Über die Verpflichtungen. De obligaionibus.: Lateinisch-deutsch 9783787311392, 9783787323319, 3787311394

Die mittelalterlichen logischen Traktate De obligationibus legten die Grundlagen für die Ausbildung der Methode der hypo

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Über die Verpflichtungen. De obligaionibus.: Lateinisch-deutsch
 9783787311392, 9783787323319, 3787311394

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Philosophische Bibliothek · BoD

Martinus Anglicus De obligationibus Über die Verpflichtungen Lateinisch – Deutsch

Meiner

I.••

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 462

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­ sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1139-2 ISBN eBook: 978-3-7873-2331-9 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1993. Alle Rechte vor­ behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT

Einleitung. Von Franz Schupp • . • . • . . . . • • • • VII I. Historische Fragen • • • • . • • . . • • • • • • • • • . . VII 1. Autor, Abfassungszeit • • • • • . • • • • . . • • • • VII 2. Handschriften, Editionsprinzipien • • • • • • XVI a) Handschriften • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • XVI b) Charakterisierung der Handschriften . . XVIII c) Zur Edition des Textes . • • • • • • • • . • • . XXI d) Symbolisierung der Logik des Mittelalters (mit Verzeichnis der verwendeten logischen Symbole, S. XXIV) • • • • • • • • • XXIII ll. Die mittelalterliche Lehre von den Verpflichtungen . • • • • • • • • • • . • • . • • • . . . . . . • • • • • XXVI 1. Die Grundstruktur einer obligationesDisputation • . • • . • • . . . . . • . • • . . . . • . . . XXVI 2. Die Aufgabenstellung der obligationesTraktate . • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • . . XXIX 3. Verpflichtungen und Folgerungslehre ••.. XXXIII MARTINUS ANGLICUS

Text und Übersetzung (mit Conspectus siglorum, S. 1) De obligationibus/ Über die Verpflichtungen Nm. (1)-(47) .••••••••.••........•.••••••. 2/3 Kommentar • . . • • . . . . . . . • . . . . . • • • • • • • • . . . . • 51 I. Definition und Einteilung der Verpflichtungen [N"m. (1)-(6)] • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 51 n. Die einfache Setzung [N"m. (7)-(12)] • • • • • • • • • 63

VI

Inhalt

m. Die Unterscheidung dazugehöriger und

nichtdazugehöriger Aussagen [Nm. (13)-(15)] IV. Die alte Antwort [Nm. (16)-(17)] . . . . . • • • • • V. Die neue Antwort [Nm. (18)-(20)] . • . • • • • • • VI. Pragmatische Paradoxien [Nr. (21)] • • • . • • . . VII. Eine Regel zur Bedeutungsfestlegung [Nr. (22)] •••••••••••••..••..•.•••••••. vm. Die zusammengesetzte Setzung [Nm. (23)-(31)] .•••...••.••••••••••••. IX. Die Aufhebung [Nm. (32)-(40)] •...••••••• X. Die Marginalien [Nm. (41)-(47)] ...•.••.••

75 76 83 103 115 120 137 143

Verzeichnis der Beispiele ••••••••••••••.•...• 153 Literaturverzeichnis . . • • • • . . . . . . . • . . . • • • • • • • 155 Namenverzeichnis ••••••••••••••••••••.••..• 163 Verzeichnis der lateinischen Begriffe ••••••••••• 167

EINLEITUNG

I. Historische Fragen

1. Autor, Abfassungszeit Es ist im Bereich der Erforschung des mittelalterlichen Schrifttums ein durchaus nicht ungewöhnlicher Vorgang, daß die Zuschreibung von einzelnen Schriften zu einem historisch bekannten Autor schon beinahe gesichert scheint und auch weithin akzeptiert wird, eine genauere Analyse einzelner Texte dann aber doch wieder begründete Zweifel an dieser Identifikation aufkommen läßt. Ein solcher Sachverhalt liegt auch bei Martinus Anglicus, dem Verfasser des hier edierten Traktats vor. In der Einleitung zur Edition des logischen Traktats De veritate et falsitate propositionum des Martinus Anglicus meinte L. M. de Rijk feststellen zu können, es gebe keinerlei Grund, an der Identifikation dieses Autors mit dem Franziskaner Martin von Alnwick zu zweifeln.1 De Rijk konnte sich für diese Identifikation auf eine ziemlich lange Tradition berufen.2 Martin von Alnwick ist um 1300 als Mitglied des Franziskanerkonvents in Oxford nachweisbar, ist - bei nur wenigen erhaltenen Schriften - als Theologe bekannt und starb 1336 in De Rijk, 1982, s. 7•. J. Lechner, Beiträge zum Schrifttum des Martinua Anglicus (Martin of Alnwick) 0. F. M. In: Franziskanische Studien 19 (1932), S. 1-12. F. Pelster, Die Kommentare zum vierten Buch der Sentenzen von Wilhelm von Ware zum enten Buch von einem Unbekannten und von Martin von Alnwick im cod. 501 Troyes. In: Scholastik 27 (1952), S. 359-367. Vgl. De Rijk, 1982, S. 6*. 1 2

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Newcastle upon Tyne. 1311 war er der 32. Lektor der Theologie in Oxford, in den Jahren danach ist er mit seelsorgerischer Tätigkeit nachweisbar, auch wurde er im Zusammenhang des Konventualen-SpiritualenStreits als einer der Berater des Generalministers der Franziskaner nach Avignon zitiert.s E. J. Ashworth hat gegen die Identifikation des Martinus Anglicus, des Autors der Obligationes sowie weiterer logischer Traktate, mit Martin von Alnwick berechtigte Einwände erhoben. In den Obligationes des Martinus Anglicus ist die Kenntnis der Obligationes des Roger Swyneshed eindeutig nachweisbar, dieser Traktat aber wurde zwischen 1330 und 1335 verfaßt. Man müßte also annehmen, daß Martin von Alnwick sich gegen Ende seines Lebens, nach seiner theologischen Lehrtätigkeit und nach der aktiven Teilnahme an Fragen der Ordenspolitik, wieder logischen Problemen zugewandt hätte. Ashworth hält diese Annahme m. E. zu Recht für wenig plausibel und stellt fest, daß wir mit (wenigstens) zwei als »Martinus Anglicusc bezeichneten Autoren rechnen müssen, dem Theologen Martin von Alnwick und dem Logiker, der die Obligationes nach Swynesheds entsprechendem Traktat verfaßt hat. 4 Sie kann sich dabei auch auf die Datierung der Consequentie des Martinus Anglicus durch N. J. Green-Pedersen berufen, der eine Abfassung dieses Traktats zwischen 1350 und 1360 annimmt, und der auch meint, daß es sich bei dem Autor dieses Traktats kaum um Martin von Alnwick handeln könne. 11 Die beiden Traktate stehen in engem ZusamVgl. A.G. Little, The Grey Friars in Oxford, Oxford 1892, S. 163. A. B. Emden, A Biographical Register of the University of Oxford to A. D. 1600, Oxford 1967, I, S. 26f. 0. Fussenegger, Art. Martin v. Alnwick (Martinus de Anglia). In: Lexikon fiir Theologie und Kirche 2VII, Freiburg 1962, Sp. 116. 4 Ashworth, 1983, s. 311-312. & Ebcl., S. 312; Green-Pedenen, 1983, S. 302-303. 3

Einleitung

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menhang; in Nr. (25) der Obligationes verweist Martinus Anglicus auf seinen Traktat De consequentiis. Dieser Traktat wurde also vor dem der Obligationes abgefaßt, was sowohl dem mittelalterlichen Curriculum als auch dem Bachzusammenhang der beiden Traktate entspricht (vgl. dazu Einleitung, II. 3.). Einen interessanten Hinweis hat P. V. Spade gegeben.6 Von Richard Lavenham stammt ein Traktat Scire, der in seinem Inhalt hauptsächlich auf William Heytesburys Regulae solvendi sophis1114ta beruht.7 An zwei Stellen stimmt Lavenham jedoch mit der Meinung des Autors seiner Vorlage nicht überein und bezieht sich auf eine andere Lösung, die er einem Werk mit dem Titel Obiectiones consequentiarum entnimmt, dessen Autor er mit Bilond angibt. 8 Diesen sonst völlig unbekannten Autor zitiert nur Lavenham selbst noch einmal, wieder mit Bezug auf denselben Traktat. 9 Aufgrund einer genauen Textanalyse kommt Spade zu dem Ergebnis, daß eine der von Lavenham genannten Bezugsstellen sich eindeutig und die zweite sich möglicherweise in einem Traktat findet, der unter dem Titel Obiectiones consequentiarum in dem 1524 in London erschienenen Libellus Sophistarum ad usum Cantabrigiensem gedruckt wurde.to Diese Obiectiones sind in mehreren Handschriften erhalten.u Eine dieser Handschriften findet sich in der Sammelbandschrift Wien, Österreichische Nationalbibliothek Ms. 4698, fol. 48v-56r, also in dem Codex, aus Wilson-Spade, 1984; die Einleitung, auf die ich mich hier beziehe, stammt hauptaäc:hlich von Spade, vgl. ebd., S. 1. 7 Ebd., S. 4. 8 Ebd., S. 5. 9 Ebd., S. 5; die Stelle in Spade, 1980, S. 391, Nr. 47. 10 Wilaon-Spade, 1984, S. 6-8. -(Erster Druck schon 1510.) 11 Ebd., S. 8-9; Green-Pederaen, 1983, S. 303, Nr. 9A, führt noch weitere Handschriften an und äußert die Vermutung, daß dieser Kommentar zu den Consequentie des Martinua Anglicua von diesem selbst stammt. 6

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dem auch die hier edierten Obligationes stammen. In derselben Handschrift finden sich auf fol. 36r-39v die Consequentie des Martinus Anglicus, die folgendes Explicit aufweisen: »Consequentiarum autem bonitas in practica obiectionum totum (!) in tractatu immediate sequenti melius apparebit. Et sie est finis. Deo gratias. Expliciunt consequentie magistri martini anglici.c Zwar nicht direkt anschließend, wohl aber nach dem unmittelbar folgenden Traktat De veritate et falsitate propositionum des Martinus Anglicus folgen die Obiectiones consequentiarum. Daraus kann die Vermutung abgeleitet werden, daB diese Obiectiones consequentiarum von Martinus Anglicus stammen.12 Wenn nun diese Obiectiones von Martinus Anglicus stammen und- so die Vermutung Spades - Lavenham diese Obiectiones dem Martin Bilond zuschreibt, dann ist Martinus Anglicus identisch mit Martin Bilond.13 Auch Spade weiß natürlich, daB dieser Beweisgang mit sehr vielen Unsicherheiten behaftet ist. Spade liefert noch einen möglicherweise weiterruhrenden Hinweis. In einer Handschrift in Prag, Statni knihovna CSR v E 12 (906), fol. 38r-49r, finden sich lnsolubilia, in denen an einer Stelle statt »egoc »Martinusc steht, was Spade zu der Frage Anlaß gibt, ob nicht der Autor wiederum Martin Bilond sein könnte. Interessanterweise basieren diese lnsolubüia auf John Wyclifs lnsolubilia, die (nach bisheriger Kenntnis) nur in zwei Handschriften erhalten sind, von denen sich die eine in Wien und die andere in Prag befindet.1• Dieser Hinweis Spades erhält vielleicht durch eine Marginalie aus den hier edierten Obligationes besondere 12 So auch die Zuachreibung dieses

s.n•.

13 Wilaon-Spade, 1984, S. 9. 14

Ebd., S. 9-10.

Traktat& in De Rijk, 1982,

Einleitung

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Bedeutung. Auf fol. 37 wird der Beispielsatz »tu es Pragaec eingefiihrt, was auf eine Entstehung der Marginalie in Prag hinweisen könnte. Dieser Beispielsatz wird nun in demselben Zusammenhang verwendet wie in den Obligationes des Johannes aus Holland, wo auch wieder »tu es Pragaec stehtlll (mit diesem Text stehen auch weitere Marginalien zu den Obligationes des Martinus Anglicus in Berührung). Johannes aus Holland wurde 1368 an der Universität Prag zum Magister Artium promoviert, war seit 1369 als Magister Artium an der Universität tätig und wurde in demselben Jahr Dekan der Prager Artistenfakultät.16 Von dem Codex 4698 der Österreichischen Nationalbibliothek ist ein Großteil (fol. 1-70 und 87v-129r) in Prag geschrieben worden. Diese Teile enthalten zwar nicht die Obligationes, wohl aber die Consequentie, den Traktat De veritate et falsitate propositionum und die Obiectiones consequentiarum. Aus Fundorten von Handschriften Schlüsse zu ziehen, ist bei der weiten Zirkulation mittelalterlicher Handschriften problematisch. Es rällt jedoch auf, daß bei den vorher genannten Fundorten Wien17 und Prag eine besondere Rolle spielen, wobei der Fundort Prag durch die Verwendung des genannten Beispielsatzes eine besondere Relevanz erhält. Auch ist bekannt, daß die TrakJohannes aus Holland, Obliga.tiones, S. 99, ~. 16 Liber decanorum facultatis philoaophicae univeraitatis Pragensis ab anno Christi 1367 usque ad annum 1585 e codice membranaceo illius aetatis nunc primum luce donatus I, Prag 1830, S. 137f. u. 140. 17 Es ist interessant, daß die Statuten der Wiener Universität von 1389 für das Bakkalaureat der Artes ausdrücklich das Studium der Obligationes fordern. Unter den in den folgenden Jahrzehnten in Wien gebrauchten Autoren zu diesem Traktat finden sich Johannes aus Holland und Marailius von Inghen. Vgl. F. Ehrle, Der Sentenzenkommentar Petera von Candia, des Pisaner Papates Aluander V, Münster 1925, S. 165f. 1.ll

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tate De consequentiis, De obligationibus und De insolubilibus in einem engen Zusammenhang stehen und häufig von einem Autor alle drei behandelt wurden, so daß man geneigt ist, nach dem Traktat De insolubilibus des Martinus Anglicus zu suchen, nachdem die beiden anderen Traktate vorliegen. Auf fol. 56r der Wiener Handschrift der dem Martinus Anglicus zugeschriebenen Obiectiones consequentiarum wird ein solcher Traktat auch ausdrücklich genannt: »Et sie de obiectionibus ad presens dicta suffi.ciant usque ad tractatum paralogismorumc. Ebenso wird am Ende der Obligationes [Nr. (40)] auf einen Traktat über die insolubilia verwiesen. Spades Hinweis auf die Prager Handschrift De insolubilibus mit einem Autor Martinus fügt sich also gut in die (wenigen) bekannten Fakten ein. Man könnte also (mit Spade) die Vermutung äußern, daß es sich bei Martinus Anglicus um Martin Bilond handeln könnte, der sich (womit ich von Spade abweiche18) um oder nach 1369 in Prag aufhielt. Da die 1358 an der Universität Prag begonnene Studentenmatrikel verlorengegangen ist, läßt es sich leider nicht mehr überprüfen, ob ein Martin Bilond als Student an der Universität Prag eingeschrieben war. Im Liber decanorum facultatis philosophicae, der Promotionsmatrikel der Universität Prag, konnte nur eine einzige Eintragung gefunden werden, die mit einem Martin Bilond in Verbindung gebracht werden könnte: Für das Jahr 1389 wird ein Martinus Blone als »admissus pro examine baccalariandorumc aufgeführt.l9 Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei diesem Martinus Blone um Martin Bilond handelt. Andererseits sind die histori18 Wilson-Spade, 1984, S. 9, denken an die Möglichkeit, •Bilondc

als Variante von »Byland« zu lesen, so cla8 die Abtei Byland (Yorkshire) in Frage käme. 19 Liber deeanorum facultatis philosophicae, a. a. 0., S. 264.

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sehen Fakten, die aufgeführt wurden, doch nicht ausreichend, um die Obligationes und die anderen logischen Texte des Martinus Anglicus dem Martin Bilond oder Martinus Blone zuzuschreiben. Bei Martinus Blone ergibt sich außerdem die Schwierigkeit, daß dann für die Abfassung der Traktate als terminus ante quem non das Jahr 1389 angenommen werden müßte, da bei einem Verfasser solcher Traktate zumindest die Erreichung des Bakkalaureats vorausgesetzt werden muß. Innere wie äußere Gründe sprechen aber für eine Entstehungszeit etwa um 1370. Die gegenwärtig verfiigbaren Hinweise sind also nicht ausreichend, um vom Verfasser »Martinus Anglicus« auf einen Verfasser »Martin Bilondc oder »Martinus Blone« überzugehen. In der Wiener Handschrift, die auch den Text der Obligationes des Martinus Anglicus enthält, findet sich auf fol. 108r im Kolophon zu einem Text von Billingham die Angabe, daß die Abschrift dieses Traktats in Prag im Jahr 1373 fertiggestellt wurde.20 Der Kopist, der diese Angabe macht, hat auch zwei (oder drei) weitere Traktate des Martinus Anglicus abgeschrieben (vgl. unten 2.). Nimmt man an, daß Martinus Anglicus seine Traktate zur Logik in einem nicht allzu langen Zeitraum abgefaSt hat, so muß man auch für die Obligationes einen Entstehungszeitpunkt um oder eher vor 1373 ansetzen. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn man den im Wiener Codex auf die Obligationes des Martinus Anglicus folgenden Text, also die Insolubilia des Johannes aus Holland, heranzieht. Diese Abschrift wird von E. P. Bos auf die Zeit zwischen 1370 und 1375 datiert. 21 Aufgrund dieser Angaben dürfte die Annahme, daß die Obligationes des Martinus Anglicus vor 1370, vermut20 Vgl. De Rijk, 1982, S. 9* und 14*.

John of Holland, Four Tracts on Logic, N:ijmegen 1985, Einleitung S. 27*. 21

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lieh aber nicht allzu lange vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, verhältnismäßig gut gesichert sein. Als terminus ante quem non gilt aufjeden Fall das Jahr 1335, das Jahr also, in dem die Obligationes von Swyneshed schon abgefaßt waren.22 Im Prinzip gelten für die Abfassungszeit der Traktate des Martinus Anglicus ganz ähnliche Überlegungen wie für die entsprechenden Traktate Flands, die von Spade auf die Jahre zwischen 1335 und 1370 datiert wurden.23 Obwohl wir also als historische Information über Martinus Anglicus einzig die im Namen enthaltene Nachricht besitzen, daß es sich um einen Engländer handelt, bestehen keine großen Schwierigkeiten in der historischen Zuordnung der von ihm verfaßten Traktate (ich beziehe mich hier hauptsächlich auf die Obligationes und die Consequentie2'). Der Text, der den Obligationes des Martinus Anglicus am nächsten steht, sind die Obligationes des Robert Fland. Es ist allerdings nicht anzunehmen, daß dieser Text dem Martinus Anglicus als Vorlage gedient hat, da Fland in einigen Punkten präziser als Martinus Anglicus ist. Vermutlich gehen beide über verschiedene Zwischenglieder auf eine gemeinsame, uns nicht mehr erhaltene Vorlage zurück. Fland und Martinus Anglicus sind die einzigen bisher bekannten Autoren, die die sogenannte »alte« und »neue Antworte innerhalb der obligationes einander ausdrücklich gegenüberstellen [vgl. dazu den Kommentar zu Nm. (18)-(20)]. Die neue Antwort wird vom Autor der Marginalien zu den Obligationes ausdrücklich auf Swyneshed zurückgeführt [vgl. Nr. (41)], was historisch korrekt ist. Als weiterer Vertreter der neuen Antwort ist Richard 22 Vgl. Spade, 1977, S. 246. 23 Spade, 1980, S. 41.

u Zum Traktat De ueritate et falsitate propositionum vgl. De

Rijk, 1982, s. 7*-17*.

Einleitung

XV

Lavenham bekaimt. Ebenso wird die neue Antwort (ohne diese Terminologie) in der Logica Oxoniensis vertreten. Martinus Anglicus gehört also eindeutig zu der Gruppe dieser englischen Logiker. Die spezifische Antwort, die die Vertreter dieser Gruppe auf ein Problem der obligationes gaben, bedeutet natürlich nicht, daß sie in irgendeinem besonderen Sinn von anderen Vertretern, die zur englischen Logik dieser Periode gehören, abzuheben sind. Dies zeigt auch der Vergleich der Consequentie des Martinus Anglicus mit Traktaten anderer Logiker. Sein (noch nicht publizierter) Traktat der Consequentie steht im Aufbau nicht nur den Traktaten von Fland und Lavenham nahe, sondern ebenso jenen von Richard Billingham, Thomas Manlevelt (beide sind noch nicht veröffentlicht) und von Wilhelm von Osma, der auch zu den englischen Logikern zu zählen ist. Hingegen besteht keinerlei Verbindung der Consequentie des Martinus Anglicus mit dem bekannten Traktat der Consequentie des französischen Logikers Jean Buridan. Ebenso ist deutlich ersichtlich, daß Martinus Anglicus nicht mit jener Entwicklung in Berührung steht, die durch die Obligationes und die Consequentie Ralph Strodes repräsentiert ist, in der diese beiden Traktate in eine Beziehung der Art gebracht sind, daß Regeln aus den Obligationes in die Consequentie integriert werden (vgl. dazu Einleitung, II. 3.). Schwieriger ist es, Angaben über den Autor der Korrekturen und der Marginalien zum Text der Obligationes des Martinus Anglicus zu machen. Die Marginalie Nr. (41) macht es deutlich, daß deren Autor nicht nur die neue Antwort kannte, sondern auch wußte, von wem sie stammt. Es gibt sogar einen Anhaltspunkt dafiir, daß er auch den Text der Obligationes Swynesheds gekannt haben könnte [vgl. Kommentar zu Nr. (22)]. Besonders bei den Marginalien Nm. (46) und (4 7) legt sich die Vermutung nahe, daß er die Obligationes des Johannes

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aus Holland kannte. Diese Vermutung wird besonders gestützt durch die Verwendung von »Pragae« in der Marginalie Nr. (44) in einem Beispiel, das auch von Johannes aus Holland in dessen Obligationes verwendet wird. Es legt sich also nahe, den Autor der Marginalien unter den Studenten des Johannes aus Holland zu suchen. 2. Handschriften, Editionsprinzipien

a) Handschriften Der Text der Obligationes des Martinus Anglicus ist nach dem gegenwärtigen Forschungsstand in zwei Handschriften überliefert. (1) Wien, Österreichische Nationalbibliothek VPL 4698, fol. 72r-78v. Der gesamte Codex stellt eine Sammelbandschrift dar, die fast ausschließlich Traktate der Logik enthält. 211 Der erste und der dritte Teil der Handschrift (fol. 1-71 und fol. 87v-129r) wurde in Prag in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben. Fol. 72r-87r, der Teil also, in dem sich auch die hier veröffentlichten Obligationes befinden (fol. 78v-87r enthält die Insolubilia des Johannes aus Holland), wurde von einer anderen Hand geschrieben. 26 Im ersten Teil des Codex finden sich zwei (oder drei) weitere Traktate des Martinus Anglicus: - fol. 36r-39v: Consequentie (im Explicit wird Martinus Anglicus als Autor angegeben), 26 Eine detaillierte Beschreibung dieaes Codex findet sich in De Rijk, 1982, s. 9*-16*. 26 Ebd., S. 9*.

Einleitung

XVII

- fol. 40r-48r: De veritate et falsitate propositionum (im Explicit wird Martinus Anglicus als Autor angegeben),27 - fol. 48v-56r: De obiectionibus consequentiarum (die Zuschreibung dieses Traktats zu Martinus Anglicus ist nicht gesichert).28 Von einer anderen Hand wurden in der Handschrift der Obligationes zahlreiche Korrekturen durchgeführt und längere, nicht zum ursprünglichen Text gehörende Marginalien hinzugefügt (dasselbe gilt für die Handschrift der Consequentie; Korrekturen und Marginalien in dieser Handschrift stammen von derselben Hand wie die in den Obligationes). Die Initialen von »Obligatioc auf fol. 72r und von »Sequitur« auf fol. 77v sind rubriziert. Ebenso sind im gesamten Text, sogar in den Marginalien, einzelne Buchstaben mit Strichelung rot verziert. Diese Verzierungen haben jedoch keinerlei Funktion für den Text, sondern dienen ausschließlich der graphischen Verschönerung. (2) Krakau, Biblioteca Jagiello:6.ska 2602, fol. 127r-131r. Die Handschrift stammt aus dem 15. Jahrhundert. Sie enthält Traktate der Logik, vor allem solche des Marsilius von lnghen.211 Der Entstehungsort der Handschrift ist nicht bekannt. Da jedoch seit 1390 häufig Handschriften aus Prag an das Studium Generale nach Krakau geholt wurden, ist es nicht ausgeschlossen, daß auch die Kopie des cod. 2602 in Prag entstanden ist. Da 27 Veröffentlicht in De Rijk, 1982, S. 3-43.

Zu diesem Traktat, der in mehreren Handschriften überliefert ist, vgl. Wilson-Spade, 1984, S. 8f. 211 Vgl. M. Markowski, Burydanizm w Polsee w okresie przedkopernikanskim. Studium z historii filozofii i nauk scislych na Uniwersytecie Krakowskim w XV wieku, Wroclaw 1971, S. 331. Ebd., S. 339, wird die Handschrift fol. 127r-131r noch als anonym auf28

geführt.

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die Handschrift (allerdings nicht auf fol. 127r-131r) polnische Wörter enthält, ist anzunehmen, daß der Kopist Pole war.so Die Beziehungen zwischen der Krakauer und der Prager Universität waren im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts und zu Beginn des 15. Jahrhunderts sehr eng, wobei eine eindeutige Abhängigkeit der Krakauer von der Prager Universität bestand.a1

b) Charakterisierung der Handschriften Die Wiener Handschrift bietet - unter Berücksichtigung der schon in der Handschrift durchgeführten Korrekturen - den eindeutig besseren Text. In der Krakauer Handschrift, die keine Korrekturen aufweist, finden sich zahlreiche sinnstörende Fehler. Allerdings gibt es auch eine nicht geringe Zahl von Textstellen, an denen die Krakauer gegenüber der Wiener Handschrift die ohne Zweifel richtige Lesung bietet. Die Wiener Handschrift kann nicht (jedenfalls nicht direkt) als Vorlage der Krakauer Handschrift gedient haben, da die Textabweichungen zu groß sind. Man muß daher annehmen, daß entweder beide Handschriften über Zwischenglieder- auf eine frühere Vorlage zurückgehen, oder aber, daß die Krakauer Handschrift- wieder über Zwischenglieder - auf einer überarbeiteten Version der Wiener Handschrift beruht. Es soll hier die zugegebenermaßen etwas gewagte Vermutung geäußert werden, daß die (vermutlich in Prag entstandene) Wiener Handschrift der Obligationes des Martinus Anglicus in nahem Kontakt mit dem Autor entstanden sein könnte. Diese Vermutung kann aller30

Dies teilte mir freundlicherweise Prof. M. Markowski brieflich

31

Vgl. Markowski,l988, S. 245f.

mit.

Einleitung

XIX

dings eher durch die Handschrift der Consequentie gestützt werden als durch die der Obligationes. Die Handschrift der Obligationes ist sorgfältiger geschrieben als die der Consequentie und stellt ohne Zweüel bereits eine Abschrift dar. In den Consequentie aber finden sich innerhalb des fortlaufenden Textes einige Korrekturen, die nur schwer als Abschreibfehler erklärt werden können, die sofort korrigiert wurden. Es könnte sich also um einen Text handeln, der den Charakter einer Reportatio besitzt. Allerdings könnte erst die genaue Analyse dieses Textes im Rahmen einer Edition gesicherten Aufschluß über diese Vermutung liefern. Beide Texte, d. h. die Obligationes wie auch die Consequentie, sind durchgehend korrigiert und mit zahlreichen Marginalien versehen. Der Text der Consequentie ist im Vergleich mit dem der Obligationes noch wesentlich intensiver durch den Korrektor überarbeitet worden. Der Schriftvergleich der Korrekturen und Marginalien in beiden Handschriften legt es sehr nahe, anzunehmen, daß es sich dabei um ein und dieselbe Hand handelt. Es wäre verlockend, zu vermuten, daß die Korrekturen und Ergänzungen von Martinus Anglicus selbst stammen. Obwohl diese Annahme nicht ausgeschlossen werden kann, stößt sie doch auf erhebliche Schwierigkeiten. Die Marginalie Nr. (41) trägt deutlich den Charakter einer Hinzufügung durch einen anderen Autor, der kenntlich machen will, daß er weiß, daß die im Text vertretene These von Swyneshed und Heytesbury stammt. Auch das grobe sachliche Mißverständnis in der Marginalie Nr. (43) ist wohl nur schwer erklärlich, wenn diese Marginalie vom Autor des Traktats selbst stammt. Und schließlich findet sich in der Krakauer Handschrift, wie schon gesagt, an mehreren Stellen die sachlich richtige Lesung, so daß sich die Frage stellt, warum die entsprechenden Korrekturen nicht schon in der Wiener Handschrift vorgenommen wurden,

XX

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sollten diese Korrekturen von Martinus Anglicus selbst stammen. Bei all dem muß man sich aber im klaren darüber sein, daß der vorliegende Textbefund in jedem Fall nur als Grundlage für sehr vage Vermutungen ausreicht, und eigentlich sind diese historischen Vermutungen für den hauptsächlich an der Geschichte der Logik in ihrem Sachgehalt Interessierten auch nicht unbedingt entscheidend. Schultraktate wie der der Obligationes des Martinus Anglicus haben eigentlich gar keinen eindeutig identifizierbaren, »authentischen« Textbestand, weder im Sinn des Autors noch im Sinn der nachfolgenden Benutzer eines solchen Textes. Ein junger Magister kompiliert - mit eigenen Beiträgen - aus schon vorliegendem Material einen Traktat, der im einzelnen unzureichend und nicht selten fehlerhaft ist. Er selbst korrigiert und ergänzt diesen Traktat, dasselbe tun aber auch weitere Benutzer und sogar Kopisten, soweit diese ein Minimum an Sachkenntnis besitzen oder wenigstens zu besitzen meinen. Dabei ist es ohne weiteres möglich, daß ein Benutzer einige Stellen sachlich richtig korrigiert, ebenso aber ist es möglich, daß er, besonders bei sehr komplizierten Sachverhalten, den Text durch seine Korrekturen verschlechtert. Es ist also ohne weiteres möglich, daß ein Text, in unserem Fall die Krakauer Handschrift, an einigen Stellen die eindeutig richtige Lesart aufweist (die dann der Editor auch übernimmt), ohne daß damit schon gesagt ist, daß diese Lesart auch wirklich dem ursprünglichen, »authentischen« Text entspricht. Sind nur wenige Textzeugen überliefert, so ist es für den Historiker häufig sehr schwer und nicht selten unmöglich, den historischen Prozeß der Textgeschichte adäquat zu durchschauen und zu rekonstruieren. Nichtsdestoweniger muß der moderne Historiker sich darüber im klaren sein, daß seine Aufgabe eine andere ist als die des mittelalterlichen Kopisten oder des

EinleitUDg

XXI

sachkundigen mittelalterlichen Benutzers, der den Text selbständig korrigierend weiterentwickeln konnte. Er muß deshalb möglichst genau die Prinzipien seiner historischen Rekonstruktion angeben.

c) Zur Edition des Textes Es muß zunächst ganz eindeutig festgestellt werden: Es wird hier eine kritische Edition nur des Textes der Wiener Handschrift vorgelegt. Die Wiener Handschrift wurde nicht deshalb gewählt, weil sie älter als die Krakauer Handschrift ist, sondern deshalb, weil sie nach dem Urteil des Herausgebers den besseren Text enthält. Eine kritische Edition, die auch den Text der Krakauer Handschrift im Apparat vollständig rekonstruiert hätte, wäre sehr schwerfallig geworden, da die beiden Texte in sehr zahlreichen Einzelheiten, so z. B. auch in ganzen Gruppen von Beispielsätzen, voneinander abweichen. Auch hätten die vielen Umstellungen von Wortgruppen berücksichtigt werden müssen. Die Angabeall dieser Varianten hätte aber zum Verständnis des Textes in seinem logischen Sachgehalt nichts beigetragen.32 Der textkritische Apparat ist also streng auf V bezogen. Von dieser Handschrift wird der Textbefund allerdings vollständig wiedergegeben, entweder im Text oder im Apparat, d. h. es wird jeder Eingriff in den Textbefund angegeben, auch dann, wenn dieser für das Verständnis irrelevant ist, wie z. B. die irrtümliche Wiederholung eines Wortes. Die Forderung des Aufbaus des textkritischen Apparats in bezug auf V ist also philo32 Es sei dabei gar nicht bestritten, daß das genaue Studium solcher Varianten auch sachlich interessant und :relevant sein kann, da es zum Verständnis dessen hilft, wie im Mittelalter ein philosophischer Text als Text verstanden und behandelt wurde.

XXII

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logisch streng gefaBt. Als Textbefund gilt die Gesamtheit von V, vc und ym. Die Korrekturen von vc wurden mit konsequenter Angabe im Apparat - in den laufenden Text aufgenommen außer an den wenigen Stellen, an denen vc eine fehlerhafte oder dem ursprünglichen Text nicht zu entsprechen scheinende Korrektur vornimmt. Solche Fälle werden im Kommentar ausdrücklich diskutiert. Darüber hinaus waren einige Korrekturen erfordert, die sich von der lateinischen Syntax oder vom logischen Sachverhalt her ergeben. Es handelt sich also streng genommen in diesen Fällen immer um Eingriffe des Herausgebers in den Text der Wiener Handschrift. Wo Eingriffe jedoch durch K, also durch die Krakauer Handschrift, gestützt oder sogar von K angeregt wurden, wurden die entsprechenden Lesarten von K im Apparat angegeben. Es ergibt sich aber dadurch kein kritischer Apparat zu K, vielmehr ist »K« in folgender Weise zu interpretieren: Die Änderung des Textes von V durch den Herausgeber ist gestützt durch K. An den nicht häufigen Stellen, an denen »K« im Apparat ohne die angegebene Funktion auftritt, bedeutet »K«: Die von V abweichende Lesart von K könnte für die Rekonstruktion von V relevant sein (vielleicht ist die vom Herausgeber gewählte Lesart falsch), oder: die abweichende Version von K ist für die Interpretation relevant (sie zeigt beispielsweise, daß schon ein früher Benutzer des Textes an der betreffenden Stelle Verständnisschwierigkeiten hatte und eine andere Version des Textes versuchte). An einer Stelle [in Nr. (12)] wurde sogar im Apparat ausnahmsweise vermerkt, daß K genau dieselbe Lesung wie V aufweist. Dies gibt den Hinweis darauf (wie auch im Kommentar vermerkt), daß diese Textstelle für den Herausgeber große Schwierigkeiten bereitete und er sich daraufhin zu einer Korrektur entschloß, obwohl in keiner der beiden Handschriften ein Anhaltspunkt dafür vorhanden ist.

Einleitung

XXIII

vm

VC und sind von ein und derselben Hand geschrieben. Die Unterscheidung von yc und ym ist graphisch nicht eindeutig, da gelegentlich auch Korrekturen am Rand stehen. vc und wurden selbstverständlich vollständig verzeichnet. Bei liegen manchmal nur Anmerkungen vor, die am Rand den Text für den Benutzer übersichtlicher gestalten sollen, so z. B. wenn am Rand das auch schon im Text enthaltene »prima regula« steht. Solche Marginalien und weitere kurze Marginalien wurden im Apparat aufgeführt, die anderen wurden in einen Anhang zum Text aufgenommen. Die verschiedene Verzeichnung dieser Marginalien hat also einen rein praktischen Grund (so konnte auch den längeren Marginalien ohne Schwierigkeit eine Übersetzung gegenübergestellt werden) und hat keinerlei Grundlage in der Handschrift. Das eben beschriebene Verfahren ist editorisch korrekt, aber man sollte sich im klaren darüber sein, daß das, was editorisch korrekt ist, nicht schon auch historisch unbedingt sachgemäß ist. Ein mittelalterlicher Kopist hätte nicht nur die Korrekturen von vc in seinen Text aufgenommen, sondern auch die Ergänzungen von Der heutige Abschreiber, also der Herausgeber, liest also den Text im Prinzip schon anders als der mittelalterliche Abschreiber.

vm

vm

vm.

d) Symbolisierung der Logik des Mittelalters (mit Verzeichnis der verwendeten Symbole) Die Frage einer adäquaten Symbolisierung der mittelalterlichen Logik ist sehr umstritten. Die in der Einleitung und im Kommentar verwendeten Symbolisierungen sollen ohne systematischen Anspruch nur der Verdeutlichung für den heutigen Leser dienen. Es wurde dabei jene Form der Symbolisierung gewählt, die z. B. von

XXIV

Franz Schupp

Verzeichnis der verwendeten logischen Symbole Logik der Termini

Logik der Modalitäten

A,B ... AaB

ll N M

AeB AiB AoB

Termini universell affirmative Aussage universell negative Aussage partikulär affirmative Aussage partikulär negative Aussage

Unmöglic~t Notwendig~it Mögli~t

Logik der Aussagen

Logik der Verpflichtungen

p, q... Aussagen Pp, Pq... dazugehörige Aussage (pertinens) lp, lq... nichtdazugehörige Aussage (impertinens) ..., Negation Wp, Wq... wahre Aussage Fp, Fq... falsche Aussage " Konjunktion Aufzählung v Disjunktion -+ strikte Implikation

Äquivalenz Inkompatibilität (repugnat) • Verpflichtungen< enthalten. Wir wissen etwas über die Autoren und den Inhalt der scholastischen Traktate über die Verpflichtungen (De obligationibus), und wir meinen, daß diese Traktate zu einem Standardbestandteil, vielleicht sogar zu einem bedeutenden Teil der mittelalterlichen Logik wurden; aber wir verstehen die Natur des in ihnen enthaltenen Materials noch nicht vollständig. Wir sind nicht im klaren über die Funktion und die Zielsetzung der Verpflichtungen und deren Bedeutung für andere Teile der mittelalterlichen Logik; und wir haben nur eine skizzenhafte Kenntnis der reichen und komplizierten Entwicklung der Verpflichtungen von deren Anfängen im späten zwölften oder frühen dreizehnten Jahrhundert bis zum Ende der Periode der Scholastik.«38 Obwohl in den vergangenen zehn Jahren wichtige Texte in kritischen Editionen veröffentlicht wurden (so der ent38

Stump, 1982, S. 315. Übers. vom Hrsg.

XXX

Franz Schupp

sprechende Traktat aus der Logica magna des Paulus Venetus und der Traktat Wilhelm Busers) und auch mehrere Forscher wichtige Beiträge zu historischen und systematischen Fragen der Traktate über die Verpflichtungen vorgelegt haben, müssen wir feststellen, daß die von Stump charakterisierte Forschungslage auch heute noch besteht. Einige historische Zusammenhänge sind deutlicher geworden, aber zur eigentlichen Zielsetzung und Aufgabenstellung der obligationesTraktate ist bis heute keine überzeugende und alle Aspekte dieser Traktate umfassende Interpretation vorgelegt worden. Ph. Boehner meinte, in den Traktaten über die Verpflichtungen eine rudimentäre Theorie logischer Deduktion auffinden zu können. 38 Dies trifft allerdings eher auf die Consequentie zu,40 die in den Obligationes bereits vorausgesetzt werden. J. A Weisheipl und R. Green sehen in den obligationes-Disputationeneinfach Schulübungen,'1 A Perreiah faßt sie als Prüfungs-Argumente auf. G Auch andere Interpreten, die nicht der Meinung sind, daß damit die Verpflichtungen ausreichend erklärt sind, schließen doch die pädagogische Funktion dieser Disputationsform nicht aus. 43 Die pädagogische Funktion kann jedoch nicht der einzige und auch nicht der primäre Zweck gewesen sein. Nimmt man z. B. die sog. »neue Antworte, die auch Martinus Anglicus vertritt, so begegnet man dort einer Lösung, die zwar vom logischen Standpunkt aus interessant ist, die vom Standpunkt einer logischen Übung aus aber so einfach ist, daß sie weder als Übung noch als Prüfungsaufgabe, die die Kenntnis von FolgeBoehner, 1952, S. 14f. Vgl. Schupp, 1988. '1 Weisheipl, 1966, S. 163f.; Green, 1963, I, S. 16. G Perreiah, 1982, S. 99. 43 Spade 1982b, S. 2; D'Ors, 1988a, S. 183f.; Ashworth, 1993. 38 40

Einleitung

XXXI

rungsbeziehungen testen sollte, in Frage kommen konnte.'" Ähnliches gilt von der ohne Zweifel interessanten These P. V. Spades, der in den obligationes eine Theorie der counterfactuals sieht. 46 E. Stump und S. KnuuttilaM. Yrjönsuuri haben aber darauf hingewiesen, daß erst in Kilvingtons Sophismata eine Fragestellung vorliegt, die der der counterfactuals entspricht. 46 Die beiden zuletzt genannten Interpreten meinen, daß man eher von »möglichen Welten« sprechen könnte,"7 eine Auffassung, der man auch bei L. Pozzi begegnet. 46 Der Begriff der »möglichen Welt« kann zweifellos hilfreich sein, wenn es darum geht, eine Disputation zu erläutern, in der von einer für die tatsächliche Welt nicht zutreffenden Aussage, also einem Gesetzten, das zwar möglich, aber falsch ist, ausgegangen wird, in der aber alle anderen Aussagen der tatsächlichen Welt entsprechen. Den gesamten Komplex der obligationes kann man damit jedoch nicht erklären, da - worauf keiner der genannten Interpreten eingeht- die Autoren der obligationes-Traktatebei zusammengesetzten posita auch solche zulassen, die wahr sind. 49 E. Stump und E. J. Ashworth vertreten die Auffassung, daß man die Aufgabenstellung der obligationesTraktate nicht durch einen einzigen Faktor erklären kann, sondern nur durch die Aufzählung einer Anzahl von dort behandelten Problemen: Aufdecken von Sophismen, pragmatische Paradoxien, Beziehung von Sprache und Metasprache u. a.150 An anderer Stelle hebt Ash"'Vgl. den Kommentar zu Nm. (18)-(20) und Nr. (22). 46 Spade, 1982b. 46 Stump, 1982, S. 332; Knuuttila-Y.rjönauuri, 1988, S. 201.

.&7Ebd. 46 49 150

Pozzi, 1990, S. 17. Vgl. Kommentar zu Nr. (27). Ashworth, 1981, S. 175; Stump, 1989, S. 248.

XXXII

Franz Schupp

worth den Zusammenhang der obligationes mit den insolubilia, also einer besonderen Gruppe von Sophismen, hervor.61 Möglicherweise ist die Aufgabenstellung der obligationes tatsächlich in dieser Richtung zu suchen. Dem entapricht auch, daß in der Frühzeit der Entwicklung, also in Traktaten des 12. und 13. Jahrhunderts, die Diskussion von Verpflichtungen häufig mit der von Sophismen verbunden ist.u Einen Hinweis in diese Richtung liefern auch die Traktate über die Verpflichtungen von Burleigh und Ps.-Sherwood, die an verschiedenen Stellen eigene Abschnitte De modis faciendi sophismata enthalten, in denen also eine Einübung in die Auflösung von Sophismen dadurch geschieht, daß gezeigt wird, wie solche Sophismen konstruiert werden können. Es könnte sich also um die Heraushebung einer Gruppe von Problemen aus dem Bereich der Sophismen handeln, die eine spezielle Analyse erforderte. Auch H. Sehepers hebt die al1mähliche Herauslösung der obligationesaus der sophismata-Literatur hervor.63 Ob damit eine vollständige Erklärung geliefert werden kann, könnte sich erst nach einem genauenVergleich der Traktate der Verpflichtungen und jener der Sophismen ergeben. Ungeklärt ist auch die Frage, ob und wie weit es einen außerlogischen Verwendungszusammenhang der obligationes gab. Die einzigen (wenigen) dafiir bekannten Beispiele stammen von Johannes Duns Scotus,64 also aus einer Periode, die vor der breiten Entwicklung der obligationes-Literatur liegt.

61 Einleitung zu Paulus Venetus, Logica 111Q6na, Obl., S. XIV. Vgl. Stump, 1982, S. 315f. 63 Schepers, 1984, Sp. 1070. 64 Vgl. Green, 1963, I, S. 31f. 62

Einleitung

XXXIII

3. Verpflichtungen und Folgerungslehre Die Traktate über die obligationes und über die consequentie sind als eigenständige etwa gleichzeitig um 1300 entstanden. Sie scheinen sich zunächst nebeneinander und unabhängig voneinander entwickelt zu haben. In dieses Stadium der Entwicklung gehören auch die beiden entsprechenden Traktate des Martinus Anglicus. Die Unabhängigkeit gilt jedoch nicht in systematischer Hinsicht. Die Lehre von den Verpflichtungen setzt die Lehre von den Folgerungen voraus, was sich auch in den Lehrbüchern des 14. und 15. Jahrhunderts niederschlägt. Der Traktat über die obligationesfolgt gewöhnlich dem über die consequentie. Dies ist beispielsweise ersichtlich in Ockhams Summa logicae, in der Logica (paroa) und der Logica magna des Paulus Venetus und in der Logica des Paul von Pergula. Der Zusammenhang wird von Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 2, S. 32, Nr. 2, ausdrücklich hervorgehoben; seine Ausführungen seien hier zitiert, obwohl (oder weil) sich bei den anderen Autoren eine so explizite Stellungnahme nicht findet: Secunda suppositio est ista: Quod omnes regulae superius adsignatae in tractatu consequentiarum de consequentia bona vel non bona sunt hic formaliter sustinendae. Et ratio quia materia obligationum non est nisi materia consequentiarum stilo subtiliori procedens [... ]. Die zweite Voraussetzung ist diese, daB alle Regeln, die weiter oben im Traktat der Folgerungen über gültige oder nicht gültige Folgerung aufgezeichnet sind, hier formal aufrechtzuerhalten sind. Und der Grund dafür ist der, daß der Gegenstand der Verpflichtungen kein anderer ist als der Gegenstand der Folgerungen, der hier auf subtilere Weise seinen Fortgang nimmt[ ... ]. Eine wichtige Einschränkung besteht allerdings: Da in der Setzung keine unmöglichen Aussagen und in der Aufhebung keine notwendigen Aussagen zugelassen

XXXIV

Franz Schupp

werden dürfen,llli finden die Folgerungen, die in der Terminologie der frühen englischen Logiker »materiale Folgerungene genannt wurden (d. h.: »aus Unmöglichem folgt Beliebiges«, »das Notwendige folgt aus Beliebigem•), in den obligationes keine Anwendung. Sie gelten selbstverständlich auch fUr die Partner einer obligationes-Disputation, sind sie doch gerade der Grund, weshalb bestimmte Aussagen nicht zugelassen werden dürfen. Sie können aber aus demselben Grund nach der Zulassung einer Aussage, sobald also die Disputation begonnen hat, keine Anwendung mehr finden. Innerhalb einer obligationes-Disputation werden also - wiederum in der Terminologie der frühen englischen Logiker - ausschließlich formale Folgerungen angewandt. Die Kenntnis der Regeln der Folgerungslehre wird in den Verpflichtungen vorausgesetzt, modern ausgedrückt: Beide Disputationspartner müssen in Hinsicht auf die Folgerungsregeln kompetent sein, es gibt hier keine »stärkere oder »schwächer folgerichtige argumentierenden Teilnehmer einer Disputation.156 Die Folgerungsregeln werden aber in den obligationes in einer spezifischen Form angewandt. Man kann dies an zwei Beispielen verdeutlichen. In Martinus Anglicus, De cons., fol. 38v, steht z. B. folgende bekannte und grundlegende Regel: a conditionali cum suo antecedente ad consequens eiusdem est bona consequentia. von einer konditionalen (Aussage) zusammen mit dem Antezedens zum Konsequens ist eine gültige Folgerung.

Also: [(p --+ q) A p] --+ q (Der Einfachheit halber wurde in der Formalisierung 156 Vgl. Nr. (3) und Nr. (35) bei Martinus Anglicus und den Kommentar dazu. 156 Vgl. zu dieser Untencheidung Stelzner, 1977, S. 202-205.

Einleitung

XXXV

nicht zwischen Konditionalaussage und Folgerung unterschieden.) oder eher:

p -+ q

p

q

In den obligationes findet diese Regel nun eine spezifi-

sche Anwendung [so z. B. bei Martinus Anglicus in Nr. (16)], die wir hier zur besseren Vergleichbarkeit in der Form bringen, wie sie in Paul von Pergula, Logica IV, S. 91,130-132, enthalten ist: Si allqua consequentia est bona et scita a te esse bona et

antecedens est67 concedendum consequens similiter est concedendum. Wenn irgendeine Folgerung gültig ist und von dir als gültig gewußt wird und das Antezedens zugestanden werden muß, dann muß auch gleicherweise das Konsequens zugestanden werden.

Also: s.

mnes propositiones sunt vere, iste due contradictorie: rex etc. sunt propositiones, ergo sunt similiter vere; consequens est impossibile, et tamen est concedendum a te, ergo impossibile I est concedendum a te solum propter possibile positum, ergo male respondisti«. Solutio: admittatur casus, et quando proponitur »iste contradictorie: etc.«, negatur, et quando arguitur: »tu negas verum et impertinens, ergo male respondes«, negatur antecedens, quia licet hec sit vera: iste due contradictorie sunt propositiones, et quia omnes iste sunt repugnantes, ex quibus sequitur materialiter vel formaliter impossibile, igitur etc.

ad 78r (47) Exemplum. Deponatur illa: tu non es niger, vel tu es coloratus; deinde proponatur illa: tu non es niger. Si concedis, contra: »tu concedis antecedens ad utrumlibet depositum, ergo male respondes«. Si negas, proponitur eius contradictorium: tu es niger; qua concessa proponitur

(46)-(47)

Über die Verpflichtungen

47

lieh antwortest du unrichtige. Wenn du es zugestehst, wird diese vorgelegt: alle Aussagen sind wahr. Wenn du (dies) verneinst, wird entgegengehalten: »du verneinst das Gegenteil des Aufgehobenen, folglich antwortest du unrichtig«. Wenn du es zugestehst, wird so argumentiert: »alle Aussagen sind wahr, diese beiden Kontradiktorischen: der König usw. sind Aussagen, folglich sind sie in gleicher Weise wahr; das Konsequens ist unmöglich, und dennoch muß es von dir zugestanden werden, folglich muß von dir nur wegen des möglichen Gesetzten Unmögliches zugestanden werden, folglich hast du unrichtig geantwortet«. Die Lösung: der Fall wird zugelassen, und wenn vorgelegt wird: »diese kontradiktorischen Aussagen: usw.•, wird (dies) verneint, und wenn argumentiert wird: »du verneinst Wahres und Nichtdazugehöriges, folglich antwortest du unrichtige, so wird das Antezedens verneint, obwohl diese (Aussage) wahr ist: diese zwei Kontradiktorischen sind Aussagen, und weil alle diese (Aussagen einander) widersprechend sind, aus denen material oder formal Unmögliches folgt, folglich usw. (47) Ein Beispiel. Es werde diese (Aussage) aufgehoben: du bist nicht schwarz, oder du bist nicht farbig; dann werde diese (Aussage) vorgelegt: du bist nicht schwarz. Wenn du dies verneinst, so wird dem entgegengehalten: »du gestehst ein Antezedens zu, das auf beide (Teile hin) aufgehoben ist, folglich antwortest du unrichtig•. Wenn du dies verneinst, wird dessen kontradiktorisches Gegenteil vorgelegt: du bist schwarz; nachdem dies zuge-

48

De obligationibua

78r

illa: tu es coloratus. Si negas, contra: »tu negas sequens ex opposito bene concesso, ergo male respondes«. Si concedis, contra: »tu concedis antecedens ad depositum, ergo male respondes per illam regulam hic positam. Patet antecedens, quia illa: tu es coloratus, que est altera pars disiunctive deposite, etc.«

(47)

Über die Verpflichtungen

standen ist, wird diese (Aussage) vorgelegt: du bist farbig. Wenn du dies verneinst, so wird dem entgegengehalten: »du verneinst etwas, das aus dem richtig zugestandenen Gegenteil folgt, also antwortest du unrichtig«. Wenn du dies zugestehst, so wird dem entgegengehalten: »du gestehst ein Antezedens des Aufgehobenen zu, folglich antwortest du unrichtig aufgrund der hier aufgestellten Regel. Das Antezedens ist offensichtlich, weil es jene (Aussage) ist: du bist farbig, die der andere Teil der aufgehobenen disjunktiven (Aussage) ist, usw.«

KOMMENTAR*

I. Definition und Einteilung der Verpflichtungen Nr. (1): Der Terminus obligatio stammt ursprünglich aus dem Bereich des Rechts. Auf diesen Zusammenhang wird in einigen wenigen Traktaten auch ausdrücklich verwiesen. So findet sich z. B. in der Hs. Circa tractatum obligatoriorum, fol. 167ra, der Hinweis: duplex est obligatio, scilicet legalis et loycalis es gibt zwei (Arten der) Verpflichtungen, nämlich die gesetzliche und die logische.

Im folgenden geht es selbstverständlich ausschließlich um die Verpflichtung im logischen Sinn. Obligatio wird in der mittelalterlichen Logik in dreüachem Sinn verwendet: 1) Der erste Sinn ist jener, durch den eine ganze Disputation bezeichnet wird, die nach bestimmten Regeln durchgeführt wird. 2) Der zweite ist jener, mit dem ein Traktat bezeichnet wird, in dem diese Regeln aufgelistet und diskutiert werden. Dies ist die Bedeutung, die den Titeln der Traktate De obligationibus zugrundeliegt. In diesem Sinn ist es berechtigt, von den obligationes als einer ars zu sprechen, so wie die Logik im ganzen häufig als ars artium bezeichnet wurde. 3) Im dritten Sinn wird mit obligatio die besondere Art und Weise bezeichnet, mit der bestimmte Aussagen • Die Absatzzählung (1), (2) usw. des Textes des Martinus Anglicus wird hier mit der Bezeichnung Nr. (1), Nr. (2) usw. wiedergegeben.

52

Kommentar. Zu Nr. (1)

[nicht alle, vgl. dazu weiter unten Nr. (13)] in dieser Disputationsform behandelt werden. Dieser Sinn ist gemeint, wenn in Nr. (1) gesagt wird, daß ein Angreifer einen Verteidiger bindend festlegt. Für diesen letzten Sinn ist die Bezeichnung ars nicht wirklich zutreffend. Vgl. dazu weiter unten Wilhelm Buser und Paulus Venetus. Die in Nr. (1) verwendete Definition der obligatio wird in zahlreichen Traktaten gebraucht. (Einen Überblick über die Traktate, die mit ..oJ:»ligatio est quedam arsc beginnen, liefert Ashworth, 1985, S. 327f.) Swyneshed, Fland, Lavenham und Johannes aus Holland verwenden diese Definition nicht. Die Definition der obligatio als ars wurde nicht allgemein akzeptiert. Buser, Obl. I, S. 66,19-21, und S. 66,24 - 68,28, kritisiert sie ausdrücklich und stellt ihr die Auffassung gegenüber, daß die obligatio unter die Kategorie der »Akte« (actus) einzureihen sei. Zu dieser Kritik Busers vgl. Kneepkens, 1982, S. 154f.; vgl. ferner ders., 1993. Die Analyse Busers der obligatio als actus setzte sich jedoch nicht durch. Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 1, S. 8-10, Nr. 4, lehnt sie ausdrücklich ab. Seiner Auffassung nach fällt die obligatio unter die Kategorie der »Beziehung« (relatio), so ebd., S. 10, Nr. 5: Dicatur ergo quod obligatio est in praedicamento relationis, et est formaliter relatio fundata in obligante et obligato: in obligante, ratione positionis vel depositionis; in obligato, vero ratione admissionis. Es wird folglich gesagt, daB die Verpflichtung zur Kategorie der Beziehung gehört, und sie ist formell eine Beziehung, die im Verpflichtenden und im Verpflichteten begründet ist: im Verpflichtenden aufgrund der Setzung oder der Aufhebung; im Verpflichtetenaufgrund der Zulassung. Auch im Rahmen dieser Analyse der obligatio ergibt sich eine Kritik jener Definition, die auch Martinus Anglicus

Kommentar. Zu Nm. (1)-(2)

53

in Nr. (1) verwendet. Paulus Venetus, ebd., S. 12, Nr. 2, stellt zunächst fest, daß die Verpflichtung keine Kunst (ars) ist, so wie ja auch der Angreüer nicht im strengen Sinn (formaliter) als Hersteller eines künstlichen Werks (artifex) bezeichnet werden kann. Er kritisiert jedoch ebd. auch den zweiten Teil der Definition: opponens non ligat reapondentem; aed potiua reapondens ligat aeipaum, quia per poaitionem vel depoaitionem non Iigatur reapondens aed bene per admiaaionem. der Angreifer legt den Verteidiger nicht fest; vielmehr legt der Verteidiger sich selbst fest, da der Verteidiger durch die Setzung oder die Aufhebung nicht festgelegt wird, wohl aber durch die Zulassung.

Die hier nur angedeutete Diskussion um die Definition von obligatio führte in der mittelalterlichen Philosophie beinahe ein Eigenleben, d. h., die Vertreter der verschiedenen Definitionen bilden nicht Gruppen, die sich anderen Gruppen von Autoren zuordnen ließen, die bestimmte Regeln annehmen bzw. ablehnen. Nr. (2): Die Zahl der Arten der Verpflichtung war nicht festgelegt. Burleigh, Obl., S. 35,1-6, und Ockham, Summa logicae ill-3, 39, S. 732,12f., führen sechs Arten auf: institutio, petitio, positio, depositio, dubitatio, »Bit verum•. Diese sechs Arten finden sich auch noch bei späteren Autoren, vgl. z. B. Buser, Obl., m, S. 116,1-5, der nur statt institutio das bedeutungsgleiche impositio aufführt. Die Autorengruppe, zu der Martinus Anglicus gehört, zählt drei Arten auf: positio, depositio und impositio. Vgl. Swyneshed, Obl., S. 253, Nr. 16; Lavenham, Obl., S. 226, Nr. 1; ebenso Billingham, Obl., fol. 49r; Johannes aus Holland, Obl., S. 91, 4f.; Libellus Sophistarum ad usum Cantabrigiensem, fol. C 1v. Swyneshed und Lavenham sagen ausdrücklich, daß es nur diese drei Arten von Verpflichtungen gibt, während Martinus Anglicus die zwei (bzw. drei) Arten, die er aufführt, nur

Kommentar. Zu Nr. (2)

als die zu seiner Zeit bekannteren unter einer größeren Zahl (»multe speciesc) bezeichnet. Die Einteilung in nur zwei Arten, wie sie bei Martinus Anglicus vorliegt, findet sich auch in der Logica Oxoniensis, fol. 62v, und im Libellus Sophistarum ad usum Oxoniensem, fol. D 3r; sie wird auch später gebraucht, vgl. Paulus Venetus, Logica parva V, S. 118, und Paul von Pergula, Logica V, S. 102,9-11. Bei Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 2, S. 36, Nr. 8, hingegen werden drei aufgeführt: suppositio, positio, depositio. Martinus Anglicus führt zwar in Nr. (2) nur zwei Arten auf, in Nr. (10) jedoch auch die impositio, von der er in Nr. (22) auch einen der umstrittenen Fälle diskutiert. Zwischen den genannten Einteilungen in drei Arten und in zwei Arten besteht jedoch kein großer sachlicher Unterschied, da von verschiedenen Autoren festgestellt wurde, daß die impositio ebenso zu behandeln ist wie die positio. Vgl. beispielsweise den Libellus Sophistarum ad usum Cantabrigiensem, fol. C2r: Omnes regule de positione habent intelligi de impositione nulla mutatione facta nisi istius termini pono in istum. terminum

impono.

Alle Regeln über die Setzung müBBen (auch als Regeln für) die Festlegung (der Bedeutung) verstanden werden, ohne daß irgendeine Änderung vorgenommen werden müßte außer die des Terminus ich setze in den Terminus ich lege (die Bedeutung) fest.

Ähnlich Fland, Obl., S. 53, Nr. 62: eodem modo respondendum est ad obligatum per impositionem et ad sequens ex imposito obligato per impositionem sicut ad positum et ad sequens ex posito per positionem. auf dieselbe Weise ist auf ein durch Festlegung (der Bedeutung) Verpflichtetes und auf etwas, das aus einem durch Festlegung (der Bedeutung) festgelegten Verpflichteten folgt, zu antworten wie auf ein Gesetztes und auf etwas, das aus einem durch Setzung Gesetzten folgt.

Kommentar. Zu Nr. (3)

55

Nr. (3): 1) »Bejahend antworten« 2) »Nur Falsches« 3) »Nichts Unmögliches« 1) »Bejahend antworten«

Eine bejahende Antwort in einer Disputation mit Verpflichtungen kann zwei verschiedene Formen haben: a) »Ich lasse ZU« (admitto): dies ist der Fall, wenn ein Gesetztes erstmals vorgelegt wird. Martinus Anglicus erklärt Dicht näher, was mit Zulassung gemeint ist. Burleigh, Obl., S. 45,13, stellt dazu fest, dies bedeute, daB eine zugelassene Aussage in diesem Fall (für die Zeit der Disputation) für wahr gehalten werden muß (»ad habendum pro veroc), und Ockham, Summa logicae ill--3, 41, S. 736,27f., sagt in ähnlicher Weise: Positio igitur obligat ad sustinendum aliquam propositionem eo modo quo propositio vera debet sustineri a respondente. Die Setzung verpflichtet dazu, eine AUBBage in der Weise zu behaupten, wie eine wahre Aussage vom Verteidiger behauptet werden mu.B.

Diese Auffassung gilt auch für die Gruppe von Logikern, zu der Martinus Anglicus gehört, vgl. Fland, Obl., S. 44, Nr.4: admiua tali propositione »Tu curris•, Bi Bit falsa, debet sustineri pro vera. wenn eine solche Auuage: du l/Jufst zugelassen wird, dann mu.B sie, wenn sie falsch ist, wie eine wahre behauptet werden.

b) »Ich gestehe zu« (concedo): dies ist der Fall bei Aussagen, die später vorgelegt werden, oder beim Gesetzten, nachdem es zugelassen worden ist [ein spezieller Fall, bei dem dies umstritten ist, wird in Nr. (21) behandelt]. »Ich gestehe ZU« ist somit die korrekte Antwort bei einer falschen gesetzten Aussage [vgl. Nr. (7)] und bei einer aus einer solchen folgenden, also dazugehörigen Aussage [vgl. Nr. (15) und Kommentar], aber auch bei einer wahren Dichtdazugehörigen Aussage [vgl. Nr. (13)].

56

Kommentar. Zu Nr. (3)

2) »Nur Falsches«

Nur Falsches (falsum), sofern es möglich ist (dummodo sit possibile), darf gesetzt werden: Eine Aussage, die falsch, aber möglich ist, ist kontingent [dies wird in Nr. (35) im ZuMmmenhang der Aufhebung ausdrücklich festgestellt]. Vgl. Lavenham, Obl., S. 227, Nr. 5: Nulla propositio necessaria vel impossibilia eat ponibilia vel

deponibilia, aed solum propositio contingens est ponibilis vel deponibilis. Et propositio contingens est illa propositio quae potest esse vera vel falsa sua significatione primaria remanente. Keine notwendige oder unmögliche AUBBage ist setzbar oder aufhebbar, vielmehr ist nur eine kontingente Auuage setzbar oder aufhebbar. Und eine kontingente AUBBage ist jene Aussage, die - bei gleichbleibender ursprünglicher Bedeutung wahr oder falsch sein kann.

Vgl. auch Fland, Obl., S. 43, Nr. 3; Johannes aus Holland, Obl., S. 91,10f. - Die Forderung, daß der Ausgangspunkt einer obligationes-Disputation eine falsche (und kontingente) Aussage sein muß, stellt ein Charakteristikum dieser Disputationsform dar. Vgl. hierzu beispielsweise die Erläuterung von Buser, Obl. II, S. 92, 150-152: pro tanto fuerunt obligationes inventae, ut aciam.us austinere aliquod poBSibile licet Calsum, nec a: hoc cogamur ad concedendum impossibile simpliciter. die Verpflichtungen wurden zu dem Zweck erfunden, daB wir wissen, wie etwas Falsches, aber Mögliches aufrechterhalten werden kann, wir deshalb aber nicht gezwungen werden, etwas schlechthin Unmögliches zuzugestehen.

Allerdings muß festgestellt werden, da.B bei einem Gesetzten, das aus einer zusammengesetzten Aussage besteht, dieser Forderung häufig nicht entsprochen wird [vgl. dazu den Kommentar zu Nr. (25)], ohne da.B dafiir eine Begründung angegeben würde.

Kommentar. Zu Nr. (3)

57

3) »Nichts Unmögliches« Der Ausschluß unmöglicher Aussagen als Gesetztes ergibt sich aus der Struktur der obligationes-Disputation. Der Angreüer muß versuchen, den Verteidiger zum Zugeständnis eines Widerspruchs zu zwingen, der Verteidiger muß entsprechend verhindern, einen Widerspruch zugestehen zu müssen. Nun gilt in der mittelalterlichen Folgerungslehre (fast) allgemein (vgl. z. B. Ockham, Summa. logicae ill-3, 38, S. 730,88; Wilhelm von Osma, De cons. I, S. 8, Nr. 18; Martinus Anglicus, De cons., fol. 36v): u impossibili sequitur quodlibet

aus Unmöglichem folgt Beliebiges

Wenn beliebige Aussagen aus dem Unmöglichen folgen, dann können auch zwei widersprüchliche Aussagen folgen, und somit hätte der Verteidiger mit der Zulassung einer unmöglichen Aussage die Disputation sofort verloren. Entsprechendes gilt auch für notwendige Aussagen in der Aufhebung [vgl. Nr. (35)], bei denen folgende Regel der Folgerungslehre zur Anwendung gebracht werden könnte (vgl. z. B. Ockham, Summa. logicae ill-3, 38, S. 731,89; Wilhelm von Osma, De cons. I, S. 8, Nr. 17; Martinus Anglicus, De cons., fol. 37r): necessarium sequitur ad quodlibet das Notwendige folgt aufBeliebiges

Die beiden genannten Regeln werden in der mittelalterlichen Logik die Regeln der materialen Folgerung genannt (weitere Regeln gültiger materialer Folgerung gibt es nicht; vgl. dazu Wilhelm von Osma, Einleitung S. XXXIX-XLIII), so daß sich also ergibt, daß in den obligationes-Disputationen materiale Folgerungen überhaupt nicht zur Anwendung kommen können, sondern nur formale Folgerungen (vgl. zu diesen ebd., S. XXXIIIXXXIX). Diese Auffassung setzte sich jedoch erst langsam durch. Ockham ließ zunächst noch beide Arten der

58

Kommentar. Zu Nr. (3)

Folgerung in den obligationes zu, legte aber für die Anwendung materialer Folgerungen eine Sonderregelung fest. Unproblematisch ist der Fall der formalen Folgerung, so Ockham, Summa logicae ill--3, 42, S. 740,34--36 (die Terminologie •naturalis« anstelle von •forDialis« ist allerdings die Burleighs!): Omne sequens ex posito conaequentia naturali et aimplici, tenente virtute propositionis vel regulae per se notae, est concedendum. alles, was aus dem Gesetzten in einer natürlichen und einfachen Folgerung kraft der Aunage oder kraft einer durch sich bekannten Regel folgt, ist zuzugestehen.

Ockham schwankte allerdings bei der Frage der Zulassung von unmöglichen Aussagen als Gesetztem. Ockham, Summa logicae ill--3, 42, S. 740,43--45: lliud autem quod sequitur conaequentia [... ] materiali [... ] potest negari, quantumcumque veraciter aequeretur ex posito. Jenes aber, was in materialer Folgerung folgt[ ... ], kann verneint werden, auch wenn es aus dem Gesetzten mit Wahrheit folgt.

Dies bedeutet, daß bei Ockham in einer obligationes-Disputation zwar materiale Folgerungen zugelassen werden, in diesem Fall aber das Antezedens zugestanden und das Konsequens verneint wird. Dies ist offensichtlich eine unbefriedigende Lösung, da es der allgemeinen Definition der einfachen (simplex) Folgerung widerspricht, nach der es unmöglich ist, daB das Antezedens wahr, das Konsequens aber falsch ist (vgl. Ockham, Summa logicae ill--3, 1, S. 588,18f.; Wilhelm von Osma, De cons. I, S. 4, Nr. 6). Im selben Kapitel findet sich jedoch bei Ockham, Summa logicae ill--3, 42, S. 739,2124, eine Einschränkung bei der Zulassung von Gesetztem, durch die der eben genannte Fall gar nicht auftreten kann: Unde circa istam positionem impossibilem est sciendum quod non quaelibet propositio impossibilis est admittenda, quia illa

Kommentar. Zu Nr. (3)

59

propoaitio impoasibilia quae manifeste apud omnem intellectum infert contradictoria non est admittenda. Deshalb muB man in Hinsicht auf jene unmögliche Setzung (ac. Setzung von Unmöglichem) wiaaen, da.8 nicht jede beliebige unmögliche AUBBage zugelassen werden d.ar( da jene unmögliche AUBBage, die für jeden Verstand einsichtig Widersprüchliches folgen läßt, nicht zugelaaaen werden darf.

Unter dieser Voraussetzung ergibt sich kein Konflikt mit der allgemeinen Folgerungslehre, es wird vielmehr nur festgelegt, daß eine bestimmte Art von Aussagen, nämlich die offensichtlich unmöglichen, die in der Folgerungslehre ein verwendbares Antezedens darstellen, in einer obligationes-Disputation nicht als Gesetztes (positum) verwendet werden dürfen, so daß dann für materiale Folgerungen die Voraussetzung fehlt. (Zu Ockham vgl. Stump, 1982, S. 332-334.) Möglicherweise ist die letztere These Ockhams unter dem Einfluß Burleighs entstanden. Bei Burleigh, Obl., S. 83f., findet sich ein eigener Abschnitt »De positione impossibili«. Dieses Unmögliche muß aber vertretbar (opinabile) sein, d. h., es darf keinen formalen Widerspruch enthalten (»impossibile formaliter includens opposita non debet hic poni«), ebd., S. 83,13-18. Daraus ergibt sich für Burleigh, daß keine materialen Folgerungen, sondern nur natürliche Folgerungen (bei anderen frühen englischen Logikern gewöhnlich »formale Folgerungen« genannt) verwendet werden dürfen, ebd., S. 83, 19-21 und 26-29: in hac poaitione non sunt iatae regulae sustinendae: ex impoasibili aequitur quodlibet, neceuarium aequitur ad quodlibet. [... ] Et ideo hic aolum est austinenda conaequentia naturalis, et non quaelibet, aed aolum illa quae est ita manifest&, quod eius oppoaitum non potest opinari. in dieser Setzung dürfen jene Regeln nicht aufrechterhalten werden: aus Unmöglichem folgt Beliebiges, Notwendiges folgt auf Beliebiges.[ ... ] Und deshalb darfhier nur eine natürliche Folgerung aufrechterhalten werden, und zwar nicht jede

60

Kommentar. Zu Nm. (3)-(4)

beliebige, sondern nur jene, die so offenkundig ist, daB ihr Gegenteil nicht vertretbar ist.

»Sustinere« wäre wahrscheinlich besser durch »verwenden« als durch das wörtliche »aufrechterhalten« wiederzugeben. Die Auffassung Burleighs findet sich (mit etwas anderer- in bezug auf die Folgerungslehre ungewöhnlicher Terminologie) auch bei Ps.-Sherwood, Obl., S. 24,17-27 und S. 26,11-27,14. Von da aus kann der Zusatz bei Martinus Anglicus, daß das Unmögliche als solches gewußt werden muB (scitum esse tale), interpretiert werden: Ein Unmögliches, das nicht als solches gewußt wird, wird in einer obligationes-Disputation wie ein Falsches, aber Mögliches aufgefaßt (entsprechend dem nicht manifeste Unmöglichen Ockhams und dem opinabile, also dem Vertretbaren, Burleighs), bei dem dann faktisch die Anwendung einer materialen Folgerung ausgeschlossen ist, während formale Folgerungen gezogen werden können. Auch Billingham, Obl., fol. 49r, betont, daß formale Beziehungen vorliegen müssen (formaliter sequens, formaliter repugnans), damit aufgrund einer zugestandenen Aussage eine andere zugestanden oder verneint werden kann; ebenso die Logica Oxoniensis, fol. 62v-66r, und der Libellus Sophistarum ad usum Oxoniensem, fol. D3v. Der Ausdruck »debet poni et admitti« in Nr. (3) bei Martinus Anglicus ist nicht ganz präzise, da es nur darum gehen kann, welche Aussagen vorgelegt werden können und dann zugelassen werden müssen; es wäre also korrekter, zu sagen: »potest poni et debet admitti«. Nr. (4): Die Forderung, die hier ausgesprochen wird, scheint zunächst evident, denn würden widersprüchliche Aussagen zugestanden, so ergäbe das eine unmögliche Aussage, und der Verteidiger hätte die Disputation

Kommentar. Zu Nm. (4)-(5)

61

verloren. Mit Nr. (4) soll ohne Zweüel diese allgemeine Grundlage jeder Disputation ausgedrückt werden. Im Kontext der obligationes-Disputationen erhält jedoch bei Martinus Anglicus und den Autoren, zu deren Gruppe er gehört, das •niemals« (numquam) ein besonderes Gewicht, da bei den Autoren der alten Antwort (antiqua responsio) fiir obligationes-Disputationen die Möglichkeit gestattet wurde, eine Aussage an einem Ort zuzugestehen und an einen anderen Ort zu verneinen, was in der neuen Antwort (nova responsio) abgelehnt wurde. Vgl. Kommentar zu Nr. (18), 1). Nr. (5): Dem Verteidiger (respondens) stehen drei mögliche Antworten zur Verfügung: »ich gestehe zu« (concedo), •ich verneine« (nego), •ich zweifle anc (dubito). Die letztere kommt jedoch bei Martinus Anglicus (ebenso wie bei Swyneshed, Fland und Lavenham) fiir eine als Gesetztes (positum) vorgelegte Aussage nicht in Frage, denn: Ist das Gesetze als möglich zugelassen, so muß es zugestanden werden [Nr. (7); eine Ausnahme wird in Nr. (21) angeführt]. Die Möglichkeit, eine Aussage anzuzweüeln, besteht bei diesen Autoren nur bei einer nichtdazugehörigen (impertinens) Aussage, die sich auf einen tatsächlichen Sachverhalt und dessen Kenntnis von seitendes Verteidigers bezieht [vgl. Nr. (13)]. An diesem Punkt dürfte ein Unterschied zu den frühen Autoren der Theorie der obligationes vorliegen, bei denen das Anzweüeln eine eigene Art (species) der Verpflichtung darstellt, so da.6 also eine Parallelität zwischen Gesetztem (positum) und Angezweüeltem (dubitatum) besteht. Vgl. Ockham, Summa logicae ill-3, 44, s. 742,2-5: Quinta species obligationis ponitur dubitatio. Et est dubitatio obligatio ad sustinendum aliquid tamquam dubium. Unde regulae sunt istae: ad omne dubitatum, tempore dubitationis propositum, respondendum est dubie.

62

Kommentar. Zu Nm. (6)-(6)

Als fiinfte Art der Verpflichtung wird das Anzweifeln gesetzt. Und das Anzweifeln besteht in der Verpflichtung, etwas als Zweifelhaftes zu behaupten. Deshalb sind dies me Regeln dafiir: Auf jedes Angezweifelte, das während des Zeitraums des Zweiteins vorgelegt wird, ist mit Anzweifeln zu antworten. (Es folgen weitere Regeln.)

Hier kann also der Angreifer etwas als Anzuzweüelndes vorlegen. Bei den Autoren der Gruppe, zu der auch Martinus Anglicus gehört, ist diese Möglichkeit nicht mehr gegeben, so da8 die dubitatio nur noch als Antwort des Verteidigers für nichtdazugehörige Aussagen übrigbleibt. Es f'allt jedoch auf, da8 im Traktat des Martinus Anglicus das Anzweüeln auch bei nichtdazugehörigen Aussagen faktisch nicht verwendet wird. Im Text des Martinus Anglicus gibt es jedoch eine Stelle, die dem eben Gesagten zu widersprechen scheint. In Nr. (28) führt er ein Gesetztes ein, das aus gleichartigen Aussagen besteht [vgl. dazu den Kommentar zu Nr. (28)], bei dem gilt, daß, wenn die eine Aussage angezweüelt wird, auch die andere angezweüelt werden muß. Dabei ist aber zu beachten, daß sich in Nr. (28) die Setzung auf die Gleichartigkeit von Aussagen bezieht. Wird eine der Aussagen dann vorgelegt, so muß auf sie wie auf ein Nichtdazugehöriges geantwortet werden, das als solches auch angezweüelt werden kann. Andere Autoren führen jedoch weiter die dubitatio als eine Art der Verpflichtung an. Vgl. z. B. Buser, Obl. m, S. 116,3; Marsilius von Inghen, De arte obligandi, fol. 4ra, und den anonymen Traktat Circa tractatum obligatoriorum, fol. 181vb [vgl. auch Kommentar zu Nr. (2)]. Nr. (6): In der mittelalterlichen Logik ist eine kategorische Aussage eine einfache, aus Subjekt-Kopula-Prädikat bestehende Aussage, eine hypothetische Aussage besteht (explizit oder implizit) aus mehreren kategorischen Aussagen.

Kommentar. Zu Nr. (7)

63

11. D~ einfache Betzung Nr. (7): Die einzelnen Elemente der Regel werden in Nrn. (8)-(12) näher erläutert. Der Formulierung des Martinus Anglicus kommt die im Libellus Sophistarum ad usum Cantabrigiensem, fol. C 1v, und die des Johannes aus Holland, Obl., S. 97,12-14, sehr nahe: omne positum sub forma positi propoaitum non repugnana poaitioni acitum eBBe tale infra tempus obligationis eat concedendum. jedes Gesetzte, das in der Form eines Gesetzten vorgelegt wird, das nicht der Setzung widerspricht (und) das als solches gewu.Bt wird, ist während der Zeit der Verpflichtung zuzugestehen.

Vergleicht man die beiden Formulierungen, so ergibt sich zunächst, daß Martinus Anglicus ,.infra tempus poaitionisc setzt, während Johannes aus Holland ,.infra tempus obligationisc schreibt. Nimmt man die interpretierende Nr. (10) bei Martinus Anglicus hinzu, so ergibt sich ohne Zweifel, daß sachlich die letztere Formulierung korrekt ist. D. h., ein zugelassenes Gesetztes muß nach dieser Regel während der ganzen Zeit der Verpflichtung, d. h. während der ganzen Zeit der obligationes-Disputation, immer dann zugestanden werden, wenn es vorgelegt wird. Weiter ergibt der Vergleich, daß die einschränkende Bedingung »scitum esse talec an verschiedenen Stellen gesetzt wird. Dies weist möglicherweise auf ein prinzipielles Problem hin. Den Autoren von obligationesTraktaten war zunehmend bewußt geworden, daß - im Unterschied zur Behandlung der Folgerungen (consequent~)- bei Disputationen mit Verpflichtungen epistemische Elemente, also besonders der Wissensstand des Verteidigers, eine wichtige Rolle spielen [vgl. auch den Kommentar zum »scitum esse talec in Nr. (3)]. Die Traktate De scire et dubitare, z. B. der von Heytesbury

Kommentar. Zu Nr. (7)

[vgl. Martinus Anglicus, Marginalie Nr. (41)], wurden somit für die Diskussion der Verpflichtungen relevant. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der Zusatz »scitum esse talec konsequent und immer an der richtigen Stelle eingesetzt wurde. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Formulierung von Nr. (15) und Nr. (16), die mit oder ohne diesen Zusatz verwendet werden [vgl. Kommentar zu Nm. (15) und (16)], ohne daß daraus zu viel geschlossen werden sollte, da z. B. Ockham bei diesen ganz parallel konstruierten Regeln in einem Fall den Zusatz hinzufügt, im anderen aber nicht. Spade, 1982b, S. 7, Anm., weist darauf hin, daß zur Zeit Burleighs die Verwendung von epistemischen Qualifikationen in obligationesTraktaten eine noch nicht endgültig geklärte Frage darstellte. Dies dürfte aber auch noch für zahlreiche Traktate der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts zutreffen. Fland, Obl., S. 43, Nr. 1, bezieht das »scitumc auf »positumc (»omne positum scitum esse positum«). Ebenso bezieht Johannes aus Holland das hier in Frage stehende »scitum esse talec auf das Gesetzte (»positumc) und erläutert es in Obl., S. 99,2-5, auffolgende Weise: »scitum esse tale« declaratur sie: quia, si quis ponat tibi istam falsam: tu es Rome te ignorante, et proponeretur tibi eadem, haberes eam negare ac si non esset obligatio facta. »als solches gewußt« wird so erklärt: wenn nämlich jemand dir diese falsche (Aussage) setzt: du bist in Rom, wobei du es (sc. daß sie dir gesetzt wird) nicht weißt, und wird dir dieselbe vorgelegt, 80 wirst du sie verneinen müssen, 80 als ob keine Verpflichtung geschehen wäre.

Die in diesem Zusammenhang präziseste Zuordnung des »scitumc findet sich bei Buser, Obl. m, S. 172,702-705, der es auf die Zulassung eines Gesetzten als Möglichen bezieht: omne positum possibile scitum esse tale est admittendum; et per consequens omne positum tibi possibile quod tu scis esse tale est a te admittendum.

Kommentar. Zu Nm. (7)-(9)

66

jedes mögliche Gesetzte, das als solches gewußt wird, mu.B zugelassen werden; und folglich mu.B jedes dir gesetzte Mögliche, das du als solches weißt, von dir zugelassen werden.

Es ist syntaktisch möglich, das »scitum esse tale« bei Martinus Anglicus in derselben Weise wie bei Johannes aus Holland auf »positum« zu beziehen, so daß sich die Interpretation nahelegt: Wenn ein Gesetztes als Gesetztes gewußt wird und zugelassen wird, muß es - vorausgesetzt, es widerspricht nicht der Setzung- zugestanden werden. Nr. (8): Der Text wurde hier aus K ergänzt. Das Fehlen dieser Textstelle in V ist philologisch gut erklärbar: Der Kopist sprang vom einen »eoncedatur« zum folgenden »eoncedatur«, es liegt also ein häufig vorkommender Kopistenfehler vor. Daß die im Text vorgenommene EinfUgung korrekt ist, ergibt sich auch daraus, daß Buser, Obl. m, S. 174,713-732, und Johannes aus Holland, Obl., S. 97,20-98,11, das Beispiel, das Martinus Anglicus in Nr. (9) aufführt, als Erklärung fiir die zusätzliche Bedingung •sub forma positi propositum« verwenden, also genau so, wie der Text von K es vorsieht. Für Nr. (8) liegt bei Swyneshed, Fland, Lavenham und Johannes aus Holland kein Paralleltext vor. Hingegen findet sich der erste Teil von Nr. (8), d. h. »Dicitur ... proponitur«, fast wörtlich bei Buser, Obl. 111, S. 174,711713. Die Erläuterung bringt eigentlich nichts Neues, denn wenn eine Aussage als Gesetztes nicht zugelassen wird, stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob es zugestanden werden soll oder nicht. Nr. (9): Der Sinn des Zusatzes •sub forma positi propositum« ist klarer als das Beispiel, durch das die Notwendigkeit des Zusatzes erläutert werden soll. Es soll dadurch gesagt werden, daß zur forma einer Aussage nicht nur die geschriebene oder gesprochene Gestalt eines Sat-

66

J[oEnmmentar.Zu~r.(9)

zes gehört, sondern auch alljene Elemente, die zu einer vollständigen formalen Analyse eines Satzes gehören (vgl. dazu u. a. die mittelalterliche Suppositionslehre). Ein Satz, der [entsprechend den Kriterien in Nr. (3)] zugelassen ist, muß also nach der Regel in Nr. (7) nur dann zugestanden werden, wenn das Gesetzte und Zugelassene (positum admissum) dann, wenn es vorgelegt wird (positum propositum), genau mitallden formalen Elementen und Bezügen vorgelegt wird, die es als Gesetztes aufweist, wenn es also tatsächlich »sub forma positi propositumc ist. Das Beispiel geht auf ein viel verwendetes Sophisma und dessen Lösung zurück. Vgl. Burleigh, Obl., S. 47,625; Ps.-Sherwood, Obl., S. 21; Ockham., Summa logicae ill--3, 41, S. 737,51-62; Johannes aus Holland, Obl., S. 97,24 - 98,11; Libellus Sophistarum ad usum Omniensem, fol. D 4v; Buser, Obl. m, S. 174,715-732; Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 3, S. 52f. Sophisma: 1.1. Das andere vonjenen beiden ist wahr (jene beiden:

der König sitzt, kein König sitzt) 1.2. Das eine von jenen beiden istwahr 1.3. Das andere vonjenen beidenistwahr 1.4. Jedes von jenen beiden ist wahr

A

C C (C) (N)

dazugehörig, wahr =das Gesetzte in 1.1. Einwand: 1.4. ist unmöglich Einwand: 1.4. folgt aus 1.2. + 1.3.

[Hinweis: Die hier (und im folgenden) in Klammern gesetzten Antworten, also »(C)c, »(N)c etc., deuten an, daß der Angreifer meint, den Verteidiger in eine unlös-

Kommentar. Zu Nr. (9)

67

bare Situation gebracht zu haben, da er weder mit »C« noch mit »N« korrekt antworten kann.] Lösung des Sophismas: 1.2. c 1.3. N Buser, Obl. m, S. 174,729-732, erklärt den Unterschied von 1.1. und 1.3. und damit die Möglichkeit, 1.1. zu bejahen und 1.3. zu verneinen, auf die folgende Weise: In posito enim ly reliquum stabat infinite cum nihil praeceasit ad quod poterat referri; aed in aecundo loco propoaita ly reliquum atabat relative propter antedicta, relativum enim est antelate rei recordativum. Im Gesetzten nämlich stand das andere unbegrenzt, da nichts voranging, auf das es bezogen werden konnte; aber an der zweiten Stelle stand das andere wegen des vorher Gesagten relativ, das Relative nämlich erinnert an eine vorausgegangene Sache.

Da 1.3. verneint wird, entf"ällt die Möglichkeit, 1.4. aus 1.2. und 1.3. abzuleiten, so daB sich kein Sophisma mehr ergibt. Bei diesem Sophisma und seiner Lösung sowie bei der Verwendung dieses Sophismas im vorliegenden Kontext der obligationesbleiben verschiedene Fragen offen. Unklar ist, ob die Autoren, die es in diesem Zusammenhang verwenden, annehmen, die Aussage 1.1.- also das Gesetzte - sei falsch. Dies würde zumindest der Definition von »positum« entsprechen, wie sie beispielsweise bei Martinus Anglicus in Nr. (3) aufgestellt wird. Es kann jedoch vermutet werden, daß sie 1.1. als wahr annahmen, obwohl auch die entgegengesetzte Annahme möglich ist, wenngleich sie einigermaßen kompliziert erscheint. Weiterhin ist auffallend, daB 1.2. bei Martinus Anglicus und anderen Autoren, z. B. Johannes aus Holland, Obl., S. 97,27, als pertinens angesehen wird, während andere Autoren, z. B. Paulus Venetus, Logica magna,

68

Kommentar. Zu Nm. (9)-(10)

Obl. I, 3, S. 54, Nr. 2, die Aussage 1.2. als impertinens ansehen. Nr. (10): 1) Zur Dauer einer obligationes-Disputation 2) Eine Beschreibung der Verpflichtung 1) Zur Dauer einer obligationes-Disputation Die Dauer einer obligationes-Disputation ist begrenzt. Das Ende wird vom Angreüer bestimmt. Das Ziel des Angreifers ist es, den Verteidiger zum Zugeständnis widersprüchlicher Aussagen zu zwingen. Hat er dies erreicht, erklärt er das Ende der Disputation, während es dem Verteidiger nicht offensteht (etwa unmittelbar bevor er zum Zugeständnis eines Widerspruchs gezwungen wird), von sich aus die Disputation zu beenden. Die Frage des genauen Zeitpunkts des Beginns wird von Martinus Anglicus und den Autoren seiner Gruppe nicht näher diskutiert. Es ist jedoch ersichtlich, daß der Beginn nicht durch die Setzung allein, sondern durch Setzung und Zulassung bestimmt ist. Die Diskussion des genauen Zeitpunkts von Beginn und Ende einer solchen Disputation konnte mit Hilfe von BegritTen aus den Traktaten Über Anfangen und Aufhören (De incipit et desinit) durchgeführt werden, wie dies z. B. bei Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, S. 20-24, der Fall ist. Obwohl also für eine obligationes-Disputation die Zeitfaktoren von Beginn und Ende eine entscheidende Rolle spielen, bedeutet dies nicht, daß ein Zeitfaktor (außer etwa als Hinweis für das logische Früher oder Später einer Aussage) innerhalb der Disputation auftritt. Schon seit Burleigh, Obl., S. 61,22f. und 62,14-17, und Ps.Sherwood, Obl., S. 20,5--7, wurde ausdrücklich gefordert, daß alle Antworten auf einen einzigen Zeitpunkt (also den der positio/admissio) zu beziehen sind. Diese Forderung findet sich bei fast allen Autoren, vgl. z. B. Buser, Obl. ll, S. 96,197-200. Präzise bringt dies etwa

Kommentar. Zu Nr. (10)

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Strode, Obl., fol. 84r, zum Ausdruck (fast wörtlich gleich bei Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 2, S. 32, Nr. 3): suppono quod omnes responsiones in tempore obligationis sunt retorquendae ad idem instans, id est omnes responsiones sunt datae continue pro eodem instanti quo casus est positus. ich setzte voraus, daB alle Antworten während der Zeit der Verpflichtung auf denselben Augenblick zurückgewendet werden müssen, d. h., alle Antworten werden ununterbrochen für denselben Augenblick gegeben, in dem der Fall gesetzt wurde.

Dies bedeutet also, daß es irrelevant ist, wenn sich während der Zeit der Disputation die Tatsachen ändern, so daß z. B. ein Gesetztes, das nach Nr. (3) falsch sein muß, inzwischen wahr geworden ist. Eine (beim gegenwärtigen Forschungsstand als isoliert zu betrachtende) Theorie, die solche Änderungen als disputationsrelevant in Erwägung ziehen wollte, setzte sich nicht durch. Vgl. De arte obligatoria (Merton), S. 244f., Nr. X (die Interpretation ist allerdings umstritten, vgl. Kretzmann-Stump, 1985, S. 263, und D'Ors, 1988a, S. 175f.). 2) Eine Beschreibung der Verpflichtung

Die in Nr. (10) vorgelegte Beschreibung der Verpflichtung, die die beiden Elemente »das Gesetzte« (•positumc) und »das Zeichen der Verpflichtung« (»signum obligationisc) enthält, wurde häufig verwendet. Um alle Arten der Verpflichtung zu umfassen, muß allerdings statt »das Gesetztee (positum) »das Verpflichtete« (obligatum) verwendet werden; so Swyneshed, Obl., S. 252, Nr. 11; Lavenham, Obl., S. 226, Nr. 2; Johannes aus Holland, Obl., S. 92,32- 93,2. Von einer Definition kann man dabei strenggenommen nicht sprechen. [Eine Definition der Verpflichtung wird von Martinus Anglicus in Nr. (1) geliefert.] Albert von Sachsen, Perutilis logica VI, 1, fol. 46va, bezeichnet die Formulierung »>bligatio est oratio composita ex signis obligationis et obligato« auch aus-

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Kommentar. Zu Nm. (10)-(11)

drücklieh als Beschreibung (descriptio). Buser, Obl. I, S. 66,22f. und 68,36-42, faßt diese Beschreibung als Definition auf und verwirft sie [aus demselben Grund wie die Definition, die Martinus Anglicus in Nr. (1) verwendet], weil seiner Auffassung nach »Rede« (oratio)ebensowenig wie »Kunst« (ars) - den Gattungsbegriff (genus) der Verpflichtung liefert, sondern nur »Handlunge (actus). Paulus Venetus, Logica ma.gna, Obl. I, 1, S. 10 u. 12, faßt die genannte Formulierung zwar (nur) als Beschreibung auf, verwirft sie aber, da seiner Auffassung nach die Verpflichtung keine Rede, sondern eine ,.ßeziehungc (relatio) ist. Vgl. dazu auch den Kommentar zuNr. (1). Nr. (11): Zu »kein Unmögliches darf zugelassen/ zugestanden werden, und kein Notwendiges darf verneint werden« vgl. Kommentar zu Nr. (3) und zu Nrn. (32)(35). Diese Formulierung findet sich fast wörtlich (mit »numquamc statt »nichilc) schon bei Ockham, Summa. logicae ill-3, 41, S. 738,96f., ebenso bei Burleigh, Obl., S. 53,23f. (mit der Präzisierung »impossibile per sec, »necessarium per sec). Als Begründung dafür wird in Nr. (11) gegeben: •weil, gesetzt ein Mögliches, daraus nicht ein Unmögliches folgen darf«. Einen Hinweis auf die Herkunft dieser Regel liefert Johannes aus Holland im Zusammenhang der Diskussion eines Sophismas, das jenem in Nr. (22) bei Martinus Anglicus entspricht (vgl. dort: •tu concedis impossibile, ergo male respondesc). Johannes aus Holland, Obl., S. 94,20-25: tu concedis impoaaibile propter possibile poaitum, igitur male respondes. Consequentia patet, per istam regulam commu-

nem in ista arte quod possibili poaito impossibile non est concedendum. Patet etiam per Aristotelem primo Priorum capitulo quarto: possibili posito impossibile non est concedendum. du gestehst Unmögliches wegen eines gesetzten Möglichen zu,

Kommentar. Zu Nr. (11)

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folglich antwortest du unrichtig. Die Folgerung ist offenkundig aufgnmd dieser in dieser KUDBt allgemeinen Regel, daß, gesetzt ein Mögliches, ein Unmögliches nicht zugestanden werden darf. Dies ist auch offenkundig nach Aristoteles im ersten (Buch) der Ersten (Analytik), viertes Kapitel: ist ein Mögliches gesetzt, darf ein Unmögliches nicht zugestanden werden.

In Kapitel 4 der 1. Analytik findet sich keine Stelle, die diese Aussage enthielte, wohl aber findet sie sich in Kapitel 13, 32a 18-20. Green, 1963, I, S. 27f., De Rijk, 1980, S. 77f., Anm. 28, und Ashworth, 1986, S. 24f., haben auf einen anonymen Kommentator des 15. Jahrhunderts zu den Summule logicales des Petrus Hispanus hingewiesen, der sich auf dieselbe Aristoteles-Stelle und zusätzlich auf eine Stelle aus der Metaphysik bezieht. Dieser Text findet sich in dem Frühdruck Copulata su-

per omnes tractatus parvorum logicalium Petri hispani ac super tres tractatus modernorum, Köln 1493, fol. LXXXI:

principium ez quo iste tractatus obligatoriorum elicitur, sumitur ez nono Metaphyaicae et primo Priorum, ut dicit Aristoteles quod possibili posito inesse (richtig: in esse), nullum sequitur impossibile. Et ideo tota scientia ista in illo principio fundatur quia scientia obligatoriorum in hoc consistit quod aliquis concedat multa possibilia secundum conditionem obligationis, et illa sie defendat ne cogatur ez illis concedere aliquod impossibile, licet aliquando et saepe cogatur concedere aliquod falsum. Das Prinzip, aus dem dieser Traktat der Verpflichtungen (oder: der verpflichteten, sc. Ausdrücke) hervorgeholt wird, wird aus dem neunten Buch der Metaphysik und aus dem ersten (Buch) der Ersten (Analytik) genommen, so wie Aristoteles sagt, daß, gesetzt, daß ein Mögliches existiert, nichts Unmögliches folgt. Und somit wird diese ganze Wissenschaft auf jenes Prinzip gegründet, weil die Wissenschaft der Verpflichtungen darin besteht, daß jemand viele Mögliche gemäß der Bedingung der Verpflichtung zugesteht und diese so verteidigt, daß er nicht gezwungen wird, aufgrund dieser

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Kommentar. Zu Nr. (11)

irgend etwas Unmögliches zuzugestehen. obwohl er manchmal und (sogar) häufig gezwungen wird, etwas Falsches zuzugestehen.

Die entsprechende Stelle der Metaphysik ist zu finden im 9. Buch, Kap. 3, 1047a24-26. Es muß aber betont werden, daß eine solche grundsätzliche Begründung des gesamten Traktats De obligationibus in diesem aristotelischen Prinzip erst im 15. Jahrhundert auftritt und (beim bisherigen Forschungsstand) im 14. Jahrhundert nicht anzutreffen ist (De Rijk, 1980, S. 77f., Anm. 28). Der einzige Autor der Gruppe, zu der auch Martinus Anglicus gehört, der sich in den Einleitungssätzen auf Aristoteles beruft, ist Swyneshed, Obl., S. 249, Nr. 1. Dieser zieht jedoch zwei Stellen heran, die mit dem genannten Prinzip nichts zu tun haben: De interpretatione, Kap. 1, 16a3-7, und Nikomachische Ethik, I, Kap. 3, 1094b 12-14. Green, 1963, I, S. 25f., hat darauf hingewiesen, daß am ehesten anzunehmen ist, daß das 8. Buch der Topik des Aristoteles den allgemeinen Hintergrund der Forderunginden obligationes abgab, nichts Unmögliches zuzugestehen. Die Gegenüberstellung bei Green, ebd., S. 26, des Beginns von Burleigh, Obl., S. 34,3-9, mit Aristoteles, Topik 8, 4, 159a 15-24, zeigt tatsächlich eine große Nähe der beiden Texte. Die Stelle in der Topik 8, 4, 159a 18-24, lautet (in der Übersetzung von E. Rolfes, PhB 12, Hamburg 1968, S. 185): Wie es die Aufgabe des Fragenden ist, die Rede so zu lenken. daB er den Antwortenden nötigt, von dem, was aus der These notwendig folgt, das Unwahrscheinlichste einzuräumen. so ist es an dem Antwortenden. dafür zu sorgen. daß die Unmöglichkeiten oder ParadOlden als Folgerungen nicht auf seine Rechnung, sondern auf Rechnung der These zu kommen scheinen. Ist es doch wohl ein anderer Fehler, etwas als These voranzustellen. was man nicht hätte behaupten sollen. und das Aufgestellte nicht gehörig zu vertreten wissen.

Kommentar. Zu Nr. (12)

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Nr. (12): Die Rekonstruktion und die Interpretation des Textes dieses Paragraphen ist problematisch. 1) Textkritische Bemerkungen 2) Hinweis auf eine mögliche Interpretation I) Textkritische Bemerkungen a) Der einleitende Satz, der besagt, daß es hier darum geht, daß etwas »in der Form eines Gesetzten vorgelegt• wird, findet sich an dieser Stelle nur in V, nicht aber in K, er fehlt jedoch in V an der richtigen Stelle in Nr. (9), wo er in K richtig steht. Man könnte also annehmen, daß er in Nr. (12) in V falsch eingefUgt ist und somit nicht als brauchbare Überschrift für den Text von Nr. (12) verwendet werden kann. Im Kommentar zu Nr. (21), 2) b), wird aber eine - allerdings etwas weit hergeholte- Interpretation geliefert werden, durch die diesem Einleitungssatz ein guter Sinn gegeben werden könnte, so daß diese Überschrift sich doch auf ein der Setzung widersprechendes Gesetztes beziehen könnte. b) In der Lösung wird gesagt, daß es sich hier um eine dem Gesetzten widersprechende Verpflichtung handelt. K sagt: »Et ideo dixi notanter tamquam repugnans posito«; aufgrund des Bachzusammenhangs und aufgrund der Paralleltexte [vgl. Kommentar zu Nr. (21), 1)] legt es sich nahe, statt »posito• »positioni« zu lesen. V setzt statt »notanter« dann »negandum•, da nur so eine Lösung geliefert werden kann. Es geht in der Nr. (12) also um die Frage, wie ein Gesetztes, das der Setzung widerspricht (»positum repugnans positionic), zu behandeln ist. c) Nimmt man den Text von K zum Ausgangspunkt, der den Einleitungssatz nicht enthält, so wäre das Beispiel als Einwand (sed contra) zu Nr. (11) aufzufassen, also als Einwand, der zeigen soll, daß aus Möglichem Unmögliches folgen kann. In diesem Fall bleibt aber unklar, in welcher Weise das Sophisma für diesen Einwand verwendet werden könnte. d) Für den letzten Satz (»ldeo ... obligatum•) liefern V

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Kommentar. ZuNr. (12)

und K ganz verschiedene Versionen (vgl. den textkritischen Apparat). Die Rekonstruktion wurde unter der Annahme vorgenommen, daß Nr. (12) und Nr. (21) sich auf denselben logischen Sachverhalt beziehen. e) All dem bisher Gesagten liegt jedoch eine durchgehende Textkorrektur zugrunde, die keineswegs gesichert ist. Sowohl in V als auch in K steht anstelle von »>bligatusc jeweils •beatus« bzw. in K an einigen Stellen ein Wort, das auch als •beanus« gelesen werden könnte. Für die Korrektur zu »>bligatus« gibt es keinen philologischen Anhaltspunkt, und ein Sophisma ..quilibet negans se esse obligatum sit obligatus« als positum findet sich in keinem der von mir durchgesehenen obligationesTraktate. Die Korrektur kann also nicht durch einen Paralleltext gestützt werden. Ebensowenig aber findet sich in diesen Traktaten ein Sophisma: ..quilibet negans se esse beatum est beatusc.

2) Hinweis auf eine mögliche Interpretation Es könnte sich hier um den Versuch handeln, das in Nr. (21) aufgeführte Sophisma metasprachlich zu formulieren und zu verallgemeinern, d. h.: Jeder Verteidiger, dem die AuBSage: -es wird dir keine Verpflichtung auferlegte gesetzt wird, muß dieses Gesetzte zulassen und muß es, wenn es vorgelegt wird, verneinen; also kann für alle diese Fälle gesagt werden: •jeder, der verneint, verpflichtet zu sein, ist verpflichtet«. In V und K wird diese AuBSage jedoch ihrerseits als positum verwendet. Wird dieses positum als möglich zugelassen, 80 ist der Verteidiger durch diese Zulassung verpflichtet. Wird dann vorgelegt: »du bist verpflichtete, 80 ist diese Aussage nichtdazugehörig und wahr, aber es trifft nicht zu, was Martinus Anglicus behauptet, nämlich, daß der Verteidiger dies zugesteht, ohne verpflichtet zu sein. - Auch das Argument, das gegen eine verneinende Antwort angeführt wird, ist nicht brauchbar. Die herangezogene

Kommentar. Zu Nm. (12)-(15)

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Aussage: ,.jeder, der verneint, verpflichtet zu sein, ist verpflichtete, ist gar keine Folgerung, sondern eine universelle Aussage. Als Folgerung formuliert, müßte sie folgende Form haben: ,.wenn jemand verneint, verpflichtet zu sein, dann ist er verpflichtete; dies ist jedoch keine gültige Folgerung. Darüber hinaus dürfte die Aussage des Arguments mit dem positum identisch sein, Folgerungen sind aber [weil notwendig, vgl. Kommentar zu Nr. (23)] keine Aussagen, die als positum zugelassen werden dürfen. Ergebnis: Eine befriedigende Erklärung von Nr. (12) kann weder in Hinsicht auf den philologischen Bestand noch in Hinsicht auf die Interpretation des Textes gegeben werden. Möglicherweise handelt es sich aber in Nr. (12) nur um eine mißglückte Darstellung dessen, was in Nr. (21) ebenfalls - und dort besser - behandelt wird.

111. Die Unterscheidung dazugehöriger und nichtdazugehöriger Aussagen Nrn. (13)-(15): Ist eine Aussage vom Angreifer gesetzt (positum) und vom Verteidiger zugelassen (admissum), und wird sie dann vom Angreifer vorgelegt (propositum), muß sie vom Verteidiger zugestanden werden (concedendum), falls sie nicht der Setzung widerspricht [vgl. Nr. (21)]. Im weiteren Verlauf der Disputation kann der Angreifer beliebige Aussagen vorlegen. Der Verteidiger muß zunächst unterscheiden, ob die vorgelegte Aussage in einer logischen Beziehung zum Gesetzten steht, in diesem Sinn also dazugehörig (pertinens) ist, oder ob sie in keiner logischen Beziehung dazu steht, in diesem Sinn also nichtdazugehörig (impertinens) ist. Angenommen, p ist ein zugelassenes und zugestandenes Gesetztes und q eine vorgelegte Aussage, so ist:

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Kommentar. Zu Nm. (13)-(16)

1) Nach dem ersten Satz von Nr. (15): q«, dann: q ist pertinens. Wenn: »p -+ q« oder: »p Pq =der AC.p 1\ [S.(p -+ q) V s.(p • q)]. 2) Nach Nr. (14): Wenn: weder »p -+ q« noch »P q«, dann: q ist impertinens.

+

+

+

Iq =der AC.p " s.[-, (p -+ q) " ...., (p q)]. Die entsprechenden Antworten auf eine dazugehörige Aussage (pertinens) sind dann nach Nr. (15) (wo nur die Antwort auf pertinens repugna.ns ausdrücklich aufgeführt wird, die auf pertinens sequens kann aber ohne Schwierigkeit ergänzt werden): la) Für pertinens sequens gilt: (p)(q)([AC.p " s.

ppositis« ist sachlich erfordert, ist aber auch durch den Paralleltext des Martinus Anglicus gestützt): Et si arguitur ultra: •Non omnis homo currit vel tu non es homo; sed non est ita quod tu non es homo; igitur non omnis homo currit«, concedenda est consequentia et negandum est antecedens, scilicet: •Non omnis homo currit vel tu non es homo, sed non est ita quod tu non es homO«. Utraque tamen pars est concedenda, quia illa pars est concedenda •Non est ita quod tu non es homO«, et alia pars, quae est disjunctiva, est concedenda. Et sie respondendum est ad disjunctivam factam ex oppositis (aus: compositis) illius copulativae. Und wenn weiterhin argumentiert wird: Nicht jeder Mensch IIJuft, oder du bist nicht ein Mensch; aber es ist nicht so, daP du nicht ein Mensch bist; folglich liJuft nicht jeder Mensch, dann mu.B die Folgerung zugestanden werden, und das Antezedens muß verneint werden, nämlich: Nicht jefkr Mensch liiuft, oder du bist nicht ein Mensch; aber es ist nicht so, daP du nicht ein Mensch bist. Dennoch muß jeder Teil zugestanden werden, weil dieser Teil zugestanden werden muß: Es ist nicht so, daP du nicht ein Mensch bist, und (ebenso) der andere Teil, der die disjunktive (Aussage) ist, zugestanden werden muß. Und so muß auf die disjunktive (Aussage), die aus den Gegenteilen jener kopulativen (Aussage) gebildet ist, geantwortet werden.

Kommentar. Zu Nm. (19)-(20)

Dieser Einwand findet sich in Strode, Obl., fol. 89r-v, und in Marsilius von lnghen, De arte obligandi, fol. C 1ra-b. Fland könnte sich also auf dieses von Strode formulierte Argument beziehen. Es besagt formalisiert [wobei man hier selbstverständlich die Beispielsätze aus dem Kommentar zu Nm. (19)-(20), Beispiele A und B, heranziehen kann]: [(-,p V -.q) 1\ -.-.q] -+ -.p. Da »-.p v -.q« als impertinens zugestanden wurde [vgl. Regel 2, linke Seite im Kommentar zu Nr. (20)] und ebenso -.-.q bzw. q als impertinens zugestanden wurde (vgl. Zeile 1.2. in Beispiel A), müßte dem Einwand nach auch ..., p zugestanden werden, was aber das Gegenteil des Gesetzten ist, also: c.I(-.p v -.q) " c.Iq ~ c.-.p. Ashworth, 1981, S. 188, meint, daß Strode mit diesem Einwand die ganze Inkonsistenz der Position von Swyneshed, also der neuen Antwort, herausgestellt habe, dem Fland und der Autor der Krakauer Handschrift des Martinus Anglicus nichts entgegenhalten konnten. Nun sagt aber Fland, daß er die Folgerung als gültig anerkennt (»eoncedenda est consequentiac), aber das Antezedens verneint (»negandum est antecedensc). Daß die oben angeführte Folgerung akzeptiert werden muß, ist selbstverständlich, da sie eine in der Folgerungslehre allgemein als gültig anerkannte Regel darstellt (vgl. z. B. Wilhelm von Osma, De cons. V, S. 30, Nr. 3). Was aber kann dann die Behauptung bedeuten, daß das Antezedens negiert wird? Eine Erklärung dafiir liefert Fland nicht (und dasselbe gilt für Martinus Anglicus). Paulus Venetus, Logica magna, Obl. I, 3, S. 68-70, der diesen Fall (mit anderen Beispielsätzen) diskutiert, meint ebd., S. 70, daß die Vertreter der neuen Antwort das Antezedens zugestehen müssen, da es nach deren

Kommentar. Zu Nm. (19)-(20)

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Auffassung Dichtdazugehörig und wahr ist, weil beide Glieder wahr sind (»eopulativa ista ultimo facta est impertinens, ut habet dicere opinio, et vera quia quelibet eius pars est vera. Igitur concedenda est et nulla est fuga.«). Die Frage ist jedoch, ob die Vertreter der neuen Antwort die gesamte kopulative Aussage als Dichtdazugehörig und wahr ansehen müssen, wie Paulus Venetus meint (dem Ashworth, 1981, S. 187, Z1!8timmt). Dies ist Dicht der Fall. Eine einfache wie auch eine zusammengesetzte Aussage ist Dicht an und für sich impertinens, sondern immer nur in bezug auf das Gesetzte. Dies bedeutet aber im vorliegenden Fall, daß jeweils für sich genommen sowohl »-,p v -,q« als auch -,-,q bzw. q impertinens sind, dies aber anders aussieht, wenn beide in einer Konjunktion zusammengenommen werden, also: »(-,p v -,q) " q«. Es gilt nämlich in formaler Folgerung: [(-,p

V

-,q)

1\

q] ~ -,p.

Mittelalterliche Logiker hätten diesen Schritt mit folgender Regel begründet, vgl. Wilhelm von Osma, De cons. V, S. 33, Nr. 4, dritte Weise: Wenn ein Glied möglich und das andere unmöglich ist, dann ist bei der Argumentation von der ganzen disjunktiven Aussage zum möglichen Glied die Folgerung gültig.

Also: (p V llq) ~ p. In unserem Fall, in dem »-,q " q« enthalten ist, das also unmöglich ist, gilt dann: [-,p V ll(-.q 1\ q)] ~ -.p, und da -, p pertinens repugnans ist, ist auch das gesamte Antezedens, also »(-,p v -,q) " q« pertinens. Und da -, p pertinens repugnans ist, muß das gesamte Antezedens verneint werden. Anders ausgedrückt: Es ist vollkommen korrekt, zu sagen, daß bei einem Gesetzten p

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Kommentar. Zu Nm. (19)-(20)

und dessen dazugehörigem ...., p sowie einem Dichtdazugehörigen ...., q dann ,....., p v ...., q« Dicht formal aus ...., p folgt [zur speziellen Problematik der Einordnung der Folgerung •P -+ (p v q)« vgl. den Kommentar zu Nr. (38)], also impertinens ist, wohl aber ,....., p v ...., q A q« formal aus ...., p folgt, also pertinens ist. Geht man von einem Gesetzten p aus, so ist es also korrekt, zu sagen: Für AC.p gilt: c.I