Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft: Anleitung für professionelle Verhandlungen im In- und Ausland [1. Aufl. 2020] 978-3-658-27449-8, 978-3-658-27450-4

In diesem Buch erfahren Vertriebsingenieure und Mitarbeiter im Investitionsgütervertrieb, wie sie in Verkaufsgesprächen

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German Pages XI, 242 [247] Year 2020

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Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft: Anleitung für professionelle Verhandlungen im In- und Ausland [1. Aufl. 2020]
 978-3-658-27449-8, 978-3-658-27450-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Die Situation des Vertriebsingenieurs (Guido Wenski)....Pages 1-25
Ansprechpartner und Kommunikation (Guido Wenski)....Pages 27-66
Körpersprache in Verhandlungen (Guido Wenski)....Pages 67-95
Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik (Guido Wenski)....Pages 97-129
Spieltheorie in Verhandlungen (Guido Wenski)....Pages 131-156
Interkulturelle Verhandlungen (Guido Wenski)....Pages 157-177
Ein Blick auf einzelne Nationen (Guido Wenski)....Pages 179-204
Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung (Guido Wenski)....Pages 205-224
Praktische Umsetzungshilfen (Guido Wenski)....Pages 225-231
Back Matter ....Pages 233-242

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Guido Wenski

Beraterverkauf im globalen B2BEquipmentgeschäft Anleitung für professionelle Verhandlungen im In- und Ausland

Beraterverkauf im globalen B2B-­Equipmentgeschäft

Guido Wenski

Beraterverkauf im globalen B2BEquipmentgeschäft Anleitung für professionelle Verhandlungen im In- und Ausland

Guido Wenski Burghausen, Bayern, Deutschland

ISBN 978-3-658-27449-8 ISBN 978-3-658-27450-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Manuela Eckstein Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Dieses Buch richtet sich an Vertriebsingenieure und Vertriebsleiter, die im Anlagenverkauf weltweit aktiv sind und nichts dem Zufall überlassen wollen. Eines der wichtigsten Themen in internationalen Verhandlungen ist der Dialog des Vertriebsingenieurs und seiner Kollegen mit dem Kunden. Wir blicken zunächst auf die eigene Situation als Vertriebsmitarbeiter und die vielfältigen und teilweise sehr belastenden Anforderungen an diese Tätigkeit. Danach werden die wesentlichen Funktionen in der Einkaufsabteilung und deren Umfeld charakterisiert und erläutert, was die jeweiligen Triebkräfte sind und wie man damit umgehen kann. Dazu ist von Bedeutung, ergebnisorientiert zu kommunizieren und die relevanten Kanäle souverän zu meistern, seien es Telefon und E-Mail, Auftreten, Sprache oder die Analyse von Körpersprache in Verhandlungen. ­Souveränes, positives Auftreten und ein professioneller Vortragsstil bilden oft die Grundlage für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss. Zwei zentrale Kapitel beschäftigen sich mit der Relevanz von Verhaltensökonomik und Spieltheorie für Anlagenverhandlungen und ordnen die damit zu gewinnenden Ergebnisse vor dem Hintergrund typisch menschlicher Verhaltensweisen ein. Dabei wird klar, dass der Mensch auch in Verhandlungen keine streng rational arbeitende Rechenmaschine ist, sondern durch psychologische Aspekte und kognitive Fehlleistungen beeinflusst wird. Im B2B-Vertrieb und in einer zunehmend globalisierten Welt werden interkulturelle Verhandlungen immer bedeutender und bilden daher ein weiteres Kernthema dieses Buches. Die Anmerkungen und Beobachtungen konzentrieren sich auf die typischen Absatzmärkte für Anlagen und Maschinen wie die USA und einige asiatische Kulturen: Israel, Singapur, Japan und vor allem die Volksrepublik China – Länder, deren Vertreter ich in Verhandlungen und Schulungen intensiv kennengelernt habe. Es sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen

V

VI

Vorwort

Nationen beschrieben, und mit einem weltoffenen Auftreten und der Beachtung weniger Grundregeln wird sich ein Vertriebsingenieur auch auf internationalem Parkett sicher bewegen können. Xenophobe Denkweisen wären in diesem Zusammenhang alleine aus wirtschaftlichen Gründen ein Anachronismus. Fallbeispiele, darunter ein fortlaufendes Verhandlungsszenario, unterstützen die lebendige Darstellung des Stoffes. Englischsprachige Begriffe lassen sich auch hier nicht komplett vermeiden. Im Sinne eines flüssigen Schreibstils habe ich (wie viele andere Autoren auch) darauf verzichtet, bei allen Personen betreffenden Angaben jeweils die männliche und weibliche Form anzusprechen, obwohl dies korrekt wäre. Mit den Grundlagen des Verhandelns in meinem Buch Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb1 und dem Fokus auf das Thema Kundendialog in diesem Band ist ein solides Fundament für die erfolgreiche Verhandlungs- und Verkaufstätigkeit von erklärungsbedürftigen Produkten im Investitionsgüterbereich gelegt. Ich wünsche allen Lesern viel Erfolg bei der Anwendung der Inhalte in der Praxis und vor allem Freude und Erfüllung bei ihrer Tätigkeit. im August 2019

1Wenski

Dr. Guido Wenski

G (2019) Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27448-1

Inhaltsverzeichnis

1 Die Situation des Vertriebsingenieurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Einführung in ein Verhandlungsszenario. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Sechs Grundregeln für Verkäufer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Beraterverkauf versus Verkaufsgespräch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Wie der Verkäufer „nein“ sagen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.5 Motivation von Vertriebsingenieuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.6 Feedback und Selbstmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2 Ansprechpartner und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Strategisches Kundenmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2 Champions und Entscheider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3 Kundenvertreter in Vergabeverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4 Das Who’s Who in einer Einkaufsorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.5 Umgang mit schwierigen Kunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.6 Verhandlungen mit E-Mail und am Telefon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.7 Sprache richtig nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.8 Das Handwerkszeug des Fragens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.9 Verhandlung oder Diskussion mit dem Kunden?. . . . . . . . . . . . . . . . 62 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3 Körpersprache in Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.1 Auftreten und erster Eindruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.2 Mimik und Gestik in Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.3 Einzelelemente der Körpersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.4 Die Ausnutzung des Raumes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.5 Überzeugend präsentieren und framen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 VII

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Inhaltsverzeichnis

4 Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.1 Kognitive Psychologie und Verhaltensökonomik . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.2 Kopf oder Bauch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.3 Angebote, Preise und Ankerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.4 Alles ist relativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.5 Verlustaversion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.6 Weitere intuitive Fehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5 Spieltheorie in Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.1 Psychologie und Spieltheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5.2 Das Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.3 Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.4 Bedeutung der Spieltheorie für den Verhandlungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6 Interkulturelle Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.1 Internationale Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6.2 Über und unter der Wasserlinie: sichtbare Kultur, Haltung und Werte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6.3 Ein Blick auf einzelne Kulturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 6.4 Vertrautheit mit fremden Kulturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.5 Ostasiatische Kulturen: Konfuzianische Geheimnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7 Ein Blick auf einzelne Nationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 7.1 USA: So nah und doch so fern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 7.2 Israel: Die Brücke zwischen Europa und Asien. . . . . . . . . . . . . . . . . 182 7.3 Singapur: Asien für Anfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7.4 Verhandeln in Japan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7.5 Verhandeln in China. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

Inhaltsverzeichnis

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8 Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.1 Modellverhandlung Phase 1: Auftakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 8.2 Modellverhandlung Phase 2: Schock und Stillstand. . . . . . . . . . . . . 209 8.3 Modellverhandlung Phase 3: Durchbruch und Einigung. . . . . . . . . . 213 8.4 Modellverhandlung: Vorgehen, Ergebnis und Bewertung. . . . . . . . . 218 8.5 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 9 Praktische Umsetzungshilfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 9.1 Übersicht Verhandlungstipps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 9.2 Verhandlungsfall „Polieranlage“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Über den Autor

Guido Wenski,  promovierter Chemiker, wurde 1960 in Köln geboren. Er blickt auf fast 30 Jahre Industrieerfahrung im In- und Ausland zurück und ist Autor zahlreicher Patente zur Herstellung von Halbleiterwafern. Nach einer spannenden Zeit im Anlageneinkauf arbeitet er seit mehreren Jahren als selbstständiger Verhandlungstrainer und Unternehmensberater. Daneben bildet das Thema Selbstmanagement mit seinen unterschiedlichen Facetten einen weiteren Schwerpunkt seiner Schulungen. Trainingssprachen in den Seminaren von Guido Wenski sind Deutsch und Englisch. Er wohnt in Burghausen.

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Die Situation des Vertriebsingenieurs



In diesem Kapitel erhalten Sie Informationen über Bezahlung, Motivation und Feedback des Vertriebsingenieurs und erfahren außerdem, über wen der Weg zur Bestellung führt und wie Sie – obwohl hierarchisch tiefer stehend – zum Kunden „nein“ sagen können. Darüber hinaus werden Sie mit wertvollen Tipps versorgt, die Ihnen zu guten Geschäftsabschlüssen verhelfen.

1.1 Einführung in ein Verhandlungsszenario Ich möchte Sie gleich zu Beginn mit einem talentierten jungen Mann bekanntmachen, der uns im Verlaufe dieses Buches noch öfters begegnen wird. Zum leichteren Auffinden tragen die einzelnen Episoden des Beispiels seinen Namen als Überschrift. Anton Schmitz

Anton Schmitz – der in Wirklichkeit anders heißt und etwas anderes macht – ist 35 Jahre alt, im Rheinland geboren und hat in Aachen Maschinenbau studiert. Er ist vielseitig interessiert, treibt Sport und begeistert sich für Rockmusik. Nach einer Startposition bei einem mittelständischen deutschen Distributor für Messgeräte (nähere Informationen hierzu gibt es in Abschn. 7.4) arbeitet er seit wenigen Jahren als Leiter der europäischen Vertriebs- und Serviceniederlassung ISHIKAWA TRADING GMBH des fiktiven japanischen Unternehmens ISHIKAWA CORPORATION, das Großanlagen und Komponenten für die Halbleiter- und Fotovoltaikindustrie herstellt. Er sitzt mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern in Düsseldorf, dem japanischen Geschäftsmittelpunkt in Deutschland, und steht im Kontakt mit Kunden in ganz Europa. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_1

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Ein Mitarbeiter eines ebenfalls fiktiven Halbleiterproduzenten aus Sachsen, der WAFAG („Wafer AG“) mit Hauptsitz in Dresden, spricht Anton Schmitz auf einer Fachmesse an und bekundet Interesse an einem Schichtdicken-Messgerät für eine Spezialanwendung – mit technischen Details wollen wir uns an dieser Stelle nicht belasten, sie sind für das weitere Drehbuch unwichtig. Der Interessent stellt sich als Abteilungsleiter Metrologie der WAFAG vor; seine Visitenkarte weist ihn als Dr. Peter Wohlmann aus. (Eine Übersicht über die WAFAG-Protagonisten in diesem Szenario finden Sie in Abschn. 2.4) Die Anforderungen der WAFAG könnte das Messsystem Typ LayerHakaru-8 (internes Kürzel LH-8) von ISHIKAWA erfüllen, und Anton Schmitz erarbeitet nach Rücksprache mit dem Mutterkonzern einen Plan, wie er den ostdeutschen Kunden, ein weltweit führender Anbieter für seine Technologie, von der Leistungsfähigkeit der ISHIKAWA-Produkte im Allgemeinen und des LH-8 im Besonderen überzeugen und eine Bestellung an Land ziehen kann. Die WAFAG hat Anton Schmitz kurze Zeit später – zu dessen großer Freude – zu einer Produktpräsentation und einem Vorgespräch nach Dresden eingeladen, das recht konstruktiv gelaufen ist und über das in Abschn. 3.5 noch ausführlicher berichtet wird. Den Entwurf der WAFAG für eine beidseitige Geheimhaltungserklärung hat Anton Schmitz zuvor ins Mutterhaus nach Japan geschickt, wo er umgehend bearbeitet und unterschrieben worden ist; die Unterschrift der WAFAG liegt ebenfalls vor. In den Folgemonaten testet die WAFAG das System eingehend beim Lieferanten in Japan und auch in der eigenen Fertigung und befindet es für geeignet. Hinsichtlich Messgenauigkeit und -optionen ist es der etablierten Konkurrenz ebenbürtig. Die juristische Klarheit hat möglicherweise etwas gelitten, indem der Kunde von Anton Schmitz ein Budgetangebot erhalten hat, bevor die technische Spezifikation vereinbart und gegenseitig unterschrieben worden ist. Ein solches Vorgehen kann zu Problemen durch einen Einigungsmangel oder zumindest zu einer verschlechterten Verhandlungsbasis führen, falls das Budgetangebot ohne Kenntnis der Spezifikationsdetails erstellt wird, aber rechtlich eine verbindliche Willenserklärung darstellt (s. Wenski 2019). Dies wäre im vorliegenden Fall beispielsweise möglich gewesen, falls ISHIKAWA ohne explizite Erwähnung dieser Ausführung etwa ein Gerät mit pulverbeschichtetem Rahmen kalkuliert und preislich angeboten hätte, die WAFAG allerdings gemäß ihres Spezifikationsentwurfs einen Edelstahlkorpus erwartet hätte (s. Abschn. 1.4). Dem war allerdings nicht so, und es sind keine diesbezüglichen Missverständnisse entstanden. Ein weiterer juristisch vorteilhafter Umstand für beide Parteien ist, dass ISHIKAWA in Europa über seine Düsseldorfer Niederlassung verkauft und dass der Vertrag daher nach deutschem Recht abgeschlossen werden soll.

1.2  Sechs Grundregeln für Verkäufer

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Das Preis-Leistungs-Verhältnis für das LH-8, beurteilt anhand des von ISHIKAWA übermittelten Budgetangebots, scheint – trotz Quotierung des hochwertigen, jedoch möglicherweise nicht benötigten Edelstahlrahmens – für den Kunden attraktiv zu sein. Daher wird Anton Schmitz im Rahmen eines RFQ (Request for Quotation) um ein formelles Angebot über bis zu fünf Messsysteme gebeten, deren Marktwert jeweils in der Größenordnung von einer Million Euro liegt (s. Abschn. 4.3 und Kap. 5), und auf dieser Basis erfreulicherweise zu einer Vergabeverhandlung nach Dresden eingeladen (s. Kap. 8). Dazu lässt es sich wegen der hohen strategischen Bedeutung des Geschäfts sein Vorgesetzter, der globale Vertriebsleiter Shinji Hondo, nicht nehmen, von Tokio anzureisen und ihn zu begleiten, um eine Anlagenbestellung zu für ISHIKAWA möglichst günstigen Bedingungen zu erhalten.

1.2 Sechs Grundregeln für Verkäufer Als Vertriebsingenieur sind Sie primär Verkäufer. Sie werden dafür bezahlt sicherzustellen, dass sich die (potenziellen oder Bestands-)Kunden für die Produkte Ihres Unternehmens interessieren und diese käuflich erwerben. Gleichzeitig nehmen Sie Aufgaben des Marketings („Absatzwirtschaft“) wahr mit der Zielstellung, Produkte und Dienstleistungen in einer Weise zum Verkauf anbieten, dass Käufer dieses Angebot als wünschenswert wahrnehmen. Der Übergang zwischen Vertrieb und Marketing ist zumindest im Großanlagensegment fließend. Verkaufen ist nicht gleich Verkaufen: Die Rahmenbedingungen und das Umfeld haben einen gravierenden Einfluss darauf, wie der Vertriebler auf seine Rolle vorbereitet wird und letztlich agiert. Besonders angehende Verkäufer im Außendienst oder solche, die schwierige Kunden betreuen, müssen sich frühzeitig fragen, ob ihr Selbstwertgefühl hoch genug ist, um wiederkehrende Zurückweisung und Enttäuschung dauerhaft zu verkraften. In psychologischen Schulungen wird ihnen vermittelt, dass Ablehnung nicht gleichbedeutend mit persönlicher Kritik ist, um die Ausbildung emotionaler Kälte und Arroganz als Schutzmechanismus zu vermeiden. Mit dieser Problematik und den notwendigen Maßnahmen zum Selbstschutz werden wir uns in Abschn. 1.6 auseinandersetzen. Aufgrund der Machtverhältnisse in der Verhandlung oder ganz allgemein in einer Geschäftsbeziehung sind die unterschiedlichsten Konstellationen denkbar, über die sich der Verkäufer sehr wohl bewusst ist. Das kann – auf der für ihn komfortablen Seite – vom Status des Quasimonopolisten und Systemlieferanten bis hin zu einem durch seine Cashflow-Situation unter Druck stehenden Zweitund Drittanbieter gehen, vom Auto- und Haustürverkäufer mit Provisionsdruck

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

ganz zu schweigen. Wer etwas verkaufen will, sollte sich über seine Rolle als Verkäufer im Klaren sein, seine Verhandlungsmacht kennen und sich vor allem darüber Gedanken machen, was der Käufer wirklich haben will, wo sein Problem liegt. Denn Sie vertreiben erklärungsbedürftige Produkte, keine Gebrauchtwagen. Zwei für diese Betrachtungen notwendigen Grundlagen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 

Es ist essenziell zu wissen, wie Sie den Kunden erreichen können. Und: Kaufentscheidungen werden häufig aus dem Bauch heraus gefällt.

Ein Vertriebsingenieur kann beliebig viel verkehrt machen (sollte er allerdings nicht). Ein Neuling redet oft zu viel, hört dem Kunden nicht zu und ignoriert dessen Bedürfnisse. Ihm fehlen vielleicht die positive innere Einstellung und die Persönlichkeit, um den Adressaten zu begeistern, und er verlässt sich mehr auf seine Laptop-Präsentation als auf seine Ausstrahlung. Oder – schlimmer noch – er versucht gar, durchschaubare Verhandlungstricks anzuwenden. Manch gestandener Einkäufer verdreht innerlich die Augen, wenn ihm ein hoch motivierter, jedoch relativ unerfahrener Lieferantenvertreter gegenübersitzt („jung, dynamisch, erfolglos“, wird dann hinter vorgehaltener Hand gespottet), mit dem er jedem Sachverhalt dreimal durchkaut und sich nie sicher sein kann, wie belastbar das Ergebnis ist. Von den vielen Vertriebsingenieuren und Lieferantenvertretern, mit denen ich als Einkäufer zusammengearbeitet habe, traf dies allerdings auf eine nur ganz kleine Zahl zu. Doch seien Sie beruhigt: Die meisten und insbesondere die groben Fehler sind vermeidbar, wenn Sie mit offenen Augen und gesundem Menschenverstand durchs Leben gehen und bereit sind, Erfahrung zu sammeln und zu lernen. Unterstützung durch Ihre Kollegen, Lehrbücher und gezielte Schulungen von Experten helfen Ihnen dabei, die Grundlagen der Vertriebstätigkeit zu erfassen, doch das echte Verhandeln lernen Sie erst im wirklichen Leben, sprich: beim Kunden. Mit fundierten Kenntnissen, einem gesunden Selbstvertrauen und auch ein bisschen Demut vor der Aufgabe lassen sich die meisten Fußangeln und Fettnäpfchen elegant vermeiden, und Sie können sich einen Ruf als kompetenter Geschäftspartner und erfolgreicher Vertriebsingenieur erarbeiten. Beachten Sie dabei aber, dass jeder gute Verkäufer seinen eigenen Weg finden muss. Viele wohlgemeinte Ratschläge (auch diese sind Schläge!) erweisen sich möglicherweise als für den betreffenden Markt, Ihre Produkte, Ihre Kundschaft und letztlich Ihre Persönlichkeit ungeeignet. Oft ist weniger mehr; eine Verzettelung in Tricks und Taktiken wirkt keineswegs ergebnisverbessernd. Viel hilft viel trifft bei Verhandlungen meistens nicht zu. – Dessen ungeachtet folgen hier weitere Tipps, die sich als zielführend erwiesen haben. Deshalb gilt zunächst einmal:

1.2  Sechs Grundregeln für Verkäufer

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Grundregel 1: Stellen Sie sicher, dass Ihr Kunde sich gut fühlt Vielen Außendienstmitarbeitern wird heutzutage ein Vergnügungsbudget zugewiesen, das sie innerhalb einer bestimmten Zeit mit ihrem Kundenkreis abzuarbeiten haben (wobei zu betonen ist, dass das „Vergnügen“ geselliger Abende mit Kunden in vielen Fällen recht einseitig verteilt und für den Verkäufer lediglich Teil seiner Arbeit ist, vielfach verbunden mit einem Übermaß an Reisen und Restaurantessen). Die Idee dahinter ist, dass der Vertriebsingenieur alles Mögliche tut, dass sich sein Kunde „gut fühlt“ und dass es dabei an finanziellen Mitteln nicht mangelt. Von der damit verbundenen Compliance-Thematik einmal abgesehen, halte ich persönlich generell wenig von solchen Top-down-Maßnahmen im Vertrieb, eine Thematik, die in Abschn. 1.5 bei den Bonuszahlungen nochmals aufgegriffen wird. Ob sich ein Kunde gut fühlt, wird er vor allem daran messen, ob er sich vom Lieferanten ernst genommen fühlt. Dass er bei formalen und informellen Dingen unterstützt wird, dass durch den Anbieter ein faires Geschäftsverhalten an den Tag gelegt und Beanstandungen zügig behoben werden. Dass man ihm nicht offen widerspricht oder ihn kritisiert, sondern Einwände positiv entgegennimmt. Dazu gehört neben guten Produkten und deren effizienter Vermarktung als Problemlöser für den Kunden natürlich ebenfalls ein gutes, belastbares Verhältnis auf persönlicher Ebene. Und dies wird erreicht und unterstützt, indem man dessen Vertreter – besonders wenn es sich um einen Schlüsselkunden handelt – ab und zu zum Essen einlädt und dabei eine gepflegte Unterhaltung führt. Ein vernünftig ausgebildeter und motivierter Vertriebsingenieur wird viel Energie in den Aufbau einer guten, belastbaren persönlichen Beziehung zum Kunden investieren und benötigt keine Vorschriften, wie viel er dafür auszugeben hat. Ich möchte es hier ganz klar sagen: 

Zur Kundenbetreuung gehört nicht der nächtliche Besuch in zwielichtigen Bars und Bordellen, was manche Kunden vor allem aus dem Ausland von Lieferantenvertretern fordern und erwarten.

Falls Sie Ihre asiatischen Besucher dennoch nicht verprellen wollen, setzen Sie sie in ein Taxi, das sie zu ihrem Bestimmungsort hinbringt – auf deren Kosten natürlich. Grundregel 2: Zeigen Sie hohe Reisebereitschaft, um nah am Kunden zu sein Diese alte Weisheit gilt es für Verkäufer heute wie damals zu beachten. Traditionell kommt der Berg selten zu Mose, sondern es verhält sich umgekehrt: Der Lieferant muss beim Kunden präsent sein, um etwas zu erreichen – auch wenn

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

die Zeitökonomie fraglich ist, zwei Reisetage für ein weniger als zweistündiges Treffen zu investieren, können Ergebnis und persönliche Beziehung dies trotzdem rechtfertigen. Das Management weitsichtiger Lieferantenunternehmen macht daher seinen Verkäufern die Vorgabe, sich so häufig es geht beim Kunden sehen zu lassen. Dabei sollte es die Vertriebs- oder Unternehmensleitung (je nachdem, wer für Reisekostenabrechnungen zuständig ist) möglichst unterlassen, Spesenund Fahrtkostenerstattungen zu kleinlich zu prüfen und jede Reise und jeden Erstattungsposten auf Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Ebenso ist der Terminus „Lustreise“ im Geschäftsalltag inzwischen zum Unwort geworden. So raubt man Außendienstmitarbeitern die Motivation und darf sich nicht wundern, falls diese innerlich kündigen oder sich gleich einen besseren Arbeitgeber suchen. Telefonate, Telefon- und Videokonferenzen haben wertvolle unterstützende Wirkung, können jedoch persönliche Gespräche keinesfalls ersetzen. Es soll hier nichts beschönigt werden: Ein Vertriebsingenieur benötigt eine hohe Reisebereitschaft, um regelmäßig beim Kunden präsent zu sein im Bestreben, dort etwas zu verkaufen; 100 Reisetage pro Jahr und mehr sind die Regel und nicht die Ausnahme. Dies stellt massive Ansprüche an ein stabiles Familien- und Sozialleben und erfordert eine hohe Selbstdisziplin. Grundregel 3: Der Weg zur Bestellung führt in der Regel über den Techniker Wichtig ist die Berücksichtigung der folgenden Erkenntnis: Beschaffungsentscheidungen im (Hoch-)Technologiesektor werden selten vom Einkauf, sondern eher von den technisch/technologischen Abteilungen und deren Mitarbeitern getroffen. (Ausnahmen hierzu stellen meiner Erfahrung nach einige ostasiatische Großkonzerne dar, in denen die Einkaufsabteilung als eigenes Profit Center auf Provisionsbasis arbeitet: Die technische Abteilung reicht beim Einkauf eine Spezifikation ein, und der Einkauf kümmert sich eigenverantwortlich um die Beschaffungsentscheidung.) Unter „Techniker“ soll hier und im Folgenden der zuständige technische Betreuer bzw. Anlageningenieur verstanden werden, der Vertreter der Engineering-Abteilung beim Kunden, wie es heute neudeutsch heißt. Wenn er ein erklärungsbedürftiges Produkt wie eine Großanlage verkaufen will, muss der Vertriebsingenieur über den Techniker sicherstellen, dass Bedarf nach seinen Produkten vorhanden ist oder geschaffen wird. Allerdings wäre es ein Kapitalfehler, die Mitarbeiter des Einkaufs zu hintergehen, indem man bewusst hinter ihrem Rücken agiert.

1.2  Sechs Grundregeln für Verkäufer

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Grundregel 4: Verändern Sie niemals Ihr Angebot, ohne zwischenzeitlich ein Gegenangebot erhalten zu haben Präsentieren Sie bei den Wants, den nicht zwingend notwendigen Verhandlungsobjekten, kleine Zugeständnisse an den Verhandlungspartner möglichst groß, aber legen Sie nicht nach, wenn der Einkäufer – was zu erwarten ist – Zweifel äußert. Es würde gegen sämtliche Prinzipien verstoßen, ein ausgesprochenes Angebot oder Zugeständnis grundlos nochmals abzuändern und auf das [sic!] Gegenüber weiter zuzugehen. Nachdem Sie eine Konzession gemacht haben, ist Ihr Kunde zunächst in Zugzwang. Unerfahrene Verhandler begehen vielfach den Fehler, dass sie sich an einer kritischen Stelle der Verhandlung, in welcher der Prozess des aufeinander Zugehens stockt, zum Nachlegen beim Angebot verleiten lassen. Hier sind Abwarten und Bewerten der Situation mit kühlem Kopf angebracht. Doch Sie sollten sich auf die typische Situation vorbereiten, dass der Kunde Sie mit sich selbst verhandeln lässt, indem er etwa sagt: „Dieses Angebot ist nicht gut genug, machen Sie ein neues.“ Grundregel 5: Lassen Sie nie Zweifel an Ihrer Kompetenz und Autorität ­aufkommen Treten Sie sicher und locker auf. Souveränität und Selbstbewusstsein äußern sich in einem entspannten, unverkrampften Auftreten. Der Verhandlungspartner nimmt die damit verbundenen Signale mindestens im Unterbewusstsein auf, was die eigene Verhandlungsposition verbessert (s. Kap. 3). Dies ist notwendig, um Kampf und Verkrampfung zu begegnen. Sicherheit und Lockerheit müssen während der Verhandlung erhalten bleiben, indem Sie auch in brenzligen Situationen Ruhe und Contenance bewahren und keine Zweifel aufkommen lassen, dass Sie die Situation beherrschen. Nicht nur der Einkäufer als Verhandlungsführer sollte jederzeit Herr der Lage sein, ein Vertriebsingenieur hat ebenfalls durch sein kompetentes, authentisches, selbstbewusstes Auftreten (ohne arrogant zu wirken) stets für eine kooperative, ergebnisorientierte Arbeitsatmosphäre zu sorgen. Das führt unmittelbar zu einem weiteren Tipp: Setzen Sie Ihre Persönlichkeit ein. Denn es sind gerade der Charakter und die Persönlichkeit der Protagonisten einer Geschäftsbeziehung, die diese prägen. Grundregel 6: Akzeptieren Sie die Tatsache, dass Sie sich meist in einer hierarchisch tieferen Stellung befinden als Ihr Kunde Der inhärente strategische Nachteil eines Verkäufers lässt sich nicht von der Hand weisen. Es ist dennoch zu hoffen, dass für all diejenigen, die ihr tägliches Brot mit Lieferantentätigkeiten verdienen, die Vorteile überwiegen. Wenn es sowohl dem Einkäufer als auch dem Verkäufer Freude und Genugtuung bereitet,

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

eine nachhaltige und für beide Seiten zufriedenstellende Verhandlungslösung zu erarbeiten, ist das der Idealzustand. An Sie sind dabei zwar dieselben grundlegenden und bereits genannten Anforderungen als guter Verhandler zu stellen wie an einen Einkäufer, also beispielsweise souveränes Auftreten, Authentizität, Empathie, Fachwissen und die Fähigkeit zu analytischem Denken. Jedoch ist eine weitere Facette Ihres Anforderungsprofils darin begründet, dass Sie im Verhältnis zum Kunden häufig am kürzeren Hebel sitzen und dadurch eine hierarchisch tiefere Stellung bekleiden. Mit dem Handicap müssen Sie umzugehen lernen und Strategien und Taktiken entwickeln, vor diesem Hintergrund trotzdem Ihre Ziele zu erreichen. Dieser Sachverhalt spielt vor allem bei Verhandlungen mit asiatischen Kunden eine wesentliche Rolle, aber nicht nur dort: Auch die westlichen Marktführer in bestimmten Industrien lassen kleinere Anbieterunternehmen immer deutlicher ihre Verhandlungsmacht spüren. Die Vertriebler bekommen vom Einkäufer, Techniker und Management so oft zu hören, dass Ihre Produkte zu teuer und zu schlecht sind, sodass Sie am Ende fast geneigt sind, es selbst zu glauben. Im schlimmsten Fall werden Sie als Fußabtreter für die Launen des (möglichen) Kunden missbraucht und erhalten dennoch keine Bestellung. Doch das müssen Sie aushalten, das gehört zu Ihrem Job.

1.3 Beraterverkauf versus Verkaufsgespräch Um die Situation eines Verkäufers in Verhandlungen mit Kunden optimieren zu können, ist zunächst eine Analyse vorzunehmen, um welche Art von Geschäft und Verhandlung es sich handelt – es können die verschiedensten Konstellationen vorliegen, die mit teilweise unterschiedlichen Stilmitteln begleitet werden. Im Rahmen der hier diskutierten gewerblichen Verhandlungen von Großanlagen (B2B, Business-to-Business), also hochwertigen, erklärungsbedürftigen technischen Gütern, bietet sich ein fachlicher Ansatz mit für den Kunden passenden Sachargumenten an. Davon ist das in unserem Fall nicht zielführende Verkaufsgespräch abzugrenzen, dessen Wesen zunächst kurz erklärt werden soll. Das typische Verkaufsgespräch (englisch Pitch) findet beim Außendienstverkauf und bei höherwertigem Ladenverkauf langlebiger Konsumgüter statt (Wikipedia 2019b). Man versteht darunter die zielorientierte, auf Vertragsabschluss ausgerichtete Dialogführung eines Verkäufers mit einem potenziellen Kunden. Verkaufspsychologisch betrachtet hängt der Erfolg des Verkäufers nicht nur davon ab, was er verkauft, sondern weitgehend von seiner Wirkung auf den möglichen Käufer. Verkäufer, die für derartige Formate aus- und weitergebildet

1.3  Beraterverkauf versus Verkaufsgespräch

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werden, durchlaufen daher meist einen klassischen Schulungsansatz, bei dem – ähnlich wie bei einem Schauspieler – Auftreten und Rhetorik prägend sind. Ein wesentlicher Teil ist dabei dem Überzeugen von Laufkundschaft z. B. im Einzelhandel gewidmet. Der Umgang mit schwierigen Kunden und die gezielte Einwandbehandlung stehen im Vordergrund; der Verkäufer lernt, Einwände positiv entgegenzunehmen und mit entsprechenden Formulierungen Gefühlsebene und Sinne anzusprechen. Die Persönlichkeitsbildung stellt einen wesentlichen Eckpfeiler dar, denn das Verkaufen insbesondere bei Kaltakquise erfordert eine hohe Frustrationstoleranz. Die typischen Phasen des Verkaufsgesprächs werden systematisch erfasst und verinnerlicht: Kontaktaufnahme – Bedarfsermittlung – Warenpräsentation – Verkaufsargumentation – Einwandbegegnung – Preisnennung – Kaufentscheidung – Verabschiedung. Für den Vertrieb erklärungsbedürftiger technischer Güter für die industrielle Anwendung, etwa Produktions- und Werkzeugmaschinen, Reinigungsanlagen oder industrielle Messgeräte, ist dieser klassische Ansatz des Verkaufsgespräches nur bedingt tauglich. Hierbei kommt es nicht primär darauf an, das Interesse möglicher Kunden für Katalogware zu wecken und diese von den Vorteilen der Produkte zu überzeugen, sondern es ist von Bedeutung, zusammen mit dem Kunden individuelle Lösungen zu erarbeiten. Die Grundlage des zu verhandelnden Werkvertrags bildet eine detaillierte Spezifikation bzw. ein Pflichtenheft, worin die zwischen den technischen Abteilungen der Verhandlungspartner vereinbarten Parameter für das Verkaufsobjekt dokumentiert sind. Beraterverkauf also (s. Abb. 1.1) – mit gleichzeitig hoher Kunden- und Abschlussorientierung und dem Versuch, eine Win-Win-Lösung zu erzielen. Um strategisch wichtige Kunden zu halten – oder neue zu gewinnen, was ungleich schwieriger ist –, muss es einem Anbieter gelingen, mit diesen eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Beziehung aufbauen. Es werden gemeinsam Lösungen entwickelt, welche die unmittelbaren und längerfristigen Bedürfnisse des Kunden befriedigen und somit seine Probleme lösen. Gleichzeitig sind im Hinblick auf Folgegeschäfte faire, für beide Seiten akzeptable Bedingungen zu vereinbaren, denn ein Verhandlungsergebnis ist nur dann gut, wenn es von beiden Seiten als fair empfunden wird. Der Vertriebsingenieur vermarktet die von seinem Unternehmen angebotenen Spitzentechnologien und berät den Kunden dahingehend, was dieser wirklich braucht, und er rät ggf. von einer Überspezifikation oder suboptimalen Lösungen ab. Sachargumente sind in der Verhandlung prägend. Dabei hat er mehr Möglichkeiten als der klassische Verkäufer, seine eigene Persönlichkeit und Authentizität auszuleben. Im Gegensatz zum Konsumgüterverkauf werden Neukontakte zu Kunden von erklärungsbedürftigen Produkten und Dienstleistungen nicht im Ladengeschäft hergestellt, sondern generieren sich

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Ziele des Lieferanten

Abb. 1.1   Die typischen Verkäufermentalitäten. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Peschke 2012, S. 6; mit freundlicher Genehmigung der © emivo GmbH 2012. All Rights Reserved)

1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Kundenfreund

Dienst nach Vorschri

Berater

Drücker Ziele des Kunden

unter anderem über Referenzen, Publikationen oder Messen. Das Beispiel von Anton Schmitz von ISHIKAWA, dem LH-8 und der WAFAG ist daher keinesfalls untypisch. An die Mitarbeiter des technischen Vertriebs werden verschiedene Anforderungen gestellt. Von ihrer Kompetenz hängt es maßgeblich ab, ob ein Geschäft wirtschaftlich erfolgreich abgeschlossen wird und dass beide Seiten davon profitieren. Im Industriegütermarkt werden von Ihnen neben technischen ebenfalls wirtschaftliche, juristische und psychologische Kenntnisse erwartet. (Wikipedia 2019c) Daneben sind Soft Skills notwendig, Sozialkompetenz, um den Gesprächspartner auf der Gefühlsebene zu erreichen und eine belastbare Beziehung aufzubauen. Nicht zuletzt bei schwierigen Kunden sollte aber auch ein gewisses Maß an pädagogischen Fähigkeiten vorhanden sein. Als Generalist müssen Sie den Smalltalk ebenso beherrschen wie das Gespräch über harte technische Fakten. Die Aufgaben von Vertriebsingenieuren werden vereinzelt von Kaufleuten wahrgenommen, jedoch haben die meisten Vertreter im Maschinen- und Anlagenbau oder in der Elektro- und Halbleiterbranche eine technische Ausbildung, einen Ingenieurgrad oder einen naturwissenschaftlichen Studienabschluss. Wirtschaftsingenieure verfügen über eine Kombination aus ökonomischen und technischen Kenntnissen. Viele Universitäten und Fachhochschulen bieten inzwischen eigene Studiengänge für dieses Berufsprofil an. Doch das wirkliche Vermarkten und Verhandeln lernt selbst der gut ausgebildete technische Verkäufer erst durch langjährige Praxis. Die Wirksamkeit der unzähligen Tipps, die ihm an die Hand gegeben werden, hat er im Feld selbst zu erproben. Er sollte stets versuchen, sein Bestes zu geben und seinen Kunden kompetent, authentisch und selbstbewusst gegenübertreten. Und vor allem: Er muss seine Kunden und deren Probleme immer ernst nehmen.

1.4  Wie der Verkäufer „nein“ sagen kann

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1.4 Wie der Verkäufer „nein“ sagen kann Zur Einstimmung eignen sich Überlegungen, die Anton Schmitz im Rahmen der Angebotserstellung für das Schichtdicken-Messsystem angestellt hat. Anton Schmitz

Erfreulicherweise ist die Verhandlung des LayerHakaru-8 bei der WAFAG in Dresden terminiert und die technische Spezifikation von beiden Seiten unterschrieben; ein verbindliches Angebot in Höhe von knapp 1,2 Millionen Euro hat der zuständige Einkäufer pünktlich erhalten. Eine erste telefonische Rückmeldung ist jedoch alles andere als erbaulich: Anton Schmitz erfährt von seinem Counterpart, dass die WAFAG alles andere als begeistert von der genannten Summe ist und dass das Angebot um Längen über dem marktüblichen Preis liegt. Marktüblicher Preis? Er war aufgrund von Andeutungen aus Kundenkreisen davon ausgegangen, dass das LH-8 ein Alleinstellungsmerkmal besitzt, und wenn schon ein Wettbewerb vorliegt, dass die Konkurrenten ihre Alternativen mindestens zum doppelten Preis anbieten. Natürlich hat sich Anton Schmitz Gedanken gemacht, wie der Angebotspreis neben der Gewährung eines Nachlasses noch gesenkt werden kann. Dabei sind zwei Punkte mit dem größten Hebel verbunden. Der eine ist eine Selbstverständlichkeit (englisch No-Brainer): Wenn der Kunde mehr als ein Gerät bestellt, fällt die Deckungsbeitragsrechnung wesentlich günstiger aus. Und der zweite Ansatz: Von der WAFAG ist ein Geräterahmen aus poliertem Edelstahl spezifiziert. Für sein Verständnis hätte es angesichts der beabsichtigten Reinraumanwendung auch ein Korpus aus pulverbeschichtetem Aluminium getan, die Standardausführung der LayerHakaru-Geräte von ISHIKAWA. Doch seine japanischen Kollegen aus Konstruktion und Fertigung wollten es sich nicht nehmen lassen, die Edelstahl-Ausführung anzubieten, „weil der Kunde es so fordert“. Dies treibt die Gerätekosten ohne ersichtlichen Nutzeffekt um etwa zehn Prozent nach oben. Anton Schmitz sinniert immer noch: Hätte er dem potenziellen Kunden den Edelstahlrahmen ausreden sollen? „Nein“ sagen mit dem Verweis auf die übliche Ausführung und den Grundpreis deutlich niedriger ansetzen sollen? Sich vielleicht noch mit seinem japanischen Headquarter anlegen sollen, wo man die westliche Direktheit nicht sehr schätzt und schon gar nicht richtig versteht? Hm, schwierig.

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Unsere deutsche Direktheit, eine klare Ansage zu machen und direkt „nein“ zu sagen, anstatt mit einer diplomatischeren Antwort aufzuwarten, ist keine besonders gewinnende Kommunikationsweise, die besonders ausländischen Gesprächspartnern negativ auffällt. Andererseits ist es jedoch schon alleine aus Selbstschutzgründen erforderlich, von Zeit zu Zeit bestimmte Forderungen von anderen abzulehnen. Dies trifft natürlich auch auf Vertriebsingenieure im Dialog mit Kunden zu, die letztere dabei möglichst nicht brüskieren sollten: 

Ein Vertriebsingenieur muss in der Lage sein, auch mal „nein“ zum Kunden zu sagen, wenn dies technisch oder kommerziell geboten ist – am besten, ohne dieses Wort zu benutzen.

Dem Kunden gegenüber zu kommunizieren, dass seine Ideen für die Sonderkonstruktion einer neuen Maschine keine Vorteile, sondern eher Nachteile bringen und dass die Standardausführung für ihn völlig ausreicht, ist in der Praxis oft nicht ganz trivial, selbst wenn plausible technische Gründe vorliegen. Und dass ein Lieferant bei bestimmten geforderten Leistungen, etwa der Lagerhaltung von Ausgangsmaterialien oder der Konstruktion und sogar dem Bau eines Gerätes oder einer (oder mehrerer) Anlagen ohne festen Kundenbestellung, sehr zögerlich sein und das geschäftliche Risiko bedenken und einbeziehen sollte, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Manchen Kunden fehlt das Gefühl dafür, was sie ihrem Geschäftspartner zumuten, wenn dieser ihre Wünsche bedingungslos erfüllen würde. Dafür sind sie umso tauber, was Gegenvorschläge des Lieferanten angeht, und reagieren mit Unverständnis und teilweise sogar Verärgerung auf eine Ablehnung durch den Lieferanten. Also wird von einem guten Vertriebsingenieur erwartet, dass er seine Angst überwindet und lernt, „nein“ zu sagen. Er muss das Wort gar nicht einmal in deutscher Direktheit aussprechen, sondern umschreibt es geschickt. Doch wie sieht es aus, wenn etwa der Einkäufer derartige Andeutungen nicht verstehen will? Hat der Verkäufer eine Chance auf eine Ablehnung, ohne dass es zu einer Verschlechterung der Beziehung oder gar einer Eskalation kommt? Die entsprechende Abneigung ist menschlich und selbstredend keineswegs nur auf Verkäufer bezogen. Das liegt im Allgemeinen daran, dass wir gefallen und gemocht werden wollen, scheu sind oder die Konfrontation vermeiden möchten. Daher besteht in unserer Gesellschaft vielfach nicht nur der Unwille, sondern gar die Unfähigkeit, gewisse Vorschläge und Anfragen unserer Freunde, Kinder, Mitarbeiter oder auch Lieferanten und Kunden abzulehnen – die Leute haben Angst vor negativen Konsequenzen.

1.4  Wie der Verkäufer „nein“ sagen kann

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Vertriebsingenieure als Hauptansprechpartner für den Kunden müssen über ihren Schatten springen und Strategien entwickeln, wie sie die unangebrachten, unerwünschten oder schlichtweg undurchführbaren Ansinnen ihrer Geschäftspartner zurückweisen, ohne diese gegen sich und ihren Auftraggeber aufzubringen. Hierzu ist eine ausgewogene Kombination aus Konsequenz und Eloquenz erforderlich. Dabei eignen sich aus der Trickkiste des Lieferanten manche Elemente mehr und andere weniger. Sie alle sind situationsbezogen und möglichst mit dem erforderlichen Geschick und Fingerspitzengefühl einzusetzen, um nicht zu direkt und konfrontativ zu wirken. Wir wollen mit einigen allgemeinen Hinweisen beginnen, mit denen das „Nein“ umschrieben werden kann. • Fassen Sie sich beispielsweise in Ihrer Ablehnung kurz. „Ihr Vorschlag ist in unserer Fertigung nicht realisierbar.“ Sie sollten dabei gleichzeitig versuchen, die Ablehnung über Körpersprache und ernsthaften, empathischen Ton auszudrücken. Falls die Erklärungen, warum es so nicht geht, zu langatmig sind, wird der Kunde sie auseinandernehmen. • Vermeiden Sie es dabei, sich zu entschuldigen, und gehen Sie zum nächsten Tagesordnungspunkt über; zu viel Demut wird die Klarheit der Ablehnung aushöhlen. (Allerdings sollte man an dieser Stelle mit Humor ebenfalls zurückhaltend sein und seine oft gezwungen wirkenden Scherze besser auf später vertagen.) • Rechtfertigen Sie sich nicht, begründen Sie jedoch das indirekte „Nein“. Und zeigen Sie möglicherweise Verständnis für die andere Seite, doch nicht zu pathetisch, damit der Kunde sich nicht auf den Arm genommen fühlt: „Mit fällt es nicht leicht, dies abzulehnen, denn mir ist klar, warum Sie es wünschen. Aber wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie an meiner Stelle wären?“ Eine derartige Entgegnung ist möglich, doch zumindest der zweite Teil enthält viel Pathos, was nicht bei allen Gesprächspartnern positiv ankommt. Erinnern Sie das Gegenüber besser an die gute Partnerschaft und bitten ihn, für diese spezielle Gelegenheit auf seine Forderung zu verzichten, und bieten an, sich beim nächsten Mal dafür zu revanchieren. In einer langjährigen konstruktiven Kunden-Lieferanten-Beziehung ist es oft so wie in einer Ehe: 

Jede Seite hat ein moralisches Punktekonto, auf das Pluspunkte gebucht werden oder von dem ebenso bei Inanspruchnahme von Gefälligkeiten abgebucht wird.

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Ein taktisches Neutralisieren des unerfüllbaren Kundenwunsches könnte wie folgt aussehen: Beispiel

Bitten Sie zunächst um Bedenkzeit, bevor Sie eine Ja/Nein-Entscheidung treffen. So bekommt die Gegenseite den Eindruck, dass Ihr Unternehmen nicht mit einer kategorischen Ablehnung eines Vorschlags oder einer Forderung die Tür zum jeweiligen Thema zuschlägt, sondern über eine fundierte Antwort gründlich nachdenkt. Sagen Sie anschließend im Falle einer Ablehnung nicht „nein“, sondern „falls“. Der kluge Verhandler sagt nicht spontan „nein“ zu einem Vorstoß der Gegenseite, sondern z. B. „Falls wir darauf eingehen, würden Sie uns dann in folgendem Punkt entgegenkommen …?“ Bieten Sie Alternativen an und fragen Sie den Kunden nach seinen Kompromissvorschlägen. Sie sagen zur Not „Ja, das können wir machen“, fragen jedoch im Gegenzug nach einer nicht vermittelbaren Gegenleistung. Überlegen Sie sich dabei, warum Ihnen die Ablehnung so schwerfällt, welchen Preis Ihr Unternehmen für ein „Ja“ zu zahlen hätte und ob es das angesichts der Geschäftsbeziehung vielleicht doch wert wäre. Nach diesen möglicherweise teils vage bzw. qualitativ erscheinenden Vorgehensweisen, deren erfolgreiche Anwendung definitiv auf rhetorischem, diplomatischem und psychologischem Feingefühl basiert, darf ich Ihnen vor der abschließenden Escape-Strategie zwei weitere konkrete Wege zum eleganten Ablehnen von Kundenwünschen erläutern, die eine nachgewiesene Effizienz und Durchschlagskraft besitzen: 1. Sie bereiten Ihren Kunden in einer zweistufigen Taktik auf das „Nein“ vor: Sie hören sich zunächst aufmerksam an, was Ihr Gegenüber genau will und warum. Sie sagen zunächst „Oh, das könnte schwierig werden“ oder etwas ähnlich Hinhaltendes. Ein paar Tage später – bevorzugt nach einem Wochenende, montags oder dienstags – rufen Sie ihn wieder an und sagen „Ja, es ist genau, wie ich befürchtet habe: Wir können das nicht so machen“. Der Klassiker! Über seine freien Tage hatte der Einkäufer oder Techniker bereits die Möglichkeit, sich mit der Ablehnung mental vertraut zu machen, und sie trifft ihn vermutlich nicht mehr ganz so hart. 2. Sie wenden den Verhandlungskniff Höhere Ebenen an: Sie sagen „Ich persönlich würde das ja gerne so machen, und mir leuchtet das auch ein, aber ich komme damit bei meinem Chef damit nicht durch.“ Das kann der Wahrheit entsprechen, muss es jedoch nicht. Statt des Chefs können die Rechtsabteilung,

1.5  Motivation von Vertriebsingenieuren

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der Vorstand und andere Institutionen vorgeschoben werden, die aktuell nicht mit am Tisch sitzen. In der heutigen qualitätsgesteuerten Industrie ebenfalls erwägenswert ist der Spruch „Diese Vorgehensweise ist nicht auditfest.“ Ein weiterer beliebter Standardtext lautet: „Leider erlauben unsere internen Vorschriften dies nicht.“ („Sorry, our company policy does not allow this.“) Damit können Sie vieles ablehnen, was nicht in Ihrem Sinne ist, etwa die teure Maßanfertigung eines Edelstahlrahmens für ein Messgerät oder die Aushändigung von Software-Quellcodes an den Kunden. Nicht jede Geschäftsanbahnung führt zum Erfolg, sondern manchmal schleppt sich der Prozess endlos hin. Wenn Sie Pech haben, verfolgt die andere Seite den Verhandlungstrick der Verzögerung. Letztlich ist eine klar kommunizierte Absage an eine nicht durchführbare Kundenanforderung in einem solchen Fall das einzig wirksame Mittel, um nicht auf hohen Kosten sitzen zu bleiben, und damit die Ultima Ratio. Und für Kunden, die überhaupt nicht verstehen wollen, wenn etwas nicht geht, haben die etwas rücksichtsloseren Verkäufer die Technik „Schallplatte mit Sprung“ (Broken Record) parat, die an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll: Sie wiederholen immer wieder dasselbe, ohne weitere Begründungen und Erklärungen hinzuzufügen. Dies ist eine zwar effiziente, jedoch gleichzeitig recht rüde Technik, die kein Verhandler gerne anwendet, um die gute Beziehung zum Vertragspartner nicht zu gefährden. Zuletzt die angekündigte Escape-Strategie: Rechnen Sie aus, was Ihr Unternehmen ein diesbezügliches Angebot kostet, und verschwenden Sie Ihre Ressourcen nicht auf aussichtslose Anfragen. (Dieser Punkt ist eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit und für Sie als Verkäufer ein Need, außer Sie möchten sich bald einen neuen Job suchen.) Schreiben Sie den Aufwand ab einem bestimmten Punkt als Sunk Costs, als versunkene Kosten ab.

1.5 Motivation von Vertriebsingenieuren Als Vertriebsingenieur fragen Sie sich vielleicht manchmal: „Warum tue ich mir das an?“ Sie sind viel unterwegs und bringen nicht immer das Ergebnis vom Kunden mit, das Sie sich erhofft haben. Sie haben manchmal das Gefühl, dass Sie zwischen potenziellen Abnehmern und der eigenen Organisation zerrieben werden (s. Wenski 2019). Was nützt Ihnen die eine hohe Innen- und Außenwirkung, wenn über den Stress die Motivation verloren geht? (Zu Stress s. Abschn. 1.6) Wenn Sie über innere oder sogar reale Kündigung nachdenken?

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Motivation ist einer jener abstrakten, nicht messbaren Begriffe, von denen jeder immerfort redet, zu dem das Verständnis im Detail jedoch recht unterschiedlich ist.

 Motivation  Generell versteht man unter Motivation die Gesamtheit der Beweggründe (Motive), die zur Handlungsbereitschaft und damit zum Ziel führen. Von hoher praktischer Bedeutung für das Verständnis von Motivation ist die Unterscheidung, ob Motivation von innen oder außen kommt. Der Begriff intrinsische Motivation bezeichnet das Bestreben, etwas um seiner selbst willen zu tun – weil es einfach Spaß macht, Interessen befriedigt oder eine Herausforderung darstellt. Bei der extrinsischen Motivation steht dagegen der Wunsch im Vordergrund, bestimmte Leistungen zu erbringen, da man sich davon einen Vorteil (Belohnung) verspricht oder Nachteile (Bestrafung) vermeiden möchte. Was motiviert einen Vertriebsmitarbeiter? Verkaufserfolge? (s. Coates 2012) Hierzu ist anzumerken, dass der Vertriebsingenieur vielfach nur das zur Ausführung bringt, was seine Organisation vorbereitet hat – mit guten Produkten, einer passenden Strategie, richtigen Entscheidungen und einem kompetenten Team an Mitarbeitern. Die Harvard Business School hat herausgefunden, dass Vertriebsmitarbeiter, die in ihrer Organisation als Stars galten, nach einem Wechsel zu einem anderen Unternehmen ihre Leistung selten aufrechterhalten konnten. (Cespedes 2015) Das Resultat, das ein Vertriebsingenieur (mit oder ohne Verhandlungsteam) beim Kunden erzielt, scheint also ein Gruppenergebnis zu sein. Die Motivation und Weiterentwicklung von Verkäufern ist ein wissenschaftlich gut untersuchtes Thema. Der Harvard Business Manager hat den aktuellen Erkenntnissen vor ein paar Jahren ein ganzes Heft gewidmet, wobei Vergütungsund Bonussystems sowie Schulungen im Vordergrund stehen (Harvard BM 2015). Darin werden unter anderem die Vorschläge gemacht, Boni nicht zu deckeln, da dies zu Umsatzeinbußen führen könnte (Chung 2015), oder Verkäufer bzw. Teams gegeneinander antreten zu lassen (Roberge 2015). In einem Beitrag vom Vorjahr ist zu lesen, dass harmoniebedürftige Verkäufer signifikant niedrigere Umsätze erzielen als wenig teamaffine Vertriebler. (Nachtwei und Sleutel 2014) US-Unternehmen geben jährlich durchschnittlich 800 Milliarden US-­ Dollar für die Vergütung ihrer Vertriebsmitarbeiter und 15 Milliarden US-Dollar für die Schulung ihrer Vertriebsteams aus. Man unterscheidet zwischen schulungsgetriebenen Verkäufern, deren Erfolge mehr von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen abhängen, und anreizgetriebenen Verkäufern, die vor allem auf monetäre und andere Anerkennungen reagieren. Bei anreizgetriebenen Verkäufern soll die

1.5  Motivation von Vertriebsingenieuren

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optimale jährliche Weiterbildung 17 Stunden betragen, bei schulungsgetriebenen immerhin schon 29 Stunden. (Kumar et al. 2015) Derartigen Studien scheint gemeinsam, dass sie sich primär auf persönliche Verhandlungs- und Verkaufserfolge beziehen, die in einem Massenproduktmarkt erzielt werden und von der Anstrengung des einzelnen Vertriebsmitarbeiters abhängen. Wer sich, salopp gesagt, richtig reinhängt und hart verhandelt, verkauft viel und erhält einen hohen Bonus. Beim Lesen solcher Publikationen, die meist exzellent geschrieben sind und auf einer bestechenden Methodik und Datenbasis beruhen, gewinne ich den Eindruck: So ganz passt dies nicht auf Vertriebsingenieure, die mit Vorbereitungsbzw. Verhandlungsteams industrielle Großanlagen verkaufen. In diesem Bereich sind für mich individuelle Boni für Verkaufsabschlüsse fehl am Platz, denn es handelt sich immer zumindest um eine Abteilungs- bzw. Teamleistung und in der Regel nicht nur um persönliche Verhandlungskünste eines Einzelnen. Vielmehr sollte, falls das Unternehmen oder der Bereich, für den Sie zuständig sind – dies kann ein Geschäftsbereich bzw. eine Sparte oder durchaus auch nur die Vertriebsabteilung sein –, profitabel arbeitet und seine Ziele erfüllt, eine Gewinnausschüttung oder Erfolgsbeteiligung an alle dort Beschäftigten erfolgen. So wird es in der Praxis von vielen Maschinen- und Anlagenbauern gehandhabt. Wenn alle für das Resultat mitverantwortlich sind, sollen auch alle am Erfolg teilhaben. Geld ist ein schlechter Motivator für mittel- und langfristige Leistungen – das wissen Sie ebenso wie die Mitarbeiter der Personalabteilung. Der positive Effekt einer Gehaltserhöhung hält maximal drei bis sechs Monate vor, dann hat sich der Mitarbeiter daran gewöhnt – ein typischer extrinsischer Motivator. Dasselbe gilt meist ebenfalls für Leistungsprämien. Entlohnung und Gehalt sind Hygienefaktoren, die bei positiver Ausprägung die Entstehung von Unzufriedenheit verhindern, aber nicht zur Zufriedenheit beitragen bzw. diese erzeugen. 

Als Vertriebsingenieur mit einer professionellen Einstellung beziehen Sie die für eine erfolgreiche Tätigkeit notwendige intrinsische Motivation aus ganz anderen Quellen als lediglich der Bezahlung.

Da ist zum einen die Aufgabenstellung selbst, das Projekt, an dem Sie arbeiten und das Sie dem Kunden nahebringen und verkaufen sollen (und wollen). Sie besitzen eine hohe Affinität zu den Produkten Ihres Unternehmens und sind von deren Qualität überzeugt. Darüber hinaus haben Sie an den dazu notwendigen Weiterbildungen teilgenommen, seien es Produktschulungen, Kommunikationsoder Verhandlungstrainings. Sie fühlen sich in jeder Hinsicht kompetent, Ihren

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Kunden auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Und wenn Sie ein Projekt möglicherweise mit viel Aufwand zu einem positiven Endergebnis gebracht haben – also mit einer ausreichend hohen Marge Großanlagen verkauft haben, mit denen der Kunde später im Betrieb zufrieden ist –, dürfen Sie sich auch mal entspannt zurücklehnen und die Gunst des Augenblicks genießen. Neben der erfolgreichen Gestaltung des Kerngeschäfts sollten Sie Ihre Motivation aus einem positiven Arbeitsklima in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Organisationseinheit beziehen. Als Verhandlungsführer für den Lieferanten müssen Sie alle in Ihrem Hause Betroffenen ins Boot holen und einen gemeinsamen Ansatz erarbeiten: Vertriebskollegen, Konstrukteure, Programmierer, Produktplaner, Einkäufer, Controller, Sekretariat, Produktion, Verpacker, Spedition usw. Alle Mitarbeiter in diesen Funktionen vertrauen Ihnen, dass Sie das Projekt schließlich beim Kunden zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Hauen und Stechen, Konkurrenz und Grabenkämpfe in den eigenen Reihen sind im Hinblick darauf kontraproduktiv, und Sie sollten sich in diesem Falle eventuell fragen, ob Sie im richtigen Umfeld tätig sind. Meine persönliche Erfahrung ist, dass insbesondere in mittelständisch geprägten Unternehmen (aber nicht nur dort), die Großanlagen, Maschinen und Messgeräte herstellen, oft ein wesentlich ausgeprägterer Teamgeist herrscht als auf der Gegenseite beim Kunden. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf Ihre Motivation aus, sondern ebenfalls auf das Verhandlungsergebnis. Als letzter und mitentscheidender Punkt für Ihre Motivation sind Ihr direkter Vorgesetzter und mit ihm die obersten Führungsebenen zu nennen, mit denen Sie regelmäßig im Austausch stehen. Ein respektvoller Chef ist wichtiger als Geld, und Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter und deren Ideen nicht genug würdigen, treiben sie in die innere Kündigung. (Reppesgaard 2007) Vielen Führungskräften ist gar nicht bewusst, wie respektlos sie sich betragen, wenn sie ihren Mitarbeiten nicht die Autonomie gewähren, welche diese für eine vernünftige Erledigung ihrer Aufgaben benötigen. Gute Vorgesetzte haben wesentlich effektivere Motivationstools als Boni zur Verfügung, etwa die korrekte, faire, gerechte Behandlung ihrer Mitarbeiter mit Wertschätzung und Respekt, aber auch Freundlichkeit und Toleranz. Oder die Zubilligung erweiterter Kompetenzen und organisatorische Wünsche (Arbeitszeitmodelle, Home Office), Job Rotation u. v. m. Sie vertrauen und glauben ihren Mitarbeitern so lange, bis das Gegenteil erwiesen ist, und kommunizieren offen, geradlinig und nachvollziehbar. Wenn Sie einen solchen Vorgesetzten und/oder ein so handelndes Top-Management haben, können Sie sich glücklich schätzen. Falls Sie, wie in Abschn. 1.2 gerügt, permanent jeden Einzelposten in Ihrer Reisekostenabrechnung rechtfertigen müssen, vermutlich nicht.

1.6  Feedback und Selbstmanagement

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1.6 Feedback und Selbstmanagement Hier soll es um Feedback für Sie, den Vertriebsingenieur, gehen. Wollen Sie sich weiter verbessern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Sie regelmäßig Feedback für Ihr Tun einholen. Feedback von Dritten ist ein wertvolles Hilfsmittel, um Selbst- und Fremdbild in Einklang zu bringen.

 Feedback  ist die qualifizierte Rückmeldung zum Verhalten – also im Kontext von Verhandlungen zum Vorgehen eines Verhandlers während seiner Tätigkeit – durch einen Dritten, entweder eines Kollegen oder Vorgesetzten in einer echten Verhandlung oder von Beobachtern in einem Rollenspiel. Diese Dritten sagen ihm, wie sie sein Verhalten wahrnehmen, verstehen und erleben, damit er sich aufgrund des Gehörten weiter verbessern kann. Nehmen Sie Feedback offen an. Allerdings bitte nicht nach dem Motto „Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass“ – Kritik (insbesondere negative) auszuhalten kann eine Belastungsprobe sein: Keiner hört gerne, dass er Fehler macht. Doch dies ist die effektivste Methode, Defizite zu korrigieren und weiterzukommen, denn es kann sein, dass Sie blinde Flecken haben. So bezeichnet man negative Verhaltensmuster, die Ihnen nicht bekannt, Ihrer Leistung jedoch abträglich sind und mit etwas gutem Willen und relativ wenig Aufwand korrigiert werden können. Geben und Nehmen von Feedback ist dabei eine Kunst und verlangt ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl: Der Geber soll den Feedback-Adressaten unbedingt zunächst fragen, ob dieser Feedback erhalten möchte. Feedback sollte immer positiv beginnen – was ist sehr gut gelaufen, was gut, was mittelprächtig; schließlich die Punkte, die optimiert werden können. Der Nehmer sollte andere aktiv um Feedback bitten und dann auf keinen Fall widersprechen oder die genannten Punkte diskutieren, sondern aufmerksam und ergebnisoffen zuhören. Im einfachsten Fall kann man sich Feedback zu seinem bevorzugten Verhandlungsstil und -verhalten selbst geben, etwa über Fragebögen. (Schranner 2007; Jantzen 2009; esmt 2010; Ruppert und Voigt 2014; Warkentin 2017; Holzer o. J.) In der Regel kommt dabei als Ergebnis das heraus, was Sie sowieso bereits über sich wissen. Wertvoller ist die oben angesprochene Fremdeinschätzung. Ein konstruktiver Ansatz auf Basis von Beobachtungen stellt bereits den ersten Schritt zu einem systematischen Coaching von Verhandlern dar, das umso mehr an Bedeutung gewinnt, je wichtiger die durchzuführenden Verhandlungen sind. Ein pragmatischer Ansatz kann sein, dass man sich unmittelbar nach einer

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

­ erhandlung – wenn die Eindrücke noch frisch sind – oder spätesten in der LesV sons-learned-Sitzung im Verhandlungsteam gegenseitig Feedback gibt. 

Entscheidend für den Erfolg der Rückmeldung ist: Es muss ein belastbares Vertrauensverhältnis zwischen Feedbackgeber und -nehmer herrschen.

Der Erste sollte sich ehrlich, differenziert und diplomatisch äußern, und der Zweite darf keine verdeckten Motive wittern und nicht den Eindruck gewinnen, er solle durch das sogenannte „Feedback“ lediglich diskreditiert werden. Im Laufe seines beruflichen (und auch privaten) Werdegangs bekommt man ein Gespür dafür, wen man fragen sollte. Indem man jemanden anderen um Feedback bittet, macht man sich selbst vor diesem oder in einer Gruppe angreifbar und verletzlich. Bei aller Wertschätzung dieses Instruments: Es gibt immer wieder Personen, welche die Bitte um Feedback als Freibrief für unangemessene Kritik und persönliche Abrechnungen mit dem Betreffenden missverstehen. Feedback ist ein wesentliches Werkzeug auch im Rahmen der Mitarbeiterführung – daher ist der eigene Vorgesetzte ebenfalls ein wichtiger Aktivposten. Feedback vom Kunden gibt es meist in abstrakter Weise und formalisiert durch die Lieferantenbewertungen. Zu Einzelaspekten lässt sich unter Umständen die Einschätzung von Vertrauenspersonen (z. B. dem Champion; s. Abschn. 2.2) einholen, etwa „Wie, glauben Sie, ist meine Präsentation bei Ihrem Vorstand angekommen?“ oder „Haben Sie den Eindruck, dass unsere Argumentation dem Verhandlungsteam eingeleuchtet hat?“. Und letztlich ist Feedback vom Lebenspartner essenziell, der Sie von allen Menschen am besten kennt: Wie sieht Ihr Partner Sie als Verhandler und Kommunikator, welche positiven und negativen Verhaltensweisen fallen ihm auf? In Abschn. 1.2 ist erwähnt, dass ein Vertriebsingenieur lernen muss, mit den Nachteilen vieler Dienstreisen und der Ablehnung durch Kunden zurechtzukommen. Und die soeben behandelten Themen intrinsische Motivation und Feedback spielen in diesem Kontext natürlich genauso eine bedeutende Rolle. Das Ziel ist eine erfüllende Tätigkeit mit Erfolgserlebnissen in einem stabilen privaten und beruflichen Umfeld – in dieser Reihenfolge! Erfolgreiches Verhandeln basiert auch auf einem gelungenen Ansatz zum Selbstmanagement. In Abschn. 3.2 werden Sie erfahren, dass die innere Haltung Auftreten und Körpersprache entscheidend mitbestimmt. Es hängt im Hinblick auf das Ergebnis mitunter sehr viel davon ab, wie es im Inneren eines Verhandlers aussieht, wenn er sich an den Verhandlungstisch setzt: Ist er ruhig, konzentriert und gut vorbereitet? Oder wirkt er abgespannt, unfokussiert, vielleicht sogar fahrig? Was für das Erscheinungsbild von Top-Managern gilt, die als echte

1.6  Feedback und Selbstmanagement

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Führungspersönlichkeiten ihre Geschäftspartner, Anteilseigner und Mitarbeiter auf dem oft steinigen Weg zum Geschäftserfolg mitnehmen wollen, ist für den Verhandler ebenfalls zutreffend: Sein Verhandlungsmanagement gelingt umso besser, je gezielter und erfolgreicher er Selbstmanagement betreibt. Das Thema Selbstmanagement ist in der Literatur umfassend abgehandelt (z. B. in WLB Expert Group 2004; Schröder 2005; Scott 2006; Fiedler und Plank 2009; IfV NRW 2010; Püschel 2010; Jotzo 2012; Walther 2013). Von der Bedeutung des Begriffs haben viele Menschen gewisse Vorstellungen, die jedoch nicht immer untereinander deckungsgleich sind. Persönlichkeitsmanagement und Führung der eigenen Person sind synonym gebrauchte Beschreibungen. Zeitmanagement, ein in diesem Zusammenhang gerne gehörtes Schlagwort, betrifft nur einen Teilaspekt – Selbstmanagement ist viel mehr als nur Zeitmanagement.

 Selbstmanagement  ist der sinnvolle Umgang mit den Ressourcen, die einem die Natur mitgegeben hat, sodass man das Beste aus seinen Möglichkeiten macht. Dass man seinem Leben, seiner Arbeitsstelle und seinen Aufgaben positiv gegenübersteht, dass das Glas halbvoll und nicht halbleer ist. Und dass man eher auf Chancen als auf Risiken blickt. Dazu ist von hoher Bedeutung, dass man (weitgehend) selbstbestimmt agiert, sich bietende Chancen nutzt und eine nachhaltige berufliche Entwicklung anstrebt. Selbstbestimmt heißt so viel wie eigenständig, eigenverantwortlich, nach eigenem Willen (Duden 2019). Doch viele Angestellte tun, was ihnen vorgegeben wird. Sie möchten schließlich ihre Arbeit gut erledigen und dadurch bei ihrem Vorgesetzten einen positiven Eindruck hinterlassen. Dabei täten sie vielfach besser daran, sich ihre Tätigkeit nach eigenen Vorstellungen einzurichten, denn dazu haben manche Mitarbeiter größere Gestaltungsspielräume, als sie denken. Und dies gilt insbesondere für Sie als Vertriebsingenieur: Sie sind für Vorbereitung und Ablauf einer Verhandlung verantwortlich, machen Angebote, regeln Tempo und Unterbrechungen und signalisieren dem Verhandlungspartner, wenn eine Übereinkunft erzielt worden ist. Dazu benötigen Sie entsprechende Handlungsfreiheit. Eine Verhandlung sollte nie mit einer sturen Erwartungshaltung vorbereitet werden, von der man nicht abrücken will oder kann. Die besten Ergebnisse lassen sich häufig erzielen, wenn der Verhandler oder das Team flexibel sein kann, was das genaue Ergebnis angeht. An dieser Stelle haben ebenfalls ein paar Worte zu Stress ihre Berechtigung.

 Stress  ist der englischsprachige, inzwischen eingedeutschte Begriff für Druck bzw. Anspannung.

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Er bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize hervorgerufene psychische und physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung. Der Körper versucht unter Abspulen seiner genetischen Programme, sich körperlich und mental an sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen. Stress entsteht, wenn wir eine Situation als unangenehm oder bedrohlich empfinden und meinen, ihr nicht gewachsen zu sein, und ist nicht mit dem Umfang der Arbeit gleichzusetzen. Bei den meisten Menschen ist die berufliche Tätigkeit der Stressfaktor Nummer eins. Ob Sie für Stress generell anfällig sind oder nicht, ist oft bereits in den Genen festgelegt. Die Fähigkeit eines Menschen, verschiedenen Stressfaktoren zu widerstehen, nennt man Resilienz (für einen Überblick s. Berndt 2013).

 Resilienz  (= psychische Widerstandsfähigkeit) ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Das Gegenteil von Resilienz ist Verwundbarkeit. Möglichkeiten zur Resilienz-Steigerung resultieren aus einem ganzheitlichen Konzept der aktiven, selbstbestimmten Lebensführung, etwa durch eine Balance von Körper, Psyche und Geist sowohl im Arbeits- wie im privaten Umfeld. Dafür ist eine ausgeglichene Work-Life-Balance (WLB) Voraussetzung. Heutzutage ist man zu der Erkenntnis gelangt, dass diese zum Vorteil nicht nur des betreffenden Individuums, sondern auch seines Umfelds und vor allem seines Arbeitgebers gereicht. Beim Konzept der Work-Life-Balance wird davon ausgegangen, dass (Berufs-)Arbeit (Work) etwas anderes ist und abseits passiert vom eigentlichen – privaten – Leben (Life). Dabei sind sowohl Überforderung als auch Unterforderung im heutigen Erwerbs-Arbeitsleben häufig zu beobachten; den Idealzustand dazwischen nennt man Flow (s. Abb. 1.2).

Flow

Der Flow ermöglicht bei intrinsischer Motivation ein sehr effizientes und konzentriertes Arbeiten. Er ist ein mentaler Zustand völliger Vertiefung (=  Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit (= Absorption), die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder Funktionslust. Dabei kann es zu einer Art Glückszustand kommen, den der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi, ehemals Leiter der psychologischen Fakultät der Universität Chicago, erstmals systematisch erforscht hat (Csíkszentmihályi 2010, 2014).

Abb. 1.2   Zur Definition des Flow. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Löser/CC BY-SA 2.0 de, Wikipedia 2019a; Burzik 2003, S. 2)

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Anforderungen

1.6  Feedback und Selbstmanagement

Überforderung

Flow

Unterforderung

Fähigkeiten

Unter Begriffen wie Beruf bzw. Berufstätigkeiten einerseits und Familie, soziale Aktivitäten, Freizeit usw. andererseits werden verschiedene Lebensbereiche verstanden, die im Gleichgewicht stehen sollen und sich möglichst nicht behindern, sondern sich idealerweise gegenseitig unterstützen. Zu betonen ist folgende Feststellung: 

Der einzelne Mitarbeiter eines Unternehmens ist für seine persönliche Work-Life-Balance im Wesentlichen selbst verantwortlich.

Eine ausgeglichene WLB ist für den Verhandler von hoher Bedeutung, um seine Ziele zu erreichen. Erst sie versetzt ihn in die Lage, souverän und authentisch aufzutreten, verbindlich-freundlich im Umgang (aber konsequent in der Sache) zu sein und den Kopf für kreative Lösungen frei zu haben. Er bezieht daraus sein Selbstvertrauen, wendet den einen oder anderen Verhandlungskniff an und unterstreicht das Ganze durch eine positive Körpersprache. Trotz aller Verhandlungsfolge in spannenden Projekten dürfen Sie nicht aus dem Auge verlieren, dass Ihr Arbeitsleben heute im Allgemeinen vierzig und mehr Jahre dauert und dass Ihre Energie für diese Zeitspanne ausreichen muss. Es kann temporär sehr wohl so sein, dass Sie – im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, etwa dem Arbeitszeitgesetz – stärker gefordert sind, jedoch sollten dem auf jeden Fall Phasen der Erholung folgen. Die Belastungen im Job dürfen auf Dauer nicht dazu führen, dass Körper und Geist dadurch Abnutzungserscheinungen zeigen und Sie das Opfer eines Burnouts werden können – wie eine Kerze, die auch von unten brennt. Dem wirkt ein gelungenes

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1  Die Situation des Vertriebsingenieurs

Selbstmanagement entgegen, mit einer weitgehend selbstbestimmten Tätigkeit auf Basis intrinsischer Motivation und mit längeren Flow-Perioden, einer ausgeglichenen Work-Life-Balance, einem stabilen privaten Umfeld und einer nachhaltigen Lebensweise mit Hobbys, Sport und gesunder Ernährung.

Literatur Berndt C (2013) Resilienz – Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. dtv, München Burzik A (2003) Üben im Flow – Eine ganzheitliche Übemethode. Musikschulkongress 09.05.2003. VdM, Bonn, AG 8/16, S 1–7. https://www.musikschulen.de/medien/doks/ mk03/referat_ag08_16.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Cespedes F (2015) Strategisch verkaufen. Harv Bus Manager Januar 2015, S 6–15. https:// www.harvardbusinessmanager.de/heft/d-130747565.html. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Chung DJ (2015) Wie Sie Vertriebler wirklich motivieren. Harv Bus Manager Juni 2015, S 20–29 Coates J (2012) Börsenhändler sind wie auf Drogen. Süddeutsche Zeitung, 20. August Csíkszentmihályi M (2010) Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen. Klett-Cotta, Stuttgart Csíkszentmihályi M (2014) Flow im Beruf. Klett-Cotta, Stuttgart Duden (2019) „selbstbestimmt“. Duden-Onlinewörterbuch. Bibliographisches Institut GmbH 2019. https://www.duden.de/rechtschreibung/selbstbestimmt. Zugegriffen: 17. Mai 2019 esmt (2010) Fragebogen der esmt (European School of Management and Technology) zum persönlichen Verhandlungsstil Fiedler C, Plank H (2009) Stressmanagement – So beugen Sie dem Burnout vor! Beck kompakt, München Harvard BM (2015) Schwerpunkt Vertrieb. Harv Bus Manager, Juni 2015, S 19–54 Holzer A (o. J.) Mein Verhandlungsstil. Leaders circle. www.leaders-circle.at/bibliothek/ tools/frei/verhandeln/test-verhandlungsstil.html. Zugegriffen: 17. Mai 2019 IfV NRW (2010) Selbstmanagement im Studium – Anregungen, Tipps und Hintergründe. Workbook, IfV NRW, Hochschuldidaktik und Fernstudienentwicklung, Fachhochschule Südwestfalen, Januar 2010. https://www.verbundstudium.de/assets/files/pdf/studienberatung/Workbook-Selbstmanagement-im-Studium.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019, nicht mehr abrufbar Jantzen G (2009) Sind Sie ein Hart- oder ein Weich-Verhandler? Internet-Veröffentlichung 04-2009. https://www.gerhard-jantzen.de/attachments/article/30/hart-weichverhandler-04-2009.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Jotzo M (2012) Loslassen für Führungskräfte – Meine Mitarbeiter schaffen das. Wiley, Weinheim Kumar V, Sunder S, Leone RP (2015) Wer ist Ihr wertvollster Verkäufer? Harv Bus Manager Juni 2015, S 30–39. https://www.harvardbusinessmanager.de/heft/d-134876713. html. Zugegriffen: 17. Mai 2019

Literatur

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Ansprechpartner und Kommunikation



Hier können Sie erfahren, dass Sie sich beim Kunden ganz bestimmte Personen warmhalten sollten, dass in der Halbleiterindustrie nur die Paranoiden überleben, was ein Monopolist ist und dass irgendwann Schluss sein muss mit dem Diskutieren. Und dass jemand, der viel fragt, keineswegs dumm sein muss.

In diesem Kapitel wenden wir uns der anderen Seite des Verhandlungstisches zu: dem Verhandlungspartner. Die Betonung liegt hier auf Partner, denn eine Verhandlung ist keine Konfrontation und kein Kampf gegen einen Gegner. Auch wenn hart verhandelt wird, wird mit Partnern verhandelt, die Ihnen über gemeinsame Interessen verbunden sind. Eine negative oder gar feindliche Grundstimmung gegenüber der anderen Seite führt keineswegs zu besseren Ergebnissen, sondern verstellt den Blick für kreative Verhandlungslösungen, die den Kuchen größer machen (können). Dies gilt für die Kunden- ebenso wie für die Lieferantenseite. Und um den Kunden als Partner zu gewinnen und an sich zu binden, bedarf es neben der möglichst präzisen Kenntnis, mit wem man es zu tun hat, gewisser Vorarbeiten und systematischer Ansätze, die auf den nächsten Seiten skizziert sind.

2.1 Strategisches Kundenmanagement Es ist allgemein bekannt und auch belegt, dass das Halten eines bestehenden Kunden wesentlich kostengünstiger ist als das Gewinnen eines neuen Geschäftspartners. Kundenansprache und Kundenbindung nehmen daher im Vertriebsbereich einen hohen Stellenwert ein. Customer Relationship Management (CRM; „Kundenbeziehungsmanagement“) bezeichnet die konsequente Ausrichtung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_2

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

eines Unternehmens auf seine Kunden und die systematische Gestaltung der Verknüpfungsprozesse, die meist langfristig und zum Vorteil beider Geschäftspartner angelegt sind. Strategisches Kundenmanagement erfolgt in vielerlei Hinsicht analog zu dem vom Einkauf meist praktizierten strategischen Lieferantenmanagement: Wichtige Abnehmer für die von einem Lieferanten angebotenen Leistungen erfordern einen mittel- bis langfristigen Ansatz zur Kundenbindung. Dabei folgt man wie auf Kundenseite sinnvollerweise einer Priorisierung der Geschäftspartner durch die Einstufung nach abnehmender Bedeutung etwa als A-, B- oder C-Kunde. Hier gilt das Pareto-Prinzip: 20 Prozent der Kunden verursachen 80 Prozent des Aufwands. Von den A-Kunden erfordern Schlüsselkunden (vor allem im Hochtechnologiesektor setzt sich dafür der englischsprachige Begriff Key Customers immer mehr durch) – wiederum eine Teilmenge – den mit Abstand höchsten „Pflegeaufwand“.

Schlüsselkunden und -lieferanten

In größeren Organisationen liegen im Rahmen des Qualitätssystems Definitionen vor, was unter Schlüsselkunden oder -lieferanten zu verstehen ist. Neben spezifischen Anhaltspunkten wie jährlicher Mindestumsatz miteinander und fehlende Austauschbarkeit des Geschäftspartners ist die Tatsache entscheidend, ob es sich um ein Unternehmen handelt, mit dem auf strategischer Ebene zusammengearbeitet wird. Von Bedeutung ist, dass eine Entwicklungspartnerschaft besteht und Kunde bzw. Lieferant zum Ideengeber gemacht wird, der das jeweilige Geschäft beflügelt und den Verhandlungskuchen durch Win-Win-Lösungen größer macht. Ein vertrauens- und -respektvoller Umgang miteinander und der Harvard-Verhandlungsstil (s. Fisher und Ury 1981; Fisher et al. 2006) sollten selbstverständlich sein. Von der Geschäftsbeziehung profitieren in der Regel beide Seiten und werden so für die Markterfordernisse fit gemacht.

Das probate Mittel im Sales-Bereich zum Umgang mit Schlüsselkunden ist das Key Account Management (KAM). (Fiesser und Fiesser 2000; Küng et al. 2011; Wenski 2016a; Herold und Wagner o. J.) Der bereits eingeführte englischsprachige Begriff ist bei der Namensgebung vorherrschend. KAM beruht auf der Erkenntnis, dass viele Unternehmen etwa 80 Prozent ihres Gewinns mit weniger als 20 Prozent ihrer Kunden erwirtschaften – diese 20 Prozent sind nicht notwendigerweise deckungsgleich mit den erwähnten 20 Prozent, welche die meiste Arbeit machen. Die möglichen Abnehmer werden hinsichtlich ihrer Bedeutung

2.1  Strategisches Kundenmanagement

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und Stellung sowie in puncto laufende Geschäfte und Umsätze, Gewinnmargen, Alleinstellungsmerkmale bzw. Austauschbarkeit usw. einer systematischen Analyse unterzogen, um aktuell oder potenziell bedeutende Kunden auszuwählen und diese gezielt bearbeiten zu können. Ziel ist der Erhalt und die Ausweitung von Geschäften in bestimmten beratungsintensiven Segmenten. Die dabei identifizierten Schlüsselkunden – dies können nur zwei oder auch 20 Prozent des Kundenstamms sein – genießen in allen Belangen den Vorzug. In dieser Geschäftsbeziehung ist in besonderem Maße von Bedeutung, die echten Interessen des Kunden zu erkennen und dessen Sichtweise und Standpunkt in den Vordergrund zu stellen (obwohl das zugegebenermaßen auch bei nicht ganz so wichtigen Kunden der Fall sein sollte, jedoch wird man bei Letzteren entsprechend weniger Zeit, Geld und Energie investieren, um sich nicht zu verzetteln). Die Umsetzung einer solchen Strategie bedeutet eine eng begrenzte Auswahl von echten Key Accounts (ein bis zwei Schlüsselkunden pro Verkäufer), das aktive Ausgestalten der Partnerschaft und das permanente Lernen aus der Zusammenarbeit. Für den erfolgreichen Equipmentvertrieb ist es essenziell, dass Anbieter einer Vergleichbarkeit ihrer Leistungen mit Konkurrenzangeboten entgegenwirken müssen, da bei Vergleichbarkeit immer der Preis entscheidet (s. Wenski 2019). Eine der Kernaufgaben des Key Account Managers ist es daher, beim Kunden den Eindruck einer vermeintlichen Austauschbarkeit der eigenen Produkte zu reduzieren, und zwar ohne Preis- und Konditionszugeständnisse. Denn beide Seiten wissen, dass im Rahmen einer solchen Partnerschaft, die über das klassische Kunden-Lieferanten-Verhältnis hinausgeht, kleinliches Feilschen und kompromisslose Ausnutzung der Verhandlungsmacht oft fehl am Platze ist. 

Key Account Management (KAM) hat sich zu einem Konzept für die konsequente Kundenorientierung des Gesamtunternehmens entwickelt.

Der Vertriebsingenieur wird so zum Manager der Schnittstelle zwischen Kunde und eigener Organisation. Dazu ist an Sie der Anspruch zu stellen, dass Sie fachlich und menschlich kompetent, souverän und jederzeit im Bilde darüber sind, was am Markt und bei den möglichen Abnehmern vor sich geht. Sie repräsentieren Ihre Gesellschaft beim Kunden und setzen sich für diesen in Ihrem Hause ein. In der Regel ist dazu eine mehrjährige Erfahrung im Vertrieb erforderlich. Der Key Account Manager muss wissen, dass nur ein häufiger Kontakt die Möglichkeit bietet, dass die enge Zusammenarbeit aufrechterhalten wird. So sagen manche Ratgeber persiflierend, doch nicht ohne Grund: Jeder Tag ohne

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Kundenkontakt ist ein verlorener Tag. Regelmäßige Besuche beim Kunden sind eine Selbstverständlichkeit; diese werden unterstützt durch permanenten Kontakt über Telefon und E-Mail. Arbeitsbesprechungen in bestimmten Zeitabständen dienen dem fortlaufenden Austausch der Geschäftspartner und der Bereitstellung neuer Ideen. Zu Projekten oder Spezialthemen ist erwägenswert, ob nicht eine ein- oder mehrtägige Klausurveranstaltung zusammen mit Kundenvertretern, ein Vortragssymposium oder ein vergleichbares Format Sinn macht. Bei Fachmessen genießen Schlüsselkunden Priorität im Umgang – Ähnliches ist zu überlegen, wenn es bei Vollauslastung der Fertigung beim Lieferanten um die Vergabe von Produktionsslots und die Festsetzung von Lieferzeiten geht. Daneben sollten mindestens zwei bis drei Abendessen pro Jahr mit Ansprechpartnern und Entscheidern auf Abnehmerseite fest eingeplant werden. Sämtliche genannten und weitere denkbare Maßnahmen zur Kundenpflege müssen selbstverständlich unter Einhaltung der Compliance-Regeln erfolgen, damit sich ein Anbieter nicht dem Ruf der unlauteren Einflussnahme aussetzt. So ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Kunde für seine anreisenden Mitarbeiter in der Wirtschaft zumindest die Reise- und Übernachtungskosten selbst trägt. Ein weiteres in Zusammenhang mit dem strategischen Lieferantenmanagement relevantes Thema ist die Vertriebsstrategie des Lieferanten für einen bestimmten Kunden, die nicht mit der Strategie für eine individuelle Verhandlung mit diesem Geschäftspartner verwechselt werden darf. Ebenso wie die Einkaufsstrategie des Kunden leitet sich die Vertriebsstrategie von der übergeordneten Geschäftsstrategie ab und ist regelmäßig – mindestens jährlich – zu erstellen und laufenden Anforderungen anzupassen. (Die Geschäftsstrategie ist wiederum von einer Vision abgeleitet, etwa „Unser Haus will in fünf Jahren bei den xyz-Anlagen Weltmarktführer sein“.) Die Vertriebsstrategie ist für Schlüsselkunden meist mittelfristig angelegt. Bei ihrer Formulierung und Umsetzung hat es sich in der Praxis als hilfreich erwiesen, wenn die übergeordnete Verantwortung für den Vertrieb bei allen Kunden eines Unternehmens (bzw. bei größeren Organisationen allen Kunden eines Unternehmensteils oder einer Produktfamilie) in einer Hand liegen. Bei der Formulierung der Vertriebsstrategie sind alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen, etwa, wie es um die Verhandlungsmacht beim jeweiligen Kunden und das Verhältnis zu diesem bestellt ist und wo dessen Probleme, sprich Bedürfnisse, liegen. Unterscheidungsmerkmale zum Wettbewerb sind zu eruieren und zu nutzen – was können wir bieten, was der Wettbewerber nicht kann? Gibt es mögliche Killerkriterien, und welche Alternativen und Abhilfemaßnahmen sind dafür denkbar? Die Vertriebsstrategie wird wie die Verhandlungsstrategie sinnvollerweise in einem Team festgelegt und ausformuliert. Aus Vertriebsziel

2.2  Champions und Entscheider

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und Verkaufsplanung folgt die Ressourcenfestlegung. Dazu sollte der Lieferant unbedingt sicherstellen, dass auch für Nachbesserungsarbeiten und Unvorhergesehenes ausreichende Mittel eingeplant werden und vorhanden sind. Planung sowie Budget- und Vertriebskontrolle sind ernst zu nehmende Punkte, die man in der betrieblichen Praxis gerne vernachlässigt (zur Budgetierung s. Abschn. 2.2).

2.2 Champions und Entscheider Key Account oder nicht – bereits lange vor einem größeren Geschäftsabschluss muss Kundenkontakt hergestellt werden, vor allem, wenn Wettbewerb existiert oder die prinzipielle Beschaffungsentscheidung noch nicht abschließend gefallen ist. Es ist essenziell, die Bedürfnisse des Kunden zu kennen und ihn entsprechend zu beraten. In vielen Fällen ist ein sogenannter Champion in den Reihen des Kunden notwendig, um die Bestellung zu erhalten (Wenski 2016a); der Begriff ist in Abschn. 1.6 bereits gefallen. In anderen Unternehmen wird diese „Vertrauensperson“ als Coach bezeichnet.

 Champion/Coach  Der Champion (oder Coach) ist ein Mitarbeiter des Kunden, der dort gehört wird, vom angebahnten Geschäft überzeugt ist und den Vertriebsingenieur in der Realisierung unterstützt. Er kann aus verschiedenen Funktionen beim Kunden kommen, z. B. aus Technik oder Einkauf. Er ist nicht zwangsläufig der Entscheidungsträger, aber er wird von der Entscheidung profitieren und steht dem Geschäft daher grundsätzlich positiv gegenüber. Der Champion ist in der Organisation des Kunden vernetzt und wird gehört. Deshalb erhält er vom Lieferanten weitergehende Informationen und genießt sein Vertrauen. Im Gegenzug gibt er diesem Hinweise zu Chancen und Wettbewerbern – selbstverständlich ohne bestehende Geheimhaltungsvereinbarungen zu brechen oder sich in anderer Art und Weise ins Unrecht zu setzen. Er weiß, dass er auch unter schlechten Umständen im Lieferanten einen verlässlichen Partner hat, und bringt das Geschäft vorwärts. Zwischen dem Verkäufer und dem Champion besteht normalerweise eine überdurchschnittlich gute Arbeitsbeziehung, und die weiteren involvierten Vertreter in Ihrer Organisation – Servicepersonal, Konstrukteur, eventuell sogar Management-Vertreter – verstehen sich mit dem Champion ebenfalls meist recht gut. Einen Champion zu gewinnen braucht seine Zeit, da es sich dabei primär um die Herstellung einer persönlichen Beziehung handelt, wovon zu einem Gutteil die Meta-Ebene der Kommunikation betroffen ist. Sich

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

ein paar Wochen vor einer wichtigen Anlagenverhandlung zu überlegen, wer sich als Champion eignet, ist sicherlich zu spät – der Aufbau eines Champions kann ein bis zwei Jahre und manchmal noch länger dauern. Insofern tut man sich bei einem Neu- oder Potenzialkunden schwer, überhaupt eine geeignete Person zu identifizieren. 

Der Betreffende weiß gewöhnlich nicht, dass er Champion ist. Sollte er auch nicht!

Wenn nicht der Champion der Entscheidungsträger ist, wer ist es dann? Jeder strategisch operierende Verkäufer bekommt bereits sehr früh beigebracht, dass er den wahren Entscheider, den wirklichen Käufer herausfinden und mit ihm verhandeln muss (Wenski 2016a). Im Vertrieb ist es wichtig, den wahren Kunden für das Geschäft, den Bedarfsträger also, zu erkennen und für seine Zwecke einzunehmen. In der Industrie ist dies in den seltensten Fällen der Einkäufer, der die Vergabeverhandlung etwa für eine Anlage oder Maschine leitet. Der Einkäufer hat zwar die Lufthoheit in der Verhandlung, macht Angebote und hoffentlich Konzessionen und teilt dem Lieferanten mit, wenn der Verhandlungsstand einen Abschluss zulässt. Aber er fungiert als interner Dienstleister für den Bedarfsträger und hat die Aufgabe, für Letzteren ein kommerziell vorteilhaftes Paket zu erarbeiten. Er ist vielfach nicht der Entscheider, sondern kommuniziert nur die Entscheidung anderer Kundenvertreter. Zum Verständnis erscheint es sinnvoll, einen Blick auf den Budgetierungsprozess in einem Industriekonzern zu werfen, wie er typisch ist für den Kunden, der Ihnen gegenübersitzt. Unternehmerischem Handeln geht ein gedanklicher Entwurf voraus, die Planung.

 Budgetierung  Wird eine Planung in finanziellen Wertgrößen ausgedrückt und erhalten diese nach ihrer Verabschiedung Vorgabecharakter, so spricht man von Budgetierung. Die Budgetierung in einem Unternehmen dient dazu, seine monetären Ziele für das kommende Geschäftsjahr zu konkretisieren und einen Fahrplan aufzustellen, der die Erfüllung der Planwerte sicherstellt. Teilpläne werden koordiniert und die zugrunde liegenden Prämissen sowie mögliche zukünftige Entwicklungen analysiert. Die Budgetierung erfolgt stets für die Zukunft, also für das kommende Geschäftsoder Haushaltsjahr und teilweise für mehrere Jahre, und bildet das geplante Ausgabevolumen für bestimmte Abteilungen, Geschäftsfelder und Kostenarten

2.2  Champions und Entscheider

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(z. B. Investitionsmittel und laufende Kosten) ab. (Controlling-Portal o. J.) Eine Großanlage ist ein Investitionsgut, das in das Anlagevermögen übergeht. 

Von hoher Bedeutung für einen Lieferanten ist, dass die Mittel für die Anlagenbeschaffung bei ihm in die kurz- oder mittelfristige Budgetplanung des Kunden aufgenommen werden.

In der Regel beantragt der Techniker, der das Kaufobjekt letztlich betreut (s. Abschn. 1.2), das Budget für das oder die zu beschaffenden Systeme über einen formalen Kreditantrag mit ausführlicher Begründung der Notwendigkeit bei der Unternehmensleitung, die wiederum für die Aufstellung des Gesamt- und die Freigabe der Einzelbudgets verantwortlich ist. Insofern ist der Techniker, der mit dem Lieferanten die technische Spezifikation abstimmt und oft mit am Verhandlungstisch sitzt, der wahre Entscheider, also vereinfacht gesagt derjenige, der über das Budget verfügt. (Die Entscheidungskompetenz kann natürlich ebenso seinen Vorgesetzten zufallen, denen er Rechenschaft schuldig ist, und/oder den Personen, welche die spätere Bestellung oder den Vertrag letztlich unterschreiben.) Die Entscheidung liegt in bestimmten Konstellationen möglicherweise bei der Fachabteilung, in deren Auftrag der Techniker handelt, etwa der Produktionsbetrieb, ein Laboratorium oder die Prozessentwicklung. Oder das Top-Management behält sich das letzte Wort darüber selbst vor. Vielfach sitzen die genannten Funktionsträger gar nicht mit am Verhandlungstisch. Für Sie ist es manchmal gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten – Sie müssen sich ein Netzwerk in der Kundenorganisation erarbeiten, um zu erfahren, wer für was zuständig ist und wer was entscheidet. Falls Ihre Bemühungen schon so weit gediehen sind, erhalten Sie einen Teil dieser Informationen von Ihrem Champion. Nur mit dem wahren Entscheider kommt man zu einer tragfähigen Vereinbarung – ansonsten besteht das reale Risiko, mit nicht entscheidungsberechtigten Personen zu verhandeln und ein Ergebnis zu erarbeiten, nur um anschließend wieder von vorne anfangen zu müssen, wenn der Entscheidungsträger das Spielfeld betritt. Der Vertriebsingenieur kann manchmal auf Verhandlungspartner treffen, die nicht wissen, dass sie in Wirklich gar nicht entscheiden dürfen. Das stellt sich leider häufig erst später heraus, wenn zwar ein Verhandlungsergebnis vorliegt und im Verhandlungsprotokoll dokumentiert ist, der Kunde jedoch im Nachhinein zurückrudert und sich darauf beruft, dass die Entscheidungsträger in seiner Organisation ihre Zustimmung verweigern. Im schlimmsten Fall spielen die Kundenvertreter ein gezieltes Spiel und tun so, als seien sie die wahren Entscheider – dieser taucht erst am Ende auf, eine ethisch fragwürdige ­Verhandlungsführung (der bekannte

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Verhandlungstrick „neuer Spieler“). Mit gezielten Fragen zu Beginn einer Verhandlung lassen sich böse Überraschungen auf ein Minimum begrenzen, etwa „Wen müssen wir noch dazu holen, wenn wir eine Entscheidung treffen wollen?“ oder „Wenn wir heute zu einer Einigung kommen, könnten wir beide dann den Vertrag unterschreiben?“. Ein routinierter Verkäufer bekommt so relativ schnell mit, woran er ist. Auch umgekehrt kann es sein, dass auf Lieferantenseite die Person mit der entsprechenden Entscheidungskompetenz (Ihre höhere Ebene) zunächst nicht am Tisch sitzt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Sie mit Ihren Kollegen in der Verhandlung erkennen müssen, dass trotz guter Vorbereitung ein technisches Detail, das ggf. kostenrelevant ist, nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann. Oder dass Sie am Walk-out-Preis angekommen sind, die Bestellung aber unbedingt haben wollen oder müssen, und der Kunde Sie auffordert, bei Ihren Vorgesetzten telefonisch eine Zusage für weitere Zugeständnisse zu holen. In allen Fällen sollte vor der Kommunikation von Zugeständnissen sichergestellt werden, dass sich Rückendeckung für eine mögliche Vereinbarung in Echtzeit beschaffen lässt, entweder durch persönliches Hinzuziehen des Entscheidungsträgers oder durch telefonischen oder E-Mail-Kontakt während der Verhandlung.

2.3 Kundenvertreter in Vergabeverhandlungen Selten wird ein Vertriebsingenieur bei der Vergabeverhandlung für eine oder gleich mehrere Großanlagen lediglich einem Vertreter des Kunden gegenübersitzen. Bei komplexeren Verhandlungen sind zwei bis vier Teilnehmer auf jeder Seite optimal, und die Minimalbesetzung eines Verhandlungsteams beim Kunden besteht aus dem zuständigen Einkäufer und dem Bedarfsträger als Budget- und späterem Anlagenverantwortlichen. Daneben sollte mit der Teilnahme weiterer Kundenvertreter gerechnet werden: aus der Einkaufsorganisation, aus technischen Funktionen, Overhead oder Management. Günstig wäre es, bereits im Vorfeld für die Vorbereitung zu erfahren, wer letztlich teilnimmt, um diese Information ­möglicherweise beim Profiling zu berücksichtigen. Als Einkäufer habe ich die Erfahrung gemacht und diese in zahlreichen Vertriebsschulungen bestätigt bekommen, dass in den Reihen des Lieferanten häufig unpräzise oder gar falsche Vorstellungen darüber herrschen, was beim Kunden vor sich geht, was die Verhandler genau denken und was sie bewegt. Um diese Lücke zu verkleinern und vielleicht ganz zu schließen, beginnen wir mit einem Blick auf den Bedarfsträger. Er, in aller Regel der zuständige Techniker bzw. Anlageningenieur, muss dafür Sorge tragen, dass er die Anforderungen seiner

2.3  Kundenvertreter in Vergabeverhandlungen

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internen Kunden (meist die Abteilung, die das Equipment später betreibt, z. B. die Produktion) mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen (mit Fokus auf den finanziellen Mitteln) realisiert. 

Der Bedarfsträger befindet sich im Spannungsfeld zwischen internen Kunden, Vorgesetzten und eventuell sogar dem eigenen Vertrieb und steht unter hohem Druck, vor allem wenn Anlagen und Prozesse nicht funktionieren.

Diesen Druck gibt er zum Teil an den Lieferanten weiter, von dem er manchmal Unmögliches verlangt, was dazu führen kann, dass Verständnis für die Kostensituation und Fairness auf der Strecke bleiben. Die Pflege der persönlichen Beziehung zum Lieferanten ist vielen Technikern dennoch wichtig. Dies betrifft insbesondere die Champions, sofern sie aus dem Ingenieurbereich kommen. Sie fahren gerne zu Funktionsprüfungen vor Ort beim Anlagenhersteller und schätzen problemlos erledigte Abnahmen der gelieferten Systeme. Großen Ärger beim Techniker verursachen spätere Engpässe und erhöhte Kosten bei Service- und Ersatzteilbereitstellungen sowie Anlagen-Obsoleszenzen (d. h. die besagten Maschinen und Geräte werden vom Hersteller nicht mehr technisch unterstützt, was zu Schwierigkeiten bei Reparaturen und Wartung führen kann). Die Sympathien eines Technikers gewinnen Sie am ehesten, indem Sie auf einer präzisen Faktenbasis argumentieren, bei Ihren Aussagen und Darlegungen zügig zum Punkt kommen und nicht zuletzt Ihr Unternehmen verlässliche Produkte mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis anbietet. Wenn es um eine wichtige Beschaffung geht, kann es sein, dass auch höherstehende Vertreter der Technikabteilung an der Verhandlung teilnehmen, etwa ein Gruppenleiter oder der Abteilungsleiter Engineering, der je nach Organisation bereits zum oberen Management gehört. Gerade in kleineren Kundenorganisationen ist es durchaus möglich, dass Organvertreter wie Mitglieder des Vorstands oder der Geschäftsführung teilnehmen. 

Es ist nicht immer vorteilhaft, wenn Vertreter des oberen Managements an der ersten Verhandlungsrunde teilnehmen, denn diese sollten als höhere Ebene in beiderseitigem Interesse besser zunächst im Hintergrund bleiben und als spätere Eskalationsstufe zur Verfügung stehen.

Die Top-Manager können über die Budgethoheit der eigentliche Kunde sein und verlangen kraft ihrer Stellung meist sehr viel vom Lieferanten. Falls sie

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

mit am Tisch sitzen, ist an das Lieferantenteam ein noch höherer Anspruch an Abstimmung, Professionalität, Stringenz, Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu stellen. Das Vertriebsteam wird bei starker Verhandlungsmacht dem Management des Kunden gegenüber selbstbewusst-souverän, jedoch keinesfalls arrogant auftreten. Versuchen Sie, das Geschäftsmodell und die Probleme des Kunden zu verstehen – ich werde aus gutem Grund nicht müde, dies zu wiederholen. Dabei lassen sich Visionen für zukünftige Produkte, Qualitätsverbesserungen und Kostensenkungen proaktiv diskutieren. Wenn Ihre Verhandlungsmacht allerdings zu wünschen übrig lässt, sollten Sie als Leiter Ihres Teams – am besten bereits im Vorfeld, indem Sie eigenes gleichrangiges Personal zur Verhandlung mitnehmen – zusätzlich darauf achten, dass möglichst nur vergleichbare Ebenen miteinander sprechen bzw. verhandeln. Es kommt immer wieder vor, dass in Verhandlungen die Expertise weiterer Funktionsträger aus der Kundenorganisation benötigt wird. Oft sind gerade zu Beginn einer Verhandlung als Basis für ein späteres Ergebnis Punkte organisatorischer, formaler, monetärer oder juristischer Natur zu klären. Die Mitarbeiter, die eine solche konkrete Aufgabe wahrnehmen, arbeiten entweder gänzlich im Hintergrund oder nehmen lediglich anfangs an der Verhandlung teil. Ein Beispiel für einen weiteren nicht-technischen Protagonisten ist der Controller, der für die Kostenrechnung in einem Beschaffungsprojekt zuständig ist und mit wenig Aufwand Kostenrechnungen zu geänderten Prämissen aufstellen kann. Weitere potenzielle Teilnehmer sind bei einer größeren Erweiterungsaktivität der Projektleiter, Vertreter der Logistik- oder Patentabteilung und/oder der Firmenjustitiar. Sie alle machen eine Lösungsfindung nicht unbedingt einfacher.

Verhandeln mit mehreren Funktionsträgern

Sie werden Ihren Kunden kaum davon abbringen, mit einer großen Mannschaft aufzulaufen, wenn dieser sich das so in den Kopf gesetzt hat. Im Dialog mit solchen weiteren Teilnehmern bleibt Ihnen und Ihren Teammitgliedern nichts anderes übrig, als herauszufinden, wer was zu sagen und welche Ziele der Betreffende hat. Ist er kooperativ, ablehnend oder indifferent – ein Meinungsbildner vielleicht? Sie sollten versuchen, auch diese Personen und ihre Fachbereiche für sich einzunehmen. Dazu werden Sie manchmal sehr viel Geduld aufbringen müssen, wenn es um Formalien geht; Beispiele sind die Formulierung einer Haftungsbegrenzung oder Rücktrittsklausel, die Inhalte eine Vereinbarung zur Nutzung von Patenten bzw. zur Abwehr von Ansprüchen Dritter, Forderungen nach speziellen

2.3  Kundenvertreter in Vergabeverhandlungen

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Zertifizierungen oder Transportarten u. v. m. Bei Details ist ebenso wie im Dialog mit den Technikern glasklar mit Zahlen und Fakten zu argumentieren und nicht qualitativ drumherum zu reden. Kommen Sie zügig auf den Punkt, egal, ob es sich um ein technisches Gespräch, eine Verkaufsverhandlung oder gar eine Auseinandersetzung zur Mängelbehebung handelt, und provozieren Sie die andere Seite nicht zusätzlich durch langatmige Erklärungen.

Eine frühzeitige Kenntnis der zusätzlich zu erwartenden Personen und Themen ist wertvoll; so können Sie rechtzeitig die Kompetenzen und Kommunikationskanäle definieren. Falls die Verhandlung bereits in dieser frühen Phase durch fehlende Lösungsansätze für Spezialthemen ins Stocken gerät, besteht natürlich die Option, während einer Unterbrechung das vertrauliche Gespräch mit Ihrem Champion bzw. dem zuständigen Einkäufer suchen. Oft lassen sich so bestehende Missverständnisse elegant klären. Für den Einkäufer sind meist Savings die Maßzahl für seinen Erfolg (s. Wenski 2016b). Zur Struktur und zu den Mitarbeitern einer repräsentativen Einkaufsabteilung kommen wir weiter unten. Verallgemeinert treffen auf den typischen Einkäufer folgende weitere Feststellungen zu: Er möchte als kompetent wahrgenommen werden und im gesamten Ablauf einer Beschaffung möglichst wenig Arbeit und vor allem Ärger haben, insbesondere im Hinblick auf vertragsrelevante Dokumente sowie Mängel und Störungen des Produktionsablaufes in seinem Unternehmen. Die Pflege der persönlichen Beziehung zum Lieferanten ist auch ihm wichtig. Er verhält sich – falls er kein Old-School-Vertreter ist – gewöhnlich fair und vermittelt zwischen Bedarfsträger und Anbieter, was ihm im eigenen Hause unter Umständen Kritik einbringen kann. Beispiel

Management-Vertreter der Old School würden bei Schwierigkeiten zum Einkäufer sagen: „Sie verteidigen hier ständig den Lieferanten. Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?!“ Dieser tradierte Ansatz lässt außer Acht, dass Lieferanten zwar durch kontinuierlichen Druck und steigende Anforderungen vom Kunden zu immer besseren Leistungen motiviert werden müssen, man jedoch den Bogen nicht überspannen darf und trotzdem eine Win-Win-Lösung anstreben sollte. Auch der Lieferant muss Geld verdienen, damit das Wirtschaftssystem funktioniert, und eine Lieferanteninsolvenz stellt ebenfalls für den Kunden ein Problem dar.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Der zuständige Einkäufer hätte es gerne, wenn alle Kommunikation und Korrespondenz zwischen Lieferanten und Kunden zum betreffenden Projekt über ihn läuft – selbst wenn er dies zeitlich und von seinen Möglichkeiten her gar nicht leisten kann. Er beachtet die in seiner Organisation vereinbarten Compliance-Regeln und sollte über jeden Verdacht der Einflussnahme durch Lieferanten erhaben sein. Weihnachtsgeschenke vom Lieferanten sind einem modernen Einkäufer suspekt, und er würde stattdessen lieber mit dem Geschäftspartner zum Abendessen gehen. Üblicherweise bieten Sie als Kundenvertreter an, die Rechnung zu begleichen. 

Wundern Sie sich nicht, falls der Kunde darauf besteht, beim Essen abwechselnd mit Ihnen zu zahlen – auch er bekommt dies von seinem Arbeitgeber ersetzt. Dieses Verhalten ist ein Indiz für ein funktionierendes Compliance-System und deutlich sinnvoller, als wenn sein Arbeitgeber ihm zur Vermeidung einer Einflussnahme generell untersagt, mit Ihnen zu dinieren.

Am meisten zufriedenstellen würden einen Einkäufer mit professioneller Einstellung jedoch vorteilhaftere Beschaffungskonditionen.

2.4 Das Who’s Who in einer Einkaufsorganisation Um ein besseres Verständnis für die Stellung und Rolle des Einkäufers zu gewinnen, der mit Ihnen als Vertriebsingenieur zusammenarbeitet und der Leiter seines Verhandlungsteams ist (oder sein sollte), sehen wir uns zunächst an, wie die Beschaffungsabteilung eines größeren Unternehmens aufgebaut ist. Sie besteht oft aus zwei getrennten Funktionen: dem strategischen und dem operativen Einkauf. Daneben ist in manchen Unternehmen noch der taktische Einkauf zu finden, der auf den Vorarbeiten des strategischen Einkaufs aufbaut und im Rahmen der strategischen Vorgaben verhandelt; seine Mitarbeiter sind gewöhnlich nur für einen Standort des Kunden zuständig. • Der strategische Einkauf ist zusammen mit den entsprechenden Abteilungen auf interner Kunden- bzw. Bedarfsträgerseite – wie Ingenieurtechnik und Prozessentwicklung – dafür verantwortlich, Alternativanbieter zu finden, zu prüfen und aufzubauen, die als Wettbewerber für bestehende Lieferanten auftreten oder gar verbesserte Leistungen offerieren können. Er ist federführend im Dialog mit den Lieferanten, verantwortet unter anderem deren Bewertung,

2.4  Das Who’s Who in einer Einkaufsorganisation

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betreibt Risikomanagement und strebt die Schaffung eines ausgewogenen Lieferantenportfolios an. Strategische Einkäufer sind in der Regel für mehrere, auch internationale Standorte ihrer Organisation zuständig und fördern eine globale Harmonisierung der Vertragsbedingungen. • Der operative Einkauf besteht gewöhnlich aus Disponenten oder lokalen Einkäufern. Diese sorgen auf der Basis der von den oben genannten Funktionen abgeschlossenen (Rahmen-)Verträge dafür, dass die internen Kunden, im Allgemeinen die Produktion, mit den für einen reibungslosen Betrieb erforderlichen Betriebsmitteln und Serviceleistungen ausgestattet werden. Sie erarbeiten in Zusammenarbeit mit Verkauf und Logistik eine Bedarfsplanung und führen zeitgerecht Abrufbestellungen durch, welche sicherstellen, dass jederzeit ausreichende, jedoch nicht zu große Mengen an Roh- und Hilfstoffen zur Verfügung stehen. In der Natur der Tätigkeit ist begründet, dass ein Vertriebsingenieur vor allem für Großanlagen nur wenige Berührungspunkte mit dem operativen Einkauf hat. Allerdings wachen dessen Mitarbeiter über die lokale Beschaffungssituation und wissen über spezifische Hilfstoffe, Ersatzteil- und Servicegeschäft, Produktionsauslastung, Versorgungsengpässe und vieles Weitere bestens Bescheid. Anton Schmitz

Wir haben Anton Schmitz von ISHIKAWA zwar kurzzeitig aus den Augen verloren, wollen uns jedoch anlässlich des geplanten Messgeräte-Geschäftes an dieser Stelle erst einmal ansehen, wer auf der WAFAG-Seite an der Beschaffung des LH-8-Messgerätes beteiligt ist: • Dr. Peter Wohlmann, Abteilungsleiter Metrologie, OFK (obere Führungskraft). Er hat den Erstkontakt mit Anton Schmitz auf der Fachmesse (Abschn. 1.1) hergestellt und ist sowohl bei der Produktpräsentation (Abschn. 3.5) als auch in der Vergabeverhandlung (Kap. 8) anwesend. • Marcus Brenndörfer, Anlageningenieur und Mitarbeiter in Dr. Wohlmanns Abteilung. Er wird für die spätere Betreuung des Messgerätes zuständig sein, soll vorher mögliche Tests vor Ort in Japan durchführen und zeichnet sich in der Verhandlung durch seine Offenheit aus. • Thomas Krämer, Abteilungsleiter Einkauf, OFK. Hält sich erfreulicherweise zunächst aus dem aktuellen Verhandlungsgeschehen heraus und steht als damit später als höhere Entscheidungsebene zur Verfügung. • Herbert Langwasser, Sachgebietsleiter strategischer Einkauf und Mitarbeiter in Krämers Abteilung. Zuständiger Einkäufer und Verhandlungsführer auf WAFAG-Seite.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

• Daniel Chang, Senior Manager Purchasing (Gruppenleiter) von WAFAG Singapur und Vorgesetzter von Herbert Langwasser. Der Überraschungsteilnehmer an der Verhandlung. Er war als einziger der Herren nicht bei der Produktpräsentation durch Anton Schmitz anwesend. Wenn Sie – eigenverantwortlich mit Unterstützung von Kollegen – Industrieanlagen in Millionenhöhe verhandeln, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen als Verhandlungsführer beim Kunden ein Senior Manager aus dem strategischen Einkauf gegenübersitzt, wie der offizielle Titel auf seiner Visitenkarte lautet. Dieser bekleidet den Rang eines Gruppenleiters, ist in Deutschland meist leitender Angestellter im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes und zählt zum mittleren Management. Er ist je nach Struktur und Größe des Kundenunternehmens für die strategischen Grundlagen der Beschaffung verschiedener Produkte einschließlich Hilf- und Betriebsstoffen sowie Dienstleistungen zuständig, oder sein Zuständigkeitsbereich beinhaltet ausschließlich Equipmentkäufe. Er hat als Ingenieur oder Naturwissenschaftler oft eine technisch geprägte Ausbildung und kommt seltener aus dem kaufmännischen Bereich. Der Senior Manager kann in seiner Organisation ein Meinungsbildner sein, obwohl er nicht direkt über die Vergabe entscheidet. Während manche Einkaufsabteilung in Großkonzernen noch vor weniger als 20 Jahren einen schlechten Ruf hatte und über Mitarbeiter verfügte, die in anderen Abteilungen nicht mehr gebraucht wurden, wird dort heutzutage in der Regel viel professioneller gearbeitet, und die Verrentung der Problemfälle schreitet fort. Man findet bei den Verhandlungsführern im Einkauf von absoluten Profis bis – seltener – Einkäufern mit suboptimalen Voraussetzungen und Einstellungen alles im Angebot. 

Für den Umgang mit einem kompetenten Gruppenleiter als Verhandlungsführer des Einkaufs bietet sich an, frühzeitig Zielstellung und Kompetenzen zu klären, natürlich auf Verhandlungstricks zu verzichten und bei technischen Details und Kosten sowohl mit harten Fakten als auch mit Empathie und Persönlichkeit zu überzeugen.

Verhandeln Sie auf Augenhöhe und machen Sie verhandlungstechnisch den Kuchen größer: Das Harvard-Konzept wirkt ansteckend. Günstig ist, wenn es Ihnen gelingt, als Alternative zum Techniker einen guten Senior Manager Einkauf als Champion aufbauen. Und falls Sie es mit einem inkompetenten Gruppenleiter zu tun haben, wenden Sie die Grundregeln an, die umgekehrt auch für den Umgang mit schlechten Verkäufern gelten: Lösungen vorbereiten und einfach und

2.4  Das Who’s Who in einer Einkaufsorganisation

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verständlich erklären, geduldig bleiben und ihn bei Laune halten sowie selbst den Beschaffungsprozess treiben und kontrollieren. Der Vorgesetzte des Senior Managers, meist der Abteilungsleiter Einkauf, hat unter anderem den Titel Corporate Vice President und zählt damit zum Leitungszirkel. (Je nach Steilheit der Hierarchiestruktur kann dazwischen noch eine Ebene angesiedelt werden, die oft den Titel Director trägt.) Der Einkaufsleiter ist entweder ein erfahrener Mitarbeiter aus dem Beschaffungs- oder Logistikbereich oder ein fachfremder Quereinsteiger. Er trägt wie alle oberen Führungskräfte das Risiko, je nach seinen Möglichkeiten und seinem Verhalten geachtet, gefürchtet oder belächelt zu werden. Auch dieser Funktionsträger bleibt – wie seine Pendants aus Technik- und Unternehmensleitung – zugunsten einer zügig erreichbaren Verhandlungslösung am besten zunächst im Hintergrund. 

Mit einem starken Einkaufsleiter können Sie wie mit dem souveränen Gruppenleiter umgehen.

Ein unerfahrener Corporate Vice President sollte zum Reden animiert werden: Er hat nicht die Geduld, lange zuzuhören, und möchte sich vor allem vor seinem Mitarbeiter produzieren. Außerdem überspielt er durch viel Reden seine Unsicherheit und liefert Ihnen dadurch möglicherweise wichtige Informationen. Eine Grundregel müssen Sie beachten: Sorgen Sie unbedingt dafür, dass er sein Gesicht vor Mitarbeitern und den eigenen Vorgesetzten wahrt. Arbeiten wir uns im Organigramm der Beschaffungsabteilung nach unten vor. Falls die Abteilungsgröße dies erfordert, sind auf der Ebene unterhalb des Gruppenleiters Einkäufer mit dem Geschäftstitel Manager beschäftigt: Sachgebietsleiter, die oft keine leitenden Angestellten und keine Meinungsbildner sind. In dieser Position dürfte ebenfalls eine Vielfalt an Biografien und Persönlichkeiten im Angebot sein. Viele versuchen, gute Arbeit zu leisten, damit der Laden läuft. Man trifft teils jüngere Mitarbeiter, die motiviert sind und sich profilieren und Senior Manager werden möchten. Und es gibt – um das Thema der Erneuerung von Einkaufsabteilungen fortzuführen – noch manchen älteren Manager, der auf den Vorruhestand wartet und bereits jetzt weitgehend seine Ruhe haben möchte. 

Im Umgang mit den Sachgebietsleitern im Einkauf ist zunächst wichtig herausfinden, mit welchem Typ man es zu tun hat und welche Vorgaben und Rahmenbedingungen vorliegen, um die Vorgehensweise an die individuelle Situation anpassen zu können.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Als Lieferantenvertreter ist es für Sie günstig, wenn es ihnen gelingt, beim Manager die Vorteile des Abschlusses herausstellen, mit denen er im Falle einer Beauftragung intern punkten kann. Erkennen Sie seine (echte oder vermeintliche) Kompetenz und Leistung an und stellen Sie ihn bei Problemen in der Abwicklung nicht bloß. Für derartige Fälle sind Eskalationsstrategien vorzubereiten. In der nächsttieferen Hierarchieebene finden sich Sachbearbeiter, lokale Einkäufer, die im Englischen meist als Buyer firmieren. Diese sind anders als die vorgenannten Funktionen bei größeren Unternehmen ebenso wie die Disponenten im Allgemeinen nur lokal für einen Standort zuständig. Sie arbeiten mit einem eng begrenzten eigenen Entscheidungsspielraum für (Senior) Manager, schreiben und versenden Bestellungen und freuen sich auch über kleine Verhandlungserfolge. 

Die Bedeutung von lokalen Einkäufern im Rahmen eines größeren Beschaffungsprojekts wird oft verkannt, doch können diese indirekt Entscheidungen beeinflussen und sind manchmal eine wertvolle Informationsquelle für den Lieferanten.

Wer im Vertrieb ein gutes Verhältnis zu den Disponenten oder lokalen Einkäufern unterhält und sie ab und zu zum Mittagessen einlädt, kann viel Nützliches erfahren. Wenn Sie Zeit für Höflichkeitsanrufe und -besuche erübrigen können und deren Arbeit würdigen, nehmen Sie diese Mitarbeiter für sich und Ihre Ziele ein. Sie können dabei Hintergründe erfragen und Stimmungsbilder abholen, sollten allerdings eine klare Strategie verfolgen, was Preisnachlässe angeht, selbst wenn der Sachbearbeiter noch so freundlich oder flehentlich nach einem zusätzlichen Rabatt für ein Ersatzteil oder eine sonstige Leistung aus Ihrem Hause fragt. Gern gesehen wird dort, wenn Sie an die zeitnahe Zusendung von Auftragsbestätigungen für Bestellungen denken, um vertraglich nicht im rechtsfreien Raum zu stehen, und Leistungen zu Bestellungen – z. B. Arbeitsstunden und Material – korrekt und in übersichtlicher Darstellung abrechnen. Wenn Sie Ihr Networking geschickt betreiben, kann es Ihnen sogar gelingen, bei Bedarf über den Sachbearbeiter Einfluss auf den (Senior) Manager zu nehmen. Ich gebe zu, Details dieser Beschreibung der unterschiedlichen Einkaufsfunktionen sind pointiert – für manchen Leser vielleicht sogar übertrieben – dargestellt und treffen möglicherweise nur auf bestimmte Branchen zu. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es nicht den Einkäufer schlechthin gibt, auf den man sich im Vorfeld universell vorbereiten kann. Wie überall im Leben (und auch in Ihrem eigenen Unternehmen) trifft man eine Vielfalt von Kompetenzen

2.5  Umgang mit schwierigen Kunden

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und Charakteren, auf die man präpariert sein muss. Hierfür lassen sich einige Tipps von allgemeiner Bedeutung und Anwendbarkeit formulieren:

Tipps für den Umfang mit Vertretern des Einkaufs

• Behandeln Sie alle Einkaufsvertreter höflich und respektvoll und bringen ihnen dieselbe Wertschätzung entgegen. • Stellen Sie sich dennoch gezielt auf Ihren individuellen Gesprächspartner ein, indem Sie seine Denkweisen, Motive und Handlungen analysieren und zu verstehen versuchen. • Seien Sie in Verhandlungen zielstrebig und gleichzeitig geduldig. • Verlieren Sie nie die Nerven und zeigen Sie kein schlechtes Benehmen. • Versuchen Sie, den Kuchen größer zu machen, und streben Sie eine Win-Win-Situation an. • Geben Sie dem jeweiligen Gegenüber, was er braucht: dem Sachbearbeiter Aufmerksamkeit, dem Manager Savings, dem Top-Personal stilvollen Respekt, dem Gruppenleiter Zuwendung und dem Controller Zahlen.

2.5 Umgang mit schwierigen Kunden Bevor wir uns den Kommunikationskanälen zuwenden, die für den Dialog mit einem Geschäftspartner zur Verfügung stehen, müssen wir uns mit einem anderen Aspekt beschäftigen, der vielen Lieferantenvertretern und vor allem jedem Vertriebsingenieur früher oder später Kopfschmerzen bereiten wird: schwierige Kunden. Unter dem Begriff will ich allerdings keineswegs fordernde Kunden verstehen, also Kunden, die den Lieferanten technisch-technologisch und auf der Kostenseite zu immer neuen Höchstleistungen antreiben. Meine Zeit in der Halbleiterindustrie hat mich gelehrt, dass ein Lieferant für solche Kunden dankbar sein kann, sogar wenn sie hart verhandeln und bei der Produktqualität keine Kompromisse machen (solange sie nicht unfair und unsauber agieren). Denn gerade diese Abnehmer stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Lieferanten auch bei anderen Kunden – selbst wenn es momentan schwerfällt, das zu akzeptieren, und vielleicht sogar wehtut – und tragen so zu dessen Geschäftserfolg bei.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Nur die Paranoiden überleben

Das in diesem Zusammenhang in der Halbleiterindustrie immer wieder gehörte Zitat Only the paranoid survive des aus Ungarn stammenden Andrew S. „Andy“ Grove (1936–2016), Mitbegründer von Intel, besagt: Im zukünftigen Geschwindigkeitswettbewerb werden sich diejenigen Unternehmen durchsetzen, die von permanentem Verfolgungswahn befallen seien. (Grove 1996) Immerhin hat es diese Fortschrittsbranche durch hohe Innovationskraft, völlig neuartige Qualitätsstandards und ein stringentes Lieferantenmanagement geschafft, dass das empirische Moore’sche Gesetz, wonach sich die Leistung eins Halbleiterprozessor alle 18 Monate verdoppelt, heute nach über 50 Jahren immer noch gilt. Gordon Moore (geb. 1929) gehört ebenfalls zu den Gründern von Intel und war schon zuvor bei Fairchild Semiconductor der Chef von Andy Grove. Inzwischen ist die Industrie bei Linienbreiten von 7 Nanometern im Produktionsmaßstab angelangt, und Roadmaps für die 5-Nanometer- und 3-Nanometer-Fertigung sind bereits vom taiwanesischen Unternehmen TSMC angekündigt. Ein Nanometer entspricht 10−9 m, das sind 0,000 001 mm. Zum Vergleich: Ein Menschenhaar ist etwa 0,1 mm dick, das ist das Zehntausendfache. (Moore 1965; Eckstein 2018; Riemenschneider 2018)

Schwierige Kunden sind solche Geschäftspartner, die ständig nörgeln und sich beschweren, dass der Lieferant zu schlecht und seine Produkte zu teuer sind. (Sie kaufen jedoch weiter bei ihm.) Die selbst bei positiver Konjunktur und guten Geschäften andauernd ein Haar in der Suppe suchen und auch finden. (Und damit ihre eigenen und die Ressourcen und Nerven des Lieferanten belasten.) Die auf eine Aufteilung des Verhandlungskuchens sehr zu ihren Gunsten bestehen, Vorleistungen des Lieferanten nicht honorieren, bestellte Leistungen wieder stornieren, eine Zickzack-Strategie fahren und eventuell sogar unsaubere Tricks anwenden. (Es ließen sich noch weitere Punkte aufzählen.) Doch es gilt bekanntlich: Wer zahlt, schafft an. Für den Umgang mit schwierigen Kunden gibt es ebenso wie bei der Kundenakquise und in Verhandlungen an sich kein Patentrezept. Einer Lösung kann man sich nur nähern, indem man verschiedene Strategien zur Deeskalation und Lösung der Probleme parallel bereithält, in Analogie zu den vorbereiteten Taktiken für eine Verhandlung. Vor allem benötigen Sie für diese Kunden viel Geduld und Resilienz und müssen sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass der Groll

2.5  Umgang mit schwierigen Kunden

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sich nicht gegen Sie persönlich richtet. Dabei ist es ratsam, die zahlreichen Vorschläge, Regeln, Tipps und Kniffe zu Verhandlungen mit besonderer Konsequenz und Sorgfalt umzusetzen, und zwar wiederum mit Schwerpunkt auf der Vorbereitung und der strategischen und taktischen Ausrichtung. So sollte das Profiling (s. Wenski 2019) insbesondere derjenigen Kundenvertreter, die den größten Ärger verursachen, akribisch durchgeführt werden. Womit kann ich diese Typen kriegen, wie nehme ich sie für mich, mein Unternehmen und dessen Produkte ein? Als Bauchmenschen eher über die Meta-Ebene, oder lieber mit harten Daten und Fakten? Sind ihre Anwürfe gegen unsere Organisation nur unbeantwortete Fragen, oder steckt eine verdeckte Agenda dahinter? Wer steht hinter ihnen, was treibt diese Leute an? 

Gerade in Verhandlungen mit schwierigen Kunden, die alle verfügbaren Register ziehen, ist ein gut abgestimmtes und eingespieltes Lieferantenteam, das sich positionell nicht auseinanderdividieren lässt, essenziell.

Ein erstes Indiz für die Konstellation in einer Verhandlung bietet die Sitzordnung (s. Abb. 2.1 sowie Abschn. 3.4). Die Mitglieder müssen jederzeit in der Lage sein, die strategische Situation treffend zu beurteilen, und dürfen sich nicht provozieren oder zu voreiligen Stellungsnahmen und Zugeständnissen verleiten lassen. Gemeinsam ist ein positives, konstruktives Verhandlungsklima aufzubauen. Eine

Abb. 2.1   Teamverhandlungen: Die klassische Sitzordnung

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

aufgeheizte Atmosphäre darf Sie und Ihre Kollegen jedoch nicht anstecken und zu eigenem aggressivem oder unsauberem Vorgehen animieren. Versuchen Sie beispielsweise das Good Guy – Bad Guy-Spiel mit einem „Guten“ und einem „Bösen“ im Wechselspiel erst gar nicht – unterbinden Sie es jedoch sofort, falls es gegen Sie eingesetzt werden soll. Problematisches Verhalten von Kunden kann in jeder Konstellation auftreten und lässt sich sowohl bei großen und renommierten als auch bei mittleren und kleinen Kundenunternehmen beobachten, die damit alle Lieferantenorganisationen zur Verzweiflung bringen können. Ein häufiger Grund dafür ist, dass ein Anbieter – im hier betrachteten Szenario der Anlagenlieferant, aber das Prinzip ist in vielen weiteren Produktkategorien nicht anders – die Aufträge des Kunden benötigt, weil er von diesem Geschäft wirtschaftlich abhängig ist. Dies kann der Fall sein, wenn es sich um den Hauptkunden handelt, mit dem der betreffende Lieferant einen signifikanten Anteil seines Umsatzes macht. Im Wissen um seine Verhandlungsmacht braucht sich der Kunde überhaupt nicht zurückzuhalten und wird die Marge des Lieferanten drücken, soweit es geht, und ihn damit vielleicht sogar einem Insolvenzrisiko aussetzen. Diese unerfreuliche Erfahrung machen etwa viele Zulieferer in der Automobilindustrie, die als Systemlieferanten massiv vom Autobauer abhängig sind. (Häusler 2017) Und wenn sich der Einkäufer nicht bemühen muss, bleiben Zurückhaltung, Diplomatie und Fairness eben manchmal auf der Strecke, und der Harvard-Ansatz ist außer Reichweite. Eine andere kritische Konstellation liegt vor, wenn ein Kunde den Eindruck hat, dass der Anbieter eine Monopolstellung besitzt und diese kompromisslos zur Maximierung des eigenen Geschäftsergebnisses ausnutzt. Er wird ständig lamentieren und sich beim Lieferanten beklagen, dass dieser seine Situation ausnutzt und keine ausreichenden Maßnahmen zur Qualitätserhöhung bei gleichzeitiger Kostensenkung durchführt. Lieferanten sind generell dann in einer vergleichsweise besseren Position als die Autozulieferer, wenn ihre Produkte bei den Abnehmern eingeführt und für den Produktionsprozess bei deren Kunden qualifiziert sind und keine akute Bedrohung dieser Situation durch Wettbewerber vorliegt. Beispiele findet man in der Hochtechnologieindustrie (in der Halbleiterindustrie etwa im Bereich der EUV-Lithografie (EUV = extrem ultraviolette Strahlung) oder bestimmten Bereichen der Messtechnik, in der begrenzte Marktsegmente es überhaupt nicht erlauben, dass ein konstruktiver Wettbewerb entsteht: Die Abnahmemengen für die betreffenden Anlagen sind einfach zu gering, um die sehr hohen Entwicklungskosten wieder hereinzuholen, falls mehrere Unternehmen gleichartige Systeme anbieten würden. Dies führt dazu, dass ein

2.5  Umgang mit schwierigen Kunden

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Lieferant, der einen technologischen und markttechnischen Vorsprung hat, teilweise von der Konkurrenz wegen der hohen Markteintrittsschwelle nur schwer einzuholen ist. Oft verwenden Kundenvertreter den negativ geprägten Begriff Monopolist für einen Lieferanten, der eine marktbeherrschende Stellung hat, jedoch vielfach fälschlich.

 Ein Monopol nennt man eine Marktsituation, in der für ein ökonomisches Gut nur ein Anbieter vorhanden ist, und würde nach der klassischen Monopoltheorie ein Marktversagen darstellen. Aus der Sicht des Lieferanten wäre dies ein Angebotsmonopol. Meist liegen keine echten Monopole vor, sondern Quasimonopole; ein Beispiel stellen die Softwareprodukte von Microsoft dar, zu denen beispielsweise mit frei kopierbarer Software (Open Source) Alternativen existieren. Bei der Beschaffung von Spezialanlagen und -geräten steht ein Kunde ebenfalls sehr selten vor einem echten Monopol, sondern ist mit einer monopolähnlichen Situation konfrontiert, weil der Anbieter durch seine Spezialisierung eine Marktdominanz geschaffen hat, die eine gewisse Standardisierung darstellt. Der Suche nach einer wie auch immer gearteten Ersatzlösung steht teilweise außer Zeit und Kosten nichts im Wege, selbst wenn dies momentan ein rein hypothetischer Weg sein könnte. Vorhandene Schutzrechte aufseiten des Lieferanten machen die Lage für den Kunden noch komplizierter, da er dadurch in seiner Beschaffungsentscheidung möglicherweise weiter limitiert wird. Derartige Bedenken und Animositäten sollten zunächst nicht Ihr Problem als Vertriebsingenieur sein – in einem marktwirtschaftlich organisierten Angebotsund Beschaffungssystem hat im Allgemeinen jeder jeder Teilnehmer das Recht und gegenüber seinen Anteilseignern auch die Pflicht, seine Vorteile und seine Verhandlungsmacht opportunistisch und finanziell zu nutzen. Allerdings nochmals der Hinweis: Ein Verhandlungsergebnis ist dann gut, wenn es von beiden Seiten als fair empfunden wird. Wenn Ihr Unternehmen als multinational aufgestellte Organisation oder als mittelständischer Anbieter von Spitzentechnologie für den Kunden „alternativlos“ ist, darf dies keineswegs so weit gehen, dass sich Ihre Partner übervorteilt und unfair behandelt fühlen. Teil Ihrer Aufgabe wird es sein, die andere Seite wieder faktisch und emotional ins Boot zu holen. Dies kann nur gelingen, indem Sie die ebenfalls bereits erwähnten Problem des Kunden erkennen und lösen – sei es der Bedarf für ein Equipment mit bestimmten Eigenschaften oder eine Nachbesserung im Falle einer Beanstandung. Wenn sich Ihr Haus als kleiner Anbieter in seinem

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

­ ernkompetenzbereich bewegt und dem Abnehmer Anlagen, Ersatzteile und SerK vice mit einer gesunden Marge anbietet, die auch unvorhergesehene Korrekturmaßnahmen erlaubt, tun Sie sich etwas leichter. Ein fokussiertes, professionelles Arbeiten zusammen mit dem Kunden fördert und stärkt die Geschäftsbeziehung, und als Entwicklungspartner gehören beide Seiten zu den Gewinnern. Sollte es dennoch zu Differenzen kommen, muss rasch deeskaliert werden, um keinen bleibenden Schaden auf der Vertrauensebene zu riskieren. In einem Konzern zur Herstellung von Großanlagen, der in mehrere Regionen der Erde liefert und ggf. über mehrere Produktionsstandorte verfügt, tun Sie sich als Kundenberater dabei etwas schwerer. 

Von überragender Bedeutung ist, das Image des eigenen Unternehmens zu verbessern und dem Kunden das Gefühl zu geben, dass er gute Leistung für gutes Geld bekommt.

Auf die Diskussion über eine marktbeherrschende Stellung oder gar monopolähnliche Situation lassen Sie sich gar nicht erst ein. Versuchen Sie vielmehr, die Stärken Ihrer Organisation herauszuheben – mit Service- und Anwendungstechnikern für die Produktbegleitung und auch Problembehebung vor Ort beim Kunden, mit Spezialisten für knifflige Fälle im Mutterhaus, mit klaren Visionen, Strategien und Zielen. Dies gelingt umso mehr, wenn Sie und Ihre Mitstreiter parallel freundlich-verbindlich auftreten und ein positives Selbstbild zeigen. Beschwichtigungen, Entschuldigungen und eine zu devote Grundhaltung könnten das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt war. Ziel sollte eine mehr oder weniger gleichberechtigte Partnerschaft sein, in welcher der Kunde – vielleicht sogar ein Key Account – den Lieferanten zum Ideengeber und Entwicklungspartner macht. Über eine kurzfristige Gewinnchance hinaus hat der Kunde damit die Sicherheit und Bequemlichkeit eines verlässlichen Schlüssellieferanten, der ihm Achtung und Wertschätzung entgegenbringt und ihn als Ratgeber sieht. Die Erfahrung belegt: Der Austausch eines Systemlieferanten durch einen Kunden ist mit viel Aufwand, Ärger und Risiko verbunden, und dazu wird es der Kunde nur im äußersten Notfall kommen lassen – sei es in der Automobil-, Halbleiter- oder sonstigen produzierenden Industrie. Als Verkäufer sollte Sie beruhigen: Selbst für schwierige Kunden bedeutet ein Lieferantenwechsel die Ultima Ratio, die in der Regel nur bei komplettem Scheitern exekutiert wird. Soweit die theoretisch zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Da sich auch ein Lieferant nicht alles gefallen lassen kann, bietet sich ab einem gewissen Punkt natürlich an, den Kunden ziehen zu lassen, falls eine Geschäftsbeziehung unter einigermaßen normalen Prämissen nicht aufrechtgehalten werden kann.

2.6  Verhandlungen mit E-Mail und am Telefon

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Im Sinne der notwendigen Bereitschaft, auch mal „nein“ zu sagen, müssen die bisher investierten Aufwendungen dann als Sunk Costs abgeschrieben werden – das sprichwörtliche Ende mit Schrecken. Bevor dies geschieht, sollten Sie mit Ihren Kollegen allerdings selber die emotionalen Zügel etwas anziehen und über eine (zurückhaltende) Verwendung von Verhandlungstricks Gedanken machen, die nach dem Harvard-Konzept und sogar im Rahmen des konstruktiven harten Verhandelns ja eigentlich keinen Raum haben, falls die Motivation für ihre Verwendung unredlich ist. Eigentlich – eine Vokabel, über die ich in Abschn. 2.7 noch etwas zu sagen habe.

2.6 Verhandlungen mit E-Mail und am Telefon Wenden wir uns nun den Themen Kommunikation und Dialog mit dem Kunden zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Austausch mit einem Vertragspartner keineswegs nur am Verhandlungstisch abläuft, sondern über verschiedene Kanäle stattfindet. Als genretypische Kommunikationswege von Verhandlungsparteien in der Industrie stehen mindestens vier Möglichkeiten zur Verfügung: 1. schriftlich 2. elektronisch (z. B. mit E-Mail) 3. telefonisch 4. persönlich

Elektronische Kommunikationsmedien

E-Mail soll hier als bedeutendstes Medium stellvertretend für alle Kommunikationswege stehen, die sich durch eine elektronische Übermittlung von Textbotschaften auszeichnen. Daneben gibt es Instant-Messaging-Dienste (wie WhatsApp) für den Nachrichtensofortversand, die E-Mail teilweise bereits ersetzen. Außerdem sollten Mikroblogging-Dienste (wie Twitter) erwähnt werden, die zwar neuerdings in der Politik zunehmend genutzt werden, bei Anlagengeschäften aber eine untergeordnete Rolle spielen – bei beiden Formaten gibt es eine Zeichenbeschränkung. Bevor Ende der 1980er Jahre E-Mail und später weitere Online-Dienste eingeführt wurden, erfüllten Telex und Telefax im Unternehmensalltag deren Funktion.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Zweifellos ist für zahlreiche juristisch relevante Dokumente im Verlaufe eines Geschäfts – Vertrag, Mängelrüge, Mahnung usw. – die Schriftform sinnvoll und im Hinblick auf eine eventuell später notwendige Beweisführung auch dringend geboten. Das Format eines formalen Geschäftsbriefes wirkt heutzutage etwas antiquiert, ist jedoch unter bestimmten Rahmenbedingungen vielleicht das Mittel der Wahl. Allerdings wird man sich eher der elektronischen Post bedienen und ein formales Schreiben als Dateianhang beifügen, was schneller und kostengünstiger ist und mit Kopie und Lesebestätigung gleichzeitig eine Art Zustellungsbeleg liefert.

Mit den unter Auslassung des Geschäftsbriefs verbleibenden drei Kommuni­ kationswegen reine Textinformation (E–Mail), gesprochenes Wort mit der Nutzung paralinguistischer Kanäle wie Ton und Lautstärke (Telefon) sowie dem persönlichen Dialog (z. B. in einer Vergabeverhandlung) wollen wir uns auf den nächsten Seiten beschäftigen. Bei der Kommunikation und insbesondere im Verhandeln mit Ihren Kunden werden Sie sicher öfter die Erfahrung gemacht haben, dass gute Argumente alleine keineswegs genügen, um das Gegenüber zu überzeugen und zum Abrücken von Positionen zu bringen. Denn es kommt vor allem darauf an, wie man seine Argumente dem anderen zum eigenen Vorteil vermittelt. Nach Erkenntnissen des amerikanischen Sozialpsychologen Albert Mehrabian hat das, was in einem Dialog gesagt wird, gerade einmal sieben Prozent Anteil an der Gesamtwirkung; 38 Prozent werden über die Stimmführung und gar 55 Prozent über nonverbale Signale, also Mimik und Gestik, vermittelt. (Mehrabian 1971; Lapakko 2007) Mit dieser sogenannten 7-38-55-Regel zur Bedeutung nonverbaler Elemente in der menschlichen Kommunikation wurde der im Iran geborene Mehrabian auch außerhalb der wissenschaftlichen Psychologie bekannt. Sein Landsmann Ray Birdwhistell (1918–1994), Ethnologe und Linguist, stellte bereits früher fest, dass nicht mehr als 30 bis 35 Prozent der Information über das gesprochene Wort übertragen wird. (Birdwhistell 1952; Harold und Tobin o. J.) Mimik und Gestik lassen sich als Ausdrucksmittel nonverbaler Kommunikation gemeinhin unter dem Oberbegriff Körpersprache einordnen – dem wichtigen Thema Körpersprache in Verhandlungen widmen sich Abschn. 3.2 bis 3.4 im Detail. Blendet man diesen Aspekt aus, verbleibt also weniger als die Hälfte der gewohnten Kommunikationsmöglichkeiten. Dies ist typischerweise der Fall bei einem Telefongespräch. Zwar hört man – je nach Qualität der Übertragung – mehr oder weniger gut, was der andere sagt, und auch der Ton, die Lautstärke und die Schwingungen in der Stimme werden übermittelt. Jedoch bleibt das, was der

2.6  Verhandlungen mit E-Mail und am Telefon

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Gesprächspartner über die Körpersprache signalisiert, im Verborgenen (mit der Einschränkung, dass ein sensibler Gesprächspartner ggf. in der Lage ist, aus der Stimme intuitiv Rückschlüsse auf die Körpersprache zu ziehen). Gemäß der Betrachtungsweise von Mehrabian fallen beim Austausch von E–Mail-Nachrichten die nonverbalen Kommunikationswege Stimmmodulation und Körpersprache komplett weg. Zudem ist Sender und Empfänger bewusst, dass eine E-Mail-Nachricht im Gegensatz zu einem Telefonanruf nicht sofort beantwortet werden muss – E-Mail ist eine sogenannte asynchrone Konversation, bei der nicht wie beim Telefonat gleichzeitig kommuniziert wird, was zusätzliche Zeit zum Nachdenken, Prüfen und Recherchieren lässt. Neben der reinen Textinformation sowie deren Aufmachung (Länge, Strukturierung, Anhänge, Rechtschreibung, Formatierung, Schriftbild und Layout, Signatur und mehr) spielt ebenfalls die Zeit eine Rolle, die man sich lässt, um eine Nachricht zu beantworten oder einen Vorgang zu initiieren (was die sieben Prozent ggf. etwas wachsen lässt). 

E-Mail, die elektronische Post, ist aus dem modernen Büroalltag nicht mehr wegzudenken, was klar wird, wenn einmal der Server ausfällt.

Das Medium dient nicht nur der Kommunikation, sondern auch dem Verwalten und Dokumentieren von Informationen. Gleichzeitig verstärkt es durch die Technologie der Smartphones die Erwartungshaltung, dass Kollegen, Mitarbeiter und Geschäftspartner nahezu durchgehend nicht nur telefonisch, sondern auch durch elektronische Nachrichten erreichbar sind – und umgehend darauf antworten. Wo liegt die Beziehung zum Verhandlungserfolg? So wie ein aufgeräumtes Büro, ein vorzeigbares Äußeres und ein einwandfreies Benehmen die Stellung, Souveränität und Persönlichkeit des Verhandlers unterstreichen, gilt dies selbstverständlich ebenfalls für sein Kommunikationsverhalten. Die Nutzung von E-Mail im Dialog mit dem Verhandlungspartner ist in diesem Zusammenhang als echte Erweiterung der Palette an Möglichkeiten für eine Verhandlungsführung zu sehen. Allerdings sollte man auch mit der Verwendung von E-Mail Augenmaß walten lassen. Nicht zuletzt deshalb, weil das E-Mail-Volumen vielfach ausgeufert ist, haben zahlreiche Unternehmen eine E-Mail-Etikette bzw. Regeln für einen E-Mail-Kodex eingeführt, der – bei konsequenter Beachtung – Erleichterung verschaffen könnte. Das sollte in einem modernen Wirtschaftsunternehmen selbstverständlich sein, doch nicht alle gängigen Tipps sind für jede Organisation geeignet. Anregungen für „E-Mail-Knigge“-Regelpakete finden sich im Internet zuhauf (z. B. Vaske 2009; Blatter 2015).

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Eine der größten Fehleinschätzungen im heutigen Geschäftsalltag ist, dass E– Mail (was vermutlich noch eher von WhatsApp erwartet wird) für eine schnelle Kommunikation geschaffen wurde. Doch dem ist keineswegs so: E-Mail kann nicht die Funktion eines Telefonats erfüllen. Insbesondere wenn es um die Übermittlung von Gefühlen positiver und vor allem negativer Art geht – denken Sie nur an die schwierigen Kunden –, ist E-Mail definitiv das falsche Format, da es als Kommunikationsmittel ausschließlich zum Informationstransfer geeignet ist. Und selbst dabei ist zu beachten, dass die Zusammenarbeit intern und mit Geschäftspartnern harmonischer wäre, wenn fertig formulierte E-Mail-Nachrichten nicht im ersten Eifer oder der ersten Rage sofort losgeschickt, sondern erst einmal über Nacht ruhen und am nächsten Tag nochmals kritisch überprüft würden. 

Schreiben und versenden Sie dienstlich wie privat nie eine Mitteilung in der ersten Rage!

Eine E-Mail-Nachricht ist eine Visitenkarte des Absenders – bei persönlich unbekannten oder nicht sehr gut bekannten Personen ist sie in diesem Moment das Einzige, anhand dessen sich der Empfänger eine Meinung bilden kann. Einige Regeln aus der Zeit des Briefeschreibens lassen sich auch in die elektronische Welt übertragen. Verhandlungen im E-Mail-Format bestehen aus maximal drei Nachrichten, etwa der elektronischen Zusendung des Angebots durch den Lieferanten, der Anfrage des Einkäufers nach einem Nachlass und der entsprechenden Antwort darauf. Spätestens wenn danach noch keine Übereinkunft erzielt wurde, sollte zum Telefonhörer gegriffen werden, um eine synchrone Konversation zu ermöglichen. (Wenski 2016c) In Form persönlicher Gesprächsrunden durchgeführte wichtige Verhandlungen – gerade über größere Investitionen wie Maschinen und Anlagen – lassen sich durch zwischenzeitliche E-Mail-Verhandlungsdialoge zwischen einzelnen Protagonisten leicht durcheinanderbringen. Verhandlungen sollten entweder persönlich (eventuell mit Positionsabstimmungen am Telefon) oder mit E-Mail geführt werden. Eine unkontrollierte Vermischung resultiert nicht nur in internen Kommunikationsproblemen, sondern gibt – in Analogie zum Fernschach – der anderen Partei die Möglichkeit, Positionen im eigenen Hause effektiv zu ihrem Vorteil abzustimmen. Geben wir zu den sieben Prozent Texteinfluss in der Kommunikation nach Mehrabian die 38 Prozent für paralinguistische Kanäle hinzu, landen wir beim Telefonat und somit der Aktivierung von nahezu der Hälfte der Anteile. Aus diesem Grunde sind Verhandlungen am Telefon hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Neben einer sorgfältigen Vorbereitung auf Hintergrund und Zielsetzung der Telefonverhandlung, die nach einer Daumenregel mindestens so

2.6  Verhandlungen mit E-Mail und am Telefon

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viel Zeit erfordert wie das Gespräch selbst – teilweise sogar deutlich mehr –, sind im Gespräch selbst ebenfalls verschiedene Aspekte zu beachten. Und das trifft nicht nur auf Verhandlungen im engeren Sinne zu, sondern auf alle wichtigen Telefonate und Telefonkonferenzen, sei es mit externen Kontakten oder höheren Stellen im eigenen Unternehmen. Ich gebe zu, dass Großanlagenverhandlungen selten nur mit E-Mail und/ oder am Telefon geführt werden. Kleinere Geschäfte lassen sich so allerdings relativ elegant vereinbaren, ohne dass Reisetätigkeit erforderlich ist. In diesem Zusammenhang berichten Vertriebsingenieure immer wieder, dass sie vom Einkäufer spontan angerufen werden, um ein Geschäft zu verhandeln. Der höfliche Zeitgenosse, der sich als Anbieter seiner hierarchischen Stellung bewusst ist und auch nicht so gut „nein“ sagen kann, lässt sich möglicherweise auf dieses Ansinnen ein. Dies ist seiner Verhandlungsposition allerdings meist alles andere als dienlich; deshalb lassen Sie sich nie vom Kunden zu einer spontanen Telefonverhandlung verleiten. Wenn es dann soweit ist, nachdem ein Termin vereinbart wurde: Bereiten Sie sich sorgfältig auf ein wichtiges Telefonat vor. Sie sollten alle relevanten Schriftstücke griffbereit vor sich liegen und eventuell benötigte Dateien auf Ihrem Rechner geöffnet haben. Stellen Sie sicher, dass Sie verstehen, wer auf der anderen Seite teilnimmt. Es ist in Deutschland nicht erlaubt, dass jemand mithört, von dem die übrigen Gesprächspartner nichts wissen, oder dass das Gespräch ohne Zustimmung des anderen Teilnehmers aufgezeichnet wird. (Rechnen Sie am Telefon jedoch immer damit, dass Beides passieren kann.) Sprechen Sie laut und deutlich, insbesondere wenn in einer Fremdsprache wie Englisch kommuniziert wird und/oder nicht muttersprachliche Teilnehmer einbezogen sind. Und fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben – sei es akustisch oder inhaltlich. Machen Sie sich, falls zeitlich möglich, Notizen – ansonsten nach dem Telefonat. Des Weiteren gelten die besprochenen Tipps und Regeln für Verhandlungen, sofern sie technisch anwendbar sind, natürlich ebenfalls am Telefon. Bleiben Sie besonders bei Konflikten ruhig und freundlich. (Wenski 2016c) Und der wichtigste Rat für bedeutsame Telefongespräche: 

Stehen Sie beim Telefonieren auf! Die Wirkung Ihrer Stimme wird, ohne dass Sie sich dessen bewusst sind, durch die freiere Atmung positiv verändert. Ihr Selbstbewusstsein vergrößert sich dadurch, und Sie vermitteln einen authentischeren Eindruck. Erhöhte Aufmerksamkeit und Achtung des Gegenübers sind die Belohnung für Sie.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Für die Stimmführung, sei es am Telefon oder in einer persönlichen Verhandlung, werden am Markt Seminare angeboten, in denen man übt, sich korrekt zu artikulieren und seine Stimme vorteilhaft zu modulieren. Dies gelingt unter anderem durch eine verfeinerte Atemtechnik, wie sie Bühnenschauspieler lernen. Der Weg zur Stimmbeherrschung eines Rundfunksprechers ist jedoch für den normal talentierten Verhandler sehr – vielfach zu – weit und daher nicht notwendigerweise als Ziel für eine erfolgreiche Verhandlungsgestaltung zu definieren. Aus einer dünnen, hohen Stimme wird auch durch umfangreiches Training kaum ein wohlklingender Bariton werden. Dabei ist es ausreichend zu wissen, dass die Stimme ebenso viel über die innere Verfassung des Sprechers aussagt wie die Körpersprache – ein aus einer soliden Vorbereitung genährtes und durch Erfahrung unterstütztes gesundes Selbstbewusstsein resultiert nahezu automatisch in einer festen, verbindlichen Stimmlage. Unerledigte Hausaufgaben, Unkonzentriertheit und Überraschung bei unerwarteten Wendungen des Geschehens führen zwangsläufig zum Gegenteil. Für die Anwendung der oben beschriebenen rhetorischen Stilmittel wird vorausgesetzt, dass der Verhandler die Worte in einer dem Inhalt entsprechenden, ruhig-souveränen Stimmlage artikuliert.

2.7 Sprache richtig nutzen Eine Verhandlung ist ein Prozess mit Hilfe von Kommunikation und Strategie. Im Folgenden soll es weiterhin um Kommunikation gehen, und dabei ist wie gesehen nicht nur von Bedeutung, was gesagt wird, sondern vor allem auch, wie es gesagt wird. Die richtige Wahl der Worte ist häufig entscheidend für den Erfolg, und daher lohnt es sich, auf die in Verhandlungen verwendete Sprache etwas genauer zu blicken. Dies betrifft das schriftlich/elektronische und telefonische Format ebenso wie persönliche Verhandlungen. Generelle Empfehlungen betreffen beide Seiten des Verhandlungstisches, jedoch kann es durchaus auch Ausnahmen für die eine oder andere Partei geben. Die Empfehlung Wer fragt, der führt lässt sich vom Kunden problemlos und extensiv umsetzen – Einkäufer, Techniker und/oder Management werden dem Lieferanten viele Fragen stellen, um dessen Kompetenz, Möglichkeiten und Verhandlungsposition zu ergründen. Durch die meist überlegene Stellung dem Anbieter gegenüber wird dies als normal angesehen; andererseits würde sich der Vertriebsingenieur wohl früher oder später den Unmut des Kunden zuziehen, falls er zu hartnäckig und vielleicht sogar inquisitorisch nachfragt.

2.7  Sprache richtig nutzen

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Der richtige Gebrauch der deutschen Sprache (oder der englischen, falls sie Verhandlungssprache ist) sollte Ihnen ein wichtiges Anliegen sein. Dies vermittelt ebenso wie korrekte Kleidung und einwandfreies Auftreten (s. Abschn. 3.1) eine Aura der Kompetenz. Und die ist mitentscheidend für das Anliegen, gute Verhandlungsergebnisse zu erzielen und in die Praxis umzusetzen. Sprechen Sie im ganzen Satz, und zwar so, dass der Empfänger der Botschaft Sie versteht.  Es ist unabdingbar, die Standardsprache zu verstehen und zu beherrschen – starker Dialekt wirkt sich in industriellen Verhandlungen eher nachteilig aus. Das damit automatisch ausgedrückte Lokalkolorit wird unter Umständen dazu führen, dass die Kompetenz des Gegenübers von vorneherein niedriger eingeschätzt wird. Ausnahmen kann es im B2C-Bereich (Business-to-Customer) ebenso geben wie bei B2B beispielsweise beim Verkauf von Landmaschinen in der Provinz.

Bei der Wahl der Sprache in persönlichen Verhandlungen ist nicht weniger Mühe als im schriftlichen Umgang opportun. Wenn Sie die Wahl haben, sich etwas zu einfach oder etwas zu gehoben auszudrücken, entscheiden Sie sich im Zweifelsfall für das Zweite. Grundlage für eine erfolgreiche Verhandlung ist der Versuch, nicht nur durch sein Auftreten und seine Körpersprache, sondern ebenfalls durch die Rhetorik positive Gefühle beim Verhandlungspartner hervorzurufen. Dazu ist die richtige Anrede zum richtigen Zeitpunkt zu beachten. Die Sie-Form ist eine persönliche, einprägsame Form. Ob diese auch als Du-Botschaft bezeichnete Anredeform in einer bestimmten Situation angebracht ist, entscheidet der Kontext. Als Faustregel mag dienen, dass sie vor allem bei positiven oder neutralen Äußerungen mit persönlichem Bezug angebracht sein kann. („Ihr Unternehmen hat von dem Geschäft folgende Vorteile: …“) Die Man-Form ist unverbindlich, distanziert und weniger überzeugend. („Man sollte mal überlegen …“) Ich-Botschaften dienen der Mitteilung der eigenen Meinung und Gefühle und werden verwendet, wenn sich bereits persönliche Probleme oder Konflikte entwickelt haben. („Wir nehmen Ihre Beanstandung sehr ernst und werden alles tun, die Anlage schnell zu reparieren.“). Durch welche weiteren Eigenschaften zeichnet sich nun eine präzise und gleichzeitig ansprechende Sprache aus? Das zwischen Personen Gesagte ist nun einmal nicht nur der bloße Austausch binärer Informationseinheiten wie zwischen Computerprogrammen. Höflichkeitsformeln und kulturhistorisch bzw. durch gesellschaftliche Normen bedingte Floskeln und Formulierungen erleichtern nicht

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

nur das Leben, sondern werden von anderen geradezu erwartet. Der Verhandler hat in diesem Zusammenhang einen Spagat zu machen zwischen einer mangelnden Klarheit auf der einen und einer präzisen, aber wenig ansprechenden Ausdrucksweise auf der anderen Seite. 

Vermeiden Sie Formulierungen wie synchronisierte Digitalprojektion und responsive incremental hardware – denn das sind Produkte eines Phrasendreschers (englisch Buzzword Generator), die nichts aussagen. Diese Methode, aus drei Blöcken von Begriffen unsinnige Kombinationen zu erfinden, wurde zuerst von Philip Broughton (1968) in Newsweek publiziert, einem damals 63-jährigen Mitarbeiter des US Public Health Service. Solche Sprachhülsen sollten ebenso vermieden werden wie der leichtfertige Gebrauch von Reizwörtern.

Reizwörter sind solche Begriffe, bei deren bloßer Erwähnung sich der Verhandlungspartner provoziert fühlt, was in der Regel bereits vor der Verhandlung bekannt ist. Die Spanne der Möglichkeiten reicht dabei von Wörtern, die im Sprachgebrauch aus guten Gründen tabuisiert sind, über individuell negativ belegte Begriffe bis hin zu schwammigen, relativierenden oder widersprüchlichen Satzteilen. In die erstgenannte Kategorie fallen etwa Begriffe, die nationalsozialistisch, sexistisch oder fremdenfeindlich geprägt sind. Für die zweite Gruppe muss man sich über den Hintergrund Gedanken machen. Im Rahmen von Einkaufsverhandlungen könnten das für Ihr Unternehmen Wörter wie Konkurrenz, Mängelrüge, Rückweisung, Kompensation, Industriespionage oder Vertrauensverlust sein. Auf Kundenseite reagiert man erfahrungsgemäß negativ auf Begriffe wie schlechte Zahlungsmoral, fehlende Entschlussfreude, Lieferengpass, Verzögerung, Vorkasse oder Kostensteigerung. Zu den zu vermeidenden schwammigen Begriffen gehören Ausdrücke wie „eigentlich“, „normalerweise“, „vielleicht“, „eventuell“ und „quasi“. Diese Wörter lassen die Unsicherheit des Sprechers deutlich werden, der von seinen Worten selbst nicht überzeugt scheint. Weitere viel gehörte Beispiele sind (in alphabetischer Reihenfolge): am Ende (des Tages), an (und für) sich, auf alle Fälle, eben, faktisch, gänzlich, gegebenenfalls, genau genommen, generell, geradewegs, grundsätzlich, im Grunde (genommen), im Prinzip, in letzter Konsequenz, in Wirklichkeit, jedenfalls, letztlich, möglicherweise, praktisch, recht, schlussendlich, sozusagen, tatsächlich, total, überhaupt, ursprünglich, vollkommen, vollständig, von Haus aus, wirklich. (Diese Liste ließe sich problemlos verlängern.) Sie haben ihren Platz in der deutschen Sprache aus gutem Grund gefunden, primär um Sachverhalte zu relativieren und eine

2.7  Sprache richtig nutzen

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Schwarz-Weiß-Positionierung aufzuweichen. Doch verwenden Sie sie im eigenen Interesse bitte nur in moderatem Umfang. Ganz ohne das beliebte eigentlich (das Wort lässt sich in kaum eine gängige Fremdsprache übersetzen) geht es nicht, doch man kann seinen Gebrauch leicht auf ein Zehntel der bisher üblichen Frequenz reduzieren – dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Wort die Aussage eines Satzes ins Gegenteil verkehrt. Zur Aufforderung, relativierende Begriffe möglichst zu vermeiden, passt dieser Rat: Sprechen Sie nicht im Konjunktiv. Auch das zeugt von Unsicherheit; solche Sätze weisen auf Ungereimtheiten hin, die überspielt werden sollen. Der Weg zur Nutzung des hier gewonnenen Verständnisses für Reizwörter führt zunächst dazu, dass man sich selbst beobachtet und seine Rede kontrolliert und verbessert. So gewinnt man an Autorität und Überzeugungskraft in Verhandlungen. Wenn dies gelingt, kann man versuchen, solche und ähnliche Aussagen seines Verhandlungspartners zu analysieren. Falls Sie in der Verhandlung sagen, „Eigentlich können wir keinen weiteren Preisnachlass geben“, weiß der geschulte Einkäufer, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr wohl noch etwas zu machen ist. Vermeiden Sie ebenfalls „Normalerweise ist die Installation nicht im Preis mit inbegriffen“ (bei uns aber doch …) und „Ich könnte mich ja nochmal mit unserem General Manager unterhalten.“ (Ja, warum tun Sie es denn nicht??). Als seriöser Verhandler reagiert man auf Aussagen der anderen Seite wie „Vertrauen Sie mir!“ (wieder ein Klassiker) besser äußerst kritisch. Misstrauen scheint bei solchen und ähnlichen Phrasen angebracht, die aus dem Vokabular des Hard Selling stammen (das durch eine aggressive Verkaufsrhetorik gekennzeichnet ist, mit der ein Produkt in den Markt gedrückt werden soll) – falls es überhaupt zu einem Geschäftsabschluss kommt, sind eindeutige Übereinkünfte essenziell. Noch schlimmer ist es, wenn Ihr Gegenüber sagt: „Ich will ehrlich mit Ihnen sein.“ Was wohl flapsig gemeint war, lässt unter Umständen tiefer blicken und wirft die Frage auf: Hat er bisher die Unwahrheit gesagt? Belügt er andere? Die Glaubwürdigkeit des Gesprächspartners ist vielleicht infrage zu stellen. Es gibt hingegen gute Möglichkeiten, um authentisch zu wirken. Was bedeutet sprachlich betrachtet im Satz „Ich komme ja schon“ das „ja“? Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Abtönungspartikel, eine Wortart, die den Sprecher höflicher oder unhöflicher erscheinen lässt und ohne Nachzudenken verwendet wird.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Abtönungspartikeln

Abtönungspartikeln unterstützen einen ansprechenden Schreib- und vor allem Redestil. Ein ja, denn oder doch bestimmt ganz wesentlich, ob man einen Satz als freundlich oder unfreundlich, höflich oder unhöflich wahrnimmt, denn es unterstreicht in einer Äußerung die Absicht des Sprechers. Schon Kinder können erkennen, dass Dialoge ohne Partikeln als unauthentisch und hölzern empfunden werden. Einige der oben erwähnten „schwammigen Begriffe“ können in bestimmten Satzkonstruktionen auch die Funktion von Partikeln wahrnehmen.

Abtönungspartikeln stellen jedoch nur eine Möglichkeit dar, um Höflichkeit sprachlich auszudrücken. Auch das „Zauberwort“ bitte, der Konjunktiv und die Frageform können zu diesem Zweck an geeigneter Stelle verwendet werden. Zwischen der Wahl einer klaren und effizienten Sprache einerseits und einer höflichen, durch Abtönungspartikeln oder gelegentliche Konjunktivformulierungen modulierten andererseits sollten Sie einen geeigneten Mittelweg finden. (Studiger 2007; Degener 2010)

2.8 Das Handwerkszeug des Fragens Geschickte Fragetechnik sollte von einem guten Vertriebsingenieur ebenso beherrscht werden – trotz der Einschränkung (Abschn. 2.7), dass er die Regel Wer fragt, der führt nicht so konsequent wie der Kunde nutzen kann. Für die Entwicklung eines Kindes ist es selbstverständlich, Eltern, Lehrern, Geschwistern und vielen anderen Löcher in den Bauch zu fragen, um seine Wissbegier zu befriedigen. Allerdings lässt der Wissensdurst bei vielen Erwachsenen nach, und der Spruch heißt vielmehr: „Wer fragen muss, weiß etwas nicht, und wer etwas nicht weiß, ist dumm.“ Mit zunehmendem Alter wächst die Scheu zuzugeben, dass man eine Wissenslücke hat, und vielfach wird dann improvisiert, getäuscht, getarnt und kaschiert, nur um nicht das Informationsdefizit offenbaren zu müssen. Eine der Grundregeln heißt daher nicht ohne Grund: Fragen Sie, wenn Sie etwas nicht verstehen – allerdings so geschickt, dass die andere Seite am besten Ihre die Fragetechnik überhaupt nicht bemerkt. Nur maximal zehn Prozent einer Frage sind von deren Inhalt bestimmt (was frage ich); der Rest wird von der emotionalen Stimmung dominiert (wie frage ich). Mit Worten werden nur die Inhalte transportiert, während der Rest

2.8  Das Handwerkszeug des Fragens

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unausgesprochen in der Art der Fragestellung liegt. Das lässt sich mit dem Eisbergmodell erklären, nach dem nur wenig – die Worte – über der Oberfläche und der Rest darunter lokalisiert und dementsprechend umso schwieriger erkennbar ist und das in Abschn. 6.1 nochmals aufgegriffen wird. Viele psychische Filter verändern Informationen, beispielsweise Wünsche, Ängste, Hoffnungen usw. Der beste Weg zu präzisen Angaben ist eine ergebnisorientierte Fragetechnik. Dazu sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: 1. Eine Frage sollte als solche sprachlich erkennbar sein, denn unerkannte Fragen sind nachweislich die Hauptursache für fehlende Antworten. Problematisch – insbesondere bei ausländischen Gesprächsteilnehmern – kann es hierbei sein, wenn sich eine Frage nicht durch ein am Anfang stehendes Fragewort auszeichnet, sondern von der Syntax eines Aussagesatzes lediglich durch ein Anheben der Tonlage zum Satzende hin unterscheidbar ist. Man sagt „Der Preis ist zu hoch?“ (mit den Tonhöhen _ – _ _ ‾), anstatt einfach „Ist der Preis zu hoch?“ (– _ – _ ‾) zu fragen. Der Frager darf in diesem Falle nicht überrascht sein, wenn er insbesondere im interkulturellen Austausch nur verständnislose Blicke erntet, jedoch keine Antwort erhält. 2. Das Ziel der angewandten Fragetechnik ist es, einen Dialog zu beginnen bzw. zu vertiefen und ggf. den Gesprächspartner rhetorisch zu lenken. Dabei muss dem Befragten auch die Chance gegeben werden zu antworten. Unerfahrene Frager und nervöse Verhandler neigen dazu, der anderen Partei eine Frage zu stellen, unmittelbar im Anschluss daran die Frage noch ein- bis zweimal mit veränderter Satzstellung und Wortwahl zu wiederholen und anschließend nicht ausreichend Zeit für eine Antwort zu lassen, sondern einfach weiterzureden. Sie haben die Ausführungen über die einzelnen Funktionen im Beschaffungswesen gelesen (Abschn. 2.4) – dieses Verhalten lässt sich möglicherweise bei einem unerfahrenen Einkaufs- oder Technikleiter beobachten, der durch zu viel Reden seine Managementkompetenz vor seinen eigenen Mitarbeitern unter Beweis stellen will und damit eine der Grundregeln von Verhandlungen missachtet, nämlich dass es nur auf das Ergebnis ankommt. Merke: Nach einmaliger Formulierung der Frage hat der Fragesteller zunächst Pause. 3. Alle Fragearten lassen sich auf zwei Fragekategorien zurückführen: offene und geschlossene Fragen. Offene Fragen (im Deutschen W-Fragen) sind Fragen, die meist mit Wer, Was, Wie, Wo usw. beginnen und nicht mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können. Offene Fragen sind mit der Wirkung verbunden, dass der Gefragte nachdenkt – der typische Erfolg ist, dass er darauf antwortet. Die eigene Reaktion auf die Antwort sollte sein: aktiv zuhören,

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

spiegeln und anschließend paraphrasieren, das heißt in eigenen Worten wiederholen. In der Konsequenz fühlt sich der Gesprächspartner dadurch ernst genommen. Geschlossene Fragen (Ja/Nein-Fragen) führen dazu, dass er eine kurze, spontane Antwort gibt, jedoch keine weiteren Fakten liefert. Sie eignen sich dazu, ihn auf den Punkt zu bringen. Für das Schürfen nach zusätzlichen Informationen ist diese Fragekategorie weniger geeignet. Obwohl sprachtheoretisch inkorrekt, zählt man Alternativfragen (Entweder-oder-Fragen) gewöhnlich zu den geschlossenen Fragen, da hier ebenfalls nur zwei Möglichkeiten für die Antwort vorgegeben werden. Gewisse Fragen sind aufgrund ihrer Wirkung für eine zufriedenstellende Kommunikation ungeeignet. Dazu gehören Warum-Fragen, aber auch Suggestivfragen und weitere Fragearten. Warum-Fragen können anklagend erscheinen und drängen den anderen zur Rechtfertigung oder zu Ausreden. Sie können den Dialogpartner überfordern, weil er nichts darauf zu sagen weiß, und sind daher in Verhandlungen kontraproduktiv. Die Absicht ist ja [wieder ein auf den ersten Blick kaum erkennbares Abtönungspartikel] oft keineswegs, den anderen zu überfahren oder anzuklagen. Die meisten problematischen Fragen können in eine andere, angemessene Art umformuliert werden. Das erleichtert es dem Gesprächspartner, darauf einzugehen: Die Fragen wirken weniger bedrohlich und lassen ihm zusätzlichen Spielraum. Wirksamer ist es, mit Was, Wer oder Wie zu fragen. Diese Wortwahl enthält keine Anschuldigungen, und der Partner fühlt sich nicht unter Druck, sein Verhalten zu rechtfertigen. Durch ergebnisorientierte und verständnisvolle Fragetechnik wird mehr erreicht als durch Behauptungen und Forderungen. Mittels Fragen kann man den Verhandlungspartner aktivieren, Informationen gewinnen und zielgerichtet die Gesprächsentwicklung steuern. Fragen beeinflussen die Bewusstseinsinhalte beim Gegenüber und können das Thema bestimmen. Offene Fragen sind oftmals die bevorzugte Fragekategorie. Unter den genannten Kategorien kennt man viele unterscheidbare Fragearten, etwa Informationsfragen, Überprüfungsfragen, fachliche Fragen und vieles mehr. Dieses Werkzeug eignet sich besonders für die Identifizierung verborgener Motive (s. Wenski 2019). Gute Fragetechnik kann man in Schulungen lernen, der beste Lehrmeister ist jedoch wie bei vielen der hier beschriebenen Teilaspekte des Verhandelns die Erfahrung. Einige Grundregeln, kompakt hintereinander aufgeführt, mögen Ihnen dabei helfen, dass die Lernkurve relativ steil verläuft:

2.8  Das Handwerkszeug des Fragens



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Bevor Sie eine Frage stellen, sollte Ihnen klar sein, was Sie mit ihr erreichen möchten.

Liefern Sie die Antwort nicht gleich mit. Lassen Sie Ihrem Gesprächspartner Freiräume, indem Sie vorwiegend offene Fragen stellen. Bilden Sie kurze Fragesätze und setzen Sie das Fragewort an den Satzanfang. Die Fragen sind gleichzeitig kurz, präzise, verständlich und höflich zu formulieren. Stellen Sie jeweils nur eine Frage, und lassen Sie Ihrem Gegenüber Zeit zum Antworten. Geduld üben und warten – die besten Informationen kommen am Ende. Hören Sie sorgfältig zu: In der Antwort Ihres Gegenübers liegt Ihre nächste Frage. Und versuchen Sie im Sinne des Harvard-Konzepts, die Interessen hinter den Positionen erschließen, um den Kuchen nicht nur aufzuteilen, sondern ihn nach Möglichkeit zu vergrößern. Ein Aspekt zum Abschluss dieses Abschnitts passt ebenfalls zur Fragetechnik. Das menschliche Gehirn ist so konstruiert, dass es auf bekannte und gespeicherte Situationen und die daraus resultierenden Vorgehensweisen zurückgreift, um relativ schnell reagieren zu können. Daher führt man Dinge, die vielfach eingeübt wurden, ohne großartiges Nachdenken intuitiv aus. Für die Rhetorik in Verhandlungen lässt sich daraus die Lehre ziehen, dass auch hier gewisse Standardsituationen zu erwarten sind und eine Antwort oder Entgegnung vorbereitet oder gar als Automatismus einstudiert werden kann. Allerdings erfordert das eine gewisse Disziplin, die typische Verkäufer eher aufbringen als Einkäufer. Wenn ein Verkäufer gefragt wird, wie er die Entwicklung des Marktes sieht, hat er meist sofort eine mit der Verkaufsstrategie seines Unternehmens abgestimmte Standardantwort auf den Lippen, die seine Verhandlungsposition untermauert, etwa „Wir haben für dieses Produkt interessante Anfragen von anderen Kunden, was in naher Zukunft die Lieferzeit verlängern könnte“. Stimmen Sie – ganz allgemein oder für eine spezielle Verhandlungssituation – derartige prägnante Stellungnahmen in Ihrer Organisation und mit dem Verhandlungsteam ab. Jeder, der mit dem Kunden Kontakt hat, sollte die vereinbarten Botschaften nahezu wortgleich äußern; so wird das Risiko, im Rahmen einer Verhandlung durch taktische Fragen überrascht zu werden, verringert, und Ihre Gesellschaft vermittelt ein konsistentes Bild von sich und ihren angebotenen Leistungen.

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

2.9 Verhandlung oder Diskussion mit dem Kunden? Eine Diskussion ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen, in dem ein bestimmtes Thema untersucht wird, wobei jede Seite ihre Argumente vorträgt. Dadurch ist sie wesentlicher Teil zwischenmenschlicher Kommunikation. Für eine Diskussion gibt es verschiedenste Anlässe, und ebenso unterschiedlich ist ihre Gestaltung. Zu einem guten Diskussionsstil gehört neben wechselseitigem Respekt unter anderem, gegenteilige Argumente und Meinungen zuzulassen und genau zu prüfen, anstatt diese vorschnell zu verwerfen. Ein guter Diskutant hört zu, lässt ausreden und ist konzentriert genug, um auf das vom Gegenüber Gesagte einzugehen und seine eigenen Argumente sachlich darzustellen. Im Idealfall ist er gelassen und höflich – Talkshows im Fernsehen können dabei als schlechtes Vorbild dienen. Der Zweck einer Diskussion besteht nicht zwangsläufig darin, andere von seinem eigenen Standpunkt zu überzeugen. Hingegen steht am Ende einer Diskussion die Lösung eines Problems, eine für alle Beteiligten annehmbare Schnittmenge der Positionen oder die beidseitige Erkenntnis, dass gegensätzliche Ansichten herrschen. Eine Verhandlung hingegen ist eine Gesprächsform über einen kontroversen Sachverhalt, die durch sich widersprechende Interessen der Parteien gekennzeichnet ist und einen Interessenausgleich zum Ziel hat. 

In einer Verhandlung wird nicht diskutiert.

Ich muss zugeben, dass trotz dieser absoluten Abgrenzung die Übergänge zwischen Verhandlung und Diskussion fließend sind. Gespräch ist der übergeordnete Gattungsbegriff; ähnlich wie die Diskussion sind auch Besprechungen und Debatten keine Verhandlungen im engeren Sinne und Verhandlungen keine Diskussionen. Man sagt, „Wir haben in der Verhandlung lange über dieses und jenes diskutiert“, meint aber, dass versucht wurde, Schnittmengen zu finden, die beide Seiten befriedigen. Diskussionen im engeren Sinne werden mit Kunden lediglich über die Rahmenbedingungen für einen Vertragsabschluss geführt. Hierdurch erfolgt die Bedarfsklärung: Was benötigt der Kunde, wo liegt sein Problem? Erst wenn die Bedürfnisse des Kunden klar sind, kann über Spezifikationen, Zeitachsen, Servicekonzepte usw. diskutiert werden. Dazu passt ein Detailhinweis: Es heißt korrekt Specdiskussion und nicht „Specverhandlung“.

 Spec  (vom englischen specification) ist das Kurzwort für „Spezifikation“ und wird auch im Deutschen im technischen Zusammenhang vielfach verwendet. Verhandlungen mit Kunden finden vereinfacht gesagt über Vertragsinhalte aller Art statt. Dies können Kauf- und Werkverträge (z. B. für die bestellte Großanlage),

2.9  Verhandlung oder Diskussion mit dem Kunden?

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Service- bzw. Wartungsverträge und Geheimhaltungsvereinbarungen ebenso sein wie Gespräche zur Mängelbeseitigung im Rahmen der Gewährleistungsverpflichtungen, Stornierungen oder Rückabwicklungen von Verträgen. Intern finden in einem Unternehmen oft Diskussionen statt (über technische Ausführungen und Notwendigkeiten, Realisierungsoptionen, Rahmenbedingungen oder Verhandlungsstrategie und -ziele) und etwas seltener Verhandlungen (im Umfeld von Anlagengeschäften etwa zur Budgetfestsetzung beim Kunden oder der Ressourcenverteilung beim Lieferanten). Ein guter Verhandler muss gleichzeitig ein guter Diskutant und im Falle des Verhandlungsführers – Sie als Vertriebsingenieur und auf der Seite des Partners der verantwortliche Einkäufer – auch ein kompetenter Moderator sein. Dabei sollte er Erfahrung in der Leitung kontroverser Diskussionen haben, systematisch und ergebnisorientiert vorgehen können und sich bei Querschüssen vom Kunden und sogar aus den eigenen Reihen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Es ist ratsam, die Ergebnisse derartiger Fachdiskussionen zu visualisieren und insbesondere bei Beteiligung externer Parteien zu dokumentieren und das resultierende Besprechungsprotokoll am besten abzustimmen. Gruppendiskussion Zur Moderation von Diskussionen existieren diverse formale Ansätze, die alle darauf ausgerichtet sind, dass sämtliche Argumente auf den Tisch kommen und bewertet werden und dass jeder Beteiligte seine Punkte und Ansichten ungestört darlegen kann. So lassen sich nach der Gedankensammlung (Brainstorming) die Ergebnisse ordnen und daraus Schlüsse ziehen und Aktionen vereinbaren. Eine dafür geeignete Methode soll nachfolgend genauer beschrieben werden. Der britische Mediziner, Kognitionswissenschaftler und Schriftsteller Edward de Bono gilt als einer der führenden Lehrer für kreatives Denken. Er hat eine Vielzahl von Techniken entwickelt, die helfen sollen, neue Ideen zu finden und sich aus eingefahrenen Denkmustern zu lösen, unter anderem 1986 den Ansatz der „sechs Denkhüte“ (Six Thinking Hats; de Bono 1990). Es handelt sich dabei um eine Gruppendiskussion, bei der einzelne Mitglieder durch verschiedenfarbige Hüte repräsentierte Rollen einnehmen. Jeder Hut entspricht im übertragenen Sinne einer Denkweise oder einem Blickwinkel, wodurch ein effizienter Diskurs über ein Thema erreicht werden soll und die Teilnehmer gleichzeitig keinen Blickwinkel außer Acht lassen. Ein Diskussionsleiter steht irgendwann an dem Punkt, an dem es gilt, die beste gemeinsame Lösung aus allen Möglichkeiten auszuwählen. Bis dahin hat er nicht nur viele Informationen für sich selbst gesammelt, sondern auch aktiv solche von den Verhandlungspartnern erhalten. Je nach Diskussions- (bzw. Verhandlungs-)

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

Stand kann einem an dieser Stelle durchaus der Kopf schwirren, weil derartig viele Informationen zu berücksichtigen sind, dass man Gefahr läuft, den Überblick zu verlieren. Durch „Aufsetzen der verschiedenfarbigen Hüte“ gleitet die Diskussion nicht ins Chaos ab, und man kann zuweilen feststellen, dass so weniger Konflikte auftreten: Alle Rollen werden parallel und/oder nacheinander berücksichtigt. Jeder Diskutant hat so die Gelegenheit, alles anzubringen, was ihm wichtig erscheint, und man kann sich leichter auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn die Technik der sechs Denkhüte intern bzw. in einer Schulung erarbeitet wird, ist es sinnvoll, den Teilnehmern entsprechend der Art, in der sie denken sollen, einen Hut, ein Armband oder Tischkärtchen in der zugehörigen Farbe zu geben. Wichtig ist, sich vor der Diskussion auf die zugeordnete Farbe mit den geforderten Eigenschaften einzustellen und in der Diskussion „in der Farbe“ zu bleiben. Um die Ernsthaftigkeit des Geschäfts nicht zu gefährden, verbietet es sich von selbst, derartige Marker in Diskussionen mit Kunden zu verwenden.

Die sechs Hüte

• Der weiße Hut – analytisches-objektives Denken („weißes Blatt“): Gerade am Anfang einer Diskussion ist es wichtig, sich einen Überblick über die verfügbaren Zahlen, Daten und Fakten zu verschaffen. Man sammelt Informationen, ohne dabei Emotionen oder Meinungen einfließen zu lassen. Die Aufmerksamkeit sollte bewusst auf die Informationen und deren Zuordnung und Visualisierung gerichtet werden. • Der rote Hut – emotional-subjektives Denken („Feuer und Wärme“, auch „Herzblut“): Hier sind ganz subjektive Empfindungen gefragt, Intuition und persönliche Meinung. Man sollte sein Inneres sprechen lassen und sein rationales Denken ausschalten. Dabei kommt dem Bauchgefühl eine hohe Bedeutung zu. • Der schwarze Hut – kritisches Denken („Schwarzmalerei“): Der Träger dieses Huts findet die objektiv negativen Aspekte und nimmt eine Risikobetrachtung vor. Bedenken und Zweifel dürfen ebenso wie Probleme, Skepsis, Kritik und Ängste geäußert werden, jedoch ohne persönliche negative Gefühle. • Der gelbe Hut – optimistisch-spekulatives Denken („Sonne“): Es gilt, die objektiv positiven Aspekte, wie Chancen, Pluspunkte, realistische Hoffnungen und Ziele, zu entdecken – ebenfalls ohne sich von Gefühlen leiten zu lassen: Euphorie ist hier fehl am Platz. Es sind auch keine Ideen zu entwickeln, sondern die vorhandenen positiven Ansätze anzusprechen und festzuhalten: Was ist das Best-Case-Szenario?

Literatur

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• Der grüne Hut – kreativ-assoziatives Denken („Pflanzen“): Die Farbe des natürlichen Wachsens und Energieflusses – der grüne Hut steht für Kreativität und konstruktive Ideen. Damit ist die Phase der freien Entwicklung von Optionen gemeint (etwa durch Brainstorming); Begründungen, Logik und vorschnelle Urteile haben hier bei dieser Suche nach neuen Wegen keinen Platz. • Der blaue Hut – ordnend-moderierendes Denken („blauer Himmel“ als Symbol für das Big Picture, die Übersicht), der wichtigste Hut.

Ein Moderator blickt von ganz weit oben – aus der Helikopterperspektive – auf den gesamten Prozess und versucht, den Ablauf zu organisieren, das konkrete Vorgehen zu lenken (welcher Hut wird wann aufgesetzt?) und Zwischenergebnisse festzuhalten. Es macht Sinn, den blauen Hut am Schluss der Diskussion aufzusetzen, um alle Ergebnisse zu bündeln.

Literatur Birdwhistell RL (1952) Introduction to Kinesics: An Annotation System for Analysis of Body Motion and Gesture. Department of State, Foreign Service Institute, Washington, DC Blatter I (2015) Die 10 goldenen Regeln für E-Mails. Ivan Blatter, Internet-Veröffentlichung 22.07.2015. https://ivanblatter.com/10-goldene-e-mail-regeln/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Broughton P (1968) How to Win at Wordsmanship. Newsweek 06.05.1968, S 104, 104B, 104C. Im Internet finden sich zahlreiche Sammlungen an Buzzwords, z. B. in einer Veröffentlichung vom 15.11.2014, Thou Impertinent Urchin-Faced Miscreant! Programmingpraxis. https://programmingpraxis.com/2014/11/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Controlling-Portal (o. J.) Einen schnellen Überblick über diese Thematik gibt die Internetseite https://www.controllingportal.de/Fachinfo/Finanzplanung/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 de Bono E (1990) Six Thinking Hats. Penguin, New York Degener J (2010) Sprache im Wandel – Abtönungspartikeln: Kann „eigentlich“ eigentlich immer gestrichen werden? Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion, Internetveröffentlichung Juli 2010, nicht mehr abrufbar Eckstein M (2018) Chipfertigung mit EUV: TSMC und Samsung preschen vor, Intel fällt zurück. Elektronik Praxis 19.10.2018. https://www.elektronikpraxis.vogel.de/chipfertigung-mit-euv-tsmc-und-samsung-preschen-vor-intel-faellt-zurueck-a-767788/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Fiesser E, Fiesser G (2000) Key Account Management: Mit konsequenter Kundenorientierung zum Erfolg. Praxis-Handbuch Unternehmensführung (UF), Gruppe 6, S 213–246, aus Heft 1/2000, Loseblatt-Nachschlagewerk, WRS, München sowie Tägliche

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2  Ansprechpartner und Kommunikation

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Körpersprache in Verhandlungen



Neben den touristischen Höhepunkten von Kanazawa und den drei Affen von Nikko geht es im Folgenden auch um japanische Kampfkünste, obwohl wir noch gar nicht bei den interkulturellen Verhandlungen angelangt sind. Außerdem tritt ein Freiherr auf, und Sie erfahren alles Wesentliche zur Körpersprache und zum Vortragen und Framen.

Nachdem uns zuvor die Worte beschäftigt haben, geht es nun mit dem äußeren Anschein weiter. Natürlich ist Albert Mehrabian mit seiner 7-38-55-Regel (s. Abschn. 2.6; Mehrabian 1971) nicht so zu interpretieren, dass sich 55 Prozent des Verhandlungsergebnisses über Mimik und Gestik beeinflussen lassen, jedoch wird von vielen Verhandlern negiert, dass dieser Aspekt überhaupt eine Rolle spielt. Das ist kurzsichtig gedacht, denn ein Teil des möglichen Verhandlungserfolgs kann vom Aussenden nonverbaler Signale während einer Verhandlung abhängen. Körpersprache ist nicht so schwer zu beobachten und zu analysieren, wie mancher vielleicht meint, wenn man pragmatisch bleibt und die Ansprüche nicht zu hoch stellt – sie lässt sich in teilweise leicht erkennbare Einzelelemente gliedern, die ein Gesamtbild ergeben. Gleichzeitig ist es relativ einfach, durch eine positive eigene Körpersprache einen guten eigenen Eindruck zu machen, der vom Verhandlungspartner meist nicht unerwidert bleibt. Zum populären Thema Körpersprache wird viel publiziert, und der interessierte Leser sollte eine kritische Auswahl treffen. Bei meiner eigenen Tätigkeit als Verhandler und Trainer haben die Bücher des neuseeländischen Ehepaars Allan und Barbara Pease sehr geholfen, Zusammenhänge zu verstehen und in neuem Licht zu sehen (Pease 1988; Pease und Pease 2003, 2004). Zahlreiche weitere Titel (z. B. Molcho 2001; Busam 2006; Gillmann 2008; Kuhnke 2008;

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_3

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3  Körpersprache in Verhandlungen

Topf 2008; Matschnig 2012) bieten ebenfalls lesenswerte Übersichten und betrachten weitere Aspekte. Welchen Einfluss Räume (wie das Sitzungszimmer, in dem eine Verhandlung stattfindet) und die Art ihrer Nutzung dabei haben können, soll in diesem Kapitel ebenso adressiert werden wie die Grundlagen dafür, wie ein Vertriebsingenieur überzeugende Präsentationen halten und die Kunden von seinen Produkten begeistern kann. Die Nutzung des Raumes geht bereits los, wenn ein Verhandler diesen betritt. Schranner berichtet in seinem bereits zitierten Buch „Verhandeln im Grenzbereich“ (Schranner 2001, S. 90–91), dass derjenige einen Vorteil besitzt, der erst einmal in der Türe stehen bleibt und die anderen zwei Schritte auf sich zukommen lässt. Wenn Sie als Lieferantenvertreter im Territorium Ihres Kunden verhandeln, sollten Sie mit dieser Taktik allerdings sehr zurückhaltend sein, um nicht von vorne herein einen negativen, weil arroganten Eindruck zu vermitteln.

3.1 Auftreten und erster Eindruck Eine persönliche Verhandlung beginnt bereits, bevor sie richtig losgegangen ist. Wenn Sie als Ansprechpartner des Lieferanten Ihrem Gegenüber beim Kunden zu ersten Mal begegnen – wie jedes Mal, wenn Menschen erstmals zusammentreffen –, geschieht etwas ganz Außerordentliches: Der andere steckt Sie sofort in eine bestimmte Schublade und Sie ihn. Das menschliche Gehirn ist imstande, bemerkenswerte Dinge zu leisten. Es analysiert Sachverhalte und Konstellationen nicht wie ein maschinelles Detektionssystem etwa von links nach rechts und von oben nach unten, sondern ermöglicht aufgrund der Bilderkennung spontane Rückschlüsse innerhalb eines minimalen Zeitraums. Die evolutionsgeschichtliche Erklärung leuchtet ein: Diese Fähigkeit wurde entwickelt, in freier Wildbahn unmittelbar zu erkennen, wer Freund oder Feind ist, um so das Überleben zu erleichtern. Auch der heutige Mensch kann immer noch auf den ersten Blick erfassen, was Sache ist, und sich spontan eine meist korrekte Meinung bilden. Dies äußert sich, indem man bei bestimmten Konstellationen und Entwicklungen ein ungutes Gefühl hat. Intuition, Bauchgefühl, innere Stimme sind weitere Begriffe, die in diesem Zusammenhang gerne verwendet werden, und fanden als wichtige Fähigkeiten eines guten Verhandlers bereits Erwähnung – denken Sie an den roten Hut (Abschn. 2.9). Der erste Eindruck, den man sich von einem anderen Menschen beim ersten Zusammentreffen bildet, gehört ebenfalls dazu.

3.1  Auftreten und erster Eindruck



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Den ersten Eindruck von anderen bildet man sich nicht erst allmählich; er geschieht immer, stets unbewusst und in der Regel in einem Sekundenbruchteil. Und er ist nicht wiederholbar.

Das bedeutet, dass der so Beurteilte sofort in besagter Schublade steckt. Es ist die Entscheidung darüber, ob man jemanden sympathisch oder unsympathisch findet, ob er wohlgesonnen oder feindlich zu sein scheint. Erst nach genauerem Hinsehen oder Nachdenken wird einem klar, warum man sein Gegenüber aus dem Bauch heraus so eingestuft hat. Ein positiver erster Eindruck schafft eine positive Grundstimmung – man fasst dadurch Vertrauen und kann sich auf den anderen einlassen. Ein negativer erster Eindruck schlägt sich direkt negativ auf das Vertrauensverhältnis nieder. Wenn man nur wenig über sein Gegenüber weiß und belastbare Informationen fehlen, sollte und muss man seiner Intuition vertrauen. Zu derart intuitiv basierten Entscheidungen im Vertrauen auf sein Gefühl rät schon alleine die plausible Abschätzung, dass mögliche Gewinne durch eine längerfristige Beziehung höher sind als einmalige Verluste. Daher liegt es für den Verhandler nahe, und zwar aus rein egoistischen Motiven, dafür Sorge zu tragen, auf seinen neuen Gesprächspartner, dem er zu ersten Mal begegnet, einen optimalen ersten Eindruck zu machen. Für einen Vertriebsingenieur gilt das ebenso wie für einen Stellenbewerber im Vorstellungsgespräch. Es ist wesentlich schwieriger, gegen einen negativen ersten Eindruck anzuarbeiten, als sich etwas Mühe zu geben, ihn von vornherein positiv zu gestalten. Anhand welcher Kriterien wird nun der erste Eindruck festgemacht? Auch hierfür lässt sich Mehrabian heranziehen: Es ist davon auszugehen, dass der erste Eindruck zu 55 Prozent an Kleidung und Körpersprache festgemacht wird, zu 38 Prozent an der Stimme und nur zu 7 Prozent an dem, was man bei der ersten Begegnung sagt. Grund genug also, sich etwas näher mit den Äußerlichkeiten zu beschäftigen, denn je mehr man seinen Verhandlungspartner in positiver Hinsicht von sich einnimmt, desto günstiger sind die Vorzeichen für einen erfolgreichen Abschluss. So wie sich der andere von einem selbst einen ersten Eindruck bildet, beurteilt man Fremde seinerseits ebenfalls ganz automatisch. Gewöhnlich erhalten Menschen mit Merkmalen, die den eigenen ähnlich sind, einen Sympathiebonus; in jede Personeneinschätzung gehen somit auch eigene Maßstäbe ein. Personen gleicher Herkunft, mit gleichem – oder fehlendem – Dialekt, aus derselben Gegend oder von derselben Hochschule, mit ähnlichen Hobbies usw. sind sich oft auf Anhieb sympathisch. Die Kleidung des anderen spielt eine ebenso große Rolle dafür, wie man ihn intuitiv einschätzt, insbesondere dann, wenn sie nicht mit den übrigen Signalen übereinstimmt. Dies alles birgt abermals das Risiko einer sich

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3  Körpersprache in Verhandlungen

selbst erfüllenden Prophezeiung: Wenn man seinen Gesprächspartner einmal in eine Schublade gesteckt hat, kommt er nur schwer wieder hinaus. Was zum Handwerkszeug jedes Mitarbeiters einer Personalabteilung, der Angestellte rekrutiert, gehört, muss auch für einen Verhandler selbstverständlich sein: die Kenntnis und Anwendung der grundlegenden Aspekte zur Personeneinschätzung. Von den zahlreichen Kriterien sollen an dieser Stelle nur drei genannt werden. • Der Kontrast-Effekt: „Unter den Blinden ist der Einäugige König“, sagt der Volksmund nicht ganz zu Unrecht. Dies ist für Beurteilungen wesentlich. Ein schwacher Mitarbeiter wird in einem Kollegium noch schwächerer Mitarbeiter als relativ leistungsstark wahrgenommen – ist derselbe Mitarbeiter jedoch von leistungsstärkeren Personen umgeben, fällt seine Leistungsschwäche umso stärker ins Auge. Diesen Effekt verdeutlicht Abb. 3.1 grafisch: Der innere Kreis des linken Ensembles wirkt durch die kleineren äußeren Kreise größer als der rechte Zentrumskreis. (Beide sind gleich groß!) • Der Halo-Effekt: Ein besonderes Merkmal (oder eine besondere Fähigkeit) überstrahlt andere Merkmale; Halo ist das englischsprachige Wort für Heiligenschein. Das Gegenüber blendet den Beurteiler, sodass dieser nicht zu einer differenzierten Beurteilung in der Lage ist – er schließt von diesem Aspekt auf das Gesamtbild. Beispiele für solche Eigenschaften sind Attraktivität, teure, gepflegte Kleidung, sozialer Status und sicheres Auftreten, jedoch in negativer Hinsicht auch hohes Körpergewicht, Mundgeruch, ungesunde Hautfarbe, inadäquate Kleidung und schlechtes Benehmen. • Der Nikolaus-Effekt: Die zeitlich letzten Eindrücke bleiben besser haften und zählen bei Beurteilungen mehr. Insofern neigt unser Gedächtnissystem dazu, auf zeitnahe Gut- oder Schlechtleistungen hereinzufallen, indem es ihnen eine höhere Bedeutung beimisst als weiter zurückliegenden Aktionen. Bei den in regelmäßigen Abständen (z. B. jährlich) durchgeführten Lieferantenbewertungen ist es nur menschlich und daher zu erwarten, dass der Einkäufer die Leistungen und Verfehlungen etwa des letzten Quartals überproportional einbezieht. Abb. 3.1   Kontrast-Effekt: Welcher innere Kreis ist größer? (Eigene Darstellung in Anlehnung an Monarey/ CC0, Wikipedia 2019b)

3.1  Auftreten und erster Eindruck

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Der Beurteilte – um bei dem Bild des Bewerbungsgesprächs zu bleiben – ist somit über den ersten Eindruck und seine Folgen als potenzielles passives Opfer von Beurteilungstäuschungen zu sehen. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Der Beurteilte kann einige dieser Wahrnehmungsmuster gezielt zu seinen Gunsten ausnutzen: Die genannten Effekte lassen sich zum eigenen Vorteil anwenden, indem man beispielsweise besonderen Wert auf den ersten Eindruck legt, sich kurz vor dem Beurteilungszeitpunkt besonders in Szene setzt, mit Einzelleistungen zu blenden versucht usw. Der Fachbegriff dafür lautet Eindrucksmanagement und beschreibt den Versuch von Personen, den Eindruck, den sie auf andere machen, zu steuern und zu kontrollieren. Denn eine gelungene Selbstdarstellung ist die Grundlage für den Erfolg. Eine solche Inszenierungsstrategie kann auch in Verhandlungen den Erfolg unterstützen. Dabei ist Eindrucksmanagement keine Vorgehensweise nur in Ausnahmesituationen, sondern ein ganz wesentliches Element menschlichen Verhaltens im Alltag. Umgekehrt ist es im Dialog mit anderen, vor allem in Verhandlungen, von hoher Bedeutung, sich von den genannten und zahlreichen weiteren Effekten, die unsere Sicht auf die Realität versperren können, nicht in die Irre führen zu lassen. 

Beim Auftreten in Gegenwart anderer gilt: Benehmen Sie sich korrekt und beachten Sie die üblichen Konventionen im geschäftlichen Umgang.

Es gibt jemanden, der selbst posthum noch hilft. „Über den Umgang mit Menschen“ ist das bekannteste Werk des deutschen Schriftstellers Adolph Freiherr Knigge und erschien erstmals im Jahre 1788. (Wikipedia 2019a) Nach seinem Tod wurde es im Laufe der Zeit zu einer Anstandsfibel; so steht heutzutage der Ausdruck „Knigge“ zumeist für gute Manieren oder auch gutes Benehmen. Ein moderner Knigge-Ratgeber gehört in jede Hausbibliothek. Diese Bücher erklären anstelle des im Originalwerk erläuterten, bei Hof vorgesehenen Benehmens die Etikette des modernen Menschen. Es geht um Themen von geschäftlicher Relevanz, wie Essen, Kleidung, Umgangsformen, Reisen und Kommunikation einschließlich Regeln fürs Smartphone. Zu betonen ist, dass im Berufsleben – und hier insbesondere im Kontakt mit höheren Ebenen und Geschäftspartnern – gutes Benehmen eine sehr wichtige Rolle spielt und ggf. erlernt werden muss. Die Verwirrung geht bereits los, wenn bei der gegenseitigen Vorstellung sich bisher unbekannter Personen Konventionen gebrochen werden. Auch dies kann dazu beitragen, einen schlechten ersten Eindruck zu erzeugen. Oberste Regel beim Vorstell-Knigge ist, dass der Rangniedrigere dem Ranghöheren vorgestellt wird, das heißt der Gruppenleiter

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3  Körpersprache in Verhandlungen

dem Vorstand oder eine einzelne Person der Gruppe. Und der Lieferanten- dem Kundenvertreter, sofern sie hierarchisch einigermaßen vergleichbare Ebenen repräsentieren. Sich selbst stellt man ohne Titel vor, andere werden jedoch korrekt mit Titel, Doppelnamen etc. angesprochen. 

In Japan lässt man bei der Nennung des eigenen Namens die Endung -san (was Herr … oder Frau … bedeutet) weg, so wie man im Deutschen ebenfalls nicht sagt: „Mein Name ist Herr Schmitz.“ (s. Abschn. 7.4)

Ähnliches gilt beim Grüßen: Der Höherstehende entscheidet, wie er grüßt. Wer einen Raum betritt, in dem sich Personen befinden, grüßt zuerst. Bezüglich des Duzens kann einiges schiefgehen. Während im Privatleben der Ältere dem Jüngeren das Du anbietet, entscheidet im Berufsleben hierüber der in der Hierarchie höher gestellte. Mit Duzfreundschaften bei seinen Verhandlungspartnern bzw. Kunden sollten Sie im Vertrieb so zurückhaltend wie möglich sein, da dies eine Beißhemmung bei der Durchsetzung anspruchsvoller Verhandlungsziele darstellen könnte. Beachte: „Sie“ ist bei Erwachsenen der Standard, „Du“ die Ausnahme z. B. in der Familie sowie unter Freunden, Studenten und Sportkameraden. Auch wenn bis dahin alles gut gegangen ist: Während des Essens scheiden sich dann oft die Geister. So mancher Vorstellkandidat hat das während seines Jobinterviews leidvoll erfahren müssen, nachdem ihm beim Gabeltest fehlender gesellschaftlicher Schliff die Stelle trotz fachlicher Eignung vermasselt hat; dieses Thema wird in Abschn. 7.4 nochmals aufgegriffen. Dass man es bei Geschäftsessen mit dem Alkohol nicht übertreibt und alle anderen Extrema im Verhalten vermeidet, dürfte sich bereits herumgesprochen haben, ebenso, was an welcher Stelle einer festlich gedeckten Tafel steht oder liegt und wofür es gedacht ist. Aber dass man seinen Kaffeelöffel nicht ableckt oder seine Serviette nach dem Essen – auch wenn sie aus Papier ist – niemals auf den Teller legt, weiß eben nicht jeder. Es kommt weniger darauf an, das heute völlig nutzlose Fischmesser – zudem als Linkshänder – korrekt zu benutzen, sondern dass das eigene Benehmen wie als Kind gelernt vorzeigbar ist und keine negative Aufmerksamkeit erregt.

Die wichtigsten Grundregeln des guten Benehmens, die das Leben leichter machen

• Bringen Sie jedem Gesprächspartner dieselbe Höflichkeit entgegen. • Lächeln Sie – es kostet nichts, bringt jedoch viel ein. • Stellen Sie niemanden bloß, weder Freund noch Feind.

3.1  Auftreten und erster Eindruck

• • • •

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Wahren Sie Distanz. Seien Sie pünktlich. Nennen Sie Ihren Gesprächspartner beim Namen. Kleiden Sie sich dem Anlass entsprechend – und immer vollständig.

Und so sollte sich ein guter und souveräner Verhandler auch mit der Wahl der angemessenen Garderobe beschäftigen. Es müssen zwar meist nicht Maßanzug und handgenähte Schuhe sein – das mag sich für einen Vertriebsingenieur als nachteilig erweisen –, doch bleibt festzuhalten: Die Welt, insbesondere die Geschäftswelt, ist eine Bühne. Ob der Angestellte in Besprechungen sitzt, in seinem Büro Besuch empfängt, ob er in die Kantine geht oder einen Vortrag hält – oder verhandelt –, ständig wird er von anderen beobachtet und bewertet. Für einen Verhandler gilt die Grundregel, dass er mit seiner Kleidung keinesfalls negativ auffallen darf. Vermeiden Sie unbedingt den oben beschriebenen Halo-Effekt, das lenkt die Vertreter der anderen Partei nur vom Kern der Sache ab: bei Ihrem Unternehmen Anlagen zu kaufen. In aller Regel gehen Frauen mit dem Thema Kleidung deutlich bewusster um als Männer. Vielen männlichen Mitarbeitern, vor allem in der Industrie, ist der Zusammenhang zwischen ihrer Erscheinung und deren Bewertung durch andere nicht bewusst, oder sie ignorieren ihn. Selbstbild und Fremdbild können dabei in manchen Fällen weit auseinanderfallen. Dies ist bedauerlich, da die Männer mit ein wenig Aufmerksamkeit ihre Ausstrahlung und den damit erzeugten Eindruck bei Dritten deutlich aufwerten könnten. Der angemessene Kleidungsstil hängt von Branche, Kunden, Stellung und äußeren Umständen ab. Generell gilt: 

Je konservativer die betreffende Industrie und das Kundenunternehmen eingestellt sind und je höher die Hierarchieebene ist, auf der verhandelt wird, desto formaler sollte Ihre Kleidung und die Ihrer Kollegen im Verhandlungsteam sein.

Heute lässt sich bei Männern, die in der Öffentlichkeit stehen, unter anderem bei Politikern und Wirtschaftsvertretern, zunehmend beobachten, dass auf eine Krawatte verzichtet wird. Das entbindet Sie allerdings nicht davon, eine einwandfreie, neuwertige Garderobe zu tragen. T-Shirts, Bluejeans und Sandalen sind in der Regel unangebracht. Beobachten Sie sorgfältig Usus und Unternehmenskultur und sprechen Sie sich in Ihrem Team vor der Fahrt zum Kunden ab.

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3  Körpersprache in Verhandlungen

Allgemeingültige Vorgaben zur Vermeidung der unangenehmen Situation, dass man zu overdressed oder underdressed auftritt, sind kaum möglich. Allerdings ist folgende Faustregel in vielen Lebenslagen anwendbar: 

Wenn Sie die Wahl haben, sich einfacher oder etwas eleganter zu kleiden, sollte er im Zweifelsfall eher zum zweiten tendieren.

Die Analogie zum korrekten Gebrauch der Sprache (Abschn. 2.7) ist offensichtlich, denn auch über die Wahl der Garderobe unterstützt man seinen kompetenten Eindruck. Mit gutem Benehmen und adäquater Kleidung sind Sie für Ihre Aufgabe vom Äußeren her bestens gerüstet. Allerdings ist daneben die Bedeutung der Körpersprache nicht zu unterschätzen, die einen wesentlichen Anteil an Mehrabians 55 Prozent ausmacht.

3.2 Mimik und Gestik in Verhandlungen Körpersprache spielt in Verhandlungen eine wesentliche Rolle bei der Kommunikation der Parteien. Der aufmerksame Beobachter kann darüber sehr wohl Botschaften aussenden und Informationen über die Verhandlungspartner erhalten. Neben der Unterscheidung zwischen den Ebenen eigene Körpersprache und Körpersprache des Gegenübers ist von Bedeutung, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen bewusst und unbewusst ausgesandten Signalen gibt. Auch dies ließe sich wie andere Zusammenhänge in diesem Buch im Format einer 2 × 2-Matrix-darstellen. Jeder sollte sich vor Augen halten, dass er ausschließlich die bewussten Signale der eigenen Körpersprache – bevorzugt in positiver Richtung und zum eigenen Vorteil – direkt verändern kann. Dagegen ist die Körpersprache anderer als Reaktion auf das eigene Agieren zu verstehen, und die Beobachtung vor allem unbewusster Gesten lässt so manchen versteckten Sachverhalt erkennen. Die Analyse der Körpersprache sollte nie übertrieben werden. Allerdings können bereits mittels einfachster Beobachtungen für Verhandlungen und auch in anderem Umfeld wertvolle Schlüsse gezogen werden, die dem in dieser Materie Ungeübten verborgen bleiben. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist folgende Feststellung:  Die innere Haltung entspricht der äußeren Haltung.

3.2  Mimik und Gestik in Verhandlungen

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Statt „Haltung“ könnte man auch „Einstellung“ sagen; die innere Haltung steht salopp gesagt dafür, wie wir drauf sind. Um eine positive Körpersprache zeigen zu können, muss die persönliche Gefühls- und Stimmungslage ebenfalls positiv und ausgeglichen sein. Geht man offen und wohlwollend in eine Verhandlung, signalisiert man dies anderen Menschen etwa durch Lächeln oder öffnende Gesten und nimmt diese für sich ein – so lassen sich vorteilhaftere Ergebnisse erzielen. Reserviertes Verhalten, ein Pokerface oder gar Unfreundlichkeit können sich wie ein Eigentor auswirken. Ihre Gestik und Mimik sollten dabei Ihrem Wesen und Temperament entsprechen. Verstellen Sie sich nicht, dann wirken Sie sicher und sympathisch. Wenn Sie nicht überzeugt sind von dem, was Sie tun oder verkaufen, werden Sie dies gleichfalls ausstrahlen. Wir nehmen unser Gegenüber (auch in Verhandlungen) gewöhnlich in einer dreistufigen Abfolge wahr: 1. Die Körperkontur bestimmt den ersten Eindruck – ein Relikt aus unserer evolutionsgeschichtlichen Vergangenheit. Eine gerade, aufrechte Körperhaltung signalisiert Selbstbewusstsein und Souveränität; eine eingesunkene Statur wird als Zeichen von Unsicherheit, Schwäche oder Unterordnung gedeutet. In die Hüften gestemmte oder hinter dem Kopf gefaltete Hände sollen den Umriss größer erscheinen lassen und wirken überlegen und ggf. sogar aggressiv. 2. Der zweite Blick fällt auf Kopf und vor allem Gesicht. Bereits aus der Kopfhaltung kann man wichtige Rückschlüsse auf die Stimmung des Gegenübers ziehen. Schon Cicero schrieb: „Das Gesicht ist ein Abbild der Seele“ (Cicero XVIII) – menschliche Gefühle und Stimmungen spiegeln sich im Gesicht wider und werden so für andere erkennbar. Wer seinem Gesprächspartner nicht in die Augen blickt, signalisiert Desinteresse oder Schuldbewusstsein. Und wer sich mit der Hand ins Gesicht oder an den Kopf greift, deutet an, dass er sich möglicherweise langweilt oder aber nicht aufrichtig ist (s. „Die drei Affen“ in Abschn. 3.3). 3. Als Drittes scannen wir den Körper und suchen weitere positive oder negative Gesten wie offene oder verborgene Handflächen, verschränkte Hände, Arme oder Beine, und wir blicken beispielsweise auf die Richtung der Füße. Die einzelnen Elemente werden unten noch näher erläutert. Eine negative Gefühlslage wirkt sich auf die Körpersprache in etwa so aus, als ob die Haut zu eng und die Gelenke schwergängig sind. Bei positivem innerem Befinden bewegt sich der Körper dagegen frei, entspannt und locker und zeigt öffnende Gesten. Zurücklehnen und Neigen des Kopfes ein wenig zur Seite

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3  Körpersprache in Verhandlungen

entlastet die Wirbelsäule – über andere Kopfhaltungen wird noch zu sprechen sein. Man sollte im eigenen Interesse positive Signale für den Umgang mit anderen lernen und üben und sich Gesten abgewöhnen, die negative Signale aussenden. Doch darf man nie den Fehler begehen, einzelnen Elementen der Körpersprache eine zu große Bedeutung beizumessen: Wie die jeweilige Haltung von Händen, Armen, Beinen und Kopf zu interpretieren ist, hängt von der Situation ab. Es ist erst der Cluster von Elementen, der ein schlüssiges Gesamtbild ergibt. Der spontane Blick eines Beobachters registriert also die Körperkontur. Dabei werden automatisch die ersten Schlüsse gezogen: aufrechte Körperhaltung = Kompetenz und Selbstbewusstsein, eingefallene Schultern = Sorgen, Probleme und Schwäche. Versuchen Sie, die Körpersprache Ihrer Gegenüber dahingehend zu analysieren. Und gewöhnen Sie sich im Rahmen Ihres persönlichen Eindrucksmanagements prinzipiell eine aufrechte und stabile eigene Haltung an, sowohl im Gehen und Stehen als auch im Sitzen – und vor allem im Kundengespräch. Dadurch verbessern Sie Ihre Ausstrahlung signifikant. Hilfreiche Trainingsmaßnahmen sind Üben vor dem Spiegel sowie Laufen, Walken und Tanzen. Dieses Thema betrifft mich auch selbst: Mit meiner Körpergröße von 1,91 m habe ich Zeit meines Lebens daran arbeiten müssen, gerade zu gehen (und bin immer noch nicht perfekt). Am meisten hilft dabei Feedback vom Lebenspartner und von Freunden oder Kollegen. Als routinierter Verhandler entwickeln Sie mit der Zeit die Fähigkeit, Mikrogesten richtig zu deuten. Teilweise ist es ja bereits der Händedruck, der erste Hinweise auf die Befindlichkeit des Verhandlungspartners gibt: fest und selbstbewusst, oder schwach mit feuchten Handflächen? Ein unterdrücktes Lächeln beim Abschluss heißt, dass Sie es ihm eventuell zu leicht gemacht haben. Wie hoch er seine verschränkten Hände hält, deutet an, wie viel Widerstand noch zu überwinden ist. Bei Drohgesten, geschlossenen Handflächen und Händen im Gesicht sollten Sie aufmerksam sein. Mit etwas Übung sind Sie in der Lage, den Durchbruch in einer Verhandlung, den Kipp-Punkt, zu erkennen, und Sie können das Geschäft mit gutem Gefühl abschließen. Körpersprache in Verhandlungen zu analysieren und zu nutzen ist also kein Hexenwerk. Doch beherzigen Sie bitte Folgendes: 

Lassen Sie Ihren Verhandlungspartner niemals merken, dass Sie ihn beobachten.

Die Körpersprache ist im Wesentlichen wie ein Alphabet aufgebaut, das aus verschiedenen Elementen besteht, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen; die beobachteten Gesten sind wie erwähnt immer im Kontext zu betrachten.

3.3  Einzelelemente der Körpersprache

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Wenn alle Elemente der Körpersprache zusammenpassen und/oder das Gesagte unterstreichen, spricht man von Kongruenz. Der Mensch hat eine Antenne für nonverbale Signale und nimmt intuitiv wahr, ob Ungereimtheiten in der Körpersprache vorliegen: ein Zeichen für Inkongruenz. Begriffe wie Scharfsichtigkeit, das beim ersten Eindruck bereits erwähnte Bauchgefühl und auch Verdacht beziehen sich auf die Fähigkeit des Menschen, die Gesamtheit der nonverbalen Signale des Gegenübers meist unbewusst zu erkennen und einzuordnen. Frauen sind hier im Allgemeinen sensibler als Männer, weshalb oft nicht zu Unrecht von der weiblichen Intuition die Rede ist. Es lässt sich zwischen angeborenen und erlernten Gesten der Körpersprache unterscheiden. Der Ursprung mancher Gesten liegt in unserer evolutionsgeschichtlichen Vergangenheit und lässt sich bei Primaten ebenso beobachten. Einige Gesten sind weit verbreitet, in vielen Kulturen anzutreffen oder gar allgemeingültig – hierzu zählen Lächeln, Schulterzucken oder Stirnrunzeln. Andere sind kulturspezifisch, wie das aus Daumen und Zeigefinger gebildete OK-Zeichen, Churchills Victory-V oder das sogenannte Thumbs-up (erhobener Daumen als Bestätigung). Allerdings ist bei derartigen Zeichen große Vorsicht geboten, falls sie außerhalb des eigenen, gut bekannten Kulturkreises eingesetzt werden sollen: Manche für Deutsche positiv belegte Zeichen können in anderen Kulturen eine negative Bedeutung besitzen. Dies trifft vor allem auf das Thumbs-up und das OK-Zeichen in verschiedenen südländischen Kulturen zu; beide haben dort unter Umständen obszöne Bedeutungen und dürfen keinesfalls verwendet werden. Je höher jemand in der Hierarchie steht bzw. je besser sich ein Mensch verbal ausdrücken kann, desto weniger Körpersprache wird er einsetzen. Es ist zu beobachten, dass Personen aus niedrigeren sozialen Schichten oft „mit Händen und Füßen reden“, während die coolen Typen aus dem Bildungsbürgertum kaum körperliche Regungen zeigen. Man sollte einen gesunden Mittelweg anstreben (wie bei Sprache, Kleidung und weiteren hier angesprochenen Themen): Es ist ratsam, nicht mit den Händen herumfuchteln, sondern positive Signale der Körpersprache bewusst einzusetzen, um eine angenehme, konstruktive Gesprächsatmosphäre zu fördern. Gleichzeitig versucht der aufmerksame Verhandler anhand der Körpersprache herauszufinden, was den anderen „bewegt“.

3.3 Einzelelemente der Körpersprache Was sind nun die wichtigsten charakteristischen Buchstaben der Körpersprache, und was können sie bedeuten? Das ABC der Handhaltungen ist relativ einfach zu verstehen und eignet sich als Einstieg. Bereits als Kind lernt man, nicht mit

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3  Körpersprache in Verhandlungen

dem Finger auf andere zu zeigen. Diese Geste wird auch unter Erwachsenen als Aggressionsgeste betrachtet. Daneben sind zwei Handhaltungen bedeutsam: Offene Handflächen (Innenseite zeigt nach oben – „keine Waffe vorhanden“) stehen für Offenheit und Ehrlichkeit, verborgene Handflächen (Innenseite zeigt nach unten) für Dominanz oder das mögliche Verschweigen relevanter Information. So einfach ist das. Wie alle Zeichen von Körpersprache ist die Handhaltung ebenfalls vielfach ein Automatismus, der nicht bewusst gesteuert wird, sondern die innere Haltung, die Gefühlswelt also, widerspiegelt. Man kann allerdings durch bewussten Einsatz von Handflächengesten lernen, einen glaubwürdigeren Eindruck auf Gesprächspartner zu machen. Und umgekehrt verringert sich interessanterweise mit Gesten der Ehrlichkeit die eigene Neigung zur Unwahrheit: Die meisten Leute finden es schwierig, mit offenen Handflächen zu lügen. Arme und Beine Kleine Kinder verstecken sich gerne hinter Barrieren, um sich zu schützen. Wenn die Menschen älter werden, modifizieren sie dieses Verhalten: Sie verschränken stattdessen in Gefahrensituationen die Arme fest vor der Brust. Arm- und Beinbarrieren können ein Zeichen von Defensive oder Ablehnung sein. Ein Mensch, der nervös oder negativ eingestellt ist oder sich in der Defensive fühlt, kreuzt die Arme fest über der Brust. Das ist ein starkes Signal, dass er sich bedroht fühlt. Eine simple und effektive Maßnahme, die Barriere der verschränkten Arme zu entfernen, quasi ein Eisbrecher, kann diese sein: Man reicht dem betreffenden Menschen einen Stift, ein Dokument oder sonst irgendetwas, sodass er einen Arm aus der Verschränkung lösen und ausstrecken muss. Manchmal hilft’s. Manche Menschen behaupten in diesem Zusammenhang, sie würden die Arme verschränkten, weil sie das bequem fänden. Das stimmt schon. Aber man findet eben genau die Haltung bequem, die zur inneren Einstellung passt. Allerdings sollten solche Gesten wie gesagt nie isoliert betrachtet werden. Wenn jemand im Winter an der Bushaltestelle steht oder in einem schlecht geheizten Besprechungszimmer sitzt und friert, wird er vermutlich ebenfalls seine Arme verschränken. Beinbarrieren gelten als weniger abweisend und schlechter erkennbar als Armbarrieren. Auch das Kreuzen der Knöchel kann auf eine negative oder defensive Stimmung hindeuten. Die in Abschn. 3.2 erwähnten verschränkten Hände stellen ebenfalls eine Barriere dar; je höher jemand die Hände hält, desto schwieriger scheint es zu werden, einen Widerstand aufzubrechen. Als letztes – bei der Körperkontur (Abschn. 3.2) bereits erwähntes – Motiv, das leicht zu beobachten ist und vermieden werden sollte, sind die seitlich vom Körper leicht angewinkelten, in der Hüfte abgestützten Arme relevant. Diese negativ belegte Geste kann als Zeichen von Kampfbereitschaft gedeutet werden.

3.3  Einzelelemente der Körpersprache

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Kopfhaltung Bei der Kopfhaltung lassen sich relativ einfach drei Grundtypen unterscheiden: Eine gerade Kopfhaltung signalisiert eine neutrale Einstellung, ein zur Seite geneigter Kopf spricht für Interesse und ein nach vorne geneigter Kopf meist für Missbilligung. Das Zur-Seite-Neigen des Kopfes ist eine Folge der Entspannung der Nackenmuskulatur, weil der Betreffende sich wohl fühlt und positiv gestimmt ist. Die Geste des nach vorne geneigten Kopfes wird häufig noch unterstützt durch Stirnrunzeln und zusammengezogene Brauen. Diese Ausdrucksweisen werden ebenfalls intuitiv und als Cluster von Elementen wahrgenommen. Gesichtsmuskeln Aus dem vielfältigen Zusammenspiel der Gesichtsmuskeln kann eine ganze Menge an Information abgelesen werden. Gehen die Mundwinkel nach unten oder nach oben? Ist ein Stirnrunzeln zu erkennen, oder wird das Gesicht von Sorgenfalten zerfurcht? Was signalisieren die Brauen – Zorn, Überraschung oder Entspannung? Es gibt eine Menge Menschen, bei denen es scheint, dass sich die typischen Gesichtsausdrücke wie freundliches oder griesgrämiges Schauen so eingeprägt haben, dass dies die entsprechende Faltenbildung in der einen oder anderen Richtung dauerhaft beeinflusst hat. Für den aufmerksamen Verhandler ist das Gesicht des Gegenübers wie angedeutet der Schlüssel zum Erfolg. Auch selbst kann man an seinem Gesichtsausdruck arbeiten: Ein freundlich-entspannter Blick öffnet viele Türen; probieren Sie es bei nächster Gelegenheit aus! Augen Die Augen des Gegenübers lassen ebenso Schlüsse zu, die allerdings teilweise nicht so leicht zu erkennen sind. Die Weite der Pupillen ist ein klares Indiz für die Gefühlslage: klein = angespannt („stechende“ Augen), groß = entspannt („leuchtende“ Augen). Etwas einfacher lässt sich beobachten, wie weit die Augen geöffnet sind und wie viel Weiß dabei sichtbar wird. Kann der Körper lügen? Die einfache Antwort darauf lautet „nein“. Sogar wenn man bewusst auf seine Körpersprache achtet (etwa in einem Vorstellungsgespräch oder während einer Präsentation), lässt sich eine einstudierte Gestik nur kurze Zeit aufrecht halten; irgendwann wird der Körper Signale aussenden, die mit den bewussten Handlungen nichts zu tun haben. Dass dies schnell erkannt wird, liegt daran, dass es im menschlichen Geist offenbar eine Art Sicherungsmechanismus gibt, der eine derartige Schieflage bei anderen registriert: die oben erwähnte feine Antenne für fehlende Kongruenz. Bereits mit diesen kompakten Erklärungen sollte deutlich

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3  Körpersprache in Verhandlungen

geworden sein, warum mehr als die Hälfte der menschlichen Kommunikation über Mimik und Gestik abläuft. Mehr als alle anderen Körperteile wird das Gesicht benutzt, um Lügen zu kaschieren. Wenn jemand lügt oder nicht die ganze Wahrheit sagt, wird er seine Blicke weniger als ein Drittel der Zeit auf den Gesprächspartner richten. So verrät jemanden beim Lügen das Unterbewusstsein mithilfe der Körpersprache unabhängig von Worten und Absichten. Darum fliegen Leute, die selten lügen, leicht auf, selbst wenn sie noch so überzeugend klingen. Berufsgruppen wie Politiker, Anwälte und Schauspieler haben ihre Körpergesten so verfeinert, dass man „die Lüge“ nicht unmittelbar sehen kann. Dabei sei bemerkt, dass sich der Begriff Lüge in diesem Zusammenhang nicht auf ethisch-moralisch verwerfliche oder strafrechtlich relevante Tatbestände beziehen soll. Die drei Affen (s. Abb. 3.2) haben ihren Ursprung in einem japanischen Sprichwort und stehen dort für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem. Der Ausspruch „nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ ist Bestandteil der buddhistischen Lehre. Er bietet auch – und gerade – heute den Schlüssel zur Identifikation von Unwahrheiten über die Körpersprache. Dauer und Deutlichkeit der entsprechenden Gesten hängen vom Alter der betreffenden Person ab. Wenn ein kleines Kind lügt, hält es (wie der dritte Affe) oft beide Hände vor den Mund. Wenn es ein Erwachsener nicht so genau mit den Fakten

Abb. 3.2   Die drei Affen im Tōshō-gū in Nikko (Japan)

3.4  Die Ausnutzung des Raumes

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nimmt, verspürt er den Drang, sich kurz an den Mund oder die Nase zu fassen. Analoge Gesten stellen – Affe eins und zwei – das Reiben im Augenwinkel oder das Zupfen am Ohrläppchen dar. Zahlreiche weitere Gesten mit der Hand im Gesicht oder am Kopf sind bekannt; die meisten sind negative Zeichen. 

Im Dialog mit anderen sollte man möglichst vermeiden, mit der Hand ins Gesicht oder an den Kopf zu greifen, um keine negativen Gefühle zu erzeugen.

Wenn jemand eine dieser Hand-im-Gesicht-Gesten benutzt, muss das nicht unbedingt heißen, dass er lügt – wegen der Wichtigkeit sei nochmals darauf hingewiesen, dass Einzelgesten nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Vielleicht jucken die Augen des Betreffenden, weil er Heuschnupfen hat oder ihn ein Sandkorn stört. Oder er kreuzt die Beine, weil er so lange sitzt usw. Man sollte aber dennoch auf der Hut sein, und die Beobachtung weiterer Gesten kann den Verdacht der Unwahrhaftigkeit bestätigen oder nicht.

3.4 Die Ausnutzung des Raumes Wie Tiere haben auch Menschen ihre Territorien. Das ist der Raum, den man für sich beansprucht, als wäre er eine Erweiterung des eigenen Körpers. Proxemik ist ein Gebiet der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft, das die Signale von Individuen beschreibt, die sie durch das Einnehmen einer bestimmten Distanz zueinander austauschen (Wikipedia 2019d). Abb. 3.3 markiert die vier im Alltagsleben unterscheidbaren Abstandszonen. Angegeben ist jeweils der Radius einer fiktiven Luftblase rund um die eigene Körpermitte. Die Maße beziehen sich auf weiße Angehörige der westlichen Mittelschicht – bei anderen Kulturen können abweichende Maße gelten. • Die Intimzone ist von allen Abstandszonen die wichtigste; der Mensch verteidigt sie wie persönliches Eigentum. Sie führt dazu, dass zwischen zwei Menschen im beruflichen Umfeld, die sich die Hände geben, ein Abstand von mindestens 90 cm (dem doppelten Radius der Intimzone) einzuhalten ist, um außerhalb dieses Bereichs des jeweiligen Gegenübers zu bleiben. • Die persönliche Zone ist die Distanz, die bei privaten und geschäftlichen Partys, bei gesellschaftlichen Anlässen und freundschaftlichen Zusammenkünften zu wahren ist – mindestens also etwa Handschlagentfernung.

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3  Körpersprache in Verhandlungen

Intimzone (15 bis 45 cm)

Persönliche Zone (45 cm bis 1,2 m)

Gesellschaliche Zone (1,2 m bis 3,6 m)

Öffentliche Zone (über 3,6 m)

Abb. 3.3   Die vier Territorien des Menschen. (In Anlehnung an Pease und Pease 2004, S. 195; mit freundlicher Genehmigung der © Pease International Ltd. 2004. All Rights Reserved)

• Der Abstand für die gesellschaftliche Zone wird gegenüber Fremden und Menschen, die man nicht gut kennt, eingehalten. • Die öffentliche Zone liegt außerhalb eines Radius von 3,60 m: Wenn man vor einer größeren Gruppe spricht, sollte das Auditorium mindestens in dieser Entfernung sitzen oder stehen. (Hall 1966, S. 113–130; Pease 1988, S. 13–21; Pease und Pease 2003, 2004, S. 27–42, 192–208; Wikipedia 2019c) Für das Eindringen eines anderen in die eigene Intimzone gibt es zwei Hauptgründe: Es handelt sich beim „Eindringling“ entweder um einen engen Verwandten oder Freund, oder das Verletzen der Zone geschieht in feindlicher Absicht. Eine Umarmung unter Freunden fällt offensichtlich in die erste Kategorie. Beispiel

Ein feindliches Eindringen ist etwa in Kriminalfilmen zu beobachten, und zwar nicht nur bei der Straftat an sich, sondern ebenfalls, wenn der Ermittler dem Verdächtigen beim Verhör bewusst nahe kommt, um bei dieser Art der Verhandlung Druck auszuüben. Daneben bringt es unsere Zivilisation und die damit verbundene Enge mit sich, dass man in Menschenmengen, in Konzerten, im Kino, in Fahrstühlen, Zügen oder Bussen zwangsläufig in die Intimzone anderer eindringen muss. Dabei sollte man sich immer ruhig und defensiv verhalten, was manchen Zeitgenossen nur bedingt gelingt.

3.4  Die Ausnutzung des Raumes

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Nicht nur mit Fingern und Händen lassen sich Zeigegesten ausführen, sondern auch mit der Ausrichtung des gesamten Körpers. Dies ist wiederum ein einfach zu beobachtendes Element der Körpersprache, das von vielen Zeitgenossen und somit auch Verhandlern nicht bewusst, sondern bestenfalls intuitiv wahrgenommen wird. Die Grundregel dazu lautet: 

Der Körper zeigt, wohin der Wille gehen möchte.

Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie stehen einem Kollegen in dessen Büro gegenüber und erzählen ihm etwas, das für Sie selbst gerade von Bedeutung ist. Er blickt Sie zwar an, jedoch sind sein Körper und seine Füße seitlich zur Türe hin ausgerichtet. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass der Kollege Ihren Ausführungen nur widerwillig folgt und am liebsten zur Tür hinaus enteilen möchte. Ein ähnliches Verhalten ist in Verhandlungen beobachtbar, wenn auf die Füße der Leute geachtet wird (was wie bei den Beinbarrieren wegen der Tischplatte als Blicksperre nicht ganz trivial ist): Zuwendung der Füße kann Zustimmung bedeuten, Abwendung das Gegenteil. Diese Geste der Körpersprache ist wiederum völlig intuitiv und nicht rational beeinflussbar und damit für die Beurteilung einer (Verhandlungs-)Situation eventuell von hohem Informationswert. Wenn sich zwei Personen im Stehen unterhalten, ist ein gemeinsames Interesse anzunehmen, wenn sie im 90-Grad-Winkel zueinander positioniert sind und ihre Körper auf einen gemeinsamen Punkt deuten – man nennt das eine offene Dreieckstellung; eine direkte Ausrichtung zueinander wirkt vielfach zu konfrontativ. Dies gilt gleichermaßen für Gruppen von drei und mehr Personen, wenn mit den Körpern ein gemeinsamer Punkt fixiert wird. Gleichzeitig ist jedoch für den aufmerksamen Beobachter sofort zu erkennen, wenn jemand von der Gruppe nicht akzeptiert oder ausgeschlossen wird. Die Füße zeigen an, was der Mensch im Sinn hat. Das gleiche Szenario lässt sich auch im Sitzen durch die entsprechende Ausrichtung von Stühlen realisieren bzw. bei anderen beobachten. Eng verbunden mit dem Territorialverhalten ist die Platzierung der Teilnehmer von Besprechungen und Verhandlungen. Die strategische Wahl des Sitzplatzes mag sehr wohl das Gespräch und dessen Ausgang beeinflussen (s. Schröder o. J.; dort finden Sie eine Analyse der verschiedensten Sitzordnungen). Sind zwei Personen am Gespräch beteiligt, ist die Eckposition im Vergleich mit dem konfrontativen Gegenübersitzen zu bevorzugen. Wenn sich zwei Verhandlungsteams treffen, wird eine Frontbildung an den gegenüberliegenden Längsseiten des Tisches in der Regel als unabdingbar hingenommen, kann jedoch unter gewissen Umständen aufgebrochen werden. Allerdings sollte beim Versuch, die Reihen zu durchmischen – insbesondere im interkulturellen Umfeld und falls man mit

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3  Körpersprache in Verhandlungen

konservativen Verhandlungspartnern zu tun hat –, vom Lieferanten als Gast beim Kunden Zurückhaltung geübt werden. Sind Sie beispielsweise für ein Treffen in einem japanischen Unternehmen eingeladen, steht entsprechend seines Ranges jedem Teilnehmer ein bestimmter Platz am Tisch zu (s. auch Abb. 2.1). Die Gäste sitzen grundsätzlich mit Blick zur Tür, die Gastgeber ihnen gegenüber. Die ranghöchste Person platziert sich in der Mitte, die „Untergebenen“ postieren sich links und rechts davon. Diese Tradition stammt aus der Herrschaftszeit der Samurai (Kriegerkaste), die ihre Gäste so an der Tafel platzierten, dass sie am besten vor eindringenden Feinden geschützt waren. Sie ist noch heute in Trainingsräumen für verschiedene Kampfkünste (Budō) wie Karate, Kung-Fu, Judo oder Aikido sowie in japanischen Großraumbüros anzutreffen. (Für weitere Informationen über das Verhandeln in Japan müssen Sie sich bis Abschn. 7.4 gedulden.) Beispiel

Als Verhandlungsleiter im Einkauf habe ich gute Erfahrungen mit quadratischen oder leicht länglichen Tischen gemacht, bei denen je nach Anzahl der Teilnehmer drei oder alle vier Seiten belegt waren. Bei der Festlegung der Sitzordnung vermied ich es aus Überzeugung stets, die Lieferantenvertreter bewusst zu benachteiligen – sie etwa in die Sonne schauen zu lassen. Solche billigen Tricks haben in integrativen Verhandlungen nichts verloren. Letztlich sollten Sie nicht zu viel in die Sitzordnung hineininterpretieren, die sich beim Kundengespräch ergibt: Vielfach ist es dem Zufall geschuldet, welches Sitzungszimmer der Einkäufer reservieren kann, wie es bestuhlt ist und wer sich auf welchen Platz setzt. Bei den Elementen der Körpersprache wurden Barrieren erwähnt, die mittels Armen, Beinen oder Händen errichtet werden. Derartige Sperren lassen sich auch mit toten Gegenständen bilden. Im Raum selbst können dies Stühle, Blumentöpfe, Beistellmöbel oder Elektrokabel sein. Wenn Sie einen Verhandlungsraum betreten, orientieren Sie sich während des Smalltalks am besten, ob damit eventuell eine Choreografie seitens des Gastgebers geplant ist, um Ihren Aktionsradius zu begrenzen. Auf dem Konferenztisch ist die Errichtung künstlicher Barrieren problemlos möglich – hierzu sind zwischen Sitznachbarn platzierte Papierstapel, Laptops, Kaffeetassen oder simple Stifte geeignete Baumaterialien. Verhandler, die in diesen Dingen nicht geschult sind, nehmen solche Feinheiten oft nicht bewusst war, sondern registrieren intuitiv, dass ihr Territorium und damit ihre Optionen begrenzt sind. Es wird beim Kunden vermutlich niemand etwas dagegen haben, wenn Sie sich die Freiheit nehmen, den Raum leicht

3.5  Überzeugend präsentieren und framen

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umzudekorieren: Räumen Sie den störenden Stuhl aus dem Weg und legen Sie den Stift kommentarlos in die Mitte des Tisches. Ein immer wieder zu beobachtender Umstand in Verhandlungen, wiederum die Nutzung des Sitzungsraumes betreffend, soll an dieser Stelle ebenfalls erwähnt und diskutiert werden. Unter Fachleuten herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit, das Endresultat und bei komplexen Verhandlungen auch Zwischenergebnisse zu dokumentieren, und als Medium eignen sich neben Protokoll und Whiteboard ebenso Flipchart-Bögen (s. Wenski 2019). Diese Bögen, meist im B1-Format, bieten mit ihren Abmessungen von etwa 70 cm Breite und 100 cm Höhe schon während der Verhandlung für alle Beteiligten eine interessante Spielwiese, um mittels verschiedenfarbiger Filzstifte ihre Angebote und Konzessionen zu erläutern und so das spätere Verhandlungsergebnis kreativ zu erarbeiten. • Erster Tipp: Wenn Sie als Gast ein Flipchart oder alternativ ein abwischbares Whiteboard nutzen, lassen Sie sich vom Kunden keine altersschwachen, nahezu eingetrockneten Filzstifte „andrehen“, die in Besprechungszimmern meist achtlos herumliegen. Ihre damit schriftlich dargelegte Argumentation wirkt ebenso fade und kraftlos wie der Zustand der Stifte; dies kann die Verhandlungsführung ähnlich negativ beeinflussen wie eine sonnenbeschienene Beamer-Projektionsfläche bei einem wichtigen Vortrag. Zu einem professionellen Auftritt gehört es, dass Sie selbst – falls mit der Nutzung von Flipcharts oder Whiteboards zu rechnen ist – gut funktionierende Filzstifte in vier Farben mitbringen. Diese bleiben am Ende beim Kunden, was gut investiertes Geld ist. Machen Sie allerdings NIE den Fehler, mit einem Permanentmarker auf ein Whiteboard des Kunden zu schreiben. • Zweiter Tipp (diesmal mit direktem Bezug zur Raumnutzung): Lassen Sie sich den Zugang zum Flipchart oder Whiteboard durch die Sitzordnung nicht abschneiden. Es kann in Ausnahmen sein, dass Sie und Ihre Begleiter – bewusst oder unbewusst – so platziert werden, dass Ihnen ohne Stühlerücken keine Möglichkeit bleibt, Tafel, Whiteboard oder Flipchart zu nutzen. Lassen Sie sich von diesem Territorialverhalten nicht abschrecken und bitten Sie höflich darum, den Schreibblock oder das Board nutzen zu dürfen.

3.5 Überzeugend präsentieren und framen Sie sind über den neudeutschen, aus der englischen Sprache stammenden Begriff framen in der Überschrift gestolpert? Fangen wir also damit an, um uns im weiteren Teil dieses Abschnitts der Kunst des Präsentierens zu widmen. Framing (deutsch:

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3  Körpersprache in Verhandlungen

„Einrahmen“, auch „Einordnung“) ist ein Begriff aus der Kommunikationswissenschaft und bedeutet unter anderem in der Publizistik, einige Aspekte in einem Text so hervorzuheben, dass eine Handlungsempfehlung für den beschriebenen Gegenstand gefördert wird. (Entman 1993) Mit anderen Worten, der Framing-Effekt („Präsentationseffekt“) kann dazu führen, dass abweichende Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen, was nicht mit einer rationalen Entscheidung des Empfängers erklärbar ist. (Stocké 2002) Sie können sich das bildlich so vorstellen, wie Uhren in der Werbung gezeigt werden: Die Zeiger stehen immer auf etwa neun Minuten nach Zehn, um das sich oben in der Mitte des Ziffernblatts befindliche Logo des Herstellers zu framen sowie ein freundliches Aussehen des Zifferblatts zu erzeugen. (Rasimus 2019) In den Sozialwissenschaften spricht man auch von einem Narrativ, einer sinnstiftenden Erzählung, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Darin untergebrachte Emotionen können über das Unterbewusstsein Entscheidungsprozesse beeinflussen. Framen heißt also, salopp gesagt, um das eigentliche Thema etwas drumherum zu erzählen, um z. B. einen abstrakten, rationalen Gesprächs- oder Vortragsgegenstand emotional zu belegen und damit interessanter und attraktiver zu machen. Man muss sich vor Augen halten, dass kein schriftlich oder mündlich vorgetragener Sachverhalt ganz frei von Framing ist und – falls es sich nicht um ein sehr puristisch geschriebenes Fachbuch handelt – zwischen den Zeilen immer Emotionen transportiert werden. Framing ist einer der zahlreichen Effekte, die in Denkfehlern resultieren und inzwischen von der Kognitionswissenschaft umfassend untersucht sind. Gut lesbare populärwissenschaftliche Übersichten finden sich bei Kahneman (2012, S. 448–452) und Dobelli (2014, S. 173–175). Den Präsentationseffekt können und sollten Sie sich zunutze machen: 

Ein guter Verkäufer überzeugt den Kunden davon, dass seine Produkte etwas Besonderes sind und sich der direkten Vergleichbarkeit mit dem Wettbewerb entziehen.

Dazu vermittelt er nicht nur Fakten, sondern erzählt auch Geschichten und präsentiert interessante Rahmeninformationen, um diese Produkte aufzuwerten und emotional positiv zu belegen. Das kann die Entwicklung des Unternehmens oder des Produkts, damit befasste Personen und interessante Begleitumstände, Skurriles und Schönes, Informatives und Visionäres betreffen. Von Bedeutung ist, den Kunden zu fesseln und nicht zu langweilen, dabei den Bogen der Fantasie jedoch nicht zu überspannen. Eine solche Präsentation sollte vom Vertriebsingenieur

3.5  Überzeugend präsentieren und framen

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nicht nur hinsichtlich der technischen Inhalte, sondern ebenfalls mit Blick auf das gewünschte psychologische Resultat des Framings mit den zu transportierenden Botschaften sorgfältig vorbereitet und hausintern abgestimmt werden. Anton Schmitz

Was macht Anton Schmitz? Zuletzt haben wir von ihm in Abschn. 1.4 gehört, als er über die Notwendigkeit des Edelstahlrahmens für das LH-8 sinniert hat, und in Abschn. 2.4 seine späteren Verhandlungspartner vorgestellt. Es wurde in Abschn. 1.1 bereits erwähnt, dass er kurz nach dem Messegespräch zu Gast in Dresden gewesen ist, um das Messsystem Typ LayerHakaru-8 (LH-8) technisch vorzustellen und im Dialog die Wünsche (das Problem) des Halbleiterherstellers zu verstehen. Es bietet sich an, in diesem Kapitel eine Rückblende zu diesem Besuch zu machen, bei dem er – so hoffen wir – alles richtig gemacht und bei der WAFAG einen Fuß in der Türe hat. Es ist der 28. Februar 2019, ein Donnerstag, an dem Anton Schmitz bei vorfrühlingshaften Temperaturen für elf Uhr ins Verwaltungsgebäude der WAFAG eingeladen worden ist. Als Rheinländer fragt er sich natürlich, ob die Tatsache, dass in seiner Heimat an diesem Tag Weiberkarneval gefeiert wird, auch für Sachsen relevant ist. Seine Bedenken waren jedoch unbegründet, und glücklicherweise ist er nicht mit Pappnase und lustiger Krawatte gekommen. 11:11 Uhr vergeht unbemerkt. Die Teilnehmer an der Kundenpräsentation sind Dr. Peter Wohlmann (Abteilungsleiter Metrologie – man kannte sich bereits von der Messe), Herbert Langwasser (Einkäufer – laut Visitenkarte Sachgebietsleiter), Thomas Krämer (Abteilungsleiter Einkauf) und Marcus Brenndörfer (Anlageningenieur und für die spätere Betreuung des Messgerätes zuständig – er soll mögliche spätere Tests vor Ort in Japan durchführen). Herbert Langwasser stammt aus Dresden, ist kaum älter als Anton Schmitz und wirkt ruhig und besonnen. Die beiden Führungskräfte kommen offensichtlich aus Westdeutschland. Während der etwas ältere Einkaufsleiter fast nur zuhört, fragt der Mittvierziger Dr. Wohlmann während des Vortrags immer wieder bei Details nach. Der Techniker Brenndörfer ist von der Aussprache her unschwer als echter Sachse erkennbar und aus dem Erzgebirge. Er hat gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert und freut sich, vor dem Ruhestand mit der Einführung des LH-8 ggf. noch ein spannendes Messprojekt betreuen zu dürfen. Anton Schmitz erläutert im Vortrag zunächst, was das Unternehmen ISHIKAWA CORPORATION ist, und beschreibt seine Struktur und was man herstellt und anbietet. Er erläutert, dass Ishikawa keineswegs der Familienname des Gründers ist, sondern vom den Naturwissenschaftlern und Technikern

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bekannten Fischgräten-Diagramm abgeleitet ist, das Anfang der 1940er Jahre vom japanischen Wissenschaftler Kaoru Ishikawa entwickelt und später auch nach ihm benannt wurde – ein japanischer Chemiker, der zahlreiche Qualitätswerkzeuge entwickelte. Ishikawa ist gleichzeitig der Name der Präfektur an der Nordküste Honshus, der Hauptinsel von Japan, deren Hauptstadt Kanazawa ist – der Sitz der ISHIKAWA CORPORATION. Sehenswert in der Stadt sind, so Anton Schmitz, der Kenrokuen, ein Park, der zu den drei perfekten Gärten Japans gezählt wird (s. Abb. 3.4), die neu errichtete Burg Kanazawa und sowie das Samurai-Viertel, wo bis heute ehemalige Samurai-Villen erhalten sind. Ein paar Fotos, die er auf Dienstreisen selbst gemacht hat, runden die Präsentation ab. Daraufhin geht er auf das Messsystem LayerHakaru-8 ein; Hakaru (計る) ist dabei das japanische Wort für „Messung“. Er beschreibt kurz und prägnant – unterbrochen nur durch die konstruktiven Fragen von Dr. Wohlmann – den Aufbau, das Messprinzip und die Anwendungsbereiche und schafft dabei den Spagat, weder zu viele noch zu wenige Daten zu zeigen. Es gelingt ihm, den Zuhörern zu vermitteln, dass hier etwas Außerordentliches für die Halbleitermessung geschaffen wurde.

Abb. 3.4   Emotion pur: Kenrokuen-Park in Kanazawa

3.5  Überzeugend präsentieren und framen

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Anton Schmitz erzählt, dass der verantwortliche Projektleiter, der das Gerät entwickelt hat, stellvertretend für sein Team eine hohe Auszeichnung der Firma erhalten hat, verbunden mit einem Ausflug (an einem Werktag!) zum 70 km entfernten Weltkulturerbe Shirakawa-go mit seinen traditionellen strohgedeckten Steildachhäusern. Gleichzeitig lässt er beiläufig einfließen, dass das Gerät bei einigen japanischen Unternehmen wie MiNCO und ShinOsaka Co. installiert ist – was Dr. Wohlmann aufgrund von Messdatenvergleichen bereits gewusst hat, wie er zugibt. Die auf 25 Minuten ausgelegte Präsentation mit gut 20 Folien, die Anton Schmitz über Notebook und Beamer fesselnd präsentiert und dabei das Interesse seiner Zuhörer aufrechterhält, dauert wegen der zwischengeschobenen Diskussionen dann doch eine gute Dreiviertelstunde. Die WAFAG-Mitarbeiter sind an der Durchführung von Messungen interessiert, und ISHIKAWA scheint damit eine Chance zu bekommen, das Gerät auch in Europa im Markt zu platzieren. Nach weiteren Überlegungen, wann und wie die Probemessungen durchgeführt werden können, und Fragen zu logistischen und kommerziellen Belangen geht man gegen 12:30 Uhr gemeinsam in die Kantine zum Mittagessen – ohne dass verkleidete Frauen das Regiment übernommen hätten, sehr zur Erleichterung von Anton Schmitz. Präsentationen sind keineswegs nur etwas für ausgewählte Personengruppen im Geschäftsalltag – im technischen, Verwaltungs- und Managementbereich geht diese Thematik nahezu alle Mitarbeiter, Vorgesetzten und Unternehmensführer an. Im Umfeld von Verhandlungen spielen Vorträge ebenfalls eine wichtige Rolle. Verkaufs- und Produktpräsentationen gehören zu den Routinearbeiten von Vertriebsmitarbeiters im Außendienst, und zusätzlich wird es sowohl für sie als auch für die Kundenvertreter notwendig sein, als Teil des Beschaffungsprozesses regelmäßig innerhalb der eigenen Organisation vorzutragen. Wenn Sie es – wie Anton Schmitz – geschafft haben, insbesondere bei einem potenziellen Neukunden einen Gesprächstermin zu bekommen, ist das bereits der erste Schritt zum Geschäftserfolg. Beim erfolgreichen Präsentieren ist es wie bei vielen anderen Dingen: Der eine ist ein Naturtalent und beherrscht und genießt die Darstellung und Aufmerksamkeit des Publikums, der andere möchte selbst vor einer kleinen Gruppe am liebsten vor Scham und Lampenfieber im Boden versinken. Doch das ansprechende Präsentieren technischer und sonstiger Sachverhalte kann man lernen, und mit der Beachtung einiger weniger Grundregeln lassen sich die gröbsten Fehler vermeiden.

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3  Körpersprache in Verhandlungen

Nicht nur im öffentlichen und wissenschaftlichen Bereich, sondern auch in der Wirtschaft, vor allem auf Vertriebsseite, sollte auf eine ansprechende und handwerklich solide Vortragskultur Wert gelegt werden. Wie einige andere in diesem Buch behandelten Punkte, welche die Organisation des Vertriebs sowie die Schulung und Förderung von Vertriebsingenieuren betreffen, ist es nach sinnvoll, auch die Weiterentwicklung von deren Vortragskompetenz zur Managementaufgabe zu machen und im Rahmen der jährlichen persönlichen Zielsetzung der Mitarbeiter zu verankern. Mit gezieltem Feedback (s. Abschn. 1.6) und etwas gutem Willen lassen sich erfahrungsgemäß relativ leicht gravierende Fortschritte erzielen. 

Ein guter Redner informiert nicht nur, er versteht es, sein Publikum zu überzeugen, wobei ihm das angesprochene Framing hilft.

Dazu müssen Stimme und Körpersprache eine Einheit bilden; bei der Körpersprache sind offene, positive Gesten, wie sie oben aufgeführt sind, von hoher Bedeutung. Wie beim Verhandeln gilt beim Vortragen: Die innere Haltung entspricht der äußeren Haltung (s. Abschn. 3.2). Nur wenn Sie mit sich im Reinen sind, sich – abgesehen von einer positiven Anspannung, die erst das Abrufen der vollen Leistung ermöglicht – wohlfühlen und Ihr Thema souverän beherrschen, kommen Sie glaubwürdig und verbindlich an.

Grundlagen des ansprechenden Präsentierens

• Eine gute Präsentation hat eine kreative, überraschende Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss mit Botschaft, der inhaltlich verbunden ist mit der Einleitung. • Bereiten Sie Ihre Präsentation gut vor und überladen Sie sie nicht. • Gehen Sie nach Aufforderung durch den Gastgeber selbstbewusst-entspannt nach vorne und stellen Sie durch ein paar einführende Bemerkungen zunächst Kontakt zum Publikum her. Das ist zielführender, als mit der Türe ins Haus zu fallen: Der Inhalt Ihrer ersten Sätze würde sonst ergebnislos verpuffen, da die Zuhörer noch gar nicht aufnahmebereit sind. • Reden Sie langsam und deutlich und lassen Sie möglichst Fragen zwischendurch zu. Präsentieren Sie variabel und interagieren Sie mit Ihrem Publikum. • Tragen Sie in gut verständlichem Hochdeutsch oder Englisch vor, langsam, prägnant und unter Modulation der Stimme. Hetzen Sie nicht, denn dann können die Zuhörer Ihren Gedanken nicht folgen und schalten ab.

3.5  Überzeugend präsentieren und framen

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• Wenn Sie trotz guter Vorbereitung während Ihrer Präsentation einen „Hänger“ haben, verfallen Sie unter keinen Umständen in Panik, sondern atmen Sie erst einmal tief durch. Sie haben bei einer derartigen Zwangspause aller Erfahrung nach sieben Sekunden Zeit, um mit Ihren Ausführungen fortzufahren, ohne dass das Publikum etwas davon merkt. • Beachten Sie bei internationalem Publikum die Sprachkenntnisse der Zuhörer; ziehen Sie zur Not einen Simultandolmetscher hinzu. • Vermeiden Sie auf jeden Fall Provokationen und Polarisation, Spitzen und Retourkutschen. Reagieren Sie besonnen auf Kritik und Widerspruch vom Kunden oder sonstigen Zuhörern, keinesfalls „eingeschnappt“ und „pampig“.

Ich arbeitete während meiner Hochschulzeit und anfangs in der Industrie noch ohne Computer. Zeichnungen wurden mit Tusche und Folien mit Folienstift angefertigt und mittels Tageslichtprojektoren vorgeführt. In besonderen Fällen kamen Dias zur Anwendung, in einfachen nur eine Kreidetafel. Ein überzeugender nicht-technischer Vortrag kam oft ganz ohne Hilfsmittel aus. Heute ist eine Folienpräsentation (die „Folien“ werden dabei vom Rechner auf die Leinwand projiziert) in kurzer Zeit zusammengebastelt; farbige Seiten mit visuellen Effekten und eingeblendeten Film- und Audiosequenzen lassen unter Verwendung von HD-Technik, grünem Laserpointer und Fernbedienung das Rednerpodest zur Showbühne werden. Allerdings trifft man dabei oft auf mehr Schein als Sein, wenn trotz optimaler Möglichkeiten die Darbietung wegen inhaltlicher, sprachlicher und körpersprachlicher Defizite bestenfalls mittelmäßig ausfällt.

Präsentation mit Folien

• Überladen Sie Ihre Folien keinesfalls. Verwenden Sie mindestens Schriftgröße 18, am besten eine gut lesbare ohne Serifen. Planen Sie etwa zwei Minuten pro Folie ein. (Wenn Sie länger benötigen, steht in der Regel zu viel Text auf der betreffenden Seite.) Folien zeigen sinnvollerweise nicht Ihren Vortragstext, sondern Stichworte, um den Zuhörern das Folgen zu erleichtern. • Sprechen Sie zu den Zuhörern und nicht zur Projektionsfläche, falls Sie (was das Übliche ist) Text- und Bildmaterial verwenden. Einer der größten Fehler bei Präsentationen, den ich auch beim Üben mit Seminarteilnehmern immer wieder korrigiere, ist der, nicht in Richtung des

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3  Körpersprache in Verhandlungen

gesamten Auditoriums zu reden. Einige Redner sprechen zur Leinwand und lesen die Folieninhalte ab. (Wenn Sie präsentieren, sollten Sie Ihre Themen beherrschen und die Folientexte kennen und in freier Rede artikulieren, indem Sie die Zuhörer ansehen.) Andere sprechen nur zum Ranghöchsten im Raum und verteilen ihre Blickgunst nicht einigermaßen gleichmäßig auf alle. Dass dieses Fehlverhalten meist rein intuitiv stattfindet, erkennt man daran, dass statt der ranghöchsten Person teilweise derjenige längere Zeit adressiert wird, der ganz außen nahe der Projektionsfläche sitzt – es erfordert schließlich nur wenig Kopf- bzw. Körperdrehung des Vortragenden, damit diese Zielperson in sein ­Blickfeld kommt. • Stellen Sie sich so im Raum hin, dass Sie niemandem den freien Blick auf die Leinwand verdecken. Eine Fernbedienung zum Weiterblättern der Folienpräsentation ist dabei sehr hilfreich. • Weisen Sie ab und zu mit der offenen Handfläche auf bestimmte Folieninhalte oder machen Sie zurückhaltenden Gebrauch eines Laserpointers. (Achten Sie darauf, dass der Strahl des Laserpointers nicht zittert, denn dies suggeriert Unsicherheit des Sprechers.) Vergessen Sie bei Ihrer Präsentation nicht, dass Sie selbst im Mittelpunkt stehen und nicht Ihre Folien und die technische Show dazu. Vor allem bei Neukunden gehört es zum guten Stil, eine ausreichende Anzahl von Tischvorlagen zu den zu besprechenden Themen vorzubereiten; bei bestehenden Geschäftsbeziehungen kann die Zusendung von Dateien mit dem Präsentationsmaterial ausreichend sein.

Vortragsunterlagen senden Sie – wie alle Dateien, welche die IT-Sphäre Ihres Unternehmens verlassen – üblicherweise in einem plattformunabhängigen Dateiformat, meist als PDF-Datei (1993 von Adobe Systems entwickelt). Verschicken Sie, sofern es sich vermeiden lässt (was sich beim Text- oder Tabellenaustausch im Rahmen von Kooperationen nicht immer realisieren lässt), aus Gründen der Datensicherheit und Nachvollziehbarkeit keine anderen Dateiformate an externe Adressaten. Sie sollten während Ihres Vortrags unbedingt die Körpersprache des Publikums im Auge haben: Verschränkte Arme und Hände vor dem Mund stellen eher ein Zeichen von Ablehnung oder Desinteresse dar. Ein wacher, freundlicher Gesichtsausdruck und ein zur Seite geneigter Kopf sind Indizien dafür, dass Ihre Präsentation ankommt. Falls den Zuhörern die Augen zufallen, kann dies Mehreres bedeuten:

3.5  Überzeugend präsentieren und framen

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1. Das Thema langweilt, und/oder Sie tragen mit zu sonorer Stimme ohne jegliche Emotionen vor, was einschläfernd wirkt. 2. Der Betreffende hört aufmerksam zu und achtet nur auf Ihre Stimme. 3. Der Schläfer ist übernächtigt und kann nicht anders, was gerade in Asien öfters vorkommt. Ziehen Sie also bitte keine voreiligen Schlüsse. Falls Ihnen das Publikum zu entgleiten droht, müssen Sie sofort Maßnahmen ergreifen. Schon mancher Vortragende oder Trainer hat seine Botschaft nicht vermitteln können, weil er nicht bemerkte, dass seine Zuhörer die Arme verschränkt hielten. Erfahrene Redner wissen, dass diese Geste einen guten Eisbrecher (s. auch Abschn. 3.3) erfordert, der das Publikum veranlasst, seine Haltung zu ändern. Dazu muss in kürzester Zeit entschieden werden, woran es hapert, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und was für Reden gilt, lässt sich auch auf Verhandlungen übertragen: Sitzen die Vertreter der anderen Seite hartnäckig mit verschränkten Armen da, kann dies ein Indiz dafür sein, dass man mit seiner Position noch nicht zu ihnen vorgedrungen ist, obwohl auf der Tonspur vielleicht etwas anderes kommuniziert wird: ein typisches Beispiel für Inkongruenz (s. Abschn. 3.2). Diese Gegenmaßnahmen können aus einer Verbesserung des Vortragsstils bestehen, eingestreuten Fragen an die Zuhörer oder – auch wenn es am eigenen Selbstbewusstsein kratzt – in einer drastischen Abkürzung der für Sie persönlich sehr wichtigen, aber vielleicht zu langatmigen Ausführungen. 

Reden Sie nicht, vor allem nicht negativ, über Konkurrenzunternehmen und deren Produkte.

Ein letzter wesentlicher Aspekt, der in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden sollte, ist das erwähnte Lampenfieber. Man versteht darunter Anspannung, Nervosität und Stress vor einem öffentlichen Auftritt, was in möglicher Sprechangst resultiert. Lampenfieber hat zu allen Zeiten selbst namhafte darstellende Künstler geplagt, und selbst die besten Redner treten nie ganz entspannt vor ihr Publikum. Es ist dennoch eine nützliche Reaktion des Organismus', die Befindlichkeit auf die Bewältigung einer Aufgabe einzustellen, und in der Literatur und im Internet findet man zahlreiche Tipps, wie damit umgegangen werden kann. Meiner eigenen Erfahrung nach sind eine sehr gute Vorbereitung eines Vortrags mit klarer Zielstellung und gleichzeitiger Bereitschaft zu Spontaneität sowie die Herstellung von Kontakt zum Auditorium wichtige Voraussetzungen, sein Lampenfieber in den Griff zu bekommen.

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3  Körpersprache in Verhandlungen

Es gibt viele weitere wichtige und weniger wichtige Tipps und Kniffe für das Präsentieren, und der Markt für entsprechende Bücher und Seminare wächst. Übung macht – wie beim Verhandeln selbst – auch hier den Meister, und wer als Präsentator den Mut und die Selbstüberwindung aufbringt, andere nach Kritik und Rückmeldung zu fragen, wird mit der Zeit immer besser.

Literatur Busam X (2006) Körpersprache – Entschlüsseln Sie den geheimen Code. Coach Academy e-booklet #16. www.coachacademy.de/cms3_cust/fckeditor_files/File/CAeBookletsGratis/Rhetorik_Koerpersprache.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019, nicht mehr abrufbar Cicero XVIII. Original lateinisch „Imago est animi vultus“. Orator ad M. Brutum (Der Redner) XVIII, 60 Dobelli R (2014) Die Kunst des klaren Denkens. dtv, München Entman R (1993) Framing: Towards a Clarification of a Fractured Paradigm. J C ­ ommun 43(3): 51–58.  https://is.muni.cz/el/1423/podzim2018/POL256/um/Entman_1993_FramingTowardclarificationOfAFracturedParadigm.pdf.  https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1993. tb01304.x. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Gillmann D (2008) Business-Knigge für Dummies. Wiley, Weinheim Hall ET (1966) The Hidden Dimension. Anchor Books, New York Kahneman D (2012) Schnelles Denken, langsames Denken. Penguin, München Kuhnke E (2008) Körpersprache für Dummies. Wiley, Weinheim Matschnig M (2012) Körpersprache im Beruf. Gräfe und Unzer, München Mehrabian A (1971) Silent Messages. Wadsworth, Belmont, CA Molcho S (2001) Alles über Körpersprache. Goldmann, München Pease A (1988) Body Language – How to read others’ thoughts by their gestures. Tenth impression 1988. Sheldon Press, London. www.secret-solutions.com/download/other/ BodyLanguagebyAllanPease.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Pease A, Pease B (2003) Der tote Fisch in der Hand und andere Geheimnisse der Körpersprache. Ullstein, Berlin. http://www.ikrd.de/Dinge/Allan & Barbara Pease - Geheimnisse.pdf.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Pease A, Pease B (2004) The Definitive Book of Body Language – How to read others’ thoughts by their gestures. Pease International, Buderim QLD4556, Australia. https:// e-edu.nbu.bg/pluginfile.php/331752/mod_resource/content/0/Allan_and_Barbara_ Pease_-_Body_Language_The_Definitive_Book.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Rasimus J-M (2019) Die Zeit des Lächelns. idw-Nachrichten, Informationsdienst Wissenschaft; Internet-Veröffentlichung 01.04.2019. https://nachrichten.idw-online.de/2019/ 04/01/die-zeit-des-laechelns/. Zugegriffen: 06. Aug. 2019 Schranner M (2001) Verhandeln im Grenzbereich – Strategien und Taktiken für schwierige Fälle. Econ, München Schröder A (o. J.) Sitzordnung bei Besprechungen – alles was Sie wissen müssen. Internet-­ Veröffentlichung Axel Schröder Unternehmensberatung, Bayreuth. https://besprechung. org/sitzordnung-bei-besprechungen-alles-was-sie-wissen-muessen/. Zugegriffen: 17. Mai 2019

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Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik



Gewinne und Verluste sind psychologisch keineswegs gleichwertig, und zahlreiche Projekte neigen durch Selbstüberschätzung und Planungsirrtümer dazu, aus dem Ruder zu laufen. Hier erfahren Sie, wie Sie mit derartigen kognitiven Verzerrungen umgehen können und nach welchen Kriterien Angebotspreise festzulegen sind.

Wir machen an dieser Stelle einen scheinbar harten Themenwechsel zum Einfluss der Psychologie auf die Wirtschaftswissenschaften. Doch so groß ist der Schritt von der Körpersprache auch wieder nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Mimik, Gestik, Auftreten und erster Eindruck ebenfalls vielfach unbewusst gesteuert werden. Als das Unbewusste bezeichnet die Tiefenpsychologie einen Bereich der menschlichen Psyche, der dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich ist, aber diesem zugrunde liegt. Die Beziehung zum Verhandeln wird sich dem Leser im weiteren Verlauf dieses Kapitels erschließen. Die Psychologie (wörtlich „Seelenkunde“) ist eine empirische Wissenschaft mit dem Ziel, menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben und zu erklären. Zu den psychologischen Einflüssen, die sich auf unser Verhalten auswirken, zählen Ängste, Unsicherheiten und andere derartiger erlernter Erwartungen, außerdem emotionale Reaktionen, kognitive Verarbeitungen und Wahrnehmungsinterpretationen. Psychologisches Hintergrundwissen insbesondere in Bezug auf Wahrnehmungsverzerrungen und kognitive Irrtümer ist für einen erfolgreichen Verhandler von Bedeutung. Das Thema ist komplex, und zahlreiche Teilgebiete helfen hier nicht weiter. Doch in jüngerer Zeit wurden psychologische Erkenntnisse gewonnen und Ergebnisse publiziert, die eine hohe Relevanz für Wirtschaft und Marktgeschehen im weiteren und damit auch für Verhandlungsführung im engeren Sinne besitzen. Diese Forschungsergebnisse sind besonders mit den

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_4

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Ergebnissen von vier Wissenschaftlern verknüpft: Daniel Kahneman und Amos Tversky, Richard Thaler sowie Dan Ariely, deren Originalpublikationen Legion und deren populärwissenschaftliche Bücher (Kahneman et al. 1982; Kahneman und Tversky 2000; Kahneman 2012; Thaler 1992; Thaler und Sunstein 2011; Thaler 2019; Ariely 2008, 2012a, b) – mit ihren umfangreichen Quellenverzeichnissen – regelmäßig Bestseller sind.

4.1 Kognitive Psychologie und Verhaltensökonomik Die kognitive Psychologie (auch Kognitionspsychologie genannt) konzentriert sich seit Ende der 1950er Jahre auf die Untersuchung der menschlichen Informationsverarbeitung – unter anderem auf die Bereiche Lernen, Gedächtnis, Wahrnehmung und Problemlösen. Gegenstand ist das „rechnende Gehirn“ und damit die auf komplexe Weise organisierten psychischen Mechanismen des menschlichen Denkens. (Collin et al. 2012, S. 156–213) Sie ist der Kognitionswissenschaft zuzuordnen, einem interdisziplinär orientierten Arbeitsfeld zur Erforschung bewusster und potenziell bewusster Vorgänge (englisch Science of the Mind). Eine Unterdisziplin der kognitiven Psychologie ist das Neuromarketing, dem die Kernannahme zugrunde liegt, dass ökonomische Entscheidungen zu großen Teilen auf unbewusst ablaufenden Prozessen beruhen. Diese können stark durch Emotionen bestimmt werden und stellen dann weniger das Ergebnis rationaler Abwägungen dar. Vor allem Verbraucher sind sich oft nicht über alle eine Kaufentscheidung beeinflussenden Motive bewusst. Und der Handel nutzt das opportunistisch aus. Nachdem sich bereits frühe Ökonomen mit Emotionen, Impulsen, Moral und vergleichbaren Konzepten beschäftigt hatten, war die Psychologie gegen Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend aus der ökonomischen Diskussion verschwunden. (Vienna Behavioral Economics Network o. J.) Eine Vielzahl von Faktoren trug dazu bei, dass sie wieder aufgegriffen wurde. Die kognitive Psychologie begann in den 1960er Jahren, das Gehirn im Gegensatz zu Modellen des Behaviorismus als Informationsverarbeitungsgerät anzusehen, und Psychologen fingen an, ihre kognitiven Modelle des Entscheidungsprozesses unter Risiko und Unsicherheit an wirtschaftlichen Verhaltensmustern zu erproben. Einige der zahlreichen Ergebnisse, welche die kognitive Psychologie in den Jahrzehnten ihres Bestehens ans Licht gebracht hat, sind als Grundlage für das Verständnis von Handlungsweisen in Verhandlungen geeignet. Der US-amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger (1919–1989) fand heraus, dass Menschen in einen unangenehmen Zustand „kognitiver Dissonanz“ verfallen, wenn

4.1  Kognitive Psychologie und Verhaltensökonomik

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sie mit Gegenbeweisen zu ihren strikten Überzeugungen konfrontiert werden. Sie lassen sich daher von ihrer Meinung nur sehr schwer abbringen – dieses Verhalten ist Ihnen sicherlich im Dialog mit Kunden oder internen Stellen bereits begegnet. Und Elizabeth Loftus stellte in den 1970er Jahren fest, dass sich Augenzeugen oft falsch erinnern, was deren Glaubwürdigkeit vor Gericht zweifelhaft erscheinen lässt. (Collin et al. 2012, S. 166–167, 202–207).  Das False Memory-Syndrom besagt, dass etwas, selbst wenn man davon zutiefst überzeugt ist, nicht zwingend auch wahr ist.

Gordon H. Bower und Paul Ekman haben sich mit Emotionen beschäftigt. Bower fand heraus, dass Ereignisse und Emotionen gemeinsam gespeichert werden. Bemerkenswert ist, dass Menschen stärker auf Informationen achten, die ihrer jeweiligen Stimmung entsprechen. Und Ekman, der sechs definierte Basisemotionen als automatische Reaktion auf bestimmte Auslöser unterschieden hat, bemerkte: „Emotionen sind mächtig und kaum zu stoppen – wie ein Schnellzug ohne Bremsen.“ (Collin et al. 2012, S. 194–197). Hier liegt unter anderem die Begründung dafür, warum positives Framing von Produkten die Absatzchancen steigert, etwa beim Messgerät von ISHIKAWA (Abschn. 3.5). Der Kognitionspsychologe Roger N. Shepard untersuchte, wie das Bewusstsein Informationen aus der Außenwelt verarbeitet und wie genau diese Eindrücke genutzt werden. Shepard fand heraus, dass unser Gehirn Sinnesdaten nicht nur verarbeitet, sondern automatisch aufgrund eines inneren Modells Schlüsse daraus zieht. Es interpretiert diese Daten auf der Basis von Wissen und Erfahrung. Sein klassisches Beispiel ist das der beiden Tische, von denen einer gedreht wird – nur ein Beispiel von vielen optischen Täuschungen, auf die der Mensch hereinfällt (Shepard 1981, 1990). Betrachten Sie Abb. 4.1. Sie werden es zunächst nicht glauben wollen: Die Abmessungen der beiden Tische sind exakt dieselben! Aber Sie sehen es nicht – Sie können es nicht sehen, wie die meisten anderen Menschen ebenfalls. (Messen Sie nach!) Doch wenn sich das Gehirn schon bereits bei derartig trivialen Dingen täuschen lässt, wie sieht es dann erst bei komplexen ökonomischen Vorgängen aus? Welche Gefahren lauern beispielsweise in Verhandlungen, dass man seine Ziele aus den Augen verliert und aufgrund vorhersagbarer Fehler unnötige Konzessionen macht und suboptimale Abschlüsse tätigt? Mit derartigen kognitiven Fehlleistungen werden wir uns im Folgenden beschäftigen. Erste Arbeiten von Daniel Kahneman und Amos Tversky (Tversky und Kahneman 1974) befassten sich mit Grundlagen der Entscheidungsfindung. Die beiden Forscher fanden heraus, dass der Mensch in der Praxis keineswegs rationale

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Abb. 4.1   Optische Täuschung: zwei Tische mit denselben Abmessungen. (Shepard 1990; eigene Darstellung in Anlehnung an tables/CC BY-SA 4.0, Wikipedia 2019d)

Entscheidungen auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeiten trifft: Wir suchen ständig nach Kausalverknüpfungen. Abschätzungen und Heuristiken führen zu reproduzierbaren Fehlern selbst bei in Statistik kundigen Studenten und Fachleuten.

 Heuristik  bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (also unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen. So glauben viele Leute, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Schwarz folgt, nachdem eine Roulette-Kugel mehrmals hintereinander auf Rot gefallen ist. Beispiel

Am 18.08.1913 landete die Roulette-Kugel im Spielcasino von Monte Carlo stolze 26 Mal hintereinander auf Schwarz. Ungefähr nach dem 15. oder 16. Mal soll es zu geradezu „chaotischen Zuständen“ und „ungezügeltem Setzen“ gekommen sein: Immer mehr Hinzukommende wollten auf Rot setzen, weil sie glaubten, irgendwann müsste diese Serie doch ein Ende haben. Einige waren davon sogar so überzeugt, dass sie alles setzten und kein Geld mehr hatten, als in der 27. Runde endlich Rot kam. Das Casino verdiente an diesem Tag Millionen. Die Spieler damals machten einen Denkfehler, der unter dem Namen Gambler’s Fallacy in die Wissenschaft eingegangen ist. Über diesen Rekord wird bereits seit mehr als einem Jahrhundert regelmäßig und mit ungebrochenem Erstaunen berichtet (z. B. Siedenbiedel 2012). Was mich bei rationaler Betrachtung der Schilderung dieser Begebenheit wundert, ist Folgendes: Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beim Roulette 15 Mal in Folge dieselbe Farbe kommt, liegt (unter Vernachlässung der 0)

4.1  Kognitive Psychologie und Verhaltensökonomik

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bei knapp 1:33.000 – kein übermäßiger Grund zur Aufregung also, denn das könnte in einem größeren Casino alle paar Tage passieren. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kugel nach dem 15. oder 16. Mal weitere zehn Male auf Schwarz landen würde, beträgt allerdings nochmals 1:1024, und „chaotische Zustände“ sollten eher erst jenseits des 20. Schwarz-Ergebnisses zu erwarten gewesen sein. Rein statistisch müssten es in den Casinos der Welt bisher zahlreiche Serien gegeben haben, bei denen eine Farbe 20 Mal und öfter gekommen ist und über die nicht berichtet wurde; die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Kugel zum 20. Mal dieselbe Farbe trifft, beträgt etwa 1: 1 Million (1:220). Bei Tversky und Kahneman (1974, S. 1128–1130) wird auch das Phänomen der Ankerung genauer untersucht, auf das Abschn. 4.3 detaillierter eingeht. Versuchsteilnehmer wurden aufgefordert – ohne den Hintergrund zu kennen –, an einem präparierten Glücksrad drehen, das nur bei den Zahlen 10 und 65 stehenblieb, und sollten anschließend schätzen, wie hoch der Prozentsatz afrikanischer Staaten in den Vereinten Nationen ist. Dazu wurden sie zunächst gefragt, ob die Anzahl höher oder niedriger als die Zahl auf dem Glücksrad ist, und anschließend um eine konkrete Schätzung gebeten. Diejenigen, bei denen das Glücksrad bei 10 stehenblieb, schätzen im Mittel eine Zahl von 25 Staaten; bei der 65er-Gruppe betrug die durchschnittliche Schätzung 45 Staaten. (Die aktuell korrekte Zahl lautet übrigens 54 [Wikipedia 2019b].) Kahneman und Tversky stellten in ihren Arbeiten fest, dass die typischen falschen Einschätzungen gewissen Mustern folgen. Wie inzwischen vielfach publiziert worden ist, überschätzen Menschen etwa das Risiko von Flugreisen und unterschätzen die Gefahr, die mit Autofahrten verbunden ist. Aus Angst veränderten beispielsweise viele Amerikaner nach 9/11 ihr Reiseverhalten und nutzten vermehrt das Auto anstatt von Flugzeugen. Dadurch kam es in den ersten zwölf Monaten nach den Anschlägen zu 1.600 zusätzlichen Verkehrstoten – mehr als die Hälfte der Opferzahl der Terroranschläge selbst. (Gigerenzer und Gaissmaier 2007) Dies ist ein typisches Beispiel für die Überschätzung seltener Ereignisse, im geschilderten Fall der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Flugzeugkatastrophe zu werden. Ende der 1970er Jahre wurden zwei bahnbrechende Artikel geschrieben, die eine neue Forschungsrichtung begründeten. Und es waren abermals die Psychologen Kahneman und Tversky, die mit Prospect theory, an analysis of decision under risk den Anfang machten. (Kahneman und Tversky 1979) Die Prospect Theory (deutsch „Neue Erwartungstheorie“) basiert auf empirischen Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten in Lotterien (Gambles), in denen die

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Alternativen sich bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit und des gewinnbaren monetären Wertes unterscheiden. Im Artikel wurde das ebenfalls noch zu besprechende Phänomen der Verlustaversion (Abschn. 4.5) erstmals beschrieben. Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler nahm den Ball ein Jahr später mit Toward a positive theory of consumer choice auf und beschrieb die Unfähigkeit von Verbrauchern, rationale Entscheidungen zu treffen. (Thaler 1980) So werden bei wirtschaftlichen Transaktionen regelmäßig Nebenkosten (Opportunity Costs) unterschätzt, während die Bereitschaft fehlt, an einem bestimmten Punkt der Erfolgslosigkeit Sunk Costs abzuschreiben und zu vergessen. Hierin ist z. B. der Besitztumseffekt (Endowment Effect) begründet.

Besitztumseffekt

Der Besitztumseffekt besagt, dass das, was man in seinem Besitz hat, einen höheren Wert hat als das, was einem nicht gehört. Ein einleuchtendes Beispiel ist das einer aktuell schlecht bewerteten Aktie im Portfolio, die für jemanden persönlich einen deutlich höheren individuellen Wert hat als den aktuellen Marktpreis. Dabei ist es für die reelle Bewertung eines Wertpapiers weitgehend unerheblich, welche Höchst- oder Tiefststände dieser Titel in der Vergangenheit durchlaufen hat. Daher macht der Privatinvestor gerne den Fehler, bestimmte Verlustbringer trotz schlechter Unternehmensnachrichten und immer weiter gehendem Kursverfall zu halten und nicht konsequent aus dem Depot zu werfen und die frei werdenden (Rest-)Mittel in sich positiver entwickelnde Titel zu investieren. Ein Fondsmanager tut sich da wesentlich leichter: Als Profi bewertet er Gewinne und Verluste gleich – ein Kleinanleger ist dazu meist nicht in der Lage.

Thaler war einer der ersten, der deutlich darauf hinwies, dass der Mensch bei vielen seiner Handlungen kein Homo oeconomicus (rationaler Agent, wörtlich übersetzt „Wirtschaftsmensch“) ist, also kein rationaler Nutzenmaximierer, und immer wieder irrationale Entscheidungen trifft. Doch durch ein geschicktes Hinführen zu einer wünschenswerten Verhaltensweise durch positive Verstärkung (Sunstein und Thaler 2003), die Thaler zusammen mit dem Juristen Cass Sunstein später als Nudge-Theorie („sanftes Hinstupsen“) bezeichnete (Thaler und Sunstein 2011, S. 13), lassen sich vor allem beim Wohlergehen der Bevölkerung im Hinblick auf Gesundheit, Finanzen oder Versicherungsschutz Vorteile bewirken. Auf diesen Vorarbeiten hat sich eine neue Forschungsrichtung begründet:

4.1  Kognitive Psychologie und Verhaltensökonomik

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 Verhaltensökonomik  Die Verhaltensökonomik (englisch Behavioral Economics) beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen und wendet die Erkenntnisse aus experimentellen Labor- und Feldstudien, insbesondere aus der Psychologie und anderen Sozialwissenschaften, in der Ökonomie an. Sie ist heute ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft, da der rationale Umgang mit knappen, also nur begrenzt verfügbaren Gütern analysiert wird. Die Forscher untersuchen Konstellationen, in denen Menschen im Widerspruch zur Modell-Annahme des Homo oeconomicus agieren. Dementsprechend beziehen sich die zentralen Konzepte vor allem auf Individuen und ihre Entscheidungen. Menschen werden dabei als begrenzt rational (bounded rational) beschrieben. Die heutige Verhaltensökonomik befasst sich mit drei wesentlichen Themen: Heuristik (Fällen von Entscheidungen bei begrenzter Informationslage über Daumenregeln und mentale Abkürzungen; siehe oben), Framing (s. Abschn. 3.5) sowie unvollkommene Märkte (beobachtete Markthandlungen laufen vernünftigen Erwartungen zuwider). (Shefrin 2002) Die damit verbundenen Fragestellungen werden auch mathematisch von der Spieltheorie (s. Kap. 5) untersucht. Der Übergang der Verhaltensökonomik zur ökonomischen Psychologie ist fließend, die sich wiederum mit der Natur von Konsum und mit Entscheidungsverhalten im ökonomischen Kontext beschäftigt und etwas breiter als die primär auf monetäre Gesichtspunkte ausgerichtete Verhaltensökonomik aufgestellt ist – sie beinhaltet z. B. Felder wie Markt- und Werbepsychologie. Fassen wir also zusammen: Konventionelle Standardökonomik setzt voraus, dass wir uns als Homo oeconomicus rational verhalten. Aber im wirklichen Leben ist die Entscheidungsfindung weniger rational als erwartet, allerdings keineswegs willkürlich, sondern systematisch und vorhersagbar. Verhaltensökonomik ist ein neuer Ansatz, der das reale Verhalten mit dem theoretischen vergleicht. Er geht davon aus, dass die Leute laufend falsche Entscheidungen treffen – auch in Verhandlungen. Wir sollten uns bewusst machen, dass alle möglichen Kräfte vor diesem Hintergrund unser Verhalten beeinflussen wollen. Doch wir können lernen, aufmerksam zu sein, Situationen zu analysieren, uns zur Anwendung bestimmter Techniken zu zwingen, die unsere natürlichen Defizite kompensieren. Hiermit beschäftigen sich die nun folgenden Abschn. 4.2 bis 4.6. Bleibt noch zu erwähnen, dass im Forschungsbereich der Verhaltensökonomik bereits mehrere „Wirtschaftsnobelpreise“ verliehen wurden. (Korrekt heißt dieser Preis „Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften“. Es handelt sich nicht um einen Nobelpreis im ursprünglichen Sinne, sondern eine

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

nachträglich 1968 gestifteten Ehrung, vergeben nach denselben Kriterien.) Der Preis ging unter anderem 1978 an Herbert Simon (1916–2001), der bereits 1955 den Homo oeconomicus infrage stellte (Simon 1955, 1956; Gigerenzer 2004), 2002 an Daniel Kahneman (Amos Tversky ist 1996 verstorben), 2013 an Robert Shiller („für die empirische Analyse von Kapitalmarktpreisen“ innerhalb der Behavioral Finance, „verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie“, einem Untergebiet der Verhaltensökonomik, das sich unter anderem mit der Psychologie der Anleger beschäftigt) und 2017 an Richard Thaler. Weitere renommierte Wissenschaftler erhielten den begehrten Preis für ihre Arbeiten zur hier ebenfalls relevanten Forschungsthemen: zur asymmetrischen Informationsverteilung (Coase im Jahr 1991, Akerlof et al. 2001, Hart und Holmström 2016) sowie zur Spieltheorie in Verhandlungen (Harsanyi et al. im Jahr 1994, Aumann und Schelling 2006, Roth und Shapley 2012).

4.2 Kopf oder Bauch? Menschen treffen im Widerspruch zur Modellannahme des Homo oeconomicus Entscheidungen häufig auf Grundlage einer einfachen, schnellen und stabilen Faustregel, nicht nur aufgrund einer Analyse aller Möglichkeiten. Ein solches Verhalten lässt sich in bis zu 95 Prozent der Fälle nachweisen und hat seinen Grund meist darin, dass Entscheidungen intuitiv, nach Gefühl, heuristisch bzw. „aus dem Bauch heraus“ getroffen werden; dies konnten Sie bereits an mehreren Stellen lesen. Gefühl und Verstand spielen immer eine Rolle, wenn Menschen sich entscheiden sollen oder müssen. Während die einen ihre Gefühle befragen, vertrauen die anderen auf Rationalität und Fakten; vielfach ist das Vorgehen kontextabhängig. Sogenannte Kopf- und Bauchmenschen unterscheiden sich darin, wie sie in bestimmten Situationen agieren und reagieren, denn sie handeln in der gleichen Situation meist unterschiedlich und treffen ihre Entscheidungen auf anderer Basis. Das liegt nach allgemeiner Auffassung primär daran, dass kopflastige Menschen rational denken und auch handeln und dabei die Gefühle zurückstellen, während Bauchmenschen sich als emotional veranlagte Wesen bevorzugt von Gefühlen leiten lassen. Unser Gehirn besteht aus zwei Gehirnhälften, denen bestimmte Funktionsund Leistungsbereiche zugeordnet werden. Kopfmenschen zählen eher zum linkshirndominanten Typ: Sie denken logisch und strukturiert, gehen analytisch vor, können gut mit Zahlen umgehen, haben einen ausgeprägten Orientierungssinn und eine gute Beobachtungsgabe: Eigenschaften des Homo oeconomicus. Bauch-

4.2  Kopf oder Bauch?

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menschen sind in der Regel rechtshirndominant: vorwiegend kreativ und emotional, mit ausgeprägten musischen Fähigkeiten. Diese Menschen lösen Probleme intuitiv und erfassen komplexe Zusammenhänge ganzheitlich. Einzelne Menschen repräsentieren immer Mischformen, wobei jedes Individuum tendenziell entweder den Kopf- oder den Bauchmenschen zugeordnet werden kann. Man schätzt, dass die deutsche Gesellschaft zu etwa 60 bis 80 Prozent kopflastig ist. Beide Typen haben ihre Vorzüge: Wo der eine seine Stärken zeigt, liegen oft die Schwächen des anderen. In der amerikanischen Fachliteratur haben sich für die beiden Typen die Begriffe Econs und Humans durchgesetzt, die von Richard Thaler geprägt wurden. Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, dass in Verhandlungen die Fähigkeiten der Kopfmenschen klar zu bevorzugen sind, da nur sie die Vor- und Nachteile eines Abschlusses korrekt und quantitativ abschätzen können und nicht auf psychologische Fehler und mentale Kurzschlüsse hereinfallen. Doch ganz so einfach ist es in Wirklichkeit nicht. Wer könnte schon von sich behaupten, dass er noch nie bei einem Geschäft ein schlechtes Gefühl hatte (das sich im Nachhinein vielleicht als berechtigt erwiesen hat), dass seine Intuition ihn für oder gegen etwas ermuntert hätte oder dass er eine Entwicklung mit einer Art sechstem Sinn vorhergesehen hätte. (Erinnern Sie sich an den Begriff der Kongruenz in Zusammenhang mit der Körpersprache in Abschn. 3.2.) 80 Prozent Kopf- und 20 Prozent Bauchmensch wäre in meinen Augen optimal für einen guten Verhandler. Bei einem pragmatischen Ansatz für Verhandlungen helfen uns die Ergebnisse des bereits erwähnten Daniel Kahneman. Der Titel seines Übersichtswerkes „Schnelles Denken, langsames Denken“ bezieht sich auf zwei grundsätzlich unterscheidbare Arten des Denkens, die in Verbindung mit den typischen Eigenschaften von Humans und Econs stehen und die er „System 1“ und „System 2“ nennt. System 1 ist das automatische System, System 2 das willentliche. (Kahneman 2012, S. 31–136) • System 1 ist für das „schnelles Denken“ zuständig; es ist sehr energieeffizient, läuft ohne unser Zutun und lässt sich nicht abstellen. Es wird charakterisiert durch Begriffe wie Intuition, Heuristik, Mut zur Lücke, erster Eindruck und Bauchgefühl. System 1 arbeitet immer, wenn wir wach sind, ohne willentliche Steuerung, weitgehend mühelos – und schnell. • System 2 steht für „langsames Denken“ und lenkt die Aufmerksamkeit auf anstrengende mentale Aktivitäten, etwa komplexe Berechnungen. Diese Art des Denkens ist energieaufwendig und – wie gesagt – langsam und erfordert eine hohe Konzentration. Die Ergebnisse sind dafür rational begründet, analytisch, kalkuliert und genau. Im Gegensatz zu System 1 arbeitet System 2

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

nicht immer auf vollen Touren, sondern befindet sich meist in einem angenehmen Modus geringer Anstrengung. Es muss geradezu bewusst aktiviert werden, wenn es darauf ankommt. 

Bei wichtigen Entscheidungen, z. B. in Verhandlungen, ist System 2 von hoher Bedeutung, um über diese anstrengendere Vorgehensweise die intuitive Einschätzung von System 1 zu kontrollieren und zu überprüfen.

Kommen wir noch einmal zu den mittels der Shepard-Tische eingeführten optischen Täuschungen und den Implikationen daraus zurück. Zahlreiche weitere Beispiele gaukeln dem Betrachter von Zeichnungen vor, etwas anderes zu sehen, als darauf in Wirklichkeit abgebildet ist. So können gleich lange Linien unterschiedlich lang erscheinen und gerade Linien gekrümmt. Doch neben diesen optischen Täuschungen gibt es auch Illusionen des Denkens, die man kognitive Täuschungen nennt. Beispiel

Für standardisierte Tests wurden Fragen entwickelt, die regelmäßig von einem hohen Prozentsatz der Befragten falsch beantwortet werden: „Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Dollar. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?“ oder „Wenn fünf Maschinen in fünf Minuten fünf Teile produzieren, wie lange benötigen 100 Maschinen für die Produktion von 100 Teilen?“ (Frederick 2005, S. 27) Viele Befragte antworten auf die erste Frage intuitiv mit „10 Cents“ und auf die zweite mit „100 Minuten“. Die korrekten Antworten, die Sie leicht über Ihr System 2 herleiten können, lauten „5 Cents“ und „5 Minuten“. Derartige kognitive Verzerrungen (englisch Biases) können vor allem bei Verbrauchern und im Geschäftsleben zu teuren Fehlschlüssen führen. Richard Thaler spricht in Misbehaving (Thaler 2019) auch von Anomalien – Abweichungen von Verhaltensweisen und Befunden, die der Standardökonomie entsprechen. Der Grund ist sehr oft, dass System 2 eine seiner Hauptfunktionen nicht wahrnimmt, die darin besteht, von System 1 vorgeschlagene Gedanken und Handlungen zu überwachen. Das Gehirn spart Energie, da das intuitive Gefühl für beide Testfragen im Beispiel oben eine plausible Lösung suggeriert, die scheinbar keiner näheren Überprüfung bedarf. Damit erfüllt es die evolutionsgeschichtlich vorgegebenen Anforderungen, die in Zeiten des Säbelzahntigers angebracht waren, nicht jedoch in einer Vergabeverhandlung für industrielle Großanlagen.

4.3  Angebote, Preise und Ankerung

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Um Gefühl, Intuition und Heuristik brauchen wir uns hinsichtlich des Eintretens keine großen Gedanken zu machen – als System-1-Eigenschaften befassen wir uns damit auch dann, wenn wir müde und unkonzentriert sind. Die Treffsicherheit des Bauchgefühls wächst in den meisten Fällen mit der Erfahrung, weshalb ein Verhandler nach einigen Jahren Praxis gewöhnlich souveräner und besser wird. Mit der bewussten Überprüfung der Schnellschüsse sieht es ganz anders aus. Sie kostet Energie und muss wie dargelegt bewusst angestoßen werden. Dazu sollte man in allen Phasen einer Verhandlung hellwach und aufmerksam sein. Daher lautet der daraus abzuleitende Verhandlungstipp: 

Gehen Sie immer ausgeruht und konzentriert in eine Verhandlung. Und gleichzeitig mit einer positiver Grundstimmung, was das Auffinden gemeinsamer Interessen erleichtert.

Vor kräftezehrenden Abendveranstaltungen mit Kundenvertretern am Vorabend einer Verhandlung sollte jeder Vertriebsingenieur unbedingt Abstand nehmen (s. Wenski 2019). Neben dem zu beachtenden Compliance-Aspekt haben Sie hier im Rahmen der Verhaltensökonomik einen weiteren wichtigen Grund dafür erfahren. Die Frage „Kopf oder Bauch?“ lässt sich daher mit „sowohl – als auch“ beantworten. Bereiten Sie sich immer gewissenhaft auf eine Verhandlung vor, und vor allem: Überprüfen Sie Ihr Bauchgefühl unbedingt mit dem Kopf. Dies bewahrt Sie vor zahlreichen Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen auf der Basis von kognitiven Irrtümern und Verzerrungen, von denen nachfolgend einige erläutert und auf Verhandlungen angewandt werden sollen.

4.3 Angebote, Preise und Ankerung Mit der Versendung eines Angebotes an einen (potenziellen) Kunden gibt man eine rechtlich bindende Willenserklärung ab. Dabei ist es für den verantwortlichen Vertriebsingenieur von Bedeutung, sorgfältig im Rahmen der Vertriebsund Verhandlungsstrategie vorzugehen, einen ausreichenden Markup – dem beim Preis zur Disposition stehenden Verhandlungsrahmen – sowie Streichposten einzubauen und nie die Herstellkosten offenzulegen (s. Wenski 2019). Damit ist allerdings nicht alles Wesentliche zum Erstellen von Angeboten gesagt, wie ein Blick auf weitere Ergebnisse der Verhaltensökonomik lehrt. Dort wird ein Phänomen beschrieben, das man kognitive Leichtigkeit nennt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vergleichen Sie diese beiden Aussagen (s. Abb. 4.2). Welche ist wahr?

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Konrad Adenauer ist 1877 geboren. Konrad Adenauer ist 1874 geboren. Abb. 4.2   Welche Aussage ist wahr?

Die Idee hierfür stammt wiederum von Daniel Kahneman. Sowohl im englischsprachigen Originalwerk (Kahneman 2011, S. 64) als auch in der deutschen Übersetzung (Kahneman 2012, S. 85) ist das Geburtsjahr von Adolf Hitler als Beispiel aufgeführt. Ich verwende in deutschsprachigen Seminaren Konrad Adenauer und in englischsprachigen Veranstaltungen namhafte Politiker aus dem jeweiligen Kulturkreis. Allerdings musste ich als Verhandler und Trainer feststellen, dass einige der hier beschriebenen Konzepte aus der Verhaltensökonomik bei Asiaten versagen. Beide Aussagen sind übrigens falsch (Adenauer wurde am 5. Januar 1876 in Köln geboren und starb am 19. April 1967 in Rhöndorf), doch aufgrund psychologischer Studien besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Betrachter der ersten Aussage eher glaubt als der zweiten. Warum ist das so? Das Gehirn entscheidet ständig neu, ob alles gut läuft oder ob die Aufmerksamkeit – wegen einer Änderung oder gar Bedrohung – neu ausgerichtet werden muss. Bekanntes, Gewohntes, Klares oder Geprimtes (s. nachfolgenden Kasten) wird von anderen bevorzugt als wahr und authentisch akzeptiert, denn System 2 greift nicht korrigierend ein – es möchte ja Energie sparen. Es werden genau die Informationen betrachtet, die auf dem Tisch liegen: zwei Aussagen, von denen eine auffällig und die andere blasser gedruckt ist. So gelangt der Mensch zu einer voreiligen Schlussfolgerung auf beschränkter Datenbasis; man nennt diese „Urteilssprünge“. System 1 ist völlig unempfindlich für die Qualität und Quantität solcher Informationen, aus denen solche teilweise falschen Eindrücke und Intuitionen hervorgehen. (Kahneman 2012, S. 112–115)

Priming

Unter Priming („Bahnung“) versteht man nach Stangl (2019) in der Psychologie eine Art Grundierung des Denkens, ein sanfter Druck, in eine bestimmte Richtung zu denken und zu handeln, den Menschen in der Regel nicht bewusst wahrnehmen. Die Verarbeitung eines Reizes wird dabei so beeinflusst, dass beim Adressaten aufgrund einer derartigen Suggestion und Vorerfahrung spezielle Assoziationen im Gedächtnis aktiviert werden.

4.3  Angebote, Preise und Ankerung

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Menschen lassen sich durch bestimmte Wörter oder Gesten auf eine Situation vorbereiten und „konditionieren“. Dies können Schlüsselwörter, ein Nicken oder ein Lächeln oder auch die Umgebung sein. Man unterscheidet positives und negatives Priming. Als Vertriebsingenieur sollten Sie Ihre Kunden positiv primen, indem Sie etwa beim Nennen des Preises nicken, durch Framen positive Gefühle erzeugen und vor allem ein Geschäft durch einen guten Eindruck beim Kunden und den Aufbau eines Champions frühzeitig einfädeln.

Im Verbraucherbereich nutzen Hersteller und Handel das Prinzip der kognitiven Leichtigkeit in der Werbung (Das muss ich haben!) und bei der Produktpräsentation – das, was Sie wirklich benötigen, steht meist im entferntesten Eck – gnadenlos aus. Doch auch im professionellen Sektor finden sich ausreichend Beispiele. Wortwahl und Druckqualität eines Schreibens haben eventuell einen Einfluss auf den Adressaten. Ob Bestellformular, Broschüre oder Buch: Eine professionelle, hochwertige Aufmachung lässt die Inhalte gleich viel seriöser erscheinen. Design und Qualität einer Visitenkarte (Größe, Kartondicke, Gestaltung und Inhalte sowie Titel und Stellung des Besitzers) kann den Empfänger dazu bringen, den Übergeber gleich in eine bestimmte Schublade zu stecken: Taschenträger oder Entscheider, Hobbydruck oder Corporate Identity. Daraus ergibt sich für Lieferantenvertreter: 

Machen Sie verständliche und präzise Angebote und Präsentationen in grafisch einwandfreier Aufmachung.

Verwenden Sie bei der Anfertigung von Tischvorlagen und Ausdrucken ausreichend dickes Papier und einen hochwertigen Laserdrucker. Schlüsseln Sie Ihr Angebot in selbsterklärende Einzelpositionen auf; konzipieren Sie es weder zu lang noch zu kurz. Drücken Sie sich verbal ebenso klar und korrekt aus. Beispiel

In meiner Einkäuferzeit bekam ich natürlich zahlreiche Angebote von Lieferanten auf den Tisch (im übertragenen Sinne meist mit E-Mail), die das ganze Spektrum der Möglichkeiten abbildeten. Das ging von 25-seitigen Schriftsätzen mit Typengröße 8 eines europäischen Lieferanten bis zu einseitigen Dokumenten über Millionenobjekte (in Euro) aus Japan, die halb leer waren, ein einziges Line Item enthielten und in einer schlechten Schriftqualität ankamen. Ebenso bemerkenswert waren US-amerikanische Angebote, bei

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

denen der juristische Teil fünfmal so lang war wie der technische und kommerzielle. (Und es gab eine Vielzahl wirklich gut gelungener Ausführungen.) Vor allem für potenzielle Neukunden passende Angebote zu schreiben ist eine in ihrer Bedeutung vielfach unterschätzte Kunst. So viel also zum Aussehen des Angebots. Und was soll nun genau drinstehen, insbesondere als Anlagenpreis? Anton Schmitz

Die Forderung der WAFAG an Anton Schmitz ist gewesen, als Verhandlungsgrundlage ein kaufmännisch verbindliches Staffelangebot für bis zu fünf Anlagen auf Basis der vereinbarten Spezifikation (d. h. mit Edelstahlrahmen) zu erstellen. Nach vielem Hin und Her hat ISHIKAWA ein kommerziell verbindliches Angebot im Vorfeld elektronisch abgegeben: mit einem Basispreis in Höhe von 1.157.890 Euro für ein System mit einem gestaffelten prozentualen Nachlass für zwei und mehr Geräte (minus zwei Prozent) und fünf und mehr Geräte (minus fünf Prozent). Wie diese krumme Zahl zustande gekommen ist, erfahren Sie am Anfang von Kap. 5. Hoffen wir, dass Anton Schmitz und sein Mutterhaus hierbei sehr genau darauf geachtet haben, dass im Hinblick auf die zukünftige Profitabilität der Markup adäquat gesetzt wurde. Ein absolutes Richtig oder Falsch gibt es dabei natürlich nicht. Die im Angebotspreis enthaltene aufsteigende Ziffernfolge „15789“ wirkt auf den ersten Blick authentisch, doch ist der Zahlenwert mit seiner Pseudo-Genauigkeit vielleicht etwas zu ungerade?! Lesen Sie im Folgenden, was die Wissenschaft dazu sagt. Neuere Forschungsergebnisse (Loschelder et al. 2013; Mason et al. 2013), über die sogar in der Tagespresse berichtet wurde (Süddeutsche Zeitung 2013, 2016), haben gezeigt, dass „krumme Nummern“ die Erfolgschancen erhöhen, weil sie mehr Authentizität und eine realistische Kalkulationsgrundlage suggerieren. Wer feilscht, sollte also mit ungeraden Preisen starten und, falls primär der Preis maßgeblich ist, möglichst das erste Angebot machen. Wenn es jedoch in einer integrativen Verhandlung um ein ganzes Paket von Objekten geht, ist Zurückhaltung geboten. (Loschelder et al. 2014) Inzwischen wird diskutiert, dass eine derartige scheinbare höhere Genauigkeit des Angebotes zwar bei Privatleuten, niedrigen Werten und/oder ungeübten Verhandlern ihre Wirkung nicht verfehlt – vor allem wenn sie eine der oben erwähnten als authentisch empfundenen aufsteigenden Ziffernfolgen enthalten.

4.3  Angebote, Preise und Ankerung

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So klingt 1.589 Euro griffiger als etwa 1.604 Euro. Die im B2C-Bereich ebenfalls populären gebrochenen Preise (die mit „9“ enden) spielen bei der numerischen Preisgestaltung im B2B-Bereich im Rahmen von Investitionsgütergeschäften nur eine untergeordnete Rolle. Bei Profis kann eine erhöhte Genauigkeit jedoch ins gerade Gegenteil umschlagen kann: Die Wirksamkeit der zunehmenden Präzisierung des Angebotspreises scheint einer umgekehrten U-Funktion zu folgen. Die Wissenschaftler um David Loschelder untersuchten für den Verkauf einer Chemieanlage z. B. die Preisniveaus 26.000.000 Euro, 25.750.000 Euro und 25.748.637 Euro und fanden bei den Kunden eine mittlere Zahlungsbereitschaft von 19,64, 21,95 und 19,85 Millionen Euro, das heißt die moderate Preisgenauigkeit hat in diesem Experiment den höchsten Abschluss erzielt. Der Effekt fällt jedoch weniger gravierend aus, wenn für eine hohe Preisgenauigkeit eine plausible Erklärung abgegeben wird. (Loschelder et al. 2016) Die Untersuchungen enden an dieser Stelle keineswegs, lassen jedoch für den Vertriebsingenieur folgenden Schluss zu: 

Schreiben Sie in Ihr Angebot niemals eine glatte Zahl von zwei oder fünf Millionen Euro oder Dollar hinein. Bieten Sie Ihre Anlage zu einem authentisch wirkenden Preis an, der sich aus Einzelpreisen zusammensetzt und einen ausreichend hohen Markup enthält. Nur so können Sie dem Effekt sinnvoll entgegenwirken, dass Ihr Gegenüber in der Verhandlung mit seiner subjektiven Preisvorstellung einen Anker zu Ihrem Nachteil setzt.

In Abschn. 4.1 haben wir von der Ankerung durch ein manipuliertes Glücksrad bei der Schätzung der Zahl afrikanischer UN-Staaten gehört. Der Ankereffekt (englisch Anchoring Effect) wurde 1974 von Tversky und Kahneman erstmals quantitativ untersucht und beschrieben.

Ankereffekt

Der Begriff aus der kognitiven Psychologie bezeichnet die Tatsache, dass Menschen bei auszuwählenden Zahlenwerten von momentan vorhandenen Umgebungsinformationen beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Die Umgebungsinformationen haben Einfluss selbst dann, wenn sie für die Entscheidung irrelevant sind. Es handelt sich also um einen Effekt, bei dem sich das Urteil an einem willkürlichen Anker orientiert. Die Folge ist eine systematische Verzerrung in Richtung

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

des Ankers. Anker können auf zwei verschiedene Weisen wirken: Als unbewusste Suggestion aktiviert der Anker zum einen zu ihm passende Assoziationen, welche im Anschluss die Urteilsfindung beeinflussen, also über den Mechanismus des erwähnten Primings. Oder der Anker liefert den Ausgangspunkt oder Startwert für einen bewussten Gedankengang, der zu einem rational begründeten Urteil führen soll. Dann spricht man auch von Anpassungsheuristik (englisch Adjustment).

Wann immer wir etwas schätzen sollen, benutzen wir Anker. Wir nehmen etwas Bekanntes und wagen uns von dort ins Unbekannte vor. (Dobelli 2014, S. 125– 127) Der Anker ist also eine bestimmte Information, die von einer anderen Person stammt oder rein zufällig vorhanden ist. Diese Information ist beim Einschätzen einer Situation und beim Fällen einer Entscheidung ausschlaggebend. Es spielt keine Rolle, ob die Information für eine rationale Entscheidung tatsächlich relevant und nützlich ist. In zahlreichen Studien und Experimenten ist belegt worden, dass es sich beim Ankereffekt um ein sehr robustes Phänomen bei Entscheidungsprozessen handelt, welches in unterschiedlichsten Situationen auftreten kann. (Wikipedia 2019a) Die Fachliteratur ist voll von illustren Beispielen. So wurden Studenten von Dan Ariely und Mitarbeitern gebeten, die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufzuschreiben und anschließend Preisgebote für verschiedene Konsumartikel zu machen. Es zeigte sich eine sehr gute Korrelation zwischen dieser völlig irrelevanten Zahl und der Höhe der Preisangebote (Ariely 2008, S. 52). Sehr effektiv ist, zunächst eine Ja/Nein-Frage mit einer quantitativen Ankerung zu stellen und anschließend eine offene Frage. Die quantitative Ankerung bewirkt dabei einen Priming-Effekt. Beispiel: „Beträgt die Höhe des größten Küstenmammutbaums mehr oder weniger als 366 m?“ und „Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der größte Küstenmammutbaum?“ (Kahneman 2012, S. 157) Wundern Sie sich nicht über die krumme Zahl, dies ist kein Trick! Im englischsprachigen Original heißen die Bäume „California Redwoods“ (Sequoia sempervirens), und der Anker liegt bei glatten 1.200 Fuß. Es handelt sich zwar um die höchsten Bäume der Erde; der größte misst jedoch „lediglich“ 379 Fuß (115,5 m) (Wikipedia 2019c). Nur am Rande bemerkt: Mit Anker 366 m schätzten die Versuchsteilnehmer die enorme Höhe von 257 m; mit Anker 55 m betrug die Schätzung lediglich 86 m. (Kahneman 2012, S. 157) Bei Anlagenverhandlungen geht es natürlich meist um Preisanker.

4.3  Angebote, Preise und Ankerung

113

Beispiel

Mit Ankern, die auf einer persönlichen Preisempfindung beruhen, ist gerade der Verbraucher ständig konfrontiert. Sie erfolgen etwa durch Preisgegenüberstellung über Kontextinformationen, wenn ein aktueller einen vorherigen Preis erkennbar ersetzt. Ich muss mir selbst wegen des einen oder anderen ersten Impulses des Denkens an den Kopf greifen. So waren auf der letzten Seite des TV-Programms der Tageszeitung im vorigen Jahr wochenlang wechselnde ganzseitige Anzeigen eines Teppichhauses abgedruckt, das wegen angeblicher Geschäftsaufgabe einen Ausverkauf veranstaltete. Daraus nur ein Beispiel: Es wurde neben vielen anderen Objekten ein Seidenteppich aus Isfahan mit einer Million Knoten pro Quadratmeter angeboten, der ehemals 15.900 Euro gekostet haben soll. Er wurde dann auf 4.780 Euro und dann nochmals auf nur 3.990 Euro herabgesetzt. Ein echtes Schnäppchen?! Lassen wir den Aspekt der Preisvorteilssuggestion durch verbale und kontextuelle Hinweise („nur“) sowie die ebenfalls aus dem Lehrbuch stammende Zuordnung bestimmter Eigenschaften wie Material und Knotendichte (Ausstattungseffekt) und die Zahlenkonstruktion mal weg – von den Herstellungsbedingungen im Iran war nicht die Rede –, bleibt der erstgenannte fünfstellige Preis als Ankerpreis „hängen“; womit sonst sollte man den letzten Preis denn vergleichen? Wer kennt schon die Marktpreise solcher Teppiche? Damit wurde eine Zahl in den Raum gestellt, die auch meine subjektive Preisempfindung zu beeinflussen drohte. (Mein Vorteil: Ich benötige keinen Teppich.) Lassen Sie als B2B-Verkäufer Vorsicht walten, dass Sie nicht auf einen extrem niedrigen Ankerpreis hereinfallen, der dazu noch visualisiert wird; mit diesem psychologischen Kniff soll Ihr subjektives Preisempfinden nach unten gezogen werden. Am besten versuchen Sie, einen niedrigen Anker zu ignorieren, und beginnen auf einem leeren Flipchartbogen ausgehend von Ihrem eigenen Angebotspreis aufs Neue. Bei Verwendung eines Whiteboards sind Ihre Möglichkeiten deutlich begrenzter: Es wäre offensives und daher unangebrachtes Benehmen, die schriftlichen Ausführungen des Verhandlungspartners, insbesondere wenn er der Kunde und gleichzeitig Gastgeber ist, darauf auszuwischen und die eigene Darstellung aufzuschreiben. Halten Sie sich streng an die in der Vorbereitung festgelegten Eckdaten Bester, Ziel- und Walk-out-Preis. Unterbrechen Sie die Verhandlung, falls keine Preisvereinbarung oberhalb des Walk-out-Preises möglich erscheint, aber improvisieren Sie auf keinen Fall (wie es manche Teilnehmer in den Rollenspielen nach der Ankersetzung gerne tun, um endlich zu einem Abschluss zu kommen). Beherzigen Sie in Verhandlungen konsequent die grundlegenden Tipps zur Ankerung:

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Drei Tipps zur Ankerung

  1. Lassen Sie sich nicht von Ankern beeinflussen. 2. Nutzen Sie selbst ggf. bei Ihrem ersten Angebot das Prinzip der Ankerung. 3. Wiederholen Sie niemals ein niedriges Preisangebot des Kunden.

4.4 Alles ist relativ Eine Fortsetzung des Konzepts der Ankerung ist im Rahmen der Verhaltensökonomik die Betrachtung des Prinzips der Relativität von Wahrnehmungen. Auch hier lässt sich wieder unterscheiden in anschauliche optische Täuschungen und Fälle intuitiver Fehleinschätzungen, die wirtschaftliche Aspekte betreffen, vor allem Preise. Ein grafisches Beispiel stellen die Kreise mit verschiedener Umgebung dar, die den Kontrast-Effekt erklären (Abschn. 3.1). Die Wahrnehmung von Lautstärken, Helligkeiten oder Temperaturen hängt ebenfalls extrem davon ab, mit welchem Ausgangsniveau verglichen wird. Das Geräusch einer Lüftung macht Ihnen im geschäftigen Büroalltag vermutlich wenig aus, treibt Sie nachts in Ihrem Schlafzimmer jedoch vielleicht in den Wahnsinn. In einem Bild sieht eine Fläche einer bestimmten absoluten Farbe und Helligkeit in einem Schattenbereich wesentlich heller aus als in einem virtuell lichtbeschienenen Areal – Maler nutzen diesen Effekt geschickt aus. Und wenn Sie drei Schüsseln mit Wasser vor sich aufstellen, von denen eine mit heißen, eine mit eiskaltem und eine mit Wasser mit Raumtemperatur gefüllt ist, können Sie Folgendes zur Verdeutlichung des Referenzpunktes machen: Tauchen Sie für eine Minute eine Hand in das heiße und die andere Hand in das kalte Wasser und anschließend beide Hände in das Wasser mit Raumtemperatur. Was fällt Ihnen auf? (Kahneman 2012, S. 347) – Die Liste solcher sensorischer Fehlurteile ließe sich beliebig verlängern, ohne dass es an dieser Stelle den Informationsgehalt steigert. Der Psychologe Dan Ariely, den das Handelsblatt als „Paradiesvogel der Ökonomie“ bezeichnete (Mattauch 2012), hat festgestellt, „Die meisten Leuten wissen nicht, was Sie wollen, bevor sie es im Kontext sehen“, und beschreibt dazu eine Reihe weiterer einleuchtender Beispiele aus dem täglichen Leben, die sich auf monetäre Dinge beziehen. (Ariely 2008, S. 24–45) Wenn jemand ein Auto für 40.000 Dollar bestellt, kauft er möglicherweise ohne nachzudenken Ledersitze für 3.000 Dollar Aufpreis. Zögern würde er jedoch beim Kauf eines Ledersofas für 3.000 Dollar, obwohl es sich um denselben Betrag für ein vergleichbares

4.4  Alles ist relativ

115

Objekt handelt. Vor allem als Privatmensch und Konsument findet man mit einem aufmerksamen Blick zahlreiche Konstellationen, die auf dem Prinzip der Relativität beruhen – und zur Selbsttäuschung führen oder zur Manipulation des Kunden ausgenutzt werden. Beispiel

Ein weiteres Szenario mit amerikanischer Prägung (die meisten Experimente wurden in den USA durchgeführt) betrifft den Immobilienmarkt. (Ariely 2008, S. 30–32) Stellen Sie sich vor, Sie ziehen in eine andere Stadt um und möchten ein Haus kaufen. Der Makler zeigt Ihnen verschiedene Häuser in derselben Preisklasse: ein kleineres neues (N) und ein größeres altes Haus (A). Welches Haus bevorzugen Sie? Die Versuchsteilnehmer tun sich schwer bei der Entscheidung, da die eine Eigenschaft (Größe) und die zweite (Neuwertigkeit, also Qualität) sich anscheinend gegenseitig aufheben. Anders sieht die Lage vielleicht aus, wenn der Makler Ihnen zusätzlich ein ebenfalls älteres Haus zeigt, das jedoch ein defektes Dach hat. Der Besitzer will für diesen gravierenden Mangel lediglich ein paar tausend Dollar Preisnachlass geben (A–). Das scheint im Vergleich zum alten Haus mit intaktem Dach ein wenig vorteilhaftes Geschäft zu sein, weil es für annährend gleich viel Geld eine deutlich schlechtere Qualität gibt. Wahrscheinlich entscheiden Sie sich deshalb – aufgrund einer irrationalen Schlussfolgerung – für das alte, aber intakte Haus A. Sie können A nicht mit N vergleichen (beide sind annähernd gleichwertig), und so überredet Ihr System 1 Sie, A mit A– zu vergleichen: Die Einführung des alten Hauses A– mit dem undichten Dach schafft eine simple Relativität zu A, die A nicht nur im Vergleich mit A– besser aussehen lässt, sondern auch im allgemeinen Kontext. A– nennt man den Köder. Derartige Köder finden sich an verschiedensten Stellen im täglichen Leben, und wiederum ist es der Verbraucher, der in seiner Unkenntnis leicht darauf hereinfällt. In Verhandlungsseminaren adaptiere ich das Häuserexperiment gerne für andere Bereiche. Da bei Autos fast jeder mitreden kann, eignet sich der Neuwagenkauf hierfür (mit oder ohne Ledersitze). So kann A ein in der Anschaffung teureres Hybridfahrzeug sein, dessen Unterhaltskosten allerdings langfristig deutlich günstiger sind. N wäre ein preiswerterer normaler Benziner. Als A– bietet sich ein Elektrofahrzeug oder ein Hybridwagen einer Nobelmarke an, die beide trotz höherer Anschaffungskosten keinen nennenswerten praktischen Vorteil bringen.

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Es ist möglich, dass zumindest ein teures Gericht auf der Speisekarte steht, das den Umsatz eines Restaurants steigern soll. Manchmal scheint gar nicht geplant zu sein, dass der Gast dieses Gericht wählt: Es könnte sich hierbei um den Köder handeln. Aber er wählt das zweit- oder drittteuerste Essen auf der Karte und betrachtet es als preisgünstig in Relation zum teuersten Gericht. Und auf diese Weise gibt er im Schnitt mehr Geld aus als im Falle des Fehlens dieser teuren Alternative. Doch muss an dieser Stelle zugegeben werden, dass die Preisfestsetzung in Restaurants vielfach wesentlich komplizierter ist und ebenfalls spieltheoretischen Überlegungen gehorcht (s. Kimes et al. 2012). Doch auch im Geschäftsleben können Relativität und Köder eine Rolle spielen. Lesen Sie dieses Beispiel: Beispiel

Für eine Großproduktionsanlage werden regelmäßig Ersatzpumpen benötigt. Der Hersteller und Erstausrüster der Anlage, der OEM (Original Equipment Manufacturer), bietet die Originalpumpen zum Preis von 5.000 Euro an, entweder zum Einbau durch den Kunden oder gegen eine Einbaupauschale von weiteren 1.500 Euro für geschätzte jeweils vier Stunden Arbeitszeit pro Pumpe. Der Kunde weiß, dass die Lösung mit Selbsteinbau für 5.000 Euro günstiger ist als die mit Einbau durch den Hersteller für 6.500 Euro. Doch wie vergleichen sich diese 5.000 Euro mit den 2.900 Euro für eine alternative Pumpe von einem Zweitanbieter mit denselben Leistungsdaten? Für Großanlagen lässt sich das Prinzip ebenfalls mühelos anpassen: A entspricht dem Equipmentangebot von Lieferant 1, N dem von Lieferant 2; anhand einer QFD-Analyse (Quality Function Deployment, „Qualitätsfunktionendarstellung“) sind die Angebote für beide Systeme als gleichwertig anzusehen. Gleichzeitig bietet Lieferant 1 als A– einen weiteren Anlagentyp an, der zwar deutlich teurer ist, jedoch nur geringfügig bessere Optionen besitzt, die für den Kunden uninteressant sind. Möglicherweise vergleicht der Kunde für die endgültige (emotionale) Entscheidung – trotz QFD – wiederum Angebot A eher mit A– als mit N. Wie bei der Ankerung ist auch bei der Relativität zu beachten, dass man sich nicht zum Opfer kognitiver Verzerrungen machen lässt. Unser System 1 sucht automatisch nach einfachen Lösungen und liefert aus den zur Verfügung stehenden Informationen Antworten auf Fragen, die ganz anders lauten – es baut sich aus Fragmenten automatisch eine plausible Story. Wenn eine Frage nicht beantwortet werden kann, neigen wir dazu, sie durch eine einfachere zu ersetzen. Anlage A ist besser geeignet als Anlage A– vom selben Lieferanten, aber ist sie denn besser als Anlage N vom anderen Anbieter? Eine voreilige

4.5 Verlustaversion

117

Schlussfolgerung dieser Art auf beschränkter Datenbasis ist wiederum ein Urteilssprung (s. Abschn. 4.3): Das Gehirn erzeugt eine Art Kohärenz, die eine Aussage wahr erscheinen lässt, etwa dass A besser geeignet ist als N. Dabei werden unter anderem unabhängige Bewertungen (anderer Abteilungen), statistische Basisraten (zu den bisherigen technischen und kommerziellen Erfahrungen) und zusätzliche Informationen (zur strategischen Ausrichtung der Lieferanten) außer Acht gelassen. Und dies teilweise bewusst, um eine gute Geschichte nicht zu verderben. Wie können Sie diesen Effekt als Vertriebsingenieur so geschickt nutzen, dass der Kunde es nicht bemerkt? Ich muss zugeben, wir sind mit der Einführung eines Köders zur bewussten Verwirrung des Gegenübers schon sehr nahe an der Anwendung von unsauberen Verhandlungstricks (s. zu dieser Betrachtung auch Abschn. 4.6 sowie Wenski 2019). Aber die meisten Einkäufer würden ohne Skrupel dasselbe mit Ihnen machen, indem bei Kosten und technischen Details bewusst Äpfel mit Birnen verglichen werden. Wenn z. B. westlicher Wertarbeit chinesische Nachahmerprodukte zum Vergleich entgegengesetzt werden, um den Preis zu drücken. Oder durch Vergleich der OEM-Ersatzteilpreise Ihres Unternehmens bei langjähriger Nachliefergarantie mit den Angeboten für einzelne Teile aus dem Baumarkt. Also handelt es sich vermutlich wie bei dem Verweis auf die höheren Ebenen um ein ethisch-moralisch zumindest bedingt erlaubtes Vorgehen. 

Lassen Sie sich also von falschen Referenzpunkten, Relationen und Abhängigkeiten ebenso wenig wie von Ankern beeinflussen, indem Sie Ihr Bauchgefühl mit harten Fakten überprüfen.

Bereiten Sie eine Verhandlung sorgfältig vor. Beschaffen Sie sich alle relevanten Informationen und nehmen sich ggf. kompetente Unterstützung mit. Und planen Sie zu einem gewissen Grad Irrationalität Ihrer Verhandlungspartner mit ein.

4.5 Verlustaversion In Abschn. 3.3 haben Sie gelesen, ein freundlich-entspannter Blick öffnet viele Türen. Außerdem ist bekannt, dass ein unfreundliches Gesicht auf der Straße schneller auffällt als ein freundliches. (Dobelli 2014, S. 135) Es darf davon ausgegangen werden, dass Unfreundlichkeit und schlechtes Benehmen in Verhandlungen viel mehr Schaden anrichten, als jemals mit Freundlichkeit und guten

118

4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

psychologischer Wert

+ Gewinne

Verlust / Gewinn in €

Verluste

– Abb. 4.3   Subjektive Gewinn- und Verlustwahrnehmung. (Kahneman und Tversky 1979, S. 279; eigene Darstellung in Anlehnung an Rieger/CC BY-SA 3.0, Wikipedia 2019e)

Manieren wiedergutzumachen ist. Im Einzelhandel und im Restaurantbereich geht man davon aus, dass es drei bis zu zehn zufriedener Kunden bedarf, um den Effekt eines unzufriedenen Kunden auszugleichen. Diese Beobachtungen bieten eine Steilvorlage zur psychologischen Erklärung der Verlustaversion (Loss Aversion). Daniel Kahneman beschreibt es so: Wenn sie direkt miteinander verglichen oder gegeneinander gewichtet werden, schlagen Verluste stärker zu Buche als Gewinne. Nach Richard Thaler repräsentiert die Verlustaversion gar das stärkste der untersuchten verhaltensökonomischen Phänomene. (Thaler 2019, S. 58) Diese Asymmetrie zwischen der Macht positiver und negativer Erwartungen oder Erfahrungen ist wiederum evolutionsgeschichtlich bedingt. Lebewesen, die Bedrohungen vordringlicher behandeln als Chancen, haben höhere Überlebensund Fortpflanzungschancen. (Kahneman 2012, S. 347–351) Der psychologische Wert von Gewinnen und Verlusten ist in Abb. 4.3 schematisch aufgeführt, die 1979 von Tversky und Kahneman bei der Erläuterung der Neuen Erwartungstheorie erstmals publiziert und in zahlreiche weitere Schriften übernommen wurde.

4.5 Verlustaversion

119

Generell lässt sich aus den Untersuchungen der Psychologen und Verhaltensökonomen schließen: 

Verluste werden subjektiv ungefähr doppelt so stark wahrgenommen wie Gewinne.

Dies können die meisten privaten Aktienbesitzer leicht nachvollziehen (um dieses Thema von Abschn. 4.1 noch einmal aufzugreifen). Wer nur wenige Aktien in seinem Portfolio hat und deren Kurse regelmäßig verfolgt, weiß, dass der Schmerz, wenn der Kurs eines Titels sinkt, ungleich größer ist als die Freude, wenn ein anderer ebenso stark steigt. Die logische Folge davon: Die Hauptauswirkung der Verlustaversion am Kapitalmarkt besteht darin, dass statt in Aktien vorzugsweise in festverzinsliche Papiere oder Investmentfonds investiert wird, obwohl die Gewinnchancen niedriger sind. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Investition in Aktien einen teilweise langen Atem erfordert, indem gelegentliche Krisen ausgehalten werden, ohne in Panik zu verkaufen. (Mehra und Prescott 1985; Jungermann 2007) Weitere Folgen der Verlustaversion lassen sich in den unterschiedlichsten Bereichen beobachten. Notwendige Reformen – egal, ob in Politik, Gesellschaft oder Unternehmen – sind häufig deshalb nicht durchsetzbar, weil diejenigen, die Gefahr laufen zu verlieren, härter kämpfen als diejenigen, die dabei gewinnen können. Man nennt dieses Trägheitsphänomen Status-quo-Verzerrung (Status Quo Bias): Menschen haben eine starke Neigung, den gegenwärtigen Zustand jeglicher Veränderung vorzuziehen. Lafley und Martin (2007) beschreiben, dass das menschliche Gehirn Routine liebt und, hätte es die Wahl, immer wieder das Gleiche tun würde. Darauf basiert die Markenbindung vor allem bei Verbraucherprodukten. Im privaten Bereich kann das Prinzip der Verlustaversion dazu führen, dass man günstige Gelegenheiten oft auslässt aufgrund der Befürchtung, die Sache könnte sich als Flop erweisen. Oder dass man sich gegen alle theoretisch möglichen Schäden versichert, die auch aus der Portokasse bezahlt werden könnten, und daher deutlich mehr Geld als notwendig ausgibt. (Es gibt selbstverständlich Versicherungen, die als Need zu bezeichnen sind, etwa Kranken- und Haftpflichtversicherungen. Aber warum muss man ein Ceran-Kochfeld versichern oder den Garantiezeitraum für ein Auto oder ein Elektrogerät kostenpflichtig verlängern?) Viele Menschen sind risikoscheu und beurteilen Chancen und Risiken eher anhand psychologischer Kriterien als auf rationaler und vor allem monetärer Basis. Der Rat der Verhaltensökonomen lautet daher:

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Verwerfen Sie keine guten Chancen durch eine ausgeprägte eigene Verlustaversion.

Dabei ist zu beachten, dass drohende Verluste die Risikobereitschaft fördern, während winkende Gewinne ein eher risikoscheues Verhalten bewirken. Dies geschieht in Einklang mit dem Bernoulli-Prinzip (s. Gillenkirch 2018). Der individuelle Nutzen z. B. eines Vermögenszuwachses entspricht nicht dem realen Nutzen. So bringt die Erhöhung eines Vermögens von 1 Millionen auf 2 Millionen nach Kahneman (2012, S. 336) 20 Nutzenpunkte, von 9 auf 10 Million jedoch nur noch 4 Nutzenpunkte. Auch dies lässt sich mit unserer evolutionsgeschichtlichen Vergangenheit erklären. Dazu ein einfaches Beispiel: Eine geschiedene Ehefrau verklagt Ihren zahlungsunwilligen Ex-Ehemann auf Alimente für sich und ihr Kind. Sie würde sich gerne gütlich mit ihm einigen, aber er prozessiert lieber. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Sie kann nur gewinnen und ist daher risikoscheu. Seine Optionen hingegen sind alle schlecht, sodass er lieber das Risiko des Prozesses eingeht. (Kahneman 2012, S. 341) Hier liegt bei der Position des Ex eindeutig eine Nähe zum Brinkmanship-Verhalten (s. Wenski 2019) vor, indem er es auf zusätzliche Prozesskosten ankommen lässt, anstatt sich zu einigen. Beispiel

Auch dieses Szenario lässt sich mit ein wenig Fantasie umschreiben für Investitionsgütergeschäfte: Nehmen wir an, Sie haben eine Großanlage für 500.000 Euro an einen Kunden verkauft. Die Abwicklung erfolgt alles andere als reibungslos, und am Ende ist Ihr Unternehmen froh, anstelle des erhofften Gewinns bei diesem Geschäft keine Verluste verkraften zu müssen. Folgeaufträge durch den Kunden sind nicht zu erwarten. Kurz von Beendigung des Projekts schreibt der Anlageningenieur Ihnen eine E-Mail-Nachricht und bestellt für geschätzte 20.000 Euro eine neu zu konstruierende Hebevorrichtung zur Be- und Entladung der Anlage mit Werkstücken. Die Hebevorrichtung wird gebaut und geliefert, und Sie schicken dem Kunden dazu eine Rechnung in der genannten Höhe. Der Einkäufer ignoriert diese Rechnung zunächst und weist sie nach Zugang einer Mahnung als gegenstandlos zurück, da ein Techniker keine Bestellung vornehmen dürfe und somit nie ein Vertrag darüber vorgelegen hätte. Seine Angst, 20.000 Euro zu „verlieren“, ist so groß, dass er in Kauf nimmt, dass Ihre Organisation klagt – was sich ein Lieferant in der Regel sehr genau überlegen sollte, denn dies wird sich am Markt vermutlich herumsprechen – oder sich zumindest generell weigern wird, mit dem Kunden in Zukunft Geschäfte zu machen.

4.5 Verlustaversion

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Ein Abkommen auszuhandeln fällt bekanntermaßen leichter, wenn sich der Kuchen vergrößern lässt. Man verteilt dann keine Verluste, sondern Gewinne. Von hoher Bedeutung dabei ist, dass Sie Ihrem Kunden vermitteln, mit welchen Vorteilen das abzuschließende Geschäft für ihn verbunden ist, welche die Nachteile (sprich: Kosten) deutlich überwiegen sollten – Ihr Verhandlungspartner muss Gewinne und nicht Verluste für sich registrieren. Nur so wird er den psychologischen Eindruck erhalten, dass es sich um einen fairen Abschluss handelt (s. Thaler 2019, S. 173–189). Im Falle der Hebevorrichtung wäre es natürlich von Vorteil gewesen, wenn eine solche Option vorhergesehen worden und im Angebot als separater Posten enthalten gewesen wäre. Ein wichtiger und in der Praxis immer wieder bestätigter Verhandlungstipp lautet: 

Bauen Sie immer einen Puffer ein – bei Terminen, Aufwänden und Preisen.

Damit hätte man die zu befürchteten Sunk Costs von 20.000 Euro im Beispiel zumindest teilweise kompensieren können. Um die psychologische Größenordnung der Verlustaversion abschätzen zu können, ist es von Bedeutung, sich über den zugrunde liegenden Referenzpunkt Klarheit zu verschaffen, von dem die Verluste – oder Gewinne – aus berechnet werden. Im Beispiel des unterschiedlich temperierten Wassers (Abschn. 4.4) war einmal das eiskalte und beim anderen Mal das heiße Wasser der Referenzpunkt: Das Wasser mit Raumtemperatur kommt einer Versuchsperson im Vergleich dazu subjektiv heißer bzw. kälter vor. Ähnlich sieht es bei ökonomisch relevanten Kennzahlen aus, die als Referenzpunkte für die Bestimmung von Gewinnen oder Verlusten dienen, meist Preise. Auch hierbei sollten Sie Sorge dafür tragen, dass der Kunde in der Verhandlung von den richtigen (das heißt für Sie günstigen) Referenzpreisen ausgeht.

Referenzpreise

Kaufen macht – zumindest im Privatleben – glücklich, und reduzierte Preise aktivieren im menschlichen Gehirn durch Dopamin-Ausschüttung das Belohnungszentrum. In professionellen Vergabeverhandlungen sind die Vertreter des Kunden zwar normalerweise nicht unterschwelligen Einflüssen wie ein Verbraucher im Supermarkt ausgesetzt. Dennoch: Das Belohnungszentrum des Einkäufers meldet sich mit einem biochemisch erzeugten Feuerwerk der Neuronen, wenn er einen Preisnachlass oder eine kostenlose Draufgabe erhält, was den nüchternen Blick auf die Dinge

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

t­rüben mag. Und es besteht wie beim Anker ebenfalls die Problematik, dass der dem Rabatt zugrunde liegende Basis- oder Listenpreis – der Referenzpunkt – völlig fiktiv sein kann. Der Einkäufer muss den Eindruck bekommen, dass er sich den Nachlass und/oder die kostenlosen Draufgaben, die er später als Savings ausweisen kann, durch seine Verhandlungskompetenz hart erarbeitet hat. Er wird die Qualität des abgeschlossenen Geschäfts messen an der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Referenzpreis; diese Differenz nennt man Transaktionsnutzen. (Thaler 2019, S. 87–95) Aus Sicht eines Vertriebsingenieurs ist es zur Vermeidung des Eindrucks eines Verlustes auf Einkäuferseite unbedingt ratsam, im Rahmen der Verteuerung eines Produkts eher Rabatte zu streichen als den Grundpreis anzuheben (s. Thaler 2019, S. 177).

Von dieser Denkweise ausgehend lässt sich ableiten, wie Referenzpunkte durch Vertriebsingenieure zu setzen sind und wie die Wahrnehmung des Kunden dahingehend beeinflusst werden kann, dass er eher Gewinne und nicht so sehr Verluste registriert. Ihr Referenzpunkt muss der Angebotspreis sein. Lassen Sie sich davon nicht abbringen. Es wäre daher kontraproduktiv, in ein erstes Preisangebot bereits einen Nachlass mit aufzunehmen. Auch zum Erhalt eines etwaigen „Hausrabatts“ sollte der Einkäufer sich etwas anstrengen. Das darf kein Selbstläufer sein, indem dieser den Referenzpunkt von vorne herein nach unten verschiebt. In der Verhandlung gehen Sie immer von diesem Angebotspreis aus und beziehen Nachlässe (in Absolutbeträgen oder Prozent) darauf; nur so erfolgt ein Priming des Kunden, dass es sich bei der Differenz um einen „Gewinn“ für ihn handelt. Dies ist das Top-down-Prinzip (s. Wenski 2019), das im Fallbeispiel im Anhang (Abschn. 9.2; Verhandlung von Polieranlagen) zur Anwendung kommt. Selbst notwendige Preiserhöhungen lassen sich mit ein bisschen Geschick und Glück möglicherweise als Gewinne des Kunden verkaufen. Die Argumentation kann dahin gehen, dass die vormaligen Kosten über Preiskorrekturen für bestimmten unvermeidbaren Mehraufwand (Material, Personal, Energie usw.) angepasst werden und der resultierende Produktpreis der neue Referenzpunkt ist. Für Hilf- und Verbrauchsstoffe sowie Stundensätze kann es sinnvoll sein, deren Entwicklung an bestimmte veröffentlichte Indizes zu koppeln. Oder es werden gleich fixe Preiserhöhungs- oder -reduktionsstaffeln für mehrere Jahre festgelegt, was die Planungssicherheit der Parteien verbessert. Die Kunden nehmen erfahrungsgemäß Preiserhöhungen nicht so übel, wenn sie wissen, dass die effektiven Kosten beim Lieferanten wirklich gestiegen sind.

4.6  Weitere intuitive Fehler

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Sie erkennen gewöhnlich das Recht des Lieferanten an, auch weiterhin mit Gewinn zu arbeiten. Und für Ihr Unternehmen gilt als Anbieter: 

Fördern Sie den Verkauf rentabler Produkte, und geben Sie Verlustbringer auf.

4.6 Weitere intuitive Fehler Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Menschen aufgrund vorhersagbarer intuitiver Fehler irrational agieren – und damit ganz anders, als die traditionelle Volkswirtschaftslehre es mit ihren Modellen unterstellt. Mit dem Kontrast-, Halo- und Nikolaus-Effekt (Abschn. 3.1) haben Sie bereits eine kleine Auswahl von Einschätzungsfehlern bei der Beurteilung von Menschen kennengelernt, die sich psychologisch erklären und wirtschaftlich nutzen lassen. Die erläuterten Konzepte der Preisgestaltung, Ankerung, Relativität und Verlustaversion bieten eine erweiterte Basis für den Vertriebsingenieur, eine Verhandlung unter Ausnutzung verhaltensökonomischer Prinzipien vorteilhafter zu gestalten. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es sich bei allen daraus ableitbaren und in diesem Kapitel beschriebenen Verhandlungstipps nicht um unsaubere Tricks handelt. Doch die Grenze ist fließend, und es hängt von der Motivation des Anwenders ab, wie eine Aktion ethisch-moralisch zu bewerten ist. Einige weitere typische kognitive Fehlleistungen, welche in Unkenntnis derselben die Verhandlungsführung negativ beeinflussen können, sind hier zum Abschluss skizziert. Neben den bereits diskutierten monetären Aspekten, die meist Preisangebote und -ergebnisse betreffen, liefert ganz generell das intuitive Gefühl für Zahlen und Wahrscheinlichkeiten in der Verhaltensökonomik eine ganze Reihe vielfach untersuchter Fragestellungen. So ist in der Statistik bekannt, dass die Aussagekraft einer Untersuchung unter anderem von der Stichprobengröße abhängt. Eine Person kann die Anzahl an Kupfermünzen in einem großen Glasgefäß schwerlich einigermaßen akkurat schätzen. Fragt man jedoch eine größere Anzahl von Personen, so mitteln sich die Schätzwerte zu einem erstaunlich genauen Ergebnis. Die Klimaerwärmung wird vereinzelt infrage gestellt, wenn über ausgeprägte lokale Kältewellen oder starke regionale Schneefälle berichtet wird – und dabei die Tatsache ignoriert, dass die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche nachweislich unaufhaltsam und unumkehrbar steigt und solche Extremereignisse entweder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind oder sogar durch die Klimaveränderung gefördert werden.

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Der Mensch nimmt gerne statistisch nicht relevante, jedoch leicht verfügbare Daten und zieht Schlüsse daraus. Oder er ignoriert etablierte Mittelwerte und statistische Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt bestimmter Ereignisse – etwa das Scheitern eines Projekts oder einer Ehe oder das erwähnte Absturzrisiko von Flugzeugen. Etwas allgemeiner formuliert lässt sich sagen: Wir schenken dem Inhalt von Nachrichten mehr Aufmerksamkeit als der Information über ihre Zuverlässigkeit und gelangen zu einfachen, kohärenten – und leider oft falschen – Schlussfolgerungen. Nur so lässt sich z. B. der hohe Verbreitungsgrad von Fake News vor allem im Internet erklären. Für den professionellen Verhandler heißt der nahe liegende Verhandlungstipp:  Überprüfen Sie alle Informationen Ihrer Gesprächspartner auf Plausibilität.

Lassen Sie folgende – durch Studien belegte – Zahlen auf sich wirken: 90 Prozent der Autofahrer glauben, überdurchschnittlich gut zu fahren. (Kahneman 2012, S. 321) Über die Hälfte der Studenten eines Universitätsseminars geht davon aus, nach dessen Abschluss zu den besten 20 Prozent der Teilnehmer zu gehören, und 94 Prozent der Hochschullehrer sind davon überzeugt, dass sie besser als der durchschnittliche Professor lehren und forschen. Fast die Hälfte aller Ehen wird heutzutage geschieden, jedoch schätzen fast alle Paare zum Zeitpunkt der Eheschließung die Wahrscheinlichkeit für sie persönlich bei nahe null ein. (Thaler und Sunstein 2011, S. 51–53) Und auch im Bereich der Wirtschaft findet man zahlreiche Beispiele derartiger Selbstüberschätzung, gepaart mit einer Vernachlässigung der Konkurrenz. Unternehmerischer Optimismus basiert häufig nicht nur auf Wunschdenken, sondern vielfach auf kognitiver Verzerrung. Wir konzentrieren uns auf das, was wir tun wollen, und vernachlässigen Pläne und Fähigkeiten anderer. Wir blicken zu sehr auf unsere eigene Welt und verlieren die Konkurrenz aus den Augen. Zum Zeitpunkt wichtiger Entscheidungen zieht niemand in Betracht, dass diese in die Katastrophe führen könnten, und ein solches Szenario wird somit nicht einplant. Das Problem geht bereits damit los, dass Umsätze und Gewinne aus vergangenen Perioden in die Zukunft extrapoliert werden. Ändert sich dann die Geschäftsgrundlage, indem unvorhergesehene technische Schwierigkeiten auftreten, sich die Konjunktur eintrübt, Rohstoffkosten explodieren, Märkte mit bestimmten Produkten gesättigt sind oder neue Wettbewerber oder Alternativtechnologien in den Startlöchern stehen, fallen diese Prognosen zusammen wie ein Kartenhaus. Aus dem Selbstüberschätzungsirrtum, dem Overconfidence Bias, wird leicht eine derartige Prognose-Illusion resultieren – seien Sie Prognosen gegenüber

4.6  Weitere intuitive Fehler

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kritisch! (Dobelli 2014, S. 165–167) – oder ein Planungsfehlschluss (Planning Fallacy) (Kahneman 2012, S. 308–311), der möglicherweise eine solide, robuste Weichenstellung für das nächste Geschäftsjahr gefährdet. Innerhalb eines Projekts kann der Planungsirrtum ebenfalls gravierende negative Folgen haben, etwa durch die systematische Tendenz, den Aufwand zu unterschätzen, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen. An illustren Beispielen aus der Tagespresse vor allem im Bereich öffentlicher Bauvorhaben fehlt es dabei nicht. In der Industrie liest und hört man aus verschiedenen Gründen seltener davon, aber dennoch werden immer wieder spektakuläre Fehler publik. Die vorherrschende Tendenz, selbst verfügbare Informationen unterzugewichten oder komplett zu ignorieren, ist eine der Hauptursachen von Fehlprognosen. Die sogenannte Affektheuristik bewirkt, dass basierend auf Gefühlen Urteile gefällt werden, die lediglich in denjenigen Informationen begründet sind, welche die eigenen, subjektiven Überzeugungen stützen. (In Abschn. 4.3 haben Sie erfahren, dass Sie sich diesen Effekt durch ein geschicktes Priming Ihres Kunden möglicherweise zu Nutzen machen können.) Die damit verbundene, durch Emotionen bedingte Dominanz von Schlussfolgerungen über Argumente ist ein Hauptgrund für das Scheitern oder Aus-dem-Ruder-Laufen von Projekten. Es kann sich jedoch auch um einen Verfügbarkeitsfehler handeln: Projektleiter oder Vorstandschef haben in jüngerer Vergangenheit mehrmals Erfolg mit ihren Entscheidungen und Einschätzungen gehabt, sodass sie das Risiko des Scheiterns überhaupt nicht in Betracht ziehen, da diese Möglichkeit in ihrem Bewusstsein nicht sehr präsent ist. Dieser Effekt beruht wiederum auf einer falschen Verknüpfung (Association Bias). Im Volksmund nennt man ein zunächst erfolgreiches Abschneiden „Anfängerglück“. Vielfach haben Menschen einfach Angst davor, negative Szenarien als Gegenpol zu den optimistischen auszuarbeiten. Die gezielte Suche nach Informationen und Argumenten ist weitgehend beschränkt auf solche, die mit der bestehenden Meinung übereinstimmen, nicht mit der Absicht, sie infrage zu stellen. In derartigen Fällen wird es in aller Regel unterlassen, eine kritische Außensicht zu dem jeweiligen Projekt einzuholen, und wenn ja, steht das Ergebnis entsprechender Gutachten meist schon vorher fest oder wird schlichtweg ignoriert. Aus hierzu lassen sich aktuell mindestens zwei massive Probleme nennen, die DAX-Unternehmen betreffen. 

Vermeiden Sie im Interesse Ihres Arbeitsplatzes unbedingt Planungsfehlschlüsse und Selbstüberschätzung. Und bewahren Sie andere davor.

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4  Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik

Einige der erwähnten kognitiven Irrtümer, Fehleinschätzungen und Verzerrungen hängen inhaltlich zusammen. So bilden die verhaltensökonomisch relevanten Themen Ankerung, Referenzpunkt, Verlustaversion, Status-quo-Verzerrung und Priming/ Framing sicherlich einen Komplex verwandter oder sich gegenseitig bedingender Effekte. Ähnlich sieht es aus bei Selbstüberschätzungsirrtümern, Planungsfehlschlüssen, Verfügbarkeitsfehlern und fehlender Berücksichtigung statistischer Grundlagen sowie mit durch falsche Repräsentativität verursachter kognitiver Verzerrung. Und letztlich beschreiben die Konzepte Kopfmensch, System 2, Econ und Homo oeconomicus einerseits sowie Bauchmensch, System 1, Human und Emotionssteuerung andererseits jeweils eine spezifische Prägung und Vorgehensweise.

Denken Sie nach …

Es gibt eine Fülle weiterer Themen, Fragestellungen und Beobachtungen aus der Psychologie, welche die Verhaltensökonomik aufgegriffen und untersucht hat. Eine nähere Betrachtung würde den Rahmen sprengen, aber einige Fragen möchte ich Ihnen dennoch stellen, mit der Absicht, Sie zum Nachdenken anzuregen. • Gehen Sie beispielsweise davon aus, dass eine geschickte Kauf- und Verkaufsstrategie von Einzelaktien zu einem besseren Abschneiden als dem Marktdurchschnitt führt? Das ist definitiv nicht so. Man nennt das „Kompetenz-Illusion“ (Illusion of Skill; s. Kahneman 2012, S. 263). Vielleicht hatten Sie bei einigen Titeln Glück – mittelfristig können Sie Indexfonds nicht schlagen, das schaffen nur die wenigsten beruflichen Trader, und auch die nur mehr oder weniger zufällig bzw. unter Inkaufnahme erhöhter Risiken. (Thaler 2019, S. 265–303) • Andere Frage: Beeinflussen CEOs den Unternehmenserfolg? Der Effekt wird gerne überschätzt (Weibler 2017) – und trotzdem lassen sich damit teilweise unanständig hohe Vorstandsvergütungen rechtfertigen. • Oder glauben Sie an die Wirksamkeit von Placebos? Nein? Sollten Sie aber – eine Kombination aus Glauben und Konditionierung führt dazu, dass solche Scheinpräparate tatsächlich wirken. Das betrifft nicht nur medizinische Applikationen, sondern ebenfalls Preisfestsetzungen: Eine Flasche Wein für 50 Euro schmeckt besser als eine für fünf Euro. (Ariely 2008, S. 212–236)

Literatur

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Spieltheorie in Verhandlungen



In diesem Kapitel erfahren Sie unter anderem, warum bei einem Preiskampf meist alle beteiligten Anbieter verlieren, wie der Tauschhandel durch die Einführung von Geld unterstützt wird und welche Ansätze der Spieltheorie bei der Verhandlung des LH-8-Messgeräts relevant sind. Für die Praxis müssen Sie sich bis zum letzten Kapitel gedulden.

In Abschn. 4.1 ist erwähnt, dass auf dem Gebiet der Spieltheorie ebenfalls bereits mehrere „Wirtschaftsnobelpreise“ verliehen wurden und dass die Grundlagen dieses Forschungsgebiets auch für die Verhandlung von Investitionsgütern relevant sein können. Nach dem Ausflug in die Verhaltensökonomie bietet es sich an dieser Stelle an, dem Thema in einem eigenen Kapitel auf den Grund zu gehen. Anton Schmitz

Kehren wir zu Anton Schmitz zurück, dem europäischen Vertriebsleiter von ISHIKAWA, der, wie wir erfahren haben, seine Produkte bei einem potenziellen Neukunden vorstellen und ein kommerzielles Angebot machen durfte, nachdem die technische Spezifikation für das Messgerät LH-8 von beiden Seiten unterschrieben worden war. Shinji Hondo, sein Chef, und er betreten gerade den Verhandlungsraum bei der WAFAG in Dresden. Vor seinem geistigen Auge hat Anton Schmitz sich immer wieder gefragt, ob seine Vorbereitung der Verhandlung adäquat und ausreichend gewesen ist, ob das kommerzielle Angebotspaket passt und wie die Verhandlung im Einzelnen ablaufen wird. Das Angebot der ISHIKAWA CORPORATION für den Verkauf eines Messgerätes des Typs LH-8 bietet einen Werkvertrag nach deutschem Recht an und beinhaltet den Incoterm DDP (Lieferung von Japan nach Dresden und Verzollung), eine eintägige Standardschulung des Kunden sowie eine Verjährungsfrist für Mängelhaftung („Gewährleistungszeitraum“) von zwölf © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_5

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5  Spieltheorie in Verhandlungen

Monaten bei Anzahlung von 35 Prozent und der vom Verhandlungspartner explizit gewünschten Pönalisierung des Liefertermins. Gemäß Spezifikation der WAFAG wurde das Gerät mit einem Edelstahlkorpus offeriert. Er hat sich zusammen mit Shinji Hondo entschieden, mit diesen Bedingungen einen Zielpreis von 990.000 Euro anzustreben, also knapp unterhalb des psychologisch wichtigen Schwellenpreises von einer Million Euro. Der Walk-out-Preis ist auf derselben Basis intern für die erste Verhandlungsrunde mit 950.000 Euro festgelegt worden, der – nicht ganz so relevante – Bestpreis mit 1,1 Millionen Euro. Der Angebotspreis für ein System lautet auf dieser Zahlenbasis wie in Abschn. 4.3 berichtet 1.157.890 Euro und beinhaltet einen Markup, der ausreichend Verhandlungsspielraum lässt: Wie der Leser leicht nachrechnen kann, erlaubt der Bestpreis einen Nachlass von exakt fünf Prozent der Bestellsumme, und der Zielpreis beinhaltet 14,5 Prozent Rabatt. Für die gleichzeitige Bestellung von zwei und mehr Geräten werden wie in Abschn. 4.3 erwähnt weitere zwei Prozent Nachlass auf den Grundpreis angeboten, für fünf Geräte und mehr entsprechend insgesamt fünf Prozent Nachlass. Anton Schmitz hat sich im Vorfeld Gedanken gemacht, was seine Needs sind: den Interessenten als neuen Kunden zu binden und dazu mindestens ein Messsystem oberhalb des Walk-out-Preises zu verkaufen. Daneben sind die Wants für die Verhandlung festgelegt worden: Verzicht auf die Pönalregelung, Erhalt einer Anzahlung, Befreiung von den Fracht- und Verzollungskosten sowie die Bestellung von mehr als einer Anlage durch den Kunden. Außerdem ist der WAFAG bereits vorgeschlagen worden, über eine vermutlich vertretbare Spezifikationsänderung nachzudenken, was ebenfalls Kostenvorteile bringt: dem Verzicht auf den Edelstahlkorpus. Er vermutet, dass die WAFAG eine Verlängerung des Gewährleistungszeitraumes ebenso fordern könnte wie eine Level-2-Kundenschulung (die deutlich umfangreicher als die eintägige Basisunterweisung ist), ein Verbrauchsstoffpaket und/oder eine verfügbare Gerätesoftware mit erweiterten Möglichkeiten zur Datenauswertung innerhalb eines integrierten Datenverbundes. Wenn es plausible Abschätzungen gäbe, wie viel die einzelnen Wants jeweils dem Kunden und dem Lieferanten wert sind, müsste doch relativ rasch eine Verhandlungslösung zu finden sein, die von beiden Seiten als fair empfunden werden sollte. Soweit die Theorie; die Praxis folgt in Kap. 8.

5.1  Psychologie und Spieltheorie

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5.1 Psychologie und Spieltheorie Zum Einstieg in eine spieltheoretische Betrachtung von Equipmentverhandlungen eignet sich Abb. 5.1, deren inhaltliche Beziehung zu Abb. 1.1 nicht zu übersehen ist. Diesmal ist der Kompromiss das Zentrum der Aufmerksamkeit, die einfache Konstellation einer distributiven Verhandlung. In der Spieltheorie, der wir uns hiermit nähern, bezeichnet man distributive Verhandlungen auch als Nullsummenspiel – was die eine Seite gewinnt, verliert die andere. Kennzeichnend ist, dass die Parteien in Konkurrenz zueinander stehen und alle Informationen auf dem Tisch liegen. Dies ist eine Kategorie von Verhandlungen, bei denen sich typischerweise ein reeller Marktpreis einstellt, da den Verhandlungsparteien alle Daten und Fakten zur Verfügung stehen. In Asien ist es allerdings in Abweichung von der Spieltheorie vielfach so, dass die Vorteile auch aus einem vorwiegend distributiven Geschäft asymmetrisch aufgeteilt werden, indem der Kunde mehr und der Lieferant weniger als die Hälfte vom Kuchen erhält. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die zugrunde liegenden Verhandlungen immer in irgendeiner Art und Weise integrativ sind, da eine versteckte Agenda mit kulturellen Einflüssen im Hintergrund steht. Der Kompromiss ist die Lösung, bei der sich der eigene Vorteil und der des Verhandlungspartners die Waage halten. Beispiel

Abb. 5.1   Eigenschaften einer distributiven Verhandlung. (In Anlehnung an Lewicki et al. 1998, S. 64; mit freundlicher Genehmigung von © Midas Verlag 1998. All Rights Reserved)

Ziele des Lieferanten

Das bekannteste Szenario ist das der beiden Kinder, die von der Tante eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen. Gehen wir von der zusätzlichen

Lose-Win-Sl

Win-Win-Sl

Lose-Lose-Sl

Win-Lose-Sl Ziele des Kunden

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5  Spieltheorie in Verhandlungen

Schwierigkeit aus, dass die Schokolade keine Einteilung in Riegel hat, die ein einfaches Halbieren erlauben würde. Wie sollen die beiden Geschwister die Tafel also teilen, ohne dass es Streit gibt? Ganz einfach: Das ältere Kind teilt, und das jüngere sucht sich seinen Teil aus. Wenn spieltheoretisch betrachtet ein Konkurrenz- und kein kooperatives Verhalten zwischen den Beiden herrscht – wie bei nahezu gleichalten Geschwistern üblich –, können alle Beteiligten getrost davon ausgehen, dass die Schokoladentafel in zwei exakt gleich große Hälften geteilt wird. Ein spieltheoretisch betrachtet einfacher Fall; mögliche neue Optionen werden vernachlässigt. Viele Neulinge in Verhandlungstheorie und -praxis wundern sich zunächst über die daraus resultierende Konsequenz: 

Der Kompromiss ist in der Verhandlungstheorie keineswegs ein positiv konnotierter Begriff – man versteht darunter meist nur das zweitoder drittbeste Ergebnis.

Denn das Ziel sollte sein, eine Win-Win-Lösung zu erarbeiten. (Ich gebe zu, dass es auch mir so gegangen ist, als ich aus dem Technologiebereich in den Einkauf gewechselt habe.) Im Englischen ist in diesem Zusammenhang oft der Begriff Collaboration als bevorzugte Vorgehensweise zu hören, der im deutschen Sprachgebrauch etwas seltener verwendet wird und „Zusammenarbeit“ oder „Schulterschluss“ bedeutet. Doch wie in Kap. 4 am Beispiel kognitiver Irrtümer (z. B. „Schläger und Ball“ in Abschn. 4.2) deutlich geworden ist, treffen Menschen in der realen Welt selbst bei distributiver Verteilung und Verfügbarkeit aller Informationen nicht immer korrekte Entscheidungen, sodass auch hierbei die Psychologie in einem gewissen Grad mitspielt, etwa bei Überreaktionen am Aktienmarkt. Spinnen wir den Faden etwas weiter: Beispiel

Was wäre, wenn für die Kinder bei Vorliegen aller relevanten Informationen ein weiteres Verhandlungsobjekt hinzukommt und somit eine integrative Verhandlung vorliegt? Wenn also die Tante vielleicht neben der Schokolade zusätzlich eine Tüte Lakritz mitgebracht hat und ein Kind lieber Schokolade und das andere lieber Lakritz mag? Der Klassiker zu diesem Fall ist das Szenario der beiden Frauen, die sich eine Orange teilen wollen. Da die eine das Fruchtfleisch essen will und die andere unter Verwendung der Schale einen Kuchen backen möchte, liegt die spieltheoretische Lösung auf der Hand. Allerdings mag man sich das

5.1  Psychologie und Spieltheorie

135

Gejammere einer der beiden Parteien bei der nahe liegenden Teilung vorstellen: Die Orangenschale ist viel weniger wert, weil nur ein paar Zesten heruntergeschält werden. Die Lakritztüte ist viel kleiner als die Schokolade (aber eventuell war sie trotzdem teurer) usw. Es kommt möglicherweise ebenfalls darauf an, dem Verhandlungspartner mit ein bisschen psychologischem Geschick klarzumachen, dass es das Beste für beide ist, Orange und Süßigkeiten so zu teilen, wie es am einfachsten und fairsten ist. (Vielleich wäre es günstig, der anderen Partei eine Orangenscheibe oder ein kleines Stück Schokolade als Zugabe obendrauf zu geben.) Gesellschaftsspiele mit zufälliger Verteilung verdeckter Karten sind oft typische Vertreter einer distributiven Verhandlung mit unvollständiger Information. Der einzige „Verhandlungsgegenstand“ ist die gewonnene Punktzahl bzw. das erspielte Geld – sieht man einmal davon ab, dass es im Freundeskreis oder in der Familie nicht unbedingt zum Streit über das Spiel kommen sollte, was im einen oder anderen Fall zu einer kooperativeren Strategie führt. Damit handelt es sich um nicht-kooperative Spiele; obwohl Spieler teilweise zusammenspielen, hat jeder doch nur seinen persönlichen Gewinn im Sinn. Wenn wir uns vor Augen führen, dass der Spieler beim Pokern, bei Bridge, Skat oder Schafkopf jeweils nur sein eigenes Blatt und die bereits ausgespielten Karten kennt (und meist die typische Vorgehensweise seiner Mitspieler), ist klar, dass beim Bluffen, Bieten oder Reizen und bei den taktischen Variationen beim Ausspielen der Psychologie ein größerer Raum zugebilligt werden muss. Jedoch kommt auch hierbei die Spieltheorie nicht ganz zu kurz: Gute Spieler halten nach, wie hoch von wem gereizt wurde, welche Karten noch im Spiel sind und wie viele Punkte bereits eingefahren wurden. Sie berechnen daraus, welche Vorteile sich daraus ergeben können und wie weiter zu spielen ist. Deshalb setzen sich bei solchen Strategiespielen trotz der Zufallskomponente „Kartenglück“ mittelfristig in der Regel die besseren Spieler durch. Integrative Verhandlungen mit unvollständiger Information bringen uns nach diesem kleinen Ausflug zu Kind, Küche und Karten wieder zurück zum Titelthema. Bei Anlagenverhandlungen gibt es mehrere Verhandlungsobjekte, und keine Seite kennt die genaue Agenda des Gegenübers und wie dieser die einzelnen Verhandlungsobjekte in Einzelnen bewertet. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass 80 Prozent des möglichen Verhandlungserfolgs in der Vorbereitung erarbeitet werden – durch eine gezielte Steigerung der Verhandlungsmacht. Allerdings bietet auch die Verhandlung selbst Möglichkeiten (denn es sind ja noch 20 Prozent offen): Dort unterliegt der erzielbare Erfolg einer geschickten Nutzung

136

5  Spieltheorie in Verhandlungen

des zur Verfügung stehenden psychologischen Handwerkzeugs (wie es die Verhaltensökonomik untersucht) in Verbindung mit einer konsequenten Befolgung der vereinbarten Strategie und den vorbereiteten taktischen Maßnahmen. Die vier Kombinationen aus distributiver bzw. integrativer Verhandlung und vollständiger bzw. unvollständiger Information lassen sich wiederum in einem einfachen Schaubild grafisch darstellen (Abb. 5.2). Dabei ist die Anlagenverhandlung oben rechts, das strategische Kartenspiel unten rechts, die Orange oben links und die Schokolade unten links lokalisiert, wobei die beiden letzteren durch Wertediskussion und resultierende kleinere „Zugaben“ nach oben rechts wandern können. Diese Darstellung entspricht in der Belegung der Felder nicht exakt derjenigen in Abb. 5.1, hat jedoch vom Aufbau her Ähnlichkeit damit. Das Feld unten links entspricht hier nicht Lose-Lose, sondern dem Kompromiss. Natürlich sind in dieser Konstellation neben der Spieltheorie auch zumindest ein bisschen psychologisches Geschick und eine gesunde Skepsis gefragt.

Das Konformitätsexperiment von Asch

Denn manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und macht in einer offensichtlichen Entscheidungssituation banale Fehler, obwohl alles so „klar“ ist. Der klassische Beweis dafür wurde Anfang der 1950er Jahre durch das Konformitätsexperiment von Solomon Asch (1907–1996), einem polnisch-amerikanischen Sozialpsychologen, erbracht, bei dem die Teilnehmer die simple Aufgabe hatten, die Länge von Linien zu vergleichen. Allerdings befand sich in einer Versuchsgruppe jeweils nur ein einziger Proband, der Rest setzte sich aus eingeweihten Mitarbeitern von Asch

Abb. 5.2   Vier grundsätzlich unterscheidbare Verhandlungsszenarien

integrave Verhandlung

Spieltheorie + Psychologie

Psychologie

distribuve Verhandlung

Spieltheorie

Psychologie + Spieltheorie

vollständige Informaon

unvollständige Informaon

5.2  Das Gefangenendilemma

137

zusammen. Anfangs ging alles seinen zu erwartenden Gang, doch in weiteren Versuchsreihen gaben die Vertrauten des Experimentators einstimmig ein falsches Urteil ab. Unter dieser Bedingung blieb keine Versuchsperson fehlerfrei. Im Durchschnitt begingen die Versuchspersonen 37 Prozent Fehler, jeder passte sich also – trotz offensichtlicher Fehlentscheidung – in über einem Drittel der Fälle der Mehrheit an. Daraus folgt, dass Gruppenzwang eine Person so zu beeinflussen vermag, dass sie eine offensichtlich falsche Aussage als richtig bewertet. (Asch 1951, 1956)

Und im Gegenzug kommen Sie bei Anlagenverhandlungen nicht ohne eine Kenntnis der Grundlagen der Spieltheorie aus, die in diesem Kapitel zusammengefasst werden. Um gezielt zu guten Vertriebserfolgen zu kommen, sollten Sie die Arbeiten vor allem des bereits erwähnten John Forbes Nash Jr. (USA; 1928– 2015) (Nash 1950a, 1950b, 1951; Rieck 2006a, 2006b) in ihren wesentlichen Aussagen kennen, um zu wissen, wie Sie Verhandlungssituationen und -objekte beurteilen müssen, um zur bestmöglichen Lösung zu kommen. Dabei soll der Blick auf die praktischen Aspekte einer Anlagenverhandlung gerichtet sein und nicht so sehr auf die zugrunde liegende Mathematik. Denjenigen, die tiefer in das faszinierende Gebiet der Spieltheorie einsteigen wollen, empfehle ich neben den Originalpublikationen Übersichtswerke (Dresher 1961; Holler und Illig 1990; Wiese 2004; Dixit et al. 2014; Winter 2015) sowie die meist exzellenten und vielfach im Internet verfügbaren Vorlesungsskripte der Universitätsinstitute (Kanzow 2007; Leininger und Amann 2008; Mendel 2009; Nebel 2009; Kirchkamp 2012). Starten wollen wir mit einem Beispiel, das in fast allen Darstellungen der Spieltheorie als Einstieg gewählt wird und das auch hier nicht fehlen soll. Es geht um den Fall rechts unten in Abb. 5.2: distributive Verteilung des „Gewinns“ und unvollständige Information, der Kartenspiel-Fall also, der bei der zuvor angestellten Betrachtung etwas zu kurz gekommen ist.

5.2 Das Gefangenendilemma Das Gefangenendilemma ist ein symmetrisches Spiel mit zwei Spielern, das in diese Kategorie fällt. Die klassische Variante lautet wie folgt: Zwei Gefangene A und B werden von der Polizei verhaftet unter dem Verdacht, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben, sagen wir, einen Einbruchdiebstahl. Beide werden in getrennten Räumen verhört und haben keine Gelegenheit, sich zu beraten und ihr

138

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Verhalten (also ihre Aussage) abzustimmen. Sie können jeweils schweigen oder die Tat gestehen. Damit gibt es vier mögliche Szenarien: beide schweigen, beide gestehen sowie die beiden Fälle, dass einer schweigt und der andere gesteht. Die Höchststrafe für das Verbrechen soll in unserem Beispiel sechs Jahre Gefängnisstrafe betragen. Wenn die Gefangenen sich übereinstimmend entscheiden zu schweigen (Kooperation), ist die Haupttat nicht nachweisbar, und es werden beide wegen kleinerer Delikte (vielleicht wegen Hehlerei) zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Gestehen jedoch beide die Tat (Defektion), erwartet beide eine Gefängnisstrafe für den Einbruchdiebstahl, wegen der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden jedoch nicht die Höchststrafe, sondern lediglich vier Jahre Haft. Gesteht nur einer (Defektion) und der andere schweigt (Kooperation), bekommt der erste als Kronzeuge eine symbolische einjährige Bewährungsstrafe, und der andere wird zur Höchststrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Spieler haben die Möglichkeit – ohne direkte Absprache – zusammenzuarbeiten, um einen hohen Nutzen (sprich: Vermeidung von Haftzeit) zu erzielen, oder sich für einen geringeren Nutzen gegenseitig zu verraten. Beide Spieler müssen ihre Strategie ohne Kenntnis der Wahl des anderen Spielers festlegen. Es kann daher vorkommen, dass ein Spieler das Gegenteil des anderen tut. Dann profitiert nur der Spieler, der den anderen verrät. Derartige endliche strategische Spiele werden oft in Matrixform angegeben; Spieler A ist der Zeilenspieler, Spieler B der Spaltenspieler. Bei den Auszahlungen ist jeweils der erste Wert der Nutzen für Spieler A, der zweite Wert der Nutzen für Spieler B. In einer „Gewinn“-Matrix für das Gefangenendilemma (in diesem Setup eher eine Verlustmatrix; daher steht der Begriff „Gewinn“ in Anführungszeichen) stellt sich dies wie folgt dar, wobei in diesem Fall die negativen Zahlen die Jahre angeben, die Spieler A und Spieler B absitzen müssen:

B schweigt

B gesteht

A schweigt

A: −2 B: −2

A: −6 B: –1

A gesteht

A: –1 B: −6

A: −4 B: −4

Kollektiv – und objektiv betrachtet – ist es für jeden von ihnen vorteilhafter zu schweigen. Würden beide Gefangenen kooperieren, dann müsste jeder nur zwei Jahre ins Gefängnis. Der Verlust für beide zusammen beträgt so vier Jahre, und jede andere Kombination aus Gestehen und Schweigen führt zu einem höheren Verlust für beide zusammen. Individuell scheint es für beide jedoch vorteilhafter zu sein auszusagen. Für den einzelnen Gefangenen stellt sich die Situation so dar:

5.2  Das Gefangenendilemma

139

Falls der andere gesteht (A: rechte Spalte, B: zweite Zeile), reduziert er selbst mit seiner Aussage die Strafe von sechs auf vier Jahre. Falls der andere aber schweigt (A: linke Spalte, B: erste Zeile), dann kann er mit seiner Aussage die Strafe von zwei Jahren auf ein Jahr reduzieren. In Laborexperimenten kooperieren beim Gefangenendilemma etwa 40 bis 50 Prozent der Spieler. (Sally 1995; Thaler 2019, S. 194, 382) Individuell gesehen ist als Strategie also unbedingt „gestehen“ zu empfehlen. Diese Aussage hängt nicht vom Verhalten des anderen ab, und es ist anscheinend immer vorteilhafter zu gestehen. Eine solche Strategie, die ungeachtet der gegnerischen gewählt wird, heißt in der Spieltheorie dominante Strategie. Das Dilemma beruht darauf, dass kollektive und individuelle Analyse zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen führen. Und mit diesen Betrachtungen sind wir bereits mitten drin in der Spieltheorie. 

Ziel der Spieltheorie ist es, rationale Verhaltensweisen in Spielen zu charakterisieren, mathematisch zu beschreiben und Lösungen zu erarbeiten.

Wie sich diese gestalten, hängt von den Eigenschaften des entsprechenden Spiels ab. Es werden Entscheidungssituationen modelliert, in denen sich mehrere Beteiligte gegenseitig beeinflussen. Im Unterschied zur klassischen Entscheidungstheorie beschreibt die Spieltheorie Entscheidungssituationen, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern ebenfalls von den Aktionen anderer abhängt. Der Name beruht darauf, dass am Anfang der mathematischen Spieltheorie die Gesellschaftsspiele wie Schach, Mühle oder Dame große Aufmerksamkeit erfuhren. Die Regeln eines Spiels wurden und werden im Sinne eines rein mathematischen Modells durch Zahlen, Mengen und Abbildungen beschrieben. Damit lassen sich neben den Gesellschaftsspielen im engeren Sinne beliebige interaktive Entscheidungsprozesse ökonomischer Art modellieren.

Nash-Gleichgewicht und Nash-Verhandlungslösung

Die formalisierte Analyse von Gesellschaftsspielen durch John von Neumann (1903–1957) ab dem Jahr 1928 legte die Grundlage der modernen Spieltheorie, die sich für die Analyse wirtschaftlicher Fragestellungen eignete. Das 1944 zusammen mit Oskar Morgenstern (1902–1977) verfasste Buch Theory of Games and Economic Behavior (Neumann und Morgenstern 1944) gilt noch heute als wegweisender Meilenstein. Die

140

5  Spieltheorie in Verhandlungen

­ eiterentwicklung der Spieltheorie ist eng mit John Nash verknüpft. W Dessen wichtigste Beiträge sind neben der Unterscheidung zwischen kooperativen und nicht-kooperativen Spielen die Formulierung des Nash-Gleichgewichts (Nash Equilibrium) (Nash 1950a; Rieck 2006b) und der Nash-Verhandlungslösung (Nash Bargaining Solution) (Nash 1950b).

Nash-Gleichgewicht und Nash-Verhandlungslösung sind zwei verschiedene Konzepte, die auseinandergehalten werden müssen. Die Nash-Verhandlungslösung wird in Abschn. 5.3 noch genauer betrachtet. 

Das Nash-Gleichgewicht ist das meistbenutzte Lösungskonzept der Spieltheorie.

In einem Nash-Gleichgewicht – einer stabilen Situation – bereut daher kein Spieler seine Strategiewahl. Die Strategien der Spieler sind wechselseitig beste Antworten. Es ist die mathematische Formulierung eines sehr allgemeinen Prinzips, das an den diversen Stellen der realen Welt auftaucht. John Nashs Gleichgewicht beschreibt nicht nur das Verhalten vernunftbegabter Entscheider, sondern auch das von Menschenmassen, von biologischen Systemen und sogar von Molekülen. Das Gefangenendilemma repräsentiert das klassische Beispiel zur Erklärung des Nash-Gleichgewichts. Zwar ist Schweigen optimal für die beiden Gefangenen, wenn sie beide schweigen. Diese Strategie-Kombination ist jedoch nicht stabil, weil sich ein einzelner Gefangener durch ein Geständnis einen eigenen Vorteil verschaffen kann. Stabil im Sinne eines Nash-Gleichgewichts ist die Strategie-Kombination, bei der beide Gefangenen gestehen: Dann kann sich keiner durch sein Schweigen einen Vorteil verschaffen, sodass hier ein Nash-Gleichgewicht vorliegt. Dieses Nash-Gleichgewicht (A: − 4; B: − 4) liefert aber für beide Gefangene schlechtere Ergebnisse als das beidseitige Schweigen, das auf Kooperation basiert. Ein weiteres einleuchtendes Bespiel zur Erklärung des Nash-Gleichgewichts ist der Fall einer duopolistischen Konkurrenz – der uns gleichzeitig weg von missglückten Raubzügen wieder näher an das Thema der Realwirtschaft heranführt. In einer Duopol-Situation konkurrieren zwei Anbieter auf einem Markt. Beide haben in einer Schwarz-Weiß-Darstellung die Wahl zwischen einer Hochpreispolitik H und einer Niedrigpreispolitik N und werden versuchen, ihren Gewinn zu maximieren. Angegeben seien Gewinne in willkürlichen, jedoch direkt vergleichbaren Einheiten, z. B. Millionen Euro pro Jahr o. ä. Folgende Auszahlungsmatrix soll vorliegen:

5.3  Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich

H

N

H

( 6 ,10)

( 0 ,12)

N

(8 , 4 )

(1 , 5 )

141

Wo liegt hier das Nash-Gleichgewicht? Beide Anbieter könnten durch eine gemeinsame Hochpreispolitik (H,H) = (6,10) höhere Gewinne erzielen, sie müssten allerdings durch Absprache ihrer Preispolitik diese Strategiekombination stabilisieren – andernfalls müsste jeder an H festhaltende Spieler befürchten, dass der andere N wählt (worauf er selbst mit N antworten würde). Dies führt wiederum zu einem Ergebnis, das mit dem Gefangenendilemma vergleichbar ist: mit dem einzigen Nash-Gleichgewicht bei (1,5), der kollektiv schlechtesten aller möglichen Lösungen. In der Praxis lässt sich daher beobachten, dass sich entweder Kartelle bilden oder ein Preiskampf zur Eroberung und Sicherung von Marktanteilen entbrennt (wie immer wieder im Einzelhandel und in der Halbleiter-, Solar- und Elektronikindustrie). Die theoretische Analyse lässt sich mit gewissem mathematischem Aufwand auf komplexere Zustände und zusätzliche Parteien erweitern. Die beteiligten Unternehmen versuchen heute, Gewinnoptimierungen durch Preisdifferenzierungsstrategien herbeizuführen, was beispielsweise an den tageszeitabhängigen Treibstoffkosten an Tankstellen oder den sehr variablen überregionalen Fahrscheinpreisen der Deutschen Bahn ersichtlich ist. In Märkten mit limitierter Kapazität tendieren die Wettbewerber weniger dazu, auf den Preis des jeweils anderen zu achten. Bei der Existenz von Überkapazitäten hingegen schenken die Anbieter dem Preisverhalten des Wettbewerbers tendenziell mehr Beachtung, was für Fluggesellschaften analysiert wurde. (Evangelinos und Stangl 2010)

5.3 Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich Der theoretische Durchbruch im Verständnis einer komplexen Verhandlungssituation liegt mehr als sieben Jahrzehnte zurück. Lesen Sie folgende Geschichte von zwei US-Boys, die eine völlig neue Art der Betrachtung eingeleitet hat. Beispiel

Stellen wir uns zwei hoch rational denkende Verhandler vor, Bill und Jack. Diese können Tauschhandel miteinander betreiben, haben jedoch kein Geld, um etwaige Ungleichheiten bei ihren Geschäften zu kompensieren. Zur

142

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Erklärung sei noch ergänzt, dass es sich um Jungen im Nachkriegsamerika der späten 1940er Jahre handelt – eine gedankliche Zeitreise in die Vergangenheit. Bill hat ein Buch, eine Peitsche, einen Ball, einen Baseballschläger und eine Schachtel zur Verfügung, Jack einen Füller, eine Spielzeugfigur, ein Messer und einen Hut. Jeder Gegenstand hat für seinen Besitzer einen bestimmten Wert und einen – meist unterschiedlichen – Wert für den jeweils anderen. So sind das Buch und der Ball, die Bill bisher sein Eigentum nennt und als für ihn gleichwertig erachtet, für Jack im ersten Fall doppelt, im zweiten nur halb so viel Wert wie für Bill. Dagegen hätte Jacks Messer für Bill einen dreimal so hohen Wert wie für Jack und der Füller gar den zehnfachen subjektiven Wert. Die Details sind momentan jedoch unwichtig. Alle Karten liegen quasi auf dem Tisch: Es bestehen keinerlei Informationsasymmetrien, beide Jungen wissen genau, was die jeweiligen Objekte für sie selbst und für den anderen Wert sind. Ziel der Verhandlung ist es festzustellen, welche Gegenstände am besten getauscht werden, um beiden Seiten zur größtmöglichen Zufriedenheit zu verhelfen. Wir befinden uns mit diesem Szenario also im linken oberen Feld in Abb. 5.2 – und damit nicht in der realen Welt integrativer Verhandlungen, etwa Anlagenverhandlungen, wo man eben nicht weiß, welchen genauen Wert die einzelnen Verhandlungsobjekte für die andere Seite besitzen. Das erläuterte Beispiel für einen Tauschhandel (Barter Deal) wurde von John Nash 1950 in der Publikation The Bargaining Problem durchgerechnet (Nash 1950b) – ein Durchbruch in der Spieltheorie, denn es war ihm erstmals gelungen, eine eindeutige Lösung für eine komplexe Verhandlungssituation mathematisch abzuleiten, die als nicht-kooperatives Zwei-Parteien-Nicht-Nullsummen-Spiel mit perfekter Information aufgefasst werden kann. Alle Tauschmöglichkeiten, vorteilhafte wie nachteilige, lassen sich hinsichtlich ihres Wertes für beide Partner in einem xy-Diagramm darstellen; es ergibt sich eine linsenförmige Fläche um den Ursprung herum. Auf dem äußeren Rand nahe der Diagonalen im ersten Quadranten befindet sich der Punkt für die Nash-Verhandlungslösung (der sogenannte Nash-Punkt), das für beide Parteien unter den gegebenen Umständen beste Ergebnis. Dies beschreibt der Satz von Nash.

 Satz von Nash Wenn zwei Verhandlungsparteien die Forderungen an eine Verhandlungslösung akzeptieren, gibt es in jeder Verhandlungssituation eine eindeutige Verhandlungslösung.

5.3  Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich

143

Werden Geldzahlungen zugelassen, können Ungleichheiten bei der erzielten Tauschvereinbarung leicht ausgeglichen werden. Eine Weiterführung des Modells betrifft den in der Wirtschaft zumeist anzutreffenden Fall, dass Waren und/oder Dienstleistungen (nahezu) ausschließlich gegen Geld getauscht werden. Generell ist es die Aufgabe der Parteien in jeglichen Verhandlungen, die jeweils optimale Verhandlungslösung aufzufinden. Dies setzt voraus, dass die Verhandler streng rational denken und agieren, ein Verhalten, das sich im realen Leben nur selten finden lässt: Vielmehr spielen psychologische und emotionale Komponenten eine nicht zu vernachlässigende Rolle dabei, dass vielfach nicht für beide Seiten optimale Verhandlungsergebnisse erzielt werden. (Denken Sie nur an die Ergebnisse von Solomon Asch in Abschn. 5.1.) Wir wollen das Verhandlungsszenario von John Nash für die Gegenwart adaptieren und auf den Gegenstand dieses Buches anwenden. Das nachfolgende Beispiel erklärt spieltheoretisch, wie der Kuchen, der Gewinn in einer komplexen Anlagenverhandlung, unter Beachtung spieltheoretischer Grundlagen vergrößert werden kann. Die Identifizierung des Nash-Punktes sei dazu mit einigen bei derartigen Geschäften üblichen Stellschrauben erläutert. Dabei soll es entgegen der üblichen Praxis nicht darum gehen, dass der Einkäufer einen – meist vorher eingepreisten – Nachlass ohne Gegenleistung verhandelt, sondern das Ziel ist, zunächst eine reine Tauschlösung zu erreichen. Vielleicht tun wir Anton Schmitz mit dieser Vorarbeit ja einen Gefallen und erleichtern ihm die spätere Verhandlungsführung in Dresden. Der grobe Rahmen seiner Möglichkeiten wurde eingangs dieses Kapitels bereits dargelegt; nun wollen wir uns die Details ansehen. Folgende Rahmenbedingungen seien gegeben: Anton Schmitz

Nehmen wir für die spieltheoretische Betrachtung an, der Lieferant, also in unserem Fall ISHIKAWA, hat eine industrielle Großanlage (das Schichtdicken-Messgerät LH-8) entsprechend der WAFAG-Kundenspezifikation für einen – reellen – Preis von einer Million Euro angeboten. (Die Thematik um Markup, ZOPA [„Zone of Possible Agreement“, der Einigungsbereich in einer Verhandlung] und Walk-out-Preis stellt sich an dieser Stelle – anders als in der Praxis – nicht.) Dieser Preis ist kalkuliert auf der Basis Incoterm DDP (Verzollung und Lieferung zum Kunden), eintägige Standardschulung des Betreiberpersonals und ein Jahr Gewährleistung bei einer Anzahlung von 35 Prozent und der üblichen Pönalregelung (ein Prozent vom Anlagenpreis Strafzahlung pro Woche Lieferverzug bis maximal fünf Prozent).

144

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Genauso wie bei Bill und Jack im klassischen Fall können den tauschbaren Verhandlungsobjekten beim Verkauf des LH-8, den Wants, definierte Nutzenwerte für den Kunden und für den Lieferanten zugeordnet werden … und auch dies wieder nur innerhalb unserer analytischen Modellwelt: Im wahren Leben wird man kaum derart genaue Angaben zu den Kostenbetrachtungen der Gegenpartei besitzen. An dieser Stelle muss zugegeben werden, dass das Ergebnis der später folgenden Rechnungen recht sensibel auf die Festlegung der vorgenannten Zahlen reagiert, deren Genauigkeit in der Praxis vielfach nicht gegeben ist. Im nachfolgenden Beispiel sind jeweils fünf Wants für jede Partei quantifiziert. Die Preisgabe jedes einzelnen dieser Objekte ist für die vom Lieferanten und vom Kunden angebotenen Wants mit dem aufgeführten Aufwand für die gebende und dem Vorteil für die nehmende Partei verbunden:

Lieferant bietet als Tauschobjekt an: (L1) (L2) (L3) (L4) (L5)

2. Jahr Gewährleistung Verzicht auf Anzahlung umfangreichere Schulung Hilfstoff-/Ersatzteilpaket zusätzliche So…ware

Kunde bietet als: Tauschobjekt an: (K1) (K2) (K3) (K4) (K5)

Incoterm FCA (Lieferant) Zahlung der Verpackung Spezifikaonsänderung Verzicht auf Pönalregelung Bestellung von zwei Anlagen

Aufwand für den Lieferanten:

Vorteil für den Kunden:

40.000 € 3.500 € 5.000 € 12.500 € 5.000 €

25.000 € 7.000 € 20.000 € 20.000 € 10.000 €

Vorteil für den Lieferanten:

Aufwand für den Kunden:

13.000 € 3.000 € 40.000 € 25.000 € 50.000 €

6.000 € 10.000 € 6.000 € 10.000 € 5.000 €

Anton Schmitz

Für die Festlegung der aufgeführten Zahlen wurden einige Abschätzungen anhand der Natur des zugrunde liegenden Beispiels vorgenommen, die sich möglicherweise auf die Planung einer echten Verhandlung übertragen lassen. So gilt es zu berücksichtigen, dass der Lieferant ISHIKAWA CORPORATION zwar in Düsseldorf eine Vertriebs- und Serviceniederlassung hat (die

5.3  Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich

145

ISHIKAWA TRADING GMBH), größere Problembehebungen und Nachbesserungen jedoch oft über die japanische Zentrale laufen, da das LH-8 in Europa noch nicht bei Kunden im Feld betrieben wird. Daher muss der Lieferant für Personal und Teile während des Gewährleistungszeitraumes realistisch betrachtet mindestens vier Prozent des Kaufpreises einplanen. Der Aufwand des Kunden für im zweiten Jahr zu zahlende Reparaturen dürfte deutlich niedriger liegen, denn es handelt sich um ein relativ störungsunempfindliches Gerät. Für die Anzahlung wurden ein Prozent Bürgschaftsgebühr und zwei Prozent Kapitalbeschaffungskosten angesetzt. Die finanzielle Risikosituation ist hier vernachlässigt. Die zusätzliche Schulung kostet den Lieferanten eine Mannwoche; der Kunde kann danach jedoch bestimmte Wartungs- und Reparaturarbeiten eigenständig ausführen. Es wurde hierbei der Einfachheit halber unterschlagen, dass ISHIKAWA dadurch möglicherweise zu vergütende Serviceeinsätze verloren gehen, jedoch andererseits die Kundenbindung im Hinblick auf Folgegeschäft gestärkt werden könnte. Die beiden weiteren Posten – Hilfstoff-/Ersatzteilpaket sowie eine zusätzliche Software zur Datenauswertung – kosten gemäß Deckungsbeitragsrechnung den Lieferanten deutlich weniger als den Kunden. Unter dem Strich bleibt also festzuhalten, dass eine Verlängerung des Gewährleistungszeitraumes keinen positiven Nutzen bringt, die übrigen vier Verhandlungsobjekte den Kuchen beim Tauschen hingegen definitiv vergrößern können. Und wie sieht es mit den Wants aus, welche die WAFAG zum Tausch anzubieten hat? Der Kunde kann – als großes Unternehmen – zwar Transport und Versicherung günstiger beschaffen als der Lieferant, jedoch nicht die Spezialverpackung am Produktionsort Kanazawa (Japan). Bei beiden Objekten ist der Hebel allerdings bei Weitem nicht so lang wie beim dritten Punkt. Dieser resultiert aus der vereinbarten technischen Spezifikation und betrifft in der Tat einen vielfach in der Industrie anzutreffenden Sachverhalt: Ein Lieferant bietet genau das an, was der Kunde fordert. Dies mag bei einer Ausschreibung notwendig sein, jedoch sollten die Vertragsparteien immer Ausschau nach Kostensenkungspotenzialen halten und nicht nach Schema F und „das haben wir immer schon so gemacht“ vorgehen. Wie im vorausgegangenen Kapitel bereits ausgeführt, lässt sich durch Änderungen an der Spezifikation vielleicht auf relativ einfache Art eine Preissenkung erreichen, ohne dass bei der Leistung signifikante Abstriche gemacht werden müssen, hier durch Verwendung eines Geräterahmens aus pulverbeschichtetem Aluminium anstelle des spezifizierten teureren Edelstahlkorpusʼ.

146

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Die oft getauschte Pönalregelung, die für Lieferungen innerhalb eines Projektablaufs relevant sein kann, lässt sich in ihrer Eigenschaft als Risikoprämie nur schwer über den Preis ausdrücken. Jedoch ist das finanzielle Risiko des Lieferanten höher als das des Kunden, und Ersterer profitiert in der Regel eher vom Verzicht. Allerdings wird der Kuchen noch einmal deutlich vergrößert durch den letztgenannten Aspekt: Was wäre, wenn statt einer Anlage zwei oder noch mehr gleichzeitig bestellt würden? Ließen sich hier Synergie- oder Serienfertigungseffekte nutzen? In der Tat, falls mehr als eine Anlage geordert wird, verschafft dies im vorliegenden Fall ISHIKAWA erhebliche Kostenvorteile bei Bestellung der Teile und Fertigung sowie durch die wiederholte Verwendung der Konstruktion und Softwareprogrammierung. Also lässt sich für die von der WAFAG zum Tausch anzubietenden Wants zusammenfassen: Lediglich die Übernahme der Verpackungskosten mindert den Wert des Geschäftes, die vier anderen Tauschobjekte erhöhen es. All diese Vorüberlegungen kann und sollte Anton Schmitz mit seinen japanischen Kollegen während der Verhandlungsvorbereitung anstellen, um ein Gefühl für die Wertigkeit der einzelnen Wants und vor allem deren Abstufung untereinander zu bekommen. Eine zu hohe Zahlengläubigkeit führt dabei jedoch sowohl für den Lieferanten als auch für den Kunden in die Irre: Die Abschätzung des individuellen Wertes von Verhandlungsobjekten ist für das Erarbeiten einer Verhandlungslösung wertvoll, stellt jedoch nur einen qualitativen oder bestenfalls halbquantitativen Ansatz dar. Dabei ist wieder ein Spagat erforderlich, zwischen Präzision und Heuristik, Rationalität und Mut zur Lücke. Wenn Sie auf dieser Basis die nachfolgenden Berechnungen für verzichtbar halten, schadet es dem Textverständnis nicht entscheidend, wenn Sie zum nächsten Kapitel weiterblättern. Für alle anderen Leser geht es weiter mit der Analyse der Musterverhandlung. Wir haben die fünf Tauschobjekte des Lieferanten mit (L1) bis (L5) und die des Kunden mit (K1) bis (K5) identifiziert; mit diesen Kurzbezeichnungen wird im Folgenden gearbeitet. Für den Lieferanten bestehen 25 = 32  Möglichkeiten, die Angebote L1 bis L5 zu kombinieren.

5.3  Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich (L1) (L1,L2) (L2,L4) (L1,L2,L3) (L1,L4,L5) (L1,L2,L3,L4) (kein Angebot)

(L2) (L1,L3) (L2,L5) (L1,L2,L4) (L2,L3,L4) (L1,L2,L3,L5)

(L3) (L1,L4) (L3,L4) (L1,L2,L5) (L2,L3,L5) (L1,L2,L4,L5) (L1,L2,L3,L4,L5)

(L4) (L1,L5) (L3,L5) (L1,L3,L4) (L2,L4,L5) (L1,L3,L4,L5)

147 (L5) (L2,L3) (L4,L5) (L1,L3,L5) (L3,L4,L5) (L2,L3,L4,L5)

Für den Kunden existieren analog 32 Kombinationen für die Angebote K1 bis K5. Jedes Angebot bedeutet für den das Angebot Aussprechenden einen finanziellen Aufwand und für den das Angebot Empfangenden einen finanziellen Vorteil, sofern es zur Ausübung kommt, also zur Preisgabe des betreffenden Wants. Bei den nachfolgenden Wertepaaren (x €, y €) stellt die erste Zahl immer den Vorteil des Lieferanten und die zweite den des Kunden dar. Dies ist wichtig zum Verständnis, da der Vorteil des Lieferanten in den Diagrammen auf der x-Achse und der des Kunden auf der y-Achse bemessen wird. Für jede dieser 32 Kombinationen ergibt sich der Aufwand des Lieferanten und der Vorteil des Kunden durch Addition der entsprechenden Aufwände bzw. Vorteile für die Tauschobjekte L1 bis L5 und K1 bis K5, die oben angegeben sind. Beispielsweise erhält man für die Kombination (L1,L3,L5) das Wertepaar ( +50.000  €, −55.000 €): Dieser Tausch macht für den Lieferanten geringfügig weniger Aufwand, als er für den Kunden von Nutzen ist. Für die Angebote des Kunden bestehen ebenso viele Kombinationsmöglichkeiten. Für die Kombination (K1,K3,K5) etwa ergibt sich (−103.000 €, +17.000 €), was eine signifikante Vergrößerung des Kuchens zugunsten des Lieferanten bedeuten würde. 

Beachten Sie bitte, dass negative Vorzeichen bei dieser Betrachtung einen Vorteil bedeuten, da der realistische Anlagenpreis von einer Million Euro reduziert würde – was definitionsgemäß den Kuchen größer macht.

Aus jeder der 32 Kombinationen der Lieferanten- und der Kundenangebote lässt sich durch Summenbildung von jeweils erstem und zweitem Wert wiederum eine Anzahl von 25 × 25 = 32 × 32 = 1024 Lösungsmöglichkeiten errechnen, die alle mit einem mehr oder weniger großen Preisvorteil (in manchen Fällen auch -nachteil) für die Parteien verbunden sind. Während John Nash diese Technologie noch nicht zur Verfügung hatte und mathematisch „zu Fuß“ unterwegs war – ohne Internet und soziale Netzwerke und mit dem erst in den Kinderschuhen steckenden Fernsehprogramm dürfte er ohnehin mehr Zeit für seine

148

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Forschungen zur Verfügung gehabt haben –, lässt sich die Lösungsmenge heute durch Tabellenkalkulationsprogramme schnell ermitteln. Für die Kombination der erwähnten Beispielkombinationen (L1,L3,L5) mit (K1,K3,K5) ergibt sich (50.000 € – 103.000  €, –55.000 € + 17.000  €) = (–53.000  €, –38.000 €), das heißt für den Lieferanten ist diese Tauschlösung um 53.000 € günstiger als das ursprüngliche Paket und für den Kunden um 38.000 €. Es ist zu beachten, dass dies auf den Anlagenpreis keine Auswirkung hat, weil der Vorteil aus den Zusatzleistungen resultiert. Die 1024 Wertepaare sind in Abb. 5.3 geplottet und belegen eine linsenförmige Fläche, die derjenigen für die Tauschobjekte von Bill und Jack in John Nashs Originalpublikation ähnelt. Zur Bestimmung des Nash-Punktes werden zunächst alle 1024 Wertepaare tabellarisch aufgelistet. Dazu wird die zusätzliche Wertschöpfung jeder

Gewinn Kunde (€)

1,50,000

Geld involviert

1,00,000 Nash-Punkt Op mum mit Geldausgleich 50,000 50.000

-1,00,000

-50,000

0

Gewinn Lief. (€) 0

50,000 50.000

1,00,000 100.000

1,50,000

-50,000

-1,00,000

Abb. 5.3   Tausch von je 5 Verhandlungsobjekten bei der Anlagenverhandlung (1024 Lösungen)

5.3  Nash-Verhandlungslösung und Optimum mit Geldausgleich

149

­ ombination, nämlich die Summe von Lieferanten- und Kundenvorteil (nennen K wir sie Σ; 91.000 € im obigen Beispiel), aufgelistet sowie die absolute Differenz der beiden Werte (∆; 15.000 € im Beispiel) und außerdem die Summe minus die Hälfte der absoluten Differenz (Σ − ½ ∆; 83.500 €) berechnet wird. Warum? Der letztgenannte Wert Σ – ½ ∆ stellt ein Maß für die Höhe des beidseitigen Vorteils und die Symmetrie der Verhandlungslösung dar. Eine Sortierung der Kombinationsmöglichkeiten nach der Höhe dieses Wertes führt zur Identifikation des Nash-Punktes; nachfolgend die ersten fünfzehn (von 1024) Werte der Liste:

Nr. Lieferant

Kunde

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

K1,K3,K4,K5 K3,K4,K5 K1,K3,K4,K5 K3,K4,K5 K3,K4,K5 K2,K3,K4,K5 K1,K3,K4,K5 K3,K5 K1,K2,K3,K4,K5 K3,K4,K5 K1,K3,K5 K1,K3,K4,K5 K3,K4,K5 K2,K3,K4,K5 K1,K3,K4,K5

L1,L2,L3,L4,L5 L1,L3,L4,L5 L1,L3,L4,L5 L1,L2,L3,L4,L5 L1,L2,L3,L4 L1,L2,L3,L4,L5 L1,L2,L3,L4 L2,L3,L4,L5 L1,L2,L3,L4,L5 L2,L3,L4,L5 L2,L3,L4,L5 L2,L3,L4,L5 L1,L3,L4 L1,L3,L4,L5 L1,L3,L4

Vorteil Lieferant

Vorteil Kunde

Σ



Σ– ½ ∆

62.000 € 52.500 € 65.500 € 49.000 € 54.000 € 52.000 € 67.000 € 64.000 € 65.000 € 89.000 € 77.000 € 102.000 € 57.500 € 55.500 € 70.500 €

55.000 € 54.000 € 48.000 € 61.000 € 51.000 € 51.000 € 45.000 € 46.000 € 45.000 € 36.000 € 40.000 € 30.000 € 44.000 € 44.000 € 38.000 €

117.000 € 106.500 € 113.500 € 110.000 € 105.000 € 103.000 € 112.000 € 110.000 € 110.000 € 125.000 € 117.000 € 132.000 € 101.500 € 99.500 € 108.500 €

7.000 € 1.500 € 17.500 € 12.000 € 3.000 € 1.000 € 22.000 € 18.000 € 20.000 € 53.000 € 37.000 € 72.000 € 13.500 € 11.500 € 32.500 €

113.500 € 105.750 € 104.750 € 104.000 € 103.500 € 102.500 € 101.000 € 101.000 € 100.000 € 98.500 € 98.500 € 96.000 € 94.750 € 93.750 € 92.250 €

Σ = Summe der Vorteile von Kunde und Lieferant ∆ = absolute Differenz der Vorteile Σ – ½ ∆ = Summe minus halbe Differenz der Vorteile

Wert Nr. 1 in der obigen Darstellung ist der Nash-Punkt, der Wert, bei dem die Differenz aus Summe und halber Differenz der beiden Vorteile ein Maximum erreichen (Σ – ½ ∆ = 113.500  €). Er ist in der Liste oben und in Abb. 5.3 markiert und derjenige Punkt auf dem äußersten „effizienten Rand“ des Punktefeldes (in der Literatur auch Effizienzgrenze genannt, s. Raiffa 1982, S. 139; Sturm 2009, S. 9), welcher der Winkelhalbierenden am nächsten liegt. Dabei werden außer K2 (die wenig sinnvolle Zahlung der Verpackung durch den Kunden) alle Tauschoptionen ausgeführt, selbst das für die Kuchengröße unvorteilhafte zweite Jahr Gewährleistung (L1) – doch Basis für die Bestimmung des Nash-Punktes ist ja, dass keine Zahlungen zum Ausgleich von Ungleichheiten fließen sollen.

150

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Der Nash-Punkt ist in diesem Fall daher nicht die beste Verhandlungslösung, falls der Austausch von Geld zu Kompensationszwecken möglich ist. Zur Bestimmung dieses betriebswirtschaftlich vorteilhafteren Punktes wird eine Schar von Geraden eingeführt, die senkrecht zur Winkelhalbierenden durch den ersten Quadranten stehen. Der durch Parallelverschiebung der Geraden ermittelte Tangentialpunkt auf dem effizienten Rand entspricht der optimalen Lösung mit Geldausgleich, in diesem Falle Nr. 12 der obigen Liste, der in der Zeichnung ebenfalls markiert ist. Hierbei ist der Gesamtgewinn (Σ = 132.000  €) um 15.000 € höher als bei der Nash-Lösung, allerdings asymmetrischer verteilt, sodass der Kunde – zu Recht – einen finanziellen Ausgleich in der Größenordnung von mindestens 36.000 € erwarten sollte. Mit der Verhandlungslösung Nr. 12, dem Optimum mit Geldausgleich, wäre unter den genannten Prämissen ein Verkaufspreis in Höhe von 964.000 € für beide Seiten angemessen. Es wurde oben bereits angedeutet, dass sich das Ergebnis der Optimierung recht empfindlich bezüglich der Eingangsparameter verhält, und mit einem Tabellenkalkulationsprogramm lassen sich mit wenig Aufwand Sensitivitätsanalysen durchführen. Ist der Vorteil durch die gleichzeitige Bestellung von zwei Anlagen (K5) für den Lieferanten nicht 50.000 €, sondern nur 11.000 €, errechnen sich zwei Nash-Punkte bei Σ – ½ ∆ = 79.000  € mit Σ = 86.000  € bzw. 80.000 €, und das Optimum mit Geldausgleich ergibt immerhin Σ = 93.000  €. Stellt der Lieferant jedoch vor dem Hintergrund dieses Szenarios fest, dass er – da er sowieso Personal in Kundennähe bereithält und nennenswerte Ersatzteilkosten nicht zu erwarten sind – mit nur 10.000 € für die Erweiterung des Gewährleistungszeitraumes ausreicht, fallen Nash-Punkt und Optimum mit Geldausgleich zusammen (Σ – ½ ∆ = 107.000  €; Σ = 108.000  €).

5.4 Bedeutung der Spieltheorie für den Verhandlungserfolg In einer geglätteten Version, in der die 1024 Einzelpunkte, die den Tauschbereich aufspannen, zu einer Fläche zusammengefasst sind, ähnelt die Darstellung der hier berechneten Nash-Verhandlungslösung den vielfach publizierten Schemazeichnungen für Verhandlungslösungen (z. B. Pruitt und Lewis 1975; Caldwell 2001; Wiese 2004, S. 21; Voeth und Herbst 2009, S. 165; Wong 2010; Core Team o. J.). Dabei wurden die Achsenskalierungen leicht angepasst (s. Abb. 5.4).

5.4  Bedeutung der Spieltheorie für den Verhandlungserfolg 1,00,000

151

Gewinn Kunde (€) Nash-Punkt Opmum mit Geldausgleich

Gewinn Lief. (€) -1,00,000 -50,000 -20,000

1,50,000

-40,000 -60,000

Abb. 5.4   Nash-Verhandlungslösung für einen Anlagenkauf

Abb. 5.5   Vergrößerung des Verhandlungskuchens

Vorteil des Gegenübers

Hieraus gelingt mit wenig Aufwand der Sprung zur Verhandlungstheorie und den in Abb. 5.1 dargestellten fünf Verhandlungsstilen. Abb. 5.5 erklärt noch ­einmal in einer stark schematisierten Variante von Abb. 5.4 die Vorteilssituation für beide Fälle auf dem bereits erwähnten effizienten Rand, auf dem Nash-Punkt und Optimum mit Geldausgleich liegen und der durch den Win-Win-Quadranten geht. Beim Auftragen des Vorteils der anderen Partei gegen den eigenen Vorteil erhält man im Falle einer distributiven Verhandlung eine gerade Linie, hier gestrichelt dargestellt, die den bei integrativen Verhandlungen meist ineffizienten Kompromiss repräsentiert. effizienter Rand ineffizienter Kompromiss

Verhandlungbereich eigener Vorteil

152

5  Spieltheorie in Verhandlungen

Die Nash-Verhandlungslösung, die sich wie gesehen ohne komplizierte Mathematik herleiten lässt, liefert wertvolle Einblicke in die Natur von Verhandlungskonstellationen. Sie steht in inhaltlicher Nähe zur Portfoliotheorie, die auf eine Arbeit des US-amerikanischen Ökonomen Harry M. Markowitz aus dem Jahr 1952 zurückgeht (Markowitz 1952), der dafür 1990 dafür den Wirtschaftsnobelpreis (s. Abschn. 4.1) erhielt.

Portfoliotheorie

„Ziel der Portfoliotheorie ist es, Handlungsanweisungen zur ‚bestmöglichen‘ Kombination von Anlagealternativen zur Bildung eines optimalen Portfolios zu geben. In diesem optimalen Portfolio werden die Präferenzen des Anlegers bezüglich des Risikos und des Ertrags sowie die Liquidität berücksichtigt. Dadurch soll das Risiko eines Wertpapierportfolios, ohne eine Verringerung der zu erwartenden Rendite, minimiert werden. Notwendige Voraussetzung hierbei ist, dass die Wertpapiere nicht vollständig korreliert sind.“ (Wikipedia 2019)

Im Vorgriff auf die Weiterführung des LH-8-Beispiels in Kap. 8 sei jedoch gesagt, dass sie sich für eine reale Verhandlungssituation in der Industrie kaum als konkrete Methodik anwenden lässt, wie jeder Praktiker bestätigen wird, sondern bestenfalls für Abschätzungen. Die Gründe dafür sind in vielen Fällen einleuchtend. Die beiden Haupthindernisse sind die folgenden: 1. Der Wert der Verhandlungsobjekte für die jeweils andere Seite lässt sich nicht genau beziffern. 2. Die Verhandlungspartner denken eben nicht hochrational, sondern werden teilweise deutlich von Vorurteilen, Fehleinschätzungen und weiteren psychologisch bedingten Einflüssen geleitet (erinnern Sie sich an Kap. 5). Als Folge davon stellt man immer wieder fest, dass ein Ergebnis, das in einer bestimmten, genau definierten Situation als rationale Lösung angesehen werden kann, nicht übereinstimmt mit dem, was man als Ergebnis erhält, wenn man die gleiche Situation in einem Laboratorium nachstellt. Anders gesagt: Die Vorhersagen eines bestimmten Modells halten einer praktischen experimentellen Überprüfung vielfach nicht stand, wie Nobelpreisträger Reinhard Selten feststellte. (Selten 2010) Ein Grund dafür ist, dass die Menschen nicht ausschließlich ihren eigenen materiellen Nutzen maximieren wollen, wie es die Modelle voraussetzen,

5.4  Bedeutung der Spieltheorie für den Verhandlungserfolg

153

sondern durch Fairness und Vertrauen, aber auch Streben nach Bestrafung und Rache gelenkt werden. Daneben führen weitere Einflussfaktoren wie Gewohnheitsrecht und kulturelle Gegebenheiten (Kap. 6 und 7) möglicherweise zu einer ungleichen Verteilung des erzielten Vorteils. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt die Prinzipal-Agent-Problematik dar. (Groll et al. 2009) Diese wurde ursprünglich für hierarchisch strukturierte Unternehmen entwickelt, in denen der Arbeitnehmer der Agent und der Arbeitgeber der Prinzipal ist, und trifft generelle Aussagen, die für die Gestaltung von Verträgen ebenfalls hilfreich sind. Sie geht von Vertragsparteien aus, die in ihrer Entscheidungsfindung eingeschränkt sind, etwa durch asymmetrische Informationsverteilung (s. die Themen der Nobelpreisträger am Ende von Abschn. 4.1). Dabei hat im Falle von Anlagenbeschaffungen der Kunde als Prinzipal vermutlich genauso oft mit einem Informationsdefizit gegenüber dem Lieferanten (Agent) zu kämpfen wie umgekehrt, etwa: Wieviel kostet den Lieferanten die Herstellung und spätere Betreuung der Anlage? Wie sieht die wirtschaftliche Situation des Kunden aus, wie hoch ist sein Budget für dieses Projekt? Im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie beschreiben die sogenannten Agenturkosten die Differenz der Kosten einer idealen Lösung (vollkommene Information) zu denen der realen Lösung (bei unvollkommener Information). Bei deutlich asymmetrischer Informationsverteilung – einem in der Realität nicht unwahrscheinlichen Fall – ist das Harvard-Verfahren nur bedingt anwendbar. Denn wenn eine Seite signifikant mehr weiß als die andere, ist die beste Lösung, die im Falle symmetrischer Informationen theoretisch denkbar wäre, nicht gegeben. So ist stets derjenige im Vorteil, der sich besser vorbereitet hat und dementsprechend einen Wissensvorsprung bei der Verhandlung des aktuellen Geschäfts hat. In seinem berühmten Artikel The Market for Lemons untersuchte George A. Akerlof die Mechanismen des US-Gebrauchtwagenmarkts und zeigte, dass freie Märkte nicht funktionieren, wenn Käufer und Verkäufer ungleichen Zugang zu Information haben. (Akerlof 1970) Beispiel

Der Einfluss der Spieltheorie auf Vergabeverhandlungen ist trotz der genannten Schwierigkeiten heutzutage nicht zu übersehen. Dabei ist meist der Einkauf in der komfortablen Lage, die Spielregeln bestimmen zu können. So lässt sich das Gefangenendilemma wie folgt umsetzen: Die Lieferanten weigern sich, die hauseigene Plattform des Einkäufers unter Zahlung einer jährlichen Gebühr zu benutzen. Um dem gegenzusteuern, stellt es der Einkäufer den Lieferanten frei, sich auf der Plattform anzumelden oder nicht. Allerdings kündigt er an, dass das weitere Geschäft nur mit denjenigen Lieferanten

154

5  Spieltheorie in Verhandlungen

getätigt werden wird, die angemeldet sind, es sei denn, es meldet sich keiner an – in diesem Falle würden die Geschäfte konventionell getätigt. (Wambach 2007) Kollektiv gesehen wäre es für die Lieferanten sinnvoll, sich nicht anzumelden; individuell gilt das Gegenteil – immer vorausgesetzt, es findet keine (nach dem Wettbewerbsrecht in Deutschland verbotene) Kartellbildung statt.

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5  Spieltheorie in Verhandlungen

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6

Interkulturelle Verhandlungen



Dieses Kapitel verdeutlicht, dass Xenophobie vor allem Deutschland als Exportnation schadet, dass der globale Hut drei Ecken hat, dass manchmal ein Dolmetscher sinnvoll ist und was in Asien bei Zahlen zu beachten ist. Die interkulturelle 3P-Regel macht das Leben leichter, und Sie erfahren, was die Weltsprache der Zukunft sein wird.

Ob wir dies nun persönlich mögen oder nicht – die Globalisierung ist Fakt. Die Welt wird durch Handelsbeziehungen, Migration, Internet und Fernreisen immer internationaler, und niemand kann sich davor verstecken. Mit einer Bevölkerung von 7,73 Milliarden Menschen (Stand August 2019; Countrymeters 2019) in Verbindung mit einer Zunahme von in Zukunft nicht mehr bewohnbaren Gebieten fehlen die Rückzugsräume, und isolationistische Tendenzen einzelner Volkswirtschaften und Handelshemmnisse wie Zölle behindern den Welthandel nur marginal und oft lediglich temporär. Die Tendenz geht trotz einiger aktueller Rückschläge in die Richtung von bilateralen oder multinationalen Handelsabkommen, um einen weitgehend ungebremsten Warenverkehr zu ermöglichen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört unbestritten zu den größten Profiteuren des Welthandels. Das deutsche Außenhandelsdefizit, also das Saldo zwischen Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen (auch als Nettoexport oder Außenbeitrag bezeichnet), betrug 2018 224 Milliarden Euro. (statista 2018) Der Maschinen- und Anlagenbau ist daran nicht unbeteiligt und gehört mit einer weltweit führenden Marktposition zu den größten Industriezweigen in Deutschland. Im Jahr 2018 wurde damit laut Branchenverband VDMA (bei einem Welthandel von gut einer Billion Euro) ein Umsatz von 232 Milliarden Euro erwirtschaftet, wovon 60 Prozent aus dem Exportgeschäft resultierten. In den nächsten 20 bis 30 Jahren entstehen 90 Prozent der globalen Nachfrage außerhalb Europas. (VDMA 2019, S. 4) Zu den wichtigsten Empfängerländern für ­deutsche © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_6

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6  Interkulturelle Verhandlungen

Maschinenexporte gehören die USA (19,2 Milliarden Euro, 10,8 Prozent des Exports) und China (19,1 Milliarden Euro), gefolgt von Frankreich (11,6 Milliarden Euro) und Italien (8,3 Milliarden Euro). (VDMA 2019, S. 24–25) Die umsatzreichsten Sektoren sind Werkzeugmaschinen, Antriebstechnik, Fördermittel sowie die Kälte- und Lufttechnik. Aber es gibt auch Bereiche mit Nachholbedarf: Bei den Halbleiter- und Flachdisplay-Produktionsmitteln lag Japan 2018 mit 31 Prozent Weltmarktanteil vor den USA und Singapur. (VDMA 2019, S. 24–30). Insgesamt umfasst die Maschinen- und Anlagenbaubranche 1,05 Millionen Beschäftigte und ist der größte Industriearbeitgeber in Deutschland. Zu den führenden deutschen Maschinenbaugesellschaften kommen viele kleinere Unternehmen, die in Bereichen wie Halbleitertechnik, regenerative Energieerzeugung oder Vakuumtechnik Maßstäbe setzen. Deutsche Maschinenbauer sind bekannt für ihr hohes Engagement im Bereich Forschung und Innovation. Allerdings ist die Stimmung inzwischen teilweise getrübt. VDMA-Präsident Carl Martin Welcker schreibt im aktuellen Branchenbericht des Maschinen- und Anlagenbauverbands: „Den USA fällt schwer, in Handelsabkommen das zu erkennen, was sie in aller Regel sind: Win-Win-Situationen. Chinas Politik scheint den Glauben an die Kraft der eigenen Wirtschaft noch nicht gefunden zu haben und schirmt seine staatlich gelenkten Unternehmen vor allzu großem Wettbewerb ab. Und auch in Europa ist das Bestreben, den Binnenmarkt weiter zu vollenden, fast zum Stillstand gekommen.“ (VDMA 2019, S. 3) Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass dem Thema interkulturelle Verhandlungen hier zwei eigene Kapitel gewidmet sind. Denn wenn Sie als Vertriebsingenieur für Großsysteme tätig sind, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Sie Ihre Produkte im Ausland absetzen wollen und werden. Dies kann im näheren Umfeld beispielsweise Frankreich oder Italien sein. Angesichts der Weltmarktstruktur ist es jedoch durchaus möglich, dass Sie mit außereuropäischen Kulturen verhandeln. Hierbei sollen Sie die nachfolgenden Ausführungen unterstützen.

6.1 Internationale Verhandlungen Viele interkulturelle Probleme wären gelöst, wenn Vertreter einer Nation offen und ohne Vorbehalte auf Vertreter anderer Nationen zugehen würden, im politischen wie im kommerziellen und privaten Umfeld. Obwohl Deutschland offiziell kein Einwanderungsland ist, leben bei uns fast sieben Millionen Ausländer, und der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund beträgt inzwischen ein Fünftel. Vielfach fühlen sich die Menschen in Deutschland (selbst solche mit

6.1  Internationale Verhandlungen

159

­ igrationshintergrund), aber auch in den meisten übrigen Staaten von „ÜberM fremdung“ bedroht, wie die aktuellen Entwicklungen eindringlich zeigen – bemerkenswerterweise je stärker, je weniger Kontakt besteht, vor allem außerhalb der großen Städte und im Osten der Republik. Dies hängt teilweise mit Unwissenheit über die fremden Kulturen, mit Vorurteilen, mangelnder Empathie und Weltoffenheit zusammen und wird – ebenfalls nicht nur in Deutschland – von nationalistischen Parteien für ihre Zwecke genutzt. Die Folgen können sozialer Unfriede und die Entwicklung von Parallelgesellschaften sein, die nicht ausreichend miteinander kommunizieren. Allerdings sei hier nachdrücklich festgestellt: 

Xenophobie ist heutzutage ein Anachronismus, da keine Nation und keine Kultur auf einem eigenen Stern lebt und sich vor der Welt abschotten kann.

Tendenziell besteht das Risiko, dass diese latente Angst vor dem Unbekannten in interkulturellen Verhandlungen zum Tragen kommt. Eine solche Denkweise wird sich in der Regel zwar nicht in Ablehnung oder gar Feindseligkeit äußern, kann aber durch ein falsches Herangehen an ein Verhandlungsprojekt und die Verhandlungspartner, Missachtung grundlegender Regeln des interkulturellen Miteinanders und vor allem übertriebene deutsche Gründlichkeit und Ungeduld die Gefahr eines Scheiterns in sich bergen. Der Umgang mit fremden Kulturen stellt – auch jenseits des Döners beim türkischen Imbiss um die Ecke oder den Essstäbchenversuchen im Chinarestaurant – in vielen Fällen eine Bereicherung dar, wenn man offen auf die Menschen zugeht. Dabei zeichnen jedes Volk und jede Nation bestimmte individuelle Eigenschaften aus, während andererseits übergeordnete Aspekte nicht vergessen werden sollten, die für fast alle Kulturen der Welt gelten und die daher für den international tätigen Verhandler von Bedeutung sind. Trotz der überaus lang erscheinenden Liste von Unterschieden zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen existieren zahlreiche Ähnlichkeiten, die verhandlungsrelevant sind. In den meisten Ländern stellen Sie als Besucher fest, dass Menschen es schätzen, ernst genommen und respektiert zu werden, oder beleidigt reagieren, wenn ihre Meinung von vornherein als falsch oder gar unsinnig bezeichnet wird. Die gewöhnlich Asiaten zugeschriebene Angst, das Gesicht zu verlieren, wird heute auch in westlichen Kulturen angetroffen – es ist keineswegs wie früher geäußert ein Verhandlungsfehler, darauf Rücksicht zu nehmen, will man nachhaltige Verhandlungsergebnisse erzielen. Das in Abschn. 2.8 erwähnte Eisbergmodell ist ebenfalls von gutem Nutzen für den Einstieg in ein Verständnis des Einflusses von Kulturen ganzer ­Nationen

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6  Interkulturelle Verhandlungen

auf den Umgang miteinander (s. Abb. 6.1). Symbolisch über dem Wasser und damit sichtbar ist nur ein Bruchteil dessen, was zum Verständnis relevant ist, nämlich das Verhalten. Diese sichtbare Kultur zeigt sich über Benehmen, Kleidung, Essen, Schreiben u. v. m., Dinge, die man als Besucher in einem fremden Land beobachten kann. Die unsichtbare Kultur ist definiert über die Haltung zu bestimmten Dingen und Fragen, beispielsweise den Umgang mit der Zeit oder mit anderen Leuten. Noch tiefer im Inneren sind die Werte und Wertvorstellungen verborgen und offenbaren sich dem Fremden erst viel später, wenn überhaupt; diese bestimmen die Einstellung gegenüber Freiheit, Ehrlichkeit und ähnlichen ­Aspekten. Verhandlungen unter Beteiligung unterschiedlicher Kulturen stellen immer besondere Herausforderungen an die Verhandlungspartner. Dies habe ich selbst als Einkäufer mit globaler Verantwortung und in Verhandlungsschulungen erleben können, in denen ich bisher Vertreter aus über 20 Nationen begrüßen durfte. Dabei ist von hoher Bedeutung, dass frühzeitig erkannt wird, inwieweit kulturelle Unterschiede und damit verbundene potenzielle Probleme einen beherrschenden Einfluss auf die Verhandlung haben oder haben können. In der Regel legen nationale Kulturen nicht notwendigerweise das geschäftliche Vorgehen fest – sie sind vielmehr nur einer von vielen Faktoren, die das Verhalten am Verhandlungstisch bestimmen, wenn auch ein wichtiger. Daneben können Geschlecht, Kultur der Organisation, internationale Erfahrung, Art der Industrie oder regionale Besonderheiten ebenfalls von Bedeutung sein. Natürlich sind Stereotype jeglicher Art gefährlich, und internationale Verhandler sollten ihre individuellen Counterparts als Personen kennenlernen, nicht nur als Vertreter ihrer Kultur, ihres Landes oder ihres Unternehmens. Man ist nach dem Studium entsprechender Literatur oder dem Besuch von Seminaren gut beraten, davon abzusehen, von dem Japaner, dem Araber oder dem Amerikaner zu Abb. 6.1   Eisbergmodell der Kulturen Verhalten

Haltung

Werte

6.1  Internationale Verhandlungen

161

sprechen und bestimmte Verhaltensmuster notwendigerweise zu erwarten. Bitte halten Sie die folgende empirische Beobachtung immer im Hinterkopf: 

Die Unterschiede im Verhalten von einzelnen Vertretern innerhalb einer bestimmten Kultur können mindestens ebenso groß sein wie die Verhaltensunterschiede zwischen Kulturen.

Diese Unterschiede sind teilweise recht komplex, und man sollte nie simple Schemata zugrunde legen, um das Verhalten eines fremden Gegenübers vorhersagen zu wollen. Doch einige einfache Regeln können vermeiden helfen, dass etwa das Schweigen eines Japaners und das Ins-Wort-Fallen eines Koreaners fehlinterpretiert werden, denn es lassen sich oft einige allgemeine Gesetzmäßigkeiten beobachten, die typisch für bestimmte Nationen sind. Ich rate explizit davon ab zu versuchen, andere Kulturen im Umgang mit Vertretern derselben zu imitieren – dies wird bestenfalls ignoriert und verschafft Ihnen keinen Vorteil, kann jedoch dazu führen, dass man Sie nicht ernst nimmt. Ziel einer modernen globalen Ausrichtung ist es vielmehr, dass sich ein Verhandler in die Lage versetzt sieht, eine internationale Geschäftskultur mit einem passenden Verhandlungsstil zu pflegen, die ein Auftreten in Kontakt mit Vertretern unterschiedlichster Nationen erlaubt, ohne grundlegende Regeln des Miteinanders zu missachten. Ein international tätiger Vertriebsingenieur kann sich bereits mit einem Minimum an interkultureller Kompetenz eine gute Ausgangsposition verschaffen. Übergreifend über viele Nationen hat sich für mich die einfache und leicht zu merkende 3P-Regel bewährt, mit welcher der Verhandler in nahezu jeder interkulturellen Verhandlung bestehen kann. Sie beschreibt drei wichtige – im Englischen mit „P“ beginnende – Aspekte, die im interkulturellen Umgang essenziell sind: 

Politeness – Patience – Personal Relationship (Höflichkeit)  (Geduld)     (persönliche Beziehung)

Höflichkeit wird weltumspannend geschätzt; in diesem Zusammenhang sei an das Harvard-Konzept mit seiner Trennung von Personen und Positionen erinnert, was es überflüssig und gar kontraproduktiv erscheinen lässt zu versuchen, seine Verhandlungsziele mit inadäquatem Verhalten durchsetzen zu wollen. Geduld haben die Vertreter westlicher Nationen insbesondere von Asiaten inzwischen lernen können. Und auch wenn im eigenen Land eine strikte Trennung zwischen Berufsund Privatleben eingehalten wird, so kommt man doch nicht umhin, einsehen zu

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6  Interkulturelle Verhandlungen

müssen, dass für ein tragfähiges Geschäft mit vielen Kulturen die persönliche Beziehung eine wichtige Rolle spielt, die gepflegt werden muss. Wer eine persönliche Beziehung aufbauen muss oder will, sollte sich im Smalltalk üben. Smalltalk ist in seiner Anwendung nicht auf den Beginn einer Verhandlung reduziert, sondern dient der Beziehungspflege ganz allgemein. Die Themen, die sich dafür eignen, hängen ganz entscheidend von der Art und Enge der Beziehung ab, die man zum Gesprächspartner hat – im Zweifelsfall ist eher Zurückhaltung angebracht. Geeignete Smalltalk-Themen sind Wetter, Reisen, Sport, Kunst, Essen u. ä. Dabei sollte man jedoch so feinfühlig sein, den uninteressierten Partner nicht mit Fußball und den Fleischesser nicht mit den Vorzügen vegetarischer Ernährung (und umgekehrt) zu quälen. Als Daumenregel gilt: 

Man redet beim Smalltalk möglichst nicht über Politik, Religion und Details aus dem Privatleben.

6.2 Über und unter der Wasserlinie: sichtbare Kultur, Haltung und Werte Wenn wir uns auf dem symbolischen Eisberg von oben nach unten bewegen und mit dem Verhalten an der Spitze beginnen (der sichtbaren Kultur), dürfte uns auf der Suche nach potenziellen Schwierigkeiten in internationalen Verhandlungen zunächst die sprachliche Verständigung einfallen (zum Einfluss der Sprache auf Verhandlungen s. Graham 1980, 2009; West und Graham 2004). Obwohl Englisch inzwischen die inoffizielle Umgangssprache in der Geschäftswelt ist, spielen Unterschiede in der Beherrschung der Sprache eine gewisse Rolle, und Übersetzungsprobleme können ein entscheidendes Hindernis darstellen. Wenn Sie mit mehrsprachigen Dokumenten zu tun haben, etwa Anlagenspezifikationen oder Bestellungen in Englisch und Chinesisch, achten Sie im eigenen Interesse darauf, dass die rechtlich bindende Sprache im Dokument definiert ist – möglichst eine, die Sie verhandlungssicher beherrschen; holen Sie sich ansonsten kompetente Unterstützung. Es kann sein, dass die Verhandlungssprache Englisch nicht die Muttersprache der Entscheidungsträger am Tisch ist. Und sogar Muttersprachler – etwa aus England, Indien, Singapur und den USA – haben manchmal Probleme im gegenseitigen Verstehen. Dies kann Akzent und Vokabular betreffen, jedoch auch elementare Begriffsdefinitionen. Ein einfaches geografisches Beispiel: Während die Briten unter Asien typischerweise nur Südasien verstehen, also Indien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka, denken die Amerikaner zunächst an S ­ üdostasien.

6.2  Über und unter der Wasserlinie: sichtbare …

163

Asien reicht jedoch vom Ural bis nach Indonesien und von Palästina bis zur Beringstraße. Dies deutet bereits an: Exakte Übersetzungen auf dem internationalen Parkett sind ein hochgestecktes Ziel, das fast nie erreicht wird. Viele höhere Manager aus nicht-angelsächsischen Ländern, vor allem aus Asien, sprechen und verstehen etwas Englisch, bevorzugen jedoch, in ihrer jeweiligen Muttersprache zu verhandeln und einen Dolmetscher hinzuzuziehen – neben der Minimierung des Risikos von Missverständnissen wird so zusätzliche Zeit zu überlegen gewonnen. Diesem Vorgehen ist der Vorzug zu geben vor improvisierten Verhandlungen, bei denen rudimentäre Fremdsprachenkenntnisse eine Belastbarkeit und Nachhaltigkeit des erzielten Ergebnisses zweifelhaft erscheinen lassen. US-amerikanische und britische Reisende und Verhandler gehen oft wie selbstverständlich davon aus, dass die gesamte Welt Englisch spricht. Diese Einstellung wird dadurch genährt, dass ihre Muttersprache in der Tat von immer mehr Menschen beherrscht wird und andererseits in den Schulen vor allem in den USA nur sehr wenig in puncto Fremdsprachenausbildung getan wird. Während viele Nationen sich dem auch im privaten Bereich gebeugt haben, sind adäquate Englischkenntnisse und die Bereitschaft, diese Fremden gegenüber anzuwenden, in Ländern wie Frankreich oder Japan vielfach nicht zu erwarten – im geschäftlichen Bereich versteht man es meist dennoch, sich zu arrangieren. Insbesondere amerikanische Manager beklagen des Öfteren, dass ihre ausländischen Geschäftspartner Seitengespräche in ihrer Muttersprache führen – was teilweise sogar als unhöflich angesehen wird. Dies ist eine klassische Fehleinschätzung, denn meistens besteht der Sinn einfach darin, sprachliche Missverständnisse und Übersetzungsprobleme auszuräumen. Falls Japaner oder Chinesen Seitengespräche in ihrer Landessprache führen, ist dies eher ein positives Zeichen für den Verhandlungsfortschritt. Als Deutsche, die mit anderen nicht-englischsprachigen Nationen auf Englisch verhandeln, tut man sich da etwas leichter: In der Regel wird ein pragmatisches, nicht zu hochgestochenes oder blumiges Englisch verwendet, das alle verstehen können. Einer meiner geschätzten Vorgesetzten in der Industrie hat bereits vor vielen Jahren gesagt: 

„Die Weltsprache der Zukunft ist Bad English.“

Auch nonverbales Verhalten bildet einen sichtbaren Teil der Kultur. Körpersprache mit ihren zahlreichen Varianten von Mimik und Gestik, jedoch auch Stimmmodulation macht einen wesentlichen Teil der Kommunikation aus und kann daher wie die Sprache selbst im interkulturellen Austausch zu Missverständnissen führen. Ein Beispiel für mögliche Probleme durch die Betonung ist die in

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6  Interkulturelle Verhandlungen

Abschn. 2.8 bereits beschriebene deutsche Fragetechnik, bei einer Satzstellung wie beim Aussagesatz die Tonlage zum Satzende hin zu erhöhen, um daraus eine Frage zu machen. Viele Gesprächspartner aus anderen Kulturkreisen, vor allem aus Fernost, verstehen diese Art der Betonung nicht. Bei Verwendung von Körpersprache ist zu beachten, dass allgemeingültige von kulturspezifischen Gesten zu unterscheiden sind. Eine zurückhaltende Verwendung von Gesten ist daher auf dem internationalen Parkett geboten. Dass Visitenkarten mit Asiaten beidhändig ausgetauscht und mit Respekt behandelt werden, hat sich inzwischen herumgesprochen – dazu gehört, sie weder in die Hosentasche zu stecken noch etwas draufzuschreiben. Weniger bekannt ist hingegen, dass Nicken nein bedeuten kann und das Winken mit nach unten gerichteter Handfläche bei Japanern nicht „gehʼ weg“, sondern „kommʼ näher“ heißt. Lachen ist nicht unbedingt ein Zeichen für Fröhlichkeit des chinesischen Verhandlungspartners, sondern kann vielmehr ausdrücken, dass er ärgerlich oder peinlich berührt ist. Tauchen wir ins Wasser ein und kommen zu Haltung und Werten. Was im Dialog mit den eigenen Landsleuten schon nicht immer gelingt, fällt bei Vertretern anderer Nationen meist umso schwerer: der indirekte Rückschluss aus Äußerungen und Aktionen darauf, was diese Menschen tief im Inneren antreibt, was sie denken und wofür sie stehen. Haltung und Wertvorstellungen zeigen sich erst im Umgang mit anderen Leuten oder mit Unsicherheiten. Mit diesem Thema hat sich der bereits zitierte John L. Graham, ein amerikanischer Experte für globales Marketing und internationale Verhandlungen, beschäftigt, der Managementwerte sowie Denk- und Entscheidungsprozesse untersucht hat. (Graham 1980, 2009). Nach Graham können einige Managementwerte, von deren Bedeutung Vertreter westlicher Kulturen fest überzeugt sind, in internationalen Verhandlungen ganz anders beurteilt werden und Missverständnisse oder Verärgerung bewirken. Zum einen ist die im Westen anzutreffende Trennung von Sachangelegenheit und Beziehung zum Verhandlungspartner zu nennen – in vielen anderen Teilen der Welt, besonders in kollektivistischen Kulturen, lässt sich die persönliche Beziehung zum Gegenüber nicht von den Sachfragen trennen. Die immer wieder gehörte und von einigen Vorgesetzten geförderte Ablehnung westlicher Kollegen, nach getaner Arbeit mit dem Gesprächspartner zusammen zum Dinner zu gehen, löst bei Vertretern vieler anderer Nationen möglicherweise Unverständnis und sogar Bestürzung aus. Dabei liegt nur ein scheinbarer Widerspruch zur Grundforderung des HarvardKonzepts vor, Menschen und Positionen getrennt voneinander zur behandeln: Da es für ein sachorientiertes Verhandeln essenziell ist, weich zu den Menschen, jedoch hart in der Sache zu sein, stellt die Beziehungspflege in vielen Fällen

6.2  Über und unter der Wasserlinie: sichtbare …

165

die Grundlage zum Erfolg dar. Sie ist die Basis, jedoch nicht – etwa über die Anwendung von Bestrafungselementen bei Misserfolg oder als Belohnung für Zugeständnisse – als Werkzeug zur Erzielung nachhaltiger Ergebnisse zu sehen. Ein weiterer Wert betrifft den Faktor Zeit. In vielen Ländern der Welt gehen die Uhren nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinne anders als im Westen – ein minutiöser Zeitplan kann dabei sehr schnell Makulatur werden. Vielfach benötigt man doppelt so viel Zeit für eine Abstimmung wie im Heimatland üblich. In vielen asiatischen Ländern – es gibt unter anderem mit Japan ein paar Ausnahmen – fangen Sitzungen und Treffen nahezu nie zur festgelegten Zeit an, und man tut als westlicher Besucher gut daran, für die zu erwartende Verzögerung des Beginns jeweils eine Viertel- bis zu einer ganzen Stunde Reserve einzuplanen. Wenn eine komplexe Verhandlung ansteht, versuchen Vertreter der westlichen Welt, die Aufgabe in eine Reihe kleinerer Pakete aufzuschnüren. Preis, Lieferung, Gewährleistung und Service sollen nacheinander abgehandelt werden, wobei das Gesamtergebnis die Summe der Inkremente ist. Vor allem in Asien wird jedoch meist ein ganzheitlicher Ansatz bevorzugt, bei dem man alle Aspekte gleichzeitig – ohne vorgegebene Reihenfolge – diskutiert, und Zugeständnisse in den Einzelpunkten werden erst am Ende gemacht. Der westliche sequenzielle und der östliche holistische Ansatz vertragen sich prinzipiell nicht sehr gut. Für die Westler ist eine geschäftliche Verhandlung eine Problemlösungsaktivität – das beste Geschäft für beide Seiten ist die Lösung. Für viele asiatische Vertreter andererseits ist eine Verhandlung der geeignete Zeitpunkt, eine Geschäftsbeziehung mit weitreichenden Vorteilen aufzubauen. Die wirtschaftlichen Aspekte sind der Kontext, nicht der Inhalt dieser Gespräche. Westliche Vertreter müssen lernen, dass Fortschritte in Gesprächen mit Vertretern anderer Kulturen nicht danach beurteilt werden können, wie viele Einzelpunkte abgehakt sind. Vielmehr sollten sie versuchen, den Zustand der Geschäftsbeziehung im Allgemeinen zu bewerten. Ein wichtiges Fortschritt andeutendes Signal ist gewöhnlich, dass höhere Ebenen der anderen Seite in die Verhandlung einbezogen werden. Die Fragen der Geschäftspartner zielen auf spezifische Bereiche des geplanten Geschäfts hin, und Haltung und Position in Details werden versöhnlicher („Let us take some time to study this issue“). Am Tisch finden die erwähnten Seitengespräche in der Muttersprache des Verhandlungspartners statt, was bedeuten kann, dass eine Entscheidung heranreift. Es kann darüber hinaus sein, dass weitere informelle Kommunikationswege gesucht werden und dass die Neigung zu feilschen steigt. (Graham 2009)

166

6  Interkulturelle Verhandlungen

6.3 Ein Blick auf einzelne Kulturen Auch wenn einige Deutsche (und auch Vertreter anderer Nationen) es nicht begreifen können und wollen: Wir sind nicht alleine auf der Welt. Zwar sind wir stolz auf die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit und das Prädikat „Made in Germany“ – das bei Einführung 1887 durch Großbritannien als Diskriminierung deutscher Waren gemeint war –, jedoch erscheinen viele unserer Landsleute überfordert, in einen konstruktiven und von Vertrauen geprägten Dialog mit Ausländern einzutreten. Dabei sind wir doch in den allermeisten Teilen der Welt selbst Ausländer. Zur systematischen Analyse von Verhandlungsverhalten werden oft Laborstudien mit einer großen Zahl von Teilnehmern durchgeführt. Dabei geht es darum, in einem kontrollierten Umfeld mit Videoaufzeichnung bestimmte Verhandlungsszenarien mit relativ vielen Verhandlern oder Verhandlungsteams durchzuspielen, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erhalten und daraus allgemeingültige Schlüsse ziehen zu können. Es wurde auch hier mehrfach betont, dass ein guter Verhandlungsabschluss darauf basiert, den Kuchen größer zu machen. Darunter ist wie gesehen zu verstehen, bei einer integrativen Verhandlung ein Paket zu schnüren, das beiden Seiten einen Vorteil verschafft, indem der Bedeutung verschiedener Verhandlungsobjekte aller beteiligten Parteien geschickt Rechnung getragen wird. Dieses Bestreben untersuchten John Graham und sein Team im Zusammenhang mit interkulturellen Verhandlungen anhand von Laborstudien mit sowohl konkurrenzbetonten als auch kooperativen Aspekten. Im Rahmen der Spielregeln bestand die Möglichkeit, das geplante Geschäft wertvoller zu machen und die zusätzlichen Gewinne individuell auf Ein- und Verkäufer zu verteilen. Dabei zeigten sich die Japaner als Meister darin, den Kuchen zu vergrößern: Ihre für beide Parteien addierten Profite waren die höchsten in allen untersuchten Kulturgruppen. Während Hongkong-Chinesen und Briten bevorzugt ebenfalls kooperierten, verhielten sich Tschechen und Deutsche mehr wettbewerbsorientiert. Der amerikanische Kuchen war durchschnittlich groß, aber gleich verteilt; im Gegensatz dazu teilten die japanischen, südkoreanischen und mexikanischen Geschäftsleute ihren Kuchen auf asymmetrische Weise, wobei der Käufer den größeren Anteil am Profit erhielt. (Graham 2009) Bei der Auswertung ihrer umfangreichen Ergebnisse fiel Graham und Mitarbeitern auf, dass regionale Verallgemeinerungen oft inkorrekt sind, wie ein Blick auf die japanischen und koreanischen Verhandlungsstile offenbart. Japan nimmt eine Sonderstellung ein: In nahezu jeder der untersuchten Eigenschaften

6.3  Ein Blick auf einzelne Kulturen

167

lagen die Japaner am oder in der Nähe des Endes der Skala. Beispielsweise nahmen die Japaner im geringsten Umfang Augenkontakt auf, starrten ihr Gegenüber nicht an und ließen jegliche offensichtliche Aggressivität vermissen. Ähnlich defensiv traten Teilnehmer aus Nordchina (im Gegensatz zu Südchinesen) und Russland in den Modellverhandlungen auf. Gemäß Studienergebnis ist das Verhalten von Deutschen schwierig zu charakterisieren, da sie trotz nachgesagter Detailverliebtheit und Besserwisserei fast durchgehend in die Mitte der Bandbreite fielen. Jedoch zeigten sie ein hohes Maß an Selbstoffenbarung und fragten nur wenig. Die US-Wissenschaftler blickten natürlich neugierig auf ihre eigenen Landsleute: Von wenigen Ausnahmen abgesehen platzieren sie sich meistens wie die Deutschen in der Mitte der Bandbreite. Das Verhalten der britischen Verhandler war in allen Belangen dem der amerikanischen sehr ähnlich. In der Studie wurde unter anderem das Aggressionspotenzial untersucht, die angesprochene Verwendung von „nein“ und direkte Ansprache „Sie“, das Anstarren und Unterbrechen des Gegenübers sowie die Tendenz zu fragen oder im Gegensatz dazu zur Selbstoffenbarung. Die publizierten Ergebnisse beschreiben quasi als Antipoden im Verhalten für Japaner, Chinesen und Russen einen defensiven und für Südkoreaner, Taiwanesen, Franzosen, Spanier und Brasilianer einen aggressiv-offensiven Verhandlungsstil. Vor allem die Franzosen fielen durch Verwendung von Drohungen und Warnungen auf, obwohl man auch diese Studienergebnisse wie oben erwähnt nie auf eine Nationalität verallgemeinern sollte. Kommen wir zu den Ergebnissen einer weiteren Studie, die mit einer noch wesentlich größeren Datenbasis das kulturelle Verhalten von über 60 repräsentativen Nationen der Erde untersucht hat. Das daraus von Richard D. Lewis entwickelte Lewis-Modell (Lewis 1999; CrossCulture o. J.) ist eine seit 1988 mit Zehntausenden von Probanden erarbeitete Systematik, die helfen soll, interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Grundlage ist die Messung der kulturellen Prägung nach den Kategorien linearaktiv, multiaktiv und reaktiv. Die Ergebnisse lassen sich in Form eines Dreiecks darstellen, wie es in Abb. 6.2 unter anderem mit Nationen gezeigt ist, die hier im Buch erwähnt werden. Es verdeutlicht die Lage der einzelnen Kulturen zueinander und lässt Aussagen über die erlebte Wahrheit und zahlreiche weitere Punkte von Interesse zu. Linearaktiv geprägte Menschen sind eher sachlich orientierte, sukzessiv und strukturiert vorgehende Planertypen, die sich an Fakten, Ergebnisse, Zeitpläne, Institutionen und Gesetze halten – typisch deutsche Eigenschaften also. Multiaktive Typen sind dagegen emotional, redselig und impulsiv und orientieren sich

168

6  Interkulturelle Verhandlungen

Italien, Spanien Griechenland

Russland Frankreich Israel

mulakv

Brasilien, Mexiko Nigeria Saudi-Arabien Türkei Indien Malaysia

Australien

Südkorea

Österreich

VR China

USA

linearakv Deutschland

reakv UK

Estland Singapur Japan Schweden Kanada Taiwan

Vietnam

Abb. 6.2   Das Lewis-Modell der Kulturen mit ausgewählten Nationen. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lewis 1999)

an der Familie und ihrem Beziehungsumfeld. Hierfür stehen Italiener, Spanier und Südamerikaner. Als reaktiv werden Menschen bezeichnet, die höflich und freundlich sind, sich anpassen und mehr zuhören, als das Heft des Handelns sichtbar in die Hand zu nehmen. Das persönliche Netzwerk, die gemeinschaftliche Verpflichtung und die kollektive Harmonie sind die wesentlichen Grundwerte, die Gesichtswahrung ein Muss – klassische Merkmale für die ostasiatische Welt.

Lewis-Modell

Lewis bezeichnet die linearaktive Ecke des Dreiecks mit den nordeuropäisch geprägten Kulturen als „blaue Ecke“, die multiaktive (südländische) Ecke als „rote Ecke“ und die reaktive (typisch ostasiatische)

6.4  Vertrautheit mit fremden Kulturen

169

Ecke als „gelbe Ecke“. In farbiger Darstellung (CrossCulture o. J.) gehen die Farben der entsprechenden Kreise zwischen den einzelnen Ecken ineinander über.

Das Dreieck des Lewis-Modells steht mit der Anzahl der betrachteten Länder auf einer noch breiteren statistischen Basis als die Graham-Studie mit eineinhalb Dutzend Ländern. Die Ergebnisse von Richard Lewis scheinen das zu belegen, was John Graham ebenfalls festgestellt hat: Deutschland liegt mit einigen seiner Nachbarn und ebenso Großbritannien und den USA in der linearaktiven Ecke der rationalen Ergebnistypen. Schätzungsweise 90 Prozent der Erdbewohner sind allerdings nicht so veranlagt. So ist es relativ einfach nachvollziehbar, dass mit den Vertretern der reaktiven Ecke aus Vietnam, China und Japan sowie weiterer Fernostländer eine nicht allzu große Schnittmenge vorhanden ist. Dabei spielt diese Weltregion – allen voran die Volksrepublik China – eine immer wichtigere Rolle in der heutigen Geschäftswelt und stellt neue Anforderungen an den weltoffenen Verhandler.

6.4 Vertrautheit mit fremden Kulturen Man sollte keinesfalls der Fehleinschätzung erliegen, dass die blaue, rote und gelbe Ecke des Lewis-Dreiecks (Abschn. 6.3) auch nur entfernt mit Attributen wie gut, mittel und schlecht in Verbindung gebracht werden können. Die wichtige Erkenntnis ist vielmehr die, Rücksicht darauf zu nehmen, dass der kulturelle Hintergrund und die daraus resultierenden Vorgehensweisen und Strategien sowie Taktiken in Verhandlungen unterschiedlich sind. Derjenige Verhandler, der diese Tatsache von Anfang an nicht nur akzeptiert, sondern proaktiv in seine Vorbereitungen und Verhandlungen einfließen lässt, hat einen signifikanten Vorteil gegenüber der uninformierten Konkurrenz. Doch wie geht man an den Dialog mit fremden Kulturen heran? Während in Abschn. 6.5 und Kap. 7 verschiedene individuelle Kulturkreise und Nationen mit Blick auf erwartbares Verhandlungsverhalten analysiert werden, soll zunächst ein allgemeiner Blick auf eine mögliche Strategie versucht werden, ohne einengenden Blick auf einzelne Staaten. Dabei helfen Artikel von Stephen E. Weiss (1994a, 1994b) und Jérôme Racine (2004). Darin wurde die eigene Vertrautheit mit der Kultur der anderen Partei der Vertrautheit dieser mit unserer eigenen Kultur gegenübergestellt. Das heißt mit anderen Worten, wie gut wir uns z. B. in

170

6  Interkulturelle Verhandlungen

­ erhalten, Sitten und Gebräuchen etwa der Amerikaner oder Chinesen auskennen V und uns darauf einstellen können und diese sich mit unseren Besonderheiten des Benehmens. Es macht offensichtlich einen großen Unterschied, ob wir mit einem Singapurer zu tun haben, der geschäftlich in Europa ein und aus geht und in der Welt zu Hause ist, oder mit einem Japaner, der für ein sehr konservatives Unternehmen tätig ist, das Geschäfte meist nur mit Partnern im eigenen Land tätigt, und der kaum Englisch spricht. Sowohl Weiss (1994b) als auch Racine (2004) haben die vier möglichen Fälle der Ausprägung des gegenseitigen Verständnisses in einer 2 × 2-Matrix übersichtlich aufgeführt. Der einfachste Fall im Feld oben rechts, die hohe Vertrautheit mit der jeweils anderen Kultur, führt zu den besten Verhandlungsergebnissen, wenn die Art des Verhandelns gemeinsam bestimmt wird. Also gewissermaßen die Voraussetzung für eine Win-Win-Lösung, die gemäß Abb. 5.1 und 5.5 ja im selben Feld verortet ist. Kennt man sich selbst mit der Kultur des Verhandlungspartners gut aus, hat beispielsweise wie ich selbst in der Vergangenheit bereits ein paar Jahre in den USA oder in Singapur gelebt oder für ein Unternehmen aus dem betreffenden Land gearbeitet, die andere Partei sich mit unserer jedoch nicht, bietet sich folgende Strategie an: Es ist günstig, sich nach der Art des Verhandelns der anderen Partei zu richten. So werden unliebsame Missverständnisse und Irritationen effizient vermieden, ohne dass man selbst zu viel verhandlungstaktischen Boden preisgeben muss. Denn es wäre in den meisten Fällen eine Fehleinschätzung zu glauben, dass unsere „Kulturkenntnis-Überlegenheit“ den eigenen Verhandlungserfolg steigern würde – eher droht eine Verhandlung bei dieser Konstellation zu scheitern. Beim komplementären Verhältnissen, also guter erwarteter Kenntnis unserer Kultur durch den Verhandlungspartner, aber nur schwach ausgeprägter Einsicht unsererseits (das Lose-Win-Analogon, offensichtlich keine erstrebenswerte Basis) wäre es eine Möglichkeit, die andere Partei zu ermuntern, sich nach unserer Art des Verhandelns zu richten. Generell lässt sich die empfohlene Vorgehensweise bei den beiden letztgenannten Konstellationen wie folgt zusammenfassen: 

Falls eine Asymmetrie im gegenseitigen Verständnis herrscht, sollte im Hinblick auf ein nachhaltiges Verhandlungsergebnis möglichst auf die weniger informierte Partei eingegangen werden.

Wenn beide Kulturen nicht viel übereinander wissen oder mit sich anfangen können, ist die Einschaltung von Agenten sinnvoll, etwa einem Distributor (s. Wenski 2019). Bei der Orientierung innerhalb dieser vier Fälle ist zu berücksichtigen, dass auch hier von der Anwendung von Stereotypen abgesehen werden sollte (wie in

6.5  Ostasiatische Kulturen: Konfuzianische Geheimnisse

171

Abschn. 6.1 bereits betont). Es kann darüber hinaus durchaus sein, dass individuelle Vertreter einer Nation mit unserer Kultur gut vertraut sind (und umgekehrt) – beispielsweise asiatische Geschäftsleute, die für den Einsatz im Westen ausgebildet wurden. Doch dies betrifft möglicherweise nur das kommerzielle Interface; so lassen deutliche kulturelle Unterschiede zu den Experten im Headquarter einen modifizierten Umgang miteinander ratsam erscheinen. Hierzu verweise ich auf eine Hintergrundinformation zu japanischen Mutterhäusern in Abschn. 7.4. Inzwischen war bereits des Öfteren von asiatischen und vor allem ostasiatischen Ländern die Rede. Diesem Thema wird sich Abschn. 6.5 näher widmen, bevor wir in Abschn. 7.3 bis 7.5 einzelne Nationen betrachten.

6.5 Ostasiatische Kulturen: Konfuzianische Geheimnisse Nach Asien gingen 2018 41,9 Prozent der deutschen Maschinen- und Anlagenexporte, aber nur 14,5 Prozent der Importe kamen von dort. (VDMA 2019, S. 24, 26) Über das unterschiedliche Verständnis von „Asien“ im angelsächsischen Sprachraum wurde in Abschn. 6.2 berichtet. Viele Deutsche denken bei Asien zunächst an China und die chinesische Kultur und vielleicht an den Boomstaat Singapur, dessen Großflughafen Changi als Zielort oder Umsteigehub für Geschäftsleute und Urlauber dient. Singapur ist viel westlicher orientiert als die in diesem Kapitel zu charakterisierenden ostasiatischen Länder und daher in Abschn. 7.3 separat besprochen. Am ehesten sind mit Singapur noch die beiden seit den 1980er Jahren demokratisch regierten Tiger-Staaten Südkorea und Taiwan vergleichbar, obwohl es bereits hier teilweise signifikante Unterschiede gibt. Nebenbei bemerkt: Die geografische Abgrenzung Ostasiens ist umstritten. Das heute meist angewandte „kleine“ Modell ist definiert als derjenige Teil Asiens, der von der chinesischen Kultur (vor allem chinesische Schriftzeichen, Daoismus, Konfuzianismus, Buddhismus der Mahayana-Richtung und die Verwendung von Essstäbchen) geprägt wurde. Wer sich dem fernöstlichen Teil Asiens inhaltlich nähern möchte, kommt nicht umhin, erst einmal einen Blick auf die Landkarte und anschließend ins Geschichtsbuch zu werfen. Zunächst fällt das Riesenreich der Volksrepublik China ins Auge, im Südosten flankiert von der im Vergleich winzigen Insel Taiwan mit der Republik China, einer eigenständigen Industrienation, die von China jedoch stets als abtrünnige Provinz betrachtet wird. (Zur Vermeidung möglicher Verwirrung spreche ich hier – nicht ganz korrekt – von China und Taiwan, wenn ich die Volksrepublik China und die Republik China meine.)

172

6  Interkulturelle Verhandlungen

Die Bedeutung von Zahlen in China

In der chinesischen Kultur gilt die Acht (chinesisch 八, Pinyin bā) als Glückszahl wegen des Gleichklangs mit „voran“ (chinesisch 發/发, Pinyin fā). Weitere Zahlen mit positiver Konnotation sind die Sechs und die Neun, da ihre Aussprache ebenfalls ähnlich der einiger positiver Wörter ist. Viele Asiaten gelten als sehr abergläubisch, und in China gibt es neben solchen, die als positive Symbole gelten, auch Zahlen, die den Ruf genießen, Unglück zu bringen. Dies sind vor allem die Zahl Vier – die man in jeglichem Zusammenhang meiden sollte –, regional aber auch die Zahlen Sieben und Zehn. (China9 o. J.) Wundern Sie sich nicht, wenn es in Ihrem Hotel keinen vierten Stock oder keine Zimmernummer 4 bzw. 44 geben sollte (ähnlich, wie in westlichen Flugzeugen die 13. Reihe oder in Hochhäusern das 13. Stockwerk oft fehlt). Diese Zahl Vier steht für den Tod, da beide Vokabeln (死 = sǐ, 四 = sì) gleich ausgesprochen werden.

Zwischen der Volksrepublik China und seinem östlichen Nachbarn Japan liegt – sandwichartig eingeschlossen – die koreanische Halbinsel, deren Süden ähnlich wie Taiwan boomt. Japan hat sich bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts isoliert und wurde erst durch die USA gewaltsam für den Welthandel geöffnet. Korea und China sind Japan lange Jahre wegen der Besatzungszeit und den Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts mit Misstrauen und Vorbehalten begegnet. So verwundert es nicht, dass sich neben dem dominierenden Zollstreit zwischen den USA und der Volksrepublik China im Sommer 2019 ebenfalls ein Handelskonflikt zwischen Japan und Südkorea entwickelt hat, dessen tiefere Ursachen in einer Auseinandersetzung der beiden Länder über Zwangsarbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegen dürften (Spiegel 2019). Hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts nehmen das ökonomisch rasch wachsende China (15,5 Billionen US-Dollar), Japan (5,4), Südkorea (1,8) und Taiwan (0,62) die Nummern 2, 3, 10 und 22 der Weltrangliste ein (Schätzung für 2019; Stand April 2018); die USA (21,4 Billionen US-Dollar) sind aktuell noch Nr. 1, Deutschland (4,4) vierter – der Europäische Binnenmarkt insgesamt liegt jedoch knapp vor den USA. (IMF 2019). Regionale Verallgemeinerungen für die genannten Kulturen sind oft inkorrekt: Der westliche Verhandler sollte sie keinesfalls über einen Kamm scheren. Zwar finden sich die genannten Nationen in der Lewis-Studie allesamt in der reaktiven, der ostasiatischen Ecke, jedoch sind bei Graham teilweise gravierende Unterschiede zwischen den Versuchsteilnehmern festzustellen gewesen, etwa zwischen japanischen und koreanischen Verhandlern. Zunächst werden nachfolgend

6.5  Ostasiatische Kulturen: Konfuzianische Geheimnisse

173

Gemeinsamkeiten fernöstlicher Kulturen dargestellt und in Abschn. 7.4 und 7.5 Japan und China als Hauptabsatzländer für den deutschen Anlagenbau näher betrachtet. Beim Versuch der Beschreibung von Fernost-Kommunikation findet man einige Elemente, die trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen durch Konfuzianismus beeinflussten Kulturen übergreifend vorliegen. Das reaktive Element kam oben bereits zur Sprache. Die Gesellschaften sind kollektivistisch („wir“ anstelle von „ich“), harmonisch (keine Selbstdarstellung), personenorientiert (weniger problemorientiert) und indikativ (wichtig ist, was nicht gesagt wurde). Gemäß den konfuzianischen Prinzipien erfährt das Senioritätsprinzip eine deutlich höhere Beachtung als im Westen. Es wird indirekt kommuniziert und induktiv argumentiert, was für uns teilweise schwierig zu erfassen ist. Direkte Kritik und kategorische Aussagen sind verpönt, ebenso Schwarz-Weiß-Betrachtungen. Die Kulturen sind im Allgemeinen charakterisiert durch hohes Maß an gegenseitigem Respekt, und es gilt, jegliche Art von Gesichtsverlust zu vermeiden – Rahmenbedingungen, die weitgehend auch auf Singapur zutreffen. Beispiel

Ein Kollege, der neun Jahre in Taiwan gelebt und dort eine neue Verkaufsniederlassung aufgebaut hatte, brachte es mal auf den Punkt: „Gehen Sie immer von folgender Prämisse aus: Wir Gaijin werden die Asiaten nie verstehen und sie uns auch nicht.“ Dies klingt zunächst schockierend; was nützen also sämtliche interkulturellen Schulungen und Trainings, wenn man keine Chance hat, die Hintergründe zu erfassen? Aber denken Sie an die Unterschiede zu Amerikanern oder anderen europäischen Nationen und sehen Sie den Tatsachen ins Auge – denken Sie nicht, Sie hätten einen Asiaten verstanden, sondern akzeptieren Sie die Unterschiede. Die Visitenkarte korrekt zu reichen oder laute Töne zu vermeiden trifft dabei nur einen sehr kleinen Teilaspekt des Verhaltens. Eine Randbemerkung zum erwähnten Spruch: Gaijin ist japanisch, wörtlich übersetzt „Mensch von außerhalb“, eine mit negativem Beigeschmack belastete Bezeichnung für Nichtjapaner, besonders westliche Ausländer. Die politisch korrekte und höfliche Bezeichnung für eine Person, die kein Japaner ist, lautet Gaikoku-jin [Ausländer(in)] und wird offiziell genutzt. Entgegen der landläufigen Meinung bedeutet Gaijin nicht „Langnase“; dies ist die deutsche Übersetzung für bestimmte chinesische Begriffe wie cháng bízi, die ebenfalls rassistisch belegt sind – ähnlich wie im umgekehrten Fall „Schlitzauge“. Vermeiden Sie derartige Begriffe am besten komplett.

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6  Interkulturelle Verhandlungen

Ganz vergebens sind diese Schulungsmaßnahmen dennoch nicht, denn sie bewahren uns vor den ärgsten Fehltritten. In den Augen der Asiaten machen wir Europäer in ihren Ländern sehr viel verkehrt und begehen zahllose Tabubrüche, ohne es zu merken. Solange wir sie damit nicht in ihren Gefühlen verletzen, entsprechen wir jedoch lediglich ihren Erwartungen, und dies ist teilweise sogar gut so, da es der gegenseitigen Berechenbarkeit helfen kann. Für einen Asiaten – und dies gilt vor allem für Japaner – ist es suspekt, wenn ein Ausländer (mit Ausnahme von ein paar radebrechenden Höflichkeitsfloskeln) ihre Sprache spricht und ihre Gebräuche zu gut kennt. 

Den typischen Asiaten gibt es nicht.

Über ihre konfuzianische Prägung sind sich Südost- und Ostasiaten zwar in vielen Ansichten und Gebräuchen ähnlich, doch ist selbst die Chinesisch-stämmige Population auf dem Festland (und dort noch einmal unterteilt in Nord und Süd) mit der auf Taiwan und in Singapur und den chinesischen Enklaven und Chinatowns rund um die Welt keineswegs vergleichbar. Die kulturelle Prägung und die Denkweisen und Gepflogenheiten unterscheiden sich teilweise gravierend, und nicht einmal Sprache und Schriftzeichen sind identisch. So unterscheidet man neben dem Hochchinesisch (das auf Mandarin basiert und weltweit von fast einer Milliarde Menschen gesprochen wird) viele weitere sinitische Sprachen (wie Wu, Kantonesisch oder Hokkien) sowie zahllose Dialekte. (Wikipedia 2019) Von der Vielzahl der anschaulichen Beispiele für kulturelle Unterschiede zwischen Asiaten und Westlern sollen einige Punkte hervorgehoben werden. Ein wesentlicher betrifft das grundsätzlich andere Verständnis von Zeit und Zeitmaßen. So können die Adjektive kurz-, mittel- und langfristig deutlich längere Zeiträume abstecken, als wir es erwarten würden. Langfristig kann zehn Jahre und mehr heißen, vielleicht auch nie. 

Die Erfahrung lehrt deutsche Geschäftsleute, in Asien nie Termine zu eng zu setzen, da im Schnitt jedes Gespräch und jede Entscheidungsfindung doppelt so lange dauert wie in Deutschland.

Ein Leistungspaket wird selten in einem Treffen geklärt, und bis es zu einem Vertragsabschluss kommt, müssen Sie möglicherweise mehrere Anreisen einplanen – das kann alleine schon deswegen so sein, weil die Asiaten die Ernsthaftigkeit Ihres Angebotes überprüfen wollen. Asiaten, vor allem Japaner, kaufen am allerliebsten bei lokalen Anbietern ein („buy local“). Die Tatsache, dass Ihr Unternehmen für eine Anlagenbeschaffung

6.5  Ostasiatische Kulturen: Konfuzianische Geheimnisse

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zumindest in die engere Auswahl aufgenommen wurde, ist ein gutes Zeichen für die Ausprägung Ihrer Verhandlungsmacht. Die Schaffung von persönlichen Beziehungen ist in Asien sehr wichtig und benötigt deutlich mehr Zeit als im Westen. Und eine Beziehung kann sehr schnell wieder zerstört werden. In der Geschäftswelt definiert sich die Qualität dieser Beziehung vielfach über die vom Lieferanten angebotenen Vertragskonditionen (etwa den Preis für die Ware) und ob diese den Wünschen des Kunden entsprechen. Erwarten Sie jedoch keineswegs so etwas wie eine längerfristige Treue zur Geschäftsbeziehung und in die Leistungen Ihres Hauses – obwohl dies angesichts der Betonung der Wichtigkeit des Beziehungsaufbaus paradox klingen mag. Lassen Sie sich möglichst nicht dazu verleiten, Ihren ostasiatischen Gesprächspartner auf der Basis Ihrer westlichen Normen und Sichtweisen zu beurteilen – Sie könnten zu völlig falschen Schlüssen kommen, und dies wäre eher hinderlich als hilfreich. Wenn Sie freundlich und höflich sind und Empathie gegenüber den Vertretern der anderen Kultur zeigen, ergibt sich vieles andere von ganz alleine. Bedenken Sie: Der Asiate verbiegt sich mindestens ebenso stark wie der Deutsche, quittiert Fehlverhalten der anderen Seite bestenfalls mit einem Lächeln und ist stets bemüht, das gemeinsame Geschäft zu Erfolg zum führen – allerdings mit seinen Mitteln – und scheint meist auch am Aufbau einer persönlichen Beziehung interessiert. Besser als alle Rechthaberei und Besserwisserei wäre es, ihm dahingehend einen entsprechenden Vertrauensvorschuss zu geben. Abschließend noch ein paar Worte zu Ihrer speziellen Situation als Lieferant und Anbieter eines technischen Produktes. In Abschn. 1.2 haben Sie erfahren müssen, dass der Lieferant in der Bedeutungshierarchie unter dem Kunden steht. Die trifft auf das konfuzianische Umfeld in Ostasien in besonderem Maße zu. Von den Tieferstehenden wird sogar eine defensive Körpersprache mit viel Lächeln erwartet. Insbesondere asiatische Lieferantenvertreter sind es gewohnt, ihre Körperhaltung schlagartig in diese fast schon devote Richtung hin anzupassen, sobald sie dem Kunden gegenübertreten. Einer meiner ehemaligen US-Kollegen, der im Verkauf beschäftigt war, hat es mal treffend ausgedrückt: 

„In Asia, the supplier is always a lower life form.“

Am direktesten kommuniziert werden kann im Vieraugengespräch unter Gleichrangigen, am indirektesten in einer heterogenen Gruppe. Je tiefer jemand in der Hierarchie steht, desto indirekter wird er kommunizieren. Ein Lieferant besucht einen Kunden immer mit in unseren Augen deutlich mehr Personal, als für einen zielorientierten Ausgang des Gespräches oder der

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6  Interkulturelle Verhandlungen

Verhandlung erforderlich ist. Dies ist ein Zeichen von Respekt vor dem Kunden, und das Geld für die Reisekosten (die meisten Ostasiaten fliegen aus Bescheidenheit prinzipiell Economy Class) gilt für einen Asiaten als gut investiert. Falls Ihr Auftraggeber Ihnen also wider Erwarten eine höhere Flugklasse zahlt oder Ihnen dies durch den Einsatz von Flugmeilen gelingt, sollten Sie dies besser für sich behalten. Hier noch ein letzter Aspekt, der Ihre Herausforderungen als Vertriebsingenieur in besonderem Maße tangieren kann: Im betrieblichen Ablauf benötigen Asiaten erfahrungsgemäß wesentlich genauere Verfahrensanweisungen als Deutsche. Quasi jeder Handgriff sollte detailliert beschrieben sein. Für einen deutschen Produktionsmanager ist es beispielsweise immer wieder überraschend – und bestürzend bzw. auch gefährlich –, wie erfindungsreich Asiaten (egal ob Chinesen, Japaner oder Südkoreaner) sein können, bestimmte Formulierungen in Dokumenten in die Praxis umzusetzen. Daran sollten Sie beim Anlagenverkauf denken, vor allem beim Abfassen von Handbüchern und Bedienungsanleitungen (möglichst in Englisch und in der jeweiligen Landessprache) ebenso wie bei der Durchführung und Dokumentation von Schulungen. In China herrschen oft andere Vorstellungen von anzuwendenden Qualitätsstandards als in Japan, Taiwan, Südkorea, im Westen und vor allem in Deutschland. Unsere deutschen Qualitätserwartungen werden dort nicht wie selbstverständlich realisiert, wie viele Industrieeinkäufer und Verbraucher nachträglich feststellen müssen, die scheinbar günstige chinesische Produkte erworben haben. Als Lieferant betrifft Sie das möglicherweise bei der Infrastruktur für die Aufstellung und Installation Ihrer Anlage: 

Stellen Sie – eventuell durch einen Besuch vor Ort beim (Site Inspection) – sicher, dass Ihre Vorgaben und Erwartungen hinsichtlich Aufstellort für das gelieferte Equipment, Medien, Spannungsversorgung, Vormaterial usw. erfüllt sind.

Literatur China9 (o. J.) Internet-Veröffentlichung. http://www.china9.de/symbolik/chinesische-glueckszahlen.html. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Countrymeters (2019) Internet-Veröffentlichung. https://countrymeters.info/de/World. Zugegriffen: 6. Aug. 2019

Literatur

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CrossCulture (o. J.) The Lewis Model – Dimensions of Behaviour. Datei Description-­ofLewis-Model-2.docx. Richard Lewis Communication, Warnford, UK. https://www. crossculture.com/about-us/the-model/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Graham JL (1980) Cross-Cultural Sales Negotiations: A Multilevel Analysis. Dissertation, University of California, Berkeley. Seine Vita finden Sie im Internet unter https:// merage.uci.edu/research-faculty/faculty-directory/John-Graham.html. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Graham JL (2009) Cultural Impact on Negotiation. Publikation Nr. 310.929.7700 in Negotiation Basics, im Internet veröffentlicht von Andrew Boughton am 29.12.2009 (unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder spätere Versionen der Free Software Foundation). https://www.edgenegotiation.com/2009/12/cultural-impact-on-negotiation/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 IMF (2019) International Monetary Fund. https://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/­2018/ 01/weodata/index.aspx. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Lewis RD (1999) Handbuch internationale Kompetenz. Campus, Frankfurt a. M. Racine J (2004) Erfolgreiches Verhandeln mit fremden Geschäftspartnern. OSEC Business Network Switzerland. Negotiation Process Consulting, Therwil, CH. Internet-Veröffentlichung, August 2004. http://www.sumbiosis.com/fileadmin/downloads/publikationen/ interkulturelles_verhandeln.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Spiegel (2019) Neuer Handelskonflikt – Jetzt streiten sich auch noch Japan und Südkorea. Spiegel Online 02.08.2019. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/japan-und-suedkorea-handelsstreit-verschaerft-sich-a-1280140.html. Zugegriffen: 6. Aug. 2019 statista (2018) Außenhandelsbilanz Deutschland 1991 bis 2018. Statista GmbH, Hamburg. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37793/umfrage/exportueberschuss-in-­ deutschland-seit-1999/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 VDMA (2019) Maschinenbau in Zahl und Bild 2019. Download VDMA, Frankfurt. https:// www.vdma.org/v2viewer/-/v2article/render/26250226. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Weiss SE (1994a) Negotiating with „Romans“, Part 1. MIT Sloan Management Review, Winter 1994. Internet-Veröffentlichung, 15.01.1994. https://sloanreview.mit.edu/article/ negotiating-with-romans-part/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Weiss SE (1994b) Negotiating with „Romans“, Part 2. MIT Sloan Management Review, Spring 1994. Internet-Veröffentlichung, 15.04.1994. https://sloanreview.mit.edu/article/ negotiating-with-romans-part-2/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Wenski G (2019) Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27448-1 West J, Graham JL (2004) A Linguistics-based Measure of Cultural Distance and Its Relationship to Managerial Values. Manag Int Rev 4(3): 239–260. https://pdfs.semanticscholar.org/83f1/74cdf0a650f3168f346510adf8b573688091.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Wikipedia (2019) „Chinesische Sprachen“. Wikipedia – die freie Enzyklopädie, San Francisco. https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Sprachen. Zugegriffen: 17. Mai 2019

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Ein Blick auf einzelne Nationen



In den USA hätten über 80 Milliarden Menschen Platz – zumindest theoretisch. Außerdem erfahren Sie, was ein Stäbchentest ist, in welchen Ländern Sie das Leitungswasser bedenkenlos trinken können und dass in China ohne ein Beziehungsnetzwerk nichts vorwärts geht, aber alles verhandelbar ist.

Dieser nun folgende kurze Abriss zu einigen Staaten, die deutsche Maschinen und Anlagen importieren (s. Einführung zu Kap. 6), kann nicht die Funktion detaillierter interkultureller Verhandlungsratgeber erfüllen. Das Studium weiterer Quellen ist unverzichtbar, wenn es um Geschäfte mit einer Vielzahl aufstrebender möglicher Handelspartner etwa in den BRICS-Staaten (zu denen neben China Brasilien, Russland, Indien und Südafrika zählen), von der arabischen Halbinsel oder aus den heutigen Entwicklungsländern geht. Die meisten dieser letztgenannten Kulturen werden von Lewis in der Nähe der multiaktiven Ecke platziert. Wie ein Blick auf die USA zeigt, bergen für uns Deutsche jedoch auch kulturell näher stehende Nationen noch die eine oder andere Überraschung.

7.1 USA: So nah und doch so fern Vereinigte Staaten von Amerika – größte Volkswirtschaft der Erde und „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (s. z. B. Regier 2005; Katz 2008a; GTAI 2010) Nach den Ergebnissen der bereits zitierten Graham-Studie (Graham 2009) unterscheidet sich das Verhandlungsverhalten der Amerikaner nicht sehr von dem der Deutschen, und im Lewis-Modell (CrossCulture o. J.) liegen sie in der linearaktiven „europäischen“ Ecke – zwischen Deutschland und Österreich oder den Niederlanden. Dürfen die Deutschen und insbesondere die deutschen Verhandler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_7

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

daraus schließen, sie hätten die US-Amerikaner komplett verstanden und nicht nur deren Regeln zur Festlegung des Trinkgeldes? Bestimmt nicht. Obwohl ich selbst beruflich bedingt vier Jahre an der US-Westküste gelebt habe, wundere ich mich nach wie vor immer wieder über amerikanische Einstellungen, Denk- und Vorgehensweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade einmal 20 Prozent der US-Amerikaner einen Reisepass besitzen (Possel o. J.) (in die Nachbarländer Kanada und Mexiko kann man mit dem Führerschein einreisen) und nur wenige Medien fundiert über das Ausland berichten – so ist das Interesse der Bewohner an anderen Kulturen gering. Und das Rechtssystem ist nur bedingt mit dem deutschen zu vergleichen; denken Sie nur an den „Strafschadenersatz“ (Punitive Damage), den Gerichte bei vertragsrechtlichen Verfehlungen in teilweise astronomischer Höhe verhängen. Bei der Formulierung eines Vertrags nach dem Recht eines US-amerikanischen Bundesstaates ist demnach Sachkenntnis erforderlich und eine hohe Sorgfalt geboten. (Kochinke 2013) Die USA sind die drittgrößte Nation der Erde – bei der Fläche nach Russland und Kanada und gemessen an der Bevölkerung (332 Millionen Einwohner; Stand August 2019) hinter China und Indien. (Countrymeters 2019) Dort leben 76 Prozent Einwohner mit europäischen Vorfahren, 16 Prozent Einwohner lateinamerikanischer Herkunft (besonders in den südlichen Bundesstaaten), 13 Prozent Afroamerikaner, 6 Prozent asiatische Einwanderer und nur 1,5 Prozent Indianer und Polynesier. (USCB 2018) Seit 2012 werden in den Vereinigten Staaten mehr nicht weiße Babys geboren als weiße.

USA

Die ethnische Mischung in den USA erinnert an die im Stadtstaat Singapur (s. Abschn. 7.3). Würde man die Einwohnerzahl Singapurs (6,1 Millionen im August 2019; Countrymeters 2019) auf die Fläche der USA hochrechnen, müsste man dort allerdings 83 Milliarden Menschen unterbringen. Dennoch ist die Gesellschaft – viel gravierender als die in Singapur – innerlich vor allem zwischen Arm und Reich sowie zwischen Schwarz und Weiß teilweise zerrissen, und schwelende Konflikte können jederzeit ausbrechen. Ein problematisches Verhältnis zu Schusswaffen, Nahrungsmittelqualität und Umweltschutz verschärft die Lage zusätzlich. In einer Präsidialdemokratie wie in den USA hat ein Staatsoberhaupt wesentlich mehr Entscheidungsgewalt als eine deutsche Bundeskanzlerin.

7.1  USA: So nah und doch so fern

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Der deutsche Vertriebsingenieur sitzt am Verhandlungstisch am weitaus häufigsten gut ausgebildeten weißen US-Amerikanern aus der Mittelschicht als Einkäufern, Anlagentechnikern und Managern gegenüber, die zuvor möglicherweise bereits nach Europa oder Asien gereist sind, jedoch nur Englisch sprechen. Diese haben ein ausgeprägtes Selbstvertrauen in die Leistungen ihres Landes und ihres Unternehmens und tun sich eventuell schwer damit, bei einem ausländischen Anbieter Schlüsseltechnologie zu erwerben. Allerdings haben Sie als europäischer Anbieter – bis jetzt – für die meisten Anlagenbranchen nichts zu befürchten, ähnlich wie der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei mit einem Lieferverbot belegt zu werden (außer, Sie machen Geschäfte mit Ländern wie Iran). Bei diesen Amerikanern, die eher als Deutsche offen für neue Ansätze und Lösungen sind, trifft man auf eine generell positive Denkweise. Allerdings besitzen sie einen grundlegend unterschiedlichen Humor und sind gegen Sarkasmus meist immun. Vor Stereotypen beim Umgang wurde in Abschn. 6.1 bereits gewarnt, und es wäre falsch, auch die Amerikaner in eine bestimmte Schublade zu stecken. Doch ist vielen von ihnen bewusst, dass sie mit ihrem manchmal übersteigerten Selbstbewusstsein auf andere Nationen arrogant wirken können, in der restlichen Welt als laut und einnehmend wahrgenommen werden und für Nicht-Muttersprachler oft zu schnell sprechen. Allerdings sollte sich der typische Deutsche teilweise am Pragmatismus der Amerikaner ein Beispiel nehmen und statt Problemen Lösungen suchen und statt Detailverliebtheit das Big Picture ins Auge fassen. Deutschen Verhandlern wird zwar geraten, allzu vollmundige Aussagen von Amerikanern zu hinterfragen, jedoch nicht die Augen vor praktischen und funktionierenden Lösungen zu verschließen. (Immerhin sind Vertreter ihrer Nation schon vor 50 Jahren auf Basis von Rechenschieberkalkulationen erstmals zum Mond geflogen). 

Für den europäischen und vor allem den deutschen Verhandler gibt es im Dialog mit US-Amerikanern bei Weitem nicht so viel zu beachten wie im Umgang mit fernöstlichen Kulturen.

Allerdings kommen der Beziehungspflege und dem Smalltalk hier ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu (s. Abschn. 6.5). Dass man sich dabei nicht über Indianer- oder Afroamerikaner-Belange auslässt und US-Amerikaner nicht mit Kanadiern in einen Topf werfen darf, ist nahe liegend. Auch zur Tagespolitik sollte man sich gegenwärtig besser nicht äußern. In Kleidungsfragen stehen Amerikaner – anders als die sehr formalen Japaner, Engländer oder Italiener – eher auf der legeren Seite, jedoch scheint sich dieser Trend in den letzten Jahren wieder zu drehen; Business casual sollte es für den Ein- oder Verkäufer also mindestens sein,

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

wobei der übliche Standard im besuchten Unternehmen maßgeblich ist. Bei Sitzordnung und weiteren protokollarischen Aspekten stößt man auf wesentlich weniger Konventionen als in vielen Ländern Asiens. Beim Verhandeln in den Vereinigten Staaten können nahezu alle unter (West-) Europäern anwendbaren Werkzeuge eingesetzt werden. Da wir Deutschen die Kultur der Amerikaner jedoch nie vollständig verstehen werden und umgekehrt, ist bei aller Euphorie über kreative und pragmatische Lösungen jedoch immer auch eine Spur Vorsicht bei der Einschätzung der Situation ratsam: Der Amerikaner geht in der Regel davon aus, dass andere so denken wie er, und lässt entsprechende Zeichen erkennen. Man selbst wartet jedoch auf Zeichen, die ein Deutscher in diesem Moment geben würde, und so können Missverständnisse und Verzögerungen beim Abschluss die Folge sein. Das hat die logische Folge, dass Verhandlungen in den USA – selbst wenn dabei längst nicht jeder wie ein Immobilienhai vorgeht – anders als etwa in Deutschland, Großbritannien oder Irland ablaufen. Direktheit, eine klare Sprache und wie angedeutet eine Spur Skepsis bei allzu optimistischen Versprechungen sind hier gefragt. Dieser Sachverhalt wirkt sich auf die Durchführung von Verhandlungsseminaren aus: Sowohl als Teilnehmer als auch als Veranstalter konnte ich erleben, dass Amerikaner mit anderen inhaltlichen und didaktischen Mitteln geschult werden müssen als Europäer. Eine Folge davon ist, dass zentral organisierte globale Vertriebstrainings international agierender US-Unternehmen durch amerikanische Trainer in Europa (und vor allem Asien) meist weniger effektiv sind als im Heimatland Amerika mit Bezug auf den dortigen Markt.

7.2 Israel: Die Brücke zwischen Europa und Asien Die Gesellschaft des Staates Israel ist mindestens ebenso zerrissen wie die der Vereinigten Staaten, und zudem beschäftigen im Gegensatz zu den USA das Palästinenserproblem, die Bedrohung durch einige Nachbarstaaten und kriegerische Auseinandersetzungen den erst 1948 gegründeten Staat permanent. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung bilden arabische Israelis (Ynet 2014); dennoch definiert ein im Juli 2018 verabschiedetes und auch im Ausland viel diskutiertes Nationalstaatsgesetz Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“. Arabisch ist seitdem nicht mehr weitere Amtssprache, und das neue Gesetz ist umstritten. Israel gilt als freiheitlich-demokratischer, sozialer Rechtsstaat, gehört zu den dicht besiedelten Ländern Asiens und ist der einzige Staat der Welt, in dem Juden eine Bevölkerungsmehrheit bilden.

7.2  Israel: Die Brücke zwischen Europa und Asien

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Aufgrund der Verbrechen am jüdischen Volk während der Zeit des Dritten Reiches ist das deutsch-israelische Verhältnis ein besonderes. Besucher Israels sollten Fingerspitzengefühl in ihrem Auftreten zeigen, und heikle politische und gesellschaftliche Fragen eignen sich kaum als Smalltalk-Themen. Allerdings sind in der Regel keine Ablehnung und keine Anfeindungen von Deutschen durch die jüdische Bevölkerung wahrzunehmen, und es werden gerne Geschäfte mit Deutschland gemacht. Beispiel

Bereits bei meinem ersten Besuch in Israel 1980, als ich in einem Kibbuz arbeitete und das Land einschließlich der Westbanks und der Golanhöhen bereiste, erfuhr ich eine ausgesprochene Freundlichkeit und Offenheit sowohl von jüdischen Israelis als auch von Palästinensern. Seit dieser Zeit hat sich das Zusammenleben der Kulturen trotz abnehmender Kriegsgefahr verschlechtert. Damals wie heute ist der Gazastreifen aus Sicherheitsgründen eine absolute No-Go Area. Trotz der vielfachen Probleme und einer gelegentlichen Eskalation der Gewalt sollte man das Land nicht als eine ständig bedrohte Volkswirtschaft im Ausnahmezustand betrachten. Für Besucher, die sich an allgemeingültige Sicherheitshinweise halten, ist der Besuch im Land trotz der innen- und außenpolitischen Lage aktuell nicht gefährlich, und eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes besteht lediglich für den Gazastreifen. (Auswärtiges Amt 2019) Israel ist ein hoch entwickelter Industriestaat, nach seinem Bruttoinlandsprodukt die 32.-größte Volkswirtschaft der Welt (IMF 2019) und Mitglied der OECD. Es hat den höchsten Lebensstandard im Nahen Osten und den vierthöchsten in Asien – weltweit liegt es auf Platz 22 (UNDP 2019). Der jüdische Staat gilt als industrialisiertes Land mit einem starken Hochtechnologie- und Innovationssektor, der sich im Wesentlichen auf die Bereiche Telekommunikation, Software, Elektronik und Pharma stützt. 2016 wurden Maschinen und Ausrüstungsinvestitionen in Höhe von 7,4 Milliarden US-Dollar eingeführt; die wichtigsten Ausfuhrwaren sind verarbeitete Produkte. (IHK Bayern 2019)

Silicon Wadi

In der Halbleiterindustrie ist die Gegend um Tel Aviv als Silicon Wadi bekannt – in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley. (In Deutschland kennt man das Silicon Saxony, einen eingetragenen Branchenverband

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

der sächsischen Mikroelektronik-, Halbleiter- und Fotovoltaikindustrie mit Sitz in Dresden.) Dort und auch in anderen Gegenden des Landes haben in den letzten Jahrzehnten zahlreiche global tätige Unternehmen im HighTech-Bereich Standorte eröffnet. Eine Liste der im Silicon Wadi tätigen Unternehmen findet sich z. B. unter (Wikipedia 2019b).

In Israel erwartet Sie eine multikulturelle Gesellschaft. Dennoch besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie – ähnlich wie in den USA – Verhandlungspartnern mit westlicher Prägung gegenübersitzen. Diese sind meist sehr stolz auf ihr Land und erwarten von Besuchern eine gewisse Wertschätzung für die Leistungen des israelischen Volkes im Nahen Osten. In diesem Zusammenhang ist Zurückhaltung bei politischen Kommentaren angebracht. 75 Prozent der aktuell 8,6 Millionen Israelis sind Juden, drei Viertel davon Sabras und Sabres – so heißen im Land geborene (weiblichen bzw. männlichen) Juden (wörtlich „Kaktusfeige“). Mit dieser Statistik ist die Feststellung des israelischen Satirikers Ephraim Kishon (1924–2005) Anfang der 1960er Jahre, dass Hebräisch die einzige Muttersprache ist, welche die Mütter von ihren Kindern lernen, inzwischen hinfällig. (Kishon 1964) Israel ist eine individualistisch geprägte Gesellschaft, die sich grundsätzlich von den unten besprochenen asiatischen Kulturen unterscheidet. Im Lewis-Dreieck (CrossCulture o. J.) liegt die Nation auf halbem Weg zwischen der linearaktiven „nordeuropäischen“ und der multiaktiven „südländischen“ Ecke – in Nachbarschaft zu Belgien, Südafrika, Irland und Frankreich. Israelis laden Kunden und Geschäftspartner gerne zu sich nach Hause ein. Dieses Angebot sollte man nicht abschlagen, wobei auch bei einem solchen Besuch wiederum eine gewisse Vorsicht bei der Wahl der Gesprächsthemen geboten ist. 

Im Wirtschaftsleben gelten in Israel weitgehend westliche Normen.

Die Literatur zu Verhandlungen mit Israelis ist überschaubar; zum Einstieg eignen sich z. B. Struminski (2006), Balke (2007) und Katz (2008b). Geschäfts- und Verhandlungssprache mit Ausländern ist in der Regel Englisch. Es ist üblich, seine Geschäftspartner mit dem Vornamen anzusprechen. Im Umfeld von Verhandlungen wird vieles ähnlich und manches anders und vor allem lockerer gehandhabt, als wir dies aus unserem Heimatland gewohnt sind. So spielen, wenn in Israel Geschäfte gemacht werden, Kleidung und Umgangsformen keine so dominante Rolle wie in anderen Kulturen. Hier passiert es eher, dass Sie

7.2  Israel: Die Brücke zwischen Europa und Asien

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o­ verdressed als underdressed sind. Man geht ungezwungen-höflich miteinander um; bei Männern ist eine Krawatte verzichtbar. Dagegen wird Besserwisserei überhaupt nicht geschätzt: Zur Schau gestellte Arroganz und Überheblichkeit insbesondere von ausländischen Besuchern ist eine Todsünde und sollte tunlichst vermieden werden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass man dort wenig Respekt vor Hierarchien hat. Diese Mentalität dürfte noch aus der Zeit des Befreiungskriegs 1948 und der Folgekonflikte mit den arabischen Nachbarn stammen, als Israel strategisch mit dem Rücken zur Wand stand und die Soldaten sehr geschickt und mutig kämpften, jedoch wenig Rücksicht auf Formalitäten nahmen. Beim Respekt vor Obrigkeiten liegen deutsche Manager auf einer Skala von null bis 100 bei 35, US-Amerikaner bei 40 Punkten. Japanische Führungskräfte erreichten 54, chinesische gar 80 Punkte. Die geringste Achtung vor Hierarchien wurde für Israelis erhoben: lediglich 13 Punkte. (Regier 2005, S. 11) Dies kann in Besprechungen und Verhandlungen den Umgang verschiedener Unternehmensebenen miteinander beeinflussen. Die erstaunlichen Erfolge der Wissenschaft in Israel werden auch mit dieser ausgeprägten Bereitschaft zum Querdenken und zur Grenzüberschreitung erklärt. (Kirchgeßner 2018) Mit Daniel Kahneman und Dan Ariely haben wir in Kap. 4 bereits zwei Wissenschaftler mit israelischen Wurzeln kennengelernt, deren Arbeiten für einen Verhandler von Bedeutung sind – der erste im ehemaligen Palästina geboren, der zweite im 1948 gegründeten Staat Israel aufgewachsen. Der langjährige kongeniale Kollege Kahnemans, Amos Tversky, stammt ebenfalls aus Palästina. 

Verhandlungsrituale orientieren sich in Israel an internationalen Standards, weitgehend unabhängig von der kulturellen Identität der Verhandler.

Intuition hat oft trotz der westlichen Ausrichtung Vorrang. Nonverbale Signale besitzen zudem einen höheren Stellenwert als sprachliches Feingefühl. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Individuen am Verhandlungstisch unterschiedliche Temperamente haben können. Was Israelis einzigartig macht, ist ihre Schnelligkeit, wie sie in Verhandlungen auf den Punkt kommen. Und wenn es darum geht, Preise und Leistungen zu definieren, sind sie wahre Meister im Erkennen von Stärken und Schwächen in Vertragsangeboten. In Verhandlungen sollte man auf einen für deutsche Ohren etwas aggressiveren Tonfall vorbereitet sein. Israelis neigen dazu, ihr Selbstvertrauen sehr plakativ nach außen zu demonstrieren. Das wird von Ausländern nicht selten als arrogant empfunden.

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

In der Graham-Studie (Graham 2009) sind drei bemerkenswerte Ergebnisse zum Verhalten israelischer Verhandler in den Rollenspielen dokumentiert. Sie zeigten eine nur sehr geringe Neigung zur Selbstoffenbarung, also zur freiwilligen Bereitstellung von Informationen. Mit anderen Worten, sie hielten ihre Karten solange wie möglich verdeckt. Andererseits machten die israelischen Verhandler in höchstem Maße Versprechungen und Vorschläge und versuchten dadurch, ihre Gegenüber zu einer Entscheidung zu drängen; Wettbewerbsangebote wurden wiederholt als Argument ins Feld geführt. Und letztlich neigten sie zum häufigen verbalen Unterbrechen des Verhandlungspartners, was die oben erwähnte Wahrnehmung von tendenzieller Aggressivität und Arroganz zu bestätigen scheint.

7.3 Singapur: Asien für Anfänger Jeder, der einmal einen Stop-Over oder ein paar Tage Urlaub in Singapur gemacht hat, kann diesen Titel nachvollziehen: Der Stadtstadt ist sicher, das Leitungswasser ist trotz Tropenklima trinkbar und das Essen ohne Vorsichtsmaßnahmen genießbar, man kann sich kaum verlaufen, es gibt eine Menge zu sehen, und es wird Englisch gesprochen.

Singapur

Englisch ist neben Tamil, Malaiisch und Chinesisch Amtssprache. (Katz 2008c) In der Praxis hört man vielfach „Singlish“, Kofferwort für singapurisches Englisch, eine in Singapur gesprochene englisch basierte Kreolsprache. Eine umfangreiche Liste von Singlish-Vokabeln findet sich bei Lee JTT (2016). Dort sind oft zu hörende Wörter etwa zur Verstärkung von Aussagen (z. B. aiyah, alamak für den Satzanfang oder ah und lah für das Satzende) mit zahlreichen Quellenangaben ausführlich erklärt.

In geschäftlicher Hinsicht wird Singapur als Boomstaat und erste Adresse für den Handel als die „Schweiz Asiens“ bezeichnet, mit der höchsten Millionärsdichte aller Länder. Vor zwei Jahrzehnten gab noch die produzierende Industrie den Takt an, dann folgte die Dienstleistungsbranche, später das Finanzwesen und die Biotechnologie. Dies zeugt von starker Innovationskraft und langfristiger Planung, aber vor allem auch von harter und zugleich pragmatischer Führung. Ein Freihandelsabkommen mit der EU bedarf nur noch der Zustimmung der nationalen

7.3  Singapur: Asien für Anfänger

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Parlamente und soll 2020 in Kraft treten. Es ist geplant, dass dadurch innerhalb von fünf Jahren fast alle Zölle wegfallen. Der Warenhandel der EU mit dem südostasiatischen Stadtstaat betrug 2017 53,3 Milliarden Euro (GTAI 2018; WKOA 2019). Singapur, eine frühere britische Kronkolonie, ist die am drittdichtesten besiedelte Region der Erde und besitzt den höchsten Lebensstandard in Asien. Im Stadtstaat leben mit Chinesen (77 Prozent), Malaien (14 Prozent) und Indern (8 Prozent) drei große ethnische Gruppen zusammen. 

Das ethnische Profil stellt an eine Nation, als die sich die Singapurer sehen, teilweise andere Anforderungen als an eine ethnisch homogene Bevölkerung wie die Japans oder Koreas.

Das harmonische Zusammenleben der Ethnien wurde in Singapur daher zum Staatsziel erklärt – auch das Mit- und Nebeneinander der Religionen ist ein pragmatisch gelöster Bestandteil des Alltags. Durch ihre interkulturelle Empathie gelingt es Singapurern viel einfacher als Europäern, belastbare zwischenmenschliche und geschäftliche Kontakte zu ihren asiatischen Nachbarn aufzubauen. Innerhalb einer kulturellen Gruppe ist das gegenseitige Vertrauen gewöhnlich höher als gegenüber anderen Kulturen; Singapur-Chinesen dominieren die Geschäftskultur. (Katz 2008c) Beispiel

Als regelmäßiger Gast in Singapur bin ich ein ums andere Mal erstaunt gewesen, wie gut die Zusammenarbeit und Deeskalation der Asiaten verschiedener Nationen und ethnischer Prägung untereinander und mit Vertretern anderer östlicher Nationen auf professioneller Ebene meist funktioniert. Ein Singapurer mit chinesischen, malaiischen oder indischen Vorfahren hat deutlich mehr Geduld und interkulturelle Kompetenz im Umgang etwa mit Japanern, Chinesen und Koreanern als wir Europäer. Ich war vor Jahren als Einkäufer für ein globales Projekt verantwortlich, und es gab mit einem Gerät aus Südkorea, das in Singapur installiert war, massive Qualitätsprobleme, die der Service des Herstellers nicht in den Griff bekam. Gleichzeitig war das System für Produktionsaufträge fest verplant und konnte nicht außer Betrieb genommen und schon gar nicht zurückgeschickt werden. Letztlich war es meinen singapurischen Kollegen vor Ort zu verdanken, dass eine für alle Seiten vertretbare Lösung gefunden wurde, indem auf einen Teil unserer Ansprüche verzichtet und eine Minderung des Gerätepreises vereinbart wurde.

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

Die Menschen sind selbstbewusst, aber zurückhaltend und eher leise und an einem harmonischen Miteinander interessiert. Es werden viele Verhaltensmuster beobachtet, welche auf die Wurzeln der Bevölkerung in China (besonders Südchina), Indien, Indonesien und Malaysia zurückgehen. Allerdings ist die auch in Taiwan und Südkorea in Ansätzen zu erkennende „Verwestlichung“ der Kultur in Richtung einer Konsumgesellschaft bereits deutlich weiter fortgeschritten. Noch wichtiger als für Japaner ist für Singapurer, immer die neueste Technik, beispielsweise das aktuellste Smartphone, zu besitzen. Hightech- und Softwareentwicklung und -anwendung spielen im Stadtstaat eine große Rolle. Wettbewerbsorientierung, Egoismus, schwindende Werte und Elitedenken werden von den Bewohnern selbstkritisch zugegeben. Zu den Wünschen zählen bezahlbarer Wohnraum, verbesserte berufliche Chancen und die Rücksichtnahme auf zukünftige Generationen. (Strait Times 2012; Wong 2018) Obwohl Singapur nach wie vor eine männerdominierte Gesellschaft ist, findet man – anders als z. B. in Japan – durchaus Frauen in verantwortungsvollen Positionen mit Autorität und Einfluss. Weibliche Geschäftsbesucher erfahren in Singapur deutlich weniger Probleme als in anderen Ländern, sich durchzusetzen und als gleichwertig anerkannt zu werden. Gleichzeitig haben Frauen jedoch mehr als Männer um ihren Posten zu kämpfen. (Katz 2008c) 

Für den westlichen Verhandler, der mit Singapurern zu tun hat, ist zu beobachten, dass diese teils recht fordernd und nachdrücklich auftreten, wenn es um ihre Interessen geht.

Sie bleiben dabei freundlich und gehen nicht ganz so direkt und unverblümt vor wie die Chinesen vom Festland, jedoch bleibt die chinesische Prägung der Gesellschaft nicht ganz verborgen. Wie die Chinesen sind auch die Singapurer an einem kurzfristigen Geschäftserfolg interessiert, Pünktlichkeit ist aufgrund von Terminkonflikten nicht immer gegeben, und oft dauern Verhandlungen länger, als aus westlicher Sicht zu erwarten war. Wenn Dinge nicht so laufen wie geplant, wird ein Singapurer viel schneller eine Eskalation herbeiführen als ein Europäer. Allerdings lassen sich aufgrund der positiven Einstellung und der asiatischen Fröhlichkeit Probleme in der Regel sehr schnell lösen.

7.4  Verhandeln in Japan

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7.4 Verhandeln in Japan Japan ist ein 6852 Inseln umfassender ostasiatischer Staat und ein zunehmend attraktives Urlaubsland für Besucher aus aller Welt. Der Name in Landessprache lautet 日本, ausgesprochen als Nihon oder Nippon. Das Zeichen 日 (ni) steht für „Tag, Sonne“ und 本 (hon) für „Ursprung, Wurzel, Beginn“. Japan ist deshalb auch als „Land der aufgehenden Sonne“ bekannt. (Wikipedia 2019a) Als Mitarbeiter eines japanischen Unternehmens ist Anton Schmitz, von dem wir seit seinen Berührungspunkten zur Verhaltensökonomik (Abschn. 4.3) und Spieltheorie (Einleitung Kap. 5, Abschn. 5.3) nichts mehr gehört haben, natürlich prädestiniert, dieses Kapitel zu eröffnen. Anton Schmitz

Wie in Abschn. 1.1 erwähnt, arbeitete der junge Vertriebsingenieur vor seiner aktuellen Tätigkeit in Düsseldorf bei einem Distributor und hat gewechselt, nachdem ihm ein Headhunter die Stelle als Leiter der europäischen Vertriebsund Serviceniederlassung bei der ISHIKAWA TRADING GMBH vermittelte. Der Distributor war ein Mannheimer Unternehmen namens LabControl GmbH, das Analyse- und Messgeräte für Laboranwendungen von Lieferanten vorwiegend aus dem außereuropäischen Ausland an deutsche, österreichische und schweizerische Endkunden weiterverkauft und betreut. Nach dem Studium hatte er das Glück, dort eine Stelle als Mitarbeiter im Innendienst zu bekommen, und war im ersten Jahr mit Spezifikationsprüfungen, Marktbeobachtung und Kontakt zu den Geräteherstellern betraut. Nachdem neben den fachlichen ebenfalls seine kommunikativen Qualitäten erkannt worden waren, wurde er an das aktive Vertriebsgeschäft bei den Endkunden herangeführt, was ihm trotz der gelegentlichen Frustration doch irgendwie zusagte. Er fand es interessant, sowohl als Lieferant (den Endabnehmern gegenüber) als auch als Kunde (für die Hersteller) zu agieren. Ein neben der Karriereplanung nachrangiger Grund für den Wechsel war zweifellos, dass er wieder ins Rheinland mit den wohlvertrauten Menschen und seiner Sprache zurückwollte – wenn er schon so viele Reisetage hat. Beim ersten Vorstellungsgespräch hatten beide Parteien natürlich eine Menge gegenseitiger Fragen. Auf der Seite von ISHIKAWA nahm Shinji Hondo teil, Vertriebsleiter und sein späterer Vorgesetzter, der gerade in Europa unterwegs auf Kundenbesuch war. Außerdem war eigens für diesen Termin ein Mitarbeiter der Personalabteilung aus dem japanischen Mutterhaus angereist, der ebenfalls leidlich gut Englisch sprach und die Unternehmensphilosophie

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

und die Erwartungen an den Kandidaten zum Ausdruck brachte. Die beiden Japaner erklärten, dass ISHIKAWA bereits seit Jahren mit seinen Produkten in Europa und den USA präsent ist. Man hatte zunächst intern ins Auge gefasst, eine eigenständige deutsche Handelsgesellschaft mit der Betreuung der Kundengeschäfte zu beauftragen, kam jedoch zu dem viel diskutierten Schluss, das Europageschäft durch eine deutsche Niederlassung zu betreuen. Anton Schmitz kam nicht nur aufgrund seines guten Rufs im Sales-Bereich in die engere Wahl, sondern auch wegen seiner Erfahrung im Distributoren-Geschäft. Den Gabeltest (s. Abschn. 3.1) in einem der zahlreichen japanischen Restaurants in Düsseldorf hat er mit Bravour bestanden. (Leser mit entsprechendem Humor könnten an dieser Stelle einwerfen, dass es sich hierbei im engeren Sinne um einen Stäbchentest gehandelt hat.) Sehr hilfreich für Anton Schmitz war, dass er sich im Vorfeld mit der japanischen Mentalität intensiv auseinandergesetzt hatte. Ihm war es gelungen, sich im Gespräch keine gröberen interkulturellen Fauxpas zu leisten, und er gewann der Eindruck, dass es sich bei ISHIKAWA um eine progressive, weltoffene Organisation handelt, in die er fachlich und menschlich passen würde. (Die beiden Japaner sahen es genauso, wie sie sagten.) Dies war für ihn erstaunlich, da er von Freunden und Kollegen Geschichten des Scheiterns deutscher Mitarbeiter in japanischen Unternehmen gehört hatte, und so waren seine Erwartungen an den Termin anfangs nicht sehr hoch. Bei einem zweiten Treffen im Headquarter in Kanazawa wurde man sich jedoch schnell einig, und Anton Schmitz erhielt einen deutschen Arbeitsvertrag, die Leitung der ISHIKAWA TRADING GmbH und einen für japanische Verhältnisse sehr hohen Vertrauensvorschuss. Zur Charakterisierung des Arbeitsverhältnisses mit seinem neuen Chef wäre noch zu erwähnen, dass Anton Schmitz Shinji Hondo bereits relativ am Anfang ihres Arbeitsverhältnisses angeboten hat, ihn „Toni“ zu nennen. Denn die für Japaner übliche Anrede Schmitz-san („Herr Schmitz“) klang bei Hondo-san mangels passender japanischer Silben eher wie „smissan“ – und das wollte er sich auf Dauer doch ersparen. Obwohl die Ansprache beim Vornamen in der japanischen Geschäftswelt sehr unüblich ist, willigte Hondo-san gerne ein. Zu Verhandlungen in Japan (March 1988; Graham 1993; Winkels und Schlütermann-Sugiyama 2000; Gelfand und Bratt 2004; Wolf 2007; Katz 2008d; Sauermost 2015) und China (Shenkar und Ronen 1987; Ghauri und Fang 2000; Graham und Lam 2003; Miles 2003; Berkemeier 2005; Katz 2008e; Rivers 2008;

7.4  Verhandeln in Japan

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Sebenius Jund Qian 2008; Warmbier o. J.) lassen sich problemlos umfangreiche Artikel und ganze Bücher schreiben. Dies haben andere bereits getan, und so sollen die beiden folgenden Abschnitte primär dazu dienen, einen kurzen, subjektiv geprägten Überblick zu geben. Beginnen möchte ich mit Japan und der Feststellung: 

Japan nimmt im interkulturellen Kontext eine Sonderstellung ein.

John Graham fand bei seinen Untersuchungen heraus, dass die Japaner bei vielen untersuchten Eigenschaften wie Vermeidung von Augenkontakt oder „nein“ sagen am Ende der Skala liegen, wovon sich jeder selbst schnell ein Bild machen kann. Der japanische Verhandlungsstil ist der am wenigsten aggressive oder anders ausgedrückt der höflichste in allen kulturellen Testgruppen. (Graham 2009) Für die erfolgreiche Durchführung von Verhandlungen kommt zunächst dem Aufbau einer Beziehung eine hohe Bedeutung zu, auch wenn nicht kurzfristig eine Beauftragung in Sicht ist – Karaoke oder eine Partie Golf haben bereits vielen Geschäften mittelbar zum Abschluss verholfen. In Japan legt man viel Wert auf das Protokoll; vermeiden Sie, als zu altklug und zu laut zu gelten. (Gerade Besserwisserei wird uns Deutschen – meist zurecht – immer wieder vorgehalten, und wie berichtet kommt diese Eigenschaft bei anderen Nationen wie Israelis und Singapurern ebenfalls nicht gut an.) Visitenkarten, welche die Position im Unternehmen eindeutig erkennen lassen, sind von hoher Bedeutung. Bereiten Sie am besten zweisprachige Visitenkarten vor – auf der einen Seite in Englisch, auf der anderen in Japanisch (bzw. für China in Hochchinesisch) – und überreichen Sie diese mit beiden Händen. Der Verhandlungstipp freundlich im Stil, aber fest in den Positionen (etwas krasser ausgedrückt: nett zu den Menschen, hart in der Sache) trifft für Verhandlungen mit Japanern in besonderem Maße zu. Japaner sind extrem höflich, freundlich und hilfsbereit, wie jeder Tourist bestätigen wird – vor allem, wenn er mal das Verhalten von Japanern und daneben den distanzloseren, laut und fast schon rüpelhaft auftretenden Touristen vom chinesischen Festland beobachtet, die Japan in hoher Zahl besuchen. Alleine dabei wird zahlenmäßig offensichtlich, dass die Volksrepublik China mehr als zehnmal so viele Einwohner hat wie Japan. Japaner sagen hai („ja“) auch dann, wenn sie iie („nein“) meinen oder etwas nicht verstanden haben – aus dem einfachen Grund, keinen Gesichtsverlust zu erleiden und die Harmonie nicht zu stören. Und ein Japaner redet nicht, falls es nichts zu sagen gibt: Gesprächspausen in Verhandlungen sind etwas ganz Normales. (Dieses Thema wurde in Abschn. 6.1 bereits andiskutiert.)

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

Japan

Durch geduldige Zurückhaltung erreicht man in Japan im Allgemeinen deutlich mehr als durch ein allzu forsches Vorgehen. Ich hatte einmal das Vergnügen, ein Verhandlungstraining in Japan abhalten zu dürfen – aufgrund sprachlicher Grenzen (mein nicht-existentes Japanisch, bei einigen Teilnehmern entsprechendes Englisch) mit zweisprachigem Material und Simultanübersetzung. Die zwei Seminartage waren von einem netten, sehr höflichen Miteinander geprägt, und bei Rollenspielen waren die Verhandler sehr  moderat in der Durchsetzung ihrer Ziele.

Allerdings darf man sich vom äußeren Schein dabei nicht täuschen lassen und Schwäche unterstellen: 

Japaner sind in der Konsequenz ebenso wie wir im Westen knallharte Geschäftsleute und Verhandler, die ihre Ziele durchsetzen wollen. Allerdings auf einem sehr hohen kulturellen Niveau.

Viele Dinge laufen dabei auf anderen Ebenen ab, die für uns Westler nicht unmittelbar erkennbar sind. Japan hat sich durch hohen Fleiß, Offenheit für technische Neuerungen und Stolz auf die eigenen Leistungen nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg eine Vorherrschaft am Weltmarkt für Elektronikgüter und Autos erarbeitet. Die sehr homogene Bevölkerung erbringt heute immer noch eine hohe Wirtschaftsleistung, ist jedoch überaltert, und die Gesellschaft weist in manchen Bereichen verkrustete Strukturen auf. Japan ist ein Land, das auch ohne Japanisch-Kenntnisse problemlos zu bereisen ist. Alle Beschriftungen sind inzwischen mehrsprachig, und gerade bei den jüngeren Leuten finden sich immer einige, mit denen man auf Englisch kommunizieren kann. Das Anmieten eines Leihwagens ist (je nachdem, wohin man will oder muss) nur bedingt ratsam – nicht so sehr wegen der Straßenschilder und des Linksverkehrs, sondern wegen der hohen Kosten durch Maut und Parkgebühren. Dafür existiert ein vorbildliches Transportsystem mit äußerst pünktlichen Shinkansen-Schnellzügen (s. Abb. 7.1) und verlässlichen lokalen Verbindungen. Hotels sind mittlerweile über die üblichen internationalen Buchungsplattformen verfügbar; in den dort aufgeführten Häusern spricht garantiert jemand Englisch. Wenn man sich Rating und Quadratmeterzahl genau ansieht, findet man komfortable Zimmer mit traditioneller oder westlicher Einrichtung und läuft nicht Gefahr, in einer kleinen Abstellkammer zu landen. Nebenbei

7.4  Verhandeln in Japan

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Abb. 7.1   Shinkansen

bemerkt: Japan ist meiner Erfahrung nach neben Singapur, Israel und Südkorea eines der ganz wenigen asiatischen Länder, in dem man das Leitungswasser bedenkenlos trinken kann. In Japan und China, aber ebenso in anderen konfuzianisch geprägten Nationen, herrscht eine ausgeprägt hierarchische Führungskultur (vgl. dazu die völlig gegensätzliche Situation in Israel, Abschn. 7.2). Ein Mitarbeiter in einer niedrigeren Stellung würde es kaum wagen, einem Höherstehenden vor anderen zu widersprechen. Die Entscheidungsfindung geschieht daher nie direkt in einer Verhandlung. Vielmehr muss geduldig abgewartet werden, bis innerhalb der oft schwerfälligen Organisation des Gesprächspartners eine Entscheidung herangereift ist. Die Schwierigkeiten innerhalb eines japanischen Lieferantenunternehmens, ein gemeinsames Vorgehen zu erarbeiten und festzulegen, haben manchmal nicht nur die Kunden, sondern auch die europäischen Sales & Service-Niederlassungen an den Rand des Wahnsinns getrieben, wie ich während meiner Einkäufertätigkeit mehrfach mitbekommen habe. Hier sollte mit fest definierten Zeitachsen gearbeitet werden, an welche sich die Japaner dann meist halten. In einem ostasiatischen Verhandlungsteam wird man kaum einen Dissens erkennen können, und eine ganze Reihe der genannten

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

Tipps und Tricks sind deshalb für derartige interkulturelle Verhandlungen nur bedingt geeignet. Allerdings ist der Weg zur Entscheidung innerhalb des Kundenunternehmens in den beiden genannten Kulturen grundsätzlich zu unterscheiden: Während in China top-down entschieden wird, findet eine notwendige Abstimmung in Japan grundsätzlich konsensorientiert statt. (Meyer 2017) Japanische Unternehmen lassen sich trotz der sich aufdrängenden Pauschalierung beim Führungsverhalten in vielen Fällen in westlich orientierte und traditionelle unterteilen. Erstere verfügen in der Regel über ein weltweites Netz von Tochterfirmen und eine Zentrale im Mutterland und pflegen einen regen Austausch dazwischen; sie tolerieren eher westliche Sitten. Oftmals stellen konservative regionale Gesellschaften für Westler ein wesentlich schwierigeres Terrain dar. Jedoch findet man selbst innerhalb derselben Organisation sowohl die Ausprägung westlicher Verhaltensmuster (wenn Gaikoku-jin mit am Tisch sitzen) als auch das Vorgehen nach „lokalen Regeln“ (wenn man unter sich ist). Die Vertreter japanischer (aber auch chinesischer, südkoreanischer usw.) Unternehmen, die der Westler typischerweise im Geschäftsverkehr trifft, sind oftmals speziell für diese Aufgabe ausgesucht und ausgebildet worden. Sie verstehen westliche Denk- und Vorgehensweisen besser als viele ihrer traditioneller orientierten Landsleute und können damit umgehen. Sie übersetzen für ihre Organisation nicht nur die Sprache, sondern sie interpretieren als „Kultur-Übersetzer“ das Gesagte für ihr eigenes Umfeld. Hierfür werden vielfach indirektere und indikativere Formulierungen als im englisch- oder deutschsprachigen Originaltext verwendet. Sie dürfen sich als Geschäftsreisender daher nicht wundern, falls die Kommunikation beim Kundenunternehmen in Asien wesentlich komplizierter und damit wie bereits erwähnt zeitaufwendiger ist als im Westen oder auf Fachmessen. Dabei helfen zum einen Geduld, Nachsicht und Freundlichkeit und zum anderen die Dienste eines Dolmetschers, den Sie bei wichtigen Verhandlungen möglicherweise selbst beauftragen und mitbringen sollten. Denn nur so ist sichergestellt, dass er (oder sie) Ihre Vorstellungen und die des Kunden korrekt übersetzt und außerdem versteht, was die Japaner in ihrer Muttersprache untereinander reden. 

In Japan, aber auch in zahlreichen weiteren Ländern Asiens ist es nahezu unmöglich, Geschäfte ohne lokale Unterstützung abzuwickeln, insbesondere wenn es sich um so komplexe Projekte wie den Verkauf industrieller Großanlagen handelt.

Global agierende Konzerne sind in einer komfortableren Position, wenn sich der Unterhalt von eigenen Verkaufs- und Servicebüros mit einheimischen Angestellten vor Ort lohnt. Um Formalitäten effizienter abwickeln zu können und

7.5  Verhandeln in China

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sprachliche, inhaltliche und organisatorische Barrieren zu überwinden, bedienen sich vor allem kleinere westliche Anlagenanbieter oft der Dienste von lokalen Distributoren. Die Distributoren halten den Kontakt zu Kunden und nehmen an den Verhandlungen teil. Eine Problematik bei dieser Konstellation ist, dass aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung ein moralisches Risiko (besser bekannt unter der englischsprachigen Bezeichnung Moral Hazard) besteht: Personen oder Unternehmen können sich aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten. Der Distributor hat den Vorteil, dass er sprachlich und inhaltlich über den Dialog mit dem Kunden umfassend im Bilde ist – im Gegensatz zum Anlagenhersteller, dem OEM. Er hat dadurch die Macht, ein Geschäft eher nachlässig abzuwickeln, da er für die Folgen nicht haften muss. Oder er zweigt höhere Kommissionen von der Bestellsumme ab, von denen der Hersteller nichts weiß, und schädigt so dessen Ertragssituation und vielleicht sogar dessen Wettbewerbsposition. Daher ist bei der Auswahl der lokalen Distributoren stets ein glückliches Händchen erforderlich und erfolgt am besten über Empfehlungen vertrauenswürdiger Dritter. Allerdings muss zugegeben werden, dass die Möglichkeiten und Freiheiten zur eigenen Gestaltung von Geschäften in Japan deutlich umfassender sind als in China.

7.5 Verhandeln in China Wie die Japaner sind Chinesen den Deutschen gegenüber generell positiv eingestellt. Die Volksrepublik China hat mit 1,4 Milliarden Einwohnern die zahlenmäßig größte Bevölkerung aller Staaten der Erde, knapp gefolgt von Indien und deutlich vor dem Drittplatzierten USA. Auch wenn momentan eine Abschwächung zu verzeichnen ist, hat China ein phänomenales Wirtschaftswachstum erlebt und holt zunehmend im Vergleich mit anderen Nationen auf.

China

6,6 Prozent Wachstum der chinesischen Wirtschaft 2018 (statista 2019a) sind für westliche Verhältnisse immer noch gigantisch. Für 2019 wird ein weiterer Rückgang auf 6 bis 6,5 Prozent erwartet. Doch trotz des Handelsstreits mit den USA wächst die Wirtschaft Chinas. Das Bruttoinlandsprodukt legt im ersten Quartal 2019 überraschend deutlich um 6,4 Prozent und im zweiten Quartal um 6,2 Prozent (jeweils im Jahresvergleich) zu. (statista 2019b)

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

In einigen Bereichen des eigenen Maschinenbaus ist man weltweit inzwischen auf einen Podestplatz vorgerückt: 2015 haben acht Millionen Mitarbeiter annähernd eine Billion Euro Umsatz gemacht. (IGM 2016) Warum sollte China also die Anlagen erwerben wollen, die Sie vertreiben? Sie werden es als deutscher Vertriebsingenieur mit der Anbahnung von Geschäften in der Volksrepublik China vermutlich nicht leicht haben, was weniger an interkulturellen Schwierigkeiten liegen dürfte als vielmehr an der politischen Situation. China besitzt ein sozialistisches Einparteiensystem, das zwar schnelle Top-down-Entscheidungen ermöglicht (siehe oben), jedoch auf demokratische Ideen, Personenrechte und freie Medien wenig Wert legt. Staatschef Xi Jinping lobt zwar die Globalisierung, stellt aber chinesische Wirtschaftsinteressen knallhart in den Vordergrund. Es gibt für ausländische Unternehmen in China keine fairen Wettbewerbsbedingungen. Beklagt werden unter anderem bürokratische Marktbarrieren, Behördenwillkür und Benachteiligung bei öffentlichen Ausschreibungen. (Giesen 2018) Wirtschaftsspionage und die Missachtung von Patenten stellen weitere Hindernisse dar. Das geht soweit, dass ausländische Besucher bis hin in die Vorstandsebenen systematisch ausspioniert werden: Hotelsafes werden geknackt, Büros verwanzt und Laptops aufgeschraubt. (Ankenbrand 2019) Die Anschaffung eines Reisenotebooks oder Tablets ggf. für die Nutzung durch die gesamte Vertriebsabteilung zusätzlich zu Ihrem Arbeitsrechner scheint für diesen Fall geboten. Nach der Rückkehr sollte das Gerät von der IT-Abteilung geprüft und von eventuell aufgespielter Spionagesoftware befreit werden. (Wenski 2019) Chinesische Geldgeber investieren außerdem in immer mehr deutsche Unternehmen oder kaufen diese gleich ganz auf. Geschäftsleute aus Deutschland haben zunehmend das Gefühl, in China weniger willkommen zu sein. Und China dehnt seinen Einfluss auf das Ausland zunehmend aus, besonders durch Kredite für Großprojekte in ärmeren Staaten, deren Nutznießer – über damit zwingend verknüpfte Aufträge, Handelszugang und Rohstoffausbeutung – dann wieder China ist. (Odenthal und Reichart 2019) 

Vor diesem Hintergrund wird die Chance für einen Vertragsabschluss nur dann gegeben sein, wenn Ihr Haus etwas zu bieten hat, das in China nicht in dieser Qualität produziert werden kann.

Dies dürfte vor allem im Hochtechnologiesektor der Fall sein – trotz Wachstumsabschwächung bleibt China ein attraktiver Absatzmarkt. Doch auch dann werden Sie ohne entsprechende unterstützende Maßnahmen wie lokale Geschäftspartner, juristische Fachkompetenz und Kreditausfallversicherungen nicht auskommen.

7.5  Verhandeln in China

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Während eine getroffene Abmachung oder ein Vertrag (chinesisch hétong), selbst wenn er durch Handschlag abgeschlossen wurde, für einen Japaner verbindlich ist, sieht das in China nämlich teilweise ganz anders aus. Im Westen gilt ein einmal aufgesetzter Vertrag als unwiderruflich, in China eher als ein Startdokument, das den Umständen entsprechend abgeändert werden darf – der Beginn von Verhandlungen nach der Auffassung vieler Chinesen. Wurde ein Vertrag mit einem neuen Partner geschlossen, so ist es nicht unüblich, dass dieser Vertrag als Richtschnur für die weitere Zusammenarbeit gesehen wird. Allerdings muss bei allem interkulturellen Verständnis eingeräumt werden, dass der chinesische Ansatz des offenen Ergebnisses im internationalen Handel der heutigen globalisierten Welt so nicht mehr akzeptabel ist und auch den chinesischen Partnern schadet. Beim Umgang mit lokal agierenden chinesischen Unternehmen gelten lokale Regeln, mit westlich ausgerichteten Gesellschaften internationale Gepflogenheiten – ein ähnliches Vorgehen, wie es oben bereits für Japan beschrieben ist. Chinesen treten Ausländern allerdings meist offen entgegen und sehen in jedem Kontakt eine Chance. Die Vertreter aus dem Reich der Mitte besitzen als Volk von Händlern eine starke Erwartung an eine kurzfristige Gewinnmaximierung.

Verhandeln auf Chinesisch

Chinesen sind bekannt dafür – und Sie werden dies vor allem im Land selbst merken –, dass sie den Wettkampf lieben. Dies ist auf das System der Beamtenprüfungen zurückzuführen, in denen Staatsbedienstete ausgewählt werden. Im Grundsatz ist jeder Chinese zu dieser Selektion, die Wohlstand verheißt, zugelassen – sie ist für inzwischen über 1400 Jahre ein nationaler Prüfungswettkampf gewesen. Daher sollten Verhandlungen (tánpàn) immer sportlich und spielerisch, nicht verbissen geführt werden. tánpàn bedeutet wörtlich „beurteilen und diskutieren“, eine Kunstform, deren Perfektionierung viele Jahre dauern kann.

Um das Gesicht (miànzi) zu wahren und dennoch zu einem guten Ergebnis zu kommen, legen beide Parteien ihr erstes Angebot weit auseinander. Von Fremden wird erwartet, dass sie zuerst ihre Positionen offenbaren. Absichtserklärungen (z. B. LOIs, Letters of Intent) können Türen öffnen. Chinesen haben ein Faible für das Verhandeln und sind harte, aber herzliche und faire Verhandlungspartner. Der erste Beschluss ist in der Regel nicht endgültig. Führen Sie ein

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

­ erhandlungsprotokoll, um Beschlüsse besser kontrollieren zu können. Dazu V passt eine wichtige Grundregel: nie eine Position ohne adäquate Gegenleistung aufgeben. Die Verhandlungsmacht entscheidet, welche Seite ihre Punkte in welchem Umfang durchsetzen kann. Verhandlungen – vor allem beim Preis, der vielfach entscheidet – können sehr lang und kreativ sein. Nur der Schwächere gibt nach: Entgegenkommen kann als Schwäche interpretiert werden und damit als Einladung zum Einfordern von mehr. In China gilt: Everything is negotiable. Der wirtschaftliche Grundsatz der alten Chinesen lautete: gute Ware zu einem fairen Preis (s. Wenski 2019). Heute verhandelt ein Chinese entweder als konfuzianischer Gentlemen mit einem Win-Win- bzw. Nachhaltigkeitsansatz oder trickreich und mitunter täuschend nach den Lehren der alten Heerführer. Über seinen Verhandlungsstil entscheidet er anhand seiner Einschätzung des Gegenübers. Die Bereitschaft, auf beide Stile zu treffen, und das Anstreben eines Ausgleichs unterstützt eine nachhaltige Beziehung. Generell wird beobachtet, dass die kooperative konfuzianische Taktik den kriegsorientierten Sunzi-Strategemen überlegen ist. 

Verhandlungen mit Chinesen laufen daher in der Regel nach anderen Mustern ab, als wir Deutsche es gewohnt sind.

Man zeigt Freundlichkeit, gepaart mit Undurchsichtigkeit. Wir sind es gewohnt, die Karten auf den Tisch zu legen – der Chinese nähert sich langsam den Kernfragen an. Vertrauen Sie in Verhandlungen mit Chinesen Ihrem Gespür. Versuchen Sie, aus den indirekten Andeutungen herauszuhören, was Ihr Geschäftspartner Ihnen mitteilen möchte. Lassen Sie sich durch lange Gesprächspausen nicht aus der Ruhe bringen – in Asien sind solche Pausen durchaus üblich. Oft ist es der Ranghöchste, der die Verhandlung leitet und dieses Stilmittel bewusst nutzt. Eine Entscheidungsfindung auch in China ist nach deutschem Verständnis ein sehr langsamer Prozess. Behalten Sie Ihre Geduld. Chinesische Verhandlungen werden von uns mitunter als chaotisch empfunden haben. Eine typisch deutsche Agenda fehlt, während des Gesprächs wechselt man sprunghaft das Thema, bereits besprochene Dinge werden erneut aufgegriffen und einmal getroffene Vereinbarungen überraschend wieder verworfen. Vieles, was für Verhandlungen in Japan gültig ist, passt trotz der signifikanten kulturellen Unterschiede auch auf China (einige Punkte sind in Abschn. 6.5 und 7.4 angesprochen worden). Das Thema Übersetzungen etwa ist in China ebenfalls relevant.

7.5  Verhandeln in China



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Vertrauen Sie nicht Ihren Englischkenntnissen und denen der Chinesen – organisieren Sie unbedingt einen Ihnen gegenüber loyal eingestellten Dolmetscher.

Auch hier kann darüber hinaus das Hinzuziehen eines Kultur-Übersetzers Missverständnisse hinsichtlich der Erklärung von Andeutungen, nonverbaler Kommunikation und unbekannter Körpersprache ausräumen helfen. Man sollte als Fremder eher weniger als zu viel reden und die Gastgeber fragen lassen.

Chinesische Harmonie

Chinesen hassen wie alle Asiaten Konflikte und Meinungsverschiedenheiten – es herrscht ein kulturell bedingtes ausgeprägtes Harmoniebedürfnis. Die Ursache dürfte vor allem im früheren China der Zeiten innerer Unruhen und äußerer Bedrohungen liegen. Harmonie im Sinne von Einheit und Stabilität wird seitdem als höchstes staatliches Ziel angesehen und steht über jedem Individualrecht. Darin liegt der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum die Obrigkeit nicht demokratisch geprägter Staaten wie der Volksrepublik China rigoros durchgreift, wenn etwa Proteste stattfinden – letzteres Verhalten wird als böswillige Störung der Harmonie und damit bewusste Untergrabung des Gemeinsinns ausgelegt. Korruption ist nicht ausgestorben und wird von der Regierung als großes Problem angesehen, das mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

China ist ein multi-ethnisches Land. 91,5 Prozent der Bevölkerung sind Han, doch stellt selbst diese größte Bevölkerungsgruppe keine homogene Gruppe dar: Im Laufe der Zeit entwickelten sich innerhalb der Han starke regionale Unterschiede hinsichtlich Sprache, Dialekt, Siedlungsformen, Volkssagen, Kleidung und Ernährung. (Müller 2009) Minderheiten werden zugunsten der Han-Chinesen systematisch unterdrückt, wie sich am Beispiel der Uiguren in Xinjiang sehr deutlich zeigt. (Maass 2019) Chinesen sind duldsam und frustrationstolerant und erwarten eine dominante und stark hierarchisch strukturierte Führung. Sie lächeln in den unpassendsten Momenten – doch in fast allen Fällen handelt es sich um starke Verlegenheit. Sie kommunizieren viel und gerne und helfen sich oft gegenseitig wie im Idealfall in einer sehr großen Familie – auch im Ausland. „Man kennt jemanden, der jemanden anderen kennt, der jemanden kennt, der vielleicht helfen kann.“ Das nennt man auf Chinesisch guānxì, das „Beziehungsnetzwerk“. Um Teil des guānxì zu

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werden, muss ein Ausländer gut Chinesisch lernen und sehr viele Kontakte pflegen sowie verzweigt kommunizieren. Bei allen Überlegungen bezüglich Verhandlungspositionen ist es wertvoll, das Netzwerk der Gegenseite zu kennen und daran anzuknüpfen. Traditionell scheuen sich Chinesen vor dem Gang zum Gericht. Es besteht vielmehr Vertrauen in das guānxì. Bei den Überlegungen, mit welchem chinesischen Gegenüber man sich einlässt, ist es wichtig, sich auf möglichst bekannte Partner zu verlassen. Chinesen lieben es, die Vertreter der anderen Seite in Verhandlungen zu manipulieren, durch Schmeicheln, Einschüchtern, Andeuten, Loben und Tadeln oder, indem sie den Finger in offene Wunden (z. B. Qualitätsprobleme) legen. Trotz einer teilweise sehr direkten Ausdrucksweise legen sie aber großen Wert auf Benehmen und Etikette. Unhöflichkeit und Nein-Sagen etwa sind tabu. Sie geben manchmal Konzessionen, nur um einen peinlichen Gesichtsverlust zu vermeiden. In China gilt ein schwacher Händedruck als höflich. Blicken Sie Ihrem Gesprächspartner nicht zu fest und zu lange in die Augen – das gilt auch für viele andere asiatische Kulturen. Chinesen vermeiden (wie Japaner) Körperkontakt mit Fremden. Klopfen Sie also unter keinen Umständen Ihrem Geschäftspartner auf die Schulter oder auf den Rücken. Mit dem Kopf nicken bedeutet, dass Ihr Gegenüber Ihnen zuhört, nicht, dass er Ihnen zustimmt: Machen Sie sich also keine falschen Hoffnungen. Entwickeln Sie ein Feingefühl, um auch die chinesische Körpersprache lesen zu können. Und Chinesen können teilweise sehr laut sein. Für unsere Auffassung eher störendes Verhalten gilt in der chinesischen Kultur nicht als unhöflich. In China bedeutet stilles Sitzen oft, dass der Zuhörer eingenickt ist.  Gastgeschenke gehören in China (ebenfalls wie in Japan) zur Beziehungspflege.

Für Ihr erstes Treffen sollten Sie unbedingt ausreichend Geschenke besorgen, sonst startet Ihre Geschäftsbeziehung bereits mit einer unangenehmen Situation. Rot ist in China die Farbe für Glück. Deshalb wird es gerne gesehen, wenn Sie Verpackungen in dieser Farbe wählen. Für Chinesen, die eine Geschäftsbeziehung suchen, gilt im Allgemeinen, dass sie diese dann für einen langen Zeitraum eingehen wollen. Smalltalk ist extrem wichtig, und ein Besucher sollte sich darauf einstellen. Man möchte stets zuerst wissen, mit wem man zu tun hat, bevor man zum Geschäftlichen übergeht. Der Smalltalk wird in China auf einer viel intimeren Ebene durchgeführt als bei uns im distanzierten Europa oder in Japan. Fragen nach dem Familienstand, nach dem Gehalt, dem Alter oder den Gründen für Ihre

Literatur

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Kinderlosigkeit in den ersten Minuten eines (Verhandlungs-)Gesprächs sind keine Seltenheit. Führen Sie Smalltalk z. B. über chinesische Orte und Sehenswürdigkeiten, die Sie während Ihres Aufenthaltes eventuell besucht haben. Meiden Sie unbedingt kritische Themen (Taiwan-Frage, Ein-Kind-Politik, Hongkong). Im Rahmen eines Dinners oder Umtrunks kann es sein, dass von Ihnen ein Toast erwartet wird; bereiten Sie sich darauf vor. Die Volksrepublik China stellt bereits heute einen gigantischen Markt auch für Maschinen und Anlagen dar, der im Gegensatz zu saturierten Ländern mit der wirtschaftlichen Weiterentwicklung noch enorm wachsen wird. Das Land ist und bleibt trotz der genannten Hindernisse und Schwierigkeiten ein hochattraktives Absatzland und eine sehr interessante Spielwiese für Vertriebsingenieure.

Literatur Ankenbrand H (2019) Tatort China. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31. März Auswärtiges Amt (2019) Israel: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung für den Gaza-Streifen). Stand 06.08.2019, unverändert gültig seit 24.06.2019. https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/israel-node/israelsicherheit/203814. Zugegriffen: 6. Aug. 2019 Balke R (2007) Umgangsformen – Lieber ohne Krawatte. Jüdische Allgemeine 22.03.2007. https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/lieber-ohne-krawatte/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Berkemeier K (2005) Ein Businessknigge für China. Wilfried Scholz Unternehmensberatung 2005. https://www.ihk-krefeld.de/de/media/pdf/international/interkulturelle_ kompetenz/interkulturelle_kompetenz/china_businessknigge.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Countrymeters (2019) https://countrymeters.info/de/World. Zugegriffen: 17. Mai 2019 CrossCulture (o. J.) The Lewis Model – Dimensions of Behaviour. Datei Description-­ofLewis-Model-2.docx. Richard Lewis Communication, Warnford, UK. https://www. crossculture.com/about-us/the-model/. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Gelfand MJ, Bratt JM (Hrsg) (2004) Handbook of Negotiation and Culture. Stanford University Press, Stanford. http://www.unice.fr/crookall-cours/iup_cult/_docs/_Gelfand 2004 Handbook of Negotiation and Culture.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Giesen C (2018) Make China great again. Süddeutsche Zeitung 06. November 2018 Ghauri P, Fang T (2000) Negotiating with the Chinese: A Socio-cultural Analysis. In: Lau CM, Wong CS, Law KKS, Tse DK (Hrsg) Asian Management Matters – Regional Relevance and Global Impact, S 373–388. https://doi.org/10.1142/9781848160149_0022. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Graham JL (1993) The Japanese Negotiation Style: Characteristics of a Distinct Approach. Negotiation Journal, April 1993, S 123–140. http://www.orangetreepartners.net/pdfs/ negotiation-journal1993.pdf. Zugegriffen: 17. Mai 2019

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7  Ein Blick auf einzelne Nationen

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Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung



Wir kommen zum Showdown: Sie werden Zeuge der Messgeräteverhandlung von ISHIKAWA mit der WAFAG, deren Vorbereitung und Hintergründe an mehreren Stellen im Buch geschildert wurden. Kommt es zu einem Win-Win-Ergebnis (ja!), und wodurch wird es erreicht? Abschließend soll es um übergreifende Themen gehen, außerdem um den Theorie-Praxis-Konflikt und Dialoge mit Freunden und Verwandten.

Grau ist alle Theorie – ein ebenso abgedroschener wie wahrer Spruch. Wenn Sie sich die Mühe gemacht haben, dieses Buch bis hierhin (weitgehend) durchgelesen und durchgearbeitet zu haben, konnten Sie einen Eindruck gewinnen, was es alles zu bedenken gibt und welche Szenarien, Entwicklungen, Spielarten und Möglichkeiten sich teilweise ergeben. Ich hoffe, ich konnte Sie motivieren, die Chancen in Ihrer spannenden Aufgabe zu erkennen, und habe Ihnen nicht den Spaß an Ihrem Job verdorben, vor allem wenn Sie noch ein Rookie im Vertriebsbereich sind oder sich gerade die ersten Sporen verdient haben. Sie werden allerdings erst durch viel Erfahrung – und indem Sie Fehler machen und daraus lernen – ein richtig guter Vertriebsingenieur, Verkäufer und/oder Account Manager werden (so wie Sie richtig Autofahren nicht in der Fahrschule, sondern erst später alleine im Straßenverkehr lernen). Ich kann mir gut vorstellen, dass bei Anlagenverkäufern in Branchen, die mir beim Schreiben nicht primär als Blaupause gedient haben, zusätzliche Herausforderungen warten, die im Buch nicht behandelt oder nur gestreift werden. Anton Schmitz

Höchste Zeit, dass sich unser Schützling Anton Schmitz für die bevorstehende Vergabeverhandlung des LH-8 in Dresden warmläuft. Er hat sich mit seinen europäischen Kollegen und dem Mutterhaus von ISHIKAWA in Japan

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_8

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

s­orgfältig auf den potenziellen Neukunden und die Verhandlung vorbereitet. Vielleicht hat er dabei sogar einen Verhandlungsplaner verwendet (s. Wenski 2019), doch selbst wenn nicht, sind die relevanten Eckdaten bei den kommerziellen Bedingungen sowie eine Reihe von qualitativen Informationen zu Markt, Kundenunternehmen, verantwortlichem Einkäufer und Vorstellungen gesammelt und konsolidiert worden. Wir wissen nicht, an welchen Schulungsformaten er genau teilgenommen und welche größeren Projekte er bereits bei ISHIKAWA und zuvor beim Distributor LabControl betreut hat. Allerdings ist zu hoffen (und aufgrund des bisher Gehörten zu vermuten), dass er trotz seiner Mitte Dreißig sehr gut auf seine Rolle als Verhandler präpariert und dafür persönlich und mental gleichermaßen geeignet ist. Die umfangreiche und sorgfältige Vorbereitung ist nun endlich erledigt, und er kann – hoffentlich – zusammen mit seinem Vorgesetzten aus Japan, Vertriebsleiter Shinji Hondo, die PS in der Verhandlung auf die Straße bringen. Lassen Sie uns verfolgen, wie der Tag beim Kunden läuft und was am Ende als Ergebnis herauskommt. Dies ist nur ein Szenario unter unzähligen denkbaren, das ein Gefühl dafür geben soll, welche Varianten prinzipiell in einer Anlagenverhandlung möglich sind. Es sollt noch erwähnt werden, dass der Einkäufer Herbert Langwasser im Vorfeld den Vordruck des auszufüllenden WAFAG-Verhandlungsprotokolls an Anton Schmitz geschickt hat mit der Bitte, dies vorab zu prüfen – was dieser unter Mithilfe seiner Kollegen und einer beauftragten deutschen Anwaltskanzlei natürlich getan hat. Nun ist die Vorbereitung endgültig zu Ende, und die beiden ISHIKAWA-Mitarbeiter werden nach Erledigung der Zugangsformalitäten vom Facheinkäufer und dem technischen Anlagenbetreuer des Kunden begrüßt. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie als stiller Zuschauer die weiteren Ereignisse rund um die Vergabeverhandlung für das LH-8.

8.1 Modellverhandlung Phase 1: Auftakt Das Wetter an einem Dienstag Anfang April, an dem Anton Schmitz und Shinji Hondo zum vereinbarten Termin zur WAFAG in Dresden fahren, steht unter dem Einfluss von Skandinavien-Hoch „Katharina“. Es ist trocken und sonnig mit ein paar Schönwetterwolken am Himmel, allerdings auch kalt mit Bodenfrost am Morgen. Irgendwie Gute-Laune-Wetter also, was ein gutes Omen für diesen wichtigen Tag zu sein scheint.

8.1  Modellverhandlung Phase 1: Auftakt

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Anton Schmitz

Dienstag, 9. April 2019, WAFAG-Verwaltungsgebäude in Dresden-Hellerau, 9:03 Uhr Die Abteilungssekretärin des Einkaufs bringt die Herren Anton Schmitz und Shinji Hondo von ISHIKAWA in den dritten Stock, wo Herbert Langwasser, der zuständige Einkäufer, aus seinem Büro tritt und Anton Schmitz mit Handschlag begrüßt. „Guten Tag, Herr Schmitz, ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise.“ – „Hallo, Herr Langwasser. Es tut mir leid, wir sind ein paar Minuten zu spät, die Formalitäten beim Werkschutz haben länger gedauert.“ – „Das macht doch nichts, wir sind nicht in Eile.“ – „Mr. Langwasser, may I introduce my superior to you, Mr. Shinji Hondo from our Japanese headquarter? I have announced to you that he will join today’s negotiation.“ Sie begrüßen sich ebenfalls mit Händedruck – wobei der des Japaners für einen Asiaten erstaunlich fest ist –, und Shinji Hondo sagt: „Konnichi-wa [japanisch für „guten Tag“], Langwasser-san. I am glad to be here today.“ Es folgen ein paar weitere höfliche Floskeln wie „Welcome to Silicon Saxony“, und Herbert Langwasser sagt: „Lassen Sie uns in den Beratungsraum gehen, meine Kollegen müssten auch jeden Moment kommen.“ Nahezu die gesamte Unterhaltung im Rahmen der Verhandlung findet ab hier in Englisch statt. (Die Dialoge sind weitgehend in Deutsch wiedergegeben.) Sie gehen zu einem Besprechungszimmer eine Etage höher, während Anton Schmitz seine technische Präsentation sechs Wochen zuvor hier im dritten Stock in einem spartanisch ausgestatteten Raum gehalten hat. Was ihm beim Betreten des heutigen Verhandlungsortes sofort auffällt, ist die bessere Ausstattung, mit Teppichboden, ovalem Holztisch, acht lederbezogenen Stühlen, Bildern an den Wänden, einer hochwertigen Videokonferenzanlage und einem schönen Blick ins Grüne. Auf dem Tisch stehen Kaffee, Tee, Kaltgetränke und Gebäck. Anton Schmitz und Shinji Hondo nehmen gerne den angebotenen Kaffee. Zwei Minuten später geht die Türe auf, und Marcus Brenndörfer, der zuständige Techniker aus der Metrologieabteilung, sein Chef Dr. Wohlmann und ein weiterer, sportlich aussehender Asiate schwer schätzbaren Alters betreten den Raum. Anton Schmitz ist etwas verdutzt, denn einen Chinesen hatte er bei seiner Verhandlungsvorbereitung nicht auf dem Zettel. Bei der gegenseitigen Begrüßung stellt dieser sich als Daniel Chang vor, Senior Manager Purchasing von WAFAG Singapur und Vorgesetzter von Herbert Langwasser. Er erzählt auf Frage von Shinji Hondo, er sei Singapurer und kein Chinese; seine Großeltern sind aus Südchina nach Singapur ausgewandert. Sein Singlish ist für die anderen einigermaßen verständlich,

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

obwohl man teilweise genau hinhören muss, und er wirkt auf Anton Schmitz vom ersten Eindruck her einen Tick zu selbstsicher. Beim sich anschließenden Smalltalk geht es natürlich zunächst ums Reisen. „Ich bin Sonntag spät abends in Changi losgeflogen und dann über Frankfurt nach Dresden und war um zehn Uhr vormittags hier,“ sagt Daniel Chang. „Perfekt, damit mich die Kollegen auf die Verhandlung vorbereiten konnten. Wann sind Sie angekommen, Hondo-san?“ – „Wir haben in Kanazawa leider keinen Flughafen. Aber ich bin mit dem Shinkansen bequem nach Tokio gefahren. Ich hatte am Sonntag einen Direktflug von Narita nach Düsseldorf, und Toni hat mich gestern im Auto nach Dresden mitgenommen. Morgen Nachmittag fliege ich über Zürich zurück.“ – „Haben Sie sich schon etwas in Dresden ansehen können, Hondo-san und Herr Schmitz?“, fragt Langwasser. Darauf entwickelt sich ein Begrüßungsgespräch, das von Dresden und den DDR-Zeiten über die Halbleiterindustrie im Allgemeinen zur wirtschaftlichen Lage der WAFAG und von ISHIKAWA reicht, die beide Seiten als momentan gut bezeichnen, um beim eigentlichen Verhandlungsthema zu münden. Die Details schenken wir uns an dieser Stelle aus Platzgründen. 9:40 Uhr Herbert Langwasser bittet, Platz zu nehmen, und die beiden Herren von ISHIKAWA setzen sich auf die zum Fenster hin gelegene und die von der WAFAG auf die Türseite des Tisches. (Zwar entsteht dadurch eine Frontbildung, was aber vertretbar ist.) Shinji Hondo nimmt erfreut zur Kenntnis, dass ihm der Ehrenplatz am weitesten vom Eingang entfernt zugewiesen wurde. Langwasser eröffnet formell die Vergabeverhandlung und trägt von Hand die ersten Angaben in die Formvorlage des im Vorfeld Anton Schmitz zur Verfügung gestellten englischsprachigen Verhandlungsprotokolls ein: Vertragsparteien, Teilnehmer, Geheimhaltungsvereinbarung. Verhandlungsgegenstand ist das Messgerät Typ LayerHakaru-8 (abgekürzt LH-8) mit Edelstahlkorpus, Angebotspreis: 1.157.890 Euro, Nachlass zwei Prozent bei Bestellung von mindestens zwei und fünf Prozent ab fünf Systemen. Im Angebot enthalten sind Reinraumverpackung Klasse zehn für Flug- und LKW-Transport, Incoterm DDP Dresden, Basissoftware und eine eintägige Kundenschulung. Er fragt Dr. Wohlmann und Marcus Brenndörfer, ob technisch alles klar wäre, und diese bestätigen, dass die technische Spezifikation von beiden Parteien unterschrieben sei. Langwasser liest nun Klausel für Klausel das Verhandlungsprotokoll vor, und es herrscht bis auf ein paar Ausnahmen weitgehend Einigkeit über die Inhalte. Beim Gewährleistungszeitraum fordert die WAFAG die gesetzliche

8.2  Modellverhandlung Phase 2: Schock und Stillstand

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Verjährungsfrist für Mängelhaftung von zwei Jahren für Neuteile. Das wird von Anton Schmitz unter Verweis auf die am Markt übliche Vereinbarung von zwölf Monaten ebenso abgelehnt wie gewünschte Garantien für Messgenauigkeit, Geräteabgleich und Verfügbarkeit. Eine weitere Ausnahme betrifft die Pönalisierung des Liefertermins mit einem Prozent der Bestellsumme pro Woche Verzug. Diese befürwortet das japanische Mutterhaus ebenfalls nicht, da man dafür eine Rückstellung machen muss, wie Anton Schmitz erklärt. Andererseits bezeichnet die WAFAG die im Angebot enthaltene Anzahlung in Höhe von 35 Prozent als unüblich. Die WAFAG-Forderung nach der Übergabe der Software-Quellcodes für das Messsystem wird von ISHIKAWA entschieden zurückgewiesen; im Gegenzug besteht man auf eine Haftungsbegrenzung in Höhe der Bestellsumme. Zu diesem Zeitpunkt sind die ersten Irritationen bei den WAFAG-Teilnehmern zu spüren, insbesondere bei Herbert Langwasser. „Das können wir auf keinen Fall machen,“ sagt er, „dies ist so von unserer Rechtsabteilung vorgegeben.“ Hondo-san runzelt die Stirn, verbeugt sich leicht im Sitzen und sagt. „Sumimasen [japanisch für „Entschuldigung“], Langwasser-san. Die ISHIKAWA Company Policy erlaubt keine Herausgabe der Source Codes und den Verzicht auf eine Haftungsbegrenzung. Den Herren dürfte bekannt sein, dass dieses Vorgehen bei anderen Anlagenherstellern im Halbleitersektor ebenfalls üblich ist. Wenn ich gegen diese Vorschrift verstoße, sitzt Ihnen beim nächsten Gespräch jemand anderes gegenüber.“ Nach einigem Hin und Her einigen sich beide Seiten ganz pragmatisch: Auf eine Pönalregelung wird ebenso verzichtet wie auf die Anzahlung. Die vereinbarten Zahlungsbedingungen sind die international üblichen 90 Prozent bei Lieferung und 10 Prozent bei Abnahme ohne Gewährleistungseinbehalt. Zähneknirschend akzeptieren die WAFAG-Teilnehmer, dass es keine Übergabe der Quellcodes geben wird, und die Haftung wird auf fünf Millionen Euro pro Schadensfall begrenzt, die Versicherungssumme von ISHIKAWA. Doch der Grundstein ist damit gelegt.

8.2 Modellverhandlung Phase 2: Schock und Stillstand Soweit scheint die Verhandlung also gemäß der üblichen Vorgehensweise zu verlaufen, und unangenehme Überraschungen sind bisher ausgeblieben – sieht man mal vom nicht angekündigten Teilnehmer aus Singapur ab. Die Profis auf beiden Seiten des Tisches wissen natürlich ganz genau, dass es kontraproduktiv wäre,

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

sich unmittelbar auf den Anlagenpreis zu stürzen. Daher ist es zunächst um die übrigen Verhandlungsobjekte gegangen. Doch nun scheint es ernst zu werden. Anton Schmitz

11:30 Uhr Das Verhandlungsprotokoll ist bis auf die Verkaufssumme weitgehend ausgefüllt, und die Mittagszeit naht. Catering-Mitarbeiter bringen reichhaltig belegte Brötchen, Frikadellen mit Bautzener Senf, Salat, Obst und frische Getränke herein und ziehen sich diskret wieder zurück. Herbert Langwasser sagt: „Prima, das sieht lecker aus. Ich denke, wir sind fast fertig, denn es fehlt ja nur noch ein akzeptabler Preis für das Paket. Wir haben uns da etwas überlegt und möchten Ihnen das kurz mitteilen, bevor wir uns gemeinsam mit den Snacks stärken.“ Daraufhin steht der neben ihm sitzende Daniel Chang, sein Gruppenleiter, auf, geht zum Flipchart auf seiner Seite des Tisches und schreibt mit dickem rotem Filzstift in die Mitte des Blattes:

650,000 € Lassen Sie sich nicht verwirren: Da die Zahlen auf den Flipcharts im englischsprachigen Original wiedergegeben sind, enthalten sie Dezimalpunkte sowie Kommas zur Abtrennung der Tausender. Erwähnt werden sollte ebenfalls, dass alle Filzstifte funktionsfähig sind, s. Abschn. 3.4. „Dies ist der Preis, den wir für eine Anlage zahlen wollen.“ Brenndörfer kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Es folgt Schweigen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Anton Schmitz, der so etwas Ähnliches bereits befürchtet hat, zählt die Sekunden. Hatte Chang zahlen wollen gesagt? Er kennt natürlich diesen psychologischen Trick der Ankerung, aber wie würde Hondo-san reagieren? Der zuckt nur unmerklich mit einem Auge, sagt aber ebenfalls nichts. Nach einer endlosen Viertelminute kann Marcus Brenndörfer nicht mehr an sich halten und fragt: „Nu [sic! Sächsisch für „ja“], was sagen Sie dazu?“ Anton Schmitz hat den Eindruck, dass Dr. Wohmann ihn darauf unter dem Tisch tritt. Der Schwachpunkt im WAFAG-Team? Leider hat er es nicht geschafft, bei der WAFAG in der Kürze der Zeit einen Champion aufzubauen, doch Brenndörfer wäre zweifellos ein möglicher Kandidat. Anton Schmitz sagt ruhig: „Darf ich unseren Gegenvorschlag notieren?“ Er steht auf und zieht den Ständer mit dem Flipchartbogen in die Mitte des

8.2  Modellverhandlung Phase 2: Schock und Stillstand

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Raumes, auf Höhe der Kopfseite des Konferenztisches, sodass er von beiden Parteien ungefähr gleichweit entfernt steht. Er blättert auf ein leeres Blatt um und nimmt einen schwarzen Filzstift. „Dies ist unser Listenpreis in Höhe von 1.157.890 Euro. Die WAFAG als einer der Weltmarktführer wäre für ISHIKAWA ein bedeutender Kunde und auch Kooperationspartner. Deshalb können wir Ihnen beim Kauf einer Anlage zehn Prozent Nachlass anbieten. Das heißt wir wären bei einem Anlagenpreis von 1,042 Millionen Euro.“ Er notiert die beiden genannten Zahlen nebst Beschreibung. „Das klingt alles andere als erfreulich,“ sagt Daniel Chang genervt und schiebt relativ grob nach: „So wird das wohl nichts. Wake up your ideas, lah! [Slang, auf Deutsch etwa „Da müssen Sie sich mehr anstrengen!“ Das „lah“ dient der Betonung des Satzes und ist die meistverwendete Singlish-Vokabel.] Außerdem habe ich um zwölf Uhr einen anderen Termin. Ich komme vielleicht am Nachmittag wieder und hoffe, dass Ihr Angebot bis dahin wesentlich freundlicher aussieht.“ Nachdem er hinausgestürmt ist und die Türe zum Konferenzraum geräuschvoll geschlossen hat, schauen selbst die übrigen WAFAG-Mitarbeiter etwas betreten. Dr. Wohlmann sagt auf Deutsch: „Herr Schmitz, so kommen wir anscheinend nicht weiter. Was machen wir jetzt?“ Anton Schmitz entgegnet auf Englisch, halb auch zu Shinji Hondo gewandt: „Damit wir weiter mit dem Preis für das LH-8 herunterkommen, müssten wir uns nochmals über bestimmte Vertragsinhalte unterhalten. Uns liegen ehrlich gesagt zwei Dinge quer im Magen: der Edelstahlkorpus und der Incoterm. Für die Aufstellung in einem Reinraum Klasse tausend mit Loadports zum Reinraum Klasse zehn reichen Ihnen beschichtete Oberflächen, und den Transport könnte die WAFAG vermutlich deutlich günstiger organisieren als wir.“ Und er schreibt weiter mit grünem Filzstift auf das Flipchart-Blatt, das jetzt so aussieht:

LH-8 List price (stainless steel frame)

1,157,890 €

– 10 % Key customer discount

1,042,000 €

– 42,000 € (powder-coated frame)

1,000,000 €

– 5,000 € (Incoterm FCA Kanazawa)

995,000 €

Die drei verbliebenen WAFAG-Verhandler sind plötzlich wieder ganz Ohr. Bei einem derartigen Preissprung nach unten ist den Metrologen die Edelstahleinhausung auf einmal nicht mehr so wichtig, und Incoterm FCA entspricht sowieso der üblichen Abmachung. Da es inzwischen fast halb Eins ist und sich

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

die Räucherfischbrötchen ganz langsam zu verändern scheinen, sagt Herbert Langwasser: „Ihr Preis ist immer noch ein Drittel zu hoch, aber wir sind in der richtigen Richtung unterwegs. Ich schlage vor, wir machen erstmal Mittag und sehen dann weiter.“ Alle greifen beherzt zu und setzen den Smalltalk vom Morgen fort, wenn auch in etwas reservierter Stimmung. Anton Schmitz und Shinji Hondo finden dabei Zeit, unter vier Augen den Stand der Verhandlung und ihre Taktik nochmals abzustimmen. Hondo-san sagt: „Toni, don’t worry, auf Japanisch nennt man einen Anker ikari. Ich kenne die Methode sehr gut.“ Beide sind sich einig, dass die WAFAG und vor allem Dr. Wohlmann kaufen will und dass es bis dahin noch ein langer Nachmittag werden kann, weil die Gegenseite ihre Verhandlungsmacht auszureizen beabsichtigt. Hondo-san erwischt jetzt langsam der Jetlag, doch durch seine Selbstdisziplin gelingt es ihm, dies vor den Verhandlungspartnern verborgen zu halten. Die WAFAG-Leute sind inzwischen temporär in Ihre Büros verschwunden. Während der gesamten Mittagspause zeigte der Flipchart-Block das grüne ISHIKAWA-Angebot in Höhe von 995.000 Euro. 13:20 Uhr Die Verhandlung geht weiter. Daniel Chang lässt sich noch bis auf Weiteres entschuldigen. Herbert Langwasser sagt, sie hätten sich beraten und mit dem Einkaufsleiter Thomas Krämer Rücksprache gehalten. Um nicht unkooperativ erscheinen zu wollen, möchte die WAFAG einen neuen Vorschlag machen. „Wir sind natürlich angewiesen, zu einem möglichst niedrigen Preis einzukaufen, jedoch ist uns auch an wirtschaftlich gesunden Lieferanten gelegen.“ Er nimmt den roten Filzstift, streicht die 995.000 Euro durch und schreibt stattdessen 750.000 Euro hin:

LH-8 List price (stainless steel frame)

1,157,890 €

– 10 % Key customer discount

1,042,000 €

– 42,000 € (powder-coated frame)

1,000,000 €

– 5,000 € (Incoterm FCA Kanazawa)

995,000 € 750,000 €

Hondo-san zieht hörbar Luft zwischen den Zähnen ein, und Anton Schmitz denkt bei sich: Da geht noch was! Jetzt sind wir nur noch 25 Prozent auseinander. Es folgt ein munteres Geschacher zwischen den Beteiligten, wobei zuvor erledigte Punkte wie die Gewährleistungsfrist wieder infrage gestellt

8.3  Modellverhandlung Phase 3: Durchbruch und Einigung

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werden. Die genauen Inhalte würden in der Wiedergabe nur ermüden – allein entscheidend ist, dass nichts dabei herausgekommen ist und keine neuen konkreten Angebote auf den Tisch gekommen sind. Den ISHIKAWA-Teilnehmern wird schließlich nahe gelegt, im Headquarter in Japan anzurufen, um sich Rückendeckung für einen deutlich niedrigeren Verkaufspreis zu holen; diese versuchen durch geschickte Fragetechnik herauszufinden, wie hoch denn nun das Budget der WAFAG für das Gerät ist. Jede Partei nimmt eine Auszeit, um den Stand zu bewerten und ihre Argumente neu zu sortieren. Gegen fünfzehn Uhr (Hondo-san wird nach einer Extradosis ­ Kaffee langsam wieder munter) stellt sich für Anton Schmitz die Frage, ob die WAFAG absichtlich blockiert und warum – und wie ein Scheitern der Verhandlung abzuwenden wäre. Mit dem ursprünglichen Walk-out-Preis von 950.000 Euro und den beiden Erleichterungen an der Tafel könnten sie bis 900.000 Euro heruntergehen, aber was würde das bringen, da das Gap bis zu den angebotenen 750.000 Euro immer noch endlos erscheint. Es wird eine Kaffeepause verkündet, wozu es Dresdner Eierschecke gibt, was wiederum ein Gesprächsthema bietet.

8.3 Modellverhandlung Phase 3: Durchbruch und Einigung Entgegen der Erwartungen der WAFAG ist die Angelegenheit also doch noch nicht zu Mittag erledigt, obwohl das Drehbuch mit der Ankerpreis-Taktik von 650.000 Euro wohl darauf abzielte. Doch unsere Helden haben sich bisher wacker geschlagen und sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern versuchen, den Kuchen größer zu machen. Wird dies zum Erfolg führen? Anton Schmitz

15:30 Uhr Es geht weiter, und Daniel Chang ist auch wieder dabei. Er blickt nicht mehr ganz so grimmig wie am Vormittag in die Runde und lässt sich den Stand der Verhandlung erklären. Dafür durfte Marcus Brenndörfer seinen Feierabend antreten – vermutlich, weil er während der direkt an ihn gerichteten ISHIKAWA-Fragen bezüglich des Budgets die falschen Antworten beigesteuert hat. Anton Schmitz bittet darum, einen neuen Vorschlag machen zu dürfen. Aufgrund der Diskussion von vorhin hat er den Eindruck gewonnen, dass die Metrologieabteilung zusätzlich an zwei Dingen interessiert ist: einer

214

8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

komfortablen Auswertesoftware mit einem Listenpreis von 10.000 Euro und einer Level-2-Schulung der technischen Betreuer mit einem Listenpreis von 20.000 Euro – beides am besten kostenfrei. Er blättert wieder einen leeren Flipchartbogen auf und schreibt diesmal zur Abwechslung in Blau: LH-8 Price with powder-coated frame Level 2 training (worth 20,000 €) evaluaon soware (worth 10,000 €) – 5,000 € (addional discount)

995,000 € included included 990,000 €

„Das ist das Beste, was wir machen können. Das Preiszugeständnis und die kostenlos beigegebenen Leistungen tun uns weh.“ Das ist natürlich übertrieben. Er liegt damit in der Nähe seines Zielpreises und weiß, dass er von der WAFAG-Forderung in Höhe von 750.000 Euro noch meilenweit entfernt ist. „Falls das nicht reicht, haben wir ein Problem.“ Shinji Hondo nickte dazu. „Hai.“ Die Argumentation geht für eine Weile weiter, wobei sich keine neuen Aspekte ergeben. Daniel Chang grinst plötzlich und sagte: „Gentlemen, in Asia, everything is negotiable, lah. In Singapur versuchen wir, immer eine vernünftige Balance zwischen Kiasu und Kiasi zu halten.“ [Die anderen WAFAG-Teilnehmer kennen diese Hokkien-Begriffe offensichtlich, aber Anton Schmitz muss sich erst einmal im Internet schlau machen. Das Konzept Kiasu, wörtlich „Verlustangst“, bezieht sich auf den Wunsch, immer der Beste sein zu wollen, zuerst zu kommen und nie zu verlieren. Das Wort ist so weit verbreitet, dass es in den englischen Wortschatz aufgenommen wurde. Singapur gilt dabei als sein Heimatland. Kiasi, wörtlich „Todesangst“, steht für eine übertrieben ängstliche, furchtsame Grundeinstellung. Es beschreibt zusammen mit Kiasu eine Lebensphilosophie: das Spannungsfeld zwischen Vorsicht (Kiasi) und Erfolgsorientierung (Kiasu).] Chang fährt fort: „Hondo-san, darf ich Sie für ein paar Minuten unter vier Augen sprechen?“ Endlich, denkt Anton Schmitz, es scheint etwas entscheidend vorwärtszugehen. Und er ist nicht böse, dass er als zuständiger Vertriebsingenieur bei der Unterredung nicht dabei ist. Aber der bereits vorher gewonnene Eindruck verdichtet sich, dass hier eine sorgfältig einstudierte Choreografie abläuft, um insbesondere beim Preis signifikante Konzessionen zu erzielen. – Die beiden verlassen den Konferenzraum, und die Verhandlung wird unterbrochen.

8.3  Modellverhandlung Phase 3: Durchbruch und Einigung

215

16.40 Uhr Nach gut 20 min kommen die Asiaten zurück, Shinji Hondo sichtlich entspannter als vorher, und setzen sich wieder. Daniel Chang sagt: „Hondo-san und ich haben ein Szenario diskutiert, dass die Bestellung von mehr als einem Messgerät einschließt. Dies war die ursprüngliche Basis für unsere Preisforderung. Ich möchte Ihnen das kurz aufschreiben.“ Er steht auf, geht zum Flipchart und fängt an, wiederum mit rotem Filzstift unter die 990.000 Euro von Anton Schmitz zu schreiben. Derweil sagt Shinji Hondo: „Arigatō gozaimasu [japanisch für ‚vielen herzlichen Dank‘. Die Floskel, die man als Ausländer im Gespräch mit Japanern am häufigsten hört und auch selbst reichlich verwenden sollte. Das „u“ am Ende ist stimmlos.], Chang-san. Ich glaube, wir machen gute Fortschritte. Toni, passen Sie auf.“ Und Daniel Chang schreibt:

LH-8 Price with powder-coated frame Level 2 training (worth 20,000 €) evaluaon soware (worth 10,000 €) – 5,000 € (addional discount)

2 LH-8 for Dresden fab 2 LH-8 for Grenoble fab 2 LH-8 for Singapore fab

995,000 € included included 990,000 €

5,000,000 €

„Hondo-san hat mich darauf aufmerksam gemacht, er kann eine Vier vorne nicht akzeptieren, weil es eine Unglückszahl ist. [Diese Argumentation von Shinji Hondo ist geschickt und nicht ganz von der Hand zu weisen (s. Abschn. 6.5)]. Also schlage ich die glatte Zahl von fünf Millionen Euro für die sechs Geräte vor.“ Anton Schmitz rechnet schnell aus, dass das Angebot der WAFAG somit bereits 833.000 Euro pro System beträgt, also nochmals elf Prozent nach oben gegangen ist. Eine sehr erfreuliche Wendung, da dieser Wert nur noch minimal vom korrigierten Walk-out-Preis von 848.000 Euro entfernt liegt. Hondo-san entgegnet: „Und ich habe Chang-san geantwortet: Taihen yoi [japanisch für „sehr gut“], aber zwei Fünfen sind besser als eine, und 5,5 Millionen Euro wäre eine faire Lösung für beide Parteien.“ Und er schreibt diese Zahl – wiederum in Grün – unter die fünf Millionen:

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung LH-8 Price with powder-coated frame Level 2 training (worth 20,000 €) evaluaon soware (worth 10,000 €) – 5,000 € (addional discount)

2 LH-8 for Dresden fab 2 LH-8 for Grenoble fab 2 LH-8 for Singapore fab

995,000 € included included 990,000 €

5,000,000 € 5.5 M€

Dr. Wohlmann, etwas überrascht und keineswegs enttäuscht, rechnet und schreibt eifrig und scheint zu prüfen, wie dies mit seinem Budget zusammenpasst. Insgesamt fehlt immer noch eine halbe Million Euro, also quasi ein halbes Gerät. Also beschließen beide Verhandlungsparteien, nochmals in Klausur zu gehen und das weitere Vorgehen zu beraten. Den Erfolg vor Augen und das Ziel so nah, sollte doch eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungslösung erreichbar sein. 17:25 Uhr Inzwischen sind die Getränke, die Eierschecke und der Rest vom Obst verzehrt – die Fisch- und Wurstbrötchen glücklicherweise bereits viel früher. Anton Schmitz bittet um Aufmerksamkeit, um die aktuelle Position von ISHIKAWA darzulegen. Er sagt: „Meine Herren, wir möchten die WAFAG unbedingt als Kunden und Entwicklungspartner gewinnen.“ Dr. Wohlmann lächelt, seinem Namen Ehre machend, zufrieden. „Daher werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, die Preisdifferenz zu überbrücken. Das Einfachste ist, wir einigen uns auf der Hälfte: bei 5,25 Millionen Euro.“ Herbert Langwasser und Daniel Chang schütteln beide wie abgesprochen leicht mit dem Kopf. „Aber ISHIKAWA ist ein asiatisches Unternehmen, und Hondo-san hat mir erklärt, dass in Japan der Kunde vom Kuchen mehr bekommt als der Lieferant.“ Jetzt hatte er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer. „Daher haben wir noch etwas, das wir drauflegen können. Preislich können wir keinesfalls tiefer gehen, sonst rechnet sich das Projekt nicht. Sie werden aber für den Betrieb der Geräte Hilfstoffe und Ersatzteile benötigen. Wir liefern Ihnen zu jedem Gerätepaar ein komplettes Paket im Wert von

8.3  Modellverhandlung Phase 3: Durchbruch und Einigung

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10.000 Euro zusätzlich, das in den 5,25 Millionen Euro eingeschlossen ist.“ Alle Augen richten sich auf Daniel Chang. Und Shinji Hondo schiebt hinterher: „Und im Paket ist ebenfalls enthalten, dass wir Sie, wenn Sie Zeit haben, heute Abend zum Dinner einladen.“ [Dies erscheint angesichts der Beteiligung von zwei Asiaten, für welche die Bildung einer persönlichen Beziehung neben der geschäftlichen von hoher Bedeutung ist, zulässig. Allerdings bleibt der generelle Hinweis aus Abschn. 4.2 gültig, im Rahmen von Verhandlungen keine Social Events mit einzuplanen.] Spätestens mit der Geste der Einladung zum Abendessen scheint die Spannung im Raum nun gänzlich verflogen zu sein. Chang blättert kurz in seinen Notizen, blickt dann auf und sagt: „Shiok! [singlisher Slang für „cool“ oder „prima“] That’s how we do it.“ Damit ist das Geschäft perfekt und wird mit Handschlag besiegelt. Herbert Langwasser komplettiert das Verhandlungsprotokoll, alle Beteiligten unterschreiben, und anschließend werden Kopien für die Besucher angefertigt. Es folgt ein sehr schöner Abend mit entspannten Gesprächen (Abb. 8.1).

Abb. 8.1   Abend in Dresden

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

8.4 Modellverhandlung: Vorgehen, Ergebnis und Bewertung Es bietet sich an, das Verhandlungsergebnis und den langen und teilweise gewundenen Weg dorthin einer genaueren Analyse zu unterziehen. Denn im Laufe des Tages kamen eine Reihe von Standardtaktiken und auch Tricks aus dem Lehrbuch zur Anwendung (zumindest wurde es versucht), die hier und in Wenski 2019 im Detail erläutert sind. Blicken wir zunächst auf das „offiziell“ vereinbarte Verhandlungsergebnis. Anton Schmitz

Verhandlungsergebnis: Werkvertrag nach deutschem Recht über 6 Stück Schichtdickenmessgerät Typ LayerHakaru-8 (LH-8) für 3 Standorte zum Paketpreis von 5.250.000 € (Stückpreis 875.000 €) gemäß Zeitplan ohne Pönalvereinbarung. Gerätekorpus besteht aus pulverbeschichtetem Aluminium. Lieferbedingungen: FCA Kanazawa (Japan). Zahlungsbedingungen 90 Prozent bei Lieferung, 10 Prozent bei Abnahme. 12 Monate Verjährungsfrist für Mängelhaftung. Im Preis enthalten sind jeweils ein Hilfstoff-/Ersatzteilpaket und eine Level-2-Schulung pro Standort sowie das erweiterte Softwarepaket. Keine Übergabe von Software-Quellcodes. Haftungsbegrenzung auf 5 Mio. € pro Schadensfall, ausgenommen Fälle von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Das Ergebnis ist nachfolgend zusammen mit einer Übersicht über den Verhandlungsverlauf zwischen der WAFAG und ISHIKAWA dargestellt.

8.4  Modellverhandlung: Vorgehen, Ergebnis und Bewertung

Preisgegebene Wants ISHIKAWA: Anzahlung Level-2-Schulung Hilfstoff-/Ersatzteilpaket erweitertes Sowarepaket

Preisgegebene Wants WAFAG: Übernahme Transportkosten Verzicht auf Edelstahlkorpus Verzicht auf Pönalregelung Bestellung mehrerer Geräte

Zeit 9:03

Angewandte Takken ISHIKAWA: sorgfälge Vorbereitung Informaonsbeschaffung über Smalltalk

Angewandte Takken WAFAG: dto.; Überraschungsteilnehmer Chang (Verhandlungstrick „neuer Spieler“) dto.

9:40

„nein“ sagen des Verhandlers Tauschen von Wants

Verweis auf höhere Ebenen Tauschen von Wants

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11:30 Abwarten und Schweigen Preisredukon top-down Kuchen größer machen Visualisierung Angebot über Miag

Versuch der Ankerung Versuch Good Guy – Bad Guy Nutzung Macht als Neukunde taksche Auszeit

13:20 Verhandlungstrick „Flinch“

neues Angebot gemäß festgelegten Konzessionsschrien scheinbare Blockadehaltung Aufforderung, im Headquarter anzurufen

Verhandlung für WAFAG spannend machen geschickte Fragetechnik 15:30 Kuchen weiter vergrößert; top-down Nutzung der Verhandlungsmacht eigene Wants kleingeredet

freundlicheres Aureten Changs Angebot Vieraugengespräch interkultureller Aspekt

16:40 Verhandler gut abgesmmt 4 als Unglückszahl abgelehnt (Kipp-Punkt!) geschicktes Gegenangebot 5,5 Mio. €

6 Anlagen in Aussicht gestellt runder Preis von 5 Mio. € erneute Auszeit

17:25 weiteres Want und Mielpreis angeboten interkultureller Rahmen

vertretbares Ergebnis akzepert, kein weiteres Feilschen

Zielerreichung ISHIKAWA: Angebotspreis: 1.157.890 € (1 Gerät) Zielpreis: 990.000 € (1 Gerät) Walk-out-Preis: 950.000 € (1 Gerät)

Zielerreichung WAFAG: Ankerpreis: 650.000 € Zielpreis: 825.000 € (–25% Nachlass –5% Multool) Walk-out-Preis: 880.000 € (–20% Nachlass –5% Multool)

D. h. auf Basis des Angebotspakets ist keine Verhandlungslösung möglich. Tauschen von Wants: Tauschen von Wants [s. ُ Abschn. 5.3]: Vorteil 102.000 € Vorteil 30.000 € korrigierter Zielpreis: korrigierter Zielpreis: 855.000 € 888.000 € korrigierter Walk-out-Preis: korrigierter Walk-out-Preis: 910.000 € 848.000 € D. h. es liegt eine ZOPA von rechnerisch bis zu 62.000 € Breite vor. Abschluss: Endpreis 875.000 € pro Gerät (6 Geräte, Summe 5,25 Mio. €) Abweichung zum Zielpreis: ISHIKAWA –1,5% (gut), WAFAG + 2,23 % (gut) Analyse: Beide Parteien haben einen Abschluss sicher innerhalb der ZOPA mit leichter Verfehlung des jeweiligen Ziels erreicht.

220

8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

Zur Abrundung der Ergebnisdiskussion soll diese Preisübersicht im Vergleich mit der spieltheoretischen Modellrechnung in Abschn. 5.3 kommentiert werden. Die Nash-Verhandlungslösung in Abschn. 5.3 geht davon aus, dass der reelle Preis des Kaufobjekts eine Million Euro und der Verkaufspreis nach Tauschen der Wants 964.000 Euro beträgt. Tatsächlich werden jedoch im obigen Beispiel nur 875.000 Euro gezahlt. Der Grund ist darin zu finden, dass zwar für die WAFAG vermutlich ein Referenzpreis in der Gegend von 1.000.000 Euro für eine Einzelanlage gegolten hat (von dem aus der Transaktionsnutzen als Differenz zum tatsächlich gezahlten Preis berechnet wird; s. Abschn. 4.5). Allerdings ist die nicht der reelle Preis; der Marktwert des LH-8 scheint etwas niedriger zu sein. Der reelle Preis beträgt bei Kauf einer Anlage etwa 910.000 Euro (Abschätzung über die Mittelwerte von erstem Ziel- und Walk-out-Preis beider Parteien) und entspricht für sechs Anlagen (auf gleicher Berechnungsbasis) letztlich dem vereinbarten Stückpreis von 875.000 Euro.

8.5 Schlussbetrachtung Anton Schmitz, mein Alter Ego, hat es also geschafft, zusammen mit seinem Chef Shinji Hondo ein attraktives Paket mit den WAFAG-Verantwortlichen auszuhandeln, nachdem es vorher in der Verhandlung stellenweise so richtig zur Sache ging und zeitweise deutlich geklemmt hat. Natürlich ist es für einen Vertriebsingenieur nicht immer so spannend wie bei dieser Beschaffung durch einen Neukunden, bei dem er alle Register seines Könnens ziehen kann – in einem Großteil der Arbeitszeit ist es oft doch nur Routinearbeit und das Brotund-Butter-Geschäft, das man zu bearbeiten hat. Und ein Verkäufer kennt seine Bestandskunden besser als Anton Schmitz den Interessenten WAFAG und weiß, wie und mit wem verhandelt wird. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Bestellung wie abgesprochen zwei Wochen später eingetroffen und mit der Auftragsbestätigung ein gültiger Vertrag entstanden ist. Der Kunde hat mit pünktlicher Lieferung der insgesamt sechs Messgeräte die Lösung seines Problems erhalten, und das Geschäft ist für beide Seiten lohnend und wird als fair empfunden. Die in Abschn. 1.3 erläuterten Voraussetzungen für einen gelungenen Abschluss sind damit erfüllt, und man wird in Zukunft sicherlich gerne wieder Geschäfte miteinander machen, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Für den Erfolg sind mehrere Gründe verantwortlich gewesen. Zum einen hat Anton Schmitz sich ausgezeichnet vorbereitet und auch während der Verhandlung keine offensichtlichen Fehler gemacht – Umstände, die in realen Verhandlungen leider nicht immer vorliegen. Weiterhin bietet der Lieferant ein gutes Produkt

8.5 Schlussbetrachtung

221

an, das der Kunde haben will: Die Verhandlungsmacht von ISHIKAWA war also gar nicht so schlecht. Und drittens wurde sauber und fair auf Augenhöhe verhandelt, und unschöne Verhandlungstricks sind außen vor geblieben, sieht man einmal von den üblichen Kleinigkeiten ab. Der in mehreren Etappen geschilderte Verhandlungsfall besteht aus unterschiedlichen realen Versatzstücken und könnte sich so auch im echten Leben abspielen. Was bleibt als Resümee? Kunden kaufen keine Produkte, sondern Problemlösungen. Und: Ein Verhandlungsergebnis ist dann gut, wenn es von beiden Seiten als fair empfunden wird. Ein dritter wichtiger Hinweis ist ebenfalls nahe liegend: Auch ein Anlagenlieferant muss Geld verdienen, um am Markt bestehen zu können. Und das kann er nur, indem er die qualitativ hochwertigen, nicht austauschbaren Produkte, die der Kunde benötigt, zu angemessenen Preisen anbietet. Für Produktideen und Anlagenkonstruktionen werden Sie nur bedingt bezahlt, aber für die Vorbereitung und Verhandlung rechtssicherer Verträge mit für Ihr Unternehmen gewinnbringenden Konditionen sind Sie als Vertriebsingenieur der Hauptverantwortliche. Dazu habe ich Ihnen einige notwendige Werkzeuge mit auf den Weg gegeben. Die Kapitel dieses Buches spannen einen Bogen vom Dialog Verkäufer – Einkäufer und den im Hintergrund stehenden höheren Ebenen über Auftreten und Körpersprache bis zu Verhandlungen auf internationalem Parkett, von der Psychologie und Verhaltensökonomik bis hin zur Spieltheorie. Alles ist von Bedeutung für einen guten Verhandler, doch eine solide Vorbereitung ist am allerwichtigsten. Der Strukturierung des Inhaltes ist geschuldet, dass bestimmte Themen an verschiedenen Stellen in diesem Band und in meinem Buch Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb (Wenski 2019) aufgegriffen werden. So tauchen die genannten höheren Ebenen im Kontext der grundlegenden Verhandlungstipps ebenso auf wie bei der Analyse von Verhandlungen unter Beteiligung der Öffentlichkeit, bei globalen Organisationen, der Körpersprache, internationalen Verhandlungen und im Tipp, die höheren Ebenen möglichst nicht an der ersten Verhandlungsrunde teilnehmen zu lassen. Angebote werden in Zusammenhang mit der Vorbereitung, der Verhaltensökonomik und den juristisch relevanten Dokumenten für einen Vertrag behandelt. Irrational erscheint uns das Gegenüber meist dann, wenn wir seine Motive nicht verstehen; Irrationalität aufgrund unterschiedlichster kognitiver Fehlleistungen führt jedoch auch regelmäßig dazu, dass der Mensch falsche Entscheidungen trifft – und dies mündet in unnötig schlechten Verhandlungsabschlüssen. Eine noch breitere Aufmerksamkeit ist dem harten Verhandeln zuteil geworden, das sich als eine Alternative zum Harvard-Stil wie ein roter Faden durch zahlreiche Kapitel zieht und als hartnäckiges, jedoch keinesfalls rüdes und unsauberes Verhandeln nach Old-School-Manier verstanden

222

8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

werden darf: freundlich-souverän im Stil („nett zu den Menschen“), aber hart in der Sache. Das Eisberg-Modell schließlich wird zur Erläuterung der Fragetechnik, verborgener Motive und von interkulturellen Aspekten herangezogen und lässt sich generell auf die Motivanalyse im Rahmen einer Verhandlung anwenden. Um ein höheres Ordnungsmuster der ausgewählten Schwerpunkte und damit der dem Vertriebsingenieur im Feld zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu erkennen, sollten wir uns vor Augen führen, was Theorie und was Praxis ist. Der theoretische Hintergrund der Betrachtungen wird zweifellos von der Spieltheorie dominiert: Der Homo oeconomicus hat für jede Verhandlungssituation die korrekte Lösung parat und handelt zu seinem individuellen Vorteil und/oder zum kollektiven Wohl beider Parteien. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Gemäß neuerer Erkenntnisse aus Psychologie und Verhaltensökonomik trifft dieser Zahlenmeister auf den durch Heuristiken und Schnellschüsse getriebenen evolutionsgeschichtlichen Überlebenskünstler, der ständig intuitive Fehler macht, weil ihm die Natur dieses Verhalten so mitgegeben hat. Beides bildet die Lebenswirklichkeit nur bedingt ab, da in einer Verhandlung sowohl der Verstand als auch das Gefühl bemüht werden, und die Realität spielt sich meist irgendwo zwischen den beiden Antipoden ab. In diesem Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis, zwischen Spieltheorie und Verhaltensökonomik findet das verhandlungstechnische Leben des Vertriebsingenieurs statt. Mal muss er rational und dann wieder emotional agieren, mal intuitiv und dann wieder bewusst kontra-intuitiv. Das Ergebnis lässt sich aufgrund der Rahmenbedingungen, vor allem der vorliegenden Verhandlungsmacht, jedoch nie im Detail vorhersagen. Stolperfallen lauern auf beiden Seiten des Tisches zur Genüge. Schlimmstenfalls ist einer der Verhandler irrational und blockiert eine Einigung, oder er hat einen Blackout und geht eine für seine Seite sehr nachteilige und schädliche Vereinbarung ein; daher sollten wichtige Verhandlungen nie alleine geführt werden. Kognitive Fehlleistungen, auch solche, die nicht ganz die Bezeichnung Blackout verdienen, lassen sich so minimieren, und zur Not wird während einer Auszeit der Fokus gemeinsam neu gesetzt. Die zahlreichen Tipps und Regeln zum zielgerichteten Verhandeln von industriellen Großanlagen bilden zusammen mit den Informationen zu Vertragsrecht (s. Wenski 2019), Verhandeln in anderen Kulturkreisen, Kommunikation und Protagonisten das Werkzeug des Vertriebsingenieurs, dessen er sich auf der beschriebenen Spielwiese bedienen kann. Zwar lässt sich bei Weitem nicht jede Eventualität vorhersagen und abbilden, jedoch ist er damit gut gerüstet, eine wertschöpfende Balance zwischen spieltheoretischen und verhaltensökonomischen Zwängen zu schaffen.

8.5 Schlussbetrachtung

223

Eine gelungene Theorie-Praxis-Kombination bietet zweifellos das mehrfach erwähnte Harvard-Konzept. Sie haben daneben sicher schon einmal den Begriff Theorie-Praxis-Konflikt gehört, der die Diskrepanz zwischen Idee und Umsetzung beschreibt. Dabei entstehen zunächst die Intuitionen und Faustregeln der Praktiker, und erst daraus folgen Theorien. Wer das Verhältnis von Theorie und Praxis verstehen und praktischen Nutzen daraus ziehen will, muss sich zuerst von populären Denkschablonen lösen (Berner 2017) – das Harvard-Konzept ist dafür ein Modellfall. Mit Blick auf die hier behandelten Themen könnten weitere überholte Paradigmen sein, dass eine sorgfältige Vorbereitung mit präziser Zielsetzung für einen erfahrenen Verhandler verzichtbar ist, dass eine Verhandlung mit Blick auf das Ergebnis rein rational und nicht emotional verläuft oder dass eine symmetrische Informationsverteilung vorliegt. Oder aber, dass Old-School-Einkäufer durch ihre schonungslose Konsequenz im Vorgehen die bestmöglichen Ergebnisse erzielen und heute nicht etwa einen Anachronismus darstellen. Wer sich darüber hinaus auf fremde Kulturen auch verhandlungstaktisch einstellt und Verträge gerichtsfest formuliert, verhindert so vielfach bereits im Vorfeld unliebsame Überraschungen und den späteren Ernstfall vor Gericht. Zusätzlich ist zu betonen, dass Menschen und keine Roboter am Verhandlungstisch sitzen und die Spieltheorie zwar zum Verständnis der Situation beiträgt, sie jedoch bei Weitem nicht immer einer Lösung zuführt. Der Einwand, ein Vorschlag sei in der Theorie vielleicht richtig, würde aber in der Praxis leider nicht funktionieren, ist eine der beliebtesten Killerphrasen – und dennoch nicht mehr als das Eingeständnis, den eigenen Verstand (Kahnemans System 2) nur äußerst ungern zu gebrauchen. Denn eine Theorie kann sehr wohl falsch sein, doch richtig zu sein und in der Praxis nicht zu funktionieren ist unmöglich. Die Theoriefeindlichkeit vieler Praktiker stellt nicht bloß eine harmlose Marotte dar, sie ist kontraproduktiv und schädlich. Theorien sind für eine erfolgreiche Praxis viel zu wichtig, als dass man zulassen dürfte, sie pauschal vom Tisch zu wischen. Was wäre also eine griffige, brauchbare Theorie, die sich für den Vertrieb von industriellen Großanlagen eignet? Nach dem Gesagten liegt die Lösung auf der Hand: durch eine von beiden Seiten als fair empfundene Einigung – was der nicht-kooperativen Spieltheorie widerspricht – das Problem des Kunden zu lösen – ohne kognitiven Fehlern zu viel Raum zu lassen und die Wirtschaftlichkeit aus dem Auge zu verlieren. Das klingt banal, wird jedoch oft erst das Ergebnis harter Arbeit sein. Insofern bringt dem Leser diese Schlussbetrachtung keineswegs eine neue Erkenntnis, sondern fasst lediglich das zusammen, was bis hierhin ausgeführt und erklärt worden ist. Ihr Job als Vertriebsingenieur kann so einfach und gleichzeitig so kompliziert sein.

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8  Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung

Hiermit schließt sich der Kreis. Nahezu jede Art von Kommunikation kann in weitestem Sinne als eine Art Verhandlung aufgefasst werden, die zumindest das persönliche Punktekonto (s. Abschn. 1.4) betrifft. Eine Besonderheit stellen Verhandlungen mit emotional sehr verbundenen Parteien dar, etwa in der Familie oder im Freundeskreis. Lassen Sie mich mit einem (vor)letzten wichtigen Tipp schließen: 

Wenden Sie professionelles Verhandlungswissen möglichst nicht im Dialog mit Freunden und Verwandten an.

Sie würden mit der konsequenten Anwendung der Regeln für kommerzielle Beschaffungsverhandlungen definitiv deutlich mehr Schaden als Nutzen verursachen. In einer solchen Konstellation sollte man viele der erläuterten Tipps und Regeln besser vergessen. Denn eine sachbezogene Verhandlungsstrategie führt nicht zum Erfolg, da immer mit verdeckten und nonverbalen Motiven und Interessensbekundungen zu rechnen ist. Natürlich sind einzelne Aspekte im persönlichen, privaten Bereich ebenfalls von hoher Bedeutung, beispielsweise faire und nachhaltige Vereinbarungen anzustreben. Aber vieles, was sich um Positionsvorteile dreht, ist schlicht unangebracht in emotional geprägten Beziehungen, in denen 80 Prozent der Kommunikation nicht auf der Sach-, sondern der Meta-Ebene stattfindet. Empathie und Fingerspitzengefühl sind in diesem Umfeld sicherlich die besseren Mittel im Vergleich zu stichhaltigen Argumenten und rationaler Verhandlungsführung. Und vielleicht gelingt es Ihnen, einige dieser positiven Emotionen in Ihre beruflichen Verhandlungen einfließen zu lassen, um nicht immer den hart verhandelnden Homo oeconomicus spielen zu müssen. Beherzigen Sie die Worte der Bühnenfigur Adolf Tegtmeier alias Jürgen von Manger (Manger 1966): Bleibense Mensch!

Literatur Berner W (2017) Theorie und Praxis: Weshalb nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie. Internet-Veröffentlichung 2008 / letzte Aktualisierung 23.07.2017. https://www. umsetzungsberatung.de/lexikon/theorie-praxis.php. Zugegriffen: 17. Mai 2019 Manger Jv (1966) Bleibense Mensch. Träume, Reden und Gerede des Adolf Tegtmeier. Piper, München Wenski G (2019) Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27448-1

9

Praktische Umsetzungshilfen

9.1 Übersicht Verhandlungstipps Kap. 1: Die Situation des Vertriebsingenieurs • Stellen Sie sicher, dass Ihr Kunde sich gut fühlt. • Zeigen Sie hohe Reisebereitschaft, um nah am Kunden zu sein. • Der Weg zur Bestellung führt in der Regel über den Techniker. • Verändern Sie niemals Ihr Angebot, ohne zwischenzeitlich ein Gegenangebot erhalten zu haben. • Lassen Sie nie Zweifel an Ihrer Kompetenz und Autorität aufkommen, und setzen Sie Ihre Persönlichkeit ein. • Akzeptieren Sie die Tatsache, dass Sie sich meist in einer hierarchisch tieferen Stellung befinden als Ihr Kunde. • Ein Vertriebsingenieur muss in der Lage sein, auch mal „nein“ zum Kunden zu sagen, wenn dies technisch oder kommerziell geboten ist – am besten, ohne dieses Wort zu benutzen. • Stil und Eleganz heißt nicht, ins Auge zu fallen, sondern im Gedächtnis zu bleiben. • Der einzelne Mitarbeiter ist für seine persönliche Work-Life-Balance im Wesentlichen selbst verantwortlich. Kap. 2: Ansprechpartner und Kommunikation  • Jeder Tag ohne Kundenkontakt ist ein verlorener Tag. • Stellen Sie sicher, dass die Mittel für eine Anlagenbeschaffung in die Budgetplanung des Kunden aufgenommen werden. • Behandeln Sie alle Einkaufsvertreter gleichermaßen höflich und respektvoll. • Wer zahlt, schafft an. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4_9

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9  Praktische Umsetzungshilfen

• Verbessern Sie vor allem bei schwierigen Kunden das Image Ihres Unternehmens. • E-Mail kann nicht die Funktion eines Telefonats wahrnehmen. • Lassen Sie sich nie vom Kunden zu einer spontanen Telefonverhandlung verleiten. • Stehen Sie bei wichtigen Telefonaten auf. • Drücken Sie sich im Zweifel eher etwas zu gehoben als zu einfach aus. Vermeiden Sie Worthülsen und sprechen Sie nicht im Konjunktiv. • In einer Verhandlung wird nicht diskutiert. Kap. 3: Körpersprache in Verhandlungen • Der erste Eindruck ist nicht wiederholbar und sollte daher möglichst positiv gestaltet werden. • Benehmen Sie sich korrekt und beachten Sie die üblichen Konventionen im geschäftlichen Umgang. • Die innere Haltung entspricht der äußeren Haltung. • Lassen Sie Ihren Verhandlungspartner niemals merken, dass Sie ihn beobachten. • Achten Sie bei Sprache und Körpersprache Ihres Gegenübers auf Kongruenz. • Der Körper zeigt, wohin der Wille gehen möchte. • Lassen Sie sich den Zugang zum Flipchart oder Whiteboard durch die Sitzordnung nicht abschneiden und benutzen Sie nur einwandfrei funktionierende Filzstifte. • Ein kompetenter Verkäufer überzeugt den Kunden mittels Framing davon, dass seine Produkte etwas Besonderes sind und sich der direkten Vergleichbarkeit mit dem Wettbewerb entziehen. • Ein guter Redner informiert nicht nur, er versteht es, sein Publikum zu überzeugen. • Reden Sie nicht, vor allem nicht negativ, über Konkurrenzunternehmen und deren Produkte. Kap. 4: Ein Ausflug in die Verhaltensökonomik • Gehen Sie immer ausgeruht und konzentriert in eine Verhandlung. • Überprüfen Sie Ihr Bauchgefühl unbedingt mit dem Verstand und mit harten Fakten. • Machen Sie verständliche und präzise Angebote und Präsentationen in grafisch einwandfreier Aufmachung. • Bieten Sie Ihre Anlage zu einem authentisch wirkenden Preis an, der sich aus Einzelpreisen zusammensetzt und einen ausreichend hohen Markup enthält.

9.1  Übersicht Verhandlungstipps

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• Lassen Sie sich nicht von Ankern beeinflussen und nutzen Sie selbst bei Ihrem ersten Angebot das Prinzip der Ankerung. • Wiederholen Sie niemals ein niedriges Preisangebot des Kunden, denn Verluste werden subjektiv ungefähr doppelt so stark wahrgenommen wie Gewinne. • Fördern Sie den Verkauf rentabler Produkte, und geben Sie Verlustbringer auf. • Vermeiden Sie Planungsfehlschlüsse und Selbstüberschätzung. • Überprüfen Sie alle Informationen Ihrer Gesprächspartner auf Plausibilität. Kap. 5: Spieltheorie in Verhandlungen • Der Kompromiss ist kein positiv konnotierter Begriff, sondern nach einer WinWin-Lösung nur das zweitbeste Ergebnis. • Bei distributiven Verhandlungen mit vollständiger Information entscheidet die Spieltheorie; bei integrativen Verhandlungen mit unvollständiger Information spielt die Psychologie eine entscheidende Rolle. • Bei einem Preiskampf der Anbieter in Märkten mit Überkapazität stellt sich die kollektiv schlechteste aller möglichen Lösungen ein. • Selbst in offensichtlichen Situationen spielen psychologische und emotionale Komponenten eine nicht zu vernachlässigende Rolle dabei, dass vielfach nicht für beide Seiten optimale Verhandlungsergebnisse erzielt werden. • Die Abschätzung des individuellen Wertes von Verhandlungsobjekten ist für das Erarbeiten einer Verhandlungslösung wertvoll, stellt jedoch nur einen qualitativen oder bestenfalls halbquantitativen Ansatz dar. • Der Nash-Punkt auf dem effizienten Rand des Verhandlungsbereiches ist nicht die beste Verhandlungslösung, falls der Austausch von Geld zu Kompensationszwecken möglich ist. • Verhandlungspartner denken nicht immer hochrational, sondern werden von psychologisch bedingten Einflüssen geleitet. Kap. 6: Interkulturelle Verhandlungen • Vermeiden Sie Stereotype und selbstverständlich Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit). • Die Unterschiede im Verhalten von einzelnen Vertretern innerhalb einer bestimmten Kultur können mindestens ebenso groß sein wie die Verhaltensunterschiede zwischen Kulturen. • Beachten Sie die interkulturelle 3P-Regel: Politeness – Patience – Personal Relationship. • Man redet beim Smalltalk möglichst nicht über Politik, Religion und Details aus dem Privatleben.

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9  Praktische Umsetzungshilfen

• Falls eine Asymmetrie im gegenseitigen Verständnis herrscht, sollte auf die weniger informierte Partei eingegangen werden. • Den typischen Asiaten gibt es nicht. • In Asien werden die Verhandlungsobjekte meist nicht nacheinander abgehandelt, sondern in holistischer Weise als Gesamtpaket. • Denken Sie nicht, Sie hätten einen Asiaten verstanden, sondern akzeptieren Sie die Unterschiede. • Setzen Sie in Asien nie Termine zu eng, da Abstimmungen deutlicher länger als bei uns dauern. Kap. 7: Ein Blick auf einzelne Nationen • Für den europäischen und vor allem den deutschen Verhandler gibt es im Dialog mit US-Amerikanern bei Weitem nicht so viel zu beachten wie im Umgang mit fernöstlichen Kulturen. • Im Wirtschaftsleben gelten in Israel weitgehend westliche Normen. • Für den westlichen Verhandler, der mit Singapurern zu tun hat, ist zu beobachten, dass diese teils recht fordernd und nachdrücklich auftreten, wenn es um ihre Interessen geht. • Japan nimmt im interkulturellen Kontext eine Sonderstellung ein. • Japaner sind in der Konsequenz ebenso wie wir im Westen dennoch knallharte Geschäftsleute und Verhandler, die ihre Ziele durchsetzen wollen. Allerdings auf einem sehr hohen kulturellen Niveau. • Vertrauen Sie in Verhandlungen mit Chinesen Ihrem Gespür. • Vertrauen Sie allerdings nicht Ihren Englischkenntnissen und denen der Chinesen – organisieren Sie unbedingt einen Ihnen gegenüber loyal eingestellten Dolmetscher. Kap. 8: Das wirkliche Leben: eine Musterverhandlung • Lassen Sie sich vom ISHIKAWA-Verhandlungsszenario inspirieren. • Wenden Sie professionelles Verhandlungswissen nicht im Dialog mit Freunden und Verwandten an.

9.2 Verhandlungsfall „Polieranlage“ An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein Seminarbeispiel aus der Halbleiterindustrie vorstellen, das die praktische Anwendung der im Text erklärten Hintergründe erläutert und sich genauso in der Realität abgespielt haben könnte. Es

9.2  Verhandlungsfall „Polieranlage“

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u­ nterstreicht vor allem die in Kap. 4 vorgestellten Erkenntnisse zu Ankerung, Priming und Verlustaversion. Das Beispiel soll als Muster für eine Verhandlungsübung dienen, die Sie mit Ihren Kollegen bzw. in Ihrer Abteilung selbst organisieren und durchführen können. Fall Sie keine Polieranlagen (ver)kaufen wollen, ersetzen Sie das Produkt durch andere Maschinen und Anlagen und adaptieren Sie die Rahmenbedingungen nach Ihren Vorstellungen. Bereiten Sie die „Verhandlung“ sorgfältig vor und spielen Sie sie anschließend mit dem notwendigen Ernst durch. Werten Sie die Ergebnisse gemeinsam aus, und geben Sie sich gegenseitig konstruktives Feedback. Ziehen Sie letztlich daraus – und vor allem aus den dabei gemachten, meist sehr wertvollen Fehlern – Lehren für zukünftige „echte“ Verhandlungen. Das etwas verkürzt wiedergegebene Szenario lautet so: Beispiel

(POLISH), ein führender deutscher Hersteller von Polier- und Läppmaschinen zur mechanischen und chemisch-mechanischen Oberflächenbearbeitung von Werkstücken, liefert seine Systeme weltweit unter anderem in die Halbleiterund Fotovoltaikindustrie. Das Geschäft läuft gut, und die Auftragsbücher in diesem Jahr sind geradezu übervoll. [GER–IC] ist ein deutsches Halbleiterunternehmen mit Produktionsstandorten im In- und Ausland, das integrierte Schaltkreise herstellt und wiederholt Polieranlagen auch von (POLISH) erworben hat. Durch die hohe Nachfrage nach Bauelementen besonders für den Automotive- und Energiesektor haben sich Umsatz und Erlös erfreulich entwickelt. Grund genug für [GER–IC], über Kapazitätsausbauten nachzudenken. In diesem Zusammenhang wird (POLISH) um ein Staffelangebot für bis zu sechs Polieranlagen des beim Kunden bereits qualifizierten, verbesserten Typs CMP3 gebeten. [GER–IC] hat seit vielen Jahren den älteren Typ CMP1 im Gebrauch, der knapp eine Million Euro gekostet hatte und nicht mehr angeboten wird. 2015 erwarb man mehrere CMP2-Polieranlagen zum Stückpreis von 1.995.000 Euro – der Angebotspreis betrug damals 2,1 Millionen Euro. Die CMP3-Testanlage hat verhandelt 3,15 Millionen Euro gekostet; das erste Angebot lautete auf 3,35 Millionen Euro. Liefertermine, weitere Verhandlungsobjekte und Vertragsdetails sind für die Vorbereitung der Verhandlung und das folgende Rollenspiel von Bedeutung, sollen jedoch an dieser Stelle nicht interessieren. Insbesondere für den Lieferanten (POLISH) geht es primär um zwei Dinge: Wie viele Anlagen kauft

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9  Praktische Umsetzungshilfen

[GER–IC], und zu welchem Stückpreis? Zum Verlauf der Verhandlungsübung können Sie hier einige Bemerkungen lesen. (1) Seitens des Lieferanten liegt in der Systematik der Anlagenbezeichnung bereits ein – gewollter oder ungewollter – Versuch der Ankerung: Ein CMP1-Polisher kostet rund eine Million Euro, ein CMP2 zwei und ein CMP3 drei Millionen. Durch die bewusste Verknüpfung von Produktbezeichnungen mit Preisen lässt sich so möglicherweise eine willkürliche Kohärenz (s. Abschn. 4.4), der bereits erwähnte Urteilssprung, erzeugen. Allerdings habe ich das Einkäuferteam im Rollenspiel angehalten, mit dickem rotem Filzstift auf das Flipchart 2 Mio. € zu schreiben und zu sagen: „Das ist der Preis, den wir für eine CMP3 in Zukunft bezahlen wollen.“ Zwei Millionen Euro ist zwar ein recht aggressiver Anker, wenn über drei Millionen gefordert werden, jedoch – vor allem in einer solchen Spielsituation – durchaus zulässig. (2) Über die Festlegung der Preisstaffel für CMP3-Anlagen muss der Lieferant gut nachdenken. Aus den Geschäften der Vergangenheit ist der Kunde auf 5–6 Prozent Nachlass geprimt und will diesmal sicherlich einen etwas höheren Rabatt erreichen. Gleichzeitig soll der verhandelte Endpreis mittelfristig nicht signifikant unter drei Millionen Euro fallen, denn spätere Preissteigerungen sind im Halbleitermarkt für dieselbe Ausführung eines Systems nahezu ausgeschlossen. Da das Testequipment für 3,15 Millionen Euro verkauft wurde, liegt der aktuelle Zielpreis des Lieferanten sicherlich darunter. Seinen Walk-out-Preis sehe ich – je nach Anzahl der bestellten Polisher – bei 2,95 bis 2,99 Millionen Euro. Unter Berücksichtigung der Vorgabe, weder zu glatte noch zu krumme Preise zu wählen, würde ich eine Anlage wie beim Testsystem für 3,35, drei Anlagen für 3,25 und sechs und mehr Anlagen für 3,19 Millionen Euro Stückpreis anbieten, wobei ein Teil der jeweiligen Kosten eventuell auf Unterposten aufgeteilt werden sollte. (3) Das Lieferantenteam hatte die Aufgabe, das schriftliche Angebot zu Beginn der Verhandlung vorzulegen, das im Rahmen der Vorbereitung erarbeitet wurde. Weil diese Art der Übung zum Standard-Repertoire gehört, konnte ich schon die verschiedensten Qualitäten von Angeboten der Teilnehmer sehen: von professionellen Ausdrucken mit Logo über mehr oder weniger sorgfältig handgeschriebene Dokumente bis hin zu lediglich mündlichen Angeboten. Kleine Tricks sind nicht vorbildlich, aber in Verhandlungsübungen häufig sehr lehrreich. Einer meiner Tricks hat darin bestanden, den Lieferantenvertretern fast leere Filzstifte unterzuschieben. Mit denen mühten sie sich – einigermaßen kraft- und somit auch erfolglos –, ihr Angebot zu erläutern (die Masche wurde in Abschn. 3.5 bereits angesprochen). In einer solchen

9.2  Verhandlungsfall „Polieranlage“

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­ tresssituation (Rollenspiel oder echte Verhandlung) fällt so etwas ebenso wie S die Blockierung des Raumes vor der Tafel meist gar nicht bewusst auf und wird den „Opfern“ erst bei der Feedbackrunde klar. In einem Fall waren die Vertriebsingenieure bei einer mehrteiligen Verhandlung allerdings so clever, in einer Verhandlungspause die Stifte hinter meinem Rücken auszutauschen und so die Vorzeichen umzukehren. (4) Während der Durchführung einer solchen Musterverhandlung in ein oder zwei Runden geht es oft sehr lebhaft zu und über eine längere Zeitdauer hin und her, und ich habe bisher kaum eine Schulungsgruppe gehabt, die sich nicht vom Reiz des Spiels hat mitreißen lassen und vom Szenario völlig gefesselt war. Für Vertriebsingenieure ist dabei zu beachten, dass sie nie das Preisangebot des Kunden wiederholen und selbst in den Mund nehmen (bottom-up) – damit wäre dessen Ankerung nämlich gelungen. Gehen Sie immer von Ihrem Preisangebot aus und arbeiten Sie mit Ihren Konzessionen top-down, also von höheren zu tieferen Zahlen hin. In Abschn. 4.5 ist die Verlustaversion als psychologischer Hintergrund dafür näher erläutert. Bei einem Bottom-up-Ansatz würden Sie unweigerlich den Ankerpreis des Kunden für sich als Basis akzeptieren und stünden mit Ihrer Argumentation auf verlorenem Posten. In der Verhandlung des CMP3-Polisher sollte versucht werden, den Referenzpunkt beim ursprünglichen Angebot für die Testanlage (3,35 Millionen Euro) zu setzen und alle Zugeständnisse – einschließlich des Preisnachlasses für die Bestellung mehrerer Anlagen – auf diese Marke zu beziehen.

Glossar

7-38-55-Regel  Nach Mehrabian hat das, was in einem Dialog gesagt wird, gerade einmal sieben Prozent Anteil an der Gesamtwirkung; 38 Prozent werden über die Stimmführung und gar 55 Prozent über nonverbale Signale, also Mimik und Gestik, vermittelt. Dies ist entscheidend für die Beurteilung und Steuerung von Kommunikation auch in → Verhandlungen. → Körpersprache in Verhandlungen. Abschluss, gelungener Für einen gelungenen Abschluss insbesondere im Anlagenverkauf, in dessen Folge die Partner auch weiterhin gerne Geschäfte miteinander machen wollen, sind vor allem zwei Dinge wichtig: Das Problem des Kunden wird damit gelöst, und beide Seiten betrachten die Vereinbarung als fair. Außerdem sollte das Geschäft für alle Beteiligten lohnend sein und einen Mehrwert darstellen.

Ankerung  Phänomen in → Verhandlungen, das durch den Ankereffekt (engl. Anchoring Effect) bewirkt wird, 1974 von Tversky und Kahneman erstmals quantitativ untersucht und beschrieben. Begriff aus der → kognitiven Psychologie, der die Tatsache bezeichnet, dass Menschen bei bewusst gewählten Zahlenwerten von momentan vorhandenen (auch irrelevanten) Umgebungsinformationen beeinflusst werden mit der Folge einer systematischen Verzerrung in Richtung des Ankers. Anlage  (engl. Capital Equipment) Hier erklärungsbedürftiges technisches Investitionsgut primär für den industriellen Anwendungsbereich, z. B. Produktionsanlage, Groß- und Messgerät, Werkzeugmaschine, Versorgungseinrichtung, Chemie- und Elektroanlage oder Spezialfahrzeug, das durch eine Spezifikation oder ein Pflichtenheft präzise beschrieben ist und nach deutschen Recht meist über einen Werkvertrag gekauft wird. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Wenski, Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27450-4

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Glossar

Asymmetrische Informationsverteilung Ungleiche Verteilung der Kenntnisse beider Verhandlungsparteien über Basis und Hintergründe eines geplanten Geschäfts. Folge der Prinzipal-Agent-Problematik; bedingt, dass der Harvard-Ansatz [→ Verhandlungsstil, Harvard-] nur bedingt anwendbar ist und dass freie Märkte behindert werden. Im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie beschreiben Agenturkosten die Differenz der Kosten einer idealen Lösung (vollkommene Information) zur realen Lösung. Beraterverkauf  Aufgabengebiet des → Vertriebsingenieurs, der erklärungsbedürftige Produkte verkauft, und abzugrenzen ist vom typischen Verkaufsgespräch (engl. Pitch). Es liegt gleichzeitig eine hohe Kundenund → Abschlussorientierung vor. Ziel sollte nicht nur sein, dem Kunden maßgeschneiderte Lösungen für seine Probleme anzubieten [→ Verhandlungsstil, Harvard-], sondern auch, deren Einzigartigkeit herauszustellen. Brinkmanship (w)  Treffend übersetzt mit „Spiel mit dem Feuer“ oder „Politik am Rande des Abgrunds“. Unsauberer und riskanter → Verhandlungstrick: Der Verhandler geht mit seinem Widersacher zur Klärung einer Streitfrage sinnbildlich bis an den Rand einer Felsklippe (Brink), wodurch der andere zum Nachgeben gebracht werden soll, bevor am Ende beide in den Abgrund fallen. Champion  „Vertrauensmann“ in der Organisation des Kunden, auch als Coach bezeichnet. Kann aus verschiedenen Funktionen kommen. Liefert dem → Vertriebsingenieur und erhält von diesem erweiterte Informationen und genießt dessen Vertrauen. Coach  → Champion.

Compliance  Im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang das englischsprachige Wort für „Regeltreue“ und in der Fachsprache der Begriff für die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien in Organisationen, aber auch von freiwilligen Kodizes. Einkäufer  Hier Mitarbeiter des (meist strategischen) Einkaufs, der als Dienstleister für die internen Auftraggeber beim Kunden die Vergabe → verhandlung leitet und den gesamten Beschaffungsprozess von der Angebotsanforderung bis zur Erfüllung der letzten Verpflichtung durch den Lieferanten steuert.

Glossar

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Eisbergmodell  Psychologisches Modell, das zu den wesentlichen Säulen der Theorie zur zwischenmenschlichen Kommunikation gehört und auch bei interkulturellen Aspekten eine große Rolle spielt: Was ist sichtbar, was spielt sich unter der Oberfläche ab? Metapher von Ernest Hemingway als Beschreibung seines literarischen Stils. Leistet gute Dienste bei der Erklärung vielfältiger Beobachtungen, die auch dem Verhandler helfen können. Entscheidungsträger  (auch Entscheider) Derjenige in der Kundenorganisation, der über das Budget verfügt und letztlich die Entscheidung über die Beschaffung fällt. Kann aus verschiedenen Funktionen kommen, z. B. Anlageningenieur, interner Kunde oder Unternehmensleitung; selten im Einkauf beheimatet. Feedback  Qualifizierte Rückmeldung zum Verhalten, hier zum Vorgehen eines Verhandlers während seiner Tätigkeit durch einen Dritten, entweder durch Kollegen oder Vorgesetzte in einer echten → Verhandlung oder von Beobachtern in einem Rollenspiel. Notwendig zur Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen, um blinde Flecken im Selbstbild zu eliminieren. Flinch  → Verhandlungstrick des „Zusammenzuckens“, um Schuldgefühle beim Gegenüber hervorzurufen. Verbale oder nonverbale Reaktion auf eine Aussage, insbesondere die Nennung eines Preises (Seufzen, leises Stöhnen, Augenverdrehen, Kopfschütteln …). Dabei soll eine gezielt durchgeführte Aktion als unbewusster Reflex „verkauft“ werden. Framing  (deutsch: „Einrahmen“, auch „Einordnung“; verwandter Begriff: Narrativ) Darstellung eines Themas aus einer bestimmten Perspektive mittels sprachlicher Bilder. Der Framing-Effekt („Präsentationseffekt“) kann dazu führen, dass abweichende Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich und nicht-rational beeinflussen. Wird gerne zur emotionalen Belegung des → Verhandlungsgegenstandes genutzt. Good Guy – Bad Guy (auch Good Cop – Bad Cop) Unsauberer → Verhandlungstrick, der sich auf eine abgesteckte Rollenverteilung bei der Argumentation bezieht, durch die psychologischer Druck auf die Gegenseite erzeugt werden soll. Ein Verhandler spielt den Guten, der andere den Bösen, der ohne Bedenken übertreiben kann, da der Gute ihn jederzeit zu „retten“ vermag.

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Glossar

Halo-Effekt  Kognitive Verzerrung, bei der ein besonderes Merkmal oder eine besondere Fähigkeit andere Merkmale überstrahlt. Phänomen, das unter anderem bei Personeneinschätzungen zu falschen Ergebnissen führen kann. Heuristik  Analytisches Vorgehen, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit über Daumenregeln, mentale Abkürzungen und ein System mit Hilfe mutmaßender Schlussfolgerungen dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen, die meist von der optimalen Lösung abweichen. Höhere Ebene In Verhandlungen Entscheider, der nicht mit am Tisch sitzt; vielmehr soll durch Verweis auf seine Entscheidungsgewalt durch die aktiven Verhandler zusätzliche → Verhandlungsmacht erzeugt werden. Geeignete Funktionen sind Vorgesetzte, Top-Management, Rechts- und sonstige Fachabteilungen, die Zentrale usw. Diese stellen eine Art „Öffentlichkeit“ dar, welche die Verhandlung aus der Ferne beobachtet und bewertet. Homo oeconomicus  Rationaler Agent; in der Wirtschaftswissenschaft und → Spieltheorie das theoretische Modell eines Nutzenmaximierers. Intuition  Fähigkeit, sich ohne bewussten Gebrauch des Verstandes ein Urteil über Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die → Kongruenz von Entscheidungen zu bilden und automatische Schlussfolgerungen zu ziehen. Verwandte Bezeichnungen sind Bauchgefühl, innere Stimme, → Heuristik und erster Eindruck. Key Account Management (KAM)  Im Rahmen des strategischen Kundenmanagements unternehmensweiter Ansatz zur Betreuung von Schlüsselkunden (Key Customers oder Key Accounts), die dadurch in allen Belangen den Vorzug genießen. Ziel ist der Erhalt und die Ausweitung von Geschäften in bestimmten beratungsintensiven Segmenten. Kipp-Punkt  Zeitpunkt, an dem meist als Folge einer unerwarteten Aktion klar wird, dass der Ausgang der → Verhandlung so gut wie entschieden ist. Kognitive Leichtigkeit Phänomen aus der → Verhaltensökonomik. Das Gehirn entscheidet ständig neu, ob alles gut läuft oder ob die Aufmerksamkeit – wegen einer Änderung oder gar Bedrohung – neu ausgerichtet werden muss. Bekanntes, Gewohntes, Klares oder durch → Priming Ver → ankertes wird am ehesten als wahr und authentisch akzeptiert, denn → System 2 greift nicht korrigierend ein.

Glossar

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Kognitive Psychologie Auch Kognitionspsychologie genannt. Teilgebiet der Psychologie, das sich auf die Untersuchung der menschlichen Informationsverarbeitung konzentriert – z. B. auf die Bereiche Lernen, Gedächtnis, Wahrnehmung und Problemlösen. Die → Verhaltensökonomik erklärt und nutzt unter anderem dort identifizierte kognitive Irrtümer. Kompromiss  Verhandlungslösung unter meist hälftiger Aufteilung des Kuchens. Nicht die optimale Lösung, da sie zusätzliche Tauschgewinne vernachlässigt. Liegt grafisch betrachtet auf der geraden Verbindung zwischen hohem Kunden-/niedrigem Lieferantenziel und umgekehrt. Kongruenz  Alle Elemente der → Körpersprache passen zusammen und unterstützen das Gesagte. Das Gegenteil lautet Inkongruenz: Menschen haben eine Antenne dafür, wenn etwas nicht zu stimmen scheint. Kontrast-Effekt  Kognitive Verzerrung, die zu einer intensiveren Wahrnehmung einer Information führt, welche zusammen mit einer im Kontrast stehenden Information präsentiert wird. Phänomen, das sowohl bei Personeneinschätzungen als auch bei Sachentscheidungen zu falschen Ergebnissen führen kann. Körpersprache in Verhandlungen  Vielfach unbewusste Mimik und Gestik der eigenen Person und auch des Gegenübers, die entscheidend zur Kommunikation beiträgt und aus Einzelelementen besteht, die sich teilweise leicht beeinflussen bzw. erkennen lassen, um Vorteile daraus zu ziehen. Markup  In einem kommerziellen Angebot die Differenz zwischen den Herstellkosten des Lieferanten plus notwendiger Minimalmarge und dem Angebotspreis als Grundlage der → Verhandlung mit dem Interessenten. Nash-Gleichgewicht  Meistbenutztes Lösungskonzept der Spieltheorie. Stabile Situation, in der kein Spieler seine Strategiewahl bereut. Die Strategien der Spieler sind wechselseitig beste Antworten, jedoch nicht immer das kollektiv beste Ergebnis. Nash-Verhandlungslösung  (engl. Nash Bargaining Solution) Im Rahmen eines Tauschhandels mit mehreren  → Verhandlungsobjekten auf beiden Seiten die Lösung, welche die Interessen beider Parteien am besten befriedigt (grafische Darstellung im Nash-Punkt). Need  Forderung, die in einer → Verhandlung unbedingt realisiert werden muss; unverzichtbares → Verhandlungsobjekt.

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Glossar

Neue Erwartungstheorie (engl. Prospect Theory) 1979 von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky auf Basis empirischer Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten in Lotterien als eine realistischere Alternative zur Erwartungsnutzentheorie vorgestellte Theorie für Entscheidungen in Situationen mit Risiko. Besagt, dass Individuen bei positiven Ereignissen weniger risikofreudig und bei negativen risikofreudiger entscheiden. Heute wesentlicher Bestandteil der → Verhaltensökonomik. Neuer Spieler → Verhandlungstrick des überraschenden Einführens einer neuen Person in eine Verhandlung. Dabei sitzt der Vertriebsingenieur meist einem neuen Einkäufer gegenüber, der z. B. angeblich keine Kenntnis von den Zugeständnissen hat, die von seinem Kollegen zuvor bereits gegeben wurden. Der Lieferant jedoch wird auf seine Zusagen festgenagelt. Nikolaus-Effekt  Kognitive Verzerrung durch den Effekt, dass die zeitlich letzten Eindrücke besser haften bleiben und z. B. bei der Beurteilung von Leistungen mehr zählen. Nudge  (deutsch etwa „leichter Stupser hin zu etwas“) Nach Richard Thaler Methode, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, ohne auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize verändern zu müssen. Begriff der → Verhaltensökonomik. Old School Alte bzw. veraltete Lehrmeinung. Hier sind vor allem → Einkäufer gemeint, die mit übermäßig hartem Verhandeln, Druck auf den Lieferanten und teilweise auch schlechtem Benehmen meist vergebens schnelle Verhandlungserfolge suchen. Pareto-Prinzip  (auch „80-zu-20-Regel“) Besagt, dass sich viele Aufgaben mit einem Mitteleinsatz von etwa 20 Prozent erledigen lassen, sodass 80 Prozent aller Probleme gelöst werden. Die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse benötigen 80 Prozent der Gesamtzeit und verursachen die meiste Arbeit. Für das Zeitmanagement auch im Rahmen der Verhandlungsplanung und -koordinierung wichtig. Priming  (deutsch „Bahnung“) In der Psychologie die Vorbereitung und Konditionierung, in eine bestimmte Richtung zu denken und zu handeln, die Menschen in der Regel nicht bewusst wahrnehmen, z. B. durch Körpersprache, Schlüsselwörter oder → Framing. Man unterscheidet positives und negatives Priming.

Glossar

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Referenzpunkt  Reales oder fiktives Ausgangsniveau oder Wert, von dem aus Gewinne oder Verluste berechnet werden. Kann z. B. durch → Ankerung subjektiv beeinflusst werden. Resilienz  Psychische Widerstandsfähigkeit; Gegenteil von Verwundbarkeit. Die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Wichtige und nützliche Eigenschaft eines → Vertriebsingenieurs.

Savings  Maßzahl in Geldwert für die Summe aller Zugeständnisse der Lieferantenseite in einer → Verhandlung, also Nachlässe, kostenfreie Zugaben, zusätzliche Leistungen etc. Interne Unternehmenskennzahl, welche die Leistung des → Einkäufers in → Verhandlungen ausdrücken soll. Selbstmanagement  Sinnvoller Umgang mit den Ressourcen, die einem die Natur mitgegeben hat, sodass man das Beste aus seinen Möglichkeiten macht und den Dingen positiv gegenübersteht. Synonyme Bezeichnungen: Persönlichkeitsmanagement; Führung der eigenen Person. Zeitmanagement betrifft nur einen Teilaspekt davon. Spieltheorie  Teilgebiet der Mathematik, das Entscheidungssituationen modelliert, in denen mehrere Beteiligte miteinander interagieren, um Aussagen über das rationale Entscheidungsverhalten in Konfliktsituationen treffen zu können. Man unterscheidet zwischen nicht-kooperativen und kooperativen Spielen. Sunk Costs „Versunkene“, irreversible Kosten, die abgeschrieben werden müssen, wenn ein Projekt oder eine andere Aktivität zur Geschäftsanbahnung ergebnislos abgebrochen wird. Aus → verhaltensökonomischen Gründen tut sich der Mensch schwer, diese Abschreibung vorzunehmen. System 1  Nach Kahneman das „schnelle“ Denksystem. Arbeitet im wachen Zustand, ohne willentliche Steuerung, weitgehend mühelos, sehr energieeffizient und automatisch und lässt sich nicht abstellen. Wird charakterisiert durch Begriffe wie → Intuition, → Heuristik, Mut zur Lücke, erster Eindruck und Bauchgefühl. System 2 Nach Kahneman das „langsame“ Denksystem. Arbeitet nicht immer auf vollen Touren, sondern es muss bei Bedarf – z. B. in → Verhandlungen – bewusst aktiviert werden. Lenkt die Aufmerksamkeit auf anstrengende mentale Aktivitäten, ist energieaufwendig und erfordert eine hohe Konzentration; liefert rational begründet, analytische Ergebnisse. → Homo oeconomicus.

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Glossar

Tit for Tat  „Zug um Zug“ oder frei übersetzt „Wie du mir, so ich dir“; → spieltheoretische Strategie eines Spielers, der in einem fortgesetzten Spiel im ersten Zug kooperiert und danach genauso handelt wie der Gegenspieler in der vorausgehenden Spielrunde. Dies begrenzt z. B. die Wirksamkeit von unsauberen Verhandlungstricks. Top-down-Ansatz  Ein Verkäufer oder → Vertriebsingenieur sollte ein niedriges Preisangebot des Kunden nicht wiederholen und es keinesfalls als Basis für seine Verhandlungsführung nehmen (= bottom-up), sondern immer vom höheren Angebotspreis starten und diesen als → Referenzpunkt für Konzessionen nehmen. Urteilssprung  In der Psychologie voreilige Schlussfolgerung auf beschränkter Datenbasis. Hat ihren Grund darin, dass → System 1 völlig unempfindlich für die Qualität und Quantität von Informationen ist, aus denen Eindrücke und → Intuitionen hervorgehen. Verhaltensökonomik  (engl. Behavioral Economics) Neueres Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft, das sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen beschäftigt, vor allem solchem, in denen Menschen im Widerspruch zur Modell-Annahme des → Homo oeconomicus agieren. Die Ursache dafür ist vielfach in kognitiven Verzerrungen begründet.

Verhandlung  Prozess mit Hilfe von Kommunikation und Strategie, der zu einem möglichst fairen Interessenausgleich führt, durch den widersprechende Bedürfnisse von zwei oder mehr Parteien ausgeglichen werden sollen. Verhandlung, distributive  → Verhandlung um nur einen einzigen →  Verhandlungsgegenstand. Beispiele sind Börsengeschäfte und Strafgerichtsverfahren, das Resultat meist ein → Kompromiss. Verhandlung, integrative → Verhandlung um mehr als ein   →  Verhandlungsobjekt, was das Auffinden einer Win-Win-Lösung durch Vergrößerung des → Verhandlungskuchens möglich macht. Der ursprüngliche primäre → Verhandlungsgegenstand wird durch eine Reihe weiterer Verhandlungsobjekte zum Paket erweitert. Dabei ist jedes einzelne Verhandlungsobjekt distributiv. Verhandlungsgegenstand  Hauptsächliches (primäres) → Verhandlungsobjekt, hier die → Anlage selbst bzw. deren Basispreis.

Glossar

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Verhandlungskuchen  Verhandlungsmasse in einer integrativen → Verhandlung, die aus dem → Verhandlungsgegenstand und weiteren → Verhandlungsobjekten besteht; bildhafte Bezeichnung für das gesamte Verhandlungspaket. Lässt sich durch einen Win-Win-Ansatz möglicherweise vergrößern und wird besonders bei interkulturellen Verhandlungen zum Nachteil des Lieferanten nicht immer gleich aufgeteilt. Verhandlungsmacht  (auch Verhandlungsstärke) Relative Stärke der Verhandlungsposition zwischen den beteiligten Parteien während eines Interessenausgleichs. Sie beschreibt im Allgemeinen die Dominanz in einer → Verhandlung über die andere Seite. Verhandlungsobjekt  (engl. Negotiable) Allgemein ein Punkt, über den verhandelt wird. In einer → integrativen Verhandlung sollen darunter alle weiteren zu vereinbarenden Punkte neben dem primären → Verhandlungsgegenstand als Hauptverhandlungspunkt, bei einer Anlagenverhandlung in der Regel die → Anlage selbst bzw. deren (Basis-)Preis, verstanden werden. Verhandlungsstil, harter Heutzutage hartnäckiger, dabei jedoch konstruktiver Ansatz, seine → Verhandlungsmacht unter Wahrung der Trennung Sache – Person und ohne schlechtes Benehmen konsequent und opportunistisch auszunutzen. Liegt grafisch betrachtet in der üblichen Darstellung im Bereich rechts unten (hohes eigenes Verhandlungsziel und niedriges Ziel des Gegenübers). Verhandlungsstil, Harvard (engl. Principled Negotiation Style) Ergebnisorientierter Ansatz (Win-Win). Charakterisiert durch die vier Punkte Trennung Mensch/Problem, Fokus auf Interessen statt auf Positionen, Entwicklung von Optionen sowie Anwendung objektiver Kriterien. Verbietet unsaubere → Verhandlungstricks und ermuntert zur Suche nach einer Alternative, falls aus dem Geschäft nichts wird. Liegt grafisch betrachtet im Bereich rechts oben (hohes Verhandlungsziel beider Parteien). Verhandlungsteam  Gruppe von zu einem → Abschluss bevollmächtigten Vertretern des Auftraggebers, die mit dem Team der anderen Partei eine Übereinkunft verhandelt, hier eine → Anlagenbeschaffung. Jeder im Team hat eine definierte Aufgabe; die optimale Teamgröße liegt vielfach bei 2–4 Personen. → Vertriebsingenieur und Fach → einkäufer leiten ihre Teams.

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Glossar

Verhandlungstipp  Auf theoretischen Grundlagen und praktischer Erfahrung beruhender Vorschlag zur Vorgehensweise in einer → Verhandlung, der dem ausführenden Verhandler einen taktischen Vorteil verschaffen kann. Weitgehend synonym verwandte Begriffe sind Verhandlungskniff, Verhandlungsregel und taktische Maßnahme. Verhandlungstrick  Einfache Abkürzung zur Erzielung eines Interessensausgleichs oder arglistiges Täuschungsmanöver beim Versuch, einen kontroversen Sachverhalt aufzulösen. Hier unsauberes (schmutziges) taktisches Manöver zur Erlangung eines Vorteils in einer → Verhandlung, indem das Gegenüber in ethisch-moralisch und manchmal auch juristisch fragwürdiger Weise zu Konzessionen gebracht werden soll. Die geschieht z. B. durch psychologischen Druck oder Manipulation. Verlustaversion  Tendenz, Verluste höher (meist um einen Faktor von etwa zwei) zu gewichten als Gewinne. Resultiert in der Status-quo-Verzerrung: Menschen haben eine starke Neigung, den gegenwärtigen Zustand jeglicher Veränderung vorzuziehen. Bestandteil der → Neuen Erwartungstheorie. Vertriebsingenieur  (engl. Sales Engineer) Technischer Verkäufer erklärungsbedürftige Produkte vor allem im Investitionsgüterbereich. → Beraterverkauf. Walk-out-Preis  (Rock-Bottom-Preis, „rote Linie“) Schlechtestmöglicher Endpreis, dem eine Partei noch zustimmen kann; für den Lieferanten der niedrigste noch akzeptable Preis. Wird in der Verhandlungsvorbereitung festgelegt; wird er nicht erreicht, ist die → Verhandlung zwecks interner Festlegung des weiteren Vorgehens zu unterbrechen. Want  („goldener Wasserhahn“) Nicht zwingend notwendiger Punkt in einer → Verhandlung; → Verhandlungsobjekt, das getauscht werden kann.

ZOPA  (Zone of Possible Agreement) Akronym für den Überlappungsbereich der möglichen Positionen beider Parteien für ein → Verhandlungsobjekt, meist dem Preis. Wird beim Preis begrenzt durch die → Walk-out-Preise beider Parteien.