Berta Zuckerkandl - Gottfried Kunwald: Briefwechsel 1928-1938
 9783205208310, 3205208315

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GERTRUDE ENDERLE-BURCEL (HG.)

BERTA ZUCKERKANDL BRIEFWECHSEL 1928–1938

GOTTFRIED KUNWALD



Gertrude Enderle-Burcel (Hg.)

Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald Briefwechsel 1928–1938

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Veröffentlicht mit der Unterstützung durch: Zukunftsfonds der Republik Österreich Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Amt der N.Ö. Landesregierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Berta Zuckerkandl am Schreibtisch in ihrer Wohnung, 1936 (© LIT, Signatur 424/L8), Gottfried Kunwald (© Familie Stadlen/Peto) unter Verwendung des Faksimiles eines Briefes von Berta Zuckerkandl an Gottfried Kunwald vom 10. 5. 1934. ISBN 978-3-205-20831-0 © 2018 by Böhlau Verlag GesmbH & Co.KG Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in ­anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat: Ute Wielandt, Baar – Ebenhausen Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz und Layout: Bettina Waringer, Wien

INHALT

Dank  .......................................................................................................... 

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Anmerkungen zur Quelle – Grundsätzliches zur Edition  ........................... 

9 9 11 12 13

Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière  .................. 

14 15 16 18 19 21 22 23 24 27 30 32 32 36

Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“  . . ............................................... 

40 40 41 42 44 54 57 58 60 61 63 67 73 75 78

Wien-Berlin-Moskau-Wien  .. ................................................................  Umfang und Inhalt der Korrespondenz  ...............................................  Biographische Einführung  ...................................................................  Textgestaltung und drucktechnische Erläuterungen  .. ...........................  Quellenlage  ..........................................................................................  Das Elternhaus  .....................................................................................  Kindheit und Jugend  ............................................................................  Emil Zuckerkandl  . . ...............................................................................  Journalistische Arbeiten bis zum Ersten Weltkrieg  ..............................  Die Friedensmission 1917  .....................................................................  Journalistische Arbeiten der frühen zwanziger Jahre  ...........................  Übersetzungen als Vermittlung zwischen den Kulturen  . . .....................  Der Salon Berta Zuckerkandl  ...............................................................  Der Salon in der Zwischenkriegszeit  ....................................................  Das Ende des Salon Zuckerkandl  .........................................................  Finanzielle Sorgen  ................................................................................  Flucht und Emigration  .........................................................................  Quellenlage  ..........................................................................................  Familie, Ausbildung und frühe Tätigkeiten  ..........................................  „Ich bin ein Krüppel“  ...........................................................................  Die graue Eminenz  . . .............................................................................  Funktionen und geschäftliche Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit  ..  Das Netzwerk – Hilfe für Freunde und Familie  . . ..................................  Veröffentlichungen  ...............................................................................  Künstlerische Neigungen  .....................................................................  Kanzleialltag  . . .......................................................................................  Strenges Regelwerk des „Diktators“  . . ....................................................  Gottfried Kunwald – der Familienmensch  ...........................................  Antisemitismus  ....................................................................................  Finanzielle Schwierigkeiten in den 1930er-Jahren  ................................  Das Ende  .............................................................................................. 

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Inhalt

Die Briefe – Zeugnisse einer ­Freundschaft in schweren Zeiten  ................ 

Gemeinsames politisches Agieren  ........................................................  Finanzielle Nöte der Familie Zuckerkandl  .. ..........................................  Freundschaft in schweren Zeiten  . . ........................................................ 

79 79 82 87

Briefedition  .. ..............................................................................................  Verzeichnis der Schriftstücke  ....................................................................  Biographischer Anhang  .............................................................................  Verwandtenlisten  . . ....................................................................................  Personenbezeichnungen  ...........................................................................  Siglenverzeichnis  . . .....................................................................................  Literaturverzeichnis  . . .................................................................................  Personenregister  ....................................................................................... 

89 331 337 384 387 388 389 394

DANK

Jede Publikation hat ihre eigene Geschichte. Auslöser der Briefedition war eine Lesung der Schauspielerin Karin Lischka, die gemeinsam mit dem Pianisten Gottlieb Wallisch 2014 an den 150. Geburtstag von Berta Zuckerkandl erinnerte. Für eine aus diesem Anlass produzierte CD wurde auch eine Kurzbiographie von Berta Zuckerkandl für das Booklet angeregt. Auf der Suche nach neuen Quellen zu ihrem Leben fand ich im Österreichischen Staatsarchiv im Bestand Gottfried Kunwald den Briefwechsel, der der Edition zu Grunde liegt. Für die aufwendige Texterstellung, die professionelle Übersetzung der Korrespondenzteile vom Französischen ins Deutsche und für die Zusammenstellung eines Grundstockes an biographischen Daten für das Personenregister ist der Wissenschafts- und Forschungsförderung der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7 – Projektnr. 308402/15) und dem Zukunftsfonds der Republik Österreich (Projektnr. 15-2248) zu danken. Durch ihre Förderung und die wissenschaftlichen Ressourcen der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien konnte die Briefedition überhaupt erst begonnen werden. Der schwierige Text, u. a. die schwer lesbare Handschrift von Berta Zuckerkandl, und die Vielfalt der Themen und Personen stellten höchste Anforderungen an die Bearbeitung. Dank gebührt ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien und der Administrativen Bibliothek des Bundes, die mich in einigen Arbeitsstadien unterstützt haben. Für die Mitarbeit an der Erstellung der Kurzbiographien danke ich Mag. Alexandra Neubauer-Czettl und Mag. Stefan Semotan. Meinen Freunden – allen voran Mikulás Teich – danke ich für die vielen Gespräche und Anregungen. Für die professionellen Übersetzungen danke ich Mag. Ingrid Tanner, die sich weit über eine reine Übersetzungstätigkeit engagiert hat. Dr. Linda Ma-Kirchner danke ich für viele ergänzende Übersetzungen und für einige der schwierigsten biographischen Recherchen. Dr. Christina Köstner-Pemsel danke ich für Recherchen, die sie für mich in Pariser Bibliotheken durchführte. Dr. Theresia Klugsberger, Dr. Ruth Pleyer und Mag. Vera Brantl vom Literaturarchiv danke ich für wertvolle Hinweise. Der umfangreiche Anmerkungsapparat und die Vielfalt der Biographien erforderten die Hilfe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Österreichischen Staatsarchivs, für die ich mich an dieser Stelle bedanke. Besonderer Dank gebührt der Familie von Gottfried Kunwald. Die Familie Stadlen und besonders Monica Peto unterstützten mich ab dem ersten Moment des Vorhabens. Die Freude darüber, dass „ihr Onkel Friedel“ eine historische Würdigung erfährt, war für mich ein Ansporn in schwierigen Arbeitsphasen der Edition.

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Dank

Ganz besonderer Dank gebührt meinem Mann, Dr. Peter Enderle, für seine Zeit und Geduld, die er in zahllosen fachlichen Diskussionen aufgebracht hat, für seine Anregungen, für sein Lektorat und die unermüdlichen Korrekturarbeiten. Über einen langen Zeitraum hat er seine eigenen vielfältigen Interessen zurückgestellt, um mich bei diesem schwierigen Forschungsvorhaben zu unterstützen. Wien, im Mai 2018

Gertrude Enderle-Burcel

ANMERKUNGEN ZUR QUELLE – ­G RUNDSÄTZLICHES ZUR EDITION

Bei den Recherchen für eine Kurzbiographie von Berta Zuckerkandl für das Booklet einer CD1 entdeckte ich einen bisher nicht bekannten Briefwechsel zwischen ihr und Gottfried Kunwald. Er ist in Materialien enthalten, die sich zum Zeitpunkt der Publikation der vorliegenden Briefedition im Österreichischen Staatsarchiv befinden. Den Hinweis auf die enge Verbindung zwischen den beiden verdanke ich einem Nebensatz in einem Essay von Hilde Spiel, die zu Kunwald schrieb „Dr. Kunwald, the Jesuit Chancellor Seipl’s adviser, was another intimate of hers.“2 Die Materialien – berührende Briefe aus den Jahren 1928 bis 1938 – ermöglichen einen völlig neuen Blick auf das Leben von Berta Zuckerkandl und geben einen Eindruck von der außergewöhnlichen Persönlichkeit Gottfried Kunwalds. Wien-Berlin-Moskau-Wien Der Briefwechsel ist Teil der überaus umfangreichen Materialien Gottfried Kunwalds, die ihrerseits Teil der sogenannten „Beuteakten aus Österreich“ sind.3 Diese Materialien waren im doppelten Sinn „Beuteakten“. Sie waren 1938 in Wien von NS -Stellen konfisziert worden, wobei nicht geklärt ist, welche NS -Stelle veranlasst hatte, dass alle privaten und geschäftlichen Unterlagen, die sich zum Zeitpunkt des Selbstmordes von Gottfried Kunwald im März 1938 in seiner Wiener Wohnung, in der sich auch seine Rechtsanwaltskanzlei befand, nach Berlin verschleppt wurden. Obwohl die Archivabteilung des Amtes der Reichsstatthalterei in Wien 1938 die Anordnung gab, dass „keinerlei Veränderungen vorgenommen und vor allem von unverantwortlichen Personen keine Akten entfernt oder vernichtet werden“,4 kam es immer wieder durch die Gestapo, Leute „der Partei“ oder durch den Sicherheitsdienst der SS zur Beschlagnahme von „staatspolitisch wichtige[m] Material.“5 1 Berta Zuckerkandl Erinnerungen, Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig, gelesen von Karin Lischka, am Klavier Gottlieb Wallisch, Monoverlag, Wien, 2014. 2 Hilde Spiel, Jewish Women in Austrian Culture, in: The Jews of Austria, Essays on their Life, History and Destruction, herausgegeben von Josef Fraenkel, London 1967, S. 97 – 110, hier S. 108. 3 Vgl. dazu Gerhard Jagschitz/Stefan Karner, „Beuteakten aus Österreich“, Der Österreichbestand im russischen „Sonderarchiv“ Moskau, Graz/Wien 1996. 4 Rudolf Jerábek, Das Wiener Reichsarchiv, Institutions- und kompetenzgeschichtliche Entwicklung 1938 – 1945, in: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Band 54, Wien 2010, S. 11 – 7 1, hier S. 14. 5 Rudolf Jerábek, Das Staatsarchiv des Innern und der Justiz 1938 – 1945, in: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz, S. 149 – 179, hier S. 159.

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Anmerkungen zur Quelle – Grundsätzliches zur Edition

Gestapo und Sicherheitsdienst agierten dabei oft „weitgehend unabhängig voneinander“,6 wenn es um die Beschlagnahmen „außerordentlich aufschlussreicher jüdischer Bank- und Privatarchive sowie Archive und Schriftwechsel politischer Personen der austro-marxistischen und Systemzeit“ ging.7 Fallweise – wie z. B. beim dem Schriftgut von Karl Renner – zeigt sich das Interesse, die eingezogenen Materialien an einer Stelle zu konzentrieren.8 Wohin dieses Raubgut – darunter die Unterlagen von Gottfried Kunwald – gebracht wurde, lässt sich im Einzelfall nicht klären. Im Juli 2017 wurde zu den Materialien von Gottfried Kunwald eine Anfrage an das Bundesarchiv in Berlin gestellt, da Rückfragen im Österreichischen Staatsarchiv keine Klärung brachten. In den einschlägigen Beständen des Bundesarchives (u. a. R 58 Reichssicherheitshauptamt und R 3001 Reichsjustizministerium) konnten keine Hinweise auf den Aufenthaltsort der Akten aus der Wohnung Kunwalds gefunden werden.9 Gesichert ist nur das Wissen um die Verwahrung nach 1945. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden „neben Kunstwerken und Bibliotheken auch Millionen Dokumente aus mehr als 20 Staaten Europas“ als „Kriegstrophäen“ nach Moskau gebracht,10 darunter auch Materialien aus österreichischen Archiven, Behörden, Institutionen und aus Privatbesitz – wie z. B. die Unterlagen von Gottfried Kunwald. Das erhalten gebliebene Material stellt sicher nur einen Teil der ursprünglich vorhandenen privaten und geschäftlichen Papiere dar. Die Verlustgeschichte kann nicht rekonstruiert werden. In Moskau wurden diese „Beuteakten“ in einem Sonderarchiv deponiert, dessen Existenz bis 1990 streng geheim gehalten worden war. Gerhard Jagschitz und Stefan Karner stießen bei Recherchen auf diese Aktenbestände. 1992/1993 wurden von einem Team österreichischer Historiker die österreichischen Bestände im russischen „Sonderarchiv“ in Moskau gesichtet und ein erstes Verzeichnis angelegt, das 1996 publiziert wurde. Seit diesem Zeitpunkt war bekannt, dass es zu Gottfried Kunwald unter der Fondsnummer 616 einen umfangreichen Bestand gibt.11 Erst 2009 gelangte ein Teil der österreichischen Bestände, darunter die Materialien Gottfried Kunwalds aus dem russischen „Sonderarchiv“ in das Österreichische Staatsarchiv, wo für die ersten Benützer eine Excel-Datei angelegt wurde. Diese Datei baut auf einer recht groben Beschlagwortung auf, ermöglicht aber einen ersten Einstieg in den Bestand. Derzeit (Sommer 2017) wird vom Archivar Rudolf Jerábek eine Bestandsbeschreibung der 2024 Kunwald-Konvolute aus den Jahren 1928 bis 1938 vorbereitet.



6 Ebenda, S. 161. 7 Ebenda. 8 Ebenda, S. 164. 9 Die Beantwortung der Anfrage erfolgte durch Andreas Grunwald, Bundesarchiv Berlin, Referat R 2 per Email an die Autorin. 10 Jagschitz/Karner, „Beuteakten aus Österreich“, S. VII. 11 Ebenda, S. 118 – 123.

Umfang und Inhalt der Korrespondenz

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Umfang und Inhalt der Korrespondenz In den Verweisen der Briefedition werden die Briefe von Berta Zuckerkandl als „Bestand GK“ bezeichnet. Im Konvolut 616-1-1103 befinden sich 402 handschriftlich folierte Einzelblätter. Alle Schriftstücke dieses Konvoluts – Briefe, Postkarten, Telegramme, Notizen, Entwürfe und Beilagen – wurden ungekürzt in die Brief-Edition aufgenommen. Lediglich drei Schriftstücke wurden nicht in die Edition aufgenommen, da sie weder vom Inhalt noch von der Zeit für die Edition relevant sind. Dabei handelt es sich um ein Versteigerungsedikt von 1928, ein Exposé von Viktor Schauberger über die künstliche Erzeugung von petroleumartigen Essenzen (siehe dazu das Schreiben von Schauberger an Berta Zuckerkandl vom 18. September 1934) und um einen handgeschriebenen Brief von Paul Clémenceau vom 20. März 1899, der in der Korrespondenz zwischen den Briefen vom 27. September 1934 und 21. Februar 1935 liegt. Ein Großteil der edierten Korrespondenzstücke sind Briefe und Telegramme Berta Zuckerkandls an Gottfried Kunwald. Auf diesen Originalen befinden sich handgeschriebene Ablage-Vermerke, die von Kanzleibediensteten Kunwalds verfasst wurden. Deutlich weniger Briefe und Telegramme – als Kopien erhalten – sind von Gottfried Kunwald an Berta Zuckerkandl. Weiters gibt es Schreiben in französischer Sprache, die meisten von Sofie Clémenceau, der Schwester von Berta Zuckerkandl. Die handgeschriebenen Briefe von Berta Zuckerkandl bedurften einer intensiven Beschäftigung. Sie selbst schrieb über ihre Schrift: „Eine Fleißaufgabe für Sie der B. Z. ihr Geschreibsel zu entziffern.“12 Einzelne Namen oder Formulierungen konnten nicht eindeutig transkribiert werden. Es gibt auch einige wenige Schriftstücke – z. B. von Verwandten oder an amtliche Empfänger – die nicht von den beiden Briefautoren stammen, aber in Beziehung zu ihnen bzw. zum Inhalt ihrer Briefe stehen. Die Texte geben Auskunft über ihre Lebenssituation oder bringen atmosphärische Schilderungen von Umständen und Ereignissen, die für den gesamten Briefwechsel wichtig sind. Ein Verzeichnis der Korrespondenzstücke im Anhang gibt darüber Aufschluss. Es gibt Lücken in der Korrespondenz, die wohl durch die besonderen historisch bedingten Überlieferungsumstände entstanden sind. Insgesamt stellt aber das erhalten gebliebene Material selbst nach mehrmaligen Verlagerungen einen beeindruckenden Briefwechsel von zwei außergewöhnlichen Persönlichkeiten dar. Die Korrespondenz dokumentiert ihr europaweit vernetztes politisches Agieren für die Erhaltung eines von Deutschland unabhängigen Österreichs, ihre enge private Beziehung und ihre finanziellen Nöte. In die Edition wurden deshalb auch die gleichlautenden und sich wiederholenden Eingaben an das Finanzministerium um Pensionsvorschüsse aufgenommen, da sie die zunehmend angespannte finanzielle Lage Berta Zuckerkandls verdeutlichen. 12 Vgl. Brief vom 18. Jänner 1933.

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Anmerkungen zur Quelle – Grundsätzliches zur Edition

Biographische Einführung Der Briefedition vorangestellt sind die Biographien von Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald sowie eine Zusammenfassung ihrer gemeinsamen politischen Aktivitäten und der privaten Beziehungen. Die Entwicklung der Anreden und Grußformeln verdeutlichen die immer enger werdenden privaten Beziehungen der beiden im Laufe der Jahre. Die biographische Skizze von Berta Zuckerkandl geht auf das Auseinanderklaffen von Mythos und realem Leben in den 1930er Jahren ein. Während das Gros der bisherigen Literatur zu Zuckerkandl auf die Darstellung ihres glanzvollen Lebens abzielt, erschließt der Briefwechsel bislang unbekanntes „Originelles“ zu ihrer komplexen Persönlichkeit.13 Die Briefe zeigen sie als besorgte Mutter, die den finanziellen Ruin ihres Sohnes mit dem Sanatorium Purkersdorf miterleben muss. Sie zeigen eine Frau, die oft nicht weiß, wie sie die notwendigsten Dinge des Lebens bestreiten kann (etwa das Geld für den Kauf eines Farbbandes für die Schreibmaschine), die bei Freunden wohnt, um Geld zu sparen, und die ihre Wohnung vermieten muss. Berührend sind die Gedanken an Selbstmord oder Überlegungen, zumindest in ein Altersheim zu gehen, die hilflosen Schuldenaufstellungen, die mit den von ihr selbst oder in der Literatur transportierten Bildern nur wenig gemein haben. In die Briefedition wurde noch eine Korrespondenz aus dem Bestand Gottfried Kunwald (616-1-1344) mit der Bezeichnung „Berta Zuckerkandl-Lady Snowden“ aufgenommen, da diese Briefe sowohl die politische Haltung Berta Zuckerkandls in den 1930er Jahren als auch ihren Charakter und ihr Temperament verdeutlichen. Die in deutlich geringerer Anzahl vorhandenen Briefe Gottfried Kunwalds an Berta Zuckerkandl bzw. Schreiben in ihrem Auftrag vermitteln das Bild eines angesehenen Wirtschaftsexperten und Rechtsanwaltes, der als enger Freund stets beratend und unterstützend zur Seite steht. Die biographische Skizze zu Gottfried Kunwald wurde Großteils aus den Materialien – den 2024 Konvoluten – zusammengestellt und zeigt Facetten seines Lebens, die weit über die Hinweise in der bisherigen Literatur hinausgehen. Zwei außergewöhnliche Menschen tauschen Briefe aus, in denen Weltpolitik und Privatsphäre ineinander übergehen. Zwei Lebenswelten finden zueinander. Eine Zusammenfassung ihrer gemeinsamen Aktivitäten liefert Details zu ihren Versuchen, in Ausnützung ihres internationalen Netzwerkes politisch für die Unabhängigkeit Österreichs aktiv zu werden. Im Hintergrund steht auch die Hoffnung auf Einnahmen aus diesen Plänen. Im Vordergrund steht allerdings immer eine enge Verbundenheit zu ihrer Heimat. Wie eng ihre privaten Beziehungen waren, lassen die Briefe nur vermuten.

13 Ulrike Steinhäusl, Berta Zuckerkandl – „Hebamme der Wiener Moderne“, in: Apropos Avantgarde, Neue Einblicke nach einhundert Jahren, herausgegeben von Dolors Sabaté Planes und Jaime Feijóo, Berlin 2012, S. 81 – 97, hier S. 82.

Textgestaltung und drucktechnische Erläuterungen

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Textgestaltung und drucktechnische Erläuterungen Für jedes Schriftstück wurde eine Kopfzeile erstellt, in der die Basisinformationen zu Briefautor und Adressat sowie Angaben, ob handschriftlich oder maschinschriftlich verfasst, in eckiger Klammer zusammengefasst wurden. Handschriftliche Notizen auf den Dokumenten werden in geschwungenen Klammern ausgewiesen. Die handgeschriebenen Briefe von Berta Zuckerkandl wurden aus den schwierig zu lesenden Originalen, die in einer Mischung aus Kurrent- und Lateinschrift verfasst sind, transkribiert, wobei Lücken blieben, die mit XXX ausgewiesen sind. Die Schriftstücke in französischer Sprache werden in Übersetzung wiedergegeben. Kurze französische Passagen finden sich im Anmerkungsapparat in Übersetzung. Die Kommentare konzentrieren sich auf Sacherklärungen. In den Texten wurden offensichtliche Schreib- bzw. Tipp- sowie Flüchtigkeitsfehler korrigiert. Die falsche Schreibweise von Personennamen wurde richtiggestellt. Berta Zuckerkandl hat Namen von Personen, die ihr durchaus geläufig sein mussten, häufig falsch geschrieben. Eine Liste der falsch geschriebenen Personennamen findet sich im Anhang. Berta Zuckerkandl ist den verschiedenen Ansätzen, die deutsche Rechtschreibung zu standardisieren, in vielen Fällen nicht gefolgt, da oft Doppelschreibungen zugelassen waren. Ihre Orthographie, eine Mischung aus mehreren Stadien des sich verändernden Regelwerkes, wurde unter Bedachtnahme auf gute Lesbarkeit abgeändert. Ihre zahlreichen Fehler in den französischen Texten wurden belassen. Mit der Beibehaltung der Interpunktion konnten die Eigenheiten der Originale sichergestellt werden. Besonders die Schreiben von Berta Zuckerkandl vermitteln in ihrer Spontanität die emotionalen Spannungen, wobei sie häufig auf Satzzeichen verzichtet und mitunter auch der Satzbau verfehlt erscheint. Zum leichteren Verständnis der Briefe wurde ein umfangreicher biographischer Anhang verfasst. Die Kurzbiographien enthalten die Lebensdaten und die wichtigsten Berufsstationen. Das Register vermittelt einmal mehr einen Eindruck vom politischen Netzwerk der beiden Briefautoren und ihren weitreichenden Verbindungen zu Eliten in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Kultur. Ergänzend wurde noch ein Verzeichnis der Vornamen, Kosenamen und Pseudonyme zusammengestellt sowie Familienstammbäume, die die nahen Verwandten der Familien Kunwald und Zuckerkandl enthalten.

BERTA ZUCKERKANDL – GLANZ UND ELEND EINER WIENER SALONIÈRE

Berta Zuckerkandl wurde am 13. April 1864 als Tochter des Zeitungsmagnaten Moriz Szeps in Wien geboren1 und starb am 16. Oktober 1945 in Paris. Ihr bewegtes Leben bot und bietet dramatischen Stoff für journalistische und wissenschaftliche Beschäftigung. Retrospektiv als „Geniefrau“ hochstilisiert, gaben ihre Zeitgenossen ihr mehr oder weniger liebevolle Spitznamen wie „Tante Berta“, „Wiener Kassandra“ und „Hofrätin“2 – nach ihrem 1910 verstorbenen Ehemann Emil. Von Karl Kraus wurde sie abwertend u. a. als „Kulturschwätzerin“ oder als „Sagefemme der Kultur“ bezeichnet.3 Die Abneigung von Kraus galt allerdings nicht nur Berta Zuckerkandl, sondern der gesamten Familie Szeps. Ihre unterschiedlichsten Beinamen korrespondieren mit den verschiedenen Abschnitten ihres bewegten Lebens. Der Glanz des reichen Elternhauses, die enge Verbindung des Vaters mit Kronprinz Rudolf, ihre journalistische Tätigkeit als Kunstkritikerin um die Jahrhundertwende, die Ehe mit dem berühmten Anatomen Emil Zuckerkandl, die diplomatische Friedensmission 1917 in der Schweiz, die journalistische Arbeit in den zwanziger Jahren, die zahlreichen Übersetzungen französischer Schriftsteller, die weitverzweigten politischen Verbindungen, ihre Salons in der Vor- und Zwischenkriegszeit, die Versuche, Österreichs Unabhängigkeit zu stärken, die Verarmung in den dreißiger Jahren, die Flucht im März 1938 vor Hitler und ihre weitere Emigration von Frankreich nach Algier waren Anregungen für zahlreiche wissenschaftliche Detailstudien, Dissertationen und den Versuch einer journalistischen Biographie.4 Sie selbst hat nicht unwesentlich an ihrem Nachruhm mitgewoben.

1 Zu den divergierenden Geburtsangaben – 12. oder 13. April – vgl. Stefanie Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl, Eine Untersuchung ihrer Kunstkritiken von 1894 bis 1902, Diplomarbeit, Wien 2005, S. 6 f. 2 Olaf Herling, Berta Zuckerkandl (1864 – 1945) oder die Kunst weiblicher Diplomatie, in: Das alles war ich, Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentrikerinnen der Wiener Moderne, herausgegeben von Frauke Severit, Wien/Köln/Weimar, 1998, S. 53 – 74, hier S. 53. 3 Die Fackel, Nr. 743 vom Dezember 1926. Vgl. dazu auch Helga Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, 200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution, Wien/Graz/Klagenfurt 2013, S. 211 f. 4 Für die Erstellung der vorliegenden Biographie wurde die gängige Literatur verwendet, die in den Anmerkungen ausgewiesen ist.

Die Quellenlage

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Quellenlage Die Quellenlage zu Leben und Werk von Berta Zuckerkandl wird als „vergleichsweise üppig“ bezeichnet.5 Das „üppig“ bezieht sich auf zwei autobiographisch ausgerichtete Lebenserinnerungen, die sie allerdings erst in hohem Alter und aus der Erinnerung niedergeschrieben hatte. Sie zitiert in dem im Pariser Exil verfassten Buch mit dem selbstbewussten Titel „Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte“, das 1939 in Stockholm fast gleichzeitig in deutscher, englischer und französischer Sprache erschien, zwar längere Passagen aus ihren Tagebüchern, die sie ab 1878 geführt hatte, doch vermitteln diese „Zitate“ einen falschen Eindruck. Viele Aufzeichnungen mussten 1938 in Wien zurückgelassen werden oder gingen auf der Flucht verloren. Der Verleger hatte die Form des Tagebuches vorgeschlagen und Berta Zuckerkandl musste ihr ganz anders konzipiertes Manuskript umschreiben.6 Wie weit die Perspektive des Rückblicks die rekonstruierten Zitate verändert hat, ist nicht mehr zu eruieren. In Eigen- und Fremdzitaten – die wohl Authentizität vermitteln sollen – erzählt Berta Zuckerkandl nicht nur aus ihrem Leben, sondern resümiert und kommentiert – stets im Rückblick. Immer wieder werden Bezüge zur Gegenwart – also zum Jahr 1939 – hergestellt: „sie vergleicht, sie hofft, sie mahnt.“7 In Collagen-Form zeigen die Memoiren nicht nur ihr persönliches Schicksal, sondern stellen eine Verbindung zu wichtigen Entwicklungen der europäischen Geschichte her. Sie wollte „Zusammenhänge einer besonderen Kulturepoche aufzeigen“ und ein Spiegelbild dieser Zeit geben.8 Ihrem zweiten Erinnerungswerk liegen Aufzeichnungen zu Grunde, die Berta Zuckerkandl in Algier – der letzten Station ihrer Flucht vor den Nazis – verfasste. In Schulheften hielt sie ihre Erinnerungen an verschiedenen Persönlichkeiten fest, mit denen sie gut bekannt oder eng befreundet war. Diese Aufzeichnungen wurden erst 1970 postum aus dem Nachlass von Reinhard Federmann unter dem Titel „Österreich intim“ veröffentlicht. Das Originalmanuskript von Berta Zuckerkandl hatte den Titel „Abenteuer des Geistes“ getragen. Es befindet sich im Nachlass Federmann im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.9 Neben den zwei autobiographischen Erinnerungswerken gibt es eine 2013 erschienene Publikation „Berta Zuckerkandl, Flucht! Von Bourges nach Algier 5 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 54. 6 Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl, Briefe von Großmama aus London, Brief BZ an Trude und Emile Zuckerkandl vom 4. Juli 1938. 7 Bettina Spoerri, „Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig.“ Die jüdische Journalistin Berta Zuckerkandl-Szeps und ihr Wiener Salon, in: ‚Not an Essence but a Positioning‘, German-Jewish Women Writers (1900 – 1938), herausgegeben von Andrea Hammel, Godela Weiss-Sussex, München 2009, S. 165 – 180, hier S. 168. 8 Berta Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, Stockholm 1939, S. 156. 9 Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, 386/11; Österreich intim, Erinnerungen 1892 bis 1942, herausgegeben von Reinhard Federmann, Wien/Frankfurt/ Berlin 1970.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

im Sommer 1940“. Die Herausgeberinnen, Theresia Klugsberger und Ruth Pleyer, werteten dafür Dokumente und Briefe aus dem Besitz des Enkels Emile Zuckerkandl aus, der schon als Kind ein Tagebuch geführt und Material – Fotos, Briefe, Dokumente – rund um seine Großmutter gesammelt hatte. Ab Herbst 2012 hat die Österreichische Nationalbibliothek einen Teil-Nachlass aus dem Besitz von Emile Zuckerkandl erworben. Er enthält bedeutende Dokumente zu Berta Zuckerkandl.10 Neben den erhalten gebliebenen autobiographischen Texten gibt es unzählige Zeitungsartikel aus ihrer Feder. Nach den Inhalten sind schwerpunktmäßig zwei Gruppen zu unterscheiden: die kunstkritischen Artikel aus der Zeit der Jahrhundertwende und die Artikel mit politischen Akzenten, häufig in Interviewform in den zwanziger Jahren. Unzählige Hinweise bietet auch die Memoirenliteratur, so z. B. die publizierten Tagebücher von Arthur Schnitzler oder Erica Tietze-Conrat. Immer wieder finden sich auch neue Hinweise und verloren geglaubte Quellen. So wurden zwischen den Auflagen 1984 und 1997 von Lucian O. Meysels Biographie In meinem Salon ist Österreich die verloren geglaubten Briefe von Hugo von Hofmannsthal an seine Freundin „B. Z.“ aufgefunden.11 2015 wurde von mir ein Konvolut mit Schriftstücken in dem Bestand Gottfried Kunwald entdeckt, die sich seit 2009 im Österreichischen Staatsarchiv befinden. In der Folge wurde mir von den in Großbritannien lebenden Nachkommen Gottfried Kunwalds, der Familie Stadlen, freundlicher Weise ein umfangreiches Konvolut mit etwa 700 Seiten, zum überwiegenden Teil Briefe von Berta Zuckerkandl, zur Verfügung gestellt.12 Die Erinnerungen der Zeitzeugen und Freunde geben ein facettenreiches Bild vom Leben einer außergewöhnlichen Frau. Eine umfassende Biographie, die alle Abschnitte ihres Lebens abdeckt, steht noch aus. Das Elternhaus Der Vater Moriz Szeps war der Sohn eines jüdischen Arztes und wurde in Ostgalizien geboren. Nach dem Abbruch des Chemiestudiums in Lemberg und des Medizinstudiums in Wien begann er 1858 als Journalist zu arbeiten. Seine berufliche Karriere war überaus erfolgreich, ja sie wurde sogar als kometenhaft bezeichnet.13 Er kaufte sich 1867 eine eigene Zeitung – die unter dem Namen „Neues Wiener Tagblatt“ erschien. Innerhalb von wenigen Jahren hatte er es vom einfa-

10 Berta Zuckerkandl, Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, herausgegeben von Theresia Klugsberger und Ruth Pleyer, Wien 2013, Vorwort S. 8 – 10. Eine Übersicht der Materialien von Emile Zuckerkandl findet sich auf der Homepage des Österreichischen Literaturarchivs. 11 Lucian O. Meysels, In meinem Salon ist Österreich, Berta Zuckerkandl und ihre Zeit, 2. erweiterte Auflage, Wien 1997, S. 7. 12 In der Folge zitiert: Briefe Familie Stadlen. 13 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 10.

Das Elternhaus

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chen Journalisten zum mehrfachen Millionär gebracht.14 1872 war er an der Gründung der Papierfabrik Steyrermühl A. G. beteiligt15, die jedoch bereits ab 1873 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.16 Ab 1878 lebte die Familie in einem neu erbauten Palais in der Liechtensteinstraße.17 Seine enge Beziehung zu Kronprinz Rudolf brachten ihm antisemitische Angriffe18 und politische Feindschaften, die zum Verschleißverbot durch die Regierung Taaffe19 und damit letztlich auch zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Zeitungsimperiums führten. Das 1883 erlassene Verbot bedeutete, dass Trafikanten nicht mehr das „Neue Wiener Tagblatt“ verkaufen durften20, und leitete den Niedergang der Karriere Moriz Szeps ein, der letztlich verarmt starb. Szeps gilt als einer der ersten Leitartikelschreiber und war eine der hervorragenden Journalisten seiner Zeit. Seine liberale Einstellung, sein persönliches Engagement für eine österreichisch-französische Annäherung und seine Abneigung gegen einen Bund mit Preußen waren jene Einstellungen, die sich auch später durchgehend bei seiner Tochter Berta Zuckerkandl finden. Sie wuchs im Zeitungsimperium ihres Vaters auf, sie war zeitweise in schon sehr jungen Jahren seine Sekretärin und war Botin von Artikeln des progressiven Thronfolgers Kronprinz Rudolf, die anonym von Moriz Szeps veröffentlicht wurden.21 Früh mit Politik konfrontiert, lernte sie bedeutende Persönlichkeiten kennen, so etwa 1883 Georges Clémenceau.22 Zum politischen Kreis von Moriz Szeps gehörten auch französische Politiker wie Ernest Renan, Jean-Martin Charcot, Jules Ferry oder Léon Gambetta.23 Die Mutter Amalie, geborene Schlesinger, führte zu Zeiten des wirtschaftlichen Erfolges ihres Mannes einen glänzenden Salon, besucht von liberalen Intellektuellen und Künstlern der Wiener Gesellschaft.24 „Es geht toll bei uns zu. Jeden Tag Gäste, Feste“, beschrieb Berta ihr Elternhaus.25 Wie ihre Mutter sollte auch sie einen Salon bis zum Beginn der 1930er-Jahre führen.

14 Karl Paupié, Moriz Szeps, Dissertation, Wien 1949, S. 22; vgl. auch Nathalie Beer, Das Leben und Wirken des Journalisten Moriz Szeps (1834 – 1902), Masterarbeit der Universität Wien, 2013. 15 Eine detaillierte Zusammenfassung vgl. Paupié, Moriz Szeps; eine Kurzfassung zur Biographie Moriz Szeps, Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl, S. 10 f. 16 Paupié, Moriz Szeps, S. 35. 17 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 15. 18 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 58. 19 Paupié, Moriz Szeps, S. 56. 20 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 29 f. 21 Deborah Holmes, „Nichts weniger als die Erneuerung der Weiblichkeit.“ Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende, in: Hilde Spiel und der literarische Salon, herausgegeben von Ingrid Schramm und Michael Hansel, Innsbruck/Wien/Bozen 2011, S. 19; Meysels, In meinem Salon ist Österreich, Die Botin des Kronprinzens, S. 53 – 57. 22 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 31. 23 Annett Oertel, Der literarische Salon der Berta Zuckerkandl, Studienarbeit, GRIN 2000, S. 12 f. 24 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S.192. 25 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 82.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

Kindheit und Jugend Das wohlhabende Elternhaus sicherte den Kindern – den Töchtern Sophie und Berta26 sowie den zwei Söhnen (Leo und Julius) – eine gute Ausbildung. In der Tradition des jüdischen Bildungsbürgertums wurde sie als Mädchen von ausgezeichneten Hauslehrern unterrichtet, da zu dieser Zeit Mädchen weder das Gymnasium noch die Universität besuchen konnten.27 Berta und ihre Schwester Sophie erhielten „in den eigenen vier Wänden eine hochschulähnliche Erziehung.“28 In ihren Memoiren führt sie vier Männer an, die ihre geistige, politische und künstlerische Bildung prägten. Ihr Vater Moriz Szeps (1834 – 1902) prägte ihre Haltung zu Politik und Journalismus. Ihr Ehemann Emil Zuckerkandl (1849 – 1910) weckte u. a. ihr soziales Engagement. Einer ihrer Hauslehrer, der bekannte Kunsthistoriker Albert Ilg (1847 – 1896), zeigte ihr die Fragwürdigkeit des vorherrschenden Historismus, und Georges Clémenceau (1841 – 1929) verdankte sie den Zugang zu den damals noch verhöhnten Impressionisten.29 Das Eingehen auf die am Ende sehr konfliktreiche Beziehung zwischen Berta und Georges Clémenceau würde den Rahmen der biographischen Skizze ebenso sprengen wie die Erörterung einer Theorie, dass es zwischen den beiden eine Liebesbeziehung gegeben hätte.30 Beim Zusammentreffen im Mai 1914 in Paris hatte Georges Clémenceau Berta zutiefst verletzt, als er ihr erklärte, dass Österreich es verdiene, von der Weltkarte zu verschwinden, ja sogar, dass er dies wünsche.31 Ein Drehbuch zu einem Film über Georges Clémenceau, an dem sie nach 1938 geschrieben hatte, gilt heute als verloren.32 Von Berta Zuckerkandl gibt es zwei aufschlussreiche Hinweise auf ihre Beziehung zu Clémenceau. In einem Brief an Gottfried Kunwald schreibt sie 1925: „Sie kennen mich ja jetzt schon gut. Und wissen, wie impressionabel ich bin. (Höflich ausgedrückt, sonst nennt man das ‚meschugge‘). George Clémenceau hat mir in einem seiner an mich gerichteten Liebesbriefe (väterlicher Natur) einmal geschrieben: ‚Étounante Toqué‘ [erstaunlich verrückt]. Das ist mir lange geblieben.“33 26 Die jüngste Tochter Ella starb mit 15 Jahren an Lungenentzündung. Vgl. Herling, Berta Zuckerkandl, S. 56. 27 Das Gymnasium für Mädchen führte erst ab 1892 bis zur Matura und erst 1897 wurden Frauen für einzelne Studienrichtungen an der Universität zugelassen. Vgl. Ulrike Steinhäusl, Berta Zuckerkandl – „Hebamme der Wiener Moderne“, in: Apropos Avantgarde, Neue Einblick nach einhundert Jahren, herausgegeben von Dolors Sabaté Planes und Jaime Feijóo, Berlin 2012, S. 81 – 97, hier S. 91. 28 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 193. 29 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 92 f. 30 Vgl. dazu Berta Zuckerkandl, Clémenceau, tel que je l’ai connu, Algier 1944; Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 7; eine emphatische Beschreibung der Beziehung der Einundzwanzigjährigen mit dem um 23 Jahre älteren Clémeceau vgl. Armelle Weirich, Berta Zuckerkandl-Szeps ou l’importance de l‘ amitié d‘ une femme et d‘ une critique d‘ art, in: Clemenceau et les artistes modernes, herausgegeben von Christophe Vital, Paris 2013, S. 44 – 48. 31 Zuckerkandl, Clémenceau, S. 204 ff. 32 Klugsberger/Pleyer, Flucht, S. 103 f. 33 Briefe Familie Stadlen, BZ an GK, 5. September 1925.

Emil Zuckerkandl

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Rückblickend in ihrem Clémenceau-Buch aus dem Jahr 1944 zitiert sie in einem Brief vom Dezember 1918 Clémeceau, der ihr einst versicherte: „A toi, ma vie!“ Das Zitat geht noch dramatischer weiter: „J‘ ai donc le droit de te reclamer de cette vie une étincelle.“34 Ihre damalige Bitte um die Entsendung eines französischen Vertreters nach Bern wurde auch erfüllt. Die Förderung der österreichisch-französischen Beziehungen blieb trotzdem ein besonderes Anliegen Berta Zuckerkandls und die französische Kultur nahm in ihrem Leben immer einen besonderen Stellenwert ein.35 Das kosmopolitische und dabei stets frankophone Milieu ihres Elternhauses prägt lebenslang ihre Einstellungen und Haltungen. Allem lag aber stets ein Eintreten für Österreichs Interessen zu Grunde.36 Emil Zuckerkandl 1883 lernte Berta Szeps bei einer Soiree im Elternhaus den Anatomieprofessor Emil Zuckerkandl kennen. Der erste Eindruck wurde von ihr beschrieben: „Ich sehe plötzlich eine seltsame Figur. Ein junger Mann, dessen Gesicht auffallend edel und schön geschnitten war. Aber seine Gestalt umflatterte ein Frack – dreimal zu groß. Die Ärmel hingen über die Hände herunter, er sah grotesk aus. Sophie und ich wechselten entsetzte Blicke.“37 Zuckerkandl wurde aber ein häufiger Gast im Hause Szeps. 1886 heiraten Berta und Emil Zuckerkandl. Die Trauung fand im Palais in der Liechtensteinstraße statt und nicht im Tempel der israelitischen Kultusgemeinde.38 1886 heiratet ihre Schwester Sophie Paul, den Bruder von George Clémenceau, und geht nach Paris. Berta folgt ihrem Mann nach Graz – von ihr als „gegen den Geist gehässige Provinzstadt“ empfunden.39 Die Schwestern führen in der Tradition ihres Elternhauses Salons. Emil Zuckerkandl wird als „die Liebe ihres Lebens“ beschrieben.40 Er entstammte einer Ärztefamilie und war ein Anatom, der sich schon als junger Wissenschaftler einen Namen gemacht hatte. Bereits vor seiner Berufung an die Universität Graz hatte er 58 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Ab 1882 wirkte er als Universitätsprofessor in Graz. 1888 erfolgte die Übersiedlung von Graz nach Wien. Emil Zuckerkandl wurde der erste Direktor des Anatomischen Instituts und erhielt den Titel Hofrat.41 Sein bedeutendster Schüler war Julius Tandler.42 1895 34 „Für Dich mein Leben!“ und „Ich habe also das Recht, von diesem Leben einen Funken zu erbitten.“ Zuckerkandl, Clémenceau, S. 224. 35 Spoerri, Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig, S. 171. 36 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 213. 37 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 78. 38 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 199. 39 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 127. 40 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 92. 41 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 199. 42 Vgl. eine Kurzinformation in Historisches Lexikon Wien, Eintrag Emil Zuckerkandl, herausgegeben von Felix Czeike, Wien, 1992 – 2004, 6 Bände.

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kam ihr einziger Sohn Fritz zur Welt, zu dem sie zeitlebens einen engen Kontakt hatte.43 Die Briefe zwischen Mutter und Sohn, die sich im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek befinden, und die Briefe Berta Zuckerkandls an Gottfried Kunwald zeigen dies in aller Deutlichkeit. Zeitweise bestimmten die Schulden des Sohnes ihr eigenes Leben.44 Doch finden sich darauf keinerlei Hinweise in ihren publizierten Erinnerungen. Emil Zuckerkandl war nicht nur ein bekannter Anatomieprofessor, sondern auch ein überaus toleranter Mann und Förderer der Frauenbewegung, der sich u. a. für die Freigabe des Medizinstudiums für Frauen einsetzte.45 Um Frauen ein Studium zu ermöglichen, eröffnete er 1900 mit einigen gleichgesinnten Professoren eine Frauenakademie, die bis 1918 bestand. Für eine bedürftige Medizinstudentin wurde ein Zuckerkandl-Stipendium eingerichtet.46 Gemeinsam mit ihrem Mann unterstützte Berta Zuckerkandl auch das Wiener Volksbildungswerk.47 Populäre Wissensvermittlung war ihnen ein Anliegen.48 Berta Zuckerkandl publizierte in der von ihrem Vater und später von ihrem Bruder Leon Szeps herausgegebenen populärwissenschaftlichen Zeitschrift „Das Wissen für Alle“.49 In der Affäre um Gustav Klimts Deckengemälde für den Festsaal der Wiener Universität – einem 1894 erteiltem Staatsauftrag – der schon im Entwurfsstadium einen Sturm der Entrüstung beim konservativen Kunstpublikum und an der Universität hervorrief, organisierte Emil Zuckerkandl den Gegenprotest an der Medizinischen Fakultät, unterstützt von Berta. Sie veröffentlichte den Schriftwechsel zwischen dem Unterrichtsminister und Gustav Klimt in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“.50 Emil Zuckerkandl war zudem ein Kunstkenner und Sammler osmanischer Kunst.51 1910 stirbt Emil Zuckerkandl. In Erinnerung schrieb Berta: „Er inkarnierte den reinsten, beinahe fanatischen Geist der Wissenschaft und war doch niemals den Absonderlichkeiten und der Weltfremdheit unterworfen, an der so oft große Wissenschaftler leiden. Geist und Herz waren im Gleichgewicht. Ein immer

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Herling, Berta Zuckerkandl, S. 62. Vgl. Details im Einleitungskapitel „Die Briefe – Zeugnisse einer tiefen Freundschaft.“ Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 166. Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 199 f. Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 82 f. Vgl. zu der Thematik Markus Oppenauer, Der Salon Zuckerkandl im Kontext von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, Populärwissenschaftliche Aspekte der Wiener Salonkultur um 1900, Enzyklopädie des Wiener Wissens Band XV Salon Zuckerkandl, herausgegeben von Hubert Christian Ehalt, Weitra 2012. 49 Oppenauer, Der Salon Zuckerkandl, S. 72. 50 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 64. 51 Eine Würdigung anlässlich der Enthüllung eines Denkmals zu seinen Ehren vgl. „Neues Wiener Journal“ vom 6. April 1924.

Journalistische Arbeiten bis zum Ersten Weltkrieg

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bereiter Humor, das zarteste künstlerische Empfinden, eine warme Liebe zum Volk brachten ihm viel Verehrung ein.“52 Journalistische Arbeiten bis zum Ersten Weltkrieg Berta Zuckerkandl benütze das Medium Zeitung als meinungsbildendes Instrument, um für die Gespräche und Diskussionen in ihrem Salon eine Breitenwirkung zu erreichen. Sie war aber mehr als eine Salonière, die fallweise schrieb.53 Sie beherrschte das Medium, da sie aus einer Zeitungs- und Journalistendynastie stammte – ihre beiden Onkel, Vater und Brüder waren alle auch journalistisch tätig. Sie hatte von Haus aus etwas, das man nicht lernen konnte – sie hatte Journalistenblut, wie es ein Kollege, Ludwig Hevesi, im Vorwort zu ihrer Schrift „Zeitkunst“ schrieb.54 Der Glaube an Österreich – sowohl an den Vielvölkerstaat in der Monarchie als auch an den Kleinstaat in der Zwischenkriegszeit – die antipreußische und profranzösische Einstellung bestimmten ihr gesamtes journalistisches Schaffen. Mit dem Tod von Kronprinzen Rudolf 1889, mit dem für Berta Zuckerkandl die Hoffnung auf eine Zukunft Österreichs zerstört wurde55, tritt die Politik in den Hintergrund und sie beginnt, gelegentlich Artikel über Kunst und das kulturelle Leben in verschiedenen Presseorganen zu publizieren. Ihre Kolumnen werden regelmäßiger und sie wird Redakteurin des Kulturteils der „Wiener Allgemeinen Zeitung“, Redakteurin des „Neuen Wiener Journals“ und schreibt für „Ver Sacrum“, das Organ der Wiener Sezession.56 Ihre journalistischen Tätigkeiten waren zu dieser Zeit für eine Frau durchaus nicht üblich.57 Eine Auswahl ihrer Artikel wird 1908 publiziert.58 In ihren Chroniken schrieb sie „über die kulturellen Neuigkeiten Wiens … frisch und enthusiastisch.“59 Sie selbst beschrieb ihren Stil 1913: „Als Frau bin ich mit Leidenschaft subjektiv; mit Begeisterung einseitig.“60

52 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 160. 53 Zum Beruf der Journalistin um die Jahrhundertwende vgl. Eliza Ickenhäuser, Die Journalistik als Frauenberuf, Berlin/Leipzig 1905. Eine Zusammenfassung zu Berta Zuckerkandl als Journalistin vgl. Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl. 54 Ludwig Hevesi, in: Berta Zuckerkandl, Zeitkunst, Wien 1908, S. VII f. 55 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 152. 56 Spoerri, Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig, S. 166. 57 Mary Louise Wagner, Pioneer Journalistinnen, Two Early Twentieth Century Viennese Cases: Berta Zuckerkandl and Alice Schalek, Ohio State Universitiy, Dissertation 1976, published on demand by University Microfilms International, S. 188. 58 Berta Zuckerkandl, Zeitkunst, Wien 1901 – 1907, Mit einem Geleitwort von Ludwig Hevesi, Wien/ Leipzig 1908. 59 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 91. 60 Zitiert nach Andrea Winklbauer, Wien muss der Kunst erobert werden, Berta Zuckerkandl als Kunstkritikerin um 1900, in: Beste aller Frauen, Weibliche Dimension im Judentum, herausgegeben im Auftrag des Jüdischen Museums Wien von Gabriele Kohlbauer-Fritz und Wiebke Krohn anlässlich der Ausstellung vom 16. Mai bis 18. November 2007, Wien 2007, S. 121 – 126, hier S. 123.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

Als Gründe für ihre rege journalistische Tätigkeit werden angeführt, dass sie wegen des Berufes ihres Mannes Beschäftigung brauchte und ein zusätzliches Einkommen.61 Diese Erklärungen wären aber zu kurz gegriffen. Ihr Zugang zu Kunst und Kultur erfolgte über politische Grundpositionen. Sie wird als „geradezu kommunikationswütige Journalistin“ mit einer Sucht zum Telefonieren beschrieben, die „nie ihre liberalen Grundsätze, Jugendverbundenheit und Modernität“ verleugnete.62 Sie tritt für die jungen Künstler ein, die die Secession gründeten. In einer eigenen Kolumne „Kunst und Cultur“ wird sie zum Sprachrohr der Künstler ihrer Zeit. Sie wird zum Sprachrohr des Jugendstils.63 Ihre Kunstkritiken sind „leidenschaftlich subjektiv“ und richten sich gegen das „kleinbürgerliche Kunst-Dogma“.64 Sie wird auch zur Kämpferin für die Ideen und Anliegen der Wiener Werkstätte.65 Ihre Artikel geben Zustandsbilder der kulturellen Szene Österreichs, aber auch immer wieder Frankreichs. Wien wird dabei kritisch gesehen: „Es ist der Friedhof des Nichtgewordenen, der ungeborenen Meisterwerke. In jedem Land ist ein solcher Friedhof zu finden, doch nirgends in so verheerendem Ausmaß wie in Wien, jener Stadt, die immer wieder Genies gebar und sie dann erschlug.“66 Auf Grund des Umfanges und der Qualität ihrer journalistischen Arbeiten wird sie zu den Pionierinnen unter den Journalistinnen gezählt.67 Sie erwarb sich den legendären Ruf einer „streitbaren Kunstkritikerin und kulturellen Kommentatorin.“68 Die Friedensmission 1917 Berta Zuckerkandl hoffte auch während des Ersten Weltkrieges auf eine Völkerverständigung zwischen Frankreich und Österreich. Ihre pazifistischen Artikel der ersten Kriegsjahre fanden keine Beachtung. Nach dem Tod Kaiser Franz Josefs 1916 wurde sein Nachfolger Kaiser Karl zum „Hoffnungsträger für eine Völkerverständigung zwischen Österreich und Frankreich.“69 Durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Clémenceau und ihre engen Kontakte zu Frankreich wurde sie – unter Mitwissen ihrer Schwester Sophie – bei den Bemühungen um einen Separatfrieden in geheimer politischer Mission tätig. Für die Behandlung einer Augenkrankheit, die nur von einem Spezialisten in Bern mög 61 Wagner, Pioneer Journalistinnen, S. 69. 62 Isabella Ackerl, Wiener Salonkultur um die Jahrhundertwende, Ein Versuch, in: Die Wiener Jahrhundertwende, Einflüsse Umwelt Wirkungen, herausgegeben von Jürgen Nautz und Richard Vahrenkamp, Wien/Köln/Graz, 1996, S. 694 – 709, hier S. 699. 63 Spoerri, Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig, S. 166. 64 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 200; vgl. auch Winkelbauer, Wien muss der Kunst erobert werden. 65 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 204. 66 Zuckerkandl, Österreich intim, S. 32. 67 Wagner, Pioneer Journalistinnen. 68 Holmes, Erneuerung der Weiblichkeit, S. 19. 69 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 65.

Journalistische Arbeiten der frühen zwanziger Jahre

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lich war, erhielt sie die Einreiseerlaubnis in die Schweiz. Ihr offizieller Auftrag lautete, Kulturpropaganda für Österreich zu betreiben. Tatsächlich war sie aber von Otto Bauer mit Instruktionen ausgestattet, „die im Wesentlichen auf eine conférence préliminaire hinauslaufen, die über Österreich und Ungarn verhandeln soll.“70 Dies sollte an George Clémenceau kommuniziert werden. Die Bemühungen Berta Zuckerkandls und ihrer Schwester Sophie in Sachen Separatfrieden wurden aber an Berlin weitergemeldet und damit torpediert. Der Aufenthalt in Bern führte aber zu einer lebenslangen Freundschaft mit der deutschen Schriftstellerin und Pazifistin Annette Kolb, für die es auch Hinweise in der Briefedition gibt.71 Kurz nach Kriegsende wurde Berta Zuckerkandl von Otto Bauer gebeten72, bei George Clémenceau zu intervenieren, damit Frankreich seinen Widerstand gegen die Installierung einer interalliierten Lebensmittelkommission aufgab. In zwei Briefen wandte sie sich an ihn und erreichte schließlich die Rücknahme des Vetos. Damit war die Lebensmittelversorgung der Republik Österreich gesichert.73 Journalistische Arbeiten der frühen zwanziger Jahre In den zwanziger Jahren wurden ihre journalistischen Arbeiten zunehmend politischer. Die Auseinandersetzungen mit Kunst und Kultur – u. a. war sie noch an der Propagierung der Salzburger Festspiele beteiligt, die 1920 zum ersten Mal stattfanden74 – traten aber etwas in den Hintergrund, wenngleich sie noch immer regelmäßig zu internationalen Kunstausstellungen, zum französischen Theater, aber auch zur Wiener Bautätigkeit oder zu den Salzburger Festspielen Artikel verfasste. 1927 fragte sie anlässlich der Beethovenfeiern nach dem Verbleib des Beethoven-Frieses.75 Als sie im Jänner 1923 von der „Wiener Allgemeine Zeitung“ entlassen wurde, traf sie dies hart, doch sie publizierte in anderen Zeitungen weiter – so im „Wiener Tag“, in der „Volkszeitung“, der „Bühne“ oder im „Neuen Wiener Journal“. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie zur „wichtigsten Kommentatorin österreichischer Außenpolitik.“76 Immer wieder finden sich Artikel zur Politik Frankreichs, aber auch zum englischen Sozialismus oder zu den englischen Gewerkschaften.77

70 Schicksalsjahre Österreichs, Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs, 1869 – 1936, Band 2: Tagebücher Josef Redlichs 1915 – 1936, herausgegeben von Fritz Fellner und Doris A. Corradini, Wien/Köln/Weimar, 2011, Eintrag 25. November 1918, S. 474. 71 Vgl. dazu BZ, Bericht vom 14. Jänner 1936; Brief Annette Kolb an BZ vom 14. Jänner 1936; Brief BZ an GK vom 16. Jänner 1936. 72 Vgl. dazu Tagebücher Josef Redlichs, S. 474; weiters S. 479. 73 Vgl. Details zu ihren diplomatischen Missionen Herling, Berta Zuckerkandl, S 65 – 67. 74 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 67 f. 75 Vgl. die Artikelsammlung in der Wienbibliothek, Dokumentation, Mappe Berta Zuckerkandl. 76 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 217. 77 Vgl die Artikelsammlung in der Wienbibliothek, Dokumentation, Mappe Berta Zuckerkandl.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

Berta Zuckerkandl war sich bewusst, dass sie in einer Umbruchzeit lebte, und wollte an der „Zeitgeschichte mitwirken“.78 Ab 1924 machte sie exklusive Interviews mit dem sowjetischen Botschafter in Paris Leonid Krassin oder mit dem englischen Premier Ramsay Mac Donald, bei diesem standen Fragen der europäischen Völkerverständigung im Mittelpunkt.79 Gespräche mit Philipp Snowden und Lord Richard Haldane fanden in ihren Artikeln ebenso Niederschlag.80 Übersetzungen als Vermittlung zwischen den Kulturen Dazu kam in den zwanziger Jahren zunehmend auch ihre Tätigkeit als Übersetzerin französischer Autoren. Sie arbeitete für das Burgtheater und Max Reinhardt, übersetzt aber auch französische Boulevardstücke, Komödien und Sozialdramen ins Deutsche.81 Die Stücke wurden auf österreichischen und deutschen Bühnen aufgeführt. Die Übersetzungen waren Teil ihres ständigen Bemühens um einen kulturellen Austausch zwischen Österreich und Frankreich. Für ihr unablässiges Bemühen wurde sie 1929 mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet.82 Begünstigt wurde ihre Übersetzertätigkeit in den 1920er-Jahren durch eine entscheidende Wende in den deutsch-französischen Beziehungen ab September 1925. Das Treffen zwischen dem französischen Unterrichtsminister Anatole de Monzie und dem preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker am 15. September 1925 in Berlin war der erste offizielle Besuch eines amtierenden Ministers Frankreichs. Es leitete eine deutsch-französische Verständigungspolitik ein83, gefolgt von den Verträgen von Locarno 1926 und der darauf basierenden Neugründung deutsch-französischer Verständigungsagenturen84 sowie der Schaffung eines Deutsch-Französischen Studienkomitees zur Förderung von „Elitebegegnungen aus Wirtschaft, Geistesleben, Verwaltung und Publizistik“85, das bis 1929 Impulse setzen konnte, wenngleich „wenig erfolgreich“, und danach als „un centre d’intrigues“ bezeichnet wurde.86 Für Berta Zuckerkandl bedeuteten aber diese allgemeinen kulturpolitischen Rahmenbedingungen zwischen dem französischund deutschsprachigen Raum, dass französische Stücke auf Berliner Bühnen bis 78 Verena von der Heyden-Rynsch, Europäische Salons, Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, München 1992, S. 206. 79 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 204. 80 Vgl. die Artikelsammlung in der Wienbibliothek, Dokumentation, Mappe Berta Zuckerkandl. 81 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 217. 82 Vgl. dazu das Glückwunschtelegramm von Gottfried Kunwald, 11. August 1929. 83 Vgl. Details Katja Marmetschek, Ein Wendepunkt für die deutsch-französische Verständigung? in: Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik, Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, herausgegeben von Hans Manfred Bock, Tübingen 2005, S. 37 – 67. 84 Marmetschek, Wendepunkt, S. 47. 85 Vgl. Details Guido Müller, Pierre Viénot und das Berliner Büro des Deutsch-Französischen Studienkomitees, in: Bock, Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik, S. 53 – 67, hier S. 53. 86 Müller, Pierre Viénot, S. 65 f.

Übersetzungen als Vermittlung zwischen den Kulturen

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1933 häufig zur Aufführung kamen. Bei einigen Bühnen, darunter die Max Reinhardt Bühnen, lag „der Anteil des französischen Repertoires deutlich über dem nationalen Durchschnitt.“87 In einer Zusammenstellung französischer Stücke auf Berliner Bühnen, wobei aber nicht von allen Privattheatern die Spielpläne erhalten sind, scheint Berta Zuckerkandl immer wieder als Übersetzerin auf. Aus Briefen von Berta Zuckerkandl an Gottfried Kunwald aus den 1920er-Jahren, die sich im Besitz der Familie Stadlen in England befinden, geht die Bedeutung der Übersetzertätigkeit hervor. Da sie nur in Wien die Ruhe zu Übersetzungen hatte, waren längere Parisaufenthalte schwierig: „Ich verliere pekuniär zu viel, wenn ich meine Arbeit in Wien ganz bei Seite lasse.“88 In einem Brief vom November 1925 heißt es: „Der Ertrag dieser Arbeit bildet den Stock meiner revenuen die ich zum Leben brauche.“ Zu den Details ihrer Übersetzungsarbeiten schreibt sie, dass sie „ungefähr sechs Stücke gekauft (das heisst der Verlag hat dieses Geld investiert)“ hat. Sie musste laut ihres Vertrages diese Stücke sofort der Reihe nach übersetzen, damit das Kapital noch in der Saison „fruktifiziert“ werden konnte. Sie schätzte, dass sie „zwei Monate Tag und Nacht angestrengt arbeiten“ müsse. Dazu kam, dass sie in Wien und Berlin mit ihren Theaterdirektoren in persönlichem Kontakt bleiben musste, um die übersetzten Stücke auch zu „placieren“.89 Das Ausbleiben von Übersetzungsaufträgen durch Weltwirtschaftskrise und Theaterkrise sowie noch einschneidender das Ausbleiben von Tantiemen für schon übersetzte und aufgeführte Stücke aus dem nationalsozialistischen Deutschland verschärften ihre immer prekärer werdende finanzielle Situation in den 1930er-Jahren. In den edierten Briefen gibt es zahlreiche Hinweise darauf. Im September 1935 schrieb sie etwa an Kunwald: „Das sind nun alle meine Verbindlichkeiten. Als Besitz stand ihnen gegenüber, solange bis das Hitler-Deutschland alle diese Verträge aufhob, meinen Anteil von ein und einhalb bis zwei Perzent der Brutto-Tantiemen jener Stücke, die ich im Laufe von zwölf Jahren aus dem Französischen übersetzt habe.“90 Eine genaue Darstellung findet sich zur Übersetzung eines Stückes von Jean Giraudoux. Den Auftrag hatte Berta Zuckerkandl gemeinsam mit ihrer Freundin Annette Kolb erhalten. Sie mussten das Stück „La guerre de Troie n‘ aura pas lieu“ für das Theater in der Josefstadt innerhalb kürzester Zeit übersetzen und dies in Konkurrenz zu einem weiteren Übersetzer (Raoul Auernheimer).91 Berta Zuckerkandl fertigte eine Rohübersetzung an, die Annette Kolb in der ihr eigenen Art „schneckengleich“ überarbeitete. René Schickele, Schriftsteller und enger Freund von Annette, wirkte ebenfalls an der Übersetzung mit. Ihm gegenüber meinte Kolb allerdings: „Aber wie sie [BZ] übersetzt … Entre nous, ich bekam 87 Vgl. Details Marc Thuret, Französische Stücke auf Berliner Bühnen 1919 – 1933, in: Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik, Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, herausgegeben von Hans Manfred Bock, Tübingen 2005, S. 251 – 281, hier S. 252. 88 Briefe Familie Stadlen, Brief von BZ an GK vom 23. April 1925. 89 Briefe Familie Stadlen, Brief von BZ an GK vom 12. November 1925. 90 Brief von BZ an GK vom 29. September 1935. 91 Vgl. dazu BZ, Bericht vom 14. Jänner 1936; Brief Annette Kolb an BZ vom 14. Jänner 1936.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

Schreikrämpfe.“92 Berta Zuckerkandl scheint weder von der Mitarbeit Schickeles noch von der kritischen Einschätzung ihrer Freundin etwas gewusst zu haben. Eine Kritik an ihrer Übersetzertätigkeit der 1920er-Jahre findet sich auch in den Tagebüchern von Erica Tietze-Conrat. Im Mai 1924 gibt es einen Eintrag: „… hab … Je t’aime gesehen. Das Stück ist furchtbar und hat mich (vor allem auch durch die elende Übersetzung d. Bertha Zuckerkandl) sehr deprimiert.“93 Im Jänner 1925 findet sich noch eine weitere kritische Bemerkung: „Gestern abends im Akademiethater bei Mamma Nicole. Ein von einer französ[ischen] Firma sehr geschickt, warm, witzig gemachtes Stück, das die gute B Z ganz lächerlich übersetzt hat.“94 Aus Briefen der 1920er-Jahre95 geht hervor, dass Berta Zuckerkandl laufend und oft unter Zeitdruck Stücke übersetzt hat, wobei die Qualität der Übersetzungen zu Kritik Anlass bot. Der Umfang ihrer Übersetzungstätigkeit lässt sich aus den wenigen Hinweisen nur erahnen. Noch im Februar 1938 kam ein Stück von Paul Géraldy im Theater in der Josefstadt in einer „ausgezeichneten“ Übersetzung von ihr zur Aufführung.96 Im Herbst 1937 findet sie in Paris noch ein neues Tätigkeitsfeld, wie aus einem Brief an ihren Enkel Emile hervorgeht. Durch einen Agenten namens Karganski – „ein kleiner russischer Jude“ – bekommt sie den Auftrag, die „Beichte“ des Enkels von Leo Tolstoi und ein nie veröffentlichtes Kapitel aus seinem Roman „Krieg und Frieden“, die in den nachgelassenen Schriften entdeckt worden waren, zu übersetzen. Sie schärfte dem Enkel ein, dass niemand davon wissen darf, dass sie die Übersetzerin ist, da sonst die Deutschen nicht zahlen.97 Neben der Übersetzertätigkeit ebnete sie für einige Autoren quasi als Literaturagentin den Weg zum 1923 in Wien gegründeten Zsolnay Verlag.98 Diese Tätigkeit entsprach ihrem politischen Engagement für eine engere Verbindung Frankreichs und Österreichs.

92 Brief Annette Kolb an René Schickele, 25. Jänner 1936, zitiert nach Armin Strohmeyr, Annette Kolb, Dichterin zwischen den Völkern, München 2002, S. 201. 93 Dabei handelte es sich um die Erstaufführung des Stückes „Je t’aime“ von Sacha Guitry (1885 – 1957) in der Übersetzung von Berta Zuckerkandl. Vgl. Erica Tietze-Conrat, Tagebücher 1923 – 1926, Band 1: Der Wiener Vasari, herausgegeben von Alexandra Caruso, Wien/Köln/Weimar 2015, S. 234 und S. 293. 94 Dabei handelt es sich um ein Stück von Jaques Bousquet (1883 – 1939) und Paul Armont (1874 – 1943) in der Übersetzung von Berta Zuckerkandl. Vgl. Tietze-Conrat, Tagebücher, Band 1, S. 316 und S. 367. 95 Die Briefe befinden sich in England im Besitz der Familie Stadlen und wurden der Autorin zur Verfügung gestellt. 96 Neues Wiener Tagblatt vom 13. Februar 1938, S. 14. 97 Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl, Beilagen zu Emile Zuckerkandls Tagebuch VI. Band, Brief BZ an Emile Zuckerkandl vom 19. Oktober 1937. 98 Lisa Silverman, Jewish Intellectual Women and the Public Sphere in Inter-War-Vienna, in: Women in Europe between the Wars: Politics, Culture and Society, herausgegeben von Angela Kershaw und Angela Kimyongür, Aldershot/Burlington, 2007, S. 155 – 169, hier S. 158.

Der Salon Berta Zuckerkandl

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Als Vermittlerin der Kulturen und Nationen stand sie damit in der Tradition ihrer Vorgängerinnen, etwa der Salonière Caroline Pichler.99 Für sie – folgt man ihrem Lebenslauf – scheint die Unterdrückung der Frauen nicht existiert zu haben. Ihr Salon – „Ort weiblicher Kultur“100 – war ihr bald zu eng geworden. Ihre Mitstreiter waren fast ausnahmslos Männer101 und mit ihrer journalistischen Tätigkeit drang sie in eine Männerwelt ein. Durch ihr Elternhaus war sie in einem gleichberechtigten Geiste aufgewachsen. Ihr Vater und ihr Ehemann traten für die Gleichberechtigung ein. Sie war zwar Mitbegründerin des Wiener Frauenclubs, deren Mitglieder hauptsächlich aus der wohlhabenden Mittelschicht kamen, doch liefert ihr Lebenslauf wenig Ansatzpunkte für die genderbezogene Forschung. Sie war keine Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen.102 Ihr ausgeprägtes Selbst- und Frau-Bewusstsein entzieht sich gängigen Beurteilungen oder Verurteilungen.103 Der Salon Berta Zuckerkandl Berta Zuckerkandl ist eine der letzten bedeutenden Salonièren. Sie prägte die Wiener Kunstszene durch Jahrzehnte. Ihr Salon war ein Konversationszirkel, in dem es zu lockeren Zusammenkünften von Musikern, Malern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Politikern kam. Das Spektrum der Gäste reichte von Sezessionisten und Dichtern des Expressionismus bis hin zu konservativen, bürgerlichen Politikern.104 Ihr Zugang zu Kunst und Kultur erfolgte über politische Grundpositionen105, die sie aus dem Elternhaus mitbekam. Sie war weit mehr als eine Salonlöwin. Immer wieder wurde sie auch politisch aktiv. Politik war – im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz der Wiener Salons – stets präsent.106 Je nach politischer Weltlage standen die Ereignisse in den Nachbarländern, die österreichisch-französischen Beziehungen, der angestrebte Separatfrieden oder die Anschlussdebatten an Deutschland stets zur Diskussion. Der aufkommende Faschismus in Italien und Deutschland wurde thematisiert. Deutschnationale Kreise bezeichneten den Salon Zuckerkandl als „Kulturbolschewistentreff “.107

99 Peter Seibert, Der Literarische Salon, Literatur und Geselligkeit zwischen Tradition und Moderne, Stuttgart/Weimar 1993, S. 387. 100 Roberto Simanowski/Horst Turk/Thomas Schmidt (Herausgeber), Europa – ein Salon? Beiträge zur Internationalität des literarischen Salons, Göttingen 1999, S. 9. 101 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 70. 102 Schramm/Hansel, Hilde Spiel und der literarische Salon, S. 26. 103 Gedanken zum Umgang der feministischen Wissenschaft mit Berta Zuckerkandl vgl. Herling, Berta Zuckerkandl, S. 70 – 73. Zu Berta Zuckerkandl und die Rolle der Frau vgl. Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl, S. 92 – 100. 104 Schramm/Hansel, Hilde Spiel und der literarische Salon, S. 20. 105 Ackerl, Wiener Salonkultur, S. 699. 106 Simanowski, Europa – ein Salon?, S. 194 – 195. 107 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 216.

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Ihr Salon – zunächst in einer Döblinger Biedermeiervilla in der Nußwaldgasse (1888 bis 1917) und ab 1917 in der Inneren Stadt in der Oppolzergasse108 – überlebte den allgemeinen Niedergang der Salonkultur nach dem Ersten Weltkrieg, doch verlor er in den dreißiger Jahren nicht zuletzt durch finanzielle Nöte an Bedeutung. Entgegen der Verklärung in ihren publizierten Selbstdarstellungen109 geben ihre Briefe an Gottfried Kunwald ein bisher nicht bekanntes Bild des finanziellen Niederganges und einer völligen Verschuldung und Verarmung in den dreißiger Jahren. Das Haus Zuckerkandl in der Nusswaldgasse war ab 1888 Treffpunkt für Wissenschaftler und Künstler. Julius Wagner-Jauregg, Julius Tandler, Ernst Mach oder Richard Krafft-Ebing gehörten zum Freundeskreis von Emil Zuckerkandl.110 In ihren beiden Salons – Nusswaldgasse und Oppolzergasse – versammeln sich im Laufe der Jahrzehnte zahllose Gäste, deren Namen und Bedeutung auch noch heute beeindrucken. Zum künstlerischen Netzwerk rund um den Salon zählten Schriftsteller wie Hermann Bahr – „einer der treuesten langjährigen Freunde und Protegés“111, dessen Österreichertum sie besonders schätzte112, Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann, Stefan Zweig, Franz Werfel, Jacob Wassermann, Felix Salten, Anton Wildgans, Franz Theodor Csokor, Egon Friedell, Taddäus Rittner, Fritz von Unruh, Max Burckhard, der Kunstkritiker Richard Specht oder der Musikkritiker David Josef Bach.113 In Arthur Schnitzlers Tagebüchern finden sich zwischen 1909 und 1930 450 Eintragungen zu Berta Zuckerkandl – und dies „ohne jegliche erotische Konnotationen.“114 In ihren autobiographischen Texten bleiben Erotik und ihre Wirkung als Frau „auffallend ausgeklammert.115 Anlässlich ihres Todes schrieb Ludwig Ullmann, der „von der unvergesslichen Frau allmählich mit einer festen und gedanken einheitlichen Freundschaft ausgezeichnet“ worden war: „… sie besaß die große strahlende Frauengabe der Freundschaft.“116 Damit unterschied sie sich deutlich von Alma Mahler-Werfel.117 Berta Zuckerkandl bezeichnete Alma in ihren autobiographischen Aufzeichnungen einige Male als gute Freundin und enthielt sich jeder Kritik, obwohl „Lebenswandel, Wert 108 Die Adresse war Oppolzergasse 6, vierter Stock rechts, über dem Café Landtmann. 109 Oertel, Der literarische Salon, S. 12. Vgl. dazu auch Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Welt­ geschichte, S. 164, 307. 110 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 201. 111 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 86. 112 Oertel, Der literarische Salon, S. 12. 113 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 201 f. 114 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 88. 115 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 90. 116 Österreichisches Literaturhaus, Ludwig Ullmann, Heimat in der Fremde, Ein Buch der Erinnerung und der Gegenwart, Typoskript, S. 73. Zur Rolle Ullmanns im Leben von BZ vgl. auch Theresia Klugsberger, Familie Zuckerkandl in Nordafrika – Dokumente einer Exilerfahrung, in: Going East – Going South, Österreichisches Exil in Asien und Afrika, Graz 2014, S. 135 – 158. 117 Zur Begegnung Gustav Mahlers mit Alma Schindler vgl. Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 86 – 90.

Der Salon Berta Zuckerkandl

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vorstellungen und politische Ansichten“118 weit auseinanderklafften. Von Alma Mahler-Werfel sind antisemitische Äußerungen bekannt und in ihrem Salon verkehrten Vertreter der Heimwehren, paramilitärischer und deutschnationaler bis nationalsozialistischer Wehrverbände.119 Trotzdem finden sich bei Berta Zuckerkandl keine kritischen Äußerungen über Alma Mahler-Werfel. In ihrem dünnen Adressbuch aus der Zeit des Exils in Algier findet sich unter den wenigen Eintragungen aber noch die Adresse von Alma Mahler-Werfel.120 Kontaktaufnahmen zu ihr und anderen Freundinnen und Freunden in den USA brachten aber keine Hilfe.121 In den Salon Zuckerkandl kamen Schauspieler wie Alexander Moissi und Alexander Girardi, aber auch Max Reinhardt und Erwin Piscator sowie die Direktoren der Wiener Theater. Aus dem Bereich der bildenden Kunst sind Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Gustav Klimt, Kolo Moser, Carl Moll, Otto Wagner, Josef Hoffmann oder Anton Hanak anzuführen.122 Aus dem Bereich der Musik sind Gustav Mahler, Julius Bittner oder Oskar Fried zu nennen.123 Berta Zuckerkandl umgab sich allerdings nicht nur mit berühmten Persönlichkeiten, sondern entwickelte sich auch zu einer einflussreichen Persönlichkeit in der österreichischen Kulturszene vom letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre. Als Journalistin verteidigte und förderte sie zeitgenössische Schriftsteller, Musiker und bildende Künstler. Sie war am Entstehen von wesentlichen Institutionen der Wiener Moderne wie etwa der Secession (1897) und der Wiener Werkstätten (1902) beteiligt und spielte bei der Gründung der Salzburger Festspiele eine wichtige Rolle.124 Die Affäre Dreyfus verstärkte ihr politisches Bewusstsein, das sie durch ihren Vater Zeit ihres Lebens hatte, und ihr politisches Engagement.125 Der jüdische Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus wurde 1894 zu Unrecht beschuldigt, dem deutschen Militärattaché französische Militärgeheimnisse angeboten zu haben. Durch die europäische Presse ging eine Welle des Antisemitismus. Berta Zuckerkandl wurde zu einer Dreyfusardin – einer Verteidigerin – der ersten Stunde.126 Erst 1906 wurde er rehabilitiert.127 Das politische Netzwerk veränderte sich im Laufe der Jahrzehnte je nach der Weltlage. Vor dem Ersten Weltkrieg waren z. B. ihre Verbindungen zu George Clémeceau, der ihr Kunstverständnis entscheidend beeinflusste128, zeitweise überaus 118 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 62. 119 Herling, Berta Zuckerkandl, S. 63. 120 Vgl. dazu das Adressbuch im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl. 121 Klugsberger, Familie Zuckerkandl in Nordafrika, S. 148 f. 122 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 201 f. 123 Eine Aufzählung der Namen vgl. etwa Oertel, Der literarische Salon, S. 14 – 17. 124 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 82. 125 Heyden-Rynsch, Europäische Salons, S. 205. 126 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, Kapitel 7: Dreyfusardin der ersten Stunde, S. 73 – 75. 127 Vgl. dazu Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 204. 128 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 198.

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eng. Der Salon Zuckerkandl erhielt durch die Vielzahl französischer Gäste einen internationalen Charakter, der sich u. a. durch die Heirat ihrer Schwester Sophie mit Paul, dem Bruder von George Clémenceau, ergeben hatte. Auch Sophie führte in Paris einen Salon. Zwischen den beiden Salons fand ein reger Gedankenaustausch statt. Eine „französisch-österreichische Seelengemeinschaft“ sollte gefördert werden.129 Als bekannteste Künstler sind Auguste Rodin und der Komponist Maurice Ravel zu nennen.130 Sophie war aber wie ihre Schwester immer wieder politisch aktiv.131 Gottfried Kunwald schrieb in seinem Nachruf vom 24. September 1937 auf sie: „Ihr Haus war geradezu ein Heim aller Mitglieder der österreichischen Gesandtschaft. Die feinsten Fäden schlangen sich vom Salon Clémenceau bis zu den Spitzen der französischen Politik.“132 Der Salon in der Zwischenkriegszeit Die Salongäste in der Oppolzergasse trafen sich bis Anfang der 1930er-Jahre an den Sonntagnachmittagen im Bibliothekszimmer, dessen Mittelpunkt ein überdimensionaler Diwan – eine Anfertigung der Wiener Werkstätte – war.133 Hier begegneten einander nach dem Zusammenbruch der großen Koalition 1920 der Sozialist Julius Tandler und der Christlichsoziale Prälat Ignaz Seipel.134 Berta Zuckerkandl selbst gehörte keiner politischen Partei an. Bei den Sozialdemokraten störte sie etwa die Befürwortung des Anschlusses durch Otto Bauer.135 Ihr Salon wird als eine der wenigen „neutralen Inseln“ in der Zeit der zunehmenden innenpolitischen Spannungen in der Zwischenkriegszeit bezeichnet.136 Ihre Verbindungen zu Frankreich benützte sie 1922, um sich beim französischen Finanzminister Joseph Caillaux für die Völkerbundanleihe für Österreich einzusetzen.137 Ab 1925 bestanden enge Verbindungen zu Gottfried Kunwald. Gemeinsam versuchten sie österreichisch-französische Wirtschaftsprojekte zu initiieren. Französische Privatkredite sollten die Abhängigkeit von der Völkerbundanleihe mildern.138 1926 und 1928 kam es zu Treffen zwischen Bundeskanzler Seipel und Paul ­Painlevé – ehemalige Kriegsgegner – in dem Pariser und Wiener Salon der Schwestern.139 129 Zuckerkandl, Österreich intim, S. 116. 130 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 89. 131 Beispiele finden sich in der Briefedition, aber auch in den Briefen, die sich im Besitz der Familie in England befinden. 132 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1156. 133 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 217. 134 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 216. 135 Ackerl, Wiener Salonkultur, S. 701. 136 Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 219 f. 137 Spoerri, Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig, S. 167. Vgl. weiters Milan Dubrovic, Veruntreute Geschichte, Die Wiener Salons und Literatencafés, Wien 1985, S. 152 – 153. 138 Hinweise dazu gibt es in Briefen aus den Jahren 1925 bis 1930, die sich im Besitz der Familie Stadlen befinden und die der Autorin dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurden. 139 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 292 ff.

Der Salon in der Zwischenkriegszeit

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Es werden keine Feste gefeiert, sondern an den Sonntagnachmittagen nur belegte Brote gereicht. Zu den Gästen in der Zwischenkriegszeit zählen Franz Werfel, Arthur Schnitzler, Max Reinhard, die Schauspielerinnen Helene Thimig, Ida Roland und Tilla Durieux, die Tänzerin Maria Ley, Alexander Moissi, Oskar Kokoschka, der Bildhauer Anton Hanak, Anton Wildgans, Burgtheaterdirektor Franz Herterich, der Theaterintendant und Regisseur Erwin Piscator, der Dirigent und Komponist Oscar Fried, Egon Wellesz, der Verleger Paul Zsolnay, die französische Schriftstellerin Colette, Heinrich Mann und Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, der Begründer der Paneuropa-Bewegung.140 Wie ihre journalistischen Arbeiten, so wird auch ihr Salon in der Zwischenkriegszeit politischer. Immer mehr Politiker aus dem In- und Ausland finden sich unter den Gästen. „Das politische Engagement“ – so eine Einschätzung in der Literatur – „verdrängte zusehends den kulturell-gesellschaftlichen Einsatz.“141 Ihr Salon, mit den üblichen Jour fixe und den sogenannten Habituès, den prominenten Dauergästen, war aber nur ein Teil ihrer Aktivitäten. Stets war sie glänzende Gastgeberin und zugleich kämpferische Publizistin, ob für kulturelle oder für politische Anliegen,142 denn ihr Ziel war es immer, Ideen und Ideale unter das Volk zu bringen.143 Zu vielen der Salonbesucher gibt es Bemerkungen oder Geschichten in ihren Aufzeichnungen, in literarischen Arbeiten von Bekannten und Freunden oder von Kritikern. Viele dieser Begegnungen sind Stoff wissenschaftlicher Rezeption ihres Lebens. Ihr romanhaftes Leben reizte und reizt zur Beschäftigung. Eine immer wieder zitierte Beschreibung des Salons aus den Glanzzeiten – etwa 1916 – stammt von Helene von Nostiz, einer deutschen Schriftstellerin und Salonière: „Ihr rotes Haar glühte über bunt gestickten Stoffen und Batiks, und ihre dunkelbraunen Augen funkelten von innerem Feuer. Meist fand man sie auf ihrem langen Diwan sitzend, umgeben von jungen Malern, Dichtern und Musikern, die sich immer wohl bei ihr fühlten, weil eine lösende, schwingende Luft dort wehte. Etwas Freies, Unwirkliches, nie Beschwerendes umgab sie wohltuend …“144 Ihr Salon war in einem krisengeschüttelten Europa eine Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlichster Einstellungen und Berufe. Die vielfältigen Verbindungen von Kunst, Literatur, Musik, Theater und Politik erstreckten sich in einem Netzwerk über ganz Europa.145 Sie wollte in „einem zerrissenen Europa wenigstens die Einheit des Geistes und Kunstlebens wiederherstellen.“146 In ihrem Salon 140 141 142 143

Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, S. 222. Heyden-Rynsch, Europäische Salons, S. 206. So beurteilte es etwa Heyden-Rynsch, Europäische Salons, S. 205. Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl, S. 15. Die Diplomarbeit enthält auch einen Anhang mit einer Liste von Zeitungsartikeln von Berta Zuckerkandl aus den Jahren 1894 bis 1902, S. 115 – 118. 144 Helene von Nostiz, Aus dem alten Europa, Menschen und Städte, Frankfurt 1979, S. 143. 145 Oertel, Der literarische Salon, S. 23. 146 Berta Zuckerkandl, Manuskript Maurice Ravel – zitiert nach Renate Redl, Berta Zuckerkandl und die Wiener Gesellschaft, Dissertation, Wien 1978, S. 180.

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war aber auch Politik immer präsent. In den Jahren vor dem „Anschluss“ wurden ihre Bemühungen um Österreichs Unabhängigkeit vorherrschend. Als Resümee zu ihren beiden Salons heißt es: „Weder der Tod ihres Mannes, noch der erste Weltkrieg, weder die schwere Nachkriegszeit und die bewegten Zwanziger, nicht einmal der Austrofaschismus hielten sie von ihrem unbeirrbaren Streitzug für jene ab, die sie für die jeweilige Avantgarde hielt.“147 Das Ende des Salon Zuckerkandl Das Ende des Salon Zuckerkandl fiel nicht – wie in der Literatur geschrieben – mit dem Ende der Eigenstaatlichkeit Österreichs zusammen, sondern erfolgte langsam, schleichend und vielleicht auch weitgehend unbemerkt anfangs der dreißiger Jahre. Diese Jahre müssen nach dem Fund der umfangreichen Korrespondenz zwischen ihr und Gottfried Kunwald neu rezipiert werden. Berta Zuckerkandl bleibt zwar weiter die gut vernetzte und politisch hoch aktive Frau, doch kann sie aufgrund zunehmender finanzieller Probleme die Rolle der Salonière nicht mehr weiter wahrnehmen.148 In einem Brief vom Oktober 1935 schrieb Gottfried Kunwald an Charles Rist: „Frau Zuckerkandl befindet sich in einer wirklich beklagenswerten Finanzlage. Seit zweieinhalb Jahren werden die französischen Theaterstücke, die sie ins Deutsche übersetzt, nicht mehr in Deutschland gespielt. Diese Arbeit war jedoch die wirtschaftliche Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Seit zweieinhalb Jahren kämpft sie mit der Kraft und der bewundernswerten Ausdauer, die Sie ja kennen, aber jetzt ist sie am Ende ihrer Kräfte. Seit zweieinhalb Jahren gibt sie nicht mehr ihre in Wien so bekannten Empfänge, bei denen früher alle Schriftsteller und alle Künstler anzutreffen waren.“149 Finanzielle Sorgen Der Bruch in ihrem Leben erfolgte erst durch eine totale Verschuldung in den dreißiger Jahren. Ihre finanziellen Nöte wurden aber in ihren autobiographischen Texten ausgeklammert. Der Glanz der Salonière sollte nicht vom existentiellen Kampf der dreißiger Jahre überschattet werden. 1938 hatten ihre Schulden ein Ausmaß von existentieller Bedrohung erreicht. Die Tantiemen aus Deutschland für Übersetzungen blieben ab 1933 aus, ihre Reserven waren erschöpft. Als überaus belastend war für sie die Situation ihres Sohnes Fritz, der mit großen finanziellen Problemen durch das Sanatorium Purkersdorf zu kämpfen hatte.150 Dazu kamen Privatschulden, denen er sich durch eine 147 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 89. 148 Hinweise zu gesellschaftlichen Ereignissen der dreißiger Jahre vgl. Thomas Trenkler, Das Zeitalter der Verluste, Gespräche über ein dunkles Kapitel, Wien, 2013, S. 84 f. 149 Brief GK an Charles Rist vom 6. Oktober 1935. 150 Details zum Sanatorium Purkersdorf vgl. Pleyer, Berta Zuckerkandl, in: Klugsberger/Player, Flucht, S. 90 – 95; S. 97 – 100. Details zu den finanziellen Schwierigkeiten des Sanatoriums vgl.

Finanzielle Sorgen

1  Emile und Berta Zuckerkandl in Pur­ kers­dorf, 1928. (© LIT, Signatur 424/L18)

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2  Emile und Berta Zuckerkandl, 1929. (© LIT, Signatur 424/L20)

Übersiedelung nach Paris entzog.151 Die edierten Briefe zeigen, wie oft Kunwald sowohl durch direkte Geldgaben als auch durch rechtsanwaltliches Einschreiten Fritz, aber auch Berta Zuckerkandl vor dem Ruin rettete.152 Es gibt auch Hinweise, dass Paul Clémenceau sowohl für Fritz als auch Berta Zuckerkandl Unterstützungen gegeben hatte.153 Die ständigen Versuche, von ihm Geld zu bekommen, führten im Juli 1937 zum Bruch zwischen Paul Clémenceau und Berta Zuckerkandl.154 Dennoch hat Paul seinen Neffen Fritz beim Aufbau einer neuen Existenz in Paris und bei der Erlangung der Staatbürgerschaft unterstützt – wie dies die Briefe zeigen.155 auch durchgehend in den Briefen. Eine umfassende Darstellung der Problematik findet sich in einer Anmerkung im Brief BZ an GK vom 6. April 1929. Vgl. auch Hubertus Czernin, Die Fälschung, Der Fall Bloch-Bauer, Wien 1999. 151 Details dazu finden sich in den Briefen der Edition, aber auch in den Briefen der Familienmitglieder im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl. 152 Beispiele siehe in dem Einleitungskapitel „Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten“. 153 Vgl. Briefe BZ an GK vom 27. Februar 1935 und BZ an GK vom 29. September 1935. 154 Brief BZ an GK vom 1. Juli 1937. 155 Vgl. auch die Briefe im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek im Bestand Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl; besonders die Korrespondenz von Berta Zuckerkandl mit ihrem Enkel Emile und der Schwiegertochter Trude im März 1937.

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In den letzten Jahren vor dem „Anschluss“ ist sie sicher nicht mehr „eine der einflussreichsten und mächtigsten Persönlichkeiten in der österreichischen Kulturszene.“156 Sie ist auch nicht mehr die „allbekannte und allgegenwärtige, gesellschaftlich mächtige Kulturförderin.“157 Viele der berühmten Protagonisten ihres Salons sind zu dieser Zeit schon tot. Ihr Leben ist durch ständige Geldsorgen und Existenznöten bestimmt, die zu Selbstmordgedanken, Überlegungen zur Aufgabe ihrer Wohnung und Übersiedelung in ein Altersheim führten.158 In den Briefen zeigt sich ihre Verzweiflung und dass sie alles nicht erst durch den „Anschluss“ verloren hatte.159 In den Jahren vor dem „Anschluss“ bestimmen, wie all die Jahre davor, „ihre Liebe zu Österreich, ihre demokratische, fortschrittliche, frankophile, antipreußische Gesinnung“160 – nun gewandelt zum Kampf gegen den Nationalsozialismus – ihr politisches Handeln. Sie bleibt eine vehemente Verfechterin einer österreichisch-französischen Annäherung, doch geschieht dies nicht mehr in ihrem Salon oder in journalistischen Arbeiten, sondern durch Besuche in Frankreich, durch persönliche Kontakte mit österreichischen, französischen, aber auch englischen Beamten, Diplomaten und Politikern. Angesichts der schrittweisen Abwendung Frankreichs von Ost- und Zentraleuropa, einer „passiven“ Österreichpolitik161 in den dreißiger Jahren und des kleiner werdenden politischen Netzwerkes werden die Bemühungen schwieriger. Painlevé – Zuckerkandls „bester und herrlicher Freund“162 – stirbt 1933. Sie hat noch versucht, ihm durch den deutschen Arzt Max Gerson seine letzten Tage zu erleichtern. Mit Painlevés Tod wird aber auch eine Annäherung zwischen Österreich und Frankreich immer unwahrscheinlicher. Durchgehend bleibt ihr aktives politisches Engagement für die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. An Bundeskanzler Engelbert Dollfuß schätzt sie zwar seine „tapfere Abwehr des Anschlussversuchs“163, doch verurteilt sie den Ständestaat, „dessen Fundamente im Sumpfgebiet einer verlogenen Diktatur ruhen.“164 Zu ihrer politischen Grundhaltung schrieb Hilde Spiel: „Though she

156 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 82. 157 Steinhäusl, Berta Zuckerkandl, S. 88. 158 Zur Wohnungsauflösung Briefe BZ an GK vom 29. September 1935 und 6. August 1937; zum Altersheim Briefe BZ an GK vom 29. September 1935 und 1. Juli 1937. Vgl. dazu auch das Einleitungskapitel „Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten“. 159 Sie teilt damit ein Schicksal, das auch Amalie Zuckerkandl, die Ehefrau von Dr. Otto Zuckerkandl, erlitten hatte. Vgl. Czernin, Die Fälschung, S. 381. 160 Redl, Berta Zuckerkandl, S. 15. 161 Details vgl. Thomas Angerer, Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluss“ 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 40/1992, Heft 1, S. 29 – 58, hier S. 29. 162 Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, S. 288. 163 Vgl. dazu Zuckerkandl, Österreich intim, das Kapitel Begegnung mit Dollfuß. 164 Österreich intim, S. 202.

Finanzielle Sorgen

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3  Berta Zuckerkandl am Schreibtisch in ihrer Wohnung, 1936. (© LIT, Signatur 424/L8)

had been brought up in the liberal spirit, in later years she seems to have leaned to a conservative view.“165 Gemeinsam mit Gottfried Kunwald wird sie immer wieder aktiv. So gelingt es ihr 1933, einen Kontakt zu Bundeskanzler Dollfuß herzustellen166, an den sie Berichte aus Paris direkt übermittelt. Sie wird u. a. aktiv für ein österreichisch-französisches Holzabkommen und für den bilateralen Handelsvertrag. Politische Berichte aus Frankreich, Kontakte mit führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft von ihr finden sich durchgehend in der gesamten Korrespondenz der Jahre 1928 bis 1938. Wie Kunwald genoss auch sie es, „als graue Emi-

165 Hilde Spiel, Jewish Women in Austrian Culture, In: The Jews of Austria, Essays on their Life, History and Destruction, herausgegeben von Josef Fraenkel, London 1967, S. 97 – 110, hier S. 108. 166 Brief BZ an GK, 11. August 1933.

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

nenz in der Politik wirken zu können.“167 Mit zunehmender politischer und privater Krise wird auch die private Verbindung zwischen Zuckerkandl und Kunwald immer enger.168 Ihre Gruß- und Anredeformeln werden herzlicher und intimer.169 Flucht und Emigration Auf Berta Zuckerkandls Schicksal nach 1938 passt treffend ein Zitat von Hanna Arendt aus ihrem Buch über Rahel Varnhagen, eine Salonière des 19. Jahrhunderts: „Aus dem Judentum kommt man nicht heraus.“170 Berta Zuckerkandl entstammte einer assimilierten jüdischen Familie des Großbürgertums. Religion blieb für sie zeit ihres Lebens eine Randerscheinung. Ihre Hochzeit – zwar nach jüdischem Ritus – fand im Palais der Eltern statt und nicht im Tempel der israelitischen Kultusgemeinde.171 Sie selbst konvertierte nicht172, aber ihr 1895 geborener Sohn Fritz wurde durch einen Formfehler erst mit sechs Jahren evangelisch getauft.173 Die Assimilation verhinderte aber nicht die Konfrontation mit dem Antisemitismus, gegen den sie auf vielen Ebenen kämpferisch auftrat. In ihrem persönlichen Umfeld war sie durch ihren Vater und ihren Ehemann schon früh mit Antisemitismus in Berührung gekommen. Deutschnationale Kreise beklagten öffentlich die enge Freundschaft des jüdischen Zeitungsverlegers mit Kronprinz Rudolf.174 Ihr Ehemann war an der Grazer Universität zeitweise heftigen antisemitischen Protesten ausgesetzt gewesen.175 Leidenschaftlich ergriff sie in ihrem Kampf gegen den Antisemitismus etwa die Partei für Dreyfus176 oder trat für Philipp Halsmann ein, der aufgrund antisemitischer Hetzpropaganda nach einem Bergunfall seines Vaters in Tirol des Vatermordes angeklagt wurde. Nach internationalen Protesten, bei denen Berta Zuckerkandl eine wichtige Vermittlerrolle einnahm, wurde Halsmann 1930 begnadigt.177 Sie hat sich auch für den jüdischen Arzt Max Gerson eingesetzt, der aus Nazi-Deutschland fliehen musste178 und dem Gottfried Kunwald half, dass er in Österreich praktizieren konnte.

167 Ackerl, Wiener Salonkultur, S. 701. 168 Es finden sich in der Literatur nur wenige Hinweise auf die enge Freundschaft zwischen Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald. Vgl. Hilde Spiel, Jewish Women, S. 108. Sie schrieb: “another intimate of hers.” 169 Siehe dazu das Einleitungskapitel „Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten“. 170 Hannah Arendt, Rahel Varnhagen, Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München 1959, S. 201. 171 Pleyer, Berta Zuckerkandl, in: Klugsberger/Pleyer, Flucht, S. 82 172 Ebenda. 173 Meysels, In meinem Salon ist Österreich, S. 71. 174 Silverman, Jewish Intellectual Women, S. 159. 175 Obermeir, Die journalistischen Anfänge von Berta Zuckerkandl, S. 12. 176 Ackerl, Wiener Salonkultur, S. 701. 177 Nikolaj Beier, „Vor allem bin ich ich…“ Judentum, Akkulturation und Antisemitismus in Arthur Schnitzlers Leben und Werk, Göttingen 2008, S. 525. 178 Silverman, Jewish Intellectual Women, S. 159.

Flucht und Emigration

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Ihr unablässiges politisches Engagement in den dreißiger Jahren war ebenfalls ein Teil ihres Agierens gegen den Antisemitismus. Eine Stärkung der österreichisch-französischen Beziehungen und der österreichischen Unabhängigkeit – u. a. gemeinsame Überlegungen mit Gottfried Kunwald zur Verlagerung internationaler Institutionen nach Österreich – schienen ihr wirksame Maßnahmen gegen den immer stärker werdenden Nationalsozialismus zu sein. Schon im März 1937 sah sie, „dass dieses Österreich selbst immer fort in höchster Gefahr bleibt zu Deutschland zu fallen. Was dann wenn man Jude ist?“179 1938 wurde sie von ihrem Judentum eingeholt und musste vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten fliehen. Die Flucht gelang mit Hilfe eines Freundes, des französischen Schriftstellers Paul Géraldy, und der Vermittlung eines französischen Visas durch Paul Clémenceau. Berta Zuckerkandl verließ gemeinsam mit ihrem Enkel Emile Österreich.180 Seit Ende März 1938 war ihr permanenter Wohnsitz Paris. Hier setzte sie ihre politische Tätigkeit fort. Nach einer Idee von ihr wurden von österreichischen Exilpolitikern Pläne für ein parteiungebundenes „Office Autrichien“ ausgearbeitet, das – nach dem Scheitern einer österreichischen Exilregierung – unter der Leitung des Pharmakologen Richard Wasicky ein Gremium der österreichischen Auslandsopposition bilden sollte. Berta Zuckerkandl gehörte dem Beirat der Zentralvereinigung Österreichischer Emigranten an.181 Im Sommer 1939 verfasste sie gemeinsam mit Sigmund Freud, Alfred Polgar und Franz Werfel einen „Aufruf an die Österreicher in aller Welt“, dem Beirat beizutreten.182 Unmittelbar nach ihrer Flucht begann sie auch an ihren Erinnerungen zu schreiben, die sie auf Wunsch des Verlages stark kürzte und in Tagebuchform umschrieb.183 1939 lag die Publikation bereits in vier Sprachen vor. Die Nationalsozialisten hatten – so ein Bericht ihres langjährigen Freundes Ludwig Ullmann, das Buch in Paris „feierlich vernichten lassen. Sie stand auf der schwärzesten aller schwarzen Nazi-Listen.“184 Im Sommer 1940 verließ sie Paris, um ihren Sohn in Bourges zu treffen. Fritz Zuckerkandl, der schon 1935 Österreich verlassen hatte, war aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Clémenceau 1938 die französische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Er diente 1940 beim französischen Militär bei einer Einheit in Bourges. Hier wurde sie von den Ereignissen überrascht. Am 16. Juni 1940 hatte Marschall Pétain die Regierungsgeschäfte übernommen und 179 180 181 182 183

LIT, Signatur 438/w 24 – Beil. 8/10, Brief BZ an Emile Zuckerkandl vom 19. März 1937. Trenkler, Das Zeitalter der Verluste, S. 88 f. Beitrag Bertha Zuckerkandl-Szeps in der biographia, für den ich Dr. Ilse Korotin danke. Nouvelles d‘ Autriche, Nr. 6/7, Paris Juli/August 1939. Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl, Mappe Briefe von Großmama aus London, Briefe vom 4. und 5. Juli 1938. 184 Austro American Tribune (New York), Anti-Nazi Monthly, Nr. 8, March 1944, „‚Die Zuckerkandl‘ oder: 80 Jahre Jugend von Ludwig Ullmann.“

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Berta Zuckerkandl – Glanz und Elend einer Wiener Salonière

4  Berta Zuckerkandl in Algier, 1940. (© LIT, Signatur 424/L14)

5  Fritz und Berta Zuckerkandl in Algier, 1940. (© LIT, Signatur 424/L23)

Waffenstillstandsverhandlungen mit den deutschen Besatzern aufgenommen. Eine Fluchtbewegung war die Folge.185 Auf ihrer zweiten Flucht 1940 vor den Nationalsozialisten verfasste Berta Zuckerkandl – damals bereits 76 Jahre alt – ein berührendes Tagebuch. Zusammen mit den Briefen aus dieser Zeit lassen sich die Stadien und Strapazen der Flucht nach Marokko verfolgen. Algier wurde gewählt, da dort mit der Unterstützung von Professor Carrus186 für Fritz Zuckerkandl zu rechnen war, mit dessen Enkel sich Emile Zuckerkandl schon 1938 in Paris angefreundet hatte. Auf der Flucht kamen ihr im August 1940 auch wieder Selbstmordgedanken.187 Im Herbst 1940 war die Familie – Sohn Fritz, Schwiegertochter Trude und Enkel Emile – in Algier vereint.188

185 186 187 188

Details zur Flucht der Familie Zuckerkandl vgl. auch Trenkler, Das Zeitalter der Verluste, S. 90 – 96. Vgl. dazu Klugsberger/Pleyer, Flucht, S. 64 sowie die dazugehörige Anmerkung 33. Klugsberger/Pleyer, Flucht, Brief vom 3. August 1940, S. 39. Details zur Flucht und den Aufenthalt in Algier vgl. Theresia Klugsberger, Flucht in der Erinnerung und Erinnerung in der Flucht, in: Klugsberger/Pleyer, Flucht S. 47 – 73; Bericht und Briefe vgl. den Dokumententeil dieser Publikation; weitere genaueste Schilderungen der Lebensumstände Klugsberger, Familie Zuckerkandl in Nordafrika.

Flucht und Emigration

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In Algier schrieb sie ihr zweites Memoirenwerk „Großes Österreich und große Österreicher“189, das erst 1979 unter dem Titel „Österreich intim“ erschien, obwohl im Juni 1945 schon Kapitel davon in Amerika veröffentlicht worden waren.190 Auf Bitte ihres Enkels verfasste sie einen Bericht über ihre Flucht. Der Bericht und die Briefe an ihre Familie aus dieser Zeit wurden 2013 publiziert.191 Ihre letzten, sehr berührenden Briefe an Franz Theodor Csokor192 zeigen die Hoffnung auf das Kriegsende und geben Hinweise auf ihre schwere Erkrankung. Eine Rückkehr schließt sie aus: „Aber ich selbst möchte niemals wieder nach Österreich zurückkehren. Für mich ist es eine Art Friedhof, alle meine Freunde sind entweder tot oder in der ganzen Welt verstreut.“193 Trotz Krankheit und Trauer bittet sie Csokor allerdings um die Adresse seines Herausgebers.194 1945 kehrte sie schwerkrank mit einer Militärmaschine nach Paris zurück und starb am 16. Oktober 1945. Das Leben einer Journalistin, Kunstkritikerin, Pazifistin, Geheimdiplomatin, Übersetzerin, Salonière und politisch aktiven Frau, die sich stets für ein unabhängiges Österreich eingesetzt hatte, fand im Exil ein Ende.

189 Freiheit für Österreich (New York), Austrian Democratic Review, Nr. 9, 1. März 1943. 190 Austro American Tribune (New York), Nr. 11, Juni 1945, „Berta Zuckerkandl, Johann Strauss.“ 191 Klugsberger/Pleyer, Flucht. 192 Die Briefe vgl. im Nachlass Franz Theodor Csokor, Wienbibliothek. 193 Zitiert nach Klugsberger, Familie Zuckerkandl in Nordafrika, S. 155. 194 Wienbibliothek, Nachlass Franz Theodor Csokor, ZPH 414, H. I. N. 203.083, Brief BZ an Franz Theodor Csokor, Algier, 6. Mai 1945.

GOTTFRIED KUNWALD – „MANN IM DUNKELN“

Gottfried Kunwald, der enge Freund von Berta Zuckerkandl, Adressat vieler ihrer Briefe in den 1930er-Jahren, ist heute selbst in Kreisen von Fachleuten weitgehend unbekannt, obwohl der jüdische Rechtsanwalt und Finanzexperte die Finanzpolitik Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich mitgestaltet hat. Als Finanzberater von Bundeskanzler Ignaz Seipel, mit dem er auch befreundet war, wurde er als „graue Eminenz“ hinter den Mächtigen der Zeit bezeichnet. Berta Zuckerkandl beschreibt ihn als eine vulkanische Natur, als weltklugen und doch weltfremden Menschen, als einen stolzen, fanatischen Österreicher und Anwalt von internationalem Ruf.1 Quellenlage Während es bei Berta Zuckerkandl eine üppige Quellenlage gibt, die auf ihren eigenen Schriften und einer umfangreichen Literatur zu ihrem facettenreichen Leben beruht, hat sich Gottfried Kunwald der Forschung bisher weitgehend entzogen. Es gibt kaum zeitgenössische Literatur über ihn, die wenigen Veröffentlichungen zu seinem Leben oder kurze Hinweise auf ihn in der Literatur sind überschaubar.2 Gottfried Kunwalds private und berufliche Unterlagen waren nach seinem Selbstmord 1938 von den Nationalsozialisten nach Berlin abtransportiert worden, wo sich die Spur verliert. Von dort – so Friedrich Weissensteiner – „gelangte es [das Material] auf abenteuerlichen Wegen schließlich nach Moskau, wo es unter den Beuteakten im Österreichbestand des russischen ‚Sonderarchivs‘“ gelagert wurde.3 Seit 1996 wusste man allerdings schon einige Details über den Inhalt der Materialien und über den bemerkenswerten Umfang.4 2009 kamen Teile des Österreichbestandes, darunter die 2024 Konvolute umfassenden Materialien Gottfried 1 Bertha Zuckerkandl, Österreich intim, Erinnerungen 1892 – 1942, herausgegeben von Reinhard Federmann, Wien 1970, S. 125 – 131. Das Buch wurde mehrfach aufgelegt, zuletzt 2013 im Amalthea Verlag. 2 Vgl. die zitierten Veröffentlichungen von Friedrich Weissensteiner und Gundl Herrnstadt-Steinmetz sowie Einzelzitate aus der Literatur im Anmerkungsapparat. 3 Friedrich Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, Bundeskanzler Seipels Finanzberater und Freund, in: Österreich in Geschichte und Literatur, 48. Jahrgang, 2004, Heft 3 – 4, S. 208 – 226, hier S. 208. 4 Vgl. die Ergebnisse einer Historikerkommission, die die Bestände in Moskau gesichtet hatten Gerhard Jagschitz/Stefan Karner, „Beuteakten aus Österreich“, Der Österreichbestand im russischen „Sonderarchiv“, Moskau, Selbstverlag des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Graz 1996, S. 118 – 123.

Familie, Ausbildung und frühe Tätigkeiten

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Kunwald unter der Bezeichnung Fonds Nr. 616 von Moskau ins Österreichische Staatsarchiv. Die nach zweimaliger Verlagerung erhalten gebliebenen Materialien sind sicher nicht alle im Laufe seines Lebens angesammelten privaten Schriftstücke und Kanzleiunterlagen. Sie sind aber sicher mehr, als bei einem normalen Gang der Geschichte noch erhalten wäre. Die Unterlagen geben einen weitreichenden Einblick in Kunwalds private und berufliche Sphäre und tragen noch die Original-Bezeichnungen mit Angaben zu Themen, Firmen oder Personen. Daneben gibt es Konvolute mit Broschüren und Büchern, mit Zeitungsartikeln und Foto-Alben. Die Durchnummerierung der Konvolute erfolgte nachträglich im Moskauer Archiv, sodass die Materialien nicht chronologisch liegen. Private Unterlagen und Korrespondenz sind zudem auch nicht von rein geschäftlichen Unterlagen getrennt. Eine im Österreichischen Staatsarchiv angelegte Excel-Datei weist in dieser bunten Vielfalt einen ersten Weg durch den „riesigen“ Aktenbestand.5 Derzeit wird im Österreichischen Staatsarchiv eine Bestandsbeschreibung zusammengestellt. Für die Erstellung der Biographie wurden alle Konvolute gesichtet und jene Teile der Materialien ausgewertet, die für das Verständnis der Korrespondenz der Briefedition von besonderer Relevanz sind. Die Lebenswelten von Gottfried Kunwald werden aus bisher noch nicht verwendetem Quellenmaterial erschlossen. Familie, Ausbildung und frühe Tätigkeiten Gottfried Kunwald stammte – wie Berta Zuckerkandl – aus dem jüdischen assimilierten Großbürgertum. Er kam am 13. September 1869 in Baden bei Wien als Sohn des Hof- und Gerichtsadvokaten Ludwig Kunwald und seiner Frau Emma, geborene Pollak, zur Welt. Er besuchte das Schottengymnasium in Wien6 und studierte ab dem Wintersemester 1887/88 an der Universität Wien Jus. Schon während seiner Studienzeit befasste er sich intensiv mit Nationalökonomie bei den Professoren Carl Menger (Politische Ökonomie), Eugen Philippovich (Nationalökonomie), August von Miaskowski (Nationalökonomie), Adolf Exner (Römisches Recht), Heinrich Lammasch (Völkerrecht) und Karl Inama-Sternegg (Verwaltungslehre und Wirtschaftspolitik). Sein Studium schloss er „mit sehr mäßigem Erfolg“ 1891 ab, wurde aber erst 1895 promoviert.7 Schon vor dem Ersten Weltkrieg profilierte er sich als Rechtsanwalt und Rechtskonsulent bei schwierigen Finanzgeschäften von Banken, Unternehmungen und Firmen, erstellte Expertengutachten, vermittelte Kapitalbeteiligungen an großen

5 Vgl. die Einschätzung von Friedrich Weissensteiner, Bundeskanzler Seipels Graue Eminenz, in: DAVID , Jüdische Kulturzeitschrift, S. 1 – 4, http://www.david.juden.at/kulturzeitschrift/​57-60/​ 59-Weissensteiner.htm, hier S. 2. Abgerufen am 20. Oktober 2017. 6 Einige Details dazu Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 213. 7 Details zum Studium Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 213 f.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

6  V. l.: Ernst, Gottfried, Ella, Emma und Meta Kunwald, ca. 1880. (© Familie Stadlen/Peto)

7  Gottfried Kunwald, 1890. (© Familie Stadlen/Peto)

Bauvorhaben, u. a. bei der Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken, entwickelte Pläne für Handelsgesellschaften.8 „Ich bin ein Krüppel“ Für eine biographische Annäherung an Gottfried Kunwald ist es wesentlich, sein körperliches Gebrechen an den Anfang zu stellen, da erst in Relation zu seinem Gesundheitszustand eine Einschätzung seines Lebensstils und Arbeitspensums möglich wird. Seine physische Beeinträchtigung bestimmte seinen Tagesablauf und seine Beziehung zur Außenwelt, doch behinderte sie nicht seine beruflichen Erfolge. Geboren mit einem körperlichen Gebrechen, das im Matrikelamt der Israelitischen Kultusgemeinde mit „wegen Schwäche nicht beschnitten“ festgehalten wurde9, blieb er zeit seines Lebens auf Hilfe angewiesen. Sein Äußeres wurde in 8 Vgl. Friedrich Weissensteiner, Anmerkungen zu Dr. Gottfried Kunwald, Ignaz Seipels hinter den Kulissen einflussreichem Freund. Bundeskanzlers graue Eminenz, „Wiener Zeitung“ vom 10. Juli 2003, S. 3. Vgl. zu den umfangreichen Aktivitäten im Detail ÖStA, AdR, Bestand Gottfried Kunwald (Bestand GK). 9 Auskunft der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Matrikelamt, zitiert nach Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 213.

„Ich bin ein Krüppel“

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8  Gottfried Kunwald in Polen, eines der wenigen Fotos, das ihn im Rollstuhl zeigt. (© Familie Stadlen/Peto)

einem Zeitungsartikel kurz und prägnant beschrieben: „… dieser kleine Mann, der die verstümmelten, viel zu kurzen Beine nur mühsam und mittels zweier Stöcke nachschleifen konnte, sonst aber in einem kleinen Tragsessel zum Wagen getragen werden mußte.“10 Berta Zuckerkandl schrieb über den Beginn ihrer Beziehung: „Als ich ihn auf seine Bitte das erste Mal besuchte, ließ man mich in einem etwas verwahrlosten Vorraum warten. Er enthielt ein zerschlissenes Sofa, einen tintenfleckigen Schreibtisch und einen mächtigen Telefonschrank, vor dem der diensthabende Sekretär saß. Plötzlich ertönten zwei schrille Signale … Dann läutete es wieder. Diesmal waren es drei schrille Zeichen. Das bedeutete: eintreten lassen … Er saß am Ende eines langen Tischs. Seinen überaus kräftigen Oberkörper umhüllte ein schwarzer Talar. Aus dem kurzen Hals wuchs der mächtige Kopf. Das unschöne, aber

10 „Wiener Zeitung“ vom 18. März 1956.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

imponierende Gesicht umrahmte ein Franz-Joseph-Bart. Ich kann Sie nur sitzend empfangen, ich bin ein Krüppel, sagte Kunwald jovial, ohne Wehleidigkeit.“11 Es gibt ein Foto aus dem Jahr 1927, das die Beschreibung Zuckerkandls eindrucksvoll illustriert. In einem Brief an Anton von Gijn, einen niederländischen Ökonomen, ehemaligen Finanzminister und Professor in Leiden, schrieb Kunwald: „Verehrter Herr Professor! Ich habe, wie Sie aus dem mitfolgenden Pakete ersehen, Ihnen zuliebe und nur Ihnen zuliebe mein altes Vorurteil gegen das Abgebildetwerden überwunden. Seit 35 Jahren habe ich mich nicht photographieren lassen … ich fühle mich so in Ihrer Schuld … dass es mir darauf ankommt, irgendeinen Wunsch von Ihnen zu erfüllen … Deshalb habe ich mich auch an meinem Tisch und in meinem Schlafrock abkonterfeien lassen und Sie sind ausser meinen Nächsten der Einzige, der ein Exemplar bekommt …“12 Der Brief enthält auch den Hinweis, dass Kunwald, obwohl ein Gegner des Anschlusses, zu diesem Zeitpunkt über die Wirtschaftslage so deprimiert war, dass er schrieb: „Die wirtschaftliche Krise hat, glaube ich, ihren Tiefpunkt erreicht. Die Zeichen der Besserung sind allgemein. Aber freilich, auf welchem tiefen Niveau findet diese Umkehr statt! Ich bin kein Gegner des Anschlusses mehr.“13 Dies ist allerdings eine singuläre Äußerung, da Kunwalds Überlegungen und Projekte immer die Stärkung der österreichischen Wirtschaft und damit seiner Unabhängigkeit zum Ziel hatten, wie auch im Briefwechsel mit Berta Zuckerkandl immer wieder dokumentiert. Dietrich Hildebrand, Philosophieprofessor an der Universität und Befürworter des österreichischen „Ständestaates“, der Kunwald 1935 kennengelernt hatte, beschrieb „seinen väterlichen Freund“ ebenfalls sehr eindrucksvoll: „… Er wirkte wie ein Rabbiner … Sein Ausdruck war gütig und patriarchalisch, aber vor allem machte er einen bedeutenden Eindruck. Man hatte das Gefühl vor einem Menschen zu stehen, der nicht nur eine große Intelligenz besaß, sondern auch eine starke bedeutende Persönlichkeit war. Es war immer eine Freude, wenn ich zu ihm gehen durfte … Er berät mich, ohne Vergütung dafür zu nehmen …“14 Die graue Eminenz Die Kontakte zwischen Gottfried Kunwald und Ignaz Seipel standen in den zeitgenössischen Medien und in den wenigen biographischen Versuchen zu Gottfried Kunwald stets im Mittelpunkt. Der jüdische Finanzberater als Graue Eminenz des katholischen Prälaten und Bundeskanzlers reizte zeitgenössische Journalisten, Verfasser von Memoirenliteratur und einige wenige Historiker, sich mit diesem ungleichen Paar zu befassen. 11 Zuckerkandl, Österreich intim, S. 125. 12 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1277. 13 Ebenda. 14 Dietrich von Hildebrand, Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933 – 1938, herausgegeben von Ernst Wenisch, Paderborn u. a. 1994, S. 132.

Die graue Eminenz

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9  Gottfried Kunwald, Karikatur in „Der Abend“ vom 9. November 1928, S. 4.

Kunwald war in den 1920er-Jahren Finanzberater von Ignaz Seipel. Dessen Tagebücher zeigen die häufigen und engen Kontakte zwischen Seipel und Kunwald, aber auch ihre gemeinsamen Kontakte zu österreichischen Politikern, zu ausländischen Diplomaten und Finanzgrößen. Kunwalds Telefonjournal des Jahres 1922 liest sich z. B. wie ein Who is who der Finanzwelt.15 Er genoss, „obgleich Jude, in der christlichsozialen Partei als Finanzsachverständiger großes Ansehen …“16 Mit einigen christlich-sozialen Politikern verband Kunwald – wie schon in zeitgenössischen Quellen vermerkt – eine Freundschaft, so etwa zu Eduard Heinl und Heinrich Mataja.17 Durch Gottfried Kunwalds akribische Aufzeichnungen seiner Tagesabläufe – Journale zu allen Telefongesprächen, 15 Exemplarisch vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-3-27. 16 Richard Kola, Rückblick ins Gestrige, Wien 1922, S. 233 f. 17 Ebenda.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

Kassabücher und Verzeichnisse der ein- und ausgehenden Post – bestätigen sich die engen Beziehungen zu Seipel, aber auch zu seinem Du-Freund Mataja18, mit dem ihn auch regelmäßige wechselseitige Geldflüsse verbanden und den er schon während des Ersten Weltkrieges mit „Lieber Freund“ titulierte.19 Das Verhältnis zwischen Seipel und Kunwald war zeitweise sehr persönlich und eng. So verbrachte Seipel Weihnachten fast jedes Jahr mit ihm. Erst ab 1930 werden die Besuche seltener, was Kunwald auf die Krankheit von Seipel zurückführte.20 Gottfried Kunwald nahm beim Wiederaufbau Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg unbestritten eine einflussreiche Position ein, über deren tatsächliches Ausmaß fundierte zeitgeschichtliche Forschungen noch ausstehen. In den gängigen Seipel-Biographien der 1960er- und 1970er-Jahre kommt Kunwald aber überhaupt nicht vor21 oder wie etwa bei Gottlieb Ladner nur in einer abqualifizierenden Fußnote: „Über den Einfluß Kunwalds auf Seipel gehen die Meinungen stark auseinander … daß Seipel sich beraten ließ ist selbstverständlich; daß er aber völlig vom ‚Juden und Hochgradfreimaurer‘ abhängig war, ist unwahr.“22 Gundl Herrnstatt hinterfragte in ihrer unveröffentlichten biographischen Skizze die Anführungszeichen, die Ladner zu den Ausdrücken „Jude und Hochgradfreimaurer“ setzte. Ladner zählt zwar pedantisch die zahlreichen Treffen Seipel-Kunwald auf, klassifiziert die Bedeutung aber als geringfügig. Hingegen wurde in der Presse der 1920er-Jahre sein Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen oft sehr deutlich artikuliert, wobei sein Judentum und sein körperliches Gebrechen Angriffsflächen boten. Zu seinem Verhältnis zu Seipel liest man in der „Neuen Wirtschaft“ vom 1. November 1925: „Zieht man Kunwald von Seipel ab, so bleibt nichts übrig, weniger als nichts, eine negative Ziffer, denn Seipel ist ein wirtschaftliches Antitalent … Seipels Geist ist Kunwalds Geist, wenigstens in Wirtschaftsfragen.“23 In zeitgenössischen Quellen24 gibt es neben Hinweisen auf sein Netzwerk und seine Lobbyisten-Tätigkeit auch Beschreibungen, die weit in die Privatsphäre reichen, regelmäßig auch antisemitisch gefärbt. 1925 – ein Jahr, in dem durch den Skandal um die Biedermannbank besonders häufig über ihn geschrieben wurde – hieß es in einer Darstellung der Zeitschrift „Die Börse“: „… Dr. Gottfried Kunwald war in den ersten Jahren der Inflation der Mann hinter der Tape 18 Vgl. etwa ÖStA, Bestand GK, 616-1-190. 19 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1261. Das Konvolut enthält Materialien zu den Jahren 1909 bis 1923. 20 Vgl. dazu Gundl Herrnstatt-Steinmetz, Dr. Gottfried Kunwald, unveröffentlichtes Manuskript. Gundl Herrnstatt-Steinmetz beschäftigte sich schon in den 1980er-Jahren intensiv mit Gottfried Kunwald und den Tagebüchern von Ignaz Seipel. Sie hat Exemplare ihres Typoskripts im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes hinterlegt. 21 Friedrich Rennhofer, Ignaz Seipel, Mensch und Staatsmann, Eine biographische Dokumentation, Wien 1978. 22 Gottlieb Ladner, Seipel als Überwinder der Staatskrise, Wien/Graz 1964, S. 33. 23 „Neue Wirtschaft“ vom 1. November 1925. 24 Vgl. dazu Zeitungsartikel ÖStA, AdR, BKA, Bestand Großdeutsches Parteiarchiv, Mappe Gottfried Kunwald; gesammelte Zeitungsartikel ÖStA, Bestand GK, 616-1-1450; 616-1-1464; 616-11477, 616-1-1478, 616-1-1479.

Die graue Eminenz

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te. Wen gelüstet es da nicht zu einem Stoß mit dem Hamlet-Degen? Man nannte ihn damals im Parlament spöttisch die volkswirtschaftliche Egeria des Prälaten Dr. Seipel … Dr. Gottfried Kunwald, dieser Name war immer von dem Schauer des Mysteriums umflossen … Wir haben inzwischen durch persönliche Kontakte dieses Urteil wesentlich revidiert. Dr. Gottfried Kunwald ist gar keine rätselhafte Erscheinung, er wirkt nur von der Ferne als solche … die suggestiven Kräfte, die von ihm ausgehen mögen, sind angeschnürt an eine kräftige, nicht mißzuverstehende Logik. Das Wundersame in Dr. Kunwald liegt vielleicht darin, daß er in feiner Dosierung eine Mischung eines Gelehrten, eines Bankmannes und eines Juristen ist.“25 In einem anderen Zeitungsartikel heißt es: „Des Abends wird der große Arbeitstisch in einen köstlichen Speisetisch verwandelt, an dem sich illustre Gäste versammeln. Das edelste Porzellan aus der Biedermeierzeit, englisches Kristall und altenglisches Silber blinken auf schwerem Damast … durch den Zauber einer bestrickenden Gastfreundschaft [ergänzt]. So hat er es verstanden, sich den jüdischen Milliardär aus New York ebenso zum Freunde zu machen wie den antisemitischen Abgeordneten aus Mistelbach. Am Tische Kunwalds haben sich auch die berühmten Seipel-Abende abgespielt, bei denen um das Schicksal Österreichs gewürfelt wurde. Von diesem Tisch aus sind viele Millionen nicht in österreichischer, sondern in Dollarwährung in Bewegung gesetzte worden.“26 In einem Artikel im Dezember 1925 hieß es: „Ein Mann wie Dr. Kunwald, der viel Rätselhaftes aushaucht [sic], hat denn doch ein Anrecht darauf, solider beurteilt zu werden … Man kommt schwer zu ihm, man muß entweder gut empfohlen sein oder er muß Interesse für einen Menschen oder dessen Besonderheiten empfinden … In einem matt erleuchteten Zimmer sieht man sich einem mächtigen Kopf gegenüber. Ein schwarzer Talar umschließt den Oberkörper. Graue Bartkoteletts, die sich zur Erde zur Tiefe sträuben, ein gewaltiges Denkgewölbe, eine breit hervortretende Stirn, die die Gedanken schier zu sprengen suchen, und dabei forschende, manchmal sogar recht gütig blickende Augen.“ „Die Stunde“ weiß aber auch zu berichten, „dass Kunwald in seinem Tagesfiaker die Stadt durchquert, um schöne Frauen anzubeten …“ Und es heißt weiter: „An der Lebenswende des Mannes, die mit der Erreichung des Fünfzigers beginnt, hat sich Kunwald gänzlich in Abstraktionen und Geschäften eingesponnen. Er war nur selten zu sehen, er verbarrikadierte sich förmlich in seiner Kanzlei, die seine Arbeitsstätte und sein Empfangssalon zugleich war. Zu ihm kamen vielerlei Leute, Klienten, die ihm eine Prozeßsache anvertrauten, Bankleute, die seinen Rat erbaten. Minister, die bei ihm einen volkswirtschaftlichen Lehrkurs absolvierten. Einer besuchte ihn ganz besonders fleißig, Bundeskanzler und Prälat Dr. Seipel … Immer wieder fragt die Öffentlichkeit: Was verbindet diese beiden, ihrem Denken und ihrer Herkunft nach grundverschiedenen Menschen miteinander?“27 25 „Die Börse“ vom 12. November 1925. 26 „Neue Wirtschaft“ vom 10. November 1925. 27 „Die Stunde“ vom 17. Dezember 1925.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

Kurz nach der Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich im Mai 1930, eine Bank zur Abwicklung der deutschen Reparationszahlungen, wurde Kunwald zum ständigen Rechtsberater für österreichische Rechtsangelegenheiten bei dieser Bank bestellt. Kunwald empfand dies als Ehrung, da zu dieser Zeit keine österreichischen Angelegenheiten zu behandeln waren.28 Die Bestellung führte wieder zu zahlreichen Zeitungskommentaren. So erinnerte sich die „Wiener Allgemeine Zeitung“ im August 1930 unter dem Titel „Mann im Dunkeln“ wieder an Kunwald, als „vielleicht echtesten Österreicher, … der Mann, den die Öffentlichkeit nie zu sehen bekommt, dessen scharfe schneidende Gedankenarbeit hinter dem Vorhang eines gedämpft beleuchteten Bücherzimmers in geradezu autokratischer Anonymität getan wird, der intime Freund und Berater mehr als eines Staatsmannes … Mitregent mehr als einer österreichischer Regierung … Mentor Dr. Ignaz Seipels und sein Sekundant bei besonders spitzfindigen taktischen Experimenten.“ In dem Artikel wird er als „seltsamster Österreicher“ und als „Geheimpolitiker“ bezeichnet, mit dem Hinweis: „Österreich ist immer das Land einer ebenso lautlosen als geheimen Politik gewesen.“29 Aus dem August 1930 gibt es auch einen Zeitungsartikel, der im Detail auf die äußerliche Erscheinung eingeht, aber auch auf sein Wesen und letztlich in einer Hymne an den Mann endet: „Es ist ganz töricht immer wieder zu verschweigen, daß dieser Dr. Gottfried Kunwald, der Mann mit dem Riesenschädel, dem mächtigen grauen Knebelbart und dem dröhnenden olympischen Gelächter im Leib, rudimentäre untere Extremitäten hat; daß wenn er sich, seine beiden Krückstöcke unter den Armen, den steifen Hut auf dem Kopfe, klein und polternd naht, ganz Brustkorb, ganz Schädel, Staunen und Grauen seinen Einzug begleitet … Die morphologische Seltsamkeit Gottfried Kunwalds, die Tatsache, daß ihm von Geburt an die Rolle des Mitspringens unter dem lächerlichen Geschlechte der langbeinigen Menschen versagt blieb, hat ihn zum Individuum hinter der Front prädisponiert … Zum Protagonisten ungeeignet, hat er im Souffleurkasten seinen angeborenen Stammsitz … Gottfried Kunwald ist der Mann, die Mystik seiner Person zu benützen und auszubauen. Es ist nicht leicht bei Gottfried Kunwald vorzukommen. Wenn man aber endlich Einlaß gefunden hat und an seinem Bette sitzt, wo er aufgerichtet thront: ganz Ohr, ganz Weisheit, ganz Dalai Lama, dann spürt man, wie nicht etwa sterile Allgemeinheiten, sondern die Parole der vorgetragenen Situation sich aus seinen Hirnlappen langsam gebären will. Gottfried Kunwald ist der priesterliche Verwalter der letzten Lösungen in Wirtschaft und Politik. In echter Ratlosigkeit hängt der vom allgemeinen Wahlrecht zur Leitung des Staates Berufene an Kunwalds pythischen Lippen … Als ich [Walther Rode, der Verfasser des Artikels] Gottfried Kunwald vor vielen Jahren, nachdem er eine komplizierte Konkursaffäre durch Vereinigung der Gläubiger zu einer Gesellschaft aufs gleiche gebracht hatte, sagte: ‚Sie kommen in die Galerie berühmter Massaverwalter‘, da lachte er unbändig. Heute ist er drin in dieser Galerie. Er ist lang 28 ÖStA, Bestand GK, 616-1-5. 29 „Wiener Allgemeine Zeitung“ vom 7. August 1930.

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samen Weges, mit 60 Jahren, über geborstene kaiserliche Hintertreppen dorthin gelangt, wohin zu kommen er sich aufmachte: nach Basel, in die Internationale Zahlungsbank,30 zum größten Konkurs der Geschichte.“31 Dieser „Mann im Dunkeln“ regte auch zur schriftstellerischen Betätigung an. Klemens von Klemperer behauptete in seiner Seipelbiographie, dass Robert Neumann in seinem Roman aus dem Jahre 1931 „Macht“ Gottfried Kunwald als Romanvorlage hatte.32 Der Autor selbst leugnete dies allerdings in einem Nachwort zu dem 1964 wiederaufgelegten Roman: „Von der realen Existenz eines wie ‚Direktor Lassalle‘ hatte der Autor nie gehört.“33 Kunwald kann sicher ohne Einschränkung als enger Berater und Vertrauter Seipels bezeichnet werden. Eine auch nur annähernd ähnliche Stellung hatte er zu keinem anderen Politiker der Zwischenkriegszeit. Gute Kontakte34 – aber auch nicht mehr – lassen sich zu christlichen Politikern, Regierungsmitgliedern, prominenten Vertretern des „Ständestaates“, des Klerus und fallweise auch zu Heimwehrleuten bis 1938 nachweisen. Zu Kunwalds Kontakten zu Regierungskreisen in den 1930er-Jahren gab es viele Jahrzehnte keine Quellen.35 Die Kontakte zu ehemaligen oder aktiven Regierungsmitgliedern lassen sich aber nun in vielen Konvoluten der Materialien finden. Sein Netzwerk war noch weiter verzweigt als bislang angenommen. Korrespondenz gibt es mit Ministern und Bundeskanzler. Die Vor- und Ratschläge Kunwalds weisen ein breites Spektrum auf.36 Z. B. bestanden Kontakte zu Bundeskanzler Karl Buresch, wie aus einem Brief vom 1. Februar 1932 hervorgeht: „Verehrter Herr Bundeskanzler! Ich habe mich wirklich herzlich gefreut, wie Sie mich auf meinen Anruf am vorigen Montag sofort gerufen haben. Dann ist die Krise gekommen und es ist mehr als selbstverständlich, dass Sie keine Zeit hatten. Aber jetzt kommen wichtige namentlich währungspolitische Entscheidungen, über die mich ein Mann wie Sie, dessen Tatkraft und Umsicht ich bewundere, hören soll. Seit dem Mai 1931 [Zusammenbruch der Credit-Anstalt], als man mich nicht gehört hatte, und dadurch mehr Unheil entstanden ist, als hätte entstehen müssen, sage ich das ganz aufrichtig: man soll mich hören. Ich bin so unbescheiden, dass ich das für richtig und notwendig halte, weil ich glaube, dass es nicht gar so viele so treue Patrioten und dabei so sachkundige Volkswirte in Österreich gibt, wie ich einer bin …“37 Das 30 Gemeint ist damit, dass diese Bank für die Abwicklung der Reparationszahlungen gegründet worden war. 31 Vgl. „Prager Tagblatt“, 21. August 1930, Dr. Gottfried Kunwald von Walther Rode. Der Zeitungsartikel befindet sich im ÖStA, Bestand GK, 616-1-1450. 32 Klemens Klemperer, Ignaz Seipel, Staatsmann einer Krisenzeit, Graz 1976. 33 Robert Neumann, Macht, München/Wien/Basel 1964, S. 469. 34 Auf einzelne Verbindungen wird in der biographischen Skizze immer wieder eingegangen. 35 Vgl. die Anmerkungen zur Quellenlage und Literatur bei Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 208 – 211. 36 Vgl. etwa Stellungnahmen an das Finanzministerium zu Scheidemünzen, Personalsteuer usw. ÖS tA, Bestand GK, 616-1-411; zum Baugesetzentwurf 1932 616-1-49. 37 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1330.

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Zitat zeigt, wie Kunwald häufig vorging. Er suchte den Kontakt zu einflussreichen Politikern und bot seine Hilfe an, wobei die Reaktionen recht unterschiedlich ausfallen konnten. Zu Buresch findet sich noch ein Brief aus dem Februar 1936, in dem sich Buresch für die Glückwünsche anlässlich seiner Ernennung zum Gouverneur des Postsparkassenamtes „wärmstens“ bedankte.38 Exemplarisch können auch die Kontakte zu Guido Jakoncig, Rechtsanwalt und den Heimwehren nahe stehend, bezeichnet werden. Dieser erhielt anlässlich seines Ausscheidens als Handelsminister aus der Regierung Dollfuß von Kunwald im Mai 1933 ein Schreiben, das die Kontakte verdeutlichte: „In dem Augenblick, da Sie die Regierung verlassen, ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen – was ich seit Ende Juli v. J. zu sagen keine Gelegenheit mehr hatte –, wie froh ich war, Sie kennen zu lernen und wie gross die Hoffnungen sind, die ich für die Zukunft an Ihre Person für unser Vaterland knüpfe. Die vier Zusammenkünfte, die ich mit Ihnen hatte, haben auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Die gegenwärtige Wendung Österreichs zu sich selbst erfüllt mich mit langersehnter Freude, aber auch mit grosser Sorge. Männer wie Sie dürfen keinesfalls verstimmt beiseite stehen. Es sind nicht viele, die so viel Glauben und Schwung und dabei in ihren Fähigkeiten so viel reale Möglichkeiten haben …“.39 Die Kontakte, die Kunwald in dem Brief erwähnt, waren Verhandlungen mit dem Handelsminister rund um Exportförderaktionen im Geschäft mit Russland. Im herzlich gehaltenen Antwortschreiben versicherte Jakoncig, dass er „keinesfalls verstimmt scheide“, und in einem weiteren Schreiben vom Juni 1933 heißt es: „Wie letzthin vereinbart, habe ich die Ruhe der Pfingstfeiertage dazu benützt, die zwischen uns besprochene Angelegenheit gründlich zu überlegen. Diese Überlegung hat dazu geführt, dass ich den Entschluss gefasst habe, mich Ihnen gerne als Ihr Substitut zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, dass die Angelegenheit von wirtschaftlichen und vaterländischen Gesichtspunkten aus sehr bemerkenswert und interessant ist …“40 Bei der angedeuteten Angelegenheit könnte es sich um Fragen der Devisenverordnung und den Handel mit Deutschland handeln. Bemerkenswert – von beiden Seiten – ist diese enge Zusammenarbeit in jedem Fall. Auch die Kontakte zu Otto Ender, dessen Antisemitismus gut dokumentiert ist41 und der sicher auch Kunwald bekannt war, sollen hier angeführt werden. Ihm übermittelte Kunwald nach einer Unterredung im August 1933 seine Überlegungen zum „Ständegedanken“, da darauf die Industrie „ungeduldig“ wartet.42 Im März 1937 schrieb er an den Altbundeskanzler: „Dass mir Ihre Berufung zum Berater des Bundeskanzlers eine ganz grosse Freude bereitet hat – das werden Sie mir sicherlich glauben. Möge Gott Sie erleuchten! Dass Sie das schwere Opfer trotz 38 Ebenda. 39 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1331. 40 Ebenda. 41 Peter Melichar, Otto Ender und die Juden – ein Fall für die Antisemitismusforschung? in: Antisemitismus in Österreich 1933 – 1938, herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel und Ilse Reiter-Zatloukal, Wien 2018. 42 ÖStA, Bestand GK, 616-1-12.

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allem auf sich genommen haben, das dankt Ihnen unser Vaterland; und auch ich bitte, Ihnen danken zu dürfen.“43 Beide Schreiben sind typisch für Kunwald, der hochgestellten Persönlichkeiten regelmäßig zu ihren Beförderungen gratulierte, bzw. aufgefordert, aber auch unaufgefordert seine Überlegungen zu politischen und wirtschaftlichen Vorgängen im Staate zusandte. Durchgängig lassen sich bei Kunwald Projekte feststellen, die die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Österreichs stärken sollten. Frankreich sollte dabei eine wichtige Rolle als Kapitalgeber und Vorreiter für anderes westliches Kapital spielen und sein Prestige dafür innerhalb der Kleinen Entente einsetzen, dass es wieder zu einer Linie Budapest-Wien und Prag-Wien kommen könnte.44 Kunwald unterstützte mit seinem Netzwerk auch ein Projekt, das Ende 1933/ Anfang 1934 ventiliert wurde und einen Nachrichtendienst für die „Auslandsdeutschen“ in Österreich, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien vorsah. Es sollte „zwischen den industriellen und sonstigen wirtschaftlichen deutschen Interessen dieser Länder jene Fühlungnahme herstellen, die bis vor kurzem zentral von Deutschland aus erfolgte.“45 Die Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg suchten keine Finanzberatung bei ihm. Es gibt Hinweise, dass Kunwald versucht hatte, mit Bundeskanzler Dollfuß in Kontakt zu treten. Anlässlich der 1000-Mark-Sperre schrieb er seine Überlegungen dazu an den Bundeskanzler: „Obwohl ich nicht die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu sein, beeile ich mich, nachfolgenden Gedanken Ihnen in dem gegebenen sehr drängenden Moment zu unterbreiten …“46 Kontakte hat es aber sicher zu Schuschnigg als Unterrichtsminister gegeben, sogar unmittelbar nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß. Rost van Tonningen notierte in seinem Tagebuch am 29. Juli 1934: „Schließlich gehe ich zu Schuschnigg …, wird der gebrechliche Jude Kunwald, das größte Gift, das Österreich hervorgebracht hat, die Treppe (…) hinaufgetragen. Schuschnigg empfängt mich um dreiviertel eins. Kienböck kommt gerade zur Tür heraus. Offenbar hat er seinen Freund Kunwald zu Schuschnigg gebracht. Der tote Bundeskanzler Dollfuß hat jeden Kontakt mit Kunwald immer zurückgewiesen. Kienböck (Halbjude) – Kunwald-Schuschnigg, Zusammenarbeit von Juden und Katholiken, das ist das, wogegen Hitler meines Erachtens so heftig ankämpft, die Mächte des Unheils in dieser unglücklichen Welt.“47 Aus einem Schreiben von Kunwald an seinen Sekretär Wilhelm Hammelrath vom 19. Jänner 1937 geht hervor, dass er mit Schuschnigg vor seiner Kanzlerzeit Kontakte hatte: „Seit zwei Jahren war ich Dienstag den 12. d. [12. Jänner 43 Ebenda. 44 Vgl. dazu ÖStA, Bestand GK, 616-1-1333; Briefe aus den Jahren 1925 bis 1930, die sich im Besitz der Familie (nach GK) befinden, gehen im Detail auf einige Projekte ein. Vgl. dazu den Einleitungsteil „Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten.“ 45 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1283. 46 ÖStA, Bestand GK, 616-1-11. 47 Zitiert nach Peter Berger, „Im Schatten der Diktatur“. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich, Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931 – 1936, Band 7 der Studien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftspolitik, Wien 2000, S. 395 f.

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1937] zum ersten mal wieder bei Schuschnigg, der mit mir äußerst nett war und mit mir eine Stunde über allgemein wirtschaftliche Themen gesprochen hat wie vor Dollfuss‘ Tod. Ich hatte fast den Eindruck, dass er mich jetzt hören will; und dass er zu verstehen anfängt, dass Kienböck mir bei ihm die Wurzeln absichtlich und geschickt abgegraben hatte … Also: sachlich sehe ich ja endlich ein bisschen Licht, als ob der zweifellos von Kienböck ausgehende Bann zu brechen anfinge. Schuschnigg, der offenbar jetzt Gutes und Interessantes über mich gehört hat, scheint mich ja wieder in Gnaden aufzunehmen.“48 Das Zitat verdeutlicht aber auch das Verhältnis zu Kienböck. Kunwald hatte den rigorosen Sparkurs des Dollfuß-Schuschnigg Regimes und die von Viktor Kienböck, dem Präsidenten der Nationalbank, vorgegebene deflationistische Finanzpolitik entschieden abgelehnt.49 Während es in den Materialien viele Hinweise auf rege Kontakte in den 1920er-Jahren gibt, hatten die unterschiedlichen Vorstellungen zu grundlegenden Themen der Wirtschaftspolitik in den 1930er-Jahren zu einer Entfremdung geführt.50 Schon im Juni 1936 hatte Kunwald vor den dramatischen Folgen der verfehlten österreichischen Wirtschaftspolitik gewarnt. Seine Zukunftsvorhersage klingt geradezu prophetisch: „Hitler ist die deutsche mächtige und erfolgreiche Inflationskonjunktur, Hitler ist Begeisterung, Hitler ist Hoffnung. Wer würde für Schuschnigg stimmen, für Fortdauer der Deflation, für eine Regierung, die dem Volke nichts ist als eine erträgliche Gegebenheit? Das ist es, was die Regierung in Österreich nicht sieht, dass eine solche Volksbefragung kommen wird und kommen muss. Dass sie also nicht nur eine andere Wirtschaftspolitik machen muss, dass auch eine Mitwirkung aller geistigen Elemente und Freude an der Mitwirkung dieser geistigen Elemente dem Volke Vertrauen geben muss. Und, dass eine Person als Repräsentant dieses Regimes erscheint, auf die das Volk wirklich Hoffnung setzt und eine willkommenere Hoffnung als sie durch Hitler repräsentiert wird.“ Im Absatz davor hatte Kunwald festgestellt, dass Schuschnigg keine Alternative darstellt: „Wenn also heute eine Volksbefragung an das österreichische Volk herantreten würde: Anschluss oder Selbständigkeit, so wird das österreichische Volk nicht die Antwort geben, ob Anschluss oder Selbständigkeit, sondern die Antwort auf die Frage, ob Hitler oder Schuschnigg. Die Wahl zwischen einer großen und eindeutigen Persönlichkeit und zwischen einer so verschwommenen und wenig bedeutenden Persönlichkeit, wie es Schuschnigg ist. Die Antwort kann nicht zweifelhaft

48 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1119. 49 Vgl. dazu allgemein Weissensteiner, Bundeskanzlers graue Eminenz, S. 3; vgl. auch Gottfried Kunwald, Das Leben der Erwartungs- und Kreditwirtschaft, Jena 1934; Ehrliches und unehrliches Silbergeld, Jena 1931. 50 Das Verhältnis war bereits Anfang 1934 sehr schlecht. ÖStA, Bestand GK, 616-1-117.

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sein. Sie würde für Hitler lauten und das österreichische Volk würde die Entscheidung einer Woche durch Dezennien zu betrauern haben.“51 Seine über Jahrzehnte geführten Verzeichnisse der Telefonate, Besprechungen und Gästelisten zeigen Wandel und Kontinuität seiner Kontakte. Sie enthalten die Namen von Bundeskanzlern, Regierungsmitgliedern, Spitzen der Bankwelt und Verwaltung des In- und Auslandes. In beinahe manischer Art und Weise wurden die Tagesabläufe dokumentiert. Exemplarisch seien hier die Gästelisten der Jahre 1922 bis 1928 angeführt. In diesen Jahren dominieren Einladungen von Seipel und Mataja. Es finden sich aber auch häufiger die Namen von Viktor Brauneis, Alfred Grünberger, Eduard Heinl, Viktor Kienböck (zuletzt im Mai 1926), Rudolf Ramek, Richard Reisch, Josef Schumpeter, Hermann Schwarzwald und Genia Schwarzwald, Hans Simon, fallweise von Pierre Quesnay und Charles Rist oder Sir William Goode. Ab Februar 1925 scheint auch Berta Zuckerkandl regelmäßig in den Gästelisten auf.52 Aus den Kassaeingängen der Jahre 1928 bis 1930 ist ersichtlich, dass Schumpeter regelmäßig Ratenzahlungen leistete, um einen Kredit bei Kunwald zu tilgen.53 Das Verzeichnis der Telefonate etwa aus dem Jahre 1934 weist oft drei Seiten pro Tag mit Eintragungen auf. Ein großes T wurde für die eingehenden Telefonate verwendet, ein kleines t für die Anrufe, die sein Büro tätigte. Selbst ein Gespräch mit seiner Schwester Ella ist auf die Minute genau – „16. April 1934 Frl. Ella Kunwald 14 Uhr 26 bis 14 Uhr 37“ – verzeichnet. Unter den Kontaktpersonen kommen Dr. Othmar Spann, Mataja, Adrianus van Hengel, Hermann und Genia Schwarzwald häufig vor, aber es scheinen auch Kardinal Theodor Innitzer und Schuschnigg, noch als Bundesminister, auf. Abends traf er Familienmitglieder, u. a. Erich und Peter Stadlen.54 Für eine Teegesellschaft im März 1936 finden sich u. a. die Zusagen von christlich-sozialen Politikern, Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens, hohe Beamte und Vertreter der katholischen Kirche und der Kultusgemeinde: Alexander Hryntschak, Kienböck, Josef Dobretsberger, Josef Joham, Karl Schlesinger, Leopold Hennet, Innitzer, Richard Kerschagl, Mataja, Brauneis, Friedrich Funder, Eduard Ludwig, Desider Friedmann, Ernst Mosing.55 Seinen Hang zur minutiösen Dokumentation seiner Tagesabläufe, wobei Ge­ schäftliches und Privates kaum zu trennen ist, zeigt sich besonders deutlich in den „Journalen“ zu seinen Reisen.56 Die Aufzeichnungen zu den Ausgaben seiner Reise vom 17. September bis 1. Oktober 1925 nach Paris halten akribisch jede auch noch so kleinste Ausgabe fest. Sie zeigen auch den enormen Aufwand, der 51 Vgl. dazu in der Briefedition GK, Beantwortung der Fragen zur ökonomischen Lage Österreichs vom 21. Juni 1936, Abschnitt III Frage: Volksbefragung. 52 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1175. Die Gästelisten enthalten auch Hinweise, ob es sich um eine Mittags- oder Abendeinladung handelte. 53 ÖStA, Bestand GK, 616-3-6. 54 ÖStA, Bestand GK, 616-2-10. 55 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1177. 56 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1163.

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notwendig war, um Kunwald mit seinem körperlichen Gebrechen die Reise zu ermöglichen. Immer wieder findet sich der Hinweis auf Ausgaben für Chauffeur und Träger des „Chaise roulante.“ Es gibt aber auch immer wieder Ausgaben für Theaterlogen, Restaurants und Trinkgelder für den Chef-Sommelier. Kunwalds Einkommen ermöglichte ihm in den 1920er-Jahren ein luxuriöses Reisen. Diese Reise nach Paris ist zudem der Beginn des engen Verhältnisses zu Berta Zuckerkandl, mit der er in Paris viel Zeit verbrachte. Aus einem Beschwerdebrief an die Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen, der allerdings nicht abgeschickt wurde, gehen weitere Details hervor: „Mein körperlicher Zustand – ich bin an beiden Beinen gelähmt – macht es erforderlich, dass ich ein Schlafwagenabteil für mich allein habe und dass meine Reisebegleitung das anstossende Abteil benützt. Demgemäß war ich im Besitz von 4 Fahrkarten I. Klasse und 4 Schlafwagenkarten und hatte 2 Schlafwagenabteile besetzt. Da ich mit Rücksicht auf meinen körperlichen Zustand auf der Reise immer einen Koffer mitführen muss, der ein Zimmerklosett enthält, und einen weiteren Koffer, der mein Bettzeug enthält, sowie einen dritten Koffer, der meine Prothesen enthält; da ich ferner auf der Reise arbeiten muss und infolgedessen eine Schreibmaschine und eine Aktentasche mitnehme und da mit meiner Wäsche und meiner Kleidung 2 Handkoffer gefüllt werden, so ergeben sich einschließlich der Handtasche meines Sekretärs und der Handtasche meines Dieners im ganzen 9 Gepäckstücke von naturgemäss sehr leichtem Gepäcks (zusammen nicht mehr als etwa 110 Kilogramm) …“57 Letztlich hatte Kunwald dieses Schreiben, das vielleicht zu persönliche Details wiedergab, nicht abgesendet. Funktionen und geschäftliche Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit Die Materialien von Gottfried Kunwald geben einen Eindruck von der Bandbreite seiner zahlreichen beruflichen Aktivitäten. Selbst für Forscher, die diese Materialien nicht zur Verfügung hatten, erschloss sich die Vielfalt seiner Tätigkeiten aus Zeitungen. Eine umfassende Biographie dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit, ja selbst eine Aufzählung seiner Aktivitäten würde den Rahmen dieser biographischen Annäherung sprengen. Von seinen Funktionen seien stichwortartig einige angeführt. 1921 wurde er etwa zum Währungsreferenten der österreichischen Ersparungskommission ernannt; 1922 wurde er leitender Verwaltungsrat der Elbmühl-Papierfabrik58 und war damit u. a. für die Papierzuteilung an die Presse zuständig,59 er war 1923 Vizepräsident der Anglo-österreichischen Bank und bis mindestens 1926 ihr Rechtskonsulent. Er war an großen österreichischen Wasserkraftprojekten beteiligt, an Geschäften mit der Sowjetunion und der Vorbereitung großer städtischer Anleihen. 1925 geriet er durch den Zusammenbruch der Biedermann-Bank ins Visier der öffentlichen 57 ÖStA, Bestand, GK, 616-1-1093. 58 ÖStA, Bestand GK, 616-1-188 und 616-1-192; die Kooptierung erfolgte 1919, 616-1-185. 59 ÖStA, Bestand GK, 616-1-197.

Funktionen und geschäftliche Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit

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Kritik.60 Kunwald war allerdings für den Zusammenbruch der ursprünglich angesehenen kleinen Privatbank, deren Verwaltungsrat und zeitweise Vizepräsident er war, nicht verantwortlich, hatte sich persönlich nicht bereichert und hatte beim endgültigen Zusammenbruch der Bank private Verluste erlitten.61 Die nun vorliegenden umfangreichen Materialien ermöglichen es, diesen Zusammenbruch im Detail zu analysieren.62 Die Vielfalt seiner Projekte ist beeindruckend. So gibt es etwa Materialien zur Anleihe der Stadt Graz 192563 und der Anleihe der Stadt Linz64; Korrespondenz mit Sir William Goode; Materialien über ein Wasserkraftprojekt in Österreich 192665; über ein Projekt einer Seilschwebebahn auf den Untersberg 192966; eines zu den Illwerken 1929 bis 193267; zum Projekt einer deutsch-französischen Kooperation 1927 – 192968; zur Steiermärkischen Landeshypothekenanstalt69; zu vielschichtigen Finanzierungsprojekten mit Polen in den 1930er-Jahren70; zu Geschäften mit der Reform-Baugesellschaft 1930 bis 193571; zu einem Tabakgeschäft finanziert über Anleihen 193272; zur Beschaffung von Konzessionen für den Ausbau von Starkstromnetzen in Europa73; über Verhandlungen mit holländischen und Schweizer Kapitalgebern in Verbindung mit Ungarn74; Hinweise auf ein durch den Bürgerkrieg im Februar 1934 verhindertes Geschäft mit England75; zum Verkauf der Steyrerwerke 193576; zur DDSG77; zum Bau eines Tunnels unter der Donau in Budapest78; Hinweise auf die Vermittlung von Darlehen nach Ungarn 193679; 60 In dem Bestand finden sich zahlreiche Zeitungsartikel zur Biedermann-Bank vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1471. Kunwald selbst hatte über den „Observer“, ein Unternehmen, das Zeitungs-Ausschnitte sammelte, den Auftrag gegeben, alle Zeitungsartikel, in denen er vorkam, zu sammeln. Vgl. auch die Konvolute 616-1-1450; 616-1-1464; 616-1-1478; 616-1-1484/1485/1486. 61 Vgl. dazu Andreas Resch, Die M. L. Biedermann & Co Bankaktiengesellschaft (1921 – 1927/31), in: Herbert Matis, Veröffentlichungen der österreichischen Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Band 19/1997, Festschrift für Alois Mosser, Wien 1997, S. 72 – 99. Zur Rolle Alois Schumpeters dabei vgl. auch Joseph Alois Schumpeter, Briefe/Letters, ausgewählt und herausgegeben von Ulrich Hedtke und Richard Swedberg, Tübingen 2000, S. 10 f, 121 f, 154 f, 203 f, 206 f. 62 Ein Verzeichnis zu diesem Bestand in Form einer Excel-Datei ermöglicht ein gezieltes Forschen. 63 ÖStA, Bestand GK 616-1-153. 64 ÖStA, Bestand GK, 616-1-154. 65 ÖStA, Bestand GK, 616-1-128. 66 ÖStA, Bestand GK, 616-1-129. 67 ÖStA, Bestand GK, 616-1-130. 68 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1084. 69 ÖStA, Bestand GK, 616-1-381. 70 ÖStA, Bestand GK, 616-1-127; 616-1-129; 616-1-170; 616-1-211; 616-1-233; 616-1-326; 616-1-379; 6161-380; 616-1-381; 616-1-383. 71 ÖStA, Bestand GK, 616-1-161. 72 ÖStA, Bestand GK. 616-1-211. 73 ÖStA, Bestand GK, 616-1-127. 74 ÖStA, Bestand GK, 616-1-211. 75 ÖStA, Bestand GK, 616-1-140. 76 ÖStA, Bestand GK, 616-1-141. 77 ÖStA, Bestand GK, 616-1-234. 78 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1295. 79 ÖStA, Bestand GK, 616-1-267.

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Aktivitäten für ein italienisches Konsortium80; Materialien zu großen Baufinanzierungen 1937 samt einem Exposé für Charles Rist81; Verfassen eines Gutachtens über den Kaffeezoll für die Julius Meinl A. G. 1937.82 Mit den Angaben aus den Aufzeichnungen über die Kassaeingänge, in denen u. a. auch Honorare verzeichnet sind, ließe sich die Liste mühelos um ein Vielfaches erweitern.83 Ebenso lassen sich die jährlichen Reisen – häufig nach Paris und Basel – nachvollziehen, die in den 1920er-Jahren nur in einzelnen Fällen von Kunwald privat finanziert worden waren, großteils aber noch im Auftrag von Klienten erfolgten und daher auch von diesen bezahlt worden waren. Einen Schwerpunkt stellten durchgängig Projekte zu deutsch-französischen Finanzkooperationen dar84, aber auch – wie Briefe ab 1925 aus Privatbesitz und die in der Edition vorliegenden Briefe zwischen Berta Zuckerkandl und Kunwald belegen – engere Finanzverbindungen zwischen Österreich und Frankreich.85 Neben den zahllosen Geschäftsverbindungen lassen sich auch noch Pläne auf internationaler Ebene feststellen. So stellte Kunwald Überlegungen zur Schaffung eines internationalen Garantieinstitutes an, wie sie vom Paneuropakongress empfohlen worden war.86 In den Unterlagen finden sich nicht nur Querverweise auf Kontakte zu Regierungskreisen, sondern auch zur internationalen Diplomatie und Politik.87 Diese Auswahl aus den Materialien soll einen ersten Eindruck von Art und Umfang der Geschäftstätigkeit vermitteln. Aus dem als „riesig“ bezeichneten Bestand88 können nach einer Durchsicht der 2024 Konvolute nur erste Hinweise gegeben werden. Da die Materialien sicher nicht vollständig sind, gibt es auch in den seltensten Fällen Unterlagen zum gesamten Geschäftsvorgang. Das Ausmaß des Arbeitspensums, das dahintersteht, lässt sich aber zumindest erahnen. Kunwalds berufliche Tätigkeiten erfolgten eingebettet in ein internationales Netzwerk, das er zu führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung aufgebaut hatte. Seine Verbindungen reichten aber weit über die bisher angenommenen Beziehungen hinaus.

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ÖStA, Bestand GK, 616-1-1351. ÖStA, Bestand GK, 616-1-159 und 616-1-161; weiters 616-1-170 bis 180. ÖStA, Bestand GK, 616-1-22. Exemplarisch vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-3-6, Kassaeingänge Juli 1928 bis Mai 1930. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1084.

Vgl. dazu den Einleitungsteil „Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten“. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1345. Vgl. die zahlreichen Beispiele in der Briefedition: Hinweise dazu gibt es aber auch in den Akten. Vgl. ÖS tA, BKA /AA , NPA , Österreichische Gesandtschaft Paris, Bericht vom 11. Mai 1925, Nr. 2695. 88 Weissensteiner, Bundeskanzler Seipels Graue Eminenz, S. 1.

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Das Netzwerk – Hilfe für Freunde und Familie Neben Kunwalds enormem Arbeitspensum fand er stets Zeit, sich für Anliegen von Bekannten, Freunden und Familienmitgliedern einzusetzen. In den Materialien lassen sich durchgehend zahllose Beispiele finden und sie sind typisch für seinen Charakter. Sein weitverzweigtes Netzwerk und Tätigkeitsfeld wurde dabei umsichtig genutzt. Einige politisch bemerkenswerte Interventionen verdeutlichen sein Agieren anschaulich. 1928 setzte er sich für den Schulfreund (Siegmund Rosenhauch) seines Neffen Peter Stadlen ein, der Schwierigkeiten hatte, als polnischer Staatsbürger und Jude an der Universität Wien zu inskribieren, obwohl er seit seiner Kindheit in Wien gelebt hatte. Kunwald schrieb an den Dekan der medizinischen Fakultät Wien, Dr. Leopold Arzt, mit den Hinweisen: „… Ich weiss, dass speziell solche ausländische Inskriptionen grossen Schwierigkeiten begegnen … Ich würde dies nicht wagen, wenn mich nicht der Herr Bundeskanzler Dr. Seipel, den persönlich zu kennen ich die hohe Auszeichnung geniesse, ermutigt hätte, mich an Sie zu wenden, indem er mir gestattete, mich auf ihn zu berufen …“89 Das Schreiben zeigt deutlich, dass Kunwald vom antisemitischen Klima an der Universität wusste, dass er aber auch überaus vertraut mit Seipel war. Ein Ansprechpartner für Interventionen war z. B. Nationalratsabgeordneter Hryntschak. Im Dezember 1933 setzte sich Kunwald für die Ernennung von Professor Arnold Nechansky zum Direktor der Kunstgewerbeschule in Wien ein. Professor Nechansky hatte seit 1919 die Berliner Kunstgewerbe- und Handwerkerschule geleitet und stand wegen „weltanschaulicher Differenzen“ mit den Nationalsozialisten kurz vor seiner Pensionierung. Kunwald führte dessen Verdienste im Ersten Weltkrieg an, bezeichnete ihn als „begeisterten Österreicher“ und schilderte den familiären Background unter dem Hinweis „alle Genannten sind reine Arier (nicht so die Gattin des Prof. Arnold Nechansky, die gemischt-jüdischer Herkunft ist).“90 Politisch interessant – nach den Entlassungen von jüdischen Ärzten nach dem Februar 1934 – ist etwa ein weiteres Schreiben an den Nationalratsabgeordneten Hryntschak aus dem November 1934, in dem für den Radiologen Dr. Wilhelm Schloss, dessen Vertrag im Mai 1935 im Jubiläumsspital in Lainz ablief, um Rat gefragt wurde. Eigentlicher Ansprechpartner wäre zwar Richard Schmitz, 1934 bis 1938 Bürgermeister von Wien, gewesen, doch meinte Kunwald in richtiger Einschätzung der Lage: „Es kommt hier auf einen wirklich guten Rat an, wie Dr. Schloss, der Jude ist, den Weg zu Schmitz finden soll. Von meiner Benützung zu diesem Zweck habe ich selbstverständlich abgeraten. Schmitz ist mir persönlich sehr gut gesinnt, würde aber meine Empfehlung einer jüdischen Persönlich-

89 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1107. 90 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1300.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

keit kaum irgendwie regardieren.“91 Ihm war die antisemitische Grundeinstellung von Richard Schmitz bekannt, dessen Vorbild Karl Lueger war.92 Die Interventionsversuche für einen „Arier“ und einen Juden zeigen die mögliche Bandbreite im Agieren von Kunwald, wobei er sich des Antisemitismus in Österreich sehr wohl bewusst war. Mit Nationalratsabgeordneten Hryntschak hatte aber sichtlich ein Vertrauensverhältnis bestanden, da er die Problematik Arier/Jude offen ansprach. Im Juni 1934 versuchte Kunwald aber auch für den Sohn von Prof. Othmar Spann, Adalbert Spann, bei einem Geschäftspartner, dem Bank- und Währungsfachmann Dr. Karl Schlesinger93, eine Anstellung zu erwirken: „Ihr Kollege im Kreditkomitee Professor Spann hat einen Sohn, den ich sehr gern – aus aufrichtiger Freundschaft für Prof. Spann und Sohn – ins nahegelegene westliche Ausland bringen möchte. Er ist wirklich sehr begabt … Ich halte ihn für einen anständigen und verlässlichen Menschen; und dass er den Nationalsozialisten offenbar sehr nahe steht, ist ein Grund mehr für mich und für den Vater, seine Beschäftigung außerhalb Österreichs zu wünschen. (All das ist sehr vertraulich.)“94 Mit Karl Schlesinger war Kunwald doch so vertraut, dass er diese deutlichen Worte fand. Anlässlich der Hochzeit von dessen Tochter 1932 hatte Kunwald eines seiner Kurzgedichte verfasst und telegraphiert: „Meinem lieben Freunde dem unbetamten – wissenschaftlich so hochbenamten – mit vielerlei grossem Ruhm umrahmten – aber leider immer zu verschamten – folgt er auch nie meinem Wunsche und Rate – rufe ich heute heil als Schwiegertate …“95 Das Gedicht – typisch für Kunwalds Lust am Reimen – zeigt aber, dass die beiden Bank- und Währungsspezialisten sichtlich nicht immer einer Meinung waren. Bei Schlesinger war Kunwald zudem in den 1930er-Jahren auch privat verschuldet.96 Veröffentlichungen Zu den Grundlagen seiner finanz- und wirtschaftspolitischen Ansichten veröffentlichte Kunwald Artikel in in- und ausländischen Zeitschriften und verfasste theoretische Schriften. Dazu kam ein reger Gedankenaustausch über Wirtschaftsfragen mit Freunden und Fachkollegen, der sich durch seine gesamte Korrespondenz zieht. Exemplarisch sei hier der Schriftverkehr mit dem ehemaligen Sektionschef 91 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1300; eine weitere Intervention für eine jüdische Ärztin, die 1935 ihre Stelle im Allgemeinen Krankenhaus verlor ÖStA, Bestand GK, 616-1-1141. 92 Maren Seliger, Scheinparlamentarismus im Führerstaat, „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus, Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934 – 1945 im Vergleich, Wien/Berlin 2010. Vgl. besonders das Kapitel „Die Neuordnung in Wien unter austrofaschistischen Vorzeichen, S. 51 – 145; vgl. auch Enderle-Burcel/Reiter-Zatloukal, Antisemitismus in Österreich 1933 – 1938. 93 Karl Schlesinger (1889 Budapest–12. März 1938 Selbstmord), Nationalökonom, Bankier, Bankund Währungsfachmann. 94 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1084. 95 Ebenda. 96 Ebenda.

Veröffentlichungen

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Hermann Schwarzwald angeführt, in dem sich etwa ein Finanzplan der Sozialdemokraten aus den 1920er-Jahren befindet, der von Kunwald mit handschriftlichen Bemerkungen versehen wurde. 1928 meint Kunwald in einen Brief an Schwarzwald über Renner: „Er ist wirklich ein Österreicher im besten Sinn. Aber sagen Sie ihm ja nicht, dass ich ihn lobe, denn es würde ihn nur ärgern.“ Schwarzwald wiederum schreibt 1934 an ihn, dass er von seiner Schrift über Erwartungswirtschaft97 gefesselt war. Pessimistisch kam Schwarzwald dabei zum Bewusstsein „wie einsam man seinen Weg macht. Ihr manchesterlicher Optimist [sic] wird sich an meinem Konservativismus Anstoss nehmen, ihn wirklichkeitsfremd, fortschrittsfeindlich und urreaktionär finden – wie sonderbar, dass mein Standpunkt dem Individualismus, der Freiheit und dem Naturrecht entspricht, während die Verteidigung der schrankenlosen Spekulationsauswüchse nebst dem Urquell, den Zwangsanleihen durch die Noten, des Aufblicks zum Kirchengott bedürfen, um die (angeblich nur durch sie ermöglichten) ‚Wunder‘ zu begreifen und goutieren! Wie sonderbar auch, dass der seinerzeit über Gebühr geschätzte und bewunderte ‚Sektionschef ‘ heute in seinem Vaterland wohl keine Stelle fände, wo er seine Grundgedanken öffentlich darlegen dürfte! Wie sonderbar schliesslich, dass gerade das pressfeindliche Deutschland es ist, wo ich meine aller Welt entgegengesetzten Meinungen publizieren darf!“98 1937 wiederum tritt Kunwald mit Schwarzwald in einen detailreichen Fachdiskurs über dessen Abhandlung „Das Naturfundament guten Geldes.“99 Aktivitäten auf all diesen Arbeitsfeldern – Zeitungsartikel, private Fachdiskussionen, Vorträge und Veröffentlichungen – lassen sich vom Anfang des Jahrhunderts100 bis 1938 feststellen. Eine seiner wichtigsten Studien – „Ehrliches und unehrliches Silbergeld“ – präsentierte er 1931 bei einem Vortrag in Kiel. Kunwald erregte damit besonders in Amerika großes Aufsehen. Die Broschüre wurde auf Staatskosten ins Englische übertragen. Dies wurde als Ehrung eingestuft, die vor ihm noch keinem kontinentalen Europäer widerfahren war.101 In Deutschland fühlte sich Kunwald aber missverstanden.102 Aus einer Korrespondenz vom November 1932 geht hervor, dass Kunwald zu einer geplanten Schrift von Richard Kerschagl so viele Ratschläge gegeben hatte, dass Kerschagl schrieb: „Nochmals herzlichen Dank für die Ratschläge, welche Sie mir für meine Silberarbeit gegeben haben. Ich vertrage selbstverständlich eine ernsthafte Kritik, insbesondere dann, wenn sie durchaus berechtigt ist. Ich 97 Gemeint ist Kunwalds Veröffentlichung „Leben der Erwartungs- und Kreditwirtschaft.“ 98 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1271. Hermann Schwarzwald war bis 1924 Sektionschef im Finanzministerium, wo er die Kredit- und Währungssektion leitete. Bemerkenswert ist, dass er – obwohl Jude – in Deutschland noch publiziert wurde. 99 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1271. Das Konvolut ist überaus umfangreich. 100 Z. B. ein Vortrag zur Wahlrechtsbewegung, den Kunwald am 31. Jänner 1906 hielt. Vgl. Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 215. 101 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1353. 102 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1276.

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habe jedenfalls aus der Sache sehr viel gelernt und folgenden Entschluss gefasst: ich werde einige Zeit in die Wüste gehen, d. h.. ich werde meinen Gebührenurlaub nehmen und werde einzelne Kapitel der Arbeit noch einmal durcharbeiten. Ihre Kritik in Beziehung auf manche Mängel hat mich völlig überzeugt.“103 Den kritischen Diskussionen ließ Kunwald aber an anderer Stelle auch Lob folgen: „Verehrter Herr Staatsrat! Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass Ihr heutiger ausgezeichneter, schön gedachter und meisterhaft geschriebener Artikel in der Wiener Wirtschaftswoche fast in Allem meine begeisterte Zustimmung hat. Sie haben sich ein grosses Verdienst erworben.“104 Das Schreiben ist typisch für Kunwalds Umgang mit den wichtigen Persönlichkeiten, denen er immer wieder Lob aussprach oder gratulierte. Typisch ist allerdings auch die Formulierung „fast in Allem“. Ein Anbiedern um jeden Preis entsprach nicht seinem Charakter. Noch im November 1937 veröffentlichte er einen vielbeachteten Artikel in der Zeitschrift „Die Wirtschaftspolitik.“105 Die Korrespondenz dazu zeigt Reaktionen u. a. von Sektionschef Schwarzwald, Dobretsberger, Funder oder Hugo Breitner.106 1937 hatte er auch mehrfach versucht, einen Termin beim Bundespräsidenten zu erhalten.107 Noch am 1. März 1938 übersandte er an Handelsminister Julius Raab sein Gutachten „Die Instandsetzung unserer Fremdenbeherbergungsstätten“, die er für die Österreichische Verkehrswerbung verfasst hatte.108 Dem Schreiben war am 18. Februar 1938 ein für Kunwald typisches Schreiben vorangegangen: „Verehrter Herr Minister! Lassen Sie mich meiner Freude über ihre Berufung in die Bundesregierung Ausdruck geben. Ein echter Österreicher alten Schlages an der Spitze des wichtigsten wirtschaftlichen Ressorts: welche Hoffnung für unser Land und seine Wiederausrichtung!“109 Für seine Veröffentlichungen und Tätigkeiten ließ sich Kunwald umfassend informieren110, wie auch aus den Briefen Berta Zuckerkandls ersichtlich ist. In dem Bestand finden sich zudem umfangreiche Zeitungsausschnitte-Sammlungen mit Artikeln zu politischen und wirtschaftlichen Vorgängen des In- und Auslandes. Künstlerische Neigungen Neben seinen beruflichen Aktivitäten war Kunwald 1917 bis 1922 auch Herausgeber der Musik- und Theaterzeitschrift „Der Merker“, die er 1909 gemeinsam mit den bekannten Musikschriftstellern und -kritikern Richard Batka und Richard Specht gegründet hatte.111 Die Zeitschrift hatte zum Ziel: „Ein Verstehen alles Neuen und 103 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1537. 104 Ebenda. 105 Gottfried Kunwald, Österreichs Kreditwürdigkeit, in: „Die Wirtschaftspolitik“, 1. November 1937, Heft 11, S. 9 – 12. 106 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1748. 107 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1359. 108 ÖStA, Bestand GK, 616-1-23. 109 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1360. 110 Ein Hinweis darauf vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-20; 111 Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 215.

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Vorwärtsstrebenden, aber auch ein Verstehen des geschichtlichen Werdens, dem ja die Moderne als letztes Reis entspringt.“112 Zu einem der Redakteure und Herausgeber der Jahre 1915 bis 1917, Ludwig Karpath, bestanden Kontakte bis in die 1930er-Jahre. Trotz Meinungsverschiedenheiten versicherten sie einander ihre Wertschätzung. Karpath sah „stets nur den gutherzigen, geistreichen und liebevollen Dr. Kunwald vor Augen.“ Er erinnerte an die „denkbar schmählichsten Verhältnisse, unter denen sie zusammenarbeiten mussten“, die ihm aber immer in angenehmer Erinnerung bleiben werde, „weil der Dr. Kunwald eben der Dr. Kunwald ist.“ Kunwald wiederum dachte an ihre gemeinsame Arbeit „mit viel Liebe, Dankbarkeit und Humor.“113 Zu inhaltlichen Fragen und den Finanzen des Merkers finden sich in den Materialien umfangreiche und detailreiche Unterlagen114, die noch einer genauen Aufarbeitung bedürfen. Kunwald stand z. B. auch im Briefwechsel mit den Schriftstellern Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, der es schätzte, sich mit ihm in politischen Fragen auszusprechen.115 Er schrieb Gedichte und verfasste ein Bühnenwerk.116 Im September 1934 lernte er Alma Mahler persönlich kennen, womit ihm „der mehr als zwanzig Jahre alte Wunsch, Sie kennen zu lernen“ in Erfüllung ging. Er sandte ihr daraufhin Blumen und es kam zu „Mittagsfrühstücken“, auch gemeinsam mit Professor Johannes Hollnsteiner. Er tröstete sie beim Tod ihrer Tochter 1935 und beriet sie in Finanzfragen.117 Kanzleialltag Der Schlüssel zur seiner enormen Arbeitsleistung lag wohl in einer akribischen Arbeitsweise. In den Materialien gibt es zahllose Kassenbücher, Telefonjournale und Verzeichnisse der ein- und ausgehenden Post, die es ermöglichen, seine Kontakte über Jahrzehnte zu verfolgen. Die lückenlose Dokumentation seiner Tagesabläufe gibt einen weitreichenden Einblick in seine private und berufliche Sphäre. Die minutiösen Aufzeichnungen seiner Treffen, Telefonate (samt Dauer), Angaben zur eingehenden und ausgehenden Korrespondenz sowie zu Geldflüsse erschließen seine Lebenswelt, bei der Privates und Geschäftliches oft nicht genau zu trennen ist. Gottfried Kunwald lebte durch Jahrzehnte in einer Wohnung im ersten Wiener Gemeindesbezirk (Schulerstraße 1 – 3), in der sich seine Kanzlei und seine Wohnung befanden. In den 2024 Konvoluten finden sich auch Materialien, die Einblick in seinen Anwaltsalltag geben und zeigen, dass er neben großen Wirtschaftsfällen auch übliche Anwaltstätigkeiten übernommen hat. Aus sogenannten Expensarien (Expens-Noten) sind die Tätigkeiten im Detail zu entnehmen, von Steuerange 112 113 114 115 116 117

http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Merker.xml. Abgerufen am 6. Oktober 2017. Vgl. die Korrespondenz ÖStA, Bestand GK, 616-1-1096. Unter dem Stichwort Merker finden sich in der Excel-Datei zahlreiche Konvolute. Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S 215.; ÖStA, Bestand GK, 616-3-6; vgl. auch 616-1-1166. Weissensteiner, Anmerkungen zu Dr. Gottfried Kunwald. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1086.

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legenheiten, Scheidungen und privaten Streitfällen bis zu der Erwirkung eines Konzessionsdekretes für Fritz Zuckerkandl.118 Aus den Expens-Noten sind die Verdienste aus diesen anwaltlichen Tätigkeiten ersichtlich, jeweils mit genauen Vermerken zur geleisteten Tätigkeit begründet. Bei einem Geschäftsvorgang für die Credit-Anstalt 1932 finden sich z. B. Angaben zu Beratungen betreffend Finanzierungsmöglichkeiten, Prüfung eines entsprechenden Erlasses des Finanzministeriums, Erörterung des Tatsachenmaterials, Korrespondenz, mehrfache telefonische Besprechungen, persönliche Vorsprache im Finanzministerium, Besprechung der Rechtslage, Verfassung von Fristgesuchen, mehrstündige Konferenzen, Vertragsentwurf aufgesetzt und Annahme des redigierten Vertrages erzielt.119 Bis Anfang der 1930er-Jahre gehörten etwa die Credit-Anstalt ebenso wie die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft zu der Klientel der Kanzlei Kunwald, wie regelmäßige Honorareingänge und die Begleichung der Reisekosten (CA 1930/NÖ Escompte-Gesellschaft 1933 Basel und Paris) in Kassabüchern zeigen.120 Vor und nach dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt 1931 entwickelte Kunwald eigene Pläne zur Verhinderung des Zusammenbruches bzw. zur Rekonstruktion. Schon im Juli 1929 hatte Kunwald seine Vorstellungen „hohen Funktionären der genannten Anstalt, deren Beamtenkörper ich seit nahezu 20 Jahren angehöre, vorgetragen. Ich jedoch leider kein Gehör fand … Im Juli dieses Jahres [1932] habe ich die Möglichkeit für den Wiederaufbau der Credit-Anstalt dahin präzisiert, dass es unter allen Umständen notwendig ist, die Haftung des Bundes für die Credit-Anstalt in eine Haftung des Bundes für jene Debitoren dieser Bank, die deren schwierige Situation verursachten, umzuwandeln, es also dadurch zu ermöglichen, dass einem grossen Kreditor (Ausländeregreement [sic] u. Nationalbankobligo) ein grosser Debitor unter Staatshaftung gegenüber gestellt werden kann und die zukünftige Credit-Anstalt die Brücke zwischen diesen Machtpositionen darstellt. Ich hatte seinerzeit die Ehre, über diese Lösungsmöglichkeit mit Herrn Minister a. D. Dr. Viktor Kienböck zu sprechen und glaube, in manchen Belangen dessen Zustimmung gefunden zu haben.“ Zur Rekonstruktion hatte Kunwald ein „Elaborat“ verfasst.121 Für einzelne große Geschäfte wurden für die Namen der Protagonisten Chiffren festgelegt, wie aus der Korrespondenz mit Dr. Hans Simon ersichtlich ist. Für Anleiheverhandlungen gibt es aus dem Juni 1930 ein Chiffren-Verzeichnis: Quesnay-Paul; Reisch-Franz; Anleihe-Transaktion; Trustie-Funktionär; Zentralbank Departement-Wohnung; österreichische Regierung-Mutter; Rizzi-Konkurrenz; Brauneis-Bully; Juch-Karl; Basel-Holland; Wien-Linz; Schober-Chef.122

118 Exemplarisch vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-3-22 Expensar 1929. 119 Vgl. exemplarisch den Geschäftsvorgang Wayss & Freytag AG, Frankfurt am Main (CA) ÖStA, Bestand GK, 616-3-16. 120 ÖStA, Bestand GK, 616-3-6. 121 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1540. 122 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1270. Eine Chiffren-Liste gibt es auch aus dem Jahr 1926. Für Kunwald gab es die Chiffre Konrad.

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Es gibt auch Hinweise, dass Kunwald nicht immer die vereinbarte Provision für seine Tätigkeit bekommen hatte. So gab es vom Juni 1935 bis Juni 1936 Verhandlungen über den Verkauf von Aktien der Semperit A. G. (Österreichisch-Amerikanische Gummiwerke A. G.) aus dem Besitz der Credit-Anstalt an die Consolidated Rubber Manufactures Limited, eine Gesellschaft, die im Mai 1935 in London gegründet worden war. Über Kunwalds Freund Ernest H. Ford wurde das Geschäft angebahnt. Als im Frühjahr 1936 klar war, dass es nicht zu dem Deal kommen würde, übermittelte Kunwald seine Honorarnote an die englische Firma, bekam allerdings nur seine Barauslagen ersetzt, da es keine schriftlichen Vereinbarungen über seine Vermittlertätigkeit mit der Firma gab. Sein Freund Ford wollte sich aber deshalb mit der englischen Firmenleitung nicht anlegen. Kunwald verfasste daraufhin im April 1936 zwei Briefe. Der eine enthielt sehr scharfe Formulierungen, deren sich Kunwald in Einzelfällen bediente: „Lieber Ernest! Aus Deinem Brief vom 18. d. [1936] geht deutlich hervor, dass Du bereit bist, die unverschämten Lügen dieses Briefes im Prozessfall zu beeiden. Damit ist für mich Dein Brief und Deine Person erledigt … Obwohl dies nicht zu meinen Pflichten gehört, lege ich Dir einen Brief bei, wie Du ihn mir anfangs Dezember vorigen Jahres hättest schreiben müssen.“ Der von Kunwald aufgesetzte Brief begann: „Lieber Friedl! Ich muss Dir leider gestehen, dass ich nicht den Mut gehabt habe, meinem Freund Pickett [Direktor] die Abmachung, die ich mit Dir voreilig getroffen habe, mitzuteilen … So gut befreundet ich mit Pickett bin, habe ich eben doch nicht jene Autorität in der Firma, die ich anstrebe … Ich muss Dir auch berichten, dass die Sache Semperit leider sehr ungünstig steht …“123 Auf den Briefen findet sich allerdings der Vermerk „Nicht abgegangen“. Die Vorgangsweise ist typisch für Kunwald, der in einer ersten Erregung scharf formulierte Briefe schrieb, diese dann aber letztlich nicht abgesendet hat. Strenges Regelwerk des „Diktators“ Da es keine Trennung von Privat- und Kanzleiräumlichkeiten gab, hatte Kunwald ein strenges Regelwerk entwickelt, wann und wie seine Privatsphäre gestört werden durfte. Dies galt für die Bediensteten der Kanzlei, aber auch für Familienangehörige. 1924 musste z. B. Peter Stadlen schreiben: „Ich soll zu meinem Onkel Gottfried nicht hineinläuten, wenn jemand vor Kurzem (d. i. vor weniger als 10 Minuten) zu ihm hineingegangen ist, sondern ich soll warten, bis es mehr als 10 Minuten gedauert hat und dann erst hineinläuten, um mich bei ihm anzumelden.“124 Das ungeheure Arbeitspensum, das sich aus den Materialien in den 2024 Konvoluten erahnen lässt, leistete Kunwald mit einem Mitarbeiterstab, zu dem der Rat des Stenographenamtes Dr. Berthold Oplatek, der Rechtsanwalt Dr. Ernst Marcuschewitz und Dr. Wilhelm Hammelrath gehörten. Oplatek war von 1921 bis 1931 Sekretär und Kanzleivorstand. Hammelrath kam 1931 zu Kunwald, zunächst 123 ÖStA, Bestand GK, 616-1-397. 124 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1123.

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als Diener, dann als Privatsekretär. Hammelrath, deutscher Staatsbürger, war die bemerkenswerteste Persönlichkeit unter den Sekretären Kunwalds. Sein familiäres Umfeld passte zur Lebenswelt von Kunwald. Hammelraths Vater war aktiv für einen deutsch-französischen Jugendaustausch tätig, der sogar den Beginn des Ersten Weltkrieges überdauerte. Hammelrath selbst studierte Theologie, wurde Mitglied des Jesuitenordens, war Sanitäter im Ersten Weltkrieg, studierte danach Kunstgeschichte und Geschichte. Das Kriegserlebnis hatte sein Leben erschüttert. Er trat mit Dispens aus dem Jesuitenorden aus. In den 1920er-Jahren begab er sich auf ausgedehnte Reisen durch Palästina, Ägypten, Russland und unternahm eine einjährige Schwedenreise mit seiner späteren Ehefrau. Im November 1928 kam er zu einer Kundgebung des Bundes der religiösen Sozialisten nach Wien.125 Die Jahre in der Kanzlei von Kunwald waren allerdings auch von längeren Reisen unterbrochen.126 Kunwald schätzte Hammelrath überaus, wie aus Briefen deutlich hervorgeht. So schrieb er Anfang August 1931 an Hammelrath, der seit Juni 1931 auf Reisen war: „Mit einem weinenden und einem lachenden Auge habe ich Ihren Brief gelesen; eigentlich mit zwei weinenden Augen. Denn auch die Freude über Ihre lieben Nachrichten und Ihre herzliche freundschaftliche Gesinnung hatte ein Timbre von Rührung; es würde mich unendlich freuen, wenn Sie zurückkommen … Aber ein freier Mann wie Sie geht manchmal nicht nur zu früh weg, sondern bleibt auch manchmal an einem Ort länger als er dachte. Infolgedessen bekommen Sie frisch aus der Druckerei die heute eingetroffene Silberarbeit, an deren Zustandekommen Ihre Geduld und Ihre Unermüdlichkeit so grossen Anteil haben … Ihr herzlich ergebener.“127 Schon am 9. August folgte der nächste Brief: „… Ich hoffe nur, dass nichts dazwischenkommt und dass wir uns wirklich am 1. Oktober wiedersehen und dass Sie dann wieder die Geduld und die Freudigkeit finden, mit der Sie den Zwang, den Sie sich selbst auferlegen, ebenso zu tragen wissen wie die Schwächen, Ungeduldigkeiten … und manchmal auch Quälereien Ihres selbstgewählten ‚Diktators‘ (was nicht im faszistischen, sondern im kanzleitechnischen Sinn zu verstehen ist). Dafür, dass Ihre liebe Frau sich in ihre täglichen zwölfstündigen Abwesenheiten fügt, danke ich ihr herzlichst …128 Die längeren Zitate aus den Briefen geben Einblick in die Kanzleiarbeit von Gottfried Kunwald. Lange Arbeitstage und schwierige Materien bestimmten den Arbeitsalltag. Ein Hinweis darauf findet sich auch in einem Schreiben an seine im Urlaub befindliche Kanzleikraft Mary Mahler. Hammelrath musste daher noch mehr arbeiten und Kunwald schrieb: „Hammelrath verließ vorgestern abends die Kanzlei in einem so gebrochenen Zustand, dass ich mir sagte: Nun habe ich nicht nur einen lahmen Pony, sondern auch ein grosses, grosses Rassepferd zuschande

125 Einen Lebenslauf vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_Hammelrath. Abgerufen am 16. Juni 2017. 126 Die Anstellungs-, bzw. Abwesenheitsdaten sind aus den Ansuchen um Bewilligung zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu entnehmen. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1119. 127 Ebenda, Brief vom 3. August 1931. 128 Ebenda, Brief vom 9. August 1931.

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geritten. Aber er ist heute nach einem freien Tag wieder ganz beisammen …“129 Es zeigt sich aber immer wieder ein herzlicher Umgangston. Für 1932 lässt sich wieder ein dreimonatiger Urlaub zu Studienzwecken feststellen, wobei Kunwald an den Generalkonsul von Tripolis für Hammelrath ein Empfehlungsschreiben gab.130 Im September 1934 bedankt sich Kunwald für eine Reiseschilderung: „Ich habe damit viel Freude gehabt. Kraxeln und haxeln Sie weiter, wohin Kraxel- und Haxeltrieb Sie führt, das Wolkenmeer unter Ihnen, die englische Lady auf Ihrem Rücken! Beheben Sie diesen Brief möglichst spät oder gar nicht und lachen Sie in einer verlassenen Almhütte Ihren ‚Diktator‘ recht von Herzen aus, der jetzt statt Ihrer das gute Mahlerkind131 anschmiedet und quält.“132 Im Oktober 1934 zeigt sich Kunwald froh, dass Hammelrath mit seiner Familie in Cala Ratjada war: „Denn ach, es ist kein Geld im Haus.“133 1936 verfasste Kunwald wieder ein Empfehlungsschreiben an den Chefredakteur des „Neuen Wiener Tagblattes“, um Reisebeschreibungen von Hammelrath über eine Fußwanderung durch Österreich in der Zeitung zu platzieren.134 1936 bietet er seinem in einer finanziellen Notlage befindlichen Sekretär Hilfe an: „Es geht hier jetzt sehr notig (o ohne Umlaut). Ich kämpfe zwar nicht wie ein Löwe, aber wohl wie ein alter zahnloser Neufundländer mit den Wellen. Manchmal bin ich fürchterlich deprimiert und down. Ich bin schon ein alter Esel, dem die Kräfte in dieser fortgesetzten Gymnastik des Schwimmens manchmal ausgehen. Ich hoffe aber mein Haus zu verkaufen: das wäre ein bisschen Geld. Und ich hoffe auch, dass Feix endlich das versprochene Geld erlegt. Dann könnte ich mich wieder einige Zeit rühren … Also schnell schreiben, wieviel Geld nötig ist, damit ich Sie bald wiedersehen kann.“135 Aus einem Schreiben vom Oktober 1936 geht hervor, dass Kunwald 160 Schilling für seinen Sekretär überwies und wie sehr er selbst in Schwierigkeiten war: „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, lieber Hammelrath, dass Sie mir sehr abgehen. Nicht nur wegen Ihrer unersetzlichen Mitarbeit und Ihrer Freundschaft … Ich habe wie gesagt sehr schwere Zeiten hinter mit. Hinter mir? Das weiss ich eigentlich nicht. Ich muss mit meinen 67 Jahren, meiner Unbeweglichkeit und meinem Fettwanst raufen wie in den Zeiten meiner vollsten Arbeitskraft vor 30 Jahren. Wie unwahrscheinlich, dass mir noch einige Jahre Vollarbeit beschieden sein könnten. Mein Trost ist der alte Hiob, dem Gott noch einmal Frau, Kinder, allerhand Vieh und Arbeit beschert hat. Und es fehlt, wofür ich Gott danke, nicht an einigen Augenblicken dazu (ich meine nicht zu der Frau und den Kindern, ich meine nur das Vieh und die Arbeit). Unberufen Holz! Ihr herzlichst ergebener.“136

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Ebenda, Postkarte GK an Mary Mahler, 21. August 1935. Ebenda, Schreiben vom 20. September 1932. Gemeint ist Kunwalds Bedienstete Mary Mahler. Ebenda, Schreiben vom 4. September 1934. Ebenda, Brief vom 8. Oktober 1934. Ebenda, Schreiben vom 30. März 1936. Ebenda, Schreiben vom 26. September 1936. Ebenda, Schreiben vom 25. Oktober 1936.

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Im letzten Brief vom 19. Jänner schreibt Kunwald, dass sich seine pekuniären Verhältnisse nicht gebessert haben, dass er aber Anzeichen sieht, von Schuschnigg „wieder in Gnaden“ aufgenommen zu werden.137 Der letzte Brief in dem Konvolut ist ein handgeschriebenes Schreiben vom 24. Februar 1937, in dem Hammelrath seine baldige Ankunft in Wien ankündigte.138 Kunwalds herzlicher Umgangston lässt sich aber nicht nur bei seinem Sekretär feststellen. Die Kündigung seiner Kanzleiangestellten Mary Mahler fiel ihm sehr schwer und er schrieb am 26. Dezember 1936: „Mein liebes, armes Mahlerkind! Ich muss Ihnen eine üble Überraschung zum neuen Jahr bereiten. Die Ihnen bekannten Verhältnisse zwingen mich, mit dem neuen Jahr meine Regie auf das Äußerste einzuschränken, weshalb ich auch Ihnen, die mir als Freundin so herzlich nahesteht, Ihre Stellung aufkündigen muss. Dr. Marcuschewitz hat eine andere Stellung gefunden und tritt aus; auch Dr. Hammelrath ist als ausgeschieden zu betrachten … Wie sehr es mir contre coeur geht, dass ich Ihnen diesen Entschluss nicht mündlich mitteilen, sondern schriftlich übermitteln muss, wissen Sie … Herzlichst der Ihre.“ Aus dem Schreiben geht noch hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt nur mehr eine vertraute Bedienstete, Frau Rosa Hallemann (geborene Friedler), beschäftigte und einen pensionierten Kammerstenographen neu für 200 Schilling monatlich aufgenommen hatte.139 Im Oktober 1937 beschäftigte Kunwald noch die Frage, wie gerecht er seinen Angestellten gegenüber war. Mary Mahler hielt schriftlich fest: „Auf Ihr Befragen, ob ich Sie für gerecht oder ungerecht halte, antworte ich Ihnen aus Überzeugung, dass ich Sie für gerecht halte.“ Dr. Hammelrath kam zu dem Schluss: „Auf Ihr peinliches Befragen sage ich Ihnen ungern: Ich finde Sie pedantisch gerecht, d. h. Sie gehen nach meinem Geschmack in Ihrem fortwährenden Bestreben, gerecht zu sein, zu weit.“140 Die Zitate aus der Korrespondenz zeigen einen große Arbeitsleistung fordernden Arbeitgeber, der aber mit seinen langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein herzliches Verhältnis hatte. Die Materialien verdeutlichen aber auch die überaus schwierigen Lebensumstände. Die ausführlichen Zitate vermitteln zudem einen Eindruck von seinem Humor und seine ungebrochene Arbeits- und Lebenskraft. In den Briefen an Berta Zuckerkandl findet sich davon nichts. Er versuchte sie – trotz eigener schwerer Daseinskämpfe – in ihren Depressionen aufzumuntern. Neben seiner körperlichen Behinderung seit seiner Geburt litt Kunwald Zeit seines Lebens an Gichtanfällen und Gelenksentzündungen, die ihn zwangen, Termine zu verschieben. Hinweise darauf finden sich in vielen Briefen. Aus einem Dankesbrief an Ellen Kunwald, die Ehefrau von Cäsar Kunwald141, vom Juli 1934 137 Ebenda, Schreiben vom 19. Jänner 1937. 138 Ebenda, Schreiben vom 24. Februar 1937. In dem Konvolut befindet sich auch eine umfangreiche Mappe mit Texten von Wilhelm Hammelrath. 139 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1126. 140 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1123. 141 Cäsar Kunwald war ein bekannter ungarischer Maler. Vgl. Zeitungsartikel zu seiner Tätigkeit ÖS tA, Bestand GK, 616-1-1496.

Gottfried Kunwald – der Familienmensch

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geht z. B. hervor, dass er „gerade arge Schmerzen“ hatte.142 1935 erinnerte er seine Schwester daran, dass seine Krankheit bereits acht Jahre seine Tätigkeiten beeinträchtigte.143 Gottfried Kunwald – der Familienmensch Kunwald entstammte einer großbürgerlichen jüdischen Familie. Sein Vater, Dr. Ludwig Kunwald, war ein prominenter Rechtsanwalt. Dessen Verhältnis zum Judentum war lose und er war Mitglied verschiedener Freimaurerlogen. Kulturell überaus interessiert, fühlte er sich dem europäischen, „vor allem dem deutschen Kulturerbe“ verbunden.144 Schon beim Vater lassen sich – wie auch später bei Gottfried Kunwald – Verbindungen zu christlichsozialen Kreisen nachweisen.145 Die Mutter Emma Kunwald, geborene Pollak, entstammte ebenfalls einer assimilierten jüdischen Familie und hatte vielseitige künstlerische Interessen.146 Kunwald hatte fünf Geschwister. Sein älterer Bruder Ernst (geboren 1868) wurde Musiker, der sich als Dirigent großer Orchester einen Namen machte.147 Bei Friedrich Weissensteiner findet sich der Hinweis, dass sich „der begeisterte Musiker früh vom Elternhaus gelöst“ hatte.148 Regelmäßige Kontakte gab es aber zu seinem Bruder Gottfried. Die Zwillingsschwestern Meta (Margarethe) und Ella (Gabriele) wurden 1871 geboren.149 Meta Kunwald litt an einer psychischen Krankheit150 und lebte im Sanatorium Fries, für dessen Kosten Gottfried Kunwald aufkam. Es gibt regelmäßige Berichte der Krankenpflegerin und des Arztes an ihn und umgekehrt liebevolle Briefe und Geschenke von ihm an Meta. Besuche hatten sie zu sehr aufgeregt. Am 24. Dezember 1936 schrieb er z. B.: „Mein liebes Meterl! Der kleine Dackel, den ich Dir zu Weihnachten schicke, kann nicht bellen, nicht beissen und sich auch sonst nicht lästig machen … hoffe, dass Du ein bischen Spass daran haben wirst … Ich schicke Dir auch zwei Skizzenbücher, Stifte und Gummi zum Zeichnen … Ich wünsche Dir, liebes Meterl, angenehme Feiertage und ein recht gutes neues Jahr. Denk manchmal an Deinen alten Bruder, der oft und oft 142 143 144 145

ÖStA, Bestand GK, 616-1-1148. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1128.

Details vgl. Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 212 f. Vgl. den Hinweis auf Michael Hainisch, den ersten Bundespräsidenten der Republik Österreich, bei Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 212. 146 Ebenda, S. 213. 147 Vgl. Details Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 212. Bei Weissensteiner findet sich auch der Hinweis auf eine Autobiographie und zahlreiches Material, das ihm von Hedi Stadlen-Simon zur Verfügung gestellt wurde. In dem Bestand Kunwald findet sich der Hinweis auf ein von ihm verfasstes Buch, das etwa 1932 geschrieben wurde und nur im Manuskript vorlag. Vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1090. Die Geburtsurkunden vgl. 616-1-1256. Die Autobiographie wurde dankenswerterweise auch mir von der Familie zur Verfügung gestellt. 148 Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 212. 149 Die Geburtsurkunde vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1256. 150 Details zur Krankheit ÖStA, Bestand GK, 616-1-1097.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

an Dich denkt und Dich sehr lieb hat.“151 Zu dieser Zeit war Kunwald zeitweise auch mit Zahlungen an das Sanatorium in Verzug.152 Ihre Spur verliert sich beim momentanen Stand der Forschung 1938 in der Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof “. Ein Sterbedatum in Wien konnte nicht eruiert werden.153 Auch Ella, von Beruf Konzertsängerin, war auf die Hilfe ihres Bruders angewiesen. Aus den peniblen Aufzeichnungen der Einnahmen und Ausgaben lässt sich dies durch die Jahre hinweg verfolgen. Immer wieder werden größere Beträge an Ella ausbezahlt, daneben wird regelmäßig die Klaviermiete bezahlt, aber auch die Steuerraten.154 Zu den Aufwendungen für seine beiden unversorgten Schwestern gibt es zahlreiche Hinweise in seinem Steuerakt. Sein Bruder Lothar kam 1878 zur Welt, wurde Arzt und bereiste als Schiffsarzt von 1907 bis 1917 die ganze Welt.155 Er starb am 10. November 1930 unerwartet an einer Blutvergiftung.156 Knapp vor seinem Tod war ihm der Titel eines Medizinalrates verliehen worden.157 In einem Testament aus dem Jahre 1910 hatte er seinen Bruder Gottfried Kunwald als Universalerben und Testamentsvollstrecker ernannt.158 Seine Schwester Hedwig wurde 1883 geboren.159 Sie war mit dem Rechtsanwalt Dr. Max Stadlen verheiratet. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1910, die in ihrem letzten Willen die Geschwister zu Eintracht aufgerufen hatte, kam es zwischen den beiden älteren Brüdern – also Ernst und Gottfried – zu einem gerichtlichen Vergleich, der vom „Testamentsexekutor und Kollisionsanwalt“ Heinrich Mataja erreicht wurde.160 In den Materialien finden sich allerdings keinerlei Hinweise auf Streitigkeiten, auch nicht mit seinem Bruder Ernst. Zu seinem Bruder Ernst finden sich immer wieder Zeitungsartikel über dessen Erfolge als Dirigent. Daneben gibt es Hinweise, dass Kunwald seinen Bruder in finanziellen Fragen beraten hatte.161 Kunwald war ein Familienmensch und solange es seine Finanzen erlaubten überaus großzügig. In den Aufzeichnungen über die Kassen-Ein- und -Ausgänge finden sich regelmäßig die Namen vieler Familienmitglieder, so etwa Lothar Kunwald, Ernst Kunwald, Dr. Max Stadlen, Hedwig Stadlen, Peter Stadlen.162 Selbst in den 1930er-Jahren gab er trotz seiner angespannten Finanzlage noch Zuwen 151 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1066. 152 Vgl. dazu die Hinweise in der Verlassenschaftsabhandlung nach dem Tod von Gottfried Kunwald. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bezirksgericht Innere Stadt, Geschäftszahl 3A 156/38. 153 Weitere Auskünfte werden nur an Familienangehörige erteilt. 154 ÖStA, Bestand GK, 616-1-623. 155 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1239 a. Das Konvolut enthält einen detailreichen Lebenslauf; die Geburtsurkunde vgl. 616-1-1237. 156 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1061. 157 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1492. 158 ÖStA, Bestand GK, 616-3-60. 159 ÖStA, Bestand GK, Geburtsurkunde 616-1-1256. 160 Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 216. 161 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1098. 162 Vgl. die umfangreichen Materialien unter den Bezeichnungen Kassabuch/Rechnungsbuch/Rechnungsunterlagen, Kassabögen, Kontobögen im Bestand Gottfried Kunwald.

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10  Max und Hedy Stadlen, 1925. (© Familie Stadlen/Peto)

dungen. Regelmäßig findet sich unter den monatlichen Ausgaben auch der Blumenschmuck für das Grab der Eltern.163 Neben finanziellen Unterstützungen war er stets bereit, Empfehlungsschreiben zu versenden. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen. 1928 wandte er sich direkt an den Sozialminister, um seinem Bruder Lothar bei der Bewerbung um die Stelle eines Fürsorgearztes zu helfen.164 1934 erging ein Schreiben an den österreichischen Gesandten in Bern mit der Bitte, seinen Neffen Peter Stadlen bei einem für Herbst 1934 geplanten Klavierkonzert zu berücksichtigen. Kunwald wies dabei mit Stolz auf die Erfolge hin und legte sämtliche ihm bis dahin zugänglich gewordenen Kritiken in Abschrift bei.165 Im November 1934 schrieb er an den österreichischen Gesandten in London, Georg Franckenstein, mit der 163 Vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-623. 164 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1239a. 165 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1149.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

Bitte, seinen Neffen in die musikalische Londoner Gesellschaft einzuführen, dabei führte er an: „Wie oft wurde Ihr Name von meinem verstorbenen Gönner und Freund Exzellenz Seipel mir gegenüber erwähnt, sodass ich fast das Gefühl habe, als würde ich Sie persönlich ganz genau kennen. Jedenfalls weiss ich, wieviel unser Vaterland Ihnen verdankt, und kenne ich alle jene Ihrer hervorragenden Eigenschaften von denen mir Seipel erzählte.“ Ende November bedankte er sich für „die auszeichnende und fördernde Behandlung“ seines Neffen. Die Korrespondenz ist in zweifacher Hinsicht typisch für viele Empfehlungsschreiben. Kunwald geht stets in besonderem Maße auf den jeweiligen Adressaten ein und er vergisst nicht, sich zu bedanken.166 Peter Stadlen wurde von Kunwald regelmäßig finanziell und durch Empfehlungsschreiben unterstützt. Ihr Umgangston war herzlich, wie ein Schreiben aus dem Dezember 1934 zeigt: „Liebes Peterchen! Ich bin voll Stolz und Freude über Deine Londoner Erfolge. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich Dir schreibe. Zu schreiben hat nämlich ein Neffe; ein Onkel hat Geld zu schicken …“167 Und im Überschwang dichtete Kunwald anlässlich eines Konzertes in London mittels Telegramm: „Ich bin dir zwar nicht sehr sympathisch, doch wirke ich noch telepathisch, sei fürder nicht von Angst verzehrt, ganz wundervoll wird das Konzert, dies weiss mein lieber Peter, der Oheim und Prophete.“168 Die Schreiben von Peter Stadlen an den Onkel zeigen, dass dieser Einiges vom Humor seines Onkels übernommen hatte. Am 22. Februar 1938 schrieb er allerdings: „London ist bedrückend …“169 Als 1932 sein Schwager, der Rechtsanwalt Dr. Max Stadlen, starb, übernahm Kunwald zahlreiche Verpflichtungen, die sich aus dessen Krankheit und Tod ergeben hatten.170 Die finanzielle Lage der Familie Stadlen war schwierig. 1936 übernahm er z. B. das Schulgeld für seine Nichte „Hanni“. Aus den Schreiben der Direktorin der Schule geht hervor, dass „die arme Hedy [Schwester von GK] unter ihren vielen Sorgen fast zusammenbricht.“171 Finanzielle Zuwendungen und Empfehlungsschreiben waren aber nur eine Seite seines Familiensinns. Die Korrespondenz mit einzelnen Familienmitgliedern zeigt – wie schon bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – wie herzlich, liebevoll und humorvoll der Mensch Gottfried Kunwald sein konnte. 1931 schrieb er etwa an die Tochter seiner Schwester Hedy: „Ich danke dir von Herzen dafür [gemeint ist ein Brief] und bin sehr gerührt, dass mein armes krankes Nichterl so brav ist und sogar daran denkt, an den alten dicken Onkel zu schreiben.“172 Im August 1935 war es zu einem Zwist mit seiner Schwester Ella gekommen. Anlass und Details dazustellen würden an dieser Stelle zu weit führen, doch ging 166 Weitere Empfehlungen für Peter Stadler ÖStA, Bestand GK, 616-1-1079; 616-1-1123. 167 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1123. 168 Ebenda. 169 Ebenda. 170 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1089, Schreiben an das Finanzamt vom 27. Dezember 1932. 171 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1099. 172 Ebenda.

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11  V. l. Erich, Hanni, Peter Stadlen, 1926. (© Familie Stadlen/Peto)

es um eine Reise nach Söllheim, zu der Kunwald sie gedrängt hatte, da „seit dem 26. Juli Geld für solche Zwecke“ da war. Er reagierte auf die geschwisterliche Verstimmung in einer für ihn sehr typischen Art. Er schrieb einen sechs Seiten langen Brief, in dem er alle Details minutiös auflistete. Aus dem Schreiben ist ersichtlich, dass das Zusammenleben der Geschwister nicht immer leicht war. Kunwald verweist auf seine Krankheit, durch die er „seit acht Jahren nicht Herr seines Tuns“ war. Ella meinte, ein „riesiges Opfer“ für ihn zu bringen. U. a. schreibt er: „Ich bin tief erschüttert (sehr ironisch gemeint!) davon, dass Du ‚alles hintangestellt‘ hast und ‚manches Interessante und Nette‘ in Wien verlassen musstest … Für mich ist das einzig Interessante, wenn es sich um Dich handelt, Deine psychische und physische Gesundheit und es erregt in mir durchaus keine Reue, wenn Du irgendein Kunstgeschwätz oder auch sachliche oder gesangliche Unterhaltung hier verlassen hast … Ich habe geglaubt, dass Du deshalb fortgefahren bist, weil ein Mensch, der Dich so lieb hat wie ich, es für das Richtige für Dich gehalten hat, weil du mir vertraust und weil Du mir gerne eine Freude machst. Dieser dummen Meinung war ich (und sie wird vielleicht gar nicht so arg unrichtig sein, wie es aus Deinem dummen Brief hervorgeht) … Über Dich erfahre ich gar nichts aus diesem widerlichen Brief, nur dass Du mir und Dir Vorwürfe machst, dass Du in diesem Stinksumpf nicht auch noch die zweite (!) Hälfte August, den

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

12  V. l. Hanni, Hedy, Erich, Peter, Max Stadlen, ca. 1927. (© Familie Stadlen/Peto)

letzten Sommerrest geblieben bist … Wenn du für Salzburg etwas Geld brauchst – Gott sei Dank, ich kann es Dir jetzt schicken …“ Zuletzt schrieb er noch: „Und jetzt bin ich wieder gut, weil ich genügend geschimpft habe und Du mich nicht unterbrechen konntest. Das ist das Allerbeste daran … Nochmals: wenn es so todlangweilig ist … gehe hin, wo Du nicht nur Natur, sondern auch Wasser und ein bisschen Ansprache hast. Adieu, grausliches Kind.“ Der Brief enthält auch noch Hinweise auf einen Gichtanfall Kunwalds: „Ich bin des Neides nicht fähig und danke Gott täglich dafür und war sehr erschüttert, als in meiner tiefen Juli-Depression ich einmal einen Schatten des Neides bei einer Erzählung eines jungen Menschen auf einmal grauenhaft in mir vorüberhuschen gefühlt habe. Pfui Teufel! Daher habe ich auch keinen Neid, wenn ich daran denke, dass ein Mensch in Gottes Natur, die ich ja nur aus dem Wagen sehen kann, liegen, Pflanzen und Tiere in Ruhe und allein beobachten kann …“173 173 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1128.

Antisemitismus

13  Erich Stadlen, 1938. (© Familie Stadlen/Peto)

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14  Peter Stadlen, 1938. (© Familie Stadlen/Peto)

Es ist dies einer der wenigen Hinweise auf eine Depression und wie sich Kunwald mit seinem Gebrechen und seinen Krankheiten fühlte. Stetes schimmert aber eine positive und humorvolle Lebenshaltung durch. Ein Beispiel für seine Lust zum Dichten findet sich in den Zeilen an seine Schwester aus dem Jahr 1937: „Friedl, – na, das sieht ihm ähnlich,Unzugänglich wie gewöhnlich, Alle Türen abgesperrt, Schläft schon längst, ’s ist unerhört! Doch im Schlaf die Seel‘ umgibt Dich. Servus, Ellchen, gute Nacht, Bis Du morgen früh erwachst.“174 Antisemitismus Die Familie Kunwald war Teil des jüdischen Großbürgertums. Die Assimilation des Vaters ging sehr weit. In seiner unveröffentlichten Autobiographie schrieb Ernst Kunwald: „Schon im frühesten Kindesalter wurde nicht nur vom heißgeliebten Küchenpersonal, zu dem wir Kinder einen besonders ausgesprochenen Hang verspürten – nein von Vettern und Freunden, ja selbst vom ‚Ehrensitz‘ des 174 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1128.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

Vaters her alles Jüdische verspottet und verachtet. ‚Der polnische Jud‘ – das war der Ausbund alles dessen, was schlecht und lächerlich war; nur nicht jüdisch sprechen, jüdisch handeln, jüdisch denken, das war die Richtschnur meiner Jugend … Und so habe ich … schon frühzeitig aufgehört, mich als Juden zu fühlen.“175 Der Vater war zudem der Überzeugung gewesen, „dass sich das Judentum restlos mit der Bevölkerung des Landes in Sitte, Sprache (und wohl auch im Glauben!) zu verschmelzen habe“ – so die Schlussfolgerung bei Weissensteiner.176 Im katholischen Schottengymnasium hatten die wenigen jüdischen Schüler mit Spott und Hohn zu rechnen. Ernst Kunwald schrieb dazu in seiner Autobiographie: „Wir waren der Gegenstand beständiger Nörgelei und Verhöhnung von Seiten unserer Mitschüler, die ja meist, und bestimmt mir gegenüber nicht bösartig waren, uns aber jedenfalls zwangen, unser ganzes Verhalten, jede Äußerung, frühzeitig zu kontrollieren.“177 Dies verdeutlicht das Umfeld, in dem Gottfried Kunwald aufwuchs. Bei Gottfried Kunwald zeigt sich in der Geschäftspraxis, dass er engste Verbindungen – bei gegenseitiger Wertschätzung – zu Vertretern der christlichsozialen Partei pflegte. In seinen Einschätzungen war er aber realistisch und wusste um antisemitische Strömungen, wie etwa seine Empfehlungsschreiben deutlich zeigen, so ein Hinweis auf den als Antisemiten bekannten Bürgermeister von Wien Richard Schmitz.178 In den Unterlagen findet sich etwa auch ein Artikel von Karl Renner – „Was soll aus Österreich werden?“ –, in dem Kunwald die Anmerkung Renners angezeichnet hatte: „Die Wirtschaftspolitik Seipel-Kienböck war vom ersten Tag an ödester Manchesterliberalismus aus der Garküche des altliberalen ‚jüdischen‘ Advokaten Dr. Kunwald …“179 Im Juni 1937 verwahrte er sich gegen die negative Nennung seines Namens in der Zeitschrift „Die Geissel“, die ein Bund für soziales Recht herausgab. In einem Artikel „Neue Monarchie und Judenschaft“ vom Mai 1937 hieß es: „Die Rolle des Dr. Gottfried Kunwald ging mit der vollrepublikanischen Zeit nicht zu Ende. Sein Nachfolger wurde Dr. Wilhelm Berliner.“ Kunwald empörte sich, dass sein „reiner Name mit dem des Dr. Berliner in einem Atem“ genannt wurde, und führte aus: „denke man über ihn, wie man will – [er war] ein Zentrum der österreichischen Korruption … Meine ‚Rolle‘ bestand darin, dass grosse christlich-soziale Führer, die heute gestorben sind, zu meiner Sachkenntnis und meinem Charakter Vertrauen hatten. Eine andere ‚Rolle‘ habe ich nie gespielt und nie angestrebt. Die Legende, die die Sozialisten aus Feindschaft gegen meinen verstorbenen grossen Freund Exzellenz Seipel um meinen Namen spannen, war Lügengewebe.“180 Die wenigen Zeilen zeigen seine Selbsteinschätzung, aber auch die Nähe zu den Christlichsozialen sowie sein angespanntes Verhältnis zur österreichischen Sozialdemokratie. 175 Zitiert nach Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 212. 176 Ebenda. 177 Zitiert nach Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 213 f. 178 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1300. 179 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1450; „Der Kampf “, Sozialdemokratische Monatsschrift, Jahrgang 23, Februar 1930, Nummer 2, Anmerkung 3 auf Seite 55. 180 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1357.

Finanzielle Schwierigkeiten in den 1930er-Jahren

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Das Adjektiv „jüdisch“ im abwertenden Sinn findet sich in vielen Zeitungsartikeln, die Kunwald zu seiner Person sammeln ließ. Kunwald hat sich unabhängig davon aber – in den 1930er-Jahren zunehmend – theoretisch mit dem Antisemitismus auseinandergesetzt. Ab 1933 kam es zu einem regen Gedankenaustausch mit Samuel R. Wachtell über die „heutige Judenfrage“. Es findet sich in den Unterlagen Literatur aus dem Jahr 1935 zu den Themen „Woher stammt der deutsche Antisemitismus“ und „Marxismus und Antisemitismus in Österreich“.181 Es gibt die Abschrift eines Vortrages von Univ.-Prof. Dr. Harry Sicher zum Thema „Über die spezifische Bedingtheit des jüdischen Lebensgefühls“ vom Juni 1937 und dazu ein Schreiben Kunwalds an den Professor, in dem er eine Diskussion darüber wünscht.182 In den Unterlagen gibt es aber auch Materialien zur Israelitischen Kulturgemeinde Wien.183 Finanzielle Schwierigkeiten in den 1930er-Jahren Sein Ansehen in der Fachwelt, seine glänzenden privaten und beruflichen Verbindungen konnten ihm aber kein sorgenfreies Leben sichern. Ab 1932 hat Kunwald zunehmend finanzielle Schwierigkeiten. Aus den Eingaben an das Bundesministerium für Finanzen geht hervor, dass er regelmäßig um Stundung von Steuerrückständen ansuchte, die bis ins Jahr 1926 zurückreichten. Kunwald zahlte zunächst allerdings monatlich die gesetzlichen Verzugszinsen dafür und leistete die laufenden Steuern. Regelmäßig finden sich in diesem Zusammenhang auch die Hinweise, dass ein Verkauf seiner Liegenschaft am Fleischmarkt an die Reform-Baugesellschaft bevorstehe und er danach seinen Verpflichtungen nachkommen könne.184 1934 war er in seiner Steuerangelegenheit bei Finanzminister Karl Buresch und legte nach Rücksprache mit dem Referenten im Ministerium die Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen in einer Eingabe an das Finanzministerium detailreich dar. Einer seiner Hauptklienten, die Niederösterreichische Escomptegesellschaft, hatte 1934 als Bank zu existieren aufgehört, und er hatte damit seine Beratertätigkeit verloren. Zu seinem Arbeitspensum führte er an: „Wie seit nunmehr zwanzig Jahren arbeite ich unausgesetzt an Wochen-, Sonn- und Feiertagen von früh bis abends und habe in diesen zwanzig Jahren, Erkrankungsfälle eingeschlossen, mir nur zweimal einen kurzen Urlaub gestattet.“ Zu diesem Zeitpunkt – Mai 1934 – war sein Kassastand auf „einige hundert Schilling“ gesunken. Kunwald verwies auf sein Ansehen und führte an: „So habe ich im Laufe des letzten Jahres, neben meiner wahrhaftig anstrengenden Berufstätigkeit, eine grosse wissenschaftliche Arbeit, die demnächst in Druck erscheint, beendet, 181 Berichte zur Kultur- u. Zeitgeschichte, herausgegeben von Nikolaus Hovorka, Nr.  264 und Nr. 265 – 266, Wien-Leipzig 1935, ÖStA, Bestand GK, 616-1-1347. 182 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1534. 183 ÖStA, Bestand GK, 616-1-953. 184 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1089, Schreiben an das Bundesministerium für Finanzen, 27. Dezember 1932.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

habe die Leitung der Kreditsektion der Paneuropäischen Wirtschaftskonferenz übernommen und bin mit der Führung der Kreditsektion des von mir ins Leben gerufenen Studienkomitees, bestehend aus den Professoren Spann und Ludwig Mises, Generaldirektor van Hengel, Dr. Karl Schlesinger und meiner Wenigkeit als Vorsitzenden, sehr beschäftigt. All dies zusammen erfordert höchste Anspannung der Nervenkraft eines 65 Jahre alten Mannes, die, wenn sie auch durch Alltagssorgen fortwährend in Anspruch genommen wird, unmöglich gleichzeitig dringenden exekutiven Verpflichtungen standhalten könnte.“ Aus den Schreiben geht hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt weder alte Verpflichtungen erfüllen noch die laufenden Steuern leisten konnte. Kunwald bot Ratenzahlungen an, die er leisten könnte. Am Ende der Eingabe hofft er unter Hinweis auf seine Tätigkeit für das Finanzministerium in den Jahren 1919 bis 1926, für die er weder eine Belohnung noch Auszeichnung angestrebt hatte, auf „grosses Wohlwollen und Nachsicht.“185 Im Mai 1935 versuchte Kunwald in einer Unterredung mit Bundeskanzler Schuschnigg, seine Steuerschwierigkeiten einer Lösung zuzuführen. Aus der für diese Unterredung vorbereiteten Darstellung des Sachverhaltes gehen viele Details dazu hervor.186 Die letzte Eingabe an das Finanzministerium aus dem Februar 1937 zeigt, dass Kunwald 1935 und 1936 kein Reineinkommen mehr hatte und sich weiter verschulden musste. Unter anderem führte er noch an: „Dabei habe ich für zwei erwerbslose, über 60 Jahre alte Schwestern zu sorgen, von denen die erste, die Logopädin Ella Kunwald, bei mir wohnt, die zweite Meta Kunwald, seit 34 Jahren geisteskrank im Sanatorium Inzersdorf untergebracht ist. Mein körperlicher Zustand – ich bin an beiden Beinen gelähmt – bringt eine Reihe besonderer Auslagen mit sich, insbesondere die unabweisliche Haltung eines Dieners, der mich tragen muss.“ Kunwald führt weiters aus, dass er seine beiden Sekretäre entlassen musste und dass die Immobilie am Fleischmarkt überschuldet sei. Dazu kamen Schulden an Private. Zuletzt verweist Kunwald auf seine Verdienste und auf seine gemeinnützigen und wissenschaftlichen Tätigkeiten für sein Vaterland. Eine Exekution würde nur seine Arbeitskraft schädigen.187 Die dramatischen Schilderungen in seinen Steuerakten finden auch zeitweise Eingang in die Korrespondenz mit Berta Zuckerkandl. Aus den Briefen ist aber auch ersichtlich, dass aus einzelnen Geschäften doch auch noch Kassaeingänge kamen. Kunwald konnte seine Haushaltsausgaben in den 1930er-Jahren aus einer Mischung aus Geschäftseinnahmen und Aufnahme von Darlehen bis 1938 leisten. Trotz Vorliegen der Kassabücher und Materialien über Privatverschuldung188 sowie Unterlagen zu Geschäftsvorgänge in den 1930er-Jahren ist es schwierig, ein klares Bild über die Finanzlage zu bekommen, doch sind die Entlassungen von Angestellten 1937 ein Indiz für den Ernst der Lage. An eine private Geldgeberin, 185 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1089, Schreiben vom 8. Juni 1934. 186 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1132. 187 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1089, Schreiben vom 22. Februar 1937. 188 Vgl. Details über Höhe und Ausgleichsverhandlungen mit Dr. Karl Schlesinger 1935, ÖS tA, Bestand GK, 616-1-1084.

Finanzielle Schwierigkeiten in den 1930er-Jahren

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Dr. Cäcilie Lilienthal, der er auch die Liegenschaft am Fleischmarkt verkauft hatte189, schrieb er Ende Jänner 1938: „Ich bin sehr bedrückt und beschämt darüber, dass ich Ihnen das Darlehen von S 2.700.–, das Sie mir gewährten, noch immer nicht zurückzahlen kann.“190 Penible Aufzeichnungen zu den Weihnachtsgeschenken an Familienmitglieder, Kanzleibedienstete und Freunde enthalten in den beiliegenden Gedichten immer wieder Hinweise auf das „magere Christfest“ 1937.191 In den Materialien finden sich aber dennoch zahlreiche Hinweise auf Geschäftsaktivitäten. 1932 etwa war Kunwald für die Oesterreichische Nationalbank bei juristischen Fragen tätig, die mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich anhängig waren. Im Februar 1932 reiste er dafür nach Basel und hatte in fünf Tagen 14 Konferenzen, u. a. mit Persönlichkeiten wie dem „schwer zugänglichen“ Präsidenten Moreau, mit Charles Rist und mit „dem schwerreichen“ Raymond Philippe. Themen waren die Folgen der Weltwirtschaftskrise für eine von der Oesterreichischen Nationalbank angestrebten Prolongation eines Kredites und die Stellungnahme der BIZ zu den Verhandlungen über einen angestrebten Sechzig-­ Millionen-Kredit.192 Von Basel reiste er nach Paris weiter, da er von Polen „grosse und wichtige Aufträge erhielt. Dass man mir sie erteilte, beweist, wie schwer sie bei der heutigen Lage anzugehen sind.“193 1936 gab es noch eine Reise nach Paris, die zwischen dem 9. und 22. Dezember 1936 erfolgte und sich minutengenau nachvollziehen lässt. Jedes Telefonat samt Gesprächspartner ist vermerkt, jedes Treffen und jede Konferenz ist angeführt. Eine Liste der mitgeführten Handbücher, Schreibutensilien und Drucksorten wurde ebenso geführt. U. a. findet sich die Auflistung: „… 2 Federstiele, 6 Hardtmuthbleistifte Nr. 2 mit Hülsen, 2 Radiergummi (hart und weich) …194 Die Details dieser Reise vermitteln einen Eindruck vom Arbeitspensum und von der Akribie der Dokumentation. Selbst in der angespannten finanziellen Lage – eine Auflistung der Schulden findet sich in der Verlassenschaftsabhandlung195 – war aber Kunwald noch immer bereit, für Berta Zuckerkandl oder für Familienmitglieder immer wieder kleine Summen zu überweisen – wie in den Briefen der Edition dokumentiert.

189 Vgl. dazu Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger, Wien 1936, 1937 und 1938. 1936 scheinen noch Gottfried Kunwald und Miteigentümer auf, ab 1937 Dr. Cäcilie Lilienthal. 190 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1172. 191 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1174. 192 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1132. 193 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1060. 194 ÖStA, Bestand GK, 616-1-1163. 195 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bezirksgericht Innere Stadt, Geschäftszahl 3A 156/38.

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Gottfried Kunwald – „Mann im Dunkeln“

Das Ende Kunwald war mit grundlegenden Werken, Artikeln und Vorträgen zur Finanzpolitik in der Öffentlichkeit weiter präsent. In seiner Publikation „Das Leben der Erwartungs- und Kreditwirtschaft“ subsumierte er die Erkenntnisse und Erfahrungen seines ganzen Lebens. Finanzpolitische Überlegungen waren es auch, mit denen er sich in den letzten Wochen vor seinem Tod beschäftigte. Zwar scheint er noch im Jänner 1938 intensiv einen telefonischen Kontakt zu Kienböck gesucht zu haben,196 aber die Ablehnung der von Kienböck vertretenen Politik fand in seinem „letzten Willen“, den er am 13. März 1938 kurz vor seinem Selbstmord diktierte, einen deutlichen Niederschlag: „… Mein Schüler Kienböck wurde Nationalratspräsident, van Hengel, den ich mit ihm bei mir bekannt gemacht habe, Generaldirektor der Creditanstalt. Aber gerade er und jener schalteten mich besonders gründlich aus. Warum? Weil ich jener unseligen Politik der Abliquidierung, der Abdörrung, der Einschränkung, die zum Ende unseres Vaterlandes führen mußte, Widerstand zu leisten berufen gewesen wäre; und niemand anderer als ich.“ Der Jude Kunwald hatte die Zukunft – so seine Formulierung in seinem letzten Willen – „in einem katholischen, mittelständischen Österreich als Zentrum europäischer Kultur“ gesehen.197 Der letzte Satz lautete: „Dem Präsidenten Dr. Kienböck, der mein Vaterland aus persönlicher Eitelkeit zugrunde gerichtet hat … möge Gott verzeihen.“ Gottfried Kunwald war einer der ersten Österreicher, die nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verhaftet wurde. Noch am selben Tag wurde er – so die Angaben seines Neffen Peter Stadlen – als haftunfähig entlassen. In seiner Wohnung beging er am 14. März 1938 Selbstmord.198 Er hatte Gift genommen, um „sich durch seinen Freitod die Hölle des Konzentrationslagers“ zu ersparen.199

196 ÖStA, Bestand GK, 616-1-723; zu Kunwalds Geschäftsaktivitäten im Jänner und Februar 1938 vgl. etwa ÖStA, Bestand GK, 616-1-1358. 197 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bezirksgericht Innere Stadt, Geschäftszahl 3 A 156/38. 198 Details dazu aus einem Polizeibericht vgl. Weissensteiner, Bundeskanzlers graue Eminenz, S. 3; Angaben zu seiner Verhaftung und Freilassung vgl. Milan Dubrovic, Veruntreute Geschichte, Die Wiener Salons und Literatencafés, Wien 1985, S. 178. 199 Weissensteiner, Dr. Gottfried Kunwald, S. 226.

DIE BRIEFE – ZEUGNISSE EINER ­F REUNDSCHAFT IN SCHWEREN ZEITEN

Der Beginn der engeren Bekanntschaft und späteren Freundschaft zwischen Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald ist mit 1925 anzunehmen. In den edierten Briefen der Jahre 1928 bis 1938 fanden sich keine Hinweise, wo und wann sie einander kennengelernt hatten. In dem Bestand zu Berta Zuckerkandl im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek gibt das Hochzeitsbuch1 anlässlich der Heirat von Berta Szeps und Emil Zuckerkandl Aufschluss darüber, dass die Familien Zuckerkandl und Kunwald einander kannten: Ludwig Kunwald, der Vater von Gottfried Kunwald, war unter den Gratulanten. Aus Briefen der Jahre 1925, die sich im Besitz der Familie von Gottfried Kunwald befinden, ist abzulesen, dass es ab diesem Jahr eine enge Zusammenarbeit gab. Die Briefe der Edition dokumentieren für die Jahre 1928 bis 1938 ihre gemeinsamen politischen Aktivitäten, ihre finanziellen Nöte, mit denen sie beide, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zu kämpfen hatten, und ihre enge Freundschaft und Vertrautheit. Zwischen der großen Welt der Politik und der kleinen Welt der privaten Sorgen und Nöte werden noch die Schicksale der engeren Familienmitglieder sichtbar. Berta Zuckerkandls Briefe sind stets voll von Gefühlen, Vorahnungen und Ängsten rund um ihren Sohn Fritz und dessen Familie sowie die eigenen finanziellen Sorgen, doch finden sich durchgehend auch politische Bezüge. Gottfried Kunwalds Briefe, oft eher nur Kurzmitteilungen, sind sachlich, knapp, auf das Wesentliche konzentriert und doch auch herzlich. Es geht um Weisungen an Berta Zuckerkandl und um Geschäftsprojekte2, aber auch um materielle Hilfe und um Zuspruch bei ihren seelischen Nöten. Gemeinsames politisches Agieren Aus den von der Familie Gottfried Kunwalds zur Verfügung gestellten Briefe lässt sich ihr gemeinsames politisches Agieren in den 1920er-Jahren rekonstruieren, das auch noch in den 1930er-Jahren feststellbar ist, wenngleich sich die politischen Verbindungen verändert bzw. an Bedeutung verloren haben. Berta Zuckerkandls Netzwerk reichte in Frankreich durch ihre Schwester, die mit Paul Clémenceau verheiratet und überaus eng mit Paul Painlevé befreundet war, in die höchsten politischen Kreise. Gottfried Kunwald, mit österreichischen 1 LIT, Signatur 438/L1. 2 Vgl. einen dafür typischen Brief GK an BZ vom 26. April 1935.

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Politikern und internationalen Bankiers und Finanzexperten vernetzt, entwickelte Projekte, die stets die Stärkung der politischen und finanziellen Unabhängigkeit Österreichs zum Ziele hatten. Für die 1920er-Jahre waren dies z. B. Anstrengungen, die Finanzkontrolle durch den Völkerbund zu beenden und private Kapitalinvestitionen nach Österreich zu bringen. Zur Verwirklichung dieser Pläne hielt sich Berta Zuckerkandl oft wochenlang in Paris auf. Sie kontaktierte mit Hilfe ihrer Schwester und Paul Painlevés, ausgestattet mit den genauesten Vorgaben von Gottfried Kunwald, einflussreiche französische Politiker und Finanzleute.3 Dieses System der 1920er-Jahre zeigt sich auch in den Briefen der Edition, doch nahm die Einflussmöglichkeit ab. Zunächst finden sich noch Hinweise auf die enge Verbindung zu Seipel,4 doch verwahrte sich Kunwald energisch, „der Krawattenknopf von Seipel“ zu sein.5 Ignaz Seipel starb 1932. Painlevé, der viele Jahre die Türen in höchste politische Kreise öffnete6, Exposés von Gottfried Kunwald an führende französische Politiker weitergab7 und von Berta Zuckerkandl als „armer bester Freund“8 bezeichnet wurde, starb im Oktober 1933. Die Briefe enthalten immer wieder Berichte über die französische Innenpolitik9, wobei auch ihre Schwester Sofie politisch aktiv wurde.10 Es gibt auch zahlreiche Hinweise auf politische bzw. wirtschaftspolitische Aktionen für Österreich, die stets in höchste politische Kreise Frankreichs führten. So werden Zuckerkandl und Kunwald etwa in Reparationsfragen,11 bei Wohnbauanleihen12 oder beim österreichisch-französischen Handelsvertrag aktiv.13 Kunwald nützt dabei seine überaus engen Beziehungen zu dem französischen Finanzexperten Pierre Quesnay. So besprachen beide einmal fünf Stunden lang die Weltpolitik.14 Auch Charles Rist gehört zu jenen Ansprechpartnern, zu denen er jederzeit einen Kontakt herstellen konnte. In den Briefen gibt es auch einige Hinweise, dass die Ausschaltung der österreichischen Sozialdemokratie durch die Regierung Dollfuß die österreichisch-französischen Beziehungen, aber auch die österreichisch-britischen15, verschlechterte. 3 Die Briefe aus den 1920er-Jahren im Umfang von rund 700 gescannten Seiten befinden sich in Familienbesitz und wurden mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Politische Inhalte dominieren. Damit unterscheiden sich diese Briefe deutlich von den Briefen der Edition. 4 Brief BZ an GK vom 10. August 1928. 5 Brief GK an BZ vom 8. August 1930. 6 Brief Sofie an BZ vom 1. Juli 1928. 7 Brief BZ an GK vom 11. März 1929. 8 Brief BZ an GK vom 18. Jänner 1933. 9 Vgl. z. B. 9. August 1929, 23. Juli 1930, 18. Mai 1931, 16. November 1931, 18. Jänner 1933, 24. Juli 1933, 5. August 1933, 27. September 1934, 10. April 1935, 24. April 1935, 17. Dezember 1935, 12. Mai 1936, 1. Juni 1936, 3. Juni 1936, 6. Juni 1936, 10. Juni 1936, 15. Juni 1936, 21. Juni 1936, 17. November 1936, 24. März 1937, 3. Mai 1937, 26. Mai 1937, 16. Juni 1937, 23. Juni 1937. 10 Vgl. z. B. den Brief vom 23. Juli 1930, vom 27. September 1934 und 3. Mai 1937. 11 Brief BZ an GK vom 11. März 1929. 12 Brief GK an BZ vom 12. Mai 1930. 13 Brief BZ an GK vom 17. Juli 1933; GK an BZ vom 21. Juli 1933; Bundesminister Schumy an GK vom 17. Juli 1933; BZ an GK vom 24. Juli 1933. 14 Brief GK an BZ vom 8. August 1930. 15 Abschrift eines Briefes von Ethel Snowden an BZ vom 12. Februar 1935.

Gemeinsames politisches Agieren

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Unter der Regierung Blum schrieb Zuckerkandl an Kunwald: „Denn dies ist ja jetzt eine schwere Aufgabe, die Sozialisten, die jetzt hier an der Macht sind, für unser faschistisches Österreich irgendwie gut zu stimmen.“16 Bei Rist entwickelte Zuckerkandl ihre Idee, „daß man unoffiziell einen Mann der Linken herschickt. Das heißt einen unserer milden Sozialisten, damit Blum nicht allein nur von Otto Bauer (wie bisher) unterrichtet wird.“17 Zuckerkandl wurden von französischer Seite auch eine Reihe von Fragen zur österreichischen Innenpolitik sowie zu Ernst Rüdiger Starhemberg und Kurt Schuschnigg gestellt, die Kunwald beantwortete.18 In seiner Analyse der Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus kommt er bereits zwei Jahre vor dem „Anschluss“ zu einer fast prophetisch anmutenden Erkenntnis: „Eine geänderte Wirtschaftspolitik ist unbedingt notwendig, wenn nicht bei einer Volksbefragung die latente wirtschaftliche Unzufriedenheit zu einer fast einstimmigen Ablehnung dieser ganzen Wirtschaftspolitik und damit auch des ganzen Regimes führen sollte. Wenn ich, was sehr selten der Fall war, mit Kienböck sprach und ihm sagte, dass eine andere Wirtschaftspolitik deshalb notwendig sei, weil sonst eine Volksbefragung sicherlich negativ ausfallen würde, hat er, der mein Schüler ist und, so sorgsam er mich von allem fernhält, doch innerlich meine Autorität nicht bezweifelt, die Farbe gewechselt. ‚Ja woher sollte denn die Volksbefragung kommen?‘ fragte er. Meine Antwort: ‚Sie wird kommen.‘“19 Von Ende November 1936 gibt es eine politische Analyse ausgehend von der Frage, warum „Frankreich so gar kein Interesse an Österreich hat.“ Tenor der Analyse ist, dass Österreichs Unabhängigkeit durch französisches Kapital gesichert werden könnte. Für eine Annäherung Wien und Paris stellte Frankreich allerdings eine „Annäherung der österreichischen Regierung an die Sozialisten“ zur Bedingung.20 Von Erwin Wasserbäck, der Mitte Juli „als intimster Berater von Schuschnigg“ in das Präsidium des Bundeskanzleramtes berufen wurde, bekam Berta Zuckerkandl die Information, „dass Schuschnigg einen Annäherungsversuch von Fey, der sich wieder einschleichen wollte, damit abwies: ‚Niemals mehr Fey, der Schuld ist, dass die Sozialisten uns den Rücken kehrten.‘“21 Diese Information wurde sofort an französische Kreise weitergegeben. Für Österreichs Unabhängigkeit hatte Kunwald selbst Mitte 1937 noch den Plan entwickelt, in Wien eine internationale Bank anzusiedeln. Berta Zuckerkandl teilte ihm allerdings im Namen von Rist mit: „Ihr Plan eine Internationale Bank mit Sitz in Wien ist alles was Sie planen genial. Aber derzeit vollkommen undurchführbar.“22 Im Jänner 1938 lässt Rist nochmals Kunwald ausrichten: „Kunwald ist sich nicht der unüberwindlichen Barrieren bewusst, welche die Weltlage und die besondere Situation Frankreichs angesichts solch monumentaler Projekte dar 16 Brief BZ an GK vom 12. Mai 1936. 17 Brief BZ an GK vom 10. Juni 1936. 18 Fragen von BZ vom 15. Juni 1936 und Antworten von GK vom 21. Juni 1936. 19 GK vom 21. Juni 1936. 20 Brief BZ an GK vom 26. Mai 1937. 21 Brief BZ an GK vom 1. Juli 1937. 22 Brief BZ an GK vom 6. Juli 1937.

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stellen wie es das Kunwalds ist … Kunwald mit seinem schöpferischen Optimismus, um den ich ihn beneide, glaubt immer, dass man die Hindernisse überwinden kann, die unsere Epoche leider den Möglichkeiten entgegenstellt, die nur ein Genie wie Kunwald ersinnen kann.“23 Finanzielle Nöte der Familie Zuckerkandl Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Clémenceaus, die gute politische Vernetzung und die Übersetzungsaufträge konnten den finanziellen Niedergang von Berta Zuckerkandl und ihrer engsten Familie nicht verhindern. Die Briefe an Kunwald zeigen die Lebensumstände ihres Sohnes Fritz und ihre eigenen Schwierigkeiten in beeindruckender Weise. Kunwald ist für sie Ansprechpartner und Trost, der Freund, der stets hilft. „Nun lieber, lieber Freund, frage ich Sie was zu tun ist“24, trifft das Verhältnis der beiden gut und zieht sich wie ein Motto durch die Briefe. Stärker als unter ihrer eigenen finanziellen Not litt sie als Mutter unter der Verschuldung und den beruflichen Schwierigkeiten ihres Sohnes Fritz. „Fritzls“ private Kreditfragen, seine Stellung im Sanatorium Purkersdorf, seine Gesundheit, seine Versuche, sich in Paris eine neue berufliche Karriere aufzubauen und die Auswirkung des finanziellen Desasters auf seine Frau Trude und seinen Sohn Emile beherrschen zeitweise das Denken und Fühlen von Berta Zuckerkandl. Die Schulden ihres Sohnes25 und die hoffnungslose finanzielle Lage des Sanatoriums in Purkersdorf26 werden in den Briefen oft drastisch dargestellt. Private Schulden und Schulden durch das Sanatorium sind untrennbar verbunden. Als fürsorgliche Mutter sieht sie ihn abgemagert und glaubt die Krankheitszeichen ihres Mannes an ihrem Sohn zu erkennen. Die drückenden Schulden und der Gesundheitszustand ihres Sohnes werden in den Briefen ab 1935 vorherrschendes Thema.27 Im Oktober 1935 scheint Gottfried Kunwald eine Lösung gefunden zu haben, Fritz Zuckerkandl von einem Teil seiner Schulden zu befreien.28 In einem kurzen Brief vom 12. Oktober 1935 dankt Berta Zuckerkandl ihrem Freund Kunwald überschwänglich: „Ich weiß nicht, wie ich es hätte ertragen können – wären Sie nicht gewesen! Dass Sie meinen Fritzl bei mir entschuldet haben; Sie mein Mutter-Elend so mit mir mitgelitten haben … das hat mich gerettet. 23 Brief BZ an GK vom 14. Jänner 1938. 24 Brief BZ an GK vom 27. Februar 1935. 25 Hinweise in den Briefen vom 23. Juli 1928, 27. Februar 1935, 29. April 1936, 31. Mai 1936, 3. Juni 1936, 10. Juni 1936, 27. Jänner 1937. 26 Hinweise in den Briefen vom 6. April 1929, 13. März 1930, 27. Februar 1935, 7. März 1935, 10. Juli 1935, 5. Oktober 1935, 10. Oktober 1935, 12. Oktober 1935, 25. August 1936, 20. Jänner 1937, 2. Juni 1937, 1. Juli 1937, 28. August 1937, 20. November 1937. 27 Hinweise in den Briefen vom 13. März 1930, 27. Februar 1935, 11. März 1935, 24. März 1935. 28 Brief BZ an GK vom 12. Oktober 1935.

Finanzielle Nöte der Familie Zuckerkandl

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Diese Ihre unendliche Güte, die auf mich übergeströmt ist … so dass ich sie beinahe phisisch [sic] spüre … hat etwas von jenen ‚Wundern‘ an sich, die der Gläubige Christus zuspricht … Heute Nacht, da ich ja nicht schlafen konnte, habe ich mein Schicksal durchgedacht. Und mich gefragt: ‚Wie kannst Du klagen? Wenn Gott Dir diesen Freund geschenkt hat.‘“ Kunwald hatte auch direkt Geld für Fritz gegeben.29 Im Juni 1936 hatte er durch Briefe an Gläubiger Fritz vor dem Ruin gerettet. Mit dem Dank an Kunwald verbindet Berta Zuckerkandl Zweifel an ihrem eigenen Verhalten: „Mein armer Fritz, dessen Augen oft so traurig und flehend blicken (Sie kennen diesen Blick) wird wieder eine Weile aufatmen können. Hoffentlich. Ich glaube immer, wenn ich diesen Blick sehe, dass ich als Mutter irgendwie Schuld trage. Ich muss etwas versäumt haben … Und die Existenz eines wunderbaren Wesens, wie es Trude ist, die sich ihm anvertraut hatte und deren Leben er ruiniert hat. Daran kann nur ich alleine schuld sein.“30 Zeitlich eng damit hängt die Übersiedlung von Fritz Zuckerkandl 1935 nach Paris zusammen31, doch verfolgen ihn die Schulden weiter.32 Für eine Lösung dieser existenzbedrohenden Schuldenfrage, die sich 1935 zuspitzte, sollte Paul Clémenceau gewonnen werden, der schon in früheren Fällen geholfen hatte, aber jede weitere Maßnahme für vergeblich hielt.33 Nach Sofie Clémenceau war Kunwald der einzige Mensch, der Paul in dieser Frage beeinflussen könnte.34 Ein Brief von Paul Clémenceau an Kunwald zeigt deutlich die negative, allerdings wahrscheinlich sehr treffende Beurteilung von Fritz: „Die Situation von Fritz, so wie Sie [Kunwald] sie mir geschildert haben, hat mich stark betrübt, ohne mich zu überraschen … dieser unglückselige Fritz ein Kind ist er. Er weiß nichts von den grundlegenden Dingen des Lebens und hat einen schrecklichen Hang, Schulden zu machen … Mein lieber Kunwald, Sie haben sich viel um meine Schwägerin und ihre Kinder bemüht. Leider ist ein Ende der Schwierigkeiten noch nicht abzusehen, und es gibt welche, die ich nicht erwähne.“35 Paul Clémenceau gab jedoch fallweise Zuwendungen an Trude und Emile Zuckerkandl und unterstützte Fritz beim Aufbau einer neuen Existenz in Paris36 sowie bei der Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft. Von Kunwald wurde ein Plan zur Tilgung der Privatschulden von Fritz Zuckerkandl entworfen, der einen Vorgriff auf das Erbe von Sofie – eine „Nachtods-Garantie“ – vorsah. Kunwald müsste diese Idee Paul Clémenceau nahebringen, so die Meinung der Schwester, damit er nicht dagegen opponiere. Für die Sanatoriums-Schulden war eine Hilfe durch Paul Clémenceau aussichtslos: „Paul hasst das Sanatorium. Hält es für verloren. Wird eher Fritz pri 29 Brief BZ an GK vom 13. November 1935. 30 Brief BZ an GK vom 10. Juni 1936. 31 Brief BZ an GK vom 13. November 1935. 32 Vgl. etwa Brief vom 20. Jänner 1937, BZ an GK. 33 Brief BZ an GK vom 27. Februar 1935. 34 Brief BZ an GK vom 11. März. 1935. 35 Brief Paul Clémenceau an GK vom 11. Juli 1935. 36 Brief Sofie Clémenceau an BZ vom 6. Juli 1935.

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vat heraushelfen, als dass er eine so wacklige Sache, wie es heute in Österreich ein von Juden geleitetes Sanatorium in so elendem Zustand ist, stützen würde.“37 Es wird auch daran gedacht, dass Paul Clémenceau „Bubi“ (Emile) adoptieren soll.38 Von ihrer Schwiegertochter schreibt Berta Zuckerkandl: „Trude kann nicht mehr, da ihr Fritz keinen Groschen geben kann auch nur das Notwendigste (wie die Tramway nach Wien, ein paar Schuhe, einen Lohn für die Bedienerin herschaffen). Von Kleidern nicht zu sprechen. Sie bricht zusammen, …“39 Im März 1935 schreibt Berta Zuckerkandl an Kunwald: „Aber da ich jetzt täglich einen Brief von Trude erhalte, die nur als Verzweiflungsschreie einer dem Selbstmord nahen Frau und Mutter anzusehen sind, …“40 Zwei Jahre später ist sie überzeugt: „… Fritz, der ja Trude gegenüber schwer gefehlt hat. Ich sehe dies und bin so traurig, dass diese selten gute Ehe gefährdet ist. All dies und meine eigenen Sorgen, die beginnen grotesk zu sein …“41 Die Schulden ihres Sohnes sowie die Not ihrer Schwiegertochter und ihres besonders geliebten Enkels Emile ziehen sich durch den gesamten Briefwechsel.42 Und immer wieder ist es Gottfried Kunwald, der um Hilfe gebeten wird und auch hilft. „Nun lieber, lieber Freund, frage ich Sie was zu tun ist?“43 – diese Frage wir immer wieder an Kunwald gestellt. Berta Zuckerkandls Briefe zeigen aber auch ihre eigenen finanziellen Nöte, die im Laufe der Jahre immer existenzbedrohender werden. Schon 1929 überlegt sie, sich an Frederico Stallforth zu wenden, um sich 20.000 Schilling auf ihre Erbschaft zu leihen. „Er soll wie mir Sofie sagt sehr reich geworden sein.“44 Ab 1933 werden – u. a. durch das Ausbleiben der Tantiemen aus Deutschland für ihre Übersetzungstätigkeit – ihre finanziellen Schwierigkeiten größer.45 Den September 1933 verbringt sie etwa in Paris, da sie in Wien nichts zu leben hat: „Vielleicht finde ich hier eher Arbeit.“46 Im Oktober 1933 braucht sie einen weiteren Vorschuss auf ihre Witwenpension.47 Im Mai 1934 schreibt sie an Kunwald: „Aber Ihnen allein kann ich mich anvertrauen … Bis 15. Mai aber bin ich so blank, dass ich nicht weiterkann.“48 Im März 1935 fürchtet sie, „dass wir aus unserem Elend nicht herauskommen werden … Aber alles, alles kann ich ja nur 37 Brief BZ an GK vom 27. Februar 1935. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 Brief BZ an GK vom 1. März 1935. 41 Brief BZ an GK vom 8. Juni 1937. 42 Die Briefe zwischen den Familienangehörigen im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Berta Zuckerkandl, Sammlung Emile Zuckerkandl, bestätigen die finanziellen Schwierigkeiten der Familie, zeigen aber nicht so klar und deutlich die seelische Verfassung von Berta Zuckerkandl, wie es in ihren Briefen an Gottfried Kunwald zum Ausdruck kommt. 43 Brief BZ an GK vom 27. Februar 1935. 44 Brief BZ an GK vom 11. März 1929. 45 Vgl. dazu auch die Briefe vom 6. Juli 1937 und 9. Juli 1937 (BZ an GK). 46 Brief BZ an GK vom 11 August 1933. 47 Brief BZ an GK vom 4. Oktober 1933. 48 Brief BZ an GK vom 10. Mai 1934.

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mit Ihnen besprechen.“49 Im April wendet sie sich an Kunwald mit der direkten Bitte um Geld: „Können Sie mir nicht durch irgendeine Kombination (ich weiß, dass Sie persönlich kein Geld haben) hundert Schilling verschaffen. So zusagen als Vorschuss auf unser Geschäft … Herzlichst Ihre Schnorrerin.“50 Kunwald ist „tief erschüttert von Ihrer kleinen Bitte“ und sendet ihr 20 Schilling mit der Aussicht auf weitere Zahlungen, „so es mein Kassastand“ erlaubt.51 Die zwei Briefe zeigen deutlich, wie angespannt die Finanzlage von beiden war, und dass sie durch Geschäfte versuchten, Provisionen zu erhalten. Im April 1935 finden sich Passagen wie „verzweifelt … jede Verdienstmöglichkeit verloren … nicht mehr ertragen zu können … sichtbare Armut … versgagen aller meiner Verdienstmöglichkeiten … muss in Paris bleiben … Pleite …“52 Etwa zu dieser Zeit entwickelte Paul Clémenceau eine offen gezeigte Abneigung gegen Berta Zuckerkandl.53 Im August wird sie von Freunden nach Salzburg eingeladen.54 Im September 1935 nimmt sie einen Untermieter in ihre Wohnung.55 An Kunwald schreibt sie: „Es gilt nun mit eiserner Energie und stillem Verzicht die Liquidation meines Lebens zu vollziehen … Ich könnte Ihnen das alles nicht mündlich sagen. Wenn ich Ihnen gegenübersitze und Sie mich mit Ihren klaren, weisen, gütigen und befehlenden Augen anblicken, dann erliege ich Ihrem dämonischen Willen. Und Ihre Energie strömt in meine Seele über. Sie galvanisieren mich … Ich werde vorerst meine Wohnung kündigen.“56 Sie könne die Last eines eigenen Haushaltes nicht mehr tragen. Ihren Verbindlichkeiten könne sie nicht mehr nachkommen, da Hitler-Deutschland alle Verträge zu ihren Übersetzungen von „weit über hundert Stücken“ aufgehoben habe.57 In dieser Situation hatte sie Kunwald gebeten, bei Bankleuten oder geeigneten Persönlichkeiten für sie zu intervenieren, damit diese für „manche Österreich geleisteten Dienste“ diskret eine Summe an sie gäben. Ohne Hoffnung auf ein neues Arbeitsfeld trägt sie sich mit den Gedanken, in ein Altersheim oder ein möbliertes Kabinett „hineingleiten“ zu können. Gegen Ende des Briefes kommt sie zu dem Schluss: „Sie sind das Bekenntnis eines Menschen, der Schluss machen muss. Nicht mit der kurzen Spanne Leben, die mir noch geschenkt sein sollte. Aber mit einem unerträglich gewordenen und eben für dieses kurze Leben gefährlichen Zustand.“58 1935 und 1936 gibt es auch Versuche, über Charles Rist von der Länderbank Geld zu bekommen.59 49 Brief BZ an GK vom 14. März 1935. 50 Brief BZ an GK vom 5. April 1935. 51 Brief GK an BZ vom 7. April 1935. 52 Brief vom 10. April 1935; 16. April 1935 (BZ an GK). 53 Brief BZ an GK vom 26. April 1935. 54 Brief BZ an GK vom 26. August 1935. 55 Brief BZ an GK vom 28. September 1935. 56 Brief BZ an GK vom 29. September 1935. 57 Ebenda. 58 Ebenda. 59 Briefe GK an Charles Rist vom 6. Oktober 1935; BZ an GK vom 17. Dezember 1935 und BZ an GK vom 3. Oktober 1936.

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Die Briefe des Jahres 1936 zeigen ein ähnliches Bild der finanziellen Not von Mutter und Sohn. Im Februar 1937 benötigt sie einen weiteren Vorschuss auf ihre Pension. Ende Februar schreibt sie an Kunwald: „Zu keinem Menschen auf Erden kann ich sprechen … nur zu ihnen … Es ist mit mir so weit, dass ich zwei Monate meinen Zins nicht zahlen konnte … Ich besitze nicht einmal das Nötige, um einen Aus- und Umzug zu bezahlen … Ich getraue mich nicht mehr in dem Zustand äußerster Seelennot, in den ich geraten bin, dies allein zu entscheiden … Mein Schicksal ist besiegelt. Ich ähnle so sehr meinem lieben Vater … Und ende … wie er geendet hat. In äußerster Armut.“60 Im Juni 1937 muss sie eine Pfändung befürchten61 und beklagt, dass sie nichts mehr verdienen kann: „Ich bin eben alt geworden.“62 Zu ihrer Gastrolle im Hause Clémenceau hält sie fest: „Mir vergeht die Zeit hier langsam und peinlich. Immer Gast zu sein … nie sein Heim und seine Kinder bei sich zu haben … immer nach fremden Rhythmus leben müssen (und Clémenceaus Rhythmus mitzumachen ist nicht leicht), das zermürbt mich. Denn ich bin so arm, dass ich von dem wirklichen Paris nichts sehe. Es reicht kaum auf Marken und den Autobus … Sie sehen an der Blässe des Farbbandes, dass ich nicht einmal dieses auswechseln kann …“63 Im Juli 1937 schlägt Paul Clémenceaus Abneigung gegen Berta Zuckerkandl in offenen „Hass“ um.64 Sie verlässt das Haus ihrer Schwester und schreibt: „Dann nehme ich als ewiger Jude den Wanderstab.65 Und ziehe halt fort … Diese bittere Erfahrung hat einen Entschluss in mir reifen lassen. Ich will in eines der Altersheime ziehen, die allerdings grauenhaft für eine Frau wie ich sind, die mir aber einzig und allein gestatten werden, mit der kleinen Pension zu vegetieren. Ich weiß es ist für mich so gut wie der Tod. Aber da Sie mir verboten haben nachzuhelfen so wähle ich halt diese versteckte Art des Selbstmordes.“66 Die Briefe vom August 1937 zeigen wieder die Verschuldung und keine Aussicht auf einen Verdienst. Ende August lebt sie kurz, von Reinhardt und Thimig eingeladen, in „ihrer Atmosphäre“ in Salzburg.67 Das Sanatorium Purkersdorf scheint ihr verloren.68 Aus dieser Zeit gibt es im Literaturarchiv einen – allerding einzigen – Hinweis, dass Berta Zuckerkandl mit Kunwalds Entscheidungen nicht zufrieden war: „Was Du [Trude Zuckerkandl] wegen Kunwald sagst ist richtig. Seine Purkersdorf-Politik war nie ganz gut.“69

60 Brief BZ an GK vom 24. Februar 1937. 61 Brief BZ an GK vom 12. Juni 1937. 62 Brief BZ an GK vom 16. Juni 1937. 63 Brief BZ an GK vom 23. Juni 1937. 64 Brief BZ an GK vom 1. Juli 1937. 65 Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich in einem Brief an ihren Enkel: „Du siehst Deine arme 73jährige Großmama ist der ewige Jude geworden …“ Vgl. LIT, Signatur 438/w24 – Beil. 14/9, BZ an Emile vom 17. Juni 1937. 66 Brief BZ an GK vom 1. Juli 1937. 67 Brief BZ an GK vom 28. August 1937. 68 Ebenda. 69 LIT, Signatur 438/w 38 – Beil. 14/6, BZ an Emile und Trude Zuckerkandl vom 5. Juni 1937.

Freundschaft in schweren Zeiten

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Im September 1937 stirbt ihre Schwester und für sie ist es, „als hätte ich eine schwarze Brille an. Alles aber auch alles, selbst die Sonne ist dunkel.“70 Am 20. November 1937 stellt sie in einem Exposé ihre finanzielle Lage dar und entwickelt einen Plan – allerdings wieder mit Einrechnung einer finanziellen Hilfe durch Paul Clémenceau – zur Liquidierung ihrer Schulden: „Ist mir dieser Ausweg verschlossen. So sehe ich keine andre Möglichkeit als die ‚Schluss‘ zu machen.“71 Das letzte Schreiben in der Korrespondenz ist eine Zahlungsaufforderung des Bankhauses Auspitz, Lieben & Co vom 18. Jänner 1938. Freundschaft in schweren Zeiten Die enge Freundschaft zwischen Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald begann 1925, wie Briefe aus den Jahren 1925 bis 1930, die sich im Besitz der Familie Stadlen befinden, deutlich belegen. Die gegenseitigen Anreden und die Grußformeln deuten auf ein immer engeres und herzlicheres Verhältnis hin. Bei den Briefen der vorliegenden Edition zeigt sich, dass die schriftstellerisch tätige Berta Zuckerkandl um vieles emphatischer in ihrer Wortwahl ist als der Rechtsanwalt und Finanzexperte Kunwald. Bei ihr dominieren die Anreden „Lieber Freund“, „Liebster Freund“, „Lieber verehrter Freund“, „Geliebter Freund“, „Sie mein einzig geliebter Freund“. Bei Kunwald finden sich die Anreden „Verehrte Frau Hofrätin“, „Liebe verehrte Frau Hofrätin“, fallweise auch „Verehrte Freundin“. Als Grußformeln verwendet sie „Ihre getreue“, „Ihre getreueste“, „In Liebe Ihre getreueste“, „Ich umarme Sie“. Bei ihm findet sich „Ihr treu ergebener“, „Ihr ganz ergebener“, „Herzlichst ihr“. Durch die Zuspitzung der finanziellen Lage werden ihre Formulierungen in den Briefen emphatischer, ja dramatisch. Es gibt von beiden Seiten Hinweise auf einen liebevollen Umgangston und auf eine Vertrautheit. So schreibt etwa Kunwald: „Wie können Sie glauben, daß ich Ihrer weniger gedenke, als Sie ein Recht darauf haben! … So herzig das Bubi ist, so war es mir ja doch nur um Sie zu tun, liebe, gute Frau Hofrätin …“72 Im Dezember 1931 hofft er, sie bald in Wien zu sehen, und schreibt, „dass mir Ihr Brief große Freude gemacht hat und dass ich oft, gerne und in Freundschaft an Sie denke.“73 Kunwald tröstet sie in ihrem Pessimismus: „Also vor allem: tragen Sie Ihr liebes Köpfchen etwas höher … Gradaus sehen, fröhlich sein und sich nur über das kränken, was schon geschieht …“74 Bei ihr finden sich durchgehend Dankesbezeugungen für die vielen materiellen und ideellen Hilfeleistungen. Sie bezeichnet ihn als „meinen stets geduldigen Helfer“75, der sie versteht: „Sie aber sehen mich durch und durch …“76 Die Anei 70 Brief BZ an GK vom 4. Oktober 1937. 71 Brief BZ an GK vom 20. November 1937. 72 Brief GK an BZ vom 9. August 1929. 73 Brief GK an BZ vom 15. Dezember 1931. 74 Brief GK an BZ vom 21. November 1935. 75 Brief BZ an GK vom 23. Juli 1928. 76 Brief BZ an GK vom 27. März 1929.

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Die Briefe – Zeugnisse einer Freundschaft in schweren Zeiten

nanderreihung einiger ihrer Formulierungen deuten doch auf eine tiefe Beziehung hin: „Aber Sie lesen so klar in meiner Seele“77; „Ich weiß Sie sind mit nicht böse und haben mich doch lieb“78; „Dort habe ich ja die Schulerstraße als Refugium“79; „Ich umarme Sie als Ihre so unendlich dankbare arme“80; „dann erliege ich Ihrem dämonischen Willen“81; „Wie kannst du klagen? Wenn Gott Dir diesen Freund geschenkt hat?“82; „Aber wem wenn nicht Ihnen könnte ich mein Herz ausschütten“83; „wie habe ich überhaupt diese große Liebe verdient, die Sie mir schenken?“84; „Grimmig, gütig, geduldig und auffahrend, böse mit mir, dann gleich wieder ein Heiliger, der mir schwerste Last mit zartester Hand von meinem armen Herzen nimmt“85; „hoffe ich bald wieder bei Ihnen zu sein. Bei meinem liebsten, besten, herrlichen Freund“86; „Wenn es Ihnen recht ist, liege ich Samstag in Ihren Armen“87; „Und nun umarme ich Sie innigst mit aller Dankbarkeit, die mein altes Herz aufbringt“88; „Sie fehlen mir schrecklich. Zu Hause fühle ich mich ja doch nur bei Ihnen“89; „Ich fühle mich halt in Wien immer von meinem Schutzengel geführt. Wenn ich in die Schulerstraße komme, dann erhalte ich eine Injektion von Mut, die eine Zeit lang hilft“.90 Die Formulierungen gehen doch über die gegenseitigen Anrede- und Grußformeln hinaus. Für Berta Zuckerkandl ist Kunwald ein treuer und hilfreicher Begleiter in den schwierigen Jahren. Während ihr gemeinsames Agieren in den 1920er-Jahren noch von finanzpolitischen Projekten bestimmt war91, bei denen Kunwald Direktiven gab, die Berta Zuckerkandl in Paris in höchsten Regierungs- und Finanzkreisen ausführte, zeigen die Briefe aus den 1930er-Jahren, wie private Sorgen und Schwierigkeiten ihre Beziehung dominierten. Die Briefe wurden sicher nicht mit der Absicht geschrieben, sie später zu veröffentlichen. Die Gedanken Berta Zuckerkandls fließen – hingeworfen ohne Rücksicht auf Rechtschreibung und Interpunktion – in die Briefe ein. Zeitweise nehmen sie tagebuchartige Züge an. Stil und Inhalt vermitteln höchste Authentizität, da sie unmittelbar in engem Zusammenhang zu den Ereignissen formuliert wurden. Die Briefe liefern eine neue Sichtweise auf die berühmte Salonière.

77 Brief BZ an GK vom 18. Jänner 1933. 78 Brief BZ an GK vom 10. Mai 1934. 79 Brief BZ an GK vom 27. Februar 1935. 80 Ebenda. 81 Brief BZ an GK vom 29. September 1935. 82 Brief BZ an GK vom 12. Oktober 1935. 83 Brief BZ an GK vom 6. November 1935. 84 Brief BZ an GK vom 13. November 1935. 85 Ebenda. 86 Brief BZ an GK vom 5. Dezember 1935. 87 Brief BZ an GK vom 17. Dezember 1935. 88 Brief BZ an GK vom 6. Mai 1936. 89 Brief BZ an GK vom 12. Mai 1936. 90 Brief BZ an GK vom 17. November 1936. 91 Die Briefe im Familienbesitz der Nachfahren von GK dokumentieren dies in besonderem Maße.

BRIEFEDITION

[Emil Zuckerkandl an GK, MS] {Hofrätin Zuckerkandl 9.7.28} Lieber Onkel Kunwald! Ich danke schön für das schöne Theater!!! Leider habe ich Dir wegen dem dummen Gewitter Dir nicht danken können: Mir gefällt es sehr Dein dankbarer Emil



[Sofie an BZ, HS, französisch]1 {eingeteilt 14.7.28} Mittwoch, 20. Juni [1928] Liebe Berta, Dr. Herterich hat mich bis jetzt nicht angerufen. Ich habe vor meiner Abreise natürlich noch viel zu tun und verbringe damit fast jeden Abend. Herterich nach Malmaison zu bringen wird schwierig sein, da das Auto vor meiner Abreise zur Überprüfung in der Garage sein wird und ich während mehrerer Tage darauf verzichten muss. Jean2 hat immer noch nichts von Clauzel erhalten und versteht nicht, warum dieser vorher an Luchaire geschrieben hat, da ja Jean Präsident des Instituts ist3 und die Entscheidung von ihm abhängt. Selbst wenn Luchaire Schwierigkeiten machen sollte, wenn Jean es will, dann wird es geschehen und er sagt, dass ihm die Meinung Luchaires völlig gleichgültig ist. Er soll Anfang Oktober nach Berlin fahren. Reinhardt hat ihm einen sehr schönen Brief für den unvermeidbaren Chapiro geschickt und das Programm des Empfangs ist wirklich erstaunlich. Ich sage Dir das ganz vertraulich, sprich ja mit niemandem darüber; das würde mir Unannehmlichkeiten verursachen. I. – Grosse Gala im Deutschen Theater, wo Jean einen Vortrag über die Annäherung der Völker durch Kunst und Wissenschaft halten wird. II. – Feierlicher Empfang durch die Akademie der Wissenschaften in Berlin. III. – Vortrag an der Universität Berlin. IV. – Grosses Mittagessen bei Einstein. 1 Die Briefe in französischer Sprache werden in Übersetzung wiedergegeben. Zu Sofie und Berta Zuckerkandl gibt es die unterschiedlichsten Schreibweisen: Sophie, Bertha, Berthe. 2 Aus einem nachfolgenden Brief (10. August 1928/Donnerstag) geht hervor, dass es sich bei „Jean“ um Paul Painlevé handelte. 3 Institut International de Coopération Intellectuelle IICI – Internationales Institut für Geistige Zusammenarbeit – IIGZ, dessen Direktor Julien Luchaire von 1926 bis 1930 war.

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Und Hoesch hat Chapiro gesagt, dass, selbst wenn Jean nur als Privatperson und nicht in offizieller Mission käme, der Kanzler, der Minister der Reichswehr und der Unterrichtsminister Essen oder Empfänge zu seinen Ehren geben würden. Selbst wenn, so sagte Hoesch, Jean nicht mehr Minister wäre, würde man es protokollarisch machen, so wie Ex-Kanzler Wirth hier von der Regierung empfangen wurde, als er in diesem Winter kam. Hier läuft die Politik schlecht für Raymond [Poincaré], und es ist durchaus möglich, dass es in einigen Tagen kracht. Er war für die Elsass-Angelegenheiten zu einfältig, und dann ist diese Kammer weit weniger rechts als man zunächst glauben würde, und sie ist praktisch unregierbar, da es auf beiden Seiten keine stabile Mehrheit gibt. Es ist mit einem Ministersesselrücken zu rechnen, wenn R.[aymond] nicht bis zur Wiederaufnahme der Parlamentssession im November bleibt. Man wird ja sehen. Im Oktober findet jedenfalls die Berlinreise statt und ich hoffe, auch die nach Wien. Jean sollte nicht durch Einwände Luchaires vor den Kopf gestossen werden. Madame Lord4 hatte mich gebeten, ihr ein Cornet5 mit jemandem zu senden, der nach Wien fährt. Bis jetzt hatte ich niemanden gefunden, aber der gute Gulmann6 fährt morgen und nimmt es mit, da ich ihm gesagt habe, es sei für Dich. Er wird es also bei Dir abgeben und ich bitte Dich, Mme Lord, deren Adresse ich nicht kenne, anrufen zu lassen, damit es bei Dir abgeholt wird. Sag vor allem Gulmann nicht, dass ich ihn angeschwindelt habe. Das Jüdische Theater Moskau (Granowski) ist unglaublich. Sie spielen in Jiddisch. Es ist ein riesiger Erfolg. Ich war schon dreimal dort. Nächsten Montag gehe ich das Stück von Schnitzler7 mit Bassermann anschauen. – Ich fahre am 1. Juli, meine Adresse ist: Nouvel Hôtel – Tessé-la-Madeleine Bagnoles-de-l’Orne Orne Umarme Dich, Sofie



[Sofie an BZ, MS, französisch]8 {1.7.28, eingeteilt 14.7.28} Jean wird dem Grafen De Clauzel einen Brief schreiben, um ihn über Dich zu informieren und ihm zu sagen, wie wichtig es für ihn ist, ständig mit Dir in 4 Der Name findet sich in einem Adressverzeichnis in den Materialien von Gottfried Kunwald aus dem Jahr 1927: „Frau Lord, Paris 14 rue de l’arcade.“ ÖStA, Bestand GK, 616-1-1176. Im Exil-Adressbuch von Berta Zuckerkandl aus der Kriegszeit in Algier findet sich der Name Lili Lord mit einer Adresse in Nizza. Vgl. dazu LIT, Signatur 438/W 24. 5 Hörrohr. 6 Der Name konnte nicht verifiziert werden. 7 Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ war von der Berliner Truppe unter Eugen Robert am Théâtre du Gymnase aufgeführt worden. 8 Die Briefe in französischer Sprache werden in Übersetzung wiedergegeben

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Kontakt zu sein. Dir wird er ebenfalls einen Brief gleichen Inhalts schreiben. Zu meiner grossen Überraschung hat Jean mir Freitag gesagt, dass Reinhardt Emissäre zu Jean geschickt hatte, um ihn einzuladen, im Oktober nach Berlin zu kommen, wo man ihm einen Empfang und grosse Festivitäten vorbereitet, und dass die Regierung Jean gestattet hat, die Einladung anzunehmen. Der Besuch wird also stattfinden. Ich habe aber Jean gesagt, dass er bei der gleichen Gelegenheit unbedingt auch nach Wien muss, aber noch vor Berlin. Er soll mit Wien beginnen und über Berlin nach Paris zurückkehren. Er hat es mir versprochen. Hast Du etwas darüber gewusst? Sag vor allem nicht, dass Du von mir informiert wurdest, wenn Du mit K.[unwald] und seinem grossen Freund darüber sprichst. Versuche, die Dinge so gut wie möglich zu arrangieren. Aber Jean kann nur im Oktober kommen, da das Parlament im November tagt, und die Minister dann nicht mehr reisen dürfen.



{eingeteilt 14.7.28 Berta Zuckerkandl} Abschrift von Sofies Brief, dessen Original ich beilege Jean hat noch immer nichts von Clauzel erhalten und versteht nicht, warum dieser an Luchaire geschrieben hat, da ja Jean Präsident des Institut International ist und die Entscheidung von ihm abhängt. Selbst wenn Luchaire Schwierigkeiten machen sollte, wenn Jean es will, dann wird es geschehen. Er soll im Oktober (Anfang) nach Berlin fahren. Ich sage Dir das ganz vertraulich. I. – Grosse Gala im Deutschen Theater, wo Jean einen Vortrag über die Annäherung der Völker durch Kunst und Wissenschaft halten wird. II. – Feierlicher Empfang durch die Akademie der Wissenschaften in Berlin. III. – Vortrag an der Universität Berlin. IV. – Grosses Mittagessen bei Einstein. Und Hoesch hat gesagt, dass, selbst wenn Jean als Privatperson käme und nicht in offizieller Mission, würden der Kanzler, der Minister der Reichswehr und der Unterrichtsminister Essen oder Empfänge zu seinen Ehren geben.



[BZ an GK, HS] {Hofrätin Zuckerkandl 24.7.28 Berta Zuckerkandl} 23. J.[uli 1928] Bad Gastein, Gruberhaus Verehrter lieber Freund! Ich sende Ihnen innige Grüße. Bin nun eine Woche hier und überwinde nur langsam den Schock, den mir der hiesige Arzt versetzt hat, als er mir mitteilte, mein Blutdruck sei sehr gestiegen. Fritzl nun telephoniert mir dass Dr. Bleyer9 in Wien 145 gemessen hatte und dass er nur einer momentanen Erregung (vielleicht durch die Höhe) die Steigerung zuschreibt. Hoffen wir’s. Darf ich Sie bitten, meinen stets geduldigen Helfer, mir ein Wort zu schreiben, ob und wie Fritzls Creditfrage sich gelöst hat? Von Fritz erhalte ich darüber kein 9 Der Name kann nicht eindeutig verifiziert werden.

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Wort und deute mir dies ungünstig. Aber Sie werden mir sagen was entschieden ist, oder was wie eingeleitet wurde. Hier ist Hermann Bahr, mit dem ich viele Stunden verbringe. Ein großer Geist, der aber barocke Sprünge macht. Auch mit XXX10 (dem Neffen Hindenburgs) ein alter Freund von mir bin ich viel. Jedenfalls ist Gastein heuer geistig anregender für mich. Friedell sorgt dafür dass mein Humor Badininszufuhr11 erhält. Wie froh wäre ich einmal mit Ihnen hier sein zu können. Aller Neuestes von Ihrer Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl 1928} Wien, den 5. August 1928 Verehrte Freundin! Ich komme Sie mit einer Bitte zu belästigen. Meine Schwester Ella kommt Mittwoch den 8.d. oder Donnerstag den 9.d. nach Salzburg, um dort einige Tage zu bleiben. Könnte durch Ihre Protektion und durch die Bemühung eines Ihrer zahlreichen Salzburger Jünger ein kleines, billiges, einfaches Zimmer für sie verschafft werden? Ich wäre Ihnen unendlich dankbar.12 Bitte, schreiben Sie mir gleich Antwort und schreiben Sie mir bitte auch gleich, wann Sie wieder nach Wien kommen. Letzteres muß ich wegen der Angelegenheit Banyai13 wissen, über die ich Ihnen mündlich berichten werde, und die ich bis zu Ihrer Rückkunft hinauszuschieben mir große Mühe gebe. Ihr treu und herzlichst ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Salzburg Hotel Österreichischer Hof {Kop. 5.VIII.28 Tsch.[epper]14 Aufg. 5.VIII.28 Deutsch}

 10 Der Name konnte nicht eindeutig transkribiert werden. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Herbert Hindenburg. Der Schriftsteller und Diplomat hielt sich in den 1930er-Jahren häufig in Altaussee auf. 11 Wahrscheinlich eine Wortschöpfung, der das französische Adjektiv badin/badine (scherzhaft, lustig) zu Grunde liegt. 12 Im Bestand Gottfried Kunwald gibt es zahlreiche Hinweise, dass er für den Lebensunterhalt seiner Schwester Ella aufkam. 13 Im Bestand GK gibt es dazu keine Hinweise. 14 Siehe im Personenregister Kitty Tschepper, eine Bedienstete der Kanzlei von Gottfried Kunwald. Der Vorname wird nur einmal in einer Liste erwähnt, in der Kunwald die Weihnachtsgeschenke 1937 festhält. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1174.

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[GK an BZ, MS, Telegramm] {Hofrätin Zuckerkandl 1928}

DRINGEND HOFRÄTIN ZUCKERKANDL ÖSTERREICHISCHER HOF SALZBURG HURRA FREUND HAT UNTERSCHRIEBEN15 AUSPITZ PERFEKT16 ELLA EINTRIFFT HEUTE HABSBURGERHOF DANK GRUSS KUNWALD

Abs.: Dr. G. Kunwald, Wien I., Schulerstr. 1



[BZ an GK, HS] {10/8.28} Donnerstag.[10. August 1928] Verehrter Freund! Gestern Nachts in Leopoldskron bei Reinhardts Fest17 erfuhr ich was Sie interessieren wird. Erstens kam Kommer an meinen Tisch, begrüßte mich wärmstens, küßte mir die Hand. Ich frug ihn geradeaus, weshalb er mich zweimal in so unartiger Weise gegrüßt hätte? Hierauf beschwor mich Kommer bei ihm auf solche Dinge nicht zu achten. Er sei so überarbeitet, schliefe zwei Stunden nur jede Nacht dass er nie wisse, wen er bereits begrüßt hätte, wen nicht. Er bat mich ihn jedesmal ungeniert sozusagen aufzuwecken, wenn er wieder gegen jede Form verstoßen sollte. Wir versöhnten uns also. Nun kam Chapiro, das Berliner Schlieferl18 im Allgemeinen, und Reinhardts Leckermann19 im Besonderen (er ist es, der Painlevés Besuch in Berlin unter Hoesch’ Führung vorbereitet) auf mich zu. Und erzählte mir im Gespräch, er müsse am 23. A. noch einmal nach Salzburg, da am 24. A[ugust]. Otto Hahn20 bei Reinhardt in Salzburg eintrifft um einige Tage zu bleiben. 15 Die Brüder von Paula Zuckerkandl – Ernst Freund (1857 – 1928) und Richard Freund (1859 – 1941) – waren Miterben des Sanatoriums Purkersdorf. Da Ernst Freund 1928 starb, handelt es sich hier wahrscheinlich um Richard Freund. 16 Dabei könnte es sich um eine Vereinbarung mit dem Bankhaus Auspitz gehandelt haben, bei dem Berta Zuckerkandl Schulden hatte. 17 Max Reinhardt hatte das Salzburger Schloss Leopoldskron 1918 gekauft. Er inszenierte rund um seine Salzburger Aktivitäten Theaterproduktionen in der Schlossanlage und empfing und beherbergte bei seinen Festen Gäste aus der ganzen Welt. Zu den Aktivitäten in Leopoldskron vgl. umfangreiches Material im Teilnachlass Max Reinhardt, der sich seit 2013 in der Wienbibliothek im Wiener Rathaus befindet. Es finden sich auch einige Hinweise zu Kontakten zu Berta Zuckerkandl. Eine Beschreibung von Berta Zuckerkandl zu einem der legendären Feste vgl. „Neues Wiener Journal“ vom 29. August 1931, S. 5 Traumnacht auf Schloß Leopoldskron. 18 Schlieferl – umgangssprachlich: (kriecherischer) Schmeichler. 19 Josef Chapiro wurde von Karl Kraus in Anspielung auf Goethes Eckermann als „Leckermann“ von Gerhard Hauptmann bezeichnet. 20 Dabei ist wahrscheinlich Otto Kahn gemeint, der sein Kommen zu den Salzburger Festspielen schon im Februar 1928 angekündigt hatte, siehe „Der Morgen“ vom 20. Februar 1928, S. 6 Österreichische Sommertheater. In den Briefen Berta Zuckerkandls finden sich immer wieder falsch geschriebene Namen. Kahn war u. a. ein Förderer von Max Reinhardt.

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Dies ist gewiß für Sie wichtig zu wissen und ich beeile mich es Ihnen mitzuteilen. Ich denke Hahn dürfte, da er nun sich wieder traut, nach Österreich zu kommen, auch Wien nicht vermeiden. Von Seipel hatte ich vorgestern neuerdings ein langes Schreiben. Ich grüße Sie innigst als Ihre getreueste B. Z.



[BZ an GK, Einladung ohne Datum, MS/HS] {Zuckerk.} BERTA ZUCKERKANDL -SZEPS BITTET Herrn Dr. Gottfried Kunwald Freitag, den 19. Oktober, EINE TASSE TEE BEI IHR ZU NEHMEN. U. A. W. G. 4 UHR. {Pour recontrer le President Paul Painlevé.}21



[GK an BZ, Telegramm, 28. November 1928, MS] {Zuckerkandl} JOUR

BERTHE ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE EYLAU22 PARIS

PRIER RETARDEZ ABSOLEMENT ATTENDEZ MA LETTRE PARTIE EXPRES CE SOIR23 KUNWALD

Absender: Dr. Gottfried Kunwald Wien I., Schulerstraße 1 RADIO-AUSTRIA A. G. AUFGABESCHEIN 28.XI.28 20.50



[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl 13.3.29} Paris, 11. {März} [1929]! Verehrter Freund! In Eile!!! Vorläufig steht die Banksache so: Sofie erzählt mir dass Painlevé Briand das Exposé24 gab. Da er nicht erwähnte (was er tun sollte) dass diese Sache vorläufig ganz inoffiziell zu behandeln sei, weil nur er, Painlevé als Freund Österreichs, diesen Versuch inoffiziell unternehme, vorzufühlen, so hat Briand, der sehr 21 „Um Präsident Paul Painlevé zu treffen.“ 22 Dabei handelt es sich um die Pariser Adresse von Sophie und Paul Clémenceau. 23 „Bitte unbedingt aufschieben. Warten Sie meinen Brief ab, der heute Abend express abgeschickt wurde.“ 24 Im Bestand GK gibt es dazu keine Hinweise.

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dafür ist, die Angelegenheit dem Quay d’Orsay25 weitergegeben. Dieses ging den ordnungsgemäßen Weg. Und daher wurde Clauzel beauftragt, xxx bach26 am Ball[haus]platz27 zu sprechen. Die Folge war dass der XXXbach Grünberger interpellieren ließ, weshalb er diese Sache nicht vorher gemeldet habe. Und nun alles vorläufig auf den franz. britischen Wxxx28 verschoben ist. Gestern bei Grünberger. Er erzählte mir die ganze Sache konform mit Sofie. Er weiß vorläufig nicht, wie es weiter sich entwickeln wird und ob überhaupt. Da wir kaum allein waren, konnte ich gerade nur so viel mit ihm sprechen. Sofie sagt sie kann Quesnay29 nicht einladen, weil Paul ihn nicht kennt. Er soll leider durch die Reparationsverhandlungen30 derart in Anspruch genommen sein dass er nirgends hingeht. Meine Fühlungnahme mit dem Reparations-Mann, von dem ich Ihnen erzählte, wird leider kaum zu etwas führen. Hingegen besuchte mich gestern Stallforth. Er ist mir unendlich dankbar weil Sofie ihm durchgesetzt hat dass er bei unserem Freund den französischen Deposenbanker der Rep.[arations] K[ommission]. trifft. Stallforth frug mich direkt, ob er mir nicht bei einem Österreichischen Geschäft irgend einer Art, das ich ihm vorschlagen soll, behilflich sein könnte. „Leider (fügte er hinzu) werden jetzt nacheinander drei österreichische Anleihen aufgelegt werden, die alle durch den Völkerbund gehen müssen. Sonst hätte er eine dieser Anleihen gemacht und für mich wäre es viel gewesen“. Ich wußte selbstverständlich Stallforth keinen Vorschlag zu machen. Er will aber entweder schon vorm 24. März, oder aber im April auf einige Tage zu mir nach Wien kommen. Und an Ort und Stelle sich umsehen. Natürlich kommen wir (falls ich zurück sein sollte), sofort zu Ihnen. Vielleicht könnten Sie etwas aufzäumen? Vor allem möchte ich Folgendes versuchen. Dass Stallforth mir 20.000 Schilling auf meine Erbschaft leiht. Und zwar auf irgendwelche Garantien, die er sich bei Ihnen durch Berlin holen soll. Er wird es sicher Ihnen, gegen eine mäßigste Verzinsung und gegen eine Beteiligung dass er das Geld nicht verlieren kann. Ich werde diese Tage ganz 25 Das französische Außenministerium befindet sich am Quai d’Orsay, einer Uferstraße im 7. Arrondissement in Paris. Die Adresse wird als Synonym für das Auswärtige Amt gebraucht. 26 Der Name konnte nicht eindeutig verifiziert werden. Unter den Beamten des Auswärtigen Dienstes dieser Jahre findet sich nur ein Name, der so endet. Gemeint könnte Edwin Versbach-Hadamar sein. 27 Berta Zuckerkandl schrieb auch in ihrer Biographie von George Clémenceau immer „Ballplatz“. 28 Das Wort konnte nicht eindeutig transkribiert werden. 1928 gab es Verhandlungen zur Erneuerung der Entente cordiale von 1904 und zu einer französisch-englischen Marinevereinbarung. 29 Pierre Quesnay war ein enger Mitstreiter im Bemühen um Österreichs Unabhängigkeit. Vgl. dazu auch Peter Berger, Im Schatten der Diktatur, Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich, Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931 – 1936, Wien/Köln/Weimar, 2000, S. 100. 30 Dabei handelte es sich um intensive Verhandlungen rund um die Reparationen Deutschlands, u. a. um die Revision des Dawes-Plans und die Vorbereitung des Young-Plans.

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offen mit ihm darüber sprechen. Er soll wie mir Sofie sagt sehr reich geworden sein. Ich muss mir für zwei Jahre Sorgenfreiheit schaffen. Halte es so nicht mehr aus. – Weiteres bald. Ihre getreueste Berta



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl} Wien, am 23. März 1929. Verehrte Frau Hofrätin! In meinem Brief vergaß ich Eines: Was spricht man über Siegharts Großoffizierskreuz31 Ausnahmsweise würde mich diesbezüglich auch bloßer Tratsch interessieren. Vielen Dank und viele Grüße Ihr treu ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps, Paris. {aufgeg. Oplatek 23/3.29}



[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl 27/3. 29} Monsieur Gottfried Kunwald Kanzlei Dr. Kunwald I, Schulerstraße Nr. 1 – 3. Vienne Autriche Berta Zuckerkandl-Szeps 12 Avenue d’Eylau Paris Lieber guter Freund! Leider ist Ihr Brief zu spät gekommen. Stallforth mußte abreisen und kommt nicht wieder. Ich habe ihm, da er seit gestern in Berlin ist, dorthin geschrieben. Aber hätte ich ihn direkt um seine Unterstützung bitten können, wäre es besser gewesen. Ohne aber Ihre Zustimmung zu haben, wollte ich nichts tun. Grünb.[erger] sehe ich erst heute länger allein. Und werde genau nach Ihren Angaben mit ihm sprechen. Da ich Mittwoch Früh (wahrscheinlich reise) so berichte ich Ihnen dann gleich mündlich. Nein! Fritzl ist ein gutes Kind, das nur sieht, was man ihn sehen lassen will. Sie aber sehen mich durch und durch. Ich bin hier gar nicht froher geworden. 31 Rudolf Sieghart war im Jänner 1929 mit dem Orden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet worden. Vgl. ÖStA, AdR, BKA/AA, 23 Orden 3/3, Zl. 27.088/K/1929, Dekorierung des Präsidenten der Boden-Kreditanstalt Dr. Rudolf Sieghart mit dem Orden der französischen Ehrenlegion.

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Komme heim sorgenvoll und neurasthenisch wie ich kam[?]. Aber Kinder sollen davon nichts wissen. Ihre getreueste B. Z.



[BZ an GK, MS] {Hofrätin Zuckerkandl 6.4.29} 6. April 1929 Lieber, verehrter Freund! Paul Stiasny hat mir gestern das französische Exposé32 für den Herrn geschickt, den ich in Paris bereits für das Sanatorium-Projekt interessiert habe.33 Da ich jedoch weiß dass Sie selbst jetzt dafür Interesse besitzen, möchte ich noch keinen Schritt tun, ohne Ihre Einwilligung. Ich habe Paul Stiasny allerdings 32 Das Exposé liegt der Korrespondenz nicht bei. 33 Dabei handelt es sich um das Sanatorium Purkersdorf, das auch mit den Kurzbezeichnungen Purkersdorf bzw. Sanatorium und ab den 1930er-Jahren als „Sanatorium Westend“ in dem Briefwechsel aufscheint. Das Sanatorium bestand aus mehreren Villen, die als Patienten-Pavillons benützt wurden. Viktor Zuckerkandl ließ in den Jahren 1904 bis 1906 ein Kurhaus errichten, das von Josef Hoffmann, Kolo Moser und der Wiener Werkstätte als Gesamtkunstwerk gestaltet wurde. Für einzelne Familienmitglieder wurden auf dem Gelände Villen zu Wohnzwecken errichtet – u. a. die sogenannte „Privatvilla“ von Paula und Viktor Zuckerkandl. Die Eheleute erwarben eine große Kunstsammlung. Sie galten u. a. als Mäzene von Gustav Klimt. Nach ihrem Tod im Jahre 1927 gingen Sammlung und das Sanatorium auf eine Erbengemeinschaft über. Von den Erben kommen in den Briefen zwischen BZ und GK vor: BZ-Sohn Fritz Zuckerkandl; weiters die Schwester von Viktor Zuckerkandl Amalia (in erster Ehe mit Dr. Julius Rudinger verheiratet; in zweiter Ehe mit Prof. Emil Redlich – daher die Titulierung Prof. Amalia Redlich) und weiters Nora und Paul Stiasny. Paul war der Ehemann von Nora, der Tochter von Otto und Amalie Zuckerkandl (geborene Schlesinger). Im Zeitraum der Briefe zwischen BZ und GK – 1928 bis 1938 – hatte das Sanatorium bereits mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das Sanatorium war zumindest 1936 unter Zwangsverwaltung, die im Jänner 1937 aufgehoben wurde. Schon Mitte 1937 wurde mit dem jederzeitigen Zusammenbruch gerechnet. Am 15. Jänner 1938 wurde noch der Versuch einer Neuregelung der Geschäftsführung initiiert. In dem Schreiben an das Handelsgericht Wien gibt es auch Hinweise auf deutsche Erben (ÖStA, Bestand GK, 616-1-1358). Die finanzielle Lage beim „Anschluss“ 1938 ist aufgrund der nicht genau definierten Erbengemeinschaft, der unklaren Verbindlichkeiten und unbekannten Steuerrückstände sehr unklar. 1939 wurde das Sanatorium Westend GmbH (so die damalige Bezeichnung) von der Kontrollbank für Industrie und Handel übernommen und in weiterer Folge von einem Privaten erworben. Beide Geschäftsvorgänge entsprachen zwar rein formal nicht einer „Arisierung“, doch einer Übernahme unter Zwang. 1948 bis 1952 kam es zu einem Rückstellungsverfahren. 1953 wurde die Liegenschaft an den evangelischen Verein für „Innere Mission“ verkauft und bis 1984 als Krankenhaus und Pflegeheim genützt. Anfang der 1990er-Jahre wurden die Liegenschaften renoviert und einer neuen Nutzung zugeführt. Der Hoffmann-Bau wurde unter Aufsicht des Bundesdenkmalamtes saniert, wobei die Außenansicht 1995 originalgetreu wiederhergestellt werden konnte. Bis heute gilt das Sanatorium Purkersdorf als Gesamtkunstwerk der Wiener Moderne. Teile der Kunstsammlung und das Sanatorium beschäftigten Rückstellungsinstanzen bis 2009. Vgl. dazu auch Hubertus Czernin, Die Fälschung, Der Fall Bloch-Bauer, Wien 1999; Berta Zuckerkandl, Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, herausgegeben von Theresia Klugsberger/Ruth Pleyer, Wien 2013.

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nicht gesagt dass ich das Exposé nicht gleich abschicke, halte es aber vorläufig zurück und sende es Ihnen zur Einsichtnahme.34 Innigste Grüße Ihrer ergebenen Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {Zuckerkandl 8.6.29} 7. Juni 1929 Verehrter Freund! Anbei das Manuskript retour. Leider wird so eine Kriegserinnerung35 heute in keinem Blatt gerne genommen. Ich kann daher leider nichts machen. Allerherzlichst Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, Telegramm, 6. Juli 1929, MS] {Hofrätin Zuckerkandl}

FRAU LEPPER SEKRETÄRIN STALLFORTH HOTEL BRISTOL BERLIN BITTE WENN MR STALLFORTH WIEN KOMMT MÖGE ER MICH SOFORT R 33565 SANATORIUM WESTEND PRIVATVILLA ANRUFEN DA DIESE TAGE NICHT IN MEINER WOHNUNG SONDERN DORT BEI MEINEN KINDERN BIN GRÜSSEND BERTA ZUCKERKANDL

Abs.: Berta Zuckerkandl, WienI., Oppolzergasse 6.



[GK an BZ, Telegramm, 11. August 1929, MS] {Hofrätin Zuckerkandl}

HOFRÄTIN BERTA ZUCKERKANDL GRUBERHAUS HOFBadGASTEIN HÄTTE SO GERNE IHNEN MEINE NARRISCHE FREUDE MÜNDLICH AUSGEDRÜCKT DA ABER TELEFON NICHT MÖGLICH HULDIGE ICH IHNEN TELEGRAFISCH SIE LIEBE GUTE TAPFERE RITTERIN DES GEISTES DES HERZENS UND DER EHRENLEGION36 IHR TREUERGEBENER KUNWALD 34 Materialien zu Purkersdorf – allerdings aus den Jahren 1937 und 1938 – finden sich auch im Bestand GK 616-1-1358. 35 Im Bestand GK konnte dazu nichts eruiert werden. 36 Seit 1802 gibt es in Frankreich als Auszeichnung für zivile oder militärische Verdienste die „Ehrenlegion“, mit der ursprünglich ein Rentenanspruch verbunden war. Ab 1804 wurde die Auszeichnung zu einem Verdienstorden mit einer fünfklassigen Einteilung umgestaltet. Der Verdienst-

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Absender: Dr. Gottfried Kunwald Wien I., Schulerstraße 1 {kop. 11./8.29 Tsch[epper]. aufgeg. 11./8.29 15h Heinrich37}



[GK an BZ, MS] {Hofrätin Zuckerkandl} Wien, am 9. August 1929 Liebe, verehrte Frau Hofrätin! Das war ein großes Mißverständnis. Als ich von Purkersdorf wegfuhr sagten Sie mir, Sie werden mir Ihre Adresse nach Paris telegrafieren und ich soll Ihnen nicht früher schreiben, bevor ich die Adresse habe. Ich sagte Ihnen, es sei nicht notwendig zu telegrafieren, es genügt, wenn Sie meine Kanzlei verständigen, mit der ich jeden Tag telefoniere. Painlevé war äußerst nett zu mir, hat mich im Hotel besucht, aber leider ist Léger, dem ich Clauzel’s Brief am Samstag den 20. Juli schickte, am Sonntag den 21. früh auf einen vierzehntägigen Urlaub gefahren, sodass aus der Sache nichts werden konnte. Alle ungemein lieben Bemühungen Painlevés mußten an der politischen Situation scheitern. Umsomehr zufrieden war ich mit Quesnay, den ich für unsere Sache sehr begeistert habe. Noch ein Wort. Wie können Sie glauben, dass ich Ihrer weniger gedenke, als Sie ein Recht darauf haben! Fragen Sie Fritz. Als das Kind krank war, habe ich täglich zweimal telefoniert, um mit ihm zu beraten, was Ihnen gegenüber zu tun und zu sagen ist. So herzig das Bubi ist, so war es mir ja doch nur um Sie zu tun, liebe, gute Frau Hofrätin, die Sie nur einen Fehler haben: an meine Treue und Anhänglichkeit nicht in dem Maße zu glauben, wie Sie es verdient. Alles Gute Ihnen wünschend Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Badgastein. {aufgegeben 12. VIII. 29 Frl. Friedler}



orden steht bis heute allen Personen ohne Rücksicht auf Rang oder Stand offen. Berta Zuckerkandl erhielt die Auszeichnung 1929. Dazu konnten keine weiteren Quellen eruiert werden. 37 Heinrich Greiner.

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[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl 22.8.29} Österreichischer Hof, Salzburg 21. A.[ugust 1929] Liebster Freund! Ich melde Ihnen meine neue Adresse. Gestern habe ich Gastein verlassen. Nach beinahe 4 wöchentlicher Kur. Vorläufig ist aber mein Blutdruck nicht gefallen! Hier fand ich Telegramme vor, die mich nötigen Montag den 26. nach Berlin zu fahren und bis 1.S.[eptember] dort zu bleiben. Eine Geraldy-Premiere in den Reinhardt’schen Kammerspielen. Ich soll die letzten Proben mitmachen und Geraldy vertreten.38 Da der Zsolnayverlag39 mir Reise und Aufenthalt zahlt, so fahre ich. Nicht einmal ungern. Denn Wien ist mir jetzt so verhaßt, so unerträglich durch die immer deutlicher hervortretende Gefahr dass ich am Liebsten weg bleiben möchte. Wenn Fritz sich in Paris etwas finden könnte, so wäre es mein großer Wunsch unseren Bubi40 dort, weit weg von diesem armen verlorenen Österreich, erziehen zu lassen. Ich könnte ja sofort übersiedeln. – Denken Sie – ich ich fühle so, die doch so festen Herzens ihr Land geliebt hat. Möchte nun wissen wie es Ihnen geht! Und hoffentlich nach dem 1. S.[eptember] fahren wir spazieren. Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, Postkarte, 28. August 1929, HS] {Zuckerkandl 30.8.29} POSTKARTE

Herrn Dr. Gottfried Kunwald I. Schulerstraße Nr. 1 – 3 Wien Berlin NW 7, den 28. A.[ugust 1929] 38 Berta Zuckerkandl führte für den Zsolnay-Verlag mit Paul Géraldy Verhandlungen über einen Generalvertrag. Sie wird in diesem Zusammenhang als Literaturagentin bezeichnet. In der Folge ist es zwischen Zuckerkandl, Géraldy und dem Verlag immer wieder zu Verhandlungen rund um Honorarfragen gekommen. 1938 war Géraldy nach Wien gekommen, um Berta Zuckerkandl bei ihrer Flucht nach Paris zu helfen. Vgl. Murray G. Hall, Der Paul Zsolnay Verlag, Tübingen 1994, S. 54 – 58. In einer Zusammenstellung von französischen Stücken auf Berliner Bühnen in den Jahren 1919 bis 1933 findet sich die Premiere eines Stückes von Géraldy (L’Homme de joie 1929/Der Unwiderstehliche) erst mit dem Datum 31. August 1930. Vgl. Marc Thuret, Französische Stücke auf Berliner Bühnen, in: Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik, herausgegeben von Hans Manfred Bock, Tübingen 2005, S. 251 – 281, hier S. 280. In der Literatur wird allerdings darauf verwiesen, dass die Theaterprogramme nicht vollständig erhalten sind. 39 Der Verlag wurde von Paul Zsolnay (1895 Budapest – 1961 Wien) 1923 in Wien gegründet, 1938 emigrierte P. Z. nach England, wo er den Verlag Star Editions gründete; 1946 kehrte er nach Wien zurück und leitete die P. Zsolnay Verlag GmbH. 40 Bubi – gemeint ist der Enkel von Berta Zuckerkandl, Emile Zuckerkandl.

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Lieber Freund! Meine Adresse bis Sonntag den 1.9. ist Hotel Central in Berlin. Dann hoffentlich Wien. Herzlich Ihre B. Z.



[BZ, Notiz, 7. Oktober 1929] {Zuckerkandl Berta} „Die Feindin“ Komödie in drei Akten und vier Bildern von A. P. Antoine, Deutsch von Berta Zuckerkandl-Szeps am 7. Oktober 1929 von Herrn Dr. ­Gottfried Kunwald zurückerhalten: für Berta Zuckerkandl XXX41



[BZ an GK, MS] {Zuckerkandl Berta 8/11 29} 8. November 1929 Lieber Freund! Da ich Sie telefonisch nicht erreichen konnte, so möchte ich Ihnen nur noch Folgendes mitteilen: Clauzel (den ich eben noch kurz sprach) hat mich gebeten, Ihnen zu sagen dass er sich sehr freuen würde, wenn Sie ihn ungefähr Mitte nächster Woche anrufen wollten. Er möchte dann sehr gerne ein Rendez-vous mit Ihnen verabreden und zu Ihnen kommen. Allerherzlichst Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, HS] {Hofrätin Zuckerkandl 14/3.30} Donnerstag [13. März 1930] Verehrter Freund! In fliegender Eile! Gestern kam Fritz ganz unerwartet an. Er hätte nicht fahren sollen. Er sah entsetzlich aus. Und um mich nicht zu erschrecken, vertraute er sich meiner Freundin und Hausfrau an. Wir mußten einen Arzt um Weisungen fragen, da Fritz eine hohe Irrigation42 benötigte. Kurz – Sie können sich meine Aufregung vorstellen. Dass ich unter solchen Umständen mich wenig für die plötzlichen Unter­ handlungen unter Hunnas Führung interessiere, können Sie sich vorstellen.43

41 Der Name konnte nicht eindeutig transkribiert werden. 42 Irrigation – Einlauf. 43 Bei dem Gespräch ging es um das Sanatorium Purkersdorf.

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Erst heute – eben vor einer Stunde als ich Fritz wieder im Hotel aufsuchte, trafe ich Hunna – Jorisch44 – Stiasny. Hunna teilte mir mit dass er unter den allergünstigsten Bedingungen diese Dreier-Gesellschaft Jorisch-Fritz-Stiasny zu Stande bringen wird. Und er fügte hinzu: zu Bedingungen, welchen Sie vollsten Beifall zollen werden. Ich weiß nichts Anderes. Eben jetzt soll eine Konferenz bei Freund45 sein. Von dort fährt Fritz auf die Bahn. Gott gebe dass er mir gesund wird. Auf alles Andere pfeife ich!!! Er wird morgen gleich Edelmann aufsuchen. Ich muß bis Montag noch wahrscheinlich hierbleiben. Hatte mit meinen zwei Premieren46 einen großen Erfolg. Und muß das nun bei Verlegern ausnützen. Wer weiß, was Sie zu dem allen sagen werden? Ihre getreueste B. Z.



[GK an BZ, Telegramm, 27. April 1930, MS] {Quesnay} Jour Zuckerkandl chez Clemenceau 12 Avenue d’Eylau Paris Telegrammadresse Kungo47 Wien erstens Telephonnummern Pierre Quesnay zweitens ob und wann er Paris drittens zu welchen Stunden gewöhnlich erreichbar herzlichsten Dank Wenn Euch leicht möglich bitte drahtet meiner Kunwald telephonisch expediert am 27. IV. 1930 Um 22 Uhr 30. Durch Frau Sussmann



44 Entweder Mathilde Jorisch, die Tochter von Amalia Redlich, oder ihr Ehemann Dr. Louis Jorisch, von dem sie seit 1933 getrennt lebte. 45 Richard Freund (1859 – 1941), Schwager von Victor Zuckerkandl, Mitinhaber des Sanatoriums Purkersdorf 46 Gemeint ist wahrscheinlich die Premiere des Stückes von Sacha Guitry, „Désiré“, am 23. Dezember 1929 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin und die Premiere des Stückes von A. P. Antoine, „L’Ennemie/Die liebe Feindin“, ebenfalls in den Kammerspielen. Beide Stücke hatte Berta Zuckerkandl übersetzt. Vgl. eine Liste bei Thuret, Französische Stücke auf Berliner Bühnen, S. 279. 47 Eine öfters gebrauchte Abkürzung für Kunwald Gottfried.

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[GK an BZ, Telegramm, 9. Mai 1930, MS] {Hofrätin Zuckerkandl} JOUR

R P 12

ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE D’EYLAU, PARIS. BITTE TELEGRAFIERET WANN ICH SONNTAG VON ½ 12 MITTAG AN EUCH TELEFONISCH AM BESTEN ANRUFEN KANN. GRÜSSEND KUNWALD

Abs.: Dr. Gottfried Kunwald, Wien I. Schulerstr. 1 {tel. aufgegeben durch Urbach 9. V. 1930 20.50}



[BZ an GK, Radiogramm, 10. Mai 1930, MS] {Berta Zuckerkandl}

RADIOGRAMM FTR/RR {10/5 [19]30 11.30} RF847 PARIS 11 10 1005 KUNGO WIEN = ATTEND VOTRE TELEPHONE ENTRE UNE ET CINQUE HEURE = BERTHE +48

847+ {Berta Zuckerkandl}



[GK an BZ, MS] {Bertha Zuckerkandl} Wien, am 12. Mai 1930 Verehrte Frau Hofrätin! Beiliegend übersende ich Ihnen das kurze, englische Exposee über die Wohnbauanleihe.49 Es handelt sich darum, den englischen Finanzminister für den hohen sozialen Zweck dieser Anleihe zu interessieren, die den Bevölkerungskreisen, die heute keine Wohnung finden können, Wohnungen zu einem billigen Preise dadurch verschafft, dass der Staat die Verzinsung und Amortisation von 60 % der gesamten Baukosten bis zur Wiederkehr normaler Verhältnisse vorstreckt, sodass aus den Mietzinsen nur 40 % der gesamten Baukosten verzinst und amortisiert werden müssen. 48 „erwarte Ihren Anruf zwischen ein und fünf Uhr.“ 49 Wohnbauanleihen waren ein immer wieder eingesetztes Mittel, um die Bauwirtschaft anzukurbeln. In zeitlichem Zusammenhang etwa eine 5 %ige mündelsichere Wohnbauanleihe von 1931. Mehrere Wiener Wohnbauanleihen gab es u. a. 1921, 1922 und 1923.

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Ich habe dem Credit-Institut für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten gesagt, dass das kurze Exposee für englische Regierungskreise bestimmt ist, {nicht mehr}. Die Hauptsache für Sie ist, dass Snowden Ihnen einen Rat gibt, bei welchen englischen Finanzkreisen diese wirklich ausgezeichnete Anleihe placiert werden kann. Sie müssen mir dann seinen Rat sofort mitteilen, damit ich dem Credit-Institut mitteilen kann, dass Sie (die ich bisher nicht nannte) an diesen Stellen intervenieren werden. Erst wenn dies geschehen ist, sprechen Sie bei diesen Stellen vor, wobei Sie dann erst meinen Namen (dort) nennen; erst dann führt Sie S.[nowdon] dort ein. Solange ich dem Credit-Institut noch keine Stelle genannt habe, soll mit diesen Stellen noch nicht gesprochen werden, sondern nur mit Ihnen. Gleichzeitig schreibe ich an Paul Clemenceau und lege Ihnen Abschrift meines Briefes bei. Da der Brief noch heute abgehen soll, um Sie rechtzeitig zu erreichen, beschränke ich mich darauf, Ihnen, verehrte Freundin, die Hand zu drücken. Ihre Stimme war sehr müde und ich kann nur hoffen, dass Sie Paris in besserer Stimmung verlassen werden, als ich sie gestern bei Ihnen antraf. Ihr treu ergebener Beiliegend: 1.) Exposee Wohnbauanleihe. 2.) Brief Dris. Kunwald an M. Paul Clemenceau i. Abschr.50 Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps, Paris. {Hofrätin Zuckerkandl nach Paris gesendet 12./5.30} Austria, like all other European countries having taken part in the World War, is facing a serious housing problem. For two reasons people are unable to pay for their dwellings a rent yielding to the builders of new apartments a fair interest of the capital invested therein: first, the building costs have increased by more than 50 % since pre-war time; second, the rate of interest for long time loans, which, prior to the war, amounted in Austria to 4 ½ %, has increased very considerably, owing to the scarcity of capital in this country, formerly so wealthy. As a consequence, far more than twice the pre-war rents would have to be paid for newly built apartements. Thus, building of dwelling houses through private initiative has grown economically impossible and has entirely ceased; people who do not possess apartements through the control of rents introduced during the war, are unable to satisfy their want of dwellings through private building of dwelling houses. 50 Der Brief liegt nicht bei.

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The City of Vienna has spent enormous sums derived from current taxes to remedy this exigency on a large scale. Huge apartment houses have been erected by the City, with the rent consisting solely in the refunding of the costs of repairs, the capital invested bearing no interest whatsoever. While this action has been carried out on a very large scale, part only of the want of new apartements has been actually satisfied. In view of these conditions, Federal Parliament, in June 1929, enacted a Law purporting to remedy this serious exigency. New homes and apartement houses at a total cost of about 450,000.000 S are to be built through individual initiative. While 40 % of the total costs are to be supplied by the builders, 60 % of the total costs will be provided by the mortgage banks of the different provinces by means of a privileged mortgage, interest and capital of which is paid to the banks by the Federal Republic. The capital thus advanced by the Treasury will be repaid to the latter by the owner of the building together with a low rate of interest in instalments according to the amount of rent actually obtained, which latter will, of course, be dependent on the general economic situation. To supply the capital required for these privileged mortgages the mortgage banks will issue bonds in a total nominal amount of 300,000.000 S or 9,000.000 £. The Federal Government has obligated itself by Law to make to the mortgage banks granting these privileged mortgages annual payments fully covering their costs in paying mortgage interest on and in redeeming the bonds. The different mortgage banks with their offices in the various Austrian provinces will transfer their bonds to the Credit-Institut für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten (Credit Institution for Public Enterprises and Works), to be financed by the latter. The Credit-Institut is a Government controlled institution, with 90 % oft the shares owned by the Government. This Government controlled institution will issue bonds of House Building Loan fully covered by the bonds of the mortgage banks. Holders of these bonds will be secured: 1. by the obligation of the Credit-Institut to pay interest on and to redeem its bonds; 2. by the bonds of the single mortgage banks underlying the issue of the Credit-Institut; 3. by the obligation of the Government to pay to the single mortgage banks annually their costs for paying interest on and redeeming their bonds (see above). The action of the Federal Government will pave the road for the building of new houses on an economic basis. A first class investment of his capital is offered to the holder of the bond, since he will enjoy the full security of a Government Bond, while the conditions of the Loan will no doubt be more favourable even than those of a Government Bond.

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The success of the House Building Loan is of greatest importance for Austria’s economic life. Building will receive a strong impetus. Those parts of the population who have so far been unable to find a dwelling, will, through the Loan, be enabled to get apartments at a rent not exceeding, until the successive return of normal economic conditions, an amount needed to pay interest on and to redeem 40 % of the total building costs. This will be a great relief especially to the new generation who has been looking in vain for a home since the termination of the war.



[GK an BZ, Telegramm, 15. Mai 1930, MS] {Jour Berta Zuckerkandl} ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU, 12 AVENUE D’EYLAU, PARIS.

SEHR EINVERSTANDEN DASS IHR EURE BEIDEN UNTERREDUNGEN MIT PAUL ÜBER LEVEIL51 BEI EUREM MORGIGEN BESUCH ERZÄHLT AUCH DASS IHR MIR DARÜBER IN PAULS AUFTRAG GESCHRIEBEN STOP ABER NICHT DASS ICH BEREITS GEANTWORTET HABE ODER IRGENDETWAS VON EURER MORGIGEN UNTERREDUNG WEISS. HERZLICHEDank GRUESSE . KUNWALD.

{tel. aufgegeben 8.17 durch Urbach} {15. V. 1930}



[GK an BZ, MS] {Berta Zuckerkandl} Wien, am 19. Juli 1930. Verehrte Frau Hofrätin! Beiliegend mit bestem Dank die S 27.–. In meinem Ärger habe ich mich gestern verrechnet, es sind nicht ffrs. 450.– sondern ffrs. 300.– Für Ihre Fahrt haben Sie das richtige Reisewetter, hoffentlich kommt dann auch das richtige Aufenthaltswetter und überhaupt das richtige Wetter für Sie innerlich und äußerlich, das Ihnen herzlich wünscht Ihr treu ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl, Wien.

51 Der Name Leveil konnte nicht verifiziert werden.

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{abgegeben durch Johandl 19.VII.1930} Brief des Herrn Dr. Gottfried Kunwald an Hofrätin Zuckerkandl übernommen: Wien, am 19. Juli 1930. Rosl XXX52



[BZ an GK, HS] {24/7. 30} Kurhaus Reichl, Bad Gastein – 23.7.[1930] Tel: 127 Verehrter Freund! Herzlichst Dank für Ihre lieben Abschiedszeilen. Haben Sie gestern das Interview mit Clauzel im N. W. J.53gelesen? Wahrlich sehr farblos und frisiert. Aber doch darauf hingewiesen dass die fr.[anzösische] Regierung gerne im Herbst ihren guten Gutmachungswillen zeigen möchte. Ich habe bereits dringend an Sofie (für Painlevé und Bourguignon54) geschrieben. Dahingehend dass Sie infolge der Geschehnisse nach Paris wollen und müssen. Als Freund der Franzosen. Um Möglichkeiten aufzuzeigen wie Frankreich die verloren gegangene Position wieder erobern könnte. – Dazu aber sei notwendig dass Painl.[evé] oder Bourgui[gnon] genauest erfahren, wann im August Briand oder wenn dieser nicht, wenigstens Léger in Paris anwesend sein werden. Ich habe rascheste Rückäußerung verlangt und hoffe Ihnen bereits nächste Woche Nach­ richt geben zu können. – Auch wenn ich Clauzel hier treffen sollte – erzähle ich Ihnen unbeschönigt alles. –Die Kur ist für meine Hände noch diger55. Ich kann kaum die Feder halten. Herzlichst Ihre getreue B. Z.



[GK an BZ, MS] {Berta Zuckerkandl} Wien, am 8. August 1930. Verehrte Frau Hofrätin! Es ist sehr lieb, dass Jean alles telegrafierte, was er weiß. Dass er nicht mehr weiß, macht für den Augenblick nichts, da ich jetzt ohnehin nicht wegfahren könnte. Und noch viel lieber ist es von Ihnen, dass Sie immer wieder an 52 Der Name konnte nicht transkribiert werden. 53 Vgl. „Neues Wiener Journal“ vom 22. Juli 1930, S. 2 Frankreich und Österreich, Warum die Pariser Bankiers sich an der Bundesanleihe nicht beteiligt haben. Von Grafen Bertrand de Clauzel, Gesandter der französischen Republik in Wien, Aus einem Gespräch. Der Artikel ist zwar nicht namentlich gezeichnet, doch aus der Sicht eines Interviewers, der sich vierzehn Tage in Paris aufgehalten hatte. U. a. wird „die große Sympathie, die man hier Österreich entgegenbringt“ betont. 54 Jean Bourguignon, Privatsekretär von Painlevé. 55 Dabei kann es sich um ein verballhorntes französisches Wort handeln. Das französische Wort digérer bedeutet verdauen, verschmerzen.

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mich denken und mir eine so liebe, gute Freundin sind. Ich hoffe, noch einmal Ihre Freundschaft wirklich zu verdienen und fühle mich sehr im Debet. Dafür, dass ich Ihnen in der letzten Zeit nicht geschrieben habe, habe ich allerdings eine Entschuldigung: denn seit einer Woche habe ich, nach achtmonatlicher Pause, einen ganz energischen Gichtanfall und kann erst heute zum ersten Mal (hoffentlich) diesen Brief unterschreiben. Quesnay war in Wien. Schon 2 Tage vor seiner Ankunft hatte ich ein Schreiben von ihm erhalten, dass die B. I. Z.56 mich zu ihrem Rechtsberater für Österreich bestellt hat.57 Das ist eine sehr schöne Ehrung, die mich ungemein freut. Aber leider augenblicklich nicht mehr, weil ja die österreichische Anleihe, mit der B. I. Z. als trustee abgeschlossen war, bevor ich dabei funktionieren konnte. Ich habe nun umsomehr Grund zu wünschen, dass recht bald andre große internationale Anleihen für Österreich zustande kommen, bei denen die B. I. Z. als Treuhänder fungieren möge. Es ist ja möglich, dass sie als Treuhänder auch bei größeren nichtstaatlichen Abschlüssen bestellt wird, und das könnte dann pekuniär für mich günstig sein. Das bezieht sich nicht auf die französische Tranche vom Herbst. Denn für diese ganze Anleihe ist der general bond schon abgeschlossen. Ihr Freund Ullmann58 – ärgern Sie sich nicht zu sehr! – hat die bescheidene Tatsache, dass die B. I. Z. mich zu ihrem Rechtsberater für Österreich bestellte, zum Anlaß genommen einen urblöden Artikel über „den Mann im Dunkeln“ zu schreiben59, in dem er von Anfang bis zu Ende ein in allen Tatsachen unrichtiges Bild von mir zu geben sich gedrängt gefühlt hat, und der Vermutung Ausdruck gibt dass Seipel und Kienböck hier irgendeine internationale Intrigue spielen! Diese Leute wissen nicht, wie sehr sie mir damit schaden und meinen Erwerb untergraben. Seipel und Kienböck hatten Gott sei Dank keine Ahnung von dieser Sache. Wer weiß, ob sie sonst zustande gekommen wäre. Es ist geradezu unleidlich, von diesen Kaffeehausschwätzern immer als Krawattenknopf Seipels betrachtet zu werden. Sie sind von einem wahren Instinkt geleitet, einer Sache immer gerade die Seite abzugewinnen, die für unser Vaterland die schädlichste wäre, wenn sie nicht unwahr wäre. Schreiben Sie ihm aber darüber keine Zeile. Denn, da er mit Ihnen befreundet ist, habe ich ihn kurzerhand angerufen, und lese ihm heute abend selbst die Leviten. 56 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich; die BIZ wurde als internationale Finanzorganisation am 17. Mai 1930 im Rahmen einer Neuregelung der Reparationsverpflichtungen Deutschlands gegründet. 57 Vgl. im Bestand GK Konvolut 616-1-328. 58 Ludwig Ullman, Theaterkritiker, Schriftsteller, Redakteur der „Wiener Allgemeinen Zeitung.“ 59 Artikel in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ vom 7. August 1930. Der Artikel trug die Überschrift „Der Mann im Dunkeln, Dr. Gottfried Kunwald in die internationale Zahlungsbank berufen.“ Unter anderem wird er als „seltsamster Österreicher“ bezeichnet. Mit dem Hinweis auf die Verbindung zu Ignaz Seipel heißt es: „Österreich ist immer das Land einer ebenso lautlosen als geheimen Politik gewesen.“ Gottfried Kunwald wird als Österreichs einziger „Geheimpolitiker“ bezeichnet.

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Ihrem Schöpsen C.60 sagen Sie, bitte, – aber sagen Sie es wirklich recht bald – dass ich nicht mit Seipel und Quesnay genachtmahlt habe. Quesnay war 1 ½ Tage in Wien und verbrachte den Abend von 8 bis 1 Uhr allein mit mir. C. hat sich gegen mich sehr unhöflich benommen – das brauchen Sie ihm natürlich nicht zu sagen; es ist fast ein Jahr, dass ich ihn nicht gesehen habe. Er hat meine Einladung angenommen und dann nicht erwidert. Mit Quesnay sprach ich die fünf Stunden von weltwirtschaftlichen Dingen. Mein großer Freund S[eipel] wurde an diesem Abend nur einmal erwähnt, als mich Quesnay um seine Adresse fragte, da er ihn am nächsten Tag, vor seiner Abreise, noch besuchen wollte, was er auch getan hat. S[eipel] selbst habe ich seit 4 Wochen nicht gesehen. Er kommt erst morgen wieder zu mir. So sehen Sie, dass man im großen Dorfe nur Ärger hat. Umsomehr freut mich der Gedanke, dass Sie in Wald und Bad hoffentlich den Grund zu richtiger Erholung gelegt haben. Fritz habe ich recht gut aussehend gefunden. Er wird sicherlich nach der Bretagne ganz und gar wieder der Alte, vielmehr besser wie früher sein; und das ist ja für Ihre Erholung die Hauptsache. Er ist schon abgereist. Seien Sie, verehrte Freundin, herzlichst gegrüßt und für alles bedankt von Ihrem treu ergebenen Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Bad Gastein {aufgegeben am 8. VIII. durch Urbach}



[GK an BZ, Telegramm, 15. August 1930, MS] {Berta Zuckerkandl}

HOFRÄTIN ZUCKERKANDL HOTEL MÜNCHNERHOF SALZBURG WERDE IHNEN MORGEN SONNABEND FRÜH VORANMELDUNG FÜR TELEFONGESPRÄCH SENDEN BITTE MELDEN SIE SICH PUNKT ELF VORMITTAGS SPRECHBEREIT JA NICHT FRÜHER ABER AUCH NICHT SPÄTER STOP KEIN BESONDERER ANLASS NUR WUNSCH MIT IHNEN ENDLICH WIEDER PLAUDERN VIELLEICHT AUCH MIT ELLA HERZLICHST KUNWALD

{telef. aufgeg. Oplatek 15/8.30, 19h cop. Optlatek}

 60 Das Kürzel C. konnte nicht aufgelöst werden. An anderer Stelle ist mit dieser Abkürzung Coudenhove-Kalergi gemeint. Siehe den Brief BZ an GK vom 27. September 1934.

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[GK an BZ, MS] {Berta Zuckerkandl} Wien, am 16. August 1930. Verehrte Frau Hofrätin! Dieses war ein Durcheinander. Wie es sich immer ergibt, wenn man 1.) mit Damen zu tun hat (was kein Vorwurf sein soll, denn das ist ja gerade das Liebe an den Damen und wie häßlich wäre die Welt, wenn alle Menschen so wären wie ich und wie nett, wenn sie alle so wären wie Sie), 2.) wenn man gar zu gescheit ist und alles im Voraus überlegt und einteilt, ohne mit den Personen zu rechnen, insbesondere wenn sie Damen sind. Also: wenn man S 1.– für Voranmeldung bezahlt, so riskiert man nicht, dass man die Verbindung bekommt, wenn der Andere nicht zu Hause ist und dann das Gespräch zahlen muß, ohne den Adressaten erreicht zu haben. Aber man ist ganz in der Hand des anderen, der die Voranmeldung bekommen hat. Sobald der Adressat der Voranmeldung sich sprechbereit meldet, wird unbarmherzig verbunden; und ist man dann selber nicht zu Hause, so muß man zahlen. Man kann keine bestimmte Stunde angeben, wann man das Gespräch wünscht, sondern von dem Moment an, wann die Voranmeldung abgeschickt ist, findet das Gespräch statt, sobald sich der Adressat meldet. Deshalb habe ich es mit Ihnen so gemacht, wie ich es mit Paris, Berlin und Basel mache. Ich haben Ihnen telegrafiert, dass Sie eine Voranmeldung bekommen werden, sich aber gütigst erst um 11 Uhr Vormittag sprechbereit melden mögen. Aber, was tut Gott und seine Hofrätin? Sie werfen mein langes Telegramm in Ihren, solche Belästigungen gewöhnten Papierkorb; und kaum, dass die Voranmeldung da ist, wubsch, melden Sie sich auch schon sprechbereit. Dadurch erlangten Sie das Glück ein Telefongespräch mit meinem lieben Johandl zu führen, der, eifrig und dienstbereit wie immer, ohne jeden Auftrag sofort fragte, ob ich Sie zwischen 10 und 11 anrufen kann, denn meine Tür war noch strenge verschlossen. Worauf Sie ihm sagten, dass es um 11 Uhr nicht mehr geht. Da ich aber ausnahmsweise von 10 bis 11 Uhr besetzt war und um ½ 12 Uhr bei der Steuer-Administration sein mußte, was er nicht wissen konnte, war das traurige Resultat, dass ich das Telefongespräch und noch Schilling 1.– darüber bezahlt hatte, damit nicht ich, sondern er, Ihre liebe Stimme hört. Das Experiment werden wir nicht wiederholen, meine ich. Bitte, schreiben Sie mir ein Karterl, an welchem Tage ich Sie zu irgendeiner Stunde des Tages ab ½ 11 Uhr Vormittag anrufen kann; und das werde ich dann ohne Voranmeldung machen, wenn ich nicht abtelegrafiere. Sonntag kann ich von 11 bis 6 Uhr anrufen. Montag den 18. ds. habe ich um 12 Uhr eine Kommission auswärts, kann also nur von ½ 11 bis ½ 12 Uhr anrufen und dann von 2 bis 6 Uhr. Von 6 bis 9 Uhr abends fahre ich manchmal, wenn schönes Wetter ist, aus. Im übrigen bin ich von ½ 11 Uhr vormittags bis ½ 12 Uhr nachts immer bereit Sie anzurufen, wenn ich weiß dass ich Sie antreffe.

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Mein Schwesterchen Ella ist in Anif bei Salzburg, Hotel Friesacherhof wird Sie hoffentlich sehen und nicht zu schlechtes Wetter haben. Wenn Sie sie sehen, machen Sie ihr bitte ein bißchen ei, ei. Sie hat eine ebenso große Verehrung für Sie, wie Ihr ganz ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl, Salzburg. {Expr. aufgegeben durch Joh[andl] 16. 8. 30. cop. Urb[ach]}



[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl Berta 18/8.30} Sonntag. [17. August 1930] Lieber verehrter Freund! Je bedeutender ein Mann ist, desto despektierlicher beurteilt er die Frauen; und arrogant sind die Mannsbilder. Sie setzen einmal absolut voraus dass wenn etwas nicht klappt, niemand Anderer daran schuld sein kann als diese bereits von Schopenhauers philosophischem Weltbekenntnis vernichteten Kreaturen. Erstens: Weiß ich genau, was eine Voranmeldung ist, da ich sogar selbst diese difficile Sache gehandhabt habe. Zweitens: Hat sich Adressat gestern niemals „sprechbereit“ gemeldet. Sondern wurde vom Hotelportier angeklingelt. Da Adressat, wenn sein Telephon­apparat klingelt, nicht wissen kann wer klingelt, so muß er das Hörrohr abnehmen. Das tat ich. Und hörte Johandls Stimme, die mir sagte: „Der Herr Dr. K. möchte Sie zwischen 10 und 11 Uhr anrufen“. Worauf ich antwortete: „Ja. Ich habe das Telephon an meinem Bett. Aber bitte nicht später als 11 Uhr“. (Weil ich nämlich 5 Minuten nach 11 weg mußte.) Worauf ich mir logischerweise dachte (Frauen sind um so viel logischer als Männer, weil sie Imponderabilien stets in ihre Kalküls einbeziehen, ja sie Imponderabilien eigentlich als das Feststehende in allem Geschehen ansehen) dass Dr. Kunwald, der mir ja telegraphiert hatte 11 Uhr, sich durch Johandl plötzlich nochmals versichern will, ob es nicht auch zwischen 10 – 11 möglich ist. Worauf ich bis 5 Minuten nach 11 wartete. Wieso, warum, das Telegraphenamt die Verbindung mit Johandl getätigt hat, dieses tiefe Rätsel kann ein Frauengehirn nicht ergründen. Das müssen die Herren der Schöpfung, Erfinder des Telefons tun; und speziell der für mich bedeutendste Anruf des Dr. Kunwald. Der ja das Gespräch so fein ausgetüftelt und arrangiert hatte. Also morgen Montag: (Heute ist’s zu spät, ich fand Ihre Zeilen erst gestern Abend vor) werde ich von ½ 11 bis 11 auf Ihren Anruf warten. Ich disponiere leider diesmal gar nicht über meine Zeit. Meine Freundin Ethel Snowden, die ich bei

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Reinhardt in Leopoldskron untergebracht habe, läßt mich oft Früh holen und okkupiert mich dann vollständig. Sie reist erst Samstag den 23. ab. Und ich fahre denselben Tag nach Wien. Will endlich wieder einmal in meiner Wohnung meine Bequemlichkeit genießen und ungestört arbeiten. Da wollen wir viel zusammensein, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Ihre liebe Schwester sprach ich gestern telephonisch. Ich hoffe ihr morgen eine Minute bestimmen zu können. Anif ist für mich telephonisch nicht erreichbar. Und binden kann ich mich wie gesagt der Snowden wegen nicht. – Aber einmal wird’s doch gelingen. Ihre sehr ergebene, aber absolut nicht beschämte, treue Freundin B. Z.



[Bookshop an Hans Simon, Postkarte, 5. September 1930] {Berta Zuckerkandl 10/9.30} POST CARD

Jones’ & Evans’ Bookshop, Ltd., 77 Queen Street, Cheapside, London, E. C. 4 Telephone: City 7620 Dr. Hans Simon Bank for International Settlements 7 Centralbahnstraße Basel Swisse 5/9/30. Dear Sir We beg to inform you that so far, Claude Anets “Meyerling” 61 has not been published in English. We have made a note and will forward a copy to Dr. Gottfried Kunwald as soon as available. Yours faithfully Jones & Evans



[BZ an GK, MS] {Berta Zuckerkandl 6/10.30} 6.X.1930 I., Oppolzergasse 6. Liebster Freund! Ich möchte nicht fort, ohne Ihnen nach unserem gestrigen Gespräch und dessen etwas gereiztem Abschluß, nochmals die Hand zu drücken. So 61 Claude Anets Roman „Mayerling“ war 1930 erschienen.

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lästig es Ihnen auch sein wird, wiederhole ich Ihnen: Schonen Sie sich, rauchen Sie wenig62, und sprechen Sie so wenig als möglich. Ich weiß dass ich es nicht notwendig habe, Sie zu bitten, alles, was ich Ihnen in einer bestimmten Sache63 erzählte, als vertraulich zu betrachten. Ich möchte weder meinem Pariser Freund, noch auch dem Mann, mit dem dieser die bewußte Sache besprach, irgendwie durch meine vertrauliche Mitteilung, die ich Ihnen machte, schaden. Ich weiß dass ich bei Ihnen, wenn ich zu Ihnen komme und Ihnen immer alles erzähle, sicher bin. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] {Hofrätin Zuckerkandl} Wien, am 20. November 1930 Verehrte Frau Hofrätin! Beiliegend übersende ich Ihnen den Betrag von S 900.–. Ich bitte Sie, an die Firma Auspitz, Lieben & Co. den beiliegenden oder einen ähnlichen Brief morgen früh zuzustellen. Angenehme Reise. Alles Herzliche Ihr treu ergebener Beiliegend: 1.) S 900.– 2.) Brief an Auspitz, Lieben & Co. Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps, Wien. {abgegeben durch Deutsch 20. XI. 1930 cop. O[platek].} {Berta Zuckerkandl} S 900.–, schreibe neunhundert Schilling, von Herrn Dr. Kunwald erhalten am 20. November 1930. Dankend Berta Zuckerkandl-Szeps

 62 In den Materialien von Gottfried Kunwald finden sich regelmäßig Aufzeichnungen über seine Ausgaben für Zigaretten und Zigarren. 63 Hinweise auf „Sachen“, mit denen sich beide beschäftigten und die nicht weiter erklärt wurden, gibt es mehrfach.

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[BZ an Auspitz, Lieben & Co., MS] BERTA ZUCKERKANDL -SZEPS Wien, am 21. November 1930 Herren Auspitz, Lieben & Co., Wien. Ich besprach gestern mit Herrn Stefan v. Auspitz dass meine beiden Anweisungen von S 400.– und S 500.– mir honoriert werden, da ich heute früh nach Paris fahren muß und ich sonst in große Verlegenheit gekommen wäre. Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Bereitwilligkeit. Die Beträge werden, wie ich mit Herrn v. Auspitz besprach, sofort aus dem nächsten Eingang gedeckt werden. Ich bitte Sie, den Betrag von S 900.– Herrn Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße I, noch heute vormittags auszufolgen, da dieser Herr mir über die Nacht auf Grund der Zusage des Herrn Stefan v. Auspitz ausgeholfen hat. Hochachtungsvoll



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl Berta} Paris, den 23. März 1931. Verehrte Freundin! Meine Aufgabe habe ich genau auftragsgemäß gestern Sonntag durchgeführt, sehr gut sekundiert von Ihrer Schwester. Sie führte es herbei, dass ich ganz ungewohnter Weise sehr gemütlich mit Paul Clemenceau allein war, und lenkte, als sie zurückkam, sofort das Gespräch auf Sie. Ich weiß nicht, ob sie mit mir zufrieden war. Später kam Jean, eine interessante halbe Stunde, aber natürlich ohne jede Bedeutung. Stallforth habe ich in Basel nicht getroffen, er kommt am 8. April nach Wien. Herzlichst Ihr Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl, Wien I., Oppolzergasse 6. {Expediert durch Concierge 24/3 31}



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[GK an BZ, Telegramm, 17. Mai 1931, MS] {Zuckerkandl}

BERTHE ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE D’EYLAU



PARIS

SOEBEN IHREN BERICHT IM JOURNAL GELESEN64 SIE WISSEN GEWISS NICHT WIE AUSSERORDENTLICH SCHOEN ER IST WESHALB ICH IHNEN BEGEISTERTsofort TELEGRAPHIERE begeistert von Ihnen VON ANFANG BIS ZU ENDE MEISTERHAFT WIRKLICHER GENUSS KUNWALD

telefonisch aufgegeben Dr. Hammelrath am 17.5.31. Um 20 10h



[BZ an GK, HS] {Bertha Zuckerkandl 20.5.31} Montag. [18. Mai 1931] Wie hat mich ihr liebes Telegramm gefreut, mein bester Freund! Sie haben recht – ich selbst weiß nie, ob ich etwas gut oder schlecht mache. Schreibe nur ganz aus meinem Erlebnis und Temperament heraus. Beides ist eben an dem unglückseligen 13. Mai65 in Versailles siedend heiß erregt gewesen. Briand hat einen verhängnisvollen Fehler gemacht erst am Tag vorher seine Kandidatur aufzustellen. Dadurch hat er erstens für sich selbst keine Organisation gehabt, hat aber auch Painlevé (der unbedingt Favorite gewesen wäre) verhindert zu kandidieren. Denn dieser hatte die Mot d’Ordre66 an seine Freunde ausgegeben. Keine einzige Stimme für mich – jede für Briand. Diese selbloyale[sic] Haltung wird allgemein anerkannt, sticht sie doch von der Ver­ räterei im Lager Briands strahlend ab. Ein Herriot hat verraten!!! Er haßt Briand. Der Ärgste war Tardieu, der Briand noch beim Dejeuner die Versicherung gab „Vous passerez comme un gant“ 67 und dann rasch nach Versailles fuhr wo er die Campagne von Briand leitete. Ausschlaggebend aber waren die ungezählten Millionen, die Coty hinauswarf, um Stimmen zu kaufen. Er hat auch die ent­ scheidenden 40 Stimmen teuer bezahlt. – Jetzt also bestimmt derselbe ebenfalls gekaufte Borel [?] Briand Minister des Äußeren zu bleiben. Es graut ihnen plötz­ 64 Dabei könnte das „Neue Wiener Journal“ gemeint sein, in dem es im Mai 1931 immer wieder Berichte aus Frankreich gab, bei diesen gibt es aber keine Hinweise auf Berta Zuckerkandl. 65 Am 13. Mai 1931 hatte Außenminister Briand die Wahl zum Staatspräsidenten verloren, u. a. durch das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt. Im Vorfeld der Bekanntmachung des Projektes hatte er noch Anfang März 1931 erklärt, dass ein Anschluss derzeit nicht aktuell sei. Durch das Zollunionsprojekt fühlte Briand sich persönlich hintergangen und war öffentlich desavouiert. Es wurde ihm von seinen politischen Gegnern Fehleinschätzung vorgeworfen. Sein Konkurrent Paul Doumer gewann die Wahl. 66 „Devise/Motto/Stichwort.“ 67 „Sie werden perfekt durchkommen.“

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lich vor ihrem eigenen Werk. Also wir Alle hoffen dass er stark bleiben und gehen wird. Ein Zwischenspiel muß sein. Briand wird es im Senat als frei gewordener Redner[?] gut ausnützen. Immerhin – für Europa war die Wahl eines nicht nur dummen aber wie es mir mein Schwager Clemenceau (mit Belegen) mitgeteilt hat, auch einer der unanständigsten korruptesten Gesellen. Jetzt spekuliert er mit den Leiden/Leichen [?] seiner 4 Söhne. Es ist zum Übelwerden. Kommen Sie? Wann? Kennen Sie hier den Vertreter der Deutschen Bank Clemens Elliat? 68 Ich bin jetzt sehr gut mit ihm und seiner Frau. Ganz interessante Verbindung. Nochmals danke und treuen Gruß von Ihrer B.  Z.



[GK an BZ, MS] {Berta Zuckerkandl-Szeps} Wien, am 17. August 1931. Verehrte Frau Hofrätin! Unter Kreuzverband sende ich Ihnen aus der Leihbibliothek das letzterschienene Werk Gustav Borchardts69 „Das hoffnungslose Geschlecht“. Die früheren Werke „Poetische Erzählungen“ („Das Buch Joram“ u. a.), „Das Gespräch über Formen und Platons Lysis“ etc. konnte ich nicht beschaffen. Also bitte versuchen Sie, durch weises Reden über dieses Buch bei anderen leeres Geschwätz und Anekdotisches hervorzurufen. Ihr herzlichst ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps Salzburg Hotel Österr. Hof. {Cop XXX Aufgegeben Dr. Marc[uschewitz] 17.8.31}



[BZ an GK, HS] Paris den 16. N.[ovember 1931] 12. Avenue d’Eylau 12. Lieber Freund! Bisher war nichts zu berichten. Die Stimmung hier ist flau; die Krise (was man halt so nennt) wird täglich schwerer.70 Mein Schwager und auch Painlevé sind der Ansicht dass es sich gar nicht um eine Krise handelt. Sondern 68 Der Name konnte nicht eindeutig transkribiert oder verifiziert werden. 69 Dabei handelt es sich um Rudolf Borchardt. Es finden sich Hinweise auf ihn im Bestand GK 616-1-523 und 616-1-1328, im letzteren Konvolut zeitlich passende Unterlagen aus dem Jahr 1931. Zur schillernden Figur dieses Schriftstellers vgl. Peter Sprengel, Rudolf Borchardt, Der Herr der Worte, München 2015. 70 Vgl. dazu Julian Jackson, The politics of depression in France 1932 – 1936, Cambridge 1985.

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um eine langdauernde vollständige Änderung der Weltwirtschaft; um das Ende eines Zeitalters und die Geburt eines Anfanges. Gestern erfuhr ich aus sicherster Quelle Folgendes. Graf Czernin71 hat bei der hiesigen Regierung (Laval Quai d’Orsay) angefragt wie sich Frankreich zu einer Restaurierung der Habsburger in Österreich verhalten würde. Czernin mit dem ich vorgestern bei Grünberger dejeunierte, hat in einigen politischen Salons der Rechten Points d’appuis.72 Man versicherte ihm auch eine Unterredung mit Briand zu verschaffen, aber dieses Handwerk ist den Herrschaften gelegt worden. Jedenfalls haben Czernins Schritte in maßgebenden Kreisen das größte Befremden hervorgerufen. Die einführenden Briefe hatte Ex-Minister Wiesner geschrieben. Nein ich glaube Czernin dürfte sich bald überzeugen wie lächerlich seine Bemühungen sind. Aber es ist für den Wirrwarr in Österreich symptomatisch dass so etwas möglich ist. Die deutsch-französischen Verhandlungen hier nehmen einen guten Verlauf. Die Stimmung ist sehr entspannt. Und doch – dürfte wieder wenig Konkretes erzielt werden. Die immer steigenden Resultate der Nazis bei den Wahlen, die abscheuliche Hetzposse auf beiden Seiten; das innerste Mißtrauen hüben und drüben läßt eine wirkliche Annäherung nicht aufkommen. Theodor Wolff ist hier. Er hat noch von früher her weitreichende Beziehungen. Gestern Nachmittag hatte er hier bei uns eine Unterredung mit Painlevé. Wolff sprach sehr offen. Er beschuldigte die Franzosen immer nur Gesten zu machen, aber vor jeder Tat zurückzuweichen, die wirkliche Entspannung bringen könnte. „Es ist falsch (sagte er) dass man zuerst kommerzielle Besprechungen hat und jede politische Frage ausschaltet. Gerade das Gegenteil müßte gemacht werden. Und zwar müßten die Franzosen erklären: Vor den Wahlen wäre es müßig über politische Fragen zu reden. Also als erstes Programm der neugewählten Kammer wird eine offene Aussprache mit Deutschland über politische Staatsfragen stattfinden. (Mit Aus­ schluss des polnischen Korridors, da dies vorläufig nicht lösbar wäre). Dadurch (meint Th. Wolff) würde, wenn eine solche Erklärung rechtzeitig erfolgen könnte, (z. B. von den linkspolitischen Parteien) die gefährliche Situation Ende Februar anläßlich der Eröffnung des Reichstages gerettet werden können. Denn dies würde eine Verschiebung bedeuten, so lange bis eventuell eine Kammer die weniger nationalistisch eingestellt ist als diese, die Bereinigung politischer Fragen unter­ nehmen könnte. Erst damit wäre der Beginn einer Klärung gegeben. Dass die Wahlen links sein werden, wird als sicher angenommen. Nach den Berichten aus den Provinzen zu schließen die ja ausschlaggebend sind. Auch die Tatsache dass Doumer bereits jetzt nach Links gravitiert ist ein Zeichen wie dieser die Lage beurteilt. Es vergeht keine Woche wo Doumer nicht Painlevé zu sich bittet und mit ihm lange konferiert.

71 Otto Czernin, österreichischer Diplomat. 72 „Stützpunkt.“

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Der Geisteszustand im Allgemeinen ist hier ebenso unerfreulich wie überall. Österreich hat seit der Zollununionssache73 viele Sympathien eingebüßt. Trotzdem werden jetzt gewichtige Anstrengungen von Seite unserer Freunde gemacht um uns Ende Dezember die 60 Millionen Tranche zu sichern.74 Es dürfte gelingen. Mehr weiß ich nicht zu berichten. Vorläufig dürfte ich bis 3. D.[ezember] hier­ bleiben. Mein Verstand sagt mir: überhaupt vorläufig nicht an Rückkehr zu denken, da meine Lage ja eine verzweifelte ist. Na (?) mein dummes Herz will lieber Not ertragen als Trennung von den Kindern. Ich hoffe Sie wohl und grüße Sie als Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps75



[GK an BZ, MS] {B. Zuckerkandl-Szeps} Wien, am 15. Dezember 1931. Verehrte Freundin! Ihr lieber Brief vom 16. November kam am 20. November an, als ich gerade in Basel war. Lassen Sie mich Ihnen herzlichst dafür danken dass Sie mich ein bißchen ins Bild setzen. Ich habe weder Kopf noch Zeit gehabt, Ihnen früher zu schreiben, auch hoffte ich, Anfangs Dezember nach Paris zu kommen, woraus aber vorläufig nichts geworden ist. Ich hoffe Sie recht bald in Wien zu sehen und will für heute Ihnen nur einen herzlichen Gruß senden, damit Sie wenigstens wissen, dass mir Ihr Brief eine große Freude gemacht hat und dass ich oft, gerne und in Freundschaft an Sie denke. Ihr herzlichst ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Paris 12. Avenue d’Eylau 12.

73 Am 19. März 1931 wurde ein geheimes Handelsabkommen vom österreichischen Außenminister Johannes Schober und dem deutschen Außenminister Julius Curtius unterzeichnet und am 21. März veröffentlicht. Damit sollte der Anschluss Österreichs an Deutschland auf wirtschaftlichem Gebiet vorbereitet werden. Die Geheimhaltung der Verhandlungen und der Verstoß gegen bestehende Verträge riefen international großen Widerstand hervor, insbesondere legte Frankreich ein Veto ein. Das Internationale Schiedsgericht in Den Haag entschied gegen die Vereinbarung, die u. a. zu den Genfer Protokollen von 1922 im Widerspruch stand. Am 3. September 1931 erklärten Österreich und das Deutsche Reich, den Zollunions-Plan aufzugeben. 74 Aus dem Gesamttext geht hervor, dass die Tranche einer zukünftigen Anleihe gemeint ist. Dabei könnte es sich um die Lausanner Anleihe handeln. In Lausanne fand von 16. Juni bis 9. Juli 1932 eine Konferenz zur internationalen Regelung der Reparationszahlungen, die den Verliererstaaten des Ersten Weltkrieges in den Friedenskonferenzen von 1919 auferlegt worden waren, statt, in deren Rahmen unter anderem auch über eine Anleihe für Österreich verhandelt wurde, die schließlich auch in der Höhe von 300 Millionen Schilling am 15. Juli 1932 beschlossen wurde. 75 Der Brief liegt auch als maschingeschriebene Abschrift bei, mit handschriftlichem Zusatz: {Zuckerkandl Berta 20.XI.31}.

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{cop. Mahler aufgegeben Deutsch 15.12.31.}



[GK an BZ, MS] {Hofrätin Zuckerkandl} Wien, am 24. Juli 1932 Verehrte Freundin! Im heutigen Telefongespräch vergaß ich Ihnen die ganz besonders herzlichen Grüße Rist’s auszurichten, die er mir sehr ans Herz gelegt hat. Ich habe ihn Donnerstag Freitag und namentlich Samstag bei mir gesehen und habe Ihnen von ihm alles Liebe und Herzliche auszurichten. Mit vielen Grüßen Ihr treu ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps Bad Gastein Hotel Mozart {aufgegeben Deutsch 24.7.32.}



[BZ an GK, Einladung ohne Datum, MS/HS] BERTA ZUCKERKANDL -SZEPS BITTET Herrn Dr. Gottfried Kunwald Sonntag, den 2. Oktober zu einer Tasse Tee Von 5  –  7h I., OPPOLZERGASSE 6 U. A. W. G. Pour rencontrer le Président Paul Painlevé76



[GK an BZ, MS] Wien, am 29. September 1932. Verehrte Frau Hofrätin! Um auch noch schriftlich und formal meine Pflicht zu erfüllen: ich kann am Sonntag Ihrer lieben Einladung, für die ich vielmals danke, nicht Folge leisten. Ich glaube, dass ich in den engen Räumlichkeiten unter so vielen Personen nur stören würde. Aber ich wäre Ihnen ganz besonders dankbar, wenn Sie mir bei Painlevé an irgend einem Tage eine Stunde zwischen ½1 Uhr 76 „Um den Präsidenten Paul Painlevé zu treffen.“

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mittags und 8 Uhr abends erwirken würden, zu der ich ihn im Hotel besuchen darf. Ich müßte es nur Tags zuvor am Vormittag wissen, damit ich andere Verabredungen absagen kann. Vielen, vielen Dank für Einladung und für Bemühung. Ihr treu und herzlichst ergebener {cop. H.[ammelrath] aufg. H 29.9.32. Hochw. Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps I., Oppolzergasse 6.}



[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl 20.1.33} Mittwoch d. 18. J.[änner 1933] 12. Avenue d’Eylau Lieber Freund! Ich hätte Ihnen längst geschrieben, aber ich dachte viel früher zurückzufahren und hielt einen Brief für überflüssig. Jetzt aber da sich mein Aufenthalt verlängert will ich Ihnen doch noch von hier herzliche Grüße schicken. Warum ich so lange fortbleibe? (Wahrscheinlich bis Ende dieses Monats.) Weil ich fühle dass mein Platz jetzt hier ist, bei unserem armen besten Freund Painlevé. Ich kann mich nicht entschließen gerade in traurigen Augenblicken einer Situation auszuweichen die ich (nur Ihnen dies in absolutester Diskretion) für hoffnungslos halte. Sehe ich zu schwarz? Mein Hang zum Pessimismus ist Ihnen ja bekannt. Aber, wenn ich auch die behandelnden Ärzte nicht sprechen konnte, so weiß ich leider so viel von Medizin um aus den gegebenen Mitteln, aus dem subjektiven Bild des Patienten die Diagnose erraten zu können. Painlevé hatte, nachdem er damals an seiner Rede sechs Nächte bis in der Früh mit seinem Sekretär durcharbeitete, dann die dreistündige Rede hielt, einen Infarkt erlitten. Das heißt ein Blutgerinnsel blieb im Herzmuskel stecken. Als nach 14 Tagen diese Gefahr geschwunden war, erlitt er einen zweiten Anfall – von schwerster Atemnot. Diese Atemnot besteht nun weiter wenn auch in leichterem Maße fort. Die Nieren arbeiten nicht genügend. Ich habe dies alles bei Emil drei Jahre lang erlebt und kenne leider den Verlauf allzu gut. Ich bin viel bei Painlevé. Nachmittag spielt Sofie mit ihm Domino, ich kiebitze. Er empfängt noch immer viel zu viel Menschen und hat die Energie mit seinem Stab des Ministeriums das Wichtigste selbst zu erledigen. Wie lange noch? (Eben hörte ich dass heute die Nacht sehr gut war. 8 Stunden Schlaf ohne Mitteln. Das erste Mal!!!) Das Ministerium dürfte glücklicherweise nächste Woche fallen.77 Boncour ist zwar sehr gut, aber ich sage glücklicherweise weil Painlevé dann als Privatmann sich viel mehr Schonung auferlegen kann. 77 Das Kabinett unter Ministerpräsident Joseph Paul-Boncour bestand vom 14. Dezember 1932 bis 29. Jänner 1933.

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Man glaubt dass sich bis zum März noch zwei Ministerien abnützen werden. Dann – nach Antritt von Roosevelt’s Regierung78 wird hier wie während des Krieges ein Minister d’ Union Nationale I. eingesetzt werden – um alle schweren Fragen wegzuräumen. Als Ministerpräsident war Painlevé designiert. Das ist nun wohl vorüber. (Bitte nur für Sie) (Auch Rist nichts sagen.) Rist habe ich nur telephonisch gesprochen. Er ist jetzt in Genf. Seine Ernennung zum Verwaltungsrat der Banque de Paris kann Ihnen gewiß sehr angenehm sein? – Stallforth mit seiner Frau sehe ich oft. Wir dejeunieren zusammen und gehen Abend aus. Er scheint eigentlich nicht viel zu tun zu haben, und sagte mir er sei Ende dieses Monats wieder in Berlin. Er hat mir auch erzählt dass er mit Ihnen telephoniert hätte und vorläufig hier nichts los sei. Er will auf einen Tag zu Ihnen nach Wien kommen. Die Krise hier ist wie mein Schwager Clemenceau meint im Abnehmen. Aber der Boykott den die Amerikaner gegen französische Ware einführen, die Leere in Paris weil die Amerikaner und auch die Engländer zu Hause bleiben schafft ein sehr geändertes Paris. So lange nicht irgend eine Entspannung zwischen Berlin und Paris Wirklichkeit wird, so lange ist Europa nicht zu helfen. Berthelot scheidet nun endgültig aus dem Quai d’Orsay.79 Sein Nachfolger ist Léger den Sie ja kennen. Es heißt dass unser lieber erster Legationsrat Schmid eventuell Nachfolger Grünbergers wird. Dies wäre so ungemein klug, gut, ausgezeichnet dass ich mir nicht denken kann dass es wird. Der neue deutsche Botschafter ist sehr beliebt.80 Ich bin für Freitag bei ihm zu einem Dejeuner geladen und zwar in intimen Kreis so dass ich ihm gewiß gut sprechen werde. Sonst sehe ich wenig Politiker. Außer Herriot mit dem ich wieder Fühlung genommen habe. So! Eine Fleißaufgabe für Sie der B. Z. ihr Geschreibsel zu entziffern. Aber Sie lesen so klar in meiner Seele dass Sie auch Gedankenleser dieser Zeilen sein werden. In aller Treue Ihre Berta Zuckerkandl-Szeps

 78 Franklin Delano Roosevelt war vom 4. März 1933 bis zu seinem Tod 1945 Präsident der USA. 79 Mit Philippe Berthelot war der letzte Vertreter der Deutschland-Politik von Aristide Briand am Quai d’Orsay ausgeschieden. Die Einschätzung findet sich in den Gesandtschaftsberichten: ÖStA, BKK/AA, Neues Politisches Archiv, Paris Berichte Österreichische Gesandtschaft 2. Mai 1933. 80 Roland Köster war vom November 1932 bis zu seinem Tod am 31. Dezember 1935 deutscher Botschafter in Paris.

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[GK, Notiz, 7. April 1933, HS] {Berta Zuckerk.} Frau Zuck hat Daladier gewonnen. François Crucy 81 Anhänger Blums sagte Hirtenberg „XXX wird jetzt von XXX XXX“.82 {7. 4. 33}



[GK an BZ, MS] Wien, am 18. Juni 1933 Verehrte Freundin! Beiliegenden Brief habe ich soeben persönlich im Hotel Sacher für Rist abgegeben, der gerade angekommen war. Ich hoffe, er wird Sie um 7 Uhr anrufen. Er ließ mir sagen, dass er heute abend um 7 Uhr anderswo ist und erst spät abends oder morgen früh anrufen kann. Es wäre sehr schön, wenn ich Sie und ihn sehen könnte. Vielleicht paßt es Ihnen und ihm auch den neuen Gesandten, den ich noch nicht kenne, dazu zu laden; aber nur, wenn es beiden sehr erwünscht ist. Auch sonst kann dazu kommen, wen Sie für richtig halten. Montag, Dienstag und Mittwoch bin ich mittags verhindert und es könnte also nur ein Diner sein. Ab Donnerstag bin ich sowohl zum Dejeuner als zum Diner frei. Herzlichst Ihr {cop. H[ammelrath]. 18. 6. 33 Ich Dr. K.[unwald] Oppolzerg. 6 abgegeben 18./6.33 Hofrätin B Zuckerkandl I. Oppolzergasse 6 Beiliegend Brief an Prof. Rist}



[GK an Charles Rist, MS, französisch] Wien, 18. Juni 1933 Verehrter Gouverneur, Frau Zuckerkandl, die diese Woche in Purkersdorf weilte, hat mich um 4 Uhr angerufen und mir gesagt, dass sie heute Sonntag in die Oppolzergasse zurückfährt und Sie bittet, sie ab heute Abend 7 Uhr anzurufen, um entweder ein Mittag- oder ein Abendessen mit ihr und mir zu vereinbaren. Ich bin von dieser Nachricht begeistert und bitte Sie, mit ihr zu telephonieren. Ich wäre sehr glücklich, Sie und Frau Zuckerkandl, vielleicht mit einigen Ihrer Freunde, hier bei mir zu sehen. 81 Gemeint ist François Crucy, das Pseudonym für Maurice François Marie Rousselot, französischer Journalist und sozialistischer Politiker; 1936/37 Leiter des Informationsdienstes der Front Populaire-Regierung unter Léon Blum. 82 Die handschriftliche Kurznotiz konnte nicht transkribiert werden.

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In aufrichtiger und tiefer Freundschaft Hochachtungsvoll Ihr … Herrn Professor Charles Rist Ehrengouverneur der Banque de France etc. etc. Wien Hotel Sacher {cop. H[ammelrath] 18.6.33 Ich Dr. K.[unwald] Hotel Sacher abgegeben 18./6.1933 Duchschlag als Beilage z. Brief Hofrätin Z. 18. 6.33}



[GK an BZ, Gesprächsnotiz, 2. Juli 1933, MS] 600 000 600.000 240 50 24 1200 1,2000 000 2/3 500.000 Ich komme auf das Gespräch zurück, welches Sie letzthin mit mir zu führen so gut waren. Vielleicht ginge es doch mit dem Export von Käse nach Frankreich. Es wäre ja gewiß ein Kunststück. Denn Käse nach Frankreich ist wie Eulen nach Athen. Aber mir ist doch eine Möglichkeit eingefallen. Wann könnte ich bei Ihnen vorbeikommen? {Hofr. Zuck überg 2.7.33}83



[BZ an GK, MS/HS] {Zuck 18.7.33} Montag. [17. Juli 1933] Lieber Freund; Im Telegrammstil. Painleve gestern gesehen. Ist augenblicklich besser. (Unberufen, ich klopfe). Sprach ihm von unserer Sache. Ist Feuer und Flamme uns zu helfen. Bot sich selbst an Daladier uns zu verschaffen. Caillaux leider in einem Bad: Royat. Nicht sehr weit, immerhin acht Stunden. Werde vielleicht heute erfahren können wie lange er dort bleibt und ob er dann nach Mamers84 zurückkommt. Gerade die Reduktion der Präferenz scheint Painleve ein möglich erreichbarer Weg. Er versprach mir bis zu Ihrem Kommen absolutestes Stillschweigen. Übrigens empfängt er Niemanden. Ausdrückliches Verbot der Ärzte. Entschuldigen Sie bitte diese Daktylographie.85

83 Bei den Zahlenangaben handelt es sich möglicherweise um Mengen im Zusammenhang mit dem Käseexport nach Frankreich. 84 Mamers ist eine Gemeinde im Département Sarthe. 85 Veralteter Ausdruck für Maschinschreiben.

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Herzlichst Berta Soeben Anruf erhalten: Caillaux ist nicht mehr in Royat. War vorgestern in Paris. Erfahre wahrscheinlich morgen Näheres.



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl} Wien, am 21. Juli 1933 Verehrte Frau Hofrätin! Als wir vorgestern telephonisch sprachen, hatten Sie – natürlich weil von ganz anderen Dingen präokkupiert und überdies am späten Abend müde – halb und halb vergessen, was in Wien vorgegangen war, bevor Sie abreisten. Ich rufe es daher in Ihre Erinnerung. Am Dienstag den 4. Juli war ich mit dem Programm, das Sie bei unserem vorgestrigen Gespräch noch im Kopfe hatten, zu Winkler gegangen. Ich habe ihm, ausdrücklich in Ihrem Auftrag, proponiert, weitere Präferenzabkommen86, so wie das Holzabkommen, das wir damals für perfekt hielten „gewesen war“, durch Mitwirkung Ihrer Freunde in Paris vorzubereiten. Er begrüßte diese Absicht und sagte mir, er werde mich am Mittwoch den 12. Juli anrufen, da er zuerst mit dem kompetenten Minister Schumy sprechen müsse, der erst am Montag den 10. Juli von seiner Reise zurückkommt. Am Dienstag den 11. Juli besprachen wir dann auf der Fahrt von Purkersdorf in die Paunzen87 die damals plötzlich durch die Ablehnung des Präferenzabkommens im Senat geschaffene Lage. Es war uns beiden klar, dass wir jetzt weitere Präferenzabkommen nicht vorbereiten können. Wenn ein Präferenzabkommen in so unbegreiflicher und blamabler Weise im letzten Augenblick gescheitert ist, so kann – darüber waren wir einig – eine Fortsetzung dieses Weges wohl von uns privat vorbereitet werden; aber es kann der Regierung nicht zugemutet werden, hiefür uns ein Programm an die Hand zu geben, solange nicht das alte Holzabkommen gerettet ist. Hingegen können und sollen wir aus diesem peinlichen Zwischenfall make the best. Das heißt, wir sollen uns nun zur Verfügung stellen, mitzuhelfen, die Holzsache für Österreich zu retten. Das wird – so waren wir beide überzeugt – sicherlich sehr willkommen geheißen werden. Nur müssen wir dann in dieser sehr schwierigen Sache etwas tun. Damit waren Sie einverstanden und das war nun die Richtlinie. Da begreiflicherweise unter diesen Umständen Winkler an dem in Aussicht genommenen Datum von Mittwoch den 12. Juli auf meinen Anruf nicht 86 Präferenzabkommen regeln zwischenstaatliche Beziehungen durch die Gewährung von Vergünstigungen, z. B. Zollbefreiung bei Importen gegenüber ausländischen Partnern. 87 Paunzen – Bezeichnung einer Gegend im westlichen Wienerwald; heute ein Ortsteil von Purkersdorf, für den sich auch die Schreibweise Baunzen findet.

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gerade empressiert reagierte, sondern mich aufforderte, selbst mit Schumy zu sprechen, beschlossen wir vor und bei Ihrer Abreise am 13. und 14. Juli in mehrfachen Telephongesprächen, dass ich nunmehr in Ihrem Auftrag mich bei Schumy melden soll. Ich rief am 14. Juli Schumy an und war am 15. bei ihm in Audienz. Am 16. Juli d. i. am Sonntag berichtete ich Ihnen, dass die Audienz bei Schumy ganz besonders günstig verlaufen war. So wie ich es vorausgesehen hatte, war Schumy förmlich Feuer und Flamme für die ihm angebotene Hilfe und stellte mir, ohne dass ich dies erbeten hätte, ein Schreiben in Aussicht. Ich sagte Ihnen am Sonntag den 16. telephonisch nach Paris, dass, wenn dieser Brief kommt, wir nun losgehen müssen und ich Sie bitte, darüber nachzudenken, wie wir der Regierung in Sache des gescheiterten Holzabkommens und insbesondere der von Schumy hiefür angestrebten provisorischen Ersatzschritte uns dienlich erweisen können. Am Mittwoch den 19. Juli langte nun das Schreiben des Ministers Schumy ein, welches ganz besonders freundlich gehalten ist. Dem Schreiben liegt ein kurzes im Auswärtigen Amt verfasstes Exposé in doppelter Ausfertigung bei. Ich schicke Ihnen sub A und B Abschrift des Schreibens und des Exposés. Nun muß ich in absehbarer Zeit nach Frankreich fahren und mit Caillaux und anderen beraten, zu wem ich zu gehen habe, und welche einzuleitenden provisorischen Ersatzschritte durchführbar sein werden. Dafür ist natürlich das Exposé nicht maßgebend. Das muß ich in Frankreich im Gespräch mit den uns wohlwollenden Helfern und mit den entscheidenden Ministerialreferenten herausbekommen. Es darf nicht in Österreich etwas ersonnen und verlangt werden, sondern man muß ein waches Ohr dafür haben, was dort möglich ist. Also wir haben – anders als Sie vorgestern am Telephon meinten – unseren Plan, andere Präferenzobjekte vorzubereiten und zu diesem Zweck die Wünsche der Regierung zu erfahren, so lange vertagt, bis wir für das Holzabkommen momentanen Ersatz geschaffen haben werden. Darauf ist jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit zu richten. Wenn wir uns dieses große Verdienst erwerben können, ist die Grundlage für die weitere von uns ursprünglich ins Auge gefaßte Tätigkeit geschaffen. Sie werden sich sicher nun an alles erinnern, so wie ich Ihnen es in Erinnerung gerufen habe. Ich gebe diesen Brief heute Freitag zur Flugpost – gestern war es mir nicht möglich, den Brief zu diktieren -, Sie haben in morgen Samstag abends. Ich rufe Sie entweder noch Samstag abends zwischen ½ 9 und ½ 10 Uhr abends an oder, wenn es bei mir zu spät werden sollte, Sonntag vormittags zwischen 10 und 12 Uhr. Mittlerweile werden Sie hoffentlich schon in Erfahrung gebracht haben, wo sich Caillaux jetzt aufhält. In herzlicher Verehrung und Treue

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Ihr ganz ergebener 2 Beilagen. Flugpost express. {Hochwohlgeborene Frau Hofrätin Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme Sophie Clemenceau Paris 12 avenue d’Eylau cop. Mahler 21.7.33 Flugpost expreß aufgeg: Mahler 21.7.33 Auf dem Couvert: prière ne pas expedire après 22 heures du soir ni avant 9 (neuf) heures du matin.88}



[Bundesminister Schumy an GK, MS] {Hofr. Zuckerkandl 19.7.33} Bundesminister Ing. Schumy Wien, am 17. Juli 1933 Sehr geehrter Herr Doktor! Zunächst danke ich Ihnen freundlichst für den mir abgestatteten lieben Besuch. In Hinkunft bitte ich Sie aber sich selbst nicht zu mir zu bemühen; ich bin sehr gerne bereit, Sie in Ihrem Heim aufzusuchen, wenn Sie mir etwas zu sagen haben. Auch ich werde ab und zu etwas am Herzen haben und mir erlauben, Sie persönlich zu besuchen. Für Ihre Bereitwilligkeit, in Paris im Wege der mir bekanntgegebenen Persönlichkeit im Sinne der österreichischen Wünsche intervenieren zu lassen, bin ich Ihnen sehr dankbar. Der Sachverhalt ist aus beiliegender Darstellung, die ich Ihnen in zweifacher Ausfertigung zugehen lasse, ersichtlich. Es würde mich außerordentlich freuen, wenn es Ihnen gelänge, in dieser wichtigen Sache einen Erfolg zu erzielen. Für Ihre Bemühungen im Voraus herzlichen Dank. Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung ergebenster Schumy An Herrn Dr. Gottfried Kunwald in Wien.

 88 „Bitte keine Zustellung von 22 Uhr abends bis 9 Uhr morgens“.

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[Beilage zu Brief, Präferenzvertrag mit Frankreich] {19.7.33} Präferenzvertrag mit Frankreich Vor längerer Zeit schon wurde zum französisch-österreichischen Handelsvertrag89 ein Zusatzabkommen vereinbart, wonach uns Frankreich für eine Menge von 15.000 Waggons Schnittware eine Ermäßigung des Einfuhrzolles von 5 France pro 100 kg, das sind 25 France pro fm, zugesteht. Diese Präferenz ist im Hinblicke auf die mäßigen Holzpreise notwendig, damit Österreich sich in ausgedehnterem Maße an der Holzausfuhr nach Frankreich beteiligen könne. Kaum war das Abkommen vereinbart, erhöhte Frankreich den Einfuhrzoll für Holz im Wege einer Surtaxe um 8 France pro 100 kg, also um 40 Fr. pro fm. Diese Taxe wurde für alle Einfuhrstaaten vorgesehen und soll nicht allein die Bestimmungen haben, die französischen Holzpreise zu heben, sondern auch den Zweck, dem Finanzminister erhöhte Einnahmen zu sichern. Die Mehreinnahme aus dieser Taxe ist sogar im französischen Budget vorgesehen. Nach langem Hin und Her erteilte etwa vor 1 Monat das französische Parlament dem Holzabkommen mit Österreich die Zustimmung. Man dachte, nun sei die Sache gemacht. Man hat dabei aber mit dem Senat nicht gerechnet. Der Senat behandelte diese Angelegenheit zunächst im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, welcher Ausschuss nach verschiedenen Zwischenfällen endlich zur Einsicht kam, dass der Vertrag auch eine politische Notwendigkeit darstellt und daher vor das Haus gelangen müsse. Im Senat selbst jedoch war eine Mehrheit für die Vorlage nicht zu haben, weshalb der Beschluß gefaßt wurde, die Vorlage dem landwirtschaftlichen Ausschuß zuzuweisen. Damit war der Vertrag begraben, und zwar wenn nicht überhaupt, so doch bis zum Herbst, weil der Senat am gleichen Tage seinen Urlaub antrat. Diese Art der Behandlung unseres Vertrages hat in Österreich die größte Bestürzung hervorgerufen und vor allem die alpenländischen Bauern mit der größten Bitternis erfüllt. Die Bevölkerung ist der Meinung, dass Frankreich ernstlich gar nicht daran denkt, uns zu helfen. Gerade bei Holz wäre eine Hilfe möglich gewesen, die zweifellos auch ihre politischen Wirkungen in der Richtung geübt hätte, dass wir in unserem Kampf um unsere Selbständigkeit viel neue und wertvolle Anhänger gewonnen hätten. Hier muß versucht werden, rasch eine Tat zu setzen. Diese kann nur darin bestehen, dass für österreichische Schnittware sogleich Begünstigungen gewährt werden, die in ihrer summarischen Höhe dem Ausmaße der geplanten Präferenz annähernd gleichkommen. Diese Begünstigung kann sein, dass eine 89 Zu den komplexen zwischenstaatlichen Verhandlungen vgl. Archivmaterial im ÖStA, AdR in den Beständen Landwirtschaft, Handel und BKA, Handelspolitische Abteilung. Speziell zu Holz AdR, Bundesministerium für Landwirtschaft, Kanzlei C, Frankreich Holz. Das Aktenmaterial enthält zahlreiches statistisches Material, aus dem ersichtlich ist, dass die österreichischen Holzlieferungen bis Jänner 1938 abnahmen. Ebenda unter Frankreich Handelsvertrag Präferenz Holz finden sich Akten aus den Jahren 1932 bis 1938. Vgl. auch Barbara Kronsteiner, Frankreichs Österreichpolitik Anfang der 1930er Jahre, Handel-Finanz-Diplomatie, Phil. Diss., Wien 2000.

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entsprechende Ermäßigung der Bahnfracht eintritt, dass stillschweigend eine Zollvergütung vom Normalzoll eingeräumt wird oder aber dass die Surtaxe für österreichische Schnittware von 8 auf 3 France pro 100 kg herabgesetzt wird. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten einer Begünstigung, vielleicht können auch 2 oder 3 verschiedene Methoden gleichzeitig angewendet werden. Auf jeden Fall müßten es Maßnahmen sein, zu denen uns sich die französische Regierung berechtigt erachtet und auf jeden Fall müßten diese Begünstigungen solange wirksam sein, solange nicht der neue Holzvertrag wirksam wurde in Kraft tritt.90



[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl 24.7.33} Freitag [21. Juli 1933] Lieber Freund! Ich sende Ihnen anbei die Rede Caillaux die er in Marseille gehalten hat.91 Er ist ganz für Zusammenarbeit der Völker. Also gut eingestellt. Meiner Meinung nach sollten Sie ihm gleich als Leser dieser Rede einen Brief schreiben in welchem Sie sich bewundernd äußern und auch gleichzeitig ihm sagen dass Sie bald nach Paris kommen werden. – Wenn Sie diesen Brief an seine Pariser Adresse schicken und „Faire ouivre“ schreiben so erhält er den Brief nachgesendet. Vorläufig konnte ich nichts Näheres erfahren. Caillaux bleibt einige Tage in Aise. Hoffentlich kommt er dann hierher. Herzlichst B. Z.



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl} Wien, am 24. Juli 1933. Verehrte Freundin! Ich habe den Artikel Caillaux’ gelesen. Es ist ein rechtes Malheur, dass ich ihm nicht begeistert schreiben kann, weil er meinen ökonomischen Ansichten widerspricht. Alles, was Caillaux wirtschaftlich vertreten hat, von der progressiven Einkommensteuer bis zur Ersparungspolitik in Krisenzeiten, widerspricht meiner Linie. Nur eine wirtschaftliche Tat, die er vollbracht hat, hatte meinen Beifall: dass er im Jahre 1926 während seiner ganz kurzen Ministerschaft Robinet absetzte und die Bank von Frankreich auf den Weg der Stabilisierung zwang. Damals hat er Frankreichs Volkswirtschaft gerettet. Dass später Poincaré, der Frankreichs Finanzwirtschaft nach dem Kriege zugrunde 90 Zeitlich passend vgl. etwa BKA/AA, Hapol, Handel Frankreich 1933. Es finden sich Akten zu Sonderkontingentverhandlungen, Zuerkennung von Spezialkontingenten; Österreichs Wunsch zum Inkraftsetzen der Holzpräferenz; Kontingentwünsche für 1934; Material zum französisch-österreichischen Clearing. 91 Der Zeitungsartikel liegt der Korrespondenz bei.

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gerichtet hatte, ausführen durfte, was Caillaux’ rasches Verständnis und rasche, unglaublich energische Tat ermöglicht hatte, ist eine jener Ungerechtigkeiten der Geschichte, die mich erfreuen und erbauen, aber viele andere Menschen betrüben und verstimmen. Dass Caillaux’ Tat gerade in jene Wochen fiel, in denen ich 1926 quasi dauernd in Paris war, bietet mir immer, wenn ich ihn sehe, neuen Anlaß, ihm in kurzer Anspielung meine Bewunderung auszusprechen. Lassen wir es dabei. Denn seiner Rede kann ich unmöglich Beifall zollen. Hingegen könnten Sie ihm zu der Rede, die Caillaux in Marseille am 20. Juli bei einem ihm von der Société des commerçants et magasiniers gegebenen Bankett hielt – ich gebe diese Details, damit Sie die Rede nicht wirklich lesen müssen und ich sie Ihnen nicht wieder zurückschicken muß – gratulieren und ihm Ihre Begeisterung ausdrücken. Sie sind durch ökonomische und finanzpolitische Ansichten nicht beschwert und haben solche nicht zu vertreten. Wenn Sie dies tun, wird er sich riesig freuen und Sie kommen mit ihm in einen Kontakt, der vielleicht für die weitere Behandlung unserer Sache uns von großem Wert sein kann. In diesem Brief, in dem Sie ihn loben, dürfen Sie mich noch nicht erwähnen. Das tun Sie dann in einem zweiten Brief, wenn das Datum meiner Reise schon feststeht. Herzlichst Ihr ergebener {cop. H.[ammelrath] 24.7.33 aufgegeb Friedler 24.7.33} Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme. Sophie Clémenceau Paris 12 avenue d’Eylau Flugpost. Express. Prière ne pas expédier après 22 heures du soir ni avant 8 heures du matin.92



[BZ an GK, MS] {Zuckerkandl 26.7.33} Montag. [24. Juli 1933] Lieber Freund! Bei Caillaux erfolglos angerufen. Ein Diener antwortete es sei gar keine Nachricht von Monsieur da, er wisse überhaupt nicht ob Monsieur wieder nach Paris kommen wird. In ein paar Tagen frage ich nochmals an. Es ist anzunehmen dass Caillaux in diesen wahren Hundstagen es vermeiden dürfte Paris zu berühren. Von dieser Luft hier machen Sie sich keinen Begriff. Ich bin buchstäblich außer Stande zu atmen. 92 „Bitte keine Zustellung von 22 Uhr abends bis 8 Uhr morgens“.

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Was werden wir machen wenn Caillaux den ganzen August eventuell fortbleibt. Ich muß mich nach meinem Schwager richten. Im Augenblick wo ihn die Ärzte nach l’Aubraie senden muß ich mit ihm fort. Heute ist das Fieber gefallen. Morgentemperatur noch immer 37 sieben. Der Arme ist sehr unglücklich über diesen Rückfall den die Ärzte aber auf eine Darmverstimmung zurückführen. Gestern war ich bei Schmid in unserer Gesandtschaft. Zufällig wurde er von Wien angerufen. Ich entnahm seinen Antworten dass es sich auch um das Holz handelt. Als er fertig war konnte ich ihm nun unauffällig Fragen stellen. Schmid sieht sehr pessimistisch, obwohl er sagt dass man natürlich weiter alles versucht. Er bezeichnete als vollständigen Ersatz für die abgelehnte Formel eine Erniedrigung der Surtaxe. Damit wäre ebensoviel erreicht als wenn die erste Formel durchgegangen wäre. Nun sagte er: Leger hat uns alles versprochen im ersten Augenblick nach der Senatenttäuschung. Aber jetzt ist das wieder abgeführt. „Man hält uns hin. Man denkt schon wieder nicht daran uns zu helfen.“ Ist also (frug ich Schmid) Leger wertvoll in dieser Sache? Worauf Schmid dies bejahte. Da Sie mir sagten dass Quesnay Sie bei Leger einführen will so wäre hier der Weg für Sie vorgezeichnet und geebnet. Quesnay kann auch leicht feststellen wann Leger für Sie zu sprechen wäre. In der Gesandtschaft glaubt man nicht recht an die Zeitungsmeldungen dass Heinl als Gesandter plötzlich herkommt. Aber dies stimmt mit etwas was mir der Kleine93 ausdrücklich anvertraut hatte. Nämlich dass er Günter keinesfalls behält. Für uns wäre Heinl sehr gut weil er gewiß Geschäfte machen wird. Ich grüße Sie herzlichst. Wir erfahren eben wieder dass man im Hochsommer keine Geschäfte machen kann. In Paris jedenfalls nicht. Herzlichst B. Z.



[BZ an GK, MS] {31.7.33} Freitag. [28. Juli 1933] Lieber Freund! Um Ihnen die Situation klar zu machen. Folgendes: Ich habe Caillaux Geheimnummer mir verschafft. Und damit man bestimmt Auskunft gibt hat Painleves Sekretär selbst in Painleves Namen täglich angerufen. Aber leider ohne jeden Erfolg. Es meldet sich Niemand. Die ganze Dienerschaft ist also ebenfalls fort und wahrscheinlich in Mamers. Aber auch in Mamers ist Caillaux nicht. Er scheint den ganzen August fortzubleiben. Damit muß man nun rechnen.

93 Damit ist wahrscheinlich Bundeskanzler Dollfuß gemeint. Vgl. den Ausdruck „der kleine Kanzler Dollfuß“ etwa auch bei Hilde Spiel, Die hellen und die finsteren Zeiten, Erinnerungen 1911 – 1946, Darmstadt 1989, S. 98.

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Ich bin nur mehr die nächste Woche hier. Weil Paul wenn es weiter nach Wunsch geht am 10. A.[ugust] mit uns nach l’Aubraie übersiedelt. Dann dürfte ich erst im September bei der Rückreise wieder hier sein. Was tun? Meine Auskunft wegen Leger werden Sie erhalten haben. Also dass ist der Mann mit dem man vorerst unterhandeln muß. Leger kann dann wenn er will Ihnen alle weiteren Wege weisen und leichter machen. Aber Leger wird Ihnen wie Sie mir sagten Quesnay verschaffen. Quesnay muß sich vorerst erkundigen ob Leger nicht auch auf Urlaub ist. Von dieser Hölle hier macht man sich keinen Begriff. Gestern 38 Grad im Schatten. Die Nächte furchtbar. Paul sagt dass seit dreißig Jahren Ähnliches nicht da war. Ganz mein Glück dass ich, die so krank bei Hitze ist, diesmal hier sein muß. Und unter wenig erfreulichen Umständen. Denn ich verbringe die Tage ganz im Sanatorium und konnte für mich noch keine Minute verwenden. Auch ist Pauls Laune natürlich mäßig. Und er ist sekkant wie alle Clemenceaus, wenn sie krank sind. Überlegen Sie nun was Sie tun wollen. Sie können Schumy ruhig sagen dass augenblicklich hier Hundstage sind und kein Mensch zu erreichen. Baldigste Nachricht bitte. Herzlichst B. Z.



[BZ an GK, Radiogramm, 31. Juli 1933, MS] RADIOGRAMM

Eingelangt 12.40 31. VII. 33 FTB SN 1235 7 Paris 7 31 1055 =

KUNWALD SCHULERSTRASSE 1 WIEN = CAILLAUX MAMERS BERTHE +++ 7 1 MM WE RD ALSO DQ LAILLAUX +



[BZ an GK, MS] {Zuck 7.8.33} Paris den 5. A.[ugust 1933] Lieber Freund! Ich bin ganz erstaunt nichts von Ihnen zu hören. Vor ungefähr 5 Tagen sandte ich Ihnen ein Telegramm: „Caillaux, Mamers.“ Ich erfuhr dass er hingefahren sei und benachrichtigte Sie sofort. Seitdem ist Caillaux allerdings wieder in der Sarthe94 gewesen. Aber er scheint doch jetzt meist in Mamers zu sein. Vor einigen Tagen besuchte mich Pierre Comert der Chef der gesamten Propaganda am Quai d’Orsay. Er war ebenfalls verreist gewesen weshalb er 94 Département Sarthe.

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meine dringende Aufforderung mich zu besuchen erst jetzt Folge leistete. Ich erzählte ihm da er der beste Freund Österreichs ist, alles. Er ist über den Senat empört und möchte alles versuchen um zu helfen. Er bat mich ihm einige Tage Zeit zu lassen bis er sich orientiert. Montag soll ich ihn anrufen. Er wird mir dann sagen ob er etwas vorschlagen kann. Ich habe ihm erzählt dass Sie wahrscheinlich in dieser Angelegenheit herkommen werden. Und zwar mit Wissen und Wollen der Regierung. Comert kennt Ihren Namen natürlich und wird sich sehr freuen mit Ihnen zusammenzukommen. Aber er geht bereits am 5. August auf Urlaub. Comerts Stellung am Quai d’Orsay ist größer als man ahnt. Er erzählte mir höchst interessante Dinge die ich aber keinem Brief anvertrauen kann. Ich schreibe Ihnen in sehr nervöser Stimmung. Sie können sich keine Vorstellung davon machen wie neurastenisch Paul seit der Operation ist und als echter Clemenceau verbreitet er zu Haus ein wahres Schreckensregiment. Wir zittern alle vor ihm. Hingegen ist unser teurer edler Painleve der so viel leidet dass mir das Herz blutet von einer engelsgleichen Geduld und Güte. Noch immer hat er ein dankbares Lächeln in seinem Antlitz das so verändert ist. Wir stehen erschüttert vor diesem Schauspiel höchster Güte und philosophischer Ergebung. Ich glaube es kann nicht mehr lange dauern. Herz enorm erweitert. Die Leber geschwollen. Wasser im Bauch, in den Füßen. Kurz das Bild das ich durch das Leiden Emil Zuckerkandls nur allzu gut kenne. Mittwoch nun muß ich nach l’Aubraie. Schreiben Sie mir aber hieher. Man sendet mir alles nach. Ich mache ja nur einen Versuch mit l’Aubraie. Da ich hier sehr unwohl bin durch eine Magenverstimmung die ich mir zuzog als der Thermometer im Schatten 38 Grad hatte, so weiß ich nicht ob ich das Klima das mir stets schlecht tat vertragen werde. Gerson der zufällig ein paar Tage hier ist betreut mich rührend und nährt mich nach seiner Weise. Er meint ich soll jedenfalls l’Aubraie versuchen. Sollte ich weg müssen so passiere ich dann Paris und hoffe jedenfalls Nachricht über Ihre Pläne zu erhalten. Schreiben Sie ob Sie das Telegramm bekamen. Ich sandte es den Tag nach Ihrem letzten Telephonanruf ab. Als Sie mir sagten Sie würden Schumy benachrichtigen dass Caillaux nicht erreichbar ist. Gerade den nächsten Tag erfuhr ich von Mamers und tele-[graphierte] gleich. Herzlichst Berta Stallforth ist schwer erkrankt und muß operiert werden. Niere. Seine Frau wurde telegraphisch berufen. Ich weiß nur dieses Faktum, also gar nichts Weiteres. Bin sehr besorgt.



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[BZ an GK, MS] {Zuckerk} L’Aubraie par la Theorte-Vendee Freitag den 11 A.[ugust 1933] Liebster Freund! Erst von hier kann ich Ihnen die Abschrift eines Berichtes senden den ich vorgestern am Tag meiner Abreise dem Bundeskanzler geschickt habe. Und zwar auf demselben Weg durch den Sie diese Zeilen erhalten. Ich sende diese Briefe alle meiner langjährigen Gesellschafterin und besten Freundin Frau Mayor Feitzelmayer, die dann persönlich bei dem Bundeskanzler mein Schreiben abgibt und sich dasselbe bestätigen läßt. Auch Sie erhalten also diese Zeilen durch Jeanne Feitzelmayer. Ich hoffe sehr dass Sie mit allem was ich gemacht habe einverstanden sein werden. Es ergab sich eine so außerordentliche Möglichkeit das Exposé welches Sie mir geschickt hatten auf direktesten Weg auszunützen dass ich ohne Ihre Führung die Sache gewagt habe. Sie scheint mir vollkommen gelungen und ich habe nicht die Gelegenheit versäumt, Ihren Namen dem Bundeskanzler gegenüber in’s richtige Licht zu setzen. Mein zweiter Bericht wird ebenfalls interessant sein betrifft aber nur interne Fragen. Ich bin total erschöpft und äußerst schonungsbedürftig. Nun tut mir leider das Klima hier immer schlecht. Aber ich werde doch versuchen durchzuhalten damit ich den September dann in Paris bleiben kann. In Wien habe ich nicht zu leben. Vielleicht finde ich hier eher Arbeit. Der besondere Grund meiner Nervenanstrengung war meine phantastische Idee die ich in Wien gefaßt hatte, Gerson dessen unerhörte Herz- und Nierenkuren ich genau kannte zu dem sterbenden Painleve zu bringen. Ich setzte es durch. Was das heißt, einen deutschen Arzt zu einem führenden französischen Politiker zu bringen werden Sie verstehen. Nun: Gerson kam, fand Painleve aufgegeben. Leber doppelt vergrößert, Wasser im Bauch und in den Füßen, schrecklicher Puls, furchtbare Atemnot, keine Nahrungsaufnahme. Gerson sagte unumwunden dass es ein Mirakel sein würde, den Mann noch zu bessern. Auch beide Lungenflügeln waren infiltriert. Sechs Tage später, trotz der passiven Resitenz [sic] der Ärzte, fing Painleve an zweitausend Gramm zu urinieren. Die Lungenflügel wurden frei, das Wasser im Bauch und in den Füßen kolossal verringert. Die Leber abgeschwollen. Vier Kilo an Gewicht abgenommen. Also alles was Gerson als erste Symptome einer noch immer möglichen Heilung angekündigt hatte, ist bis heute eingetroffen. Natürlich ist noch nicht alle Gefahr gebannt. Aber es ist ein ungeheurer Fortschritt. Bitte Niemanden etwas sagen. Damit nicht in Zeitungen darüber geschrieben wird. Denn dann würde hier ein Sturm der Ärzte einsetzen, und Gerson der nächste Woche wiederkommen soll könnte es schwerer haben. Vielleicht telephonieren Sie bitte an Gerson dass er höchste Vorsicht walten läßt. Könnten Sie bitte auch so lieb sein und Frau Mayor Feitzelmayer anrufen (sie steht im Telephonbuch unter Hanns Feitzelmayer) ob sie Dollfuß den Brief

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abgeben konnte und ob er noch in Wien denselben in Empfang genommen hat.95 Für ein Telegrammwort der Bestätigung von Ihnen wäre ich dankbar. Paul viel besser. Stallforth Gott sei Dank nicht operiert. Geht gut. Innigst Berta {Entschuldigen sie die Daktylographie}96



[BZ an Bundeskanzler Dollfuß, MS] {13.8.33} Kopie Dienstag den 8.A.[ugust 1933] Paris 12, Avenue d’Eylau. Hochverehrter Herr Bundeskanzler! Gestatten Sie dass ich von Ihrer gütigen Erlaubnis Gebrauch mache und Ihnen aus Paris einen Bericht sende der wie ich glaube gerade in diesem Augenblick nicht ohne Interesse ist. Als ich vor drei Wochen nach Paris kam war dies eben nachdem der unglückselige Senat das Österreichische Holzabkommen abgelehnt hatte. Sie erinnern sich vielleicht Herr Bundeskanzler, an ein Gespräch im Sanatorium Westend und dass ich im Laufe dieses Gespräches die Möglichkeit erwähnte in Paris durch besondere Beziehungen auf verschiedene französisch österreichische Probleme einzuwirken. Im Zusammenhang damit sprach ich von den besonders guten Beziehungen von Dr. Kunwald zu Caillaux. Und dass dieser sich Dr. Kunwald gegenüber bereit erklärt hatte für Österreich zu wirken, sowie ein konkreter Vorschlag gemacht werden würde. Nun erhielt ich von Dr. Kunwald hier in Paris die Abschrift eines Exposés eingeschickt das Herr Minister Schumy ihm zu dem Zweck übergeben hatte nach der Ablehnung des Holzabkommens durch den Senat dieses Abkommen doch wieder flott zu machen. Dr. Kunwald konnte nicht selbst herfahren da Caillaux den August über nicht in Paris ist. Aber ich besitze am Quai d’Orsay einen sehr guten Freund der ein besonderer Anhänger von Österreich ist. Dies ist Monsieur Pierre Comert, der 12 Jahre in Genf tätig war. Und den Daladier so außerordentlich schätzt dass er für ihn eine eigene Abteilung im Ministerium des Affaires etrangeres gründete. Comert ist Chef der gesamten französischen Propaganda. Sein Einfluß auf Daladier und Boncour sehr bedeutend. Er wird als ein wichtiger Faktor betrachtet. Und als ein kommender Mann. Ich bat Comert mich zu besuchen. Er sprach mit großer Bitterkeit über die kurzsichtige und unbegreifliche Politik des Senates Österreich gegenüber. Ich erzählte ihm dass ich ganz unoffiziell, nur durch das Vertrauen gestützt dass der Herr Bundeskanzler mir erweisen und vollkommen unabhängig von der Österreichischen Gesandtschaft in Paris versuchen möchte die Holzangelegen 95 Der Brief konnte im ÖS tA, AdR, BKA , Korrespondenz Bundeskanzler Dollfuß nicht eruiert werden. 96 Veralteter Ausdruck für Maschinschreiben.

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heit einen Schritt weiterzuführen. Und ich ließ Comert das Exposé des Herrn Minister Schumy lesen. Es machte auf ihn so großen Eindruck dass er mich bat es ihm vertraulich für einige Tage mitzugeben. Nun telephonierte mir Comert ob ich ihm heute am Quai d’Orsay besuchen könnte. Ich war eine Stunde bei ihm und erlaube mir Ihnen Herr Bundeskanzler das Resultat unserer Unterredung mitzuteilen. Pierre Comert begann damit dass er die eben erfolgte Antwort Deutschlands auf die französische Note97 beleuchtete. Er ging in seinem Vertrauen so weit mich den Bericht des französischen Botschafters in Berlin, Poncet lesen zu lassen. Aus diesem Bericht geht hervor dass Bülow, Monsieur Poncet’s Forderungen kühl ablehnte. Dass der Ton Bülow’s direkt unfreundlichst war. Und trotzdem sagt Comert es ist sicher dass die Aggressionen in den nächsten Tagen aufhören werden. Als eine große Errungenschaft bezeichnet nun Comert diese brüske Art wie Deutschland Frankreichs amikale Vorstellungen zu beantworten für gut hielt, weil dadurch ein für allemal ein Besuch Hitlers in Frankreich oder in England unmöglich geworden ist. Es wird sich fürderhin (sagte Comert) kein französischer oder englischer Botschafter finden, oder es wagen einen solchen Besuch zu vermitteln. Und doch war gerade dies Hitlers höchste Sehnsucht. Er arbeitet mit aller Gewalt daran. Dies ist vorbei. „Ein’s muß geschehen (fuhr Comert fort) Frankreich muß dem Herrn Bundeskanzler Dollfuß und Österreich in wärmster Weise zeigen dass sie fest und unverrückbar auf Frankreich rechnen können. Hier lesen Sie bitte die Abschrift des Briefes den unser Auswärtiges Amt heute Ihrem Gesandten Günter98 zugehen ließ. Dieser Brief wurde in Folge des mir von Ihnen übergebenen und an Dr. Kunwald gerichteten Exposés geschrieben. Ich werde Ihnen aber weit mehr sagen als in dem offiziellen Schreiben steht.“ Mir ist nur ein’s wichtig (unterbrach ich Comert) – dass man die französische Blamage des verweigerten Holzabkommens so rasch als möglich ausmerzt. „Eben dies wird, und ich sage es offen durch Ihre unoffizielle Intervention angeregt sehr bald geschehen. Ich hatte gestern eine lange Unterredung mit dem Chef, und Vorsitzenden der diese Fragen entscheidenden Kommission. Meine Aussprache mit ihm basierte natürlich auf mir gegebenen Richtlinien. Nun: Ich bitte Sie meine Worte als absolut gewichtig und wahr zu betrachten. Coulandre (dies der Name des Vorsitzenden) hat mir am Ende unserer Aussprache sein Wort gegeben dass er die Herabsetzung der Holz-Surtaxe allerraschestens durchsetzen und finalisieren wird.“ Ich fürchte (sagte ich) dass der französische Bureaukratismus mit „Allerraschest“ eine Frist von Monaten versteht.

97 Deutschland lehnte die Anwendung des Viermächtepakts in Bezug auf Österreich ab. Es hielt die Einmischung in deutsch-österreichische Angelegenheiten für unzulässig. Vgl. dazu die „Reichspost“ vom 8. August 1933, S. 1. 98 Der Brief konnte in den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs nicht eruiert werden.

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„Nein! (antwortet Comert) Frankreich fühlt dass es die Pflicht hat dem Bundeskanzler Dollfuß, der bei der französischen Regierung und dem französischen Volk die höchste bewundernde Sympathie genießt, energisch und rasch zu helfen. Glauben Sie mir: Bald werden die von Minister Schumy gemachten Ausführungen wahr gemacht werden.“ Comert skizzierte dann noch die Richtlinien welche nachdem Deutschland die amikalen Vorstellungen zurückgewiesen hat, für die französische Politik jetzt festgelegt werden. „Unsere ganze Kraft wenden wir jetzt an England, um es vollkommen zu gewinnen. Obwohl dort der National-Sozialismus furchtbar verhaßt ist, so tritt doch politisch eine gewisse Zurückhaltung zu Tage. Nun: Haben wir erst England so weit, dann wird eine starke Politik gemacht werden. Weiters geht unser Bestreben dahin die öffentliche Meinung in Frankreich allmählich in Erregung zu versetzen. Deshalb betrachten wir die Antwort Deutschlands als Glück. Weil dadurch die Volks-Stimmung die wir brauchen und auf die wir gewartet haben eine starke resolute Politik gegen Deutschland sanktionieren wird. Ja sie geradezu fordern wird.“ Den Viererpakt99 hält Comert nun beinahe erledigt. Das Alles wollte ich Ihnen verehrter Herr Bundeskanzler melden. Ein zweiter Bericht der unsere Gesandtschaft hier betrifft, unseren Fremdenverkehr, Propaganda u. s. w. werde ich mir erlauben in einigen Tagen zu senden. Primarius Dr. Gerson wird Ihnen die innigen Grüße und Wünsche des Präsidenten Painleve überbracht haben. Gerson hat jedenfalls Großes geleistet.



[BZ an GK, MS] {4.10.33} Verehrter Freund! Anbei das Konzept. Morgen wenn Sie telephonieren komme ich dann selbst um weitere Weisungen. Herzlichst dankend Berta Zuckerkandl



[BZ an Finanzlandes-Direktion, Konzept, ohne Datum, MS] An die löbliche Finanz-Landes-Direktion. Mir steht als Witwe nach Universitätsprofessor Emil Zuckerkandl eine Pension zu; die Kontonummer lautet: 3856hZ

99 Der Viererpakt war ein auf Initiative von Mussolini unterzeichnetes Abkommen zwischen Italien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, das am 15. Juli 1933 unterzeichnet, jedoch nie ratifiziert wurde. Es gab Gegenvorstellungen von Frankreich, danach sollten die Länder der Kleinen Entente mit Österreich und Ungarn zu einer Gruppe zusammengeschlossen werden, um den Frieden zu festigen und die Donauländer wirtschaftlich zu reorganisieren (Block „à cinq“). Vgl. dazu ÖStA, BKA/AA, NPA Paris Berichte, Österreichische Gesandtschaft 29. Juni 1933.

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In Folge einer schweren Erkrankung, die mich 2 Monate hindurch arbeitsunfähig gemacht hat, bin ich nicht im Stande, die durch diese Krankheit aufgelaufenen Kosten zu tragen. Ich bitte daher höflichst von meiner mir monatlich ausgezahlten Pension von Sch 481.-- mir tausend Schillinge Vorschuß bewilligen zu wollen und einen monatlichen Abzug dieser Summe von …….. festsetzen zu wollen.100 Hochachtungsvoll Berta Zuckerkandl-Szeps101



[BZ an das Finanzministerium, 5. Oktober 1933, MS] An das hohe Bundesministerium für Finanzen Wien Einschreiterin: Berta Zuckerkandl, Witwe nach Hofrat Prof. Dr. Emil Zuckerkandl, Wien I., Oppolzergasse 6 Gegenstand: Bitte um Gewährung eines Vorschusses von S 1.000.-{cop. Mahler 5.10.33 abgegeben Deutsch im Büro von S.Chef Dr. Weigl 5.10.33} Als Witwe nach Universitätsprofessor Hofrat Dr. Emil Zuckerkandl beziehe ich eine Pension von monatlich S 481.-Im August d. J. bin ich von schwerer Krankheit befallen worden, an der ich zwei Monate litt. Die aufgelaufenen Krankheitskosten haben mehr als S 1.500.-betragen. Ich mußte mir das Geld von Freunden leihen, die die Rückzahlung dringend benötigen. Ich bitte, mir einen Vorschuß von S 1.000.-- schreibe eintausend Schilling gütigst mit größter Beschleunigung auszahlen zu lassen und bitte, den monatlichen Abzug nicht höher als mit äußerstens S 25.-- bemessen zu wollen, sodaß ich den Vorschuß im Laufe von dreieindrittel Jahren bezahlen kann. Mein Sohn Dr. Fritz Zuckerkandl, Miteigentümer und geschäftsführender Gesellschafter des Sanatoriums Westend in Purkersdorf, übernimmt die Haftung als Bürge und Zahler für meine Verpflichtung zur Abzahlung des Vorschusses von S 1.000.-- in monatlichen Raten von S 25.--, sodaß auch, wenn ich vor Rückzahlung sterben sollte, die noch ausständigen Raten von meinem Sohn zu bezahlen sein werden, und fertigt in diesem Sinne dieses Ansuchen mit.

100 Der Wochenverdienst laut Kollektivvertrag 1935 für Facharbeiter bewegte sich zwischen 62 Schilling (Metallindustrie) und 65 Schilling (Baugewerbe). Die Pension von BZ war damit etwa doppelt so hoch wie das Monatseinkommen eines Facharbeiters. 101 An dieser Stelle endet das Konzept.

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Da ich meinen Pensionsbezug augenblicklich zum größten Teil zur Bezahlung der Krankheitskosten verwenden muss, befinde ich mich in unverschuldeter und dringender Notlage und bitte um schleunigste Gewährung der erbetenen Hilfe. Des hohen Bundesministeriums ergebenste Berta Zuckerkandl m.  p. Einverständlich gefertigt: Dr. Fritz Zuckerkandl m. p. Name: Dr. Fritz Zuckerkandl Charakter: Chemiker, geschäftsführender Gesellschafter der Sanatorium Westend Betriebs Ges. m. b. H. in Purkersdorf und Miteigentümer der Liegenschaft Sanatorium Westend daselbst Adresse: Sanatorium Westend Purkersdorf Monatliches Einkommen Monatliche Entnahme aus der Gesellschaftskasseals Entlohnung für meine Tätigkeit vertragsgemäß S 500.-{geschr. 10.X.33 Rfriedler [Rosa Friedler] Dr. Zuckerkandl übergeben 10.X.33 durch Dr. K[unwald]}



[BZ an GK, MS] {Hofrätin Zuck eingeteilt 5.12.33} Wien, den 30. [November 1933] Lieber Freund! Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten falls es noch in Ihrer Macht ist ihn mir zu erweisen. Sie waren schon einmal so gütig mir in derselben Sache behilflich zu sein. Es handelt sich um folgendes. Ich bin augenblicklich in einer sehr bedrängten Lage. Die durch meine vielwöchentliche Erkrankung noch angstvoller geworden ist. Nun möchte ich auf meine Pension eine kleine Summe aufnehmen und zwar nur 1000 Sch. mit einem möglichst kleinen monatlichen Abzug. Wenn ich den ordnungsmäßigen Weg in der Landesfinanzdirektion gehe dauert die Erledigung sechs Wochen. Sie haben mir damals (und zwar eine viel größere Summe, dreitausend Schillinge) in acht Tagen durchgesetzt. Wie Sie das zu Wege gebracht haben weiß ich nicht mehr. Ich glaube durch den Sektionschef Grimm. Aber jedenfalls konnten Sie mir damals den großen Dienst erweisen. Ich wollte Ihnen dies nicht telephonieren, sondern warte jetzt lieber Ihre Antwort ab ob Sie mir helfen können. Wenn ja so würde ich dann morgen zu einer Ihnen genehmen Stunde zu Ihnen hinaufkriechen. Sie können sich denken dass ich Ihnen diese Zeilen nicht leichten Herzens schreibe. Innigste Grüße, von Ihrer getreuen Berta Zuckerkandl-Szeps



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Faksimile 1

[BZ an GK, HS] {Zuckerkandl} Donnerstag. [10. Mai 1934] Liebster Freund! Sie erhalten da dieses Billet-doux bitterer Art. Aber Ihnen allein kann ich mich anvertrauen. Keinem anderen Menschen auf der Welt. Am 15ten Mai erhalte ich die zweite Rate meiner Pension (wie allmonatlich) und mein Artikelhonorar von 200 Sch. Bis 15. Mai aber bin ich so blank dass ich nicht weiterkann. Können Sie mir 100 Sch. vorstrecken die Sie am 15. Mai 12 Uhr Mittag zurück­ erhalten? Sie kennen mich zu gut um an diesem meinem Wort zu zweifeln! Es ist nur ein Überbrückungskredit an diesen paar Tagen, den ich herzlichst erbitte – (falls Sie der ja auch Sorgen haben – es überhaupt ermöglichen können.)102 Dann kann ich wieder ein bißchen weiter. So lebe ich nun seit Monaten. Es ist traurig aber nicht tragisch. Tragisch sind andere Dinge im Leben. 102 Aus den Materialien von Gottfried Kunwald geht hervor, dass er ab den 1930er-Jahren finanzielle Probleme hatte, u. a. durch Steuerschulden, bzw. Steuervorschreibungen, die sich an seinen höheren Einnahmen in den 1920er-Jahren orientierten. Beispielhaft dafür ÖStA, Bestand GK, 616-1-1089.

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Faksimile 1, Fortsetzung

Ich weiß Sie sind mir nicht böse und haben mich doch lieb. Ich bin in Purkersdorf bis Freitag Früh. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, Empfangsbestätigung, HS] {11.5.34} Verehrter Freund! Ich bestätige mit herzlichstem Dank den Empfang der mir gütig geborgten 150 Sch. (hunderfünfzig) die ich per 50 Sch. zurückerstatten werde. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps Wien den 11. Mai 1934 Bestätige dankend 150 Sch. (hundertfünzig) erhalten zu haben. für Frau Hofrat Zuckerkandl Jeanne Feizlmayr103 Wien den 11. Mai 1934

 103 Zu ihrer engen Vertrauten findet sich in den Briefen auch die Schreibweise Feitzlmayr/Feitzelmayer.

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Faksimile 2

[GK an BZ, MS] Wien, am 12. April 1934. Liebe verehrte Freundin! Ich bin empört über den Überfall in der N.Fr.Presse.104 Soll ich Ihnen gratulieren? Nein, aber Glück wünschen. Denn das brauchen Sie und das sollen Sie haben, in jeder Weise und in reichlichem Maße, Sie Gute, Liebe! Telephonieren traue ich mich heute nicht. Ihr ganz treu ergebener {Hochwohlgeb. Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Wien I. Oppolzergasse 6. cop: Mahler 12.4.34. abgegeben 12.4.34 Rfriedler [Rosa Friedler] }

 104 Vgl. „Neue Freie Presse“ vom 12. April 1934, S. 6 Berta Zuckerkandl. (Zum siebzigsten Geburtstag). Der durchaus positive Artikel deutet an, dass BZ ihren Geburtstag nicht festlich feiern wollte.

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[BZ an GK, HS] {21.9.34} Verehrter Freund! Herzlichen Gruß und anbei das allzu lyrische Exposé des großen Erfinders Schauberger.105 Ihre getreue B. Z.



[Schreiben Viktor Schauberger an BZ] {21.9.34} Wien, am 18. September 1934 Sehr geehrte gnädige Frau! In der Beilage gestatte ich mir das versprochene Konzept zu übersenden.Verzeihen Sie, wenn ich das flüchtig geschriebene so weitergebe. – Was ein sehender Mensch sehen soll, wird er daraus entnehmen können und für andere ist es ja nicht bestimmt.Ich möchte Sie bitten, das ganze vertraulich zu behandeln und mir, wenn es nicht mehr gebraucht wird, wieder zukommen zu lassen.Ferners bitte ich um telefonischen Anruf, damit ich Ihre persönliche Meinung höre, bevor Sie es allenfalls weitergeben. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Als Ihr sehr ergebener Schauberger 1 Blg.106



[BZ an das Finanzministerium, ohne Datum, MS] {S 1 Stempel} An das hohe Bundesministerium für Finanzen Wien Einschreiterin: Berta Zuckerkandl Witwe nach Hofrat Prof. Dr. Emil Zuckerkandl Wien I. Oppolzergasse 6 Gegenstand: Bitte um Gewährung eines neuerlichen Vorschusses von S 1.000.— 105 Viktor Schauberger (1885 Holzschlag – 1958 Linz) war Förster, Naturforscher und Erfinder; 1924 bis 1926 Staatlicher Konsulent für das Schwemmwesen im Bundesministerium für Landund Forstwirtschaft; entwickelte zahlreiche grenz- und pseudowissenschaftliche Theorien und Apparaturen. 106 Den Briefen liegt das Exposé von Viktor Schauberger zum Thema „Die künstliche Erzeugung von petroleumartigen Essenzen“ (9 Seiten) bei. Das Exposé wurde nicht in die Edition aufgenommen.

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{übergeben H.[errn] Sekt.Chef Weigl am 10.9.34 von Marc.[uschewitz]} Als Witwe nach Universitätsprofessor Hofrat Dr. Emil Zuckerkandl beziehe ich eine Pension von monatlich S 481.-Anfang Juni d. J. wurde ich von meiner schweren Krankheit laut ärztlichen Zeugnisses/A neuerlich befallen und war neuerlich zweieinhalb Monate erkrankt. Die aufgelaufenen Krankheitskosten haben mehr als S 1.200.-- betragen. Ich erhielt das nötige Geld von Freunden vorgestreckt, die jetzt die Rückzahlung dringend benötigen. Ich muß infolge dieser schweren Not, in die ich geraten bin, bitten, mir einen neuerlichen Vorschuss von S 1.000.--, schreibe eintausend Schilling, auszahlen zu lassen. Außer den für den alten Vorschuß von S 1.000.-- weiter laufenden monatlichen Zahlungen von S 25.-- kann ich unmöglich mehr als weitere S 20.-monatlich abzahlen und bitte deshalb, mir die Abzahlung beider Vorschüsse in monatlichen Raten von S 45.-- gestatten zu wollen. Mein Sohn Dr. Fritz Zuckerkandl, Miteigentümer und geschäftsführender Gesellschafter des Sanatoriums Westend in Purkersdorf, übernimmt die Haftung als Bürge und Zahler für meine Verpflichtung zur Abzahlung des zweiten Vorschusses von S 1.000.-- in monatlichen Raten von S 20.--, sodaß auch, wenn ich vor Rückzahlung sterben sollte, die noch ausständigen Raten von meinem Sohn zu bezahlen sein werden, und fertigt in diesem Sinne dieses Ansuchen mit. Da ich meinen Pensionsbezug augenblicklich zum größten Teil zur Bezahlung der Krankheitskosten verwenden muß, befinde ich mich in unverschuldeter und dringender Notlage und bitte um schleunigste Gewährung der erbetenen Hilfe. Des hohen Bundesministeriums ergebenste Berta Zuckerkandl m. p. Einverständlich gefertigt: Dr. Fritz Zuckerkandl



[Finanz-Landes-Direktion Wien an BZ, 24. September 1934 an BZ, MS] {16.10 vorl.} Finanz-Landes-Direktion Wien Gesch. Abt. XIII Wien, III,. Marxergasse 1 XIII. V/2093/1/1934 1 Beilage An Frau Berta Zuckerkandl, Univ. Prof. Wtwe. [Witwe] Wien I. Oppolzergasse 6.

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Sie werden eingeladen, noch eine Erklärung des Bürgen vorzulegen, in welcher dieser ausdrücklich erklärt, seine Gutstehung auch bei dem jetzt geänderten Text der Bürgerschaftserklärung aufrecht zu halten. Beide Erklärungen sind umgehend anher einzusenden. 1 Beilage. Wien, am 24. 9. 1934 Dr. Mukarovsky m. p.



[BZ an GK, MS] {Berta Z 27.9.34} Liebster Freund! Anbei sende ich Ihnen die von meiner Schwester für mich angezeichnete Information. Es stimmt dass sie mit K… Sie gemeint hat. Aber mit C… hat sie offenbar Coudenhove designiert. Da Sie ja mit Coudenhove in Verbindung stehen so wird Sie jedenfalls diese sehr genaue Information die im „Oeuvre“107 publiziert wurde sehr interessieren. Ja, wenn es gelänge Wien zum Sitz des Völkerbundes zu machen, welch, eine fabelhafte Lösung. Weiters schreibt mir Sofie: „Ich rate Dir dringend auf zwei Monate mindestens zu uns nach Paris zu kommen. Du könntest hinter den Kulissen bei Barthou enorm viel wirken. Barthou steht mit uns, besonders mit Paul sehr gut. Paul würde Dich einführen. Barthou weiß dass Du mit Painlevé oft für Österreich gearbeitet hast und wird bestimmt sehr bereit sein dies fortzusetzen“. Ich wollte Sie nur von dieser Aufforderung unterrichten die im jetzigen Augenblick wichtig wäre. Sofie fügt aber hinzu: „Gut wäre es aber wenn Du Barthou über Dinge in Österreich auf dem Laufenden halten könntest die aus nicht Jedermann zugänglichen Informationen geschöpft wären“. Ich komme zu Ihnen, um all dies zu besprechen. Heute bin ich bei Bubi in Purkersdorf. Ihre getreueste B. Z.108



[GK an BZ, MS] Wien, am 21. Februar 1935. Verehrte Freundin! Mit diesem Brief schickte ich die träumerische Friedler109 in die Oppolzergasse, von wo sie erwacht und erschreckt mir telephonierte. Sie seien „soeben mit dem Auto nach Paris gefahren“. Ich weiß nicht, warum mein seniles Hirn felsenfest überzeugt war, dass Sie erst morgen fahren – nun bleibt nichts übrig, als Ihnen den Brief in die Avenue d’Eylau nachzusenden und Ihnen 107 Dabei handelt es sich um ein linksgerichtetes Blatt. 108 In den Unterlagen folgt diesem Brief ein Brief von Paul Clémenceau vom 20. März 1890, der in keinem Zusammenhang zu der Korrespondenz steht. Er wurde nicht in die Edition aufgenommen. 109 Rosa Friedler.

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zu wünschen: volle Gesundheit, möglichst wenig Unangenehmes und noch weniger Gedanken über das Unangenehme, einiges Angenehme und möglichst viel Freude darüber, eine gesunde Sophie, einen gnädigen Paul und sehr gute Nachrichten von Wien. Ihr herzlichst ergebener {cop. H.[ammelrath] 21.2.35 Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme Sophie Clemenceau Paris 12, avenue d’Eylau rek. aufg. H.[ammelrath] 21.2.35}



[GK an BK, MS] Wien, am 21. Februar 1935 Verehrte Freundin! Beiliegend retourniere ich Lady Snowdens Brief, den ich kopieren ließ.110 Bei der Finanzlandesdirektion habe ich heute Ihren Referenten ermittelt; es ist Oberfinanzrat Dr. Zdenko Mukařovsky. Ihr Akt hat die Nummer XIII 5368. Das Gesuch läuft in Ordnung und wird heute erledigt, die Pension während Ihrer zwei Abwesenheitsmonate an Major Feizlmayr111 ausbezahlt. Herzlichst grüßend {cop H.[ammelrath] 21.2.35 Brief (mit Kuvert) als Beilage z. Bf [Brief] nach Paris avenue d’Eylau 21.2.35. Hochw. Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Wien I Oppolzerg. 6.}

 110 Im Bestand GK befindet sich unter 616-1-1344 ein Konvolut, das einen Zeitungsartikel von Ethel Snowden in „The Daily Mail“ vom 24. Jänner 1935, S. 10 enthält, einen Brief samt Entwurf dazu von Bertha Zuckerkandl an Ethel Snowden vom 4. Februar 1935 und die Antwort von Ethel Snowden an Bertha Zuckerkandl vom 12. Februar 1935. Den Briefen war der Zeitungsartikel von Ethel Snowden vorausgegangen. Vor der Absendung ihres Briefes schrieb Bertha Zuckerkandl noch einen Brief an Gottfried Kunwald. Die Briefe wurden in die Edition aufgenommen, da sie inhaltlich ergänzend und charakteristisch für das Temperament von BZ sind. Abweichungen zwischen Entwurf und abgesendetem Brief sind durch Fußnoten ausgewiesen. 111 Zu dem Namen gibt es unterschiedlichste Schreibweisen.

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[GK an Daily Mail, Telegramm] DAILY MAIL LONDON

PLEASE FORWARD URGENTLY NUMBER JANUARY 24 TO GOTTFRIED KUNWALD SCHULERSTRASSE 1 VIENNA

{tel. aufgege. 29.I.35, 20.45 h Rfr. [Rosa Friedler] }



[BZ an GK, MS] {4.II.35} Montag Früh [4. Februar 1935] Verehrter Freund! Anbei die Skizze meines Briefes an die Snowden. Ich kann nicht anders schreiben als ich fühle. Aber ich kann natürlich von Ihnen geleitet noch viel schwerwiegendere Argumente einfügen. Ich möchte so gern dass der Bundeskanzler diese Zeilen liest. Dass er überhaupt von dem seltsamen Zusammenhang mit Prinzessin Hohenlohe- Rothermere sofort erfährt.112 Wie könnte man das bewerkstelligen? Durch Alma Mahler geht es nicht. Die ist seit der Ernennung von Weingartner113 trotzdem sie davon abgeraten hat sehr verschnupft. Können Sie direkt etwas machen? Es ist ja nicht meinetwegen da ich keinen Zusammenhang mit dieser Regierung besitze. Aber für die Sache. Lesen Sie heute die Nachrichten über Kitzbühel. Sie werden sehen dass die ganze grosse Londoner Aristokratie dort versammelt ist. Mittwoch kommt der Prinz von Wales.114 Und Lord Rothermere ist auch bereits da. Daher die Hohenlohe desshalb hinkommt. Es ist klar dass der Plan besteht dem Prinzen von Wales durch dieselbe Methode die für die Snowden angewendet wurde zu überzeugen dass die Majorität in Österreich für den Anschluss und für Hitler ist. Soll ich mit Coudenhove der seit gestern hier ist sprechen? Er ist gut mit der Regierung. Irgend jemand sehr en vue müßte sofort sich in Kitzbühel etablieren. Am besten wäre Fürst Starhemberg weil er ein hoher Aristokrat ist. Wann kann ich heute zu Ihnen kommen? Vielleicht zusammen mit den Kindern, um Ihnen Zeit zu ersparen? Herzlichst Ihre getreue Berte Zuckerkandl-Szeps Verzeihen Sie den elend Daktylographierten Snowden-Brief. Hätten Sie jemand der ihn abschreibt? (mit Durchschlägen.) Weil ich ihn nicht gerne meiner Sekretärin anvertrauen möchte. 112 Der „seltsame Zusammenhang“ bestand darin, dass beide – Stephanie Hohenlohe-Waldenburg-Schillingfürst und Harold Sydney Harmsworth, 1. Viscount Rothermere – eine Nähe zu Adolf Hitler hatten. Vgl. dazu Jim Wilson, Nazi Princess: Hitler, Lord Rothermere and Princess Stephanie von Hohenlohe, London 2011. 113 Gemeint ist Felix Weingartner, 1935 bis 1936 Direktor der Wiener Staatsoper. 114 Eduard VIII., genannt David, war von 1910 bis 1936 Prince of Wales, vom Jänner 1936 bis zu seiner Abdankung im Dezember 1936 Duke of Windsor (Herzog von Windsor).

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[BZ an Lady Snowden, 4. Februar 1935, MS] Dear Ethel, I read your article: „Austria’s Plight as I saw it“. It is not „as you saw it“ But as one let it see you. It is (You and I are to expert in Politics not to know this at once) oft the greatest importance. It is the beginning of a war of a part of England against Austria. Dictated by Hittler [sic]. And you the best friend of my life, my admired Ethel you are the first General of Hittler opening the war. I hesitaded to write this letter. But I think it is better so. If I could feel that you had looked with all means to find the truth before writing this article I surely would have been very sorry, but not despaired as I am: Knowing that the informations you got are false, and superficial: that you conveyed them to a Million of Readers with such irresponsibility does not fit a great brain and heart I loved in you.115 You write: „The Running-Boards of Government cars have been removed.“ Yes, they were removed116 since Running-Boards were removed in France after the Murder committed on the King of Yougoslavie and Barthou. Was this a proof that the French Government is fearing some Frenchman could rush against France and french Self-Determination?117 If we have Army’s of private support, this was our only weapon in the monstruous cruel campaigne of throwing shells against unarmed unprepared and peaceful people, priests and women, that Hitler during two years leaded and continued to lead until the murder of Dollfuss against Austria. Against her peace, her security, her wish of Self-Determination. And Austria wrestles to remain: Austria! And never my become an appendice of Prussia, the most horrid bloody people. Prussia: the opposite of all what makes (even if we speak the same language) the Austrian character. Hitler was spending ten millions of Mark monthly until August 1934 to accaparate a part of the poor population. And is also bying some treators of the wealthy. And yet till now he was not able to violate our country. The best proof that your informations are all wrong. You spoke with people one presented you on purpose (You not knowing a word of German). All you did was „going round the shops“ and that was enough to convince you that a whole country is represented by these few shopkeepers one choose to let you know. You stayed only a few days in Vienna. You saw with eyes, you heard with ears, not your eyes and not your ears. You were in the hands of persons who surrounded you closely, so that your opinion was quite subjectif. A real conscious „Enquete“ about a matter of such European importance as the Austrian question is can’t be resolved in a few days. And surely not from a conscience as you had it. Such 115 Im Entwurf findet sich an dieser Stelle noch folgende Passage: „I will now beginn my answer refuting your assertions. The first looks of not great consequence but I will beginn with it.“ 116 Im Entwurf: „because Hittler [sic] murdered Dollfuss.“ 117 Im Entwurf: „If in Austria Running Boards are remoted, and if Fey, Schussnig [sic] and the ‚Vaterländische Front‘ have Army’s of private support.“

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an Enquete wants a long preparation. And could not be superficially done as you did it. Some weeks ago when you wrote me to ask if I would not be affraid to see you because you had written against the Austrian Government after the Revolution in February, I answered you: „I never feared to receive my best friends“. Of course I could not imagin that you, whose love for veracity I always admired, would be able not to tell me the real reason of your visit to Vienna. How could I imagine that your real ambition was to help Hitler in his abominable design to conquer a free country as Austria is. To conquer it through the methods of murder. Because he ist he murderer of Dollfuss. The League of Nations saw the proofs. And it is very sad that England who for herself asks for Fair Play and Gentlemen-Methods in Politics does not consider the Austrian case from this point of view. And wishes (as you do) to deliver Austria to a country where the leaders are known in the whole world to violate the rules of human rights in every way. And the Laws of Nations! Austria wishes to maintain her political independance. This assertion is not given by me personally. But by the majority of the Austrian Nation. Can you really believe that any Government even with much greater means of defence than the Austrian Government possesed in July 1934, had the power to repress the Austrian „Putsch“. Who was arranged in Munique and in Berlin. And who set an end to Dollfuss’ life? No! If at this moment without any help of Italy and France we were able to resist and to stand against the infamy of a revolution organized from OUTSIDE, this is a sign nobody is able to deny. A sign that the greatest part of our Nation was against the „Anschluss“ and for our political independence. Who (I ask you) helped us in this moment of greatest danger? No one as we ourself. Only the Ideal of an independent Austria. Not the Great-Powers helped us. And not the force of our illegal Formations. And not our army and not our police! Only the passionate will of Austria to resist Hitler. Only the passionate desire to stay what we are: Austrians! That is: Europeans! And to remain for Europe what History always demonstrated: The happy counterbalance of Prussia. Against Prussia’s Methods and Prussian danger. (A danger England will know again, but too late). You are right when you say that the Social-Democrates are „bitterly alienated“. You know what my opinion in that matter was and still is. But you ought not to believe that Austrian Labourmen would prefer to go to Germany where they know that many thousand of their brothers are in champs of concentration, are ill treated otherwise. They prefer to stay in Austria even being alienated to the Government. When last time we had a discussion about the crimes committed by Hitler you answered me: „But all that were only signs of a revolution“. If you excuse Hitler and Germany, why not allow the same excuse fort the sad events in Austria February 1934? The proofs you give to demonstrate that Austria is not capable and does not really want to stay without the „Anschluss“ are easy to refute. You consider

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that the economic state of affairs in Austria is deplorable. Well: There are the Statistics against you. Austria is in a Period of beginning industrial and financial development. Lord Snowden the great Financial-Statesman will know what signs of recoverement are: The stability of the Schilling, the stability of our Budget *and since the beginning of 1934 the increase of deposits and of the receipts of all taxes, incometaxes as well as indirect taxes.*118 If Hitler by all means which only the Devil in person can employ would not try to disturb our peace, Austria could wait with tranquillity till the economical Formation of Central-Europe will be completed. Another proof you try to give is when you relate the tragedy of our poverty. Yes! We are very poor. But I am sure that going through the streets of London as you went through the streets of Vienna I would easily meet a „Sobbing woman weeping over my hand because I gave her a Schilling“. I believe that I would then not use this adventure against England and the many Millions of her Out-of-Workmen. Because really that would be a very superficial view of the problem. The fact that we are still poor and that like all European and American Nations we have too many Out-of-workmen can’t be denied. But it is a poor argument for the „Anschluss“. Why exagerate Facts which to-day are a Worl-Calamity? It is Demagogy you are employing and not real approfondation of the question that is decisif. Not only for Austria. But for every Austrian who with his whole being longs to stay an independent Austria it is the most tragic decision of his life. And of the life of his children. The Majority of Austrians will answer to your suggestion „that they prefer an alliance with Germany to that to a Papal State“ saying: „We prefer every solution to Hitler.“ You forget also that Italy is not a Papal State but a Fascist State (and was first all Hitler admired). I never will be a partisan of Fascism. But I consider (and I am speaking in the name of an overwhelming Austrian Majority) that the support Italy is giving us to save our Independance is the happiest solution against the danger to become Prussian Province. I am not speaking here as a Jew. And not from this point of view. You are very befriended with Jews. You always said that you are fighting against the persecution oft he Jews. But you support now the most cruel, most barbarian enemy oft he Jews. That is your own affair. But I am speaking to you as European woman. And I, as the best friend you had in this world, I am obliged to renounce with a broken heart to be your friend any longer. Because the last words of your article are inhuman. Because you have the sad courage to say: „I am convinced that all things, including time, are on Hitler’s side.“119 This words are a condemnation to death of a whole Nation. Of a great Nation (so limited she is now). Of our Austria!

118 Die Textpassage zwischen den Sternchen war im Entwurf nicht enthalten. 119 Im Entwurf: „with Hittler.“

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Because with these words you renied the beautiful work of your life. A work of Justice, of Humanity, of Love and of Right! Against every suppression. For Liberty! Ethel! It is possible that I have lost you? I have! {cop: Mahler 4.II.35. Unterfertigt samt 1 Durchschlag Wohnung Hofrätin Zuckerkandl abgegeben: Josef Kernecker}



[Ethel Snowden an BZ, 12. Februar 1935, MS] Abschrift120 From The Viscountess Snowden, 72 Carlisle Masions S. W.1 Tel. Victoria 9197 Private Feb. 12/35 Dearest Berthe: If you had not been in a condition of acute mental distress you could not have written this letter, nor could you have so misinterpreted my writing. I have not much time at present for writing long letters, but there are just one or two things I feel I must put right at once. 1. The people I saw in Austria were ALL OF YOUR WAY of thinking. I met nobody who was not desirious of maintaining Austrian independence. 2. I am not a defender of Hitler but strongly disapprove of this Government and his brutalities. 3. I just as strongly disapprove of the Austrian Government and its brutalities. Dollfuß was warned when he was here that the deliberated destruction of his political enemies would be neither understood nor approved by the English people. 4. I dislike the idea of Austrian absorption but I firmly believe that its present Government has made that inevitable, either by Germany or Italy. 5. I feel contemptuous of a Government that will sell its country to the highest bidder. 6. I consider that Austrian treatment of the Jews as cruel and meaner than the German. 7. Austrian’s present rulers would have the ci-devant aristocrats back if they could, which is idiotic. 8. In my article I pleaded for more financial help for Austria, which you have overlooked. For this your friend begged when we saw him. Let me be clear about this above all-neither my husband nor myself approves of dictatorships, whether German or Austrian or Italian or Russian. For this reason we are at present allying ourselves with a Liberal like Lloyd George; but 120 Die Abschrift des Briefes von Ethel Snowden befindet sich an zwei Stellen im Bestand GK: im Briefwechsel BZ- GK und unter 616-1-1344.

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we both think that Hitlerism can best be placated and sooner or later defeated by 1. Amending the Treaty of Versailles 2. Co-operating where co-operation is possible 3. Pointing a better way as opportunity offers. This is logical and arguable. With love as ever, and in haste. Ethel m. p. So far as English policy is concerned: We object to being pledged to maintain the independence of Austria if at any time THE MAJORITY of her people wish to join Germany. {Original an Fr.Hofr. Zuckerkandl 21.2.35 (Beil. z. Bf.[Brief] 21.2.35)}



[BZ an GK, MS] {Berta Z} Paris den 27. F.[ebruar 1935] Liebster verehrter Freund! Herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe und die Rücksendung des Snowdenbriefes. Ihr Wunsch, ich möge mich hier ein wenig ausrasten und alle Sorgen von mir scheuchen kann leider nicht in Erfüllung gehen. Ich bin womöglich noch deprimierter und hoffnungsloser als in Wien. Dort habe ich ja die Schulerstraße121 als Refugium. Habe den besten, den gütigsten den herrlichsten Freund. Eine Stütze wie sie unverdienter nie ein Mensch gefunden hat. Ein großes Glück in meinem unsagbaren Unglück. Aber hier stehe ich den nackten Tatsachen ungetröstet gegenüber. Und muß heucheln. Und muß Verstecken spielen. Und habe Angst wenn ich Paul anblicke als könnte er meine Gedanken lesen. Vielleicht liest er sie. Er ist verschlossen und unergründlich. Er hat mich aber sehr herzlich willkommen geheißen. Ohne irgendwie sich auch nur ein wenig über meine Lage zu informieren. Er weicht sichtlich jeder Diskussion dieser Art aus. Nur erzählte er mir dass er dieses Jahr vierzigtausend Francs weniger Dividenden eingenommen hat. Dass trotzdem zu seinem Erstaunen viele seiner Industrien aus absolut unerfindlichen Gründen brillant gehen. Andere aber wieder schlecht, so dass der Überschuß der einen die Verluste der anderen decken müssen. (Er betonte ausdrücklich dass es sich bei den gut gehenden nicht um Kriegsindustrie handelt). Bei Citroen hat die Gesellschaft von Paul drei Millionen verloren wovon anderthalb jetzt ersetzt werden. Gerson hat für Fritz jedenfalls ausgezeichnet gearbeitet. Er wurde zum Dejeuner geladen, war ganz allein und sprach mit Hilfe von Sofie als Übersetzerin ausführlich über Fritz seine ungemeine ja außerordentliche Begabung. Über seine Energie der Arbeit, seinen Fleiß, seinen Ideenreichtum. Kurz er 121 Schulerstraße 1 – 3 ist die Wohnadresse von Gottfried Kunwald im 1. Bezirk in Wien.

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stellt Fritz das glänzendste Zeugnis aus. Und fügte hinzu: „Ich aber kann für meine künftigen Arbeiten Fritz Zuckerkandl nicht mehr entbehren“. Paul selbst hat mir das in wenige Worten mit sichtlichem Vergnügen erzählt. Was nicht sagen will dass er dadurch auch nur um ein Jota von seiner Haltung nichts mehr pekuniär für uns zu tun abgehen wird. Sofie ist das ewige Kind geblieben das sie immer war. Eigentlich rührend wie das Schicksal unberufen diesem Charakter entgegengekommen ist. Wie zart es auf diesen unbewußten Egoismus Rücksicht genommen hat. Obwohl Sofie durch meine oft verzweifelten Briefe unsere Lage kennt war sie wie immer überzeugt dass ein Geschenk eines Frühjahrshutes alle Sorgen verjagen müssen. Ich aber bin diesmal so gepeitscht von Angst dass ich eigentlich brutal einmal alles gesagt habe wie es ist. Ein langes Gespräch. Im Verlaufe gestand mir Sofie dass Paul Fritz nicht verzeiht dass er wieder Schulden hat. Er ist sehr böse darüber. Und hält alles für vergeblich was man tun könnte. Ich entwickelte ihr nun (Sie verzeihen dass ich nur den Teil von Fritz seinen Privatschulden erwähnte, alles andere hätte Sofie überhaupt nicht verstanden, und sie nur vollkommen kopfscheu gemacht) dass ein Plan von Ihnen in Erwägung gezogen wurde der eine Rangierung von Fritzls Privatschulden ermöglichen könnte ohne dass Paul auch nur einen Francs jetzt auszahlen müßte. Darauf stürzte sich zu meinem Erstaunen Sofie förmlich. Dieser Plan kommt ihrer Natur wunderbar entgegen. Alles was später ist und sein wird ist ihr vollkommen gleichgültig wenn nur solange sie lebt nichts Unangenehmes an sie herantritt. Deshalb, weil Fritz, Bubi, Trude ihr doch sehr leid tun und ihr Gewissen ein wenig bedrückt ist (für mich hat sie sogar leidenschaftliches Mitleid, das fühle ich hinter der Kühle ihrer Art) hat sie diesen Plan gar so sehr begrüßt. Und sie ist auch überzeugt dass Paul, wenn er auch sehr böse sein wird deshalb niemals sein Testament, in welchem er für Bubi gesorgt hat ändern würde. Könnte man es so machen dass Sofie die Nachtod-Garantie gibt, so wäre die Sache glaube ich augenblicklich zu machen. Paul würde nicht opponieren besonders wenn Sie ihm die Sache eingeben würden. Dass aber der ganz große Plan Fritzls Privatschulden und die Sanatoriumsschulden von Paul als Nachtods-Garantie oder auf andere Art zu erhalten aussichtslos ist, kann ich Ihnen nach allen meinen Eindrücken versichern. Paul haßt das Sanatorium. Hält es für verloren. Wird eher Fritz privat heraushelfen als dass er eine so wacklige Sache wie es heute in Österreich ein von Juden geleitetes Sanatorium in so elendem Zustand [ist,] stützen würde. Nun lieber, lieber Freund, frage ich Sie was da zu tun ist? Ich kann Ihnen nicht weiter verbergen dass der moralische und der physische Zustand der Kinder dem Zusammenbruch nahe, ja dass er bereits da ist. Als ich auf der Bahn Fritz vom Coupe aus sah, abgemagert, gealtert, erschöpft von einem täglichen aussichtslosen Kampf dessen Greul, nicht einmal Sie der alles wissen, alles sehen, ermessen können; sah wie er abgefetzt ist nicht einmal gesohlte Schuhe hat (Trude sagt mir sie kann nicht mehr Fritz und Bubi halbwegs anständig

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halten), als ich hier angekommen einen Brief von Trude erhielt der einen Ausbruch namenloser Verzweiflung darstellt, und der mir zeigt dass sich da ein gefährlicher Zustand von Psychose vorbereitet (Bitte dies alles als vollständig vertraulich zu betrachten den Kindern gegenüber) da wurde mir klar: „Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Hier ist keine Möglichkeit mehr abzuwarten. Denn dieses Warten kann eine der furchtbarsten menschlichen Katastrophen bringen.“ Glauben Sie nicht an Berta Zuckerkandlische Phantasien. Sie haben doch oft gesehen dass ich auch weit und scharf sehen kann. Und in manchem Recht behielt. Diesmal beobachte ich kühl, gefaßt, klar die Lage. Sie können nicht wissen was wir erleben an täglicher Marter. Trude kann nicht mehr da ihr Fritz keinen Groschen geben kann auch nur das Notwendigste, (wie die Tramway nach Wien, ein paar Schuhe, einen Lohn für die Bedienerin herschaffen). Von Kleidung nicht zu sprechen.122 Sie bricht zusammen. Ich muß Ihnen das alles sagen. Wie nichtig es auch erscheinen mag. An nichtigen Dingen ist schon manches Leben zerschellt. Und wenn nicht bald hier irgend eine Entscheidung getroffen werden kann, wird es zu spät sein. Gerson hat natürlich beschlossen trotzdem ihm Paul sehr brutal abgeredet hat weil er ihn für einen Narren hält jetzt nach Paris zu übersiedeln dennoch fest beschlossen es zu tun. Nun hat er die Meinung dass Paul Fritz hier eine Stellung verschaffen wird damit er mit ihm (Gerson) weiterarbeiten kann. Natürlich ist dieser Plan kindisch. Weil momentan kein Fremder und ist es auch Clemenceaus Neffe eine Anstellung findet. Freunde von uns, voran Madame Sautreau-Byörnson die unseren Bubi Emil lieben suchen Paul zu überreden das Kind zu adoptieren. Paul würde es auch tun. Aber was mit den Eltern anfangen die ja hier ohne dass Fritz eine Stellung findet nicht übersiedeln und existieren können. Die Einbürgerung würde für alle Drei sofort erfolgen. Weil ein Gesetz da ist besagend dass: Wenn eine fremde Familie einen Sohn besitzt die Naturalisierung glatt gestattet wird. Da dieser Sohn ein Soldat mehr für Frankreich bedeutet. Eine Übersiedlung würde bedeuten: Aufgeben vom Sanatorium. Irgendeinen Ausgleich von Fritzls Privatschulden. Wenn nicht anders möglich durch Krida. Denn es wäre zu erwägen ob man nicht falls Paul wirklich Bubi adoptiert diese Nachtods-Garantie besser verwenden würde um den Kindern während zwei drei Jahren (wenn sie äußerst sparsam leben) in Paris die Existenzmöglichkeit zu sichern bis Fritz dann doch gewiß irgend eine Stellung (besonders nach erfolgter Naturalisation) finden wird. Wie und wann aber Paul das alles sagen wenn Sie ja doch nicht nach Paris kommen können? Das ist die verzweifelte Frage? Ich glaube dass selbst wenn ich den Mut finde Paul alles zu sagen ich die Sache nur ruinieren könnte. Nein. Sie allein haben die Macht über Paul wenn es überhaupt geht. Eben schreibt 122 In der Familienkorrespondenz gibt es Hinweise, wie BZ abgelegte Kleider von Bekannten und von ihrer Schwester Sofie für ihre Schwiegertochter von Paris nach Österreich brachte. LIT, Signatur 438/w 24 – Beil. 1/5, undatierter Brief vom Herbst 1936.

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mir Trude dass ihr Paul nach zwei Monaten Pause geschrieben hat dass er sich nicht verpflichten kann für Bubi monatlich etwas herzugeben. Dass er ihr wohl nächstens etwas zu schicken hofft aber absolut keine Bindung übernimmt. Wenn Paul so etwas übers Herz bringt wegen 500 Fr. zu tun, was ist da viel von ihm zu erwarten. Donati hat viel verloren wie mir sein Sohn sagt. Also ist auch von dieser Seite keine Hilfe. Sie können sich nicht vorstellen wie Paris niedergebrochen ist. Eine öde, mißvergnügte zu Grunde gehende Stadt. Da hilft Keiner dem Anderen. Das Ärgste ist wie mir gestern ein Industrieller sagte, „dass wir keinen Ausweg sehen.“ „Es kann nicht besser werden.“ Die Kanzlertage habe ich nur vom Hörensagen mitgemacht.123 Es war eine sehr unerquickliche Sache, weil die Angst vor einem Attentat dazu führte dass der Kanzler förmlich versteckt wurde. In London war die Sache noch um einige Grade kühler.124 Clauzel der mich besuchte erzählte mir dass ein Französisch-Österreichisches Abkommen für kulturellen Austausch abgeschlossen wurde.125 Und er war tief empört weil Puaux den er sprach offenbar nicht daran denkt mich die doch als Erste durch meine 15 Jahre betriebene literarische Aktion für die ich die Ehrenlegion erhielt beizuziehen. Mir ist das vollkommen egal. Ich möchte nur eins: Meine Kinder retten. Rist habe ich noch nicht gesehen. Er besucht mich dieser Tage. Soll ich hierbleiben? Soll ich zu den Kindern zurück? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist Trude fertig, und braucht mich.126 Ich umarme Sie als Ihre so unendlich dankbare arme B. Z. 123 Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Außenminister Egon Berger-Waldenegg trafen am 21. Februar 1935 in Paris ein. Am 22. und 23. Februar fanden Besprechungen mit Flandin und Laval statt. Am 23. Februar wurde ein amtliches Communiqué ausgegeben, das eine positive Haltung gegenüber einem angestrebten Mitteleuropa-Pakt signalisierte und ein österreichisch-französisches Kulturabkommen in Aussicht stellte. Unabhängig davon wurde eine angebliche Reise von Otto Habsburg nach Frankreich dementiert. Vgl. weitere Details Keesings Archiv der Gegenwart 1935, 23. Februar 1935, S. 1890. 124 Am 24. Februar 1935 reisten der Bundeskanzler und Außenminister nach London, wo am 24. und 25. Februar 1935 Gespräche mit Mitgliedern der englischen Regierung stattfanden, zu denen kein amtliches Communiqué ausgegeben wurde. Am 26. Februar reisten der österreichische Bundeskanzler und der Außenminister nach Wien zurück. Vgl. Details Keesings Archiv der Gegenwart, Wien 1935, 27. Februar 1935, S. 1898. 125 Vgl. ÖStA, AdR, Bestand Ministerratsprotokolle, Circular vom 30. März 1936 und Circular vom 29. Mai 1936; vgl. auch BGBl. Nr. 275 vom 12. August 1936 und AdR, Allgemeine Urkundenreihe, Staatsurkunden der Ersten Republik 1936 IV 2. Übereinkommen zwischen dem Bundesstaat Österreich und der Französischen Republik über die kulturellen und künstlerischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten; weiters das Material im AVA, BMU, Sign. 2 A, Österreichisch-französisches Kulturabkommen; weiters im AdR, Neues Politisches Archiv, Liasse Frankreich I/1 Österreichisch-französisches Kulturabkommen 1936 – 1938. Vgl. auch Wilhelm Baum, Paris und die Kultur der Moderne in Österreich, Österreichisch-französische Kulturbeziehungen 1880 – 1970, Klagenfurt/Wien 2009. 126 Durch den ständigen Aufenthalt von Fritz in Paris drohte seiner Ehefrau und seinem Sohn der Verlust des Wohnrechtes in Purkersdorf. Vgl. einen Brief von Gottfried Kunwald an Sophie Clémenceau vom Juni 1935. ÖStA, Materialien GK, 616-1-1156.

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[BZ an GK, MS] Paris den I. März [1935] Geliebter Freund! Paul läßt Sie herzlichst grüßen ebenso Sofie. Und Ihnen sagen dass alles geschehen wird, um Ihrem Neffen hier behilflich zu sein. Paul wird ihm Empfehlungen und Einführungen geben. Er kennt dadurch dass er im Comite de Musique International ist, Impresarios und andere Musikmenschen die Stadlen den Weg eventuell für nächsten Winter ebnen können. Wenn Herr Stadlen diesen Sonntag kommt, so möchte ich dass er ein wenig musiziert. Das geschieht oft so sanc façon des Sonntags bei Sofie. Es sind zwar nie geladene Gäste da, aber da Empfangstag ist gewöhnlich zwischen 20 und 40 Personen. Nur weiß man nie wer kommt. Übermorgen aber weiß ich zufällig, da sie es mir telephoniert haben dass sowohl Wasserbäck127 als auch Bischoff (der erste Legationsrat) zu mir speziell mich begrüßen kommen. Da Bischoff ein fanatischer Musiker ist (der echte österreichische Beamte den eine Sonate von Mozart mehr interessiert als die ganze Europäische Musik) so wird Stadlen gleich eine gute Atmosphäre finden. Auch Baudouin-Bugnet kommt dem ich ein von ihm ersehntes Rendezvous mit dem alten Le-Play (Pauls Mitarbeiter in der Dynamite-Nobel) vermittelt habe. Also hoffe ich dass diese erste Fühlungnahme für Stadlen nur vorteilhaft sein wird. Wie glücklich bin ich wenn auch nur in so geringem Grad ein Ilzerl128 von Ihren Wohltaten vergelten zu können. Was würde ich nicht tun um Ihnen meine Dankbarkeit erweisen zu können! Ich bin von Tag zu Tag hier betrübter und hoffnungsloser. Als Sie mir telephonierten stand Sofie in der Türe und hörte jedes Wort zu. Sie werden es an meinen Antworten gemerkt haben. Die Wahrheit ist dass Paul außerordentlich frisch, arbeitskräftig und jung ist. Dass er aber ein untraitabler Sonderling geworden ist. So war sein Vater, der obwohl er sie liebte, seine Frau verhungern ließ bis sie als alte Frau ihn verlassen mußte um leben zu können. Dabei aber war dieser alte Clemenceau sehr gütig und verschenkte an die Bauern in der Vendée129 sein ganzes kostbares Mobiliar. Nun: Paul ist gütig gewesen. Jetzt aber ist er von der Angst besessen sein Vermögen wie so viele andere einzubüßen. Und auch seine einträglichsten Stellen eventuell bald zu verlieren. Z. B. die Aufsichtsratstellung in Italien. Da sind gewisse Altersgrenzen festgesetzt, die er, weil er sehr populär ist, sowieso bereits überschritten hat. Auch der Umstand dass Paul jetzt kein Geld mehr aus Italien vorläufig herausbringen kann trägt zu seiner Haltung Trude gegenüber bei. In Wahrheit aber macht er sich eben keine Vorstellung was Elend ist. Und wie die Kinder in Gefahr sind selbst die 127 Der Name ist in den Briefen von Berta Zuckerkandl häufig falsch geschrieben. 128 Gemeint ist der Wiener Dialektausdruck Alzerl, der für Kleinigkeit verwendet wird. 129 Das Chateau de l‘Aubraie à Féole, der Familienbesitz der Clémenceaus, wo die Familie traditionell die Sommer verbrachte, lag in der Vendée.

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Faksimile 3

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Faksimile 3, Fortsetzung

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notwendigste Lebenshaltung zu verlieren. Sofie wußte das auch nicht. Aber da ich jetzt täglich einen Brief von Trude erhalte die nur als Verzweiflungsschreie einer dem Selbstmord nahen Frau und Mutter anzusehen sind, und ich diese Briefe so leid mir die arme Sofie die ja 72 Jahre alt ist tut, ihr vorlese, so beginnt sie einen Begriff zu haben. Natürlich bleibt ihr Mitleid ein rein platonisches. Denn ihre Angst vor Paul, die immer da war, ist geradezu pathologisch geworden. Sie studiert wenn die Post kommt furchtsam jede Adresse und schickt sowie ihr ein Brief als Paul unangenehm verdächtig scheint diesen zu ihm in’s Bureau. Sie weiß absolut nichts vom Stand seiner Geschäfte. Und sie muß oft eine Woche lang auf ihr Wirtschaftsgeld warten weil Paul obwohl er es in der Brieftasche trägt ihr nichts gibt. Dabei wie gesagt führt er seine schwierigen Geschäfte meisterhaft. Einer seiner ältesten Mitarbeiter hat es mir bewundernd erzählt. So, da habe ich versucht Ihre telephonischen Fragen zu beantworten. Für uns ergibt sich daraus die furchtbarste Situation. Denn wie soll man wenn nicht baldigst Hilfe kommt das Tragischste vermeiden? Um Ihnen einen Einblick in das Ausmaß unserer Armut zu geben und auch Ihnen psychologisch Trudes Zustand zu erklären (Was mir momentan das Wichtigste scheint, da wenn Trude zusammenbricht Fritz und Bubi ihren Halt verlieren) erlaube ich mir Ihnen einige Zeilen des heute erhaltenen Briefes abzuschreiben. Ich weiß Sie verraten mich nicht. Denn ich will nicht dass Trude aufhört sich in ihrer Not an mich zu wenden. Sie braucht diese Abreagierung und es ist das Einzige was ich noch für sie tun kann. Also bitte liebster Freund, kein Wort zu Trude dass ich Ihnen diesen Einblick gegeben habe. Wie es unter diesen Umständen mit meiner Erholung aussieht können Sie sich vorstellen. Ich bin erschöpft. Wenn es ginge dass Sofie allein die Garantie für Fritz übernimmt so würde sie es jetzt augenblicklich tun. Da sie ja mit Paul einen Testamentsvertrag hat dass ihr gleich ihm das ganze Vermögen gehört, und jeder der den anderen überlebt die Verpflichtungen gegenseitig übernehmen [wird]. Also würde es genügen dass Sofie die Nachtods-Garantie von ihrem Teil leistet. Und das tut sie sofort. Aber nur Sie könnten auch das Paul vorschlagen. Nicht böse sein weil ich Sie so anjammere. In Liebe Ihre getreueste B. Z.



[Trude Zuckerkandl an BZ, MS] Abschrift von Trudes Brief des 26. F[ebruar] Liebste Mama! Ich kann Paul und Sofie nicht mehr über unsere Lage schreiben. Paul will nicht mehr daran denken. Meine Briefe bleiben wochenlang unbeantwortet. Wir sind jetzt sehr arg dran. Wenn ich nur meinem Kind helfen könnte! Ich habe meine letzten Sachen in’s Versatzamt getragen. Es war mir ja

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kaum möglich während Bubi’s Krankheit ihm Orangen, etwas Butter und Tee zu kaufen. (Vom Sanatorium erhalte ich das absolut nicht) Dass das schöne Kind wie ein Proletarier in die Schule fährt (ich nie weiß woher das Fahrgeld nehmen) dass es keine Hemderln, keine Unterwäsche mehr hat, und ich froh sein muß, wenn er ganze Schuhe besitzt, so ist das doch arg. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll. Ich zermartere mein Hirn. Wenn ich eine andere Möglichkeit gehabt hätte würde ich Onkel ja nie um Hilfe gebeten haben. Ich weiß dass er sich keine Vorstellung davon macht dass Fritz keinen Groschen seiner Familie geben kann. Und nun will Gerson unter jeder Bedingung fort. Er geht nach Paris. Obwohl er dort nichts Bestimmtes hat und von den Schwierigkeiten weiß, bildet er sich ein dass er nur dort seine Forschungen fortsetzen kann. Man muß ihn lassen. Sonst verliert Fritz noch seine Freundschaft was ihm doch noch einmal nützen kann. Wenn ich das Kind ansehe bricht mir das Herz. So lieb, so begabt und ich weiß nicht wie er sein Studium fortführen soll. Ich möchte vor dem Kind meine Sorgen verstecken. Aber nun da es sich als Irrtum herausstellt dass Onkel Paul für seine Erziehung sorgt muß er es wohl zu fühlen bekommen. Stiasny’s können für ihren unbegabten Buben 300 Sch[illing] monatlich in der Privatschule zahlen. Ich verdiene mir durch Stundengeben kaum hundert Sch. [illing] Was soll ich da anfangen. Onkel Paul hat mir in seinem jetzigen Brief wiederholt dass er sich nicht binden kann. Ich werde also nicht mehr damit rechnen können. Ich bin fertig. Trude Z



[BZ an GK, MS] {Berthe Z. 6.III.35} Montag [sic], den 5. M.[ärz 1935] (In großer Eile). Lieber Freund! Ich schicke diese Zeilen nicht direkt mit der Post sondern durch meine Mädchen. (Um Marken zu sparen) Also Ihr Neffe hatte gestern bei Paul und Sofie einen enormen Erfolg. Es waren anwesend: Unsere Herren der Gesandtschaft; Bischoff und Wasserbäck, beide große Musiknarren. Wasserbäck sowohl wie Bischoff haben mir beide dann gesagt dass sie für Stadlen alles tun werden um ihn nächste Saison hier ausgezeichnet einzuführen. Die Prinzessin Bibesco (die Gattin eben jenes Prinzen Bibesco der der Präsident des Internationalen Flugwesens ist) (und dem ich so gerne Ihre herrliche Kriegs-Friedens-Schrift130geben möchte) war auch ganz entzückt. Alfred Kerr der berühmte aus Deutschland emigrierte Kritiker, und noch ungefähr dreißig Personen lauschten mit Andacht auf die wirklich oft großartige Interpretation. Paul aber ist ganz aus sich herausgegangen. Und war begeistert wie ein Jüngling. Erst hatte er schon Stadlen mit den Worten 130 Dabei handelt es sich um eine Schrift aus dem Jahre 1935 von Gottfried Kunwald „Zehn Punkte über den Krieg“ – vgl. dazu Bestand GK 616-1-979.

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empfangen „Vous etes le Bienvenue comme neveu d’un des Hommes que jaime et que je respecte infiniment“.131 Und dann konnte er nicht genug seiner Freude Ausdruck geben über Stadlens Spiel. Dienstag spielt er auf Pauls Empfehlung in der „Revue Musicale“ vor einem großen Publikum von Künstlern. Wir gehen natürlich hin. Jedenfalls ist für die nächste Saison Stadlen fabelhaft gut eingeführt. Ich arrangierte gestern auch ein Rendezvous hier zwischen Pierre Le-Play und Baudouin-Bugnet (der auch von Stadlen entzückt war). Baudouin ist nämlich wütend weil er, obwohl er die französischen pharmazeutischen Produkte in Folge eines ihm von Fritz gegebenen Exposés, in den neuen Handelsvertrag gebracht hatte, nicht einmal ein Wort des Dankes von den Usines du Rhone132 empfing. Le-Play (Pauls engster Mitarbeiter, ein steinreicher und äußerst angesehener Mann) ist ein wirklicher großer Freund von Fritz. Er ist (wie ich erst gestern eigentlich so recht aus dem Gespräch das er mit Baudouin führte entnahm) einer der Herrscher hier auf dem Gebiet der Chemischen Industrie. Er versprach Baudouin sofort einzugreifen, was Baudouin sehr befriedigte. (Baudouin kommt Mittwoch nach Wien auf 4 Tage. Er frug mich ob nicht doch mit der „Semperit“ etwas zu machen wäre.) Le-Play begann aber auch von Fritzls letzten Arbeiten zu sprechen. Es stellte sich heraus dass ihm Paul (nachdem er Gerson gesprochen hatte) sehr stolz über Fritzls Leistungen gesprochen hat. Vor uns verbirgt dies Paul sorgfältig. Aber Le-Play gegenüber hat er sich doch als sehr väterlich für Fritz gestimmt gezeigt. Nun ist Le-Play ein äußerst trockener harter Mensch. Er würde niemals wenn es sich um Geld handelt irgendwie einen Menschen fördern (seinen eigenen Sohn läßt er kaum im Geschäft avancieren). Aber wenn es gilt eine Karriere zu unterstützen die ihm verdient scheint so wird er viel tun. Ich habe Fritz eben geschrieben dass er, nachdem mich Le-Play um viele Details über Fritzls Arbeit gefragt, hat Le-Play sofort seine Arbeiten schicken soll. Rist sah ich noch nicht. Er hat mir aber durch Sofie die er traf sagen lassen dass er mir in allem und jeden zur Verfügung steht. Ich rufe ihn heute an. Dies nur wieder ein kleiner Situationsbericht. Ach, wären Sie hier! Innigst Ihre getreue B. Z.

 131 „Sie sind mir als Neffe eines Mannes willkommen, den ich unendlich liebe und respektiere.“ 132 Usines du Rhone war eine bedeutende industrielle Produktionsfirma von Feinchemikalien und Farbstoffen, in der u. a. Nicolas Grillet eine Schlüsselposition innehatte. Vgl. dazu Michel Laferrère, Histoire d’un Site Industriel; L‘ USINE RHONE-POULENC de ROUSSILLON, in: Revue de Géographie de Lyon, 1984, 4, S. 245 – 259.

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[BZ an Paul Stiasny] {Von Dr. Fr[itz] Zuck[erkandl] u. Frau Tr Z[Trude Zuckerkandl] übernommen 13.3.35} Paris den 7. März [1935]…………. 12, Avenue d’Eylau Lieber Paul! Ich bedaure sehr dass Ihr Euch so spät an mich gewendet habt. Ich weiß zwar nicht ob ich diesen Dr. Guttmann133 abreden hätte können. Aber gewiß wäre er durch mich über manches unterrichtet worden. Ich hätte es natürlich im Interesse von Dr. Gerson selbst getan den ich sehr verehre. Und dessen Übersiedlung gerade im jetzigen Augenblick ich für das bedauerlichste Wagnis halte. Nicht ich allein sondern erbgesessene Franzosen wie mein Schwager Clemenceau und noch andere gut unterrichtete Persönlichkeiten. Der Fremdenhass ist momentan hier so groß dass nicht einmal die größte Protektion einen fremden Arzt hier die Möglichkeit bietet sich hinter einem französischen Arzt zu verbergen um praktizieren zu können. Da Du mich aber in dieser Angelegenheit angerufen hast so muß ich Dir sagen dass nicht wie Du mich anklagst ich daran schuld bin dass Gerson uns verlässt um nach Paris zu gehen. Im Gegenteil. Dadurch dass ich Gerson zu Painleve vor zwei Jahren berief (eine selbstverständliche Sache die jeder kultivierte Mensch begreifen wird) ist es Gerson möglich gewesen unserem Sanatorium jenen Aufschwung zu geben der die vergangene Saison gerettet hat. Diese große einzig dastehende Möglichkeit die ich Euch brachte wurde sabotiert. Indem die französischen Patienten in einer Weise behandelt wurden die nicht einmal einem drittklassigen Hotel entspricht. Ich möchte nur dass Du hörst in welchem Ruf jetzt hier das Sanatorium Westend134 das die größten Sympathien anfangs durch meine und Gersons Propaganda genoß, steht. Meine Schwester und mein Schwager sind ganz entsetzt über alles was die Atthalins, Madame D’Orgeval135, die Ersteins136, und auch die Magdermals137 erzählen. Von dem miserablen Essen, von dem skandalösen Obst, von dem Schmutz der Closets, von der mangelhaften Bettwäsche. Von den Kämpfen die man ausfechten muß um die Gersondiät auch nur halbwegs anständig zu erhalten. Alle diese Patienten erklären sie wären mit Freude wiedergekommen wenn sie nur ein wenig zufriedener gewesen wären. Diese Tatsache aber dass Gerson erleben muß dass niemand seiner Patienten wiederkommen will (nicht einmal die sehr Kranken die ihn so brauchen) hat ihn so kopfscheu und so verzweifelt gemacht dass er jeden Ausweg (auch den schlechtesten) lieber ergreift als im Sanatorium Westend zu bleiben. Dein Verhalten ihm und seiner Frau gegenüber hat natürlich jedes Band gelockert. Selbst meine Freundschaft mit Gerson und auch die der Kinder 133 Der Name konnte nicht verifiziert werden. 134 Gemeint ist das Sanatorium Purkersdorf; vgl. dazu Anmerkung im Brief BZ an GK vom 6. April 1929. 135 Der Name konnte nicht verifiziert werden. 136 Der Name konnte nicht verifiziert werden. 137 Der Name konnte nicht verifiziert werden.

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die sich doch so sehr bemüht hatten konnte nicht wettmachen was in so unverständiger, ja unbegreiflicher Weise ruiniert wurde. Wenn Du jetzt (wie ich an Deinem Telephongespräch ersehen habe) alles dransetzt um Gerson nicht zu verlieren, warum hast Du so viele Monate hindurch nur mit Hohn, ja oft mit Haß seine Bemühungen seine Patienten zufrieden zu stellen vereitelt? Die leidige Ersparungsfrage die immer wenn wir Dir zu raten trachteten uns mundtod machen sollte ist eine faule Ausrede gewesen. Denn mit denselben Mitteln, (ich kann es beweisen) wäre anständiges Gemüse, Obst und Salat zu beschaffen gewesen. Es hätte nur einer guten Organisation und vor allem guten Willen bedurft. Nicht die Ansicht dass jeder Patient nur sekieren will wenn er sein Recht verlangt hat, sondern die Bemühung für wenig Geld das Beste zu leisten ist maßgebend. Mich kränkt es natürlich sehr dass wir den Pariser Boden der wie gesagt von mir so gut präpariert und von Gerson mit so großem Erfolg bearbeitet wurde, verloren haben weil die Pariser Patienten einstimmig unser Sanatorium als schmutzig und vernachläßigt, als im Küchenbetrieb und im Service drittklassige Anstalt bezeichnen. Und uns nun auch neue Patienten verscheuchen. Gerson ist es eigentlich nicht zu verargen dass er kopfscheu geworden ist. Du weißt dass er sich sehr lange bemüht hatte für seine Diät bessere Aufmerksamkeit zu erlangen. Es ist nicht meine Gewohnheit über vergangene Fehler zu rechten. So hätte ich auch Dir jetzt Dein sorgenvolles Amt nicht durch Vorwürfe verbittert wenn Du nicht wie ich sehr gut weiß mich für Gersons Weggehen verantwortlich machen würdest. Dass ich (durch Dr. Kunwald der dies alles ja nur mir und meinen Kindern zu lieb tut) die außerordentliche Leistung vollbrachte Gerson bei uns das Praxisrecht zu sichern ist mir nie gedankt worden. Aber dass ich Gerson nach Paris gebracht habe um meinem besten Freund eventuell das Leben zu retten, daraus macht man die große Affaire die Dir den merkwürdigen Mut gibt zu behaupten dass „ich mich damit unmöglich gemacht habe“. Bei wem? Das wäre mir interessant zu erfahren. Ich bin froh mich einmal Dir gegenüber offen aussprechen zu können. Denn die Intriguenluft des Westend einzuatmen liegt meiner Natur nicht … Solltest Du irgend eine Hilfe von mir in der Gersonsache brauchen so stehe ich Dir selbstverständlich ganz zur Verfügung. Mit bestem Gruß Deine B. Z.



[BZ an GK, MS] {Z.} Paris den 11. März. [1935] Geliebter Freund! Eben telephoniert mir Gerson dass er für einen Tag nach Paris berufen wurde. Ein neuer Patient. Das bestärkt ihn natürlich noch mehr in seiner Absicht Wien zu verlassen. Ich halte den Kampf dagegen für aussichtslos. Obwohl der Senat eben die strengsten Gesetze gegen fremde Ärzte angenommen

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hat. Aber das Alles interessiert mich nur in zweiter Linie. Hauptsache ist mir dass mir Gerson bestätigt hat was mein Mutterherz ja auch in der Ferne wußte: dass mein Fritzerl elend aussieht. Schon als ich wegfuhr und ihn auf der Bahn mir nachwinken sah, so arm, so müde, so krank und bleich aussehend glaubte ich dass mein Herz bricht. Nun sagt Gerson dass Fritz sich jetzt ein wenig zu erholen beginnt dass er aber ganz elend aussah. Und dass er findet man muß Fritz irgendwie helfen. Natürlich meinte Gerson ich soll Fritz hier in Paris ein Laboratorium verschaffen. Er ist und bleibt der Mann der im Mond lebt. Sofie aber hörte unser Gespräch mit an. Sie war sichtlich erschüttert über diese Nachrichten die mir Gerson (in seiner Naivität) gab. Paul ist nicht hier, er ist gestern nach Mailand gereist. Wir können uns daher in der Früh jetzt nach Herzenslust aussprechen. Sofie sagte als wir über Fritzl’s trostlose Lage sprachen zu mir: „Ein einziger Mensch kann Paul beeinflussen. Dr. Kunwald. Paul liebt und verehrt ihn. Schau doch dass Kunwald herkommt. Wenn das aber absolut nicht geht so veranlasse Kunwald Paul zu schreiben. Man soll nach meiner Meinung nicht mehr allzu lang zuwarten. Hier wird immer alles schlechter. Paul immer vorsichtiger und was Geld betrifft untraitabler. Kunwald’s Idee mit der Nachtods-Garantie scheint mir aussichtsreich. Ja, die einzige mögliche Lösung. Denn: Bar wird Paul jetzt nicht fünf Francs hergeben. Du siehst dass er nicht einmal Trude für das Kind etwas gibt. Er arbeitet wie DU es ja selbst siehst wie ein Sklave, weil die Geschäfte so schwierig sind. Er will dass falls er sterben sollte, vor mir, ich ganz gesichert bleibe. Aber wenn Kunwald ihm diesen Vorschlag einer Nachtods-Garantie geschickt beizubringen weiß (und das kann niemand anderer als er) dann hoffe ich dass man Paul dazu bringen wird. Immer angenommen dass die Summe nicht zu hoch ist. Paul wird sich niemals für eine große Summe engagieren weil er seinen Namen auch nach seinem Tod nicht irgend einer Gefahr eine Verpflichtung nicht einhalten zu können aussetzen wird.“ Sofie erwähnte noch dass sie ganz aus dem Spiel bleiben müsse da Paul sonst justament nichts tun würde. Auch für mich behauptete sie wäre es eine Gefahr der Sache zu schaden wenn ich Paul nur das Geringste sagen würde. Nach vorsichtigem Tasten brachte ich heraus was ungefähr sich Sofie als mögliche Garantiesumme vorstellt. Es ginge nicht höher als fünfzehntausend, höchstens zwanzigtausend Schillinge. So meint Sofie. Ich meine aber man muß Ihnen das Ausmaß dessen was notwendig wäre überlassen. Allerdings ist eine Verquickung mit den Sanatoriumsschulden ausgeschlossen. Dann tut Paul gar nichts denn vom Sanatorium können nicht einmal Sie ihn überzeugen. Aber es wäre doch eine Rettung für Fritz wenn er von seinen Privatschulden befreit wäre. Sollte es möglich sein noch eine kleine Summe darüber zu erübrigen die Trude erlaubt mit der größten Sparsamkeit ein Jahr einen kleinen Zuschuß zu erhalten dann könnte ich vielleicht ruhig sterben. Nur das noch sehen! Dass ich Fritz gerettet weiß, selbst wenn er den Anteil des Sanatoriums verlieren muß. Ich kann Ihnen meine Angst nicht klar machen weil Sie meinen Mann und die Familie Zuckerkandl nicht gekannt haben. Aber ich habe das erlebt noch als

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junge Frau. Dieser Fluch der von der Mutter vererbt auf die Söhne übertragen wurde. Die brüchigen Gefäße. Die Herzkrankheiten schon im besten Mannesalter. Fritz hat bereits diese Farbe die Emil, die Otto hatte. Er ist ein so echter Zuckerkandl dass die Gefahr unendlich ist. Er leidet seit einem Jahr solche Qualen und Aufregungen dass er nicht mehr lange es aushalten kann. Daher ich Sie beschwöre mein gütigster Freund, nicht allzulange mit irgend einem Entschluß zu warten. Es geht nicht um psychologische Dinge. Es geht um das Leben meines Kindes. Ich weiß dass man viel riskiert wenn Sie Paul nur schriftlich bearbeiten können. Aber: Ich sehe keinen anderen Ausweg weil Sie ja doch wohl nicht herkommen werden. Die Krise in Frankreich ist eine so lähmende dass dies gewiß auch auf alles übergreift was mit Paris in Verbindung steht. Ein Zufall hat mich vorige Woche in das Haus des einstens so mächtigen deutschen Bankier Sobernheim (den Freund Stresemanns) gebracht. Sobernheim ist schon ein Jahr ehe Hitler an die Macht kam von einem sicheren Instinkt geleitet nach Paris übersiedelt. Er soll den größten Teil seines Vermögens herausgebracht haben. Nun versucht Sobernheim mit allen Mitteln mit Paul in Verbindung zu treten. Bisher ist es ihm absolut nicht gelungen weil die Frau von Sobernheim eine gute alte Dame direkt grotesk aussieht (enorm dick und häßlich). Und sie Paul unsympathisch ist. Sobernheim hat gehört dass ich in Paris bin und gründet nun seine Hoffnung auf mein Eingreifen. Es stellte sich bei unserer Fühlungnahme heraus dass Sobernheim nur Chemisch-Pharmazeutische Interessen hat. Und deshalb durch Paul die Dynamite Nobel bearbeiten möchte. Diese hat ja große Chemische Unternehmungen. Ein großer Plan Sobernheims ist eine Fabrik die offenbar (getarnt) ihm gehört mit den „Usines du Rhone“ (wo Fritz zufällig Vertreter ist) zu vereinen. Sobernheim stellte mir in Aussicht dass, falls ich es zu Stande bringen würde dass die Dynamite Nobel in ein Syndikat eintritt das für die Übernahme der Fabrik in das „Usines du Rhone“ gebildet werden würde, Fritz die Leitung dieser Fabrik als Chemischer Direktor erhält. Die kommerzielle Leitung hat ein ausgezeichneter Kaufmann den Sobernheim selbst anstellt. Alles hängt aber davon ab dass mir die Sache gelingt. Da nun Pierre Le-Play Pauls engster Mitarbeiter der entscheidende Mann der Chemischen Abteilung in der Dynamite Nobel ist, und dass Le-Play mit geradezu rührender Liebe an Fritz hängt so versuche ich jetzt Sobernheim mit Le-Play zusammen zu bringen. Das wird dauern da Sobernheim auf 14 Tage verreist ist. Ich sehe voraus dass ich viel, viel länger dieser Sache wegen in Paris werde bleiben müssen. Aber wie kann ich das wenn ich weiß dass Fritz elend ist. Dass er faktisch nicht mehr weiter kann. Diese Guerbetsache138 hier und so vieles anderes läßt sich ja nicht mehr schieben. Rist sah ich noch nicht er muß 138 Zur „Sache“ selbst findet sich in den umfangreichen Materialien von Gottfried Kunwald kein Hinweis. Zur Person Guerbet vgl. die Angaben im biographischen Anhang. Bei Guerbet kann es sich um Vater André oder Sohn Marcel handeln.

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wohl verreist sein. Grünberger hat zwei Gehirnblutungen. Ist schwer krank. … Lieber, lieber Schutzengel … was soll ich tun um Fritzl zu retten? Können Sie nicht doch herkommen? Paris ist viel billiger geworden. Die Hotels auch. Ihre Sie liebende Berthe



[BZ an GK, MS] {Berta Z. 16.III.35} Paris den 14. M.[ärz 1935] 12, Avenue d’Eylau Liebster Freund! Vorgestern war gegen Abend Rist mit seiner Frau bei mir. Er ist vollständig aus der Kreditanstalt auch als Vertreter der Auslandsgläubiger ausgetreten. Als ich ihm meine Angst sagte dass er nun für Fritz wenn es nötig sein sollte nicht mehr würde intervenieren können gab er mir die Versicherung sein Einfluß doch immer genug groß bleibe um stets wenn nötig einzugreifen. Ich mußte ihm versprechen ihn bei solcher Gelegenheit sofort zu schreiben. Er war wirklich rührend. Dann sprachen wir lange von Ihnen. Rist ist ja ebenso begeistert wie ich von Ihrer Kriegsschrift139. Auch er hob das dichterische des Stils hervor. Er begann mir zu erzählen was Sie eigentlich real durchsetzen möchten. Nämlich die Bildung einer über alle Luftlinien einzig berechtigte Internationalen Luftflotte durch zusetzen. Rist ist von diesem Gedanken sehr erfüllt gab jedoch seiner Meinung Ausdruck dass in der jetzigen Zeit wohl kaum eine Möglichkeit der Erfüllung vorhanden sei. Ich bestritt dies. Und entwickelte ihm den Weg den er meiner Meinung nach gehen müßte. Vor allem einen genügend bedeutenden Geldfond schaffen der die Propaganda, die Reisen, die Bearbeitung der großen Mächte finanzieren würde. Ich sagte Rist: „Sehen Sie sich an was Coudenhove für Pan-Europa immer wieder für Geld bekommt. Eine ähnliche Organisation müsste geschaffen werden. Und Sie müssen statt negativ zu denken sich an die Spitze dieser Beschaffung der Geldfonds stellen. Kennen Sie denn nicht einen ganz großen Mann dem man es als seine höchste Aufgabe zeigen müßte dass er die Pflicht hat Kunwalds Idee zu verwirklichen? …Da begann Rist herumzuraten. Frau Rist sagte: „Wir kennen wohl jetzt einen der reichsten Menschen in Frankreich. Monsieur Raymond Philippe. Ihm ist gelungen was Niemanden gelang. Nämlich in all diesen Zeiten nie einen Francs seines Vermögens zu verlieren, sondern im Gegenteil es stets zu vermehren. Aber leider ist dieser Mann mißtrauisch und geizig.“ „Nein (sagte Rist) mit Philippe ist nichts anzufangen. Aber Madame Zuckerkandl hat mich durch ihre Energie und ihre sehr richtigen Vorschläge auf eine Idee gebracht. Ich habe gestern gehört dass die Familie Rockefeller wahrscheinlich weil der alte Rockefeller140 in Todesgefahr gewesen ist, eine Art Gewissensrevision 139 Die 1935 erschienene Publikation „Zehn Punkte über den Krieg“ vgl. ÖStA, Bestand GK 616-1-979. 140 Vgl. die Angaben im biographischen Anhang John D. Rockefeller.

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vollzogen hat. Ob sich die Rockefellers genug Verdienste um die Menschheit erworben haben? Nun: Ihre Anregung kommt im richtigen Augenblick. Ich werde morgen sofort entweder an Rockefellers schreiben oder telegraphieren. Vielleicht ist gerade Kunwalds Plan augenblicklich das Richtige für die momentane Einstellung der Rockefellers, ethischen Pflichten gegenüber“. „Vor allem (sagte ich) sorgen Sie dafür dass Kunwald endlich die Reisespesen nach Paris und der Aufenthalt hier gezahlt wird. Ich spreche ganz offen mit Ihnen. Ich sehne Kunwald herbei weil ich in ihm den Freund sehe der meinem Schwager Clemenceau Vieles sagen kann was zum Glück meiner Kinder beitragen könnte“. Rist wird also jetzt die Sache mit Rockefeller versuchen. Was nun unsere Fragen hier betrifft so ist Paul gestern leider in schrecklicher Laune aus Mailand zurückgekommen. Er ist ja Aufsichtsrat der italienischfranzösischen Dynamit. Und diese Stellung bildet einen großen Teil seines Einkommens. Nun aber hat Mussolini nicht nur jede Ausfuhr der italienischen Lire drakonisch gesperrt. So dass Paul sein dort verdientes Geld nicht herausbekommt. Es sind auch andere Maßregeln zu gewärtigen (wie Paul sagt absolut bolschewistischer Natur) die große Änderungen für Paul in Folge haben werden. Infolge dessen kündete er Sofie an dass er das Auto aufgeben wird. Und hat überhaupt gestern Abend uns das Herz sehr schwer gemacht. Er glaubt dass man in aus seiner Stellung in Italien verdrängen will. Er muß nach Rom zu Chambrun fahren damit die französische Regierung eventuell interveniert. Sie sehen wie düster dadurch die Aussichten für die Kinder sind. Die arme Trude wird vergeblich selbst auf die ärmlichen 500 Francs warten. Denn Paul hatte mir gesagt dass er sie nur schicken kann, falls er Geld aus Italien herausbringt. Natürlich sind das zum Teil nur Schrullen. Aber was wollen Sie gegen die Launen eines alten Mannes machen der überdies noch ein Clemenceau ist. So fürchte ich dass wir aus unserem Elend nicht herauskommen werden. Über ganz Europa zieht sich das Unwetter immer mehr zusammen. Rist sagte mir dass besonders für Central-Europa sowohl das Sinken des Pfundes, als auch die Absperrung Italiens von bösen ökonomischen Folgen begleitet werden wird. In dieser Stimmung muß ich aber fortfahren für Fritz nach Möglichkeiten eventuell von Wien wegzukommen und sich eine neue Lebensbasis zu suchen, auszuschauen. Die einzige, aber wie ich mir nicht verhehle, sehr problematische Aussicht bietet sich durch die Bekanntschaft mit dem deutschen Bankier Sobernheim der mich bat ihn in der Dynamit-Nobel wegen einer Fühlungnahme in Chemisch-Pharmazeutischen Projekten einzuführen. Ich bin vorsichtigerweise nicht den Weg über Paul gegangen. Weil dieser sofort mir jeden Mut nimmt. Sondern, da Pierre Le-Play in der Dynamit der eigentliche Leiter der großen chemischen Interessen ist, und Le-Play ja ein besonderer Freund und Beschützer von Fritzl ist, so habe ich die Abwesenheit von Paul dazu benützt um bei Le-Play einen Besuch zu machen. Da Le-Play sowieso mit dem wichtigsten Mann der Usines du Rhone, mit Grillet wegen Fritzels

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wissenschaftlicher Bedeutung gesprochen hatte und auf sehr gute Gesinnung gestoßen war, so erklärte ich Le-Play in einigen Worten den Wunsch Sobernheims mit ihm (Le-Play) Fühlung durch mich zu nehmen. Le-Play war sofort bereit. Und ich warte nur die Rückkunft von Sobernheim 22. März ab, um diese Zusammenkunft zu machen. Von da aber bis zum Gelingen des Projektes das Sobernheim hat ist noch ein weiter Weg. Paul würde wahrscheinlich wenn es gilt Fritz hier diese bedeutende Stellung als wissenschaftlicher Leiter einer großen Pharmazeutischen Fabrik zu verschaffen doch sich eher bereit finden ihm dann wegen einer Liquidierung seiner Schulden zu helfen. Sie sehen lieber Freund wie ich mich abplage. Dabei mit den schwersten Nervenschmerzen kämpfend. Oft glaube ich nicht weiter zu können. Auch meine Sorgen in Wien gehen weiter. Mit Entsetzen erfahre ich dass mir meine Pension vom ersten März noch immer nicht ausgezahlt wurde. Obwohl hier Regierungsrat Bodo von der Gesandtschaft ordnungsgemäß mich als lebend in Wien gemeldet hatte. (1. März) Jetzt habe ich Sie genug gelangweilt. Aber alles, alles kann ich ja nur mit Ihnen besprechen. Hier muß ich schweigen und lächeln. Die arme Sofie aber ist tief erschrocken seit gestern da ihr Paul angekündigt hat dass er den Wagen aufgeben wird. Sie ist ein verwöhntes Kind. Und er tut nicht recht daran sie in ihren Sicherheiten aufzuschrecken. Stadlen schrieb mir aus London. Ich werde ihm wahrscheinlich für April hier etwas verschaffen. Aber auch hier geht alles Künstlerische langsam und schwer. Fritzl soll nur ja recht rasch seine Arbeiten für Le-Play einsenden. Gerson gebe ich endgültig für verloren. Er ist jetzt hier schon so zu Hause und hat so viel Anhänger dass er sich wahrscheinlich durchsetzen wird. Innigst Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps Heute ist Paul plötzlich wieder viel besser aufgelegt. Und scheint sich gestern ausgetobt zu haben. Sofie meint man darf bei ihm nie diese Sachen so ernst nehmen.



[BZ an GK, MS] {27.3.35} Paris den 24. März. [1935] Liebster Freund! In besonders deprimierter Stimmung (Mein lieber Freund Moissi ist gestorben) schreibe ich diese Zeilen. Ich hätte daher noch damit gewartet aber ich glaube es ist kein Tag mehr zu verlieren um in irgend einer Weise Fritzls finanzielle Situation einer Lösung zuzuführen. Wenn ich dies zu sagen wage, obwohl ich weiß dass Sie als erstes Diktat Ihrer weitschauenden Hilfsaktion von uns Geduld und wieder Geduld gefordert haben, so können mich nur die schwerwiegendsten Gründe zu solcher scheinbarer Unsubordination bewegen.

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Aber: Die Voraussetzung für eine Rettung meines geliebten Fritz haben sich sehr geändert. Eine absolut neue Situation hat sich herauskristallisiert. Wozu die von Fritz in den letzten Jahren geleisteten wissenschaftlichen Arbeiten einen Anstoß gegeben haben. Sie wissen dass Pierre Le-Play der engste Mitarbeiter von Paul Clemenceau in der „Dynamite-Nobel“ ist. Und der leitende Aufsichtsrat über alle sehr bedeutenden Chemischen Unternehmungen der Dynamit-Nobel. Diese Stellung wahrt ihm in der sämtliche chemischen Interessen vereinigenden „Societe de Chimie“ in Frankreich, auch auf dem Gebiet der Pharmazeutischen Chemie (Was nicht unmittelbar mit der Dynamite-Nobel zusammenhängt) großen Einfluß. Pierre Le-Play, obwohl ein trockener ja harter Mann, hat seit vielen Jahren Fritz besondere Sympathie zugewendet. Schon als Fritz sich um die Vertretung der Usines du Rhone bewarb, empfahl ihn Le-Play intensiv. Er steht mit dem ersten Aufsichtsrat der Usines du Rhone, Monsieur Grillet besonders gut. Monsieur Grillet aber kann sich mit den einzelnen Agenden des so großen Unternehmen nicht befassen. Daher Fritz nur mit einzelnen Direktoren der verschiedenen Abteilungen zu tun hat. Schon der von Fritz vor zwei Jahren abgeschlossene Vertrag entsprach nicht der für diese Arbeit in Betracht kommenden Entlohnung. Dies weiß ich von einem hier in Paris weilenden Mitarbeiter der Usines. Es wurde gleich von Anbeginn gegen Fritz intriguiert. Wahrscheinlich weil er durch besondere Empfehlung einem der Direktoren aufoktroyiert wurde. Aber auch (und dies hat eben jetzt Paul Clemenceau eruiert) weil einer der Direktoren ein Monsieur Ballet Paul glühend haßt. Pierre Le-Play wurde durch mich von den Schwierigkeiten unterrichtet, mit welchen Fritz zu kämpfen hat. Und von der Gefahr dass sein im Mai ablaufender Vertrag nicht erneuert werden könnte. Bereits im Sommer hatte ich Anlaß genommen meinem Schwager Clemenceau die bis dahin erschienenen Pharmazeutisch-chemischen Arbeiten von Fritz zuzuschicken. Er zeigte sie Le-Play. Ausschlaggebend aber wurde für eine eben jetzt für Fritz einsetzende Aktion dass ich Fritz vor einigen Monaten bewogen hatte Baudouin-Bugnet den Abgeordneten der in der französischen Kammer das Referat über Österreich hat, und mit dem ich gut bekannt bin ein Exposé zu schicken, in welchem Fritz darauf hinwies dass die französische Pharmazeutisch-chemische Produktion im neuen Österreichisch-französischen Handelsvertrag eine Rolle spielen müsse. Hier nun tritt Baudouin-Bugnet auf den Plan. Er ist ein bedeutender Advokat der immer große Truste und weite Geschäfte vermittelt. Er erfaßte sofort als Vertreter der Österreichischen Interessen die auch für Frankreich und eventuell für ihn selbst fruchtbare Anregung. Es gelang ihm die Französische Chemisch-Pharmazeutische Produktion in den Handelsvertrag zu bringen. Baudouin-Bugnet hatte nun von Fritz erbeten dass dieser die Usines du Rhone sofort auf diese von ihm (Baudouin) in deren Interesse durchgesetzte Aktion in Kenntnis setzt. Damit die Usines du Rhone nun in einen persönlichen

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Kontakt mit Baudouin treten. Auf drei diesbezügliche dringende Briefe erhielt Fritz zuerst keine Antwort. Schließlich einen Brief des Inhalts dass „Monsieur Baudouin-Bugnet für die Usines du Rhone kein Interesse darstelle.“ Als ich nun vor vier Wochen nach Paris kam fand ich Baudouin gegen Fritz irritiert da er annahm dieser hätte es verabsäumt den Kontakt herzustellen. Hierauf erzählte ich ihm den Hergang. Und schlug ihm vor mit meinem Schwager Clemenceau darüber zu sprechen. Der Le-Play alarmieren würde. Gleich den nächsten Sonntag brachte ich bei uns eine Entrevue zwischen Baudouin, Le-Play und Paul zusammen. Mit dem Erfolg dass Le-Play nun den Kontakt zwischen Grillet und Baudouin hergestellt hat. Denn Le-Play erst hatte Grillet die ganze Geschichte erzählt. (Auch die wichtige Rolle die Fritz in der Handels-Vertragssache gespielt hatte). Es stellte sich heraus dass man Grillet alles verschwiegen hatte. Dieser wütete. Als ihm Le-Play auseinandergesetzt hatte wer Fritz Zuckerkandl sei: seinen großen Namen hervorhob, seine unbezahlbaren Verbindungen mit den Professoren und den Klinikern. Und ihm auch von den großen wissenschaftlichen Qualitäten sprach die Fritz auszeichnen (ich hatte Le-Play bereits von der letzten aufsehenerregenden Arbeit über die Leber die Fritz bei Eppinger gemacht hatte erzählt)141 da zeigte Grillet großes Interesse. Er versprach Le-Play: I.- Augenblicklich mit Baudouin-Bugnet in Verbindung zu treten. II.- Sich mit den Arbeiten von Fritz die er bat ihm so rasch als möglich zu geben, sofort zu beschäftigen. Da er besonders in der Laborarbeit die Möglichkeiten in Betracht zieht daraus neue Pharmazeutisch-Chemische Produkte zu gewinnen die Fritz nach seiner Ansicht daraus entwickeln müßte. Mittlerweile aber fuhr Baudouin-Bugnet nach Wien. Kam dann wieder zu uns. (Vor seiner Fühlungnahme mit Grillet) und sprach der ernst mit Paul und mit mir über Fritz. Nach einer Aussprache mit Strakosch142 sah er die Situation von Fritz für gefährdet an. Gefahr dass der Vertrag nicht erneuert wird. Dies nun zu verhindert hat Le-Play mich für morgen Montag zu einer Unterredung in die Dynamite Nobel gebeten. Ich werde ihm die gestern von Fritz mir eingesandten Arbeiten für Grillet übergeben. Was nun daraus entstehen wird und in wie Ferne Sobernheim’s Plan (er kehrt erst heute aus Nizza zurück) hier eventuell auch Gestalt annehmen wird, dies kann erst die nächste Zeit erweisen. Baudouin-Bugnet ist übrigens wie ich erfahren habe mit Sobernheim intim bekannt. Ich habe Ihnen allzulange vielleicht die Situation auseinandergesetzt. Fritz hat mir seitdem ich hier bin, also ganze vier Wochen nicht geschrieben. Ich wußte dass etwas dahintersteckt. Nun schreibt er mir gestern als er mir die Arbeiten 141 Als wissenschaftliche Arbeiten von Fritz Zuckerkandl konnte seine Dissertation aus dem Jahre 1919 eruiert werden: „Beiträge zum Valenzproblem des dreiwertigen Kohlenstoffes“, weiters zwei Schriften aus dem Jahr 1935. Vgl. dazu die Anmerkung im Brief BZ an GK vom 1. Juni 1936. 142 Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Sir Henry Strakosch. Zur Verbindung zu Fritz Zuckerkandl konnte nichts eruiert werden.

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einsandte endlich. Und er der mir niemals seine schweren Sorgen ganz eingestehen wollte sagt mir zum ersten Mal: „Mama ich war zu tief deprimiert um Dir zu schreiben. Ich kann nicht weiter.“ Dieser schüchterne Hilferuf meines armen Sohnes trifft eben in dem Augenblick ein da eine Entscheidung für ihn naht. Es unterliegt für mich aber keinem Zweifel dass die ganze von mir geleistete Vorarbeit, dass die großen Möglichkeiten die sich für Fritz augenblicklich eröffnen vernichtet werden wenn nicht sofort irgend eine Aktion versucht wird. Um wenigstens die drückendsten Schulden von Fritz aus dem Weg zu schaffen. Sonst wird sein Vertrag nicht zu Stande kommen. Offenbar hat Strakosch die Unterredung mit BaudouinBugnet dazu benützt um über Fritz seine Verhältnisse in wenig günstiger Art zu sprechen. Baudouin wird wie ich hoffe, nachdem er uns sehr zugetan ist, keinen Gebrauch davon machen. Aber da einige Direktoren der Usines du Rhone Fritz aufsässig sind so wird bestimmt von da die Offensive gegen Fritz ausgehen. Nicht nur der Vertrag sondern Fritzls Gesamtstellung in Paris sind dann auf das Äußerste bedroht. Meinem Schwager Clemenceau imponiert jetzt Fritzls Arbeitserfolg sichtlich. Er nimmt sich sehr der Sache an. Eine direkte pekuniäre Hilfe aber ist von ihm nicht zu erwarten. Das heißt nicht in der Form dass er in der jetzigen Krisenzeit Bargeld hergeben wird. Aber vielleicht ist Ihr genialer Plan mit der Nachtod-Garantie ausführbar. Ich habe wie Sie ja wissen mit meiner Schwester Clemenceau ausführlich darüber gesprochen. Sie ist absolut damit einverstanden. Und das Testament gibt ihr das Recht ebenfalls zu verfügen. Dieses Testament das mir vor zwei Jahren mein Schwager Clemenceau unaufgefordert mitgeteilt hat besagt dass die beiden Ehepartner gleicherweise verfügen. Der Überlebende wird die Verfügungen des früher Verschiedenen übernehmen und ausführen. Die Kinder sind in dem Testament hervorragend bedacht. Nötigenfalls könnte ich eventuell eine Art Abschrift erhalten. Vor allem müßte man rasch in Wien den Freund oder die Bank verschaffen, die für eine solche Garantie zu haben ist. Nur wenn man Paul Clemenceau in dieser Beziehung mit einem absolut fertigen Vorschlag kommen kann ist ein Erfolg zu gewärtigen. Aber: Und hier ist der Satz: „Politik ist, das Erreichbare anzustreben“ zu erwägen. Wenn die verlangte Summe so deduziert werden kann dass sich Paul einverstanden erklärt dann möchte ich meinen dass, da meine Schwester so dafür ist, die Sache gemacht werden könnte. Mit aller Offenheit könnten Sie meinem Schwager sagen. „Die Summe, die ich verlange, ist nur ein allerdings wichtigster Teil von Fritzls Verbindungen [Verbindlichkeiten]. Der andere mindere Teil könnte von Fritz falls er seine Stellung behält (was eben von der Aktion zu Fritzens Entschuldung abhängt) leicht monatlich abgezahlt werden. Aber drückende Dinge die sonst Fritz seine Karriere verhindern können werden vermittelst einer Nachtod-Garantie aus der Welt geschafft. Dafür dass Fritz nie mehr Schulden machen wird (da er ja Gott sei Dank kein Geschäft mehr zu führen hat sondern nur wissenschaftlicher Mitarbeiter der Usines du Rhone ist) kann man jede Garantie geben.

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Wenn Sie verehrter Freund glauben unter den veränderten Verhältnissen die ich Ihnen hier darlege für diese Lösung eintreten können, dann würde ich doch vorschlagen dass Sie ohne jeden weiteren Aufschub Paul Clemenceau schreiben sollen. Auf Ihr ersehntes Kommen zu warten scheint mir aussichtslos. Besonders da wir ja nicht mehr länger warten können. Die Grenze des Zuwartens ist eben erreicht durch diese für Fritz nahende wichtige Entscheidung. Ich werde es über mich bringen nach Ihrem Brief mit Paul zu sprechen. Obwohl ich weiß dass Ihre mündliche Aussprache ein sicherer Erfolg wäre. Paul Clemenceau betont es bei jeder Gelegenheit welches große Vertrauen und welche Verehrung er für Sie hat. Nun würde ich vorschlagen dass Fritz selbst dann herkommen soll. Sofie die mit mir außerordentlich lieb ist und die für ihren geliebten Neffen Fritz zittert stellt mir 600 Francs für Fritzls Reise zur Verfügung. Fritzls Kommen wäre wahrscheinlich nicht nur Pauls wegen sondern auch wegen Le-Play, Grillet, der Vertragssache, der Sobernheimsache (ganz besonders) wichtigst. Dritte Klasse hin und zurück und ein achttägiger Aufenthalt: das ginge sich aus da ich Fritz irgendwo ja einlogieren werde. Nur müßte er genau zu dem Zeitpunkt kommen nach dem Paul Ihren Brief in der Hand hätte. Es ist kein Tag zu verlieren. Denn ab 12. April setzen hier schon die Osterferien ein und dann ist nichts mehr zu erledigen. Ich beschwöre Sie geliebter Freund, nehmen Sie meinen Vorschlag wegen einer für Paul möglichen Garantiesumme, die nicht die ganzen Schulden eventuell decken wird aber den wichtigsten Teil, an. Glauben Sie mir dass ich die Lage hier sehr genau studiert habe und dass ich nicht in oberflächlicher Weise nur um einen Teilerfolg zu erzielen Ihnen dies schreibe. Es ist so wie ich es Ihnen hier dargestellt habe. Ich erwarte Ihren Anruf nach Erhalt dieser Zeilen. Ich weiß dass Sie uns in diesem entscheidenden Augenblick so weit helfen werden als es Ihnen möglich ist. In innigster Verehrung Ihre dankbare Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] Samstag den 30. M.[ärz 1935] Liebster Freund! Ich lege meinen Brief hier den Briefen bei die mir eben Dr. Kurt Sobernheim schickt mit der Bitte diese an Sie weiterleiten zu wollen.143 Er fand es besser sich quasi von mir bei Ihnen einführen zu lassen. Daher er mir beide Briefe an Sie kuvertiert sandte und mir extra einen Brief schrieb den ich Ihnen auch zur Einsichtnahme einsende da Sie daraus die Einstellung Sobernheims mir gegenüber am besten beurteilen können. 143 Die Briefe liegen der Korrespondenz nicht bei.

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Ich habe in einer langen Unterredung die ich gestern unter vier Augen mit Sobernheim pflog meine ganze Geschicklichkeit spielen lassen. Natürlich erwähnte ich vorläufig nichts von Ihren eventuellen Reisespesen. Ich hielt dies für verfrüht da ich ja gar nicht weiß ob sich aus dieser ersten Fühlungnahme irgendetwas Konkretes ergeben wird. Dass Dr. Sobernheim einer der ersten Finanzmänner ist weiß hier jeder der mit diesen Dingen vertraut ist. Ob er aber kapitalskräftig ist konnte ich nicht erfahren. Jedenfalls war er es in Deutschland. Die Angelegenheit wegen der Chemisch-Pharmazeutischen Fabrik die er besitzt und durch die Vermittlung mit Le-Play mit den Usines du Rhone vereinigen möchte steht momentan still weil Le-Play leider erkrankt ist. Es geht ihm Gott sei Dank besser. Aber jetzt fährt wieder Sobernheim bis Donnerstag nach London. So dass die von mir arrangierte Zusammenkunft der beiden Herren frühestens nächsten Samstag stattfinden kann. Sobernheim interessierte das kurze Exposé, das ich mir von Fritz über seine Arbeiten bestellt hatte, ungemein. Und er wiederholte dass das Zustandekommen diese Sache Fritzls Karriere kolossal fördern würde. Dafür garantiere er mir. Nun: Ich muß wieder eine Woche verwarten. Es gehört viel Geduld und Energie dazu in Paris seit einem Monat zu sitzen mit dreihundert Fr.[ancs] in der Tasche. Keinen Francs mehr. Ich mache Kunststücke um nur meinen Friseur zahlen zu können. Wenn es nur etwas nützen wird dann will ich gerne den Dalles144 weiter ertragen. Bitte antworten Sie Sobernheim direkt nicht wahr? Er kehrt Donnerstag Abend nach Paris zurück. Mit tausend Grüßen Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {6.4.35} Freitag Mittag [5. April 1935] Liebster Freund! Unmittelbar nach unserem Telephongespräch entschließe ich mich Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Ich konnte nämlich da meine Schwester anwesend war nichts davon sagen. Können Sie mir nicht durch irgendeine Kombination (ich weiß dass Sie persönlich kein Geld haben) hundert Schilling verschaffen. So zusagen als Vorschuß auf unser Geschäft. Ach wie ich aber diese hundert Sch. falls das Geschäft mißlingt zurückgeben werde davon habe ich aufrichtig gesagt momentan keine Ahnung. Ich kann nämlich hier nicht weiter und weiß nicht wie ich hierbleiben soll wenn ich nicht etwas Geld für meine kleinen Ausgaben habe. Ich bin sowieso fünf Wochen lang mit dreihundert Francs ausgekommen. Jetzt aber stehe ich 144 Jüdisches Wort für Armut, Geldnot.

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ohne einen Sou da. Ich kann doch nicht von meiner Schwester dem lieben großen Kind die keine Ahnung davon hat was es heißt nicht einmal Geld auf eine Marke zu haben, verlangen dass sie mir für jede kleine Ausgabe Geld gibt. Das ist hier in Frankreich nicht Sitte dass eine Schwester der anderen in solchen Miseren beisteht. Also arbeite ich wirklich schwer, kämpfe mich unnötig ab, verliere meine Nerven. Wenn Sie mir hundert Sch. schicken könnten würde ich wieder drei Wochen lang vollkommen versorgt sein. Ich weiß ja nicht wielange ich hier bleiben muß. Le-Play ist heute wohler, wird aber erst nächste Woche in’s Bureau kommen. Dann fange ich für Fritz alles wieder von Neuem an. Und falls unsere Sobernheimsache weitergehen sollte will ich doch natürlich auch nicht von der Stelle weichen. Aber wie gesagt, was soll ich tun wenn ich nicht weiterkann. Vielleicht können Sie mir auf irgendeine Art diese hundert Sch. verschaffen. Vor Ihnen geniere ich mich nicht. Sie dürfen Alles von mir wissen. Um halbzwei Uhr soll mich Sobernheim anrufen. Ich schicke aber diese Zeilen vorher ab weil ich Ihnen ja sowieso um sechs Uhr telephonisch berichten kann. Herzlichst Ihre Schnorrerin Getreu Berta Zuckerkandl



[GK an BZ, MS] Wien, 7. April 1935 Verehrte Freundin! Ich bin wirklich tief erschüttert von Ihrer kleinen Bitte. Und überdies noch deshalb, weil sie in einem Augenblick wirklich absoluter Kassaebbe kommt. Jedenfalls schicke ich sofort den Höchstbetrag, den es erlaubt ist, trotz Devisenvorschriften telegraphisch sofort zu schicken, nämlich S 20.--; die haben Sie also morgen. Und so oft es mein Kassastand erlauben wird, werde ich neuerlich S 20.-- telegraphisch schicken. Halten Sie nur Daumen, dass es recht schnell geht! Ihr herzlichst ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl 12 avenue d’Eylau Paris {cop: Mahler 7.4.35 Expreß aufgeg: H.[ammelrath] 7.4.35 Auf dem Couvert: Remettre entre neuf heures du matin et dixneuf heures}145

 145 „Zuzustellen zwischen neun Uhr morgens und neunzehn Uhr.“

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[GK an BZ, Telegramm, 8. April 1935, MS] ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE EYLAU PARIS PRIÈRE NE DITES PAS QUE VOUS M’AVEZ PARLE NI SAMEDI NI LUNDI VOUS IGNOREZ QUE JE NE LUI AI PAS TÉLÉPHONÉ146 KUNWALD {cop. H.[ammelrath] 8.4.35 Telephon. aufgegeben: Mahler 8.4.35, 16.32}



[GK an BZ, MS] Wien, am 9. April 1935 Verehrte Freundin! Beim gestrigen Telephongespräch erinnerten Sie mich mit Recht daran, dass ich anfänglich – d. h.. bevor ich mit van Hengel gesprochen hatte – Ihnen gesagt hatte, dass eine Reise nach Paris in dieser Sache leider nicht in Frage komme. Das hat sich aber geändert. Van Hengel brachte mir diesmal in überraschen­ dem Maße Bereitwilligkeit entgegen. Er will offenbar mit mir ein Geschäft machen. Das ist etwas ganz anderes als ich erwartete. Es ist daher jetzt für Sobernheim wichtig, dass ich in Paris alles vorbereite, weil ich in Wien nicht ausgeschaltet werde. Natürlich muß das bald sein; der sehr schwankende und launische van Hengel freut sich augenblicklich darüber, mit mir ein Geschäft machen zu können, weil er mein Buch147 gelesen und sehr bewundert hat. In einem Monat kann das wieder anders sein. Was Baudouin-Bugnet betrifft, so warne ich davor, dass Sobernheim sich mit ihm in Beziehung setzt. Baudouin-Bugnet hat selbst in Wien einen so großen Namen, dass er ohne mich und ohne Sobernheim an van Hengel herantreten kann und dieser mit ihm verhandeln würde. Die Sache steht also jetzt so, dass meine Reise nach Paris das Richtige ist. Sobernheim muß sowohl diese Reise als mich bezahlen. Davon, dass ich unbezahlt die Sache bearbeite, kann keine Rede sein. Zu Sobernheims Gunsten lasse ich mir von allem Anfang an von der Credit-Anstalt versprechen, dass er nicht ausgeschaltet werden darf. Zu meinen Gunsten würde ich das mir nie versprechen lassen; das habe ich nie gekonnt und kann es nicht mehr lernen. Mit herzlichen Grüßen {MMe Berthe Zuckerkandl chez Mme Sophie Clemenceau 12, avenue d’Eylau Paris 146 „Bitte sagen Sie nicht, dass Sie mit mir gesprochen haben, weder Samstag noch Montag. Sie wissen nicht, dass ich ihn nicht angerufen habe.“ 147 Dabei handelt es sich um Gottfried Kunwalds Publikation „Das Leben der Erwartungs- und Kreditwirtschaft“, die 1935 und 1936 international rezipiert wurde. Vgl. dazu Brief von BZ an GK, 6. November 1935; auch ÖStA, Bestand GK 616-1-470; 616-1-471; 616-1-472; 616-1-559; 616-1-1720.

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Express cop. H.[ammelrath] 9.4.35 aufg.}



[BZ an GK, MS] Mittwoch. [10. April 1935] Lieber Freund! Sobernheim war gestern eine Stunde bei mir. Sichtlich niedergeschlagen. Ich vertrat (aber als ob es meine eigene Weisheit wäre) Ihren Standpunkt. Er versuchte von mir herauszubekommen wie hoch wohl der Vorschuß sein müßte. Ich glaube in Ihrem Sinn gehandelt zu haben wenn ich antwortete dies könne ich nicht wissen. Aber da Sie mich sehr gerne haben und Ihnen besonders daran liegt dass ich verdiene so würde ich vielleicht hier wegen einer Reduktion Einfluß nehmen können. Sobernheim hat mir die Verhältnisse auf dem Finanzmarkt geschildert die trostlos sind. Auch in London wo er eben in Geschäften war ist eine plötzliche merkliche Zurückhaltung zu konstatieren. Paris aber ist direkt gelähmt. Darin hat er vollkommen recht. Meine eigenen (in kleinem Maß) gemachten Erfahrungen bestätigen es mir. Ich habe eine aussichtsreiche Filmsache an der Hand. Eine Novelle von Schnitzler148 die weltberühmt ist. Philip von Rothschild (Henri’s Sohn) hörte davon. Er macht jetzt hie und da einen Film. Er ließ mir sagen dass er sich sehr interessiert. Jagte mich in Verhandlungen (und Telephonausgeben) mit Frau Schnitzler hinein. Und im letzten Augenblick erklärt er kein Geld zu haben. Bietet einen skandalös lächerlichen Preis. Den Grund gab mir gestern sein Vertrauensmann an. „Es ist eine vollkommene Lähmung aller Geschäfte eingetreten. Wir haben noch nie dergleichen hier erlebt. Nicht einmal um zehntausend Francs ist ein Geschäft zu machen.“ Seitdem in Belgien die Belga vom Goldstandard weggegangen ist149 (woran in Paris viel Geld verloren wurde unter anderem von meinem Freund Donati auf den auch nicht mehr zu rechnen ist) und seitdem Hitler den Vertrag von Versailles definitiv zerrissen hat, scheint alles hier tot. Nun schickt mir Sobernheim beiliegenden nichtssagenden Brief für Sie. Als er mich gestern verließ sagte er dass er sich mit seiner Gruppe beraten wird. Dies ist wohl das Ergebnis der Beratung. Sie werden ja am besten wissen was Sie nun antworten und ob Sie wahrscheinlich abbrechen werden. Ich möchte aber so rasch wie möglich von Ihnen erfahren ob wir jetzt (mit Ausschaltung von Sobernheim) nicht wieder an Baudouin-Bugnet appellieren sollen, der sich brennend für Semperit noch immer interessiert. Ohne Ihre 148 Nach der Verfilmung von „Fräulein Else“ (1929) und „Liebelei“ (1933) kam es erst wieder 1950 zu einer Verfilmung („Der Reigen“). Schnitzler beschäftigte sich aber jahrelang mit seine „Traumnovelle“. Vgl. dazu Claudia Wolf, Arthur Schnitzler und der Film, Bedeutung. Wahrnehmung. Beziehung. Umsetzung. Erfahrung, Karlsruhe 2006, S. 139 – 143. 149 1935 war der belgische Franc um 28 Prozent abgewertet worden. Zur Problematik des Währungsumbaus der Goldblockländer vgl. Max Sokal, Der Währungsumbau des Goldblocks, Wien 1936.

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Erlaubnis kann ich es nicht tun. Aber da Sie nun doch das Geschäft in der Hand haben, und da mich Baudouin erst kürzlich dringend frug ob da etwas zu machen wäre, so meine ich wir sind ja frei ohne Sobernheim der Baudouin eventuell nicht angenehm sein kann, bei Baudouin anzufragen. Nachdem Sie jetzt das Mandat von Van Hengel150 besitzen so dürfte eine Fühlungnahme mit Baudouin leichter sein. Bitte herzlichst sofort um Richtlinien da mein Aufenthalt ja wohl nicht mehr lange dauern wird. Ich bin in verzweifelter Stimmung. Und wenn Sie rührend sagen dass Sie erschüttert sind von meiner Armut (Wie entsetzlich war es mir Ihnen damit zu kommen) so kennen Sie doch nur einen Teil meines Unglücks. Ärger noch ist dass ich Fritz wohl kaum werde retten können. Wenn sein Vertrag mit den Usines du Rhone (Was so gut wie sicher ist) nicht erneuert wird dann sehe ich für die Kinder direkt das Ärgste, den Hunger voraus. Dass dieser Vertrag aber nicht erneuert werden soll geschieht durch eine Verkettung von Intriguen die auch durch eine Abneigung eines einflußreichen Direktors für Paul Clemenceau entstanden ist. Paul dem ich ein Exposé der Leistungen von Fritz gemacht habe und darin die Befürchtung aussprach dass Fritz, wenn er die Vertretung der Usines verliert, dem Ruin preisgegeben ist las mein Exposé sehr aufmerksam und sichtlich bedrückt durch. Er hat nicht viel Hoffnung dass die Intervention von Le-Play (der noch immer nicht sprechbar ist) nützen wird. Weil, wie er sagt, die Usines du Rhone und die Dynamite Nobel keine irgendwie wirksame Interessengemeinschaft besitzen. Aber er erkennt den Ernst der Situation und wird bestimmt, obwohl er es mir nicht sagt, selbst sein Möglichstes tun. Die Aussichten die mir Sobernheim für Fritz gezeigt hatte sind auch null. Weil dieses Geschäft das mit den Springer-Foulds gemacht werden sollte (Ein Öl-Präparat „Omnium“, das die Fould-Springer151 lancieren wollen und wobei auch Pharmazeutische Fabrik für Fritz mitgegangen wäre) auch an Mangel von Kapital gescheitert ist. Also was soll mit Fritz, mit seiner ungetilgten und untilgbaren Schuldenlast werden wenn er nun auch seine Stellung verliert und die paar hundert Sch., mit welchen er abzahlen konnte? Auf Paul ist in gar keiner Hinsicht zu rechnen. Er wird, weil auch seine Geschäfte der Dynamite furchtbar schwierig geworden sind (obwohl sie keine Verluste haben) immer geiziger und schrullenhafter. Er verekelt Sofie sogar ihr einziges Vergnügen ihre Empfänge Sonntag Nachmittag obwohl sie wenig kosten. So dass sie diese, nächste Saison aufgeben will. Auch das Auto wirft er ihr vor. Meine doch hier selbst meinen Freunden sichtbare Armut und das Versagen aller meiner Verdienstmöglichkeiten durch die Theaterkrise und dadurch dass ich selbst das 150 Gemeint ist Adrianus van Hengel. 151 Zum Fould-Springer-Konzern gehörte u. a. ein Unternehmen, das Backhefe für die industrielle Broterzeugung herstellte und von Maximilian Springer 1872 in Maisons Alfort (ein Ort südöstlich von Paris) gegründet worden war. Omnium ist ein Multivitaminpräparat, das es noch heute gibt.

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„Neue Wiener Journal“ und die paar Artikeln verloren habe, rührt ihn nicht. Ich bin Luft für ihn. Er ist freundlich aber eiskalt. Oft falle ich abends in mein Bett so entmutigt, angeekelt und von unfaßbaren Erstaunen über solche Härte erfüllt und glaube den nächsten Tag nicht mehr ertragen zu können. Denn: Ich gebe alles auf. Was ich hier versucht habe, was ich mit der größten Tapferkeit zu erringen suchte, es führt ja doch nur zu dem unabwendbaren Ende. Zu dem Zugrundgang meiner Kinder, meines angebeteten Bubi’s … Stadlen hat gestern in einem von uns arrangierten kleinen Konzert in der „Revue Musicale“ mit größtem Erfolg gespielt. Heute wird er bei uns speisen. Morgen fährt er da er eine Einladung erhielt nach London zurück. Er ist ein wenig mein Sohn geworden. Und ich fühle er hängt sehr an mir … Ach, wie herrlich ist es helfen zu können. Warum muß das Schicksal Paul der einst einer der ritterlichsten Menschen war so verhärtet haben. Oder sind daran die Weltverhältnisse schuld die ja nicht nur Throne sondern auch Seelen und Herzen entwurzeln … Verzeihen Sie diese Zeilen. Aber wem darf ich klagen außer Ihnen meinen großen einzigen Freund! Ihre Sie verehrende getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps Habe bereits 2 mal Geld erhalten. Einmal 20 Sch., einmal 50 Francs.



[BZ an GK, MS] {18.4.35} Dienstag den 16. April. [1935] Lieber Freund! Ich bin tief beunruhigt durch Ihr plötzliches Stillschweigen. Habe ich mir durch irgendwas Ihr Mißfallen zugezogen? Sind Sie mir böse dass ich Sie mit Sobernheim zusammenbringen wollte. Und dass ich Sie vielleicht in eine Ihnen unangenehme Sache verwickelt habe? Aber es geschah in bester Absicht. Und ich war von verschiedenen Seiten auf das Beste über Sobernheim informiert worden. Er hat hier viele und gute Beziehungen. Lebt seit drei Jahren in Paris. Lange vor Hitler. Wird also nicht als Flüchtling gewertet. Daher ich als mir Sobernheim diesen Antrag machte keinen Anstand nahm Ihnen diesen zu übermitteln. Nun aber lassen Sie mich vollkommen im Unklaren, ob ich mit BaudouinBugnet reden soll und darf. Oder ob Sie es nicht wollen. Sie sagten mir das letzte Mal telephonisch ich soll vorerst abwarten was Sie nach dem Ihnen gesandten Brief mir sagen würden. Dieser Brief, der Sobernheims Brief enthielt ist längst in Ihren Händen. Ich aber höre nichts mehr von Ihnen. Das ist in meiner augenblicklichen Nervenverfassung eine harte Prüfung. Ich bin ja so herunter durch diese Wochen der Kämpfe, der Enttäuschungen, der Aussichtslosigkeit dass mich alles sofort erschreckt und hilflos macht. Vielleicht sind Sie Gott behüte erkrankt? Da bin ich erst recht unglücklich und besorgt.

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Jedenfalls bitte ich Sie inständigst um ein Wort der Aufklärung was Ihr Schweigen bedeutet? Ich muß noch bis 29. A. [pril] hier aushalten. Weil ich eine solche Wiener Pleite habe dass ich nicht vor dem Ersten zurückkommen kann. Herzlichst Ihre getreue B. Z.



[BZ an GK, MS] {Sobernheim 20.4.35} Paris den 20. A. [pril 1935] Verehrter Freund! Zehn Minuten nach unserem Gespräch rief mich Sobernheim an von dem ich seitdem er mir den Brief für Sie geschickt hatte nichts mehr hörte. Sobernheim war wie er mir sagt krank. Er hat sich den Fuss verstaucht und liegt im Bett. Aber er rief mich an um mich zu fragen, ob ich von Ihnen nichts weiter gehört hätte. Und ob ich nicht weiß weshalb Sie ihm nicht mehr geantwortet haben. Denn dies sei ihm unverständlich da sein Brief ja einen Vorschlag enthalten hatte und er erwarten durfte auf diesen Vorschlag eine wenn auch negative Antwort zu erhalten. Ich antwortete ihm dass ich darüber keine Auskunft geben kann. Worauf er mich bat wenn ich Ihnen schreibe nur in meinem Brief taktvoll einfließen zu lassen dass er noch immer einer Antwort von Ihnen entgegensieht. Dann aber änderte sich die Konversation. Sobernheim versuchte mich immer wieder zu überzeugen dass es bei Geschäften ganz ungewöhnlich sei eine Voranzahlung zu leisten. Dass in Berlin dies nicht Usus gewesen sei. Und dass wenn Sie als Advokat eine Voranzahlung verlangen er dann doch wenigstens wissen müßte wie Sie sich dann auch Ihre Partizipation an dem Geschäft selbst vorstellen. Was bisher noch ganz im Dunkel ist. Worauf ich ihm antwortete: Dieses Dunkel sei gewiß leicht zu beheben, wenn Ihnen diese Frage in korrekter Form gestellt werden wird. Aber natürlich nur sobald die erste von Ihnen gestellte Bedingung einer Voranzahlung die Sie als Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der Proponenten als unbedingt notwendig erachten, angenommen werden würde. Hierauf Pause; Und dann frug Sobernheim: „Wie hoch wäre diese Voranzahlung falls Dr. Kunwald aus Rücksicht für Sie um ihnen das Geschäft zu ermöglichen eine ausnahmsweise Reduktion seiner Ansprüche vornehmen würde.“ Ich erwiderte dass ich dies nicht sagen kann. Aber dass er Sobernheim mir ja ungefähr eine Basis der Verhandlungsmöglichkeit was diese Summe betrifft nennen könnte. Er besann sich: „Ich würde übermorgen mit meiner Gruppe neuerdings sprechen. Aber ich weiß bestimmt dass ich absolut, wenn ich überhaupt die Voranzahlung erreiche, nicht mehr werde bieten können als höchstens dreißigtausend Francs; (Also ungefähr die zehntausend Schilling, von welchen Sie mir einmal gesprochen haben).

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Nachdem ich darauf nur erwiderte dass ich eine weitere Nachricht von ihm (Sobernheim) erwarten werde sobald er mit seiner Gruppe gesprochen haben wird, empfahl sich Sobernheim indem er mich aber nochmals dringend bat eine Antwort von Ihnen zu urgieren da es ihm äußerst peinlich sei vor seiner Gruppe ohne Antwort von Ihnen zu bleiben. Nun lieber Freund bin ich überzeugt dass Sobernheim sich endlich zu der Voranzahlung entschließen wird. Aber nicht zu den Kosten einer Reise. Wollen Sie mit ihm die Sache weiter verfolgen so werden Sie am Besten wissen wie Sie das machen wollen. Nur wäre ich Ihnen dankbar wenn Sie nach Erhalt dieser Zeilen Sobernheim ein paar Zeilen antworten würden. Natürlich aber nur was Sie für gut halten im zu sagen. Mittlerweile wird mir Sobernheim ja die Antwort seiner Gruppe mitteilen. Ich denke dies dürfte ungefähr am Mittwoch oder Donnerstag sein. Wenn er bis dahin Ihren Brief auf den er so hält hat desto besser für die eventuellen weiteren Verhandlungen. Sollten Sie aber lieber ein für alle Mal mit Sobernheim abbrechen so schadet dieser Brief von Ihnen auch nichts. Ich werde nun vielleicht Baudouin-Bugnet am Dienstag sehen. Wollte ihm da sagen, was Sie mir telephonisch erlaubten ihm mitzuteilen. Nun aber nach diesem Gespräch mit Sobernheim warte ich eine eventuell telephonische Direktive von Ihnen ab. Denn ich könnte durch diese vorläufige Mitteilung an Baudouin-Bugnet vielleicht nicht Ihrem Wunsch unter geänderten Verhältnissen entsprechen. (Das heißt falls Ihnen die Voranzahlung Sobernheim wenn sie zu Stande käme genehm wäre). Paul und Sofie eben in Ihrem Auto auf ihr Schloß152 gefahren. Ich armes Aschenbrödel bin allein nun und leider arbeitslos. Wenn ich Arbeit hätte, wäre mir das Alleinsein nichts. Aber so frißt mich die Sehnsucht nach den Kindern und nach Bubi auf. Ihr Wunsch dass ich eventuell länger hier bleiben muß ist mir Befehl. Ich würde niemals irgend einem Wunsch von Ihnen und wäre er mir noch so schwer zu erfüllen widerstreben. Nur möchte ich wirklich spätestens am 28. A.[pril] wissen, ob ich bleiben muß oder ob ich am 30. A.[pril] weg kann. Diese beginnende Einsicht Sobernheims kommt vielleicht für ihn zu spät. Denn wenn Sie in Wien eine bessere und aussichtsreichere Kombination haben so brauchen wir ihn ja nicht mehr. Nun, ich werde ja sehen wie die Antwort seiner Gruppe ausfällt. Allerherzlichste Ostergrüße von Ihrer getreuen Berta Zuckerkandl-Szeps

 152 Mit dem im Text erwähnten Schloss ist das Chateau de l’Aubraie à Féole, der Familienbesitz der Clémenceaus, gemeint, wo die Familie traditionell die Sommer verbrachte.

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[BZ an GK, MS] {25.IV.35} Paris den 24. A.[pril 1935] Lieber Freund! Sobernheim rührt sich nicht. Er ist offenbar verstimmt und scheint zu glauben dass ich eine ungeschickte Vermittlerin bin. Mich wundert das nicht. Ich wußte sofort dass die Sache wieder nicht gehen wird. Da ich ja Sobernheim jetzt in vielen Gesprächen genau kennen gelernt hatte. Wenn er wieder unlängst angeknüpft hatte und es beinahe bestimmt war dass er nun sich zu der Voranzahlung entschließen wird, so war dies die Frucht meiner äußerst vorsichtigen und wie ich weiß richtigen psychologischen Behandlung. Ich habe es mit viel Mühe erreicht. Aber ich kannte auch absolut genau die Grenze des von mir Erreichten. Und wußte bestimmt dass ein neuerliches Bestehen auf Reisespesen die zarte Blüte der Annäherung an eine Voranzahlung zerstören muß. Sie waren anderer Meinung und ich hatte weder das Recht noch auch telephonisch die Zeit auf meinen Ihnen gemachten Bedenken zu bestehen. Jedenfalls ist vorläufig mein Kontakt mit Sobernheim von seiner Seite unterbrochen.153 Ich will Ihnen nun rasch sagen, was telephonisch zu lang gewesen wäre. Frau Max Deutsch (Die einstige berühmte Tänzerin Maria Ley) heiratete vor einigen Jahren Max Deutsch154 den Sohn des großen Direktor Deutsch der A. E. G. in Berlin. Er gründete in Paris die Tonklang-Gesellschaft „Tobis“ und war geschäftlich mit den größten Banken und Financiers in Verbindung. Vor einigen Monaten fand er bei einem Automobilunglück den Tod. Seine Witwe nun, Madame Deutsch ist mir sehr befreundet. Sie hat selbst kein großes Vermögen aber sehr große Finanzbeziehungen da sie bei Lebzeiten ihres Mannes an allen seinen Geschäften teilnahm. Unlängst dejeunierte ich en tete a tete bei ihr. Und da frug sie mich ob ich nicht irgend ein seriöses und großes Finanz- oder Industriegeschäft wüßte. Da sie hinter sich Financiers der ernstesten Art hätte. Ich deutete ihr hierauf an dass ich durch Sie eventuell ein solches Geschäft wüßte. Dass aber erste Bedingung wäre: Eine Voranzahlung Ihnen geleistet und Reiseexpensen. Worauf Sie erwiderte dass dies in der ganzen ernsten Geschäftswelt eine bekannte Forderung sei. Aber (so sagte sie) man kann niemals ein Geschäft proponieren, ohne irgendwelche aufklärenden Grundlagen vorerst geben zu können. Ich müßte Ihr ein Art Exposé, oder ganz einfach einen Brief zeigen können in welchem ausgeführt ist um was für ein Geschäft es sich handelt. Und welcher Art die in Aussicht genommene Behandlung wäre. Das heißt, ob eine Aktiengesellschaft oder aber (wie sie sagte, was ich nicht verstehe) ein „Pre“. 153 Zu den in den Briefen angedeuteten Geschäften finden sich in den Materialien keine genauen Hinweise. Vgl. ÖStA, Bestand GK 616-1-787 Unterlagen und Korrespondenz mit Frau Maria Deutsch 1936. 154 BZ irrte sich bei dem Vornamen, gemeint ist Frank Gerhart Deutsch (1899 – 1934).

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Ich versprach Frau Deutsch Ihnen dies alles mitzuteilen. Machen Sie daraus was Ihnen gut dünkt. Was aber geschieht jetzt da Sobernheim wohl endgültig ausgeschaltet ist? Ich weiß nicht ob ich länger hier bleiben kann da die Landesfinanzdirektion mir seinerzeit nur zwei Monate bewilligt hat um meine Pension auch im Ausland zu beziehen. Für Mai besitze ich also diese Bewilligung nicht mehr. Ich kann aber ohne Pension nicht existieren. Was die Aprilpension betrifft, so entschuldigte sich Regierungsrat Bodo sehr. Es war die Erledigung einfach vergessen worden, obwohl ich mich ordnungsmäßig gemeldet hatte. Es ist noch am selben Tag als Sie telephonierten die Lebenserklärung abgegangen. Meine Sehnsucht nach den Kindern ist unaussprechlich. Und ich sehe leider hier keine Aussicht meine Situation irgendwie zu verbessern. Also würde ich lieber in Wien verhungern als hier zu wissen dass ich ja doch in weiteren 14 Tagen geradeso unglücklich sein werde als ich es heute bin. Baudouin-Bugnet wird sicherlich nicht verstehen weshalb ich mich seit Wochen bei ihm nicht gemeldet habe. Ich warte nun ab ob Sie mir in den allernächsten Tagen vielleicht Auftrag geben werden mich mit ihm die Semperit betreffend in Verbindung zu setzen. Politisch steht es mies. Die Angst vor Deutschland das Mißtrauen England gegenüber sind ungeheuer, keine Atmosphäre um Geschäfte zu tätigen. Außer „Semperit“ ist ein Rohstoff für Kriegsindustrien? Dann allerdings ist alles zu machen. Jedenfalls erwarte ich Ihre Weisungen, so dass ich am 28. April wissen könnte ob ich am 30. A.[pril] wegfahren kann. Sollten Sie doch nach Paris kommen, so müßten wir dann sofort wegen meiner Mai-Pension Schritte unternehmen, sonst kann ich nicht bleiben. Herzlichst Ihre getreue B. Z.



[GK an BZ, MS] Wien, am 26. April 1935. Verehrte Freundin! 1.) Wegen Sobernheim: Ich hätte am wenigsten dagegen gehabt, einen Vorschuß von S 10.000.– ­wirklich zu bekommen und in Wien zu bleiben. Aber ich kann mich in dieser großen Sache, von der ich glaube, dass sie zustande kommen wird, von Herrn Sobernheim nur dann ins Schlepptau nehmen lassen, wenn ich damit erreiche, dass er mir jetzt die Reise nach Paris ermöglicht und den Vorschuss nicht nur verspricht, sondern auch wirklich gibt. Ich will nicht sagen, dass ich die Bezahlung der Reise nach Paris nur ­Ihrethalben wünsche: aber ehrliche 60 % der Gründe dieses Wunsches sind Sie.

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Ich hoffe, Mitte Mai wegen Spt.155, wegen Ihnen, wegen Rist und wegen Paneuropa156 vielleicht doch aus eigenem kommen zu können. Sobernheim hatte für mich in erster Linie die Bedeutung, dass er mir schon jetzt die Reise nach Paris zahlt. In zweiter Linie allerdings den Vorschuß – aber wie gesagt, nicht einen vereinbarten Vorschuß, sondern einen wirklich bezahlten. Wenn er aber wegen des viel geringeren Betrages, den die Reise nach Paris kostet (die allerdings wirklich gleich gezahlt werden müsste), solche Schwierigkeiten macht, so ist das für mich auf Grund meiner Erfahrungen ein klarer Beweis dafür, dass er den Vorschuß bloß zusagen, aber nicht geben will und damit mitten im Geschäft wäre, ohne etwas zu opfern. 2.) Bitte nach Erhalt dieses Briefes mit Baudouin in Verbindung zu treten und ihm zu sagen, dass ich ihn fragen lasse, ob er zum Paneuropakongreß nach Wien kommt; ich sei jetzt endlich in der Lage, mit ihm die Spt.-Sache zu bearbeiten und freue mich sehr darauf, ihn in Wien oder Paris wiederzusehen. Ich habe früher wegen dieser Sache mit ihm nicht korrespondieren können; die Sache sei erst jetzt reif geworden. 3.) Was Deutsch betrifft, so werden wir diese Sache nur behandeln können, wenn ich in Paris bin. 4.) Der Paneuropakongreß findet hier am 16., 17. und 18. Mai statt. Ungefähr um dieselbe Zeit soll unberufen die Arbeit an dem Neubau am Laurenzerberg157 beginnen, was bedeutet, dass ich dann hoffentlich doch einigermaßen liquid würde und nach Paris kommen könnte. Bis dahin bearbeite ich von hier aus noch die Spt.-Sache. 155 „Spt.“ Steht wahrscheinlich für ein Geschäft rund um die „Semperit“ Österreichisch-Amerikanische Gummiwerke A. G. Im Bestand GK gibt es Korrespondenz und Unterlagen aus dem Zeitraum Juni 1935 bis Juni 1936. Dabei ging es um den Plan des Verkaufes von Anteilen der Creditanstalt an der Semperit A. G. Das von Kunwald als „großes Geschäft“ bezeichnete Vorhaben kam zu keinem Abschluss. Die Verhandlungen endeten in einem Honorarstreit seitens Kunwalds. Vgl. ÖStA, Bestand GK 616-1-397, diverse Korrespondenz mit „Consolidated Rubber Manufactures Limited“ sowie Unterlagen zur „Semperit AG“. 156 In der Zwischenkriegszeit fanden mehrere Paneuropakongresse statt. Wien wurde in den 1930er-­ Jahren immer mehr zum Mittelpunkt der Paneuropabewegung. 1935 fand der Paneuropakongress vom 16. bis 19. Mai in Wien statt, der im Parlament – damals Haus der Bundesgesetzgebung – abgehalten und nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Juli 1934 als große internationale Kundgebung gegen den Nationalsozialismus inszeniert wurde. 1935 gab es rund um den Paneuropakongress Pläne zur Schaffung eines internationalen Garantieinstituts, wofür sich in den Materialien von Gottfried Kunwald Überlegungen finden. ÖStA, Bestand GK 6161-1345, Schreiben vom 30. Mai 1935. 157 Gottfried Kunwald besaß Anteile an der Immobilie in der Wiener Innenstadt Fleischmarkt 15, an denen die Reform-Baugesellschaft interessiert war. Diese Immobilie war einer der letzten Vermögenswerte von Gottfried Kunwald. Bis 1938 ist es allerdings nicht zu dem von ihm erhofften Ankauf gekommen. Vgl. dazu ÖStA, Bestand GK 616-1-1242 (diverse Unterlagen und Korrespondenzen zu Grundbuchangelegenheiten 1935/36) und 616-1-1243 (Fleischmarkt 15, 1937). Im zuletzt angeführten Konvolut finden sich Hinweise, wie das Haus durch Erbschaft in seinen Besitz gekommen war. Vgl. auch 616-3-52. Zum Ankauf kam es dann durch Fr. Dr. Cäcilie Löwenthal. Dazu gibt es im Bestand GK allerding keine Unterlagen.

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Unter diesen Umständen wäre es sehr wünschenswert, dass Sie die zweite Hälfte Mai ab 19. oder 20. Mai in Paris wären. Wozu wohl auch notwendig ist, dass Sie nicht am 29. April abreisen? 5.) Ich werde also Sonntag den 28. ds. zwischen 12 und 1 mittags Sie in Paris anrufen und Definitives besprechen. 6.) Mit Stiasny hatte ich heute eine grundsätzliche Besprechung. Ich habe ihm gesagt, dass ich höchstwahrscheinlich in der zweiten Hälfte Mai nach Paris reise und dass ich bis dahin darüber beruhigt sein will, dass Fritz in Purkersdorf angenehme Arbeit und halbwegs ausreichendes Honorar dafür hat. In Eile Ihr herzlichst ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl, 12 Avenue d’Eylau, Paris Flugpostexpress. {Cop: Mahler 26.4.35 Flugp. express aufgeg: 26.4.35 Rf [Rosa Friedler] } {28.4.35} [auf Rückseite notiert]



[BZ an GK, MS] {27.4.35} Paris den 26. A.[pril 1935] Lieber Freund! Eben hat Sobernheim telephoniert. Genau so wie ich es mir gedacht hatte. „Ich habe ein Schreiben von Dr. Kunwald erhalten. Leider ist nach Rücksprache mit meiner Gruppe keine Aussicht dass da nun zu der Voranzahlung auch noch bedeutende Reisespesen dazu gekommen sind, dies bewilligt werden kann. Dr. Kunwald hat offenbar keine Vorstellung wie es augenblicklich auf diesem Gebiet „Geschäft“ aussieht. (Da hat Sobernheim recht. Geradezu trostlos). „Wenn er mir nun sagt dass er mich in Paris gut einführen kann so weiß er wohl nicht dass ich in Paris sehr gut eingeführt bin. Vielleicht denkt er dabei an den hiesigen Direktor der Kreditanstalt. (Den Namen konnte ich im Telephon absolut nicht verstehen. Es klang wie Chequet! …..)158 Aber mit diesem bin ich sehr gut. Nun will ich noch ein’s versuchen. Ich werde abermals nach London fahren. Und dort sehen ob ich Leute finde, die Dr. Kunwalds Forderungen erfüllen können.“ Ich gebe natürlich die Sache auf. Sobernheim war schon einmal in London ohne Erfolg. Nun schreibe ich Ihnen aber heute wegen einer anderen sehr sonderbaren Sache. 158 Der Name konnte nicht verifiziert werden.

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Ich zog mich gestern Abend früh zurück und Paul und Sofie blieben allein. Plötzlich kam Sofie sehr erregt in mein Zimmer und sagte mir „Denke Dir was Paul mir eben gesagt hat während er Patience spielte. Er legte die Karten nieder und frug mich unvermittelt „Wann kommt Kunwald?“ Hierauf (sagt Sofie) erwiderte ich ihm ich wüßte es nicht. Aber (sagt Paul) Berthe hat doch behauptet dass sie nicht wegfahren kann weil Kunwald kommen soll. Sie muß also wissen, wann er kommt.“ Sofie antwortete dass ich ausdrücklich gesagt hätte ich müsse bis 28. warten, da würden Sie mir telephonieren ob ich abreisen kann. Paul (wie immer ungerecht wenn es sich um mich handelt) sagte hierauf „Berthe ist immer unklar in ihren Plänen und Erzählungen“. Ich mußte lachen. Als ob es an mir läge dass ich hin und hergezerrt werde, nie wissend was morgen sein wird. Aber die Hauptsache ist dass Sofie und ich uns den Kopf zerbrechen warum Paul plötzlich Ihr Kommen so interessiert. Niemals hatte er früher danach gefragt. Nun muß er wohl etwas Bestimmtes im Sinne haben. Aber Sofie erklärt dass es ihr absolut unmöglich ist ihn zu fragen. Dass er extra nur so beiläufig diese Frage an sie gestellt hatte um ja nicht zu verraten weshalb er wissen will ob und wann Sie kommen. Dies Ihnen zu schreiben hielt ich für wichtig. Was soll ich nun mit Baudouin-Bugnet tun? Meine Schwester zwingt mich ihm zu telephonieren, weil sie sagt dass es eine Grobheit wäre, ihm nicht davon zu unterrichten dass Fritz doch bei den Usines du Rhones bleiben kann. Bugnet hatte sich nämlich dafür interessiert. Ich aber um jeder Frage seinerseits wegen Semperit auszuweichen, unterließ bisher Baudouin-Bugnet anzurufen. Jetzt werde ich es tun müssen. Sein erstes Wort aber wird sein: Ob mit der Semperit etwas Neues ist. Ach, wie schwierig sind alle diese Dinge. Und da behauptet Paul dass ich immer nur „vague“ bin. Er soll es versuchen in diesem Hexenkessel widerstreitender Interessen anders zu sein. Also erwarte ich nun Ihre weiteren Entschlüsse mit Ausschluß von Sobernheim den ich ad acta lege. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {30.4.35} Paris den 29. A.[pril 1935] Liebster Freund! Nur rasch eine Bitte. Möchten Sie so lieb sein bei der Landesfinanzdirektion anzumelden dass man mir auch den dritten Monat (ich hatte nur für zwei Monate angesucht) im Ausland auszahlt. Ich werde mich am ersten Mai wieder diesbezüglich wegen der Lebensbestätigung in der Gesandtschaft melden. Ich sehe nämlich keine Möglichkeit vor 4. Mai wegzukommen da ich auf Geld von meinem Verleger Georg Marton warten muß,

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und nur hoffe dass er mich nicht im Stich lassen wird. Um daher auf jeden Fall gesichert zu sein dass ich wenn ich in Wien ankomme bereits die Pension ausgezahlt finde, bitte ich Sie herzlichst bei der Landesdirektion zu erwirken dass man mir auch im Mai noch die Pension obwohl ich im Ausland bin in Wien auszahlt. Ich habe Paul Ihren Brief (bis auf die Sobernheimangelegenheit) übersetzt. Er riet mir wegzufahren. Denn (so meinte er) falls Sie wirklich dann Ende Mai herfahren sollten so kann ja meine Reise nicht viel kosten da ich keine Aufenthaltskosten habe. Ich glaube dass Paul mich ganz gern wegfahren sieht. Paris ist teuer. Und ich esse zwar wie ein Vogerl aber für einen Franzosen, der alles genau berechnet, bin ich doch ein etwas sich verewigender Logiergast. Von Sobernheim höre ich nichts mehr. Rist rief mich heute an da er nach längerer Abwesenheit zurück ist. Er kommt Freitag oder Samstag Nachmittag mit seiner Frau zur Jause zu mir. Baudouin sprach ich gestern auch noch telephonisch. Er war sehr befriedigt zu hören dass die Semperitsache eventuell wieder von Ihnen bearbeitet wird und zwar dass Sie dabei auf ihn zählen. Was Frau Deutsch betrifft so telephonierte sie mir Folgendes: Sie ist auf das Herzlichste hier mit einem großen Financier befreundet, der der Freund eines englischen ungemein reichen und in der englischen Geschäftswelt berühmten Financiers ist. Dieser (sagt Frau Deutsch) käme ganz außerordentlich in Betracht um unser Geschäft, falls es wirklich ein so bedeutendes ist wie ich es ihr sagte, in richtige Bahnen zu leiten. Ich erwiderte ihr dass Sie der Meinung seien, man müsse abwarten bis sie selbst direkt mit ihr (Frau Deutsch) Fühlung in Paris nehmen können. Danke herzlichst für Ihre Mitteilungen Stiasny Fritz betreffend. Ich kenne Stiasny leider zu gut um zu denken dass er Ihnen folgen wird. Morgen werde ich von Marton wissen ob er mir mein Geld schicken kann und will. Falls ja denke ich Montag abzureisen. Ihre getreue B. Z.



Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 21.II.1935 Zahl XIII – 5368/35 im Original zurückerhalten. Wien, 3. Mai 1935 Für Frau Hofrätin Zuckerkandl Jeanne Feizlmayr



[GK an BZ, MS] Wien, am 11. Juni 1935 Verehrte Frau Hofrätin! Nochmals der Brief an Paul Clémenceau. Ich glaube, der Brief soll bald abgehen und Frau Trude soll sehr bald zu mir kommen.

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Herzlichst Ihr {cop. H.[ammelrath] 11.6.35 aufg. H.[ammelrath] 11.6.35}



[BZ an GK, MS] {10.7.35} Sanatorium Westend. Dienstag. [9. Juli 1935] Verehrter Freund! Ich erhielt gestern von Sofie einen Brief und sie sandte mir ein Schreiben ein, das sie von Paul als er von Italien zurückkam, erhielt. Ich glaube es ist richtig wenn ich Ihnen eine Kopie beider Briefe einsende. Weil diese die Situation von Fritz besser beleuchten als seine eigenen Berichte. Ich melde mich nicht bei Ihnen weil ich in einer so tristen seelischen und körperlichen Verfassung bin dass ich Sie nicht auch noch mit diesen tragischen Begleitumständen belasten will. In unauslöschlicher Dankbarkeit Ihre Berta Zuckerkandl-Szeps



[Sofie Clémenceau an BZ, 6. Juli 1935, MS, französisch] {10.7.35} Kopie eines Briefs von Sofie Clémenceau (6. Juli) an Berta Zuckerkandl und eines von Paul Clémenceau an Sofie gerichteten, von dieser eingesendeten Briefes.159 Liebe Berta, Da Paul in Paris vorbeikam, habe ich ihn angerufen. Und ich habe ihn gefragt, wann Fritz für einige Tage nach Wien fährt. Aber Paul wusste überhaupt nichts davon. Fritz sollte immer Paul alles sagen und ihm nichts verheimlichen. Paul tut, was er kann, um ihn zu leiten und zu beraten. Paul sagt mir immer, dass Fritz nicht frei herausspricht und ausweichend ist, dass man bei ihm nie genau weiss, woran man ist, und dass es sehr schwierig ist, ihn zu lenken und davon abzuhalten, „sich zu übereilen“ und Dummheiten zu machen. Ich lege Dir einen Brief von Paul bei, damit Du siehst, wie er sich um Fritz kümmert. Dieser Direktor Schrumpf160 ist der Prokurist der „Dynamite“, ein eminenter Geschäftsmann, der alles ihm Mögliche tun wird, um Fritz zu leiten und ihn zu hindern, Unüberlegtes zu tun. Die beste Art für Fritz, weiterhin eine gute Beziehung zu Paul zu haben und ihn für sich zu interessieren, ist, absolut offen und „straightforward“ mit ihm zu sein und ihm immer zu sagen, was er zu tun gedenkt und was er tut. Damit es keine unangenehmen Überraschungen gibt. Sag Fritz nichts von dem, was ich Dir schreibe. Gib ihm nur diese Ratschläge, 159 Die Texte der Briefkopien sind in französischer Sprache. 160 Der Name ist nicht eindeutig verifizierbar.

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so als ob sie von Dir kämen. Paul ist in Aubraie. Ich werde also nur wenig Nachrichten von Fritz haben, da er mir nicht schreibt. Er arbeitet offenbar viel und das gefällt Paul sehr. Sag Trude nicht alles, was ich Dir schreibe. Alles Liebe Sofie



[Paul Clemenceau an Sofie Clemenceau, 3. Juli 1935, MS, französisch] Paris, 3. Juli 35 Meine Liebe, Ich bin heute Morgen gut zu Hause angekommen, obwohl es fürchterlich heiss war. Selbst hier ist es gewittrig, aber ich finde es angenehm im Vergleich zu gestern. Ich habe Fritz beim Mittagessen gesehen. Er freut sich, weil er arbeitet und in der Klinik von Ville d’Avray161 bereits Geld bekommt. Natürlich sieht er alles schon durch die rosarote Brille und spricht davon, seine Frau kommen zu lassen. Er hat in Montmartre ein Hotelzimmer gefunden, das er als perfekt bezeichnet. Ich habe natürlich sofort gebremst. Überdies hat ihm der Besitzer des Labors eine Beteiligung vorgeschlagen. Ihm gefällt das mehr als mir. – Ich habe ihn schwören lassen, vor dem Herbst nichts abzuschliessen. Und da mir seine Vergangenheit Angst macht, werde ich ihn Schrumpf anvertrauen, der die rechtliche Situation von Fritz in Frankreich im Detail prüfen wird. Er wird ihn leiten und vor allem abhalten, Dummheiten zu machen. Was mich betrifft, so habe ich einige Erwartungen mitgebracht; das ist zur Zeit alles, aber es ist nicht unmöglich, dass ich zu einem ungewissen Datum etwas erhalte. Ich habe Deine Karte vorgefunden und bin froh, dass Du gut untergebracht bist. Mach Dir keine Sorgen, das bringt nichts. Wichtig ist vor allem, dass Deine Kur gut verläuft. Ich umarme Dich zärtlich Paul



[BZ an GK, HS] {10.7.35} Wien den 10. J.[uli 1935] Verehrter Freund! Mit vielen Dank erstatte ich anbei den Gesellschafts-Vertrag von Westend, den ich mir ausgeliehen hatte, zurück. Gestern wurde unser Gespräch (wie immer im Westend) unterbrochen. Ich wollte nicht noch einmal anrufen um Sie nicht zu stören. Ich begreife es vollkommen dass Sie von uns und der ganzen Misere genug haben. 161 Stadt im Département Hauts-de-Seine.

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Sie waren unser Schutzengel. Aber auch ein Schutzengel kann nicht Wunder wirken. Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 16. Juli 1935. Verehrte Freundin! Von Paul Clémenceau erhielt ich gestern einen Brief, von dem ich Ihnen Abschrift übersende. In alter Freundschaft Ihr herzlichst ergebener Beiliegend: Brief Paul Clémenceau vom 11. Juli 1935 in Abschrift Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl-Szeps Purkersdorf Sanatorium Westend. {cop. Mahler 16.7.35 Peter Stadlen zur Beförderung übergeben: Mahler 16.7.35 übernommen 16.7.35 Peter Stadlen}



[Paul Clémenceau an GK, MS] 11. Juli 1935 L’Aubraie par la Réorthe Vendée Verehrter Herr Kunwald Entschuldigen Sie bitte, dass es so lange gedauert hat, bis ich Ihnen antworte. Zunächst wusste ich nicht recht, was ich Ihnen sagen sollte. Die Situation von Fritz, so wie Sie sie mir geschildert haben, hat mich stark betrübt, ohne mich sehr zu überraschen. Dass mein Neffe eventuell nach Paris zieht, ängstigte mich andererseits. Mit Frau und Kind auszuwandern ist immer eine ernste Sache, und die Schwierigkeiten für einen Ausländer, sich in Paris eine Position zu schaffen, sind beträchtlich.162 Ich war mitten in diesen Überlegungen, als Fritz mir mit schlecht definierten Projekten kam. Er fasste in aller Ruhe gleichzeitig zwei widersprüchliche Lösungen ins Auge: mit Rhône-Poulenc verhandeln und Rückkehr nach Wien, sowie sich mit den Doktoren Guttmann und Gerson zu einigen, um definitiv in Paris zu bleiben. Ich habe das Mögliche 162 Zur Ausländerfeindlichkeit in Frankreich vgl. Julia Franke, Paris – eine neue Heimat, Jüdische Emigration aus Deutschland 1933 – 1939, Berlin 2000, S. 343 – 346.

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getan, damit das erste Projekt gelingt; als ich aber sah, dass, aus mehreren Gründen, nichts zu erhoffen war, liess ich dem zweiten Plan seinen Lauf und versuchte, ihn auf halbwegs soliden Grundlagen abzustützen. Zurzeit besteht einige Hoffnung. Fritz hat ein Labor, wo er arbeitet. Er hatte daran gedacht, sich mit dem Besitzer dieses Labors zu assoziieren, aber ich habe alles gestoppt, da dieser unglückselige Fritz ein Kind ist. Er weiss nichts von den grundlegenden Dingen des Lebens und hat einen schrecklichen Hang, Schulden zu machen. Für ihn ist Ausleihen eine Lösung, mit der sich alles arrangieren lässt. Um es kurz zu machen, vor meiner Abreise aus Paris habe ich ihn meinem Sekretär Schrumpf, der seriös und intelligent ist, anvertraut. Er hat sofort die Legalisierung des Aufenthalts von Fritz erwirkt und wird Manöver, die ihm gefährlich erscheinen, unterbinden. Wir werden ja sehen, was geschieht. Bleibt noch die Sache mit Trude und dem Kleinen. Fritz spricht davon, seiner Frau 1000 Fr. zu schicken und sie kommen zu lassen, als ob es keinerlei Komplikation gäbe. Der Gedanke kommt ihm nicht einmal. Und das macht mir Sorgen. Ende des Monats komme ich wieder nach Paris, um meine Frau zu holen. Ich werde dann auch Fritz irgendwo unterbringen, denn Ende des Monats wird mein Haus geschlossen werden. ----------- Mein lieber Herr Kunwald, Sie haben sich viel um meine Schwägerin und ihre Kinder bemüht. Leider ist ein Ende der Schwierigkeiten noch nicht abzusehen, und es gibt welche, die ich nicht erwähne. In aufrichtiger Freundschaft, Ihr Paul Clémenceau



[GK an Hans Békessy, MS] Wien, am 17. Juli 1935. Sehr geehrter Herr Chefredakteur! Meine verehrte Freundin Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl wendet sich in arger Verlegenheit an mich. Sie hat Ihnen aus dem Nachlaß ihres Vaters einen Originalbrief des Kronprinzen Rudolf zur Veröffentlichung gegen den vereinbarten Preis von 150.-- geliefert und hat dies nur deshalb getan, weil sie den kleinen Betrag äußerst dringend benötigte. Darf ich an Sie die dringende Bitte richten, die rascheste Auszahlung des Betrages von S 150.-- an Frau Hofrätin Zuckerkandl gütigst veranlassen zu wollen? Ich versichere Ihnen, dass die bewundernswerte alte Dame auf diesen kleinen Betrag wirklich wartet. Mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Hochwohlgeboren Herrn Chefredakteur Hans Békessy, Redaktion des „Morgen“163 163 „Der Morgen“ war eine Montagszeitung, 1910 gegründet. Ab 1933 vertrat die Zeitschrift einen scharfen Kurs gegen den Nationalsozialismus.

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Wien IX., Canisiusgasse 8/10. {cop. Mahler 17.7.35 aufgeg. Mahler 17.7.35}



[GK an BZ, MS] Wien, am 22. Juli 1935. Verehrte Freundin! Den in Abschrift beiliegenden Brief habe ich heute von Herrn Bekessy erhalten. Herzlich grüßend Ihr ergebener Beiliegend Abschrift des Briefes des Herrn Bekessy vom 20. 7. 1935. Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps Wien I., Oppolzergasse 6. {cop., expedier. 22/7. 35 Rfr [Rosa Friedler] }



{22.7.35} „DER MORGEN“ Verlag Wien, am 20. Juli 1935 GESELLSCHAFT m. b. H. WIEN, IX., CANISIUSGASSE 8 – 10 Telephon R 50-5-20 Serie Herrn Dr. Gottfried Kunwald, Wien, I., Schulerstraße 1. Hochverehrter Herr Doktor! Ich bestätige gerne Ihren Brief vom 17. ds. Mts. Leider bin ich nicht mehr Besitzer des „Morgen“, sondern nur ein kleiner Angestellter des Blattes. Indes fällt die Annahme des „Rudolfbriefes“ der Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl tatsächlich in meine Ära, ich habe daher selbstverständlich den Honoraranspruch der hochverehrten und ausgezeichneten Hofrätin an den neuen Besitzer weitergeleitet. Ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn sich Frau Hofrätin Zuckerkandl entweder mit Herrn Chefredakteur Maximilian Schreier oder mit der Direktion des Blattes direkt ins Einvernehmen setzen würde. Ich freue mich, aus Ihrem Brief zu ersehen, dass es Ihnen persönlich wieder gut geht, und werde mir erlauben, mich in den nächsten Tagen bei Ihnen zu melden. Die Stunden in Ihrer Kanzlei sind für mich immer ein Seminar, das ich nur ungern missen möchte.

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Ich begrüße Sie, hochverehrter Herr Doktor, mit den besten Empfehlungen Ihr stets ergebener Bekessy [BZ an GK, MS] {5/8.35}



SANATORIUM WESTEND PURKERSDORF bei WIEN PURKERSDORF, am

Tel. (Wiener Netz) U 35-5-63 Moderne Heilanstalt für innere, nervöse und Stoffwechsel-Krankheiten Wien den 3. A,[ugust 1935] Verehrter Freund! Ich erlaube mir Ihnen jedenfalls meine Adresse zu geben. Sie lautet: Bei Dr. Egon Friedell, Villa Friedell, Kufstein, Tirol. In innigster Dankbarkeit für Alles und noch mehr Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {26.8.35} Geliebter Freund! Jetzt werden Sie doch vielleicht in die unangenehme Lage kommen mir die fünfzig Sch. nicht abziehen zu können. Werfel und Alma wollen dass ich mit Ihnen eventuell übermorgen auf zwei Tage nach Salzburg fahre. Dies wird sich aber erst entscheiden bis Werfel der vorausgefahren ist aus Leopoldskron telephoniert. Fahren wir so ist folgende herrliche Situation. Werfel ladet mich teilweise ein. So dass ich dann nur 50 Sch. für meine Rückfahrt brauchen würde. (Da Werfels noch weiterfahren). Ich habe dann die 200 Sch. doch für den Zins. Und fahre trotzdem nach Salzburg womit ich Ihnen Ihren Herzenswunsch erfülle der Sie 50 Sch. mehr kosten wird. Fabelhafte Schiebung! Aber sicher ist es noch nicht. Ich küsse Sie herzlichst für all diese eventuelle Freude, ein anständiger Bürger der seinen Zins zahlt sein zu können, und auch ein leichtsinniger Schmarotzer. Anbei ein Brief den mir Trude164 einsandte mit der Bitte dass Sie so gütig wären ihn eventuell zu lesen. Ihre dankbare Berta

164 Der Brief liegt nicht bei.

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Alma sehnt sich wie sie sagt mit Ihnen zu sprechen.165 Und sagte mir dass sie Sie selbst anrufen wird weil sie meist nicht Vormittag zu Hause ist und daher nicht anrufbar. Außer Mittags. Da speist sie meist zu Hause. Sie freut sich sehr.



[GK für BZ, Briefkonzept, 9. September 1935, MS] {Bertha Zuckerkandl – Reise nach London}166 Referring to your question of july 12th, whether I would come to London to give evidence in the lawsuit of Mrs. Vernon and Mme. Savoir concerning „La petite Catherine“ and the film „Catherine the Great“, I much regret that I am not able to comply with your desire much though I would wish to. There are several reasons that prevent me from doing so. Firstly my physician warns me against such a voyage. I am 71 years old and am a very bad sailor. I could only travel with my secretary and would require a longer stay in London, in order to recover from the voyage and before the return journey. Secondly my work here does not admit of so long an interruption: and undoubtedly the interruption would be a long one. For I should be obliged to reckon with an absence of two or three weeks because I should have to interrupt the voyage in each direction in Paris for several days. There are here continual rehearsels and representations of the plays translated by me at which my presence is necessary. I don’t know whether or not it is legally possible in England to reimburse to me all expenses caused by the travel and by so long an absence. Neither do I know, from whom I could claim such payment. If it were possible to pay to me an amount in advance sufficient to cover the costs of my voyage with my secretary Mrs. Feizlmayer, a stay of at least four days in Paris both on the journey out and back, and a stay of one or two weeks in London with all comfort which an old sick lady can und must claim, and also the loss of possibilities of working and earning – than I would be prepared to consider whether I could or should bring this sacrifice. Please let me know 1) whether such full reimbursement is possible according to the English law, 2) from whom I could claim and receive it in advance. As soon as I have received your reply to these questions I will inform you whether or not I can come to London. 165 Zum Verhältnis Gottfried Kunwald zu Alma Mahler-Werfel vgl. ÖStA, Bestand GK, Korrespondenzen mit Alma Mahler-Werfel, 1924 – 1937. 166 Die folgenden vier Schriftstücke (vom 9. September, 13. September und 2. Oktober 1935) befinden sich im Original in einem Kuvert, das mit „Reise nach London“ beschriftet ist. In der Edition wurde die Ablage der Kanzlei Kunwalds übernommen.

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Yours faithfully {cop. H.[ammelrath] 9.9.35.} Frau Hofr. Zuckerkandl übergeben 9.9.35



[Langton & Passmore an BZ, MS] {Berta Zuckerkandl} J. D. LANGTON & PASSMORE 8, BOLTON STREET PICCADILLY LONDON W 1 HC /MB. Friday 13th September 1935. Dear Madam, re Major and Mrs. Frank Vernon and „La Petite Catherine“ and the film „Catherine the Great“. We have to acknowledge receipt of your letter oft he 10th inst. for which we thank you. We will take our Client’s instructions in regard to the matter. There is no question of any legal right to claim any expenses. We have already intimated to you that our Clients will be willing to pay your expenses over to this Country for the purposes of your giving the required evidence. It would no doubt be possible to arrange for some payment to be made to you in advance to cover the expenses of your journey but we should like to have some indication as to what you think these would amount to and where you would propose to stay in Paris on your way through. Yours faithfully, J. D. Langton Passmore Madame Berta Zuckerkandl 1 Oppolzergasse 6, Vienna.



[GK an BZ, MS] Wien, am 2. Oktober 1935. Verehrte Freundin! Beiliegend das Konzept des Briefes nach London. Mit herzlichen Grüßen Dr. Gottfried KUNWALD für Wien I, SCHULERSTRASSE 1 1 Beilage.

Mahler

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Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl, Wien I., Oppolzergasse 6. {cop. Mahler 2.X.35. aufg. XXX 2.X.35.}



Mssrs. J. D. Langton & Passmore 8, Bolton Street. Piccadilly London W 1 I acknowledge receipt of your letter of the 13th inst. for which I thank you. I believe that the expenses of my journey, of my stay in London and of my two sejourns in Paris and the losses my absence will cause to me in Vienna will, altogether, as I hope, not exceed the amount of 300 Pounds, Sterling. If your clients would send me this amount to Vienna in advance, I should be prepared to come to London. Yours faithfully {cop. Mahler 2.X.35 Beilage zum Brief an Hofrätin Zuckerkandl v. 2.X.35.} [BZ, Brief nach London, MS] {Bertha Zuck.} Mssrs. I. D. Langton & Passmore 8, Bolton Street. Piccadilly London W 1 I acknowledge receipt of your letter of the 13th inst. for which I thank you. x I believe that the expenses of my journey, of my stay in London and of my two sojourns in Paris and the losses my absence will cause to me in Vienna will, alltogether, as I hope, not exceed the amount of 300 Pounds, Sterling. If your clients would send me this amount to Vienna in advance, I should be prepared to come to London. Yours faithfully x including the journey and the stay in London of Mrs. Feizlmayr my Secretary.



[BZ an GK, MS] {28.9.35} Verehrter Freund! Ich bin unglücklich. Eine neue Komplikation. Aber es ereignet sich Folgendes: Vor zwei Monaten schon hatte ich Freunden nach London geschrieben, ob sie mir nicht für den Herbst einen Mieter empfehlen könnten. Lange hörte ich nichts. Aber eben vor einer Stunde hat sich ein eleganter junger Mann ein

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Mr. Wordly167 vorgestellt direkt zu mir geschickt, der bei mir mieten will. Er akzeptierte glatt die Bedingungen und stellte nur das Ansinnen bereits am Ersten Oktober einzuziehen, da er immer von Ersten zu Ersten die Miete zahlen will. Was für mich nun unendlich wichtig ist. Mr. Wordly sagt mir er will zehn Monate hier bei mir bleiben da er in Wien bei der Cahiers Gesangstunden nimmt. Ich habe Mr. Wordly gesagt dass ich ihm morgen Sonntag Früh definitive Antwort geben werde ob ich ihm das Zimmer geben kann. Weil ich mich natürlich nicht getraut habe ohne Ihre Einwilligung diesen Schritt zu machen. Da Trude und Bubi dann längstens Montag ausziehen müßten. Wie gesagt: Ich werde tun, was Sie befehlen. Aber: In ganz Wien stehen jetzt tausende Privatzimmer zum Vermieten leer. Man konkurrenziert sich leidenschaftlich. Ich riskiere zehn Monate ein Teil meines Zinses. Nicht böse sein! Und geben Sie mir Antwort, was ich morgen Früh Mr. Wordly sagen soll. Ihre getreue B. Z. Auf den Vorschlag den ich selbstverständlich Mr. Wordly gleich machte, ein paar Tage zuzuwarten ging der kühle und sehr geschäftsmäßig mich behandelnde Engländer nicht ein. Da er außer meinem Zimmer wie er sagt noch ein anderes zur Auswahl hat wo er am Ersten einziehen kann. Vielleicht könnte ich ihn bis zum Zweiten hinhalten mit dem Bemerken (was auch der Wahrheit entspricht) dass das Zimmer bis jetzt bewohnt ist und geputzt werden muß ehe ich einen neuen Mieter aufnehmen kann.



[GK an BZ, MS] Wien, am 28. September 1935. Verehrte Freundin! Selbstverständlich müssen Sie an Mr. Wordly vermieten; selbstverständlich auch, so spät es eben geht, aber ihn keinesfalls auslassen. Ich glaube nicht, dass wir mit Westend vor Mittwoch oder Donnerstag fertig werden. Wenn wir dann nicht so abschließen, wie ich es erzielen möchte, so muß sich dann Frau Trude entscheiden, ob sie bei ihrer Mutter168 oder trotz des Mißerfolgs ohne meine „Zustimmung“ in Purkersdorf wohnen soll. Wenn wir aber Mittwoch oder Donnerstag so abschließen wie ich es möchte169 und Frau Trude dann Mittwoch oder Donnerstag hinausziehen kann, so könnte sie ganz gut, sobald Mr. Wordly einzieht, für diese wenigen Tage mit ihrem Kinde ein billiges Hotelzimmer nehmen. Herzlichst 167 Der Name konnte nicht verifiziert werden. 168 Malvine Stekel. 169 Zu dem Abschluss gibt es im Bestand GK keine Hinweise.

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Ihr sehr ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps, Wien I., Oppolzergasse 6. {cop. Mahler 28.9.35 abgeg. Josef 28.9.35}



[BZ an GK, MS] {Berta Zuckerkandl 29.9.35} Sonntag Früh. [29. September 1935] Mein teurer Freund! Ich dürfte Ihre Sonntagsruhe nicht stören. Aber was ich Ihnen zu sagen habe und sagen will duldet keinen langen Aufschub. Ich flehe Sie an diese Zeilen nicht als Ausdruck einer Frauen-Hysterie, oder einer momentanen Depression aufzufassen. Diese sind in dem letzten Jahr längst in mir gereift und sind der Ausdruck eines von mir als unabwendbar empfundenen Schicksals. Es gilt nun mit eiserner Energie und stillem Verzicht die Liquidation meines Lebens zu vollziehen. Ich könnte Ihnen das alles nicht mündlich sagen. Wenn ich Ihnen gegenübersitze und Sie mich mit Ihren klaren weisen, gütigen und befehlenden Augen anblicken, dann erliege ich Ihrem dämonischen Willen. Und Ihre Energie strömt in meine Seele über. Sie galvanisieren mich. Aber nach Hause zurückgekehrt stehe ich wieder vor dem Unüberwindlichen. Meines geliebten Sohnes tragisches Schicksal und Schuld, meine eigene unverschuldete Lage die sich durch den unerwarteten Wandel der Zeit so katastrophal gestaltet hat rauben mir jede Möglichkeit Mut und Ausdauer zu weiterem gewiß nutzlosen Kampf zu bewahren. Daher muß ich den Entschluß fassen mit 450 Sch. monatlich weiter mein Leben zu fristen. Wie aber diese Operation durchführen? Ich werde vorerst meine Wohnung kündigen (denn Vermietungen sind eine zu unsichere Sache). Weiß aber nicht was ich mit den Möbeln anfangen soll die wenn man sie verkauft verschleudert werden. Auch habe ich, (wie jeder Mensch) doch auch einige Verbindlichkeiten zu löschen. Von den 450 Sch. aber könnte ich auch ratenweise nicht abzahlen. Hier diese Bilanz: Ich schulde meiner Schneiderin aber noch aus der Zeit da ich gut verdiente und ich nicht ahnen konnte dass das Hitler Regime mir meine solide und gesunde Arbeitsbasis zerstören würde. (Die Aufführungen französischer von mir übersetzter Stücke auf mehr als sechzig deutschen Bühnen) Schneiderin: Zwölfhundert Sch. Eine andere Schuld: Fünfzehnhundert Sch. Meiner seit 14 Jahren bei mir dienenden Hausgehilfin: Fünfhundert Sch.

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Außerdem stellt die liquidierende Auspitz-Lieben-Bank170 an mich die Forderung von zwei tausend dreihundert Sch. Diese Forderung ist eine Niederträchtigkeit vom moralischen Standpunkt angesehen. Paul Clemenceau hat seinerzeit als er noch sehr large war einen kleinen Fond für mich dort erlegt (Elftausend Sch.) damit ich, wenn fällige Tantiemen die man mir oft lange schuldig blieb nicht eingehen, über eine Art Credit oder Roulement verfügen kann. Acht Tage vor dem Zusammenbruch dieser Bank erhielt ich aus Berlin meine ausstehenden Tantiemen und zahlte diese sofort in die Auspitzbank ein. Es blieben nur zweitausend Sch. offen. Die Bank krachte. Mein zurückgezahltes Geld hätte ja sonst ordnungsmäßig wieder von mir behoben werden dürfen was durch den Bankrott unmöglich wurde. Nun zwang mich der Liquidator Dr. Kantor zu Ratenzahlungen die ich aber nur ungefähr ein Jahr lang zu leisten vermochte. Jetzt hat mir Dr. Kantor, an welchen ich mich persönlich wandte, bis ersten Oktober 1935 eine Atempause gewährt. Aber es ist mir ganz unmöglich diese Schuld zu bezahlen. Und wenn man bedenkt, welche ungeheuren Summen Kantor nicht einzutreiben vermag so ist ein Abstrich meiner kleinen Schuld doch gewiß für ihn möglich. Sonst aber bin ich schuldenfrei. Nur mein Verleger Georg Marton hat für mich (ich tat es für Fritz da mir der seither verstorbene Direktor Raumann diesen Weg nahelegte) bei seinem Bankier Langer und Co (Raumann) voriges Jahr zweitausend Sch. garantiert. Bei dem Vermögen, das Marton bei Langer hat (so sagte mir damals Raumann) spielt dies bei Marton aber gar keine Rolle. Das sind nun alle meine Verbindlichkeiten. Als Besitz stand ihnen gegenüber, solange bis das Hitler-Deutschland alle diese Verträge aufhob meinen Anteil von ein und einhalb bis zwei Perzent der Brutto-Tantiemen jener Stücke die ich im Lauf von zwölf Jahren aus dem Französischen übersetzt habe. Es sind weit über hundert Stücke. Eine große Arbeitsleistung, auch von sehr wertvollem moralischen Erfolg begleitet gewesen, da ich in der Liste des Institut Internationale in Paris aufgenommen bin. Was einen besonderen schriftstellerischen Rang bedeutet. In normalen Zeiten hätte diese Arbeit auch nach meinem Tod bei vielen Stücken noch Tantiemen getragen. So aber steht jetzt meinem Debet leider kein Aktivum gegenüber. Ich kann die Last einer eigenen Haushaltung, und wäre sie noch so ärmlich nicht mehr tragen. Schmerzlichst trifft mich die Notwendigkeit meine treueste wunderbar ergebene Hausgehilfin, die mich seit 15 Jahren pflegt und betreut, und der ich zum Teil meine Gesundheit verdanke, entlassen zu müssen. Wenn ich Sie, meinen einzigen Freund (Clemenceaus muß ich vollständig ausschalten weil ich den Kindern ihre letzte und einzige Chance niemals wegnehmen würde) vorgestern gebeten habe bei irgendwelchen Bankleuten 170 Die Auspitz-Lieben Bank war ursprünglich eine renommierte Wiener Privatbank, deren Eigentümer zum Kreise der Kunstmäzene gezählt wurden. Im Mai 1931 musste die in Schwierigkeiten geratene Bankfirma die Zahlungen einstellen.

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oder anderen Ihnen dafür geeigneten Persönlichkeiten zu intervenieren, die für manche Österreich geleistete Dienste – die für Berta Zuckerkandl Sympathie fühlen – so dass durch eine diskret gegebene Summe mir für eine Zeitlang geholfen werden könnte, so geschieht dies bereits mit der Absicht mir dadurch einen Übergang zu der vollkommenen Auflösung meines Lebens-Standard’s zu ermöglichen. Denn: Es wäre ein Selbstbetrug und es wäre Ihnen gegenüber ein sträflicher Mißbrauch Ihrer gütigen Vermittlung wenn ich meine Lage so ansehen würde als könnte mich zweitausend Sch. befreien. Nein! Nur ein neues Arbeitsfeld das aber für eine 71 jährige Frau schwer zu finden ist wäre dies im Stande. Die Hilfe aber die mir raschest nottut soll dazu dienen: I.- Mir zu erlauben in Ruhe abzubauen; II.- Zwei, drei Monate meine erschütterte Gesundheit in Paris eventuell wieder zu befestigen. Durch die Entlastung täglicher Qualen. III.- So dass ich hineingleiten kann in ein Altersheim, oder in ein möbliertes Kabinett dann dort das Unvermeidliche erwarten werde. Ich fühle dazu den philosopischen Mut. Ich weiß wohl dass dieser Schritt in einer Beziehung verhängnisvoll sein muß. Bis jetzt gelt ich noch bei den Verlegern und den Theater-Direktoren als eine nicht zu unterschätzende Kraft, da meine Verbindungen mit Pariser Autoren doch innige sind. Im Augenblick wo meine „Decheance“171 sozusagen plakatiert werden wird, lassen mich diese Faktoren gewiß im Stich. „On ne prete qu’aux riches“.172 Auf meine Stellung harren ohnedies neiderfüllt zahlreiche Literaten. Obwohl ich nun unberufen (ich klopfe) noch in voller Arbeitskraft stehe so werde ich durch diese absolut unvermeidliche Liquidierung wohl mein Arbeitsfeld das ich liebe verlieren. Aber: Ich habe bei Ihnen unendlich viel gelernt. Vor allem: Das zu tun, was getan werden muß! Ich glaube keiner momentanen Eingebung Folge zu leisten wenn ich meine Lage ruhig, verständig, und ernst übersehend zu dem Schluß komme diese Zeilen an Sie zu richten. Sie sind das Bekenntnis eines Menschen der Schluß machen muß. Nicht mit der kurzen Spanne Leben die mir noch geschenkt sein sollte. Aber mit einem unerträglich gewordenen und eben für dieses kurze Leben gefährlichen Zustand. Geliebter Freund! Helfen Sie mir stark zu sein. Und stark zu bleiben. Und wenn Sie so rasch als möglich mich durch eine Fürsprache oder Aktion bei irgend welchen Faktoren erlösen können so haben Sie dann Ihrem Werk der mir bewiesenen treuesten Liebe die letzte Tat gesetzt. Ihre gefasste und entschlossene getreue Berta Zuckerkandl-Szeps Natürlich handelt es sich absolut nicht um irgend eine Begleichung meiner Verbindlichkeiten. Damit werde ich schon später fertig werden wenn ich erst meinen Haushalt aufgelöst habe und mich dann mit dem Wenigen was ich 171 „Verfall“. 172 „Wir leihen nur den Reichen.“

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neben meiner Pension doch noch verdienen werde schon ganz rangieren. Nur muß ich wie gesagt die zu große Belastung erst los werden. Und dazu brauche ich allein eine möglichst rasche Unterstützung.



[BZ an GK, MS] {5.10.35} Freitag. [4. 10. 1935] Verehrter Freund! Ich erlaube mir Ihnen nähere Angaben über die sensationelle Heilung von schwersten Gelenksschmerzen und Rheumatismus jeder Art zu schicken. DR. RIED, ist ein bereits ungefähr fünfzig Jahre alter Arzt der seit zwanzig Jahren an einer wissenschaftlichen Erforschung der Gelenkserkrankungen arbeitet. Er wurde aber wie dies meist bei epochalen Erfindungen und Entdeckungen der Fall ist von der medizinischen Fakultät verfolgt und behindert. Nichtsdestoweniger gelang es seiner Energie nach und nach auch auf Kliniken seine neue Heil-Methode ausprobieren zu lassen. Und mit so verblüffenden Erfolg dass jetzt im Dianabad diese von Dr. Ried erfundenen U-Bäder dort angewendet werden. (Adresse von Dr. Ried: XIX. Kreindlgasse 10.) Ich erfuhr dies alles durch Dr. Breth, jener junge Arzt der sich für eine Teilhaberschaft in Purkersdort interessiert hatte. (Den Sie damals aber nicht sehen konnten.) Dr. Breth hatte die Absicht eventuell im Sanatorium eine ganze Abteilung für Dr. Ried zu errichten. Und war der Überzeugung dass Westend damit einen Schlager haben würde. Breth nun hat auf der Klinik an der er arbeitet eben alle großartigen Heilerfolge der dort ausprobierten U-Bäder selbst beobachtet. Er würde Ihnen jede Auskunft geben können. Es handelt sich um „Bestrahlte Salze“. Uralin, Magnesium u. s. w. Die Dr. Ried bestrahlt auf eigenartige Weise. Wie gesagt soll der Erfolg großartig sein. Natürlich müßte man sich noch sehr genau instruieren. Und Sie müssten Ihren Arzt fragen. Ich möchte nur nicht versäumen Sie auf die U-Bäder aufmerksam zu machen. Eben erhalte ich einen Brief von meiner Schwester die mir mitteilt dass Frau Rist sie angerufen hätte um zu fragen ob ich in Paris bin. Und sie zu bitten dass ich sofort nach Versailles zu ihnen komme wenn ich dort sein werde. Rist ist momentan in Paris. Und Frau Rist sagte Sofie dass er wahnsinnig viel zu tun hat. Ich grüße Sie innigst. Ihre getreue B. Z. Bin entzückt dass wir Stiasny am Durchgehen gehindert haben.



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[GK an Charles Rist, 6. Oktober 1935, MS] {Copie} Ich muss jedoch gestehen, dass ich nie den Mut gefunden hätte, Ihnen nach Ihrem langen Schweigen zu schreiben, hätte ich nicht eine grosse persönliche und sehr dringende Bitte an Sie. Es handelt sich um unsere gemeinsame Freundin Frau Berta Zuckerkandl, für die ich Sie um Erlaubnis bitte, mich an Sie zu wenden. Frau Zuckerkandl befindet sich in einer wirklich beklagenswerten Finanzlage. Seit zweieinhalb Jahren werden die französischen Theaterstücke, die sie ins Deutsche übersetzt, nicht mehr in Deutschland gespielt. Diese Arbeit war jedoch die wirtschaftliche Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Seit zweieinhalb Jahren kämpft sie mit der Kraft und der bewundernswerten Ausdauer, die Sie ja kennen, aber jetzt ist sie am Ende ihrer Kräfte. Seit zweieinhalb Jahren gibt sie nicht mehr ihre in Wien so bekannten Empfänge, bei denen früher alle Schriftsteller und alle Künstler anzutreffen waren. Sie gibt nichts aus, absolut nichts für sich selbst, was nicht für den täglichen Bedarf notwendig und dringend ist. Sie arbeitet von früh bis spät. Sie schreibt Artikel, die schlecht bezahlt werden. Letzten Endes muss aber der Realität Rechnung getragen werden. Sie sieht sich gezwungen, auf ihre Wohnung zu verzichten, um, alt und krank, ein Zimmer und ein Zimmermädchen zahlen zu können. Tapfer und mutig ist sie entschlossen, von der kleinen Pension von 350 Schilling pro Monat zu leben, die sie als Witwe des Professors erhält. Diese Einschränkung des standard of life hat aber ihre Kosten. Umzug, Transport eines Teils ihrer Möbel usw. Überdies haben sich während dieser zweieinhalb Jahre Schulden bei ihren Verlegern usw. angehäuft. Insgesamt erreichen die Schulden fast 9000 Schilling, und der Umzug kostet auch ca. 1000 Schilling. Sie braucht also 10 000 Schilling, um das stark eingeschränkte Leben einer kleinen Pensionistin führen zu können. Herr Pollak, an den ich mich letztes Jahr nach Ihrer grossmütigen Initiative bei der Credit-Anstalt gewandt hatte, hat mir damals gesagt: „Eine Aktion für Hrn. Fritz Zuckerkandl, um ihm neue Mittel zu beschaffen? Sagen Sie Fr. Zuckerkandl, dass sie nie an die Schulden Ihres Sohnes bei der Credit-Anstalt zu denken braucht. Rist hat uns informiert, und das genügt. Was aber den Einsatz neuer Mittel betrifft, so ist die Person von Hrn. Fritz Zuckerkandl, um ehrlich zu sein, nicht interessant genug. Wenn es sich natürlich darum handelte, Frau Zuckerkandl selbst, die so viele Verdienste hat, zu Hilfe zu kommen, so wäre das vielleicht eine andere Sache!“ Der Zeitpunkt einer solchen Aktion ist nun gekommen. Wäre es möglich, eine Hilfe bei der Credit-Anstalt und bei der Länderbank für Fr. Zuckerkandl in die Wege zu leiten, die so viel für die Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich getan hat? Ein Betrag von 10 000 Schilling wäre notwendig, um Fr. Zuckerkandl die Möglichkeit zu geben, mit der kleinen Staatspension zu leben, ohne Tag und Nacht arbeiten zu müssen. Fr. Zuckerkandl könnte all ihre Tantiemenrechte als Sicherheit geben – die Zeit wird wieder kommen,

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wo französische Theaterstücke in Deutschland gespielt werden. Sie beginnt sogar schon: Das Stück „Towarisch“ von Jacques Deval,173 das Fr. Zuckerkandl übersetzt hat, ist von sechzig Theatern in Deutschland akzeptiert, ohne jede Erwähnung des Namens von Fr. Zuckerkandl auf den Plakaten.174 Es handelt sich da um ein Einkommen von etwa vier bis fünf Tausend Mark, die in Deutschland blockiert sind. Es wäre eine grosse Wohltat und eine noble Geste, und das Geld wäre dabei nicht verloren. Ich selbst kann nichts tun. Wenn aber die Initiative von Ihnen ausgeht, könnte ich mich vielleicht nützlich machen. {Abschrift aus dem Brief an Rist vom 6. X. 35 (S. 2 letzt. Abs. bis S 5 vorletzt. Abs.) cop. 16.10.35 Frau Hofr Zuckerkandl übergeben 16. 10. 35}



[BZ an GK, MS] {6.10.35} Samstag. [5. 10. 1935] Verehrter Freund! Eben ist wieder bei den Kindern in der Wohnung Sanatorium diese Pfändungssache abgegeben worden. Von Abel. Ich erlaube mir sie Ihnen einzusenden.175 Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 8. Oktober 1935. Verehrte Freundin! Beiliegend übersende ich den von Stiasny gefertigten Gesellschaftsbeschluß, den ich für Fritz und Trude gefertigt habe. Mit herzlichsten Grüßen Ihr Beiliegend: Gesellschaftsbeschluß176 vom 7. Oktober 1935. 173 Jacques Deval schrieb die Komödie „Towarisch“ 1931. Curt Goetz bearbeitete das Stück für die deutsche Bühne und gab ihm eine politische Dimension. 1935 wurde das Stück uraufgeführt. Von Deval ist der Ausspruch überliefert „er wünschte sich, er hätte das geschrieben, was Curt Goetz übersetzt habe,“ Vgl. http://www.felix-bloch-erben.de/index.php5/pid/1486/Action/showPlay/ fbe/kmjb646evdr96tkc1ragftvc23/. Abgerufen am 27. Oktober 2017. 174 Bei dem Theaterstück wird nur Curt Goetz als Übersetzer angeführt. Es findet sich kein Hinweis auf eine Übersetzung durch Berta Zuckerkandl. Vgl. auch https://www.theatertexte.de/nav/2/2/3/ werk?verlag_id=felix_bloch_erben&wid=1777&ebex3=3. Abgerufen am 27. Oktober 2017. 175 Unterlagen zu der Pfändung liegen der Korrespondenz nicht bei. 176 Der Gesellschaftsbeschluss liegt der Korrespondenz nicht bei.

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{cop. XXX 8.10.35 aufgegeben Mahler 8.10.35 Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Wien I. Oppolzergasse 6.}



[BZ an GK, MS] {Zuck-West} {10.X.35} Donnerstag. [10. Oktober 1935] Verehrter Freund! Innigen Dank für das Konzept des englischen Briefes. Ich habe ihn genau so geschickt, bis auf eine kleine Änderung die ich hier anbei vermerke. Es wurde nämlich der Satz vergessen dass in diese Summe auch die Reise der Frau Feiztlmayr inbegriffen ist. Gleichzeitig erlaube ich mir Ihnen mitzuteilen dass es mir gelungen war Mr. Wordly für morgen Freitag zu verschieben. Er zieht demnach morgen Freitag Früh bei mir ein. Da Sie mir in Ihrem Brief des 28. S.[eptember] schrieben: „Ich glaube nicht dass wir mit Westend vor Mittwoch oder Donnerstag fertig werden. Wenn wir dann nicht so abschließen, wie ich es erzielen möchte, so muß sich Frau Trude dann entscheiden, ob sie bei ihrer Mutter177, oder trotz des Mißerfolges ohne meine „Zustimmung“ in Purkersdorf wohnen soll. Wenn wir aber hoffentlich bis Mittwoch oder Donnerstag so abschließen, wie ich es möchte und Frau Trude dann Mittwoch oder Donnerstag hinausziehen kann, so könnte sie sobald Mr. Wordly einzieht ein billiges Hotelzimmer für diese wenigen Tage nehmen.“ Nun wie gesagt das habe ich vermeiden können. Trude kann bis heute Abend bei mir bleiben. Zu ihrer Mutter kann sie auf keinen Fall ziehen da diese eine winzige Wohnung hat sehr schwer krank ist, und ohne jede Mittel Trude auch nur einen Tag zu erhalten. Sie wartet also auf Ihre gütige Mitteilung wie der Ausgang der Verhandlungen sich gestaltet hat. Und wird dann Ihrer Weisung folgend heute Abend jedenfalls ihren Entschluß fassen müssen. Dass, wenn sie ohne Ihre „OFFIZIELLE ZUSTIMMUNG“ gezwungen sein würde doch hinauszuziehen Sie liebster gütigster Freund sie trotzdem nicht verlassen werden, weiß ich, weiß Trude. Denn Sie handelt ja dann unter einem unüberwindlichen Zwang. Aber hoffentlich werden Sie ihre Zustimmung geben können. Wir warten also auf ein gütiges Telephonwort. Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps

 177 Malvine Stekel.

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[BZ an GK, HS] {Z. 12.X.35} Ich weiß nicht, wie ich es hätte ertragen können – wären Sie nicht gewesen! Dass Sie meinen Fritzl bei mir entschuldet haben; Sie mein Mutter-Elend so mit mir mitgelitten haben … das hat mich gerettet. Diese Ihre unendliche Güte, die auf mich übergeströmt ist … so dass ich sie bei­ nahe physisch spürte … hat etwas von jenen „Wundern“ an sich, die der Gläubige Christus zuspricht. Ich werde und will es deshalb tragen. Aber mit Ihrer Erlaubnis und Ihrer Ein­ willigung möchte ich doch auch Alles tun um diesen Flecken auf seinem Namen, der mir heilig ist, auszulöschen. – Darüber mit Ihnen noch einmal sprechen zu dürfen, bitte ich Sie innigst. Wenn Sie einmal Zeit haben werden. Heute Nacht, da ich ja nicht schlafen konnte, habe ich mein Schicksal durch­ gedacht. Und mich gefragt: „Wie kannst Du klagen? Wenn Gott Dir diesen Freund geschenkt hat?“ Ich werde nicht mehr klagen! Ich liebe Sie so innig. B. Z.



[BZ an GK, MS] {Berta Zuckerkandl 24.10.35} Paris den 22. Oktober. [1935] Verehrter, liebster Freund! Ich war so erschöpft als ich in Paris ankam dass ich erst heute so weit bin Ihnen ein paar Zeilen zu schreiben. Situationsbericht ist nicht rosig. Fritz der Juli-August gut verdiente weil Gerson sehr besetzt war, kämpft momentan wieder sehr. Denn das Sanatorium ist leer. Wie überall in den Herbst- und Wintermonaten. Da aber vorläufig Fritzl’s Existenz an Gerson hängt, so ergibt sich daraus dass Fritz vorläufig Trude kaum etwas schicken kann, und für seine Schulden überhaupt nichts übrig bleibt. Allerdings ist dieser Zustand hoffentlich nur passager. Paul Clemenceau, der Mann mit den zugeknöpften Taschen nimmt sich aber in anderer Beziehung doch um Fritz an. So hat er jetzt seinen Direktor Schrumpf der Fritz beraten muß aufgetragen einen Vertrag mit dem Laboratoriums-Besitzer wo Fritz seine Analysen macht zu schließen. Dieser Mann will nämlich mit Fritz in Compagnie gehen und das Laboratorium sehr erweitern. Fritz darf (so sagt Paul) nicht allein von Gerson abhängen sondern soll sich eine Reihe Kliniken und Ärzte sammeln die ihm Analysen geben. Dies ist aber erst möglich wenn Fritz nachweisen kann dass er mit einem Franzosen in Compagnie ist. Denn einem Fremden wird jetzt hier alles zu schwer gemacht. Dieser Vertrag soll übermorgen getätigt werden. Fritz hat aber auf Grund seiner bei Eppinger gemachten Arbeiten, von der hier ersten Klinik von Professor Labbé die Einladung erhalten auf dieser Klinik so zu arbeiten wie bei

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Eppinger. Das ist eine große Ehre. Und wird sich hoffentlich nach und nach auch ökonomisch auswirken. Vorläufig aber ist alles noch schwer, ja oft tragisch. Wenn die arme Trude schreibt dass sie für sich und das Kind nicht einmal Heizmaterial kaufen kann und sie frieren. Und Fritz verdient oft eine Woche kaum sein eigenes bescheidenstes Dasein. So bin ich nun hier wieder genau so versorgt und vergrämt wie in Wien. Aber ich habe mich mit aller Energie an die Aufgabe gemacht Fritz in allem zu helfen. Ich sitze in seinem Laboratorium, lasse ihm Briefe schreiben organisiere, und intriguire für ihn. An mich zu denken habe ich gar keine Zeit. Bei Rist habe ich mich nicht gemeldet da ich von Ihnen noch nichts hörte und daraus schließe dass er nicht intervenieren kann oder will. Bis ich nicht diesbezüglich von Ihnen Ordre erhalte rühre ich mich nicht. Auch die Prozeßsache in London scheint zu stocken.178 Madame Savoir179 war bei mir versuchte mich zu bestimmen auf meine Forderungen zu verzichten. Sie wollen mir falls der Prozeß gewonnen werden sollte eine kleine Beteiligung geben. Aber wird er verloren soll ich nichts erhalten. Ich erwiderte darauf dass ich mich ganz nur auf den Rat meines Beraters und Freundes in Wien verlasse und daher keinerlei Unterhandlungen führen werde, außer dass mir Langton und Passmore einen Vorschlag machen den ich meinem Berater unterbreiten könnte. Seitdem habe ich von der Sache nichts mehr gehört. Paul Clemenceau war in Italien und erzählt dass Mussolini dort populärer ist als je. Das ausgehungerte und so arme Volk lebt von der Hoffnung die er entzündete dass Abyssinien das gelobte Land sein wird. Aber Paul sagt die finanzielle Situation ist so unsagbar furchtbar dass in längstens einem Jahr die schrecklichste Katastrophe unvermeidlich ist. Dies weiß Mussolini genau. Und daher lenkt er plötzlich mit England ein. Hier in Paris ist die ganze Presse von Mussolini gekauft gewesen. Er hat Milliarden ausgegeben. Und gegen England wurde gehetzt. Plötzlich jedoch schlägt auch hier die Stimmung für England um. Laval wiedergewählt als Senator wird sich wahrscheinlich halten. Paul Clemenceau der sonst so pessimistisch ist, sagte gestern dass es ein Glück wäre wenn Laval sich hält weil seit einigen Wochen hier die finanzielle und ökonomische Krise abflaut und wenn die Stabilität der Regierung hält wäre eine Art erwachende „Prosperity“ vorauszusehen. Dass Paul so etwas sagt beweist dass auch seine Geschäfte sich bedeutend heben. Vielleicht wird er dann einmal wieder etwas weniger geizig sein. Vorläufig seufzt er bei jedem Francs den er ausgeben muß. Ich habe, weil es absolut unmöglich ist dass Truderl ganz ohne Geld bleibt Fritz geraten sich doch einmal an seinen Schwiegervater den ekelhaften Dr. Stekel 178 Zu dem Prozess konnten keine Materialien eruiert werden, doch geht aus den vorangegangenen Schreiben vom 9. und 13. September sowie vom 2. Oktober hervor, dass es sich wahrscheinlich um einen Urheberrechtsprozess handelte. 179 Im Pariser Telefonbuch des Jahres 1935 findet sich nur ein Eintrag unter Savoir A. („aut.dram.).

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zu wenden. Der allerdings zwei Familien zu erhalten hat. Aber dessen Pflicht es ist seiner Tochter die paar Wintermonate beizustehen. Fritz hat eben einen von mir diktierten Brief an Stekel geschrieben. Ich warte nun ab ob dies Erfolg haben wird. Jetzt möchte ich nur wissen wie es Ihnen geht? Ich denke so viel und mit so großer Liebe an Sie. Paris hat für mich jeden Reiz verloren. Nicht einmal meinen Freunden habe ich noch telephoniert. Meine einzige Sorge ist: Den Kindern helfen diese düstere Übergangszeit auszuhalten. Ich habe Fritz keine Vorwürfe gemacht. Mich daran erinnert dass Sie gesagt haben es hätte keinen Sinn. Aber ich habe einen neuen Ton ihm gegenüber angeschlagen. Sie wären erstaunt wenn Sie sehen würden wie energisch ich ihn anfasse. Vielleicht zu spät. Aber vielleicht doch noch früh genug. Das wird ja die Zukunft (wenn ich noch eine Zukunft vor mir habe) zeigen. Paul und Sofie schicken Ihnen Grüße und so viel Dank. Ihre getreueste Berta [GK an BZ, Telegramm, MS]



PC DEUTSCH POUR ZUCKERKANDL RUE DE LA FERME 10 NEUILLY SUR SEINE PARLE A RIST QUI VEUT ET VA AIDER IL ATTENDS VOTRE TELEPHONE AMITIES180 KUNWALD

{cop. Mahler 24.10.35 telephon. aufgeg. Mahler 24.10.35, 1520}



[BZ an GK, Telegramm] {26/10} Telegramm Dr. Kunwald Schulerstraße 1 cr wien tel de neuilly sur seine 24 1650 loc 41 1037 vingtquatre181 deutsch zuckerkandl remis182 16.30

 180 „Deutsch für Zuckerkandl …Mit Rist gesprochen, der helfen will und wird. Er erwartet Ihren Anruf.“ 181 „vierundzwanzig.“ 182 „zugesprochen.“

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[GK für Josefine Schneider, Notiz vom 25. Oktober 1935, MS] Ich übernehme die einfachen Postsachen, die für Frau Hofrätin zugestellt werden, und bringe die behördlichen Stücke persönlich Herrn Dr. Kunwald. Bei rekommandierten Sendungen sage ich, dass ich nicht berechtigt bin, rekommandierte Sendungen für Frau Hofrätin Zuckerkandl entgegenzunehmen, die nach Paris verreist ist. Die Adresse kennt Herr Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße 1. Ich bitte sofort Herrn Dr. Viktor Zuckerkandl183, dass er ebenso wie ich, wenn er allein in der Wohnung ist, erklärt, dass er nicht berechtigt ist, rekommandierte Sendungen für Frau Hofrätin Zuckerkandl entgegenzunehmen, die nach Paris verreist ist. Die Adresse kenne Herr Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße 1. Josefine Schneider {cop. Mahler 25.X.35 Frl. Schneiderin 2 Exemplaren übergeben: Mahler 25.X.35}



[GK für Josefine Schneider, Notiz vom 31. Oktober 1935, MS] Ich übernehme die einfachen Postsachen, die für Frau Hofrätin zugestellt werden, und bringe die behördlichen Stücke persönlich Herrn Dr. Kunwald. Bei rekommandierten behördlichen Sendungen sage ich, dass ich nicht berechtigt bin, rekommandierte behördliche Sendungen für Frau Hofrätin Zuckerkandl entgegenzunehmen, die nach Paris verreist ist. Die Adresse kennt Herr Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße 1. Ich bitte sofort Herrn Dr. Viktor Zuckerkandl, dass er ebenso wie ich, wenn er allein in der Wohnung ist, erklärt, dass er nicht berechtigt ist, rekommandierte behördliche Sendungen für Frau Hofrätin Zuckerkandl entgegenzunehmen, die nach Paris verreist ist. Die Adresse kenne Herr Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße 1. Nichtbehördliche rekommandierte Sendungen übernehme ich und ebenso Herr Dr. Viktor Zuckerkandl. {cop. Mahler 31.X.35 2 Exemplare Frl. Schneider (von Hofr. Zuckerkandl) übergeben: Mahler 31.X.35}



[BZ an GK, MS] {28.10.35} Paris den 25. Oktober. [1935] Verehrter Freund! Ich weiß nicht ob Ihr liebes Telegramm, das gestern kam eine Antwort auf meinen Brief ist, oder ob sich Brief und Telegramm gekreuzt haben. 183 Dr. Viktor Zuckerkandl (1896 bis 1965), Sohn von Otto und Amalie Zuckerkandl.

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Ich danke Ihnen so innigst. In meiner jetzigen Verfassung ist auch ein Hoff­ nungsstrahl schon wie eine Sonne. Ich rief sofort bei Rist an. Sie antwortete am Telephon. Und es ist die Herzensart dieser seltenen Frau dass sie noch niemals mit mir so warm, so freundschaftlich gesprochen hat wie gestern. Rist (sagte sie) ist in Brüssel wo er eine Konference hält. Sollte aber noch gestern Abend zurückkommen. Er hat Mittwoch noch in Paris eine zweite und sehr wichtige Konference die ihm viel Arbeit gibt. Daher er erst nach Mittwoch mich sehen kann. Aber (fügte Madame Rist hinzu) sie wollen Beide nicht erlauben dass ich zu ihnen komme. Sondern sie werden mich nächsten Donnerstag oder Freitag Avenue d’Eylau am Nachmittag besuchen. Das ist eine besonders elegante Art einen Bittsteller zu behandeln. Ich war davon wirklich gerührt. Man wird ja so kleinmütig wenn einen das Schicksal so zerprügelt. Und von der einstigen immer nur gebenden Berta Zuckerkandl ist wahrlich kaum ein Schatten mehr geblieben. Ihre Telegrammworte: „Rist va et veut aider“184 lassen mich vermuten dass Ihnen Rist irgendetwas Konkreteres bereits gesagt hat. So werde ich denn durch Ihre Liebe und Güte wenigstens bis nächsten Donnerstag oder Freitag seelisch ein wenig ausspannen können. Meine Londoner Hoffnung ist eben vor einer halben Stunde zerronnen. Madame Vernon, die eine der Klägerinnen, rief mich an um mir mitzuteilen dass der Prozeß am neunten Dezember erst angesetzt ist. Dass dieses Datum für eine Überfahrt das schlechteste ist, da die schwersten Nebel herrschen und man mich nicht dieser Gefährdung meiner Gesundheit aussetzen will. Daher ich am zweiten November von eigens von Tribunal hergesendeten Beamten einvernommen werde. Dies ist natürlich nur eine Ausrede, um mir die verlangte Summe nicht zu geben. Denn Madame Savoir, die zweite Klägerin, besuchte mich unlängst und gestand mir dass der Prozeß bereits Unsummen kostet und man nicht mehr im Stande ist die Kosten zu vermehren. Sie können sich denken wie mich dieses Versagen eines Projektes triftt das doch so aussichtsreich schien. Nun ist Rist meine letzte Hoffnung. Möge sie sich realisieren. Fritz habe ich hier bereits vorwärts geholfen. Ich verschaffte ihm die Unterstützung einiger großer Ärzte. Sein Glück ist (unberufen, ich klopfe) dass seine Spezialität Analysen sind die hier noch nicht gemacht werden. Und die Fritz eigentlich auch als Erster in Wien eingeführt hat. Analysen durch die er den Ärzten Fingerzeige für ihre Diagnosen gibt. Ja, direkt gleich Diagnosen macht. Das scheint hier sehr zu interessieren. Paul Clemenceau, der Ihnen noch vor einigen Monaten schrieb dass er Fritzls Idee in Compagnie mit dem Laboratoriumsbesitzer zu gehen verhindert hat, ist jetzt derjenige der darauf drängt dass dies jetzt gemacht wird. Und so ist Direktor Schrumpf, Clemenceaus Vertrauensmann eben dabei, den Vertrag zu stimulieren. Dann 184 „Rist wird und will helfen.“

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erst sagt Clemenceau kann wirklich die Propaganda zur Belieferung des Laboratoriums bei den Ärzten einsetzen. Bisher verdient Fritz leider viel weniger als im Sommer. Weil das Gerson-Sanatorium leer ist. Dies muß eben durch andere zu erwerbende Ärzte kompensiert werden. Eine lange und harte Arbeit. Aber sie scheint wie die Erfolgsansätze beweisen nicht aussichtslos. Verzeihen Sie dass ich Sie mit diesen Erzählungen langweile. Aber wem wenn nicht Ihnen könnte ich mein Herz ausschütten. Die internationale Lage wird seit wenigen Tagen aussichtsreicher beurteilt. Mussolini scheint die ihm dargebotene (von England) Möglichkeit sich aus der Abyssinischen Affaire herauszuziehen, gierig zu ergreifen. Nun sage ich Ihnen Adieu, und werde mir erlauben Ihnen sofort nach meiner Entrevue mit Rist zu schreiben. Innigst Ihre getreueste Berta



[GK an BZ, MS] Wien, am 5. November 1935. Verehrte Freundin! Dass Sie mir wegen Rist nichts schreiben, beunruhigt mich. War es eine Enttäuschung? Bitte schreiben Sie. Machen Sie sich aber mit dem Briefschreiben ja keine Mühe. Nur ganz kurz, was mit Rist los war, da ich dies ja wissen muß, wenn ich mit ihm korrespondiere. Herzlichst Ihr treu ergebener P. S. Hat Ihnen Fritz berichtet, dass ich einen Witrofsky-Wechsel von S 300.– eingelöst und dadurch bis 1. Mai 1936 Ruhe erlangt habe? Mme. Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme. Maria Deutsch 10, rue de la Ferme Neuilly-sur-Seine Paris {cop. Mahler 5.XI.35. aufgegeb. 5.XI.35 Rf [Rosa Friedler] }



[BZ an GK, MS] {8.XI.35} Ich wohne wieder Avenue d’Eylau. Paris den 6. N.[ovember 1935] Geliebter Freund! Endlich waren die Rist (er und sie) gestern bei mir. Von sechs bis sieben Uhr. Als er eintrat waren seine ersten Worte: „Ich bin jetzt Tag und Nacht mit unserem Freund Kunwald beschäftigt. Aber bitte schreiben Sie

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ihm sofort dass ich eben die letzte Hand an meinen Artikel über sein Buch185 gelegt habe. Ich bin fertig. Nur soll er sich vor Augen halten dass ich eine Eigenschaft besitze, die wie er mir sagte auch er im höchsten Grad besitzt. Nämlich dass ich derart „consciencieux“186 bin dass ich mindestens viermal die Korrekturen immer wieder durchgehe. Also wird es noch eine kleine Weile dauern bis in meiner Revue187 (die die beste ökonomische Revue in Frankreich ist) endlich die Kritik über dieses fabelhafte Werk erscheint. Mittlerweile hat ein Neffe von mir, der Engländer ist, ein Buch über Finanzfragen geschrieben das in London herauskommt. Ich habe die Vorrede geschrieben und Gelegenheit genommen darin von Kunwald’s epochenmachenden Werk zu sprechen“. Es dauerte eine Weile bis dann Rist der mit meiner Schwester Politik sprach mir leise sagte: „Kunwald’s Brief über Sie hat mich erschüttert. Ich stehe Ihnen mit aller Kraft zur Verfügung. Nur müssen wir in einer zweiten Zusammenkunft bei mir über die Wege beraten die am besten einzuschlagen wären. Erzählen Sie mir Einiges von sich, von Ihren Kindern. Vielleicht kann ich daraus etwas kombinieren.“ Nun habe ich dann zufälligerweise erzählt, wie ich durch meine Liebe für Painlevé eigentlich schuld war dass Dr. Gerson in Paris ein Sanatorium erhalten hat und uns verließ. Erzählte dass Gerson von Finaly sehr unterstützt und geschätzt wird und dass Finaly voriges Jahr die Kinder seines Generaldirektors Atthalin die tuberkulös waren, nach Westend zu Gerson geschickt hatte. „C’est enormement interessant pour moi ce que vous raccontez la!“ rief Rist aus. „Et justment en ce qui vous concerne. Je vois la le chemir qui peut mener a ce que la Banque des Pays Centreaux me donne pour vous la somme necessaire. Parceque si je dis a Finaly que vous avez tant fait pour Painlevé qui est le seul homme que Finaly a jamais admiré, je crois qu’il ne me refusera pas son concour.“188 Und dann vertraute er mir an dass Anfang Januar Finaly an Stelle des verstorbenen Cambon President der Banque des Pays Centreaux werden wird, und er (Rist) wird Vizepräsident. Deshalb bat mich Rist ihm offen zu sagen, ob ich bis Anfang Januar warten kann, weil er dann viel leichteres Spiel hat. Selbstverständlich (obwohl ich absolut nicht weiß wie ich den Dezember durchhalten soll) erwiderte ich dass ich ihn nicht pressieren will und ihm ganz überlasse was seine Güte für mich beschließen wird. Rist sagte dass er jeden-

185 Das Leben der Erwartungs- und Kreditwirtschaft. Die Publikation fand 1935 und 1936 internationales Interesse. 186 „gewissenhaft“. 187 Vgl. dazu Revue d’ économie politique, November-Dezember 1935, 49. Jahrgang, Nummer 6 liegt in ÖStA, Bestand GK, 616-1-1720. 188 „Was Sie da erzählen, ist für mich äußerst interessant (rief Rist aus). Und gerade, was Sie betrifft. Ich sehe da den Weg, der dazu führen kann, dass die Zentraleuropäische Länderbank mir für Sie den notwendigen Betrag gibt. Wenn ich nämlich Finaly sage, dass Sie so viel für Painlevé getan haben, der der einzige Mann ist, den Finaly je bewundert hat, glaube ich, dass er mir seine Hilfe nicht verweigern wird.“

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falls auch Direktor Pollak schreiben wird. Obwohl (wie er ironisch hinzufügte) Van Hengel wohl gar nichts für kulturelle Erwägungen und Belohnungen übrig hat. Eine Kokotte unterstützt er lieber. Also verdanke ich Ihnen geliebter Freund wieder einen Hoffnungsschimmer. Denn (falls Rist gesund bleibt) so weiß ich er wird irgendetwas für mich zu Stande bringen. Nur will er dass ich ihm nächste Woche in Versailles besuche und ihm doch noch einen Vorschlag machen soll unter welcher Form er am besten die Sache einfädeln soll. Er meint: vielleicht dass er um eine Art Darlehen bitten möchte, das mir unverzinslich gewährt werden soll. Und dass ich dafür auf gewisse Einnahmen hinweisen sollte als Deckung, ohne jedoch dass von einer baldigen Rückzahlung die Rede wäre. Darf ich nochmals um Ihren Rat in dieser Beziehung bitten ehe ich zu Rist nächste Woche gehe? Paul dem ich von dem Enthusiasmus erzählte den Rist für Ihr Buch äußert läßt Ihnen sagen dass er weiß, er (Paul) wäre einer der Wenigen die das Buch verstehen würden. Und dass er sich freut aus der Kritik von Rist wenigstens vorläufig das meritorische zu erfahren. Bis dann Ihr Buch übersetzt sein wird. Fritz hat mir gestern gesagt Sie hätten ihm wegen Witrofsky geschrieben. In seiner ungenauen Art fügte er hinzu es müsse jetzt etwas gezahlt werden. Hat es Zeit bis mir Rist das Geld verschafft? Dann zahle ich natürlich sofort. Augenblicklich aber könnte ich nicht. Fritz ist sehr brav und enorm fleißig was Paul auch anerkennt. Aber er verdient noch zu wenig um überhaupt an eine Abzahlung denken zu können. Auch der armen Trude kann er kaum etwas geben. Nur hat sich Fritz hier wirklich bereits enorme Verbindungen in Ärztekreisen gemacht und wenn alles halbwegs ruhig hier bliebe wäre ein Erfolg in einem Jahr nicht ausgeschlossen. So lange wird es dauern….. Ich umarme Sie und danke Ihnen von ganzem treuesten Herzen. Ihre Sie liebende Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {15.11.35} Mittwoch den 13. November. [1935] Liebster guter Freund! Mir ist ja keine Freude mehr beschieden. Als ich gestern Ihre Stimme hörte nach der ich mich so gesehnt hatte, da war diese Freude da. Aber wie zerstörte sie sich sofort weil Sie mir wegen Fritzl alles sagen mussten. Mein armer unglücklicher Bub, der durch irgendwelche unselige Hemmungen immer wieder das herrliche Geschenk ihrer Freundschaft sich verscherzt. Fritz behauptet dass ich ihn mißverstanden habe, und dass er mir gesagt hätte: „Dr. Kunwald hat etwas für mich gezahlt“. Ich aber verstand: „Es muß gezahlt werden“. Und daher schrieb ich Ihnen, ich könnte erst nach der Rist-Intervention zahlen. Es mag sein dass Fritz recht hat. Ich bin ja hier so unglücklich, so mit meinen Nerven zu Ende, so verändert und hoffnungslos geworden dass ich wirklich nicht mehr voll zu nehmen bin.

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Warum Fritz Ihnen nicht gleich gedankt hat, obwohl ich weiß wie in seinem Herzen er ergeben und dankbar ist? Ach, ich muß Ihnen allein sagen was auch der Grund meiner Verzweiflung hier ist. Fritz ist durch die Schrecknisse die er durchzumachen hatte, und vor allem durch das schwer überanstrengte Leben das er führt um sich den Schatten einer Existenz zu schaffen zu meinem Entsetzen so taub geworden dass er nur mehr ganz aus der Nähe hört. Als ich (als Mutter) dies gleich als er mich auf der Bahn abholte bemerkte, da erstarrte etwas in mir. Denn die Worte des Professor Alexander, der 20 Jahre hindurch Fritz behandelt und väterlich ihn gepflegt hatte kamen mir in Erinnerung: „Für Fritz wird sich das Schicksal gegen seinem 40. Jahr entscheiden. Ich hoffe dass, dem Verlauf nach zu schließen, ein Stillstand der Verkalkung eintreten wird. Dann behält er sein Gehör wenigstens so wie es jetzt (vor sechs Jahren) ist. Aber sorgen Sie dafür dass Fritz immer das ruhigste Leben führt. Vor allem darf er sich körperlich nicht überanstrengen und soll wenig genötigt sein sein Gehör anstrengen zu müssen. Denn dies würde unfehlbar zu einer argen Verschlimmerung führen“. Gerade das Gegenteil aber hat das Schicksal das Fritz zum Teil selbst verschuldet hat verfügt. Durch diese Übersiedlung nach Paris, durch die so andere Lebensweise dass der Arme fern von seiner Frau, seiner Mutter die ihm den Verkehr mit Menschen so sehr erleichtert hatten (ohne dass er es bemerkte) vor allem aber durch die namenlose Hetze des Pariser Betriebes, und durch die äußerste Anstrengung die seine Situation hier erfordert (es geht ja ums Leben) sind alle diese Befürchtungen Alexanders wahr geworden. Fritz verdient nicht genug um im Laboratorium wo er einen Platz gemietet hat einen Laufburschen zu halten. Er muß also die zu analysierenden Substanzen selbst holen bei den Patienten und dann die Analyse selbst hintragen. Er muß täglich zu Gerson nach Ville d’Avray fahren um dort seine Arbeit zu machen. Er muß damit Gerson ihm alle Analysen gibt für diesen wissenschaftliche Arbeiten machen. Übrigens ist Fritz dadurch auf die Idee gekommen anderen Ärzten die seine publizierten Arbeiten189 interessieren vorzuschlagen dass er Probleme die sie ihm stellen würden bearbeiten wird wenn sie ihm dagegen ihre Analysen geben. Das scheint ein wirklich guter Weg zu sein. Denn bereits haben sich ein paar namhafte Ärzte gemeldet. Aber wie schwer ist das, wissenschaftlich zu arbeiten und gleichzeitig Analysen zu liefern und Laufbursche zu sein. Kurz Fritz sieht oft elend aus, und der Verkehr mit so vielen Menschen in einer fremden Sprache hat die Gehörnerven die bei ihm so krank sind vollkommen ruiniert. Was das in Zukunft werden soll, daran denke ich mit Schaudern. Wenn ich nicht mehr sein werde, wer wird mit meinem armen Kind Mitleid haben? Denn die Ehe mit der so edlen Truderl ist ja auch durch diese lange Trennung einer harten Prüfung ausgesetzt. So ist Fritz vielleicht nicht so schuldig als es aussieht wenn man dieses Unglück das ihn tausendmal schwerfälliger, zerstreuter, und lebensfremder macht in 189 Diese Arbeiten konnten nicht eruiert werden.

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Betracht zieht. Einen Blinden bedauert man tief, einen Tauben lacht man aus. Oft habe ich dies mit Schmerz gefühlt. Und doch: Ein Unglück ist so groß wie das Andere. Sehen Sie lieber Freund, zu Niemanden könnte ich über diese tiefste Wunde meines armen Herzens sprechen als mit Ihnen. Und dass ich es gerade heute wage, nach unserem gestrigen Gespräch? Weil ich Ihre unerschöpflich herrliche Menschlichkeit kenne, und weiß Sie werden meinem Fritzl auch diesmal verzeihen wenn Sie jetzt wissen was ihm hier für ein tragisches Los ereilt hat. Dass er verwirrt ist, dass er mit äußerster Anstrengung gerade nur im Sattel sich zu halten vermag. Dass er ein armer, armer Mensch ist! Das genügt: Sie werden ihm verzeihen. Es brennt mir auf der Seele dass Sie der so hart kämpft nun für mich diese 350 Sch. wieder gezahlt haben. Wie kommen Sie dazu, weil ich als Mutter meinen Sohn schonen wollte, diese Opfer zu bringen? Wie habe ich überhaupt diese große Liebe verdient die Sie mir schenken? Ich weiß nur: Wenn Emil wissen könnte dass ich, die er so geliebt hat, von Ihnen beschützt werde wie nur er mich noch beschützt hätte ….. er würde Sie segnen. Falls Rist wirklich für mich mit Erfolg eintreten wird dann kann ich Ihnen schon im Januar diese und die anderen Summen die Sie für mich ausgelegt haben ersetzen. Möge Rist nur gesund bleiben und alles was er sich erwartet auch eintreffen. Jedenfalls ist er vollkommen sicher Vizepräsident zu werden unter der Präsidentschaft von Finaly. Er hätte mir sonst nicht gesagt: „Je vous confie que je vais être Vicepresident et Finaly President.“190 und hätte mir nicht vorgeschlagen dieses Ereignis das längstens Mitte Januar vor sich geht, abzuwarten. Übrigens habe ich besonders Madame Rist gleich einen großen Gefallen erweisen können. Indem ich auf ihre Bitte ihren Sohn der ja leider tuberkulös ist sofort mit Gerson zusammenbringe. Sonntag wird diese Fühlungnahme die Madame Rist zu beglücken scheint stattfinden. Rist aber will auch dass sein Sohn der im Institut Pasteur arbeitet mit Fritz gemeinsam arbeiten soll da dieser Fritz seine Arbeiten kennt und schätzt. Und Rist erbot sich (ohne dass ich jemals daran gedacht hätte ihn darum zu bitten) Fritz gleich die „Carte de Travail“191 zu verschaffen, die sonst hier jetzt unerreichbar ist. „Je le ferrai de suite“192 sagte er. Dies ist Paul Clemenceau sehr erwünscht der immer fürchtet die Behörden könnten falls ein übelwollender Arzt Fritz anzeigen würde, unangenehm werden. Deshalb hat Paul auch auf Rat des Direktors Schrumpf den er gebeten hat Fritz genau zu überwachen und zu leiten jetzt unternommen eine kleine (rein fiktive) Aktiengesellschaft zu gründen (Paul hat zu diesem Zweck die nötigen fünfzehnhundert Fr. geborgt). So dass Fritz dann intangibel sein wird. 190 „Ich vertraue Ihnen an, dass ich Vizepräsident und Finaly Präsident wird.“ 191 „Arbeitsgenehmigung“. 192 „Ich werde es jetzt tun.“

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Paul ist sehr düster, weil er durch Italien tatsächlich einen großen Teil seines Einkommens verliert. Er hat Sofie tausend Fr. monatlich abgezogen und gönnt sich nicht einmal wenn es regnet ein Taxi zu nehmen. Dass er uns anders helfen würde als durch seine wirklich sehr aktive Sorge Fritz hier die Wege zu ebnen und ihn vor neuen Dummheiten zu bewahren ist ausgeschlossen. Aber man muß ihm schon für dieses aktive Interesse dankbar sein. Vielleicht werden Sie diese Zeilen gar nicht lesen weil sie so taktlos lang und aufdringlich sind. Sie haben Besseres zu tun als sich auch noch, wenn ich Ihnen nicht persönlich Ihre Zeit stehle, mit meinen schriftlichen Bekenntnissen zu befassen. Aber ich, ich glaube dass ich im großen Fauteuil sitze, vor mir die Aschenschale mit den allzuvielen Zigarrenresten, und vis-a-vis Sie! Grimmig, gütig, geduldig, und auffahrend, böse mit mir, dann gleich wieder ein Heiliger der mir schwerste Last mit zartester Hand von meinem armen Herzen nimmt. Und nur daran denkend mag ich weiter leben und leiden. Berta



[BZ an GK, MS] {20.11.35} Montag den 18. November. [1935] Verehrter Freund! Gestern Nachmittag verbrachte ich mit Fritz bei Rist in Versailles. Rist wollte dass sein Sohn mit Fritz bekannt wird weil ihn dieser morgen bei Gerson einführen soll. Und weil Rist noch einmal mit mir gründlich die Angelegenheit meiner finanziellen Rettung besprechen wollte. Wir blieben eine halbe Stunde allein. Rist aber (diesen Eindruck hatte ich sofort) war ängstlicher, war unsicher geworden. Der schöne Elan, den er das erste Mal gezeigt hatte, ist vielen Bedenken gewichen. Vor allem hat Rist, ohne mir dafür den Grund anzugeben, seine Taktik geändert. Er hatte doch gesagt dass er lieber warten wird bis er im Januar VizePresident wird. Und ich habe ihm lebhaft zugestimmt da dies meine Chancen doch mächtig erhöhte. Nun teilte mir Rist mit dass er es sich überlegt hätte und er bereits diese Woche sowohl mit Finaly als auch mit Reuter reden will. Und da eben kam das für mich höchst Bedenkliche heraus. Nämlich dass wie Rist sagt es ohne Reuter absolut nicht gehen wird. „Finaly (sagte Rist) adore Reuter. Vouz ne pouver imaginer qu’el empire Reuter a maintenant sur lui. Tout ce que Reuter lui propose est accepté d’avance. Nous ne pouvons executer ce que notre ami Kunwald m’a demande sans nous assurer avant tout Reuter“.193

193 „Finaly (sagte Rist) himmelt Reuter an. Sie können sich nicht vorstellen, welchen Einfluss Reuter jetzt auf ihn hat. Alles, was Reuter ihm vorschlägt, ist von vornherein akzeptiert. Wir können nicht ausführen, worum unser Freund Kunwald mich gebeten hat, ohne uns vorher vor allem Reuters sicher zu sein.“

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Nun hat Reuter wie Sie ja wissen Fritz vor Jahren einen Kredit von 5000 Sch. durch die Wiener Länderbank geben lassen. Bis jetzt hat Fritz stets wenigstens die Zinsen zahlen können. Aber seit einem halben Jahr auch diese nicht und die Länderbank ist wütend. Daher ich leider fürchte dass dieser Umstand der ja Rist unbekannt ist (ich wußte nicht ob ich es ihm sagen soll) auf Reuter wenig stimulierend einwirken dürfte. Ich erwiderte nur Rist, dass mir Reuter zwar nicht schlecht gesinnt ist, aber da er ein sehr kühler und sehr harter Mensch ist ich fürchten muß durch Reuter nichts zu erreichen. Allerdings antwortet mir Rist darauf: „Mais en tout cas je parlerai a Finaly. Seulement il faut se dire que Finaly est un homme que depend entierement de ses caprices. Il y a des moments ou on peut avoir da lui ce qu’on veut. Mais souvent il dit ‘Non’ sans qu’on sache pourquoi. Naturellement je dirrai qui vous etes et comme vous avez ete la meillure amie de Painlevé. Je dirrai ce que vous avez fait toujours comme amie de la France. Si Finaly me dirra alors un seul mot; ‘Occupez vous de cela’ alors Reuter marchera de suite. Mais si je n’arrive pas a interesser Finaly je ne sais que faire“.194 Worauf ich ihm sagte dass ich es eben gedacht habe wir warten bis er, Rist Vizepresident ist so dass er dann die Macht hat allein zu handeln. „Oh, cela ne changerai rien. Je ne connais pas du tout les usances de la Länderbank. Je ne sais si nous ne demandon pas quelque chose de tout a fait inusiter pour cette Banque. Don c je peut maintenant faire la meme chose que plus tard. Simple ment dire a Finaly et a Reuter que c’est un service personel que je leur demande“.195 Nun aber frug er mich wieder nach den Sicherheiten die er für mich anbieten könnte. Ich erwiderte wörtlich was Sie mir vorgeschrieben hatten. Dass ich meine deutschen Tantiemenrechte verpfänden will. Aber Rist findet dies scheinbar ungenügend. Weil er mir einwendete, dass erstens dieses Geld nicht herauszubringen ist, und dann dass ich näher angeben müßte wie viele Stücke ich die nächste Zeit in Deutschland haben werde. Worauf ich, die ich doch nicht lügen durfte, antwortete: „Dies hängt absolut von der politischen Lage ab. Falls die Unterhandlungen die die französische Regierung jetzt mit Deutschland führt günstig enden so dürften in sechs Monaten etwa wieder französische Stücke in Berlin gespielt werden und dann habe ich Aussicht auf guten Verdienst. Falls aber die Situation sich nicht bessert habe ich vorerst nur das jetzt an vielen deutschen Bühnen gespielte Stück 194 „Ich werde aber auf jeden Fall mit Finaly sprechen. Man muss sich nun aber eingestehen, dass Finaly ein Mann ist, der völlig von seinen Launen abhängt. Es gibt Momente, wo man von ihm alles, was man will, bekommen kann. Oft aber sagt er ‚nein‘, ohne dass man weiß, warum. Ich werde natürlich sagen, wer Sie sind, und dass Sie die beste Freundin von Painlevé waren. Ich werde auch sagen, was Sie immer alles als Freundin Frankreichs getan haben. Wenn Finaly nur sagt, ‚kümmern Sie sich um die Angelegenheit‘, so spurt Reuter sofort. Wenn es mir aber nicht gelingt, Finaly zu interessieren, weiß ich nicht, was tun.“ 195 „Oh, das würde nichts ändern. Ich habe keine Ahnung von den Usancen der Länderbank. Ich weiß nicht, ob wir nicht etwas verlangen, was bei dieser Bank völlig unüblich ist. Also kann ich jetzt dasselbe tun wie später. Einfach Finaly und Reuter sagen, dass es sich um einen persönlichen Gefallen handelt, um den ich bitte.“

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„Towarisch“. Das allerdings, obwohl ich nur kaum ein halbes Perzent erhalte doch mir im Lauf des Winters ungefähr 3000 Sch. bringen kann“. (Ich werde Rist noch heute eine Bestätigung meines Vertrages „Towarisch“ den ich mit einem hiesigen Theaterverlag geschlossen hatte bringen.)196 Kurz und gut. Rist ist unsicher geworden. Und ich fürchte sehr mit Recht. Was die Kreditanstalt betrifft so will er ebenfalls diese Woche noch an Pollak schreiben. Verlangt aber dass ich dann ebenfalls Pollak (den ich gar nicht kenne) schreiben muß. Rist meint dass es gar nichts zu sagen hat dass Fritz dort mit einer Schuld hängt. Aber dass man ja nicht mit Van Hengel meinetwegen sprechen darf, sondern nur mit Pollak. Geht es gerade jetzt (sagte er) der Kreditanstalt gut, so dürfte etwas zu bekommen sein. Das hängt ganz von der momentanen Situation ab. Als ich gestern dann (es war Sonntag und Sofies Empfangstag) um halb sieben Uhr nach Hause kam, traf ich Reuter und Frau. Reuter dem Sofie gesagt hatte dass ich bei Rist sei stürzte auf mich zu und sagte: „Gewähren Sie mir einige Minuten. ..... Er frug mich sehr aufgeregt, ob und wie Rist über ihn gesprochen hätte. Ich konnte ihm wahrheitsgetreu sagen dass Rist höchst freundschaftlich über ihn mir erzählt hat dass er nur die Vicepresidentschaft angenommen hätte weil Reuter selbst bei ihm war ihn darum zu bitten. Auch erzählte ich Reuter wie Rist mir den Einfluß geschildert hat, den er Reuter auf Finaly übt. Reuter strahlte. Und bat mich dies doch gleich seiner Frau zu erzählen weil er ihr diese große Freude machen möchte. Worauf ich Frau Reuter diese Freude gemacht habe. Aber ich hatte ein verteufelt unangenehmes Gefühl bei dieser Unterredung. Weil Reuter wenn ihm Rist meinetwegen sprechen wird nun denken wird ich hätte ihm das alles nur vorgemacht um ihn in gute Stimmung zu versetzen. Ich leide bei diesem Gedanken. Gerade weil Reuter doch ein höchst unfeiner Mensch ist. Nun mag das Schicksal seinen Lauf nehmen. Das Möglichste, ja das Unmögliche haben Sie geliebter Freund für mich versucht. Wenn Rist diese glänzende Konstellation verpatzt so ist eben wieder nur das Schicksal daran schuld. Mein Schwager Clemenceau aber erzählte mir dass er Reuter gefragt hätte wer President und wer Vizepresident wird. Worauf Reuter als President nicht (wie Rist mir gestern wiederholt hat) Finaly nannte. Sondern den jetzigen Vizepresident, der President wird. Und Rist an dessen Stelle Vizepresident. Rist (sagte Reuter zu Paul) wird aber auch President der Prager Länderbank. (Ich kenne mich daher jetzt wegen Finaly gar nicht aus). So. Jetzt habe ich Ihnen so genau wie möglich die momentane Situation gekennzeichnet. Ich zittere dass Reuter mir alles verdirbt. Und die Entrevue die ich, wie Rist will, mit ihm haben muß, wird wohl ein bitterer Kelch sein.

196 Vgl. dazu die Anmerkung zu dem Brief von GK an Charles Rist vom 6. Oktober 1935.

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Glauben Sie aber nicht dass für Sie diese neuen Stellungen von Rist zu etwas gut sein können? Denn er spricht mit so viel Bewunderung und Liebe von Ihnen. Wenn sich jetzt ein Geschäft präsentieren würde das wäre aussichtsreich! Jetzt will ich Ihnen nur etwas Amüsantes erzählen. Mein geliebter und genialer Enkel unser Emilbub hat gestern im Hietzinger Gymnasium der Fahnenweihe und einem Treueid seiner Klasse beigewohnt. Erzbischof Innitzer hielt eine Rede. Sämtliche Schüler brannten darauf ein Autogramm zu erhaschen. Aber es war streng verboten aus der Reihe zu treten. Mein fescher Bub aber lauerte Innitzer auf als er fortging und faßte sich ein Herz. Innitzer gefiel er so gut dass er ihm sofort ein Autogramm gab. Und er frug nach seinem Namen. Als er hörte dass Emil mein Enkel ist, freute er sich und trug ihm die herzlichsten Grüße an mich auf. Die Lehrer, der Direktor alle Schüler waren paff. Es ist echt österreichisch dass in dieser Zeit der einzige Schüler der ein Autogramm des Erzbischofs erhielt, ein Jude ist und was noch viel ärger sogar konfessionslos. Nun aber schließe ich den allzulangen Brief. Und werde Ihnen wohl noch diese Woche Kunde geben von meinem Schicksal. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 21. November 1935. Verehrte Freundin! Wenn Sie nur Ihren schrecklichen Pessimismus los werden könnten! Sehen Sie denn nicht, dass wirklich die Nachricht, dass Rist Vizepräsident der Länderbank werden soll, eine ganz besonders günstige ist? Das muß ja nicht jetzt gleich Früchte tragen. Aber wenn wir beim lieben Gott einen Wunschzettel einzureichen gehabt hätten, so hätten wir uns nichts Gescheiteres aussuchen können, als dass dieser liebe gute, sowohl Ihnen wie mir wirklich freundlich gesinnte Mann endlich in eine Position kommt, in der er uns beiden nicht nur nützen will, sondern auch nützen kann. Was ihm zu tun möglich sein wird, kann ich ja nicht wissen. Vielleicht nicht das, worum ich gebeten habe, aber vielleicht viel Besseres. Weiß Gott, wenn Rist schon Vizepräsident wäre, so führe ich eigens deshalb nach Paris, um aus seiner Vizepräsidentschaft für uns alle etwas zu machen. Sagen Sie ihm bitte von mir, dass ich es nicht wage, ihm schon heute zu gratulieren, so gerne ich dies täte. Das Neue Wiener Tagblatt hat eine Nachricht gebracht, dass Rist Präsident der Länderbank wird. Das sagen Sie ihm nicht. Denn vielleicht ist es wahr und er spricht vorläufig nur von der Vizepräsidentschaft. Das wäre natürlich ein unerhörtes Glück. Reden Sie aber nichts von dieser Zeitungsmeldung; denn wenn sie nicht wahr ist, ärgert er sich darüber. Sagen Sie ihm nur, dass Sie mir von seiner bevorstehenden Vizepräsidentschaft gesprochen haben, dass ich darüber eine ungeheure Freude habe, dass ich aber nicht gratulieren möchte, bevor die Nachricht offiziell ist.

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Bei dieser Gelegenheit suchen Sie bitte herauszubringen, wie weit es wirklich mit seiner Besprechung meines Buches in seiner Revue197 steht. Natürlich nicht sekkieren und nicht lästig werden. Nur ihm Ihre Überzeugung sagen, wie sehr mich seine Würdigung freut, und dann warten, ob er einen Zeitpunkt (der natürlich nicht eingehalten wird) angibt und dabei erzählt, wie weit die Sache hält. Ich glaube, dass Sie sich auch wegen Fritz’ Schwerhörigkeit zu düstere Gedanken machen. Tun Sie das doch nicht. Das drückt Sie und wenn man gedrückt ist, kann man nur die Hälfte leisten. Es ist sowohl möglich, dass diese Verschlimmerung nur eine vorübergehende ist als auch, dass diese Verschlimmerung ökonomisch für ihn eine Wendung zum Besseren bedeutet, weil sich Paul vielleicht seiner dann mehr annimmt. Dass Paul Clémenceau jetzt schwere Zeiten hat, ist sicher. Seine Firma in Italien hat gewiß dreimal so viel Gewinn als früher durch die Rüstungsausgaben. Aber er kann die Gewinne aus Italien nicht herausbekommen. Ach, hätten wir keine anderen Sorgen als die Sorgen eines reichen Mannes! Nicht wahr? Also vor allem: tragen Sie Ihr liebes Köpfchen etwas höher! Sicherlich: wer den Kopf zu hoch trägt, bekommt die dazu gehörige Tachtel198 vom nächsten Türpfosten. Aber wer ihn zu niedrig trägt, sieht den Türpfosten auch nicht und wird auch nicht verschont. Gradaus sehen, fröhlich sein und sich nur über das kränken, was schon geschieht. Wenn man daran festhält, sieht man, dass es gar nicht viel ist. In Treue und Herzlichkeit Ihr ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme. Marie Deutsch 10 Rue de le Ferme Neuilly-sur-Seine Paris {cop. Mahler 21.XI.35 aufgeg. Rfr. [Rosa Friedler] 21.XI.35}



[BZ an GK, MS] {27.11.35} Montag den 25. November. [1935] 12, Avenue d’Eylau. Mein geliebter, verehrter, bester Freund! Wissen Sie auch was Sie mir sind? Wissen Sie dass wenn ich noch lebe es allein durch Ihre Güte und Liebe möglich ist? Vielleicht hätte ich sonst den mutlosen Mut gefunden aus dieser Welt zu scheiden. (Das ist keine Phrase) 197 Siehe dazu den Brief von BZ an GK vom 8. November 1935. 198 Tachtel ist ein Wiener Dialektausdruck für Ohrfeige.

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Ich will es Ihretwegen versuchen meinen Hang alles war für mich Gutes bedeuten mag zu bezweifeln, einzudämmen. Es fällt mir schwer. Denn tief in mir wohnt meines Vaters199 Seele. Und dieser hat mit unerbitterlicher Fernsicht immer mir noch im Glück sein trauriges Schicksal geweissagt. Es war seltsam dass er stets als Optimist gehandelt hat, und trotzdem als Pessimist empfand. Es ist teilweise richtig was Sie im Tagblatt lasen. Rist ist Präsident der Prager Filiale der Länderbank geworden. Aber nicht Präsident überhaupt. Rist sagte mir dass Finaly Präsident wird. Reuter aber sagt dass der jetzige Vicepräsident, dessen Stelle Rist einnehmen wird, zum Präsidenten, das heißt zu Cambon’s Nachfolger, bestimmt ist. Diesen Widerspruch zwischen Rist und Reuter vermag ich mir nicht zu erklären. Gewiß ist nur (insoferne auf dieser Welt etwas gewiß ist) dass Rist Vicepräsident der hiesigen Bank wird. Reuter den ich vorgestern bei einer Soiree traf hat es mir wieder gesagt. Übrigens ist Reuter zu mir von einer unglaublichen Zärtlichkeit. Was mir beweist dass Rist noch nicht mit ihm gesprochen hat. Aber doch wieder in einem gewissen Sinn. Denn Reuter rief vorgestern bei der Soiree den Generalkonsul Schnabel herbei und erzählte ihm auf mich weisend: „Wissen Sie dass Professor Rist in unsere Freundin Zuckerkandl sterblich verliebt ist? Gestern war er eine Stunde bei mir und hat von nichts anderen gesprochen als wie herrlich diese Frau ist und wie er ihr ergeben ist“. Und schelmisch (wie wenn ein Elefant schelmisch sein würde) fügte er hinzu: „In Paris fängt man schon an darüber sehr sonderbare Bemerkungen zu machen“. …… Ich sehe also dass Rist vorläufig als ausgezeichneter Diplomat anfängt Stimmung für seine mich betreffende Rettungsaktion zu machen. Rist selbst aber habe ich seit vorigen Sonntag, also über acht Tage nicht gesehen. Als ich aber vor acht Tagen bei ihm war, sagte er mir dass seine Besprechung über ihr Buch in der nächsten Nummer bereits kommen soll. (Ich weiß nun nicht ob diese Wochenschrift vierzehntägig oder monatlich erscheint). Ich dürfte Rist (falls er sich nicht früher meldet) erst wieder nächste Woche anrufen, weil ich ihn nicht zu sehr bedrängen möchte. Aber sowie ich ihn sehe, stelle ich ihm sehr taktvoll die Frage, die Sie interessiert. Ach, mein Fritzl wird wohl nie mehr besser hören. Es ist deshalb für ihn hier so schwer, weil er dreifach soviel Kraft braucht um mit den Menschen zu verkehren als ein normaler Mensch. Trotzdem staune ich wie viel Beziehungen er sich bereits geschaffen hat. Wäre der ungeheure Fremdenhaß der jetzt in Paris merkbar ist nicht, so könnte man auf viel hoffen. Aber ob dies nicht alles verhindern wird muß erst abgewartet werden. Paul wird keinesfalls für Fritz

199 Vgl. zum Vater von BZ: Nathalie Beer, Das Leben und Wirken des Journalisten Moriz Szeps (1834 – 1902) – Ein Beitrag zur Geschichte des Wiener Judentums im 19. Jahrhundert, Masterarbeit, Wien 2013

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mehr tun als dass er ihm in gewissen Organisationsfragen hilft. Er weiß doch in welcher Armut Trude lebt, und dass der Bub den er so zu lieben vorgibt sein Musikstudium wird aufgeben müssen weil der Klavierlehrer nicht gezahlt werden kann. Und trotzdem würde er diese 200 Fr. nicht hergeben. Sie haben so recht. Die Sorgen eines reichen Mannes sind wohl lachbar. Aber diese Sorgen bedingen unser aller Leben, diese Sorgen sind es die der Politik, die dem Weltgeschehen ihren Stempel aufprägen. Wenn Sie, falls Rist, wie es ja vorgesehen ist Anfang Jänner offiziell Vicepräsident und Präsident in Prag wird, dann nach Paris fahren könnten so wäre das eine herrliche Sache. Wie ersehne ich für Sie ebenfalls eine solche Wendung. Trude schreibt mir dass Sie uns wieder einmal gerettet haben. Hunna–Abel! Ich wage es gar nicht mehr Ihnen zu danken. Wir arm ist solch ein „Danke“! Wie reich, was Sie uns geben. Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {9.12.35} Paris den 5. D.[ezember 1935] Verehrter liebster Freund! Ich habe immer aufgeschoben Ihnen zu schreiben bis ich nicht irgend etwas Konkretes zu melden hätte. Aber Rist meldet sich nicht. Weder mündlich noch schriftlich. Und da ich Ihren Rat stets befolge so wollte ich nicht insistieren. Jetzt aber, da meine Abreise sehr nahe rückt (ich denke gegen den sechszehnten Dezember nach Wien zu fahren), kann ich doch nicht länger zögern. Daher ich soeben Madame Rist eine Zeile geschickt habe. Es macht sich ganz natürlich da ich ihr sagen konnte (leider) dass ich eine Woche recht krank war und durch eine Laryngitis arger Art derart stimmlos dass ich auch nicht telephonieren konnte. Nun aber (so schrieb ich) melde ich mich wieder da ich die nächste Woche dazu benützen möchte um meinen Freunden Adieu zu sagen. Und ich frug an, wann ich willkommen wäre. Auch fügte ich hinzu dass Sie in einem Wiener Blatt die Nachricht der Präsidentschaft (Prag) und der Vizepräsidentschaft (Paris) gelesen hätten und mich beauftragen Ihre Freude darüber zu übermitteln. Jetzt warte ich auf Antwort. Hoffentlich ist dieses lange Stillschweigen von Rist der doch zuerst so aktiv und energisch war, nicht ein schlechtes Zeichen. Man muß allerdings in Paris immer auf eine vielfach unterbrochene Handlungsweise rechnen. Alles hier ist intermittent, sprunghaft und unsicher. Das wissen Sie ja aus Erfahrung. Trude schreibt mir dass Sie uns gegenüber ein Schutzengel sind. Die Arme hat viel zu leiden. Fritz habe ich sofort dazu gebracht selbst der Heilmittelstelle zu schreiben. Aber er behauptet einen Herrn Schorr nicht zu kennen und auch

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mit ihm niemals Abmachungen getroffen zu haben.200 Nun weiß man ja leider bei Fritz nie, wie eine Sache wirklich steht. Sonst ist er hier mehr als brav. Er hat es so furchtbar schwer gerade in einer Zeit wo Paris ein für Fremde gefährlicher und undankbarer Boden ist. Wenn nun (unberufen ich klopfe) dennoch einige gute Anzeichen da sind dass außer Gerson auch andere Pariser Ärzte beginnen sich für die neue Art von Analysen die Fritz macht zu interessieren, so hilft dazu auch enorm der große Name den er trägt. Und der merkwürdigerweise in Frankreich genau den selben Klang hat wie in der Heimat. „Vous etes le fils du grand Zuckerkandl? C’est la meilleure introduction“.201 So wird Fritz oft von Ärzten bei welchen er sich vorstellt begrüßt. Außerdem ist Fritz in Verhandlung mit dem großen Verlag Larousse der wahrscheinlich einem Exposé zu Folge das er gemacht hat, ihn beauftragen wird ein Buch über ärztliche Diätetik zu schreiben. Sollte dies zu Stande kommen, dann kann Fritz schön verdienen, da der Verlag Larousse mit sehr großen Auflagen arbeitet.202 Aber wie mühsam ist das alles? Wie oft hat Fritz nicht die zehn Francs in der Tasche um zu essen. Da bin ich dann da und trotz meiner eigenen tiefen Armut bringe ich es immer zu Stande ihm zu helfen. Deshalb fahre ich so schwer fort. Sie können sich nicht denken wie mir diesmal der Abschied das Herz weh macht. Paul hilft in seiner Art. Das heißt dass er dringendst die Gründung der kleinen Aktiengesellschaft betreibt die Fritz dagegen schützen wird dass er eventuell durch Laboratorien die ihm wegen der Konkurrenz aufsässig sind Schwierigkeiten als Fremder haben könnte. Da die Aktiengesellschaft eine rein französische (außer Fritz) sein wird, sagt Paul dass er dann ungehindert offene Propaganda machen kann was er ihm bisher nicht erlaubt hat. Nächste Woche soll das fertig sein. Paul muß dazu 2000 Fr. hergeben. Er hat sehr geseufzt, und hat auch nur leihweise (mit einer späteren Rückzahlung) es getan. Immerhin bin ich ihm dankbar dass er sich überhaupt kümmert. Nun hängt für mich so viel von Rist ab. Ich kehre ja mittellos zurück. Der englische Prozeß soll ausgeglichen werden. Mir wurden meine Spesen der Reise hieher und etwas Aufenthaltsspesen gezahlt. Das ist aber gerade was ich hier brauche und meine Rückreise. Die Leute haben sich sehr schofel benommen. Sehe ich Rist, dann erst werde ich erfahren wann endlich seine Buchbesprechung herauskommt. Falls sie nicht etwa bereits erschienen und in Ihren Händen ist. Also, falls nichts dazwischen kommen sollte, hoffe ich bald wieder bei Ihnen zu sein. Bei meinem liebsten, besten, herrlichen Freund. Berta Zuckerkandl-Szeps

 200 In dem Bestand Gottfried Kunwald konnte dazu nichts eruiert werden. 201 „Sie sind der Sohn des großen Zuckerkandl? Das ist die beste Einführung.“ 202 Das Buchprojekt wurde nicht verwirklicht.

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[BZ an GK, MS] {Berta Z 19.12.35} Dienstag den 17. Dezember.[1935] Verehrter Freund! Ich soll Donnerstag wegfahren. Und wenn ich Ihnen noch knapp vor meiner Rückkunft rasch noch schreibe so ist es weil ich endlich das Datum des Erscheinens von dem Artikel den Rist über Ihr Buch geschrieben hat erfahren konnte. Frau Rist war gestern bei mir um mir Adieu zu sagen. Und hat mir diese Nachricht für Sie gebracht. Leider habe ich Rist nicht mehr gesehen. Er ist derart überbürdet und gehetzt dass es ihm tatsächlich nicht möglich ist mich noch einmal zu sprechen. Ich glaube aber auch dass er mir ungern mitgeteilt hätte was er Frau Rist beauftragt hat mir mitzuteilen. „J’ai a vous faire une commission de mon mari“203 begann sie. Und setzte fort dass Rist der Kreditanstalt (das heißt Direktor Pollak geschrieben hätte) und dass die Antwort nicht sehr tröstlich lautet. Pollak schrieb dass es furchtbar schwer sein wird irgend etwas für mich zu erreichen. Dass er aber Rist verspricht das Möglichste zu versuchen und dass er ihm dann das Resultat sofort schreiben wird. Dies halte ich natürlich für eine höfliche Form der Ablehnung. Was nun die Schritte bei der Länderbank betrifft so sagte mir Frau Rist ihr Mann hätte zwar mit einem Herrn dort bereits gesprochen (den Namen hatte sie vergessen sie glaubt aber es könnte Reuter sein) aber man muß warten bis Finaly zurückkommt. Dieser ist auf unbestimmte Zeit nach Florenz wo seine sehr alte Mutter schwer krank daniederliegt. Also ist dieser Teil der Angelegenheit noch in Schwebe. Ich will nicht wieder unken weil Sie das nicht mögen und es ja auch keinen Sinn hat. Nur ist meine Rückkehr recht düster. Denn ich verlasse Fritz mit blutendem Herzen und finde Trude sehr verzweifelt und am Ende ihrer Kraft wieder. Zwischen diesen beiden armen Menschen stehe ich nun, unfähig zu helfen. Alles Andere erzähle ich Ihnen hoffentlich bald. Ich habe jetzt einen sehr ausgezeichneten direkten Weg zu Caillaux, der mir sagen ließ dass er sich nach wie vor uns für Österreich, falls wir eine konkrete Sache hätten, ganz zur Verfügung stellt. Kommt nichts mehr dazwischen so denke ich Donnerstag mit dem Mittagszug zu fahren und so Gott will (ich klopfe) Freitag Nachmittag in Wien zu sein. Wenn es Ihnen recht ist liege ich Samstag in Ihren Armen. Getreu Berta Zuckerkandl-Szeps

 203 „Ich soll Ihnen eine Botschaft meines Mannes überbringen.“

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[BZ, Bericht zur Übersetzung eines Stückes von Jean Giraudoux, MS] {Zuckerkandl – Dr. Lothar eingel. 14.1.36} Im April 1935 besuchte ich Jean Giraudoux den ich als einen der hervorragend­ sten Geister Frankreich’s verehre. Giraudoux ist mit dem Titel „Minister“ ein hoher Beamter am Quai d’Orsay. Aber er hat seine herrliche Unabhängigkeit als echtester Jünger Briand’s dem er nahe stand bewahrt. So sind seine Romane und seine dramatischen Werke Produkte eines hochstehenden Geistes. Giraudoux hatte mit dem deutschen Verlag Kiepenheuer (Berlin) einen langjährigen Vertrag. Vor dessen Ablauf hatte Kiepenheuer nicht die Option auf das Stück das Giraudoux gerade schrieb. Als Übersetzer fungierte stets ein Herr Faist204 ebenfalls in Berlin. Giraudoux, aber und das wußte ich, wollte diesen nicht mehr beschäftigen. Mein Besuch bei Giraudoux hatte den Zweck diesen zu fragen ob er mich nun betrauen würde. „Ich schreibe (sagte Giraudoux) eben ein seltsames Stück. Es soll die Atmos­ phäre einer Stadt vor dem Ausbruch eines Krieges den Niemand will und der dennoch unausweichlich ist schildern. Als Symbol habe ich den Troyanischen Krieg gewählt. Wenn nun Kiepenheuer seine Option nicht ausüben sollte (nach der im November stattfindenden Uraufführung), so wollen wir uns dann darüber unterhalten“. Ich wohnte Ende Dezember205 der Uraufführung bei und sofort den nächsten Tag begab ich mich in die Société des Auteurs die Giraudoux vertritt. Ich meldete mich als Käufer der juridischen Rechte für deutsche Sprache an. (Das hat nichts mit dem Übersetzungsrecht zu tun.) Ich hatte zwar die dazu nötigen 6000 Fr. nicht. Aber ich wußte dass ich jeder Zeit meinen Vertrag an einen Verleger mit Gewinn werde verkaufen können. Zwei Tage später meldete mir die Société des Auteurs dass Giraudoux sie beauftragt hätte mir falls Kiepenheuer seine Option nicht ausüben sollte die Rechte zu geben. Gleichzeitig sagte er dort dass er mich mit der Übersetzung betrauen würde. Nun hatte ich Einblick in Giraudoux Freundschaftsverhältnis mit Annette Kolb genommen, die auch meine intimste Freundin ist.206 Annette Kolb lebt seit Hitler in Paris, obwohl sie einer uralten Katholischen Familie entstammt. Giraudoux schätzt sie hoch und ist bemüht ihr zur Seite zu stehen. Denn Annette Kolb gehört zu den berühmtesten Schriftstellerinnen dieser Zeit. Ich faßte nun den Plan Annette Kolb als Mitarbeiterin heranzuziehen. Als ich Giraudoux diesen Vorschlag machte, dankte er mir herzlichst. Einige Tage später rief er mich an: „Ich werde in geheimer Mission für einige Wochen verreisen müssen. Begebe mich aber noch heute in die Société des Auteures, um 204 Gemeint ist Hans Feist. 205 Richtiggestellt: „November“. 206 Zum Verhältnis zwischen Berta Zuckerkandl und Annette Kolb vgl. „Neues Wiener Journal“ vom 17. April 1931, S. 7 f.

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dort im Vertrag einsetzen zu lassen dass Sie und Annette Kolb allein autorisiert sind in deutscher Sprache „La Guerre de Troye n’aura pas lieu“ aufführen zu lassen“. Den nächsten Tag bestätigte mir die Société des Auteures von Giraudoux diese Weisungen erhalten zu haben. Der Vertrag wurde dann auch genau in diesem Wortlaut ausgefertigt. Ein mit Stempel versehener und statutenmäßig unanfechtbarer Vertrag. Kiepenheuer hatte die Option nicht ausgeübt und daher trat ich nun in alle Rechte. Schon Wochen vorher hatte ich meinen Verleger Georg Marton dies mitgeteilt. Und er bat mich postwendend ihm meine Rechte auf das Stück zu verkaufen. Er war von mir genauest unterrichtet worden dass ich und Annette Kolb die autorisierten Übersetzer sind. Mit Dr. Wasserbäck hatte ich eine Aktion verabredet dahingehend dass wir in Folge des abschlußreifen Kulturvertrages zwischen Frankreich und Österreich207 versuchen wollten Giraudoux im Burgtheater aufführen zu lassen. Leider mußte das Burgtheater obwohl Direktor Röbbeling mir schrieb wie froh er wäre das Werk aufzuführen aus politischen Gründen (wegen der pazifistischen Tendenz) darauf verzichten. Und nun nahm Direktor Lothar (Theater in der Josefstadt) sofort das Stück an was mir Marton noch nach Paris meldete. Als ich aber nach Wien kam teilte mir Marton etwas verlegen mit dass Lothar in der „Stunde“ angezeigt hätte dass er den Giraudoux angenommen und Raoul Auernheimer mit der Übersetzung betraut habe. Als ich Marton zur Rede stellte behauptete er dass er Lothar rechtzeitig ge­ warnt hätte. Lothar wieder behauptet dass ihm Marton meine Autorisation verschwiegen hätte. Ich bat Dr. Auernheimer zu mir zu kommen (mit dem ich ja stets gut stand), weil ich ihn über den jedem Literaten sofort einleuchtenden Stand der Dinge unterrichten wollte. Zu meinem Erstaunen nahm dieser aber eine unglaubliche Haltung ein. Er sagte er sei von Lothar beauftragt und nur dieser sei ihm kompetent. Wir hatten denselben Abend gemeinsam eine Besprechung bei Lothar die direkt grotesk ausfiel. Da Lothar sich in Reden erging dass Giraudoux kein Recht hätte da dreinzureden. Und dass er übrigens Giraudoux telegraphieren wird dass das Stück nicht von ihm aufgeführt wird wenn er nicht mich und Annette Kolb absetzt. Ich erwiderte Giraudoux sei ein Ehrenmann und seine Unterschrift ihm heilig. Worauf mich die Herren mit mitleidigem Lächeln entließen, fest entschlossen sich nicht weiter um meine Rechte zu kümmern. Da aber Marton inzwischen mir die juridischen Rechte um 6000 Fr. und tausend Fr. für mich abgekauft hatte, so war Marton gezwungen Lothar einen Theatervertrag vorzulegen in welchem besagt ist dass Lothar das Stück nur zur Aufführung erhalten kann wenn er meine und Kolb’s autorisierte Übersetzung spielt. Lothar weigerte sich hierauf diesen Vertrag zu unterschreiben. Erst als er sah dass er nicht anders das Stück in Hände bekommt unterschrieb er. 207 Vgl. dazu die Anmerkung zum Brief vom 27. Februar 1935.

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Aber als mir Marton dies meldete wußte ich sofort dass dies nur eine Komödie ist (in der vielleicht auch der Verleger Marton der doch meine Interessen zu vertreten hat keine ganz reine Rolle spielt. Er hängt ja sehr mit seinen Stücken von Lothar ab). Und ich hatte recht. Vorgestern telephonierte mir Marton verlegen er hätte von Lothar einen unangenehmen Brief erhalten. Dass er (Lothar) unsere Übersetzung nur annehmen könne wenn er diese am 28. Januar in Händen hat. Ich antwortete dass ich fix und fertig bin (ich habe seit 14 Tagen jeden Tag um vier Uhr Früh zu arbeiten begonnen), und dass Annette Kolb bereits meinen ersten Akt und einen Teil des Zweiten (und letzten Aktes) in Händen hat. Annette Kolb der ich gestern telephonierte wird mir am 25. Januar alles abliefern, da sie meine Übersetzung für so gut hält dass nur wenig daran zu machen wäre.208 Ich sprach gestern sowohl mit Direktor Röbbeling vom Burgtheater als auch Direktor Emil Geyer vom Deutschen Volkstheater über diesen Fall. Beide sind geradezu entsetzt. Beide sagen dass Lothar als Direktor gar kein Recht hatte uns eine so eine kurze Frist vorzuschreiben. Und betrachten dies nur als eine Falle die er uns zu legen hoffte. Nun wird er dies ist klar versuchen unsere Übersetzung als nicht spielbar zu refüsieren. Das wird er auf alle Fälle versuchen. Auch an Giraudoux heranzugehen um ihm dies als Grund seiner Haltung einzureden. Jedenfalls kann auch Giraudoux wohl kaum seine vertragliche Unterschrift verleugnen. Und da er sowohl meine Übersetzungen als auch Annette Kolbs wunderbares Niveau kennt (er spricht und liest sehr gut Deutsch)209 so denke ich kaum dass es Lothar etwas nützen wird. Jedenfalls aber möchte ich gerüstet sein. Und genau wissen ob ich und Annette Kolb nachdem wir urheberrechtlich, das heißt vertraglich autorisiert sind, das Recht habe gegebenenfalls die Aufführung in der Josefstadt zu untersagen. Und ob ich, da Georg Marton eine unsichere Haltung anzunehmen scheint, ihn in Folge des von ihm übernommenen Vertrages zwingen kann mit uns gemeinsame Sache zu machen.

 208 Annette Kolb hatte zusammen mit Berta Zuckerkandl im Jänner 1936 den Auftrag zur Übersetzung binnen 13 Tagen bekommen. Sie schrieb an ihren Freund, den Schriftsteller René Schickele, der in die Übersetzung miteinbezogen war, allerdings: „Aber wie sie [Bertha Zuckerkandl] übersetzt! Entre nous, ich bekam Schreikrämpfe.“ Das Übersetzungsprojekt bezeichnete Kolb als „Durchsicht des unsagbaren Augiasstalles.“ Die gemeinsame Übersetzung wurde von Giraudoux autorisiert und das Stück wurde am 6. November 1936 in Wien erstaufgeführt. Zitiert nach Armin Strohmeyr, Annette Kolb, Dichterin zwischen den Völkern, München 2002, S. 201. In der Zeitschrift „Die Bühne“, 1936, Heft 435, S. 31 werden beide als Übersetzerinnen des Stückes „Es kommt nicht zum Krieg“ angegeben. In späteren Editionen scheint nur mehr Annette Kolb auf. Vgl. „Kein Krieg in Troja“ (1936 Fischer-Bermann-Verlag) und „Der trojanische Krieg findet nicht statt“ (1980 Insel-Verlag). 209 Jean Giraudoux hatte in Deutschland klassische Philologie studiert. Lexikon der Weltliteratur, bearbeitet durch Kurt Blaschek, Wien 1955, S. 60.

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[BZ an GK, MS] {Zuck – Lothar 16.1.36} Verehrter Freund! Anbei der Brief meiner lieben Annette Kolb. Sehr decousu210 wie es ihre impressionistische Art ist. Aber doch eine herrliche Nachricht enthaltend. Dass Giraudoux fest zu uns hält. Bin nicht ganz ihrer Ansicht dass man wörtlich übersetzen muß. Im Gegenteil. Das vermeide ich immer, und besonders wenn Sie Giraudoux Stil kennen würden, so dürften Sie meiner Ansicht sein. Nun: eine gemeinsame Arbeit besteht in gemeinsamen Konzessionen. Annette sagt in einem Atem dass ich verschweigen soll dass Giraudoux zurück ist, und sagt doch dass ich Lothar eventuell sagen soll dass sie mit Giraudoux gesprochen hat. Ich werde tun, was Sie mir sagen. So viel Dank dass Sie sich auch da meiner annehmen. Ihre getreue Eben ruft mich Marton an dass ich doch etwas in der Langersache unternehmen muß da er nicht zahlen will. Ich hatte im bereits gleich nachdem Sie mir von Ihrer telephonischen Unterredung mit Direktor Kraus sagten, Marton geschrieben und ihn gebeten die Garantie auf ein Jahr zu verlängern. Da Direktor Kraus Ihnen zugesagt hätte dann zuwarten zu wollen. Marton erwiderte mir dass ihm Kraus jetzt abermals telephoniert hat er müsse formale Zusicherungen haben. Als ich nun Marton jetzt erwiderte dass ich Sie nochmals bitten werde mit Kraus zu sprechen, hat er mit plötzlich kurz erwidert: „Nein, lassen Sie das. Ich werde also die Option verlängern wenn Kraus wirklich dies Dr. Kunwald zugesagt hat“. Ich erlaube mir jedenfalls Ihnen dieses Gespräch mit Marton zu melden.



[Annette Kolb an BZ, 14. Jänner 1936] {Zuck – Lothar 16.1.36} Abschrift eines Briefes in Sachen Giraudoux, geschrieben den 14. Januar 1936 (Annette Kolb hat ihrer Gewohnheit gemäß kein Datum geschrieben jedoch rekonstruiere ich es aus dem Datum des Empfanges) Liebste Berta! Laß Dich nicht in’s Bockshorn jagen. Es fällt Lothar nicht ein auf das Stück zu verzichten. Ich telephonierte an Giraudoux: Er ist schon zurück. Er bot mir an zu kommen, doch gehe ich heute morgen selber hin. Nun bin ich der Meinung Du sagst nichts von seiner Rückkehr, bis Du nicht den ersten Akt einreichtst den ich Dir heute schicke. Ich habe gestern den ganzen Tag daran gearbeitet. Wir müssen viel wörtlicher übersetzen. Dürfen nichts auslassen, haben die Späher die uns aufpassen. Schieb nur alles auf mich wegen des 28. Januar. Es ist eine Infamie. Ich will trotzdem so schnell wie möglich machen und den Termin einhalten. Dies nur Dir gesagt. Es ist aber eine neue Insulte, 210 „zusammenhanglos.“

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uns so jagen zu wollen. Man weiß von meinem langsamen Tempo zu arbeiten. Meinst Du nicht sobald Du den ersten Akt getypt hast solltest Du ihn Lothar einreichen? Dann sieht er dass der zweite Akt nicht mehr lange auf sich warten läßt. Aber ich würde wenn möglich mich doch auf die Hinterfüße stellen, und ihn fragen was ihm denn einfällt, auf einen bestimmten Tag zu pochen. Droh ihm. Sprich mit Deinem Anwalt. Ich halte wie gesagt den Termin ein. Bei einer so schweren Sache kann man aber im Galoppp nicht sein Bestes geben. Er hat kein Recht einen Tag zu bestimmen. Es ist eine Frechheit und Infamie. Es sind doch erst ein paar Wochen her. Es kommt auch die große Distanz Wien-Paris bei der Mitarbeit hinzu. Aber er will nur von Neuem terrorisieren. Voila tout.211 Ich bitte Dich Berta, was glaubst Du dass wir verdienen werden? Da wird er uns neue Foltern ausdenken. Tue nichts ohne Anwalt. Schick mir eine Kopie des ersten Aktes, dass ich ihn Giraudoux gebe. Kein Wort dass er da ist, bevor der erste Akt nicht parat ist. Sei versichert dass ich mein Allermöglichstes tue. In diesem Punkt verlasse Dich auf mich. Sollen wir meine Giraudoux-Glosse dem N. W. Tagblatt schicken? Soll ich sie Dir schicken? Ich bringe sie gerade Giraudoux. Sag Deinem Anwalt dass er da ist. In aller Liebe Deine treue Kampfgenossin Annette. ICH KOMME EBEN VON GIRAUDOUX . Er war nicht erstaunt. Er sagte: „JE RESTERAI FIDEL A MES ENGAGEMENTS“.212 So aber (sagte er noch) seien die Theaterdirektoren immer. In London führten sie bis heute „Amphytrion“ noch nicht auf, weil er auf den Übersetzer bestand, den er gewählt hatte. Sein Rat ist folgender: Du sollst womöglich zwei Abzüge des getypten ersten Aktes mir schicken, der Dir heute zugeht. Von demselben eine Kopie an Lothar. Dann hat er den ersten Akt in der Hand. Er meint auch bis 28. J.[änner] den Zweiten zu fertigen sei eine ungeheuerliche Zumutung. Doch wir werden sehen. Ich übersetze gerne den Fieberthermometer unterm Arm, jedoch muß der Tonfall sitzen. Ich sagte zu Giraudoux: „Mit Auernheimer nehmen wir es noch auf.“ Er war entzückend. Sobald ich von Dir den ersten Akt zurückhabe soll ich ihm gleich telephonieren, und er kommt zu mir. Lothar will von uns eine schlechte Übersetzung, denn Auernheimer hat seine schon fertig. Aber keine Bange!



[GK, Konzept, 20. Jänner 1936, MS] {Hofr. Zuckerk.} Ein großer amerikanischer Verlag hat bei mir angefragt, ob ich Material, Memoiren oder Ähnliches aus Österreich zu einem großen historischen Werk, 211 „Das ist alles.“ 212 „Ich bleibe meinen Engagements treu.“

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das unter Führung eines großen Historikers dort herausgegeben wird, über die letzten Jahre vor der nordamerikanischen Kriegserklärung 1917 zusammenstellen, redigieren und liefern könnte. Das ist für mich natürlich eine sehr große Sache und ich will mich dem mit Begeisterung widmen. Der erste Weg, den ich mache, führt mich zu Ihnen, Exzellenz213. Sie müssen ja unerhörtes Material haben. Aus Ihrem ausgezeichneten Buch sehe ich, dass niemand mir so helfen kann wie Sie. Selbstverständlich würde Ihre Mitarbeit sehr anständig honoriert werden. Man verspricht mir für meine Mitarbeiter einige Tausend Schilling. Meine Redaktions- und Kompilationsarbeit wird natürlich besonders honoriert. Am besten wäre es, wenn Sie mit mir und dem Vertreter des amerikanischen Professors, der hoffentlich in einigen Tagen nach Wien kommt, das Material selbst durchsehen könnten, was davon brauchbar ist und was nicht. {cop. H.[ammelrath] 20.1.36 Frau Hofrätin Zuckerkandl durch DK [Dr.Kunwald] übergeben 20.1.36}



[BZ an Mrs. Stallforth, MS] Liebe Jolly! Sie haben keine Ahnung, wieviel Mühe ich mir gegeben habe, eine Ledertasche für Sie so zu finden, wie sie Ihr Mann haben will. Ich habe im VI. Bezirk eine ähnliche gefunden. Sie ist blau; könnte Ihnen das passen? Es ist ein sehr nettes Blau. Auch eine rote Tasche wäre da. Beide Taschen sind freilich nicht ganz so, wie Ihr Mann sie mir beschrieben hat. Aber ich finde die rote Tasche besonders hübsch; und jedenfalls sind beide Taschen unbedingt ansehenswert. Wann kommen Sie nach Wien? Ich sehne mich schon sehr nach Ihnen und wir können dann hier viele interessante kunstgewerbliche Gegenstände ansehen, deren hier ja ein enormer Überfluß ist. Herzlichst Ihre Berta m. p. {Mrs. F. Stallforth, Berlin Hotel Bristol cop. Mahler 21.I.36 aufgeg. Deutsch}

 213 Dabei könnte es sich um Josef Redlich, dem besten Kenner der Materie, handeln, doch finden sich in den Bestand GK keine Hinweise. Kontakte lassen sich in den Materialien zu mindestens zwei „Exzellenzen“ nachweisen: zu Georg Franckenstein (616-1-1151) und zu Friedrich Wiesner (616-1-519).

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[BZ an Mrs. Stallforth, MS] {Hofr. Zuckerk.} Liebe Jolly! Sie fragen mich, wieviel hier eine solche antike Tasche kostet, wie sie Ihr Mann gesehen hat. Leider bin ich damit noch überfragt. Sie wissen ja, mit solchen Antiquaren muß man immer handeln und zwar mit dem Geld in der Hand. Oft nützt ein im richtigen Moment richtig vorgebrachtes ­Sittensprüchlein oder Bibelwort, aber nur, wenn man gleichzeitig das Geld in der Hand hat. Der Preis wird sicherlich in den Grenzen liegen, die Sie angeben. Dass Ihr Mann jetzt nach London fährt, bevor er herkommt, betrübt mich. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn er jetzt wieder nach Wien gekommen wäre, und ich glaube, es wäre auch besser gewesen. Jedenfalls geben Sie mir bitte gleich seine Londoner Adresse. Also auf baldiges Wiedersehen {cop. H.[ammelrath] 25.1.36 Frau Hofrätin Z. übergeben durch DK [Dr. Kunwald] 25.1.36}



[Konzept von GK an BZ, 27. Jänner 1936, MS] {Hofr. Zuckerk.} Durch gelegentliche Verfassung von Zeitungsartikeln und von Über­setzungen aus dem Französischen betreibe ich Schriftstellerei als Nebenbeschäftigung. Der Ertrag reicht zur Deckung meines Lebensunterhaltes weitaus nicht hin. Anderes Nebeneinkommen neben meiner Witwenpension habe ich nicht. {von Hofrätin Zuckerkandl copiert, unterfertigt und überreicht 27.1.36} [Joli Stallforth an BZ, HS] {Zuckerkandl – Stallforth 29.I.36} HOTEL BRISTOL



Berlin Unter den Linden 56 Telegr. Adr. Bristlhotel Telephon A1 Jäger 0033 Liebste Frau Zuckerkandl – herzlichsten Dank für Ihren Brief vom 25. Januar. Mein Mann fährt von hier am Mittwoch nach London ab und hofft dann eventuell durch Paris nach Wien zu fahren, das würde Mitte oder Ende nächster Woche sein. Dann können Sie alles persönlich besprechen über die Tasche. Auf jeden Fall haben Sie besten Dank für Ihre Bemühungen. Viele herzliche Grüße von uns Beiden ihre Joli

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[BZ an GK, MS] {Zuckerkandl – Stallforth 29.I.36} Mittwoch Früh. [29. Jänner 1936] Verehrter Freund! Eben erhalte ich mit der Frühpost diese Zeilen. Aber leider keine Adresse von Stallforth in London. Auch klingt es recht unsicher ob er doch wieder nach Wien kommen wird. Da es aber für mich von unerhörter Bedeutung ist dass ich Stallforth sofort nach London schreiben kann, um ihm zu sagen dass Dumba jetzt bereits darauf wartet dass meiner Anfrage an ihn zu Folge ein Unterhändler zu ihm kommt, so bitte ich Sie herzlichst mir zu raten, wie ich diese Adresse erhalten kann. Soll ich sofort Jolly seiner Frau schreiben, die ihren Zeilen nach in Berlin zu bleiben scheint? Oder soll ich gar nach Berlin telegraphieren? Dies würde aber vielleicht Stallforth nicht passen? Ich bin genötigt heute den ganzen Vormittag im Akademietheater bei einer Probe zu sein, und werde Sie erst um zwei Uhr anrufen können. Vielleicht wäre es auch für Sie wichtig mit Stallforth nach London telephonieren zu können. Ihre getreueste B Z



[BZ an GK, MS] {31.I.36} Freitag Früh. [31. Jänner 1936] Verehrter Freund! Hoffentlich kann Ihnen meine Freundin Frau Feizlmayr den Namen des Steuerbeamten am Alten Fleischmarkt, der stets meine Steuersachen in Händen hat, mitteilen. Sie weiß ihn natürlich nicht da wir ja niemals Gelegenheit hatten den Herrn zu fragen wie er heißt. Das Steueramt wenn Damen dorthin kommen besonders ist äußerst kurz angebunden mit den Klientinnen. Frau Feizlmayr geht eben in’s Steueramt um den und wird den Herrn bitten ihr seinen Namen zu sagen. Anbei nun meine Steuervorschreibung aus der zu ersehen war dass ich Geld zurückzuerhalten habe. Dies wäre nun für mich die Rettung. Denn dieser Monat ist eine Katastrophe. Von nirgend ein Groschen zu erwarten. Ich müßte mit 450 Sch. auskommen, was unmöglich ist. Allein die Rechnung alljährlich jetzt fällig für die Graberhaltung von Emil beträgt beinahe 100 Sch. Ich wäre glücklich, wenn ich beschleunigt das Steuergeld erhalten könnte. Und wie immer würde ich es Ihnen allein zu danken haben. Ich wußte bereits im Oktober als ich Sie bat und Ihnen anvertraute, dass meine Lage unhaltbar wird dass ich im neuen Jahr nicht weiter kommen kann. Und Rist hatte auf Ihre Intervention hin zuerst so wundervoll reagiert. Hatte mir in Paris sogar gesagt dass er mir schon im Dezember Geld verschaffen will. Nun

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kann er offenbar nichts tun. Und geniert sich es mir offen zu sagen. Daher sein Schweigen. Sofie schreibt mir eben dass Reuter bei ihr war und ihr gesagt hat dass er mit Rist Ende Februar nach Wien reist, weil sie Beide dort zu tun haben. Innig Dank von Ihrer getreuen Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an Steueradministration, 1. Februar 1936, MS] Steuerkontonummer: 301.895. An die Steueradministration für den I. Bezirk Wien. Einschreiterin: Bertha Zuckerkandl. Universitäts-Professorswitwe Wien I., Oppolzergasse 6. Gegenstand: Ansuchen um rascheste Rückzahlung des Steuerguthabens. 1-fach 1 Rubrik. {cop. DK [Dr. Kunwald] 1.II.36 nach Einholung der Unterschrift von Hofr. Zuckerkandl Herrn Oberfinanzrat Langer durch Dr. Marc.[uschewitz] überr. 1.II.36} Laut Steuermandats für das Jahr 1934 weist mein Steuerkonto per 4. November 1935 einen Saldo von S 449.71 zu meinen Gunsten auf. Bezugnehmend auf die ergebene Vorsprache meines Freundes Dr. Gottfried Kunwald bitte ich im Hinblick auf meinen leidenden Zustand dieses Geld, das ich dringendst benötige, geneigtest ohne Abzug mir so rasch als möglich anweisen zu wollen. Die gütige sofortige Erledigung meines Ansuchens erbittend, zeichne ich der Steueradministration ergebenste 1.) Reinschrift meiner nebenstehenden Angabe. Durch gelegentliche Verfassung von Zeitungsartikeln und Übersetzungen aus dem Französischen betreibe ich Schriftstellerei als Nebenberuf. Der Ertrag reicht zur Deckung meines Lebensunterhaltes weithaus nicht hin. Anderes Nebeneinkommen neben meiner Witwenpension habe ich nicht. 2.) Erklärender Zusatz. Im Jahre 1934 betrug der Reinertrag meiner Schriftstellerei S 873.– d. i. monatlich weniger als S 73.–. Im Jahre 1935 betrug der Bruttoertrag, von dem die Auslagen noch in Abzug kommen, ungefähr S 800.–, d. i. monatlich weniger als S 67.–. Dieses Einkommen unterliegt nicht der Erwerbssteuer, wurde aber gleichwohl unter Bemessung der Erwerbssteuer von S 10.40 der Erwerbssteuer unterzogen, wogegen ich wegen der Geringfügigkeit des Betrages nicht Einspruch erhoben habe. Da es sich aber bei der Pensionsstillegung um einen weit höheren Betrag handeln würde, mache ich

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hiemit geltend, dass mein kleines Einkommen aus Schriftstellerei laut § 6. Z. 5

PStG der Erwerbssteuer nicht unterliegt.

Überdies bleibt mein Nebeneinkommen aus Schriftstellerei weit unter S 150.– monatlich, sodaß es laut Bundesverfassungsgesetz BGBl. 496 außer Betracht zu lassen ist. {cop. H.[ammelrath] 10.2.36 Hofr. Zuck. überg. 10.2.36 H.[ammelrath]}



[GK an BZ, MS] Wien, am 23. Februar 1936. Verehrte Freundin! Beiliegend retourniere ich Ihnen, wie telefonisch besprochen, den Scheck No. 664.227 der Frau Maria Deutsch an die Lloyds&National Provincial Foreign Bank Limited, Paris, vom 20. Februar 1936 über 3000.– französische Francs, durch Streichung der Unterschrift entwertet. Mit herzlichen Grüßen Ihr treu ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl-Szeps Wien I., Oppolzergasse 6. {cop. H.[ammelrath] 23.2.36 aufg. H.[ammelrath] 23.2.36}



[BZ an GK, MS] {23.2.36} Sonntag. [23. Februar 1936] Verehrter Freund! Ich bitte Sie herzlichst mir zu sagen bei welcher Bank ich diesen Scheck hier einlösen kann und ob ich rückwärts meinen Namen unterschreiben soll. Da ich ohne einen Groschen bin so wäre mir eine rasche Einlösung noch Montag Vormittag wichtigst. Meine Jeanne könnte dies besorgen wenn Sie so lieb sind mir zu sagen, welche Bank in Betracht kommt. Dank und innigen Gruß. Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {4.III.36} Mittwoch.[4. März 1936] Liebster Freund! Verzeihen Sie dass ich Sie nach unserem Telephongespräch noch einmal störe. Ich fühlte aber dass Sie Eile haben und wollte Sie nicht aufhalten.

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Ich habe eine Bitte. Es wäre mir wichtig dass Maria Deutsch noch bis 18. März hier bleibt. Sie würde ja sowieso nicht vor nächste Woche wegfahren. Es handelt sich also nur um einige Tage. Nun wäre es lieb von Ihnen könnten Sie Maria sagen dass es auch wegen der Naturalisierungssache214 gut wäre wenn sie bis zum 18. bliebe. Die Deutsch will nämlich Trude auf ihre Kosten nach Paris mitnehmen. Ich halte diese Fahrt zu Fritz für eine der wichtigsten Dinge in dieser Ehe. Das Malör will es nun dass Trudes Mutter vorgestern an einer schweren Gallenkolik erkrankt ist. Und Trude muß, da sie die Mutter hingebend pflegt, gewiß nächste Woche noch hierbleiben. Sie verliert aber, fährt die Deutsch früher, dann diese einzige Gelegenheit. Deshalb rufe ich Sie wie immer zu Hilfe. Ich weiß dass wenn Sie nur sagen Sie fänden es gut dass sie noch bis zum 18. März hier bleibt sie es gewiß tun kann und wird. Dies ganz vertraulich und tausend Dank. Ihre getreue B. Z.



[Ludwig Ullmann an BZ, MS] {29.4.36} Der Morgen Wiener Montagsblatt Wien, IX., Canisiusgasse 8 – 10 Telefon: R 50-5-20 Serie Wien, am 28. IV. 36 Liebe Frau Hofrätin! Irene215 hätte zum Abschreiben doch noch bis morgen gebraucht. Ich will aber niemand Fremden einweisen. Es ist vielleicht am Besten, wenn man die not­ wendigen Exemplare bei Kunwald machen läßt. Bitte aber dann eines für Hans216 und eines für mich zu erbitten. Herzlichst Ihr L.[udwig]217

 214 Im März 1936 nahm Gottfried Kunwald zu einer britischen Rechtsanwaltskanzlei Kontakt auf, da der Plan bestand, dass Maria Deutsch-Ley durch Heirat und anschließender Scheidung zu einer britischen Staatsbürgerschaft kommen könnte, um in Frankreich arbeiten zu können. Sie entstammte einer Wiener katholischen Familie und war durch ihre Heirat deutsche Staatsbürgerin, bzw. nach dem Tod ihres Gatten Witwe eines Juden. Die britische Anwaltskanzlei lehnte das Ansinnen allerdings strikt ab. Vgl. dazu Bestand GK 616-1-787 Deutsch Maria. Durch ihre vielbeachtete Dissertation über Victor Hugo gelang allerdings noch im Jahr 1936 die Naturalisation in Frankreich. 215 Irene, Ehefrau von Ludwig Ullmann. 216 Zu Hans Jaray gibt es im Bestand GK Unterlagen aus dem Jahr 1936; 616-1-175, Gutachten über die Umwandlung des Wiener Nordwestbahnhofes in eine Filmfabrik; diverse Korrespondenzen; Zeitungsartikel über die österreichische Filmindustrie. 217 L. steht für Ludwig Ullmann, mit dem BZ eng befreundet war.

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[BZ an GK, MS] {Zuckerk. 29.4.36} Mittwoch den 29. April. [1936] Verehrter Freund! Anbei erlaube ich mir Ihnen das Exposé von Jaray das er für Sie geschickt hat zu senden. Aus dem beiliegenden Brief von Ullmann werden Sie ersehen, weshalb er das Manuskript tel quel218, ohne es in’s Reine schreiben zu lassen, mir mit den Korrekturen die Jaray gemacht hatte (Tinte) und jene von Ullmann die belanglos sind, mir übergeben hat. Weil er keiner Daktylo219 dies diktieren wollte. Jaray schrieb auch an Ullmann einen sehr presanten Brief dass er sehnsüchtigst irgend eine Nachricht erwartet. Darf ich Ihnen noch etwas Anderes schreiben. Ich hatte Fritz seinerzeit geschrieben dass Sie ihm sagen lassen er müsse in Angelegenheit HopreiterWitrofsky an Hopreiter einen sehr freundschaftlichen netten Brief schreiben in welchem Sie ihn bitten doch keine weiteren Schritte gegen ihn (Mich) zu unternehmen und dass er Hopreiter irgend einen Vorschlag machen soll. Nun hat Fritz Hopreiter diesen Brief schon vor zwei Wochen geschrieben. Und hat ihm vorgeschlagen dass er ab Juli 250 Francs monatlich Raten zahlen wird. Hopreiter aber hat bis heute nicht geantwortet. Nun schreibt mir Fritz auch noch dass er längst mit Hopreiter wieder gut steht und diesen manche Gefälligkeiten in Paris fortlaufend erweist. Fritz meint wenn Hopreiter nicht antwortet so ist er vielleicht verreist und ich sollte dort anrufen. Dies möchte ich ich aber nur tun falls Sie mir auftragen es zu tun. So, jetzt bin ich fertig. Und danke Ihnen wieder innigst für Alles. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] {Hofr. Zuck.} Wien, am 4. Mai 1936. Verehrte Freundin! Wie besprochen, übersende ich Ihnen beiliegend das Formular der Postvollmacht ausgefüllt auf meinen Namen. Diese Postvollmacht bitte ich zu unterzeichnen und vom österreichischen Generalkonsul220 beglaubigen zu lassen. Die beglaubigt gefertigte Postvollmacht bitte ich dann mir einzusenden. 218 „so wie es ist“. 219 Veralteter Ausdruck für Maschinschreiben, gemeint ist hier Schreibkraft. 220 Seit November 1934 war Guy Pascal Montmartin Honorargeneralkonsul Österreichs in Paris. Von rechtsgerichteten Kreisen Frankeichs wurde er als Freimaurer namens „Hirsch“ angegriffen, der den Namen seiner Frau benütze. Seine Ernennung war im Hinblick auf die Pariser Weltausstellung erfolgt. Mit Ende der Weltausstellung wurde im österreichischen Außenamt versucht, ihm seine Demission nahezulegen. Am 13. März 1938 wurde das Österreichische Generalkonsulat in Paris aufgelöst. Vgl. dazu ÖStA, AdR, BKA/AA, Fach 8 Paris, Berichte; weiters Rudolf Agstner,

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Mit den herzlichsten Grüßen Ihr treu ergebener Beiliegend: Formular der Postvollmacht {Me. Berthe Zuckerkandl chez Me. Sophie Clemenceau 12 avenue d’Eylau Paris cop., aufg. 4.5.36 R Hallemann}



[BZ an GK, MS] {8.5.36} Mittwoch den 6. Mai. [1936] Verehrter Freund! Die Hopreiter-Angelegenheit221 ist vorläufig auf das Beste geordnet. Fritz erhielt gestern am Tag meiner Ankunft eine Antwort von Hopreiter. Dieser war verreist gewesen. Nun schreibt er Fritz in freundschaftlichsten Ton dass er und Witrofsky gerne auf seine vorgeschlagenen Ratenzahlungen eingehen. Und also ist nichts Weiteres vorläufig zu befürchten. Soll ich unter diesen Umständen die Postvollmacht schicken? Oder erübrigt sich dies? Hier sind die Ansichten über die Zukunft die durch die ungeheure Linksmajorität geschaffene Situation Frankreichs222, geteilt. Paul Clemenceau der als Großindustrieller obwohl er früher doch immer links war jetzt kapitalistisch denkt, hält die Sache für sehr gefährlich. Falls die Sozialisten nicht mit der größten Vorsicht und Zurückhaltung operieren werden. Andere politisch gut unterrichtete Leute wie Bourguignon begrüßen die Wendung als eine absolut notwendige und segensreiche. Allerdings nur wenn das Kapital nicht wie es bereits anfängt sein Gold abzieht. Jedenfalls wird es Kämpfe und Überraschungen aller Art geben.

Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, Band 1: 1918 – 1938. Zentrale, Gesandtschaften und Konsulate, Wien 2015, S. 180, 414. 221 Berta Zuckerkandl schreibt von Hopmeier. Da Gottfried Kunwald von Hopreiter schreibt, ist anzunehmen, dass dies der richtige Name ist. 222 Damit ist die innenpolitische Entwicklung unter Léon Blum gemeint. Vom Juni 1936 bis Juni 1937 Ministerpräsident Frankreichs, bildete er eine Regierung, die alle Linksparteien einschloss. Die Regierung wurde deshalb auch Volksfront-Regierung genannt. Die Form der Regierung war neu, da sie die einzelnen Ministerien zu sechs Einheiten zusammengefasst hatte. Insgesamt bestand die Regierung aus fünfunddreißig Mitgliedern. Ziel der Regierung war es, eine Front gegen die Bedrohung durch Hitler zu schaffen. Es kam zu weitreichenden sozialpolitischen Maßnahmen, doch führte eine Politik der ständigen Kompromisse zu Preissteigerungen, Währungsabwertung und wirtschaftlicher Unsicherheit. Finanzkreise arbeiteten gegen die Regierung und der Entzug von 1,8 Milliarden Francs durch die Banken bewirkte das Ende der Regierung Blum (siehe die Kurzbiographien von Pierre Baudouin-Bugnet und Charles Rist im biographischen Anhang).

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Paul Clemenceau gealtert. Düster. Aber von Fritz und seiner konsequenten Arbeit die beginnt ihre Früchte zu zeigen so entzückt dass er mit gratuliert hat. „Il ferra son chemin“.223 hat er auch zu Sofie gesagt. Darüber bin ich nun glücklich. Obwohl noch Schweres vor uns liegt. Ich beginne heute an tausend Dingen zu arbeiten und zu schieben. Rist will ich morgen telephonieren. Schreibe Ihnen dann gleich was er über die Situation denkt. Und nun umarme Sie innigst mit aller Dankbarkeit die mein altes Herz aufbringt. Ihre getreue B. Z.



[GK an BZ, MS] Wien, am 8. Mai 1936. Verehrte Freundin! Selbstverständlich bedarf es jetzt keiner Postvollmacht, da Fritz endlich mit Hopreiter Frieden geschlossen hat. Gott sei Dank! An Stallforth habe ich nach Berlin geschrieben, er möge mir seine ­Aufenthaltspläne für die nächsten zwei bis drei Wochen mitteilen, da ich vielleicht eine größere Sache mit ihm besprechen möchte. Ich habe den Brief mit Rückschein aufgegeben und der Rückschein kam mit der Originalunterschrift Stallforth’s zurück. Also er ist dort im Hotel Bristol und ich bin neugierig, wann er antworten wird. Viele herzliche Grüße Ihr treu ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl chez Mme. Sophie Clemenceau 12 avenue d’Eylau Paris {cop: Mahler 8.5.36 aufgeg: Mahler 8.5.36}



[GK an BZ, MS] {Zuckerkandl} Wien, am 10. Mai 1936 Verehrte Freundin! Ich habe soeben telefonisch mit Stallforth in Berlin gesprochen. Er bleibt die ganze nächste Woche (d. i. bis 17. Mai) in Berlin, Hotel Bristol, fährt dann nach London und kommt, wie er glaubt, eine Woche später wieder nach Berlin zurück. Er schwor einen feierlichen Meineid, dass er dann (also in etwa vierzehn Tagen) nach Wien kommen wolle. 223 „Er wird seinen Weg gehen.“

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Jaray hat sich durch Postkarte für gestern, den 9.d. bei mir angemeldet, hat aber bis jetzt keine Nachricht gegeben. Ich werde heute abend telefonisch Ullmann fragen. Ihr herzlichst ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl Chez Mme. Sophie Clemenceau 12 avenue d’Eylau Paris {cop., aufg. H.[ammelrath] 10.5.36}



[BZ an GK, MS] {Zuckerkandl} Dienstag den 12. Mai. [1936] Liebster Freund! Innigen Dank für Ihre beiden Briefe. Es interessiert mich enorm dass Stallforth noch immer in Berlin ist. Und ich werde ihm nun auch ein paar Zeilen schreiben. Damit er mich bei Zeiten avisiert falls er wirklich nach Wien kommen sollte. Denn ich will dann sogleich auch dort sein. Er soll mir nicht so leicht über’s große Wasser. Bin froh dass Sie eine gute Sache für ihn haben. Vielleicht kommt doch einmal etwas zu Stande. Jedenfalls hüte ich mich durch irgendeinen zweifelnden Gedanken ihr Mißfallen zu erregen, und die Sache am Ende durch meine schlechten „Wellen“ zu verpatzen. Eben telephonierte ich mit Madame Rist. Sie war leidend und daher werde ich ihn und sie erst nächste Woche sehen. Er hat wahnsinnig zu tun. Kommt erst wieder im Herbst nach Wien. Bin neugierig von ihm zu hören wie er das Ministerium Blum beurteilt. Jedenfalls war ein so vollkommener Sieg selbst der Linken unerwartet. Und Blum versucht nun so staatsmännisch als möglich zu handeln. Indem er die zartesten Saiten aufzieht. Um die Börse und das Kapital zu beruhigen. Eben war ich auf unserer Gesandtschaft, die heute in eitel Freude schwimmt, weil Egger gestern endgültig abgedampft ist. Er hinterläßt einen Schutthaufen der Beziehungen. Bischoff und Wasserbäck (dies vertraulich) sagen mir dass sie von allen Beziehungen rechts und links einfach abgeschnitten sind. Und sie baten mich ob ich nicht einen Weg ihnen zu Blum machen könnte. Denn dies ist ja jetzt eine schwere Aufgabe, die Sozialisten die jetzt hier an der Macht sind für unser faschistisches Österreich irgendwie gut zu stimmen.224 Ich schreibe morgen Blum mit dem ich früher (vor Dollfuß) gut stand. Und bitte ihn um eine Unterredung. Werden sehen ob es mir gelingt die Herrn der Gesandtschaft einzuführen.

224 Die Zerschlagung der österreichischen Sozialdemokratie im Februar 1934 durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wurde von den westlichen Demokratien verurteilt und führte zu einer außenpolitischen Isolierung Österreichs.

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Auch für Mataja habe ich Wege gemacht. Er wird jedenfalls eingeladen werden, sei es von der Sorbonne, sei es von einer anderen Vereinigung. Denn Comert ist sehr dafür dass ein Vortrag über Österreich und Hitler gehalten wird. Nun warte ich eine Antwort Mataja’s ab. Die aber nicht kommt. Was mir bei seinem bekannten „Tempo“ auffallend ist. Fritz sieht schlecht und abgearbeitet aus. Er hat großen Erfolg. {XXX ich telephoniere} Professor Tzang225 hat ihm sein staatliches Laboratorium ganz zur Verfügung gestellt und macht mit ihm interessante Arbeiten. Tzang versucht auf alle Weise Fritz in eine feste Position zu bringen. Paul Clemenceau liebt jetzt Fritz sehr. Und sagt dies bei jeder Gelegenheit. Nur ist das noch ganz platonisch. Er rückt nicht mit einem Groschen heraus. Selbst den Sommer für unseren Bubi, der an’s Meer soll, wird er wohl nicht zahlen. Armer, reicher Mann! Frau Deutsch hatte einen so schweren Autounfall dass sie bewußtlos in ein Spital getragen wurde. Sie liegt noch immer. Sie kam knapp vom Tod davon. Ich scheine wirklich das Gegenteil einer Maskotte zu sein. Kaum fange ich mit irgend Jemanden zu arbeiten an …. Bums, hat er schon den Hefen. Lieber Freund! Sie fehlen mir schrecklich. Zu Hause fühle ich mich ja doch nur bei Ihnen. Ach wären Sie hier! Ihre getreueste Berta



[GK an BZ, MS] Wien, am 31. Mai 1936. Verehrte Freundin! Nur in aller Eile bitte ich Sie, dass Fritz an Dr. Richard Berger, Wien IV., Schwindgasse 4, sofort einen Brief aus Paris schreiben soll, dass er hofft, Herrn Dr. Berger, der damit droht, die Angelegenheit an seine Klienten zurückzuleiten oder selbst sehr scharf vorzugehen, sehr bald Vorschläge machen zu können; er sei im Begriffe, sich eine neue Existenz in Paris zu schaffen, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Im selben Sinne möge Fritz an Dr. Paul Abel, Wien I., Rosenbursenstraße 8, schreiben, der auch seit einem Monat sehr ungeduldig geworden ist. Mit herzlichen Grüßen Ihr treu ergebener {Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme Sophie Clemenceau 225 Im Pariser Telefonbuch finden sich zwei Einträge: Tzanck A. („médec. hopit.) und Tzanck D. (chirurg-dent.). Hier ist Arnault Tzanck gemeint. In den Briefen der Familie Zuckerkandl im Literaturarchiv findet sich der Hinweis, dass Prof. Tzanck für die Weltausstellung 1937 in Paris einen Pavillon zur Bluttransfusion plante. Vgl. LIT, Signatur 438/W 24, Beilagen zu Emile Zuckerkandls Tagebuch, Band VI a.

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Avenue d’ Eylau Paris. cop. H.[ammelrath] 31.5.36 aufg.}



[BZ an GK, MS] {4.6.36} Paris den ersten Juni. [1936] Liebster verehrter Freund! Diesmal bin ich nicht geschwätzig nicht wahr? Habe Ihnen noch nie so selten geschrieben. Wozu auch, dachte ich mir Sie immer wieder mit meinen Seufzern quälen? ….. Um die Wahrheit zu sagen: Es ging mir gemütlich recht miserabel. Ich konnte mich nicht recht aufraffen. Und da verschonte ich Sie lieber. Mir war nämlich das Herz so schwer weil ich Fritz elend aussehend fand. So abgearbeitet, so gealtert, dabei so unendlich geduldig, brav und lieb aber so von Sehnsucht nach Trude gequält dass mir das Herz weh tat. Er arbeitet derart viel, arbeitet mit moralischen Erfolg, aber noch immer nicht mit genug materiellem Erfolg als dass man daran denken dürfte Trude und Emil aus ihrer relativen Geborgenheit zu reißen um sie in die Ungewißheit Pariser Armut (die unbarmherzig ist) zu versetzen. Scherman226 (der hier ist und Sie verehrungsvoll grüßt) zeigte ich Fritzl’s Schrift.227 Sofort rief er aus: „Der Mann ist ja unterernährt“. Und fügte hinzu: „Es muß etwas geschehen dass Fritz anständig und genügend ißt. Sonst wird er seine sehr guten Aussichten (unberufen, ich klopfe) die er besitzt, nicht ausnützen können. Schicken Sie mir sofort Fritz, damit ich ihn selbst sprechen kann“. Sie können sich vorstellen wie tief gequält ich bin. Nun aber genug von mir. Politisch ist noch alles in Erwartung. Gestern wurde das Ministerium gebildet. Ich wußte bereits als eine der wenigen vorige Woche dass Ives Delbos Außenminister wird. Mein Freund am Quai d’Orsay vertraute es mir an. Und ich sandte Ostry sofort einen Flugpostbrief, damit der „Tag“,228 den ich jetzt protegiere, die Nachricht zuerst bringen kann. Delbos ist 226 Im Pariser Telefonbuch 1935 finden sich mehrere Personen mit dem Namen Schermann. In den Materialien von Gottfried Kunwald findet sich in einem Adressenverzeichnis aus den Jahren 1926/27 der Hinweis auf Rafael Schermann, zu dieser Zeit mit einer Adresse in Wien und in Berlin. ÖStA, Materialien GK, 616-1-1176. Dabei könnte es sich um Rafel/Raphael Schermann handeln, einen Graphologen, Telepathen und Hellseher, der ursprünglich ein Versicherungskaufmann war und in Wien und Berlin lebte. 227 Von Fritz Zuckerkandl konnten zwei Publikationen aus dem Jahr 1935 eruiert werden: Hans Siedek/Fritz Zuckerkandl, Über das Verhältnis der Natrium- zur Chlorausscheidung im Harn: III. Mitteilung: Der NaCl-Quotient bei Entzündlichen und Kardialen Erkrankungen, in: Journal of molecular medicine, Band 14, 1. August 1935, Nr. 32, S. 1137 – 1139; Pick Josef/Fritz Zuckerkandl, Der Einfluß des Kations von Fluoresceinsalzen (Lebenduntersuchungen am Frosch- und Mäusedarm im ultravioletten Licht), in: Zeitschrift für die gesamte experimentelle Medizin, Berlin 1935, Band 96, Heft 6, S. 747 – 751. 228 Dabei handelt es sich um die Tageszeitung „Der Wiener Tag“ (1922 bis 1930 unter dem Namen „Der Tag“ erschienen), bei der Vincenz Ludwig Ostry Redakteur bzw. Hauptschriftleiter war.

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ein ruhiger, verständiger, beinahe weiser Mann. Blum wählte ihn und nicht Boncour den man ihm partout aufdisputieren wollte weil er Delbos schätzt und ihm vertraut dass er keine Politik auf eigene Faust machen wird wie es Boncour auf alle Fälle getan hätte. Blum will aber einen Minister des Äußeren haben, mit dem er gemeinsam arbeiten kann. Allerdings sind Blum’s Richtlinien noch verschleiert. Er schweigt seit vier Wochen vollständig. Denn er weiß sich von solchen Gefahren umgeben (da die Rechte auf den leisesten Fehler lauert durch den sie ihn stürzen könnten) dass er ungemein acht gibt. Aber Blum war insoferne bisher sehr geschickt als er glänzend darauf arbeitete die Angst, ja die Psychose der Bourgoise und der Haute Finance zu besänftigen. Immer wieder in seinen Reden sprach er aus dass er keine rein sozialistische Politik machen dürfe weil er ja vom Front Populaire229 beauftragt ist, und der Front Populaire nicht rein sozialistisch sei. So erlangte Blum eine Beruhigung des Geldmarktes, und sogar der Banken im Allgemeinen. Dass das Statut der Banque de France geändert werden wird und muß ist nun geschluckt und verdaut worden. Der Umstand dass es in diesen Zeiten möglich ist dass ein Jude Ministerpräsident wird beweist wie anders doch in Frankreich trotz gewisser antisemitischer Ansätze die vorhanden sind, sich die Welt in diesem individualistischen Land spiegelt.230 Kaum dass hie und da überhaupt erwähnt wird dass Blum Jude ist. In einem Gespräch, das Blum mit dem sich verabschiedenden Nuntius231 unlängst hatte, sagte Blum als er sich empfahl: „Leider kann ich Sie Eminenz nicht um Ihren Segen bitten“. (Scherzend). Worauf der Nuntius ihm freundschaftlichst und warm erwiderte: „Aber ich kann Gott bitten dass er Sie segnet und werde es auch tun“. Ich wollte die Kinder könnten schon vereint hier leben wo diese Seuche des forcierten Judenhasses vorläufig noch nicht wütet.232 Wenn dies Blum gelingen würde ein Jahr zu dauern, dann (nach der Meinung sehr versierter Politiker) könnte Frankreichs Innenpolitik große Erfolge auf dem Gebiet eine Reinigung und Stärkung der Demokratie erleben. Bald nach meiner Ankunft kamen Bischoff und Wasserbäck zu mir. (Dies nun ganz vertraulich bitte Mataja nichts zu sagen). Und baten mich ob ich nicht helfen könnte für die österreichische Gesandtschaft mit dem neuen

Die Zeitung wurde 1938 verboten und drei Redakteure, darunter Ostry, in Konzentrationslager deportiert. 229 Volksfront-Regierung. 230 In den Briefen im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Bestand Zuckerkandl, finden sich allerdings auch andere Einschätzungen. In einem Brief BZ an Emile Zuckerkandl, derzeit undatiert (LIT, Signatur 438/W 24, Beil. 2/2) schrieb sie – wahrscheinlich vor Weihnachten 1936 –, dass in Frankreich die Bourgeoisie und deren Kinder faschistisch sind, und weiter: „Jedenfalls ist Amerika für die nächsten zwanzig Jahre das einzige Land in welchem man wirklich ohne Kriegsgefahr und in angenehmer Form leben kann.“ 231 Luigi Maglione war Apostolischer Nuntius in Frankreich 1926 bis 1935. 232 Zur Einschätzung der Lage in Österreich vgl. auch Hinweise im LIT, Signatur 438/W 24 – Beilage 1/4, undatierter Brief aus dem Herbst 1936: „Jedoch dürfte bei uns für unsereiner und gar für einen jungen Burschen wie Bubi bald das Bleiben nicht mehr sein.“

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Ministerium Verbindungen herzustellen. Egger hat es zu Stande gebracht dass die Gesandtschaft überhaupt ohne jede Verbindung mit irgend jemanden dasteht. Und es wäre gerade jetzt von der höchsten Wichtigkeit gerade mit Blum und mit seinen nächsten Freunden in Kontakt zu kommen. Da Blum ja wahrscheinlich nur von Otto Bauer unterrichtet wird.233 Und daher Gefahr vorhanden ist dass er für eine eventuelle Volksbefragung und andere verkehrte Dinge eingenommen werden wird. Es müßte absolut ermöglicht werden dass Bischoff oder Wasserbäck wenigstens mit einem Blum nahestehenden Politiker ehestens sprechen könnte. Daran arbeite ich nun seit zwei Wochen. Habe auch Blum einen Brief geschrieben dass ich sobald er Zeit fände von ihm empfangen werden möchte wegen der österreichischen Frage. Ich wußte dies würde kaum möglich sein da Blum überlastet ist. Immerhin ließ er mir sagen er würde mich sehen sobald nur möglich. Dann telephonierte ich an Grumbach den Abgeordneten von Elsaß-Lothringen den ich in der Schweiz in den Jahren 17 – 18 insoferne kennen lernte als Grumbach dort heimlich zwischen Franzosen und Deutschen und Österreichern Verbindungen herstellte. Um den Frieden näherzubringen. Ein ausgezeichneter edler Mensch. Er kannte meine Tätigkeit die ja mit der seinen konform ging. Grumbach sagte ich nun ich müsse mit ihm zusammenkommen. Da er aber nach dem Elsaß verreisen mußte so verschob sich diese Aussprache und Grumbach telephonierte mir erst gestern dass er mich nächste Woche sprechen wird. Deshalb habe ich meine Abreise bis zum zehnten Juni verschoben. Denn ich möchte Bischoff besonders mit Grumbach zusammenbringen. Blum vertraut Niemanden so ganz wie diesem seinem besten Freund. Ferner kommt heute oder morgen Francois de Crucy aus dem Süden nach Paris. Er ist seit jeher Sozialist. Ein wunderbar feiner Kopf, ein großer Journalist. War Liebling von Anatole France. Ist mit Painlevé und mit uns sehr befreundet. Mich hat er sehr gern. Er wurde wie er uns telephonierte plötzlich von Blum berufen und wird eine entscheidende Stelle als Pressechef (aber in anderer Stelle als Comert) einnehmen. Also gerade für unsere Gesandtschaft sehr entscheidend. Auch Crucy kann ich erst dieser Tage sehen. Weil ja in der Woche der Kabinettskonstituierung alles auf dem Kopf steht. Habe ich aber meine Aufgabe insoferne gelöst als ich für Bischoff und Wasserbäck diese Verbindungen zu Blum herstelle, dann lasse ich meinen Fritzl, schweren Herzens, und dürfte am 11. Juni bei Ihnen sein. Etwas weniger versorgt. Wenigstens für die nächsten zwei Monate. Weil ich durch ein Stück, das ich verkaufen konnte ein Weniges verdient habe. Allerdings droht mir bei meiner Rückkehr wieder Langer-Marton (die leidige 233 Hinweise auf enge Beziehungen zwischen österreichischen und französischen Sozialisten finden sich in den Berichten der österreichischen Gesandtschaft aus Paris schon ab 1933 immer wieder. Vgl. exemplarisch ÖStA, BKA/AA, NPA Paris Berichte, Bericht der Österreichischen Gesandtschaft vom 2. Mai 1933. In dem Bericht wird Otto Bauer angeführt, der „die Haltung der französischen Sozialisten beeinflusse.“

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Garantie die Marton mir bei der Langerbank gab). Wie ich das wieder verlängere weiß Gott. Die größte Enttäuschung aber ist Rist. Ich habe ihn nicht zu Gesicht bekommen. Obwohl ich sofort Frau Rist telephonierte. Und sie mir spontan sagte dass sie und Rist mich in den nächsten Tagen besuchen würden. Das war Anfang Mai. Ich telephonierte nochmals. Aber bis heute haben sie sich nicht blicken und oder nichts von sich hören lassen. Nie hat Rist dies noch getan. Natürlich werde ich fortfahren ohne mich mehr zu melden. Denn ich bin viel zu stolz um mich aufzudrängen. Besonders Menschen gegenüber die mich sehr verwöhnt hatten. Möglich dass Rist sehr unglücklich durch den Ausfall der Wahlen ist. Denn er sowohl wie sie haben direkt eine krankhafte Angst vor den Kommunisten. Reuter war auch abwesend. Er telephonierte mir gestern und ich sehe ihn gleich nach Pfingsten ….. Jaray schrieb mir dass er Sie gesprochen hat. Dass aber noch nicht viel los ist. Die Stimmung hier was Österreich betrifft ist derart pessimistisch dass ich nicht glaube man wird französisches oder englisches Kapital für irgendetwas in Österreich erhalten können. Man gibt uns gleichmütig verloren. Ärger noch in England wo man uns sogar gerne an Hitler verloren gibt. (Peter Stadlen wird Ihnen dies bestätigen). Gerade das ist es was man durch Fühlungnahme mit Blum und seinen Freunden versuchen muß zu korrigieren. Ob aber Bischoff, Wasserbäck und der neue Gesandte234dazu das notwendige Gewicht besitzen weiß ich nicht. Man müßte Menschen welchen Blum als den Sozialisten warm gesinnt weiß ihm schicken können. Die aber Blum überzeugen würden dass seine Politik für Österreich dahin gehen müßte vorläufig Frieden zwischen Schuschnigg und den Wiener Sozi’s herzustellen. Und dass er Otto Bauer nicht mehr folgen dürfe. Denken Sie. Ich habe Madame Stallforth geschrieben nachdem Sie mir mitteilten Stallforth wäre noch in Berlin. Ich bat sie Beide möchten mich benachrichtigen falls Stallforth nach Wien oder Paris käme. Keine Antwort. Es ist mir eine schwere Enttäuschung dass auch Stallforth nun mich verlassen hat. Und gerade jetzt wäre für ihn in Paris ein großes Feld. Blum hat ungemein geschickt bei dem großen Bankett in Americanklub eine Rede gehalten wo er offen über Frankreichs Fehler Amerika gegenüber sprach und betonte dass die französisch amerikanische Freundschaft zu pflegen jetzt ein Hauptziel sein würde. In Amerika hat das den besten Eindruck gemacht. Nun will ja Vincent Auriol Blum’s Finanzminister bald versuchen eine große Anleihe von Amerika zu erhalten. Ich weiß das. Wenn Stallforth nun als Vermittler jetzt in Paris auftreten würde (ich könnte ihn durch Blum zu Vincent Auriol wahrscheinlich bringen) so wäre für Stallforth, für Sie, für mich da viel zu verdienen. Aber der Esel Stallforth scheint ganz braun geworden zu sein. Und so ist nichts zu machen.

234 Alois Vollgruber war vom 30. Juni 1936 bis 13. März 1938 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister Österreichs in Frankreich.

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Nicht böse sein dass ich es wage Ihnen einen so langen Brief zu schreiben. Aber Sie sind der Einzige für mich, mit dem ich von Allem auf der Welt sprechen kann. Innigst Ihre getreueste B. Z. Paul Clemenceau habe ich doch wenigstens soviel herausgerissen dass er Trude und Bubi in’s Seebad schickt auf seine Kosten. Das war eine Herkulesarbeit. Aber Bubi muß nach Aussage von Professor Neumann absolut in’s Seebad. Und da gibt es für mich kein Hindernis. Ich habe Paul herumgekriegt …. Mataja schrieb ich zweimal da er mich doch so gebeten hatte ihm in Paris einen Vortrag zu ermöglichen. Dies gelang mir. Aber Mataja hat plötzlich ganz andere Pläne. Also, immer wieder der himmelstürmende Jüngling!



[BZ an GK, MS] {5.6.36} Mittwoch den 3. Juni [1936] Verehrter Freund! Unsere Briefe haben sich gekreuzt. Ich danke Ihnen unendlich dass Sie mich aufmerksam gemacht haben. Sofort avisierte ich Fritz. Nun hat dieser Angst dass Berger eventuell die ihm nun bekanntgegebene Adresse dazu benutzen könnte um ihn hier in Paris zu verfolgen. Oder eventuell bei Paul Clemenceau etwas zu unternehmen. Ich aber bin der Meinung dass man immer alles was Sie uns auftragen raschest erledigen muß. Daher ich noch gestern nachdem Ihr Brief kam beiliegenden Brief an Berger konzipierte den Fritz unterschrieben hat. Aber da ich nicht gerne irgend eine Zeile schreibe, ohne Ihnen diese vorzulegen, so erlaube ich mir den Brief an Berger anbei zu schicken. Falls er Ihnen richtig erscheint, wird mein Mädchen den Brief bei Ihnen abholen und diesen bei Dr. Berger abgeben. Sie kann ja in der Kanzlei sagen dass größerer Sicherheit wegen Fritz Zuckerkandl dieses Schreiben nicht per Post schicken wollte. Meinem Mädchen gebe ich gleichzeitig mit diesen Zeilen den Auftrag bei Ihnen anzufragen ob sie den Brief an Berger holen darf. Was nun aber Dr. Abel betrifft so sagt Fritz dass er keine Ahnung mehr hat wie diese Sache steht und was eigentlich ausgemacht wurde. Fritz war der Meinung dass ein Arrangement insoferne getroffen wurde dahingehend dass das Sanatorium kleine Raten für ihn und Nora Stiasny zahlt. Nun schreibt er an Trude damit er Sie nicht zu belästigen braucht. Und wird sowie ihm Trude von Ihnen beauftragt darüber klar schreiben wird, dann an Dr. Abel schreiben. Fritz sagt nur dass er Abel so oft schon Dinge versprochen hat die er nie halten konnte, dass er gar nicht weiß was er sagen soll. Denn vorläufig könnte er nicht einmal einen Sou Raten zahlen. Er ist durch die 250 Fr. die er an Witrofsky zahlen muß (monatlich), und an einen Dr. Göbl auch monatlich eine Rate derart geldlich erschöpft dass er keine Verpflichtung vorläufig auf sich nehmen kann. Mein Brief den Sie ja erhalten haben werden, sagt Ihnen ja dass Fritz

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direkt unterernährt ist (der Arme) weil er alles was nur möglich ist daran setzt sich hinaufzuarbeiten und er ist wirklich hart gegen sich. Ich werde in Wien selbst zu Dr. Berger gehen. Obwohl ich nicht viel Hoffnung hege diesen sehr harten und unangenehmen Menschen zu erweichen. Vielleicht aber hat er noch wie einstens in Paris manche Geschäfte die es ihm ratsamer erscheinen lassen mit mir, die (wie man fälschlich glaubt) in Paris einflußreiche Verbindungen hat nicht ganz schlecht zu stehen. Jedenfalls will ich auch diesen bitteren Schritt machen. Eben erhalte ich wieder einen Brief von Mataja der verlangt ich soll ihm sofort über Frankreich’s Politik Hitler und Österreich gegenüber, sowie Frankreich’s Absichten Italien gegenüber berichten. Wie stellt er sich das vor? Übermorgen erst wird Blum von Lebrun betraut werden. Kein Mensch ahnt bisher Blum’s Absichten der sich der Gefahr sehr bewußt ist vorzeitig seine Intentionen zu verraten. Ich konnte in diesen wirren Tagen hier auch noch nicht meine Verbindungen um Blum ausnutzen weil alle zu viel zu tun haben. Leider fahre ich gerade jetzt weg da meine Anwesenheit hier eventuell von Wert wäre. Aber ich kann nicht länger bleiben. Sofie schließt vorzeitig diesmal ihre Wohnung hier da größere Reparaturen gemacht werden. Frau Deutsch, bei der ich hätte wohnen können, fährt nach London. Und mir ein Hotel zahlen? Da muß ich lachen! Frau Ley-Deutsch (wie sie sich jetzt nennt) hat mit ihrer Doktorarbeit über Viktor Hugo einen so sensationellen Erfolg dass sie über Nacht berühmt geworden ist. Auch ihre mündliche Prüfung machte Aufsehen denn sie erhielt die außerordentliche „Mention“235 die höchst selten gegeben wird. Infolgedessen wurde Ihr Gesuch um Naturalisierung plötzlich erledigt. Sie ist seit einer Woche Französin. Frau Deutsch bat mich Ihnen ihre herzlichsten Grüße auszurichten. Sie hat sich erlaubt Ihnen ihr Buch einzusenden. Eben schreibt mir auch Simon ich möchte Dobretsberger hier mit Politikern bekannt machen. Wie sind doch die Menschen phantasielos. Painlevé ist mir gestorben. Also muß ich mir jetzt erst einmal mühselig neue Möglichkeiten schaffen. Und auch diese werden niemals mehr mir die wertvollste Verbindung eines Freundes ersetzen der mächtig war und gütig zu mir. Da übrigens Dobretsberger erst am 18. Juni kommt bin ich ja nicht mehr in Paris. Und vor allem: Meine schrecklichen Sorgen, und die schwere Lage meines Fritzl’s lähmen auch in mir Energien die sonst vielleicht schöpferischer für unser Österreich gewirkt hätten. Innigst Ihre getreueste

 235 Gemeint ist Mention très honorable – gleichbedeutend mit dem Abschluss summa cum laude.

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[BZ an GK, MS] {9.6.36} Samstag den 6. Juni. [1936] Liebster Freund! Der Streik ist natürlich eine von Laval und Tardieu unterirdisch angekurbelte Sache um Blum gleich zu Beginn zu stürzen.236 Aber die Arbeiter obwohl sie streiken verhalten sich tadellos. Äußerste Disziplin bisher. Man hofft nach der wunderbaren Rede die Blum gestern im Radio hielt (ich habe sie gehört) und nachdem der Minister des Inneren einer der fähigsten und erprobtesten Organisatoren ist237 (er hat als Bürgermeister von Lille diese Stadt blühend gemacht) heute die ganze Nacht verhandelt hat, dass doch bis Montag die Bewegung abflauen wird. (Unberufen, ich klopfe, denn sonst würde die Situation sehr gefährlich werden.) Gestern Früh telephonierte Madame Rist plötzlich um sich und ihn zu entschuldigen. Sie war verreist mit ihrer Mutter. Er aber derart mit Arbeit überladen dass er nicht kommen konnte. Sie sagten sich für gestern Nachmittag bei mir an. Aber mußten dann doch absagen weil Rist dringendst zu einer Konferenz berufen wurde. Sein vorgestern im Petit Parisien erschienener Artikel über Frankreichs ökonomische und finanzielle Lage hat ein enormes Aufsehen gemacht. Und wurde in Extenso nach Amerika an alle Blätter telegraphiert. Rist der doch gegen die Devaluation war erkennt nun dass die Abwertung unausweichlich ist, macht aber konkrete Vorschläge wie dies zu geschehen hätte. Nun ist dies für Blum eine große Verlegenheit weil er sich vollkommen gegen eine Devaluation festgelegt hat. Sozusagen versprach es nicht zu tun weil die Kommunisten dagegen sind. Wie er nun (vielleicht mit Hilfe von Rist) da heraus kommen wird, dies ist die Frage. Jedenfalls telephonierte mir Rist dass er entweder übermorgen Montag oder Dienstag zu mir kommt. Sollten Sie etwas Wichtiges ihm zu sagen haben so müßten Sie mir nach Erhalt dieses telephonieren. Ich bleibe wahrscheinlich doch noch die ganz nächste Woche hier und werde wohl erst Samstag nach Wien können. Paris hält einen fest durch Vorspiegelung von Geschäften denen man nachjagt. Und ich will mir nicht den Vorwurf machen aus sentimentalen Gründen (weil ich mich so nach meinem Enkel sehne) irgend eine Möglichkeit aus meinem Sumpf herauszukommen zu versäumen.

236 Der Streik hatte allerdings schon Wochen vor dem Regierungswechsel (4. Juni 1936) begonnen. Unmittelbarer Anlass war die Entlassung von Arbeitern, die am 1. Mai – der damals noch kein gesetzlicher Feiertag war – der Arbeit ferngeblieben waren. Dazu kamen in weiterer Folge noch Lohnforderungen. Ab dem 14. Mai breitete sich die Streikbewegung aus und erreichte mit 2 Millionen Streikenden zwischen dem 9. und 11. Juni 1936 ihren Höhepunkt. Details vgl. Bernhard Schmid, Vor 70 Jahren in Frankreich: Sommer 1936: Der Front populaire, der Generalstreik und die sozialen Errungenschaften, trend. onlinezeitung 7/8 – 06; http://www.trend.infopartisan.net/ trd7806/t207806.html. Abgerufen am 10. Februar 2017. 237 Roger Salengo.

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Die Börse hier ausgezeichnet trotz der Streiks. Der Francs und die Renten fest. Dies wird dadurch erklärt dass sowohl London als auch Amerika Blum höchst vertrauensvoll gegenüber stehen. Und indem sie jetzt den französischen Markt stark stützen Blum ihr Vertrauen ausdrücken. Dies nützt Blum ungemein. Vielleicht kann ich, da ich noch hierbleibe, doch endlich mit einem der jetzigen Machthaber sprechen. Habe jedenfalls alles dazu getan. Und warte nur dass Ruhe eintritt. Heute ist Kammereröffnung. Eine interessante Sitzung, der ich wahrscheinlich beiwohnen werde. Ich wollte Ihnen nur diese kurzen Nachrichten über die Lage geben und umarme Sie herzlichst als Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 8. Juni 1936. Verehrte Freundin! Ich schicke Ihnen Ihren Brief an Dr. Richard Berger zurück. Ihr Mädchen hat ihn bis heute nicht abgeholt und auch telefonisch nicht angefragt. Ich rate aber überhaupt, dass Dr. Fritz Zuckerkandl keinen Brief an Dr. Berger aus Wien schicke, sondern mit dem Poststempel Paris. Ich selbst habe an Dr. Abel und Dr. Berger laut der beiliegenden Abschriften geschrieben. Das Bedenken Fritz’, seine Pariser Adresse Dr. Berger anzugeben, teile ich nicht. Dr. Berger ist sicherlich weder gewillt noch beauftragt, in Paris von Wien aus zu intervenieren. Er müßte, wenn er in Paris intervenieren will, die Angelegenheit seinen Klienten zurückübertragen. Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Anders bezüglich Dr. Abel. Da es sich um dessen eigene Expensen handelt, ist das Bedenken nicht gänzlich abzuweisen. Ich glaube aber nicht, dass von Dr. Abel, der ein sehr feiner Mensch ist, ein Schritt bei Paul Clémenceau zu befürchten ist. Nun zu anderem. Sie tun sicherlich Rist Unrecht. Rist kämpft für die dévaluation de loi238 gegen Devisensperre mit Strafgesetzen. Ich kann mir vorstellen, wie ihn das einerseits aufregt und andererseits beschäftigt. Sein Lebenswerk steht gewissermaßen auf dem Spiel. Leider zweifle ich nicht, dass man weder dem englischen Beispiel folgen wird (d. i. Sistierung der Goldeinlösung ohne gesetzliche Devalvation und ohne Devisensperre, was das Richtigste wäre) noch dem amerikanischen (gesetzliche Devalvation). Man wird wahrscheinlich den Weg gehen, der den Dummen immer der richtigste scheint: Sperren, Verbieten, Strafen! Dabei lügen, dass nicht devalviert wird, Kursnotizen verbieten, und 238 „gesetzliche Abwertung“ – gemeint ist eine gesetzliche Regelung der Abwertung. Das Wort „loi“ gibt es nicht.

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so durch lange Zeit zwei Devisenkurse haben: einen „offiziellen“ inländischen Kurs und einen wirklichen „verbotenen“ ausländischen Kurs. Ich kann mir vorstellen, wie Rist über all das betrübt ist. Seien Sie also mit Rist nicht stolz; rufen Sie ihn an und grüßen Sie ihn von mir ganz besonders herzlich. Ich hätte noch viel zu sagen und zu schreiben. Aber Sie kommen ja – soll ich sagen, leider? – bald nach Wien. Wenn ich wirklich einmal nach Paris fahren würde, dann müssen Sie eben selbst mitfahren und mich mit Blum in Kontakt bringen. In herzlicher Treue Ihr ganz ergebener Beiliegend: Brief von Dr. Fritz Zuckerkandl an Dr. Richard Berger, in Original Abschrift meines Briefes an Dr. Richard Berger, Abschrift meines Briefes an Dr. Paul Abel. {cop. H.[ammelrath] aufg. Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme Sophie Clémenceau 18 avenued’Eylau Paris.}



[GK an Paul Abel, MS] Abschrift  Wien, am 31. Mai 1936. Sehr geehrter Herr Doktor! Zuckerkandl. Ich erbitte Ihre gütige Verzeihung dafür, dass ich in Sachen Dr. Fritz Zuckerkandl Ihnen noch immer keine Vorschläge machen kann. Herr Dr. Fritz Zuckerkandl befindet sich seit einem halben Jahr in Paris. Er ist mit allen Kräften bestrebt, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Seine chemischen Arbeiten werden in den hervorragendsten Fachkreisen geradezu begeistert gewürdigt. Er ist aber noch nicht so weit gekommen, an die Abzahlung seiner Verpflichtungen gehen zu können. Er ist auf dem besten Wege, durch seinen Ernst und seine Leistungen seinen Onkel zu versöhnen. Es ist aber immer noch nicht so weit, dass ich Ihnen konkrete Vorschläge machen könnte. Ich zweifle nicht, dass auf diesem von mir angeratenen Wege Herr Dr. Zuckerkandl die Hilfe seines Onkels erlangen wird, sodaß ich in der Lage sein werde, Ihnen Vorschläge zu machen. Vorläufig kann ich aber nichts anderes tun als für Herrn Dr. Zuckerkandl noch weiter um Geduld und Nachsicht zu bitten. Ihre anderen Schuldner in Purkersdorf habe ich aufgefordert, jetzt bei Beginn der besseren Saison sich mit Ihnen ins Einvernehmen zu setzen.

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Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung Ihr sehr ergebener Dr. Kunwald m.  p. Hochwohlgeboren Herrn Dr. Paul Abel, Rechtsanwalt, Wien I., Rosenbursenstraße 8. {cop: Mahler 5.6.36}



[GK an Richard Berger, MS] Abschrift  Wien, am 31. Mai 1936. Sehr geehrter Herr Doktor! Ich muß Ihre Verzeihung dafür erbitten, dass ich Ihr Schreiben vom 30. April d. J. noch nicht beantwortet habe. Herr Dr. Zuckerkandl befindet sich seit einem halben Jahr in Paris. Er ist mit allen Kräften bestrebt, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Seine chemischen Arbeiten werden in den hervorragendsten Fachkreisen geradezu begeistert gewürdigt. Er ist aber noch nicht so weit gekommen, an die Abzahlung seiner Verpflichtungen gehen zu können. Er ist auf dem besten Wege, durch seinen Ernst und seine Leistungen seinen Onkel zu versöhnen. Es ist aber immer noch nicht so weit, dass ich Ihnen konkrete Vorschläge machen könnte. Ich zweifle nicht dass auf diesem von mir angeratenen Wege Herr Dr. Zuckerkandl die Hilfe seines Onkels erlangen wird, sodaß ich in der Lage sein werde, Ihnen Vorschläge zu machen. Vorläufig kann ich aber nichts anderes tun als für Herrn Dr. Zuckerkandl noch weiter um Geduld und Nachsicht zu bitten. Mir weitere Mitteilungen vorbehaltend zeichne ich mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Dr. Kunwald m.  p. Hochwohlgeboren Herrn Dr. Richard Berger, Rechtanwalt, Wien IV., Schwindgasse 4. {cop. Mahler 5.6.36}



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[BZ an GK, MS] {12.6.36} Mittwoch den 10. Juni. [1936] Geliebter Freund! Sie sind so ein Engel dass ich nur demütig diese große Gnade des Schicksals hinnehmen kann Sie an meiner Seite zu wissen. Mich schützend, mir jede Last erleichternd. Ich kann nicht einmal mehr Danke! sagen. Denn dieses Wort drückt meines Herzens Ergebenheit gar nicht aus. So werde ich also den Brief von Fritz an Berger nicht senden. Denn diese beiden Briefe von Ihnen sind ja so viel autoritativer und eindrucksvoller. Mein armer Fritz dessen Augen oft so traurig und flehend blicken (Sie kennen diesen Blick) wird wieder ein Weilchen aufatmen können. Hoffentlich. Ich glaube immer wenn ich diesen Blick sehe dass ich als Mutter irgendwie Schuld trage. Ich muß etwas versäumt haben oder ich habe diese mangelnde Quote „Chance“ ihm nicht in die Wiege mitgegeben. Denn warum hätte dieser prachtvolle Mensch dessen Geist sich immer mehr als ein dem Namen Zuckerkandl würdiger zeigt, und dessen Herz edel ist, andere Eigenschaften die ich ihm doch vererbt haben muß, welche seine Existenz so ruiniert haben. Und die Existenz eines wunderbar reinen Wesen’s wie es Trude ist die sich ihm anvertraut hatte und deren Leben er ruiniert hat. Daran kann nur ich allein schuld sein. Denken Sie! Vorvorgestern rief Frau Rist an. Entschuldigte ihren Mann, weil er noch nicht bei mir war und sagte ihn und sich für gestern gegen Abend an. Sie kamen Beide gut aussehend aber natürlich wie jetzt alle hier in Paris sehr erregt. Rist steht ganz auf der Seite der Streikenden. Wie übrigens eine große Anzahl sogenannter „Bourgois“. Er sagt es ist ungeheuerlich was in Frankreich an der Arbeiterschaft und an den Angestellten gesündigt wurde. Die jetzt von den Arbeitern verlangten Dinge sind beinahe in der ganzen Welt längst durchgeführt. Dass der Streik gerade bei Übernahme des Gouvernements von einem ihrer Führer ausbrach erklärt Rist dadurch dass sie Blum auf jeden Fall an einem Nachgeben hindern wollten. Niemals aber hat man jemals eine würdigere Art Revolution zu machen erlebt. Diese Disziplin! Diese Selbstkontrolle in den besetzten Fabriken! Kein Tropfen Alkohol. Keine wie immer geartete Bedrohung. Vollkommene Ruhe bei den Streikenden sowie beim Publikum. Au fond ist es ein Glück dass dieser Streik der keinesfalls mehr aufzuhalten gewesen wäre erst unter Blum ausgebrochen ist. Der ja niemals Polizei oder Armee anrufen würde. Unter Laval hätte Blut fließen müssen. Nun aber ist erst abzuwarten ob wie es auch Rist bestimmt behauptet, der Streik Ende der Woche abflauen wird. Vorher ist es aus technischen Gründen kaum möglich. Obwohl die Grundlagen für eine vollkommene Verständigung angenommen wurden. Rist fühlt genau so wie Sie es in Ihrem Brief sagen. Er erklärte mir weshalb er eigentlich sich selbst dementiert indem er nun doch für die Devaluation eintritt obwohl er lange Zeit deren Gegner war. Den vollkommen geänderten Verhältnissen gegenüber wäre es von ihm Feigheit nicht zu gestehen dass

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er sich geirrt habe. Rist sieht jetzt die einzige Möglichkeit in einer sofort zu machenden Devaluation. Denn (so sagte er) sie ist absolut nicht zu vermeiden. Und wird nur, wenn Blum auf seinem Standpunkt sie nicht zu machen beharrt, später unter sehr schlechten Verhältnissen erfolgen. Ob nun Vincent Auriol der als ausgezeichneter Finanzkenner einen großen Namen selbst bei den feindlichen Parteien hat wie Sie befürchten die Politik einer Devisensperre mit allen desaströsen Konsequenzen machen wird, dies ist noch abzuwarten. Vorläufig geht man daran die Banque de France von Grund auf zu reformieren. Labeyrie der zum Leiter ernannt wurde ist ein Mann von Caillaux. Er war unter den Ministerien Caillaux das was Bourguignon bei Painlevé war. Allerdings ist bei der bekannten Undankbarkeit Caillaux es sehr möglich dass dieser Labeyrie nicht (als Präsident der Finanzkommission im Senat) unterstützen wird. Ich selbst kenne Labeyrie. Und bin besonders mit seinen intimsten Freunden den Chocarnes sehr intim. Hätte also auch dorthin gute Beziehungen. Leider konnte ich die Bitte von Bischoff und Wasserbäck sie bei einem Blum nahestehenden Abgeordneten oder Freund einzuführen noch nicht erfüllen. Der Streik hat alle meine Rendezvous die ich bereits hatte über den Haufen geworfen. Und ich gebe ja nur diese paar Tage noch zu weil ich doch versuchen will ehe ich wegfahre mit Grumbach und Crucy zu sprechen. Ich entwickelte Rist meine Idee in Wien bei der Regierung (durch Mittelmänner) anzuregen dass man unoffiziell einen Mann der Linken herschickt. Das heißt einen unserer milden Sozialisten damit Blum nicht allein nur von Otto Bauer (wie bisher) unterrichtet wird. Rist bezeichnet diese Idee als eine ausgezeichnete und beschwor mich sie durchzuführen. Es liegt nun nicht in meiner Macht. Aber die Anregung kann und werde ich geben. Rist grüßt sie herzlichst. Leider hat der Verleger an welchen er dachte um ihr Buch dort erscheinen zu lassen abgelehnt weil er enorme Verluste verzeichnet. Aber Rist hofft bestimmt einen anderen Verleger zu finden. Als er wegging (schon an der Türe) flüsterte er mir noch rasch zu: „Et dites bien a Kunwald que je continue de suivre de près ses indications et ses idees“.239 Er lächelte mir dabei bedeutungsvoll zu als wollte er dass ich diese Worte auf mich beziehe. Mehr konnte er nicht sagen weil mein Schwager ihn bis zur Türe geleitete. Alles Weitere Gott gebe es bald. Ich soll Samstag Früh fahren und Sonntag Früh ankommen. Da ich dritte Klasse fahren muß wohl so zerbrochen dass ich den Sonntag im Bett verbringen werde. Innigst Ihre getreueste B. Z.

 239 „Und sagen Sie unbedingt Kunwald, dass ich weiterhin seine Angaben und Ideen genau verfolge.“

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[BZ an GK, MS] {16.6.36} Dienstag. [16. Juni 1936] Verehrter Freund! Ich muß Ihnen wieder lästig fallen. Eben erhalte ich beilie­ gende Vorladung die ich ja nur öffnete, weil diese an mich adressiert ist. Und ich nicht ahnen konnte dass sie Fritz gilt da ich sie sonst nicht angenommen hätte. Ich ersehe dass es sich um seine Giftkonzession handelt, die er ja besaß um seiner Vertretungen willen. Offenbar hat der Compagnon Herr Strakosch240 (Deutschmeisterplatz 2 , Telephon: A; I 6-3-32) wieder eine Gemeinheit gegen Fritz den er haßt (weil er nicht mehr zurückgekommen ist) begangen. Ich weiß nun nicht was ich tun soll da ich ganz uninformiert bin. Soll ich mich an Strakosch wenden? Und wen soll ich zu der Vorladungsstelle schicken? Bitte raten Sie mir. Innigst dankend Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 19. Juni 1936. Verehrte Freundin! Die beiliegende Zuschrift an die Bezirkshauptmannschaft Innere Stadt empfehle ich Ihnen abzusenden. Mit besten Grüßen Ihr sehr ergebener Beiliegend: Zuschrift an die Bezirkshauptmannschaft Innere Stadt. Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl-Szeps Wien I., Oppolzergasse 6. {cop. H.[ammelrath] 19.6.36 aufgeg. Hallemann 19.6.36}



[BZ an die Bezirkshauptmannschaft Innere Stadt] Wien, am 19. Juni 1936. An die Bezirkshauptmannschaft Innere Stadt Wien Bezugnehmend auf den Ladungsbescheid B. H. I. 713/36 vom 15. Juni 1936 erlaube ich mir ergebenst mitzuteilen, dass ich mich mit meinem in Paris weilenden Sohn auftragsgemäß in Verbindung gesetzt habe. 240 Dabei handelt es sich um Otto Strakosch und um dessen Chemikalien-Großhandelsgeschäft Wien 1, Deutschmeisterplatz 2.

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Nach Einlangen seiner Rückäußerung wird ein von ihm bestellter Vertreter oder werde ich auf die den Gegenstand der Ladung bildende Konzessionssache meines Sohnes zurückzukommen mir erlauben. Der löblichen Bezirkshauptmannschaft ergebenste



[Kuvert Vorderseite]241 Fragen v. Frau Hofrat Z. (15. 6. 36) u. Beantwortung (21. 6. 36) [Kuvert Rückseite] Dr. Gottfried Kunwald Wien I, Schulerstraße 1 [drei Siegel] Hammelrath



[BZ Fragen an GK, MS] {Zuck. 15. 6. 36} Fragen? Wie ist die Spaltung Schuschnigg242 – Starhemberg aufzufassen? Ist es richtig dass Mussolini Schuschnigg kommen ließ um von ihm zu fordern dass er Starhemberg in irgend einer Form wieder an der Regierung direkt beteiligt? Ist die ökonomische Lage Österreich’s wirklich in guter Entwicklung? Wird die legitimistische Frage von Schuschnigg unterstützt? Und ist Aussicht vorhanden dass Otto Kaiser von Österreich wird? (Die Haltung der Sukzessionsstaaten ist ja Jugoslavien ausgenommen nicht absolut ablehnend, jedoch würde wahrscheinlich eine Volksbefragung notwendig sein.) Wie verhält sich das österreichische Volk zu dem Problem einer Volksbefragung? Ist diese von verschiedenen Seiten propagierte Volksbefragung nicht eine Gefahr, wenn Hitler’s Absichten in Betracht gezogen werden? Auf welche Art müßte sich von auswärts eine Politik für Österreich’s Unabhängigkeit orientieren? Was müsste vorgesehen werden um eine Annäherung der französischen Linksregierung und der österreichischen Rechtsregierung in die Wege zu leiten? Lieber Freund! Dies sind vorläufig die Hauptfragen, die mir gestellt wurden. Herzlichst Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps

 241 Die Dokumente Fragen, die Antworten unter I. (im Original in französischer Sprache) sowie unter II. die Frage nach der ökonomischen Lage (im Original in deutscher Sprache) befinden sich in der Korrespondenz in einem braunen Kuvert. 242 Hier wie an anderen Stellen schreibt BZ „Schussnig“.

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[GK, Beantwortung der Fragen zur politischen Lage Österreichs, französisch]243 I. Auf die erste Frage ist es mir nicht möglich, genau zu antworten. Um den Bruch „Schuschnigg – Starhemberg“ richtig zu beurteilen, muss zunächst die Beziehung „Schuschnigg – Starhemberg“ ab dem 25. Juli 1934 bis zum 10. Mai 1936 richtig beurteilt werden. 10 Mai 1936 Am Tag, an dem Dollfuß ermordet wurde, war Starhemberg Vizekanzler. Schuschnigg war nur der Unterrichtsminister, den Dollfuß einige Wochen früher mit seiner Vertretung während seines Besuchs bei Mussolini betraut hatte. Starhemberg war nicht in Wien. Es musste einer der Minister den Kanzler bis zur Rückkehr Starhembergs aus Italien und, nach seiner Rückkehr, bis zur Ernennung eines neuen Kanzlers vertreten. Es ist durchaus bekannt, dass Schuschnigg, ein damals sehr bescheidener Mann, der Starhemberg am Bahnhof erwartete, ihn aufrichtig bat, die Nachfolge von Dollfuß zu akzeptieren. Es war Starhemberg, der die Nachfolge ablehnte. Dies war negative Konkurrenz auf beiden Seiten. Um sie zu verstehen, muss man die beiden Personen näher beleuchten. Starhemberg: eine der dominierenden Eigenschaften ist seine unwahrscheinliche Trägheit. Von Geburt reicher Grandseigneur, der nie Disziplin, egal welcher Art, vertragen hat, sehr begabt, sehr sportlich. Starhemberg hasst die Aufgaben des Alltags. Für ihn ist es ein Albtraum, jeden Tag Fragen prüfen, Berichte lesen, Audienzen geben zu müssen. All das sind Dinge, die ihm schon immer unerträglich und unmöglich erschienen sind. Die Idee, Kanzler zu werden, war ihm ein Gräuel. Er hätte eher die Flucht ergriffen. Andererseits stimmt es, dass ihn Verantwortung nicht erschreckte; sehr wohl jedoch regelmässige Beschäftigungen. Auf der anderen Seite Schuschnigg: ein hochgebildeter Geist, sehr feinfühlig, ein Freund der Arbeit, leidenschaftslos, sehr religiös, voll Verantwortungsgefühl, aber keineswegs ein Freund der Verantwortung. Es war offensichtlich, dass keiner der beiden Männer die Nachfolge von Dollfuß antreten wollte. Schuschnigg hat sie dann übernommen und sich dabei sehr eng und in aller Offenheit mit Starhemberg alliiert. Die beiden Männer verstanden sich während etwa achtzehn Monaten sehr gut. Starhemberg überliess die gesamte Verantwortung Schuschnigg, und Schuschnigg respektierte die Interessen und Ansichten des Heimwehrführers. Dieser Honigmond dauerte ziemlich lange, ging jedoch schliesslich zu Ende. Die Ursache war keineswegs eine persönliche Entfremdung, wohl aber eine notwendige Entwicklung. Starhemberg war Führer der Heimwehr, die sehen musste, dass ihr Leiter sich immer weniger mit den Staatsgeschäften befasste, während Schuschnigg sich 243 Der Text in französischer Sprache wird in Übersetzung wiedergegeben.

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immer mehr damit beschäftigte. Zwar sehr bedächtig, ohne persönliche Note, der Einfluss der Heimwehranhänger nahm aber von Tag zu Tag ab. Die Unzufriedenheit der Heimwehr wuchs ständig, und eine Kabinettumbildung im Oktober 1935 schien schliesslich alle Wünsche der Heimwehr zu erfüllen. Der enge Freund Starhembergs, Draxler, wurde zum Finanzminister ernannt – welch Zukunft für die Heimwehr! Aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Denn es wurde bald klar, dass in allen wirtschaftlichen Fragen weder die Heimwehr noch die katholischen und klerikalen Kreise das Sagen hatten: die Oberhand hatte der dominante und diktatorische Präsident der Nationalbank, Kienböck.



[GK, Beantwortung der Fragen zur ökonomischen Lage Österreich] {Zuck} 21.6.36 II. Frage: Ist die ökonomische Lage Österreichs wirklich in guter Entwicklung? Die Frage ist unbedingt mit Ja zu beantworten. Gleichwohl muß gesagt werden, dass diese sehr langsame und allmähliche gute Entwicklung heute politisch bedeutungslos ist. Politisch verträgt Österreich die absolut und weitgehend deflationistische Wirtschaftspolitik Kienböcks nicht. Ja, hätte Kienböck die Wirtschaftspolitik eines Landes zu leiten, das für die nächsten 20 Jahre keine innenpolitische und keine außenpolitische Erschütterung zu befürchten hätte, und das nach diesen 20 Jahren keine andere Rolle zu spielen haben wird, als ohne jede wirtschaftliche oder kulturelle Expansion bestehen zu bleiben, dann wäre sie vorbildlich. Langsam, sehr langsam würde die Arbeitslosigkeit abnehmen, langsam, sehr langsam würde das ehemals so reiche Land sich in seine bescheidene Rolle eingewöhnen. Nachdem Kienböck im Jahre 1932 und 1933 die Wirkungen der (affreuse)244 Kreditkrise des Jahres 1931, pour ainsi dire245, lokalisiert und stabilisiert hatte, hat er Österreich, pour ainsi dire, krisenfest gemacht. Dies hat jetzt die Phönixkrise246 gezeigt, die Österreich ohne Erhöhung des Zinsfußes, ohne Erschütterung der Devisenkurse überstanden hat. Aber ein Land kann politisch und kulturell nicht davon leben dass der Standard of life zurückgeht und die Arbeitslosigkeit stabil bleibt. Das Charakteristische an Kienböcks Politik ist die Ertötung jeder Hoffnung auf Besserung der wirtschaftlichen Freude und der wirtschaftlichen Zuversicht im Volk. Immer neue Einschränkungen, fortgesetzte Kürzung aller Beamtengehalte, nichts als Liquidität auf allen Seiten, nirgends Unternehmungsgeist, nirgends 2 44 „schrecklichen“. 245 „sozusagen“. 246 Die Phönixkrise des Jahres 1936 war ein Versicherungsskandal mit weitreichenden Folgen für rund 330.000 Versicherungsnehmer. Durch den Zusammenbruch der Phönix-Versicherung wurden u. a. aber auch Bestechungen von hochrangigen Politikern aufgedeckt. In der Folge kam es zu einigen Selbstmorden. Vgl. dazu die jüngste Literatur Hans H. Lembke, Phönix, Wiener und Berliner: Aufstieg und Sturz eines europäischen Versicherungskonzerns, Wiesbaden 2015.

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Hoffnung auf Besserung. Wenn es irgendein Land gibt, in dem eine solche Politik schädlich ist, so ist es Österreich. Im größten Teil der wirtschaftenden Welt, in Amerika, in England, in Deutschland und in Italien herrscht jene Wirtschaftspolitik, die mit einem falschen Ausdruck die inflationistische genannt wird, die Wirtschaftspolitik der fortwährend steigenden Nachfrage. Wenn nun in Österreich eine deflationistische Politik d. i. eine Herabsetzung aller Einkommen, eine Politik der abnehmenden Nachfrage fortgesetzt und ohne jedes Kompromiß betrieben wird – wie sollte in diesem Lande nicht die Sehnsucht nach wirtschaftlicher Belebung und Änderung in allen Köpfen den Grundton bilden? Wirtschaftlich herrscht in Österreich seit 1932 nicht Schuschnigg und nicht Starhemberg, sondern ausschließlich Kienböck, der eine wahrhaft diktatorische Gewalt ausübt. Es ist sicher, dass mit Ausnahme der geschützten Großindustrie alles in Österreich nach einer Änderung dieser Wirtschaftspolitik das derzeit allerdings unbewußte Sehnen hat. Die Autorität Kienböcks, der in den Jahren 1932 und 1933 den allgemein gefürchteten Verfall des Schillings mit technischer Meisterschaft aufhielt, ist in der gegenwärtigen Regierung eine unbeschränkte geworden. Sie ist durch van Hengel gestützt und vielleicht noch übertrieben worden. Kienböck hält jede zweite Autorität mit starker Hand davon ab, auch nur zu Wort zu gelangen. Es ist zu fürchten, dass die wirtschaftliche Unzufriedenheit, die nur eine latente ist, in dem Moment lebendig wird, in dem seine starke Hand durch irgendeinen Zwischenfall an Autorität verlieren wird. Eine geänderte Wirtschaftspolitik ist unbedingt notwendig, wenn nicht bei einer Volksbefragung die latente wirtschaftliche Unzufriedenheit zu einer fast einstimmigen Ablehnung dieser ganzen Wirtschaftspolitik und damit auch des ganzen Regimes führen sollte. Wenn ich, was sehr selten der Fall war, mit Kienböck sprach und ihm sagte, dass eine andere Wirtschaftspolitik deshalb notwendig sei, weil sonst eine Volksbefragung sicherlich negativ ausfallen würde, hat er, der mein Schüler ist und, so sorgsam er mich von allem fernhält, doch innerlich meine Autorität nicht bezweifelt, die Farbe gewechselt. „Ja, woher sollte denn die Volksbefragung kommen?“ fragte er. Meine Antwort war: „Sie wird kommen.“ Und ich halte jede Wirtschaftspolitik für falsch, die nicht an diese Volksbefragung denkt und ihr Rechnung trägt. Selbst wenn dadurch das Idol der währungspolitischen und budgetpolitischen Stabilität gefährdet werden würde. Meiner Ansicht nach ist ja gerade das die Aufgabe jeder Währungspolitik, jeder Budgetpolitik, jeder Kredit- und Finanzpolitik überhaupt: für die Stabilität der Währung und des Budgets soweit zu sorgen, als dadurch die Freude am Staat selbst nicht fraglich gemacht wird. III. Frage: Volksbefragung. Um diese Frage zu beantworten, muß ich ein bißchen philosophieren. Man muß, wenn man von der Volksbefragung spricht, zwei Arten von Völkern unterscheiden: solche, die gewohnt sind, befragt zu werden, und solche, die diese Gewohnheit nicht haben.

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Die Völker, die gewohnt sind, befragt zu werden, die also wissen, dass auf eine Antwort auch sofort die Verwirklichung kommt und dass diese Verwirklichung auf sehr lange Zeit hinaus unwiderrufliche Tatsachen schafft, werden vielleicht auf eine Frage ungefähr die Antwort geben, die ihrem wirklichen Wollen entspricht. Ich sage, vielleicht. Aber ich kenne kein anderes Beispiel in der modernen Welt als die Schweiz, dont le peuple a jamais répondu de travers.247 Eine andere Gruppe von Völkern sind nicht gewohnt, sachliche Fragen zu beantworten. Sie sind nur gewohnt, die persönliche Frage zu beantworten, von wem sie regiert werden wollen, zu welchen Personen oder zu welchen Parteien sie Vertrauen haben. Das Volk der Vereinigten Staaten und das britische Volk sind seit mehr als einem Jahrhundert gewohnt, diese Frage zu beantworten. Die Völker Deutschlands und des alten Österreich haben auch diese Gewohnheit nicht. Niemals bis 1918 sind diese Völker befragt worden, wer sie regieren soll. In den deutschen, österreichischen und ungarischen Wahlen bis 1918 sind nicht Personen gewählt worden, die regieren sollen, sondern immer nur solche Personen, die die Meinung des Volkes zum Ausdruck bringen sollen. Es ist immer nur eine Volksvertretung gewählt worden, damit sie den wirklich Regierenden vis-à-vis die Meinung des Volkes ausspreche, nicht aber selbst die Regierung ergreife. Denn diese Völker haben niemals den Willen und die Übung gehabt, ihre Herrscher selbst zu wählen. Diese Herrscher waren eine gegebene Tatsache, und der Monarch, der mit dieser Aufgabe betraut war, sollte bei seiner Regierung die Vertrauensmänner des Volkes hören. Wenn das Volk in Deutschland vor dem Kriege ein Dutzend verschiedener Parteien gewählt hat – wollte es, dass auch nur eine Partei die Regierung wirklich übernehme? Davon ist gar keine Rede. Es wollten weder die Wähler des katholischen Zentrums, dass Deutschland katholisch beherrscht werde, noch die Wähler der verschiedenen sozialdemokratischen, liberalen oder konservativen Parteien, dass nun Deutschland im Sinne einer dieser speziellen Parteien wirklich sofort regiert werden solle. Nein. Sie wollten alle nur, dass ihre Partei möglichst stark im Parlament wäre, damit die Regierung des Monarchen auf ihre Gesinnung möglichst vorwiegend Rücksicht nehme. Und nach 1918? Auch in dieser Zeit haben die Wähler niemals gehofft oder gewollt, dass ihre Partei wie in England oder Amerika die Regierung ergreife. Sie wollten nur, dass bei der Regierung, die sich bilden wird, das Wort der gewählten Partei möglichst stark in die Waagschale falle. Kein Wähler, der z. B. für die Sozialdemokratie stimmte oder für die Konservativen, dachte an das ungeheure Wirrsal, das entstehen würde, wenn eine Partei die alleinige Verantwortung übernehmen würde. Gerade diese Pseudodemokratie, bei der die Wähler niemals das Gefühl der Verantwortung hatten und die radikalsten Parolen nur gehört werden wollten, die eine starke und einheitliche Regierung unmöglich machte, hat den Völkern, die ja alle stark regiert werden wollen, einen Widerwillen gegen die Demo 247 „deren Volk nie unrichtig/daneben geantwortet hat.“

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kratie, die in diesen Ländern, in denen es keine regierungsgeschulten Parteien gibt, jedes starke und einheitliche Regieren unmöglich machte, eingeflößt, der schließlich darin zum Ausdruck kam, dass überhaupt nicht gewählt werden soll. Das gilt von Deutschland, von Italien, von der Tschechoslowakei und vor allem und am meisten von Österreich. Denn das österreichische Volk hat eine ganz besondere Mentalität. Das österreichische Volk ist der Selbstverantwortung in ganz besonderem Maße entwöhnt. Von dem vielsprachigen alten Österreich her ist es gewöhnt, kein entscheidendes Wort zu sprechen. Jeder Österreicher ist durch ein Jahrhundert gewöhnt, dass andere Völker, Polen, Tschechen, Jugoslaven bei der Regierung des Landes ein entscheidendes Wort zu sprechen haben. Ihm, dem deutsch-österreichischen Volk, fiel die Rolle zu, sich durch die widerspruchsvollen Einflüsse der anderen Nationen gewissermaßen durchzuwinden (se tirer d’affaires parmi toutes ces influences différentes)248 keine Entscheidungen zu fällen, aber zu trachten, dass die Entscheidungen, die gefällt werden, möglichst auf seine Wünsche Rücksicht nehmen. Dieses Volk wird also einer Volksbefragung ohne das Gefühl wirklicher Verantwortung wirklicher Entscheidung gegenüberstehen und es wird nur eine Seite der Frage sehen: die persönliche. Wenn also heute eine Volksbefragung an das österreichische Volk herantreten würde: Anschluß oder Selbständigkeit, so wird das österreichische Volk nicht die Antwort geben, ob Anschluß oder Selbständigkeit, sondern die Antwort auf die Frage, ob Hitler oder Schuschnigg. Die Wahl zwischen einer großen und eindeutigen Persönlichkeit und zwischen einer so verschwommenen und wenig bedeutenden Persönlichkeit, wie es Schuschnigg ist. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Sie würde für Hitler lauten und das österreichische Volk würde die Entscheidung einer Woche durch Dezennien zu betrauern haben. Hitler ist die deutsche mächtige und erfolgreiche Inflationskonjunktur, Hitler ist Begeisterung, Hitler ist Hoffnung. Wer würde für Schuschnigg stimmen, für Fortdauer der Deflation, für eine Regierung, die dem Volke nichts ist als eine erträgliche Gegebenheit? Das ist es, was die Regierung in Österreich nicht sieht, dass eine solche Volksbefragung kommen wird und kommen muß. Dass sie also nicht nur eine andere Wirtschaftspolitik machen muß, dass auch eine Mitwirkung aller geistigen Elemente und Freude an der Mitwirkung dieser geistigen Elemente dem Volke Vertrauen geben muß. Und, dass eine Person als Repräsentant dieses Regimes erscheint, auf die das Volk wirklich Hoffnung setzt und eine willkommenere Hoffnung als sie durch Hitler repräsentiert wird. Eine solche Persönlichkeit wäre Lueger gewesen. Eine solche Persönlichkeit wäre vielleicht auch Dollfuß gewesen, vielleicht auch Starhemberg, solange er nicht durch fast dreijähriges Mitregieren wertlos geworden war. 248 „sich allen unterschiedlichen Einflüssen zu entziehen.“

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Heute gibt es nur ein Gegengewicht, das man Hitler gegenüberstellen könnte: Habsburg mit seiner Erinnerung an vergangene bessere Zeit und mit seiner jahrhundertelangen Verbundenheit mit diesem Volke. Nur eine Volksbefragung zwischen Hitler und Habsburg würde gegen Hitler entscheiden, und auch dies nur dann, wenn Zeit gewesen wäre, für eine gute und richtige Propaganda, und auch dann nur, wenn Habsburg ein demokratisches Credo ablegen würde. Das ist unsere einzige Hoffnung. IV. Frage. Die Frage der monarchistischen Restauration. Sie ist im Vorstehenden beantwortet. Nur in der Restauration liegt die Möglichkeit einer österreichischen Unabhängigkeit. Ob Schuschnigg die Restauration unterstützt?



[BZ an GK, MS] Villa Fridell249, Kufstein. Sonntag [9. August 1936] Verehrter Freund! Hoffentlich geht es Ihnen wieder gut. Ich bin so verstimmt weggefahren weil ich Sie nicht mehr sehen konnte. Hier bei Friedell wäre es schön, aber das Wetter ist namenlos grauslich. Ich friere so dass ich meist im Bett liege und den elektrischen Ofen anzünden muß. Mittwoch Früh denke ich in Parsch bei Salzburg, Villa Waldersdorff einzutreffen. Und erwarte dort von Ihnen nur ein Wort wie Ihr Befinden ist. Ich schicke Ihnen diesen Ausschnitt aus dem N. w. J.250 ein. Vielleicht kennt Koretz auch diesen Film-Matador.251 Und da hier zu lesen ist dass dieser sich für Österreich interessiert, so wäre in unserer Angelegenheit eventuell etwas zu versuchen. Jaray habe ich leider nicht mehr gesprochen. Ich umarme Sie herzlichst als Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, Telegramm, 11. August 1936, MS] RP 12 ZUCKERKANDL VILLA WALDERSDORFF PARSCH BITTE DRAHTET NAMEN HOTEL DANKEND KUNGO WIEN. 249 Wie bei vielen Eigennamen bei BZ ein Flüchtigkeitsfehler, gemeint ist Egon Friedell. Er verbrachte seit 1930 die Sommer in Kufstein, in seiner Villa am Thierberg. 250 „Neues Wiener Journal“; der Artikel liegt nicht bei. Es konnte kein Artikel mit einem Film-Bezug eruiert werden. 251 Mit Film-Matador könnte eine Persönlichkeit gemeint sein, die in der Film-Branche einflussreich war. Wahrscheinlich handelt es sich bei „Matador“ nicht um eine Produktionsfirma namens Matador, die in den Jahren 1931 bis 1933 mehrere Kinofilme in Berlin und Paris gedreht hatte, zwei davon jeweils in einer deutschen und französischen Version. Den Hinweis verdanke ich Peter Spiegel vom Filmdokumentationszentrum-Filmarchiv Austria.

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{cop. H.[ammelrath] aufg. telef. 11.8.36, 1305 H.[ammelrath]}



[BZ an GK, Telegramm, 11. August 1936] {12.8.36, 838h} Telegramm Kunwald Schulerstraße 1 und 3 Wien Aus Salzburg 1; +859-9-11 – 22/30 Ausgefertigt 11. August 23 Pension Parsch = Zuckerkandl; +



[BZ an GK, HS] {14.8.36} Lieber Freund! Ich heiße Sie freudig willkommen! Hoffentlich werden Sie mit Ihrem Logis zufrieden sein. Bitte telephonieren Sie mir wann es Ihnen angenehm sein wird mich zu sehen. Ich halte mich jedenfalls frei. Herzlichste Grüße auch an Fräulein Ella. Telephon: 23 – 66-Stelle 8 Ihre Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {27.8.36} Mittwoch den 25.A.[ugust 1936] Lieber, verehrte Freund! Unlängst richtete man mir aus dass Fräulein Ella mich angerufen hätte und dass sie eine Telephonnummer für mich zurückließ. Aber die dummen Stubenmädchen hatten die Nummer verloren. Ich konnte daher leider nicht anrufen. Gleich den Tag nachdem Sie wegfuhren hatte ich Fräulein Ella in der Pension Parsch wo ich doch dachte dass sie wohnt angerufen, weil es mir mit schwerer Mühe gelungen war für sie einen Sitz zur Generalprobe von Mahler’s Dritten mit Bruno Walter zu ergattern. Aber man sagte sie wäre fort und nicht wohin. So gab ich denn Peter dann beide Sitze. Es tat mir sehr leid. Maria Ley-Deutsch hat schon längst an Devaux wegen Caillaux geschrieben. Aber bis jetzt keine Antwort erhalten. Ich weiß nicht ob gerade jetzt dieser Weg besonders vielversprechend ist. Warum? Das werde ich Ihnen einmal erzählen. Schreiben kann man so etwas Intimes nicht. Es ist halt immer dieselbe Geschichte wenn eine schöne Frau Freunde besitzt. Da klappt es nie ganz. Aber vielleicht kommt die Antwort doch noch. Und vielleicht ist die Verspätung nur weil Caillaux noch nicht in Mamers zurück ist.

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Nun liebster Freund naht der Herbst und wieder Trudes schreckliche Sorgen. Ich denke Sie hat Ihnen bereits geschrieben um Sie wieder um Ihre Hilfe anzuflehen. Stiasny hat nämlich (ohne Trude vorher zu verständigen oder zu fragen) einem Amerikaner seine Wohnung in der Villa vermietet. Der Amerikaner aber hat verlangt dass Niemand außer ihm in der Villa wohnen darf. Und da hat Stiasny einfach Trude geschrieben dass er ihr andere Zimmer im Sanatorium anweisen muß weil es im Interesse des Sanatoriums liegt diesen Amerikaner zu behalten. Natürlich verhält sich die Sache so dass Stiasny selbst für die von ihm an den Amerikaner abgetretene Wohnung sich ordentlich (ohne das Interesse des Sanatoriums zu regardieren)252 zahlen läßt. Trude aber will er offenbar gar keine Entschädigung geben, sonst hätte er sie ihr sofort angeboten. Sondern es ist einfach Bruch des Hausrechtes was er da gemacht hat. Ich weiß Sie werden Trude verteidigen. Und Stiasny wird eben wenn Sie es verlangen Trude für die Abtretung ihrer Wohnung (was eine große Unannehmlichkeit ist) monatlich zahlen müssen. Dies aber wird er nur tun wenn Sie Ihr Machtwort sprechen. Sie erhalten jedenfalls dieser Tage einen Brief von Trude. Salzburg feiert die letzte Woche der Festspiele. Dann wird es leer. Ich muß trachten so lange als möglich zu bleiben da Maria mir leider Geld schuldig geblieben ist253 und ich faktisch im September nichts zu leben habe. Hier bin ich wenigstens verköstigt. Fritz schreibt mir dass er mich nicht wie er dachte (Gerson’s wegen) schon September brauchen wird. So denke ich falls Sie auch nicht fahren sollten bis November in Wien zu bleiben. Mir graut vor den Problemen die mich erwarten. Peter konnte ich große Freude machen. Indem ich ihm durch Direktor Kerber sowohl zu „Falstaff “ als zu den „Meistersingern“ Einlaß verschaffte. Er hat gestrahlt. Haben Sie von der Geschichte gehört dass Erzherzog Albrecht bei Hitler war. Und dass dieser, da Albrecht nachweist dass sein Stamm nicht von den Habsburgern, sondern von Slaven stammt; also wenn er als einzige Anwärter auftreten wird, von Hitler unterstützt, dies das Ende der Habsburger bedeuten würde. Jedenfalls ist es richtig dass Albrecht von Hitler empfangen wurde.254 Ich umarme Sie herzlichst als Ihre getreue B. Z.

 252 Regardieren veraltet für berücksichtigen, betrachten. 253 In den Briefen im Bestand Berta Zuckerkandl im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek findet sich der Hinweis auf ein gemeinsames Buch mit Maria Deutsch. Der Zusammenhang zu dem schuldig gebliebenen Geld ist allerdings nicht verifizierbar. Vgl. LIT, Signatur 438/W 24, Beilagen zu Tagebuch Band VI, Brief BZ an Emile Zuckerkandl vom 19. März 1937 und 23. Mai 1937 („Marias Buch über Österreich“). 254 Erzherzog Albrecht stand extrem rechten Gruppen in Ungarn nahe, die u. a. enge Beziehungen zum Dritten Reich hatten.

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[GK an BZ, Korrespondenzkarte, MS] {Korrespondenzkarte} Wien, am 27. August 1936. Verehrte Freundin! Ella ist in Söllheim, Post Gnigl bei Salzburg (vom Café Bazar 8 Minuten Autofahrt, was ich selbst gefahren bin, noch näher von Parsch) Telefon Söllheim Nr. 2, keine nähere Adresse, weil nur 5 Häuser um ein Schloß herum. Vielen Dank für Peters „Fallstaff “, wovon er mir begeistert und dankbar erzählte. Was Sie von Trudes Wohnung erzählen, ist eine unerhörte Gemeinheit. Albrecht ist Gegenprätendent in Ungarn und hat für dort meinen herzlichsten Segen. Wenn ich nach Paris zu fahren hätte, erfahren Sie es zuerst. Herzlichst Ihr {Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Parsch b Salzburg Villa Waldersdorf cop, aufgegeb. 27.8.36 Rfl. [Rosa Friedler] }



[GK an BZ, MS] Wien, am 6. September 1936. Verehrte Freundin! Kommen Sie nicht zum Theaterkongreß?255 Kennen Sie den Unterrichtsminister Zay?256 Ist er Parteigenosse Blums? Wenn alle drei Fragen bejahend beantwortet werden, würde ich von Ihnen sehr gern mit Zay bekanntgemacht werden. Herzlichste Grüße Ihr ganz ergebener Hochwohlgeboren Frau Hofrat Bertha Zuckerkandl-Szeps, Parsch bei Salzburg Villa Waldersdorf. {cop. Mahler 6.9.36 aufgeg. Mahler 6.9.36}

 255 Am 4. September 1936 war der IX. Internationale Theaterkongreß in Wien eröffnet worden. Vgl. dazu „Wiener Zeitung“ vom 4. September 1936, S. 7, Festliche Eröffnung des Theaterkongresses. 256 Jean Zay war als „kultureller Botschafter“ Frankreichs beim Theaterkongreß anwesend. Vgl. „Wiener Zeitung“ vom 8. September, S. 3 und 8.

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[BZ an GK, MS] {8.9.36} Montag. [7. September 1936] Liebster Freund! Warum haben Sie mir das nicht gesagt, als Sie mich anriefen? Vielleicht hätte ich etwas arrangieren können, da Lenormand mit dem Unterrichtsminister sicher gut steht. Und Lenormand in Wien der Repräsentant der Französischen Theaterabteilung ist. Jetzt ist es wohl zu spät. Denn heute Abend ist die Gala-Vorstellung der Comedie Francaise und ich weiß nicht ob Zay dann noch in Wien bleibt. Lenormand erreichen Sie durch Frau Deutsch bei mir. Ich hätte gewiß gerne den für mich nicht unwichtigen Kongreß mitgemacht. Aber ich muß bis halben S.[eptember] hierbleiben weil hier mein Leben mich nichts kostet. Während ich in Wien verhungert wäre. Ich habe es sehr bedauert. Zay ist selbstverständlich ein Parteigenosse und Freund von Blum. Herzlichst Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps Ich war auch von Puaux mit Zay eingeladen. Man sandte mir die Einladung nach.



[BZ an GK, MS] {2.X.36} Freitag Früh. [2. Oktober 1936] Verehrter Freund! Da ich Sie heute gewiß nicht sehen kann, so wage ich es Sie mit diesen Zeilen zu belästigen. Fritz hat uns einen Brief für Dr. Gallia eingeschickt. Wir wollen diesen aber erst abgeben bis Sie sagen dass der Brief richtig ist. Nämlich der eine Satz: „Selbstverständlich bin ich einverstanden dass Sie das Klagebegehren von der I. G. Farben anerkennen“. Der in dem Brief erwähnte Guerbet ist der Besitzer des Präparates „Tenebryl“. Anbei die Kopie des Briefes. Und wenn Sie die Güte hätten mir noch heute zu telephonieren ob wir den Brief bei Gallia abgeben dürfen wäre ich dankbarst. Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[Fritz Zuckerkandl an Ludwig Gallia, Konzept, MS] Abschrift 28. des IX. 1936. Wohlgeboren Dr. Ludwig Gallia. Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! Selbstverständlich bin ich einverstanden dass Sie das Klagebegehren von der I. G. Farben anerkennen. Ich will also zuwarten dass Sie mir weitere Mitteilungen machen und werde dann mit Guerbet sprechen.

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Herzlichsten Dank für Ihre Bemühungen. Mit besten Grüßen Ihr sehr ergebener Fritz Zuckerkandl Vorläufig bemühe ich mich, mir in Paris eine neue Existenz zu schaffen. Komme aber nicht nach Wien.



[BZ an GK, MS] {3.X.36} Samstag. [3.Oktober 1936] Verehrter geliebter Freund! Ich will Sie nicht telephonisch belästigen. Daher nur dieses Wort. Ich habe gestern nach dem Gespräch mit Ihnen, da Sie mir mitteilten dass Rist wahrscheinlich nichts tun kann, dass Sie aber eine weit geringere Summe ihm jetzt genannt haben, diesem einen Brief geschrieben. Konnte mich mit Ihnen nicht mehr beraten, weil Sie doch müde waren und ich wollte dass Rist den Brief noch gestern Abend erhält. Ich teilte Rist mit dass ich seit gestern eine neue und sehr hoffnungsreiche Aussicht auf besseren und ständigen Verdienst habe. Ein großer neugegründeter Radioverlag hat mich aufgefordert die Sektion für Hörspiele (der französischen dramatischen Literatur entnommen) zu machen und überhaupt die alleinige Leitung dieser Abteilung zu übernehmen. Der Vertrag wurde bereits festgelegt und ich werde mir erlauben Ihnen diesen vorzulegen. Nun beginnt meine Tätigkeit zwar jetzt gleich. Aber die Honorierung findet erst nach Aufführung eines Hörspieles statt. So dass ich noch für die nächsten Monate sehr zu kämpfen haben werde. Da diese Tätigkeit mich auf das Äußerste anstrengen wird würde ich umsomehr eine Entlastung meiner schweren Lebenssorgen benötigen. Wasserbäck dem ich mitteilte dass ich nun für den Österreichisch-Französischen Kulturvertrag ihm auch das Radio zur Verfügung stellen werde, war direkt begeistert. Und wir werden gemeinsam sofort in Paris eine große Aktion mit dem dortigen Radio Minister257 entrieren.258 So bat ich denn Rist ob er mir nicht wenigstens vierzigtausend Sch. verschaffen könnte damit ich den Winter über ungestört arbeiten kann. Und ich stellte ihm auch vor dass dasselbe was die Länderbank ökonomisch als Österreichisch-französisches Bindeglied ist, ich auf einem anderen Plan nun werde tätigen können. Vielleicht ist dies für Rist irgend eine Basis auf der er mir von der Länderbank diese kleine Summe verschaffen kann.

257 In der Regierung Blum gab es einen Minister für Post und Telegraphie Robert Jardillier (4. Juni 1936 bis 21. Juni 1937). 258 Einen Hinweis auf die „Radiosache“ gibt es auch im LIT, Signatur 438/w 24 – Beil. 1/2 Brief BZ an Trude Zuckerkandl vom 17. November 1936.

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So, dies nur zu Ihrer Information. Ich warte sehnsüchtig Sie sprechen zu dürfen. Heute wäre ich meiner Verhandlungen wegen erst ab 6 Uhr frei. Innigst Ihre Berta Haben Sie Gallia fragen können?



[BZ an GK, HS] {19.X.36} Montag. [19. Oktober 1936] Lieber Freund! Anbei sende ich Ihnen den Film-Ausschnitt259, es ist ein interessantes Arrangement vorläufig mit der Sascha-Tobis getroffen worden. Herzlichst Ihre Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {20.XI.36} Mittwoch den 17. N.[ovember 1936]260 12, Avenue d’Eylau. Verehrter Freund! Nun bin ich eine Woche hier. Und es war wie immer eine Woche schwerer Sorgen. Fritz der sich so ausgezeichnet wissenschaftlich bewährt und so große Hoffnungen hegte, hat es furchtbar schwer. Denn er verdient nachdem Gerson weggefallen ist kaum das Nötigste zum Leben. Nur wer Paris kennt wie ich es kenne, weiß wie eng, wie geizig, wie elend kleinlich die wissenschaftliche Carriere eingegrenzt ist. Und anderes was Fritz ja nebstbei versuchen könnte wird erst möglich sein sowie er die Naturalisation haben wird. Ob dies rasch geht das hängt von der Dauer des Ministeriums ab. Und auch ob unser lieber Paul Clemenceau den ich sehr gealtert fand, noch so lange da sein wird um Fritz als seinen Neffen diese Naturalisierung zu erleichtern. Paul war nämlich diese Woche sehr krank. Er bekam eine Auftreibung des Darmes die den Arzt einen Verschluß befürchten ließ. Gott sei Dank ist er wieder wohl. Doch hat Dr. Moinson261 meiner Schwester offen gesagt dass die Gefahr groß war. Und dass man auf das Äußerste acht geben muß um einen Rückfall zu verhüten. Sie können sich die Stimmung bei uns denken. War Pauls Laune schon früher miserabel so ist er jetzt ganz verdüstert. Wir schleichen buchstäblich auf den Fußspitzen um ihn herum. Dass es überhaupt möglich sein sollte mit ihm 259 Der beiliegende Zeitungsausschnitt „Unabhängigkeit der Filmproduktion“ ist ohne Quellen- und Datumsangabe. In dem Artikel geht es um eine Kundgebung für die Freiheit der Künstler und der Kunst. Durch den Ausschluss jüdischer Künstler und Filmproduzenten von der deutschen Filmproduktion kam es zu dem Versuch, in Österreich eine unabhängige Filmproduktion aufzubauen. Vgl. dazu die Anmerkung im Brief vom 16. Juni 1937. 260 Mittwoch war 1936 der 18. November, nicht wie BZ schrieb der 17. November. 261 Der Name konnte nicht verifiziert werden.

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über irgend etwas das Schicksal der Kinder betreffend zu sprechen ist ausgeschlossen. Denn der Arzt verbietet jedwede Aufregung. So stehe ich denn wieder einmal vor unüberwindlichen Hindernissen und vor der furchtbaren Frage: Was weiter mit den Kindern geschehen soll? Politisch ist die Lage, so weit man sie den widersprechenden Ansichten nach beurteilen kann, viel stabiler als man es von Außen gesehen annimmt. Die Rechte natürlich und der größte Teil der Bourgoisie sind haßerfüllt und schüren gefährlich. Aber das Volk als Ganzes ist von einer fabelhaften Klarheit seines Weges und hält wunderbar. Ich habe dieser Tage bei Reuters dejeuniert, mit Khuner (der in Frankreich einer der größten Industriellen ist) und mit Wasserbäck. Das Gespräch drehte sich um die Dauer der Regierung und zu meinem Erstaunen war die Ansicht vorherrschend dass die sozialen Maßnahmen und auch die finanziellen Maßnahmen von Blum vollkommen richtig wären. Man sprach auch von Österreich. Und Khuner warf die Frage der Habsburger auf. Auch Wasserbäck entpuppte sich als Monarchist. Und es wurde die Meinung vertreten dass, wenn es gelingen würde das Problem Ungarn – Stefanskrone – zu lösen die Situation was Frankreichs Zustimmung betrifft, eine gebesserte sei. Besonderes Gewicht wurde auf den Umstand gelegt dass Wiesner endlich von Mussolini empfangen worden ist. Was auf eine veränderte Haltung Italiens schließen läßt. Nächste Woche erscheint eine neue große Revue: „Informations politiques et diplomatiques“. Man hat von mir (Maria Ley ist mit dem Herausgeber befreundet) einen Artikel über Österreich verlangt. „La Situation de l’Autriche a l’Interieur et a l’Exterieur“.262 Natürlich habe ich Wasserbäck beigezogen da ich hier nicht auf eigene Faust Politische Artikeln schreiben will. Wasserbäck hat mir nun einen äußerst geschickten Kaneva263geliefert. Natürlich verteidigt er Schuschnigg und das jetzige Regime. Aber zum Schluß macht er eigene Politik indem er sagt: „Es gibt für Österreich nicht nur die Achse ROMBERLIN.264 Sondern auch die Achse LONDON-PARIS-KLEINE ENTENTE.265 Dies führt er sehr interessant aus. Ich habe den Artikel übersetzt und hergerichtet. Unterzeichnen werde ich ihn aber nicht. Weil ich in kein offizielles 262 „Die Lage Österreichs im Innern und im Äußeren.“ 263 Gitterartiges Gewebe/grobe Leinwand – im übertragenen Sinn ein Leitfaden, Entwurf, Textgerüst. 264 Am 1. November 1936 sprach der italienische Ministerpräsident Benito Mussolini in Mailand zum ersten Mal von der „Achse Rom-Berlin“, nur wenige Wochen nach dem deutsch-italienischen Eingreifen im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten des Franco-Regimes. Der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler hatte bereits in den drei Jahren zuvor eine engere Verbindung mit dem faschistischen Italien angestrebt, um die außenpolitische Isolation Deutschlands zu überwinden. Die „Achse Rom-Berlin“ meinte bis 1939 die Annäherung beider Staaten hinsichtlich einer antikommunistischen Politik sowie der jeweiligen Expansionsinteressen und fand im „Stahlpakt“, dem militärisch-wirtschaftlichen Bündnis vom Mai 1939, ihren stärksten Ausdruck. 265 Die Kleine Entente war ein Bündnissystem zwischen der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien von 1920 bis 1938. Alle drei Staaten orientierten sich außenpolitisch an Frankreich, für das die Kleine Entente ein wichtiger Teil seiner Sicherheitspolitik in Osteuropa zur Aufrechterhaltung des durch den Ersten Weltkrieg neu entstandenen Staatensystems war. Die Kleine Entente sollte den Status quo im Donauraum sichern.

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Horn blasen will. Jedenfalls wird die französische annähernde Tendenz hier sehr gefallen. Sonst aber kümmere ich mich gar nicht um Politik. War noch nicht einmal am Quai d’Orsay. Weil ich die Spannkraft nicht habe mich außer um Fritz und um die verzweifelte Lage der Kinder noch um andere Dinge zu kümmern. Auch Rist habe ich nicht telephoniert. Ich weiß dass ich ihm lästig geworden bin. Und dass es ihm lieber ist nicht an mich erinnert zu werden. So habe ich durch meinen ewigen Dalles266 einen guten Freund verloren ….. Au fond je m’en fiche!267 Denn alles scheint mir so profund gleichgültig. Ich bin froh dass ich Sie mit Giraudoux zusammengebracht habe. Denn auf meine Hilfe diesmal wäre wirklich kaum zu zählen. Paris ist viel lebendiger geworden. Die Börse ausgezeichnet. Viele Geschäfte gehen sehr gut. Und was bezeichnend ist: Reiche Leute suchen wieder Kapitalsanlagen in geschäftlichen Unternehmungen. Fritz kennt einen sehr reichen Mann der ihm unlängst direkt gesagt hat ihm Geschäfte vorzuschlagen in welche er Geld investieren könnte. Das war schon lange hier nicht der Fall. Wann kommen Sie? Ich fühle mich halt in Wien immer von meinem Schutzengel geführt. Wenn ich in die Schulerstraße komme dann erhalte ich eine Injektion von Mut die eine Zeit lang hilft. Aber hier bin ich so verlassen. Ein traurigeres und verstimmteres Haus wie das Avenue d’Eylau kenne ich kaum. Da ist es bei mir in Wien trotz aller Sorgen das reine Lachkabinett. Mir tut Sofie so leid die ihrer ganzen Anlage nach noch so gerne genießen möchte, die jung geblieben ist. Die Interesse für Alles hat und nun kaum zu atmen wagt so drückt Pauls Gemütszustand auf sie. Schreiben Sie mir nur eine Zeile ob und wann Sie kommen wollen. Es wird mir ein wenig Mut geben. Ihre getreueste B. Z.



[Exposé zur Lage Österreichs im Verhältnis zu Frankreich, ohne Datum, MS, französisch]268 {Berta Zuck} Warum hat Frankreich so gar kein Interesse an Österreich? Falls es dem Beispiel Englands folgt, hat es unrecht. Seine Rolle in Mitteleuropa ist nämlich von entscheidender Bedeutung, wird aber von Tag zu Tag schwächer. Hitler ist im Begriff, Österreich zu schlucken. Der fabelhafte Widerstand des grössten Teils des österreichischen Volks, früher unter Dollfuss und sogar bis 12. Juli 1936 unter Schuschnigg, bröckelt langsam ab. Hitler hat die Methode 266 Jüdisches Wort für Armut, Geldnot. 267 „Eigentlich ist es mir wurscht.“ 268 Stil und Inhalt weisen auf die Urheberschaft von BZ . Es könnten damit jene Informationen gemeint sein, die in dem Brief vom 3. Mai 1937 von Sofie Clémenceau angesprochen werden, für die sich François Crucy bedankt.

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gewechselt, aber nicht das Ziel. Sein Gesandter Papen ist eine Schlange, die Österreich umzingelt und es ersticken wird. Und Frankreich lässt es geschehen, obgleich – sobald Österreich zur Gänze Hitler gehört, der einen Gewaltstreich wie am Rhein nicht scheuen wird – die Tschechoslowakei ihrerseits verloren ist. Es ist klar, dass dann die Sudetendeutschen, von Hitler angefacht, einen Bürgerkrieg beginnen und sich Deutschland anschliessen werden. Die Einkesselung der Tschechoslowakei ist dann erreicht. Die Position Frankreichs gegenüber Österreich ist sicher heikel seit Italien sich Hitler angenähert hat. Dies war der Grund für das unglückliche Abkommen zwischen Deutschland und Österreich vom 12. Juli 1936.269 Dennoch ist die Passivität Frankreichs unverständlich. Frankreich hätte (ohne den Anschein zu erwecken, sich auch nur irgendwie in die Politik Mussolinis einzumischen) andere Mittel, seinen Einfluss, was Österreich betrifft, wieder geltend zu machen und so dem Einfluss Hitlers entgegenzuwirken. Und zwar zunächst durch eine wirtschaftliche Durchdringung. Das österreichische Volk hat seit dem Krieg enorm gelitten. Die Verarmung aller Klassen, einschliesslich der Bauern (von so grosser Bedeutung in Tirol), hat dazu beigetragen, einen Zustand der Entmutigung zu schaffen. Somit findet Hitler, mit seiner meisterhaften Propaganda, einen gut vorbereiteten Boden. Österreich könnte aber durch eine Kapitalspritze wieder aufleben, wieder rasch aufblühen. Es würde genügen, dass sich die französische Finanz und Industrie Österreich zuwendet, damit die volle Sympathie, die das österreichische Volk bis zum Aufkommen Hitlers immer für Frankreich hatte, wieder Kontakt findet. Es handelt sich nicht um eine Anleihe oder andere offizielle Gesten. Es geht darum, eine engere Beziehung zu schaffen und den grossen Financiers und Industriellen Impulse (hinter den Kulissen) zu geben, damit sie die grossen Möglichkeiten einer Marktdurchdringung in Österreich prüfen. Österreich beginnt sich zu erholen. Es exportiert und kommt in den Genuss steigender Einkünfte aus dem ständig wachsenden Fremdenverkehr. Die Währung ist gut fundiert und stabil. Österreich ist nicht mehr der Bettler wie vor einem Jahrzehnt. Und es könnte florieren, wenn Kapital und neue finanzielle Bündnisse mit Frankreich ihm neue Kraft einflössten. (Auch enormer Einfluss nach und nach, 269 Das Juliabkommen 1936 war ein Vertrag zwischen Österreich und Deutschland, in dem u. a. Deutschland die Souveränität Österreichs anerkannte und zusagte, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Österreichs („einschließlich der Frage des österreichischen Nationalsozialismus“) einzumischen. Es wurde die Tausend-Mark-Sperre aufgehoben. Österreich verpflichtete sich dafür, die verhafteten Nationalsozialisten zu amnestieren und eine Außenpolitik in Anlehnung an die deutsche Außenpolitik zu betreiben. Weiters wurden zwei „betont Nationale“ (Edmund Glaise-Horstenau und Guido Schmidt) in die Regierung aufgenommen. Der „Pakt auf Zeit“ ermöglichte eine NS-Infiltration Österreichs. Vgl. Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit, Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936, Wien 2001.

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um langsam zu einem Regimewechsel und zu einer neuen demokratischen Ära zu führen). Das ist auch das einzige Mittel, um massiv dem Einfluss Hitlers entgegenzuwirken. Es ist der einzige Weg, der seiner Propaganda verschlossen ist. Er hat kein Geld. Wenn er Österreich in Beschlag nimmt, kann er es einzig an seiner wirtschaftlichen Not teilhaben lassen. Ich möchte aber auch die Aufmerksamkeit auf einen zweiten Umstand lenken, der für die Freunde Frankreichs in Österreich ebenfalls sehr betrüblich ist. Die wichtigsten österreichischen Zeitungen geben sich dazu her, die Regierung in Frankreich und die dort herrschende Stimmung in falschem Licht und hasserfüllter Weise darzustellen. Das „Neue Wiener Tagblatt“ beispielsweise, das eine hohe Auflage hat, publiziert täglich Telegramme und Artikel seines Korrespondenten in Paris, der Frankreich und vor allem Paris als völlig unter dem Joch des Kommunismus beschreibt. Man kann täglich in den meisten unserer Zeitungen lesen, dass der Fall des Ministeriums unvermeidbar erscheint, dass sich die Volksfront auflöst. Und Frankreich lässt es zu. Niemand interveniert. Niemand trachtet danach, in Wien die Elemente zu vereinen, die bereit sind, gegen diesen Zustand etwas zu unternehmen. Und dennoch gibt es auch Mittel, sich zu verteidigen. Eine einzige Zeitung in Wien (Zeitung mit hohem Kulturniveau), nämlich der „Wiener Tag“, stark links, als einst die Sozialisten in Wien regierten, gehört einer tschechoslowakischen Gruppe. Und obgleich die ganze Presse in Österreich gemäss faschistischer Anweisung an der kurzen Leine gehalten wird, ist diese Zeitung noch die einzige, die Hitler mit viel Vorsicht die Stirn bietet. Und die jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit ergibt, die Partei der Volksfront in Frankreich ergreift. Vor meiner Abreise nach Paris habe ich lange mit dem Chefredakteur Herrn Ostry, einem der eminentesten politischen Journalisten, beraten. Und er versichert mir, dass der „Wiener Tag“ bereit sei (ohne dass die Frage von geheimen Geldern die geringste Rolle spielen würde), sich der französischen Regierung voll zur Verfügung zu stellen. Aber unter der Bedingung, in ständiger Verbindung mit dem Quai d’Orsay oder einem anderen politischen Büro zu stehen. Denn die Agentur Havas genügt sicher nicht, um Informationen und Nachrichten zu liefern, die geeignet sind, die österreichische Öffentlichkeit über Beweggründe, Sachverhalt, Stimmung und tatsächliche Lage unter der Regierung Blum aufzuklären. In dritter Linie wäre es notwendig, dass die französische Regierung mit unendlicher Vorsicht in gewisser Weise Druck auf Kanzler Schuschnigg ausübt, um ihm eine leichte Entspannung in der Haltung gegenüber den österreichischen Sozialisten und Demokraten aufzuzwingen. Sozialisten und Demokraten bemühen sich seit kurzem, sich zusammenzutun, um gegen den Hitlerismus zu agieren. Und nur so könnte bei uns nach und nach eine neue Grundlage geschaffen werden, die es dem österreichischen Volk ermöglicht, bei einem Regierungswechsel vor einem Österreich zu stehen, das demokratischer ist und stark genug, gegen die Hitlerinvasion Widerstand zu leisten.

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Diese Ansichten wurden mir von Professor Dr. Friedjung mitgeteilt, einer der früheren Führungsfiguren der Sozialisten in Wien. Er ist zu mir gekommen, um mir die Situation darzulegen und hat mich beschworen, diesen Appell der Sozialisten, wie auch der Demokraten, Léon Blum zukommen zu lassen. Diese beiden Parteien haben sich nämlich heimlich zusammengeschlossen. Da Überwachung und Argwohn der Polizei noch äusserst stark sind, fragen die Parteien einer in Österreich entstehenden Volksfront die französische Regierung an, ob diese nicht diskret dazu beitragen könnte, das Joch, das diese Bestrebungen unterdrücken möchte, etwas zu lockern.



[GK an BZ, Telegramm vom 7. Dezember 1936, MS] {Hofr. Zuckerkandl}

ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE D’EYLAU

PARIS CREDITANSTALT ERLEGTE HEUTE AUFTRAGS MARIE DEUTSCH AN MARIE SCHNEIDER DREIHUNDERTNEUN SCHILLING KUNWALD {cop. Marc [uschewitz] 7.XII.36 tel. aufgeg. Marc [uschewitz] 7.XII.36 14h}



[BZ an GK, MS] {30. Dez. 36} Dienstag. [29. 12. 1936] Liebster Freund! Ist es Ihnen möglich mir die fünfunddreißig Sch. Schlafwagen zu geben? Wenn es Ihnen aber schwer ist, bitte dann was Sie wollen. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps S 35.– Dreißigfünf Schilling für Hofr. Zuckerkandl erhalten am 30. Dez. 1936 Jeanne Feizlymayr



[BZ an GK, MS] {20.I.37} Mittwoch. [20. 1. 1937] Verehrter Freund! Trude bittet mich Ihnen beiliegende Zustellungen mitzuteilen, nur damit Sie Einsicht in diese Vorgänge nehmen können. Ich werde gelegentlich diese Papiere abholen lassen und sie Trude zurückstellen. Weiters hat mir Fritz gestern Folgendes geschrieben: „Gestern wurde mir von der Polizei eine Klage der Österreichischen Sparkasse gegen die Sanatoriumbesitzer übergeben. Weißt Du etwas davon?“

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Ich weiß natürlich nichts davon. Und will Ihnen nur auch dieses Faktum mitteilen. Marton scheint sich nicht zu rühren. Hoffentlich ist Ihr Husten besser. Ich kann nicht ausgehen, da ich mich nicht gut genug wohl fühle. Herzlichst Ihre dankbare Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 20. Jänner 1937. Verehrte Freundin! Die beiden immerhin erfreulichen Beschlüsse, womit die Zwangsverwaltung in Purkersdorf eingestellt wird, sende ich in der Anlage zurück. Minder erfreulich ist, dass die Sparkasse geklagt hat. Soll ich Marton anrufen? Bitte um Ordre. Ihr ganz ergebener Beiliegend: 2 Beschlüsse des Bezirksgerichtes Purkersdorf E 114/36/5 und E 114/36/6 Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl-Szeps, Wien I., Oppolzergasse Nr. 6. {cop: Mahler 20.I.37 aufgeg: Mahler 21.I.37}



[BZ an Bezirkshauptmannschaft Wien, 27. Jänner 1937, MS] {Zuckerkandl Berta} An die Bezirkshauptmannschaft Innere Stadt Wien Wien, I. Wipplingerstraße 8. Einschreiterin: Bertha Zuckerkandl-Szeps Hofratswitwe in Wien I., Oppolzergasse 6 Gegenstand: Zeugeneinvernehmung in der Gewerbesache Dr. Fritz Zuckerkandl. 1-fach. 1 Beilage A.

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Ich bin mit dem Ladungsbescheid vom 23.I.1937, der mir gestern am 26.I.1937 zugestellt worden ist, für den 28. Jänner 1937, 9 bis 10 Uhr vormittags als Zeugin in der Gewerbesache meines Sohnes Dr. Fritz Zuckerkandl vorgeladen. Laut ärztlichen Zeugnisses A muß ich seit heute nachmittags das Zimmer hüten und kann morgen vormittags der Zeugenladung nicht Folge leisten. Ich könnte aber auch, wenn ich erscheinen könnte, in der Gewerbesache meines Sohnes nichts aussagen, da mir diese Gewerbesache gänzlich unbekannt ist. Mein Sohn befindet sich derzeit in Paris, 20 rue Pétrarque. Ich würde bitten, ihn dorthin zu verständigen, um was es sich handelt. Ich bitte, mein Ausbleiben zu entschuldigen und die Äußerung meines Sohnes einzuholen, der sich seit mehr als einem Jahr nicht mehr in Wien befindet. {cop. Mahler 27.I.37 Hofrätin Zuckerkandl übergeben Dr. K.[unwald] 27.I.37}



[BZ an GK, MS] Freitag. [29. 1. 1937] Verehrter Freund! Telephonisch ist die Frage schwer zu beantworten, wie ich Fritz als Bürgen qualifizieren kann. Denn tatsächlich hat Fritz noch keine Staats-Anstellung da er warten muß bis er naturalisiert ist. Immerhin kann man ruhig sagen dass Fritz Folgendes ist: Assistent im Physikalischen Institut des Professeur Laugier (PhysikalischChemisches Versuchs-Laboratorium in den „Arts et Metier“ Rue St. Martin. Konsulent für Pharmazeutische Präparate bei der Firma Goldschmidt270 in Paris (Hier weiß ich leider nicht die Adresse.) Sonst kann ich leider nichts anderes angeben. Ich müßte heute noch Fritz schreiben der mir ja binnen 48 Stunden antworten kann. Innigen Dank. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an Max Schur, MS] Wien, am 3. Februar 1937. Verehrter Herr Doktor! Anliegend sende ich mit bestem Dank das mir freundlich übersendete ärztliche Zeugnis zurück und zeichne mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener 270 Im Exil-Adressbuch von Berta Zuckerkandl aus der Kriegszeit in Algier findet sich der Name Oscar Goldschmidt (pharmaceuticals, fire and rare chemicals) mit einer Adresse in New York. Vgl. dazu LIT, Signatur 438/W 24.

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Beiliegend: Ärztl. Zeugnis für Frau Hofr. Berta Zuckerkandl v. 3. 2. 1937 Hochwohlgeboren Herrn Dr. Max Schur, Wien VIII., Mölkergasse 5. {cop: Mahler 3.2.37 aufgeg: Mahler 3.2.37}



[GK an BZ, MS] Wien, am 6. Februar 1937. Verehrte Freundin! Herr Dr. Schur hat mir das beiliegende ärztliche Zeugnis übersendet, welches vollständig geeignet ist, dem Gesuch, welches Sie überreichen wollen und das Fritz beglaubigt mitzufertigen hat, angeschlossen zu werden. Ich übersende Ihnen dieses Zeugnis, das eine Beilage zu dem von Ihnen zu überreichenden Gesuch sein wird. Ihr herzlichst und treu ergebener Beiliegend: Ärztliches Zeugnis Dris. Schur vom 5. 2. 1937. Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl Wien I., Oppolzergasse Nr. 6. {cop: Mahler 6.2.37 aufgeg: Mahler 6.2.37}



[BZ an das Bundesministerium für Finanzen, 3. Februar 1937, MS] {Hofr. Zuckerkandl} An das hohe Bundesministerium für Finanzen Wien Einschreiterin: Berta Zuckerkandl, Witwe nach Hofrat Prof. Dr. Emil Zuckerkandl, Wien I., Oppolzergasse 6 Gegenstand: Bitte um Gewährung eines neuerlichen Vorschusses von S 1.000.–

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Als Witwe nach Universitätsprofessor Hofrat Dr. Emil Zuckerkandl beziehe ich eine Pension von monatlich S 481.–. Im September d. J. wurde ich abermals mit meiner schweren Krankheit laut ärztlichen Zeugnisses A rückfällig und bin noch immer nicht gänzlich hergestellt. Neuerlich haben mir Freunde einen Betrag von S 1.400.– zur Bestreitung der Krankheitskosten geliehen, verlangen aber jetzt dringend die Rückzahlung des Darlehens. In der schweren Not, in die ich durch die Krankheit geraten bin, muß ich bitten, mir einen neuerlichen Vorschuß von S 1.000.– schreibe eintausend Schilling, auszahlen zu lassen. Von den alten Vorschüssen sind noch S 400.– rückständig. Ich bitte ergebenst, mir die Abstattung des gesamten Vorschusses von S 1.400.– in Monatsraten von nicht mehr als S 35.– hochgeneigtest gestatten zu wollen. Mein Sohn Dr. Fritz Zuckerkandl, Miteigentümer des Sanatoriums Westend in Purkersdorf, der seit einem Jahr in Paris als Assistent am Institut des Professors Laugier – des derzeitigen Kabinettsdirektors im französischen Ministerium des Äußern – wissenschaftlich tätig ist, übernimmt die Haftung als Bürge und Zahler für meine Verpflichtung zur Abzahlung des gesamten Vorschusses von S 1.400.– in Monatsraten von S 35.– , so dass auch, wenn ich vor Rückzahlung sterben sollte, die noch ausständigen Raten von meinem Sohn zu bezahlen sein werden, und fertigt in diesem Sinne dieses Ansuchen mit. Da ich meinen Pensionsbezug augenblicklich zum größten Teil zur Bezahlung der Krankheitskosten verwenden muß, befinde ich mich in unverschuldeter und dringender Notlage und bitte um schleunigste Gewährung der erbetenen Hilfe. Des hohen Bundesministeriums ergebenste Einverständlich gefertigt: {cop. Mahler 3.2.37 Hofrätin Zuckerkandl übergeben: Dr. K.[unwald] 3.2.37 Am 8.2.37 laut Ausgangsprotokoll mit von der österr. Gesandtschaft in Paris beglaubigter Unterschrift Dr. Fritz Zuckerkandls u. m. ärztlichem Zeugnis Dr. Max Schur im Bundesministerium für Finanzen z. H. Min.Rat Dr. Karl Rollet durch Deutsch abgegeben.}



[BZ an GK, MS] Wien, am 8. Februar 1937 Lieber verehrter Freund! Eben ist von Fritz das legalisierte Dokument zurückgekommen. Ich hoffe, dass es so recht ist. Erlaube mir, es Ihnen mit dem Krankheitszeugnis zu schicken.

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Nochmals aller innigsten Dank von Ihrer getreuen Berta Zuckerkandl-Szep



[Finanzlandesdirektion an BZ, MS] {Zucker 24.II.37} Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Frau Berta Zuckerkandl, Univ.Professorswtw. Wien, I., Oppolzergasse 6 Zahl XIII – 352/V/1937.  Wien, am 20. Februar 1937. Über Ihr an das Bundesministerium für Finanzen gerichtetes Ansuchen de präs 13. Februar 1937 werden Sie eingeladen, die Aufnahme des Darlehens von 1400.–, sowie dessen Verwendung zur Bezahlung von Krankheiten durch entsprechende Belege anher nachzuweisen. Dr. Mukarovsky m. p.



[BZ an Marie Ley-Deutsch, ohne Datum, MS] Liebe Freundin! Ich lege Dir eine Bestätigung bei, die die Finanzlandesdirektion von mir verlangt und die ich Dich schleunigst zu unterschreiben bitte. Es ist zwischen uns selbstverständlich, dass, wenn ich den erbetenen Vorschuß erhalte, ich nicht etwa Dir das Geld wirklich zurückzahlen muß.271



[BZ an GK, MS] {24.2.37} Mittwoch Nacht. [24. Februar 1937] Lieber Freund! Ich habe Sie gestern angerufen. Aber Sie konnten mich nicht sprechen. Warum ich Ihnen telephoniert hatte? ….. Nur weil ich Ihre Stimme hören wollte. Weil ich so unsäglich elend bin diese letzten Wochen, und Sie allein mir immer seelische Zuflucht sind. Zu keinem Menschen auf Erden kann ich sprechen …. nur zu Ihnen ….. Glauben Sie ja nicht dass ich irgend eine andere als eine moralische Hilfe bei Ihnen suche. Nichts will ich erbitten als dass Sie mir den Weg weisen sollen den ich gehen muß. 271 Maria Deutsch-Ley hat des Öfteren BZ mit Geld ausgeholfen. Im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek findet sich ein Hinweis, dass Maria Deutsch Berta Zuckerkandl „mit Müh und Not 1250 France nach Wien gesendet“ hatte. In dem Brief (LIT, Signatur 438/W 24, Beil.1) BZ an Trude Zuckerkandl – derzeit undatiert, aber wahrscheinlich aus dem September 1936 – schrieb sie in diesem Zusammenhang: „Man wird so abscheulich, wenn man arm ist. Das ist der Fluch der Armut. Diese wäre moralisch leichter zu ertragen, wenn sie einem nicht so herabmindern würde, menschlich … Fritz ist für mich ja alles.“

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(Jenen Weg welchem ich Ihnen einst gesprochen habe, gehe ich nicht. Weil Sie mir sagten ich dürfe es meines geliebten Enkels wegen nicht tun.) Es ist mit mir so weit dass ich zwei Monate meinen Zins nicht zahlen konnte. Jo Winter die Haus Frau [sic] hat allerdings dem Verwalter gesagt dass er mich nicht drängen soll. Aber gestern hat Herr Tersch mir doch sehr höflich telephoniert ich möge mich bald entscheiden ob ich die Wohnung behalte oder per Mai ausziehen will. Was soll ich nun beschließen? Ich besitze nicht einmal das Nötige um einen Aus- und Umzug zu bezahlen. Soll ich auch ehe ich weiß welches Schicksal Trude und das Kind in den nächsten Monaten erwartet diese ihre Zuflucht aufgeben? Soll ich (aber wie?) bis zum Herbst diesen aussichtslosen Kampf fortsetzen bis eventuell (unberufen ich klopfe) Fritzl’s Existenz – die Existenz des Sanatoriums sich entscheiden werden? Ich getraue mich nicht mehr in dem Zustand äußerster Seelennot in den ich geraten bin, dies allein zu entscheiden. Nun sollte ich längstens den dritten März nach Paris. Dort soll ich vielleicht wie so oft einen kleinen Verdienst finden. Aber ich kann nicht fort ohne wenigstens einen Monat des rückständigen Zins zu begleichen. Und das kann ich nur wenn der Pensions-Vorschuß noch rechtzeitig käme. Wie dies erfahren? Und kann ich falls es noch länger dauern sollte vorher wegfahren? Ich habe eine Retourfreikarte (von Wasserbäck) nach Paris die aber nächste Woche abläuft. Könnte dann der Vorschuß Ihnen zu Handen gegeben werden? Ich weiß ja dass dies ja auch nur ein Atemholen bedeutet. Mein Schicksal ist besiegelt. Ich ähnle so sehr meinem lieben Vater. Und ende ….. wie er geendet hat. In äußerster Armut. Unfähig meine Lieben wie ich es so lange getan ..... treulich zu behüten. Geliebter Freund! Weil ich Ihnen dies alles nicht mündlich so sagen könnte (hier weine ich still während ich schreibe), frage ich auf diese Weise ob Sie mich morgen Donnerstag empfangen können? Samstag soll ich Herrn Tersch meine Antwort sagen. Ich brauche Ihren Rat. Vielleicht Ihr Gebot. Denn ich bin willenlos geworden, wenn es gilt diesen entscheidenden Entschluß zu fassen. Heute fahre ich zu Bubi hinaus. Nach einer schmerzvollen Nacht brauche ich ihn. Ich muß in diese lieben Augen blicken um weiter zu können. Und ich weiß doch wie schwer Sie selbst kämpfen und da wage ich es trotzdem mich zu Ihnen zu flüchten! Verzeihen Sie Ihrer Sie liebenden Berta Zuckerkandl-Szeps Eben ehe ich diese Zeilen schließe erhalte ich den Bescheid von der Finanzlandesdirektion den ich beilege. Und auch folgende Mahnung die mir Fritz von der Kreditanstalt beilegt. Rist hatte ja interveniert was lange anhielt. Aber was jetzt tun? Wenn Sie heute Zeit für mich hätten würde ich nicht nach Purkersdort fahren sondern wann immer zu Ihnen kommen.



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[GK an BZ, MS] Wien, am 25. Februar 1937. Verehrte Freundin! Ich sende Ihnen Durchschlag meines Flugpostbriefes an Frau Maria Ley-Deutsch und bitte Sie, mich heute (aber nicht zwischen 3 und 5 Uhr, da Brauneis dann bei mir ist) anzurufen. Ihr herzlichst ergebener Beiliegend: Durchschlag meines Flugpostbriefes an Frau Maria Ley-Deutsch vom 25.2.37, Durchschlag des diesem Briefe beiliegenden Briefentwurfes Frau Ley-Deutsch an Finanzlandesdirektion Hochwohlgeboren Frau Hofrat Bertha Zuckerkandl-Szeps, Wien I., Oppolzergasse Nr. 6. {cop: 25.II.37 durch Mahler aufgeg: 27.II.37R[osa]Hall[emann]}



[GK an Maria Ley-Deutsch, MS, französisch] Wien, 25. Februar 1937. Sehr geehrte gnädige Frau, ich habe Ihnen heute am Telefon gesagt, dass der Finanzlandesdirektion eine Erklärung, für die ich einen Entwurf beilege, geschickt werden muss, um zu bestätigen, dass Frau Zuckerkandl einen Vorschuss von 1000 Schilling benötigt, um ihre Krankheitskosten zu bezahlen. Es wäre ausserordentlich liebenswert von Ihnen, diese Erklärung eigenhändig abzuschreiben, sie von Paris aus zu datieren und mir per Flugpost zu senden. Frau Zuckerkandl dankt Ihnen im Voraus und umarmt Sie. Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen, dass Sie nach der Krankheit, von der Sie mir am Telefon erzählt haben, wieder voll gesunden. Nochmals vielen Dank für all Ihre Freundlichkeit in Paris. Ich denke in grosser Freundschaft und aufrichtiger Bewunderung an Sie und hoffe, Sie wieder vollkommen genesen wiederzusehen. Ihr sehr ergebener {Beiliegend: Briefentwurf Frau Ley an Finanzlandesdirektion Mme. Marie Ley-Deutsch 10, rue de la ferme Neuilly sur Seine Paris {Cop: Mahler 25.2.37 Flugpost aufgeg: Mahler 25.2.37}

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Paris, le 26 février 1937. An die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland  Wien. Auf Bitte meiner verehrten lieben Freundin Hofrätin Berta Zuckerkandl bestätige ich, dass ich ihr, wie sie vom Dezember 1935 bis September 1936 schwer krank und arbeitsunfähig war, wegen Bestreitung von Krankheitskosten und auch wegen Zahlung des vom Arzt empfohlenen Kuraufenthaltes in Parsch nach und nach mehr als S 2.000.– vorgestreckt habe, dass ich aber heute die Rückzahlung eines Betrages von mindestens S 1.400.– sofort sehr dringend benötige. {cop. Mahler 25.2.37 Beilage zum Flugpostbrief an Frau Maria Ley-Deutsch v. 25.2.37}



[GK an Ley-Deutsch, MS, französisch] {Hofr. Zuck} Wien, 28. Februar 1937. Sehr geehrte gnädige Frau, vielen Dank für die Unterzeichnung der Erklärung, die Sie mir geschickt haben und die ich heute Sonntag erhalten habe. Ich möchte aber nicht, dass bei dieser unterschriebenen Erklärung sofort ersichtlich ist, dass sie so wortwörtlich von mir vorher zugesandt wurde. Allein Adresse und Inhalt dürfen Ihnen anscheinend vom Berater Frau Zuckerkandls mitgeteilt worden sein. Die Erklärung muss also entweder von Ihnen selbst von Hand oder mit einer anderen Schreibmaschine als der meinigen oder der Fr. Zuckerkandls abgefasst sein. Es macht nichts, wenn ein paar kleine Fehler enthalten sind. Ich bitte Sie aber, sie abschreiben zu lassen und mir dann, von Ihnen unterschrieben, so schnell wie möglich zuzusenden. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie auf solche Weise belästige. Falls aber die Erklärung merklich von mir verfasst worden wäre, müsste sie viel präziser und formeller formuliert sein. Ich schreibe diesen Brief in grosser Eile, um Zeit zu gewinnen. Seien Sie des tiefen Danks versichert, den Fr. Zuckerkandl und ich Ihnen schulden. {Madame Maria Ley-Deutsch 10, rue de la Ferme Neuilly-sur-Seine Paris Flugpost aufg. H.[ammelrath] 28.2.37 cop. H.[ammelrath] 28.2.37}



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[Entwurf von GK an BZ, MS]272 Der Kunwald hat sich wirklich ungemein damit gefreut, dass Sie bereit sind, sein Buch übersetzen zu lassen und mit Payot zu sprechen. Er ist ungeheuer dankbar dafür und ganz gerührt. Nach Paris kann er leider nur kommen, wenn er ein Datum für den Empfang durch Blum hat. Er war ja elf Tage dort und konnte nicht zu Blum kommen. {7.3.37 Frau Hofr. Z. übergeben cop. H.[ammelrath]}



[BZ an Finanzlandesdirektion, MS] An die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Wien Einschreiterin: Berta Zuckerkandl. Witwe nach Hofrat Prof. Dr. Emil Zuckerkandl, Wien I., Oppolzergasse 6 Gegenstand: Bitte um Gewährung eines Vorschusses 1-fach 1 Beilage {cop. durch Dr. Hammelrath 4.3.37 abgegeben Deutsch bei Referenten Netsch 4.3.37} Der mir mit dem Erlaß vom 20. Februar 1937, Zl. XIII-352/V/1937 zugekommenen hohen Weisung nachkommend und bezugnehmend auf die telephonische Vorsprache des Herrn Dr. Gottfried Kunwald bei Herrn Oberfinanzrat Dr. Mukarovsky beehre ich mich, in der Anlage A die soeben eingelangte Bestätigung meiner Freundin Maria Ley-Deutsch in Paris ergebenst zu überreichen. Ich bitte, den erbetenen Vorschuß mir nunmehr gütigst so rasch als möglich anweisen zu lassen. Einer geneigten Gewährung meiner Bitte entgegensehend, zeichne ich der hohen Finanzlandesdirektion ergebenste Berta Zuckerkandl m. p.

 272 Der Adressat für diese Notiz, die BZ weiterleiten sollte, konnte nicht eruiert werden. Es könnte Maria Ley-Deutsch gemeint sein. Der Zusammenhang konnte aber nicht verifiziert werden.

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[Kuvert, MS] {Übernommen 4./3.37, Netsch} An die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Zu Handen des Herrn Oberfinanzrates Dr. Mukarovsky Wien III.



[Maria Ley-Deutsch an die Finanzlandesdirektion, MS] Abschrift 10 Rue De La Ferme Neuilly sur Seine Maillot 36 – 31 Paris, den 26. Februar 1937 An die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Wien (Autriche) Auf Bitte meiner verehrten lieben Freundin Hofrätin Berta ZUCKERKANDL bestätige ich dass ich ihr, wie sie vom Dezember 1935 bis September 1936 schwer krank und arbeitsunfähig war, wegen Bestreitung von Krankheitskosten und auch wegen Zahlung des vom Arzt empfohlenen Kuraufenthaltes in Parsch nach und nach mehr als S 2.000.– vorgestreckt habe dass ich aber heute die Rückzahlung eines Betrages von mindestens S 1.400.– sofort sehr dringend benötige. Maria Ley-Deutsch m. p.



[Finanzlandesdirektion an BZ, MS] Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Frau Berta Zuckerkandl, Univ.Professorswitwe in Wien, I., Oppolzergasse Nr. 6. Zahl XIII-352/V/1937.  Wien, am 6. März 1937. Über Ihr an das Bundesministerium für Finanzen gerichtetes Ansuchen de präs 8. Februar 1937 wird Ihnen zu dem noch aushaftenden Pensionsvorschußrest von 440.– S ein neuerlicher Pensionsvorschuß im Betrag von 1000.– S gegen Rückzahlung des Gesamtvorschusses in Monatsraten zu 45.– S und Sicherstellung durch die Bürgschaftserklärung Ihres Sohnes Dr. Fritz ZUCKERKANDL bewilligt. Kehrer m. p.



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[GK an BZ, MS] Wien, am 10. März 1937. Verehrte Freundin! Vor Monaten habe ich Ihnen ein „Märchen“ von einem lieben Vetter von mir, Paul Kunwald in Budapest gegeben, damit Sie in Ihrem Bekanntenkreis es einem Zeichner zeigen, der es eventuell illustrieren würde. Das Märchen handelte von den Musiknoten, den Kreuzen, den b’s, Amben, Terzen usw. und schloß mit Beethoven. Sie gaben mir den Bescheid, das Märchen sei gar nicht so gut wie ich glaubte und Sie hätten weder einen Zeichner noch einen Verleger gefunden; Sie würden mir das Manuskript sofort zurückgeben. Dann haben wir beide daran vergessen. Nun kriege ich dringende Urgenzen des Autors, der ein wirklich guter Freund ist und kein zweites Manuskript hat. Bitte, erinnern Sie sich, wo Sie es liegen haben, damit es mir Ihr Hausgeist geben kann. Es ist wirklich dringend.273 Herzlichst Ihr ergebener Mme. Berthe Zuckerkandl chez Mme. Sophie Clémenceau 12, avenue d’Eylau Paris {cop. H.[ammelrath] 10.3.37 aufgeg. H.[ammelrath] 10.3.37}



[BZ an GK, MS] {12.3.37} Paris am Donnerstag. [11. 3. 1937] Liebster, bester Freund! Wenn Sie glauben dass Sie mich los geworden sind so irren Sie sich. Und wenn ich gehofft hatte mir selbst wenigstens für kurze Zeit zu entfliehen so war ich die unverbesserliche Pessimistin wieder einmal zu optimistisch. Folgende Situation fand ich vor. Fritz auf der Bahn elend aussehend. Vollkommen abgemagert. Durch eine schwere Darmtoxikation. Hatte aber den Mut seine Arbeit nicht auszusetzen und ist daher sehr herunter. Bei Sofie eintretend (die ich sehr gealtert und durch den erlittenen Nervenschock des Autounfalls sehr ermattet fand) rief mich Bourguignon sofort an. Und er der sonst so sanfte etwas zögernde Mann teilte mir in energischem Ton mit dass Trude längstens nächsten Dienstag den 16. März in Paris eintreffen muß. Weil seine Aktion der Naturalisierung von Fritz derart beschleunigt wird 273 Aus einem Schreiben von Gottfried Kunwald an Direktor Paul Kunwald (Budapest) vom 16. März 1937 geht hervor, dass er ihm das Manuskript zurücksandte, u. a. mit der Bemerkung: „Der letzte Versuch, Dein Märchen zu placieren, ist auch misslungen.“ Das Märchen hatte den Titel „Die Geschichte von der Frau Musik und ihren Kindern“. ÖSTA, Bestand GK 616-1-1050.

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dass die Unterschrift von Trude und ihre persönliche Anwesenheit hier absolut verlangt wird. Auf meine Frage ob man dies nicht bis ersten April verschieben könnte antwortete er mit einem kategorischen: Nein! Nun ist guter Rat teuer. Trudes Her- und Rückreise kostet ungefähr tausend Fr. Woher diese nun plötzlich nehmen? Paul der gar nicht schlecht aufgelegt ist, entschied dass Trude selbstverständlich herkommen muß. Und zwar gleich. Als ich aber die Frage aufwarf wie so wegen der Spesen, schwieg er beharrlich und fing von etwas anderen zu sprechen an. Sofie qui est terrifiée de peur devant Paul274 – sagt dass da sicher nichts zu machen ist. Also bleibt mir nur ein Ausweg. Mir wieder den Kopf zu zerbrechen. Meine schlaflosen Nächte fortzusetzen. Fritz wird, wenn er naturalisiert ist und wenn der neue chemischpharmazeutische Konzern, den die Fould-Springer im Begriff sind zu gründen einmal funktioniert dort nach absolut bindenden Zusicherungen eine fixe und gute Stelle erhalten. Um diese Verbindung zu bekräftigen wurden ihm bereits chemisch-pharmazeutische nicht ausprobierte Produkte zur Expertise übergeben. Für diese erste Expertise die er jetzt macht erhält er (leider ratenweise) viertausend Fr. Zweitausendfünfhundert nach Fertigstellung Ende April. Nun könnte Fritz die tausend Fr. für Trude (obwohl er weiß Gott andere Zahlungen hätte) bereithalten. Aber bis Ende April hält sich das Kommen von Trude nicht. Sollte es nun das Glück wollen dass ich dennoch den Vorschuß auf meine Pension rechtzeitig erhielte, so würde ich das große Opfer bringen und diese 1000 Fr. hergeben. Fritz schwört dass er sie mir dann Ende April ersetzt. Aber selbst wenn ich das Geld bekäme so gewiß nicht so rasch dass Trude Dienstag abreisen kann. Hier aber setzt Sofies Hilfe ein. Sie erklärte mir eben dass sie mir bis ersten April achthundert Fr. borgen kann. Dass sie diese aber wegen einer dringenden Zahlung zurückhaben muß. Ich schreibe Ihnen nun diese ganze Sache nur um Sie zu bitten mir eventuell telegraphisch mitzuteilen, ob sich während meiner Abwesenheit etwas ereignet hat das Sie hoffen ließe ich bekomme das Geld doch. Wenn dies so ist, dann wird mir Sofie sofort nach Erhalt Ihrer Antwort die 800 Fr. voraus geben, ich sende diese Trude per Eilbrief ein, sie springt Dienstag in den Zug, ist Mittwoch hier und kann sofort mit Fritz zum Polizeipräsidenten275 der ja die ganze Sache so herrlich managed. Es ist so lebenswichtig dass Fritz diese günstige Konstellation ausnützt, und seine Anstellung bei Fould-Springer wird so sehr erleichtert dass ich alles, alles dransetze um Trude das Reisegeld zu schicken. Sollte ich aber den Vorschuß in Wien nicht erhalten, dann allerdings bin ich mit meinem Latein zu Ende. Denn Paul wird nie etwas tun um uns das zu erleichtern ….. Den Brief an Stiasny hat Fritz heute (auf seiner Maschine abgeschrieben) an Trude geschickt und auch jenen 274 „die vor Paul schreckliche Angst hat.“ 275 Roger Langeron, Préfet de police de Paris von März 1934 bis Juni 1941; seine Ablösung erfolgte, da er gegen Deportationen durch die Deutschen auftrat.

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Brief an Trude den Sie ihm vorgeschrieben haben. Wenn Sie nun die Güte hätten Trude kommen zu lassen und ihr genau vorzuschreiben wie sie mit Paul zu verfahren hat, dann käme diese Sache in Ordnung. Die arme Trude tut mir sehr leid. Ich aber bin nun gezwungen kaum in Paris angekommen wieder die Abreise ins Auge zu fassen. Ich werde um meinen Enkel nicht allein zu lassen schon am 23. März wieder zurück müssen. Eine bittere Enttäuschung weil ich ja in mein Elend zurückfalle. Aber es muß sein. Trude wird weil es Paul auch wünscht dann ruhig hier vier Wochen bleiben können. Was auch für Fritz der dringend eine Pflege braucht notwendig ist. Sie sehen dass das Schicksal mir keine Atempause läßt. Und man muß doch noch dankbar sein dass eine so schwierige und entscheidende Sache wie eine Naturalisierung in derartigen Tempo vor sich geht. Allerdings trägt dazu wesentlich bei dass Laugier einen Brief beigelegt hat in welchem er über Fritzls wissenschaftlichen Leistungen und dessen Wichtigkeit außerordentlich sich geäußert hat …. Liebster Freund. Ich warte sehnlichst auf Ihre Antwort. Aber auch angstvoll. Ihre getreueste Paul sagt mir: „Je n’oublie pas Kunwald. Mais ces choses du toujours plus longtemps qu’on ne croit, je lui repondrai je pense fin Mars“.276



[GK an BZ, Telegramm vom 11. März 1937, MS] ZUCKERKANDL CHEZ CLEMENCEAU 12 AVENUE D’EYLAU PARIS VORSCHUSS volleTAUSEND BEWILLIGT KUNWALD {cop: telephon. aufgeg. Mahler 11.3.37, 1115}



[BZ an GK, MS] {12.3.37} NACHTRAG. Sie mein guter Engel, ich küsse Sie für Ihr eben eingelangtes Telegramm. Und oh Wunder! Es hatte noch folgenden Effekt. Ich ging damit zu Paul zeigte es ihm und sagte: Kunwald hat mich wieder gerettet. Und mit diesem Geld kann ich jetzt Trude die Reise zahlen. Worauf er ruhig erwiderte: „Schreibe gleich Kunwald dass ich nicht daran denke von Dir diese Reise zahlen zu lassen. Es ist selbstverständlich dass ich sie zahle. Aber es wäre mir angenehm wenn Dr. Kunwald von Deinem Geld einstweilen Trude das Reisegeld gibt, ich gebe es Dir hier in Francs zurück“.

276 „Ich vergesse Kunwald nicht. Aber diese Dinge brauchen immer länger als man glaubt, ich werde ihm, denke ich, Ende März antworten.“

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Was sagen Sie dazu? Ich war sehr gerührt und nun hoffe ich nur dass das Geld so rasch ausgezahlt wird so dass Trude längstens Dienstag fahren kann. Ihnen geliebter Freund meine Dankbarkeit zu sagen ist nichts. Beweisen möchte ich Ihnen einmal diese können. Aber wie? Falls Frau Mayor Feizlmayr das Geld schon hat so werde ich ihr sofort jetzt Auftrag geben davon Trude die dritte Klasse hin und retour zu zahlen. Sowie 20 Sch. auf die Reise zum mitnehmen. Also jetzt bin ich diese Sorge auch los und glaube mich einen Augenblick im Himmel. Wenn nur mein Fritzl nicht so schlecht aussehen würde. Aber Trude wird ihn gewiß pflegen. Morgen oder übermorgen hoffe ich zu Crucy zu gehen. Und werde alles tun um für Sie von Blum ein Datum herauszureißen. Jetzt hat er ja einen großen Erfolg mit der Anleihe. Und vielleicht ist er zugänglicher. Nochmals heißen Dank von Ihrer Berta



[BZ an GK, MS] {18.3.37} Dienstag. [16. 3. 1937] Liebster Freund! Gestern habe ich lange mit Rist telephoniert. Er und seine Frau kommen diese Woche einmal zu mir. Obwohl er wahnsinnig zu tun hat will er es sich nicht nehmen lassen. Er telephonierte mir hauptsächlich um mir zu sagen wie er sich immerwährend fürchtet dass Sie böse auf ihn sein könnten. Weil er Ihnen das letzte Mal in Paris so Unangenehmes sagen mußte. Und doch war er gezwungen als Ihr so guter Freund ganz aufrichtig zu sein. Aber es läßt ihm keine Ruhe. Immerfort muß er (so sagte er mir) daran denken. Ich erwiderte ihm dass ich Sie doch so gut zu kennen glaube und weiß Sie tragen ihm (Rist) gewiß nichts nach. Sie sind ihm ebenso gut gesinnt wie vorher. Das hat Rist sehr beruhigt. Und er fügte noch hinzu: „Oh si seulement je pouvais enfin arriver a faire quelque chose pour ce cher Kunwald. Mais helas ce qu’il aurrai voulu je ne pourrai jamais le faire“.277 Wann nun Rist der ansonsten strahlend aufgelegt ist weil er ja wieder sehr im Vordergrund steht zu mir kommen wird weiß ich nicht. Ich fahre ja diesmal sehr rasch wieder weg. Trude muß einer persönlichen Unterschrift wegen Montag hier zur Polizei. Sonst (sagt Bourguignon) könnte die Naturalisierung zu lange verschoben werden. Alle können wir nicht hier bei Paul sein. Ich will auch Emil nicht allein lassen. Meine Geschäfte hier sind alle so ziemlich erledigt und meist negativ ausgefallen. (Wie so oft.) Also packe ich gegen den 24. März meinen Koffer und hoffe Sie dann gleich zu sehen und Ihnen danken zu können. Für diesen Freitag fünf Uhr bin ich bei Crucy bestellt. Und Comert 277 „Wenn es mir nur endlich gelingen könnte, etwas für diesen verehrten Kunwald zu tun. Aber leider, was er gewollt hätte, werde ich aber niemals machen können.“

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kommt morgen Nachmittag zu mir mich besuchen. Sonst durfte ich politisch Niemanden sprechen. Ihr junger Freund Claude Bourdet dem ich schrieb hat mir nicht geantwortet. Clauzel war Sonntag bei mir. Er gibt nächsten Montag im Cercle Interalliée278 ein großes Dejeuner zu dem ich und auch Fritz und Trude sowie Paul und Sofie gebeten sind. Unser Gesandter, Rist und Frau, die Reuters sind geladen. Zu Ehren seiner Ernennung zum Verwaltungsrat der Banque des Pays Centreaux. Clauzel bat mich Sie herzlichst zu grüßen. Das mir bewilligte Geld scheint noch nicht ausgezahlt zu sein. Ich muß hier darauf warten da ich sonst kein Geld zur Rückreise habe. Ich schrieb Dr. Fuchs in’s Auswärtige Amt um eine neuerliche ermäßigte Karte. Hoffentlich erhalte ich sie. Wasserbäck ist nun zum Gesandten in Athen ab ersten Mai ernannt.279 Und er sagt mir dass wahrscheinlich Dr. Fuchs sein Nachfolger sein wird. Eine sehr gute Wahl. Sollten Sie irgend welche Wünsche haben so kommen diese Zeilen noch rechtzeitig damit Sie mir sei es für Crucy sei es für Rist Ihre Wünsche mitteilen können. Ich bin überglücklich wenn ich nur irgendwie Ihnen dienen darf. Innigste Grüße von Ihrer getreuen Berta Ich habe sofort als Ihre Karte kam nach Wien geschrieben dass man das Manuskript welches Sie mir gaben heraussucht und Ihnen bringt. Es ist 278 Der „Cercle de l’Union interalliée“ ist ein Verein, der 1917 in Paris gegründet wurde und dem Repräsentanten der politischen, administrativen, wirtschaftlichen und diplomatischen Elite angehörten sowie Adelige und Künstler. 279 Erwin Wasserbäck trat diesen Posten nie an. Ausschlaggebend dafür war die „Affäre Wasserbäck“. Wasserbäck war am 14. Juni 1933 in Berlin als Revanche für die Ausweisung von Theo Habicht aus Österreich verhaftet worden. Theo Habicht, von September 1931 bis zu seinem Tod deutscher Reichstagsabgeordneter für die NSDAP, kam 1931 als Landesinspekteur nach Österreich, um die NSDAP zu reorganisieren. Damit begann eine zunehmend aggressiver werdende nationalsozialistische Agitation. Ende Mai 1933 stand die Ausweisung von Theo Habicht bevor. Um dem zuvorzukommen, sollte Habicht Presseattaché – mit diplomatischer Immunität – bei der deutschen Gesandtschaft in Wien werden. Die österreichische Regierung erteilte ihm nicht das Agrément und ließ ihn am 12. Juni 1933 verhaften und abschieben. Die deutsche Regierung verhaftete am 14. Juni als Gegenmaßnahme den Leiter der Presseabteilung der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, Erwin Wasserbäck. Am Tag darauf wurde er freigelassen. Seine Akkreditierung wurde ihm entzogen und er wurde ausgewiesen. 1937 fand die Angelegenheit eine Fortsetzung. Im Zirkularweg hatte der Ministerrat am 17. März 1937 der Ernennung Wasserbäcks zum Gesandten in Athen zugestimmt. Griechenland erteilte nicht das Agrément und stellte Fragen nach den Gründen für das Verlassen Berlins 1933 und ob Wasserbäck noch als Priester tätig sei. Das hinhaltende Verhalten der Griechen war ausschlaggebend für die Nichtentsendung, da Wasserbäcks Laisierungsakt noch nicht abgeschlossen war. Griechenland wollte eine Missstimmung im Verhältnis zu Deutschland vermeiden. In Griechenland herrschte von 1936 bis 1941 die vom italienischen Faschismus und vom deutschen Nationalsozialismus beeinflusste Metaxas-Diktatur. Erwin Wasserbäck erkrankte im Sommer 1937 schwer und starb am 17. Oktober 1938 in Wien. Zum engen Verhältnis Zuckerkandl, Kunwald und Wasserbäck vgl. auch die Korrespondenz in dem Bestand GK im ÖStA, 616-1-1171. Der letzte Brief von Wasserbäck an Kunwald stammt vom 20. September 1937 und enthält Hinweise auf seine schwere Erkrankung.

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bestimmt unter meinen Schriften. Hoffentlich haben es meine Hausgeister gefunden.



[GK an BZ, Telegramm, 20. März 1937, MS] ZUCKERKANDL CLEMENCEAU 12 AVENUE D’EYLAU PARIS

NOTRE TELEPHONE FINISSANT MI DI TROIS QUART JEANNE TRUDE TELEPHONIQUEMENT DEJA INACCESSIBLES 280 KUNWALD

{cop: Mahler 20.3.37 telephon. Aufgeg: Mahler 20.3.37, 1330h}



[BZ an GK, MS] {26.3.37} Mittwoch. [24. 3. 1937] Liebster Freund! Gestern zum Tee waren die Rist eine Stunde bei mir. Wirklich, ich kann mir etwas einbilden, denn es ist unaussprechlich was dieser Mann zu tun hat. Er sieht auch angegriffen aus. Und leidet an einer Schleimbeutelentzündung im Knie die ihn sehr hindert. Nun grüßt Sie Rist herzlichst. Er sprach mit großer Liebe und Bewunderung von Ihnen. Er bittet Sie ihm sofort Ihr Exposé über Central-Europa281 einsenden zu wollen. Und verspricht Ihnen trotz aller seiner Arbeit es gleich zu lesen. Es ist dies (sagt er) besser als wenn man die Sache telephonisch behandelt. Denn er wäre nicht einmal im Stande Ihnen irgend eine Stunde oder einen Ort anzugeben wo Sie ihn selbst mit Voranmeldung telephonisch erreichen könnten. Derart ist er immer unterwegs. Entweder bei Blum oder im Finanzministerium oder in der Banque de France oder in der Banque de Paris oder der Teufel weiß wo. „Tour ce que Kunwald fait est toujours si interessant, et si imprevu, que cela m’interesse au plus haut point de savoir ce qu’il imagine pour reconstruire l’ordre economique de l’Europe Central“ sagte er.282 Und besonders scheint ihm der jetzige Augenblick dazu besonders geeignet. Denn Rist bestätigt mir alle Zeitungsmeldungen über eine stärkere Betonung von nun an die Schuschnigg der Achse Wien-Paris-London zu geben gedenkt. 280 „Abschaltung unseres Telephons um 12.45 Jeanne und Trude telephonisch schon unerreichbar.“ 281 In den Materialien von Gottfried Kunwald finden sich mehrere Hinweise auf Exposés: 616-1-97 Exposé über eine gemeinsame europäische Währung; 616-1-1552 Exposé über die Entwicklung einer Bank für den Außenhandel; 616-1-1573 Exposé zur Organisierung von Transportkreditbanken in verschiedenen Ländern; Projekt einer internationalen Krisenliquidation. Vgl. auch 616-1-452 u. a. Material zur Kredittheorie Kunwalds sowie eine Schrift von Charles Rist („Une histoire naturelle de la vie financiére et monétaire“). 282 „Alles was Kunwald macht, ist immer so interessant und so unerwartet, dass ich unbedingt wissen will, was er sich vorstellt, um die Wirtschaft in Zentraleuropa wieder aufzubauen.“

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(Wasserbäck ist sehr stolz darauf weil er mir dies bereits im November, als ich hier unter seinem Diktat einen politischen Artikel schrieb283 als Zukunftsmusik bezeichnen ließ.) Rist aber ist genau darüber unterrichtet dass es sich weniger um ein Zusammengehen mit Ungarn handeln wird als um eine direkte Gemeinschaft mit der Tschechoslowakei. Dies bezeichnet Rist als großes Glück falls es zu Stande käme. Diese neueste Wendung wird auch die Basis meiner Besprechung mit Crucy bilden die ich morgen am Tag vor meiner Abreise haben dürfte. Crucy bat mich lieber zu kommen wenn das Parlament verabschiedet sein wird. Donnerstag, also morgen erwartet er mich. Die legitimistische Frage ist sehr in den Hintergrund getreten. Man hält den Artikel von Gayda für ausschlaggebend, dagegen. Und die neue Wendung zu einer Donau-„Union“ (in irgend einer Form) für eine lange Hinausschiebung der Habsburgerfrage. Rist will falls ihm sein Knie keinen schlechten Streich spielt Ende April oder Anfang Mai bestimmt nach Wien kommen. Frau Rist versprach mir mich voher genau zu unterrichten da sie mit mir in die Oper gehen will. Clauzel gab ein großes Dejeuner im Cercle Interalliée.284 Er sprach mit mir (vollkommen vertraulich) dass er Persona non grata sowohl am Quai d’Orsay ist als auch bei Delbos. Und dass ihm Blum gewogen ist. Es ist nicht unmöglich dass ihm eine besondere Mission gerade für die Pays Centreaux anvertraut werden wird. Ich signalisiere Ihnen dies jedenfalls. Trude ist gut angekommen und dass ich Fritz und Trude wieder zusammen sehe ist mir eine so große Beruhigung dass ich etwas mehr Mut wieder zu fassen beginne. Die Naturalisierung von Trude muß aber ganz geheim in Wien gehalten werden. Denn sonst könnte man ihr einen Strick drehen und ihr im Sanatorium die Arbeitsbewilligung entziehen. Übrigens wird es sowieso noch ein paar Monate dauern bis alles fertig ist. Bourguignon hat ein wahres Wunder vollbracht, indem er den Gang dieser sonst so langwierigen Sache ungeheuer beschleunigt. Auf meinen gleich nach meiner Ankunft Claude Bourdet geschriebenen Brief erhielt ich keine Antwort. Bis er mir dann gestern telephonierte. Er kommt heute zu mir. Er kann Ihnen auf Ihr Telegramm vorläufig keine Antwort geben weil er sich erst genau instruieren muß. Er sagte mir dass Spinasse von Ihnen ungemein begeistert ist. Nun lieber Freund will ich wirklich Freitag Früh fahren. Kehre hauptsächlich wegen meines Enkels heim der ja ein so außerordentliches Kind ist dass ich kein höheres Interesse habe. Ich soll dann Anfang Mai mit Frau Deutsch die jetzt in Florenz ist und dann nach Wien kommt wieder nach Paris zurück. Aber einstweilen freue ich mich unendlich mit Ihnen mancherlei besprechen zu können. 283 Vgl. den Brief vom 17. November 1936. 284 Vgl. den Brief vom 16. März 1937.

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Ich fahre Tag und Nacht ohne Schlafwagen und werde wohl Samstag im Bett verbringen müssen. Aber telephonieren werde ich Ihnen sofort. Ihre getreueste. Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {5.5.37} Mittwoch Früh. [5. 5. 1937] Lieber Freund! Ich erhielt gestern Abend beiliegenden (in Abschrift Ihnen gesandten) Flugpostbrief. Telephonieren wollte ich dies nicht. Daher bitte ich Sie ihn zu lesen und mir dann sagen zu wollen, ob ich Wasserbäck den Brief zeigen soll? Er wird aber bestimmt nicht wollen dass der Inhalt seinem Chef bekannt wird. Vielleicht sind Sie so lieb und telephonieren mir darüber. Ich bin aber erst Mittag ab ein Uhr zu Hause. Herzlichst Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps Ich sehe Wasserbäck erst Freitag. Dejeuniere mit ihm bei Alma Mahler. Dort natürlich sage ich kein Wort von alldem. Sie tratscht.



[Sofie Clemenceau an BZ, MS] {5.5.37} Abschrift eines Briefes von Sofie Clemenceau. (Original in meinen Händen) Montag den 3. Mai [1937] 12, Avenue d’Eylau. 12. Liebe Berta! Ich habe Deinen Brief wieder unserem gemeinsamen Freund Crucy übergeben. Er läßt Dir herzlichst danken für die ausgezeichneten Informationen285, die Du ihm gibst, und die geeignet sind viele Mißverständnisse (besonders) die allerletzten, auf kürzestem Weg aufzuklären. Deine Vermittlungstätigkeit (sagte mir Crucy) die Du so bescheiden hinter den Kulissen leistest kann augenblicklich nicht genug hoch angeschlagen werden. Und in der Erklärung die Du ja betreffs Wahrung von Österreich’s Unabhängigkeit gelesen haben wirst, liegt viel von Deiner Arbeit eingeschlossen. Man dankt Dir sehr. Und Crucy erwartet Dich bereits sehnsüchtig in Paris wie wir alle. In Eile herzlichst Sofie – Paul Clemenceau.

 285 Vgl. das dem Brief vom 17. November 1936 angehängte Exposé.

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[BZ an GK, Flugpostbrief, HS] [Flugpost Stempel Paris/Wien, 25. Mai 1937] Monsieur Gottfried Kunwald. Kanzlei Dr. Kunwald. I. Schulerstraße Nr. 1 – 3. Vienne Autriche. Montag. [24. Mai 1937] Lieber Freund! Ich wäre Mittwoch Vormittag zwischen ½ 10 und ½ 12 Uhr anzurufen bei Maria Ley: Maillot 77 – 91. Dienstag Abend kann ich Ihnen keinen Bericht mehr schreiben – aber Mittwoch Früh sodaß Sie meinen Brief Freitag Früh haben werden. Herzlichst Ihre B. Z. Berthe Zuckerkandl-Szeps 10 Rue de la Ferme Neuilly sur Seine Paris



[BZ an GK, MS] {28.5.37} Paris den 26. Mai [1937] Lieber Freund! Da Sie bis jetzt nicht angerufen haben so fürchte ich meine Zeilen sind zu spät gekommen. Ich war gestern bis sieben Uhr bei Crucy. Eigentlich habe ich nichts Neues erfahren. Konkret aber stellte er mir die Situation folgend dar. Guido Schmidt hat in dem kurzen Tag seines Aufenthalts286 einen ganz angenehmen Eindruck gemacht. Deutlich war an ihm eine Befriedigung wahrzunehmen über den erzielten Erfolg in England; (nicht, wie Crucy hinzufügte) dass England irgend wie sich gebunden hätte. Man muß (sagte er) nur an das England von 1914 denken, das erst im allerletzten Augenblick Farbe bekannte. Aber so viel hat Guido Schmidt doch heimgetragen dass England bestimmt nicht dulden wird dass man an Österreich rührt. Wer immer es sei. Dies geschieht natürlich in Übereinstimmung mit Frankreich.

286 Guido Schmidt hatte am 11. und 12. Mai Besprechungen mit dem englischen Außenminister Anthony Eden in London, traf am 19. Mai in Paris den französischen Außenminister Yvon Delbos und hatte weitere Gespräche am 20. Mai 1937 in der Schweiz. Vgl. dazu mehrere Artikel in der „Wiener Zeitung“ zwischen dem 19. und 22. Mai 1937; einen ausführlichen Bericht enthält das Ministerratsprotokoll vom 25. Mai 1937, Tagesordnungspunkt 3, Besprechungen in London, Paris und Bern. Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Abteilung IX, Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg, Band 7, 20. November 1936 bis 25. Mai 1937, herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel/Alexandra Neubauer-Czettl/Peter Wackerlig, Wien 2011, S. 408 – 414.

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Jedoch bleibt für eine weitere Entwicklung der jetzigen Annäherung zwischen Wien und Paris ein’s entscheidend. Nämlich: Ob und welche Annäherung der österreichischen Regierung an die Sozialisten stattfinden wird. Blum besitzt in Abschrift die Forderungen welche die Arbeiterschaft unlängst Schuschnigg übergeben hat.287 Er weiß selbstverständlich dass sie nicht in vollem Ausmaß bewilligt werden. Jedoch müßte unbedingt IRGEND ETWAS geschehen. Dann könnte der jetzige Augenblick der nicht nur von ungeheurer Wichtigkeit ist, sondern der auch die größte Vorsicht und Taktsicherheit fordert sich segensreich entwickeln lassen. Mussolini (so fährt Crucy fort) [und Hitler] kämpfen beide um England. Wenn überhaupt, so werden die Engländer eher zu Deutschland neigen. Weil Mussolini sie in der gröbsten Weise gereizt hat. Hauptsache meiner Unterredung war folgender Ausspruch Crucy’s: „Il faudrait que nous sachions avec une sureté absolue ce que le Chancalier Schuschnigg pense vraiment. Ce qu’il veut vraiment. Nous ne pouvons lui faire une confiance absolue. Jusqu’il ne donne par un signe qui dirait plus que le rapprochements timides, qui nous fixerait absolument sur les intentions du Chancalier. Nous savons tres bien les gran des difficultes qui s’imposent a un rapprochment trop significant. Mais: Il y aurrait le moyen indiqué, c’est a dire une sorte de paix qu’il ferrat d’abord avec les Socialistes Autrichens. Cela faciliterai tout sans pour ce l’axe Berlin-Rome puisse s’alarmer outre mesure.“288 Dies ist in großen Zügen der Extrakt meines Gespräches. Was nun die Sache Wasserbäck betrifft, so mache ich Ihnen eine allervertraulichste Mitteilung. Ich kann sie absolut nicht direkt Wasserbäck machen, da ich mich in Gefahr begeben würde mir den Haß vom mächtigen Hollnsteiner zuzuziehen.289 Das will ich vermeiden. 287 Die Arbeiterdenkschrift der Hunderttausend wurde Bundeskanzler Schuschnigg Ende April 1937 von einer Delegation der Wiener Vertrauensmänner der verbotenen sozialdemokratischen Partei übergeben. Vgl. zur Problematik Everhard Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung, Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933 – 1938, Wien 1979. 288 „Wir müssten mit absoluter Sicherheit wissen, was der Kanzler Schuschnigg wirklich denkt, was er wirklich will. Wir können ihm nicht absolut vertrauen, bis er nicht ein Zeichen gibt, das mehr aussagen würde als seine zaghaften Annäherungen, das uns klar Bescheid über die Absichten des Kanzlers gibt. Wir wissen sehr wohl um die großen Schwierigkeiten, die mit einer zu signifikanten Annäherung verbunden sind. Es gäbe aber das adäquate Mittel, das heißt eine Art Frieden, den er zunächst mit den österreichischen Sozialisten abschließt. Dies würde alles erleichtern, ohne der Achse Berlin-Rom Anlass zu geben, sich übermäßig zu beunruhigen.“ 289 Der Priester Johannes Hollnsteiner stand in einem engen Verhältnis zu Alma Mahler, galt als rechte Hand von Kardinal Innitzer und war Beichtvater und Berater von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Er galt als mächtiger Mann, der „vermittelt, intrigiert, paktiert“ und damit Karrieren machte und beendete. Vgl. https://www.alma-mahler.at/deutsch/almas_life/hollnsteiner. html. Abgerufen am 1. Oktober 2017. In den Materialien von Gottfried Kunwald finden sich Hinweise auf Kontakte zu Prof. Hollnsteiner, u. a. ein Besuch von Hollnsteiner gemeinsam mit Alma Mahler-Werfel bei Kunwald. ÖS tA, Bestand GK, 616-1-1086, Schreiben vom 25. Mai 1937 von GK an Alma Mahler-Werfel.

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Wasserbäck hat mir vor meiner Abreise noch telephoniert dass er von einem Gespräch mit Hollnsteiner, in welchem er ihm seine Politik (Achse Wien-Paris) auseinandersetzte, sehr zufrieden sei. Er vertraute ihm dass dieser bei Schuschnigg ihm sekundieren würde. Nun ist hier (das sage ich nur Ihnen, es würde abscheulicher Verrat von mir sein diesen Namen jemals zu nennen) Annerl Zsolnay-Mahler. Die steht dort wo ich stehe im Gegensatz zu ihrer Mutter, die ganz im Bann von Hollnsteiner ist. Annerl vertraute mir gestern an dass Wasserbäck von Hollnsteiner verraten wird. Dass dieser direkt eine Wut auf Wasserbäck hat, weil er gegen diese von ihm eingeleitete Politik ist, und dass er bei Schuschnigg alles konterkariert. Dies darf und kann ich Wasserbäck nicht direkt sagen. Alle Wege müssen verwischt werden die mich zu der Kenntnis der Gefahr in der Wasserbäck (und unsere Politik mit Paris) sich befindet gebracht haben. Ich vertraue Ihnen so ganz und Ihrem hohen Geist. Sie werden wissen wie dies Wasserbäck eventuell mitgeteilt werden kann, wie, und ob überhaupt auch Sie sich in die Gefahr begeben sollen, sich mit Hollnsteiner zu verfeinden. Denn: Auch Wasserbäck ist (verzeihen Sie mir) ein Pfaff. Und ganz und gar traue ich ihm nicht. Nun wissen Sie alles was vorläufig zu sagen ist, ich bin todmüde. Alle diese Dinge nicht nur zu erfahren aber auch niederzuschreiben, dazu die schwersten Sorgen (ich habe nicht einmal Geld für den Autobus) ich bin vollkommen erschöpft! ….. Sehe absolut keine Möglichkeit aus meiner greulichen Situation jemals wieder mich zu retten. Die Ausstellung290 wird unsagbar herrlich. Und obwohl die infamste Campagne gegen Blum geführt wird so kann (unberufen, ich klopfe) ein überwältigender Erfolg nicht ausbleiben. Ihre Sie innigst grüßende Berta Zuckerkandl-Szeps Verzeihen Sie die Typfehler.



[GK an BZ, MS] Wien, am 2. Juni 1937. Verehrte Freundin! Über Folgendes bitte ich Sie nachzudenken, aber nicht darüber zu sprechen. Ein hervorragender Wiener Rotarier sagt mir, dass in der Pariser Weltausstellung für die Ausstellung der Rotarier ein gemeinsamer Raum für Österreich und Deutschland bestimmt worden ist. Das hat er, da er ein arischer Antinazi ist, bekämpft und durchgesetzt, dass in dem gemeinsamen Raum ein separierter Raum von den österreichischen Rotariern subgemietet wird. Wie aber, sagte er, soll in sinnfälliger Weise dargetan werden, dass wir 290 Gemeint ist die Pariser Weltausstellung, die vom 25. Mai bis 25. November 1937 stattfand. Österreich war mit einem eigenen Pavillon vertreten.

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„ein Kulturvolk“ sind? Er meinte, dass unter den Porträts, die die Wände schmücken, ganz besonders weltbekannte österreichische Juden sein sollen, die auf wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet Welt bedeutendes geleistet haben, und fragte mich um Rat, wen man da hinhängen solle. Außer Freud wußte er niemand. Er bat mich, ihm einen oder mehrere weltbekannte „Schlager“ zu nennen. Mir sind aber österreichische Juden von weltbekanntem Namen, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, nicht eingefallen. Bitte schlagen Sie mir solche Namen vor, wenn Ihnen welche einfallen. Nothnagel291 als Ehrenjude geht nicht; Journalisten und Politiker sind ausgeschlossen. Ich werde Sie Freitag zwischen 11 und 12 Uhr telefonisch bei Maillot 77 – 91 anrufen; aber das Gespräch darf nicht länger als drei Minuten dauern, weil es mir sonst zu teuer ist. Könnten Sie Crucy gegenüber einmal meinen Namen erwähnen? Es ist mir nicht mehr besonders wichtig, aber ich wäre wirklich neugierig zu erfahren, warum ich nicht zu Blum kommen konnte. Vielleicht sagt er es Ihnen ganz aufrichtig. Von der Wendung in Purkersdorf, die seit mehr als einem Jahr eingetreten ist, ohne dass wir es wußten, haben Sie vielleicht schon gehört. Stiasny und Frau Professor Redlich sind erbitterte Feinde geworden. Vor etwa fünfviertel Jahren ist hervorgekommen, dass Stiasny grundsätzlich in jedem Monat viel mehr behoben hat als seinen Gehalt. Das hat Frau Redlich moniert und das war ihm unangenehm. Daher rührte sein Verlangen nach Gehaltserhöhung. Frau Professor Redlich stimmte der Gehaltserhöhung unter der Bedingung zu, dass alle anderen Gesellschafter zustimmen. Stiasny schrieb den Brief an Fritz, der die richtige Antwort, meinem Rat nachkommend, gegeben hat: Stiasny muß selbst beurteilen, was das Unternehmen verträgt. Stiasny hat einen Erhöhungsbeschluß nicht durchgesetzt, aber seither weiter unbekümmert jeden Monat um S 300.– mehr behoben als sein Gehalt ausmacht. Man ist ihm dann sukzessive auf weitere ganz unglaubliche Dinge gekommen und Frau Amalia292 hat jetzt nur einen Wunsch, ihn loszuwerden. Trude, die in den letzten Wochen von Stephenson293 sehr unvollständig informiert war und Obiges, das ich gestern erfuhr, noch nicht weiß, aber heute oder morgen, wenn sie zu mir kommt, erfahren wird, überbrachte mir die Bitte Stephenson, ihn zu empfangen. Das lehnte ich ab, weil Stiasny und Redlich die Verantwortlichen sind und ich es für unrichtig halte, mich als Fritz’ Vertreter da irgendwie hineinzumischen. Denn der Zusammenbruch kann in jedem Augenblick erfolgen.

291 Hermann Nothnagel (1841 bis 1905). 2 92 Gemeint ist Amalia Redlich. 293 Zu seiner Rolle als Geschäftsführer vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1358.

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Ich ließ Stephenson sagen, dass ich aber selbstverständlich dem Rechtsvertreter der Frau Professor Redlich, Dr. Fürst294, jederzeit zur Verfügung stehe. Dieser war gestern bei mir; ich ersah aus seiner Darstellung das vollkommene Zerwürfnis Redlich-Stiasny. Ich habe ihm gesagt, dass ich vorschlage, er und ich gemeinsam sollen Stephenson empfangen, aber nicht um Mißbräuche anzuhören, dabei wirke ich nicht mit, weil ich sie nicht abstellen kann, sondern nur um den Status, wie er jetzt ist, klarzustellen. Wahrscheinlich wird nun bald eine entscheidende Wendung eintreten. Die Hauptsache ist mir dabei, dass Trude sich fernhält. Seien wir froh, dass wir die Entlastung Fritzens und Trudes von der Verantwortung für das seither Geschehene im Jahr 1935 erreicht haben. Mit vielen herzlichen Grüßen Ihr ergebener {cop. H.[ammelrath] 2.6.37. aufg. Express Flugpost H.[ammelrath] 2.6.37., 14h. Mme Berthe Zuckerkandl chez MMe Maria Ley Neuilly sur Seine 10 rue de la Ferme Paris}



[BZ an GK, MS/HS] {4.6.37} Donnerstag. [3. 6. 1937] Lieber Freund! Eben erhalte ich Ihren Flugpostbrief. Da ich für den ganzen Tag leider weggehen muß werde ich zur Fortsetzung dieses Schreibens welches ich noch heute um sieben Uhr Abend mit Flugpost wegschicken will, leider meine Schreibmaschine nicht haben. Sondern irgendwo mit meiner Feder unleserlich fortsetzen müssen. Ich bitte Sie um Entschuldigung. Da ich nur drei Minuten Zeit haben werde möchte ich Ihnen vorläufig die Namen nennen welche INTERNATIONAL berühmt sind. Glauben Sie nicht dass mich Eitelkeit leitet wenn ich da in erster Linie den Anatomen Emil Zuckerkandl nenne. Ich bin immer vollkommen erstaunt wenn ich von Amerikanern, Franzosen, Skandinaviern und Engländern höre wie heute noch Emil Zuckerkandls Werke als Grundlegende studiert werden. Und wie sehr man seinen Namen berühmt macht. Emil Zuckerkandl hat unter anderem in seinen letzten Jahren dieses Organ neben der Nebenniere entdeckt das dann für die Blutdrucksteigerung und überhaupt für den Blutdruck als Regulator die moderne Medizin von Grund auf umbaute. Auch als Grundleger der Nasen, Ohren und Zahn-Anatomie kann kein Arzt in keinem Land Zuckerkandls Hauptwerke entbehren. 294 Dabei handelt es sich um den Rechtsanwalt Dr. Herbert Fürst.

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Sonntag den 25. April hat das Neue Wiener Journal für die Feier „Hundert Jahre Heilkunst“295 eine ganze Seite veröffentlicht und unter den großen Berühmtheiten auch Emil’s Bild gebracht. Und zwar das schönste Bild, das existiert. Vielleicht können Sie sich das in der Administration holen lassen. Es ist sehr überzeugend dass Emil Zuckerkandl zu den größten Weltberühmtheiten zählt. In einer ganz anderen Geisteskammer ist Schönberg zu nennen. Der Erfinder der Atonalen Musik. Wie immer man zur Atonalen stehen mag, so ist das Genie dieses Mannes in der ganzen Welt bekannt. Heute hat er in Amerika die überragende Stellung die ihm gebührt. Auch Gustav Mahler der geniale Komponist, und der Erneuerer der Europäischen Oper muss absolut gebracht werden. Morgen nenne ich Ihnen dann noch die Nobelpreise welche österreichische Juden erhalten haben. Alle diese wurden natürlich aus Österreich hinausgeworfen. Ich ergänze aber diese Liste villeicht noch heute mit der Feder. Ihre Nachrichten aus Purkersdorf sind niederschmetternd. Weil Fritz trotz seiner sich immer steigernden wissenschaftlichen Erfolge noch immer kein festes Einkommen hat das ihm ermöglicht Frau und Kind in Paris zu ernähren. Wir erwarten allerdings täglich seine Naturalisierung und man sagt dass er dann bestimmt eine Stellung erhalten wird. Einstweilen aber was anfangen? Ich bin so arm geworden dass ich nicht helfen kann. Und auf Paul Clemenceau ist weniger denn je zu rechnen. Er wird immer sonderbarer, und verschlossener. Eben habe ich bei Coudenhoves dejeuniert. Er grüßt Sie herzlichst. Anbei Namen weltberühmter österreichischer Juden: Gustav Mahler Artur Schnitzler Schönberg Franz Werfel (obwohl er einen tschechischen Paß hat) Emil Zuckerkandl Professor Loewi (Nobelpreisträger) Unter den 8 Nobelpreisträgern Österreichs sind 4 Juden296 Max Reinhardt Theodor Herzl Der Erfinder des Autos Markus297 Robert Lieben der Erfinder der Quarzlampe die den Film ermöglichte Was Sie mir über Purkersdorf sagen ist schrecklich. Was werden wir nur tun? Fritz hat noch nichts Fixes! – Ich bin in elendem Nervenzustand denn unsere Lage ist aussichtslos. – 295 Vgl. dazu „Neues Wiener Journal“ vom 25. April 1937, S. 16. 296 Bei den im Text erwähnten vier jüdischen Nobelpreisträgern Österreichs handelte es sich um: Alfred H. Fried (1864 Wien – 1921 Wien) – 1911 für Frieden; Robert Barany (1876 Wien – 1936 Uppsala) – 1914 für Physiologie und Medizin; Karl Landsteiner (1868 Baden bei Wien – 1943 New York) – 1930 für Medizin; Otto Loewi (1873 Frankfurt am Main – 1961 New York) – 1936 für Medizin. 297 Siegfried Marcus.

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Crucy sehe ich selten. Dadurch dass Wasserbäck nicht zurückgekommen ist hat sich ist meine Informationsquelle verschüttet. Wenn ich nicht bald eine andere Kombination finde die mir erlaubt Crucy weiter gut zu informieren wird meine ganze mühevolle Arbeit zunichte. Und niemals war die Verbindung (heimliche) zur französischen Regierung so wichtig wie jetzt. Aus innigem Herzen Dank für Ihre liebevolle Haltung Trude gegenüber. Sie schrieb mir so gerührt. Die Arme – sie ist ja ganz verlassen. Ich umarme Sie. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps Haben Sie meinen Brief über Wasserbäck nicht erhalten?



[GK an BZ, MS] Wien, am 5. Juni 1937. Verehrte Freundin! Was sind Sie für eine Pessimistin! Die Wendung in Purkersdorf ist zweifellos eine Wendung zum Besseren. Denn Frau Professor Redlich steht jetzt auf unserer Seite und Stiasny ist gänzlich isoliert. Jetzt zum erstenmal kann Purkersdorf auf eine solide Basis gestellt werden; und wir haben dazu zweifellos bis 15. September d. J. Zeit, weil es in der Saison nicht an Geld fehlt. Also Herz auf, verehrte Freundin. Das ist keine Ursache, schwarz zu sehen. Glauben Sie das Ihrem sehr ergebenen {Mme Berthe Zuckerkandl chez Mme Maria Ley 10 rue de la Ferme Neuilly sur Seine Paris Flugpost cop., aufg. H.[ammelrath] 5.6.37}



[BZ an GK, MS] {11.6.37} Paris den 8. Juni [1937] 12, Avenue d’Eylau. Liebster Freund! Sie sind so gütig, Sie sind der beste Freund auf der Welt. Wie Sie es erraten wenn ich ein Wort des Trostes brauche. Und immer wieder retten Sie mich vor tiefer Verzweiflung. Diese paar Zeilen von Ihnen habe ich in mich hineingetrunken, und ich atme seitdem wieder freier. Aber wenn ich meinen Fritzl sehe der wirklich alles was er je begangen hat abbüßt, wenn ich von allen Seiten beglückwünscht werde dass ich einen Sohn habe der in anderthalb Jahren sich einen großen wissenschaftlichen Namen in dem verschlossenen Frankreich erobern konnte, wenn ich aber diesen selben

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Menschen so arm weiß dass er sich nicht einmal ein Paar Schuhe oder ein leichtes Sommerröckel kaufen kann und in der furchtbaren Hitze im Wintergewand schwitzen muß …. Dann zieht sich mein Herz so zusammen als ob es brechen wollte. Gestern war ich bei Bourguignon der mir versichert dass die Naturalisierung im Juli erfolgen wird. Und dass dann wohl sich alles leichter fügen dürfte. Er dejeunierte vorgestern in Tete a Tete mit Laugier. Und dieser äußerte sich mehr als lobend über Fritz. So dass er auch alles dransetzt dass die Naturalisierung rasch erfolgt. Außerdem arbeitet Fritz jetzt bei Professor Flissinger (der hiesige Eppinger) und hatte mit einer Arbeit einen solchen Erfolg dass Professor Flissinger aus freien Stücken Fritz sagte „Sowie Sie naturalisiert sein werden soll für Sie bestimmt etwas Ausgiebiges geschehen.“ Aber einstweilen ist die arme Trude in größter Not weil Fritz ihr nichts schicken kann. Und sie verargt dies mit Recht dem armen Fritz der ja Trude gegenüber schwer gefehlt hat. Ich sehe dies, und bin so traurig dass diese selten gute Ehe gefährdet ist. All die und meine eigenen Sorgen die beginnen grotesk zu sein so aussichtslos ist ihr Schwinden nagen natürlich an meiner Gesundheit. Was sagen Sie zu der Demission von Finaly? Eventuell ist das für Sie eine gute Wendung. Denn jetzt wird Rist nicht mehr sich darauf ausreden können dass Finaly Sie nicht mag. Ich kenne noch nicht den Nachfolger. Immerhin ist der Abgang Finaly’s ein anständiger. Denn er geht weil Moreau (den er selbst einst zum Präsident machte) in Artikeln die er in der „Revue des deux Mondes“ veröffentlichte sich ganz infam gegen die Linke benimmt. Und sich als größter Reaktionär entpuppt. Finaly aber hat von jeher die Linke unterstützt, und geht weil er seinen Präsidenten desavouiert. Ich sehe Rist nächste Woche. Soll ich mit ihm sprechen? Was nun meine Verbindung mit Crucy (Blum) betrifft, so habe ich Ihnen ja telephoniert dass diese davon abhängt dass ich Crucy weiter informieren kann was ich durch Wasserbäck tun konnte. Ich bin nun absolut von Wien abgeschnitten und dies schadet meiner guten Verbindung sehr. In einem Fall z. B. wie die sensationelle Erklärung von Innitzer und sein Eintreten für die Kirche in Deutschland,298 hätte ich gewiß mit irgendwelchen interessanten Mitteilungen hier auch andere interessante Mitteilungen von Blum eingetauscht. Vielleicht könnten Sie lieber Freund mir irgendeine Beziehung herstellen, die 298 Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. vom März 1937 gegen die NS-Ideologie und Religionspolitik wurde in allen österreichischen Kirchen verlesen. Es gab zahlreiche Wortmeldungen von Kardinal Innitzer zu der Thematik, die mediales Aufsehen erregten. Berta Zuckerkandls Hinweis hat sich im konkreten Fall wahrscheinlich auf eine Rede des Kardinals bezogen, die er am 4. Juni 1937 vor dem Verband für volksdeutsche Auslandsarbeiter gehalten hatte. Vgl. „Linzer Volksblatt“ vom 5. Juni 1937, S. 1, Kardinal Innitzer über die Katholikenprozesse in Deutschland. Im Dezember 1937 veröffentlichten dann die österreichischen Bischöfe einen gemeinsamen Hirtenbrief, in dem sie ihre Sympathie für die vom NS-Regime bedrängte deutsche Kirche zum Ausdruck brachten. http://www.doew.at/erkennen/ausstellung/1938/kirche-und-nationalsozialismus. Abgerufen am 1. Oktober 2017.

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Wasserbäck ersetzen könnte. Denn auf dessen Wiederkehr rechnet man hier nicht mehr. Schreiben Sie mir darüber sobald Sie Zeit haben. Ich bin sehr gespannt was die neue Situation in Purkersdorf ergeben wird. Und ob Amalia Redlich, die ich leider sehr genau kenne sich nicht plötzlich wieder mit Stiasny versöhnen wird. Pack schlägt sich –Pack verträgt sich – Ich umarme Sie innigst und danke Ihnen auch dass Sie meine Truderl stützen und schützen. Ihre getreue B. Z. Ab heute wohne ich wieder bei Sofie, Avenue d’Eylau.



[Auspitz Lieben & Co. An BZ] {Bertha Zuckerk. Auspitz-Lieben 12.6.37} AUSPITZ LIEBEN & Co. in Liqu. ADRESSE FÜR DEPESCHEN WIEN, 7. Juni 1937. LIEBENCOMP I, OPPOLZERGASSE 6 TELEPHON 65-5-95 Serie Frau Hofrat Berta Zuckerkandl-Szeps, Paris. 10 Rue de la Ferme 10 Im Besitz Ihres sehr gesch. Schreibens vom 31. v. M. sind wir, wie schon auseinandergesetzt, leider nicht mehr in der Lage ohne eine fixe Zusicherung, eine weitere Frist zu gewähren. Wir erlauben uns diesbezüglich auf unser ergebenes Schreiben vom 12. v. M. zu verweisen, auf dessen Vorschlag Sie leider nicht eingehen. Um trotzdem unser neuerliches Entgegenkommen zu beweisen, sind wir bereit, eine weitere letzte Frist bis 30. September zu gewähren, wenn uns bis zu diesem Zeitpunkt der aushaftende Betrag bezahlt wird. Wir ersuchen Sie uns Ihr Einverständnis zu diesem Vorschlag bis längstens 20. ds. freundlichst zukommen lassen zu wollen, widrigenfalls wir Schritte einleiten müßten, die zu unternehmen wir im beiderseitigen Interesse auf das Allerlebhafteste bedauern würden. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung Auspitz, Lieben & Co. in Liqu. Lieben [zweite Unterschrift unleserlich] rekommandiert



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[BZ an GK, MS] {Hofr. Zuckerk 12.6.37} Paris den 12. Juni [1937] 12, Avenue d’Eylau. Liebster Freund! Ich erhalte eben diesen greulichen Brief von Auspitz-Lieben. Die Liquidationsfirma hatte mir vor ungefähr drei Wochen geschrieben dass ich zahlen muß. Worauf ich einen sehr beweglichen Brief erwiderte in welchen ich bat mich alte und absolut arme Frau doch zu schonen. Insoferne ich vorläufig absolut außer Stande sei auch nur die kleinste Ratenzahlung zu leisten. Dass ich hier in Paris Arbeit und Verdienst suche. Und dass sowie es mir besser ginge ich wegen einer kleinen monatlichen Abzahlung mich im Herbst bemühen werde. Hierauf erhielt ich eine Antwort auf die sich dieser inliegende Brief bezieht. (Leider habe ich diesen Brief nicht hier mit.) Auspitz-Lieben verlangten in diesem Brief dass ich bis September entweder zahle oder dass ich die Forderung an befreundeten Menschen zedieren soll. Das heißt: sie meinen Paul Clemenceau soll zahlen. Was ja ganz ausgeschlossen ist. Umsomehr als Paul Clemenceau ja durch mich bei der Auspitzbank diese 40.000 Fr. verlor die er für mich dort erlegt hatte. Ich antwortete darauf wieder dass es mir unmöglich ist vorderhand eine Verpflichtung auf mich zu nehmen, die ich eventuell dann nicht halten kann. Dass ich aber hoffe im Herbst Ratenzahlungen zu vereinbaren. Als Antwort kommt nun dieser erbarmungslose Brief. Ich kann doch nicht unterschreiben dass ich Ende September die Schuld die durch Zinsen sowieso angewachsen ist zahlen werde. Denn das ist ganz ausgeschlossen. Bitte lieber Freund schreiben Sie mir vor was ich antworten soll. Und sagen Sie mir was für Schritte gegen mich Auspitz-Lieben unternehmen können? Ich zittere dass man mir die Pension pfänden wird. Das Einzige was ich noch besitze um nicht zu verhungern. Wahrscheinlich wird man mir meine Möbeln weggnehmen. Ach …. Wie soll ich das alles ertragen. Es ist die höchste Gemeinheit dass Auspitz-Lieben so vorgehen. Denn es war ja vereinbart dass Paul Clemenceau nur das Geld als „Roulement“299 hinterlegt. Das heißt dass ich immer entnehmen kann, aber immer wieder wenn ich verdiene die Summe zurücklege. Nun zahlte ich am 18ten Mai (das Jahresdatum weiß ich nicht genau. Es war ein paar Tage vor dem Zusammenbruch der Kreditbank) bis auf 500 Sch. alles zurück was ich entnommen hatte. Leider behob Fritz (ich war damals in Paris) auf sein Konto 2000 Sch. Man hat mir nun alles zusammen aufgehalst. In Wahrheit wäre ich nur 500 Sch. schuldig. Aber das nützt heute alles nicht. Ich würde sachfällig werden. Was aber tun? Ich kann und darf nicht unterschreiben dass ich am 30. September zahlen werde. Und unterschreibe ich nicht so will man schon am 20. Juni gegen mich vorgehen. 299 Fonds de roulement – Umlaufvermögen.

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Viele reiche Leute sind der Auspitz-Lieben Liquidation hunderttausende schuldig. Und ich Arme werde wegen dieser kleinen Summe so verfolgt. Bitte Liebster sagen Sie mir was ich schreiben soll. Gestern erhielt ich einen lieben Brief von Crucy, der meine Anregung dass die Comedie Francaise um unseren Kulturvertrag300 besonders hervorzuheben die Komödie von Hofmannsthal „Der Schwierige“ eine echt österreichische Komödie spielen sollte (Paul Geraldy mit meiner Hilfe hat sie herrlich übersetzt) an Blum weitergegeben hatte. Und der mir nun schreibt dass Geraldy von dem Direktor der Comedie Francaise erwartet wird, weil dieser mit ihm darüber konferieren will. Dies ist ein Zeichen wie sehr man hier darauf bedacht ist Österreich gegenüber liebenswürdig zu sein. Und wie sehr man meine Dienste die ich Blum leisten könnte einschätzt. Leider (wie ich es Ihnen schon schrieb) brauchte ich rasch wieder irgendwelche interessante Informationen die ich weitergeben könnte. Ich umarme Sie innigst als Ihre zermarterte alte Freundin Berta Zuckerkandl-Szeps (Meine Schreibmaschine funktioniert nicht mehr und ich habe nicht einmal das Geld mir ein Farbband einziehen zu lassen.)



[GK an BZ, MS] {Zuckerk. Berta} Wien, am 14. Juni 1937. Verehrte liebe Freundin! Ich habe heute sofort Baron Lieben angerufen, der nachmittags zu mir kam und mit dem ich Ihre Sache ausführlich erörterte. Die Hauptsache ist: eine Erstreckung des Termins vom 30. September auf den 30. November hat er schon angeboten und sie wird auch auf längere Zeit sicherlich zu erreichen sein. Ich bin überzeugt, dass er auch ohne eine strikt terminierte Erklärung sich zufrieden geben wird, wenn man ihm nur ganz kleine Beträge zahlt. Ich habe S 50.– monatlich als unerreichbar bezeichnet. Ich habe ihm aber auch vorgehalten, dass Sie durch Ihre großen Pariser Beziehungen ungemein verwertbar sind, und dass er sich etwas aussinnen soll, was Sie ihm zur Abtragung der Schuld machen könnten. Auch Frau Feizlmayr bestellte ich nachmittags zu mir. Als sie kam, war die Sache mit Lieben schon vorüber, sodaß ich ihr eigenmächtig sagte, sie kann das Silber und die japanischen Bilder ruhig lassen, wo sie sind. Wenn sie am 15. Juli zurückkommt, wird sie neue Order erhalten. Anlaß zur Aufregung ist die ganze Geschichte wahrhaftig nicht gewesen. Zu etwas bin ich ja noch immer gut, wenn auch nicht mehr zu vielem. Ihr herzlichst ergebener 300 Vgl. dazu die Anmerkung zum Brief vom 27. Februar 1935.

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{Mme Berthe Zuckerkandl-Szeps Chez Mme Sophie Clemenceau 12 avenue d’Eylau Paris Flugpost express aufgeg. Dr. Hammelrath 14.6.37. cop. H.[ammelrath] 14.6.37}



[BZ an GK, MS] {16.6.37} Montag. [14. Juni 1937] 12, AVENUE D’EYLAU Liebster Freund! Seitdem Sie mit mir gesprochen haben telephoniere ich bereits zum vierten Mal Rist an. Ich kann ihn nicht erreichen. Endlich gestern meldete sich Madame Rist die zurückgekehrt ist am Telephon. Da Sie mir verboten hatten Rist zu sagen dass ich ihn Ihretwegen anrufe so nahm ich als Ausrede dass ich wissen wollte wie es Madame Rist geht. (Sie leidet an argem Rheuma.) Frau Rist erzählte mir dass ihr Mann noch nie derart überbürdet gewesen sei. Und dass er gerade augenblicklich die widrigsten und schwersten allgemeinen Sorgen zu tragen hat. Als ich frug wann ich Rist sprechen könnte erwiderte sie: „Wir werden uns bestimmt noch diese Woche melden.“ Ich muß also abwarten bis Rist sich daran erinnert dass er Ihnen sagte er würde mit mir sprechen. Natürlich werde ich nicht lange warten. Sondern ungefähr am Dienstag (also morgen, längstens übermorgen) wieder unter irgend einem Vorwand anrufen. Ich schreibe Ihnen nur heute damit Sie nicht ungeduldig werden. Ich weiß wie lange einem die Zeit vorkommt wenn man auf Antwort wartet. Aber Paris ist ja die Stadt der Geduldproben. Hier geht alles so langsam. Und meist geht es gar nicht. Ich sende Ihnen anbei einen Artikel ein über Finaly und Moreau301 in welchem auch Rist angegriffen ist. Dieses Blatt gibt Bergery heraus einer der jüngeren Abgeordneten der sehr links steht aber Blum auch oft angreift. Moreau hat einen elenden Ruf jetzt, selbst bei vielen Politikern der Rechten. Sie werden ja lesen was man ihm vorwirft. Finaly wurde in gröbster Art hinausgelehnt. Und er wurde nicht einmal konsultiert als der neue Verwaltungsrat eingesetzt wurde. Es heißt dass er sich mit Meunier (den reichsten Mann)302 verbunden hat der gleichzeitig mit ihm aus der Banque de Paris ausgetreten ist. Und dass beide sehr große Pläne haben die Moreau nicht freuen werden. Wahrscheinlich war Rist Ihnen gegenüber was Moreau betrifft deshalb so zurückhaltend, weil Moreau wenn er auch jetzt mächtig zu sein scheint immerhin sehr am Prestige verloren hat. Rist ist ja ein furchtsamer Herr. Und 301 Der Artikel liegt der Korrespondenz nicht bei. 302 Gemeint ist wahrscheinlich ein Mitglied der Familie Menier, die mit Schokoladefabriken ihr Vermögen machte.

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tritt gerne leise auf. Immerhin werde ich Ihnen sowie ich Rist endlich sprechen kann gewiß Vieles schreiben können. Die Purkersdorfer Sache wäre ja günstig. Wenn sich nur nicht Stiasny und die Redlich plötzlich wieder versöhnen. Dieses Pack kenne ich. Truderl scheint mir ihren Briefen nach in besserer moralischer Kondition zu sein. Offenbar hat sie doch eine Genugtuung dass dieser Kerl der sie jahrelang derart mißhandelt hat nun am Bauch liegt. Ich hatte vor drei Wochen an Jaray einen Brief geschrieben und ihn gebeten mir das Expose das er einstens gemacht hat als er zu Ihnen kam um eine Internationale Filmgesellschaft in Wien zu gründen303, einzusenden. Denn es ereignet sich folgendes: Piscator (der große Regisseur und jetzt Gatte der Maria Ley) war in Brüssel und als er zurückkam bei mir um mir zu erzählen dass in Brüssel eben eine „Österreichisch-Französische Filmgesellschaft“ gegründet wird unter dem Titel: „Filmes Autrichiens-Francais“.304 Und zwar ist eine Internationale Filmarbeit mit Ausschluß Deutschlands geplant.305 Die Sache ist so gut wie fertig, doch sucht man noch eine Kapitalsbeteiligung. Der größte Teil des Kapitals wurde von Brüssler Kreisen beigestellt. Piscator frug mich ob ich in Wien jemanden kenne der sich für diese Gründung interessieren würde. Da dachte ich vorerst Jaray darauf aufmerksam zu machen. Und Ihnen dann die Sache zu melden. Da Jaray mir aber das Expose nicht geschickt und geantwortet hat so schreibe ich Ihnen jedenfalls darüber. Die Krise von der Rist sprach ist eine finanzielle. Der Senat bockt. Und Blum hat es furchtbar schwer. Kein Zweifel dass seine Regierung viele Fehler begangen hat. Aber die Hetze gegen den Sozialisten Blum ist das ausschlaggebende Motiv für die Krise die Rist mit Recht als eminent bezeichnet. Ich habe Wasserbäck geschrieben. Aber er wird mir ja wie ich ihn kenne nicht antworten. Und doch bräuchte ich im Interesse Österreichs dringendst Informationen, die ich weitergeben könnte. Ich umarme Sie herzlichst. B. Z. 303 Vgl. dazu ÖStA, Bestand GK 616-1-175, Hans Jaray – Gutachten über die Umwandlung des Wiener Nordbahnhofes in eine Filmfabrik; diverse Korrespondenzen; Zeitungsartikel über die österreichische Filmindustrie 1936. 304 Durch den Ausschluss jüdischer Künstler und Filmproduzenten aus der deutschen Filmproduktion kam es zu den Versuchen, eine unabhängige Filmproduktion in Österreich aufzubauen und Kooperationen mit dem Ausland einzugehen. Vgl.: Unerwünschtes Kino, Der Deutschsprachige Emigrantenfilm 1934 – 1937, herausgegeben von Armin Loacker/Martin Prucha, Wien 2000; u. a. findet sich bereits Ende 1935 ein Beispiel einer Verlagerung der Produktionstätigkeit einer Filmfirma von Wien nach Paris, S. 28 – 29. Zur Thematik vgl. auch Armin Loacker, Anschluss im 3/4 Takt, Filmproduktion und Filmpolitik in Österreich 1930 – 1938, Trier 1999; Juden und Film, herausgegeben von Eleonore Lappin, Wien 2005. 305 Eine Union Internationale du Cinéma (UNICA) wurde 1937 während der Weltausstellung in Paris gegründet. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Union_Internationale_du_Cin%C3 %A9ma. Abgerufen am 1. Oktober 2017.

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Bin gespannt was ich Auspitz-Lieben antworten soll.



[BZ an GK, MS] {18.6.37} Mittwoch, den 16. Juni [1937] Mein liebster Freund! Wieder sind Sie mein Schutzengel gewesen. Wie können Sie sagen dass Sie nicht mehr viel wert sind? Es gibt keinen herrlicheren und stärkeren Willen wie der Ihre wenn es gilt Freunden zu Hilfe zu kommen. Nur für sich selbst tun Sie nie etwas. Da versagen Sie weil Ihr Stolz Ihnen immer wieder verbietet Schritte zu machen die Sie unbedenklich für Andere zu tun immer bereit sind. Und ich kann Ihnen nicht einmal die kleine Gefälligkeit machen, und mit Rist sprechen. Es ist einfach nicht zu erreichen. Sie werden ja jetzt bereits von seiner Demission im Rat „Des Changes“306 wissen. Warum er dies tat weiß ich nicht die Blätter sprechen nicht davon. Außerdem scheint er durch Finalys Weggang die größte Arbeit zu haben, Madame Rist telephonierte mir nur: „Nous viendrons vous voir des que Rist serra moins culbuté Jamais encoreil a passé des jours comme ceux si“.307 Also muß ich abwarten umso mehr als während ich diese Zeilen schreibe Blum wahrscheinlich schon gestürzt sein wird. Nur ein Wunder kann ihn retten nachdem ihm die Kommunisten in den Rücken gefallen sind. Diese Unbelehrbaren stürzen so gerade den Mann der sie zum ersten Mal mitarbeiten ließ. Aber Bourguignon der ja durch seine Freundschaft mit Delbos gut unterrichtet ist telephonierte uns schon gestern dass die Lage der Auswärtigen Politik noch viel bedrohlicher ist als die der inneren Politik. Weil die Kommunisten mit Recht es nicht mehr weiter ansehen wollen wie man das arme Spanien exterminiert. Ohne ihnen zu Hilfe zu kommen überläßt man sie den Deutschen und den Italienern.308 Deshalb stürzen die Kommunisten Blum. Wenn aber wieder eine andere Politik als jene der Nichtintervention gemacht werden wird dann bricht eben der Europäische Krieg aus. Blum weiß dies sehr gut und auch dass er England absolut nicht von der Nichtintervention losbekommen würde. Kurz und gut: alles ist wieder in Frage gestellt. Armes Europa. Fritz dem ich leider meine malheureuse Konstitution vererbt habe: nämlich dass immer wenn etwas sich endlich zu realisieren scheint, eine Katastrophe hereinbricht, sollte gerade in den nächsten Wochen wirklich Konkretes erreichen. Wenn aber diese furchtbare Unsicherheit in Frankreich Innen und 306 Gemeint ist der Devisenausschuss. 307 „Wir werden bei Ihnen vorbeischauen, sobald es Rist weniger umreißt. Er hat noch nie solche Tage wie jetzt durchgemacht.“ 308 Der Spanische Bürgerkrieg wurde vom Juli 1936 bis April 1939 zwischen der demokratisch gewählten Regierung und rechtsgerichteten Putschisten unter General Franco ausgetragen. Er endete mit dem Sieg der Anhänger Francos und der Truppen seiner Verbündeten aus Italien und Deutschland.

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Außen sich festsetzen sollte, dann ist wieder alles in Frage gestellt. Denn es handelt sich um eine große Pharmezeutisch-Chemische Gründung von FouldSpringer wo Fritz endlich die feste Stellung erhalten sollte. Aber wer wird jetzt an Gründungen dieser Art denken? Ich sende Ihnen anbei einen Ausschnitt über Moreau309 der beweist dass er ein übler Herr ist. Allerdings ist „Oeuvre“ ein Linksblatt. Aber selbst Rechtsblätter können dagegen nichts sagen weil alles auf Tatsachen beruht. Einstweilen schleift Finaly bereits seine Krallen. Jedenfalls wird es ein gigantischer Krieg zwischen Moreau und der Banque de Paris einerseits und Finaly, Menier und deren Satelliten andererseits sein. Dies ist eben wahrscheinlich für Rist als Vizepräsident furchtbar peinlich. Wie gerne möchte ich Ihnen schon Direktes von Rist mir für Sie Mitgeteiltes schreiben. Aber wir müssen noch gedulden. Wenn Blum heute stürzt woran ich kaum zweifle so ist auch meine mühsam geschaffene Verbindung für Österreich hin. Schade. Denn immer deutlicher wankt ja die Achse Wien-Berlin. Davon hat man mir hier viel erzählt. Nochmals danke ich Ihnen innigst. Wenn ich bis November wieder Ruhe habe so kann ich dann entweder eine kleine Verpflichtung auf mich nehmen, oder aber ich bin hin und dann haben Auspitz-Lieben das Nachsehen. Leider weist nichts darauf hin dass es mir besser gehen wird. Alle meine Anstrengungen auch nur hundert Fr. zu verdienen bleiben diesmal fruchtlos. Ich bin eben alt geworden. Man braucht mich nicht mehr. Andere sind an meinen Platz gerückt. Dies ist der Lauf der Welt. Und deshalb muß man dann aus dieser Welt davonlaufen. Ihre ewig dankbare und getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {21.6.37} Freitag den 18. Juni [1937] Verehrter Freund! Ich habe das Schweigen von Rist nicht ausgehalten und selbst gestern Abend angerufen. Unter dem Vorwand dass ich Rist und Gattin zu einer Jause in den Österreichischen Pavillon laden wollte. Rist kam selbst an’s Telephon. Nahm meine Einladung einen Wiener Schlagobers-Kaffee und einen Gugelhupf als mein Gast zu verzehren mit Freude an. Da sagte er mir dann spontan: „Notre ami Kunwald m’a posé certaine question que je ne peux repondre par Telephone. Comme je n’ai pas le temps d’ecrire je me permettrai de vous racconter pour Kunwald certaines choses interessantes. Donc a Mercredie prochain (le 23) au „Österreichischen Pavillon“. Je suis enchanté de causer alors avec vous“.310 309 Der Ausschnitt liegt nicht bei. 310 „Unser Freund Kunwald hat mir eine gewisse Frage gestellt, die ich nicht am Telefon beantworten kann. Da ich nicht die Zeit habe zu schreiben, werde ich mir erlauben, Ihnen gewisse inter-

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Auf diese Weise ist es mir endlich gelungen Rist festzunehmen. Sonst hätte ich noch wer weiß wie lange auf seinen Anruf warten können. Ich hoffe nur dass Mittwoch nicht wieder etwas außerordentliches geschehen wird das ihn verhindert. Denn es geht dramatisch zu. Rist hat seinen Austritt aus dem „Comité des Changes“311 damit motiviert dass er alle Mitteln die man aufwenden will um die finanzielle Situation wiederherzustellen, nur als Paliativ-Mitteln betrachtet. Und er sagt: „Die einzige Rettung besteht darin dass man den Francs überhaupt aufgibt. So wie Belgien die „Belga“ schuf.“ Ich verstehe von all dem wenig. Aber man sagt hier dass dies ein verzweifeltes Mittel sei. Blum hat sich gehalten doch droht heute noch der Senat. Allerdings heißt es er wird durchrutschen. Aber für wie lange? Dabei schreiben die Linksblätter mit Recht dass Blum nur auslöffelt was Tardieu und Laval eingebrockt haben. Die Rechte hier ist das unpatriotischste was ich je gesehen habe. (Und die Kapitalisten überhaupt.) Weil sie alle tun und glühend hoffen dass die Weltausstellung eine Niete sein wird. Und sie wüten, weil sich das Gegenteil ergibt. Bisher ist es ein unerhörter Erfolg. Die genialste Leistung eines genialen Volkes. Denn noch nie wurde es möglich mitten in der Stadt, dort wo die großen Verkehrsadern und der Fluß die Stadt durchqueren, ein Ausstellungsgelände erstehen zu lassen. Eine Schönheit eigenster Art ergibt sich daraus. Und die Pessimisten die unkten dass die Ausstellung nie fertig werden wird haben jetzt schon das Nachsehen. Der Fremdenzustrom besonders von Amerika ist imposant. Man kann tatsächlich nicht mehr im Auto weiterkommen. So überflutet ist der Verkehr. Infolgedessen gehen alle Geschäfte glänzend. Ob sich dies auf die allgemeine finanzielle Lage auswirken kann das weiß ich nicht. Sonst ist nichts zu vermelden. Ich führe ein melancholisches Dasein. Fühle dass ich Paul eigentlich zu viel bin und dass man froh wäre ich wäre anderswo. Weiß aber nicht wo ich den Sommer verbringen soll. Denn nach Wien kann ich noch weniger. Hier habe ich wenigstens zu essen. Arbeit finde ich nirgends. So viel ich mich anstrenge. Sonderbares Ende eines doch braven Lebens. Aber mein großer Vater hatte es nicht anders. Ich umarme Sie innigst und falls der Mittwoch so startet, wie ich ihn arrangiert habe, werden Sie Freitag einen Flugpostbrief haben, Ihre getreue B Z

 essante Dinge für Kunwald zu erzählen. Also bis nächsten Mittwoch (23.) im ‚Österreichischen Pavillon‘. Ich freue mich schon darauf, mich dann mit Ihnen zu unterhalten.“ 311 „Devisenausschuss“.

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[BZ an GK, MS] {25.6.37} Mittwoch den 23. Juni [1937] Liebster Freund! Es ist schon lächerlich. Aber wahrlich ich kann nichts dafür. Sie wissen dass ich nicht ungeschickt bin. Und diese Idee Rist zur Jause einzuladen (was er enthusiastisch annahm) war sehr richtig. Aber vorgestern telephonierte mir Frau Rist dass Rist und sie plötzlich verreisen müssen. Allerdings nur für ein paar Tage. Und dass Rist bittet ich möge die Jause auf nächste Woche verschieben. (Was ich auch tat.) Frau Rist sagte mir dass ihr Mann direkt niedergebrochen sei so hat er die letzte Woche besonders Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten gehabt. Und dass daher eine kurze Unterbrechung des Pariser Aufenthaltes notwendig sei. Ich aber glaube dass Rist fort ist weil er während der Lösung der Krise nicht hier sein wollte. Entweder um nicht Partei zu nehmen. Oder sonst irgend einem Konflikt auszuweichen. Nun ist ja die Krise glücklich vorüber. Und selbst Blätter die nicht absolut links stehen feiern dies als einen Sieg von Blum. Blum hat sich so taktvoll, so staatsmännisch benommen, er hat einen derartigen Einfluß auf die Massen, dass alles in herrlichster Ruhe vor sich ging. Die Arbeiterschaft hielt sich musterhaft. Leider wurde die in Aussicht genommene Ernennung von Quesnay zum technischen Finanzbeirat nicht durchgeführt. Ich hatte mich Ihretwegen schon sehr gefreut. Bonnet ist ein geschickter und gefinkelter Mann, aber er hat auch schon öfters sehr gepatzt als er Budget-Minister unter Painlevé war. Jedenfalls war Vincent Auriol unfähig die schweren Probleme zu lösen. Ohne ihn wäre Blum nie gestürzt. Allerdings auch nicht ohne Caillaux der wutverzerrt alles daran setzte um den von ihm gehaßten Blum (obwohl dieser und die Sozialisten ihn seinerzeit vor Clemenceau retteten) zu stürzen. Von Trude habe ich seit drei Tagen keine Nachricht und bin gleich besorgt. Ich möchte so gerne dass sie mit Bubi Mitte Juli wegfahren kann. Aber sie schreibt mir immer sie sei unabkömmlich bis Anfang August. Ist das wirklich so? Stiasny scheint ja weiter zu funktionieren. Und Sie selbst haben mir ja gesagt dass vor September sich nichts ereignen kann. Mir vergeht die Zeit hier langsam und peinlich. Immer Gast zu sein ….. nie sein Heim und seine Kinder bei sich zu haben ….. immer nach fremden Rhythmus leben müssen (und Clemenceaus Rhythmus mitzumachen ist nicht leicht) das zermürbt mich. Denn ich bin so arm dass ich von dem wirklichen Paris nichts sehe. Es reicht kaum auf Marken und den Autobus. Ich würde nicht klagen würde ich eine Besserung sehen. Aber es bleibt alles regungslos. Also: Wenn Rist wirklich mir wie er versprach Sonntag ein neues Datum für die Jause telephoniert, dann erhalten Sie augenblicklich Nachricht von Ihrer Sie liebenden Berta Zuckerkandl-Szeps Sie sehen an der Blässe des Farbbandes dass ich nicht einmal dieses auswechseln kann. Weil es wohl 20 Fr. kostet. Eine unerschwingliche Summe.

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[BZ an GK, MS] Donnerstag den ersten Juli [1937] Verehrter Freund! Soeben vor einer Stunde (um acht Uhr früh) ist Ihr Flugpostbrief gekommen. Und Fritz war gerade bei mir. Er hat vor meinen Augen sofort beide Briefe geschrieben und ist auf die Gare St. Lazare gefahren wo die große Flugpostbriefe-Post ist. Aber leider geht nur einmal täglich die Flugpost nach Wien. Und zwar in der Früh. So dass Fritz seine Briefe nicht vor morgen Freitag Früh weggehen können. Da Fritz aber expreß aufgibt so werden Sie seinen Brief (und Amalia den ihren) noch Freitag gegen sechs Uhr Abend hoffentlich erhalten. Ist da noch Zeit genug? Wäre Ihr Brief gestern Abend noch gekommen so hätten Sie die Antwort bereits heute Abend in Händen gehabt. Wie ich Ihnen danke für Alles was Sie den Kindern sind und tun ….. vermag ich ja nie auszudrücken. Sie mein Schutzengel! Ich selbst verlebe hier seltsam traurige Tage. Mein Schwager Paul Clemenceau scheint gegen mich eine Abneigung gefaßt zu haben die sich schon die ganze Zeit über in Sticheleien und bissigen Bemerkungen äußerte. Nun ist vor vier Tagen dieser mir unerklärliche Haß ganz offen ausgebrochen. Bei Tisch frug mich Paul wann die Kinder nach l’Aubraie kämen? (Er schickt ihnen das Reisegeld). Als ich erwiderte gegen Ende Juli ….. frug er mich „Et toi tu rentre naturellement a Vienne?“312 ….. Nein: erwiderte ich. Ich bleibe den Sommer in Frankreich denn Niemand von den Meinen ist in Wien. Was sollte ich dort tun? Da schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie mich an: „Ah tu compte venir a l’Aubraie? Non, non! Je veux bien les trois (Trude, Fritz und Bubi). Mai toi ….. non!“313 Ich brachte nur mühsam die Worte hervor: „Paul pourquoi est tu si cruel envers moi“314 dann stürzte ich weg. Ein schwerer Weinkrampf der meinem Herzen viel Schaden brachte dauerte lange. Vergebens frage ich mich warum ich, die vielleicht kaum einen Feind besitzt dieses Unglück mit Paul habe. Denn es ist ein Unglück. Ich werde selbstverständlich auch nicht mehr Avenue d’Eylau ihn je belästigen. Und so verliere ich meine schöne Zuflucht und verliere den Boden auf welchem ich mein geringes Einkommen durch meine Übersetzerarbeit mir geschaffen hatte. Die arme Sofie tut mir so leid denn sie ist entsetzt traut sich aber kein Wort zu sagen. Weil Paul auch ihr gegenüber oft höchst brutal ist. Ein Clemenceau sollte nicht altern. Sie werden Alle im Alter böse und schrullig. So war auch George einst ein wunderbarer Mensch und wurde dann der „Tiger“.

312 „Und Du fährst natürlich nach Wien zurück?“ 313 „Aha, Du willst also nach l’Aubraie kommen? Nein und wieder nein! Ich akzeptiere die drei (Trude, Fritz und Bubi). Dich aber nicht!“ 314 „Paul, warum bist du so grausam zu mir.“

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Da Paul gestern Abend schon auf drei Monate nach l’Aubraie ist kann ich (heimlich) noch drei Wochen hier bleiben. Dann aber weiß ich nicht wo und wie ich leben werde. Ich möchte nur die Kinder hier abwarten um wenigstens drei oder vier Tage sie beisammen zu sehen. Dann nehme ich als ewiger Jude315 den Wanderstab. Und ziehe halt fort … Diese bittere Erfahrung hat einen Entschluß in mir reifen lassen. Ich will in eines der Altersheime ziehen die allerdings grauenhaft für eine Frau wie ich sind, die mir aber einzig und allein gestatten werden mit der kleinen Pension zu vegetieren. Ich weiß es ist für mich so gut wie der Tod. Aber da Sie mir verboten haben nachzuhelfen, so wähle ich halt diese versteckte Art des Selbstmordes. Rist ist noch immer nicht in Paris. Also werde ich bald zwei Monate hier sein ohne ihn gesehen zu haben. Mir wäre es egal. Aber ich kränke mich dass ich Ihnen nicht einmal den kleinen Gefallen den Sie verlangten leisten konnte. Ich hoffe immer dass er diese Woche noch zurückkommt. Wasserbäck ist hier eingetroffen aber nur um seine Sachen zu packen. Er ist in’s Präsidium berufen als intimster Berater von Schuschnigg. Für Sie lieber Freund wird das gut sein. Wasserbäck bat mich gestern Ihnen zu schreiben Sie sollen ihm verzeihen dass er nicht Abschied nahm. Die Ernennung kam so plötzlich und er nahm den nächsten Zug um herzufahren. Er besucht Sie sofort Anfang September. Jetzt fährt er von hier direkt auf Urlaub. Er vertraute mir an dass Schuschnigg ihm sagte: „Jetzt beschäftigt mich nur eine Frage. Die Versöhnung mit den Sozialisten“. Und dass Schuschnigg einen Annäherungsversuch von Fey der sich wieder einschleichen wollte damit abwies: „Niemals mehr Fey der Schuld ist dass die Sozialisten uns den Rücken kehrten“. Ich habe dies gleich Crucy mitgeteilt. Und hierauf bat mich Crucy sofort ein Rendezvous zwischen ihm und Wasserbäck zu arrangieren. Dieses Rendezvous findet heute um sechs Uhr Hotel Matignon bei Crucy der seine Stellung bei Blum behielt, statt. All dies tue ich obwohl innerlich ganz gebrochen. Aber es liegt in mir eine Pflicht (und Österreich helfen ist Pflicht) bis zum Letzten zu erfüllen. Ich umarme Sie mein gütiger Freund Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {Zuckerk. 8.7.37} Dienstag den 6. Juli. [1937] Liebster Freund! Gestern Früh rief mich Frau Rist an. Sie luden sich bei mir ein. Ich jausnete mit Ihnen im Österreichischen Pavillon. Rist kam abgehetzt und 315 Die gleiche Formulierung findet sich in einen Brief BZ an ihren Enkel Emile: „Du siehst Deine arme 73jährige Großmama ist der ewige Jude geworden.“ Vgl. LIT, Signatur 438/W 24, Konvolut I, „Großmamas Briefe aus Paris“, Brief vom 17. Juni 1937.

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schlecht aussehend. Er erzählte mir was er moralisch die letzte Zeit durchgemacht hat. Weil er bereits seit März die Katastrophe der Finanzen voraussah. Aber seine Warnungen, seine Bitten augenblicklich die schärfsten Maßregeln zu treffen verstand Blum wohl, doch hatte er nicht den Mut Vincent Auriol und vor allem Labeyrie den Gouverneur der Banque de France wegzugeben. Labeyrie ist direkt eine Gefahr. Rist ist gut mit Bonnet. Er hat diesem gesagt dass, wenn er nicht jetzt sofort die härtesten Maßregeln trifft auch er verloren ist, und zwar; Reduzierung des Militärbudgets, (Rist sprach vorgestern den General Weygand und dieser, obwohl ein General, behauptet dass dieser Abstrich leicht zu machen ist. Da die Summen so enorm sind, die der Aufrüstung zugewiesen sind, dass man nicht einmal weiß was mit dem Geld anfangen. Zweitens sofortige Einstellung der „Traveaux“ die gegen die Arbeitslosigkeit unternommen werden sollen.316 Die Arbeitslosigkeit (sagt Rist) wird viel intensiver bekämpft durch Ankurbelung der Wirtschaft. Vor allem aber müssen dazu die Zölle fallen. Vollkommener Freihandel würde sofort großen Aufschwung bringen. Kurz: Rist hält die Lage für gar nicht verzweifelt, falls man (auch hohe Steuern müssen eingeführt werden) unnachsichtig das Notwendige tut. Nun frug Rist herzlichst nach Ihnen und bat mich folgendes zu schreiben: Ihr Plan einer Internationalen Bank mit dem Sitz in Wien ist wie alles was Sie planen genial. Aber derzeit vollkommen undurchführbar. Es müßten sich die Dinge kolossal ändern damit die Sache in Angriff genommen werden könnte. Auch ist die B. I. Z. bereits als Internationale Bank etabliert. Und jedenfalls müßte man erst die Einwilligung der B. I. Z. erhalten ehe man weiter die ersten Schritte macht. Da Sie aber mit Quesnay so intim sind so meint Rist dass Sie gewiß mit ihm schon in Fühlung sind. Was nun die Finalysache angeht, hatte Rist zwischen beiden (Moreau und Finaly) ein unangenehmes Leben, da beide ihm zum Vertrauten machen wollten. Finaly stellte plötzlich die Forderung sowohl Generaldirektor zu bleiben als auch Vize-Päsident zu werden. Dies aber ließ Moreau der dann nichts mehr zu reden gehabt hätte nicht zu. Im Grunde genommen ist Rist ganz froh dass Finaly gegangen ist. Ach, wäre nur irgend ein Geschäft hier möglich. Ich würde mich zerreißen um etwas zu verdienen. Wasserbäck hatte gestern erst seine Unterredung mit Crucy. Er kam begeistert von Crucy zurück. Und dankte mir innigst: „Dies ist (sagte er) für mich eine der wichtigsten und fruchtbringendsten Verbindungen die ich Ihnen allein danke. Selten hat mir ein Mensch einen solchen Eindruck gemacht. Mit ihm gemeinsam werde ich bestimmt entscheidende Dinge einleiten können.“ Worauf ich erwiderte: „Hoffentlich wird die Berta Zuckerkandl aber weiter diese Vermittlung da Sie in Wien sein werden übernehmen“. Worauf Wasserbäck dies energisch bejahte. Wenigstens ist mir das gelungen 316 Dabei handelte es sich um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (travaux d‘ utilité collective).

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woran ich seit so vielen Monaten arbeitete. Würde mir nur auch noch anderes gelingen ….. Sofie ist vorgestern zur Kur nach Bagnolles317 gefahren. Ich verhehle mir nicht und alle Freunde hier auch nicht dass Sofie sehr gealtert ist und so schwach dass man wirklich um sie zittern muß. Ich bete zu Gott dass diese Schwäche vorübergehend ist. Und dass sie sich wieder erholt. Daher ich ihr auch nichts mehr von meiner schrecklichen Situation sage. Sie muß vollkommene Ruhe haben. Jetzt ist das Burgtheater hier. Es war gestern Abend ein großer Erfolg.318 Sonst aber lebe ich jetzt sehr ruhig und frage mich nur was ich ab 22. Juli da wenn Paul zurückkommt auf einige Tage tun soll. Ich darf mich von ihm nicht sehen lassen. Will aber unter allen Umständen die Kinder hier abwarten um wenigstens ein paar Tage mit ihnen zu sein. Wann glauben Sie kann Trude herfahren? Je rascher desto besser für mich. Denn dann kann ich auch früher von hier weg nachdem ich die Kinder gesehen habe ….. Marton-Langer haben mir ein Ultimatum gestellt. Ich kann Marton nur immer wieder sagen dass ich Geld in Berlin habe welches er mir nicht verrechnet. Und dass ich ihm dieses Geld als Abzahlung überlasse. Aber er ist wütend und zahlt mir infolge dessen meine Tantiemen nicht mehr aus. Ich versuche ihm heute zu schreiben. So sehe ich aus. Aber vorläufig beschäftigt mich Sofies Gesundheitszustand vor allem anderen. Rist und Frau grüßen herzlichst. Ich umarme Sie. Berta.



[BZ an GK, MS] {12.7.37} Freitag. [9. Juli 1937] Liebster Freund! Ich hoffe Sie haben meinen Brief in welchem ich Ihnen die Worte und Grüße von Rist sandte erhalten. Ich erlaube mir Ihnen anbei die Abschrift eines Briefes zu schicken den ich Marton geschrieben habe. Marton sandte mir einen wütenden Brief dass Langer nicht länger die Garantie aufrechterhält und jetzt von ihm (Marton) 3300 Schillinge verlangt. Die Schuld betrug ja nur 2000 Sch. Aber Langer hat sehr hohe Zinsen eingerechnet. Und ich konnte diese Zinsen nie zahlen. Nun habe ich Marton geantwortet dass nur eine Zahlungsmöglichkeit (wenigstens einen Teil der Summe) nur darin besteht dass mir mein in Berlin befindliches Geld endlich genau verrechnet und gezahlt wird. Auf diese ganzen Tantiemen verzichte ich zu Gunsten von Marton. Ich weiß dass selbst noch 317 Bagnoles-de-l’Orne. 318 Im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (LIT , Signatur 438/W 24) findet sich in der Mappe „Konvolut I, Großmamas Briefe aus Paris“, ein Brief von Berta Zuckerkandl an ihren Enkel Emile Zuckerkandel vom 7. Juli 1937 aus Paris, in dem sie über das Burgtheatergastspiel schreibt. Anlässlich eines Dinners wurde Berta Zuckerkandl als wichtigste Verbindung zwischen Österreich und Frankreich gefeiert.

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vorigen Sommer „Towarisch“ in Baden-Baden gespielt wurde. Und dass es an 40 Bühnen überhaupt aufgeführt worden ist. Das Mindeste müßten 1000 Mark sein, die mir zukommen. Und das wäre ungefähr die Hälfte meiner Schuld. Bitte liebster einziger Freund lesen Sie beiliegenden Brief. Da steht alles genau wie es ist. Nun ist zufällig Dr. Fürst mit dem Sie ja jetzt wegen Purkersdorf oft zu tun haben der einzige und beste Kenner aller Tantiemensachen und Autorenrechte. Er ist darin spezialisiert. Und er würde eventuell raten können ob es möglich ist jetzt (als Jüdin) bei Felix-Bloch-Erben in Berlin eine genaue Abrechnung von „Towarisch“ zu verlangen. Wenn Dr. Fürst dies in die Wege leiten könnte (Er kennt gewiß Felix-Bloch-Erben) so wäre es für mich ein bedeutender Schritt nach Vorwärts um endlich genau zu erfahren wie viel das ein Viertel-Perzent ausmacht welches ich für meine von Kurt Goetz benutzte Übersetzung habe (Marton hat sich widerrechtlich mein anderes Viertel Perzent angeeignet wogegen ich aber nicht protestieren kann und will, weil ich ihn dann ganz verliere). Diese Garantiesache ruiniert mich insoferne bei Marton als er mir jetzt mit Recht die Auszahlung anderer Tantiemen die ich zu bekommen habe verweigert. Damit aber ist mir der letzte Rest meiner Möglichkeiten mich über Wasser zu halten genommen. Was haben Sie sich für eine grausliche Freundin ausgesucht? Die Ihnen nichts anderes bringt als wieder solche verzweifelte Schuldsachen. Ich glaube dass ich jetzt dort angelangt bin wo nichts mehr hilft. Nicht einmal das von Ihnen mir anbefohlene Mittel immer optimistisch sich zu sagen: „Es wird es muß gut werden“. Paul’s unbegreifliches Benehmen mir gegenüber (obwohl ich niemals und nicht um alles an ihn irgendwie mit einer Bitte herangetreten wäre) hat den letzten Rest meiner Existenz zerstört. Und ich habe nur Sie. Sie ganz allein dem ich wenigstens mein armes Herz ausschütten kann. Ich warte sehnsüchtig auf Trude und Bubi. Weil ich kaum mehr Geld habe hier zu bleiben und doch nicht wegfahren will ohne sie umarmt zu haben. Schicken Sie mir Trude sobald als möglich. Denn ab ersten oder zweiten August muß ich Paris verlassen. Ohne allerdings zu ahnen wo ich ohne Geld den Rest des Sommers verbringen soll. Hier nimmt man die finanzielle Ramasuri mit Gelassenheit auf. Nur Paul und andere Großindustrielle sind außer sich wegen der Steuererhöhungen. Paul sagt dass er ruiniert ist. Und sein engerer Kollege Le-Play ein enorm reicher Mann hat seine große Stellung in der Dynamit-Nobel aufgegeben und übersiedelt nach TANGER. Weil es dort keine Steuern gibt. So heiß liebt ein Franzose sein Geldtascherl. Während ein Engländer ohne mit den Wimpern zu zucken, doch seinerzeit die gleichen Opfer gebracht hat….. Die Ausstellung ist der enormste Erfolg. Und eine wahre Tat geleistet von dem genialsten Volk. Schreiben Sie ein Wort Ihrer getreuesten Berta Zuckerkandl-Szeps Beilage: Kopie eines Briefes an Georg Marton.

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Die von mir im Brief gemachte Bemerkung „Ich habe Ihnen ja meine Freundschaft bewiesen“ bezieht sich darauf dass ich ihm durch Painlevé die Ehrenlegion geben ließ.319



[BZ an Georg Marton, MS] KOPIE des Herrn Georg Marton gesandten Briefes Paris den 7. Juli 1937. Lieber Herr Marton! Ihr Schreiben hat mich in große Aufregung versetzt. Ich halte mich nur mühsam aufrecht. Denn ich weiß dass Sie mit Recht sehr ungehalten sind; weiß dass ich Ihnen eine große Unannehmlichkeit bereite. Bin aber machtlos dies augenblicklich zu ändern. Als ich Sie vor einigen Jahren um diese Gefälligkeit bat da lag kein Grund für mich vor daran zu zweifeln dass die von Ihnen gegebene Garantie in kurzer Zeit gelöscht werden wird. Aber Verhältnisse die zu ändern ich machtlos war und bin…..tiefgehende Veränderungen welchen so viele Menschen in Wien unschuldig unterlagen…..ohne dafür verantwortlich zu sein…..sie sind an der Verzögerung schuld. Nun aber hatte ich ungefähr im Monat November oder Dezember 1936 meinem gütigen Anwalt und Freund Dr. Gottfried Kunwald diese Angelegenheit die mich tief bedrückt vorgetragen. Hatte ihm genau den vorliegenden Fall auseinandergesetzt und ihm mitgeteilt dass ich ein einziges Aktivum besäße welches mich hoffen läßt Ihnen ein Äquivalent für die mittlerweile so angewachsene Garantie zu bieten. Und zwar sind es die mir noch nicht verrechneten Tantiemen von einem Viertel Perzent des Stückes „Towarisch“ von Jacques Deval, das in Deutschland unter meiner Übersetzung (die Goetz als grundlegend annahm) gegeben wurde. Dr. Kunwald telephonierte damals mit Ihnen und bat Sie ihn zu besuchen. Sie sagten ihm zu – sagten jedoch plötzlich wieder ab. So unterblieb diese Begegnung die gewiß zu irgend einer wenigstens teilweisen Ordnung geführt hätte. Ihr Buchhalter hat mir später eine Art Aufstellung über einige der eingegangenen Tantiemen für „Towarisch“ genacht. Aber die geringe Anzahl der dort genannten Aufführungen entspricht nicht den Tatsachen. „Towarisch“ wurde im Lauf von zwei bis drei Jahren, wie es im Theaterblatt das in Berlin die Firma Felix-Bloch-Erben herausgibt320, zu lesen war an vierzig deutschen Bühnen gespielt. Wenn nun jede dieser Aufführungen nur zweimal stattgefunden hätte, so müßte ich für achtzig Vorstellungen Tantiemen erhalten. Aber „Towarisch“ wurde en suite in Berlin allein öfter gespielt als achtzig Mal. 319 Eine Bestätigung für die Auszeichnung konnte nicht eruiert werden. 320 Gemeint ist wahrscheinlich die Theaterzeitung Charivari. Der deutsche Bühnenverlag Felix-BlochErben wurde 1849 gegründet. 1849 wurde auch die „Theatervereinszeitung“ in den Verlag übernommen, die seit 1862 den Namen Charivari trug. Vgl. http://www.felix-bloch-erben.de/index. php5/Action/showHistory/addressPortlet_mode/open/fbe/101/. Abgerufen am 28. Oktober 2017.

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Nun hatte ich Gelegenheit hier in Paris die hohe Aufführungszahl zu konstatieren. Jacques Deval selbst hat um das Geld das er in Berlin schwer herausbringen konnte seinen Anspruch verkauft mit einigem Verlust trotzdem macht sein Anteil viel aus. Mein ein Viertel Perzent muß demzufolge weit höher sein als die Ihnen offenbar von Felix-Bloch-Erben zur Verfügung gestellten Ziffern. Es ist wohl nicht schwer von Felix-Bloch-Erben eine ganz genaue Aufstellung zu erhalten. Denn es gibt ja in Berlin auch eine Zentralstelle für solche rückständige Tantiemenforderungen. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar wollten Sie veranlassen dass Felix-Bloch-Erben eine genaue Aufstellung sendet. Sollte Ihnen dies aber aus irgend einem Grund unangenehm sein, so wird Dr. Kunwald dies bestimmt in einer Weise für mich anfordern, die Sie ganz aus dem Spiel läßt. Was beträgt die Summe welche mir Felix-Bloch-Erben zu verrechnen hat? (Meine Rchtsansprüche auf EIN HALBES PERZENT sind BRIEFLICH EINWANDFREI von Felix-Bloch-Erben festgestellt.) Sie, lieber Freund nahmen aber davon für sich und Herrn Siegfried Geyer ein Viertel Perzent in Anspruch. Mir bleibt also ein Viertel Perzent rechtlich gewährt. Und Felix-Bloch-Erben kann mir absolut nicht die Einsichtnahme in die Verrechnungen verweigern. Nach der von Deval bezogenen Tantiemenhöhe muß MEIN ANTEIL so viel ausmachen dass ich dem Bankhaus Langer eine nicht unbeträchtliche Abzahlung sofort leisten könnte. Das heißt vielmehr dass ich Ihnen einen Teil der Garantie durch Überlassung meiner Tantiemeneingänge von „Towarisch“ abzahlen kann. Den Rest und besonders ab September die Zinsen würde ich in monatlich festzulegenden Raten soweit ich sie in einer gewissen Höhe leisten kann, anzahlen. Es ist begründete Aussicht vorhanden dass die Verhältnisse meines Sohnes Dr. Fritz Zuckerkandl sich bald stabilisieren werden. Und daher bitte ich Sie innigst mir zu helfen momentan die mir so peinliche Angelegenheit noch dilatorisch zu behandeln. Und Dr. Kunwald würde wenn ich ihn bitte gewiß mit Ihnen gerne über die von mir hier auseinandergesetzten Tatsachen konferieren. Unsere alte Freundschaft lieber Marton (ich habe Ihnen diese ja bewiesen) darf nicht darunter leiden…..Herzlichst Ihre ergebene



[GK an BZ, MS] {Hofr. Zuck.} Wien, am 18. Juli 1937. Verehrte Freundin! Endlich ist es dazu gekommen, dass ich Mittwoch, den 21. d. Dr. Fürst in der Sache Westend sehen werde. An diesem Tage kommen Amalia Redlich, Dr. Fürst und Trude zu mir, um zum erstenmal gemeinsam die „Angelegenheit Stiasny“ zu beraten. Ich werde dann mit ihm über Felix Bloch in dem Sinne Ihres Briefes sprechen.

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Frau Redlich und Dr. Fürst haben diese von mir vor vierzehn Tagen angebotene Unterredung erst jetzt angenommen; damit sind vierzehn Tage ganz unnütz verloren gegangen. Sie ist unglaublich mißtrauisch. Wie Sie schon wissen werden, kommt Ihr Enkel sehr bald nach Paris. Es hängt aber von den Besprechungen ab, ob und wann Frau Trude nachkommen kann. Sie ist sehr pflichtbewußt und gescheit und kann vor dem Abschluß dieser Besprechungen wirklich nicht wegfahren. Ihr Brief an Marton ist sehr gut gewesen. Mit Dr. Fürst bestand in den letzten vierzehn Tagen eine etwas gespannte Beziehung, weil er mir immer, statt zu kommen, juristische Briefe schrieb, auf die ich juristisch antworten mußte, da ich Frau Trude mit einer Verantwortung für das, was in Purkersdorf geschieht, unter keinen Umständen belasten konnte. Jetzt aber wird es vielleicht gehen, in zwanglosere und angenehmere Beziehungen zueinander zu kommen, sodaß ich versuchen werde, ihn am Mittwoch in Ihrer Sache zu konsultieren. Viele herzliche Grüße, verehrte Freundin, von Ihrem ganz ergebenen {MMe Berthe Zuckerkandl-Szeps chez Mme Sophie Clemenceau 12, avenue d’Eylau Paris cop. H.[ammelrath] 18.7.37. aufg. H.[ammelrath] 18.7.37.}



[BZ an GK, MS] {24.7.37} Freitag. [23.  7.  1937] 12, AVENUE D’EYLAU Verehrter Freund! Ich bin so froh dass Sie mir geschrieben haben denn ich dachte immer Sie hatten wieder einen Gichtanfall. ….. Nun ist es eine sehr ernste Sache die ich Ihnen heute mitteilen muß. Ich schrieb eben in gleichem Sinn an Trude. Meine geliebte Schwester Sofie ist sehr krank. Schon als ich sie vor drei Monaten wiedersah fiel mir die Veränderung in ihrer Haltung, ihrem Gang ihrer Stimme auf. Sie hielt sich aber aufrecht. Nun hat sie in Bagnolles321 (eine Art Gastein) eine dreiwöchentliche Kur gemacht und ist gestern ungemein erschöpft zurückgekommen. Dr. Guizerne322 der Arzt der sie in Bagnolles behandelte schrieb einen Brief an Paul. Er verlangt dass Sofie einige Wochen eine absolute Ruhe- und Liegekur in l’Aubraie macht. Und vor allem: Er 321 Bagnoles-de-l’Orne. 322 Der Name findet sich in dieser Schreibweise auch in einem Brief von Berta Zuckerkandl an Trude Zuckerkandl, LIT, Signatur 438/W 24, „Konvolut II, Großmamas Briefe aus Paris“. Der Name konnte nicht verifiziert werden.

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verbietet die geringste selbst kleinste Aufregung oder Erregung. Dies sagt er könnete ihr gefährlich werden. Nun sehe ich dass Paul offenbar von der Gefahr in der Sofie schwebt längst unterrichtet war. Und dass er nicht aus Laune sondern sehr berechtigt verboten hat dass Emil ohne seine Mutter nach l’Aubraie kommt. Ich habe Trude versucht dies (noch ehe ich wußte was ich seit gestern Abend weiß) aufmerksam zu machen dass es jetzt gefährlich ist wenn Paul einen Ukas erläßt, diesen nicht vollinhaltlich zu respektieren. Trude aber die Arme, war zwischen dem Wunsch ihrem Bub die Freude der Ferien nicht zu vernichten und ihrer Pflicht in Purkersdorf zu bleiben, zerrissen. Sie schrieb Paul einen Brief in welchem Sie ihm die Situation expliziert und sandte den Buben doch weg. Da Sie selbst lieber Freund mir in Ihrem Brief schreiben: Wann und OB Trude kommt ist unbestimmt so ist eine schreckliche Komplikation die Folge. Denn das Kind ist da aber es unterliegt keinem Zweifel dass Paul einen furchtbaren Skandal machen wird, dass er gegen uns eingenommen werden wird, und dass das arme Kind zurückfahren wird müssen. Denn als Sofie gestern so verändert und hin zurückkam ließ sie sich ihren Pariser Arzt kommen. Dieser untersuchte sie genau. Ich paßte ihn beim Fortgehen ab und bat ihn mir die Wahrheit zu sagen. Er tat dies schonungslos. „Es ist ein allgemeiner KRÄFTEVERFALL. Das Herz ist schlecht aber auch alle anderen Organe. Man muß versuchen Ihrer Schwester durch absoluteste Ruhe das Leben zu erhalten. Und vor allem darf sie keinerlei Aufregung selbst der Geringsten ausgesetzt werden. Sie muß liegen. Soll jedoch ein wenig Zerstreuung haben. Aber hüten muß man sie dass sie nicht die leiseste moralische Contrariété323 hat“. Sie können sich vorstellen wie mir zu Mute ist. Meine teure einzige Schwester so in Gefahr zu wissen. Sie verstehen nun die Situation vollkommen. Es war von Paul als er das Verbot erließ dass Bubi ohne Trude nicht kommen darf keine Laune sondern er ist sich offenbar über Sofies gefährlichen Zustand im Klaren. Also wird er wüten vor einem Fait accompli gestellt zu werden wenn er Bubi hier allein vorfindet und Trude nicht einmal fixieren kann wann sie nachkommen könnte. Wenn sie Paul versichern könnte dass Bubi höchstens vier oder fünf Tage allein bleibt dann ist anzunehmen dass er schon um Sofies Willen die so daran hängt, das Kind zu haben einwilligt. Aber nachdem ihrem Brief nach davon keine Rede sein kann, so wird, Sofie auf jeden Fall Sonntag Abend wenn Paul zurückkommt die Aufregung erleben vor welcher die Ärzte warnen. Denn: Schickt Paul (was er unbedingt tun wird) Emil zurück so regt das Sofie furchtbar auf denn sie hängt an Bubi und Trude sehr. Macht aber Paul einen Skandal und behält er Bubi weil er nicht anders kann, so wird dies auch nur mit Skandal von Pauls Seite der ja so zornig und hemmungslos ist, stattfinden. Und wenn Bubi allein in l’Aubraie den geringsten Schnupfen oder sonst was hat, ist Sofies Ruhekur die vielleicht ihr Leben rettet in Gefahr. 323 „Widerspruch“.

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Furchtbare Situation. Ich werde Paul gar nicht sehen weil ich ihm ausweiche seitdem er mich brutal beleidigt hat. Ich wohne jetzt bei der Lubin und besuche nur die Avenue d’Eylau. Also wird Fritz und Emil den Zusammenstoß zu bestehen haben. Sofie zittert bereits jetzt und mir bricht das Herz wenn ich sehe wie sie sich aufregt obwohl sie sich nicht aufregen darf. Deshalb schreibe ich Ihnen geliebter Freund in dieser Not um Rat …. Was tun? Trude soll nicht jetzt das Sanatorium in Stich lassen, und doch ist es vielleicht ihre heilige Pflicht Sofie zu schützen und sie zu bewahren. Sie soll wenigstens nicht durch uns solche Aufregungen durchmachen. Was soll Trude tun? Sagen Sie es, und Trude muß längstens bis Montag einen Entschluß fassen. Kann sie schreiben telegraphieren dass sie gegen den fünften August eintrifft dann wird Paul das Kind mitnehmen. Kann sie dies nicht so muß etwas anderes geschehen. Was weiß ich nicht. Ich bin am Ende meiner Kraft und habe keinen anderen Gedanken als Sofie’s Leben zu verlängern. Dabei wird Sofie unglücklich sein wenn Trude nicht kommt und man das Kind auch nicht nach l’Aubraie läßt. Oh Gott was tun? Ihre getreue B. Z. Jedes Wort das ich schreibe ist ohne jede Übertreibung. Und das Verdikt des Arztes leider genau so.



[BZ an GK, ohne Datum, HS] Habe hier im Kaffeehaus kein anderes Papier. Eben lese ich was Trude heute schreibt. Dass Sie sie mir als Angestellte im Sanatorium lassen. Das ist sehr richtig. Kann sie daher nicht sofort ihren Urlaub nehmen. Umsomehr da ein zwingender Grund vorliegt die Erkrankung ihrer Familie die sie sehen will. Könnte sie ja nicht später als 5. August kommen? Telephonieren Sie mir Sonntag Mittag. Avenue d’Eylau Ihre B.



[GK an BZ, Telegramm, MS] R P 12 BERTA ZUCKERKANDL SCHLOSS LEOPOLDSKRON SALZBURG KUNGO WIEN BITTET DRAHTET/TELEFONNUMMER UND STUNDE FÜR

VORANMELDUNG MÖCHTE SO GERN WIEDER EINMAL MIT IHNEN PLAUSCHEN KUNWALD

{cop. H.[ammelrath] 3.8.37. aufg. H.[ammelrath] 3.8.37. 1840 Uhr.}



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[BZ an GK, Telegramm, MS] {4.8.37 20.30}

TELEGRAMM

Kungo Wien salzburg erbitte anruf donnerstag zwischen zwölf dreizehn uhr berta

[BZ an GK, MS] {7.8.37}



SCHLOSS LEOPOLDSKRON SALZBURG

Freitag. [6. 8. 1937] Einzig lieber und verehrter Freund! Ich weiß dass ich Sie gestern enttäuscht habe durch mein, wie Sie glauben kindisches Benehmen. Und durch einen Mangel an Einsicht den Sie von mir zu fordern berechtigt sind. Mir aber ist der ärgste Gedanke dass ich mich undankbar gezeigt habe. Dass ich Ihnen nicht genug gezeigt habe welche unendliche Dankbarkeit in meinem Herzen für Sie lebt. Denn was Sie Trude, dem Kind und mir tun, ist mehr als je ein Mensch für den anderen getan hat. Und anstatt dass ich Ihnen dies gesagt hätte während des kurzen Telephongespräches, habe ich nur gejammert und Sie geärgert. Bitte Lieber verzeihen Sie mir. Und versetzen Sie sich mit Ihrer so herrlichen psychologischen Objektivität in meine Seele. Wenn ich immer wieder nur zittere dass Paul und Sofie die Geduld verlieren werden, so ist dies keine jener Übertriebenheiten deren man mich so oft zeiht. Es ist aus einer so bitteren Erfahrung mir geworden dass ich nicht anders kann als es mit schwerem Herzen mitansehen dass Trude wieder und auf so lange verschieben muß. Nicht Paul allein hat mir immer wieder und in drohendem Ton erklärt er ließe es sich nicht gefallen dass Trude nicht längstens bis 5. August eintrifft sondern auch Sofie so schwach und hilflos sie auch war, hat mich Arme bis zum letzten Tag ihrer Abreise nach l’Aubraie verantwortlich gemacht (und wie gereizt, wie böse) dass nun Emil doch allein mitgenommen werden muß. „Paul a paye le voyage, et au lieu d’en etre reconnaissant, voila qu’on ne respecte pass a volonté. Il a dit expressement ce qu’il ne voulait a aucun prix. Et maintenant Trude ne vient pas. Et c’est sur moi que Paul deverse sa mauvaise humeur. Mi qui suis si malade je dois endurer se reproches. Et surement c’est ta faute a toi. Surement aue tu n’ai ni ecrit a Kunwald ni a Trude ce que Paul a ordonné.“324 Vergebens 324 „Paul hat die Reise bezahlt, und statt dafür dankbar zu sein, respektiert man seinen Willen nicht. Er hat ausdrücklich gesagt, was er auf keinen Fall will. Und jetzt kommt Trude nicht. Und ich bin es, an der Paul seine schlechte Laune auslässt. Ich, die ich so krank bin, muss seine Vorwür-

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schwor ich dass ich sowohl Ihnen als Trude alles so dargestellt hätte, wie man es von mir so streng und unbarmherzig verlangt hatte. Sofie glaubt es nicht. Sollte das Schicksal so gütig sein dass Emil während Trudes Abwesenheit nicht das Geringste fehlt (dort hat er alljährlich einmal Fieber weil das Klima ja nicht gesund ist) so mag alles noch leidlich hingehen. Aber bei der geringsten Unannehmlichkeit würden Sofie und Paul andere Seiten aufziehen. Und das allein bewog mich Ihnen gestern wieder in den Ohren zu liegen. Denn weder Sie noch Trude können sich eine Vorstellung machen was ich drei Monate lang auszustehen hatte. Und wie in Wirklichkeit ich erbarmungslos gequält wurde. Nun nichts mehr davon. Ich will nur dass Sie wissen wie es mich quält dass ich Ihnen nicht gestern so ganz gezeigt habe was ich für Sie fühle in inniger ewiger Dankbarkeit. Die Zerstörung meines Nervensystems ist nun vollendet. Das hat Paul erreicht. Dass hier fremde Menschen wie Reinhardt und die Thimig die ja keine Ahnung von allem was ich leide haben, die aber mit feinfühligsten Antennen es wohl erfühlen, Zärtlichkeit erfahre tut mir wohl. Aber es ist nicht mehr gut zu machen was in mir zerbrach. Dazu kommt ja das Wissen dass jetzt im Herbst mein Zusammenbruch endgültig erfolgen muß. Ich habe in Paris nichts verdient und keine Aussichten. Ich bin in Wien verschuldet. Ich muß die Wohnung verlassen. Dies muß mich bei Ihnen auch entschulden, nicht wahr, wenn ich nicht immer so reagiere wie ich gestern hätte reagieren sollen. Könnte ich Ihnen ehe ich sterbe doch einmal irgend etwas erweisen was wenigstens ein Alzerl325 des Dankes abtragen würde. Aber niemals kann ich genug danken. Ihre ergebenste Berta Zuckerkandl-Szeps



[GK an BZ, MS] Wien, am 27. August 1937. Verehrte Freundin! Ich hatte so lange nichts von Ihnen gehört und hatte gestern die Absicht, Sie telephonisch anzurufen, weil meine Schwester Ella vorgestern in Salzburg angekommen ist und ich Ihre Protektion erbitten wollte, um ihr, die ja für regulären Festspielbesuch kein Geld hat, irgendwie das Anhören einer Festspielproduktion zu ermöglichen. Sie können sich meinen Schrecken denken, wie mir in Schloß Leopoldskron mitgeteilt wurde, dass Sie seit vier Tagen krank sind und überhaupt nicht zum Telephon kommen können. Als man mir gar noch sagte, dass fe erdulden. Und das ist sicherlich allein Dein Fehler. Du hast sicherlich weder Kunwald noch Trude geschrieben, was Paul angeordnet hat.“ 325 Wiener Dialektausdruck, der für Kleinigkeit verwendet wird.

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Majorin Feizlmayr in Salzburg ist, gab es mir wahrhaftig einen Stoß. Gottlob hat mir die Majorin gesagt, dass Sie schon fieberfrei sind und bald zurückzukommen gedenken. Auch Ella hat mir berichtet, dass es Ihnen schon besser geht, als es Ihnen gegangen war. Ich will Ihnen nur sagen, dass ich mich sehr freue, dass Sie wieder wohl sind, und dass ich zuerst einen großen Schrecken gehabt habe. Trude ist am 21. nach Frankreich gefahren, nachdem die Generalversammlung vorüber war. Stephenson ist bereits zum Geschäftsführer gewählt;326 und es kommt jetzt die neue Generalversammlung am 6. September, in der Stiasny seiner leitenden Befugnisse durch die neue Geschäftsordnung entkleidet werden soll. Bis jetzt ist alles ohne Zwischenfall abgelaufen. Frau Redlich fährt am Dienstag den 2. September weg, und Stephenson wird sich dann allein mit Stiasny herumschlagen müssen, gestützt allerdings durch Dr. Fürst und mich. Stephenson ist ein sehr gewissenhafter Mensch; wenn nicht neues Geld kommt, wird er die Sache jetzt irgendwie zur Entscheidung bringen. Denn mit Lügen, wie Stiasny, wird er die Geschäfte nicht führen wollen. Welch ein Esel war doch Stiasny, dass er Frau Redlich durch seine willkürlichen Entnahmen über sein Gehalt hinaus aufs Äußerste gereizt hat! Ihr Enkel schreibt, dass Paul Clémenceau mit ihm besonders lieb ist; so berichtete mir Frau Trude. Ihre Besorgnisse, soweit es Paul, Trude und Emil anging, sind also wirklich übertrieben gewesen. Wolle Gott, dass auch Frau Sophie wieder besser würde! Trude hat mir berichtet, dass es Ihnen in Salzburg, bis sie wegfuhr, recht gut gegangen ist. Sie waren, wie Trude sagte, in Ihrer Atmosphäre. Jetzt freilich, durch diese Erkrankung, ist ja leider so vieles wieder verloren gegangen. Wenn Sie für Ella etwas tun können, würden Sie mir eine große Freude machen. Sie wohnt ab morgen abends in Schloß Söllheim, Post Gnigl bei Salzburg, Telephon Söllheim Nr. 2. Bis morgen Samstag nachmittags ist sie noch in Salzburg im Hotel Bahnhof. Wahrscheinlich wird das aber gar nicht möglich sein, weil Sie ja gar kein Telephon haben. Seien Sie, verehrte Freundin, herzlichst begrüßt von Ihrem alten Hochwohlgeboren Frau Hofrat Berta Zuckerkandl-Szeps
 Salzburg Schloß Leopoldskron. {Cop: Mahler 27.8.37 Aufgeg: Mahler 27.8.37}

 326 Ing. Hans Stephenson hat seine Stelle als Geschäftsführer in der Generalversammlung der Gesellschaft – das Sanatorium lief zu dieser Zeit unter dem Namen Sanatorium Westend Betriebsgesellschaft m. b. H. – am 18. Jänner 1938 niedergelegt. Vgl. ÖStA, Bestand GK, 616-1-1358.

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[BZ an GK, MS] {30. 8. 37} Samstag, den 28. August. [1937] Mein einziger geliebter Freund! Ihr lieber Brief rührt mich tief. Ja, es war ein großes Pech diese Erkrankung. Zehn Jahre mindestens hatte ich kein Fieber. Und das Schicksal will es dass ich gerade in einem Augenblick der für mich vielleicht entscheidend gewesen wäre es mich tückisch überschlich. Nicht nur dass ich in meiner „Atmosphäre“ lebte und wirklich ein paar selten harmonische Tage genoß. Reinhardt und die Thimig lieben mich so sehr dass sie mir helfen wollten durch ihre großen Filmverbindungen eventuell ein neues Feld der Tätigkeit mir zu erobern.327 Und gerade an dem Tag da ich krank wurde war alles so gedacht dass ich die entscheidenden Menschen treffen sollte. Nun: Das ist verloren. Und ich bin dadurch wieder mehr noch in meinem Pessimismus den Sie mir abgewöhnen wollen, bestärkt. Der Arzt meint es war eine Grippe. Da ich aber weder Halsweh, noch Husten, noch Schnupfen, noch Bauch- oder andere Schmerzen hatte sondern nur ein hohes Fieber und eine allgemeine Erschöpfung so bin ich der Meinung dass es auch seelische Fieberattacken gibt. Was ich in Paris gelitten habe durch Paul Clemenceau war namenlos. Was mir schon für den September in Wien an Lebenskampf ja direkt an Nahrungssorgen bevorsteht ist (selbst für einen Mann schwer tragbar) umsomehr für eine Frau in meinem Alter. Und da glaube ich haben eben plötzlich die Kräfte versagt. Wie gerne würde ich Ella Sitze verschaffen. Aber dieses Jahr gibt es für niemanden auch nur den billigsten Freisitz. Und selbst ich die Mitbegründerin der Festspiele bin gar nicht im Festspielhaus gewesen weil man mir keine Karten gab. Im Vorjahr hatte ich Peter doch Stehplätze durch Direktor Kerber verschafft. Heuer sind diese Plätze aufgehoben. Nichtsdestoweniger ist es Peter gelungen mir durch seine heißen Bitten einen Brief an Kerber zu entreißen. In welchem ich ihn dringendst bat Peter irgendwie hineinzubugsieren. Da ich gerade vor acht Tagen Kerber also in Anspruch nahm (ich sah Peter nicht mehr und weiß nicht ob er Erfolg hatte) so könnte ich selbst wenn ich nicht krank wäre, nicht wieder an ihn herantreten. Verzeihen Sie mir wenn ich nicht Ihnen der uns nur immer gibt und gibt mit Ihrem großen Herzen, selbst diesen kleinen Wunsch nicht erfüllen kann. Purkersdorf scheint mir nach Ihren Worten (dass Stephenson wenn kein Geld kommt wohl nicht weiter gehen will) eigentlich verloren. Denn woher sollte so rasch Geld kommen? Und was dann? Fritz geht es wissenschaftlich glänzend und materiell elend; Also was soll aus meinen Kindern werden. Darüber vergesse ich die eigene Misere.

327 Im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek findet sich der Hinweis, dass sich BZ mit Film beschäftigt hatte, vgl. LIT, Signatur 438/W 24, „Konvolut I, Großmamas Briefe aus Paris“, Brief vom 29. Mai 1937. Sie scheibt von „meine Film Synopsis.“

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Hier habe ich die interessantesten Verbindungen angeknüpft. Vor allem mit dem Sohn von Roosevelt328 der auf seiner Hochzeitsreise hier bei Reinhardt soupierte. Der mit mir dann ein sehr langes Gespräch politischen Inhalts führte und mich bestürmte, ich soll mich auf ihn berufend bei Frau Leon Blum melden. Mit der er sehr intim ist und mit der er möchte dass ich in Verbindung trete ….. Auch Lady Oxford-Asquith hat mich nach London eingeladen, und die Gräfin Volpi die Frau des ehemaligen italienischen Finanzministers nach Venedig. Die Stellung von Reinhardt ist ja eine ungeheure. Und dieser Jude ist es der es vollbrachte für Österreich das internationalste und schönste Zentrum zu schaffen. Man lohnt es ihm wenig. Darüber kann ich viel erzählen. Frau Thimig will mich, falls es der Arzt was nicht sicher ist, gestatten sollte, Montag mit ihrem Auto selbst nach Wien bringen da ich die Bahnfahrt vermeiden soll. Aber alles hängt davon ab ob meine Temperatur keine Sprünge mehr machen wird. Die Kinder ahnen nichts von meiner Erkrankung. Das arme Truderl soll ein paar Tage Erholung haben. Und Sofie darf ja nicht beunruhigt werden. Sie wiederzusehen, bei Ihnen sitzen zu dürfen, mich ein bissl anschreien zu lassen, und Ihre verzweifelten Versuche mir böse zu sein zu genießen ….. dies ist in diesen trüben Stunden mein Trost. Ihre getreue Berta Zuckerkandl-Szeps



[Trude Zuckerkandl, telefonische Mitteilung an Kanzlei GK, MS] {23.9.37 11.30} Trude Zuckerkandl teilt mit: Die Auflösung wird täglich und stündlich erwartet. Sie wird sofort telephonieren, wenn eine Veränderung eintritt. Paul hat sich im Zimmer neben der Kranken eingesperrt, ist fortwährend bei der Kranken, verläßt sein Zimmer nicht, ist bald in seinem Zimmer, bald bei der Kranken. Er hat gesagt, es soll jetzt die Hofrätin nicht kommen. Er ist sehr lieb zu Trude, aber nur weil sie ihn gänzlich in Ruhe läßt und sich von ihm fernhält. {Trude hält den Brief der Sofie für gut und wird es weitergeben.} Ich habe Trude geraten, gleich an Stephenson zu schreiben dass sie nicht weiß, wie lange sie fortbleiben muß, und vom 28. September ab bittet, ihren Urlaub mit Unterbrechung des Gehaltsbezugs während des Urlaubs zu verlängern. Sie will es sofort tun. Außerdem schreibe ich im selben Sinne selbst an Stephenson. Ich habe ihr geraten, jetzt bei Paul zu bleiben und ihn nicht der Madeleine329 zu überlassen. Sie hat das verstanden.

328 Franklin Delano Roosevelt Jr. hat am 30. Juni 1937 Ethel duPont geheiratet. 329 Zusammenhänge zu diesem Namen konnten nicht eruiert werden.

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Sie glaubt dass Paul gleich nach dem Begräbnis nach l’Aubraie fahren wird. Da kann dann niemand mitfahren. Sie hat sich dringend erkundigt wie es der Hofrätin geht. Ich habe ihr gesagt, die Hofrätin ist sehr tapfer und hält sich, so schwer sie die Sache trifft. Ich habe ihr auch gesagt dass es dem Bubi gut geht und dass Bubi gestern bei der Hofrätin zu Mittag gegessen hat und wohl ist. {Hofr. Z mitgeteilt 23.9.37. 12.45 K[unwald]}



[BZ an GK, MS] {Zuck 30.9.37} Donnerstag. [30. 9. 1937] Liebster Freund! Gestern Abend hat mir Dr. Kaufmann330 das Billet hin und retour sowie elfhundert Fr. und zweihundert Schillinge gebracht. Außerdem las er mir nochmals den Vertrag331 vor, der im Namen des Prinzen Parma aufgesetzt ist und den ich unterschreiben mußte. Als ich aber den Vertrag behalten wollte sagte mir Dr. Kaufmann dass er als Treuhänder eingesetzt ist und daher alle Verträge bei ihm deponiert bleiben. Daher kann ich Ihnen leider den Vertrag nicht mitsenden. Er ist übrigens sehr klar und kurz gehalten. Besagt dass ich falls man eine Million mehr bei dem Ausgleich erzielt ich achtundfünzigtausend Francs erhalte. Von jeder höher erzielten Summe die gleichen Perzente. Ferner dass für jeden Fall wenn der Ausgleich abgeschlossen wird mit diesem Plus ich die ausgemachte Summe erhalte ganz gleich ob auch die günstige Entscheidung auf andere Interventionen zurückzuführen sein würde. Weiters steht dass der Auszahlungstermin der französischen Regierung bis Juni 1938 vorgesehen ist. Ich bat Kaufmann ob er nicht einen Passus in meinen Vertrag setzen möchte dahin lautend dass ich bei fertiger Unterzeichnung des Abkommens Parma– Fr.[anzösische] Regierung nicht eine Anzahlung der mir zukommenden Summe erhalten könnte. Kaufmann erwiderte dies sei nicht möglich in den Vertrag zu setzen. Aber er garantiert mir dass Prinz Parma absolut keine Schwierigkeiten machen wird um mein Ansinnen zu erfüllen. Ich könne mich darauf verlassen dass entweder je nach Größe der mir zukommenden Summe mir zwanzigtausend oder zehntausend Sch. a Conto gezahlt werden würde. Auch falls meines Ablebens an meine Kinder. Ich brauche das Ihnen beiliegende Expose erst Abend wieder retour, da ich morgen fahre. 330 Wahrscheinlich ein Notar oder Rechtsanwalt. Im Exil-Adressbuch von Berta Zuckerkandl aus der Kriegszeit in Algier findet sich zwar der Name Dr. Kaufmann – allerdings auch ohne Vornamen. Vgl. LIT, Signatur 438/W 24. 331 Vgl. Brief BZ an GK vom 4. Oktober 1937.

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Jedenfalls telephoniere ich noch, falls ich zu erschöpft bin zu kommen. Ihre innigst dankbare Berta Zuckerkandl-Szeps



Unterschriebenes Exposé v. 26. September i. S. Prince Elie de Bourbon-Parma (französisch)332 Für Frau Gertrude Zuckerkandl übernommen 8.X.1937 Josefine Schneider



{5. X. 37} [BZ an GK, MS] Montag den 4. Oktober. [1937] 20, bis, Rue Petrarque 20, bis Telephone. Passy-53  –  25. Lieber, guter Freund! Ich bin gut gereist und mein Fritzl hat mich auf der Bahn erwartet. Er teilte mir mit dass ich bei ihm wohne und dass er sich statt meiner ein Zimmer in einem Hotel genommen hat. Paris ist nämlich derart überschwemmt von Fremden und ein besseres Zimmer derart teuer dass ich mit meinen Diäten nicht auskommen könnte. Fritz der sich mit irgend einem Zimmer im 6. Stock abfindet dachte es sei besser mir seine sehr liebe Garconniere abzutreten. Zimmer, Badezimmer und kleine Küche in einem Appartementhaus. Allerdings ist dort keine Bedienung. Aber Erich Stekel mit Frau wohnen unmittelbar neben mir und sollte ich unwohl sein so habe ich Pflege. Daher ich Marie nicht nachkommen ließ. Denn jeder Francs den ich ersparen kann ist wichtig. Obwohl ich hier mehr als in Wien das Furchtbare fühle bin ich schon gestern Vormittag bei Bourguignon in Malmaison gewesen der heute in den Affaires Etrangeres sich wegen der Parmasache erkundigen wird. Heute elf Uhr war ich bei Comert. Das ist auch ein wunderbarer Freund. Er gab Auftrag eine halbe Stunde ihn mit keinem Menschen im Ministerium zu verbinden weil er ungestört mit mir konferieren wollte. Nun: leicht scheint die Sache nicht zu sein. Es trifft sich nur sehr gut dass Comert ein Freund von Sicard333 dem Direteur des Bien privés ist. Und schon heute mit diesem sofort in Fühlung treten wird. Vorläufig muß er sich erst überhaupt von diesem über die Sache selbst und deren Stand erkundigen. Comert bat mich wieder für morgen Früh 11 Uhr. Da werde ich ungefähr wissen wie wir dran sind. Aber die eigentliche Verbindung die notwendig wäre sei es zu Leger, sei es zu Delbos direkt, die besitze ich nicht. Ich referierte 332 Den Briefen liegt keine Kopie des Exposés bei. 333 Im Pariser Telefonbuch findet sich unter Sicard nur ein Eintrag „R. Advokat“ und „M. et Mme R. ministre plénipot“.

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Kaufmann, der mit dem Prinzen von Parma (dieser sieht wie ein besserer oder schlechterer Commis aus) im selben Hotel wohnt, und fand Kaufmann, welcher seinerseits schon Fühlung genommen hatte ziemlich deprimiert. Er zweifelt jetzt schon an einer Durchführbarkeit des Ausgleiches. Ich fürchte also dass die Reisekosten das Einzige sein werden was ich zu kosten erhalte. Gleich nach meiner Ankunft war Lucien Besnard bei mir (der Freund der mir den rührenden Brief geschrieben hatte den ich Ihnen zu lesen gab). Er war sehr verzweifelt dass ich gekommen bin weil er, unterstützt von den Chocarnes (andere ihm nahe Freunde die besonders in Bubi ganz vernarrt sind) die nächsten 14 Tage dazu benützen wollen um Paul dazu zu bringen in seinem Testament das Kodizil zu unseren Gunsten einzufügen. Nun meinte Besnard dass, da mein Hiersein gewiß entdeckt werden würde, Paul dies zu verschweigen für Fritz gefährlich sei. Weil Paul von Fritz vor allem vollständige Aufrichtigkeit verlangt. Es wurde daher beschlossen dass Fritz Paul doch lieber sagen wird dass ich komme. Der Brief nun welchen ich Paul noch in Wien vorbereitend schrieb erwies sich daher als guter Schachzug. Denn als Fritz gestern Abend Paul mitteilen wollte dass ich ankomme, unterbrach ihn dieser und sagte: „Je sais. Ta mere m’a ecrit“.334 Worauf er noch hinzufügte dass, wenn er wüßte dass ich von der Vergangenheit ihm kein Wort spreche, er mich sogar bitten würde bei ihm zu essen. Fritz aber hatte von mir Auftrag dies jedenfalls abzulehnen weil ich was auch wahr ist unfähig mich fühle Avenue d’Eylau zu betreten. Paul verstand dies, denn es entspricht ja seinem Gefühl, und wir werden uns wahrscheinlich in den nächsten Tagen in seinem Bureau sehen. Leider ist wie mir Besnard bestätigt Paul mehr denn je an Verarmungswahn und an Geiz leidend, dazu kommt noch Folgendes. Sofie hatte Schulden die weit zurückreichen. Noch aus den Jahren wo es ihnen nicht so gut ging. Und zwar überreichte ein Monsieur Hebrad, ein Neffe ihrer langjährigen Wirtschafterin Elise, einen bei einem Notar hinterlegten Brief. Was in diesem stand weiß man man nicht. Paul weigerte sich auch den Brief zu öffnen und sagte dies solle der Notar tun. Es handelt sich um eine Summe die gewiß nicht gar so hoch war denn Paul soll später eigentlich erleichtert gewesen sein. Gestern teilte er aber Fritz mit dass Sofie einen Brief hinterlassen hätte in welchem sie verfügte dass Trude allen ihren Schmuck erbt (leider gar nichts Wertvolles) und ich ein schönes Bild meiner Mutter. Fritz vermutet aber dass gewiß noch Anderes darin stand und dass dies ein Testament von Sofie gewesen sein muß. Dass Paul irgend etwas für uns jetzt tun wird halte ich für ausgeschlossen. Aber Besnard sagt die Hauptsache ist das Kodizil, und das sollen wir nur ihm überlassen. Wie ist der Tod doch etwas Schauerliches, Unversöhnliches. Denn erst acht Tage ist sie nicht mehr da, und schon sinken Schleier, werden andere Schleier gehoben, die das „Wesen“ fern und ferner entschwinden lassen. Ich habe für 334 „Weiß ich schon. Deine Mutter hat mir geschrieben.“

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meinen Zustand hier keinen anderen Vergleich als dass es mir ist als hätte ich eine schwarze Brille an. Alles aber auch alles, selbst die Sonne ist dunkel. Wenig Erfreuliches erfuhr ich von Comert in der kurzen halben Stunde über unsere Lage. Mussolini (den er einen verbrecherischen Idioten nannte) hat uns verkauft. Das heißt er lieferte nachdem dies Hitler verlangte Österreich ihm industriell und finanziell aus. Deutschland gehört bereits (schon lange) die Alpine.335 Jetzt gehört ihm auch Hirtenberg336 und Steyr.337 Am ersten Januar kündigt uns Deutschland die „Preferenz“338 (dies sind die Worte von Comert die ich vielleicht nicht ganz verstehe). Und führt bei uns genau die ökonomische Ordnung ein wie in Deutschland, das heißt es kommt eine industrielle und eine finanzielle Gleichschaltung. Als ich erwiderte, dann sind wir verloren erwiderte Com.[ert] : „Nicht, wenn Ihr noch ein Jahr durchhalten könnt. In einem Jahr werden England und Frankreich die sich jetzt vollkommen für Österreich einsetzen werden, andere Seiten aufziehen. Das ist eine Gewißheit. Einstweilen allerdings wird es bitter sein“. 335 Gemeint ist die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft, an der die deutsche Stinnes-Gruppe seit 1921 Anteile hatte. 1926 ging etwa die Hälfte der Aktien an die Vereinigte Stahlwerke A. G. Düsseldorf. Vgl. Details Compass, Österreich, Österreich-Ungarn (Liquidation) Wien 1937, S. 617 – 624. 336 Gemeint ist die Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen- und Metallwaren-Fabrik. Vgl. Details Compass, Österreich, Österreich-Ungarn (Liquidation) Wien 1937, S. 692 – 693. Die im Text angedeutete Verbindung zu Deutschland erfolgte über Fritz Mandl, einen österreichischen Industriellen, der u. a. führend in Rüstungsgeschäften der Zwischenkriegszeit tätig war. Mandl hatte einen Schweizer Partner in Solothurn und als weiteren Partner den Großkonzern Rheinmetall, den zweitgrößten deutschen Rüstungshersteller. Mandl verließ 1938 Österreich, war aber weiter geschäftlich aktiv. Vgl. als Einstieg in die komplexen Vorgänge und Literaturverweise https:// de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Mandl_(Industrieller). Abgerufen am 28. Oktober 2017. 337 Gemeint ist die Steyr-Daimler-Puch A. G. Vgl. Details Compass, Österreich, Österreich-Ungarn (Liquidation) Wien 1937, S. 714 – 7 18. 1934 durch die Fusion der Austro-Daimler-Puchwerke AG und der Steyr-Werke AG entstanden. Nach dem Anschluss 1938 wurde der Konzern durch die Reichswerke „Hermann Göring“ übernommen und in einen Rüstungskonzern zurückverwandelt, wie er es in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war. Wie bei der Hirtenberger Fabrik gab es auch bei Steyr Verbindungen in die Schweiz. Über die Steyr-Solothurn Waffen A. G. gab es eine Verbindung zur Firma Rheinmetall in Düsseldorf, deren Generaldirektor im Verwaltungsrat der Schweizer Gesellschaft ebenso vertreten war wie Fritz Mandl. Vgl. dazu ÖStA, AdR, BM für Handel, Signatur 564, G Zl. 90.466 – 11/1933, Steyr-Solothurn Waffen A. G., Zweigniederlassung in Wien, Bilanzen pro 1931. 338 Zu den schwierigen österreichisch-deutschen Handelsbeziehungen 1937 vgl. im Detail Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Abteilung IX, Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg, Band 7, 20. November 1936 bis 25. Mai 1937, herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel, Alexandra Neubauer-Czettl und Peter Wackerlig, Wien 2011, Ministerratsprotokoll 1049 vom 29. Jänner 1937, Tagesordnung 4, Bericht über die abgeschlossenen Wirtschaftsverhandlungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich, S. 212 f. und 216 sowie die Anmerkungen 12, 13, 20 und 22. Durch das Abkommen vom Jänner 1937 steigerte sich zwar das österreichisch-deutsche Außenhandelsvolumen, doch verschuldete sich damit Deutschland bis März 1938 in immer größerem Ausmaß. Parallel dazu war es schon seit dem Juli-Abkommen 1936 zu einer wachsenden Durchdringung Österreichs mit Privatkapital deutscher Konzerne gekommen. Vgl. dazu Karl Stuhlpfarrer, Austrofaschistische Außenpolitik – ihre Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen, in: Austrofaschismus, Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, herausgegeben von Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer, 7. Auflage, Wien 2014, S. 321 – 338, hier S. 333 f.

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Er sagt dass die lange und leider wahrscheinlich hoffnungslose Krankheit von Wasserbäck direkt ein Unglück für die Politik „Österreich–Frankreich“ ist. Er weiß wie ich es war die Wasserbäck gebracht hatte. Und wieder einmal habe ich keine glückliche Hand. Innenpolitisch steht es seit einigen Tagen in Frankreich viel besser. „Le Ministere est sauvé“339 sagte mir Com[ert]. Aber wieviel hängt jetzt von den Cantonalwahlen ab.340 Co.[mert] ist sehr optimistisch gibt jedoch zu dass Überraschungen nicht ausgeschlossen sind. Auch für Fritz habe ich gestern schon einen vielleicht guten Schritt tun können. Aus Aberglauben schreibe ich darüber Ihnen noch nichts. Aber es war richtig meine Schwäche zu überwinden und herzukommen. Denn Sofie wäre mit mir einverstanden dass ich meine Trauer in Aktivität für die Kinder die sie so liebte umsetze. Ich denke ja doch auf Schritt und Tritt nur an sie. Lieber Freund, der mir immer nahe ist, ich umarme Sie. B. Z.



[BZ an GK, MS] {20. XI. 37} Samstag den 20. November [1937]. Verehrter Freund! Wieder komme ich, aber wohl zum letzten Mal, zu Ihnen um Rat und Leitung. Ich habe Sie vorgestern angerufen um zu versuchen Sie zu sprechen. Sie wollten da Sie nicht zum Telephon konnten mich später sprechen. Aber haben es wohl vergessen. Nun benutze ich den Umstand nicht selbst mit Ihnen zu beraten um, was viel besser ist, Ihnen schriftlich beiliegende Übersicht meiner Lage zu geben. Ich habe in vielen vollkommen schlaflosen Nächten alles endgültig erwogen. Da seit Monaten, aber besonders seitdem ich wieder in Wien bin, auch der geringste Versuch mir durch Arbeit zu helfen fehlschlägt, so geht es nicht an dass ich länger warte. Radikal muß ich Schluß machen. Nur ist der Umstand dass ich dazu absolut die Unterstützung von Paul brauche der mir wie es sein Verhalten zeigt gar nicht mehr gewogen ist, ein großes Hindernis. Ich zittere die Kinder eventuell zu schädigen wenn er durch mich in ärgerliche Stimmung gerät. Wie soll ich handeln? Diese Frage ist es die ich so gerne mit Ihnen erörtern würde. Vielleicht (so dachte ich mir) wäre es am Besten wenn Sie die große Güte hätten mit Lucien Besnard der sich der Interessen der Kinder und meiner in rührendster Weise annehmen will, indem er Paul zu beeinflußen sucht, einmal in Verbindung zu treten. Wenn Sie ihm meine Lage so auseinandersetzen wie ich es hier tat. Wenn Sie Besnard fragen ob er es unter diesen zwingendsten Umständen es nicht doch für möglich hält dass Paul, der ja nicht ahnt dass es 339 „Das Ministerium ist gerettet.“ 340 Gemeint sind Arrondissement-Wahlen. Das System der Arrondissement-Wahl (das 1919 erlassen worden war) war mit Gesetz vom 21. Juli 1921 wiederhergestellt worden.

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so verzweifelt mit mir steht, und dass mein Leben von einer Regelung abhängt sich auf mich besinnt und dass er der einzigen Schwester seiner Frau die er so leidenschaftlich betrauert doch eine Unterstützung zubilligt die wahrlich keine allzugroße Belastung für ihn sein kann. Wenn Besnard dann antwortet dass es absolut nicht angeht Paul heranzuziehen, nun dann muß ich auch das hinnehmen. Aber dann gibt es keinen Ausweg mehr für mich. Lieber, gütigster Freund! Ich habe auch vorgestern Nacht meinen letzten Willen aufgeschrieben weil nur ein altes Testament vorliegt wo ich noch über etwas Geld verfügte und das hinfällig ist. In meiner Schreibtischlade befindet sich das handgeschriebene Testament. Und hier sende ich diese Kopie ein, mit der großen Bitte dieselbe aufzubewahren. Denn es könnte doch das Original in Verlust gehen. Dank sage ich nicht. Tausend Leben würden dazu nicht genügen. Ihre Berta Zuckerkandl-Szeps



[BZ an GK, MS] {B. Z. 20. XI. 37} Exposé meiner Lage. I. Da meine Lage verzweifelt ist, weil ich jede Verdienstmöglichkeit verloren habe, und da ich durch wiedrige Umstände, an welchen ich schuldlos bin, auch in Schulden geraten bin, so sehe ich keinen anderen Ausweg als den meine bisherige Lebenshaltung zu liquidieren. Dies könnte aber nur möglich werden und würde mein Leben retten (denn ich gehe physich zu Grunde an den untragbaren Aufregungen) --- wenn ich den gefährlichen(für meine Kinder eventuell gefährlichen) Schritt wagen würde meinen Schwager Paul Clemenceau offen und rückhaltlos um eine vorläufig auf ein Jahr befristete Unterstützung zu bitten. Ich habe anbei eine genaue für ein Jahr berechnete Aufstellung gemacht. Denn ich würde falls Paul Clemenceau mir vorläufig ein Jahr lang seine Unterstützung gewährt meine Schulden in diesem Zeitraum (Auspitz-Lieben und die Garantie Marton ausgenommen) beglichen haben. Und kann dann von der Pension allein vegetieren. Aber die notwendige Voraussetzung dieser Berechnung ist: Das Fortbestehen während dieses Jahres des Sanatoriums Westend, und die Möglichkeit bei meiner Schwiegertochter ein Zimmer zu bewohnen. Für meine Kost, Heizung, Telephon und Bedienung käme ich auf wenn mir Paul Clemenceau den Zuschuss geben würde. AUFSTELLUNG meines Einkommens falls P. C. mir 2000 Fr. monatlich gäbe. ---------------------------------------------------------------------------------------2000 Fr französicher Währung sind nach heutigem Kurs ungefähr 360 Sch. ----------------------------------------------------------------------------------------

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Von diesen 360 Sch. müßte ich mein Leben bestreiten. Denn die 430 Sch. Pension müßten acht Monate lang und teilweise ein Jahr lang dazu dienen mich meiner drückendsten Verbindlichkeiten zu entledigen. LEBENSHALTUNG IN WESTEND. Falls ich dieselben Preise erhalte, die für die Kost sowohl Redlich, Stiasny und Zuckerkandl genießen. VERPFLEGUNG: (Ungefähr im Monat) 155 Sch. HEIZUNG:* 30 Sch. Telephon;– 15 Sch. Fahrten;– 20 Sch. Friseur;– 15 Sch. Diverse;– 30 Sch. Bedienung;– 30 Sch. 295 Schillinge. (Verbleiben noch 60 Sch. für Unvorhergesehenes.) Meine Pension von 430 Sch. monatlich verbleibt zum Abzahlen. Aber schon nach fünf Monaten werden 100 Sch. frei, da ich dann mit Teltscher fertig bin. Pensionsabzahlungen. Marie abzahlen;– 100 Sch. monatlich. (Dadurch erhält sie da sie 20 Jahre bei mir dient auch eine kleine Abfertigung.) Teltscher;– 100 Sch.– (nur bis Mai) Steffi; – 50 Sch.– (vorläufig fortlaufend) Olga;– 30 Sch.– (vorläufig fortlaufend) Rückständiger Zins;– 100 Sch.– (durch acht Monate) Jeanne;–  20 Sch.– (vorläufig ein Jahr lang) 400 Sch. Auf diese Weise könnte ich, falls ich am Leben bleibe, bereits im Jahr 1939 mit meiner Pension kümmerlich auskommen da ich doch noch hie und da auf einen Nebenverdienst rechnen könnte. So dass mein Schwager seine Sustentation zurückziehen würde. Die furchtbar schwer zu lösende Frage ist nun diese:Darf man Paul Clemenceau um eine Unterstützung bitten? Gefährdet man dadurch nicht die Kinder? Ist mir aber dieser Ausweg verschlossen so sehe ich keine andre Möglichkeit als die: „Schluß“ zu machen. Es bliebe dann noch immer das Problem zu lösen wie ich den Auszug der ein paar hundert Sch. kosten muß bewerkstelligen kann. Die zwei fundamentalen Fragen aber sind: BLEIBT WESTEND NOCH EIN JAHR BESTEHEN? KANN UND SOLL MAN AN CLEMENCEAU HERANTRETEN?



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[GK an BZ, MS] Wien, am 22. November 1937. Verehrte Freundin! Ich sende Ihnen Abschrift des Briefes341 Ihres Sohnes, den ich heute erhalten habe, in der Überzeugung, dass Ihnen Inhalt und Ton des Schreibens Freude machen werden. Ihr herzlichst ergebener Beiliegend: Abschrift des Briefes Dris. Fritz Zuckerkandl vom 20.11.37. Hochwohlgeboren Frau Hofrätin Berta Zuckerkandl-Szeps Wien I., Oppolzergasse Nr. 6 {cop. Mahler 22.11.37 aufgeg. Mahler 22.11.37}



[BZ an GK, MS] {16. 1. 38} Paris. Freitag den 14. Januar. [1938] Hotel Royal-Madeleine, 26 Rue Pasquier. Telephone: Anjou – 64  –  81. Liebster bester Freund! Gerade 14 Tage bin ich nun hier. Habe Ihnen nicht geschrieben, weil ich abwarten wollte mit Rist in Kontakt zu kommen. Und Sie wissen wir schwer das ist. Endlich telephonierte mir vorgestern Madame Rist dass sie und er mich in meinem Hotel gegen halb sechs Uhr zum Tee besuchen würden. Madame Rist kam zuerst. Sie sagte dass es ein unerhörtes Zeichen der Liebe die Rist für mich hat ist, dass er diese halbe Stunde mir widmet. Denn seine Überbürdung sei geradezu phantastisch und sie wisse nicht wie er dieses Dasein noch aushält. Dann kam aber Rist wie immer vergnügt und gut aussehend. Sehr hungrig sich auf die Sandwiches stürzend. Denn ein Tee umsonst ist für diesen geizigsten aller Menschen etwas höchst beachtenswertes. Sofort attackierte ich ihn Ihretwegen. *„Ich habe soeben mein neues Buch dem verehrten Kunwald geschickt, und er wird feststellen, dass er von mir in der Währungsfrage genannt wird. Sie wissen, wie sehr ich ihn mag und wie ich ihn bewundere. Aber leider muss er auch verstehen, dass ich jeden Tag hunderte von Briefen erhalte, die oft monatelang ohne Antwort bleiben, obwohl sie manchmal sehr wichtig sind. Wie es auch der Fall für dieses Exposé von Kunwald ist, das ich ihm nach Vorzeigen mit einer Antwort zurücksenden hätte sollen.“ 341 Abschrift liegt nicht bei.

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„Die Antwort ist natürlich negativ. Kunwald ist sich nicht der unüberwindbaren Barrieren bewusst, welche die Weltlage und die besondere Situation Frankreichs angesichts solch monumentaler Projekte darstellen wie es das Kunwalds ist. Niemand, kein Financier und keine Bank, würde auch nur einen Moment daran denken, das Risiko auf sich zu nehmen, Beziehungen mit einem Land aufzunehmen, das wie Österreich und die Länder Mitteleuropas ständig in Gefahr ist. Dies ist die Antwort, die ich überall erhielt. Und die Ablehnung war so definitiv, dass ich wirklich keine Möglichkeit sehe, dieses Projekt weiterzuverfolgen. Kunwald mit seinem schöpferischen Optimismus, um den ich ihn beneide, glaubt immer, dass man die Hindernisse überwinden kann, die unsere Epoche leider den Möglichkeiten entgegenstellt, die nur ein Genie wie Kunwald ersinnen kann. Diejenigen, die an der Spitze der Banken und Finanzinstitutionen sind, weigern sich aber systematisch, diese Möglichkeiten als etwas Anderes als unrealisierbare Träume zu erachten. Das habe ich Kunwald zu antworten. Und sobald ich einen Augenblick finde, werde ich es ihm schreiben. Sagen Sie ihm das von mir, verehrte Freundin.“*342 Und Rist hat mir wirklich von der argen Lage, in welche sich wieder die französischen Finanzen befinden, von den Problemen, welche die Dummheit der Sozialisten (oder vielmehr der Syndikalistischen Führer) neuerlich aufwerfen und die drohen alles was Bonnet gut gemacht hatte wieder zu zerstören, ein sehr eindringliches Bild entworfen. Auch am Quai d’Orsay wo ich wegen der Parmasache öfters bin herrscht Besorgnis. Das Rumänische Abenteuer343 hat Frankreich in eine miese Lage gebracht. Und obwohl man versucht es nicht allzu tragisch zu nehmen, sondern mit echt französischer Ironie nur die Achseln zuckt, so hat diese etwas lächerliche Reise von Delbos nach Rumänien, nach Polen und Jugoslavien, deren Resultate Abfall und drohender Abfall ist344, bewiesen wie schlecht in Frankreich Progagande gemacht wird. Und wie gut in den Totalitären Ländern. Unsere in Pest345 eingenommene Haltung aber, wird hier vollauf verstanden und sogar als höchst geschickt und auch standhaft sich wehrend gewürdigt. Meinen Schwager habe ich gleich wiedergesehen als ich ankam. Und bin nun dreimal wöchentlich bei ihm. Ich finde ihn unberufen körperlich gut in Form. Mit mir ist er ungemein freundlich. Jedoch würde er nie mit einem Wort irgendwie meine Lage berühren. Da ist nichts zu erwarten. Und ich hüte mich auch nur mit einem Atemzug ihm gegenüber zu verraten dass ich am Ende meiner Kraft bin. Paul ist ein armer, sich verarmt wähnender, eisig einsamer Egoist geworden. Besnard erzählte mir dass er sein Testament nun in Ordnung 342 Der Text zwischen den Sternchen ist im Original in französischer Sprache. 343 Nach Wahlen im Dezember 1937 hatte der rumänische König den Führer der Nationalen Christlichen Partei, die nur 9,8 Prozent der Stimmen erhalten hatte, mit der Regierungsbildung beauftragt. Die neue Regierung vertrat eine deutschfreundliche Politik. Vgl. Magda Adam, Die Kleine Entente 1920 – 1938, Budapest 1989, S. 121. 344 Details zur Rundreise von Delbos vgl. ebenda. 345 Dazu konnten keine Unterlagen gefunden werden.

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gebracht hat. Dass er den drei Stämmen seiner Neffen je einen Teil seines Vermögens hinterläßt. Fritz (oder Bubi) sind einer dieser Stämme. Für mich wurde absolut nicht vorgesorgt. Komisches Schicksal, das ich mir offenbar selbst zuzuschreiben habe weil ich mein Leben lang Niemanden in Anspruch nahm um mir zu helfen wie es bei einer alleinstehenden Frau so oft der Fall ist. Sie mein einzig geliebter Freund Sie sind der Einzige der mir Trost, Hilfe und verstehende Liebe in reichem Maß geschenkt haben. Und ich umarme Sie in diesem Gedanken innigst als Ihre getreueste Berta Zuckerkandl-Szeps



[Auspitz Lieben & Co. an GK] {Montag} AUSPITZ, LIEBEN & Co. in Liqu. Adresse für Depeschen Wien, 18. Jänner 1938. LIEBENCOMP I., Oppolzergase 6 TELEPHON U 25-5-95 SERIE Herrn Dr. Gottfried Kunwald, Wien I., Schulerstraße 1. Sehr geehrter Herr Doktor! Ihrem Wunsch gemäß haben wir in Angelegenheit Frau Hofrat Berta Zuckerkandl-Szeps wieder einige Monate zugewartet, ohne jedoch nicht einmal einen Vorschlag, geschweige denn, eine Zahlung erhalten zu haben. Wir müssen nun auf einer endlichen Ordnung dieser Forderung bestehen, da wir leider, so gerne wir es getan hätten, nicht in der Lage sind, weiter Rücksicht zu nehmen, weil wir sie unsererseits nicht in geringstem Maße genießen. Mit dem Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung Auspitz, Lieben & Co. in. Liqu. Lieben [zweite Unterschrift unleserlich]



VERZEICHNIS DER SCHRIFTSTÜCKE

9. Juli 1928 14. Juli 1928 14. Juli 1928 23. Juli 1928 5. August 1928 Ohne Datum 10. August 1928 Ohne Datum 28. November 1928 11. März 1929 23. März 1929 27. März 1929 6. April 1929 7. Juni 1929 6. Juli 1929 11. August 1929 9. August 1929 21. August 1929 28. August 1929 7. Oktober 1929 8. November 1929 13. März 1930 27. April 1930 9. Mai 1930 10. Mai 1930 12. Mai 1930 15. Mai 1930 19. Juli 1930 23. Juli 1930 8. August 1930 15. August 1930 16. August 1930 17. August 1930 5. September 1930 6. Oktober 1930 20. November 1930 21. November 1930 23. März 1931

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Emil Zuckerkandl an Gottfried Kunwald (Karte) Sofie Zuckerkandl an Berta Zuckerkandl (20. Juni 1928/Brief) Sofie Zuckerkandl an Berta Zuckerkandl (1. Juli 1928/Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Einladung) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an Sekretärin von Stallforth (Telegramm) GK an BZ (Telegramm) GK an BZ (Brief vom 9. August, am 12. August aufgegeben) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Postkarte) BZ/GK (Notiz) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Telegramm) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Radiogramm) GK an BZ (Brief und Beilage) GK an BZ (Telegramm) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Telegramm) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) Jones’ & Evans’ Bookshop an Hans Simon (Postkarte) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Geldübersendung und Bestätigung) BZ an Auspitz, Lieben & Co. (Schreiben) GK an BZ (Brief)

1 Bei einigen Schriftstücken wurde die Chronologie nicht exakt eingehalten, sondern so angeordnet, wie sie in der Kanzlei dem Inhalt nach abgelegt wurden. Die Kursivsetzung des Datums zeigt an, dass das Schriftstück kein Originaldatum aufweist, sondern nur einen handschriftlichen Datumsvermerk durch Bedienstete der Rechtsanwaltskanzlei Kunwalds.

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Verzeichnis der Schriftstücke

17. Mai 1931 18. Mai 1931 17. August 1931 16. November 1931 15. Dezember 1931 24. Juli 1932 September 1932 29. September 1932 18. Jänner 1933 7. April 1933 18. Juni 1933 18. Juni 1933 2. Juli 1933 17. Juli 1933 21. Juli 1933 21. Juli 1933 24. Juli 1933 24. Juli 1933 28. Juli 1933 31. Juli 1933 5. August 1933 11. August 1933 4. Oktober 1933 5. Oktober 1933 30. November 1933 10. Mai 1934 11. Mai 1934 12. April 1934 21. September 1934 Ohne Datum 24. September 1934 27. September 1934 21. Februar 1935 21. Februar 1935

27. Februar 1935 1. März 1935 5. März 1935 7. März 1935

GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Einladung) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK (Notiz) GK an BZ (Brief) GK an Charles Rist (Brief) GK an BZ (Gesprächsnotiz) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief mit Beilagen)

17. Juli 1933 Bundesminister Schumy an GK (Brief) 19. Juli 1933 Präferenzvertrag mit Frankreich BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Radiogramm) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) 8. August 1933 BZ an Bundeskanzler Dollfuß (Kopie) BZ an GK (Konzept eines Schreibens an die Finanzlandesdirektion) BZ (Schreiben an das Finanzministerium) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Bestätigung über Erhalt eines Geldbetrages) GK an BZ (Brief) BZ an GK (mit beiliegendem Schreiben von Viktor Schauberger) BZ an das Finanzministerium Finanzlandesdirektion an BZ BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung und Beilagen) 29. Jänner 1935 GK an Daily Mail (Telegramm) 4. Februar 1935 BZ an GK (Brief) 4. Februar 1935 BZ an Ethel Snowden (Brief) 12. Februar 1935 Ethel Snowden an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief und Abschrift eines Briefes Trude Zuckerkandl an BZ) 26. Februar 1935 Trude Zuckerkandl an BZ BZ an GK (Brief) BZ an Paul Stiasny (Brief)

Verzeichnis der Schriftstücke

11. März 1935 14. März 1935 24. März 1935 30. März 1935 5. April 1935 7. April 1935 8. April 1935 9. April 1935 10. April 1935 16. April 1935 20. April 1935 24. April 1935 26. April 1935 26. April 1935 29. April 1935 3. Mai 1935 11. Juni 1935 9. Juli 1935 10. Juli 1935 10. Juli 1935 16. Juli 1935 17. Juli 1935 22. Juli 1935 3. August 1935 26. August 1935 9. September 1935 13. September 1935 28. September 1935 28. September 1935 29. September 1935 4. Oktober 1935 6. Oktober 1935 5. Oktober 1935 8. Oktober 1935 10. Oktober 1935 12. Oktober 1935 22. Oktober 1935 24. Oktober 1935 26. Oktober 1935 25. Oktober 1935 31. Oktober 1935 25. Oktober 1935

BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Telegramm) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief)

333

Jeanne Feizlmayr im Namen von BZ (Empfangsbestätigung eines Bescheids der Finanzdirektion) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) Sofie Clémenceau an BZ (Brief vom 6. Juli 1935) Paul Clémenceau an Sofie (Brief vom 3. Juli 1935) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung und Brief Paul Clémenceau an GK vom 11. Juli 1935) GK an Hans Békessy (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung und Brief von Hans Békessy an GK vom 20. Juli 1935) BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Briefkonzept) Langton & Passmore an BZ (Schreiben) 2. Oktober 1935 GK an BZ (Kurzmitteilung und Konzept für Schreiben an Langton & Passmore) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an Charles Rist (Kopie) BZ an GK (Kurzmitteilung, liegt unter 6. Oktober 1935) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Telegramm ohne Datum) GK für Josefine Schneider (Notiz) GK für Josefine Schneider (Notiz) BZ an GK (Brief)

334

Verzeichnis der Schriftstücke

5. November 1935 6. November 1935 13. November 1935 18. November 1935 21. November 1935 25. November 1935 5. Dezember 1935 17. Dezember 1935 14. Jänner 1936 16. Jänner 1936 16. Jänner 1936 20. Jänner 1936 21. Jänner 1936 25. Jänner 1936 27. Jänner 1936 29. Jänner 1936 29. Jänner 1936 31. Jänner 1936 1. Februar 1936 23. Februar 1936 23. Februar 1936 4. März 1936 28. April 1936 29. April 1936 4. Mai 1936 6. Mai 1936 8. Mai 1936 10. Mai 1936 12. Mai 1936 31. Mai 1936 1. Juni 1936 3. Juni 1936 6. Juni 1936 8. Juni 1936 10. Juni 1936 16. Juni 1936 19. Juni 1936 21. Juni 1936 9. August 1936 11. August 1936 12. August 1936 14. August 1936 25. August 1936 27. August 1936 6. September 1936

GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ (Notiz) BZ an GK (Brief) Annette Kolb an BZ (Brief vom 14. Jänner 1936) GK für BZ (Konzept) BZ an Mrs. Stallforth (Brief) BZ an Mrs. Stallforth (Brief) GK für BZ (Konzept) Mrs. Stallforth an BZ BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an Steueradministration (Schreiben) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) Ludwig Ullmann an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) 31. Mai 1936 GK an Paul Abel (Schreiben) 31. Mai 1936 GK an Richard Berger (Schreiben) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Konzept Schreiben an Bezirkshauptmannschaft

Innere Stadt) Fragen von BZ (15. Juni) und Beantwortung von GK (21. Juni) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Telegramm) BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Korrespondenzkarte) GK an BZ (Kurzmitteilung)

Verzeichnis der Schriftstücke

7. September 1936 2. Oktober 1936 3. Oktober 1936 19. Oktober 1936 17. November 1936 Ohne Datum 7. Dezember 1936 29. Dezember 1936 20. Jänner 1937 20. Jänner 1937 27. Jänner 1937 29. Jänner 1937 3. Februar 1937 6. Februar 1937 8. Februar 1937

BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief und Entwurf)

8. Februar 1937 20. Februar 1937 Ohne Datum 24. Februar 1937 25. Februar 1937 25. Februar 1937

BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an die Finanzlandesdirektion (Schreiben) BZ an Marie Ley-Deutsch (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung) GK an Marie Ley-Deutsch (Schreiben und Entwurf eines

28. Februar 1937 6. März 1937 10. März 1937 11. März 1937 11. März 1937 12. März 1937 16. März 1937 20. März 1937 24. März 1937 5. Mai 1937 25. Mai 1937 26. Mai 1937 2. Juni 1937 3. Juni 1937 5. Juni 1937 8. Juni 1937 7. Juni 1937 12. Juni 1937 14. Juni 1937

335

28. September 1936 Fritz Z. an Dr. Ludwig Gallia (Entwurf)

BZ an GK (Brief) BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) BZ (Exposé zur Lage Österreichs im Verhältnis zu Frankreich) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Kurzmitteilung) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Kurzmitteilung) GK an die Bezirkshauptmannschaft Wien BZ an GK (Brief) GK an Dr. Schur (Schreiben) GK an BZ (Kurzmitteilung) BZ an das Finanzministerium vom 3. Februar, am 8. Februar

übergeben (Schreiben)

Schreibens an die Finanzlandesdirektion) GK an Marie Ley-Deutsch (Brief) und Entwurf einer Kurzmitteilung GK an BZ für Maria Ley-Deutsch BZ an Finanzlandesdirektion Entwurf eines Schreibens für Marie Ley-Deutsch an die Finanzlandesdirektion Finanzlandesdirektion an BZ (Schreiben) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief und Brief von Sofie Clémenceau an BZ vom 3. Mai 1937) BZ an GK (Flugpostbrief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) Auspitz, Lieben & Co an BZ (Schreiben) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief)

336

Verzeichnis der Schriftstücke

14. Juni 1937 16. Juni 1937 18. Juni 1937 23. Juni 1937 1. Juli 1937 6. Juli 1937 9. Juli 1937 18. Juli 1937 23. Juli 1937 Ohne Datum 3. August 1937 4. August 1937 6. August 1937 27. August 1937 28. August 1937 23. September 1937 30. September 1937 4. Oktober 1937 20. November 1937 22. November 1937 14. Jänner 1938 18. Jänner 1938

BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) 7. Juli 1937 BZ an Georg Marton (Kopie des Briefes) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Notiz) GK an BZ (Telegramm) BZ an GK (Telegramm) BZ an GK (Brief) GK an BZ (Brief) BZ an GK (Brief) Trude Zuckerkandl an BZ (Notiz einer telefonischen Mitteilung an die Rechtsanwaltskanzlei GK) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief) BZ an GK (Brief und „Exposé meiner Lage“) GK an BZ (Mitteilung) BZ an GK Auspitz, Lieben & Co. an GK

BIOGRAPHISCHER ANHANG

Paul Abel (1874 Wien – 1971 London)

Rechtsanwalt; ab 1912 Mitglied, ab 1924 Vizepräsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, Mitglied in zahlreichen in- und ausländischen juridischen Gesellschaften und Kommissionen; Experte für gewerblichen Rechtsschutz und Fragen des Urheberrechtes; 1938 Emigration nach London, wurde als Berater für internationales Recht tätig; ab 1947 Exekutivmitglied der österreichischen Delegation bei der internationalen Urheberrechtskonferenz in Brüssel.

Albrecht Habsburg-Altenburg, Erzherzog (1897 Weilburg/Niederösterreich – 1956 Buenos Aires)

Sohn von Erzherzog Friedrich und Erzherzogin Isabella von Croy-Dülmen aus dem Hause Arpad; in der zeitgenössischen Propaganda wurde daraus das Recht auf den ungarischen Thron abgeleitet; Mitglied des Oberhauses des ungarischen Parlamentes; stand extrem rechten Gruppen in Ungarn nahe, die u. a. enge Beziehungen zum Dritten Reich hatten.

Gustav Alexander (1873 – 1932 Wien)

Arzt; Assistent an der ersten Anatomischen Lehrkanzel bei Emil Zuckerkandl; 1903 Habilitation für Ohrenheilkunde, 1907 bis 1932 Leiter der Ohrenabteilung der Wiener Allgemeinen Poliklinik; zahlreiche Veröffentlichungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Ohrenheilkunde; Präsident der Israelitischen Taubstummenanstalt in Wien; April 1932 von einem Patienten erschossen.

Peter Altenberg (ursprünglich Richard Engländer) (1859 Wien – 1919 Wien)

Arzt, Schriftsteller, Feuilletonist und Aphoristiker.

Claude Anet (eigentlich Jean Schopfer) (1868 Morges – 1931 Paris)

Französischer Schriftsteller.

André-Paul Antoine (1892 Paris – 1982 Paris)

Französischer Regisseur und (Drehbuch)Autor.

Hannah Arendt (1906 Linden/Hannover – 1975 New York)

Deutsche Historikerin, Journalistin und Hochschullehrerin; emigrierte 1933, 1937 vom NS-Regime ausgebürgert; ab 1951 US-Staatsbürgerschaft.

Paul Armont (1874 Rostow am Don – 1943 Paris)

Französischer Schriftsteller.

Leopold Arzt (1883 Wien – 1955 Wien)

Arzt; 1926 Vorstand der dermatologischen Klinik Wien, 1927 bis 1930 und 1933/34 Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Wien, 1936/37 Rektor der Universität Wien; 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeskulturrates und des Bundestages; März 1938 Gestapohaft, September 1938 Entlassung aus dem Universitätsdienst, März 1940 rückwirkend in den dauernden Ruhestand versetzt.

Margot Asquith, Countess of Oxford and Asquith (geborene Emma Alice Margaret ­Tennant) (1864 Peeblesshire – 1945 London)

Britische Schriftstellerin.

338

Biographischer Anhang

André Atthalin (1875 Paris – 1956 Paris)

Franzöischer Bankier; 1922 bis 1936 Direktor der Banque de Paris et des Pays-Bas, 1937 bis 1940 Generaldirektor; sein Sohn war Patient im Sanatorium Purkersdorf.

Raoul Auernheimer (1876 Wien – 1948 Oakland/Kalifornien)

Jurist, Schriftsteller, Journalist und Übersetzer; Neffe von Theodor Herzl; 1906 bis 1933 Redakteur bei der „Neuen Freien Presse“, angesehener Feuilletonist und Theaterkritiker, 1923 bis 1927 Präsident des österreichischen P. E. N.-Clubs, danach Vizepräsident und 1933 bis 1935 interimistischer Leiter, Präsident des Gesamtverbandes schaffender Künstler; März 1938 verhaftet und im sog. Prominententransport im April 1938 ins Konzentrationslager Dachau deportiert, August 1938 freigelassen, November 1938 nach London abgemeldet, danach Emigration nach New York, aktiv in der österreichischen Exilbewegung. Vincent Auriol (1884 Revel, Haute Garonne – 1966 Paris)
Französischer Politiker; ab 1914 Abgeordneter; 1919 bis 1936 Sekretär der sozialistischen Kammerfraktion; Juni 1936 bis Juni 1937 Finanzminister; Juni 1937 bis Jänner 1938 Justizminister; stellte sich 1940 gegen das Vichy-Regime und wurde interniert; Mitglied der Résistance und 1943 Flucht nach London; 1943 und 1944 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung in Algier und dann in Paris; 1945/1946 Etatminister; 31.1. bis 27. 11. 1946 Präsident der konstituierenden Nationalversammlung und 3. 12. 1946 bis 20. 1. 1947 der Nationalversammlung; 1947 bis 1954 Staatspräsident.

Stephan Auspitz-Artenegg (1869 Wien – 1945 Wien)

Großindustrieller; Gesellschafter der Wiener Privatbank Auspitz, Lieben & Co., Präsident und Verwaltungsrat zahlreicher Aktiengesellschaften; 1931 musste die Bank die Zahlungen einstellen, bis 1939 als Liquidator der Bank im Handelsregister eingetragen; im KZ Dachau inhaftiert.

David Josef Bach (1874 Wien – 1947 London)

Musikschriftsteller und Kritiker; gründete 1906 in Wien die Arbeiter-Symphoniekonzerte, 1918 bis 1922 Mitherausgeber des „Merkers“, einer Zeitschrift für Musik und Theater, die 1909 bis 1922 erschienen ist.

Hermann Bahr (1863 Linz – 1934 München)

Schriftsteller; 1906/07 Regisseur bei Reinhardt in Berlin, 1912 bis 1918 in Salzburg, 1918/1919 Erster Dramaturg am Burgtheater in Wien, lebte von 1922 bis zu seinem Tod in München; er sah im Barock den Grundzug österreichischer Kunst und Wesensart. Ballet (unsichere Schreibweise, keine Informationen) Direktor der Usines metallurgiques de vallorbe SA. Mór Bányai (ursprünglich Maurus Bányai, bis 1896 Breuer) (1878 – 1949 Schottland)

Ungarischer Industrieller, Textiltechniker; Erfinder einer Teppichknüpfmaschine; Obmann der Vereinssynagoge „Tempelverein Hietzing“ in Wien 13, Eitelberggasse 22; Inhaber der „Banyai Ltd.“, 1947 englische Staatsbürgerschaft.

Robert Bárány (1876 Wien – 1936 Uppsala)

Arzt; 1909 habilitierte er sich für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und lehrte als Privatdozent an der Universität Wien, forschte über Physiologie und Pathologie des Vestibularapparates, mit denen er die Funktion des Bogengangapparates im Ohr als Teil des Gleichgewichtsorganes klären konnte. 1914 Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Jean-Louis Barthou (1862 Oloron-Sainte-Marie – 1934 Marseille ermordet)

Französischer Jurist, Schriftsteller und Politiker; ab 1889 Abgeordneter, ab 1894 mehrfach Minister, 1913 Ministerpräsident, 1922 bis 1926 Vorsitzender der Reparationskommission; 1934 strebte er als Außenminister ein Vertragssystem mit Staaten Osteuropas

Biographischer Anhang

339

an und bereitete einen französisch-sowjetischen Vertrag vor; durch Annäherung an England und Italien wollte er Deutschland diplomatisch isolieren. Bei dem Attentat 1934 auf den jugoslawischen König Alexander I. wurde er verletzt und starb.

Albert Bassermann (1867 Mannheim – 1952 Zürich)

Deutscher Schauspieler; 1895 bis 1904 und 1909 bis 1915 am Deutschen Theater und 1904 bis 1909 am Lessing Theater in Berlin (Zusammenarbeit mit Max Reinhardt); zahlreiche Stumm- und Tonfilme; 1934 folgt er seiner Ehefrau Else Schiff in die Emigration nach Österreich, Frankreich und in die USA, wo er weitere Erfolge hatte; ab 1946 trat er wieder am Wiener Volkstheater auf und pendelte zwischen Europa und den USA.

Richard Batka (1868 Prag – 1922 Wien)

Musikschriftsteller und Kritiker; 1909 bis 1912 gemeinsam mit Richard Specht Herausgeber des „Merker“, einer österreichischen Zeitschrift für Musik und Theater, 1908 bis 1919 Musikreferent beim „Wiener Fremdenblatt“; übersetzte literarische Texte aus dem Tschechischen, Polnischen, Italienischen und Französischen ins Deutsche.

Pierre Baudouin-Bugnet (1889 Bolandoz – 1956 Paris)

Französischer Rechtsanwalt und Politiker; 1928 bis 1940 Abgeordneter, 1937 gehörte er zu den Finanzinspektoren, die die Oberaufsicht über die Finanzen unter der Regierung Léon Blum erhielten und zum Sturz der Regierung beitrugen; 1940 stimmte er für Marschall Philipp Pétain.

Otto Bauer (1881 Wien – 1938 Paris)

Politiker (Sozialdemokratische Partei); Theoretiker des Austromarxismus; ab 1907 Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ sowie Mitherausgeber und Chefredakteur der neu gegründeten theoretischen Zeitschrift „Der Kampf “, 1907 bis 1914 Sekretär des sozialdemokratischen Parlamentsklubs, 1918 bis 1919 Staatssekretär für Äußeres, 1919 Vorsitzender der Sozialisierungskommission, 1919 bis 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat und stellvertretender Parteivorsitzender, 1934 bis 1938 Leiter des Auslandsbüros der österreichischen Sozialdemokraten in Brünn und Herausgeber der dort erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“, 1938 Übersiedlung nach Paris.

Carl Heinrich Becker (1876 Amsterdam – 1933 Berlin)

Deutscher Orientalist und Politiker; 1921 und 1925 bis 1930 parteiloser preußischer Kultusminister; Hochschulreformer.

Richard Beer-Hofmann (1866 Wien – 1945 New York)

Schriftsteller; 1939 emigrierte er in die Schweiz, danach in die USA.

Ludwig van Beethoven (1770 Bonn – 1827 Wien)

Komponist.

Hans Békessy (auch János Békessy; Hans Habe) (1911 Budapest – 1977 Locarno)

Ungarischer Journalist und Schriftsteller; ab 1929 Korrespondent für ungarische Zeitungen in Wien, 1930 Journalist der „Wiener Sonn- und Montagspost“, 1931 Chefredakteur der „Österreichischen Abendzeitung“; 1933 für einige Wochen beim „Österreichischen Abendblatt“ (Organ der Heimwehr) tätig, 1934 Korrespondent des „Neuen Wiener Journals“ in Genf, 1935 stellvertretender Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung „Wiener Morgen“ in Wien, 1935 bis 1939 für das „Prager Tagblatt“ tätig, u. a. als Korrespondent in Genf; 1938 wurde er ausgebürgert und seine Bücher verboten, 1940 Flucht aus Frankreich über Spanien und Portugal in die USA, ab 1942 in der US-Armee tätig; nach dem Krieg gründete er im Auftrag der amerikanischen Regierung mehrere Zeitungen in Deutschland; ab 1960 lebte er in der Schweiz.

340

Biographischer Anhang

Richard Berger (1885 Wien – unbekannt)

Rechtsanwalt; Gläubiger oder Vertreter eines Gläubigers von Fritz Zuckerkandl. Nachdem er sich im Oktober 1936 unbekannten Ziels aus Wien abgemeldet hatte, kehrte er 1937 und 1938 kurzfristig nach Wien zurück und meldete sich am 9. März 1938 nach Paris ab.

Egon Berger-Waldenegg (1880 Wien – 1960 Graz)

Beamter und Politiker; 1904 bis 1919 Außenministerium, 1929 Beitritt zur steirischen Heimwehr, 1931 Teilnahme am Pfrimerputsch, ab 1933 Landesführer des steirischen Heimatschutzes; zahlreiche politische Ämter, 1934 bis 1936 Außenminister; April 1936 bis März 1938 a. o. Gesandter und bev. Minister Österreichs in Rom; blieb in Italien und wurde italienischer Staatsbürger, 3. 9. 1939 bis 12. 2. 1940 Inhaftierung, danach in der Privatwirtschaft, 1944 Gründung eines „Österreichischen Büros“ in Rom; 1948 Rückkehr nach Österreich und erneut österreichischer Staatsbürger, lebte als Privatmann in der Steiermark.

Gaston Bergery (1892 Paris – 1974 Paris)

Französischer Jurist, Diplomat und Politiker; 1918 Attaché im Sekretariat der Friedenskonferenz, 1918 bis 1924 Sekretär der Reparationskommission, 1924/25 Kabinettsdirektor von Edouard Herriot, ab 1928 Abgeordneter, 1940 bis 1944 Diplomat in der Schweiz, Moskau und Ankara; 1945 Rückkehr nach Frankreich; als Spezialist für internationales Recht tätig. Wilhelm Berliner (1881 Wien  – 1936 Wien) Jurist und Versicherungsmathematiker; 1900 Eintritt in die „Phönix“ Lebensversicherungsgesellschaft als Beamter der Schadensabteilung, seit 1910 Herausgeber der „Österreichischen Zeitschrift für öffentliche und private Versicherung“, seit 1914 Direk­ tor­stell­vertreter der „Phönix“, ab 1920 Generaldirektor; 1919 Mitglied und Beirat der österreichischen Delegation in St. Germain; Verwaltungsrat der Vaterländischen Baugesellschaft AG Wien und diverser anderer Gesellschaften, Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank, Versicherungsbeirat im Bundeskanzleramt, Vorstand der „Kompaß“ Allgemeinen Kredit- und Garantiebank. Philippe Berthelot (1866 Sèvres – 1934 Paris)

Französischer Diplomat; 1920 Generalsekretär des französischen Außenministeriums; einflussreicher Berater der Außenminister Aristide Briand und Édouard Herriot, 1921 beurlaubt (wegen einer Bestechungsaffäre rund um die Banque Industrielle de Chine) und 1925 bis 1933 wieder Generalsekretär des Außenministeriums; trat für eine Annäherung an Deutschland ein.

Lucien Besnard (1872 Nonancourt – 1955)

Französischer Schriftsteller.

Prinzessin Marthe-Lucie Bibesco de Brancovan (geborene Martha-Lucia Lahovary) (1886 Bukarest – 1973 Paris)

Schriftstellerin (Pseudonym: Lucile Decaux); 1902 Heirat mit Prinz George III. Valentin Bibescu (Bibesco).

Prinz George III. Valentin Bibescu (Bibesco) (1880 Bukarest – 1941 Bukarest)

Rumänischer Flugpionier und Automobilist; 1901 Mitbegründer des Rumänischen Automobilklubs und 1914 des Rumänischen Olympischen Komitees; Mitbegründer der Fédération Aéronautique Internationale, 1927 bis 1930 deren Vizepräsident und 1930 bis 1941 Präsident.

Biographischer Anhang

341

Norbert Bischoff (1894 Wien – 1960 Schruns)

Diplomat; Oktober 1933 bis März 1938 Legationsrat in Paris; 1938 Entlassung, bis 1942 verschiedene Tätigkeiten in Frankreich, 1942 bis 1944 Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften in Wien; 1945 Wiederaufnahme in den Staatsdienst, u. a. 1946 Vertreter Österreichs in Paris, Dezember 1946 bis 1960 politischer Vertreter, ab 1953 a. o. Gesandter und bev. Minister Österreichs in Moskau.

Julius Bittner (1874 Wien – 1939 Wien)

Komponist; 1918 bis 1922 gab er zusammen mit David Josef Bach die Zeitschrift „Der Merker“ heraus. Bleyer (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Arzt in Wien. León Blum (1872 Paris – 1950 Jouy-en-Josas)

Französischer Jurist, Journalist und Politiker; Ministerpräsident (4. Juni 1936 bis 29. Juni 1937, 13. März bis 10. April 1938, 16. Dezember 1946 bis 16. Jänner 1947); führendes Mitglied der Résistance, er wurde von Pierre Laval nach dem Prozess von Riom (1942/1943) ausgeliefert und in das KZ Buchenwald deportiert. Ehefrau von León Blum (keine Informationen) Friedrich Bodo (1882 – 1954 Wien)

Beamter; ab 1902 im Staatsdienst, 1919/20 Karl Renner in seiner Funktion als Staatssekretär des Äußeren zugeteilt, ab 1926 Gesandtschaft Paris, 1937 Hofrat.

Georges Bonnet (1889 Bassilac – 1973 Paris)

Französischer Politiker; 1924 bis 1940 Abgeordneter, zahlreiche Regierungsämter, u. a. Handelsminister 1930 und 1935/36, Finanzminister 1933/34 und 1937/38, 1938/1939 Außenminister; befürwortete das Münchner Abkommen; unterstützte das Vichy-­Regime; April 1944 bis März 1950 in der Schweiz; 1955 bis 1965 Bürgermeister von Brantôme; 1956 bis 1968 erneut Abgeordneter.

Rudolf Borchardt (1877 Königsberg – 1945 Trins/Tirol)

Deutscher Schriftsteller; ab 1892 in Berlin, studierte Theologie, klassische Philologie, Archäologie, Germanistik und Ägyptologie; ab 1903 lebte er in der Toskana.

Émile Borel (1871 Saint-Affrique – 1956 Paris)

Französischer Mathematiker und Politiker; 1910 bis 1920 Direktor der École Normale Superieure, 1926 Gründungsdirektor des Institut Henri Poincaré, 1934 Wahl zum Präsidenten der Académie des Sciences; Bürgermeister von Saint-Affrique, 1924 bis 1936 Abgeordneter, 1925 in zwei Kabinetten unter Paul Painlevé kurzzeitig Marineminister, 1930/1931 Landwirtschaftsminister; nach einer kurzen Haftzeit unter dem Vichy-Regime arbeitete er in der Résistance.

Prinz Elie de Bourbon-Parma (1880 Biarritz – 1959 Friedberg)

Titularherzog von Parma und Piacenza, Prinz von Bourbon und Oberhaupt des Hauses Bourbon-Parma. BZ wirkte als Lobbyistin für ihn.

Claude Bourdet (1909 Paris – 1996 Paris)

Französischer Journalist, Schriftsteller und Politiker; Bekannter von GK; in der Résistance aktiv, Dezember 1941 Mitbegründer der Untergrundzeitschrift „Combat“, 1944 von der Gestapo verhaftet und in mehreren KZ inhaftiert; 1950 Mitbegründer und bis 1963 Mitarbeiter von „L’Observateur“, April 1960 Mitbegründer der Parti socialiste unifié.

Jean Bourguignon (1876 Charleville-Mézières – 1953 Malmaison)

Französischer Historiker und Politiker; 1907 bis 1917 Chefredakteur der Zeitung „Le Démocrate savoisien“, Privatsekretär des Gelehrten und Politikers Théodore Reinach, Kabinettschef und später Privatsekretär von Paul Painlevé, 1917 bis 1946 Konservator

342

Biographischer Anhang

des Nationalmuseums von Malmaison, ab 1949 Mitglied der französischen Akademie der Bildenden Künste.

Jacques Bousquet (1883 Paris – 1939 Paris)

Französischer Schriftsteller und Schauspieler.

Viktor Brauneis (1876 Wien – 1938 Wien)

Beamter und Finanzexperte, 1901 bis 1921 im Finanzministerium, 1919 Teilnahme an den Friedensverhandlungen von St. Germain, 1920 bis 1922 Direktor des Österreichischen Kreditinstitutes für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten, Ende 1922 bis 1938 Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank.

Hugo Breitner (1873 Wien – 1946 Clairemont/USA)

Politiker (Sozialdemokratische Partei); ab 1894 Beamter der Länderbank, 1917 bis 1918 Direktor; 1918/19 Mitglied des Provisorischen Wiener Gemeinderates, 1920 bis 1932 Wiener Finanzstadtrat, 1920 bis 1927 Mitglied des Bundesrates, 1934 inhaftiert, danach Emigration über Italien in die USA, Universitätslektor in Clairemont.

Viktor Hans Breth (1905 Linz – unbekannt)

Arzt; Kaufinteressent für das Sanatorium Purkersdorf; Dezember 1938 nach Amerika abgemeldet.

Aristide Briand (1862 St. Nazaire bei Nantes – 1932 Paris)

Französischer Politiker; ab 1902 sozialistischer Abgeordneter im Parlament, 1906 bis 1908 Unterrichts- und Kultusminister, 1908, 1912 und 1914 bis 1915 Justizminister, 1909 bis 1911 und 1913 Ministerpräsident, 1915 bis 1917, 1921 bis 1922 und 1925 bis 1926 Ministerpräsident und gleichzeitig Außenminister, bis 1932 Außenminister, 1929 erneut Ministerpräsident; 1926 Friedensnobelpreis gemeinsam mit dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann.

Bernhard Wilhelm von Bülow (1885 Potsdam – 1936 Berlin)

Deutscher Diplomat; 1911 Eintritt in den diplomatischen Dienst, Delegierter bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und Versailles, ab 1923 Leiter des Völkerbundreferates im Auswärtigen Amt, 1930 bis 1936 Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten.

Max Burckhard (1854 Korneuburg – 1912 Wien)

Jurist, Schriftsteller und Theaterkritiker; 1890 bis 1898 Direktor des Burgtheaters; bis 1900 Hofrat am Verwaltungsgerichtshof.

Karl Buresch (1878 Groß-Enzersdorf/NÖ – 1936 Wien/Selbstmord)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); 1916 bis 1919 Bürgermeister von Groß-Enzersdorf, 1919/20 Abgeordneter zur Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 1922 bis 1931 und 1932 bis 1933 Landeshauptmann von Niederösterreich, 1931/32 Bundeskanzler, 1933 bis 1935 Finanzminister, ab Jänner 1936 Gouverneur der Postsparkasse.

Sara Cahier (Künstlername Madame Charles Cahier, geborene Sara Jane Layton Walker) (1870 Nashville/Tennessee – 1951 Manhattan Beach/Kalifornien)

US -amerikanische Opern- und Liedsängerin; kam 1907 unter Gustav Mahler an die

Hofoper nach Wien; ihre Karriere führte sie durch viele Länder Europas und an die Metropolitan Opera nach New York; lebte in den Jahren vor 1938 in Wien und Salzburg.

Joseph Caillaux (1863 Le Mans – 1944 Mamers)

Französischer Politiker; ab 1898 Abgeordneter; ab 1899 siebenmal Finanzminister (1899/­ 1902; 1906/09; 1911; 1913/14; 1925; 1926; 1935); 27. 6. 1911 bis 14. 1. 1912 Ministerpräsident und Innenminister; trat im Ersten Weltkrieg für Frieden mit Deutschland ein, 1920 wegen „Korrespondenz mit dem Feind“ zu drei Jahren Haft verurteilt, 1925 amnestiert, 1925 bis 1940 Mitglied des Senats, als Vorsitzender des Finanzausschusses nahm

Biographischer Anhang

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er großen Einfluss auf die französische Haushaltspolitik; 1937 am Sturz der Regierung Léon Blum beteiligt; unterstützte 1938/39 die Verhandlungsversuche mit Deutschland.

Jules Cambon (1845 Paris – 1935 Vevey)

Französischer Diplomat; ab 1891 Generalgouverneur von Algerien; 1897 Botschafter in Washington, ab 1902 in Madrid, ab 1907 in Berlin, ab 1914 Generalsekretär für die auswärtigen Angelegenheiten; ab 1918 Mitglied der Académie française; 1920 Direktor der Compagnie Radio Franc; in den 1920er-Jahren Präsident des Verwaltungsrates der Länderbank, 1930 bis 1931 Verwaltungsratspräsident der Banque de Paris et des Pays-Bas (Paribas). Carrus (keine Informationen) Lehrer von Emile Zuckerkandl in Paris. Charles de Chambrun (1873 Washington – 1952 Paris)

Französischer Diplomat und Schriftsteller; ab 1914 im diplomatischen Dienst, u. a. in St. Petersburg, Athen und Wien; 1928 bis 1933 französischer Vertreter in Ankara; 1933 bis 1935 Botschafter in Rom; 1946 in die Académie française gewählt.

Josef Chapiro (1893 Kiew – 1962 New York)

Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer; Mitarbeiter von Max Reinhardt; führte in seiner Berliner Wohnung einen literarischen Salon; bedeutend sein Briefwechsel mit Gerhard Hauptmann; 1931 Emigration nach Spanien, Frankreich und ab 1941 in den USA.

Jean-Martin Charcot (1825 Paris – 1893 Montsauche-les-Settons)

Französischer Pathologe und Neurologe; Begründer der modernen Neurologie.

Chequet/Choquet (unsichere Schreibweise/keine Information)

Direktor der Kreditanstalt

Chocarnes, Familie (unsichere Schreibweise/keine Informationen)

Bekannte von BZ, befreundet mit Émile Labeyrie.

Bertrand Clauzel (1875 Paris – 1951 Paris)

Französischer Jurist und Diplomat; u. a. 1919 bis 1928 Leiter der französischen Völkerbunddelegation, 1928 bis 1933 Gesandter in Wien, ab 1933 Botschafter in Bern, Herbst 1936 Versetzung in den Ruhestand.

Georges Clémenceau (1841 Mouilleron-en-Pareds/Vendée – 1929 Paris)

Französischer Politiker; Bruder von Paul Clémenceau, dem Schwager von BZ; war zunächst Arzt, 1870 Bürgermeister von Paris-Montmartre; ab 1871 Mitglied der Nationalversammlung, ab 1906 mehrmals Minister, 1906 bis 1909 und 1917 bis 1920 Ministerpräsident.

Paul Clémenceau (1857 Nantes – 1946 Paris)

Französischer Industrieller; Schwager von BZ; Direktor der Dynamit Nobel AG in Paris.

Sofie/Sophie Clémenceau (geborene Szeps) (1862 Wien – 1937 Paris)

Salonière in Paris; Schwester von BZ, Ehefrau von Paul Clémenceau.

Colette (ursprünglich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette) (1873 Saint-Sauveur-en-Puisaye – 1954 Paris)

Französische Schriftstellerin, Varieté-Künstlerin und Journalistin.

Pierre Comert (1880 Montpellier – 1964 Paris)

Französischer Journalist und Diplomat; 1919 an den Vorbereitungsgesprächen für die Gründung des Völkerbundes in London beteiligt; Aufbau der Informationsabteilung des Völkerbundes und bis Ende 1932 deren Leiter; Jänner 1933 Leiter der Presseabteilung des französischen Außenministeriums, wegen seiner starken Opposition gegen das Münchner Abkommen vom September 1938 verliert er seine Position; verließ im Juni 1940 Frankreich, gründete 1940 in London die gaullistische Zeitung „La France“

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Biographischer Anhang

(erschien bis Juni 1948); 1949 Übernahme der Leitung der internationalen Berichterstattung bei der französischen Wochenillustrierten „Paris Match“; ab 1960 im Ruhestand.

René Coty (1882 Le Havre – 1962 Le Havre)

Französischer Politiker; 1923 bis 1940 Abgeordneter, bekleidete zeitweise Staatssekretärsposten in verschiedenen Regierungen und gehörte dem Generalrat seines Heimatdepartements an; nach der militärischen Niederlage gegen das Deutsche Reich votierte er für das Ermächtigungsgesetz, auf dessen Grundlage das Vichy-Regime errichtet wurde; schloss sich der Résistance an; 1946 in die Konstituierende Nationalversammlung gewählt, 1947 bis 1948 Minister für Wiederaufbau und Stadtentwicklung, 1951 bis 1959 Staatspräsident, danach Mitglied des Verfassungsrats.

Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894 Tokio – 1972 Schruns)

Schriftsteller, Politiker; 1923 erschien sein programmatisches Buch „Pan-Europa“; 1924 gründete er die Paneuropa-Union, die 1938 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Er flüchtete 1938 mit seiner Frau, die Jüdin war, zunächst nach Ungarn. 1939 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft. 1942 bis 1946 lehrte er an der New Yorker Universität Geschichte. Auch nach 1945 setzte er zahlreiche Aktivitäten für ein geeintes Europa.

Robert Coulandre (1885 Nîmes – 1959 Paris)

Französischer Jurist und Diplomat; 1909 Eintritt in den konsularischen Dienst, 1919 Eintritt in den diplomatischen Dienst, 1929 bis 1932 Mitglied verschiedener Delegationen bei internationalen Währungs- und Schuldenkonferenzen, 1933 bis 1936 Vizedirektor der Politischen Abteilung des französischen Außenministeriums, 1938 Botschafter in Moskau, dann in Berlin und Mai bis Oktober 1940 in Bern, 1941 vom Vichy-Regime aus dem Dienst entlassen. Francois Crucy Pseudonym von Maurice François Marie Rousselot. Franz Theodor Csokor (1885 Wien – 1969 Wien)

Schriftsteller; 1922 bis 1928 Dramaturg am Raimundtheater und am Deutschen Volkstheater in Wien, 1933 Mitunterzeichner einer Stellungnahme gegen NS-Deutschland beim P. E. N.-Kongress in Dubrovnik; 1938 bis 1946 lebte er in der Emigration in Polen, Rumänien, Jugoslawien und Italien; aktiv in der österreichischen Befreiungsbewegung, ab 1944 arbeitete er für die BBC; 1946 Rückkehr nach Wien, 1947 bis 1969 Präsident des Österreichischen P. E. N.-Clubs, ab 1967 Vizepräsident des Internationalen P. E. N.-Clubs.

Julius Curtius (1877 Duisburg – 1948 Heidelberg)

Deutscher Politiker und Rechtsanwalt; 1899 bis 1905 im preußischen Justizdienst, 1900 bis 1901 Studienaufenthalt in Paris, gründete 1919 in Heidelberg eine Ortsgruppe der Deutschen Volkspartei, Heidelberger Stadtrat 1919 bis 1921, befürwortete im März 1920 den Kapp-Putsch. 1920 bis 1930 im Reichstag; 1926 Reichswirtschaftsminister, 1929 Außenminister, 1932 bis 1936 in Berlin als Vermögensverwalter und danach wieder als Rechtsanwalt bis 1943 tätig.

Otto Czernin (1875 Dimokur/Böhmen – 1962 Salzburg)

Diplomat; 1919 aus dem Staatsdienst ausgeschieden, Vertreter der Interessen der adeligen deutschsprachigen Landbesitzer in der Tschechoslowakei; in den 1930er-Jahren sympathisierte er mit der NSDAP, u. a. veröffentlichte er im Dezember 1933 als Gesandter in Ruhe einen antisemitischen Beitrag in der Hetzzeitschrift „Der Stürmer“; nach dem Zweiten Weltkrieg näherte er sich der Paneuropabewegung von Otto Habsburg an.

Édouard Daladier (1884 Carpentras – 1970 Paris)

Französischer Politiker; zahlreiche Regierungsämter, u. a. Kriegsminister und Bildungsminister; Jänner bis Oktober 1933, Jänner bis Februar 1934 und April bis März 1940 Mi-

Biographischer Anhang

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nisterpräsident; Jänner bis Februar 1934, September 1939 bis März 1940 und Mai bis Juni 1940 Außenminister; 1943 in Deutschland interniert.

Yvon Delbos (1885 Thonac – 1956 Paris)

Französischer Journalist und Politiker; 1919 Gründer der radikalsozialistischen Zeitung „Ère nouvelle“ (bis 1940 erschienen); 1924 bis 1940 Abgeordneter; zahlreiche Regierungsämter, u. a. 1936 Justizminister und Vizepräsident, 1936 bis 1938 Außenminister; Jänner bis November 1947 Etatminister; 1948 bis 1950 Bildungsminister.

Felix Deutsch (1858 Breslau – 1928 Berlin)

Deutscher Industrieller; Mitbegründer der AEG.

Frank Gerhart Deutsch (1899 Berlin – 1934 Ivry-en-Montagne)

AEG-Erbe; Sohn von Felix Deutsch, verheiratet mit Maria Ley 1928 bis 1934.

Maria Deutsch (auch Ley-Deutsch; Ley-Piscator; geborene Friederike Flora Czada) (1898 Wien – 1999 New York)

Tänzerin, Choreografin und Lehrtätigkeit für Tanz; Maria Ley wurde in Wien zur Tänzerin ausgebildet, trat in den 1920er-Jahren in Wien, Paris, Berlin und den USA auf; 1934 Dissertation über Victor Hugo an der Pariser Sorbonne; sie war auch schriftstellerisch tätig; ab 1928 mit Frank Gerhart Deutsch (1899 – 1934); ab 1937 Ehefrau des deutschen Regisseurs Erwin Piscator; 1938 emigrierte sie in die USA. Max Deutsch (Irrtum von BZ ) siehe Frank Gerhart Deutsch Robert Deutsch (keine Informationen) Bediensteter von GK. Jacques Deval (ursprünglich Boularan) (1895 Paris – 1972 Paris)

Französischer Schriftsteller; Film- und Theaterregisseur, Autor zahlreicher Theaterstücke (bekanntestes Stück: „Towarisch“, 1933).

Gilbert Devaux (1906 Neuilly sur Seine – 1981 Neuilly sur Seine)

Französischer Beamter in der Finanzverwaltung; 1929 bis 1930 Sekretär des Finanzattachés in London; 1934 bis 1935 in der Verbindungsmission zum Finanzausschuss des Senats unter dem Vorsitz von Joseph Caillaux.

Josef Dobretsberger (1903 Linz – 1970 Wien)

Jurist und Politiker; 1925 bis 1929 Assistent bei Professor Dr. Hans Kelsen, 1929 Generalsekretär des österreichischen Reichsbauernbundes, ab 1930 Universitätsprofessor für Nationalökonomie, Sozialpolitik und Finanzwissenschaften in Graz, 17. 10. 1935 bis 14. 5. 1936 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1936/1937 Dekan der juridischen Fakultät der Universität Graz, 1937/1938 Rektor, März 1938 Enthebung seines Amtes, im selben Jahr Universitätsprofessor in Istanbul, 1942 bis 1946 in Kairo, ab 1946 wieder in Graz; Dezember 1946 Mitbegründer der Demokratischen Union und 1948 bis 1957 Bundesobmann, Vizepräsident der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft, Leiter des Büros für den Ost-West-Handel, 1963 Gründung der Zeitschrift „Der Österreichische Standpunkt“.

Engelbert Dollfuß (1892 Texing – 1934 Wien/ermordet)

Politiker (Christlichsoziale Partei); ab 1927 Kammeramtsdirektor der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, ab 1930 Präsident der Österreichischen Bundesbahnverwaltungskommission, 1931 bis 1932 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, 20. 5. 1932 bis 25. 7. 1934 Bundeskanzler, parallel dazu hatte er verschiedene Ministerfunktionen inne, am 25. Juli 1934 wurde er von nationalsozialistischen Putschisten ermordet.

Angelo Donati (1885 Modena – 1960 Paris)

Italienischer Bankier; ab 1919 in Paris; 1925 bis 1932 Generalkonsul der Republik San Marino in Paris; 1932 bis 1939 Präsident der Italienischen Handelskammer in Paris; 1940

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Biographischer Anhang

leitete er die Franco-Italienische Bank in Nizza; engagierte sich für die jüdische Bevölkerung in Nizza; ab Oktober 1943 in der Schweiz; 1945 Delegierter des Roten Kreuzes in Frankreich und Geschäftsträger der Republik San Marino in Paris. Madame d’Orgeval (keine Informationen) Französische Patientin im Sanatorium Purkersdorf. Paul Doumer (1857 Aurillac – 1932 Paris/ermordet)

Französischer Politiker und Journalist; ab 1888 Abgeordneter; 1897 bis 1902 Generalgouverneur von Indochina; zahlreiche Regierungsämter, u. a. 1927 bis 1931 Präsident des Senats, 1921/22, 1925/26 Finanzminister, 1931/32 Staatspräsident; am 6. 5. 1932 von einem russischen Emigranten niedergeschossen und am Folgetag verstorben.

Ludwig Draxler (1896 Wien – 1972 Wien)

Rechtsanwalt, Politiker (Christlichsoziale Partei); 1928 Beitritt zur Heimwehr, 1934 bis 1938 Mitglied des Staatsrates und des Bundestages, 1935/36 Finanzminister; ab 1934 Vizepräsident des Österreichischen Credit-Instituts für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten, Aufsichtsratsvorsitzender der Hirtenberger Patronen-, Zündhütchenund Metallwarenfabrik, Vizepräsident der Österreichischen Radioverkehrs AG, Verwaltungsrat der Österreichischen Credit-Anstalt-Wiener Bankverein; April 1938 bis August 1939 im KZ Dachau interniert.

Alfred Dreyfus (1859 Mühlhausen – 1935 Paris)

Französischer Offizier; 1894 wegen Landesverrats angeklagt, die ungerechtfertigte Verurteilung des Elsässer Juden löst eine internationale Bewegung für ihn aus; 1906 wurde er freigesprochen und rehabilitiert.

Konstantin Theodor Dumba (1856 Wien – 1947 Bodensdorf)

Diplomat; 1879 Eintritt in den diplomatischen Dienst, u. a. in London, St. Petersburg, Rom und Bukarest, ab 1895 in Paris, 1903 bis 1905 a. o. Gesandter und bev. Minister in Belgrad, 4. 3. 1913 bis 4. 11. 1915 letzter Botschafter Österreich-Ungarns in den USA; Ende 1915 zusammen mit deutschen Diplomaten unter dem Verdacht der Spionage und Sabotage des Landes verwiesen („Dumba-Affäre“); nach seiner Pensionierung ab 1917 Präsident der österreichischen Völkerbundliga.

Ethel du Pont (1916 Wilmington/Delaware – 1965 Grosse Pointe Farms/Michigan)

Du-Pont-Erbin; 1937 bis 1949 verheiratet mit Franklin D. Roosevelt Jr.

Tilla Durieux (ursprünglich Ottilie Godeffroy) (1880 Wien – 1971 Berlin)

Schauspielerin; 1903 bis 1911 am Deutschen Theater in Berlin, ab 1907 las sie bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges klassische Texte der Weltliteratur bei Arbeiter-Matinees und Versammlungen, 1911 bis 1914 am Berliner Lessingtheater und anderen deutschen Bühnen; unterstützte Ernst Toller während der Münchner Räterepublik; finanzierte die Piscator-Bühne. 1933 verließ sie mit ihrem jüdischen Ehemann Deutschland; spielte am Theater in der Josefstadt, 1935 in Prag, während des Zweiten Weltkrieges lebte sie in Zagreb, 1952 kehrte sie nach Deutschland zurück.

Johann Peter Eckermann (1792 Winsen an der Luhe – 1854 Weimar)

Deutscher Schriftsteller und Vertrauter Goethes.

Adolf Edelmann (1885 Działoszyce – 1939)

Arzt; Direktor und Primar des S. Canning Childs-Spitals; am 30. Mai 1939 wurde er nach Warschau abgemeldet.

Anthony Eden, Sir Robert (1897 Windlestone Hall/Durham – 1977 Salisbury/Wiltshire)

Britischer Politiker; 1923 bis 1957 Mitglied des britischen Unterhauses, 1931 bis 1933 Unterstaatssekretär im Außenministerium, 1934 bis 1935 Lordsiegelbewahrer, 1935 bis 1938 Außenminister, 1939 bis 1940 Kolonialminister, 1940 Kriegsminister, 1940 bis 1945

Biographischer Anhang

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und 1951 bis 1955 Außenminister, 1955 bis 1957 Premierminister, 1954 Verleihung des Titels Sir, 1961 geadelt: Earl of Avon.

Eduard VIII., (1894 London – 1972 Paris)

1910 bis 1936 Prince of Wales, vom Jänner 1936 bis zu seiner Abdankung im Dezember 1936 König von England, ab Dezember 1936 Duke of Windsor.

Lothar Egger-Möllwald (1875 Wien – 1941 Rom)

Diplomat; u. a. 1923 bis 1933 a. o. Gesandter und bev. Minister in Rom, Oktober 1933 bis Dezember 1934 Gesandter in Paris, 1936 Versetzung in den Ruhestand.

Albert Einstein (1879 Ulm – 1955 Princeton/New Jersey)

Deutscher Physiker; ab 1909 Professor für Theoretische Physik in Zürich, ab 1914 in Berlin; 1921 Nobelpreisträger für Physik; Dezember 1932 Emigration aus Deutschland in die USA. Elliot/Elliat Clemens (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Vertreter der Deutschen Bank in Paris. Otto Ender (1875 Altach/Vorarlberg – 1969 Bregenz)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); zahlreiche Regierungsämter, u. a. 1918 bis1930 und 1931 bis 1934 Landeshauptmann von Vorarlberg, 1920 bis 1934 Mitglied des Bundesrates, 4. 12. 1930 bis 20. 6. 1931 Bundeskanzler, 15.4. bis 16. 6. 1931 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1933/34 Bundesminister für Verfassungs- und Verwaltungsreform, 1934 bis 1938 Präsident des Österreichischen Rechnungshofes, 1938 enthoben, bis September 1938 Inhaftierung, dann von den Nationalsozialisten mit Gauverbot belegt.

Johann Eppinger (1879 Prag – 1946 Wien/Selbstmord)

Arzt; ab 1933 Vorstand der 1. Medizinischen Universitätsklinik für spezielle medizinische Pathologie und Therapie in Wien, Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Leberpathologie, Pathologie des menschlichen Kreislaufes und der Atmung; 1944 Mitarbeit bei der Planung und Durchführung von Experimenten an Menschen; 6. 6. 1945 Entlassung aus dem Staatsdienst wegen illegaler Parteimitgliedschaft bei der NSDAP, 1945 Vertrauensarzt des russischen Oberkommandos in Österreich, 25. 9. 1946 Selbstmord im Zuge der bevorstehenden Befragung durch den Nürnberger Gerichtshof über die Durchführung von Experimenten an Menschen. Ersteins – (keine Informationen) Französische Patienten im Sanatorium Purkersdorf. Adolf Exner (1841 Prag – 1894 Kufstein)

Jurist; habilitierte sich 1866 für Römisches Recht, ab 1868 Professor an der Universität Zürich, ab 1872 in Wien; Lehrer von Kronprinz Rudolf; ab 1892 Mitglied des Herrenhauses, ab 1894 Mitglied des Reichsgerichts.

Hans Feist (1887 Berlin – 1952 Berlin)

Deutscher Arzt, Schriftsteller und Übersetzer; lebte in Berlin und München; 1939 Emigration in die Schweiz; 1945 Rückkehr nach Berlin; zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Italienischen. Feix (keine Verifizierung/keine Informationen) Geschäftspartner von GK. Jeanne Feizlmayr (Schreibweise bei BZ variiert: Feitzelmayr/Feitzlmayer) (keine Informationen) Freundin und Vertraute von BZ. Hans (Johann) Feizlmayr (keine Informationen) Major, Ehemann von Jeanne Feizlmayr.

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Jules Ferry (1832 Saint-Dié-des-Vosges – 1893 Paris/ermordet)

Französischer Jurist und Politiker; ab 1869 Abgeordneter, 1880 bis 1885 Ministerpräsident (mit Unterbrechung 1881/1882), betrieb eine expansive Kolonialpolitik, sein Gegenspieler war George Clémenceau.

Emil Fey (1886 Wien – 1938 Wien/Selbstmord)

Offizier und Politiker; Herausgeber der „Österreichischen Wehrzeitung“, Direktor des Militärcasinos, seit 1926 Präsident des Wiener Kameradschafts- und Kriegerbundes, 1927 Gründung der Wiener Heimwehr, 17. 10. 1932 bis 10. 5. 1933 Staatssekretär für die öffentliche Sicherheit, 10.5. bis 21. 9. 1933 und 1. 5. 1934 bis 17. 10. 1935 Bundesminister für die öffentliche Sicherheit, 21. 9. 1933 bis 1. 5. 1934 Vizekanzler, 30. 7. 1934 bis 17. 10. 1935 Bundesminister für Inneres, zugleich Generalstaatskommissär für außerordentliche Maßnahmen zur Bekämpfung staats- und regierungsfeindlicher Bestrebungen in der Privatwirtschaft, ab 1935 Präsident der DDSG; Oktober 1936 Ausschluss aus der Heimwehr.

Horace Finaly (1891 Budapest – 1945 New York)

Französischer Bankier; 1919 bis 1937 Generaldirektor der Banque de Paris et des PaysBas (Paribas); verließ Frankreich im August 1940 und ging nach New York.

Pierre Étienne Flandin (1889 Paris – 1958 Saint-Jean-Cap-Ferrat/Nizza)

Französischer Politiker; zahlreiche Regierungsämter, u. a. 1931/32 Unterstaatssekretär für Finanzen, 1934/35 Ministerpräsident, 13. 12. 1940 bis 25. 2. 1941 Minister für Äußeres in der Vichy-Regierung, 1946 Verurteilung wegen Kollaboration, 1948 Rehabilitierung. Ch. Flissinger (keine Informationen) Französischer Mediziner, Professor. Ernest H. Ford (keine Informationen) Britischer Geschäftsmann; Bekannter von GK. Anatole France (1844 Paris – 1924 Saint-Cyr-sur-Loire)

Französischer Schriftsteller; 1921 Literaturnobelpreis.

Georg Franckenstein (1878 Dresden – 1953 Frankfurt am Main)

Diplomat; 1902 Eintritt in den auswärtigen Dienst, u. a. in Washington, Petersburg, Rom, Tokio und London, 1919 Regierungsvertreter bei den Friedensverhandlungen in St. Germain, 1920 bis1938 a. o. Gesandter und bev. Minister in London, ab 13. 7. 1938 britischer Staatsbürger.

Francisco Franco (1892 Ferrol/Spanien – 1975 Madrid)

Spanischer General und Diktator.

André François-Poncet (1887 Provins/Seine-et-Marne – 1978 Paris)

Französischer Politiker, Diplomat und Germanist; ab 1917 im diplomatischen Dienst, 1931 bis 1938 französischer Botschafter in Berlin; vertrat eine ambivalente Deutschlandpolitik zwischen Verständigung und Konfrontation; 1938 bis 1940 Botschafter in Rom; Berater des Vichy-Regimes; 1943 verhaftet, auf Schloss Itter in Nordtirol bis 1945 interniert; 1949 bis 1955 Hoher Kommissar Frankreichs in Deutschland; Mai bis September 1955 Botschafter in Bonn; 1955 bis 1967 Präsident des Französischen Roten Kreuzes.

Franz Josef I. (1830 Wien – 1916 Wien)

Kaiser von Österreich 1848 bis 1867; ab 21. 12. 1867 Kaiser und König von Österreich-­ Ungarn.

Sigmund Freud (1856 Freiberg/Mähren – 1939 London)

Arzt; Begründer der Psychoanalyse; studierte an der Universität Wien Medizin, 1876 bis 1882 am Wiener Physiologischen Institut tätig, ab 1885 Privatdozent für Neuropathologie, 1885/1886 in Paris und 1889 in Nancy Studien zu Neurosen, Hysterien, Sug-

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gestionen und Hypnose, 1930 erhielt er den Goethe-Preis, 1936 Foreign Member der British Royal Society, 1938 Emigration nach London.

Ernst Freund (1857 Gleiwitz/Schlesien – 1928 Berlin)

Mitinhaber des Sanatoriums Purkersdorf; Bruder von Paula Zuckerkandl (Ehefrau von Victor Zuckerkandl).

Richard Freund (1859 Gleiwitz/Schlesien – 1941 Berlin)

Beamter; Mitinhaber des Sanatoriums Purkersdorf; Bruder von Paula Zuckerkandl (Ehefrau von Victor Zuckerkandl).

Alfred H. Fried (1864 Wien – 1921 Wien)

Pazifist und Schriftsteller; 1911 Friedensnobelpreis, gemeinsam mit Tobias Asser.

Oscar Fried (1871 Berlin – 1941 Moskau)

Deutscher Dirigent und Komponist; dirigierte Erstaufführungen von Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Jean Sibelius; 1921 wurde er als erster ausländischer Künstler von Lenin in die UdSSR eingeladen, 1925 übernahm er die Leitung des neu gegründeten Berliner Symphonie-Orchesters, Tourneen durch Europa und in die USA; 1934 musste er emigrieren; Kapellmeister und Dirigent in Tiflis und Moskau. Egon Friedell (bis 1916 Friedmann) (1878 Wien – 1938 Wien/Selbstmord) Schriftsteller und Kulturhistoriker; 1908 bis 1910 künstlerischer Leiter des Kabaretts „Fledermaus“, 1919 bis 1922 Theaterkritiker, 1922 bis 1927 Schauspieler an den Reinhardt-Bühnen in Berlin und Wien; 1922 begann er sein Lebenswerk, eine Kulturgeschichte der Neuzeit, zu schreiben, ab 1927 freier Schriftsteller, Essayist und Übersetzer. Josef Karl Friedjung (1871 Nedwieditz/Mähren – 1946 Haifa)

Arzt und Politiker (Sozialdemokratische Partei); ab 1905 enge Kontakte zu Sigmund Freud; 1909 trat er der Psychoanalytischen Vereinigung bei; 1920 habilitierte er sich in Kinderheilkunde; 1925 bis 1934 Leiter des Kinderambulatoriums der Arbeiterversicherung; 1922 bis 1934 war er Mitglied des Wiener Gemeinderates; begründete 1921 die Wiener Sozialdemokratische Ärztevereinigung und 1927 den späteren Arbeiter-Samariter-Bund; 1934 in Wöllersdorf inhaftiert. 1938 emigrierte er nach Israel.

Rosa Friedler siehe Rosa Hallemann

Bedienstete von GK.

Desider Friedmann (1880 Boskovice – 1944 KZ Auschwitz/ermordet)

Rechtsanwalt; ab 1898 in der zionistischen Bewegung, ab 1932 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien; 1934 bis 1938 Mitglied des Staatsrats; 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, 1944 im KZ Ausschwitz ermordet.

Martin Fuchs (1903 Wien – 1969 Wien)

Jurist, Journalist und Diplomat; 1927 bis 1936 bei der Amtlichen Nachrichtenstelle in Paris, 1936/37 im Bundespressedienst im Bundeskanzleramt, 1937 bis 1938 Presseattaché in Paris; 1938 Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft und bis 1940 Mitorganisator der Exilzeitschrift „Österreichische Post“ und des „Österreichischen Freiheitssenders“, anschließend Emigration in die USA, Mitarbeiter des „Office of War Information“ des CIC und 1944 bis 1947 Mitarbeiter und Programmgestalter der Österreich-Abteilung des Senders „Voice of America“; 1948 bis 1952 Legationsrat beim Generalkonsulat in New York, 1953 bis 1958 österreichischer Botschafter in Belgien, 1958 bis 1962 Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten, 1962 bis 1969 Botschafter in Frankreich.

Friedrich Funder (1872 Graz – 1959 Wien)

Journalist und Politiker; 1905 bis 1938 Herausgeber der christlichsozialen Tageszeitung „Reichspost“, 1935 bis 1938 Mitglied des Staatsrates, 13. 3. 1938 verhaftet und bis 11. 11. 1939

350

Biographischer Anhang

im KZ Dachau, später in Flossenbürg inhaftiert; 1945 Gründer und bis 1959 Herausgeber der katholischen Wochenzeitung „Die Furche“. Fürst Dr., Herbert (keine Informationen) Rechtsanwalt von Amalia Redlich, Experte für Autorenrecht. Ludwig Gallia (1878 Kremsier/Mähren – 1939 Wien/Selbstmord)

Rechtsanwalt; am 29. 12. 1938 als jüdischer Konsulent in der Ostmark bis 31. 3. 1939 zugelassen; beging am 4. März 1939 Selbstmord.

Léon Gambetta (1838 Cahors – 1882 Ville-d’Avray/Paris)

Französischer Anwalt und Politiker; ab 1869 Abgeordneter, 1870/1871 Innenminister, 1879 bis 1881 Präsident der Kammer, 1881 bis 1882 Ministerpräsident.

Virginio Gayda (1885 Rom – 1944 Rom)

Italienischer Journalist; Redakteur der Tageszeitung Il Giornale d’Italia; unterstützte das Regime Benito Mussolinis und galt als Propagandist; Juli 1943 nach dem Ende des faschistischen Regimes in Italien seines Postens enthoben. Paul Geraldy (ursprünglich Paul Lefèvre-Géraldy) (1885 Paris – 1983 Neuilly-sur-Seine) Französischer Schriftsteller. Max Gerson (1881 Wągrowiec/Polen – 1959 New York)

Deutscher Arzt; Arzt für innere und Nervenkrankheiten in Bielefeld und in Berlin, entwickelte eine vegetarische Krebstherapie; 1933 emigrierte er nach Wien und war im Sanatorium Purkersdorf (ab 1930 Sanatorium Westend) tätig; 1935 Emigration nach Frankreich und 1936 in die USA.

Emil Geyer (ursprünglich Emil Goldmann) (1872 Swoikowitz/Mähren – 1942 KZ Mauthausen/ermordet)

Theaterregisseur und Intendant; ab 1907 in Berlin, ab 1912 in Wien; 1913 bis 1925 Intendant der Neuen Wiener Bühne; 1926 bis 1933 Direktionsleiter des Theaters in der Josefstadt; 1935/36 Spielleiter am Volkstheater; am 12. Oktober 1942 im KZ Mauthausen ermordet.

Siegfried Geyer (1883 Marchegg – 1945 Ungarn/ermordet)

Dramaturg; Übersetzer und Cheflektor des Georg Marton Verlags; nach dem „Anschluss“ Flucht nach Ungarn; dort 1940 verhaftet und interniert; kurz vor Kriegsende ermordet.

Alexander Girardi (1850 Graz – 1918 Wien)

Schauspieler.

Jean Hyppolyte Giraudoux (1882 Bellac/Haute-Vienne – 1944 Paris)

Französischer Diplomat und Schriftsteller; ab 1911 im diplomatischen Dienst; nach Kriegsdienst vor allem im Außenministerium in Paris tätig, parallel dazu Wirken als Schriftsteller; nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in der Regierung Daladier zum „Commissaire général à l’Information“ (Informationsminister) ernannt; März 1940 von diesem Amt abberufen; Herbst 1940 zum Direktor der Monuments historiques ernannt; Jänner 1941 Ruhestand.

Edmund Glaise-Horstenau (1882 Braunau/Oberösterreich – 1946 Lager Langwasser-Nürnberg/Selbstmord)

Offizier, Historiker und Politiker; ab 1918 Tätigkeit im Kriegsarchiv in Wien, 1925 bis 1938 Direktor des Kriegsarchivs und Generalstaatsarchivar, 1934 bis 1936 Mitglied des Staatsrates und des Bundestages, ab 11. 7. 1936 Bundesminister ohne Geschäftsbereich, 3. 11. 1936 bis 16. 2. 1938 Bundesminister für Innere Verwaltung, danach abermals Bundesminister ohne Geschäftsbereich, 11.3. bis 13. 3. 1938 Vizekanzler, anschließend bis Mai 1938 Stellvertreter des Reichsstatthalters in Österreich, April 1938 Mitglied des Reichstages, bis März 1940 Mitglied der österreichischen Landesregierung, 1941 bis

Biographischer Anhang

351

1944 Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien, im Oktober 1944 Abberufung, bis Kriegsende Leiter der Außenstelle Wien des deutschen Auswärtigen Amtes, Zeuge bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg, wegen befürchteter Auslieferung an Jugoslawien am 20. 7. 1946 Selbstmord im Lager Langwasser. Göbl Dr. (keine Informationen) Gläubiger von Fritz Zuckerkandl. Johann Wolfgang von Goethe (1749 Frankfurt am Main – 1832 Weimar)

Deutscher Dichter und Naturforscher.

Kurt Walter Goetz (1888 Mainz – 1960 Grabs bei St. Gallen)

Deutscher Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur; ab 1931 in der Schweiz wohnhaft; bei Kriegsbeginn auf einer Amerikareise, lebte bis 1946 in Beverly Hills, danach Rückkehr nach Deutschland. Oscar Goldschmidt (keine Informationen) Besitzer eines pharmazeutischen Unternehmens in Paris; Fritz Zuckerkandl war Konsulent für pharmazeutische Präparate bei der Fa. Goldschmidt; im Exil-Adressbuch von BZ aus der Kriegszeit in Algier findet sich der Name Oscar Goldschmidt (pharmaceuticals, fire and rare chemicals) mit Adresse in New York. William Athelstane Meredith Goode (1875 Neufundland – 1944 London)

Britischer Journalist und Beamter; Februar 1919 bis Juni 1920 Vertreter bei der Reparationskommission, 1921 Finanzberater der österreichischen Regierung.

Alexei Michailowitsch Granowski (ursprünglich Abraham Ozark) (1890 Moskau – 1937 Paris)

Russischer Theater- und Filmregisseur; 1919 Gründung des Jüdischen Theaterstudios in Petrograd, ab 1920 Regisseur und künstlerischer Leiter des Staatlichen Jüdischen Kammertheaters in Moskau; blieb nach einer Gastspielreise 1928/29 in Westeuropa, arbeitete am Deutschen Theater in Berlin; danach in Frankreich. Heinrich Greiner (keine Informationen) Diener von GK, wurde 1934 wegen finanzieller Schwierigkeiten von GK entlassen.

Nicolas Grillet (1871 Demi-Lune/Rhŏne – 1947)

Französischer Chemiker; Gründer und Direktor der Société Chimique des Usines du Rhŏne (später Société des Usines Chimiques Rhŏne-Poulenc).

Ferdinand Grimm (1869 Wien – 1948 Bad Kreuzen)

Beamter und Politiker; ab 1898 im Finanzministerium, 1917 bis 1924 Leiter der Budgetund Kreditsektion, 4. 11. 1918 bis 15. 3. 1919 Unterstaatssekretär für Finanzen, 20. 11. 1920 bis 7. 10. 1921 Finanzminister; 1921 bis 1933 Verwaltungsrat des Österreichischen Credit­ institutes für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten, 1925 bis 1934 Vizepräsident der Österreichischen Radioverkehrs AG. (Ravag).

Salomon Grumbach (1884 Hattstatt – 1952 Neuilly-sur-Seine)

Französischer Journalist und Politiker; Redakteur der Pariser sozialistischen Zeitung L’Humanité; ab 1918 französischer Staatsbürger und Mitglied der Section française de l’internationale ouvrière (SFIO ); 1928 bis 1932 und ab 1936 Abgeordneter; im Parlament zum Vizepräsidenten der Kommission für auswärtige Angelegenheiten gewählt; technischer Berater Frankreichs beim Völkerbund; versuchte zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich zu vermitteln; unterstützte ab 1933 deutsche Exilanten; September 1940 verhaftet und bis Mai 1941 interniert, danach unter Polizeiaufsicht; Kontakte zur Résistance; November 1942 Flucht in die Cevennen; ab Oktober 1945 Mitglied der Nationalversammlung; Dezember 1946 bis 1948 Mitglied des Rates der Republik; ab Ende 1948 Delegierter bei den Vereinten Nationen.

352

Biographischer Anhang

Alfred Grünberger (1875 Karlsbad/Böhmen – 1935 Paris)

Jurist und Politiker; 1920 Sektionschef im Staatsamt für Volksernährung; 1920 bis 1922 Bundesminister für Volksernährung, 1921 bis 1922 Bundesminister für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, 1922 bis 1924 Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, 1925 bis 1932 a. o. Gesandter und bev. Minister in Paris und Madrid.

André Guerbet (1901 – 1964)

Französischer Pharmazeut, 1926 Gründung des Pharmaunternehmens „Les Laboratoire Guerbet“ in Saint-Quen bei Paris, 1930 bis 1964 Entwicklung von röntgenologischen Kontrastmitteln.

Marcel Guerbet (1861 Clamecy – 1938 Paris)

Französischer Pharmazeut und Pharmakologe, Vater von André Guerbet, 1901 Entwicklung des ersten jodierten Kontrastmittels der Welt.

Sacha Guitry (1885 Sankt Petersburg – 1957 Paris)

Französischer Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller.

Guizerne Dr. (unsichere Schreibweise/keine Informationen)

Arzt von Sofie Zuckerkandl in Paris.

Gulmann (unsichere Schreibweise/keine Informationen)

Arzt.

Otto Günter (1884 Trebinje/Bosnien – 1970 Wien)

Diplomat; 1907 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1913 bis 1921 Leiter des Honorargeneralkonsulates Frankfurt, 1921 bis 1930 Leiter des Generalkonsulates München, 1930 bis 1933 a. o. Gesandter und bev. Minister in Athen, Mai 1933 kurzzeitig a. o. Gesandter und bev. Minister in Paris und Madrid, 31. 3. 1941 Versetzung in den Wartestand, 30. 4. 1945 Rehabilitierung und Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst als Leiter der Protokollabteilung, ab Jänner 1948 a. o. Gesandter und bev. Minister in Buenos Aires, 31. 12. 1949 Versetzung in den dauernden Ruhestand. Gut(t)mann (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Arzt; beschäftigt im Sanatorium in Ville d’Avray; 1936 hat Fritz Zuckerkandl für ihn gearbeitet. Anton van Gyn (Gijn) (1866 Dordrecht – 1933 Den Haag)

Holländischer Finanzexperte und Politiker; 1916 bis 1917 Finanzminister, 1924 bis 1926 Berater der Oesterreichischen Nationalbank.

Theo Habicht (1898 Wiesbaden – 1944 Newel Russland)

Deutscher Schriftsteller und Politiker; bis 1924 Kommunist, 1926 Beitritt zur NSDAP, 1927 bis 1931 Kreisleiter in Wiesbaden, deutscher Presseattaché in Wien, 20. 7. 1931 Bestellung zum Landesgeschäftsführer für Reorganisation der NSDAP in Österreich, September 1931 Abgeordneter im Reichstag, August 1932 bis Juli 1934 Landesinspektor, 14. 6. 1933 aus Österreich ausgewiesen, 1937 Oberbürgermeister in Wittenberg.

Otto Habsburg-Lothringen (1912 Reichenau – 2011 Pöcking)

Politiker; ältester Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I.; lebte ab 1929 in Belgien, von 1940 bis 1944 in den USA, 1944 bis 1951 in Frankreich, ab 1954 in Pöcking; 1957 bis 1973 Vizepräsident und 1973 bis 2004 Präsident der Internationalen Paneuropa-Union; 1979 bis 1999 Abgeordneter im Europäischen Parlament für die Christlich-Soziale Union (CSU); 1979 bis 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Otto Hahn siehe Otto Hermann Kahn Josef Haider (keine Informationen)

Bürodiener von GK 1920 bis 1930.

Biographischer Anhang

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Michael Hainisch (1858 Aue/Gloggnitz – 1940 Wien)

Jurist und Politiker; 1886 Eintritt in den Staatsdienst, 1888 Übernahme in das Ministerium für Kultus und Unterricht, 1890 Austritt aus dem Staatsdienst, anschließend Privatgelehrter, 1918 Generalrat der Österreichisch-Ungarischen Bank, 1920 bis 1928 Bundespräsident, 1929 bis 1930 Bundesminister für Handel und Verkehr.

Richard Haldane, 1. Viscount Haldane (1856 Edinburgh – 1928 Auchterarder)

Britischer Politiker und Schriftsteller; ab 1885 Mitglied des Unterhauses, setzte sich als ehemaliger Student in Göttingen für eine Reform der britischen Universitäten nach deutschem Vorbild ein; 1905 Kriegsminister, initiierte eine Neuordnung des britischen Heeres nach preußisch-deutschem Muster; 1912 versuchte er eine deutsch-englische Verständigung in der Flottenfrage; 1921 bis 1915 Lordkanzler und wieder 1924.

Rosa Hallemann (geborene Friedler) (1902 Wien – unbekannt)

Kanzleibedienstete; ab Oktober 1932 bei Gottfried Kunwald als Stenographin beschäftigt; ab 1936 mit Dr. Jakob Hallemann verheiratet; am 27. Juli 1939 nach England abgemeldet.

Philipp Halsmann (1906 Riga – 1979 New York)

Porträt- und Modefotograf; nach dem Absturz seines Vaters bei einer Bergwanderung in Tirol wurde er in einem Mordprozess, der von antisemitischen Vorkommnissen begleitet war, verurteilt; bekannte Persönlichkeiten des In- und Auslandes setzten sich für ihn ein; 1930 von Bundespräsident Wilhelm Miklas begnadigt und des Landes verwiesen; 1931 Emigration nach Paris und Eröffnung eines Fotostudios, 1940 durch Fürsprache Albert Einsteins Emigration in die USA, 1941 Anstellung beim „Life“-Magazin.

Wilhelm Hammelrath (1893 Ronsdorf – 1966 Karlsruhe)

Deutscher Schriftsteller; ab 1931 zuerst Diener, dann Privatsekretär Gottfried Kunwalds, davor in den 1920er-Jahren Mitarbeit an der Wochenzeitschrift „Das Neue Volk“ (Parteizeitung der Christlich-Sozialen Reichspartei CSRP); nach dem „Anschluss“ vorübergehend inhaftiert; danach Lehrer und Erzieher an der Schule Burg Nordeck; ab 1940 Direktionsassistent der Luftfahrtforschungsanstalt in Braunschweig; nach Kriegsende 1945 bis 1948 Leiter des Pädagogiums Bad Sachsa im Südharz; 1948 Gründung der Arbeiterhochschule Burg Vondern in Oberhausen/Rheinland.

Anton Hanak (1875 Brünn – 1934 Wien)

Bildhauer; Professor an der Kunstgewerbeschule, Mitglied der Wiener Secession, ab 1906 eigene Werkstatt in Wien.

Harold Sidney Harmsworth, 1. Viscount Rothermere (1868 London – 1940 Bermuda)

Britischer Verleger; gilt als Pionier eines Journalismus für ein breites Leserpublikum; leitete einen Zeitungskonzern, mit zahlreichen Tages-, Sonntags- und Wochenzeitungen, sowie Druckereien, Papiermühlen, Filmgesellschaften und Banken; während des Ersten Weltkrieges unterstützte er die alliierte Kriegspropaganda, nach dem Tod seiner zwei Söhne im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsgegner und Kritiker der Pariser Vororte-Verträge; in den 1930er-Jahren unterstützte er die britische Appeasement-Politik, traf sich mehrfach mit Adolf Hitler und unterhielt Kontakte zur faschistischen Partei Großbritanniens.

Gerhard Hauptmann (1862 Ober Salzbrunn/Schlesien – 1946 Agnetendorf/Schlesien)

Deutscher Schriftsteller; 1912 Nobelpreis für Literatur.

Hebrad (unsichere Schreibweise/keine Informationen)

Neffe von Sofie Clémenceaus Wirtschafterin.

Eduard Heinl (1880 Wien – 1957 Wien)

Politiker (Christlichsoziale Partei); 1918 bis 1938 Direktor des Gewerbeförderungsinstitutes der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Wien, 4. 3. 1919 bis 9. 11. 1920

354

Biographischer Anhang

Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 7.7. bis 20. 11. 1920 Staatssekretär für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, 1920 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 20. 11. 1920 bis 21. 6. 1921 Bundesminister für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, 1926 bis 1938 Präsident der Ravag, 1930 bis 1932 Bundesminister für Handel und Verkehr, 1935 bis 1938 Präsident der Wiener Messe AG., 1938 Enthebung von allen Funktionen, März/April 1938 und 1944/1945 Gestapohaft, 27.4. bis 20. 12. 1945 Staatssekretär für Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr, ÖVP, 1946 bis 1948 Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, ab 1946 Präsident der österreichischen Liga für die Vereinten Nationen, 1946 bis 1957 Vorsitzender des Aufsichtsrates der Credit­an­ stalt-­Bankverein, Direktor der nö. Handelskammer, ab 1951 Finanzreferent der ÖVP.

Heinrich siehe Heinrich Greiner Adrianus Johannes van Hengel (1886 Amsterdam – 1936 Amsterdam)

Niederländischer Bankier; ab 1916 Vorstandsmitglied der Amsterdam’schen Bank, 1928 bis 1931 Vorstandsdirektor der Amsterdam’schen Bank, Mai 1931 bis November 1931 Berater der Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, Februar 1932 bis 1936 Generaldirektor der Credit-Anstalt.

Leopold Hennet (1876 Gaaden bei Wien – 1950 Wien)

Jurist und Politiker; 1907 Eintritt in das Ackerbauministerium, ab 1914 der Gesandtschaft in Bern zugeteilt; 1921/22 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, 1928 bis 1932 Leiter der Sektion II (Landwirtschaft, Tierzucht, Handelspolitik und Ernährungswesen), 1932 bis 1936 a. o. Gesandter und bev. Minister in Budapest, 1937 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1938 Präsident der Österreichischen Casino AG in Wien.

Édouard Herriot (1872 Troyes – 1957 Lyon)

Französischer Politiker; 1924 bis 1925, kurz 1926 und 1932 französischer Ministerpräsident und Außenminister; 1926 bis 1936 wiederholt Minister; 1936 bis 1940 Präsident der Kammer.

Franz Herterich (1877 München – 1966 Wien)

Schauspieler und Regisseur; ab 1912 Heldendarsteller am Wiener Burgtheater und 1923 bis 1930 dessen Direktor; ab 1932 künstlerischer Leiter des Theaters der Jugend (1938 aufgelöst), wirkte ab 1934 auch als Filmschauspieler, nach Kriegsende an der Neugründung des Theaters der Jugend beteiligt und 1945 bis 1957 erneut künstlerischer Leiter.

Theodor Herzl (1860 Budapest – 1904 Edlach/Selbstmord)

Journalist und Schriftsteller; Berichterstatter der „Neuen Freien Presse“; in seiner Studienzeit deutschnationaler Coleurstudent in Wien; mit seiner Schrift „Der Judenstaat“ (1896), die unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre geschrieben wurde, gilt er als Hauptbegründer des politischen Zionismus.

Ludwig Hevesi (1842 Heves/Ungarn – 1910 Wien/Selbstmord)

Kunstkritiker, Reise- und Jugendschriftsteller; setzte sich für die Moderne (u. a. für Klimt) ein.

Dietrich Hildebrand (1889 Florenz – 1977 New Rochelle)

Deutscher Philosoph und Schriftsteller; 1919 bis 1933 lehrte er an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, er lehnte den Nationalsozialismus und Kommunismus ab, trat gegen Hitler und Antisemitismus auf; 1933 floh er nach Österreich und gründete mit Unterstützung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“, 1938 Emigration über die Schweiz nach Frankreich, lehrte bis 1940 an der katholischen Universität von Toulouse, 1940 Flucht nach Portugal, über Brasilien nach New York, lehrte 1940 bis 1960 an einer privaten Jesuiten-Hochschule.

Biographischer Anhang

355

Herbert Hindenburg (ursprünglich von Beneckendorff und von Hindenburg) (1872 Berlin – 1956 München)

Deutscher Schriftsteller und Diplomat; Neffe von Paul Hindenburg; er hielt sich in den 1930er-Jahren häufig in Altaussee auf; ab 1945 nahm er wieder regen Anteil am kulturellen Leben im Ausseerland.

Guy Pascal Hirsch-Montmartin (geborener Hirsch) (1894 Paris – unbekannt)

Französischer Unternehmer; 1920 bis 1925 Generalvertreter der Société Baltie, danach Chef der Firma „Omnium Central des Force Electriques“, September 1934 bis 14. 3. 1938 österreichischer Honorargeneralkonsul in Paris.

Adolf Hitler (1889 Braunau – 1945 Berlin/Selbstmord)

1933 bis 1945 deutscher Reichskanzler, 1934 bis 1945 deutscher Reichspräsident.

Leopold von Hoesch (1881 Dresden – 1936 London)

Deutscher Jurist und Diplomat; 1917/18 als Legationsrat an den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk und Bukarest beteiligt; während der Ruhrbesetzung übernahm er im November 1923 kommissarisch die Leitung der deutschen Botschaft in Paris, fungierte als Vermittler zwischen Reichsaußenminister Stresemann und dem französischen Außenminister Briand bei den Vorverhandlungen über die Verträge von Locarno; 1924 bis 1932 Botschafter in Paris, 1932 bis 1936 Botschafter in London.

Josef Hoffmann (1870 Pirnitz/Mähren – 1956 Wien)

Architekt und Designer; mit Koloman Moser Gründungsmitglied und einer der Hauptvertreter der Wiener Werkstätte. Sein erstes größeres Werk war das 1904/05 errichtete Sanatorium Purkersdorf.

Hugo von Hofmannsthal (ursprünglich Hugo Hofmann Edler von Hofmannsthal) (1874 Wien – 1929 Rodaun bei Wien)

Schriftsteller; Mitbegründer der Salzburger Festspiele.

Stéphanie Hohenlohe-Waldenburg-Schillingfürst (geborene Richter) (1891 Wien – 1972 Genf)

„Hitlers Spionin“; war u. a. für Nazi-Deutschland in England tätig; 1938 wurde ihr Schloss Leopoldskron zur Verfügung gestellt; ab 1940 in den USA, wo sie als deutsche Spionin interniert wurde. Nach 1945 arbeitete sie u. a. im Axel-Springer-Konzern.

Johannes Hollnsteiner (1895 Linz – 1971 Linz)

Katholischer Priester; Chorherr des Stiftes St. Florian; Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien; Vertrauter und Beichtvater von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und einflussreicher Vertrauter von Alma Mahler-Werfel; nach dem „Anschluss“ im KZ Dachau inhaftiert, nach einem Jahr entlassen; 1941 bis 1945 Leiter der Klosterbibliothek St. Florian; nach Kriegsende im Lager Glasenbach inhaftiert; 1947 rehabilitiert und pensioniert.

Martin Hopreiter (keine Informationen)

Dabei könnte es sich um den Chemiker Dr. Martin Hopreiter handeln (ein Gläubiger von Fritz Zuckerkandl); von BZ fälschlich auch als Hopmeier erwähnt.

Alexander Hryntschak (1891 Wien – 1974 Wien)

Industrieller und Politiker (Christlichsoziale Partei); Verwaltungsrat in zahlreichen Industrieunternehmen; 1929 bis 1934 Nationalrat; 1934 bis 1938 Direktor der Wiener Symphoniker; 1938 und 1944 kurz inhaftiert; ab 1939 kommerzieller Direktor der Automobilfabrik Fross-Büssing; 1946 bis 1949 Mitbegründer und Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Industrieller; enge Kontakte zu den amerikanischen Marshall-Plan-Stellen.

356

Biographischer Anhang

Victor Hugo (1802 Besancon – 1885 Paris)

Französischer Schriftsteller.

Emmerich Hunna (1889 Gföhl – 1964 Baden)

Rechtsanwalt; 1929 bis 1938 im Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien, 1936 bis 1938 Vizepräsident des Disziplinarrates, 1945 bis 1963 Präsident der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, ab Juni 1963 Ehrenpräsident, 1954 bis 1964 Vorsitzender der Ständigen Vertreterversammlung der österreichischen Rechtsanwaltskammer, langjähriger Präsident der Bundeskonferenz der Kammern der freien Berufe Österreichs, Mitglied der Judiziellen Staatsprüfungskommission; veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten.

Albert Ilg (1847 Wien – 1896 Wien)

Kunsthistoriker; 1884 Direktor der Waffensammlung des Kunsthistorischen Museums; Mittelpunkt eines Schriftsteller- und Künstlerkreises, Mitherausgeber der „Kunstgeschichte, Charakterbilder aus Österreich-Ungarn“.

Johann Paul Inama-Sternegg (1877 Wilten/Tirol – 1950 Wien)

Jurist; 1900 Eintritt in den Staatsdienst, ab 1904 im Handelsministerium, ab 1925 Leiter der Handelsvertragsabteilung, Anfang 1933 mit der zusammenfassenden Behandlung der handelspolitischen Agenden betraut und unmittelbar dem Minister unterstellt, ab 1936 Leiter der industrie- und handelspolitischen Sektion, 31. 12. 1937 Versetzung in den dauernden Ruhestand.

Theodor Innitzer (1875 Neugeschrei bei Weipert – 1955 Wien)

Katholischer Priester und Politiker; 1911 bis 1928 Universitätsprofessor in Wien, September 1929 bis September 1930 Bundesminister für soziale Verwaltung, September 1932 Erzbischof von Wien, 1933 Kardinal; unterschrieb nach dem „Anschluss“ 1938 einen Aufruf an die Gläubigen, im Referendum mit Ja zu stimmen; 1945 Gründer der Wiener Katholischen Akademie. Guido Jakoncig (1895 Capo d’Istria – 1972 Innsbruck)

Rechtsanwalt; 1927 Gründer der Tiroler Heimwehr, 1929 Bundessturmführerstellvertreter der Heimwehr; 20. 5. 1932 bis 10. 5. 1933 Bundesminister für Handel und Verkehr, 6. 5. 1933 mit der Organisation und Leitung des Wirtschafts- und Ständeamtes der Bundesführung des Heimatschutzes beauftragt; Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Solo“Zündwaren und chemische Fabriken AG Wien.

Hans Jaray (1906 Wien – 1990 Wien)

Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller; debütierte 1923 in Wien, 1930 von Max Reinhardt an das Theater in der Josefstadt gerufen, erlangte mit dem Film „Leise flehen meine Lieder“ in der Rolle des Franz Schubert 1933 Starruhm; verfasste auch erfolgreiche Lustspiele; 1938 emigrierte er in die USA, wo er in Hollywood und an New Yorker Bühnen spielte. 1942 einer der Mitbegründer der großteils aus emigrierten Schauspielern und Schauspielerinnen bestehenden Truppe „The Players from Abroad“. 1948 am Volkstheater und ab 1951 wieder in der Josefstadt tätig; daneben 1954 bis 1964 Tätigkeit als Professor am Reinhardt-Seminar.

Robert Jardillier (1890 Caen – 1945 Marseille)

Französischer Musikwissenschaftler und Politiker; in der Regierung Léon Blum Minister für Post und Telegraphie Juni 1936 bis Juni 1937.

Biographischer Anhang

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Jean siehe Paul Painlevé (Pseudonym) Jeanne siehe Jeanne Feizlmayr Josef Joham (1889 Bad Kleinkirchheim/Kärnten – 1959 Wien)

Bankdirektor; 1914 Eintritt in die Allgemeine Verkehrsbank, 1921 bis 1931 Direktor der Bank für Tirol und Vorarlberg, im Juli 1931 in den Vorstand der Creditanstalt-Bankverein berufen; 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeswirtschaftsrates, 1934 bis1938 Mitglied des Bundestages; im Juni 1936 zum Generaldirektor der Creditanstalt-Bankverein ernannt, April 1938 seiner Funktion als Generaldirektor enthoben, verblieb aber weiterhin im Vorstand der Bank; ab 1938 leitete er den Aufbau eines Netzes von Banken, Industrie- und Landwirtschaftsunternehmen in allen südosteuropäischen Ländern; 8.5. bis 24. 7. 1945 Mitglied des Präsidialkollegiums der Oesterreichischen Nationalbank, 28. 6. 1945 zum Verwalter der Creditanstalt-Bankverein bestellt, 21. 11. 1945 kurzzeitige Inhaftierung durch die britische Militärpolizei, Februar 1948 bis April 1959 Vorstandsvorsitzender der Creditanstalt-Bankverein, 1948 bis 1959 Präsident der Wiener Börsekammer, 1948 bis 1959 Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank, Aufsichtsrat in zahlreichen Unternehmungen. Karl Johandl (keine Informationen) Bediensteter von GK. Georges Jorisch (1928 Wien – 2012 Quebec)

Kaufmann.

Louis Jorisch (1891 Chernivtsi/Ukraine – 1949 Wien)

Rechtsanwalt; Ehemann von Mathilde Jorisch (1935 Scheidung); 1939 Flucht mit seinem Sohn George nach Belgien; 1947 kehrte er nach Österreich zurück.

Mathilde Jorisch (1894 Purkersdorf – 1941 Łódź /ermordet)

Tochter von Amalia Redlich (und deren erstem Mann Dr. Julius Rudinger).

Josef siehe Josef Haider

Bediensteter GK.

Otto Juch (1876 Kirchbichl – 1964 Wien)

Beamter und Politiker; ab 1909 im Finanzministerium; seit 1922 Staats-Kommissär bei der M. L. Biedermann & Co. Bankaktiengesellschaft, 1926 bis 1934 Staats-Kommissär beim Wiener Bankverein, 1926 bis 1929 und 1931 bis zur Pensionierung 1936 Leiter der Kreditsektion; Oktober 1929 bis 1931 Finanzminister; seit 1933 Verwaltungsrat der Großglockner Hochalpenstraßen-AG , 1936 bis 1939 Verwaltungsrat der DDSG und zahlreicher anderer Unternehmungen; nach 1945 bis 1963 diverse Aufsichtsratsposten.

Otto Hermann Kahn (1867 Mannheim – 1934 New York)

Bankier; Mäzen von Max Reinhardt.

Siegfried Kantor (1881 Butschowitz/Mähren – 1957 Forest Hills/USA)

Rechtsanwalt; 1932 bis 1934 Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien; u. a. Liquidator der Auspitz-Lieben-Bank; die Familie besaß eine bedeutende Kunstsammlung; 1938 drei Monate in Gestapo-Haft, 1938 Flucht nach Brünn, 1939 nach Paris und 1941 nach New York. Karganski (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Russischer Jude in Paris. Karl I., Habsburg Lothringen (1887 Persenbeug – 1922 Madeira)

Kaiser von Österrreich-Ungarn ab 1916, 1918 Regierungsverzicht, 1919 des Landes verwiesen.

358

Biographischer Anhang

Ludwig Karpath (1866 Pest – 1936 Wien)

Musikschriftsteller; 1894 bis 1921 Musikreferent des „Neuen Wiener Tagblatts“, 1914 bis 1917 redigierte er den „Merker“, eine Zeitschrift für Musik und Theater, ab 1932 Konsulenten für die Bundestheater im Unterrichtsministerium; Förderer junger Talente, setzte sich für die Verstaatlichung des Konservatoriums, die Schaffung der Volksoper und den Bau des Konzerthauses ein. Kaufmann Dr. (keine Informationen) Rechtsanwalt. Anton Karl Kehrer (1878 Wien – 1953 Wien)

Beamter; ab 1932 in der Pensionsstelle der Finanzlandesdirektion Wien; wegen seiner leitenden Stellung in der Disziplinarkommission der Finanzlandesdirektion Wien wurde er auf Verlangen der NSDAP mit Ende Dezember 1938 in den dauernden Ruhestand versetzt; nach Kriegsende Vorstand der Pensionsstelle der Finanzlandesdirektion Wien.

Erwin Kerber (1891 Salzburg – 1943 Salzburg)

Theaterfachmann; ab 1919 Sekretär der Salzburger Festspielhausgemeinde und Mitbegründer der Salzburger Festspiele; 1936 bis 1940 Direktor der Staatsoper; 1942/43 Intendant des Salzburger Landestheaters. Josef Kernecker (keine Informationen) Bediensteter von Gottfried Kunwald. Alfred Kerr (1867 Breslau – 1948 Hamburg)

Deutscher Schriftsteller, Journalist, Theaterkritiker; schrieb gegen die NSDAP; im Februar 1933 floh er nach Prag und über die Schweiz nach Paris und London; 1941 bis 1946 Präsident des Deutschen P. E. N.-Clubs im Exil in London.

Richard Kerschagl (1896 Wien – 1976 Wien)

Nationalökonom und Politiker; 1920 Berufung als Währungssachverständiger in das Generalsekretariat der Österreichisch-Ungarischen Bank, ab 1923 Tätigkeit als Rechtskonsulent und volkswirtschaftlicher Referent bei der Oesterreichischen Nationalbank; 1921 Dozentur an der Hochschule für Welthandel; 1929 Eintritt in die Wiener Heimwehr, 1934 bis 1938 Mitglied des Staatsrates, 1934 bis 1938 Mitglied des Bundestages, Delegierter bei verschiedenen internationalen Konferenzen; März 1938 Enthebung aller politischen Ämter und Verhaftung; 1947/1948 Rektor an der Hochschule für Welthandel

Georg Khuner (1886 Wien – 1952 Beverly Hills/Los Angeles)

Industrieller; Präsident der Kunerolwerke Österreich, Verwaltungsrat mehrerer niederländischer und britischer Unternehmungen; 1923 bis 1935 österreichischer Honorargeneralkonsul in Zürich; bis 1939 in Paris.

Viktor Kienböck (1873 Wien – 1956 Wien)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); 1920 bis 1923 Bundesrat, 1923 bis 1932 Nationalratsabgeordneter, 1922 bis 1924 und 1926 bis 1929 Finanzminister; 1932 bis 1938 Präsident der Oesterreichischen Nationalbank, 1934 bis 1938 Mitglied des Staatsrates und des Bundestages; März 1938 Enthebung von allen Funktionen; 1945 Berater der Oesterreichischen Nationalbank, 1952 bis 1956 Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank.

Gustav Klimt (1862 Baumgarten/Wien – 1918 Wien)

Maler; einer der bekanntesten Vertreter des Wiener Jugendstils; erster Präsident der Wiener Secession ab der Gründung 1897 bis 1899, 1905 Abspaltung der „Klimt-Gruppe“.

Oskar Kokoschka (1886 Pöchlarn/Niederösterreich – 1980 Montreux)

Maler und Schriftsteller; 1919 bis 1924 Professor an der Dresdner Akademie; ab 1924 ausgedehnte Reisen; 1931 Rückkehr nach Wien, 1934 Flucht nach Prag, 1935 erhielt er

Biographischer Anhang

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die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, 1938 Emigration nach England, wo er in der österreichischen Exilorganisation Free Austrian Movement aktiv war; 1953 schuf er die „Schule des Sehens“ in Salzburg; 1953 Übersiedelung in die Schweiz.

Annette Kolb (1870 München – 1967 München)

Deutsche Schriftstellerin und Pazifistin; von deutsch-französischer Herkunft trat sie für die Verständigung zwischen den beiden Völkern ein; während des Ersten Weltkrieges lebte sie ab 1916 im Exil in der Schweiz; im Februar 1933 ging sie erneut über die Schweiz nach Paris ins Exil; nach Einmarsch der Deutschen in Paris floh sie nach Lissabon und 1941 nach New York; 1945 kehrte sie nach Paris zurück und 1961 nach München.

Rudolf Kommer (1886 Czernowitz – 1943 Manhattan)

Journalist und Impresario; ab 1922 organisierte er Gastspiele für Max Reinhardt im angelsächsischen Raum; lebte ab 1933 in den USA; während des Zweiten Weltkrieges unterstützte er Exilanten aus dem Kulturbereich; wegen des Verdachts der Spionage für die Achsenmächte ab 1940 bis zu seinem Tod vom FBI überwacht. Koretz (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Vielleicht Dr. Paul Koretz (1885 Wien – 1980) Rechtsanwalt in Wien; Spezialist im Gewerbe-, Rechtsschutz- und Urheberrecht; 1938 Flucht nach England, 1939 Emigration in die USA. Roland Köster (1883 Mannheim – 1935 Neuilly-sur-Seine)

Deutscher Diplomat; ab 1915 in der Botschaft in Den Haag tätig, 1919 leitete er die preußische Gesandtschaft in den Hansestädten, danach war er bis 1925 in Den Haag, Brüssel und Prag tätig, 1929/30 war er Gesandter in Oslo, ab November 1932 bis zu seinem Tod Botschafter in Paris.

Richard Krafft-Ebing (1840 Mannheim – 1902 Maria Grün/Graz)

Psychiater; Professor in Straßburg und Graz, 1889 an die Psychiatrische Klinik nach Wien berufen, publizierte über Neurologie, Psychiatrie und Kriminalistik.

Karl Kraus (1874 Gitschin/Böhmen – 1936 Wien)

Schriftsteller und Übersetzter; gründete, leitete und schrieb zum größten Teil selbst die Zeitschrift „Die Fackel“ (1899 bis 1936); hielt vielbesuchte Lesungen aus Werken von Nestroy, Offenbach und Shakespeare.

Otto Kraus (1888 – unbekannt)

Bankier; Direktor im Bankhauses Langer & Co, ab 1925 persönlich haftender Gesellschafter.

Cäsar Kunwald (1870 Graz – 1946 Kopenhagen)

Maler; Vetter von GK.

Ella/Gabriele Kunwald (1871 Wien – 1957 London)

Sopranistin; Schwester von GK.

Ellen Kunwald (geborene Bramsen) (1883 Frederiksberg – 1965)

Ehefrau von Cäsar Kunwald.

Emma Kunwald (geborene Pollak) (1846 Prag – 1910 Wien)

Mutter von GK.

Ernst Kunwald (1868 Wien – 1939 Wien)

Bruder von GK; 1891 Promotion zum Dr. jur.; 1912 bis 1917 zweiter Dirigent des Sinfonieorchesters in Cincinnati und Leiter der Maifestspiele, 1928 bis 1932 Dirigent des Berliner Sinfonieorchesters, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ab 1933 in Wien.

Lothar Kunwald (1878 Wien – 1930 Wien)

Arzt; Bruder von GK.

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Biographischer Anhang

Ludwig Kunwald (1835 Budapest – 1909 Wien)

Jurist, Hof- und Gerichtsadvokat; Vater von GK; ab 1848 in Wien wohnhaft, 1899 und 1900 Vertreter der österreichischen Regierung bei den internationalen Kongressen für öffentliche Armenpflege und Privatwohltätigkeit in Paris.

Meta/Margarethe Kunwald (1871 Wien – Hartheim/ermordet)

Malerin; Schwester von GK ; 1938 wurde sie von Steinhof in die NS -Tötungsanstalt Hartheim verlegt.

Paul Kunwald (1873 Pest – 1946)

Vetter von GK in Budapest.

Marcel Labbé (1870 Le Havre – 1939 Paris)

Französischer Arzt; Professor der Klinischen Medizin; Mitglied der Akademie der Mediziner, für die Sektion der pathologischen Medizin.

Émile Labeyrie (1877 Nantes – 1966 Versailles)

Französischer Finanzexperte und Politiker; 1913 bis 1925 Kabinettschef des Finanzministers Joseph Caillaux, 1926 bis 1940 Bürgermeister von Aire-sur-l’Adour, 1932 Generalsekretär des Ministeriums für Finanzen, 1933 Generalprokurator des Rechnungshofes, 1936 bis 1937 Gouverneur der Bank von Frankreich, 1937 bis 1940 Erster Präsident des Rechnungshofes, 1944 bis 1947 Bürgermeister von Versailles.

Heinrich Lammasch (1853 Seitenstetten/Niederösterreich – 1920 Salzburg)

Straf- und Völkerrechtler und Politiker; Univ.-Prof. in Innsbruck (1885) und Wien (1899); seit 1899 Mitglied des Herrenhauses; Berater des Thronfolgers Franz Ferdinand; letzter Ministerpräsident der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (27. Oktober bis 11. November 1918), Mitglied der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain 1919.

Karl Landsteiner (1868 Baden bei Wien – 1943 New York)

Pathologe, Hämatologe und Serologe; Entdecker der klassischen Blutgruppen (A, B, 0); 1930 Nobelpreis für Medizin.

Leopold Langer (1852 Tobitschau/Mähren – 1938 Wien)

Bankier; Mitglied der 1885 gegründeten liberalen Österreichisch-Israelitischen Union, schloss sich der zionistischen Bewegung an, 1919 bis 1923 als Vertreter der Jüdischnationalen Partei im Wiener Gemeinderat; 1934 bis 1938 Rat der Stadt Wien für die Gruppe Handel und Verkehr; 1925 bis 1935 Präsident des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft; Verwaltungsrat in zahlreichen Aktiengesellschaften. Paul Langer (keine Informationen) Beamter; Oberfinanzrat in der Steueradministration für den 1. Bezirk. Roger Langeron (1882 Brest – 1966 Garches)

Französischer Beamter; Polizeipräfekt von Paris von März 1934 bis Juni 1941; seine Ablösung erfolgte, da er gegen Deportationen durch die Deutschen auftrat. Langton (keine Informationen) Britischer Bankier. Henri Laugier (1888 Mane – 1973 Antibes)

Französischer Arzt und Politiker; Direktor des CNRS , des großen nationalen Forschungsverbandes Frankreichs, unter der Regierung in Vichy ging er ins Exil; 1940 an die Universität Montreal; im Juli 1943 folgte er einer Aufforderung De Gaulles (Regierung des Freien Frankreichs) und ging nach Algerien, um dort Vorbereitungen für den Neuaufbau des Erziehungswesens zu leisten, ab 1944 mit dem Neuaufbau des Kultur- und Wissenschaftsbereiches betraut; galt als einer der unabhängigsten Köpfe

Biographischer Anhang

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der Résistance; nach 1945 auch international tätig u. a. führend bei der Errichtung des UN-Menschenrechtsschutzsystems aktiv.

Pierre Laval (1883 Châteldun/Puy-de-Dôme – 1945 Paris/hingerichtet)

Französischer Politiker; zahlreiche Regierungsämter, u. a. 1925 Minister für öffentliche Arbeiten, 1926 Justizminister, 1930 Minister für öffentliche Arbeiten, 1931/32 und 1935/36 Ministerpräsident, 1934 bis 1936 Außenminister, 18. 4. 1942 bis 29. 9. 1944 Ministerpräsident des Vichy-Regime, gleichzeitig Innen- und Außenminister, im September 1944 nach Deutschland verschleppt, August 1945 Inhaftierung in Deutschland durch US-Truppen, Auslieferung an Frankreich, als Kollaborateur zum Tode verurteilt und im Oktober 1945 hingerichtet.

Albert Lebrun (1871 Mercy-le-Haut – 1950 Paris)

Französischer Politiker; zwischen 1911 und 1920 hatte er mehrfach Ministerämter inne; 1920 bis 1932 Mitglied des Senats, 1932 Staatspräsident; stand Léon Blum reserviert gegenüber; 1939 für eine zweite Amtszeit wieder gewählt; nach der militärischen Niederlage Frankreichs gegen Hitler-Deutschland (Juni 1940) trat er nicht zurück; bekam keine Funktion in der Regierung in Vichy; 1943 von der Gestapo verhaftet und im Schloss Itter (Tirol) interniert; 1945 Kronzeuge im Hochverratsprozess gegen Philipp Pétain.

Alexis Léger (1887 Pointe-à-Pitre – 1975 Giens/Var)

Französischer Diplomat; 1925 bis 1932 Kabinettschef, 1933 bis 1940 Generalsekretär des französischen Außenministeriums.

Henri-René Lenormand (1882 Paris – 1951 Paris)

Französischer Schriftsteller; Verfasser zahlreicher Theaterstücke; in seiner künstlerischen Arbeit stark von Sigmund Freud und der Psychoanalyse beeinflusst. Pierre Le Play (keine Informationen) Mitarbeiter von Paul Clémenceau. Lepper (keine Informationen) Sekretärin von Federico Stallforth. Leveil (keine Informationen)

Maria Ley siehe Maria Deutsch Heinrich Lieben (1894 Wien – 1945 KZ Buchenwald/ermordet)

Bankier, Gesellschafter der Wiener Privatbank Auspitz, Lieben & Co; nach 1938 nach Auschwitz deportiert.

Cäcilie Lilienthal (1886 – 1942 KZ Auschwitz/ermordet)

Hausbesitzerin; Käuferin der Liegenschaft von GK am Fleischmarkt; 1938 Beschlagnahmung des Vermögens.

David Lloyd George (1863 Manchester – 1945 Llanystumdwy)

Britischer Jurist und Politiker; 1890 bis 1945 Mitglied des britischen Unterhauses, 1905 bis 1908 Handelsminister, 1908 bis 1915 Schatzkanzler, 1915 bis 1916 Munitionsminister und Kriegsminister, 1916 bis 1922 Premierminister.

Otto Loewi (1873 Frankfurt am Main – 1961 New York)

Pharmakologe; studierte Medizin an den Universitäten in Straßburg und München, habilitierte sich 1900, kam 1905 an die Universität Wien, 1909 Professor für Pharmakologie an der Universität Graz; 1936 erhielt er gemeinsam mit dem Briten Henry Dale für die Entdeckung des ersten Neurotransmitters den Nobelpreis für Medizin; 1938 wurde er inhaftiert, erst nach dem Verzicht auf den Nobelpreis zugunsten des Deutschen Reiches konnte er nach England emigrieren, nach Gastprofessuren in Brüssel und Oxford wurde er 1939 an die University of New York berufen, wo er bis zu seinem Tod forschte und lehrte.

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Biographischer Anhang

Lili Lord (keine Informationen)

Adresse in Paris, rue de l’arcade; nach 1938 in Nizza.

Ernst Lothar (eigtl. Ernst Lothar Müller) (1890 Brünn – 1974 Wien)

Jurist, Schriftsteller, Regisseur; ab 1917 Jurist in Wels; ab 1919 im Handelsministerium; 1925 Austritt aus dem Staatsdienst; 1925 bis 1933 Literatur- und Theaterkritiker bei der „Neuen Freien Presse“; 1933 Ernennung zum Präsidenten des Gesamtverbandes Schaffender Künstler Österreichs; 1933 bis 1935 Regisseur am Wiener Burgtheater; 1935 bis 1938 Direktor am Theater an der Josefstadt; 1938 Emigration in die Schweiz, dann nach Frankreich, April 1939 weiter in die USA; in New York Gründung des Austrian Theater; 1941 bis 1945 Gastprofessor für Theaterwissenschaften und Vergleichende Literatur am Colorado Springs College; 1946 Rückkehr nach Wien als Theater- und Musikbeauftragter des US-Departments of State im Rang eines Oberstleutnants; 1948 bis 1962 Regisseur am Burgtheater; 1952 bis 1959 Direktoriumsmitglied und Regisseur bei den Salzburger Festspielen.

Germaine Lubin (1890 Paris – 1979 Paris)

Französische Opernsängerin; Wagner Interpretin; Ausbildung am Pariser Konservatorium, (Sopran), Gastauftritte an allen führenden Opernhäusern der Welt; wegen der Freundschaft mit der Familie Wagner, den Auftritten unter Herbert von Karajan im besetzten Paris und der Nähe zu den deutschen Besatzern wurde sie 1944 nach der Befreiung Frankreichs als Kollaborateurin verhaftet; 1946 enthaftet, die Anklage wurde nach Entlastung durch Zeugen zurückgezogen, aber lebenslanges Auftrittsverbot; 1950 bis 1952 trat sie wieder in Paris auf, danach gab sie Gesangsunterricht.

Jean Luchaire (1901 Siena/Italien – 1946 Fort de Chatillon/hingerichtet)

Französischer Journalist und Verleger; 1927 Gründer der Tageszeitung „Notre Temps“, 1940 Gründer der Tageszeitung „Les Nouveaux Temps“, ab 1941 Präsident der „Association de la presse parisienne“; galt als früher Verfechter einer Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland; unterstützte das Vichy-Regime, profitierte von der deutschen Besatzung und benutzte seine Zeitungen zur Verbreitung antibritischer und antiamerikanischer Propaganda; Informationsminister im nach Sigmaringen geflohenen Vichy-Regime; 1945 in Italien verhaftet, in Frankreich zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Eduard Ludwig (1883 Persenbeug/Niederösterreich – 1967 Brunn bei Pitten/ Niederösterreich)

Journalist, Beamter und Politiker; 1920 bis 1936 Leiter der Presseabteilung, Ernennung zum a. o. Gesandten und bev. Minister, ab Dezember 1936 Leiter der neugeschaffenen Pressekammer; 1936 bis1938 Mitglied des Staatsrates, 1937 bis 1938 Mitglied des Bundestages; 11. 3. 1938 Enthebung aller Funktionen, Inhaftierung und Verschleppung in das KZ Dachau, 13. 8. 1939 Versetzung in den Ruhestand, 1945 bis 1953 Nationalratsabgeordneter (ÖVP); 1946 bis 1958 Ordinarius für Zeitungswissenschaften.

Karl Lueger (1844 Wien – 1910 Wien)

Politiker (Christlichsoziale Partei); 1875/76 und 1878 bis 1910 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1893 bis 1895 Stadtrat von Wien, 1895 Reichsratsmitglied, 1895 und 1896/97 Vizebürgermeister, 1897 bis 1910 Bürgermeister von Wien.

Ernst Mach (1838 Chirlitz bei Brünn/Mähren – 1916 Vaterstetten/München)

Physiker und Wissenschaftstheoretiker; Univ.-Prof. in Graz, Prag und Wien (1895 bis 1901); nach ihm ist die Mach-Zahl benannt; seine Auffassung zur Trägheit der Körper hatte Bedeutung für Albert Einstein; seine Erkenntnistheorie wurde im „Wiener Kreis“ weiterentwickelt.

Biographischer Anhang

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Madeleine (keine Informationen)

Verwandte/Bedienstete von Paul Clémenceau.

Magdermals (keine Informationen)

Französische Patienten im Sanatorium Purkersdorf.

Luigi Maglione (1877 Casoria/Provinz Neapel – 1944 Casoria)

Vatikanischer Diplomat; 1926 bis 1935 Apostolischer Nuntius in Frankreich, 1939 zum Kardinalstaatssekretär ernannt.

Gustav Mahler (1860 Kalischt/Böhmen – 1911 Wien)

Komponist und Dirigent; einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit und Reformer des Musiktheaters; 1897 bis 1907 erster Kapellmeister und Direktor der Wiener Oper, 1898 bis 1901 auch Leiter der Philharmonischen Konzerte; seiner Berufung nach Wien war seine Konversion vom Judentum zum katholischen Glauben vorausgegangen; 1902 heiratete er Alma Maria Schindler; ab 1908 Kapellmeister an der Metropolitan Opera in New York, 1909 musikalischer Leiter der New York Philharmonic Society. Mary Mahler (keine Informationen) Bedienstete von GK. Alma Mahler-Werfel (geborene Alma Maria Schindler) (1879 Wien – 1964 New York)

Salonière; ab 1902 mit Gustav Mahler verheiratet; in zweiter Ehe mit dem Architekten Walter Gropius (geschieden), danach mit Franz Werfel verheiratet.

Fritz Mandl (1900 Wien – 1977 Wien)

Industrieller; führend in Rüstungsgeschäften der Zwischenkriegszeit tätig, er hatte einen Schweizer Partner in Solothurn und als weiteren Partner den Großkonzern Rheinmetall, den zweitgrößten deutschen Rüstungshersteller; 1924 bis März 1938 Generaldirektor der Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen- und Metallwaren-Fabrik, 1929 Beitritt zur Heimwehr, 1933 im Mittelpunkt der „Hirtenberger Waffenaffäre“; 1938 Übernahme der Hirtenberger Patronenfabrik durch die Wilhelm-Gustloff-Stiftung, 1938 Emigration über die Schweiz nach Argentinien, weiter im Rüstungsgeschäft tätig; Mai 1945 Verstaatlichung der österreichischen Betriebe, 1957 bis 1971 erneut Generaldirektor der Hirtenberger Patronenfabrik.

Heinrich Mann (1871 Lübeck – 1950 Santa Monica/Kalifornien)

Deutscher Schriftsteller; lebte bis 1933 in München, 1930 Präsident der Preußischen Dichterakademie; 1933 Emigration in die Tschechoslowakei und nach Frankreich, ab 1940 in den USA.

Marc. siehe Ernst Marcuschewitz Siegfried Marcus (1831 Malchin/Mecklenburg-Vorpommern – 1898 Wien)

Mechaniker; galt aufgrund einer falschen Datierung lange als Erfinder des Autos; in Hamburg und Berlin, ab 1852 in Wien tätig; entwickelte Vergaser, Benzinmotoren und zwei Motorwägen; hatte rund 130 Patente angemeldet. Ernst Marcuschewitz (1890 – unbekannt) Anwalt; Mitarbeiter von GK. Marie (keine Informationen) Bedienstete von BK. Georg Marton (1894 Budapest – 1962 Wien)

Verleger; gründete in den 1920er-Jahren in Wien den „Georg Marton Verlag“, 1923 bis 1927 war er Mitbesitzer und Leiter des Theaterverlages Eirich in Wien; 1938 emigrierte er zunächst nach Paris und dann in die USA; nach dem Krieg übernahm er den Verlag wieder.

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Biographischer Anhang

Heinrich Mataja (1877 Wien – 1937 Wien)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); 1910 bis 1918 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1912 bis 1920 Stadtrat in Wien, 1913 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. 10. 1918 bis 16. 2. 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 30. 10. 1918 bis 15. 3. 1919 Staatssekretär des Innern, 4. 3. 1919 bis 9. 11. 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung,1920 bis 1930 Nationalratsabgeordneter, 20. 11. 1924 bis 15. 1. 1926 Bundesminister im Bundeskanzleramt mit der Führung der auswärtigen Angelegenheiten betraut.

Carl Menger (1840 Neu-Sandez/Galizien – 1921 Wien)

Nationalökonom; Begründer der „österreichischen Schule der Nationalökonomie“, seine Grenznutzenlehre fand weltweite Beachtung; 1865 bis 1866 Mitherausgeber des neugegründeten Neuen Wiener Tagesblattes, 1871 Redaktionssekretär der Wiener Zeitung, des amtlichen Regierungsblattes; von 1876 bis 1878 Privatlehrer von Erzherzog Rudolf; ab 1878 Professor für Politische Ökonomie an der Universität Wien; 1900 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses.

Ioannis Metaxas (1871 Ithaka – 1941 Athen)

Griechischer General und Politiker; von April bis August 1936 Ministerpräsident, danach errichtete er ein autoritäres Regime. Meunier/Mounir (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Wahrscheinlich ein Mitglied der Familie der Schokoladefabrik Menier. August (von) Miaskowski (1838 Pernau/Gouvernement Livland – 1899 Leipzig)

Deutscher Nationalökonom.

Ludwig Mises (1881 Lemberg/Galizien – 1973 New York)

Wirtschaftswissenschaftler; ab 1906 Mitarbeiter der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Wien, Leiter der Finanzabteilung, 1927 Mitbegründer des Österreichischen Institutes für Konjunkturforschung, ab 1934 Professor am Institute Universitaire des Hautes Etudes Internationale in Genf; 1940 Emigration in die USA, 1945 bis 1969 Lehrtätigkeit an der Graduate School of Business Administration der New York University. Moinson (unsichere Schreibweise/keine Informationen) Arzt von Paul Clémenceau. Alexander Moissi (1880 Triest – 1935 Lugano)

Schauspieler; im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einer der berühmtesten Schauspieler im deutschen Sprachraum; zählte zu den Lieblingsschauspielern von Max Reinhardt; albanischer Herkunft; 1933 verließ er Deutschland, 1935 starb er zwischen einer Italien-Tournee und Filmdreharbeiten in Wien.

Carl Moll (1861 Wien – 1945 Wien/Selbstmord)

Maler; 1897 Mitbegründer der Wiener Sezession.

Guy Pascal Montmartin siehe Guy Pascal Hirsch-Montmartin Anatole de Monzie (1876 Bazas/Gironde – 1947 Paris)

Französischer Politiker, Enzyklopädist und Schriftsteller; zahlreiche Regierungsämter, u. a. Unterrichtsminister, Finanzminister und 1938 bis 1940 Minister für Öffentliche Arbeiten.

Émile Moreau (1868 Poitiers – 1950 Paris)

Französischer Bankier; Generaldirektor der Banque de l’Algérie; 1926 bis 1930 Gouverneur der Banque de France; 1931 bis 1940 Vorsitzender der Banque de Paris et des Pays-Bas S. A. (Paribas).

Biographischer Anhang

365

Koloman Moser (1868 Wien – 1918 Wien)

Maler und Kunsthandwerker; Mitbegründer der Wiener Secession, 1903 gründete er gemeinsam mit Josef Hoffmann die Wiener Werkstätte.

Ernst Christian Mosing (1882 Hermannstadt/Rumänien – 1959 Wien)

Bankier; Direktor der Boden-Kreditanstalt 1919 bis 1929, leitende Funktion in vielen Konzernunternehmungen; Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank, Kurator des Postsparkassenamtes, Mitglied der Wiener Handelskammer, Vizepräsident des Rekonstruktionsauschusses der österr. Creditanstalt für Handel und Gewerbe, 1933 bis 1934 Vorsitzender des Direktoriums der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft, 1935 bis 1938 Präsident der Allgemeinen Baugesellschaft A. Porr, Mitglied zahlreicher Verwaltungsräte von Industrie- und Bankunternehmungen.

Zdenko Mukarovsky (1886 Szegedin – 1969 Baden bei Wien)

Oberfinanzrat in der Finanzlandesdirektion Wien.

Benito Mussolini (1883 Predappio/Forli – 1945 Guilino di Mezzegra/hingerichtet)

Gründer der faschistischen Partei Italiens, italienischer Ministerpräsident 1922 bis 1943, zahlreiche Ministerfunktionen; 1943 bis 1945 Ministerpräsident der Repubblica Sociale Italiana, der faschistischen Gegenregierung in Salò am Gardasee. Netsch (keine Informationen) Referent im Finanzministerium 1937. Heinrich Neumann (1873 Héthárs/Slowakei – 1939 New York)

Arzt; wohnte in Oppolzergasse 6, behandelte „Bubi“ (Emile) Zuckerkandl; ab 1919 Vorstand der Universitäts-Ohren-Nasen-Kehlkopf-Klinik; am 12. Februar 1938 verhaftet; emigrierte im Frühjahr 1939 nach New York.

Robert Neumann (1897 Wien – 1975 München/Selbstmord)

Schriftsteller; ab 1934 lebte er in England und in der Schweiz, 1936/37 vorübergehend in Österreich; scharfer Gesellschaftskritiker und Parodist; 1938 organisierte er in London den „Free Austrian P. E. N.-Club“, 1947 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft; 1950 Vizepräsident des Internationalen P. E. N.-Clubs, trat gegen rechte Strömungen auf; ab 1958 lebte er in der Schweiz.

Helene von Nostiz-Wallwitz (geborene Beneckendorff-Hindenburg) (1878 Berlin – 1944 Bassenheim/Koblenz)

Deutsche Schriftstellerin und Salonière; befreundet mit Rodin, Rilke und Hofmannsthal.

Hermann Nothnagel (1841 Alt-Lietzegöricke/Mark Brandenburg – 1905 Wien)

Arzt; 1882 Vorstand der Ersten Medizinischen Universitätsklinik. Er veröffentlichte bahnbrechende Arbeiten über die Physiologie und Pathologie des Nervensystems und des Darmtrakts. Olga (keine Informationen) Bedienstete von BZ. Berthold Oplatek (1888 Wien – 1944 KZ Auschwitz/ermordet)

Parlamentsstenograph; August 1921 bis April 1931 Sekretär und Kanzleivorstand von GK; Oktober 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Vinzenz Ludwig Ostry (1897 Wien – 1977 Wien)

Journalist; 1924 bis 1934 Redakteur im „Wiener Tag“, 1934 bis 1938 Chefredakteur; 1938 bis 1939 im KZ Buchenwald interniert; ab Mai 1945 Mitarbeiter von Radio Wien, 1946 bis 1950 Chefredakteur der „Austria Presse Agentur“, 1950 bis 1954 Direktor bei „Radio RotWeiß-Rot“, 1959 bis 1966 Leiter des Pressedienstes der Kanzlei des Bundespräsidenten.

366

Biographischer Anhang

Paul Painlevé (1863 Paris – 1933 Paris)

Französischer Mathematiker und Politiker; 1915 Bildungsminister, 1917 strebte er einen Separatfrieden mit Österreich-Ungarn an; 1917 Kriegsminister, September bis November 1917 und April bis November 1925 Ministerpräsident, danach bis 1929 Kriegsminister und 1930 bis 1932 sowie 1932/1933 Luftfahrtminister.

Franz von Papen (1879 Werl/Westfalen – 1969 Obersasbach/Baden)

Deutscher Politiker und Diplomat; 1.6. bis 17. 11. 1932 Reichskanzler, 1933/34 Vizekanzler im Kabinett Hitler; 1933 bis 1945 Mitglied des Reichstages; 1934 bis 1938 Gesandter (Juli 1936 Ernennung zum Botschafter in besonderer Mission für seine Verdienste um das Zustandekommen des Abkommens zwischen Österreich und dem Deutschen Reich vom 11. 7. 1936) in Österreich; April 1939 bis August 1944 Botschafter in der Türkei, 1946 im Nürnberger Prozess freigesprochen, 1947 in einem deutschen Spruchkammerverfahren als Hauptschuldiger eingestuft, zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, 1949 vorzeitig entlassen. Passmore (keine Informationen) Britischer Bankier. Joseph Paul-Boncour (1873 Saint-Aignan, Loir-et-Cher – 1972 Paris)

Französischer Politiker; Abgeordneter; zahlreiche Regierungsämter, u. a. 18. 12. 1932 bis 31. 1. 1933 Ministerpräsident; 1932 bis 1934 und 1938 Außenminister; 1948 an der Formulierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt.

Gustave Payot (1884 Lausanne – 1960 Paris)

Schweizer Verleger; ab 1906 Leiter der Verlagsabteilung der Firma Payot (Buchhandel und Verlag); ab 1912 Direktor der selbständigen Pariser Filiale; gab geistes- und sozialwissenschaftliche Publikationsreihen heraus; veröffentlichte während des Ersten Weltkrieges antideutsche Broschüren.

Philippe Pétain (1856 Cauchy-à-la Tour – 1951 Port-Joinville/Insel Yeu)

Französischer Militär und Politiker; der „Held von Verdun“ wurde 1917 Oberbefehlshaber der französischen Armee, 1922 bis 1931 Generalinspekteur der Armee; 1940 bis 1944 autoritärer Chef de l’État (Staatschef) des Vichy-Regimes; 1944 von den Deutschen interniert, wurde er im August 1945 wegen Hoch- und Landesverrat (Kollaboration) zum Tode verurteilt, von Charles de Gaulle zu lebenslanger Haft begnadigt und auf die Atlantik-Insel Yeu verbannt.

Stephen Peto (eigentlich Stefan Petö) (1907 Budapest – 1974 Shrivenham/Oxfordshire)

Statistiker; Ehemann von Hanni Stadlen; 1911 Übersiedelung nach Wien, nach Abschluss eines Wirtschaftsstudiums studierte er an der Universität Wien von 1934 bis 1938 noch Jus, in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig; 1938 Emigration nach England, 1940/1941 als „enemy alien“ in Australien interniert (gemeinsam mit Peter und Erich Stadlen), trat der Britischen Armee bei; 1945 bis 1949 studierte er Mathematik und Statistik am Imperial College London, nach Tätigkeiten im Kriegs- und Verteidigungsministerium wurde er Chef der Statistik am Government Research Establishment in Porton Down.

Raymond Philippe (unbekannt – 1943)

Französischer Bankier; Währungsspezialist, Seniorpartner des Bankhauses Lazard Frères, 1931 gründete er die erste globale Investment-Gesellschaft „Union Internationale de Placements“ in Luxemburg mit Büros in Paris und New York; 1939 wurden die Vermögenswerte unter dem Namen Pan-Holding nach Panama transferiert, Philippe blieb in Frankreich, wurde 1942 verhaftet und starb an den Folgen der Haft 1943.

Biographischer Anhang

367

Eugen Philippovich (1858 Wien – 1917 Wien)

Nationalökonom und Politiker; 1893 bis1917 Univ.-Prof. in Wien; aktiv in der 1896 gegründeten Sozialpolitischen Partei.

Caroline Pichler (geborene Greiner) (1769 Wien – 1843 Wien)

Salonière und Schriftstellerin; schrieb zahlreiche patriotische Romane aus der österreichischen Geschichte; ihr literarischer Salon war Mittelpunkt des kulturellen Wiens. Pickett (keine Informationen) Britischer Geschäftsmann. Erwin Piscator (1893 Ulm – 1966 Starnberg)

Deutscher Theaterintendant und Regisseur; entwickelte eine politische Theatersprache unter Einbeziehung medialer Elemente wie Film- und Bildprojektionen; 1927 gründete er die Piscator-Bühne in Berlin; ging 1931 in die Sowjetunion, dort u. a. Inszenierung des Spielfilms „Der Aufstand der Fischer“; 1936 Emigration nach Frankreich, 1939 weiter in die USA; 1940 Gründer und bis 1951 Leiter einer Schauspielschule, dem Dramatic Workshop an der New School for Social Research in New York; 1951 Rückkehr nach Deutschland; 1962 bis 1966 Intendant an der Freien Volksbühne Westberlin.

Pius XI. (eigentlich Achille Ratti) (1857 Desio/Lombardei – 1939 Rom)

Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, 1918 bis 1920 Nuntius in Polen, 1921 Ernennung zum Erzbischof von Mailand und Kardinal, am 6. 2. 1922 zum Papst gewählt.

Raymond Poincaré (1860 Bar-le-Duce – 1934 Paris)

Französischer Politiker; Jänner 1912 bis Jänner 1913 Ministerpräsident (gleichzeitig Außenminister); 1913 bis 1920 Staatspräsident; 1922 bis 1924 sowie 1926 bis 1929 mehrfach Ministerpräsident (zeitweise gleichzeitig Außenminister); seine anfänglich strikt antideutsche Haltung änderte sich in seinen letzten politischen Jahren.

Alfred Polgar (1873 Wien – 1955 Zürich)

Schriftsteller, Satiriker und Theaterkritiker; 1925 bis 1933 in Berlin, 1933 bis 1938 in Wien und in der Schweiz; ab 1938 in Paris; 1941 Emigration über Spanien in die USA; ab 1949 wieder in der Schweiz mit Wienaufenthalten.

Oskar Pollak (1878 Wien – 1942 KZ Maly Trostinec bei Minsk/ermordet)

Bankier; 1904 bis 1911 Direktor der Banca Commerciale Triestina, nach 1918 Nationalisierung des Filialnetzes des Wiener Bankvereines in der Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien , 14. 4. 1930 Eintritt in den Vorstand der Creditanstalt, Vizepräsident der Wiener Börsekammer, Direktor der Österreichischen Creditanstalt – Wiener Bankverein, Präsident der Österreichischen Kontrollbank für Industrie und Handel sowie des Wiener Giro- und Cassen-Vereins, ab Dezember 1935 Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie; 1942 Deportation in das KZ Maly Trostinec.

Poncet siehe André François-Poncet Porel (unsichere Transkription), wahrscheinlich Émile Borel, siehe Borel Gabriel Puaux (1883 Paris – 1970 Österreich)

Französischer Diplomat; 1905 Eintritt in den diplomatischen Dienst, 1919 französischer Pressechef bei den Pariser Friedensverhandlungen, 1926 bis 1928 Gesandter in Litauen, 1928 bis 1933 Gesandter in Bukarest, 1933 bis März 1938 a. o. Gesandter und bev. Minister in Wien; 1939 bis 1940 Oberkommissar für Syrien und Libanon, 1943 bis 1946 Generalresident in Marokko, 1947 bis 1948 Botschafter in Schweden, 1952 bis 1959 Mitglied des Senates.

368

Biographischer Anhang

Pierre Quesnay (1895 Évreux/Eure – 1937 Saint-Léomer)

Französischer Finanzexperte; Student bei Charles Rist, von diesem nach dem Ersten Weltkrieg in die Reparationskommission geholt (u. a. 1918 in Wien); 1925/26 Assistent des Hochkommissars des Völkerbundes in Österreich, ab 1926 in der Banque de France tätig, Mitglied des Komitees für den Young-Plan, 1929 bis 1930 Experte bei den Konferenzen in Den Haag und London, 1930 Gründungsmitglied der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, im April zu deren ersten Generaldirektor gewählt.

Julius Raab (1891 St. Pölten – 1964 Wien)

Politiker (Christlichsoziale Partei, ÖVP); 1927 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, ab 15. 9. 1928 Landesführer der niederösterreichischen Heimwehr, seit Jänner 1934 Präsident des österreichischen Reichsgewerbebundes, 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeswirtschaftsrates, 1934 bis1938 Mitglied des Bundestages, Februar 1938 Präsident der Niederösterreichischen Handelskammer, 16.2. bis 11. 3. 1938 Bundesminister für Handel und Verkehr, März 1938 Enthebung von allen Ämtern; 1945 Mitbegründer der ÖVP, 1945 Gründer und bis 1963 Präsident des österreichischen Wirtschaftsbundes, 27.4. bis 20. 12. 1945 Staatssekretär für öffentliche Bauten, Übergangswirtschaft und Wiederaufbau, 1945 bis 1964 Nationalratsabgeordneter.

Rudolf Ramek (1881 Teschen/Österreichisch-Schlesien – 1941 Wien)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); 4. 3. 1919 bis 9. 11. 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 17. 10. 1919 bis 24. 6. 1920 Staatssekretär für Justiz, 1920 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 23.4. bis 21. 6. 1921 Bundesminister für Inneres und Unterricht, November 1924 bis Oktober 1926 Bundeskanzler, Dezember 1930 bis 4. 3. 1933 Zweiter Präsident des Nationalrates.

Paul Raumann (1887 Wien – 1935 Wien)

Bankier; Direktor im Bankhaus Langer & Co, ab 1924 persönlich haftender Gesellschafter.

Maurice Ravel (1875 Ciboure/Basses-Pyrénées – 1937 Paris)

Französischer Komponist.

Amalia/Amalie Redlich (geborene Zuckerkandl) (1868 Budapest – 1941 Łódź/ermordet)

Miteigentümerin des Sanatoriums Purkersdorf (seit 1927); war die Schwägerin von BZ, in erster Ehe mit Dr. Julius Rudinger verheiratet und in zweiter Ehe mit Prof. Emil Redlich (in den Briefen fallweise als Prof. Amalia Redlich tituliert); lebte bis 1939 gemeinsam mit ihrer Tochter Mathilde Jorisch und ihrem Enkel Georg Jorisch in der Eugen-Villa auf dem Areal des Sanatoriums Purkersdorf.

Emil Redlich (1868 Brünn – 1930 Wien)

Neurologe und Psychiater; ab 1914 Leiter der Nervenheilanstalt Maria-Theresien-Schlössel.

Josef Redlich (1869 Göding/Mähren – 1936 Wien)

Jurist und Politiker; Universitätsprofessor für Verwaltungs- und Verfassungsrecht, ab 1907 Reichsratsabgeordneter, 21. 10. 1918 bis 16. 2. 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 27.10. bis 11. 11. 1918 k. k. Minister für Finanzen, 20.6. bis 5. 10. 1931 Finanzminister.

Max Reinhardt (ursprünglich Maximilian Goldmann) (1873 Baden bei Wien – 1943 New York)

Regisseur und Theaterdirektor; Begründer des modernen europäischen Regietheaters; ab 1920 Leiter der Salzburger Festspiele, leitete mehrere Theater, u. a. ab 1924 das Theater in der Josefstadt, 1929 gründete er seine eigene Schauspielschule, das „Reinhardt-Seminar“; 1937 emigrierte er mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Thimig, über London nach New York.

Biographischer Anhang

369

Richard Reisch (1866 Wien – 1938 Wien)

Jurist; 1891 bis 1910 im Finanzministerium; 29. 10. 1910 Ernennung zum Direktor der Allgemeinen österreichischen Boden-Credit-Anstalt, 1914 Professor an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien; 17. 10. 1919 bis 20. 11. 1920 Staatssekretär für Finanzen, ab Frühjahr 1921 Vizepräsident der Allgemeinen österreichischen Boden-Credit-Anstalt, 1922 bis 1932 Präsident der Oesterreichischen Nationalbank.

Ernest Renan (1823 Tréguier/Bretagne – 1892 Paris)

Französischer Religionswissenschaftler, Orientalist und Schriftsteller.

Karl Renner (1870 Unter-Tannowitz/Mähren – 1950 Wien)

Politiker (Sozialdemokratische Partei); 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. 10. 1918 bis 16. 2. 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 1918 bis 1920 Staatskanzler, 1919/20 Staatssekretär für Äußeres; 1919 Leiter der österreichischen Delegation in St. Germain; 4. 3. 1919 bis 9. 11. 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1934 Nationalratsabgeordneter; 1923 Gründer der Arbeiterbank, ab 1926 Präsident der Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Konsumvereine, April 1931 bis 4. 3. 1933 Präsident des Nationalrates, 1934 vorübergehend inhaftiert; 27.4. bis 20. 12. 1945 Staatskanzler (SPÖ), 19. bis 20. 12. 1945 Nationalratsabgeordneter, 1945 bis 1950 Bundespräsident.

Henry Reuter (1884 Wien – 1957)

Generaldirektor der Wiener Niederlassung der Banque des Pays de l’Europe Centrale (Zentraleuropäische Länderbank); Verwaltungsrat zahlreicher Unternehmungen, u. a. der Allgemeinen Creditbank Warschau, der Trafailer Kohlenwerks-Gesellschaft Ljubljana und der Vereinigten Carborundum und Elektrit Werke AG Neu-Benatek; Verwaltungsratspräsident der Sphinx AG Prag.

Oskar Ried (1881 Wien – unbekannt)

Arzt; Dezember 1938 nach Südamerika abgemeldet.

Charles Rist (1874 Prilly/Schweiz – 1955 Versailles)

Französischer Finanzexperte; Professor für politische Ökonomie der juristischen Fakultät der Pariser Universität; Berater bei in- und ausländischen Finanztransaktionen, u. a. 1926 bis 1929 Vize-Gouverneur der Bank von Frankreich, ab 1931 Finanzberater der Nationalbank von Rumänien und Österreich; u. a. Mitglied des Suezkanal-Verwaltungsrates und der Bank von Frankreich und der Niederlande; 1937 gehörte er zu den Finanzinspektoren, die die Oberaufsicht über die Finanzen unter der Regierung Léon Blum erhielten und als Vertreter von Bankinteressen zum Sturz der Regierung beitrugen; bis 1954 behielt er viele Wirtschaftsfunktionen in Banken und großen Unternehmungen. Madame Rist – Ehefrau Taddäus Rittner (1873 Lemberg – 1921 Bad Gastein)

Beamter und Schriftsteller; schrieb in deutscher und polnischer Sprache; 1898 bis 1918 im Ministerium für Kultus und Unterricht; 1912, 1917 und 1918 bewarb er sich erfolgslos für den Posten des Hofburgtheaterdirektors, 1915/1916 Regisseur und Direktor des polnischen Theaters in Wien.

Johann Rizzi (1880 Villach/Kärnten – 1968 Wien)

Jurist; 1904 Eintritt in den Staatsdienst, 1919 bis 1941 im Finanzministerium, 1923 bis 1940 Vorstand des Departements für Staatskredit, Staatsschuld und Währung, 1931 bis 1938 Staatskommissär der Oesterreichischen Nationalbank, 31. 3. 1941 Versetzung in den dauernden Ruhestand; 4. 5. 1945 Wiedereintritt in den Staatsdienst als Leiter der Kreditsektion im Finanzministerium, 26. 7. 1945 Pensionierung, 5.5. bis 20. 12. 1945 Unterstaatssekretär für Finanzen, 1945 bis 1952 Präsident der Oesterreichischen Nationalbank.

370

Biographischer Anhang

Hermann Röbbeling (1875 Stolberg am Harz/Preußen – 1949 Wien)

Deutscher Schauspieler; ab 1912 Direktor des Stadttheaters Frankfurt an der Oder; ab 1915 Direktor des Hamburger Thaliatheaters sowie ab 1928 des Deutschen Schauspielhauses; 1932 bis 1938 Direktor des Wiener Burgtheaters.

Eugen Robert (Weiss) (1877 Budapest – 1944 London)

Rechtsanwalt, Journalist und Theaterdirektor; 1908 Gründer des Hebbel-Theaters in Berlin; 1913 Leiter der Münchner Kammerspiele, 1916 Schauspieldirektor am Residenz-Theater Berlin, 1920 bis 1933 Leitung der Berliner Tribüne; 1933 emigrierte er nach England. Robinet (keine Informationen) Französischer Beamter/Bankier. John Davison Rockefeller Sr. (1839 Richford/New York – 1937 Ormond Beach/Florida)

US-Unternehmer; Mitbegründer der Standard Oil Company; weitreichendes philan-

thropisches Wirken, u. a. finanziell an der Gründung der Universität Chicago beteiligt; 1913 Gründung der Rockefeller Foundation.

Walther Rode (ursprünglich Rosenzweig) (1876 Czernowitz/Bukowina – 1934 Comologno/ Schweiz)

Rechtsanwalt, Journalist und Schriftsteller; studierte Jus in Wien, als Rechtsanwalt Verteidiger in großen politischen Prozessen; während des Ersten Weltkrieges Mitglied der „Österreichischen Politischen Gesellschaft“, trat für einen Verständigungsfrieden ein; eine Satire gegen das Beamtentum führte zum Boykott seiner Anwaltskanzlei; ab 1928 lebte er in der Schweiz, vom „Prager Tagblatt“ zum Korrespondenten beim Völkerbund in Genf bestellt, weiter publizistisch und schriftstellerisch tätig, u. a. schrieb er gegen NS-Deutschland und Rassismus.

Auguste Rodin (1840 Paris – 1917 Meudon)

Französischer Bildhauer.

Ida Roland (ursprünglich Ida Klausner) (1881 Wien – 1951 Nyon/Schweiz)

Schauspielerin; Engagements in Österreich und Deutschland, 1937 zog sie sich von der Bühne zurück; unterstützte die Paneuropa-Bewegung ihres Ehemannes Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi; 1938 Flucht in die Schweiz; lebte ab 1939 in Paris, wo sie am neuen Paneuropa-Union-Zentrum mitwirkte; 1940 Flucht in die USA; weiter in der Paneuropa-Bewegung aktiv; 1944 gründete sie gemeinsam mit Otto Habsburg-Lothringen die Flüchtlingsorganisation „American Relief to Austria“; 1946 Rückkehr in die Schweiz.

Karl Rollet (1883 Baden bei Wien – 1941 Wien)

Beamter; 1908 Eintritt in den Dienst bei der Nordbahn, 1919 Einberufung in das Finanzministerium, ab August 1936 Referent des Departement 21 (legislative und administrative Agenden auf dem Gebiet des Pensionswesens), 1938 Vorstand des Departements 20 (Angelegenheiten der Beamten, Vertragsangestellten und der Arbeiter im Bereich der Finanzverwaltung), ab 1. 10. 1938 im Reichsfinanzministerium.

Franklin Delano Roosevelt (1882 Hyde Park/New York – 1945 Warm Springs/Georgia)

US-Politiker; 1933 bis 1945 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Franklin Delano Roosevelt Jr. (1914 Campobello Island/New Brunswick/Canada – 1988 ­Poughkeepsie/New York)

US-Politiker; Sohn des 32. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Frank-

lin Delano Roosevelt; verheiratet mit Ethel du Pont (1937); 1949 bis 1955 Mitglied des

US-Repräsentantenhauses.

Siegmund Rosenhauch (keine Informationen)

Schulfreund von Peter Stadlen.

Biographischer Anhang

371

Rosl (keine Informationen)

Hilfe von BZ

Henri de Rothschild (Pseudonyme André Pascal, Charles des Fontaines, P.-L. Naveau) (1872 Paris – 1947 Jouxtens-Mézery/Schweiz)

Französischer Schriftsteller; Vater von Philippe de Rothschild.

Philippe de Rothschild (1902 Paris – 1988 Paris)

Französischer Unternehmer; produzierte sehr früh Tonfilme: 1933 „Lac aux dames“; im Zweiten Weltkrieg wurden seine Besitzungen vom Vichy-Regime annektiert; verbrachte die Kriegsjahre in England, seine Ehefrau wurde im KZ Ravensbrück ermordet.

Maurice-François-Marie Rousselot (Pseudonym François Crucy) (1875 Nantes – 1958 Nizza)

Französischer Journalist und Politiker; 1936/37 Leiter des Informationsdienstes der Regierung Léon Blum; aktiv in der Résistance, nach der Befreiung Frankreichs zentrale Rolle in der französischen Nachrichtenagentur Agence France-Presse.

Julius Rudinger (1861 Wien – 1930 Wien)

Arzt; Ex-Ehemann von Amalia Redlich (geborene Zuckerkandl); Vater von Mathilde Jorisch.

Erzherzog Rudolf (1858 Laxenburg – 1889 Mayerling/Selbstmord)

Kronprinz von Österreich-Ungarn; einziger Sohn Kaiser Franz Josephs; kam wegen seiner liberalen Einstellungen immer wieder in scharfe Gegnerschaft zu seinem Vater; trat auch als Publizist, Reise- und Jagdschriftsteller hervor; war eng mit Moriz Szeps, dem Vater von BZ, befreundet.

Roger Salengro (1890 Lille – 1936 Lille/Selbstmord)

Französischer Politiker; ab 1929 Bürgermeister von Lille, vom 4. Juni bis 17. November 1936 Innenminister in der Regierung Léon Blum; nach einer Verleumdungskampagne durch die rechte Action française beging er Selbstmord.

Felix Salten (ursprünglich Siegmund Salzmann) (1869 Budapest – 1945 Zürich)

Schriftsteller; Theaterkritiker der „Neuen Freien Presse“, bis 1933 Präsident des Österreichischen P. E. N.-Clubs.; 1938 Emigration, lebte in Hollywood und Zürich; erfolgreich waren u. a. seine Tiergeschichten („Bambi“).

Dagny Sautreau (geborene Björnson) (1876 Norwegen – 1974 Oslo)

Französische Salonière; führte in Paris einen Salon, Ehefrau von Georges Sautreau (1875 Paris – 1952 Paris), Industrieller, Autor und Übersetzer. Madame Savoir (keine Informationen) (Zweite Klägerin in einem Prozess um Urheberrechte). Viktor Schauberger (1885 Holzschlag – 1958 Linz)

Förster, Naturforscher und Erfinder; 1924 bis 1926 staatlicher Konsulent für das Schwemmwesen im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft; baute Schwemmanlagen, u. a. in Österreich, Jugoslawien und der Türkei; entwickelte zahlreiche grenz- und pseudowissenschaftliche Theorien und Apparaturen.

Rafael (Raphael) Schermann (1879 Krakau – 1940 ungeklärt)

Polnischer Graphologe; ab 1910 Arbeit in Wien als Versicherungskaufmann, trat als Schriftdeuter, Telepath und Hellseher auf; 1927 Übersiedelung nach Berlin.

René Schickele (1883 Oberehnheim/Elsass – 1940 Vence/Frankreich)

Deutsch-französischer Schriftsteller, Übersetzer und Pazifist; 1914 Herausgeber der Zeitschrift „Die Weißen Blätter“, in der u. a. pazifistische Autoren publizierten; 1918 politisch aktiv für die Errichtung einer demokratisch-sozialistischen Republik, wählte Badenweiler als Wohnort, wo ihn eine enge Freundschaft mit Annette Kolb verband,

372

Biographischer Anhang

trat aktiv für eine deutsch-französische Verständigung ein; 1932 Emigration nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, wo zahlreiche deutsche Schriftsteller im Exil lebten.

Egon Schiele (1890 Tulln – 1918 Wien)

Maler; neben Oskar Kokoschka und Gustav Klimt einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne.

Karl Schlesinger (1889 Budapest – 1938 Wien/Selbstmord)

Nationalökonom und Bankier; in seiner Schrift „Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft“ (1914) nimmt er Überlegungen vorweg, die John Maynard Keynes erst während des Ersten Weltkrieges formulierte; 1919 wegen der revolutionären Vorgänge in Ungarn Übersiedelung nach Wien; wählte nicht eine akademische Laufbahn, sondern blieb Bankier.

Wilhelm Schloss (1898 – unbekannt)

Radiologe, Spitalsarzt in Wien.

Heinrich Schmid (1888 Wien – 1968 Wien)

Diplomat; 1911 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1922 bis 1933 Gesandtschaft Paris, 1933 bis 1935 a. o. Gesandter und bev. Minister in Bern, 1935 bis 1937 in Belgrad, 1937/38 in Warschau; 31. 3. 1941 Versetzung in den Wartestand; 1941 bis 1945 Vorstandsdirektor der Elbemühl Papierfabrik AG Wien; 1946 bis 1950 politischer Vertreter bzw. ab 19. 9. 1947 a. o. Gesandter und bev. Minister in London, 1950 bis 1953 Gesandter bzw. ab 18. 12. 1951 a. o. und bev. Botschafter in Paris, 1953/54 in Bonn, 31. 12. 1953 Versetzung in den Ruhestand.

Guido Schmidt (1901 Bludenz – 1957 Wien)

Diplomat; 1925 bis 1927 Tätigkeit bei der österreichischen Gesandtschaft in Paris, 1936 Beteiligung am Zustandekommen des Juli-Abkommen mit dem Deutschen Reich, ab Juli 1936 Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten, Februar bis März 1938 Bundesminister; ab 1939 führende Stellung in den Hermann-Göring-Werken in Linz; 1945 Inhaftierung wegen angenommener Mitwirkung am „Anschluss“; 1947 Freispruch in einem Hochverratsprozess; danach bis 1957 Generaldirektor der Semperit Österreichisch-Amerikanischen Gummiwerke AG.

Richard Schmitz (1885 Müglitz/Mähren – 1954 Wien)

Politiker (Christlichsoziale Partei); Dezember 1918 bis 1923 Mitglied des Gemeinderates von Wien, 1920 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 1922 bis 1924 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1926 bis 1929 Bundesminister für Unterricht, 30.9. – 4. 12. 1930 Vizekanzler und mit der Leitung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung betraut, 21. 9. 1933 bis 16. 2. 1934 Bundesminister für soziale Verwaltung, Landesführer der Vaterländischen Front in Wien, 16. 2. 1934 Bestellung zum Regierungskommissär für Wien, 16.2. bis 10. 7. 1934 Bundesminister ohne Portefeuille, 1934 bis 1938 Bürgermeister von Wien, 1934 bis 1938 Mitglied des Länderrates und des Bundestages; 12. 3. 1938 Verhaftung, Internierung im KZ Dachau, Flossenbürg und im Lager Reichenau/Innsbruck. Oscar Schnabel (keine Informationen) Generalkonsul in Amsterdam; 1935/36 Mitglied des Golfklubs Salzkammergut. Josefine Schneider (keine Informationen) Hilfe bei BZ. Marie Schneider (keine Informationen) Hilfe bei BZ. Arthur Schnitzler (1862 Wien – 1931 Wien)

Arzt und Schriftsteller; einer der meist gespielten deutschsprachigen Dramatiker vor dem Ersten Weltkrieg; seine Werke zeigen den Einfluss der Psychoanalyse Freuds. Er arbeitete als erster namhafter österreichischer Schriftsteller auch für den Film.

Biographischer Anhang

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Olga Schnitzler (geborene Gussmann) (1882 Wien – 1970 Lugano)

Sängerin und Schauspielerin; 1903 Verehelichung mit Arthur Schnitzler, 1921 Scheidung.

Johannes Schober (1874 Perg/Oberösterreich – 1932 Baden)

Jurist und Politiker; 1898 Eintritt in den Polizeidienst, 1914 Betrauung mit der Leitung der Staatspolizei, ab 11. 6. 1918 Leiter der Polizeidirektion Wien, ab 30. 11. 1918 Polizeipräsident von Wien, 3. 12. 1918 Betrauung mit der Leitung des gesamten öffentlichen Sicherheitsdienstes; 21. 6. 1921 bis 26. 1. 1922 Außenminister, 21. 6. 1921 bis 31. 5. 1922 und 26. 9. 1929 bis 30. 9. 1930 Bundeskanzler, 16.1. bis 26. 1. 1922 Innen-und Unterrichtsminister, 10.5. bis 31. 5. 1922 Finanzminister, 26.9. bis 16. 10. 1929 Unterrichts- und Finanzminister, 17.6. bis 20. 6. 1930 Handelsminister, 1930 bis 1932 Nationalratsabgeordneter (Nationaler Wirtschaftsblock), 4. 12. 1930 bis 29. 1. 1932 Vizekanzler mit der sachlichen Leitung der Auswärtigen Angelegenheiten betraut, 30.5. bis 20. 6. 1931 Bundesminister für Justiz.

Arnold Schönberg (1874 Wien – 1951 Los Angeles)

Komponist und Maler; zentrale Persönlichkeit der Wiener atonalen Schule, übte entscheidenden Einfluss auf die neuere Musik aus; 1925 bis 1933 Leiter einer Meisterklasse der Musik-Akademie in Berlin; 1933 Emigration in die USA; 1934 bis 1940 Lehrer in Los Angeles und Boston.

Arthur Schopenhauer (1788 Danzig – 1860 Frankfurt am Main)

Deutscher Philosoph, beeinflusst von Platon und Kant; entwickelte den „subjektiven Idealismus“. Schorr (keine Informationen) Angestellter in der Heilmittelstelle. Maximilian Schreier (1877 Brünn – 1942 Wien/Selbstmord)

Journalist, Zeitungsherausgeber und Chefredakteur; der Sozialdemokratie nahe stehend, 1910 Gründung des Wiener Montagsblatt „Der Morgen“, 1922 Gründung der Zeitung „Der Tag“ (ab 1930 „Der Wiener Tag“), ab 1931 inoffizieller Herausgeber der „Wiener Allgemeinen Zeitung“; stand in scharfem Gegensatz zum Dollfuß-Regime und dessen Politik; nach dem Februar 1934 musste er alle journalistischen Funktionen zurücklegen, erst kurz vor dem „Anschluss“ konnte er seine Tätigkeit beim „Morgen“ wieder aufnehmen, 13. 3. 1938 Verhaftung, später Deportation in das KZ Buchenwald, Frühjahr 1940 in einem politischen Prozess verurteilt und neuerlich inhaftiert; Juni 1942 Selbstmord vor der bevorstehenden Deportation. Schrumpf (keine Informationen) Französischer Angestellter; Sekretär von Paul Clémenceau; Prokurist der Firma Dynamite Nobel. Josef Schumpeter (1883 Triesch/Mähren – 1950 Taconic/USA)

Nationalökonom; 1907 bis 1908 am Internationalen Gerichtshof in Kairo, seit 1909 a. o. Universitätsprofessor in Czernowitz/Bukowina, 1911 o. Universitätsprofessor in Graz, 1913/14 Austauschprofessor in den USA, 1916/1917 Dekan an der Universität Graz; 15.3. bis 17. 10. 1919 Staatssekretär für Finanzen, 1920 wieder Lehrtätigkeit in Graz, 1921 bis 1925 Präsident der Biedermann-Bank in Wien; 1925 bis 1932 Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre in Bonn, 1932 bis 1950 Professor in Harvard, 1937 bis 1941 Präsident der Econometric Society, 1948 Präsident der American Economic Association, 1949 Präsident der International Economic Association.

Vinzenz Schumy (1878 Saak im Gailtal – 1962 Wien)

Politiker (Christlichsoziale Partei); 1919 bis 1923 Präsident der Kärntner Landwirtschaftskammer, 1921 bis 1923 Landeshauptmannstellvertreter von Kärnten, 1922 bis 1932 Ob-

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Biographischer Anhang

mann des Österreichischen Landbundes, 1923 bis 1927 Landeshauptmann von Kärnten, 1927 bis 1930 Mitglied der Kärntner Landesregierung, zuständig für das Finanzwesen, 4.5. bis 26. 9. 1929 Vizekanzler, 26. 9. 1929 bis 30. 9. 1930 Bundesminister für die sachliche Leitung der inneren Angelegenheiten, 1930 bis 1934 Landeshauptmannstellvertreter von Kärnten, 10.5. bis 21. 9. 1933 Bundesminister, mit der sachlichen Leitung der inneren Verwaltung und der wirtschaftspolitischen Angelegenheiten betraut; 1938 bis 1945 in der Privatwirtschaft tätig; ab 30. 8. 1946 Mitglied der Kreditlenkungskommission (für die ÖVP), 26.9. bis 20. 12. 1945 Staatssekretär für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 1945 bis1949 Nationalratsabgeordneter, 1945 bis 1951 Vizepräsident des Österreichischen Bauernbundes, bis 1962 Generalanwalt des Verbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften.

Max Schur (1897 Stanislau – 1969 New York City)

Arzt und Psychoanalytiker; ab 1929 Leibarzt von Sigmund Freud; floh 1938 gemeinsam mit Freud nach London und leistete ihm 1939 Sterbehilfe; danach Emigration in die USA; Anstellung als Arzt an der dermatologischen Abteilung des Bellevue Hospital in New York City; ab 1957 als Psychoanalytiker tätig; zeitweilig Präsident der American Psychoanalytic Association; veröffentlichte zahlreiche medizinische und psychoanalytische Arbeiten.

Kurt Schuschnigg (1897 Riva – 1977 Mutters bei Innsbruck)

Rechtsanwalt und Politiker (Christlichsoziale Partei); 1927 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 1932/33 Justizminister, 1933/34 Unterrichtsminister, 29. Juli 1934 bis 11. März 1938 Bundeskanzler, zeitweise zugleich mit der Funktion des Unterrichtsministers und des Bundesministers für Heereswesen bzw. für Landesverteidigung betraut; 1938 bis 1945 in verschiedenen KZ inhaftiert; Mai 1945 Befreiung durch US-Truppen, ab 1948 Professor in St. Louis/USA; Dezember 1967 Rückkehr nach Österreich.

Eugenie/Genia Schwarzwald (geborene Nuss(ß)baum) (1872 Polupanowka/Galizien – 1940 Zürich)

Pädagogin und Schulreformerin; studierte in Zürich Germanistik (1900 Dr. phil.); ab 1901 verwirklichte sie ihre Vorstellungen von einer gewaltfreien Erziehung und freien Entfaltung jeden Kindes; in ihrer Schule konnten Mädchen erstmals maturieren; ihre Wiener Wohnung war Treffpunkt bekannter Künstler und Persönlichkeiten der unterschiedlichsten Richtungen; während des Ersten Weltkrieges organisierte sie Sozialeinrichtungen und ab 1918 Erholungsheime für Kinder und Erwachsene; ab 1920 wurde die „Villa Seeblick“ am Grundlsee Treffpunkt für Jugendliche, Künstler und Freunde; ab 1933 half sie Flüchtlingen aus Deutschland, ab 1934 verfolgten Sozialdemokraten, 1938 emigrierte sie in die Schweiz.

Hermann Schwarzwald (1871 Czernowitz/Bukowina – 1939 Zürich)

Jurist und Bankier; 1917 bis 1924 im Finanzministerium, als Leiter der Kredit- und Währungssektion Verdienste um Stabilisierung der Währung, Mitbegründer der Notenbank; nach seiner Pensionierung 1924 zahlreiche Positionen in der Wirtschaft, u. a. 1924/1925 Generalrat und Präsident der Wiener Repräsentanz der Anglo Austrian Bank Ltd. London-Wien, 1925 bis 1929 Verwaltungsrat der Elin AG Wien, 1928/29 Verwaltungsrat der Pulverfabrik Skodawerke-Wetzler AG Wien, ab 1931 Direktor der Preßburger Niederlassung der Dynamit Nobel AG; 1938 Emigration in die Schweiz.

Ignaz Seipel (1876 Wien – 1932 Pernitz)

Katholischer Priester und Politiker (Christlichsoziale Partei); 1908 Habilitation, 1909 bis 1917 Professor für Moraltheologie in Salzburg, ab 1917 in Wien; Oktober/November 1918 Bundesminister für soziale Fürsorge, 1919 bis 1920 Mitglied der Konstituierenden

Biographischer Anhang

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Nationalversammlung, 1920 bis 1932 Nationalratsabgeordneter, 1921 bis 1930 Obmann der Christlichsozialen Partei, 1922 bis 1924 und 1926 bis 1929 Bundeskanzler, September bis Dezember 1930 Außenminister; er war maßgeblich an dem Zustandekommen der Völkerbundanleihe 1922 beteiligt; bekämpfte die Sozialdemokratie u. a. durch Förderung der Heimwehren.

Sicard (keine Informationen) Harry Sicher (1889 Wien – 1974 USA)

Arzt; führend in der Forschung zur Anatomie und Histologie der Zahnheilkunde; im April 1938 von seinem Amt am Zahnärztlichen Institut der Universität Wien enthoben, emigrierte 1939 nach Chicago und erlangte mit seinen mikroskopischen Studien parodontaler Erkrankungen Weltbekanntheit.

Rudolf Sieghart (bis 1895 Rudolf Singer) (1866 Troppau/Österreichisch-Schlesien – 1934 Luzern)

Beamter und Bankier; 1894 Eintritt in den Staatsdienst, 1895 in das Finanzministerium berufen, bis 1910 als Sektionschef Vorstand der Präsidialkanzlei, 1910 bis Dezember 1916 Gouverneur und 1919 bis 1928 Präsident der Allgemeinen österreichischen Bodencreditanstalt, nach dem Zusammenbruch der Bank dauernder Aufenthalt in Paris.

Hans Simon (1887 Prag – unbekannt)

Bankfachmann; in den 1930er-Jahren Tätigkeit bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, ab 1931 ständiger Wohnsitz in Basel, kam zu einigen kurzen Besuchen nach Wien.

Ethel Snowden (geborene Annakin) (1881 Pannal/Harrogate – 1951 London)

Britische Frauenrechtlerin und Politikerin; seit 1905 mit Philip Snowden verheiratet, publizistisch tätig, engagierte sich besonders für das Frauenwahlrecht.

Philip Snowden (1864 Cowling/Yorkshire – 1937 Tilford/Surrey)

Britischer Politiker; 1903 bis 1906 Vorsitzender der Unabhängigen Labour Party, 1922 bis 1931 im Gesundheitsdienst tätig, 1924 und 1929 bis 1931 Schatzkanzler.

Curt Sobernheim (1871 Berlin – 1940 Paris/ermordet)

Deutscher Bankier; 1911 bis 1932 Vorstand der Commerz- und Privat-Bank, baute ein Netzwerk zu in- und ausländischen Bank-, Industrie- und Handelskreisen auf; 1933 flüchtete er nach Paris, 1940 wurde er nach der Besetzung Frankreichs von der Gestapo inhaftiert, im Militärgefängnis Cherche-Midi ermordet.

Adalbert Spann (1907 Frankfurt am Main – 1942 bei Jelnja/UdSSR)

Publizist; studierte Jus und Volkswirtschaft in Wien; Mitarbeit in verschiedenen Zeitschriften; politisch für die NSDAP in Österreich tätig; 1933 als SS-Oberscharführer verhaftet und im Lager Wöllersdorf interniert; nach dem „Anschluss“ 1938 zeitweise Mitglied der SS-Leibstandarte Adolf Hitler; später unehrenhaft aus der SS ausgeschlossen; in der Wehrmacht an die Ostfront abkommandiert, wo er 1942 fiel.

Othmar Spann (1878 Wien – 1950 Neustift bei Güssing/Burgenland)

Nationalökonom und Geschichtsphilosoph; ab 1919 Professor für Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre an der Universität Wien; Mai 1938 Versetzung in den zeitlichen Ruhestand, 1939 Entlassung, Verhängung eines Lehr- und Publikationsverbotes, Internierung im KZ Dachau bzw. kurzfristige Gestapohaft in München; Ende 1945 Rehabilitierung und Wiedereinsetzung, blieb jedoch bis zu seiner Pensionierung 1949 beurlaubt.

Richard Specht (1870 Wien – 1932 Wien)

Schriftsteller, Musikwissenschafter und -kritiker; 1909 gründete und leitete er gemeinsam mit Richard Batka den „Merker“, eine Theater- und Musikzeitschrift; gehörte zu den regelmäßigen Gästen im Salon von Alma Mahler.

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Biographischer Anhang

Charles Spinasse (1893 Égletons – 1979 Rosiers-d’Égletons)

Französischer Politiker; 1924 bis 1940 Abgeordneter, 1929 bis 1944 Bürgermeister von Égletons, Juni 1936 bis März 1937 Wirtschaftsminister, März/April 1938 Finanzminister, während des Vichy-Regimes Mitglied der Abgeordnetenkammer, 1945 vier Monate wegen Verdachts der Kollaboration inhaftiert, 1965 bis 1977 erneut Bürgermeister von Égletons.

Max Springer (1808 Ansbach/Bayern – 1885 Wien)

Bankier und Industrieller; gründete u. a. 1873 eine Presshefe-Fabrik in Maisons-Alfort bei Paris 1873.

Erich Stadlen (1917 Wien – 1995 London)

Journalist; Neffe von GK; 1938 Emigration nach England, 1940/1941 als „enemy alien“ in Australien interniert (gemeinsam mit seinem Bruder Peter und seinem späteren Schwager Stephen Peto); in der von Quäkern gegründeten Hilfsorganisation „Germany Emergency Committee“ aktiv an der Rettung jüdischer Flüchtlinge beteiligt, Redakteur bei der BBC und später Chefredakteur der Radio-Wochenschau mit live-Übertragungen, einer neuen Form, die er mit kreierte; bildete viele Jahre junge Journalisten und Radiosprecher bei der BBC aus.

Hanni/Johanna Stadlen (verheiratete Peto) (1921 Wien – 2003 Salisbury)

Nichte von GK; 1938 mit Hilfe ihres Bruders Erich Stadlen, der sich in der von Quäkern gegründeten Hilfsorganisation „Germany Emergency Committee“ aktiv an der Rettung jüdischer Flüchtlinge engagierte, Flucht über Amsterdam nach London, während des Kriegs als Sekretärin tätig, in späteren Jahren schloss sie an der Open University of England ein Studium ab.

Hedy/Hedwig Stadlen (geborene Simon, geschiedene Keuneman) (1916 Wien – 2004 London)

Philosophin und Musikwissenschafterin; Ehefrau von Peter Stadlen; studierte in Wien Philosophie, nach antisemitischen Krawalle an der Universität übersiedelte die Familie in die Schweiz und danach in die USA; schloss 1939 ihr Philosophiestudium in Cambridge ab (erhielt erst 2002 den Titel); engagierte sich gegen den Kolonialismus, war zeitweise Mitglied der Kommunistischen Partei; seit 1946 lebte sie mit Peter Stadlen in England.

Hedwig Stadlen (geborene Kunwald) (1883 Wien – 1954 Salisbury)

Schwester von GK; nach dem Tod ihres Mannes Max Stadlen führte sie für GK den Haushalt, befand sich beim „Anschluss“ gemeinsam mit ihrer Tochter Hanni in der Wohnung von GK, nach dem Selbstmord von GK kurz mit ihrer Tochter inhaftiert; bis zu ihrer von Erich Stadlen organisierten Flucht, bei Freunden versteckt; nach Bezahlung der „Reichsfluchtsteuer“ durch einen aus Berlin angereisten Freund Ausreise über Amsterdam nach England.

Max Stadlen (1872 Lemberg – 1932 Wien)

Rechtsanwalt; Ehemann von Hedwig Stadlen; führte eine eigene Rechtsanwaltskanzlei; 1929 erkrankte er schwer.

Peter Stadlen (1910 Wien – 1996 London)

Pianist, Komponist und Musikwissenschaftler; Neffe von GK; brachte Werke von Anton Webern und Arnold Schönberg zur Erstaufführung und beschäftige sich intensiv mit Beethoven, berühmt für seine Beethoven- und Schubert-Interpretationen; zur Zeit des „Anschlusses“ lebte er in Amsterdam und gab regelmäßig Konzerte in London; 1938 Emigration nach England, 1940/1941 als „enemy alien“ in Australien interniert (gemeinsam mit seinem Bruder Erich und seinem späteren Schwager Stephen Peto); 1946 wurde er britischer Staatsbürger; durch eine Krankheit Beendigung seiner Pia-

Biographischer Anhang

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nisten-Karriere, betrieb musikwissenschaftliche Studien, ab 1959 bis 1977 als Musikkritiker beim Daily Telegraph tätig.

Federico/Frederico/Friedrich Stallforth (1882 Mexiko – 1960)

Deutsch-mexikanischer Bankier; Vertreter des New Yorker Bankhauses Harris, Forres & Co. in Berlin. Ehefrau Jolly/Joli (keine Informationen) Ernst Rüdiger Starhemberg (1899 Eferding – 1956 Schruns)

1927 Eintritt in die Heimwehr, ab 1929 Führer des Mühlviertler Kreises, ab 1. 9. 1930 mit Unterbrechung Bundesführer des Heimatschutzes, 30.9. bis 4. 12. 1930 Bundesminister für die sachliche Leitung der inneren Angelegenheiten, 2. 12. 1930 bis 30. 1. 1931 Nationalratsabgeordneter, 1934 bis 1936 Bundesführer der Vaterländischen Front, Vizekanzler, 1934/35 mit den Angelegenheiten des Sicherheitswesens betraut; ab Dezember 1937 Aufenthalt in der Schweiz, 1940 Eintritt in die französische Armee, danach Aufenthalt in Südamerika, 1955 Rückkehr nach Österreich. Steffi (keine Informationen) Hilfe bei BZ. Erich/Erik-Paul Stekel (1898 Wien – 1978 Grenoble)

Komponist und Dirigent; Bruder von Gertrude „Trude“ Zuckerkandl; 1928 Erster Kapellmeister des Stadttheaters Saarbrücken; 1935 emigrierte er mit seiner Familie nach Frankreich, wo er bis 1939 verschiedene Engagements hatte, 1944 bis 1946 in Algier; 1947 kehrte Stekel nach Saarbrücken zurück und wurde Rektor des Saarbrücker Konservatoriums, später auch Dirigent des Radioorchesters Saarbrücken

Malvine/Malva Stekel (geborene Nelken) (1873 Wien – 1942 Paris)

Mutter von Gertrude/Trude Zuckerkandl.

Wilhelm Stekel (1868 Bojan/Bukowina – 1940 London/Selbstmord)

Arzt und Psychoanalytiker; Vater von Gertrude „Trude“ Zuckerkandl; medizinjournalistische Tätigkeit, während des Ersten Weltkriegs Militärarzt und -psychiater, entwickelte eine eigene Therapieform, die „Aktive Psychoanalyse“, März 1938 Flucht über die Schweiz nach England, eröffnete in London eine psychoanalytische Privatpraxis. Hans Stephenson (keine Informationen) Angestellter; entfernter Verwandter von BZ; ab 1930 in der Verwaltung des Sanatoriums Westend, 1937/38 Geschäftsführer, legte seine Funktion in der Generalversammlung der Gesellschaft am 18. Jänner 1938 nieder.

Eleonore/Nora Stiasny (geborene Zuckerkandl) (1898 Wien – 1942 Belzec/ermordet)

Miteigentümerin des Sanatoriums Purkersdorf (seit 1927); Nichte von BZ.

Paul Stiasny (1894 oder 1884 Wien – 1942 Theresienstadt/ermordet)

Ab 1930 Geschäftsführer des Sanatoriums Purkersdorf (Sanatorium Westend); Ehemann von Nora Stiasny.

Henry Strakosch (1871 Hohenau/March/Niederösterreich – 1943 London)

Britisch-österreichischer Bankier und Geschäftsmann; übte hohe Ämter in der britischen Finanzwelt aus.

Otto Strakosch (1884 Wien – unbekannt)

Kaufmann; Besitzer einer Chemikaliengroßhandlung, Deutschmeisterplatz 2.

Gustav Stresemann (1878 Berlin – 1929 Berlin)

Deutscher Politiker; August bis November 1923 Reichskanzler, danach bis zu seinem Tod Außenminister; sein Ziel war die Revision des Versailler Vertrages auf diplomatischem Weg; er wirkte am Dawes-Plan 1924, an den Verträgen von Locarno 1925 und an der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund 1926 mit; im April 1926 erreichte er den

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Biographischer Anhang

Abschluss eines Freundschaftsvertrages mit Russland; in diesem Jahr erhielt er gemeinsam mit dem französischen Außenminister Aristide Briand den Friedensnobelpreis. Elsa Sussmann (keine Informationen) Ehefrau von Dr. Heinrich Sussmann, Teilerbin nach Dr. Lothar Kunwald. Amalie Szeps (geborene Schlesinger) (1838 Wien – 1912 Wien)

Mutter von BZ.

Eleonore/Ella Szeps (1873 Wien – 1885 Wien)

Schwester von BZ.

Julius Szeps (1867 Wien – 1924 Wien)

Journalist; Bruder von BZ; 1899 bis 1909 Chefredakteur der „Wiener Allgemeinen Zeitung“.

Leon Szeps (1865 Wien – 1903 Wien)

Journalist; Bruder von BZ; publizierte naturwissenschaftliche Aufsätze.

Moriz Szeps (1834/35 Busk/Galizien – 1902 Wien)

Journalist und Zeitungsherausgeber; Vater von BZ; studierte ursprünglich Medizin in Lemberg und Wien, wechselte zum Journalismus; er baute innerhalb weniger Jahre ein Zeitungsimperium auf; seine engen Beziehungen zu Kronprinz Rudolf, seine liberalen Ansichten, seine antipreußische und profranzösische Haltung brachten ihm starke Anfeindungen ein, die zu finanziellen Schwierigkeiten führten; 1855 bis 1867 Chefredakteur der „Wiener Morgenpost“, übernahm kurzfristig die Leitung des zuvor gekauften und neu gegründeten „Neuen Wiener Tagblatts“; 1886 kaufte er die „Morgenpost“ und benannte sie in „Wiener Tagblatt“ um, ab 1901 unter „Wiener Morgenzeitung“ erschienen (1905 eingestellt); 1900 gründete er die populärwissenschaftliche Zeitschrift „Wissen für alle“.

Julius Tandler (1869 Iglau/Mähren – 1936 Moskau)

Anatom, Politiker (Sozialdemokratische Partei); 1910 ordentlicher Professor und Vorstand der Ersten anatomischen Lehrkanzel der Universität Wien, 1914 bis 1917 Dekan der medizinischen Fakultät, 9. 5. 1919 bis 22. 10. 1920 Unterstaatssekretär für Volksernährung und Gesundheit, November 1919 bis September 1933 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1920 bis 1933 Stadtrat für Wohlfahrtseinrichtungen, Jugendfürsorge und Gesundheitswesen; 1933 Beurlaubung wegen Auslandstätigkeit in China, Japan, Nordamerika und der Sowjetunion, Frühjahr 1934 in Wien in Haft, danach neuerlicher Lehrauftrag in China.

André Tardieu (1876 Paris – 1945 Menton)

Französischer Politiker; 1914 bis 1924 und 1926 bis 1936 Abgeordneter; Berater von Georges Clémenceau bei der Pariser Friedenskonferenz 1919; 1919/20 Minister für die befreiten Gebiete; 1926 Minister für öffentliche Arbeiten; 2. 11. 1929 bis 21. 2. 1930 und 2.3. bis 13. 12. 1930 sowie 20.2. bis 3. 6. 1932 Ministerpräsident; 3. 11. 1929 bis 17. 2. 1930 Innenminister; 20.2. bis 10. 5. 1932 Außenminister; 9.2. bis 8. 11. 1934 Etatminister. Teltscher (keine Informationen) Bediensteter bei GK. Adolf Tersch (1903 – unbekannt)

Hausverwalter des Hauses Oppolzergasse 6, in dem BZ wohnte; 1938 nach London abgemeldet.

Helene Thimig (Thimig-Reinhardt) (1889 Wien – 1974 Wien)

Schauspielerin; entstammte einer Theaterdynastie; 1914 bis 1933 in Berlin tätig; heiratete 1935 Max Reinhardt und emigrierte mit ihm 1937 in die USA; nach Kriegsende kehrte sie nach Österreich zurück und wurde Mitglied des Burgtheaters. 1947 bis 1951

Biographischer Anhang

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und 1963 bis 1968 inszenierte sie den „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen, leitete 1948 bis 1954 das Reinhardt-Seminar und lehrte als Professorin an der Akademie für Musik und darstellende Kunst.

Erica Tietze-Conrat (geborene Conrat) (1883 Wien – 1958 New York)

Kunsthistorikerin; 1905 schloss sie als erste Frau das Studium für Kunstgeschichte an der Universität Wien ab; heiratete in diesem Jahr ihren Studienkollegen Hans Tietze; emigrierte 1938 in die USA.

Leo (Lew) Tolstoi (1828 Jasnaja Poljana/Tula – 1910 Astapowo/Tambow)

Russischer Schriftsteller.

Meinoud Rost van Tonningen (1894 Soerabaja/Java – 1945 Scheveningen/Niederlande/ Selbstmord)

1923 bis 1926 Tätigkeit als Mitarbeiter des Generalkommissärs des Völkerbundes in Wien, 1926 bis 1928 Vertreter des Völkerbundes in Wien, seit Herbst 1931 und seit 1. 1. 1933 formell neuerliche Tätigkeit in dieser Funktion; Juli 1936 Beitritt zur niederländischen nationalsozialistischen Bewegung NSB, 1. 10. 1936 Enthebung von seiner Funktion als Vertreter des Völkerbundes, danach Tätigkeit für die niederländische Nazipresse, 1937 bis 1940 Mitglied des Parlaments, bis 1945 führende Funktionen in der Wirtschaft; Mai 1945 Inhaftierung, Selbstmord in niederländischer Haft. Kitty Tschepper (keine Informationen) Bedienstete von GK. Arnault Tzanck (1886 Wladikawkas/Ossetien – 1954)

Französischer Arzt; Dermatologe und einer der Pioniere der Bluttransfusion.

Irene Ullmann (geborene Amtmann-Bringer) (1887 Wien – 1979 USA)

Ehefrau von Ludwig Ullmann.

Ludwig Ullmann (1887 Wien – 1959 New York)

Journalist, Theaterkritiker und Schriftsteller; Redakteur bzw. Chefredakteur der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ und der „Wiener Mittagszeitung“; schrieb von 1912 bis 1935 Theaterkritiken für die Tageszeitung „Morgen“, Herausgeber des Theatermagazins „Die Fledermaus“; aus politischen Gründen 1938 Emigration, 1942 wurde er US-Staatsbürger; ab 1945 amerikanischer Korrespondent der Tageszeitung „Neues Österreich“, des Düsseldorfer „Mittag“ und des „Auslandsösterreicher“ in Zürich.

Fritz von Unruh (1885 Koblenz – 1970 Diez an der Lahn)

Deutscher Schriftsteller und Maler; durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges wurde er Pazifist; Max Reinhardt inszenierte seine Bühnenstücke; nach 1933 lebte er in Italien, ab 1935 in Südfrankreich; 1939 Flucht über Spanien in die USA; ab 1948 lebte er mit Unterbrechungen in Deutschland, ab 1962 dauernd. Lilly Urbach (keine Informationen) Für GK tätig. Rahel Varnhagen von Ense (geborene Levin) (1771 Berlin – 1833 Berlin)

Deutsche Schriftstellerin und Salonière; bekannt für ihre Tagebücher, Aphorismen und Briefe; trat für die jüdische Emanzipation und für die der Frauen ein; ihre Schriften erschienen unter dem Namen ihres Ehemannes oder Bruders; führte einen literarischen Salon.

Frank Vernon (bis 1899 Spicer) (1875 Bombay – 1940 Frankreich)

Britischer Major; Manager sowie Produzent und Autor von Bühnenstücken.

Virginia Vernon (geborene Fox-Brooks) (1894 New York – 1971)

US-Schriftstellerin; Ehefrau von Frank Vernon; Autorin und Übersetzerin von Büh-

nenstücken.

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Biographischer Anhang

Edwin Versbach-Hadamar (1883 Brünn – 1972 Wien)

Diplomat; 1910 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1925 bis 1931 Referent für Finanzrecht und Liquidierungsangelegenheiten im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten, Mai 1931 bis Jänner 1933 österreichischer Gesandter in Kairo, Jänner 1933 bis Mai 1933 in Ankara; im Mai 1933 gegen Wartegeld beurlaubt, im Mai 1938 in den dauernden Ruhestand versetzt; Jänner 1947 bis Dezember 1949 wieder im Auswärtigen Dienst tätig.

Alois Vollgruber (1890 Josefstadt/Böhmen – 1976 Wien)

Diplomat; österreichischer Gesandter in Bukarest Juli 1933 bis Oktober 1934, danach bis Juni 1936 in Rom und vom 30. Juni 1936 bis 13. März 1938 in Paris; bis September 1938 in Haft, mit 31. Dezember 1938 entlassen. 1945 war er bevollmächtigter Repräsentant der österreichischen Interessen in der Tschechoslowakei, vom Februar 1947 bis Februar 1950 Gesandter in Paris, 1950 bis 1953 Generalsekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten im Bundeskanzleramt, vom Juni 1953 bis März 1958 Botschafter in Paris.

Giuseppe Volpi (1877 Venedig – 1947 Rom)

Italienischer Industrieller und Politiker; 1925 bis 1928 Finanzminister.

Nerina Volpi (geborene Pisani) (1875 Florenz – 1942 Rom)

Ehefrau von Guiseppe Volpi.

Samuel R. Wachtell (1866 – 1943)

Rechtsanwalt; übersetzte Gedichte von Richard Beer-Hofmann ins Englische; hatte diesem bei der Emigration in die USA geholfen.

Otto Wagner (1841 Wien – 1918 Wien)

Architekt und Stadtplaner.

Julius Wagner-Jauregg (1857 Wels/Oberösterreich – 1940 Wien)

Psychiater; 1889 Professor für Psychiatrie in Graz, 1893 bis 1928 in Wien, vertrat eugenische Ideen; 1927 erhielt er den Nobelpreis für Medizin, 1929 Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften; politisch stand er in der Zwischenkriegszeit der Großdeutschen Partei nahe.

Bruno Walter (ursprünglich Bruno Walter Schlesinger) (1876 Berlin – 1962 Beverly Hills)

Deutscher Dirigent, Pianist und Komponist; ab 1901 Kapellmeister an der Wiener Hofoper; 1913 bis 1922 musikalischer Direktor der Münchner Oper; ab 1924 Städtische Oper Berlin-Charlottenburg; an der Gründung der Salzburger Festspiele beteiligt; 1929 bis 1933 Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses; 1933 Emigration nach Österreich, 1938 nach Lugano und im November 1939 in die USA; Dirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra; 1947 bis 1949 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker; Gastdirigent der Wiener Philharmoniker.

Richard Balthasar Wasicky (1884 Teschen – 1970 São Paulo)

Pharmazeut; Begründer der Wiener Schule der modernen Pharmakognosie; studierte in Wien Pharmazie, 1914 Habilitation, 1921 Ernennung zum o. Univ.-Prof., 1924 bis 1926 Dekan der medizinischen Fakultät; 1938 Emigration in die Schweiz, dann nach Frankreich und nach Brasilien an die Universität São Paulo.

Erwin Wasserbäck (1896 Irdning – 1938 Wien)

Diplomat und Weltpriester; 1920 Priesterweihe; ab 1922 in Berlin tätig, 1925 Ernennung zum österreichischen Presseattaché in Berlin, im Juni 1933 in Berlin verhaftet und ausgewiesen als Vergeltungsaktion gegen die Ausweisung von Theo Habicht aus Österreich; bis 1937 der Botschaft in Paris zugeteilt.

Jacob Wassermann (1873 Fürth/Bayern – 1934 Altaussee/Steiermark)

Deutscher Schriftsteller; eng mit Hugo Hofmannsthal befreundet.

Biographischer Anhang

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Heinrich Weigl (1874 Wien – 1953 Wien)

Beamter; ab 1902 im Finanzministerium, 1923 bis 1935 Leiter der Personalsektion, 28. 2. 1935 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1931 bis 1933 Verwaltungsrat der Großglockner Hochalpenstraßen AG Wien, ab 1937 Verwaltungsrat der Österreichischen Luftverkehrs-AG Wien.

Felix Weingartner (1863 Zadar – 1942 Winterthur)

Dirigent, Komponist, Pianist und Schriftsteller; 1898 bis 1906 Chefdirigent des Kaim-­ Orchesters (heute Münchner Philharmonie); 1908 bis 1911 Direktor der Wiener Hofoper, 1908 bis 1927 Leiter der Wiener Philharmonischen Konzerte, 1919 bis 1924 Direktor der Wiener Volksoper; daneben unterrichtete er an der Wiener Musikakademie; 1927 bis 1934 war er in mehreren Funktionen in Basel tätig; 1935 bis 1936 Direktor der Wiener Staatsoper; daneben war er auch international tätig.

Egon Wellesz (1885 Wien – 1974 Oxford)

Komponist und Musikforscher; Schüler von Arnold Schönberg, 1929 bis 1938 Professor für Musikwissenschaften an der Universität Wien; 1932 gründete er das Institut für Byzantinische Musik an der Nationalbibliothek, 1938 Emigration nach England, Professor in Oxford; seit 1946 britischer Staatsbürger.

Franz Werfel (1890 Prag – 1945 Beverly Hills/Kalifornien)

Dichter und Lyriker; war in Prag mit Franz Kafka und Max Brod befreundet; nach dem Ersten Weltkrieg lebte er in Wien und am Semmering; heiratete die Witwe Gustav Mahlers, Alma Mahler. 1938 emigrierte er nach Frankreich und 1940 in die USA.

Maxime Weygand (1867 Brüssel – 1965 Paris)

Französischer Offizier; General im Ersten und Zweiten Weltkrieg, 1935 Eintritt in den Ruhestand; 1939 aus dem Ruhestand als Kommandeur der französischen Truppen im Nahen Osten zurückgeholt, Mai 1940 Berufung zum Oberkommandeur; er diente dem Vichy-Regime in mehreren Ämtern, unter anderem als Verteidigungsminister; 1942 von der Waffen-SS verhaftet und bis Mai 1945 an verschiedenen Orten in Deutschland interniert; nach einer Untersuchungshaft im Mai 1946 freigelassen, 1948 wurde die Anklage gegen ihn als Kollaborateur vom französischen Obergericht eingestellt.

Friedrich Wiesner (1871 Maria Brunn/Niederösterreich – 1951 Wien)

Jurist und Diplomat; 1911 Eintritt in das Außenministerium; 1914 Leiter der Untersuchungskommission des Attentats von Sarajewo; 1917/18 Teilnahme an den Friedensverhandlungen von Brest-Litovsk; Ernennung zum a. o. Gesandten und bev. Minister; 1919 im Liquidierenden Ministerium des Äußeren tätig, reiste im Auftrag Karl Renners nach Westungarn, um die dortige Situation zu beurteilen, danach Eintritt in den dauernden Ruhestand; 1938 als Legitimist verhaftet und bis Jänner 1939 im KZ Buchenwald inhaftiert.

Anton Wildgans (1881 Wien – 1932 Mödling)

Schriftsteller und Jurist; promovierte 1908, 1909 bis 1911 Untersuchungsrichter; danach freier Schriftsteller; 1921/1922 und 1930/1931 Direktor des Wiener Burgtheaters; aktiv für die staatliche Eigenständigkeit Österreichs, dazu oft zitiert seine „Rede über Österreich“, die er am 1. Jänner 1930 im Rundfunk verlesen hat.

Franz Winkler (1890 Zwickau/Böhmen – 1945 Graz)

Agraringenieur und Politiker (Landbund); Mitbegründer des Steirischen Bauernbundes; 1930 bis 1934 Nationalratsabgeordneter; 4. 12. 1930 bis 16. 6. 1931 und 20. 6. 1931 bis 29. 1. 1932 Bundesminister im Bundeskanzleramt (mit der sachlichen Leitung der inneren Angelegenheiten betraut); ab 1932 Reichsparteiobmann des Landbundes; 29.1. bis 20. 5. 1932 Vizekanzler (mit der sachlichen Leitung der Angelegenheiten der inneren Ver-

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Biographischer Anhang

waltung betraut); 20. 5. 1932 bis 10. 5. 1933 betraut mit der sachlichen Leitung der Wirtschaftspolitischen Angelegenheiten; 20. 5. 1932 bis 21. 9. 1933 Vizekanzler; 1933 Bruch mit Bundeskanzler Dollfuß; 1934 Flucht in die Tschechoslowakei; im Rahmen des Juliputsches konspirierte er mit der NSDAP; nach dem „Anschluss“ Rückkehr nach Österreich.

Josefine/Jo Winter (geborene Auspitz) (1873 Wien – 1943 KZ Theresienstadt/ermordet)

Komponistin, Malerin, Kunstsammlerin; Miteigentümerin des Hauses Oppolzergasse 6, in dem BZ ihre Wohnung hatte.

Karl Joseph Wirth (1879 Freiburg im Breisgau – 1956 Freiburg im Breisgau)

Deutscher Politiker; 1920 Finanzminister, 10. 5. 1921 bis 14. 11. 1922 Reichskanzler, danach Herausgeber der Zeitschrift Deutsche Republik, Reichsminister für die besetzten Gebiete, 1930/31 Reichsinnenminister; lehnte im März 1933 das Ermächtigungsgesetz im Reichstag scharf ab und emigrierte nach dessen Annahme in die Schweiz, lebte in Luzern, betätigte sich als Vortragsreisender; 1935 bis 1939 lebte er in Paris, danach wieder in Luzern; 1949 Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland; Mitbegründer des Bundes der Deutschen für Einheit, Frieden und Freiheit (BdD) und der Deutschen Volkszeitung; setzte sich für ein vereinigtes Deutschland und den Ausgleich mit der Sowjetunion ein.

Max Witrofsky (1873 – 1944 KZ Auschwitz/ermordet)

Bankier; Mitinhaber des Bankhauses Max Witrofsky; Gläubiger von Fritz Z.

Theodor Wolff (1868 Berlin – 1943 Berlin/ermordet)

Deutscher Schriftsteller und Journalist; 1889 Mitbegründer der „Freien Bühne Berlin“; 1894 bis 1906 Paris-Korrespondent des „Berliner Tageblatts“ (von den Deutschnationales als „Judenblatt“ verunglimpft) und 1906 bis 1933 dessen Chefredakteur; November 1918 Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP); nach dem Reichstagsbrand 1933 Flucht nach Tirol und weiter in die Schweiz; ab Ende 1933 in Nizza; im Exil schriftstellerisch tätig; 23. 5. 1943 in Nizza verhaftet, der Gestapo übergeben und im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Mister Wordly (keine Informationen) Britischer Student; nahm Gesangsunterricht in Wien; ab Oktober 1935 Untermieter von BZ. Jean Zay (1904 Orléans – 1944 Molles/ermordet)

Französischer Politiker, Rechtsanwalt und Journalist; ab 1932 Abgeordneter, Juni 1936 bis September 1939 Bildungsminister; im August 1940 vom Vichy-Regime verhaftet, wegen Fahnenflucht angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt, Juni 1944 von der französischen Vichy-Miliz aus dem Gefängnis entführt und ermordet; im Mai 2015 wurden seine sterblichen Überreste ins Panthéon überführt.

Paul Zsolnay (1895 Budapest – 1961 Wien)

Verleger; gründete 1923 in Wien einen Verlag, 1938 emigrierte er nach England, wo er den Verlag Star Editions gründete; 1946 kehrte er nach Wien zurück und leitete die P. Zsolnay VerlagGmbH.

Anna Zsolnay-Mahler (geborene Mahler) (1904 Wien – 1988 London)

Bildhauerin; Tochter von Gustav Mahler und Alma Mahler-Werfel; kurzzeitig Ehefrau von Paul Zsolnay; 1938 an Versuchen beteiligt, eine Verständigung zwischen Regierung und Sozialdemokraten herzustellen, 1939 Flucht nach London, Mitglied des Exekutivkomitees des Austrian Centres; ab 1950 in Kalifornien, ab den 1960er-Jahren in Spoleto und ab 1984 in London; ihr gesamtes Frühwerk bis auf einen Bildniskopf von Kurt Schuschnigg wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Amalie Zuckerkandl (1869 Wien – 1942 Belzec/ermordet)

Ehefrau von Otto Zuckerkandl (1919 Scheidung); Mutter von Viktor, Nora und Hermine.

Biographischer Anhang

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Emil Zuckerkandl (1849 Raab/Ungarn – 1910 Wien)

Arzt, Anatom; Ehemann von BZ ; studierte in Wien Medizin, 1874 Promotion, 1879 zum a. o. Professor der Anatomie an der Universität Wien ernannt, dem war schon eine Lehrtätigkeit an der Universität Utrecht vorangegangen; 1882 erfolgte die Berufung als ordentlicher Professor der Anatomie nach Graz und 1888 nach Wien. 1900 erhielt er den Titel Hofrat, 1898 wurde er korrespondierendes und 1906 wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften; als sein Hauptwerk gilt der fünfbändige „Atlas der topographischen Anatomie der Menschen“, 1890 bis 1900.

Emil/Emile Zuckerkandl (1922 Wien – 2013 Palo Alto/Kalifornien)

Biologe; Enkel von BZ; 1938 Emigration nach Paris, 1940 nach Aufenthalt in Südfrankreich Flucht über Lissabon nach Marokko, wo er in Casablanca maturierte, und weiter nach Algier; ab 1946 Studium und Tätigkeit in Frankreich und den USA.

Fritz Zuckerkandl (1895 Wien – 1982 Krattingen/Schweiz)

Chemiker; Sohn von BZ, ab 1935 in Paris wohnhaft, 1938 französische Staatsbürgerschaft, 1940 Flucht nach Algier, nach 1945 lebte er wieder in Paris.

Otto Zuckerkandl (1861 Györ/Ungarn – 1921 Wien)

Arzt, Urologe; Bruder von Emil Zuckerkandl; 1892 habilitierte er sich für Chirurgie, ab 1912 Leiter der Chirurgischen Abteilung des Rothschild-Spitals.

Paula Zuckerkandl (Gleiwitz/Oberschlesien – 1927 Berlin)

Ehefrau des Industriellen Viktor Zuckerkandl.

Trude/Gertrude Zuckerkandl (geborene Stekel) (1895 Wien – 1981 Paris)

Malerin; Ehefrau von Fritz Zuckerkandl; Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule, fertigte in den 1920er- und 1930er-Jahren für Wiener Tageszeitungen Portraits, zeitweise im Sanatorium Purkersdorf tätig; 1938 Emigration nach Paris, 1940 Flucht nach Algier; unter dem Pseudonym Aubraie schuf sie 1944 Armeezeichnungen für die Amerikaner. 1946 Rückkehr nach Paris.

Viktor Zuckerkandl (1851 Wien – 1927 Berlin)

Industrieller; Bruder von Emil Zuckerkandl; Generaldirektor der Oberschlesischen Eisenindustrie AG.; Kunstsammler und Mäzen, kaufte 1903 das Sanatorium Purkersdorf.

Viktor Zuckerkandl (1896 Wien – 1965 Locarno)

Musikwissenschaftler und Dirigent; Neffe von Berta Zuckerkandl; 1927 bis 1933 Musikkritiker für Berliner Zeitungen; 1934 bis 1938 unterrichtete er Musiktheorie in Wien; 1938 Emigration in die Schweiz und 1940 weiter in die USA; bis 1942 Lehrer am Wellesley College in Massachusetts; 1946 bis 1948 unterrichtete er Musiktheorie an der New School in New York; 1948 bis 1964 Professor für Musiktheorie und Musikphilosophie am St. John’s College in Annapolis/Maryland; mehrere musikwissenschaftliche Veröffentlichungen.

VERWANDTENLISTEN

Familie Szeps Moriz Szeps (1834/35 Busk/Galizien – 1902 Wien)

Zeitungsherausgeber; Vater von BZ

Amalie Szeps (geborene Schlesinger) (1838 Wien – 1912 Wien)

Mutter von BZ 5 Kinder

Sophie/Sofie Clémenceau (1862 Wien – 1937 Paris) Ehemann Paul Clémenceau (1857 Nantes – 1946 Paris)

Industrieller

Berta Zuckerkandl (1864 Wien – 1945 Paris)

Ehemann siehe Emil Zuckerkandl

Leon Szeps (1865 Wien – 1903 Wien)

Journalist

Julius Szeps (Wien 1867 – 1924 Wien)

Journalist

Eleonore/Ella Szeps (1873 Wien – 1885Wien)

Familie Zuckerkandl Leon Zuckerkandl (1819 Raab/Ungarn – 1899 Wien) Eleonore Zuckerkandl (1828 – 1900 Wien)

6 Kinder

Hermine Zuckerkandl (1848 – 1894) Emil Zuckerkandl (1849 Raab/Ungarn – 1910 Wien)

Arzt Ehefrau Berta geborene Szeps(1864 Wien – 1945 Paris) Journalistin Sohn Fritz (1895 Wien – 1982 Krattingen/Schweiz) Chemiker Ehefrau Trude (geborene Gertrude Stekel) (1895 Wien – 1981 Paris) Malerin Sohn Emil(e) (1922 Wien – 2013 Palo Alto/Kalifornien) Biologe Eltern von Trude Wilhelm Stekel (1868 – 1940 London/Selbstmord) Arzt Malvine Stekel (geborene Nelken) (1870 Wien – 1943 Paris) Bruder von Trude: Erik-Paul (1898 – 1978) Komponist Viktor Zuckerkandl (Wien 1851 – 1927 Berlin)

Industrieller.

Verwandtenlisten

Ehefrau Paula (geborene Freund) (Gleiwitz/Oberschlesien – 1927 Berlin) zwei Brüder Ernst Freund (1857 Gleiwitz – 1928 Berlin) Richard Freund (1859 Gleiwitz – 1941 Berlin) Beamter Robert Zuckerkandl (1856 Raab – 1926 Prag)

Ökonom. Ehefrau Therese (geborene Kern) (1861 Wien – 1942 Jena/Selbstmord) Adoptivtochter Helene (verheiratete Lang, geborene Nothmann) (1888 Petropolis/ Brasilien – 1944 Jena/Selbstmord)

Bakteriologin

Otto Zuckerkandl (1861 Györ/Ungarn – 1921 Wien)

Arzt, Urologe. Ehefrau Amalie, geborene Schlesinger (1869 Wien – 1942 Vernichtungslager Belzec/ ermordet) – Scheidung 1919 3 Kinder Viktor (1896 Wien – 1965 Locarno)

Dirigent

Nora (1898 Wien – 1942 Vernichtungslager Belzec/ermordet) Ehemann Paul Stiasny (1894 – 1942 Tschechoslowakei/ermordet)

Geschäftsführer Sohn Otto (1922 – 1942 Theresienstadt/ermordet) Hermine (1902 Wien – 2000 Wien)

Ehemann Wilhelm Müller-Hofmann (1885 Brünn – 1948 Wien) Maler

Amalia Redlich (geschiedene Rudinger) (1868 Budapest – 1941 Łódź/ermordet) Ehemann Emil Redlich (1866 Brünn – 1930 Wien)

Arzt Tochter Mathilde (geborene Rudinger) (1894 Purkersdorf – 1941 Łódź/ermordet) Ehemann Louis Jorisch (1891 Chernivtsi/Ukraine – 1949 Wien) Rechtsanwalt Sohn Georges Jorisch (1928 Wien – 2012 Quebec) Kaufmann Familie Kunwald Ludwig Kunwald (1835 Budapest – 1909 Wien)

Jurist, Hof- und Gerichtsadvokat

Emma Kunwald (geborene Pollak) (1846 Prag – 1910 Wien)

6 Kinder

Ernst Kunwald (1868 Wien – 1939 Wien)

Dirigent Ehefrau Lina (geborene Rücker) (1869 Bad Schwalbach/Darmstadt – 1942 Frankfurt) Gottfried Kunwald (1869 Baden bei Wien – 1938 Wien/Selbstmord) Rechtsanwalt Ella/Gabriele Kunwald (1871 Wien – 1957 London)

Sopranistin

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Verwandtenlisten

Meta/Margarete Kunwald (1871 Wien – unbekannt)

Malerin

Lothar Kunwald (1878 Wien – 1930 Wien)

Arzt

Hedwig Stadlen (1883 Wien – 1954 Salisbury) Ehemann Max Stadlen (1872 Lemberg– 1932 Wien)

Rechtsanwalt 3 Kinder

Peter (1910 Wien – 1996 London)

Pianist Ehefrau Hedi (geborene Simon) (1916 Wien – 2004 London) Philosophin und Musikwissenschafterin Erich/Eric (1917 Wien – 1995 London)

Journalist

Hanni (1921 Wien – 2003 Salisbury) Ehemann Stephen Peto (1907 Budapest – 1974 Shrivenham/Oxfordshire)

Statistiker

Anton/Antal Kunwald (1839 Pest – 1903 Pest)

Onkel von GK, Bruder von Ludwig Kunwald Ehefrau Friederike/Bibi (geborene Sington) (1847 – 1919) 5 Kinder Cäsar (1870 Graz – 1946 Kopenhagen)

Maler Ehefrau Ellen (geborene Bramsen; verheiratete Benzo) (1883 Frederiksberg – 1965) Katharina (1871 Graz – 1872 Wien) Paul (1874 Pest – 1946)

Direktor

Elsa (1877 Pest – 1946)

Pianistin Ehemann Ernst Dohnany (1877 Preßburg – 1960 New York) Dirigent Margit (1880 Pest – 1971)

Ehemann Alexander Dorati (1877 Pest 1968)

PERSONENBEZEICHNUNGEN Vornamen, Kosenamen, Pseudonyme Bubi = Emil/Emile Zuckerkandl, der Enkel von BZ . Ella = Ella Kunwald, Schwester von Gottfried Kunwald. Emil = Ehemann von BZ ; Enkel von BZ . Fritz/Fritzl = Fritz Zuckerkandl, der Sohn von BZ . Hofrätin = Berta Zuckerkandel wurde nach ihrem Ehemann als Hofrätin tituliert. Jean = Pseudonym für Paul Painlevé, Vertrauter von Sofie Clémenceau. Jeanne = Jeanne Feizlmayr, Vertraute von BZ . Kungo = Kunwald Gottfried. Otto = Otto Zuckerkandl, Schwager von BZ . Paul = Paul Clémenceau, Ehemann von Sofie, der Schwester von BZ . Peter = Peter Stadlen, Neffe von GK . Sofie = Sofie Clémenceau, geborene Szeps, Schwester von BZ . Trude/Truderl = Gertrude Zuckerkandl, geborene Stekel, Ehefrau von Fritz Zuckerkandl, Schwiegertochter von BZ. Vater = Moriz Szeps, Vater von BZ . Personen mit falscher Schreibweise bei BZ, die richtiggestellt wurden Anette = Annette Baudoin = Baudouin Breht = Breth Commert = Comert Cruzy = Crucy Feitzelmayr/Feitzelmayer = Feizlmayr Finally = Finaly Friedel/Fridell = Friedell Hahn = Kahn Hittler = Hitler Hopmeier = Hopreiter Huna = Hunna Jarray = Jaray Johanndl = Johandl Krauss = Kraus Khunert = Khuner Quesnet = Quesnay Schmied = Schmid Schriempf = Schrumpf Susnigg/Schussnig = Schuschnigg Soberheim = Sobernheim Steckl = Stekel Stefensen = Stephenson Stiassny = Stiasny Tzang = Tzanck Wasserböck = Wasserbäck Witrowsky = Witrofsky

SIGLENVERZEICHNIS

Archivsiglen AdR = Archiv der Republik

AVA = Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv BKA/AA = Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten BMU = Bundesministerium für Unterricht LIT = Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, B. Zuckerkandl/Samm-

lung Emile Zuckerkandl

NPA = Neues Politisches Archiv ÖStA = Österreichisches Staatsarchiv

Editionstechnische Siglen BZ = Berta Zuckerkandl GK = Gottfried Kunwald HS = handschriftlich MS = maschinschriftlich

Zeichenerklärungen [ ] = Hinweise auf Ergänzungen durch die Bearbeiterin { } = Hinweise auf handschriftliche Ergänzungen im Original XXX = Hinweise auf Textstellen in den handschriftlichen Teilen, die nicht transkribiert werden konnten Kursivschrift zeigt handschriftliche Passagen in den Texten an

LITERATURVERZEICHNIS

Isabella Ackerl, Wiener Salonkultur um die Jahrhundertwende, Ein Versuch, in: Die Wiener Jahrhundertwende, Einflüsse Umwelt Wirkungen, herausgegeben von Jürgen Nautz und Richard Vahrenkamp, Wien/Köln/Graz 1996. Magda Adam, Die Kleine Entente 1920 – 1938, Budapest 1989. Rudolf Agstner, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, Band 1: 1918 – 1938. Zentrale, Gesandtschaften und Konsulate, Wien 2015. Thomas Angerer, Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluss“ 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 40/1992, Heft 1. Hannah Arendt, Rahel Varnhagen, Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München 1959. Wilhelm Baum, Paris und die Kultur der Moderne in Österreich, Österreichisch-französische Kulturbeziehungen 1880 – 1970, Klagenfurt/Wien 2009. Nathalie Beer, Das Leben und Wirken des Journalisten Moriz Szeps (1834 – 1902), Ein Beitrag zur Geschichte des Wiener Judentums im 19. Jahrhundert, Masterarbeit, Wien 2013. Nikolaj Beier, „Vor allem bin ich ich…“ Judentum, Akkulturation und Antisemitismus in Arthur Schnitzlers Leben und Werk, Göttingen 2008. Peter Berger, Im Schatten der Diktatur, Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich, Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931 – 1936, Wien/Köln/ Weimar 2000. Berichte zur Kultur- u. Zeitgeschichte, herausgegeben von Nikolaus Hovorka, Nr. 264 und Nr. 265 – 266, Wien-Leipzig 1935. Kurt Blaschek, Lexikon der Weltliteratur, Frankfurt am Main/Wien 1955. Compass, Österreich, Österreich-Ungarn (Liquidation), Wien 1937. Hubertus Czernin, Die Fälschung, Der Fall Bloch-Bauer, Wien 1999. Milan Dubrovic, Veruntreute Geschichte, Die Wiener Salons und Literatencafés, Wien 1985. Julia Franke, Paris – eine neue Heimat, Jüdische Emigration aus Deutschland 1933 – 1939, Berlin 2000. Murray G. Hall, Der Paul Zsolnay Verlag, Tübingen 1994. Olaf Herling, Berta Zuckerkandl (1864 – 1945) oder die Kunst weiblicher Diplomatie, in: Das alles war ich, Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentrikerinnen der Wiener Moderne, Herausgegeben von Frauke Severit, Wien/Köln/Weimar 1998. Gundl Herrnstatt-Steinmetz, Dr. Gottfried Kunwald, unveröffentlichtes Typoskript, hinterlegt im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Verena von der Heyden-Rynsch, Europäische Salons, Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, München 1992. Dietrich von Hildebrand, Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933 – 1938, Mit Alice von Hildebrand und Rudolf Ebneth herausgegeben von Ernst Wenisch, Mainz u. a. 1994. Deborah Holmes, „Nichts weniger als die Erneuerung der Weiblichkeit.“ Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende, in: Hilde Spiel und der literarische Salon, herausgegeben von Ingrid Schramm und Michael Hansel, Innsbruck/Wien/Bozen 2011.

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Literaturverzeichnis

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PERSONENREGISTER

Einfache Haushaltshilfen und Kanzleibedienstete von BZ und GK wurden in das Personenregister nicht aufgenommen, da sie für die Briefedition historisch nicht relevant sind. Kursive Seitenangaben verweisen auf die Kurzbiographie im Biographischen Anhang. A Abel, Paul ​202, 220, 238, 243, 246 – 248, 337 Alexander, Gustav ​212, 337 Altenberg, Peter (ursprünglich Richard Engländer) ​28, 337 Anet, Claude (eigentlich Jean Schopfer) ​112, 337 Antoine, André-Paul ​101, 102, 337 Arendt, Hannah ​36, 337 Armont, Paul ​26, 337 Arzt, Leopold ​57, 337 Asquith, Margot Countess of Oxford and Asquith (geborene Emma Alice Margaret Tennant) ​319, 337 Atthalin, André ​210, 338 Auernheimer, Raoul ​25, 224, 227, 338 Auriol, Vincent ​242, 250, 304, 307, 338 Auspitz-Artenegg, Stephan ​87, 93, 113, 114, 198, 296­­ – 298, 301, 302, 325, 329, 338 B Bach, David Josef ​28, 338 Bahr, Hermann ​28, 92, 338 Ballet ​168, 338 Bányai, Mór (ursprünglich Maurus Bányai, bis 1896 Breuer) ​92, 338 Bárány, Robert ​293, 338 Barthou, Jean-Louis ​144, 147, 338 Bassermann, Albert ​90, 339 Batka, Richard ​60, 339 Baudouin-Bugnet, Pierre ​155, 160, 168 – 170, 175 – 178, 180, 182, 183, 185, 186, 235, 339 Bauer, Otto ​23, 30, 81, 241, 242, 250, 339 Becker, Carl Heinrich ​24, 339 Beer-Hofmann, Richard ​28, 339 Beethoven, Ludwig van ​280, 339 Békessy, Hans (auch János Békessy, Hans Habe) ​ 190, 191, 192, 339 Berger, Richard ​238, 243, 244, 246 – 249, 340 Berger-Waldenegg, Egon ​154, 340 Bergery, Gaston ​299, 340 Berliner, Wilhelm ​74, 340 Berthelot, Philippe ​121, 340 Besnard, Lucien ​322, 324, 325, 328, 340

Bibesco de Brancovan, Prinzessin Marthe-Lucie (geborene Martha-Lucia Lahovary) ​159, 340 Bibescu, Prinz George III. Valentin (Bibesco) ​ 159, 340 Bischoff, Norbert ​155, 159, 237, 240 – 242, 250, 341 Bittner, Julius ​29, 341 Bleyer ​91, 341 Blum, Ehefrau von León ​319, 341 Blum, León ​81, 122, 235, 237, 240 – 242, 244 – 247, 249, 250, 261 – 263, 265, 268, 269, 278, 283, 285, 286, 289 – 291, 295, 298 – 304, 306, 307, 319, 341 Bodo, Friedrich ​167, 182, 341 Bonnet, Georges ​304, 307, 328, 341 Borchardt, Rudolf ​116, 341 Borel, Èmile ​115, 341 Bourbon-Parma, Prinz Elie de ​321, 341 Bourdet, Claude ​284, 286, 341 Bourguignon, Jean ​107, 235, 250, 280, 283, 286, 295, 301, 321, 341 Bousquet, Jacques ​26, 342 Brauneis, Viktor ​53, 62, 276, 342 Breitner, Hugo ​60, 342 Breth, Viktor Hans ​200, 342 Briand, Aristide ​94, 107, 115 – 117, 121, 223, 342 Bülow, Bernhard Wilhelm von ​135, 342 Burckhard, Max ​28, 342 Buresch, Karl ​49, 50, 75, 342 C Cahier, Sara (Künstlername Madame Charles Cahier, geborene Sara Jane Layton Walker) ​ 196, 342 Caillaux, Joseph ​30, 123 – 125, 128 – 132, 134, 222, 250, 259, 304, 342 Cambon, Jules ​210, 219, 343 Carrus ​38, 343 Chambrun, Charles de ​166, 343 Chapiro, Josef ​89, 90, 93, 343 Charcot, Jean-Martin ​17, 343 Chequet/Choquet ​184, 343 Chocarnes, Familie ​250, 322, 343

Personenregister

Clauzel, Bertrand ​89 – 91, 95, 99, 101, 107, 154, 284, 286, 343 Clémenceau, Georges ​17 – 19, 23, 30, 95, 343 Clémenceau, Paul ​11, 19, 30, 33, 37, 79, 83 – 87, 94, 103, 104, 106, 114, 131, 132, 134, 144, 145, 151 – 155, 158 – 161, 163, 164, 166 – 171, 175, 177, 178, 180, 185 – 190, 198, 204 – 206, 208, 211, 213, 214, 216, 218, 219, 221, 235, 236, 238, 243, 246, 264, 266, 269, 281 – 285, 287, 293, 297, 303, 305, 306, 308, 309, 312 – 320, 322, 324 – 326, 328, 343 Clémenceau, Sofie/Sophie ​11, 18, 19, 22, 23, 30, 79, 80, 83, 89 – 91, 94 – 96, 107, 120, 126, 129, 144, 145, 151 – 152, 155, 158 – 161, 163, 166, 167, 171, 175, 177, 180, 185, 187, 188, 200, 206, 214, 216, 231, 235 – 238, 244, 247, 266, 280, 281, 284, 287, 296, 299, 305, 308, 312 – 316, 319, 322, 324, 343 Colette (ursprünglich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette) ​31, 343 Comert, Pierre ​131, 132, 134 – 136, 238, 241, 283, 321, 323, 324, 343 Coty, René ​115, 344 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus ​31, 109, 144, 146, 165, 293, 344 Coulandre, Robert ​135, 344 Crucy, Francois ​122, 241, 250, 266, 283, 284, 286 – 289, 291, 294, 295, 298, 306, 307, 344 Csokor, Franz Theodor ​28, 39, 344 Curtius, Julius ​118, 344 Czernin, Otto ​117, 344 D Daladier, Édouard ​122, 123, 134, 344 Delbos, Yvon ​239, 240, 286, 288, 301, 321, 328, 345 Deutsch, Felix ​181, 345 Deutsch, Frank Gerhart ​181, 345 Deutsch, Maria (auch Ley-Deutsch, LeyPiscator, geborene Friederike Flora Czada) ​ 31, 181 – 183, 186, 206, 209, 218, 232, 233, 238, 244, 259, 260, 262, 265, 269, 274, 276 – 279, 286, 288, 292, 294, 300, 345 Deutsch, Max ​siehe Deutsch, Frank Gerhart Deval, Jacques (ursprünglich Boularan) ​202, 310, 311, 345 Devaux, Gilbert ​259, 345 Dobretsberger, Josef ​53, 60, 244, 345 Dollfuß, Engelbert ​34, 35, 50 – 52, 80, 130, 133 – 136, 147, 148, 150, 183, 237, 253, 257, 266, 345 Donati, Angelo ​154, 176, 345 d’Orgeval, Madame ​161, 346 Doumer, Paul ​115, 117, 346 Draxler, Ludwig ​254, 346 Dreyfus, Alfred ​29, 36, 346

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Dumba, Konstantin Theodor ​230, 346 du Pont, Ethel ​319, 346 Durieux, Tilla (ursprünglich Ottilie Godeffroy) ​ 31, 346 E Eckermann, Johann Peter ​93, 346 Edelmann, Adolf ​102, 346 Eden, Anthony ​288, 346 Eduard VIII. ​146, 347 Egger-Möllwald, Lothar ​237, 241, 347 Einstein, Albert ​89, 91, 347 Elliot/Elliat, Clemens ​116, 347 Ender, Otto ​50, 347 Eppinger, Johann ​169, 204, 205, 295, 347 Ersteins ​161, 347 Exner, Adolf ​41, 347 F Feist, Hans ​223, 347 Feix ​65, 347 Feizlmayr/Feitzelmayr/Feitzlmayer, Jeanne ​133, 140, 186, 193, 195, 203, 230, 232, 269, 283, 285, 298, 317, 326, 347 Feizlmayr, Hans (Johann) ​133, 145, 347 Ferry, Jules ​17, 348 Fey, Emil ​81, 147, 306, 348 Finaly, Horace ​210, 213 – 216, 219, 222, 295, 299, 301, 302, 307, 348 Flandin, Pierre Étienne ​154, 348 Flissinger, Ch. ​295, 348 Ford, Ernest H. ​63, 348 France, Anatole ​241, 348 Franckenstein, Georg ​69, 228, 348 Franco, Francisco ​265, 301, 348 François-Poncet, André ​135, 348 Franz Josef I. ​22, 348 Freud, Sigmund ​37, 291, 348 Freund, Ernst ​93, 349 Freund, Richard ​93, 102, 349 Fried, Alfred H. ​293, 349 Fried, Oscar ​29, 31, 349 Friedell, Egon (bis 1916 Friedmann) ​28, 92, 192, 258, 349 Friedjung, Josef Karl ​269, 349 Friedmann, Desider ​53, 349 Fuchs, Martin ​284, 349 Funder, Friedrich ​53, 60, 349 Fürst, Herbert ​292, 309, 311, 312, 317, 350 G Gallia, Ludwig ​262, 264, 350 Gambetta, Léon ​17, 350 Gayda, Virginio ​286, 350

396

Personenregister

Geraldy, Paul (ursprünglich Paul Lefèvre-Géraldy) ​26, 37, 100, 298, 350 Gerson, Max ​34, 36, 132, 133, 136, 151, 153, 159 – 163, 167, 189, 204, 209, 210, 212 – 214, 221, 260, 264, 350 Geyer, Emil (ursprünglich Emil Goldmann) ​ 225, 350 Geyer, Siegfried ​311, 350 Girardi, Alexander ​29, 350 Giraudoux, Jean Hyppolyte ​25, 223 – 227, 266, 350 Glaise-Horstenau, Edmund ​267, 350 Göbl ​243, 351 Goethe, Johann Wolfgang von ​93, 351 Goetz, Kurt Walter ​202, 309, 310, 351 Goldschmidt, Oscar ​271, 351 Goode, William Athelstane Meredith ​53, 55, 351 Granowski, Alexei Michailowitsch (ursprünglich Abraham Ozark) ​90, 351 Grillet, Nicolas ​160, 166, 168, 169, 171, 351 Grimm, Ferdinand ​138, 351 Grumbach, Salomon ​241, 250, 351 Grünberger, Alfred ​53, 95, 96, 117, 121, 165, 352 Guerbet, André ​164, 262, 352 Guerbet, Marcel ​164, 262, 352 Guitry, Sacha ​26, 102, 352 Guizerne ​312, 352 Gulmann ​90, 352 Günter, Otto ​130, 135, 352 Gut(t)mann ​161, 189, 352 Gyn, Anton van (Gijn) ​44, 352 H Habicht, Theo ​284, 352 Habsburg-Altenburg, Erzherzog Albrecht ​260, 337 Habsburg-Lothringen, Otto ​154, 258, 352 Hahn, Otto ​siehe Kahn, Otto Hermann Hainisch, Michael ​67, 353 Haldane, Richard ​24, 353 Halsmann, Philipp ​36, 353 Hammelrath, Wilhelm ​51, 63 – 66, 115, 120, 129, 145, 174 – 176, 187, 194, 228, 229, 232, 237, 239, 247, 251, 252, 259, 277, 278, 280, 292, 294, 299, 312, 314, 353 Hanak, Anton ​29, 31, 353 Harmsworth, Harold Sydney ​146, 353 Hauptmann, Gerhard ​93, 353 Hebrad ​322, 353 Heinl, Eduard ​45, 53, 130, 353 Hengel, Adrianus Johannes van ​53, 76, 78, 175, 177, 211, 216, 255, 354 Hennet, Leopold ​53, 354 Herriot, Édouard ​115, 121, 354 Herterich, Franz ​31, 89, 354

Herzl, Theodor ​293, 354 Hevesi, Ludwig ​21, 354 Hildebrand, Dietrich ​44, 354 Hindenburg, Herbert (ursprünglich von Beneckendorff und von Hindenburg) ​92, 355 Hirsch-Montmartin, Guy Pascal (geborener Hirsch) ​234, 355 Hitler, Adolf ​14, 51 – 53, 135, 146 – 150, 164, 176, 178, 197, 223, 235, 238, 242, 244, 252, 257, 258, 260, 265 – 268, 289, 323, 355 Hoesch, Leopold von ​90, 91, 93, 355 Hoffmann, Josef ​29, 97, 355 Hofmannsthal, Hugo von (ursprünglich Hugo Hofmann Edler von Hofmannsthal) ​16, 28, 61, 298, 355 Hohenlohe-Waldenburg-Schillingfürst, Stéphanie (geborene Richter) ​146, 355 Hollnsteiner, Johannes ​61, 289, 290, 355 Hopreiter, Martin ​234 – 236, 355 Hryntschak, Alexander ​53, 57, 58, 355 Hugo, Viktor ​233, 244, 356 Hunna, Emmerich ​101, 102, 220, 356 I Ilg, Albert ​18, 356 Inama-Sternegg, Johann Paul ​41, 356 Innitzer, Theodor ​53, 217, 289, 295, 356 J Jakoncig, Guido ​50, 356 Jaray, Hans ​233, 234, 237, 242, 258, 300, 356 Jardillier, Robert ​263, 356 Jean ​ siehe Painlevé, Paul Jeanne ​siehe Feizlmayr/Feitzelmayr/ Feitzlmayer, Jeanne Joham, Josef ​53, 357 Jorisch, Georges ​357, 385 Jorisch, Louis ​102, 357 Jorisch, Mathilde ​102, 357 Juch, Otto ​62, 357 K Kahn, Otto Hermann ​93, 94, 357 Kantor, Siegfried ​198, 357 Karganski ​26, 357 Karl I., Habsburg Lothringen ​22, 357 Karpath, Ludwig ​61, 358 Kaufmann ​320, 322, 358 Kehrer, Anton Karl ​279, 358 Kerber, Erwin ​260, 318, 358 Kerr, Alfred ​159, 358 Kerschagl, Richard ​53, 59, 358 Khuner, Georg ​265, 358

Personenregister

Kienböck, Viktor ​51 – 53, 62, 74, 78, 81, 108, 254, 255, 358 Klimt, Gustav ​20, 29, 97, 358 Kokoschka, Oskar ​29, 31, 358 Kolb, Annette ​23, 25, 26, 223 – 226, 359 Kommer, Rudolf ​93, 359 Koretz ​258, 359 Köster, Roland ​121, 359 Krafft-Ebing, Richard ​28, 359 Kraus, Karl ​14, 93, 359 Kraus, Otto ​226, 359 Kunwald, Cäsar ​66, 359 Kunwald, Ella/Gabriele ​42, 53, 67, 68, 70, 71, 76, 92, 93, 109, 111, 259, 261, 316 – 318, 359 Kunwald, Ellen (geborene Bramsen) ​66, 359 Kunwald, Emma (geborene Pollak) ​41, 42, 67, 359 Kunwald, Ernst ​42, 67, 68, 73, 74, 359 Kunwald, Lothar ​68, 69, 359 Kunwald, Ludwig ​41, 67, 79, 360 Kunwald, Meta/Margarethe ​42, 67, 76, 360 Kunwald, Paul ​280, 360 L Labbé, Marcel ​204, 360 Labeyrie, Émile ​250, 307, 360 Lammasch, Heinrich ​41, 360 Landsteiner, Karl ​293, 360 Langer, Leopold ​198, 241, 308, 360 Langeron, Roger ​281, 360 Langer, Paul ​231, 360 Langton ​194, 195, 205, 360 Laugier, Henri ​271, 273, 282, 295, 360 Laval, Pierre ​117, 154, 205, 245, 249, 303, 361 Lebrun, Albert ​244, 361 Léger, Alexis ​99, 107, 121, 130, 131, 321, 361 Lenormand, Henri-René ​262, 361 Le-Play, Pierre ​155, 160, 164, 166 – 169, 171, 173, 174, 177, 309, 361 Lepper ​98, 361 Leveil ​106, 361 Ley, Maria ​siehe Deutsch, Maria (auch Ley-Deutsch, Ley-Piscator, geborene Friederike Flora Czada) Lieben, Heinrich ​87, 113, 114, 296 – 298, 301, 302, 325, 329, 361 Lilienthal, Cäcilie ​77, 183, 361 Lloyd George, David ​150, 361 Loewi, Otto ​293, 361 Lord, Lili ​90, 362 Lothar, Ernst (eigtl. Ernst Lothar Müller) ​ 223 – 227, 362 Lubin, Germaine ​314, 362 Luchaire, Jean ​89 – 91, 362

397

Ludwig, Eduard ​53, 362 Lueger, Karl ​58, 257, 362 M Mach, Ernst ​28, 362 Madeleine ​319, 363 Magdermals ​161, 363 Maglione, Luigi ​240, 363 Mahler, Gustav ​28, 29, 259, 293, 363 Mahler-Werfel, Alma (geborene Alma Maria Schindler) ​28, 29, 61, 146, 192, 193, 287, 289, 363 Mandl, Fritz ​323, 363 Mann, Heinrich ​31, 238, 240, 243, 244, 363 Marcus, Siegfried ​293, 363 Marton, Georg ​185, 186, 198, 224 – 226, 241, 242, 270, 308 – 312, 325, 363 Mataja, Heinrich ​45, 46, 53, 68, 364 Menger, Carl ​41, 364 Metaxas, Ioannis ​284, 364 Meunier/Mounir ​299, 364 Miaskowski, August von ​41, 364 Mises, Ludwig ​76, 364 Moinson ​264, 364 Moissi, Alexander ​29, 31, 167, 364 Moll, Carl ​29, 364 Montmartin, Guy Pascal ​siehe HirschMontmartin, Guy Pascal (geborener Hirsch) Monzie, Anatole de ​24, 364 Moreau, Émile ​77, 295, 299, 302, 307, 364 Moser, Koloman ​29, 97, 365 Mosing, Ernst Christian ​53, 365 Mukarovsky, Zdenko ​144, 145, 274, 278, 279, 365 Mussolini, Benito ​136, 166, 205, 209, 252, 253, 265, 267, 289, 323, 365 N Netsch ​278, 279, 365 Neumann, Heinrich ​243, 365 Neumann, Robert ​49, 365 Nostiz-Wallwitz, Helene von ​31, 365 Nothnagel, Hermann ​291, 365 O Oplatek, Berthold ​63, 96, 109, 113, 365 Ostry, Vinzenz Ludwig ​239, 240, 268, 365 P Painlevé, Paul ​30, 34, 79, 80, 89 – 91, 93, 94, 99, 107, 114 – 117, 119 – 121, 123, 130, 132, 133, 136, 144, 161, 210, 215, 241, 244, 250, 304, 310, 366 Papen, Franz von ​267, 366 Passmore ​194, 195, 205, 366 Paul-Boncour, Joseph ​120, 134, 240, 366 Payot, Gustave ​278, 366

398

Personenregister

Pétain, Philippe ​37, 366 Peto, Familie ​42, 43, 69, 71 – 73, 366 Philippe, Raymond ​77, 165, 366 Philippovich, Eugen ​41, 367 Pichler, Caroline (geborene Greiner) ​27, 367 Pickett ​63, 367 Piscator, Erwin ​29, 31, 300, 367 Pius XI. (eigentlich Achille Ratti) ​295, 367 Poincaré, Raymond ​90, 128, 367 Polgar, Alfred ​37, 367 Pollak, Oskar ​67, 201, 211, 216, 222, 367 Poncet ​siehe François-Poncet, André siehe Borel, Èmile Porel ​ Puaux, Gabriel ​154, 262, 367

Rodin, Auguste ​30, 370 Roland, Ida (ursprünglich Ida Klausner) ​31, 370 Rollet, Karl ​273, 370 Roosevelt, Franklin Delano ​121, 370 Roosevelt, Franklin Delano Jr. ​319, 370 Rosenhauch, Siegmund ​57, 370 Rothschild, Henri de (Pseudonyme André Pascal, Charles des Fontaines, P.-L. Naveau) ​ 176, 371 Rothschild, Philippe de ​176, 371 Rousselot, Maurice-François-Marie (Pseudonym François Crucy) ​122, 371 Rudinger, Julius ​97, 371 Rudolf, Erzherzog ​14, 17, 21, 36, 190, 371

Q Quesnay, Pierre ​53, 62, 80, 95, 99, 102, 108, 109, 130, 131, 304, 307, 368

S Salengo, Roger ​245, 371 Salten, Felix (ursprünglich Siegmund Salzmann) ​28, 371 Sautreau, Dagny (geborene Björnson) ​153, 371 Savoir, Madame ​193, 205, 208, 371 Schauberger, Viktor ​11, 142, 371 Schermann, Rafael (Raphael) ​239, 371 Schickele, René ​25, 26, 225, 371 Schiele, Egon ​29, 372 Schlesinger, Karl ​53, 58, 76, 372 Schloss, Wilhelm ​57, 372 Schmid, Heinrich ​121, 130, 372 Schmidt, Guido ​267, 288, 372 Schmitz, Richard ​57, 58, 74, 372 Schnabel, Oscar ​219, 372 Schnitzler, Arthur ​16, 28, 31, 61, 90, 176, 293, 372 Schnitzler, Olga (geborene Gussmann) ​176, 373 Schober, Johannes ​62, 118, 373 Schönberg, Arnold ​293, 373 Schopenhauer, Arthur ​111, 373 Schorr ​220, 373 Schreier, Maximilian ​191, 373 Schrumpf ​187, 188, 190, 204, 208, 213, 373 Schumpeter, Josef ​53, 55, 373 Schumy, Vinzenz ​80, 124 – 126, 131, 132, 134 – 136, 373 Schur, Max ​271 – 273, 374 Schuschnigg, Kurt ​51 – 53, 66, 76, 81, 147, 154, 242, 252, 253, 255, 257, 258, 265, 266, 268, 285, 289, 290, 306, 374 Schwarzwald, Eugenie (Genia) (geborene Nuss(ß)baum) ​53, 374 Schwarzwald, Hermann ​53, 59, 60, 374 Seipel, Ignaz ​30, 40, 44 – 49, 53, 57, 70, 74, 80, 94, 108, 109, 374 Sicard ​321, 375 Sicher, Harry ​75, 375 Sieghart, Rudolf (bis 1895 Rudolf Singer) ​96, 375

R Raab, Julius ​60, 368 Ramek, Rudolf ​53, 368 Raumann, Paul ​198, 368 Ravel, Maurice ​30, 31, 368 Redlich, Amalia (Amalie) (geborene Zuckerkandl) ​97, 102, 291, 292, 294, 296, 300, 311, 312, 317, 326, 368 Redlich, Emil ​97, 368 Redlich, Josef ​228, 368 Reinhardt, Max (ursprünglich Maximilian Goldmann) ​24, 25, 29, 86, 89, 91, 93, 100, 112, 293, 316, 318, 319, 368 Reisch, Richard ​53, 62, 369 Renan, Ernest ​17, 369 Renner, Karl ​10, 59, 74, 369 Reuter, Henry ​214 – 216, 219, 222, 231, 242, 265, 284, 369 Ried, Oskar ​200, 369 Rist, Charles ​32, 53, 56, 77, 80, 81, 85, 119, 121 – 123, 154, 160, 164 – 166, 183, 186, 200 – 202, 205, 206, 208 – 211, 213 – 217, 219 – 222, 230, 231, 235, 236, 242, 245 – 247, 249, 250, 263, 266, 275, 283 – 286, 295, 299 – 304, 306 – 308, 327, 328, 369 Rist, Madame ​165, 200, 208, 209, 213, 222, 242, 245, 249, 284, 286, 299, 301, 302, 304, 306, 327, 369 Rittner, Taddäus ​28, 369 Rizzi, Johann ​62, 369 Röbbeling, Hermann ​224, 225, 370 Robert, Eugen (Weiss) ​90, 370 Robinet ​128, 370 Rockefeller, John Davison Sr. ​165, 166, 370 Rode, Walther (ursprünglich Rosenzweig) ​48, 370

Personenregister

Simon, Hans ​53, 62, 112, 244, 375 Snowden, Ethel (geborene Annakin) ​12, 80, 111, 145 – 147, 150, 151, 375 Snowden, Philip ​24, 104, 112, 149, 375 Sobernheim, Curt ​164, 166, 167, 169, 171, 173 – 186, 375 Spann, Adalbert ​58, 375 Spann, Othmar ​53, 58, 76, 375 Specht, Richard ​28, 60, 375 Spinasse, Charles ​286, 376 Springer, Max ​177, 376 Stadlen, Erich ​53, 376 Stadlen, Hanni/Johanna (verheiratete Peto) ​70, 376 Stadlen, Hedwig (geborene Kunwald) ​68 – 70, 376 Stadlen, Hedy/Hedwig (geborene Simon, geschiedene Keuneman) ​67, 376 Stadlen, Max ​68 – 70, 376 Stadlen, Peter ​53, 57, 63, 68 – 70, 78, 155, 159, 160, 167, 178, 189, 242, 259 – 261, 318, 376 Stallforth, Federico (Frederico/Friedrich) ​84, 95, 96, 98, 114, 121, 132, 134, 228 – 230, 236, 237, 242, 377 Stallforth, Jolly/Joli (Ehefrau) ​228 – 230, 377 Starhemberg, Ernst Rüdiger ​81, 146, 252 – 255, 257, 377 Stekel, Erich (Erik-Paul) ​321, 377 Stekel, Malvine (Malva) (geborene Nelken) ​196, 203, 377 Stekel, Wilhelm ​205, 206, 377 Stephenson, Hans ​291, 292, 317 – 319, 377 Stiasny, Eleonore (Nora) (geborene Zuckerkandl) ​97, 243, 377 Stiasny, Paul ​97, 102, 159, 161, 184, 186, 200, 202, 260, 281, 291, 292, 294, 296, 300, 304, 311, 317, 326, 377 Strakosch, Henry ​169, 170, 377 Strakosch, Otto ​251, 377 Stresemann, Gustav ​164, 377 Sussmann, Elsa ​102, 378 Szeps, Amalie (geborene Schlesinger) ​17, 378 Szeps, Eleonore (Ella) ​18, 378 Szeps, Julius ​18, 378 Szeps, Leon ​18, 20, 378 Szeps, Moriz ​14, 16 – 18, 219, 378 T Tandler, Julius ​19, 28, 30, 378 Tardieu, André ​115, 245, 303, 378 Tersch, Adolf ​275, 378 Thimig, Helene (Thimig-Reinhardt) ​31, 86, 316, 318, 319, 378 Tietze-Conrat, Erica (geborene Conrat) ​16, 26, 379

399

Tolstoi, Leo (Lew) ​26, 379 Tonningen, Meinoud Rost van ​51, 379 Tzanck, Arnault ​238, 379 U Ullmann, Irene (geborene Amtmann-Bringer) ​ 233, 379 Ullmann, Ludwig ​28, 37, 108, 233, 234, 237, 379 Unruh, Fritz von ​28, 379 V Varnhagen von Ense, Rahel (geborene Levin) ​ 36, 379 Vernon, Frank (bis 1899 Spicer) ​194, 379 Vernon, Virginia (geborene Fox-Brooks) ​193, 194, 208, 379 Versbach-Hadamar, Edwin ​95, 380 Vollgruber, Alois ​242, 380 Volpi, Giuseppe ​319, 380 Volpi, Nerina (geborene Pisani) ​319, 380 W Wachtell, Samuel R. ​75, 380 Wagner-Jauregg, Julius ​28, 380 Wagner, Otto ​29, 380 Walter, Bruno (ursprünglich Bruno Walter Schlesinger) ​259, 380 Wasicky, Richard Balthasar ​37, 380 Wasserbäck, Erwin ​81, 155, 159, 224, 237, 240 – 242, 250, 263, 265, 275, 284, 286, 287, 289, 290, 294 – 296, 300, 306, 307, 324, 380 Wassermann, Jacob ​28, 380 Weigl, Heinrich ​137, 143, 381 Weingartner, Felix ​146, 381 Wellesz, Egon ​31, 381 Werfel, Franz ​28, 31, 37, 192, 293, 381 Weygand, Maxime ​307, 381 Wiesner, Friedrich ​117, 228, 265, 381 Wildgans, Anton ​31, 381 Winkler, Franz ​124, 381 Winter, Josephine (Jo) (geborene Auspitz) ​275, 382 Wirth, Karl Joseph ​90, 382 Witrofsky, Max ​209, 211, 234, 235, 243, 382 Wolff, Theodor ​117, 382 Wordly, Mister ​196, 203, 382 Z Zay, Jean ​261, 262, 382 Zsolnay-Mahler, Anna (geborene Mahler) ​289, 290, 382 Zsolnay, Paul ​31, 100, 382 Zuckerkandl, Amalie ​34, 97, 207, 382

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Personenregister

Zuckerkandl, Emil ​14, 18 – 20, 28, 79, 120, 132, 136, 137, 142, 143, 164, 213, 230, 272, 273, 278, 292, 293, 383 Zuckerkandl, Emile ​15, 16, 26, 29, 33, 37, 38, 82 – 84, 86, 87, 89, 99, 100, 144, 152 – 154, 158, 159, 178, 180, 196, 217, 238 – 240, 243, 260, 275, 283, 304 – 306, 308, 309, 313 – 317, 320, 322, 329, 383 Zuckerkandl, Fritz ​20, 32, 33, 36 – 38, 62, 79, 82 – 84, 91, 96, 97, 99 – 102, 109, 137, 138, 143, 151 – 154, 158 – 161, 163 – 171, 173, 174, 177, 184 – 190, 198, 201, 202, 204 – 206, 208, 209, 211 – 216, 218 – 222, 233 – 236, 238, 239, 241, 243, 244, 246, 247, 249, 251, 260, 262 – 264, 266, 269 – 275, 279 – 284, 286, 291 – 295, 297, 301, 302, 305, 311, 314, 318, 321, 322, 324, 327, 329, 383

Zuckerkandl, Otto ​34, 97, 164, 207, 383 Zuckerkandl, Paula ​93, 97, 383 Zuckerkandl, Trude (geborene Gertrude Stekel) ​ 15, 33, 38, 82 – 84, 86, 152 – 155, 158, 159, 161, 163, 166, 186, 188, 190, 192, 196, 202 – 205, 211, 212, 220, 222, 233, 239, 243, 249, 260, 261, 263, 269, 274, 275, 280 – 286, 291, 292, 294 – 296, 300, 304, 305, 308, 309, 311 – 317, 319, 321, 322, 383 Zuckerkandl, Viktor (1851–1927) ​97, 383 Zuckerkandl, Viktor (1896–1965) ​207, 383