Dichter über ihre Gedichte: Die Prosavorreden in den »Epigrammaton libri« Martials und in den »Silvae« des Statius 9783666252655, 352525265X, 9783525252659

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Dichter über ihre Gedichte: Die Prosavorreden in den »Epigrammaton libri« Martials und in den »Silvae« des Statius
 9783666252655, 352525265X, 9783525252659

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 166

Vandenhoeck & Ruprecht

Nina Johannsen

Dichter über ihre Gedichte Die Prosavorreden in den »Epigrammaton libri« Martials und in den »Silvae« des Statius

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Siegmar Döpp

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-25265-X ISBN 13: 978-3-525-25265-9 Hypomnemata ISSN 0085-1671

© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Umschlagkonzept: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meinen Eltern

Inhalt

praefatio in eigener Sache............................................................................11 1 Einleitung .................................................................................................13 1.1 Zum Stand der Forschung ...................................................................16 1.2 Inhalt und Aufbau der Untersuchung ..................................................20 1.3 Technische Hinweise...........................................................................21 2 Gegenstand und Methode..........................................................................23 2.1 Terminologische Vorüberlegungen.....................................................23 2.2 Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius.........................................................................................26 2.3 Die praefatio als Element paratextueller Rahmung ............................35 2.3.1 Die Frage des Gattungsbegriffes ................................................35 2.3.2 Paratextualität .............................................................................38 2.3.3 Rahmungen .................................................................................45 2.3.4 Die Sprecherinstanz in paratextuellen Elementen ......................47 2.3.5 Zusammenführung ......................................................................48 2.4 Anmerkungen zur Chronologie...........................................................51 3 Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII ..............................58 3.1 Einzeluntersuchungen .........................................................................58 3.1.1 Die praefatio zu Buch 1 der Epigramme ....................................58 3.1.2 Die praefatio zu Buch 2 der Epigramme ....................................78 3.1.3 Die praefatio zu Buch 8 der Epigramme ....................................87 3.1.4 Die praefatio zu Buch 9 der Epigramme ....................................98 3.1.5 Die praefatio zu Buch 12 der Epigramme ................................107 3.2 Systematische Analyse in Relation zu den poetologischen Aussagen der Epigramme ................................................................................122 3.2.1 Definition der eigenen Dichtung ..............................................126 3.2.1.1 Der Terminus epigrammata...................................................126 3.2.1.2 Anschluß an eine Gattungstradition.......................................129 3.2.1.3 Charakteristika der Epigrammdichtung.................................135 3.2.1.4 Verhältnis zur Satirendichtung ..............................................140 3.2.1.5 Annäherung an den Bereich der Feste und Spiele .................148 3.2.1.6 Die simplicitas der Epigrammdichtung ................................151

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Inhalt

3.2.1.7 Rom und Spanien ..................................................................158 3.2.1.8 Einige ›technische‹ Details ...................................................163 3.2.1.9 Resümee ................................................................................166 3.2.2 Die Selbstdarstellung des Dichters ...........................................167 3.2.2.1 Martials Popularität................................................................168 3.2.2.2 Qualitätsbewußtsein...............................................................175 3.2.2.3 Umgang mit Gegnern.............................................................179 3.2.2.4 Topische Bescheidenheit .......................................................187 3.2.2.5 Martial als poeta pauper ........................................................191 3.2.2.6 Resümee.................................................................................193 3.2.3 Martials Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung ........193 3.2.3.1 Individuelle (Widmungs-)Adressaten....................................193 3.2.3.2 Martials allgemeines Publikum .............................................204 3.2.3.3 Resümee.................................................................................211 3.2.4 Martials Einstellung zu praefationes: Bewertung und Funktionalisierung .................................................................212 3.2.4.1 Aussagen innerhalb der Epigramme ......................................213 3.2.4.2 Martials Umgang mit praefationes........................................223 3.2.4.3 Resümee.................................................................................225 3.3 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse.........................227 4 Die praefationes in den Silvae des Statius .............................................240 4.1 Einzeluntersuchungen .......................................................................240 4.1.1 Die praefatio zum ersten Buch der Silvae ................................241 4.1.2 Die praefatio zum zweiten Buch der Silvae .............................261 4.1.3 Die praefatio zum dritten Buch der Silvae ...............................272 4.1.4 Die praefatio zum vierten Buch der Silvae...............................283 4.1.5 Die praefatio zum fünften Buch der Silvae ..............................299 4.2 Systematische Analyse in Relation zu den poetologischen Aussagen der Gedichte ....................................................................................302 4.2.1 Definition der Silvae .................................................................305 4.2.1.1 Der Titel Silvae ......................................................................305 4.2.1.2 Programmatik der praelusiones.............................................307 4.2.1.3 Die celeritas der Gelegenheitsdichtung.................................316 4.2.1.4 Der private Charakter der Silvae............................................322 4.2.1.5 Verweis auf namhafte Vorläufer ...........................................323 4.2.1.6 Ein paar ›technische‹ Angaben ..............................................325 4.2.2 Selbstdarstellung des Dichters ..................................................327 4.2.2.1 Bescheidener Auftritt.............................................................327 4.2.2.2 Assoziation mit anderen Dichtern .........................................330 4.2.2.3 Die Epiker: Homer und Vergil ..............................................331

Inhalt

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4.2.2.4 Agone und recitationes..........................................................335 4.2.2.5 Zwischenbilanz ......................................................................336 4.2.2.6 Nachruhm...............................................................................338 4.2.2.7 Begriffliches...........................................................................340 4.2.3 Statius und die Rezipienten seiner Dichtung ............................341 4.2.3.1 Die Adressaten der verschiedenen Bücher ............................342 4.2.3.2 Adressaten einzelner Gedichte...............................................348 4.2.3.3 Domitian als Adressat in den Silvae ......................................351 4.2.3.4 Die Rolle der ceteri................................................................353 4.2.3.5 Resümee.................................................................................355 4.2.4 Präsentation und Inhalt der Einzelgedichte .............................356 4.3 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse.........................362 5 Schluß......................................................................................................371 6 Literaturverzeichnis.................................................................................383 7 Indices .....................................................................................................396

praefatio in eigener Sache

Die vorliegende Arbeit ist die durchgesehene und geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2005 von der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angenommen wurde. Trotz der vielen Anregungen, die ihr Gegenstand für die Gestaltung des eigenen Vorwortes liefern könnte, möchte ich hier in erster Linie meinen Dank aussprechen: Ich danke Prof. Dr. Konrad Heldmann für den Anstoß zu der Beschäftigung mit einem überaus spannenden Thema ebenso wie für deren stets wohlwollende Begleitung und für mehrere Jahre angenehmer Zusammenarbeit. Des weiteren danke ich Prof. Dr. Alexander Arweiler für die Übernahme des Korreferates, Prof. Dr. Siegmar Döpp und den Herausgebern der Hypomnemata für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe sowie Dr. Ulrike Blech vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die freundlichen Hilfestellungen auf dem Weg zur Druckfassung. Ebenfalls bedankt sei die Runde der Kieler Kollegen zur Zeit der Entstehung der Arbeit für anregende Gespräche und für die bisweilen nicht minder wirksamen Ablenkungen, insbesondere Dr. Sabine Bruck für ihre freundschaftliche Unterstützung ebenso wie für ihre erhebliche Hilfe beim Korrekturlesen. Der größte Dank aber gilt meinen Eltern, für ihren Beistand während der Entstehung dieser Arbeit und für all das, was ich an dieser Stelle nicht in Worte fassen kann. Berlin, im Mai 2006 Nina Johannsen

1 Einleitung

Die Epigrammaton libri Martials und die Silvae des Statius sind die ersten Werke der erhaltenen lateinischen Dichtung, in denen einige bzw. sogar sämtliche der einzelnen Bücher mit kurzen Prosatexten eröffnet werden. Mit einer einzigen Ausnahme sind diese praefationes alle in Briefform an einen individuellen Adressaten gerichtet und enthalten eine Reihe von Informationen über die Gedichte, die sie begleiten. Doch nicht nur durch die praefationes unterscheiden sich die beiden Gedichtsammlungen von der bekannten lateinischen Dichtung des ausgehenden ersten Jahrhunderts n. Chr. und der älteren Zeit. Auch ihrer Art nach stellen die Epigramme Martials und die in den Silvae gesammelte Gelegenheitsdichtung zumindest in publizierter Form eine Neuerung dar. Zwar wurde die Epigrammdichtung, die sich in Griechenland bis in das 8./7. Jhd. v. Chr. zurückverfolgen läßt, dort bereits in hellenistischer Zeit literarisiert, und auch in Rom gab es eine Reihe von Dichtern, die solche kurzen, vielfach satirischen Gedichte verfaßten, dennoch war diese Art von Dichtung lange Zeit nicht verbindlich als literarische Gattung definiert. 1 Dies spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, daß es anscheinend noch zu Plinius’ Zeit keine allgemeingültige Bezeichnung für derartige Gedichte gab, die in hohen und gebildeten Kreisen Roms auch eine beliebte Freizeitbeschäftigung darstellten. 2 Erst Martial hat die Epigrammdichtung in so entscheidender Weise geprägt, daß seine Gedichte bis in die heutige Zeit gleichsam als Inbegriff des literarischen Epigramms gelten. In seinen Gedichten thematisiert Martial die verschiedensten Stoffe aus dem zeitgenössischen römischen Alltag. Die Darstellung ist geprägt von einem z. T. drastischen Realismus, der eine scharfe Beobachtungsgabe des

1 Zur Geschichte des Epigramms in der Antike s. z. B. Holzberg (1988), 14–23; Sullivan (1991), 78–100. 2 Plin. epist. 4,14,9: Proinde, sive epigrammata sive idyllia sive eclogas sive, ut multi, poematia seu quod aliud vocare malueris, licebit voces (»Deshalb, ob du sie lieber als epigrammata oder idyllia oder eclogae oder, wie viele, als poematia oder irgend etwas anderes bezeichnen willst, du kannst sie so nennen«). In epist. 5,3,5–6 nennt Plinius eine ganze Reihe prominenter privati – unter ihnen Cicero, Asinius Pollio, M. Messala, Q. Hortensius, M. Brutus, L. Sulla, Q. Catulus, Q. Scaevola, Servius Sulpicius, Varro, Seneca –, Staatsmänner wie Caesar, Augustus, Nerva, Tiberius und große Literaten (Vergil, Cornelius Nepos, Accius, Ennius), die solche kleinen Gedichte verfaßt haben.

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Einleitung

Dichters erkennen läßt. 3 Zwar gibt es diverse Gedichte ernsthaften Inhalts, wie z. B. Grab-, Lob- oder Widmungsepigramme oder die Erörterung literarischer Probleme, dennoch überwiegen auch bei Martial die skoptischen Gedichte, deren oft beißender Spott allerdings nicht auf reale, namentlich benannte Personen abzielt. Ein sehr häufiges formales Merkmal der Epigramme Martials ist ihre Gliederung in zwei Teile, die heute zumeist mit den von Lessing geprägten Begriffen »Erwartung« und »Aufschluß« bezeichnet werden: Im ersten Teil der meist kurzen, thematisch geschlossenen Gedichte gibt der Dichter eine objektive Darstellung eines Sachverhaltes, im zweiten Teil folgt dann dessen witzig-ironische Kommentierung, in der Regel in Form einer zugespitzten Pointe. 4 Diese Form wurde durch Martial geradezu gattungsspezifisch, so daß man bis heute unter einem Epigramm ein kurzes, meist scherzhaft pointiertes Gedicht versteht. Über die historische Person des M. Valerius Martialis gibt es nur wenige Informationen. Die meisten diesbezüglichen Angaben werden seinen Gedichten entnommen und müssen daher als möglicherweise fiktionalisiert mit Vorsicht betrachtet werden. Als sicher gilt, daß Martial spanischer Abstammung war und um das Jahr 40 n. Chr. in Bilbilis in der Provinz Hispania Tarraconensis geboren wurde. 5 Etwa 64 n. Chr. kam er nach Rom, wo er Mitte der achtziger Jahre mit der Publikation der Epigrammaton libri begann, von denen die ersten elf bis 98 n. Chr. in ungefähr jährlichem Rhythmus erschienen. Seine anderen drei Gedichtbücher, der Liber spectaculorum und die zwei Bücher der Xenia und Apophoreta, werden zumeist auf die erste Hälfte der achtziger Jahre datiert. 6 Ungefähr im Jahre 98 n. Chr. verließ Martial Rom und kehrte in seine Heimat zurück. Von dort sandte er ca. drei Jahre später das zwölfte und letzte Buch der Epigramme nach Rom, bevor er um das Jahr 104 n. Chr. starb. Obwohl die Äußerungen über die Rückkehr nach Spanien bis heute vielfach als autobiographisch aufgefaßt werden, besteht auch hier grundsätzlich die Möglichkeit, daß es sich um eine literarische Fiktion handelt, mit der Martial dem Corpus der Epigrammaton libri eine abschließende Wendung verleiht. 7 Im Verlauf der 3 Zu Form und Inhalt der Epigramme Martials s. v. Albrecht (21992), 823–827; vgl. auch Holzberg (1988), 24–34; Szelest (1986), 2584–2591. 2602–2604. 4 Barwick (1959), 26, sieht hierin einen Einfluß des Sentenzenreichtums der zeitgenössischen Rhetorik. 5 Zu Leben und Werk Martials s. z. B. Friedlaender (1886), 1,3–17; Howell (1980), 1–5; Szelest (1986), 2563–2569; Holzberg (1988), 11–14. 6 Der Liber spectaculorum wurde wahrscheinlich im Jahre 80 n. Chr. aus Anlaß der Einweihung des Amphitheatrum Flavium durch den Kaiser Titus publiziert (vgl. aber Holzberg (2002a), 40–41), und für die Xenia und Apophoreta, die heute meist als die Bücher 13 und 14 der Epigramme gezählt werden, wird zumeist eine Publikation um 84/85 n. Chr. angenommen (auch dazu vgl. jedoch Holzberg (2002a), 44). 7 Dazu insbesondere Holzberg (2002a), 14–15.

Einleitung

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Untersuchung wird sich indessen zeigen, daß es im Hinblick auf die praefationes und ihre Funktion innerhalb des Werkes keine Rolle spielt, ob Martial die letzte dieser Vorreden tatsächlich in Spanien geschrieben hat, oder ob er nur den Anschein erweckt. Auch die Informationen über das Leben des P. Papinius Statius sind unsicher, da sie ebenfalls fast nur aus seinem Werk selbst geschlossen werden können. 8 Ebenso wie Martial stammte auch Statius nicht aus Rom. Er wurde vermutlich um das Jahr 50 n. Chr. in Neapel geboren 9 , von dessen griechischer Kultur er in seiner Jugend nicht unerheblich beeinflußt wurde. Wann und wie er nach Rom kam, ist umstritten. 10 Um 91/92 n. Chr. veröffentlichte Statius nach rund zwölfjähriger Arbeit die Thebais, ein Epos in zwölf Büchern über den Kampf der Sieben gegen Theben. Kurz darauf begann er mit der Publikation der fünf Bücher der Silvae. Etwa im Jahre 94 n. Chr. kehrte Statius nach Neapel zurück, von wo aus er im Sommer 95 n. Chr. das vierte Buch der Silvae nach Rom schickte. Prinzipiell ist allerdings, wie bei Martial, auch bei Statius eine Fiktionaliät der Heimkehr denkbar. 11 Das fünfte Buch der Silvae wurde vermutlich erst nach seinem Tode, im Jahre 96 n. Chr. oder wenig später, herausgegeben. In den letzten Jahren seines Lebens arbeitete Statius außerdem an einem weiteren Epos, der Achilleis, von der jedoch nur wenig mehr als ein Buch fertiggestellt wurde. Des weiteren soll er einen Pantomimus mit dem Titel Agave sowie ein Werk über die Kriege Domitians, De bello Germanico, verfaßt haben. Die Silvae stellen innerhalb der erhaltenen lateinischen Literatur eine Besonderheit dar. Es handelt sich um eine Sammlung von 32 überwiegend in Hexametern gehaltenen Gedichten von teilweise sehr unterschiedlicher Länge, die Statius ursprünglich einzeln für diverse Adressaten verfaßt hat. 12 Dementsprechend werden die verschiedensten, hauptsächlich privaten Themen behandelt. Neben Beschreibungen von Landhäusern und anderen Bauwerken finden sich z. B. ein Hochzeitsgedicht, verschiedene Trauerund Trostgedichte, Geleitgedichte usw. Einer bereits etablierten Gattung läßt sich diese Art der Dichtung nicht zuordnen, sie vereint vielmehr Elemente verschiedener Gattungen, wie z. B. der Elegie, des Epigramms und 8 Zu Leben und Werk des Statius s. z. B. Vollmer (1898), 1–21; van Dam (1984), 1–3; Coleman (1988), xv–xx. 9 Das genaue Geburtsjahr ist unbekannt, die Vermutungen gehen von ca. 40 n. Chr. bis sogar ca. 60 n.Chr.: s. van Dam (1984), 13 Anm. 3; Henriksén (1998), 77 Anm. 1. 10 Überwiegend geht man davon aus, daß Statius’ Vater in den 60er Jahren mit der Familie nach Rom übersiedelte, um dort zu unterrichten, möglicherweise soll auch Domitian zu seinen Schülern gehört haben: Hardie (1983), 11; Coleman (1988), xv. Vollmer (1898), 17, vertritt jedoch die Ansicht, daß Statius erst nach dem Tode seines Vaters um 80 n.Chr. nach Rom gekommen sei. 11 Vgl. Vessey (1977), 140; van Dam (1984), 1. 12 Vermutlich handelt es sich nur um eine Auswahl: Vollmer (1898), 12; Vessey (1973), 15; Newmyer (1979), 12.

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vor allem des Epos, sowie Einflüsse aus der Rhetorik. 13 Für den Stil der Silvae wird häufig der, allerdings nicht unumstrittene, Begriff des Manierismus verwendet. 14 Wesentliches Merkmal dieser Gelegenheitsgedichte ist ihre Bezogenheit auf eine konkrete Situation bzw. einen bestimmten Adressaten. Da diese jedoch nur in den Gedichten selbst sowie insbesondere in den praefationes spezifiziert wird, ist auch hier grundsätzlich zu erwägen, ob die Gedichte tatsächlich alle wie angegeben ursprünglich allein für ihre individuellen Adressaten bestimmt waren, oder ob Statius nicht doch von Anfang an auch ihre allgemeine Publikation im Blick hatte. Ebenso wie die Gedichtsammlungen beider Dichter auf unterschiedliche Weise neuartig sind, wird auch das hier erstmals faßbare Element der Prosavorreden rein äußerlich von beiden auf unterschiedliche Weise verwendet. Dies zeigt sich schon auf den ersten Blick darin, daß beide Sammlungen trotz ihres deutlich differierenden Umfanges dieselbe Anzahl von praefationes aufweisen. In den Silvae sind alle fünf Bücher mit solchen Vorreden versehen, die mit Ausnahme der letzten auch formal relativ einheitlich gestaltet sind. Im Gegensatz dazu sind die praefationes Martials am Beginn der Bücher 1, 2, 8, 9 und 12 nicht nur sehr unregelmäßig über das Corpus der Epigrammaton libri verteilt, sondern weisen untereinander auch erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer formalen und inhaltlichen Gestaltung auf. 15

1.1 Zum Stand der Forschung In der Forschung sind die Prosavorreden zu den Epigrammbüchern Martials und zu den Silvae des Statius bislang kaum gemeinsam systematisch untersucht worden, obwohl sie schon deshalb besonderes Interesse erregen müßten, weil sie in der lateinischen Literatur bis dahin ohne Beispiel sind. Eine bedingte Ausnahme bilden zwei kurze Untersuchungen aus den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. 16

13 Dazu ausführlicher Vollmer (1898), 25–27; Bright (1980), 6–12; Newmyer (1979), 16–44. 14 Friedrich (1963), 44–49; vgl. Vessey (1973), 10; dazu kritisch van Dam (1984), 7–9; vgl. Coleman (1988), xxvii–xxviii. – Zum Manierismus allgemein s. Curtius (111993), 277–305; W. Braungart: Art. »Manier, Manierismus«, in: RDLw 2,530–535. 15 Dieser Umstand veranlaßte Immisch (1911), 490–496, zu der wenig plausiblen Vermutung, auch die übrigen Bücher könnten ursprünglich mit derartigen (privaten) Begleitbriefen versehen gewesen sein, die jedoch anders als die zufälligen Ausnahmen der praefationes in den Büchern 2 und 9 im Laufe der Überlieferung unterdrückt worden seien. 16 Pavlovskis, Zoja: »From Statius to Ennodius: A brief History of Prose Prefaces to Poems«, RIL 101 (1967), 535–567; White, Peter: »The Presentation and Dedication of the Silvae and the Epigrams«, JRS 64 (1974), 40–61.

Zum Stand der Forschung

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Pavlovskis beginnt ihren Abriß der Geschichte der Prosavorreden zu poetischen Werken der lateinischen Literatur bis etwa 500 n. Chr. mit einer kurzen Darstellung der praefationes bei Martial und Statius. 17 Trotz einiger interessanter Detailbeobachtungen bleibt der Abschnitt jedoch im wesentlichen deskriptiv, und auch die Schlußfolgerungen sind eher enttäuschend: Martials praefationes werden für im Grunde überflüssig erachtet, die des Statius hingegen für »purely utilitarian«. 18 Etwas problematisch ist außerdem die uneinheitliche Vorgehensweise, denn für Statius erfolgt die Darstellung nach einzelnen Motiven geordnet, die öfter auch in verschiedenen praefationes vorkommen, für Martial hingegen strikt nach der Reihenfolge der praefationes. Dies wird zwar durch den verschiedenen Charakter der praefationes beider Dichter auf den ersten Blick eventuell nahegelegt, geht jedoch auf Kosten einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse. White richtet sein Erkenntnisinteresse im wesentlichen auf einen konkreten Einzelaspekt, nämlich die Widmungsfunktion der praefationes, ohne dabei weitere, wie etwa generische Fragen zu berühren. Aus diesem Grunde befaßt er sich bei Martial nicht nur mit den praefationes, sondern auch mit den widmenden Epigrammen, die an verschiedenen Stellen innerhalb der Epigramme anzutreffen sind, und entwickelt die These, daß sämtliche dieser Epigramme ursprünglich der Widmung kleinerer, nicht-öffentlicher Gedichtsammlungen (»libelli«) dienten.19 Umgekehrt wird gleich die erste praefatio der Epigrammaton libri nicht berücksichtigt, da sie keinen individuellen Adressaten hat. Die anderen vier Prosavorreden werden schließlich als rein private Begleitbriefe aufgefaßt, die ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen waren, später jedoch von Martial ohne weitere Überarbeitung an ihren jetzigen Platz gestellt wurden. Die ersten vier praefationes des Statius seien dagegen eindeutig über den jeweiligen Widmungsadressaten hinaus an eine breitere Öffentlichkeit gerichtet. Auch Janson hat in seiner grundlegenden Untersuchung über Prosavorreden in der lateinischen Literatur den »epistolary prefaces« von Martial und Statius einige wenige Seiten gewidmet 20 , allerdings vorrangig unter dem Aspekt, welche Schlüsse sich aus ihnen über die zeitgenössische Verwendung von praefationes für poetische Werke ziehen lassen. Aus diesem Grunde werden nur wenige ausgewählte Passagen berücksichtigt. Ähnlich wie nach ihm White stellt Janson fest, daß Statius’ praefationes trotz ihrer Ausrichtung auf individuelle Adressaten von vornherein für die Öffentlich-

17 Pavlovskis (1967), 536–545. 18 Pavlovskis (1967), 545 u. 539. 19 Gegen diese ›libellus-Theorie‹ wendet sich vor allem Fowler (1995). 20 Janson, Tore: Latin Prose Prefaces. Studies in Literary Conventions, Stockholm 1964, 107– 112.

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Einleitung

keit bestimmt waren 21 , und vermutet auf der Basis einer Angabe in Statius’ vierter praefatio, daß auch die Thebais ursprünglich von einer solchen Prosa-praefatio begleitet wurde. Bei Martial beschränkt sich Janson z. B. auf die Behandlung der praefationes der ersten beiden Epigrammbücher, von denen er die erste knapp als »letter to the reader« und »literary manifesto« bezeichnet. Intensiver befaßt er sich dagegen mit der zweiten Vorrede Martials, da er die darin gestaltete Kritik an der Verwendung von Prosavorreden als Indiz dafür betrachtet, daß solche praefationes zu poetischen Werken gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. trotz fehlender Überlieferung eine häufige Erscheinung gewesen seien. Speziell den praefationes des Statius wendet sich Vessey auf wenigen Seiten des den Silvae gewidmeten ersten Kapitels seiner Monographie zur Thebais zu. 22 Nach einem kurzen Überblick über deren Inhalt, bei dem insbesondere die metapoetischen Aussagen hervorgehoben werden, kommt Vessey zu demselben Ergebnis wie Pavlovskis und benennt drei konkrete Funktionen der praefationes: die auf Unterstützung abzielende Widmung an die Adressaten, das Inhaltsverzeichnis sowie schließlich die Möglichkeit einer knappen Stellungnahme zur eigenen Dichtung. In jüngerer Zeit sind es vor allem die praefationes Martials, die das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben. So befaßt sich Fearnley im Anhang ihrer interdisziplinären Untersuchung zur Bedeutung Martials im politischen und kulturellen Kontext seiner Zeit auch mit dessen praefationes. 23 Berührt werden dabei jedoch nur einige ausgewählte Aspekte, da sich ihr Interesse zum einen auf Relation zu früheren (Sallust, Livius, Plinius Maior) und späteren praefationes (Quintilian), zum anderen aber auf die Parallelen zwischen je zwei praefationes von Martial und Statius richtet (Mart. 1, praef. 24 u. Silv. 1, praef. sowie Mart. 8, praef. u. Silv. 4, praef.), bevor abschließend die jeweils wesentliche Funktion der fünf praefationes Martials formuliert wird. Die bislang umfassendste Arbeit zu den praefationes Martials ist die von Borgo. 25 Da sie ein starkes Gewicht auf Martials Umgang mit präfatorischen Topoi legt, die in ähnlicher Weise auch von anderen Autoren verwendet werden, werden im Verlauf der Untersuchung u. a. immer wieder 21 Sein ›Beweis‹ dafür, daß die praefationes deshalb auch von Anfang an am Beginn der Gedichtbücher lokalisiert waren, basiert jedoch auf dem falschen Verständnis einer Stelle in Statius’ vierter praefatio (Silv. 4, praef. 9–10); dazu vgl. auch Johannsen (2003). 22 Vessey, David W. T. C.: Statius and the Thebaid, Cambridge 1973, 36–40. 23 Fearnley, Hannah Louise: Reading Martial’s Rome, Diss. Univ. of Southern California 1998, 189–214. 24 Diese erste praefatio der Epigrammaton libri wird als einzige auch im Verlauf der Untersuchung ausführlicher behandelt: Fearnley (1998), 31–41. 25 Borgo, Antonella: Retorica e Poetica nei Proemi di Marziale, Neapel 2003 (Studi Latini 51), 13–79.

Zum Stand der Forschung

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auch die praefationes des Statius herangezogen, allerdings nur unter ausgewählten Aspekten. Als Hauptmotivation für die Verwendung der praefationes benennt Borgo die Notwendigkeit, sich die Unterstützung der hochgestellten Adressaten zu sichern, wenn nicht auch in materieller Hinsicht, so doch in jedem Falle im Hinblick auf das eigene Werk. Erst in zweiter Linie seien die praefationes auch an die Adresse eines allgemeinen Publikums gerichtet. Dabei werden die praefationes Martials keineswegs systematisch behandelt. Zu Beginn der Arbeit werden zumeist einzelne zentrale Themen der praefationes und die hierfür einschlägigen Stellen fokussiert. Einige der folgenden Abschnitte sind dann zwar einzelnen praefationes gewidmet, doch werden diese auch hier nicht in ihrer Gesamtheit analysiert, sondern stets nur unter bestimmten thematischen Gesichtspunkten. Im Schlußteil der Untersuchung werden außerdem noch verschiedene der in den Eingangs- und Schlußepigrammen der Epigrammaton libri angesprochenen Themen behandelt. Obgleich die Arbeit verschiedene richtige und wichtige Beobachtungen enthält, vermißt man nicht nur eine eingehendere Betrachtung der praefationes als in sich geschlossener Einzeltexte, sondern auch eine abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse, verbunden mit der Frage nach der Funktion der praefationes im Rahmen des gesamten Corpus. Im Mittelpunkt einer nur wenig überzeugenden Arbeit von Beck steht schließlich die erste praefatio der Epigrammaton libri, die seiner Ansicht nach nur vordergründig als pragmatisch-nüchterne Erklärung zu konkreten Charakteristika der Epigrammdichtung zu lesen sei, tatsächlich aber der programmatischen Formulierung einer bestimmten politischen Haltung des Dichters diene. 26 Die übrigen in den Epigrammaton libri enthaltenen praefationes werden in diesem Kontext nur zum Teil (Mart. 2, praef.; 8, praef.) bzw. gar nicht (Mart. 9, praef.; 12, praef.) berücksichtigt. Abgesehen von diesen Arbeiten, die sich mehr oder minder intensiv mit den praefationes eines oder beider Dichter an sich beschäftigen, werden die Prosavorreden auch in der übrigen Forschungsliteratur zu Martial und Statius häufig zumindest am Rande einbezogen. Dies gilt für Gesamtdarstellungen ebenso wie für Untersuchungen zu einzelnen Aspekten ihres jeweiligen Werkes. 27 Je nach Perspektive bzw. Fragestellung des Verfassers werden die praefationes dabei zum Teil sehr unterschiedlich bewertet. So bemerkt

26 Beck, Jan-Wilhelm: Quid nobis cum epistula? Zum Anfang von Martials erstem Epigrammbuch, Göttingen 2003; für eine Auseinandersetzung mit seiner These s. u., insbesondere Abschnitt 3.1.1. 27 Hierzu gehören Untersuchungen zu bestimmten Themenbereichen ebenso wie eine Vielzahl von Arbeiten zu einzelnen Gedichten der Silvae, in denen in der Regel auch deren Kommentierung in der entsprechenden praefatio gestreift wird.

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Einleitung

etwa Sullivan in seiner Monographie zu Martial über dessen zweite praefatio lediglich: »the perfunctory preface to Decianus is uninteresting«. 28 Das Hauptinteresse der thematisch begrenzten Untersuchungen richtet sich meist auf die metapoetische Präsentation der Gedichtsammlungen, seltener auf andere Aspekte wie etwa die Widmungsfunktion. Insbesondere das poetische Programm der Silvae wird zum großen Teil aus den Prosavorreden erschlossen, aber auch in den einschlägigen Untersuchungen zu Martial werden die programmatischen Aussagen der praefationes oft neben die thematisch vergleichbaren Aussagen der Epigramme gestellt. 29 Eine solche unterschiedlose Betrachtung der Aussagen in Vorreden und Epigrammen ist allerdings insofern problematisch, als sie von der Prämisse ausgeht, daß die Aussageebenen von Epigrammen und praefationes als identisch zu betrachten sind. Diese sehr disparate Beschäftigung mit den praefationes der Silvae und der Epigrammaton libri hat im Detail durchaus schon zu einer Reihe wichtiger Beobachtungen und Ergebnisse geführt, auf die im Laufe dieser Untersuchung auch immer wieder zurückzukommen sein wird. Insgesamt zu wenig berücksichtigt wurde bislang jedoch der Gesamtzusammenhang der in den praefationes angesprochenen poetologischen Themen sowie das Verhältnis der in diesen Vorreden vorgenommenen Präsentation der Gedichte zu den Gedichten selbst.

1.2 Inhalt und Aufbau der Untersuchung Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden nach einer einleitenden Reflexion über die Terminologie zur Bezeichnung des Gegenstandes und einem knappen Überblick über die Tradition von Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur bis zum Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. zunächst auf der Basis der modernen Literaturtheorie einige theoretische Vorüberlegungen zu Formen und Funktionen von praefationes entfaltet. Zum Schluß ist kurz auf einige Aspekte der teilweise umstrittenen Chronologie der Epigrammaton libri und der Silvae einzugehen, allerdings nur soweit diese auch im Hinblick auf die praefationes eine Rolle spielen. Anschließend werden zuerst die praefationes Martials (Kapitel 3), dann die des Statius (Kapitel 4) in den Mittelpunkt gerückt. In einem ersten Abschnitt werden die praefationes zunächst jeweils für sich einer Einzelanaly28 Sullivan (1991), 22. Weitere Gesamtdarstellungen zu Martial bieten Holzberg (1988) und (2002a); zu Statius s. Hardie (1983). 29 Zur Poetik der Silvae s. vor allem Aricò (1971); Adam (1988), 31–39; zu der der Epigrammaton libri insbesondere Citroni (1968); Adams (1975); Sullivan (1991), 56–77.

Inhalt und Aufbau der Untersuchung

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se unterzogen, in der ihr metapoetischer Gehalt und ihre individuelle Gestaltung ebenso eine Rolle spielen werden wie ihre Literarisierung, etwa durch Übernahme bestimmter, aus anderen Kontexten geläufiger Motive, intertextuelle Bezugnahmen auf andere Werke o. ä., sowie insbesondere die intratextuellen Relationen einzelner praefationes untereinander. Die Verwendung präfatorischer Topoi wird dabei in der Regel nur allgemein, nicht in konkretem Vergleich zu anderen Autoren eine Rolle spielen, da diese Untersuchung primär auf die selbstreferentiellen Aussagen der Dichter abzielt. In einem zweiten Schritt werden dann die einschlägigen Aussagen des paratextuellen Bereiches in systematisierter Form vergleichbaren Aussagen innerhalb des Textes selbst gegenübergestellt, um auf diese Weise das Verhältnis zwischen dem Text und den praefationes präziser zu bestimmen. Den Abschluß bildet jeweils eine zusammenfassende Auswertung der Ergebnisse. Das letzte Kapitel bietet ein vergleichendes Resümee der Ergebnisse, in dem abschließend die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den zeitlich so eng benachbarten praefationes beider Dichter herausgearbeitet werden. Die Aufteilung der Kapitel 3 und 4 in Einzel- und systematische Betrachtung trägt vor allem der auffälligen Heterogenität der praefationes Martials Rechnung und wird aus Gründen der Vergleichbarkeit auch in der Untersuchung der praefationes des Statius beibehalten. Bedingt durch diese Struktur kommen einzelne Gesichtspunkte im Fortschritt der Untersuchung an mehr als einer Stelle in etwas veränderter oder erweiterter Perspektive zur Sprache. Die dabei unvermeidlichen leichten ›Wiederholungen‹ dienen dazu, die Lektüre der systematischen Kapitel zu erleichtern. Diese Methode, die sowohl einen linearen als auch einen thematisch orientierten Zugang zu den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit ermöglicht, erscheint am besten geeignet, die individuelle Verwendung von praefationes durch Martial und Statius gleichmäßig zu beleuchten.

1.3 Technische Hinweise Martial und Statius werden in der Regel zitiert nach den OCT-Ausgaben von Lindsay (21929) bzw. Courtney (21992), denen auch die Zeilenzählung der praefationes folgt. In Einzelfällen abweichende Lesarten werden als solche kenntlich gemacht und in der Untersuchung begründet. Andere antike Autoren werden nach den im Literaturverzeichnis aufgeführten Textausgaben zitiert. Die Übersetzungen der praefationes und anderer Zitate sind, sofern nicht anders angegeben, von mir. Lateinische Autoren und ihre Werke werden abgekürzt nach dem System des Thesaurus Linguae Latinae

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Einleitung

(Index Librorum Scriptorum Inscriptionum ex quibus exempla afferuntur, Leipzig 21990), griechische Autoren und ihre Werke nach dem System des Neuen Pauly (Erweitertes Abkürzungsverzeichnis, Bd. 3,xxxvi–xliv). Die vollständigen bibliographischen Angaben zu der in den Fußnoten nur mit Verfassernamen und Erscheinungsjahr zitierten Sekundärliteratur finden sich im Literaturverzeichnis, ebenso eine Liste der in Abkürzung zitierten allgemeinen Referenzwerke.

2 Gegenstand und Methode

2.1 Terminologische Vorüberlegungen In der modernen Forschungsliteratur findet sich eine Vielzahl von Bezeichnungen für die einleitenden Prosatexte, die Martial einigen seiner Epigrammaton libri und Statius allen Büchern der Silvae vorangestellt hat. Am größten ist die Bandbreite verwendeter Termini in der deutschsprachigen Literatur; in anderen Sprachen finden sich Entsprechungen oft nur für die gängigeren Begriffe. Im Überblick ergibt sich folgendes Bild: Unter den verwendeten Begriffen sind »(Prosa-)Vorrede« 1 und »Widmung(-sbrief)« 2 am häufigsten, daneben finden sich öfter auch »(Prosa-)Einleitung« 3 , »Einleitungsbrief« 4 , »(Prosa-)Brief« 5 , »(Prosa-)Epistel«, »(Prosa-)Präfatio« sowie vereinzelt »(Prosa-)Vorwort«, »Dedikationsepistel«, »Proömium« 6 , »Prolog« und »Einführung«. Parallel zu den genannten neusprachlichen Begriffen werden die Prosavorreden bei Martial und Statius in fast allen Sprachen durchgängig auch mit den lateinischen Termini praefatio oder epistula bezeichnet. Dies ist insofern auffällig, als der auch in dieser Arbeit bislang unkommentiert verwendete Begriff praefatio von beiden Dichtern nirgends in bezug auf die eigenen Vorreden gebraucht wird. In der Antike gab es in der lateinischen Sprache eine Reihe von Bezeichnungen für Vorreden bzw. Einleitungspassagen von Texten, z. B. exordium, praefatio, prooemium, prologus etc. Einige dieser Termini wurden in bestimmten Gattungen bevorzugt, etwa exordium im Bereich der Rhetorik 7 oder prologus bei den dramatischen Gattungen 8 , prinzipiell wurden sie

1 Engl.: (prose) preface, frz.: préface, ital.: prefazione, span.: prefacio. 2 Engl.: (prose) dedication, frz.: dedicace, ital.: epistola dedicatoria. 3 Engl.: (prose) introduction, ital.: introduzione. 4 Engl.: prefatory/introductory epistle, prefatory letter, ital.: epistola introduttiva/ proemiale/ prefatoria/ d’apertura, span.: epístola introductoria. 5 Ital.: lettera. 6 Ital.: proemio. 7 ThLL V,2,1566–1567, s. v. exordium: [...] usu artato: i. q. prooemium, prologus, praefatio, quibus opus componendum inchoatur oder insbesondere: t. t. rhet. de prooemio pro certa et necessaria parte orationum (scriptorum) sumpto. 8 ThLL X,2,1832–1833, s.v. prologus: i. q. sermo praeloquentis, strictius est t. t. rei scaenicae, notione originaria de sermone fere in principio fabulae posito, quo narratur argumentum, commendatur poeta vel fabula sim. [...], laxius est principium cuiusvis libri, orationis sim.

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Gegenstand und Methode

jedoch weitgehend als Synonyme aufgefaßt 9 und konnten für alle Gattungen gleichermaßen verwendet werden. Insbesondere scheint dies für prooemium und praefatio zu gelten. 10 Eine ausdrückliche Gleichsetzung findet sich in zwei späteren Zeugnissen. Im frühen 7. Jhd. n. Chr. schreibt Isidor von Sevilla (orig. 6,8,9): Prooemium est initium dicendi. Sunt enim prooemia principia librorum, quae ante causae narrationem ad instruendas audientium aures coaptantur. Cuius nomen plerique latinitatis periti sine translatione posuerunt. Hoc autem vocabulum apud nos interpretatum praefatio nuncupatur, quasi praelocutio… 11 , im 12. Jhd. n.Chr. Konrad von Hirsau: Prooemium praefacio est operis, prologus quaedam ante sermonem praelocutio. (»Das prooemium ist die praefatio des Werkes, der Prolog eine Art der Vorrede vor der eigentlichen Rede.«; Dialogus super Auctores 23,24–25). In der Einleitung seiner Untersuchung zu den praefationes des spätantiken Dichters Claudian setzt sich Felgentreu ausführlich mit der Verwendung der Begriffe prooemium und praefatio auseinander. Er stellt fest, daß es trotz des Fehlens eines ursprünglichen semantischen Unterschiedes zwischen beiden Begriffen in der Terminologie der modernen Forschungsliteratur gebräuchlich geworden sei, formal selbständige lateinische Vorreden als praefatio zu bezeichnen, in den Text integrierte hingegen als prooemium. Damit wird hier als das entscheidende Kriterium die formale Integration bzw. Selbständigkeit der Hinführung auf das Werk zugrunde gelegt. Aus der unterschiedlich starken Verbindung mit dem Haupttext ergebe sich dann »sofern die Traditionen der jeweiligen Gattung es zulassen, eine funktionale Zweiteilung: Zu textexternen, aber für das Textverständnis wichtigen Fragen der äußeren und der literarischen Bedingungen seiner Arbeit sowie zur eigenen Person äußert sich der Autor mit größerer Wahrscheinlichkeit in der separaten, zum Gegenstand seines Werkes aber in der integrierten Vorrede«. 12 Mit Ausnahme der Übertragung einiger antiker Termini erweist sich die Vielfalt der neusprachlichen Terminologie bei näherem Hinsehen im wesentlichen als Variation einiger weniger Begriffe. Es sind dies die Bezeichnungen »Brief« (»Epistel«), »Widmung«, »Vorrede« (als Synonym dazu

9 Vgl. aber Quint. inst. 4,1,1 zur semantischen Differenz von exordium und prooemium. 10 Während sich in der Antike tendenziell häufiger der Begriff prooemium findet, setzte sich in späterer Zeit zunehmend der Terminus praefatio durch. 11 »Das prooemium ist der Anfang der Rede. Die prooemia sind nämlich die Anfänge der Bücher, die vor der Darlegung des Sachverhaltes genau ausgearbeitet werden, um die Ohren der Hörer einzustimmen. Den Namen dafür haben viele, die des Lateinischen kundig sind, ohne Übertragung verwendet. Dieser Begriff aber wird bei uns übersetzt als praefatio bezeichnet, gleichsam als Vorrede…« 12 Felgentreu (1999), 15.

Terminologische Vorüberlegungen

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»Vorwort«) und »Einleitung«, deren synonyme Verwendbarkeit im gegebenen Kontext hinterfragt werden muß. Die vorrangig an formalen Kriterien orientierte Klassifizierung als »Brief« ist für den überwiegenden Teil der hier untersuchten Texte zunächst durchaus zutreffend. 13 Da die Textsorte »Brief« als ganze jedoch ein sehr breites Spektrum verschiedener Typen und Funktionen umfaßt14 , ist dieser Begriff für sich allein zu unspezifisch für die Bezeichnung von Texten, die unabhängig von ihrer äußeren Form durch Lokalisierung und Inhalt in einer konkreten Beziehung zu einem bestimmten Buch stehen. Umgekehrt ist auch der Terminus »Widmung« für eine neutrale Bezeichnung der fraglichen Texte am Beginn des Buches nicht geeignet, da sie durch diesen Begriff, definiert als »symbolische Übereignung eines Werkes [bzw.] der Text, mit dem sie vollzogen wird« 15 , schon im Vorwege auf eine einzelne ihrer Funktionen reduziert und andere mögliche Funktionen außer acht gelassen werden. Weitaus wichtiger ist ohnehin die Frage eines semantischen Unterschiedes zwischen »Vorrede/Vorwort« und »Einleitung«. Nach moderner Definition handelt es sich bei einem Vorwort um einen »Begleittext, der einleitend und deutlich abgesetzt auf die Lektüre eines nachfolgenden Haupttextes (oder einer Textsammlung) durch ausdrückliche Bezugnahme auf Leser, Werk oder Urheber vorbereitet«. 16 Der Begriff der Einleitung bezeichnet dagegen »hinführende, einweisende Texte: 1. einen Textteil: die Einführung zu einer Rede oder einer Schrift; 2. eine Textsorte: den einführenden Unterricht in einer Kunst oder Wissenschaft«. 17 Die Gegenüberstellung zeigt zunächst, daß dem formalen Aspekt der äußeren Verknüpfung mit dem eigentlichen Werktext auch bei der Diffe13 Eine mögliche Ausnahme bildet lediglich die erste praefatio Martials, bei der die Echtheit der Anrede an den allgemeinen Leser umstritten ist, die aber gleichwohl von Martial selbst als epistula bezeichnet wird. 14 Bereits für die Antike sind diverse Arten von Briefen faßbar. Neben solchen Briefen, die als reine Gebrauchstexte anzusehen sind (z. B. private Briefe als Mittel der Kommunikation zwischen räumlich voneinander getrennten Personen oder offiziellen Mitteilungen) finden sich auch ganz oder teilweise literarisierte Briefe verschiedenster Art, darunter etwa schon mit Blick auf eine mögliche Publikation verfaßte Privatbriefe, Lehrbriefe, poetische Briefe o. ä. Auch Widmungsbriefe können ungeachtet ihres Ursprungs aus funktionalen Begleitbriefen zur Übersendung eines Buches später im weiteren Sinne zu den literarischen Briefen gezählt werden. Dazu v. a. I. Sykutris, Art. »Epistolographie«, RE Suppl. 5,185–220; vgl. C. Dziatzko: Art. »Brief«, RE 3,1,836– 843; zu den literarischen Briefen auch Peter (1901); zu den Topoi in den Briefen der vorchristlichen Literatur Thraede (1970), 17–91; allgemeiner zu Funktionen und Gebrauch von Briefen, nicht nur in der Antike, s. auch Nickisch (1991), 1–28. 15 Chr. Wagenknecht: Art. »Widmung«, in: RDLw, 3,842–845, hier 842. 16 B. Moennighoff: Art. »Vorwort«, in: RDLw, 3,809–812, hier 809–810. 17 B. Kositzke: Art. »Einleitung«, in: HWRh, 2,979–982, hier 979.

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Gegenstand und Methode

renzierung der deutschen Termini wesentliche Bedeutung zukommt. Als weiteres Kriterium spielen darüber hinaus jedoch wiederum der Inhalt bzw. die funktionale Relation zum nachfolgenden Werk eine Rolle: Dem Leser gibt die Einleitung eine Einführung in Inhalt und Absicht eines literarischen oder wissenschaftlichen Werkes, einer Edition. In ihrer thematischen Orientierung unterscheidet sich die Einleitung von Vorrede oder Vorwort [...], die zumeist technische, historische oder biographische Bedingungen der Entstehung und Verbreitung einer Schrift behandeln. 18

Es zeigt sich mithin, daß zur Differenzierung der Begriffe »Vorwort« und »Einleitung« prinzipiell dieselben zwei Kriterien angewendet werden wie oben bei der Unterscheidung von praefatio und prooemium. 19 Inhalt und Funktionen der von Martial und Statius ihren Gedichtsammlungen vorangestellten Prosatexte werden erst im weiteren Verlauf dieser Untersuchung zur Sprache kommen. Ausgehend von den vorstehenden Überlegungen erscheint es jedoch schon aufgrund des äußerlichen Befundes ihrer formalen Selbständigkeit gegenüber dem jeweiligen Haupttext geboten, neben der von beiden Dichtern selbst verwendeten Bezeichnung epistula 20 im folgenden nur die Termini »(Prosa-)Vorrede« und als allgemein akzeptiertes Synonym dazu praefatio zur Bezeichnung dieser Texte zu verwenden.

2.2 Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius Trotz der formalen und bis zu einem gewissen Grade auch funktionalen Differenzierung, wie sie im vorigen Abschnitt dargestellt wurde, stehen prooemium und praefatio einander inhaltlich sehr nahe. In seiner Untersuchung der in Prosa verfaßten »prefaces« der lateinischen Literatur im Hinblick auf die darin auftretenden Themen und Motive macht Janson daher keinen grundlegenden Unterschied zwischen formal selbständigen und in 18 B. Kositzke: Art. »Einleitung«, in: HWRh, 2,979–982, hier 979. 19 Ausschließlich nach dem formalen Kriterium differenziert Janson (1964), 19–22, die vom eigentlichen Text des Werkes getrennte »epistolary preface« und die in den Beginn des Werkes integrierte »rhetorical preface«. 20 Martial gebraucht den Begriff epistula zur Bezeichnung von praefationes, allgemein ebenso wie konkret für die eigenen, in auffälliger Weise nur in den ersten beiden seiner fünf praefationes, in der zweiten sogar mit besonders hoher Frequenz (Mart. 1, praef. 13. 17; 2, praef. 2. 5. 8. 13). Auch innerhalb der Epigramme selbst erscheint der Begriff noch einmal in dieser Bedeutung (Mart. 3,5,11), und daneben nur ein einziges Mal in gänzlich anderem Kontext (Mart. 5,51,4). Statius bezeichnet seine praefationes ebenfalls als epistula (Silv. 2, praef. 4; 4, praef. 18); genauso häufig erscheint der Begriff bei ihm jedoch auch für einen bestimmten Gedichttypus (Silv. 4, praef. 9; 4,4,1).

Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius

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den jeweiligen Text integrierten Einleitungspassagen, obgleich auch er nach einem äußeren Kriterium zwischen einer in Briefform gehaltenen »epistolary preface« und einer »rhetorical preface« differenziert, die ihre Bezeichnung wohl ihrer ersten maßgeblichen Verwendung bei den attischen Rednern verdankt. 21 Auch bei der »epistolary preface«, der jüngeren der beiden Formen, die sich aus der erstmals bei Archimedes faßbaren Praxis entwickelte, einem übersandten Buch ein Begleitschreiben beizugeben 22 , ist die formale Eigenständigkeit gegenüber dem eigentlichen Text des Werkes ein wesentliches Merkmal. Da »epistolary prefaces« nach Jansons Definition außerdem jedoch formale Elemente eines Briefes wie Anrede oder Abschlußformel aufweisen müssen 23 , umfaßt diese Kategorie nur einen Teil der praefationes gemäß der oben zitierten Definition Felgentreus, während andere Vorreden, wiewohl äußerlich durchaus vom Text abgesetzt und zum Teil auch an bestimmte Adressaten gerichtet, gemeinsam mit integrierten prooemia zu den »rhetorical prefaces« gerechnet werden. 24 Umgekehrt ist die Abgeschlossenheit und damit die formale Trennung vom eigentlichen Text des Werkes bei den nicht als Briefe gestalteten praefationes nicht immer völlig eindeutig, insbesondere wenn man davon aus21 Zur frühen Entwicklung in Prosa verfaßter »prefaces« vor allem in der griechischen Literatur s. Janson (1964), 14–26. – Die Bezeichnung »rhetorical preface« ist allerdings insofern etwas irreführend, als Janson unter diesem Begriff sämtliche Einleitungspassagen versteht, die nicht dem Typus der »epistolary preface« entsprechen. »Rhetorical prefaces« stehen somit vor sehr verschiedenen, durchaus nicht nur rhetorischen Werken, so daß die von Pavlovskis (1967), 536, verwendete Bezeichnung »non-epistolary prefaces« sinnvoller erscheint. 22 Daß dies auch im Bereich der lateinischen Literatur üblich war, zeigt etwa der an Varro gerichtete Widmungsbrief für die vier Bücher von Ciceros Academica (Cic. fam. 9,8), der dem Werk gleichwohl nicht als praefatio beigegeben ist; vgl. auch z.B. Plin. epist. 1,2; 3,13; 4,14; 5,12; 7,12; 8,19. 23 Janson (1964), 106 Anm. 2. Im Gegensatz dazu faßt Peter (1901), 242–249, im Prinzip jede Widmung eines literarischen Werkes als Brief auf. 24 Bei Jansons Differenzierung entfällt allerdings die Gruppe der formal selbständigen, aber nicht als Brief geschriebenen Vorworte, da der Begriff »epistolary preface« nicht mit der oben als formal selbständige Vorrede definierten praefatio identisch ist, sondern nur diejenigen selbständigen Vorworte umfaßt, die tatsächlich in Briefform gehalten sind. Auch in Prosa gibt es jedoch einige wenige Beispiele dafür, daß formal selbständige praefationes – wie etwa, geht man von der wahrscheinlichen Unechtheit des titulus »Martialis lectori suo salutem« aus, die praefatio des ersten Buches der Epigrammaton libri Martials oder die praefatio des zehnten Buches von Columellas De re rustica – nicht unbedingt die Form von Briefen haben müssen. – Felgentreu (1999), 41, erweitert die sehr eng begrenzte Kategorie der »epistolary prefaces« insofern, als er auch solche praefationes hinzurechnet, die zwar keine Briefform im eigentlichen Sinne aufweisen, aber durch einen bestimmten Adressaten sowie ein »Schlüsselwort«, z. B. eine Form von mittere, als Briefe stilisiert seien. Nach diesen Kriterien wertet er den Anfang von Ciceros Cato Maior (1–3) als präfatorischen »Atticusbrief«. Auch die Eingangspassagen der drei Bücher von Varros Res rusticae werden – offenbar allein aufgrund des in hoc ad te mitto (rust. 3,1,9) – zu »Briefpraefationes« erklärt.

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Gegenstand und Methode

geht, daß diese ursprünglich nicht ausdrücklich als praefationes gekennzeichnet und zudem nicht aus einer erst in deutlich späterer Zeit eingeführten Kapitelzählung ausgenommen waren. Die Grenze zwischen praefatio und prooemium ist daher bisweilen fließend. 25 Das Spektrum der in solchen Hinführungen zum Text eines Werkes, in praefationes ebenso wie in prooemia, häufig anzutreffenden Themen und Motive ist relativ eng begrenzt. 26 Es finden sich im wesentlichen Aussagen des Verfassers über sich selbst und über sein Werk sowie öfter auch eine Anrede an den Leser. Mit der Anrede eines individuellen Adressaten wird zumeist eine Widmung des ganzen Werkes ausgedrückt. Solche Widmungen, die nicht an eine feste Form gebunden waren, spielten in der lateinischen Literatur eine nicht unerhebliche Rolle. 27 Der Adressat, für den die Nennung an derart prominenter Stelle eines Werkes eine große Ehre, d. h. konkret die Aussicht auf Verewigung durch den Dichter oder zumindest eine Teilhabe an dessen Ruhm bei den Zeitgenossen, darstellte 28 , stand vielfach in einer besonderen persönlichen Beziehung zum Verfasser; so werden Bücher an Verwandte und Freunde oder auch an patroni gerichtet. Alternativ finden sich am Buchbeginn bisweilen auch Apostrophen des Herrschers. 29 Verbunden mit der Widmung war die, manchmal möglicherweise auch fiktive, Übergabe des ersten Exemplars an den Widmungsempfänger. Ein direkter Zusammenhang mit der allgemeinen Publikation des Werkes bestand hingegen nicht. Bisweilen werden die Adressaten auch geradezu in die Entstehung des Buches mit einbezogen, z. B. durch den Hinweis, daß das Werk erst auf Ersuchen des Adressaten verfaßt worden sei, oder durch die Bitte um kritische Beurteilung oder Korrektur des Textes. 30 Auch im Bereich der Aussagen des Verfassers über sich selbst und über sein Werk findet sich eine Reihe häufig wiederkehrender Themen und Motive. Diese werden von Janson zunächst allerdings nicht systematisch dargestellt, sondern überwiegend im Verlauf seiner Untersuchung, die für die 25 Dies gilt in erster Linie für Prosatexte. Die poetischen praefationes, denen das Hauptinteresse Felgentreus (1999) gilt, sind als erstes Gedicht (z. B. Catull. 1) bzw. erste Verspartie des jeweiligen Buches (z. B. das Epigramma ipsius am Beginn von Ovids Amores) in der Regel auch formal eindeutig vom nachfolgenden Text abgesetzt. 26 Vgl. Janson (1964), 7. 27 Dazu ausführlich White (1974), 50–56; Pavlovskis (1967), 535–36; vgl. Janson (1964), 43– 44. 28 Vergleichbar damit ist etwa die Ehre, die es bedeutete, zu Lebzeiten als Gesprächspartner in einem literarischen Dialog aufzutreten, wie z. B. in Ciceros Academica (Varro, Atticus), De legibus (Atticus, Quintus Cicero) oder Brutus (Brutus, Atticus). 29 Eine Anrede an den Herrscher konnte in Form einer Widmung oder einer Anrufung erscheinen. Sie war insofern von besonderer Bedeutung, als es für den Verfasser wichtig sein konnte, sich die Gunst des Herrschers zu erhalten: Janson (1964), 100–106. 30 Janson (1964), 29 u. 107; White (1974), 54.

Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius

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Zeit bis zum Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. noch nicht nach Motiven, sondern nach literarischen Gattungen gegliedert ist, herausgearbeitet. 31 Zu nennen ist hier vor allem die Ankündigung des zu behandelnden Themas und damit verknüpft oft auch eine Stellungnahme, in der diese Wahl begründet wird. Teilweise setzt sich der Verfasser darüber hinaus in Relation zu seinen Vorläufern bei der Behandlung des jeweiligen Gegenstandes, wobei entweder der Gedanke der eigenen Überlegenheit oder aber die Einschüchterung angesichts der Kompetenz der Vorläufer im Vordergrund steht. Dem Thema selbst wird im allgemeinen eine große Bedeutung zugewiesen. 32 Eng damit verbunden ist ein weiteres zentrales Motiv: die grundsätzlichen Zweifel des Verfassers an der eigenen Fähigkeit zur angemessenen Ausführung der gewählten Aufgabe. 33 Dieses Motiv der Bescheidenheit dient der captatio benevolentiae, d. h. es soll dem Verfasser die Gewogenheit des Rezipienten sichern, und ist aus der Rhetorik entlehnt: »In order to arouse sympathy for himself, the speaker might ... pretend to be incapable of speaking, unprepared, etc.« 34 Wie die meisten anderen der hier genannten Punkte wurde dieses in einleitenden Texten weit verbreitete Motiv im Laufe der Zeit allerdings immer mehr zu einer bloßen Konvention ohne tatsächlichen Hintergrund.35 In einem gewissen Zusammenhang mit dieser Bescheidenheitstopik steht auch das oben bereits erwähnte Motiv des Schreibens auf Aufforderung des Adressaten, denn mitunter benutzt der Autor die Aussage, daß sein Werk gleichsam unfreiwillig entstanden sei, auch zur Abwehr möglicher Kritik jeglicher Art. Darüber hinaus wird verschiedentlich auch die Kürze der Darstellung als besondere Qualität des Werkes und manchmal auch der »preface« selbst hervorgehoben. 36 Bei Werken, die mehrere Bücher umfassen, finden sich häufig auch praefationes bzw. prooemia am Beginn jedes einzelnen Buches. Am Beispiel der prooemia in Ciceros De oratore und Quintilians Institutio oratoria 31 Janson (1964), 27–112. Eine systematische Darstellung der loci communes bietet erst der zweite Teil, der den »prefaces« späterer Werke gewidmet ist, jedoch immer wieder auch auf die älteren Texte rückverweist (Janson (1964), 113–168); allgemein zur Exordialtopik vgl. auch Curtius (111993), 95–99, sowie Herkommer (1968), der allerdings speziell historiographische Werke fokussiert. 32 White (1974), 52; Janson (1964), 30. 33 Diese Zweifel beziehen sich zumeist auf die fachliche, manchmal auch auf die stilistische Kompetenz. Dagegen wird die sorgfältige Arbeit, die auf das Werk verwendet wurde, gern betont: Janson (1964), 51 u. 97. 34 Janson (1964), 25; vgl. Lausberg § 275 ơ, p. 157–158. 35 Janson (1964), 62–64; allgemein zur Bescheidenheitstopik vgl. auch Curtius (111993), 93– 95. 36 Janson (1964), 96 u. 154–155.

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zeigt Janson, daß der Eröffnung des ersten Buches dann in der Regel die größte Bedeutung für die Widmung und Exposition des Werkes zukommt. Die Vorreden bzw. Einleitungen der nachfolgenden Bücher dienen zumeist eher einer Ergänzung dessen, was bereits zuvor mitgeteilt wurde. Zuweilen lassen sich neben konkreten Bezügen auf die erste praefatio auch solche auf die einleitenden Passagen anderer vorausgegangener Bücher des Werkes feststellen. 37 Die hier in aller Kürze genannten, überwiegend topischen Themen und Motive werden in den praefationes keineswegs regelmäßig oder gar nach einem verbindlichen Schema verwendet. Sie werden vielmehr durchaus variiert und oft auch durch individuelle Informationen zum jeweiligen Text erweitert, wie der folgende kurze Überblick über einige der erhaltenen Prosa-praefationes der lateinischen Literatur bis in die Zeit von Martial und Statius zeigen soll. Als die älteste lateinische praefatio muß die durch das abschließende vale als Brief gekennzeichnete Vorrede des von Aulus Hirtius verfaßten achten Buches zu Caesars Bellum Gallicum gelten. 38 Darin macht Hirtius nicht nur sachliche Angaben über den von ihm behandelten Zeitraum. Er weist auch nachdrücklich darauf hin, daß er das Buch nur auf Drängen des Adressaten geschrieben habe (Hirt. Gall. 8, praef. 1. 3), denn angesichts der stilistischen und insbesondere der sachlichen Kompetenz Caesars als eines maßgeblich an den geschilderten Ereignissen Beteiligten könne ein freier Entschluß zu einem solchen Unternehmen nur als anmaßende Torheit betrachtet werden. Am Schluß der praefatio wird die zuvor betonte Bescheidenheit selbst als mögliche Anmaßung bezeichnet (Hirt. Gall. 8, praef. 9) und erfährt durch diese scheinbar selbstkritische Äußerung eine weitere Steigerung. Die an Atticus gerichtete praefatio zu Cornelius Nepos’ Liber de excellentibus ducibus exterarum gentium ist nicht in Briefform gehalten. Dennoch ist sie nicht nur inhaltlich klar vom nachfolgenden Text zu unterscheiden, sondern wird auch sehr deutlich abgeschlossen: quare ad propositum veniemus et in hoc exponemus libro de vita excellentium imperatorum. (»Deshalb werden wir nun zum Thema kommen und in diesem Werk Ausführungen über das Leben der herausragenden Feldherren machen.«; Nep. praef. 8). Nepos antizipiert darin mögliche Kritik an seinem Werk, die er nicht nur auf die angeblich weniger seriöse Art der Darstellung, sondern auch auf die ausführlich thematisierten Unterschiede zwischen der Kultur

37 Janson (1964), 33 u. 58. 38 Es kann kein Zweifel daran bestehen, »daß die epistula ad Balbum kein wirklicher, sondern ein fiktiver Brief gewesen ist, von vornherein dazu bestimmt, als Prooemium zu fungieren und Rechenschaft zu geben«: Patzer (1993), 123.

Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius

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der von ihm dargestellten, überwiegend griechischen Persönlichkeiten und der römischen Kultur seiner Rezipienten zurückführt. Mit der praefatio des ersten Buches seiner zehn Bücher De architectura widmet Vitruv dieses Werk dem Kaiser Augustus, angesichts dessen vielfältiger Leistungen er zunächst betont bescheiden auftritt (Vitr. 1, praef. 1). Dann aber begründet er seine Entscheidung für Augustus als Adressaten dieser nach eigener Aussage mit großem gedanklichen Aufwand entstandenen, alle Teilgebiete der Baukunst umfassenden Schrift mit dem umfangreichen Bauprogramm des Princeps sowie seinen persönlichen Verpflichtungen diesem gegenüber. 39 Anders als die bisher angeführten ist die praefatio von Livius’ monumentalem Geschichtswerk Ab urbe condita nicht an einen bestimmten Adressaten gerichtet, doch ist auch in diesem Falle die Abtrennung vom eigentlichen Text durch den Inhalt und den deutlich markierten Schluß der Vorrede klar zu erkennen (Liv. praef. 12–13). Neben einigen Anmerkungen zu Thema und zur Art der Darstellung äußert Livius hier seine Selbstzweifel ob des überwältigenden Umfanges des Gegenstandes und der großen Zahl derer, die sich, wenn nicht schon als seine Vorläufer, so doch als seine Konkurrenten mit der Geschichte des römischen Volkes beschäftigten (Liv. praef. 3–4). Auffallend knapp ist die an den Kaiser Tiberius gerichtete praefatio am Beginn der Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus. Dieser äußert sich zunächst über das Thema seines Werkes, dessen gewaltiger Umfang nur eine exemplarische Darstellung zulasse, zumal er sich nicht anmaßend mit den überragenden Vorgängern auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung messen wolle. Anschließend ruft er, selbst betont bescheiden als mea parvitas auftretend, den Adressaten als Beistand für das Werk an. 40 Von großem Umfang ist hingegen die Brief-praefatio, die der ältere Seneca zu Beginn der zehn Bücher der Controversiae an seine drei Söhne richtet, auf deren Bitten das Werk entstanden ist. Er äußert sich darin zunächst über den Gegenstand der Abhandlung und dessen Bedeutung, über 39 Ebenso wie das erste sind auch alle nachfolgenden Bücher der Schrift mit eigenen praefationes versehen. Diese enthalten entweder allgemeine Reflexionen oder Anekdotisches zum Thema Baukunst, bisweilen aber auch Grundlagen des im entsprechenden Buch behandelten Themas. Darüber hinaus finden sich regelmäßig kurze Angaben zum Inhalt des Buches, die stets auf den Inhalt der vorherigen Bücher Bezug nehmen. In der praefatio des siebten Buches äußert sich Vitruv zudem ausführlicher über seine Vorläufer auf dem Gebiet der architektonischen Fachschriftstellerei und seinen Umgang mit diesen Quellen (Vitr. 7, praef. 10–14). 40 Außer dieser praefatio vor Beginn des Werkes finden sich öfter auch kurze praefationes zu einzelnen Büchern oder auch Kapiteln. Sie dienen im wesentlichen der thematischen Überleitung und der Orientierung der Leser, evtl. als Ergänzung der Kapitelüberschriften, deren Authentizität jedoch umstritten ist (vgl. Bloomer (1992), 17–18).

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seine eigene Qualifikation zu dessen Behandlung sowie über die Art der Darstellung: Zwar habe er gerade diejenigen Redner, denen das Interesse der Adressaten gilt, grundsätzlich gut in Erinnerung, da er sie in jungen Jahren hörte, wegen seines einst exzellenten, nun aber altersbedingt nachlassenden Gedächtnisses könne seine Darstellung jedoch zuweilen etwas unsystematisch ausfallen (Sen. contr. 1, praef. 4–5). Nach längeren Ausführungen über den Verfall der Redekunst und einen der im folgenden relevanten Redner wird die praefatio mit dem Gedanken der zumutbaren Länge von Einführungen abgeschlossen: Sed iam non sustineo diutius vos morari (»Aber ich bringe es nicht fertig, euch noch länger hinzuhalten.«; Sen. contr. 1, praef. 24). 41 Ebenfalls sehr umfangreich, ja geradezu weitschweifig ist die praefatio in Briefform, die Plinius der Ältere seiner Naturalis Historia voranstellt. Das persönliche Verhältnis zwischen ihm und dem Widmungsadressaten, dem späteren Kaiser Titus, spielt darin eine große Rolle und ist der Grund dafür, daß Plinius die praefatio selbst als licentior epistula bezeichnet (Plin. nat. praef. 1). Er räumt darin die Verwegenheit seines Unterfangens ein, sein Werk dem in jeder Hinsicht, vor allem aber auf dem Gebiet der eloquentia überlegenen Titus zu widmen. Im Gegensatz dazu wird der Wert der Bücher herabgesetzt, die mit wenig Mühe von einem mittelmäßigen Geist über eine trockene Thematik verfaßt seien, die zuvor noch nie in ihrer Gesamtheit dargestellt worden sei (Plin. nat. praef. 12–14). Des weiteren verweist Plinius auf die durch die gewaltige Materialfülle und zeitliche Einschränkungen bedingten Schwierigkeiten beim Verfassen des Werkes (Plin. nat. praef. 17–18), dessen Seriosität gleichwohl durch zugesicherte Offenheit bei der Nennung benutzter Quellen unterstrichen wird (Plin. nat. praef. 21). Nach dem Eingeständnis möglicher Unvollkommenheiten schließt Plinius mit einigen Angaben zum Aufbau des Werkes. Von anderer Art als die bisher angesprochenen ist die praefatio zu Quintilians Institutio oratoria. Sie ist nicht an den Widmungsadressaten des Werkes gerichtet, der statt dessen im prooemium des ersten Buches apostrophiert wird, sondern ein anscheinend funktionales Schreiben an seinen Verleger Tryphon, das dennoch stark von der Topik präfatorischer Texte geprägt ist. Quintilian erwähnt darin das massive Drängen Tryphons, er solle endlich mit der Herausgabe der Institutio oratoria beginnen, ebenso wie seine Sorge, das Werk könne insbesondere aufgrund seines bisherigen 41 Die übrigen Bücher weisen in der Mehrzahl gleichfalls Brief-praefationes an dieselben drei Adressaten auf. In ihnen äußert sich Seneca stellenweise wiederum kritisch über die zeitgenössische rhetorische Praxis, hauptsächlich aber über Redner, deren declamationes in den jeweiligen Büchern wiedergegeben werden. Eine wesentliche Erweiterung findet sich nur in der letzten praefatio, in der Seneca nachdrücklich bekundet, das Werk mit dem vorliegenden Buch abschließen zu wollen (Sen. contr. 10, praef. 1).

Prosa-praefationes in der lateinischen Literatur vor Martial und Statius

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Zeitmangels, aber auch wegen der unermeßlichen Zahl relevanter Texte noch unvollkommen sein (Quint. inst. praef. 1). Er schließt mit der dringenden Bitte an den Adressaten, bei der Publikation des Buches größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. Obgleich sämtliche der bisher dargestellten praefationes als Prosatexte vor gleichfalls in Prosa verfaßten Werken stehen, bilden sie mit einer Ausnahme, auf die im folgenden noch einzugehen sein wird, den einzig faßbaren Hintergrund für die praefationes in den Epigrammaton libri Martials und den Silvae des Statius. Erst ab der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. finden sich Prosa-praefationes auch am Beginn poetischer Werke. Ein erstes Beispiel hierfür ist das zehnte Buch von Columellas De re rustica, das, nach dem Vorbild der Georgica Vergils in Hexametern abgefaßt, von einer kurzen Passage in Prosa eröffnet wird. Hier verweist Columella zunächst darauf, daß er dem Adressaten P. Silvinus auch noch dieses zehnte Buch als Teil des nach Aufforderung des Adressaten ursprünglich versprochenen Ganzen schulde. Er nennt dann das noch ausstehende Thema, den Gartenbau, bevor er anschließend dessen gegenüber früheren Zeiten mittlerweile deutlich gestiegene sozio-kulturelle Bedeutung thematisiert. Erst danach kommt Columella auf die formale Besonderheit des vorliegenden Buches zu sprechen (Colum. 10, praef. 3). Zwar erfordere auch hier die Ernsthaftigkeit des Gegenstandes eine Behandlung in Prosa, doch habe er sich, wiederum veranlaßt durch wiederholtes Verlangen des Adressaten, dazu entschieden, die ›Aufforderung‹ Vergils anzunehmen und das Thema in Versen zu behandeln 42 , was ohne den göttlichen Einfluß des als vates maxime venerandus bezeichneten Vorgängers völlig undenkbar gewesen wäre. Zusätzlich unterstrichen wird die besondere Bedeutung dieser Motivation durch die im folgenden betonte Schwierigkeit, das heißt konkret die Sprödigkeit und Komplexität des Gegenstandes. Am Schluß der praefatio steht die betont bescheidene Hoffnung des Verfassers, das in Versform geschriebene Buch – »was auch immer es ist« (Colum. 10, praef. 5: quicquid est istud) – möge den früheren Büchern zumindest nicht zur Schande gereichen, bevor der Schluß selbst sehr nachdrücklich als Abschluß einer praefatio markiert wird: Sed iam praefari desinamus (Colum. 10, praef. 5). Obgleich hier erstmals ein in Versen geschriebenes Buch mit einer in Prosa verfaßten praefatio eröffnet wird, ist das Beispiel des zehnten Buches von Columellas De re rustica dennoch nicht in vollem Umfang mit den 42 In der Formulierung quas [...] ipse Vergilius significaverat posteris se memorandas relinquere (»von denen Vergil selbst deutlich gemacht hatte, daß er sie der Nachwelt zur Behandlung überlasse«; Colum. 10, praef. 3) wird unübersehbar die entsprechende Stelle aus Vergils Georgica wieder aufgegriffen: verum haec ipse equidem [...] / praetereo atque aliis post me memoranda relinquo (Verg. georg. 4,147–148).

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Prosa-praefationes in späteren Gedichtsammlungen zu vergleichen. Da es sich um ein bis einschließlich Buch 9 durchgehend in Prosa geschriebenes Werk handelt, muß der Beginn des zehnten Buches zunächst völlig regelmäßig erscheinen.43 Die Besonderheit besteht vielmehr umgekehrt in dem anschließenden Wechsel in den Hexameter, der vom Verfasser ausführlich angekündigt und begründet wird. Darüber hinaus finden sich für die Zeit vor Martial und Statius nur noch spärliche Hinweise auf eine Verwendung von praefationes im Zusammenhang mit poetischen Werken. In allen Fällen ist jedoch unsicher, welche Form diese praefationes tatsächlich gehabt haben. So wird etwa Quintilians Äußerung, er habe in jüngeren Jahren erlebt, wie sich die beiden Tragiker Pomponius Secundus und Seneca der Jüngere in praefationes über stilistische Fragen auseinandergesetzt hätten 44 , im Zusammenhang mit einer Bemerkung in Martials zweiter praefatio (Video quare tragoedia atque comoedia epistulam accipiant, quibus pro se loqui non licet; Mart. 2, praef. 4– 6) verschiedentlich als Indiz dafür gewertet, daß im ersten Jahrhundert n. Chr. auch Tragödien mit einer in Prosa verfaßten praefatio versehen waren. Alternativ wird jedoch auch die These vertreten, daß es sich um bei der recitatio von Tragödien mündlich vorgetragene Vorreden gehandelt habe.45 Auch Lucan hat nach Angaben Suetons eine praefatio verfaßt, in der er sich unter anderem zu seinem Frühwerk in Relation zu dem Vergils äußerte: ut praefatione quadam aetatem et initia sua cum Vergilio conparans ausus sit dicere: et quantum mihi restat ad Culicem (Suet. vita Lucani, p. 50,6–9 Reiff.). Da die zitierten Worte jedoch ebenso als fortlaufender Prosatext wie als Fragmente zweier aufeinanderfolgender Hexameter aufgefaßt werden können, ist der Schluß, es müsse sich um eine Prosa-praefatio gehandelt haben, auch hier keineswegs zwingend. 46

43 Noch vier weitere der übrigen elf Bücher De re rustica werden von praefationes eröffnet. In der des ersten Buches betont Columella ausführlich die Notwendigkeit der doctrina auch bzw. gerade auf dem elementar wichtigen Gebiet der Landwirtschaft, äußert jedoch zugleich seine Sorge, diesem überaus umfangreichen und komplexen Thema selbst nicht gewachsen zu sein (Colum. 1, praef. 21). Er schließt mit einer kurzen Bemerkung über die Struktur des Werkanfanges. Die Vorreden der Bücher 3, 9 und 12 sind dagegen stark thematisch ausgerichtet und dienen einer Einführung in eine gegenüber dem Vorhergehenden neue Thematik. 44 Quint. inst. 8,3,31: Nam memini iuvenis admodum inter Pomponium ac Senecam etiam praefationibus esse tractatum an ›gradus eliminat‹ in tragoedia dici oportuisset. 45 Von in Prosa verfaßten Brief-praefationes gehen aus Haupt (1876), 500; Friedlaender (1886), 237; Ruppert (1911), 40; Peter (1901), 248, spricht sogar von »wissenschaftlichen Essays«. Für eine Auffassung als mündliche Vorreden plädiert hingegen Cichorius (1922), 426–429; ihm folgt Nauta (2002), 282 Anm. 91. 46 Entschieden bestritten wird die Auffassung der Worte als Fragment eines hexametrischen Textes von Vollmer (1898), 11 Anm. 1; dagegen jedoch Pavlovskis (1967), 537 Anm. 11.

Die praefatio als Element paratextueller Rahmung

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Schließlich wird auch der Thebais des Statius zuweilen eine praefatio in Prosa zugeschrieben. Grund dafür ist die Bemerkung des Dichters in der Vorrede des vierten Buches der Silvae, er habe eine an Vibius Maximus gerichtete epistula […] de editione Thebaidos veröffentlicht (Silv. 4, praef. 17–18). Zwar bezeichnet Statius seine praefationes selbst grundsätzlich ebenfalls als epistulae, dies allein ist jedoch noch kein hinreichendes Argument dafür, daß auch die auf die Thebais bezogene epistula in Prosa verfaßt war, zumal auch in den Silvae selbst eine poetische epistula enthalten ist (Silv. 4,4). 47 Ob Martial und Statius mit den Prosavorreden ihrer Gedichtsammlungen an das Beispiel früherer Dichter anknüpfen konnten oder ob einer von ihnen der erste war, der das in Prosawerken mittlerweile etablierte Element der formal selbständigen praefatio in Prosa auf den Bereich der Dichtung übertrug, muß mangels weiterer Anhaltspunkte also offen bleiben.

2.3 Die praefatio als Element paratextueller Rahmung 2.3.1 Die Frage des Gattungsbegriffes Am Beginn der Beschäftigung mit präfatorischen Texten der antiken Literatur steht vielfach die Frage, ob es gerechtfertigt ist, für solche auf den eigentlichen Text eines Werkes hinführenden Texte bzw. Textpassagen den Gattungsbegriff zu gebrauchen. Janson definiert den Begriff »preface« zunächst sehr allgemein als »the introductory part of a long text where the author has not yet begun to treat the main subject« 48 und vertritt den Standpunkt, daß zumindest die in Prosa verfaßten »prefaces« der lateinischen Literatur von der Antike bis zum Beginn des Mittelalters nach den Kriterien der Sprache und des Entstehungszeitraumes eine in sich geschlossene Gruppe bilden, deren Verfasser bestimmte Gesetze und Traditionen befolgten und die daher zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht werden könne. Er hält es indessen für unzulässig, die »prefaces« der (europäischen) Literatur ganz allgemein, d.h. unabhängig von der Sprache und der Zeit, in der sie verfaßt wurden, als geschlossene Gruppe aufzufassen, da zwischen den »prefaces« verschiedener Epochen und Literaturen z. T. große Differenzen bestünden, während 47 Vollmer (1898), 14, geht davon aus, daß sich Statius mit dieser epistula in Versform für die Unterstützung bedankt habe, die ihm der Adressat während seiner Arbeit an der Thebais habe angedeihen lassen. Janson (1964), 109, versteht die epistula hingegen als Prosabrief in Analogie zu den praefationes der Silvae. Sein Argument, daß eine epistula in Versform doch eigentlich in die Silvae hätte aufgenommen werden müssen, kann jedoch nicht überzeugen. 48 Janson (1964), 12.

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die andererseits durchaus vorhandenen Gemeinsamkeiten weniger auf gegenseitige oder gar generische Beeinflussung denn auf die in einer Hinführung auf den eigentlichen Text prinzipiell begrenzten Variationsmöglichkeiten zurückzuführen seien. Darüber hinaus lehnt Janson auch die Verwendung des Gattungsbegriffes für die Gruppe der von ihm behandelten »prefaces« ab, denn anders als bei den klassischen Gattungen wie Epos, Drama, Geschichtsschreibung etc. sei eine allgemeine Geschichte der »preface« undenkbar, zumal es sich dabei lediglich um »parts of texts« handele. 49 Das zuletzt genannte Argument ist allerdings insofern nicht ganz unproblematisch, als die hier generell formulierte Bezeichnung der »prefaces« als integraler Bestandteil des Textes mit der wenig später von Janson selbst vorgenommenen Differenzierung zwischen der aus widmenden Begleitbriefen für das jeweilige Werk entstandenen und somit von dessen eigentlichem Text formal abgesetzten »epistolary preface« und der in den Beginn des Textes integrierten »rhetorical preface« 50 nur bedingt vereinbar ist. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine trotz ihres inhaltlichen Bezuges auf den Text formal von diesem getrennte »epistolary preface« noch als Bestandteil des Textes aufgefaßt werden kann. Eine solche Auffassung ließe sich lediglich dann vertreten, wenn als Text das Buch als ganzes verstanden würde. Auch Felgentreu kritisiert Jansons Vorgehen in diesem Punkt als widersprüchlich und wirft ihm vor, seine Untersuchung ohne klar definierte Terminologie durchgeführt zu haben. 51 Ausgehend von Jansons Ablehnung, den Gattungsbegriff anders als »im normalen Sprachgebrauch« üblich zu verwenden, befaßt er sich ausführlich mit verschiedenen Modellen der modernen Gattungstheorie, in denen nicht nur die äußere Form, sondern auch der Inhalt sowie insbesondere der kommunikative Rahmen als Kriterien herangezogen werden. 52 Er kommt zu dem Ergebnis, »daß alle normalsprachlichen Gattungsbegriffe ihren Sinn haben. [...] Entscheidend ist nur, ob eine durch eine Gattungsbezeichnung gebildete Textgruppe interne Abhängigkeitsverhältnisse aufweist, die gattungsgeschichtlich nachvollziehbar und für die Textinterpretation von Bedeutung sind. [...] Als Kriterium für die Interpretation eines Einzeltextes eignet sich die Bezeichnung ›Vorwort‹ aber erst dann, wenn sie kontextuell soweit eingegrenzt wird, daß wir annehmen können, eine auf der Realisierungsebene der Kommunikation kohärente Textgruppe damit zu identifizieren.« 53 Da er sich auf in Prosa verfaßte Vorworte lateinischer 49 Janson (1964), 13–14. 50 Janson (1964), 19–22. 51 Felgentreu (1999), 20. 52 Felgentreu (1999), 21–35. 53 Felgentreu (1999), 36.

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Werke beschränkte, hätte somit auch Janson für den Gegenstand seiner Untersuchung durchaus den Gattungsbegriff gebrauchen können. Bei seiner Auseinandersetzung mit Jansons Ablehnung des Gattungsbegriffes für die von ihm behandelten Prosavorworte lateinischer Werke läßt Felgentreu allerdings völlig außer acht, daß Janson als zweites, keineswegs minder relevantes Argument die fehlende Abgeschlossenheit bzw. Eigenständigkeit der meisten dieser »prefaces« anführt. Wenn sich Felgentreu im Anschluß an seine Überlegungen zur Gattungstheorie dafür entscheidet, für die Textgruppe der praefationes, der nach seiner Definition »formal selbständigen antiken Vorworte«54 , den Gattungsbegriff zu gebrauchen, wird vielmehr ein Kriterium als selbstverständlich vorausgesetzt, das bei den meisten von Janson behandelten Texten und insbesondere in seiner allgemeinen Definition von »preface« nicht gegeben ist. Insofern ist Felgentreus Ergebnis nur bedingt als Widerlegung von Jansons Entscheidung gegen die Verwendung des Gattungsbegriffes zu werten. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welchen Erkenntniswert es, abgesehen von der Möglichkeit einer Gattungsgeschichte, konkret im Hinblick auf die Untersuchung der praefationes eines bestimmten Autors hat, die Verwendung des Gattungsbegriffes für praefationes zu legitimieren. Felgentreus Überlegungen scheinen in erster Linie auf den Nachweis abzuzielen, daß es durchaus berechtigt ist, die poetischen praefationes Claudians, die aufgrund ihres Versmaßes formal der elegischen Dichtung zuzurechnen sind, in Abgrenzung zu den Carmina minora Claudians als eigenen Gedichttypus und über ihre präfatorische Funktion als in sich geschlossene Gruppe aufzufassen, die daher zum Gegenstand einer separaten Untersuchung gemacht werden kann. Die starke Fixierung Felgentreus auf den Gedichttypus praefatio, der im Zentrum seiner Untersuchung steht, kommt im theoretischen und gattungsgeschichtlichen Teil seiner Arbeit, in dem auch praefationes in Prosa berücksichtigt werden, zwar nicht explizit zum Ausdruck. Sie ist jedoch stets mehr oder minder deutlich spürbar, insbesondere dann, wenn die formale Ästhetisierung und damit Literarisierung der praefationes als ursprünglich reiner Gebrauchstexte als wesentliches Kriterium für die Gattungswerdung angeführt wird 55 , die bei vielen der in Prosa verfaßten praefationes gar nicht so sehr ins Gewicht fällt. Verglichen mit den poetischen praefationes zu verschiedenen Gedichten Claudians oder Prosavorreden bzw. -proömien zu in Prosa verfaßten Werken aller Art sind die praefationes in den Epigrammaton libri Martials und den Silvae des Statius in besonderer Weise vom nachfolgenden Text abgesetzt. Sie sind nicht nur überwiegend in Briefform gehalten und damit 54 Felgentreu (1999), 36. 55 Felgentreu (1999), 29.

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eigenständige, in sich geschlossene Texte (»epistolary prefaces« im eigentlichen Sinne), sondern stehen auch durch ihre Prosaform in scharfem Kontrast zum eigentlichen Text der Gedichtsammlungen. Damit werden sie besonders nachhaltig als werkexterner Bestandteil des jeweiligen Buches kenntlich gemacht.

2.3.2 Paratextualität Nach dem Verständnis der modernen Literaturtheorie lassen sich vom eigentlichen Text eines Buches formal eindeutig abgesetzte Vorworte zum Bereich des Paratextes rechnen. Der Begriff der Paratextualität wurde geprägt von Gérard Genette und ist Teil des weiten Spektrums der literaturtheoretischen Diskussion, die sich unter dem Oberbegriff der Intertextualität mit dem Verhältnis von Texten zu anderen Texten befaßt. Die gemeinsame Basis der Vielzahl z. T. stark divergierender theoretischer und methodischer Ansätze, die seit der Einführung des Begriffes der Intertextualität durch Julia Kristeva auf diesem Gebiet entwickelt wurden, ist die Erkenntnis, daß kein Text voraussetzungslos, d. h. völlig unabhängig von anderen Texten ist. 56 In seiner Schrift Palimpseste 57 geht Genette von einem hermeneutischen Intertextualitätskonzept aus, das auf die Untersuchung der vom jeweiligen Autor intendierten und markierten Verweise auf die einem Text zugrundeliegenden früheren Texte abzielt, deren Erkennen entscheidende Voraussetzung für eine angemessene Rezeption des Textes durch den Leser ist. Für das, was einen Text »in eine manifeste oder geheime Beziehung zu anderen Texten bringt« 58 , verwendet Genette hier übergreifend den Begriff der Transtextualität. Unter diesem Oberbegriff unternimmt er den Versuch einer systematischen Differenzierung der möglichen Arten, wie Texte mit anderen Texten in Beziehung stehen können. 59 Dabei werden insgesamt fünf verschiedene Typen der Transtextualität unterschieden: Mit Intertextualität wird hier zunächst in einem deutlich engeren Sinne als bei Kristeva die »effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text« 60 , etwa in Form von Zitat, Plagiat oder Anspielung, benannt. Meta56 Für einen knappen Überblick über das weite Spektrum der Intertextualitätstheorien sowie weiterführende Literatur s. Martinez (1996), 441–444; R. Aczel: Art. »Intertextualität und Intertextualitätstheorien«, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (22001), 287–289. 57 Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt/M. 1993 (orig.: Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris 1982). 58 Genette (1993), 9. 59 Genette (1993), 9–21. 60 Genette (1993), 10.

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textualität bezeichnet die kritische Kommentierung eines (möglicherweise gar nicht explizit benannten) Textes. Weitere Typen sind die Architextualität, d. h. die oft nur indirekt zum Ausdruck gebrachte taxonomische Zugehörigkeit eines Textes zu einer bestimmten (Literatur-)Gattung, die Hypertextualität als das Verhältnis zweier Texte, von denen der spätere (= Hypertext) von dem früheren (= Hypotext) »durch eine einfache Transformation [...] oder durch eine indirekte Transformation [...] abgeleitet wurde« 61 sowie schließlich die Paratextualität, d. h. die Beziehung eines Textes zu den ihn innerhalb eines Buches umgebenden Elementen wie etwa Titel, Vorwort, Anmerkungen. Während sich Genette in Palimpseste zunächst ausführlich nur mit der Hypertextualität befaßte, wandte er sich einige Jahre später dem Phänomen der Paratexte in einer eigenen Untersuchung zu. 62 Nach der dort formulierten, wenig präzisen Definition bezeichnet der Begriff Paratext umfassend »jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird und vor die Leser und, allgemeiner, vor die Öffentlichkeit tritt«, und das »zwischen Text und Nicht-Text [...] eine Zone [...] der Transaktion« bildet. 63 Konkret gehören dazu sämtliche Elemente, die auf ein bestimmtes Buch bezogen sind, aber nicht dessen Inhalt, den eigentlichen Text des Werkes ausmachen. Innerhalb seines derart weiten Paratextbegriffes differenziert Genette nach Distanz zum bzw. materieller Verbundenheit mit dem Text weiterhin zwischen »Peritext«, d. h. den direkt im Buch selbst enthaltenen Elementen, und anderen auf das betreffende Werk bezogenen Äußerungen wie Interviews, Gespräche, Briefwechsel, Tagebücher, dem sogenannten »Epitext«. Zum »Peritext« zählen neben Titel, Vorwort, Anmerkungen auch der Name des Autors, Widmungen, Motti, Zwischentitel, Buchumschlag, Format, Zugehörigkeit zu einer Reihe etc. Genettes weitgefaßte Definition ist allerdings insofern problematisch, als der so verstandene Paratext zwar den gesamten Bereich zwischen Text und Nicht-Text abdeckt, aufgrund der großen Bandbreite der hinzugerechneten Elemente umgekehrt aber nicht immer präzise von diesen beiden Größen abzugrenzen ist. So ist ›nach innen‹ die Grenze zwischen Text und paratextuellen Elementen wie z.B. Anmerkungen bisweilen fließend, ebenso – oder sogar noch mehr – ›nach außen‹ die Grenze von Bestandteilen des »Epitextes« zum externen Bereich des Nicht-Textes, so daß bei manchen Elemen-

61 Genette (1993), 18. 62 Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/M. 1989 (orig.: Seuils, Paris 1987). 63 Genette (1989), 10. – Zunächst spielt damit auch hier, ähnlich wie bei Felgentreu, das formale Kriterium der Trennung vom eigentlichen Text des Werkes eine wichtige Rolle. Im Zuge der weiteren Differenzierung treten zunehmend auch inhaltliche und funktionale Kriterien hinzu.

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ten eine Zuordnung zum Paratext zur reinen Ermessensfrage werden kann.64 Für diejenigen Elemente, die im Hinblick auf eine Untersuchung der praefationes bei Martial und Statius von Bedeutung sind, Vorwort und Widmung, bestehen solche Unsicherheiten allerdings nicht, da sie als integrale Bestandteile eines Buches, die nichtsdestoweniger vom eigentlichen Text klar zu unterscheiden sind, gleichsam zum Kernbereich des Paratextes gehören.65 Im folgenden soll lediglich kurz auf Genettes Ausführungen zu diesen beiden Elementen eingegangen werden; auf eine umfassende Darstellung der übrigen von ihm klassifizierten Arten des Paratextes kann an dieser Stelle verzichtet werden. In der Definition Genettes umfaßt der Begriff des Vorwortes »alle Arten von [...] Texten [...], die aus einem Diskurs bestehen, der anläßlich des nachgestellten [...] Textes produziert wurde« 66 und schließt auch das nur hinsichtlich seiner Position im Buch als abweichend betrachtete Nachwort mit ein. Wesentliches Merkmal dieses Elementes, das anders als etwa der Titel kein obligatorischer Bestandteil eines Buches ist, ist seine formale Scheidung vom eigentlichen Text: »Der häufigste formale (und modale) Status ist der eines Prosatextes, der sich durch seine diskursiven Züge vom narrativen oder dramatischen Modus des Textes [...] abhebt oder durch seine Prosaform von der poetischen Form des Textes.« 67 Darüber hinaus entwickelt Genette eine umfangreiche formale Typologie des Vorwortes. Nach dem Zeitpunkt, zu dem ein Vorwort zu einem Werk verfaßt wird, unterscheidet er erstens das bereits für die Erstveröffentlichung des Werkes verfaßte »Originalvorwort«, zweitens das »nachträgliche Vorwort«, das erst in einer zweiten Ausgabe, aber zeitnah zur ersten Ausgabe hinzugefügt wird, und drittens das »späte Vorwort«, das erst in großer zeitlicher Distanz zur ursprünglichen Veröffentlichung des Werkes, etwa aus Anlaß einer späten Neuausgabe oder der Veröffentlichung gesammelter Werke, geschrieben wird. 68 Hinsichtlich des Vorwortadressaten wird zwischen dem anonymen Leser, der jedoch nicht mit dem allgemeinen Publikum gleichzusetzen ist, und 64 Zu dieser »Unbestimmtheit und [...] Labilität« des Paratextes äußert sich auch Genette (1989), 327: »[...] daß der Begriff Paratext, wie viele andere auch, eher in einer methodischen Entscheidung begründet ist als in einer faktischen Feststellung. ›Der‹ Paratext existiert genau genommen nicht, man entschließt sich vielmehr dazu, aus Gründen der Methode und Effizienz [...] von einer bestimmten Zahl von Gepflogenheiten und Wirkungen in diesen Begriffen zu sprechen.« 65 Wie sehr das Vorwort die zentrale Stellung im Gesamtspektrum des Paratextes einnimmt, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, daß die Darlegungen zu Typologie und Funktionen des Vorwortes insgesamt knapp ein Drittel von Genettes Untersuchung der Paratexte umfaßt. Nimmt man die Ausführungen zu Widmung bzw. Zueignung noch hinzu, so sind es sogar fast 40%. 66 Genette (1989), 157. 67 Genette (1989), 166. 68 Genette (1989), 169–172.

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einem als Stellvertreter fungierenden, persönlich angesprochenen Einzeladressaten differenziert. 69 Weitaus komplizierter sind hingegen die Variationsmöglichkeiten beim Adressanten, also der im Vorwort sprechenden Person, die nicht zwangsläufig mit dem Verfasser des Werkes identisch sein muß. 70 Nach der Beziehung des Vorwortadressanten zum eigentlichen Text werden zunächst das »auktoriale« bzw. »autographe Vorwort«, dessen Adressant der Verfasser des Werkes selbst ist, daneben das von einer im Text handelnden Person an den Leser gerichtete »aktoriale Vorwort« und schließlich das von einem Außenstehenden geschriebene »allographe Vorwort« differenziert. Bei jeder dieser drei Arten wird zusätzlich unterschieden zwischen einem »authentischen Vorwort«, das auch tatsächlich von seinem angeblichen Verfasser stammt, einem unzutreffend einer realen Person zugeschriebenen »apokryphen Vorwort« und einem offen einer imaginären Person zugeschriebenen »fiktiven Vorwort«. Durch Kombination dieser beiden Aspekte ergeben sich insgesamt neun – jedenfalls theoretisch – mögliche Vorworttypen, die sich innerhalb der existenten Literatur jedoch nicht alle mit Beispielen belegen lassen. 71 Die Frage nach dem Erkenntniswert dieser ausführlich und unter Zuhilfenahme mehrerer fiktiver Beispiele entwickelten Typologie stellt sich indessen spätestens dann, wenn Genette im Zusammenhang mit den möglichen Funktionen des Vorwortes nur noch einige der vorher differenzierten Typen behandelt. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem »(bejahenden auktorialen) Originalvorwort« gewidmet72 , als dessen mögliche Funktionen neben der Aufwertung des Textes, deren Ursprünge auf die antike Rhetorik zurückgeführt werden, namentlich für moderne Vorworte ab dem 19. Jhd. n. Chr. vor allem Informationsvermittlung und Rezeptionssteuerung konstatiert werden. Zu den Elementen mit dieser Funktion zählen nach Genette Angaben zur Entstehung des Werkes ebenso wie zur Bestimmung des Publikums, Titelkommentare, Fiktionsverträge, Festlegung der Reihenfolge der Lektüre, Angaben über den Kontext, Absichtserklärungen sowie Gat69 Genette (1989), 188–189. 70 Genette (1989), 173–187. 71 Noch größer wird die Zahl möglicher Klassifikationsvarianten, wenn darüber hinaus die Namensnennung (Genette (1989), 177–178; vgl. auch 43–57 zu »Onymität«, Anonymität, Pseudonymität bei der Nennung des Autornamens) sowie die Anerkennung der Autorschaft für das jeweilige Werk (bejahendes bzw. verneinendes auktoriales Vorwort: Genette (1989), 179) als weitere Kriterien berücksichtigt werden. Es ist freilich nicht zu leugnen, daß sich diese überaus systematische Typologie des Vorwortes bisweilen zu einem reinen Selbstzweck ohne Bezug auf reale Gegebenheiten zu entwickeln scheint, die überdies in einem etwas merkwürdigen Kontrast zu der in anderen Kontexten auffällig betonten Mutmaßlichkeit der formulierten Sachverhalte steht (vgl. z. B. das wiederholte »Ich stelle mir vor…« bei der Behandlung der »Widmung eines Exemplars«: Genette (1989), 134). 72 Genette (1989), 190–227.

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tungsdefinitionen. Darüber hinaus führt Genette schließlich einige Sonderfälle von Originalvorworten an, in denen der Autor etwa auf verschiedene Weise seinen Unmut über das Schreiben eines Vorwortes zum Ausdruck bringt oder sich in einem »autologischen Vorwort« 73 über Vorworte an sich äußert. Dem »nachträglichen auktorialen Vorwort« wird, weit mehr als dem Nachwort, insbesondere eine korrigierende Funktion zugeschrieben, da der Autor hier die Möglichkeit hat, auf Reaktionen seiner früheren Leser zu antworten, während das »späte auktoriale Vorwort« abgesehen von potentiellen autobiographischen und informierenden Funktionen auch eine objektivierte oder sogar distanzierte Sicht des Autors auf sein Werk vermitteln kann. Das »allographe Vorwort« stimmt in seiner Funktion vielfach mit dem auktorialen Originalvorwort überein; anders als dieses kann es jedoch in großem zeitlichen Abstand zum Werk, auch nach dem Tode von dessen Autor entstehen und bisweilen sogar parallel zu einem auktorialen Vorwort in ein und derselben Ausgabe erscheinen. Einen Sonderfall des allographen Vorwortes bildet schließlich das »authentische aktoriale Vorwort«, das von einer im referentiellen Text auftretenden realen Person verfaßt wird. Die Funktion der fiktionalen Vorworte, zu denen etwa »verneinende« oder »fiktive Auktoriale«, »fiktive Allographe«, »fiktive Aktoriale« zählen, sieht Genette schließlich gerade in deren Fiktionalität. Bei den paratextuellen Widmungen unterscheidet Genette grundsätzlich zwischen der Widmung des Werkes (»dédicace d’œuvre«) und der Widmung eines Exemplars (»dédicace d’exemplaire«) 74 , von denen erstere ihren 73 Genette (1989), 227. 74 Genette (1987), 110; 126. – In der deutschen Übersetzung werden in Anlehnung an Genettes differenzierten Gebrauch der Verben »dédier« und »dédicacer« für die beiden Arten, eine andere Person mit einem Buch zu bedenken, die Begriffe »Zueignung« und »Widmung« gebraucht. Die Trennschärfe dieser terminologischen Unterscheidung wird allerdings durch mangelnde Konsequenz unterlaufen, wenn die längere, ausführlichere Form der »Zueignung« als »Widmungsepistel« (Genette (1989), 115–116) bezeichnet wird. In der vorliegenden Untersuchung werden die beiden Begriffe »Zueignung« und »Widmung« prinzipiell als Synonyme ohne semantischen Unterschied verwendet. Zur sachlichen Unterscheidung der beiden von Genette definierten Varianten werden gegebenenfalls in Analogie zu den im frz. Original verwendeten substantivischen Ausdrücken die Bezeichnungen »Widmung/Zueignung des Werkes« bzw. »Widmung/Zueignung eines Exemplars« gebraucht. – In diesem Zusammenhang sei zudem kurz ein spezielles Defizit der deutschen Übersetzung erwähnt, das anders als die soeben dargelegte Unzulänglichkeit bei der Übertragung der von Genette verwendeten französischen Terminologie zwar keine definitorische Unklarheit nach sich zieht, für einen Leser aus dem Bereich der Klassischen Philologie jedoch in besonderem Maße ärgerlich ist. Die mangelnde Sachkenntnis des Übersetzers auf dem Gebiet der antiken Literatur sowie der lateinischen Sprache, die einerseits in der häufig entstellten Wiedergabe antiker Namen, deren französische Form offenbar ungeprüft übertragen wurde (So ist z. B. die Rede von »den Pisonern«, von »Varron«, 116, dem Satirendichter »Perseus«, 143, »Chariton von Aphrodisis«, 161, »Pisistrates«, »Eustathes«, »Aeden«, 285), andererseits in der fehlerhaften Übersetzung bzw. Wiedergabe von Zitaten (z.B. »...singe jetzt von

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Ursprung bereits in der – allerdings noch nicht kodifizierten – antiken Praxis der namentlichen Erwähnung einer Person in der Anfangspassage eines literarischen Werkes habe. 75 Erst in der Neuzeit habe sich diese Form der Huldigung verselbständigt und aus dem eigentlichen Text des Werkes herausgelöst. Bald darauf habe sich auch die längere Form der Widmungsepistel entwickelt, die durch die allmähliche Inkorporation anderer auf das Werk bezogener Informationen zunehmend auch typische Funktionen des Vorwortes übernahm. 76 Ihren Platz haben Widmungen dieser Art in der Regel vor Beginn des Werkes, und sie sind überdies zumeist schon Bestandteil der Originalausgabe, »da die Konvention der Zueignung erfordert, daß das Werk für den Adressaten der Zueignung geschrieben wurde oder sich dessen Ehrung zumindest nach Abschluß der Niederschrift aufgedrängt hat.« 77 Als Adressat der üblicherweise vom Autor oder einer anderen für das Werk verantwortlichen Person ausgehenden Widmung komme neben individuellen Adressaten unterschiedlicher Art auch der allgemeine Leser in Frage. In solchen Fällen sei die Vorwortfunktion der Widmung meist besonders stark ausgeprägt, so daß der entsprechende Text nicht immer eindeutig als Widmung oder Vorwort klassifiziert werden könne. 78 Anders als heute zielte die Widmung in früherer Zeit oftmals primär auf materiellen Lohn für die erwiesene Huldigung ab. Die zweite, ideelle Funktion, dem Adressaten eine gewisse Verantwortlichkeit als ›Schirmherr‹ des Buches zu übertragen, habe sich indessen bis in die Gegenwart erhalten. 79 Im Gegensatz zu der symbolischen Widmung des Werkes sei die Widmung eines Exemplars 80 als tatsächlicher Akt immer auch mit einer realen Besitzübertragung an einen bestimmten Adressaten verbunden, der zudem in weit höherem Maße als der Adressat bei der Zueignung des Werkes auch ein potentieller Leser ist. Je nach Art des Verhältnisses zum Adressaten erscheint dieser Typ der Widmung, die in der Regel ebenfalls vor Beginn den wilden Kriegen Mars’, und der Held...«, 99; »Therminus excusatio propter infirmatem«, 201; »grande mortalis aeve«, 239) zum Ausdruck kommt, ist vielleicht verzeihlich. Schwerer wiegt jedoch die offenkundig mangelnde Bereitschaft, sich vor der Publikation über die korrekten Formen zu informieren. 75 Zu Entwicklung, Formalia und Funktionen der »Zueignung« des Werkes: Genette (1989), 116–133. 76 Genette (1989), 121: »Dieser Funktionswandel ist beinahe unvermeidlich, sobald der Autor die Wahl des Adressaten durch eine sinnvolle Beziehung zum Werk rechtfertigen will.« – Tatsächlich schließt Genettes sehr weitgefaßte Definition des Vorwortes (s.o. S. 40) per se bereits jede Art einer formal selbständigen Widmung mit ein. 77 Genette (1989), 125. 78 Genette (1989), 130. Eine weitere Steigerung stellen diejenigen Widmungsepisteln dar, in denen die Vorwortfunktion so stark ausgeprägt ist, daß der individuelle Adressat nur noch als eine Art Stellvertreter für den allgemeinen Leser aufzufassen ist (188). 79 Genette (1989), 133. 80 Hierzu s. Genette (1989), 133–140.

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des eigentlichen Textes und in zeitlichem Zusammenhang mit der Erstpublikation erfolgt, vielfach in individualisierter Form. Genettes Abhandlung über die Paratexte ist nicht historisch orientiert, d. h. sie bietet keine Entwicklungsgeschichte der einzelnen paratextuellen Elemente, sondern beschränkt sich mit Ausnahme vereinzelter Hinweise auf frühe Vorformen in der Regel auf die systematische Darstellung der jeweils vorkommenden Typen und Funktionen, die vielfach mit einzelnen, besonders prägnanten Beispielen illustriert werden. Lediglich im Falle des Vorwortes gibt Genette auch eine ausführlichere Darstellung der »Vorgeschichte« dieses paratextuellen Elementes 81 , das er in seiner geläufigen Form natürlich ebenso wie das Phänomen des Paratextes als ganzes erst als eine Sache der modernen, gedruckten Bücher betrachtet. Genette räumt zwar ein, daß es in den handschriftlichen Texten der älteren Zeit bereits Vorformen des modernen Vorwortes gegeben habe. Obwohl diese inhaltlich bzw. in ihren Funktionen zum Teil große Übereinstimmungen mit den modernen Vorworten aufwiesen, seien sie jedoch klar von diesen zu unterscheiden, da sie noch keine selbständigen (Para-)Texte, sondern zumeist am Anfang in den eigentlichen Text des Werkes integriert gewesen seien. 82 Die Abtrennung des auktorialen Vorwortes vom eigentlichen Text habe vielmehr erst nach der Erfindung des Buchdruckes begonnen, möglicherweise sogar erst durch Analogiebildung nach der Entwicklung des allographen Vorwortes. Genettes Beschränkung des Paratext-Begriffes auf den Bereich der modernen Bücher erfolgt prinzipiell zu Recht. In der Tat ist das gesamte Spektrum des von ihm behandelten Paratextes erst in gedruckten Büchern überhaupt bzw. in vollem Umfang realisierbar und dementsprechend in handschriftlichen Texten so gut wie nicht zu finden. Nichtsdestoweniger steht die Gruppe der ursprünglich handschriftlichen praefationes antiker Texte den modernen paratextuellen Vorworten in formaler Hinsicht deutlich näher als den von Genette ausschließlich angenommenen »integrierten Vorworten der Vor-Gutenbergschen Ära, die in Wirklichkeit Abschnitte des Textes waren«.83 Aufgrund ihrer Abgeschlossenheit und eindeutigen formalen Trennung vom Text, auf den sie bezogen sind, bzw. zu dessen Begleitung 81 Genette (1989), 159–165. 82 Genette (1989), 159–160: »Im Unterschied zu anderen Elementen wie dem Titel oder dem Autornamen läßt sich jedoch nicht behaupten, daß die [...] dürftige Aufmachung den Einsatz des Vorwortes vollständig verhindert hätte: Es müßte richtiger heißen, daß sie es verschleiert und ihm keine Mittel der Hervorhebung einräumt. Die Erklärungen, mit denen der Autor sein Werk präsentiert und mitunter kommentiert, muß man also jeweils aus dem Beginn (oder womöglich dem Schluß) des Werkes heraussuchen.« (vgl. Genette (1989), 20. 251). – Genettes Ansicht entspricht hier der oben zitierten allgemeinen Definition Jansons, nach der »prefaces« formal ebenfalls integrale Bestandteile des Textes und nur inhaltlich bzw. funktional von diesen zu unterscheiden sind. 83 Genette (1989), 165.

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sie eigens verfaßt wurden, entsprechen sie, namentlich dann, wenn sie in Prosa gehalten sind, genau Genettes Definition des Vorwortes. Ohne daß damit eine generische Abhängigkeit des modernen paratextuellen Vorwortes von den antiken praefationes postuliert werden soll 84 , scheint es daher gerechtfertigt, die formal selbständigen praefationes antiker Werke, wie sie sich etwa in den Epigrammaton libri Martials und in den Silvae des Statius finden, innerhalb der Grenzen der zeitgenössischen Literatur ebenfalls als Paratexte zu den jeweiligen Texten aufzufassen.

2.3.3 Rahmungen Für eine Analyse der praefationes in den Werken von Martial und Statius sind Genettes umfassende Ausführungen zu den paratextuellen Elementen Vorwort und Widmung in erster Linie deshalb von Bedeutung, weil sie ein terminologisches Instrumentarium liefern, mit dessen Hilfe auf der deskriptiven Ebene die Verschiedenartigkeit und Vielschichtigkeit der einzelnen praefationes herausgearbeitet werden kann. Sie bieten indessen keine hinreichende Grundlage für eine weitergehende Interpretation der praefationes, da sich Genette ausschließlich mit den paratextuellen Elementen an sich beschäftigt und dabei deren individuelle Relation zum eigentlichen Text unberücksichtigt läßt. Daß überhaupt eine Notwendigkeit besteht, den Paratext, den Genette als eine Art Zubehör des eigentlichen Textes betrachtet, mit dem in erster Linie eine der Autorintention entsprechende Rezeption des Textes sichergestellt werden soll, im Zusammenhang mit dem jeweiligen Text zu betrachten, wird im wesentlichen erst am Schluß seiner Untersuchung eingeräumt. 85 Mit diesem Punkt befaßt sich Werner Wolf in seinem narratologischen Konzept der Rahmung literarischer Texte. 86 Sein Ansatz geht davon aus, daß jeder narrative Text durch eine Reihe von Signalen in bestimmte Rahmen eingeordnet wird, die auf verschiedenen Ebenen die Rezeption des Textes durch den Leser beeinflussen. Eine wesentliche Grundlage dieses Konzeptes bildet die ursprünglich soziologische Theorie der Rahmung, die

84 Ähnlich wie Janson (1964), der Gemeinsamkeiten zwischen den »prefaces« verschiedener Epochen und Literaturen in erster Linie mit der in diesem Rahmen eingeschränkten Variationsmöglichkeit erklärt (13), bezeichnet auch Genette (1989), 19, den Paratext als einen »Diskurs, der stärkeren Zwängen unterliegt als viele andere und in den die Autoren seltener Neuerungen einführen als sie denken«. 85 Genette (1989), 391. 86 Wolf, Werner: »Framing Fiction. Reflections on a Narratological Concept and an Example: Bradbury: Mensonge«, in: Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext / Transcending Boundaries: Narratology in Context, hg. v. W. Grünzweig u. A. Solbach, Tübingen 1999, 97–124.

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insbesondere auf Erving Goffman zurückgeht.87 Dessen Theorie, nach der jede Handlung, Äußerung, Wahrnehmung etc. des Alltags stets in irgendeiner Weise ›gerahmt‹ ist, hatte zumindest als Grundkonzept einen nicht unerheblichen Einfluß auf diverse andere Bereiche der wissenschaftlichen Theorie, darunter etwa Psychologie, Linguistik, Diskursanalyse u. a. 88 Daneben bezieht sich Wolf u.a. auch auf Genettes Studie zu den Paratexten. Nach seiner Auffassung spielt bei der literarischen Rahmung eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle. Im Bereich des »reader/receiver-based framing« sind dies neben individuellen Voraussetzungen auf beiden Seiten (z. B. Lesererwartungen, Autorintentionen) und einem allgemeinen zeitgenössischen »mental framework« insbesondere die sogenannten »frame conditions«, zu denen allgemeine literarische Konventionen ebenso zählen wie Gattungskonventionen, Fiktionalität o.ä. 89 In literaturwissenschaftlicher Hinsicht wichtiger ist jedoch das »text/ context-based framing«, durch das die vom Leser vorgenommene Rahmung nicht unerheblich beeinflußt und somit ihrer Autonomie beraubt wird. Diese Art der Rahmung erfolgt durch verschiedene leicht identifizierbare Signale innerhalb des Textes oder Kontextes, die tatsächlich oder scheinbar auf einer anderen Ebene stehen als der gerahmte Text selbst und die Kommunikationssituation bzw. auch die Interpretation des Textes durch den Leser mitbestimmen. 90 Neben der allgemeinen Funktion, einen fiktionalen Text mit den in einer realen Kommunikationssituation üblichen Rahmungen zu versehen, differenziert Wolf weiterhin als spezielle Funktionen die »text-centred function«, der z.B. Gattungssignale oder Einordnung in den Bereich der Fiktionalität dienen, zweitens die namentlich bei experimentellen oder metatextuellen Texten auftretende »self-centred function«, drittens eine »context-centred function«, die gleichsam eine Brücke zwischen ›innen‹ und ›außen‹ des Textes herstellt, viertens eine »speaker-centred function« bei der Identifikation des Autors oder sogar der Darlegung seiner Intentionen sowie schließlich eine »receiver- or reader-centred function«, die sich z. B. in Appellen an den Leser oder in Strategien zur Schaffung bzw. Zerstörung ästhetischer Illusionen findet. 91 Solche Rahmungen erfolgen überwiegend zu Beginn eines Textes und können eine Vielzahl verschiedener Formen annehmen. Wolf unterscheidet 87 Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, Frankfurt/Main 1977 (orig.: Frame analysis. An essay on the organization of experience, Cambridge/Mass. 1974). 88 Diese Skizze folgt der Darstellung bei Wolf (1999), 97–99. 89 Wolf (1999), 101–102. 90 Wolf (1999), 102–103. 91 Wolf (1999), 103–105.

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hier zunächst außerhalb des Werkes angesiedeltes »contextual framing«, das der Sache nach etwa mit dem »Epitext« Genettes gleichzusetzen ist, und innerhalb des Textes erfolgendes »textual framing«, bei dem wiederum zwischen »non-verbal framing«, etwa durch Illustrationen oder die äußere Erscheinung des Buches, und »verbal framing« unterschieden wird. Letzteres wird weiter differenziert in »intratextual framing«, das zugleich auch immer »intra-compositional«, d. h. integraler Bestandteil des Textes, und entweder auf das Werk als ganzes oder nur auf Teile davon bezogen ist, und schließlich »paratextual framing«, dessen Elemente (»forewords, title, dedication, epigraphs,…«) der Sache nach ziemlich genau denen von Genettes »Peritext« entsprechen. Innerhalb dieses »paratextual framing« erfolgt schließlich noch eine weitere Differenzierung, diesmal nach der Verantwortlichkeit für diese Form der Rahmung, die beim Autor des Werkes selbst, aber auch bei außenstehenden Personen wie dem Verleger o. ä. liegen kann, sowie seinem Status als »extracompositional« oder »intracompositional«. 92 Für die Interpretation von Texten seien die genannten Arten von Rahmung allerdings nicht alle in gleichem Maße relevant. Besonders interessant seien vielmehr der Anfang des Textes und hier vor allem die paratextuelle Rahmung sowie in zweiter Linie die ebenfalls vom Autor verantwortete intratextuelle bzw. intrakompositionelle Rahmung, die etwa durch bestimmte Diskursphänomene, die Einführung fiktionaler Erzähler, Musenanrufungen o. ä. realisiert wird. Hinsichtlich ihrer Autorität steht letztere aber zumeist hinter der paratextuellen Rahmung zurück, die leichter für »extrafictional« und mithin für seriöser gehalten werde.93

2.3.4 Die Sprecherinstanz in paratextuellen Elementen Bei Genette ist mit großer Selbstverständlichkeit vom Autor als einem der möglichen Adressanten des Vorwortes die Rede, und es wird wiederholt deutlich, daß dieser nicht nur als dessen Verfasser, sondern auch als dessen Sprecher betrachtet wird. Obgleich auch Wolf verschiedentlich die Rolle des Autors bei der Rahmung von Texten erwähnt, faßt er die paratextuelle Rahmung nicht in derselben Weise wie Genette als auktorial auf. Statt dessen rekurriert er in diesem Punkt auf die Überlegungen Susan Lansers zur »textual voice«. 94

92 Wolf (1999), 106–109. 93 Wolf (1999), 110–111. 94 Lanser, Susan S.: The Narrative Act. Point of View in Prose Fiction, Princeton, N.J. 1981, 108–148; für die im folgenden zusammengefaßten Ausführungen s. insbesondere 122–132.

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Sie vertritt unter anderem die These, daß jedes fiktionale narrative Werk in Buchform notwendig auch über eine »authorial voice« verfüge, eine extrafiktionale Größe, die zwar nicht hundertprozentig mit der Stimme des historischen Autors gleichgesetzt werden könne, dieser aber innerhalb des Werkes noch am nächsten komme. Zugang zu dieser »extrafictional voice« erhalte der Leser eines publizierten Buches durch Elemente wie etwa den Autornamen, Titel, Widmung, Vorwort, Einleitung, Nachwort, die äußere Gestaltung des Buches o. ä., das heißt, obwohl dieser Begriff nicht gebraucht wird: durch die Elemente des Paratextes. Darin werde dem Leser das Material geboten, aufgrund dessen er – unabhängig von werkexternen Informationen – seine Vorstellung vom Autor, seinen Intentionen, Gedanken, Ansichten etc. entwickeln könne. Obgleich auch dabei letztlich die Auffassung durch den einzelnen Leser entscheidend sei, die stets maßgeblich von den jeweiligen zeitgenössischen Konventionen bestimmt werde, stelle die »extrafictional voice« wegen ihrer Vermittlerfunktion zwischen Text und Nicht-Text für den historischen Autor die direkteste Möglichkeit der Wendung an den Leser dar. Wie nah die »authorial voice« eines Werkes dem historischen Autor tatsächlich stehe, sei indessen nicht immer eindeutig festzustellen. Während in manchen Fällen schon die Abgrenzung vom Sprecher des fiktionalen Textes schwerfalle, sei der Autor in anderen Werken über die »authorial voice« nur in mehr oder weniger ›maskierter‹ Form faßbar. 95 Möglich sei schließlich auch, daß der Autor vermittels der »authorial voice« ein völlig fiktionalisiertes Bild seiner selbst entwerfe, das keinerlei Bezug zu den realen Verhältnissen habe. Doch auch wenn sie dementsprechend nicht immer die Wahrheit sage, werde der »extrafictional/authorial voice« dennoch stets eine höhere Glaubwürdigkeit zugeschrieben als etwa der des fiktionalen Erzählers.

2.3.5 Zusammenführung Lansers Ausführungen zur »extrafictional voice« sind ebenso wie Wolfs Konzept der literarischen Rahmung in erster Linie auf narrative Texte bezogen. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit diese Überlegungen auch für andere Arten literarischer Texte Gültigkeit haben. Für den mit Blick auf die hier angestrebte Untersuchung besonders interessanten Bereich der paratextuellen Rahmung ist ohne weiteres ersichtlich, daß die von Wolf genannten Elemente, mit denen diese Art der Rahmung sowohl 95 Lanser (1981), 122–123. – Wolf (1999), 111 Anm. 53, merkt zu Recht an, daß die »authorial voice« in diesem Falle eigentlich schon nicht mehr als »extrafictional« bezeichnet werden dürfte.

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»extracompositional« als auch »intracompositional« realisiert wird, keineswegs ausschließlich in Verbindung mit narrativen Texten auftreten. Etwas anders erscheint die Situation in bezug auf die intratextuelle Rahmung. Hier werden einige Realisationsformen genannt, die, wie z. B. die klassische Rahmenerzählung, in der Tat nur in narrativen Texten zu finden sein dürften. Verschiedene andere Elemente intratextueller Rahmung lassen sich jedoch mehr oder weniger stark modifiziert auch in manchen nichtnarrativen Texten finden. Zu diesen Elementen, die bedingt durch die Andersartigkeit des Textes vielfach zwar in einer anderen als der bei Wolf erwähnten Form, doch mit auf einer abstrakteren Ebene vergleichbarer Funktionen auftreten können, gehören etwa metatextuelle Kommentare zum ganzen Text oder einzelnen Teilen davon, die Konstitution eines fiktionalen Sprechers bzw. fiktionaler Rezipienten oder, speziell in Gedichtsammlungen, die Markierung von Anfang und Ende des eigentlichen Textes durch Einleitungs- und Schlußgedichte. Durch die Art der Buchgestaltung in der Antike sowie die Textüberlieferung sind diese beiden Arten verbaler Rahmungen innerhalb des Werkes die einzigen, die bei antiken Texten untersucht werden können, während andere, wie etwa nonverbale Rahmungen innerhalb des Werkes oder kontextuelle Rahmungen nicht mehr oder nicht mehr in hinreichendem Maße faßbar sind. Die vorliegende Untersuchung wird sich primär mit der durch die praefationes erfolgenden paratextuellen Rahmung der Epigrammaton libri und der Silvae beschäftigen. Dabei soll jedoch auch der Bereich der intratextuellen Rahmung soweit mit berücksichtigt werden, wie dies für eine angemessene Behandlung der paratextuellen Rahmung erforderlich ist. Bei Lanser fällt die Ausrichtung auf narrative Texte beinahe noch stärker ins Gewicht als bei Wolf. Dennoch ist es auch hier prinzipiell möglich, die Vorstellung einer im Paratext vernehmbaren »extrafictional/authorial voice« aus dem theoretischen Kontext der Narratologie zu lösen und in abstrahierter Form auf andere Gattungen zu übertragen, denn ihr Vorkommen ist nicht an die Gattungszugehörigkeit des eigentlichen Textes, sondern ausschließlich an den für in Buchform publizierte Texte aller Gattungen gleichermaßen existenten Paratext gebunden.96 Wenn dementsprechend in der nachfolgenden Untersuchung von einer noch immer potentiell fiktionalisierten »authorial voice« als Sprecherinstanz der praefationes ausgegangen wird, versteht es sich im Grunde bereits von selbst, daß auch der Sprecher innerhalb des jeweiligen poetischen Wer96 Ähnlich auch Felgentreu (1999), 216–217: »[...] ist in der Regel das Ich der praefatio mit dem realen Ich des Autors identisch. Das besagt natürlich nicht, daß ein Autor sich in der praefatio generell aufrichtig äußerte, aber daß er in der praefatio eben als Autor und damit als Herr über die Gestaltung des anschließenden Textes erscheint, gilt selbst in den Fällen, in denen ein benevolentiae captator mit der eigenen Unzulänglichkeit um Sympathie wirbt.«

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Gegenstand und Methode

kes selbst nicht als der Autor, sondern als eine ebenfalls fiktionale Dichterpersona aufgefaßt werden soll. Wie bei den meisten Werken der antiken Dichtung sind auch die Äußerungen des »Ich« in den Epigrammen Martials von der modernen Forschung lange Zeit als autobiographisch und die in den Gedichten thematisierten Situationen als ein getreues Abbild der zeitgenössischen Realität aufgefaßt worden. Erst in jüngerer Zeit geht die Forschung häufiger davon aus, daß es sich beim Sprecher der Epigramme um eine literarisierte persona des Dichters handelt. Mit der Berechtigung und sogar Notwendigkeit einer solchen Differenzierung zwischen dem Sprecher der Epigramme und dem historischen Dichter befaßt sich insbesondere Sven Lorenz in seiner ausführlichen Erörterung zur persona Martials. 97 Er kommt zu dem Ergebnis, daß diese persona stellenweise zwar durchaus autobiographische Züge trage, aufgrund ihrer vielfach widersprüchlichen und auf Lächerlichkeit abzielenden Zeichnung aber keinesfalls mit dem historischen Dichter identifiziert werden dürfe. Obwohl eine solche Problematik bei Statius nicht gegeben ist und der Sprecher, der in vielen der in den Silvae versammelten Gedichte bedingt durch deren Charakter als Gelegenheitsgedichte für konkrete Adressaten sehr viel mehr im Hintergrund bleibt, weitaus konsistenter erscheint, soll auch dieser nicht mit dem historischen Dichter Statius gleichgesetzt werden. Vielmehr ist nicht zuletzt aus Gründen der methodischen Konsequenz davon auszugehen, daß es auch hier eine – mehr oder minder realitätsnah gestaltete 98 – persona des Statius ist, die sich an den Rezipienten wendet. Selbst bei realitätsnaher Gestaltung ist die persona eines Dichters indessen stets an die Ebene des Textes gebunden und damit von der »authorial voice« des Paratextes zu unterscheiden, einer Sprecherfigur, die aufgrund der lebensweltlichen Bezüge vom Leser für glaubwürdiger bzw. authentischer gehalten wird. Da der Dichter dem Rezipienten somit auf zwei verschiedenen Ebenen gegenübertritt, muß notwendigerweise die Frage gestellt werden, inwieweit selbstreferentielle Äußerungen in beiden Bereichen, auch dann, wenn sie sich prinzipiell auf dieselben Aspekte des Werkes beziehen, so selbstverständlich als gleichwertig betrachtet werden können, 97 Lorenz (2002), 1–42. 98 Korenjak (2003) legt in seiner Untersuchung zum antiken Biographismus konkret am Beispiel der bukolischen Dichtung dar, daß antike Autoren durch gezielte Einfügung wahrer oder fingierter Angaben zur eigenen Person in ihren Werken eine in unterschiedlichem Maße realitätsnahe Autorrolle, eine Art »impliziten Autor«, geschaffen haben. Als Grund dafür benennt er das Bewußtsein, daß seitens des zeitgenössischen Publikums und besonders der Grammatiker und Philologen ein ausgeprägtes Interesse am außerliterarischen Leben der Autoren bestand und als Quelle dafür hauptsächlich das jeweilige Werk herangezogen wurde, da »die strikte konzeptionelle Trennung der Lebenswelt eines Autors von der fiktiven Realität seiner Texte [...] der Antike fremd war« (74–75).

Anmerkungen zur Chronologie

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wie dies in der Forschung oft geschieht, wenn etwa bestimmte poetologische Äußerungen in den praefationes Martials in einem Atemzug mit thematisch verwandten Aussagen in den Epigrammen selbst genannt werden. Auf der Basis der dargelegten theoretischen Überlegungen und Konzepte sollen im folgenden die praefationes in den Epigrammaton libri Martials und in den Silvae des Statius als Paratexte der von ihnen begleiteten Gedichtsammlungen aufgefaßt werden. Als Sprecher dieser kurzen Texte, die durch ihre Vermittlungsfunktion zwischen Text und Publikum eine rezeptionssteuernde Rahmung der eigentlichen Texte bewirken, wird ein potentiell noch immer in unbestimmtem Grade fiktionalisiertes, verglichen mit der in den Gedichten selbst faßbaren persona aber als ›auktorialer‹ erscheinendes Dichter-Ich angenommen. Ebenso wie die persona der Gedichte und der historische Dichter selbst trägt auch dieser paratextuelle Sprecher den Namen Martial bzw. Statius. Dennoch kann und soll in der nachfolgenden Untersuchung darauf verzichtet werden, den Sprecher bei jeder Erwähnung ausdrücklich als »der Martial bzw. Statius der Gedichte« oder »der Martial bzw. Statius der praefationes« zu spezifizieren. Da es sich um zwei lediglich graduell voneinander verschiedene Rollen handelt, in denen sich der Dichter seinem Publikum als Martial bzw. Statius präsentiert, ist eine derart präzise, aber etwas umständliche Differenzierung bei der Behandlung der Gesamtdarstellung vielfach nicht erforderlich und kann daher denjenigen Kontexten vorbehalten bleiben, in denen es auf eine klare Abgrenzung beider Ebenen ankommt. Während somit die zwei literarischen personae beider Dichter in der Regel nur mit deren Eigennamen als Martial bzw. Statius bezeichnet werden, wird die jeweilige historische Person, wenn sie erwähnt wird, immer eindeutig als solche gekennzeichnet. 99

2.4 Anmerkungen zur Chronologie Mit der Chronologie der Werke von Martial und Statius hat sich vornehmlich die ältere Forschung intensiv befaßt. Für die Fragestellung der hier durchzuführenden Untersuchung ist die absolute Chronologie im Sinne einer möglichst exakten Datierung der einzelnen Bücher nur von untergeordneter Bedeutung. Etwas anders sieht es dagegen in der Frage der relativen Chronologie aus. Sie ist mit einigen Problemen behaftet, die sich z. T. 99 Eine ähnliche terminologische Unterscheidung nimmt auch Lorenz (2002), 54, in Anlehnung an Holzbergs Ausführungen zur persona Catulls ((2002b), 11–60, insbes. 59–60) vor. Allerdings entfällt bei ihm die weitere sachliche Unterscheidung der personae von Text und Paratext.

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Gegenstand und Methode

auch in der Auseinandersetzung mit den praefationes beider Dichter auswirken. Dies gilt insbesondere für zwei Punkte. Zum einen ist im Werk Martials die Frage nach dem ursprünglichen zeitlichen Verhältnis der beiden Prosavorreden, die im überlieferten Text jeweils am Anfang der Bücher 1 und 2 stehen, eng mit einer Diskussion um verschiedene Auflagen und Sammeleditionen der Epigrammaton libri verknüpft. Zum anderen führt die große zeitliche Nähe dieser beiden Dichter, bei denen Prosavorreden zu poetischen Werken erstmals in größerem Umfange faßbar sind, in der Forschung bisweilen dazu, daß gesicherte Daten mißachtet werden und das zeitliche Verhältnis der praefationes von Martial und Statius dem jeweiligen Argumentationsziel entsprechend variiert wird. 100 Aus den genannten Gründen muß die Problematik der Chronologie auch hier kurz berührt werden. Angestrebt ist dabei weder eine umfassende Darstellung der teilweise komplizierten Diskussion noch ein Lösungsversuch. Ziel dieser Skizze ist es vielmehr, die im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung relevanten Probleme darzulegen sowie das zeitliche Verhältnis der praefationes bei Martial und Statius soweit zu präzisieren, daß im folgenden deutlich gemacht werden kann, welche Entwicklungslinien oder (polemischen) Bezugnahmen möglich sind und welche nicht. Die Chronologie der 12 Epigrammaton libri Martials basiert in der Hauptsache noch immer auf Friedlaenders Datierung der einzelnen Bücher. Zwar wurden einige Einzeldatierungen von der neueren Forschung mittlerweile korrigiert, dennoch kann man im wesentlichen nach wie vor davon ausgehen, daß die Bücher 1 bis 11 zwischen 85/86 und 98 n. Chr. in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen von meist etwa einem Jahr einzeln publiziert wurden. Im Jahre 98 n. Chr. erschien außerdem eine überarbeitete Neuausgabe des zehnten Buches 101 , und das zwölfte Buch folgte erst nach Martials (mutmaßlicher) Rückkehr nach Spanien, wohl gegen Ende des Jahres 101 n.Chr. 102

100 Dies gilt insbesondere für die Frage der Entwicklung in der Verwendung von praefationes für poetische Werke. Offenbar weil die Entwicklung von einer regelmäßigen zu einer freien Verwendung naheliegender erscheint, erklärt Dams (1970), 151, Statius ohne weitere Umstände zum primus inventor der in Briefform gehaltenen Prosavorrede zu Gedichtbüchern (vgl. Janson (1964), 109–110; Vessey (1973), 40) und stellt obendrein die These auf, daß Silv. 2, praef. 4–5 »den Gedanken Martials, daß ein Einleitungsbrief überhaupt überflüssig sei« vorbereite (Dams (1970), 163). Auch Vielberg (1995), 208, betrachtet Martials epistula als »Endpunkt der Entwicklung« der am Beginn poetischer Werke erfolgenden Kommunikation des Dichters mit dem allgemeinen Leser, ohne das damit verbundene Problem der Chronologie auch nur zu erwähnen. 101 Gegen diese weithin akzeptierte Annahme wendet sich jedoch Holzberg (2002a), 140–148. 102 Friedlaender (1886), 1,50–67; neuere Überblicke zur Chronologie, z. T. mit Modifikationen bei einzelnen Publikationsdaten, z. B. bei Citroni (1975), ix–xxi, v. a. zu Buch 1–2; Holzberg (1988), 12; Sullivan (1991), 1–55 u. 319–321; Grewing (1997), 20–23; Nauta (2002), 441–442.

Anmerkungen zur Chronologie

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Vor allem in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde jedoch eine umfangreiche Diskussion über die Frage geführt, ob die zwölf Bücher in ihrer heutigen Form und Anordnung den ursprünglichen Einzelbüchern entsprechen, oder ob sie auf spätere, vom Dichter selbst überarbeitete Neuausgaben zurückgehen. Ausgehend einerseits von einigen im Text enthaltenen Hinweisen auf die Buchpublikation, die mit der überlieferten Textanordnung nicht vereinbar zu sein scheinen, sowie andererseits von der Auffassung einiger verschiedener Lesarten in der Überlieferung als sogenannte Autorvarianten wurde insbesondere eine Neubearbeitung der ersten Bücher in Form einer Gesamtausgabe der Bücher 1 bis 7 etwa 93/94 n.Chr. erwogen. 103 Im Zusammenhang damit wurde auch die Ansicht vertreten, die praefatio zum ersten Buch könne in ihrer überlieferten Form nicht am Anfang eines ersten veröffentlichten Buches gestanden haben. Sie sei vielmehr, ebenso wie einige der ersten Epigramme des ersten Buches, erst Teil von dessen zweiter Auflage im Rahmen einer späteren, mehrere Bücher umfassenden Ausgabe gewesen, da ihr Inhalt Erfahrungen mit Kritik an bereits publizierten Büchern voraussetze. 104 Dementsprechend sei sie jünger als die praefatio des zweiten Buches, für die in diesem Kontext erwogen wurde, daß sie ursprünglich am Beginn des ersten von Martial veröffentlichten Buches gestanden habe, denn die hier formulierte Stellungnahme zur Verwendung von praefationes sei nur an dieser Stelle überhaupt sinnvoll. 105 103 Dau (1887), insbes. 76–78, unter Verweis auf die Einleitung bei Schneidewin (1842), 1, p. III. Immisch (1911) geht davon aus, daß es sich um eine Codexausgabe gehandelt haben müsse, und nimmt analog dazu eine zweite Codexausgabe der Bücher 8–11 an, die Martial kurz vor seiner Rückkehr nach Spanien besorgt habe (515). Lehmann (1931) postuliert ebenfalls zwei Gesamtausgaben der Bücher 1–7 und 8–11, allerdings (unabhängig von einer Codexausgabe der ersten sieben Bücher) beide in Form von Buchrollen. Daneben wurde auch eine Reihe verschiedener Thesen über die ursprüngliche Publikationsreihenfolge der ersten Bücher aufgestellt, auf die hier jedoch nicht im einzelnen eingegangen werden muß; dazu s. Citroni (1975), xiv–xx. – Trotz der Ansicht von Holzberg (1988), 13–14, daß die Vermutungen über verschiedene Auflagen mittlerweile »im wesentlichen als widerlegt gelten dürfen«, wird auch in jüngeren Publikationen durchaus noch von einer zweite Auflage für das erste Buch ausgegangen, zuletzt Nauta (2002), 114 u. 441. 104 Dau (1887), 77; Lehmann (1931), 15–16; Schanz-Hosius 2,550. Die These von Birt (1913), 346–349, nach der die praefatio des heutigen ersten Buches ursprünglich nur als Vorrede für eine spezielle Teilausgabe, eine Anthologie besonders obszöner Epigramme bestimmt war, da sie ihrem Inhalt nach nicht zum gesamten ersten Buch der Epigramme passe, wurde schon früh kritisiert, z.B. Lehmann (1931), 15–16. 105 Birt (1913), 346; Lehmann (1931), 35–36; Schanz-Hosius 2,550. Die Angabe von Emonds (1941), 357, daß diese »in Prosa geschriebene Vorrede zu Buch II« erst Teil einer späteren Auflage gewesen sei, ist singulär und dürfte, da jede weitere Erläuterung fehlt, wohl ein Druckfehler (II statt I) sein. – Aus einem gänzlich anderen Grunde geht auch Tanner (1986b), davon aus, daß die praefatio des zweiten Buches ursprünglich am Beginn (einer ersten Auflage) des ersten Buches gestanden habe. Er sieht hier eine enge weltanschauliche Verbindung zwischen dem von ihm in vielen der im ersten Buch enthaltenen Gedichte festgestellten »inner layer of Stoic implication« und der Person des Stoikers Decianus als dem Adressaten der fraglichen epistula (2657–2658).

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Gegenstand und Methode

Die Frage, inwieweit eine solche inhaltliche Deutung dieser beiden Prosavorreden zutreffend ist, wird bei der Einzeluntersuchung von Martials praefationes im nachfolgenden Kapitel noch eine Rolle spielen. Es ist jedoch schon hier festzuhalten, daß die inhaltliche Argumentation für die spätere Einfügung der ersten Prosavorrede nicht über jeden Zweifel erhaben ist. So gibt z. B. Citroni zu bedenken, daß die Gedanken, die Martial in seiner Vorrede zu Buch 1 äußert, so allgemein und insbesondere in Proömien der Satirendichtung so geläufig seien, daß sie nicht zwangsläufig eine Reaktion auf die Erfahrung mit bereits publizierten Büchern darstellen müssen. 106 Auch Sullivan hält ein frühes Datum für die praefatio des ersten Buches offenbar für denkbar: Dieses Buch wurde publiziert, bald nachdem sich Domitian zum censor perpetuus gemacht hatte (im Jahre 84/85 n.Chr.), daher sei eine Rechtfertigung der enthaltenen Obszönität, wie sie in der praefatio sowie den Epigrammen 1,4 und 1,35 erfolge, unerläßlich gewesen. 107 Ein zweites mögliches Argument für die Annahme einer nachträglichen Ergänzung der ersten praefatio bietet der Umstand, daß Martial dort im ersten Satz zur Bezeichnung seiner Dichtung den Pluralbegriff libelli gebraucht: Spero me secutum in libellis meis… Die Bedeutung dieses Begriffes ist bis heute umstritten, zumal er an anderen Stellen im Werk Martials unterschiedlich gebraucht wird. Versteht man libelli als Synonym zu libri, so erscheint es in der Tat unmöglich, daß diese praefatio ursprünglich allein auf das erste Buch bezogen gewesen sein könnte. Der Terminus libelli läßt sich alternativ jedoch auch als Bezeichnung für kleinere Gedichtsammlungen auffassen, die von Martial zunächst für private Adressaten zusammengestellt und deren einzelne Gedichte später in ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Buch aufgenommen wurden. Bei dieser Auffassung berührt sich die Auflagendiskussion mit der ebenfalls vieldiskutierten Frage von Martials allgemeiner Praxis der Publikation. Schließlich ist es auch möglich, den Begriff libelli analog zu seiner Verwendung z. B. bei Statius (u. a. Silv. 1, praef. 3. 17. 29) auf einzelne Gedichte zu beziehen. Bei diesem Verständnis bereitet das Vorkommen des Plurals auch in einer ersten praefatio keinerlei Schwierigkeit. 108 In jüngster Zeit sieht Holzberg gerade in der Ambivalenz 106 Citroni (1975), 5, obwohl er sonst auch davon ausgeht, daß die praefatio erst später hinzugefügt wurde (xx; 7; 13–14). 107 Sullivan (1991) 21–22; seine Stellungnahme zu dieser Frage wirkt jedoch etwas unpräzise und nicht ganz konsequent, zumal er kurz vorher (15 Anm. 31) Überlegungen zu einer späteren Auflage des ersten Buches wiedergibt und dabei die These, daß auch die praefatio erst zu diesem Zeitpunkt hinzugekommen sei, unkommentiert stehenläßt, also offenbar auch für denkbar hält. 108 Erörterungen zu den verschiedenen möglichen Bedeutungen z. B. bei Sage (1919), 168– 170; Citroni (1975), 6–7; Nauta (2002), 108–113. – Für die Auffassung von libelli als »Epigrammbücher« z.B. Friedlaender (1886), 1,162; Lehmann (1931), 17; Fowler (1995), 36–37. – Für das Verständnis von libelli als kleine Gedichtsammlungen privaten Charakters z. B. White (1974),

Anmerkungen zur Chronologie

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des Begriffes libelli, der sich an dieser Stelle sowohl als »Gedichte« als auch als »Bücher« übersetzen läßt, dessen besondere Bedeutung: Die programmatischen Aussagen der ersten praefatio lassen sich so wahlweise lediglich auf das erste Buch oder auf die gesamten Epigrammaton libri beziehen, bzw. zunächst auf das eine, dann auf das andere. 109 Verglichen mit der komplizierten Auflagendiskussion bei Martial ist die interne Chronologie der fünf Bücher von Statius’ Silvae relativ unproblematisch. Es ist allgemein akzeptiert, daß die überlieferte Form der Bücher 1 bis 4 auf ihre ursprüngliche Publikation durch den Dichter selbst zurückgeht. Uneinigkeit besteht hier nur hinsichtlich der Frage, ob die ersten drei Bücher der Silvae in Analogie zu den ersten drei Büchern von Horaz’ Carmina als Einheit konzipiert und zwischen 92 und 94 n. Chr. zusammen bzw. in sehr schneller Folge nacheinander publiziert, 110 oder ob sie trotz des relativ kurzen Herausgabezeitraumes einzeln als selbständige Bücher veröffentlicht wurden. 111 Als Voraussetzung für die nachfolgende Analyse der einzelnen praefationes genügt es zunächst festzuhalten, daß ihre Reihenfolge unzweifelhaft ist, unabhängig davon, ob zwischen ihnen – wenn, dann ohnehin nur geringe – zeitliche Intervalle anzusetzen sind. Die Frage, ob die praefationes tatsächlich möglicherweise »alle drei in einem Zuge geschrieben« 112 wurden oder ob es sich bei aller Dominanz der praefatio des ersten Buches bei den beiden folgenden dennoch um eigenständige Einleitungstexte handelt, wird später noch eine Rolle spielen. Die Einzelpublikation des vierten Buches im Sommer des Jahres 95 n. Chr. sowie die postume Edition des fünften Buches, wohl nur kurze Zeit nach dem Tode des Statius, stehen hingegen außer Frage. Relevant wird die Datierung der Silvae jedoch im Hinblick auf das zeitliche Verhältnis zu den Publikationsdaten der einzelnen Bücher Martials. Im Zusammenhang mit der verschiedentlich unterstellten Feindschaft zwischen beiden Dichtern 113 wird in der Forschungsliteratur z. B. zuweilen suggeriert, Martials ablehnende Haltung gegenüber der Verwendung von Prosavorre44–45; Howell (1980), 97; Tanner (1986b), 2670, der zudem an eine Rekonstruierbarkeit solcher im Werk Martials aufgegangenen libelli über die Person des jeweiligen Adressaten glaubt (2674). – Zur Frage der Publikationspraxis Martials v. a. White (1974); dagegen Fowler (1995) und die Replik: White (1996). 109 Holzberg (2002a), 36–39; eine ähnliche Ambivalenz auch schon bei Adams (1975): »a libellus could be issued in several parts, each of which could also be called a libellus« (17). 110 Vollmer (1898), 3–13, zur Gesamtkonzeption 12–13; ihm folgen Newmyer (1979), 46–49; Bright (1980), 53–54; Coleman (1988), xvi–xvii; Sullivan (1991), 320; Newlands (2002), 34. 111 Härtel (1900), 5–6; Wissowa (9/101921); Frère (1944), xxi; Vessey (1973), 15; van Dam (1984), 3; Nauta (2002), 285–287 u. 444. 112 Vollmer (1898), 383; vgl. auch Bright (1980), 53. 113 Exemplarisch seien genannt Heuvel (1936/37); Henriksén (1998); für ein kritisches Resümee s. Ripoll (2002).

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Gegenstand und Methode

den in seiner praefatio zum zweiten Buch sei konkret als Kritik an Statius aufzufassen. 114 Die Versuchung, in Martials praefatio zu Buch 2 eine gezielte, spöttisch-ironische Reaktion auf die Prosavorreden des Statius zu sehen, ist zweifellos sehr groß. Dennoch ist diese Hypothese unmöglich, da sie die wesentlichen, trotz aller Diskussion unbestrittenen Konstanten der Datierung außer acht läßt. Selbst wenn man eine Gesamtausgabe der Epigrammaton libri 1–7 etwa 93/94 n.Chr. annimmt, wird damit ein Bezug der fraglichen praefatio auf die veröffentlichten Bücher der Silvae noch immer nicht möglich, denn selbst die entschiedensten Verfechter der Auflagentheorie weisen die fragliche praefatio bereits der ersten Ausgabe des zweiten bzw. sogar des ersten publizierten Buches zu, welche aber in jedem Falle bereits kurz nach der Mitte der 80er Jahre datiert wird. 115 Eine derartige polemische Bezugnahme Martials auf Statius wäre dagegen nur denkbar unter der – allerdings nirgends aufgestellten – Hypothese, daß die praefationes der Bücher 1 und 2 beide erst Teil einer etwa 93/94 herausgegebenen Teilausgabe der Epigrammaton libri waren. Alternativ könnte man seine Kritik nur auf Begleitbriefe zu einzelnen Gedichten des Statius beziehen, wie etwa den, der sich als ›Ersatz-praefatio‹ am Beginn des fünften Buches der Silvae findet. Vor einer solchen Deutung müßte man jedoch fragen, ob diese für die Präsentation von Gedichten im rein privaten Bereich bestimmten Begleitschreiben in der Öffentlichkeit überhaupt so bekannt waren, daß eine parodistische Kritik den erwünschten Erfolg hätte haben können. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist es völlig ausreichend, bei Martial entsprechend der im Kern immer noch auf Friedlaender zurückgehenden Datierung von einer Publikation der Einzelbücher in etwa jährlichen Intervallen auszugehen. Eine weitergehende Präzisierung der einzelnen Publikationsdaten ist nicht erforderlich. Danach wären zu der Zeit, da Statius mit der Publikation der Silvae begann, bereits mindestens sechs der Epigrammaton libri Martials, und damit in jedem Falle auch die heutige praefatio des zweiten Buches, veröffentlicht gewesen. Im Hinblick auf die praefatio des ersten Buches ist festzustellen, daß die oben angeführten Argumente 114 So Lehmann (1931), 35: Martial wende sich kritisch gegen die zu seiner Zeit allgemein üblichen Prosavorreden zu Gedichtbüchern, zwischen ihm und Statius habe generell ein gespanntes Verhältnis bestanden, »kein Wunder also, wenn er auch den Brauch des Statius, jedem seiner Gedichtbücher eine lange Prosapräfatio voranzusetzen, ablehnt.« Etwas weniger ausdrücklich Howell (1980), 95: »The fashionable custom of beginning books of poetry with such prefaces is amusingly satirised by M. in the prefaces to book II. [...] it may be significant, in view of the apparent hostility between M. and Statius, that the latter’s prefaces are mostly quite long.« 115 Z. B. Lehmann (1931), der sich damit innerhalb weniger Seiten selbst widerspricht: Nachdem er die These von Martials Kritik an Statius entwickelt hat, betont er, daß diese praefatio am Anfang von dessen erstem publizierten Buch gestanden habe (35–36), welches nach seiner zuvor durchgeführten Datierung der Bücher 3 und 4 (31) in die frühere zweite Hälfte der 80er Jahre zu datieren wäre.

Anmerkungen zur Chronologie

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letztlich keinen eindeutigen Beweis für deren nachträgliche Einfügung liefern. Aus diesem Grunde soll für die im folgenden durchzuführende Einzeluntersuchung der fünf praefationes Martials zunächst deren überlieferte Reihenfolge zugrunde gelegt und im Rahmen dieser Detailanalyse auch nach möglichen weiteren Anhaltspunkten in dieser Frage gesucht werden.

3 Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

3.1 Einzeluntersuchungen 3.1.1 Die praefatio zu Buch 1 der Epigramme Spero me secutum in libellis meis tale temperamentum ut de illis queri non possit quisquis de se bene senserit, cum salva infimarum quoque personarum reverentia ludant; quae adeo antiquis auctoribus defuit ut nominibus non tantum veris abusi sint sed et magnis. Mihi fama vilius constet et 5 probetur in me novissimum ingenium. Absit a iocorum nostrorum simplicitate malignus interpres nec epigrammata mea scribat: inprobe facit qui in alieno libro ingeniosus est. Lascivam verborum veritatem, id est epigrammaton linguam, excussarem, si meum esset exemplum: sic scribit 10 Catullus, sic Marsus, sic Pedo, sic Gaetulicus, sic quicumque perlegitur. Si quis tamen tam ambitiose tristis est ut apud illum in nulla pagina latine loqui fas sit, potest epistula vel potius titulo contentus esse. Epigrammata illis scribuntur qui solent spectare Florales. Non intret Cato theatrum 15 meum, aut si intraverit, spectet. Videor mihi meo iure facturus si epistulam versibus clusero: Nosses iocosae dulce cum sacrum Florae festosque lusus et licentiam volgi, cur in theatrum, Cato severe, venisti? an ideo tantum veneras, ut exires? 1

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Die Vorrede zum ersten Buch der Epigramme ist als einzige der fünf praefationes Martials nicht in Briefform an einen konkreten Adressaten gerichtet. Es handelt sich vielmehr um eine unmittelbare Anrede an den allgemeinen Leser. Allerdings wird gerade diese praefatio von Martial explizit als 1 Um der Untersuchung in manchen Punkten nicht vorzugreifen, stehen die vollständigen Übersetzungen der praefationes stets am Ende der jeweiligen Einzelanalyse. Mit Blick auf diese Übersetzungen werden die im Zuge der Untersuchung zitierten Passagen aus den praefationes von Martial und Statius nicht im einzelnen übersetzt. Bei Zitaten aus Werken anderer Autoren wird umgekehrt nur dann auf eine Übersetzung verzichtet, wenn deren Inhalt bereits in der Erörterung hinreichend erhellt wird.

Die praefatio zu Buch 1 der Epigramme

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epistula bezeichnet, und ein Teil der handschriftlichen Überlieferung macht sie durch Voranstellen des titulus »Valerius Martialis lectori suo salutem« auch formal zu einem Brief an den anonymen Leser. Auf den ersten Blick erscheint der Gedanke an eine solche Anrede durchaus attraktiv, da sie »den Eindruck der direkten Kommunikation mit dem Leser verstärkt«. 2 Da man jedoch davon ausgehen muß, daß Prosavorreden zu Gedichtsammlungen zur Zeit Martials trotz einer möglicherweise weiteren Verbreitung noch eine relative Neuerung darstellten, erscheint es schwer vorstellbar, daß er die Entwicklung gleich in einer der ersten seiner praefationes noch einen Schritt weitergeführt haben soll 3 , um dann in den folgenden epistulae zur gebräuchlicheren Form der Anrede an einen bestimmten Adressaten zurückzukehren. Zudem ist zu berücksichtigen, daß bei Prosavorreden in Briefform die wesentliche Funktion darin besteht, eine ehrenvolle Widmung des nachfolgenden Werkes bzw. Buches an den jeweiligen Adressaten auszudrücken. 4 Schon deshalb wäre es verwunderlich, wenn Martial sich zu Beginn seines ersten Buches mit einer solchen Geste an einen derart unspezifischen Adressaten gewandt hätte. Umgekehrt liegt dagegen die Vermutung nahe, daß im Laufe der Überlieferung versucht wurde, die praefatio des ersten Buches durch Hinzufügung einer Anrede formal an die übrigen praefationes im Werk Martials anzugleichen. Insofern dürfte die Athetese des titulus in modernen Textausgaben zu Recht erfolgen. 5 Formal betrachtet ist die vorliegende praefatio keine reine Prosavorrede, sondern ein Prosimetron, da an den Prosatext ein kurzes Epigramm aus vier Hinkjamben anschließt. Dieses Epigramm wird nicht zu den Epigrammen des ersten Buches gerechnet. Ebenso wie das Epigramm in der Vorrede zu

2 Howell (1980), 95: »The feeling of direct communication with the reader would be pleasingly strengthened if the titulus [...] were [...] genuine«; Bowie (1988), 16: »an unusually literary feature, but in keeping with the character of what follows«; Vielberg (1995), 208; auch Beck (2002), 176, geht anscheinend von der Echtheit des titulus aus. 3 Aufgrund der Tatsache, daß die epistula des ersten Buches der Epigramme keinen anderen Adressaten als den allgemeinen Leser hat, bezeichnet Vielberg (1995), 208–209, Martial als den »Endpunkt der Entwicklung« der am Beginn poetischer Werke erfolgenden rezeptionssteuernden Kommunikation mit dem anonymen Leser, deren Beginn er in Horaz’ carm. 1,1 sieht, da dort neben dem individuellen Adressaten Maecenas erstmals indirekt auch die allgemeinen Leser angesprochen würden. Nachdem Ovid als erster den anonymen lector selbst apostrophierte, kehre Statius mit der epistula an Stella (Silv. 1, praef.) zwar zur Wendung an einen individuellen Adressaten zurück, durch die veränderte Form erfahre die programmatische Aussage jedoch eine deutliche Steigerung. Martials erste praefatio schließlich verbinde diese prägnante Form mit der ausschließlichen Wendung an das allgemeine Publikum. Durch den kommentarlosen Ansatz der praefationes Martials nach denen des Statius wird das Problem der Chronologie jedoch nicht angemessen berücksichtigt. 4 Dazu vgl. Abschnitt 2.2. 5 Interessanterweise wird der titulus auch in der Ausgabe von Lindsay athetiert, obwohl dieser dessen Echtheit zumindest in Erwägung zieht.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

Buch 9 steht es extra ordinem paginarum6 , aber in direktem inhaltlichen Bezug zum Vorhergehenden, und ist daher bei der Betrachtung der Prosavorrede mit einzubeziehen. Martial wendet sich in dieser epistula mit einer Reihe von Vorbemerkungen an den Leser. Entsprechend den beiden Punkten, um die es ihm dabei im wesentlichen geht, läßt sich eine inhaltliche Zweiteilung des Prosatextes feststellen. Im ersten Teil (Mart. 1, praef. 1–9) verwahrt sich Martial gegen den möglichen Vorwurf der personenbezogenen Invektive, im zweiten (Mart. 1, praef. 9–17) nimmt er Stellung zur bisweilen obszönen Sprache seiner Epigramme. Schon der Beginn dieser praefatio verdient besondere Aufmerksamkeit. Martial hofft, es sei ihm in seiner vorliegenden Dichtung 7 gelungen, solche Mäßigung zu wahren, daß er damit nicht einmal den niedrigststehenden Menschen zu nahe getreten sei. Die exponierte Anfangsstellung des spero als in die Zukunft gerichteter Ausdruck der Hoffnung ist ein deutliches Signal dafür, daß die gedachte Kommunikationssituation der praefatio der eines »Originalvorwortes« entspricht: Hier äußert sich der Dichter, der auf eine vollendete Gedichtsammlung blickt und um deren Inhalt weiß, gegenüber einem potentiellen Leser im Hinblick auf dessen bevorstehende Lektüre eines Buches mit ihm noch unbekanntem Inhalt. Gestaltet wird somit eine antizipierende Lenkung der Leserreaktionen zu einem Zeitpunkt, da sich der Dichter nicht sicher ist, wie diese tatsächlich ausfallen werden.8 Eine solche Gestaltung setzt jedoch keineswegs, wie oft zugunsten der These einer nachträglichen Hinzufügung dieser praefatio zu einer späteren Auflage des Buches argumentiert wird, notwendigerweise Erfahrungen mit negativer Kritik an bereits publizierten Büchern voraus. Im Gegenteil, eine nachträgliche Rechtfertigung durch einen derartigen Ausdruck der Hoffnung dürfte geradezu lächerlich, in jedem Falle aber wirkungslos gewesen sein, wenn es sich bei dem fraglichen Text um einen bekannten, eventuell sogar bekanntermaßen kritisierten Text handelte. Zur Beeinflussung der Reaktionen legt Martial dem Leser einige leitende Prinzipien dar, an denen sich seine Dichtung orientiert. In erster Linie be6 Die genaue Bedeutung dieser Formulierung, mit der Martial eine klare Trennung des Prosatextes und des damit verbundenen Epigramms vom eigentlichen Text des Buches anzeigt (Mart. 9, praef. 1–2; vgl. auch Mart. 2, praef. 15: ad primam paginam [...] pervenient), ist umstritten. Am wahrscheinlichsten ist, daß prima pagina den Beginn des Buchtextes bezeichnet, der in jedem Falle in einer neuen (wenn auch nicht numerierten) Kolumne erfolgte, während die praefatio, möglicherweise sogar mit einem etwas größeren Abstand als zwischen den Kolumnen des Textes, links davon stand: Kenney (1982), 31–32; vgl. Henriksén (1998/99), 1,49–50. 7 Die mit der Deutung des Pluralbegriffs libelli verbundene Kontroverse ist oben im Abschnitt 2.4 bereits angesprochen worden und muß daher an dieser Stelle zunächst nicht eigens wieder aufgegriffen werden. 8 Vgl. Adams (1975), 13; Citroni (1975), 6.

Die praefatio zu Buch 1 der Epigramme

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nennt er hier das temperamentum (Mart. 1, praef. 1), das in der Regel als Mäßigung beim Verfassen boshafter Spottgedichte verstanden wird. 9 Er betont seine generelle Zurückhaltung gegenüber Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten und bestimmt seine Haltung zum Umgang mit individuellen Namen abschließend e contrario durch nachdrückliche Abgrenzung von der Praxis früherer Dichter. 10 Martial bezieht sich hier auf niemand bestimmten, zu denken ist aber wohl an frühe Satirendichter wie z.B. Lucilius sowie auch an frühere Epigrammdichter wie Catull. 11 Der Grund für diese betonte Zurückhaltung wird im folgenden angedeutet. Der nächste Satz Mihi fama vilius constet... (Mart. 1, praef. 5–6) ist wiederum prospektiv formuliert, drückt in der geradezu selbstverständlichen Erwartung der fama aber bereits ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein des Dichters aus. Seine fama soll ihn allerdings nicht allzu viel kosten. Diese Aussage Martials wird in der Regel so verstanden, daß er nicht bereit ist, für seinen Ruhm ein allzu großes Risiko einzugehen, wie es unter der Herrschaft Domitians mit gezielter Satire verbunden sein konnte 12 , d. h. als ein weiteres Signal für den harmlosen Charakter der präsentierten Dichtung, das diesmal mehr an die Adresse der Obrigkeit gerichtet ist. 13 Dafür nimmt er anscheinend sogar in Kauf, daß sein ingenium in seiner Dichtung nicht zur Geltung kommt: probetur in me novissimum ingenium (Mart. 1, praef. 6). Der Begriff ingenium bezeichnet zwar allgemein die Begabung an sich, ist hier aber wohl im engeren Sinne als Begabung zum Schaffen satirischer Gedichte aufzufassen. 14

9 Citroni (1975), 7–8; Walter (1996), 54. Etwas anders dagegen Adams (1975), der darunter »a correct portion« bzw. »mean« versteht und dazu bemerkt: »This implies that Martial is not apologizing for any offensive epigrams, but rather that their numbers are not disproportionately great« (17). Nach Ansicht von Spisak (1992), 113–114, beinhaltet der Begriff des temperamentum neben der Mäßigung beim Verfassen einzelner Gedichte auch das im Rahmen eines Buches bestehende Mischungsverhältnis zwischen den satirischen Gedichten und anderen, in denen positive Seiten von Menschen dargestellt werden. 10 Das Verb abuti steht hier synonym zum Simplex uti. Es beinhaltet somit keine negative Wertung der älteren Dichter im Sinne von »mißbrauchen”, vgl. ThLL I 240,77–79, s.v. abutor 2. 11 Citroni (1968), 265–266; Citroni (1975), 8; Howell (1980), 96; vgl. Mendell (1922), 9–12. – Ein konkretes Beispiel für den möglichen Invektiven-Charakter der älteren Epigrammdichtung ist etwa das von Martial in 11,20 als von Augustus stammend zitierte obszöne Epigramm über Antonius. 12 Vgl. dazu Suet. Dom. 8: scripta famosa vulgoque edita, quibus primores viri ac feminae notabantur, abolevit, non sine auctorum ignominia. (»Die allgemein verbreiteten Schmähschriften, mit denen vornehme Männer und Frauen verunglimpft wurden, ließ er vernichten, nicht ohne schimpfliche Brandmarkung der Verfasser.«) 13 Friedlaender (1886), 1,162; Howell (1980), 96; Swann (1994), 17; Coffey (21989), 136– 137; vgl. Banta (1998), 94. 14 Howell (1980), 97; Walter (1996), 55; vgl. ThLL VII 1,1534, s. v. ingenium c. prius I B 2 d: in malam partem i. q. dolus, astutia, fraus; zu den möglichen Bedeutungen von ingenium sowie

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

Auch wenn die vorliegende Stelle zumeist im genannten Sinne als Abwertung des eigenen ingenium verstanden wird, ist der Sinn hier nicht völlig eindeutig. Voraussetzung für dieses Verständnis ist, daß das Adjektiv novissimum als prädikativ zu ingenium aufgefaßt wird. Versteht man es dagegen als attributiv zu ingenium, so ergibt sich anstelle eines »zuletzt die Begabung« die Bedeutung »eine völlig neue Begabung«. 15 Martials Formulierung läßt grundsätzlich beide Deutungen zu. Im hier insgesamt auf die Betonung der Harmlosigkeit der Epigrammdichtung ausgerichteten Kontext wird die weitgehend akzeptierte prädikative Auffassung des novissimum jedoch begünstigt. Ein Herunterspielen der (satirischen) Begabung dürfte sehr viel eher dazu geeignet sein, etwaigen Argwohn zu beruhigen, als die Ankündigung einer Neuheit. Festzuhalten ist jedoch, daß Martial auf diese Weise zugleich auch subtil auf sein ingenium hinweist. Zwar soll diese Eigenschaft an ihm als letzte gebilligt werden, gebilligt werden aber soll sie gleichwohl. 16 Als wesentliches Kennzeichen seiner scherzhaften Gedichte benennt Martial vielmehr ihre simplicitas, d. h. in diesem Zusammenhang zunächst das Fehlen jeglichen Hintersinns, den auch kein geistreicher Leser eigenmächtig in die Epigramme hineininterpretieren möge (Mart. 1, praef. 6– 8). 17 Wenn Martial in seiner entschiedenen Zurückweisung einen solchen Rezipienten als malignus interpres bezeichnet, wird damit die Harmlosigkeit seiner Dichtung nochmals nachdrücklich hervorgehoben. Dies geschieht diesmal allerdings indirekt, insofern als alle Bosheit, die man eventuell aus den Epigrammen Martials herauslesen könnte, kategorisch auf die Einstellung des Rezipienten zurückgeführt wird. Mit dem zweiten Teil des Satzes erhebt Martial schließlich einen geradezu auktorialen Anspruch auf den Sinn der von ihm verfaßten Gedichte: Niemand soll seine Gedichte schreiben, also ihnen eigenmächtig einen anderen als den ursprünglichen Sinn verleihen. 18 Er verwahrt sich damit nachdrücklich gegen eine mögliche insbesondere zur Verwendung des Begriffes bei antiken Dichtern bis in die Zeit Martials sowie bei Martial selbst s. auch Spisak (1992), 69–88. 15 Letztere Auffassung z. B. bei Borzsák (1947), der novissimum ingenium als »zeitgemäßes Talent« übersetzt (20). Auch Adams (1975), der grundsätzlich zwar der verbreiteteren Auffassung zuneigt (14), bemerkt vorsichtig: »Possibly there is a pun here with novissimum: its usual meaning in the superlative is ›last‹, but it might also be taken to mean ›as a very new thing‹ or ›very recently‹« (140 Anm. 5). 16 Für eine Auffassung der Selbstherabsetzung als »deliberately ambiguous« vgl. auch Fearnley (1998), 35. 17 Friedlaender (1886), 1,163; Dams (1970), 177. – Döpp (1993), 153, faßt iocorum simplicitas hingegen im Zusammenhang mit der lasciva verborum veritas (Mart. 1, praef. 9–10) als »unverblümtes Scherzen« auf, läßt dabei aber die den beiden Hauptthemen entsprechende klare Zweiteilung dieser praefatio außer acht. 18 Vgl. Friedlaender (1886), 1,163. – Shackleton Bailey (1990/1993) liest anstelle des scribat an dieser Stelle inscribat, das er (1993), 1,10, als »write addresses on my epigrams« übersetzt und

Die praefatio zu Buch 1 der Epigramme

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Auffassung seiner Gedichte als vermeintlich figurierte Rede 19 , d. h. als besonders subtil gestaltete Invektive, um sich von vornherein gegen eine potentielle Gefährdung seiner selbst abzusichern für den Fall, daß fremde Sinngebungen fälschlich als die seinen verbreitet werden. Damit ist zwar nicht gewährleistet, daß die Gedichte nicht doch z. T. als gezielte Invektive gedeutet werden 20 , die Verantwortung für solche Auslegungen liegt dann aber nicht mehr bei Martial. Auf einer zweiten Ebene impliziert die Entgegensetzung von simplicitas der Epigramme und interpres eine weitere Aussage über deren Beschaffenheit: Epigramme sind generell so geschrieben, daß sie aus sich selbst heraus leicht verständlich sind, und bedürfen daher keiner Erklärung durch einen interpres. 21 Der Schluß dieses ersten Abschnittes ist pointiert als Sentenz formuliert 22 und enthält lediglich eine Steigerung des bisher Gesagten, keine weiteren Gesichtspunkte. Auffällig ist die Wiederkehr des ingenium, das jetzt ebenfalls auf die Seite der Rezipienten verschoben wurde, aber auch von deren Seite keine Anwendung auf die Epigramme finden soll. Überdies wird das zuvor bereits abgelehnte Verhalten durch improbe facit (Mart. 1, praef. 8) jetzt auch moralisch negativ bewertet. Auf diese Weise wird der Abschluß des ersten in der vorliegenden praefatio behandelten Themas deutlich markiert. damit ebenso wie den Anfang der vorliegenden praefatio auf den Bezug auf bestimmte Personen beschränkt. Tendenziell werden Martials Angaben in diesem ersten Teil jedoch zunehmend allgemeiner und sind am Ende nicht mehr nur auf personenbezogene Deutung, sondern auf jede Art eigenmächtiger Interpretation zu beziehen. Aus demselben Grunde ist auch die Auffassung von Fearnley (1998), 39, abzulehnen, nach der Martial sich hier gegen Abschreiber und insbesondere gegen Plagiatoren seiner Epigramme wende. – Eine sehr spezielle Deutung des scribat bietet Tanner (1986b), 2665: »I believe scribat here will refer to writing out abbreviations read from an inscription in their full form. Epigram then should be a verse form sharing the abbreviated character of an inscription and in which much of the latter’s ambiguity must always inhere.« 19 Vgl. die prägnante Beschreibung der figurierten Rede bei Quintilian, inst. 9,2,65: […] id genus [sc. figurae] quod et frequentissimum est et exspectari maxime credo […], in quo per quandam suspicionem quod non dicimus accipi volumus, non utique contrarium, ut in ƤˁưƸƬƤ̄̾, sed aliud latens et auditori quasi inveniendum. Quod, ut supra ostendi, iam fere solum schema a nostris vocatur, et unde controversiae figuratae dicuntur. (»[…]die Art , die sowohl am häufigsten ist als auch, wie ich glaube, am meisten erwartet wird […], bei der man will, daß durch eine Art Ahnung das verstanden wird, was man nicht sagt; nicht schlechterdings das Gegenteil, wie bei der Ironie, sondern etwas Verborgenes, das der Hörer gleichsam entdecken muß. Dies wird, wie ich oben gezeigt habe, schon fast als einziges bei uns Figur genannt, weshalb man von figurierten controversiae spricht.«); vgl. Sen. contr. 1, praef. 24. Zur figurierten Rede in der Antike s. auch Ahl (1984a). 20 Daß allerdings auch eine völlig harmlose Äußerung von einzelnen Zuhörern fälschlich als figurierte Rede aufgefaßt werden konnte, zeigt ein Beispiel aus Senecas Controversiae (2,4,12– 13); dazu vgl. Heldmann (1982), 229–232. 21 Vgl. Adams (1975), 18. 22 Zu den Sentenzen in dieser ersten praefatio Martials s. Barwick (1959), 19.

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Daß Martial sich bei der Stellungnahme zu seinem Umgang mit personenbezogenem Spott offenbar topischer Motive aus der satirischen Dichtung bedient, ist schon mehrfach beobachtet worden. 23 Eine grundsätzliche Distanzierung von auf individuelle Personen bezogener Invektive erfolgt z. B. bei Horaz, sat. 1,4 (insbes. 100–103) und sat. 2,1 (insbes. 39–41). Juvenal (1,153–171) verzichtet auf Invektive gegen lebende Personen und stellt seine Dichtung zudem in einen ausdrücklichen Gegensatz zur Dichtung des Lucilius. Aber auch Phaedrus betont für seine satirisch gefärbte Fabeldichtung, bei der der Leser an anderer Stelle sogar auf die Existenz eines konkreten Bezugs hinter dem Text hingewiesen wird, daß er nicht einzelne Menschen, sondern allgemein menschliche Verhaltensweisen vorführen will. Damit verbunden findet sich bei ihm auch das Motiv des reinen bzw. schlechten Gewissens bei den Rezipienten (3, praef. 45–50), das in ähnlicher Form auch bei Horaz (sat. 1,4,65–68) und Juvenal (1,165– 168) erscheint: Nur wer ein schlechtes Gewissen hat, kann überhaupt auf den Gedanken kommen, die jeweilige Dichtung persönlich zu nehmen; wer sich dagegen nichts vorzuwerfen hat, hat auch keine Veranlassung zu Besorgnis oder Klage. Tatsächlich ist der erste Teil der vorliegenden praefatio jedoch in viel stärkerem Maße auf der Folie einer bestimmten Satire gestaltet, als dies bisher wahrgenommen wurde. Denn neben den beiden bereits erwähnten finden sich in diesem relativ kurzen Textabschnitt noch einige weitere, zwar schwächere, aber erkennbare Anklänge an Horaz’ Satire 1,4, deren zentrales Thema ebenfalls die Stellungnahme zum Charakter der eigenen Satirendichtung, namentlich zur Frage des ˑƬƮƫƠƲƳ̃ ƩƸƫͰƣƤ͙Ƭ in der Tradition der Alten Komödie ist. Zu nennen ist hier zum einen das Motiv der Herabsetzung der eigenen Begabung. Horaz verwendet dieses Motiv topischer Bescheidenheit in der genannten Satire zweimal, um die Harmlosigkeit seiner Satirendichtung zu unterstreichen. Dabei äußert er zunächst in rein formaler Abgrenzung zu nach dem Vorbild des Lucilius vielschreibenden Dichtern eine ironische Zufriedenheit über seine angeblich geringen Geistesgaben, die er hier mit dem Begriff animus bezeichnet: di bene fecerunt, inopis me quodque pusilli / finxerunt animi (Hor. sat. 1,4,17–18). Etwas später erscheint das Motiv noch einmal in komplizierterer Form: primum ego me illorum dederim quibus esse poetis excerpam numero. neque enim concludere versum dixeris esse satis; neque si qui scribat, uti nos, sermoni propiora, putes hunc esse poetam. ingenium cui sit, cui mens divinior atque os magna sonaturum, des nominis huius honorem. (Hor. sat. 1,4,39–44) 23 Citroni (1975), 3 u. 8; Howell (1980), 96–97; Spisak (1992), 114.

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Als erstes will ich mich aus der Zahl derjenigen ausnehmen, denen ich zugestehe, Dichter zu sein. Denn weder könnte man sagen, daß es ausreicht, einen runden Vers zu machen, noch könnte man meinen, der sei ein Dichter, wenn jemand, so wie ich, etwas der alltäglichen Rede Ähnlicheres schreibt. Wer Talent besitzt, einen göttlicheren Verstand und einen Mund, der Großes wird erklingen lassen, den dürftest du mit diesem Namen ehren.

Horaz nimmt sich hier mit der Begründung, daß seine diesmal als ingenium bezeichnete dichterische Begabung dafür nicht ausreichend sei, aus der Zahl derer aus, die mit Recht als poetae bezeichnet werden. Damit bezieht er sich nicht nur im engeren Sinne auf die zuvor als poetae bezeichneten allgemein verhaßten Dichter gezielter Invektiven (Hor. sat. 1,4,33). Durch die Bezeichnung als bloße sermones werden die eigenen Satiren vielmehr auch konkret mit der Neuen Komödie assoziiert, deren poetischer Anspruch von ihren Gegnern entschieden bestritten wurde (Hor. sat. 1,4,45–48). Diese Assoziation dient als ›Beweis‹ der Harmlosigkeit der eigenen Dichtung, da die personenbezogene Invektive in der Neuen Komödie unbekannt ist. 24 Wie oben bereits dargelegt wurde, ist der Begriff des ingenium in der vorliegenden praefatio Martials sehr viel konkreter auf das Talent zur satirischen Dichtung zu beziehen. Zur Betonung der Harmlosigkeit seiner Epigramme wertet Martial dieses Talent mit seiner Aussage probetur in me novissimum ingenium (Mart. 1, praef. 6) zwar ebenfalls ausdrücklich ab, aber während Horaz für sich nur einen animus pusillus positiv beansprucht, die Zuschreibung von ingenium dagegen gänzlich zurückweist, verzichtet Martial doch nicht völlig auf das ingenium, sondern begnügt sich damit, ihm eine untergeordnete Bedeutung zuzuweisen. Des weiteren äußert sich Horaz zu eventuellen ›Ausrutschern‹ in seiner Satirendichtung: liberius si / dixero quid, si forte iocosius, hoc mihi iuris / cum venia dabis (Hor. sat. 1,4,103–105). Die Formulierung macht zunächst nochmals deutlich, daß die Äußerungen der Satire grundsätzlich frei (libere) und im Scherz (iocose) erfolgen, ohne daß dahinter eine böswillige Absicht steht. Zugleich will Horaz aber offenbar nicht ausschließen, daß er bisweilen auch über sein Ziel hinausschießt und manche Äußerungen von Rezipienten als zu heftig empfunden werden können. Er räumt damit eine mögliche Differenz ein zwischen dem Empfinden des Dichters bzw. Sprechers, für den eine Äußerung noch vertretbar erscheint, und dem Empfinden des Rezipienten, der dieselbe Äußerung schon als boshaft auffaßt. Horaz legt Wert auf die Feststellung, daß in seiner Satirendichtung selbst ein dictum, das man eventuell als zu stark auffassen kann, immer noch iocosum, niemals malitiosum ist. Bei Martial ist in der Formulierung iocorum … simplicitate (Mart. 1, praef. 6–7) ein 24 Zu dieser Passage s. Heldmann (1987), 132–133.

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vergleichbarer Hinweis auf den schlicht scherzhaften Charakter seiner Epigrammdichtung und ihre dementsprechende Harmlosigkeit enthalten. Ein gewisser Unterschied läßt sich jedoch in bezug auf die jeweilige Rezipientenseite feststellen: Horaz bezieht sich in erster Linie auf das eventuelle subjektive Mißverstehen durch einzelne Rezipienten und bittet dafür um Nachsicht. Martials dezidierte Wendung gegen einen malignus interpres deutet dagegen darauf hin, daß er eher an ein bewußt negatives Auslegen und entsprechendes Weiterverbreiten seiner Gedichte durch Mittelspersonen denkt. Schließlich ist es an dieser Stelle nötig, nochmals zum bereits genannten Motiv der berechtigten Sorglosigkeit der Personen mit reinem Gewissen zurückzukehren. Auch hier greift eine bloße Feststellung der motivischen Parallele zu kurz. Eine genauere Betrachtung zeigt sehr viel weitreichendere Bezüge. Bei Horaz wird das Motiv zunächst nicht im Zusammenhang mit der eigenen Dichtung verwendet, sondern im Kontext eines Beispiels, nämlich dem der beiden professionellen Ankläger Sulgius und Caprius. Die indirekte Übertragung auf die Dichtung erfolgt erst im Anschluß daran: […] Sulgius acer ambulat et Caprius, rauci male cumque libellis, magnus uterque timor latronibus; at bene si quis et vivat puris manibus, contemnat utrumque. ut sis tu similis Caelique Birrique latronum, non ego sim Capri neque Sulgi: cur metuas me? nulla taberna meos habeat neque pila libellos

(Hor. sat. 1,4,65–71).

Der grimmige Sulgius läuft herum und Caprius, schlimm heiser und mit ihren Büchlein, beide ein großer Schrecken für Banditen; aber wenn jemand ordentlich lebt und saubere Hände hat, braucht er sich um beide nicht zu scheren. Selbst gesetzt, daß du den Banditen Caelius und Birrus ähnlich bist, ich dürfte Caprius und Sulgius nicht gleichen: warum solltest du mich fürchten? Kein Laden und kein Pfeiler soll meine Bücher haben.

Bemerkenswert ist diese Horaz-Stelle jedoch auch aus einem ganz anderen Grunde: Das fragliche Motiv steht hier in signifikanter Nachbarschaft zum Begriff der libelli, der sogar zweimal in verschiedener Bedeutung vorkommt und zwar so, daß das o. g. Motiv von beiden Stellen geradezu gerahmt wird. An der ersten Stelle (Hor. sat. 1,4,66) sind mit den libelli offensichtlich die Notizbücher oder Anklageschriften des Sulgius und Caprius gemeint, an der zweiten Stelle (Hor. sat. 1,4,71) bezieht sich der Terminus dann auf die Satirendichtung des Horaz. Durch den Kontext wird deutlich, daß der Begriff an der zweiten Stelle nicht ausschließlich in formaler Hinsicht Gedichte oder (kleinere) Gedichtsammlungen bezeichnet. Die libelli des Horaz werden vielmehr durch ihre Erwähnung in derart enger räumli-

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cher Nachbarschaft zu den zuvor genannten libelli des Sulgius und Caprius auch inhaltlich mit diesen assoziiert. 25 Horaz wendet sich somit gegen den möglichen Vorwurf, seine Satirendichtung könne auf dem Weg über den Buchhandel zu einer Art frei zugänglicher ›Anklageschrift‹ für die Verfehlungen einzelner Personen werden. In Anbetracht der Vielzahl unterschiedlich starker motivischer Bezüge zwischen Horaz’ Satire 1,4 und dem ersten Teil der Vorrede zum ersten Buch der Epigrammaton libri Martials wirft die zuletzt gemachte Feststellung ein neues Licht auf dessen Verwendung des Begriffes libelli. Im Gegensatz zu der im Abschnitt 2.4 dargestellten Kontroverse zu möglichen Deutungen des Plurals libelli erscheint es nun denkbar und sogar naheliegend, daß der Begriff auch an dieser Stelle weniger auf eine bestimmte Größe oder Anzahl von Gedichtsammlungen zu beziehen, sondern statt dessen als erster Hinweis auf einen satirischen ›Anklage‹-Charakter zumindest einiger der enthaltenen Gedichte zu lesen ist. Martial bedient sich dieses Ausdrucks, da er sich bewußt ist, daß die kritische Darstellung menschlicher Verfehlungen auch in manchen seiner Gedichte als Anklage aufgefaßt werden könnte, und betont im Hinblick auf ebendiese, daß er stets nur das Allgemeine, keinesfalls das Individuelle thematisiert. 26 Obgleich der intertextuelle Bezug zwischen dem ersten Teil der praefatio zu Martials erstem Buch und Horaz’ Satire 1,4 einerseits dazu dient, die epistula mit ihrem ernsthaften Anliegen zu literarisieren und damit über den Status eines lediglich funktionalen Textes emporzuheben, ist er weit mehr als ein künstlerischer Selbstzweck. Martial hebt damit auf subtile Weise noch vor Beginn seines Werkes in der Kommunikation mit dem Rezipienten das satirische Element seiner Epigrammdichtung hervor, und die vordergründige Verteidigung vermittelt zugleich eine wichtige programmatische Aussage. 27 Zu Beginn des zweiten Abschnittes wird ein thematischer Neueinsatz auch durch die betonte Anfangsstellung des Stichwortes lasciva verborum veritas (Mart. 1, praef. 9) deutlich. Martial bezeichnet damit die ungeschminkt freizügige, z. T. obszöne Ausdrucksweise seiner Dichtung, zu der er in diesem Teil der ersten praefatio Stellung nimmt. Obwohl er scheinbar 25 Vgl. Kiessling–Heinze (81961), 68 u. 79: »meine ›libelli‹ im Gegensatz zu den libelli (66) der Ankläger«; Brown (1993), 133; Fedeli (1994), 400. 26 Auch Citroni (1975), 7, verweist im Zusammenhang mit der Diskussion des libellusBegriffes in der vorliegenden praefatio auf die Deutung von Flach (1881), 1: »Certe de carminibus intellegendum«, die eventuell nicht so schnell verworfen werden solle, wie es oft geschieht. Er führt außerdem eine Reihe von Stellen an, an denen sich bei Martial libelli offenbar als bloßes Synonym zu Begriffen wie carmina, epigrammata o. ä. findet, d. h. ohne daß ein zwingender Bezug auf ein Gedichtbuch vorliegt. 27 Vgl. Adams (1975), 17–18: »The poet also hints that the tradition of epigram expected a certain portion of the epigrams to be salacious.«

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der Ansicht ist, daß man sich für eine solche Sprache eigentlich entschuldigen müsse, kündigt er an, auf eine Entschuldigung zu verzichten, und zwar deshalb, weil diese Sprache ein Charakteristikum der gewählten Gattung sei, eben die epigrammaton lingua (Mart. 1, praef. 9–10). Als Beleg führt er mit Catull, Marsus, Pedo und Gaetulicus eine Reihe von früheren Dichtern an, die alle auch mit ihren Epigrammen Erfolg hatten (Mart. 1, praef. 10– 12) und in deren Tradition er sich damit stellt. 28 Von besonderem Interesse ist schließlich das Schlußglied dieser Reihung (quicumque perlegitur; Mart. 1, praef. 11–12), mit dem Martial unversehens noch einen weiteren Aspekt in die Vorgängerthematik einführt. Es geht ihm offensichtlich nicht nur um den Anschluß an berühmte Dichter, sondern generell um einen bestimmten, hohen Grad der Popularität, den er wiederum ganz selbstverständlich auch für seine eigene Dichtung in Anspruch nimmt. 29 In einer Art logischer Fortsetzung der schon im ersten Teil der epistula betonten simplicitas setzt Martial auch in diesem zweiten Teil seine Dichtung in einen engen Bezug zur Realität, wenn er die offene Sprache der Epigramme als lasciva verborum veritas und etwas später als latine loqui (Mart. 1, praef. 13) bezeichnet. Er macht damit unbezweifelbar deutlich, daß in seiner Dichtung die Dinge unbeschönigt beim Namen genannt wer28 Zu diesem Zweck wird jedoch bei sämtlichen genannten Dichtern ein nicht unerheblicher Teil des jeweiligen Werkes einfach ausgeblendet, denn tatsächlich waren diese keineswegs so ausschließlich oder auch nur vorrangig für ihre Epigrammdichtung bekannt, wie die Art ihrer Erwähnung an dieser Stelle suggeriert. Zwar wird ein Teil von Catulls Werk heute durchaus als Epigramme bezeichnet, er selbst gebraucht diese Bezeichnung jedoch nicht. Zudem beinhaltet der liber Catulli auch eine Vielzahl sorgfältig durchkomponierter Gedichte in alexandrinischer Tradition, eine Art von Dichtung, die Martial an verschiedenen anderen Stellen dezidiert ablehnt; zu diesem Aspekt vgl. insbes. Abschnitt 3.2.1.6. Mit Martials Verhältnis zu Catull befaßt sich insbesondere Swann (1994); vgl. auch Mendell (1922); Offermann (1980). – Von den Epigrammen des Domitius Marsus, eines älteren Zeitgenossen Ovids, sind nur einige wenige erhalten. Daneben ist Marsus Verfasser mehrerer Bücher Fabellae, eines Epos und einer Prosaschrift De urbanitate. Auch von diesen Schriften sind, wenn überhaupt, nur wenige Fragmente überliefert (Fogazza (1981), 15–38; v. Albrecht (21997), 650–651; vgl. auch P. L. Schmidt, Art. »Domitius [III 2]«, DNP 3,760–761). Albinovanus Pedo, ebenfalls Zeitgenosse Ovids, war in erster Linie Epiker (Sen. suas. 1,15; Ov. Pont. 4,10,71; Quint. inst. 10,1,90); seine Epigrammdichtung wird nur bei Martial erwähnt. Über die Dichtung des Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus, Konsul des Jahres 26 n. Chr., ist nur wenig bekannt. Außer an der vorliegenden Stelle wird er bei Plin. epist 5,3,5 erwähnt (zu beiden Dichtern s. Howell (1980), 99–100; Citroni (1975), 10; P. v. Rohden, Art. »Albinovanus 5«, RE 1,1,1314; v. Albrecht (1994), 652; A. Stein/O. Skutsch, Art. »Cornelius 220«; RE 4,1,1385–1386). – Dams (1970), 177, vermißt in dieser Reihung Ovid, doch es ist nur konsequent, daß Martial ihn nicht erwähnt, da er hier nicht Vorgänger bei der Behandlung erotischer Stoffe, sondern Vorgänger explizit in der Gattung Epigramm aufzählt; vgl. Swann (1994), 42; Citroni (1968), 267. 29 Kröner (1987), 475, differenziert zwei weitere Funktionen des quicumque perlegitur. Er nennt erstens die pauschale Erwähnung aller übrigen, nicht namentlich genannten Epigrammdichter sowie zweitens die damit verbundene Wertung Martials, daß keiner von diesen einer eigenen Erwähnung würdig sei. Fearnley (1998), 29, sieht in diesem Ausdruck hingegen »Martial’s insistence that the reader must read thoroughly and at more than one level«.

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den, auch dann, wenn es sich um Obszönes handelt. Martial bedient sich im wahrsten Sinne des Wortes der Sprache der nackten Realität, und er ist davon überzeugt, daß diese epigrammaton lingua dem Publikum, für das seine Dichtung gedacht ist, im allgemeinen keine Schwierigkeiten bereitet. Menschen, die sich dennoch durch diese Art der Sprache in ihrem moralischen Empfinden gestört fühlen, schließt er dagegen nachdrücklich aus dem von ihm anvisierten Rezipientenkreis aus: Sie sollen sich mit der praefatio oder im Grunde schon vorher mit dem Titel zufrieden geben und von weiterer Lektüre absehen (Mart. 1, praef. 12–14). Der Verweis auf den titulus ist an dieser Stelle nicht als Indiz für die Echtheit der Anrede zu Beginn der epistula aufzufassen. 30 Martial verwendet dieses Wort innerhalb der Epigrammaton libri noch an anderer Stelle zur Bezeichnung des Buchtitels, und aus Epigramm 2,93 geht eindeutig hervor, daß er dabei an Buchtitel in der Form »M. Valerii Martialis Epigrammaton liber II« oder ähnlich denkt. 31 Des weiteren fällt in diesem Zusammenhang auf, daß der Hinweis auf die Signalfunktion des Titels mit vel potius (»oder eher mit dem Titel«) geradezu beiläufig angeschlossen wird. Im Gegensatz zu einem Anschluß etwa mit einem steigernden quin etiam (»ja sogar schon mit dem Titel«) entsteht so der Eindruck einer spontanen, beinahe flüchtigen Korrektur des Gedankens beim Schreiben der epistula. Martial erweckt damit den Anschein, daß die Bezeichnung seiner Gedichte als epigrammata bereits so eindeutig sei, daß dem eigentlich nichts mehr hinzugefügt werden müsse. Die Rezipienten, die Martial mit seinen Gedichten ansprechen will, werden in der vorliegenden praefatio explizit bestimmt als diejenigen, die sich auch das Fest der Floralia anschauen (Mart. 1, praef. 14–15). Entscheidend ist nun die Frage, wie diese Angabe aufzufassen ist. Bei den genannten Florales handelt es sich um das jährlich von Ende April bis Anfang Mai in Rom stattfindende Fest zu Ehren der Göttin Flora. Wesentlicher Bestandteil dieses ausgelassenen Festes waren neben Zirkusspielen die lasziven Theaterdarbietungen des Mimus, die üblicherweise auch den Striptease der Darstellerinnen einschlossen. 32 Best vermutet, daß diese Theateraufführungen 30 So suggeriert von Howell (1980), 95; Immisch (1911), 484–485, geht aufgrund der uneinheitlich überlieferten Reihenfolge der Epigramme zu Beginn des ersten Buches davon aus, daß mit titulus eine ganze Titelseite der von ihm postulierten Codexausgabe bezeichnet sei. Sie habe ein Bildnis Martials sowie die Epigramme 1,1 und 1,2 umfaßt, und erst auf ihrer Rückseite habe sich die Prosavorrede befunden. Immischs Argument, daß auch die Formulierung in nulla pagina für diese Anordnung spreche, bleibt unverständlich. 31 Auch in 12,2 ist titulus eindeutig auf einen Buchtitel in gängiger Form bezogen, in 13,3, also außerhalb der Epigrammaton libri, werden damit die Überschriften von Einzelgedichten bezeichnet; an den übrigen Stellen ist titulus in der Bedeutung »Grabinschrift« verwendet (Mart. 1,93; 10,71); vgl. auch Citroni (1975), 13. 32 Zum Fest der Floralia s. D. Baudy: Art. »Floralia«, DNP 4,562–563; G. Wissowa: Art. »Floralia«, in: RE VI 2,2749–2752; Wissowa (1912), 197–198. – Zum Mimus, einer teilweise

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vor allem von den »lower orders« besucht worden seien. 33 Dafür scheint auch Ovids Darstellung in den Fasti zu sprechen: scaena levis decet hanc: non est, mihi credite, non est illa cothurnatas inter habenda deas. turba quidem cur hos celebret meretricia ludos non ex difficili causa petita subest. non est de tetricis, non est de magna professis: volt sua plebeio sacra patere choro (Ov. fast. 5,347–352). Für sie ziemt sich die leichte Bühne; keinesfalls, glaubt mir, ist sie zu den kothurntragenden Göttinnen zu zählen. Der Grund dafür, weshalb die Schar der leichten Mädchen diese Spiele feiert, ist nicht schwer zu erraten. Sie gehört nicht zu den Ernsthaften, nicht zu den Wohlangesehenen: Sie will, daß ihre Feier dem Reigen des niederen Volkes offensteht.

Im Gegensatz dazu wird jedoch auch die Ansicht vertreten, die Floralia seien eine »urrömische Sache« gewesen, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Prinzip alle Menschen angesprochen habe. 34 Als prägnantes Beispiel für eine solche Ausnahme nennt Martial Cato Uticensis, der im Jahre 55 v. Chr. an den Floralia die freizügigen ludi scaenici besucht, aber vorzeitig wieder verlassen haben soll.35 Die Assoziation der Epigrammdichtung mit den Theateraufführungen der Floralia geht jedoch über eine bloße Bestimmung des Rezipientenkreises hinaus. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß Martial in der Anspielung auf Cato seine Dichtung explizit mit dem Theater gleichsetzt (Mart. 1, praef. 15–16), und wird insbesondere mit dem Epigramm extra ordinem paginarum sinnfällig illustriert, in dem Martial die Anekdote noch einmal in Versform thematisiert: Cato hätte wissen müssen, was ihn bei den Floralia erwartet. Sein Kommen könne demnach nur durch die Absicht motiviert literarischen dramatischen Gattung, zu deren Kennzeichen neben der Behandlung alltäglicher Themen vor allem die große Freizügigkeit der Darstellung gehörte, s. z. B. v. Albrecht (21997), 83 (mit weiterer Lit.); Fantham (1988/89), insbes. 153–157; Rieks (1978), insbes. 348–351 u. 361– 368; Bonaria (1965). 33 Best (1968), 209. 34 Walter (1996), 57; vgl. auch Sullivan (1991), 66. 35 Diese Anekdote wird berichtet bei Valerius Maximus 2,10,8, allerdings mit deutlich anderer Akzentuierung als bei Martial: In Valerius’ Darstellung hinderte die Anwesenheit Catos die übrigen Zuschauer daran, wie üblich den Striptease der Schauspielerinnen zu verlangen. Von seinem Nachbarn auf diesen Umstand aufmerksam gemacht habe Cato das Theater verlassen, um der Tradition nicht im Wege zu stehen. Das Publikum, das von dieser Größe beeindruckt gewesen sei, habe Catos Abgang mit Applaus quittiert. – Obgleich der Kontext dieser Stelle keinen Zweifel daran zuläßt, daß es sich bei dem hier erwähnten Cato um Cato Uticensis handelt, wird er verschiedentlich auch als dessen Vorfahre Cato Censorius identifiziert: Rieks (1978), 350; Fearnley (1998), 37–39, die deshalb erwägt, daß Martial hier konkret auf Domitian anspielt, der seit 85 n. Chr. censor perpetuus war; Geyssen (1999), 734. Zum Problem der Identifikation der an anderer Stelle bei Martial erwähnten Catones s. außerdem u. S. 144 Anm. 209.

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gewesen sein, die Veranstaltung demonstrativ zu verlassen. Deutlich hervorgehoben wird eine enge Verwandtschaft zwischen Theater und Epigrammdichtung hier vor allem durch die Wiederkehr des Begriffes iocus, den Martial im ersten Teil der epistula für seine Dichtung verwendet hatte, in der Attribuierung Floras als iocosa (Mart. 1, praef. 18) sowie in dem Anklang der festosque lusus (Mart. 1, praef. 19) an das ebenfalls im ersten Teil erwähnte ludere der Epigrammdichtung. Mit diesem Vergleich weist Martial darauf hin, daß seine Dichtung bei aller Lebensnähe ihrer Gestaltung immer als eine Darbietung aufzufassen ist, also außerhalb der römischen Realität steht. 36 Interessant ist die zweifache Thematisierung der Cato-Anekdote jedoch noch aus einem weiteren Grunde. Die Formulierung meo iure (Mart. 1, praef. 16), mit der Martial das epigramma extra ordinem paginarum ankündigt, markiert einen entschiedenen Wendepunkt innerhalb der praefatio: Hier wechselt der Epigrammdichter, der seine Äußerungen normalerweise im Medium der Dichtung gestaltet, aus dem metapoetischen Diskurs in den ›eigentlichen‹ poetischen Diskurs. 37 Obgleich auch die Verse selbst noch klar als Bestandteil der epistula gekennzeichnet sind, wird mit einer derart starken Markierung des bewußt vollzogenen Übergangs alles zuvor Geäußerte deutlich in den Bereich außerhalb des poetischen Werkes gestellt und somit der Sache nach als Paratext charakterisiert. Erstmals bei Beck findet sich die wichtige Beobachtung, daß der im epigramma extra ordinem paginarum gegen Cato Uticensis gerichtete Spott in gewisser Weise der eingangs gegebenen Zusicherung des Dichters zuwiderläuft, sich aller Angriffe auf reale Personen zu enthalten. Die weitreichenden und nicht immer leicht nachvollziehbaren Schlußfolgerungen, die Beck daraus zieht, müssen jedoch mit einiger Vorsicht betrachtet werden. 38 36 Vgl. Holzberg (2002a), 37; Boyle (1995), 99. 37 Der damit verbundene Wechsel von der »extrafictional voice« Martials hin zu einer Dichter-persona ist gleichwohl nicht absolut, da letztere durch die Formulierung meo iure bis zu einem gewissen Grade mit ersterer verbunden bleibt; vgl. Fearnley (1988), 41. 38 Nach der Ansicht von Beck (2002) dient das epigramma extra ordinem paginarum keineswegs einer bloß zusätzlichen Illustration der im zweiten Teil des Prosatextes eingeführten CatoAnekdote, zumal diese nach so langer Zeit kaum noch sonderlich originell gewirkt haben könne (181). Er schreibt dem Epigramm vielmehr eine wichtige programmatische Funktion zu: Durch den scharfen Angriff auf eine reale Person distanziere sich Martial geradezu von der eingangs gemachten Aussage und unterlege dem Prosatext eine zweite programmatische Ebene, auf der der Leser im Gegenteil dazu eingeladen werde, in alieno libro ingeniosus zu sein (198). Entscheidende Bedeutung wird darüber hinaus der Identität des Verspotteten beigemessen. Da Cato Uticensis eine wichtige Leitfigur der republikanischen Opposition gegen den Kaiser darstellte, werde hier zugleich eine »programmatische Distanzierung von der stoisch geprägten Opposition« sowie eine indirekte Loyalitätsbekundung gegenüber dem Kaiser zum Ausdruck gebracht (185). Diese Deutung der epistula als politische Aussage ist indessen wenig überzeugend, nicht zuletzt wegen der offenbar gesuchten Widersprüchlichkeit von Becks weiterer Argumentation. Nachdem er sich

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Tatsächlich bewirkt das epigramma extra ordinem paginarum keineswegs eine völlige Relativierung oder gar Aufhebung der ersten programmatischen Aussage 39 , sondern lediglich deren Modifikation, die wiederum interessante Parallelen zur Satirendichtung aufweist. Dadurch, daß der Name Catos im zweiten Teil des Prosatextes zunächst nicht für das Individuum, sondern als Chiffre für den Typus des gestrengen Moralisten eingeführt wird, wird das Spektrum der mit seiner Person potentiell verknüpften Konnotationen von vornherein auf diesen einen Aspekt reduziert, der auch in der folgenden konkreten Bezugnahme auf den realen Cato bestimmend bleibt. Die Ungezwungenheit, mit der der Name zunächst zur Bezeichnung eines bestimmten Typus und danach auch in historischem Kontext gebraucht wird, sowie die in der Verbindung der beiden Glieder verwendete Formulierung videor mihi meo iure facturus (Mart. 1, praef. 16–17) erwecken den Anschein, daß die Art der Darstellung, die Cato in dieser praefatio erfährt, in den Augen des Dichters völlig legitim ist. Mit dieser Gedankenführung wird jedoch nicht einfach nur ein Mißverhältnis zwischen der eingangs gegebenen Versicherung und dem Inhalt des epigramma extra ordinem paginarum verschleiert. Wenn der Leser die hier entfaltete Art von Spott auf diese Weise als akzeptabel wahrnimmt, erfolgt damit zugleich eine indirekte Präzisierung der früheren Aussage: Trotz seiner anfänglich umfassenden Absicherung wird Martial nicht völlig auf das Verspotten realer Personen verzichten, doch geht es ihm dabei nicht so sehr um bestimmte Individuen wie um extreme oder typische Verhaltensweisen. Cato wird hier nicht als komplexes Individuum, sondern als konkretes Extrembeispiel für eine einzelne Verhaltensweise verspottet. Daneben ist auch die Tatsache, daß Cato zum fraglichen Zeitpunkt bereits mehr als 100 Jahre tot war, nicht ganz so einfach von der Hand zu weisen, wie Beck das tut. 40 Nimmt man diese beiden Punkte zusammen, so sind die Grenzen für personenbezogenen Spott hier zwar in der Tat weiter gesteckt als in der vorhergehenden Erkläzunächst scheinbar skeptisch über frühere Interpretationen verschiedener Epigramme als unterschwellige Kaiserkritik geäußert hat, geht er seinerseits zu einer solchen Interpretation über. Ausgehend von seiner Feststellung, daß mehrfach panegyrische Äußerungen durch nachfolgende Gedichte wieder relativiert werden, schließt er auf eine »Technik der relativierenden Kontrastierung« (197), die bereits durch das Spiel mit den beiden Gattungen Prosaepistel und Epigramm in der praefatio des ersten Buches zum programmatischen Prinzip erhoben werde. Abschließend wird auch die praefatio des achten Buches als »Ausdruck eines subtilen Spiels des Dichters, indirekt, versteckt die Huldigung an seinen princeps Domitian relativierend selber einzuschränken« (200), verstanden. Abgesehen von der streckenweise verwirrenden Art der Argumentation ist es m. E. nicht unproblematisch, den poetologischen Text der ersten praefatio Martials zugunsten eines angenommenen politischen Subtextes so vollständig als irrelevant abzutun, wie Beck das tut. 39 So Beck (2002), 197–198. 40 Beck (2002), 197.

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rung, dennoch bewegt sich Martial auch jetzt noch im Bereich der Einschränkungen, die auch bei anderen (Satiren-)Dichtern wie vor ihm Horaz und nach ihm Juvenal geläufig sind. Wenn das epigramma extra ordinem paginarum somit als nachträgliche Modifikation in auffälliger Weise auf den Anfang der praefatio zurückbezogen ist, fungiert die Assoziation der Epigrammdichtung mit der Satire nicht zuletzt auch als rahmende ›Verklammerung‹ der einzelnen Teile der vorliegenden praefatio. In der epistula zu Buch 1 macht Martial dem Rezipienten bereits unmißverständlich deutlich, mit welcher Art von Dichtung er es hier im wesentlichen zu tun haben wird. Er bezeichnet seine Gedichte dreimal ausdrücklich als epigrammata (Mart. 1, praef. 7. 9. 14) und erweckt damit in zunehmendem Maße den Anschein, daß allein mit dieser Bezeichnung bereits eine eindeutige Charakterisierung seines Werkes erfolge. Überdies verweist er auf einschlägig bekannte Vorläufer und verstärkt damit den Eindruck des Anschlusses an eine etablierte Gattungstradition. Martials Anschluß insbesondere an Catull wird weiterhin dadurch unterstrichen, daß er im ersten Teil dieser praefatio zwei Termini in bezug auf seine Dichtung verwendet, die in der poetischen Kleinform mit ostentativ geringem Anspruch und insbesondere auch bei Catull eine zentrale Rolle spielen, nämlich die Begriffe ludere (Mart. 1, praef. 3) und iocus (Mart. 1, praef. 6). 41 Damit hebt er zugleich das leichte, spielerische Wesen seiner Dichtung hervor, zu dem deren Gegner durch die Attribuierung mit den Adjektiven tristis (Mart. 1, praef. 12) und severus (Mart. 1, praef. 20) in einen scharfen Gegensatz gestellt werden. 42 Im Vergleich mit der erhaltenen lateinischen und auch griechischen Epigrammdichtung aus der Zeit vor Martial zeigt sich jedoch, daß es eine stark reduzierte Gattungstradition ist, die Martial dem Rezipienten an dieser Stelle vor Augen führt. Obwohl die Epigrammdichtung weit verbreitet war, eine lange Tradition hatte und eine große thematische Bandbreite aufwies 43 , knüpft Martial nur in einem einzigen Punkt an eine Tradition der Epigrammdichtung an: Sie liefert ihm eine unkomplizierte prophylaktische Rechtfertigung für die drastische Offenheit einiger seiner Gedichte. In ähnlicher Weise unterstützt auch Plinius die Verteidigung seiner Dichtung von 41 Die Verwendung verschiedener bei Catull wesentlicher Begriffe im gesamten Werk Martials untersucht Swann (1994), 47–64. Er stellt fest, daß diese zwar nicht immer völlig übereinstimmend, aber doch überwiegend in sehr ähnlicher Weise verwendet werden, namentlich »whenever Martial uses lusus and ioci together he is, in effect, equating his works with the sort of nugae which Catullus, his most important model, had written.« (59). 42 Vgl. Adams (1975), 20. – Auch bei Catull 5,2 werden Kritiker der freizügigen Liebesgedichte als severi attribuiert. 43 Zur Geschichte der Epigrammdichtung bis zu Martial s. z.B. Kay (1985), 9–13 (nur lat. Bereich berücksichtigt); Holzberg, (1988), 14–23; Sullivan (1991), 78–114; Holzberg (2002a), 19–32 (m. weiterer Lit.).

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versiculi mit dem Verweis auf diverse bedeutende Persönlichkeiten der römischen Geschichte, die ebenfalls nebenbei solche kleinen Gedichte verfaßten (Plin. epist. 5,3,5–6). Ein anderes berühmtes und sehr umfangreiches Beispiel für diese Art der Verteidigung ist der Versuch Ovids, aus dem Exil seine Liebesdichtung zu rechtfertigen, indem er eine lange Reihe anderer Dichter anführt, die ebenfalls Liebesthemen behandelt hatten (Ov. trist. 2,361-466). Diese Rechtfertigung ist mit der bei Martial jedoch nur bedingt vergleichbar. Zwar stimmen beide Dichter in der grundsätzlichen Argumentation überein, nichts anderes zu tun bzw. getan zu haben als andere Dichter auch, abgesehen davon bestehen aber einige entscheidende Differenzen. Zunächst ist festzuhalten, daß anders als bei Martial die Rechtfertigung Ovids erst erfolgt, nachdem er bereits in Ungnade gefallen ist. Des weiteren besteht ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der angeführten Vorläufer. Ovid umgreift zum Nachweis der Allgegenwärtigkeit erotischer Stoffe in der Dichtung beinahe die gesamte ältere Dichtung in den unterschiedlichsten Gattungen und verschiebt in seiner Darstellung den thematischen Schwerpunkt der erwähnten Werke teilweise extrem zugunsten seiner Argumentation. 44 Im Gegensatz dazu beschränkt sich Martial auf die Nennung einiger weniger Dichter, bei denen eine generische Verwandtschaft zwischen ihrem Werk und dem Martials leicht zu ersehen ist. Trotz seines in diesem Punkt ausdrücklichen Anschlusses an die ältere Epigrammdichtung grenzt sich Martial in anderer Hinsicht auch entschieden davon ab und bestimmt gleichzeitig seine dichterische Position auch in Relation zu anderen literarischen Gattungen. Dies gilt zunächst für das gezielte Verspotten bestimmter, vor allem prominenter Personen, wie es z. B. in Catulls Gedichten des öfteren zu finden ist. Wenn Martial erklärt, auf jeglichen personenbezogenen Spott verzichten zu wollen, macht er damit einen deutlichen Unterschied zwischen seiner Dichtung und der Catulls. 45 Diese Distanzierung von einem Charakteristikum früherer Epigrammdichtung, das möglicherweise vom Publikum sogar erwartet wurde, ist sicherlich in erster Linie ein Zugeständnis an die veränderte politische Situation in Rom. Martials besondere Betonung der Harmlosigkeit seiner Dichtung an derart exponierter Stelle kann als ein Versuch gewertet wer44 Ein markantes Beispiel ist etwa die Odyssee, die mit den Worten von Luck (1977), 2,134, »etwas gewaltsam auf ein reines Liebesmotiv reduziert« wird (Ov. trist. 2,375–376); vgl. außerdem die Erwähnung des Lukrez, die mehr der Vollständigkeit halber als wegen einer erotischen Thematik seines Werkes zu erfolgen scheint (Ov. trist. 2,425–426). 45 Z. B. gegen Caesar (Catull. 29. 57. 93), gegen dessen Günstling Mamurra (Catull. 94. 105. 114) und andere; zu den Invektiven Catulls s. Schmidt (1985), 62–70; Koster (1980), 282–293; vgl. dazu auch Mendell (1922), 19–20. Wie sehr das Element des Spottes als charakteristisch für Catulls Dichtung wahrgenommen wurde, zeigt nicht zuletzt der Umstand, daß Quintilian ihn zu den Iambendichtern rechnet: Iambus non sane a Romanis celebratus est ut proprium opus [...]: cuius acerbitas in Catullo [...] reperiatur. (Quint. inst. 10,1,96).

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den, sich von vornherein einen »literarischen Freiraum« 46 für seine Dichtung sicherzustellen. Durch seine Stellungnahme zum Umgang mit personenbezogenem Spott bringt Martial seine Dichtung außerdem mit der Gattung der Satire in Verbindung. In starkem Gegensatz zu seiner expliziten Bezugnahme auf die Epigrammdichtung geschieht dies im ersten Teil der vorliegenden epistula auf weitaus subtilere Weise, nämlich über eine Reihe intertextueller Bezüge. Mit der betonten Anonymisierung des Spottes verleiht Martial seinen Epigrammen zugleich aber auch eine neue Qualität: Sie werden auf diese Weise für ein breiteres Publikum verständlich, insbesondere bei der Nachwelt 47 , zu einem gewissen Grade aber wohl auch schon bei den direkten Zeitgenossen, da der Leser durch die Verallgemeinerung der dargestellten Personen darin leichter jemanden ihm bekannten erkennt, auf den die Pointe zutrifft. Neben der generellen Positionsbestimmung im Hinblick auf Epigramm und Satire ist im Zusammenhang mit der ersten praefatio Martials noch eine weitere mögliche Bezugnahme zu nennen. An einer vieldiskutierten Stelle in Petrons Satyrica ist ebenfalls von der simplicitas eines literarischen Textes die Rede: quid me constricta spectatis fronte Catones damnatisque novae simplicitatis opus? sermonis puri non tristis gratia ridet, quodque facit populus, candida lingua refert.

(Petron. 132,15)

Was schaut ihr mich an mit gerunzelter Stirn, Männer wie Cato, und verteufelt das Werk von neuer simplicitas? Es lacht der makellosen Rede fröhlicher Reiz und die lautere Zunge berichtet, was das Volk treibt.

Abgesehen von der Verwendung des Begriffes simplicitas werden dort wie auch bei Martial die Gegner mit Menschen von der Art eines Cato gleichgesetzt, auf die darüber hinaus, bei Martial direkt (Mart. 1, praef. 12), bei Petron indirekt, das Adjektiv tristis bezogen wird. 48 Die Deutung der Stelle bei Petron ist umstritten, namentlich die Frage, ob hier, wie oft vermutet wurde, eine programmatische Stellungnahme des Autors selbst zu lesen ist, oder ob es sich um eine in den unmittelbaren Kontext eingebundene Äuße-

46 Walter (1996), 55; vgl. Holzberg (1988), 87. 47 Howell (1980), 96; vgl. auch Citroni (1968), 266. 48 Ein weiterer Begriff, der beim Vergleich der beiden Stellen ins Auge fällt, ist das Adjektiv novus, das bei Martial allerdings nicht unmittelbar auf die simplicitas, sondern kurz zuvor im Superlativ auf ingenium bezogen wird. Der Kontext legt zwar eine adverbiale Auffassung des novissimum nahe (s. o. S. 62), dennoch verweist die Koinzidenz einmal mehr auf die Ambivalenz der Formulierung.

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rung des Erzählers Encolpius handelt. 49 Eine eindeutige Klärung dieser Frage ist jedoch für das Verständnis einer Bezugnahme Martials auf die genannte Stelle letztlich auch nicht entscheidend. Wesentlich ist vielmehr, daß durch den erkennbaren Anklang an eine offenbar auch im noch vollständigen Werk Petrons markante Stelle die Satyrica in das Bewußtsein des aufmerksamen Lesers gerückt werden und der ebenfalls von Realitätsnähe und drastischer Offenheit geprägte Charakter dieses Werkes so zur Konstitution eines Hintergrundes für die Epigrammaton libri Martials beiträgt. 50 Es zeigt sich mithin, daß Martials gleich zu Beginn gemachte Aussage, er dichte Epigramme, dem Leser keineswegs eindeutig zu verstehen gibt, was ihn in diesem und den folgenden Büchern erwartet. Tatsächlich ist dieser Verweis auf das Epigramm als einer dem Leser bekannten Gedichtform nur eine Einordnung in einen großen, äußeren Rahmen. Darüber hinaus erfolgt innerhalb dieser ersten praefatio eine relativ detaillierte, vor allem aber auffallend komplexe Charakteristik der eigenen Dichtung, zum einen durch Angaben zu deren Inhalt und Sprache, zum anderen, indem ihre Position in bezug auf einzelne andere literarische Größen, d. h. Gattungen und Werke, bestimmt wird. Diese verschiedenen Relationen werden sehr unterschiedlich gestaltet, und es ist auffällig, wie jeweils nur ausgewählte Charakteristika ins Bild gerückt werden, ohne daß eine vollständige Assoziation mit einer der Bezugsgrößen erfolgt. Martial macht einem aufmerksamen Leser deutlich, daß er klare Vorstellungen vom Wesen seiner Dich-

49 Für eine Auffassung als programmatische Äußerung Petrons Borzsák (1947), 19–20; Sullivan (1968), 98 et passim; Dams (1970), 67–69; dagegen für die Zuschreibung der Äußerung an Encolpius Zeitlin (1971), 676; Beck (1973), 51–54. Angesichts der Argumente für jede der beiden Möglichkeiten zeigt sich Courtney (1991), 13, unentschieden in bezug auf eine Zuschreibung der Äußerung; nach Auffassung von Richlin (21992), 5, ist die apologia ambivalent, überwiegend jedoch auf das Werk Petrons zu beziehen; Conte (1996) sieht hinter dem Sprecher Encolpius zwar »the ironic presence of the hidden author« (190), gleichwohl ist es für ihn der »discredited narrator« Encolpius, der sich an der fraglichen Stelle an einen Leser wendet, der in der dargestellten Form nur in seiner Vorstellung existiert (194); zuletzt vertritt Courtney (2001), 199–201, die Ansicht, man könne bei aller Vorsicht »hear the voice of the author behind the beginning of this poem«. 50 Vgl. Borzsák (1947), 20–21; Dams (1970), 177; Richlin (21992), 5–7. Der eingehendere Vergleich der beiden Stellen zeigt indessen, daß diese Assoziation der Epigrammdichtung mit den Satyrica nicht allzu hoch bewertet werden sollte. Anders als bei Petron stehen die drei auffälligen Stichworte in Martials erster praefatio nicht in unmittelbarem Zusammenhang, sondern sind auf die zwei Teile der epistula verteilt. Strukturell bewirkt die Allusion damit eine Verklammerung der beiden thematisch verschiedenen Teile, andererseits ist der Begriff der simplicitas bei Martial infolge seiner Einbindung in den ersten Teil deutlich anders konnotiert als bei Petron. Während bei letzterem hervorgehoben wird, daß Dinge des alltäglichen Lebens in ungewohnt realistischer Form thematisiert werden, kommt dieser Aspekt bei Martial erst auf einer zweiten Ebene hinter der Betonung der Harmlosigkeit seines Werkes zum Tragen (vgl. Dams (1970), 177). Das Moment der Obszönität fehlt dabei zunächst sogar völlig, da es erst im zweiten Teil der praefatio thematisiert wird.

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tung hat und sich vor allem bewußt ist, damit keinem bereits existenten Schema zu entsprechen. Abgesehen von den programmatischen Aussagen über die nachfolgende Dichtung dient die Prosavorrede zu Buch 1 in der Hauptsache der Rezeptionssteuerung. Martial versucht sicherzustellen, daß der Leser die folgenden Epigramme in einer für ihn günstigen Weise auffaßt und eventuelle Mißverständnisse nicht ihm zur Last gelegt werden. Dennoch ist die praefatio nicht ausschließlich defensiv. Im Gegenteil, es finden sich deutliche Anzeichen für ein ausgeprägtes künstlerisches Selbstbewußtsein Martials. Er hat offensichtlich keinen Zweifel an seiner künftigen fama und reiht sich selbstverständlich unter populäre Dichter ein. 51 Auch seine Hinweise für den potentiellen Leser werden jeweils zum Ende der beiden Teile der praefatio zu regelrechten Anweisungen, wie die Häufung iussiver Konjunktive deutlich zeigt. 52 Diese Kombination antizipierter Verteidigung gegen mögliche Kritik und suggestiver Erfolgszuversicht deutet darauf hin, daß der Verfasser der Vorrede sich der Reaktion eines breiten Publikums auf seine Epigrammbücher nicht völlig sicher war. 53 Nicht zuletzt deshalb kann die vorliegende praefatio ihren Platz durchaus bereits am Beginn eines ersten allgemein publizierten Buches gehabt haben. Übersetzung der praefatio: Ich hoffe, ich habe mich in meinen z. T. satirischen Gedichten an eine solche Mäßigung gehalten, daß sich wirklich niemand über sie beklagen kann, der ein reines Gewissen hat, da sie ihr Spiel unter Wahrung der Achtung auch vor den Geringsten treiben. Diese Achtung hat den alten Schriftstellern so sehr gefehlt, daß sie ausgiebig Namen benutzt haben, nicht nur wirkliche, sondern auch prominente. Für mich soll der Ruhm weniger kosten, und man soll an mir zuletzt den Geist loben. Ein boshafter Deuter soll der Schlichtheit meiner Scherze fern bleiben und nicht meine Epigramme schreiben. Schändlich handelt, wer am Buch eines anderen geistreich ist. Die zügellose Offenheit der Worte, also die Sprache der Epigramme, würde ich rechtfertigen, wenn es denn bei mir der Präzedenzfall wäre: aber so schreibt Catull, so Marsus, so Pedo, so Gaetulicus, so ein jeder, den man auch liest. Falls aber jemand ein solcher Berufsspießer ist, daß man bei ihm auf keiner Seite Latein sprechen darf, kann er sich mit der epistula oder eher schon mit dem Titel zufrieden geben. Cato soll mein Theater gar nicht erst betreten, oder falls er es doch tut, dann soll er auch zuschauen. Ich denke, ich handele mit vollem Recht, wenn ich diese epistula mit Versen schließe: Da du das liebliche Fest der neckischen Flora kanntest und die festlichen Spiele und die Ausgelassenheit des Volkes, 51 Vgl. Adams (1975), 13; Dams (1970), 178. 52 absit (Mart. 1, praef. 7), scribat (ibid. 8), spectet (ibid. 17); zur ungewöhnlichen Negation non intret (ibid. 16) vgl. K-St 1,192. 53 Vgl. Merli (1993), 239 u. 252.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII warum, gestrenger Cato, bist du ins Theater gekommen? Oder bist du nur gekommen, damit du wieder gehen konntest?

3.1.2 Die praefatio zu Buch 2 der Epigramme VAL. MARTIALIS DECIANO SUO SAL. ›Quid nobis‹ inquis ›cum epistola? parum enim tibi praestamus, si legimus epigrammata? quid hic porro dicturus es quod non possis versibus dicere? Video quare tragoedia atque comoedia epistulam accipiant, quibus pro se loqui 5 non licet: epigrammata curione non egent et contenta sunt sua, id est mala, lingua: in quacumque pagina visum est, epistulam faciunt. Noli ergo, si tibi videtur, rem facere ridiculam et in toga saltantis inducere personam. Denique videris an te delectet contra retiarium ferula. Ego inter 10 illos sedeo qui protinus reclamant.‹ Puto me hercules, Deciane, verum dicis. Quid si scias cum qua et quam longa epistula negotium fueris habiturus? Itaque quod exigis fiat. Debebunt tibi si qui in hunc librum inciderint, quod ad primam paginam non lassi pervenient. 15

Martials Prosavorrede zum zweiten Buch der Epigramme ist zumindest rein äußerlich in Form eines Briefes gehalten. An ihrem Anfang steht eine Anrede an Decianus, einen ebenfalls aus Spanien stammenden Freund und wohl auch patronus Martials 54 , in der für lateinische Briefe gebräuchlichen Grußformel. Aufgrund dieser Adressierung wird die epistula als formale Widmung des ganzen Buches an Decianus aufgefaßt. 55 Gleich darauf aber zeigt sich, daß Martial diese epistula sehr eigenwillig gestaltet: Der Text beginnt mit dem fiktiven Einwand des Adressaten gegen eben die Voranstellung einer praefatio vor ein Epigrammbuch. Einleitend stellt Decianus die Frage, welche Intention Martial mit einer epistula verfolge und ob es ihm etwa nicht genüge, wenn man seine Gedichte liest. 56 Es entsteht der Eindruck, als würde Martial bereits mit der Lektüre seiner Gedichte ein großer Dienst erwiesen. In dieser indirekten 54 Decianus ist fast nur aus den Epigrammen Martials bekannt, zu seiner Person s. Howell (1980), 125; Sullivan (1991), 16–17; W. Eck, Art. »Decianus«, DNP 3,345. 55 White (1974), insbes. 57–58. 56 Mit der Verwendung der Pluralformen nobis ... praestamus ... legimus (Mart. 2, praef. 2–3) präsentiert sich Decianus als Teil einer Gruppe von Lesern, bevor er mit video (Mart. 2, praef. 4) nur noch von sich allein spricht: Williams (2004), 19; die alternative Deutung als pluralis modestiae erscheint gerade aufgrund des Numeruswechsels als wenig plausibel.

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Bewertung durch einen Außenstehenden liegt wiederum ein versteckter Hinweis auf den geringen Anspruch der Epigramme, bei denen die Mühe, sie zu lesen, schon mehr als genug ist. Daneben impliziert die Frage aber auch, daß Bücher mit Prosavorrede höhere Anforderungen an den Leser stellen als solche ohne. Hier wird somit erstmals ein generelles Mißverhältnis zwischen Epigrammdichtung und der Verwendung von praefationes angedeutet. Im folgenden argumentiert Decianus, eine solche epistula sei bei einer Sammlung von Epigrammen unnötig, da bei dieser Gattung alles, was gesagt werden müsse, auch in Form von Gedichten ausgedrückt werden könne (Mart. 2, praef. 6–8). Bei anderen Gattungen wie Tragödie und Komödie sei eine praefatio hingegen durchaus von Nutzen, da diese Gattungen im Gegensatz zum Epigramm nicht für sich selbst sprechen könnten. Mehr noch als der Abgrenzung von den beiden dramatischen Gattungen dient diese scharfe Kontrastierung unter dem Aspekt der Flexibilität von Themenwahl und Ausdrucksmöglichkeit einer Profilierung des Epigramms vor dem Hintergrund eines Extrembeispiels. Entprechend der aristotelischen Differenzierung der poetischen ƫ̄ƫƦƲƨƱ nach ihrer Art und Weise (Aristot. poet. 1448a 19–24) tritt der Dichter im Drama notwendigerweise völlig hinter der Handlung zurück und hat nicht die Möglichkeit, sich innerhalb des Stückes in eigener Sache zu äußern, so daß er dies gegebenenfalls in einer gesonderten praefatio tun muß. Dagegen spricht das Epigramm stets seine eigene Sprache. Wenn diese außerdem als mala lingua charakterisiert wird 57 , verdeutlicht Martial damit zugleich ein weiteres wesentliches Merkmal seiner Dichtung. Im Bereich der Dichtung ist die Bedeutung von malus prinzipiell mehrdeutig. Mit malum carmen kann sowohl ein boshaftes Gedicht bezeichnet werden als auch ein qualitativ minderwertiges. Gleiches gilt für malus poeta. 58 Der an dieser Stelle verwendete Begriff mala lingua dürfte allerdings wohl eindeutig auf das boshaft-spöttische Wesen der Epigrammdichtung zu beziehen sein. Das Epigramm nimmt demnach kein Blatt vor den Mund, d. h. es unterliegt keiner Beschränkung, weder in bezug auf das, was gesagt wird, noch auf die Art, wie es gesagt wird, und ermöglicht so dem Dichter jederzeit, auch eine Stellungnahme zu seiner Dichtung in eine Sammlung 57 In manchen älteren Textausgaben wird die charakterisierende Apposition id est mala (7), wohl als Interpolation, athetiert, so z. B. bei Schneidewin und Friedlaender (1886), 1,237; für eine Athetese auch González de la Calle (1935), 13, der mit dem Prosarhythmus argumentiert: »Es la expresión sua lingua más vibrante, sugestiva y concisa que el giro sua, id est mala, lingua, y en el inciso id est mala, nos parece percibir el eco de alguna glosa marginal, fría y insulsa, que en sucesivos avatares del texto de Marcial ocupase un lugar que en realidad no le coresponsiera en un principio.« 58 Zu den Bedeutungen von malus in bezug auf Dichtung und Dichter s. Ronconi (1968).

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von Epigrammen einzufügen.59 Aus diesem Grunde gibt es nichts, was nur in einer zusätzlichen Prosavorrede gesagt werden könne. Decianus’ zweites Argument gegen die Einfügung einer praefatio besteht darin, daß das Wesen der Epigramme leicht und scherzhaft sei, so daß eine sachliche Erläuterung in Form einer Prosavorrede dazu einen so starken Kontrast bilde, daß sie gleichsam eine res ridicula darstelle. Zur Veranschaulichung dieses Argumentes vergleicht er das Epigramm mit einer saltantis persona, die durch eine ernsthafte praefatio quasi in eine Toga gekleidet werde (Mart. 2, praef. 8–9). Die Verzerrung zum Lächerlichen basiert also auf einer Aufhebung des in der praefatio zu Buch 1 als unvereinbar dargestellten Gegensatzes zwischen der Epigrammdichtung und den hier durch die Toga symbolisierten römischen severi. Schließlich führt Decianus unter Verwendung eines Bildes aus dem Bereich der ludi circenses noch die relative Wirkungslosigkeit der Prosavorrede als ›Waffe‹ gegen eventuelle Angriffe von seiten der Kritiker an (Mart. 2, praef. 9–10).60 Er selbst werde etwaige Kritik jedenfalls sofort äußern. Mit diesen zum Zwecke der Illustration eingeführten Bildern wird für den allgemeinen Adressaten eine erkennbare Verbindungslinie zwischen der vorliegenden praefatio und der des ersten Buches gezogen. Durch Decianus’ Anweisung: Noli ergo […] in toga saltantis inducere personam (Mart. 2, praef. 8–9) wird der zuvor hergestellte Bezug der Epigrammdichtung auf den Bereich der ausgelassenen ludi scaenici indirekt wieder aufgegriffen und durch die Verwendung des retiarius-Bildes anschließend noch um den Bereich der ludi circenses erweitert. Zudem wird die Analogie zum Schauspiel auch dadurch ausgedrückt, daß Martial Decianus den Platz eines Zuschauers einnehmen läßt: Ego inter illos sedeo… (Mart. 2, praef. 10–11). Damit zeigt sich zugleich, daß Martial den Begriff ludere keineswegs ausschließlich in Anlehnung an Catull verwendet. Des weiteren wird hier Martials eigene Rolle in seinem theatrum präzisiert. Er ist der ›Regisseur‹, der Figuren auftreten läßt, und steht nicht etwa selbst auf der Bühne. Auf diese Weise erfolgt eine klare Grenzziehung zwischen einem ›auktorialen‹ Martial der praefationes und dem »Ich« der Gedichte. Der Einwand des Decianus erstreckt sich über ca. zwei Drittel des gesamten Textes der praefatio. Im Anschluß daran zeigt sich Martial, selbst etwas erstaunt, überzeugt von der vorgetragenen Sichtweise (Mart. 2, praef. 11–12), richtet sich bereitwillig nach der Kritik des Decianus und verzichtet

59 Vgl. Merli (1993), 229. 60 Möglicherweise handelt es sich bei contra retiarium ferula um einen sprichwörtlichen Ausdruck, vgl. Friedlaender (1886), 1,237–238; Otto (1890), 1531, p. 299, jedoch ohne weitere Belegstellen.

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auf die angeblich beabsichtigte lange epistula. Statt dessen betont er nur noch das Verdienst, das sich Decianus mit seinem Einwand um andere zukünftige Leser erworben habe (Mart. 2, praef. 14–15). Ähnlich wie in der Frage zu Beginn der praefatio klingt auch in diesem abschließenden Satz durch das konditionale si qui [...] inciderint (Mart. 2, praef. 14) der betont geringe Anspruch der Epigrammdichtung an. 61 Die eingangs von dem Außenstehenden Decianus vorgenommene Bewertung wird somit am Schluß von der persona des Dichters wieder aufgegriffen und gleichsam bestätigt. Abgesehen von den genannten Äußerungen zu zwei wichtigen Wesenszügen seiner Dichtung macht Martial in der praefatio zum zweiten Buch der Epigramme deutlich, daß er von Prosavorreden im allgemeinen nicht viel hält. 62 Er tut dies auf sehr geistreiche Art und Weise in Form einer Parodie. Zwar verfaßt er rein äußerlich ebenfalls eine praefatio, deren Inhalt wendet sich aber in für den Leser unerwarteter Weise gegen genau diese Form. 63 Eine dialogische Gestaltung wie in der vorliegenden praefatio, die richtiger als Meta-praefatio zu bezeichnen ist, findet sich auch bei anderen Dichtern in metapoetischen Erörterungen. Speziell zu nennen ist hier wiederum die Satire, die bereits bei der Gestaltung der praefatio zu Martials erstem Buch zumindest in einem Teil deutlich erkennbar im Hintergrund stand. Die Eigentümlichkeit der epistula zu Martials zweitem Buch läßt sich insbesondere im Vergleich mit zwei Beispielen aus der Satirendichtung verdeutlichen, nämlich Horaz’ Satire 2,1 (vor allem dem Anfang) und dem Beginn der ersten Satire des Persius. Thema der genannten Satire des Horaz ist die Frage der Legitimation seiner Art der Satirendichtung. Den Ausgangspunkt bilden zwei einander widersprechende Meinungen über die Satirendichtung des Horaz, die dieser gegenüber seinem Gesprächspartner Trebatius wiedergibt, den er anschließend um Rat bittet, wie er sich in Anbetracht dieser Kritik verhalten solle. Die Antwort des Trebatius fällt lakonisch und unerwartet hart aus, was 61 Entscheidend ist dabei das konditionale si. Das Verb incidere findet sich dagegen häufiger zu Bezeichnung einer zufälligen Lektüre, z. B. Cic. leg. 2,32: nam eorum ego in libros incidi (vgl. Cic. top. 1; de orat. 2,61; Plin. nat. 34,108). 62 Eine ähnliche Haltung findet sich auch bei Plinius, epist. 4,14,8: Sed quid ego plura? Nam longa praefatione vel excusare vel commendare ineptias ineptissimum est (»Aber wozu mehr dazu sagen? Denn Albernheiten mit einer langen praefatio zu entschuldigen oder zu empfehlen, ist die größte Albernheit«). Anders als bei Martial wird das entscheidende Gewicht hier allerdings von vornherein auf die Länge der praefatio gelegt. Dieser Aspekt klingt bei Martial erst am Schluß der praefatio bzw. nur indirekt darin an, daß der größere Teil der praefatio von dem umfangreichen Einwand des Decianus eingenommen wird. 63 Zur Parodie als einem »in unterschiedlichen Medien vorkommende[n] Verfahren distanzierender Imitation von Merkmalen eines Einzelwerkes, einer Werkgruppe oder ihres Stiles« s. Th. Verweyen/G. Willing: Art. »Parodie«, in: RDLw 3,23–27, h. 23; speziell zur Parodie in der Antike vgl. außerdem Ax/Glei (1993).

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zunächst zu einer etwas ungläubigen Nachfrage des Horaz führt, die wieder in denkbar knapper Form beantwortet wird: ›Sunt quibus in satira videar nimis acer et ultra legem tendere opus. sine nervis altera quidquid composui pars esse putat similisque meorum mille die versus deduci posse. Trebati, quid faciam? praescribe.‹ ›Quiescas.‹ ›Ne faciam, inquis, omnino versus?‹ ›Aio.‹ [...] (Hor. sat. 2,1,1–6) ›Es gibt Leute, denen ich in der Satire allzu scharf erscheine, und über Gebühr das Werk zu spannen. Ein anderer Teil glaubt, was auch immer ich geschrieben habe, sei kraftlos und Verse wie meine könnten tausend pro Tag produziert werden. Trebatius, was soll ich tun? Sag’ es mir.‹ ›Sei still‹ ›Du meinst, ich soll gar keine Verse machen?‹ ›Meine ich.‹

Im Anschluß daran gibt sich Horaz von der Meinung des Trebatius überzeugt, und seine Art, dies auszudrücken: Peream male, si non optimum erat. (Hor. sat. 2,1,6) weist im Ton eine starke Ähnlichkeit mit Martials überraschtem Puto me hercules, Deciane, verum dicis. (Mart. 2, praef. 11–12) auf. Gleich darauf wird Horaz’ Zustimmung jedoch wieder umgestoßen durch seine Einführung eines neuen, völlig unvermuteten Arguments: verum nequeo dormire (Hor. sat. 2,1,8). Neben der stilistischen Parallele in der Art, wie die Zustimmung zur Ansicht des Dialogpartners formuliert wird, ist als grundsätzliche strukturelle Gemeinsamkeit zwischen beiden Dialogen festzustellen, daß der jeweilige Partner einen Standpunkt vertritt, der der ursprünglichen Meinung des Dichters genau entgegengesetzt ist. Abgesehen davon bestehen jedoch einige deutliche Unterschiede. Hinsichtlich des Dialogbeginns fällt auf, daß Horaz zunächst ein Problem nennt und Trebatius danach explizit auffordert, ihm dazu einen Rat zu geben. Martial dagegen ist kein Ratsuchender. Er wird vielmehr zu Beginn der vorliegenden praefatio völlig unvermittelt mit der Kritik des Decianus konfrontiert. Außerdem verläuft die Diskussion zwischen Horaz und Trebatius in dieser Anfangspassage sehr viel kleinteiliger in Rede und Gegenrede und damit für beide Seiten in gewisser Weise gleichberechtigter. Nachdem sich in der zitierten Passage die Positionen der beiden Beteiligten nicht entscheidend verändert haben, entwickelt sich die Diskussion im weiteren Verlauf der Satire weiter, auch dies jedoch ohne daß einer der Teilnehmer seinen Standpunkt völlig aufgibt. Auch am Beginn von Persius’ erster Satire steht ein Dialog zwischen dem Dichter und einem Gesprächspartner (»Interlocutor«), der allerdings anonym bleibt. Die Sprecherverteilung in dieser Anfangspassage (Pers. 1,1– 12) ist problematisch und seit langem umstritten. Nach der Zuordnung von Kißel ist der erste Vers »als überschriftartiges, keinem einzelnen Sprecher

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zuzuweisendes Motto« anzusehen, der anschließende Dialog wie folgt verteilt: Int.: ›quis leget haec?‹ Pers.: ›min tu istud ais? nemo hercule.‹ Int.: ›nemo?‹ Pers.: ›vel duo vel nemo.‹ Int.: ›turpe et miserabile.‹ Pers.: ›quare?‹ ›Wer wird das hier lesen?‹ ›Mich fragst du das? Keiner natürlich.‹ ›Keiner?‹ ›Ein, zwei oder keiner.‹ ›Schändlich und jämmerlich.‹ ›Warum?‹ (Pers. 1,2–3) 64

Akzeptiert man diese einleuchtende Zuordnung, so ergibt sich ein auffälliger Unterschied zwischen dieser und der oben dargestellten Dialogpartie bei Horaz. Offenbar wird im vorliegenden Dialog über die für die Satirendichtung zu erwartende Publikumsresonanz der radikalere, negative Standpunkt von Persius selbst vertreten, was eine regelrecht ungläubige Reaktion des Interlocutor hervorruft. Dessen Nachfragen bzw. Bemerkungen bleiben wirkungslos, d. h. sie führen zu keiner wesentlichen Relativierung von Persius’ ursprünglichem Standpunkt. Vor dem Hintergrund der beiden angeführten Passagen aus Horaz und Persius gewinnt die dialogische Gestaltung der epistula zu Martials zweitem Buch ein eigenes Profil. Der dortige Dialog besteht lediglich aus zwei großen Teilen, der kritischen Äußerung des Decianus und der Zustimmung Martials. Im Gegensatz zu Horaz und Persius, die ihren jeweiligen Standpunkt im wesentlichen beibehalten, läßt sich Martial sofort und ohne jeglichen Widerspruch oder auch nur eine Nachfrage von der Gegenseite überzeugen. Auf diese Weise wird dem Leser das absolute Fehlen einer Begründung für die angeblich ursprüngliche Absicht des Dichters, das Buch mit einer umfangreichen praefatio zu versehen, anschaulich vor Augen geführt. Die Struktur des Dialoges dient somit einer weiteren Unterstützung der inhaltlichen Hauptaussage der epistula, daß solche Vorreden im Prinzip unsinnig seien. Mit Blick auf die dialogische Gestaltung muß auch die Selbstverständlichkeit in Frage gestellt werden, mit der die vorliegende praefatio und insbesondere die Briefanrede in erster Linie als Ausdruck der Widmung des zweiten Buches verstanden wird. Tatsache ist, daß in der gesamten epistula keine besondere Relation zwischen dem Adressaten und dem ihm zugeeigneten Buch oder überhaupt ein spezifischer Bezug auf das zweite Buch der Epigramme zu finden ist. 65 Lediglich am Schluß wird ein schwacher, eher indirekt-funktionaler Bezug zwischen Adressat und Buch hergestellt, wenn Martial auf die Auswirkungen verweist, die die Kritik des Decianus für 64 Zur Problematik der Sprecherverteilung in den Versen 1–12 s. Kißel (1990), 106–109, mit einem Überblick über eine Reihe früherer Lösungsvorschläge. 65 Für Beck (2002), 175 Anm. 3, stellt allerdings die Formulierung debebunt tibi… (Mart. 2, praef. 14) »eine weit persönlicher wirkende Variation einer Widmung« dar.

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zukünftige Leser des Buches habe. Durch die Wiederaufnahme des Ermüdungsmotivs im ersten Gedicht 66 erfolgt zwar eine thematische Verbindung der praefatio mit dem Buch, diese ist jedoch nicht mehr als eine kurze lineare Anknüpfung, wie sie ebenso am Beginn jedes anderen Buches hätte gestaltet werden können, d. h. diese epistula ist im Prinzip nicht auf das Buch festgelegt, vor dem sie steht. 67 Eine entscheidende Funktion hat die Briefanrede dagegen für die wirksame Gestaltung der zentralen Aussage dieser praefatio. Sie dient der unauffälligen ersten Einführung von Martials kritischem Dialogpartner, dessen Einwand im folgenden unvermittelt zitiert wird. Daß es sich um das Zitat einer fremden Äußerung handelt, wird durch das an dritter Stelle eingeschobene inquis (Mart. 2, praef. 2) frühzeitig signalisiert, die Identität des Sprechers wird innerhalb des Dialoges jedoch erst relativ spät, zu Beginn von Martials Antwort, bestätigt (Mart. 2, praef. 12). Bis dahin hat der Leser nur aufgrund der Anrede einen Anhaltspunkt dafür, wessen Ansicht hier wiedergegeben wird. Nach der Vorwort-Typologie Genettes ist die vorliegende (Meta-) praefatio als »fiktiv allograph« zu klassifizieren, da ihre wesentliche Aussage angeblich nicht von Martial selbst stammt oder auch nur von ihm referiert wird. Statt dessen sieht sich der allgemeine Leser hier unversehens als scheinbar zufälliger Zeuge eines weniger metapoetischen als metapräfatorischen Gespräches, bzw. genauer: in der Rolle des Zuschauers bei einem fiktiven, von Martial bewußt gestalteten Dialog, dessen entscheidende inhaltliche Aussage von einer anderen Person als dem Dichter vertreten wird. 66 In Übereinstimmung mit dem Wechsel aus der praefatio in das eigentliche Buch verschiebt sich auch der Grund für die befürchtete Ermüdung des Lesers. Ist es zunächst noch die übermäßige Länge der praefatio selbst, so ist es in 2,1 das Buch, das durch seine Länge schwer erträglich wird: Ter centena quidem poteras epigrammata ferre, sed quis te ferret perlegeretque, liber? [...] Esse tibi tanta cautus brevitate videris? Ei mihi, quam multis sic quoque longus eris! (»Dreimal hundert Epigramme könntest du fassen, aber wer würde dich dann ertragen und durchlesen, Buch? […] In dieser Kürze scheinst du dir sicher zu sein? Weh’ mir, wie vielen wirst du auch so noch zu lang sein!«). 67 Nach Ansicht von Tanner (1986b), 2657–2658, hat ursprünglich eine überaus enge Verbindung zwischen dieser epistula bzw. ihrem Adressaten und dem durch sie zugeeigneten Buch bestanden. Das Buch sei die erste Auflage des ersten Buches gewesen, das aufgrund eines »inner layer of Stoic implication« in den enthaltenen Gedichten erkennbar auf die Weltanschauung des Stoikers Decianus ausgerichtet gewesen sei. – Garthwaite (2001a), 47, verweist auf einen spezifischen Zusammenhang der an Decianus gerichteten epistula mit einigen (poetologischen) Themen des zweiten Buches wie etwa der Frage der angemessenen Länge oder der Charakterisierung der Gedichte als mala. Anders als in den Vorreden der Bücher 8 und 12 wird hier jedoch keiner der genannten Aspekte in irgendeiner Weise speziell auf das zweite Buch bezogen, sondern stets mit Blick auf die Epigrammdichtung an sich formuliert.

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Die Fiktion eines Dialoges zwischen Martial und Decianus bleibt die ganze epistula hindurch bestehen, und damit auch die Zuschauerrolle des Rezipienten. Auf diese Weise kommt es zu einer Verdoppelung des Bildes vom theatrum, dessen sich Martial bereits in der praefatio des ersten Buches bedient. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Decianus innerhalb des Dialoges für sich die Rolle eines Zuschauers in Anspruch nimmt und dabei in leichter Variation zur ersten praefatio das Dargebotene, also Martials Dichtung, diesmal mit Zirkusspielen gleichsetzt. Zugleich ist aber schon dieser Dialog selbst eine kleine szenische Darbietung vor einem Publikum anonymer Leser. Dies hat insofern noch eine zusätzliche Pointe, als es in der praefatio gerade zwei dramatische Gattungen sind, für die die Verwendung von praefationes für angemessen erklärt wird. Durch die dramatische Gestaltung der epistula wird diese Aussage keineswegs relativiert. Martial zeigt vielmehr ein weiteres Mal seine Affinität zum Mimus als einer profaneren, durch die Möglichkeit zur Improvisation aber auch flexibleren Form des Theaters. Trotz seiner konsequent durchgehaltenen Fiktionalität ist das Ende dieses kleinen Dialoges auf das engste mit der Realität des gegenständlichen Epigrammbuches verknüpft. In Martials letztem Satz erfolgt eine geschickte Überleitung vom Text der praefatio zum nachfolgenden Text des Buches. Das ad primam paginam [...] pervenient 68 koinzidiert mit dem Moment, in dem der letzte Satz vollendet wird und der Leser tatsächlich auf der ersten Seite des Textes ankommt. 69 Der besondere Charakter dieser praefatio führte zu sehr unterschiedlichen Deutungen, von denen ein Teil hier nochmals kurz erwähnt sei. 70 Nach Ansicht von White war die epistula als ein rein privates Schreiben Martials »not intended to form part of the text of the second book«, sie habe möglicherweise durch bloße Nachlässigkeit des Dichters den Platz einer praefatio eingenommen. 71 Dagegen stellt Adams diese Prosavorrede in einen engen Zusammenhang mit derjenigen von Buch 1, auf die Martial mit der zweiten 68 Das Futur in diesem Satz ist damit zu erklären, daß das fiktive Gespräch zwischen Martial und Decianus zum Zeitpunkt der Zueignung des Buches stattfindet, der in jedem Falle vor dem der allgemeinen Publikation liegt. 69 Nach Ansicht von Immisch (1911), 488, ist die Pointe dieser praefatio nur dann gegeben, wenn sie in einer Codexausgabe des Werkes so auf einer (wohl rechten) Buchseite steht, daß nach habiturus (13) umgeblättert werden muß und der Leser erkennt, daß die praefatio sehr viel kürzer ist als angenommen. Tatsächlich ist die Pointe der praefatio jedoch keineswegs von einem derartigen buchtechnischen Trick abhängig. Auch für einen Leser, der die Schnittstelle zwischen praefatio und Epigrammbuch bereits vor Augen hat, wird eine ausreichende Pointe durch die Art erzielt, wie die Vorrede nach dem ›Eingeständnis‹ der ursprünglich beabsichtigten Länge plötzlich auf kurzem Wege zu Ende geführt wird. 70 Zu den verschiedenen Deutungen vgl. auch Abschnitt 2.4. 71 White (1974), 58.

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praefatio noch einmal nachdrücklich verweise und die er auf diesem Wege gegen tatsächlich von Decianus geäußerte Kritik verteidige. 72 Citroni sieht die Motivation der epistula darin, daß Martial sich genötigt fühlte, die Voranstellung einer Prosavorrede vor eine Gedichtsammlung zu rechtfertigen, da es sich dabei um eine neue, noch nicht voll akzeptierte Praxis gehandelt habe. 73 Janson schließlich vermutet, daß Martial sich mit der praefatio zu Buch 2 über die offenbar zeitgenössische Erscheinung eines »excessive use of epistolary prefaces« auch für poetische Werke mokiere. 74 Diese Deutung erscheint zunächst durchaus plausibel, da die hier verwendete parodistische Form per se nur dann sinnvoll ist, wenn es überhaupt einen Referenten für die Parodie gibt. Auf den zweiten Blick gerät Jansons Hypothese jedoch dadurch in die Nähe eines Zirkelschlusses, daß die vorliegende praefatio für ihn zugleich auch die entscheidende Grundlage für die Annahme einer solchen weiten Verbreitung ist. Insbesondere muß man in Anbetracht der genannten Deutungen jedoch die Frage stellen, ob es überhaupt zutreffend ist, die vorliegende epistula als eine Rechtfertigung oder Verteidigung der Verwendung von praefationes, sei es generell oder konkret der des ersten Buches, aufzufassen. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, daß dieser metapräfatorische Text, obwohl sein zentrales Thema die Verwendung von praefationes ist, sich tatsächlich nicht im mindesten rechtfertigt. Er stellt sich vielmehr selbst in Frage bzw. macht sich in ironischer Weise geradezu überflüssig. Dieser innere Widerspruch zwischen der inhaltlichen Aussage der Vorrede einerseits und ihrem Vorhandensein andererseits ist sehr aufschlußreich. Da der vorliegende Text insofern nicht einmal eine wirkliche praefatio darstellt, als er sich in keiner Weise auf die nachfolgenden Gedichte bezieht, wäre es auch denkbar gewesen, ganz darauf zu verzichten. 75 Statt dessen verfaßt Martial hier die Parodie einer praefatio, die darauf abzielt, in besonders einprägsamer Weise seine Ansicht zu demonstrieren, daß Prosavorreden – zumindest für die von ihm verfaßte Epigrammdichtung – im Normalfalle überflüssig sind. Die Wahl der äußeren Form ist nur konsequent. Zum einen wird so ein allzu scharfer Kontrast zur Verwendung der im ersten Buch notwendigen programmatischen praefatio vermieden, wie er bei einem kommentarlosen Verzicht zwangsläufig entstünde. Zum anderen gestattet zwar die zugleich betonte Freiheit der Gattung Epigramm, nahezu jedes Thema in einem 72 Adams (1975), 20–21 sowie 142 Anm. 19. 73 Citroni (1975), 4. 74 Janson (1964), 110, ihm folgt Pavlovskis (1967), 538, White (1974), 57; ähnlich Dams (1970), 185. 75 Dams (1970), 185, hebt hervor, daß die »dichtungskritische Erörterung« auch nicht in die nachfolgenden Epigramme verlagert wird, wie es nach der Aussage der praefatio eigentlich zu erwarten gewesen wäre.

Die praefatio zu Buch 2 der Epigramme

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Gedicht zu behandeln, ein ironischer Seitenhieb auf Prosavorreden ist jedoch um so effektiver, wenn er in genau dieser äußeren Form erscheint. Aufgrund der dargelegten Beobachtungen erscheint es ausgeschlossen, daß die vorliegende praefatio ursprünglich am Beginn des ersten von Martial publizierten Buches gestanden haben könnte.76 Schon ihre inhaltliche Aussage wäre an dieser Stelle wenig sinnvoll. Es würde sich um so mehr die Frage aufdrängen, weshalb eine solche Vorrede überhaupt verfaßt wurde, zumal es sich zur Zeit Martials offenbar noch um eine relativ neue, eventuell verbreitete, aber keinesfalls verpflichtende Gepflogenheit handelte. Vielmehr ist die epistula zu Beginn des zweiten Buches in der Hauptsache durch Martials eigene erste praefatio bzw. deren Verwendung motiviert. Dies ist das einem zeitgenössischen Martial-Leser gut bekannte Original, auf das die Parodie sich bezieht, um den dort möglicherweise entstandenen Eindruck einer selbstverständlichen Verwendung von Vorreden nachträglich zu unterlaufen und wirkungsvoll zu korrigieren. Übersetzung der praefatio: VALERIUS MARTIALIS GRÜSST SEINEN DECIANUS ›Was,‹ sagst Du, ›kommst du uns mit einer epistula? Ist es dir denn zu wenig, wenn wir die Epigramme lesen? Was beabsichtigst du hier außerdem zu sagen, was du nicht auch in Versen sagen könntest? Ich sehe ein, weshalb Tragödie und Komödie eine epistula bekommen, denen es nicht erlaubt ist, für sich selbst zu sprechen – Epigramme dagegen brauchen keinen Herold und sind zufrieden mit ihrer eigenen, also boshaften, Zunge. Auf jeder Seite, auf der es ihnen richtig scheint, verfassen sie eine epistula. Untersteh’ dich also, etwas Lächerliches zu machen und einen Tänzer in der Toga auftreten zu lassen. Schließlich: sieh selbst 77 , ob Du mit einem Stock gegen einen Netzkämpfer viel Freude hast. Ich sitze jedenfalls bei denjenigen, die sofort protestieren.‹ Beim Hercules, Decianus, ich glaube, Du hast recht! Was wäre erst, wenn Du wüßtest, mit was für einer und was für einer langen epistula Du es eigentlich zu tun bekommen solltest? Deshalb soll geschehen, was Du verlangst. Falls also irgendwelche Leute in dieses Buch hineingeraten, werden sie es Dir zu verdanken haben, daß sie nicht schon erschöpft auf der ersten Seite ankommen.

3.1.3 Die praefatio zu Buch 8 der Epigramme IMPERATORI DOMITIANO CAESARI AUGUSTO GERMANICO DACICO VALERIUS MARTIALIS S. Omnes quidem libelli mei, domine, quibus tu famam, 76 Dazu vgl. o. S. 53. 77 Zum hortativen Charakter des Futur II s. K-St 1,149.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII id est vitam, dedisti, tibi supplicant; et, puto, propter hoc legentur. Hic tamen, qui operis nostri octavus inscribitur, 5 occasione pietatis frequentius fruitur. Minus itaque ingenio laborandum fuit, in cuius locum materia successerat: quam quidem subinde aliqua iocorum mixtura variare temptavimus, ne caelesti verecundiae tuae laudes suas, quae facilius te fatigare possint quam nos satiare, omnis versus ingereret. 10 Quamvis autem epigrammata a severissimis quoque et summae fortunae viris ita scripta sint ut mimicam verborum licentiam adfectasse videantur, ego tamen illis non permisi tam lascive loqui quam solent. Cum pars libri et maior et melior ad maiestatem sacri nominis tui alligata sit, meminerit 15 non nisi religiosa purificatione lustratos accedere ad templa debere. Quod ut custoditurum me lecturi sciant, in ipso libelli huius limine profiteri brevissimo placuit epigrammate.

Das achte Buch der Epigramme Martials wird durch eine praefatio in Briefform dem Kaiser Domitian zugeeignet. Schon in der durch die lange Reihung von Beinamen überaus förmlichen Anrede trägt Martial der besonderen Autorität des Kaisers Rechnung. Verstärkt wird der Eindruck der Exzeptionalität außerdem durch die Umkehrung der in der lateinischen Briefanrede üblichen Reihenfolge von Absender und Empfänger, wodurch der illustre Adressat der Zueignung hier an die erste Stelle gerückt wird. 78 Im Vergleich mit der an Decianus gerichteten epistula zu Beginn des zweiten Buches ist die Zueignungsfunktion der vorliegenden epistula sehr viel eindeutiger ausgeprägt. Es wird vor allem eine ausdrückliche Verbindung zwischen dem Adressaten und dem ihm zugeeigneten Buch hergestellt, und auch die Panegyrik nimmt in dieser praefatio dementsprechend einen nicht unerheblichen Raum ein. Dieser Bereich soll hier jedoch weitgehend unberücksichtigt bleiben und lediglich soweit in die Untersuchung mit einbezogen werden, wie er in unmittelbarem Zusammenhang mit den außerdem enthaltenen poetologischen Aussagen steht. Gleich zu Beginn unterstreicht Martial, daß der Erfolg seiner Gedichtbücher generell von ihrer Akzeptanz bei Domitian abhängig sei (Mart. 8, praef. 3–5), und betont darüber hinaus eine spezielle inhaltliche Ausrichtung dieses achten Buches auf ihn als Adressaten (Mart. 8, praef. 5–6). Im weiteren Verlauf des Briefes erläutert Martial den durch die Person des Adressaten bedingten besonderen Charakter dieses Buches: Es enthalte einen höheren Anteil von Epigrammen mit auf den Kaiser bezogener Thematik als die vorausgegangenen Bücher (Mart. 8, praef. 14–15). Aufgrund der Tatsache, daß der Anteil solcher Gedichte im achten Buch in seiner 78 Schöffel (2002), 57; vgl. K-St 2,616.

Die praefatio zu Buch 8 der Epigramme

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heutigen Form zwar ein wenig, aber nicht signifikant höher ist als in den übrigen unter Domitian veröffentlichten Büchern Martials, ist mehrfach vermutet worden, daß diese Prosavorrede zunächst nicht für das achte Buch in seiner überlieferten Form bestimmt war. So geht z. B. White davon aus, daß es sich ursprünglich um ein rein privates Begleitschreiben Martials zu einer kleineren, dem Kaiser persönlich zugeeigneten Gedichtsammlung gehandelt habe. Dieses sei dem Buch auch nach seiner Erweiterung für eine allgemeine Veröffentlichung vorangestellt worden. 79 Eine solche Hypothese ist jedoch nicht zuletzt deshalb mit Skepsis zu betrachten, weil Martial selbst das Domitian zugeeignete Buch ausdrücklich als operis nostri octavus (Mart. 8, praef. 5) bezeichnet, und so dürfte die Ansicht Nautas, daß Martials Behauptung hier vielmehr als schmeichlerische Übertreibung zu werten sei, eher zutreffen.80 Alternativ wurde auch erwogen, das achte Buch sei nach dem Tode Domitians inhaltlich überarbeitet, die epistula jedoch unverändert stehengelassen worden. Auch diese Möglichkeit erscheint wenig plausibel. 81 Zu den Gedichten mit Kaiserbezug äußert Martial, es habe sein ingenium weniger angestrengt, sie zu verfassen, da die Thematik selbst an dessen Stelle den Hauptbeitrag zur Entstehung geleistet habe (Mart. 8, praef. 6–7). Aber auch wenn sich Epigramme über den Kaiser nach Martials Angabe geradezu von allein dichten, habe er dennoch der Versuchung nicht nachgegeben, ausschließlich diese materia zu verwenden. Er habe sich vielmehr bemüht, sie aliqua iocorum mixtura variare (Mart. 8, praef. 8), also offenbar durch Einfügen von Epigrammen üblicher Art eine gewisse Abwechslung zu schaffen. 82 Gegenüber dem Kaiser gibt er als Erklärung an, er habe verhindern wollen, daß ihn eine zu große thematische Einseitigkeit ermüde, selbst wenn sie ihrem Inhalt nach schmeichelhaft sei. Für die allgemeinen Leser verweist Martial damit aber zugleich, über den konkreten Bezug auf das achte Buch der Epigramme hinaus, auf ein grundsätzliches Prinzip bei der Zusammenstellung seiner Gedichtbücher, nämlich auf das Prinzip der variatio. Diese wird allgemein angewendet, um das Interesse des Rezipien79 White (1974), 58; ähnlich auch Sullivan (1991), 40. 80 Nauta (2002), 114 Anm. 82. 81 Für die Annahme einer nachträglichen Überarbeitung des Buches Lehmann (1931), 44; ein kritischer Überblick zu verschiedenen Erklärungsversuchen dieser Art findet sich bei Lorenz (2002), 170–171. – Nur ganz am Rande sei hier die völlig entgegengesetzte Deutung von Immisch (1911) erwähnt: Seine Ansicht, die epistula sei trotz aller enthaltenen Panegyrik eher kühl und beinahe apologetisch, so daß sie gerade nicht für Domitian selbst bestimmt gewesen sein, sondern in dieser Form erst vor einer später veröffentlichten Gesamtausgabe der Bücher 8–11 gestanden haben könne (516), ist mit vollem Recht bereits von Lehmann (1931), 44, kritisiert worden. 82 Schon in der praefatio des ersten Buches hat Martial seine Gedichte in der Tradition der kleinen Dichtung, insbesondere der Neoteriker, als ioci bezeichnet (Mart. 1, praef. 6); zur poetologischen Terminologie im gesamten Werk s.u. Abschnitt 3.2.1.2.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

ten durch eine thematische, aber auch formale Vielfalt der Einzelgedichte über einen längeren Zeitraum zu erhalten. 83 Lorenz erwägt, daß das Prinzip der variatio nicht nur auf die Zusammensetzung des ganzen Buches, sondern auch auf den Aufbau einzelner an den Kaiser gerichteter Gedichte bezogen sein könnte. 84 Mit Blick auf das vorliegende Buch wird die Freiheit der variatio im folgenden allerdings sogleich wieder relativiert. Martial hebt erneut die für das Epigramm typische drastische Offenheit der Sprache hervor, wie er es bereits in der Prosavorrede zum ersten Buch getan hatte. Genau wie dort betont er, daß sich dieses Charakteristikum der Gattung auch bei anderen Dichtern finde, die hier allerdings nicht individuell, sondern pauschal als eine bestimmte Gruppe genannt werden, auf die im folgenden noch zurückzukommen ist. Die gattungstypische Obszönität aber will Martial auch den ›normalen‹ Epigrammen in einer dem Kaiser gewidmeten Sammlung nicht in üblichem Maße gestatten (Mart. 8, praef. 13–14). Er begründet diese Einschränkung mit der maiestas sacri nominis Domitians (Mart. 8, praef. 15), den er zudem mit einer Reihe weiterer Begriffe in den Bereich des Kultes rückt (Mart. 8, praef. 16–17). 85 Der letzte Satz der praefatio ist bereits auf das erste Gedicht des achten Buches bezogen, mit dem Martial dem allgemeinen Leser die besondere Zurückhaltung dieses Buches anzeigen will, die er zuvor bereits Domitian gegenüber begründet hat (Mart. 8, praef. 17–18). Vordergründig scheint der Satz für die o. g. Annahme zu sprechen, daß die epistula ursprünglich tatsächlich nur für den Kaiser bestimmt war. Allerdings ist festzuhalten, daß hiermit zugleich ein ungewöhnlich direkter thematischer Übergang der Prosavorrede zum eigentlichen Inhalt des Buches hergestellt wird 86 , während der Brief an Domitian in auffallendem Gegensatz zu der förmlichen Anrede nicht abgeschlossen wird. Wie im vorhergehenden Kapitel erwähnt wurde, ist auch im zweiten Buch der Epigrammaton libri durch die Wiederaufnahme des Ermüdungsmotivs eine deutliche Verbindung zwischen dem Ende der praefatio und dem ersten Epigramm festzustellen; ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, daß die Verbindung dort erst im nachhinein, d. h. aus der Perspektive des zweiten Teils erkennbar wird. An 83 Sullivan (1991), 219; Holzberg (1988), 35; vgl. Lausberg § 257,2b, p.142. 84 Lorenz (2002), 170; ähnlich bereits Watson (1998), 370. 85 Der Bezug auf den Bereich der Religion ist in dieser epistula von Anfang an dominant. Er wird durch Formulierungen wie libelli ... tibi supplicant (Mart. 8, praef. 3–4), occasione pietatis (6) und caelesti verecundiae (9) hergestellt und erreicht seinen Höhepunkt, wenn Martial kurz vor Schluß der epistula (15–17) das Auftreten seines Buches gegenüber Domitian mit einem Gang in den Tempel gleichsetzt. Dazu vgl. auch Frère (1930), 303; Sauter (1934), 172. 86 Vgl. Pavlovskis (1967), 544. – Fearnley (1998), 208, verbindet das in markanter Schlußstellung stehende epigrammate mit dem Imperatori zu Beginn der Anredeformel und sieht darin eine Rahmung der praefatio durch die beiden zentralen Elemente, Kaiser und Text.

Die praefatio zu Buch 8 der Epigramme

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der vorliegenden Stelle wird die Verknüpfung hingegen vorher angekündigt, ähnlich wie es in der praefatio des ersten Buches mit dem epigramma extra ordinem paginarum geschieht, nur daß dieses noch nicht zum Inhalt des ersten Buches zu rechnen ist. Der Übergang vom Prosateil zu den nachfolgenden Gedichten wird also in jeder der bisher behandelten Vorreden in unterschiedlicher Weise gestaltet. Nach diesem kurzen Überblick zeigt sich bei intensiverer Betrachtung, daß die vorliegende praefatio mehrere Parallelen zu der des ersten Buches aufweist. Diese liegen sowohl in der Verwendung von Motiven und Begriffen als auch insbesondere in der Struktur beider praefationes. Schon rein äußerlich läßt die epistula an Domitian eine ebenso deutliche inhaltliche Zweiteilung erkennen wie die Vorrede von Buch 1. Vergleicht man die jeweils ersten bzw. zweiten Teile der beiden Vorreden im einzelnen, so läßt sich eine ganze Reihe markanter Analogien feststellen. Relativ früh im jeweils ersten Satz beider Vorreden bezieht sich Martial auf seine Dichtung als libelli mei. Während dieser Begriff in der ersten praefatio jedoch verschiedene Deutungen zuläßt87 , ist in der praefatio des achten Buches kein Zweifel daran möglich, daß hier ganze, publizierte Epigrammbücher gemeint sind, denn kurz darauf bezeichnet Martial das Domitian zugeeignete Buch (hic , Mart. 8, praef. 5) in Übereinstimmung mit dessen überlieferter Position innerhalb der Epigrammaton libri als das achte seines Werkes. Auffällig ist weiterhin das Auftreten des Begriffes ingenium in beiden Prosavorreden. Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, daß unter ingenium in der vorliegenden praefatio die (dichterische) Begabung im allgemeinen zu verstehen ist88 , d. h. der Begriff ist hier erheblich weiter gefaßt als in der praefatio zum ersten Buch der Epigramme, wo speziell die Begabung für eine bestimmte Art von Dichtung, nämlich die satirische, gemeint war, dennoch ist die Wiederkehr des Terminus mehr als ein bloßer Zufall. In Verbindung mit dem Vorhergehenden läßt der Satzbeginn Minus […] ingenio laborandum fuit (Mart. 8, praef. 6–7) zunächst daran denken, daß der Bezug der Gedichte auf den Kaiser es dem ingenium Martials einfach nur erleichtert habe, sie zu schreiben. Liest man jedoch weiter, so findet man die Angabe, daß die materia die Mühe des ingenium nicht etwa lediglich verringert habe, sondern gleich an dessen Stelle getreten sei: in cuius locum materia successerat (Mart. 8, praef. 7). Martial weist hier somit ebenso wie in der praefatio des ersten Buches seinem ingenium eine untergeordnete Bedeutung bei der Entstehung seiner 87 Dazu vgl. o. S. 54–55 u. 66-67. 88 Vgl. ThLL VII 1,1533, s. v. ingenium, cap. prius, I B 2 c: i. q. facultas inveniendi, ƵƠƬƳƠƲ̄Ơ, artificium; vgl. auch Adams (1975), 28 m. Anm. 26 (S. 143).

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Gedichte zu. Allerdings erfolgt diese erneute Hintanstellung der eigenen Begabungsleistung in einem völlig anderen Kontext und dementsprechend auch mit verändertem Ziel. An dieser Stelle wird Martials ingenium in ein reziprokes Verhältnis zur materia, dem Stoff für seine Epigramme, gesetzt. Es tritt daher in seiner Bedeutung zurück, wenn die materia an Bedeutung zunimmt, wie es nach Martials Angabe vor allem dann der Fall ist, wenn die materia der Kaiser selbst ist, oder jedenfalls ein Thema, das mit ihm in Zusammenhang steht. In der Art, wie Martial in der vorliegenden praefatio der materia die ausschlaggebende Rolle bei der Entstehung der Gedichte speziell des achten Buches zuweist, sieht Lorenz die Abwandlung eines recusatio-Topos aus der augusteischen Liebeselegie: Ähnlich wie dort die puella den Dichter ausschließlich zur Liebesdichtung inspiriere, bewirke die Person Domitians bei Martial die Wandlung zum Panegyriker. 89 Diese grundsätzlich richtige Beobachtung muß jedoch noch ein wenig ergänzt und präzisiert werden. An den relevanten Stellen in der elegischen Dichtung erscheint die Relation von ingenium und der puella nicht wie im hier behandelten Kontext als eine Wechselbeziehung. Im Gegenteil, das ingenium, das an diesen Stellen bei den Elegikern bereits als ›Inspiration‹ konnotiert und somit seiner Bedeutung nach mit dem ingenium in der vorliegenden praefatio nicht völlig identisch ist 90 , ist dort von der Existenz bzw. Anwesenheit der puella abhängig, d. h. es wird von der puella überhaupt erst bewirkt. 91 Dagegen wird das ingenium Martials nach dessen Darstellung von der ›materia‹ Domitian, die damit an dieser Stelle die Funktion der Inspiration übernimmt, geradezu – jedenfalls partiell – ersetzt 92 , und auch die Inspirationsfunktion liegt hier zur Gänze bei der materia. Kommt es Martial also vor Beginn des ersten Buches auf die Betonung der Harmlosigkeit seiner Epigrammdichtung an, wenn er die Rolle des ingenium für seine Dichtung als gering bezeichnet, so wird das Motiv dies89 Lorenz (2002), 171–172. 90 Vgl. ThLL VII 1,1533, s. v. ingenium, cap. prius, I B 2 b: de singulis facultatibus mentis, i. q. inspiratio, ʟƬƧƮƴƲƨƠƲƫ̆Ʊ. 91 So bei Prop. 2,1,4: ingenium nobis ipsa puella facit; bei Ov. am. 3,12,16: ingenium movit sola Corinna meum; vgl. auch Prop. 2,30,40; Ov. am. 2,17,33–34; trist. 4,10,59–60. Der gleiche Gedanke auch bei Tib. 2,5,111–112 und Ov. am. 1,3,19–20, ohne daß dort explizit der Begriff des ingenium ins Spiel kommt. Vgl. auch Martial selbst über die Elegiker: ingenium Galli pulchra Lycoris erat (8,73,6). 92 Auch in der Liebeselegie gibt es zwar einzelne Stellen, an denen das dichterische ingenium als durch die materia eingeschränkt erscheint (wie z. B. in dem Vorwurf der personifizierten Tragödie bei Ovid, am. 3,1,25: materia premis ingenium: cane facta virorum), die fraglichen Stellen sind jedoch durchweg anders gelagert als bei Martial, denn es geht dort um eine Einschränkung der freien Entfaltung des ingenium, nicht um dessen Anteil an der Entstehung der Gedichte. – Zu weiteren Äußerungen über das Verhältnis von materia und ingenium in der lateinischen Literatur s.u. S. 111 Anm. 135.

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mal zum Ausdruck einer besonderen Huldigung gegenüber Domitian benutzt. Mit seiner völlig selbstverständlichen Verwendung des Terminus gibt Martial an dieser Stelle zugleich aber auch indirekt zu, daß sein ingenium entgegen seiner zuvor gemachten Aussage tatsächlich ein entscheidendes Element für seine Epigrammdichtung darstellt 93 , das im Zusammenspiel mit dem anderen zentralen Element, der materia, den Kern seiner Dichtung bildet. Ein weiteres Stichwort aus der Vorrede des ersten Buches, das in der praefatio des achten Buches wiederkehrt, ist der Begriff der fama. Während Martials Ruhm in der ersten praefatio allerdings noch eher als etwas zu erwartendes dargestellt wird, wenngleich auch mit einer auffälligen Sicherheit, so erscheint seine fama, bzw. die seiner Bücher, zu der Zeit, da er sich an Domitian wendet, als Realität. Ihre Erwähnung erfolgt hier jedoch nicht im Zusammenhang mit metapoetischen Aussagen, sie steht vielmehr im Dienste der Panegyrik, denn Martial führt allen Ruhm, den seine Bücher jemals erlangt haben, allein darauf zurück, daß der Kaiser zu ihren Lesern gehört. Insofern kann die Stelle nicht als Beleg für eine reale Entwicklung der fama Martials gelesen werden. Neben den soeben in ihren Übereinstimmungen und Unterschieden erörterten Berührungen bei der in bezug auf die eigene Dichtung verwendeten Begrifflichkeit ist im ersten Teil noch eine weitere, grundsätzlichere Parallele zwischen den beiden praefationes zu beobachten. Sie ist auf den ersten Blick etwas weniger offensichtlich, deswegen aber keineswegs von geringerer Bedeutung. Wie bereits erwähnt hebt Martial in der Vorrede des achten Buches das Prinzip der variatio hervor, das er bei der Zusammenstellung des libellus befolgt habe. Im metapoetischen Bereich liegt hierin die Hauptaussage des ganzen ersten Teils. Sie ist wiederum auf das engste verknüpft mit dem anderen Themenbereich dieser epistula, der Kaiserpanegyrik, denn als Grund für seine Anwendung des Prinzips der variatio gibt Martial an, er habe Domitian in seinem Buch nicht durch unausgesetztes Lob langweilen wollen. Wenn man dieses Bekenntnis zur variatio abstrahiert und aus dem konkreten Kontext herauslöst, so erkennt man dahinter den Gedanken an eine ausgewogenen Mischung, das richtige Maß oder die Mäßigung, und dies ist der Gedanke, der bei Martials Betonung seines temperamentum beim Verfassen (satirischer) Epigramme im ersten Teil der ersten praefatio (Mart. 1, praef. 1) ebenfalls im Mittelpunkt stand. 94 Bei einer Gegenüberstellung des zweiten Teils der Prosavorrede zu Buch 8 mit dem entsprechenden Teil der ersten praefatio im Werk Martials ist eine vergleichbare Parallelität hinsichtlich des Hauptthemas sehr viel leich93 Vgl. Adams (1975), 27–28. 94 Vgl. Adams (1975), 27; Spisak (1992), 114.

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ter zu erkennen. Hier wie dort geht es um die für die Epigrammdichtung typische Obszönität der Sprache. Eher am Rande ist zu bemerken, daß Martial gleich zu Anfang dieses zweiten Teils wieder den Gedanken an eine eigene Gattung und damit auch an bestimmte Charakteristika wachruft, wenn er die Bezeichnung epigrammata verwendet (Mart. 8, praef. 11). Wie in seiner ersten praefatio beruft er sich anschließend auf andere, die sich in der genannten Gattung betätigen bzw. betätigt haben. Der wesentliche Unterschied, der zwischen diesen Bezugnahmen auf andere Epigrammdichter besteht, ist oben bereits kurz gestreift worden. In beiden Fällen soll durch Anschluß an eine akzeptierte Gruppe die Verwendung von Obszönitäten in der eigenen Dichtung legitimiert werden. Durch die Art der beiden angeführten Gruppen erhält diese Legitimation jedoch zwei unterschiedliche Dimensionen. Während in der praefatio zu Buch 1 auf einzelne populäre Dichter, gewissermaßen die ›Profis‹ auf dem Gebiet der Epigrammdichtung, verwiesen wird, ist es in der Vorrede des achten Buches die Verbreitung dieser Dichtung unter den ›Amateuren‹, selbst in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Interessant ist insbesondere, daß die Gruppe der ›Amateure‹ offenbar auch Personen einschließt, die im Grunde eher Martials Gegnern zuzurechnen sein müßten. Dies wird durch deren Attribuierung mit dem Adjektiv severus (Mart. 8, praef. 11) nahegelegt, das in der praefatio zum ersten Buch für Cato als Symbolfigur für die gestrengen Gegner Martials verwendet worden war (Mart. 1, praef. 20). 95 Damit erinnert diese Berufung auf ›andere Dichter‹ in besonderem Maße an Plinius’ Epistel 5,3, in der dieser als Rechtfertigung dafür, daß er in seinen Mußestunden zu wenig strenge Verschen – versiculi parum severi – dichtet, eine lange Reihe prominenter Präzedenzfälle aus der römischen Vergangenheit anführt (Plin. epist. 5,3,5–6). 96 Ein weiterer Anklang an den zweiten Teil der praefatio des ersten Buches wird erkennbar in dem Ausdruck mimica verborum licentia (Mart. 8, praef. 12–13), mit dem Martial die Epigrammdichtung der severissimi viri charakterisiert und der spontan an die ebenfalls dreigliedrige Bezeichnung der Sprache der Epigramme als lasciva verborum veritas (Mart. 1, praef. 9) erinnert. Zudem wird durch das Adjektiv mimicus noch ein anderer Aspekt wieder aufgenommen, der in der ersten praefatio eine wichtige Rolle spielt. Auch dort erfolgte eine Assoziierung der Epigrammdichtung mit Mimen95 Vgl. Lorenz (2002), 171; Adams (1975), 29. 96 Daß diese Verse ebenfalls oft von einer mimica verborum licentia geprägt waren, zeigt Plin. epist. 4,14,4: […] erit eruditionis tuae cogitare summos illos et gravissimos viros qui talia scripserunt non modo lascivia rerum, sed ne verbis quidem nudis abstinuisse. (»[…] wird es Sache deiner Bildung sein, daran zu denken, daß jene überaus bedeutenden und ernsthaften Männer, die derartiges geschrieben haben, nicht nur obszöne Themen, sondern auch drastisch offene Worte keineswegs gemieden haben.«).

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darstellungen im Theater, allerdings auf indirekte Weise über das Fest der Floralia. Hier dagegen wird das Epigramm ganz generell mit dem Mimus in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang läßt sich auch das Klangbild des lascive loqui (Mart. 8, praef. 14) als eine Reminiszenz an das latine loqui der praefatio zu Buch 1 betrachten (Mart. 1, praef. 13). Durch den Detailvergleich ist deutlich geworden, wie eng die metapoetische Aussage im zweiten Teil von Martials epistula an Domitian am zweiten Teil der praefatio seines ersten Buches orientiert ist. Auffällig ist insbesondere die in geschickter Variation nahezu vollständige Wiederkehr der einschlägigen Stichworte und Gesichtspunkte des ersten Textes. Doch damit nicht genug. Betrachtet man die praefatio von Buch 8 nun wieder als ganze, so zeigt sich, daß die oben gemachte Feststellung ihrer grundsätzlichen strukturellen Parallelität zur Vorrede des ersten Buches das komplexe Verhältnis der beiden Texte noch nicht hinreichend beschreibt. Hier sind noch einige Präzisierungen nötig. Für die ersten Teile der beiden praefationes war eine motivische Analogie hinsichtlich des zentralen Gedankens der Ausgewogenheit beim Verfassen bzw. Zusammenstellen eines Gedichtbuches beobachtet worden. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch beim jeweiligen Gegenstand des Maßhaltens: In der ersten praefatio betont Martial seinen maßvollen Umgang mit der satirischen Dichtung, d. h. letztlich mit etwas, das von den Rezipienten (und im Falle von politischer Satire speziell von Domitian) als negativ empfunden werden könnte. In der praefatio des achten Buches ist es umgekehrt sein erklärtes Ziel, ein Zuviel des Guten, d. h. konkret des Kaiserlobs, zu vermeiden. Im Gegensatz dazu befassen sich die zweiten Teile zwar beide mit demselben Gegenstand, doch liegt diesmal ein deutlicher Unterschied in der Haltung, die Martial jeweils dazu einnimmt. In beiden Fällen bezeichnet er die obszöne Sprache als ein Gattungscharakteristikum des Epigramms. Während er sich aber zu Beginn des ersten Buches explizit zur Verwendung dieser Sprache bekennt, erklärt er im achten Buch seine mit Blick auf den Adressaten diesmal geübte Zurückhaltung. Obgleich die vorliegende epistula einen erheblichen Anteil von Huldigungen an die Adresse Domitians enthält und dementsprechend oft in der Hauptsache als panegyrischer Widmungsbrief gesehen wird97 , ist in dem relativ geringen Raum, den daneben das Poetologische einnimmt, eine außerordentlich große Zahl von unterschiedlich gearteten Rückbezügen auf

97 Z. B. bezeichnet Adams (1975), 28, diese epistula als »one of the grossest cases of flattery and toadyism to be found in the pages of Martial«, räumt jedoch zugleich ein, daß Martial hier wohl nicht ganz ernst zu nehmen sei.

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die Vorrede zu Buch 1 festzustellen. 98 Tatsächlich werden alle dort wesentlichen Aspekte in irgendeiner Form aufgegriffen oder zumindest kurz berührt, und dies, obwohl die praefatio des achten Buches sogar etwas kürzer ist als die des ersten. Martial spielt in beeindruckender Weise mit einem Prätext, der diesmal von ihm selbst stammt. Durch diese Intratextualität erhält die vorliegende praefatio zum einen eine große inhaltliche Dichte, zum anderen aber auch eine eigene Literarizität. Letztere wird weiter erhöht durch die Kunst, mit der Martial innerhalb der praefatio seine im Grunde schon bekannten programmatischen Aussagen neu gestaltet und mit panegyrischen Aussagen verknüpft. In gewisser Weise wird bereits dadurch – in umgekehrter Form – das im ersten Teil der praefatio postulierte Prinzip der variatio praktisch umgesetzt. Die epistula zu Beginn des achten Buches ist somit weit mehr als der ausschließlich an den Kaiser gerichtete Widmungsbrief, als der sie vordergründig gestaltet ist. Als unausgesprochener zweiter Adressat dieser praefatio bzw. konkret der darin enthaltenen metapoetischen Aussagen ist das allgemeine Publikum mindestens genauso wichtig. In dieser Kommunikation Martials mit dem anonymen Leser sind zwei Aussageebenen klar voneinander zu unterscheiden: Die offensichtlichere ist die mit der Widmungsfunktion der epistula im Einklang befindliche Erklärung des besonderen Charakters des vorliegenden Buches, das eben nicht dem entspricht, was man gemeinhin von einem Epigrammbuch Martials erwartete. 99 Auf der zweiten Ebene werden jedoch gerade durch die Betonung der Besonderheit des einzelnen Buches indirekt auch generelle Aussagen über das typische Wesen der Epigrammdichtung gemacht. In diesem Zusammenhang deutet insbesondere die Wiederaufnahme des Aspektes der obszönen Sprache darauf hin, daß Martial nach wie vor einen gewissen Wert darauf legt zu betonen, daß sich auch seine freizügigere Dichtung im Bereich der Konventionen bewegt. Trotz des großen Gewichtes der metapoetischen Aussagen soll die Widmungsfunktion der vorliegenden praefatio jedoch keineswegs marginalisiert werden. Im Gegenteil, man wird der Gesamtbedeutung der epistula an Domitian nur dann gerecht, wenn man eine parallele Gültigkeit der beiden

98 Ein knapper Überblick über einige dieser Rückbezüge findet sich auch bei Beck (2002), 199; seine selbstverständliche Parallelisierung des Epigramms 8,1 mit dem epigramma extra ordinem paginarum der ersten praefatio muß allerdings fragwürdig erscheinen. 99 Lorenz (2002), 171–172, ist der Ansicht, daß Martial hier tatsächlich ein »ein völlig neuartiges Buch« ankündigt, mit dem er statt als Dichter obszöner Epigramme jetzt als Panegyriker erscheinen will, und sieht in der mangelnden Glaubwürdigkeit einer solch radikalen Abkehr vom bisherigen epigrammatischen Konzept ein Moment der Komik; vgl. auch Adams (1975), 26. – Tatsächlich verzichtet Martial in Buch 8 keineswegs völlig auf lascivia, wohl aber auf extreme Obszönitäten: Schöffel (2002), 19–20.

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Funktionen anerkennt. Ein konkreter Hinweis darauf, wieso Martial diese praefatio ausgerechnet dem achten Buch voranstellt, nachdem er zuvor längere Zeit darauf verzichtet hat, läßt sich, jedenfalls innerhalb der epistula selbst, nicht finden. Festzuhalten ist jedoch, daß die gegenüber einer Behandlung innerhalb der Epigramme in der epistula ohnehin schon exponierte Stellung beider Themen durch den vorherigen längeren Verzicht auf praefationes noch weiter betont wird. Der Leser gewinnt den Eindruck, daß Martial, wenn er nach so langer Zeit wieder eine Prosavorrede voranstellt, darin etwas Gewichtiges mitzuteilen haben muß. An derart prominenter Stelle verbindet Martial seine Huldigung an den Kaiser mit der Gelegenheit, einige Grundsätze seiner Epigrammdichtung nochmals neu zu formulieren. Der Hinweis auf die Besonderheit des Domitian zugeeigneten Buches fungiert dabei im wesentlichen als eine Art Bindeglied zwischen diesen beiden Hauptaussagen der praefatio. Infolgedessen kommt es letztlich auch gar nicht so sehr darauf an, inwieweit das Buch den in der epistula angekündigten Ausnahmecharakter tatsächlich aufweist. Entscheidend ist vielmehr allein die Ankündigung einer solchen Besonderheit, da erst durch sie, d. h. konkret im Kontrast zu ihr, die Möglichkeit gegeben wird, einige grundsätzliche Angaben über die eigene Dichtung in variierter Form zu wiederholen. Übersetzung der praefatio: DEM KAISER DOMITIANUS CAESAR AUGUSTUS GERMANICUS DACICUS ÜBERSENDET VALERIUS MARTIALIS SEINEN GRUSS Zwar huldigen alle meine kleinen Bücher Dir, Herr, denen du Ruhm, d. h. Leben gegeben hast; und ich glaube, deshalb wird man sie lesen. Dennoch genießt dieses, welches als das achte meines Werkes überschrieben ist, häufiger die Gelegenheit zu frommer Verehrung. Um so weniger mußte sich meine dichterische Begabung anstrengen, an deren Stelle die Thematik gerückt war: Allerdings habe ich mich bemüht, letztere immer wieder durch eine Art Mischung mit scherzhaften Gedichten zu variieren, damit nicht jeder Vers deiner göttlichen Zurückhaltung ihr Lob aufnötigt, das leichter Dich ermüden als mich zufriedenstellen könnte. Obwohl aber Epigramme auch von äußerst gestrengen und in höchstem Ansehen stehenden Männern derart verfaßt wurden, daß sie eine Zügellosigkeit der Wortwahl zu erstreben scheinen, wie sie dem Mimus eigen ist, habe ich jenen dennoch nicht erlaubt, so locker zu reden wie sonst. Da der größere und bessere Teil des Buches mit der Hoheit Deines Namens verknüpft ist, soll es im Gedächtnis behalten, daß nur die durch gewissenhafte Reinigung Entsühnten sich den Tempeln nähern dürfen. Damit meine künftigen Leser wissen, daß ich dies wahren werde, fand ich es richtig, gleich auf der Schwelle dieses Buches hier in einem ganz kurzen Epigramm zu erklären.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

3.1.4 Die praefatio zu Buch 9 der Epigramme Have, mi Torani, frater carissime. Epigramma, quod extra ordinem paginarum est, ad Stertinium clarissimum virum scripsimus, qui imaginem meam ponere in bibliotheca sua voluit. De quo scribendum tibi putavi, ne ignorares Avitus iste quis vocaretur. Vale et para ho- 5 spitium. Note, licet nolis, sublimi pectore vates, cui referet serus praemia digna cinis, hoc tibi sub nostra breve carmen imagine vivat, quam non obscuris iungis, Avite, viris: ›Ille ego sum nulli nugarum laude secundus, quem non miraris sed puto, lector, amas. Maiores maiora sonent: mihi parva locuto sufficit in vestras saepe redire manus.‹

ep. 5

Die Vorrede zum neunten Buch der Epigramme unterscheidet sich erheblich von den übrigen praefationes Martials. Sie besteht aus einem sehr kurzen Prosatext gefolgt von einem achtzeiligen Epigramm, das ebenso wie das vierzeilige Epigramm am Schluß der Vorrede des ersten Buches nicht zum Inhalt des eigentlichen Buches gehört. Während Martial das Epigramm dort als Abschluß der praefatio bezeichnete (Mart. 1, praef. 17), nimmt er das Epigramm in der vorliegenden praefatio mit der Angabe, es stehe extra ordinem paginarum explizit aus der Zahl der Epigramme, die den Inhalt des Buches bilden, aus. 100 Der in Prosa verfaßte Teil dieser epistula gibt sich als informeller Brief an Toranius, der, wie aus der vertraulichen Anrede (Mart. 9, praef. 1) hervorgeht, offenbar ein enger Freund Martials war. 101 In dieser knappen Notiz erklärt Martial dem Toranius lediglich, was es mit dem Epigramm extra ordinem paginarum auf sich hat, für wen es geschrieben wurde und weshalb. Das nachfolgende Epigramm umfaßt vier elegische Distichen. Es ist, wie wir aus Martials Erklärung für Toranius erfahren, an den Senator L. Stertinius Avitus gerichtet, der sich in seiner Freizeit auch als Dichter betätigte. 102 Offenbar hatte dieser um eine passende Unterschrift zu einem hier nicht näher spezifizierten Bildnis Martials gebeten, das er in seiner Biblio100 Auch in der praefatio des zweiten Buches gibt Martial an, daß die epistula vor der pagina prima stehe (Mart. 2, praef. 15). Eine möglicherweise speziellere buchtechnische Bedeutung des Ausdruckes extra ordinem paginarum ist nicht geklärt, vgl. S. 60 Anm. 6. 101 Für Überlegungen zur Person des nur bei Martial, hier und in 5,78, erwähnten Toranius s. Friedlaender (1886), 2,49–50; Henriksén (1998/99), 1,52. 102 Zur Person des Stertinius Avitus in Martials Epigrammen s. Henriksén (1998/99), 1,51–52.

Die praefatio zu Buch 9 der Epigramme

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thek aufzustellen gedachte (Mart. 9, praef. 3–4). 103 In der zweiten Hälfte des Epigramms steht dann die Bildunterschrift selbst, d. h. ein trotz seiner Integration in das epigramma extra ordinem paginarum im Grunde selbständiges und in sich geschlossenes Gedicht, das sich auch nicht mehr nur an Avitus wendet. Hierin nimmt Martial mit einer Reihe programmatischer Aussagen sehr selbstbewußt Stellung zu seiner Art der Dichtung. Dies wird bereits in dem prägnanten Einsatz Ille ego sum… (Mart. 9, praef. ep. 5) deutlich, der an verschiedene bekannte Vorbilder anknüpft, darunter die vier Verse, die angeblich ursprünglich den Beginn von Vergils Aeneis bildeten (Don. vita Verg. 163–169) oder der Anfang von Ovids Tristia 4,10: Ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum… 104 Trotz ihrer auffallenden Kürze zerfällt die epistula somit in drei deutlich voneinander abgegrenzte Teile, in denen sich die Kommunikation auf jeweils unterschiedlicher Ebene abspielt. Ausgangspunkt und gewissermaßen der Kern der praefatio ist die von Avitus gewünschte Bildunterschrift. Mit dieser befassen sich auf der zweiten Ebene Martials begleitende Verse an Avitus, und auf einer dritten Ebene steht schließlich sein erläuterndes Begleitschreiben an Toranius. Damit bildet die epistula eine in sich fest geschlossene Einheit. Ein Bezug auf das folgende neunte Buch der Epigramme wird hingegen mit keinem Wort hergestellt. Schon deshalb ist es bei dieser epistula schwierig, ihre konkrete Zueignungsfunktion für das vorliegende Buch auszumachen. Erschwerend kommt hinzu, daß Martial hier durch die Verknüpfung zweier epistulae gleich zwei verschiedene Adressaten anspricht. Teilweise wird die Nennung von Toranius und Avitus sogar lediglich als eine ehrende Erwähnung aufgefaßt. In diesem Falle gilt als eigentlicher Zueignungsadressat des Buches der im Epigramm 9,1 erstmals genannte Kaiser Domitian. 105 In engem Zusammenhang mit den verschiedenen Kommunikationsebe103 Das Aufstellen von Bildnissen bekannter Schriftsteller in Bibliotheken war in Rom weit verbreitet, s. Lausberg (1982), 245–246 m. Anm. 4 (S. 562); Henriksén (1998/99), 1,52–53. Solche Bilder wurden häufig auch mit Versinschriften versehen, die aber nicht unbedingt immer von der durch das Bildnis geehrten Person selbst verfaßt wurden, vgl. Cic. Att. 1,16,15: Epigrammatis tuis quae in Amalthaeo posuisti contenti erimus, praesertim cum et Thyillus nos reliquerit et Archias nihil de me scripserit (»Ich werde mich mit deinen Epigrammen, die du im Amalthaeum aufgestellt hast, begnügen, zumal Thyillus mich versetzt und Archias nichts über mich geschrieben hat.«) in Verbindung mit Nep. Att. 18,5–6: namque versibus, qui honore rerumque gestarum amplitudine ceteros Romani populi praestiterunt, exposuit ita, ut sub singulorum imaginibus facta magistratusque eorum non amplius quaternis quinisque versibus descripserit (»Denn er hat ja diejenigen, die an Ehre und Größe ihrer Taten die übrigen Römer übertroffen haben, mit Versen präsentiert und zwar so, daß er unter dem Bildnis eines jeden dessen Taten und Ämter in nicht mehr als vier oder fünf Versen darstellte.«) sowie Plin. epist. 4,28,1. 104 Für weitere Beispiele, auch aus dem Bereich der Epigraphik s. Austin (1968), La Penna (1985). 105 Nauta (2002), 115 u. 124; ähnlich auch Merli (1993), 246 Anm. 45.

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nen steht die Frage nach dem in den einzelnen Teilen jeweils sprechenden »Ich«. Im Gegensatz zur dialogisch gestalteten praefatio des zweiten Buches ist es zwar letztlich immer Martial, der hier in der ersten Person spricht, dennoch ist es wichtig, die einzelnen »Ichs« zu differenzieren. Insbesondere das der Bildunterschrift ist ein anderes als das in den beiden vorhergehenden Abschnitten. Hier spricht der Dichter konkret in Gestalt seines Bildnisses zu jedem seiner – gegenwärtigen wie zukünftigen – Betrachter. Das »Ich« des kommentierenden Prosateils ist dagegen gleichzusetzen mit dem paratextuellen Sprecher der vorhergehenden praefationes. Am schwierigsten ist die Frage nach dem Ich-Sagenden für die einleitenden Verse im ersten Teil des Epigramms extra ordinem paginarum. Betrachtet man dieses Epigramm für sich allein, so ist das »Ich« hier nicht zu unterscheiden von der persona des Dichters, wie sie auch in anderen Gedichten erscheint. Durch den direkten Anschluß an den Prosateil wird es jedoch sehr nahe an das »Ich« der praefationes herangerückt, von dem es aber nach wie vor zu unterscheiden ist. In der Vergangenheit wurden einige Versuche unternommen, die Eigentümlichkeit dieser praefatio zu erklären. Nach der Ansicht von White handelt es sich hier um einen spontanen persönlichen Begleitbrief Martials, mit dem er ein Vorabexemplar des Buches zur kritischen Beurteilung an Toranius gesandt habe. Die Erwähnung am Anfang des Buches sei jedoch auch in dieser Form und trotz einer fehlenden ausdrücklichen Widmung für beide genannten Personen ehrenvoll gewesen.106 Ihm folgt Henriksén, der der epistula aus diesem Grunde sogar den Charakter einer praefatio im üblichen Sinne abspricht. Er erwägt außerdem eine Art funktioneller Zweiteilung der praefatio, derzufolge die eigentliche Zueignung durch das epigramma extra ordinem paginarum ausgedrückt werde, während der Prosatext ein reines Gelegenheitsschreiben sei, mit dem Martial ein Korrekturexemplar an Toranius gesandt habe. 107 Merli hält hingegen auch eine bewußt private Gestaltung der praefatio für denkbar. Diese diene entweder eben einer solchen informellen Ehrung eines Freundes, eventuell habe Martial aber auch gerade beabsichtigt, dem Buch damit einen Anschein von Improvisation und Privatheit zu geben. 108

106 White (1974), 58. – Nach der sehr viel älteren Hypothese von Immisch (1911), 495, handelt es sich sogar lediglich um ein Fragment des ursprünglichen Widmungsbriefes, das als notwendiger Kommentar zum Epigramm extra ordinem paginarum in einem Teil der antiken Textausgaben erhalten geblieben sei, während der Rest des Schreibens wie die praefationes der meisten anderen Bücher unterdrückt wurde. Hierfür spreche auch, daß die epistula nur in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung enthalten ist. Gegen diese Ansicht bereits Birt (1913), 369–70, und Lehmann (1931), 56. 107 Henriksén (1998/99), 1,48–49. 108 Merli (1993), 246 Anm. 45.

Die praefatio zu Buch 9 der Epigramme

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In der Tat wird insbesondere durch die Schlußbemerkung vale et para hospitium (Mart. 9, praef. 5–6), deren Sinn dem allgemeinen Leser unklar bleibt, der Eindruck verstärkt, es handele sich um ein privates Schreiben Martials an Toranius. Nauta spricht hier in Übertragung des von Rösler verwendeten Begriffes »Informationsdefizit« von einem »information gap«. Ein solches Informationsdefizit besteht immer dann, wenn das Verständnis einer Textstelle vom Vorhandensein bestimmter Informationen abhängt, die zwar beim ursprünglichen Adressaten vorausgesetzt werden konnten, dem allgemeinen Leser dagegen fehlen.109 Dennoch muß es, auch in Anbetracht der anderen praefationes im Werk Martials, fragwürdig erscheinen, ob eine Auffassung als bloßer Gelegenheitstext dem Wesen und der Funktion der epistula gerecht wird. Der auf den ersten Blick rein funktionale Prosateil der praefatio bietet für die hier zugrunde gelegte Fragestellung kein verwertbares Material. Innerhalb des Epigramms extra ordinem paginarum, vor allem in dessen zweiter Hälfte, lassen sich dagegen einige Aussagen Martials über seine Dichtung feststellen. Er bekennt sich darin ausdrücklich zur Dichtung von nugae und wählt damit wiederum einen Begriff, der auch von Catull »but once, though prominently« 110 zur Bezeichnung seiner Gedichte verwendet wurde: namque tu solebas / meas esse aliquid putare nugas (»denn du pflegtest zu glauben, daß meine Nichtigkeiten etwas wert seien«; Catull. 1,3–4). Die Abgrenzung der eigenen kleinen Form von den großen Gattungen der Poesie wird durch eine Reihe von antithetischen Begriffen verdeutlicht. Besonders augenfällig wird dieser Gegensatz im siebten Vers des Epigramms, in dem jedes Wort eine sachlich gegensätzliche Entsprechung findet: maiores/mihi, maiora/parva, sonent/locuto.111 In diesem außerordentlich dichten Vers kommen drei wesentliche Aspekte zur Sprache: die Dichter selbst, die materia und die Art der Umsetzung. Bezüglich des Inhaltes und der Sprache macht Martial hier eine sehr konkrete Angabe zu seiner Dichtung, indem er seine Tätigkeit als parva loqui bezeichnet. Durch die Behandlung solcher kleinen, alltäglichen Stoffe ernte man zwar keine Bewunderung für besondere Gelehrsamkeit oder Großartigkeit der Darstellung 112 , aber man werde vom Publikum geliebt und gelesen. Mit dieser Art von Erfolg erklärt sich Martial auch durchaus zufrieden (Mart. 9, praef. ep. 7–8). Die erhabene Dichtung dagegen überläßt er in Form einer recusatio bereitwillig anderen, die er durch die Bezeich-

109 Nauta (2002), 115 u. 39–41, unter Verweis auf Rösler (1980), 41–45. 110 Swann (1994), 47. 111 Henriksén (1998/99), 1,55; vgl. Borgo (2003), 77. 112 Citroni (1968), 276; vgl. Henriksén (1998/99), 1,54.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

nung als maiores gleichzeitig über sich selbst stellt. Im Bereich der Dichter geht die dreiteilige Antithese aber noch ein Stück über den bloßen Gegensatz der Gattungen hinaus: Während die maiores als nicht weiter individualisierte Gruppe und damit zugleich auch als große Überzahl erscheinen, bildet Martial im Gegensatz dazu eine singuläre Ausnahme. Sein Selbstbewußtsein in bezug auf seinen Rang innerhalb der eigenen Gattung wird dadurch allerdings keineswegs geschmälert, ganz im Gegenteil, wie der zweite Teil des ersten Verses zeigt: …nulli nugarum laude secundus (Mart. 9, praef. ep. 5). 113 Auch betrachtet es Martial geradezu als selbstverständlich, daß Avitus sein Bild unter non obscuri viri (Mart. 9, praef. ep. 4) einreiht. 114 Überdies konkretisiert sich der gattungstheoretische Gegensatz in der Gegenüberstellung der beiden Dichter Martial und Avitus. Letzterer ist, wie seine Apostrophierung als sublimi pectore vates (Mart. 9, praef. ep. 1) zeigt, wohl als ein Vertreter eben dieser erhabenen Gattungen, vermutlich des Epos, anzusehen. 115 Der Gegensatz der Gattungen wird hier zusätzlich unterstrichen durch die Charakterzeichnung ihres jeweiligen Vertreters, und zwar bezogen auf ihren Umgang mit der Reaktion ihrer Rezipienten. Martials Selbstaussagen sind durchweg von einem stolzen Bewußtsein seiner gegenwärtigen Popularität geprägt, während Avitus seine Bekanntheit als Dichter eher unangenehm zu sein scheint: Note, licet nolis, ... vates (Mart. 9, praef. ep. 1). 116 Daher würden ihm die praemia digna (Mart. 9, praef. ep. 2) für seine Dichtung auch erst postum zuteil werden. Martial evoziert hier den Eindruck einer allgemeinen Distanziertheit der Epik, der er die Unmittelbarkeit seiner Epigrammdichtung gegenüberstellt. 117 Aufgrund der auffallenden Dichte der metapoetischen Aussagen innerhalb des epigramma extra ordinem paginarum kann dieses Gedicht, bzw. hauptsächlich die Bildunterschrift in dessen zweiter Hälfte, geradezu als die eigentliche praefatio des Buches erscheinen. 118 Wie im folgenden noch gezeigt werden wird, ist diese Beobachtung in bestimmter Hinsicht sehr 113 Dams (1970), 202, verweist in diesem Zusammenhang auf die Verwendung des Terminus laus anstelle von gloria, wodurch der Unterschied in der Art des Erfolges ebenfalls ausgedrückt werde. 114 Muth (1979), 216, verweist auf die leichte Ironie, die bei dieser Zurechnung mitschwingt. 115 Henriksén (1998/99), 1,51; vgl. 1,53. 116 Vgl. Henriksén (1998/99), 1,51. 117 Eine vergleichbare Einstellung findet sich auch bei Juvenal, der seine Entscheidung für die Satirendichtung auch durch die fehlende Realitätsnähe literarischer Gattungen wie Epos und Tragödie begründet (Iuv. 1,51–61). 118 S. z. B. Nauta (2002), 115, der seine erste Angabe, das ganze Epigramm sei als praefatio behandelt worden, gleich darauf jedoch auf dessen zweite Hälfte einschränkt: »The inscription, with its generalised reference to an anonymous readership, makes a suitable preface to a published book but the epigram as a whole is an occasional text [...]«; im Anschluß daran Lorenz (2002), 189.

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zutreffend, wenn auch auf andere Weise, als dies bisher gesehen wurde. Gegen Whites oben erwähnte These von der rein privaten Ausrichtung der epistula führt Lorenz an, daß im zweiten Teil des epigramma extra ordinem paginarum ja auch das allgemeine Publikum in die Kommunikation mit einbezogen werde. 119 Dennoch fällt es wegen der komplexen Geschlossenheit der epistula etwas schwer, ihrem letzten Teil eine präfatorische Funktion für das neunte Buch zuzuweisen. Das an sich selbständige Epigramm wird durch die beiden vorhergehenden Teile eindeutig als eine für Martials Bildnis in der Bibliothek des Avitus bestimmte Inschrift ausgewiesen und somit nicht nur in keinen spezifischen Zusammenhang mit dem neunten Buch, sondern sogar explizit in einen anderen Kontext gestellt. 120 Prinzipiell ist auch denkbar, daß die Angabe der konkreten Bestimmung für das in das epigramma extra ordinem paginarum integrierte Epigramm rein funktionaler Natur ist. 121 Einen deutlichen Kontrast zum epigramma extra ordinem paginarum mit seiner zumindest teilweise stark poetologischen Ausrichtung bildet der vorhergehende Prosatext, dessen Inhalt für Außenstehende teilweise geradezu unverständlich, in jedem Falle aber banal und irrelevant bleibt. Man fragt sich, weshalb es ausgerechnet hier angeblich unverzichtbar ist, die Identität des im Epigramm genannten Avitus zu erhellen. Mit Recht verweist Nauta auf die an dieser Stelle erfolgende Verschiebung des Informationsdefizits auf der Seite des allgemeinen Lesers: Zwar erfüllt der Prosateil von Martials epistula seine vordergründige Hauptfunktion, zusätzliche Informationen zum epigramma extra ordinem paginarum zu vermitteln, zugleich präsentiert er aber ein neues Informationsdefizit. 122 Dies geschieht besonders pointiert, buchstäblich im letzten Augenblick, wodurch die Existenz eines solchen Informationsdefizits nachhaltiger in das Bewußtsein des 119 Lorenz (2002), 189. Sein zweites Argument, das allgemeine Publikum werde »auch dadurch in die Kommunikation einbezogen, dass das vorliegende Gesamtbuch durch die Formulierung extra ordinem paginarum explizit erwähnt wird« (vgl. auch Lorenz (2001), 263), ist allerdings nicht zwingend. Ohne daß damit der These von White der Vorzug gegeben werden soll, ist zu diesem Argument folgendes anzumerken: Richtig ist, daß die epistula an dieser Stelle mit einem Gedichtbuch in Verbindung gebracht wird, und es ist naheliegend, dabei an das vorliegende Buch 9 der Epigrammaton libri zu denken. Für sich allein ist der fragliche Ausdruck dennoch gänzlich unspezifisch, und die epistula könnte damit auch vor jedem anderen Buch Martials stehen. Zum anderen besagt selbst die Tatsache, daß Martial gegenüber Toranius das epigramma extra ordinem paginarum in einen Zusammenhang mit dem (nachfolgenden) Buch stellt, noch nicht zwangsläufig, daß der Brief selbst auch für die Publikation bestimmt war. 120 Fearnley (1998) sieht allerdings einen impliziten Zusammenhang mit den im neunten Buch enthaltenen Gedichten über Bauten und Bildnisse Domitians: »…the preface to Epigrams 9 sets up a model for the ideal relationship between image and text, a theme which is played out through the book.« (213); ihr folgt Lorenz (2002), 208. 121 Vgl. Lausberg (1982), 246. 122 Nauta (2002), 115.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

allgemeinen Lesers dringt, als es bei einer unkommentierten Rezeption des epigramma extra ordinem paginarum der Fall wäre. Jeder Leser kann dem dritten Vers des Epigramms entnehmen, daß es letztlich um eine Bildunterschrift geht. Eine genauere Spezifizierung des Bildnisses, wie sie im Prosateil erfolgt, ist dagegen nicht elementar notwendig. Was schließlich die Identität des Avitus angeht, so ist der Leser durchaus daran gewöhnt, daß Martial in seiner Dichtung Namen verwendet, die keiner bestimmten Person zuzuordnen sind, zumal er eine gewisse Entindividualisierung in der praefatio des ersten Buches sogar zu einem Prinzip seiner Dichtung erklärt. Der eigentümliche Charakter der vorliegenden praefatio wird jedoch verständlicher, wenn man den Text vor dem Hintergrund der vorhergehenden praefationes Martials betrachtet.123 Wichtig ist zunächst die epistula an Decianus zu Beginn von Buch 2. Wesentlichstes Argument für Martials dortige Kernaussage, daß Prosavorreden für Epigrammbücher im Grunde unnötig seien, ist die Selbständigkeit des Epigramms, das jederzeit in der Lage sei, für sich selbst zu sprechen: epigrammata curione non egent et contenta sunt sua, id est mala, lingua: in quacumque pagina visum est, epistulam faciunt (Mart. 2, praef. 6–8). In der epistula des neunten Buches wird genau diese Selbständigkeit des Epigramms dem Rezipienten durch praktische Umsetzung erneut vor Augen geführt. Dies geschieht in zweifacher Hinsicht, zum einen im kleineren Rahmen mit der ersten Hälfte des epigramma extra ordinem paginarum, die als Fürsprecher für das im zweiten Teil des Gedichtes stehende, prinzipiell aber selbständige Epigramm fungiert, zum anderen in deutlich größerem Rahmen durch die grundsätzlichen dichtungskritischen Aussagen, die das selbständige Epigramm (Mart. 9, praef. ep. 5-8) enthält. Es spricht auf diese Weise für sich bzw. seinen Dichter und dessen Epigrammdichtung allgemein. Das Epigramm, innerhalb dessen sich sämtliche programmatischen Aussagen der vorliegenden praefatio finden, wird hier nachdrücklicher außerhalb des Buches gestellt, als dies bei Martials anderem epigramma extra ordinem paginarum in der Vorrede des ersten Buches geschieht. Auf diese Weise wird das Epigramm aus der Masse der ›normalen‹ Epigramme herausgehoben und in den Bereich des Paratextes gezogen. Diese Paratextualisierung aber erfolgt durch den scheinbar so unwichtigen Prosateil der epistula. Dessen Hauptfunktion ist es also nicht, die Identität des Avitus zu

123 Fraglich erscheinen muß hingegen die Auffassung von Borgo (2003), die für die vorliegende praefatio eine Reihe von Bezügen auf bestimmte Horaz-Passagen postuliert (epist. 1,13; den Sphragis-Charakter von carm. 2,20 u. 3,30; die »kallimacheische« recusatio in carm. 4,15,1 sowie den exklusiven Anspruch des Lyrikers in carm. 1,1,35–36), nicht nur, da die Bezugsstellen sehr disparat sind, sondern auch, weil durchweg deutliche, ihrer Art nach aber unterschiedliche Abwandlungen konstatiert werden.

Die praefatio zu Buch 9 der Epigramme

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erläutern, sondern unter eben diesem Vorwand einen Grund für die exponierte Stellung des epigramma extra ordinem paginarum zu liefern. Martials Spiel mit seiner Vorrede zu Buch 2 reicht allerdings noch weiter. Die Gestaltung der praefatio, bzw. konkret der persönliche Charakter der Kommunikation im Prosateil, provoziert letztlich auch eine Frage wie das Quid nobis cum epistula?, mit dem Decianus seinen Einwand in der praefatio des zweiten Buches eingeleitet hatte, nur mit dem Unterschied, daß sie sich diesmal nicht für den Adressaten, sondern für den allgemeinen Leser stellt. Die Frage wird dementsprechend auch nicht formuliert, sie spiegelt sich jedoch nicht zuletzt in den modernen Erklärungsversuchen, die für die Eigentümlichkeit der hier behandelten Vorrede angeboten werden. Martial macht das außenstehende Publikum hier wiederum zu Zuschauern, diesmal allerdings nicht einer szenischen Darbietung, sondern seiner scheinbaren privaten Interaktion mit Toranius, und wiederholt damit zugleich in variierter Form die Grundkonstellation der Vorrede des zweiten Buches. Die soeben dargelegten Rückbezüge auf die epistula zu Beginn des zweiten Buches machen deutlich, daß Martial auch in der vorliegenden praefatio die Verwendung von Prosavorreden grundsätzlich in Frage stellt. Seine offenbar unveränderte Ablehnung manifestiert sich hier allerdings in sehr viel subtilerer Weise durch Umsetzung der zu Beginn des zweiten Buches generell formulierten Ansicht: Mit der Verlagerung aller poetologischen Aussagen in das epigramma extra ordinem paginarum wird sowohl die These von der Überflüssigkeit des Prosateils als auch die gattungstypische Selbständigkeit des Epigramms nachdrücklich untermauert. Neben diesen signifikanten Bezügen auf die Vorrede des zweiten Buches muß die vorliegende epistula auch im Zusammenhang mit der praefatio von Buch 8 gesehen werden. Auf eine solche Relation verweist auch Lorenz, der den Blick zugleich auf die ganze Eingangssequenz des Buches richtet. Seiner Ansicht nach ist die Erwähnung der eher unbedeutenden Personen Toranius und Avitus vor der Nennung Domitians im ersten Gedicht als ein deutliches Signal dafür zu werten, daß Martial in diesem Buch dem Kaiser nicht mehr die höchste Priorität einräumen will.124 Diese durchaus plausible Deutung zeigt sich aber auch stark von Lorenz’ hauptsächlichem Erkenntnisinteresse, der Rolle der Kaiserpanegyrik als Bestandteil der Epigrammaton libri Martials, geleitet. Betrachtet man die Vorreden des achten und des neunten Buches aus der Perspektive der praefationes selbst, so läßt sich die Beziehung zwischen beiden Texten noch etwas präziser fassen. Auffällig ist zunächst ein Gegensatz hinsichtlich der Stilhöhe beider 124 Lorenz (2002), 190; er zieht außerdem die Möglichkeit in Betracht, daß es sich bei den in der epistula Genannten Toranius und Avitus gar nicht um reale Personen handelt.

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praefationes. Die beinahe saloppe Grußformel und der im ganzen informelle Charakter der Vorrede zu Buch 9 kontrastieren stark mit dem durch die außergewöhnlich förmliche Anrede und die wiederholten Bezüge auf den religiösen Bereich eher erhabenen Stil der epistula an Domitian. Diese Beobachtung kann einerseits als ein weiteres Argument für die eben vorgetragene Sicht von Lorenz gelten. In Verbindung mit den früher festgestellten Parallelen zur Vorrede des zweiten Buches legt sie jedoch zugleich den Gedanken nahe, daß die vorliegende epistula letztlich auch darauf abzielt, die erneute und in gewisser Weise überraschende Verwendung einer praefatio zu Beginn des achten Buches nachträglich wieder zu unterlaufen. Hinzu kommt, daß in dieser Vorrede erstmals auch eine wichtige Erweiterung im Bereich der metapoetischen Aussagen erfolgt. Bei der Untersuchung der praefatio des achten Buches im vorherigen Abschnitt konnte gezeigt werden, daß Martial dort zwar vordergründig die Besonderheit des zugehörigen Buches erläutert, indirekt aber im wesentlichen einige im paratextuellen Bereich bereits behandelte Themen wieder aufgreift. In der epistula zu Buch 9 kommt nun als ein wichtiger neuer Aspekt die Abgrenzung der Epigrammdichtung von anderen, erhabenen Dichtungsgattungen hinzu. Insgesamt erweist sich die praefatio des neunten Buches von Martials Epigrammaton libri somit als ein vielschichtiger Text, der alles andere ist als das rein private Gelegenheitsschreiben, als das er auf den ersten Blick erscheint, und dem im paratextuellen Bereich von Martials Werk eine nicht zu unterschätzende Funktion zukommt. Die Frage, ob es sich deshalb sogar um eine fiktionale epistula handelt oder um einen mit Blick auf seinen Zweck besonders raffiniert gestalteten echten Begleitbrief, läßt sich allerdings nicht entscheiden. Übersetzung der praefatio: Grüß’ Dich, mein Toranius, liebster Bruder. Das Epigramm, das aus der Seitenzählung herausfällt, habe ich an Stertinius, den überaus angesehenen Mann, geschrieben, der ein Bild von mir in seine Bibliothek stellen wollte. Darüber glaubte ich, Dir schreiben zu müssen, damit Du auch wüßtest, wer da als Avitus angeredet wird. Mach’ es gut und bereite mir ein Willkommen. Bekannter Sänger, magst Du es auch nicht wollen, von erhabenem Herzen, dem der späte Tod erst den würdigen Lohn bringen wird, dieses kleine Gedicht soll Dir unter meinem Bildnis lebendig sein, welches Du, Avitus, unter nicht unbekannte Männer einreihst. Jener bin ich, niemandem an Lob für Nichtigkeiten nachstehend, den Du nicht bewunderst, aber, wie ich glaube, lieber Leser, liebst. Größere sollen Größeres tönen: mir, der ich Kleines gesprochen habe, reicht es, oft wieder in Eure Hände zu gelangen.

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Die praefatio zu Buch 12 der Epigramme

3.1.5 Die praefatio zu Buch 12 der Epigramme VALERIUS MARTIALIS PRISCO SUO SALUTEM Scio me patrocinium debere contumacissimae trienni desidiae; quo absolvenda non esset inter illas quoque urbicas occupationes, quibus facilius consequimur ut molesti potius quam ut officiosi esse videamur; nedum in hac provinciali solitudine, ubi nisi etiam intemperanter studemus, et sine solacio et sine excusatione secessimus. Accipe ergo rationem. In qua hoc maximum et primum est, quod civitatis aures quibus adsueveram quaero, et videor mihi in alieno foro litigare; si quid est enim quod in libellis meis placeat, dictavit auditor: illam iudiciorum subtilitatem, illud materiarum ingenium, bibliothecas, theatra, convictus, in quibus studere se voluptates non sentiunt, ad summam omnium illa quae delicati reliquimus desideramus quasi destituti. Accedit his municipalium robigo dentium et iudici loco livor, et unus aut alter mali, in pusillo loco multi; adversus quod difficile est habere cotidie bonum stomachum: ne mireris igitur abiecta ab indignante quae a gestiente fieri solebant. Ne quid tamen et advenienti tibi ab urbe et exigenti negarem – cui non refero gratiam, si tantum ea praesto quae possum –, inperavi mihi, quod indulgere consueram, et studui paucissimis diebus, ut familiarissimas mihi aures tuas exciperem adventoria sua. Tu velim ista, quae tantum apud te non periclitantur, diligenter aestimare et excutere non graveris; et, quod tibi difficillimum est, de nugis nostris iudices nitore seposito, ne Romam, si ita decreveris, non Hispaniensem librum mittamus, sed Hispanum.

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Auch dem zwölften Buch der Epigramme hat Martial eine Prosavorrede vorangestellt. Sie ist ebenfalls in Form eines Briefes gehalten und durch eine Anrede in üblicher Form an Martials Freund und Landsmann Terentius Priscus gerichtet. Diese epistula gibt sich deutlich erkennbar als ein zueignendes Begleitschreiben zu einem Epigrammbuch, das Martial eigens für den Adressaten zusammengestellt hat, der sich zum fraglichen Zeitpunkt offenbar auf der Rückreise von Rom nach Spanien befand (Mart. 12, praef. 18–22).125 Es ist allerdings umstritten, ob es sich bei der in der epistula genannten Sammlung bereits um das Buch 12 in seinem heutigen Umfang 125 Zur Person des Terentius Priscus in den Epigrammen Martials: Sullivan (1991), 52; Bowie (1988), 15.

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handelte. Ausgehend von der Angabe, die Epigramme für Priscus seien paucissimis diebus (Mart. 12, praef. 21) zusammengestellt worden, und der Bezeichnung brevis libellus in Epigramm 12,1 wurde auch erwogen, es müsse sich um eine deutlich kleinere Sammlung gehandelt haben, die erst später, eventuell von Martial selbst oder auch erst nach seinem Tode durch Dritte erweitert wurde.126 Im Zusammenhang mit dieser Überlegung wurde wiederum die These von einer ursprünglich rein privaten Ausrichtung der vorliegenden epistula aufgestellt.127 Doch schon die Kommunikationssituation, wie sie aus der praefatio selbst zu erkennen ist, läßt diese Annahme zweifelhaft erscheinen, denn Martials offenbar bevorstehende Begegnung mit dem Adressaten macht eine erklärende epistula zu der Epigrammsammlung in dieser Ausführlichkeit eigentlich überflüssig.128 Insofern kann man wohl mit Recht davon ausgehen, daß Martial sich auch mit dieser praefatio von Anfang an über den direkten Adressaten hinaus an den allgemeinen Leser wendet. Abgesehen davon ist diese praefatio sowohl hinsichtlich der angesprochenen Themen als auch in ihrem Ausdruck von völlig anderer Art als die bisher behandelten Prosavorreden Martials.129 Der Grund dafür liegt offensichtlich in der inzwischen radikal veränderten persönlichen Situation des Dichters, der sich zu dem Zeitpunkt, als er die epistula verfaßte, bereits seit ca. drei Jahren wieder in seiner spanischen Heimatstadt aufhielt. Inhaltlich ist der Brief an Priscus klar in drei Teile gegliedert. Martial beginnt mit einem unumwundenen Eingeständnis seiner dichterischen Untätigkeit (Mart. 12, praef. 1–6). In den Jahren seit seiner Abreise aus Rom habe er so gut wie keine neuen Gedichte geschrieben. Er zeigt sich darüber sehr schuldbewußt, und anstatt diesen für ihn an sich unerfreulichen Punkt 126 Friedlaender (1886), 1,67 u. 2,218; ihm folgen z. B. Izaac (21961), 2,288; Shackleton Bailey (1993), 3,90; Sullivan (1991), 52–53. Dagegen geht Merli (1993), 254 Anm. 64, davon aus, daß die Buchausgabe für das allgemeine Publikum mit dem Priscus gewidmeten libellus identisch sei; vgl. des weiteren Bowie (1988), 27; Howell (1998), 183; Nauta (2002), 115–116. 127 White (1974), 45–46; ihm folgt Coleman (1988), 54. – Dagegen wendet sich Fowler (1995) mit dem Argument, daß die Übertragung der praefatio in das publizierte Buch in diesem Falle völlig sinnlos wäre (43), dagegen wiederum White (1996), 405. 128 Nauta (2002), 126, analysiert, wie sich der allgemeine Leser anhand der Angaben in der epistula den Ablauf der Publikation von Buch 12 vorstellen muß, und kommt zu dem Schluß, daß Martial von Anfang an mit einem positiven Bescheid des Terentius Priscus hinsichtlich der Veröffentlichung gerechnet und aus diesem Grunde auch die epistula bereits mit Blick auf das allgemeine Publikum geschrieben habe; vgl. auch Merli (1993), 255. – Nach der Ansicht von Nauta ist die epistula ursprünglich auch keine Widmung des ersten übersandten Exemplars, sondern erhält erst durch ihre Wiederverwendung im publizierten Buch den Status einer Zueignung. Dagegen ist jedoch auf die praefationes des Statius zu verweisen, bei denen die zueignende Funktion außer Frage steht und die dennoch mehrfach Bitten um kritische Beurteilung bzw. Entscheidung über die Publikation des Buches enthalten. 129 Vgl. Pavlovskis (1967), 545.

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möglichst schnell abzuhandeln, legt er ausführlich dar, daß eine solche desidia schon unter den Bedingungen seines früheren Klientendaseins in Rom eigentlich kaum zu entschuldigen wäre, keinesfalls aber in Anbetracht seiner jetzigen Lebensumstände in der provinziellen Abgeschiedenheit einer spanischen Kleinstadt. Hier wird erstmals ein elementarer Kontrast zwischen dem Leben in Rom und dem in Spanien in den Vordergrund gerückt. Den zweiten Teil der praefatio, dessen Einsatz mit Accipe ergo rationem deutlich markiert wird (Mart. 12, praef. 6–7), nimmt dann eine ausführliche Rechtfertigung für diese lange unproduktive Phase ein (Mart. 12, praef. 7– 17). Als den entscheidenden Grund dafür benennt Martial gerade seine Entfernung von Rom. Er bereut geradezu, sein Leben in der Hauptstadt aufgegeben zu haben, denn das Leben dort war die Quelle für seine Dichtung. In einer kompakten Zusammenfassung führt Martial alles an, was ihm das Leben in Rom einst für seine Dichtung geboten hat. Die im ersten Teil der Vorrede bereits angedeutete Antithese der Lebensumstände wird in diesem Mittelteil der epistula nachdrücklich ausgestaltet, wenn im Gegensatz zum Anregungsreichtum Roms anschließend von der mißgünstigen Bosheit der Provinzbewohner die Rede ist. In der Überleitung zum Schlußteil spiegelt sich die Antithese dann auch in der inneren Haltung des Dichters zu seiner Tätigkeit wider (Mart. 12, praef. 17–18). Im Schlußteil selbst wendet sich Martial nach den vorher eher grundsätzlichen Erklärungen schließlich direkter an den Adressaten der epistula (Mart. 12, praef. 18–27). Seinetwegen habe er sich gezwungen, sein langjähriges Verhalten zu ändern, und eigens aus Anlaß von Priscus’ Rückkehr nach Spanien eine Gedichtsammlung für ihn zusammengestellt. In der Formulierung imperavi mihi, quod indulgere consueram (Mart. 12, praef. 20–21) ist auch hier wieder ein Reflex der o. g. Antithese erkennbar. Abschließend bittet Martial den Adressaten dann um eine kritische Beurteilung des übersandten Buches, die anscheinend auch die Entscheidung über die Publikation beinhaltet. Nach diesem ersten Überblick über Inhalt und Struktur der Vorrede zu Buch 12 der Epigrammaton libri sollen nun die in den einzelnen Teilen enthaltenen poetologischen Aussagen Martials genauer untersucht werden. Von besonderer Bedeutung im Hinblick auf das Gesamtwerk ist der mittlere Teil der vorliegenden praefatio. Hier thematisiert Martial einen wesentlichen Aspekt seiner Dichtung, der im paratextuellen Bereich bislang noch nicht angesprochen worden ist: die Rolle Roms als das entscheidende Konstitutivum seiner Dichtung. Gleich zu Beginn dieses Teils nennt Martial den Hauptgrund für seine desidia: die Trennung von seinem gewohnten Publikum. In Bilbilis fehlt ihm der ständige direkte Kontakt mit den Menschen, für die er seine Ge-

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dichte verfaßt (Mart. 12, praef. 7–8).130 Wenn er angibt, sich unter den Provinzbewohnern fremd zu fühlen (Mart. 12, praef. 8–9)131, wird klar, daß Rom und das römische Publikum für ihn unersetzbar sind. Im folgenden wird der Gedanke weiter ausgeführt. Martial zählt hier eine längere Reihe einzelner Dinge auf, die er in Spanien vermißt und die für sein dichterisches Schaffen von elementarer Bedeutung sind. So fehlt ihm zum einen als wichtige Voraussetzung für die Leichtigkeit seiner dichterischen Betätigung grundsätzlich die kulturelle Vielfalt der Hauptstadt: bibliothecas, theatra, convictus (Mart. 12, praef. 11–12). Insbesondere aber formuliert Martial zu Beginn seiner Aufzählung mit zwei prägnanten, streng parallel gebauten Ausdrücken132, was ihm nur das Leben in Rom bieten konnte: illam iudiciorum subtilitatem, illud materiarum ingenium (Mart. 12, praef. 10–11), und erkennt damit nach Ansicht von Dams »den Hörern die Attribute des höchsten Dichtertums zu.« Bezogen auf die iudiciorum subtilitas, das Urteil »eines sachverständigen und geschmackvollen Publikums«133, gilt diese Beobachtung ohne Einschränkung. Der Begriff materiarum ingenium ist hier jedoch nicht ausschließlich auf den Rezipienten zu beziehen, sondern auf die volle Realität des römischen Alltags. In dessen Zentrum steht zwar ebenfalls der Mensch, allerdings nicht nur in seiner Rolle als Rezipient der Gedichte Martials, sondern in der gesamten Vielfältigkeit seines Wesens. Aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt ist der Ausdruck materiarum ingenium von Interesse. Martial schreibt hier der materia, d. h. dem Stoff als dem externen Element seiner Dichtung, auch das ingenium zu, das daher an dieser Stelle als der einer Sache innewohnende Geist aufzufassen ist.134 Gegenüber den vorhergehenden Erwähnungen des ingenium in früheren praefationes Martials ist somit eine wesentliche Verschiebung festzu130 Bowie (1988), 20, verweist auf die doppelte Bedeutung dieser Bemerkung: »the Roman public provides the matter as well as the market for many of the epigrams«. 131 In bezug auf die Formulierung in alieno foro litigare spricht Bowie (1988), 20, von einer »audacity of the expression, used of poetry«; Otto (1890), 712, p. 146, faßt den Ausdruck als ein Sprichwort und vergleicht dazu z. B. Sen. clem. 2,7,1: ego ut breviter tamquam in alieno iudicio dicam (»damit ich es kurz wie vor einem fremden Gericht sage«). Nur bedingt vergleichbar ist dagegen Petron. 1,2. Dort geht es um den grundsätzlichen Gegensatz zwischen den realitätsfernen Deklamationen der Schulrhetorik und der forensischen Praxis, der dazu führt, daß sich Neulinge auf dem Forum wie in einer fremden Welt vorkommen: hoc tantum proficiunt, ut cum in forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos. Martial hingegen betrachtet sich der Sache nach als durchaus ›kompetent‹, was ihm fehlt, ist die Vertrautheit mit individuellen Gegebenheiten. – Als interessant ist allerdings anzumerken, daß Martial sein Dichten hier mit einer Tätigkeit vergleicht, die in verschiedenen seiner Epigramme fast durchweg negativ bewertet wird (z. B. Mart. 1,97; 5,20,6–7; 6,19; 8,7) und die die Dichter-persona für sich selbst konsequent ablehnt (z.B. Mart. 1,17; 2,30; 2,90,7–10; vgl. auch 12,68). 132 Allgemein zum Stil der vorliegenden epistula: Bowie (1988), 14–30; vgl. González de la Calle (1935), 23–27. 133 Dams (1970), 209. 134 Vgl. Friedlaender (1886), 2,219; Bowie (1988), 22.

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stellen: In den Vorreden der Bücher 1 und 8 hatte Martial das mit jeweils leicht unterschiedlicher Akzentuierung vorkommende ingenium zwar immer in seiner Bedeutung herabgesetzt, aber stets als sein persönliches geistiges Eigentum bezeichnet. Hier dagegen trennt er seine dichterische Fähigkeit gleichsam völlig von seiner Person und führt sie statt dessen allein auf die äußere Anregung zurück. Als entscheidende Voraussetzungen für das Entstehen von Dichtung werden ingenium und materia in lateinischer Literatur häufiger zusammen genannt. Wichtig für das Entstehen guter Dichtung ist ein ausgewogenes Verhältnis beider Elemente, von denen das ingenium regelmäßig auf der Seite des Dichters angesiedelt wird.135 Martials Zuschreibung des ingenium an die materia ist somit außergewöhnlich, und in der früheren Literatur findet sich lediglich eine Stelle in Ovids Tristia, an der das ingenium in ein vergleichbares Verhältnis zur materia gesetzt wird: si tamen ex vobis aliquis tam multa requiret, unde dolenda canam, multa dolenda tuli. non haec ingenio, non haec componimus arte: materia est propriis ingeniosa malis.

(Ov. trist. 5,1,25–28)

Wenn dennoch jemand von euch fragt, weshalb ich so viel Schmerzliches besinge, viel Schmerzliches habe ich ertragen. Nicht mit dem Talent, nicht mit der Kunst habe ich dieses gedichtet, begabt ist der Stoff selbst durch seine eigenen Leiden.

Auch hier ist es nicht das ingenium des Dichters, aus dessen Verbindung mit der materia die Gedichte entstehen, vielmehr entwickelt die materia durch die Umstände ein eigenes ingenium.136 Doch während bei Ovid auf diese Weise eine bestimmte materia, nämlich die schmerzliche Erfahrung des Exils, eine bestimmte Art von Dichtung hervorbringt, spricht Martial im Plural vom materiarum ingenium und weist damit das ingenium sehr viel pauschaler den seinen Gedichten zugrundeliegenden Stoffen zu. Ohne die richtige materia fehlen ihm also beide notwendigen Voraussetzungen zum Dichten, und genau die kann ihm das Leben in Spanien nicht geben. Hier sieht er sich statt dessen ausschließlich konfrontiert mit Mißgunst, Bosheit 135 Z. B. Ov. Pont. 2,5,25–26: dum tamen in rebus temptamus carmina parvis, / materiae gracili sufficit ingenium (»Solange ich aber Gedichte in bescheidenem Rahmen versuche, reicht mein Talent für den dürftigen Stoff.«); Quint. inst. 10,1,60: ut videatur quibusdam quod quoquam minor est materiae esse, non ingeni vitium (»daß einigen der Umstand, daß er jemandem unterlegen ist, ein Fehler des Stoffes, nicht des Talentes zu sein scheint«); Juvenal 1,150–151: dices hic forsitan ›unde / ingenium par materiae?‹ (»Hier wird man vielleicht sagen: ›Woher ein Talent, das dem Stoff gewachsen wäre?‹«); vgl. auch Ov. Pont. 4,13,46, Plin. epist. 9,33,1 und mit Bezug auf die Rhetorik Plin. epist. 6,23,5. – S. auch Bowie (1988), 22, dessen Schlußfolgerung »M. may intend the phrase to be arresting« allerdings etwas blaß bleibt. 136 Vgl. Luck (1977), 2,280.

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und provinzieller Enge anstelle von urbanem Urteilsvermögen (Mart. 12, praef. 14–15). Zusätzlich dadurch desillusioniert, daß in seinem jetzigen Umfeld dementsprechend niemand seine Dichtung richtig zu würdigen weiß, hat er das Dichten nahezu aufgegeben. Die Schlüsselrolle für das Entstehen guter Epigramme weist Martial in dieser praefatio jedoch dem Rezipienten zu: si quid est enim quod in libellis meis placeat dictavit auditor (Mart. 12, praef. 9–10). Abgesehen von der Vielzahl von Anregungen in Rom ermöglicht ihm offenbar erst das Bewußtsein einer bestimmten Erwartungshaltung von seiten des Publikums, überhaupt zu dichten, ja der Rezipient gibt ihm die Dichtung regelrecht ein. Hierin liegt »eine außergewöhnliche, paradoxe Pointe rezeptionsästhetischer Überlegungen«137, durch die sich Martial erkennbar von anderen Dichtern abhebt. Zwar nehmen auch andere Dichter, wie z. B. Ovid, Bezug auf ihre Rezipienten, die Funktion, die Martial den seinen an dieser Stelle zuschreibt, ist in dieser Intensität jedoch ohne Parallele. Eine weitere Besonderheit dieses Abschnittes besteht darin, daß Martial sich auf seine Rezipienten hier explizit als Hörer bezieht (civitatis aures, Mart. 12, praef. 8; dictavit auditor, 10), während er in seinem Werk als anonymes Publikum sonst fast ausnahmslos den lector apostrophiert.138 Obwohl in dieser Angabe sicherlich auch ein Hinweis Martials darauf enthalten ist, daß seine Epigramme nicht ausschließlich in schriftlicher Form publiziert wurden, sollte man dem kein allzu großes Gewicht im Hinblick auf die Frage nach dem Stellenwert verschiedener möglicher Publikationsweisen beimessen.139 Auch Howells Ansicht, daß hier Martials »nostalgia for what was no longer even a possibility«140 zum Ausdruck komme, greift zu kurz. An der vorliegenden Stelle dient der ausdrückliche Bezug auf Hörer nämlich in erster Linie dazu, den Eindruck der Unmittelbarkeit in der Interaktion zwischen Dichter und Publikum zu verstärken. Ein Rezipient, der ein Buch ›nur‹ liest, tut dies in der Regel in zeitlicher und/oder räumli137 Barié/Schindler (1999), 1090. 138 Z. B. Mart. 1,1; 5,16; 9, praef. ep. 5-8. Die abgesehen von der hier behandelten Stelle einzige weitere explizite Nennung des anonymen auditor findet sich im Epigramm 9,81: Lector et auditor nostros probat, Aule, libellos (»Der Leser und der Hörer, Aulus, billigt meine kleinen Bücher«). In Mart. 7,52,6 bezeichnet auditor dagegen allgemein den Rezipienten im Gegensatz zum anschließend genannten iudex. 139 Zu verschiedenen Möglichkeiten der Veröffentlichung von Gedichten vor der Zusammenfassung zu einem Buch s. White (1974), 42–45; Leberl (2004), 88–100. – Bowie (1988), 21, ist der Ansicht, daß Martial durchaus auch auditores gehabt haben könnte, und verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von recitationes im Rahmen der von Martial angesprochenen convictus (Mart. 12, praef. 12); Nauta (2002), 138, geht davon aus, daß Martial sich hier auch auf recitationes bereits publizierter Bücher bezieht. – Innerhalb des Werkes finden sich einzelne weitere Anhaltspunkte für mündlichen Vortrag der Epigramme Martials, dazu s. auch Burnikel (1990). 140 Howell (1980), 104; vgl. auch Howell (1998), 182.

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cher Distanz zum Dichter. Der Hörer eines Dichtervortrages hat dagegen die Möglichkeit zur direkten Kommunikation mit dem Dichter, und erst dadurch wird die Einflußnahme, die Martial in dieser praefatio als so essentiell für seine Dichtung darstellt, überhaupt möglich. Eine ähnliche Unmittelbarkeit findet sich in vergleichbarem Kontext etwa auch bei Ovid angedeutet: sive quod in tenebris numerosos ponere gestus, quodque legas nulli, scribere carmen, idem est. excitat auditor studium, laudataque virtus crescit, et immensum gloria calcar habet. (Ov. Pont. 4,2,33–36)141 … sei es, weil es dasselbe ist, einen Tanz im Dunkeln darzubieten und ein Gedicht zu schreiben, das man keinem vorlesen kann. Der Hörer motiviert den Eifer, Können, das gelobt wird, wächst, und Ruhm bildet einen unermeßlichen Ansporn.

Wenn Martial schließlich auch im dritten Teil der epistula schreibt, er wolle die familiarissimae aures (Mart. 12, praef. 21–22) des Priscus mit einer Gedichtsammlung empfangen, so wirkt dies um so seltsamer, da er offenkundig gerade ein Gedichtbuch zusammengestellt hat und sogar seine Vorbemerkungen dazu in schriftlicher Form an den Adressaten richtet. In der gesamten epistula wird somit die Fokussierung auf die Rezipienten als Hörer aufrechterhalten, auch wenn dies nicht immer ganz logisch ist. Diese Beobachtung stützt die soeben dargelegte Überlegung, daß Martials Bezugnahme auf auditores weniger einen realen als einen funktionalen Hintergrund hat. Martials Wendung an Terentius Priscus im dritten und letzten Teil der vorliegenden epistula weist schließlich starke Ähnlichkeiten mit Statius’ praefationes zu den ersten vier Büchern der Silvae auf. Zunächst ist hier die generelle Haltung Martials zu nennen. Im Unterschied zu allen vorhergehenden praefationes hebt Martial hier sehr viel mehr ein persönliches Verhältnis zwischen sich und dem Adressaten hervor: Um den Wunsch des Priscus nicht abzulehnen, habe er eine Ausnahme gemacht und sich gezwungen, für ihn eine neue Gedichtsammlung zusammenzustellen (Mart. 12, praef. 20–21). Der Eindruck eines vertrauten Verhältnisses wird auch durch die Formulierung familiarissimas mihi aures tuas (Mart. 12, praef. 21–22) verstärkt sowie durch die antizipierenden Andeutungen, daß Priscus’ Kritik zweifellos wohlwollend ausfallen werde (Mart. 12, praef. 22– 141 Vgl. außerdem Plin. epist. 2,10,6–7 für die anspornende Wirkung von Publikumsreaktionen im Zusammenhang mit recitationes; für eine wünschenswerte Korrekturfunktion s. auch Plin. epist. 7,17,7; 8,21,4. Horaz hingegen distanziert sich verschiedentlich von dieser Art des Kontaktes mit seinem Publikum (sat. 1,4,73; epist. 1,19,41–42). Allgemein zur recitatio als Publikationsform s. auch Leberl (2004), 88–94.

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25). In ähnlicher Weise verweist auch Statius wiederholt auf eine besondere Verbindung, meist in Form gemeinsamer literarischer Interessen, mit den Adressaten seiner praefationes, für die er ebenfalls bevorzugt superlativische Attribute verwendet.142 Daneben lassen sich noch weitere, etwas konkretere Gemeinsamkeiten feststellen: Martial betont in dieser epistula, daß er die Gedichtsammlung an Priscus in sehr kurzer Zeit – paucissimis diebus (Mart. 12, praef. 21) – zusammengestellt habe. Auch bei Statius finden sich vor allem in den ersten beiden praefationes mehrere Male Angaben über die celeritas, mit der einzelne der im jeweiligen Buch enthaltenen Gedichte entstanden seien.143 Des weiteren bittet Martial den Adressaten darum, seine Gedichte, die in diesem Zusammenhang wiederum als nugae bezeichnet werden144, kritisch zu begutachten und dabei trotz der oben bereits erwähnten persönlichen Beziehung streng vorzugehen (Mart. 12, praef. 24–25). Solche Bitten um kritische Beurteilung des übersandten Buches, und auch die Übertragung der Entscheidung über dessen Publikation, die bei Martial gleichfalls erfolgt (Mart. 12, praef. 26), haben ihren Ursprung wahrscheinlich in Begleitschreiben zur Übersendung einzelner Manuskript-Exemplare, einer Vorform der praefationes in Briefform.145 Sie sind auch in den praefationes des Statius mehrfach anzutreffen.146 Der Satz mit Martials Bitte um eine schonungslose Begutachtung seiner Dichtung durch den Adressaten ist allerdings mit einer textkritischen Schwierigkeit behaftet, die für den hier untersuchten Zusammenhang von Bedeutung ist. Die von der überwiegenden Zahl der Handschriften überlieferte Lesart nitore seposito (Mart. 12, praef. 25) wird von einigen Gelehrten in Zweifel gezogen.147 Ausgehend von seiner Kritik an der Auffassung von 142 Z.B. Silv. 2, praef. 1–3: Et familiaritas nostra qua gaudeo, Melior, vir optime nec minus in iudicio litterarum quam in omni vitae colore tersissime; Silv. 3, praef. 1–7: Tibi certe, Polli dulcissime et hac cui tam fideliter inhaeres quiete degnissime, […], quotiens in illius facundiae tuae penetrale seductus altius litteras intro et in omnis a te studiorum sinus ducor. 143 Solche Angaben treten besonders gehäuft in Statius’ praefatio zum ersten Buch der Silvae auf: nullum enim ex illis biduo longius tractum, quaedam et in singulis diebus effusa (Silv. 1, praef. 13–14), indulgentissimo imperatori postero die quam dedicaverat opus, tradere iussum (ibid. 18–19), epithalamium tuum […] scis biduo scriptum (ibid. 21–22), balneolum a me suum intra moram cenae recepit (ibid. 30). – Zur praefatio des ersten Buches der Silvae s. u. Abschnitt 4.1.1. 144 Der markante Begriff wird hier freilich nicht mit derselben Prägnanz gebraucht wie in der praefatio des neunten Buches (Mart. 9, praef. ep. 5). 145 Janson (1964), 109. 146 Z. B. Silv. 2, praef. 27–29: haec qualiacumque sunt, Melior carissime, si tibi non displicuerint, a te publicum accipiant; si minus, ad me revertantur. An anderer Stelle antizipiert auch Statius das Wohlwollen des Adressaten: securus itaque tertius hic Silvarum nostrarum liber ad te mittitur (Silv. 3, praef. 6–7). 147 Z.B. Friedlaender (1886), 2,220.

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nitor als »Heiterkeit« konjizierte Housman statt dessen die Lesart candore seposito: »candor is that temper of mind which impels men to think well of the work of others«.148 Er führt dazu eine Reihe von Parallelstellen mit vergleichbarer Verwendung des Begriffes candor an, die die Konjektur durchaus sinnvoll erscheinen lassen.149 Sie wurde daher in der Folgezeit auch mehrfach akzeptiert.150 Man muß sich jedoch fragen, ob an der vorliegenden Stelle tatsächlich nur eine Eigenschaft des Kritikers gemeint sein kann.151 Das Verb seponere kann neben »beiseite-, ablegen« ebenso die Bedeutung »nicht beachten, ignorieren« haben und nitor in der Bedeutung »Eleganz, Geschliffenheit« auf die Gedichte bezogen sein.152 Liest man also mit der hier zugrunde gelegten Ausgabe weiterhin nitore seposito, so ist diese Formulierung keineswegs auf die Herangehensweise des Kritikers zu beziehen, sondern enthält eine weitere Aussage Martials über seine Dichtung: Er bittet hier den Adressaten um ein Urteil ohne Berücksichtigung der äußeren Eleganz seiner Gedichte. Dies impliziert, daß der Dichter weniger eine formale als eine inhaltliche Unzulänglichkeit seiner Epigramme befürchtet. Die notwendige formale Bedingung für die Epigrammdichtung, die Fähigkeit, den Gedichten eine elegante äußere Form zu geben, wäre ihm demnach auch in seiner längeren Abwesenheit von Rom nicht verlorengegangen. Terentius Priscus solle sich von eventueller formaler Perfektion jedoch nicht blenden lassen, da diese allein für Epigramme von gewohnter Qualität nicht hinreichend sei. Bei dieser Auffassung beinhaltet die fragliche Stelle wiederum einen Reflex des nach wie vor großen künstlerischen Selbstbewußtseins Martials, das in einigen der früheren praefationes bereits erkennbar war. Unabhängig davon, für welche Lesart man sich entscheidet, ist Martials Bitte um objektive Kritik als ostentativer Ausdruck einer Furcht vor dem Abgleiten in die Provinzialität zu verstehen. Welche Bedeutung dieser Gedanke für Martial hat, wird insbesondere dadurch verdeutlicht, daß er den Schluß der epistula bildet, die danach nicht noch durch eine Grußformel abgeschlossen wird. Verstärkt wird die Betonung weiterhin durch das einprägsame Spiel mit dem semantischen Unterschied der beiden Adjektive Hispaniensis und Hispanus, das in pointierter Weise ganz ans Ende des

148 Housman (1907), 733–734. 149 Ov. trist. 5,3,53–56; Pont. 3,4,9–13; Sen. suas. 6,22; Mart. 7,99,5; 13,2,8–10; hinzufügen ließe sich auch Phaedr. 3, praef. 62–63: Induxi te ad legendum? sincerum mihi / candore noto reddas iudicium peto (»Habe ich dich zum Lesen veranlaßt? Ich bitte dich, daß du mir mit bekannter Aufrichtigkeit ein ehrliches Urteil gibst.«). 150 Bowie (1988), 29–30; Shackleton Bailey (1990/1993); Sullivan (1991), 53. 151 So z.B. Bowie (1988), 29: »what is wanted here is a quality which the critic will discard.« 152 OLD 1738, s. v. sepono 1: »to put away from one, discard« vs. 1 b: »to dismiss from consideration, forget, disregard«; OLD 1181, s.v. nitor 4 b: »(rhet.) elegance of diction, polish«.

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Satzes gezogen wird.153 Martial sorgt sich offenbar sehr um die Reaktion des römischen Publikums auf ein Epigrammbuch, das eben nicht nur in Spanien entstanden, sondern seinem Inhalt nach tatsächlich ein spanisches Buch ist.154 Zu fragen ist allerdings, ob diese betonte Sorge als eine echte Apologie aufzufassen ist. Sieht Martial sich unter den gegebenen Umständen tatsächlich nicht mehr in der Lage, für eine gewohnte Qualität seiner Epigramme zu garantieren, oder handelt es sich hier vielmehr um die Variation einer captatio benevolentiae unter Ausnutzung der äußeren Gegebenheiten? Zwischen den drei Teilen der vorliegenden praefatio lassen sich mehrere durchgehende Verbindungslinien erkennen. Wenn diese im folgenden voneinander isoliert dargestellt werden, so dient dies allein dazu, die einzelnen Linien jeweils für sich deutlicher erkennbar zu machen. Innerhalb des Textes sind diese tatsächlich teilweise sehr eng miteinander verknüpft. Zum einen verweist auch Bowie auf die mehrfache Wiederkehr eines Gedankens, den man neutral etwa als ›iudicium-Motiv‹ bezeichnen könnte.155 Im Verlauf der praefatio des zwölften Buches erscheint eine solche Urteils- oder Beurteilungssituation wiederholt in verschiedenen Facetten. Zu Beginn der epistula schafft Martial bei der Verteidigung seiner triennis desidia durch eine Reihe signifikanter Begriffe (patrocinium, Mart. 12, praef. 1; absolvere, 2; excusatio, 6; ratio, 7) geradezu eine Gerichtsatmo-

153 Zu Hispaniensis (»von einem Römer in Spanien stammend«) und Hispanus (»von spanischer Abstammung«) vgl. Friedlaender (1886), 2,220; Bowie (1988), 30; Howell (1998), 182–183. – Wie sehr der Gegensatz Hispaniensis-Hispanus die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht, zeigt sich nicht zuletzt auch darin, daß selbst in der Forschung bisweilen der Beginn dieses letzten Nebensatzes und damit die doppelte Verneinung übersehen wird. So basiert die Deutung von Lorenz (2002), 232, Martial habe gerade »nicht ein Buch nach der Art Spaniens [...], sondern ein spanisches« schicken wollen, offensichtlich darauf, daß der Ausdruck non Hispaniensem librum mittamus, sed Hispanum (Mart. 12, praef. 26–27) als selbständige Ankündigung aufgefaßt und nicht als Fortführung des vor dem Konditionalsatz si ita decreveris mit ne Romam eingeleiteten negativen Finalsatzes erkannt wurde. Seine Interpretation von Martials Äußerungen im ersten Teil der praefatio (Mart. 12, praef. 1–6), dieser habe sich lange vergeblich bemüht »tatsächlich ein spanisches Buch zu schreiben«, ist zu eng mit der falschen Auffassung des Schlußsatzes verbunden, um nicht ebenfalls fragwürdig zu erscheinen. – In ähnlicher Weise hat auch schon Adams (1975), 36, diesen Schlußsatz mißverstanden. Für ihn ergibt sich daraus die Unklarheit, ob Martial mit dem echt spanischen Buch das vorliegende Buch 12 meint oder bereits ein zukünftiges dreizehntes ankündigt. Vgl. auch die Übersetzung von Barié/Schindler (1999), 849 (»damit ich, wenn dein Votum entsprechend ausfiele, nach Rom nicht nur ein in Spanien entstandenes, sondern ein spanisches Buch schicke.«) und Hofmann (1997), 498 (»damit ich [...] nicht ein Buch aus Spanien, sondern Spanien selbst nach Rom sende.«). 154 Kehrt man den negativen Ausdruck ne … mittamus … Hispanum um, so bedeutet er nichts anderes als ut … mittamus … Romanum/Latinum. Möglicherweise liegt auch hierin eine kleine, außerdem allgemeiner gehaltene Reminiszenz an den in der praefatio des ersten Buches verwendeten Ausdruck latine loqui (Mart. 1, praef. 13). 155 Bowie (1988), 20: »a recurring motif in the preface, that of critical judgement«.

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sphäre. 156 Sehr prägnant, wenn auch in etwas anderer Form, wird diese Atmosphäre wieder aufgenommen, wenn Martial über seine dichterische Tätigkeit schreibt videor mihi in alieno foro litigare (Mart. 12, praef. 8–9). Im folgenden Teil erfolgt ein Wandel hin zu einer etwas allgemeineren, nicht-juristischen Beurteilung, die in der literarischen Urteilsfähigkeit der Römer (iudiciorum subtilitas, Mart. 12, praef. 10–11) und der entsprechenden Unfähigkeit der Spanier (iudici loco livor, Mart. 12, praef. 15) zum Ausdruck kommt. Das Motiv kehrt schließlich auch im letzten Teil der praefatio wieder, diesmal in Martials Bitte an Terentius Priscus, das ihm übersandte Epigrammbuch kritisch zu beurteilen. Im mittleren Teil der vorliegenden praefatio koinzidiert die soeben skizzierte Verbindungslinie mit einem zweiten, wichtigeren und auch konstanteren Leitmotiv, das im Rahmen des knappen Überblicks über die epistula bereits angesprochen wurde, nämlich die in unterschiedlicher Ausprägung immer wiederkehrende Antithese der Lebensumstände Martials. Diese Antithese beinhaltet einen räumlichen wie auch einen zeitlichen Aspekt, denn es werden das jetzige Leben Martials in Bilbilis und sein früheres Leben in Rom einander entgegengestellt. In engem Zusammenhang mit diesem permanent präsenten Gegensatz steht schließlich das dritte einheitsstiftende Moment der hier behandelten praefatio, ihre durchgängige Gestaltung unter Verwendung von Motiven, die in der lateinischen Exilliteratur topischen Charakter haben. Anders als etwa Ovid oder Seneca hat Martial die Hauptstadt zwar freiwillig verlassen, um in seine spanische Heimat zurückzukehren, dennoch erscheint seine Situation nach dem Weggang aus Rom als prinzipiell vergleichbare kulturelle Isolation. Die Beiläufigkeit, mit der in der bisherigen Forschungsliteratur vereinzelt lediglich auf einzelne Anklänge an Motive aus der Exilliteratur verwiesen wird 157 , ist etwas verwunderlich, denn bei genauerer Betrachtung erweist sich Martials Verwendung einschlägiger Motive als aufschlußreich. In den im Exil verfaßten Werken Ovids und Senecas finden sich im Zusammenhang mit der geistigen bzw. literarischen Betätigung des Verbannten im wesentlichen drei wiederkehrende Motive. Zum einen wird eine tröstende Funktion solcher Betätigung hervorgehoben, z.B. bei Ovid: hic ego, finitimis quamvis circumsoner armis, tristia, quo possum, carmine fata levo. quod quamvis nemo est, cuius referatur ad aures, sic tamen absumo decipioque diem. ergo quod vivo durisque laboribus obsto, 156 Bowie (1988), 16: »courtroom-ambience«, vgl. auch 19–21. 157 So von Sullivan (1991), 75; Dams (1970), 209; etwas ausführlicher Borgo (2003), 32–33.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII nec me sollicitae taedia lucis habent, gratia, Musa, tibi: nam tu solacia praebes, tu curae requies, tu medicina venis. tu dux et comes es, tu nos abducis ab Histro, in medioque mihi das Helicone locum (Ov. trist. 4,10,111–120). 158

Wie sehr ich hier auch von den Waffen der Nachbarn umdröhnt werde, ich erleichtere mir, wie ich es vermag, das traurige Schicksal durch Dichtung. Obwohl es niemanden gibt, vor dessen Ohren es vorgetragen werden könnte, verbringe und täusche ich doch so meinen Tag. Dafür also, daß ich lebe und den harten Mühen widerstehe und der Ekel vor dem sorgenvollen Leben mich nicht gepackt hat, sei Dir, Muse, gedankt; du nämlich bietest Trost, du kommst als Beruhigung, als Heilmittel für meine Sorge. Du bist Lenkerin und Begleiterin, du führst mich hinweg vom Hister und gibst mir einen Platz mitten auf dem Helikon.

An anderer Stelle wird dagegen auf eine gewisse geistige Verödung durch die anregungsarme Umgebung verwiesen – so z. B. Seneca, dial. 11,18,9: Haec, utcumque potui, longo iam situ obsoleto et hebetato animo composui. 159 –, die insbesondere nach längerer Zeit auch zu einem Motivationsverlust führen kann. 160 Als drittes findet sich schließlich die Befürchtung einer

158 Vgl. auch Sen. dial. 12,11,5: Animus [...] in exilia sequitur, et in solitudinibus asperrimis [...] ipse bonis suis abundat et fruitur (»Der Geist […] folgt in die Verbannung, und in der schrecklichsten Einsamkeit […] besitzt er selbst seine eigenen Güter im Überfluß und genießt sie.«); ebenso Ovid, z. B. trist. 3,7,45–47; 4,1,87–92. – Vergleichbare Äußerungen Ciceros in seinen späteren Briefen, namentlich nach dem Tode seiner Tochter, haben dagegen einen anderen Hintergrund (z. B. Cic. Att. 12,14,3: Quin etiam feci, [...] ut ipse me per litteras consolarer. [...] Adfirmo tibi nullam consolationem esse talem. Totos dies scribo, non quo proficiam quid sed tantisper impedior (»Ja, ich habe es sogar unternommen, […] mich selbst durch das Schreiben zu trösten […] ich sage dir, es gibt keinen vergleichbaren Trost. Ich schreibe ganze Tage lang, nicht als ob damit ich etwas erreichte, aber so lange werde ich gehindert.«); dazu Shackleton Bailey (1966), 5,311) 159 Vgl. auch Ov. trist. 3,14,29–42; 5,12,21–22 sowie sehr prägnant Ov. Pont. 4,2,15–16: nec tamen ingenium nobis respondet, ut ante, / sed siccum sterili vomere litus aro. (»Dennoch reagiert mein Talent nicht so wie früher, sondern mit fruchtlosem Pflug durchfurche ich trockenen Sand.«) – Auch Cicero äußert in der Zeit seines Exils wiederholt seine Unfähigkeit zum Schreiben selbst von Briefen (z. B. Cic. Att. 3,2: Plura scribere non possum; ita sum animo perculso et abiecto; Cic. fam. 14,4,1: Ego minus saepe do ad vos litteras quam possum propterea quod cum omnia mihi tempora sunt misera, tum vero, cum aut scribo ad vos aut vestras lego, conficior lacrimis sic ut ferre non possim.). Anders als bei Ovid und Seneca (und Martial) erscheint dieses Unvermögen jedoch nie durch die äußeren Umstände bedingt, sondern allein durch Ciceros subjektive Reaktion auf eben diese Umstände. 160 Vgl. z.B. Ov. Pont. 4,2,23–30 oder 1,5,9–12: haec quoque, quae legitis, siquid mihi, Maxime, credis, scribimus invita vixque coacta manu. non libet in talis animum contendere curas, nec venit ad duros Musa vocata Getas.

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durch die Umgebung bedingten Qualitätseinbuße bzw. einer zunehmenden ›Barbarisierung‹ des Werkes, etwa bei Ovid, trist. 5,7,57–60: en pudet et fateor, iam desuetudine longa vix subeunt ipsi verba Latina mihi. nec dubito quin sint et in hoc non pauca libello barbara: non hominis culpa, sed ista loci. 161 Es beschämt mich zuzugeben, daß mir durch die lange Entwöhnung kaum noch lateinische Worte zu Gebote stehen. Und ich bezweifle nicht, daß in diesen Buch nicht gerade wenig Barbarisches zu finden ist: dies ist nicht die Schuld des Menschen, sondern des Ortes.

Diese drei Motive finden sich bei Ovid in zahlreichen Variationen, z. T. einzeln, aber auch in wechselnder Kombination miteinander. In seiner epistula an Priscus läßt auch Martial zunächst den Gedanken einer tröstenden Funktion literarischer Betätigung anklingen (Mart. 12, praef. 5–6) und hebt damit die Unentschuldbarkeit seiner fehlenden literarischen Produktion besonders hervor. Gleich darauf beklagt er jedoch indirekt, durch den Vergleich mit den ›idealen‹ Verhältnissen in Rom, seine jetzige kulturelle Deprivation, die es ihm unmöglich macht, weiterhin Epigramme zu verfassen. Besonders prägnant wird am Ende das dritte Motiv ausgestaltet. Auch Martial befürchtet, seine Art zu dichten könne mittlerweile zu stark hispanisiert, d. h. durch das spanische Umfeld ›barbarisiert‹ sein, um in Rom noch Anklang zu finden. Geht man davon aus, daß er die formale Perfektion kurz zuvor noch in Anspruch nimmt, muß es sich – anders als bei Ovid und Seneca – im Einklang mit dem vorher beklagten Verlust der urbanen Zerstreuungen Roms um eine inhaltliche Hispanisierung, eine Provinzialisierung der Themen handeln. Auf relativ engem Raum ist somit eine Versammlung aller drei genannten Topoi festzustellen. Sie sind jedoch in funktionaler Hinsicht zu differenzieren. Auffällig ist vor allem die Verwendung des ersten Motivs (ubi nisi etiam intemperanter studemus, et sine solacio et sine excusatione secessimus, Mart. 12, praef. 5–6): Martial antizipiert damit im Rahmen einer praemunitio den denkbaren Einwand, daß er fernab der Geschäftigkeit Roms doch reichlich Gelegenheit zu literarischer Betätigung haben müsse. (»Auch dies, was ihr lest, wenn du mir denn Glauben schenkst, Maximus, schreibe ich unwillig und mit mühsam gezwungener Hand. Es macht keinen Spaß, in solchen Sorgen den Geist anzustrengen, und die Muse kommt, wenn man sie ruft, nicht zu den harten Geten.«). 161 Vgl. auch Sen. dial. 11,18,9: quam non facile latina ei homini verba succurrant quem barbarorum inconditus et barbaris quoque humanioribus gravis fremitus circumsonat. (»wie schwer dürften lateinische Worte demjenigen einfallen, den das unartikulierte Murmeln der Barbaren umdröhnt, das auch für gebildetere Barbaren schwer zu ertragen ist.«); ebenso Ovid, z. B. trist. 3,1,17–18; 3,14,45–50; 5,12,57–58; Pont. 4,13,17–20.

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Allein durch das sine solacio wird die prinzipiell tröstende Funktion einer solchen Betätigung impliziert und Martials freiwilliger Aufenthalt in Spanien so mit einem erzwungenen Exil assoziiert. Diese Assoziation bildet den Hintergrund, vor dem die beiden anderen Topoi dann in geläufiger Art verwendet werden. Die auf diese Weise bewirkte Überbetonung der eigenen ›Exilsituation‹ ist ein deutlicher Hinweis auf die weitgehende Fiktionalität der geschilderten Verhältnisse, d. h. Martial funktionalisiert seinen Aufenthalt in Spanien unter Verwendung einschlägiger Topoi, um den entscheidenden Grund für seine ›Schreibblockade‹ um so nachdrücklicher herauszustellen und so dem Leser die elementare Bindung seiner Epigrammdichtung an das Leben in Rom als poetologische Kernaussage der praefatio vor Augen zu führen. Durch die Art ihrer zentralen Aussage erhält die praefatio des zwölften Buches den Charakter eines »späten Vorwortes« nach der Typologie Genettes. Motiviert durch eine Andersartigkeit des aktuellen Epigrammbuches, die er – jedenfalls vorgeblich – befürchtet, formuliert Martial hier rückblikkend eine Erklärung zum Wesen seines gesamten (früheren) Werkes. Denn in der praefatio gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten, die den Leser daran zweifeln lassen, daß die vordergründige Rechtfertigung der Andersartigkeit tatsächlich deren entscheidende Aussage darstellt. Zu nennen ist hier zum einen das gehäufte Auftreten von Übertreibungen162 , daneben vor allem wiederum die Literarisierung des scheinbar rein funktionalen Textes, diesmal durch das Spiel mit aus der Exilliteratur bekannter Topik, und schließlich, liest man mit Lindsay nitore seposito, der trotz aller angeblichen Unsicherheit unüberhörbare Anklang des alten künstlerischen Selbstbewußtseins. Angesichts dessen kann man davon ausgehen, daß Martial hier – ähnlich wie auch schon in der epistula an Domitian zu Beginn des achten Buches – die Stellungnahme zum besonderen Charakter des neuen Buches im wesentlichen lediglich als den Anlaß dafür nimmt, eine grundsätzliche Aussage über seine Dichtung zu vermitteln. 163 Obwohl es denkbar ist, daß Martial tatsächlich erst durch sein Leben in Spanien bewußt geworden ist, wie sehr seine Epigrammdichtung auf Rom zentriert ist, erscheint es doch wahrscheinlicher, daß die räumliche und zeitliche Distanz zu den früheren Büchern hier bewußt dazu genutzt wird, ein entscheidendes Charakteristikum des Werkes noch einmal ausdrücklich 162 Bowie (1988) verweist wiederholt auf den hyperbolischen Charakter einiger Formulierungen Martials in der vorliegenden epistula, z.B. zu contumacissimae … desidiae (16), solitudo (17– 18). 163 Aufgrund der Tatsache, daß Äußerungen über einen angeblich defizitären Charakter seiner Gedichte bei Martial nur in dieser einen praefatio auftreten, hält Pavlovskis (1967), 545, einen realen Hintergrund dafür eher für möglich als bei den regelmäßig wiederkehrenden vergleichbaren Äußerungen des Statius.

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hervorzuheben und durch den betonten Hinweis auf die gewandelten Verhältnisse das vorliegende Buch zugleich als das letzte der Epigrammaton libri zu markieren. 164 Übersetzung der praefatio: VALERIUS MARTIALIS GRÜSST SEINEN PRISCUS Ich weiß, daß ich eine Verteidigung schuldig bin für meine hartnäckige dreijährige Untätigkeit; durch eine solche wäre sie auch unter jenen städtischen Beschäftigungen nicht freizusprechen, mit denen wir leichter erreichen, daß wir lästig denn daß wir pflichteifrig erscheinen; geschweige denn in dieser provinziellen Einöde, wo ich, wenn ich nicht maßlos arbeite, ohne Trost und ohne Entschuldigung abgeschieden lebe. Vernimm also die Begründung: Darin ist dies das größte und erste, daß ich die Ohren der Bürger in der Stadt, an die ich gewöhnt war, vermisse, und mir vorkomme, als prozessierte ich auf einem fremden Forum. Denn wenn es irgend etwas gibt, was in meinen kleinen Büchern gefällt, hat es der Hörer diktiert: Jene differenzierten Urteile, jener Geist in den Stoffen, Bibliotheken, Theater, gesellschaftliche Anlässe, bei denen die Vergnügungen gar nicht merken, daß sie arbeiten, zu guter Letzt jenes, was ich verwöhnt zurückgelassen habe, das vermisse ich jetzt gleichsam verlassen. Dazu kommt der nagende Neid meiner Mitbürger und Mißgunst anstelle von Urteilsvermögen und der eine oder andere Boshafte, an einem so winzigen Ort schon eine Menge. Es ist schwer, demgegenüber immer eine gute Laune zu bewahren. Wundere Dich also nicht, wenn ein Empörter das liegen ließ, was er als Begeisterter zu tun pflegte. Damit ich Dir dennoch, wenn Du aus der Hauptstadt ankommst und etwas verlangst, nichts verweigere – Dir, dem ich keinen Dank erweise, wenn ich nur das leiste, was ich vermag –, habe ich mir das befohlen, was ich mit Lust zu tun pflegte, und mich in ganz wenigen Tagen angestrengt, damit ich Deine mir so vertrauten Ohren mit einem angemessenen Willkommensgeschenk begrüßen kann. Ich wünsche mir, daß es Dir nichts ausmacht, dieses hier, was nur bei Dir keiner Gefahr ausgesetzt ist, sorgfältig zu beurteilen und zu überprüfen; und, was Dir am schwersten fällt, Du möchtest über meine Kleinigkeiten urteilen ohne Rücksicht auf ihre formale Eleganz, damit ich nicht, wenn Du zu diesem Urteil kommst, ein Buch nach Rom schicke, das nicht in Spanien entstanden, sondern ein echt spanisches ist.

164 Vgl. Lorenz (2002), 232–233, unter Verweis auf Fowler (1989), 78–82.

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3.2 Systematische Analyse in Relation zu den poetologischen Aussagen der Epigramme Der Blick auf die einzelnen praefationes im Werk Martials hat zum einen die erheblichen Unterschiede deutlich werden lassen, die sowohl formal als auch hinsichtlich ihrer scheinbaren ursprünglichen Kommunikationssituation zwischen diesen Texten bestehen. Er hat zum anderen aber auch gezeigt, daß diese Vorreden trotz ihrer Heterogenität und oftmals scheinbar situationsbezogenen Spontaneität eine Vielzahl metapoetischer Aussagen über das Werk Martials enthalten. Im folgenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden, die teilweise sehr disparaten Einzelaussagen zu systematisieren und zu einem umfassenden Gesamtbild zusammenzufügen. Des weiteren soll der so gewonnene Befund für den Bereich der praefationes in Relation gesetzt werden zu den poetologischen Aussagen, die sich innerhalb des eigentlichen Textes finden, um auf diese Weise die Bedeutung des Paratextes im Corpus der Epigrammaton libri genauer zu beleuchten. Konkret bedeutet dies eine vergleichende Gegenüberstellung der poetologischen Äußerungen in den praefationes mit entsprechenden Aussagen in den Epigrammen selbst unter einer zweifachen Fragestellung: 1. Welche Aspekte werden thematisiert, und ggf. an welchen Stellen des Werkes? 2. Inwieweit lassen sich Übereinstimmungen, Differenzen oder auch Entwicklungsprozesse feststellen? Für einzelne Teilaspekte kommt als dritte bis zu einem gewissen Grade auch die Frage nach der tatsächlichen Umsetzung programmatischer Aussagen hinzu. Die poetologischen Äußerungen in den praefationes Martials lassen sich zunächst in vier große Themenbereiche untergliedern. Unter diesen ist die Definition der eigenen Dichtung von besonderer Bedeutung. Dazu kommt zweitens die Selbstdarstellung des Dichters, drittens der Bereich der Aussagen über Martials Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung sowie viertens schließlich seine Einstellung zur Verwendung von praefationes.165 165 Die genannten Themenbereiche lassen sich bis zu einem gewissen Grade den von Wolf (1999), 103–105, differenzierten Funktionen literarischer Rahmungen zuordnen. Die umfassende Definition der eigenen Dichtung erfüllt in manchen Teilen (etwa thematischen Angaben) eine »text-centred«, in anderen dagegen auch eine »context-centred function«, z.B. bei der Assoziation mit anderen literarischen Gattungen. In den übrigen drei Themenbereichen steht im wesentlichen jeweils eine Funktion im Mittelpunkt, die »speaker-centred function« bei der Selbstdarstellung des

Systematische Analyse der poetologischen Aussagen

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Vor allem innerhalb der ersten drei der genannten Themenbereiche lassen sich jeweils eine Reihe verschiedener Einzelthemen und -motive differenzieren. Betrachtet man in einer ersten Bestandsaufnahme die metapoetischen Aussagen in den Epigrammen selbst, so ist relativ rasch festzustellen, daß hier prinzipiell dieselben vier großen Themenbereiche wiederkehren, die auch innerhalb der praefationes anzutreffen sind. Angesichts des wesentlich größeren Textumfanges überrascht es indes nicht, daß die Differenzierung in einzelne Motive und teilweise sogar Motivvariationen in den Epigrammen sehr viel weiter geführt werden kann als in den Vorreden. Um die vielfältige Art und Weise, wie sich Martial im Verlaufe der Epigrammaton libri über seine Dichtung äußert, hinreichend erfassen und darstellen zu können, wurde der folgenden thematisch gegliederten Untersuchung ein differenziertes System der verschiedenen relevanten Themen und Motive zugrunde gelegt, das hier nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben werden kann und daher nur kurz skizziert sei. Zum zentralen Bereich der dichterischen Positionsbestimmung gehören etwa Angaben über die gewählte literarische Gattung, die von der rein äußerlichen Bezeichnung der Gedichte als epigrammata über den Anschluß an eine bestimmte Tradition, z.B. durch Nennung berühmter Vorläufer oder Bezug auf generische Normen, sowie Stellungnahmen zu verschiedenen gattungstypischen Charakteristika bis hin zu ihrer Relation zu – literarischen wie auch nicht-literarischen – externen Größen. Hinzu kommen Aussagen über die materia der Gedichte, etwa in Form einer Abgrenzung von der großen bzw. anspruchsvollen Dichtung oder eines Bekenntnisses zu Themen aus dem (römischen) Alltagsleben, aber auch zu formalen Gesichtspunkten wie dem Prinzip der variatio, der Metrik, der Länge bzw. formalen Kleinheit einzelner Gedichte oder anderer Werkeinheiten, sowie diverse andere Detailaspekte. Ziel dieser Arbeit ist natürlich keineswegs, die textimmanente Poetik der Epigramme Martials neu zu schreiben, die in ihrer Gesamtheit ebenso wie in Einzelaspekten bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen ist. 166 Auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen wird vielmehr immer wieder Bezug genommen werden, wenn es darum geht, die Poetik der Epigrammdichtung Martials so umfassend wie nötig, d. h. nach dem Kriterium Dichters, die »receiver- or reader-centred function« bei den Äußerungen über das Verhältnis zu den Rezipienten der Epigramme sowie schließlich eine »self-centred function« für den Bereich der metapräfatorischen Aussagen. Ebenso wie bei der Bestimmung der Themenbereiche selbst sind diese Abgrenzungen natürlich keineswegs absolut. 166 Zu nennen sind hier insbesondere Citroni (1968); Dams (1970), 175–210; Humez (1971), 28–38; Muth (1976); Muth (1979); Lausberg (1982), 44–56; Holzberg (1988), 85–93; Sullivan (1991), 56–77; Spisak (1992); Brandão (1997); Banta (1998); Holzberg (2002a), 124–135.

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ihrer Relation zu den entsprechenden Aussagen in den praefationes, darzustellen. Zum Bereich der Selbstdarstellung des Dichters gehören u. a. Äußerungen über die eigene Popularität, sowohl gegenwärtig als auch in Zukunft, die Möglichkeit, anderen Personen Popularität, oder auch das Gegenteil, zu verschaffen, ein allgemeines dichterisches Selbst- und Qualitätsbewußtsein, auch in Relation zu anderen Dichtern, den Umgang mit Gegnern verschiedener Art, z. B. Neidern, Plagiatoren, Moralkritikern, sowie das Dichtertum als Lebensform. Hierher gehören aber auch topische Äußerungen der Bescheidenheit, etwa über den geringen Qualitätsanspruch oder die angebliche Schüchternheit der Bücher. Auch im Bereich der Äußerungen Martials über das Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung lassen sich verschiedene Differenzierungen vornehmen. In bezug auf individuelle Einzeladressaten finden sich etwa die Widmung eines Gedichtes oder einer Gedichtsammlung, die Einbeziehung des Adressaten in Entstehung und Publikation der Gedichte, konkret in Form von Bitten um deren kritische Beurteilung bzw. Überarbeitung, Empfehlung oder Verteidigung, die Antizipation einer positiven oder negativen Reaktion auf seiten des Adressaten oder sogar die Antwort auf eine bereits erfolgte Reaktion des Adressaten. Einen Sonderfall unter den Einzeladressaten bildet der Kaiser. Neben Widmung und Antizipation von Reaktionen ist hier als weiteres wichtiges Motiv die Wirkung von Person und Position des Adressaten auf Themenwahl und Charakter der Gedichte zu nennen. Im Hinblick auf das allgemeine Publikum sind neben vergleichbaren Äußerungen über die Nachfrage von seiten des Publikums und Antizipationen positiver oder negativer Reaktionen insbesondere die Anweisungen für die Rezeption der Gedichte, d. h. die konkrete Bestimmung des anvisierten Publikums oder Angaben darüber, wie das Werk zu lesen sei, sowie Andeutungen bezüglich einer wichtigen produktionsästhetischen Rolle des breiten Publikums von Bedeutung. Schon dieser stark vereinfachte Überblick läßt die Vielzahl der verschiedenen auftretenden Motive erkennen. Die angedeutete Systematik kann allerdings lediglich ein Hilfsmittel zur Erfassung der im Text enthaltenen metapoetischen Aussagen im weitesten Sinne darstellen. Deshalb ist es an dieser Stelle auch nicht erforderlich, die möglichen Differenzierungen noch detaillierter darzustellen. Mit einem solchen Versuch liefe man vielmehr Gefahr, die theoretische Unterscheidung einzelner Motive zum reinen Selbstzweck werden zu lassen. Je weiter man versucht, einzelne Motive zu differenzieren, desto schwerer fällt bisweilen deren präzise Abgrenzung und Zuordnung. In letzter Konsequenz heißt dies sogar: Selbst wenn es gelänge, die verschiedenen Motive in der Theorie vollständig auszudifferenzieren,

Systematische Analyse der poetologischen Aussagen

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wäre die so erarbeitete Systematik anschließend nicht wieder in vollem Umfang auf den Text anwendbar. Manche Motive lassen sich je nach der Perspektive des Betrachters durchaus mit vollem Recht an zwei unterschiedlichen Stellen innerhalb der Systematik verorten, während sich in anderen Fällen der Befund im Text nicht eindeutig zuordnen läßt. Hinzu kommt, daß der Bereich der poetologischen Aussagen im Werk Martials natürlich keineswegs einen in sich geschlossenen, von anderen Themen klar abgegrenzten Komplex darstellt, sondern in vielfältiger Weise mit diesen vernetzt ist. So trifft man immer wieder auf Grenzfälle, in denen nicht abschließend zu klären ist, ob ein Motiv noch dem metapoetischen Bereich zuzurechnen ist oder nicht. Daneben gibt es strukturelle Parallelen zwischen verschiedenen Motiven, von denen das eine klar dem fraglichen Bereich hinzuzurechnen, das andere aber ebenso eindeutig auszuschließen ist, sowie schließlich die mannigfaltigsten Verknüpfungen von hier relevanten Motiven mit solchen aus völlig anderen Themenbereichen. Wenn man in einem ersten Schritt die in den praefationes enthaltenen poetologischen Aussagen auf der Folie einer mit den soeben erläuterten Einschränkungen aus den Epigrammaton libri entwickelten Arbeitssystematik einschlägiger Themen und Motive betrachtet, so läßt sich als erster Befund vorwegnehmen, daß auch im Bereich des Paratextes mehr oder weniger das gesamte Spektrum abgedeckt wird. Natürlich schließt dies nicht auch schon sämtliche Differenzierungen mit ein, dennoch lassen sich die Hauptmotive der großen Themenbereiche in (fast) vollem Umfang nachweisen. Erst auf der nächsten Differenzierungsebene zeigen sich die ersten Lücken. Im Rahmen der nachfolgenden systematischen Untersuchung soll dieser erste Befund nun für die einzelnen Themenbereiche weiter vertieft und auf mögliche weiterführende Schlußfolgerungen überprüft werden. Aus Gründen der Überschaubarkeit sollen dabei die eingangs genannten vier Themenbereiche der poetologischen Aussagen jeweils separat behandelt werden. Da es sich, wie oben dargelegt, keineswegs um absolut voneinander geschiedene, sondern um eng benachbarte und vielfach untereinander sowie mit gänzlich anderen Motivgruppen verknüpfte Teile eines Gesamtspektrums handelt, ist es bei dieser Vorgehensweise unvermeidlich, daß manche Motive und Textstellen, namentlich aus den ersten drei Themenbereichen, mehr als einmal unter verschiedenem Aspekt betrachtet werden. Solche Wiederaufnahmen sind jedoch keine bloßen Redundanzen, sondern zielen stets auf einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Eine Sonderstellung nimmt lediglich der vierte Bereich, Martials Einstellung zur Verwendung von praefationes, ein. Er wird daher an den Schluß der Untersuchung gestellt, obgleich er für die Fragestellung dieser Arbeit natürlich von besonderem Interesse ist.

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3.2.1 Definition der eigenen Dichtung 3.2.1.1 Der Terminus epigrammata Von Anbeginn des Werkes läßt Martial keinen Zweifel daran, daß er sich als Epigrammdichter versteht. Schon in der praefatio des ersten Buches werden die Gedichte mehrfach als epigrammata bezeichnet, und zwar überwiegend mit einer geradezu beiläufigen Selbstverständlichkeit. 167 Dies ist um so auffälliger, als der Terminus epigrammata Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. noch keineswegs als Bezeichnung für eine literarische Gattung etabliert war. Obgleich fast ausnahmslos mit der Vorstellung einer poetischen Gestaltung verbunden, wurde der Begriff zuvor meist für inschriftliche Texte gebraucht. 168 Seltener und ohne jede terminologische Verbindlichkeit findet sich der Begriff auch für kurze Lob- oder Spottgedichte. Tatsächlich ist es erst Martial selbst, durch den die Bezeichnung epigramma für eine bestimmte, für sein Werk charakteristische Art kurzer, vielfach pointiert skoptischer Gedichte spezifisch wurde. 169 Insofern kann im folgenden nur eingeschränkt von der Epigrammdichtung als einer Gattung die Rede sein. Verglichen mit Martials Verwendung des Begriffes epigrammata in der praefatio hat die erste Nennung der Gattungsbezeichnung innerhalb des Werkes deutlich plakativeren Charakter, obgleich auch sie einer anderen Hauptaussage untergeordnet ist: Hic est quem legis ille, quem requiris, toto notus in orbe Martialis argutis epigrammaton libellis

(Mart. 1,1,1–3).

Hier ist jener, den du liest, nach dem du fragst, Martial, in aller Welt bekannt durch seine geistreichen kleinen Epigrammbücher.

Angekündigt wird hier weniger das Werk in seiner Art als der Dichter Martial, allerdings so, als wäre die Art seiner Dichtung zuvor noch nicht weiter spezifiziert worden. Das Mißverhältnis zwischen der Beiläufigkeit, mit der der Terminus epigrammata in der ersten praefatio gebraucht wird, und dem Epigramm 1,1 ist jedoch nur ein scheinbares. Tatsächlich erfolgt die Verwendung der Gattungsbezeichnung in der praefatio gar nicht so unvermittelt, wie es auf den ersten Blick erscheint, geht ihr doch bereits der titulus voraus, der, zwar 167 Die erste Erwähnung erfolgt in einem beigeordneten Hauptsatz (Mart. 1, praef. 7), die zweite sogar ›nur‹ in einer erklärenden Apposition (Mart 1, praef. 9). Lediglich die letzte Erwähnung erfolgt an etwas exponierterer Stelle an einem Satzanfang (Mart. 1, praef. 14). 168 Vgl. ThLL V 2,666, s.v. epigramma 1 a. 169 Zur Problematik des Begriffes epigrammata als Gattungsbezeichnung in der lateinischen Literatur s. Puelma (1997), 199–213 (~ Puelma (1996), 132–139); vgl. auch Maaz (1992), 1–24. – Wie wenig der Terminus zur Zeit Martials festgelegt war, zeigt deutlich auch Plin. epist. 4,14,9.

Definition der eigenen Dichtung

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in weitaus funktionalerer Form, der Sache nach aber dieselbe Exposition gibt wie der Anfang des ersten Epigramms: M. Valerii Martialis Epigrammaton Liber Primus. Wenn aber der titulus den eigentlichen Auftakt der Exposition im paratextuellen Bereich darstellt, so bedeutet dies eine auffällige Parallelisierung der jeweiligen Anfänge bei der Hinführung auf das Werk im Paratext ebenso wie in der programmatischen Einleitungspassage des Textes selbst. 170 Innerhalb dieser Gruppe programmatischer Gedichte kehrt nur wenig später auch der Terminus epigrammata nochmals in signifikanter Weise wieder: Do tibi naumachiam, tu das epigrammata nobis: vis, puto, cum libro, Marce, natare tuo.

(Mart. 1,5)

Ich gebe dir eine Naumachie, du mir Epigramme: Du willst, glaube ich, mit deinem Buch baden gehen.

Das Epigramm ist als fiktive Äußerung des Kaisers Domitian schon früh als dessen ›Antwort‹ auf das vorhergehende Gedicht 1,4 aufgefaßt worden.171 Lorenz weist darüber hinaus darauf hin, daß in diesem Gedicht keineswegs nur eine grundsätzlich negative Bewertung der Epigrammdichtung vorgenommen werde: Domitian werde an dieser Stelle fiktionalisiert und als »epigrammatischer Kaiser« in das Werk integriert, der »die Regeln des epigrammatischen Genres verstanden« habe und selbst einen Beitrag zum Buch des überdies vertraulich mit Vornamen angesprochenen Dichters leiste. Damit werde zwar noch immer keine positive Bewertung, aber doch eine kurzfristige ambivalente Assoziation mit dem Werk impliziert. 172 Fokussiert man Lorenz’ interessanten Gedanken speziell auf das Vorkommen der Gattungsbezeichnung, so läßt sich das vorliegende Epigramm zugleich auch als eine offizielle Bestätigung der Gattungswahl von höchster Stelle lesen. Nach dieser Häufung am Anfang findet sich der Begriff epigrammata im weiteren Verlauf des ersten Buches zunächst nur noch vereinzelt und in wenig signifikanten Kontexten (Mart. 1,63. 110). Dies ändert sich jedoch am Schluß des Buches. Im Epigramm 1,117 erklärt Martial dem Adressaten Lupercus, wo man seine Epigrammbücher erwerben könne, da dieser ihn anscheinend wiederholt bedrängte, ihm vorab ein Exemplar zukommen zu lassen:

170 Zur Einleitungspassage des ersten Buches s. z. B. Merli (1993), 239; Fearnley (1998), 41– 56; Garthwaite (2001b); Holzberg (2002a), 37–39. 171 Barwick (1932), 64; Citroni (1975), 33; vgl. Friedlaender (1886), 1,169; Howell (1980), 116. 172 Lorenz (2002), 118.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII Occurris quotiens, Luperce, nobis, ›Vis mittam puerum‹ subinde dicis, ›cui tradas epigrammaton libellum, lectum quem tibi protinus remittam?‹

(Mart. 1,117,1–4)

Sooft du mir begegnest, Lupercus, sagst du sogleich: ›Soll ich dir meinen Sklaven schicken, damit du ihm ein Epigrammbuch mitgíbst, das ich dir nach der Lektüre umgehend zurückschicken werde?‹

Es fällt auf, daß hier fast am Ende des Buches der Ausdruck epigrammaton libellum an exakt derselben Stelle eines zudem ebenfalls im Metrum des Hendekasyllabus geschriebenen Gedichtes begegnet wie das epigrammaton libellis im ersten Gedicht des Buches (Mart. 1,1,3). 173 Durch den nachfolgenden Vers wird darüber hinaus bereits die abgeschlossene Lektüre des Buches antizipiert, d. h. der Kreis schließt sich, Anfang und Ende des Buches sind hier in unmittelbarer Nachbarschaft gleichermaßen präsent. 174 Dennoch bildet dieses Epigramm noch nicht den Abschluß des ersten Buches. Ihm folgt noch ein weiteres, das sich mit der zumutbaren Länge von Epigrammbüchern befaßt: Cui legisse satis non est epigrammata centum, nil illi satis est, Caediciane, mali.

(Mart. 1,118)

Wem es nicht ausreicht, hundert Epigramme zu lesen, für den, Caedicianus, gibt es nicht genug des Schlechten.

Durch die prägnante Kürze dieses abschließenden Gedichtes erhält die Erwähnung der Gattungsbezeichnung hier noch einmal einen gewissen Nachdruck. In der praefatio des zweiten Buches ist zweimal in ähnlich selbstverständlicher Weise von epigrammata die Rede wie in der Vorrede von Buch 1 (Mart. 2, praef. 2. 6), und im ersten Epigramm dieses Buches, das thematisch direkt an das letzte Gedicht des vorhergehenden Buches anschließt, kehrt der Terminus ebenfalls an exponierter Stelle gleich im ersten Vers wieder: Ter centena quidem poteras epigrammata ferre (Mart. 2,1,1). Danach jedoch erscheint der Begriff epigrammata innerhalb der Gedichte nur noch in ungleichmäßigen Abständen. Zwar werden auch an den späteren Stellen, deren Frequenz zum Ende des Werkes hin weiter abnimmt, zumeist verschiedene generelle Aspekte der eigenen Dichtung thematisiert, dennoch handelt es sich durchweg um weniger herausragende Stellen. 175 173 Citroni (1975), 357. 174 Zum Rückbezug der Epigramme 1,117 und 118 als »closure« des ersten Buches s. auch Fearnley (1998), 93–109. 175 So in 2,77; 3,83; 4,23. 49; 6,65; 7,81. 85; 11,42. Der Singular epigramma in bezug auf ein einzelnes konkretes Gedicht findet sich dagegen nur in 4,81. Auch die Werke anderer Dichter

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Diese Beobachtungen konvergieren weitgehend mit dem Befund für die restlichen praefationes. Während in der an Domitian gerichteten epistula zu Beginn von Buch 8 zunächst noch einmal generell von epigrammata die Rede ist (Mart. 8, praef. 11), ist der Terminus am Schluß der epistula im Singular konkret auf das nachfolgende Epigramm 8,1 bezogen (Mart. 8, praef. 18). Ebenso ist in der Vorrede des neunten Buches lediglich vom epigramma extra ordinem paginarum die Rede (Mart. 9, praef. 1–2), und in der letzten praefatio fehlt der Begriff schließlich ganz. Zum letzten Male erscheint der Terminus epigrammata kurz vor dem Ende des zwölften Buches, und zwar wiederum in programmatischem Kontext, denn in 12,94 entfaltet Martial vor dem Hintergrund einer angeblichen literarischen Rivalität eine qualitativ wertende Skala poetischer Gattungen, in der die Epigrammdichtung am untersten Ende angesiedelt ist: quid minus esse potest? epigrammata fingere coepi (Mart. 12,94,9). Das insgesamt recht unregelmäßige Vorkommen der Gattungsbezeichnung mit seiner auffällig hohen Frequenz im ersten Buch und namentlich in dessen praefatio läßt darauf schließen, daß Martial trotz der scheinbaren Selbstverständlichkeit der Begriffswahl gerade zu Anfang sehr daran gelegen war, die Bezeichnung epigrammata als festen Namen für seine Art der Dichtung zu etablieren. 3.2.1.2 Anschluß an eine Gattungstradition Neben der ausdrücklichen Bezeichnung seiner Gedichte macht Martial seinen Anschluß an die ältere Epigrammdichtung auch auf andere Weise deutlich, und zwar zum einen durch die Berufung auf andere Epigrammdichter, zum anderen durch den Bezug auf bestimmte Gattungsnormen. Die Berufung auf andere Epigrammdichter nimmt erstmals gleich zu Beginn des Werkes eine prominente Stellung ein, wenn Martial in der praefatio des ersten Buches vier auch für ihre Epigramme berühmte Dichter namentlich erwähnt und beim Leser damit den Eindruck einer ganz konkreten Tradition dieser Gattung erweckt: sic scribit Catullus, sic Marsus, sic Pedo, sic Gaetulicus (Mart. 1, praef. 10–11). Dafür, daß die Aufzählung nicht nur chronologisch geordnet ist, sondern offenbar auch eine qualitative Rangfolge in den Augen Martials wiedergibt, spricht auch die Zahl der nachfolgenden Erwähnungen der hier genannten Dichter im Verlaufe der Epigrammaton libri. Während die Erwähnung des Gaetulicus hier einmalig bleibt, erscheint der Name Pedos immerhin noch

werden nur vergleichsweise selten als epigrammata bezeichnet: Mart. 2,7; 3,69; 7,25; 8,18. 62. – Zu Martials Verwendung der Bezeichnung epigramma vgl. auch Borgo (2003), 66–69.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

dreimal, Marsus wird siebenmal erwähnt und Catull mindestens vierzehnmal.176 Bei all diesen Erwähnungen ist die Art und Weise sowie die Intensität des Bezuges auf die Gattungstradition durchaus unterschiedlich. Zuweilen erfolgt der Verweis auf die Vorläufer ebenso wie in der praefatio des ersten Buches im Zusammenhang mit einem konkreten Einzelaspekt der Epigrammdichtung. So werden etwa in 2,77, einer Antwort Martials auf Kritik an der Länge seiner Gedichte, auch die Werke von Marsus und Pedo als Präzedenzfälle für teilweise recht lange Epigramme angeführt: disce quod ignoras: Marsi doctique Pedonis saepe duplex unum pagina tractat opus.

(Mart. 2,77,5–6)

An anderer Stelle steht der Anschluß an eine Gattungstradition nur mehr oder weniger implizit im Hintergrund, z. B. in 2,71, einer ironischen Wendung Martials gegen die Art eines Caecilianus, auf recitationes Martials zu reagieren. Candidius nihil est te, Caeciliane. Notavi, si quando ex nostris disticha pauca lego, protinus aut Marsi recitas aut scripta Catulli. hoc mihi das, tamquam deteriora legas, ut conlata magis placeant mea? Credimus istud: malo tamen recites, Caeciliane, tua.

5 (Mart. 2,71)

Nichts ist aufrichtiger als du, Caecilianus. Ich habe gemerkt, wenn ich einmal einige wenige meiner Zweizeiler vorlese, rezitierst du sofort Verse von Marsus oder Catull. Tust du das für mich, als würdest du schlechtere lesen, damit meine im Vergleich besser gefallen? Das glaube ich. Dennoch möchte ich lieber, daß du deine Gedichte vorliest.

Im Vordergrund steht hier die qualitative Relation der Gedichte Martials zu zwei anderen Größen, den Werken von Marsus und Catull einerseits und 176 Dabei erscheint Catull keineswegs immer nur als Vorläufer in der Epigrammdichtung, wenngleich dies häufig der Fall ist, so in 2,71; 4,14; 5,5; 7,99; 10,78. 103. An anderen Stellen wird er bzw. sein Werk in anderen Kontexten einfach nur erwähnt: Mart. 1,7. 109; 6,34; 12,44. 59. Eine Art Mischform stellen die Epigramme 7,14; 8,73 und 11,6 dar, in denen hinter einer vordergründig scheinbar beiläufigen Erwähnung Catulls dennoch eine indirekte generische Assoziation verborgen ist. Hinzu kommen weiterhin diejenigen Epigramme, in denen der Name Catullus als rein fiktiv anzusehen ist (Mart. 6,69; 12,73) oder zweifelsfrei eine andere Person bezeichnet (In 5,30 ist mit Catullus ein Mimendichter des 1. Jahrhunderts. n. Chr. gemeint: Howell (1995), 114.). Als zwei Sonderfälle lassen sich schließlich der weibliche Name Catulla in dem in verschiedener Hinsicht auf das Werk Catulls anspielenden Epigramm 8,54 (vgl. dazu Schöffel (2002), 465–469) und das Epigramm 12,83 anführen, bei dem nicht klar zu entscheiden ist, ob mit den duo Catulli (Mart. 12,83,4) der o. g. Mimendichter und der Dichter aus Verona gemeint sind, oder ob an eine quantitative Verdoppelung der Spottlust eines der beiden zu denken ist (vgl. Friedlaender (1886), 2,263; Bowie (1988), 373).

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Definition der eigenen Dichtung

den Gedichten des Caecilianus andererseits. Die Assoziation Martials mit Marsus und Catull ist diesem Hauptthema untergeordnet. Weiterhin fällt auf, daß diese Assoziation innerhalb des Gedichtes nicht von Martial selbst vorgenommen wird, sondern zuvor von dem angesprochenen Caecilianus, d. h. ähnlich wie bei der Gattungsbezeichnung in Epigramm 1,5 wird die Zuordnung hier letztlich wieder einer anderen Person in den Mund gelegt und damit gewissermaßen von außen bestätigt. Noch etwas subtiler erfolgt der Anschluß an eine personelle Gattungstradition durch die implizite Assoziation mit einem der großen Vorläufer, wie sie sich etwa in 4,14 findet, einem an Silius Italicus gerichteten Widmungsgedicht, das mit den Worten schließt: sic forsan tener ausus est Catullus magno mittere Passerem Maroni.

(Mart. 4,14,13–14)177

So vielleicht hat der zarte Catull gewagt, Vergil seinen Passer zu schicken.

Buchstäblich en passant wird auf die Gattungstradition verwiesen, wenn es im Epigramm 10,20, einem als Apostrophe der hier als Muse der Epigrammdichtung auftretenden Thalia gestalteten Widmungsgedicht, heißt: illic parva tui domus Pedonis (»dort liegt das kleine Haus deines Pedo«; Mart. 10,20,10). Neben diesen mehr oder weniger versteckten Hinweisen stehen außerdem die markanten und in der Forschung vielfach beachteten Stellen, an denen sich Martial explizit und mit großem Nachdruck unter bekannte Epigrammdichter einreiht. Dazu gehört die Aussage über den für das eigene Werk gewünschten Standort in der Palatinischen Bibliothek: sit locus et nostris aliqua tibi parte libellis, qua Pedo, qua Marsus quaque Catullus erit.

(Mart. 5,5,5–6)178,

sowie der mehrfach geäußerte Anspruch auf einen hohen Rang innerhalb der Gattung179 und natürlich das prägnante Bekenntnis zur Epigrammdichtung in der Formulierung Vergilius non ero, Marsus ero (»ein Vergil werde ich nicht, ich werde ein Marsus sein«; Mart. 8,55,24). Wie dieser Überblick zeigt, werden an den einschlägigen Stellen längst

177 Vgl. auch das Epigramm 7,29, in dem Martial seine parva carmina in einen scharfen Kontrast zu den docti libelli des Adressaten Voconius Victor stellt: et Maecenati, Maro cum cantaret Alexin, / nota tamen Marsi fusca Melaenis erat (»auch Maecenas war, als Vergil den Alexis besang, dennoch die dunkle Melaenis des Marsus bekannt«; Mart. 7,29,7–8). 178 »Mögest du auch für meine Büchlein in irgendeiner Ecke ein Plätzchen haben, wo Pedo, Marsus und Catull stehen.« 179 In 7,99 knapp hinter Marsus und Catull, in 10,78 nur noch hinter Catull und in 10,103 schließlich sogar gleichauf mit Catull; zur damit implizierten Entwicklung des dichterischen Selbstbewußtseins s.u. Abschnitt 3.2.2.2.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

nicht immer alle Vorläufer gemeinsam genannt, sondern manchmal nur zwei, oft genug aber auch nur ein einziger von ihnen. Ohne jeden Zweifel allerdings wird Catull durchgehend eine besondere Rolle unter den Vorläufern zugewiesen. Er ist nicht nur derjenige, den Martial mit Abstand am häufigsten erwähnt, der Anschluß an ihn wird bis zu einem gewissen Grade dadurch unterstrichen, daß Martial für seine Dichtung eine Reihe von Begriffen übernimmt, die auch im Werk Catulls wichtige programmatische Bedeutung haben. Zu nennen ist hier vor allem der von Catull zur Bezeichnung seiner kleinen, scheinbar anspruchslosen Dichtung geprägte Terminus nugae, aber auch ludere, das zur Bezeichnung des spielerischen Charakters von Dichtung außer bei Catull auch bei verschiedenen anderen Dichtern wie Lucilius, Vergil, Horaz, Ovid gebraucht wird (dazu substantivisch auch ludus oder lusus, das bei Catull nicht belegt ist). Bedingt hinzuzurechnen ist schließlich auch der Begriff iocus, der sich bei Catull zwar im Zusammenhang mit seiner Dichtung, nicht aber zur konkreten Bezeichnung seiner Gedichte findet.180 Vergleichende Untersuchungen zu Martials Verwendung der Begriffe nugae, ioci und ludere/lusus haben gezeigt, daß diese vielfach in Anlehnung an Catull bzw. die Tradition der kleinen, spielerischen Dichtung erfolgt. Daneben wird jedoch auch auf einige eigene Modifikationen oder sogar signifikante Abweichungen verwiesen.181 Zuweilen präzisiert Martial die übernommenen Begriffe in seinem Sinne, wenn es z. B. in 2,86 heißt: turpe est difficiles habere nugas (»es ist schändlich, Nichtigkeiten kompliziert zu machen«; Mart. 2,86,9). An anderer Stelle sind es lediglich seine Juvenilia, die Martial als nugae bezeichnet und von denen er sich zugleich scheinbar distanziert (Mart. 1,113)182, während er schließlich in dem vielzitierten Epigramm 4,49 betont, daß die Bezeichnung als lusus oder ioci der Epigrammdichtung gerade nicht gerecht werde, und, indem er umgekehrt der großartigen Dichtung mit mythologischen Sujets einen höheren Grad von ludus zuschreibt, nach gängiger Auffassung für diesmal »die Vorstellung vom ludus poeticus (im Sinne der Neoteriker) in ihr Gegenteil verkehrt«.183 180 Swann (1994), 51–52. – Daneben bezeichnen auch andere Dichter, wie etwa Horaz (z. B. carm. 2,1,37; 3,3,69) oder Phaedrus (1, prol. 7), ihre ›kleinen‹ Gedichte als ioci. 181 Swann (1994), 47–61; zu ludere und nugae auch Spisak (1992), 8–61; zur Semantik von ludere/ludus in poetischen Kontexten allgemein s. auch Wagenvoort (1956). Mit Martials Gebrauch dieser Begriffe befaßt sich auch Banta (1998), 62–103. 182 Zu den genannten Stellen s. Dams (1970), 185–187; Muth (1979), 216 u. 219. 183 Muth (1976), 203; ähnlich auch Citroni (1968), 274–275; Dams (1970), 194–195. Mit einer solchen Haltung steht Martial zugleich auch zumindest teilweise in der Tradition der Satire: Muth (1976), 202; Muth (1979), 218; Spisak (1992), 57–59; auf Martials generelle Assoziation seiner Epigrammdichtung mit der Satire wird im Verlaufe dieses Kapitels noch zurückzukommen sein. – Gegen die communis opinio zu Mart. 4,49 wendet sich Banta (1998), 72–84. Nach seiner

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Ein derart ›eigenwilliger‹ Umgang mit der Terminologie der kleinen Dichtung ist im Bereich der praefationes nirgends festzustellen. Tatsächlich scheint sie hier zunächst sogar lediglich auf einer eher untergeordneten Ebene präsent zu sein, nicht zuletzt, weil die Begriffe nur vereinzelt verwendet werden. Auffällig ist vor allem das Fehlen des bei Catull prominenten Begriffes nugae in der praefatio von Buch 1. Hinzu kommt, daß die bekannten Termini meist nur geradezu beiläufig zur Bezeichnung der eigenen Gedichte in Verbindung mit anderen Aspekten gebraucht werden. So ist etwa vom ludere der Gedichte nur dort die Rede, wo ihre Zurückhaltung betont wird (Mart. 1, praef. 3). Als ioci werden die Epigramme bezeichnet, wenn es hauptsächlich um ihre simplicitas (Mart. 1, praef. 7) oder die variatio innerhalb des Gedichtbuches geht (Mart. 8, praef. 7–8). Interessant ist freilich, daß die Begriffe an den beiden zuerst genannten Stellen im unmittelbaren Kontext der indirekt ausgedrückten Relation der Epigrammdichtung zur Satire stehen. Aus diesem Rahmen fällt dagegen die im paratextuellen Bereich erste Verwendung des Terminus nugae, der innerhalb seines unmittelbaren Kontextes, der in der im epigramma extra ordinem paginarum der praefatio zum neunten Buch wiedergegebenen Bildunterschrift ein besonderes expositorisches Gewicht erhält, da Martial seine Berühmtheit hier ausdrücklich an den Terminus nugae knüpft: nulli nugarum laude secundus (Mart. 9, praef. ep. 5). In der epistula an Priscus zu Beginn des zwölften Buches erscheint allerdings auch dieser Begriff wiederum als kaum mehr als ein Synonym zu epigrammata (Mart. 12, praef. 25). Obwohl Martial die fraglichen Begriffe hier mehrfach im Zusammenhang mit weitergehenden Angaben über die Art seiner Dichtung gebraucht, spiegelt sich in den praefationes die gleiche Selbstverständlichkeit, mit der er sich auch sonst überwiegend der bekannten Teminologie der kleinen, spielerischen Dichtung anschließt. Nur im epigramma extra ordinem paginarum der praefatio des neunten Buches ist dieser Anschluß offensichtlich sehr viel konkreter auf das Vorbild Catull fokussiert. Der Blick auf die Verteilung der einschlägigen Erwähnungen anderer Epigrammatiker im Corpus der Epigrammaton libri zeigt deutlich, daß die Präsenz einer personellen Gattungstradition als Referenzgröße zu Beginn des Werkes besonders stark ist. Symptomatisch hierfür ist bereits der Auftakt mit der einmaligen Häufung von gleich vier Namen in der praefatio des ersten Buches. Die Frequenz der relevanten Stellen nimmt mit Fortschreiten Auffassung wird die mythologische Dichtung durch das magis ludit (Mart. 4,49,3) nicht herabgesetzt, sondern ebenfalls in den Bereich der spielerischen Dichtung aufgenommen, und zwar in einer der Epigrammdichtung überlegenen Position, mit dem Ziel, den geringen Rang der Epigrammdichtung als ihre eigentliche Stärke auch auf dem Gebiet des ludus poeticus festzuschreiben.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

des Werkes jedoch nicht nur kontinuierlich ab. Im zweiten Teil des Werkes, d. h. konkret ab dem achten Buch, wird die Berufung auf namhafte Vorgänger außerdem unvermittelt ergänzt durch die Berufung auf solche Personen, die man als ›prominente Amateure‹ in der Epigrammdichtung umschreiben könnte. Zwar sind die entsprechenden Stellen sehr viel seltener als die der zuvor behandelten Art, dennoch lassen sich zwei interessante Parallelen feststellen: Auch diese Variante einer Berufung auf ›andere Dichter‹ wird zum ersten Male in einer Vorrede eingeführt, und ebenso wie bei der Reihung in der ersten praefatio ist hier von mehreren, diesmal allerdings generell nicht individualisierten Personen, nämlich den severissimi et summae fortunae viri (Mart. 8, praef. 11–12), die Rede. Im folgenden werden dann in größeren Abständen mit Lucan in 10,64 und Augustus in 11,20 zwei einzelne Beispiele solcher severissimi viri genannt. Die zuletzt genannte Stelle ist zugleich auch die letzte Stelle in den Epigrammaton libri Martials, an der zur Rechtfertigung der eigenen Dichtung ein konkreter Präzedenzfall angeführt wird. Die Strategie der Rechtfertigung durch Verweis auf Vorläufer erfährt somit im Laufe der Epigrammaton libri eine wesentliche Erweiterung und zugleich eine inhaltliche Verschiebung. Der im ersten Teil des Werkes klar dominierende Bezug auf professionelle Epigrammdichter, der zumindest bis zu einem gewissen Grade Parallelen zu Ovids Rechtfertigung seiner Liebesdichtung im zweiten Buch der Tristia aufweist, wird später durch eine allgemeine Berufung auf prominente Persönlichkeiten geradezu verdrängt. Obwohl diese zweite Art der Berufung auf ›andere Dichter‹ zweifellos an Plinius’ Verteidigung seines Verfassens von versiculi parum severi erinnert (Plin. epist. 5,3,5–6), handelt es sich dennoch wohl kaum um eine weitere literarische Allusion, sondern um ein selbständiges Argument Martials: Die primär literarische Argumentation des ersten Teils wird mit Fortschreiten des Werkes durch eine gesellschaftliche Argumentation abgelöst. Anders als in den praefationes, in denen die Berufung auf andere Epigrammdichter stets mit dem Aspekt der lascivia verbunden ist, werden die Gattungsvorläufer innerhalb der Epigramme Martials überwiegend in anderen Kontexten erwähnt, etwa in der Frage der angemessenen Länge von Epigrammen (Mart. 2,77) oder bei der Abgrenzung von den großen poetischen Gattungen (Mart. 5,5; 8,55,24). Oftmals erscheinen sie auch lediglich als allgemeine Bezugsgrößen bzw. Vorbilder Martials. 184

184 Namentlich bei den Erwähnungen Catulls ist das Motiv der Berufung auf einen Vorläufer innerhalb der Gattung öfter auch dem im Abschnitt 3.2.2.2 noch zu behandelnden Motiv der generellen Relation zu berühmten Dichtern eng benachbart.

Definition der eigenen Dichtung

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3.2.1.3 Charakteristika der Epigrammdichtung Daneben findet sich in den Epigrammen jedoch noch eine andere, nicht personengebundene Art der Berufung auf eine Gattungstradition. Zwar sind diese unbestimmten Bezüge viel seltener, doch dominiert bei ihnen in auffallender Weise wiederum der Aspekt der lascivia, die einmal sogar als regelrechtes Gesetz der Epigrammdichtung bezeichnet wird: lex haec carminibus data est iocosis (Mart. 1,35,10). 185 Auch im ersten Epigramm des achten Buches, in dem dieser liber zu besonderer Zurückhaltung ermahnt wird, wird deutlich, daß ein Epigrammbuch im Normalfalle selbstverständlich der nuda Venus gehört, d.h. von lascivia geprägt ist (Mart. 8,1,3). 186 Weitaus zahlreicher sind in den Epigrammen allerdings die Stellen, an denen lascivia nicht als Gattungsnorm, sondern als Element einer deskriptiven Gattungscharakteristik erscheint. Diese recht ungleichmäßig über das Werk verteilten Stellen haben zum Teil ebenfalls programmatischen Charakter. 187 Ein zentrales Beispiel ist etwa das Epigramm 1,4, in dem Martial sich gegenüber dem Kaiser Domitian nachdrücklich dagegen verwahrt, daß aus der Art seiner Gedichte Rückschlüsse auf seinen Lebenswandel gezogen werden: lasciva est nobis pagina, vita proba (Mart. 1,4,8). Dasselbe Motiv, das auch in dem Gegensatz des als lascivus apostrophierten Buches zur strengen Feder (tristis harundo) des dominus (i.e. Martial) im vorhergehenden Epigramm bereits angedeutet wird (Mart. 1,3,9–11), kehrt später nochmals in 11,15 wieder, ist dort allerdings konkret auf das in besonderem Maße von lascivia geprägte Buch 11 bezogen: mores non habet hic meos libellus (»dieses Buch zeigt nicht meinen Charakter«; Mart. 11,15,13). 188 In ähnlicher Weise sind auch andere vergleichbare Stellen auf einen ganz konkreten Geltungsbereich beschränkt. So ist die Aussage des Epigramms 185 Nur ein einziges Mal läßt sich auch bei einem anderen Aspekt ein vergleichbar normativer Charakter erkennen, nämlich in der Frage der metrischen Freiheit in der Epigrammdichtung. In 6,65 wendet sich Martial gegen Tucca, der ihn wegen der Verwendung des langen Hexameters in einigen seiner Gedichte kritisiert hat, und gibt ihm zweimal zur Antwort, daß dies sehr wohl üblich und erlaubt sei (Mart. 6,65,1–3): ›Hexametris epigramma facis‹ scio dicere Tuccam. Tucca, solet fieri, denique, Tucca, licet. ›Sed tamen hoc longum est.‹Solet hoc quoque, Tucca, licetque. 186 Vgl. außerdem Martials ›Lob‹ für die casta epigrammata des Cosconius in 3,69. 187 Die Funktion der Obszönität in den Epigrammaton libri ist im Laufe der Zeit unterschiedlich gedeutet worden; für eine Übersicht und Literaturhinweise s. Holzberg (2002a), 109–121. – Banta (1998), 189–235, betrachtet Martials wiederkehrende Apologie für die lascivia seiner Dichtung als eine Art Selbstzweck: Sie diene nicht etwa einer tatsächlichen Rechtfertigung, sondern einer zusätzlichen Betonung des geringen Ranges der Epigrammdichtung. Obszöne Gedichte selbst dienen seiner Ansicht nach in erster Linie der Motivation dieser Apologie. 188 Zur Verwandtschaft der genannten Stellen mit vergleichbaren Äußerungen bei Catull (16,5–6) und Ovid (trist. 1,9,59–60; 2,353–354; 3,2,6) s. z. B. Citroni (1975), 32–33; Kay (1985), 100. In Mart. 9,28 kehrt derselbe Grundsatz nochmals wieder, diesmal aus der Perspektive des Mimendarstellers Latinus.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

3,68 explizit auf den nachfolgenden Teil des dritten Buches bezogen, und in 5,2 wird umgekehrt die besondere Zurückhaltung des fünften Buches im Unterschied zu den vorhergehenden vier lascivi libelli betont. Mit besonderer Häufigkeit wird die lascivia des eigenen Werkes im bereits erwähnten elften Buch der Epigrammaton libri thematisiert, während sie in anderen Zusammenhängen zuweilen auch nur geradezu beiläufig angesprochen wird, etwa in der Bezeichnung der Gedichte als lasciva carmina o. ä. 189 In den Vorreden hingegen sind solche generellen apologetischen Anmerkungen zum freizügigen Charakter der Epigrammdichtung nicht zu finden. Obwohl dieser Aspekt auch dort eine wichtige Rolle spielt, bleibt er stets untrennbar mit der Gattungstradition verbunden.190 Neben der lascivia nennt Martial noch zwei andere wichtige Charakteristika der Epigrammdichtung. Eines davon ist deren Bosheit oder malitia. In der Vorrede des zweiten Buches wird die den Epigrammen eigene Sprache durch eine parenthetische Ergänzung ausdrücklich als mala lingua, d. h. als boshaft charakterisiert (Mart. 2, praef. 7). Innerhalb der Gedichte selbst wird die Bosheit der eigenen Epigramme dagegen zumeist nur implizit bzw. indirekt auf Umwegen über andere Beispiele angesprochen. 191 Wenn Martial z. B. in 7,25 die Epigramme eines anderen als zu harmlos kritisiert und dabei insbesondere das Fehlen von sal, fel amarum und acetum bemängelt sowie durch den Vergleich mit der pikanten Feigensorte von der Insel Chios von einem guten Epigramm auch die Fähigkeit verlangt, (dem Verspotteten) einen Stich zu versetzen (nam mihi, quae novit pungere, Chia sapit; Mart. 7,25,8), wird damit zugleich suggeriert, daß seine eigenen Epigramme den genannten Ansprüchen weitgehend entsprechen. Auf andere Weise beschreibt Martial den boshaften Charakter seiner Dichtung in dem Epigramm 12,61, in dem es primär darum geht, daß der Adressat keiner persönlichen Invektive würdig ist. Hier wird das invektivische Epigramm zunächst mit libyschen Löwen verglichen, die sich nicht auf nichtige Opfer stürzen, und seine Funktion schließlich mit dem Brandmarken von Sklaven gleichgesetzt: Frons haec stigmate non meo notanda est (Mart. 12,61,11). 192 189 Zur lascivia in Buch 11: Mart. 11,6. 15. 16. 17. 90; beiläufige Erwähnungen finden sich z.B. in 3,86,1 (mit konkretem Bezug auf 3,68); 4,8,11–12; 4,14,12; 7,17,4; 7,51,2; 7,68,3. 190 Für sich allein genommen ließe sich zwar die Äußerung tamen illis non permisi tam lascive loqui quam solent (Mart. 8, praef. 13–14) als allgemeiner Hinweis auf die lascivia auffassen, doch steht auch diese Stelle im Schatten des vorhergehenden Verweises auf die severissimi et summae fortunae viri. 191 So kann etwa das gleich in 1,1 zur Charakterisierung der Epigramme verwendete Adjektiv argutus mit einem gewissen Maß an Bosheit konnotiert sein: bei Non. 239 wird argutus unter Verweis auf Lucil. frg. 779 Krenkel und Plaut. Most. 2 als mögliches Synonym zu audax, malitiosus genannt. Ohne diese Konnotation der Bosheit allerdings bei Plin. epist. 4,3,3–4. – Dams (1970), 178, wertet das Attribut dagegen als Hinweis auf den Stil der Epigrammdichtung. 192 Vgl. auch Suet. Iul. 73 über Catulls Epigramme auf Caesar.

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In einer Reihe von Gedichten kann auch das im Zusammenhang mit der Dichtung bzw. dem Dichter selbst gebrauchte Adjektiv malus wie in der praefatio des zweiten Buches als »boshaft« verstanden werden. Anders als in der praefatio ist diese Auffassung jedoch nirgends unzweifelhaft. Im Gegenteil, die semantische Ambiguität des Wortes malus zwischen einer qualitativ wertenden und einer ethischen Bedeutung ist, wenn auch in verschiedener Abstufung, so doch grundsätzlich in allen Fällen präsent. 193 Daß aber gerade der in der praefatio verwendete Ausdruck mala lingua esse vorrangig als gleichbedeutend mit maledicere alicui oder loqui de aliquo aufgefaßt wurde, zeigt das Epigramm 3,80, denn nur unter dieser Voraussetzung kann eine Erweiterung des Begriffsinhaltes im obszönen Sinne die Pointe dieses Gedichtes bilden. 194 Geht man also mit den modernen Herausgebern seit Lindsay davon aus, daß die Parenthese id est mala (Mart. 2, praef. 7) Teil des ursprünglichen Textes ist 195 , so bedeutet dies, daß Martials unverblümtestes Bekenntnis zur malitia seiner Dichtung nicht innerhalb des Werkes, sondern im Bereich des Paratextes situiert ist. Auch das dritte Charakteristikum der Epigrammdichtung, das in den Epigrammaton libri zur Sprache kommt, nämlich deren Freiheit bzw. Selbständigkeit, findet seine prägnanteste Formulierung innerhalb einer praefatio, und zwar gleichsam in einem Atemzug mit der malitia: epigrammata curione non egent et contenta sunt sua [...] lingua (Mart. 2, praef. 6–7). Im Bereich der Epigramme wird die Autonomie der Bücher oder Gedichte nirgends mit vergleichbarer Allgemeingültigkeit thematisiert. Sie klingt vor allem in begrenzteren Kontexten an, etwa im Zusammenhang mit Martials Polemik gegen Plagiatoren, wenn in 10,100 dem liber selbst die Kompetenz zugeschrieben wird, gegen einen Plagiator vorzugehen: cum litigante

193 In 6,82 antwortet Martial auf die Frage nach dem Grund für seine abgerissene Kleidung: quia sum malus poeta (Mart. 6,82,10), und in 9,89 gesteht Stella, der dem Dichter, der bei ihm zu Gast ist, aufgetragen hat, Verse zu schreiben, diesem zu: Licet scribere nempe malos (Mart. 9,89,2). Für beide Stellen hebt Ronconi (1968), 144–145, den Doppelsinn hervor: An der erstgenannten Stelle verbirgt sich hinter der Aussage »Als schlechter Dichter habe ich keinen reichen Gönner« die zweite Bedeutung »Da ich schlecht über die Leute rede, habe ich zu viele Feinde« (vgl. aber Bantas Kritik an der einseitigen Fokussierung auf die »tatsächliche« erste Bedeutung: Banta (1998), 145, Anm. 66). Analog dazu ist an der zweiten Stelle hinter dem vordergründigen »Es ist auch erlaubt, schlechte Verse zu schreiben« der zweite Sinn »Es ist auch erlaubt, (wegen dieser Aufforderung) boshafte Verse zu schreiben« verborgen (vgl. auch Joepgen (1967), 73; sowie zur generellen Ambiguität von malus bei Martial auch Banta (1998), 88–89). – Unter den übrigen Stellen, an denen malus als doppeldeutig erscheint, sind drei besonders hervorzuheben, da sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur praefatio des zweiten Buches befinden: 1,118; 2,1; 2,8. Namentlich an der letzten Stelle überwiegt auf den ersten Blick die qualitativ wertende Bedeutung, da im letzten Vers mala direkt mit meliora kontrastiert wird, dennoch fehlt der Doppelsinn auch hier nicht völlig. 194 Vgl. Joepgen (1967), 73–74; Greenwood (1998), 243. 195 Zu dieser Frage vgl. den Abschnitt 3.1.2 zur praefatio des zweiten Buches.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

quid tibi, miser, libro? (»Was willst du Elender mit dem anklagelustigen Buch?«; Mart. 10,100,2). Daß die besondere Fähigkeit, für sich selbst einzutreten, nicht nur auf die Epigramme Martials beschränkt ist, sondern für die Epigrammdichtung allgemein charakteristisch ist, zeigt sich in einem der anderen Plagiatorengedichte, in dem es ironischerweise gerade die eigenen Gedichte des Widersachers sind, die diesen des Plagiats überführen: stat contra te dicitque tibi tua pagina ›Fur es‹ (Mart. 1,53,12). Hinzu kommen verschiedene weitere Personifikationen des Buches oder einzelner Teile, unter denen besonders das Epigramm 10,1 zu nennen ist, in dem das Buch selbst in eigener Sache zum Leser spricht: Si nimius videor seraque coronide longus esse liber, legito pauca: libellus ero. terque quaterque mihi finitur carmine parvo pagina: fac tibi me quam cupis ipse brevem. Wenn ich übermäßig und durch den späten Schlußschnörkel als ein langes Buch erscheine, lies nur wenig, schon werde ich ein Büchlein sein. Drei-, viermal endet eine meiner Seiten mit einem kurzen Gedicht: mach’ mich für Dich so kurz, wie du selber willst.

Eine Eigenständigkeit des Buches suggerieren weiterhin die Stellen, an denen Martial klar zwischen seiner Lebensführung und dem Charakter seines Werkes unterscheidet und dabei letzterem die Verantwortung für die lascivia zuschreibt (Mart. 1,4,8; 11,16,3). 196 Eine gänzlich andere Art von Selbständigkeit kommt in der Anrede an den liber oder libellus zum Ausdruck, wie sie insbesondere in Widmungsund Geleitgedichten auftritt. Wenn sich der Dichter dort mit konkreten Aufträgen oder Anweisungen an das Buch wendet, erscheint dieses ebenfalls mehr oder weniger stark ausgeprägt als eigenständige Persönlichkeit.197 In noch höherem Maße gilt dies, wenn der Dichter, wie etwa zu Beginn von 3,2, eine Frage an den libellus richtet und ihm damit implizit sogar eine eigene Meinung zugesteht. 198 196 Vgl. Wissig-Baving (1991), 212; für weitere Personifikationen des Buches in mehr oder minder aktiver Rolle s. z.B. Mart. 4,10,2; 5,2,6; 5,6,7; 5,16,9; 6,1,4; 7,12,3; 11,16,3; 12,11,7. 197 Besonders ausgeprägt in 1,70; 3,4; 10,104; vgl. auch 10,108,10. In einer Reihe weiterer Geleitgedichte für ein Buch auf dem Weg in die Provinz (Mart. 7,84; 7,97; 8,72; 9,99) bzw. aus der Provinz nach Rom (Mart. 12,2) tritt trotz einer Anrede an das Buch dessen Eigenständigkeit weniger stark hervor. Selbstverständlich wenden sich alle diese Gedichte letztlich an den menschlichen Adressaten. Die Buchapostrophe dient vorrangig dazu, die Annäherung an den eigentlichen Adressaten subtiler zu gestalten (Citroni (1986), 139; Wissig-Baving (1991), 270; vgl. Besslich (1974), 1). 198 Dieselbe Art der Anrede findet sich auch in 3,5 (zu diesem Epigramm s. insbesondere Abschnitt 3.2.4.1) und in 11,1, das jedoch einen Grenzfall zum zweiten Typus des Selbständigkeitsmotivs darstellt, da zugleich eine Diskussion des liber mit dem Dichter angedeutet ist.

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Daneben finden sich an einigen Stellen auch regelrechte Auseinandersetzungen des Dichters mit dem liber. Bei diesem Typus des Selbständigkeitsmotivs erscheint das Buch vielfach in der Rolle des eigensinnigen Schützlings, der nicht gewillt ist, auf wohlmeinende Ratschläge des Dichters zu hören. Ein exponiertes Beispiel für dieses Motiv ist das Epigramm 1,3, in dem der Dichter den liber vor den Gefahren der Publikation zu warnen sucht, am Ende aber resigniert aufgibt: i, fuge; sed poteras tutior esse domi (»geh nur, lauf weg, aber sicherer könntest du es zu Hause haben«; Mart. 1,3,12). Auch in 2,93 erscheint Martial als dem Willen des ersten Buches gegenüber machtlos, wenn auch mit anderem Vorzeichen: Quid faciam si plus ille pudoris habet? (»was soll ich tun, wenn jenes schüchterner ist?«; Mart. 2,93,2), und in 4,89 kostet es ihn offenbar erhebliche Mühe, das Buch zum Einhalten zu bringen: Ohe, iam satis est, ohe, libelle, iam pervenimus usque ad umbilicos. tu procedere adhuc et ire quaeris, nec summa potes in schida teneri

(Mart. 4,89,1–4).199

Halt, es ist genug, halt, Buch, wir sind schon bis zum Ende der Rolle gekommen. Du willst immer noch weiter voran und läßt dich auch auf der letzten Seite nicht aufhalten.

In mehreren Untersuchungen wurde gezeigt, daß Martials Anreden an seine Bücher vielfach stark an bestimmten literarischen Vorbildern orientiert sind. Im Falle der Buchapostrophe zur indirekten Gestaltung von Widmungsgedichten lassen sich verschiedene Parallelen zur Exildichtung Ovids feststellen, während das Epigramm 1,3 signifikante Bezüge auf Horaz’ Epistel 1,20 aufweist.200 Obwohl diese Art der Selbständigkeit somit kein generisches Spezifikum allein der Epigrammdichtung ist und die Buchapostrophe bei Martial im Vergleich mit den Vorbildern bereits als topisch gelten kann201, tragen die entsprechenden Stellen in den Epigrammaton libri dennoch dazu bei, beim Leser den Eindruck einer Ablösung der Gedichte vom Dichter und damit einer bestimmten Autonomie zu verstärken. 199 Vergleichbar ist auch die Situation in 8,3, in dem sich Martial mit einer Muse über die weitere Fortsetzung der Epigrammaton libri auseinandersetzt. Hier ist es ebenfalls im Grunde die Dichtung, die als autonom gegenüber dem Dichter charakterisiert wird und diesen – angeblich gegen seinen Willen – zum Weitermachen zwingt. Da sie jedoch metonymisch durch eine Muse, d. h. eine als selbständig agierend empfundene Person, repräsentiert wird, erscheint ihre Autonomie auf den ersten Blick nicht weiter ungewöhnlich. 200 Zur Anrede an das Buch bei Martial allgemein Besslich (1974), 7–12; Citroni (1986), 136– 140; Wissig-Baving (1991), 178–214; Pitcher (1998), 59–65; Borgo (2003), 91–94; zu Mart. 1,3 vgl. z. B. auch Citroni (1970), 83; Citroni (1975), 23; Boyle (1995), 95–96; Garthwaite (2001b), 73–76; Williams (2002), 156–158; zu Mart.1,70: Geyssen (1999). 201 Für Wissig-Baving (1991) ist sogar der »Vorwurf des Epigonentums nicht unberechtigt« (214); vgl. Besslich (1974), 12; Citroni (1986), 136.

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Abgesehen von solchen im weitesten Sinne verbalen Thematisierungen wird die in der praefatio des zweiten Buches postulierte Selbständigkeit der Epigrammdichtung natürlich nicht zuletzt auch auf praktischer Ebene durch die Vielzahl poetologischer Epigramme bestätigt, die im Corpus der Epigrammaton libri enthalten sind.202 Als Ergebnis dieses Überblicks ist festzuhalten, daß die drei Aspekte, die in Martials positiv formulierter Gattungscharakteristik von zentraler Bedeutung sind, sämtlich sowohl in den praefationes als auch in den Epigrammen selbst thematisiert werden. Ihre Erwähnung im Bereich des Paratextes zeichnet sich stets durch besondere Prägnanz und Direktheit aus, im Falle der zugleich als Bestandteil der Gattungstradition fungierenden lascivia zudem durch einen hohen Grad von Ökonomie. 3.2.1.4 Verhältnis zur Satirendichtung Ähnliches gilt auch für Martials Abgrenzung von der Tradition der Epigrammdichtung im Hinblick auf die gezielte Invektive gegen individuelle Personen, die zugleich eine weitere implizite Annäherung an die Gattung der Satire bedeutet. Durch ihre Stellung am Beginn der praefatio des ersten Buches erhält seine erste diesbezügliche Erklärung ein besonderes Gewicht. Nicht nur, daß es sich dabei um den ersten Aspekt handelt, den Martial einem (potentiellen) Leser gegenüber thematisiert, die nachdrückliche Distanzierung von einem offenbar typischen Charakteristikum der älteren Epigrammdichtung erfolgt damit sogar noch vor der wiederholten Assoziation mit der Gattungstradition des Epigramms im zweiten Teil der praefatio. Im Vergleich mit der nachfolgenden Stellungnahme zur lascivia lassen sich zwei wichtige Unterschiede feststellen. Zum einen bleiben anders als bei der dort formulierten Positivliste der Vorläufer die im ersten Teil der praefatio kritisierten Dichter als antiqui auctores (Mart. 1, praef. 4) unerkannt im dunkeln. Zum anderen bleibt es im Unterschied zu der in der praefatio des achten Buches nochmals angesprochenen lascivia bei dieser einen Stellungnahme im Bereich der praefationes. Auch in den Epigrammen finden sich nur relativ wenige theoretischprogrammatische Erwähnungen der Harmlosigkeit der eigenen Epigramme, und meistens steht dabei der Umgang mit individuellen Namen im Mittelpunkt.203 Die bekannteste dieser Stellen ist zweifellos die durch ihre Stel-

202 Holzberg (2002a), 130, beziffert deren Anteil mit »10–15 % der Epigramme innerhalb des ›Dodekalogs‹«. 203 Auffällig ist, daß der in der ersten praefatio in diesem Kontext zentrale Begriff der simplicitas in keinem der einschlägigen Epigramme wiederkehrt. Neben einer Reihe von Stellen, an denen simplicitas ganz allgemein eine Schlichtheit, Aufrichtigkeit, Rechtschaffenheit o. ä. bezeichnet, finden sich allerdings in den späteren Büchern einzelne Stellen, an denen der Begriff

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lung am Schluß des Gedichtes am stärksten pointierte und innerhalb der Epigrammaton libri zugleich letzte im Epigramm 10,33: Hunc servare modum nostri novere libelli, parcere personis, dicere de vitiis.

(Mart. 10,33,9–10)204

Dieses Maß wissen meine kleinen Bücher einzuhalten, Personen zu verschonen, und über Verfehlungen zu reden.

Neben solchen expliziten Aussagen wird Martials Ablehnung des auf konkrete Personen bezogenen Spottes verschiedentlich auch auf andere Weise in Erinnerung gebracht. Zu den hierfür relevanten Stellen zählen z.B. diejenigen, an denen die Anonymität bzw. Pseudonymität der erwähnten Personen innerhalb eines Epigramms als gestalterisches Mittel Anwendung findet. Dies ist etwa in 1,96 der Fall, einem Gedicht, das zunächst über mehrere Verse auf eine obszöne Enthüllung hinauszulaufen scheint, dann aber mit einer unerwarteten Pointe schließt: Quaeris quis hic sit? Excidit mihi nomen (»Du fragst, wer das sei? Der Name ist mir entfallen«; Mart. 1,96,14). Im Einklang mit der programmatischen Aussage in der praefatio des Buches stellt sich der Sprecher hier augenzwinkernd als im entscheidenden Moment von plötzlicher Amnesie befallen.205 Etwas später erteilt der Dichter dem Publikum sogar eine eindeutige Absage, nachdem er angeblich wiederholt nach der Identität des im zweiten Buch bereits mehrfach als besonders ekelerregender Verehrer erwähnten Postumus gefragt wurde: Non dicam, licet usque me rogetis, qui sit Postumus in meo libello, non dicam [...]

(Mart. 2,23,1–3).

ähnlich wie bei Petron. 132,15 (vgl. o. S. 75–76) als »drastische Offenheit des Ausdrucks« konnotiert ist (gleiches gilt auch für das entsprechende Adjektiv/Adverb), z. B. Mart. 11,20,10: qui scis Romana simplicitate loqui; vgl. auch Mart. 11,63; 12,35. 204 Zuvor äußert sich Martial über die gewahrte Zurückhaltung lediglich allgemein in 5,15: queritur laesus carmine nemo meo (»keiner klagt, von meiner Dichtung verletzt«; Mart. 5,15,2), in 7,12 wird sie nur auf solche Fälle beschränkt, in denen eine Verspottung durchaus als gerechtfertigt erscheinen mag: mea nec iuste quos odit pagina laesit (Mart. 7,12,3), und in 10,9,2–3 wird der Hinweis auf die Harmlosigkeit gleichsam parenthetisch eingefügt: et multo sale, nec tamen protervo / notus gentibus ille Martialis (»und durch viel Witz, dennoch keinen unverschämten, bin ich bei den Stämmen als jener Martial bekannt«). – Auf indirekte Weise hebt Martial die Zurückhaltung seiner Spottgedichte hervor, wenn er sich gegen unzutreffende Zuschreibung allzu aggressiver Gedichte verwahrt: Mart. 7,72,12–16; 10,3; vgl. auch 7,12,5–8; 10,33,5–8 sowie indirekt 10,5. 205 Zur möglichen alternativen Deutung des letzten Satzes (»Der Name ist mir (schon) entschlüpft.«) s. Citroni (1975), 297, der die für diesen Fall erwogene Anspielung auf einen Fuscus oder einen Galba jedoch für wenig wahrscheinlich hält. Giegengack (1969), 77, erwägt hingegen, daß es sich bei dem versehentlich Genannten um den Adressaten Maternus selbst handelt. – Gänzlich anders ist freilich das Verschweigen des Namens am Ende von 11,8 motiviert. Hier geht es nicht darum, eine Bloßstellung des puer durch dessen Identifikation zu vermeiden, der Sprecher legt vielmehr Wert darauf, dessen Gunst ganz für sich zu behalten.

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Ich werde nicht sagen, und wenn ihr mich noch so bedrängt, wer der Postumus in meinem kleinen Buch ist, ich werde es nicht sagen.

Auf diese Weise wird das von Beginn an formulierte Prinzip, die wahre Identität verspotteter Personen konsequent zu verschleiern, innerhalb einer gerade wegen des häufig wiederkehrenden Namens besonders auffälligen Gedichtgruppe nochmals sinnfällig wiederholt.206 206 Der Name Postumus erscheint im zweiten Buch insgesamt siebenmal (2,10. 12. 21. 22. 23. 67. 72). Barwick (1958), 299–300, betrachtet die ersten fünf Epigramme als einen geschlossenen »Zyklus«, in dem 2,23 »gewissermaßen als Nachwort« fungiere. Die beiden späteren Gedichte seien davon thematisch so verschieden, daß auch der dort erwähnte Postumus ein anderer sein müsse. Scherf (2001), 50, behandelt 2,21–23 als »Gedichtreihe in Engstellung« als Fortsetzung des »Variantenpaares« 2,10/12 und bezieht die beiden anderen Epigramme ebenfalls nicht mit ein. – Nichtsdestoweniger sind die beiden letzten Postumus-Gedichte trotz ihres weiten Abstandes und ihrer thematischen Verschiedenheit von den ersten fünf nicht gänzlich unabhängig (vgl. Humez (1971), 71–74; Williams (2004), 219). Hierfür spricht zunächst die banale Feststellung, daß der Name Postumus durch seine außergewöhnlich häufige Wiederholung im ersten Viertel des zweiten Buches dem Leser nachhaltig im Gedächtnis bleibt, so daß dieser sogleich an den ihm bereits bekannten Postumus zurückdenkt, wenn er das Epigramm 2,67 liest: Occurris quocumque loco mihi, Postume, clamas protinus et prima est haec tua vox: ›Quid agis?‹ hoc, si me decies una conveneris hora, dicis: habes puto tu, Postume, nil quod agas. (»Wo auch immer du mir begegnest, Postumus, rufst du sogleich, und das sind deine ersten Worte: ›Was machst du so?‹. Das sagst du, und wenn du mir zehnmal in einer Stunde begegnest. Ich glaube, du, Postumus, hast nichts, was du machst.«) Darüber hinaus besteht jedoch noch eine andere, sehr viel subtilere Verbindung. Bei genauerer Betrachtung läßt das Epigramm einige interessante Anklänge an den Anfang von Horaz’ Satire 1,9, der sogenannten Schwätzersatire, erkennen, namentlich an die Verse 3–4: accurrit quidam notus mihi nomine tantum / arreptaque manu: ›quid agis, dulcissime rerum?‹ (»Es eilt einer heran, mir nur dem Namen nach bekannt, packt meine Hand : ›Was machst Du, Verehrtester?‹«) Durch das occurris am Versanfang und die Stellung des mihi nach der Hephthemimeres weist der erste Vers von Martials Epigramm deutliche Parallelen zum dritten Vers der Satire auf. Verstärkt wird diese Verbindung außerdem durch das markante ›quid agis?‹, mit dem sich der Hinzutretende jeweils an den Dichter wendet. Obgleich diese Begrüßungsformel sehr geläufig war (vgl. z. B. Cic. Planc. 33; Plin. epist. 3,20,11), ist sie in der Literatur mit Ausnahme der Komödie nur selten belegt. Außer an den fraglichen Stellen bei Horaz und Martial findet sie sich lediglich in einzelnen informellen Briefen (Cic. fam. 7,11,2; Plin. epist. 9,32,1. Bei seiner Erläuterung zu Martials Spiel mit dieser Begrüßungsformel erwähnt auch Walter (1996), 121, den Beginn von Horaz’ neunter Satire, allerdings nur als Parallele für die Art der Begrüßung (vgl. Williams (2004), 219). Auch die Irritation des bedrängten Dichters, die bei Horaz in den folgenden Versen ausführlich entwickelt wird, ist bei Martial entsprechend der für Epigramme typischen Kürze sehr knapp in der hohen Frequenz der Begegnungen zusammengefaßt (V. 3). Eben dieser Aspekt der häufigen Begegnungen ist es, durch den das vorliegende Gedicht an die ersten Postumus-Gedichte des Buches anknüpft, denn am Anfang des Buches ist Postumus auch dem Leser immer wieder begegnet, wenn auch nicht zehn-, so doch immerhin fünfmal. Daß an dieser Stelle keine Rede von den widerwärtigen Küssen des Postumus ist, ist kein gänzlich zwingendes Argument gegen eine solche Anknüpfung, geht es hier doch ausschließlich um den ersten Moment einer jeden Begegnung (V. 2). Das Epigramm 2,67 ist somit zwar sicherlich kein Teil des »Postumus-Zyklus« im Sinne Barwicks, dennoch ist dieser eine entscheidende Voraussetzung für die volle Wirkung des nachfolgenden Epigramms, mit dem einmal mehr durch Allusion Martials Nähe zur Satirendichtung

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An anderer Stelle treibt Martial ein munteres Spiel mit der offenbar beliebigen Austauschbarkeit der gewählten Pseudonyme: Si tua nec Thais nec lusca est, Quinte, puella, cur in te factum distichon esse putas? Sed simile est aliquid: pro Laide Thaida dixi. Dic mihi, quid simile est Thais et Hermione? tu tamen es Quintus: mutemus nomen amantis: si non vult Quintus, Thaida Sextus amet.

(Mart. 3,11)

Wenn dein Mädchen weder Thais heißt noch einäugig ist, Quintus, warum glaubst du dann, mein Zweizeiler bezöge sich auf dich? Aber es gibt eine gewisse Ähnlichkeit. Ich habe Thais anstelle von Lais gesagt. Sag’ mir, was ist ähnlich an Thais und Hermione? Doch du bist Quintus. Ändern wir also den Namen des Liebenden: Wenn Quintus nicht will, soll doch Sextus Thais lieben.

Konkret ist dieses Gedicht auf das Epigramm 3,8 bezogen, in dem kurz vorher die Liebe eines Quintus zu einer Einäugigen aufs Korn genommen wurde. Auf einer abstrakteren Ebene ist es zugleich aber auch als Hinweis darauf zu lesen, daß jeder Versuch, die völlig willkürlich gewählten Namen zu identifizieren, zwecklos ist.207 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch ein kurzer Blick auf Martials Umgang mit Namen zweifelsfrei realer Personen. Eine vollständige Berücksichtigung aller in den Epigrammaton libri genannten prominenten Personen würde dabei selbstverständlich zu weit führen und ist für diesen Zusammenhang auch nicht erforderlich. Statt dessen sollen lediglich drei ausgewählte Namen exemplarisch in den Blick genommen werden. Erstes Beispiel ist der gleich in der praefatio des ersten Buches an zentraler Stelle erwähnte Cato208, der noch an einigen weiteren Stellen in den Epigrammaton libri erscheint, teilweise auch als Ziel ironischer Kritik. Seine Erwähnung erfolgt im wesentlichen in zwei Kontexten, mit denen der Name Cato in der lateinischen Literatur häufiger assoziiert wird, zum einen der stoisch-republikanischen Haltung des Cato Uticensis (Mart. 1,8. 78; 6,32; 11,5), zum anderen seiner sprichwörtlich strengen Moral, namentlich in

signalisiert wird. (Auch das letzte Postumus-Epigramm des zweiten Buches (2,72) stellt schließlich eine Fortsetzung der vorhergehenden dar. Wenn der Sprecher hier sein ironisches ›Bedauern‹ darüber zum Ausdruck bringt, daß Postumus am Vorabend bei einem Gastmahl einen gewaltigen Schlag ins Gesicht habe einstecken müssen, dann läßt sich darin durchaus eine gewisse Schadenfreude des Dichters lesen, dem nach allem, was er zuvor von Postumus ›erlitten‹ hat, ohne diesen dafür bloßzustellen (2,23), nun durch einen Dritten eine späte Genugtuung zuteil wird; vgl. Gaffney (1976), 68–71.). 207 Vgl. auch Mart. 9,95b, das in ähnlicher Weise auf das direkt vorhergehende Epigramm 9,95 bezogen ist. 208 Zur besonderen Rolle Catos in der ersten praefatio der Epigrammaton libri s.o. S. 70–73.

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Antithese zur lascivia der Epigrammdichtung (Mart. 1, praef.; 9,28; 10,20; 11,2. 15. 39; vgl. auch Catoniana lingua in 9,27,14). In diesen Fällen bezeichnet der Name nicht so sehr eine konkrete Person wie einen bestimmten Typus. Insofern ist Cato hier auch nicht immer eindeutig als Cato Uticensis zu identifizieren, meistens kann ebensogut sein gleichermaßen für seine Sittenstrenge bekannter Vorfahr Cato Censorius gemeint sein.209 Unzweifelhaft ist indessen, daß der Name Cato ausnahmslos in irgendeiner Weise mit Bezug auf eine historische Person gebraucht wird. Obwohl diese vielfach in weniger günstigem Licht erscheint, handelt es sich doch nur selten um im engeren Sinne invektivische Gedichte. In besonderer Weise trifft dies noch auf das Epigramm 2,89 zu, in dem Catos moralischer Anspruch dadurch verspottet wird, daß ihm selbst moralisch anstößiges Verhalten in Form einer Neigung zum Alkohol unterstellt wird.210 Die Invektive dieses Epigramms richtet sich aber auch gegen andere, und zwar (abgesehen von dem mit Pseudonym benannten eigentlichen Adressaten) durchweg gegen tote Prominente, und dies ist als weiteres Indiz dafür zu werten, daß das epigramma extra ordinem paginarum in der praefatio des ersten Buches nur eine bedingte Relativierung der eingangs geäußerten völligen Verzichtserklärung darstellt, die im Ergebnis mit der entsprechenden Erklärung Juvenals übereinstimmt (Iuv. 1,170–171). Das zweite Beispiel, der große Epiker Vergil, wird von Martial ausschließlich in seriösem Kontext erwähnt und dabei zumeist als Maro, nur selten als Vergilius tituliert.211 Im Gegensatz zum ersten Beispiel wird der Name Maro an einigen anderen Stellen jedoch auch für eine andere, nicht identifizierbare Person gebraucht. Aufgrund des Kontextes dieser überwiegend nicht obszönen Spottgedichte ist eine Verwechslung mit P. Vergilius Maro zwar grundsätzlich ausgeschlossen, durch die wechselnde Verwen-

209 Diese Uneindeutigkeit schlägt sich nicht zuletzt in den unterschiedlichen Identifikationen in der Forschungsliteratur nieder. Während Henriksén (1998/99), 1,149, vorsichtig vermerkt, daß die Identität Catos in 10,20; 11,2; 11,15 und 11,39 nicht eindeutig sei, gehen Barié/Schindler (1999) davon aus, daß es sich hier wohl immer um Cato Censorius handele (so offensichtlich auch Sullivan (1991), 370). Nach Ansicht von Grewing (1997), 235, und Beck (2002), 185 Anm. 19, ist dagegen durchgängig von Cato Uticensis die Rede. Diese Auffassung wird jedoch dadurch in Frage gestellt, daß in 5,51 mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Cato Censorius in die Epigrammaton libri eingeführt wird (s. Howell (1995), 136; Barié/Schindler (1999), 1256). Da damit beide Catones auch an anderer Stelle des Werkes präsent sind, ist eine eindeutige Festlegung an den genannten Stellen m. E. letztlich ebenso ausgeschlossen wie im Grunde unnötig. – Zu Catos sprichwörtlich strenger Moral s. auch Otto (1890), 358, p. 78; Richlin (21992), 5–13. 210 Vgl. Hor. carm. 3,21,11–12; Plin. epist. 3,12,2–3. 211 Maro in insgesamt 15 Epigrammen (Mart. 1,61; 3,38; 4,14; 5,5. 10. 56; 7,29. 63; 8,18. 55; 10,21; 11,48. 50; 12,3. 67), Vergilius dagegen nur in vier: Mart. 1,107; 11,52, sowie als »(ein) Dichter wie Vergil« in 3,38 u. 8,55.

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dung in manchmal relativ enger Nachbarschaft wird die Einmaligkeit des Namens Maro dennoch bis zu einem gewissen Grade aufgehoben.212 Beim dritten und letzten Beispiel ist das quantitative Verhältnis genau umgekehrt. In nur drei Epigrammen mit Bezug auf den Epiker Lucan apostrophiert Martial dessen Witwe Polla Argentaria213, und zwar lediglich als Polla (Mart. 7,21. 23; 10,64). Daneben gibt es mehrere Stellen, an denen derselbe Name auch in anderen, mehr oder weniger obszönen Zusammenhängen erscheint. Prinzipiell wäre dies noch nicht ungewöhnlich, da der Vorname Polla weit verbreitet war.214 Auffällig ist jedoch die Häufung mehrerer dieser Stellen im näheren Umfeld des Epigramms 10,64, in dem die Witwe Lucans zum letzten Male angeredet wird. Die eindeutige Identifizierbarkeit dieser einen Polla wirkt sich insbesondere auf das fast unmittelbar folgende Epigramm 10,69, aber auch noch rückwirkend auf 10,40 aus, für die der Leser unwillkürlich eine zumindest vorübergehende gedankliche Verbindung zu der in 10,64 genannten Polla herstellt. Nachdem in 10,91 von vornherein klar ist, daß es sich um eine andere Polla handeln muß, kann der aufmerksame Leser aber auch in 11,89 wieder über die Identität der dort genannten Polla im Zweifel sein. Es ist offensichtlich, daß Martial in diesen beiden Büchern ein subtiles Spiel mit der Anonymität eines Allerweltsnamens und einer einzelnen prominenten Trägerin dieses Namens treibt und damit indirekt wiederum auf die Austauschbarkeit von Namen und die Entindividualisierung seiner Spottgedichte verweist. Scheinbar in echtem Widerspruch zu Martials programmatisch formulierter Schonung individueller Personen steht schließlich eine kleine Zahl von Epigrammen, in denen die Identifikation einer bestimmten Person thematisch vorausgesetzt ist und daher als prinzipiell möglich erscheinen muß. Überwiegend sind dies ebenso wie in dem eben bereits angesprochenen Epigramm 3,11 ›Antworten‹ des Dichters auf die Reaktion einer betroffenen Person oder Reflexionen bezüglich einer potentiellen Reaktion.215 212 Dies gilt insbesondere für die Bücher 11 und 12, in denen der ›andere‹ Maro häufiger erscheint (Mart. 11,34. 67; 12,90); deutlich isolierter dagegen das obszöne Epigramm 9,33, das evtl. auch mit der Erwähnung eines Maron in 4,80 in Verbindung steht. 213 Zur Person der Polla Argentaria s. White (1972), 221–228; White (1975), 280–286; P. v. Rohden: Art. »Argentaria 2«, RE 2,706; van Dam (1984), 454–455; für ihre Identität mit der in Statius’ Silv. 2,2 erwähnten Ehefrau des Pollius Felix plädiert Nisbet (1978). 214 Kajanto (1965), 244. – Dementsprechend ist auch das Epigramm 3,42 hier nicht berücksichtigt. Zwar wird dort ebenfalls obszöner Spott gegen eine Polla gerichtet, die räumliche Distanz zu den ›seriösen‹ Erwähnungen der Polla Argentaria ist jedoch so groß, daß ein Zusammenhang undenkbar ist. – Zu einer möglichen obszönen Deutung des Namens in 10,91 s. Obermayer (1998), 273. 215 Eine ›Antwort‹ liegt vor in 3,99, das auf die vorhergehenden Epigramme 3,16 und 3,59 Bezug nimmt; etwas anders dagegen 4,81, denn die dort angesprochene Fabulla hat zuvor zwar angeblich nach der Lektüre von 4,71 ihr Verhalten geändert, sie war dort jedoch nicht namentlich apostrophiert worden. Ebenfalls nur bedingt vergleichbar ist 5,26. Zwar wird auch dort auf einer

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Eine genauere Betrachtung der betreffenden Stellen führt jedoch rasch zu einer Auflösung des vermeintlichen Widerspruches, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist es stets die verspottete Person selbst, die sich erkennt bzw. erkennen könnte, d. h. implizit scheint eine Identifikation durch Dritte noch immer außerhalb des Möglichen zu liegen. Zum anderen aber wird die angebliche Identifizierbarkeit bereits dadurch unterlaufen, daß die Art der verwendeten Eigennamen eine Fiktivität der Personen nahelegt. Während die Pointe von 3,11 auf der Mehrdeutigkeit der Allerweltsvornamen Quintus und Sextus basiert, dürfte es sich bei Chione in 3,97 und Lycisca in 4,17 um austauschbare ›Künstlernamen‹ von Prostituierten handeln. 216 Eine besondere Schwierigkeit präsentiert der in 3,99 angesprochene CERDO. Hier ist zunächst unklar, ob es sich um einen Personennamen oder eine allgemeine Berufsbezeichnung handelt. 217 Gerade hierin liegt jedoch die besondere Pointe: Da der Betreffende in beiden vorhergehenden Gedichten (3,16. 59) zusätzlich als sutor bezeichnet wurde, liegt es in der Tat nahe, in diesem Kontext von einem Eigennamen auszugehen. Dieser ist allerdings derart unspezifisch, daß er leicht als ein fiktiver Name zu erkennen ist. 218 Wenn Martial diesem, nachdem er sich in den vorangegangenen Gedichten wiedererkannt zu haben scheint, versichert, er habe nur seine Tätigkeit, nicht etwa seine Person zum Gegenstand seines Spottes gemacht, so erinnert diese Aussage einerseits an die oben bereits zitierte allgemeine Formulierung in 10,33, greift vor allem aber die Aussage der praefatio des ersten Buches über die infimarum quoque personarum reverentia (Mart. 1, praef. 3) wieder auf. 219 Reaktion auf ein vorhergehendes Gedicht (2,57) aufgebaut, diese wird aber – wie das si forte (Mart. 5,26,3) zeigt – allein um der Pointe willen seitens des Dichters als Möglichkeit konstruiert. Um im Falle einer Lektüre bestimmter Gedichte zu erwartende bzw. beabsichtigte Reaktionen geht es dagegen in 3,97 und 4,17. 216 Der Name Chione findet sich bei Martial noch mehrfach für eine Prostituierte (vgl. auch Iuv. 3,136), wobei 11,60 den Gedanken an ein charakterisierendes Pseudonym nahelegt (vgl. Kay (1985), 201; anders Giegengack (1969), 46). Besonders häufig wird eine Chione im dritten Buch erwähnt (Mart. 3,30. 34. 87. 97). Damit liegt eine erkennbare Parallele zu dem oben behandelten Epigramm 2,23 vor, das ebenfalls als eine Art Reminiszenz an die Prinzipien im Umgang mit Personennamen in eine markante Gedichtgruppe des zweiten Buches integriert ist. Der singuläre Name Lycisca dürfte ebenfalls als sprechender Name für eine Prostituierte aufzufassen sein, da solche in Rom auch als lupae bezeichnet wurden (ThLL VII 2,1859, s. v. lupa 1 a); zur Bedeutung des Namens s. auch Serv. in Verg. ecl. 3,18; vgl. Giegengack (1969), 91. 217 Vgl. ThLL III 857–858, s. v. cerdo: operarius, opifex infimi generis; auch Friedlaender (1886) und Lindsay (21929) schreiben durchweg klein cerdo, vgl. auch die Ausgaben von Schneidewin; Norcio. Als Eigenname Cerdo dagegen bei Heraeus, Izaac, Heraeus/Borovskij, Shackleton Bailey (1990/1993), Barié/Schindler (1999) (s. aber die Anm. zu 3,16,1); Scherf (2001), 50; vgl. PIR2 2,662. 218 Vgl. Giegengack (1969), 122–124. 219 Bedenkenswert sicherlich der Einwand von Sullivan (1991), 64: »One must, however, wonder whether there was more than one rich cobbler in Bononia who put on public spectacles.«,

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Es zeigt sich somit, daß auch die zuletzt genannten Epigramme nur auf den ersten Blick Verstöße gegen Martials programmatische Aussagen darstellen. Tatsächlich handelt es sich auch hier um eine weitere Variation des Spiels mit eben dieser theoretischen Aussage, wenn auch mittlerweile in so starker Abwandlung, daß die Epigramme nur noch als indirekte Reminiszenzen an diesen Aspekt der Programmatik aufgefaßt werden können. 220 Martials noch vor Beginn des ersten Buches an überaus prominenter Stelle formulierter Verzicht auf personenbezogene Invektive, durch den seine Dichtung von vornherein implizit in die Nähe der Satire rückt, bildet mithin einen Anknüpfungspunkt für die Gestaltung einer ganzen Reihe von Epigrammen, in denen der Dichter mit dieser selbstgesetzten Grenze sowie scheinbaren Grenzüberscheitungen spielt. Auf diese Weise wird im Verlaufe des Werkes immer wieder auf das satirische Element der Epigrammdichtung angespielt, ohne daß es sich um ausdrückliche Rückverweise handelte. Der oftmals satirische Charakter der Epigrammdichtung wird auch in den Epigrammen so gut wie nie direkt formuliert. An einigen Stellen ist etwa der Terminus sal für die Art von Witz, die Martial anderenorts als wesentlichen Bestandteil der Epigrammdichtung bezeichnet, auch satirisch konnotiert. 221 In 12,94 erscheint die Satire lediglich als der Epigrammdichtung auf den letzten Plätzen einer Rangfolge literarischer Gattungen benachbart, während in 4,29 auf die Vorbildlichkeit des Persius hinsichtlich der brevitas des Werkes verwiesen wird. Die vereinzelten Indizien für ein vertrautes Verhältnis zu Juvenal lassen sich hingegen nicht als Hinweise auf eine generische Verwandtschaft von Epigrammdichtung und Satire lesen. Obgleich sie in Martials Definition seiner eigenen Dichtung eine nicht unbedeutende Rolle spielt, wird die Nähe zur Satire in den Epigrammaton libri somit überwiegend indirekt zum Ausdruck gebracht, durch Übernahme der programmatischen Erklärung zum Umgang mit individuellen Personennamen ebenso wie durch Intertextualität bei der Gestaltung einzelner Eleder allerdings von der Voraussetzung ausgeht, daß alle übrigen Details unverfremdet der Realität entsprechen. 220 Daneben findet sich das Motiv der Unidentifizierbarkeit vereinzelt auch auf verschiedene Weise invertiert, etwa wenn in 5,36 dem zuvor lobend erwähnten Faustinus vorgeworfen wird, er wolle sich nicht erkennen, um sich nicht erkenntlich zeigen zu müssen, oder in 12,78, in dem der Dichter über die Mühe spottet, die es ihn kostet, einen Bithynicus davon zu überzeugen, daß er ihn nicht unter Pseudonym verspottet habe – zumindest bislang (vgl. Friedlaender (1886), 2,261; Joepgen (1967), 83). Noch einen Schritt weiter geht schließlich Mart. 12,61, dessen Adressat Ligurra (zur möglichen Deutung des Namens s. Bowie (1988), 296) angeblich sogar darauf hofft, von Martial verspottet zu werden. Die damit beinahe implizierte Identifizierbarkeit wird jedoch durch Martials Ablehnung dieses Ansinnens wieder aufgehoben und das gültige Prinzip somit gewahrt. 221 Satirische Konnotation von sal liegt z. B. vor in 3,99; 7,25; 10,9; als wesentliches Element der Epigrammdichtung erscheint sal in 7,85; 8,3; zu Martials Verwendung dieses Terminus im Vergleich zu früheren Dichtern s. Spisak (1992), 88–108; vgl. auch Swann (1994), 61–63.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

mente, wie es in den Einzelanalysen für die praefationes der ersten beiden Bücher, aber auch für den Postumus-›Zyklus‹ im zweiten Buch gezeigt werden konnte. 222 Gerade dadurch aber, ebenso wie durch die meist beiläufige Erwähnung des sal der Epigramme, ist die Satire auf sehr viel subtilere und nachhaltigere Weise als Bezugsgröße präsent als dies bei einer einzelnen ausdrücklichen Assoziation der Fall wäre. 3.2.1.5 Annäherung an den Bereich der Feste und Spiele Die Satire ist jedoch nicht die einzige externe Größe, mit der Martial seine Epigrammdichtung zum Zwecke ihrer näheren Definition assoziiert. Dasselbe geschieht auch mit einem bzw. zwei eng miteinander in Beziehung stehenden nicht-literarischen Bereichen, nämlich der in bestimmten Festen institutionalisierten ›anderen Welt‹ sowie dem Bereich der ludi, namentlich der ludi scaenici des Mimus und des Theaters. Unter den kalendarisch festgelegten Festen, mit denen Martial seine Dichtung wiederholt in Beziehung setzt, sind vor allem die Saturnalia, aber auch die gleich in der ersten praefatio erwähnten Floralia zu nennen. Erweitert wird dieser Bereich durch einzelne Verweise auf zwei ebenfalls im Rahmen von, allerdings okkasionellen, Festen verankerten Phänomenen, nämlich das Improvisieren obszöner Verse bei Hochzeitsfeiern und die bei Triumphzügen üblichen, ebenfalls teilweise obszönen Spottlieder der Soldaten. 223 Die Saturnalia können als ein karnevaleskes Fest nach dem Verständnis Bachtins gelten, innerhalb dessen eine Subversion der sonst üblichen gesellschaftlichen Normen in zeitlich begrenztem Rahmen geduldet wird, und für die Floralia gilt dies zumindest ansatzweise, da bei ihnen die Obszönität in Form freizügiger Mimendarstellungen im Theater zu den zentralen Bestandteilen gehört. 224 Aus diesem Grunde ist der zweite Bereich der ludi 222 Durch eine eingehendere Gegenüberstellung der Epigrammaton libri mit der erhaltenen lateinischen Satiredichtung, die im Rahmen dieser Arbeit freilich nicht zu leisten ist, könnten mit Sicherheit weitere intertextuelle Bezüge dieser Art aufgezeigt werden. 223 In 1,35 wird namentlich zwar die talassio erwähnt, ein bei Hochzeitsfeiern üblicher, formelhafter Ruf, der Verweis auf die dabei unabdingbare Obszönität läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß eigentlich die bei Hochzeitsfeiern üblichen Spottverse (fescennini versus) gemeint sind, denen man eine apotropäische oder fruchtbarkeitsfördernde Wirkung zuschrieb (dazu R. Oswald: Art. »Hochzeitsbräuche und Hochzeitsritual, III Rom«, DNP 5,655). Hinweise auf den Spott bei Triumphzügen, auf den sich Martial bereits in 1,4 bezieht, z. B. bei Suet. Iul. 49,4, aber auch bei Mart. 7,8,7–8 (vgl. W. Eder: Art. »Triumph, Triumphzug«, DNP 12,1,837–388). 224 Döpp (1993), 153, faßt die Floralia offenbar uneingeschränkt als karnevaleskes Fest auf. Dagegen läßt sich jedoch einwenden, daß das Fest der Floralia bei aller Ausgelassenheit nicht mit einer vorübergehenden Aufhebung gesellschaftlicher Normen verbunden war und damit die von Bachtin aufgestellten Kriterien eines karnevalesken Festes (Familiarisierung, Exzentrizität, Mesalliance, Profanierung: Bachtin (1971), 136–141) nur bedingt erfüllt. Selbst das stark betonte Element der lascivia bedeutete keineswegs völlige Freiheit für alle Festteilnehmer, sondern war offenbar bestimmten Situationen (Mimus) bzw. Personengruppen (meretrices) vorbehalten; vgl. D.

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scaenici bis zu einem gewissen Grade bereits Teil des vorherigen. Er kommt jedoch bisweilen auch als eigenständige Bezugsgröße vor, deshalb erscheint eine Differenzierung in zwei freilich eng miteinander verbundene Bereiche an dieser Stelle sinnvoll. Wenn Martial seine Epigrammdichtung mehrfach mit bestimmten Bereichen der römischen Lebenswelt assoziiert, die der Realität und gesellschaftlichen Normen enthoben sind, so beansprucht er für die Wahl seiner Themen und die Art der Darstellung eine ähnliche Freiheit, wie sie diesen zugestanden wird. 225 Obgleich aber die Saturnalia von allen Festen, auf die Martial sich bezieht, die umfassendste licentia bieten, treten sie in auffälliger Weise erst allmählich im weiter fortgeschrittenen Werk in Erscheinung. Die erste ausdrückliche Assoziation erfolgt im fünften Buch, wo Martial einem Adressaten gegenüber anmerkt, seine Gedichte würden zu dem ihnen gebührenden Zeitpunkt übersandt: sed lege fumoso non aspernanda Decembri carmina, mittuntur quae tibi mense suo

(Mart. 5,30,5–6).

… sondern lies im raucherfüllten Dezember nicht zu verachtende Gedichte, die dir in dem Monat geschickt werden, der ihnen gebührt.

Dieselbe Assoziation klingt nochmals an, wenn im Schlußgedicht des Buches von den soeben vergangenen Saturnalia die Rede ist. 226 Ebenfalls schwach und eher indirekt ist der Bezug in 10,18, bevor das elfte Buch dann als das Saturnalienbuch schlechthin charakterisiert wird (Mart. 11,2. 6). 227 Zu Beginn des Werkes dominiert dagegen klar der Bezug auf die Floralia, die zunächst eine wichtige Rolle in der praefatio spielen und nur wenig später (Mart. 1,35,8) noch ein zweites Mal erwähnt werden. Entsprechend dem Charakteristikum der Epigrammdichtung, das an dieser prominenten Stelle vorrangig legitimiert werden soll, wählt Martial offenbar gerade dasjenige Fest, bei dem sich die licentia ausschließlich auf den Bereich der (auf der Bühne dargestellten) sexuellen Freizügigkeit beschränkt. Gestützt Baudy: Art. »Floralia«, DNP 4,562–563; G. Wissowa: Art. »Floralia«, in: RE VI 2,2749–2752; Wissowa (1912), 197–198. 225 Nach Ansicht von Sullivan (1991), 67–69, weist er seiner Dichtung damit zugleich eine soziale Wirkungsintention zu, die über eine bloße kurzweilige Unterhaltung hinausgeht; ihm folgt Spisak (1992), 183–184. 226 Vgl. Howell (1995), 164. Zur Koinzidenz von Buchschluß und Ende des Saturnalienfestes in 5,84 und 4,88 s. auch Citroni (1989), 213–214. Er wertet auch den chronologischen Befund, daß auffallend viele der zwölf Epigrammbücher in großer zeitlicher Nähe zu den Saturnalien publiziert wurden, als weiteren Beleg für Martials bewußte Assoziation seiner Epigrammdichtung mit einer bestimmten Art von »leichter« Saturnaliendichtung (214–226). 227 Die Saturnalien werden auch noch an einigen anderen Stellen in Verbindung mit der Epigrammdichtung erwähnt: Mart. 4,14,7–10; 5,18; 7,28,7–8; dort geht es jedoch nicht um generische Zusammenhänge.

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wird dieser gezielte Bezug auch durch den Verweis auf die talassio in 1,35. Andere Arten von ausgelassenem Spott, die strengeren Zeitgenossen durchaus ebenfalls Anlaß zu Kritik geben könnten, sind dem Hauptaspekt der Obszönität deutlich nachgeordnet. Selbst die per se nicht unbedingt nur obszönen ioci der Triumphzüge erscheinen im Kontext des Epigramms 1,4 tendenziell in dieser Weise. Die späteren Verweise auf die Nähe zu den Saturnalia sind hingegen nicht allein auf den Aspekt des Obszönen fokussiert, der hier nur einmal in den Mittelpunkt rückt (Mart. 11,2). Allerdings wird die lascivia nicht einmal hier direkt angesprochen. Daß das Epigramm in erster Linie darauf bezogen ist, wird allein durch die als ›Anti-Typen‹ angeführten Personen deutlich. Bei Martials Assoziation seiner Dichtung mit dem Theater bzw. häufiger konkret dem Mimus steht der Gesichtspunkt der lascivia wiederum eindeutig im Vordergrund, denn dem Mimus ist in dieser Hinsicht auf der Bühne beinahe alles gestattet. 228 Besonders nachdrücklich kommt dies in dem Epigramm 3,86 zum Ausdruck, in dem Martial einen direkten Vergleich zwischen dem von größerer Freizügigkeit geprägten zweiten Teil des dritten Buches und dem Charakter von Mimendarstellungen zieht (non sunt haec mimis improbiora; Mart. 3,86,4), aber auch in der beinahe beiläufigen Erwähnung der mimica verborum licentia in der praefatio des achten Buches (Mart. 8, praef. 12–13). Auf indirekte Weise, aber dennoch kaum weniger deutlich, wird auf die Wesensverwandtschaft von Mimus und Epigrammdichtung verwiesen, wenn Martial in einem an das allgemeine Publikum gerichteten Epigramm den bekannten Mimendarsteller Latinus in derselben Weise zwischen seinem realen Selbst und seinem Bühnen-Selbst unterscheiden läßt, wie er selbst in 1,4 zwischen seinem Leben und seinem Werk differenziert: Sed nihil a nostro sumpsit mea vita theatro (Mart. 9,28,5). Üblicherweise wird dieses Epigramm als ehrende Bildunterschrift oder Epitaph für Latinus aufgefaßt. Bedenkenswert ist jedoch die Auffassung Gaffneys, nach der dieses Epigramm aufgrund seiner starken Anklänge an die praefationes der Bücher 1, 8 und 9 tatsächlich als besonders kompakte Formulierung der Mimus-Assoziation zu verstehen ist, deren Inschriftencharakter rein fiktional ist. 229 Zu weiteren, nicht primär obszönen Arten von ludi wird die eigene Dichtung viel seltener in Beziehung gesetzt, doch muß auch hier von einer Assoziation gesprochen werden, etwa wenn Martial in der praefatio des zwei228 Vgl. z. B. die Darstellung bei Ov. trist. 2,497–518. – Mit Art und Funktion von Martials Bezugnahmen auf den Bereich des Mimus befaßt sich v. a. Gaffney (1976); zur »theatricality« des Epigramms s. auch Humez (1971), 38–57. 229 Gaffney (1976), 33–36; für eine Auffassung als Bildunterschrift bzw. Epitaph s. Friedlaender (1886), 2,64; Citroni (1975), 15; Henriksén (1998/99), 1,150.

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ten Buches für die Rezeption seiner Dichtung ein Bild aus dem Bereich der ludi circenses verwendet (Mart. 2, praef. 9–11) und die Präsentation seiner Epigramme damit als eine Darbietung vor einem breiten Publikum charakterisiert oder später seine Popularität mit der eines berühmten Rennpferdes gleichsetzt: non sum Andraemone notior caballo (Mart. 10,9,5). Bei Martials Assoziation seiner Dichtung mit bestimmten außerhalb des seriösen Alltagslebens angesiedelten Bereichen lassen sich im Verlaufe der Epigrammaton libri mithin mehrere Linien unterscheiden. Sie alle haben jedoch ihren Ausgangspunkt in der praefatio des ersten Buches, in der sie in nuce bereits vorhanden sind: die Nähe zu (karnevalesken) Festen, die lascivia als wesentliches Charakteristikum, eine gewisse Analogie zum Schauspiel bzw. theatrum sowie der implizite Anschluß an eine breite ›Populärkultur‹. 3.2.1.6 Die simplicitas der Epigrammdichtung Zu einer solchen Hinwendung an die Interessen eines breiten Publikums gehört ein weiteres Stichwort, das bereits in der praefatio des ersten Buches genannt wird, nämlich die Schlichtheit oder Lebensnähe der Epigrammdichtung. Zwar ist der Begriff der simplicitas in Martials erster praefatio unmittelbar nur auf das Fehlen jeglichen Doppelsinns in seinen Gedichten zu beziehen, auf einer weniger speziellen semantischen Ebene ist daneben allerdings auch die Grundbedeutung des Wortes präsent, d. h. neben der Betonung ihrer Unzweideutigkeit und Offenheit wird zugleich auch eine allgemeine Schlichtheit der Epigrammdichtung angedeutet. Im paratextuellen Bereich wird diese Andeutung anschließend längere Zeit nicht wieder aufgegriffen oder gar weiter ausgeführt. In den Epigrammen wird der Aspekt der Schlichtheit dagegen vielfach und auf unterschiedliche Art und Weise thematisiert. An erster Stelle ist hier sicherlich als ein zentraler Bereich der Poetik Martials seine nachdrückliche Abgrenzung von dem zu nennen, was sich umfassend als ›erhabene Dichtung‹ bezeichnen läßt. Mit dieser Abgrenzung, die Martial im Corpus der Epigrammaton libri wiederholt in einprägsamer Weise formuliert, hat sich die Forschung schon ausführlich beschäftigt. 230 Der folgende Überblick über die wichtigsten diesbezüglichen Stellen zielt daher nur darauf ab, in kursorischer Form die Vielschichtigkeit der einschlägigen Aussagen als Hintergrund für die entsprechenden Aussagen in den praefationes herauszuarbeiten. 230 Z. B. Citroni (1968), 273–285; Banta (1998); zum stilkritischen Gegensatz in den Epigrammaton libri Martials Dams (1970), 175–210; Spisak (1992) sucht Martials Platz in der literarischen Tradition Roms anhand seiner Verwendung verschiedener einschlägiger Termini zu bestimmen.

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Breiten Raum in Martials Polemik gegen die erhabene Dichtung nimmt seine Ablehnung der ›großen‹ poetischen Gattungen wie Epos und Drama sowie der dort vorwiegend behandelten mythischen Sujets ein. Was an dieser Art von Dichtung insbesondere abgelehnt wird, wird in 4,49 bildhaft, aber unmißverständlich formuliert: a nostris procul est omnis vesica libellis Musa nec insano syrmate nostra tumet.

(Mart. 4,49,7–8).

Jeglicher Schwulst ist meinen Büchern fern, und meine Muse ist nicht aufgebläht in unsinniger tragischer Aufmachung.

Vergleichbare Aussagen finden sich auch anderenorts, etwa in den Epigrammen 9,50 und 10,4. An mehreren Stellen, oft im Zusammenhang mit dem Thema des materiellen bzw. ideellen Dichterlohnes, macht Martial sehr deutlich, daß er sich bewußt für eine kleine, weniger seriöse Form der Dichtung entschieden hat, obwohl er sich durchaus auch zu Höherem in der Lage sähe: Seria cum possim, quod delectantia malo / scribere (Mart. 5,16,1–2).231 Eine besondere Rolle spielt schließlich das Epigramm 8,3, in dem die Muse zum Dichter spricht, der anscheinend im Begriff ist, der Epigrammdichtung den Rücken zu kehren, und ihm im Anschluß an die Frage, ob er sich in Zukunft etwa dem Epos oder der Tragödie zuwenden wolle, die unmißverständliche Anweisung erteilt, in bewährter Weise fortzufahren: scribant ista graves nimium nimiumque severi, quos media miseros nocte lucerna videt. at tu Romano lepidos sale tingue libellos: adgnoscat mores vita legatque suos.

(Mart. 8,3,17–20).

Das sollen allzu Ernsthafte, allzu Gestrenge schreiben, die Elenden, denen mitten in der Nacht ihre Lampe zuschaut. Du aber tränke deine heiteren Büchlein mit römischem Witz: seinen eigenen Charakter soll das Leben darin wiederfinden und lesen.

Die recusatio der großen Dichtung ist damit nicht mehr nur Sache des Dichters selbst, sondern von göttlicher Seite sanktioniert. Abgesehen von diesen prominenten Stellen wird der Gegensatz des eigenen Werkes zu anderen poetischen Gattungen öfter auch in anderen Zusammenhängen angesprochen, etwa wenn Martial in einem Widmungsge-

231 Vgl. auch 1,107 und, besonders markant, den oben bereits im Zusammenhang mit den Gattungsvorläufern zitierten Schluß von 8,55: Ergo ego Vergilius, si munera Maecenatis / des mihi? Vergilius non ero, Marsus ero. (»Werde ich also ein Vergil sein, wenn du mir die Gaben eines Maecenas gibst? Ein Vergil werde ich nicht, ich werde ein Marsus sein.«; Mart. 8,55,23–24).

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dicht die lasciva Thalia seiner Epigramme mit anderen carmina sanctiora kontrastiert (Mart. 7,17,3–4).232 Daß der Gegensatz zwischen der eigenen Epigrammdichtung und den abgelehnten ›großen‹ Gattungen ein absoluter ist, zeigt sich spätestens in einem der letzten Gedichte der Epigrammaton libri, in dem Martial eine explizite Rangfolge der poetischen Gattungen formuliert (Mart. 12,94,1–9): Scribebamus epos; coepisti scribere: cessi, aemula ne starent carmina nostra tuis. transtulit ad tragicos se nostra Thalia cothurnos: aptasti longum tu quoque syrma tibi. fila lyrae movi Calabris exculta Camenis: plectra rapis nobis, ambitiose, nova. audemus saturas: Lucilius esse laboras. ludo levis elegos: tu quoque ludis idem. quid minus esse potest? epigrammata fingere coepi.233

5

Ich schrieb ein Epos, du fingst an zu schreiben. Ich gab es auf, damit meine Dichtung keine Konkurrenz für deine wäre. Meine Thalia begab sich zu den tragischen Kothurnen, auch du zogst dir das lange Schleppkleid an. Ich schlug die Saiten der Lyra, von den kalabrischen Camenen gepflegt. Du entreißt mir, Ehrgeiziger, das neue Plektron. Ich wage Satiren, du mühst dich, ein Lucilius zu sein. Ich dichte spielerisch leichte 232 In 7,68 wird ein ähnlicher Gegensatz von seria und lascivi libelli indirekt über die mutmaßlichen Vorlieben einer bestimmten Person konstruiert. Mehrfach geschieht dies auch durch die Gegenüberstellung des eigenen Werkes mit dem Werk des dichtenden Adressaten, wie z. B. in 4,14; 5,30; 7,29; 9,26; 11,57. An anderer Stelle erscheint der Kontrast unmittelbar verknüpft mit dem Anschluß an die Gattungstradition: 5,5,5–8; vgl. auch 10,20,6–11. In 1,76 formuliert Martial die Ablehnung der großen Dichtung weniger für sich als in Form eines Ratschlages für den Adressaten Flaccus. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang schließlich noch das Epigramm 10,35, in dem die Gedichte der Sulpicia in erster Linie wegen ihrer probitas gelobt werden. Durch die verwendete Terminologie (lusus, ioci) werden sie zugleich jedoch auch mit der Dichtung Martials assoziiert (dazu vgl. Adams (1975), 83–84). Wenn Martial in diesem Epigramm außerdem eine Reihe von Mythen nennt, die im Werk der Sulpicia niemals thematisiert würden, so ist dies nur vordergründig auf deren unmoralischen Charakter zurückzuführen. Nicht zuletzt das Fehlen einer sexuellen Anstößigkeit im Beispiel der diri prandia Thyestae (Mart.10,35,6) läßt darauf schließen, daß auch hier implizit der generelle Verzicht auf mythische Stoffe gutgeheißen wird. 233 Andeutungsweise findet sich die Vorstellung von der Letztrangigkeit der Epigrammdichtung jedoch bereits in Mart. 8,3,9, denn dort wird die sich dem Dichter zuwendende Muse als nona sororum, d. h. als »l’ultima delle nove sorelle« (Citroni (1968), 261) bezeichnet. (Alternativ wird die ›neunte‹ Muse dagegen auch als Thalia identifiziert: Spisak (1992), 54; vgl. Schöffel (2002), 106–107). Zur Inferiorität der satirischen gegenüber der tragischen Dichtung vgl. auch das Gedichtpaar 11,9 / 10. – Eine andere Interpretation bietet dagegen Banta (1998). Seiner Ansicht nach etabliert Martial mit der wiederholten Betonung des geringen qualitativen Anspruches seiner Dichtung ein eigenes, von Banta als »vilitas-standard« (94) bezeichnetes Wertesystem der Epigrammdichtung, aufgrund dessen diese in ihrer Art den übrigen literarischen Gattungen tatsächlich überlegen sei. Dementsprechend versteht er konkret das Epigramm 12,94 als Priamel, durch die gerade die parvitas der Epigrammdichtung als deren ganz besondere Qualität hervorgehoben werde (99–101); vgl. auch seine Auffassung zu nulli nugarum laude secundus (Mart 9, praef. ep. 5): »Martials nugae are in fact more nugatory than those of others« (96).

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Elegien, du spielerisch dasselbe. Was kann noch geringer sein? Ich begann, Epigramme zu schreiben.

Eine andere Art anspruchsvoller Poesie, von der sich Martial klar distanziert, ist die gelehrte Dichtung in der Tradition der alexandrinischen Dichter: Scribere te quae vix intellegat ipse Modestus et vix Claranus quid rogo, Sexte, iuvat? non lectore tuis opus est, sed Apolline libris: iudice te maior Cinna Marone fuit. Sic tua laudentur sane: mea carmina, Sexte, grammaticis placeant, ut sine grammaticis.

(Mart. 10,21)234

Warum, Sextus, frage ich, freut es dich, etwas zu schreiben, das selbst Modestus kaum verstünde, kaum Claranus? Deine Bücher brauchen keinen Leser, sondern Apoll. Deiner Meinung nach war Cinna größer als Vergil. So mögen auch deine Gedichte gelobt werden; meine Gedichte, Sextus, mögen ebenso Gelehrten gefallen, wie auch ohne Gelehrte.

Während hier eindeutig der inhaltliche Aspekt im Vordergrund steht und in erster Linie unverständliche Umschreibungen oder Anspielungen verworfen werden, richtet sich die Kritik an anderer Stelle ausdrücklich auch gegen komplizierte Formspielereien, namentlich metrischer Art, die in diesem Zusammenhang sogar als eine Art poetischer ›mainstream‹ bezeichnet werden: turpe est difficiles habere nugas et stultus labor est ineptiarum. scribat carmina circulis Palaemon, me raris iuvat auribus placere.

(Mart. 2,86,9–12)235

Es ist schändlich, Nichtigkeiten kompliziert zu machen, und Mühe bei Albernheiten ist einfältig. Palaemon mag Gedichte für Zirkel schreiben, mich freut es, ausgesuchten Ohren zu gefallen.

Andere typische Motive der anspruchsvollen Kleindichtung im Stile der Alexandriner, darunter namentlich das Motiv des sorgfältigen Ausfeilens, werden von Martial nicht dezidiert zurückgewiesen. Die Art, wie dieses

234 Als in bestimmter Hinsicht defizitär erscheint allzu gelehrsame Dichtung (ingeniosa scripta, carmina docta) auch in 6,61(60); dazu s. Grewing (1997), 388–390; Spisak (1994). In bezug auf die eigene Dichtung wird das Adjektiv doctus hingegen nur mit Einschränkung gebraucht, wenn Martial sein Buch Plinius gegenüber als nicht allzu gelehrt (Nec doctum satis [...]: Mart. 10,20,1), freilich auch nicht ungehobelt bezeichnet (vgl. Dams (1970), 204). 235 Weniger nachdrücklich formuliert findet sich eine vergleichbare Haltung auch in der Polemik gegen archaisierende Dichtung in 11,90.

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lima-Motiv in einzelnen Epigrammen thematisiert wird, läßt jedoch keinen Zweifel, daß Martial auch in diesem Punkt eigene Wege geht.236 Als positiven Gegensatz zu den von ihm verworfenen Dichtungsarten betont Martial an einigen Stellen den engen Realitätsbezug der von ihm vertretenen kleinen Gattung: hoc lege, quod possit dicere vita ›Meum est.‹ non hic Centauros, non Gorgonas Harpyiasque invenies: hominem pagina nostra sapit.

(Mart. 10,4,8–10)237

Das hier lies, wovon das Leben sagen könnte ›Es ist meins.‹ Hier wirst du keine Zentauren finden, keine Gorgonen und Harpyien: meine Seite schmeckt nach Menschen.

Neben solchen programmatischen Aussagen kommt die Lebensnähe natürlich auch ganz praktisch in all den Epigrammen zum Ausdruck, deren Themen auf den zeitgenössischen Alltag Bezug nehmen.238 In der Praxis bedeutet Martials Ablehnung der erhabenen Dichtung jedoch keineswegs den völligen Verzicht auf sämtliche dort kritisierten Elemente. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Mythen, die in einer Vielzahl von Epigrammen als Anspielungen, Vergleiche, exempla o. ä. präsent sind. Obgleich er als alleiniges Thema dezidiert abgelehnt wird, ist der Mythos offenbar ein so wichtiger Bestandteil der zeitgenössischen Vorstellungswelt, daß mythische loci auch für Martials Epigramme unverzichtbar sind. Im Einklang mit den programmatischen Aussagen sind die Erwähnungen mythischer Gestalten oder Begebenheiten allerdings stets in irgendeiner Weise mit der Gegenwart des jeweiligen Sprechers verbunden, d. h. es findet sich kein Gedicht, in dem ein mythisches Ereignis nur um seiner selbst willen erzählt würde.239 Ähnliches gilt auch für Martials Be-

236 Besonders signifikant im Epigramm 4,10, in dem Martial das Motiv der wiederholten Korrekturen in ironischer Weise verkehrt in eine (natürlich topische) Herabsetzung seiner Dichtung integriert: non possunt nostros multae, Faustine, liturae / emendare iocos: una litura potest. (»Viele Streichungen können meine Scherze nicht verbessern, eine einzige schon.«; Mart. 4,10,7– 8). – Vgl. Muth (1979), 216; auch in 1,3 wird das Motiv anders als üblich nicht nur für formale, sondern auch für inhaltliche Aspekte benutzt (dazu auch Dams (1970), 179–180); das Motiv der Überarbeitung in verschiedenen Kontexten auch in 7,11. 17; 10,2; 12,4. 237 Weitere bekannte Stellen sind etwa Mart. 8,3,20 (adgnoscat mores vita legatque suos), 9,50,5–6; vgl. auch 1,76; 7,25. 46; 11,42. 57. Eine interessante Illustration hierzu bilden die drei Epigramme über Tiere, die von einem Moment zum anderen von Baumharz eingeschlossen wurden und nun im Bernstein für immer ihre lebensechte Gestalt bewahren (Mart. 4,32. 59; 6,15). 238 Spisak (1992), 194–195, verweist darauf, daß auch die Betonung der lascivia als eines Teils der menschlichen Natur dazu beitrage, die Realitätsnähe der Epigramme Martials zu unterstreichen. 239 Eine mögliche Ausnahme bildet lediglich das Epigramm 5,55, ein Dialog zwischen dem Sprecher und dem Adler Jupiters. Auch dieses Epigramm wird jedoch überwiegend als auf ein

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zugnahmen auf Apoll und die Musen als Gottheiten der Dichtung. Während er für andere Dichter, z. B. als Adressaten von Widmungsgedichten, vielfach deren enge Verbundenheit mit diesen Gottheiten hervorhebt, ist sein eigenes Verhältnis zu diesen offensichtlich sehr viel pragmatischer. In den meisten Fällen erscheinen die Musen, bzw. einzelne von ihnen, lediglich metonymisch zur Bezeichnung der eigenen Dichtung. Das Motiv der eigenen Verbundenheit mit den Gottheiten ist dagegen deutlich seltener, und auch die Apostrophen sind überwiegend keine (Musen-)Anrufungen im ursprünglichen Sinne.240 Ebensowenig verzichtet Martial aufgrund seiner Ablehnung der gelehrten Dichtung durchgehend auf kompliziertere Periphrasen bzw. Anspielungen oder gesuchte Formspielereien, ohne daß diese allerdings auf die Spitze getrieben würden.241 konkretes Bildnis und damit die reale Gegenwart bezogen aufgefaßt (so Friedlaender (1886), 1,416; Prinz (1927), 91; Barié/Schindler (1999), 363; vgl. auch Hofmann (1997), 663; anders dagegen Howell (1995), 138). – Trotz der in dieser Weise reduzierten Verwendung nimmt die Welt des Mythos innerhalb der Epigrammaton libri einen nicht unerheblichen Raum ein. In beinahe einem Fünftel aller Epigramme ist sie in irgendeiner Weise präsent, und sei es nur in Form einer Praeteritio. Auch beschränkt sich Martial keineswegs nur auf einige wenige Mythen, sondern deckt von Hercules über Phaethon, die Dioskuren, Ganymed u. a. bis hin zu Byblis, Alcestis und Lucretia ein überaus breites Spektrum ab, das allerdings nur selten über das Repertoire Ovids hinausgeht (Preston (1920), 343, bezeichnet Martials Mythengebrauch daher als eine Art »shorthand, by the Ovidian system«). Banta (1998), 147–188, spricht von einer »Inkorporation« des Mythischen (sowie auch aller übrigen Themen, die anderen literarischen Gattungen zu Gebote stehen), durch die der umfassende Anspruch der Epigrammdichtung, auf ihre Weise letztlich alles thematisieren zu können, dokumentiert und damit einmal mehr ihre Überlegenheit hervorgehoben werde. Zu den mythischen Themen bei Martial s. auch Corsaro (1973); Szelest (1974); zu mythischen Figuren als exempla auch Nordh (1954), 236–237. 240 Musen (u. a.) zur metonymischen Bezeichnung der eigenen Dichtung z. B. in 2,22; 3,68; 4,8. 14. 49; 7,17. 68; 8,73. 82; 9,26. 58. 99; 11,1. 3; 12,94, für die Werke anderer dagegen sehr viel seltener (2,41; 7,46); zur eigenen Verbundenheit mit Apoll und den Musen: 7,12; 9,11; 9,84. 86; 10,58; 11,3; 12,68, dagegen bei anderen Dichtern: 1,70. 76; 4,14; 7,22. 63. 69; 8,66. 70; 9,11. 28; 10,58. 64; 11,93; 12,2. 11. 52; (12,6); Apostrophen im Dialog, bei Aufträgen o.ä. (z.T. ist auch hier eine Auffassung als Metonymie möglich): 2,22; 3,20; 5,6; 8,3. 66; 9,73; 10,18. 20; 12,11; dazu allgemein auch Wissig-Baving (1991), 132–134. – Ebenso wird auch die Musen- bzw. die Kastalische Quelle nur im Zusammenhang mit anderen Literaten in üblicher Weise erwähnt (Mart. 12,2,12–14; 12,11,2). In bezug auf Martial selbst erscheint sie dagegen stets in mutwilliger Abwandlung (Mart. 9,58. 99; vgl. 4,31,5; 7,88,6; 9,18,8). 241 Vgl. z. B. die Umschreibung des aus metrischen Gründen unnennbaren Namens Earinus in den Epigrammen 9,11–13 oder das erste der Epigramme über in Bernstein eingeschlossene Tiere, in dem anders als in den beiden späteren der Begriff sucinum selbst nicht vorkommt, sondern nur über den Mythos erschlossen werden kann: Phaethontide gutta (Mart. 4,32,1), insbesondere aber die Umschreibungen wie die der Ägypter in 7,88,6: qui Nilum ex ipso protinus ore bibunt, die sich auch als Anspielung auf die Symbolik erhabener Dichtung auffassen läßt (zu dieser Deutung s. u. S. 206), namentlich in Verbindung mit den in V. 8 erwähnten meae apes. Vordergründig eine Fortsetzung des im zweiten Glied der Reihe eingeführten Motivs des materiellen Reichtums ist dieses dritte Glied zugleich auch eine implizite Anspielung auf einschlägige Dichtersymbolik. Zur symbolischen Bedeutung von Quelle und Bienen in der antiken Poetik s. Kambylis (1965); Was-

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Schon dieser sehr knappe Überblick über die einschlägigen Stellen hat deutlich gemacht, wie vielschichtig und bedeutend das Thema der simplicitas im allgemeinen Wortsinne und der Lebensnähe in Martials Poetik seiner Epigrammdichtung ist. Dessen verschiedene Einzelaspekte werden im Corpus der Epigrammaton libri wiederholt aufgegriffen, in ihrer Gestaltung variiert und untereinander sowie teilweise auch mit anderen Themen kombiniert. Verglichen mit der daraus resultierenden Intensität, mit der dem Leser diese grundsätzliche Einstellung des Dichters immer wieder vor Augen geführt wird, spielt das Thema der Schlichtheit in den praefationes nur eine auffallend untergeordnete Rolle. In der praefatio des ersten Buches ist dieser Aspekt, wie oben bereits erwähnt, nur andeutungsweise in Martials Verweis auf eine ganz bestimmte Art der simplicitas, nämlich die Unverfänglichkeit seiner Gedichte, präsent; in der des zweiten Buches wird die Epigrammdichtung zwar durchaus in einen Gegensatz zu den großen dramatischen Gattungen gesetzt, dies geschieht jedoch in so konkretem Bezug auf die Frage der Notwendigkeit von praefationes, daß alle weiteren Implikationen dieses Gegensatzes daneben höchstens indirekt zum Tragen kommen. Erst in der Vorrede des neunten Buches stellt Martial »so deutlich wie selten«242 in einer recusatio der großen Poesie die Schlichtheit und den Realitätsbezug seiner Dichtung entgegen. Bemerkenswert ist allerdings, daß es sich auch an dieser Stelle weniger um eine programmatische Aussage handelt als, wie das Vergangenheitstempus anzeigt (Mart. 9, praef. ep. 7: locuto), um die nachträgliche Feststellung eines fait accompli. Die fragliche Stelle ist Teil der im epigramma extra ordinem paginarum enthaltenen ›Bildunterschrift‹, und Martial spricht hier nicht aus der Perspektive seiner eigenen Gegenwart, sondern aus der Zeitlosigkeit des Bildnisses, das die zitierte Mitteilung zwar durchaus noch zu seinen Lebzeiten, vor allem aber nach seinem Tode unverändert jedem Betrachter vermitteln wird. Auf den ersten Blick mag die Art und Weise, wie dieses in der Poetik der Epigrammaton libri derart bedeutsame Thema im Bereich des Paratextes zink (1974). Bei Martial finden sich neben den bereits genannten Erwähnungen der Musenquelle nur sehr wenige Bezugnahmen auf diese Symbolik, etwa wenn der Dichter in 11,42 die ihm von Caecilianus für neue Gedichte vorgegebenen Themen mit minderwertigen Blüten vergleicht, aus denen auch die beste Biene keinen guten Honig gewinnen könne, oder in 9,99,7–10 den vom Dichter selbst übersandten liber mit dem Trinken aus der frischen Quelle, den gekauften dagegen mit dem Trinken aus einem piger lacus gleichsetzt und damit den seit Kallimachos (h. 2,108–112) geläufigen Gegensatz zwischen der reinen Quelle und dem breiten, schlammigen Strom in eigenwilliger Weise abwandelt. – Zu den Spielereien mit der Form zählen etwa umfangreichere Anaphern (z. B. in 5,24; 9,57; 11,21 und besonders markant die klimaktisch strukturierte Anapher des quod in 4,4, bei der die Zahl der aufeinanderfolgenden, gleichlautenden Versanfänge im Verlaufe des Gedichtes ständig ansteigt, während parallel dazu die zwischen diesen Gruppen liegenden Intervalle immer kleiner werden) oder Epiphern (z. B. in 1,77; 7,10; 11,47), auffällige Parallelismen (Mart. 2,33; 12,16) oder die kyklische Struktur der Distichen in 9,97. 242 Dams (1970), 202.

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auftritt, etwas seltsam erscheinen. Martials sonstiger Umgang mit diesem Thema zeigt jedoch, daß es ihm hier, anders als bei oben behandelten Themen wie z.B. der Gattungscharakteristik, nicht darum geht, den Rezipienten überhaupt erst auf ein bestimmtes Wesensmerkmal des Werkes vorzubereiten. Die schlichte Realitätsnähe seiner Dichtung in Abgrenzung von der erhabenen Poesie ist für Martial offenbar eine Selbstverständlichkeit, für die keine gesonderte Rechtfertigung erforderlich ist. Nichtsdestoweniger nimmt sie der Sache nach ebenso wie als metapoetisches Thema in seinem Werk einen so großen Raum ein, daß sie im Bereich des Paratextes nicht völlig unerwähnt bleiben kann. 3.2.1.7 Rom und Spanien Eng verwandt mit der Realitätsnähe, aber dennoch ein eigenständiger Aspekt seiner Poetik, ist die Bindung der Epigrammdichtung Martials an das Leben in Rom. Anders als der zuletzt angesprochene erfährt dieser Gesichtspunkt eine intensive Behandlung im Bereich des Paratextes, nämlich im Rahmen von Martials ausführlicher Klage über die Verhältnisse in Spanien in der praefatio des zwölften Buches. Damit wird auch dieser Punkt erst rückwirkend angesprochen, allerdings in anderer Form als es oben für die Bildunterschrift in der epistula des neunten Buches erwähnt wurde, denn Martial schreibt diese praefatio zu einem Zeitpunkt, da er sich tatsächlich nicht mehr in Rom aufhält, d. h. diesmal in einer echten Retrospektive.243 Indirekt wird so der substantielle Rombezug aller früheren Bücher betont, der bei deren Entstehen noch so selbstverständlich war, daß er niemals eigens erwähnt werden mußte, aber jetzt im nachhinein durch den Kontrast sichtbar gemacht wird. Allerdings ist das Leben in der Hauptstadt hier weit mehr als nur potentielle materia für die Epigrammdichtung. Das entscheidende Gewicht liegt vielmehr auf dem produktionsästhetischen Aspekt: Nur im anregungs- und abwechslungsreichen Ambiente Roms ist es Martial möglich, gute Epigramme zu schreiben. Seine Aufzählung all dessen, was ihm in Bilbilis fehlt, erinnert in der Tat an vereinzelte frühere Äußerungen über die (ideale) Lebensweise von Dichtern in Rom, wie z. B. in einem Gedicht über den Dichter Canius Rufus: an otiosus in schola poetarum lepore tinctos Attico sales narrat? hinc si recessit, porticum terit templi

10

243 Die Frage von Realität oder Fiktionalität der »Heimkehr« Martials (vgl. Holzberg (2002a), 15) ist für diesen Zusammenhang nicht entscheidend. Unabhängig von historischen Fakten kommt es vielmehr allein darauf an, daß der Leser glaubt, daß sich Martial mittlerweile wieder in Spanien aufhalte.

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Definition der eigenen Dichtung an spatia carpit lentus Argonautarum? an delicatae sole rursus Europae inter tepentes post meridie buxos sedet ambulatve liber acribus curis? Titine thermis an lavatur Agrippae an inpudici balneo Tigillini?

15 (Mart. 3,20,8–16).244

Oder erzählt er entspannt in der Runde der Dichter Witze, getränkt mit attischem Humor? Wenn er von dort weggegangen ist, bewegt er sich dann in der Säulenhalle des Tempels oder spaziert durch die Argonautenhalle? Oder sitzt oder wandelt er, wieder in der Sonne, bei der lieblichen Europa nachmittags zwischen warmen Buchsbaumhecken, frei von quälenden Sorgen? Badet er in den Thermen des Titus oder in denen Agrippas, oder im Bad des schamlosen Tigillinus?

Die Darstellung des Kontrastes zwischen Rom und Spanien in Martials letzter praefatio zeigt erkennbare Parallelen zu dem am Beginn des dritten Buches thematisierten Gegensatz zwischen Rom und der Provinz. Auch dort formuliert Martial den Gedanken der zwangsläufigen Inferiorität eines Buches, das nicht in Rom, sondern in der Provinz entstanden ist: plus sane placeat domina qui natus in urbe est: debet enim Gallum vincere verna liber.

(Mart. 3,1,5–6)245

Vergleichbare Äußerungen über Spanien als Provinz oder gar als ›Exil‹, wie es in der praefatio erscheint, finden sich in den Epigrammen dagegen nur selten. So liest sich der Schluß von 10,103 wie eine Vorahnung der in der letzten praefatio beklagten Verhältnisse in Spanien: Excipitis placida reducem si mente, venimus; aspera si geritis corda, redire licet.

(Mart. 10,103,11–12)

Wenn ihr den Heimkehrer mit freundlichem Sinn aufnehmt, werde ich kommen; seid ihr hartherzig, kann ich auch wieder zurückgehen.

Des weiteren lassen sich der Anfang des Epigramms 12,2, und dort insbesondere die Attribuierung des spanischen Flusses Salo mit dem Adjektiv tetricus, das in den Epigrammaton libri verschiedentlich für eine mit der 244 Vgl. auch 4,61, in dem das Hauptthema des geizigen Angebers im Milieu der (armen) Poeten angesiedelt ist; 5,20,8–10: die Aufzählung dessen, was in den Augen Martials zu einer vera vita gehört; 10,51,11–14: die Beschreibung Roms im Gegensatz zum idyllischen Anxur, die anders als in anderen Gegenüberstellungen Roms mit dem Landleben (Mart. 1,55, 10,58; 12,57; vgl. auch 3,58,26–29; 4,64,18–24; 10,30,25–27) nicht zu Ungunsten Roms ausfällt, sondern dessen großartige Urbanität als Qualität anderer Art erscheinen läßt. 245 Dennoch ist diese Darstellung des Gegensatzes zwischen Rom und der Provinz selten. Im Zusammenhang mit Martials Büchern ist die Provinz sonst nur Thema in Widmungs- oder Geleitgedichten für libelli, die für einen (End-)Adressaten bestimmt sind, der sich gerade in einer Provinz aufhält: 7,80. 84; 9,84; 10,104, sowie in Gedichten, in denen es um die Rezeption der Epigramme weitab der Hauptstadt geht: 7,88; 11,3; vgl. auch 8,3,7–8.

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Dichtung Martials unvereinbare Strenge verwendet wird 246 , sowie das Lob auf die Romanitas der Bilbilitanerin Marcella (Mart. 12,21) als Andeutungen dafür auffassen, daß Martial und sein Werk in Spanien gemeinhin nicht in gewohnter Weise Aufnahme fanden. Nichtsdestoweniger überwiegen innerhalb der Epigrammaton libri die Stellen, an denen Spanien positiv bis sehr positiv dargestellt wird. Abgesehen von einigen Erwähnungen ohne Beteiligung des Sprechers (Mart. 3,14; 6,71; 7,22) lassen sich im wesentlichen zwei verschiedene Ausprägungen erkennen, die manchmal auch miteinander verknüpft werden. Zum einen wird Spanien wiederholt nicht ohne Stolz als die Heimat des Dichters genannt. Solche Stellen treten zwar mit besonders hoher Frequenz im zehnten Buch auf, in dem bereits zunehmend der Gedanke an eine Heimkehr ventiliert wird (Mart. 10,13. 78. 96. 103. 104) 247 , sie finden sich aber auch schon sehr viel früher, etwa zu Beginn von 1,49, das überdies elementar von einer durch die Herkunft bedingten detaillierten Ortskenntnis abhängig ist, oder in 4,55, das zugleich den stolzen Beweis dafür erbringt, daß auch metrisch unhandliche spanische Ortsnamen durchaus im Vers verwendet werden können. 248 Zum anderen wird Spanien mehrfach auch als idealer Ort zum Leben dargestellt, an dem alles Nötige mühelos und reichlich verfügbar ist. 249 246 Vgl. Dams (1970), 209. – In lateinischer Dichtung wird tetricus zumeist im Zusammenhang mit Personen bzw. deren Haltung gebraucht (»frowning«, »stern«, »severe«: OLD 1934, s. v. tetricus a), bezogen auf Geographisches erscheint es vorwiegend als Eigenname (z. B. Verg. Aen. 7,713; Sil. 8,417; Varro rust. 2,1,5. In den Epigrammaton libri steht tetricus mehrfach in klarer Antithese zum Charakter von Martials Dichtung: Mart. 4,82,4; 7,88,4; 10,64,2; Bowie (1988), 118, verweist hingegen nur für die Attribuierung des Salo als rigidus in 12,21,1 auf die mögliche übertragene Bedeutung. Für den konkreten Bezug von rigidus auf (potentielle) Gegner Martials s. Mart. 6,64,1 und 10,20,21. 247 Nicht in diese Reihe gehört freilich das Epigramm 10,65. Obwohl der Sprecher (Martial) auch hier seine spanische Herkunft und Erscheinung anführt, handelt es sich nicht um ein stolzes Bekenntnis als »hijo de la Celtiberia y no de la civilización Romana« (Alvar Ezquerra (1987), 77). Ziel dieser Selbstbeschreibung ist selbstverständlich der größtmögliche Kontrast zur effeminierten Erscheinung des Verspotteten (Siems (1974), 88; Richlin (21992), 136–137; Obermayer (1998), 247–248). 248 Vgl. auch Mart. 1,61. Hier ist die Zahl der im zweiten Teil genannten spanischen Literaten einschließlich Martial ebenso groß wie die der zuvor genannten namhaften Nicht-Spanier (vgl. Sullivan (1991), 171–172). 249 Es trägt dabei bisweilen sogar Züge des goldenen Zeitalters, in dem den Menschen alles Notwendige ohne eigenes Bemühen von selbst (sua sponte) zu Gebote stand (vgl. z. B. Verg. ecl. 4,37–45): illic piscoso modo vix educta profundo / inpedient lepores umida lina meos (»Dort fangen, soeben mit Mühe aus der fischreichen Tiefe gezogen, die feuchten Netze meine Hasen«; Mart. 10,37,15–16). – Damit verwandt ist auch die Vorstellung vom schlichten, aber zufriedenen Leben, wie es in 1,49; 10,96; 12,18 skizziert wird (vgl. Verg. georg. 2,512–540). Zu diesem Thema H. Heckel: Art. »Zeitalter«, DNP 12,2,706–710, speziell zum goldenen Zeitalter auch Gatz (1967). – Selbst die Erlangung eines Anwesens scheint in Spanien einfacher zu sein (Mart. 12,31), und der Goldreichtum des Landes wird nicht nur durch das Adjektiv aurifer als stehendes Epithe-

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Die positiven Darstellungen Spaniens konzentrieren sich vor allem auf das letzte Viertel der Epigrammaton libri und hier auf die Bücher 10 und 12, in denen die Heimkehr des Dichters in jeweils unterschiedlicher Perspektive eine besondere Rolle spielt. Parallel dazu wird auch das Thema des Lebens in Rom als solches recht häufig aufgegriffen, das in den früheren Büchern eher selten eigens angesprochen wird, sondern hauptsächlich indirekt über die Stoffe der Epigramme, damit aber auch völlig selbstverständlich präsent ist. Im Kontrast zur Idealisierung des Lebens in Spanien wird es in diesen späten Büchern mehrfach von sehr unerfreulicher Seite gezeigt. 250 Dennoch ist die Darstellung keineswegs durchgehend negativ. Das Leben in Rom erscheint vielmehr in extremer Weise ambivalent, reduziert auf zwei in ihrer Bewertung stark divergierende Aspekte, die beide untrennbare Bestandteile des Ganzen sind: Anregungsreichtum und Aufgeschlossenheit der urbanen Kultur einerseits, andererseits Schmutz, Lärm und Hektik des Alltags. Dazu bildet Spanien in beiderlei Hinsicht das Komplement: Hier gibt es zwar die idyllische Ruhe eines einfachen Lebens, freilich um den Preis provinzieller Einöde und Kleingeistigkeit. Wenn sich Martial in den Büchern 10 und 12 über Rom oder Spanien als bevorzugten Aufenthaltsort äußert, geschieht dies stets auf der Basis dieses doppelten Kontrastes, dessen vier Elemente sämtlich miteinander kompatibel sind. Seine Aussagen sind dementsprechend nur scheinbar widersprüchlich, tatsächlich aber allein davon abhängig, welcher Aspekt des Lebens gerade in den Vordergrund gerückt wird. Daß Martial unter allen Umständen Rom als sein intellektuelles Zuhause betrachtet, zeigen das oben bereits erwähnte Lob der Marcella in 12,21 sowie das Epigramm 10,13, in dem er seine seit Kindertagen bestehende Freundschaft mit dem Adressaten Manius abschließend mit der Behauptung preist, in dessen Gegenwart sei für ihn überall Rom: Si tibi mens eadem, si nostri mutua cura est, in quocumque loco Roma duobus erit.

(Mart. 10,13,9–10)

Angesichts des relativ breiten Raumes, den der Gegensatz zwischen Rom und Spanien in den letzten Büchern der Epigrammaton libri einnimmt, ist es nicht überraschend, daß dieses neue Thema in der praefatio des letzten

ton für die spanischen Flüsse ausgedrückt (Mart. 10,13,1. 78,5. 96,3; vgl. auch 7,88,5; 12,18,9), sondern erhält bisweilen regelrecht mythische Züge: qua dives placidum Corduba Baetin amat, vellera nativo pallent ubi flava metallo (Mart. 9,61,2–4,vgl. 12,98,1–2) et linit Hesperium brattea viva pecus. (»da, wo das reiche Corduba seinen friedlichen Baetis schätzt, wo die Vliese durch natürliches Metall gelblich schimmern und lebendiges Blattgold die Hesperischen Schafe bedeckt.«). 250 Mart. 10,37. 104,13–15; 12,18. 68; vgl. aber auch bereits 1,49,31–36.

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Buches auch Eingang in den Bereich des Paratextes findet. Um so auffälliger ist jedoch, daß es gerade an derart exponierter Stelle in der Weise dargestellt wird, die innerhalb der Epigramme deutlich seltener zum Tragen kommt. Die vorliegende Stelle ist indessen keinesfalls der genuine Ausdruck einer realen Desillusionierung des Dichters nach seinem mittlerweile dreijährigen Aufenthalt in Bilbilis, als der sie bislang vielfach aufgefaßt wurde.251 Es ist vielmehr so, daß die Art, wie der Kontrast zwischen Rom und Spanien hier geschildert wird, der Überzeugung römischer, d. h. hauptstädtischer, Leser entspricht, für die natürlich gar kein Zweifel daran bestehen kann, daß das kulturelle Niveau Spaniens nicht im mindesten an das in Rom heranreicht. Ziel einer solchen Bestätigung der Publikumserwartung ist eine Rezeptionssteuerung im Hinblick auf die nachfolgenden SpanienEpigramme. Für diese Annahme sprechen einerseits die Position der praefatio in der Gruppe der in den Büchern 10 und 12 auf Spanien bezogenen Epigramme sowie andererseits die Tatsache, daß einige der Stellen, an denen das Leben in Rom direkt mit dem alternativen Leben in Spanien kontrastiert wird, signifikante Parallelen zu einer generellen Idealisierung des schlichten, aber glücklichen Landlebens aufweisen, wie sie sich auch an anderer Stelle bei Martial finden. 252 Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß Spanien nicht irgendein beliebiges rus ist, sondern die Heimat des Dichters. Bis zu Martials Rückkehr nach Bilbilis fällt dieser Unterschied noch kaum ins Gewicht. Die zwar stark von sehnsüchtiger Vorfreude geprägten SpanienEpigramme des zehnten Buches wurden in den Augen des Publikums zweifellos noch sämtlich in Rom verfaßt und unterscheiden sich daher nur unwesentlich von rein literarischen Verklärungen des Landlebens, wie sie auch in den Werken diverser anderer römischer Autoren vorkommen. 253 Mit Beginn des zwölften Buches ist die Situation jedoch grundlegend verändert. Martial befindet sich jetzt selbst wieder in Spanien, und damit ist die Fiktionalität aller weiteren positiven Darstellungen des dortigen Lebens zunächst prinzipiell in Frage gestellt. Ein breites Interesse an ›echten‹ Lob251 Nach Adams (1975), 33, handelt es sich um ein »statement of deep frustration«; vgl. auch Tanner (1986b), 2632; Sullivan (1991), 53–54; Howell (1998), 18; Pitcher (1998), 71–72 Anm. 35. 252 Mart. 1,55; 3,58; 12,57; vgl. auch 2,90,7–10; 10,30. 47. 51; über die besondere Bedeutung eines sowohl ethischen als auch materiellen »pastoral ideal« für die thematische Einheit im zehnten Buch der Epigrammaton libri s. Spisak (2002). 253 Z.B. Verg. georg. 2,458–474; Tib. 1,1,1–50; 1,5,21–34; Hor. epod. 2,1–66; epist. 1,10,12– 25; 1,16,5–16; 2,2,65–86; sat. 2,6,20–70; Plin. epist. 2,8,1. Häufig steht auch hier der Kontrast zum unruhigen Leben in Rom im Hintergrund, und je nach Kontext werden unterschiedliche Aspekte hervorgehoben. Das Ideal ist zudem öfter in der römischen Frühzeit angesiedelt, z.B. Iuv. 14,166–170; vgl. Verg. georg. 2,513–535.

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gedichten auf das idyllische Leben in Spanien kann beim hauptstädtischen Publikum aber wohl kaum vorausgesetzt werden. Wenn Martial nun im Vorwege die desolaten Verhältnisse beklagt, unter denen er aktuell in Spanien lebt und vor allem dichtet, sichert ihm dies den Freiraum, sich weiterhin in manchen Epigrammen positiv über Spanien zu äußern, denn mit der praefatio wird zwischen Martial und den Rezipienten eine Art Vereinbarung hinsichtlich der Fiktionalität der im zwölften Buch enthaltenen Spaniengedichte getroffen. Die Vorrede signalisiert, daß alle folgenden positiven Darstellungen ebenfalls als literarische Idealisierungen zu betrachten sind, da ja zuvor bereits auf der übergeordneten metapoetischen Ebene des Paratextes mit dem Leser ein Konsens darüber erreicht wurde, daß Spanien für einen Stadtrömer nur eine kulturelle Einöde und dementsprechend indiskutabel sein kann. 3.2.1.8 Einige ›technische‹ Details Abgesehen von diesen großen und sehr komplexen Bereichen finden sich in den Epigrammaton libri Martials im Zusammenhang mit dem Wesen seiner Gedichte noch einige weitere Aussagen zu einzelnen Detailaspekten, die keine oder nur bedingte Entsprechungen in den praefationes haben. Dazu gehören etwa die vereinzelten Hinweise auf die inhaltliche oder formale variatio als Aufbauprinzip des Werkes bzw. einzelner seiner Bücher. 254 Sie wird in der praefatio des achten Buches vordergründig allein Domitian gegenüber genannt und konkret für dieses eine Buch angekündigt. Ähnlich wird auch in 11,17 wiederum speziell im Hinblick auf den vor allem im direkt vorausgehenden Epigramm 11,16 umfassend dargelegten Saturnaliencharakter des aktuellen Buches versichert, daß auch in einem solchen Buch Gedichte anderer Art enthalten sind: Non omnis nostri nocturna est pagina libri: invenies et quod mane, Sabine, legas.

(Mart. 11,17)

Nicht jede Seite meines Buches ist für die Nacht gedacht; du wirst auch etwas finden, Sabinus, was du am Morgen lesen kannst.

Zumindest andeutungsweise ist das Prinzip der variatio auch in 10,45 präsent. Das anaphorische si quid in dem doppelten Konditionalsatz, mit dem Martial hier die Verteidigung gegen den Vorwurf einleitet, er dichte allzu harmlose Gedichte, signalisiert zugleich, daß derartige Epigramme in seinen Büchern nur gelegentlich vorkommen. In 10,59 wird schließlich auch die Notwendigkeit einer formalen variatio, nämlich hinsichtlich der Länge der Gedichte, hervorgehoben. Etwas anders zu bewerten sind freilich die 254 Zur variatio bei der Strukturierung von Gedichtbüchern s. Kroll (1924), 225–246, allgemeiner zum stilistischen Prinzip der varietas auch Lausberg § 257, 2b, p.142; Drijepondt (1979).

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Stellen, an denen von einer qualitativen Heterogenität der in einem Buch enthaltenen Epigramme die Rede ist (Mart. 1,16; 7,81. 90), denn diese ist weniger auf ein bestimmtes zugrunde gelegtes Prinzip zurückzuführen als auf die praktische Schwierigkeit, eine entsprechend große Zahl gleichmäßig guter Epigramme zu schreiben. 255 Obgleich die variatio beim Aufbau der Epigrammaton libri durchaus eine wichtige Rolle spielt, wird sie immer nur indirekt oder scheinbar ausschließlich für einen ganz bestimmten Geltungsbereich angesprochen, während explizite programmatische Aussagen über ihre generelle Bedeutung für das Werk Martials fehlen. 256 Dieser Befund gilt gleichermaßen für den Paratext wie für die Gedichte selbst, und man kann daher von einer Parallelität der Behandlung dieses Aspektes in beiden Bereichen sprechen. Ein weiterer Punkt, der innerhalb der Epigramme verschiedentlich zur Sprache kommt, ist das Thema des für Epigrammdichtung angemessenen Umfanges. Dabei ist insbesondere die Frage der passenden Länge von Einzelgedichten von großer Bedeutung. Martial wendet sich wiederholt vehement gegen den Vorwurf, einige seiner Gedichte seien als Epigramme zu lang. 257 Daß solche Kritik oftmals in direkter Nachbarschaft zu einzelnen auffallend langen Epigrammen aufgegriffen wird, könnte darauf hindeuten, daß es ihm hier darum geht, die eigene Epigrammdichtung klar von dem in der zeitgenössischen griechischen Epigrammdichtung zentralen Postulat der ˑƪƨƢƮƲƳƨƶ̄Ơ abzugrenzen. 258 Obwohl die Frage des Umfanges vor allem für Einzelgedichte bei Martials Definition der eigenen Epigrammdichtung keine unwichtige Rolle spielt, ist sie im Bereich des Paratextes kein Thema. Offenbar steht dieser Aspekt in derart engem Zusammenhang mit der Pra255 Anders jedoch Grewing (1997), 27. – Zu qualitativen Schwankungen innerhalb der Epigrammbücher s.u. S. 184-185 u. 188. 256 Vgl. aber 10,46 und 12,80 zur Wichtigkeit einer variatio in völlig anderen Kontexten. 257 So in 1,110; 2,77; 3,83; 10,59. Unter anderen Aspekten kommt die ›richtige‹ Länge einzelner Epigramme auch in 9,50 u. 10,1 zur Sprache. 258 Formuliert wird dieses Prinzip z. B. im Mitte des 1. Jhd. n. Chr. veröffentlichten ƒƳ̀ƵƠƬƮƱ des Philippos, dort im Proömium (Anth. Pal. 4,2,6) und bei Parmenion (Anth. Pal. 9,342), außerdem bei Leonidas von Alexandria (Anth. Pal. 6,327) und besonders prägnant bei Kyrillos (Anth. Pal. 9,369): Ɛ˾ƢƩƠƪ̆Ƭ ʟƲƳ’ ʟƯ̄ƢưƠƫƫƠ Ƴ̅ ƣ̄ƲƳƨƶƮƬŹ ʳƬ ƣ˿ ƯƠừƪƧ͉Ʊ ƳƮ̇Ʊ ƳưƤ͙Ʊ, ͧƠƷͰƣƤ͙Ʊ ƩƮ˝Ʃ ʟƯ̄ƢưƠƫƫƠ ƪ̀ƢƤƨƱ. (»Sehr schön ist das zweizeilige Epigramm; wenn du aber die drei überschreitest, trägst du epische Gedichte vor, kein Epigramm.«) Zur Kürze als Gattungscharakteristikum antiker Epigrammdichtung s. Lausberg (1982), 29–63. – Nach der Ansicht von Newman (1989) sind Martials Stellungnahmen zur Länge von Gedichten dagegen als programmatischer Anschluß an die Tradition der alexandrinischen Dichtung aufzufassen. Zwar habe es möglicherweise eine zeitgenössische Diskussion über die ˑƪƨƢƮƲƳƨƶ̄Ơ gegeben, diese werde von Martial jedoch in übertriebener Weise aufgegriffen, um zu dokumentieren, daß seine Dichtung nicht einfach nur klein sei, sondern durchaus an den Anspruch der Alexandriner heranreicht (255–256).

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xis, also dem tatsächlichen Vorkommen umfangreicherer Gedichte in den Epigrammaton libri, daß er auch nur dort in möglichst unmittelbarem Zusammenhang, nicht aber in der abstrakten Form einer programmatischen Aussage thematisiert wird. Daneben befaßt sich Martial immer wieder auch mit dem Umfang ganzer Epigrammbücher. Doch während er bei den Einzelepigrammen gerade für eine Berechtigung auch größerer Verszahlen streitet, ist hier überwiegend von einer angeblichen Unerträglichkeit der Buchlänge die Rede, und zwar einerseits natürlich aufgrund der als Topos behaupteten Minderwertigkeit der Epigramme, hauptsächlich aber hinsichtlich einer potentiellen Ermüdung des Lesers. 259 Um letztere zu vermeiden, werden dem Leser teilweise sogar regelrechte Anweisungen gegeben, wie das ›Leiden‹ abzukürzen sei. 260 Eine vergleichbare Haltung findet sich darüber hinaus nicht nur in seltenen Fällen auch in bezug auf die Zahl der Bücher, d. h. letztlich die Länge des gesamten Werkes 261 , sondern auch am Ende der praefatio des zweiten Buches. Das Thema einer möglichen Erschöpfung des Lesers wird hier jedoch nicht theoretisch für das ganze Werk oder einen seiner Teile erörtert. Vielmehr wird das innerhalb der Epigramme auf verschiedene Werkeinheiten bezogene Motiv der Ermüdung durch übermäßige Länge jetzt auf die praefatio als ein weiteres Element übertragen. Ähnlich wie für den Umfang einzelner Epigramme sind auch die Aussagen zur Metrik der Epigrammaton libri ausschließlich im Bereich der Epigramme angesiedelt. Während metrische Bezeichnungen an manchen Stellen lediglich zur Benennung (des eigenen oder fremder) poetischer Werke, 259 Vgl. z. B. das Epigramma ipsius am Beginn der Amores Ovids; zum Postulat der brevitas im allgemeinen s. auch Lausberg § 297, p. 169–170. 260 Abgesehen von dem Epigramm 1,2, in dem es um den geringen äußeren Umfang einer speziellen Teilausgabe der Epigramme geht, und einigen eher beiläufigen Apostrophen des Buches als parvus liber (Mart. 1,3,2; 3,5,2), die nicht unbedingt nur auf den äußeren Umfang der Bücher bezogen sein müssen, sondern auch Teil einer Bescheidenheitstopik sein können, s. insbesondere Mart. 1,118; 2,1; 4,89; vgl. auch 2,6; 3,68,11–12; 8,29; 11,108; in variierter Form außerdem 7,51,13–14. Aufforderungen, das Buch nach eigenem Ermessen zu verkürzen, finden sich z. B. in 4,82,7–8 sowie insbesondere in 10,1 (Dieses Epigramm ist nicht nur deshalb besonders interessant, weil hier die beiden Begriffe liber und libellus direkt miteinander kontrastiert werden (V.2), sondern auch, weil es darüber hinaus die Möglichkeit bietet, auch mit ihm selbst so zu verfahren, wie es für das ganze Buch vorgeschlagen wird. Die wesentliche Aussage ist bereits im ersten Distichon enthalten, dessen pointierter Abschluß libellus ero zudem an einen anderen Gedichtschluß erinnert, an dem in markanter Weise das Erreichen des epigrammatischen Ideals formuliert wird: Marsus ero (Mart. 8,55,24).). – Zum Prinzip der brevitas bei Martial s. Citroni (1968), 269– 270; Adams (1975), 49–67; Casaceli (1993); Borgo (2003), 47–57. – Borgo (2001) wertet die Behandlung der brevitas speziell am Beginn des zweiten Buches der Epigrammaton libri (Mart. 2, praef.; 2,1) als ironisch und sieht darin einen Ausdruck von Martials Sorge bezüglich des Erfolgs seiner Bücher beim Publikum. 261 Mart. 4,29,1–2; 8,3,1–2; vgl. außerdem die harsche Kritik an anderen ›Vielschreibern‹ in Mart 3,50 u. 8,20.

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gleichsam als Synonym für epigrammata gebraucht werden 262 , finden sich stellenweise auch metapoetische Erwähnungen, etwa in 6,65, in dem Martial sich mit Bezug auf das vorhergehende Epigramm nachdrücklich für die Verwendbarkeit des langen Hexameters auch in der Epigrammdichtung ausspricht, oder in Anspielungen auf die Schwierigkeiten der metrischen Integration mancher Namen. Diese führt z. T. zu kunstreichen Umschreibungen, wie etwa in den Earinus-Gedichten des neunten Buches, von denen das erste mit dem Hinweis auf die größere metrische Lizenz des Griechischen schließt: dicunt Eiarinon tamen poetae, sed Graeci quibus est nihil negatum et quos ʥưƤƱ ʣưƤƱ decet sonare: nobis non licet esse tam disertis, qui Musas colimus severiores.

(Mart. 9,11,13–17) 263

Dennoch sagen Dichter ›Eiarinos‹, aber griechische, denen nichts verboten ist, die auch das A in Ares kurz oder lang aussprechen können. Uns, die wir strengere Musen verehren, ist nicht erlaubt, derart redegewandt zu sein.

Nicht zuletzt diese Stelle illustriert in besonderer Weise, wie sehr das Thema der Metrik eine unmittelbare Behandlung in Versen anstelle einer grundsätzlichen in Prosa nahelegt, so daß seine Nichterwähnung im paratextuellen Bereich nicht überrascht. 3.2.1.9 Resümee Als Ergebnis dieser Untersuchung der verschiedenen Elemente von Martials Stellungnahme zum Wesen seiner Epigrammdichtung unter besonderer Berücksichtigung ihres Vorkommens im Bereich des Paratextes ist festzuhalten: Alle wesentlichen Aspekte dieses Themenbereiches werden sowohl innerhalb der Epigramme selbst als auch in den praefationes zur Sprache gebracht, wobei die praefatio des ersten Buches einen deutlichen Schwer262 Mart. 2,71; 7,85; 8,29; 11,108. – Teilweise verweist die Bezeichnung als disticha (oder tetrasticha) zugleich auch auf die Kürze der Gedichte, oftmals ist sie aber lediglich dadurch begründet, daß zu dieser Zeit noch keine einheitliche Terminologie für solche kleinen Gedichte existierte (vgl. Plin. epist. 4,14,9). Andere Versmaße erscheinen z. B. in der Anrede an den scazon (Mart. 1,96; 7,26) oder, wie galliambos (Mart. 2,86,5) und Lampsacicus versus (Mart. 11,16,3), auch zur Bezeichnung von Dichtung mit ganz bestimmtem Inhalt. In 10,9,1 schließlich werden elegisches Distichon und Hendekasyllabus in raffinierter Weise umschrieben: Undenis pedibusque syllabisque (vgl. auch die Bezeichnung des Hexameters durch paribus … modis: Mart 8,3,14). 263 Dies ist eine der seltenen Stellen im Corpus der Epigrammaton libri, an denen das Adjektiv severus nicht im Gegensatz zu Martials Dichtung gebraucht wird. Obgleich das Attribut auch hier auf Dichtung bezogen ist, geht es ausnahmsweise nicht um den Kontrast von lascivia und severitas, sondern um ein formales Charakteristikum der lateinischen Dichtung.

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punkt darstellt. Die nachfolgenden praefationes enthalten dagegen immer weniger Neues, dafür aber einige Wiederholungen bereits erwähnter Punkte. Erst in der letzten Vorrede erfolgt noch einmal eine umfangreichere Erweiterung. Viele der relevanten Äußerungen in den praefationes zeichnen sich durch eine außerordentliche Komplexität und Ökonomie aus, die erst vor dem Hintergrund der großen variatio bei der Gestaltung der einzelnen Motive innerhalb der Epigramme vollends sichtbar wird. In besonderem Maße gilt dies für die Relation der Epigrammdichtung zum außerliterarischen Bereich der ausgelassenen Feste und des Theaters. Hier enthält die CatoAnekdote in der praefatio des ersten Buches in kompakter Form sämtliche Gesichtspunkte dieser Verbindung, die im weiteren Verlauf des Werkes wieder aufgegriffen und ausdifferenziert werden. 264 Annähernd vergleichbar ist die Berufung auf namhafte Gattungsvorläufer wie Catull, Domitius Marsus etc. Auch dabei bildet die praefatio des ersten Buches den Ausgangspunkt für spätere Wiederaufnahmen und diesmal auch Variationen des Vorgängermotivs. Als drittes ist schließlich noch die simplicitas zu nennen, die in der ersten praefatio vordergründig nur ganz konkret auf die Unverfänglichkeit der Gedichte bezogen ist, tatsächlich aber ebenfalls einen Anknüpfungspunkt für die Betonung einer generellen Schlichtheit der Epigramme bildet. Umgekehrt gibt es selbst unter den kleineren und weniger zentralen Aspekten kaum einen, der nicht in irgendeiner Weise auch in einer der praefationes thematisiert wird.

3.2.2 Die Selbstdarstellung des Dichters Der zweite Aspekt, der neben der umfassenden Definition der eigenen Epigrammdichtung in den selbstreferentiellen Äußerungen Martials eine bedeutende Rolle spielt, ist die Selbstdarstellung des Dichters. Mehr noch als bei den zuvor behandelten Äußerungen zur Gattungsdefinition tritt an den relevanten Stellen ein großes künstlerisches Selbstbewußtsein zutage. Dieses Selbstbewußtsein ist zweifellos als ein gewolltes Charakteristikum

264 Insofern ist die Ansicht von Beck (2002), 181, nur bedingt zutreffend, der die CatoAnekdote an sich für abgegriffen und, insbesondere in zweifacher Gestaltung, für wenig originell hält (zu seinen Schlußfolgerungen s. o. S. 71-72 Anm. 38). Unter poetologischem Aspekt ist diese Anekdote tatsächlich weitaus mehr als lediglich ein Mittel zur Einführung Catos zur Vorbereitung des epigramma extra ordinem paginarum, denn sie vereinigt in einzigartiger Dichte eine Reihe von Ansätzen, die im weiteren Verlauf der Epigrammaton libri wieder aufgenommen werden, den Bezug auf ausgelassene Feste, Theater, Mimus und generell die lascivia sowie darüber hinaus einige andere Aspekte, z. B. Rezeptionssteuerung oder den Umgang mit Gegnern, die im weiteren Verlauf der Untersuchung noch eine Rolle spielen werden.

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der Dichter-persona aufzufassen; insofern kann hier keinesfalls von der Selbstsicht, sondern immer nur von der Selbstdarstellung Martials als Dichter die Rede sein. 3.2.2.1 Martials Popularität Einen wichtigen Bestandteil von Martials Selbstdarstellung bildet das Motiv der eigenen Popularität, das, abhängig von der jeweiligen Gestaltung mit variierender Intensität, vom Beginn der Epigrammaton libri an immer wieder auftritt 265 , in den Büchern 6 bis 10 allerdings mit erhöhter Frequenz.266 Die einschlägigen Stellen lassen sich weiterhin danach differenzieren, ob jeweils von einer aktuellen Popularität bei den Zeitgenossen oder einer prospektiven bei der Nachwelt die Rede ist. Erstere erscheint zweimal, in den Epigrammen 1,1 und 6,60(61), als Hauptthema eines Gedichtes. Sehr viel häufiger wird dieses Motiv jedoch mit anderen Motiven verbunden oder sogar unter einem gänzlich anderen Hauptthema nur nebenbei erwähnt. 267 Hinzu kommen noch einige weitere Stellen, an denen das Motiv der großen zeitgenössischen Popularität nur indirekt präsent ist, etwa wenn Martial eine starke Nachfrage nach seinem Werk unterstellt oder sich zu der Möglichkeit äußert, Dritten durch Erwähnung in seinen Gedichten Ruhm (oder auch das Gegenteil) zu verschaffen. 268 265 Obwohl meist als feststehende Tatsache formuliert, sind diese Äußerungen als literarische Konvention relativ aufzufassen (Harris (1989), 227). Ziel ist die Formulierung des eigenen Anspruches, nicht ein getreues Abbild realer Verhältnisse; vgl. z. B. auch Ov. am. 1,3,25; 1,15,7–8; trist. 4,9,19; 4,10,128; Prop. 2,7,17–18. 266 Gut 25 Stellen gegenüber knapp 20 in den übrigen sieben Büchern. Noch stärker ist das Ungleichgewicht für den Teilaspekt der Popularität zu Lebzeiten. Hier konzentrieren sich rund 20 Erwähnungen auf die Bücher 6–10, auf die übrigen entfällt nur etwa ein Dutzend. – Citroni (1988), 20, sieht den Beginn von Martials Äußerungen über den Erfolg beim Publikum erst am Ende des dritten bzw. am Anfang des vierten Buches, da er die beiden Epigramme 1,1 und 1,2 ebenso wie die praefatio für spätere Ergänzungen hält (vgl. Citroni (1975), 12–14). 267 So z. B. als Teil der Abwehr eines Kritikers: Mart. 6,64,8–15, im Rahmen eines programmatischen Bekenntnisses zu lebensnaher Dichtung: Mart. 8,3,3–4 oder in der Ankündigung seiner Rückkehr nach Spanien: Mart. 10,103,4–6; vgl. außerdem Mart. 3,95; 5,13. 16; 6,82; 7,12. 97; 8,61; 9,81. 97; 10,3. 9. 33. 78; 11,24; 12,11. In einigen Fällen wird die sonst meist pauschal formulierte weite räumliche Verbreitung auch durch Nennung einzelner entlegener Orte bzw. Gegenden illustriert: Mart. 7,88; 9,84,5–6; 11,3,1–5. – Mit der Rolle der fama im Rahmen der literarischen apologia Martials befaßt sich Banta (1998), 147–188. 268 Um die Nachfrage zumindest nach Teilen des Werkes geht es in Mart. 1,2; 1,113. 117, um Publicity für andere Personen (und sogar Gegenstände) in Mart. 4,31; 5,15. 25. 36. 60; 7,17. 44; 9,49 (alle im positiven Sinne, Mart. 12,61 dagegen im negativen Sinne). Daneben erscheint das Motiv verschiedentlich auch auf andere Weise indirekt z. B. in 2,22, wo der Auslöser für die Zudringlichkeit des Postumus offenbar die Bekanntheit des Dichters ist: ecce nocet vati Musa iocosa suo. (Mart. 2,22,2), in dem (nach Schöffel (2002), 210–211, ernstzunehmenden) Lob der respektvollen Zurückhaltung des Konkurrenten Cerrinius (Mart. 8,18) oder einigen polemischen Gedichten (Mart. 3,9; 8,69). – Einen weiteren Sonderfall bildet schließlich Mart. 7,51, in dem ein einzelner, besonders glühender Verehrer Martials beschrieben wird.

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Lediglich eine Stelle scheint Martials durchgehend stolzer Betonung seiner gegenwärtigen Popularität auf den ersten Blick zuwiderzulaufen. Das Epigramm 2,86, in dem übertriebene künstlerische Raffinesse für die eigenen Gedichte abgelehnt wird, schließt mit der Behauptung me raris iuvat auribus placere (»mich freut es, ausgesuchten Ohren zu gefallen«; Mart. 2,86,12). Bei näherer Betrachtung löst sich der scheinbare Widerspruch allerdings rasch auf, denn es zeigt sich, daß die hier formulierte Aussage keineswegs Allgemeingültigkeit beansprucht. Ihre Gültigkeit beschränkt sich vielmehr auf den unmittelbaren Kontext des Epigramms, in dem der Exklusivitätsanspruch für die eigene Dichtung einzig dazu dient, die vom Dichter abgelehnte Art der Poesie antithetisch als ›Massenware‹ zu diskreditieren. 269 Damit erweist sich die Haltung Martials in bezug auf seine Popularität bei den Zeitgenossen trotz aller äußeren Variationen als tatsächlich sehr konsistent. Ähnliches gilt auch für Martials Überzeugung von seinem zukünftigen Nachruhm, obgleich dieses Motiv erst mit Fortschreiten des Werkes an Bedeutung gewinnt und nie in vergleichbarer Weise ein ganzes Epigramm dominiert. Meist erscheint es im Zusammenhang mit einem anderen Thema, mehrfach auch in direkter Verbindung mit dem Motiv der Popularität zu Lebzeiten oder wiederum implizit durch den Verweis auf die Möglichkeit, anderen durch eine Erwähnung zur Unsterblichkeit zu verhelfen. 270 Im Bereich der praefationes äußert sich Martial ebenfalls mehr als einmal zu seiner Popularität. Obwohl es sich von selbst versteht, daß der gegenüber dem Text deutlich kleinere Umfang des Paratextes grundsätzlich nur eine geringere Variationsbreite bei der Gestaltung des Motivs zuläßt, ist zunächst festzuhalten, daß beide in den Epigrammen angesprochenen Arten der Berühmtheit in diesem Bereich wiederkehren. 269 Anders z. B. Citroni (1968), 286. Nach seiner Auffassung setzt Martial hier zu einer Zeit, da er sich des Erfolges seiner Gedichte noch nicht sicher sein konnte, seine poetischen Grundsätze dem üblichen Geschmack literarisch interessierter Kreise entgegen. Garthwaite (2001a), 51, sieht hingegen einen (inneren) Zusammenhang mit dem Thema der moralischen Degeneration, das im zweiten Buch der Epigrammaton libri eine zentrale Rolle spielt. 270 Erstmals angedeutet in Mart. 1,61, dessen Aufzählung verschiedener Literaten und ihrer Heimatorte nach einer ersten Fokussierung auf Spanier mit der Person Martials endet: nec me tacebit Bilbilis (Mart. 1,61,12; zur Priamelstruktur dieses Gedichtes Citroni (1975), 200–201); erkennbar untergeordnet in Mart. 7,44; 12,3. Zur Verbindung mit dem Motiv der zeitgenössischen Popularität s. Mart. 8,3; 10,2; vgl. auch 7,84,6–8; indirekt über Unsterblichkeit für andere: Mart. 5,15. 25. 60; 7,17. 44; 12,3; sowie Mart. 7,84,6–8; 9,76,9–10, wo der Dichter sich rühmt, die Gedichte könnten getreuere Abbilder Verstorbener bewahren als die bildende Kunst (Für diesen Gedanken vgl. auch Plin. epist. 3,10,6; Stat. Silv. 5,1,10–15; allgemein für den Anspruch auf Unsterblichkeit des eigenen Werkes: Hor. carm. 3,30; Prop. 3,1; Ov. met. 15,875–879). – Davon zu unterscheiden sind freilich jene Stellen, die sich mit dem ›irrealen‹ Nachruhm befassen, den Martial nur durch die von ihm stets abgelehnte Hinwendung zur erhabenen Literatur erreichen könnte (Mart. 1,107; 8,73; 11,3).

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Im Detail zeigt sich jedoch, daß das Motiv der eigenen Popularität in den praefationes zunächst längere Zeit sehr viel verhaltener formuliert wird als in den Epigrammen selbst. Es findet sich zum ersten Mal bereits in der praefatio des ersten Buches, in der Martial die Reihung bekannter (Epigramm-)Dichter mit dem Ausdruck sic quicumque perlegitur (Mart. 1, praef. 11–12) abschließt und auf diese Weise impliziert, daß auch er selbst sich solcherart beliebten Dichtern zugerechnet sehen möchte.271 In scharfem Kontrast dazu erscheint dasselbe Motiv fast direkt anschließend, unmittelbar zu Beginn des eigentlichen Textes, mit deutlich größerem Nachdruck: Hic est quem legis ille, quem requiris, toto notus in orbe Martialis argutis epigrammaton libellis: cui, lector studiose, quod dedisti viventi decus atque sentienti, rari post cineres habent poetae.

5 (Mart. 1,1)

Hier ist er, den du liest, jener, nach dem du fragst, Martial, in aller Welt bekannt durch seine geistreichen kleinen Epigrammbücher: Den Glanz, den du, eifriger Leser, ihm verliehen hast, solange er noch lebt und empfindet, haben nur wenige Dichter nach ihrem Tod.

Mit der überaus prägnanten Selbstpräsentation in den ersten drei Versen 272 , die einem Auftritt gleichkommt, erfolgt zugleich die erste Namensnennung an prominenter Stelle des Werkes. 273 Sie ist in zweierlei Hinsicht auffällig, denn zum einen ist der Name Martialis an dieser Stelle ambivalent und kann je nach Perspektive sowohl metonymisch als Bezeichnung für das Werk als auch als Dichtername verstanden werden. Zum anderen suggeriert die Art der Präsentation, daß es sich geradezu um eine Art ›Markennamen‹ handelt, mit dem auf seiten des Publikums bereits ganz konkrete Vorstellungen und Erwartungen verknüpft sind. Für beides finden sich im Verlaufe der Epigrammaton libri Parallelen, die jedoch sämtlich ebenfalls in den Epigrammen selbst situiert sind. 274 In den praefationes wird der Name Mar271 Für diesen Ausdruck konstatiert Kröner (1987), 475, eine mindestens dreifache Funktion: Zum einen würden kollektiv alle anderen, nicht eigens erwähnten Epigrammdichter eingeschlossen, für die jedoch zugleich deutlich gemacht werde, daß sie keiner individuellen Erwähnung wert seien, und schließlich werde damit auch das Kriterium des »Zur-Gänze-Gelesenwerdens« ins Blickfeld gerückt. 272 Zur Intertextualität mit dem Anfang von Ov. trist. 4,10 und Catull. 1 s. Boyle (1995), 94– 95; vgl. Howell (1980), 101; Fearnley (1998), 44–45. 273 Dams (1970), 178, sieht hierin einen bewußten Rückgriff auf einen »Brauch der augusteischen Dichter«, wie z. B. das Epigramma ipsius am Beginn von Ovids Amores: Qui modo Nasonis fueramus quinque libelli, / tres sumus (»Wir, die wir gerade noch fünf kleine Bücher des Naso waren, sind jetzt drei«). 274 Vgl. Fearnley (1998), 42; zur metonymischen Gleichsetzung des Dichternamens mit dem Werk s. Mart. 1,117,18, sowie für das Gelesenwerden des Dichters z.B. Mart. 5,13,3 sed toto legor

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tial, wenn überhaupt, stets nur sachlich-funktional im Rahmen der Briefanrede erwähnt. Beinahe noch beiläufiger als in der ersten praefatio wird die Popularität Martials in der Vorrede des achten Buches zur Sprache gebracht, in der das Motiv als ein Element der Kaiserpanegyrik funktionalisiert wird, von der diese praefatio in besonderem Maße geprägt ist. In einem scheinbar spontan angefügten Nachsatz 275 führt Martial das zukünftige Interesse an seinen Büchern allein auf deren Ehrerbietung gegenüber Domitian zurück, nachdem zuvor bereits die gegenwärtige fama geradezu als Verdienst Domitians dargestellt wurde: Omnes quidem libelli mei, domine, quibus tu famam, id est vitam, dedisti, tibi supplicant; et, puto, propter hoc legentur. (Mart. 8, praef. 3–5). 276 Der Vergleich mit der praefatio des ersten Buches zeigt eine deutliche Akzentverschiebung. Während dort zunächst durch indirekte Antizipation Anspruch auf Popularität erhoben wird, da – zumindest nach der internen Chronologie des Werkes – zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfahrungen mit publizierten Büchern vorliegen können, spricht Martial jetzt ebenso von seiner aktuellen fama wie von dem künftigen Leserinteresse an seinen Büchern. Beide Arten des Ruhmes werden uneingeschränkt mit dem Kaiser als außerliterarischer und im Hinblick auf die Zukunft nicht einmal wirklich zuverlässiger condicio sine qua non verbunden und damit im Dienste der Kaiserpanegyrik instrumentalisiert. Obgleich hier nicht primär in eigener Sache formuliert, rückt der Gedanke der eigenen Popularität auf diese Weise jedoch immerhin an die prominente Stelle am Anfang der epistula. Seine weitaus markanteste Gestaltung erfährt das Popularitätsmotiv allerdings in der praefatio des neunten Buches und dort in der ›Bildunterschrift‹ im zweiten Teil des epigramma extra ordinem paginarum: ›Ille ego sum nulli nugarum laude secundus, quem non miraris sed puto, lector, amas. maiores maiora sonent: mihi parva locuto sufficit in vestras saepe redire manus.‹

(Mart. 9, praef. ep. 5–8)

orbe frequens; 3,95,7; 7,12,1; 8,3,7; 10,20,21; 12,11,8; vgl. außerdem die Formulierung me manus una capit (Mart. 1,2,4), die Wissig-Baving (1991), 212, als noch weitergehende »Vergegenständlichung des Dichters« auffaßt.– Als einschlägig bekannter ›Markenname‹ erscheint der Name Martial auch in 6,82,4 und 10,9,3. Die Selbstverständlichkeit, mit der Martial in 1,1 von seiner Popularität spricht, wurde seit Dau (1887), 77, verschiedentlich als Argument für die These einer nachträglichen Einfügung des Gedichtes in einer späteren Auflage des Werkes gebraucht, vgl. Citroni (1975), 12–14; dagegen aber Holzberg (2002a), 125 (vgl. auch Holzberg (1988), 92); Walter (1996), 59. 275 Vgl. Schöffel (2002), 63. 276 Zur Umkehrung des üblichen Gedankens, daß der Dichter dem in seinem Werk Erwähnten Ruhm verleiht s. Schöffel (2002), 61–63.

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Hinsichtlich ihrer Intensität sind dieser komplexen Formulierung dichterischen Selbstbewußtseins lediglich das bereits erwähnte Epigramm 1,1 sowie ansatzweise 6,60(61) vergleichbar. 277 Besonders deutlich wird die Außergewöhnlichkeit dieses Teils des epigramma extra ordinem paginarum vor dem Hintergrund einiger anderer Äußerungen Martials zum Verhältnis von gegenwärtiger und postumer Berühmtheit. Er räumt z.B. gleich zu Beginn der Epigrammaton libri sowie an einer späteren Stelle den Seltenheitswert seines Ruhmes zu Lebzeiten ein, der mehr sei als manch andere Dichter selbst nach ihrem Tode erlangten. 278 Daß der (dauerhafte) Nachruhm dennoch keineswegs geringer bewertet wurde, zeigt etwa das Epigramm 5,10, in dem Martial scheinbar keinen Wert auf zeitgenössische Popularität legt, wenn er dafür bei der Nachwelt denselben Rang erreichen könnte wie die ganz Großen. 279 Wichtig ist außerdem die in 6,61(60) formulierte Aussage, daß große Popularität zu Lebzeiten noch keine Garantie für späteren Nachruhm darstelle, für den es darüber hinaus noch anderer Voraussetzungen bedürfe 280 : nescioquid plus est, quod donat saecula chartis: victurus genium debet habere liber.

(Mart. 6,61(60),9–10)

Es ist noch irgend etwas darüber hinaus, was Schriften Jahrhunderte lange Dauer verleiht: Ein Buch, das weiterleben soll, muß einen eigenen genius haben.

Im epigramma extra ordinem paginarum der praefatio des neunten Buches werden zunächst scheinbar beide Arten von Ruhm, der aktuelle und der postume, antithetisch gegeneinandergestellt. Konkret wird diese Antithese in der Gegenüberstellung der beiden Dichter Stertinius Avitus und Martial ausgestaltet: Im ersten Teil des Gedichtes, der direkt an Avitus gerichtet ist, bezeichnet Martial den Adressaten als einen zwar nicht unbekannten Dichter, der aber erst nach seinem Tode den ihm gebührenden Ruhm erlangen werde. Im zweiten Teil ist dann im Präsens von seinem eigenen herausragenden Ruhm die Rede. Betrachtet man diesen dem Wortlaut nach allein auf die Gegenwart bezogenen zweiten Teil allerdings im Kontext der gesamten praefatio, so wird deutlich, daß auf seiten Martials tatsächlich weit mehr als nur die gegenwärtige Berühmtheit angesprochen wird. Aus den ersten vier Versen des 277 Eine ähnlich zentrale Rolle spielt das starke dichterische Selbstbewußtsein z. B. auch in Mart. 3,95; 5,13; 7,88; 10,9, wo es aber durchweg weniger dicht formuliert wird. 278 Mart. 1,1,5–6; 5,13,4. 279 Tatsächlich kommt es in diesem Epigramm allein auf den Grad der Popularität, nicht auf den Zeitpunkt ihres Eintretens an: Banta (1998), 113–115; vgl. auch Mart. 8,69, wo der gleiche Gedanke in Gestalt individuell bezogener Polemik wiederkehrt. 280 Zur Ambiguität des Begriffes genius in V. 10 (»Anmut, geistvoller Witz« ebenso wie »Schutzgeist«) zusammenfassend Grewing (1997), 397.

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Gedichtes sowie bereits dem vorhergehenden Prosateil erfährt der Leser, daß hier aus der Perspektive eines Dichterbildnisses gesprochen wird. Mit der Deklaration als ›Bildunterschrift‹ gewinnt das Epigramm im Epigramm eine Einzigartigkeit, die es von den beiden oben als zumindest ansatzweise vergleichbar genannten Epigrammen unterscheidet.281 Dabei ist letztlich irrelevant, ob es ein solches Bildnis tatsächlich irgendwo in der Abgeschiedenheit einer Privatbibliothek gab, entscheidend ist allein, daß es in der Vorstellung des Lesers als ein Gegenstand existiert, mit dem eine gewisse materielle Dauerhaftigkeit assoziiert wird. Diese Dauerhaftigkeit erstreckt sich selbstverständlich nicht nur auf das Bildnis selbst, sondern auch auf dessen Inschrift, die damit eine zeitlose Gültigkeit erhält: Solange das Bildnis existiert, also bis in eine möglicherweise sehr weit entfernt liegende Zukunft, wird sich die Inschrift immer präsentisch auf die jeweilige Gegenwart beziehen. Genau darin liegt bereits die wesentliche Differenz zum Epigramm 6,60(61). Auch dessen Aussage ist klar auf die Gegenwart des Sprechers bezogen, den der Leser jedoch mangels anderslautender Hinweise vorzugsweise mit dem Dichter selbst, in jedem Falle aber mit einer sterblichen Person gleichsetzt, die sich dementsprechend nur über eine Popularität zu Lebzeiten äußern kann: Laudat, amat, cantat nostros mea Roma libellos, meque sinus omnes, me manus omnis habet. Ecce rubet quidam, pallet, stupet, oscitat, odit. hoc volo: nunc nobis carmina nostra placent. 282 Es lobt, liebt, singt mein Rom meine Gedichte, mich enthält jeder Gewandbausch, mich hält jede Hand. Sieh, da errötet einer, erbleicht, erstarrt, sperrt den Mund auf, haßt. Das ist es, was ich will. Jetzt gefallen mir meine Gedichte.

Mit der ›Bildunterschrift‹ in der praefatio des neunten Buches, deren Sprecher überdies sehr viel eindeutiger als Martial identifiziert wird (Mart. 9, praef. 3–4 u. praef. ep. 3), wird dagegen an exponierter Stelle ein überaus nachdrücklicher Anspruch auf unverminderte Popularität bei den Zeitgenossen ebenso wie bei der Nachwelt geltend gemacht. Anders als 6,60(61) hat das erste gezählte Epigramm des Corpus (Mart. 1,1) durchaus den Charakter einer zeitlosen Inschrift, und es ist teilweise tatsächlich als Bildunterschrift aufgefaßt worden.283 Dennoch reicht es aus 281 Ein Wechselspiel von literarischem und gegenständlichem Monument konstatiert auch Fearnley (1998), 140, deren Blick sich allerdings mehr auf das als »paragon of portraits« bezeichnete Bildnis richtet. 282 Zur stilistischen Gestaltung Grewing (1997), 386–388. 283 Crusius (1889), 455; Immisch (1911), 484; Berends (1932), 3; für einen Inschriftencharakter ohne Bezug auf ein konkretes Bildnis Citroni (1975), 14–15; Howell (1980), 101–102, sieht

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verschiedenen Gründen in seiner Intensität nicht ganz an die für Stertinius Avitus bestimmte ›Bildunterschrift‹ heran. Als äußerliches Kriterium spielt bereits der Umfang eine gewisse Rolle. Obwohl das Motiv der Popularität in der zweiten Hälfte des epigramma extra ordinem paginarum in der praefatio des neunten Buches mit mehreren wichtigen Motiven aus dem Bereich der Gattungsdefinition (recusatio der erhabenen Dichtung, Bekenntnis zur Behandlung geringer Stoffe, gestützt durch die Verwendung des Terminus nugae) sowie der Einreihung unter die ganz Großen der Dichtung verbunden wird, ist dieses Epigramm um ein Drittel kürzer als 1,1, in dem das Hauptmotiv hauptsächlich mit eng verwandten Motiven (weite geographische Verbreitung, später Ruhm anderer Dichter) sowie einem Verweis auf den Gattungscharakter (argutis epigrammaton libellis, Mart. 1,1,3) verbunden ist. Unterstrichen wird dieser Unterschied hinsichtlich der Dichte und Komplexität zudem durch die jeweilige Sprecherperspektive. Dadurch, daß der Dichter bzw. sein Bildnis an der späteren Stelle in der ersten Person spricht, während er sich und sein Werk in Epigramm 1,1 in der dritten Person präsentiert, wirkt die Kommunikation zwischen Dichter und Rezipient hier viel unmittelbarer. Als dritter Grund kommt schließlich hinzu, daß die ›Bildunterschrift‹ in der praefatio des neunten Buches unabhängig von ihrer Stellung im Paratext schon allein dadurch eine höhere Autonomie gewinnt, daß sie ausdrücklich als solche bezeichnet wird. Durch die Verbindung mit dem potentiell langlebigen Bildnis erlangt sie nicht nur eine zeitliche Unabhängigkeit von der Gegenwart des Dichters, sondern darüber hinaus eine (fiktive) räumliche Unabhängigkeit vom Corpus der Gedichte. Das Bildnis und seine Inschrift sind dazu bestimmt, jedem Betrachter vom Ruhm Martials zu künden, auch demjenigen, der sich nicht gerade mit den Epigrammaton libri beschäftigt. Das Epigramm 1,1 dagegen präsentiert sich erst demjenigen, der den liber bereits zur Hand genommen hat. Es ist schwerlich Zufall, daß die stärkste und außerordentlich konzentrierte Formulierung des dichterischen Selbstbewußtseins ausgerechnet in einem epigramma extra ordinem paginarum lokalisiert ist. Dafür sprechen verschiedene Überlegungen. Zum einen wird die Intensität der Selbstaussage durch die exponierte Stellung außerhalb des Textes zusätzlich hervorgeden Beginn des Epigramms dagegen als literarische Variation der auch bei anderen Dichtern (z. B. Ov. trist. 4,10,1) gebräuchlichen Formel Ille ego qui…; seine Deutung der Eingangsformulierung Hic est … als »the expression that would be used by a passer-by recognising a famous man in the street« ist jedoch mit der Sprecherperspektive (Selbstpräsentation des Dichters) nicht vereinbar. Gegen Howell hebt auch Fearnley (1998), 43–44, im Anschluß an Citroni (1975) den EpitaphenCharakter von Mart. 1,1 hervor. Durch die Verwendung einer solchen ›postumen‹ Form werde im Gegensatz zu anderen Dichtern der Anspruch auf zeitgenössische Popularität in besonderer Weise hervorgehoben.

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hoben. Zwar ist die Aussage des epigramma extra ordinem paginarum letztlich unabhängig von dem vorhergehenden Prosatext, da die für die volle Wirkung der zweiten Gedichthälfte entscheidende Identifikation als ›Bildunterschrift‹ auch in der ersten Gedichthälfte hinreichend geleistet wird (Mart. 9, praef. ep. 3: hoc tibi sub nostra breve carmen imagine vivat). Als eines unter vielen anderen Epigrammen eines Buches, selbst in der Position eines Einleitungs- oder Schlußgedichtes, wäre die oben dargelegte Außergewöhnlichkeit dieses Epigramms auf den ersten Blick jedoch weitaus weniger augenfällig als in seiner jetzigen Sonderstellung, die für den allgemeinen Leser auch durch den Prosatext nicht wirklich plausibel erklärt wird. Nicht weniger signifikant ist zum anderen, daß diese starke Selbstaussage trotz ihrer paratextuellen Stellung in Versform erfolgt. Dies wirkt sich insbesondere auf die Identifikation des Sprechers aus. Durch die Gestaltung innerhalb des epigramma extra ordinem paginarum ist es de facto auch hier der Martial der Epigramme, d. h. die stärker fiktionalisierte persona des Dichters, der den massiven Popularitätsanspruch erhebt. Dies kann als ein weiteres Indiz dafür gewertet werden, daß der Sprecher einer Prosavorrede als von der Dichter-persona verschieden und damit, wenn auch nicht unbedingt als mit dem historischen Dichter identisch, so doch zumindest als ihm näherstehend empfunden wurde. Eine Annahme, für die zudem der bereits konstatierte Kontrast bei der Gestaltung des Popularitätsmotivs in der praefatio des ersten Buches und dem unmittelbar nachfolgenden Epigramm 1,1 spricht, in dem die persona des Dichters der Sache nach zwar mit demselben Anspruch auftritt wie zuvor der Sprecher der praefatio, diesen jedoch weitaus plakativer zum Ausdruck bringt. Auf der seriöseren Ebene des in Prosa gehaltenen Paratextes wird eine vergleichbar prägnante Gestaltung des Motivs dagegen konsequent vermieden. Nach den zurückhaltenderen Andeutungen der früheren praefationes stellt die komplexe Struktur der praefatio des neunten Buches somit einen überaus geschickten Kunstgriff dar: Mit der Thematisierung des Popularitätsmotivs innerhalb des epigramma extra ordinem paginarum nutzt Martial einerseits die Lizenz der Dichter-persona aus, andererseits aber wird die prägnante Aussage formal zu einem Bestandteil des Paratextes gemacht und damit aus der Masse der Gedichte effektiv herausgehoben. Auf diese Weise gelingt es dem Dichter, seinen Popularitätsanspruch auch in diesem Bereich nachhaltig zu formulieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, allzu unverschämt zu erscheinen. 3.2.2.2 Qualitätsbewußtsein und Haltung zu anderen Dichtern Das selbstbewußte Auftreten der Dichter-persona ist jedoch nicht notwendigerweise immer mit einem Verweis auf die Popularität verbunden. An einer Vielzahl von Stellen tritt es auch in verschiedenen anderen Facetten in

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Erscheinung. Hierzu zählt zunächst eine Reihe recht heterogener Äußerungen, in denen Martial mehr oder weniger direkt seine Überzeugung von einem hohen Wert seiner Poesie durchblicken läßt. Ein Beispiel für eine derartige Aussage ist etwa die stolze Betonung der Unverwechselbarkeit seiner Epigramme am Ende von 12,2: Quid titulum poscis? versus duo tresve legantur, clamabunt omnes te, liber, esse meum.

(Mart. 12,2,17–18)284

Was forderst du einen Titel? Man soll, zwei, drei Verse lesen, dann werden alle rufen, daß du, Buch, von mir bist.

In ausgeprägter Weise zeigt sich Martials Selbstbewußtsein auch in seiner Haltung zu anderen Dichtern. Zu nennen ist hier zunächst seine Assoziation mit einzelnen oder mehreren namhaften Dichtern bzw. Literaten, wie sie sich ähnlich auch bei anderen Dichtern findet.285 Ein erstes und durch seine Position im ersten Buch der Epigrammaton libri markantes Beispiel dafür ist das Epigramm 1,61, in dem Martial sich und einige andere zeitgenössische Dichter durch den Stolz der jeweiligen Heimatstädte in eine Reihe mit den ganz Großen stellt286: Verona docti syllabas amat vatis, Marone felix Mantua est, censetur Aponi Livio suo tellus Stellaque nec Flacco minus, Apollodoro plaudit imbrifer Nilus, Nasone Paeligni sonant, duosque Senecas unicumque Lucanum facunda loquitur Corduba, gaudent iocosae Canio suo Gades, Emerita Deciano meo: te, Liciniane, gloriabitur nostra nec me tacebit Bilbilis.

5

10

Verona liebt die Verse des gelehrten Dichters, durch Vergil ist Mantua glücklich, nach seinem Livius wird das Land der Aponus-Quelle geschätzt, nach Stella und Flaccus nicht weniger, Apollodor spendet Beifall der regenbringende Nil, im Land der Paeligner klingt der Name Ovid, von zwei Senecae und einem einzigartigen Lucan spricht das redegewandte Corduba, es freut sich das scherzende Gades über

284 Vgl. weiter die implizite Einreihung der (eigenen) Gedichte unter die durchweg wertvollen Gegenstände, die als angemessene Geburtstagspräsente für Restitutus angeführt werden (Mart. 10,87); vgl. außerdem 7,99; 8,82; 9,89; 11,42; 12,61. 285 Z.B. Ov. am. 1,15,9–30; Stat. Silv. 1,2,252–257 u.a. (vgl. u. S. 330–333). 286 Eine vergleichbare, wenn auch deutlich kürzere Bezugnahme auf berühmte Poeten und deren Herkunftsorte findet sich auch in Ovids Amores, dort aber erst am Schluß der Sammlung (am. 3,15,6–7).

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seinen Canius, Emerita über meinen Decianus, deiner, Licinianus, wird sich unser Bilbilis rühmen, und auch mich nicht verschweigen.

Auch an einigen anderen Stellen wird durch ähnliche Vergleiche eine mehr oder weniger direkte Annäherung Martials an die großen Poeten erreicht.287 Zuweilen ist diese Annäherung eng verwandt mit der bereits im vorhergehenden Abschnitt behandelten Berufung auf bekannte Vorläufer innerhalb der Gattung, oder es kommt sogar zu einer Überschneidung beider Motive wie am Ende von 5,5: sit locus et nostris aliqua tibi parte libellis, qua Pedo, qua Marsus quaque Catullus erit. ad Capitolini caelestia carmina belli grande coturnati pone Maronis opus.

(Mart. 5,5,5–8)

Mögest du auch für meine Büchlein in irgendeiner Ecke ein Plätzchen haben, wo Pedo, Marsus und Catull stehen. Zu den herrlichen Gedichten über den Capitolinischen Krieg lege das große Werk des erhabenen Vergil.

Natürlich geht es in diesen Versen primär darum, die eigene Dichtung von der erhabenen Dichtung abzugrenzen und mit ganz bestimmten Vorläufern in Verbindung zu bringen. Daneben ist aber die Tatsache, daß der Anschluß an eine bestimmte Gattungstradition hier vollständig auf der Ebene der jeweils ganz großen Vertreter stattfindet, von nicht minder großer Bedeutung.288 Unter den von Martial erwähnten namhaften Dichtern sind es Lucan und Silius Italicus, die gewissermaßen einen Übergang zu den Dichtern seiner eigenen Zeit bilden. In den drei Epigrammen anläßlich des Geburtstags von

287 So in Mart. 1,107; 5,10; 8,18. 55. 73; 12,3; vgl. außerdem Mart. 4,23, in dem Martial nicht nur in der lateinischen Epigrammdichtung potentiell den zweiten Rang hinter dem ansonsten unbekannten Brutianus (vgl. W. Henze, Art. »Brutianus (Bruttianus)«, RE 3,906) beansprucht, sondern sich zugleich auch indirekt in Relation zu Kallimachos positioniert. – Zuweilen gebraucht Martial schließlich für sich ebenso wie sonst für Catull, Vergil, Silius Italicus etc. die Bezeichnung vates, die gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. aber nicht mehr regelmäßig mit einem erhabeneren Anspruch (OLD 2015, s. v. vates 2 a: regarded as a more honorific term than poeta) verbunden ist (zur Entwicklung des Begriffes s. Newman (1967)): Mart. 2,22,2; 9,26,7; 10,58,12; 10,103. 288 Vgl. insbesondere Mart. 7,99,6–7; 8,55,23–34; 10,78,14–16. – Kröner (1987), 474–477, deutet die Art, wie sich Martial im Verlaufe des Werkes auf seine Vorläufer innerhalb der Gattung bezieht, als »eine erkennbare Entwicklung im Selbstbewußtsein Martials« (476), da dieser sich in 5,5 noch mit drei der in der ersten praefatio genannten Vorläufer in eine Reihe stellt, in 7,99 nur noch zwei davon erwähnt, bevor er sich in 8,55 erst mit Marsus und in 10,103 schließlich mit Catull auf dieselbe Stufe stellt. Die grundsätzliche Tendenz ist nicht zu bestreiten. Dennoch gibt es neben den genannten noch einige andere, als Selbstaussagen weniger prägnante Stellen, die die Entwicklung weniger linear erscheinen lassen. So werden in 2,71 nur Marsus und Catull, in 2,77 dagegen Marsus und Pedo als Gattungsvorläufer erwähnt, und in 10,20, mehr als anderthalb Bücher nach der letzten Erwähnung des Marsus in 8,55, ist es nochmals allein Pedo, über den eine Anknüpfung an die Gattungstradition hergestellt wird.

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Lucan (Mart. 7,21–23) huldigt Martial diesem, während er anderenorts wiederum versucht, sein Werk zumindest im Ansatz mit dem Lucans zu assoziieren, indem er darauf verweist, daß auch dieser teilweise Obszönes gedichtet habe (Mart. 10,64). Auch in einem Teil der an Silius Italicus gerichteten Epigramme läßt sich eine Assoziation Martials mit den ganz Großen erkennen, die etwa am Schluß von 4,14 ebenso wie in 5,5 mit einer Huldigung für den Adressaten verbunden wird, da Martial die Übersendung seines libellus an Silius hier mit einer – aus chronologischen Gründen natürlich fiktiven – Übersendung der Gedichte Catulls an Vergil vergleicht: sic forsan tener ausus est Catullus magno mittere Passerem Maroni.

(Mart. 4,14,13–14)289

Wenig ergiebig für das Thema dieser Arbeit ist dagegen Martials Haltung zu zwar identifizierbaren, anderweitig aber kaum bekannten Dichtern seines zeitgenössischen Umfeldes, darunter insbesondere L. Arruntius Stella, Canius Rufus, Flaccus, Julius Cerialis. Verschiedene Erwähnungen erwekken den Eindruck eines freundschaftlichen Umgangs innerhalb dieses literarisch aktiven Kreises.290 Gemeinhin wird auch der an drei Stellen als Freund Martials genannte Juvenalis mit dem zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Satiriker identifiziert.291 Unter den positiven Erwähnungen anderer Dichter erinnert vor allem das ermunternde Lob für die bis dahin unpublizierten Werke des Faustinus in 1,25 an die Haltung gegenüber Stertinius Avitus in der ersten Hälfte des epigramma extra ordinem paginarum zu Beginn des neunten Buches. Ein radikal anderes Bild bietet dagegen Martials Haltung gegenüber schlechten oder Möchtegern-Dichtern. Seine Kritik an diesen durchweg nicht zweifelsfrei identifizierbaren Poetastern, die, sofern sie nicht überhaupt fiktiv sind, niemals bei ihrem richtigen Namen, sondern entweder mit Pseudonym genannt werden oder auch gänzlich anonym bleiben, ist nur

289 Daneben verweist Martial in 6,64,10 auf die Wertschätzung, die seine Gedichte bei Silius genössen. Weiterhin wird dieser noch einige Male ehrend erwähnt, ohne daß Martials eigenes Werk dabei eine Rolle spielt. Indirekt stützen jedoch auch derartige Stellen Martials Assoziation mit namhaften Dichterkreisen. 290 Die genannten Dichter sind fast ausschließlich durch ihre Erwähnung bei Martial (und Statius) bekannt; zu L. Arruntius Stella s. P. v. Rohden, Art. »Arruntius 26«, RE 2,1,1265–66; Citroni (1975), 40; White (1975), 267–272; zu Canius Rufus s. E. Groag, Art. »Canius«, RE 3,2,1483; Citroni (1975), 204; zu Flaccus s. A. Stein, Art. »Flaccus 6«, RE 6,2,2434; Howell (1980), 242–243; zu Julius Cerialis s. E. Lieben, Art. »Julius 184«, RE 10,1,550 – Für freundschaftliche Beziehungen zu anderen Dichtern s. z. B. Mart. 1,7. 76; 4,33. 54; 6,21; 7,14; 8,18; 10,48; 11,52; eine Aufzählung weiterer Personen, die Martial als (Epigramm-)Dichter erwähnt, findet sich im Index bei Shackleton Bailey (1993), 3,331, s. v. »Epigramm, Composition of others«; vgl. White (1975), 300 Anm. 52. 291 Mart. 7,24. 91; 12,18; dazu Galán Vioque (2002), 180; Bowie (1988), 101.

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selten sachlich und kompetenzgestützt, wie etwa im Falle der Kritik an den dulcia epigrammata eines ungenannten Dichters in 7,25.292 Weitaus häufiger erscheint solche Kritik jedoch in Form von massiver, teilweise auch scharf zugespitzter Polemik.293 Zwar sind die Epigramme dieser Art nicht mehr in vollem Umfang zu den poetologischen Gedichten zu rechnen, sondern bilden bereits einen Grenzbereich zur pointierten Invektive, gleichwohl wird durch die Selbstverständlichkeit, mit der das Recht zu derart vernichtender Kritik von der Dichter-persona in Anspruch genommen wird, indirekt einmal mehr die hohe Wertschätzung unterstrichen, die Martial seinem eigenen Werk in seiner Selbstdarstellung zumißt. Von den genannten drei Arten der Bezugnahme auf andere Dichter ist im Bereich der praefationes sowohl die Assoziation mit namhaften Dichtern als auch die freundschaftliche Relation zu nach dem Urteil Martials anerkennenswerten zeitgenössischen Dichtern präsent. Erstere aktualisiert sich in der konkreten Ausprägung als Berufung auf bekannte Epigrammdichter in der praefatio des ersten Buches. Die damit vorliegende ›Verschmelzung‹ zweier eng benachbarter Motive sollte keineswegs als mangelnde Trennschärfe bewertet werden. Es ist vielmehr ein weiteres Indiz für die besondere Ökonomie der praefationes, daß hier zwei gleichermaßen wichtige Aussagefunktionen zu einem einzigen Ausdruck zusammengefaßt werden, wie es vereinzelt auch in den Epigrammen geschieht. Das zweite Motiv aktualisiert sich in der Einbeziehung des Stertinius Avitus in den metapoetischen Diskurs in der praefatio des neunten Buches. Bemerkenswert ist hier weniger eine ökonomische Gestaltung als die Art und Weise, wie das Motiv, das innerhalb der Epigramme in poetologischer Hinsicht eher blaß bleibt, hier als Hintergrund für Martials eigene Profilierung funktionalisiert wird. Dagegen kann es kaum überraschen, daß das dritte Motiv der Stellungnahme zu anderen Dichtern, die Kritik an mangelhaften Dichtern, in den praefationes in auffälliger Weise nicht vorhanden ist. Nicht nur, daß eine so massive Polemik, wie sie für sämtliche einschlägigen Stellen innerhalb der Epigramme charakteristisch ist, an derart exponierter Stelle fehl am Platze wäre, es liegt auf der Hand, daß gezielte Kritik an anderen Dichtern auch in milderer Form für den seriöseren, nicht zuletzt auf captatio benevolentiae abzielenden Diskurs der praefationes nicht angemessen wäre. 3.2.2.3 Umgang mit Gegnern Klar davon zu trennen ist allerdings die Auseinandersetzung mit konkreten, genau definierbaren Gegnern oder Kritikern des eigenen Werkes, die Marti-

292 Vgl. Mart. 3,69; 6,61(60); 7,85 sowie mit Einschränkungen auch Mart. 2,77; 8,76. 293 Etwa in Mart. 2,7. 88; 3,44. 45. 50; 4,6; 5,53. 63. 73; 6,14; 7,3; 8,20. 62; 11,93. 107; 12,43.

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al in den praefationes keineswegs meidet. 294 Auch zu diesem Punkt ist ein genauerer Vergleich der praefationes mit dem Bereich der Epigramme aufschlußreich. Insgesamt lassen sich vier Typen von Gegnern im weitesten Sinne differenzieren, zu denen Martial innerhalb der Epigrammaton libri wiederholt Stellung nimmt. Es sind dies Moralkritiker und (literarische) Neider ebenso wie, etwas weniger klar definiert, Personen, die Kritik an einzelnen Aspekten von Martials Epigrammdichtung übten, und schließlich auch Plagiatoren. Martials Stellungnahmen zu moralisch motivierter Kritik an seinen Gedichten stehen vielfach in engem Zusammenhang mit seiner Rechtfertigung der lascivia als eines typischen Gattungsmerkmals der Epigrammdichtung. Dementsprechend handelt es sich zumeist auch nicht um Reaktionen auf bereits erfolgte Beanstandungen, sondern Martial tritt potentieller Kritik bereits im Vorwege offensiv entgegen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei gleich am Beginn des ersten Buches der Epigrammaton libri. Nachdem Martial schon in seiner ersten praefatio diejenigen Leser, bei denen der teilweise obszöne Charakter der nachfolgenden Dichtung eventuell Anstoß erregen könnte, von der weiteren Lektüre ausgeschlossen hat, wird im Epigramm 1,4 wieder mit Hinweis auf den Gattungscharakter etwaige moralische Kritik des Kaisers antizipiert und abschließend auf die strikte sittliche Scheidung von Leben und Werk verwiesen: lasciva est nobis pagina, vita proba (Mart. 1,4,8). In 1,35 folgt dann eine weitere Erklärung zur üblichen lascivia der Epigrammdichtung, diesmal aber anscheinend in Reaktion auf bereits geäußerte Kritik, wie der Beginn des Epigramms zeigt: Versus scribere me parum severos [...] Corneli, quereris (»Daß meine Verse zu wenig streng sind, […] klagst du, Cornelius«; Mart. 1,35,1–3). 295 Ein zweiter Schwerpunkt in Martials Abwehr moralisch motivierter Kritik an seiner Dichtung findet sich zu Beginn des elften Buches. 296 Auch hier 294 »Genau definierbar« bedeutet nicht zwangsläufig, daß es diese Kritker tatsächlich gegeben haben muß. Es kann sich durchaus um fiktive Kritiker handeln, die ähnlich wie in der Satirendichtung allein zum Zwecke der Auseinandersetzung eingeführt werden. Entscheidend ist lediglich, daß jedesmal klar ist, gegen was sich die Kritik richtete. 295 Da der angesprochene Cornelius nicht identifizierbar ist (Friedlaender (1886), 1,186; Citroni (1975), 115; Howell (1980), 183), muß dahingestellt bleiben, ob Martial hier auf tatsächliche Kritik von seiten eines bestimmten Cornelius antwortet, oder ob er sich an einen fiktiven Kritiker wendet, um die erneute Stellungnahme zur lascivia in variierter Form zu präsentieren. 296 In den dazwischenliegenden Büchern finden sich nur vereinzelte Hinweise darauf, daß einzelne individuelle Adressaten, die sich zwar grundsätzlich durch severitas auszeichnen, diese während der Lektüre der Epigramme ablegen können. So wird etwa Silius Italicus gebeten, sich paulum seposita severitate den libelli zuzuwenden (Mart. 4,14,6); vgl. auch 4,82 über einen Venuleius, 10,20 über Plinius den Jüngeren und 10,64 über Polla Argentaria; anders nur Mart. 7,68, in dem der Adressat Instantius Rufus ersucht wird, seinem gestrengen Schwiegervater die Epigramme lieber vorzuenthalten, um moralische Empörung zu vermeiden.

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besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem freizügigen Charakter der Gedichte, denn zugleich wird immer wieder betont, daß das vorliegende Buch in besonderem Maße von lascivia geprägt sei. Trotz dieser Besonderheit, die eine zusätzliche Erklärung in Form einer Prosavorrede durchaus rechtfertigen könnte, wendet sich Martial hier nur innerhalb der Epigramme gegen potentielle Moralkritiker, und es fällt auf, daß die betreffenden Epigramme in ihrer Tendenz sehr viel weniger seriös-argumentativ sind als die beiden soeben erwähnten Epigramme 1,4 und 1,35. Statt dessen weisen sie einige signifikante Ähnlichkeiten mit dem epigramma extra ordinem paginarum aus der praefatio des ersten Buches auf. 297 Besonders deutlich wird dies im zweiten Gedicht des elften Buches: Triste supercilium durique severa Catonis frons et aratoris filia Fabricii et personati fastus et regula morum quidquid et in tenebris non sumus, ite foras. clamant ecce mei ›Io Saturnalia‹ versus: 5 et licet et sub te praeside, Nerva, libet. lectores tetrici salebrosum ediscite Santram: nil mihi vobiscum est: iste liber meus est.

(Mart. 11,2)

Finsterer Ernst und strenge Stirn des harten Cato, Tochter des Pflügers Fabricius, gezierte Sprödigkeit, moralische Grundsätze und alles, was wir im Dunkeln nicht sind, geht weg. Da, meine Verse rufen ›Io Saturnalia‹; es ist erlaubt und macht Freude unter deinem Schutz, Nerva. Lernt ihr den holprigen Santra auswendig, gestrenge Leser, ich habe mit euch nichts im Sinn: dieses hier ist mein Buch.

Auch hier werden die übereifrigen Moralisten, die wieder u. a. mit Menschen von der Art Catos gleichgesetzt werden 298 , souverän des Schauplatzes verwiesen, der überdies im letzten Vers klar als Martials ›Hoheitsgebiet‹ deklariert wird. 299 Der gleiche Gedanke kehrt auch im Epigramm 11,16 297 Zum Bezug auf den ganzen zweiten Teil der ersten praefatio Gaffney (1976), 36–38. Das tertium comparationis ist unübersehbar Petron. 132,15; vgl. Kay (1985), 57. 298 Neben Cato werden in den Epigrammaton libri eine ganze Reihe weiterer Personen, zumeist Symbolfiguren aus der römischen Frühzeit, wiederholt als exempla für besondere Sittenstrenge angeführt, darunter z. B. Camillus, Curius, Fabricius, Fabius, Lucretia, bisweilen auch Brutus, Numa (vgl. aber Lorenz (2002), 31, zu Mart. 11,15,10) oder die Sabiner. In den übrigen Büchern erscheinen diese Namen rund 25mal in entsprechender Bedeutung. (Ihre Verwendung in anderen Kontexten ist hier nicht mitberücksichtigt.) In Buch 11 ist dagegen eine besondere Häufung festzustellen: Zu 13 eindeutigen Erwähnungen kommen weitere fünf im nur leicht abgewandelten Kontext des Nerva-Lobs (Mart. 11,5) sowie zwei allusive Verwendungen des Namens Sabinus in 11,8 und 11,17 (dazu vgl. Kay (1985), 105). Obwohl die zuletzt genannten Stellen nicht im eigentlichen Sinne dazu gehören, tragen auch sie dazu bei, beim Leser den Eindruck einer außerordentlichen Häufung der fraglichen Namen im vorliegenden Buch zu verstärken. – Zu Martials Verwendung historischer exempla speziell für gravitas s. Nordh (1954), insbes. 232–234. 299 Interessant ist insbesondere, daß nicht etwa eine Beendigung der Lektüre gefordert wird, wie es z.B. in Mart. 3,68 der Fall ist, sondern das Verlassen eines offenbar in sich abgeschlossenen

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wieder, in dem allzu prüde Leser noch einmal nachdrücklich von der weiteren Lektüre ausgeschlossen werden: Qui gravis es nimium, potes hinc iam, lector, abire / quo libet (Mart. 11,16,1–2). Mit leichten Einschränkungen hinzuzurechnen ist auch das direkt vorhergehende Epigramm, in dem zu Beginn ebenfalls eine klare Trennlinie zwischen Menschen von allzu strenger Moral und dem vorliegenden libellus gezogen wird, dessen Schluß allerdings in auffallend sachlicher Form auf die Erklärung im letzten Vers von 1,4 rekurriert: Sunt chartae mihi quas Catonis uxor et quas horribiles legant Sabinae: hic totus volo rideat libellus et sit nequior omnibus libellis. [...] Versus hos tamen esse tu memento Saturnalicios, Apollinaris: mores non habet hic meos libellus.

(Mart. 11,15)

Ich habe Gedichte, die Catos Gattin lesen könnte und die ehrwürdigen Sabinerinnen; diese Büchlein soll nach meinen Willen zur Gänze lachen und leichtfertiger sein als alle anderen […] dennoch, Apollinaris, denk’ daran, das dies Saturnalienverse sind: dieses Büchlein zeigt nicht meinen Charakter.

Die zitierten Stellen machen deutlich, wie sehr Martials am Anfang des elften Buches erfolgende Stellungnahme zur lascivia und insbesondere zu deren potentiellen Kritikern am zweiten Teil der praefatio des ersten Buches orientiert ist. Um so stärker fällt jedoch der formale Unterschied ins Gewicht. Während Martial diesen Aspekt zu Beginn des Werkes nur abschließend und nach vorheriger Ankündigung auch in Form eines Epigramms thematisiert300, geschieht ebendies hier ausschließlich. Der Grund dafür ist leicht ersichtlich: Nur in dieser deutlich mutwilligeren Form sind die genannten Stellungnahmen mit dem ausgelassenen Kontext der Saturnalien vereinbar, der für das vorliegende Buch in besonderem Maße hervorgehoben wird. Hätte Martial ausgerechnet einem solchen Buch eine Prosa-praefatio vorangestellt, so hätte er sich damit um so mehr dem in der praefatio des zweiten Buches von Decianus erhobenen VorOrtes: ite foras (Mart. 11,2,4). Damit liegt eine klare Anspielung auf das in der praefatio des ersten Buches eingeführte Bild des theatrum vor, das Menschen vom Schlage eines Cato lieber gar nicht erst betreten sollten. Kay (1985), 61 (vgl. 277), deutet den Ausdruck als Scheidungsformel. Doch auch wenn eine solche möglicherweise anklingt, würde eine ›Scheidung‹ von den Moralisten bedeuten, daß Martial bis dahin mit ihnen verbunden war. Für eine Allusion auf die Szene in der ersten praefatio spricht außerdem die betonte Bezeichnung des Buches als liber meus am Schluß des Epigramms (Mart. 11,2,8), die die Formulierung theatrum meum (Mart. 1, praef. 15–16) wieder aufgreift. 300 Mart. 1, praef. 16–17: Videor mihi meo iure facturus, si epistulam versibus clusero.

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wurf des in toga saltantis inducere personam (Mart. 2, praef. 9) ausgesetzt.301 Ein zweiter Typ von Gegnern, gegen die sich Martial im Verlauf der Epigrammaton libri wiederholt wendet, sind die Neider auf poetischem Gebiet. Anders als bei den Moralkritikern ist hier keine signifikante Häufung an einer bestimmten Stelle des Werkes festzustellen. Vielmehr erscheint das Motiv in verschiedenen Epigrammen mit z.T. stark unterschiedlicher Intensität. Während es in einigen Fällen Hauptthema bzw. sogar alleiniges Thema eines Epigramms ist, erscheint es in anderen Epigrammen nur in untergeordneter Bedeutung oder wird sogar nur am Rande einbezogen.302 Eine Gemeinsamkeit aller relevanten Stellen ist jedoch, daß die Neider stets mit großer Souveränität behandelt, ja geradezu abgefertigt werden.303 Vor diesem Hintergrund fällt die Haltung Martials in der Vorrede des zwölften Buches, in der das Motiv der Konfrontation mit dem Neid der Gegner auch Eingang in den Bereich der praefationes findet, schon auf den ersten Blick stark aus dem Rahmen. Anders als an den thematisch verwandten Stellen innerhalb der Epigramme erfolgt hier lediglich eine ausführliche, mehrgliedrige Schilderung des Neides, dem sich Martial gegenwärtig ausgesetzt sieht, sowie seiner Auswirkungen auf den Dichter. Statt wie sonst über den Dingen zu stehen, läßt sich Martial nunmehr anscheinend nachhaltig von der Mißgunst der Provinzbewohner beeindrucken: Accedit his municipalium robigo dentium et iudici loco livor, et unus aut alter mali,

301 Scheinbar thematisch verwandt ist das kurze Epigramm 6,24; zur Wahrscheinlichkeit anderer Deutungen Grewing (1997), 190–191. 302 Das Epigramm 9,97 kreist auch formal ausschließlich um den Neid eines anonymen Zeitgenossen; Neid als zentrales Thema auch in Mart. 4,27; 9,81 und 8,61, dort allerdings in einer unerwarteten Abwandlung: Der Neid des Charinus ist angeblich gerade nicht auf die Popularität Martials gerichtet, sondern auf dessen (bescheidenen) materiellen Wohlstand. – Untergeordnet erscheint das Motiv z. B. in Martials ausführlicher Abwehr eines Kritikers (Mart. 6,64), dessen Schluß Neid als mögliche Motivation des Kritikers andeutet (dazu s. auch Grewing (1997), 425): vacua dentes in pelle fatiges / et tacitam quaeras, quam possis rodere, carnem (»Mögest du deine Zähne an einem leeren Balg ermüden und dir schweigsames Fleisch suchen, das du benagen kannst«; Mart. 6,64,31–32). – Vgl. auch 10,9,4; 11,24,8; 11,94,1–2. – Vereinzelt werden scheinbar eindeutige Begriffe auch auf andere Arten von Gegnerschaft übertragen. So bezeichnet invidia in Mart. 7,12,12 generell »antipathy or distrust« gegenüber dem Dichter (Galán Vioque (2002), 113; vgl. auch Dickie (1981), 195), während in 11,20,1 nicht so sehr ein Neider als livide angesprochen wird, sondern »the person who reads M.’s work with a frown« (Kay (1985), 112); auch in 1,40 ist der Neid nach allgemeiner Auffassung nicht auf Martials Epigramme an sich, sondern konkret auf das Lob des Decianus in 1,39 bezogen (Citroni (1975), 127–128). 303 Vgl. auch Schöffel (2002), 515: »Seine Reaktion reicht von bissiger Invektive über scheinbare, da nicht selten hintergründige Toleranz bis zu gelangweilter Gleichgültigkeit.« – Mit dieser Haltung bewegt sich Martial durchaus im Rahmen der literarischen Konvention, vgl. etwa Ov. am. 1,15; rem. 361–370; Pont. 4,16.

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in pusillo loco multi; adversus quod difficile est habere cotidie bonum stomachum (Mart. 12, praef. 14–17).304 Auf den zweiten Blick aber sind die Differenzen deutlich weitreichender: In den Epigrammen geht es stets um die aktive Konfrontation mit einem oder mehreren Neidern, die dementsprechend entweder direkt oder indirekt angesprochen werden. In der epistula an Terentius Priscus sind die entindividualisierten Neider dagegen lediglich Gegenstand der Kommunikation zwischen Martial und dem Adressaten305, und das Motiv fungiert als ein Element in einer umfangreicheren Situationsbeschreibung. Dessen vordergründige Verwandtschaft mit dem Neider-Motiv, wie es dem Leser aus den Epigrammen bekannt ist, ist deshalb jedoch keineswegs zufällig, sondern wesentliche Voraussetzung für seine Wirksamkeit. Martials neue Verzagtheit hebt sich in einem geradezu komplementären Kontrast von der Folie seiner bisherigen Haltung gegenüber mißgünstigen Personen ab und trägt somit besonders nachhaltig zur Illustration seiner völlig veränderten Lebens- und Schaffenssituation bei. Ein bis zu einem gewissen Grade vergleichbares Bild ergibt sich auch für die am wenigsten spezifische Gruppe von Gegnern Martials. An verschiedenen Stellen seines Werkes wendet sich der Dichter gegen Personen, die sich entweder ganz allgemein oder aufgrund verschiedener einzelner Gesichtspunkte negativ zu seinem Werk geäußert haben bzw. noch äußern könnten. Er gibt sich dabei wiederum sehr souverän, manchmal regelrecht herausfordernd, wie z. B. in 5,33, das sich mit eher allgemeiner Kritik befaßt: Carpere causidicus fertur mea carmina: qui sit nescio: si sciero, vae tibi, causidice. Ein Advokat, heißt es, zerpflückt meine Gedichte; wer das ist, weiß ich nicht. Wenn ich es weiß, wehe Dir, Advokat.

304 Die zu Beginn der Beschreibung gebrauchten Stichworte erinnern überdies stark an das Ende des Epigramms 5,28, in dem sich die geschilderte Mißgunst allerdings gerade nicht gegen die Dichtung Martials richtet und der nachfolgende Schluß wiederum souverän-großmütig ausfällt: robiginosis cuncta dentibus rodit. Hominem malignum forsan esse tu credas: ego esse miserum credo, cui placet nemo. (Mart. 5,28,7–9) (»Alles benagt er mit seinen mißgünstigen Zähnen. Vielleicht glaubst du, er sei ein bösartiger Mensch; ich glaube, einer, dem niemand gefällt, ist erbärmlich.«) 305 Dies gilt sowohl für die Ebene der – möglicherweise fiktiven – brieflichen Kommunikation zwischen Martial und Terentius Priscus als auch für die Ebene der paratextuellen Kommunikation zwischen Martial und dem allgemeinen Leser des zwölften Buches. Theoretisch ist zwar denkbar, daß auch einer der hier erwähnten Neider in Bilbilis später noch zu den Lesern des Buches mitsamt der praefatio gehörte, diese Möglichkeit ist jedoch so entlegen, daß man nicht mehr von einer indirekten Kommunikation mit den Neidern sprechen kann.

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An anderen Stellen geht es um konkretere Kritik, etwa an der Länge der Gedichte, an der Publikationsfrequenz oder an der qualitativen Heterogenität der Epigrammbücher: Iactat inaequalem Matho me fecisse libellum: si verum est, laudat carmina nostra Matho. aequales scribit libros Calvinus et Umber: aequalis liber est, Cretice, qui malus est.

(Mart. 7,90)306

Matho verkündet überall, ich hätte ein ungleichmäßiges Buch geschrieben. Wenn das stimmt, dann lobt Matho meine Gedichte. Gleichmäßige Bücher schreiben Calvinus und Umber. Gleichmäßig, Creticus, ist ein Buch, das schlecht ist.

Auch im Bereich der praefationes zeigt sich Martial an einer Stelle mit Kritik an einem bestimmten Aspekt seines Werkes konfrontiert, nämlich in der praefatio des zweiten Buches. Vergleicht man die hier formulierte Kritik des Decianus an der Verwendung von praefationes sowie Martials Reaktion darauf allerdings mit anderen Stellen zum Umgang mit Detailkritik, so lassen sich mehrere eklatante Unterschiede feststellen. Zum einen wird Kritik in den einschlägigen Epigrammen fast immer nur in indirekter Rede referiert, bevor sich der Dichter dazu äußert. In den seltenen Fällen, in denen Beanstandungen eines anderen wörtlich wiedergegeben werden, handelt es sich nur um sehr kurze Einzelaussagen.307 Doch nicht allein die Ausführlichkeit, in der Martial Decianus selbst seine Kritik an der Verwendung von praefationes darlegen läßt, fällt aus dem Rahmen. Auch Martials Haltung dazu unterscheidet sich stark von seinen sonstigen Antworten. Wie zuvor bereits bei den Neidern und z. T. auch bei den Moralkritikern zu beobachten war, ist auch die Art, wie Martial in den Epigrammen sowohl potentieller als auch bereits erfolgter Kritik begegnet, wiederum durchweg von großer Selbstsicherheit geprägt. Er läßt sich in keinem einzigen Falle von den Einwänden beeindrucken, sondern weist diese stets überlegen zurück. Auf die Kritik des Decianus reagiert er dagegen in völlig anderer Weise. Anstelle einer souveränen Rechtfertigung erfolgt hier eine umgehende und bedingungslose Zustimmung: Puto me hercules, Deciane, verum dicis. (Mart. 2, praef. 11–12). Die Besonderheit dieser Reaktion wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, daß sich einige der Stellen, an denen Martial externe Kritik kategorisch zurückweist, in ihrem

306 Vgl. auch Mart. 1,16; 7,81 sowie allgemeiner auch 7,85. Zu Kritik an der Länge von Gedichten u. a. Mart. 1,110; 2,77; zur Publikationsfrequenz Mart. 10,70. Antworten auf generelle Kritik enthalten z. B. Mart. 1,91; 3,9; 5,33; 9,81. Gerade die Stellen der letzteren Art stehen bisweilen in enger Nachbarschaft zum Motiv des literarischen Neides. 307 Mart. 2,8,7: ›Ista tamen mala sunt‹; Mart. 7,81,1: ›Triginta toto mala sunt epigrammata libro.‹

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näheren Umfeld befinden.308 Dennoch fällt der Kontrast nicht mit derselben Schärfe ins Gewicht wie es oben für den Umgang mit Neidern in der praefatio des zwölften Buches dargelegt wurde. Dies ist zum einen sicherlich auch auf die Position innerhalb des Werkes zurückzuführen. Während der Ausnahmefall im Umgang mit den Neidern am Ende der Reihe einschlägiger Stellen steht, ist die einzige Stelle, an der Martial fremde Kritik bereitwillig aufgreift, inmitten einer Reihe anders gearteter Stellen situiert. Der wesentlichere Unterschied besteht vielmehr in der jeweiligen persönlichen Reaktion des Dichters. In der praefatio des zweiten Buches geht Martial mit derselben Selbstverständlichkeit auf den Einwand des Decianus ein, mit der er sonst jegliche Detailkritik zurückweist. Die Bereitwilligkeit, mit der er sich hier korrigieren läßt, suggeriert, daß Decianus bei Martial gewissermaßen offene Türen einrennt. Auf diese Weise wird einmal mehr die Irrationalität des angeblich ursprünglichen Planes, jedem Buch eine Prosavorrede voranzustellen, dargelegt. Martials spontanes Einschwenken auf die von Decianus vorgetragene Ansicht signalisiert, daß die regelmäßige Verwendung von praefationes nicht eigentlich zu Martials Vorstellung von Epigrammdichtung gehört. Umgekehrt wird durch die hier demonstrierte Bereitschaft zur Annahme berechtigter und sinnvoller Kritik aber auch Martials vielfach kategorische Abwehr verschiedenster anderer Kritik gleichsam legitimiert. Für den konkreten Fall ist jedenfalls festzuhalten, daß auch hier der auffälligen Differenz zwischen der einen einschlägigen Aussage innerhalb einer praefatio und den thematisch vergleichbaren Stellen innerhalb der Epigramme eine bestimmte Funktion zukommt. Eine letzte Gruppe von ›Gegnern‹ Martials sind die Plagiatoren. Mit ihnen setzt sich Martial besonders intensiv im ersten Buch der Epigrammaton libri im sogenannten »Fidentinus-Zyklus« auseinander, das Thema wird jedoch auch an anderer Stelle wieder aufgegriffen und z. T. variiert.309 In den praefationes spielen Plagiatoren dagegen in auffallender Weise keine Rolle. Zwar wird das übergeordnete Thema des im weiteren Sinne unautorisierten Umganges mit Gedichten Martials auch innerhalb des Paratextes behandelt, allerdings nur in einer sehr anderen Ausformung, nämlich der 308 Mart. 1,91. 110; 2,6. 8. 309 Zum Fidentinus-Zyklus (Mart. 1,29. 38. 52. 53. 66. 72) s. Barwick (1958), 308–309; Humez (1971), 69–70. Hinzu kommen als explizite Anschuldigungen wegen Plagiats Mart. 10,100; 11,94,3–4; 12,63 sowie einige generelle Anspielungen auf Plagiatoren, bei denen kein Bezug auf das eigene Werk erkennbar ist (Mart. 2,20; 10,102,3–4), die jedoch eine enge strukturelle Verwandtschaft mit Spottepigrammen gegen Personen, die physische Defekte durch gekaufte Objekte zu kaschieren suchen (vgl. etwa Mart. 6,12), erkennen lassen. Schwächere Anklänge des Plagiatsvorwurfes finden sich möglicherweise auch in 1,63; 2,6; 7,77. E contrario kommt das Thema schließlich in Mart. 7,51 zur Sprache, in dem ein glühender Verehrer Martials geschildert wird, der dessen Werk so genau kennt, daß er problemlos plagiieren könnte, was er aber aus Verehrung für den Dichter gerade nicht tut (Mart. 7,51,9–10).

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oben bereits ausführlicher behandelten boshaften Umdeutung an sich harmloser Epigramme.310 Es stellt sich die Frage, ob man aus der Tatsache, daß Martial das Thema Plagiatoren in den praefationes nicht berührt, Rückschlüsse auf die Relevanz ziehen darf, die er diesem Aspekt beigemessen hat. Als Argument dafür, und damit möglicherweise auch dafür, daß es sich tatsächlich nur um ein Detailproblem gehandelt hat, läßt sich anführen, daß sich Martial auch in den Epigrammen den Plagiatoren nur sporadisch zuwendet und gerade der »Fidentinus-Zyklus« im ersten Buch der Epigrammaton libri möglicherweise als Variation auf einen Einzelfall bezogen ist. Daher scheint es denkbar, daß es sich nur um ein begrenztes Problem handelte311, das dementsprechend auch einer Behandlung im Bereich des Paratextes nicht für würdig erachtet wurde. Dieser Überblick über Martials Umgang mit vier verschiedenen Arten von Gegnern läßt eine erhebliche Variationsbreite erkennen und ist im Hinblick auf die Relation zwischen Paratext und Text aufschlußreich. Es zeigt sich, daß die thematisch miteinander verwandten Stellen in praefationes und Epigrammen auf sehr unterschiedliche Weise aufeinander bezogen sein können. Insbesondere bei der Entwicklung von Martials Umgang mit den beiden hier zuerst untersuchten Typen von Gegnern werden zwei völlig gegenläufige Prinzipien zugrunde gelegt: Während Martial in der praefatio des ersten Buches gleichsam den ›seriösen‹ Grundstein für seinen gesamten späteren Umgang mit Moralkritikern legt, auf die sich nachfolgende Stellen dann ohne weiteres zurückbeziehen können, ist sein Umgang mit literarischen Neidern hingegen über viele Bücher hinweg von stets gleichbleibender Souveränität, von der sich die letzte einschlägige Stelle in der praefatio des zwölften Buches dann deutlich abhebt. 3.2.2.4 Topische Bescheidenheit Obwohl sich der Dichter an vielen Stellen seines Werkes sehr selbstbewußt präsentiert, finden sich in den Epigrammaton libri außerdem zahlreiche Stellen, an denen Martial den Wert seiner Gedichte nachdrücklich herabsetzt. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Intensität des Motivs, das z. T. ebenfalls als Hauptthema einzelner Gedichte er310 S. o. S. 62-63. Lediglich Fearnley (1998) faßt die Formulierung nec epigrammata mea (in)scribat (Mart. 1, praef. 7–8) als Ausdruck von Martials Angst vor Plagiat auf (39) und betrachtet den Fidentinus-Zyklus dementsprechend als Wiederaufnahme des Motivs (63). Zur Unmöglichkeit einer solchen Deutung der Formulierung im Kontext der ersten praefatio s. o. S. 63 Anm. 18. 311 Citroni (1988), 10, sieht die besondere Häufung der Plagiatorengedichte im ersten Buch im Zusammenhang mit der Situation vor der ›offiziellen‹ Buchpublikation, als der Dichter noch kaum die Möglichkeit hatte, die Zuschreibung seiner Gedichte zu kontrollieren.

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scheint 312 , in vielen anderen dagegen nur am Rande berührt wird und zudem in einer Vielzahl unterschiedlicher Gestaltungen auftritt. Dazu zählen die bloße Attribuierung des Werkes als parvus 313 ebenso wie die Bestätigung der Unsinnigkeit, für derartige Bücher Geld auszugeben 314 , oder die an einzelne Adressaten gerichteten Bitte um kritische Beurteilung der Gedichte, obgleich dies natürlich reine Zeitverschwendung sei: Non totam mihi, si vacabis, horam dones et licet inputes, Severe, dum nostras legis exigisque nugas. ›Durum est perdere ferias‹: rogamus iacturam patiaris hanc ferasque.

(Mart. 5,80,1–5) 315

Keine ganze Stunde dürftest du mir, wenn du Zeit hast, schenken, und du darfst sie mir auch als Schuld anrechnen, während du meine Nichtigkeiten liest und beurteilst. ›Freie Zeit zu vergeuden ist hart.‹ Ich bitte dich, daß du diesen Verlust mit Geduld erträgst.

Solche Äußerungen sind zumeist leicht als Bescheidenheitstopik zu erkennen, zumal in Widmungsgedichten, in denen sie zum Zwecke einer captatio benevolentiae besonders häufig sind. 316 Daneben gibt es jedoch einige Stellen, an denen nur auf den ersten Blick eine Abwertung der Epigramme erfolgt. Wenn Martial in den Epigrammaton libri mehrfach freimütig einräumt, daß die Gedichte nicht alle von gleich hoher Qualität seien, handelt es sich keineswegs um einen Ausdruck der Bescheidenheit. Die Qualitätsschwankungen werden vielmehr stets als besonderes Charakteristikum der Epigrammdichtung begründet. 317 In seiner Untersuchung von Martials Gebrauch eigentlich negativer Qualitätsadjektive wie malus, vilis und parvus in bezug auf die eigene Dichtung

312 Etwa in Mart. 1,5. 113 (hier allerdings nur mit Bezug auf das Jugendwerk); 2,1; 9,58; 11,106, und besonders markant in der Rangliste poetischer Gattungen in 12,94. 313 So in 1,3,2: parve liber; 7,29,6: carmina ... parva; vgl. auch Mart. 7,80,5; 7,84,5; 8,82,2; 9,26,5. 314 Mart. 1,117,18; 4,72,3–4; 7,51,1. 315 Vgl. Mart 4,86; 6,1; 7,28,8–10. – Weiter kommen hinzu: beiläufig geäußerte Abschätzigkeit (Mart. 1,70,17–18: qualiacumque leguntur / ista, vgl. 3,1,1; 7,26,3; 10,74,7–8), die Behauptung, ein Buch der eigenen Epigramme sei weniger wert als jedes – ohnehin normalerweise nahezu wertlose (vgl. Mart. 4,46. 88; 7,53 mit Galán Vioque (2002), 320–324) – Saturnaliengeschenk (Mart. 5,18; vgl. 5,30), die Betonung einer Schüchternheit der Gedichte bzw. Bücher, die sich scheuen, ihrem Adressaten gegenüberzutreten (Mart. 5,6,7: timidam brevemque chartam; 8,24,1; 12,11,8; vgl. auch 1,70,13; 6,1,4) o.ä. 316 Vgl. außerdem Mart. 1,107,2; 4,10,7–8; 5,1,9; 5,15,6; 5,80,1–5; 7,17,3–5; 7,28,9–10; 7,42,3; 9,99,7; allgemein zu diesem Topos s. auch Janson (1964), 124–134. 317 Mart. 1,16; 7,81. 90. Davon zu unterscheiden ist das Prinzip der inhaltlichen oder formalen variatio (s. o. S. 163-164). Zur malitia als Wesensmerkmal der Epigrammdichtung s. o. S. 136– 137.

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kommt Banta zu dem Ergebnis, daß Martials wiederholte Betonung der Minderwertigkeit seiner Epigrammdichtung keineswegs als wirkliche Abwertung zu verstehen sei. 318 Vielmehr werde auf diese Weise ein »vilitasstandard« als eigenes Wertesystem für die Epigrammdichtung etabliert und damit letztlich sogar eine Überlegenheit gegenüber anderen Gattungen beansprucht: »Martial does indicate the basic inferiority of his verse, but he does so as means of claiming for it a superiority that is based upon this inferiority.« 319 In den praefationes finden sich auf den ersten Blick kaum vergleichbare Äußerungen über eine angebliche Minderwertigkeit der Epigrammdichtung. Das weitgehende Fehlen einer Bescheidenheitstopik ist insofern auffällig, als es sich auch hier um (z. T. informelle) Widmungs- bzw. Begleitbriefe handelt. Abgesehen von der gleichsam parenthetischen Bemerkung über Domitians angebliches Verdienst um das zukünftige Leserinteresse an den Büchern Martials in der Vorrede des achten Buches (Mart. 8, praef. 3–5) ist der Gedanke an eine Unzulänglichkeit der im nachfolgenden Buch enthaltenen Epigramme erst in der praefatio des zwölften Buches faßbar. Er wird hier jedoch sogleich auch rückwirkend auf das gesamte Werk erweitert, denn indem Martial in dem Konditionalsatz si quid est enim quod in libellis meis placeat, dictavit auditor (Mart. 12, praef. 9–10) jeglichen Reiz seiner Dichtung auf seinen – inzwischen nicht mehr möglichen – Kontakt mit dem römischen Publikum zurückführt, spricht er nicht nur im Kontext der vorliegenden praefatio dem aktuellen Buch eben diesen Reiz a priori ab, sondern stellt zugleich nachträglich dessen Vorhandensein in den früheren Büchern in Frage. Vor dem Hintergrund dieser Verallgemeinerung des als topisch zu wertenden Zweifels am Wert des eigenen Werkes erfährt die auf das zwölfte Buch selbst bezogene Aussage durch das Hinzutreten des für sich allein ebenfalls topischen Gedankens der ›Provinzialität‹ der Gedichte eine zusätzliche Steigerung. Bevor der Adressat gegen Ende der epistula schließlich um eine kritische Prüfung der Gedichte gebeten wird, kommt mit dem Verweis auf die paucissimis diebus (Mart. 12, praef. 21) erfolgte Zusammenstellung des Buches noch ein weiterer Grund für potentielle Qualitätsmängel hinzu. Zweifellos handelt es sich auch hier um eine stereotype Herabsetzung des eigenen Werkes. 320 318 Banta (1998), 87–102. 319 Banta (1998), 102. 320 Vgl. insbesondere Fowler (1995), 43. Wörtlich nehmen die Angabe dagegen White (1974), 45–46; Sullivan (1991), 52; Bowie (1988), 27, betrachtet den Hinweis auf die Kürze der Zeit schließlich als »typical boast of a professional author« und verweist dazu konkret auf Stat. Silv. 1, praef. 12–26. Gerade dort aber wird die Prahlerei mit der celeritas durch den Gedanken an eine eben dadurch verursachte Unzulänglichkeit in den Hintergrund gedrängt. – Zu den zahlreichen Parallelen in den praefationes des Statius s.u. Abschnitt 4.1.

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In ähnlicher Weise wird die celeritas der Produktion nur noch im Epigramm 2,8 als Entschuldigung für eine eventuelle Dunkelheit einzelner Epigramme angeführt: Si qua videbuntur chartis tibi, lector, in istis sive obscura nimis sive latina parum, non meus est error: nocuit librarius illis, dum properat versus adnumerare tibi.

(Mart. 2,8,1–4)321

Doch ist diese celeritas nicht etwa vom Dichter selbst zu verantworten, sondern von dessen librarius, der aufgrund der Nachfrage der Leser so schnell habe arbeiten müssen, daß die Qualität des Ergebnisses davon möglicherweise beeinträchtigt wurde. Dementsprechend handelt es sich weniger um ein ursprüngliches als um ein später von außen hinzugefügtes Defizit. Darüber hinaus lassen sich in den übrigen praefationes lediglich die zur Bezeichnung der eigenen Dichtung von früheren Vertretern der kleinen Dichtung übernommenen Termini (nugae, ioci, ludere) als Andeutungen bezüglich eines geringen Anspruches der Epigrammdichtung auffassen. Sie stellen freilich keine Bescheidenheitsäußerungen im eigentlichen Sinne dar. Nach der Ansicht Bantas läßt sich die Verwendung dieser Terminologie zumindest teilweise ebenfalls als positives Bekenntnis zum »vilitasstandard« lesen. Auf diese Weise enthält die Formulierung nulli nugarum laude secundus (Mart. 9, praef. ep. 5) zugleich die stolze Behauptung, Martials Gedichte seien »in fact more nugatory than those of others«.322 Ebenfalls als Hinweis auf die positive Bewertung der vilitas versteht Banta auch die Bemerkung, mit der Martial in der ersten praefatio seine Erklärung zum Verzicht auf personenbezogenen Spott abschließt: Mihi fama vilius constet... (Mart. 1, praef. 5). Damit werde nicht nur beteuert, daß Martial für seine fama kein allzu großes Risiko eingehen wolle, sondern zugleich auch angekündigt, daß seine fama auf einem niedrigen Qualitätsniveau gesucht werden solle.323 Auch unter Einbeziehung seiner Fortsetzung (et probetur in me novissimum ingenium, Mart. 1, praef. 5–6) ist dieser Satz indessen nicht zu den topischen Bescheidenheitsäußerungen zu rechnen, da Martial hier nicht etwa mit dem Ziel einer captatio benevolentiae den Wert seines ingenium generell herabsetzt, sondern sich positiv von einer bestimmten Art von ingenium distanziert.

321 Vereinzelt finden sich sonst nur schwächere Andeutungen einer qualitativen Beeinträchtigung der Gedichte durch die celeritas ihrer Entstehung: Mart. 2,91,3; 9,89; 10,2,1–4. 322 Banta (1998), 96. 323 Banta (1998), 94–96.

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3.2.2.5 Martial als poeta pauper Abschließend sind im Zusammenhang mit Martials Selbstdarstellung innerhalb der Epigrammaton libri auch seine Äußerungen über das Dichtertum als Lebensform zu berücksichtigen. Zu diesem Bereich gehören insbesondere die wiederkehrenden Aussagen über die angebliche Brotlosigkeit des Dichtens, z.B. in 5,13,1–3: Sum, fateor, semperque fui, Callistrate, pauper sed non obscurus nec male notus eques, sed toto legor orbe frequens et dicitur ›Hic est‹. Ich gebe es zu, Callistratus, ich bin arm und bin es immer gewesen, aber kein unbekannter Ritter oder einer von schlechtem Ruf, sondern man liest mich viel in der ganzen Welt und sagt: ›Das ist er.‹

Das Motiv des poeta pauper findet sich auch bei anderen lateinischen Dichtern, etwa bei Horaz, Properz oder Ovid.324 Anders als diese verbindet Martial mit dem Topos der Brotlosigkeit des Dichtens zuweilen aber auch die an wohlhabende Gönner gerichtete Bitte, ihm materielle Unterstützung zukommen zu lassen: ›Cur ergo‹ inquit ›habes malas lacernas?‹ Respondi: ›quia sum malus poeta.‹ Hoc ne saepius accidat poetae, mittas, Rufe, mihi bonas lacernas.

(Mart. 6,82,9–12)325

›Warum also,‹ sagte er, ‚hast du einen schlechten Mantel?‹ Ich antwortete: ›Weil ich ein schlechter Dichter bin.‹ Damit das dem Dichter nicht öfter widerfährt, mögest du mir, Rufus, einen guten Mantel schicken.

Dadurch, ebenso wie durch wiederholte Klagen darüber, daß die dichterische Produktivität durch den Klientendienst beeinträchtigt werde oder durch Erwägungen über den Niedergang des Mäzenatentums seit augusteischer Zeit, ist die Grenze zur sogenannten Betteldichtung, also den Gedichten, in denen es allein um materielle Unterstützung geht, das Dichten hingegen nicht thematisiert wird, vielfach fließend.326 Hinzu kommen einzelne Stellen, an denen sich Martial über die Möglichkeit einer Berufstätigkeit

324 Z. B. Prop. 3,2,11–16; Hor. carm. 2,18,9–11; epist. 2,2,51–52; Ov. am. 1,3,7–12; 1,10,57– 62; 2,17,27–28; trist. 4,10,21–22 (zur Brotlosigkeit des Dichtens). 325 Zur materiellen Dürftigkeit des Dichterberufes s. auch Mart. 1,76; 8,24; 9,49. 73; 11,3. 100; vgl. 5,18. 36; 7,42. Im Gegensatz dazu ist an anderer Stelle aber durchaus auch von materiellen Vorteilen des Dichterruhmes die Rede: Mart. 2,91. 92; 3,95; 9,97; vgl. 8,61. 326 Zur Fiktionalität dieser ›Betteldichtung‹ (z. B. Mart. 4,68; 6,5. 30; 7,16; 8,28. 71; 9,102; 11,105) s. Holzberg (2002a), 74–85. – Ähnlich eng benachbart sind andererseits auch die Reflexionen über das ideale Leben (z.B. Mart. 5,20; 10,47), für das paupertas nicht nur bei Martial eine wesentliche Voraussetzung darstellt. Für weitere Beispiele s.o. S. 160-161 Anm. 249.

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z. B. als causidicus äußert.327 Auch hierfür gibt es Parallelen bei anderen Dichtern.328 Solche materiellen und damit äußerlichen Implikationen des Daseins als Dichter kommen, obgleich sie in den Epigrammen selbst eine keineswegs unerhebliche Rolle spielen, in den praefationes nirgends zur Sprache.329 Im paratextuellen Bereich bleibt die Selbstdarstellung Martials vielmehr ausschließlich auf die innere Einstellung zu seiner Dichtung fokussiert.

327 Gleich mehrere der genannten Motive sind im Epigramm 5,16 verbunden: Seria cum possim, quod delectantia malo scribere, tu causa es, lector amice, mihi, qui legis et tota cantas mea carmina Roma: sed nescis quanti stet mihi talis amor. nam si falciferi defendere templa Tonantis 5 sollicitisque velim vendere verba reis, plurimus Hispanas mittet mihi nauta metretas et fiet vario sordidus aere sinus. at nunc conviva est comissatorque libellus et tantum gratis pagina nostra placet. 10 sed non et veteres contenti laude fuerunt, cum minimum vati munus Alexis erat. ›Belle‹ inquis ›dixti: satis et laudabimus usque.‹ Dissimulas? facies me, puto, causidicum. (»Daß ich, obwohl ich Ernstes schreiben könnte, lieber Vergnügliches schreibe, dafür bist du, lieber Leser, mir der Grund, der du in ganz Rom meine Gedichte liest und singst; aber du weißt nicht, was mich eine solche Liebe kostet. Wollte ich nämlich die Tempel des sicheltragenden Donnerers verteidigen und meine Worte bekümmerten Angeklagten verkaufen, würden mir sehr viele Seeleute spanische Fässer schicken, und mein Gewandbausch würde schmutzig vom vielen Geld. Jetzt aber ist mein Büchlein Teilnehmer am Gastmahl und lustiger Zechbruder, und nur kostenlos gefällt meine Dichtung. Aber auch die Alten waren nicht allein mit Lob zufrieden, als ein Alexis das kleinste Geschenk für den Dichter war. ›Nett,‹ sagst du, ›hast du gesprochen; es ist genug und wir werden dich unausgesetzt loben.‹ Du streitest es ab? Ich glaube, du machst mich noch zum Advokaten.«) Für die negativen Auswirkungen des Klientendienstes auf die Produktivität des Dichters s. z. B. Mart. 1,70,16–18; 10,58,11–14; 10,70; 11,24; vgl. 1,108,9–10; 3,4; 10,74 (sowie 10,58 für den umgekehrten Fall); zur Bedeutung von Mäzenaten für die Entstehung von (guter) Dichtung Mart. 8,55; 12,36; vgl. auch Mart. 1,107; 8,82; 11,3;12,3. Eine mögliche Tätigkeit als causidicus wird mehrfach kategorisch abgelehnt: is mihi ›Dives eris, si causas egeris‹ inquit. / Quod peto da, Gai: non peto consilium. (»Er sagte zu mir: ›Du wirst reich sein, wenn du Prozesse führst.‹ Gib mir, was ich erbitte, Gaius: einen Rat erbitte ich nicht«; Mart. 2,30,5–6; vgl. 1,17; 2,90,7–10; 12,68). – Unterstützt wird diese Haltung zudem durch eine überwiegend sehr negative Darstellung von causidici in anderen Kontexten (Mart. 1,79. 97; 6,19. 35; 8,7. 16; 10,70,11; vgl. 4,46; 5,20,6–7; 5,33; 8,76). 328 Für die Ablehnung einträglicher Tätigkeiten zugunsten der Dichtung vgl. etwa Tib. 1,2,65–66; Ov. am.1,15,11–6. 329 Als bedingte Ausnahme kann lediglich die Verwendung des Verbs supplicare in der an Domitian gerichteten epistula aufgefaßt werden (Mart. 8, praef. 4), bei dem zwar die Huldigung an den Kaiser im Vordergrund steht, daneben aber auch eine »Bitte um kaiserliche Patronage« mitschwingt (Schöffel (2002), 63).

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3.2.2.6 Resümee Ähnlich wie zuvor im Bereich der poetologischen Positionsbestimmung kehren auch bei Martials Selbstdarstellung als Dichter auffallend viele der Facetten, in denen sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein innerhalb der Epigramme sichtbar wird, in unterschiedlicher Form im Bereich der praefationes wieder. Da allerdings Bescheidenheitstopik anders als in den Epigrammen in den ersten praefationes kaum eine Rolle spielt, präsentiert sich Martial im paratextuellen Bereich zunächst auf unmittelbarere Weise selbstsicher und souverän als in den Epigrammen selbst. Bemerkenswert ist weiter, daß auch die beiden Extreme der Selbstdarstellung Martials gerade im Bereich der praefationes angesiedelt sind. Dies ist zum einen die außergewöhnliche Verzagtheit des Dichters in der praefatio des zwölften Buches, die namentlich durch die Umkehrung bzw. Abwandlung zweier dem Leser aus verschiedenen Epigrammen der früheren Bücher bereits vertrauten Motiven eine besondere Intensität gewinnt, zum anderen aber die in subtiler Weise über scheinbar ähnlich prägnant formulierte Epigramme emporgehobene Äußerung des dichterischen Selbstbewußtseins in der ›Bildunterschrift‹ in der praefatio des neunten Buches. 3.2.3 Martials Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung Der dritte hier zu behandelnde Themenbereich ist Martials Verhältnis zu den Rezipienten. Auch dieses wird in den Epigrammaton libri in verschiedener Hinsicht ausgeleuchtet, und zwar ebenfalls sowohl in den Epigrammen selbst als auch in den praefationes. Aufgrund der insbesondere aus poetologischer Perspektive unterschiedlichen Relevanz ist innerhalb dieses Bereiches zu differenzieren zwischen Martials Relation zum allgemeinen Publikum anonymer Rezipienten einerseits und der zu individuellen Einzeladressaten andererseits. Unter letzteren kommt dem Kaiser, d. h. in der überwiegenden Zahl der Fälle Domitian, eine besondere Stellung zu. 3.2.3.1 Individuelle (Widmungs-)Adressaten Individuelle Adressaten finden sich namentlich in Widmungs- und Geleitgedichten für einzelne oder mehrere libri bzw. libelli, wie sie an verschiedenen Stellen in den Epigrammaton libri anzutreffen sind. Da die Frage der Widmungen an sich für diese Untersuchung keine Rolle spielt, soll dieses Thema im folgenden lediglich insoweit kursorisch behandelt werden, wie es als Hintergrund für einzelne im Hinblick auf die poetologische Bedeutung der praefationes relevante Aspekte erforderlich ist.330 330 Zu den Widmungen (und Buchanfängen) bei Martial s. insbesondere White (1974); Citroni (1988); Merli (1993); Nauta (2002), 105–131.

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An Einzelpersonen gerichtete Widmungsgedichte sind in den Epigrammaton libri nicht immer nur am Anfang der einzelnen Bücher situiert, und sie sind zudem nur selten explizit auf ein bestimmtes numeriertes Buch in (vermutlich) seiner überlieferten Form bezogen.331 Umgekehrt enthält auch das erste Gedicht eines jeden Buches nicht notwendigerweise eine explizite Widmung. Im wesentlichen lassen sich bei diesen Eingangsgedichten vier verschiedene Typen unterscheiden. So beginnt das zweite Buch der Epigrammaton libri mit einer an das Buch gewandten Erörterung über den angemessenen Umfang eines Epigrammbuches. Damit nimmt dieses Epigramm thematisch zwar den Schluß der unmittelbar vorhergehenden epistula an Decianus wieder auf, anders als in den Epigrammen 8,1 und 12,1, die ebenfalls an die jeweils vorhergehende Prosavorrede anknüpfen, fehlt hier jedoch jeder erneute Bezug auf den Adressaten der epistula. Ähnlich allgemein und ohne Widmungscharakter bleibt auch das Epigramm 10,1, in dem das Buch selbst an den Leser gewandt über seine Länge spricht. Im Unterschied dazu erweckt das Epigramm 3,1 namentlich durch seinen Anfang zwar den Anschein, es handele sich hier um ein Widmungsgedicht, mangels eines konkreten Adressaten erweist sich dieses Epigramm jedoch als Wendung des Dichters an den allgemeinen Leser, der allerdings nicht direkt angesprochen wird 332 : Hoc tibi quidquid id est longinquis mittit ab oris Gallia Romanae nomine dicta togae.

(Mart. 3,1,1–2)

Das hier, was auch immer es wert ist, schickt dir aus weit entfernten Gegenden das nach der römischen Toga benannte Gallien.

Das erste Gedicht des ersten Buches nimmt insofern eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Typen ein, als das Buch darin einerseits zwar sehr viel nachdrücklicher präsentiert wird als in 2,1 und 10,1, andererseits aber mit keinem Wort von einer Zueignung an den angesprochenen lector studiosus (Mart. 1,1,4) die Rede ist. Die dritte Art von Eingangsgedichten bilden die jeweils ersten Epigramme der Bücher 4, 7 und 9, die sämtlich auf Domitian bezogen sind. In ihnen ist durchweg nicht von einem Gedichtbuch oder dessen Widmung die Rede. 331 Lediglich einmal im ersten Epigramm eines Buches: Sextus mittitur hic tibi libellus (Mart. 6,1,1); außerdem, nahe dem Ende desselben Buches, Mart. 6,85,1–2: Editur en sextus sine te mihi, Rufe Camoni, / [...] liber. Davon zu unterscheiden sind diejenigen Stellen, an denen die Buchzählung in anderen Kontexten erwähnt wird: Mart. 2,93; 5,2,6; 5,15,1; 10,2,1; indirekt auch Mart. 7,17,6; 8,3,1–2; 12,4,1. 332 Dieser Umstand ist ein zentrales Argument für die (inzwischen überholte) These von Immisch (1911), 490–493, nach der Buch 3 ursprünglich ebenfalls eine praefatio gehabt haben müsse: Das Einleitungsepigramm in seiner vorliegenden Form könne nur an einen bestimmten Adressaten gerichtet gewesen sein und sei ohne erläuternde epistula nicht mehr vollständig zu verstehen.

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Dennoch wird durch die Kaiserpanegyrik an derart prominenter Stelle zugleich eine enge Relation des Buches zum Kaiser impliziert, die sich als informelle Widmung betrachten läßt.333 Eine direkte und formelle Widmung des Buches erfolgt schließlich im ersten Gedicht des fünften Buches, das dessen Übersendung an Domitian als den Widmungsadressaten zum Thema hat: Hoc tibi, Palladiae seu collibus uteris Albae, / Caesar, et hinc Triviam prospicis, inde Thetin, [...] mittimus (»Das hier schicke ich dir, Caesar, sei es, daß du dich auf den Hügeln des Palladischen Alba aufhältst und von hier auf den Tempel der Trivia blickst, von dort auf das Meer …«; Mart. 5,1,1–7) In ähnlicher Weise ist auch am Anfang von 6,1 zunächst von der Übersendung des Buches an Julius Martialis die Rede. Diese Widmung wird jedoch im zweiten Teil des Gedichtes relativiert durch die Überleitung auf Domitian als Endadressaten des von Julius Martialis revidierten Buches. Noch stärker wird ein eingangs durchaus vorhandener Widmungscharakter allerdings im weiteren Verlauf von 11,1 in Frage gestellt. Als direkte Widmungen des jeweiligen Buches lassen sich auch die ersten Gedichte der Bücher 8 und 12 auffassen. Außergewöhnlich ist allerdings, daß beide Epigramme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der vorhergehenden epistula an denselben Adressaten stehen und diese gleichsam wieder aufnehmen bzw. fortsetzen. Ebenso wie diese ersten Epigramme zeichnen sich auch die übrigen im Werk verteilten Widmungsgedichte im eigentlichen Sinne durch eine große Variationsbreite hinsichtlich ihrer Gestaltung aus. Bei solchen Gedichten bildet die ausdrückliche, direkte Widmung wie in 4,14 eher die Ausnahme 334 : Sili, Castalidum decus sororum, [...] nostris otia commoda Camenis,

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333 Nauta (2002), 129 (vgl. 115; 117–118); vgl. außerdem Galán Vioque (2002), 47, zur Deutung der (fiktiven) Darbringung des thorax Minervae in 7,1 sowie Grewing (1997), 69, zur impliziten Widmung von Buch 6 nicht nur durch den Schluß von 6,1, sondern auch durch »den Anschluß der gleichfalls proömialen Kaisergedichte 6,2–4«. 334 Es ist umstritten, auf welche Art von libri oder libelli die im Inneren der heutigen Bücher lokalisierten Widmungsgedichte zu beziehen sind. Nach der Auffassung von White (1974) waren sie ursprünglich für kleinere Sammlungen bestimmt, die Martial für private Einzeladressaten individuell zusammenstellte und deren Inhalt einschließlich der Widmungsepigramme später ganz oder teilweise in die zu publizierenden Bücher aufgenommen wurde. Citroni (1988), 36–37, geht dagegen davon aus, daß alle im Corpus der Epigrammaton libri enthaltenen Widmungsgedichte auf genau das Buch zu beziehen sind, in dem sie jeweils stehen, und von ihren Adressaten als, wenn auch an ungewöhnlicher Stelle erfolgende, echte Widmungen des primär für die Öffentlichkeit bestimmten Buches gelesen werden können; ähnlich auch Nauta (2002), 112–113. Fowler (1995), 46, betrachtet die Widmungsgedichte im Buchinneren sogar als »sophisticated play on the notions of serial reading« ohne wirkliche Funktion.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII nec torva lege fronte, sed remissa lascivis madidos iocis libellos.

(Mart. 4,14,1; 10–12) 335

Silius, Zier der Kastalischen Schwestern […] nimm dir für meine Dichtung etwas Muße und lies nicht mit finsterer, sondern mit heiterer Stirn die Büchlein, die von ausgelassenen Späßen triefen.

Sehr viel häufiger ist dagegen die indirekte Gestaltung, etwa in Form einer Apostrophe an das Buch, wenn der Dichter zu diesem über dessen Weg zum Adressaten oder auch über den Adressaten selbst spricht. Anstelle des Buches werden manchmal auch andere Instanzen eingeschaltet, die zunächst statt des eigentlichen Empfängers der Widmung apostrophiert werden. 336 Eng verwandt mit solchen indirekten Widmungen sind die Geleitgedichte, in denen ein erster Adressat ersucht wird, das Buch an einen zweiten (End-)Adressaten weiterzuleiten oder es ihm zu empfehlen. In ihnen erscheint der Widmungscharakter, wenn überhaupt, durch die Einführung des ›Zwischenadressaten‹ meist weniger stark ausgeprägt. Neben konkreten Personen wie etwa Faustinus in 7,80 oder Clemens in 10,93 337 wird hier auch vereinzelt das Buch als Überbringer seiner selbst angesprochen: Nosti si bene Caesium, libelle, [...] illi tu dabis haec vel occupato. (»Wenn du Caesius gut kennst, Büchlein […], dann wirst du ihm das hier geben, auch wenn er beschäftigt ist«; Mart. 7,97,1–4) 338 An anderer Stelle beauftragt der Dichter auch die (bzw. eine der) Musen mit der Überbringung eines libellus (Mart. 5,6; 10,20; 12,11). Obgleich diese Stellen bei einer Auffassung der Musen als Metonymie den Buchapostrophen nahestehen, fällt als Besonderheit auf, daß derart illustre Botinnen offenbar den prominenteren Adressaten vorbehalten sind, denn in 10,20 ist es Plinius der Jüngere, dem Thalia den libellus überbringen soll, in den beiden anderen Fällen ist der Endadressat niemand Geringeres als der Kaiser. Gerade diese beiden Epigramme zeichnen sich jedoch durch eine weite335 Weitere Widmungen dieser Art sind Mart. 5,30; 9,84; vgl. 10,33. 64. Einen Sonderfall stellt die postume Zueignung des sechsten Buches an Rufus Camonius in 6,85 dar. Eine Übersendung von Büchern an Domitian haben auch Mart. 4,8; 5,5. 6; 12,11 sowie als Wiederaufnahmen am Buchschluß Mart. 7,99 und 8,82 zum Thema. Hinzu kommt, an Nerva gerichtet, Mart. 12,4, doch handelt es sich nicht in allen Fällen um formelle Widmungsgedichte. 336 Die Apostrophe an das Buch in Widmungsgedichten (Mart. 1,70; 3,2. 5; 4,86; 8,72; 10,104; 11,1) erfolgt meist mit dem Ziel einer subtileren Annäherung an den Adressaten: Citroni (1986), 139; Wissig-Baving (1991), 270. In ähnlicher Weise werden apostrophiert: das Metrum (Scazon) in Mart. 7,26, ein namenloser puer (Mart. 4,10), Thestylus als puer delicatus des Adressaten (Mart. 7,29) und in Mart. 7,17 sogar die Bibliothek des Adressaten. 337 Vgl. Mart. 4,8; 5,5; 7,99, in denen der Angesprochene jeweils ersucht wird, für eine (günstige) Aufnahme von Martials Gedichten in den Bereich des Kaisers zu sorgen. 338 Vgl. auch Mart. 7,84. Diese Stellen unterscheiden sich insofern von den oben erwähnten Buchapostrophen, als hier ausdrücklich zwischen dem als Boten personifizierten Buch und seinem Inhalt, d.h. der dargebrachten Dichtung, getrennt wird (vgl. Wissig-Baving (1991), 192).

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re Besonderheit aus, da in ihnen die Überbringerrolle durch Einschalten des Parthenius als zusätzlicher Instanz für die direkte Übergabe an Domitian sogar verdoppelt wird. Sehr selten erscheint das Muster der Geleitgedichte auch in abgewandelter Form, etwa in 4,82, in dem die Weiterleitung nicht zum Zwecke einer Rezeption, sondern zu dem der Begutachtung erfolgen soll. 339 Oftmals ist die Widmung eines libellus innerhalb des einzelnen Gedichtes auch mit anderen Motiven verknüpft, durch die es manchmal sogar so weit in den Hintergrund gedrängt wird, daß man nur noch von einer informellen Widmung sprechen kann. Solche anderen Motive können verschiedenen Bereichen angehören. In 1,70 wird etwa die Zueignung des liber nach der ausführlichen Wegbeschreibung durch das Motiv des beschwerlichen Klientendaseins gleichsam gefiltert: si dicet ›Quare non tamen ipse venit?‹ sic licet excusses ›Quia qualiacumque leguntur ista, salutator scribere non potuit.‹ (Mart. 1,70,16–18; vgl. 1,108) Wenn er sagt: ›Warum kommt er denn nicht selbst?‹, kannst du diese Entschuldigung vorbringen: ›Weil er dies, was auch immer es wert ist, als regelmäßig Aufwartender nicht hätte schreiben können.‹

Besonders häufig ist jedoch die Verbindung mit einer Reverenz an die besonderen Qualifikationen oder Verdienste des Adressaten, wie sie sich auch in Begleitschreiben zu Werken anderer Autoren findet. 340 Vorherrschend bei dieser Art der captatio benevolentiae ist das Lob speziell der Qualifikation auf literarischem Gebiet, und zwar vorzugsweise dann, wenn das betreffende Epigramm weitere Stellungnahmen zum Charakter des eigenen Werkes enthält (z. B. Mart. 10,64) oder der Adressat selbst in den Prozeß der Entstehung des Buches einbezogen wird.341 Eine solche Einbeziehung kann im Werk Martials drei verschiedene Formen annehmen: erstens die Bitte um Empfehlung des Buches, die im Zusammenhang mit den Geleitgedichten bereits erwähnt wurde, zweitens die Bitte um Verteidigung des Buches bzw. Werkes gegen Kritik oder andere Widrigkeiten, denen es von dritter Seite ausgesetzt sein könnte, wie etwa 339 Als Variationen typischer Geleitgedichte lassen sich zudem diejenigen Epigramme bezeichnen, in denen ein Adressat aufgefordert wird, einer bestimmten Person gegenüber von einer Empfehlung der Epigramme abzusehen (Mart. 7,68) bzw. die Rezeption durch eine bestimmte Person zu verhindern (Mart. 3,97). 340 Etwa bei Cic. fam. 9,8; Plin. epist. 3,13,5; vgl. auch Cicero, Att. 16,11,2. 341 Für Lob der literarischen Qualifikation des Adressaten in Widmungsgedichten s. Mart. 1,111; 4,14. 86; 5,30; 7,28. 29; 10,20; 12,2.11; vgl. auch 1,70; 3,2; 6,1; 7,17; 9,26; seltener auch außerhalb des Widmungskontextes: Mart. 10,58; 11,57. In einigen Widmungsgedichten werden statt dessen auch anderweitige Qualifikationen des Adressaten hervorgehoben: Mart. 9,84. 99; 10,33; vgl. 10,18.

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Plagiat oder das Unterschieben riskanter Gedichte, sowie drittens die Bitte um kritische Begutachtung oder sogar Emendation des betreffenden libellus. 342 Außer den bis hierher angeführten Motiven des Umgangs mit Einzeladressaten, die sich teilweise auch in Widmungs- und Begleitschreiben anderer antiker Autoren finden 343 , sind in den Epigrammen noch zwei weitere Aspekte von Martials Relation zu individuellen Adressaten faßbar, die allerdings im Hinblick auf die praefationes eine weniger zentrale Rolle spielen. Dazu gehört zum einen das Motiv der für die Entstehung des Werkes ausschlaggebenden Nachfrage des Adressaten, das ebenfalls zu den konventionellen Topoi antiker praefationes gehört. 344 Bei Martial erscheinen solche Nachfragen nicht immer nur als durch das bloße Interesse an der Lektüre der Gedichte motiviert (so in Mart. 1,117; 4,72). Mehrfach werden dem Interessenten auch andere Intentionen unterstellt, wie etwa die Einleitung eines gegenseitigen Austausches von Gedichten (Mart. 5,73; 7,3) oder gänzlich eigennützige Ziele. In 1,63 beispielsweise lehnt Martial den Wunsch nach einer recitatio seiner Gedichte mit der Begründung ab: non audire, Celer, sed recitare cupis (Mart. 1,63,2). Da das Objekt zu recitare dabei offen bleibt, sind zwei verschiedene Deutungen der Pointe denkbar: Entweder hat Celer – in Analogie zu den Austausch-Ersuchen – den Dichter deshalb um einen Vortrag seiner Epigramme gebeten, um anschließend 342 Um eine Verteidigung der Epigramme wird der Adressat gebeten in Mart. 1,52 (gegen Plagiatoren); 7,72; 10,33 (gegen fälschliche Zuschreibung riskanter Gedichte); 3,2; 7,26 (generell gegen Kritik von außen), um Prüfung der Verse in 4,86; 6,1; 7,28; vgl. auch 7,52. – Mit besonderer Intensität erscheint die Bitte um kritische Beurteilung im Epigramm 5,80, in dem der Dichter zunächst den ersten Adressaten Severus um eine kritische Lektüre seiner nugae bittet, ihm anschließend aber außerdem nahelegt, den disertus Secundus als zweiten Prüfer hinzuzuziehen. Gemeinhin werden die genannten Personen als wahrscheinlich Silius Severus, Sohn des Silius Italicus, und der Caecilius Secundus aus 7,84 oder aber Plinius der Jüngere (C. Plinius Caecilius Secundus) identifiziert (Friedlaender (1886), 1,429; Howell (1995), 162; Barié/Schindler (1999), 1264). Umgekehrt sind es aber gerade die Namen, die in diesem Kontext Anstoß zu der Frage geben, ob hier tatsächlich zwei historische Personen von Martial selbst um Begutachtung seines libellus gebeten werden, oder ob es sich vielmehr um die parodistische Gestaltung eines in Dichterkreisen üblichen Anliegens handelt: Um eine möglichst genaue Prüfung seines Buches zu gewährleisten, erbittet ein ungenannter Dichter zunächst einen strengen Gutachter (Severus) sowie zur Sicherheit auch noch einen zweiten (Secundus). – Nach Ansicht von Citroni (1988), 37, haben die Bitten um Begutachtung und/oder Überarbeitung in Widmungsgedichten ohnehin überwiegend oder sogar generell fiktionalen Charakter, da sie von Anfang an nur für die Bücher in ihrer endgültigen Form bestimmt waren; vgl. auch Nauta (2002), 127–128. Für einen rein literarischen Charakter von Mart. 5,80 auch Fowler (1995), 49–50. 343 Für die Bitte um Verbesserungsvorschläge bzw. schonungslose Beurteilung s. z. B. Cic. ad Q. fr. 2,16,5; Plin. epist. 1,2,1; 1,8,3; 3,10,5; 5,12,4; die Bitte, der Adressat möge für das Buch bzw. Werk eintreten, findet sich vor allem bei Statius (Silv. 1 praef. 21–23; 4 praef. 36), dazu s. u. S. 346–348. 344 So z. B. bei Cic. de orat. 1,4–5; Quint. inst. 1, prooem. 1; Plin. epist. 1,1,1; Tac. dial. 1; vgl. Abschnitt 2.2.

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seine eigenen Verse vortragen zu können, oder das Objekt zu recitare ist dasselbe wie zuvor zu audire, d. h. Celer wünscht eine recitatio Martials, um dessen Epigramme später selbst vortragen zu können. Damit unterstellt Martial dem Adressaten möglicherweise sogar beabsichtigtes Plagiat. 345 Zum anderen antizipiert Martial an verschiedenen Stellen mögliche Reaktionen einzelner Rezipienten seiner Dichtung bzw. setzt sich damit auseinander. In einzelnen Fällen darf allerdings bezweifelt werden, ob sich hinter den genannten individuellen Namen tatsächlich reale Personen verbergen. 346 Unbezweifelbar ist dies freilich in 4,14, in dem Martial dem Adressaten Silius Italicus nahelegt, wie er seine Epigramme am besten lesen solle, und dabei eine, wenn auch nicht unbedingt negative, so doch zumindest potentiell kritische Reaktion schon im Vorwege abzuwenden sucht: nec torva lege fronte, sed remissa (»lies sie nicht mit finsterer sondern mit heiterer Stirn«; Mart. 4,14,11). Eine positive Reaktion wird dagegen antizipiert in dem an Julius Martialis gerichteten Widmungsepigramm 3,5, in dem dem Buch ein bereits überaus herzlicher Empfang in Aussicht gestellt wird: est illi coniunx, quae te manibusque sinuque excipiet, tu vel pulverulentus eas. (Mart. 3,5,7–8; vgl. 7,26,5–10) Er hat eine Frau, die dich mit ihren Händen und mit warmer Zuneigung empfangen wird, auch wenn du staubig ankommst.

Auch der Kaiser tritt nicht nur in den an ihn gerichteten Widmungsgedichten als Rezipient der Epigramme Martials in Erscheinung.347 Zu den beiden Motiven, die in diesem Bereich außerdem eine Rolle spielen, gehört zunächst ebenfalls die Antizipation bzw. Imagination von Reaktionen des Kaisers auf Martials Epigramme. Je nach Kontext erscheint dieses Motiv in sehr unterschiedlicher Weise. Während Martial in der Eröffnungssequenz des ersten Buches eine negative Bewertung seiner Gedichte durch Domitian 345 Dieselbe Ambivalenz auch in 7,77: Exigis ut nostros donem tibi, Tucca, libellos. / non faciam: nam vis vendere, non legere. (»Du verlangst, daß ich dir meine Büchlein schenke, Tucca. Das werde ich nicht tun, denn du willst sie verkaufen, nicht lesen.«) Zu beiden Epigrammen vgl. das erste der Plagiatorengedichte im ersten Buch (Mart. 1,29), dessen zweite Hälfte ebenfalls den Schluß zuläßt, daß Fidentinus die von ihm plagiierten Gedichte ursprünglich von Martial selbst erhalten hat. – Für verschiedene Arten der Nachfrage nach Epigrammen s. Mart. 7,11; 9,89; 11,42; vgl. auch 3,100; 7,51. 52. 97; 10,18. 346 Z. B. bei der in Mart. 3,97 genannten Chione, deren Rache der Dichter befürchtet; zu den fiktiven Personennamen besonders im dritten Buch s. o. S. 143–146. Adams (1975), 15, geht allerdings davon aus, daß das fragliche Spottgedicht in einer kleineren Sammlung tatsächlich bereits veröffentlicht war. 347 Die umfangreiche Kaiserpanegyrik in den Epigrammaton libri spielt für die Fragestellung dieser Untersuchung keine Rolle; zu diesem Thema s. Holzberg (2002a), 63–74, mit Literatur (119), sowie ausführlich Lorenz (2002) mit einem Überblick über die ältere Forschung (42–54).

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gestaltet (Mart. 1,5), benutzt er deren angeblich wohlwollende Aufnahme an anderer Stelle zur Abwehr eines Kritikers (Mart. 6,64,14–15). Am Ende des Geleitgedichtes 5,6 hat das Motiv dagegen suggestive Funktion: Si novi dominum novem sororum, ultro purpureum petet libellum.

(Mart. 5,6,18–19)348

Wenn ich den Herrn der Neun Schwestern kenne, wird er von selbst nach dem purpurnen Büchlein greifen.

Unter poetologischem Aspekt wichtiger sind indessen die Stellen, an denen sich Martial darüber äußert, wie sich die erwartete Rezeption der Epigramme durch Domitian auf die Wahl der Themen ausgewirkt hat. Zweimal, zu Beginn des fünften ebenso wie zu Beginn des achten Buches, die beide Domitian gewidmet sind, betont Martial die aus diesem Grunde besondere Zurückhaltung anstelle der sonst üblichen lascivia (Mart. 5,2; 8,1). Betrachtet man nun die praefationes vor dem bisher – natürlich nur skizzenhaft – in seiner Vielfältigkeit ausgeführten Hintergrund der in den Epigrammen faßbaren Aussagen Martials zu den wesentlichsten Aspekten seiner Relation zu individuellen Adressaten seiner Dichtung, so lassen sich in verschiedener Hinsicht weitreichende Übereinstimmungen feststellen. Dies betrifft sämtliche praefationes in jeweils unterschiedlicher Weise und erstreckt sich sowohl auf formale als auch auf inhaltliche Gesichtspunkte. Die praefatio des ersten Buches fällt dadurch aus dem Rahmen, daß sie anders als alle übrigen nicht an eine bestimmte Person adressiert ist. Insofern ist sie denjenigen proömialen Epigrammen vergleichbar, die trotz ihrer Position als erstes Gedicht eines Buches keinen individuellen (Widmungs-) Adressaten haben und sich mehr oder weniger direkt mit metapoetischen Inhalten an alle Leser gleichermaßen wenden (Mart. 1,1; 2,1; 3,1; 10,1). Ein weitergehender Vergleich zeigt jedoch beachtenswerte Unterschiede in der Art der Kommunikation mit dem Leser. Abgesehen vom Epigramm 2,1, in dem der Leser nur indirekt, gleichsam als heimlicher Zeuge der Kommunikation des Dichters mit seinem liber Kenntnis von dessen Überlegungen bezüglich der angemessenen Länge von Epigrammbüchern erhält 349 , wird der anonyme Leser in allen anderen der fraglichen Eingangsepigramme vom Dichter selbst bzw. vom liber direkt angesprochen, in 1,1 sogar eindeutig apostrophiert. Im Vergleich dazu bleibt Martials Kommunikation mit seinem Leser in der ersten praefatio auffallend distanziert. Obgleich auch

348 Ein letztes Mal erscheint das Motiv in 12,4, in dem jetzt gegenüber Nerva (so Friedlaender (1886), 1,34 u. a.; nach Holzberg (2002a), 151: Trajan) die Hoffnung auf künftiges Interesse zum Ausdruck gebracht wird. 349 Damit stellt das Epigramm 2,1 auch hinsichtlich der darin evozierten theatrum-Situation eine Fortsetzung der praefatio des zweiten Buches dar (vgl. o. Abschnitt 3.1.2).

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hier die ausführliche Stellungnahme zum eigenen Werk zweifellos an den Leser gerichtet ist, spricht Martial in erster Linie über sein Werk, nicht mit dem Leser, an den er sich niemals direkt wendet.350 Eine Anrede in der zweiten Person erfolgt erst innerhalb des angeschlossenen epigramma extra ordinem paginarum und richtet sich an dessen Hauptfigur Cato. Im vorhergehenden Prosateil finden sich dagegen ausschließlich unpersönliche Ausdrücke wie quisquis de se bene senserit (Mart. 1, praef. 2), probetur in me novissimum ingenium (Mart. 1, praef. 6), si quis tam ambitiose tristis est (Mart. 1, praef. 12). Diese Beobachtung kann zugleich als weiteres Argument für die Unechtheit der umstrittenen Briefanrede Martialis lectori suo salutem gelten. In allen übrigen praefationes, bei denen kein Zweifel hinsichtlich der Authentizität der jeweiligen Briefanrede besteht, finden sich auch andere deutliche Signale für eine direkte Kommunikation mit dem jeweiligen Adressaten. So wird Decianus nach ca. zwei Dritteln der praefatio des zweiten Buches nochmals namentlich angesprochen (Mart. 2, praef. 12), und es finden sich darüber hinaus eine Reihe von Verben sowie ein Pronomen in der zweiten Person. 351 Ebenso wird auch Domitian in der an ihn gerichteten epistula noch ein zweites Mal direkt apostrophiert (domine, Mart. 8, praef. 3) und mehrfach in der zweiten Person angesprochen. 352 Ähnliches gilt auch für die beiden letzten praefationes: Die epistula an Toranius enthält nicht nur ein Personalpronomen in der zweiten Person (tibi, Mart. 9, praef. 4), sie schließt außerdem mit zwei an den Adressaten gerichteten Imperativen: Vale et para hospitium (Mart. 9, praef. 5–6), und an Terentius Priscus wendet sich Martial am Ende der praefatio ebenfalls mehrfach in der zweiten Person.353 Auch in der praefatio des ersten Buches wäre eine direktere Wendung an den Leser durch Verwendung von Verben oder Pronomina in der zweiten Person zumindest an einigen Stellen denkbar. Das Fehlen einer solchen Unmittelbarkeit in der Kommunikation mit dem Leser ist daher mit Sicherheit nicht zufällig. Es erfüllt vielmehr eine ganz bestimmte Funktion: Auf diese Weise erhält die praefatio einen deutlich distanzierten, wenig persönlichen Charakter, durch den die Seriosität von Martials darin formuliertem 350 Vgl. Borgo (2003), 61, die zudem die außergewöhnliche Frequenz von Personal- und Possessivpronomina der ersten Person hervorhebt. – Unter den nicht-proömialen Epigrammen sind derart unpersönliche Stellungnahmen zur eigenen Dichtung ebenfalls sehr selten: Mart. 6,60(61); 11,3; vgl. 8,29; 10,9. 351 Mart. 2, praef. 12–14: …verum dicis – scias – negotium fueris habiturus – quod exigis – debebunt tibi…. 352 Mart. 8, praef. 4–15: …tibi supplicant – caelesti verecundiae tuae – te fatigare – sacri nominis tui…. 353 Mart. 12, praef. 17–26: ne mireris – advenienti tibi – aures tuas – tu velim…non graveris – tibi difficillimum est – decreveris...

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Anliegen eine nachhaltige Steigerung erfährt. Da der Text der ersten praefatio Martials durchgehend von dieser funktionalen Unpersönlichkeit geprägt ist und der Dichter sich dem Leser nicht einmal am Schluß in etwas vertraulicherer Weise zuwendet, stünde eine einleitende Briefanrede an die Adresse des lector dazu in einem auffallenden Kontrast, ja geradezu in einem Mißverhältnis. Als informelle Widmungen lassen sich dagegen die praefationes der Bücher 2 und 9 auffassen. Zwar wird Decianus in der des zweiten Buches formal angeredet, jedoch nicht explizit als Adressat des ganzen Buches. Seine fiktive Intervention, kaum daß Martial die Anrede beendet hat, wirkt sich scheinbar grundlegend auf den weiteren Verlauf der Vorrede aus, denn das dadurch eingeführte Thema bleibt bis zum Ende der praefatio bestimmend. Der Inhalt, der Martial scheinbar ursprünglich vorschwebte und der ihn dazu veranlaßte, zu dieser Vorrede anzusetzen, fällt indessen völlig unter den Tisch. Man mag mutmaßen, daß es sich dabei um eine formelle Widmung gehandelt haben könnte. Da eine ursprünglich geplante epistula jedoch reine Fiktion ist 354 , ist diese Überlegung natürlich mehr als müßig. In der Form, die die praefatio des zweiten Buches letztendlich erhält, erfolgt eine Widmung jedenfalls lediglich indirekt, d. h. durch die ehrende Erwähnung des Decianus an derart prominenter Stelle. Dafür dominiert in dieser epistula ein anderes Motiv, das bei Martials Umgang mit Einzeladressaten auch in den Epigrammen eine Rolle spielt, nämlich die Antizipation einer individuellen Reaktion. Es erscheint insofern modifiziert, als der kritische Einwand des Decianus hier nicht nur in der Überlegung des Dichters stattfindet, sondern scheinbar unmittelbar vom Adressaten selbst geäußert wird. Durch die anschließende Wiedergabe von Martials Gegenreaktion rückt das Motiv zugleich in die Nähe einer Bitte um kritische Begutachtung des Werkes. Zwar hat Martial die Kritik des Decianus nicht eigens erbeten, seine Reaktion aber zeigt, daß es sich dennoch um durchaus willkommene Kritik handelt. Die markante Darstellung seines Umgangs mit einem Fall von qualifizierter 355 und sinnvoller Kritik suggeriert wenn auch nicht gerade eine allgemeine Aufforderung zu kritischen Anmerkungen, so doch immerhin eine prinzipielle Offenheit diesen gegenüber, sofern sie zu einer Optimierung des liber bzw. sogar des Werkes als ganzem beitragen. In der an Toranius gerichteten epistula zu Beginn des neunten Buches wird ebenfalls keine ausdrückliche Widmung des nachfolgenden Buches formuliert. Im Prosatext selbst, der allein auf das direkt angeschlossene

354 So auch Beck (2002), 175. 355 Dafür, daß an der entsprechenden Qualifikation des Decianus keinerlei Zweifel besteht, spricht das Epigramm 1,61, in dem auch Decianus in eine Reihe mit bedeutenden Literaten gestellt wird.

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Epigramm bezogen ist, läßt lediglich die Angabe, dieses stünde extra ordinem paginarum, darauf schließen, daß die epistula überhaupt mit einem umfangreicheren Epigrammbuch verbunden ist. Durch die Erwähnung zweier Adressaten weist diese praefatio oberflächlich eine Ähnlichkeit mit den oben behandelten Geleitgedichten auf. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Umkehrung der dort üblichen Konstellation, da der direkt angesprochene Adressat hier nicht als Vermittler zwischen Dichter und Endadressat fungiert, sondern das für einen anderen bestimmte Gedicht unabhängig von dessen Übergabe an den eigentlichen Empfänger, möglicherweise erst im nachhinein, erhält. Eindeutig um formelle Widmungen handelt es sich schließlich bei den beiden verbleibenden praefationes. So betont Martial in der an Domitian gerichteten Vorrede des achten Buches gleich zweimal den besonderen Bezug des vorgelegten Buches, das zudem konkret als das achte Buch bezeichnet wird (Mart, 8, praef. 5), auf die Person des Kaisers. 356 Ebenfalls zweimal, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung, erscheint das Motiv der Beeinflussung der Themenwahl durch den Kaiser, wenn Martial im ersten Teil der praefatio den besonderen Stellenwert hervorhebt, der der materia, d. h. natürlich dem Kaiser und seinen Verdiensten, bei der Entstehung des Buches zukommt, und im zweiten Teil auf die wegen des speziellen Kaiserbezuges reduzierte lascivia der Epigramme dieses Buches verweist. Nicht zuletzt ist die gesamte Kaiserpanegyrik dieser epistula in hohem Maße auf die poetologischen Aussagen ausgerichtet. 357 Der konkrete Bezug zwischen dem Adressaten der epistula und dem zugehörigen Buch wird auch in der praefatio des zwölften Buches deutlich, von dem Martial schreibt, er habe es eigens auf dessen Nachfrage hin für den Adressaten Terentius Priscus zusammengestellt. Dennoch steht die Widmung in dieser letzten Vorrede nicht im Vordergrund, sondern wird über weite Strecken von anderen Aspekten überlagert. 358 Martials ausführliche Schilderung seiner in schöpferischer Hinsicht unerfreulichen Lage, die gut die Hälfte der gesamten epistula ausfüllt 359 , erfolgt in ähnlich unpersönlicher Form, wie es oben für die praefatio des ersten Buches dargelegt wurde. Auch hier wendet sich Martial lange Zeit so wenig direkt an den Adressaten, daß seine Darstellung ebensogut an niemand bestimmten ge356 Mart. 8, praef. 5–6 (Hic tamen, qui operis nostri octavus inscribitur, occasione pietatis frequentius fruitur.) und 14–15: Cum pars libri et maior et melior ad maiestatem sacri nominis tui alligata sit [...]. 357 Dazu auch Lorenz (2002), 166–168; Schöffel (2002), 57–78. 358 Wohl aus diesem Grunde betrachtet Fearnley (1998), 206–207, die praefatio des achten Buches als die einzige formelle Widmungsepistel innerhalb des Corpus. 359 Die Schilderung umfaßt die ersten beiden der im Abschnitt 3.1.5 differenzierten drei Teile der epistula, das Eingeständnis der Untätigkeit und deren Erklärung (Mart. 12, praef. 1–17).

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richtet sein könnte.360 Anders als in der ersten Vorrede bezieht er sich zum Abschluß dieses Teils jedoch wieder so deutlich auf den individuellen Adressaten (ne mireris igitur abiecta ab indignante quae a gestiente fieri solebant; Mart. 12, praef. 17–18), daß die allgemeinen Ausführungen von der Briefanrede und der abschließenden Bemerkung formal gerahmt werden. Im abschließenden Teil finden sich schließlich noch zwei für Widmungsbzw. Begleittexte typische Motive, mit denen der Leser von Martials Umgang mit Einzeladressaten in den Epigrammen her bereits vertraut ist. Auch Priscus wird um eine kritische Überprüfung und Beurteilung der Epigramme vor der Publikation des Buches gebeten361, und diese Bitte impliziert, verbunden mit der Bemerkung, daß die Gedichte bei ihm gut aufgehoben seien (quae tantum apud te non periclitantur; Mart. 12, praef. 23), zugleich ein Lob seiner entsprechenden Qualifikation, das allerdings ganz mit dem allgemeinen Tenor der epistula übereinstimmt: Priscus erscheint nicht etwa wegen seiner besonders fundierten literarischen Kompetenz als geeigneter Gutachter, sondern einzig und allein aufgrund der Tatsache, daß er Rom gerade erst den Rücken gekehrt hat (advenienti tibi ab urbe; Mart. 12, praef. 18–19) und somit trotz seiner gleichfalls spanischen Abstammung eben jene Kenntnis vom aktuellen Geschmack der Hauptstadt besitzt, die Martial mittlerweile verloren zu haben fürchtet. 3.2.3.2 Martials allgemeines Publikum Unter poetologischem Aspekt weitaus wichtiger als die Relationen zu individuellen Adressaten ist jedoch Martials Verhältnis zum allgemeinen Publikum anonymer Leser, das noch deutlich über dessen Rolle als unausgesprochener Adressat der ersten praefatio hinausgeht. Dieses Verhältnis wird in den Epigrammaton libri im wesentlichen aus zwei Perspektiven beleuchtet, von denen man die eine als im weitesten Sinne rezeptionsästhetisch, die andere als im weitesten Sinne produktionsästhetisch bezeichnen kann. An einer Reihe von Stellen gibt Martial seinen Lesern konkrete Anweisungen für die Rezeption seines Werkes. Sie beziehen sich zunächst auf den Personenkreis, für den die Epigramme bestimmt sind. Dieser Rezipientenkreis wird überwiegend allgemein im Hinblick auf das ganze Werk definiert. Nur vereinzelt finden sich Anweisungen, die nur für einzelne Bücher

360 Innerhalb der Darstellung seiner Situation wendet sich Martial einmal mit der Formulierung Accipe ergo rationem (Mart. 12, praef. 6–7) dem Rezipienten zu. Als Überleitung von der bloßen Beschreibung zur Begründung seines Zustandes ist der Ausdruck jedoch so wenig adressatenspezifisch, daß sie den Eindruck einer unpersönlichen Schilderung kaum durchbricht. Auch Bowie (1988), 18–19, sieht diesen Ausdruck als rein technische Überleitungsformel. 361 Diese Bitte steht natürlich in untrennbarem Zusammenhang mit dem Topos der vom Dichter befürchteten Unzulänglichkeit der Gedichte, der im Abschnitt 3.2.2.4 bereits behandelt wurde.

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(Mart. 11,16; vgl. 5,2) oder sogar nur Teile davon Gültigkeit beanspruchen (Mart. 3,68). Unter den Kriterien, nach denen die Bestimmung des Rezipientenkreises an den verschiedenen Stellen erfolgt, steht die lascivia der Epigrammdichtung an erster Stelle, z. B. in 3,69, wo Martial die Zielgruppe seiner Dichtung mit derjenigen kontrastiert, die er den züchtigen Epigrammen des Cosconius zuschreibt: Haec igitur nequam iuvenes facilesque puellae, haec senior, sed quem torquet amica, legat. at tua, Cosconi, venerandaque sanctaque verba a pueris debent virginibusque legi.

(Mart. 3,69,5–8)

Dies also sollen übermütige Jünglinge und leichtfertige Mädchen lesen, dies der Ältere, aber der, den eine Freundin quält. Deine ehrwürdigen und frommen Worte jedoch, Cosconius, sollen von Knaben und Jungfrauen gelesen werden.

Während Martial hier die bevorzugten Rezipienten seiner Dichtung positiv benennt, schließt er umgekehrt an anderer Stelle, ebenfalls mit dem Kriterium der lascivia, bestimmte Kreise von der Lektüre aus: Qui gravis es nimium, potes hinc iam, lector, abire (Mart. 11,16,1–2).362 Ein zweites Kriterium, das zuweilen zur Abgrenzung des Rezipientenkreises angelegt wird, ist der literarische Anspruch des Lesers, etwa wenn Martial in 10,59 nach einem Leser verlangt, der nicht wählerisch nur einzelne Epigramme zur Lektüre herauspickt.363 Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch das Epigramm 7,88, dessen Hauptthema der Ruhm ist, den Martials Dichtung (angeblich) im gallischen Vienna genießt, und dem er eine Reihe von Dingen hintanstellt: me legit omnis ibi senior iuuenisque puerque et coram tetrico casta puella viro. hoc ego maluerim quam si mea carmina cantent qui Nilum ex ipso protinus ore bibunt; quam meus Hispano si me Tagus impleat auro pascat et Hybla meas, pascat Hymettos apes.

5

(Mart. 7,88,3–8)

Mich liest dort jeder Ältere, jeder Jüngere, jeder Knabe, ebenso das anständige Mädchen in Anwesenheit ihres gestrengen Mannes. Dies ist mir lieber, als wenn die meine Lieder sängen, die den Nil direkt aus der Quelle trinken, als wenn mich mein Tagus mit spanischem Gold überschüttete und der Hybla oder der Hymettus meine Bienen nährte. 362 Zur genauen Zusammensetzung des in 3,69,5–6 gewünschten Leserkreises s. Obermayer (1998), 264–265: lascivia als Kriterium zur Bestimmung des Rezipientenkreises außerdem in Mart. 3,68; 3,86; 5,2; 11,2. 363 Vgl. auch Mart. 9,81; zum Zusammenhang von Martials Zurückweisung allzu kritischer Leser mit Äußerungen früherer Satirendichter s. Spisak (1997).

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Nach dem Verständnis von Galán Vioque ist Vers 6 eine Umschreibung der Äthiopier, die in der Nähe der Nilquelle und damit in mythischen Regionen am äußersten Ende der Welt leben. 364 Diese Auffassung wird der Argumentationsstruktur des Gedichtes jedoch nur teilweise gerecht. Entscheidend dafür ist nicht so sehr ein geographischer Gegensatz, denn da aus der Perspektive eines Stadtrömers auch Vienna nicht gerade dem Zentrum des Reiches zuzurechnen ist, würden damit lediglich Rezeption an relativer und absoluter Peripherie – wenn auch in entgegengesetzten Himmelsrichtungen – einander gegenübergestellt. Liest man die Periphrase in Vers 6 dagegen als Anspielung auf Anhänger einer exklusiven Dichtung in der Nachfolge der alexandrinischen Dichter, so liegt das Gewicht vollständig auf der Art der beiden genannten Personengruppen. Dabei wird der geographische Hinweis auf den Nil in zweifellos etwas salopper, gerade deshalb aber der vielfach betont lebensnahen Epigrammdichtung angemessener Weise direkt mit dem von Kallimachos geprägten Motiv des Trinkens aus der reinen Quelle verknüpft. 365 Nur der so umschriebene elitär-anspruchsvolle Kreis bildet einen ausgewogenen Kontrast zu der in den Versen 3 und 4 beschriebenen ausnahmslosen Rezeption in Vienna. Losgelöst von dem konkreten Bezug auf das Publikum in Vienna besagt auch die hier ausgedrückte Präferenz, daß Martial als Rezipienten seiner Dichtung prinzipiell die gesamte Bevölkerung anvisiert. Als ein drittes Kriterium zur Bestimmung des Rezipientenkreises wird bisweilen außerdem der Grad der Belastung durch andere Tätigkeiten angedeutet, etwa wenn es heißt: plura legant vacui (Mart. 12,4,3).366 Allerdings liegt dieses Kriterium bereits auf der Grenze zur zweiten Art von Rezeptionsanweisungen, die Martial seinen Lesern verschiedentlich gibt. Nach der mehr äußerlichen Bestimmung des Rezipientenkreises zielen sie auf die für eine Rezeption seiner Epigramme optimalen Bedingungen und erstrecken sich auf den passenden Zeitpunkt und die entsprechenden Umstände ebenso wie auf die persönliche Herangehensweise. 364 Galán Vioque (2002), 475–476. 365 Kall. h. 2,108–112. Zur Symbolik des Quelltrunkes bei antiken Dichtern s. Kambylis (1965). Gestützt wird diese Deutung weiterhin durch das dritte Glied der Reihe von Dingen, die Martial ablehnt (V. 8). Ähnlich lässig wie zuvor der Trunk aus der Quelle (vgl. auch den ungewöhnlichen Hinweis auf die ʕƢưƴƯƬ̄Ơ in 8,3,18: quos media miseros nocte lucerna videt; dazu Schöffel (2002), 115) werden hier die Bienen abgetan (zu deren Bedeutung in der antiken Dichtersymbolik Waszink (1974)). Der Verzicht ist allerdings nicht vollständig, da Martial auch hier von seinen Bienen spricht (meas … apes). Entscheidend ist vielmehr die Qualität der Bienenweide (Hybla auf Sizilien und der attische Hymettos galten in der Antike als besonders hochwertig: ibi optimus semper, ubi optimorum doliolis florum conditur. fit Atticae regionis hoc et Siculae Hymetto et Hybla locis (Plin. nat. 11,32); s. auch Galán Vioque (2002), 476–477 mit weiteren Belegen), also der materia der Dichtung. Im übertragenen Sinne geht es damit auch hier um den Gegensatz zwischen der erhabenen Dichtung und den Epigrammen Martials. 366 Vgl. auch Mart. 11,1,5–12.

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Im Abschnitt 3.2.1.5 ist bereits davon die Rede gewesen, daß Martial seine Epigrammdichtung auch mit (zumindest ansatzweise) karnevalesken Festen wie Saturnalia und Floralia sowie dem Theater bzw. Mimus assoziiert, d. h. mit Bereichen, die außerhalb des seriösen Alltagslebens angesiedelt sind. Neben einer allgemeinen Gattungsdefinition dienen seine Hinweise auf eine solche Wesensverwandtschaft in besonderem Maße selbstverständlich auch der Rezeptionssteuerung. Indem Martial seine Epigramme mehrfach in unterschiedlicher Weise eng mit den genannten Bereichen in Beziehung setzt, postuliert er zugleich, daß man sich seiner Dichtung mit derselben Einstellung zuwenden soll, die man dem Mimus oder anderen Festvergnügungen entgegenbringt. Dieses Postulat geht noch ein Stück weit über die Beanspruchung einer vergleichbaren Lizenz für seine Dichtung hinaus, denn die Gewährung einer generellen ›Saturnalienfreiheit‹ beinhaltet zunächst nur, daß dem Dichter die lascivia seines Werkes nicht zum Nachteil ausgelegt wird, jedoch nicht notwendigerweise, daß man sie auch in entsprechender Weise goutiert. Martial nennt verschiedene Situationen, die besonders günstige Bedingungen für eine positive Rezeption seiner Gedichte bieten.367 Dazu gehört einmal natürlich der unmittelbare Kontext der wesensverwandten Anlässe wie eben der Saturnalia. Nicht von ungefähr schickt Martial seine Epigramme etwa dem ernsten Epiker Silius Italicus mit einem ausdrücklichen Hinweis auf diese Jahreszeit: dum blanda vagus alea December incertis sonat hinc et hinc fritillis et ludit tropa nequiore talo, nostris otia commoda Camenis

(Mart. 4,14,7–10).368

… während der December unstet mit verführerischem Glücksspiel hier und dort von unsicheren Würfelbechern ertönt, und das Wurfspiel mit noch wertloseren Knöcheln spielt, widme meiner Dichtung Muße.

Als alltäglichere und damit vor allem leichter und häufiger verfügbare Gelegenheiten, sich dem ernsthaften Tagesgeschäft zu entziehen, kommen 367 Dazu s. auch Citroni (1989), 212–213. 368 Vgl. Mart. 11,6, aber auch 7,28 (obgleich es hier weniger um eine hinreichend gelöste Stimmung im Hinblick auf eine Lektüre als um feiertagsbedingte Muße für eine kritische Begutachtung der Gedichte geht); 10,18. In einzelnen Fällen wird die Angemessenheit jedoch auch wieder resignierend in Frage gestellt: sed lege fumoso non aspernanda Decembri carmina, mittuntur quae tibi mense suo: commodius nisi forte tibi potiusque videtur, Saturnalicias perdere, Varro, nuces. (Mart. 5,30,5–8; vgl. Mart. 5,18) (»… sondern lies im raucherfüllten Dezember nicht zu verachtende Gedichte, die Dir in dem Monat geschickt werden, der ihnen gebührt; es sei denn, es erscheint dir angemessener oder besser, Varro, beim Spiel an den Saturnalien Nüsse zu verlieren.«)

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außerdem das convivium sowie bisweilen auch allgemein das otium hinzu. In 10,20 benennt Martial die Gelagesituation ganz ausdrücklich als ideal für seine libelli: Seras tutior ibis ad lucernas: haec hora est tua, cum furit Lyaeus, cum regnat rosa, cum madent capilli

(Mart. 10,20,18–20)369,

und auch an diversen anderen Stellen finden sich mehr oder weniger direkt ähnliche Hinweise auf das convivium an sich, die hora decima als dafür übliche Tageszeit sowie namentlich auf die vom Wein gelöste Stimmung.370 Die Verweise auf das otium als Voraussetzung für die Rezeption sind dagegen seltener und meist weniger spezifisch. Interessant ist hier vor allem das Epigramm 12,1, in dem der Adressat Priscus, der sich gerade aus den negotia Roms nach Spanien zurückgezogen hat, angeregt wird, sich dem kleinen Epigrammbuch während einer Pause auf der Jagd, also gewissermaßen eines otium zweiter Ordnung, zuzuwenden: Retia dum cessant latratoresque Molossi [...], otia, Prisce, brevi poteris donare libello. (»Während die Netze ruhen und die molossischen Hunde […], kannst du dem kurzen Büchlein Muße schenken«; Mart. 12,1,1–3).371 Auch im paratextuellen Bereich sind die beiden Arten von Rezeptionsanweisungen, die Martial seinen Lesern innerhalb des Werkes insgesamt gibt, prinzipiell enthalten, wenn auch in gegenüber dem Bereich der Epigramme deutlich reduzierter Variationsbreite. Tatsächlich wird in geradezu extremer Ökonomie alles elementar Notwendige bereits in einem einzigen Satz der ersten praefatio zum Ausdruck gebracht: Epigrammata illis scribuntur qui solent spectare Florales (Mart. 1, praef. 14–15). In nur sieben Worten erfolgt hier zum einen eine explizite Bestimmung des Rezipientenkreises, zum anderen über die in spectare Florales hochkonzentrierte Assoziation sowohl mit dem Fest an sich als auch mit den zu diesem Anlaß dargebotenen Mimen eine klare Vorgabe bezüglich der optimalen Rezeptionsvoraussetzungen. Wer sich Martials Dichtung mit der gleichen Einstellung zuwendet, mit der er Mimendarstellungen an ausgelassenen Festen rezipiert, wird auch die Epigramme obszöneren Inhaltes in angemessener

369 »Sicherer wirst du bei spätem Lampenlicht gehen: Das ist deine Stunde, wenn Bacchus rast, wenn die Rose regiert, wenn die Haare von Salböl triefen.« 370 Vgl. insbesondere Mart. 4,8,7–9 für die Rezeption durch den Kaiser; außerdem Mart. 2,1,9; 2,6,8; 5,16,9; 7,51,11–13; 9,89. – Maßvolles Trinken vor der Lektüre wird dagegen in 4,82 angemahnt, doch geht es hier nicht nur um die Lektüre an sich, sondern um eine kritische Begutachtung von libelli, für die der Zustand der Volltrunkenheit ebenso ungeeignet ist wie der der Nüchternheit. 371 Zum Motiv des otium vgl. außerdem 11,1.106; 12,4.

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Weise rezipieren. Aus dieser Zielgruppe ausgeschlossen werden hier ebenso wie in den Epigrammen selbst nur einige wenige Menschen, und dies allein aufgrund ihrer persönlichen Einstellung, nicht bereits wegen ihres gesellschaftlichen Standes. Obgleich das Kriterium der lascivia in dieser komplexen Aussage in extremer Weise im Vordergrund steht, impliziert die Assoziierung mit dem Mimus als einer lediglich halbliterarischen, da oftmals auch nur improvisierten Form des Schauspiels zugleich auch eine Warnung an literarisch allzu Anspruchsvolle. Dementsprechend stellen alle nachfolgenden Stellen keineswegs die eigentliche Spezifikation eines eingangs nur grob umrissenen Rezipientenkreises dar.372 Es handelt sich vielmehr um Variationen oder Differenzierungen und damit letztlich nur um erweiternde Wiederaufnahmen von hier bereits angesprochenen Punkten. Wirklich neue Aspekte kommen nicht hinzu. Dies gilt sowohl für die Epigramme selbst als auch für die übrigen praefationes, denn auch hier finden sich lediglich vereinzelte und mehr oder weniger deutliche Rückbezüge auf den Kontext der ludi (Mart. 2, praef. 9– 11) bzw. die licentia des Mimus (Mart. 8, praef. 12–13). Es kann kaum überraschen, daß eine derart umfassende und nachdrückliche Lenkung der Lesererwartung buchstäblich vor dem Beginn des ersten Buches erfolgt. Martial ist sehr daran gelegen, daß das Publikum ihn von Anfang an in der richtigen Weise versteht, denn nur dann ist gewährleistet, daß man sich auch künftig für seine Dichtung interessieren wird. An einigen anderen Stellen erscheint Martials Beziehung zu seinem Publikum dagegen in einer völlig anderen Perspektive, nämlich dort, wo es um die Bedeutung des allgemeinen Rezipienten für die Entstehung seiner Epigramme geht. Im Gegensatz zu vielen anderen Aspekten seiner Dichtung, über die Martial sich im Verlaufe der Epigrammaton libri äußert, ist die Zahl der diesbezüglichen Bemerkungen innerhalb der Epigramme eher spärlich. Tatsächlich benennt Martial nur einmal einen konkreten Einfluß der Rezipienten auf seine Dichtung, wenn er in 5,16 den Lesergeschmack als ausschlaggebend für seine Entscheidung anführt, anstelle hoher Poesie unernste Epigramme zu verfassen: Seria cum possim, quod delectantia malo scribere, tu causa es, lector amice, mihi, qui legis et tota cantas mea carmina Roma

(Mart. 5,16,1–3).

Indirekt gestützt wird diese singuläre Aussage freilich durch das Motiv der allgemein großen Nachfrage nach den Gedichten, das hier gleichsam als 372 So Best (1968), 212: »If we add all these types [...], we cover virtually all of Roman society.«

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Begründung für die Entscheidung angefügt wird, in den Epigrammen insgesamt jedoch noch häufiger vorkommt.373 Ein weiterer Einfluß der Rezipienten auf die Entstehung der Gedichte wird in den Epigrammen faßbar, in denen Martial Reaktionen des allgemeinen Publikums bzw. auch nicht-identifizierbarer Einzelleser imaginiert. Wenn Martial z. B. die an die matrona gerichtete Warnung vor der lascivia der restlichen Epigramme des dritten Buches schließt mit den Worten si bene te novi, longum iam lassa libellum ponebas, totum nunc studiosa legis.

(Mart. 3,68,11–12)374,

erweckt dies zum einen den Anschein, der Dichter kenne sein Publikum so genau, daß er die Reaktionen einzelner Teile vorhersehen kann. Zum anderen wird der Leser auf diese Weise selbst zu einem Bestandteil des Werkes.375 Obgleich der konkrete Einzelfall natürlich immer nur auf der fiktionalen Ebene des Textes angesiedelt ist, wird damit dennoch der reziproke Charakter von Martials Relation zu seinem Publikum hervorgehoben. Die Menschen, für die er schreibt, sind prinzipiell dieselben wie die, über die er schreibt, d.h. ein wichtiger Teil der materia seiner Epigramme.376 Der Eindruck von Nähe und Unmittelbarkeit im Verhältnis zu den Rezipienten wird zudem dadurch unterstrichen, daß Martial den anonymen lector mehrfach in einzelnen Stellungnahmen zu seiner Dichtung direkt apostrophiert, wie es vor ihm nur Ovid in seiner Exildichtung getan hat.377 Eine dieser Apostrophen, die in meist größeren Intervallen über das gesamte Werk mit Ausnahme des letzten Buches verteilt sind, findet sich auch in der ›Bildunterschrift‹ im epigramma extra ordinem paginarum in der praefatio des neunten Buches (Mart. 9, praef. ep. 6), und damit im paratextuellen Bereich. 373 Gleich zu Beginn des Corpus nicht ohne eine gewisse Suggestivkraft: Mart. 1,1. 2; aber auch im weiteren Verlauf tritt das Motiv der Nachfrage immer wieder in Erscheinung: Mart. 1,113. 117; 2,8; 4,72; 6,60(61). 64; 11,108. 374 »Wenn ich dich gut kenne, wolltest du das lange Büchlein bereits erschöpft aus der Hand legen. Jetzt liest du es eifrig bis zum Ende.« 375 Für weitere imaginäre Reaktionen anonymer Leser s. Mart. 2,8,5–8; 4,55,27–29; vgl. auch verschiedene Stellen, an denen sich Martial auf andere Weise (einer potentiellen Ermüdung o. ä.) seiner Leser bewußt zeigt: z.B. Mart. 1,118; 2,1; 4,29. 89; 9,49. Eine spezielle Variante der Einbeziehung des Lesers in das Werk stellen diejenigen Gedichte dar, in denen Martial angeblich Reaktionen von Personen aufgreift, die sich in früheren Epigrammen wiederzuerkennen glauben (Mart. 3,11. 99; 4,81; vgl. 3,97). Zwar handelt es sich hier durchgängig um fiktive Personen, doch trägt auch dieses Spiel mit der möglichen Identifizierbarkeit zum Eindruck einer lebendigen Kommunikation mit dem Publikum bei. 376 Spisak (1997), 362, bezeichnet die einzigartige Beziehung Martials zu seinem Publikum daher als »informal dialogue with the Roman reading public«. 377 Mart. 1,1,4; 1,113,4; 2,8,1; 4,55,27; 5,16,2; 7,12,12; 10,2,4–5; 11,16,1; 11,108,2/4. Vgl. Ov. trist. 1,11,35; 3,1,2/19; 4,1,2; 4,10,132; 5,1,66; Pont. 3,4,43.

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Gelegentlich wird die überaus große Bedeutung, die Martial seinen Lesern zuschreibt, auch ganz explizit formuliert: lector, opes nostrae: quem cum mihi Roma dedisset, ›Nil tibi quod demus maius habemus‹ ait. ›pigra per hunc fugies ingratae flumina Lethes et meliore tui parte superstes eris. (Mart. 10,2,5–8; vgl. 7,12,11–12) Leser, du mein Reichtum: als Rom ihn mir gab, sagte es: Etwas Größeres, das ich dir geben könnte, habe ich nicht. Durch ihn wirst du den trägen Fluten der unerfreulichen Lethe entgehen und mit dem besseren Teil deiner selbst weiterleben.

Auffällig ist jedoch, daß Martial, wenn er innerhalb der Gedichte explizit von der Bedeutung der Rezipienten für die Entstehung seiner Epigramme spricht, dies regelmäßig im Zusammenhang mit einem konkreten Aspekt wie etwa der Gattungswahl oder seinem Nachruhm tut. In der praefatio des zwölften Buches bringt er den Stellenwert des allgemeinen Publikums für die Entstehung seiner Gedichte schließlich umfassend auf den Punkt: si quid est enim quod in libellis meis placeat, dictavit auditor (Mart. 12, praef. 9–10). Trotz seiner Kürze beinhaltet dieser Satz sämtliche zuvor genannten Implikationen: Durch das ›Diktat‹ der materia, d. h. der Menschen, die zugleich auch die Rezipienten der Dichtung sind, sowie das ›Diktat‹ der Nachfrage, die den Dichter dazu zwingt, das zu schreiben, was die Rezipienten lesen wollen, erlangen diese beinahe uneingeschränkten Einfluß auf das Werk und seinen Inhalt.378 3.2.3.3 Resümee Für die Art, wie sich Martials Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung in Text und Paratext der Epigrammaton libri darstellt, lassen sich im wesentlichen zwei Ergebnisse formulieren: Erstens zeigt sich zwischen den praefationes und den im Werk enthaltenen Widmungs- und Einleitungsgedichten eine auffällige Übereinstimmung hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Gestaltung. Prinzipiell sind alle Formen und Elemente, die sich in einschlägigen Epigrammen finden, ebenso in den praefationes vorhanden. Auch hier reicht das Spektrum von der formellen Widmung für einen Einzeladressaten über die Verdoppelung der Adressatenebene bis hin zum Fehlen eines spezifischen Adressaten, von der Antizipation individueller Reaktionen über die Rücksichtnahme auf den Kaiser bei der Themenwahl bis hin zur Einbeziehung des Adressaten in den Prozeß der Entstehung des Buches, wenngleich letzteres Motiv nur in einer von drei möglichen Ausprägungen erscheint. Bemerkenswert ist dabei wiederum die besondere 378 Vgl. Bowie (1988), 20. Zur auffälligen Verwendung des Begriffes auditor an dieser Stelle s.o. S. 112–113.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

Ökonomie, mit der in nur fünf praefationes das gesamte Spektrum im wesentlichen vollständig aufgenommen wird. Ähnliches gilt auch für die in den Epigrammen wiederholt anzutreffende Anrede an den anonymen lector, die ebenfalls genau einmal in einer praefatio wiederkehrt. Zweitens fällt auf, daß auch die beiden entscheidenden Perspektiven, aus denen Martials Verhältnis zu seinem allgemeinen Publikum in den Epigrammaton libri betrachtet wird, in den praefationes jeweils einmal zur Sprache kommen. In überaus komplexer Form werden in einem einzigen Satz der ersten praefatio sämtliche Implikationen der ›rezeptionsästhetischen‹ Perspektive, die später in den Epigrammen im einzelnen ausdifferenziert werden, zusammengefaßt. Umgekehrt werden sämtliche Implikationen der ›produktionsästhetischen‹ Perspektive, die zuvor in den Epigrammen nur mehr oder weniger direkt faßbar waren, in einem ähnlich dicht formulierten Satz der letzten praefatio vereinigt. Damit werden die Äußerungen über das Verhältnis zu den allgemeinen Rezipienten im paratextuellen Bereich in besonderer Weise ausbalanciert. 3.2.4 Martials Einstellung zu praefationes: Bewertung und Funktionalisierung Ein letzter Aspekt, der im Rahmen einer Untersuchung der in den Epigrammaton libri enthaltenen praefationes allerdings besondere Beachtung verdient, ist Martials eigene Einstellung zu solchen Paratexten. Verglichen mit den anderen drei großen Themenbereichen, unter die Martials selbstreferentielle Aussagen in den Prosavorreden subsumiert werden können, nimmt dieser Bereich insofern eine Sonderstellung ein, als die Äußerungen des Paratextes hier nicht auf den begleiteten Text, sondern im engeren Sinne selbstreferentiell auf den Paratext selbst bezogen sind. Besonders ausführlich setzt sich Martial in der praefatio zum zweiten Buch mit der Frage der Notwendigkeit einleitender epistulae für Epigrammbücher auseinander. Die eigenwillige Art der Gestaltung seiner hier offenbar grundsätzlich formulierten Ablehnung solcher Vorreden ist oben im Abschnitt 3.1.2 bereits im einzelnen dargestellt worden. Tatsächlich ist Martials Haltung gegenüber Prosavorreden aber weitaus komplexer als die auf den ersten Blick so eindeutige Stellungnahme an dieser exponierten Stelle zunächst vermuten läßt. Dies zeigt sich nicht zuletzt in Martials sich anscheinend selbst widersprechender und zudem sehr uneinheitlicher Verwendung von praefationes. Wie sehr eine Bestimmung von Martials Standpunkt durch diese Uneinheitlichkeit, zumal in Verbindung mit den erheblichen formalen und inhaltlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Prosavorreden, erschwert wird, läßt sich nicht zuletzt an manchen etwas

Martials Einstellung zu praefationes

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ratlos klingenden Äußerungen der Forschung ablesen. So bemerkt Howell zu Martials Ablehnung in der zweiten praefatio, sie sei nicht allzu ernst zu nehmen379, und auch Janson stellt lediglich fest, Martial habe sich schließlich auch später nicht daran hindern lassen, solche Vorreden zu gebrauchen, wenn sie ihm zupaß kamen.380 3.2.4.1 Aussagen innerhalb der Epigramme Trotz der Sonderstellung dieses vierten Themenbereiches als selbstreferentiell im engeren Wortsinne ist es wiederum unverzichtbar, bei der Suche nach weiteren Anhaltspunkten außer den praefationes auch den Text selbst mit einzubeziehen. Zwar bleibt die Zahl der einschlägigen Stellungnahmen in den Epigrammen aus naheliegenden Gründen viel überschaubarer als bei den anderen drei Themenbereichen, zusätzlich lassen sich jedoch einige indirekte Hinweise aus Martials tatsächlicher Verwendung von praefationes gewinnen. Eine wichtige direkte Aussage zu Martials Bewertung von praefationes liefert das Epigramm 3,5.381 In diesem Geleitgedicht spricht der Dichter zu einem Epigrammbuch, das sich allein auf den Weg in die Stadt bzw. konkret zu seinem Adressaten Julius Martialis machen soll: Vis commendari sine me cursurus in urbem, parve liber, multis, an satis unus erit? unus erit, mihi crede, satis, cui non eris hospes, Iulius, adsiduum nomen in ore meo. protinus hunc primae quaeres in limine Tectae: quos tenuit Daphnis, nunc tenet ille lares. est illi coniunx, quae te manibusque sinuque excipiet, tu vel pulverulentus eas. hos tu seu pariter sive hanc illumve priorem videris, hoc dices ›Marcus havere iubet,‹ et satis est: alios commendet epistula: peccat qui commendandum se putat esse suis.

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Willst du, im Begriff, ohne mich nach Rom zu gehen, vielen empfohlen werden, Buch, oder wird einer genügen? Glaub mir, es wird einer genügen, für den du kein Fremder bist, Iulius, dessen Namen ich sehr oft nenne. Du wirst ihn gleich am Beginn der Via Tecta suchen, das Haus, das Daphnis besaß, ist jetzt seins. Er hat eine Frau, die dich mit ihren Händen und mit warmer Zuneigung empfangen wird, auch wenn du 379 Howell (1980), 95: »[...] one must beware of taking this too seriously«. 380 Janson (1964), 111: »[...] Martial himself did not allow it to affect his later writing, continuing to use such prefaces when they suited him.« 381 Für einige der im folgenden dargelegten Beobachtungen vgl. auch Wissig-Baving (1991), 196–197. Bedingt durch ihr primäres Erkenntnisinteresse, die Buchapostrophe bei Martial, bleiben ihre Ausführungen im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit empfehlender epistulae (nicht Vorabexemplare!) als das eigentliche Thema des Epigramms jedoch zumindest unvollständig.

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staubig ankommst. Ob du sie zugleich oder sie oder ihn zuerst siehst, dies wirst du sagen: ›Marcus läßt grüßen.‹ Und das ist genug. Andere mag ein Brief empfehlen; wer glaubt, sich den Seinen empfehlen zu müssen, begeht einen Fehler.

Als auf einen bestimmten Adressaten bezogenes Geleitgedicht dient das Epigramm primär dazu, eine Widmung auszudrücken. Wie auch in einigen anderen Gedichten wird die Widmung in diesem Epigramm, das mit dem Hinweis auf die enge Beziehung des Dichters zu dem bzw. den Adressaten sowie deren künftiger ›Beschützerrolle‹ für das Buch zudem zwei weitere für Widmungsgedichte typische Motive enthält, nur indirekt zum Ausdruck gebracht: Der Dichter versichert dem liber, er werde bei dem Adressaten und dessen Frau freundliche Aufnahme finden. Diese Antizipation wirkt einerseits suggestiv für die bevorstehende Aufnahme und illustriert zugleich nochmals das vertraute Verhältnis zwischen Dichter und Empfänger des Buches. Schon früher wurde beobachtet, daß dieses Epigramm starke intertextuelle Bezüge zum Anfang von Ovid, Tristia 1,1 aufweist, das ebenfalls eine Anrede des Dichters an sein Buch ist.382 Weitaus wichtiger als die bloße

382 Friedlaender (1886) 1,286; Wissig-Baving (1991), 196. – Neben wörtlichen Entsprechungen zwischen beiden Gedichten – besonders auffällig die exakt gleiche Position von sine me ... in urbem im jeweils ersten Hexameter sowie die identische Anrede parve liber (Ov. trist. 1,1,1) – kehrt auch Ovids Anweisung verbis meis saluta (Ov. trist. 1,1,15) bei Martial sachlich in der aufgetragenen wörtlichen Rede hoc dices: ›Marcus havere iubet‹ (Mart. 3,5,10) wieder. (Ein Unterschied besteht freilich hinsichtlich der Adressaten der aufgetragenen Grüße. Während Ovid diese unbestimmt an loca grata (trist. 1,1,15) bzw. an all diejenigen richtet, die sich eventuell noch seiner erinnern (siquis [...] nostri non immemor, trist. 1,1,17), sind die Martials an einen ganz bestimmten Adressaten und dessen Familie gerichtet.) In diesem Zusammenhang erinnert schließlich auch Martials Vermutung, das Buch könne nach der langen Reise äußerlich etwas mitgenommen (Mart. 3,5,8: pulverulentus) sein Ziel erreichen, an Ovids ausführliche Schilderung des kläglichen Erscheinungsbildes seines aus der Verbannung nach Rom kommenden Buches (Ov. trist. 1,1,4–14). Als weiteres mit Mart. 3,5 thematisch verwandtes Gedicht wird bisweilen ein paiderotisches Epigramm des Straton von Sardes angeführt: ƅ˝Ƴƴƶ̀Ʊ, Ʈ˝ ƵƧƮƬ̀Ƹ, ơƨơƪ̄ƣƨƮƬŹ ʷ ͧ˾ Ʋ’ ʕƬƠƢƬƮ̇Ʊ ƯƠ͙Ʊ ƳƨƱ ʕƬƠƧƪ̄ƷƤƨ Ưư̅Ʊ Ƴ˽ Ƣ̀ƬƤƨƠ ƳƨƧƤ̄ƱŹ […] ƐƮƪƪ˽ ƣ’ʟƬ ʱưƤƫ͉̄ ƯưƮƪƠƪ̂ƲƤƨƱŹ ʕƪƪ’ ˞Ư˿ư ʲƫͲƬ, ƶƠưƳ˾ưƨƮƬ, ƣ̀ƮƫƠƨ, ƯƴƩƬ̆ƳƤư̆Ƭ Ƴƨ ƪ˾ƪƤƨ. (»Glücklich bist du, Büchlein, ich neid’ es dir nicht; wahrlich, dich wird ein Knabe lesen, emporheben und gegen sein Kinn drücken […]. Vieles wirst du in der Stille erzählen, über mich aber, ich bitte dich, kleiner Papyrus, erzähle etwas mehr.«; Anth. Pal. 12,208) Autore (1935), 14–15, hebt insbesondere die Parallelen bei der imaginierten Aufnahme des Buches durch den Knaben (Anth. Pal. 12,208,2) und der durch die Ehefrau des Julius Martialis (Mart. 3,5,7–8) hervor und verweist auch auf die besonders in der Entsprechung von Ʈ˝ ƵƧƮƬ̀Ƹ und nec invideo augenfällige Nähe des Anfangsverses von Anth. Pal. 12,208 zu Ov. trist. 1,1,1, die sie jedoch mit der Verwendung in der hellenistischen Dichtung allgemein geläufiger Motive erklärt. Da dieses Epigramm mit einiger Wahrscheinlichkeit jünger ist als das fragliche Epigramm Marti-

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Feststellung einzelner Übereinstimmungen ist jedoch die Frage, wie und mit welchem Effekt Martial solche intertextuellen Anspielungen einsetzt. Anders als bei Ovid ist der erste Satz des Epigramms eine Frage, mit der sich der Dichter explizit nach dem Wunsch seines Buches erkundigt. Damit erscheint die Anredesituation von Anfang an in gänzlich anderem Licht. Zwar erteilen beide Dichter ihrem personifizierten Buch bestimmte Aufträge, doch während es sich bei Ovid um eine durchgehend monologische Ansprache des Dichters handelt, läßt Martials Eingangsfrage den Eindruck einer sehr viel gleichberechtigteren Kommunikation zwischen Dichter und Buch entstehen.383 Unterstrichen wird dieser Eindruck durch das eingeschobene mihi crede im darauffolgenden Vers 3.384 Ohne daß es im folgenden tatsächlich zu einem Dialog käme, in dem das Buch seinerseits antwortete, erscheint der Dichter durch diese Art der Gestaltung weniger als jemand, der Anweisungen erteilt, als vielmehr als wohlmeinender Ratgeber für jemanden, dem durchaus Selbständigkeit und eigene Entscheidungsfähigkeit zugestanden werden. Hierin kehrt das Motiv der besonderen Selbständigkeit von Epigrammdichtung wieder, das auch in der praefatio des zweiten Buches bereits eine wichtige Rolle gespielt hat. Diese Selbständigkeit ist es auch hier, die die Voranstellung einer gesonderten epistula überflüssig macht, denn das Buch kann und soll deren Funktion, den Adressaten zu grüßen, selbst übernehmen. Martials Auftrag in den Versen 9–10 ist demnach eine praktische Bestätigung seiner in der praefatio des zweiten Buches gemachten Aussage epigrammata […] in quacumque pagina visum est, epistulam faciunt (Mart. 2, praef. 6–8). Das nachfolgende satis est (Mart. 3,5,11) ist innerhalb des Epigramms in als (zur umstrittenen Datierung des Straton von Sardes s. Steinbichler (1998), 17–23; vgl. Aubreton (1994), 143), kann an dieser Stelle auf eine detailliertere Gegenüberstellung verzichtet werden. 383 Die einzige Andeutung einer dialogischen Teilnahme bzw. Einbeziehung des Buches findet sich in Ov. trist. 1,1 erst kurz vor dem Ende der Elegie in Form des eingeschobenen si quaeris in Vers 123 (vgl. auch Wissig-Baving (1991), 57). Zu dieser »Vorwegnahme einer möglichen Frage durch den anderen« bemerkt Luck (1977) 2,24, das Buch werde hier »einen Augenblick lang zum Boten, der vor dem Weggehen fragt, ob noch etwas auszurichten sei.« Schon aufgrund dieser Kurzfristigkeit kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier um eine bloße Floskel der occupatio, nicht um ein Indiz für einen ›echten‹ Dialog handelt. Als wirklich selbständig erscheint der liber bei Ovid erst viel später, wenn er in trist. 3,1 als Fürsprecher des Dichters auftritt. – In Hor. epist. 1,20 erscheint das apostrophierte Buch ebenfalls deutlich eigenständiger als in Ov. trist. 1,1. Darüber hinaus weist das Gedicht jedoch keine signifikanten Parallelen zu Mart. 3,5 auf. 384 Ein ähnlich ›gleichberechtigter‹ Dialog wird auch in Mart. 3,2 angedeutet, das zwei vergleichbare Fragen des Dichters an den liber enthält. Tatsächlich ist die gesamte Eingangspassage des dritten Buches auffallend stark von der Kommunikation des Dichters mit seinem Buch geprägt, denn in 3,4 findet sich, wenn auch keine vergleichbare Frage, so doch eine weitere Apostrophe des liber (zu den Anklängen an Ov. trist. 1,1 in beiden Epigrammen s. Wissig-Baving (1991), 190–192. 195–196). In gewisser Weise lassen sich diese zwei Epigramme sogar als Vorbereitung von 3,5, Martials letztem ›Gespräch‹ mit dem liber zu Beginn des dritten Buches, auffassen.

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zweifacher Weise zu beziehen. Zum einen ist es auf kurzem Wege auf die unmittelbar vorher beschriebene Begrüßung des Adressaten bezogen, die nach Ansicht des Dichters eben ausreichend ist. Auf einer übergeordneten Ebene muß diese Bemerkung jedoch weiter zurückbezogen werden auf den Anfang des Gedichtes. Martial gibt indirekt auch eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Art der vom Buch gewünschten Empfehlung, indem er den auf den Widmungsadressaten bezogenen Teil des Epigramms als ausreichend abschließt. Zugleich leitet er damit über zu seiner allgemeinen Schlußsentenz. In dieser abschließenden Sentenz, die den verbleibenden Teil des letzten Distichons einnimmt, formuliert Martial erneut eine kategorische Verwerfung von epistulae. Gegenüber seinen früheren Äußerungen geht er dabei sogar noch einen Schritt weiter, denn die Ablehnung hat jetzt einen deutlich allgemeineren Charakter. Der Kontext des vorliegenden Epigramms läßt keinen Zweifel daran, daß epistula auch hier einen einleitenden Prosabrief für ein (Gedicht-)Buch, d.h. eine praefatio, bezeichnet.385 Gleich zu Beginn seiner ablehnenden Äußerung, die nicht mehr ausdrücklich nur auf Epigrammbücher Bezug nimmt, trennt Martial scharf zwischen sich bzw. seiner Dichtung und den alii (Mart. 3,5,11). Es bleibt allerdings offen, ob darunter libri oder poetae zu verstehen sind. Aufgrund der zu Beginn des Epigramms evozierten imaginären Gesprächssituation zwischen dem Dichter und seinem Buch erscheint beides möglich. Zwar wird durch die Tatsache, daß im ersten Vers der liber das Subjekt zu commendari ist, nahegelegt, auch in Vers 11 libri als Objekt zu commendet zu sehen, spätestens im letzten Satz scheint eine sichere Unterscheidung zwischen Buch oder Dichter als Subjekt jedoch nicht mehr möglich.386 Über diejenigen, die eine empfehlende epistula für nötig halten, wird hart geurteilt. Martial bezeichnet dies als ein regelrechtes Vergehen gegen den Adressaten (Mart. 3,5,11: peccat)387, das um so gravierender erscheint, da er den Adressaten zu den dem Dichter nahestehenden sui zählt (Mart. 3,5,12).388 Er rekurriert damit auf das Motiv der engen persönlichen 385 Friedlaender (1886), 1,286 ad loc. verweist auf seinen Kommentar zu Mart. 1, praef. 18. 386 ThLL V 2,681, s. v. epistula I A 1, unterscheidet Briefe, die der Empfehlung von Personen dienen und die alci. libro commendando aut praescripta aut adiuncta. Die hier behandelte Stelle wird ohne weiteres zur ersten Gruppe gezählt. 387 Peccare ist an dieser Stelle nicht als bloßes Synonym zu errare zu verstehen. Martial bezeichnet den Glauben an die Notwendigkeit empfehlender epistulae nicht nur als einen Irrtum, sondern impliziert ein geradezu schuldhaftes Vergehen des Dichters (bzw. Werkes) gegen den Empfänger im Sinne von delinquere (vgl. ThLL X 1,885–887, s. v. pecco). Er läßt somit zugleich eine moralische Bewertung der von ihm kritisierten Praxis anklingen. 388 Unterstrichen wird der Eindruck von Vertrautheit außerdem durch die Verwendung des praenomen Marcus (Mart. 3,5,10). Obwohl für Martials Gebrauch von praenomen oder cognomen rein äußerlich das Metrum des jeweiligen Epigramms ausschlaggebend ist, kommt das cognomen Martialis vorwiegend in formelleren Kontexten zur Anwendung (z. B. Mart. 1,1; 7,72; 10,9),

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Beziehung zwischen dem Dichter und dem Adressaten aus dem ersten Teil des vorliegenden Epigramms. Die im Detail auffällige Orientierung des vorliegenden Epigramms am Einleitungsgedicht der Tristia Ovids bewirkt somit nicht allein eine literarische Aufwertung der Widmung für Julius Martialis. Sie spielt darüber hinaus gerade in der Abwandlung des Prätextes eine wichtige Trägerrolle bei der Vermittlung einer wesentlichen metapoetischen bzw. metapräfatorischen Aussage, die in signifikanter Klammerstellung sowohl am Anfang als auch am Ende des Gedichtes präsent ist: die Frage der Notwendigkeit einer empfehlenden epistula für ein Gedichtbuch (Mart. 3,5,1. 11–12). Nur wenig später findet sich ein weiterer Hinweis auf Martials kritische Einstellung zu apologetischen Vorreden. In dem zweizeiligen Epigramm 3,18 muß sich ein Maximus die ironische Frage gefallen lassen, weshalb er überhaupt noch vortrage, nachdem er sich zuvor bereits dafür entschuldigt habe, daß er nicht bei Stimme sei: Perfrixisse tuas questa est praefatio fauces. cum te excussaris, Maxime, quid recitas?

Bemerkenswert ist zunächst, daß die vorausgeschickte Entschuldigung des Maximus hier explizit als praefatio bezeichnet wird. Damit ist dieses Epigramm die mit Abstand älteste erhaltene Belegstelle für die Verwendung des Wortes praefatio in einem poetischen Text und zugleich auch fast die einzige, da der Begriff außerdem nur noch an einer Stelle im ersten Buch der Instructiones des spätantiken Dichters Commodianus in einem Vers belegt ist (Comm. instr. 1,1,1).389 Abgesehen davon fällt auf, daß nicht näher spezifiziert wird, ob es sich bei dem Gegenstand der fraglichen recitatio um Prosa oder Dichtung handelt. Der Vergleich mit Martials sonstiger Verwendung des Verbs recitare legt jedoch nahe, daß auch an dieser Stelle an den Vortrag von Dichtung zu denken ist.390 Lediglich in den Epigrammen 4,41 und 6,41 ist der Bezug genauso unbestimmt wie an der vorliegenden Stelle. Beide Gedichte werden im folgenden noch eine Rolle spielen. während das praenomen nur in vertraulicheren Kommunikationssituationen erscheint (z. B. Mart. 1,5; 5,63; 8,76); dazu auch Citroni (1975), 35. 389 ThLL X 2,600, s. v. praefatio. – Die Ansätze für die Lebenszeit des Commodianus reichen vom 3. bis ins 5. Jhd. n. Chr. Für den hier behandelten Kontext genügt es allerdings festzuhalten, daß auch im Falle der in jüngerer Zeit hauptsächlich vertretenen frühen Datierung auf die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts n.Chr. (Thraede (1959); Abbott (1969), 275; Baldwin (1989), 337–339, Poinsotte (1996), 270–73) dieser zweite faßbare Beleg für die Verwendung des Begriffes praefatio in einem poetischen Text in großem zeitlichen Abstand zu Martial steht. 390 An 19 der insgesamt 25 weiteren Belegstellen in den Epigrammaton libri Martials ist das Verb recitare eindeutig auf den Vortrag von Dichtung (im Gegensatz zum Vortrag von Prosa) bezogen, an vier weiteren wird ein solcher Bezug durch den Kontext zumindest nahegelegt. Nach Deutlichkeit des Bezuges geordnet sind dies die Stellen 11,52,16–18; 8,76,3; 3,45,1–4 und wohl auch 9,83,3–4.

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Martials prinzipiell kritische Haltung gegenüber praefationes wird im Epigramm 3,18 jedoch nicht einfach nur wiederholt, sondern wiederum variiert und modifiziert. Ließ sich schon im Epigramm 3,5 eine Tendenz zur Verallgemeinerung von der Ablehnung von praefationes für die eigenen libri, wie sie prägnant bereits in der praefatio des zweiten Buches formuliert wurde, hin zu einer generellen Verwerfung von epistulae für Gedichtbücher feststellen, so wird der Geltungsbereich hier nochmals erweitert: Neben der praefatio in schriftlicher Form wird jetzt zusätzlich auch der Bereich des mündlichen Vortrages einbezogen, in dem eine entschuldigende Vorrede durch die zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit der Rezeptionssituation ein völlig anderes Gewicht erhält. Auch wird, anders als in 3,5, der Sprecher in diesem Epigramm nicht ausdrücklich als Martial identifiziert. Durch die Nähe zu 3,5 wird eine Assoziation zwar begünstigt, die objektive Unbestimmtheit des Sprechers verstärkt jedoch den Eindruck einer zunehmenden Verallgemeinerung. Mit dieser schrittweise erfolgenden Generalisierung wird dem Leser die umfassende Gültigkeit von Martials Ablehnung von praefationes besonders nachdrücklich vor Augen geführt. Das zuletzt genannte Epigramm 3,18 weist zudem eine auffällige thematische Verwandtschaft mit zwei anderen Gedichten Martials auf, den oben bereits kurz erwähnten Epigrammen 4,41 und 6,41. In beiden wird das Thema der Halskrankheit eines recitator wieder aufgegriffen und jeweils weiterentwickelt. Den ersten Teil von 4,41 bildet die kritische Frage, die ein nicht näher bezeichneter Sprecher an eine Person richtet, die offenbar im Begriff ist, etwas vorzutragen: Quid recitaturus circumdas vellera collo? conveniunt nostris auribus ista magis. Warum wickelst du dir vor deinem Vortrag einen wollenen Schal um den Hals? Das paßt eher für unsere Ohren.

Es fällt nicht schwer, den Ausdruck circumdare vellera collo als variierte Wiederaufnahme des perfrixisse fauces aus 3,18 zu erkennen. Tatsächlich wird die gesamte dortige Situation im vorliegenden Epigramm deutlich wahrnehmbar wieder evoziert, wenngleich eine vorausgeschickte Erklärung diesmal keine Rolle mehr spielt. Statt dessen läßt sich eine neue Tendenz zur Verallgemeinerung erkennen. In 3,18, dem ersten Gedicht aus der Reihe der ›Heiserkeitsepigramme‹, wird der Angeredete namentlich angesprochen.391 In 4,41 wird zwar wiederum jemand in der zweiten Person angesprochen, die Anrede erscheint jedoch um einiges unbestimmter, da keine 391 Die Identität dieses Maximus ist jedoch unklar, möglicherweise handelt es sich auch hier um einen rein fiktiven Namen, vgl. A. Stein: Art. »Maximus 6«, RE 14,2,2540.

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konkrete Namensnennung erfolgt. Statt dessen tritt im zweiten Vers ein gänzlich neuer Aspekt hinzu. Das in 3,18 zum Ausdruck gebrachte (scheinbare) Erstaunen, wieso jemand, der an einer Halskrankheit leidet, seinen Vortrag deshalb nicht gleich ganz absagt, wird abgelöst durch den indirekten Vorwurf des schlechten Vortrages oder möglicherweise der schlechten Qualität des Vorgetragenen. Beide Deutungen sind an dieser Stelle gleichermaßen denkbar. In 6,41, dem abschließenden Gedicht dieser thematischen Reihe, ist eine gegenüber dem zweiten Epigramm noch weitergehende Verallgemeinerung festzustellen: Qui recitat lana fauces et colla revinctus, hic se posse loqui, posse tacere negat. Wer vorträgt, Hals und Kehle mit wollenem Schal umwickelt, der tut damit kund, daß er weder reden noch schweigen kann.

Hier wird niemand mehr direkt angeredet. Das zweizeilige Gedicht hat vielmehr den Charakter einer generellen Sentenz, wie bereits der Einsatz mit dem unbestimmten qui signalisiert. Doch nicht nur durch diese Allgemeingültigkeit wird das Epigramm als Abschluß der hier behandelten Gedichtreihe markiert. Weiter unterstützt wird dieser Eindruck dadurch, daß im ersten Vers mit fauces und colla in auffälliger Weise die beiden Begriffe wiederkehren, die in den ersten beiden Epigrammen der Reihe jeweils zur Beschreibung der angeblichen Halskrankheit des Vortragenden verwendet wurden. Mit dem redundanten Ausdruck fauces et colla wird eine deutliche Verbindung zu beiden früheren Gedichten hergestellt. Sie werden damit jedoch nicht einfach nur nochmals präsent gemacht, sondern gleichsam als Vorstufen in die generelle Aussage integriert. Vor dem Hintergrund der ersten beiden Gedichte läßt sich in 6,41 jedoch noch eine andere thematische Verschiebung beobachten. War der konkrete Ansatzpunkt der Kritik in 4,41 noch nicht genau auszumachen, so richtet sie sich diesmal viel eindeutiger gegen die schlechte Qualität des Vorgetragenen bzw. die mangelhafte Selbsteinschätzung des Vortragenden als gegen die Art des Vortrages. Im Idealfall besäße der Vortragende die Fähigkeit des loqui, dessen Bedeutung hier zunächst noch ambivalent ist, es kann sowohl »Sprache beherrschen« im konkreten Sinne von »formulieren bzw. reden können« oder auch »dichten können« bedeuten als auch einfach nur »bei Stimme sein«.392 Spätestens in dem Moment, da dem Kritisierten darüber hinaus auch seine Unfähigkeit vorgeworfen wird, im richtigen Moment zu schweigen, ist kein Zweifel mehr möglich, daß diesmal nicht ein

392 ThLL VII 2,1662–1663, s.v. loquor I A.

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vorübergehendes physisches (Un-)Vermögen, sondern der grundsätzliche Mangel an Vortragsfähigkeit Gegenstand der Kritik ist. In seinem Kommentar zum sechsten Buch der Epigramme Martials verweist auch Grewing auf den thematischen Zusammenhang der soeben behandelten Gedichtreihe.393 Er bezieht das letzte Epigramm allerdings ausschließlich auf einen rhetorischen Vortrag und faßt die Reihe dementsprechend als Kritik an Versuchen der Verschleierung mangelnder Vortragsfähigkeiten eines Redners durch angebliche Krankheit auf. Als Vergleich dazu zieht er z. B. die Äußerung Apers über die Unerträglichkeit fingierter Entschuldigungen von Rednern in Tacitus’ Dialogus de oratoribus heran: Quis nunc feret oratorem de infirmitate valetudinis suae praefantem […]? (Tac. dial. 20,1). Wenn man sich wie Grewing der Gedichtreihe aus der Perspektive des letzten Gedichtes nähert, ist es sicherlich möglich und plausibel, die in allen drei Epigrammen erwähnte recitatio als einen rhetorischen Vortrag aufzufassen. Ruft man sich allerdings die oben dargelegten Beobachtungen zur Verwendung von recitare bei Martial in Erinnerung, sollte man die Selbstverständlichkeit und Ausschließlichkeit dieses konkreten Bezuges zumindest teilweise in Frage stellen. Im Lichte des erwähnten Befundes scheint es vielmehr geboten, den Begriff unbestimmter zu fassen und generell auf Vorträge jeder Art zu beziehen. Ein Bezug auf die Rhetorik wird damit natürlich keinesfalls grundsätzlich ausgeschlossen. Insgesamt ist die genannte Reihe von Epigrammen ein interessantes Beispiel für die allmähliche Verschiebung eines bestimmten Themas durch variatio.394 Unbestreitbar tritt das Thema der Notwendigkeit oder Berechtigung von praefationes bzw. entschuldigenden Vorreden, dem das Hauptinteresse dieses Abschnittes gilt, im zweiten und dritten Epigramm der Reihe für sich allein betrachtet gar nicht mehr in Erscheinung. Es geht vielmehr in dem wiederum zunehmend generalisierten Thema der Kritik an recitationes schlechter Qualität auf und verklingt gewissermaßen darin. Durch das einprägsame Heiserkeits-Motiv wird ein aufmerksamer Leser wie der von 393 Grewing (1997), 290. – Friedlaender (1886) erwähnt lediglich bei 3,18 beide nachfolgenden verwandten Stellen, bei 4,41 und 6,41 wird jeweils nur auf 3,18 rückverwiesen. Eine weitergehende Beziehung wird nicht hergestellt. 394 Um so auffälliger ist, daß diese markante Reihe in der Forschung bislang kaum Beachtung gefunden hat. Sie wird weder in Barwicks Arbeiten zu den »Zyklen« im Werk Martials erwähnt (Barwick (1932) und insbesondere (1958)) noch in der neueren Untersuchung von Scherf (2001), vermutlich, da sich diese Untersuchungen in der Regel auf die Behandlung von Gedichtreihen im Bereich einzelner Bücher beschränken. Die hier behandelte Reihe zeigt jedoch, daß thematisch eng verwandte Epigramme auch dann eine Wirkung als Reihe entfalten können, wenn sie nicht innerhalb eines schnell überschaubaren Abschnittes angeordnet, sondern weit auseinandergezogen sind. Insofern erscheint es durchaus berechtigt, auch hier von einer »Variantenreihe« (für den Begriff s. Scherf (2001), 47) zu sprechen.

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Martial gleich zu Beginn der Epigrammaton libri postulierte lector studiosus (Mart. 1,1,4) bei linearer Lektüre aber sowohl in 4,41 als auch in 6,41 unweigerlich wieder an das erste Auftreten des Motivs in 3,18 und damit auch an die dortige Hauptaussage erinnert. Auch wenn man die soeben behandelte Gedichtreihe (Mart. 3,18; 4,41; 6,41) nicht ausschließlich auf rhetorische Vorträge beziehen sollte, enthält Grewings Verweis auf den Bereich der Rhetorik einen wertvollen Ansatz zur weiteren Klärung von Martials Haltung gegenüber praefationes. Die von Grewing angeführten Parallelstellen, die bei Tacitus formulierte Kritik an vorgeschobenen Entschuldigungen von Rednern sowie Quintilians generelle Empfehlung apologetischer Vorbemerkungen, daß man der Sache nicht wirklich gewachsen sei, zum Zweck einer dissimulatio artis395 machen unzweifelhaft deutlich, daß Entschuldigungen der genannten Art im Normalfalle als bloße Stereotypen aufzufassen sind. Im Epigramm 3,18 erweckt der Sprecher mit der im zweiten Vers formulierten Frage indessen den Anschein, er habe die Entschuldigung des recitator selbstverständlich für bare Münze genommen und sei nun ehrlich erstaunt über den weiteren Verlauf. Durch die (scheinbare) Naivität, mit der die offenbar rein topische Äußerung hier wörtlich genommen wird, wird der Topos in ironischer Weise und damit besonders nachdrücklich als solcher entlarvt.396 Darüber hinaus stellt die Art, wie hier auf die grundsätzliche Unsinnigkeit von Vorreden verwiesen wird, geradezu eine Umkehrung der früheren Aussage aus der praefatio des zweiten Buches dar: Wenn nicht die (apologetische) praefatio selbst überflüssig ist, dann wird durch sie umgekehrt der Gegenstand ihrer Entschuldigung, im konkreten Fall die Ausführung der recitatio, in Frage gestellt. Das kategorisch formulierte Entweder-Oder von Entschuldigung und Vortrag läßt deutlich erkennen, was hier als lächerlich erwiesen und abgelehnt wird, nämlich allein jene rein topischen Rechtfertigungen, die keinerlei ernsthaften Hintergrund haben. Eine gewisse Unwürdigkeit der geschilderten Praxis wird zudem bereits durch die Wortwahl 395 Quint. inst. 4,1,8: Sed ut praecipua in hoc dicentis auctoritas, si omnis in subeundo negotio suspicio sordium aut odiorum aut ambitionis afuerit, ita quaedam in his quoque commendatio tacita, si nos infirmos, inparatos, inpares agentium contra ingeniis dixerimus. (»Aber wie ein besonderes Gewicht des Redenden darin liegt, wenn jeder Verdacht auf schmutzige Motive, Feindschaften oder Eitelkeit bei der Übernahme der Angelegenheit fernliegt, so liegt auch hierin eine gewisse stillschweigende Empfehlung, wenn wir sagen, daß wir unpäßlich, unvorbereitet, den Fähigkeiten der Gegenseite nicht gewachsen sind«). – Nach Auffassung von Zwierlein (1997) besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied zwischen den Epigrammen Martials und den beiden anderen Stellen. Er geht davon aus, daß es sich bei valetudinis (Tac. dial. 20,1) um eine Glosse handelt, der das Posessivpronomen nachträglich angeglichen wurde. Tatsächlich sei hier ebenso wie bei Quintilian von der infirmitas als Topos der Bescheidenheit die Rede, nicht von einer Entschuldigung wegen angeblicher physischer Unpäßlichkeit. 396 Zu dieser Art der Ironie (dissimulatio) s. Lausberg § 902,1, p. 446–447.

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angedeutet, denn die praefatio informiert die Zuhörer nicht etwa nur sachlich über die angebliche Unpäßlichkeit des Vortragenden, sondern sie klagt darüber: questa est praefatio... (Mart. 3,18,1). Interessant ist an dieser Stelle allerdings nicht nur die Wahl des Verbums, sondern auch die Tatsache, daß die praefatio hier als handelndes Subjekt auftritt. Es ist nicht etwa der recitator, der in seiner Vorrede seine Heiserkeit beklagt, sondern die praefatio tut dies an seiner Statt (Mart. 3,18,1). Ähnliches gilt auch für die Begrifflichkeit an den übrigen Stellen, an denen Martial konkrete Angaben zur Funktion von praefationes macht. In der praefatio des zweiten Buches erscheint die epistula in der Rolle des curio, d. h. eines Ausrufers oder Herolds397, und ihre vorgesehene Funktion wird indirekt als pro epigrammatis loqui (Mart. 2, praef. 5–6) beschrieben. Gegen Ende des Epigrammes 3,5 wird der epistula die Aufgabe zugeschrieben, andere, seien es nun Bücher oder Personen, zu empfehlen: alios commendet epistula (Mart. 3,5,11).398 An allen Stellen nimmt die praefatio/epistula die Rolle des Subjektes ein. Sie erscheint stets personifiziert als in jeder Hinsicht unabhängiger Fürsprecher des Werkes ebenso wie des Dichters.399 397 Friedlaender (1886), 237; vgl. ThLL IV 1489, s. v. curio 1 b: i. q. praeco. – Trotz ihrer offensichtlichen Eindeutigkeit verdient die Bezeichnung als curio an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit, denn es handelt sich hier um die mit Abstand älteste Stelle innerhalb der erhaltenen lateinischen Literatur, an der der Terminus in dieser Bedeutung faßbar ist. Weitere Belege für diese Verwendung finden sich erst wieder ab dem 4. Jhd. n. Chr., z. B. in der Historia Augusta (Treb. Gall. 12,5; Lampr. Alex. 22,7), bei Symmachus (epist. 6,12,1) oder noch später in einer der mittelalterlichen Versionen der Passio Theclae 38 (deren genaue Entstehungszeit unklar ist: vgl. die Einleitung der Ausgabe v. Gebhardt (1902), LXIII). In der Literatur der Zeit vor Martial, etwa bei Varro ling. 5,84,1, oder Liv. 3,7,7; 27,8,1–3; 41,21,8–9, wird der Begriff dagegen nur als Bezeichnung für den mit kultischen Funktionen betrauten Vorsteher einer Kurie verwendet (vgl. ThLL IV 1489, s. v. curio 1 a: i. q. sacerdos curiae). Aus heutiger Sicht läßt sich nicht mehr nachvollziehen, ob es sich an der fraglichen Stelle bei Martial um einen markanten Neologismus handelt oder ob hier möglicherweise erstmals eine später verbreitetere kolloquiale Verwendung Eingang in den Bereich des Literarischen gefunden hat. In jedem Falle wird durch die ungewöhnliche Funktionsbezeichnung jedoch der profane bzw. alltäglich-banale Charakter des präsentierten Werkes einmal mehr hervorgehoben. 398 Die Verwendung von epistula als Subjekt zu commendare ist relativ ungewöhnlich. In der Regel ist die epistula das Mittel, durch das die von einer Person ausgehende Empfehlung ausgedrückt wird (vgl. z. B. Cic. fam. 13,12,1: Alia epistula communiter commendavi tibi legatos Arpinatium; 14,7,2). Eine der vorliegenden Stelle vergleichbare Konstruktion findet sich allein bei Juvenal 16,4–5: plus etenim fati valet hora benigni / quam si nos Veneris commendet epistula Marti. (»Mehr wert ist nämlich die Stunde eines gütigen Schicksals, als wenn uns der Brief der Venus dem Mars empfähle.«) Die Person, von der die Empfehlung ausgeht, wird aber dennoch genannt, und der Ausdruck Veneris commendet epistula läßt sich somit auch als poetische Umschreibung für Venus commendet epistulƗ erklären. 399 Möglicherweise gilt dies darüber hinaus auch für eine Stelle in der praefatio des zwölften Buches. Dort heißt es gleich zu Beginn: Scio me patrocinium debere contumacissimae trienni desidiae (Mart. 12, praef. 1–2). Der Begriff patrocinium wird hier in der Regel als »Verteidigungsrede, Entschuldigung« gedeutet (Bowie (1988), 16, im Anschluß an Ker (21961): »plea in

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Nach diesem Blick auf die wenigen direkten Stellungnahmen Martials zu Sinn und Funktion von praefationes läßt sich seine Einstellung bereits etwas präziser fassen: Er steht der Verwendung solcher Texte, die durchweg als zusätzliche Vermittlungsinstanz zwischen Dichter bzw. Werk und Publikum dargestellt werden, zwar prinzipiell ablehnend gegenüber, seine Ablehnung ist jedoch nicht so pauschal, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie richtet sich vielmehr speziell gegen solche entschuldigenden Vorreden, die aus den verschiedensten Gründen unnötig – wie im Falle der privaten Empfehlung – bzw. geradezu widersinnig sind – etwa bei uneingeschränkter Ausführung trotz vorheriger Rechtfertigung. 3.2.4.2 Martials Umgang mit praefationes An diese Beobachtungen schließt sich nun die Frage an, wie die mehrfach thematisierte und unterschiedlich gestaltete Ablehnung von praefationes mit Martials eigener Praxis vereinbar ist. Die Vorrede des ersten Buches enthält im wesentlichen einige grundlegende Aussagen zur Art der Epigrammdichtung Martials. In der praefatio des zweiten Buches erfolgt sodann anscheinend eine grundsätzliche Verwerfung von Prosavorreden, die mit der Selbständigkeit der Gedichte begründet wird. Diese sachliche Aussage über die Unnötigkeit von praefationes in der eigenen Gattung wird einprägsam und in recht unterhaltsamer Weise vermittelt. Trotz der Formulierung innerhalb eines scheinbaren Widmungsbriefes ist sie nicht so sehr als Information für den konkreten Adressaten bestimmt wie für das allgemeine Publikum. Hier wird die nächste sich bietende Gelegenheit genutzt, um die mit der praefatio des ersten Buches möglicherweise auf seiten der allgemeinen Leser entstandene Erwartung zu unterlaufen, Martial werde nun, eventuell entsprechend einer zeitgenössischen Mode, regelmäßig jedem seiner Bücher eine eigene Einleitung voranstellen. Dementsprechend ist es keineswegs verwunderlich, daß, obwohl die epistula des zweiten Buches eingangs »eine dichtungskritische defence«, Lorenz (2002), 232, Anm. 96: »Verteidigungsrede«; vgl. ThLL X 1,774, s. v. patrocinium II A 2 b Ơ). Daneben kann patrocinium als officium patroni vel eius, qui patroni modo clientes … tuetur (ThLL X 1,774, s. v. patrocinium I A) jedoch auch die eigentliche Tätigkeit des Verteidigens bezeichnen. Im Bereich der Dichtung scheint der Terminus, wenn überhaupt, sogar bevorzugt in dieser Bedeutung verwendet zu werden. Die einzigen Belege finden sich bei Ov. trist. 1,1,26: causa patrocinio non bona maior erit (»eine schlechte Sache wird durch Verteidigung nur schlimmer werden«; dazu Luck (1977), 2,15: »Das Buch übernimmt vor dem Volk die Rolle des Anwaltes, patronus.«) und Pont. 1,2,67–68: suscipe, Romanae facundia, Maxime, linguae, / difficilis causae mite patrocinium (»Übernimm, Maximus, Meister römischer Beredsamkeit, die milde Verteidigung schwierigen Falles«). Faßt man patrocinium entsprechend auch in Martials letzter praefatio als den Akt des Verteidigens an sich auf, so beinhaltet dies wiederum eine Personifikation der praefatio: Die Vorrede tritt als derjenige auf, der die notwendige Verteidigung des Dichters bzw. seiner desidia übernimmt.

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Erörterung erwarten ließ«400, diese nicht einfach in die nachfolgenden Epigramme verlagert wird. Zwar weckt schon das bloße Vorhandensein einer Vorrede zunächst durchaus derartige Erwartungen, doch liegt ihre entscheidende Aussage gerade in deren Nichterfüllung. Da die Haltung Martials hier in Form einer grundsätzlichen Erörterung gestaltet wird, hat sie ebenso wie die Aussagen der ersten praefatio allgemein programmatischen Charakter. Die praefatio des zweiten Buches ist somit essentiell mit der des ersten Buches verknüpft, ja ihre zentrale Aussage kann sogar erst vor dem Hintergrund der vorhergehenden praefatio ihre eigentliche Wirkung entfalten.401 Die nächste praefatio findet sich erst am Beginn des achten Buches. Sie wird gleichsam kommentarlos ohne jegliche Selbstreflexion eingefügt, ist konkret auf Buch 8 bezogen und als Stellungnahme zu dessen – angeblicher – Außergewöhnlichkeit motiviert, weist bei näherem Hinsehen jedoch auch eine signifikante Verwandtschaft mit der praefatio des ersten Buches auf. Dagegen nimmt die praefatio zu Beginn des neunten Buches keinerlei Bezug auf das zugehörige Buch.402 Nachdem die vorhergehende epistula in besonderem Maße auf den Kaiser ausgerichtet war, stehen jetzt wieder der Dichter bzw. das Werk im Vordergrund. Hinzu kommen noch zwei weitere Auffälligkeiten: zum einen der signifikante Kontrast zwischen dem stilistischen Niveau dieser und dem der vorhergehenden praefatio, zum anderen die scheinbare Sinnlosigkeit zumindest des Prosateils für einen anonymen Leser. All diese verschiedentlich monierten ›Ungereimtheiten‹ fügen sich jedoch in dem Moment zu einem sinnvollen Bild zusammen, da man diesen Text vor dem Hintergrund der praefatio des zweiten Buches, d. h. als eine Wiederholung der Ablehnung einer regelmäßigen Verwendung von Vorreden liest. Diese Ablehnung wird dem Leser einerseits dadurch ins Gedächtnis gerufen, daß die mutmaßliche Gepflogenheit oder Mode hier ins Lächerliche gezogen wird, indem vorgeführt wird, wie sich dieses paratextuelle Element banalisieren läßt. Andererseits stellt die praefatio aber auch eine variierte Wiederholung der Aussagen aus der praefatio des zweiten Buches dar, die hier allerdings nicht mehr generell formuliert, sondern konkret in die Praxis 400 Dams (1970), 185. 401 Eine enge Verbindung zwischen beiden praefationes sieht auch Adams (1975). Seiner Auffassung nach ist die epistula an Decianus jedoch eine konkrete Antwort auf dessen Reaktion auf die praefatio des ersten Buches (142 Anm. 19), die innerhalb des Corpus dazu dient, die Aufmerksamkeit des Lesers nochmals auf die erste praefatio zu lenken; ähnlich auch Beck (2002), 178, der die zweite praefatio als »Rückverweis auf den Anfang des ersten Buches mit Martials erstem Prosabrief und den darin vorgetragenen programmatischen Gedanken« betrachtet. 402 Auch in dieser Hinsicht ist sie eine absolute Ausnahme, denn alle anderen praefationes sind in irgendeiner Form mit dem Beginn des jeweiligen Buches verknüpft, und sei es nur schwach, wie durch das Ermüdungsthema, das sich in unterschiedlicher Form am Ende der praefatio des zweiten Buches und im Epigramm 2,1 findet.

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umgesetzt werden. Neben der ostentativen Unsinnigkeit des Prosateils ist es hier in genauer Entsprechung zur expliziten Aussage der epistula von Buch 2 das epigramma extra ordinem paginarum, das gewissermaßen sua lingua für das Werk bzw. sogar für den Dichter spricht, und zwar gleich in zweifacher Hinsicht. Der erste Teil des epigramma extra ordinem paginarum fungiert als Fürsprecher speziell für die ›Bildunterschrift‹ im zweiten Teil, die ihrerseits allgemeine Aussagen über das Werk und den Dichter beinhaltet. Nachdem Martial dem achten Buch – vordergründig aus sachlichen Motiven – erstmals wieder eine Prosavorrede vorangestellt hat, wird diese Tatsache im folgenden Buch also sogleich wieder konterkariert und auf diese Weise unterstrichen, daß das Hilfsmittel des Paratextes nach wie vor nur in Ausnahmefällen seine Berechtigung hat. Damit weist die Relation der beiden praefationes der Bücher 8 und 9 markante strukturelle Parallelen zu der der praefationes der ersten beiden Bücher auf. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings hinsichtlich des Abstraktionsgrades. Was zu Beginn der Epigrammaton libri als allgemeingültige Aussage zum Ausdruck gebracht wurde, kehrt jetzt mit individuellerem Bezug auf einzelne Bücher wieder. Die Verwendung der praefatio im zwölften Buch schließlich erscheint vordergründig bedingt durch die veränderte persönliche Situation Martials, die sich nach seiner Aussage auf den Charakter des Buches niederschlägt. Ähnlich wie in Buch 8 wird hier wiederum eine spezielle Notwendigkeit für die Verwendung der praefatio angeführt, tatsächlich enthält aber auch diese epistula umfangreiche Aussagen zu allgemeinen Charakteristika bzw. Voraussetzungen der Epigrammdichtung Martials. 3.2.4.3 Resümee Die eingehende Untersuchung der verschiedenen Anhaltspunkte für Martials Einstellung zu praefationes läßt die Konsistenz seines Standpunktes deutlich werden. Den Anfang bildet eine scheinbar generelle Verwerfung von praefationes, die zu Beginn des zweiten Buches einprägsam formuliert wird. Die dort aufgestellte Behauptung, Epigramme bräuchten niemanden, der für sie spricht, erweist sich schnell als zweckdienliche Vereinfachung mit lediglich bedingter Gültigkeit, denn bereits die praefatio zum ersten Buch sowie Martials weiterer Umgang mit solchen Vorreden machen deutlich, daß es unter bestimmten Umständen offenbar auch ihm angebracht erscheint, einige Dinge bereits im Vorwege zur Sprache zu bringen. Dennoch wird die Ablehnung im ersten Teil des dritten Buches – diesmal innerhalb des Textes selbst – zunächst zweimal in variierter Form wiederholt, aber auch weiter präzisiert und in den folgenden Büchern ebenfalls zweimal zumindest wieder in Erinnerung gebracht. Die Verteilung der einschlägigen

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Stellen ist keineswegs zufällig. Nachdem das dritte Buch erstmals nicht mit einer eigenen praefatio einsetzt, folgt nur wenig später die erste und zugleich konkreteste diesbezügliche Aussage in einem Epigramm (Mart. 3,5). Bei linearer Lektüre wird dem Leser dadurch zunächst einen Moment lang die Gelegenheit gegeben, sich über das Fehlen einer epistula zu wundern, bevor die Erklärung dafür doch noch nachgeliefert wird. Die entscheidende Verallgemeinerung des zugrundeliegenden Prinzips erfolgt kurz darauf in zwar nicht direkter, aber immer noch wahrnehmbarer Nachbarschaft zu dieser Aussage (Mart. 3,18). Auch die beiden nachfolgenden Reminiszenzen (Mart. 4,41 u. 6,41) befinden sich in größer werdenden Abständen403 noch immer innerhalb des ersten Blocks von Büchern ohne eine eigene praefatio. Die Erwartung einer praefatio wird dem Leser seit Beginn des zweiten Buches gleichsam konsequent ›aberzogen‹, bevor dem achten Buch wieder eine epistula vorangestellt wird. Der mehrfache Wechsel von Verwendung und Ablehnung von praefationes innerhalb der Epigrammaton libri befindet sich jedoch im Einklang mit den expliziten Aussagen in den Büchern 2 und 3. Mit der dort zum Ausdruck gebrachten Ablehnung, die, wie gezeigt werden konnte, differenzierter ist, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint, macht sich Martial keinesfalls eine strikte Vorgabe, die er im folgenden entweder einhält oder bricht, sondern er hält sich die Möglichkeit offen, Themen, bei denen es angebracht erscheint, auch außerhalb des eigentlichen Textes in einer praefatio anzusprechen.

403 Während zwischen 3,18 und 4,41 eine Zahl von 122 Epigrammen liegt, sind es zwischen 4,41 und 6,41 schon 171. Mit 152 Epigrammen ist der Abstand zwischen 6,41 und der nächsten praefatio zu Beginn des achten Buches dagegen wieder etwas geringer. – Interessanterweise findet sich im zuletzt genannten Bereich noch ein weiteres Epigramm, das in diesem Zusammenhang zumindest am Rande Beachtung verdient. In diesem Epigramm, das thematisch nicht den poetologischen Gedichten, sondern zur Gänze der ›Klientenpoesie‹ zuzurechnen ist, erklärt der Sprecher ein begleitendes Gedicht, das der Adressat zu einem nicht näher spezifizierten Geschenk verfassen will, für unnötig, da die Übersendung durch die Mühe des Dichtens allzu sehr verzögert werde. Er schließt mit der Aufforderung: pauperibus munera ƯƤƥ˾ dato (Mart. 7,46,6). Für die richtige Auffassung von munera ƯƤƥ˾ als »prosaische [...] also unbegleitete« Geschenke s. bereits Friedlaender (1886), 1,497. Die Deutung von Galán Vioque (2002), 291, der darin ein Wortspiel mit dem Adjektiv pexus und somit eine Anspielung auf die in vergleichbaren Kontexten geläufige Bitte um eine neue Toga (z. B. Mart. 2,85; 8,28) sehen möchte (»›Prosaic‹ presents are therefore gifts of pure lamb’s wool.«), ist dagegen wenig überzeugend, da in diesem Falle die Antithese zum beabsichtigten hochpoetischen Begleitschreiben unvollständig bleibt. Selbstverständlich ist dieses Epigramm keineswegs zu Martials programmatischen Aussagen im Hinblick auf Sinn und Unsinn der Verwendung von praefationes zu Gedichtsammlungen zu zählen; nichtsdestoweniger wird hier einmal mehr der Gedanke einer grundsätzlichen Unnötigkeit aufwendiger Begleitschreiben auch für andere Bereiche formuliert.

Zusammenfassung und Auswertung

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3.3 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse Im Verlauf der in den vorangegangenen Abschnitten durchgeführten Analyse der praefationes Martials sowohl als in sich geschlossene Einzeltexte als auch in ihrer thematischen Relation zu vergleichbaren poetologischen Aussagen innerhalb der Epigramme selbst sind die vielfältigen Besonderheiten dieser fünf kurzen Texte deutlich geworden. Trotz der erheblichen Unterschiede und teilweise großen räumlichen Intervalle zwischen den einzelnen praefationes erweist sich der Paratext der Epigrammaton libri in seiner Gesamtheit als überraschend komplexes Gebilde, in dem sich der Dichter ähnlich umfassend zu seinem Werk äußert wie in den programmatischen Epigrammen. Wie oben gezeigt werden konnte, beginnt die individuelle Gestaltung der einzelnen epistulae bereits mit der Wendung an den jeweiligen Adressaten. Vom völligen Fehlen eines direkten Adressaten in der Vorrede des ersten Buches bis hin zur Einführung zweier individueller Adressaten auf verschiedenen Ebenen in der epistula zu Beginn des neunten Buches, von der informellen Widmung durch bloße Namensnennung (Mart. 2, praef.) über die ausdrückliche Zueignung des Buches (Mart. 8, praef.; 12, praef.) bis hin zur Einbeziehung des Adressaten in die Publikation des Buches (Mart. 12, praef.) etc. findet sich in den praefationes im wesentlichen dasselbe Spektrum möglicher Gestaltungen wie in den im Corpus enthaltenen Einleitungs- und Widmungsepigrammen. Ein weiterer eher äußerlicher Aspekt, in dem sich alle praefationes Martials voneinander unterscheiden, ist die Überleitung zur jeweils ersten Verspartie im Anschluß an den Prosatext bzw. zum ersten Gedicht des nachfolgenden Buches. In der praefatio des ersten Buches wird das epigramma extra ordinem paginarum ausdrücklich als deren Abschluß angekündigt (si epistulam versibus clusero; Mart. 1, praef. 17) und damit zu einem Teil des Paratextes erklärt. Am Schluß dieses epigramma extra ordinem paginarum findet sich zwar keine explizite Überleitung zum Text des ersten Buches, bis zu einem gewissen Grade wird diese jedoch durch die Pointe ersetzt, in der der Gedanke an Catos Weggang aus dem Theater ganz an das Ende gerückt wird: an ideo tantum veneras, ut exires? (Mart. 1, praef. 21). Durch seine markante Schlußstellung erfüllt das exires indirekt eine Funktion, die der des performativen pervenient am Ende der zweiten praefatio (Mart. 2, praef. 15) vergleichbar ist: In dem Moment, da Cato das Theater verläßt, und sei es auch nur imaginär im Rahmen der Reminiszenz, sind die Voraussetzungen für den Beginn der Darbietung erfüllt. In der praefatio des zweiten Buches wird dagegen die Grenze zwischen

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der epistula und dem eigentlichen Text des Buches deutlich markiert, wenn es am Ende heißt: quod ad primam paginam non lassi pervenient. (Mart. 2, praef. 15). Mit dem ersten Epigramm des Buches, das thematisch unmittelbar an die praefatio anschließt, wird diese klare Trennung rückwirkend allerdings wieder etwas überbrückt. Die epistula zu Beginn des achten Buches schließt wiederum mit einem direkten Hinweis auf das nachfolgende Epigramm 8,1, das auch eindeutig als Bestandteil des eigentlichen Buches bezeichnet wird: in ipso libelli huius limine ... brevissimo ... epigrammate. (Mart. 8, praef. 17–18).404 Im Gegensatz dazu ist der Prosateil der nächsten praefatio ausschließlich auf das damit verbundene epigramma extra ordinem paginarum bezogen, und in beiden Teilen fehlt jegliche Bezugnahme auf ein von dieser epistula begleitetes Buch. Anders als im zweiten Buch wird diese Unverbundenheit auch durch das Epigramm 9,1 in keiner Weise relativiert. Auch in Martials letzter praefatio findet sich keine Überleitung zum ersten Gedicht des zwölften Buches. Da dieses jedoch als Widmungsgedicht an denselben Adressaten gerichtet ist wie zuvor die epistula, erfolgt diesmal wiederum eine nachträgliche Rückbindung, allerdings auf einer anderen Ebene als im zweiten Buch. Ähnlich große Divergenzen lassen sich auch in bezug auf die Motivation zum Verfassen der einzelnen praefationes feststellen, soweit diese direkt oder indirekt aus der jeweiligen epistula erschlossen werden kann. Während die praefatio des ersten Buches anscheinend aus einer vom Dichter empfundenen Notwendigkeit heraus geschrieben wurde, jeden (potentiellen) Leser des Buches vorab mit einigen grundlegenden Informationen zum Charakter des nachfolgenden Werkes zu versehen, scheint Martial mit der widmenden praefatio des zweiten Buches zunächst unreflektiert einer zeitgenössischen Konvention Folge zu leisten. Im nachhinein erweist sich diese praefatio jedoch als raffinierter Ausdruck einer dezidierten Ablehnung eben dieser Konvention für das eigene Werk. Anlaß für die praefatio des achten Buches ist dagegen offensichtlich die Person des Widmungsadressaten, denn abgesehen von der enthaltenen Panegyrik an die Adresse Domitians wird auch der mit Blick auf den Kaiser außergewöhnliche Charakter des Buches erläutert. Im Gegensatz dazu scheint die nächstfolgende epistula in ihrer Funktion als praefatio des neunten Buches zumindest aus sich selbst heraus völlig unmotiviert. Die letzte praefatio schließlich dient auf den ersten Blick ebenfalls dazu, die besondere Eigenheit des zwölften Buches

404 Unzutreffend ist die Auffassung von Beck (2002), 199, nach der das Epigramm 8,1 in formaler Hinsicht eine Parallele zum epigramma extra ordinem paginarum der ersten praefatio darstelle und nur hinsichtlich seiner Aussage von diesem verschieden sei (vgl. auch 182).

Zusammenfassung und Auswertung

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zu erklären, die diesmal jedoch nicht durch den Adressaten, sondern durch die veränderte Situation des Dichters bedingt ist. Dieselbe Tendenz zur Variation und Individualisierung, die sich bei den bisher betrachteten, eher äußeren Charakteristika beobachten läßt, zeigt sich auch inhaltlich. Zwar sind in allen fünf praefationes Martials auch Aussagen zur Poetik der Epigrammaton libri enthalten, doch werden in den einzelnen epistulae auf höchst unterschiedliche Weise immer andere Aspekte thematisiert. Dabei geht Martial auch keineswegs systematisch vor. Nachdem die Vorrede des ersten Buches in dieser Hinsicht einen deutlichen Schwerpunkt bildet, werden die dort formulierten grundsätzlichen Aussagen vielmehr erst in den nachfolgenden praefationes sukzessive in einzelnen Punkten ergänzt und erweitert. Insgesamt wird in den praefationes ein reduziertes, aber auffällig umfassendes Abbild der in den Epigrammen selbst entfalteten Programmatik geboten. Mit großer Ökonomie beschränkt sich Martial im paratextuellen Bereich auf die zentralen Punkte und verzichtet weitgehend auf variierende Wiederaufnahmen einzelner Aspekte, es sei denn zum Zweck einer wesentlichen sachlichen Erweiterung. Verglichen mit den einschlägigen Aussagen innerhalb der Epigramme zeichnen sich die Aussagen in den praefationes vielfach durch besondere Prägnanz aus. Ebenso wie das Fehlen variierender und nicht immer ganz widerspruchsfreier Facetten, wie sie im Bereich der Epigramme häufig anzutreffen sind, trägt diese nachhaltig dazu bei, die Seriosität der hier gemachten Aussagen zu erhöhen und den paratextuellen Sprecher als tendenziell auktorialer und vom Dichter-Ich der Epigramme verschieden, also extrafiktional, zu charakterisieren. Obgleich die »extrafictional voice« des Dichters die zentralen poetologischen Aussagen jeweils nur einmal aufnimmt, bedeutet diese Reduktion keinen Verzicht auf Vielseitigkeit. Die praefationes Martials sind keineswegs bloß trockene Prosatexte, sondern präsentieren die wesentlichen Informationen nur teilweise direkt auf sachlich-nüchterne, vielfach aber auf recht eigenwillige oder subtile Art und Weise. Hier spielen bisweilen auch Wechselbeziehungen mit entsprechenden Aussagen innerhalb der Epigramme eine nicht unerhebliche Rolle. So erschließt sich die volle Bedeutung einzelner paratextueller Aussagen namentlich in den späteren praefationes, z. B. beim Neider-Motiv, erst vor dem Hintergrund der Haltung, die das Dichter-Ich der Epigramme bis dahin eingenommen hat. Eine derart abwechslungsreiche Behandlung der einzelnen Aspekte findet sich prinzipiell in allen vier großen Themenbereichen, unter die sich die selbstreferentiellen Aussagen Martials sowohl in den praefationes als auch in den programmatischen Epigrammen subsumieren lassen. Selbst innerhalb des bedeutendsten dieser Bereiche, der Definition der eigenen Dichtung, werden in den praefationes nur die wichtigsten Punkte ganz explizit

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angesprochen, während anderes lediglich auf indirekte Weise zum Ausdruck gebracht wird. Neben der noch beinahe beiläufigen Etablierung der Gattungsbezeichnung epigramma für die eigenen Gedichte, die im Text ebenso wie im Paratext einen signifikanten Schwerpunkt am Beginn des Corpus aufweist, gehört dazu insbesondere der Anschluß an die Tradition der Epigrammdichtung. Während sich Martial gleich in der praefatio des ersten Buches ausdrücklich auf Catull und einige weitere namhafte Vorläufer beruft und die lascivia seiner Gedichte als wesentliches Gattungscharakteristikum rechtfertigt, werden zwei andere typische Merkmale, die Selbständigkeit der Epigrammdichtung und ihre malitia, erst in der zweiten praefatio hinzugefügt. Sie werden an dieser Stelle ebenfalls expressis verbis und sogar in prägnanterer Weise als in den Gedichten selbst benannt. Im Einklang mit der Entwicklung in den Epigrammen erfährt das Vorläufermotiv in der Vorrede des achten Buches eine wichtige Erweiterung, wenn Martial zusätzlich zu den professionellen Epigrammatikern auf namentlich ungenannte Prominente verweist, die in ihrer Freizeit ebenfalls Epigramme verfaßten. Catulls zentrale Rolle als Vorbild wird darüber hinaus auch implizit unterstrichen, wenn Martial in den Epigrammen ebenso wie in den praefationes eine bestimmte Terminologie für seine Dichtung gebraucht (ludere, ioci, nugae). Ein weiterer Punkt in der Definition der eigenen Dichtung, der gleich in der ersten praefatio nachdrücklich zur Sprache kommt, ist die Harmlosigkeit der Gedichte, die allerdings gerade nicht als Gattungscharakteristikum, sondern als Besonderheit der Epigramme Martials im Gegensatz zur älteren Epigrammdichtung eingeführt wird. Neben dieser Abgrenzung beinhaltet der direkte Hinweis auf die Harmlosigkeit, der innerhalb der Gedichte mehrfach in sehr unterschiedlicher, teilweise auch spielerischer Art und Weise wiederkehrt, zugleich eine implizite Assoziation mit der Gattung der Satire, die anders als die bisher erwähnten Aspekte in keiner der praefationes direkt, sondern hier wie auch in den meisten Epigrammen nur in Andeutungen zum Ausdruck gebracht wird. Deutlicher ausgedrückt wird dagegen die Assoziation der Epigrammdichtung mit bestimmten nichtliterarischen Bereichen wie (karnevalesken) Festen und dem Bereich der ludi bzw. allgemein der ›Populärkultur‹. Sie erfolgt erstmals grundsätzlich in der Vorrede des ersten Buches, wenn Martial sein bevorzugtes Publikum als die Zuschauer der Mimendarbietungen bei den Floralia identifiziert, und wird in einigen der nachfolgenden praefationes ebenso wie in den Epigrammen selbst mehrfach aufgegriffen und ausgestaltet. Die Abgrenzung von der erhabenen Dichtung, und damit zugleich auch die Realitätsnähe der Epigrammdichtung, wird in den ersten Büchern der Epigrammaton libri überwiegend innerhalb des Textes thematisiert, im

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paratextuellen Bereich dagegen zunächst nur schwach angedeutet. Erst in der praefatio des neunten Buches wird die recusatio der maiora überaus nachdrücklich als feststehende Tatsache, d. h. nicht mehr im eigentlichen Sinne programmatisch, formuliert. Ebenfalls erst spät kommt in der letzten praefatio der vor allem in produktionsästhetischer Hinsicht essentielle Rombezug der Epigramme Martials zur Sprache. Im Rahmen der literarisierten Klage über die desolaten Lebens- und vor allem Schaffensbedingungen in Spanien geschieht dies allerdings wiederum indirekt. Selbst bei der Behandlung der weniger zentralen Detailaspekte zeigt sich eine gewisse Tendenz zur Variation. Während das in der Struktur der Epigrammaton libri generell wichtige Prinzip der variatio in der epistula an Domitian ebenso wie an thematisch verwandten Stellen in den Gedichten selbst vordergründig immer nur für einen bestimmten Einzelfall angesprochen wird405, wird das Prinzip der brevitas, das in den Epigrammen mehrfach für verschiedene Bezugsgrößen von einzelnen Versen bis hin zum Umfang des gesamten Corpus thematisiert wird, in der Vorrede des zweiten Buches nicht etwa generell aufgegriffen, sondern konkret auf die Frage der Länge von praefationes übertragen. Von ähnlicher gestalterischer Vielfalt ist auch Martials Selbstdarstellung als Dichter. In diesem zweiten wichtigen Bereich seiner selbstreferentiellen Aussagen spielt das Motiv der eigenen Popularität, bei den Zeitgenossen ebenso wie bei der Nachwelt, eine besondere Rolle. Das Motiv, das innerhalb des gesamten Corpus wiederholt in unterschiedlicher Ausprägung anzutreffen ist und auch in den praefationes der Bücher 1 und 8 zumindest am Rande zur Sprache kommt, findet seine bei weitem nachdrücklichste Formulierung in der ›Bildunterschrift‹, die als Teil des epigramma extra ordinem paginarum in der praefatio des neunten Buches Bestandteil des Paratextes ist. Das große Selbstbewußtsein des Dichters, das aus dieser ›Bildunterschrift‹ spricht, läßt sich auch an anderer Stelle feststellen, etwa in der Assoziation mit anderen, insbesondere berühmten Dichtern, die im Bereich des Paratextes allerdings nicht als eigenständiges Motiv erscheint, sondern mit der Berufung auf namhafte Vorläufer verschmilzt. Von besonderem Interesse ist außerdem Martials Umgang mit verschiedenen Gegnern seiner Dichtung. Während seine Haltung gegenüber Moralkritikern in der praefatio des ersten Buches, wo sie erstmals in der Wendung gegen Cato als Prototyp eines Moralisten deutlich wird, ähnlich souverän ist wie später in den entsprechenden Epigrammen, zeigen sich im Umgang mit zwei anderen 405 Für die praefationes selbst wird es zwar nicht eigens thematisiert, doch durch die Art ihrer Verwendung kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Prinzip der variatio auch für den paratextuellen Bereich Gültigkeit hat; vgl. Fearnley (1998), 190.

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Arten von Kritikern, den Neidern sowie den Kritikern auf literarischem Gebiet, signifikante Divergenzen zwischen Text und Paratext. Besonders scharf ist der Kontrast bei den Neidern, die in den einschlägigen Epigrammen meist direkt konfrontiert und regelrecht abgefertigt werden, in der letzten praefatio jedoch unvermittelt als zusätzliches desillusionierendes Moment in der provinziellen Einöde Spaniens erscheinen. Bei den literarischen Kritikern ist der Kontrast etwas schwächer, doch ist auch hier der Unterschied zwischen Martials Reaktionen innerhalb der Epigramme und seinem Eingehen auf die Kritik des Decianus in der Vorrede des zweiten Buches nicht zu übersehen. Es konnte gezeigt werden, daß den Diskrepanzen in beiden Fällen eine bestimmte Funktion bei der »extrafiktionalen« Präsentation der Epigrammdichtung im paratextuellen Bereich zukommt. Ähnliches gilt auch für das Vorkommen topischer Bescheidenheitsäußerungen. Solche scheinbaren Abwertungen der eigenen Dichtung, die in den Epigrammen durchaus verschiedentlich anzutreffen sind, sind in den praefationes zunächst auffällig abwesend. Sie erscheinen erst in der epistula zu Beginn des letzten Buches und stehen ebenfalls erkennbar in funktionalem Zusammenhang mit der Schilderung der desolaten Situation, in der sich Martial angeblich in Bilbilis befindet. Die im Rahmen der Untersuchung von Martials Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung auffällige formale Vielfalt bei der Wendung an die einzelnen Adressaten der praefationes ist zu Beginn dieses Abschnittes bereits angesprochen worden. Des weiteren ist festzuhalten, daß Martial in seinen praefationes, ebenso wie in den Widmungsepigrammen, auch verschiedene andere in Widmungstexten typische Motive und Topoi aufnimmt, die in den einzelnen epistulae aber meist in den Hintergrund treten. Neben der Relation zu individuellen Adressaten thematisiert Martial auch sein Verhältnis zum allgemeinen Publikum, und zwar sowohl aus rezeptionsästhetischer als auch aus produktionsästhetischer Perspektive. In den Epigrammen selbst ist überwiegend erstere anzutreffen. Sie aktualisiert sich vornehmlich in einer mehr oder minder umfassenden Bestimmung des bevorzugten Rezipientenkreises bzw. Angaben zu den idealen Rezeptionsbedingungen. Der produktionsästhetische Aspekt, die Bedeutung der Rezipienten für die Entstehung der Epigramme, wird in diesem Bereich indessen deutlich seltener direkt angesprochen. In den praefationes ergibt sich dagegen ein gänzlich anderes Bild. Durch die außerordentliche Prägnanz, mit der jede der beiden Perspektiven hier jeweils einmal zur Sprache gebracht wird, und die Lokalisierung dieser beiden Stellen in der ersten und der letzten der fünf praefationes Martials erscheint das Verhältnis zu den anonymen Rezipienten in auffälliger Weise polarisiert. Von relativ geringem Umfang sind Martials Aussagen über seine Einstellung zur Verwendung von praefationes. In der Vorrede des zweiten Buches

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grundsätzlich formuliert, wird seine offenbar dezidierte Ablehnung dieser Praxis für die Epigrammdichtung in zwei Epigrammen des dritten Buches in zunehmend abstrahierter Form wieder aufgegriffen und in den nachfolgenden Büchern noch zweimal in subtiler Weise in Erinnerung gebracht, zugleich aber auch weiter präzisiert. Darüber hinaus zeigt der Blick auf die Relationen zwischen den einzelnen praefationes, daß sich Martials Verwendung dieser paratextuellen Elemente durchaus im Einklang mit seinen programmatischen Aussagen befindet. Dieses Resümee der wesentlichen Ergebnisse der in den vorangegangenen Abschnitten durchgeführten systematischen Analyse zeigt noch einmal sehr deutlich, wie umfassend, ja beinahe vollständig das Spektrum der in den Epigrammen enthaltenen selbstreferentiellen Aussagen auch in den paratextuellen Vorreden präsent ist. Daneben gibt es freilich auch einzelne Aspekte, die ausschließlich innerhalb der Epigramme angesprochen werden. Dazu gehören Anmerkungen zur Metrik ebenso wie polemische Äußerungen gegen schlechte Dichter, die Auseinandersetzung mit Plagiatoren oder die Schilderung des kargen Lebens als Dichter. Mit Ausnahme des Plagiatorenthemas sind alle diese ›Leerstellen‹ jedoch keineswegs überraschend und müssen daher nicht als Unvollständigkeit, sondern als bewußte Auslassungen betrachtet werden. Die große Ökonomie, mit der sich Martial in den epistulae zu allen wichtigen Aspekten seiner Dichtung äußert, zeigt sich nicht nur in dem Verzicht auf lediglich variierende Wiederholungen oder in besonders dichten Formulierungen, sondern zuweilen auch in der geschickten Auswahl von Beispielen oder der Verknüpfung von Details. So fungiert etwa Catull in der ersten praefatio ebenso als Vorläufer in der Gattung Epigramm wie als namhafter Dichter, mit dem Martial auf eine Stufe gestellt werden möchte, während der Aspekt der lascivia in dieser Vorrede als zentrales Merkmal und zugleich als Element einer sachlichen Gattungstradition eingeführt wird. Auf die Cato-Episode, die in dieser Hinsicht ein Extrembeispiel darstellt, wird im folgenden noch näher einzugehen sein. Die in den praefationes Martials insgesamt keineswegs gleichmäßige oder durchgehend systematische Verteilung der behandelten Aspekte, die umgekehrt aber auch nicht als Ergebnis irrationaler Willkür aufzufassen ist, läßt klar erkennen, daß diese Vorreden weniger jeweils für sich die individuelle Rahmung eines einzelnen Buches als in ihrer Gesamtheit eine umfassende paratextuelle Rahmung des gesamten Werkes bewirken. Zwar läßt sich die erste praefatio des Corpus gleichermaßen auf das erste Buch wie auf die Epigrammaton libri in ihrer Gesamtheit beziehen406, und auch die Vorreden der Bücher 8 und 12 dienen bis zu einem gewissen Grade einer 406 Vgl. Holzberg (2002a), 39; Borgo (2003), 60.

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individuellen Rahmung des jeweiligen Buches407, bei den beiden übrigen epistulae ist diese Funktion jedoch nicht unmittelbar gegeben.408 Die Vorrede des ersten Buches besitzt sowohl in apologetischer als auch in programmatischer Hinsicht einen exzeptionellen Stellenwert. Unmittelbar zu Beginn des Werkes bewirkt sie eine grundsätzliche Leserlenkung in bezug auf alle wesentlichen und vor allem potentiell heiklen Aspekte der Epigrammdichtung. Ein vergleichbares Gewicht kommt, trotz ihrer vordergründig völlig anderen Ausrichtung, nur der praefatio des letzten Buches zu, die in verschiedener Hinsicht mit der ersten korrespondiert. Allein mit diesen beiden Vorreden erfolgt daher eine umfassende paratextuelle Rahmung der Epigrammaton libri, die durch ihre Situierung an den beiden Extremen der werkinternen Chronologie in gewisser Weise auch eine formale Rahmung bildet.409 Durch das Fehlen einer Anrede an einen bestimmten Adressaten bereits von vornherein von der geläufigen Erscheinungsform eines Widmungsbriefes abgesetzt entspricht die erste praefatio noch am ehesten einem Vorwort im modernen Sinne. Unabhängig von ihrem tatsächlichen Entstehungszeitpunkt ist sie als programmatisches »Originalvorwort« gestaltet und richtet sich an einen Adressaten, der erstmals mit einer Sammlung von Epigrammen Martials – ganz gleich welchen Umfangs410 – konfrontiert ist. Geht man nach Martial, wird dieser Adressat allerdings nicht notwendig auch zum Leser der Epigramme. Denn anders als Genette, nach dessen Auffassung der Vorwortadressat mit dem Leser des Werkes identisch ist, da er ja bereits im Besitz des Buches sein müsse, während sich der Titel noch ganz unbestimmt an das allgemeine Publikum richte411, schafft er zunächst noch eine Zwischengruppe, nämlich diejenigen, die nach Kenntnisnahme des Titels noch nicht von einer Lektüre des Buches bzw. Werkes absehen, wohl aber nach der Lektüre der praefatio. Diese (theoretische) Differenzierung ist allerdings nur sehr kurzfristig, da Martial sich gleichsam umgehend

407 Die intratextuelle Rahmung bleibt davon weitgehend unberührt, denn mit Ausnahme des neunten Buches weisen alle Einzelbücher der Epigrammaton libri am Anfang, am Ende oder sogar an beiden Stellen ein oder mehrere Epigramme mit poetologischem Inhalt auf; vgl. Holzberg (2002a), 132. 408 Einzelne implizite Verbindungen sieht Garthwaite (2001a) für Buch 2 und Fearnley (1998) für Buch 9; dazu vgl. S. 84 Anm. 67 und 103 Anm. 120. 409 Der Umstand, daß auf die epistula an Terentius Priscus als Vorrede des zwölften Buches noch weitere Epigramme folgen und diese somit nicht als »Nachwort« den absoluten Endpunkt des Corpus bildet, fällt in Anbetracht des zeitlichen und räumlichen Intervalls zwischen beiden praefationes kaum ins Gewicht. 410 Im Abschnitt 3.1.1 konnte gezeigt werden, daß der Plural libelli nicht zwangsläufig eine aus mehreren Büchern bestehende Sammlung bezeichnet. 411 Genette (1989), 188–189; vgl. 76–77.

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selbst korrigiert: potest epistula vel potius titulo contentus esse (Mart. 1, praef. 13–14). Die beiden zentralen Charakteristika seiner Dichtung, die Martial an derart exponierter Stelle anspricht, werden sehr unterschiedlich gestaltet. Während der Aspekt der lascivia ganz unverblümt thematisiert wird, erfolgt die Präzisierung seiner Haltung zum Umgang mit personenbezogener Invektive auf indirekte Weise. Analog dazu ist bei der in verschiedenen Zusammenhängen erfolgenden Berufung auf Vorgänger zwischen mehr oder minder expliziter Benennung und indirekter Präsenz, etwa durch Intertextualität oder programmatische Assoziation, zu unterscheiden. Neben den genannten Hauptaspekten ist auch die Assoziation der Epigrammdichtung mit nicht- oder nur bedingt literarischen Bereichen von großer Bedeutung, für die die Cato-Episode eine überaus zentrale Rolle spielt. Das epigramma extra ordinem paginarum ist dabei weit mehr als nur eine Variation des zuvor in Prosa Formulierten. Mit diesen Versen stellt der Dichter vielmehr eine ganz konkrete Beziehung zu den Floralia und wesensverwandten Festen her und nimmt zugleich indirekt die dort üblicherweise gewährte licentia auch für seine Epigrammdichtung in Anspruch. Das zuvor theoretisch Formulierte erfährt damit nicht nur eine Erweiterung, sondern wird zugleich bereits hier in seiner Bedeutung bestätigt. Darüber hinaus trägt Martial schon an dieser Stelle seiner später in der praefatio des zweiten Buches ausgedrückten Auffassung Rechnung, daß alles Notwendige auch innerhalb von Epigrammen zur Sprache gebracht werden könne. Angesichts der Relevanz des hier Angesprochenen wird diese Form allein aber offensichtlich nicht mehr für ausreichend erachtet. Aufgrund seiner intertextuellen Bezüge auf Horaz und Petron erweist sich der Prosatext dieser ersten praefatio als zu sehr literarisiert, um tatsächlich »ein notwendig reizlos wirkender, ja enttäuschender Buchanfang«412 zu sein. Die Cato-Episode, wiewohl zur Zeit Martials in der Tat nicht mehr neu, ist ebenfalls von besonderer Bedeutung, denn sie vereinigt mit einzigartiger Komplexität eine Vielzahl verschiedener Ansätze in sich, die auf der Ebene selbstreferentieller Aussagen im weiteren Verlauf der Epigrammaton libri noch zur Sprache kommen werden. Dazu zählt neben der lascivia, dem Bereich der karnevalesken Feste und des Theaters auch ihre paradeigmatische Funktion für den souveränen Umgang mit Gegnern 412 Beck (2002), 181. – Ähnlich bezeichnet auch Citroni (1975), xxx, die praefatio als durchgehend ernsthaft. Erst durch das Epigramm extra ordinem paginarum erfolge »un’opportuna variazione di tono«. Tatsächlich wird der »epigrammatista comico-satirico« jedoch schon in der allmählichen Wandlung des Tonfalls in Richtung der komischen Übertreibung spürbar, namentlich in dem Satz: Si quis tamen tam ambitiose tristis est, ... (Mart. 1, praef. 13). Daher schließt auch das Epigramm extra ordinem paginarum ohne größeren Kontrast an den Prosatext an und bildet gleichsam eine Brücke zwischen der Einleitung und dem nachfolgenden Buch.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

dieser Art von Dichtung und die Bestimmung des Rezipientenkreises ebenso wie der idealen Rezeptionsbedingungen, d. h. eine Reihe von Aspekten, die über eine bloße Gattungsdefinition hinausgehen. Der Versuch, die ausführliche Thematisierung der Cato-Episode innerhalb des epigramma extra ordinem paginarum eindimensional als Hinweis auf die ›richtige‹ Bewertung der in einigen der Epigramme formulierten Kaiserpanegyrik zu lesen413, bedeutet daher eine unzulässige Reduzierung ihrer Funktion. Die Vorrede des zwölften Buches bildet in verschiedener Hinsicht ein Komplement der ersten praefatio. Insbesondere in Martials Blick auf sein Publikum in Rom läßt sich ein signifikanter Perspektivenwechsel feststellen, durch den Martial die elementare Bedeutung seiner engen Bindung an die Rezipienten seiner Dichtung und das Leben in der Hauptstadt nachdrücklich hervorhebt. Den Hauptgrund für diese veränderte Sichtweise bildet die neue exilähnliche Situation des Dichters in seiner spanischen Heimat, die durch die ebenfalls radikal gewandelte Selbstdarstellung in besonders düsteren Farben gezeichnet wird. Auch die Vorrede von Buch 8 weist verschiedene Rückbezüge auf die des ersten Buches auf. Anders als die der letzten praefatio des Corpus sind diese jedoch weniger grundsätzlicher Natur, sondern gehen stärker vom konkreten Einzelfall des achten Buches aus. Es handelt sich um eine variierende Wiederaufnahme von Themen aus der praefatio des ersten Buches, die zwar stets mit einer inhaltlichen Erweiterung, nicht aber mit einem grundsätzlichen Perspektivenwechsel verbunden ist. Diese drei praefationes, von denen die des achten Buches den beiden anderen an Bedeutung etwas nachgeordnet ist, wären sämtlich auch einzeln aus sich selbst heraus verständlich. Anders verhält es sich mit den praefationes der Bücher 2 und 9. Beide erscheinen in stärkerem Maße als okkasionelle Texte und sind geprägt von einer gewissen Unselbständigkeit durch ihre Verbundenheit mit der jeweils unmittelbar vorausgehenden praefatio. Obwohl die jeweils enthaltenen poetologischen Aussagen nur im Gesamtzusammenhang der praefationes in ihrer vollen Tragweite zu erfassen sind, sind beide epistulae auf ihre eigene Art unverzichtbare Bestandteile des Paratextes der Epigrammaton libri, dessen metapoetische Aussage erst durch sie Vollständigkeit erlangt. Nachdem der Dichter in der aufgrund ihrer dialogischen Gestaltung in den wesentlichen Punkten fiktiv allographen praefatio des zweiten Buches seine prinzipielle Ablehnung von praefationes formuliert hat414, demon-

413 Vgl. S. 71 Anm. 38. 414 Eine besondere Pointe besteht indessen darin, daß die Länge der praefatio, die an deren Ende eine wesentliche Rolle spielt, im wesentlichen durch die auffällige und nicht in vollem Umfang notwendige Ausführlichkeit des kritischen Einwandes des Decianus bedingt ist.

Zusammenfassung und Auswertung

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striert er mit der Vorrede des neunten Buches nochmals seine Auffassung von der grundsätzlichen Unnötigkeit dieser paratextuellen Elemente. Nichtsdestoweniger sind gerade in dieser praefatio einige der prägnantesten selbstreferentiellen Aussagen enthalten. Aufgrund verschiedener struktureller Parallelen können die praefationes der Bücher 8 und 9 als eine Wiederaufnahme des Vorredenpaares der Bücher 1 und 2 verstanden werden. Die praefatio des achten Buches wird damit zu einer Art Binnenproömium der Epigrammaton libri. Anders als die Binnenproömien z. B. bei Vergil und Lukrez415 ist es allerdings nicht am Beginn der zweiten Werkhälfte, sondern erst ein Buch später situiert. Diese Asymmetrie deutet darauf hin, daß das Corpus der Epigrammaton libri wohl kaum von Anfang an auf zwölf Bücher angelegt war, was angesichts der sukzessiven Publikation der in sich relativ geschlossenen Bücher über einen Zeitraum von rund 15 Jahren auch schwer planbar erscheint. Es dürfte vielmehr erst im Laufe der Zeit zu diesem ›klassischen‹ Umfang angewachsen sein, so daß der Beginn von Buch 7 bei dessen Publikation noch nicht als Beginn einer zweiten Werkhälfte feststand.416 Ein konkreter Grund dafür, warum gerade das achte Buch wieder mit einer Prosavorrede versehen ist, ist dem Text nicht zu entnehmen. Bedenkenswert sind jedoch zwei Überlegungen. Sofern es die in der Forschung verschiedentlich postulierte Gesamtausgabe der Bücher 1–7 tatsächlich gegeben haben sollte417, könnte die mit Buch 8 erfolgende Fortsetzung der Publikation von Einzelbüchern so sehr wie ein Neuanfang gewirkt haben, daß ein Anschluß an die zu Beginn des Corpus formulierte Programmatik nicht mehr als selbstverständlich gelten und eine variierte Wiederaufnahme daher als notwendig erscheinen konnte. Dies bedeutet freilich nicht, daß die Vorrede von Buch 8 deshalb gleich als praefatio einer zweiten, die Bücher 8–11 umfassenden Gesamtausgabe aufzufassen wäre. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß der Dichter bei dieser zweiten an den Kaiser gerichteten Widmung eines Einzelbuches nach formaler und inhaltlicher Variation gegenüber der ersten strebte, die ›lediglich‹ durch das erste Epigramm von Buch 5 ausgedrückt wurde418, und diese Möglichkeit zum Anlaß nahm, auch die Programmatik der Epigrammaton libri im paratextuellen Bereich weiter zu präzisieren. Die Position der epistula an Toranius am Beginn des nachfolgenden Buches ist dann durch ihre (partielle) Analogie zur praefatio von Buch 2 bedingt. 415 Zu den Binnenproömien bei Vergil und Lukrez s. Conte (1992). 416 Für die Auffassung der Epigrammaton libri als ›Dodekalog‹ s. Holzberg (2002a), 123– 152. 417 Zur Diskussion um mögliche verschiedene Auflagen s.o. Abschnitt 2.4. 418 Daß die Dedikation des achten Buches die des fünften in Ton und Umfang übertrifft, vermerkt auch Leberl (2004), 335.

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Die praefationes in Martials Epigrammaton libri XII

In Anbetracht der geradezu systematisch anmutenden Parallelen, die bei den beiden praefatio-Paaren in den Büchern 1 und 2 sowie 8 und 9 festzustellen waren, wäre zu erwägen, daß Martial im Falle einer weiteren Fortsetzung der Reihe seiner Epigrammaton libri dem nächsten Buch wiederum eine praefatio hätte voranstellen müssen, die in irgendeiner Weise die Verwendung solcher Vorreden unterlaufen bzw. ad absurdum geführt hätte. Obwohl die Überlegung, daß Martial am Ende der praefatio von Buch 12 noch ein weiteres, diesmal echt spanisches Buch ankündige, vereinzelt geäußert wurde419, dürfte wohl kein Zweifel daran bestehen, daß Buch 12 einen Abschluß der Epigrammaton libri darstellt und die praefatio des letzten Buches daher auch als die letzte praefatio zu lesen ist.420 Durch die betonte Antithese der Verhältnisse »früher in Rom« und »jetzt in Spanien« erhält diese letzte Vorrede in der Tat den Charakter eines, in der Terminologie Genettes, »späten Vorwortes«, in dem der Dichter aus größerer zeitlicher – und hier offenbar sogar räumlicher – Distanz auf sein Werk zurückblickt. Ein Eindruck, der nicht zuletzt dadurch verstärkt wird, daß in dieser letzten praefatio eine ganze Reihe poetologischer Aspekte zum ersten Mal thematisiert wird, so daß sich erst jetzt das gesamte Spektrum der selbstreferentiellen Aussagen im paratextuellen Bereich im wesentlichen schließt bzw. geradezu abgerundet wird. Wohl aufgrund ihrer Position am Anfang des jeweiligen Buches sind die praefationes in den Epigrammaton libri Martials – mit Ausnahme der des ersten Buches – in der Vergangenheit vielfach primär als Widmungsepisteln aufgefaßt worden, obgleich sie inhaltlich und formal nicht durchweg als typische Widmungstexte gelten können.421 Im Verlauf der vorliegenden Untersuchung ist deutlich geworden, daß die Widmungsfunktion dieser epistulae tatsächlich nur von untergeordneter Bedeutung ist. Ihre eigentliche Bedeutung liegt vielmehr in einer umfassenden paratextuellen Präsentation der Epigrammaton libri. Trotz ihrer individuellen Adressaten und ihrer oft auch persönlichen Gestaltung sind diese epistulae nie für einen ausschließlich privaten Gebrauch, sondern von Anfang an für eine allgemeine Publikation bestimmt gewesen. In einigen Fällen (insbesondere Mart. 2, praef. und 9, praef.) können die Widmungen sogar als potentiell fiktiv betrachtet werden. Mit der Verwendung dieser praefationes macht sich Martial ein zu seiner Zeit offenbar geläufiges Muster zunutze, das er in starkem Maße für seine eigenen Zwecke funktionalisiert. Gegenüber der teilweise recht individuellen Gestaltung in den Epigrammen selbst gewin-

419 Adams (1975), 36. 420 Zur Markierung von Buch 12 als Abschluß der Epigrammaton libri s. Lorenz (2002), 232– 234 unter Verweis auf Fowler (1989), 78–82; ihm folgt Holzberg (2002a), 123–124; 150–151. 421 So etwa White (1974), 45–46. 57–58; Citroni (1988), 33–34.

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nen die metapoetischen Aussagen in den praefationes durch die größere Seriosität, die diesem »extrafiktionalen« Prosatext zugestanden wird, ebenso wie durch die exponiertere Stellung eine besondere Prägnanz. Auch die vordergründige Unregelmäßigkeit und teilweise sogar scheinbare Widersprüchlichkeit ihrer Verwendung ist keineswegs das Ergebnis eines irrationalen Zufalls, sondern folgt tatsächlich einem von Anfang bis Ende konsequenten Prinzip. Daraus folgt allerdings nicht zwingend, daß die Epigrammaton libri in ihrer überlieferten Form das Ergebnis einer nachträglichen Gesamtedition sind. Denn trotz der festgestellten Konsistenz des Paratextes muß man keineswegs von einem sorgfältig durchgeplanten Gesamtkonzept sprechen, in dem Verteilung und Inhalt der einzelnen praefationes von vornherein präzise festgelegt gewesen wären. Der Befund läßt sich ohne Schwierigkeiten mit einer Publikation in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren vereinbaren. Lediglich die beiden ›Paare‹ der praefationes zu Beginn der Bücher 1 und 2 sowie der Bücher 8 und 9, bei denen auch bei Einzelpublikation eine große zeitliche Nähe gegeben ist, sind jeweils als aufeinander bezogene Einheiten aufzufassen, von denen die zweite unabhängig von ihrem Abstand zur ersten in mehrerlei Hinsicht auf diese rekurriert. Die praefatio des zwölften Buches schließlich stellt eine nachträgliche Abrundung im Sinne eines »späten Vorwortes« dar. Im Verlaufe des umfangreicher werdenden Werkes wird das grundlegende Prinzip somit wiederholt aufgegriffen und dabei den jeweiligen Bedürfnissen angepaßt bzw. individuell variiert und ausgebaut, aber niemals substantiell verändert.

4 Die praefationes in den Silvae des Statius

4.1 Einzeluntersuchungen Im Unterschied zu den bisher behandelten Prosavorreden in den Epigrammaton libri Martials zeichnen sich die praefationes in Statius’ Silvae in verschiedener Hinsicht durch besondere Regelmäßigkeiten aus. So ist diesmal nicht nur jedes einzelne Buch mit einer solchen praefatio versehen. Diese sind darüber hinaus durchweg in Briefform gehalten und reine Prosatexte. Betrachtet man die ersten vier dieser epistulae, die sämtlich auf das ganze Buch bezogen sind, an dessen Anfang sie stehen, so zeigt sich außerdem, daß ihr formaler Aufbau stets demselben Muster folgt: Im Anschluß an die Begrüßung des Adressaten, mit der zugleich die Widmung des Buches ausgedrückt wird, macht Statius einige einleitende Bemerkungen, an die regelmäßig eine Art Inhaltsverzeichnis angeschlossen wird. Darin listet der Dichter die im jeweiligen Buch enthaltenen Einzelgedichte der Reihe nach auf und kommentiert sie kurz. 1 Auf diese Weise gibt er dem Leser der epistula einige Basisinformationen, z. B. über Art oder Anlaß der Gedichte oder über die Umstände der Entstehung. Den Schluß bildet eine erneute Wendung an den Adressaten. Während diese Grundstruktur, innerhalb derer die einzelnen Elemente hinsichtlich ihres Umfangs variieren können, in den praefationes der Bücher 1 bis 4 lediglich insofern durchbrochen wird, als an zwei Stellen nennenswerte Erweiterungen erfolgen, weicht die epistula am Beginn des fünften Buches in auffälliger Weise von dem skizzierten Schema ab. Sie ist zudem nicht auf das ganze Buch, sondern lediglich auf das erste der darin enthaltenen Gedichte bezogen. 2

1 Eine gewisse Parallele für solche ›Inhaltsverzeichnisse‹ findet sich in den Proömien zu den ƒƳ̀ƵƠƬƮƨ des Meleagros und des Philippos. In beiden werden, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die Namen von Dichtern genannt, deren Epigramme in die Gedichtsammlungen aufgenommen wurden. 2 Eine Schwierigkeit bei der Beschäftigung mit den praefationes des Statius besteht in der stellenweise problematischen Überlieferung des Textes. Neben verschiedenen Stellen, an denen die Lesart teilweise sehr umstritten ist, gibt es auch mehrere, an denen der ursprüngliche Text aufgrund größerer Lücken oder Abbrechen des Textes nicht bzw. nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden kann. Für die Interpretation der Texte unter dem Aspekt der darin enthaltenen poetologischen Aussagen sind diese Probleme an den verschiedenen Stellen von unterschiedlicher Rele-

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Die praefatio zum ersten Buch der Silvae

4.1.1 Die praefatio zum ersten Buch der Silvae STATIUS STELLAE SUO SALUTEM Diu multumque dubitavi, Stella iuvenis optime et in studiis nostris eminentissime, qua parte et voluisti, an hos libellos, qui mihi subito calore et quadam festinandi voluptate fluxerunt, cum singuli de sinu meo pro [ ], congregatos ipse dimitterem. quid enim o[ ] quoque auctoritate editionis onerari, quo adhuc pro Thebaide mea, quamvis me reliquerit, timeo? sed et Culicem legimus et Batrachomachiam etiam agnoscimus, nec quisquam est inlustrium poetarum qui non aliquid operibus suis stilo remissiore praeluserit. quid quod et serum erat continere, cum illa vos certe quorum honori data sunt haberetis? sed apud ceteros necesse est multum illis pereat ex venia, cum amiserint quam solam habuerunt gratiam celeritatis. nullum enim ex illis biduo longius tractum, quaedam et in singulis diebus effusa. quam timeo ne verum istuc versus quoque ipsi de se probent! primus libellus sacrosanctum habet testem, sumendum enim erat ›a Iove principium‹. centum hos versus, quos in ecum maximum feci, indulgentissimo imperatori postero die quam dedicaverat opus, tradere iussum 3 . ›potuisti illud‹ dicet aliquis ›et ante vidisse.‹ respondebis illi tu, Stella carissime, qui epithalamium tuum quod mihi iniunxeras scis biduo scriptum. (audacter mehercules, sed ter centum tamen hexametros habet). at fortasse tu pro collega mentieris. Manilius certe Vopiscus, vir eruditissimus et qui praecipue vindicat a situ litteras iam paene fugientes, solet ultro quoque nomine meo gloriari villam Tiburtinam suam descriptam a nobis uno die. sequitur libellus Rutilio Gallico convalescenti dedicatus, de quo nihil dico, ne videar defuncti testis occasione mentiri. nam Claudi Etrusci testimonium †domonnun† est, qui balneolum a me suum intra moram cenae recepit. in fine sunt kalendae Decembres, quibus utique creditor; noctem enim illam felicissimam et voluptatibus publicis inexpertam. . . .

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Das erste Buch der Silvae ist durch eine praefatio in Briefform dem L. Arruntius Stella gewidmet, den Statius kurz nach der förmlichen Briefanrede in einer parenthetischen Apostrophe nochmals in überschwenglicher

vanz. Sie sollen daher im folgenden nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies für die behandelte Fragestellung erforderlich ist. 3 Zur Lesart an dieser Stelle s.u. S. 255-259.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Form als Dichterkollegen anspricht (Silv. 1, praef. 1–2). 4 Auf diese Weise hebt der Dichter en passant nicht nur seine persönliche Verbundenheit mit dem Adressaten hervor, sondern auch dessen besondere Qualifikation, namentlich auf dem Gebiet der Poesie. 5 Stellas ebenfalls nicht unerhebliche Verdienste auf dem Gebiet der Politik bleiben hingegen unerwähnt. Zuvor wird bereits mit den ersten Worten der epistula deren zentrales Thema genannt, nämlich die Zweifel, die Statius grundsätzlich in bezug auf eine gesammelte Veröffentlichung der vorliegenden Gedichte hegt. Besonderes Gewicht erhält die Unentschlossenheit des Dichters nicht allein durch ihre Erwähnung unmittelbar zu Beginn der praefatio, sondern auch durch die Art ihrer Formulierung. Schon früher wurde auf den deutlichen Anklang an den ersten Satz von Ciceros Orator hingewiesen, der mit einer fast identischen Formulierung schließt: Utrum difficilius aut maius esset, negare tibi saepius idem roganti an efficere id quod rogares, diu multumque, Brute, dubitavi. (»Ob es schwieriger oder größer wäre, dir zu verweigern, um was du mich wieder und wieder bittest, oder deine Bitte zu erfüllen, habe ich lange und viel gezweifelt, Brutus«; Cic. orat. 1). Die Verschiedenartigkeit der beiden Werke läßt indessen keinen Zweifel daran, daß es hier nicht darum geht, durch intertextuellen Bezug auf ein bestimmtes Werk den Anschluß an eine Gattungstradition zu signalisieren. Mit dem für den gebildeten zeitgenössischen Leser sicherlich sofort erkennbaren Anklang erfolgt vielmehr ›lediglich‹ eine gewisse Literarisierung der epistula, die damit gleich zu Beginn eine Aufwertung erfährt und über den Status eines rein funktionalen Begleitschreibens hinausgehoben wird. Auf eine mögliche weitere Implikation wird später noch zurückzukommen sein. Ebenfalls noch innerhalb des ersten Satzes der praefatio liefert Statius schließlich auch eine erste wesentliche Charakterisierung seiner hier zu veröffentlichenden Dichtung. Die einzelnen Gedichte, für die er die Bezeichnung libelli 6 verwendet, seien als spontane Augenblicksschöpfungen 4 Zur Person des L. Arruntius Stella und seinem Verhältnis zu Statius s. White (1972), 105– 113. 205–209; White (1975), 267–272; P. v. Rohden: Art. »Arruntius 26«, RE 2,1,1265–1266; Vessey (1973), 18–19. 5 Gemeint ist möglicherweise nicht die Poesie als ganze, sondern speziell der Bereich der elegischen Dichtung, freilich ohne daß damit eine Einschränkung des Komplimentes verbunden wäre: Courtney (1984), 328; vgl. Aricò (1965), 346, der allerdings bereits die studia nostra im engeren Sinne als kleine Dichtung auffaßt, zu der die Elegie im Gegensatz zum Epos ebenso gehöre wie die Gelegenheitsgedichte des Statius. Weniger plausibel dagegen die Deutung von Hardie (1983), 138, nach der Statius hier auf den Unterschied zwischen professionellem und Freizeitdichter abhebt (»to the extent that you have desired«). – Für ein mögliches Wortspiel bei der Apostrophierung Stellas als eminentissimus s. Nisbet (1978), 8. 6 Anders als in der praefatio des ersten Buches der Epigrammaton libri Martials ist der Plural weitgehend unproblematisch. Das Diminutiv libellus wird in den Prosavorreden des Statius durchgängig zur Bezeichnung einzelner Gedichte verwendet (Silv. 1, praef. 2. 16. 27; Silv. 2, praef. 15; Silv. 3, praef. 2. 11. 23), und Statius läßt keinen Zweifel daran, daß die Gedichte in eben dieser

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in meist recht kurzer Zeit entstanden und durchaus jeweils für sich schon in die Hände anderer gelangt (Silv. 1, praef. 3–4). 7 Ohne daß dies explizit formuliert würde, wird deutlich, daß hierin die Gründe für die Zweifel an einer Publizierbarkeit der Gedichte zu suchen sind. Im folgenden allgemeinen Teil geht Statius zunächst zu einer ausführlicheren Erörterung seiner Zweifel über, die sich im wesentlichen in zwei Teile gliedert. Er beginnt mit der rhetorischen Frage nach seiner Motivation für eine Sammelpublikation seiner Gelegenheitsgedichte 8 , zumal zu einem Zeitpunkt, da er noch um die Akzeptanz der kurz zuvor veröffentlichten Thebais besorgt ist (Silv. 1, praef. 5–7). Unmittelbar anschließend werden als wichtiges Argument für eine Publikation zwei Arten von Präzedenzfällen angeführt. Mit dem Culex und der Batrachomachia, die er zumindest hier ohne Zweifel Vergil bzw. Homer zuschreibt, nennt Statius zunächst zwei signifikante Beispiele und schließt dann mit der Feststellung, daß

Form bereits in die Hände anderer gelangt sind. Daraus folgt indessen nicht zwangsläufig, daß die libelli von Anfang an als Vorstufe zu publizierten Büchern gedacht waren. Anders Newlands (2002), 33, nach deren Auffassung Statius mit dem Begriff libelli die beiden Produktionsstadien der recitatio und der Überarbeitung für die Publikation zusammenfaßt. – Tanner (1986a), 3036– 3041, sieht in der Verwendung des Begriffes libelli auch eine inhaltliche Assoziation mit anspruchslosen Gedichten wie Epigrammen und kommt zu dem Ergebnis, daß diese libelli ihrem Umfang nach den von ihm postulierten kleinen, privaten Gedichtsammlungen Martials entsprochen haben. 7 Der Inhalt dieses Satzes ist trotz der lacuna pro[ ] eindeutig. Zur Ergänzung der Stelle wurde zwar eine Reihe verschiedener Konjekturen vorgebracht, von prodiissent (Markland) über profugissent (Phillimore), procucurrissent oder provoluta essent (Postgate (1905), 116–117), prodierint (Sänger), prolapsi essent (Meister (1929)) bis hin zu provolassent (Wagenvoort (1952)) und procidissent (Broscius (1992)), hinsichtlich des Sinns bestehen jedoch keine grundsätzlichen Differenzen. Interessant ist allerdings, daß die libelli überwiegend als aktiv handelnd gedacht werden. 8 Dies kann trotz einer leichten Unsicherheit wegen der lacuna im Hauptsatz (Silv. 1, praef. 5) als weitgehend sicher gelten. Ähnlich wie bei der vorhergehenden (Silv. 1, praef. 4) bestehen auch hier keine grundlegenden inhaltlichen Divergenzen zwischen den zahlreichen Konjekturen. Während Markland, Klotz, Marastoni und Courtney die Lücke offenlassen, ergänzt Phillimore quid enim quoque; Sänger quid enim quoque; Traglia/Aricò quid enim quoque; vgl. auch Baehrens (1873), 250: quid enim quoque; sowie Sandström (1878), 1–2; Wagenvoort (1952); Broscius (1992). – Der Ausdruck auctoritas editionis ist singulär und aufgrund der textkritischen Schwierigkeiten in diesem Satz nicht präzise zu fassen, zumal unklar ist, wer dadurch ›belastet‹ wird, die libelli oder aber der Dichter selbst. In ersterem Falle wäre ein durch Publikation gestiegenes Prestige des Textes bezeichnet, in letzterem die Verantwortung für die Publikation; vgl. Nauta (2002), 281. Etwas zu neuzeitlich erscheint hingegen die Auffassung von Vollmer (1898), 210, der darunter »eine Buchausgabe, die dem Dichter die Rechte geistigen Eigentums sichert, aber auch die Pflichten der Verantwortung für Inhalt und Form auferlegt« versteht. Eine ausführlichere Erörterung der z. T. ebenfalls leicht differierenden Lesarten im weiteren Verlaufe des Satzes (onerare bzw. honorari anstelle des onerari; quom, qui oder quoniam anstelle des quo) ist an dieser Stelle verzichtbar, da diese Konjekturen keine grundsätzlichen Auswirkungen auf den Sinn der Stelle haben.

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grundsätzlich alle namhaften Dichter außer ihren eigentlichen Werken 9 auch andere, weniger seriöse Gedichte geschrieben hätten (Silv. 1, praef. 7– 9). Damit macht Statius eine komplexe Aussage über seine Dichtung insgesamt, die weit über die vordergründigen Überlegungen zur Publikation der Silvae, ja sogar über die Silvae als ganze hinausgeht. Innerhalb dieser Aussage lassen sich zwei verschiedene Ebenen differenzieren. Im Vordergrund steht natürlich der bekannte Gegensatz zwischen Epos und kleiner Dichtung. Zum Ausdruck gebracht wird dieser Gegensatz zunächst durch den Bezug auf bekannte Werke beider Arten, dann aber auch durch die jeweils verwendeten Begriffe, wenn es heißt, die kleinere Dichtung, wie z. B. auch die hier vorliegende, sei im Gegensatz zu den opera der großen Dichter mit weniger Sorgfalt und Ernsthaftigkeit (stilo remissiore; Silv. 1, praef. 9) verfaßt, eher spielerischer Natur (praeludere; Silv. 1, praef. 9) und dementsprechend von geringerem Gewicht. 10 Daneben manifestiert sich hier jedoch auch sehr nachdrücklich Statius’ Anspruch als Epiker, wenn er sich nicht nur ganz selbstverständlich generell zu den illustres poetae auf dem Gebiet des Epos rechnet, sondern außerdem als konkrete Beispiele für sein derzeitiges Vorhaben auf den jeweils größten Epiker der griechischen und der lateinischen Literatur verweist und sich implizit mit ihnen assoziiert. 11 Den Anknüpfungspunkt für diese weitreichende Äußerung über die eigene Dichtung bildet die scheinbar beiläufige Erwähnung der Thebais in der relativischen Erweiterung der rhetorischen Frage nach der Begründung für die Publikation der Silvae. Nachdem diese Frage im Hauptsatz zunächst offenbar ganz allgemein formuliert wurde, grenzt Statius sie im Nachhinein auf einen bestimmten situativen Kontext ein. Damit verläßt er in gewisser Weise die Logik der bisherigen Argumentation, denn natürlich sind die zuvor als Grund für die Zweifel an einer Publizierbarkeit der Silvae suggerierten qualitativen Mängel der einzelnen Gedichte von den gegenwärtigen äußeren Umständen des Dichters, die jetzt in den Vordergrund gerückt 9 Marklands ad loc. angestellte Vermutung, anstelle des operis suis habe ursprünglich operis seriis gestanden, hat bei Späteren kaum Zustimmung gefunden (vgl. lediglich Postgate (1905), 117). 10 Dams (1970), 152, vgl. Adam (1988), 33–34; in praeludere ist zudem die Bedeutung »Vorübung« enthalten, die als Vorübung zur größeren Dichtung verstanden wird (Vollmer (1898), 21; vgl. ThLL X 2,696, s. v. praeludo: i.q. ante ludere; 1 a Ơ: respiciuntur carmina minora, leviora, quae quis scribit antequam aggrediatur maiora); Aricò (1971), 221–222, weist jedoch zu Recht darauf hin, daß dies auf Statius nicht zutrifft, da er zumindest einige der in den Silvae enthaltenen Gedichte parallel zur Thebais bzw. später zur Achilleis verfaßt hat. Aus diesem Grunde betrachtet Fearnley (1998), 204, Statius’ Assoziation mit Homer und Vergil als ironisch. – In ähnlicher Weise versucht auch Plinius zu rechtfertigen, daß er parallel zu seinen seriösen Schriften bisweilen auch kleine, spielerische Gedichte schreibt (epist. 4,14). 11 Vgl. Vessey (1973), 36; Dams (1970), 152.

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werden, in keiner Weise abhängig. Diese Beobachtung legt nahe, daß Statius den anscheinend assoziativen Übergang von seiner Skepsis in bezug auf die vorliegenden Gedichte zu seiner Sorge um das bereits publizierte Werk in Wahrheit gezielt zu einer Erwähnung des eigenen Epos benutzt, um so einen Anknüpfungspunkt für die nachfolgenden Ausführungen zu schaffen. Nach der als Argument zugunsten einer Publikation präsentierten starken Selbstaussage kehrt Statius wieder zur Schilderung seines eingangs betonten Zweifels zurück. Auch dieser zweite Teil beginnt mit einer rhetorischen Frage, die durch den Einsatz mit quid quod deutlich als Hinwendung zu einem neuen Aspekt markiert ist. 12 Statius greift hier den zu Beginn der praefatio bereits kurz angesprochenen Gedanken wieder auf, daß die Gedichte bereits in den Händen derjenigen seien, für die sie ursprünglich geschrieben wurden, und es daher im Grunde schon zu spät sei, sie noch zurückzuhalten. Bei einem breiteren Publikum, den ceteri (Silv. 1, praef. 11), befürchtet er indessen weitaus reserviertere Reaktionen als bei den eigentlich viel wichtigeren direkten Adressaten. 13 Schon für die Reaktion dieser primären Rezipienten benutzt Statius den betont bescheidenen Begriff venia, obgleich tatsächlich natürlich eine lobende Reaktion gemeint ist 14 , und deutet damit einmal mehr eine mögliche qualitative Unzulänglichkeit seiner hier präsentierten Gedichte an. Bei allen übrigen Lesern, die in der praefatio allein mit dieser Bemerkung beiläufig ins Spiel gebracht werden, dürften sie freilich sehr viel weniger Nachsicht finden, da diese elementar von dem entscheidenden Wesensmerkmal der Dichtung abhängig sei. Die gratia celeritatis (Silv. 1, praef. 13), in der Darstellung des Statius der einzige Reiz, den seine Gelegenheitsgedichte jemals besitzen, basiert auf ihrem zeitlich fast unmittelbaren Bezug auf einen konkreten Anlaß mit besonderer Bedeutung für den jeweiligen Adressaten. Sie ist dementsprechend sehr vergänglich und für jeden späteren Leser nicht mehr nachvollziehbar. Im Anschluß an diese Feststellung beeilt sich Statius zu versichern, daß er an keinem der hier versammelten Gedichte länger als zwei Tage gearbeitet habe (Silv. 1, praef. 12–13). Durch den Anschluß mit enim wird diese Aussage als eine Art Begründung des Vorhergehenden markiert. Tatsächlich erstreckt sich ihre begründende Funktion jedoch ausschließlich auf den im vorherigen Satz betont an letzter Stelle stehenden Begriff celeritas, 12 Vgl. OLD 1569, s.v. quis 13c: »what of the fact that… (esp. in adding a consideration)«. 13 Dadurch, daß diese ursprünglichen Empfänger der einzelnen Gedichte hier in der zweiten Person als vos apostrophiert werden (Silv. 1, praef. 10), entsteht der Eindruck einer relativ geschlossenen, untereinander gut bekannten und auch mit dem Dichter recht vertrauten Personengruppe, die nach Stella als dem Widmungsadressaten des ganzen ersten Buches, aber noch vor den ceteri, eine zweite Adressatenebene des Buches bzw. sogar der ganzen Sammlung bildet. 14 Vollmer (1898), 211.

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während sie von dessen Gesamtaussage eher wegführt. Anders als der vorhergehende Satz ist die Bemerkung über die effektive Produktionszeit in keiner Weise von Besorgnis wegen potentieller Defizite der Dichtung getrübt, sondern läßt im Gegenteil einen gewissen Stolz auf die Fähigkeit zur poetischen Improvisation erkennen. Durch den nächsten Satz wird dieser Eindruck allerdings offenbar sogleich wieder revidiert (Silv. 1, praef. 14– 15). Hier formuliert Statius mit besonderer Emphase seine Sorge, daß man den Gedichten ihre kurze Entstehungszeit nur allzu sehr anmerken könnte, und bezieht sich dabei natürlich wiederum auf potentielle Qualitätsmängel durch zu wenig sorgfältige Ausarbeitung. 15 Dieser Überblick zunächst nur über den allgemeinen Teil der ersten praefatio im Corpus der Silvae läßt bereits erkennen, wie Statius das gleich zu Beginn ausdrücklich benannte Hauptthema dazu benutzt, einige wichtige Aussagen sowohl über die Art der hier vorgelegten Dichtung als auch über sein Selbstverständnis als Dichter zu vermitteln. Vordergründig werden die Kernpunkte seines Zweifelns und vor allem die wichtigsten Argumente für und wider eine Gesamtpublikation der Gelegenheitsgedichte dargelegt. Stellenweise geschieht dies in beinahe assoziativer Weise, so daß dem Leser der deliberative Prozeß, das Hin- und Hergerissensein des Dichters, sichtbar vor Augen geführt wird. Die darüber hinausgehenden Aspekte sind im Ansatz schon bei der ersten Lektüre zu erkennen; in vollem Umfang lassen sie sich jedoch erst durch eine eingehendere Analyse erfassen. Wie oben bereits dargelegt wurde, werden bei der Charakteristik der in den Silvae gesammelten Gedichte zwei zentrale Punkte angesprochen, zum einen der Gegensatz zur erhabenen Dichtung konkret in Form des Epos, zum anderen ihr spontaner Improvisationscharakter. Innerhalb des Textes werden beide Punkte sehr unterschiedlich behandelt. Während der Gegensatz der Silvae zur epischen Dichtung einmal en bloc thematisiert wird (Silv. 1, praef. 5–9), kommt der Aspekt der Spontaneität und Improvisation zweimal zur Sprache, am Anfang zunächst in Kurzform (Silv. 1, praef. 3– 4), später dann sehr viel ausführlicher (Silv. 1, praef. 12–15). Auf diese Weise wird der stilkritische Gegensatz, der sich außer bei Statius auch bei verschiedenen anderen Vertretern der poetischen Kleinform findet, durch den Verweis auf den Improvisationscharakter dieser kleinen Gedichte formal gerahmt. In beiden Teilen der Rahmung werden prinzipiell dieselben zwei Unterpunkte angesprochen, die celeritas der Gedichtproduktion und die Weitergabe der Gedichte. Auffällig sind dabei nicht nur die recht unter-

15 Das emphatische quam timeo… als Konjektur für das überlieferte quami meone findet sich in der überwiegenden Zahl der Textausgaben, so bei Klotz, Phillimore, Frère/Izaac, Marastoni, Courtney, Shackleton Bailey; sehr viel seltener ist quamvis (Markland, Vollmer) oder quamquam timeo (Traglia/Aricò; befürwortet auch von Håkanson (1969), 16–17; vgl. Vollmer (1898), 211).

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schiedliche Ausführlichkeit und die chiastische Anordnung der einzelnen Elemente, sondern insbesondere auch die grundlegende Änderung der Perspektive. Zu Beginn der praefatio beschreibt Statius die Entstehung der Gedichte in einem Nebensatz mit mihi subito calore et quadam festinandi voluptate fluxerunt, und merkt anschließend an, sie hätten seinen Einflußbereich einzeln bereits verlassen (Silv. 1, praef. 3–4). Hier liegt das Gewicht eindeutig auf der Seite des Dichters. Die celeritas der Produktion wird aus produktionsästhetischer Perspektive beschrieben, und auch die Weitergabe an die ursprünglichen Rezipienten erscheint nur als ein Weggehen aus der Sphäre des Dichters (Silv. 1, praef. 4). 16 Statius’ zweite Stellungnahme zum Improvisationscharakter der Silvae erstreckt sich dagegen über mehrere Sätze und fokussiert jetzt die Seite der Rezipienten. Den Anfang bildet der Gedanke, daß sich die Gedichte bereits in den Händen ihrer Adressaten befinden, und auch die celeritas wird aus rezeptionsästhetischer Sicht thematisiert, wenn Statius erklärt, der alleinige Reiz solcher Gelegenheitsgedichte bestünde im jeweils unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem behandelten Ereignis. Darüber hinaus fällt auf, daß die celeritas an beiden Stellen sehr unterschiedlich bewertet wird. Auf den ersten Blick scheint Statius die celeritas bei ihrer ersten Erwähnung zwar durchaus kritisch zu betrachten, doch erfolgt die tendenziell negative Bewertung nur indirekt durch den Kontext, d. h. konkret durch die einleitende Betonung der Zweifel im Hinblick auf eine Gesamtpublikation der Silvae, die gewissermaßen als negatives Vorzeichen für die Charakterisierung der Gedichte im gesamten ersten Satz fungieren. Für sich allein sind die zur Bezeichnung des schnellen Dichtens verwendeten Begriffe subitus calor und festinandi voluptas keineswegs negativ konnotiert. 17 An der zweiten Stelle fällt die Bewertung dagegen anscheinend in jeder Hinsicht negativ aus. Die Gedichte bedürfen der venia selbst der ursprünglichen Rezipienten, da sie aufgrund ihrer schnellen Ent16 Die Aussage, die libelli hätten den sinus des Dichters verlassen, läßt parallel zueinander zwei Deutungen zu. Zum einen kann hier ganz konkret die Übergabesituation gemeint sein, in der der Dichter das schriftlich fixierte Gedicht dem sinus seines Gewandes (OLD 1771, s. v. sinus 4: »hanging fold of a toga or other garment used as a pocket«) entnommen hat, um es zu überreichen. Zum andern haben die Gedichte durch ihre Weitergabe aber auch den unmittelbaren Einflußbereich des Dichters (OLD 1771, s. v. sinus 3: »(fig. w. ref. to a person, place, situation etc.) bosom, refuge, shelter«) verlassen, in dem sie vor uneingeschränkter Kritik sicher waren. 17 Während calor prinzipiell sowohl positive als auch negative Bedeutungen in sich schließen kann (ThLL III 181–182, s. v. calor II 1: i.q. concitatio, commotio, impetus, ira, temeritas, furor), für sich allein also noch ambivalent ist, ist der Begriff der voluptas durchweg positiv besetzt: OLD 2102, s. v. voluptas. Zusätzlich impliziert auch das in diesem Zusammenhang gebrauchte Verb fluere eine gewandte Leichtigkeit: Geyssen (1996), 43–44; vgl. Coleman (1988), xxvi; Newlands (2002), 34.

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stehung nur eine einzige, äußerst eng begrenzte gratia besitzen, darüber hinaus aber mit Nachteilen in Form qualitativer Mängel behaftet sind. Betrachtet man indessen die letzten Sätze dieses allgemeinen Teils noch einmal genauer, so finden sich einige Indizien dafür, daß Statius die celeritas auch an dieser Stelle nicht so negativ beurteilt, wie es auf den ersten Blick erscheint. Darauf, daß in der Angabe über die maximale Produktionszeit ein unüberhörbarer Ton von Stolz des Dichters mitschwingt, ist oben bereits kurz hingewiesen worden. Doch muß auch die anschließend emphatisch zum Ausdruck gebrachte Befürchtung einer möglichen Unzulänglichkeit der Silvae in diesem Zusammenhang kritisch betrachtet werden. Statius verwendet hier mit timere (Silv. 1, praef. 14) exakt dasselbe Verb, mit dem er kurz zuvor auch seine Sorge um die Akzeptanz seines Epos Thebais bezeichnet hat (Silv. 1, praef. 7). 18 Die gleich darauf folgende Assoziation mit den illustres poetae (Silv. 1, praef. 8–9) des Epos läßt jedoch kaum einen Zweifel, daß Statius die Qualität der Thebais tatsächlich recht hoch einschätzt, das timere an dieser Stelle demnach nicht wörtlich zu nehmen ist. Dies legt wiederum nahe, daß auch die auf die Silvae bezogene Furcht als bloßer Bescheidenheitstopos aufzufassen ist. Zusätzlich gestützt wird diese Auffassung durch das anschließende ›Inhaltsverzeichnis‹. Hier zeigt sich Statius in besonderem Maße bestrebt, die zuvor pauschal behauptete celeritas der Komposition durch Anführung möglichst glaubwürdiger Zeugen konkret für jedes Gedicht zu belegen. Wie sehr die Beweisführung das Leitmotiv bildet, das die Angaben zu sämtlichen Einzelgedichten des ersten Buches trotz der jeweils individuell gestalteten Übergänge miteinander verbindet, wird in der nachfolgenden Behandlung dieses Textabschnittes noch herausgearbeitet werden. Sie wird von Beginn der Aufzählung an eindeutig benannt und knüpft damit in einem starken Kontrast an das unmittelbar vorhergehende Ende des allgemeinen Teils an. Dort benutzte Statius zur Formulierung seiner Sorge, die Gedichte selbst könnten ihre eilige Entstehung zu erkennen geben, mit probare (Silv. 1, praef. 15) ebenfalls einen Ausdruck des Beweisens. Mit dem Begriff des testis (Silv. 1, praef. 16) wird das Bild der Beweisführung im Inhaltsverzeichnis terminologisch weitergeführt, jetzt allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. In diesem zweiten Teil der praefatio zeigt sich, daß Statius prinzipiell durchaus an einem Beweis für seine Fähigkeit des schnellen

18 Die Wiederholung des timere hat zudem eine wichtige Funktion für die Einheit des allgemeinen Teils der praefatio. Wenn Statius in beiden angesprochenen Kontexten von seiner Furcht spricht, wird damit eine gewisse Verbindung hergestellt zwischen dem in der Mitte dieses Teils thematisierten Gegensatz von großer und kleiner Dichtung und den beiden Teilen, in denen vorher und hinterher von der celeritas des Dichtens die Rede ist. Diese würden den Gegensatz sonst mehr oder minder unverbunden umrahmen.

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Dichtens gelegen ist, entscheidend ist lediglich die Art, wie und von wem ein solcher Beweis geführt wird. Schon der erste Einzeladressat wird sogleich als unantastbarer Zeuge für die Wahrhaftigkeit der Angabe über die kurze Produktionszeit des an ihn gerichteten Gedichtes eingeführt. Es handelt sich um niemand geringeren als den Kaiser selbst, und diese Wahl wird von Statius auch ganz klar begründet: sumendum enim erat ›a Iove principium‹ (Silv. 1, praef. 16–17). Er rekurriert damit auf die bekannte formelhafte Wendung zur Anrufung Jupiters am Beginn eines meist poetischen Werkes, die an verschiedenen Stellen in der lateinischen Literatur gebraucht bzw. erwähnt wird 19 , und signalisiert zugleich die Notwendigkeit, dem ranghöchsten Einzeladressaten mit der exponierten Anfangsstellung des an ihn gerichteten Gedichtes einen besonderen Ehrenplatz innerhalb der Sammlung zuzuweisen. 20 Der Adressat dieses ersten Gedichtes ist damit indirekt bereits eindeutig bezeichnet, noch bevor Statius im weiteren erklärt, er habe dem indulgentissimus imperator (Silv. 1, praef. 18) das 100 Verse umfassende Gedicht – je nach Lesart auf eigene Initiative oder auf Aufforderung 21 – zur Einweihung seines Reiterstandbildes bereits am darauffolgenden Tage überreicht22 , und den Empfänger damit auch explizit benennt. Obgleich hier unübersehbar seine absolute Glaubwürdigkeit als Zeuge für die celeritas in den Vordergrund gerückt wird, kommt dem Kaiser durch die Erwähnung an derart exponierter Stelle zugleich auch ganz allgemein die Rolle eines Gewährsmannes für das erste Buch dieser neuartigen Gedichtsammlung zu. Die Erläuterung zum ersten Gedicht schließt mit dem antizipierten Einwand eines fiktiven Skeptikers, Statius könne das Standbild ja bereits vor seiner Einweihung in Augenschein genommen haben (potuisti illud [...] et ante vidisse; Silv. 1, praef. 19–20). Diese occupatio ist zugleich der Beginn der Überleitung zur nachfolgenden Anmerkung zum zweiten Gedicht des Buches. Statius zeigt sich gewiß, daß Stella als Adressat sowohl des gesamten Buches als auch von Silv. 1,2 einem solchen Skeptiker entgegentreten 19 Im Wortlaut etwa bei Verg. ecl. 3,60; Germ. 1; Calp. ecl. 4,82; in variierter Form auch bei Cic. leg. 2,7 (= Cic. Arat. frg. 1), Ov. met. 10,148; fast. 5,111; Val. Max. 1, praef. Die Wendung geht zurück auf die einleitende Formulierung in Aratos’ Phainomena: ʫƩ Ƅƨ̅Ʊ ʕưƶ̊ƫƤƲƧƠ... (Arat. 1; vgl. Theokr. 17,1); dazu s. auch Otto (1890), 880, p.178–179. 20 Die Art der Einführung Domitians beinhaltet zugleich auch eine Anspielung auf dessen Assoziation mit Jupiter im Rahmen seiner Herrscherideologie: Newlands (2002), 53–54; vgl. Vollmer (1898), 212; Vessey (1973), 37. – Domitian wird in den Silvae ebenso wie auch in Martials Epigrammen verschiedentlich mit Jupiter gleichgesetzt, dazu s. Sauter (1934), 54–77; zur Rolle Jupiters in Domitians Herrschaftsideologie s. Fears (1981), 77–80. 21 Auf das textkritische Problem, mit dem das Prädikat dieses Satzes behaftet ist, wird im weiteren Verlauf dieses Abschnittes noch einzugehen sein. 22 Daß die Zeitangabe postero die quam dedicaverat opus (Silv. 1, praef. 18–19) auf den Zeitpunkt der Übergabe des Gedichtes zu beziehen ist, ist unzweifelhaft: Sandström (1878), 2; ihm folgen Håkanson (1969), 17; Geyssen (1996), 28.

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werde, da er selbst sehr genau wisse, daß das an ihn gerichtete Gedicht innerhalb von zwei Tagen fertiggestellt wurde. Hinzu kommen auch diesmal einige weitere Angaben: Es handelt sich um ein Hochzeitsgedicht, das Statius speziell auf Ersuchen Stellas geschrieben hat (epithalamium tuum quod mihi iniunxeras; Silv. 1, praef. 21). Mit unverhohlenem Stolz wird zusätzlich der außergewöhnliche Umfang von rund 300 Hexametern hervorgehoben 23 , bevor die Anmerkung wiederum mit einer occupatio schließt. Statius nutzt den denkbaren Einwand, Stella könne zugunsten eines Dichterkollegen eventuell auch eine unwahre Angabe bestätigen, um nochmals en passant auf seine Verbundenheit mit dem Adressaten zu verweisen, die er zu Beginn der praefatio bereits betont hat. 24 Die Anmerkung zu Silv. 1,3 schließt hieran mit einer Art adversativem Asyndeton an. In scharfem Gegensatz zum Vorhergehenden wird für den Adressaten Manilius Vopiscus die Freiwilligkeit unterstrichen, mit der dieser sich wiederholt rühmend über die kurze Entstehungszeit des für ihn bestimmten Gedichtes äußere, das innerhalb eines einzigen Tages verfaßt worden sei. Da die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen anders als bei Domitian nicht schon durch seine Stellung oder wie bei Stella durch die einleitenden Bemerkungen der epistula sichergestellt ist, wird sie durch eine umfangreiche Apposition untermauert, die die besondere Qualifikation und die Verdienste des Manilius Vopiscus auf dem Gebiet der Literatur hervorhebt, ohne daß dieser allerdings ebenfalls als collega bezeichnet würde. 25 Darüber hinaus fällt auf, daß zwar Art und Gegenstand des Gedichtes, die Beschreibung der villa Tiburtina des Adressaten, genannt werden, Angaben über die Länge hier aber erstmals fehlen. Nachdem die Angaben zu den ersten drei Gedichten in der beschriebenen Weise argumentativ miteinander verknüpft waren, bedient sich Statius bei der Einführung des nächsten Gedichtes eines geradezu nüchternen Aufzäh23 Während der Text mit der von Elter (ap. Vollmer (1898)) konjizierten Lesart sed ter centum tamen hexametros habet, die von Vollmer, Frère/Izaac, Traglia/Aricò, Courtney und Shackleton Bailey übernommen wurde, eine gewisse stolze Zufriedenheit des Dichters zum Ausdruck bringt (vgl. Vollmer (1898), 212; Håkanson (1969), 18–19; Courtney (1984), 328–329), käme das auch sprachlich nicht unproblematische sed tantum tamen hexametros habet der Überlieferung, das von Klotz, Phillimore und Marastoni akzeptiert wird (vgl. auch Vessey (1971), 275), einer nachträglichen Relativierung der vollbrachten Leistung gleich. Andere Konjekturen wie das auf Domitius zurückgehende sed tamen CCLXXII hexametros habet (Markland) oder Wimans (1937), 2, sed t antum camen bzw. sed t antica camen hexametros habet haben nur wenig oder gar keine Zustimmung gefunden. 24 Statius bezieht sich hier vermutlich allein auf das gemeinsame Interesse, »an ein collegium poetarum [...] ist nicht zu denken« (Vollmer (1898), 212–213). 25 Der hier genannte Manilius Vopiscus, vermutlich der Vater des Konsuls von 114 n. Chr., ist nur durch Silv. 1,3 faßbar: Vollmer (1898), 265; White (1972), 153–155; Hardie (1983), 68–69; vgl. M. Fluss: Art »Manilius 31«, RE 14,1,1143–1144; für eine kritische Einschätzung der musischen Qualifikationen des Manilius Vopiscus s. Cancik (1978), 120–121.

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lungsstils: sequitur libellus… (Silv. 1, praef. 27) und benennt wiederum den Adressaten sowie durch Hinweis darauf, daß es in dessen Genesungszeit geschrieben wurde, auch die Art des Gedichtes. Danach aber weist die Anmerkung eine signifikante Differenz zu den vorhergehenden auf. Statius verzichtet hier ausdrücklich auf weitere Angaben, insbesondere bezüglich der Entstehungszeit des Gedichtes, mit der Begründung, daß der inzwischen verstorbene Rutilius Gallicus 26 als Zeuge nicht mehr zur Verfügung steht und Statius sich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, er nutze diese Gelegenheit zu einer unrichtigen Angabe. Ein derart demonstrativer Verzicht in Anbetracht der speziellen Situation ist natürlich Teil von Statius’ Strategie, mit der er die Anführung von Zeugen in der ersten praefatio als unbedingt seriös erscheinen lassen und damit auch den eigenen Angaben besondere Glaubwürdigkeit verleihen will. Mit der Angabe zu Silv. 1,5 kehrt Statius wieder zu seinem früheren Prinzip zurück, die ursprünglichen Adressaten als testes der von ihm behaupteten celeritas zu benennen. Durch die Anknüpfung mit nam (Silv. 1, praef. 29) erscheint die Anmerkung geradezu als eine Begründung des Vorhergehenden: Der aus Gründen der Seriosität selbstverständliche Verzicht auf das Zeugnis des Rutilius Gallicus bereitet Statius keine Probleme, da es durchaus noch andere Zeugen gibt, die seine Angaben bestätigen können 27 , etwa Claudius Etruscus. 28 Abgesehen davon ist diese Angabe überaus knapp gehalten ist und enthält nur die allernötigsten Informationen. Besonders wichtig ist neben der Identität des Adressaten natürlich die Produktionszeit. Wenn Statius angibt, er habe das Gedicht intra moram cenae verfaßt (Silv. 1, praef. 30), ist dies die mit Abstand kürzeste unter den in

26 Zur Person des Rutilius Gallicus und seiner Karriere s. E. Groag: Art. »Rutilius 19«, RE 1A,1255–1263; Vollmer (1898), 282–283; White (1972), 155–161; Vessey (1973), 20–21; Syme (1984); Eck (1985). 27 An dieser Stelle besteht wiederum ein textkritisches Problem. Das korrupte domonnun wird von den Herausgebern z. T. in cruces gesetzt (Klotz, Courtney) oder athetiert (Markland, Vollmer, Marastoni). Daneben gibt es jedoch auch verschiedene Konjekturen mit dem Ziel, den relativ eindeutigen Sinn des Satzes, daß nämlich im Gegensatz zum vorher erwähnten das Zeugnis des Claudius Etruscus sehr wohl verwendbar ist. Phillimore und Frère/Izaac schreiben testimonium de me vivi est, Traglia/Aricò konjizieren testimonium de me nunc est; vgl. außerdem Slater (1910): testimonium ad manum est (so auch Sänger); Slater (1923), 20: testimonium in mundo est; Evelyn-White (1923): testimonium ʙƫƸƫƮƬ est; Wiman (1937), 2–3: testimonium demortui non est. Nicht nachvollziehbar erscheint dagegen die Konjektur von Shackleton Bailey. Nach seiner Ansicht ist zu schreiben testimonium donandum est, da die Angabe, das Gedicht sei während einer cena entstanden, nach Kürze der vorher benannten Entstehungszeiten nun vollends unglaubwürdig sei und daher ausgelassen werden müsse (383). Diese Auffassung läßt jedoch den begründenden Charakter des nam, mit dem die Angabe zu Silv. 1,5 an die vorhergehende anschließt, völlig außer acht. 28 Zur Person des Claudius Etruscus s. A. Stein: Art. »Claudius 143«, RE 3,2,2719–2720; Vollmer (1898), 265; White (1972), 214–221; White (1975), 275–279; Laguna (1992), 245.

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dieser ersten praefatio genannten. 29 Art und Gegenstand des Gedichtes werden dagegen in geradezu minimalistischer Kürze auf die Bezeichnung der descriptio des prachtvollen Bades des Adressaten als balneolum [...] suum (Silv. 1, praef. 30) 30 reduziert. Silv. 1,6 wird in der praefatio nicht nur eindeutig als das letzte Gedicht des Buches markiert (in fine sunt…; Silv. 1, praef. 30), auch der Beweis der celeritas wird hier auf eine neue Stufe gehoben. Statius führt jetzt nicht mehr den ursprünglichen Adressaten des Gedichtes als Zeugen an, sondern mit der Bemerkung, daß seine Angaben diesmal in jedem Falle glaubhaft seien, offenbar ganz Rom. 31 Ein Grund für diese Abweichung vom bisherigen Prinzip liegt sicherlich darin, daß das letzte Gedicht des Buches, wie bereits das erste, an den sacrosanctus testis Domitian gerichtet ist, ein Verweis auf den Einzeladressaten also eine bloße Wiederholung wäre. Weitaus wichtiger ist jedoch die umfassende Erweiterung der Zeugengruppe, die auf diese Weise theoretisch auch die potentiellen Zweifler mit einschließt. Der Rest der Angabe zum letzten Gedicht des Buches ist insofern problematisch, als der Text hier mitten im Satz abbricht, nachdem Statius diesmal offenbar wieder zu umfangreicheren Ausführungen ansetzt. Zwar wird der Gegenstand des Gedichtes zumindest in Kurzform noch genannt (kalendae Decembres; Silv. 1, praef. 31), für alles weitere ist man jedoch auf Vermutungen angewiesen. Aus den letzten Worten der praefatio geht hervor, daß Statius noch einige weitere Bemerkungen über das in dem Gedicht behandelte Fest angeschlossen hat 32 , das offensichtlich eine starke Ähnlichkeit mit den Saturnalien gehabt hat. 33

29 Dabei bezeichnet mora den gegenüber der vorhergehenden Angabe (uno die; Silv. 1, praef. 26) deutlich verkürzten Zeitraum (ThLL VII 1466, s. v. mora: fere i.q. tarditas, lentitudo [...] hic illic attenuato sensu tarditatis vergit an notionem q.e. commoratio, tempus, spatium sim.); vgl. Leberl (2004), 196 Anm. 95. – Newlands (2002), 203, setzt die Angabe hingegen mit dem Anfang des Gedichtes (insbes. Silv. 1,5,8–9) in Beziehung und versteht mora (cenae) als die mit dem Gastmahl verbrachte Unterbrechung der Arbeit an der Thebais. Da ein Leser den Beginn des Gedichtes bei seiner ersten Lektüre des Buches jedoch nicht kennt und der Kontext der praefatio keinen Hinweis auf die zur Zeit der Entstehung von Silv. 1,5 noch andauernde Arbeit an der Thebais, dafür aber eine unübersehbare Klimax hinsichtlich der Zeitangaben enthält, muß diese Auffassung mehr als fraglich erscheinen. 30 Der Blick auf Silv. 1,5 selbst macht deutlich, daß das Diminutiv balneolum in der praefatio kaum durch eine räumliche Kleinheit des beschriebenen Bades bedingt sein dürfte. Es dient vielmehr dazu, den besonderen Reiz des Objektes hervorzuheben. Zu diesem Gebrauch vgl. K-H, 982. Für den Gebrauch des Neutrums verweist Newlands (2002), 206 Anm. 23, auf Varros Differenzierung von balneae als Bezeichnung für öffentliche und balnea als Bezeichnung für private Bäder (ling. 9,68). 31 Für diese Deutung der Formulierung quibus utique creditur (Silv. 1, praef. 31) vgl. Vollmer (1898), 213; Frère/Izaac (21961), 13. 32 Für den abgebrochenen Satz schlägt Vollmer (1898), 213, etwa folgende Ergänzung vor: … et voluptatibus publicis inexper (»… voll von ungekannten öffentlichen Lustbarkeiten habe ich noch im Amphitheater sitzend selbst beschrieben und öffentlich vorgetragen.«). 33 Neben der Anrufung Saturns zu Beginn des Gedichtes (Silv. 1,6,4–7) bezeichnet Statius das Fest an späterer Stelle auch als Saturnalia principis (Silv. 1,6,82). Verschiedentlich wird davon ausgegangen, daß das explizit auf die Kalenden des Dezember datierte Fest nicht mit den eigentlichen Saturnalien am 17. des Monats gleichzusetzen ist (Vollmer (1898), 303–304; Nauta (2002), 398; Leberl (2004), 184–185). Nach anderer Auffassung handelt es sich tatsächlich um die Feier der eigentlichen Saturnalien, die Domitian auf den prominenten Termin am Monatsanfang vorverlegt habe, um auf diese Weise seine göttliche Macht über den Kalender sowie auch über den subversiven Charakter des Festes zu demonstrieren: Newlands (2002), 236–236 [~ (2003), 505– 507]; für eine selbstverständliche Gleichsetzung des Festes mit den Saturnalien s. auch Malamud (2001), 24. 34 Dies wird nicht zuletzt auch innerhalb des Gedichtes selbst suggeriert, wenn die persona des Dichters kurz vor Schluß äußert: iamiam deficio […] / in serum trahor ebrius soporem (»schon werde ich schwach […] gleite betrunken in späten Schlummer«; Silv. 1,6,96–97). – Zur mutmaßlichen Fiktionalität der unmittelbaren Entstehung des Gedichtes s. aber bereits Vollmer (1898), 311. 35 Vollmer (1898), 308; vgl. auch Newlands (2002), 239 [= (2003), 508]: »The emperor [...] dominates the poem. His presence is everywhere directly felt, but his actual presence is nowhere described. He is the silent and invisible orchestrator of the show, the puppet-master of his people’s strings.«

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benes Gedicht, denn dieser Kreis informierter Leser hat ebenfalls räumliche und vor allem zeitliche Grenzen. Für die übrigen Gedichte, die Vollmer als analoge Beispiele nennt, wird der Erstadressat stets in irgendeiner Weise in der praefatio genannt. Darüber hinaus läßt sich – bei aller gebotenen Vorsicht – vermuten, daß die Nennung des Kaisers, die aufgrund der bisherigen Anhaltspunkte zumindest als sehr wahrscheinlich gelten muß, nicht nur in sachlichnüchterner Form erfolgte. Statt dessen legt der begeisterte Tonfall der Festbeschreibung, der sich aus deren fragmentarischem Beginn noch entnehmen läßt, nahe, daß auch der Kaiser als derjenige, dem man dieses besondere Vergnügen verdankte, eine entsprechend panegyrische Erwähnung gefunden hat. Obwohl es im Hinblick auf eine Gesamtinterpretation von Statius’ erster praefatio sehr hilfreich wäre zu wissen, wie der Text endete, müssen sämtliche diesbezüglichen Überlegungen noch hypothetischer bleiben als die, die soeben über den fehlenden Teil der Angaben zu Silv. 1,6 angestellt wurden. Durchaus plausibel erscheint die Vermutung, Statius könne sich ähnlich wie in den praefationes der Bücher 2 bis 4 abschließend nochmals an den Adressaten gewandt haben, etwa in Form einer Bitte um Entscheidung über die Publizierbarkeit oder auch durch Wiederholung und Verallgemeinerung der zu Beginn des ›Inhaltsverzeichnisses‹ bereits in engerem Rahmen formulierten Bitte um Verteidigung des Buches z. B. gegen Kritiker. 36 Da es sich um das erste Buch der Sammlung handelt, ist prinzipiell auch eine zusätzliche Erweiterung durch weitere Angaben über die eigene Dichtung denkbar. Doch spätestens hier beginnt der Bereich der Spekulation. Trotz der leichten Einschränkung, daß damit auch die abschließende Bewertung der celeritas bei der Gedichtproduktion, die zweifellos das Hauptmotiv dieser ersten praefatio in den Silvae bildet, im dunkeln bleibt, nachdem sie in den beiden strukturell klar voneinander zu trennenden Teilen in höchst unterschiedlicher Weise dargestellt wurde, können aus dem Vorhandenen bereits tragfähige Schlußfolgerungen gezogen werden. Dabei ergibt sich ein auffallend geschlossenes Gesamtbild: Im allgemeinen Teil erscheint Statius’ Einstellung zu seiner Fähigkeit des schnellen Dichtens zunächst überaus ambivalent. Auf den ersten Blick dominiert eine kritischapologetische Darstellung und überdeckt die im Detail durchaus positiven Formulierungen. Mit seiner Art der Darstellung bedient Statius an der Oberfläche zunächst die etablierte Sichtweise des Verhältnisses von ars und ingenium in der römischen Poetik, nach der jede Form des schnellen Verfassens von Gedichten negativ bewertet wird, weil es dem Ideal der lang36 Vgl. Vollmer (1898), 213; Newmyer (1979), 13.

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wierigen und sorgfältigen Ausarbeitung grundsätzlich widerspricht. 37 Parallel dazu wird jedoch seine eigene Sicht, die von dem genannten Ideal durchaus abweicht, von Anfang an auf sehr subtile Weise eingeführt. Erst mit Beginn des Inhaltsverzeichnisses präsentiert Statius die celeritas unverhohlen als positiv und rückt sie immer stärker in den Vordergrund. Unübersehbar werden die Zeiträume, die für das Verfassen der einzelnen Gedichte angegeben werden, im Verlaufe der Aufzählung immer kürzer bzw. wird die Produktionsrate gesteigert. 38 Nachdem er für das erste Gedicht mit rund 100 Versen einen Tag benötigt habe, seien die 300 Verse des zweiten innerhalb von zwei Tagen entstanden, was Statius in Anbetracht des außerordentlichen Umfanges selbst als audacter (Silv. 1, praef. 22) bezeichnet. Das dritte Gedicht sei dann wiederum an einem einzigen Tage geschrieben worden, das fünfte schließlich sogar intra moram cenae (Silv. 1, praef. 30). Die hier skizzierte Tendenz der Darstellung sowohl im allgemeinen Teil als auch im darauffolgenden ›Inhaltsverzeichnis‹ wirft möglicherweise auch ein neues Licht auf das textkritische Problem, mit dem die Verbform am Ende der Angabe zu Silv. 1,1 behaftet ist (Silv. 1, praef. 19). Das im Codex Matritensis an dieser Stelle überlieferte tradere iussum wird einhellig als korrupt betrachtet. Moderne Textausgaben drucken daher entweder tradere iussus sum bzw. tradere iussum oder aber das bereits im Jahre 1878 von Sandström konjizierte tradere ausus sum. 39 Da in beiden Fällen die Initiative für die Entstehung des ersten Gedichtes der Sammlung grundsätzlich verschieden ist, ist die Plausibilität der beiden Lesarten in der Forschung mehrfach behandelt worden. Nachdem die Lesarten tradere iussum bzw. tradere iussus sum, nach denen Statius das Gedicht auf Anweisung Domitians mit einer bestimmten Zeitvorgabe verfaßt hat, lange Zeit akzeptiert wurden 40 , findet in jüngerer Zeit die Lesart

37 Vgl. z.B. die bekannte Passage in Horaz’ Ars Poetica 291–301, insbesondere 292–294: [...] carmen reprehendite quod non multa dies et multa litura coercuit atque praesectum deciens non castigavit ad unguem. (»tadelt ein Gedicht, das nicht lange Zeit und viele Korrekturen gebändigt und zehnmal mit aller Schärfe streng überarbeitet haben«; zur Lesart in V. 294 s. Kiessling/Heinze (71961), 340-341). 38 Bright (1980), 31, sieht hierin zugleich einen Hinweis auf ein Prinzip der Gedichtauswahl bzw. -anordnung. 39 Markland, Vollmer, Phillimore, Mozley folgen der Nebenüberlieferung und schreiben tradere iussus sum, Frère/Izaac und Marastoni das von Klotz konjizierte tradere iussum. Die Konjektur von Sandström (1878), 2, hat dagegen, nach ihrer Befürwortung durch Håkanson (1969), 17–18, vor allem Eingang in die neueren Textausgaben gefunden und findet sich bei Traglia/Aricò, Courtney und Shackleton Bailey. 40 Vessey (1971), 275, spricht sich in Auseinandersetzung mit Håkanson (1969) dezidiert für tradere iussum aus; unkommentiert legen diese Lesart zugrunde: Ahl (1984b), 91; Coleman (1986), 3100; Döpp (1996), 322.

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tradere ausus sum, bei der die Initiative zu dem Gedicht beim Dichter selbst liegt, immer mehr Befürworter. 41 Zugunsten dieser Lesart wird eine Reihe vor allem inhaltlicher Argumente angeführt. 42 Dazu zählt etwa, daß Statius’ stolze Betonung seiner Fähigkeit zum schnellen Dichten, die sich aus den Angaben zu vielen einzelnen Gedichten ablesen läßt, auch den Aspekt der Freiwilligkeit mit einschließe und mit Ausnahme von Silv. 3,4 auch bei keinem anderen Gedicht von einem Auftrag seitens des Adressaten die Rede sei. Der bei tradere ausus sum zum Ausdruck gebrachte Wagemut des Dichters finde hingegen mehrere Entsprechungen in audacter (Silv. 1, praef. 22), audacia stili nostri (Silv. 3, praef. 4) sowie auch dem Verweis auf die temeritas der Gedichte (Silv. 3, praef. 2–3). 43 Zudem sei eine Form von iubere im Kontext der vorliegenden Stelle nicht zuletzt deshalb unpassend, weil die Erwähnung eines ausdrücklichen Befehls, der ja, obgleich dies nicht näher spezifiziert wird, letztlich nur vom Kaiser ausgegangen sein kann, mit dessen Bezeichnung als imperator indulgentissimus nur schwer vereinbar sei. Umgekehrt sei die Hervorhebung gerade der Nachsicht Domitians aber in besonderer Weise angemessen, wenn Statius hier auf das Wagnis verweist, dem Kaiser aus eigenem Antrieb ein möglicherweise nicht ganz perfektes Gedicht überreicht zu haben. 44 Teilweise werden auch die zeitlichen Angaben für die Argumentation herangezogen. So sei es z. B. verwunderlich, daß Domitian das Gedicht erst für den Tag nach der Einweihung der Statue und nicht bereits zu diesem Ereignis selbst geordert haben solle 45 , und auch der fiktive Einwand des Skeptikers in der occupatio sei nur im Falle einer solchen Eigeninitiative des Dichters sinnvoll. Statius hätte die Möglichkeit der Vorabinformation

41 Håkanson (1969), 17–18; Geyssen (1996), 28–30; Klodt (1998), 29 Anm. 65; Nauta (2002), 350–351; ihnen folgt Leberl (2004), 146 Anm. 10; indirekt auch Newlands (2002), 67. 42 Daneben gibt es auch zwei sprachliche Argumente, die jedoch beide nicht zwingend sind. Dies betrifft zum einen die Zeitangabe postero die quam dedicaverat opus (Silv. 1, praef. 18–19). Zieht man diese, wie es bei der Lesart tradere iussum bzw. tradere iussus sum notwendig ist, zum Infinitiv anstelle des finiten Verbs, so wäre statt des Indikativs dedicaverat eigentlich ein Konjunktiv zu erwarten. Zum anderen bietet tradere ausus sum eine gute Klausel am Satzschluß, was allerdings ebenso auf tradere iussum zutrifft; dazu vgl. Håkanson (1969), 17; Geyssen (1996), 30; Nauta (2002), 350–351, Anm. 92 u. 93. 43 Geyssen (1996), 29–30. Er räumt indessen ein, daß das Fehlen von Hinweisen auf weitere Auftragsarbeiten speziell für den Kaiser wegen der Unvollständigkeit des Textes am Schluß der ersten praefatio und der lacuna in der Anfangspassage der Vorrede zu Buch 4 zumindest nicht mit letzter Sicherheit behauptet werden kann (Anm. 27, S. 33). 44 Sandström (1878), 2; gefolgt von Håkanson (1969), 18; Geyssen (1996), 29; Klodt (1998), 29 Anm. 65. 45 Klodt (1998), 29 Anm. 65.

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über das Kunstwerk nur dann nutzen können, wenn der Plan zu einem entsprechenden Gedicht zu diesem Zeitpunkt schon gefaßt war.46 Betrachtet man die verschiedenen Auffassungen der vorliegenden Stelle jedoch im Kontext der gesamten praefatio unter besonderer Berücksichtigung des bestimmenden Leitmotivs, so erweist sich die Lesart tradere iussum aus verschiedenen Gründen als keineswegs so unwahrscheinlich, wie es in der jüngeren Forschung vielfach erscheint. Wie oben dargelegt wurde, ist es das wesentliche Ziel des ›Inhaltsverzeichnisses‹, die Wahrhaftigkeit der Angaben über die celeritas der Gedichtproduktion zu beweisen. Um ein solches Ziel zu erreichen, bedarf es vor allem präzise eingrenzbarer Zeiträume. Eben dieses Kriterium ist für die Entstehung von Silv. 1,1 aber nur mit der Lesart tradere iussum gegeben, denn die Spanne zwischen dem effektiven Beginn der Arbeit an dem Gedicht und dessen Fertigstellung bzw. Übergabe läßt sich nur dann exakt bestimmen und kann entsprechend vom hierfür benannten Zeugen bestätigt werden, wenn Statius zu einem konkreten Zeitpunkt unerwartet mit einem solchen Gedicht beauftragt wurde. Liest man tradere ausus sum, bleibt der Anfangszeitpunkt hingegen sehr unbestimmt. Der Blick auf Silv. 1,1 zeigt, daß nur ein relativ kleiner Teil des Gedichtes eine Autopsie des Standbildes voraussetzt. Mit Ausnahme der Verse 37–51, in denen verschiedene Details des vollendeten Werkes beschrieben werden47, kann das ganze Gedicht auch auf der Basis einiger weniger, allgemeiner Informationen geschrieben oder zumindest in weiten Teilen konzipiert worden sein. Zu den Dingen, die der Dichter für ein solches Unternehmen wissen mußte, zählen neben dem Standort der Statue, der spätestens seit Beginn der Bautätigkeit niemandem in Rom unbekannt gewesen sein dürfte, lediglich die Tatsache, daß es sich um ein Reiterstandbild handelte. Auch die ungefähren Ausmaße des Werkes dürften schon während der Bauphase kaum zu übersehen gewesen sein, selbst wenn man davon ausgeht, daß die Statue im Hinblick auf eine feierliche Enthüllung zu dieser Zeit den Blicken der Bürger möglicherweise durch ein Gerüst oder einen eigenen Sichtschutz entzogen war, wie es nicht zuletzt die auffällige Betonung der Geräuschentwicklung im Gedicht selbst nahelegt.48 Hinzu kommt, daß die kolossalen Dimensionen, die Statius dem 46 Håkanson (1969), 17–18; Nauta (2002), 351. 47 Zu den Übereinstimmungen und Differenzen zwischen der Beschreibung bei Statius und einer von Castagnoli (1953), 107–109, als equus Domitiani identifizierten Münzabbildung (beschrieben auch BMC Emp. II, p. 406,†) s. Bergemann (1990), 164–166; Geyssen (1996), 21–24. 48 Silv. 1,1,63–65: [...] strepit ardua pulsu machina; continuus septem per culmina †montis† it fragor et magnae vincit vaga murmura Romae. (»die ragende Maschine dröhnt mit hartem Schlag; unablässig zieht der Lärm über die sieben Gipfel und übertönt das allgegenwärtige Murmeln des großen Rom«) Kurz darauf ist zwar davon die Rede, daß jemand, unmittelbar aufgrund des Baulärms aufmerksam

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Standbild trotz dessen sicherlich überlebensgroßer Ausmaße zuschreibt, nicht buchstäblich den realen Verhältnissen entsprochen haben müssen, sondern als idealisierende Übertreibungen im Dienste der Kaiserpanegyrik zu betrachten sind49 und dementsprechend ebenfalls keine genaue Kenntnis des Objektes voraussetzen. Geht man von den soeben als wahrscheinlich skizzierten äußeren Bedingungen während der Errichtung des Standbildes aus, so ist – pace Håkanson – auch der Einwand des fiktiven Kritikers (potuisti illud [...] et ante vidisse; Silv. 1, praef. 19–20) nur mit der Lesart tradere iussum vereinbar: Hätte Statius aus eigenem Antrieb den Entschluß gefaßt, das Reiterstandbild Domitians mit einem Gedicht zu feiern, wäre ihm deshalb, anders als im Falle einer vorzeitigen Anforderung des Gedichtes, wohl kaum vorab Zugang zu dem sonst vor der Öffentlichkeit abgeschirmten Bauwerk gewährt worden. Obwohl es in der Tat etwas seltsam anmutet, daß der Kaiser das Gedicht, wenn er es selbst in Auftrag gab, nicht bereits für die Einweihung verlangte, sollte daraus noch kein Argument für die Eigeninitiative des Dichters abgeleitet werden.50 Als Grund für diese Auffälligkeit ist ebenso denkbar, daß Domitian nicht bereit war, Statius durch die offizielle Ehre, die ein Vortrag des Gedichtes im Rahmen der Feierlichkeiten zweifellos bedeutet hätte, vor anderen Dichtern auszuzeichnen.51 Nachträglich in schriftlicher Form über-

geworden, vom Anblick des dementsprechend noch im Entstehen begriffenen Standbildes geblendet wird (V. 68–73), doch bedeutet dies keinen Widerspruch zu der Vermutung einer optischen Abschirmung des im Bau befindlichen Werkes, denn es handelt sich um den mythischen Helden Curtius, der aus den Tiefen des von Statius anachronistisch als noch existent gedachten lacus Curtius in direkter Nachbarschaft der Statue (vgl. Klodt (1998), 24; Coleman (1999), 67–68) auftaucht, nicht etwa um einen gewöhnlichen Bürger Roms. – Unabhängig von einer solchen Deutung impliziert die Betonung des Baulärms natürlich auch, daß die ganze Stadt schon vorher von der monumentalen Größe des entstehenden Standbildes wußte, sei es durch tatsächliche Geräuschentwicklung oder auch allein durch fama. 49 Geyssen (1996), 24–25; für eine wirkliche Kolossalität der Statue Cancik (1965), 90–93; Hardie (1983), 190; Bergemann (1990), 165; Cancik (1990), 54–57; Klodt (1998), 25. 50 Ähnliches gilt auch für Domitians Apostrophierung als imperator indulgentissimus (Silv. 1, praef. 18), die nicht zwangsläufig auf dessen Nachsicht speziell gegenüber improvisierter Dichtung bezogen sein muß, sondern auch als allgemeiner Ausdruck der Huldigung verstanden werden kann. Zwar ist die Bezeichnung nur hier in bezug auf Domitian belegt und kann zu dieser Zeit auch noch nicht als stehendes Epitheton gelten, doch da sich auch Plinius nur wenige Jahre später zweimal in dieser Form an Trajan wendet (epist. 10,10; paneg. 90,4) und das Epitheton seit hadrianischer Zeit zunehmend sogar inschriftlich belegt ist (dazu s. Ruggiero, Dizionario Epigrafico, 4,50–51, s. v. indulgentissimus), kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich auch zur Zeit des Statius bereits um eine in Kreisen des kaiserlichen Hofes geläufige Formulierung handelte; vgl. auch die Erwähnungen der indulgentia Domitians in Silv. 1,2,174; 5,2,125. 51 Trotz verschiedener Kontakte zum kaiserlichen Hof und einiger Erfolge in poetischen Agonen hat Statius offenbar keine besonders herausragende Stellung eingenommen. Zu Domitians

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reicht fungiert das Gedicht statt dessen, auch ohne daß es das Ereignis selbst beschriebe, als eine Art poetische Dokumentation der feierlichen Enthüllung. Ein weiteres Argument für die Lesart tradere iussum liefert schließlich die Gedankenführung der ersten praefatio. Entgegen der Ansicht von Geyssen ist nämlich Silv. 3,4 keineswegs das einzige Gedicht, für das Statius einen Auftrag des Adressaten erwähnt. Wenngleich das im zweiten Falle verwendete Verb iniungere von dem zuvor gebrauchten iubere graduell verschieden ist 52 , so ist auch das unmittelbar nachfolgende epithalamium für Stella und Violentilla dennoch ausdrücklich auf Wunsch des Adressaten geschrieben worden (epithalamium, quod mihi iniunxeras; Silv. 1, praef. 21). In Verbindung mit einem vorhergehenden starken Befehl in tradere iussum werden damit gerade für die ersten beiden Gedichte der Sammlung deutliche Hinweise auf eine äußere Motivation für deren Entstehung gegeben. Wenn Statius gerade zu Beginn seiner nunmehr unverhohlen positiven Darstellung der celeritas noch die Unfreiwilligkeit hervorhebt, der seine Leistung jedenfalls in diesen Fällen unterlag, wird damit der scharfe Übergang von der zunächst im Einklang mit den Konventionen noch negativ gefärbten Darstellung zur im folgenden stolzen Betonung der Fähigkeit zum schnellen Dichten etwas abgemildert. Die semantische Abschwächung von iubere zu iniungere bildet einen Übergang zum völligen Wegfall des Unfreiwilligkeitsmoments ab der Angabe zum nächsten Gedicht. Zwar kommt in der Anmerkung zu Silv. 1,2 beiläufig auch die audacia des Dichters zur Sprache (Silv. 1, praef. 22), insgesamt spielt der Aspekt der Freiwilligkeit bzw. des Wagemutes in der ›Inhaltsangabe‹ des ersten Buches dennoch nur eine untergeordnete Rolle. In erster Linie geht es hier um tatsächliche Zeitspannen und deren Nachweis. Das Motiv der Unfreiwilligkeit, das in der lateinischen Proömientopik häufig verwendet wird, u. a. um das Verfassen des jeweiligen Werkes zu rechtfertigen 53 , ist auch in den ersten Worten der praefatio zumindest andeutungsweise präsent. Im ursprünglichen Kontext der von Statius gewählten Eingangsformulierung (Cic. orat. 1) richtet sich der Zweifel des Sprechers nicht auf die Frage der Publizierbarkeit von ihm verfaßter Werke, sondern darauf, ob er dem Wunsch des Adressaten nachkommen und das Rolle als Förderer von Dichtern s. Hardie (1983), 45–49; Coleman (1986), 3095–3111; Leberl (2004), 113–142. 52 Im Unterschied zu iubere, das einen expliziten Befehl ausdrückt (ThLL VII 2,576–584, s. v. iubeo: i.q. ƩƤƪƤ̈Ƹ; cap. prius: fere i.q. imperare, mandare, praecipere), bezeichnet iniungere das Auferlegen einer Verpflichtung, das auch auf weniger autoritäre Weise erfolgen kann: ThLL VII 1,1666–1667, s.v. iniungere II: connotatione inferendi, imponendi, mandandi. 53 Janson (1964), 28–29. 116–124.

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von ihm gewünschte Werk überhaupt schreiben soll. Mit der Wahl dieser Eröffnung suggeriert Statius einem gebildeten Leser daher sogleich, daß er die Publikation der Silvae nicht unbedingt aus eigenem Entschluß unternimmt. Er weist vielmehr auch dem Adressaten einen gewissen Anteil an dieser Entscheidung zu, wobei sicherlich nicht an eine explizite Aufforderung Stellas zu denken ist, denn eine solche hätte wie im Falle Ciceros durchaus erwähnt werden können. Wahrscheinlicher ist, daß es sich lediglich um eine Art unverbindlicher Anregung handelte, auf die sich der Dichter nicht ohne weiteres berufen konnte. Interessant ist in diesem Zusammenhang überdies ein einzelnes Wort, das in der Forschung bislang weitgehend unbeachtet geblieben ist. Durch das an vorletzter Stelle stehende ipse wird der im ersten Satz der vorliegenden praefatio geäußerte Gedanke kurz vor Schluß noch in eine neue Richtung gelenkt (Silv. 1, praef. 4). Entgegen dem zuvor evozierten Eindruck ist der Gegenstand von Statius’ Zweifeln tatsächlich nämlich nicht die Frage, ob die ursprünglich separaten Gelegenheitsgedichte prinzipiell für eine Publikation als Sammlung geeignet sind. In diesem Falle wäre die Formulierung an hos libellos [...] congregatos dimitterem völlig ausreichend. Mit der Einfügung des ipse macht Statius hingegen deutlich, daß es in erster Linie darum geht, ob er selbst die Initiative zu einer solchen Ausgabe ergreifen oder dies gegebenenfalls anderen überlassen sollte. 54 Damit ist klar, daß eine grundsätzliche Publizierbarkeit seiner Gelegenheitsgedichte für ihn bereits von Anfang an außer Frage steht. Übersetzung der praefatio: STATIUS GRÜSST SEINEN STELLA Lange und viel habe ich gezweifelt, Stella, bester und in unseren Studien, in welchem Bereich Du auch wolltest, glänzendster Jüngling, ob ich diese Gedichte, die mir in plötzlicher Aufwallung und mit einer gewissen Leidenschaft des schnellen Schreibens entströmten, nachdem sie bereits einzeln meine Obhut hatten, selbst als Sammlung herausgeben sollte. Welchen Sinn nämlich hat es […] mit der Verantwortung einer Herausgabe zu belasten, da ich nach wie vor für meine Thebais, mag sie mich auch verlassen haben, fürchte. Doch lesen wir den Culex und lassen auch die Batrachomachie gelten, und es gibt keinen unter den namhaften Dichtern, der nicht vor seinen eigentlichen Werken Spielereien mit lässigerer Feder trieb. Was ist mit 54 Vgl. Poliziano ad loc. (p. 28–29): Emphanticos et pronomen et adverbium. Novum enim videbatur ut idem, cuius e sinu profugerant singuli, universos congregaret congregatosque dimitteret. (»Bezeichnend sowohl das Pronomen als auch das Adverb. Es schien nämlich neu, daß derselbe, aus dessen Obhut sie einzeln hervorgegangen waren, sie sämtlich zusammenstellte und als Sammlung herausgab.«) – Nauta (2002), 280–281, sieht in ipse hingegen eine »idea of deliberate action« im Gegensatz zu einer »idea of unintentionality or accidentality implied in de sinu meo pro***«.

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dem Argument, daß es auch zu spät wäre, sie zurückzuhalten, da Ihr, zu deren Ehre sie geschrieben wurden, sie sicherlich habt? Aber bei den übrigen geht ihnen zwangsläufig viel an Nachsicht verloren, da sie den einzigen Reiz eingebüßt haben, den sie besaßen, den der Schnelligkeit. Keins von ihnen wurde nämlich länger als zwei Tage bearbeitet, einige sind auch an einzelnen Tagen hervorgeströmt. Wie fürchte ich, daß aber auch die Verse selbst genau das von sich unter Beweis stellen! Das erste Gedicht hat einen unantastbaren Zeugen, denn natürlich mußte der ›Anfang bei Jupiter‹ gemacht werden. Diese hundert Verse, die ich auf das Reiterstandbild gedichtet habe, mußte ich dem allergnädigsten Kaiser am Tage nach der Einweihung des Werkes übergeben. ›Du könntest es‹, wird jetzt einer sagen, ›ja auch schon vorher gesehen haben.‹ Dem wirst Du, liebster Stella, antworten, der Du weißt, daß Dein Hochzeitsgedicht, das Du mir aufgetragen hattest, innerhalb von zwei Tagen geschrieben wurde (verwegen, beim Hercules, aber es hat dennoch dreimal hundert Hexameter). Aber vielleicht wirst Du für einen Kollegen schwindeln. Manilius Vopiscus freilich, ein äußerst gebildeter Mann und einer, der in besonderer Weise schon beinahe schwindende Schriften vor dem Verderben bewahrt, rühmt sich auch gern unaufgefordert um meinetwillen, daß sein Landhaus in Tibur von mir an einem einzigen Tag beschrieben wurde. Es folgt ein Gedicht, das Rutilius Gallicus während seiner Genesung gewidmet wurde. Dazu sage ich nichts, damit es nicht den Anschein hat, ich nutzte die günstige Gelegenheit, daß der Zeuge mittlerweile verstorben ist, um zu lügen. Denn es gibt noch das Zeugnis des Claudius Etruscus, der sein Kleinod von einem Bad im Verlauf eines Abendessens von mir nochmals erhalten hat. Den Schluß bilden die Kalenden des Dezember, denen man in jedem Fall glauben wird. Denn jene überaus glückliche Nacht beispiellos in öffentlichen Lustbarkeiten ...

4.1.2 Die praefatio zum zweiten Buch der Silvae STATIUS MELIORI SUO SALUTEM Et familiaritas nostra qua gaudeo, Melior, vir optime nec minus in iudicio litterarum quam in omni vitae colore tersissime, et ipsa opusculorum quae tibi trado condicio sic posita est ut totus hic ad te liber meus etiam sine epistula spectet. Primum enim habet Glauciam nostrum, cuius gratissima infantia, et 5 qualem plerumque infelices sortiuntur – apud te complexus amabam – iam non tibi. huius amissi recens vulnus, ut scis, epicedio prosecutus sum adeo festinanter ut excusandam habuerim adfectibus tuis celeritatem. nec nunc eam apud te iacto qui nosti, sed et ceteris indico, ne quis asperiore lima 10 carmen examinet et a confuso scriptum et dolenti datum, cum paene supervacua sint tarda solacia. Polli mei villa Surrentina quae sequitur debuit a me vel in honorem eloquentiae eius diligentius dici, sed amicus ignovit. in arborem certe tuam, Melior, et psittacum scis a me leves libellos quasi epigrammatis 15

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Die praefationes in den Silvae des Statius loco scriptos. eandem exigebat stili facilitatem leo mansuetus, quem in amphitheatro prostratum frigidum erat sacratissimo imperatori ni statim traderem. ad Vrsum quoque nostrum, iuvenem candidissimum et sine iactura desidiae doctissimum, scriptam de amisso puero consolationem super ea quae ipsi 20 debeo huic libro libenter inserui, quia honorem eius tibi laturus accepto est. cludit volumen genethliacon Lucani, quod Polla Argentaria, rarissima uxorum, cum hunc diem forte †consuleremus†, imputari sibi voluit. ego non potui maiorem tanti auctoris habere reverentiam quam quod laudes eius 25 dicturus hexametros meos timui. haec qualiacumque sunt, Melior carissime, si tibi non displicuerint, a te publicum accipiant; si minus, ad me revertantur.

In der praefatio zum zweiten Buch der Silvae fallen die allgemeinen Vorbemerkungen des Statius sehr viel kürzer aus als in der vorhergehenden. Das Buch ist Atedius Melior gewidmet, dessen literarische und allgemeine Urteilsfähigkeit durch die Apostrophierung als vir optimus nec minus in iudicio litterarum quam in omni vitae colore tersissimus (Silv. 2, praef. 1– 3) wiederum besonders hervorgehoben wird. 55 Am Ende des ersten Satzes bemerkt Statius eher beiläufig, daß die einleitende epistula für das vorliegende Buch eigentlich unnötig sei. Als Grund dafür werden einerseits die enge persönliche Verbundenheit zwischen Dichter und Adressat, die Statius gleich mit den ersten Worten der praefatio sehr nachdrücklich hervorhebt (familiaritas nostra; Silv. 2, praef. 1), sowie andererseits die inhaltliche Ausrichtung der in diesem zweiten Buch versammelten Gedichte auf die Person Meliors angeführt. 56 Unmittelbar danach beginnt bereits die Auflistung der einzelnen Gedichte, die diesmal nicht als libelli, sondern mit einem nicht minder bescheidenen Diminutiv als opuscula (Silv. 2, praef. 3) bezeichnet werden. Wie bereits in der praefatio des ersten Buches wird der Beginn der Aufzählung durch primum (sc. opusculum; Silv. 2, praef. 4) deutlich markiert. Anders als dort wird die Verbindung zum Vorhergehenden diesmal jedoch nicht 55 Zur Person des Atedius Melior s. White (1972), 209–214; White (1975), 272–275; van Dam (1984), 69; Vollmer (1898), 317; P. v. Rohden: Art. »Atedius«, RE 2,2,1902; Hardie (1983), 66– 67. – Auch liegt in der Apostrophierung Meliors als optimus ein Wortspiel vor: Nisbet (1978), 8; van Dam (1984), 55. 56 Borgo (2003), 26, weist darauf hin, daß Martial in 3,5,11–12 ein ähnliches Argument für die Verzichtbarkeit einer empfehlenden epistula liefert. Da er anders als Statius danach aber offensichtlich auch tatsächlich darauf verzichtet, sind die Stellen nur bedingt vergleichbar. – Zur Herstellung des heute allgemein akzeptierten Wortlautes totus hic ad te liber [...] spectet aus dem überlieferten totus hic altae liber [...] exspectet s. van Dam (1980), 379–380.

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durch variierte Wiederaufnahme eines bestimmten Motivs hergestellt. Statt dessen signalisiert die Verknüpfung mit enim, daß im folgenden die zunächst nur behauptete Ausrichtung der Gedichte auf den Adressaten ausführlicher begründet werden wird. Das erste Gedicht des Buches, zu dem sich Statius sehr ausführlich äußert, ist dafür in besonderer Weise geeignet. Es handelt sich um ein epicedium auf Glaucias, den verstorbenen Lieblingssklaven Meliors, und Statius merkt an, er habe dieses Gedicht beinahe zu schnell nach dem traurigen Ereignis geschrieben, ohne dabei jedoch eine konkrete Zeitangabe zu machen (Silv. 2, praef. 8–9). Um die in diesem Falle fast schon unpassende celeritas seiner poetischen Reaktion zu rechtfertigen, fügt er am Schluß der Anmerkung zu Silv. 2,1 hinzu, daß Trost eben schnell gespendet werden müsse, um wirksam zu sein. 57 Obgleich er damit selbst einräumt, daß die celeritas angesichts des Trauerfalls auf den ersten Blick als taktlos erscheinen könnte, scheut Statius dennoch nicht davor zurück, Melior zumindest indirekt als Zeugen für die celeritas zu benennen. Dies geschieht zunächst durch das scheinbar beiläufig eingefügte ut scis (Silv. 2, praef. 7), wird jedoch nur wenig später nochmals aufgegriffen, wenn Statius dem Adressaten versichert, er wolle sich seiner Fähigkeit keinesfalls ihm gegenüber rühmen, der ja darum wisse (qui nosti; Silv. 2, praef. 10). Für potentielle Qualitätsmängel dieses Gedichtes wird die celeritas an sich nur bedingt verantwortlich gemacht. Der diesbezügliche Hinweis ist zwar ausdrücklich an die außenstehenden ceteri gerichtet (Silv. 2, praef. 10), die zweite Adressatenebene, die damit offener einbezogen wird als in der ersten praefatio. Gleich anschließend wird jedoch die eigene Betroffenheit durch den Todesfall als mindestens ebenso wichtige Ursache für mangelnde Perfektion in den Vordergrund gerückt (a confuso scriptum; Silv. 2, praef. 11). Die emotionale Anteilnahme des Dichters wird schon zu Beginn der Anmerkung zu Silv. 2,1 signalisiert, wo Statius den Verstorbenen nicht etwa als Glaucias tuus, sondern als Glaucias noster (Silv. 2, praef. 5) einführt und in seinen weiteren Ausführungen zu dessen Schicksal auch von seiner persönlichen Zuneigung zu dem Knaben spricht. 58 Auf diese Weise konstituiert Statius jedoch nicht nur die »Rolle des Poeta confusus«, die er

57 Beide Gedanken gehören zur Topik der Konsolationsliteratur; für Parallelstellen s. van Dam (1984), 74. – Aufgrund ihrer kolloquialen Färbung (Laguna (1992), 112–113; vgl. auch van Dam (1984), 58) trägt die Formulierung außerdem zur weiteren Illustration der zu Beginn der praefatio betonten familiaritas zwischen Statius und dem Adressaten bei. 58 Obgleich der grundsätzliche Sinn außer Frage steht, bereitet die Konstruktion des Relativsatzes cuius gratissima infantia [...] iam non tibi (Silv. 2, praef. 5–7) einige Schwierigkeiten. Der zu Beginn dieses Abschnittes abgedruckte Text übernimmt die von Vollmer konjizierte Lesart; dazu s. insbesondere Vollmer (1898), 312–313; van Dam (1984), 56–57; vgl. außerdem Shackleton Bailey ad loc. (388).

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benutzt, um sein Gedicht von vornherein gegen allzu strenge Kritik abzusichern. 59 Indirekt führt er damit auch einen Beweis für die eingangs behauptete familiaritas, die ihn mit dem Adressaten verbindet. Den Kern der umfangreichen und zugleich sehr komplexen Angabe zu Silv. 2,1 bildet zweifellos der Gedanke einer möglichen Unzulänglichkeit des Gedichtes durch mangelnde Sorgfalt bei der Ausarbeitung, der indes nur indirekt formuliert wird. Er wird als einziger innerhalb dieses Abschnittes nur einmal berührt und bereits rein formal in den Mittelpunkt gerückt, da die beiden Gründe für eine solche Unvollkommenheit ebenso wie die Trauer Meliors 60 vorher und nachher jeweils einmal in variierter Form angesprochen werden. Auffälliger ist jedoch die Art der indirekten Formulierung. Statius verwendet dafür das bekannte poetologische Motiv der lima, allerdings in sehr ungewöhnlicher Weise, denn der seit Horaz für das Ausfeilen von Gedichten feststehende Begriff des limae labor bezeichnet üblicherweise eine Aufgabe des Dichters. 61 Statius hingegen macht die lima hier zu einem »Instrument des unerbittlichen Kritikers« 62 bei der Überprüfung des Gedichtes (Silv. 2, praef. 10). Die Angabe zu Silv. 2,2 ist auffallend viel knapper gehalten als die vorhergehende. Sie schließt zudem sehr unvermittelt an die vorhergehenden Äußerungen über Silv. 2,1 an, denn Statius nennt zunächst Adressat und Gegenstand des Gedichtes, bevor er mit dem anschließenden quae sequitur (Silv. 2, praef. 13) zu erkennen gibt, daß er sich nunmehr dem zweiten Gedicht zugewandt hat. Bestimmender Gedanke ist auch hier wieder die Befürchtung unnachsichtiger Kritik wegen mangelnder Perfektion des Gedichtes. Statt allerdings wie zuvor eine konkrete Ursache dafür anzugeben, räumt Statius diesmal lediglich ein, daß er in Anbetracht der herausragenden eloquentia des Pollius Felix in der descriptio von dessen villa Surrentina mehr Sorgfalt hätte walten lassen müssen. Mit dem Hinweis, daß der Adressat als sein Freund (Silv. 2, praef. 14) ihm dieses Versäumnis nachgesehen habe, trennt er sich jedoch sehr schnell wieder von dieser Überlegung und baut zugleich potentieller Kritik von dritter Seite vor, denn diese widerspräche der Meinung des als überaus kompetent eingeführten Erstadressaten. Über die nächsten beiden Gedichte, die ursprünglich ebenfalls an Atedius Melior, den Gesamtadressaten des zweiten Buches der Silvae, gerichtet 59 Adam (1988), 37–38; vgl. auch Hardie (1983), 78. 60 Auch dieses eingangs eingeführte Motiv kehrt gegen Ende der Angabe zu Silv. 2,1 noch kurz wieder, wenn Statius bemerkt, er habe das Gedicht einem Trauernden (dolenti; Silv. 2, praef. 11) überreicht. 61 Vgl. Hor. ars 290–291: si non offenderet unum / quemque poetarum limae labor et mora (»wenn nicht einen jeden der Dichter das mühsame und langwierige Feilen störte«). 62 Dams (1970), 164.

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waren, äußert sich Statius überaus knapp in einer zusammenfassenden Bemerkung und ebenfalls, ohne den Beginn einer neuen Anmerkung kenntlich zu machen. Beiden Gedichten, die mit einem Baum auf dem Anwesen des Adressaten bzw. dem Tod von dessen Papagei vergleichsweise unbedeutende Gegenstände behandeln, wird durch die Bezeichnung als leves libelli und ihre Assoziation mit der Epigrammdichtung (Silv. 2, praef. 15–16) nur geringer künstlerischer Wert zugeschrieben. 63 Es fällt auf, daß sich der Blick hier primär auf die fertigen Gedichte richtet, während der Prozeß der Entstehung in der Formulierung quasi epigrammatis loco scriptos zunächst lediglich angedeutet wird. Für das fünfte Gedicht des Buches wird der Akzent dagegen gerade auf diesen Aspekt gelegt. Hier hebt Statius die stili facilitas (Silv. 2, praef. 16) hervor, die das Gedicht auf den Tod eines Löwen im Amphitheater erfordert habe, da dessen Reiz elementar von der unverzüglichen Umsetzung des Ereignisses abhängig gewesen sei (Silv. 2, praef. 17–18). 64 Durch die Anknüpfung mit einer Form von idem wird deutlich, daß die Anmerkung zu Silv. 2,5 als gedankliche Fortsetzung bzw. Ergänzung der vorhergehenden aufzufassen ist. Auf diese Weise wird rückwirkend auch für das dritte und vierte Gedicht des Buches auf die gewandte Leichtigkeit ihrer Entstehung verwiesen. Umgekehrt wird damit aber auch das an Domitian gerichtete Gedicht Silv. 2,5 indirekt als levis libellus charakterisiert. 65 Mit dieser ökonomischen Art der Kommentierung, die es ihm erspart, dieselben Aspekte für jedes einzelne Gedicht eigens zu wiederholen, geht Statius in der praefatio scheinbar ebenso flüchtig über diese drei Gedichte hinweg, wie er sie nach eigener Aussage zuvor verfaßt hat. Dennoch ist die Gewichtung der einzelnen Aspekte keineswegs zufällig, sondern steht in signifikantem Zusammenhang mit dem jeweiligen Adressaten. Indem Statius für die ersten beiden Gedichte ohne eigene Begründung deren angeblich geringen Anspruch in den Vordergrund rückt, zieht er eine erkennbare Parallele zu seiner Anmerkung zu dem an den amicus Pollius Felix gerichteten Gedicht Silv. 2,2 und greift damit implizit das Motiv seiner familiaritas mit Melior vom Anfang der praefatio wieder auf: Unausgesprochen erscheint nun auch letzterer als jemand, der dem von einem befreundeten Dichter verfaßten Gedicht eventuelle Qualitätsmängel verzeiht. Wenn im Gegensatz dazu für Silv. 2,5 das Gewicht eindeutig auf die Begründung für 63 Vgl. van Dam (1984), 59; Henriksén (1998), 114, sieht hierin eine mögliche Spitze gegen Martial. 64 Zur Ambivalenz des Begriffes frigidus sowohl in stilistischem als auch in ganz realem Sinne s. van Dam (1984), 60. 65 Van Dam (1984), 283, sieht eine solche Beeinflussung lediglich in einer Richtung: Durch die potentiell positive Konnotation des Begriffes facilitas in literarischen Kontexten werde die in leves libellos ausgedrückte Abwertung der beiden Gedichte implizit relativiert.

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die schnelle Entstehung des Gedichtes gelegt wird, deren denkbare Auswirkungen auf die Perfektion des Gedichtes jedoch unausgesprochen bleiben, wird damit eine respektvolle Distanz zum sacratissimus imperator (Silv. 2, praef. 17–18) signalisiert, aufgrund derer der Dichter bei einem an Domitian gerichteten Gedicht keine solche grundsätzliche Nachsicht erwarten kann. Mit der Anmerkung zu Silv. 2,6 kehrt Statius ein weiteres Mal zu der anfangs als verbindendes Motiv eingeführten Ausrichtung der im Buch enthaltenen Gedichte auf die Person des Adressaten zurück.66 Dies ist bereits aus den ersten Worten ersichtlich, mit denen Statius den ursprünglichen Adressaten ähnlich wie zuvor Glaucias als Ursus noster (Silv. 2, praef. 18) einführt und zugleich mit dem dazwischen eingeschobenen quoque den Anschluß an ein zuvor verfolgtes Prinzip signalisiert. Wie schon bei einigen anderen Einzeladressaten hebt Statius auch für Flavius Ursus in besonderer Weise dessen hervorragende Qualifikation, allerdings nicht so sehr auf literarischem Gebiet wie allgemein auf dem der Gelehrsamkeit, hervor. 67 Auf das Gedicht selbst wird ebenfalls näher eingegangen. Es handelt sich um ein weiteres Trostgedicht, eine consolatio zum Tode von Ursus’ Lieblingssklaven, für die Statius im folgenden begründet, weshalb er dieses Gedicht überhaupt in eine für Melior bestimmte Sammlung aufgenommen habe. Der genaue Sinn der gegebenen Begründung, Ursus werde auf diese Weise die durch das Gedicht erlangte Ehre Melior anrechnen (Silv. 2, praef. 21–22), bleibt für einen außenstehenden Leser im dunkeln. Dasselbe gilt auch für die unmittelbar vorher angesprochene Verpflichtung des Dichters gegenüber den ursprünglichen Adressaten (Silv. 2, praef. 20–21). 68 Nachdem die Übergänge zwischen den Anmerkungen zu den einzelnen Gedichten in dieser praefatio bislang meist nicht ausdrücklich markiert waren, wird das genethliacon für Lucan dezidiert als das letzte Gedicht des Buches eingeführt (cludit volumen…; Silv. 2, praef. 22). Statius äußert sich nicht nur über die Entstehung des Gedichtes, indem er anmerkt, es sei im Auftrage der als rarissima uxorum (Silv. 2, praef. 23) gepriesenen Witwe Lucans, Polla Argentaria 69 , entstanden. Er betont darüber hinaus auch seine 66 Ein anderes verbindendes Motiv der meisten Gedichte des zweiten Buches, das Thema »Tod«, kommt in der praefatio nur indirekt durch die Anmerkungen zu den einzelnen Gedichten zum Ausdruck, obgleich es innerhalb des Textes stärker wirkt als die Ausrichtung auf den Adressaten des Buches; vgl. Bright (1980), 60. 67 Zur Person des Flavius Ursus s. A. Stein: Art. »Flavius 216«, RE 6,2,2730; Vollmer (1898), 365; van Dam (1984), 391. – Die Bedeutung der Formulierung sine iactura desidiae ist nicht ganz unumstritten, dazu s. van Dam (1984), 61. 68 Vgl. White (1974), 61; Bright (1980), 58; van Dam (1984), 60. 69 Zu Polla Argentaria s. o. S. 145 m. Anm. 213. – Der Ausdruck imputari sibi voluit stammt ursprünglich aus der Sprache der Geschäftswelt und kann daher als ein Wortspiel mit dem Namen der Auftraggeberin verstanden werden: Nisbet (1978), 7–8; van Dam (1984), 62.

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reverentia (Silv. 2, praef. 25) gegenüber dem Gefeierten mit der Aussage, daß er für das Lob eines so großen Dichters seine Hexameter gefürchtet habe. 70 Deshalb habe er für dieses Gedicht bewußt ein anderes Versmaß gewählt, wohl auch, um seine Verse nicht dem direkten Vergleich mit denen Lucans auszusetzen. 71 Dams sieht hierin zudem einen Anklang des stilkritischen Gegensatzes: »der große Lucan ... erhält seine Ehrung durch ein lyrisches Gedicht.« 72 Den Abschluß der praefatio bildet die an Melior gerichtete Aufforderung zu beurteilen, ob die von Statius in dieser Weise zusammengestellte Gedichtsammlung, die hier mit der betont bescheidenen Wendung haec qualiacumque sunt (Silv. 2, praef. 27) bezeichnet wird, für eine breitere Öffentlichkeit geeignet sei. Dieser Überblick über die praefatio des zweiten Buches zeigt, daß auch hier zunächst einmal der Aspekt der celeritas beim Verfassen der Gedichte wiederkehrt, der in der ersten praefatio das zentrale Leitmotiv für die kommentierte Aufzählung der im Buch enthaltenen Gedichte darstellt. Er wird gleich in der Anmerkung zum ersten Gedicht des Buches eingeführt. Wenn Statius seine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringt, daß die Schnelligkeit, mit der er offenbar auf den Tod des Glaucias reagiert hat, als unangemessen empfunden werden könnte, bedient er sich eines in Trauerund Trostgedichten geläufigen Motivs 73 , das im Kontext der praefatio jedoch nicht bloß topischen Charakter hat. Es wird vielmehr gezielt funktionalisiert, um das Motiv der schnellen Gedichtproduktion wieder aufzugreifen, und es ist gewiß kein Zufall, daß das Stichwort celeritas in diesem Zusammenhang auch selbst einmal explizit gebraucht wird (Silv. 2, praef. 9). Nachdem der Aspekt der celeritas am Beginn der praefatio bzw. des ›Inhaltsverzeichnisses‹ eine relativ große Rolle spielt, werden im weiteren Verlauf des Textes zunehmend auch andere Gesichtspunkte relevant, bis für die letzten beiden Gedichte des Buches die Frage der Produktionszeit nicht einmal mehr indirekt berührt wird. Diese Entwicklung verläuft allerdings keineswegs linear. Für Silv. 2,2, 2,3 und 2,4 wird eine schnelle Produktion nur mehr oder minder indirekt suggeriert, denn ein Leser, der noch unter dem Eindruck der bisher durchgehend betonten celeritas steht, ist nur zu 70 Hardie (1983), 85: »he did not trust his epic hexameters to do justice to Lucan the epic poet.« 71 Vollmer (1898), 314; vgl. Vessey (1973), 38–39; van Dam (1984), 453. – Delarue (2000), 92, sieht in der Formulierung meos hexametros einen klaren Hinweis darauf, daß Statius, der normalerweise eine sehr hohe Meinung von seinen Hexametern gehabt habe, in seinen Epen durchaus mit Lucan konkurriert habe. 72 Dams (1972), 165. 73 Zum topischen Charakter des Motives s. van Dam (1984), 74.

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geneigt, die in den drei Fällen objektiv benannten Unzulänglichkeiten ebenfalls dieser Ursache zuzuschreiben. Erst für Silv. 2,5 verweist der Dichter wieder konkret auf die celeritas und benennt diesmal mit der Angabe, er habe dem Kaiser das Gedicht natürlich statim überreicht (Silv. 2, praef. 18), sogar erstmals in der vorliegenden praefatio einen konkreteren Zeitraum. Im Vergleich mit Statius’ Behandlung der celeritas in der praefatio des ersten Buches lassen sich darüber hinaus noch weitere Differenzen erkennen. Ein grundlegender Unterschied besteht etwa darin, daß die celeritas diesmal nirgends ganz allgemein angesprochen wird, sondern stets nur für den Einzelfall des jeweils behandelten Gedichtes. Hinzu kommt, daß dem Dichter offensichtlich nicht mehr vorrangig daran gelegen ist, die celeritas als Ergebnis einer besonderen Befähigung unter Beweis zu stellen. Hierfür spricht zunächst, daß sie diesmal auch innerhalb der ›Inhaltsangabe‹ als ambivalent erscheint. Nach dem beinahe ausdrücklichen Eingeständnis, daß diese Fähigkeit durchaus Gegenstand von Prahlerei sein könnte (nec nunc eam [...] iacto; Silv. 2, praef. 9–10), rückt im folgenden wieder mehr der Gedanke an eine Unzulänglichkeit der Gedichte in den Vordergrund. Darüber hinaus werden zwar auch hier wieder in allen Fällen die ursprünglichen Adressaten der Gedichte genannt, eine Zeugenfunktion wird ihnen jedoch nicht mehr ausdrücklich zugewiesen. Zwar klingt neben den oben erwähnten Andeutungen in der Erläuterung zu Silv. 2,1 auch an anderen Stellen an, daß die ursprünglichen Adressaten um die Umstände der Entstehung des jeweiligen Gedichtes wissen 74 , doch sind einschlägige Begriffe wie testis und testimonium, die in der vorhergehenden praefatio eine bedeutende Rolle spielen (Silv. 1, praef. 16. 28. 29), diesmal auffallend abwesend. Trotz dieser grundlegenden Unterschiede fungiert das Motiv der celeritas in auffälliger Weise als Bindeglied zwischen den ersten beiden praefationes der Silvae. Dadurch, daß ein in der Vorrede von Buch 1 überaus dominanter Aspekt in der Anmerkung zum ersten Gedicht des nachfolgenden Buches in einer Weise wiederaufgenommen wird, die in verschiedener Hinsicht an das bekannte Muster erinnert, entsteht beim Leser der Eindruck einer beinahe nahtlosen Anknüpfung an die erste praefatio. Die scheinbare Fortsetzung dient zweifellos dazu, die Zusammengehörigkeit der separaten Bücher einer ohnehin sehr heterogenen Gedichtsammlung zu unterstreichen.

74 Dazu zählt etwa das scis in der Bemerkung über den epigrammatischen Charakter von Silv. 2,3 und 2,4 (Silv. 2, praef. 15), in schwächerer Form aber auch das sed amicus ignovit, mit dem Statius’ Anmerkung zu Silv. 2,2 abschließt (Silv. 2, praef. 14).

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Parallel zur Wiederaufnahme des celeritas-Motivs wird in der überdurchschnittlich langen 75 Erläuterung zu Silv. 2,1 aber auch ein neuer Gesichtspunkt eingeführt, der in dieser praefatio das Leitmotiv bei der Kommentierung der einzelnen Gedichte bildet. Wie in der ersten Vorrede die celeritas, so wird auch dieses Motiv vor Beginn des ›Inhaltsverzeichnisses‹ zunächst in allgemeinerer Form angesprochen. Es ist dies die Ausrichtung der im Buch enthaltenen Gedichte auf die Person des Adressaten bzw. etwas abstrakter der individuelle Situationsbezug, der ursprünglich rein private Charakter der einzelnen Gedichte. Obgleich es insbesondere in den Anmerkungen zu denjenigen Gedichten, die ursprünglich nicht an den Gesamtadressaten Melior gerichtet waren, in stark variierender Form auftritt, verbindet dieses Leitmotiv sämtliche Erläuterungen zu den Einzelgedichten des zweiten Buches. Für die drei auf Melior selbst bezogenen Gedichte (Silv. 2,1; 2,3; 2,4) liegt eine solche Ausrichtung fraglos auf der Hand. Auch für die beiden letzten Gedichte wird eine mehr oder weniger deutliche Verbindung zu Melior hergestellt. In der Anmerkung zu Silv. 2,6 wird dieser private Charakter auch unmittelbar im Text der praefatio selbst abgebildet, denn die Begründung, die Statius dem Adressaten dafür gibt, daß er ausgerechnet dieses an Flavius Ursus gerichtete Gedicht in eine für Melior bestimmte Sammlung eingefügt hat, bleibt für einen Außenstehenden zumindest teilweise unverständlich. 76 In der Anmerkung zu Silv. 2,7 fällt ein solcher Bezug auf den Gesamtadressaten dagegen nur sehr schwach aus. Zwar ist die Verbform consuleremus (Silv. 2, praef. 24), wiewohl von mehreren Herausgebern akzeptiert, textkritisch nicht unumstritten 77 , als sicher darf jedoch gelten, daß hier mit einem Verb in der ersten Person Plural eine Gruppe von Personen bezeichnet wird, und diese könnte neben Polla Argentaria und dem Dichter selbst eventuell auch Atedius Melior mit eingeschlossen haben. Für die übrigen zwei Gedichte (Silv. 2,2 und 2,5) wird schließlich keinerlei Bezug auf den Gesamtadressaten des 75 Mit einer Länge von fast acht Zeilen (in der Textausgabe von Courtney) ist diese die mit Abstand umfangreichste unter den vollständig erhaltenen Anmerkungen. Übertroffen werden könnte sie lediglich von der Kommentierung von Silv. 1,6, deren Text allerdings bereits nach rund zwei Zeilen abbricht. Interessant ist, daß auch das andere Extrem in der praefatio von Buch 2 situiert ist, wo Statius nur wenig später gleich zwei Gedichte gemeinsam in kaum mehr als anderthalb Zeilen abhandelt. 76 Dies gilt sowohl für die angedeutete Verpflichtung des Statius gegenüber dem ursprünglichen Adressaten als auch für die Behauptung, dieser werde die Ehre, die das Gedicht für ihn bedeute, dem Gesamtadressaten anrechnen; vgl. van Dam (1984), 60. 77 Akzeptiert wird die singuläre Formulierung diem ... consuleremus etwa von Phillimore, Mozley, Frère/Izaac, Marastoni, Traglia/Aricò; Buchheit (1960), 231 Anm. 4, und van Dam (1984); die alternativ vorgeschlagenen Konjekturen reichen von consecraremus (Markland) über coleremus (Skutsch (1893), 826; vgl. auch White (1975), 281–283), consolaremur (Klotz) bis hin zu una coleremus oder concoleremus (Postgate (1905), 120). Courtney und Shackleton Bailey betrachten die Stelle hingegen als unheilbar korrupt.

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Buches hergestellt. Hier aktualisiert sich das Leitmotiv statt dessen in dem Verweis auf die individuelle persönliche bzw. situative Bezogenheit des jeweiligen Gedichtes. Das neue Leitmotiv ist allerdings nicht nur ein verbindendes Motiv für die Kommentierung der einzelnen Gedichte des zweiten Buches. Es hat darüber hinaus auch grundlegende Bedeutung für die Gedichtsammlung als ganze. Tatsächlich bringt Statius hier einen zweiten wichtigen Grund dafür zur Sprache, daß Gelegenheitsdichtung wie die Silvae in den Augen eines allgemeinen Publikums möglicherweise als defizitär erscheinen kann. Nur die Primäradressaten verfügen sowohl über sämtliche nötigen Hintergrundinformationen als auch insbesondere über den unmittelbaren Bezug zu dem jeweils behandelten Gegenstand oder Ereignis. Für alle anderen sind diese Voraussetzungen nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang gegeben. Im ungünstigsten Falle kann diese Form von »information gap« 78 , der den außenstehenden Leser vom ursprünglichen Leser unterscheidet, dazu führen, daß ersterer ein solches Gedicht als mißlungen verwirft, weil er nicht mehr in der Lage ist, dessen originären Reiz nachzuvollziehen. Im Unterschied zur mangelnden Perfektion der Gedichte infolge der celeritas ihrer Entstehung, die in der praefatio des ersten Buches ganz explizit thematisiert wird, wird dieser zweite potentielle Stein des Anstoßes auf subtilere Weise vermittelt. Dies beginnt bereits damit, daß die individuelle Bezogenheit der Gelegenheitsdichtung zwar nicht ausschließlich im Zusammenhang mit einzelnen Gedichten, aber doch nur im Hinblick auf den konkreten Fall des vorliegenden Buches formuliert wird (Silv. 2, praef. 3– 4). Sie wird zudem nirgends als objektiver Nachteil von Gelegenheitsdichtung kenntlich gemacht. Dadurch, daß Statius die inhaltliche Ausrichtung des Buches auf den Widmungsadressaten diesem gegenüber als etwas Positives darstellt und an anderer Stelle, etwa in der Anmerkung zu Silv. 2,2, durchblicken läßt, daß der persönliche Bezug eventuelle Unvollkommenheiten in den Augen des Adressaten ohne weiteres aufwiegt, wird dem allgemeinen Leser dieses besondere Merkmal der in den Silvae versammelten Gedichte im Gegenteil als selbstverständlich und unproblematisch präsentiert. Statius äußert sich zu diesem Punkt stets mit großer Souveränität, nicht einmal der kurze Seitenblick auf die ceteri ist apologetisch gefärbt. Anstatt analog zu seinen Äußerungen über die celeritas in der praefatio des ersten Buches seine Besorgnis über eventuelle Kritik an Unzulänglichkeiten zu äußern, die auf seine eigene Betroffenheit nach dem Tode des Glaucias zurückzuführen und damit ebenfalls situationsbedingt wären, setzt er die

78 Zum Begriff des »information gap« s.o. S. 101.

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ceteri lediglich über die Zusammenhänge in Kenntnis (sed et ceteris indico; Silv. 2, praef. 10). Die Art der Darstellung ist sehr aufschlußreich. Zwar läßt Statius durchaus ein Problembewußtsein erkennen, eine offene Erörterung wird jedoch vermieden, möglicherweise, weil dieser zweite Ansatzpunkt für potentielle Kritik anders als zuvor die celeritas aus der Sicht des allgemeinen Publikums keine alternative Bewertung zuläßt. Ein defensiverer Umgang mit diesem Thema müßte unweigerlich wieder zu der Frage führen, ob eine solche Art von Dichtung überhaupt für eine Publikation geeignet ist. Übersetzung der praefatio: STATIUS GRÜSST SEINEN MELIOR Sowohl unsere Vertrautheit, über die ich mich freue, Melior, Du bester und nicht weniger im literarischen Urteil als in jeder Facette des Lebens schlichtweg untadeliger Mann, als auch die spezielle Eigenart der Gedichte, die ich Dir schicke, ist so gelagert, daß dieses mein Buch auch ohne eine epistula zur Gänze auf Dich ausgerichtet ist. Denn das erste Gedicht behandelt unseren Glaucias, dessen überaus reizendes Knabentum, wie es meist den Unglücklichen schicksalhaft zuteil wird – gern umarmte ich ihn, wenn ich bei Dir war –, nicht mehr bei Dir ist. Der frischen Wunde dieses Verlustes habe ich, wie Du weißt, derart schnell ein Trauergedicht gewidmet, daß ich die Schnelligkeit vor Deinen Gefühlen entschuldigen mußte. Auch jetzt prahle ich damit nicht vor Dir, der Du es weißt, sondern zeige es auch den übrigen an, damit niemand mit allzu strenger Feile ein Gedicht prüft, das von einem Betroffenen geschrieben und einem schmerzlich Trauernden übergeben wurde, da späte Trostbezeigungen beinahe überflüssig sind. Das Landhaus meines Pollius Felix, das nachfolgt, hätte von mir, namentlich zu Ehren seiner Beredsamkeit, sorgfältiger behandelt werden müssen, doch als Freund hat er es verziehen. Auf Deinen Baum freilich, Melior, und Deinen Papagei, weißt Du selbst, habe ich spielerische Gedichte beinahe nach der Art von Epigrammen geschrieben. Dieselbe Leichtigkeit der Feder erforderte der zahme Löwe; diesen, im Amphitheater hingestreckt, dem allerheiligsten Kaiser nicht sogleich zu übergeben, wäre reizlos gewesen. Auch das für unseren Ursus, einen überaus lauteren und ohne Verlust durch Untätigkeit höchst gelehrten jungen Mann, geschriebene Trostgedicht zum Verlust seines Knaben habe ich, über das hinaus, was ich ihm selbst schuldig bin, gern in dieses Buch eingefügt, weil er die Ehre dafür Dir anrechnen wird. Es schließt das Buch das Geburtstagsgedicht für Lucan, von dem Polla Argentaria, absolut einzigartig unter den Ehefrauen, als wir einmal über diesen Tag berieten, wollte, daß es ihr gewidmet werde. Ich konnte keine größere Ehrerbietung für einen so großen Dichter walten lassen, als daß ich, im Begriff sein Lob zu singen, Furcht wegen meiner Hexameter bekam. Was auch immer das hier ist, liebster Melior, so es Dir nicht mißfällt, möge es von Dir seine Öffentlichkeit erlangen, anderenfalls möge es zu mir zurückkehren.

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4.1.3 Die praefatio zum dritten Buch der Silvae STATIUS POLLIO SUO SALUTEM Tibi certe, Polli dulcissime et hac cui tam fideliter inhaeres quiete dignissime, non habeo diu probandam libellorum istorum temeritatem, cum scias multos ex illis in sinu tuo subito natos et hanc audaciam stili nostri frequenter expaveris, quotiens in illius facundiae tuae penetrale seductus altius litteras intro et in omnes a te studiorum sinus ducor. securus itaque tertius hic Silvarum nostrarum liber ad te mittitur. habuerat quidem et secundus testem, sed hic habet auctorem. nam primum limen eius Hercules Surrentinus aperit, quem in litore tuo consecratum, statim ut videram, his versibus adoravi. sequitur libellus quo splendidissimum et mihi iucundissimum iuvenem Maecium Celerem, a sacratissimo imperatore missum ad legionem Syriacam, quia sequi non poteram, sic prosecutus sum. merebatur et Claudi Etrusci mei pietas aliquod ex studiis nostris solacium, cum lugeret veris (quod iam rarissimum est) lacrimis senem patrem. Earinus praeterea, Germanici nostri libertus, scit quam diu desiderium eius moratus sim, cum petisset ut capillos suos, quos cum gemmata pyxide et speculo ad Pergamenum Asclepium mittebat, versibus dedicarem. summa est ecloga qua mecum secedere Neapoli Claudiam meam exhortor. hic, si verum dicimus, sermo est, et quidem securus ut cum uxore et qui persuadere malit quam placere. huic praecipue libello favebis cum scias hanc destinationem quietis meae tibi maxime intendere meque non tam in patriam quam ad te secedere. vale.

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Adressat der epistula, und damit auch Widmungsadressat des gesamten dritten Buches der Silvae, ist Pollius Felix, der in der vorhergehenden praefatio bereits als Adressat eines Einzelgedichtes in Erscheinung getreten ist. 79 Auch er wird nach der förmlichen Anrede nochmals überschwenglich apostrophiert. Wenn der Dichter gleich zu Beginn des ersten Satzes äußert, er müsse dem Adressaten die temeritas seiner Gedichte nicht erst ausführlich darlegen, knüpft er damit in jeweils einem wesentlichen Punkt an die beiden vorhergehenden praefationes an. Für die allgemeinen Leser der Silvae, also die zweite Adressatenebene, weist der Gedanke einer Notwendigkeit, die schnelle Entstehung der Gedichte zu beweisen, nicht zuletzt durch die Wie79 Zur Person des Pollius Felix s. J. Klass: Art. »Pollius 2«, RE 21,2,1419–1422; van Dam (1984), 192–193; Vollmer (1898), 339–40; Vessey (1973), 22; Laguna (1992), 121–122.

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derkehr des Begriffes probare unübersehbar auf die praefatio des ersten Buches zurück (Silv. 1, praef. 15; 3, praef. 2). 80 Die behauptete Verzichtbarkeit eines umfangreicheren Beweises greift hingegen den Beginn der epistula an Atedius Melior wieder auf, die Statius sogar in Gänze für überflüssig erklärte (Silv. 2, praef. 4). Grund dafür ist in beiden Fällen offenbar das persönliche Verhältnis zwischen dem Dichter und dem jeweiligen Adressaten, das in der vorliegenden praefatio zwar nicht auf einen einzelnen prägnanten Begriff gebracht, durch die anschließende Begründung der einleitenden Aussage aber ebenfalls eindeutig signalisiert wird. 81 Statius erklärt, Pollius sei mit der temeritas der Gedichte wohlvertraut, da er deren spontane Entstehung in vielen Fällen selbst miterlebt habe, ja er habe sogar schon mehrfach seine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht (Silv. 3, praef. 3–4). Die Art, wie sich Statius hier über seine Dichtung äußert, steht in spürbarem Gegensatz zu der literarischen Qualifikation des Adressaten, die im folgenden indirekt näher ausgeführt wird, nachdem in der emphatischen Apostrophe zunächst nur von dessen philosophisch zurückgezogener Lebensweise die Rede war. Pollius erscheint als ein überaus gebildeter Mann, der für Statius eine entscheidende Rolle als Lehrer und intellektueller Lenker hat. 82 Durch den so aufgebauten Kontrast läßt der 80 Zur Ambivalenz des probare an dieser Stelle s.u. S. 276 Anm. 89 u. 90. 81 Hinzu kommt auch in diesem Falle die kolloquial gefärbte Formulierung non habeo diu probandam (Silv. 3, praef. 2); vgl. Laguna (1992), 112–113. 82 Für eine Auffassung dieser Stelle als Schiffahrtsmetapher s. Laguna (1992), 113. Noch sehr viel weiter geht Newlands (2002), 195–196, die die gesamte Einleitungspassage dieser praefatio als »metaphorical play with the literary topography of Pollius’ estate« ansieht. Das Gedichtbuch erscheine hier als Schiff, das sich waghalsig auf die hohe See begeben habe und nun in den beschützenden Hafen des Pollius Felix zurückgeholt werde. – Gegen diese Interpretation läßt sich jedoch Verschiedenes einwenden. Zum einen ist die Schiffahrtsmetapher an der vorliegenden Stelle grundsätzlich nur recht schwach ausgeprägt. Zwar ist es durchaus möglich, den sinus in Z. 6 als »curved indentation in the coastline, bay, gulf« aufzufassen (OLD 1771, s.v. sinus 11), denkbar ist jedoch auch die Bedeutung »natural hollow or recess (fig.)« (OLD 1771, s. v. sinus 9), zumal die vorhergehende Formulierung altius litteras intro (Silv. 3, praef. 5-6) nur eine sehr schwache Assoziation mit altum weckt. Ebenso ist auch bei der Erwähnung des sinus des Pollius Felix in Z. 3 nicht notwendigerweise an die geographische Lage seines Surrentiner Anwesens zu denken. Statius spielt hier vielmehr auf eine Formulierung in der praefatio des ersten Buches an (singuli de sinu meo pro[ ]; Silv. 1, praef. 4; dazu s.o. S. 247 Anm. 16), um auf diese Weise die unmittelbare Beteiligung des Adressaten bei der Entstehung vieler der Gedichte zu betonen. An allen anderen, von Newlands nur indirekt angeführten Stellen, an denen Dichtung metaphorisch als Schifffahrt erscheint (seltener das konkrete Gedichtbuch als Schiff!), wird dies sehr viel eindeutiger ausgedrückt, z. B. Ov. ars 1,772: hic teneat nostras ancora iacta rates (»hier soll der geworfene Anker mein Schiff festhalten«); Prop. 3,9,3–4: quid me scribendi tam vastum mittis in aequor? / non sunt apta meae grandia vela rati. (»Was schickst du mich auf ein so weites Meer des Dichtens? Meinem Floß sind große Segel nicht angemessen.«); sowie bei Statius selbst: Silv. 4,4,89. 99–100; 5,3,238; für weitere Belegstellen s. Kenney (1958), 205–206. Zum anderen ist es in der vorliegenden praefatio keineswegs das Gedichtbuch, das sich, wenn überhaupt, in eine Seefahrtssituation begibt, sondern der Dichter selbst.

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Dichter die eigene Wertschätzung seiner Gedichte um so geringer erscheinen. 83 Unterstrichen wird dies auch durch die Wahl der Termini. Anders als in den ersten beiden praefationes, in denen Statius die schnelle Entstehung der Gedichte ganz sachlich als celeritas bezeichnete (Silv. 1, praef. 13; Silv. 2, praef. 9), verwendet er mit temeritas (Silv. 3, praef. 3) und audacia (Silv. 3, praef. 4) jetzt Begriffe, die die aus dem Improvisationscharakter der Gedichte resultierende Verwegenheit in den Vordergrund stellen und zumindest teilweise auch kritisch bewerten. 84 Der Terminus audacia, der das bereits an einer Stelle in der praefatio des ersten Buches gebrauchte audacter (Silv. 1, praef. 22) in allgemeinerer Form wieder anklingen läßt, ist prinzipiell ambivalent. Vielfach ist er jedoch negativ konnotiert, namentlich dann, wenn andere entsprechende Begriffe hinzutreten. Dazu zählt u. a. auch der Begriff der temeritas, der einerseits als einfaches Synonym zu audacia auftreten kann, zumeist aber Unbesonnenheit oder mangelnde Überlegung bezeichnet. 85 Obwohl Statius seine scheinbare Geringschätzung der eigenen Dichtung, die natürlich als bloßer Bescheidenheitstopos zu werten ist, einerseits gerade vor dem Hintergrund der besonderen Gelehrsamkeit des Adressaten ausführt, wird dieser Mangel an eigenem Zutrauen andererseits auch durch eben diesen Adressaten wieder aufgewogen. Pollius’ Vertrautheit mit der Art der ihm zugeeigneten Dichtung erscheint als der alleinige Grund für Statius’ Zuversicht, daß das dritte Buch trotz aller Unzulänglichkeit von seiten des Adressaten keine Kritik zu befürchten habe, seinen Weg zu ihm daher securus antrete (Silv. 3, praef. 6). Es fällt auf, daß Statius sein Buch in diesem Zusammenhang explizit tertius hic Silvarum nostrarum liber (Silv. 3, praef. 7) nennt und damit erstmals in einer praefatio die Bezeichnung Silvae für die gesamte Gedichtsammlung gebraucht. Allerdings tut er dies eher beiläufig und ohne weiter darauf einzugehen, weshalb er diesen Titel gewählt hat. 83 Vgl. Laguna (1992), 109. – Besonders pointiert erscheint der Kontrast auch in der Bezeichnung von Pollius’ Reaktion auf die temeritas von Statius’ Gedichten als expavescere (Silv. 3, praef. 4; der transitive Gebrauch des Verbs ist selten: K-St 1,263) im Gegensatz zu seiner vorher explizit als ruhig dargestellten Lebensweise (quies; Silv. 3, praef. 2); vgl. Bright (1980), 32. 84 Laguna (1992), 113, spricht sich zu Recht dafür aus, die Begriffe temeritas und audacia an dieser Stelle allein auf den Improvisationscharakter der Gedichte zu beziehen (vgl. Coleman (1988), xxvi), denn nur bei dieser Auffassung ist die von Statius gegebene Begründung für die Unnötigkeit einer ausführlichen Darlegung der temeritas sinnvoll. Anders dagegen Vessey (1971), 274, der den Begriff der audacia auf Statius’ eigenwilligen Umgang mit der lateinischen Sprache bezieht. Nach Ansicht von Newlands (2002), 196, handelt es sich sogar um einen Hinweis auf die »pioneering boldness of the Silvae – not in style and genre alone, but in the difficult and sometimes dangerous challenge of writing praise poetry in the Flavian age.« (vgl. auch Newlands (1991), 451 Anm. 44). 85 Zur Semantik beider Begriffe s. ThLL II 1240–1244, s. v. audacia; OLD 1912, s. v. temeritas.

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Im folgenden wertet Statius die Rolle des Pollius Felix noch weiter auf, indem er ihm für das aktuelle Buch die Funktion eines auctor zuschreibt, nachdem er für das vorherige bereits als Zeuge gewirkt habe (Silv. 3, praef. 7–8). Damit ist selbstverständlich keineswegs im engeren Sinne eine aktive Rolle als Mitverfasser des Buches gemeint. Statius weist dem Gesamtadressaten vielmehr eine ideelle Funktion als eine Art Schirmherr des Buches zu, ähnlich wie es auch in den topischen Bitten um kritische Beurteilung oder Entscheidung über die Publikation am Schluß der praefationes der Bücher 2 und 4 geschieht. 86 Dazu kommt jedoch noch eine weitere Implikation. Ähnlich wie der intertextuelle Bezug auf den Beginn von Ciceros Orator am Beginn der ersten praefatio der Silvae enthält die Bezeichnung des Pollius Felix als auctor des Buches möglicherweise einen Hinweis darauf, daß auch er, wenngleich nicht den direkten Auftrag, so doch eventuell einen Anstoß zur Veröffentlichung des Buches und damit letztlich der Silvae gegeben haben könnte. 87 Mit der Art der Formulierung verweist Statius zugleich ein weiteres Mal auf die beiden vorhergehenden praefationes. Der Bezug auf die erste praefatio wird indirekt durch die Wiederaufnahme des dort zentralen Schlüsselbegriffes testis hergestellt. Die Vorrede des zweiten Buches wird noch weniger direkt erwähnt, doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß Statius sich auf die dort erfolgte Benennung des Pollius Felix als ursprünglicher Adressat eines der im zweiten Buch enthaltenen Gedichte bezieht. 88 Ziel dieser komplexen Eingangspassage ist zweifellos die captatio benevolentiae. Statius ist bestrebt, sich und seiner Dichtung das Wohlwollen der Rezipienten zu sichern, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Im Falle des Widmungsadressaten geschieht dies zunächst ganz direkt durch das Lob von dessen besonderer literarischer Qualifikation im Gegensatz zu den eigenen, angeblich bescheidenen Fähigkeiten. Eine zusätzliche Wirkung hat aber auch die Antizipation der freundlichen Aufnahme des Buches. Im Hinblick auf das mittelbare Publikum verfährt der Dichter nach einem bereits bekannten Muster: Ebenso wie in den vorhergehenden praefationes wird der Widmungsadressat als ein Mann von außerordentlicher literari86 Vgl. Vollmer (1898), 383 u. 314; van Dam (1984), 53; zum enkomiastischen Charakter einer solchen Funktionszuweisung s. Laguna (1992), 114. 87 Vgl. ThLL II 1201, s. v. auctor IV: eum significans, qui causa rei vel facti est. Im Unterschied dazu ist die Bezeichnung Lucans als tantus auctor (Silv. 2, praef. 25) klar auf dessen Tätigkeit als Dichter zu beziehen (ThLL II 1210–1211, s.v. auctor V D). 88 Interessant ist, daß auf diese Weise die in der praefatio des zweiten Buches genannten Einzeladressaten nachträglich ebenfalls als testes der Gedichte benannt werden. Dies ist insofern auffällig, als eine solche Zeugenfunktion in der zweiten praefatio selbst nur in Einzelfällen und auch dann nur andeutungsweise angesprochen wurde. Darüber hinaus wurde anders als in der praefatio des ersten Buches kein konkretes Charakteristikum benannt, das durch die Zeugen zu bestätigen wäre.

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scher Kompetenz eingeführt, bei dem die angeblich wertlosen Gedichte des Statius gleichwohl uneingeschränkt positive Aufnahme finden. Er wird damit zu einem suggestiven Vorbild auch für die Rezeption durch außenstehende Leser. Anders als in den ersten beiden praefationes wird hier erstmals nicht mehr ausdrücklich auf die ceteri verwiesen. Der indirekte Hinweis ist dafür um so pointierter. Schon durch den Einsatz der epistula mit Tibi certe [...] non habeo diu probandam [...] (Silv. 3, praef. 1–2) macht Statius unausgesprochen deutlich, daß es noch andere Leser gibt, für die eine solche Darlegung, anders als für Pollius Felix, nicht ohne weiteres verzichtbar ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem die prinzipielle Ambivalenz des Verbs probare. In der Wiederaufnahme des probare aus der praefatio des ersten Buches steht die Bedeutung des Beweisens eindeutig im Vordergrund. 89 Daneben schwingt jedoch noch eine zweite Bedeutung mit. Ebenso wie es keines ausführlichen Beweises mehr bedarf, weil Pollius Felix aus eigener Anschauung darüber im Bilde ist, wie Statius’ Gelegenheitsgedichte entstehen, ist es umgekehrt nicht erforderlich, ihm den besonderen Reiz einer solchen celeritas plausibel zu machen90 – ein Umstand, den Statius bei außenstehenden Lesern ebenfalls nicht voraussetzen kann. Im Anschluß an diesen ersten Teil der praefatio folgt wieder ein kommentiertes Verzeichnis der im dritten Buch enthaltenen Gedichte, das sich von denen der ersten beiden Bücher jedoch in einzelnen Punkten unterscheidet. Ähnlich wie in der praefatio des zweiten Buches wird es mit einer begründenden Partikel an die unmittelbar vorhergehende Aussage angeknüpft (nam; Silv. 3, praef. 8). Damit entsteht zunächst der Eindruck, Statius setze nun zu einer ausführlicheren Erklärung der zuvor behaupteten Rolle des Pollius Felix als auctor des dritten Buches an. Tatsächlich spielt der Widmungsadressat im folgenden aber nur eine auffallend geringe Rolle. Einzig das erste Gedicht, dessen Eröffnungsfunktion für das Buch wiederum deutlich hervorgehoben wird (primum limen [...] aperit; Silv. 3, praef. 9), ist auch ursprünglich für ihn verfaßt worden. Der Dichter erklärt, er habe das Gedicht über ein Hercules-Heiligtum auf dem Anwesen des Pollius Felix in Surrentum buchstäblich in dem Augenblick verfaßt, da er diesen Hercules Surrentinus zum ersten Male gesehen habe. Damit kommt zu Beginn des ›Inhaltsverzeichnisses‹ wieder eine konkrete Produktionszeit zur Sprache, die zudem an Kürze nicht mehr zu überbieten ist, da sie gleichsam mit dem Vortrag des Gedichtes koinzidiert. Gegenüber früheren Angaben ist jedoch noch eine andere Art der Steigerung festzustellen. 89 ThLL X 2,1468–1471, s.v. probo, cap. alterum, I A 1: qui aliquid verum esse ostendit. 90 ThLL X 2,1465–1467, s. v. probo, cap. prius, II: qui (persuadendo, demonstrando) aliquid tamquam probum commendat, acceptum facit.

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Wenn Statius angibt, er habe dem Hercules Surrentinus seine Verehrung mit eben diesen Worten ausgedrückt (his versibus adoravi; Silv. 3, praef. 10), wird damit nicht nur dem Gedicht selbst eine symbolische Funktion zugeschrieben 91 , sondern auch impliziert, daß es unverändert in seinem originalen Wortlaut in das dritte Buch der Silvae aufgenommen wurde. Die nachfolgenden Gedichte hatten ursprünglich durchweg keinen Bezug zu Pollius Felix. Anders als in der epistula an Melior unternimmt Statius diesmal nicht einmal den Versuch, ihre Aufnahme in ein für Pollius Felix bestimmtes Buch zu begründen. Statt dessen finden sich in erster Linie Angaben über die Art der Gedichte bzw. auch über die Motivation, die zu ihrer Entstehung geführt hat. So bedient sich Statius einer längeren Umschreibung, um Silv. 3,2 als propempticon zu charakterisieren (libellus quo [...] Celerem [...], quia sequi non poteram, sic prosecutus sum; Silv. 3, praef. 11–14). Er schließt dabei einige Informationen über den Hintergrund des Gedichtes sowie ein persönliches Lob für den ihm selbst offenbar gleichfalls nahestehenden Adressaten Maecius Celer 92 mit ein. In ähnlicher Weise wird auch Silv. 3,3 als consolatio zum Tode des Vaters von Claudius Etruscus 93 umschrieben, ohne daß die Bezeichnung selbst gebraucht würde. Diese Angabe wird jedoch zusätzlich erweitert durch eine parenthetische Bemerkung, mit der der Dichter eine persönliche Bewertung zum Ausdruck bringt (Silv. 3, praef. 15–16). Ebenfalls umschrieben wird die Art des betreffenden Gedichtes in der Anmerkung zu Silv. 3,4, einem Gedicht, das aus Anlaß des für den Pergamenischen Asklepios bestimmten Haaropfers des Kastraten Earinus, eines mittlerweile freigelassenen puer delicatus Domitians 94 , geschrieben wurde. Trotz der Formulierung ut capillos suos [...] versibus dedicarem (Silv. 3, praef. 18–20) handelt es sich nicht um ein Widmungsgedicht im engeren Sinne, sondern wiederum um eine Art poetischer Dokumentation des feierlichen Ereignisses. 95 Die Umschreibung beginnt unvermittelt mit der Nennung des offenbar ursprünglichen Adressaten 96 und enthält erstmals wieder 91 Laguna (1992), 114; Newlands (2002), 41. 92 Zur Person des Maecius Celer s. Vollmer (1898), 395; M. Fluss, Art. »Maecius 6«, RE 14,1,234–235; White (1972), 161–164; Laguna (1992), 193. – Für das in der Umschreibung des Gedichtes enthaltene Wortspiel mit seinem Namen s. Nisbet (1978), 8; Laguna (1992), 114. 93 Claudius Etruscus erscheint bereits im ersten Buch der Silvae als einer der ursprünglichen Einzeladressaten; dazu s. o. S. 251 m. Anm. 28; zur Person des Vaters s. auch Vollmer (1898), 408; A. Stein: Art. »Claudius 31«, RE 3,2,2670–2672; Weaver (1965); Laguna (1992), 246. 94 Zur Person des (T.) Flavius Earinus s. A. Stein: Art. »Flavius 81«, RE 6,2,2597; Laguna (1992), 307; White (1972), 230–233; White (1975) 288–293; Henriksén (1997), 282–289. 95 Henriksén (1997), 293–294; vgl. Verstraete (1989), 405; Pederzani (1992), 80; für eine Auffassung als anathematikon im eigentlichen Sinne s. Hardie (1983), 121–124; Laguna (1992), 308– 310. 96 Denkbar ist auch, daß das Gedicht nicht für Earinus selbst, sondern indirekt im Auftrag des Kaisers geschrieben wurde: Vessey (1973), 28; Garthwaite (1978), 91–92; Garthwaite (1984), 111;

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einen Hinweis auf die Produktionszeit des Gedichtes. Der Text der Anmerkung ist jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch. Gegenstand kontroverser Diskussion ist zunächst die Frage, ob an dieser Stelle das überlieferte scit quam diu oder das von Vollmer konjizierte scis quam diu zu lesen ist, d. h., ob Statius sich auf den ursprünglichen Einzeladressaten oder aber den Gesamtadressaten des dritten Buches bezieht, der angeblich darum weiß, wie lange er für das Verfassen des Gedichtes gebraucht habe. 97 Die zweite Schwierigkeit des Satzes besteht in der Bedeutung des quam diu. Eine Reihe von Forschern geht davon aus, daß diese Angabe wörtlich zu verstehen ist, Statius also ausdrückt, er habe dem Wunsch des Earinus in der Tat lange Zeit nicht nachgegeben. 98 Als Grund dafür wird meist die besondere Brisanz von Silv. 3,4 im Hinblick auf Domitians Kahlköpfigkeit sowie vor allem auf das Motiv der Kastration angeführt. 99 Daneben findet sich jedoch auch die Ansicht, daß das quam diu ironisch als ein quam non diu und damit als weiterer Hinweis auf die celeritas aufzufassen ist, mit der Statius das Gedicht geschrieben hat 100 , sowie drittens die Auffassung, daß Statius mit dem ironischen Eingeständnis eines kurzen anfänglichen Zögerns eine konventionelle poetische Bescheidenheit vergleichbar einer recusatio zur Schau stelle. 101 Henriksén (1997), 291; etwas vorsichtiger auch Leberl (2004), 230. Verstraete (1989), 407, sieht dagegen gerade in der relativen Bedeutungslosigkeit des Auftraggebers Earinus eine mögliche Ursache für die erwähnte Verzögerung der Ausführung. 97 Vollmer (1898), 384, begründet seine Konjektur zum einen damit, daß eine dritte Person Singular nur schwer mit dem nicht-reflexiven Personalpronomen eius zu vereinbaren sei, das ebenfalls auf Earinus bezogen ist. Zum anderen argumentiert er inhaltlich, das Verb müsse schon deshalb in der zweiten Person stehen, da sich Statius in der vorliegenden praefatio ausschließlich an Pollius Felix, nicht aber an die ursprünglichen Einzeladressaten »als Zeugen für seine celeritas« wende (vgl. Vollmer (1893), 832). Aufgenommen wurde seine Konjektur in den Textausgaben von Klotz, Mozley, Frère/Izaac, Traglia/Aricò und Marastoni vgl. außerdem Postgate (1905), 125– 126; Laguna (1992), 115; Pederzani (1995), 219). Dagegen ist jedoch mit Recht eingewandt worden, daß die vorliegende praefatio auch unabhängig von der gewählten Lesart in Gänze an den Gesamtadressaten gerichtet ist, während eine Zeugenfunktion der ursprünglichen Einzeladressaten überhaupt keine Rolle mehr spielt, und auch das grammatikalische Argument ist keinesfalls zwingend: Housman (1906), 44; Håkanson (1969), 82–83. Akzeptiert wird die Lesart scit quamdiu auch in den Textausgaben von Phillimore, Courtney und Shackleton Bailey. 98 So etwa Vessey (1973), 28–29; Ahl (1976), 29; Garthwaite (1978), 91; Garthwaite (1984), 111; Verstraete (1989), 406–407; Henriksén (1998), 106–107; Newlands (2002), 113; Leberl (2004), 237. 99 Garthwaite (1978/1984) betrachtet das Gedicht sogar als durchgehend ironischen, persönlichen Angriff auf Domitian und seinen moralischen Anspruch (vgl. auch Ahl (1976), 29–32); Verstraete (1989) betrachtet das Gedicht vorsichtiger als den Versuch des Statius zu zeigen, daß auch in einem enkomiastischen Gedicht für den Kaiser ein problematisches Thema angesprochen werden kann (413). 100 Vollmer (1898), 384, im Anschluß an Markland; Håkanson (1969), 82; Hardie (1983), 78. 121 m. Anm. 11; Laguna (1992), 115. 101 Vessey (1973), 28–29; Pederzani (1995); 219; vgl. Pederzani (1992), 80.

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Wie bereits in den ersten beiden praefationes wird das letzte Gedicht des Buches auch diesmal wieder eindeutig als solches bezeichnet: summa est ecloga [...] (Silv. 3, praef. 20). 102 Anders als bei den Anmerkungen zu den vorhergehenden Gedichten wird damit auch der Neueinsatz innerhalb der Aufzählung kenntlich gemacht. Nach einer kurzen, sachlichen Angabe zu Art und Inhalt des ursprünglich an seine eigene Ehefrau 103 gerichteten Gedichtes hebt Statius anschließend dessen privaten und vor allem funktionalen Charakter hervor. Das Gedicht sei nicht mehr als eine bloße Unterredung (sermo; Silv. 3, praef. 21), mit der er einzig das Ziel verfolgt habe, seine Frau zum Umzug nach Neapel zu bewegen, ohne dabei auf eine ästhetische Gestaltung zu achten. Betrachtet man diese Klassifizierung des Gedichtes allerdings als impliziten Verweis auf Horaz’ literarkritische Antithese von Dichtung und sermones (Hor. sat. 1,4,41–42), so enthält die betont bescheidene Bezeichnung des Gedichtes tatsächlich einen durchaus höheren poetischen Anspruch. Die weitere Spezifizierung des sermo (et quidem securus ut cum uxore; Silv. 3, praef. 21–22) legt zudem eine Orientierung am Vorbild der in Silv. 2,7,62–63 erwähnten Adlocutio ad Pollam Lucans nahe. Wie stark diese im Detail ausgeprägt war, läßt sich nicht mehr ermessen, da das Werk, das möglicherweise auch Teil der Silvae Lucans war, verloren ist. 104 In der weiteren Formulierung läßt Statius zwei zentrale Begriffe aus der rhetorischen Theorie anklingen (Silv. 3, praef. 22–23). 105 Durch die beinahe antithetische Verwendung von persuadere und placere, das dem delectare der Rhetorik entspricht, wird die poetische Qualität des Gedichtes herabgesetzt, und auf diese Weise wiederum eine Ursache für eventuell zu bemän102 Der Begriff ecloga ist nicht als Hinweis auf einen bukolischen Charakter von Silv. 3,5 zu lesen, sondern dient ebenso wie der Begriff libellus als neutrale Bezeichnung eines einzelnen Gedichtes: ThLL V 2,48, s. v. ecloga 1: i.q. pars scriptorum ex amplioribus libris excerpta [...] praecipue carminum, inde de quovis poematio brevi; vgl. Laguna (1992), 115; Coleman (1988), 56, zu Silv. 4, praef. 20. – Vessey (1977), 134, sieht bereits in der Verwendung des Begriffes ecloga einen Hinweis auf den privaten Charakter des Gedichtes, der erst im Anschluß näher erläutert wird. Wenig überzeugend hingegen Tanner (1986a), 3042, der den Gebrauch dieses Terminus als konkretes Indiz für Statius’ Assoziation mit Vergil betrachtet. 103 Zu Statius’ Ehefrau Claudia s. Vollmer (1898), 17–18 m. Anm. 7; A. Stein: Art. »Claudius 396«, RE 3,2,2887; Hardie (1983), 59; Laguna (1992), 6–7; vgl. auch Giri (1907), 433–441. 104 Dazu auch Vollmer (1898), 377; Newmyer (1979), 34; van Dam (1984), 482. – Da der Verweis auf Horaz keine generische Assoziation mit der Satirendichtung impliziert, sind die beiden Verweise – entgegen der Auffassung von Bright (1980), 6 – durchaus miteinander vereinbar. 105 Ähnlich wie Horaz (ars 333: Aut prodesse volunt aut delectare poetae) weist auch Statius seinem Gedicht zwei der drei Wirkungsfunktionen der Rede (persuadere (= probare, docere), delectare und flectere (= movere); vgl. Lausberg § 257, p. 142–144) zu; vgl. Aricò (1971), 236– 238. – Hardie (1983), 182, sieht darüber hinaus an der vorliegenden Stelle eine konkrete Assoziation der Begriffe mit dem rhetorischen genus deliberativum (persuadere) bzw. genus demonstrativum (placere); ihm folgt Laguna (1992), 16.

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gelnde Unzulänglichkeiten benannt. Dennoch erscheint die Anmerkung zu Silv. 3,5 keineswegs durchgehend abwertend. Grund dafür ist eine leichte ironische Spannung zwischen der Anmerkung selbst und den rahmenden Formulierungen. Nach den neutralen Ausdrücken, die Statius in den beiden vorhergehenden praefationes verwendete, um die Schlußstellung des Gedichtes innerhalb des Buches zu markieren 106 , gebraucht er diesmal den mehrdeutigen Superlativ summus. Dieser kann abgesehen von einer solchen Schlußstellung prinzipiell auch einen sehr hohen Grad der Perfektion o. ä. bezeichnen. 107 Ebenso suggeriert auch der unmittelbare Beginn des nachfolgenden Satzes, mit dem Statius ausgehend vom Inhalt des letzten Gedichtes wieder auf seine persönliche Beziehung zum Adressaten zu sprechen kommt, zunächst einen besonderen Reiz des Gedichtes selbst: huic praecipue libello favebis (Silv. 3, praef. 23). Mit der anschließenden Begründung für die antizipierte positive Reaktion des Adressaten stellt der Dichter einen auffälligen Rückbezug auf den Anfang der epistula her (Silv. 3, praef. 23–25). Dieser ist zum einen inhaltlicher Natur, denn Statius stellt Pollius Felix in Aussicht, daß man nach seinem Rückzug nach Neapel die eingangs geschilderte freundschaftliche Verbindung weiter pflegen werde. Zusätzlich wird der Rückbezug zum anderen dadurch unterstrichen, daß mit quies und tibi im letzten Satz gleich zwei Worte wiederkehren, die in umgekehrter Reihenfolge auch ganz am Anfang der praefatio gebraucht wurden. 108 Die durch ihre zyklische Struktur bereits inhaltlich sehr in sich geschlossene epistula wird zudem formal mit einem vale abgeschlossen. Wie in den entsprechenden Einzeluntersuchungen bereits gezeigt wurde, sind die Vorreden der ersten beiden Bücher der Silvae in besonderer Weise von je einem zentralen Leitmotiv geprägt, das vor allem bei der Aufzählung der enthaltenen Einzelgedichte eine wichtige Rolle spielt. Es sind dies die celeritas der Gedichtproduktion im ersten Buch sowie der ursprünglich rein private Charakter der Gedichte im zweiten Buch. Beide Themen kehren in weniger ausgeprägter Form auch in der vorliegenden praefatio wieder. Hier kommt die private Ausrichtung der Gelegenheitsgedichte ausschließlich im Zusammenhang mit einem einzelnen Gedicht (Silv. 3,5) zur Sprache. Der Aspekt der celeritas wird dagegen nicht nur ganz konkret für Silv. 3,1 thematisiert, sondern in Form einer Praeteritio zuvor auch nochmals allgemein als Charakteristikum der Silvae benannt (non habeo diu probandam…; Silv. 3, praef. 2). 106 Silv. 1, praef. 30: in fine sunt; Silv. 2, praef. 22: cludit volumen. 107 OLD 1869, s.v. summus 5: »Last in a temporal or other sequence, final«; aber auch: ibid. s. v. summus 11: »Developed to the highest possible pitch of excellence, perfect« sowie ibidem, s. v. summus 13 »Most distinguished for excellence, finest, first-rate«. 108 Zu dieser »curiosidad estructural« s. auch Laguna (1992), 110.

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Ein eigenes Leitmotiv, das der Bedeutung der beiden Themen in den vorhergehenden praefationes gleichkäme, ist in der Vorrede des dritten Buches nicht vorhanden. Innerhalb des ›Inhaltsverzeichnisses‹ werden die Angaben zu den einzelnen Gedichten nicht einmal in assoziativer Weise miteinander verknüpft und stehen damit völlig unverbunden nebeneinander. Auch die durch das einleitende nam (Silv. 3, praef. 8) geweckte Erwartung, Statius werde nun Pollius Felix’ Rolle als auctor des Buches näher begründen, wird im folgenden nicht erfüllt. Statt dessen fallen die Hintergrundinformationen zu den einzelnen Gedichten etwas ausführlicher aus als in den früheren praefationes. Auffällig ist weiterhin, daß Statius verschiedentlich seine eigene Verbundenheit mit den ursprünglichen Adressaten hervorhebt. 109 Im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen in den anderen Büchern110 fehlen aber Hinweise auf ähnliche Beziehungen zwischen den ursprünglichen Adressaten und Pollius Felix, die begründen würden, weshalb gerade diese Gedichte in ein für ihn bestimmtes Buch aufgenommen wurden. Die explizite Zuweisung einer Rolle als auctor im allgemeinen Teil der epistula stellt trotz fehlender Begründung eine deutliche Steigerung gegenüber den vorhergehenden praefationes dar, in denen die Gesamtadressaten durchaus ebenfalls in die Publikation des Buches einbezogen bzw. um Beistand für das Buch gebeten wurden. Die auctor-Rolle des Pollius Felix wird auch nicht einfach nur als Behauptung in den Raum gestellt. Sie wird vielmehr schon vorher vorbereitet durch die Hinweise auf gemeinsame literarische Betätigung. Bereits dadurch, daß er ihn als jemanden darstellt, der die Gelegenheitsgedichte wiederholten Bedenken zum Trotz am Ende dennoch billigt, überträgt Statius dem Adressaten einen Teil der Verantwortung für die Publikation des dritten Buches der Silvae. In Übereinstimmung damit tritt der Dichter selbst in diesem ersten Teil der epistula auffällig in den Hintergrund. Dies zeigt sich auch darin, daß die libelli in hohem Maße als autonom, geradezu als eigenständige Individuen charakterisiert werden. Es ist nicht etwa die temeritas des Dichters selbst, die einem anderen Leser als Pollius Felix darzulegen wäre, sondern die der libelli (Silv. 3, praef. 2–3), deren Entstehung überdies mit einer Geburt gleichgesetzt wird (Silv. 3, praef. 3–4). Ebenso ist auch die audacia nur 109 Silv. 3, praef. 11–12: splendidissimum et mihi iucundissimum iuvenem...; ibid. 14: Claudi Etrusci mei pietas… ; ibid. 21: Claudiam meam exhortor… 110 Mehr oder minder ausgeprägt in Silv. 2, praef. 18–22: ad Ursum quoque nostrum [...] quia honorem eius tibi laturus accepto est; Silv. 4, praef. 10–12: ad Septimium Severum [...] tuum quidem et condiscipulum…; ibid. 13–15: Vindicis nostri Herculem Epitrapezion [...] imputare etiam tibi possum. In allen Fällen wird neben dem Possessivpronomen im Plural noch eine zusätzliche Verbindungslinie zwischen dem Gesamt- und dem jeweiligen Einzeladressaten gezogen. – Die Bezeichnung Domitians als Germanicus noster (Silv. 3, praef. 16–17; Silv. 4, praef. 5) ist hingegen nicht als Hinweis auf ein beiderseitiges Naheverhältnis aufzufassen, sondern lediglich eine stereotype Wendung.

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mittelbar eine Eigenschaft des Dichters (audacia stili nostri; Silv. 3, praef. 4). Mit solchen Formulierungen erinnert Statius an die zu Beginn der ersten praefatio gemachte Aussage, die Gedichte seien ihm subito calore et quadam festinandi voluptate entströmt (Silv. 1, praef. 3–4). 111 Am Schluß der epistula wendet sich Statius ebenso wie in den praefationes der Bücher 2 und 4 nochmals an den Adressaten, doch wird diesem anders als dort diesmal keine Rolle im Zusammenhang mit der Publikation des Buches zugewiesen. Statius bittet Pollius Felix weder um eine Beurteilung der Gedichte noch um die Verteidigung des publizierten Buches gegen eventuelle Kritik. Er reduziert die sonst offenbar übliche Abschlußbitte 112 vielmehr auf einen bestimmten Einzelfall, indem er dem Adressaten lediglich das letzte Gedicht des Buches ans Herz legt. Durch diese Abschwächung steht der Schluß der praefatio in einem auffälligen Gegensatz zu deren Beginn, wo die besondere Rolle des Adressaten außerordentlich stark formuliert wurde. In der praefatio am Beginn des dritten Buches der Silvae werden mithin keine grundsätzlich neuen poetologischen Aspekte mehr eingeführt. Die an Pollius Felix gerichtete epistula erweist sich vielmehr als bloße Wiederholung von Formen und Themen, die aus den Vorreden der ersten beiden Bücher bereits bekannt sind. Während einzelne Punkte wie etwa der Aspekt der celeritas oder die Einbeziehung des Adressaten in den Prozeß der Buchpublikation in der Wiederaufnahme spielerisch variiert werden, beginnt das ›Inhaltsverzeichnis‹, seinen früheren inhaltlichen Zusammenhalt zu verlieren und sich zu einer schematischen Auflistung von Hintergrundinformationen zu entwickeln. Übersetzung der praefatio: STATIUS GRÜSST SEINEN POLLIUS Dir freilich, liebster Pollius, in höchstem Maße würdig der Ruhe, der Du so konsequent treu bleibst, muß ich die Unbesonnenheit dieser Gedichte nicht ausführlich beweisen, da Du weißt, daß viele davon direkt vor Deinen Augen plötzlich entstanden sind, und Du vielfach vor der Kühnheit meiner Feder erschrocken bist, sooft ich ins Allerheiligste jener Deiner Beredsamkeit beiseitegeführt tiefer in die Welt der Schriften eintrete und von Dir in alle Tiefen der literarischen Betätigung geleitet werde. Deshalb wird dieses dritte Buch der Silvae unbekümmert zu Dir geschickt. Auch das 111 Vgl. auch die Anmerkung zu dem besonders umfangreichen Gedicht Silv. 1,2: audacter, mehercules, sed ter centum tamen hexametros habet (Silv. 1, praef. 22–23). 112 Wiewohl sehr wahrscheinlich, ist diese Vermutung mit einem gewissen Rest an Unsicherheit behaftet, da sich der Dichter nur in zwei der vergleichbaren praefationes mit einer das ganze Buch betreffenden Bitte an den jeweiligen Gesamtadressaten wendet (Silv. 2, praef.; 4, praef.) und auf dieser Basis auch die Rückschlüsse auf den verlorenen Schluß der ersten praefatio gezogen werden.

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zweite hatte ja Dich als Zeugen, dieses aber hat Dich als Schirmherren. Denn seinen allerersten Anfang macht der Hercules Surrentinus, welchen ich, als er auf Deinem Küstenstreifen geweiht war, gleich als ich ihn gesehen hatte, mit diesen Versen verehrt habe. Es folgt ein Gedicht, mit dem ich den glänzendsten und mir überaus angenehmen Jüngling Maecius Celer, der vom allerheiligsten Kaiser zur syrischen Legion geschickt wurde, weil ich ihm nicht folgen konnte, auf diese Weise begleitet habe. Auch die liebevolle Gesinnung meines Claudius Etruscus verdiente irgendeinen Trost aus meinem literarischen Schaffen, als er mit echten Tränen, was so überaus selten ist, seinen alten Vater betrauerte. Earinus außerdem, der Freigelassene unseres Germanicus, weiß, wie lange ich ihn auf die Erfüllung seines Wunsches habe warten lassen, als er bat, daß ich seine Haare, die er mit einem edelsteinbesetzten Gefäß und einem Spiegel zum Pergamenischen Asklepios schickte, mit Versen weihen solle. Das letzte ist ein Stück, mit dem ich meine Claudia ermuntere, sich mit mir nach Neapel zurückzuziehen. Um die Wahrheit zu sagen, es handelt sich um ein Gespräch, und zwar ein unbekümmertes, wie man es mit seiner Frau führt, eins, das mehr überzeugen als gefallen will. Diesem Gedicht wirst Du besonders gewogen sein, da Du weißt, daß diese Bestimmung meines Ruhesitzes vor allem auf Dich zielt, und ich mich nicht so sehr in meine Heimat wie zu Dir zurückziehe. Lebe wohl!

4.1.4 Die praefatio zum vierten Buch der Silvae STATIUS MARCELLO SUO SALUTEM Inveni librum, Marcelle carissime, quem pietati tuae dedicarem. reor equidem aliter quam invocato numine maximi imperatoris nullum opusculum meum coepisse; sed hic liber tres habet . . . se quam quod quarta ad honorem tuum pertinet. primo autem septimum decimum Germanici nostri consulatum adoravi; secundo gratias egi sacratissimis eius epulis honoratus; tertio viam Domitianam miratus sum qua gravissimam harenarum moram exemit: cuius beneficio tu quo maturius epistolam meam accipies, quam tibi in hoc libro a Neapoli scribo. proximum est lyricum carmen ad Septimium Severum, iuvenem, uti scis, inter ornatissimos secundi ordinis, tuum quidem et condiscipulum, sed mihi citra hoc quoque ius artissime carum. nam Vindicis nostri Herculem Epitrapezion secundum honorem quem de me et de ipsis studiis meretur imputare etiam tibi possum. Maximum Vibium et dignitatis et eloquentiae nomine a nobis diligi satis eram testatus epistula quam ad illum de editione Thebaidos meae publicavi; sed nunc quoque eum reverti maturius ex Dalmatia rogo. iuncta est ecloga ad municipem meum Iulium Menecraten, splendidum iuvenem et Polli mei generum, cui gratulor quod Neapolim nostram numero

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Die praefationes in den Silvae des Statius liberorum honestaverit. Plotio Grypo, maioris gradus iuveni, dignius opusculum reddam, sed interim hendecasyllabos quos Saturnalibus una risimus huic volumini inserui. quare ergo plura in quarto Silvarum quam in prioribus? ne se putent 25 aliquid egisse qui reprehenderunt, ut audio, quod hoc stili genus edidissem. primum supervacuum est dissuadere rem factam; deinde multa ex illis iam domino Caesari dederam, et quanto hoc plus est quam edere. exerceri autem ioco non licet? ›secreto‹ inquit. sed et sphaeromachia spectantes et pala- 30 ris lusio admittit. novissime: quisquis ex meis invitus aliquid legit, statim se profitetur adversum. ita quare consilio eius accedam? in summam, nempe ego sum qui traducor: taceat et gaudeat. hunc tamen librum tu, Marcelle, defendes. et, si videtur, hactenus, sin minus, reprehendemur. vale. 35

Die praefatio zum vierten Buch der Silvae ist an Vitorius Marcellus gerichtet, einen literarisch sehr interessierten Mann, dem auch Quintilian seine Institutio oratoria gewidmet hat. 113 Anders als in den vorhergehenden praefationes geht Statius in der persönlichen Apostrophe des Adressaten, die mit carissime (Silv. 4, praef. 1) als einzigem Attribut ohnehin ungewöhnlich knapp ausfällt, jedoch nicht weiter auf diesen Bereich ein. Er hebt lediglich die besondere pietas des Marcellus hervor. 114 Mit der Eingangsformulierung 113 Zur Person des Vitorius Marcellus s. Nohl (1877), 517–1518; Mommsen (1878); Vollmer (1898), 461; R. Hanslik: Art. »Vitorius 2«, RE Suppl. 9,1744–1745; White (1972), 164–172; White (1973a), 280–282; Vessey (1973), 22–23. 114 Die Bedeutung des Begriffes pietas an dieser Stelle ist nicht eindeutig. Während Vollmer (1898), 439, darunter Vitorius Marcellus’ Haltung gegenüber Statius und dem vierten Buch der Silvae versteht, bezieht White (1973a), 279, den Begriff auf eine besondere Loyalität des Marcellus gegenüber dem Kaiser, deretwegen das Vorhandensein von gleich drei ursprünglich an Domitian gerichteten Gedichten am Anfang des Buches für ihn eine größere Ehre darstelle als ein Beginn mit einem ursprünglich an ihn selbst gerichteten Gedicht; ihm folgt Hardie (1983), 165. Dagegen wendet Coleman (1988), 55, ein, daß in diesem Falle eine stärkere Verbindung mit dem nachfolgenden Satz erforderlich wäre, offenbar weil dieser dann als eine Art Begründung oder zumindest Weiterführung des Gedankens aufzufassen wäre. Coleman faßt pietas tua daher, ähnlich wie Vollmer, als eine reziproke Wiederaufnahme des Epithetons carissime auf. – Angesichts der umfangreichen lacuna im nachfolgenden Satz ist eine uneingeschränkte Entscheidung für eine der beiden Auffassungen unmöglich. Zwar läßt der überlieferte Text eine engere Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Satz in der Tat nicht zwingend erkennen, doch kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß eine solche Verbindung erst im heute fehlenden Teil des Satzes hergestellt wurde. Auch hier könnte durchaus noch deutlich geworden sein, daß es sich um eine Erläuterung der zuvor lediglich behaupteten pietas des Adressaten als Haltung gegenüber Domitian handelte. Umgekehrt ist es jedoch ebenso möglich, daß der fehlende Teil des Textes eine Begründung dafür enthielt, warum sich Marcellus trotz einer besonderen Verbundenheit mit dem Dichter mit einer nachgeordneten vierten Position innerhalb des Buches begnügen muß. – Borgo (2003), 27, verweist zwar auf Martials Verwendung von pietas in bezug auf den Kaiser in der als eng verwandt aufgefaßten epistula an Domitian (Mart. 8, praef. 6), bezieht den Begriff bei Statius aber dennoch ebenfalls auf das persönliche Verhältnis zwischen Statius und Vitorius Marcellus.

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Inveni librum... (Silv. 4, praef. 1) macht Statius diesmal zudem sehr deutlich, daß es sich bei den im Buch enthaltenen Gedichten um eine Auswahl aus bereits vorhandenem Material handelt 115 , das gleichwohl eine besondere inhaltliche Ausrichtung auf den Adressaten bzw. konkret auf dessen pietas aufweist. Der anschließende Satz wird über den unmittelbaren Kontext hinaus in sehr unterschiedlicher Weise interpretiert. Seit Vollmer wird darin zumeist ein Hinweis auf die Publikation der Silvae gesehen. Nach dessen Ansicht kann Statius’ Überlegung, er habe keines seiner opuscula ohne vorherige Anrufung der göttlichen Macht des Kaisers begonnen (Silv. 4, praef. 2–3), nur bedeuten, daß die Bücher 1 bis 3 der Silvae als Einheit veröffentlicht oder jedenfalls konzipiert wurden, da die Bücher 2 und 3 im Gegensatz zu Buch 1, in dem dies auch ausdrücklich erwähnt wird (sumendum enim erat ›a Iove principium‹; Silv. 1, praef. 16–17), sowie auch zur Thebais und Achilleis nicht mit einem Bezug auf Domitian beginnen. 116 Dagegen gelangt Frère ausgehend von der Schwierigkeit, die bei einer solchen Auffassung die Verwendung des Diminutivs opusculum für Epen und auch für eine aus drei Büchern bestehende Sammlung bereitet, sowie von der Beobachtung, daß keines von Statius’ Werken eine Anrufung Domitians enthalte, zu dem Schluß, daß Statius hier vielmehr ausdrückt, er habe vor dem Verfassen jedes einzelnen Gedichtes das numen des Kaisers für seine Inspiration angerufen. 117 Als Motivation für eine solche Angabe vermutet er Statius’ Wunsch, Martials metaphorische Verehrung Domitians in der praefatio zum achten Buch der Epigramme zu übertreffen. 118 Diese These wird in der Forschung sehr unterschiedlich bewertet: Während Bright urteilt, Frère habe sich »most successfully« gegen die Sicht Vollmers gewandt, bezeichnet Hardie die These schlicht als »eccentric«. 119 Im Kontext der vorliegenden praefatio liegt die Hauptfunktion des Gedankens in der Vorbereitung des folgenden Satzes, der durch den Ausfall von einer oder sogar zwei Zeilen eine größere lacuna aufweist. Dennoch kann es als sicher gelten, daß 115 Coleman (1988), 55; Vollmer (1898), 439, der zudem davon ausgeht, daß die Auswahl auf spezielle Bitte des Adressaten erfolgte; eine Ausnahme ist Silv. 4,4, die epistula an Vitorius Marcellus, die, wie das Futur accipies (Silv. 4, praef. 9) nahelegt, dem Adressaten zuvor noch nicht bekannt war: Vollmer (1898), 440; Coleman (1988), 57. 116 Vollmer (1898), 12 Anm. 3. 117 Frère (1930), 308–309; ähnlich auch Laguna (1992), 10, der Statius’ Aussage als eine »exageración adulatoria« bezeichnet. – Gegen die ältere Auffassung von Härtel (1900), 7, nach der Statius hier ausdrückt, er habe immer dann, wenn er an den Kaiser gerichtete Gedichte vorliegen hatte, diese an den Beginn des Buches gestellt, spricht die Position von Silv. 2,5. Wenig überzeugend auch Fearnley (1998), 206, nach deren Ansicht Statius hier darauf verweist, daß er den Kaiser in jeder seiner praefationes erwähnt habe. 118 Frère (1930), 309–310; vgl. dazu auch Heuvel (1936/37), 325. 119 Bright (1980), 54; Hardie (1983), 216 Anm. 54.

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Statius hier dem Adressaten gegenüber begründet, daß ein ihm gewidmetes Gedicht innerhalb des Buches erst an vierter Stelle hinter den drei an Domitian gerichteten Gedichten stehen kann (Silv. 4, praef. 3–5). 120 Auch wenn hier, ähnlich wie in Martials Prosavorrede zu Buch 8 der Epigrammaton libri, der besondere Aufbau des Buches auf die Person des Kaisers zurückgeführt wird, muß es mangels weiterer Anhaltspunkte doch fraglich erscheinen, ob hierin tatsächlich eine konkrete Reaktion des Statius auf Martial zu sehen ist. 121 Auf diese einleitenden Sätze folgt wiederum eine kommentierte Aufzählung der Einzelgedichte des vierten Buches, die diesmal allerdings nicht als Begründung für das Vorhergehende eingeführt wird. Der adversative Anschluß mit autem (Silv. 4, praef. 5) signalisiert vielmehr Statius’ zumindest vorläufige Abkehr von dem zuletzt geäußerten Gedanken, das vierte Gedicht sei ausdrücklich auf die Person des Gesamtadressaten bezogen. Namentlich zu Beginn ist das ›Inhaltsverzeichnis‹ in dieser praefatio außergewöhnlich klar gegliedert, denn die drei an den Kaiser gerichteten Gedichte werden zunächst sogar fortlaufend numeriert: primo…, secundo…, tertio…(Silv. 4, praef. 5–7). Eine weitere Gemeinsamkeit dieser drei Anmerkungen besteht darin, daß sie alle äußerst knapp gehalten sind und jeweils nur die allernotwendigste Information über den Gegenstand des betreffenden Gedichtes enthalten. So erfährt der Adressat, bzw. der allgemeine Leser, daß das erste Gedicht zur Feier von Domitians siebzehntem Amtsantritt als Konsul verfaßt wurde, daß es sich bei dem zweiten Gedicht des Buches um eine Danksagung des Dichters für die Einladung zu einem Festmahl bei Hofe handelt, und daß das dritte Gedicht die Via Domitiana zum Gegenstand hat, deren Eröffnung eine nachhaltige Verbesserung des Verkehrs zwischen Rom und Neapel bedeutete. Allen drei Gedichten wird eine performative Funktion zugeschrieben (adoravi…, gratias egi…, miratus sum; Silv. 4, praef. 6–7). 120 Vollmer (1898) mutmaßt den Ausfall von bis zu zwei Zeilen (439) und schlägt folgende Ergänzung vor (144): sed hic liber tres habet se quam quod quarta […] (»aber dieses Buch enthält drei Gedichte zu seiner Ehre. Dann erst folgen die an die Freunde gerichteten Stücke; du siehst also, daß du nicht mehr geehrt werden konntest, als daß das vierte […]«); kürzer, aber dem Sinn nach identisch, der Vorschlag Colemans (1988), 56: sed hic liber tres habet se quam quod quarta […] (»aber dieses Buch enthält drei Stücke zu seiner Ehre am Anfang; du siehst also, daß du nicht mehr geehrt werden konntest, als daß das vierte […]«); vgl. Adam (1988), 41. 121 Vgl. Coleman (1988), 59. – Fearnley (1998), 206–214, sieht noch einige weitere Parallelen zwischen Statius’ vierter praefatio und der zum achten Buch der Epigrammaton libri. Die »similar iuxtaposition of emperor and text« ist jedoch nicht notwendig auf Statius’ Orientierung am Vorbild Martials zurückzuführen. Im weiteren Verlauf dieses Abschnittes wird gezeigt werden, daß Statius vielmehr – zwar ähnlich wie Martial, aber aus anderen Gründen – eine Reihe konkreter Punkte aus seiner eigenen ersten praefatio aufgreift.

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In scharfem Gegensatz dazu wird die Anmerkung zu Silv. 4,4, der im einleitenden Teil bereits angekündigten quarta (Silv. 4, praef. 4) 122 , lediglich als ein zweiter Relativsatz an die vorhergehende Anmerkung angeschlossen. Wohl weil auch der Beginn der Anmerkung zu Silv. 4,5 durch proximum est (Silv. 4, praef. 10) wieder sehr deutlich markiert ist, wurde dieser Relativsatz in der Vergangenheit vereinzelt als zusätzliche Erweiterung der Anmerkung zu Silv. 4,3 mißverstanden und die darin erwähnte epistula fälschlich mit der praefatio gleichgesetzt. 123 Schon die Systematik, mit der Statius sonst jedes einzelne der in den Silvae enthaltenen Gedichte in der entsprechenden praefatio kurz kommentiert, läßt jedoch keinen Zweifel, daß hier, wie mehrheitlich richtig gesehen, das vierte Gedicht des Buches gemeint ist. Die nichtsdestoweniger auffällige Art des Anschlusses trägt indessen dazu bei, das relativ lange Intervall zwischen der ersten Ankündigung des neuen, für den Gesamtadressaten bestimmten Gedichtes und der dazugehörigen Anmerkung in den Augen eines Lesers rückwirkend zu überbrücken. Durch die unvermittelte Wiederaufnahme erscheint die epistula an Vitorius Marcellus als dasjenige Gedicht, das dem Dichter auch während seiner Ausführungen zu den ersten drei Gedichten stets vor Augen stand, und damit zweifellos als das bedeutendste des ganzen Buches. Zusätzlich verstärkt wird diese Wirkung durch die sachliche Kürze, mit der die vorhergehenden Gedichte in der praefatio abgehandelt werden. Abgesehen von den unmittelbar das Gedicht (Silv. 4,4) betreffenden Informationen setzt Statius den Leser auch darüber in Kenntnis, daß er sich mittlerweile tatsächlich wieder in Neapel aufhält und dort weiterhin als Dichter tätig ist. Ursprünglicher Adressat von Silv. 4,5, einem Gedicht in lyrischem Versmaß, ist Septimius Severus. 124 Dessen gesellschaftlichen Rang hebt der Dichter ebenso hervor wie die besondere Beziehung, die sowohl ihn selbst als auch den Widmungsadressaten des vierten Buches mit diesem verbindet. Implizit liefert er damit eine Begründung, weshalb das Gedicht in die vorliegende Sammlung aufgenommen wurde. Der zuletzt geäußerte Gedanke seiner eigenen Verbundenheit mit dem ursprünglichen Adressaten spielt auch in der Anmerkung zu Silv. 4,6 eine

122 Zur notwendigen Ergänzung des Begriffes ecloga s. Markland ad loc.; Coleman (1988), 55. 123 Zu nennen ist hier insbesondere Janson (1964), 108, der daraus weitergehende Schlußfolgerungen bezüglich der grundsätzlichen Lokalisierung von praefationes zieht; dazu s. jedoch Johannsen (2003). Dieselbe Auffassung findet sich aber auch in der Textausgabe von Traglia/Aricò, p. 887 sowie ThLL V 681,63, s.v. epistula I A 1: ...de epistula alci. libro commendando aut praescripta aut adiuncta. 124 Zur Person dieses Septimius Severus sowie zur Frage seiner Relation zu dem späteren Kaiser gleichen Namens s. Coleman (1988), 158–159; Coleman (1983); Saller (1982), 177–178.

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wesentliche Rolle. Statius führt aus, daß im Falle des Novius Vindex125 bereits dessen besondere Verdienste um ihn selbst und um die Dichtung im allgemeinen hinreichende Gründe für die Aufnahme des Gedichtes über dessen Hercules Epitrapezios126 in die für Marcellus bestimmte Sammlung seien. 127 Für die restlichen Gedichte fehlen derartige Begründungen. Statt dessen werden wieder vermehrt Hintergrundinformationen zu den einzelnen libelli gegeben, aber auch das Lob der originären Adressaten spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Im Falle des Maximus Vibius, des ursprünglichen Adressaten von Silv. 4,7 128 , drückt Statius seine Wertschätzung in Form einer Praeteritio aus, indem er erklärt, er habe diese bereits hinlänglich in seiner epistula über die Publikation der Thebais formuliert (Silv. 4, praef. 15–18). 129 Damit bringt er zum zweiten Male in einer praefatio der Silvae sein Epos zur Sprache. Das in die Silvae aufgenommene Gedicht selbst wird hingegen nur sehr kurz abgehandelt. Der Leser erhält lediglich einen Hinweis auf dessen Inhalt, erfährt aber z. B. nichts über die Form des Gedichtes, obgleich dieses als das zweite lyrische Gedicht der Sammlung durchaus eine Sonderstellung einnimmt. Das nachfolgende Gedicht (Silv. 4,8) war ursprünglich an den ebenso wie Statius aus Neapel stammenden Iulius Menecrates 130 gerichtet, Anlaß die Geburt von dessen drittem Kind. Die Anmerkung zu Silv. 4,9 beginnt schließlich mit der Zusicherung, der Adressat

125 Zur Person des nur durch Silv. 4,6 und zwei Epigramme Martials (Mart. 9,43. 44) bekannten Novius Vindex s. auch Vollmer (1898), 473; A. Stein: Art. »Novius 24«, RE 17,1,1221–1222; White (1972), 228–230; White (1975), 286–287. 126 Über die Bedeutung des Epithetons Cancik-Lindemaier (1971), 56–59. 127 Die Schlußfolgerung von Coleman (1988), 57, daß Vitorius Marcellus und Novius Vindex nicht miteinander bekannt gewesen seien, da dies nicht eigens erwähnt werde, ist keineswegs zwingend. Für sich allein bildet die Einführung des Vindex als noster (Silv. 4, praef. 13) zwar noch keine ausreichende Basis für die Annahme einer persönlichen Beziehung auch zwischen ihm und dem Gesamtadressaten (vgl. z.B. den Wechsel vom Singular zum Plural in der Anmerkung zu Silv. 4,7). Berücksichtigt man jedoch, daß die Kommunikation zwischen Statius und den Adressaten der epistulae für das allgemeine Publikum aus Mangel an den nötigen Informationen auch an anderer Stelle nicht immer vollständig verständlich ist, so liegt die Vermutung nahe, daß Statius’ lapidare Aussage, er könne das fragliche Gedicht auch Marcellus widmen, für diesen selbst durchaus verständlich war. 128 Die unklare Identität des Vibius Maximus ist in der Forschung wiederholt behandelt worden: Nohl (1877); Syme (1957); White (1973b); Delarue (1976); Syme (1985); für eine Zusammenfassung der Diskussion s. Coleman (1988), 195–197. 129 Genauere Informationen über Form und Inhalt dieser verlorenen epistula fehlen. Verschiedentlich wurde vermutet, daß es sich analog zu den praefationes der Silvae ebenfalls um einen Prosabrief handelte, in dem Statius den Adressaten um kritische Beurteilung des Werkes o. ä. gebeten haben könnte: Janson (1964), 109; Coleman (1988), 58. Vollmer (1898), 14, vermutet hingegen einen poetischen Brief. 130 Zur Person des Iulius Menecrates, Schwiegersohn des Pollius Felix, s. A. Stein: Art. »Iulius 358«, RE 10,1,679; Coleman (1988), 209.

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Plotius Grypus 131 werde das würdigere Werk, das ihm eigentlich gebühre, zu einem späteren Zeitpunkt erhalten. Vorerst habe Statius jedoch ein in Hendekasyllaben abgefaßtes Gedicht von den letzten Saturnalien für die vorliegende Sammlung ausgewählt. Mit der Aussage, Statius und der Adressat hätten bei jener Gelegenheit gemeinsam über das Gedicht gelacht (Silv. 4, praef. 24), wird ein weiteres Mal auf ein engeres Verhältnis zwischen dem Dichter und einem der Einzeladressaten verwiesen. 132 Ihrer Art nach sind die einzelnen Anmerkungen stark unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von kurzen Sachinformationen zu Inhalt und Form der Gedichte bis hin zu längeren Ausführungen, die tatsächlich nur recht wenig mit dem eigentlich behandelten Gedicht zu tun haben. Abgesehen von wenigen Fällen argumentativer Verknüpfungen, etwa zwischen den Anmerkungen zu Silv. 4,3 und 4,4 oder Silv. 4,5 und 4,6, stehen die einzelnen Angaben im ›Inhaltsverzeichnis‹ der vierten praefatio des Statius überwiegend asyndetisch nebeneinander. Wie bereits in der Vorrede des dritten Buches fehlt auch diesmal ein verbindendes Leitmotiv. Der auffälligste Unterschied zu den drei vorhergehenden praefationes besteht freilich in dem Fehlen jeglichen Hinweises auf die celeritas der Gedichtproduktion. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Prosavorreden ist Statius damit jedoch noch nicht am Ende angelangt. Statt dessen leitet er mit der Frage quare ergo plura in quarto Silvarum quam in prioribus? (Silv. 4, praef. 24– 25) zu einem völlig neuartigen Abschnitt über. Er wendet sich im Schlußteil dieser praefatio entschieden gegen Kritik, die offenbar inzwischen an den Silvae geübt worden war und sich anscheinend in irgendeiner Form gegen die allgemeine Publikation der ursprünglich privaten Gelegenheitsgedichte richtete (Silv. 4, praef. 25–27). 133 Dafür spricht jedenfalls Statius’ weitere Argumentation. Er führt an, daß er viele der Gedichte vor ihrer Publikation bereits dem Kaiser übergeben hätte, ein Akt, den er offenbar höher bewertet als eine normale Veröffentlichung (Silv. 4, praef. 28–29). Des weiteren lehnt er es ab, dem consilium (Silv. 4, praef. 32) der Gegenseite zu folgen,

131 Zur Person des Plotius Grypus s. W. Hoffmann: Art. »Plotius 5«, RE 21,2,593–594; Vollmer (1898), 491; White (1972), 172–174; Coleman (1988), 221–224; Coleman (1978) vermutet ein Wortspiel mit dem Namen. 132 Prinzipiell wäre es möglich, daß die 1. Person Plural (una risimus; Silv. 4, praef. 24) auch die Person des Vitorius Marcellus mit einschließt, so daß auch hier eine Verbindung zum Gesamtadressaten hergestellt würde. Mangels weiterer Anhaltspunkte kann dies jedoch nicht mit Sicherheit behauptet werden. – Damon (1992), 305, verweist auf den Anklang der Anmerkung zu Silv. 4,9 an den Beginn von Catull. 50. 133 Auch hierin wird ein Indiz für die evtl. zeitgleiche Publikation der Bücher 1 bis 3 gesehen: Wenn Statius erst in der vierten praefatio auf Kritik reagiert, liegt die Vermutung nahe, daß die ersten drei Bücher bereits komplett veröffentlicht waren, bevor die Kritik überhaupt geäußert werden konnte: Coleman (1988), 59; Hardie (1983), 64; Newmyer (1979), 48–49.

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die ihm anscheinend von solchen Veröffentlichungen abgeraten hatte, da dies als dissuadere rem factam (Silv. 4, praef. 27–28) ohnehin unsinnig sei. Die auffällig vage Umschreibung der Kritiker als qui reprehenderunt, ut audio (Silv. 4, praef. 26) kann als Hinweis darauf gelesen werden, daß die Kritik nicht direkt Statius gegenüber geäußert, sondern ihm von Dritten hinterbracht worden ist. Da Statius keine genaueren Angaben dazu macht, weshalb seine Veröffentlichung der Silvae kritisiert worden ist oder von welcher Seite die Kritik erfolgte 134 , ist die Forschungsdiskussion zu diesem Punkt entsprechend kontrovers. Es werden, z. T. sogar auf der Basis derselben Fakten, sehr verschiedene Ansichten vertreten, die im folgenden kurz skizziert seien. Überwiegend wird vermutet, die Kritiker seien auf literarischem Gebiet zu suchen. Als namhafter Vertreter wird z. B. Quintilian erwogen, dessen Äußerung [...] eorum vitium qui primo decurrere per materiam stilo quam velocissimo volunt, et sequentes calorem atque impetum ex tempore scribunt: hanc silvam vocant (Quint. inst. 10,3,17) 135 Vollmer als Kritik an den Silvae des Statius auffaßt. 136 Ansatzpunkt der Kritik wäre in diesem Falle der Improvisationscharakter der Silvae, d. h. gerade die celeritas der Gedichtproduktion, die Statius in den vorhergehenden praefationes so sehr betont hatte. Dagegen kann jedoch u.a. eingewendet werden, daß Quintilian an der fraglichen Stelle die Arbeitsweise von Rednern, nicht von Dichtern behandelt 137 , außerdem wird bezweifelt, ob Statius ausgerechnet in einem Vitorius Marcellus, der Quintilian nahestand, gewidmeten Buch gegen jenen polemisieren würde. 138 Darüber hinaus muß ebenfalls fraglich erscheinen, ob das consilium, das Quintilian im Anschluß an seine negative Beurteilung des eiligen Schreibens gibt 139 , mit der Argumentation des Stati134 Aus dem Umstand, daß Statius seine Gegner nur anfangs im Plural als qui reprehenderunt, ut audio bezeichnet, anschließend jedoch konsequent den Singular verwendet (inquit … consilio eius … taceat et gaudeat), muß nicht zwangsläufig geschlossen werden, daß es sich um eine Einzelperson handelte: Giri (1907), 456–457. 135 »[...] Fehler derjenigen, die zunächst so schnell wie möglich mit dem Griffel durch den Stoff fahren wollen und ihrem drängenden Eifer folgend aus dem Stegreif schreiben; das Ergebnis nennen sie silva.« 136 Vollmer (1891), 344–345; vgl. Karsten (1899), 365–368; ähnlich auch Adam (1988), 60. 137 Dazu sowie für einige weitere Argumente dafür, daß sich die Kritik Quintilians nicht auf die Silvae des Statius beziehen kann, s. bereits Leo (1892), 3–11; Giri (1907), 452–460; in jüngerer Zeit Bright (1980), 27–30; vgl. auch Vollmer selbst (1898), 440, der jedoch zugleich einwendet: »Dichtkunst und Prosa sind um diese Zeit eben fast nur noch durch das Versmaß unterschieden«. 138 Coleman (1988), 59; Delarue (1974a), 547, der davon ausgehend die These Vollmers sogar völlig umkehrt und erwägt, Statius habe Quintilian auf dem Umweg über Vitorius Marcellus als gewichtigen Fürsprecher gewinnen wollen. 139 Quint. inst. 10,3,18: Protinus ergo adhibere curam rectius erit, atque ab initio sic opus ducere ut caelandum, non ex integro fabricandum sit. (»Es wird also richtiger sein, gleich Sorgfalt

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us vereinbar ist. Denn seine Kritiker haben ihm nicht völlig von seiner Arbeitsweise abgeraten, sondern nur von der Veröffentlichung der Ergebnisse. 140 Als anderer potentieller Kritiker wird Martial genannt, der Statius eventuell als Konkurrenten bei der Publikation von Gelegenheitsgedichten angesehen haben könnte. 141 Delarue schließlich identifiziert mit einer teilweise recht konstruierten Argumentation Statius’ Gegner zunächst als einen Verehrer des Brutus und darüber letztlich mit eben jenen Catones, gegen die sich Martial in seiner praefatio zum ersten Buch der Epigramme abgrenzt. 142 Dagegen wendet Coleman jedoch zu Recht ein, daß der Aspekt der lascivia, der bei Martials Rechtfertigung dort im Mittelpunkt steht, in den Silvae keine Rolle spielt. 143 Delarue geht allerdings noch weiter und verweist auf die politische Implikation einer solchen Identifikation der Gegner mit Brutusverehrern: »ces gens qui ne supportent pas la légèreté sont aussi au moins suspects d’être de mauvais sujets du prince.« 144 Ähnlich vermutet auch Ahl, Statius sei dafür kritisiert worden, daß er Hofpoesie für einen verhaßten Kaiser geschrieben habe, und habe seine Kritiker dazu herausfordern wollen, ihren Standpunkt offen zu vertreten. 145 Schon dieser Überblick über die wichtigsten unterschiedlichen Überlegungen und die jeweiligen Gegenargumente macht deutlich, daß eine zweifelsfreie Identifizierung der Kritiker nicht möglich ist. Es muß ohnehin fraglich erscheinen, ob diese unbedingt unter heute noch faßbaren Personen zu suchen sind, denn prinzipiell liegt auch bei anderen ein gewisses Kritikpotential. So könnten etwa auch Adressaten weiterer Einzelgedichte, die nicht in die Sammlung aufgenommen wurden, sozusagen aus gekränkter Eitelkeit gegen eine allgemeine Publikation von Gelegenheitsgedichten polemisiert haben.

aufzuwenden und das Werk von Anfang an so auszuführen, daß es im Detail zu schmücken, nicht völlig neu zu erschaffen ist.«). 140 Dies zeigt sich in der Bezeichnung der Kritiker als qui reprehenderunt [...] quod hoc stili genus edidissem (Silv. 4, praef. 26–27) ebenso wie in dritten Glied der Argumentation: exerceri autem ioco non licet? ›secreto‹ inquit (Silv. 4, praef. 29–30). Eine Differenzierung der Kritik als einerseits gegen hoc stili genus im allgemeinen, andererseits auch gegen die Publikation dieser Art von Dichtung gerichtet, wie sie von Marastoni (1957), 398–399, vorgenommen wird, läßt sich aus beiden Stellen hingegen nicht ableiten. 141 Coleman (1988), 59; Henriksén (1998), 114–115; vgl. Vessey (1973), 40; dagegen geht Delarue (1974a), 543, davon aus, daß der Unterschied zwischen den Epigrammen Martials und den von der Epik beeinflußten Silvae des Statius so groß ist, daß zwischen beiden keine direkte Konkurrenz bestanden haben kann. 142 Delarue (1974b), 285–286. 143 Coleman (1988), 59. 144 Delarue (1974b), 286. 145 Ahl (1984b), 90; vgl. Garthwaite (1978), 176.

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Die Frage, welcher Art die Kritik gewesen sein mag, wird im weiteren Verlauf dieses Abschnittes noch eine Rolle spielen. Vorerst genügt es festzuhalten, daß Statius ihr mit einer vehementen Verteidigung seiner Silvae begegnet. Er führt eine ganze Reihe verschiedener Gesichtspunkte an, und die ähnlich wie zu Beginn des ›Inhaltsverzeichnisses‹ weitgehend wieder sehr klar strukturierte Reihung (primum … deinde … autem … novissime; Silv. 4, praef. 27–31) suggeriert, daß er über eine Vielzahl schlagender Argumente verfügt, um seine Position zu untermauern. Bei näherer Betrachtung erweist sich Statius’ Verteidigung allerdings als nur wenig substantiell, denn viele der angeführten Aspekte besitzen nur geringes argumentatives Gewicht und vermögen nicht wirklich zu begründen, weshalb Gelegenheitsgedichte wie die Silvae aller eventuellen Kritik zum Trotz für eine Publikation geeignet sind. Zu diesen scheinbaren Argumenten gehört gleich das erste. Statius beginnt mit dem bereits erwähnten Gemeinplatz, daß es prinzipiell unsinnig sei, von etwas abzuraten, das schon längst geschehen sei (Silv. 4, praef. 27– 28). 146 Von ähnlich geringer objektiver Wirksamkeit ist der anschließende Hinweis, daß viele der Gedichte bereits dem Kaiser übergeben worden seien (Silv. 4, praef. 28–29). Zwar impliziert dieses Argument, daß die Gedichte bei Domitian auch eine gewisse Anerkennung gefunden haben, im wesentlichen handelt es sich jedoch um eine Variation des vorhergehenden Gedankens, die in starkem Maße auf die im zweiten Teil des Satzes formulierte Huldigung an die Adresse des Kaisers abzielt. 147 Stärkeres Gewicht hat hingegen der dritte Punkt der Argumentation. Auf seine rhetorische Frage nach der Erlaubnis zu spielerischer Übung läßt Statius zunächst den anonymen Interlocutor antworten, daß dies nur im Verborgenen gestattet sei, verweist dann aber wieder selbst auf den Bereich spielerischer Kampfübungen, die ebenfalls in der Öffentlichkeit stattfinden (Silv. 4, praef. 29– 31). An vierter Stelle, und mit novissime klar als Schluß der Reihe markiert, folgt wiederum ein Scheinargument: Da jeder gleich als Gegner der Silvae auftrete, der in irgendeinem einzelnen Punkt etwas daran auszusetzen habe, sehe Statius keinen Grund, dessen Rat anzunehmen (Silv. 4, praef. 31– 33). 148 Den Abschluß der Verteidigung bildet, mit in summam eingeleitet, 146 Zum sprichwörtlichen Charakter dieses Gedankens s. Coleman (1988), 60; vgl. Otto (1890), 628, p. 129–130. 147 Anders Coleman (1986), 3100. 148 Zugrunde gelegt wird die von Courtney (und zuvor von Markland, Vollmer, Mozley und Coleman (1988)) aufgenommene Lesart …statim se profitetur adversum, da diese dem argumentativen Verlauf der Rechtfertigung besser entspricht. Der im Codex Matritensis überlieferte Konjunktiv …se profiteatur adversum, der von der überwiegende Zahl der Herausgeber aufgenommen wird, ist hingegen nur schwer mit dem nachfolgenden Satz zu vereinbaren. Statius verließe damit vorzeitig den Bereich der (scheinbar) sachlichen Argumentation zu einer ersten Offensive gegen seine Kritiker; vgl. Mozley ad loc.

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die pauschale Anweisung an die anonymen Kritiker, sich nicht einzumischen, da der Dichter die Konsequenzen einer Publikation ohnehin allein zu tragen habe (Silv. 4, praef. 33–34). Die literarische Berechtigung der Silvae wird in dieser Reihe nirgends auch nur ansatzweise in Frage gestellt. Ebenso fehlt jeder in den vorhergehenden praefationes übliche Ausdruck der Bescheidenheit des Dichters. Einige Teile sind im Gegenteil sogar auffallend offensiv. Dazu zählt bereits die einleitende rhetorische Frage, mit der Statius von vornherein, noch bevor die Kritik selbst überhaupt erwähnt wird, klarstellt, daß er darauf nicht mit Rückzug, sondern mit einer Erhöhung der Gedichtzahl in diesem neuen Buch reagiert. 149 Noch stärker kommt der offensive Charakter aber am Schluß der Passage zum Ausdruck, wo Statius potentiellen Kritikern mit zwei iussiven Konjunktiven sogar unmißverständliche Anweisungen erteilt. 150 Anschließend wird dem Adressaten wiederum eine bestimmte Rolle im Hinblick auf die Publikation des Buches zugewiesen. In Fortsetzung von Statius’ vorhergehender Wendung gegen anscheinend bereits erfolgte Kritik an den Silvae handelt es sich diesmal um die Bitte, das vorliegende Buch zu verteidigen. Der durch den unklaren Bezug der Formulierung et, si videtur, hactenus (Silv. 4, praef. 34–35) etwas problematische Schlußsatz wird vielfach in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Bitte gesehen. 151 Doch ist zu erwägen, den Satz unabhängig von dem Vorhergehenden als Abschluß der gesamten Verteidigung zu lesen. In diesem Falle antizipiert Statius in höflicher Form die Bestätigung des Adressaten, daß die von ihm vorgebrachten Argumente ausreichend sind, und übernimmt damit zugleich die Verantwortung für den Fall, daß sie es nicht sind. Ebenso wie die praefatio des vorhergehenden Buches schließt auch diese mit einem förmlichen vale.

149 Adam (1988), 60, spricht in diesem Zusammenhang von einer »Art Trotzreaktion des Autors«. – Interessanterweise ist das vierte Buch dennoch insgesamt nicht umfangreicher als die vorhergehenden, sondern (ungeachtet potentieller Schwankungen der Verszahlen aufgrund der in verschiedenen Ausgaben unterschiedlich veranschlagten lacunae) mit rund 725 Versen sogar noch etwas kürzer als diese; vgl. Vollmer (1898), 12 Anm. 5. 150 Vgl. auch die Anweisung, die Martial gegen Ende seiner ersten praefatio an allzu prüde Zeitgenossen richtet: Non intret Cato theatrum meum, aut si intraverit, spectet. (Mart. 1, praef. 15–16). 151 Während Vollmer (1898), 441, die Formulierung als Überleitung zu der abschließenden Bitte um Verteidigung des Buches auffaßt und dementsprechend an den Anfang des Gedankens stellt, sieht White (1973a), 279, darin die Ankündigung des Dichters, er werde, sofern Marcellus dieser Ansicht sei, in Zukunft keine weiteren Bücher der Silvae mehr veröffentlichen. Coleman (1988), 62, spricht sich hingegen im Anschluß an Goodyear dafür aus, den Ausdruck nach Athetese des et zu defendes zu ziehen. Bei dieser Auffassung würde Marcellus gebeten, das Buch im Rahmen der zuvor vorgetragenen Argumentation zu verteidigen.

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Bei aller Souveränität, mit der Statius seinen Standpunkt vertritt, fällt auf, daß die einzelnen Punkte, anders als die Art der Präsentation dies zunächst vermuten läßt, keineswegs eine logisch strukturierte Argumentation bilden. Sie sind vielmehr lediglich additiv aneinandergereiht. Die Verteidigung steht damit in einem signifikanten Gegensatz zu Statius’ apologetischer Darlegung seiner Zweifel hinsichtlich der Publizierbarkeit der Silvae in der praefatio des ersten Buches. Während dort hinter allem ostentativen Schwanken, mit dem die jetzt thematisierte Kritik im Grunde bereits antizipiert wurde, tatsächlich eine konsistente Überzeugung von der Publizierbarkeit der Silvae festzustellen war, wird in diesem Falle umgekehrt die ausführlich und mit großem Nachdruck vertretene Position nur scheinbar stringent begründet. Die Auseinandersetzung mit den Kritikern am Ende der vierten praefatio ist somit strukturell als eine Art Negativ der zu Beginn der ersten praefatio geäußerten Selbstzweifel des Dichters gestaltet. Verschiedentlich wurde bereits darauf hingewiesen, daß Statius in der praefatio des vierten Buches in einzelnen Punkten an die praefatio des ersten Buches anknüpft. Wenn man neben den wörtlichen auch die inhaltlichen Anklänge berücksichtigt, so sind die Bezüge zwischen beiden praefationes noch sehr viel weitreichender. Ein Gedanke wird sogar gleich zweimal in variierter Form aufgegriffen. Sowohl das Argument, daß die Herausgabe der Silvae eine res facta sei, als auch der Hinweis auf die in vielen Fällen bereits erfolgte Übergabe der Gedichte an Domitian (Silv. 4, praef. 27–29) erinnern an den zu Beginn der ersten praefatio geäußerten Gedanken, daß ein Zögern im Grunde überflüssig sei, da die Gedichte einzeln durchaus schon eine, wenn auch begrenzte, Öffentlichkeit erlangt hätten (Silv. 1, praef. 4–5). Auch eine Huldigung an den Kaiser, wie sie in der vorliegenden praefatio unmittelbar mit der zweiten Formulierung des eben genannten Gesichtspunktes verknüpft ist, findet sich bereits in der praefatio des ersten Buches, wo Statius Domitian mit Jupiter assoziiert und als sacrosanctus testis über alle anderen Zeugen hinaushebt (Silv. 1, praef. 16–17). Neben diesen noch eher äußerlichen Aspekten kehren aber auch mehrere Punkte wieder, die das Wesen der Gedichte an sich betreffen. So nimmt bereits die Bezeichnung der Gelegenheitsgedichte als hoc stili genus (Silv. 4, praef. 26–27) deutlich Bezug auf das stilo remissiore in der ersten praefatio (Silv. 1, praef. 9) 152 , und der dort auftretende Gedanke des praeludere wird hier durch den Ausdruck exerceri [...] ioco (Silv. 4, praef. 29) 153 wie152 Vgl. Delarue (1974a), 546; Vollmer (1898), 441. 153 In sämtlichen älteren Textausgaben findet sich anstelle des Infinitiv Passiv das überlieferte exercere in medio-passiver Bedeutung; dazu s. Coleman (1988), 60; vgl. Vollmer (1898), 441. Vereinzelt werden auch Akkusativobjekte zu exercere konjiziert: iocos anstelle von ioco oder autem (Phillimore, wohl in Ergänzung einer angenommenen Haplographie). – Fearnley

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der aufgenommen. Interessant ist darüber hinaus der mit dem zuletzt genannten Gedanken jeweils verbundene Vergleich. In der epistula an Stella verweist Statius zunächst auf zwei namhafte Beispiele für weniger seriöse Werke großer Epiker, den Culex und die Batrachomachia, bevor in der verallgemeinernden Fortsetzung des Gedankens der Begriff des praeludere gebraucht wird (Silv. 1, praef. 7–9). 154 In der vorliegenden praefatio wird der Gedanke der spielerischen Übung mit exerceri ioco zunächst allgemein formuliert und erst anschließend durch den Verweis auf sphaeromachia und palaris lusio konkretisiert, zwei Beispiele, die diesmal dem nichtliterarischen Bereich entnommen sind (Silv. 4, praef. 29–31). 155 Die praktischen Einzelheiten der beiden Arten von Übungskämpfen, insbesondere die der sphaeromachia, sind teilweise umstritten. 156 Sie sind für die Textaussage indessen auch nur von untergeordneter Relevanz. Es kommt letztlich nicht darauf an, ob unter sphaeromachia eine bestimmte Form des Faustkampfes oder eine Übung mit gesicherten Waffen zu verstehen ist, entscheidend ist allein die gräzisierende Bezeichnung. In der Kombination dieses Begriffes, der in der lateinischen Literatur insgesamt nur zweimal belegt ist 157 , mit der lateinischen Bezeichnung palaris lusio wiederholt sich in umgekehrter Reihenfolge die Struktur des Verweises in der ersten praefatio, wo zuerst der Titel des lateinischen, dann der des griechischen Werkes genannt wird. Die Relation der beiden Stellen ist mithin ein (1998), 211–212, sieht in der Verwendung des Begriffes zudem eine konkrete Assoziation der Gedichte mit den Epigrammen Martials. 154 Für diese Parallele vgl. auch Vollmer (1898), 210; Coleman (1988), 61. 155 Nach Auffassung von Ahl (1984b), 88–89, sind mit ioci indessen konkret die drei an Domitian gerichteten Gedichte zu Beginn des vierten Buches bezeichnet, deren Kaiserpanegyrik gegenüber einem aufmerksamen Leser damit als nicht ernstzunehmen gekennzeichnet werde. Er erwägt außerdem, die Erwähnung der sphaeromachia als einen Hinweis auf den geringen Lohn zu lesen, den der Dichter für seine Gedichte erhält. 156 Auf der Basis relativ spärlicher Quellen wird zumeist vermutet, daß es sich um eine Form von Schau- oder Übungskämpfen im Faustkampf handelte, bei der die Fäuste der Kämpfer besonders gepolstert waren, um Verletzungen zu vermeiden (OLD 1804, s. v. sphaeromachia; Frère (1940); Poliakoff (1982), 88–89, der die vorliegende Stelle allerdings unter »Incerta« kategorisiert (90)); verschiedentlich werden die ƲƵƠ͙ưƠƨ aber auch als besonders gefährliche Waffe der Faustkämpfer aufgefaßt: Doblhofer/Mauritsch (1995), 274–276; vgl. LSJ 1738, s. v. ƲƵƠƨưƮƫƠƶ̄Ơ: »sparring match with the ƲƵƠ͙ưƠ (iron ball, weapon of boxers)«). Als Alternative werden auch ein Ballspiel oder eine Art der Vorübung für Faustkämpfer erwogen (Vollmer (1898), 441; OLD 1804, s. v. sphaeromachia; vgl. auch Frère (1940), 141–142). Nach Ansicht von Coleman (1988), 61, handelte es sich hingegen um eine Form des Kampfes mit Waffen, deren Spitzen durch aufgesetzte ʟƯ̄ƲƵƠƨưƠƨ unschädlich gemacht wurden (vgl. Poliakoff (1982), 96). – Zur palaris lusio als Übungskampf gegen einen hölzernen Pfahl anstelle eines Gegners s. Coleman (1988), 61 (vgl. aber OLD 1283, s.v. palaris: »consisting of stakes, involving stakes etc.; involving wooden swords«). 157 Außer bei Statius nur bei Sen. epist. 80,1: Hodierno die non tantum meo beneficio mihi vaco sed spectaculi, quod omnes molestos ad sphaeromachian avocavit. (»Am heutigen Tage habe ich nicht so sehr durch mein eigenes Verdienst freie Zeit für mich als wegen des Schauspiels, das alle Lästigen zur sphaeromachia hinweggerufen hat.«).

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doppelter Chiasmus. Es verkehrt sich nicht nur die Abfolge von allgemeiner Aussage und Nennung konkreter Beispiele, sondern auch die Reihenfolge der Beispiele hinsichtlich ihrer sprachlichen Provenienz. Wie bereits in der praefatio des ersten Buches läßt Statius bei der Betonung eines spielerischen Übungscharakters der in den Silvae veröffentlichten Gedichte auch diesmal die Begrifflichkeit der poetischen Kleinform (iocus, ludere) anklingen. Auch der Gegensatz zum Epos kommt in der vorliegenden praefatio zum Tragen, allerdings in weitaus subtilerer Form als in der ersten epistula, denn beide Arten von Dichtung werden einander nicht mehr unmittelbar gegenübergestellt. Statt dessen wird einerseits durch Einführung des Begriffspaares sphaeromachia und palaris lusio auf den in der ersten praefatio ausformulierten Gegensatz von Epos und wenig erhabener Dichtung zurückverwiesen, andererseits ist die Ependichtung des Statius auch durch die in der Anmerkung zu Silv. 4,7 in völlig anderem Zusammenhang und scheinbar beiläufig erfolgende Erwähnung der Thebais in dieser Vorrede wieder unübersehbar präsent. In den praefationes der Bücher 2 und 3 spielt sie dagegen nirgends eine Rolle. Es ist offensichtlich, daß Statius’ Verteidigung der Silvae am Ende der praefatio von Buch 4 in besonderem Maße auf den allgemeinen Teil der ersten praefatio des Corpus Bezug nimmt. Dies bietet dem Dichter die Möglichkeit, einige essentielle Aspekte der hier präsentierten Art von Dichtung im paratextuellen Bereich noch einmal anzusprechen, namentlich den spielerischen Übungscharakter der Silvae als Dichtung der Kleinform im Gegensatz zum Epos als der anderen von Statius gepflogenen Gattung, aber auch die Praxis der individuellen Weitergabe der Gedichte vor ihrer allgemeinen Veröffentlichung. Lediglich ein Gesichtspunkt, der in der ersten praefatio eine sehr dominante Rolle spielt, ist in dieser letzten praefatio auffällig abwesend, nämlich die celeritas der Gedichtproduktion, die hier erstmals überhaupt nicht mehr erwähnt wird, nachdem sie in allen vorhergehenden praefationes stets in irgendeiner Weise angesprochen wurde. Auffällig ist weiterhin, daß die wichtigste poetologische Aussage gerade in dem mit autem eingeleiteten dritten Glied von Statius’ Argumentation enthalten ist (Silv. 4, praef. 29–31). Durch die Einleitung mit in summam (Silv. 4, praef. 33) wird nahegelegt, die abschließende Abfertigung der Kritiker, wiewohl sie nicht einmal mehr ein scheinbares Argument für den Standpunkt des Statius darstellt, als eine Art Fortsetzung der bis dahin viergliedrigen Reihe zu betrachten. 158 Auf diese Weise wird das dritte Element 158 Der Ausdruck in summam bezeichnet sehr viel mehr als nur die nachträgliche Einfügung eines weiteren Gliedes der Reihe. Nachdem das vorhergehende Element bereits mit dem abschließenden novissime eingeleitet wurde, setzt Statius jetzt mit der Abwandlung des namentlich in kolloquialen Texten zur Einleitung einer prägnanten Zusammenfassung eines Gedankens gebrauchten ad summam (z. B. Cic. Att. 7,7,7; 14,1,1; fam. 8,14,1; 14,14,2; abundant bei Petron.

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effektiv von der vorletzten, wie das unmittelbar anschließende novissime (Silv. 4, praef. 31) zunächst suggeriert, auf die zentrale Position innerhalb der Reihe verschoben. Mit Ausnahme der Erwähnung der Thebais sind sämtliche Rückbezüge auf die erste Vorrede des Corpus in dem Abschnitt der praefatio angesiedelt, in dem sich Statius mit seinen Kritikern auseinandersetzt. Gleichzeitig bietet diese Passage, wie bereits erwähnt, keinerlei Anhaltspunkte, die konkretere Rückschlüsse auf die Art der Kritik zulassen, der Statius ausgesetzt war. Angesichts dessen muß die Frage gestellt werden, ob die entscheidende Voraussetzung, die den oben skizzierten Versuchen, den oder die Kritiker des Statius zu identifizieren, zugrunde liegt, tatsächlich ohne weiteres gegeben ist. Alle derartigen Versuche gehen von der Prämisse aus, daß es vermutlich sogar namhafte und heute noch faßbare, in jedem Falle aber ganz bestimmte Personen sind, gegen die Statius sich und seine Dichtung hier verteidigt. Doch ist es durchaus denkbar, daß Statius in der vorliegenden praefatio gar nicht auf konkrete Kritik reagiert, sondern mit der Möglichkeit solcher Kritik lediglich spielt bzw. nur vereinzelte, unspezifische Unmutsäußerungen über die Publikation der Silvae, wie sie etwa von anonymen, möglicherweise durchaus von den Lehren Quintilians beeinflußten Zeitgenossen stammen könnten 159 , zum Anlaß nimmt, um mittels eines kunstvollen Rückverweises auf die erste praefatio abermals einige wesentliche Aspekte seiner Gelegenheitsdichtung zur Sprache zu bringen. Solche Äußerungen sind natürlich weniger an den individuellen Adressaten als an das allgemeine Publikum gerichtet. In diesem Falle ist die Erwähnung der Kritiker als qui reprehenderunt, ut audio (Silv. 4, praef. 26) keine anonymisierende Umschreibung in Wahrheit sehr wohl bekannter Personen, die lediglich eine direkte Konfrontation mit dem kritisierten Dichter vermieden, sondern tatsächlich darauf zurückzuführen, daß Statius keine individuellen Kritiker benennen kann. Als literarische Vorbilder für eine solche Auseinandersetzung mit (tatsächlichen oder auch angeblichen) Kritikern kommen die Satirendichter Horaz und Persius und, von ihnen beeinflußt, nicht zuletzt auch Martial in Frage. 160

31,2; 37,5. 10; 38,2 u. öfter; vgl. auch Mart. 12, praef. 12–13) jetzt regelrecht zum Angriff auf seine Gegner an. 159 Vgl. Giri (1907), 452–460. Auch Hardie (1983), 164, erwägt flüchtig eine Fiktionaliät der Kritik, hält dann jedoch einen realen Hintergrund für wahrscheinlicher. 160 Eine interessante Parallele zu einigen einschlägigen Stellen besteht in der bei Statius nur sehr schwach ausgeprägten dialogischen Gestaltung der Auseinandersetzung (›secreto‹ inquit; Silv. 4, praef. 30). Zu den vergleichbaren Passagen bei Horaz (sat. 2,1,1–6) und Persius (1,2–4) s. o. Abschnitt 3.1.2 zu Martials zweiter praefatio.

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Ganz gleich, ob es sich um die Gestaltung einer fiktiven Auseinandersetzung mit Kritikern handelt oder um eine Amplifikation marginaler Kritik, für die paratextuelle Präsentation der Silvae erfüllt diese Erweiterung der vierten praefatio zwei wichtige Funktionen. Zum einen werden die spielerischen Gelegenheitsgedichte auf diese Weise als ein literarisches Werk dargestellt, das kontroverse Reaktionen hervorgerufen hat, und damit aufgewertet. 161 Zum anderen verschafft sich Statius die Möglichkeit, seinen eigenen Anspruch als Dichter sowohl der großen als auch der kleinen Form nochmals nachdrücklich zu formulieren. Übersetzung der praefatio: STATIUS GRÜSST SEINEN MARCELLUS Ich habe ein Buch gefunden, liebster Marcellus, das ich Deiner aufrichtigen Zuneigung widmen kann. Ich glaube jedenfalls, daß ich keines meiner kleinen Werke anders als unter Anrufung der göttlichen Macht unseres Kaisers begonnen habe. Aber dieses Buch hat der […] als daß das vierte zu Deiner Ehre dient. Zuerst aber habe ich das siebzehnte Konsulat unseres Germanicus bewundert. Zweitens habe ich, geehrt mit seinem allerheiligsten Gastmahl, ihm Dank gesagt. Drittens habe ich die Via Domitiana bewundert, mit der er die überaus lästige Verzögerung durch Sandmassen beseitigt hat: durch deren Wohltat wirst auch Du schneller meinen Brief erhalten, den ich Dir in diesem Buch aus Neapel schreibe. Das nächste ist ein lyrisches Gedicht an Septimius Severus, einen jungen Mann, wie Du weißt, unter den angesehensten Angehörigen des zweiten Standes, für Dich zudem ein Mitschüler, mir aber auch ohne dieses Freundschaftsrecht aufs äußerste lieb. Denn den Hercules Epitrapezios unseres Vindex, die zweite Ehre, die er von mir und der literarischen Betätigung selbst verdient, kann ich auch Dir widmen. Daß Maximus Vibius um seiner Würde und Beredsamkeit willen von mir geschätzt wird, hatte ich hinreichend bekundet mit dem Brief, den ich an ihn über die Herausgabe meiner Thebais veröffentlicht habe. Aber jetzt bitte ich ihn auch, daß er schneller aus Dalmatien zurückkehren möge. Angeschlossen ist ein Stück an meinen Mitbürger Iulius Menecrates, einen äußerst glänzenden jungen Mann, Schwiegersohn des Pollius, dem ich meine Glückwünsche ausspreche, weil er unser Neapel mit der Anzahl seiner Kinder geehrt hat. Dem Plotius Grypus, einem jungen Mann von höherem Rang, will ich ein würdigeres kleines Werk verehren, fürs erste aber habe ich die Hendekasyllaben, über die wir bei den Saturnalien gemeinsam gelacht haben, in dieses Buch eingefügt. Weshalb also mehr Gedichte im vierten Buch der Silvae als in den vorhergehenden? Damit diejenigen nicht glauben, etwas ausgerichtet zu haben, die, wie ich höre, tadeln, daß ich diese Art von Dichtung herausgegeben habe. Erstens ist es überflüssig, von etwas abzuraten, was längst geschehen ist. Zweitens hatte ich vieles davon bereits unserem Herrn und Kaiser übergeben, und wieviel mehr ist das als nur zu publizieren! 161 Für eine solche Wirkung vgl. Nauta (2002), 289: »We have seen that the publication of the Silvae was criticised, and this suggests that the work suscitated some interest in literary circles.«

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Doch ist es nicht erlaubt, sich im Scherz zu üben? ›Im Verborgenen‹, sagt er. Aber auch die Sphaeromachie und die Übungskämpfe am Pfahl lassen Zuschauer zu. Schließlich: wer auch immer etwas aus meinen Büchern unwillig liest, erklärt sich sogleich zum Gegner – Weshalb sollte ich also seinen Rat befolgen? Kurz und gut: ich bin es doch, der vorgeführt wird; er soll den Mund halten und sich freuen. Dieses Buch wirst Du, Marcellus, dennoch verteidigen. Und, wenn es recht ist, bis hierhin. Anderenfalls werde ich getadelt werden. Leb wohl!

4.1.5 Die praefatio zum fünften Buch der Silvae STATIUS ABASCANTO SUO SALUTEM Omnibus adfectibus prosequenda sunt bona exempla, cum publice prosint. pietas quam Priscillae tuae praestas et morum tuorum pars, et nulli non conciliare te, praecipue marito, potest. uxorem enim vivam amare voluptas est, defunctam religio. ego tamen huic operi non ut unus e turba nec tantum 5 quasi officiosus adsilui. amavit enim uxorem meam Priscilla et amando fecit mihi illam probatiorem; post hoc ingratus sum si lacrimas tuas transeo. praeterea latus omne divinae domus semper demereri pro mea mediocritate conitor. nam qui bona fide deos colit, amat et sacerdotes. sed quamvis pro- 10 piorem usum amicitiae tuae iampridem cuperem, mallem tamen nondum invenisse materiam.

Gänzlich verschieden von den praefationes der Bücher 1 bis 4 ist die epistula an Domitians libertus ab epistulis Abascantus 162 , die als Prosavorrede am Beginn des fünften Buches der Silvae steht. Schon auf den ersten Blick fällt auf, daß diese Vorrede deutlich kürzer ist als die der vorhergehenden Bücher. Aber auch inhaltlich bestehen erhebliche Unterschiede. Es fehlt die sonst direkt an die förmliche Anrede angeschlossene Widmung, in der auf ein Buch als ganzes Bezug genommen wird, sowie im weiteren Verlauf des Briefes die übliche kommentierende Aufzählung aller im fünften Buch enthaltenen Einzelgedichte. Statt dessen ist der Brief ausschließlich auf Silv. 5,1 bezogen und stellt offenbar das Begleitschreiben dar, mit dem Statius dem Abascantus das Gedicht, ein epicedium auf den Tod von dessen Frau Priscilla, übersandte. In diesem persönlichen Schreiben begründet der Dichter, weshalb er dieses Gedicht verfaßt hat, und drückt seine Bewunderung für Abascantus’ 162 Zur Person des T. Flavius Abascantus s. A. Stein: Art. »Flavius 25«, RE 6,2,2529–2530; Vollmer (1898), 497–498.

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Haltung nach dem Tode seiner Gattin aus, die er selbst auch als gute Freundin seiner eigenen Frau kannte: amavit enim uxorem meam Priscilla (Silv. 5, praef. 6–7). Vor allem diese persönliche Verbindung habe ihn veranlaßt, das epicedium zu schreiben, obwohl er selbst Abascantus nicht so sehr nahestehe. Zugleich aber gibt Statius auch zu, daß er stets darum bemüht sei, Personen für sich zu gewinnen, die in enger Beziehung zum Kaiserhause stehen: praeterea latus omne divinae domus semper demereri pro mea mediocritate conitor (Silv. 5, praef. 9–10). Diese Erhöhung des Adressaten wird durch eine Metapher aus dem Bereich der Religion im folgenden Satz nochmals unterstrichen: nam qui bona fide deos colit, amat et sacerdotes (Silv. 5, praef. 10–11). Dazu stellt sich der Dichter selbst durch den topischen Ausdruck der Bescheidenheit pro mea mediocritate in einen betonten Gegensatz.163 Dieser Brief ist mit Sicherheit nicht die von Statius vorgesehene praefatio zu einem fünften Buch der Silvae. Man geht vielmehr allgemein davon aus, daß das gesamte Buch 5 erst nach dem Tode des Dichters von einem unbekannten Herausgeber publiziert wurde, der dann, da eine praefatio des Autors fehlte, den zufällig erhaltenen Begleitbrief zu Silv. 5,1 an den Anfang des Buches gestellt habe, um dieses in seiner Gesamtform analog zu den Büchern 1 bis 4 zu gestalten.164 Ein solches Zustandekommen der sogenannten praefatio zu Buch 5 erklärt auch, weshalb sie keine wesentlichen Aussagen des Dichters über sein Werk und seine Arbeit enthält. Statius richtete das Schreiben ausschließlich an Abascantus, ohne über diesen hinaus schon auf eine breitere Öffentlichkeit zu blicken. Dennoch ist auch die Existenz einer derartigen epistula aufschlußreich. Sie zeigt, daß Statius es zumindest bisweilen für notwendig hält, ein Einzelgedicht sogar dem direkten Adressaten gegenüber zu rechtfertigen bzw. zu erläutern, zumal wenn er es nicht auf Aufforderung, sondern aus eigenem Antrieb verfaßt hat.165 Der Brief an Abascantus läßt deutlich Statius’ Absicht erkennen sicherzustellen, daß das Gedicht den von ihm beabsichtigten Zweck erfüllt, d.h. die Gunst des Adressaten zu gewinnen.166

163 Janson (1964), 25–26, weist darauf hin, daß der Ausdruck mediocritas mea in praefationes häufig sogar als bloßes Synonym für »ich« zu verstehen ist (vgl. auch Janson (1964), 125). 164 Vollmer (1898), 3–4; Bright (1980), 52; Newmyer (1979), 49; Vessey (1973), 40. 165 Nauta (2002), 281, schließt aus der vorliegenden epistula, daß die Einzelgedichte regelmäßig mit einem solchen Begleitschreiben an ihren jeweiligen Adressaten geschickt wurden. 166 Prinzipiell wäre zwar auch eine Fiktionalität dieser letzten ›praefatio‹ möglich; die Art und Weise, wie die vorhergehenden praefationes untereinander zu einem relativ geschlossenen System verknüpft sind, läßt es jedoch mehr als unwahrscheinlich erscheinen, daß Statius selbst sein definitiv letztes Buch auf derart ungewöhnliche Weise eröffnet haben könnte.

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Übersetzung der praefatio: STATIUS GRÜSST SEINEN ABASCANTUS Mit aller Zuneigung müssen gute Beispiele begleitet werden, da sie öffentlich von Nutzen sind. Die liebevolle Gesinnung, die Du Deiner Priscilla erweist, ist Teil Deines Charakters und vermag Dich ausnahmslos jedem, besonders einem Ehemann, verbunden zu machen. Denn eine lebende Ehefrau zu lieben, ist Lust, eine dahingegangene dagegen fromme Gesinnung. Ich bin dennoch zu diesem Werk nicht als einer aus der Menge und nicht nur gleichsam dienstbeflissen hinzugesprungen. Priscilla liebte nämlich meine Frau und machte mir jene durch ihre Zuneigung noch schätzenswerter. Abgesehen davon bin ich undankbar, wenn ich Deine Tränen übergehe. Außerdem versuche ich beständig, jeden Teil des göttlichen Hauses im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten für mich zu gewinnen. Denn wer in fester Treue die Götter verehrt, liebt auch die Priester. Doch mag ich auch einen engeren freundschaftlichen Umgang mit Dir schon lange gewünscht haben, ich wünschte doch, ich hätte noch kein Thema dafür gefunden.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

4.2 Systematische Analyse in Relation zu den poetologischen Aussagen innerhalb der Gedichte Obgleich die praefationes in den Silvae des Statius auch bei genauerer Betrachtung auffallend viele Gemeinsamkeiten erkennen lassen und mehrere Aspekte in diesem Bereich mehr als einmal angesprochen werden, handelt es sich keineswegs um lediglich redundante Wiederholungen. In verschiedenen Punkten lassen sich an späteren Stellen vielmehr Erweiterungen, Zuspitzungen oder Verschiebungen gegenüber dem zuvor Geäußerten erkennen. Im folgenden soll daher auch hier der Versuch unternommen werden, anhand einer systematischen Analyse der auf diesem Gebiet faßbaren selbstreferentiellen Aussagen und unter Einbeziehung der vergleichbaren Äußerungen innerhalb der Gedichte selbst die Bedeutung der praefationes für die Gedichtsammlung als ganze präziser zu bestimmen. Die zugrunde gelegte Fragestellung ist im wesentlichen dieselbe wie zuvor bei der Behandlung der Epigrammaton libri Martials: 1. Welche Aspekte werden überhaupt thematisiert, und an welcher Stelle des Werkes geschieht dies? 2. Lassen sich innerhalb der einzelnen Gesichtspunkte Übereinstimmungen, Differenzen oder auch Entwicklungsprozesse feststellen? Allerdings bieten die Gedichte selbst in diesem Falle deutlich weniger Material. Dies ist zum einen bereits durch den äußeren Umfang des Werkes bedingt, das nur rund 45% der Länge der Epigrammaton libri umfaßt. Zum anderen spielt auch die Art des Werkes eine wichtige Rolle. Da die hier gesammelten Gedichte ursprünglich als okkasionelle Gedichte für individuelle Adressaten geschrieben wurden, sind sie inhaltlich in starkem Maße auf diese Adressaten und deren Sphäre ausgerichtet. Sie bieten dem Dichter daher wenig Möglichkeit, eigene Belange zu thematisieren. Die Entstehung des Corpus macht darüber hinaus noch eine weitere Differenzierung erforderlich. Während die Bücher 1 bis 4 zweifellos vom Dichter selbst für eine breitere Öffentlichkeit zusammengestellt wurden, wurde das fünfte Buch mutmaßlich aus dem Nachlaß des Statius herausgegeben, d. h. die darin enthaltenen Gedichte verdanken ihre Überlieferung möglicherweise allein dem Zufall, nicht jedoch einer Auswahl nach Kriterien des Dichters selbst. Sie besitzen somit nicht denselben Öffentlichkeitscharakter wie die Gedichte der Bücher 1 bis 4, sondern waren ursprünglich eventuell nur für den direkten Adressaten (insbesondere Silv. 5,1 und 5,2)

Systematische Analyse der poetologischen Aussagen

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oder das engere Umfeld des Dichters, jedoch nicht unbedingt auch für außenstehendes Publikum bestimmt. Aus diesem Grunde können die selbstreferentiellen Aussagen, namentlich in den beiden sehr persönlich gestalteten Gedichten über den Tod des Vaters bzw. des puer (Silv. 5,3 und 5,5) 167 , nur unter manchen Gesichtspunkten mit denen der übrigen Bücher verglichen werden. In anderen Fällen, namentlich im Bereich der Selbstdarstellung des Dichters, müssen die einschlägigen Aussagen dagegen getrennt von denen der ersten vier Bücher bewertet werden. Weitgehend analog zu Martial lassen sich auch bei den selbstreferentiellen Äußerungen des Statius zunächst drei wichtige Themenbereiche unterscheiden. Unter ihnen kommt der Definition der in der vorliegenden Sammlung publizierten Dichtung die größte Bedeutung zu. Daneben steht an zweiter Stelle die Selbstdarstellung als Dichter, an dritter Stelle schließlich Statius’ Verhältnis zu den Rezipienten seiner Dichtung. Zwar macht auch Statius innerhalb des paratextuellen Bereiches einmal – interessanterweise fast an derselben Stelle wie Martial, nämlich zu Beginn der praefatio des zweiten Buches – eine Bemerkung über die Unnötigkeit einer solchen epistula 168 , diese ist jedoch singulär und nicht etwa Teil einer grundsätzlichen Haltung, die sich als eigenes Thema im weiteren Verlauf des Werkes verfolgen ließe. Statt dessen kommt bei Statius als vierter Themenbereich die Relation zwischen der in den praefationes erfolgenden Präsentation der Einzelgedichte und deren Inhalt hinzu, d. h. die Frage nach einer möglichen Funktion der kommentierten ›Inhaltsverzeichnisse‹ neben der Fixierung der Buchstruktur in ihrer ursprünglichen Form und der Vermittlung von Hintergrundinformationen an nicht unmittelbar beteiligte Leser. 169 Nicht zuletzt aufgrund des geringeren Materialumfangs lassen sich die Motive innerhalb der einzelnen Themenbereiche nicht in der gleichen Vielfalt ausdifferenzieren wie in den Epigrammaton libri Martials. Dennoch läßt es sich auch hier nicht immer vermeiden, daß einzelne Textstellen mehr 167 Möglicherweise ist gerade der persönliche Charakter auch der Grund dafür, daß diese Gedichte nicht in eines der ersten vier Bücher des Corpus aufgenommen wurden: Vollmer (1898), 544; vgl. Garthwaite (1989), 82 Anm. 10. 168 Dams (1970), 163, betrachtet Statius’ Bemerkung als »Vorbereitung für den Gedanken Martials, daß ein Einleitungsbrief überhaupt überflüssig sei.« 169 Damit erfüllt die paratextuelle Rahmung der Silvae ebenfalls eine Reihe der von Wolf (1999), 103–105, differenzierten Funktionen literarischer Rahmungen. Ähnlich wie bei Martial sind der Definition der Silvae, der Selbstdarstellung des Dichters und den Äußerungen über die Rezipienten im wesentlichen die »text-centred function«, die »speaker-centred function« und die »receiver- or reader-centred function« zuzuordnen. Mit einer einzelnen, nur bedingt metapräfatorischen Aussage ist die »self-centred function« hingegen äußerst schwach ausgeprägt. Durch die regelmäßig gegebenen Hintergrundinformationen zu den einzelnen Gedichten hat dafür die »context-centred function« dieser Rahmung ein sehr viel stärkeres Gewicht.

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als einmal angesprochen werden, wenn bestimmte Motive je nach Blickwinkel verschiedenen Themenbereichen zuzuordnen sind. Ein wesentlicher Aspekt von Statius’ Definition der in den Silvae publizierten Dichtung ist der Gegensatz zwischen diesen kleinen Gedichten und der epischen Dichtung. Hinzu kommen ihr angeblich geringerer künstlerischer Anspruch, der in erste Linie auf die celeritas ihrer Entstehung, zuweilen aber auch auf die individuelle Bezüglichkeit der einzelnen Gedichte zurückgeführt wird, die Assoziation mit Vorläufern auf dem Gebiet der anspruchslosen Dichtung, der Umgang mit dem Titel der Sammlung sowie Angaben zu Metrum und generischer Zuordnung einzelner Gedichte. Ebenso wie bei Martial ist auch hier keine grundsätzliche Analyse der textimmanenten Programmatik der Silvae angestrebt. Das Erkenntnisinteresse richtet sich wiederum allein auf die Relation thematisch vergleichbarer Aussagen in Text und Paratext. Im Bereich der Selbstdarstellung des Dichters finden sich neben topischen Bescheidenheitsäußerungen immer wieder auch Stellen, an denen eine mehr oder minder unverhohlen positive Einstellung des Dichters zu seinem Tun zum Ausdruck kommt. Dies gilt in bezug auf die Silvae ebenso wie für die epische Dichtung, sei es durch die Art ihrer Erwähnung oder konkreter durch die Assoziation mit besonders namhaften Vertretern dieser Gattung. Weitere relevante Aspekte sind der Umgang mit Kritikern, die Verwendung einschlägiger Dichtersymbolik oder Äußerungen über das Fortleben der Silvae. Hinsichtlich der Rezipienten der Dichtung ist in erster Linie zu unterscheiden zwischen den unmittelbaren Adressaten der ganzen Bücher und denen der einzelnen Gedichte, unter denen der Kaiser einen Sonderfall darstellt. Für beide Gruppen kommen, wenn auch auf unterschiedlicher Ebene, im wesentlichen dieselben Aspekte zur Sprache: das persönliche Verhältnis zwischen Dichter und Adressat, literarische oder auch anderweitige Qualifikation des letzteren sowie Funktionszuweisungen im Hinblick auf die Dichtung des Statius. Eine dritte Gruppe von Rezipienten sind schließlich die außenstehenden ceteri, die in den selbstreferentiellen Aussagen des Statius jedoch eine deutlich geringere Rolle spielen. Untersucht man die selbstreferentiellen Aussagen der Silvae anhand dieser hier wiederum nur skizzenhaft dargestellten Systematik, so zeigt sich schnell ein erster signifikanter Unterschied zu Martials Epigrammaton libri. Anders als dort sind einige der sehr zentralen Gesichtspunkte der Programmatik der Silvae beinahe ausschließlich auf den Bereich des Textes bzw. des Paratextes beschränkt, während sie im jeweils anderen so gut wie nicht zur Sprache kommen.

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4.2.1 Die Definition der Silvae 4.2.1.1 Der Titel Silvae Erstmals in der praefatio des dritten Buches bezeichnet Statius seine Sammlung von Gelegenheitsgedichten als Silvae und dann noch ein weiteres Mal in der des vierten. Er tut dies an beiden Stellen mit größter Selbstverständlichkeit, und dies legt nahe, daß der Titel den Zeitgenossen ohne weiteres geläufig war. 170 Damit fehlt jedoch gerade zu Beginn des Corpus jeder Hinweis auf den Titel, mit dem dieser zunächst etabliert, geschweige denn seine Wahl oder Bedeutung erläutert würde. Dennoch läßt die Art der Erwähnung in der dritten praefatio keinen anderen Schluß zu als den, daß auch die ersten beiden Bücher, wohl durch den titulus der Buchrolle, bereits als Silvarum libri ausgewiesen wurden. Aus heutiger Sicht ist die Semantik des Titels Silvae keineswegs eindeutig, da dieser grundsätzlich zwei verschiedene Deutungen zuläßt. So kann silva einerseits als »Wald« verstanden werden, andererseits aber auch als »Rohstoff, Material«. 171 Die erste Bedeutung legt den Akzent darauf, daß es sich um eine Sammlung verschiedenartiger Gegenstände, d. h. hier offenbar der Einzelgedichte, handelt, die zweite betont dagegen deren Improvisationscharakter. In letzterem Falle wird silva prinzipiell im Sinne der im Zusammenhang mit möglichen Kritikern des Statius erwähnten Stelle bei Quintilian (Quint. inst. 10,3,17) als etwas nicht perfekt Ausgearbeitetes verstanden, allerdings ohne daß dieses deshalb zwangsläufig negativ bewertet würde. 172 Mit einiger Plausibilität wird bisweilen angenommen, daß der Titel Silvae beide Bedeutungen umfaßt und somit zwei verschiedene Aspekte des Werkes angesprochen werden. Auch dann bestehen jedoch Unterschiede hinsichtlich der Gewichtung beider Aspekte. 173 Ebenso wie die genaue Bedeutung des Titels ist auch seine Herkunft umstritten. Als Vorbild wird vielfach Lucan genannt, der ebenfalls eine Gedichtsammlung mit diesem Titel verfaßt haben soll, von der jedoch außer dem Titel heute nichts mehr faßbar ist. 174 Alternativ wird jedoch auch auf einige Stellen bei Vergil verwiesen, an denen dieser seine kleineren Gedichte mit silvae assoziiert. 175 Auf die Frage, ob mit der Wahl dieses Titels auch 170 Bright (1980), 21 171 Ausführlicher dazu z. B. Vollmer (1898), 24–25; Newmyer (1979), 3–7; Bright (1980), 20–49; Adam (1988), 57–71; Delarue (1996). 172 Bright (1980), 33. 173 Adam (1988), 71, betrachtet den Hinweis auf die »spontane Entstehung« als dominant, Coleman (1988), xxiii, dagegen die »notion of miscellany and variety«; vgl. van Dam (1984), 4–5. 174 Vollmer (1898), 24; Bright (1980), 37; Delarue (2000), 91. 175 Insbesondere Verg. ecl. 4,3: si canimus silvas, silvae sint consule digna (»Wenn ich Wälder singe, sollen die Wälder des Consuls würdig sein«; dazu Bright (1980), 37–39, mit weiteren Stellen); Newlands (1991), 443, verweist auch auf georg. 3,40–41.

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eine inhaltliche Assoziation mit den genannten Präzedenzfällen verbunden ist, wird später noch zurückzukommen sein. In den Gedichten selbst bezeichnet Statius seine Sammlung nirgends explizit mit dem Titel Silvae. Nichtsdestoweniger gibt es zwei Stellen, an denen der Begriff silva, vordergründig bezogen auf Wald bzw. Bäume im weiteren Sinne, eine auffällige Ambivalenz aufweist. 176 Die erste der beiden fraglichen Stellen findet sich im Proömium des Genethliacon Lucani. Hier fordert der Dichter nach einer Anrufung aller Anhänger gelehrter Dichtung sowie diverser der Poesie verbundener Gottheiten auch die Aonischen Wälder auf, aus Anlaß des Festtages üppiger zu grünen: et plus, Aoniae, virete, silvae (Silv. 2,7,13). Neben der wörtlichen Bedeutung als umfassende Anrufung des den Musen zugehörigen Bereiches 177 läßt sich diese Stelle auf einer zweiten Ebene auch als Aufforderung des Dichters an sich selbst lesen, dem speziellen Anlaß entsprechend ein besonderes Glanzstück zu verfassen. An der zweiten Stelle ist die Ambivalenz noch stärker ausgeprägt. In den letzten Versen von Silv. 3,1, dem Gedicht über den Hercules Surrentinus des Pollius Felix, gibt Statius eine Beschreibung des Hercules, nachdem dieser gerade seinen Dank an Pollius ausgesprochen hat. Er erscheint hier bekränzt mit Pappellaub, wie es eigentlich den Priestern im Kult des Hercules zukommt: populeaque movens albentia tempora silva (Silv. 3,1,185).178 Auffällig ist nicht allein, daß das Zeichen des Priesters hier auf den Gott selbst übertragen wird, sondern insbesondere die Verwendung des Begriffes silva zur Bezeichnung des Laubes. 179 Tatsächlich ist Hercules am Schluß eines Gedichtes, das Statius selbst in der praefatio als eine Art Gebet bezeichnet hat (Hercules Surrentinus [...], quem [...] his versibus adoravi; Silv. 3, praef. 9–10), in zweifacher Hinsicht mit einer silva versehen: auf der fiktionalen Ebene des Textes mit der populea silva des Herculeskultes, in der ›realen‹ Situation der Tempelweihe hingegen mit dem zu seinen Ehren verfaßten Gedicht. 176 Abgesehen von diesen beiden Stellen wird silva stets ohne zusätzliche Konnotationen in seiner Grundbedeutung »Wald« gebraucht: Silv. 1,2,154; 1,3,40. 78; 2,1,11; 2,3,10; 3,1,118. 148; 3,3,98; 4,3,61. 79; 4,4,90; 5,1,24. 151; 5,2,70. 139. 177 Vgl. die Ortsangabe in Silv. 4,4,90: Parnasique iugis silvaque Heliconide. 178 Zur besonderen Bedeutung der Pappel im Kult des Hercules s. Laguna (1992), 189–190, mit verschiedenen Belegstellen. 179 In den weitaus meisten Fällen bezeichnet das Wort silva eine Ansammlung von Bäumen; in der Bedeutung »Laub« findet es sich dagegen nur selten, z. B. bei Ovid (met. 7,242. 9,235) oder Valerius Flaccus (3,311. 427); vgl. OLD 1762, s. v. silva 1–3. Der konkrete Ausdruck populea silva ist noch ein weiteres Mal im Seneca zugeschriebenen, in seiner Echtheit jedoch umstrittenen Hercules Oetaeus belegt und ebenfalls unmittelbar auf Hercules bezogen. Durch die nachfolgende Apposition muß die Auffassung von silva als »Laub« jedoch gerade hier fraglich erscheinen: summa sed complet rogum / populea silva, frondis Herculeae nemus (»aber ganz oben vollenden den Scheiterhaufen Pappeln, ein Hain aus dem Laub des Herkules«; Herc. O. 1640–1641).

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Interessant ist weiterhin die Lokalisierung dieser beiden ambivalenten Verwendungen des Wortes silva. Sie finden sich nicht nur in zwei Gedichten, die abgesehen von ihrem vordergründigen Bezug auf ganz bestimmte Anlässe auch einen mehr oder minder stark ausgeprägten programmatischen Charakter haben 180 , sondern stehen darüber hinaus auch in relativ enger Nachbarschaft zu der ersten Erwähnung des Titels in der praefatio des dritten Buches, zu der sie innerhalb der beiden direkt daran angrenzenden Gedichte allerdings wieder die beinahe größtmögliche Distanz halten. Eine vergleichbar ambivalente Verwendung des Wortes silva findet sich darüber hinaus nur noch in einem der Trauergedichte in Buch 5. Im Epicedion in puerum suum schildert Statius seinen desolaten Zustand während der Trauerzeit, und in diesem Kontext ist auch von einer taxea silva die Rede, die gemeinsam mit der Zypresse den heiteren Efeu von seinem Haupt verdrängt habe (Silv. 5,5,29–30). Auch dieser Ausdruck läßt sich als Hinweis auf den speziellen Charakter des vorliegenden Gedichtes lesen. 4.2.1.2 Programmatik der praelusiones Im Zentrum von Statius’ Definition seiner in den Silvae gesammelten Dichtung steht die Abgrenzung dieser kleinen Gedichte mit ostentativ geringem Anspruch von der epischen Dichtung, der Gattung, mit der Statius bereits an die Öffentlichkeit getreten ist, bevor er mit der Publikation der Gelegenheitspoesie begann. Dieses Thema, dessen einzelne Aspekte zumeist nicht voneinander isoliert, sondern in Kombination auftreten, bildet nicht nur den poetologischen Kern der ersten praefatio der Sammlung. Es wird darüber hinaus auch in einigen der nachfolgenden Gedichte wieder aufgegriffen. Eine auffällige Häufung entsprechender Passagen ist in der zweiten Hälfte des ersten Buches festzustellen. Für das vierte Gedicht des ersten Buches, die Soteria Rutili Gallici, weist Statius nach einer einleitenden Äußerung seiner Freude über die Genesung des Adressaten mit Apoll, Minerva und den Musen sowie Merkur und Bacchus eine ganze Reihe typischer Inspirationsgottheiten zurück, obgleich er die grundsätzliche Abhängigkeit seines Dichtens von Apoll durchaus einräumt (Silv. 1,4,19–21), und ruft statt dessen den Adressaten selbst um Beistand an: ipse veni viresque novas animumque ministra, / qui caneris […] (Silv. 1,4,22–23).

180 Zum programmatischen Charakter von Silv. 3,1 s. Newlands (1991); auf das besondere Gewicht, das das Lob Lucans in Silv. 2,7 und damit indirekt auch sein Werk im Hinblick auf die Dichtung des Statius durch die unmittelbare Nachbarschaft des Gedichtes zu Silv. 3,1 erhält, verweist Myers (2002), 192; vgl. auch Bright (1980), 36.

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Im weiteren Verlauf der Passage wird der Gedanke nochmals in variierter Form wiederholt und mit einer Abwandlung des kallimacheischen Quelltrunkmotives verbunden: […] licet enthea vatis excludat Piplea sitim nec conscia detur Pirene, largos potius mihi gurges in haustus qui rapitur de fonte tuo […]

(Silv. 1,4,25–28).

Mag die inspirierende Piplea den durstigen Dichter ausschließen und die wissende Pirene verweigert werden: lieber ist mir zum reichlichen Trinken das Wasser, das aus deiner Quelle geschöpft wird.

Es ist unbezweifelbar, daß diese recusatio üblicher Inspirationsinstanzen vorrangig einer Erhöhung des Adressaten, d. h. enkomiastischen Zwecken dient. 181 Parallel dazu wird jedoch auch deutlich gemacht, daß das vorliegende Gedicht einen konkreten Bezug zur Realität aufweist und damit weniger erhaben ist als göttlich inspirierte Dichtung, wie etwa das Epos mit mythischem Inhalt. Wenig später wird dieser geringere Anspruch noch einmal explizit formuliert, wenn Statius den Adressaten ersucht, die ihm dargebrachte Form der Ehrung zu akzeptieren: nec tu [...] sperne coli tenuiore lyra (Silv. 1,4,34–36). 182 Im nachfolgenden Gedicht über das Balneum Claudi Etrusci findet sich diesmal gleich am Anfang eine ähnliche recusatio üblicher Inspirationsgottheiten. Anstelle der Musen, Apolls, Merkurs und des Bacchus sind es hier Vulcanus und insbesondere die Najaden, die der Dichter im Hinblick auf das Thema der descriptio für angemessener erklärt: [...] alios poscunt mea carmina coetus. Naidas, undarum dominas, regemque corusci ignis adhuc fessum Siculaque incude rubentem elicuisse satis. […]

(Silv. 1,5,5–8) 183

Meine Gedichte verlangen andere Zusammenkünfte. Die Najaden, Herrscherinnen der Wogen, und den Herrn des funkelnden Feuers, noch immer erschöpft und vom sizilischen Amboß gerötet, hervorgelockt zu haben, ist genug.

Interessant ist vor allem das satis am Schluß des zitierten Abschnittes: Vulcanus und die Najaden wurden nicht etwa nur deshalb gewählt, weil sie 181 Ähnlich ist auch die Hinzuziehung Domitians als zusätzlicher Inspirator neben Apoll in Silv. 5,1,14–15 zu bewerten. – Die Zurückweisung von Dichtungsgottheiten zugunsten einer Inspiration durch den Adressaten bzw. den Gegenstand der Dichtung findet sich auch bei verschiedenen anderen Dichtern, z. B. Prop. 2,1,3; Lucan. 1,63–66. Eine alleinige Anrufung des Adressaten erfolgt etwa bei Ov. fast. 1,17; Manil. 1,10. 182 Für eine umfassendere Analyse von Statius’ Verwendung der Symbolik der poetischen Kleinform in dieser Passage (Silv. 1,4,19–37) s. Dams (1970), 157–159. 183 Für eine Anrufung themenbezogener Gottheiten vgl. etwa auch Verg.georg. 1,5–23; 2,3–8.

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in einer besonderen Beziehung zum Gegenstand des Gedichtes stehen, sondern weil dieser offenbar zu gering ist, um eine Inanspruchnahme der ›eigentlichen‹ Dichtungsgottheiten zu rechtfertigen. Unmittelbar anschließend formuliert Statius mit seiner Aufforderung, Theben möge für eine Weile die Waffen niederlegen, während er mit dem Adressaten ausgelassen sei (Silv. 1,5,8–9), in aller Schärfe den Gegensatz zwischen dem vorliegenden Gedicht und seiner epischen Dichtung. Anders als bei Martial hat lascivire hier keine offen obszöne Konnotation, sondern bezeichnet primär die weniger seriöse Dichtung.184 Diese Charakterisierung wird im folgenden zusätzlich dadurch unterstrichen, daß das Gedicht in einem Gelagekontext angesiedelt wird und mit labor und cura zwei – hier personifiziert gedachte – zentrale Prinzipien der Dichtung mit hohem Anspruch dezidiert zurückgewiesen werden. 185 Ein weiteres Mal klingt der geringe Anspruch des vorliegenden Gedichtes gegen Ende des umfangreichen Proömiums an, wenn Statius den Najaden versichert, er wolle ihr Haus mit einem gefälligen Gedicht besingen (carmine molli; Silv. 1,5,29). 186 Auch das letzte Gedicht des ersten Buches beginnt mit einer recusatio des Phoebus, der severa Pallas und der Musen (Silv. 1,6,1–3), an deren Stelle wiederum einige dem Thema des Gedichtes, den Kalendae Decembres, angemessenere Instanzen angerufen werden.187 Anders als im vorhergehenden Gedicht scheint diesmal allein ihre wesenhafte Verbindung mit dem behandelten Anlaß für die Wahl der Angerufenen ausschlaggebend zu sein. Ein Hinweis darauf, daß die einschlägigen Inspirationsgottheiten auch wegen eines geringen Anspruches des Gedichtes verzichtbar seien, findet sich hingegen nicht: Saturnus mihi compede exsoluta et multo gravidus mero December et ridens Iocus et Sales protervi adsint [...]

(Silv. 1,6,4–7).

Saturnus mit gelöster Fessel soll mir beistehen und December, schwer vom vielen Wein, und der lachende Iocus und die vorwitzigen Sales.

Im Gegensatz zu Silv. 1,4 sind es in den beiden nachfolgenden Gedichten zwar wieder nicht-menschliche Wesen, die anstelle üblicher Dichtungsgott184 Hardie (1983), 135, verweist jedoch auf das »consistent sub-erotic element« der Badbeschreibung als solcher. 185 Nach Auffassung von Dams (1970), 161, »steht hinter der Zurückweisung von labor und cura auch der Aufschub seiner Ependichtung«, da Statius beide Begriffe ausschließlich dafür verwendet. 186 Das Attribut liegt auf einer Linie mit Begriffen wie ludere oder lascivire (Vollmer (1898), 298; vgl. ThLL VIII 1376–1377, s. v. mollis II A 1 a Ƥ. Auch hier ist eine mögliche obszöne Konnotation nicht so ausgeprägt wie etwa bei Catulls versiculi molliculi (Catull. 16,4. 8). 187 Zu dieser Passage vgl. auch Dams (1970), 162–163.

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heiten um Inspiration angerufen werden, dennoch wird mit ihrer Wahl ebenfalls eine Situationsgebundenheit des jeweiligen Gedichtes signalisiert. 188 Nach diesem auffälligen Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des ersten Buches der Silvae äußert sich Statius in den Gedichten der nachfolgenden Bücher kaum noch über den geringen Anspruch seiner Gelegenheitsdichtung oder ihre entsprechende Distanz zum Epos. Nur in Silv. 2,3, dem Arbor Atedi Melioris, werden wegen Geringfügigkeit des Gegenstandes zur Inspiration anstelle des Phoebus Najaden und Faune angerufen. Der Sache nach dem Beginn von Silv. 1,5 vergleichbar, fällt die recusatio an dieser Stelle jedoch deutlich knapper aus: quid Phoebum tam parva rogem? vos dicite causas, Naides, et faciles (satis est) date carmina Fauni.

(Silv. 2,3,6–7) 189

Parallel dazu kommt die Entgegensetzung von Epos und poetischer Kleinform auch in den praefationes der Bücher 2 und 3 nicht mehr ausdrücklich zur Sprache. 190 In dieser Tatsache, die namentlich bei einem Vergleich der ersten beiden praefationes augenfällig wird, sieht Dams einen Hinweis darauf, daß Statius inzwischen »der Kleinform eine größere Eigenständigkeit und Berechtigung zuerkennt und nicht nur den Rang des Vorläufigen«, eine Entwicklung, die er auf den Einfluß von Martials Werk zurückführt.191 Diese These muß jedoch schon aufgrund der starken inneren Abhängigkeit der zweiten Prosavorrede von der vorhergehenden fraglich erscheinen. Hinzu kommt, daß der spielerische Übungscharakter der Silvae, und damit indirekt auch ihr Gegensatz zur epischen Dichtung, in der praefatio zu Buch 4, die Dams in seine Untersuchung nicht mehr einbezieht, durch verschiedene Rückbezüge auf die Vorrede des ersten Buches durchaus nochmals wieder aufgenommen wird. Als drittes stellt sich schließlich die Frage, 188 Anders als in den Epigrammen Martials bedeutet eine solche Betonung der Situationsgebundenheit einzelner Gedichte daher auch keinen grundsätzlichen Verzicht auf inspirierende Gottheiten oder generell auf den Bereich des Mythos. Tatsächlich spielt dieser Bereich in den Silvae eine recht bedeutende Rolle, wenn auch seine wiederholte Verflechtung mit der Lebenswelt der Adressaten, z. B. in Silv. 1,2 oder 3,1, eine Demystifikation zur Folge hat (Newlands (1991), 444 (zu Silv. 3,1); Roberts (1989), 322–328 (zu Silv. 1,2; anders jedoch Vessey (1972), 183–184). – Einen Überblick über die Vielzahl der eingeführten Figuren und die verschiedenen Verwendungsweisen bietet Szelest (1972); vgl. außerdem Verstraete (1983); zur Funktionalisierung einzelner Figuren als Sprecher von Enkomien s. auch Coleman (1999). 189 Der aus der Geringfügigkeit der materia resultierende, angeblich geringe Wert des Gedichtes kommt gegen Ende nochmals zur Sprache, wenn Statius das Gedicht als parva [...] dona bezeichnet (Silv. 2,3,62–63). 190 Als ein indirekter Hinweis kann allerdings Statius’ ausdrücklicher Verzicht auf das Metrum des Epos gerade für das zu Ehren Lucans verfaßte Gedicht Silv. 2,7, gewertet werden: Dams (1970), 165. 191 Dams (1970), 164.

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weshalb Martials Einstellung zur dichterischen Kleinform Statius gerade in dem kurzen Zeitraum zwischen der Publikation des ersten und zweiten Buches der Silvae, sofern es überhaupt einen gab 192 , entscheidend beeinflußt haben sollte, während dies in den Jahren vor deren Veröffentlichung, als einige von Martials Epigrammbüchern bereits veröffentlicht waren, nicht der Fall war. Ein weiteres Mal spielt der Gegensatz zum Epos schließlich in zwei Gedichten des vierten Buches eine Rolle, hier aber unter deutlich anderen Vorzeichen. Ebenso wie in Silv. 1,5 ersucht Statius auch in Silv. 4,7, der Ode Lyrica ad Vibium Maximum, um eine Unterbrechung der Arbeit an der großen Thebais, da er sich einem kleineren Gedicht zuwenden wolle: Iam diu lato sociata campo fortis heroos, Erato, labores differ atque ingens opus in minores contrahe gyros

(Silv. 4,7,1–4).

Kühne Erato, schon lange dem weiten Feld verbunden, schieb’ auf die Mühen der Helden und reduziere das gewaltige Werk auf kleinere Bahnen.

Anstelle der zurückgewiesenen Muse wird im folgenden Pindar als Inspirator für das neue, ungewohnte Unterfangen eines lyrischen Gedichtes angerufen, allerdings nicht ohne daß dabei nochmals auf die Thebais verwiesen würde: tuque regnator lyricae cohortis da novi paulum mihi iura plectri, si tuas cantu Latio sacravi, Pindare, Thebas.

(Silv. 4,7,5–8)

Und du, Lenker der lyrischen Schar, gib mir ein wenig das Recht zu neuer Art von Dichtung, wenn ich dein Theben, Pindar, mit römischem Gedicht unsterblich habe.

Grund für die erneute Thematisierung des Gegensatzes von großer und kleiner Dichtung ist diesmal weniger der gegenüber dem Epos deutlich geringere Umfang des vorliegenden Gedichtes oder sein angeblich geringer Anspruch, sondern Statius’ zeitlich begrenzter Wechsel auf das Gebiet der lyrischen Dichtung. Ein ähnlicher, allerdings sehr viel schwächer ausgeprägter Hinweis auf die für den Epiker ungewohnte Art zu dichten findet sich zuvor bereits im ersten der beiden lyrischen Gedichte des vierten Buches, der Ode Lyrica ad Septimium Severum (Silv. 4,5). An deren Beginn bemerkt Statius, er begrüße den als fortis atque facundus charakterisierten Adressaten non solitis fidibus (Silv. 4,5,3–4). 192 Zur Frage der Chronologie der Publikation von Statius’ Silvae s.o. Abschnitt 2.4.

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In den Gedichten des fünften Buches wird der Gegensatz der eigenen Gelegenheitsdichtung zum Epos nirgends mit vergleichbarem Nachdruck angesprochen. Zwar bittet Statius zum Beginn von Silv. 5,3, dem epicedion auf seinen Vater, diesen anstelle der üblichen Gottheiten um Inspiration für das zu schreibende Gedicht, wie er es zuvor etwa in Silv. 1,4 getan hat, doch erscheint die Abwendung von der erhabenen Dichtung diesmal nicht als freie Entscheidung des Dichters. Sie wird vielmehr damit begründet, daß ihm in seiner Trauer die Unterstützung durch die entsprechenden Gottheiten versagt bleibt: Ipse malas vires et lamentabile carmen Elysio de fonte mihi pulsumque sinistrae da, genitor praedocte, lyrae. neque enim antra movere Delia nec solitam fas est impellere Cirrham te sine. […] (Silv. 5,3,1–5) 193 Gewähre mir selbst, gelehrter Vater, die unseligen Kräfte und das klagende Gedicht aus Elysischer Quelle und den Schlag der düsteren Leier. Denn weder die delische Grotte noch das gewohnte Cirrha anzurufen ist recht ohne dich.

Ein Echo findet diese Anrufung des Vaters, wenn Statius an späterer Stelle desselben Gedichtes (Silv. 5,3,80–103) in einer Praeteritio verschiedene für Trauergedichte typische exempla zurückweist und an deren Stelle andere nennt, die in besonderer Weise auf seinen Vater und dessen literarische Betätigung bezogen sind.194 Der Überblick über die einschlägigen Passagen läßt bereits erkennen, wie sehr sich Statius bei der Abgrenzung der Silvae von der erhabenen Dichtung des Epos auch der seit Kallimachos in der Programmatik der poetischen Kleinform üblichen Symbolik und Begrifflichkeit bedient. Beides wird jedoch vielfach in sehr eigenwilliger Weise verwendet, und zwar in den ersten vier Büchern des Corpus ebenso wie im fünften. So erfolgt etwa die Abkehr von der großen Dichtung, bei den Vertretern der kleinen Dichtung in kallimacheischer Tradition eine grundsätzliche Entscheidung, bei Statius immer nur kurzfristig für die Dauer der Produktion eines bestimmten Gedichtes. 195 In ähnlicher Weise verwendet er in Silv. 4,7 auch das Motiv des völligen Neubeginns für seinen angeblich ersten Versuch auf dem Gebiet der lyrischen Dichtung (Silv. 4,7,6: novi [...] plectri; Silv. 4,7,10: intonsa [...] myrto), und auch das damit eng verbundene Motiv des 193 Für eine analoge Situation vgl. auch Silv. 5,5,1–3. 194 Zu dieser Passage insbesondere Dams (1970), 173–174. 195 Besonders deutlich in Silv. 1,5,1–8 (dazu Dams (1970) 160–161; Newlands (2002), 212– 215); 4,7,1–4 (dazu Wimmel (1960), 316; Dams (1970), 169); vgl. auch Silv. 5,3,10; 5,5,27–29. 36–37, wo die Abkehr von der epischen Dichtung allerdings nicht als autonome Entscheidung des Dichters, sondern als durch dessen persönliche Situation bedingt dargestellt wird.

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Trinkens aus der unberührten Quelle anstelle des großen Stromes erscheint hier in auffälliger Abwandlung: nunc maior sitis et bibendus / castior amnis (»nun ist größer der Durst und aus reinerem Strom muß getrunken werden«; Silv. 4,7,11–12). 196 An anderer Stelle werden die traditionsgemäß in besonderer Weise mit dem Anspruch der kleinen Dichtung verbundenen Begriffe labor und cura ausdrücklich dem für den Augenblick abgelehnten Epos und gerade nicht dem statt dessen verfaßten kleinen Gedicht zugeschrieben (Silv. 1,5,11– 12). 197 Analog dazu wird auch der Gedanke des sorgfältigen Ausfeilens innerhalb der Gedichte ausschließlich mit der epischen Dichtung in Verbindung gebracht: Thebais multa cruciata lima (Silv. 4,7,26), und es fehlt, jedenfalls im Hinblick auf die Silvae, der Anspruch des poeta doctus. 198 Angesichts dieser stellenweise undifferenziert und beinahe willkürlich anmutenden Verwendung von Motiven und Symbolen der poetischen Kleinform, die in anderen, nicht selbstreferentiellen Kontexten bisweilen geradezu als bloßer Schmuck für das jeweilige Gedicht betrachtet werden können 199 , kommt Dams zu dem Ergebnis, daß Statius’ Einschätzung von großer und kleiner Dichtung in den Silvae von Fall zu Fall schwanke. Seine in diesem Rahmen geäußerte Dichtungskritik sei daher »weitgehend unverbindlich, während seine wahren Ansichten über die Dichtung [...] allenfalls in den Einleitungsbriefen der Silvae deutlich werden.« 200

196 Wimmel (1960), 318, spricht hier von einer »kritiklose[n] und ungehemmte[n] Vermischung von Zügen des Großen und des Reduzierten«; vgl. Dams (1970), 170. Vgl. auch Silv. 1,4,25–28, wo der Dichter anstelle der Musenquellen den fons des Adressaten bevorzugt (dazu Dams (1970), 158), sowie Silv. 2,7,12 (dazu Dams (1970), 166), 5,3,2 und insbesondere Silv. 5,5,7. Hier wird das Quelltrunkmotiv als möglicher Grund für den schmerzlichen Verlust des puer erwogen (num vetito de fonte bibi?) und damit zur Gänze dem Thema des Gedichtes untergeordnet. 197 Vgl. auch Silv. 1,5,11–12; 3,2,143; 3,5,35; 4,4,88; 4,7,2. 198 Nur an wenigen Stellen wird das Adjektiv doctus in bezug auf Dichtung so generell gebraucht, daß dabei auch Statius selbst mehr oder minder deutlich mit eingeschlossen wird. Diese Fälle (Silv. 1,2,259; 2,7,3. 12) sind jedoch nicht speziell auf die Silvae bezogen, sondern auf seine Dichtung im allgemeinen. Weitaus häufiger sind es andere Dichter oder poetisch tätige Adressaten, die Statius als docti apostrophiert (z. B. Silv. 1,2,50. 172; 2,2,97; 2,7,76; 5,3,3. 156); vgl. auch Aricò (1971), 227–228. 199 Dies gilt in besonderem Maße für Silv. 1,2, in dem die poetische Tätigkeit des Adressaten eine wesentliche Rolle spielt. Für eine Untersuchung der dichtungskritischen Passagen am Anfang und gegen Ende des Gedichtes (Silv. 1,2,1–23. 247–259) s. Dams (1970), 152–157. 200 Dams (1970), 175; Aricò (1971), 238–239; noch drastischer äußert sich Wimmel (1960), 316–317: »Bei Statius ist auch dieser letzte Rest der alten Gegensetzung verloren: wo bei ihm Erwähnungen aus der apologetischen Tradition an der Grenze zwischen epischer und kleiner Dichtung angestellt werden, da geschieht dies allein noch, um beliebig von einer Seite auf die andere zu wechseln [...]; die alten Kampfsymbole dienen nur noch der Ausschmückung solchen Übergangs.«

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Hilfreicher für das Verständnis von Statius’ Programmatik seiner Gelegenheitsdichtung ist jedoch ein anderer Ansatz. Im Rahmen ihrer eingehenden Analyse von Silv. 3,1, die dieses Gedicht auf den Hercules Surrentinus des Pollius Felix als in höchstem Maße programmatisch für die Silvae erweist, bezeichnet Newlands Statius’ Umgang mit dem Vorbild Kallimachos in diesem Gedicht als »essentially playful« und sieht in dieser praktischen Umsetzung des spielerischen Elements eine Wiederaufnahme des in der ersten praefatio nachdrücklich hervorgehobenen (prae)ludere. 201 Analog dazu kann der eigenwillige Umgang mit der Symbolik der kleinen Dichtung auch an anderen Stellen als eine Art Illustration des grundsätzlich spielerischen Charakters der in den Silvae gesammelten Gelegenheitsgedichte verstanden werden.202 Dies gilt um so mehr, als die einschlägige Terminologie der poetischen Kleinform, wie sie etwa bei Catull oder auch bei Martial eine wesentliche Rolle spielt, im Text der Silvae auffallend selten anzutreffen ist. Begriffe wie ludere oder iocus finden sich vielmehr fast ausschließlich im Bereich der praefationes, wo sie allerdings ebenfalls auf etwas andere Weise gebraucht werden als üblich. 203 So bezeichnet ludere in der praefatio des ersten Buches als praeludere in engerem Sinne die spielerische Vorübung zu erhabenen Werken. Erst in Silv. 1,5 wird der Begriff allgemeiner auf den spielerischen Charakter des vorliegenden Gedichtes im Gegensatz zum dafür beiseitegeschobenen Epos bezogen. 204 Besonders prägnant wird dies dadurch hervorgehoben, daß die Dichtung gerade hier metonymisch mit dem Namen einer eigentlich ernsthaften Muse bezeichnet wird: dumque procax [...] Clio mea ludit Etrusco (Silv. 1,5,13–14). Zwar gebraucht Statius den Terminus ludere auch an anderer Stelle in bezug auf Dichtung, etwa im 201 Newlands (1991), 450. 202 Neben den bereits genannten Abwandlungen des Quelltrunkmotivs zählt hierzu insbesondere auch die Einführung der Musen als Teilnehmerinnen an der Hochzeitsfeier von Stella und Violentilla (Silv. 1,2,3–10) oder die Erwähnung der Clio in Silv. 1,5,13–14. Abgesehen davon werden die Musen ebenso wie auch Apoll meistens jedoch als seriöse Gottheiten der Dichtung erwähnt bzw. apostrophiert. (Zur Anrufung der Erato iucunda (Silv. 1,2,49; zur Tautologie bereits Vollmer (1898), 243) innerhalb eines Gedichtes in einem »consistently non-serious tone« s. jedoch Roberts (1989), 328). 203 Die Bezeichnung der kleinen Gedichte als nugae, die bei Catull pointiert im ersten Gedicht des Buches erfolgt (Catull. 1,4) und auch bei Martial an prominenter Stelle wieder aufgenommen wird (Mart. 9, praef. ep. 5), findet sich in den Silvae sogar kein einziges Mal. Etwas irreführend ist daher die selbstverständliche Gleichsetzung von ludere und nugari bei Adam (1988), 33–34. 204 Dams (1970), 161, geht davon aus, daß Statius das vorliegende Gedicht damit tatsächlich als »harmlos und minderwertig« einstufte. – Holtsmark (1972/73) sieht in ludere hier nicht nur einen generellen Hinweis auf den spielerischen Charakter von Silv. 1,5 im Gegensatz zum Epos, sondern in Verbindung mit dem auffallend umfangreichen Proömium des Gedichtes eine Art Warnung an den Adressaten, daß es sich nicht um ein echtes Enkomion, sondern im Gegenteil um eine milde »anti-laudatio« handele.

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Zusammenhang mit Jugendgedichten Lucans (Silv. 2,7,55) oder für die erhofften Dichter unter den Nachkommen Stellas (Silv. 1,2,267), für die eigenen Gelegenheitsgedichte wird der Begriff jedoch ausschließlich an den beiden genannten Stellen im ersten Buch des Corpus gebraucht. 205 Der noch seltener vorkommende Begriff des iocus wird in den Silvae fast durchgängig zur Bezeichnung von Scherzen im Kontext der Saturnalien verwendet, die nicht unbedingt die Form von Gedichten haben müssen.206 Die einzige und zugleich sehr signifikante Ausnahme findet sich in der praefatio des vierten Buches, in Statius’ Frage nach der grundsätzlichen Erlaubnis zu weniger seriöser Dichtung: exerceri autem ioco non licet? (Silv. 4, praef. 29–30). Nur an dieser einen Stelle, die zudem als eine variierte Wiederaufnahme des praeludere aus der praefatio des ersten Buches (Silv. 1, praef. 9) zu verstehen ist, weist der Begriff eine erkennbare Nähe zu seiner Verwendung bei anderen Vertretern der kleinen Dichtung auf. Dadurch, daß Statius das Verfassen der Silvae in den praefationes als praeludere bzw. exerceri ioco bezeichnet, wird der spielerische Charakter dieser kleinen Gedichte allerdings stets mehr oder minder explizit in Relation zur erhabenen Poesie des Epos thematisiert. Anders als bei anderen Dichtern erscheinen beide Arten von Dichtung hier als »Vorübung« und »eigentliche Dichtung« als durchaus miteinander vereinbar. Interessant ist dabei jedoch eine gewisse Akzentverschiebung hinsichtlich der zeitlichen Relationen. Mit praeludere wird die kleine Dichtung chronologisch klar vor einer Hinwendung zur erhabenen Dichtung angesetzt, obgleich mehrere der in den Silvae enthaltenen Gedichte zweifelsohne während oder sogar nach der Arbeit an der Thebais geschrieben wurden. 207 Die Umschreibung der 205 Interessant ist außerdem eine weitere Verwendung des Begriffes außerhalb des poetologischen Diskurses: quicquid et argento primum vel in aere minori / lusit et enormes manus expertura colossos. (»und was auch immer die Hand zuerst in Silber oder in geringerem Erz spielerisch schuf, die auch monumentale Statuen schaffen sollte.«; Silv. 1,3,50–51). Auch hier, im Bereich der bildenden Kunst, steht ludere für die dem großen Werk vorausgehende, spielerische Bearbeitung minderer Materialien. 206 In Silv. 1,6,6 erscheint Iocus personifiziert als eine Art mit den Saturnalien verbundener Gottheit (vgl. Vollmer (1898), 304; Dams (1970), 163), in Silv. 4,6,13 deutet die Attribuierung der mit ioci verbrachten Nacht als brumalis auf die Ende Dezember gefeierten Saturnalien hin, während der Bezug für Silv. 4,9,1 durch die Anmerkung in der praefatio ebenso wie durch den Katalog möglicher Geschenke innerhalb des Gedichtes (vgl. z. B. Mart. 4,46. 88; 5,18; 7,53) eindeutig festgelegt wird. 207 Vgl. Aricò (1971), 221–222. Eine Übersicht über die zeitlichen Relationen zwischen der Entstehung einzelner Gedichte der Silvae und der Publikation der Thebais bietet Vollmer (1898), 11. Man vermißt bei ihm jedoch den Hinweis, daß auch diejenigen Gedichte, die vor der Herausgabe der Thebais geschrieben wurden, deshalb nicht automatisch als praelusiones im eigentlichen Sinne (so wie in dem von Vollmer selbst angeführten Beispiel der Bildhauer in Silv. 1,3,50) zu werten sind, da Statius vor der Publikation insgesamt zwölf Jahre an seinem Epos gearbeitet hat. ›Echte‹ praelusiones wären mithin nur solche Gedichte, die bereits vor Beginn dieser Zeit entstanden.

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kleinen Dichtung als exerceri ioco läßt ihr zeitliches Verhältnis zur großen Dichtung hingegen unbestimmter, denn eine Übung kann durchaus auch parallel zu der Arbeit an etwas Großem erfolgen. Trotz des klaren Rückbezuges auf die praefatio des ersten Buches trägt Statius an der zweiten Stelle damit offensichtlich der Tatsache Rechnung, daß er nunmehr längere Zeit nach der Publikation seines Epos eine neue Sammlung kleiner Gedichte veröffentlicht, die keinesfalls mehr vor der Thebais entstanden sein können. Mit dem zweifachen Hinweis auf den angeblichen Übungscharakter der Silvae impliziert Statius zugleich noch einen weiteren Unterschied zwischen seiner Gelegenheitsdichtung und der kleinen Dichtung in kallimacheischer Tradition, zu deren wesentlichen Charakteristika auch die durch sorgfältige und langwierige Ausarbeitung erreichte Perfektion des einzelnen Gedichtes gehört, die beim Epos schon aufgrund des Umfangs ausgeschlossen ist. Dieser Unterschied wird zusätzlich auch explizit formuliert, wenn es gleich in der ersten praefatio heißt, die vorliegenden Gedichte seien stilo remissiore (Silv. 1, praef. 9) geschrieben worden, d.h. mit sogar noch weniger Sorgfalt als das Epos als gemeinsame Bezugsgröße. Die hiermit angesprochene Nachlässigkeit kommt auch in den nachfolgenden praefationes wiederholt zur Sprache, dort allerdings in weitaus weniger prägnanter Form und jeweils nur in begrenztem Rahmen, etwa in Statius’ Bekenntnis, er hätte Silv. 2,2 sorgfältiger ausarbeiten müssen (Silv. 2, praef. 13–14), oder dem Verweis auf den privaten Charakter von Silv. 3,5 (Silv. 3, praef. 21– 23). 208 Innerhalb der Gedichte selbst wird der stilus remissior hingegen nur sehr indirekt thematisiert, etwa wenn Statius die dichtungskritischen Begriffe labor und cura ausschließlich im Zusammenhang mit seiner heroischen Dichtung, nicht jedoch für die Silvae gebraucht. 4.2.1.3. Die celeritas der Gelegenheitsdichtung Als konkreter Grund für mögliche qualitative Unzulänglichkeiten wird ab der ersten praefatio des Corpus die celeritas benannt, mit der die Gedichte entstanden seien. Nachdem es hier ausführlich und aus zwei verschiedenen Perspektiven thematisiert wird, kommt dieses spezielle Charakteristikum von Statius’ Gelegenheitsdichtung in den praefationes der Bücher 2 und 3 sowohl durch die Erwähnung konkreter Entstehungszeiten als auch durch Hinweise auf die audacia oder die temeritas der Dichtung wiederholt zur Sprache. Im Laufe der Zeit läßt sich eine interessante Entwicklung feststellen. Nach dem Auftakt in der praefatio des ersten Buches, in der das Motiv der celeritas als verbindendes Moment für sämtliche Einzelangaben des 208 Vgl. auch den Hinweis auf die Auswirkungen der eigenen Betroffenheit durch den Tod des Glaucias (Silv. 2, praef. 11) oder die indirekte Bezeichnung von Silv. 4,9 als ein weniger würdiges Werk (Silv. 4, praef. 23–24).

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›Inhaltsverzeichnisses‹ und darüber hinaus auch als Hauptmotivation für dessen Einfügung erscheint, werden in der Vorrede des zweiten Buches nur für die ersten fünf Gedichte vergleichbare Angaben über deren kurze Entstehungszeiten gemacht. Für die letzten beiden Gedichte fehlen entsprechende Daten. In der nachfolgenden praefatio gilt dies sogar für die letzten vier Gedichte, denn in der epistula an Pollius Felix ist tatsächlich nur für das erste Gedicht zweifelsfrei von einer kurzen Produktionszeit die Rede. Parallel zu dieser äußerlichen Reduktion des Themas, das indessen stets zu Beginn jeder der ersten drei praefationes wieder in Erinnerung gebracht wird, ist zudem eine inhaltliche Zuspitzung zu beobachten. Obwohl diese nicht alle einzelnen Zeitangaben mit einschließt, ist die Tendenz eindeutig. Schon in der praefatio des ersten Buches werden die Zeiträume, die für das Verfassen der einzelnen Gedichte angegeben werden, immer kürzer, und es ist davon auszugehen, daß sich diese Entwicklung auch in der verlorenen Angabe zu Silv. 1,6 fortsetzte. In der praefatio des zweiten Buches sind die ersten vier Angaben sehr unbestimmt. Dafür heißt es über den Leo Mansuetus (Silv. 2,5), dieses Gedicht sei dem Kaiser statim übergeben worden (Silv. 2, praef. 18), was in diesem Falle heißen muß: Sofort nachdem das Gedicht unter dem unmittelbaren Eindruck des Ereignisses selbst geschrieben wurde. Auch diese Zeitspanne wird jedoch noch übertroffen durch die Angabe zu Silv. 3,1. Mit der für dieses Gedicht behaupteten Koinzidenz von Produktion und erstmaligem Vortrag erreicht die celeritas ihren absoluten End- und Höhepunkt (statim ut videram, his versibus adoravi; Silv. 3, praef. 10), und es ist nur konsequent, wenn Statius diesen Aspekt seiner Gelegenheitsdichtung im weiteren Verlauf des Paratextes nicht nochmals thematisiert. Im Lichte dieser Entwicklung muß die Auffassung der umstrittenen Angabe zu Silv. 3,4 (scit quamdiu desiderium eius moratus sim; Silv. 3, praef. 17–18) wegen ihres deutlichen Abstandes zur letzten celeritasAngabe ebenso wie aufgrund der überaus vagen Zeitangabe als ironisch formulierte Bezeichnung einer weiteren kurzen Produktionszeit ausgeschlossen werden. Angesichts der nicht ganz unproblematischen Thematik von Silv. 3,4 ist allerdings zu erwägen, daß es sich bei der fraglichen Formulierung um eine gezielte Doppeldeutigkeit handeln könnte, mit der der Dichter die Problematik signalisiert, ohne sie allzu direkt anzusprechen. Innerhalb der Gedichte selbst wird die celeritas ihrer Entstehung dagegen nirgends explizit erwähnt. In diesem Rahmen finden sich lediglich einzelne schwache Andeutungen, etwa wenn Statius dem Adressaten von Silv. 4,8, der Gratulatio ad Iulium Menecraten, vorhält, daß er ihn nicht umgehend von der Geburt seines Kindes in Kenntnis gesetzt habe, so daß das dem Anlaß gewidmete Gedicht zu spät und damit beinahe wirkungslos sei: sed tardus inersque / nunc demum mea vota cano? tua culpa tuusque / hic pudor (Silv. 4,8,40–42).

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Ein weiteres Mal klingt Statius’ außerordentliche Geläufigkeit beim Dichten in Silv. 3,5 an, wo er die Anteilnahme seiner Ehefrau an seinem dichterischen Schaffen schildert und in diesem Zusammenhang auch erwähnt, daß er bisweilen sogar nachts im Bett Verse produziert: tu procurrentia primis / carmina nostra sonis totasque in murmure noctes / aure rapis vigili (Silv. 3,5,33–35). 209 Von anderer Art ist hingegen das Motiv der Unzeitigkeit eines Trauergedichtes, das am Anfang von Silv. 2,1, dem epicedion auf Glaucias, breiten Raum einnimmt, denn hier handelt es sich um einen in consolationes üblichen Topos, der nur in der praefatio des zweiten Buches zu einem Teil des celeritas-Motives umfunktioniert wird. 210 Abgesehen von solchen sehr versteckten Andeutungen kommt die celeritas der Gelegenheitsdichtung zuweilen jedoch auch auf andere Weise zum Ausdruck. So wird etwa gleich im ersten Gedicht der Sammlung mit stilistischen Mitteln eine gewisse atemlose Hast suggeriert und damit das in der unmittelbar vorhergehenden praefatio dominierende Thema der celeritas wieder aufgenommen. Signifikant ist ferner die Wiederkehr des Verbs fluere, mit dem Statius in der praefatio die Entstehung seiner Dichtung umschrieben hat, in bezug auf die ebenfalls als unglaublich schnell dargestellte Entstehung des hier besungenen Equus Domitiani: caelone peractum / fluxit opus? (»Ist das Werk schon vollendet vom Himmel geglitten?«; Silv. 1,1,2–3). 211 Ähnliches gilt auch für das programmatische Gedicht Silv. 3,1, für das zudem die absolut kürzeste Produktionszeit angegeben wird, denn auch hier wird die celeritas darüber hinaus durch stilistische Mittel sinnfällig illustriert. 212

209 Laguna (1992), 363, betrachtet die Stelle indessen als Echo von Didos Bezauberung durch Aeneas (Verg. Aen. 1,748–749), vermittels dessen Statius eine gemeinsame, mit Dichten verbrachte Nacht mit einer Liebesnacht assoziiere. 210 Vgl. Silv. 5,1,16–20, wo Statius offenbar gerade umgekehrt seine späte Reaktion auf den Tod der Priscilla damit begründet, daß ein frisch Trauernder für poetischen Trost nicht zugänglich sei. 211 Zu diesem »sense of urgency and rapidity« namentlich in der Eingangspassage des Gedichtes s. Geyssen (1996), 35–44; vgl. auch Vessey (1986), 2763–2764. 212 Newlands (1991), 450. Sie verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die »short, breathless questions and exclamations of wonder« wie etwa in Silv. 3,1,8–11: [...] tune ille reclusi liminis et parvae custos inglorius arae? unde haec aula recens fulgorque inopinus agresti Alcidae? sunt fata deum, sunt fata locorum. (»Bist du jener ruhmlose Hüter der unscheinbaren Behausung und des kleinen Altars? Woher diese neue Halle und der unerwartete Glanz für den ungehobelten Alkiden? Es gibt Schicksale der Götter, Schicksale von Orten.«); vgl. außerdem zu Silv. 1,3: Vessey (1986), 2764–2765; Newlands (1988), 110.

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Die Diskrepanz zwischen der überaus nachdrücklichen Hervorhebung der celeritas der Gelegenheitsgedichte im Bereich des Paratextes und den bestenfalls subtilen Andeutungen dieses Charakteristikums innerhalb der Gedichte selbst ist jedoch nur wenig überraschend. Ein wichtiger Grund dafür besteht in der unterschiedlichen Kommunikationssituation der beiden Bereiche. Den ursprünglichen Adressaten ist die gegebenenfalls schnelle Improvisation der Gelegenheitsgedichte durch ihre unmittelbare Involviertheit in die jeweilige Situation hinreichend bekannt. Daher besteht für den Dichter kein Anlaß, diesen Aspekt innerhalb der Gedichte eigens zu thematisieren, zumal dieser anders als etwa der Gegensatz von Epos und kleiner Dichtung keine Tradition als dichtungskritisches Motiv hat, sondern im Gegenteil als Grund für potentielle Qualitätsmängel nach den Maßstäben der antiken Poetik gemeinhin negativ bewertet wurde. Eine deutlichere Betonung dürfte den Wert des Gedichtes in den Augen des Adressaten sogar geradezu herabgesetzt haben. Gegenüber den ceteri, dem allgemeinen Publikum, sind solche Informationen hingegen erforderlich, um ihnen die Besonderheit der vorliegenden Gelegenheitsgedichte zu erklären. Mit der wiederholten Betonung der celeritas wird unter anderem der Versuch unternommen, die außenstehenden Leser so weit wie möglich an die Situation der ursprünglichen Adressaten heranzuführen. Trotz der vordergründig apologetischen Präsentation dieses Aspektes der Silvae kann kein Zweifel daran bestehen, daß Statius die celeritas keineswegs als Nachteil der Gelegenheitsdichtung betrachtet, der sich als notwendige Folge des Dichtens auf Aufforderung bzw. in umgehender Reaktion auf einen aktuellen Anlaß ergibt. Sie stellt für ihn im Gegenteil eine eigene dichterische Qualität dar. In dieser tatsächlich positiven Wertung der celeritas, die sich nicht allein an der Häufigkeit der einschlägigen Äußerungen 213 , sondern in weit stärkerem Maße an bestimmten Formulierungen und argumentativen Strukturen ablesen läßt214 , sieht Hardie einen deutlichen Einfluß der griechischen Kultur, mit der Statius in seiner Jugend in Neapel intensiv in Berührung gekommen war. 215 In der griechischen Dichtung besaß die Kunst der Improvisation ebenso wie der Gedanke des sie bedingenden poetischen ʟƬƧƮƴƲƨƠƲƫ̆Ʊ einen deutlich höheren Stellenwert als in der lateinischen. 216 Zwar ist auch hier das Motiv des göttlich inspirierten Dichters 213 So Pavlovskis (1967), 541–42: »His apologies notwithstanding, Statius is well content with what he is doing, and his assertions of speed are too frequent not to sound like boasts.« 214 Dies gilt in besonderem Maße für die Thematisierung der celeritas in der praefatio des ersten Buches; dazu s.o. S. 245–259. 215 Hardie (1983), 78–85. 216 Zum ersten Male findet sich der Gedanke des poetischen ʟƬƧƮƴƲƨƠƲƫ̆Ʊ bei Demokrit (fr. B 18 D-K), ausführlicher später Platon (Ion 533e–535a; Phaidr. 245a; aber auch durchaus kritisch: Apol. 22a–c); vgl. auch Aristot. poet. 1455a 32–34. Daß die Improvisationskunst im Bereich der

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innerhalb der Dichtung selbst geläufig, in der Poetik wird das entscheidende Gewicht jedoch auf die sorgfältige, kunstgemäße Ausarbeitung des Werkes (ars) gelegt. 217 Interessant ist in diesem Kontext schließlich noch eine Stelle aus einem Gedicht des fünften Buches. In Silv. 5,3, dem epicedion auf seinen eigenen Vater, erwähnt Statius bei der Behandlung der literarischen Leistungen seines Vaters auch dessen Fähigkeit zum schnellen Dichten, konkret am Beispiel des Gedichtes über den Bürgerkrieg des Jahres 69 n.Chr.: vix requies flammae necdum rogus ille deorum siderat, excisis cum tu solacia templis impiger et multum facibus velocior ipsis concinis ore pio captivaque fulmina defles.

(Silv. 5,3,199–202)

Kaum erst ruhten die Flammen, und auch der Scheiterhaufen der Götter hatte sich noch nicht gesenkt, als du, rastlos und viel schneller als die Fackeln selbst, mit frommem Munde Trost für die zerstörten Tempel dichtetest und die gefangenen Blitze beweintest.

Im Zusammenhang damit, daß Statius sich nur wenig später in demselben Gedicht als würdigen Abkömmling seines Vaters darstellt (Silv. 5,3,209– griechischen Dichtung auch in späterer Zeit eine bedeutende Rolle spielte, zeigt z. B. die Erwähnung des Antipater Sidonius (2./1. Jhd. v. Chr.) bei Cicero: quod si Antipater ille Sidonius ille, quem tu probe, Catule, meministi, solitus est versus hexametros aliosque variis modis atque numeris fundere ex tempore tantumque hominis ingeniosi ac memoris valuit exercitatio ut, cum se mente ac voluntate coniecisset in versum, verba sequerentur (»Wenn aber jener berühmte Antipater aus Sidon, an den du, Catulus, dich richtig erinnerst, Hexameter und andere Verse in unterschiedlichen Maßen aus dem Stegreif zu dichten pflegte und die Übung eines begabten und gedächtnisstarken Menschen soviel vermochte, daß, wann immer er sich ganz auf ein Versmaß konzentrierte, die Worte nachfolgten […]«; Cic. de orat. 3,194) oder Ciceros Aussage über den zeitgenössischen griechischen Dichter Archias: quotiens ego hunc vidi, cum litteram scripsisset nullam, magnum numerum optimorum versuum de eis ipsis rebus quae tum agerentur dicere ex tempore (»Wie oft habe ich gesehen, daß er, obwohl er keinen Buchstaben geschrieben hatte, aus dem Stegreif eine große Zahl hervorragender Verse über genau die Dinge produzierte, die gerade geschahen.«; Cic. Arch. 18). 217 Hierzu s. insbesondere Horaz, Ars Poetica 292–309, eine Passage, in der sich Horaz einmal sogar ganz explizit gegen Demokrit wendet: ingenium misera quia fortunatius arte credit et excludit sanos Helicone poetas Democritus, bona pars non unguis ponere curat, non barbam, secreta petit loca, balnea vitat. (ars 295–298) (»Weil Demokrit das Talent für glücklicher hält als die beschwerliche Kunst und die vernünftigen Dichter vom Helikon ausschließt, kümmert sich ein guter Teil nicht darum, die Nägel oder den Bart zu schneiden, sucht die Abgeschiedenheit, meidet die Bäder.«). Kritik am schnellen Dichten übt auch Martial, freilich ohne daß dieses Epigramm deshalb als konkrete Spitze gegen Statius aufzufassen wäre: Cum facias versus nulla non luce ducenos, / Vare, nihil recitas. Non sapis, atque sapis. (»Obwohl kein Tag vergeht, ohne daß du zweihundert Verse schreibst, Varus, trägst du nichts vor. Du hast keinen Verstand, und doch hast du Verstand.«; Mart. 8,20).

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214), muß diese Stelle ebenso als deutlicher Hinweis auch auf die eigene Fähigkeit zum schnellen Dichten gewertet werden. Als auffällig ist festzuhalten, daß diese außerhalb der praefationes stärkste Aussage über die celeritas in einem der Gedichte erfolgt, die nicht von Statius selbst für die allgemeine Publikation ausgewählt wurden. Zwar benennt Statius in der Prosavorrede des ersten Buches eine Reihe von Zeugen, um seinen Angaben über die Kürze der Produktionszeit Glaubwürdigkeit zu verleihen, doch gehen die Meinungen über die Glaubwürdigkeit von Statius’ Äußerungen bezüglich des Improvisationscharakters der in den Silvae veröffentlichten Gedichte auseinander. Während die entsprechenden Angaben auch in der modernen Forschung zum Teil durchaus wörtlich genommen werden 218 , werden sie von anderen als Ausdruck einer dissimulatio artis verstanden, mit der der Dichter tatsächlich Anerkennung für seine besondere Fähigkeit zu erlangen sucht. 219 Für letztere Annahme spricht nicht zuletzt der Umstand, daß sich in den Silvae nicht nur keine der von Statius angeblich befürchteten zahlreichen Unzulänglichkeiten finden, sondern die meisten der Gedichte sogar sehr anspruchsvolle Kunstwerke sind. 220 Darüber hinaus rufen auch die kürzesten von Statius angegebenen Zeiträume selbst eine gewisse Skepsis hervor. Selbst wenn man die Angaben zu Silv. 1,5 und 2,5 wörtlich nimmt und davon ausgeht, daß Statius die Gedichte den jeweiligen Adressaten tatsächlich sogleich schriftlich überreicht hat, ergibt sich die Schwierigkeit, daß in derselben kurzen Zeit auch die Abschrift des Gedichtes entstanden sein müßte, die offenbar im Besitz des Dichters verblieben ist. 221 Angesichts dessen scheint es realistischer anzunehmen, daß das zunächst möglicherweise durchaus im angegebenen Zeitraum improvisierte Gedicht erst im nachhinein schriftlich festgehalten wurde. Da dies jedoch auch die Möglichkeit nachträglicher Verbesserungen einschließt, trifft die Zeitangabe des Statius faktisch nur für einen Teil der Entstehung des Gedichtes zu. 222 Umgekehrt läßt die Angabe der reinen 218 Vollmer (1898), 27–30; Schanz-Hosius 2,540; Cancik (1978), 130; van Dam (1984), 58; Adam (1988), 34–39; etwas vorsichtiger Vessey (1973), 37; Vessey (1986), 2761–2762. 219 Traglia (1964), 7; Pavlovskis (1967), 541–542; Newmyer (1979), 7–9; van Dam (1984), 4; Newlands (2002), 33. Coleman (1988), xxvi, bezeichnet die Entschuldigungen der celeritas als »deliberate irony in the self-advertisement«. 220 Friedrich (1963), 46, nennt die Silvae »eines der raffiniertesten Erzeugnisse der silbernen Latinität« und bemerkt, daß »von improvisierender Ungezwungenheit [...] nicht im entferntesten die Rede sein« könne; vgl. auch Newmyer (1979), 131. 221 Ähnliches gilt auch für Silv. 3,1. Im Falle dieses Gedichtes, das mit 186 Versen um einiges umfangreicher ist als die beiden anderen Gedichte (65 bzw. 30 Verse), ist zwar nicht von einer sofortigen Übergabe an den Adressaten die Rede, dafür erweckt der Dichter diesmal jedoch den Eindruck, das Gedicht sei unmittelbar während des Vortrages entstanden und daher zunächst wohl kaum schriftlich fixiert worden. 222 Vgl. van Dam (1984), 4.

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Produktionszeit auch die Dauer der gedanklichen Beschäftigung mit dem jeweiligen Thema vor dem eigentlichen Akt des Dichtens unberücksichtigt. 223 Ausgehend von solchen Überlegungen ist anzunehmen, daß auch Statius’ Andeutungen, die Gedichte seien für die Sammelpublikation nicht nochmals überarbeitet worden 224 , lediglich auf eine bestimmte Sichtweise seiner Gedichte abzielen und nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. 4.2.1.4 Der private Charakter der Silvae In mindestens zwei Fällen (Silv. 2,3 und 2,4; indirekt kann auch Silv. 2,5 hinzugerechnet werden) wird der geringe Anspruch nicht allein auf die hier nur implizit angesprochene celeritas der Entstehung zurückgeführt. Die Gedichte werden darüber hinaus als leves libelli, also auch ihrem Wesen nach als belanglos bezeichnet und mit Epigrammen verglichen (Silv. 2, praef. 15–16). Verschiedene Interpretationen dieser Gedichte haben jedoch gezeigt, daß beide trotz ihrer in der Tat geringfügigen Gegenstände durchaus über weitere Bedeutungsebenen verfügen. 225 In der praefatio des zweiten Buches führt Statius als zweiten Grund für eine potentielle Unzulänglichkeit seiner Gelegenheitsgedichte in den Augen eines allgemeinen Publikums auch den ursprünglich sehr privaten oder sogar persönlichen Charakter der einzelnen Gedichte ein. Dieser Aspekt wird zum einen bereits durch den unmittelbar zu Beginn der praefatio erfolgenden Hinweis auf das enge persönliche Verhältnis zwischen Statius und Atedius Melior signalisiert und kommt anschließend auch in den Anmerkungen zu mehreren Einzelgedichten des zweiten Buches in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck. Nachdem er in der zweiten praefatio damit eine zentrale Rolle gespielt hat, wird der Gedanke einer fehlenden Öffentlichkeitseignung von Gedichten, die ursprünglich für einen rein privaten Rahmen verfaßt wurden, in der epistula an Pollius Felix zu Beginn 223 Vgl. Newmyer (1979), 15. 224 Dazu zählt zum einen eine Bemerkung in der ersten praefatio, die zuvor bereits einzeln publizierten Gedichte würden jetzt einfach nur congregati herausgegeben (Silv. 1, praef. 4–5), zum anderen die Aussage, Statius habe den Hercules Surrentinus des Pollius Felix auch ursprünglich mit eben den jetzt veröffentlichten Versen angebetet (Silv. 3, praef. 10). 225 Die Deutungen gehen z.T. allerdings weit auseinander. So sieht Vessey (1981) Silv. 2,3 als eine Allegorie von Meliors Rückzug ins Privatleben, nachdem dieser durch seine Tätigkeit im öffentlichen Leben in eine nicht näher bestimmbare Gefahr geraten war (dagegen jedoch Billerbeck (1986)); Pederzani (1992) hingegen sieht in dem Baum eine Allegorie des enkomiastischen Dichters. Nach Auffassung von Cawsey (1983) assoziert Statius in Silv. 2,4 Meliors toten Papagei mit Domitian und ironisiert damit die im Kaiserkult übliche Apotheose; plausibler Myers (2002), die die Darstellung des Papageien als eine humorvolle oder gar ironische Reflexion über Dichtung und Dichter und insbesondere über Statius’ eigene Praxis der Imitation auffaßt; Dietrich (2002) sieht Silv. 2,4 als ein selbstreferentielles Gedicht, in dem sich der Statius der Silvae zwar scheinbar von seiner epischen Dichtung distanziere, tatsächlich aber durch Bezugnahme auf die epische Tradition (speziell Ovid) Anspruch auf Unsterblichkeit seiner Dichtung erhebe.

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des dritten Buches ein weiteres Mal aufgegriffen und zwar pointiert an deren Ende, wo Statius zunächst den überaus privaten Charakter des an seine Ehefrau gerichteten Gedichtes Silv. 3,5 hervorhebt, um anschließend dessen besonderen Reiz auch für den Gesamtadressaten des Buches zu betonen (Silv. 3, praef. 21–25). Anders als die celeritas, die in den von Statius selbst publizierten Gedichten der ersten vier Bücher zwar nur äußerst selten,und wenn, dann stets nur andeutungsweise und nicht als Grund für potentielle Unzulänglichkeiten zur Sprache kommt, wird die individuelle Ausrichtung der Gelegenheitsdichtung im Bereich des Textes nirgends thematisiert. Freilich liegt der ursprünglich private Charakter der meisten in den Silvae enthaltenen Gedichte für jeden Leser auf der Hand, und auch die außergewöhnlich starke innere Beteiligung des Dichters in Silv. 2,1 sowie der persönliche Charakter des in eigener Sache verfaßten Gedichtes Silv. 3,5 werden aus den entsprechenden Texten selbst ersichtlich. 226 Auf der metapoetischen Ebene fehlt jedoch jeder Hinweis auf dieses besondere Charakteristikum der vorliegenden Dichtung. Dieser Befund ist indessen wenig überraschend. Während es sich bei der celeritas um ein ungewöhnliches Charakteristikum handelt, das auch den Erstadressaten gegenüber wohl in erster Linie deshalb nicht allzu sehr betont wurde, weil es potentiell negativ bewertet wurde, ist die Ausrichtung der Gelegenheitsgedichte auf den privaten Bereich der Adressaten in ihrem ursprünglichen Entstehungskontext geradezu selbstverständlich und daher nicht erwähnenswert. 4.2.1.5 Verweis auf namhafte Vorläufer Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Statius’ Abgrenzung der Silvae von der epischen Dichtung ist seine Assoziation mit anderen Dichtern, die als Vorläufer auf dem Gebiet der kleinen Dichtung eingeführt werden. Besonders nachdrücklich wird diese in der Vorrede des ersten Buches mit dem Verweis auf den Culex und die Batrachomachia formuliert (Silv. 1, praef.

226 In dem epicedion für Glaucias zeigt sich die überdurchschnittlich starke Anteilnahme des Dichters vor allem in zwei Passagen: Silv. 2,1,19–35 u. 166–168. Zum privaten Charakter der Ecloga ad Uxorem (Silv. 3,5), dem innerhalb der vom Dichter selbst publizierten Bücher der Silvae einzigen Gedicht, das nicht für einen außenstehenden Adressaten geschrieben wurde, s. insbesondere Burck (1986), der als Grund für die Publikation eines solchen persönlichen Gedichtes (im Gegensatz zu den ebenfalls in eigener Sache verfaßten Silv. 5,3 u. 5,5) dessen Erfolg bei der »kunstverständigen« Claudia erwägt (227). Anders jedoch Garthwaite (1989), der davon ausgeht, daß es sich von vornherein um eine öffentliche Stellungnahme zu Statius’ Rückzug nach Neapel handelte (11).

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7–8), der nicht nur als Assoziation mit den beiden ganz großen Epikern227 , sondern in erster Linie als Anschluß an eine ›Tradition‹ anspruchsloser praelusiones zu lesen ist. Das entscheidende Gewicht liegt auf der Benennung möglichst prominenter Präzedenzfälle von Vertretern der epischen Dichtung, die außerdem – jedenfalls entsprechend der communis opinio – auch weniger Anspruchsvolles geschrieben haben. Eine weitergehende generische oder inhaltliche Verwandtschaft der Silvae mit dem Culex und der Batrachomachia ist hingegen nicht notwendigerweise impliziert. 228 Dies gilt in noch stärkerem Maße für die anderen kleineren Werke Vergils. In ihrer Untersuchung der in Silv. 3,1 zum Ausdruck gebrachten Programmatik der Silvae führt Newlands aus, daß die intensive und vielschichtige Bezugnahme dieses Gedichtes unter anderem auf Vergil, und hier insbesondere auf das Proömium des dritten Buches der Georgica, gerade nicht als Assoziation mit diesem Werk, sondern im Gegenteil als eine Art von »creative interplay« zu verstehen ist, mit dem Statius die Individualität und Eigenständigkeit seiner kleinen Dichtung signalisiert. Vor diesem Hintergrund beinhalte auch die Wahl des an die Verwendung des Begriffes in den Georgica erinnernden Titels Silvae eine Herausforderung an die ländliche Dichtung Vergils. 229 Obwohl der Anschluß an namhafte Vorläufer auf dem Gebiet spielerischer praelusiones zu epischer Dichtung in der praefatio des vierten Buches auf indirekte Weise wieder evoziert wird, kommt er innerhalb der Gedichte selbst nirgends explizit zur Sprache. Statt dessen finden sich verschiedene, ebenfalls mehr oder minder indirekte Assoziationen mit anderen Dichtern, die zumindest überwiegend lediglich begrenzte Geltung für einzelne Gedichte beanspruchen. Hierzu zählt vor allem die Anrufung Pindars zu Beginn von Silv. 4,7, oder vereinzelte Anklänge an die lyrische Dichtung des Horaz in Silv. 4,5 und 4,7. 230 Sehr viel allgemeinerer Natur ist dagegen die Assoziation der Silvae mit der kleinen, nicht-epischen Dichtung Lucans. Sie wird zwar weder in den 227 Dieser Aspekt der Erwähnung Homers und Vergils dient weniger der Definition der Gelegenheitsdichtung als der Selbstdarstellung des Dichters und wird daher im Abschnitt 4.2.2.3 eingehender behandelt werden. 228 Vgl. Dams (1970), 152; Bishop (1951), 427–428, sieht in der Erwähnung von Culex und Batrachomachia hingegen eine Art Eingeständnis einer Abhängigkeit der in den Silvae veröffentlichten Gelegenheitsdichtung von der Tradition des Epyllions. 229 Newlands (1991), 452. 230 Besonders augenfällig etwa das Iam als erstes Wort des in sapphischen Strophen abgefaßten Gedichtes Silv. 4,7 (vgl. Hor. carm. 1,2,1); vgl. auch die Nähe von Silv. 4,5,58–60 zu Hor. carm. 1,32,1–4. Für weitere Anklänge s. die bei Vollmer (1898) aufgeführten Similien. Auch in manchen der in nicht-lyrischen Versmaßen verfaßten Gedichte finden sich natürlich Anklänge an das Werk des Horaz (z. B. Silv. 2,7,19: Lucanum canimus, favete linguis; dazu van Dam (1984), 464), diese sind jedoch nicht als generische Assoziationen aufzufassen.

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praefationes noch innerhalb der Gedichte selbst ausdrücklich thematisiert, kommt jedoch zum einen bereits im Titel der Sammlung zum Tragen, der auch der Titel einer darüber hinaus heute nicht mehr faßbaren Sammlung kleinerer Gedichte Lucans gewesen sein soll. 231 Zum anderen legt auch die Struktur der in Silv. 2,7 gegebenen Übersicht über die Werke Lucans nahe, daß dessen kleinere Frühwerke für Statius von besonderer Bedeutung waren. Sie werden durch ihre Erwähnung im mittleren der fünf zyklisch angeordneten Abschnitte dieser Passage (Silv. 2,7,41–80) gleichsam ins Zentrum von Lucans Schaffen gerückt 232 , und auch der hier verwendete Ausdruck primum [...] ludes (Silv. 2,7,54–55) steht dem in der praefatio des ersten Buches verwendeten praeludere (Silv. 1, praef. 9) sehr nahe. 233 Gerade die Silvae Lucans werden in der Reihe seiner kleineren Werke allerdings nicht erwähnt. 4.2.1.6 Ein paar ›technische‹ Angaben Abgesehen von seiner generellen Abgrenzung der in den Silvae enthaltenen Gedichte von der erhabenen Dichtung und insbesondere von der Epik macht Statius an mehreren Stellen in seinen praefationes sehr konkrete Angaben über die Art der einzelnen Gedichte. Wenn er für einige von ihnen konkrete Gattungsbezeichnungen wie epithalamium (Silv. 1, praef. 21), consolatio (Silv. 2, praef. 20), epistula (Silv. 4, praef. 9) etc. verwendet 234 , 231 Nach Ansicht von Delarue (2000), 91–92, figuriert Lucan indirekt auch in der ersten praefatio unter den von Statius angeführten Bezugsgrößen ersten Ranges. Anders als für Vergil und Homer werde der Titel seines kleinen Werkes innerhalb der epistula zwar nicht genannt, aufgrund der Identität des Werktitels sei dies jedoch auch überflüssig. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß die Assoziation über den Werktitel nicht erst innerhalb der epistula erfolgt, in der Statius den Titel seiner Gedichtsammlung in auffälliger Weise unerwähnt läßt, sondern zur Gänze bereits vorher über den titulus des Buches. Bright (1980), 36, sieht dagegen in der Erwähnung des Culex eine klare Bezugnahme auf die bei Sueton (Suet. vita Lucani, p. 50,6–9 Reiff.) noch fragmentarisch faßbare praefatio Lucans: et quantum mihi restat ad Culicem. – Da die implizite Assoziation mit Lucan in beiden Fällen auf einer deutlich anderen Ebene steht als die konkrete Nennung je eines Vorläufers aus dem Bereich der griechischen und der lateinischen Epik, wirkt sie sich nicht auf die besondere Balance des Vorläufermotives aus. 232 Van Dam (1984), 473–474; vgl. Newmyer (1979), 77–78. – Nach Auffassung von Myers (2002), 192, ist auch die Position des Gedichtes über Lucan am Ende des zweiten Buches der Silvae und damit in unmittelbarer Nähe des in hohem Maße programmatischen Gedichtes Silv. 3,1 als Hinweis auf einen möglichen Vorbildcharakter der Silvae Lucans für die vorliegende Sammlung zu betrachten; vgl. auch Newlands (2002), 43; Delarue (2000), 91–97. 233 Delarue (2000), 92. Er weist außerdem darauf hin, daß auch Lucan zumindest ein Werk als Improvisation verfaßt haben soll. 234 Außerdem finden sich die Bezeichnungen epicedium (Silv. 2, praef. 8), das als Synonym zu consolatio gebraucht wird (dazu vgl. van Dam (1984), 67), genethliacon (Silv. 2, praef. 22), lyricum carmen (Silv. 4, praef. 10). Damit wird das Hauptgewicht klar auf die inhaltliche Differenzierung der formal nur selten zu unterscheidenden Gedichte gelegt. Lediglich in zwei Fällen (epistula, lyricum carmen) verwendet der Dichter formal definierte Gattungsbezeichnungen. (Für die Berechtigung des Gattungsbegriffes sowohl bei formaler als auch bei inhaltlicher Klassifizie-

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Die praefationes in den Silvae des Statius

wird damit die Verschiedenheit und Vielfältigkeit der in der Sammlung enthaltenen Gedichte nachdrücklich hervorgehoben. In einigen der Fälle, in denen solche generischen Termini fehlen, wird der Charakter des Gedichtes statt dessen durch Umschreibung verdeutlicht. So wird etwa Silv. 3,2 mit der Angabe iuvenem Maecium Celerem [...] quia sequi not poteram, sic prosecutus sum (Silv. 3, praef. 12–14) eindeutig als propempticon beschrieben. Für einzelne Gedichte finden sich auch Angaben über das verwendete Metrum. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn Statius, wie in Silv. 2,7 oder 4,9, vom üblichen Hexameter abweicht. Daß dieser das hauptsächlich verwendete Metrum darstellt, wird jedoch bereits sehr früh signalisiert, wenn der Dichter in seiner ersten praefatio erstmals eher beiläufig auf seine virtuose Handhabung gerade dieses Metrums zu sprechen kommt: audacter mehercules, sed ter centum tamen hexametros habet (Silv. 1, praef. 22–23). Die Verwendung einer derart funktionalen Terminologie ist fast vollständig auf den Bereich der praefationes beschränkt. Mit sehr wenigen Ausnahmen finden sich in den Gedichten selbst weder Angaben zum Metrum noch bestimmte Gattungsbezeichnungen. Lediglich zu Beginn von Silv. 4,4 wiederholt Statius ausdrücklich dessen Bezeichnung, wenn er dieses Gedicht bzw. dessen eigentlichen Kern als epistula apostrophiert: Curre per Euboicos non segnis, epistula, campos (»Eile geschwind über das euböischen Land, Brief«; Silv. 4,4,1). 235 Der Grund für diese Auffälligkeit liegt möglicherweise darin, daß das fragliche Gedicht mit einiger Wahrscheinlichkeit als einziges der ganzen Sammlung nicht bereits vor der Buchpublikation seinem ursprünglichen Adressaten überreicht worden war. In der Einzelanalyse der vierten praefatio ist deutlich geworden, wie sehr Statius eben dieses Gedicht durch die Art seiner Präsentation zum eigentlichen Kern des vierten Buches erhebt. Obwohl sie erst an vierter Stelle innerhalb des Buches steht, wird die epistula ihrem Adressaten Vitorius Marcellus bereits in der praefatio in besonderer Weise angekündigt. Mit der Wiederholung der Gattungsbezeichnung zu Beginn des Gedichtes, d. h. auch hier im Grunde noch in dessen einleitendem Teil außerhalb der eigentrung s. Cairns (1972), 6.) Zur Bezeichnung zweier Gedichte als eclogae (Silv. 3, praef. 20; 4, praef. 19) s. auch Vessey (1974), 260: »It seems likely that ecloga was applied by the poet to works that could not readily be assigned to an established rhetorical genre.« – Mit der Frage, inwieweit die generisch klassifizierten Gedichte von den jeweiligen praecepta rhetorischer Handbücher beeinflußt sind oder in welcher Relation sie zu früheren Gedichten derselben Gattung stehen, befaßt sich Newmyer (1979), 19–44 (vgl. auch Lohrisch (1905); Hardie (1983), 91–102). 235 Ein zweites Mal kommt ein derartiges ›technisches Detail‹ lediglich am Schluß von Silv. 4,9 zur Sprache. Im Unterschied zu der Apostrophierung von Silv. 4,4 erfolgt die Bezeichnung dieser Verse als hendecasyllabi (Silv. 4,9,55) jedoch nur indirekt, da der Begriff im engeren Sinne auf die Verse bezogen ist, die der Adressat dem Dichter bei einer erneuten exakten Verrechnung als Gegengabe schicken könnte.

Selbstdarstellung des Dichters

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lichen epistula (Silv. 4,4,12–105), wird dem Adressaten somit signalisiert, daß das schon so lange versprochene Gedicht jetzt endlich erreicht ist.

4.2.2 Selbstdarstellung des Dichters 4.2.2.1 Bescheidener Auftritt Neben der Definition der hier gesammelten Art von Dichtung nimmt auch die Selbstdarstellung des Dichters in den selbstreferentiellen Aussagen der Silvae einen nicht unerheblichen Raum ein. Im Bereich der praefationes, insbesondere in denen der ersten drei Bücher, ist Statius’ Präsentation seiner Gelegenheitsdichtung und damit auch seiner selbst als Dichter auf den ersten Blick geprägt von einem »insecure, apologetic tone«.236 Diese Art des Auftretens steht in engem Zusammenhang mit der wiederholt behaupteten Unvollkommenheit der in den Silvae vorgelegten Gedichte, die hauptsächlich auf deren schnelle Entstehung oder auch die individuelle Ausrichtung zurückgeführt wird. Innerhalb der Gedichte selbst finden sich ebenfalls an verschiedenen Stellen Aussagen über die eigene Unzulänglichkeit im Hinblick auf die Silvae. Bei diesen Äußerungen, die weder regelmäßig über das Werk verteilt sind noch an bestimmten Stellen signifikant gehäuft auftreten, lassen sich verschiedene Ausprägungen feststellen. Am häufigsten formuliert Statius seinen Mangel an dichterischer Fähigkeit angesichts des Gegenstandes des jeweiligen Gedichtes. Ebenso umfangreich wie einprägsam geschieht dies etwa in dem Gedicht über die Villa Surrentina Polli Felicis. Selbst wenn ihm jedwede Form poetischer Inspiration zuteil würde, sähe sich der Dichter außerstande, der Größe und der Pracht der Villa in seinem Gedicht gerecht zu werden: non, mihi si cunctos Helicon indulgeat amnes et superet Piplea sitim largeque volantis ungula se det equi reseretque arcana pudicos Phemonoe fontes vel quos meus auspice Phoebo altius immersa turbavit Pollius urna, innumeras valeam species cultusque locorum Pieriis aequare modis. […]

(Silv. 2,2,36–42) 237

236 Pavlovskis (1967), 539. 237 Für die Nähe zu dem seit Homer (Il. 2,489) bekannten Topos, daß keine noch so große Zahl von Zungen bzw. Mündern zur Behandlung eines bestimmten Gegenstandes ausreichend sei, s. van Dam (1984), 216–217 (vgl. Vollmer (1898), 344). Er betrachtet die statt dessen gewählte hyperbolische Anführung diverser Musenquellen zudem als konkrete Reminiszenz an Silv. 1,4,25– 30. Anders als dort ermögliche diesmal jedoch nicht einmal der fons des hiermit bereits indirekt als

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Selbst wenn mir der Helikon sämtliche Ströme schenkte, Piplea den Durst überträfe, der Huf des weithin fliegenden Pferdes sich gewährte und die geheimnisvolle Phemonoe die keuschen Quellen öffnete, oder die, die mein Pollius mit einem unter Leitung des Phoebus tiefer eingetauchten Gefäß aufwirbelte, wäre ich nicht in der Lage, den zahllosen Schönheiten und Zierden der Gegend mit pierischen Maßen gerecht zu werden.

Das hier bereits nachdrücklich behauptete Unvermögen wird im folgenden noch weiter unterstrichen, wenn Statius erklärt, dem Anwesen schon physisch nicht gewachsen zu sein: [...] vix ordine longo suffecere oculi, vix, dum per singula ducor, suffecere gradus. quae rerum turba!

(Silv. 2,2,42–44)

Kaum hielten meine Augen bei der langen Reihe mit, kaum hielten, während ich durch das Einzelne geführt wurde, meine Schritte mit. Welch’ eine Menge von Dingen!

An anderen Stellen, an denen das Motiv der Inkompetenz des Dichters angesichts des zu behandelnden Gegenstandes erscheint, ist es sehr viel schwächer ausgeprägt. Es wird außerdem zumeist nicht in bezug auf materielle Gegenstände, sondern im Zusammenhang mit Personen gebraucht, etwa wenn der Dichter seine Unfähigkeit bekundet, die Vorzüge des verstorbenen Glaucias angemessen darzustellen238 oder dem Kaiser und seinen beneficia gerecht zu werden.239 Eine gewisse Ausnahme bildet lediglich eine Passage am Ende von Silv. 1,6, in der Statius vor einer weiteren Beschreibung des Spektakels kapituliert: quis spectacula, quis iocos licentes, quis convivia, quis dapes inemptas, largi flumina quis canat Lyaei?

Dichter gelobten Pollius Felix eine angemessene poetische Behandlung der prächtigen Villa. Zu der ganzen Passage Silv. 2,2,36–45 vgl. auch Krüger (1998), 87–89. 238 Silv. 2,1,36–40; vgl. auch Silv. 2,6,48–50 (zur Problematik der Textüberlieferung s. jedoch van Dam (1984), 421–422) sowie 5,1,208–210. In abgeschwächter Form klingt der Gedanke zudem in der einleitenden Frage von Silv. 2,1 an: Quod tibi praerepti, Melior, solamen alumni improbus ante rogos et adhuc vivente favilla ordiar? [...] (Silv. 2,1,1–3) (»Welchen Trost für den vorzeitig entrissenen Knaben soll ich für dich anstimmen, rücksichtslos, vor dem Scheiterhaufen, solange die Asche noch glüht?«). 239 Hierzu s. vor allem Silv. 4,2,5–10 (dazu Vessey (1983), 207–208) sowie 4,2,52: parva loquor necdum aequo tuos, Germanice, vultus. Der in Silv. 4,4,95–100 ausgedrückte Zweifel an der Eignung zur Behandlung der Taten Domitians muß hingegen als konventionelle recusatio aufgefaßt werden (vgl. Coleman (1988), 156).

Selbstdarstellung des Dichters iam iam deficio tuaque Baccho

in serum trahor ebrius soporem.

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(Silv. 1,6,93–97)

Wer soll das Schauspiel besingen, wer die ausgelassenen Scherze, wer die Gelage, wer die geschenkte Speise, wer den reichlich strömenden Wein? Schon werde ich schwach durch den Wein und deine […] gleite betrunken in späten Schlummer.

Letztendlich ist natürlich aber auch die Großartigkeit des hier geschilderten Schauspiels den beneficia Domitians zuzurechnen und die Trunkenheit des Sprechers nur ein zusätzliches, aus dem Thema selbst entwickeltes Argument, um das Gedicht nunmehr zum Abschluß zu bringen.240 Anstelle des Gegenstandes sind es zuweilen auch die besonderen Leistungen des Adressaten, vor deren Hintergrund Statius seine Gelegenheitsdichtung als defizitär bezeichnet. Dies gilt nicht nur, wie etwa im Falle des Rutilius Gallicus241, für die besondere Qualifikation auf dem Gebiet der Redekunst. In der Epistula ad Vibium Maximum (Silv. 4,4) läßt Statius seine Dichtung, bzw. sogar die Dichtung im allgemeinen, auch gegenüber Leistungen im öffentlichen Leben als minderwertig erscheinen.242 Darüber hinaus finden sich schließlich noch einige allgemeinere Aussagen über den geringen Wert der eigenen Dichtung sowie einzelne Stellen, an denen Statius weniger als Dichter denn als Mensch mit betont geringem Anspruch auftritt.243 Bei den angeführten Stellen handelt es sich durchweg um topische Äußerungen der Bescheidenheit, wie sie in ähnlicher Form auch bei anderen 240 Newlands (2003), 518–519, [~ (2002), 255] wertet diese Herbeiführung des Gedichtschlusses zudem als Ausdruck der libertas des Dichters, die er der von Domitian beanspruchten ›Kontrolle‹ über die Saturnalien dadurch entgegensetze, daß er die poetische Behandlung der Feier nach eigenem Ermessen abbreche. 241 Silv. 1,4,34–37; vgl. auch Silv. 4,5,3–4 gegenüber Septimius Severus, der sich, wie der Schluß des Gedichtes (V. 58–60) zeigt, bisweilen selbst als lyrischer Dichter betätigte. 242 Silv. 4,4,46–50 sowie insbesondere 69–72: [...] nos facta aliena canendo vergimur in senium: propriis tu pulcher in armis ipse canenda geres parvoque exempla parabis magna Getae. [...] (»Ich nähere mich dem Greisenalter, indem ich fremde Taten besinge. Du, stattlich in eigenen Waffen, vollbringst selbst Dinge, die zu besingen sich lohnt, und wirst dem kleinen Geta ein großes Beispiel vor Augen stellen.«). 243 Eine ostentative Bescheidenheit im Hinblick auf die eigene poetische Leistung klingt meist nur in sehr eng begrenzten Kontexten an, wie z. B. dem scheinbaren Selbstzweifel des si [...] / nec cano degeneri Phoebeum Amphiona plectro (Silv. 3,2,40–41); vgl. auch das eher beiläufige decus hoc quodcumque lyrae in Silv. 5,3,213 sowie das ausdrückliche Zurückstehen hinter der als sanctior vates eingeführten Sibylle (Silv. 4,3,11–120). Die generelle Abwertung der eigenen Person als anima minor (Silv. 4,2,57) oder Teil der vilis turba (Silv. 2,2,129) ist als Teil der Panegyrik gegenüber dem jeweiligen Adressaten aufzufassen (vgl. auch Silv. 1,4,115–116).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Dichtern anzutreffen sind.244 In den Gedichten der Silvae dienen solche Äußerungen nur zum geringeren Teil einer reinen captatio benevolentiae, sondern zumeist einer panegyrischen Erhöhung des Adressaten, sei es direkt oder indirekt über die besungenen Gegenstände. Auch in den praefationes des zweiten und dritten Buches werden einzelne Bescheidenheitsäußerungen mit vergleichbarem Ziel gebraucht. Empfänger des Lobes ist meist Pollius Felix, dessen facundia der Dichter allgemein mit der temeritas seiner kleinen Gedichte kontrastiert (Silv. 3, praef. 3–5), nachdem er zuvor bereits eingeräumt hat, daß er auf Silv. 2,2 aus Rücksicht auf Pollius’ eloquentia mehr Sorgfalt hätte verwenden müssen (Silv. 2, praef. 13–14). Aber auch in bezug auf Lucan führt der Dichter die angeblich befürchtete Unzulänglichkeit seiner Hexameter ausdrücklich auf seine reverentia für den großen Epiker zurück (Silv. 2, praef. 24–26). Unmittelbar zu Beginn des Corpus ist Statius’ betont bescheidene Präsentation der Silvae jedoch gerade nicht auf konkrete Personen bezogen. Mit den im allgemeinen Teil dieser ersten praefatio formulierten Zweifeln und Befürchtungen hinsichtlich ihrer qualitativen Minderwertigkeit geht es dem Dichter vielmehr ausschließlich darum, der Gedichtsammlung eine möglichst günstige Rezeption zu sichern. Ein Echo findet diese allgemeine Bescheidenheitsäußerung am Schluß der epistula an Atedius Melior, wo Statius das Buch geringschätzend mit haec qualiacumque sunt bezeichnet (Silv. 2, praef. 27). 4.2.2.2 Assoziation mit anderen Dichtern Die detaillierte Analyse der Vorrede des ersten Buches hat gezeigt, daß hinter dem geringen Anspruch, mit dem Statius sich und seine Silvae vordergründig präsentiert, tatsächlich bereits hier ein großes künstlerisches Selbstbewußtsein steht, das sich sowohl auf seine epische Dichtung, konkret in Gestalt der Thebais, als auch auf die in den Silvae publizierte Gelegenheitsdichtung erstreckt. Analog dazu kommt auch in den Gedichten selbst neben den soeben behandelten topischen Bescheidenheitsäußerungen vielfach eine starke Überzeugung vom Wert der eigenen Dichtung zum Ausdruck. Diese aktualisiert sich in besonderem Maße in der Assoziation mit großen Dichtern aus älterer Zeit. So wird etwa in Silv. 1,2, dem Epithalamium in Stellam et Violentillam, an einer Stelle eine ganze Reihe namhaf244 Für den Topos der (befürchteten) Unzulänglichkeit angesichts eines bestimmten Gegenstandes vgl. etwa Hor. carm. 1,6,13–16; Prop. 2,1,17–18; Ov. met. 5,344–345; Stat. Theb. 3,102; vielfach auch in Anlehnung an den in Anm. 237 genannten Gedanken der nicht ausreichenden Zahl von Mündern: Verg. georg. 2,42–44; Aen. 6,625–627; Ov. met. 8,533; fast. 2,119–120. Für eine Nachrangigkeit der Dichtung gegenüber Leistungen im öffentlichen Leben vgl. z. B. Verg. georg. 4,559–562; Ov. Pont. 4,8,71. Eine allgemein geringe Einschätzung der eigenen Dichtung findet sich z.B. bei Mart. 1,70,17–18: qualiacumque leguntur / ista und öfter.

Selbstdarstellung des Dichters

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ter Vertreter der elegischen Dichtung genannt, die Stellas Hochzeit, wenn sie es denn noch vermocht hätten, ebenfalls gebührend gepriesen hätten, bevor Statius unmittelbar daran anschließend sich selbst erwähnt: [...] hunc ipse Coo plaudente Philitas Callimachusque senex Umbroque Propertius antro ambissent laudare diem nec tristis in ipsis Naso Tomis divesque foco lucente Tibullus. me certe non unus amor simplexque canendi causa trahit [...]

(Silv. 1,2,252–257).

Diesen Tag zu loben wären selbst Philitas unter dem Beifall von Kos, der greise Kallimachos und Properz in der umbrischen Höhle bestrebt gewesen, und Ovid, selbst in Tomis nicht mehr traurig, und Tibull, reich am leuchtenden Herd. Mich motivieren gewiß nicht nur eine einzelne Zuneigung und ein einfacher Grund zum Dichten.

Mit dem adversativen Asyndeton wird zwar keineswegs ein generischer Anschluß signalisiert, denn anders als der Adressat betätigte sich Statius nicht speziell auf den Gebiet der elegischen Dichtung, und der Unterschied wird auch im Text selbst gleich anschließend expliziert, doch läßt das unmittelbare Aufeinanderfolgen kaum einen Zweifel daran, daß Statius sich hier einen ähnlich hohen Rang zuschreibt wie den zuvor genannten Dichtern. Abgesehen von dieser einen ausdrücklichen Annäherung an berühmte Dichter gibt es innerhalb der Gedichte eine Vielzahl von Allusionen und Bezugnahmen auf die Werke namhafter Poeten älterer Zeit, die an dieser Stelle jedoch nicht im einzelnen dargelegt werden können und sollen. Dazu zählen insbesondere Ovid und Kallimachos, aber auch Catull, Horaz, Properz und andere. 245 In allen Fällen geht es nicht darum, die jeweiligen Gedichte ihrem Wesen nach mit dem Werk des Früheren zu assoziieren. Mit der Übernahme bekannter Themen und Motive signalisiert Statius vielmehr in erster Linie seinen Anspruch auf Ebenbürtigkeit. 4.2.2.3 Die Epiker: Homer und Vergil Häufiger als solche mehr oder minder direkte Bezugnahmen auf namhafte Dichter allgemein sind jedoch die Erwähnungen der beiden großen Epiker Vergil und Homer. Wie bereits in der praefatio des ersten Buches, in der sie nicht nur als Paradeigmata für das Verfassen weniger seriöser praelusiones angeführt werden, sondern darüber hinaus zweifelsohne auch Statius’ Anspruch als epischer Dichter zum Ausdruck bringen, werden sie auch am 245 Eine umfassende Untersuchung der Intertextualität in den Silvae gibt es bislang nicht. Statius’ Beeinflussung durch bzw. seine Bezugnahmen auf die Werke älterer Dichter wird in der Forschung entweder nur allgemein formuliert bzw. anhand einzelner Gedichte oder Vorläufer behandelt.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Anfang von Silv. 4,2 nochmals in einem Atemzug als geradezu absolute Bezugsgrößen des Dichters genannt: Regia Sidoniae convivia laudat Elissae qui magnum Aenean Laurentibus intulit arvis; Alcinoique dapes mansuro carmine monstrat aequore qui multo reducem consumpsit Vlixem: [...] sufficiam? non, si pariter mihi vertice laeto nectat odoratas et Smyrna et Mantua lauros, digna loquar. [...]

(Silv. 4,2,1–4. 8–10)

Die königlichen Gastmähler der Phönizierin Elissa lobt der, der den großen Aeneas in die laurentischen Gefilde geführt hat; und die Speisen des Alkinoos zeigt in unvergänglichem Gedicht der, der den heimkehrenden Odysseus auf langer Seefahrt erschöpft hat. […] Werde ich genügen? Nicht einmal dann, wenn mir Smyrna und Mantua gleichermaßen auf glücklichem Scheitel duftenden Lorbeer flechten, werde ich Würdiges hervorbringen.

Abgesehen von dieser Stelle werden beide Dichter im Bereich der von Statius selbst publizierten Gedichte immer nur einzeln erwähnt. Dabei überwiegen die Erwähnungen Vergils, der zum Beispiel in Silv. 4,4,55 als magnus magister bezeichnet wird. 246 Interessant ist darüber hinaus jedoch der Befund im fünften Buch, und hier insbesondere im epicedion auf den eigenen Vater (Silv. 5,3). Darin bestimmt der Dichter seinen Rang einmal ganz konkret in Relation zu Homer und Vergil, denen er mit einem entsprechenden Thema, in diesem Falle Charakter und Taten seines Vaters, zumindest in dessen Augen keineswegs nachgestanden hätte: atque tibi moresque tuos et facta canentem fors et magniloquo non posthabuisset Homero tenderet et torvo pietas aequare Maroni.

(Silv. 5,3,61–63) 247

Auch der Vater selbst wird im fraglichen Gedicht mehrfach mit Homer sowie anderen, durchweg griechischen, Ependichtern assoziiert 248 , um den 246 Vgl. auch das unverhohlene Eingeständnis der aemulatio mit Vergil in Silv. 4,7,25–28. Nicht in Zusammenhang mit der eigenen Dichtung stehen hingegen die Erwähnung Homers in Silv. 2,1,117 und Vergils in Silv. 2,6,20. Auch in Silv. 2,7 erscheinen Homer (V. 34) und Vergil (V. 35. 74. 80) ausschließlich als Bezugsgrößen für die poetischen Leistungen Lucans. Zu Statius’ Bezugnahmen auf Homer und insbesondere Vergil s. auch Aricò (1971), 229–232; Delarue (2000), 42–45. 62–63. 247 Zur richtigen Auffassung von pietas (gegen Vollmer (1898), 530) s. Nagel (2000), 49. 248 In Silv. 5,3,24–27 sind es Homer und Hesiod, mit denen Statius pater durch die Imagination des gemeinsamen Aufenthaltes in der Unterwelt assoziiert wird, nachdem er zuvor bereits mit der Lehrdichtung Arats in Verbindung gebracht wurde (V. 23). Weitere Assoziationen mit Homer

Selbstdarstellung des Dichters

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Wert seiner poetischen Leistungen besonders hervorzuheben. Doch da Statius im weiteren Verlauf des Gedichtes seine eigene Leistung als Dichter speziell auf den Einfluß seines Vaters sowohl hinsichtlich der Abstammung als auch hinsichtlich der Ausbildung zurückführt (Silv. 5,3,209–214), rückt er indirekt wiederum auch sich selbst in die Nähe dieser überragenden Vorbilder. 249 Ein weiteres Mal bringt Statius sich selbst auch in Silv. 5,5, dem zweiten in eigener Sache verfaßten epicedion des letzten Buches, in die Nähe namhafter Dichter. Die Erwähnung seiner erfolgreichen Trostspenden für andere Hinterbliebene verweist unübersehbar auf souveräne Selbstpräsentationen anderer Dichter wie etwa zu Beginn von Ovids Tristia 4,10: ille ego qui (quotiens !) blande matrumque patrumque vulnera, qui vivos potui mulcere dolores, ille ego lugentum mitis solator, acerbis auditus tumulis et descendentibus umbris (Silv. 5,5,38–41). 250 Ich, der ich (ach, wie oft!) schmeichelnd die Wunden der Mütter und Väter, der ich frische Schmerzen besänftigen konnte, jener sanfte Tröster der Trauernden, vernommen von bitteren Grabhügeln und hinabsteigenden Schatten.

Neben solchen direkten und indirekten Annäherungen der eigenen Person an die großen Epiker läßt sich Statius’ hohe Meinung von der eigenen Ependichtung auch an mehreren Erwähnungen seiner eigenen Werke, namentlich der Thebais, ablesen. Während die Erwähnungen der Thebais bzw. der Arbeit daran in den früheren Büchern noch eher beiläufig ausfallen 251 , sind sie im vierten Buch zunehmend von Stolz auf die vollbrachte Leistung geprägt. In der Aussage, die Thebais habe nach langer Mühe ihren erwünschten Hafen erreicht (Thebais optato collegit carbasa portu; Silv. 4,4,89), noch schwächer ausgeprägt 252 , kommt er insbesondere in Silv. 4,7 erfolgen in den Versen 124–132 durch den Verweis auf die für beide umstrittene Frage der Herkunft und in den Versen 159–160. 249 Für eine eingehendere Untersuchung von Statius’ Verehrung für seinen toten Vater und seine Selbstdarstellung als Dichter in Silv. 5,3 s. Nagel (2000). 250 Vgl. auch die Aufnahme dieser Formel bei Mart. 9, praef. ep. 5 (dazu s. o. S. 99 m. Anm. 104). 251 Zum ersten Male wird die Thebais zu Beginn von Silv. 1,5 erwähnt, wo Statius seine Arbeit daran zugunsten des kleineren Gedichtes für kurze Zeit unterbricht: paulum arma nocentia, Thebae / ponite (Silv. 1,5,8–9). Aus dieser Passage spricht noch kein Stolz auf die eigene Leistung, dafür aber eine generell hohe Einschätzung der als chelys enthea bezeichneten Epik (V. 1). Sehr viel schwächer ist die Erwähnung der epischen Dichtung als nostra chelys in Silv. 2,2,114. Erst ab dem dritten Buch nimmt die Zahl der Bezugnahmen auf die Thebais zu: Silv. 3,2,40–41. 142; 3,5,35–36. 252 Analog zu den früheren Erwähnungen der Thebais ist aber der wenig später erfolgende Verweis auf die derzeitige Arbeit an der Achilleis wieder eher beiläufiger Natur: Troia quidem magnusque mihi temptatur Achilles (Silv. 4,4,94).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

zum Ausdruck, an dessen Anfang der Dichter mit dem zur Inspiration angerufenen Pindar geradezu einen Handel abschließt: Dieser möge ihm das ›Recht‹ zu der ungewohnten lyrischen Dichtung verleihen, wenn er selbst denn dessen heimatliches Theben gebührend geehrt habe (Silv. 4,7,5–8). Etwas später wird Statius noch deutlicher und räumt explizit die Vergilaemulatio seiner Thebais ein: quippe te fido monitore nostra Thebais multa cruciata lima temptat audaci fide Mantuanae gaudia famae.

(Silv. 4,7,25–28)

Unter deinen zuverlässigen Ermahnungen freilich oft mit der Feile gequält strebt meine Thebais in kühner Zuversicht nach den Freuden vergilischen Ruhms.

Ähnlich souverän äußert er sich auch in Silv. 5,3,233–234: [...] te nostra magistro Thebais urguebat priscorum exordia vatum. Durch dich als Lehrer bedrängte meine Thebais die Werke der alten Dichter.

Die Identität der bedrängten prisci vates bleibt zwar im dunkeln, doch ist kaum ein Zweifel daran möglich, daß auch hier die beiden einschlägigen Vorbilder aus älterer Zeit gemeint sind. Mit einer derart selbstbewußten Präsentation seines Epos geht Statius noch ein Stück weit über den in der Sphragis der Thebais selbst formulierten Anspruch hinaus. Dort wird die Thebais trotz der zuvor geäußerten Hoffnung auf einen bedeutenden und dauerhaften Rang in der lateinischen Literatur angewiesen, sich gerade nicht mit der als unantastbar eingeführten Aeneis zu messen, sondern ihr gegenüber einen ehrfürchtigen Abstand zu wahren: [...] nec tu divinam Aeneida tempta, sed longe sequere et vestigia semper adora.

(Theb. 12,816–817)

Der gegenüber dieser exponierten Bekundung seines Respektes für Vergil deutlich gesteigerte Anspruch an den beiden Silvae-Stellen erklärt sich in erster Linie aus deren unmittelbarem Kontext. Sowohl in Silv. 4,7 als auch in 5,3 wird dem jeweils Apostrophierten ein entscheidender Anteil an der vom Dichter vollbrachten Leistung zugeschrieben, und der ist natürlich um so höher, wenn das Werk auch hinter erstrangigen Vorbildern nicht zurücksteht. 253 Die sehr nachdrückliche Formulierung des eigenen Anspruches als Epiker muß an diesen Stellen als, keineswegs unwillkommenes, ›Nebenprodukt‹ der Huldigung an den Adressaten betrachtet werden. 253 Zu Silv. 5,3,233 vgl. etwa Vollmer (1898), 544.

Selbstdarstellung des Dichters

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Auf indirekte Weise klingt der hohe Anspruch der Thebais und jetzt auch der Achilleis schließlich nochmals in Silv. 5,5 an. Wenn Statius dieses Epicedion in Puerum Suum als inlaudabile carmen bezeichnet, das die Thebais und die im Entstehen begriffene Achilleis beschämen dürfte (Silv. 5,5,33– 37), ist klar, daß er diese beiden Gedichte durchaus als laudabilia carmina betrachtet. 4.2.2.4 Agone und recitationes Darüber hinaus wird die positive Selbstdarstellung des Dichters mehrfach auch im Zusammenhang mit den von ihm errungenen Siegen in poetischen Agonen deutlich. Nur an der ersten und letzten der vier einschlägigen Stellen erwähnt Statius neben dem Sieg im Albanischen Agon auch seine Niederlage im Capitolinischen Agon. 254 Beide Stellen sind in persönlicher gestalteten Gedichten situiert. In der ursprünglich an die Ehefrau Claudia gerichteten ecloga (Silv. 3,5) bringt Statius beide Ereignisse zunächst eher beiläufig im Rahmen seiner Rekapitulation des gemeinsamen Lebens zur Sprache (Silv. 3,5,28–33). An der zweiten Stelle, innerhalb des Epicedion in Patrem Suum, ist die Erwähnung des Albanischen Agons dagegen sehr viel stärker vom Stolz des Dichters geprägt, und sogar die spätere Niederlage im Capitolinischen Agon wird in diesem Zusammenhang mit einiger Gelassenheit erwähnt, in erster Linie natürlich, um die Nachsicht des Vaters gegenüber seinem Sohn hervorzuheben 255 : [...] qualem te Dardanus Albae vix cepisset ager, si per me serta tulisses Caesarea donata manu! quod subdere robur illa dies, quantum potuit dempsisse senectae! nam quod me mixta quercus non pressit oliva et fugit speratus honos, quam lustra parentis invida Tarpei caperes. [...]

(Silv. 5,3,227–233) 256

… so hätte dich das dardanische Land von Alba kaum fassen können, wenn du durch mich die von der Hand des Kaisers geschenkten Kränze errungen hättest. Welche Stärke hätte dir jener Tag geben, wieviel Greisenalter nehmen können. Denn daß mich nicht gemischt mit dem Ölbaum die Eiche kränzte und mir die 254 Die Datierung dieses Ereignisses ist nicht gesichert. Als wahrscheinlichster Termin gilt das Jahr 90 n. Chr. (so Vollmer (1898), 19 Anm. 11; Giri (1907), 446–452; Hardie (1983), 62–64; van Dam (1984), 1; Coleman (1988), xvii; Laguna (1992), 7), für das Jahr 94 n. Chr. votieren jedoch Härtel (1900), 8–10; Legras (1907), 343; Garthwaite (1989). 255 Anders als an der vorhergehenden Stelle ist die Stellungnahme zum eigenen Abschneiden in poetischen Wettkämpfen hier sogar noch umfangreicher, da Statius zuvor außerdem seinen Erfolg bei den neapolitanischen Augustalia als seinen einzigen agonalen Erfolg zu Lebzeiten seines Vaters anführt (Silv. 5,3,225–227). 256 In V. 233 folgt Courtney der Konjektur Saengers und liest caneres anstelle des überlieferten caperes. Für caperes jedoch überzeugend Shackleton Bailey ad loc. (402).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

erhoffte Ehre entging, wie hast du den mißgünstigen Wettstreit des Tarpeischen Vaters aufgenommen.

An den beiden anderen Stellen, an denen Statius seinen Erfolg gegenüber Domitian (Silv. 4,2,64–67) bzw. gegenüber Septimius Severus (Silv. 4,5,22– 24) erwähnt, steht die Selbstdarstellung des Dichters zwar ebenfalls nicht im Vordergrund, doch nutzt Statius auch hier offensichtlich die vom Kontext des jeweiligen Gedichtes in irgendeiner Weise gebotene Gelegenheit, die eigenen Leistungen nochmals zur Sprache zu bringen. In zwei Gedichten des fünften Buches äußert sich Statius schließlich auch sehr selbstbewußt über den Erfolg seiner Dichtung bei öffentlichen recitationes. Um Vettius Crispinus, dem Adressaten von Silv. 5,2, zu illustrieren, wie sehr dieser ihm fehlt, gibt der Dichter eine kurze Schilderung solcher recitationes, bei denen er aktuell offenbar aus der gerade entstehenden Achilleis vortrug. Nach seiner Darstellung geschah dies häufig und in großem Rahmen vor illustrem Publikum: [...] sed coetus solitos si forte ciebo et mea Romulei venient ad carmina patres, tu deris, Crispine, mihi, cuneosque per omnes te meus absentem circumspectabit Achilles.

(Silv. 5,2,160–163)

… aber wenn ich etwa das gewohnte Publikum anlocken werde und die römischen Väter zum Vortrag meiner Gedichte kommen, wirst du, Crispinus, mir fehlen und über alle Ränge hin wird mein Achill sich nach dir umschauen, der du nicht da bist.

Die zweite Erwähnung eigener recitationes fällt zwar etwas knapper, aber kaum weniger selbstbewußt aus: Latios quotiens ego carmine patres / mulcerem (»sooft ich mit meinem Lied römische Väter besänftigte«; Silv. 5,3,215–216). 257 4.2.2.5 Zwischenbilanz Der Überblick über die einschlägigen Stellen zeigt, daß sich Statius innerhalb seiner in den Silvae gesammelten Gelegenheitsgedichte keineswegs vorrangig als Dichter dieser kleinen Gedichte, sondern sogar überwiegend als Epiker präsentiert. 258 Während die Äußerungen über die kleinen Gedich257 Statius’ Darstellung seiner epischen recitationes und ihrer Wirkung konvergiert in mehrerlei Hinsicht mit der Schilderung bei Juvenal (7,82–86). Auch hier ist von häufig stattfindenden Veranstaltungen mit großem Zulauf die Rede, bei denen die dulcedo des Dichters stark auf die Gemüter der Zuhörer gewirkt habe. Leberl (2004), 92–93, betrachtet die Stelle als echtes Lob für Statius’ Qualitäten als recitator; für eine Auffassung der zudem auffällig mit sexuellem Vokabular durchsetzten Passage als Ironie s. jedoch Tandoi (1969). 258 Lediglich in zwei Fällen stellt sich Statius ganz explizit als Gelegenheitsdichter dar, der auf alle größeren Ereignisse im Leben seiner Adressaten mit einem Gedicht reagiert, nämlich im Zusammenhang mit der prospektiven Rückkehr des Maecius Celer (Silv. 3,2,131–132) sowie der Geburt des dritten Kindes des Iulius Menecrates (Silv. 4,8,37–40).

Selbstdarstellung des Dichters

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te zum größeren Teil von einer allerdings als topisch zu wertenden Bescheidenheit geprägt sind, sind die Erwähnungen der Ependichtung fast durchweg von großer Souveränität, die im Verlauf des Werkes eine erkennbare Steigerung erfährt. Nachdem Statius in der praefatio des ersten Buches vordergründig noch seine Sorge um die Akzeptanz der offenbar erst kurz zuvor veröffentlichten Thebais formuliert, die sich durch den Kontext jedoch schnell als ebenfalls topisch erweist, sind die ersten Hinweise auf die Thebais bzw. die epische Dichtung und ihre jeweilige Verbreitung noch eher verhalten, bevor sie insbesondere im vierten Buch an Zahl und Intensität zunehmen. Einige der vergleichbaren Aussagen in den nicht von Statius selbst publizierten Gedichten des fünften Buches lassen den Stolz des Dichters auf seine literarische Leistung namentlich auf dem Gebiet des Epos schließlich noch deutlicher zutage treten. Für die Erwähnungen der Silvae läßt sich in den Gedichten hingegen keine vergleichbare Entwicklung beobachten. Positive Aussagen über diese Art der Dichtung sind ohnehin vergleichsweise selten. Insbesondere fehlt hier jede Betonung der Improvisationsfähigkeit, die in der praefatio des ersten Buches zwar auf sehr indirekte Weise, aber durchaus mit großem Nachdruck als besonderes Talent des Dichters präsentiert wird. Erst im letzten Gedicht des Corpus (Silv. 4,9) kommt Statius’ Anspruch als Gelegenheitsdichter deutlicher zum Ausdruck. Darin unterstellt der Dichter dem Adressaten, er habe seinetwegen nicht einmal in eines der üblichen geringwertigen Saturnaliengeschenke investieren wollen und ihm im Gegenzug für sein eigenes Geschenk, das immerhin einen gewissen Materialwert besessen habe, ein uraltes, als absolut wertlos dargestelltes Buch geschenkt und damit Gleiches mit Gleichem vergolten. Vordergründig wird das eigene Buch damit zwar ebenfalls als minderwertig präsentiert, das praeter me (Silv. 4,9,9), mit dem Statius auf seine zusätzlich zum Materialwert erbrachte dichterische Leistung verweist, läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß er dieser durchaus einen gewissen Wert beimißt. 259 In den praefationes entwickelt sich die Selbstdarstellung des Dichters tendenziell analog zum skizzierten Verlauf innerhalb der Gedichte, nur daß in diesem Bereich nicht die Epik, sondern die Gelegenheitsdichtung im Vordergrund steht, wenn auch die Thebais in der letzten praefatio noch ein zweites Mal erwähnt wird. Auch hier werden die Äußerungen im Laufe der Zeit zunehmend souveräner. Nachdem sich Statius in der ersten praefatio des Corpus zunächst noch ostentativ bescheiden und voller angeblicher

259 Vgl. Coleman (1988), 238. Nach Ansicht von Damon (1992), 307–308, ist das Geschenk des Plotius Grypus seinem Inhalt nach hingegen keinesfalls als wertlos zu betrachten. Sie erwägt daher, Statius habe durch das Eingeständnis seines Mißfallens in bescheidener Weise einen angeblichen Mangel an stilistischem Feingefühl zum Ausdruck bringen wollen.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Selbstzweifel präsentiert, ist in den Vorreden der Bücher 2 und 3 bereits eine gewisse Verschiebung festzustellen. Obwohl beide grundsätzlich noch vom selben Tenor getragen sind, nimmt der Umfang der Äußerungen über die angebliche Unzulänglichkeit der Gedichte allmählich ab bzw. sie werden nicht mehr generell, sondern mit Bezug auf konkrete Einzelfälle oder aber in Relation zur literarischen Qualifikation von Adressaten formuliert. Zusätzlich findet sich in der praefatio von Buch 3 bereits eine erste Andeutung eben jener Souveränität, mit der der Dichter in der Vorrede des vierten Buches auf seine nicht näher bestimmbaren Kritiker reagiert, wenn Statius die Anmerkung zu Silv. 3,3 als eine persönlicher Bewertung von Maecius Celers Verhalten nach dem Tode seines Vaters gestaltet, durch das er ein solches Trostgedicht verdient habe (merebatur; quod iam rarissimum est; Silv. 3, praef. 14–15). 260 4.2.2.6 Nachruhm An einigen wenigen Stellen innerhalb der Silvae äußert sich Statius auch über die erhoffte Unvergänglichkeit seiner Dichtung. Die erste der beiden eindeutigen Stellen dieser Art findet sich interessanterweise in einem Gedicht, das in der entsprechenden praefatio besonders abschätzig als levis libellus (Silv. 2, praef. 15) bezeichnet wird. Auch an der fraglichen Stelle wiederholt Statius zunächst den geringen Wert des Gedichtes, bevor er die Hoffnung auf dessen langes Fortleben äußert: haec tibi parva quidem genitali luce paramus dona, sed ingenti forsan victura sub aevo.

(Silv. 2,3,62–63)

Dieses bereite ich dir als – wenn auch kleines – Geschenk an deinem Geburtstag, aber vielleicht eins, das für sehr lange Zeit Bestand haben wird.

An der zweiten Stelle formuliert Statius den Gedanken an ein längeres Fortleben des Gedichtes in der Consolatio ad Maecium Celerem (Silv. 3,3). Anders als an der vorherigen Stelle wird die Aussage diesmal nicht durch forsan o.ä. eingeschränkt: […] nos non arsura feremus munera, venturosque tuus durabit in annos me monstrante dolor. […]

(Silv. 3,3,37–39)

Ich werde Geschenke bringen, die nicht brennen werden, und wenn ich ihn zeige, wird dein Schmerz für die kommenden Jahre Bestand haben.

260 Bis zu einem gewissen Grade läßt sich auch der Hinweis auf Statius’ anfängliches Zögern angesichts der Bitte des Earinus (Silv. 3, praef. 17–18) als Ausdruck einer Selbstbestimmung des Dichters lesen.

Selbstdarstellung des Dichters

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Während die erhoffte Unsterblichkeit der Gedichte an diesen beiden Stellen explizit zum Ausdruck gebracht wird, geschieht dies an einigen anderen Stellen wiederum nur indirekt. Wenn Statius dem Kaiser am Schluß von Silv. 1,6 in Aussicht stellt, daß man sich für immer an diese außerordentliche Feierlichkeit erinnern werde (Silv. 1,6,98–102), so impliziert dies nicht zuletzt auch das Überdauern des Gedichtes selbst, in dem das Ereignis unmittelbar festgehalten wurde. 261 In ähnlicher Weise wirkt auch der Trost für den in der Arena getöteten Löwen, dessen verheißene Bekanntheit ebenfalls vor allem durch das vorliegende Gedicht mehr als nur ephemeren Charakter erlangt haben dürfte: magna tamen subiti tecum solacia leti, victe, feres, quod te maesti populusque patresque, ceu notus caderes tristi gladiator harena

(Silv. 2,5,24–26). 262

Dennoch wirst du als großen Trost für deinen plötzlichen Tod mitnehmen, Besiegter, daß Volk und Väter deinetwegen traurig sind, als ob du als berühmter Gladiator auf dem grimmigen Sand gefallen wärst.

Von besonderem Interesse ist schließlich eine Passage in Silv. 1,1, dem Equus Maximus Domitiani: non hoc imbriferas hiemes opus aut Iovis ignem tergeminum, Aeolii non agmina carceris horret annorumve moras: stabit, dum terra polusque, dum Romana dies. [...]

(Silv. 1,1,91–94)

Nicht fürchtet dieses Werk regenbringende Winter oder den dreifachen Blitz Jupiters, nicht die Scharen aus den Kerkern des Aeolus oder die Dauer der Jahre: es wird stehen so lange wie Erde und Himmelsgewölbe, so lange wie der römische Tag.

Zwar ist es hier vordergründig allein das in dem Gedicht besungene Standbild selbst, dem ewige Dauer verheißen wird, doch die auffällige Nähe zu bekannten Passagen bei anderen Dichtern, an denen gerade dem poetischen Werk eine längere Lebensdauer zugeschrieben wird 263 , suggeriert neben der 261 Vgl. Newlands (2003), 522 [~ (2002), 256]. – Nach Auffassung von Malamud (2001) ist es hingegen nicht die Erinnerung an eine besondere ›Saturnalien‹-Feier, sondern der karnevaleske Charakter der Feier selbst, dem in Anlehnung an Hor. carm. 3,30 und die Sphragis von Ovids Metamorphosen ewige Dauer in Aussicht gestellt wird. Vor dem Hintergrund dieser Vision, die durch die Beschreibung anderer von Domitian veranstalteter Feierlichkeiten ergänzt werde, formuliere der Dichter an anderer Stelle in subtiler Weise seinen Anspruch auf Unsterblichkeit der Thebais. 262 Weniger ausdrücklich formuliert findet sich der Gedanke der durch Dichtung verliehenen Unsterblichkeit auch in Silv. 2,2,144–45; 3,3,215–216; 5,1,11–15 (hier in konkretem Gegensatz zu Darstellungen der bildenden Kunst). 263 Insbesondere Hor. carm. 3,30,1–9, Ov. met. 15,871–879, aber auch z. B. Mart. 9,76,9–10. – Anders ist dagegen das Verhältnis von Bildnis und Text in der ›Bildunterschrift‹ Mart. 9, praef. ep. 5–8; dazu vgl. o. S. 171-173.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

panegyrischen Zusicherung an die Adresse Domitians, daß sein Standbild anders als andere natürlich unvergänglich sei, zugleich auch eine Unvergänglichkeit des Gedichtes, das eben diese Statue zum Gegenstand hat. 264 Ein augenfälliger Unterschied zu den Referenzstellen besteht freilich darin, daß Statius’ Anspruch auf dauerhaften Ruhm für seine Gelegenheitsdichtung, wiewohl nur indirekt, gleich im ersten Gedicht der Sammlung und nicht an deren Ende formuliert wird. In den ersten vier Büchern der Silvae wird der Gedanke an die Dauerhaftigkeit der eigenen Dichtung, der in den praefationes nirgends zur Sprache kommt, stets konkret auf das jeweilige Einzelgedicht bezogen. Einzig in Silv. 5,3 formuliert Statius seine Hoffnung auf postumen Ruhm auf der Basis seiner Dichtung allgemein bzw. speziell der Epik. Dies geschieht allerdings eher beiläufig bei der Erwähnung der Verdienste seines Vaters: sed decus hoc quodcumque lyrae primusque dedisti non vulgare loqui et famam sperare sepulcro.

(Silv. 5,3,213–214)

Aber diese Zier der Lyra, was auch immer sie wert ist, hast du als erster gegeben, und nicht in gewöhnlicher Art zu sprechen und Ruhm nach dem Tode zu erhoffen.

4.2.2.7 Begriffliches Ebenso wie der Titel der Gedichtsammlung in keinem der Gedichte explizit genannt wird, nennt Statius auch an keiner Stelle seinen Namen. Dies dürfte in erster Linie auf die Art der hier versammelten Gedichte und die Umstände ihrer Entstehung zurückzuführen sein. Bei Gelegenheitsgedichten, die teilweise sogar im direkten Auftrag des Adressaten in dessen Beisein geschrieben wurden, ist eine solche Identifikation überflüssig, eine Selbstpräsentation, wie sie sich in den Epigrammen Martials verschiedentlich findet 265 , erst recht fehl am Platze. In den praefationes ist der Dichter beinahe ebenso zurückhaltend und nennt seinen Namen lediglich als Teil der förmlichen Briefanrede. Innerhalb der Gedichte verwendet Statius allerdings auch für sich selbst wiederholt die Bezeichnung vates. 266 264 Daß Statius für einzelne Gedichte der Silvae nirgends die Bezeichnung opus gebraucht, ist kein zwingendes Argument gegen diese Auffassung, denn natürlich ist mit diesem Begriff in erster Linie das Reiterstandbild bezeichnet. Die Übertragung des Unvergänglichkeitsgedankens auf das Gedicht erfolgt erst durch die Allusion auf die einschlägig bekannten Stellen. Für einen detaillierten Vergleich der vorliegenden Stelle mit Hor. carm. 3,30,1–16 und Ov. met. 15,871–879 s. Geyssen (1996), 121–123; vgl. Hardie (1983), 154–155. Newlands (2002), 69–73, verweist darüber hinaus auf die Bedeutung des scribere (Silv. 1,1,100), mit dem Statius seine Dichtung abschließend noch einmal in Konkurrenz zur bildenden Kunst setze. 265 Besonders prägnant Mart. 1,1,2; vgl. aber auch Mart. 1,117,17; 6,82,4; 7,72,16; 10,9,3. 266 Silv. 1,4,25; 2,1,27; 4,3,120 (indirekt); 4,4,101; 5,1,25; 5,3,14. – Gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ist dieser Begriff zwar nicht mehr notwendigerweise mit einem erhabenen Anspruch verbunden (dazu vgl. Newman (1967)), doch nimmt Statius als vates an manchen Stellen

Statius und die Rezipienten seiner Dichtung

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Zur allgemeinen Bezeichnung seiner Gelegenheitsgedichte gebraucht Statius im paratextuellen Bereich zumeist die Diminutive libellus und opusculum, die in den Gedichten selbst so gut wie nirgends verwendet werden. Umgekehrt verhält es sich dagegen mit dem Begriff carmen, der innerhalb des Textes öfter erscheint, im paratextuellen Bereich aber nur sehr selten ist. 267 Auffällig ist schließlich die in den Gedichten sehr hohe Frequenz des bei anderen Dichtern recht seltenen Terminus chelys nicht nur in bezug auf erhabene Dichtung – die eigene ebenso wie die anderer –, sondern auch im Zusammenhang mit der vorliegenden Gelegenheitsdichtung.268 Es besteht mithin ein signifikanter Unterschied zwischen der im Text selbst zur Bezeichnung der eigenen Gedichte verwendeten Terminologie und der sehr viel nüchterneren, bescheideneren des Paratextes.

4.2.3 Statius und die Rezipienten seiner Dichtung Geht man nach den entsprechenden Aussagen des Statius, so sind für die Silvae in erster Linie zwei Gruppen von Rezipienten von Bedeutung. Es sind dies die Gesamtadressaten der ersten vier Bücher des Corpus und die ursprünglichen Adressaten der einzelnen Gedichte. Zu letzteren zählt auch Domitian, dem Statius, anders als Martial, kein ganzes Buch seiner Gedichtsammlung zueignet. Dennoch nimmt er innerhalb dieser Kategorie eine gewisse Sonderstellung ein. 269 durchaus eine gewisse Nähe zur Sphäre des Göttlichen in Anspruch, z. B. in Silv. 5,2,164–165: vatum non inrita currunt / omina; vgl. auch Silv. 5,2,172–73; 2,1,189; 4,8,40. Zu Statius’ Gebrauch des Begriffes vates vgl. auch Hardie (1983), 141–142. 267 Die Bezeichnung der eigenen Gedichte als libelli findet sich in den praefationes insgesamt siebenmal (Silv. 1, praef. 2. 16. 27; 2, praef. 15; 3, praef. 2. 11. 23), aber nur einmal in einem der Gedichte (Silv. 4,9,2). Zur Bedeutung des Terminus in den Silvae s. o. S. 242-243 Anm. 6. Der Begriff opusculum ist seltener (eindeutig in Silv. 2, praef. 3; 4, praef. 23; zur Problematik des Begriffes in Silv. 4, praef. 3 s. o. S. 285), und auch die Bezeichnung carmen kommt in diesem Bereich lediglich zweimal vor (Silv. 2, praef. 11; 4, praef. 10; in den Gedichten vgl. aber Silv. 1,5,5. 29; 2,1,17; 2,6,50; 3,3,215; 4,7,9; 5,3,1; 5,5,33). 268 Der griechische Begriff chelys, der eigentlich das Instrument bezeichnet (vgl. ThLL III 1005–1006, s. v. chelys: i. q. lyra, cithara), wird zum Teil auch metonymisch für die damit vorgetragene Dichtung gebraucht. Die Übergänge zwischen beiden Verwendungsweisen sind bisweilen fließend. Für die Verwendung in bezug auf erhabene Dichtung s. etwa Silv. 1,3,99. 102; 2,1,7; 2,2,114. 120; 4,6,30 (andere Dichter bzw. Dichtung allgemein) sowie Silv. 1,5,1; 4,4,33; 5,3,274 (eigene Dichtung); im Zusammenhang mit den Gelegenheitsgedichten erscheint der Begriff in Silv. 1,5,11; 4,3,119; 4,8,38; 5.1.135. 269 Eine Sonderstellung anderer Art haben die drei persönlichen Gedichte, die Statius an Personen aus seinem unmittelbaren privaten Umfeld (Silv. 3,5 an die eigene Ehefrau und Silv. 5,3 an seinen verstorbenen Vater) bzw. sogar an niemand bestimmten (Silv. 5,5) richtet. Sie sollen daher in diesem Abschnitt nicht weiter berücksichtigt werden. Die beiden ersten Gedichte des fünften Buches unterscheiden sich unter dem Aspekt von Statius’ Verhältnis zu den ursprünglichen Adres-

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Beide Gruppen von Adressaten stehen einander außerordentlich nahe bzw. sind in Teilen sogar identisch, da die Buchadressaten sämtlich auch als Adressaten einzelner Gedichte in Erscheinung treten. Daher ist es kaum verwunderlich, daß für beide Adressatenebenen mit der familiaritas zwischen Adressat und Dichter, literarischer oder anderweitiger Qualifikationen des Adressaten sowie dessen Funktion im Hinblick auf die Dichtung des Statius mehr oder minder dieselben drei Gesichtspunkte zur Sprache kommen. Unterschiede bestehen im wesentlichen nur hinsichtlich der Gewichtung bzw. Akzentuierung der einzelnen Aspekte. 270 Nichtsdestoweniger lohnt sich auch für diesen Themenbereich eine genauere Betrachtung. Aufgrund der Fragestellung dieser Arbeit spielen die Adressaten der praefationes, also die Widmungsempfänger des jeweiligen Buches dabei naturgemäß die wichtigere Rolle. 4.2.3.1 Die Adressaten der verschiedenen Bücher Im Falle des Arruntius Stella, Widmungsadressat des ersten Buches, wird das persönliche Verhältnis zwischen ihm und dem Dichter nur wenig betont. Es erscheint vor allem bestimmt von den gemeinsamen poetischen Interessen. So bezeichnet Statius den Adressaten in der Anmerkung zu Silv. 1,2 ausdrücklich als collega (Silv. 1, praef. 23), nachdem er bereits in der zweiten, informellen Anrede auf die gemeinsamen studia verwiesen hat, in denen er Stella einen besonderen Rang zuweist (Silv. 1, praef. 1–2). Diese Einführung Stellas stimmt weitgehend überein mit dem, was sich dem für Stella bestimmten epithalamium über das Verhältnis zwischen Statius und dem Adressaten entnehmen läßt. Auch hier definiert Statius seine Beziehung zu Stella, den er wiederholt als vates bezeichnet und ungeachtet seiner ebenfalls nicht unerheblichen Leistungen auf politischem Gebiet extensiv mit der Dichtung assoziiert 271 , an einer Stelle ausdrücklich über die gemeinsame Betätigung als Dichter:

saten seiner Dichtung hingegen kaum von den Gedichten der anderen vier Bücher und können daher uneingeschränkt mit einbezogen werden. 270 Zu Recht wird darauf hingewiesen (Hardie (1983), 143), daß die einschlägigen Äußerungen – insbesondere zu den ersten beiden Punkten – natürlich stets bis zu einem gewissen Grade als Idealisierungen in der Tradition der für bestimmte Adressaten verfaßten Dichtung zu betrachten sind. Sie bieten mithin kein verläßliches Abbild der tatsächlichen Verhältnisse. 271 Im Verlauf des Gedichtes wird Stella insgesamt siebenmal als vates bezeichnet (Silv. 1,2,33. 46. 94. 98. 197. 201. 239). Unter den Teilnehmern an der Hochzeitsfeier werden die Musen, unter die sich die Elegie als zehnte einreiht, an erster Stelle genannt (V. 3–10), gefolgt von Apoll, Bacchus und Merkur (V. 17–18, vgl. 220–221). An späterer Stelle (V. 195–199) wird Stellas Liebesdichtung über seine künftige Frau explizit erwähnt, bevor der Adressat schließlich implizit mit einigen namhaften Elegikern assoziiert wird (V. 252–255); für Stellas enkomiastische Darstellung als Dichter vgl. auch Vessey (1972), 178–180, der davon ausgeht, daß Silv. 1,2 zudem eine Reihe von heute nicht mehr identifizierbaren Allusionen auf Stellas Werk enthielt.

Statius und die Rezipienten seiner Dichtung

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[...] tecum similes iunctaeque Camenae, Stella, mihi, multumque pares bacchamur ad aras et sociam doctis haurimus ab amnibus undam. (Silv. 1,2,257–259) 272 Unsere Musen, Stella, sind ähnlich und verbunden, viel schwärmen wir an gleichen Altären und schöpfen gemeinsames Wasser aus gelehrten Strömen.

Im Unterschied dazu ist es bei Atedius Melior, dem Empfänger des zweiten Buches, in erster Linie die familiaritas, die ihn mit dem Dichter verbindet und die durch die Verwendung eben dieses Begriffes an prominenter Stelle unmittelbar zu Beginn der epistula mit besonderem Nachdruck hervorgehoben wird (Silv. 2, praef. 1). Die Qualifikation des Adressaten auf literarischem Gebiet kommt anschließend zwar ebenfalls zur Sprache, sie erstreckt sich jedoch offensichtlich allein auf den Bereich der Literaturkritik, nicht auf eigene literarische Tätigkeit (nec minus in iudicio litterarum [...] tersissime; Silv. 2, praef. 1–3). Zusätzlich wird in eher unbestimmter Weise auch auf Meliors Kompetenz in anderen Bereichen des Lebens verwiesen, bevor der Dichter wieder zu dem Gesichtspunkt seiner besonderen persönlichen Verbundenheit mit dem Adressaten zurückkehrt, die auch in der Anmerkung zum ersten Gedicht des Buches eine wichtige Rolle spielt. Sie aktualisiert sich hier vor allem in der persönlichen Betroffenheit des Dichters durch den beklagten Todesfall, da er selbst den verstorbenen Glaucias durch seine enge Beziehung zu Melior gut kannte. Auch innerhalb dieses ersten Gedichtes selbst kommt die Verbundenheit des Dichters mit dem Adressaten verschiedentlich zum Ausdruck, namentlich in der Schilderung der Anteilnahme an der Bestattung des Glaucias (Silv. 2,1,19–35. 166–168) sowie insbesondere der eigenen Trauer: et nunc heu vittis et frontis honore soluto infaustus vates versa mea pectora tecum plango lyra [...]

(Silv. 2,1,26–28).

Und jetzt, ach, habe ich die Binden und die Ehre der Stirn abgelegt und die Leier umgedreht und schlage mir, ich unglücklicher Dichter, gemeinsam mit dir die Brust.

Beides geht weit über das in anderen für bestimmte Adressaten verfaßten epicedia des Statius (Silv. 2,6; 3,3; 5,1) Übliche hinaus. In den beiden anderen an Atedius Melior gerichteten Gedichten des zweiten Buches wird die familiaritas mit dem Adressaten hingegen, ebenso wie in den dazugehörigen Anmerkungen in der epistula, nirgends in ver272 Die Darstellung erinnert an Catull. 50. – Unmittelbar anschließend (Silv. 1,2,260–265) wird durch den Verweis auf die gemeinsame Herkunft aus Neapel auch eine gewisse Verbindung zwischen Statius und Stellas Braut Violentilla hergestellt. Damit wird jedoch in erster Linie ein Komplement für die zuvor ausgeführte Relation zwischen Statius und Stella geschaffen. An eine persönliche Bekanntschaft zwischen Statius und Violentilla ist nicht zu denken.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

gleichbarer Weise thematisiert. Während in Silv. 2,3, dem als genethliacon verfaßten Arbor Atedi Melioris, überhaupt keine Rede von einem persönlicheren Verhältnis ist, erscheint Statius in dem Gedicht auf den toten Psittacus des Adressaten (Silv. 2,4) immerhin noch als Teilnehmer an einer erst kürzlich veranstalteten cena im Hause des in Vers 32 außerdem als dilectus apostrophierten Adressaten (Silv. 2,4,4–5). Von einer besonderen literarischen Qualifikation Meliors ist in keinem der drei Gedichte die Rede. Statt dessen führt Statius in Silv. 2,3 eine ganze Reihe allgemeiner Qualitäten an. 273 Bei Pollius Felix, dem Adressaten des dritten Buches der Silvae, liegt das entscheidende Gewicht wiederum auf dessen Qualifikationen auf dem Gebiet der literarischen studia. Diese werden in der Eingangspassage der an ihn gerichteten epistula sehr deutlich hervorgehoben, und der Adressat erscheint dabei nicht nur als ein collega, mit dem sich Statius gemeinsam poetischer Tätigkeit hingibt, sondern als eine Art gelehrter Mentor, der wohlwollend auf die Arbeit des Dichters Einfluß nimmt (Silv. 3, praef. 3– 6). Im Rahmen dieser Begrenzung auf den Bereich des Literarischen erscheint auch diesmal das Verhältnis zwischen Dichter und Adressat als ein sehr vertrautes. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Schluß derselben epistula, an dem Statius zusätzlich hervorhebt, daß seine Rückkehr nach Neapel auch die Möglichkeit zu intensiveren Kontakten mit dem Adressaten eröffne, wobei der Gedanke an gemeinsame studia unausgesprochen im Hintergrund bleibt (Silv. 3, praef. 23–25). In den ursprünglich für Pollius Felix geschriebenen Gedichten Silv. 2,2 und 3,1 spielt die in der praefatio des dritten Buches geschilderte ›literarische‹ familiaritas keine vergleichbare Rolle. Zwar ist in Silv. 2,2, der Beschreibung von Pollius’ Villa Surrentina, immer wieder auch von dessen umfassender Gelehrsamkeit die Rede, mit der er alle anderen, darunter auch den Dichter, in den Schatten stelle, nicht jedoch von einem aktiven Einfluß auf Statius’ poetische Tätigkeit. 274 Ein solcher klingt lediglich in Silv. 3,1 an, wenn auch keineswegs mit derselben Intensität wie in der epistula: 273 Das Lob erfolgt in einer auffallend komplexen, in sich geschlossenen Passage gegen Ende des Gedichtes (Silv. 2,3,64–71). Zu den in einer einzigen Periode genannten Qualitäten Meliors zählen neben blandus honos hilarisque tamen cum pondere virtus auch das maßvolle Meiden von Extremen, seine Verläßlichkeit und die ruhige Zurückgezogenheit seines Lebens sowie sein verständiger Umgang mit materiellen Gütern. Zu Aufbau und Inhalt der Passage s. van Dam (1984), 329–333; Pederzani (1995), 201–207. 274 Das Spektrum der in Silv. 2,2,112–120 in überaus lobender Weise erwähnten Bereiche von Pollius’ literarischer Betätigung reicht von (epikureischer) Philosophie über epische und elegische Dichtung bis hin zur Satire (zu dieser Passage vgl. auch Krüger (1998), 136–140); vgl. auch den Verweis auf die facundia des Adressaten in V. 9 sowie die Attribuierung als doctus (V. 97). Indirekt kommt darüber hinaus auch die in der praefatio des dritten Buches in besonderer Weise hervorgehobene quies des Pollius zur Sprache, wenn Statius die Schilderung der ruhigen Lage des

Statius und die Rezipienten seiner Dichtung [...] notas Sirenum nomine rupes facundique larem Polli non hospes habebam, adsidue moresque viri pacemque novosque Pieridum flores intactaque carmina discens.

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(Silv. 3,1,64–67)

… erreichte ich, nicht als Fremder, die durch den Namen der Sirenen bekannten Felsen und das Haus des redegewandten Pollius und lernte unablässig den Charakter des Mannes und seine Ruhe, neue Blüten der Pieriden und unberührte Verse kennen.

Vitorius Marcellus, der Adressat des vierten Buches, wird sichtbar anders eingeführt als die vorherigen Widmungsempfänger. In der praefatio hebt Statius weder in vergleichbarer Weise eine spezielle (literarische) Qualifikation hervor noch äußert er sich über Art oder Intensität seines Verhältnisses zum Adressaten. Er erwähnt lediglich in knapper Form dessen besondere pietas (Silv. 4, praef. 1), eine Eigenschaft, deren Bedeutung, eventuell aufgrund der umfangreicheren lacuna im nachfolgenden Text, heute nicht mehr mit Sicherheit erschlossen werden kann. Eine besondere Zuneigung zum Dichter liegt prinzipiell ebenso im Bereich des Möglichen wie eine außergewöhnlich große Verehrung für Domitian. 275 Auch innerhalb des für Vitorius Marcellus selbst bestimmten Gedichtes (Silv. 4,4) kommt eine literarische Kompetenz des Adressaten bestenfalls indirekt zum Tragen. Er wird sogar ausdrücklich dafür gepriesen, daß er sich gerade nicht als Dichter betätigte: felix curarum, cui non Heliconia cordi serta nec imbelles Parnasi e vertice laurus, sed viget ingenium et magnos accinctus in usus fert animus quascumque vices. [...]

(Silv. 4,4,46–49)

Glücklich in seinen Sorgen, wer nicht nach helikonischen Kränze trachtet, nicht nach unkriegerischem Lorbeer vom Gipfel des Parnaß, sondern dessen Talent stark ist und dessen Geist, zu Großem gerüstet, alle denkbaren Wechselfälle erträgt.

Statius’ Ausführungen über seine gegenwärtige und zukünftige Dichtung (Silv. 4,4,87–97) lassen jedoch darauf schließen, daß Marcellus dieser Tätigkeit durchaus ein besonderes Interesse entgegenbrachte. Ein persönlicheres Verhältnis zwischen Dichter und Adressat klingt zudem an in der Erwähnung des gemeinsamen Freundes Gallus und der Annahme, daß beide, wenn sie denn zusammen wären, selbstverständlich über den Dichter sprächen (Silv. 4,4,20–26).

Anwesens abschließend mit der Wesensart des Adressaten parallelisiert (Silv. 2,2,26–29). Darüber hinaus werden in Silv. 2,2 noch andere Eigenschaften bzw. Leistungen des Pollius gelobt, darunter seine philosophische Lebensweise (V. 131–132). 275 Zu den möglichen Bedeutungen von pietas an der fraglichen Stelle s.o. S. 284 Anm. 114.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Während Äußerungen über die familiaritas zwischen dem Dichter und den Adressaten der vier Bücher der Silvae und deren meist literarischer Qualifikation in teilweise unterschiedlich starker Ausprägung sowohl in den praefationes als auch in den an die betreffenden Adressaten selbst gerichteten Einzelgedichten anzutreffen sind, wird eine Funktion der Adressaten im Hinblick auf die Bücher als ganze lediglich in den praefationes angesprochen. Da die Gedichte mit Ausnahme von Silv. 4,4 sämtlich nicht für die Publikation im Rahmen der vorliegenden Bücher geschrieben, sondern zuvor bereits individuell überreicht wurden, ist dies kaum verwunderlich. In den praefationes ist dieses Element dagegen regelmäßig vorhanden. Auch in diesem Punkt sind jedoch einige interessante Unterschiede zu beobachten. Wie oben in der Einzelanalyse bereits festgehalten wurde, lassen sich für die praefatio des ersten Buches nur bedingt gültige Ergebnisse formulieren, da die Einbeziehung des Adressaten in die Publikation des Buches bevorzugt am Ende von praefationes formuliert wird, das in diesem konkreten Fall nicht erhalten ist. Dennoch suggeriert in diesem Falle bereits die Intertextualität mit Ciceros Orator zu Beginn der epistula zumindest eine gewisse Einflußnahme Stellas auf Statius’ Entscheidung für die allgemeine Publikation seiner Gelegenheitsgedichte. Weitaus stärker wird die Rolle des Pollius Felix für das dritte Buch der Silvae formuliert. Statius bezeichnet ihn explizit als dessen auctor (Silv. 3, praef. 8), allerdings ohne diese Funktion als eine Art Gewährsmann des Buches zu spezifizieren. Sowohl die Art der Funktion, die beiden Adressaten für das jeweilige Buch zugeschrieben wird, als auch die Art, wie Statius diese Funktionen zum Ausdruck bringt, stehen in einer erkennbaren Relation zu seinen Äußerungen über die literarische Qualifikation der Adressaten. Obwohl sein Dichtertum in der praefatio und vor allem in Silv. 1,2 immer wieder betont wird, betätigt sich Stella als Elegiker auf einem relativ eng begrenzten Gebiet der Poesie. Im Gegensatz dazu ist Pollius Felix, wie der Dichter nachdrücklich betont, auf nahezu allen Gebieten literarischer Bildung bewandert. Es ist daher nur konsequent, wenn Statius gerade letzteren als den auctor eines Buches benennt und ihm damit ausdrücklich eine Art Mitverantwortung dafür überträgt, während der collega Stella sehr subtil als jemand präsentiert wird, der ›lediglich‹ einen freundschaftlichen Anstoß zur Publikation der Gedichte gegeben hat. Ein wenig wird diese Differenz allerdings durch die Position der beiden Funktionszuweisungen relativiert. Trotz der weitaus schwächeren Formulierung erscheint Stella als Adressat gerade des ersten Buches indirekt als derjenige, dessen Anregung nicht nur zur Entstehung eines einzelnen Buches, sondern letztlich zu der des ganzen Corpus führte, während die auctoritas des Pollius Felix ausdrücklich auf das dritte Buch beschränkt ist.

Statius und die Rezipienten seiner Dichtung

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Den übrigen Gesamtadressaten werden deutlich andere Funktionen im Hinblick auf die ihnen gewidmeten Bücher zugewiesen, doch besteht auch in diesen beiden Fällen ein sichtbarer Zusammenhang zwischen der Darstellung der Adressaten und ihrer jeweiligen Rolle. Am Schluß der praefatio des zweiten Buches wird Atedius Melior konkret um eine kritische Beurteilung des ihm übersandten Buches ersucht: haec qualiacumque sunt, Melior carissime, si tibi non displicuerint, a te publicum accipiant; si minus, ad me revertantur (Silv. 2, praef. 27–29). Mit dieser Bitte greift Statius unübersehbar die eingangs der epistula gegebene Apostrophierung Meliors als auch auf dem Gebiet der Literatur unfehlbarer Kritiker wieder auf, die in den ihm gewidmeten Gedichten indessen keine Rolle spielt. Dem Adressaten des vierten Buches wird weder in der praefatio noch in dem für ihn bestimmten Gedicht eine aktive literarische, geschweige denn poetische Kompetenz zugeschrieben. In Übereinstimmung damit wird er auch in keiner Weise in den Prozeß der Buchpublikation einbezogen, weder in einer wie auch immer gearteten auktorialen Funktion noch als Kritiker. An ihn richtet Statius statt dessen die abschließende Bitte um Verteidigung des publizierten Buches gegen Kritik von seiten Dritter: hunc tamen librum tu, Marcelle, defendes (Silv. 4, praef. 34). Geht man davon aus, daß die Kritik, der Statius in der vierten praefatio begegnet, zumindest partiell von Quintilians negativer Bewertung des Improvisierens beeinflußt war 276 , so könnte Vitorius Marcellus’ Eignung zum Verteidiger der Silvae bzw. eines ihrer Bücher ganz konkret darauf beruhen, daß er als Widmungsadressat der Institutio oratoria Quintilian besonders nahestand und daher in den entsprechenden Kreisen einen gewissen Einfluß besaß.277 Denkbar ist jedoch auch, daß Statius mit seiner Bitte sehr viel allgemeiner auf die große juristische Kompetenz des Adressaten anspielt, die zwar nicht in der praefatio, dafür aber in Silv. 4,4 ausführlicher entfaltet wird (Silv. 4,4,41–45). Die Art und Weise, wie Statius die Gesamtadressaten der vier Bücher in die Publikation der Silvae mit einbezieht, orientiert sich mithin in auffälliger Weise daran, wie diese Adressaten dem Leser innerhalb des Werkes, zum Teil in den bereits zuvor verfaßten Einzelgedichten, zum Teil aber auch erst innerhalb der praefationes selbst präsentiert werden. Obwohl Bitten um Beurteilung oder Verbesserungen in Begleitschreiben zu literarischen Werken, die nicht als praefationes gedacht waren, durchaus ernst gemeint sein konnten 278 , ist davon auszugehen, daß es sich bei Statius nicht um tatsächliche Bitten, sondern vielmehr um Topoi handelt, die in zueig-

276 Zur möglichen Art der Kritik s.o. S. 289–298. 277 Hardie (1983), 165. 278 Z. B. Plin. epist. 1,2,1: Hunc (sc. librum) rogo ex consuetudine tua et legas et emendes; vgl. auch z.B. epist. 2,5,4; 3,10,5; 8,19,2.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

nenden praefationes üblich waren. 279 Dementsprechend muß auch die Unsicherheit des Dichters, die hinter solchen Bitten zu stehen scheint, als lediglich topisch aufgefaßt werden. Eine bedingte Absicherung der Silvae dürfte jedoch auch mit der bloßen Nennung und vor allem der häufigen Betonung der literarischen Kompetenzen verschiedener Adressaten verbunden gewesen sein. Wenn Statius signalisiert, wie fachkundig die primären Rezipienten der Gedichte sind, spricht er damit etwaiger Kritik von seiten außenstehender Leser schon im Vorwege die Berechtigung ab. 4.2.3.2 Adressaten einzelner Gedichte Die drei Aspekte, die Statius in bezug auf die Adressaten der ersten vier Bücher seiner Silvae regelmäßig anspricht, kehren verschiedentlich auch im Zusammenhang mit den anderen ursprünglichen Adressaten einzelner Gedichte wieder. Auch hier lassen sich vereinzelte Wiederaufnahmen in den praefationes, d. h. konkret in den kommentierten ›Inhaltsverzeichnissen‹, feststellen. Der Gedanke der familiaritas zwischen Dichter und Adressat erscheint besonders ausgeprägt in dem an Maecius Celer gerichteten propempticon (Silv. 3,2). Die wiederholte Betonung von Statius’ inniger Zuneigung zu dem Scheidenden findet ihren Höhepunkt in der Imagination von dessen Heimkehr: [...] cum me magna cervice ligatum attolles umeris atque in mea pectora primum incumbes e puppe novus servataque reddes colloquia inque vicem medios narrabimus annos

(Silv. 3,2,132–135). 280

… wenn du mich, um deinen großen Nacken hängend, mit den Schultern hochheben, dich, wenn du vom Schiff kommst, zuerst an meine Brust werfen wirst und die bewahrten Gespräche berichten und wir abwechselnd die inzwischen vergangenen Jahre erzählen.

Gerade die enge Verbundenheit zwischen Dichter und Adressat, die ebenso wie auch der Wunsch, den Abreisenden zu begleiten, zum topischen Inventar eines propempticon zählt 281 , wird auch bei der paratextuellen Präsentation dieses Gedichtes in den Vordergrund gestellt: splendidissimum et mihi iucundissimum iuvenem Maecium Celerem [...] quia sequi non poteram, sic prosecutus sum (Silv. 3, praef. 11–14). 279 Pavlovskis (1967), 542; vgl. van Dam (1984), 53. – Janson (1964), 108–109 hält Statius’ Bitten allerdings für ernst gemeint. 280 An anderer Stelle (Silv. 3,2,81) bezeichnet Statius den Adressaten prägnant als nostri pignus amoris (dazu s. Laguna (1992), 223–224), nachdem er bereits in V. 59–60 seinen Abschied an Bord des Schiffes als den längsten von allen dargestellt hat. 281 Dazu s. Cairns (1972), v. a. 21–22; als Parallelen für die vorliegende Stelle vgl. insbesondere Ov. am. 2,11,45–49; Catull. 9,6–9.

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Schwächer, aber von einer ähnlichen Tendenz wie die Formulierung der persönlichen Verbundenheit in Silv. 3,2 ist der ausdrückliche Vergleich der eigenen mit der sprichwörtlichen Reaktion enttäuschter Liebender in der Gratulatio ad Iulium Menecratem: irascorque etiam, quantum irascuntur amantes (Silv. 4,8,33) 282 , und auch zu Beginn von Silv. 5,2 bringt Statius seine Zuneigung zu dem Besungenen mit besonderer Emphase zum Ausdruck (Silv. 5,2,2–11). Darüber hinaus finden sich dann jedoch nur noch einzelne knappe Hinweise auf vertrauteren Umgang, wenn etwa Septimius Severus als sodalis in bezug auf die Dichtung (Silv. 4,5,25) oder Claudius Etruscus ohne weitere Angaben als dilectus sodalis (Silv. 1,5,9) bezeichnet wird. 283 Aus dem Fehlen solcher Anhaltspunkte wird verschiedentlich auf ein distanzierteres Verhältnis zwischen Statius und dem jeweiligen Adressaten geschlossen.284 Ebenso kommen auch besondere Qualifikationen, namentlich auf literarischem Gebiet, nur bei einigen der ursprünglichen Adressaten zur Sprache. 285 Auffallend großen Raum nimmt dieser Aspekt in Silv. 1,3 ein, der Villa Tiburtina Manili Vopisci, deren Adressat bereits im ersten Vers als facundus eingeführt wird. 286 Gegen Ende des Gedichtes rühmt Statius in 15 Versen die vielseitige Betätigung des Manilius Vopiscus sowohl auf dem Gebiet der Philosophie als auch in verschiedenen poetischen Gattungen (Silv. 1,3,90–104). An der Wahrhaftigkeit dieses umfangreichen Lobes für den Adressaten bestehen in der Forschung gewisse Zweifel. 287 Dennoch ist es gerade dieser Aspekt, den Statius in der praefatio des ersten Buches in

282 Vgl. Vessey (1974), 264–265. – Zum sprichwörtlichen Charakter des Zornes Liebender s. Coleman (1988), 216; vgl. Otto (1899), 77, p. 17. 283 Auf indirekte Weise läßt auch der Beginn von Silv. 4,6 (V. 3–4: rapuit me cena benigni / Vindicis) das Verhältnis zwischen Statius und dem Adressaten Novius Vindex vertrauter erscheinen als z.B. der förmliche Beginn der Danksagung für das Gastmahl bei Hofe (Silv. 4,2). 284 Zu Silv. 1,3 (Manilius Vopiscus) s. Cancik (1978), 128; zu Silv. 1,5 (Claudius Etruscus), Silv. 2,6 (Flavius Ursus) und Silv. 5,1 (Abascantus) s. Cawsey (1983), 73–74. 285 Unberücksichtigt bleibt im folgenden das umfangreiche Lob der literarischen Leistungen Lucans in Silv. 2,7, da dieser nicht zu den Adressaten der Silvae gehört, sondern postum aus Anlaß seines Geburtstages gefeiert wird. Zu diesem Gedicht s. Buchheit (1960); Dams (1970), 165–169; Malamud (1995). 286 Vgl. auch die Beschreibung von Vopiscus’ Lebensweise in der Villa: Pieriosque dies et habentes carmina somnos (»pierische Tage und von Gedichten begleiteter Schlummer«; Silv. 1,3,23). 287 Newlands (1988) kommt zu dem Ergebnis, daß Statius’ vordergründig positive Darstellung von Manilius Vopiscus’ Leistungen auf den Gebieten der Philosophie und der Dichtung durch Allusionen auf verschiedene Werke des Horaz in Wahrheit unterminiert werden (vgl. Newlands (2002), 150–151); vgl. auch Cancik (1978), 121, der die Erwähnung der entsprechenden Interessen des Manilius Vopiscus als eine Art Wunschdenken des Dichters betrachtet. – In ähnlicher Weise faßt auch Holtsmark (1972/73) das scheinbar enkomiastische Gedicht Silv. 1,5 als eine »anti-laudatio, in which Statius would gently reprove the young man for the misdirected channeling of his admitted ability and wealth« (220).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

auffälliger Weise wieder aufgreift, um damit die Glaubwürdigkeit des Vopiscus als des ersten ›normalen‹, in keiner Weise herausgehobenen testis für die celeritas seiner Dichtung zu unterstreichen. In den übrigen Gedichten sind die Erwähnungen literarischer Kompetenzen im weitesten Sinne meist deutlich knapper. So erwähnt der Dichter z. B. am Schluß von Silv. 4,5 die lyrische Dichtung des Adressaten Septimius Severus (Silv. 4,5,57–60), nachdem dieser zuvor bereits als fortis et facundus bezeichnet wurde (Silv. 4,5,3), und am Ende von Silv. 4,7 ist von der Leistung des Adressaten Vibius Maximus auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung die Rede (Silv. 4,7,53–56). Abgesehen davon gibt es nur noch vereinzelte und eher beiläufige Hinweise meist auf die facundia des jeweiligen Adressaten. 288 Analog dazu spielen besondere Qualifikationen auch in den paratextuellen Anmerkungen zu den entsprechenden Gedichten kaum noch eine Rolle. Lediglich im Falle von Silv. 4,7 benennt der Dichter als Grund für seine Hochschätzung des Adressaten auch dessen eloquentia (Silv. 4, praef. 16). 289 Verglichen mit den Gesamtadressaten der ersten vier Bücher sind die Gesichtspunkte der familiaritas und der besonderen (literarischen) Kompetenz in bezug auf die übrigen Empfänger von Einzelgedichten somit sehr viel schwächer ausgeprägt. Dennoch werden sie in seltenen Fällen durchaus ebenfalls für die paratextuelle Präsentation eines einzelnen Gedichtes oder die Illustration eines bestimmten Charakteristikums der Gelegenheitsdichtung funktionalisiert. Innerhalb der Gedichte selbst finden sich nur sehr wenige konkrete Funktionszuweisungen an die Adressaten im Zusammenhang mit Statius’ poetischer Tätigkeit. Abgesehen von der Anrufung des jeweiligen Adressaten als Inspirator für das ihm gewidmete Gedicht beziehen sie sich zudem durchweg nicht auf die Silvae oder auch nur einzelne Gedichte des Corpus, sondern auf die epische Dichtung als das ›eigentliche‹ Genre des Statius. Die einschlägigen Stellen konzentrieren sich auf das vierte Buch der Silvae. 288 Silv. 1,4,34–35; 2,6,95; 4,9,141–15; vgl. 5,2,71–75. 289 Bei einigen anderen Gedichten ist es jedoch die lobende Erwähnung ganz anderer Eigenschaften der Adressaten, die auch in den entsprechenden Anmerkungen wiederkehrt. So läßt Statius etwa für den Adressaten von Silv. 3,2 dessen Leistung auf militärischem Gebiet anklingen (Silv. 3, praef. 12–13), die auch innerhalb des Gedichtes selbst zur Sprache kommt (Silv. 3,2,92– 93). Noch auffälliger ist indessen die Anmerkung zu Silv. 3,3, in der der Dichter die echte Trauer des Claudius Etruscus lobt und damit ebenfalls bestimmte Passagen aus der consolatio aufgreift (Silv. 3,3,8–12. 173–177), sowie nicht zuletzt die Einführung von Lucans Witwe Polla Argentaria als rarissima uxorum (Silv. 2, praef. 23), denn dieses knappe Wort des Lobes berührt sich in signifikanter Weise mit der Schilderung von Pollas vorbildlicher Verehrung für ihren toten Ehemann (Silv. 2,7,124–131). – In ähnlicher Weise kommt Statius auch in Silv. 5,1,76–100 ausführlich auf die administrativen Leistungen des Abascantus zu sprechen, nachdem er ihn in der epistula bereits als loyalen Untergebenen des Kaisers (sacerdos; Silv. 5, praef. 10) bezeichnet hat.

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Zweimal behauptet der Dichter sogar eine regelrechte Abhängigkeit seiner poetischen Fähigkeit von der Unterstützung der Adressaten. An der einen Stelle dieser Art verweist Statius auf den Beistand des Septimius Severus im Zusammenhang mit seiner Teilnahme am Albanischen Agon (Silv. 4,5,25–26), und an der anderen erfolgt zunächst die farbige Schilderung einer durch die Abwesenheit des Vibius Maximus bedingten Stagnation der Arbeit an der Achilleis: torpor est nostris sine te Camenis, tardius sueto venit ipse Thymbrae rector et primis meus ecce metis haeret Achilles.

(Silv. 4,7,21–24)

Starr sind meine Camenen ohne dich, langsamer als gewohnt kommt der Herrscher von Thymbra, und siehe, mein Achill bleibt an der ersten Wendemarke hängen.

Unmittelbar anschließend wird derselbe Adressat zudem als fidus monitor bei der Entstehung der Thebais bezeichnet (Silv. 4,7,25). Von anderer Art ist hingegen die Einbeziehung des Vitorius Marcellus in die allgemeine dichterische Tätigkeit des Statius. Nach einer Art Bericht über abgeschlossene und gegenwärtig bearbeitete Epen folgt die recusatio eines Epos über den Kaiser. Die hierfür typische Behauptung, der Größe der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, wird allerdings nicht direkt formuliert, sondern in Form an den Adressaten gerichteter Fragen, so daß Marcellus als wichtiger Ratgeber des Dichters erscheint: [...] stabuntne sub illa mole umeri an magno vincetur pondere cervix? dic, Marcelle, feram? fluctus an sueta minores nosse ratis nondum Ioniis credenda periclis?

(Silv. 4,4,97–100)

Werden meine Schultern unter jener Last standhalten oder wird der Nacken vom großen Gewicht besiegt werden? Sag’, Marcellus, werde ich es tragen können? Oder darf ich das Floß, das kleinere Fluten gewohnt ist, noch nicht den ionischen Gefahren anvertrauen?

4.2.3.3 Domitian als Adressat in den Silvae Der Kaiser nimmt, wie bereits erwähnt, in gewisser Weise eine Sonderstellung unter den ursprünglichen Einzeladressaten ein. Dies zeigt sich bereits rein äußerlich, denn mit insgesamt sechs bzw. sogar sieben Gedichten (Silv. 1,1; 1,6; 2,5; (3,4;) 4,1; 4,2; 4,3) ist er deutlich öfter vertreten als jeder andere Einzeladressat. Außerdem erscheint der Aspekt der familiaritas in diesem Falle natürlich nicht in derselben Weise wie bei vielen der anderen Einzeladressaten. 290 Anstelle eines persönlichen Verhältnisses signalisiert 290 Zur wiederholten Bezeichnung des Kaisers als Germanicus noster s.o. S. 281 Anm. 110.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Statius in den praefationes immerhin eine gewisse Nähe zum kaiserlichen Hof, wenn er darauf verweist, daß er Domitian verschiedentlich, teilweise offenbar sogar in ausdrücklichem Auftrag, Gedichte überreicht habe und einmal auch umgekehrt durch eine offizielle Einladung des Kaisers geehrt wurde (Silv. 4, praef. 6–7). 291 In den Gedichten selbst wahrt Statius stets eine ehrerbietige Distanz zur Majestät des Kaisers. Besonders deutlich kommt dies in Silv. 1,6 zum Ausdruck, in der sich der Dichter ausdrücklich der großen Menge der Zuschauer bei dem von Domitian veranstalteten Schauspiel zurechnet, denen sich der Kaiser ausnahmsweise zugesellt (nobiscum; Silv. 1,6,48). 292 Auf Statius’ Kaiserpanegyrik als solche kann und soll an dieser Stelle nicht im einzelnen eingegangen werden, zumal sie bereits Gegenstand eigener Untersuchungen gewesen ist 293 und die hier behandelte Fragestellung nur am Rande berührt. Innerhalb des überlieferten Textes der praefationes nimmt Domitian nur einen relativ geringen Raum ein. Aus diesem Befund lassen sich jedoch kaum zuverlässige Rückschlüsse auf das ursprüngliche Verhältnis ziehen, denn gerade an den beiden Stellen, die von mutmaßlich größeren Textverlusten betroffen sind, am Schluß der ersten praefatio und in der Anfangspassage der vierten, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls noch von ihm die Rede gewesen. 294 Obgleich die Erwähnung Domitians im erhaltenen Teil der praefatio von Buch 4 und vor allem die Anmerkungen zu den drei ursprünglich an ihn gerichteten Gedichten denkbar knapp ausfallen, ist der Verweis auf das numen maximi imperatoris (Silv. 4, praef. 2–3) ebenso panegyrisch gefärbt wie dessen Bezeichnung als indulgentissimus imperator in der ersten (Silv. 1, praef. 18) bzw. sacratissimus imperator in der zweiten und dritten praefatio (Silv. 2, praef. 17–18; 3, praef. 12). 295 291 Die Ehrung bestand bereits in der Einladung zu der cena, deren Anlaß nicht mehr auszumachen ist (Coleman (1988), 83. Newmyer (1979), 115, sieht Statius hingegen als den gefeierten Gast der Veranstaltung. 292 Zur Art der Gegenwart Domitians in diesem Gedicht treffend Newlands (2003), 508: »The emperor [...] dominates the poem. His presence is everywhere directly felt, but his actual person is nowhere described.« Dazu sowie zu Silv. 4,2 vgl. auch Newlands (2002), 245. 293 Scott (1933); Sauter (1934); Leberl (2004), 143–243; vgl. Vessey (1986), 2798–2801; zu Silv. 1,1 auch Geyssen (1996). 294 Rein spekulativ wäre die Frage, ob diese auffällige Koinzidenz darauf zurückgeführt werden kann, daß diese Passagen im Rahmen der auf die Ermordung Domitians folgenden damnatio memoriae in zumindest einigen Exemplaren der Silvae getilgt wurden, darunter auch diejenigen, die der Überlieferung des Textes zugrunde liegen. 295 Tatsächlich wird eine Heiligkeit Domitians in jeder der Vorreden in irgendeiner Weise angesprochen. In der ersten praefatio ist die Attribuierung als sacrosanctus im engeren Sinne auf die Funktion als testis für die celeritas bezogen (anders Vollmer (1898), 211), in der Anmerkung zu Silv. 4,2 ist es das vom Kaiser veranstaltete Gastmahl, das als sacratissimae epulae bezeichnet wird (Silv. 4, praef. 6–7), und selbst in der ›privaten‹ epistula an Abascantus ist von der divina

Statius und die Rezipienten seiner Dichtung

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Anders als in den Gedichten wird dem Kaiser innerhalb der praefationes an zwei Stellen aber auch mehr oder minder explizit eine Funktion im Hinblick auf die vorliegende Sammlung von Gelegenheitsgedichten zugewiesen. Dies ist zunächst die Benennung als sacrosanctus testis für die celeritas (Silv. 1, praef. 16), mit der nicht nur eine besondere Ehrung Domitians, sondern auch eine besondere Rolle in der ›Beweisführung‹ und somit in der Präsentation der Silvae verbunden ist. Zum anderen zählt dazu die eher beiläufige Bemerkung, die Übergabe von Gedichten an den Kaiser sei weitaus höher zu bewerten als ihre Publikation: et quanto hoc plus est quam edere! (Silv. 4, praef. 28–29). Auch damit wird Domitian indirekt zu einer Art Gewährsmann für die Publizierbarkeit der Silvae erhoben, allerdings ohne daß damit auch eine Aussage über seine Bewertung der ihm überreichten Gedichte gemacht würde. Entscheidend ist offenbar allein das dare. 4.2.3.4 Die Rolle der ceteri Neben den individuellen Adressaten sowohl der Einzelgedichte als auch der ersten vier Bücher der Sammlung, die in Text und Paratext vielfach in Erscheinung treten, spielt das außenstehende Publikum, das bei einer allgemeinen Publikation literarischer Werke naturgemäß auch vorhanden ist, in den Äußerungen des Statius nur eine untergeordnete Rolle. In den Gedichten selbst werden diese ceteri sogar nirgends ausdrücklich erwähnt. Angesichts der ursprünglich privaten Ausrichtung der meisten Gedichte kann dies kaum überraschen, denn bei individuell adressierter Gelegenheitsdichtung liegt ein allgemeines Publikum, jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, noch nicht unbedingt im Blickwinkel des Dichters. 296 Doch auch in den praefationes wird lediglich zweimal auf solche außenstehenden Rezipienten Bezug genommen, beide Male in auffälligem Gegensatz zu individuellen Adressaten. In der Anmerkung zu Silv. 2,1 werden die ceteri in besonderer Weise mit Atedius Melior als dem ursprünglichen Einzeladressaten des Gedichtes kontrastiert, denn anders als dieser und domus des Kaisers die Rede (Silv. 5, praef. 8–9). Zu Statius’ Attribuierung Domitians als sanctus o. ä. s. auch Sauter (1934), 108–109. 296 Interessant ist allerdings eine Stelle in Silv. 1,5, dem Balneum Claudi Etrusci. Die an die Najaden gerichtete Ankündigung vestra est quam […] pando domus (Silv. 1,5,29–30) läßt sich als schwache Andeutung des Gedankens an ein außenstehendes Publikum auffassen, denn nur für diejenigen, die normalerweise keinen Zugang zum Bad des Adressaten erhielten, stellt das Gedicht eine Öffnung oder Darlegung des Gebäudes im eigentlichen Sinne dar. – Überaus unsicher ist dagegen ein möglicher zweiter Hinweis in Silv. 2,6, da der entscheidende Infinitiv in der Überlieferung korrupt ist. Sofern die von Courtney akzeptierte Konjektur von Unger tatsächlich zuträfe, fragte Statius angesichts der vielfältigen Vorzüge des verstorbenen Philetos carmine quo patuisse queant? (Silv. 2,6,50) und implizierte damit ebenfalls, daß das Gedicht dazu dient, die besonderen Qualitäten des Toten öffentlich darzulegen. Zu weiteren Konjekturen vgl. jedoch van Dam (1984), 422.

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auch der Dichter sind sie selbst durch den Tod des Glaucias in keiner Weise betroffen und können daher die durch den Schmerz bedingten Unzulänglichkeiten des Gedichtes nicht ohne weiteres als solche verzeihen (Silv. 2, praef. 10–11). An der zweiten Stelle werden die ceteri den ursprünglichen Adressaten allgemein als die Gruppe derjenigen gegenübergestellt, die den originären Reiz der Gedichte mangels eigener Beteiligung am jeweils behandelten individuellen Anlaß nicht in hinreichendem Maße zu würdigen wissen und daher potentiell kritischer auf sie reagieren (Silv. 1, praef. 11– 13). Ein weiteres Mal treten außenstehende Leser schließlich in der praefatio des vierten Buches in Erscheinung, doch sind es hier nicht mehr unterschiedslos alle, die nicht zum Kreis der ursprünglichen Adressaten gehören, sondern speziell diejenigen unter den ceteri, die inzwischen eine nicht näher bestimmte Kritik an den Silvae geäußert haben. Abgesehen von dieser Einschränkung korrespondiert die letzte Erwähnung der ceteri als eine Art Bestätigung der zuvor geäußerten Befürchtungen des Dichters erkennbar mit den beiden vorhergehenden Stellen. Obgleich der Gedanke an die außenstehenden Leser somit am Anfang und am Ende der paratextuellen Präsentation der Silvae in leicht unterschiedlicher Perspektive aufgenommen wird, wird diese Gruppe von Rezipienten insgesamt geradezu stiefmütterlich behandelt. Statius zeigt sich durchaus dessen bewußt, daß sich ein allgemeines Publikum seinen Gedichten mit deutlich anderen Vorstellungen und Ansprüchen nähert als die ursprünglichen Adressaten der Einzelgedichte. Trotz seiner angeblichen Sorge deswegen unternimmt er jedoch keinen Versuch zu erklären, weshalb er seine Gelegenheitsgedichte ungeachtet ihres ephemeren, individuellen Charakters einer allgemeinen Publikation für würdig erachtet. Statt dessen setzt er die ceteri lediglich über die daraus resultierenden Nachteile in Kenntnis. Als ein gewisses Entgegenkommen können allenfalls die kurzen Kommentare zu den einzelnen Gedichten gewertet werden, die neben einer Huldigung an die darin erwähnten Adressaten immerhin oft auch einige Hintergrundinformationen zu den einzelnen Gedichten enthalten. Auf den ersten Blick läßt sich die Art und Weise, wie Statius die außenstehenden Rezipienten seiner Gelegenheitsdichtung, die bei einer allgemeinen Publikation eigentlich eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Zielgruppe bilden, ausschließlich als kritisch darstellt, als tendenziell negativ auffassen. Tatsächlich muß die wiederholte Erwähnung der aus dieser Richtung möglichen Kritik, in Antizipation ebenso wie als Antwort darauf, aber natürlich ebenfalls als Teil der captatio benevolentiae gewertet werden. Indem Statius dem anonymen Leser immer wieder kritische Reaktionen unterstellt, sucht er im Gegenteil positive Reaktionen zu evozieren.

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4.2.3.5 Resümee Aus der in gewissem Sinne ›introvertierten‹ Präsentation der Gedichte, d. h. der ostentativen Fokussierung des Kreises individueller Adressaten bei bewußt geringer Beachtung des gleichwohl stets als an der Peripherie präsent wahrgenommenen allgemeinen Publikums lassen sich auch Schlüsse auf eine soziale Funktion der Silvae ziehen. Bereits in der praefatio des ersten Buches formuliert Statius sehr klar, daß seine Gedichte schon bei ihrer ersten Übergabe als Ehrung für die jeweiligen Adressaten gedacht waren (vos [...] quorum honori data sunt; Silv. 1, praef. 10–11). 297 In jüngerer Zeit durchgeführte kulturwissenschaftliche Interpretationen ausgewählter Gedichte der Silvae weisen darauf hin, daß eine wesentliche Funktion derart anspruchsvoller Gelegenheitsgedichte auch darin besteht, deren individuelle Adressaten zusätzlich zur enkomiastischen Darstellung in den Gedichten selbst auch durch die Tatsache ihrer Entstehung als außerordentlich gebildet und literatisch interessiert zu präsentieren. 298 Durch die Aufnahme der Gedichte in die publizierte Sammlung wird diese Ehre nicht nur erneuert, sondern außerdem noch wesentlich erweitert, da sie vor einem deutlich größeren Personenkreis entfaltet wird als zuvor. In seinen praefationes macht Statius an mehreren Stellen deutlich, daß es sich bei den Einzeladressaten um einen Personenkreis handelt, der zwar sicherlich nicht fest definiert war, dessen Mitglieder jedoch vielfach auch untereinander gut bekannt waren. Indizien dafür sind etwa die kollektive Bezeichnung vos in der ersten praefatio (Silv. 1, praef. 10), aber auch verschiedene Hinweise auf persönliche Bekanntschaften zwischen einzelnen Adressaten. 299 Mit Hilfe der praefationes gelingt es Statius parallel zur Vermittlung allgemeiner Informationen über seine Gedichte auch, deren ursprüngliche Empfänger als distinguierten Kreis kulturell kompetenter Personen zu präsentieren, in den gewöhnlichen Sterblichen bestenfalls ein begrenzter Einblick gewährt wird.

297 Vgl. außerdem einige der zur Bezeichnung von Gedichten verwendeten performativen Ausdrücke: laudes [...] dicturus (Silv. 2, praef. 25–26), adoravi (Silv. 3, praef. 10; 4, praef. 6), gratias egi (Silv. 4, praef. 6), miratus sum (Silv. 4, praef. 7). 298 Z. B. Myers (2000); Hinds (2001), 239–254; Damon (2002); Krasser (2002); Rühl (2003); zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. insbesondere Krasser (2002), 167. 299 Etwa zwischen Flavius Ursus, dem Adressaten von Silv. 2,6, und Atedius Melior (Silv. 2, praef. 18–22) oder auch zwischen Septimius Severus und Novius Vindex, den Empfängern von Silv. 4,5 u. 4,6, und dem Gesamtadressaten des vierten Buches (Silv. 4, praef. 12–15).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

4.2.4 Präsentation und Inhalt der Einzelgedichte: ein Vergleich Da in ihnen regelmäßig sämtliche im jeweiligen Buch enthaltenen Einzelgedichte der Reihe nach kurz angesprochen werden, können die ›Inhaltsverzeichnisse‹ der ersten vier Bücher der Silvae auf den ersten Blick relativ gleichförmig erscheinen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß die Gedichte keineswegs nach einem konstanten Schema abgehandelt werden. Daraus ergibt sich die Frage nach einem Zusammenhang zwischen dieser im paratextuellen Bereich erfolgenden Präsentation und Art und Inhalt der entsprechenden Einzelgedichte. Zu jedem Gedicht werden mindestens zwei verschiedene Angaben gemacht, häufig sind es sogar weitaus mehr. Zwei davon, die Nennung des ursprünglichen Adressaten, die teilweise auch mit dem Lob besonderer Qualifikationen oder dem Hinweis auf das persönliche Verhältnis zum Dichter verbunden ist, und das Thema des jeweiligen Gedichtes 300 , können geradezu als Standardelemente bezeichnet werden, die in keiner bzw. fast keiner der Anmerkungen fehlen. Hinzu kommen außerdem einige variable Elemente, die mit unterschiedlicher Frequenz und Verteilung auftreten. Es sind dies Angaben über die Produktionszeit, Detailinformationen zur Art der Gedichte, nähere Informationen zum Inhalt sowie schließlich Begründungen für die Einfügung von Gedichten in ein bestimmtes Buch. Prinzipiell muß natürlich auch hier in Erwägung gezogen werden, daß die Angaben zum ›ursprünglichen‹ Situationsbezug eventuell nicht in allen Fällen der Wahrheit entsprechen, sondern durchaus auch fiktional sein können. Die bei den Erwähnungen der Produktionszeit feststellbare Entwicklung ist im Zusammenhang mit Statius’ Definition seiner in den Silvae veröffentlichten Dichtung bereits behandelt worden. 301 Zusätzlich ist jedoch die besondere Funktion dieses Aspektes bei der Etablierung der formalen Gestaltung von Statius’ praefationes festzuhalten. Er bildet nicht nur die offenkundige Hauptmotivation für die Einfügung des Inhaltsverzeichnisses in der ersten praefatio, dessen einzelne Angaben vom Aspekt der celeritas dominiert werden, sondern läßt durch seine Wiederkehr gerade in den Anmerkungen zu den jeweils ersten Gedichten der Bücher 2 und 3 auch die ansonsten lediglich durch strukturelle Analogie begründete Wiederaufnahme dieses Elementes als selbstverständlich erscheinen. Anders als die Benennung der Produktionszeit sind ›technische‹ Informationen zur Art der Gedichte, etwa in Form von Angaben zum Umfang oder zur Metrik, Gattungsbezeichnungen im weiteren Sinne oder entspre300 Für den Zusammenhang der Themenangaben in den praefationes mit den Titeln der einzelnen Gedichte s. Vollmer (1898), 207–208; van Dam (1984), 69–72. 301 Dazu s.o. S. 316-317.

Präsentation und Inhalt der Einzelgedichte

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chenden Umschreibungen, sehr ungleichmäßig über das Corpus verteilt. Angefangen von den centum [...] versus von Silv. 1,1 (Silv. 1, praef. 17) über die leves libellos quasi epigrammatis loco scriptos (Silv. 2, praef. 15– 16), den sermo [...] securus ut cum uxore (Silv. 3, praef. 21–22) bis hin zu den hendecasyllabi, quos Saturnalibus una risimus (Silv. 4, praef. 23–24) finden sich solche Angaben in allen vier praefationes. 302 In den Gedichten selbst werden sie dagegen nur überaus selten aufgenommen. So wird lediglich in Silv. 4,4,1 die Bezeichnung des Gedichtes als epistula wiederholt, und in Silv. 4,9,55 wird indirekt das Metrum des Gedichtes nochmals namentlich benannt. Einen gewissen Sonderfall stellt Silv. 2,3 dar, das im paratextuellen Bereich vage als levis libellus präsentiert und erst innerhalb des Gedichtes selbst präziser als Geburtstagsgedicht kenntlich gemacht wird 303 : haec tibi parva quidem genitali luce paramus / dona (»Dieses bereite ich dir als – wenn auch kleines – Geschenk an deinem Geburtstag«; Silv. 2,3,62–63). Begründungen für die Einfügung einzelner Gedichte sind im Gegensatz dazu nur sehr selten vertreten. Sie finden sich lediglich in den Anmerkungen zu Silv. 2,6 und 4,6 304 und sind in beiden Fällen ausschließlich an den Adressaten des jeweiligen Buches gerichtet, d. h. sie lassen darüber hinaus keine Schlüsse darauf zu, weshalb Statius diese Gedichte auch einer allgemeinen Publikation für würdig erachtete. 305 Während mit der generischen Bezeichnung von Silv. 1,2 als epithalamium (Silv. 1, praef. 21) sowie mit der Umschreibung von 1,4 als soteria (Silv. 1, praef. 27) in ökonomischer Kürze zugleich auch Hinweise auf den Inhalt beider Gedichte gegeben werden 306 , lassen die Bezeichnungen zweier Gedichte des vierten Buches keine derartigen Schlüsse zu. Ein Grund für die in bezug auf den Inhalt völlig nichtssagende Bezeichnung von Silv. 4,4 als epistula (Silv. 4, praef. 9) liegt auf der Hand. Da es sich wahrscheinlich um ein Gedicht handelte, das dem Adressaten vor der Übersendung des Buches noch nicht bekannt war, liegt es im Interesse des Dichters, in der praefatio noch nicht allzu viele Informationen über Thema oder Inhalt vorwegzunehmen. Auch das nachfolgende Gedicht Silv. 4,5 wird jedoch 302 Für weitere derartige Bezeichnungen s.o. Abschnitt 4.2.1.6. 303 Da der Geburtstag des Adressaten nicht das eigentliche Thema des Gedichtes ist, sondern darin nur erwähnt wird, handelt es sich indes nicht um ein genethliacon im eigentlichen Sinne: van Dam (1984), 218; vgl. Newmyer (1979), 25–26. 304 Andeutungsweise auch in der Anmerkung zu Silv. 4,5, in der Statius auf die langjährige Bekanntschaft zwischen Einzel- und Gesamtadressat als condiscipuli (Silv. 4, praef. 12) verweist. 305 Zumindest im Falle der Anmerkung zu Silv. 2,6 ist sogar das genaue Gegenteil der Fall, dazu s.o. S. 266. 306 Für den stark panegyrischen Charakter von Silv. 1,2 s. Vessey (1972), 177–181; Roberts (1989) kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß das Lob Stellas durch den spielerischen Umgang mit dem Mythos zumindest partiell in Frage gestellt werde (327–328).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

ohne weitere Angaben zum Thema lediglich als lyricum carmen bezeichnet (Silv. 4, praef. 10). Zu mehreren anderen Gedichten gibt Statius indessen durchaus weitergehende Informationen, die zum Teil sogar auf ganz bestimmte Passagen in den entsprechenden Gedichten Bezug nehmen. In gewisser Weise zählen hierzu auch die bereits im vorangegangenen Abschnitt behandelten Äußerungen über das persönliche Verhältnis zu einzelnen der ursprünglichen Adressaten bzw. über deren besondere Qualifikationen, die, wenn sie in den Anmerkungen vorhanden sind, regelmäßig auch in den Gedichten wiederkehren. Interessant sind jedoch vor allem die Stellen, an denen andere inhaltliche Aspekte der Gedichte in den dazugehörigen Anmerkungen aufgegriffen werden. Das erste Beispiel dafür dürfte Silv. 1,6 gewesen sein. 307 Der fragmentarische Rest des letzten faßbaren Satzes der ersten praefatio deutet darauf hin, daß Statius hier erstmals eine umfangreichere Information über den Inhalt, d. h. konkret über die im Gedicht selbst beschriebenen Vergnügungen gegeben hat. Inwieweit dabei auch auf konkrete Einzelheiten eingegangen wurde, läßt sich aus der im erhaltenen Teil noch recht pauschalen Angabe allerdings nicht ablesen: noctem enim illam felicissimam et voluptatibus publicis inexpertam… (Silv. 1, praef. 31–32). Überaus intensiv ist die Bezugnahme der paratextuellen Präsentation auf das betreffende Gedicht im Falle von Silv. 2,1. In der sehr ausführlichen Angabe zu diesem Gedicht kommen gleich zwei Aspekte zur Sprache, die auch innerhalb der consolatio eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Dies ist zunächst der topische Gedanke der Unzeitigkeit eines unmittelbar nach einem Trauerfall überreichten Trostgedichtes, der nicht nur in der Anmerkung, sondern auch im Proömium des Gedichtes selbst prägnant formuliert wird: cum iam egomet cantus et verba medentia saevus confero, tu planctus lamentaque fortia mavis odistique chelyn surdaque averteris aure. intempesta cano [...]

(Silv. 2,1,5–8).

Da ich Grausamer schon Gesänge und lindernde Worte zusammenfüge, bevorzugst du das Schlagen der Brust und laute Klagen, haßt die Leier und wendest dich ab mit verschlossenem Ohr. Zur Unzeit singe ich.

307 Als eine Art Vorstufe hierzu kann bereits die Angabe der Produktionszeit von Silv. 1,5 aufgefaßt werden, denn die Gelagesituation, in der das Gedicht nach Statius’ Aussage entstanden ist, spielt auch am Anfang des Gedichtes selbst eine Rolle: iunge, puer, cyathos, sed ne numerare labora / cunctantemque incende chelyn (»Trage Becher zusammen, Knabe, aber mach’ dir nicht die Mühe zu zählen und laß’ die zögernde Leier entbrennen«; Silv. 1,5,10–11).

Präsentation und Inhalt der Einzelgedichte

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Darüber hinaus hebt Statius in der Anmerkung ebenso wie innerhalb der consolatio nachdrücklich seine aus eigener Zuneigung zu dem Verstorbenen resultierende persönliche Betroffenheit durch den Todesfall hervor. 308 Diese innere Beteiligung findet ihren Ausdruck nicht zuletzt darin, daß Statius das Gedicht selbst indirekt als Totengeleit bezeichnet. 309 Sie ist damit um einiges stärker als z. B. im Falle von Silv. 2,6. Im Vergleich zu Silv. 2,1, wird die consolatio zum Tode des puer des Flavius Ursus als Pflichterfüllung dargestellt (super ea quae ipsi debeo; Silv. 2, praef. 20–21), und diese Art der Präsentation konvergiert auffällig mit dem in der Forschung konstatierten Mangel an innerer Beteiligung in Silv. 2,6. 310 In der Einzelanalyse der zweiten praefatio wurde bereits ausgeführt, wie Statius beide Elemente in der Anmerkung dazu benutzt, die angebliche Unzulänglichkeit des Gedichtes zu begründen, und dabei sowohl das aus der vorhergehenden praefatio bereits bekannte celeritas-Motiv wieder aufgreift als auch den persönlichen Charakter der Gelegenheitsdichtung als weiteren grundsätzlichen Gesichtspunkt einführt, der im weiteren Verlauf der paratextuellen Präsentation noch mehrfach wieder auftritt. Damit rekurriert Statius gerade an dieser Schnittstelle zweier wichtiger apologetischer Motive in besonderer Weise auf das individuelle Einzelgedicht, indem er zur Formulierung der Motive Gedanken funktionalisiert, die sich unmittelbar aus dem Gedicht selbst ergeben. Von anderer Art ist die Bezugnahme der Anmerkung zu Silv. 3,1 auf den Inhalt des Gedichtes. In der praefatio bezeichnet Statius das Gedicht als Gebet an den im neuerbauten Tempel verehrten Hercules (his versibus adoravi; Silv. 3, praef. 10). Eine vergleichbare kultische Funktion wird den Versen auch innerhalb des Textes selbst zugeschrieben, doch ist es hier nur ein Teil des Gedichtes – wenn auch der weitaus längere –, der rückwirkend zu einem Opfer am neuen Altar des Gottes erklärt wird: haec ego nascentes laetus bacchatus ad aras / libamenta tuli (Silv. 3,1,163–164). Während es hier ebenso wie im Falle von Silv. 2,1 eher abstrakte Elemente der Gedichte sind, die Statius auch innerhalb der dazugehörigen Anmerkung aufgreift, ist für Silv. 3,4 mit einem edelsteinbesetzten Gefäß und einem Spiegel (Silv. 3, praef. 18–19) von zwei sehr konkreten Gegenständen die Rede. Diese spielen in den rahmenden Teilen des Gedichtes, die sich unmittelbar mit dem Haaropfer des Earinus beschäftigen, ebenfalls 308 Insbesondere Silv. 2,1,17–30, eine persönliche Bekannschaft des Dichters mit dem Verstorbenen suggerieren indessen auch V. 36–50. 309 Im unmittelbaren Kontext bezeichnet prosecutus sum (Silv. 2, praef. 8) zwar die rasche Reaktion des Dichters auf Meliors schmerzlichen Verlust, daneben schwingt jedoch als weitere mögliche Bedeutung unzweifelhaft auch ein »das letzte Geleit geben« (vgl. OLD 1500, s. v. prosequor 1 b) mit. 310 Van Dam (1984), 390; vgl. Cawsey (1983), 73.

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Die praefationes in den Silvae des Statius

eine wesentliche Rolle und werden mehrfach erwähnt. Schon zu Beginn des Gedichtes ist erstmals von dem goldenen Gefäß die Rede, in dem das Haar des Earinus nach Pergamon geschickt wurde (Silv. 3,4,2), und gegen Ende des Gedichtes wird innerhalb weniger Verse noch dreimal auf die kostbaren Beigaben aus Gold und Edelsteinen verwiesen. 311 Die Konzentration auf die rahmenden Passagen ermöglicht jedoch auch eine unauffällige Aussparung der thematisch heikleren Passagen im Inneren des Gedichtes bei der paratextuellen Präsentation. Interessant, und zwar gleich in zwei Punkten, ist auch der Befund für das letzte Gedicht des dritten Buches. Zum einen haben verschiedene Analysen des Gedichtes gezeigt, daß Silv. 3,5 alles andere als ein inoffizieller sermo zwischen Statius und seiner Ehefrau ist, sondern im Gegenteil derart starke Einflüsse der Rhetorik erkennen läßt, daß das Gedicht geradezu als suasoria bezeichnet werden kann.312 Insofern erweist sich die in der praefatio erst nachträglich gegebene Erläuterung (et qui persuadere malit quam placere; Silv. 3, praef. 22–23) als die gegenüber der ursprünglichen Klassifizierung zutreffendere Beschreibung des Gedichtes. Darüber hinaus geht Statius von der Anmerkung zu Silv. 3,5 unmittelbar zum Schluß der epistula über und stellt damit eine besondere Beziehung zwischen Pollius Felix und der an die eigene Ehefrau gerichteten ecloga her: huic praecipue libello favebis cum scias hanc destinationem quietis meae tibi maxime intendere meque non tam in patriam quam ad te secedere. vale. (Silv. 3, praef. 23–25). Umgekehrt wird aber auch Pollius Felix gegen Ende des Gedichtes als besonderer Freund des Dichters und damit implizit als weiterer Anreiz für dessen geplante Rückkehr nach Neapel erwähnt: meus [...] Pollius (Silv. 3,5,103). 313 Zwar geschieht dies nur eher beiläufig im Rahmen einer umfangreicheren Aufzählung der Vorzüge, die Neapel und Umgebung in den Augen des Dichters zu bieten haben, durch ihre Position kurz vor dem Ende dieses Kataloges ist die Erwähnung des Pollius Felix dennoch in besonderer Weise exponiert. Das Ende der epistula weist somit eine erkennbare Parallele zum Ende des letzten Gedichtes und damit auch des ganzen Buches auf. 311 Zusätzliche Aufmerksamkeit wird auf diese Gegenstände gelenkt durch den asymmetrischen Chiasmus, in dem die vier Stellen innerhalb des rahmenden Teils angeordnet sind. Nachdem in V. 2 zunächst nur von einem goldenen Gefäß die Rede ist, wird dessen wertvolle Ausstattung in V. 91 weiter ausgeführt: auro gemmisque locant. Nur wenig später wird der Spiegel als ähnlich kostbar geschildert gemmato speculum [...] auro (V. 94), bevor er abschließend wiederum nur sachlich knapp als speculum (V. 98) erwähnt wird. 312 Vessey (1977); Laguna (1992), 339–341; für Einflüsse anderer literarischer Vorlagen, insbesondere Hor. carm. 2,6, s. auch Burck (1987). 313 Dieser Umstand spricht auch für die Annahme von Vessey (1973), 134, nach der die am Schluß der dritten praefatio formulierte Freude des Dichters über seine künftige räumliche Nähe zum Adressaten authentisch und keine bloße Schmeichelei gegenüber einem reichen patronus ist.

Präsentation und Inhalt der Einzelgedichte

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Ein weiteres Mal kehrt ein inhaltlicher Aspekt des Gedichtes auch in der Anmerkung zu Silv. 4,3 wieder, in der Statius den wichtigsten Vorzug der neuen Via Domitiana nochmals wiederholt (qua gravissimam harenarum moram exemit; Silv. 4, praef. 7–8), nachdem die früheren desolaten Zustände auch innerhalb des Gedichtes extensiv geschildert wurden (Silv. 4,3,20– 23. 27–35; vgl. 126), um vor diesem Hintergrund das Verdienst des Kaisers besonders glanzvoll erscheinen zu lassen. Obgleich die bisher genannten Bezugnahmen auf den Inhalt einzelner Gedichte sehr unterschiedlich gestaltet sind, besteht eine wesentliche Gemeinsamkeit darin, daß es sich bei den in der paratextuellen Präsentation angesprochenen Aspekten stets um Details oder Motive handelt, denen innerhalb des jeweiligen Gedichtes eine besondere Bedeutung zukommt. Lediglich in einem einzigen Fall weicht Statius in signifikanter Weise von diesem Prinzip ab. Nachdem er im größeren Teil der Anmerkung zu Silv. 4,7 zunächst ausführlich auf die Rolle des ursprünglichen Adressaten Vibius Maximus im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Thebais eingeht, gibt er zum Thema des hier veröffentlichten Gedichtes nur knapp an, er bitte den Adressaten um baldige Rückkehr aus Dalmatien: sed nunc quoque eum reverti maturius ex Dalmatia rogo (Silv. 4, praef. 18–19). Innerhalb des Gedichtes selbst ist dieser Gedanke jedoch nur von geradezu marginaler Bedeutung. Dessen zweite Hälfte wird zur Gänze ausgefüllt von der gratulatio zur Geburt eines Sohnes des Adressaten (Silv. 4,7,29–56), und in der ersten Hälfte nehmen Statius’ Äußerungen über seine Dichtung – seine Ependichtung ebenso wie die Besonderheit des vorliegenden Gedichtes314 – breiten Raum ein. Vibius Maximus’ Rückkehr aus Dalmatien wird diesem Thema in starkem Maße untergeordnet. Zwar wird unmittelbar im Anschluß an das Proömium die Frage nach dem Zeitpunkt dieser Rückkehr gestellt, doch kommt der Dichter danach sofort wieder auf sich selbst und seine Dichtung zu sprechen, für die er dem Adressaten eine wichtige Unterstützerfunktion zuschreibt. Am Ende der entsprechenden Passage, und damit fast genau im Zentrum des gesamten Gedichtes, steht pointiert dessen Bedeutung für die Entstehung der Thebais: quippe te fido monitore nostra Thebais multa cruciata lima temptat audaci fide Mantuanae gaudia famae.

(Silv. 4,7,25–28)

314 Obgleich die Ungewöhnlichkeit der lyrischen Form gerade zu Beginn dieses Gedichtes in besonderer Weise angesprochen wird (Silv. 4,7,1–12), fehlt in der praefatio interessanterweise jeder Hinweis darauf. Ein solcher findet sich statt dessen bereits in der Anmerkung zu Silv. 4,5, dem jedenfalls nach der buchinternen Chronologie ersten lyrischen Gedicht der Sammlung, in dem die Außergewöhnlichkeit des Lyrischen selbst allerdings nicht in vergleichbarer Weise thematisiert wird (Silv. 4,5,4).

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Die praefationes in den Silvae des Statius

Unter deinen zuverlässigen Ermahnungen freilich oft mit der Feile gequält strebt meine Thebais in kühner Zuversicht nach den Freuden vergilischen Ruhms.

Zwar liegt hierin ein gewisser Zusammenhang mit der auf die Thebais bezogenen Bemerkung in der praefatio, dieser ist jedoch lediglich indirekt, da dort auf einen völlig anderen Text und ein anderes Produktionsstadium des Epos Bezug genommen wird. Mit dem auf das Gedicht selbst bezogenen Teil der Anmerkung wird Silv. 4,7 keineswegs in vergleichbarem Umfang präsentiert wie andere Gedichte des Corpus, über die nähere Angaben zum Inhalt gemacht werden. Der lapidare Charakter dieses einen Satzes deutet zudem darauf hin, daß es Statius offenbar gar nicht so sehr darum ging, das Gedicht als ganzes darzustellen. Das quantitative wie inhaltliche Hauptgewicht der Anmerkung liegt vielmehr auf Vibius Maximus’ Rolle bei der Publikation der Thebais. Statius funktioniert die reguläre Anmerkung zu Silv. 4,7 de facto um zu einer erneuten Erwähnung seines bisher einzigen veröffentlichten Epos, das damit zum zweiten Male im paratextuellen Bereich der Silvae zur Sprache kommt.

4.3 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse Die in den vorangegangenen Abschnitten zunächst durchgeführte Untersuchung der praefationes in den Silvae sowie der anschließende thematisch gegliederte Vergleich von Statius’ selbstreferentiellen Äußerungen in Text und Paratext der Silvae hat zum einen den recht umfassenden Charakter von Statius’ Präsentation seiner Gelegenheitsdichtung sowie seiner selbst als Dichter deutlich werden lassen. Zum anderen sind aber auch einige signifikante Differenzen zwischen der Präsentation im paratextuellen Bereich und innerhalb des Textes selbst sichtbar geworden. So gibt es mehrere Teilaspekte, die nur in den praefationes bzw. umgekehrt nur in den Gedichten thematisiert werden oder in beiden Bereichen zumindest auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen. In besonderer Weise gilt dies für diejenigen Aspekte, die Teil der Definition der in den Silvae veröffentlichten Gelegenheitsdichtung sind. Dazu gehört nicht zuletzt der Titel der Sammlung. Dieser wird im Bereich der praefationes erst sehr spät und eher beiläufig erwähnt, in den Gedichten selbst aber nirgends als solcher genannt. Dennoch klingt er an einigen wenigen Stellen in vordergründig anderen Verwendungen des Begriffes silva durchaus an. Im Gegensatz dazu ist bei der Abgrenzung der Silvae als kleiner Dichtung von der erhabenen Gattung des Epos, die für Statius jedoch keine grundsätzliche Entscheidung darstellt, ein deutlicher Schwerpunkt zu Be-

Zusammenfassung und Auswertung

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ginn der Sammlung festzustellen. Sie erfolgt sowohl im paratextuellen Bereich als auch in mehreren Gedichten des ersten Buches. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch wiederum darin, daß Statius für die kleine Dichtung in der ersten praefatio explizit den Begriff des praeludere im Gegensatz zu den als opera bezeichneten Werken der erhabenen, speziell der epischen, Dichtung verwendet (Silv. 1, praef. 9), während er deren spielerischen Charakter innerhalb der Gedichte selbst überwiegend implizit zum Ausdruck bringt. Terminologisch wieder aufgenommen wird das spielerische Element der Gelegenheitsdichtung erst in der praefatio des vierten Buches, also wiederum im Bereich des Paratextes, durch die Formulierung exerceri ioco (Silv. 4, praef. 29), mit der Statius in großer Ökonomie zugleich einen zweiten zentralen Begriff aus der Poetik der kleinen Dichtung ins Spiel bringt. Innerhalb der Gedichte kommt diese Wiederaufnahme nicht in derselben Weise zum Tragen. Zwar ist im vierten Buch der Silvae durchaus ein zweiter Schwerpunkt der Abgrenzung darin enthaltener Gedichte von der Epik festzustellen, doch geht es hier nicht mehr allgemein um die poetische Kleinform, sondern konkret um zwei lyrische Gedichte (Silv. 4,5; 4,7). Ähnliches gilt auch für den angeblich geringen Anspruch der vorliegenden Gedichte, den Statius ebenfalls mit besonderem Nachdruck in der ersten praefatio betont. Als Hauptursache dafür wird die Nachlässigkeit benannt, mit der die Gedichte aufgrund ihrer meist sehr kurzen Produktionszeit geschrieben worden seien. Trotz seiner vordergründig negativen Darstellung dieser celeritas ist Statius’ Stolz auf seine besondere Fähigkeit nicht zu übersehen. Das Thema wird auch in den beiden nachfolgenden praefationes wieder aufgegriffen, wobei sich zwei gegenläufige Tendenzen feststellen lassen: Während die Zahl der Erwähnungen einerseits stetig abnimmt, steigt andererseits ihr spektakulärer Charakter, da die angegebenen Zeiten tendenziell immer kürzer werden. Innerhalb der Gedichte kommt die celeritas indessen noch weniger zur Sprache als die Abgrenzung von der erhabenen Dichtung. Hier gibt es lediglich einige wenige, zudem sehr schwache Andeutungen. Die einzige Ausnahme, die Statius’ sonst nur indirekt faßbare positive Einstellung zu dieser Fähigkeit bestätigt, findet sich in einem der Gedichte außerhalb der vom Dichter selbst zur Veröffentlichung bestimmten Bücher. Ein zweiter Grund für mögliche Unzulänglichkeiten der Silvae besteht in dem rein privaten Charakter der ursprünglich für individuelle Adressaten bestimmten Gelegenheitsgedichte. Dieser Punkt, den Statius erst in der epistula zu Beginn des zweiten Buches, und auch hier scheinbar absichtslos, anspricht, wird innerhalb der Gedichte nicht einmal andeutungsweise thematisiert. Ein weiterer Gesichtspunkt, der in der ersten praefatio eine wichtige Rolle spielt, ist Statius’ Berufung auf bestimmte Präzedenzfälle, epische Dich-

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ter, die ebenso wie er auch kleine Gedichte mit weniger hohem Anspruch publiziert haben. Als konkrete Beispiele werden mit Homer und Vergil die führenden Epiker sowohl der griechischen als auch der lateinischen Literatur genannt. Obgleich beide Dichter auch innerhalb der Gedichte verschiedentlich erwähnt werden, erscheinen sie nirgends in vergleichbarer Form als Vorläufer auf dem Gebiet anspruchsloser praelusiones, sondern immer nur als Bezugsgrößen für die eigene epische Dichtung. Abgewandelt wird das Motiv der Berufung auf Vorläufer jedoch in den beiden lyrischen Gedichten des vierten Buches, in denen sich der Dichter mehr oder minder ausdrücklich auf Pindar und Horaz bezieht. Schließlich verwendet Statius in den paratextuellen Anmerkungen zu den Einzelgedichten verschiedentlich auch Gattungsnamen oder metrische Bezeichnungen. Auch diese ›technische‹ Terminologie ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, in den Gedichten auffallend abwesend. Im Bereich von Statius’ Selbstdarstellung als Dichter gibt es ähnliche Differenzen. Prinzipiell sind topische Bescheidenheitsäußerungen sowohl in den praefationes als auch in den Gedichten anzutreffen. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, daß derartige Äußerungen innerhalb der Gedichte fast immer im Dienste einer an den jeweiligen Adressaten gerichteten Panegyrik stehen, während sie im paratextuellen Bereich, wo wieder ein deutlicher Schwerpunkt zu Beginn des ersten Buches festzustellen ist, auf eine generelle captatio benevolentiae für die hier vorgelegte Art von Dichtung abzielen, die wiederum in den Gedichten keine Rolle spielt. Diese Zweiteilung spiegelt sich auch in der Terminologie, die Statius zur allgemeinen Bezeichnung seiner Gelegenheitsgedichte verwendet. Innerhalb des Textes werden sie meist carmina, in den praefationes hingegen geringschätziger libelli oder opuscula genannt. Parallel zu seinem ostentativ bescheidenen Auftreten läßt Statius aber auch ein großes künstlerisches Selbstbewußtsein durchblicken. Dieser Gesichtspunkt zeigt sich ebenfalls sehr deutlich bereits in der praefatio des ersten Buches, in Statius’ selbstverständlichem Anschluß an die namhaftesten aller denkbaren Vorläufer auf dem Gebiet anspruchsloser praelusiones zu epischen Werken. Schon hier ist die Assoziation mit den Vorläufern nicht allein auf den Aspekt der praelusiones bezogen, sondern impliziert zugleich auch eine Annäherung des Epikers Statius an die überragenden Vertreter dieser Gattung sowohl in der griechischen als auch in der lateinischen Literatur. Innerhalb des Textes verstärkt sich diese Tendenz. Zwar sind es auch hier vereinzelt ganz allgemein namhafte Dichter, mit denen Statius sich in irgendeiner Form assoziiert, weitaus häufiger sind jedoch die Bezugnahmen auf Vertreter des Epos, vor allem auf Vergil. Dabei ist im Verlauf des Werkes eine deutliche Steigerung zu beobachten. Besonders hoch ist die Zahl der entsprechenden Stellen im vierten Buch der Samm-

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lung, aber auch in den beiden persönlichen Gedichten des fünften Buches (Silv. 5,3 und 5,5). Anders als die bisher genannten Punkte wird der Gedanke des Nachruhms für das eigene Werk ausschließlich im Bereich des Textes thematisiert. Er wird zudem stets mehr oder weniger deutlich in bezug auf ein bestimmtes Gedicht, nicht aber für die Silvae oder die Dichtung des Statius allgemein formuliert. Seinen Namen schließlich nennt der Dichter allein im Bereich des Paratextes, und auch hier lediglich im Rahmen der funktionalen Briefanrede. Statius’ Äußerungen im Hinblick auf die Rezipienten seiner Gelegenheitsdichtung sind von einem starken Ungleichgewicht geprägt. Die individuellen Adressaten der Silvae, die ursprünglichen Einzeladressaten inklusive Domitian und in noch stärkerem Maße die Gesamtadressaten der ersten vier Bücher des Corpus, spielen nicht nur innerhalb der Gedichte, sondern auch in den praefationes eine bedeutende Rolle. Während unter den Aspekten der familiaritas zwischen Dichter und Adressaten und der enkomiastischen Charakterisierung der letzteren keine signifikanten Differenzen zwischen den Bereichen von Text und Paratext festzustellen sind, gibt es bei der Zuschreibung von Funktionen im Hinblick auf die Dichtung des Statius einen leicht nachvollziehbaren Unterschied. Innerhalb der Gedichte betont Statius an verschiedenen Stellen die Bedeutung des jeweiligen Adressaten für seine erfolgreiche Arbeit an der Thebais bzw. an anderen epischen Werken. Die Adressaten der praefationes werden dagegen ganz konkret in die Publikation der Silvae einbezogen. Dabei besteht ein bemerkenswerter Zusammenhang zwischen der im einzelnen zugewiesenen Funktion und denjenigen Punkten, die bei der Charakterisierung der Adressaten nicht nur in den praefationes, sondern auch in den an sie gerichteten Gedichten besonders hevorgehoben werden. Im Gegensatz dazu wird das außenstehende Publikum nur im paratextuellen Bereich und auch hier nur geradezu marginal erwähnt, obgleich kein Zweifel daran bestehen kann, daß Statius die praefationes der ersten vier Bücher durchaus mit Blick auf diesen bei der allgemeinen Publikation der Silvae neu hinzutretenden Rezipientenkreis geschrieben hat. Die ceteri erscheinen zudem sehr einseitig als kritische Rezipienten der Gelegenheitsdichtung. Eine gewisse Variation erfolgt lediglich dadurch, daß die kritische Haltung der Außenstehenden zu Beginn des Corpus als befürchtete Möglichkeit, in der praefatio des vierten Buches hingegen als zumindest partiell eingetretene Realität formuliert wird. Die gegenüber der anonymen Gruppe der ceteri auffällige Hervorhebung der individuellen Adressaten läßt darauf schließen, daß die Publikation der Silvae in nicht unerheblichem Maße auch einer ehrenden Präsentation von Angehörigen einer kulturellen Elite der zeitgenössischen römischen Gesellschaft diente.

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Die für diese drei Themenbereiche der selbstreferentiellen Aussagen des Statius festgestellten Differenzen bei der Thematisierung einzelner Punkte sind allerdings keineswegs willkürlich oder gar zufällig. Vielmehr ist bei den grundlegenden Detailinformationen zu der in den Silvae veröffentlichten Gelegenheitsdichtung, darunter etwa die Nennung des Titels oder des Dichternamens, die Abgrenzung von der erhabenen Dichtung des Epos, die Verwendung von Gattungsbezeichnungen etc. ein deutliches Übergewicht im Bereich des Paratextes festzustellen. Diejenigen Aspekte, die in beiden Bereichen zur Sprache kommen, werden von der »extrafictional voice« des Dichters zudem oft nüchterner und meist auch sehr viel expliziter thematisiert als von der persona der Gedichte. Daneben sind auch Äußerungen über tendenziell negative Gesichtspunkte, wie z. B. die potentielle Unzulänglichkeit der Gedichte aufgrund der celeritas ihrer Entstehung oder ihres ursprünglich privaten Charakters, fast ausschließlich innerhalb der praefationes anzutreffen. Umgekehrt sind es nur wenige Punkte, die Statius allein oder zumindest bevorzugt im Bereich des Textes anspricht, und auch dies geschieht teilweise eher indirekt. Hierzu zählt der Gedanke des Nachruhmes für einzelne seiner Gedichte, aber auch sein hoher Anspruch als epischer Dichter, der insbesondere in den späteren Büchern der Silvae, d. h. in größerer zeitlicher Distanz zur Publikation der Thebais, sowie außerhalb der von Statius selbst veröffentlichten Bücher formuliert wird. Die beobachteten Differenzen zwischen der paratextuellen und der intratextuellen Präsentation der Gedichte stehen in engem Zusammenhang mit den unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen bei den beiden Rezipientengruppen der Silvae. Unabhängig davon, ob die Gedichte tatsächlich, wie es von Statius dargestellt wird, in allen Fällen ursprünglich allein für ihren individuellen Adressaten bestimmt waren, erscheinen diese Adressaten als diejenigen, denen manche Charakteristika der Gelegenheitsdichtung nicht eigens erklärt werden müssen, da sie sich aus dem unmittelbaren Kontext selbst ergeben bzw. aufgrund eigener Beteiligung als bekannt vorausgesetzt werden können. Dies gilt nicht allein für Informationen über den individuellen Hintergrund, sondern etwa auch für den Umstand, daß ein eigentlich als Epiker bekannter Dichter außerdem in sehr kurzer Zeit für einzelne private Adressaten Gedichte von geringem Umfang produziert. Umfassendere Erläuterungen zum Charakter der Gelegenheitsdichtung werden erst den Außenstehenden, den nicht für alle Gedichte unmittelbar involvierten Buchadressaten und vor allem dem allgemeinen Publikum, gegeben. Offensichtlich um eine angemessene Rezeption seiner Gelegenheitsgedichte durch diese außenstehenden Leser zu sichern, schlüpft Statius auf der extrafiktionalen Ebene des Paratextes in die Rolle des Epikers, der sich gezwungen sieht, das Verfassen und vor allem die Publikation solcher kleinen Gedichte zu rechtfertigen und sich die außenstehenden Leser, die erst

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jetzt relevant werden, durch ein – zumindest vordergründig – ostentativ bescheidenes Auftreten geneigt zu machen. Dementsprechend liegt der absolute Schwerpunkt der einschlägigen Aussagen in der praefatio des ersten Buches, in der mit der auffälligen Ausnahme des Werktitels alle wesentlichen Besonderheiten der Silvae zum Teil sogar sehr nachdrücklich zur Sprache kommen. Die hier vorgenommene paratextuelle Rahmung wird in den beiden nachfolgenden praefationes weitergeführt bzw. in einzelnen Punkten ergänzt, vor allem aber in der Vorrede des vierten Buches, auf die im folgenden noch zurückzukommen sein wird, mit besonderer Intensität wieder aufgenommen. Sie wird darüber hinaus für einzelne Aspekte auch durch eine intratextuelle Rahmung gestützt, z. B. durch die mehrfache Wiederkehr des Gegensatzes von großer und kleiner Dichtung in der zweiten Hälfte des ersten Buches. Der eingehendere Blick auf das Verhältnis der paratextuellen Präsentation der Einzelgedichte zu deren jeweiligem Inhalt hat gezeigt, daß Statius hier weder nach einem festen Schema noch völlig willkürlich verfährt. Neben den regelmäßig wiederkehrenden Angaben zu Adressaten und Themen der Gedichte gibt es eine Reihe fakultativer Elemente, bei deren Verwendung sich mit Fortschreiten des Werkes einzelne Entwicklungen feststellen lassen: Im Laufe der Zeit schwinden die zu Beginn der Sammlung stark dominierenden Angaben zur Produktionszeit der Gedichte zugunsten anderer Detailinformationen, die vielfach auf konkrete Aspekte bezogen sind, welche innerhalb der Gedichte selbst eine wesentliche Rolle spielen. Obwohl Statius den Anschein erweckt, seine nicht unmittelbar beteiligten Leser umfassend über die Einzelgedichte zu informieren, enthalten die Anmerkungen tatsächlich in keinem Falle Angaben, die für das Verständnis des jeweiligen Gedichtes unverzichtbar wären. Tatsächlich sind aber auch die allgemeinen Charakteristika der Gelegenheitsdichtung für die Rezeption der Silvae, unabhängig vom unmittelbaren situativen Kontext der Einzelgedichte, nicht in dem Maße erklärungsbedürftig, wie Statius’ paratextuelle Präsentation suggeriert. Die Gedichte wären für Außenstehende durchaus auch ohne eine nachdrückliche paratextuelle Betonung der celeritas oder ihrer Abgrenzung von der Epik verständlich. Mit seiner ausführlichen, überwiegend apologetischen Kommentierung der Silvae in den praefationes macht sich Statius vielmehr den Unterschied zwischen den beiden Rezipientenebenen zunutze, um eine ganz bestimmte Sichtweise seiner Gedichte zu vermitteln. Die praefationes sind mithin nur vordergründig informative Widmungsbriefe oder – mit den Worten von Pavlovskis – »purely utilitarian«315, auf der metapoetischen Ebene besteht

315 Pavlovskis (1967), 539.

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ihre eigentliche Funktion in der dissimulatio artis, mit der der Dichter tatsächlich natürlich um so größeres Lob für seine Dichtung zu erhalten sucht. In den späteren praefationes nutzt Statius die zunehmende Freiheit bei der Gestaltung der ›Inhaltsverzeichnisse‹ in einzelnen Fällen sogar, um die Anmerkungen zu bestimmten Gedichten darüber hinaus auch für strukturelle Zwecke zu funktionalisieren. Neben zwei Anmerkungen in der vierten praefatio zählt hierzu auch der kurze Kommentar zu Silv. 3,5. Mit seiner Erläuterung zum Inhalt dieses Gedichtes, die unmerklich in den Schluß der epistula übergeht, markiert Statius das letzte Gedicht des dritten Buches bereits an dessen Anfang klar als Abschluß der Sammlung, denn unabhängig von möglichen realen Hintergründen316 ist in Statius’ Ankündigung seines Rückzuges aus Rom auch das zur Markierung von Werkschlüssen häufiger verwendete Motiv der Heimkehr zu sehen.317 So wie die damit signalisierte Geschlossenheit der ersten drei Bücher der Silvae ist auch die enge Verwandtschaft der dazugehörigen drei praefationes trotz der darin festgestellten thematischen Entwicklungen nicht zu übersehen.318 Für die Ebene der unmittelbaren Adressaten handelt es sich zwar durchaus um selbständige, informative Widmungsbriefe, für die zweite Adressatenebene, das allgemeine Publikum, fungieren die drei epistulae jedoch als dreiteiliges »Originalvorwort«, bei dem die Relevanz der einzelnen Glieder für die Exposition des Gesamtwerkes im Laufe der Zeit abnimmt. Um so unerwarteter muß hiernach die Fortsetzung der Sammlung durch ein viertes Buch erscheinen. Statius selbst trägt diesem Umstand Rechnung durch die Anmerkung zu Silv. 4,4. Die hier erfolgende Bezeichnung des fraglichen Gedichtes als epistula [...] quam tibi in hoc libro a Neapoli scribo (Silv. 4, praef. 9–10) bewirkt eine klare Anknüpfung an den Schluß des vorhergehenden Buches, mit der Statius den abschließenden Charakter des Heimkehrgedankens rückwirkend zu überbrücken sucht. Auf diese Weise macht er sein letztes selbst veröffentlichtes Buch de facto ganz selbstver316 In der Forschung wird Statius’ Entschluß, nach Neapel zurückzukehren, entweder auf gesundheitliche Gründe zurückgeführt (so v. a. Vollmer (1898), 19; Vessey (1973), 44) oder auf seinen Mißerfolg im Capitolinischen Agon (hierzu v.a. Garthwaite (1978), 136–145, der alternativ erwägt, Statius könne wegen des subversiven Charakters von Silv. 3,4 in Ungnade gefallen sein (Garthwaite (1984), 124); vgl. auch Hardie (1983), 182; Laguna (1992), 7. – Denkbar wäre allerdings auch eine reine Fiktionalität der geplanten Rückkehr nach Neapel; vgl. Vessey (1977), 140; van Dam (1984), 1. 317 Ähnlich wie in der letzten praefatio Martials ist das Motiv der Heimkehr hier als »closural allusion« zu bewerten; vgl. Fowler (1989), 81–82 sowie Smith (1968), 172–182. Für die in Silv. 3,5 enthaltenen Anklänge an die Odyssee und insbesondere das Nostos-Motiv s. Vessey (1977), 139–140. – Hardie (1983), 182, bezeichnet Silv. 3,5 als ›Epilog‹ der ursprünglich nur drei Bücher umfassenden Sammlung. 318 Vgl. Vollmer (1898), 383: »Man lese einmal die Vorreden der drei ersten Bücher hintereinander: es macht den Eindruck, als ob sie alle drei in einem Zug geschrieben wären.«

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ständlich zum vierten Buch einer Trilogie und greift damit dem rund 1900 Jahre späteren Douglas Adams vor.319 Doch ist es nicht nur dieser raffinierte Anschluß innerhalb einer eigentlich nur auf ein Einzelgedicht bezogenen Anmerkung, durch den die praefatio des vierten Buches an die vorhergehenden Bücher anknüpft. In ihrem weiteren Verlauf findet sich noch eine Vielzahl weiterer Rückbezüge, vor allem auf die erste praefatio der Gedichtsammlung. Mit Ausnahme der expliziten Erwähnung der Thebais in der Anmerkung zu Silv. 4,7 konzentrieren sich diese Rückbezüge auf Statius’ allgemeine Stellungnahme zu der angeblich nach der Publikation der ersten drei Bücher erfolgten Kritik an den Silvae, die an die kommentierte Aufzählung der Einzelgedichte anschließt (Silv. 4, praef. 24–35). Aufgrund einer gewissen zeitlichen Distanz zu den früheren Büchern sowie insbesondere aufgrund der Auseinandersetzung mit seither erfolgten Reaktionen muß die vorliegende praefatio nach den Kategorien Genettes als ein »nachträgliches Vorwort« angesehen werden. Statius’ Haltung zu seiner Dichtung bleibt zwar auch hier im wesentlichen unverändert, durch die mehr oder minder variierte Wiederaufnahme zentraler Punkte der ersten praefatio wird die Programmatik der Silvae an dieser Stelle aber nochmals in recht umfassender Form zur Sprache gebracht. Die erste und die letzte praefatio bilden somit auch äußerlich einen paratextuellen Rahmen der Gedichtsammlung.320 Obgleich sie als wohl authentischer Begleitbrief für die Übersendung des Einzelgedichtes Silv. 5,1 von gänzlich anderer Art ist als die ersten vier praefationes in den Silvae des Statius, ist auch die epistula zu Beginn des fünften Buches für die hier vorgenommene Untersuchung keineswegs uninteressant. Ihre Existenz legt nicht nur nahe, daß es offenbar durchaus üblich war, auch einzelne, persönlich zugeeignete Gedichte bei der ersten Übergabe mit einem separaten Widmungsbrief zu begleiten, in dem mit der Art des Verhältnisses zwischen Dichter und Adressat321 und dem Lob besonderer Qualifikationen des Adressaten im wesentlichen dieselben Aspekte thematisiert wurden wie im Zusammenhang mit den übrigen Einzeladressaten. 319 Die skurrile Übereinstimmung geht sogar noch weiter, denn ebenso wie die Silvae, wenn auch erst nach dem Tode des Dichters, schließlich noch um ein fünftes Buch erweitert wurden, gibt es auch von Douglas Adams ein fünftes Buch der vierbändigen Trilogie Per Anhalter durch die Galaxis. 320 Trotz des geringeren Umfangs der Silvae und ihres insgesamt deutlich kürzeren Publikationszeitraumes kann auch hier der Umstand vernachlässigt werden, daß die praefatio des vierten Buches nicht auch formal das abschließende Element des Werkes bildet (zu Mart. 12, praef. s.o. S. 234 Anm. 409). 321 Von einer familiaritas im eigentlichen Sinne kann in diesem Falle nicht die Rede sein, da offenbar in erster Linie die beiden Ehefrauen miteinander bekannt waren (Silv. 5, praef. 6), während Statius selbst noch keine nennenswerten Kontakte zu Abascantus unterhielt (Silv. 5, praef. 10–11).

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Darüber hinaus wird ersichtlich, wie die zeitgenössischen bzw. nur wenig späteren Rezipienten der Silvae die verschiedenen Funktionen der epistulae gewichteten. Für einen postumen Editor des fünften Buches wäre es zweifellos ein leichtes gewesen, nach dem Muster der vorhergehenden epistulae ein kommentiertes Verzeichnis der in diesem Buch enthaltenen Gedichte an den Anfang zu stellen, um dessen Leser in der gewohnten Form über den Inhalt zu informieren. Wenn dies nicht geschieht und das Buch statt einer solchen »allographen Vorrede« mit einem möglicherweise nur zufällig verfügbaren, echten Widmungsbrief eröffnet wird, wenngleich dieser nur auf eines der darin enthaltenen Gedichte bezogen ist, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, daß die zueignende Funktion bzw. die damit verbundene Ehrung für den ursprünglichen Adressaten einen deutlich höheren Stellenwert hatte als die Information außenstehender Leser.

5 Schluß

Aufgrund der großen zeitlichen Nähe der beiden Gedichtsammlungen, in denen erstmals in der lateinischen Literatur in Prosa verfaßte praefationes zu finden sind, werden die Vorreden der Epigrammaton libri Martials und der Silvae des Statius vielfach geradezu in einem Atemzug genannt. Die in den Kapiteln 3 und 4 dieser Arbeit durchgeführten Analysen der praefationes beider Dichter sowohl als in sich geschlossener epistulae als auch in ihrer Relation zu den jeweils begleiteten Texten haben jedoch deutlich gemacht, daß die praefationes beider Dichter im Detail weitaus weniger gemeinsam haben, als es auf den ersten Blick erscheint. Die vorhandenen Gemeinsamkeiten beschränken sich in erster Linie auf einige eher äußerliche Aspekte. Dazu gehört zunächst die Tatsache, daß es sich in beiden Fällen formal fast ausschließlich um persönlich adressierte Widmungsbriefe handelt 1 , in denen darüber hinaus auch metapoetische Themen angesprochen werden, die nicht nur für die individuellen Adressaten der einzelnen epistulae relevant sind, sondern auch rezeptionssteuernde Funktionen im Hinblick auf ein breiteres Publikum anonymer Leser haben, bei deren erstem Kontakt mit dem jeweiligen Werk also ein erstes »text/ context-based framing« der Gedichtsammlungen bewirken.2 Des weiteren erfolgt ebenfalls in beiden Fällen eine äußere Rahmung durch die praefationes des jeweils ersten und letzten selbstveröffentlichten Buches der Sammlungen. Ebenso wie bei mehrere Bücher umfassenden Werken anderer Autoren kommt auch in den Epigrammaton libri und in den Silvae der Vorrede des ersten Buches die mit Abstand bedeutendste Rolle bei der Exposition des Werkes zu. In ihrer letzten praefatio blicken beide Dichter hingegen aus unterschiedlich großer zeitlicher Distanz 3 auf ihr Werk zurück 1 Die identische Anzahl von jeweils fünf praefationes muß hingegen als zufällig betrachtet werden, da das fünfte Buch der Silvae einschließlich seiner praefatio kein Teil der von Statius selbst zusammengestellten Gedichtsammlung ist. 2 Wolf (1999), 102, definiert ein solches »text/context-based framing« als »the framing contained in a text and its immediate context«. 3 Ebenfalls in beiden Fällen wird die zeitliche durch eine räumliche und auch situative Distanz ergänzt, denn sowohl Martial als auch Statius haben ihren eigenen Angaben zufolge das jeweils letzte Buch ihrer Gedichtsammlungen erst nach der Rückkehr in ihre Heimat nach Rom gesandt. Entsprechend dem Grad der, auch im Zusammenhang mit der zeitlichen Distanz zu den früheren Teilen ihres jeweiligen Werkes, gewandelten Einstellung ist die letzte praefatio Martials nach den Kategorien Genettes als »spätes Vorwort«, die letzte ›richtige‹ praefatio des Statius hingegen als »nachträgliches Vorwort« zu klassifizieren.

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und schließen die paratextuelle Rahmung durch signifikante Rückbezüge auf die praefatio des ersten Buches ab. Im Detail bestehen jedoch auch hier erhebliche Unterschiede. Denn während es bei Martial ein ganz konkretes Moment ist, das die erste und die letzte praefatio der Epigrammaton libri miteinander verbindet, nämlich die Rolle der anonymen Rezipienten seiner Dichtung, knüpft Statius, allerdings mit radikal gewandelter Souveränität des Auftretens, in seiner vierten praefatio in einer ganzen Reihe von Punkten an seine erste Exposition der Programmatik der Silvae an. Zwischen diesen beiden Eckpunkten entwickelt sich die paratextuelle Präsentation der Gedichtsammlungen jedoch auf sehr individuelle Weise. Statius’ Präsentation der Silvae erscheint prima vista sehr geschlossen. Nachdem in der praefatio des ersten Buches mehrere wesentliche Charakteristika der vorliegenden Gelegenheitsdichtung thematisiert werden, darunter der Gegensatz dieser kleinen Gedichte zur großen Dichtung des Epos, ihr spielerischer Charakter und besonders nachdrücklich die celeritas, mit der die Gedichte (angeblich) entstanden sind, wird dieser letzte Aspekt auch in den praefationes des zweiten und dritten Buches mit abnehmender Intensität wieder aufgegriffen. Ab der zweiten praefatio kommt als zweiter wichtiger Grund für mögliche Unzulänglichkeiten der Gedichte ihr aufgrund ihres Ursprungs vielfach sehr persönlicher Charakter hinzu. Auch dieser Punkt wird nicht nur einmalig, sondern ebenfalls für mehrere der Gedichte des zweiten Buches angesprochen und klingt auch in der nächsten praefatio nochmals an. Daneben trägt auch die regelmäßige Kommentierung der Einzelgedichte, mit der der Dichter außenstehenden Lesern einige elementare Informationen zu den einzelnen Gedichten vermittelt, stark zum Eindruck einer Geschlossenheit der Präsentation bei. Nichtsdestoweniger sind diese Anmerkungen nicht an einem verbindlichen Muster orientiert und dienen auch keineswegs ausschließlich ihrem vordergründigen Informationszweck. Abgesehen von zwei so gut wie regelmäßig vorhandenen Basiselementen (Nennung des ursprünglichen Adressaten und Thema des Gedichtes) werden vielmehr teilweise recht verschiedene Angaben über die Gedichte gemacht, teilweise werden die Anmerkungen auch zur wiederholten Thematisierung bestimmter Aspekte wie insbesondere der celeritas in der praefatio des ersten Buches oder später zur Herstellung subtiler Verknüpfungen zu vorhergehenden praefationes funktionalisiert. Dies gilt vor allem für die Anmerkungen zu den Gedichten des vierten Buches, in denen der Dichter gleich zweimal in auffälliger Weise an Aussagen in früheren Vorreden anknüpft. Während Statius seine Leser mit Hilfe der praefationes äußerlich scheinbar lückenlos durch die Gedichtsammlung geleitet, erscheint Martials Gebrauch von praefationes und damit auch die paratextuelle Präsentation seiner Gedichte auf den ersten Blick unsystematisch. Die Präsentation sei-

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nes Werkes, die Martial in der praefatio des ersten Buches vornimmt, ist überaus komplex und geht mit der Vielzahl angesprochener Gesichtspunkte um einiges über Statius’ programmatische Stellungnahme vor Beginn des ersten Buches der Silvae hinaus. Sie enthält nicht nur eine umfassende Stellungnahme zum Charakter der explizit als epigrammata eingeführten kleinen Gedichte, in der die Harmlosigkeit ihres Spottes ebenso betont wird wie die lascivia und die Nähe zum Bereich des Theaters bzw. der karnevalesken Feste. Mit seiner Berufung auf namhafte Vorläufer in dieser Gattung erhebt Martial zugleich auch Anspruch auf Popularität und bestimmt des weiteren in souveräner Weise das von ihm anvisierte Publikum. Aufgrund der unregelmäßigen und teilweise großen Intervalle zwischen den einzelnen praefationes sowie deren vielfältiger formaler und inhaltlicher Gestaltung erfolgt die anschließende Ergänzung dann jedoch oftmals in scheinbar absichtsloser, zuweilen geradezu zufällig anmutender Art und Weise. Obgleich dabei in Einzelfällen durchaus Rückbezüge auf Aspekte festzustellen sind, die in einer der früheren praefationes bereits angesprochen wurden, gibt es keine rein redundanten Wiederholungen. Wann immer ein Gesichtspunkt, wie z. B. das Motiv der ›anderen‹ Verfasser von Epigrammen, ein zweites Mal aufgegriffen wird, ist damit stets eine sachliche Erweiterung verbunden. Anders als die praefationes des Statius, die durchweg auch für sich allein eine bestimmte Rahmung des Buches bewirken, vor dem sie stehen, ist die individuelle Rahmungsfunktion der Vorreden Martials sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zwar werden auch bei ihm in einigen der epistulae einzelne Punkte angesprochen, die speziell für das jeweilige Buch relevant sind, weitaus wichtiger als diese mit Ausnahme der ersten praefatio immer nur partielle Rahmung ist jedoch die rahmende Funktion, die der Paratext als ganzer für das ganze Corpus der Epigramme hat. Des weiteren bestehen weitreichende Bezüge zwischen der paratextuellen Rahmung und der in den programmatischen Äußerungen der Gedichte selbst erfolgenden intratextuellen Rahmung der Epigrammaton libri. Mit Ausnahme einiger weniger Details kommt fast das gesamte Spektrum der in den Gedichten thematisierten Aspekte in reduzierter Form auch im Bereich der praefationes zur Sprache 4 , und in manchen Fällen sind sogar in beiden Bereichen parallele Entwicklungen zu beobachten. Dies gilt etwa für die Etablierung der Gattungsbezeichnung epigramma ebenso wie für den Wandel des eben bereits angesprochenen Verweises auf Vorgänger in der Epigrammdichtung. Der Unterschied zwischen der paratextuellen Rahmung 4 Mit Ausnahme der vor allem im ersten Buch sehr markanten Auseinandersetzung mit Plagiatoren sind die meisten dieser Auslassungen im paratextuellen Bereich (z. B. Angaben zur Metrik, Spott gegen schlechte Dichter oder die Selbstdarstellung als ›Bettelpoet‹) leicht nachzuvollziehen.

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und der in den Gedichten selbst erfolgenden intratextuellen Rahmung ist somit in erster Linie ein gradueller. Wenn Martial in den praefationes alle wesentlichen Aspekte der Programmatik seiner Dichtung wiederholt, macht er sich dabei den auktorialeren Charakter seiner »extrafictional voice« zunutze, die die im Bereich des Paratextes gemachten Aussagen auf eine seriösere Ebene hebt als die inhaltlich vergleichbaren Äußerungen der persona innerhalb der Gedichte. Durch die eigenwillige Gestaltung der einzelnen praefationes wird der Eindruck auktorialer Seriosität allerdings wieder etwas gedämpft. Im Gegensatz dazu bestehen bei Statius einige deutliche inhaltliche Differenzen zwischen der paratextuellen Präsentation der Silvae und den selbstreferentiellen Äußerungen innerhalb der Gedichte. Während der »extrafiktionale« Statius der praefationes zumindest vordergründig in geradezu extremer Weise apologetisch auftritt und in dem Bewußtsein zu sprechen scheint, daß seine Gedichte aufgrund ihrer Eigenart für eine breite Öffentlichkeit im Grunde gar nicht geeignet sind, werden diese angeblich eklatanten Nachteile in den Gedichten selbst so gut wie nirgends zur Sprache gebracht. Im Bereich des Textes sind selbstreferentielle Aussagen des Dichters vergleichsweise selten, und wenn, dann werden die entsprechenden Aspekte vielfach nicht explizit formuliert, sondern zum Teil auch in spielerisch-indirekter Form vermittelt. Ein markantes Beispiel hierfür ist etwa die Abgrenzung der ›kleinen‹ Gelegenheitsgedichte von der epischen Dichtung, die, im paratextuellen Bereich generell und unter Verwendung einschlägiger Termini wie ludere oder ioci formuliert, hier immer nur für den Einzelfall des jeweiligen Gedichtes thematisiert wird. Auch andere Details werden stets nur im Zusammenhang mit einzelnen Gedichten angesprochen und sind für sich allein genommen durchweg nicht auf die Sammlung als ganze zu beziehen. 5 Ähnliches gilt auch für alle anderen Bereiche der selbstreferentiellen Äußerungen des Statius: Sein ostentativ bescheidenes Auftreten als Dichter erscheint nur in den praefationes allgemein durch den angeblich geringen Anspruch der Silvae motiviert. Vergleichbare Äußerungen in den Gedichten selbst sind nur an den jeweiligen Adressaten gerichtet und dienen daher vor allem enkomiastischen Zwecken. Umgekehrt wird der Gedanke an etwaigen Nachruhm ausschließlich innerhalb der Gedichte und mit sehr eng begrenzter Geltung, für die Thebais oder einzelne der kleinen Gedichte, niemals aber für die gesamte Sammlung der Silvae formuliert. Homer und Vergil werden in den Gedichten nicht etwa, wie in 5 Dennoch erhalten einige solcher Aussagen durch ihre Positionierung innerhalb des Corpus sekundär auch eine Bedeutung für die Silvae als Gedichtsammlung. So ist die Abgrenzung der Gelegenheitsdichtung von der Epik mit besonderer Häufigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Buches (Silv. 1,4,19–28; 1,5,1–18; 1,6,1–8) anzutreffen, wodurch der in dessen praefatio generell formulierte Aspekt im Bereich des Textes eine gewisse Unterstützung erfährt.

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der ersten praefatio des Corpus, als Präzedenzfälle für das Verfassen weniger seriöser Dichtungen genannt, sondern ausschließlich als Vorbilder, denen Statius auf dem Gebiet des Epos nacheifert. Sofern Adressaten von Einzelgedichten eine Funktion im Hinblick auf die Dichtung des Statius zugewiesen wird, geht es dabei um eines seiner Epen, nicht wie in den praefationes nahezu regelmäßig um die Silvae bzw. einzelne ihrer Bücher. Ein anonymes Publikum, in den praefationes durchgehend als ceteri bezeichnet, spielt in den Gedichten selbst überhaupt keine Rolle. Die genannten Unterschiede zwischen Statius’ Darstellung seiner Silvae und auch seiner selbst in Text und Paratext sind zurückzuführen auf die in beiden Bereichen unterschiedliche Haltung des Dichters zu seinem Werk, die mit der von ihm benannten Genese der Sammlung zusammenhängt. In den Silvae finden sich ausschließlich Gedichte, die als ursprünglich allein für individuelle Einzeladressaten verfaßt dargestellt werden. Dementsprechend sind die in den Gedichten selbst faßbaren programmatischen Aussagen nicht nur immer auf das jeweilige Gedicht begrenzt, manche Aspekte erscheinen auf dieser Ebene auch gar nicht erst erklärungsbedürftig. So muß Statius gegenüber einem Einzeladressaten, der über den Empfang eines auf ihn persönlich bezogenen Gedichtes sicherlich erfreut war, seinen zeitweiligen Wechsel von der Epik auf das Gebiet der weniger seriösen kleinen Dichtung wohl kaum grundsätzlich rechtfertigen oder gar entschuldigen. In den praefationes nutzt Statius die gegenüber dem allgemeinen Publikum, für das der unmittelbare Reiz der Gedichte verflogen ist 6 , scheinbare Notwendigkeit, sich ausführlicher über die Besonderheit seiner Gelegenheitsdichtung und seine Entscheidung zu deren Publikation zu äußern, zu einer betont bescheidenen Präsentation seiner Gedichtsammlung im Sinne einer dissimulatio artis. Zwar hat auch Martial aller Wahrscheinlichkeit nach einige der später in die Epigrammaton libri aufgenommenen Gedichte zuvor bereits einzeln oder in kleineren Sammlungen an individuelle Adressaten gesandt und teilweise auch gezielt bzw. sogar auf besonderen Auftrag für diese geschrieben. 7 Da das Corpus daneben jedoch eine ganze Reihe von Gedichten 6 In der praefatio des ersten Buches spricht Statius pointiert von der gratia celeritatis als dem einzigen Reiz seiner Gelegenheitsgedichte, der darin besteht, daß die Gedichte zum Teil überaus zeitnah zu den jeweils behandelten Ereignissen entstanden. Hinzu kommen jedoch auch die überwiegend privaten Gegenstände der Gedichte, bei denen das Interesse einer breiten Öffentlichkeit nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. 7 In einigen Fällen behandeln beide Dichter sogar denselben Anlaß: die Hochzeit von Stella und Violentilla (Mart. 6,21; Silv. 1,2), das Bad des Claudius Etruscus (Mart. 6,42; Silv. 1,5), den Tod des Glaucias (Mart. 6,28/29; Silv. 2,1), Lucans Geburtstag (Mart. 7,21–23; Silv. 2,7), den Tod des Vaters des Claudius Etruscus (Mart. 7,40; Silv. 3,3), das Haaropfer des Earinus (Mart. 9,11– 13. 16/17; Silv. 3,4), Novius Vindex’ Herculesstatue (Mart. 9,43–44; Silv. 4,6). Für einen Vergleich der Gedichte beider Dichter zu denselben Themen s. Henriksén (1998), 89–111.

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enthält, die erst im Hinblick auf die Sammlung als ganze verfaßt wurden, ist die weitgehende Konsistenz der Programmatik in Text und Paratext bei ihm nicht überraschend. Trotz der stellenweise sehr individuellen Gestaltung der praefationes spielt die antike Exordialtopik, die im Abschnitt 2.2 dieser Arbeit skizziert wurde, in der paratextuellen Präsentation der eigenen Gedichtsammlungen bei Martial ebenso wie bei Statius eine gewisse Rolle. Bisweilen werden auch dieselben Topoi verwendet, doch werden diese von beiden Dichtern auf überaus unterschiedliche Weise gebraucht und zum Teil auch gezielt für bestimmte Zwecke instrumentalisiert. In besonderem Maße gilt dies für die Wendung an die Rezipienten der eigenen Dichtung. Bei beiden Dichtern ist zu unterscheiden zwischen den individuellen Widmungsadressaten der einzelnen Gedichtbücher8 und dem allgemeinen Publikum anonymer Leser. Hinsichtlich der Bewertung beider Gruppen und ihrer Behandlung bestehen jedoch signifikante Unterschiede. Für Martial spielen die anonymen Rezipienten der Epigramme eine außerordentlich große Rolle. Daß die Präsentation seiner Dichtung in erster Linie für sie bestimmt ist, zeigt sich nicht nur darin, daß sich die praefatio des ersten Buches, auch ohne explizite Anrede an den lector, allein an das unbestimmte Publikum und nicht noch an einen Widmungsadressaten als Mittelsperson wendet. In dieser ersten praefatio nimmt Martial zudem eine unmißverständliche Bestimmung des für seine Epigramme gewünschten Rezipientenkreises vor. In der praefatio des zwölften Buches erscheint die Rolle des allgemeinen Publikums dann nicht mehr in rezeptions- sondern in produktionsästhetischer Perspektive: Hier wird rückblickend die Bedeutung thematisiert, die der Umgang mit seinen Rezipienten für die Entstehung der Epigramme Martials hatte. Demgegenüber spielen die individuellen Adressaten der epistulae nur eine untergeordnete Rolle. Grund dafür ist nicht allein der Umstand, daß nur vier der Bücher überhaupt mit einer persönlich adressierten praefatio versehen sind, sondern auch der Charakter dieser praefationes. Tatsächlich können nur die an Domitian bzw. an Terentius Priscus gerichteten praefationes der Bücher 8 und 12 als Widmungsbriefe im engeren Sinne aufgefaßt wer-

8 Hinzu kommen prinzipiell die individuellen Adressaten einiger (im Falle Martials) bzw. aller (im Falle des Statius) Einzelgedichte, von denen manche auch zur Gruppe der Buchadressaten gehören. Für die praefationes Martials spielen diese keine unmittelbare Rolle. Bei Statius treten sie hingegen insofern in Erscheinung, als die Namen der ursprünglichen Adressaten in den Anmerkungen zu den Einzelgedichten regelmäßig genannt werden. Der Kaiser, der bei Martial Widmungsadressat der praefatio des achten Buches ist, ist bei Statius lediglich als originärer Adressat einzelner, wenngleich auch überdurchschnittlich vieler, Gedichte vertreten. Nichtsdestoweniger nimmt er im Zusammenhang mit den ursprünglich an ihn gerichteten Gedichten in den praefationes namentlich des ersten und des vierten Buches einen nicht unerheblichen Raum ein.

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den. Im Gegensatz dazu kommt eine formelle Zueignung des jeweiligen Buches in den sehr leger und beinahe als private Mitteilungen gestalteten epistulae der Bücher 2 und 9 nirgends zum Ausdruck. Übereinstimmend damit werden Decianus und Toranius auch in keiner Weise in die Publikation des für sie bestimmten Buches einbezogen. Sieht man von der mit der Person des Adressaten begründeten pudicitia des achten Buches ab, so findet sich dieses in Einleitungspassagen topische Element sogar lediglich im Zusammenhang mit Terentius Priscus, den Martial abschließend ersucht, das Buch auf seine Eignung für das hauptstädtische Publikum zu prüfen. Die praefationes des Statius sind dagegen in ostentativer Weise auf ihren jeweiligen Widmungsadressaten ausgerichtet, der stets in eine besondere Beziehung zu dem entsprechenden Buch gesetzt wird. Im Unterschied zu Martials nachdrücklicher Wendung an das allgemeine Publikum erscheint Statius’ Präsentation der Silvae geradezu ›introvertiert‹: Sie wendet sich vordergründig an einen Personenkreis, der über die Eigenarten der Gedichte durch mehr oder minder große eigene Beteiligung an der Entstehung einzelner Teile der Sammlung zumindest partiell im Bilde sein müßte, während die eigentlich zu informierenden ceteri lediglich vereinzelt überhaupt erwähnt und selbst dann nur als gewissermaßen heimliche Mitleser im Hintergrund imaginiert werden. Ein zweiter proömialer Topos, der in den praefationes beider Dichter eine zentrale Rolle spielt, ist der geringe Anspruch des vorgelegten Werkes. Sowohl Martial als auch Statius behandeln in ihren Gedichten im weitesten Sinne Themen aus der zeitgenössischen römischen Realität und heben den Gegensatz dieser Art von Dichtung zu erhabenen Gattungen, speziell der Epik, in einer ihrer Vorreden mit besonderem Nachdruck hervor. Doch während Statius dies gleich zu Beginn des Werkes tut, finden sich bei Martial an dieser Stelle nur erste Andeutungen konkret in der Verwendung von Begriffen wie ludere, ioci oder auch simplicitas, von denen letzterer jedoch darüber hinaus mit weiteren Konnotationen behaftet ist. In überaus prägnanter Form wird der Gegensatz der Epigrammdichtung zur erhabenen Poesie dagegen erst in der im epigramma extra ordinem paginarum der praefatio des neunten Buches enthaltenen ›Bildunterschrift‹ für ein – möglicherweise auch fiktives – Bildnis Martials formuliert, die zugleich die absolut stärkste und umfassendste Selbstaussage des Dichters darstellt, die in den Epigrammaton libri zu finden ist. Als Grund für die Anspruchslosigkeit seiner Epigramme nennt Martial hier die darin behandelten alltäglichen Stoffe, die er als parva bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht bei Statius die angebliche Nachlässigkeit bei der Produktion der Gedichte bzw. deren privater Charakter im Vordergrund. Erst in zweiter Linie wird damit ebenfalls eine oftmals wenig erhabene Natur der materia seiner Gedichte impliziert.

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Trotz dieses betont geringen Anspruches sind beide Dichter zweifellos von der literarischen Berechtigung ihrer kleinen Dichtung überzeugt und bestrebt, diese auch einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Dies geschieht allerdings wiederum auf sehr unterschiedliche Weise. Neben einigen grundsätzlichen Angaben spielt bei Statius immer auch der Einzelfall eines jeden Gedichtes eine wichtige Rolle. Wenn Statius jedes Gedicht mit einer eigenen kurzen Anmerkung versieht, trägt er damit der Heterogenität einer Sammlung Rechnung, deren Einzelgedichte nach wie vor ihren ursprünglichen individuellen Situationsbezug aufweisen und sich nicht ohne weiteres in eine gemeinsame Definition fassen lassen. Eine solche Einzelaufzählung ist bei Martial schon aufgrund der erheblich größeren Anzahl der in den einzelnen Epigrammbüchern enthaltenen Gedichte völlig ausgeschlossen. Dafür wird schon in Martials erster praefatio deutlich, daß sie aufgrund des Wesens der Epigrammdichtung auch gar nicht nötig ist. Hier gibt der Dichter eine auffallend weitreichende Definition seiner Epigrammdichtung und signalisiert durch den Hinweis auf eine Entindividualisierung von Spottgedichten ebenso wie durch die Assoziation mit den szenischen Darbietungen des Mimus implizit auch deren Allgemeinverständlichkeit. Auch hinsichtlich eines dritten präfatorischen Topos, der von beiden Dichtern verwendet wird, bestehen im Detail gewisse Unterschiede. Martial und Statius berufen sich, beide in ihrer ersten praefatio, auf bekannte Vorläufer, um ihre Dichtung im weitesten Sinne zu rechtfertigen. Martial nennt mehrere namhafte Dichter, die vor ihm bereits Epigramme verfaßt haben. Er evoziert damit den Gedanken an eine bestimmte Gattungstradition, an die er anknüpft, und gibt dem Leser so einen ersten Hinweis auf die zu erwartende Art der Gedichte. Wenn Statius hingegen zwei anspruchslosere Werke großer Epiker anführt, dient dies nicht dazu, das Wesen der Silvae näher zu bestimmen, denn der scherzhaft-spielerische Charakter des Culex und der Batrachomachia sind ihrem Wesen nach mit den Silvae nicht zu vergleichen. Es geht Statius vielmehr allein darum, aus den konkreten Einzelbeispielen eines Vergil und Homer auch für sich die Berechtigung abzuleiten, neben epischer auch geringerwertige Dichtung zu veröffentlichen – und bei dieser Gelegenheit indirekt auch seinen hohen Anspruch als Epiker zur Sprache zu bringen. 9 Damit dient der Verweis auf Vorläufer auch bei Statius letztlich einer Verortung seiner selbst, allerdings gerade nicht auf dem Gebiet der unmittelbar vorgelegten kleinen Dichtung, sondern auf dem der von ihm hauptsächlich gepflogenen Gattung. Mit diesen zwei Funktionsebenen ist Statius’ Verwendung des Vorgängertopos erkennbar komplexer als die Martials und kann, wenn man sie als gesucht originelle Abwand-

9 Zu den Unterschieden bei der Berufung auf Vorgänger vgl. auch Citroni (1968), 267.

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lung des bekannten Topos betrachtet, geradezu als manieristisch angesehen werden. 10 Daß die Kritik an praefationes, die Martial in seiner metapräfatorischen epistula zum zweiten Buch der Epigrammaton libri äußert, nicht auf Statius abzielen kann, ist oben im Abschnitt 2.4 bereits dargelegt worden. Umgekehrt fällt allerdings auf, daß auch Statius ausgerechnet zu Beginn der praefatio des zweiten Buches der Silvae andeutet, daß diese im Grunde überflüssig sei: ut totus hic ad te liber meus etiam sine epistula spectet (Silv. 2, praef. 3–4). Interessant sind vor allem die Begründungen, die Martial und Statius jeweils für die Entbehrlichkeit von praefationes geben, denn sie lassen Rückschlüsse darauf zu, was jeder von ihnen als deren wesentliche Funktion ansieht. Im Abschnitt 3.2.4 konnte gezeigt werden, daß Martial Prosavorreden bei Epigrammbüchern prinzipiell für überflüssig hält, sie in bestimmten Einzelfällen aber dennoch verwendet, um zusätzliche Aussagen über seine Gedichte zu machen. Statius dagegen erklärt die Prosavorrede nur für den konkreten Einzelfall von Buch 2 für eigentlich unnötig, und zwar deshalb, weil dessen Bezug auf den Adressaten auch ohne praefatio allein aus dem Inhalt des Buches ersichtlich sei. Damit legt er zum einen ein entscheidendes Gewicht auf die Widmungsfunktion, zum anderen aber zeigt die Tatsache, daß diese praefatio trotz ihrer angeblichen Verzichtbarkeit in voller Länge ausgeschrieben wird, wie wesentlich die Kommentierung der im Buch enthaltenen Gedichte für Statius ist. Aufgrund der Eigentümlichkeit, daß sich beide Dichter an exakt derselben Stelle zur Notwendigkeit von Prosavorreden äußern, ist es in der Tat attraktiv, in Statius’ Äußerung einen Reflex von Martials dezidierter Ablehnung der praefationes zu sehen. Dieser ist jedoch keineswegs mehr als eine bloße Anspielung, die innerhalb der zweiten praefatio des Statius in zweifacher Weise funktionalisiert wird. Auf der primären Ebene der Kommunikation mit dem Widmungsadressaten steht der Gedanke im Dienst der Schmeichelei, im Rahmen der sekundären Kommunikation mit dem allgemeinen Publikum aber als weiteres Signal für den in dieser praefatio besonders betonten persönlichen Charakter mancher der in den Silvae enthaltenen Gedichte. Eine weitere Bezugnahme des Statius auf Martial wird postuliert für die praefatio des vierten Buches der Silvae, deren Erwähnung Domitians als der Versuch aufgefaßt wurde, die an den Kaiser gerichtete Huldigung in der praefatio des kurz zuvor publizierten achten Buches der Epigramme zu übertreffen. 11 Der lückenhafte Überlieferungszustand gerade der entschei10 Zu Statius’ ›Manierismus‹ s.o. S. 16 Anm. 14. 11 Frère (1930), 309–310; vgl. dazu auch Heuvel (1936/37), 325; noch weitergehende Parallelen zieht Fearnley (1998), 206–214.

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denden Passage von Statius’ vierter praefatio läßt jedoch keinen eingehenderen Vergleich zu. Aus poetologischer Perspektive weitaus interessanter ist ohnehin eine andere auffällige Berührung zwischen den praefationes beider Dichter. Sowohl Martial als auch Statius setzen sich in einer ihrer Vorreden mit Gegnern ihres Werkes auseinander. Bei einem Vergleich der betreffenden Stellen fällt zunächst eine gewisse Ähnlichkeit auf. Beide Dichter wenden sich in scherzhaft-polemischer Form gegen ihre Kritiker und geben diesen unmißverständlich zu verstehen, wie sie mit der vorliegenden Dichtung umgehen bzw. darauf reagieren sollen. Die jeweilige Ausgangslage ist allerdings völlig unterschiedlich: Martial sichert sich in seiner epistula zum ersten Buch schon im Vorwege souverän gegen mögliche Kritik ab. Statius dagegen reagiert erst in der Vorrede des vierten Buches der Silvae auf angeblich bereits erfolgte Kritik, auf die er trotz aller Koketterie mit den Unzulänglichkeiten der Gedichte in den vorhergehenden praefationes anscheinend nicht gefaßt war. Die Anführung einer Vielzahl nicht wirklich starker Argumente für die Publikation der Silvae, die auf den ersten Blick als Ausdruck einer fehlenden Distanz zur geäußerten Kritik erscheinen kann, erweist sich als umfassende Wiederaufnahme zentraler programmatischer Aspekte aus der praefatio des ersten Buches. Mit der auffälligen Verwendung iussiver Konjunktive weist die offensive Art und Weise, wie Statius mit seinen nicht identifizierten, möglicherweise allein um der Auseinandersetzung willen eingeführten Kritikern umgeht, interessante Parallelen zu Martials geradezu mutwilliger Art der Stellungnahme zu seinen Kritikern auf (Mart 1, praef. 15–16). Andererseits zeigt sich in Martials letzter praefatio eine leicht apologetische Tendenz, die in zwei Aspekten an Statius’ Haltung in seinen früheren praefationes erinnert. Hier äußert sich auch Martial besorgt über eine mögliche Unzulänglichkeit dieses letzten Epigrammbuches, die er auf seine anregungsarme, feindselige Umgebung zurückführt und die ihn diesmal dazu veranlaßt, den Adressaten um kritische Beurteilung zu bitten. In seiner Aussage, er habe das Buch paucissimis diebus (Mart. 12, praef. 21) zusammengestellt, klingt überdies die celeritas an, aus der Martial aber keine weitere Abwertung des Buches ableitet. Die letzte praefatio Martials ist in starkem Maße durchdrungen von der Topik der Exilliteratur, mit der der Dichter seine veränderte Situation illustriert und zugleich den Boden für eine angemessene Rezeption positiver Gedichte über das Leben in Spanien bereitet. Seine neue Verzagtheit steht damit in engem Zusammenhang und ist keineswegs als Ausdruck einer realen Desillusionierung aufzufassen. Beide Dichter verfolgen bei ihrer paratextuellen Selbstdarstellung mithin völlig gegenläufige Strategien, bei denen die am Schluß eingenommene

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Haltung jeweils einzelne interessante Parallelen zu der anfänglichen Selbstpräsentation des jeweils anderen aufweist. Während Martial zu Beginn seiner Sammlung mit besonderer Souveränität auftritt und sich gegen Ende desillusioniert gibt, geht Statius den umgekehrten Weg und zeigt sich nach seinem früher überaus apologetischen Auftreten am Ende seines Werkes ungewohnt kämpferisch. Dieser ›intertextuelle Chiasmus‹ dürfte kaum als bloßer Zufall zu werten sein. Es ist vielmehr zu vermuten, daß Martial und Statius bei der Gestaltung ihrer abschließenden praefationes die bekannte grundverschiedene Haltung des jeweils anderen als Anregung nahmen, um auf diese Weise den durch das Verstreichen eines mehr oder minder großen zeitlichen Intervalls eingetretenen Wandel der Verhältnisse sowie der Perspektive auf das eigene Werk und damit letztlich auch dessen Abschluß zu markieren. Obwohl Martial und Statius in ihren Prosavorreden den jeweils anderen niemals erwähnen, hat man doch den Eindruck, daß sie sich in einigen Einzelheiten gegenseitig beeinflußt haben und zumindest teilweise aufeinander Bezug nehmen. Eindeutige Indizien für die angenommene Feindschaft zwischen beiden sind im paratextuellen Bereich hingegen nicht enthalten. 12 Die Frage, ob es vor Martial und Statius bereits andere Dichter gegeben hat, die ihren poetischen Werken in Prosa verfaßte praefationes voranstellten, die mehr als nur ephemere Widmungsbriefe waren, muß auch am Ende dieser Untersuchung offen bleiben. Bei aller Eigenständigkeit, mit der beide Dichter ihre praefationes gestalten und verwenden, ist es dennoch durchaus möglich, daß sie an eine gewisse Tradition solcher Prosavorreden anknüpfen. Ebenso ist jedoch denkbar, daß sie die ersten waren, die ihre individuelle Form der praefatio auf der Basis der zeitgenössisch wohl in der Tat recht verbreiteten Praxis widmender Begleitschreiben 13 entwickelten und dabei natürlich auch von der im Abschnitt 2.2 skizzierten Tradition formal selbständiger Prosa-praefationes zu Prosawerken beeinflußt wurden. In diesem Falle wäre Martial als der primus inventor dieser Art öffentlicher Widmungsbriefe zu betrachten, der den etwas späteren Statius eventuell zur selbständigen Entwicklung einer eigenen Form der praefationes anregte. 12 Wenn man in der Konzeption einzelner Prosavorreden Martials unbedingt nach eventueller Kritik an Statius suchen will, ließe sich allenfalls die praefatio zu Buch 9 der Epigramme anführen. In deren Prosateil liefert Martial nach einer bei ihm sonst nicht üblichen, bei Statius aber regelmäßig vorhandenen Apostrophierung des Adressaten mit einem Superlativ lediglich eine banale Hintergrundinformation zum folgenden epigramma extra ordinem paginarum, in dem dann erst die eigentlichen und überaus bedeutsamen literarkritischen Äußerungen erfolgen. Der Versuch, hierin eine spöttische Anspielung auf Statius’ Einzelkommentierungen zu sehen, wäre zumindest nicht bereits von der Chronologie her ausgeschlossen. 13 Hierfür spricht nicht zuletzt die Existenz der praefatio zum fünften Buch der Silvae; vgl. auch Plin. epist. 3,10; 4,14; 7,12.

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Geht man davon aus, daß praefationes, oder zumindest widmende Begleitschreiben, gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. in der römischen Literatur weiter verbreitet oder möglicherweise sogar eine Art Modeerscheinung waren, ist der Grund für die Überlieferung der praefationes in den Epigrammaton libri und in den Silvae möglicherweise gerade in der Neuartigkeit der beiden Gedichtsammlungen zu suchen, in denen erstmals kleine Gedichte, wie sie zuvor nur für den privaten Rahmen verfaßt wurden, einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurden. Bei einem gänzlich neuartigen Werk wurde ein solches paratextuelles Element sicherlich um einiges leichter als fest dazugehöriger Bestandteil betrachtet als etwa bei Werken anderer poetischer Gattungen wie Epos oder Tragödie, die zuvor jahrhundertelang ohne Prosavorreden ausgekommen waren.

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Indices

1 Stellen Die im Text behandelten, zitierten oder erwähnten Stellen sind vollständig verzeichnet, die in Fußnoten vorkommenden nur in Auswahl. Für die Epigramme Martials wird nicht nach einzelnen Versen differenziert. Anthologia Palatina 9,369: 164/258 12,208: 214f./382 Aristoteles poet. 1448a 19–24: 79 Catull 1,3–4: 101, 314/203 Cicero Arch. 18: 320/216 Att. 1,16,15: 99/103 de orat. 3,194: 320/216 orat. 1: 242, 259, 275, 346 Columella 10, praef.: 27/24, 33–34 Commodianus instr. 1,1,1: 217 Demokrit fr. B 18 D–K: 319/216 Aelius Donatus vita Verg. 163–169: 99 Hirtius Gall. 8, praef.: 30 Homer Il. 2,489: 327/237 Horaz carm. 1–3: 55 carm. 3,30: 169/270, 339–340 epist. 1,20: 139, 215/383 sat. 1,4: 64–67, 235 sat. 1,4,41–42: 279 sat. 1,9,3–4: 142/206 sat. 2,1,1–8: 81–83, 297/160 sat. 2,1,39–41: 64 ars 290–291: 264 ars 292–294: 255/37 ars 295–298: 320/217 ars 333: 279/105

Isidor orig. 6,8,9: 24 Juvenal 1,153–171: 64 1,170–171: 144 7,82–86: 336/257 Kallimachos h. 2,108–112: 157/241, 206 Konrad v. Hirsau Dial. super auct. 23,24–25: 24 Livius praef.: 31 Martial 1, praef.: 25/13, 27/24, 52–78, 85–87, 95–96, 126, 140, 167, 200–204, 223– 239, 371–373, 376 1, praef. tit.: 27/24, 59, 69, 127, 201, 234 1, praef. 1–9: 60–67, 91–93, 95, 140– 142, 145–147 1, praef. 1–3: 60–61, 73, 91, 93, 133, 146, 242/6 1, praef. 3–5: 61, 140 1, praef. 5–6: 61–62, 65, 91–93, 111, 190, 201 1, praef. 6–8: 62–63, 65, 73, 89/82, 126, 133, 151, 187/310 1, praef. 8–9: 63 1, praef. 9–17: 67–73, 93–95, 150–151, 182, 187, 380–381 1, praef. 9–10: 62/17, 67–68, 73, 94, 126 1, praef. 10–12: 68, 94, 129, 170–171, 179 1, praef. 12–14: 26/20, 68, 73, 75, 95, 116/154, 201, 231, 234–235 1, praef. 14–15: 69, 73, 126, 208–209, 212 1, praef. 15–16: 70–72, 77, 143, 182/ 299, 233–236, 291, 293/150, 380

Stellen 1, praef. 16–17: 26/20, 71–72, 91, 98, 182, 227 1, praef. 18–21: 59–60, 70–73, 91, 96/ 98, 143, 182, 227, 233, 235–236 1, praef. 20: 73, 94 1,1: 69/30, 126, 128, 136/191, 168, 170– 175, 194, 200, 210/373, 221, 340 1,2: 69/30, 165/260, 210/373 1,3: 135, 139, 165/260 1,4: 54, 127, 135, 138, 150, 180–182 1,5: 127, 131, 199–200 1,8: 143 1,16: 164 1,25: 178 1,35: 54, 135, 148–150, 180–181 1,49: 160 1,53: 138 1,61: 160/248, 169/270, 176–177, 202/ 355 1,63: 127, 198–199 1,70: 197 1,76: 153/232 1,78: 143 1,96: 141 1,108: 197 1,110: 127, 164/257 1,113: 132, 210/373 1,117: 127–128, 198, 210/373 1,118: 128, 137/193, 165/260 2, praef.: 52–56, 78–88, 185, 201–202, 212–213, 221–239, 377, 379 2, praef. 1: 78, 83 2, praef. 2: 82, 84, 105, 303 2, praef. 2–3: 78–79, 128 2, praef. 4–6: 26/20, 34, 79, 222 2, praef. 6–8: 79, 104, 128, 136–137, 140, 215, 303 2, praef. 8–9: 80, 182–183 2, praef. 9–11: 80, 150–151, 209 2, praef. 11–12: 80, 82, 84, 185–186, 201 2, praef. 12–14: 80–81 2, praef. 14–15: 60/6, 81, 83–85, 90, 98/100, 165, 194, 227–228 2,1: 84, 90, 128, 137/193, 165, 194, 200, 224/402, 227 2,8: 137/193, 190, 210/373 2,23: 141–143 2,67: 142f./206 2,71: 130, 166/262, 177/288 2,72: 143/206 2,77: 130, 134, 164/257, 177/288 2,86: 132, 154, 169 2,89: 144

397 2,93: 69, 139 3,1: 159, 194, 200 3,2: 138, 215/384 3,4: 215/384 3,5: 138/198, 165/260, 199, 213–218, 222, 225–226, 262/56, 368/317 3,8: 143 3,11: 143, 145–146 3,14: 160 3,16: 145–147 3,18: 217–223, 225–226 3,20: 158–159 3,59: 145–147 3,68: 135–136, 181/299, 204–205, 210 3,69: 205 3,80: 137 3,86: 150 3,97: 146–147 3,99: 145–147 4,1: 194 4,10: 155/236 4,14: 131, 178, 195–196, 199, 207 4,17: 146 4,23: 177/287 4,29: 147, 165/261 4,32: 155/237, 156/241 4,41: 217–221, 226 4,49: 132, 152 4,55: 160 4,72: 198, 210/373 4,82: 165/260, 197, 208/370 4,89: 139, 165/260 5,1: 195, 237 5,2: 136, 200, 204 5,5: 131, 134, 153/232, 177–178 5,6: 196, 200 5,10: 172 5,13: 191 5,15: 141/204 5,16: 152, 191f./327, 209–210 5,28: 184/304 5,30: 149, 207/368 5,33: 184 5,36: 147/220 5,55: 155/239 5,73: 198 5,80: 188, 198/342 5,84: 149 6,1: 195 6,32: 143 6,41: 217–221, 226 6,60(61): 168, 172–173, 210/373 6,61(60): 172, 154/234, 210/373

398 6,64: 168/267, 178/289, 200 6,65: 135/185, 166 6,71: 160 6,82: 137/193, 190 7,1: 194 7,3: 198 7,12: 141/204, 211 7,17: 152–153 7,21: 145, 177 7,22: 160, 177 7,23: 145, 177 7,25: 136, 178–179 7,26: 199 7,46: 226/403 7,68: 153/232 7,72: 141/204 7,80: 196 7,81: 164 7,88: 156/241, 168/267, 205–206 7,90: 164, 185 7,97: 196 7,99: 131/179, 177/288 8, praef.: 84/67, 87–97, 105–106, 150, 201, 203, 224–239, 286, 376, 379 8, praef. 1–2: 88 8, praef. 3–10: 91–93, 95 8, praef. 3–5: 88, 90/85, 91, 93, 171, 189, 192/329, 201 8, praef. 5–6: 88, 90/85, 203, 284/114 8, praef. 6–7: 89, 91, 111 8, praef. 7–10: 89, 90/85, 93, 133 8, praef. 11–18: 93–95 8, praef. 11–13: 129, 134, 150, 209 8, praef. 13–14: 90, 136/190 8, praef. 14–17: 88–90 8, praef. 17–18: 90, 129, 228 8,1: 90, 96/98, 129, 135, 194–195, 200, 228 8,3: 139/199, 152, 153/233, 168/267, 206/365 8,20: 320/217 8,55: 131, 134, 165/260, 177/288 9, praef.: 98–106, 150, 201–203, 224– 239, 377, 381/12 9, praef. 1–6: 60/6, 98–101, 103–105 129, 173–174, 201 9, praef. ep.: 59–60, 98–100, 179, 225 9, praef. ep. 1–4: 102–104, 172–175 9, praef. ep. 5–8: 101–105, 171–175, 193, 225, 231, 339/263, 377 9, praef. ep. 5: 114/144, 133, 190, 314/ 203, 333/250 9, praef. ep. 6: 210

Indices 9, praef. ep. 7: 157 9,1: 99, 194, 228 9,11: 156/241, 166 9,27: 143 9,28: 135/188, 144, 150 9,50: 152, 164/257 9,61: 161/249 9,76: 339/263 9,81: 112/138 9,89: 137/193 9,99: 157/241 10,1: 138, 164/257, 165/260, 194, 200 10,2: 211 10,3: 141/204 10,4: 152, 155 10,9: 141/204, 151 10,13: 160–161 10,18: 149 10,20: 131, 144, 154/234, 177/288, 196, 208 10,21: 154 10,33: 140–141, 146 10,35: 153/232 10,40: 145 10,45: 163 10,59: 163, 164/257, 205 10,64: 134, 145, 178, 197 10,65: 160/247 10,69: 145 10,78: 131/179, 160 10,91: 145 10,93: 196 10,96: 160 10,100: 137–138 10,103: 131/179, 159–160, 168/267, 177/288 10,104: 160 11,1: 195 11,2: 144, 149–150, 181–182 11,5: 143 11,6: 149 11,8: 141/205 11,15: 135, 144, 182 11,16: 138, 163, 181–182, 204–205 11,17: 163 11,20: 61/11, 134 11,39: 144 11,42: 156f./241 11,89: 145 11,90: 154/235 11,108: 166/262, 210/373 12, praef.: 84/67, 107–121, 129, 158, 163, 193, 203–204, 227–239, 368/

Stellen 317, 371–372, 376, 380–381 12, praef. 1–6: 108–109, 116–117 12, praef. 4–6: 119–120 12, praef. 6–17: 109–113, 116–117, 204/ 360 12, praef. 7–9: 109–110, 112 12, praef. 9–10: 112, 189, 211–212 12, praef. 10–14: 110, 112/139, 297/158 12, praef. 14–17: 112, 183–184, 187 12, praef. 17–18: 109, 201, 204 12, praef. 18–27: 109, 113–116, 201 12, praef. 18–22: 107–109, 113–114, 189, 204, 380 12, praef. 22–24: 113–114, 204 12, praef. 24–25: 114–115, 133 12, praef. 25–27: 114, 116/153 12,1: 108, 194–195, 208, 228 12,2: 69/31, 159–160, 176 12,4: 206 12,11: 196 12,21: 160–161 12,31: 160/249 12,61: 136, 147/220 12,78: 147/220 12,94: 129, 147, 153–154 Cornelius Nepos praef.: 30–31 Att. 18,5–6: 99/103 Ovid fast. 5,347–352: 70 met. 15,871–879: 169/270, 339–340 Pont. 4,2,33–36: 113 trist. 1,1: 214–215, 217 trist. 2,361–466: 74, 134 trist. 4,10,1: 99, 170/272, 333 trist. 4,10,111–120: 117–118 trist. 5,1,25–28: 111 trist. 5,7,57–60: 119 Persius 1,2–4: 81–83, 297/160 Petron 132,15: 75–76, 140f./203, 181/297, 235 Phaedrus 3, praef. 45–50: 64 Platon Apol. 22 a–c: 319/216 Ion 533e–535a: 319/216 Phaidr. 245a: 319/216 Plinius maior nat. praef.: 32 Plinius minor epist. 4,14,4: 94/96 epist. 4,14,9: 13/2, 126/169

399 epist. 4,14,8: 81/62 epist. 5,3,5–6: 13/2, 74, 94, 134 Properz 3,1: 169/270 Quintilian inst. praef.: 32–33 inst. 4,1,8: 221 inst. 8,3,31: 34 inst. 10,3,17–18: 290–291, 305 Seneca maior contr. 1, praef.: 31–32 contr. 2,4,12–13: 63/20 Seneca minor dial. 11,18,9: 118 (Herc. O.) 1640–1641: 306/179 Statius Silv. 1, praef.: 59/3, 113–114, 189/320, 241–261, 268, 270, 275–276, 294– 297, 299–300, 310, 316–318, 321, 346, 363–364, 367–372, 380 Silv. 1, praef. 1–15: 241–248, 330–331, 337–338 Silv. 1, praef. 1–2: 241–242, 275, 342, 346 Silv. 1, praef. 2–5: 54, 243, 246–247, 260, 273/82, 294, 322/224 Silv. 1, praef. 5–7: 243–248, 337, 364 Silv. 1, praef. 7–9: 243–244, 246, 248, 294–296, 307, 314–316, 323–325, 330, 363, 375, 378 Silv. 1, praef. 10–11: 245, 355 Silv. 1, praef. 11–13: 245–246, 274, 354, 365, 375 Silv. 1, praef. 13–14: 114/143, 246 Silv. 1, praef. 14–15: 246, 248, 273 Silv. 1, praef. 16–32: 248–259 Silv. 1, praef. 16–20: 54, 114/143, 248– 249, 255–259, 268, 285, 294, 352– 353, 357 Silv. 1, praef. 20–23: 114/143, 249–250, 255, 259, 274, 282/111, 325–326, 342, 346, 357 Silv. 1, praef. 23–26: 250 Silv. 1, praef. 27–28: 250–251, 268, 357 Silv. 1, praef. 29–30: 54, 114/143, 251– 252, 268, 321, 358/307 Silv. 1, praef. 30–32: 252–254, 269/75, 280, 317, 352, 358 Silv. 1,1: 257, 351 Silv. 1,1,2–3: 318 Silv. 1,1,37–51: 257 Silv. 1,1,63–65: 257 Silv. 1,1,68–73: 258/48

400 Silv. 1,1,91–94: 339–340 Silv. 1,2: 310/188, 313/198 u. 199, 342/ 271, 346 Silv. 1,2,3–10: 314/202 Silv. 1,2,252–257: 331 Silv. 1,2,257–259: 342–343 Silv. 1,2,260–265: 343/272 Silv. 1,2,267: 315 Silv. 1,3,50–51: 315/205 u. 207 Silv. 1,3,90–104: 349 Silv. 1,4,19–23: 307, 312 Silv. 1,4,25–28: 308, 313/196, 327/237 Silv. 1,4,34–36: 308 Silv. 1,5: 252/30, 314/204, 349/287 Silv. 1,5,5–9: 308–311 Silv. 1,5,8–9: 333/251, 349 Silv. 1,5,10–11: 358/307 Silv. 1,5,11–12: 313 Silv. 1,5,13–14: 314 Silv. 1,5,29–30: 309, 353/296 Silv. 1,6: 351 Silv. 1,6,1–7: 253/33, 309, 315/206 Silv. 1,6,48: 352 Silv. 1,6,82: 253/33 Silv. 1,6,93–97: 253/34, 328–329 Silv. 1,6,98–102: 339 Silv. 2, praef.: 113–114, 261–271, 275– 276, 299–300, 310, 316–317, 322, 338, 359, 363, 368, 372 Silv. 2, praef. 1–3: 114/142, 262, 265, 343 Silv. 2, praef. 3–4: 262, 270, 273, 303, 379 Silv. 2, praef. 4–12: 52/100, 263–264, 267–271, 274, 316/208, 325/234, 353–354, 356, 358–359, 365, 375 Silv. 2, praef. 12–14: 264–265, 267–270, 316, 330 Silv. 2, praef. 14–16: 264–265, 267–268, 322, 338, 357 Silv. 2, praef. 16–18: 265–266, 268–270, 317, 321–322, 352 Silv. 2, praef. 18–22: 266, 269, 281/110, 325, 355/299, 357, 359 Silv. 2, praef. 22–24: 266, 269, 280, 325/234, 350/289 Silv. 2, praef. 24–26: 266–269, 326 330 Silv. 2, praef. 27–29: 114/146, 254, 267, 275, 282, 330, 347 Silv. 2,1,1–35: 318 Silv. 2,1,5–8: 358 Silv. 2,1,19–35: 323/226, 343 Silv. 2,1,26–28: 343

Indices Silv. 2,1,36–40: 328 Silv. 2,1,117: 332/246 Silv. 2,1,166–168: 323/226, 343 Silv. 2,2: 344 Silv. 2,2,36–44: 327–328 Silv. 2,2,129: 329/243 Silv. 2,3: 322/225 Silv. 2,3,6–7: 310 Silv. 2,3,62–63: 310/189, 338, 357 Silv. 2,3,64–71: 344/237 Silv. 2,4: 322/225 Silv. 2,4,4–5: 344 Silv. 2,4,32: 344 Silv. 2,5: 285/117, 351 Silv. 2,5,24–26: 339 Silv. 2,6: 343, 359 Silv. 2,6,20: 332/246 Silv. 2,6,50: 353/296 Silv. 2,7: 307/180, 325–326, 349/285 Silv. 2,7,13: 306 Silv. 2,7,41–80: 325 Silv. 2,7,55: 315 Silv. 2,7,62–63: 279 Silv. 2,7,124–131: 350/289 Silv. 3, praef.: 113–114, 272–283, 296, 299–300, 310, 316, 338, 363, 368, 372 Silv. 3, praef. 1–2: 114/142, 272–273, 276 Silv. 3, praef. 2–4: 256, 272–276, 281, 330, 344 Silv. 3, praef. 4–6: 114/142, 273, 330, 344 Silv. 3, praef. 6–7: 114/146, 274–276, 305 Silv. 3, praef. 7–8: 275, 281, 346 Silv. 3, praef. 8–10: 276–277, 281, 306, 317, 321/221, 322/224, 356, 359 Silv. 3, praef. 11–14: 277, 281/109, 326, 348, 350/289, 352 Silv. 3, praef. 14–16: 277, 281/109, 338, 350/289 Silv. 3, praef. 16–20: 256, 259, 277–278, 281/110, 317, 338/260, 359 Silv. 3, praef. 20–23: 279–280, 281/109, 316, 323, 326/234, 357, 360, 368 Silv. 3, praef. 23–25: 254, 280, 323, 344, 360, 368 Silv. 3,1: 307/180, 310/188, 314, 318, 324, 325/232, 344 Silv. 3,1,8–11: 318/212 Silv. 3,1,64–67: 345 Silv. 3,1,163–164: 359

Stellen Silv. 3,1,185: 306 Silv. 3,2,40–41: 329/243 Silv. 3,2,92–93: 350/289 Silv. 3,2,131–132: 336/258 Silv. 3,2,132–135: 348 Silv. 3,3: 343 Silv. 3,3,8–12: 350/289 Silv. 3,3,37–39: 338 Silv. 3,3,173–177: 350/289 Silv. 3,4: 256, 259, 278, 317, 351, 368/ 316 Silv. 3,4,2: 360 Silv. 3,4,91–98: 360/311 Silv. 3,5: 323, 341/269, 360, 368/317 Silv. 3,5,28–33: 335 Silv. 3,5,33–35: 318 Silv. 3,5,103: 360 Silv. 4, praef.: 113–114, 283–300, 310, 324, 367, 369, 371–372, 379–380 Silv. 4, praef. 1–2: 284–285, 345 Silv. 4, praef. 2–5: 285–287, 352 Silv. 4, praef. 5–6: 281/110, 286, 352 Silv. 4, praef. 6–7: 286, 352 Silv. 4, praef. 7–8: 286–289, 352, 361 Silv. 4, praef. 8–10: 18/21, 285/115, 287, 289, 325–326, 357, 368 Silv. 4, praef. 10–13: 281/110, 287, 289, 325/234, 357–358 Silv. 4, praef. 13–15: 281/110, 287–289, 355/299, 357 Silv. 4, praef. 15–19: 35, 288, 296, 337, 350, 361–362, 369 Silv. 4, praef. 19–22: 288, 326/234 Silv. 4, praef. 22–24: 288–289, 316/208, 357 Silv. 4, praef. 24–35: 289–298, 338, 365, 369, 380 Silv. 4, praef. 24–25: 289, 305 Silv. 4, praef. 25–27: 289–290, 291/140, 294, 297, 354 Silv. 4, praef. 27–28: 290, 292, 294 Silv. 4, praef. 28–29: 289, 292, 294, 353 Silv. 4, praef. 29–31: 291/140, 292, 294– 297, 310, 315–316, 363 Silv. 4, praef. 31–33: 289, 292, 296–297 Silv. 4, praef. 33–34: 292–293, 296 Silv. 4, praef. 34–35: 254, 275, 282, 293, 347 Silv. 4,1: 351 Silv. 4,2: 349/283, 351 Silv. 4,2,1–4: 332 Silv. 4,2,8–10: 332 Silv. 4,2,57: 329/243

401 Silv. 4,2,64–67: 336 Silv. 4,3: 351 Silv. 4,3,20–23: 361 Silv. 4,3,27–35: 361 Silv. 4,3,11–120: 329/243 Silv. 4,3,126: 361 Silv. 4,4: 35, 285/115, 346 Silv. 4,4,1: 326, 357 Silv. 4,4,12–105: 326–327 Silv. 4,4,20–26: 345 Silv. 4,4,41–45: 347 Silv. 4,4,46–49: 345 Silv. 4,4,46–50: 329/242 Silv. 4,4,55: 332 Silv. 4,4,69–72: 329/242 Silv. 4,4,87–97: 345 Silv. 4,4,89: 333 Silv. 4,4,94: 333/252 Silv. 4,4,97–100: 351 Silv. 4,5: 324, 363 Silv. 4,5,3: 350 Silv. 4,5,3–4: 311 Silv. 4,5,22–24: 336 Silv. 4,5,25–26: 349, 351 Silv. 4,5,57–60: 350 Silv. 4,6,3–4: 349/283 Silv. 4,6,13: 315/206 Silv. 4,7: 324, 363 Silv. 4,7,1–8: 311–312 Silv. 4,7,5–8: 334 Silv. 4,7,6: 312 Silv. 4,7,10–12: 312–313 Silv. 4,7,21–25: 351 Silv. 4,7,25–28: 332/246, 334, 361–362 Silv. 4,7,26: 313 Silv. 4,7,29–56: 361 Silv. 4,7,53–56: 350 Silv. 4,8,33: 349 Silv. 4,8,37–40: 336/258 Silv. 4,8,40–42: 317 Silv. 4,9: 326 Silv. 4,9,1: 315/206 Silv. 4,9,1–9: 337 Silv. 4,9,55: 326/235, 357 Silv. 5, praef.: 56, 299–301, 369–370 Silv. 5, praef. 5–6: 369/321 Silv. 5, praef. 6–8: 300 Silv. 5, praef. 8–9: 352f./295 Silv. 5, praef. 9–10: 300, 350/289, 369/ 321 Silv. 5, praef. 10–12: 300 Silv. 5,1: 299–300, 302, 343, 369 Silv. 5,1,14–15: 308/181

402

Indices

Silv. 5,1,16–20: 318/210 Silv. 5,1,76–100: 350/289 Silv. 5,2: 302 Silv. 5,2,2–11: 349 Silv. 5,2,160–163: 336 Silv. 5,3: 303, 323/226, 341/269, 365 Silv. 5,3,1–5: 312 Silv. 5,3,23–27: 332/248 Silv. 5,3,61–63: 332 Silv. 5,3,80–103: 312 Silv. 5,3,124–132: 333/248 Silv. 5,3,159–160: 333/248 Silv. 5,3,199–202: 320 Silv. 5,3,209–214: 320–321, 333 Silv. 5,3,213–214: 329/243, 340 Silv. 5,3,215–216: 336 Silv. 5,3,225–233: 335–336 Silv. 5,3,233–234: 334 Silv. 5,5: 303, 323/226, 341/269, 365 Silv. 5,5,29–30: 307

Silv. 5,5,33–37: 335 Silv. 5,5,38–41: 333 Theb. 12,816–817: 334 Sueton Dom. 8: 61/12 vita Lucani: 34, 325/231 Tacitus dial. 20,1: 220–221 Valerius Maximus 1, praef.: 31 2,10,8: 70/35 Vergil Aen. 1,748–749: 318/209 ecl. 4,3: 305 georg. 3,1–48: 324 georg. 3,40–41: 305 georg. 4,147–148: 33 Vitruv 1, praef.: 31

2 Namen und Sachbegriffe Abascantus: 299–301, 349/284, 350/289, 352f./295, 369/321 Abgrenzung von großer Dichtung: 79, 101– 102, 106, 151–158, 174, 230–231, 244, 246, 307–316, 362–363, 366–367, 372, 374, 377 Achilleis: 15, 244/10, 285, 333/252, 335– 336, 351 Adressaten als Veranlasser: 28–33, 198–199, 255–260, 275, 281–282, 346, 353 Adressaten als Zeugen: 248–253, 263, 268, 272–276, 294, 321, 350, 353 Albinovanus Pedo: 68, 129–131, 177 allgemeines Publikum: 58–60, 84–85, 103– 104, 108, 120, 193, 200–212, 232, 234, 245, 263, 270–272, 275–276, 286–287, 319, 353–355, 365–367, 371–372, 375– 377 allographes Vorwort: 41–42, 44, 84, 236, 370 Anrede des anonymen lector: 58–59, 200– 202, 210–211, 234, 376 Anspruch als Epiker (Statius): 244, 248, 298, 330–337, 364–366, 375, 378 Antithese Rom-Spanien: 108–112, 115–120, 159–163, 231–232, 236, 238 Antizipation von Leserreaktionen: 199–200, 204, 210–211, 214, 245, 274, 280 ars – ingenium: 254–255, 319–320

Assoziation mit namhaften Dichtern: 68, 176–178, 230–231, 233, 324–325, 330– 335, 364, 375 Arruntius Stella: 59/3, 137/193, 176, 178, 241–242, 245/13, 249–250, 259–261, 295, 314/202, 315, 330–331, 342–343, 346, 357/306, 375/7 Atedius Melior: 114/142 u. 146, 261–267, 269, 273, 277, 310, 322, 328/238, 330, 343–344, 347, 353, 355/299, 359/309 Autonomie der Gedichte: 79–80, 86–87, 104–105, 137–140, 215, 223, 230, 235, 281–282 Batrachomachia: 243, 266, 295, 323–324, 378 Berufung auf Präzedenzfälle: 73–74, 90, 94, 134, 235, 243–244, 295, 305–306, 323– 325, 363–364, 373–375, 378 Bescheidenheitstopik: 29–33, 187–190, 242–246, 267, 274, 278–280, 293–294, 300, 327–330, 337, 364, 374, 380–381 Binnenproömium: 237 Bitte um Begutachtung der Gedichte: 28, 109, 114–115, 117, 189, 198, 202, 204, 267, 275, 282, 347–348, 365, 380 Bitte um Verteidigung der Gedichte: 197– 198, 214, 282, 293, 347–348, 365 brevitas s. Umfang Brutus: 13/2, 28/28, 242, 291

Namen und Sachbegriffe Buchadressaten (praefationes): 58–59, 83– 84, 88, 98–99, 107–108, 200–204, 227, 232, 241–242, 262, 269–270, 272–276, 280–282, 284–286, 341–348, 355, 365– 366, 376–377 Buchapostrophe: 138–139, 196, 213–315 Cato: 70–72, 75, 94, 143–144, 167, 181– 182, 201, 227, 231, 233, 235–236, 291, 293/150 Catull: 51/99, 61, 68, 73–74, 80, 101, 129– 134, 135/188, 136/192, 167, 177–178, 230, 233, 314, 331 celeritas: 114, 189–190, 245–259, 263, 265– 271, 273–274, 276–278, 280–282, 290– 291, 296, 304, 316–323, 350, 352/295, 356, 359, 363, 366–367, 372, 377, 380 Culex: 243, 260, 295, 323–324, 375 Decianus: 20, 53/105, 78–88, 104–105, 176, 182, 183/302, 185–186, 194, 201–202, 224/401, 232, 236/414, 377 Domitian: 15, 54, 61, 70/35, 72/38, 87–93, 95–97, 99, 103/120, 105–106, 120, 124, 127, 129, 135, 163 171, 180, 189, 192/ 329, 193–201, 203, 208/370, 211, 224, 228, 231, 236–237, 249–250, 252–258, 261, 265, 268, 271, 277–278, 281/110, 283–287, 289, 291–292, 294, 295/155, 298–300, 304, 308/181, 317, 322/225, 328–329, 335–336, 339–341, 345, 350– 353, 361, 365, 376, 379 Domitius Marsus: 58, 68, 77, 129–131, 152/231, 165/260, 167, 177 Einzeladressaten: 193–200, 232, 243, 245, 247–253, 265–266, 269–270, 286–289, 300, 319–323, 329, 341–342, 348–353, 355–356, 358, 365–366, 372, 375–377 Exiltopik: 117–120, 159, 236, 380 extrafictional voice: 47–49, 71/37, 229, 232, 239, 366, 374 familiaritas: 113–114, 214, 216–217, 242, 262–265, 273–274, 281, 287, 300, 342– 346, 348–351, 358–360, 365, 369 Floralia: 69–70, 95, 148–149, 167, 207– 208, 230, 235, 373 Gaetulicus: 58, 68, 77, 129 Gattungsbezeichnungen: 69, 73, 94, 126– 129, 230, 277, 279, 325–327, 356–357, 364, 366, 373 gegenseitige Einflüsse/Bezugnahmen: 113– 114, 286, 310–311, 379–381 geringer Anspruch: 73, 79–81, 101–102, 132–133, 151–154, 157–158, 187–190, 244–245, 262, 265, 273–274, 279–280,

403

307–310, 322, 337, 363–364, 374, 377– 378 Heimkehr-Motiv: 14–15, 158/243, 160–161, 368–369 Homer: 243–244, 324/227, 325/231, 327/ 237, 331–332, 364, 374, 378 Improvisation: 242–243, 246–247, 264–265, 273–274, 290, 305, 319–321, 337, 364, 377 individueller Bezug (Silvae): 245, 269–270, 279, 319, 322–323, 353–354, 359–360, 363, 366, 372, 374, 377 Informationsdefizit: 101, 103, 270 ingenium (–materia): 61–63, 65, 89–93, 110–112, 158, 190, 211 Inspirationsinstanzen: 155–156, 307–310, 350–351 Intratextualität: 30, 80, 91–96, 104–106, 223–225, 235–237, 239, 268, 272–273, 280, 294–297, 367–369, 372 ioci s. Terminologie der kleinen Dichtung Kaiserpanegyrik: 88–89, 92–93, 95–97, 105, 171, 195, 199/347, 203, 228, 254, 258, 285, 294, 295/155, 339–340, 352 labor/lima: 154–155, 254–255, 264, 309, 313, 316, 320 lascivia: 60, 67–71, 73–74, 90, 93–96, 134– 136, 138, 140, 149–151, 155/238, 166/ 263, 180–182, 200, 203, 205, 207–210, 230, 233, 235, 291, 373 libelli: 17, 54–55, 66–67, 91, 108, 193, 195/334, 196–197, 242–243, 341 Lob des Adressaten: 197, 204, 242, 250, 262–263, 266, 273–277, 284, 288, 329– 330, 342–350, 355–358, 364, 369–370 Lucan: 34, 134, 145, 176–178, 262, 266– 267, 271, 275/87, 279, 305, 307/180, 310/190, 315, 324–325, 330, 332/246, 349/285, 350/289, 375/7 Lucilius: 61, 64, 132, 153 ludere, ludus poeticus s. Terminologie der kleinen Dichtung ludi circenses s. theatrum ludi scaenici s. theatrum malitia: 79, 136–137, 230 Metapraefatio: 81, 84, 86, 123/165, 217, 303/169, 379 Metrik: 165–166, 233, 326, 356–357 Mimus: 69–70, 85, 94–95, 148–150, 167/ 264, 207–209, 230, 378 Moralkritiker: 70–73, 94, 143–144, 180– 183, 185, 187, 231 Mythen: 153/232, 155–156, 310/188

404 Nachruhm: 61, 93, 168–175, 231, 338–340, 365, 374 nachträgliches Vorwort: 40, 42, 369, 371/3 Namensnennung des Dichters: 170–171, 340, 365–366 Neider: 111–112, 180, 183–187, 229, 232 nugae s. Terminologie der kleinen Dichtung Originalvorwort: 40–42, 60, 234, 368 Parodie: 81, 86–87 Plagiatoren: 63/18, 137–138, 180, 186–187, 197–199, 233, 373/4 Polla Argentaria: 145, 180/296, 262, 266, 269, 271, 279, 350/289 Pollius Felix: 145/213, 264–265, 271–278, 280–282, 288/130, 298, 306, 314, 317, 322, 327–328, 330, 344–346, 360 Popularität: 61, 68, 93, 168–175, 231, 373 praefatio als Fürsprecher: 216, 221–222 praelusio: 243–244, 294–296, 307–316, 324–325, 331, 363–364, 372, 378 Quintilian: 18, 29, 32, 34, 63/19, 74/45, 221, 284, 290–291, 297, 305, 347 Realitätsbezug der Epigrammdichtung: 68– 69, 101, 110, 151, 155–158, 174, 230, 377 (vgl. simplicitas) Rezeptionsanweisungen: 204, 206–209, 212, 232, 235–236 Rezipientenkreis: 69–70, 204–206, 208–209, 212, 232, 235, 373, 376 Rolle der Rezipienten: 110, 112–113, 189, 200, 209–212, 232, 236, 350–351, 361– 362, 375–376 Rombezug der Epigrammdichtung: 109– 121, 158–159, 231, 236 Satirendichtung: 61, 64–67, 73–75, 81–83, 93, 140, 147–148 , 230 Saturnalia: 148–150, 163, 167, 181–182, 188/315, 207, 230, 235, 253, 289, 315, 329/240, 337, 339/261, 357, 373 Schonung realer Personen: 60–67, 71–75, 93, 140–147, 230, 235, 373 Selbstbewußtsein: 61, 77, 102, 115, 120, 167, 174–179, 187, 190, 193, 231, 248, 268, 292–294, 298, 319–321, 330–338, 364–365, 378, 380–381 simplicitas: 62–63, 68, 75–76, 133, 140f./ 203, 151–158, 167, 377 spätes Vorwort: 40, 42, 120–121, 238–239, 371/3 Statius pater: 15/10, 312, 320, 332–333, 335, 340, 341/269 Stertinius Avitus: 98–99, 102–106, 172, 174, 178–179

Indices Terentius Priscus: 107–109, 113–115, 117, 119, 133, 184, 201, 203–204, 208, 234/ 409, 376–377 Terminologie der kleinen Dichtung: 73, 80, 89, 101, 114, 132–133, 153/232, 174, 190, 230, 244, 294–296, 309/186, 312– 316, 325, 363, 374, 377 theatrum: 70–71, 80, 84–85, 94–95, 148– 151, 167, 182/299, 200/349, 207–209, 230, 235, 373, 378 Thebais: 15, 18, 35, 243, 244, 248, 285, 288, 296–297, 311, 313, 315–316, 330, 333– 335, 337, 339/261, 351, 361–362, 365– 366, 369, 374 Toranius: 98–101, 103/119, 105–106, 201– 202, 237, 377 Tradition der Epigrammdichtung: 68, 73–75, 90, 94, 129–134, 167, 177, 230, 233, 373, 378 Übergang zum Text: 84–85, 90–91, 98–99, 227–228 Umfang: 29, 32, 130, 164–165, 231, 236/ 414, 250, 255, 356–357 Umgang mit Kritik: 30, 80–81, 86, 130, 164, 179–180, 184–186, 232, 235, 289–298, 380 Unnötigkeit von praefationes: 79–81, 86–87, 105, 212–213, 215–218, 220–226, 232– 233, 235–237, 262, 303, 379 Unzulänglichkeit: 29, 115, 188, 242–248, 254, 263–268, 274, 279–280, 316, 319, 321–323, 327–329, 338, 354, 359, 363, 366 variatio: 89–90, 93, 96, 163–164, 220, 229, 231 Vergil: 13/2, 33–34, 99, 131–132, 144–145, 152/231, 154, 176–178, 237, 243, 244/ 10, 236, 279/102, 305, 324, 325/231, 331–334, 364, 374, 378 Verhältnis zu zeitgenössischen Dichtern: 178–179 Vitorius Marcellus: 284–285, 287–290, 293/ 151, 298–299, 326, 345, 347, 351 Wechsel der Sprecherperspektive: 71–72, 99–100, 174–175 Widmungsfunktion der praefationes: 28, 42–44, 59, 78, 83, 88–89, 95–96, 99– 100, 107–108, 200, 202–203, 211–212, 223, 227–228, 232, 238, 240–241, 262, 272, 284, 299, 367–371, 376–377, 379, 381 Zuhörer: 112–113