Beethoven: Werk und Wirkung. 2. aktualisierte Auflage [2 ed.] 9783412517694, 9783412517670

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Beethoven: Werk und Wirkung. 2. aktualisierte Auflage [2 ed.]
 9783412517694, 9783412517670

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Jost Hermand

Beethoven Werk und Wirkung 2. aktualisierte Auflage

Jost Hermand

Beethoven Werk und Wirkung 2. aktualisierte Auflage

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­https://dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln  Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Beethoven mit dem Manuskript der »Missa solemnis«. Gemälde, 1819, von Joseph Karl Stieler (1781–1858). © akg-images/Beethoven-Haus, Bonn Korrektorat: Katharina Krones, Wien Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51769-4

Inhalt

Vorwort Beethovens historischer Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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I.  Das Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  21 Allons enfants de la musique Pariser Revolution und Wiener Klassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23 Der Beginn der »heroischen« Linie Die Grande Sonate pathétique von 1799 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  47 Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven? Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica . . . . . . . . . . .  65 »Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde« Utopisches in Beethovens Fidelio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  84 »Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?« Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien . . . . . . . . . .  102 »Heil dir, Germania!« Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  110 »Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten« Die Klaviersonate op. 111 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  128 »Der schwer gefaßte Entschluß« Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135 . . . . . . . . . . . . . . . . . .  145 Inhalt

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II.  Die Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  163 Nähe in der Distanz Über den Umgang mit Werken älterer Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . .  165 Ehre in Blech Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern im Rahmen anderer Jubiläumsberichte um 1970 . . . . . . . . . . . . . .  178 Beethoven – Tage aus einem Leben Ein DEFA-Film von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  195 Der vertonte Weltgeist Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  212 Der »maskuline« Beethoven Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke . . . . . . . .  228 Problemzone »Kulturelles Erbe« Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  244

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  256 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  281 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  282

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Inhalt

Vorwort Beethovens historischer Ort

I Beethovens Œuvre wirkt beim ersten Hören wie ein eherner Block. Es ist nicht so unüberschaubar wie das eines Georg Philipp Telemann, nicht so vielgestaltig wie das eines Wolfgang Amadeus Mozart oder nicht so ungleich in der Qualität wie das eines Franz Schubert, der sich erst kurz vor seinem frühen Tod zu einer überzeugenden Meisterschaft durchrang. Dagegen sind Beethovens musikalische Opera weniger zahlreich, fast immer bis ins Letzte durchgefeilt und bestechen zugleich durch eine motivisch-melodische Charakteristik, die in ihrer Ausdruckskraft und zugleich formalen Geschlossenheit schwerlich zu überbieten ist. Und auch als Person erweckt Beethoven auf den ersten Blick den Eindruck einer werkbezogenen Energiegeballtheit, die kaum ihresgleichen hat. Mit anderen Worten: Im Hinblick auf ihn und seine Kompositionen hat man es offenbar mit einem psycho-ästhetischen Einheitsphänomen zu tun, welches sich relativ leicht auf einen durchgehenden Nenner, nämlich den des Unverwechselbaren, ja, Außerordentlichen, wenn nicht gar Heroischen bringen lässt. Doch erste Blicke, wie wir wissen, täuschen häufig. Sobald man sich etwas näher mit Beethovens Person, seinen Schriften, der Wahl seiner Texte sowie den musikalischen »Intonationen« seiner Werke beschäftigt,1 wird man plötzlich mit einer Myriade von Problemen konfrontiert, zu deren Verständnis eine umfangreiche historische Vorkenntnis nötig ist. Wie wir wissen, sind sowohl methodisch geschulte Wissenschaftler als auch forscherlich interessierte Laien dem nicht aus dem Wege gegangen. Dagegen sehen sich all jene »vorbewussten« Musikfreunde, die sich lediglich vom anfeuernden Elan seiner Allegro-­conbrio-Passagen oder der beseelten Innigkeit seiner sogenannten Humanitätsmelodien hinreißen lassen, bei einer tieferschürfenden Auseinandersetzung mit den politischen, psychologischen und sozialen Komplikationen des beethovenschen Lebens plötzlich so vielen weißen Flecken auf der Landkarte ihrer Vorwort

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Geschichtskenntnisse gegenüber, dass sie vor einem genaueren Studium der nur mit wissenschaftlichem Eifer zu erschließenden Voraussetzungen dieser Musik zurückschrecken. Stattdessen ziehen sie sich lieber in einen eindimensionalen Hörgenuss zurück und glauben, darin das Essentielle seiner Musik zu erfahren. Sie wollen Beethoven »pur« hören – und nicht auf eine akademisch vermittelte und damit angeblich abstumpfende Weise. Aufgrund solcher Entschlüsse verzichten demzufolge viele Beethoven-­Hörer und -Hörerinnen zwangsläufig auf jene wesentlich facettenreicheren und zugleich bewussteren Erlebnismöglichkeiten, die sich erst bei einem historisch geschulten Verständnis der beethovenschen Musik einstellen. Sobald man nämlich die Anfangsschwierigkeiten derartiger Bemühungen überwunden hat, lernt man plötzlich, nicht nur mit den Ohren zu hören, sondern auch mit den Ohren zu denken. Und damit eröffnen sich mit einem Mal Tiefendimensionen dieser Musik, die bei einer rein sensualistisch-akustischen Wahrnehmung seiner Werke im Bereich des Nichtbewussten geblieben wären. Ja, noch mehr. Bei einem so verstandenen »historisch-bewussten Hören« erkennt man zusehends,2 dass die Fülle der hinter dieser Musik stehenden Gefühle, sinnlichen Eindrücke, gedanklichen Impulse, ästhetischen Strukturen und politischen Fakten gar nicht so unentwirrbar ist, wie sie anfänglich wirkte, sondern dass alle diese Phänomene auf eine zwar komplexe, aber politisch, sozial, ideologisch und kulturell deutbare Weise auf Engste miteinander zusammenhängen. Auch hier ist wieder einmal – trotz gewisser chronologisch zu konstatierender Abwandlungen – Alles mit Allem verbunden, was in geschichtlichen Kategorien denkende Kultur- und Musikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen ohnehin als selbstverständlich empfinden. Auf einen ersten, etwas pauschalisierenden Nenner gebracht, handelt es sich bei Beethoven – im Rahmen einer solchen Hör- und zugleich Verstehensweise – um einen rebellisch gesinnten »Republikaner«,3 der sich jedoch als freischaffender Komponist innerhalb des noch immer von den feudalaristokratischen Schichten gelenkten Musiklebens des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zwangsläufig zu gewissen Konzessionen gezwungen sah, was sich rein äußerlich an den Geld und Prestige einbringenden Widmungen vieler seiner Werke an hochgestellte Persönlichkeiten ablesen lässt. Diesen Widerspruch versuchte Beethoven in seinen Kompositionen so weit wie möglich zu überwinden, indem er seine aufmüpfige, ja, zum Teil kleinbürgerlich-rebellische Grundgesinnung immer wieder mit einem höchst persönlichen, ins Idealistische überhöhten Durchsetzungsdrang zu verbinden suchte, auf den die ihn umgebende Gesellschaft teils politisch verwirrt, teils ästhetisch affektiert, teils genieverkultend reagierte. Wegen dieser komplizierten Ausgangsposition blieb Beethoven 8Vorwort

vom Anfang bis zum Ende seiner Hauptschaffenszeit – inmitten der musikliebenden Schichten des Wiener Adels – ein Repräsentant des mit den Ideen »Liberté, Égalité et Fraternité« sympathisierenden Flügels des gebildeten Bürgertums,4 selbst wenn er dabei – je nach den dramatischen Verschiebungen auf der Bühne des politischen Geschehens zwischen 1789 und 1827 – zum größten Teil eher idealistisch-humanistische, national-liberale oder aufklärerisch-utopische als sozialrevolutionäre Positionen bezog. Dennoch war er nicht nur ein Vertreter der oft beschworenen »überschwänglichen Misere«,5 sondern hat durch den hochfliegenden Geist seiner Musik letztlich mehr bewirkt, als wenn er als Jakobiner im Kerker gelandet wäre oder sich schmollend in einen abseitigen Winkel zurückgezogen hätte.

II Im Hinblick auf Beethovens politische »Haltung« hinter all diesen Entschei­ dungen lassen sich – etwas vereinfachend gesehen – vier Phasen in seinem Leben unterscheiden. Die erste wäre seine frühe Bonner Zeit bis zum Jahr 1792, wo er im Rahmen eines geistlichen Kurfürstentums heranwuchs, das im dortigen Universitäts- und Kulturmilieu toleranterweise selbst die Ideen der Illuminaten duldete und wo Beethoven maßgebliche Einflüsse von Seiten rebellischer Freigeister wie Christian Gottlob Neefe und Eulogius Schneider empfing. Zugleich erhielt er in Bonn eine an Vorbildern wie den Klavierwerken Carl Philipp Emanuel Bachs sowie der symphonischen Musik der Mannheimer Hofkapelle geschulte musikalische Ausbildung, nahm aber zugleich die in den linksrheinischen Gebieten nach 1789 relativ schnell bekannt werdenden ersten Intonationen der Musik der Französischen Revolution wahr. Seine politische Haltung, soweit sie sich in dieser Zeit bei der Spärlichkeit aufschlussreicher Dokumente überhaupt schon belegen lässt, scheint Anfang der neunziger Jahre sowohl josephinisch-reformerische als auch republikanisch-rebellische Züge aufgewiesen zu haben. Jedenfalls deutet darauf seine vom Geist einer radikalisierten Aufklärung erfüllte Trauerkantate auf den 1790 verstorbenen Kaiser Joseph II. hin, in der sich bereits einige jener aufrührerisch-bewegenden Melodieansätze finden, die Beethoven später in seinem Fidelio wiederverwendete.6 Die zweite Phase seiner menschlichen und politischen Entwicklung fällt in seine frühen Wiener Jahre von 1792 bis 1804. Während dieser Zeit gelang es Beethoven, aufgrund seines überragenden pianistischen Talents, aber auch seiner linksrheinisch-aufgeklärten Gesinnung, relativ schnell, die Bekanntschaft mehreBeethovens historischer Ort

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rer musikverständiger und zugleich liberaler Adelsfamilien, darunter des einflussreichen Kreises um den Fürsten Karl von Lichnowsky, zu machen. Da die Wiener Jakobiner 1794/1795 durch den hart durchgreifenden Kaiser Franz II. aus dem öffentlichen Leben weitgehend ausgeschaltet wurden,7 verhielt sich Beethoven als noch unsicher auftretender Neuankömmling in dieser Stadt anfangs politisch recht zurückhaltend und scheint lediglich zu einigen Freimaurern Kontakte aufgenommen zu haben. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begeisterte er sich dagegen – wie viele der deutschen Liberalen – zusehends für den gegen eine Reihe alteingesessener Monarchien siegreich auftretenden jungen französischen General und dann Ersten Konsul Napoleon Bonaparte. Dementsprechend begann er auch in seinen musikalischen Kompositionen – von der Grande Sonate pathétique (1799) über das heroische Ballett Die Geschöpfe des Prometheus (1801) bis zur Sinfonia eroica (1804) – immer stärker einen pathetisch-erhabenen Ton anzuschlagen. Alle diese Werke, die man später oft als Manifestationen von Beethovens »heroischer Phase« oder des von ihm selbst proklamierten »Neuen Wegs« bezeichnet hat, atmen einen Geist, hinter dem noch immer die Hoffnung zu stehen scheint, dass Napoleon – als ein von revolutionären Idealen begeisterter Repräsentant der aufsteigenden bürgerlichen Klasse – vielleicht doch an den Elan der »alten« Revolution von 1789 anknüpfen könnte.8 Die dritte Phase seines Lebens – sofern man vornehmlich Beethovens politische »Haltung« ins Auge fasst – beginnt 1804 mit seiner maßlosen Enttäuschung über die Selbsterhebung Napoleons zum französischen Empereur, durch welche sich dieser lange Zeit als neuer Prometheus eingeschätzte Hoffnungsträger eines liberalen Geistes in Europa endgültig als ein Bändiger, aber nicht als ein Vollstrecker der Französischen Revolution entlarvte. Dass Beethoven da­ rauf die Eroica, die er ursprünglich als eine Bonaparte-Symphonie konzipiert hatte, 1806 bei ihrem Erscheinen dem »Andenken eines verstorbenen Helden« widmete, lässt sich entweder als Ausdruck seiner Erbitterung über den politischen Kurswechsel Napoleons oder als eine Sympathieerklärung für den von ihm hochgeschätzten Komponisten und preußischen Prinzen Louis Ferdinand verstehen,9 der kurz zuvor in der Schlacht bei Jena und Auerstedt gegen die siegreich vordringenden Franzosen gefallen war. Doch sei dem, wie es wolle. Jedenfalls tritt zu diesem Zeitpunkt bei Beethoven, wie auch bei Heinrich von Kleist, ein krasser Umschlag aus der früheren Bewunderung für den ersten Konsul Napoleon in einen Hass auf den imperialistisch gesinnten Kaiser Napoleon ein, der ihn immer stärker dazu bewegte, sich zwischen 1806 und der endgültigen Besiegung Napoleons im Jahr 1815 dem patriotischen bzw. nationaldemokratischen Lager anzuschließen. Seine für den Wiener Kongress, der den 10Vorwort

Abschluss dieser Epoche bildete, in den Jahren 1813–14 komponierten Werke, wie die Schlachtensymphonie über den Sieg Wellingtons bei Vittoria und die Kantate Der glorreiche Augenblick, beschwören daher nicht mehr den Geist der »alten Revolution«, sondern geben sich der Hoffnung hin, dass im Anschluss an die Niederringung des Tyrannen Napoleon ein von friedliebenden Idealen beseelter europäischer Völkerbund entstehen würde.

Abb. 1  L udwig van Beethoven. Holzstich nach einer Zeichnung von Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld (um 1813) Beethovens historischer Ort

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Doch diese Erwartung erwies sich in der metternichschen Restaurationsperiode, die nach dem Ende des Wiener Kongresses einsetzte, schnell als illusorisch. Nach der Erbitterung über den maßlosen Egoismus Napoleons war dies die zweite große politische Enttäuschung in Beethovens Leben. Wieder einmal hatte er seine Erwartungen zu hoch angesetzt – und doch, auch diesmal gab er nicht einfach klein bei. Sich dem patriotisch gesinnten Elan der Befreiungskriege anzuschließen, war ihm als eine Entscheidung für die gerechte Sache erschienen. Den konservativen Geist der Metternich-Ära zu unterstützen, hätte er dagegen als einen Verrat an all seinen früheren Idealen empfunden. Also zog er sich nach 1815 – in der vierten und letzten Phase seines Lebens – für eine Weile aus der Öffentlichkeit zurück und äußerte seinen Unwillen über die »schlechte Staatsordnung« der habsburgischen Monarchie, wie er sich gern ausdrückte, nur in Briefen oder in Gesprächen mit Freunden.10 Trotzdem raffte sich Beethoven selbst in der Zeit, die ihm noch bis zu seinem Tod im Jahr 1827 blieb, immer wieder auf, seinem politischen Unwillen auch kompositorisch Ausdruck zu verleihen. Das gilt vor allem für seine 9. Symphonie, an der er – nach langen Vorüberlegungen – vor allem 1823 arbeitete und die er im vierten Satz mit Schillers Ode An die Freude beschloss, deren Grundtenor zwar hochidealistisch ist, die aber dennoch in ihrem »Seid umschlungen, Millionen!« weiterhin jenen revolutionären Geist atmet, der Beethoven schon 1793 bewegt hatte, diese Ode, die damals zu den Lieblingsgedichten der Illuminaten unter den Jenaer Studenten gehörte, vertonen zu wollen.11 Damit hinterließ Beethoven den Nachgeborenen ein Vermächtnis, dessen kammermusikalische Ausdrucksformen bekanntermaßen jene fünf späten Streichquartette (op. 127, op. 130, op. 131, op. 132 und op. 135) sind, die sich in ihrer halb melancholischen, halb widerborstigen Grundstimmung nicht minder deutlich gegen die von Beethoven beklagte gesellschaftliche Realität dieser im Zeichen höchst regressiver Tendenzen stehenden Ära wenden.

III Ein derart »engagiertes« Œuvre, dessen entschiedener Progressivität eine ebenso entschiedene musikalische Konzentration auf das absolut Wesentliche entspricht, musste für die Nachwelt – je nach ideologischer Orientierung – entweder ein Stein des Anstoßes oder ein zur Begeisterung stimmendes Vorbild sein. Ausschließlich negativ argumentierende Gegenstimmen bilden allerdings im Chor der Beethoven-Rezeption nur eine verschwindende Minderheit. Ange12Vorwort

sichts der als »klassisch« empfundenen Bedeutsamkeit seiner Musik, deren Wirkung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt unaufhörlich anschwoll, zogen es daher einige seiner Kritiker vor, Beethoven nicht in aller Offenheit anzugreifen, sondern ihn entweder – im Zeichen streng rationalistischer Anschauungen – als gefühlsmäßig »überhitzt« hinzustellen12 oder ihn im Zeichen konservativer Gesinnungen ins Formalistische zu entpolitisieren, indem sie lediglich von den kompositorischen Strukturelementen seiner Musik sprachen, um sich nicht auf irgendwelche inhaltlichen Intonationen einlassen zu müssen. Doch gehen wir erst einmal auf jenen hymnisch gestimmten Chor seiner Verehrer im 19. und 20. Jahrhundert ein, deren Publikationen im Laufe der Zeit solche Ausmaße angenommem angenommen haben, dass sie bibliographisch kaum noch zu erfassen sind.13 Und selbst wenn man das täte, würde ein einzelnes Menschenleben schwerlich ausreichen, sie alle zu lesen oder gar sorgfältig durchzustudieren. Den Auftakt zu dieser Form der Beethoven-Begeisterung bildeten Bettina von Arnim, Clemens Brentano, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Robert Schumann und viele andere sogenannte Romantiker oder Romantikerinnen, die im Gegensatz zu der eher ins Harmlose, ja, Niedliche tendierenden Musik der Biedermeierzeit der zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts die Werke Beethovens – im Sinne einer forcierten Gegenüberstellung von Künstler und Philister – ins eindeutig Genialische verkulteten. Damit verhalfen sie zwar seinen Kompositionen innerhalb der gebildeten Schichten des damaligen Bürgertums zu einer großen Wirksamkeit, schwächten aber zugleich ihre ins Politische ausgreifenden Intonationen zugunsten poetisch-übersteigerter Persona-Vorstellungen, wie der des einsamen Titanen oder des mit musikalischen Zauberkräften begabten Magiers, ab.14 Der eminent »heroische« Charakter der beethovenschen Musik wurde erst wieder im Zuge jener Nationalisierungsbemühungen herausgestellt, die 1870/1871 im Deutsch-Französischen Krieg und der auf ihn folgenden Reichsgründung kulminierten, jedoch im Überschwang der allgemeinen Begeisterung meist ins eindeutig Chauvinistische entgleisten. Demzufolge lösten die Beethoven-Feiern, die 1870 anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtsjahres stattfanden, eine politisch höchst problematische Enthusiasmuswelle für diesen Komponisten aus, dessen anfeuernde Werke, wie es ein Jahr später hieß, den Sieg über die Franzosen ebenso begünstigt hätten wie die Feuerkraft der »deutschen Waffen«.15 Von den einst hochgeschätzten Ideen der Französischen Revolution war jetzt selbst unter den ehemals liberalen Schichten kaum noch die Rede. So tauschte etwa ein bedeutender Dirigent wie Hans von Bülow die plötzlich als phrasenhaft diffamierte Parole »Freiheit, Gleichheit und BrüderBeethovens historischer Ort

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Abb. 2 F. Graety: Applaus für Hans von Bülow anläßlich der Umwidmung von Beethovens Eroica in eine Bismarck-Symphonie (1892). Neue Berliner Musikzeitung

lichkeit« nach diesem Krieg kurzerhand gegen die positive Devise »Infanterie, Kavallerie und Artillerie« aus.16 Ja, derselbe Bülow entblödete sich anlässlich eines Konzerts am 28. März 1892 nicht, Beethovens Eroica in eine Symphonie für »Otto den Großen«, den »Fürsten Bismarck«, umzuwidmen, und ließ sogar im Konzertsaal Zettel verteilen, auf denen er dem Thema des ersten Satzes einen »dem allverehrten Kanzler« huldigenden Text unterlegt hatte.17 Andere deutsche Musikkritiker und Dirigenten sprachen im gleichen Zeitraum – trotz einiger diesen offenkundigen Byzantinismus persiflierenden Karikaturen – sogar vom »Blut und Eisen«-Beethoven oder sahen in ihm die edelste Verkörperung von Friedrich Nietzsches »Übermenschen«. Demzufolge nahm fast niemand Anstoß daran, als Max Klinger 1902 ein Beethoven-Monument schuf, das den Schöpfer der 9. Symphonie als einen nackten Heros darstellte, der sich auf einem imperial wirkenden Thron niedergelassen hat. 14Vorwort

Noch heroischere Züge nahm das Beethoven-Bild bei den n ­ ationalistisch gestimmten Schichten im Ersten Weltkrieg18 und dann während des Hitler-­ Reichs an. Statt weiterhin den gründerzeitlichen Bismarck-Beethoven zu beschwören, wurde jetzt im rechten Lager immer stärker der »völkische« Beethoven herausgestrichen, an dem man zusehends die »arische Willenskraft« und das Moment des »Heldischen« betonte, um ihn als einen urgermanischen Bundesgenossen mit »fälisch-nordischen Rassenmerkmalen« im Kampf gegen alles »Undeutsche« und damit Kulturlose, wenn nicht gar Untermenschliche hinstellen zu können.19 Vor allem zwischen 1939 und 1945, also während des Zweiten Weltkriegs, sollte seine Musik die an allen Fronten für Deutschlands »Größe« kämpfenden Truppen in ihrer »Tapferkeit« im Hinblick auf den militärischen Endsieg bestärken.

Abb. 3  Titelei einer NS-Zeitschrift (1942)

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs im Mai 1945 hörten solche Stilisierungen Beethovens zu einem deutsch-nationalen Heros im öffentlichen Leben geradezu über Nacht auf. Jetzt war es plötzlich – im Zuge der von den sogenannten Kulturträgerschichten angestrebten weltanschaulichen Reinigungsprozesse – die zutiefst »humanisierende« Wirkung seiner Werke, die in allen vier Besatzungszonen als lobenswert galt. Doch nach der im Gefolge des Kalten Kriegs erfolgten Teilung Deutschlands und der damit in Gang Beethovens historischer Ort

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gesetzten politischen Auseinandersetzungen wurde auch Beethoven erneut zu einem ideologischen Identifikationsobjekt. In Übereinstimmung mit den Thesen eines Georg Lukács, nämlich dass die Kunst zwischen 1750 und 1848 die »klassische Kunst« des aufsteigenden Bürgertums sei, der es im Sinne einer humanistischen Friedensgesinnung und Völkerfreundschaft nachzueifern gelte, sahen die meisten Musikkritiker der DDR in Beethoven vornehmlich einen entschiedenen Parteigänger der Ideen der Französischen Revolution, wie es in mehr oder minder differenzierter Form bei Georg Knepler, Ernst Hermann Meyer, Karl Schönewolf, ja, sogar noch bei Rudolf Bahro nachzulesen ist.20 Entgegen einer solchen »Indienstnahme« Beethovens im Rahmen linksengagierter Erbetheorien wichen die Vertreter der westdeutschen Beethoven-Forschung in Fragen dieser Art lange Zeit lieber ins Formalistische oder Essentielle aus, wobei sie zum Teil auf jene Musiktheorien zurückgriffen, die sich außerhalb des nationalistischen Lagers im Bereich der »machtgeschützten Innerlichkeit« um 1900, des Pseudo-Avantgardismus der Weimarer Republik sowie der bewusst abstinenzlerischen Hörweisen der Inneren Emigration der dreißiger Jahre entwickelt hatten. Dafür sprechen unter anderem die vielen Publikationen zu Beethoven von Carl Dahlhaus, die zwar nicht völlig ins Apolitische tendierten, aber die inhaltlichen Intonationen häufig zugunsten ästhetischer Autonomiekonzepte abzuschwächen versuchten.21 Ja, selbst in den sich betont »modernistisch« gebenden Beethoven-Interpretationen Theodor W. Adornos, obwohl er in ihnen auch die Signatur des historischen Zeitalters, in dem Beethoven lebte, sowie seine bürgerliche Klassenposition durchschimmern ließ, herrschten durchweg die Analysen formaler Werkstrukturen vor.22 Daher spielte auch bei ihm – trotz aller dialektisch gemeinten Vorgaben – das Ästhetische eine wesentlich größere Rolle als das Historische, was auch für viele seiner sich später nicht mehr als »modern«, sondern eher als »postmodern« ausgebenden Anhänger und Anhängerinnen gilt.23 Daneben machte sich jedoch seit etwa 50 Jahren auch eine w ­ esentlich konkretere Einstellung gegenüber den politischen und künstlerischen Anschau­ ungen Beethovens in Deutschland bemerkbar, die sich vornehmlich um eine inhaltliche Deutung seiner Werke auf historisch-kritischer Grundlage bemühte. In der späten DDR finden sich Vorstufen dazu vor allem in den vielfältigen Beethoven-Analysen Harry Goldschmidts, in denen er sich, wie er selber schrieb, vor allem um eine »Dialektik zwischen musikalischer Spezifik und gesellschaftlich-ideologischen Abbildungsprozessen« bemühte.24 In der alten und der neuen Bundesrepublik gehören zu dieser historisch-kritisch orientierten Richtung unter anderem die Publikationen von Constantin Floros, Martin Geck, 16Vorwort

Hans-Josef Irmen, Peter Schleuning sowie die der Autoren und Autorinnen in dem von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg herausgegebenen Sammelband Beethoven zwischen Revolution und Restauration.25 In ihren Veröffentlichungen, die zum Teil durch die 1989 stattfindenden Zweihundertjahrfeiern der Französischen Revolution angeregt wurden, herrschte eine Perspektive vor, die sich entschieden gegen alle bisherigen Verfälschungen Beethovens ins Nationalistische oder Allzu-Heroische, aber auch gegen alle Ausflüchte ins Abstrakt-Formalistische wandte und in ihrer eigenen Sehweise eine wohlausgewogene Balance zwischen dem biographisch abgesicherten Material, den sich jeweils verändernden Zeitumständen, den politischen Haltungen und den inhaltlichen Intonationen seiner Musik anzustreben versuchte. Dies scheint mir weiterhin die sinnvollste wissenschaftstheoretische Einstellung zu sein, sich dem Phänomen »Beethoven« nähern zu wollen, über das wir – trotz der vielen Publikationen auf diesem Gebiet – immer noch nicht genug wissen und eigentlich wesentlich mehr wissen sollten.

IV Die unabweisliche Frage, die sich dabei einstellt, ist die Frage nach dem tieferen Sinn solcher Bemühungen überhaupt. Dass reine Formanalysen beethovenscher Werke, welche die Mehrheit des gegenwärtigen musikwissenschaftlichen Schrifttums über diesen Komponisten ausmachen, stets unbefriedigend bleiben, wird sich schwerlich leugnen lassen. Sie beweisen eigentlich nur, was ohnehin selbstverständlich ist.26 Doch selbst historisch begründete Analysen werden letztlich erst dann spannend, wenn nicht gar kulturpolitisch »relevant«, wenn sie nicht beim positivistisch Beweisbaren stehenbleiben, sondern der inneren Dialektik zwischen inhaltlich begründbarer Aussage und kompositorischer Form auf die Spur zu kommen versuchen. Und das gilt für Beethoven in einem besonderen Maße, weil die meisten seiner Werke auf bedeutungsträchtige Textvorlagen verzichten und sich symphonischer oder kammermusikalischer Formen bedienen, bei denen die wortlosen Instrumente die einzigen Vermittlungsträger gedanklicher oder gefühlsmäßiger Gehalte sind. Im Hinblick auf sie ist daher ein solches Verfahren geradezu unverzichtbar, da man die Klangwelt dieser Kompositionen – ohne eine Aufdeckung ihrer durch vielerlei Intonationen gestützten Aussagewerte – sonst zum Ausdruck einer angeblich autonomen oder absoluten Musik degradieren würde. Dass dies die geheime oder offene Zielvorstellung vieler formalistisch eingestellter Musikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen Beethovens historischer Ort

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ist, liegt auf der Hand. Wer jedoch über solche entweder ins rein Strukturalistische oder rein Sensualistische tendierenden Wahrnehmungsweisen in den Bereich inhaltlich relevanter Aussagen vordringen will, sollte sich nicht mit solchen eindimensionalen Absichten begnügen. Für derart eingestellte Theoretiker und Theoretikerinnen dürfte nur die in der musikalischen Form artikulierte »Aussage« das entscheidende Kriterium sein. Doch was sind »Aussagen« im Bereich einer scheinbar nur mit abstrakten Tönen operierenden Instrumentalmusik, wird man sowohl im formalistisch als auch im sensualistisch-hedonistisch orientierten Lager fragen? Ja, selbst wenn sich diese Aussagen durch persönliche Äußerungen Beethovens oder durch die in seiner Musik anklingenden Intonationen bestimmter zeitgenössischer Klangwelten relativ sicher lokalisieren und damit als Spezifika seiner Psyche oder seiner Umwelt deuten ließen: Was bedeuten uns diese Aussagen eigentlich heute noch? Sind nicht die in ihnen mehr oder minder offen zu Tage tretenden Inhalte längst historisch geworden und damit ins Uninteressante verblasst? Schließlich haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in den 200 Jahren, die zwischen uns und der beethovenschen Klangwelt liegen, so grundsätzlich verändert, dass sich Beethoven in unserer Welt kaum noch zurechtfinden würde. Sogar Parolen wie »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder besser: Mitmenschlichkeit«, die für ihn noch Parolen der Französischen Revolution von 1789 waren, haben heute eine weitgehend andere Zielrichtung bekommen. Es sind daher letztlich nicht die historisch konkreten Aussagen als solche, die in Beethovens Musik immer noch beerbbar sind, sondern lediglich die »Haltungen«, die in ihr zum Ausdruck kommen. Und das wären in seinem Falle die Haltungen des Trotzigen, des Sich-Aufbäumens, des Rebellischen, des Anfeuernden, ja, des im besten Sinne auf mehr soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit Drängenden. Und wer wollte leugnen, dass dies Haltungen sind, die – solange wir noch immer nicht in jenen, von allen großen Menschheitsfreunden anvisierten gesellschaftlichen Utopien leben – keineswegs veraltet sind? Dass Hoffnungen dieser Art vielen Menschen nach den bitteren politischen Erfahrungen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts als »obsolet« erscheinen, spricht eo ipso nicht gegen solche Haltungen, sondern lediglich gegen jene »wüsten Zeiten«, in denen wir nach wie vor leben, wie sich Beethoven im Hinblick auf die nachrevolutionäre Zeit der metternichschen Restaurationsperiode auszudrücken pflegte.27 Statt uns also mit eskapistisch-kulinarischer Absicht mit dem geradezu unwiderstehlichen Schönklang seiner »klassischen« Kompositionen zu begnügen oder uns von der angeblich problemlosen »Idealität« ihrer Aussagen blenden zu lassen, sollten wir uns ihrer würdig erweisen, indem 18Vorwort

wir uns beim Hören dieser Musik in jenen »Haltungen« des Rebellischen bestärken, mit denen auch Beethoven den politischen und gesellschaftlichen Widrigkeiten seiner Zeit entgegenzutreten versuchte. Erst dann hätten wir seinen »historischen Ort« wirklich verstanden. Schließlich nimmt dieser »Ort« nur dann konkrete Formen an, wenn wir ihn – innerhalb der noch unvollendeten Geschichte – auch als einen uns betreffenden erkennen. »Gerade auch der Rezipient ist daher stets mitkonstituierend für die Bedeutung eines Werks«, erklärte demzufolge der Philosoph Wolfgang Heise 1977 in seinem Diskussionsbeitrag auf einer Ostberliner Beethoven-Konferenz. Allerdings sollte dieser Rezipient vornehmlich das »aufdecken«, sagte er anschließend, was dort »als Potential enthalten ist«, weil nur das bereits damals als »antizipierend« Gedachte bis heute weiterhin »wirksam sein kann«.28 Welch eine Forderung! Mögen die folgenden Ausführungen nicht allzu sehr gegen eine derartig hochgespannte Erwartungshaltung verstoßen. Was man bei einer solchen Einstellung stets im Auge behalten sollte, ist deshalb an sich immer wieder die gleiche Frage: Auf welchen Geistes- und Gefühlsimpulsen beruht eigentlich die manchmal geradezu umwerfende, ins Himmelstürmende tendierende Klangdeterminiertheit der beethovenschen Musik? Auf ihrer stets vorwärts drängenden Vehemenz, ihrer nach tief beseligenden melodischen Intonationen häufig in Presto-Passagen übergehenden Bravour, ihren sich gegen Schluss vieler Sätze zu mächtigen Akkordballungen steigernden Donnerschlägen, ihrer geradezu klassischen Folgerichtigkeit der musikalischen Abläufe und was man sonst noch an für Beethovens Schaffensweise charakteristischen Komopositionsmerkmalen anführen könnte? Nun, all das findet sich zwar auch bei einigen anderen Komponisten, aber selten mit der beethovenschen Konsequenz und Zielgerichtetheit, denen ein bekennerisches Ausdruscksverlangen zugrunde liegt, das geradezu überwältigend wirkt. Und darin, weit über die geniale Formgebung hinaus, liegt das Besondere seiner Musik, die ihre Hörer und Hörerinnen nicht nur unterhalten oder in gemütsbetonte Stimmungen versetzen will, sondern sich bemüht, sie zum Mitempfinden, wenn nicht gar zum Mitdenken jener Ästhetik des Widerstands anzuregen, der er in seiner Musik neben einem klangvollen zugleich einen anfeuernden Charakter zu geben versuchte. Mögen wenigstens einige Funken dieser ideologischen Zuversicht nach wie vor jene Leuchtkraft behalten, die Beethoven – trotz mancher defätistischen Anwandlungen – immer wieder zu idealistisch gestimmten Begeisterungswellen oder gar rebellischen Aufruhr­ gesten hinriss. Und diese Haltung sollte auch für unsere Seh- und Hörweisen im Hinblick auf alle bedeutsamen Kunstwerke vorbildlich sein. Denn um wie Beethovens historischer Ort

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viel ärmer wären wir ohne die ideologische Zuversicht, die sich sowohl in vielen, sich auf den dialektischen Verlauf der Menscheitsgeschichte einlassenden Dichtungen und Gemälden äußert, als auch in den Werken all jener bedeutsameren Musik, wie denen Beethovens, zum Ausdruck kommt, wo er sich mit dem nötigen Bekennermut für die Heraufkunft »besserer Welten« eingesetzt hat, welche er nicht nur in seinem Fidelio und seiner 9. Symphonie beschwor, sondern die auch die Antriebskraft vieler seiner anderen Werke war.

20Vorwort

I.  Das Werk

Allons enfants de la musique Pariser Revolution und Wiener Klassik

I »In der Musikgeschichtsschreibung ist die Französische Revolution noch zu einem großen Teil terra incognita.«1 Dieser Satz, den Adelheid Coy 1978 ihrem Buch Zur Funktionsbestimmung von Lied und Hymne in der Französischen Revolution voranstellte, galt in Westdeutschland mindestens bis zum Jahr 1989. Eine weitgehend formanalytischen Vorstellungen verpflichtete Musikwissenschaft, die sich lange Zeit als »bürgerlich« oder »westlich« bezeichnete, lehnte diese Musik anfangs als zu »pathetisch«, »schwülstig« oder gar »monströs« ab, da in ihr das »rein Menschliche« häufig zum »Barbarischen« entarte.2 Später hat man sie in der ehemaligen BRD entweder totgeschwiegen oder behauptet, dass die Werke dieser Richtung in der Entwicklung der Musik keine entscheidende »Zäsur« markierten.3 Lediglich einige DDR-Musikwissenschaftler wie Harry Goldschmidt, Georg Knepler und Karl Schönewolf erklärten seit 1953 mehrfach, dass sich während der fünf Jahre zwischen 1789 und 1794 in Paris ein grundsätzlicher Funktionswandel innerhalb des musikalischen Lebens beobachten lasse.4 Während die zentralen Trägerinstitutionen auf diesem Gebiet bis dahin Hof und Kirche gewesen seien, lesen wir bei ihnen, sei mit dem Ausbruch der Französischen Revolution in Form von Liedern, Hymnen, Märschen, Volksopern usw. plötzlich eine musikalische Öffentlichkeit entstanden, in der nicht mehr die oberen Stände, sondern die breiten Massen den Ton angegeben hätten. Jetzt habe man auch in der Musik vornehmlich Gefühle »der Erregung, des Zorns, des Kampfeswillens und des Jubels« ausdrücken wollen.5 Bis zum Thermidor von 1794, heißt es bei Knepler, sei unter den 100 Komponisten in Paris kaum einer gewesen, der »nicht unter anderem auch Lieder, Hymnen, Märsche für die Massen« geschrieben habe.6 In Werken dieser Art trete an die Stelle der reformerisch gesinnten Geduld der bürgerlichen Aufklärung und ihrer illusionären Hoffnung auf einen guten Landesvater plötzlich selbst Allons enfants de la musique

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in der Musik eine entschiedene »Parteinahme« für eine durchgreifende Veränderung aller politischen, sozioökonomischen und kulturellen Verhältnisse in den Vordergrund.7 Und die Fakten, die er und andere dafür beibrachten, belegten solche Thesen durchaus. So forderte etwa Gabriel-Honoré de Mirabeau schon 1790 eine stärkere Berücksichtigung des Musikunterrichts in der Volksbildung, da die Welt der Töne von größter Wirkung auf die Seelen der Menschen sei und deshalb nicht mehr im Dienst »der Tyrannei und des Fanatismus«, also des Hofes und der Kirche, stehen dürfe.8 Ja, Pierre-Claude Daunou erklärte in einem Rapport der Elferkommission des Nationalkonvents noch entschiedener, dass die Revolution eine Musik brauche, welche »die Vorstellungskraft fanatisiert, die menschlichen Leidenschaften erhitzt, den Menschen simultan dieselben Affekte vermittelt und sozusagen eine unendliche Zahl einzelner Wünsche auf ein gemeinsames Ziel richtet«.9 Aus diesem Grund erhielt Bernard Sarette, der die erste Blaskapelle innerhalb der Nationalgarde aufstellte, bereits im Oktober 1790 von der Stadt Paris ein weiträumiges Gebäude für eine den Parolen der Revolution dienliche Musikschule, aus der sich kurz darauf das Conservatoire de musique entwickelte, an dem 105 Lehrer tätig waren. Außerdem wurde 1793 ein Staatsverlag für Musik, der erste seiner Art, gegründet, der in regelmäßig erscheinenden Heften die Noten zu revolutionären Liedern, Hymnen, Tänzen, Märschen, Ouvertüren und Symphonien veröffentlichte. All das trug zu einer bedeutenden Rangerhöhung von sich in den Dienst der Revolution stellenden Komponisten wie Henri-Montan Berton, Charles-­ Simon Catel, Luigi Cherubini, Nicolas-Marie Dalayrac, François-Joseph ­Gossec, ­André-Ernest-Modeste Grétry, Rodolphe Kreutzer, Jean-François ­Lesueur, Étienne-­Nicolas Méhul, Ignaz Joseph Pleyel und vielen anderen bei, die sich plötzlich aus Domestiken der Obrigkeit in selbstbewusste Citoyens verwandelten,10 welche bei öffentlichen Umzügen oder Festen zur Feier des Gott ersetzenden »Höchsten Wesens« zur Revolution aufspielten und zum Teil Aufführungen leiteten, bei denen Hunderte von Bläsern auftraten und die Chöre oft Tausende von Menschen umfassten.11 Hier fanden diese Komponisten eine Funktion, die sie weit über ihren bisherigen Status als Handlanger des Hofes oder der Kirche hinaushob und sie sowohl mit neuen Inhalten als auch mit neuen Form- und Aufführungsproblemen konfrontierte. Hier war ihre Aufgabe weniger die des Unterhaltenden, Umrahmenden, Panegyrischen als die des Erhebenden, zur Solidarisierung der Massen Aufrufenden oder die hohen Ideen von »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« Verkündenden. Hier konnten sie in Form aufwühlender Trauer- oder Siegesmärsche Hunderttausende 24

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zu Tränen rühren oder zu neuer revolutionärer Begeisterung entfachen. Hier waren sie endlich zu Bekennern eines neuen Glaubens an das Gute im Menschen geworden.

Abb. 4  Anonym: »Das Vaterland ist in Gefahr«. Straßensänger der Französischen Revolution (1792) Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Wohl die frühesten musikalischen Intonationen dieses revolutionären Geistes sind jene 2500 bis 3000 Lieder, die in den Jahren 1789 bis 1794 entstanden.12 Es gibt keine andere Periode in der Geschichte der Musik, wie mehrfach erklärt wurde, die so viele Lieder in so wenigen Jahren hervorgebracht hat. Ihre Autoren waren meist »Gelegenheitsdichter« oder »professionelle Straßensänger«,13 die zwar auch eigene Melodien erfanden, wahrscheinlich zwischen 150 und 270 (die Forschung ist da widersprüchlich), ihren Texten jedoch sonst fast durchgehend bekannte Volkslieder, religiöse Hymnen, Tanzweisen oder Opernmelodien unterlegten.14 Von den mit positiven Inhalten erfüllten Liedern dieser Jahre sind vor allem jene mit Texten auf die Freiheit, die Trikolore, den Bürgereid, den Freiheitsbaum und die Rote Mütze bekannt geworden, während von den Spottliedern, die einen bewusst aufmüpfigen Ton hatten, sich solche mit Texten gegen die Aristokraten, die Priester, die Wucherer, die Assignaten und den Brotmangel der größten Beliebtheit erfreuten. Und zwar wurden diese Lieder nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Theater, in den Quartieren der Soldaten und selbst im Nationalkonvent gesungen. Außerdem entstanden zur gleichen Zeit viele neue Märsche, deren Texte – wie der des berühmten Marsch der Marseiller – aus dem Liedhaften deutlich ins Repräsentative, wenn nicht gar Hymnische tendierten. Dasselbe gilt für all jene Gesänge, die seit 1790 für die großen Feiern auf dem Pariser Marsfeld, die festlichen Umzüge (Défilés) oder besondere Anlässe der Assemblée nationale komponiert wurden.15 Während bei den Chansons meist das Witzige, Parodistische, Streitbare vorherrschte, strebten die Hymnen der Revolution eher ins Pathetisch-Erhabene, das heißt wiesen neben solistischen Stellen auch lange chorische Partien auf, ja, bedienten sich zum Teil sogar symphonischer Vorspiele und Untermalungen, die von großen Blaskapellen ausgeführt wurden. Musikalisch dominierten in ihnen einerseits eine recht einfache Harmonik und ein konsequentes Festhalten an Dur-Tonarten, die ein spontanes Mitsingen ermöglichen sollten, andererseits bevorzugten sie in ihren »fanfarenartigen Motivbildungen« große Intervalle, »vorzugsweise Sexten, aber auch Oktaven«, sowie häufige Unterbrechungen,16 die das angestrebte Mitsingen eher erschwerten. Die ersten solcher Hymnen, wie die Hymne à la Liberté von Gossec, erklangen am 14. Juli 1790 auf dem Marsfeld zum ersten Jahrestag des Sturms auf die Bastille. Später standen diese Hymnen meist im Dienst der bewussten Entchristianisierung früherer Glaubensvorstellungen und wurden vor allem von den Hébertisten in ausgeräumten Kirchen gesungen, um die Rituale des christlichen Kults durch eine revolutionäre Kampfmusik zu verdrängen. An die Stelle des herkömm26

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lichen Te deum trat dabei oft die Marseillaise. Ihren Höhepunkt erlebte diese Hymnenmusik bei jenem zu Ehren des »Höchsten Wesens« von Maximilien Robespierre am 15. April 1794 gegen die katholische Kirche inszenierten Fest, das Catel, Cherubini, Dalayrac, Lesueur und Méhul musikalisch vorbereitet hatten und bei dem ein Chor von 2400 Menschen die von Gossec vertonte Hymne à l’Être suprême sang. Während also im Chanson eher das im tagespolitischen Sinne Revolutionäre den Ton angab, herrschte in der Hymne weitgehend das Feierliche vor, und zwar mit allem Pomp vorher gut einstudierter Solisten, Massenchöre und Blaskapellen. Neben dem Lied und der Hymne, die im Bereich der Musik bei allen gesellschaftlichen Umwälzungen die wichtigsten Genres sind, da sie sich am ehesten als Ausdruck bereits solidarisierter oder noch zu solidarisierender Volksmassen einsetzen lassen, spielten andere musikalische Gattungen während der Französischen Revolution eine eher untergeordnete Rolle. Doch sollte man auch sie, vor allem die Oper und die Symphonie, nicht ganz übersehen, da sie in mancher Beziehung bei der Ausbreitung des revolutionären Geistes in den an Frankreich angrenzenden Ländern – jedenfalls innerhalb der gebildeten Schichten – eine größere Rolle gespielt haben als die rein auf die tagespolitische Situation in Paris bezogenen Chansons, Marschlieder und Hymnen.

Abb. 5 Anonym: Feier der Göttin der Vernunft in der ehemaligen Notre-Dame-Kathedrale zu Paris (1793) Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Im Bereich der französischen Oper ließ sich der Geist der Revolution zu Anfang vor allem durch die Reformopern Christoph Willibald Glucks inspirieren, der in den siebziger Jahren mit seinen zwei Iphigenien Vorbilder eines hero­ischen Klassizismus geschaffen hatte, denen zwar noch das liberal-­ reformistische Modell des die Handlung zum Guten wendenden Deus ex machina zugrunde lag, die jedoch im Zuge der sich wandelnden gesellschaftlichen Situation einen deutlich antiklerikalen Charakter bekamen und sich im Sinne Johann Joachim Winckelmanns als fortschrittlich-humanitär auslegen ließen. Opernkomponisten wie Berton, Catel, Cherubini, Grétry, Lesueur, Méhul und Salieri, die sich als Gluck-Schüler im weitesten Sinne verstanden, traten darum bereits in den achtziger Jahren immer nachdrücklicher für eine durchgreifende Reform des traditionellen Opernwesens ein,17 um auch diese Gattung endlich aus ihrer höfisch-repräsentativen Verkrustung zu befreien und in den Dienst der Inte­ressen breitester Volksschichten zu stellen. Dafür sprechen Opern wie Tamare (1786) von Antonio Salieri (nach einem Libretto von Pierre-Augustin-­Caron de Beaumarchais) sowie die Démophon-Opern von Luigi Cherubini bzw. Johann Christoph Vogel, die 1788 entstanden, welche alle drei das Wunschbild eines benevolenten Landesvaters beschworen, der entweder durch einen Machtwechsel auf den Thron kommt oder sich aus einem Tyrannen in einen Wohltäter seiner Untertanen wandeln muss, bevor er diesen Ehrentitel erhält.18 Doch wirklich revolutionär wurde die Oper erst in Werken, in denen die geballte Volkskraft den Sieg davonträgt. Sie verzichteten auf den hohen Stil der Gluck-Schule und griffen stattdessen Intonationen der eigenen Zeit auf. Erst in ihnen hört man jene »fanfarenartigen Motive«, »Jubelstürme« und »marschartigen Rhythmen«, die auch in vielen Liedern und Märschen dieser Zeit den Ton angaben.19 Dafür spricht ein opernhaftes Festspiel wie L’offrande à la liberté (1792) von Gossec, in dem die breiten Massen mit der Marseillaise angefeuert werden, ihr vom Feudalismus befreites Vaterland gegen die auswärtigen Feinde der Revolution zu verteidigen. Einen ähnlichen Charakter haben antiklerikale Opern wie Les rigueurs du cloître von Berton und La rosière républicaine ou La fête de la vertu von Grétry, die beide 1790 aufgeführt wurden. In ihnen gibt es Szenen, wo die Nationalgarde liebeshungrige Nonnen aus dem Kloster befreit, wo ein junger Bursche mit zwei früheren Betschwestern die Carmagnole tanzt, wo die Göttin der Vernunft in verstaatlichten Kirchen aufgestellt wird, ja, wo schließlich sogar konservativ gesinnte Priester ihre Soutane abwerfen und sich die rote Mütze der Revolution aufsetzen. Andere Opern dieser Jahre, wie ­Guillaume Tell ou Les sansculottes suisses (1791) von Grétry, priesen frühere Tyrannen­mörder oder 28

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schilderten, wie die Paul et Virginie-Opern Kreutzers und Lesueurs von 1791 bzw. 1794, das rousseauistisch freie Dasein sogenannter Naturvölker. Als ebenso »aufwühlend« sollten die vielen Befreiungs- oder Rettungsopern dieser Ära wirken, hinter denen – idealtypologisch gesehen – meist der Sturm auf die Bastille steht. Das wichtigste Vorbild auf diesem Gebiet lieferte die Lodoïska (1791) von Cherubini, in der am Schluss ein freiheitsdürstendes Liebespaar aus dem Kerker befreit wird und man dafür den Tyrannen in Fesseln legt. Wohl den größten Erfolg innerhalb dieses Genres hatte ­Lesueur mit seiner Oper La caverne (1793). In ihr fällt eine edle Dame namens Séraphine in die Hände gewalttätiger Straßenräuber, die sie in eine düstere Höhle verschleppen. Doch bevor es dort zu den erwarteten Erpressungen oder Vergewaltigungen kommt, wird auch sie in letzter Minute befreit  – worauf am Schluss, wie in La rosière républicaine, ein Loblied der alle Menschen veredelnden Tugend angestimmt wird. In diesem Werk, das man später häufig unter der Bezeichnung »Schreckensoper« klassifiziert hat,20 herrscht also einerseits ein »élan terrible«,21 der zu »wildester Grausamkeit«, ja, zu ausgesprochenen Schauermotiven tendiert, während sich andererseits eine »gefühlsüberströmende Empfindsamkeit« in den Vordergrund drängt, die sich vor allem in herzbewegenden Klagearien Ausdruck verschafft,22 bis es am Schluss zu jenem »éclat triomphal« kommt, der in seiner sieghaften Stimmung für viele Werke dieser Richtung typisch ist. Wesentlich weniger Revolutionäres findet sich dagegen innerhalb der reinen Instrumentalmusik, die im 18. Jahrhundert noch weitgehend eine Domäne aristokratischer Kennerschaft war. Um Änderungen auf diesem Gebiet be­­ mühten sich in Frankreich vor allem Komponisten wie Berton, Catel, Cheru­ bini, Gossec, Kreutzer, Lesueur, aber auch Unbekanntere wie Giovanni Cambini, François Devienne, Georg Friedrich Fuchs und Ignaz Joseph Pleyel, welche zwischen 1789 und 1794 eine geradezu unübersehbare Fülle an Ouvertüren und Märschen für Blasinstrumente und Schlagzeug schrieben, die bei den vielen Umzügen und Feierlichkeiten auf dem Marsfeld gespielt wurden.23 Bei manchen Anlässen dieser Art, wie den 1791 abgehaltenen Trauerfeierlichkeiten für die bei Nancy gefallenen Revolutionäre, marschierten dabei bis zu 1200 Bläser auf.24 Wohl die bekannteste dieser Trauermusiken war jener Marche lugubre mit seinen »feierlichen Pausen« und stockenden »Trommelrhythmen«,25 den ­Gossec 1791 als »ersten symphonischen Trauermarsch der Musikgeschichte« für die Beerdigung Mirabeaus komponierte,26 der für viele solcher Trauermärsche, wie die von Cherubini, vorbildlich wurde. Ebenso bezeichnend für diese Form der Instrumentalmusik sind die zahlreichen sieghaft-schmetternden MilitärPariser Revolution und Wiener Klassik

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und Siegesmärsche, die zur gleichen Zeit entstanden und später von Napoleon in Märsche für seine »Grande armée« umfunktioniert wurden.27 Wesentlich schwieriger ist es dagegen, im Hinblick auf diese Jahre von einem revolutionären Symphonietyp zu sprechen. Die meisten französischen Symphonien nach 1789 haben einen recht traditionellen Charakter, das heißt lösten sich nur langsam aus den kurz zuvor von der Mannheimer Hofkapelle sowie von Franz Joseph Haydn etablierten Gestaltungsnormen und griffen lediglich in Ausnahmefällen, wenn sie sich am Typ der älteren Schlachtensymphonie anlehnten, aus den Liedern oder Hymnen ihrer Zeit gespeiste Intonationen auf, deren Melodien auch für ungeübtere Hörer und Hörerinnen als revolutionäre erkennbar waren. Dafür spricht ein programmatisches Tongemälde wie La Bataille de Jemappes (1792) von François Devienne, in dem es um einen der Siege des Generals Charles-François Dumouriez geht. Ähnliche Tongemälde sowie Symphonien dieser Art komponierte Gossec, der im Musikkorps der Nationalgarde den Rang eines Leutnants innehatte und – als einer der politisch Renitenten – auch unter Napoleon am revolutionären Geist von 1789 festzuhalten versuchte. Demzufolge steht noch seine 1809 komponierte Symphonie in E-Dur nicht nur im Zeichen der in den frühen neunziger Jahren als »rebellisch« empfundenen Kontrastmanier, das heißt konfrontiert Feurig-­ Kämpferisches mit Rührend-Bewegtem, sondern greift im vierten Satz sogar die einstmals höchst populäre Melodie von Ça ira auf. Ähnliches gilt für Méhuls Symphonie in g-Moll vom gleichen Jahr.28

II Was konnte von dieser Musik nach 1789 auch in Deutschland gespielt werden – und welche Impulse löste sie oder der hinter ihr stehende Elan bei den dortigen Komponisten aus? Außer der Frage nach der Wirkung auf die Werke des jungen Beethoven sind solche Fragen bisher selten gestellt worden. Im Vergleich zur Musik der Französischen Revolution, obwohl auch sie lange Zeit weitgehend vergessen war, ist daher diese Musik die wahre »terra incognita«. Ja, man muss sich fast fragen, ob es sie wirklich gegeben hat. Bestanden denn im Deutschland der neunziger Jahre, wo das öffentliche Musikleben noch durchweg der Kontrolle der Höfe und Kirchen unterlag, überhaupt Möglichkeiten, Werke mit revolutionären Tendenzen aufzuführen? Schließlich gab es hier keine Défilés, kein Marsfeld, keine sich solidarisierenden Massen. Hier existierte nicht einmal ein breites liberales Bürgertum, weshalb die deutschen Republi30

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kaner, Patrioten oder Jakobiner, trotz ihres heroischen Einsatzes für die Sache des unterdrückten Volks, auf mehr oder minder verlorenem Posten standen. Das gilt vor allem für die mit solchen Gesinnungen sympathisierenden Komponisten, deren Wirkungsmöglichkeiten noch eingeengter waren als die der Publizisten oder Schriftsteller. Während diese wenigstens einige ihrer Werke anonym oder unter Umgehung der Zensur unter die Leute bringen konnten, waren den Tonsetzern, die sich den Aufführungsbedingungen der Höfe, des Adels und des Klerus fügen mussten, von vornherein die Hände gebunden. Dennoch schreckten manche von ihnen nicht davor zurück, sich selbst unter so ungünstigen Voraussetzungen für die Entfachung einer republikanischen Gesinnung einzusetzen. Noch am ehesten ließ sich das im Bereich des Lieds bewerkstelligen. Im Gegensatz zu den fast 3000 Liedern, die damals in Frankreich entstanden, waren es in Deutschland allerdings nur einige hundert.29 Was sie von den französischen Chansons unterscheidet, ist trotz ähnlicher Motive ein wesentlich größerer Abstraktionsgrad. Während in Frankreich gerade in den Chansons der Ton oft recht spöttisch, ja, streitlustig ist und sich auf höchst konkrete Weise mit den jeweils auftretenden sozialen Missständen auseinandersetzt, herrscht in den deutschen Jakobinerliedern – aufgrund der gesellschaftlichen Isolierung ihrer Verfasser – eher der Ton des Pathetisch-Erhabenen vor. Das zeigt sich am deutlichsten dort, wo sie sich unmittelbar an französische Chansons oder Marschlieder, wie die Marseillaise, anschlossen.30 Man denke an Gedichte wie Auf! Auf! ihr Freiheitssöhne von Rudolf Suter, Sei uns gegrüßt, du holde Freiheit von Johann Heinrich Voss oder Ha! sieh uns deiner Flammen spotten von Friedrich Lehne, die zwar als Untertitel alle die Bezeichnung »Nach dem Marsch der Marseiller« tragen, aber weniger das Nationalrevolutionäre als das Menschheitliche akzentuierten. Das gleiche gilt für Gedichte, welche in Anthologien wie der Hamburger Liederlese für Republikaner (1797) erschienen. Auch in ihnen, die meist unter Gruppenüberschriften wie Lieder der Freiheit, Freundschaftslieder, Bundeslieder freier Bürger sowie Glück und Geselligkeit abgedruckt wurden, herrscht eher ein hochgemut-deklarierender als ein aufmüpfig-­klassenkämpferischer Ton. Etwas konkreter klingen lediglich jene Lieder, in denen die Hoffnung auf eine cisrhenanische Republik zum Ausdruck kommt, oder jene, wie der Gesang beim Bombardement der Stadt von Lehne, die den heroischen Kampf der Mainzer Republikaner gegen die Truppen der reaktionären Koalitionsfürsten thematisierten.31 Wie in Frankreich komponierten auch die deutschen »Freiheitsfreunde« für solche Gedichte nur in Ausnahmefällen neue Melodien, sondern legten ihnen Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Abb. 6  Textseite aus Liederlese für Republikaner (Hamburg 1795)

zumeist populäre Weisen unter, um so eine möglichst große Breitenwirkung zu erzielen. Neben den Melodien der Marseillaise oder von Chansons wie Ça ira und Le Bonnet de la liberté zog man dabei auch Lieder wie Ein feste Burg ist unser 32

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Gott und God save the King, Studentenlieder wie Stimmt an den frohen Rundgesang, Trinklieder wie Bekränzt mit Laub, Geselligkeitslieder wie Auf! Auf! ihr Brüder und seid stark, Was frag ich viel nach Geld und Gut und Freut euch des Lebens von Hans Georg Nägeli, Christian Gottlob Neefe und Christian Friedrich Daniel Schubart sowie bekannte Opernmelodien wie Ein Mädchen oder Weibchen, Der Vogelfänger bin ich ja und In diesen heiligen Hallen aus Mozarts Zauberflöte heran. Unter den Originalmelodien solcher republikanischen Gesänge sticht vor allem jene Melodie hervor, die Mozart 1791 kurz vor seinem Tod für das Gedicht Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt des in jakobinischen Utopien schwelgenden Franz Heinrich Ziegenhagen komponierte. Und zwar sollte dieses Lied die Hymne des von Ziegenhagen in seiner Lehre vom richtigen Verhältnisse zu den Schöpfungswerken, und die durch öffentliche Einführung derselben allein zu bewirkende allgemeine Menschenbeglückung anvisierten deutschen oder europä­ ischen Freistaates werden, die er 1792 in einer erheblich reduzierten Fassung sogar an den Pariser Nationalkonvent schickte.32 Welche Wirkung diese Lieder in den verschiedenen deutschen Staaten hatten, ist schwer festzustellen. Sie erschienen zwar in vielen Anthologien, Almanachen, Zeitschriften und Flugblättern,33 bewirkten aber nur in Ausnahmefällen eine unmittelbare politische Solidarisierung der sie Singenden. Ja, es gab sogar Stimmen, die sich in aller Offenheit über das forcierte Pathos solcher Gedichte lustig machten, denen keine wirklichen Aktionen zugrunde lägen. Der Herausgeber der erwähnten Liederlese für Republikaner versuchte solchen Vorwürfen mit folgender, noch immer an den revolutionären Geist von Friedrich Gottlieb Klopstocks Ode Sie und nicht wir erinnernder Fußnote entgegenzutreten: »Es gibt gewisse Leute, denen alles lächerlich ist, die es denn auch lächerlich finden werden, dass hier einer, der wohl nie in den Streit zieht, singend schwört: sein Schwert dem Vaterland zu weihen. Jeder Republikaner sollte das im Ernst wollen und können, gleich unseren Vorfahren und jetzigen Frankenbrüdern. Dass wir uns Republikaner nennen, und doch nicht sind, was wir sein könnten, ist eher eine Schande als eine Ehre für uns. Wer also darüber lachen kann, lacht über seine eigene und seinesgleichen Schande.«34 Doch trotz solcher nobel gemeinten Worte blieb der Widerhall dieser Lieder gering. Sie wurden zwar im kleinen Kreise gesungen oder auch bei Bürgerfesten angestimmt, griffen aber nicht aufs Volk über. Hans Georg Werner hatte daher recht, als er 1969 in seiner Geschichte des politischen Gedichts in Deutschland schrieb: »Mitreißende politische Massenlieder hat es in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts kaum gegeben. Erst in der Periode der Befreiungskriege entstand eine Vielzahl wirkungskräftiger Massenlieder, die von Mund zu Mund gingen und überall bekannt wurden.«35 Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Das gleiche gilt für jene anspruchsvollen, nach 1789 in Deutschland komponierten Hymnen und Kantaten, denen freiheitlich-progressive Texte zugrunde liegen. Weil es für größere Werke, die eine Orchesterbegleitung voraussetzen, noch keine nennenswerte bürgerlich-liberale Öffentlichkeit gab, blieb diese Gattung weitgehend in die Aufführungspraktiken der Höfe und Kirchen eingebunden und konnte ihre politischen Absichten nur in höchst verhüllter Form durchschimmern lassen. Schließlich waren die Auftraggeber auf dem Gebiet der Musik, von einigen liberalen, ob nun fritzisch oder josephinisch denkenden Fürsten und Hochadligen einmal abgesehen, fast alle konterrevolutionär eingestellt. Vertonungen freiheitlich gesinnter Texte hatten daher in den neunziger Jahren kaum eine Chance, aufgeführt zu werden – und blieben dementsprechend meist unkomponiert. Was sich auf diesem Felde findet, sind lediglich zwei Formen von Kantaten: die zeitweilig geduldeten Freimaurerkantaten, wie sie Mozart zwischen 1784 und 1791 für die Wiener Loge zur »Gekrönten Hoffnung« komponierte, sowie die Trauerkantaten auf den Tod aufgeklärter Könige oder Kaiser. Von den Letzteren sind die interessantesten die, welche Johann Friedrich Reichardt 1786 auf den Tod Friedrichs II. von Preußen, Ludwig van Beethoven 1790 auf den Tod Josephs II. und Johann Martin Kraus 1792 auf den Tod Gustavs III. von Schweden schrieben. Besonders die Josephs-Kantate des zwanzigjährigen Beethoven, die voller Hassausbrüche auf die katholische Kirche ist und ein musikalisch höchst bewegendes Loblied auf die reformfreudige

Abb. 7  Anonym: Kaiser Joseph II. als Beschützer der Freimaurer (um 1785)

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Gesinnung des verstorbenen Kaisers anstimmt, verdiente – schon wegen ihrer auf den Fidelio vorausweisenden Humanitätsmelodien – bekannter zu werden. Da auch die Oper, von wenigen Vorstadttheatern abgesehen, der strengen Kontrolle der Höfe unterlag, war hier die Lage nicht viel anders als auf dem Gebiet der weltlichen Kantaten oder anderer Chorwerke. Revolutionäres, wie es nach 1789 auf den Pariser Bühnen gespielt werden konnte, war in Deutschland kaum denkbar. Nicht einmal Gluck hätte hier eine Chance gehabt, obwohl er sich in den achtziger Jahren, kurz vor seinem Tod, mit dem Gedanken trug, eine deutsche Nationaloper nach Klopstocks Hermanns Schlacht für eine der Wiener Bühnen zu komponieren.36 Doch davon hat sich nichts erhalten. Auch Johann Christoph Vogel, sein bedeutendster deutscher Schüler, hinterließ lediglich eine Oper, den bereits erwähnten Démophon. Da dieses Werk im Geiste Rousseaus auf soziale Gleichheit und menschliche Selbstbestimmung drängt, hatte es 1789 in Paris einen großen Erfolg, während es in Deutschland, meines Wissens, nirgends nachgespielt wurde. Ebenso unbekannt blieb ein anderer wichtiger Gluckianer in seinem Heimatland, nämlich Johann Martin Kraus, der bereits vor Beginn der Französischen Revolution Deutschland verließ und nach Stockholm ging. Selbst auf der mittleren oder unteren Ebene des Opernbetriebs findet sich um 1790 in Deutschland nicht viel, was an die gleichzeitige Aufführungspraxis in Paris erinnert. Noch am gewagtesten galten damals die Opern Mozarts, dessen Hochzeit des Figaro (nach einem Lustspiel von Pierre-Augustin-Caron de Beaumarchais, das Lorenzo da Ponte in ein Libretto umgewandelt hatte) zwar im Jahr 1786 im Wiener Burgtheater aufgeführt wurde, aber keine besonders gute Presse hatte, da dieses Werk nach Ansicht konservativer Kritiker zu »viel Anstößiges« enthielt.37 Als ebenso aufmüpfig empfanden solche Rezensenten Mozarts äußerst erfolgreiche Zauberflöte, die zwischen 1791 und 1795 allein in Emanuel Schikaneders Theater auf der Wieden zweihundertmal über die Bretter ging und in fast allen deutschen Städten nachgespielt wurde. Da die Reaktionäre zu diesem Zeitpunkt geradezu alles als kritisch oder gar revolutionär verdächtigten, was gegen die absolutistischen Normen verstieß, sahen sie im Handlungsverlauf der Zauberflöte nicht nur einen ins Poetische verklärten Kampf zwischen Licht und Dunkel, sondern auch eine Auseinandersetzung zwischen dem französischen Nationalkonvent (Sarastros Sonnenpriestern) und der französischen Königin Marie-Antoinette (Königin der Nacht), die eindeutig revolutionäre Züge trage. Dies ist sicher nicht Mozarts oder Schikaneders Intention gewesen, bot sich aber im Hinblick auf die Ereignisse in Paris geradezu zwangsläufig als zeitgeschichtliches Rezeptionsmodell an. Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Mit den Pariser Opern der neunziger Jahre wurden die deutschen Opernbesucher erst im Zuge der napoleonischen Besetzung vertraut. Das Stichjahr war dabei 1803, als plötzlich eine Reihe von Opern von Cherubini, Lesueur, Méhul, Paër und anderen, von denen man bisher nur durch Reiseberichte gehört hatte, infolge der französischen Besetzung oder der mit Napoleon verbundenen Höfe, auch auf deutschen Bühnen auftauchten. Allerdings rückte man zu diesem Zeitpunkt weniger die revolutionären als die schaurig-­sensationellen Elemente in den Vordergrund. So gab es 1802 im Wiener Kärntnertortheater selbst eine Oper wie Die Räuberhöhle von Lesueur zu sehen, die kurz darauf sogar in Berlin nachgespielt wurde.38 Von Cherubini wurden in diesem Jahr gleich vier seiner Opern, und zwar die Medea, Der Wasserträger, Der portugiesische Gasthof und Elisa, in Wien aufgeführt. Sie machten zwar mit ihren wilden Leidenschaftsausbrüchen und kühnen Befreiungsaktionen große Furore, inspirierten jedoch nur wenige Komponisten, es ihnen nachzutun. Der einzig bekannte, der sich von diesen Opern beeinflussen ließ und sie zugleich überbot, war der junge Ludwig van Beethoven.39 Besonders beeindruckt war Beethoven von Cherubinis Wasserträger (Les deux journées, ou Le porteur d’eau) nach einem Textbuch von Jean-Nicolas Bouilly, bei dem es sich im Stil der frühen Revolutionsopern um eine »wahre Geschichte«, nämlich die Befreiung eines edlen Volksfreundes durch einen »einfachen Mann« aus dem Volke, handelt, der dafür keinen Dank erwartet, da er es im »Dienste der Menschheit« getan habe. Beethoven war von diesem Werk so begeistert, dass er sich 1804, als Cherubini nach Wien kam, um dort seine deutschsprachige Faniska zu komponieren, ebenfalls einen Text von Bouilly, und zwar das Libretto Léonore ou L’amour conjugal, vornahm und ihn zu veropern suchte. Bei Bouillys Léonore handelte es sich abermals um eine »wahre Begebenheit« aus den Tagen der Revolution, die jedoch nach Spanien verlegt ist. Als Beethoven dieses Werk, das gleichzeitig mit der Appassionata und den ersten Skizzen zur 5. Symphonie entstand, am 20. November 1805, also sieben Tage nachdem Napoleon Wien erobert hatte, im Theater an der Wien zur Aufführung brachte, waren die »grellsten Stellen«, wie es hieß, von der Zensur bereits vorher gemildert worden.40 Dennoch nannte ein konservatives Blatt wie August von Kotzebues Freimütiger diese Oper recht abschätzig eine »Befreiungsgeschichte, dergleichen seit Cherubinis Deux journées in die Mode« gekommen sei, um sie damit als ein minderwertiges »Franzosenwerk« abzustempeln.41 Andere sahen dagegen vor allem im Gefangenenchor (»O, welche Lust! In freier Luft / Den Atem leicht zu heben«), im Monolog des Florestan (»In den Lebens Frühlingstagen«) sowie der Szene, wo Leonore die Pistole auf 36

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den Tyrannen Pizarro richtet, höchst mitreißende Partien, in denen sowohl die »Rhythmik französischer Revolutionsmärsche« als auch die beseligenden Humanitätsmelodien der frühen neunziger Jahre weiterklängen, durch welche dieses Werk aus der Sphäre bloßer Liebesopern auf die Höhe eines konfliktreichen Menschheitsdramas gehoben werde.42 Doch Beethovens Fidelio blieb eine Ausnahme, die unter den gewandelten Bedingungen der Zeit nach 1806 keine Nachfolge zeitigte. Ähnlich spärlich ist das, was sich im Bereich der deutschen Symphonik um 1800 an revolu­ tionären Intonationen findet. Und auch hierfür lassen sich gravierende Gründe anführen. Erstens gab es zu diesem Zeitpunkt noch keinen wirklich ausgeprägten bürgerlich-­liberalen Konzertbetrieb, der sich solcher Werke angenommen hätte. Wie wir wissen, konnte selbst Mozart für seine letzten Konzerte in Wien kaum Subskribenten finden. Sogar der wesentlich berühmtere Haydn musste in den neunziger Jahren nach London reisen, um seine späten Symphonien einem bereits mit bürgerlichen Hörern durchsetzten Publikum vorspielen zu können. Symphonien, Quartette, Trios, Sonaten: dies waren damals in fast allen europäischen Ländern noch Werke für eine Hörerschaft auserlesener, meist aristokratischer Kenner, aber keine Werke, von denen man revolutionäre Intonationen erwartete. Solche Werke hatten darum selbst im Paris der frühen Republik nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Zweitens waren die meisten deutschen Komponisten noch so stark in ein traditionelles Denken eingebunden, dass ihnen die Möglichkeit einer gewaltsamen gesellschaftlichen Umwandlung überhaupt nicht in den Sinn gekommen wäre. Dennoch traten auf diesem Gebiet eine Reihe von Musikern hervor, die gerade im Medium der Symphonie – wegen ihrer abstrakten, textlosen Form – wenigstens einige ihrer kritisch-­liberalen oder gar revolutionären Gefühle anzudeuten wagten, indem sie in das höchst komplexe Stimmengewirr solcher Werke bestimmte Rhythmen oder Melodiefetzen der französischen Revolutionsmusik oder an sie anklingende Intonationen einzuweben versuchten. Ja, es gab sogar Komponisten, die ihre Symphonien mit programmatischen, auf die Revolution bezüglichen Titeln versahen. Dafür seien drei paradigmatische Beispiele herangezogen: 1. die Grande Symphonie caractéristique pour la paix avec la République française (1797) von Paul Wranitzky, 2. die Sinfonia eroica (1804) von Ludwig van Beethoven und 3. die Musique pour célébrer la mémoire des grands hommes et des grands événements de la République française (1809) von Anton Reicha.43 Die Große charakteristische Symphonie von Wranitzky wurde offenbar vor dem zwischen Napoleon und den Habsburgern am 17. Oktober 1797 ausgehandelten Friedensschluss von Campo formio geschrieben. Wranitzky war ein vielseitiger Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Dirigent und Gelegenheitskomponist, der bei Haydn und Johann Martin Kraus in die Lehre gegangen war, mit Mozart und Schikaneder zur Freimaurerloge »Zur gekrönten Hoffnung« gehört hatte und in Wien die »Adeligen Liebhaberund Cavalier-Konzerte« leitete. Mit dieser Symphonie griff er erstmals offen in die politische Meinungsbildung ein, indem er in ihr – im Gegensatz zu der eine »Politik der Stärke« demonstrierenden Tondichtung Die Bedrohung und Befreiung der K. und K. Haupt- und Residenzstadt Wien durch die französischen Truppen unter den Befehlen des Generals Buonarotti von Johann Baptist Vanhal –

Abb. 8  H. C. Boßler: Paul Wranitzky (1798)

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einen Friedensappell in Form einer Programmsymphonie vorzutragen versuchte. Er publizierte sie sogar in Augsburg, musste jedoch zu seiner Enttäuschung erleben, dass Kaiser Franz II. sie in Wien sofort nach ihrem Erscheinen verbot. Dabei ist dieses Werk nicht wirklich revolutionär, sondern versucht nur, einem allgemeinen Friedenswillen Ausdruck zu verleihen, der sich allerdings auch als eine politische Anerkennung der französischen Republik auslegen ließ. Und zwar trägt dieses Werk, das über vierzig Minuten lang ist und damit den Umfang der damals üblichen Symphonien fast um das Doppelte übertrifft, nicht nur einen programmatischen Titel (»Große charakteristische Symphonie für den Frieden mit der französischen Republik«), sondern hat auch in den einzelnen Sätzen einen deutlich programmatischen Charakter. Der erste Satz ist mit »La révolution« überschrieben und vermischt pathetisch-erhabene Partien im Sinne von Gluck oder Kraus mit deutlich populären Elementen in Form verschiedener Marschanklänge. Dennoch wahrt er dabei eine aufklärerische Grazie und geht noch nicht ins Tumultuarische eines Beethoven über. Der zweite Satz, der den Titel »Le destin et la mort Louis XVI.« trägt, ist in Form eines langausgesponnenen Trauermarsches angelegt, der sowohl an Mozarts Maurerische Trauermusik als auch an Gossecs Marche lugubre gemahnt. Der dritte Satz, »La mêlée d’une bataille« überschrieben, scheint auf das Schlachtengetümmel der Koalitionskriege anzuspielen. Dagegen nennt sich der vierte Satz, in dem die politische Zielutopie zum Ausdruck kommt, »Perspectives de paix, jubilation pour la paix obtenue«, also »Aussichten auf den Friedensjubel über den errungenen Frieden«. In ihm löst sich das Ganze in eine allgemeine Freudenstimmung auf, die auf den Zustand der endlich von Krieg und Tyrannei befreiten Menschheit vorauszuweisen scheint. Derselbe Wranitzky war daher einer der ersten, der sich für den jungen Beethoven einsetzte und drei Jahre später dessen 1. Symphonie uraufführte. Während sich jedoch Wranitzky solchen »kühnen« Stimmungen nur vorübergehend hingab, blieb Beethoven zeit seines Lebens ein Vertreter aufkläre­rischen Gedankenguts, erst in josephinisch-liberaler, dann in prometheisch-­napoleonischer, darauf in freiheitlich-patriotischer und schließlich in abstrakt-­menschheitlicher Form.44 Schon in seiner frühen Bonner Zeit subskribierte er die Gedichte von Eulogius Schneider, in denen sich eins auf den Sturz der Bastille findet,45 studierte bei Christian Gottlob Neefe, von dem der Spruch überliefert ist: »Schlimme Fürsten haß ich mehr als Banditen«,46 hörte Symphonien von Gossec und komponierte die bereits erwähnte Kantate auf den Tod von Joseph II.47 Dieser Gesinnung blieb Beethoven auch nach seiner Übersiedlung in das Wien von Franz II. treu, wo er sich wie Wranitzky gegen den reaktionären Geist der Interventionskriege aussprach, zeitweilig in seiner Kleidung die »überrheinische Mode«, also die Pariser Revolution und Wiener Klassik

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»nachlässige« Mode der Revolutionäre, bevorzugte,48 während Haydn und Salieri weiterhin Hofkleidung trugen, und wo er offen mit Napoleon sympathisierte, in dem er einen josephinischen Fortsetzer der Französischen Revolution sah, da er nicht daran glaubte, dass sich das deutsche Volk aus eigener Kraft befreien könne. Obendrein verkehrte er hier im Salon des französischen Gesandten Jean-Baptiste Bernadotte, wo er die Hefte des Magasin de musique à l’usage des fêtes nationales zu sehen bekam,49 wo er den Geiger und Komponisten Rodolphe Kreutzer kennenlernte, dem er seine bedeutendste, leidenschaftlichste, ja, eindeutig revolutionär gestimmte Violinsonate op. 47 widmete, und wo ihn Bernadotte offenbar anregte, eine Symphonie auf Napoleon zu schreiben, wie Beethovens Famulus Anton Schindler später behauptete.50 Wie stark sich all das auf Beethovens musikalische Entwicklung ausgewirkt hat, lässt sich leicht belegen. So ist oft darauf hingewiesen worden, welchen Einfluss gewisse Werke von Cherubini, Gossec, Grétry, Kreutzer und anderer Komponisten der Französischen Revolution mit ihren »Marschrhythmen«, ihren »Spannungspausen«, ihren »Signalthemen«, ihrer »Wildheit des con fuoco«, ihrer »Kampf und Sieg«-Struktur, das heißt ihrer Steigerung vom »Élan terrible« zum »Éclat triomphal« auf Beethovens frühe Symphonien, Ouvertüren und Sonaten gehabt haben.51 Das wichtigste Werk dieser Gesinnung ist sicher seine Sinfonia eroica, über deren politische Grundstimmung es – trotz des verbreiteten Desinteresses an revolutionär gesinnter Musik – selbst in der ehemaligen Bundesrepublik bereits eine Fülle bedeutsamer, auf ihre politischen Implikationen eingehender Sekundärliteratur gab.52 Wie stark diese Symphonie Beethovens Überzeugung widerspiegelt, dass eine Befreiung Deutschlands nur von außen erfolgen könne, und zwar in Gestalt eines neuen Prometheus, den er in Napoleon sah, ist vor allem in dem Buch Beethovens Eroica und Prometheus-Musik (1978) von Constantin Floros nachgewiesen worden. Er war der Erste, der die entscheidende Vorstufe zu diesem Werk in dem Ballo eroico Die Geschöpfe des Prometheus von 1801 erblickte, der sich ebenfalls schon auf Napoleon beziehe.53 Peter Schleuning ist daher – in Anlehnung an solche Thesen – später so weit gegangen, die Eroica als eine rebellische »Prometheus-Symphonie« zu charakterisieren und ihr einen programmatischen Gesamtplan unterzulegen.54 Beethoven hat in seinen mittleren Jahren die 3. Symphonie lange Zeit als das Werk empfunden, in dem er sein tiefstes Vermächtnis niedergelegt habe.55 Unzufrieden mit seinen ersten zwei Symphonien, denen noch relativ konventionelle Formschemata zugrunde liegen, wollte er mit ihr einen völlig »neuen Weg« einschlagen und vielleicht sogar nach Paris übersiedeln, um sie dort vor einem revolutionär gestimmten Publikum aufführen zu können.56 Doch er 40

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blieb in Wien und versuchte, seinem Traum einer »heroischen« Befreiung des Menschengeschlechts wenigstens in seiner Musik einen möglichst umfassenden Ausdruck zu verleihen. Dementsprechend verzichtete er in der Eroica auf allzu deutliche Zitate französischer Lieder oder Märsche. Was hier erklingt, sind, wie Boris Assafjew schreibt, in einem viel weiteren Sinne die Intonationen einer Revolution schlechthin, nämlich »die appellartigen Ausrufe der Redner und Volksführer, die dem Auftreten von Flut und Ebbe vergleichbaren Wellen von Stimmen aus den Volksmassen, die Rhythmusintonationen der Trommeln, welche die Feinde der Revolution mit Schrecken erfüllen und die Revolutionäre in freudige Erregung versetzen, die Signale der gleichsam als Boten einer neuen Welt tönenden Militärtrompeten, die Schläge der Pauken und das triumphale Getöse von Siegen und Gefahren«, also all jene »ganz einfachen Intonationen, die von den Ereignissen dieser leidenschaftlichen Epoche in den Wirbel des Lebens einbezogen wurden« und deren »breite Amplitude von Emotionen« für »alle Menschen verständlich« sein sollte.57 Beethovens 3. Symphonie lässt sich demnach nicht als Ausdruck eines verblendeten Heroenkults abtun. Im Gegenteil, sie ist das Werk eines Komponisten, der sich vom Befreier Napoleon, als dem Vollstrecker der Französischen Revolution, noch immer die Abschaffung der alten Standesbarrieren und somit eine Demokratisierung der Gesamtgesellschaft erhoffte. In ihr wird nicht einfach machtvoll geschmettert und heroisiert, kein peinlicher Personenkult getrieben, sondern geradezu überdeutlich der Eigenwert jedes einzelnen Instruments und damit jeder einzelnen menschlichen Stimme betont, aus deren komplexen Zusammenspiel sich erst der spezifisch »symphonische« Charakter dieses Werks ergibt. Schon im ersten Satz dieses Werks dominieren deshalb weniger die majestätischen als die heldischen Züge, das heißt die »scharfen Kontraste«, die »Keulenschläge« der Pauken und die »metallisch glänzenden Farben« der Bläser.58 In »atemberaubender Dramatik« und »ständiger Steigerung« wird hier ein »nie erlahmendes Kämpfertum« beschworen, das seine Stärke und Überzeugungskraft aus einer »elementaren Dreiklangsthematik« bezieht.59 Eine ähnlich einfache und doch komplexe Struktur zeichnet die folgende Marcia funèbre aus, in der Beethoven die »Techniken der Sonatenform, der Variation, der Fuge und des Liedes« zu einem »Hohenlied gefaßter Trauer« verschmolz,60 um so der »zahllosen Opfer, der Ströme Blutes, der Ströme von Tränen« zu gedenken, die für die »Sache der Freiheit« geflossen waren.61 Im dritten Satz hellt sich dagegen die Stimmung wieder auf, um dann im Allegro molto des Finales in einen Siegesjubel überzugehen, der wiederum auf einer höchst komplexen Struktur beruht und eine passacagliahafte Variationenfolge, fugatoartige Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Stellen, Sonatenelemente sowie hinreißende Marschrhythmen zu einer durch und durch »heroisch« konzipierten Einheit zusammenfasst.62 Bei einem so emphatischen Ausdruck demokratischer Zukunftshoffnungen nimmt es nicht wunder, dass Beethoven auf die Nachricht über die Erhebung Napoleons zum Kaiser am 18. Mai 1804 in helle Wut geriet. Bekanntlich strich er daraufhin auf dem Titelblatt der 3. Symphonie die programmatische Aufschrift »Bonaparte« kurzerhand durch. »Er ist auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch«, soll er bei dieser Gelegenheit geäußert haben, »nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen. Er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden.«63 Die Partitur verwarf Beethoven jedoch nicht, da er sich in seinen Hoffnungen auf eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse keineswegs beirren ließ. Die Uraufführung dieses Werks erfolgte schon im Sommer 1804. Und zwar stellte Fürst Joseph Franz Maximilian von Lobkowitz hierfür sein Palais und sein Privatorchester zur Verfügung, was auf die weiterbestehende Diskrepanz eines freiheitlich-gesinnten Bürgertums und eines benevolenten Adels verweist, der sich in seinen Palästen selbst an rebellisch-intonierten Werken delektierte, sofern ihre progressiven Absichten lediglich in musikalisch-­ verschlüsselter Form zum Ausdruck kamen. Als Beethovens 3. Symphonie 1806 im Druck erschien, trug sie den kryptischen und zugleich offenkundigen Titel Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo. Das klingt fast so, als ob es sich bei dieser Widmung »um einen Toten handele«.64 Jedenfalls war für Beethoven die Aura, die den Namen Bonaparte bis dahin umgeben hatte, plötzlich verblichen. Geblieben war allerdings die Erinnerung an den »Auftrag« der Revolution, der in der Folgezeit lediglich andere Akzente erhalten sollte. Ähnliches trifft auf einen Komponisten wie Anton Reicha zu, der im gleichen Jahr wie Beethoven geboren wurde, mit ihm in Bonn bei Neefe studiert hatte und sich ebenfalls bereits in jungen Jahren zu einer radikalisierten Form des Josephinismus bekannte. Wie Beethoven ging Reicha Mitte der neunziger Jahre nach Wien, hielt es dort jedoch nicht lange aus und begab sich 1799 nach Paris, um sich in den Dienst der Französischen Republik zu stellen. Seine Werke dieser Jahre weisen äußerlich kaum Einflüsse der französischen Musik zwischen 1789 und 1794 auf. So schrieb er zwar um 1800 zwölf wilde, spannungsgeladene Fugen, die er jedoch nicht wie Beethoven irgendeinem Wiener Fürsten dedizieren musste, sondern den »Citoyens Méhul, Cherubini, Gossec, Lesueur et Martini« widmete, und komponierte auch einige Symphonien, darunter die recht beachtliche in Es-Dur, die stilistisch an Haydn und Franz Krommer 42

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gemahnt, scheute aber – im Gegensatz zu dem unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen schaffenden Wranitzky – offensichtlich davor zurück, seinen Werken revolutionäre oder französisch-patriotische Titel zu geben. 1805 kam Reicha im Gefolge Napoleons ein zweites Mal nach Wien, wo er Haydn mit Cherubini bekannt machte, seine Freundschaft mit Beethoven erneuerte und auch sonst lebhaften Anteil an der musikalischen Szene nahm. Doch schon drei Jahre später zog es ihn wieder nach Paris zurück, wo er – neben Opern – weitere Symphonien schrieb. Bei einigen dieser Werke beschränkte er sich in der Besetzung, wie bei seinen Kammermusikwerken, fast ausschließlich auf Bläser, wobei er nicht nur an tschechische Traditionen, die ihm aus seiner Jugendzeit vertraut waren, sondern auch an die Traditionen der großen Umzüge und Feste aus den ersten Jahren der Revolution anknüpfte.

Abb. 9  M. F. Dien: Anton Reicha (1815) Pariser Revolution und Wiener Klassik

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Wohl das bedeutendste Werk dieser Art ist seine 1809 komponierte Musique pour célébrer la mémoire des grands hommes et des grands événements de la Republique française. Hierbei handelt es sich um eine viersätzige Bläsersymphonie mit Pauken, Trommeln und Kontrabässen, die mit einem Allegro in poco presto beginnt, worauf ein Adagio und ein weiteres Presto folgen, bis sie in eine Marche funèbre mündet, welche die Satzbezeichnung Maestoso in poco trägt. Im ersten und dritten Satz herrschen das gleiche Revolutionsgetümmel sowie der gleiche Schlachtenlärm wie bei Wranitzky und in etwas erhabener Form auch in Beethovens Eroica, wobei Reicha selbst vor populären Marschmotiven, Trompetensignalen und Trommelwirbeln nicht zurückschreckte. In all diesen Partien wirkt das Ganze – wenn man bedenkt, dass es im Jahr 1809, also unter dem Empereur Napoleon, entstanden ist – in der Fülle seiner revolutionären Intonationen durchaus provokativ. Noch aufreizender wirkt der diese Symphonie beschließende Trauermarsch zum »Andenken der großen Männer und großen Ereignisse der Französischen Republik«, der im Gegensatz zu Beethovens zweitem Satz der Eroica nicht nur wie ein Trauermarsch auf die zur Verteidigung der Revolution gefallenen Helden, sondern zugleich wie ein Trauermarsch auf die durch Napoleon gestürzte Republik klingt. Doch in den folgenden Jahren scheint Reicha seinen Frieden mit Napoleon und später sogar mit den restaurierten Bourbonen geschlossen zu haben. In Anerkennung dieser »Wende« wurde er 1818 zum Professor an der École royale de musique in Paris ernannt, wo zu seinen Schülern unter anderem Franz Liszt und Hector Berlioz gehörten, die beide nach Ausbruch der Julirevolution von 1830 ihre eigenen Revolutionssymphonien zu schreiben begannen. Die Symphonie funèbre et triomphal von Berlioz wurde sogar aufgeführt, während Liszts revolutionäres Tongemälde, das melodisch auf dem Hussitenlied, dem Choral Ein feste Burg ist unser Gott und der Marseillaise beruhen sollte, in ersten Ansätzen steckenblieb.65 Dieser Überblick, wenn auch auf einige der wichtigsten Beispiele verkürzt, zeigt deutlich, wie schwer es in Deutschland war, selbst auf symphonischem Gebiet – als dem noch unverfänglichsten Sektor dieser Art – Sympathien mit den Ideen und Ereignissen der Französischen Revolution auszudrücken. Die Grande Symphonie caractéristique von Wranitzky, die lediglich für einen ehrenvollen Frieden mit der Französischen Republik eintrat, konnte aufgrund des kaiserlichen Verbots nicht aufgeführt werden. Beethovens Eroica, die ihre Hoffnung auf einen ideal, das heißt prometheisch gesehenen Napoleon setzte, wurde 1804 durch den Gang der Ereignisse, nämlich Napoleons Kaiserkrönung, schon vor ihrer Premiere überholt. Ja, Reicha sah sich 1809 sogar in Frankreich gezwungen, seine republikanischen Aspirationen in die Form einer elegisch 44

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gestimmten musikalischen Rückerinnerung zu kleiden. Das mag als Widerhall der Französischen Revolution in der Musik deutscher Symphoniker um 1800 nicht gerade überwältigend wirken. Jedenfalls rechtfertigen solche höchst vereinzelten Werke nicht, von einer markanten oder gar vollentwickelten deutschen Revolutionsmusik zu sprechen, in der sich der gleiche politische Elan wie in den revolutionären Werken der französischen Musik der neunziger Jahre manifestiert.66

III Dennoch, trotz all dieser Einschränkungen wäre es verfehlt, die eben aufgezählten Kompositionen eines Mozart, Wranitzky, Beethoven oder Reicha, die dem aufrührerischen Geist, wie er zwischen 1789 und 1794 in Paris herrschte, noch am nächsten kommen, einfach zu bagatellisieren. Auch sie sind Ausdruck eines durchgreifenden Epochenumbruchs, wenn auch nicht in einem realpolitischen, sondern eher in einem ins Emotionale oder Geistige tendierenden Sinne. Aber trifft das Gleiche nicht auch auf weite Bereiche der deutschen idealistischen Philosophie und Literatur dieser Ära zu? Selbst die Werke der Weimarer Klassik, der Jenenser Frühromantik und der Philosophie eines Kant, Fichte oder Hegel stehen – unter tagespolitischer Perspektive betrachtet – nicht unbedingt auf der »Höhe ihrer Zeit« und zählen doch zu den bedeutendsten denkerischen und ästhetischen Leistungen der Ära um 1800 schlechthin. Es wäre daher kurzschlüssig, das philosophische und künstlerische Schaffen dieser Jahre allein an seinem Bezug zu den konkreten Ereignissen der Französischen Revolution zu messen. Vielleicht sollte man in diesem Punkte ruhig etwas großräumiger denken und sich Heinrich Heine zum Vorbild nehmen, welcher der Erste war, Kant neben Robespierre und Fichte neben Napoleon zu stellen, deren philosophische Leistungen sich durchaus mit dem »Sturm der Bastille« vergleichen ließen.67 Eine ähnliche These könnte man – jenseits aller nationalistischen Überheblichkeit, die gerade Heine völlig fern lag – für die deutsche Musik dieser Ära aufstellen, die sich in den letzten Dekaden des 18. Jahrhunderts von den Mannheimern zu Gluck, Haydn, Mozart und schließlich zu Beethoven entwickelte, welche in der Revolutionierung der menschlichen Gefühlswelt sicher Ähnliches geleistet haben wie die deutschen Denker dieses Zeitraums in der Beseitigung der Schranken des menschlichen Erkenntnisvermögens.68 Dementsprechend sollte man die deutsche Musik nach 1789 nicht nur im Hinblick auf die VerPariser Revolution und Wiener Klassik

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arbeitung irgendwelcher Intonationen der Französischen Revolution beurteilen (so interessant das im Einzelnen wäre), sondern auch die in ihr zum Ausdruck kommenden Großprozesse mitzuhören versuchen. Die deutschen Komponisten verfügten zwar nicht über die Möglichkeiten der französischen, denen ein bedeutendes Musikkorps sowie ein staatlicher Musikverlag zur Verfügung standen, sondern waren weiterhin von adliger oder kirchlicher Gunst abhängig, ja, wurden zum Teil noch schmählich unterdrückt. Aber gerade das spornte die Besten unter ihnen dazu an, ihren revolutionären Hoffnungen wenigstens im Bereich der Symphonie – und zum Teil auch in der Oper – einen besonders kühnen, radikalen, utopisch gesinnten Ausdruck zu verleihen. Und auf diese Weise gelang es ihnen, jene französischen Komponisten, die sich eher als Handwerker der Revolution verstanden, in manchen ihrer Kompositionen an frustrierter und zugleich überschäumender Gefühlsintensität weit zu übertreffen. Was selbst den engagiertesten Werken der deutschen Musik dieses Zeitraums  – aufgrund der mangelnden politischen Praxis  – fehlt, dürfte klar geworden sein. Es ist das Real-Klassenkämpferische zugunsten des Bürgertums gegen den 1. und 2. Stand. Was sie dagegen in einem beglückenden Übermaß besitzen, ist ein Zug ins Großempfundene, Erhabene, Menschheitliche. Ich meine damit jenen höchst bewegenden musikalischen Entwicklungsprozess, der sich in den Reformopern eines Gluck, den Crescendo-Partien eines Stamitz, den sogenannten Sturm-und-Drang-Elementen in den Werken eines Haydn oder Kraus sowie den tiefempfundenen Adagios eines Mozart anbahnt, ja, in ihnen bereits erste Erfüllungen erlebt – und dann in den Werken eines Beethoven eine deutliche Steigerung ins Kämpferische erfährt. Die Musik Beethovens ist daher nicht nur ein entfernter Widerhall der Französischen Revolution, sondern in konsequenter Fortführung radikal-aufklärerischer Tendenzen ebenso bedeutsam, wenn nicht – im Vorklang einer die miserable Realität der damaligen Gesellschaftsordnung weit übergreifenden Hoffnung auf eine endgültig befreite Menschheit – wesentlich bedeutsamer als die Musik eines Cherubini, Gossec, Grétry, Lesueur oder Méhul. In seinen Werken triumphiert ein souveränes, mündiges Ich, das sich weder aristokratischen noch nationalistischen Zielsetzungen unterwirft, sondern sich als »Weltbürger« empfindet. Ob nun die Geschöpfe des Prometheus oder die Eroica, der Fidelio oder die 5. Symphonie, die Kreutzer-Sonate oder die Appassionata, die Musik zum Egmont oder der letzte Satz der 9. Symphonie: In all diesen Werken äußert sich eine Haltung, die mit der Menschheit im besten Sinne »auf Du und Du« steht, wie es bei Hanns Eisler gern heißt. Ja, in ihnen erhebt sich die Musik zum Höchsten, was sie überhaupt auszudrücken vermag.69 46

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Der Beginn der »heroischen« Linie Die Grande Sonate pathétique von 1799

Wer an Beethoven und das »Heroische« denkt, verbindet damit vor allem seine Sinfonia eroica und – in einem weiteren Sinne – vielleicht noch seine 5. Symphonie sowie seinen Fidelio. Als »heroisch« gilt also in seiner Musik weitgehend das Große, Weitausladende, mit massiven Klangeffekten Auftrumpfende, ja, ans Erhabene Grenzende, aber nicht irgendetwas Kammermusikalisches, das heißt als klein oder bescheiden Auftretendes, das eher eine intime als eine öffentliche Wirkung hat. Und dazu zählten zur Zeit des jungen Beethoven – im Gegensatz zu musikalischen Großformen wie Opern, Symphonien oder Instrumentalkonzerten – all jene als Kleinformen eingeschätzten Lieder, Trios, Streichquartette, Violin- oder Klaviersonaten, die noch nicht in großen Konzertsälen, sondern lediglich in den Salons musikliebhabender Adliger oder den Wohnstuben des gehobenen Bürgertums erklangen. Vor allem für Klaviersonaten gab es damals noch keine nennenswerte Öffentlichkeit, weshalb sich die Komponisten solcher Werke bis in die achtziger und neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts in ihren Ausdrucksformen weitgehend auf das Anfängerhaft-Spielerische im Sinne Johann Christian Bachs, Muzio Clementis und Franz Joseph Haydns oder das Empfindsam-Introspektive im Sinne der Klaviersonaten und Rondos von Carl Philipp Emanuel Bach beschränkten, sich aber nicht in den Bereich des »Erhabenen« vorwagten. Im Hinblick auf den jungen Beethoven gelten jedoch solche Charakterisierungen nur zum Teil. Auch auf diesem Feld – wie auf so vielen anderen – war er ein Bahnbrecher, ein Neuerer, der schon in seinen frühen Jahren manchmal selbst relativ kleine Formen wie Klaviersonaten oder Klavierrondos mit einem aufwühlenden Geist zu erfüllen suchte, der sich durchaus als »pathetisch«, wenn nicht gar als »heroisch« charakterisieren lässt. Allerdings fallen sogar »Genies« nicht vom Himmel, sondern machen klar erkennbare Entwicklungen durch – was selbst auf den bei vielen MusikliebDer Beginn der »heroischen« Linie

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habern und -liebhaberinnen als »grandios«, »prometheisch« oder »titanisch« geltenden Beethoven zutrifft. Auch er brauchte erst einmal eine gewisse Anlaufzeit, um nach der familiären Misere seiner frühen Jahre mit einem persönlichen Selbstbewusstsein und einem ästhetischen Genieanspruch auftreten zu können. Und auch sein politisches Rebellentum entwickelte sich erst, als er

Abb. 10 Gottlieb August Liebe nach einer Zeichnung von Georg Rosenberg: Christian Gottlieb Neefe (um 1785)

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Der Beginn der »heroischen« Linie

sich durch die Anerkennung Anderer sowie das durch die Französische Revolution ausgelöste Freiheitsverlangen innerhalb der gebildeten Schichten des linksrheinischen Bürgertums plötzlich als ein Komponist fühlte, der sich seiner eigenen Bedeutung von Jahr zu Jahr immer stärker bewusst wurde. Auf ideologischer Ebene dürften ihm in diesem Zeitraum vor allem seine beiden Lehrer Christian Gottlob Neefe und Eulogius Schneider zu einem größeren Selbstwertgefühl verholfen haben. Neefe war sein wichtigster Musiklehrer, der ihn nicht nur im Orgel- und Klavierspiel unterrichtete und ihm bei seinen ersten Kompositionsversuchen behilflich war, sondern Beethoven sicher auch als Freimaurer und späterer Illuminat im Sinne der auf Menschenliebe und Gerechtigkeit drängenden Ideen der Aufklärung beeinflusste.1 Doch während sich Neefe, der sich in den achtziger Jahren mehrfach gegen die Willkürherrschaft »schlimmer Fürsten« ausgesprochen hatte,2 nach dem Ausbruch der Französischen Revolution politisch eher vorsichtig verhielt, trat Schneider, der erst 1789 nach Bonn kam, an der dort drei Jahre zuvor gegründeten Universität wie ein Feuerkopf auf, wodurch er schnell in Konflikte mit der Obrigkeit geriet.3 Darauf ging Schneider, dessen Publikationen Beethoven nachweislich gekannt hat, 1791 nach Straßburg, wo er als Jakobiner im Revolutionstribunal das Amt des öffentlichen Anklägers übernahm und schließlich 1793 in Paris hingerichtet wurde. Alle diese Einflüsse, wie auch das Leitbild des »aufgeklärten« Kaisers Joseph II., auf dessen Tod Beethoven 1790 als Zwanzigjähriger eine weit ausladende Trauerkantate für Solisten, Chor und großes Orchester (WoO 87) komponierte, müssen eine nachhaltige Wirkung auf seine politischen Orientierungsversuche gehabt haben. Über all das wie auch über seine Bonner Freunde Anton Reicha, Franz Anton Ries, Nikolaus Simrock und Franz Gerhard Wegeler wissen wir relativ gut Bescheid. Doch wie wirkte sich dieses aus dem linksrheinischen Rebellentum erwachsende Selbstbewusstsein auf Beethovens frühe Kompositionen aus? An sich nur in ersten Ansätzen, wenn man vom aufklärerischen Geist der Trauerkantate des von allen Freiheitsfreunden hochverehrten Joseph II. einmal absieht. Schließlich sind seine anderen Werke aus diesen Jahren relativ bescheidene Kammermusikkompositionen, mit denen der junge Beethoven noch am ehesten in den damaligen Bonner Musikkreisen Fuß zu fassen hoffte, das heißt sich den musikalischen Bedürfnissen des dortigen Hofes, des niederen Adels und des gehobenen Bürgertums anpasste. Sie lassen sich am besten als Werke eines noch imitativen jungen Komponisten charakterisieren, der sich unter Anleitung Neefes vor allem als Klavierspieler und Klavierkomponist auszubilden bemühte. Allerdings waren die Ergebnisse nicht ganz unbeachtlich. Manche seiner frühen Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Klavierkompositionen, wie die drei sogenannten »Kurfürstensonaten« (WoO 47), die er 1783 seinem höchst toleranten, ja, mit vielen Ideen der Aufklärung sympathisierenden Landesherrn Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln, widmete und die mit Hilfe Neefes sogar im Druck erschienen, werden selbst heute noch gespielt. Außerdem komponierte Beethoven wenige Jahre später – neben seinem ersten Klavierkonzert (WoO 4) – auch eine Reihe von Variationen und Rondos für Klavier, die sich stilistisch an gleichartige Werke von Ignaz Holzbauer, Carl Stamitz und Jan Baptist Vanhal, also Komponisten der damals in ganz Europa angesehenen »Mannheimer Schule«, anschlossen,4 während sie von dem durch Neefe angepriesenen Stil des Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach oder dem der Klaviersonaten Carl Philipp Emanuel Bachs nur wenig verraten. Sie sind eher gefällig als verinnerlicht und passen sich – gewollt oder ungewollt – den damals in Bonn herrschenden musikalischen Geschmacksnormen an. Auch ihr häufiger Wechsel von Piano und Forte deutet noch kein subjektives Auflehnungsbedürfnis an, sondern entspricht durchaus den Gepflogenheiten der Mannheimer Hofkapelle. Kurzum: Fast alle dieser Werke haben einen höfisch-geselligen Charakter und lassen sogar bei intensiverem Studium noch keine Ansätze zu der späteren »heroischen« Linie in Beethovens Werk erkennen. Selbst als der junge Beethoven 1792 als Zweiundzwanzigjähriger von Bonn nach Wien übersiedelte, änderte sich der Stil sowie die in ihm ausge­ drückte Gesinnung und Lebenshaltung seiner Klavierkompositionen nicht sofort. Schließlich musste er sich dort erst einmal als Klavierspieler und Klavierpädagoge ein musikalisches Umfeld schaffen, wo er sein Talent so einsetzen konnte, dass es ihm eine erträgliche Existenz gestattete. Und dazu waren vor allem Beziehungen zum musikliebenden Adel und eine Reihe kammermusikalischer Kompositionen nötig, mit denen er als Neuankömmling sowohl dem Geschmack als auch dem ästhetischen Anspruch möglicher Gönner huldigen konnte. Beides gelang ihm – zum Teil auf Empfehlung des Grafen Ferdinand Ernst von Waldstein – relativ schnell. Als die wichtigsten seiner adligen Förderer erwiesen sich der nur neun Jahre ältere Fürst Karl von Lichnowsky sowie dessen Bruder der Reichsgraf Moritz von Lichnowsky. Vor allem zu dem Ersteren scheint Beethoven recht schnell gute Kontakte geknüpft zu haben. Fürst Lichnowsky zählte zu den liberalsten Hochadligen in Wien, war als Klavierspieler ein Schüler Mozarts gewesen und gehörte wie dieser einer Wiener Freimaurerloge an. Ja, er hatte sogar mit Mozart andere Freimaurerlogen außerhalb Wiens besucht und unternahm Mitte der neunziger Jahre auch mit Beethoven eine ähnliche Freimaurerreise.5 In seinem Palais – vor allem wäh50

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rend der regelmäßigen Freitagmorgenkonzerte – trat daher Beethoven häufig als Pianist auf und beeindruckte sein dortiges Publikum mit seinen frühen Sonaten, Rondos, Variationen oder freien Improvisationen über irgendein ihm von den Zuhörern oder Zuhörerinnen gestelltes Thema. Über Beethovens politische Gesinnung während der frühen Wiener Jahre wissen wir wenig. Viel freier Spielraum für Liberale oder gar Jakobiner bestand zu dieser Zeit in Wien ohnehin nicht. Nach dem schnell hintereinander erfolgenden Ableben von Joseph II. sowie von Leopold II. und dem Regierungsantritt von Franz II. im Jahr 1792, der wesentlich reaktionärer eingestellt war als seine beiden Vorgänger und sich noch im gleichen Jahr mit seinen Truppen am Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich beteiligte, gab es in dieser Stadt immer weniger Möglichkeiten, gegen die Zensur aufzumucken und sich zu rebellischen Ideen zu bekennen. Wer es dennoch wagte, wurde wie Andreas Riedel, der Spiritus rector der Wiener »Gesellschaft der Gleichheit und Freiheit«, 1794 wegen »jakobinischer Umtriebe« verhaftet und zu langjähriger Kerkerhaft verurteilt.6 Einen anderen Wiener Jakobiner, den bedeutenden Gesellschaftsund Kulturkritiker Franz Hebenstreit, ließ Franz II. ein Jahr später sogar als »Staatsfeind« auf dem Wiener Exerzierplatz öffentlich strangulieren. Mit solchen Umtrieben wird also Beethoven als ein von den Reaktionären von vornherein beargwöhnter Cisrhenane kaum sympathisiert haben. Dennoch opferte er – selbst angesichts solcher Unterdrückungsmaßnahmen – seine aus Bonn mitgebrachte linksrheinische Aufsässigkeit in Wien keineswegs einer braven Untertanenmentalität, zumal er auf das schützende Patronat des Fürsten Lichnowsky vertrauen konnte. Dafür spricht, dass er für eins seiner Lieder, die er 1793 in Wien komponierte, als Textgrundlage das 1790 von Gottlieb Konrad Pfeffel verfasste Gedicht Der freie Mann wählte, das Anfang der neunziger Jahre in mehreren jakobinischen Anthologien erschienen war und mit den Zeilen beginnt: »Wer ist ein freier Mann? / Der, dem nur sein eigner Wille / Und keines Zwingherrn Grille / Gesetze geben kann; / Der ist ein freier Mann!«7 Im gleichen Jahr erwog er sogar, Schillers Ode An die Freude als ein »Lied an die Freiheit« zu vertonen.8 Ja, in eins der damals beliebten Stammbücher, in diesem Falle das von Johanna Theodora Vocke, schrieb Beethoven am 23. Mai 1793 mit erstaunlicher Offenheit: »Wohltun, wo man kann – Freiheit über alles lieben, Wahrheit nie (auch sogar am Throne nicht) verleugnen.«9 Doch trotz dieser nach »Freiheit« dürstenden Gesinnung gab sich Beethoven in diesen Jahren – angesichts der weitgehend autoritätsgläubigen Wiener Bürgerschaft – keineswegs irgendwelchen revolutionären Illusionen hin. In diesem Punkte blieb er erstaunlich realistisch. So schrieb er am 2. August 1794 an Die Grande Sonate pathétique von 1799

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seinen Bonner Freund und Verleger Nikolaus Simrock, dass es in dieser Stadt, solange die Wiener genug »Braun’s Bier und Würstel« hätten, sicher keine Revolution geben würde.10 Und damit sollte er durchaus recht behalten. Als die französischen Armeen 1796/1797 nach Süddeutschland und dann in Teile Österreichs vorzudringen begannen, sympathisierten die Wiener – im Gegensatz zu den Mainzern im Jahre 1793 – keineswegs mit den ihnen bürgerliche Rechte versprechenden Eindringlingen, sondern ließen sich von der obrigkeitlichen Propaganda zu einer chauvinistischen Hochstimmung hinreißen, zu der auch Franz Joseph Haydn 1796 mit seiner Vertonung von »Gott erhalte Franz

Abb. 11  Anonym: Fürst Karl von Lichnowsky (um 1805)

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den Kaiser«, einer Art »Anti-Marseillaise«,11 sein Scherflein beitrug. Ja, kurz darauf meldeten sich mehr als 10.000 junge Wiener freiwillig, aus Liebe für ihren Staat und ihren Herrscher in den Krieg gegen Napoleon zu ziehen. Und auch an musikalischen Werken, wie der Retter-Kantate von Franz Xaver Süßmayr, die sich voll und ganz in den Dienst dieser Kampagne stellten, fehlte es zu diesem Zeitpunkt keineswegs. Nur Beethovens Namen sucht man bei all diesen Aktionen vergebens. Um sich jedoch durch seine Zurückhaltung »nicht politisch verdächtig zu machen«, wie Peter Schleuning und Hans-Josef Irmen behaupten,12 verfasste er schließlich einen kurzen, weit unter seinem bereits erreichten Niveau komponierten Abschiedsgesang an Wiens Bürger beim Ausgang der Fahnendivision des Corps der Wiener Freiwilligen (WoO 121). Statt sich weiteren »Nötigungen« dieser Art auszusetzen oder gar in irgendwelche militärischen Aktionen verwickelt zu werden, reiste er kurz darauf mit dem Fürsten Lichnowsky nach Preßburg.13 Im Vergleich dazu verhielt sich sein 15 Jahre älterer Freund Paul Wranitzky, der später Beethovens 1. Symphonie uraufführte, wesentlich mutiger. Er komponierte zur gleichen Zeit eine Grande Symphonie caractéristique pour la paix avec la République française, die er sogar drucken ließ, obwohl ihr erster Satz mit »La Révolution« überschrieben ist, deren Aufführung jedoch von Franz II sofort untersagt wurde. Auch als Komponist hielt sich Beethoven gegen Mitte der neunziger Jahre erstaunlicherweise stark zurück. So schrieb er zwar ein Klavierkonzert (später unter der Opusnummer 19 erschienen), mit dem er 1795 erstmals in Wien öffentlich auftrat, arbeitete aber ansonsten in diesen Jahren vornehmlich an der Vervollkommnung seiner Kompositionstechnik, indem er sich von Altmeistern wie Johann Georg Albrechtsberger, Emanuel Aloys Förster, Franz Joseph Haydn, Antonio Salieri, und Johann Baptist Schenk unterrichten ließ. Angesichts der angespannten politischen Lage, bei der jede freiheitliche Äußerung sofort als franzosenfreundlich und damit staatsfeindlich ausgelegt wurde, war das für einen jungen Komponisten wie Beethoven, der sich immer noch seiner eigenen Begabung und Ausdruckskraft zu vergewissern suchte, wohl die beste Taktik. Außer einigen Liedern verfasste er daher in diesen Jahren fast nur kammermusikalische Werke, das heißt wortlose Musik, an der es – nach außen hin – nichts auszusetzen gab. Und zwar widmete er sie entweder seinem von allen Musikliebhabern und -liebhaberinnen hochverehrten Lehrer Franz Josef Haydn oder seinem wichtigsten Gönner, dem Fürsten Karl von Lichnowsky. Etwas überspitzt formuliert, könnte man sagen: Beethoven wollte zu diesem Zeitpunkt wenigstens in Tönen ausdrücken, was er in Worten verschweigen musste. Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Zu diesen scheinbar »kleinen«, aber mit gewaltigen Gefühlsballungen aufgeladenen kammermusikalischen Werken dieser Jahre gehören vor allem die ersten drei Klaviertrios op. 1, die zwei Klaviersonaten op. 2, die zwei Cellosonaten op. 5, die Klaviersonate op. 7, die drei Klaviersonaten op. 10 und die drei Violinsonaten op. 12. In ihnen versuchte Beethoven immer nachdrücklicher, den im 18. Jahrhundert lange Zeit als bloße Haus- oder Unterhaltungsmusik eingeschätzten Kammermusikwerken endlich den gleichen seelischen Tiefgang zu geben, der bis dahin weitgehend heroischen Opern oder geistlichen Kompositionen vorbehalten war. Zugleich wollte er damit jenen Rationalisten unter den Kunstrichtern seiner Zeit entgegentreten, die im Sinne einer allzu eng verstandenen Aufklärung in der Musik nur das Wortgebundene und damit begrifflich zu Fassende zu schätzen wussten.14 So hatte etwa Johann George Sulzer in der 1793 erschienenen 2. Auflage seiner weitverbreiteten Allgemeinen Theorie der schönen Künste die Musik aller Instrumentalwerke noch als ein zwar nicht »unangenehmes«, ja, manchmal sogar »artiges Geräusch«, aber letztlich als »ein das Herz nicht beschäftigendes Geschwätz« abgetan.15 Und diesen neuen Ausdruckswillen in Beethovens frühen Kammermusikwerken spürten die Klügeren unter den Wiener Rezensenten nur allzu genau. So bezeichnete einer von ihnen die drei Klaviertrios op. 1, die Beethoven dem Fürsten von Lichnowsky widmete, wegen ihrer Leidenschaftlichkeit als »gewaltig, mächtig und ergreifend«, 16 also weit über alles hinausgehend, was Haydn und Mozart in diesem Genre geleistet hatten. Ja, Alexander L. Ringer ging später so weit, diese drei Trios als Werke hinzustellen, die sich wegen ihrer Ausdrucksstärke durchaus »im Fahrwasser der Französischen Revolution« bewegen.17 Dabei hatte er sicher das dritte, in c-Moll komponierte dieser drei Werke im Auge, vor dem ein noch der »alten Schule« verpflichteter Komponist wie Haydn spontan zurückschreckte und Beethoven riet, es lieber nicht zu publizieren, da es das musikliebende Publikum kaum goutieren würde.18 Doch die meiste Furore machte Beethoven in diesen Jahren als brillanter Klaviervirtuose. Hierüber sind wir zwar nicht so genau informiert wie über seine spätere Spielweise, aber die wenigen Zeugnisse, die darüber existieren, bedürfen kaum einer weiteren Interpretation. Was seine Zuhörer und Zuhörerinnen am meisten beeindruckte, war die »Rasanz« seiner Spielweise, das heißt der gesteigerte, kraftvolle Gefühlsausdruck, wie er vor allem in den Prestissimo-Passagen zum Ausdruck kam, den zwar einige als etwas »rauh« oder gar »exzentrisch« empfanden, aber nichtsdestotrotz aufrichtig bewunderten.19 Neben dieser »Bravura« war sein Publikum vor allem über die »schneidenden Kontraste« seiner frühen Klavierwerke erstaunt. Und zwar handelte es sich bei 54

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diesen Kompositionen nicht nur um Sonaten, sondern auch um zahlreiche Variationen über Opernmelodien von Carl Ditters von Dittersdorf, Jakob Haibel, Wolfgang Amadeus Mozart, Giovanni Paisiello, Antonio Salieri, Franz Xaver Süßmayr, Peter von Winter und Paul Wranitzky, die Beethoven entweder vorher ausarbeitete oder einfach improvisierte. Doch sein eigentlicher Ehrgeiz auf diesem Gebiet bestand darin, die bisher eher gering geschätzte Klaviersonate zu einer allen anderen musikalischen Formen gleichwertigen Gattung zu erheben. Weit über alles Spielerisch-Virtuose oder Dilettantisch-Introspektive hinaus wollte er sie durch pathetische Dramatisierungen, gefühlsintensive Melodien und strenge kompositorische Motivarbeit endlich zu einer Form umgestalten, in der sich neben der Symphonie und dem Instrumentalkonzert das Höchste an wortloser Musik ausdrücken ließ. Als sich Beethoven diese Ziele setzte, war die Klaviersonate zwar schon ein weitverbreitetes musikalisches Genre, das sich sowohl in den höfischen und adligen Salons als auch den bürgerlichen »guten Stuben« einer großen Beliebtheit erfreute, aber noch als »gefällig-delikates« Nebenprodukt galt. Bereits Haydn und Mozart, die zwei Großmeister der Wiener Musik vor Beethoven, hatten eine Fülle an Klaviersonaten komponiert, mit denen das dortige musikliebende Publikum wohlvertraut war. Doch auch viele Kleinmeister waren auf diesem Gebiet in Wien und anderswo aktiv gewesen. Einen Großteil dieser Werke kannte Beethoven sicher sehr genau. Aber nicht nur das, er hatte bereits in Bonn unter Anleitung Neefes die Klaviersonaten Carl Philipp Emanuel Bachs studiert – und war sicher auch mit den Klaviersonaten von Johann Friedrich Edelmann, Étienne-Nicolas Méhul und Johann Schobert vertraut, die sich von dem zuvor herrschenden »galanten Stil« à la Johann Christian Bach befreit hatten und in neuerschlossene Gefühlsbereiche vorgedrungen waren. Und zwar gilt das bereits für die in den späten sechziger Jahren erschienenen Sonaten von Schobert, die Beethoven höchstwahrscheinlich schon in Bonn kennengelernt hatte.20 Das gleiche trifft auf die »pathetischen« Partien in Méhuls Sonaten21 sowie die mit vielen ausdrucksstarken Zügen durchsetzten Sonaten des MéhulSchülers Edelmann zu, der sich 1789 in Straßburg für die Parolen der Französischen Revolution begeisterte, zum Vorsitzenden des dortigen Jakobinerklubs gewählt wurde und wie Eulogius Schneider später in Paris hingerichtet wurde. Und in diesen Kontext gehören auch Beethovens erste Wiener Klaviersonaten, angefangen mit den Haydn gewidmeten Sonaten op. 2, die er 1795 im Palais Lichnowsky zum ersten Mal vortrug, über die Sonate op. 7 bis zu den drei Sonaten op. 10. Alle diese Sonaten nannte Beethoven später Produkte »meiner himmelstürmenden Jugend«.22 Sie sind einerseits von einer »strengen Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Selbstdisziplin«, andererseits von einer »schöpferischen Freiheit«,23 bilden also genau das, was Theodor W. Adorno im Hinblick auf Beethovens »klassische« Werke gelungene »Synthesen aus Objektivität und Subjektivität« genannt hat.24 Schon die Satzbezeichnungen seiner Sonaten op. 2 – wie Allegro vivace, Allegro con brio, Prestissimo und Largo appassionato – signalisieren ein emotionales

Abb. 12  G. Steinhauer nach Johann Neidl: Ludwig van Beethoven (1800)

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Ausdrucksverlangen, das über das singende Allegro eines Mozart oder das von Haydn bevorzugte Allegro moderato weit hinausgeht. Das Gleiche gilt für die Sonate op. 7, deren zweiter Satz mit Largo, con gran espressione überschrieben ist, sowie die drei Sonaten op. 10, wo sich wiederum Satzbezeichnungen wie Allegro molto, Allegro molto e con brio und Prestissimo finden. Und die Zuhörer und Zuhörerinnen, die eher ein »gefälliges« Klavierspiel erwartet hatten, waren dementsprechend aufgewühlt. So schrieb etwa Wenzel Tomaschek 1798, nachdem er Beethoven in Prag spielen gehört hatte: »Durch Beethovens großartiges Spiel und vorzüglich durch die kühne Durchführung seiner Phantasie wurde mein Gemüt auf eine ganz fremdartige Weise erschüttert; ja ich fühlte mich in meinem Innersten so tief gebeugt, dass ich mehrere Tage mein Klavier nicht berührte.«25 In Berlin »weinte« man sogar 1796 während eines seiner Klavierabende.26 Andere schrieben, dass Beethoven in seinem Klavierspiel in den schnellen Partien die »Mittel des Ausdrucks« durch seine »leidenschaftliche Kraft« bis zum »Extremen« steigere, während er die Adagios »höchst gefühlvoll und romantisch« vortrage.27 Doch auch professionelle Musikkritiker, die nicht zu den »empfindsam« gestimmten Gesellschaftskreisen gehörten, charakterisierten die Klaviersonaten op. 10 als Werke eines »Genies«, das »Originalität hat und durchaus seinen Weg geht«, wie es 1799 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung hieß.28 Und der dortige Rezensent fuhr außerdem fort, in diesen drei Sonaten Beethovens »höhere Schreibart« sowie seine »außerordentliche Gewalt auf dem Instrumente«, für das er komponiere, zu loben. Das Einzige, was ihn störte, war, dass sich Beethoven manchmal dazu hinreißen lasse, seine musikalischen »Gedanken wild aufeinander zu häufen« und dadurch ins »Bizarre« abzugleiten. Doch gerade kritische Äußerungen dieser Art beweisen, wie ausdrucksstark, wie verstörend, wenn nicht gar wie wild revolutionär manche seiner Hörer damals diese Sonaten empfanden. Daher sah sich Beethoven auf diesem Gebiet keineswegs zum Einlenken in eine »moderiertere« Stimmung veranlasst. Im Gegenteil, mit seiner nächsten Klaviersonate, der Grande Sonate pathétique op. 13, die er in den Jahren 1798–99 komponierte, begab er sich in noch »wildere Gefilde«. Und auch in seinen politischen Äußerungen wurde er zu diesem Zeitpunkt zusehends offener. Das hing zum Teil damit zusammen, weil sich die Französische Republik allmählich konsolidierte und sich als eine so bedeutende Macht in Zentraleuropa erwies, dass man sie selbst in Wien nicht mehr total verteufeln konnte. Vor allem die Figur des jungen Bonaparte inspirierte damals viele der nach Freiheit dürstenden Bürger zu Hoffnungen auf einen Sieg der »Menschenfreunde« über die dunklen Mächte der reaktionären Vergangenheit. Als ein wichtiger Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Vertreter dieser Ideen traf 1798 als französischer Gesandter der junge General Jean-Baptiste Bernadotte in Wien ein, der auf dem Balkon seines Hauses in der Wollzeile die Trikolore hissen ließ und damit die Wiener Bürgerschaft in kaisertreue Monarchisten und sich an den Ideen von »Liberté, Égalité et Fraternité« aufrichtende Weltbürger spaltete. Während die Konservativen hierin eine Beleidigung des österreichischen Staates erblickten und schließlich so handgreiflich wurden, dass die örtlichen Behörden zur Vermeidung öffentlicher Unruhen vor Bernadottes Haus eine Schutztruppe aufstellen mussten,29 ließen sich Graf Moritz von Lichnowsky und der junge Beethoven offenbar nicht abhalten, wie andere französische, polnische und deutsche »Freunde der Revolution« in diesem Haus ein- und auszugehen, um sich über die politischen Zustände in Paris zu informieren.30 Obendrein war Bernadotte sehr an Musik interessiert, hatte in seiner Begleitung den republikanisch gesinnten Geiger Rodolphe Kreutzer mit nach Wien gebracht und ließ Beethoven obendrein die Publikationen des staatlichen Musikverlages in Paris einsehen, in denen er sich mit ihm noch unbekannten Werken der französischen Revolutionsmusik vertraut machen konnte. Nach allem, was wir wissen, hat Bernadotte den jungen Beethoven recht wohlwollend behandelt und scheint ihn – einer unsicheren Überlieferung zufolge – sogar zu einer »heroischen« Symphonie auf Napoleon angeregt zu haben, aus der wenige Jahre später die Sinfonia eroica geworden sei.31 Und in diesem Zusammenhang muss auch die Klaviersonate op. 13 gesehen werden. Sie ist die einzige Sonate, der Beethoven – neben der Sonate Les Adieux op. 81a – einen Titel gegeben hat. Schon das lässt aufhorchen und deutet auf eine stärkere programmatische Ausrichtung hin. Doch dafür spricht nicht nur der Titel, sondern auch die gesamte musikalische Struktur dieses Werks. Schon dass er diese Sonate wie später seine 5. Symphonie, seine Coriolan-­Ouvertüre und seine letzte Klaviersonate op. 111 – nach der Klaviersonate op. 10, Nummer 1 – in c-Moll konzipierte, weist ihr eine besondere Rolle zu. C-Moll war für Beethoven meist die Tonart des trotzig Auftrumpfenden, sich gegen das Schicksal Auflehnenden.32 Aber nicht allein das gibt dieser Sonate ihren besonderen Charakter. Auch die Ausarbeitungen der Motive und Melodieansätze haben einen äußerst frappanten Charakter. Und zwar gilt das besonders für den ersten Satz, welcher der ganzen Sonate ihr Gepräge gibt. Den Auftakt dieses Satzes bildet ein zehntaktiges Grave, in dem es zu mehreren mächtigen Akkordballungen kommt, welche den »pathetischen« Charakter des Ganzen unterstreichen sollen. Zugegeben, Beethoven war nicht der Erste, der einem schnellen Satz eine langsame Einleitung voranstellte. Das hatte bereits Haydn in einigen seiner Symphonien getan. Dort waren dies jedoch lediglich melo58

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disch einstimmende Partien gewesen, während Beethoven in seiner Pathétique diesen Grave-Teil – wenn auch etwas verkürzt – im Laufe des ersten Satzes, und zwar zu Anfang der Durchführung (Takt 133–136) und dann vor der Koda (Takt 295–298), noch zweimal wiederholte, um damit dem ganzen Satz den Stempel des Grollenden oder Düster-Auftrumpfenden zu geben. In den schnell dahinstürmenden Allegro molto e con brio-Passagen des gleichen Satzes bestimmt dagegen als Hauptmotiv ein sogenanntes »Bajonett-Thema« oder »Raketen-Thema« mannheimscher Herkunft den Ton. In den Seitenthemengruppen dominieren zumeist kühne, leidenschaftliche Modulationen, die sich am Schluss in einem gewaltigen Crescendo zu hammerartigen Akkordschlägen steigern. Das folgende Adagio cantabile in As-Dur wirkt hingegen etwas traditioneller und auch nicht so düster wie der erste Satz. Den Abschluss des Ganzen bildet ein wild dahinstürmendes Rondo, das wiederum in c-Moll gehalten ist. Zwischen pathetischen Gefühlsaufwallungen erklingen hier auch einige eher ins Beruhigte tendierende Zwischenspiele, die jedoch gegen Ende, nachdem die Anfangsmelodie in kurze Floskeln zerschnitten wird, von wilden Skalen abgelöst werden. Die Grande Sonate pathétique ist eine der ersten dreisätzigen Klaviersonaten Beethovens, die auf einen meist mit Menuetto oder Scherzo überschriebenen dritten Satz verzichtet. Ein »pathetisches« Scherzo wäre hier ein Widerspruch in sich gewesen. Mit der Bezeichnung »pathétique« wollte Beethoven offenbar andeuten, wie ernst es ihm mit diesem Werk war. Und in diesem Sinne ist diese Sonate auch von den Nachdenklicheren unter seinen Zeitgenossen aufgenommen worden, wenn man den wenigen Berichten dieser Jahre glauben kann. Der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung sprach im Hinblick auf diese Sonate von einem wahrhaft »pathetischen« Werk, das sich in seinem »feurigen Allegrosatz« sowohl durch einen »leidenschaftlichen Charakter« als auch durch eine »edle Schwermut« auszeichne.33 Ähnliches konnte man einige Jahre später in der Zeitung für die elegante Welt lesen, wo vor allem die »Erhabenheit« der Grave-Partien und das »Hinreißend-Feurige« der Allegro-­ Partien des ersten Satzes herausgestrichen wurden, wodurch trotz der zweimaligen Wiederkehr des düsteren Grave, wie es hieß, der »heroische Affekt« die Oberhand behalte.34 Versuche, den Begriff »Pathétique« etwas genauer zu fassen und ihm eventuell sogar eine inhaltliche Bestimmung zu geben, sucht man jedoch in diesen meist recht oberflächlichen Ankündigungen oder Rezensionen stets vergebens. Auch die spätere Sekundärliteratur hat sich selten an genauere Charakterisierungen der Pathétique herangewagt. Bezeichnend dafür ist eine der jüngsten Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Abb. 13  Die Grave-Einleitung der Grande Sonate pathétique (1799). Neuerer Druck

Interpretationen dieses Werks, die mit den Worten beginnt: »Der Name dieser Sonate lässt sich zwar mühelos den verbreiteten Beethoven-Klischees einfügen, aber was genau Beethoven mit ›pathétique‹ sagen wollte, ist durchaus ungewiss. Das Werk ist nicht so außergewöhnlich, dass sich sein Name von selbst verstünde. Die Vorstellung jedenfalls, Beethoven habe mit dieser Sonate 60

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in besonderem Maße ›große und erhabene Leidenschaften‹, wie man ›pathétique‹ zu seiner Zeit zu übersetzen pflegte, dargestellt oder gar entsprechendes eigenes Erleben wiedergegeben, ist nicht haltbar.«35 Zur zeitgenössischen Übersetzung des Begriffs »pathétique« in »pathetisch« wurde hier vor allem auf Joachim Heinrich Campes Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke hingewiesen.36 Außerdem zog Egon Voss, der betreffende Interpret, zur Erklärung der Bezeichnung »pathétique« noch zwei weitere Quellen heran, die in diesem Zusammenhang von Belang sein könnten: die Bezeichnungen »patetico« oder »pathetisch«, die in den achtziger Jahren bereits Christian Gottlob Neefe bei seiner Vertonung klopstockscher Oden verwendet habe, sowie den kurzen Artikel »Pathos; Pathetisch« in der 2. Auflage von Johann George Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste von 1793.37 Und Voss folgerte daraus zu Recht, dass Beethoven mit der Bezeichnung »pathétique« sicher eine »Aufwertung der Instrumentalmusik, speziell der Gattung der Sonate im Sinn hatte«, mit anderen Worten: dass er dieser Sonate den gleichen künstlerischen Rang wie dem einer Tragödie oder Ode geben wollte. »Die Beifügung ›pathétique‹«, schloss er diesen Gedankengang, »ließe sich dann verstehen als Anweisung an den Spieler, das Werk so vorzutragen, als sei es eine Ode von Klopstock«.38 All das ist im Sinne der damaligen Kunsttheorie sicher richtig. Aber es ist ergänzungsbedürftig und lässt obendrein zwei wichtige Gesichtspunkte außer Betracht: nämlich den psychologischen und den politischen Aspekt. Gehen wir erst einmal auf die kunsttheoretischen Voraussetzungen dieser Bezeichnung ein. So finden sich etwa bei Sulzer im Hinblick auf die Begriffe »Pathos; Pathetisch« noch eine Reihe anderer Bedeutungsnuancen, die in diesem Zusammenhang nicht unwichtig sind. Er erwähnt zwar bei seiner Definition des »Pathetischen« vor allem die Tragödien der Alten und die Oden der Neueren, ging aber dann auch auf das Pathetische in der Musik – darunter gewisser Partien »tragischer Opern« wie der Alcestis von Christoph Willibald Gluck und der Iphigenie von August Friedrich Graun – ein. Doch wichtiger als eine solche Beispielreihe war ihm die Gleichsetzung des Pathetischen mit dem »Leidenschaftlichen«. Mit »Leidenschaft« erfüllte Werke, schrieb er, wirkten auf unser »Gemüt mit Furcht, Schrecken und finsterer Traurigkeit« und ergriffen uns dadurch mit einer »Art Schauder«.39 Damit rückte Sulzer das Pathetische, diese »Nahrung großer Seelen«, ganz nah an das damals vieldiskutierte »Erhabene« heran. »Künstler mit einem angenehmen, fröhlichen, sanftzärtlichen Charakter«, heißt es bei ihm, würden »sich daher nur selten bis zum Pathetischen erheben«. Demzufolge werde nur eine »starke Seele« fähig sein, Werke zu schaffen, die »unser Die Grande Sonate pathétique von 1799

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Empfindungsvermögen erweitern«.40 Dass Beethoven diesen Artikel gelesen hat, kann man aufgrund neuerer Forschungen mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen.41 Und auch Friedrich Schillers Schrift Über das Pathetische von 1793 dürfte ihn angesprochen haben. Schließlich wird auch in ihr ein deutlicher Grenzstrich zwischen einer Kunst gezogen, die sich lediglich gefällig, das heißt mit »sinnlichen« oder idealistischen Zielsetzungen um einen pathetisch-­ erhabenen Stil bemüht. Statt die Menschen nur »angenehm zu kitzeln«, heißt es hier, solle ein ernsthafter Künstler stets danach streben, sie zu »ergreifen« und zu »erheben«.42 Und auch das berührt sich ganz eng mit Beethovens Überzeugungen, der zeit seines Lebens in Schiller eins seiner wichtigsten Vorbilder gesehen hat.43 Was jedoch in solchen Kunsttheorien, die sich im späten 18. Jahrhundert und zum Teil sogar noch später mit Begriffen wie »pathetisch«, »erhaben« oder »pathetisch-erhaben« auseinandersetzten, häufig fehlt, ist, wie gesagt, sowohl die individualpsychologische als auch die politische Komponente. Schließlich war für den jungen Beethoven – rein persönlich gesehen – das Pathetische auch ein Ausdrucksmittel, sich als kleinbürgerlicher Künstler mit Genieanspruch aus der platten in die überschwängliche Misere zu erheben, um so allen sozialen Benachteiligungen und Widrigkeiten mit eigensinnigem Trotz die Stirn zu bieten. Sich zum »Pathetischen« zu bekennen, bedeutete also für ihn nicht nur eine kunsttheoretische Entscheidung, sondern zugleich eine weitere Stärkung seines persönlichen Selbstwertgefühls. Mit ihm betrat schließlich Jemand nach 1792 die Wiener musikalische Szene, der zwar höchst begabt war, aber letztlich nicht zu den Wohletablierten oder Alteingesessenen gehörte, die einen leichteren Zugang zur musikliebenden Gesellschaft hatten. Er versuchte daher, diese Außenseiterrolle als rebellischer Rheinländer von Anfang an mit einem gesteigerten Selbstgefühl zu kompensieren, um nicht einer jener »unetablierten«, meist aus Böhmen stammenden Hungerleider oder Domestiken zu werden, die sich damals mit den unteren Rängen des Wiener Musiklebens begnügen mussten. Und das gelang Beethoven auch, indem er seine eigene Person »pathetisierte« und sich zugleich an den liberalen Fürsten Karl von Lichnowsky hielt, der ihn fast wie einen Freund behandelte. Keinem anderen als ihm widmete er daher seine Grande Sonate pathétique, als sie im Jahr 1799 im Druck erschien. Doch dieser außenseiterische Genieanspruch, wie er sich kurz zuvor auch bei manchen Künstlern der sogenannten Sturm und Drang-Bewegung findet, war es nicht allein, der Beethoven auf den Weg ins »Pathetische« wies. Dazu mussten noch eine Reihe äußerer Anstöße kommen, die er aufs Engste mit seinen frühen politischen Gesinnungen verbinden konnte. Und hierzu 62

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Abb. 14  Titelblatt der Grande Sonate pathétique (1799)

gehörten nicht nur die Einflüsse der Französischen Revolution und ihrer Freiheitsparolen, hierzu gehörte auch die überragende Figur des jungen Bonaparte, der vielen deutschen und österreichischen Freiheitsschwärmern in den Jahren um 1800 wie eine Prometheusfigur erschien, der eines Tages auch ihnen das befreiende Feuer bringen würde.44 Daher war die Begegnung mit dem jungen napoleonischen General Bernadotte im Jahr 1798 für Beethoven sicher von zentraler Bedeutung, die ihn nach der Schließung der Freimaurerlogen und der Niederschlagung der jakobinischen Unruhen in Wien sowie der darauf einsetzenden Wendung ins Konservative mit einer neuen Zuversicht auf einen möglichen Sieg der aufklärerisch gesinnten »Lichtfreunde« oder »Illuminati«, wie sie damals hießen, erfüllte. All das verlieh ihm die trotzige Gefühlsgewissheit, vielleicht doch auf der richtigen Seite des Weltgeistes zu stehen – mochten auch die österreichischen Konservativen nach wie vor die dominierende Gesellschaftsschicht in Wien sein. In diesem Sinne gehört die Leidenschaftlichkeit seiner Pathétique durchaus in den Umkreis jener Dichtungen, Gemälde oder Kompositionen einer »Ästhetik des Widerstands«, die – selbst wenn sie es nicht nach außen hin thematisieren – das Signum so vieler der größten Kunstwerke der Vergangenheit Die Grande Sonate pathétique von 1799

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ist. Jedenfalls beginnt mit diesem Werk in Beethovens Œuvre jene »heroische« Linie einer ins Pathetisch-Erhabene drängenden Gesinnung, die schon kurze Zeit später in seinem kompositorischen Schaffen noch monumentalere Formen annehmen sollte. Und damit gewann er unter Gleichgesinnten eine immer größere Anhängerschaft, was ihn sowohl in seinem menschlichen Selbstvertrauen als auch in seiner politischen Zuversicht bestärkte, diese Richtung mit all den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln so energisch wie nur möglich weiterzuverfolgen.

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Der Beginn der »heroischen« Linie

Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven? Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

I Nachdem sich Beethoven in seiner 1. und 2. Symphonie noch weitgehend an die Grenzen des herkömmlichen Genres »Symphonie« gehalten hatte, überraschte er 1805 seine Zeitgenossen mit einer Sinfonia eroica, die mit allen bisherigen Normerwartungen radikal brach. Dieses neue Werk war nicht nur von gewaltiger Länge (allein der erste Satz dauerte über zwanzig Minuten), sondern wies auch eine ganz neue Gliederung auf. Lediglich der erste Satz entsprach in etwa dem bisherigen Sonatenschema, während darauf eine Marcia funebre, ein Scherzo und ein ins Monumentale ausgreifender Variationensatz folgten, für die sich in der bisherigen Symphonietradition kaum Vorläufer finden. Doch nicht allein das. Auch die enorm erweiterte Orchesterbesetzung, die metallische Härte der Bläser, die gewaltigen Paukenschläge, die stampfenden Marschrhythmen: all das sprengte den Rahmen der erwarteten Gefälligkeit. In diesem Werk gab es nichts Unterhaltendes mehr. Hier wurde das Wiener Publikum zum ersten Mal mit dem stürmischen Elan des Freiheitsrebellen Beethoven konfrontiert, der zwar schon in seinen früheren Sonaten und Kammermusikwerken an den Schranken des Überlieferten gerüttelt hatte, jedoch noch nie mit dieser unverhüllten, ja, geradezu militärischen Geste, die nirgends ihren von der Klangwelt der Französischen Revolution und der napoleonischen Siege über die alt­hergebrachten Monarchien inspirierten Intonationsschatz verleugnete. Nun, ließe sich einwenden, musikalische Battaglien, Schlachten- oder Militärsymphonien waren um 1805 nichts absolut Neues. Dieses Genre reicht mindestens bis auf Clement Jannequins Madrigal La guerre von 1537 zurück, in dem die anfeuernden Kampfrufe und das darauf folgende Siegesgeschrei der Schlacht von Marignano zu hören sind. Solche militärischen Intonationen wurden später in vielen Lauten- und Virginalstücken des 16. Jahrhunderts, den Battaglien-Suiten, Balletten, Melodramen, Operneinlagen und höfischen Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven?

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Repräsentationswerken des 17. Jahrhunderts sowie in jenen Programmsymphonien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts von Georg Druschetzky, Johann Ladislaus Dussek, Ferdinand Kauer, Johann Friedrich Klöffler, Franz Kotzwara, Jan Baptist Vanhal und Joseph Wölfl aufgegriffen, welche die Schlachten der Türkenkriege, die Siege Friedrichs II., die Seegefechte eines Nelson sowie die Schlachten bei Aspern, Austerlitz, Belle-Alliance, Jena, Marengo, Moskau oder Vittoria im Titel führen.1 Doch trotz aller Trompetensignale, Marschrhythmen und Triumphmotive wirken die meisten Werke dieser Art – wie gewisse Jagdsymphonien oder Parademärsche des 18. Jahrhunderts – durchaus unterhaltend, ja, fast belustigend. Im Gegensatz zu späteren Zeiten wird in ihnen der Krieg noch als etwas Abenteuerliches, Gentlemanhaftes, als eine Art Florettfechten mit anschließender Siegerehrung dargestellt. Man denke etwa an Franz Christoph Neubauers Schlachtensymphonie La Bataille de Martinesti oder Coburgs Sieg über die Türken (1790), deren Sätze die Überschriften »Morgen«, »Réveille«, »Schlacht«, »Rückkehr zum Lager« und »Siegesfest« tragen2 und wo, wie in den »überaus zahlreichen Militärsymphonien, -konzerten und -sonaten der Zeit von 1750 bis 1830« à la Franz Joseph Haydn und Johann Nepomuk Hummel, ein ausgesprochen »freundlicher« Ton vorherrscht.3 Dies ist ein musikalisches Genre, mit dem weder Beethovens kämpferisch gestimmte Sinfonia eroica von 1804 noch seine Symphonie Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria von 1813, obwohl auch sie einige Trompetensignale und Siegesmotive enthalten, viel gemeinsam haben. Genau besehen ist Beethovens 3. Symphonie weniger eine Schlachtensymphonie als ein politisches Konfliktgemälde, ein weltanschauliches Bekenntnis, ein zum Freiheitsjubel hinreißendes Manifest, dessen musikalische Sub­ stanz eher in der Revolutions- als in der Kriegsthematik begründet ist. Wie wir wissen, schloss sich Beethoven bereits in frühen Jahren – als Rheinländer und Anhänger cisrhenanisch gesinnter Bonner Professoren und Lehrer4 – den »Liberté, Égalité et Fraternité«-Parolen der radikalen Aufklärung und dann der Französischen Revolution an.5 Dafür sprechen vor allem seine Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II. von 1790, aber auch spätere Kompositionen wie seine Geschöpfe des Prometheus (1801), sein Fidelio (1805) sowie seine Musik zu Goethes Egmont (1810), deren Marsch-, Hymnen- und Signalcharakter deutlich an den Intonationsschatz der Musik der Französischen Revolution erinnert. In diesen Werken werden, wie Boris Assafjew zu Recht schreibt, »die appell­ artigen Ausrufe der Redner und Volksführer, die dem Auftreten von Flut und Ebbe vergleichbaren Wellen von Stimmen aus den Volksmassen« sowie »die Rhythmusintonationen der Trommeln, welche die Feinde der Revolution mit 66

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Schrecken erfüllen und die Revolutionäre in freudige Erregung versetzen«, in eine Musik umgesetzt, deren »breite Amplitude von Emotionen« für alle Menschen verständlich sein sollte.6 Dass solche Äußerungen nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern sich bis in die Melodie- und Rhythmusstruktur der beethovenschen Musik dieser Jahre verfolgen lassen, beweist ein kurzer Blick auf die Partituren eines Charles Catel, Luigi Cherubini, André-Ernest-Modeste Grétry, Joseph Gossec, Jean-François Lesueur, Étienne-Nicolas Méhul, Fernando Paër oder auch jenes Rodolphe Kreutzer, dem Beethoven seine sogenannte Kreutzer-Sonate widmete, wo die gleichen Marsch-, Sieges-, Revolutions-, Trommel- und Grandeur-­ Intonationen vorherrschen.7 In ihnen manifestiert sich jener Aktivismus, jener »Élan terrible«, von dem Grétry gern spricht,8 mit dem diese Komponisten die Volksmassen immer wieder zu neuen Begeisterungsstürmen aufzuputschen versuchten und der von der Revolutionsmusik schließlich auch auf die Kriegsmusik des jungen Konsuls Bonaparte übergriff. Die Opern Grétrys und die Symphonien Gossecs waren Beethoven bereits seit der Mitte der neunziger Jahre bekannt.9 Noch vertrauter wurde er mit der Pariser Revolutionsmusik, als er 1798/1799 in Wien im Haus des französischen Gesandten Jean-Baptiste Bernadotte verkehrte, zu dessen Gefolge auch besagter Kreutzer gehörte, der für die »Kühnheit« seines Violinspiels berühmt war und zwischen 1795 und 1798 am Pariser Conservatoire de musique unterrichtet hatte. Was jedoch von diesen Komponisten weitgehend als Gelegenheitsmusik für Nationalfeste und militärische Aktionen konzipiert wurde, erhob Beethoven – aufgrund der mangelnden revolutionären Situation in Wien – aus der puren Militanz, so gut er es vermochte, auf die Ebene eines heroischen Humanitätspathos. Allerdings sollte man diese Erhöhung nicht mit einer rein »literarischen« Begeisterung verwechseln. Auch Beethovens Musik ist in manchen Werken dieser Jahre durchaus von der »ungestümen dithyrambischen Kampfesfreude der damaligen französischen Musik«, das heißt von ihrem spezifisch »aktivistischen Élan terrible und Éclat triomphal«, durchdrungen.10 Auch sie will ihre Hörer zum Widerstand anspornen oder wenigstens in einen emotionalen Tumult versetzen. Auch sie versucht, Aufruhr zu stiften – wenn auch vorerst auf der Ebene der Gedanken und Gefühle. Beethovens Eroica ist daher, wie gesagt, nicht einfach eine Fortsetzung der älteren Schlachtensymphonien, sondern zielt – wie die Grande symphonie caractéristique pour la paix avec la République française (1797) von Paul Wranitzky – wesentlich höher. Sie ist der Versuch, den Elan der Französischen Revolution auch dann noch weiterzuvermitteln, als sich ihre letzte Hoffnung Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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allein in dem jungen Konsul Bonaparte verkörperte. Wie viele der ehemaligen deutschen Radikalaufklärer und Jakobiner – ob nun Friedrich Hölderlin, der ihn als die »Natur, die mit Waffengewalt erwacht« ist, oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der ihn als den »Weltgeist, welcher durch die Geschichte reitet«, apostrophierte11 – sah auch der junge Beethoven in Bonaparte, der in den frühen neunziger Jahren noch zu den Anhängern Maximilien Robes­ pierres und Antoine Saint-Justs gehört hatte, lange Zeit einen konsequenten Republikaner, einen Befreier der Völker, der viele der bisherigen Monarchen von ihren Thronen gejagt und überall Republiken gestiftet hatte, mit anderen Worten: einen populistisch gesinnten Vollstrecker und nicht einen aristokratischen Bändiger der Französischen Revolution.12 Und so gab er seiner 3. Symphonie, die er zwischen Mai und November 1803 niederschrieb und Anfang 1804 abschloss, »mit stolzem Selbstbewußtsein« den ebenso anspruchsvollen wie aufrührerischen Titel Bonaparte.13 In diesem Werk wird also der frühere Revolutionselan politisch in der Figur Napoleons »aufgehoben«. Schließlich war dieser Mann nach dem Zusammenbruch der Jakobinerherrschaft und der Auflösung des Wohlfahrtsausschusses die einzige Hoffnung all jener Schichten geworden, die noch immer »demokratische Zukunftshoffnungen« hegten14 und sich die Verwirklichung ihrer Träume nur von einem charismatischen Befreier, einem sie in Begeisterung versetzenden Volksführer, kurzum: einem »Fürstenschreck« wie Napoleon versprachen. Ja, Beethoven erwog zu diesem Zeitpunkt sogar ernsthaft, Wien zu verlassen und sich nach Paris zu begeben, um dort das wahre Publikum für den republikanischen Geist seiner Musik zu finden, wie wir einem Brief vom 6. August 1803 von Ferdinand Ries an Nikolaus Simrock entnehmen können. Aufgrund dieser freiheitlich-humanistischen Gesinnung wird in Beethovens 3. Symphonie – im Gegensatz zu dynastischen oder heroischen Traditionen – nicht einfach machtvoll geschmettert oder gejubelt, kein peinlicher Personenkult getrieben, sondern geradezu überdeutlich der Eigenwert jedes einzelnen Instruments und damit jeder einzelnen menschlichen Stimme hervorgehoben. »Beethovens Orchester«, schreibt Paul Bekker höchst einsichtsvoll, »ist eine Summe von Einzelwesen, eine Republik.«15 In ihm regiere nicht ein Einzelner, während die anderen nur mit Tutti-Stellen abgespeist würden, sondern hier werde fast jedes Instrument solistisch behandelt, um so das spezifisch Demokratische des musikalischen Grundgestus zum Ausdruck zu bringen. Schon im ersten Satz, einem Allegro con brio, kämen deshalb neben dem »Heldenthema« auch eine Fülle anderer Melodieansätze zu Wort.16 In »atemberaubender Dramatik« und »ständiger Steigerung« werde hier ein »nie erlahmendes Kämpfer68

Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven?

Abb. 15 Antoine-Jean Gros: Napoleon auf der Brücke von Arcole (1796). Paris, Louvre

tum« beschworen, das seine Stärke und Überzeugungskraft gerade aus seiner bewusst »symphonischen« Struktur beziehe.17 Ähnliches gelte für die folgende Marcia funebre, in der Beethoven eine Reihe verschiedener musikalischer Formen zu einem »Hohenlied gefaßter Trauer« verschmelze,18 um so der »Ströme Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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Blutes« und der »Ströme von Tränen« zu gedenken, die »für die Sache der Freiheit« geflossen seien. Nicht ein »Gedenke des Todes« verkünde dieser Satz, behauptet Gustav Ernest, sondern ein »Gedenke der Toten«,19 und zwar aus der Sicht der Teilnehmenden, der Mitempfindenden, der wahrhaft Betroffenen dieses Kampfes. Im folgenden Scherzo helle sich dagegen die Stimmung wieder auf, um dann im Allegro molto des Finales in einem hinreißenden Siegesjubel zu kulminieren. Diesem Jubel legte Beethoven eins der Hauptmotive seiner Geschöpfe des Prometheus zugrunde, das er auch in seinen Eroica-Variationen für Klavier wiederverwandt hatte, ja, das in seinen Werken dieser Jahre – ob nun in offener oder verdeckter Form – immer wieder da auftaucht, wo Beethoven nach betont kämpferischen Partien plötzlich in einen »Éclat triomphal« übergeht. Die Nachricht, dass sich Bonaparte am 18. Mai 1804 in Paris zum Kaiser krönte, muss daher Beethoven einen tiefen Schock versetzt haben. Wie wir wissen, strich er daraufhin die Widmung »Intitulata Bonaparte« auf der Titelseite der Eroica kurzerhand aus, und zwar mit einer solchen Wucht, dass an dieser Stelle ein Loch im Papier entstand. Doch die Partitur verwarf Beethoven keineswegs. Schon im Sommer 1804 führte er das Ganze mit einem Privatorchester des Fürsten Joseph Franz Maximilian von Lobkowitz in dessen Wiener Palais erstmals einem kleineren Kreis geladener Gäste vor. Die öffentliche Uraufführung erfolgte allerdings erst am 7. April 1805 im Theater an der Wien im Rahmen einer Akademie des Geigers Franz Clement. Als die 3. Symphonie 1806 im Druck erschien, trug sie den mysteriösen und doch höchst offenkundigen Titel Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo. Das klang fast so, als ob es sich bei diesem »grand Uomo«, diesem »großen Mann«, wie Gustav Ernest behauptet, »um einen Toten handele«.20 In den folgenden Jahren taucht darum Napoleon in Beethovens Denken und Werken kaum noch auf. Wenn er sich nach 1806 überhaupt noch auf ihn bezog, dann fast nur in negativer Form, das heißt als Repräsentanten des Egoistischen und Tyrannischen. Die »Erinnerung an die Revolution« blieb jedoch bei Beethoven auch weiterhin wach, erhielt jedoch in den folgenden Jahren, die im Zeichen der ideologischen Vorbereitung der späteren »Befreiungskriege« standen, ganz andere Akzentsetzungen.21 Ein solches Werk konnte seine Wirkung auf das damalige Publikum nicht verfehlen. Wie alle großen Werke, in denen sich die entscheidenden ideologischen Widersprüche einer bestimmten Epoche manifestieren, spaltete es die Wiener Musikliebhaber in zwei Lager.22 Die eher konservativ gesinnten Gruppen fanden diese Symphonie, die völlig gegen den Rahmen des Gewohnten verstieß,23 viel zu lang und unübersichtlich, das heißt nicht gefällig, nicht unter70

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Abb. 16  Titelblatt der Partitur von Beethovens Sinfonia eroica (1804)

haltend, nicht kulinarisch genug. Die anderen, die eher Fortschrittsgesinnten, begrüßten dagegen die Eroica als die wahre »Zukunftsmusik«.24 Sie betonten stets den neuen, ja, völlig andersartigen Stil dieses Werks, das trotz seiner herkömmlichen Viersätzigkeit, wie sie schrieben, eine »sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie« sei.25 Da jedoch diese Schichten durch die veränderte politische Situation nach 1804 ideologisch nicht zum Zuge kamen, kam auch Beethovens Eroica in den folgenden Jahren nicht recht zum Zuge. Schließlich entpuppte sich Napoleon nach diesem Zeitpunkt immer stärker als ein parvenühafter Selbstherrscher und französischer Imperialist, auf den man als Demokrat keine weiteren Fortschrittshoffnungen mehr setzen konnte. Das Ergebnis dieser politischen Veränderungen war eine allgemeine Tendenzwende, die sich in peinlichen Ergebenheitsadressen den heimischen Dynasten gegenüber manifestierte oder die Form eines vaterländischen Widerstandsgeistes annahm. Doch die damit verbundenen ideologischen Überspitzungen irritierten Beethoven nicht im Geringsten. Auch seine Werke der Folgejahre beweisen immer wieder, wie er in heroischer Verbitterung an dem einmal empfangenen »Auftrag« festhielt. Wohl der beste Beleg dafür ist sein Fidelio von 1805, bei dem er sich in Klang und Inhalt vom Typ der »Rettungsoper« der Französischen Revolution inspirieren ließ. Doch auch sonst, selbst in scheinbar Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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»intimen« kammermusikalischen Kompositionen dieser Jahre, hört man immer wieder militärisch klingende Signalmotive, die eine deutlich antifeudalistische Grundgesinnung verraten. Dasselbe gilt für jene Werke, die vom Intonationsschatz und Élan terrible der späteren Befreiungskriege zehren. Man denke an die aggressive Vehemenz des letzten Satzes der 7. Symphonie, die Beethoven in den Jahren 1813 und 1814 gern mit der Schlachtensymphonie Wellingtons Sieg und der Kantate Der glorreiche Augenblick aufführen ließ. Überhaupt ist gerade diese Symphonie weniger eine Apotheose des Tanzes, wie der ästhetisierende Richard Wagner später schrieb, als eine Apotheose des Marsches,26 die ihr Entstehen – nach Carl Czerny – vor allem den Ereignissen des Befreiungskriegs verdankte.27 Eine neue Situation ergab sich für Beethoven und die ihm Gleichgesinnten erst nach dem Wiener Kongress und mit der auf ihm verkündeten Restaurationspolitik, deren Repräsentanten eine Rückkehr zu den absolutistischen Regierungsformen des Ancien régime befürworteten – und dann auch durchsetzten. Doch selbst in den Jahren nach 1815 gab sich Beethoven nicht ganz geschlagen und verfasste neben seinen späten Klaviersonaten und späten Streichquartetten, in denen sich eine ins Individuelle reduzierte Widerborstigkeit bemerkbar macht, auch ein ins Idealistisch-Universale ausgreifendes Werk wie seine 9. Symphonie, in deren Schlusssatz er sich sogar der menschlichen Stimme bediente, um die in die Zukunft projizierten Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (»Seid umschlungen, Millionen«) nicht allein der von vielen Hörern und Hörerinnen als »abstrakt« empfundenen Instrumentalmusik anzuvertrauen. Im Gegensatz zur biedermeierlichen Verflachung des Musiklebens im Gefolge Gioachino Rossinis und Carl Maria von Webers, die noch den höchsten Stand der damaligen Musik vertraten, hielt Beethoven auch in diesem Zeitraum weiterhin am Maßstab des Kämpferischen oder zumindest Trotzigen, Hartnäckigen, Unbeugsamen fest. Und so blieb er durch sein unbürgerliches Auftreten und das Misstrauen, das ihm die metternichsche Regierung entgegenbrachte, für Teile des einfachen Volks bis zu seinem Tode ein Symbol der Unbotmäßigkeit, ja, ein Vertreter des »Militanten«, »Heldischen« im immer noch ausstehenden Befreiungskampf der Menschheit.28 Als Beethoven Ende März 1827 starb und sich fast 20.000 Menschen dem Trauerzug anschlossen, soll daher eine Marktfrau einem Fremden auf die Frage, wer denn der Anlass dieses riesigen Volksauflaufs sei, geantwortet haben: »Wissens denn nöt, dass der General der Musikanten g’storb’n is?«29 Doch in den dreißiger und vierziger Jahren traten solche Haltungen immer stärker in den Hintergrund. Beethoven wurde zwar nicht so stark aus dem 72

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Abb. 17  Franz Stöber: Beethovens Leichenzug (1827)

öffentlichen Bewusstsein verdrängt wie andere von den reaktionären Regierungen als politisch »unbequem« empfundene Autoren oder Maler, was vor allem für Ernst Moritz Arndt, Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist, Georg Forster, Caspar David Friedrich oder Johann Gottfried Seume gilt,30 aber doch mehr und mehr in den Bereich des Außergesellschaftlichen abgeschoben. An die Stelle der genialischen Kraftnatur, ja, des »Revolutionärs« Beethoven trat demnach in der öffentlichen Imagebildung dieser Jahre zusehend jener Zauberer der Töne oder gar Priester des Numinosen, der als Legitimationsfigur der literarischen und musikalischen Romantik herhalten musste.31 Auf diese Weise verwandelte sich das Bild des rebellischen Titanen Beethoven schließlich in das eines romantischen Außenseiters oder missverstandenen Künstlers, dessen Leben eine einzige »Eroica« gegen die hartherzigen Banausen gewesen sei. Im gleichen Sinne wie Hector Berlioz in seiner Symphonie fantastique, épisode de la vie d’un artiste (1830) oder Robert Schumann in seinen Kreisleriana (1838) den Kampf eines romantischen Künstlers gegen die Welt der Spießer oder die böse Welt schlechthin darzustellen versuchten, wurde jetzt auch Beethoven vornehmlich in das Spannungsfeld zwischen musischen und amusischen Menschen gestellt. Noch Franz Liszt und Richard Wagner haben ihrer Vorstellung einer »heroischen« Künstlerkarriere weitgehend diese Auffassung Beethovens Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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untergelegt. »Ihr Held war«, wie Arnold Schmitz in seinem Buch über Das romantische Beethovenbild schreibt, »im Grund genommen ein Literaturheld« und nicht ein politischer Held.32 Und an dieser Ansicht änderte sich auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht viel. Es gab zwar – im Siegestaumel der Reichsgründung – auch einige platte politische Indienstnahmen Beethovens. So zögerte etwa Hans von Bülow 1892 nicht, Beethovens Eroica anlässlich eines öffentlichen Konzerts in Berlin »Otto dem Großen, dem Fürsten von Bismarck«, als dem wahren »Heroen« des 19. Jahrhunderts, umzuwidmen. Doch schon kurz danach lässt sich eine neue Romantik und damit eine steigende Entpolitisierung beobachten, die zu einer immer stärkeren Akzentuierung des Privaten, Intimen, Psychologischen, Ästhetischen in Beethovens Musik führte. Da im Zuge der »machtgeschützten Innerlichkeit« der wilhelminischen Ära auf dem Gebiet der »höheren Kultur« neben die nationalgestimmte Bourgeoisie zusehends ein kulturbeflissenes Bildungsbürgertum trat, wurde »Öffentlichkeit« von dieser Schicht kaum noch in der Form des Politischen, sondern mehr und mehr in der des Künstlerischen erlebt. Wohl den besten Beweis dafür bildet die Tondichtung Ein Heldenleben (1899) von Richard Strauss, in der sich das »Heldische« lediglich im Durchsetzungsdrang des Künstlers innerhalb einer als amusisch empfundenen Welt äußert und durch diesen egozentrischen Grundgestus alle ins Gesamtgesellschaftliche greifenden Intonationen verlorengehen. Und das führte zu jenem Sezessionismus innerhalb der Künste, der schließlich – in seinen groß- oder bestbürgerlichen Manifestationen – alle politischen oder sozialen Zielsetzungen von Kunst als ästhetisch minderwertig, wenn nicht gar grundsätzlich verachtenswert empfand. Programmatische Ausdeutungen von Beethovens Eroica wurden deshalb in diesem Lager immer seltener. Einer der letzten, der einen solchen Versuch unternahm, war Paul Bekker in seiner großangelegten Beethoven-Monographie von 1911, wo er zwar den Bezug zu Bonaparte in den Mittelpunkt stellte, aber zugleich Beethoven als Komponisten so stark ästhetisierte bzw. in die Sehweise des Impressionismus einbezog, dass aus dem Schöpfer der Eroica schließlich ein »Tondichter« im Sinne von Liszt oder Strauss wurde.33 Doch sei dem, wie es wolle. In Bekkers Interpretation blieb wenigstens ein Rest an biographisch-programmatischen Elementen erhalten. Bei rein formalistisch eingestellten Musikkritikern oder -wissenschaftlern verschwanden dagegen solche Inhaltsbezüge fast völlig. Und zwar beriefen sie sich dabei gern auf das Buch Vom Musikalisch-Schönen, in dem sich Eduard Hanslick schon 1854 mit spezifisch »nachmärzlicher« Gesinnung gegen jede Art von weltanschaulicher Aus74

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deutbarkeit gewandt hatte. Besonders verwerfenswert fand Hanslick, als Gegner der Wagnerianer, alle Formen der Programmmusik. Sein Ideal von Musik war eine Instrumentalmusik, die sich überhaupt keine ideologischen Ziele setzt, sondern lediglich als »tönend bewegte Form« auftritt und sich somit gegen jeden heteronomieästhetischen Interpretationsansatz sperrt.34 Hanslick erschien es geradezu unsinnig, in Beethoven einen »Republikaner«, in G ­ aspare Spontini einen Repräsentanten des »französischen Kaiserreichs« oder in ­Gioachino Rossini einen Vertreter der »politischen Reaktion« zu sehen.35 Musik war für ihn keine ästhetisch gestaltete Weltanschauung, sondern in erster Linie Kunst – und nichts als Kunst. Und damit gab er allen späteren Formalisten die erwünschte Legitimationsbasis, nur noch von kompositorischen »Strukturen« zu sprechen. Diese Gruppen haben seitdem immer wieder behauptet, dass sich Instrumentalmusik selbst dann, wenn sie mit Titeln ausgeschmückt sei, inhaltlich überhaupt nicht ausdeuten lasse. Während sich solche Anschauungen in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts – angesichts der gewaltigen Wirkung eines Liszt oder Wagner sowie der nationalistisch eingestellten Kreise – noch auf Außenseiter beschränkten, wurden sie seit dem Neuidealismus der Jahrhundertwende fast zur offiziösen Doktrin. Seitdem galt Instrumentalmusik im Rahmen der sich als »modern« dünkenden Richtung vornehmlich als eine reine, absolute, autonome Musik.36 Im Gefolge solcher autonomieästhetischen Parolen konnte schließlich in den zwanziger Jahren ein Igor Strawinsky die von der Mehrheit der »westlichen« Komponisten und Musikkritiker sofort akzeptierte Parole aufstellen: »I consider that music is, by its very nature, powerless to express anything, whether a feeling, an attitude of mind, a psychological mood, a phenomenon of nature, etc.«37 Daher nimmt es nicht wunder, dass derselbe Strawinsky über Beethovens Eroica lediglich Folgendes sagte: »How immaterial it is whether the Third Symphony was arrived at by way of the Republican Bonaparte or the Emperor Napoleon! Only the music matters!«38 Obwohl man solchen Äußerungen nur allzu deutlich anmerkt, dass hier höchst elitäre Modernismusvorstellungen ohne jede Skrupel auch auf Werke der älteren Instrumentalmusik übertragen werden (als wären bereits die Komponisten des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts vornehmlich Materialfetischisten gewesen), wurde damit ein Paradigma vorgegeben, dem sich – von nazifaschistisch-verfälschenden oder materialistisch-konkretisierenden Interpretationen älterer Instrumentalmusik einmal abgesehen – die meisten anspruchsvollen Musikinterpreten der westlichen Welt der letzten siebzig bis achtzig Jahre unterworfen haben. Immer wieder liest man seither: »Es gibt keinen Nachweis dafür, dass Musik irgend Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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etwas bedeute, was außer ihrer selbst läge. Sie hat keinen anderen Inhalt als den musikalischen, sie ist nur existentiell zu fassen. «39 Und in deutlicher Korrespondenz dazu wird im Hinblick auf Beethovens 3. Symphonie meist behauptet: »Ein poetisches oder gar politisches ›Programm‹ ist in der Eroica nicht durchgeführt.«40 »To some it is Napoleon«, sagte ein Dirigent wie Arturo Toscanini über ihren ersten Satz, »to some it is Alexander, to me it is allegro con brio.«41

II Doch nicht nur von formalistisch oder modernistisch eingestellten Musikkritikern, Dirigenten und Komponisten, auch von vielen anderen Menschen wird Beethovens Eroica, wie fast jedes Werk der älteren Instrumentalmusik, heute vorwiegend »abstrakt« gehört. Anstatt sich auch mit der historischen Herkunft und den inhaltlichen Intentionen dieses Werks auseinanderzusetzen, nimmt man allerorten das Ganze weitgehend als ein Klanggebilde wahr, das einen rein motorisch-sensualistischen Charakter hat und daher als angenehmer »Sound« im Hörer lediglich ein vages »Feeling« erzeugt. Es gibt zwar noch immer einige Strukturhörer, ja, vielleicht sogar noch ebenso viele Gemütshörer (ohne dass damit ein wertender Akzent ins Spiel gebracht werden soll), aber die überwältigende Mehrheit der heutigen Musikrezipienten besteht aus sensualistisch-akustischen Hörern, die in die Klangwellen symphonischer, aber auch poporientierter Musik wie in eine warme Badewanne steigen, das heißt ohne den Willen zu einer gedanklichen oder gemüthaften Anstrengung, zum Verstehenwollen, zur Erweiterung ihres historischen Bewusstseins. Und dies sind noch die »besseren« Hörer, denen es wenigstens um einen spontaneistisch-­ kulinarischen Hörgenuss geht. Viele hören dagegen Musik nur noch als Zweitphänomen neben anderen Tätigkeiten, wobei es ihnen schließlich gleichgültig wird, welche Art von Musik – ob nun Barock, Klassik, Romantik, Jazz, Pop oder Rock – einem solchen Background-Geräusch oder einer solchen »Muzak« zugrunde liegt.42 In diesem Umkreis heißt es lediglich: Hauptsache, es »dudelt« etwas. Um also einem Werk wie der beethovenschen Eroica wieder zu seiner ursprünglichen Bedeutung zu verhelfen, bedarf es eines ganz anderen Hörverhaltens, als es im Rahmen der elektronischen Musikberieselung von heute üblich oder möglich ist, innerhalb der fast alles ins Eindimensionale entfunktionalisiert wird. Um nicht falsch verstanden zu werden: Damit soll nichts gegen ein entspannendes oder auch motorisch-sensualistisches Musikhören gesagt sein, das 76

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lediglich auf momentanen Genuss aus ist. Gemeint ist hiermit nur, dass ein solches Hörverhalten zum tieferen Verständnis eines Werks wie der Eroica nicht ausreicht. Schließlich würde ein derartiges Verhalten zum Verständnis eines Schiller-Dramas, eines Gemäldes von Caspar David Friedrich oder gar von Goethes Faust auch nicht genügen. Dass wir uns beim Betrachten oder Lesen solcher Werke Mühe geben, während wir die Eroica häufig geradezu »bewusstlos« hören, läuft letztlich auf eine Entwürdigung der beethovenschen Musik hinaus. Auch ein solches Werk, selbst wenn es sich als rein akustisches Klanggebilde darbietet, lässt sich nur dann verstehen, wenn wir beim Hören in das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart sowie in das von Ich und Werk ein dialektisches Moment bringen. Und dazu gehört als eine der entscheidenden Voraussetzungen eine beachtliche Portion historisches Wissen, ohne das alle künstlerischen Denkmäler der Vergangenheit notwendigerweise rein vordergründige Aisthesis-Erlebnisse bleiben würden. So ist es zum Verständnis der Eroica, wie wir gesehen haben, sicher nicht unwichtig zu wissen, in welchem Maße Beethoven vor 1804 in Napoleon einen Vollstrecker der Ideen der Französischen Revolution gesehen hat und wie tief seine Enttäuschung über dessen imperiale Hybris danach gewesen sein muss. Hierauf haben in den letzten Jahrzehnten vor allem Carl Dahlhaus, Constantin Floros, Harry Goldschmidt und Peter Schleuning hingewiesen.43 Während der Niederschrift der Eroica war Napoleon für Beethoven noch weitgehend der große Befreier, die Hoffnung aller unterdrückten Völker und Klassen, das heißt ein »von Gebirgshöhen herniedereilender Prometheus, der seine selbstgeschaffenen Menschenstatuen mit dem geraubten himmlischen Feuer berührt«.44 Es ist daher kein Zufall, dass ein musikalisches Zentralmotiv der Geschöpfe des Prometheus auch im 4. Satz der Eroica neu auftaucht und dort zum Hauptantriebsfaktor des triumphalen Jubels wird. In einem ähnlichen Sinne hat auch der junge Heinrich Heine später Napoleon mit Prometheus gleichgesetzt.45 Was jedoch ebenso wichtig ist: Manche Beethoven-Forscher sehen in dieser Prometheus-Parallele, die sich beim frühen Beethoven immer wieder finden lässt, nicht nur eine politische Allegoriebildung, sondern auch eine höchst persönliche »Identifizierung mit Napoleon«.46 Das klingt auf Anhieb zwar etwas bizarr, wirft aber zugleich die für die Deutung der Eroica kaum zu übersehende Frage auf, ob es in diesem Werk neben gewissen hagiographischen Elementen nicht auch ebenso starke autobiographische Elemente gibt. Schließlich ist die Musik der Eroica nicht mehr vornehmlich »malender« oder »redender« Natur, wie das im Rahmen der rationalistischen Darstellungsästhetik üblich war, in deren Umkreis noch persönlichkeitscharakterisierende Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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Symphonien wie Haydns Maria Theresia, Der Schulmeister oder Der Philosoph gehören, sondern eher ein Produkt jener durch den Sturm und Drang geschaffenen Ausdrucksästhetik, deren Hauptziel darin bestand, sowohl im schaffenden Künstler als auch im anteilnehmenden Hörer einen Strom chaotisch gemischter Empfindungskonglomerate zu entfesseln. So gesehen geht es in der Eroica nicht nur um eine einfache, sondern auch eine »gedoppelte Mimesis.«47 Es ist nicht einfach Bonaparte, der hier dargestellt wird. Was in diesem Werk zum Ausdruck kommt, sind eher jene Empfindungen, Gedanken, Hoffnungen, welche dieser Bonaparte und die hinter ihm stehenden Ideen der Französischen Revolution im jungen Beethoven ausgelöst haben. In diesem Sinne ist die Musik der Eroica weniger eine politisch-biographisch intendierte Beschreibungsmusik als eine Einfühlungsmusik, Bekenntnismusik, Weltanschauungsmusik, die auf der versuchten Gleichsetzung des Eigenen und des Anderen beruht. In ihr äußert sich ein rebellischer Impuls, mit dem Beethoven – im Rahmen der Ideenkette »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« – auch seinen eigenen Freiheitsdrang, seine eigene Menschenliebe, sein eigenes nach Mitwirkung und Mitverantwortlichkeit drängendes Ich ins Spiel zu bringen versucht, das sich im Sinne Napoleons mit der gleichen Verve gegen die bestehenden Geistes-, Gefühls- und Klassenschranken der ihn umgebenden Gesellschaft aufzulehnen bemüht und sich durch diesen citoyenhaften Gestus ebenfalls unter die »heroisch« Gestimmten einreiht. Man hat deshalb häufig von der Klangfigur des »Sich-Aufbäumens« in Beethovens Musik gesprochen – und dafür neben der Coriolan-Ouvertüre vor allem die Eroica als Beispiel heran­ gezogen.48 Hanns Eisler strich in diesem Zusammenhang gern den »Mut« heraus, der in Beethovens Symphonien zum Ausdruck komme.49 Sidney Finkelstein sah in diesem rebellischen Grundgestus einen dramatischen Durchbruch zum Typus jenes »ganzen Menschen«, der sich nicht länger in den Dienst der herrschenden Adelskaste stellen will.50 Wenn deshalb die Eroica auf dem Schema »Kampf – Trauer – Triumph« aufgebaut ist, so wird damit auch Beethovens eigenes psychopolitisches Konfliktfeld umrissen. Mit anderen Worten: In der projektierten Figur Bonapartes werden zugleich seine eigenen Hoffnungen, Kämpfe, Rückschläge und Triumphgefühle mitgestaltet. Hier geht es auch um Beethovens höchstpersönlichen Kampf um Anerkennung, um sein eigenes Verzagen und sein eigenes Sich-Aufbäumen gegen die ihn immer wieder bedrängende Übermacht der Gesellschaft sowie die zunehmende Gebrechlichkeit seines Körpers. Schließlich war Beethoven kurz zuvor, im Jahr 1802, dem Jahr des Heiligenstädter Testaments, durch eine tiefe menschliche Krise gegangen. Von schwersten Darmkoliken 78

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heimgesucht und zugleich mit der Einsicht in den unausweichlichen Verlust seines Gehörs konfrontiert, hatte er sein eigenes Ich – unter heroischem Einsatz aller ihm verbliebenen Willenskräfte – erst im Jahr 1803, dem Entstehungsjahr der Eroica, wieder mühsam stabilisiert. Daher ist seine 3. Symphonie auch ein Dokument seiner eigenen Kämpfe, Niederlagen, des Verzagenwollens und der Überwindung der privaten Unzulänglichkeit, das heißt ein Dokument des Sich-Aufraffens, des Aktivseinwollens, des unermüdlichen Schaffensdranges.51 In Anlehnung an Bonaparte wollte Beethoven in ihr zugleich seinen weltverändernden Elan, seine Frustrierungen und Hoffnungen, seinen Kampf gegen das Schicksal und seine allesüberwindende Liebe zum Leben zu Gehör bringen. Das von ihm gern zitierte »Schicksal« bedeutet daher in diesem Zusammenhang: mit ungeheuren Gaben des Geistes und des Gemüts niedrig geboren zu sein, sich emporkämpfen zu müssen, gegen Kastenschranken zu stoßen, diese niederzureißen, sich nicht unterkriegen zu lassen – und dann in rückhaltloser Offenheit als ein selbstbewusstes, selbstverantwortliches, freies »Ich« aufzutreten.52 Diese Haltung ließe sich mit vielen mündlichen oder brieflichen Äußerungen Beethovens aus jenen Jahren belegen. So schrieb er etwa am 16. November 1801 an seinen Freund Franz Wegeler in Bonn: »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. O, es ist schön, das Leben tausendmal leben! Für ein stilles Leben, nein, ich fühl’s, ich bin nicht mehr dafür gemacht.« Allerdings sollte man dabei im Auge behalten, dass sich dieses Ich nicht im bürgerlich-modernen Sinne als bloße Ichheit verstand. »Ich« war für Beethoven nichts Kleines, Partikulares, auf das Persönliche Beschränktes, sondern eine Form von Subjektivität, die so stark ist, dass sie alles bloß Privatistische weit hinter sich lässt und ins Menschheitliche ausgreift, indem sie das befreite Ich als Repräsentanten einer sich emanzipierenden Menschheit hinstellt und den Rest dieser Menschheit – à la Bonaparte – durch eine geradezu Befehle erteilende, aufwühlende, postulierende und deklarierende Musik zu den Höhen dieses neuen Selbstbewusstseins emporzureißen versucht. In diesem Sinne lässt sich Beethovens Ich im Gefolge der Genieästhetik des Sturm und Drang auch als eine Manifestation der berühmten Volonté generale charakterisieren. Im Gegensatz zu jenen »elenden, egoistischen Menschen«, wie er immer wieder hasserfüllt erklärte,53 die nur an sich selber denken, empfand Beethoven dieses revolutionär gesinnte Ichbewusstsein als eine gesellschaftliche Verpflichtung, nämlich sich in den Dienst einer als human geltenden, fortschrittlichen oder gar menschheitsbefördernden Idee zu stellen. Den Wert des Ich erkannt zu haben, bedeutete also für ihn, nicht mehr geduckt, kleinlich, egoistisch, sondern groß, selbstlos, Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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heroisch aufzutreten. Sein Fidelio, sein Egmont und sein Bonaparte sind dementsprechend Figuren, die über sich selbst ins Edlere, Höhere hinausgreifen. Sie trachten nicht nach bloßem Selbstgenuss, sondern wollen Vorbilder einer heroisch gesehenen Gattenliebe, Vaterlandsliebe, ja, Menschheitsliebe sein. Ihr Grundimpuls ist deshalb nie der des Selbstsüchtigen, Parasitären oder Narzisstischen. Sie wollen tätig sein, und zwar im Sinne jenes Postulats, das Johann Gottlieb Fichte im 3. Buch seiner Bestimmung des Menschen (1800) als eine Verpflichtung zum Handeln, das heißt als Konzept einer weltverändernden Tatphilosophie umschrieben hatte.54 Doch selbst mit solchen Einsichten in die politischen, sozialen und psychologischen Voraussetzungen der Zeit um 1800 und Beethovens Reaktionen darauf sollten wir uns bei einer genaueren Analyse der Eroica noch nicht zufriedengeben. Ein wahrhaft »historisch-bewusstes« Hören, das sowohl die geschichtlichen Voraussetzungen überprüft als auch sich selbst in ein dialektisches Verhältnis zu den damaligen Intentionen setzt, müsste noch mehr umschließen. Schließlich wollen wir nicht nur Gewesenes erkennen, uns unhistorisch mit diesem identifizieren oder einfach in Edelmut schwimmen, sondern zugleich den spezifischen Inhalten dieser hochgemuten Freiheitsideale auf den Grund kommen, die letztlich – trotz aller postulierten »Menschenliebe« – recht begrenzte, mit anderen Worten: bürgerliche blieben und zugleich vom Umschlag in den Cäsarismus bedroht waren (was bereits Beethoven bis zur Weißglut erbitterte). Andere solcher Widersprüche blieben ihm aufgrund der sozioökonomischen Rückständigkeit der deutschen und österreichischen Verhältnisse vorerst verborgen. Bei der Niederschrift der Eroica glaubte er noch ungebrochen an das Positive der menschlichen Selbstentfaltung und Selbstherrlichkeit, ohne zu merken, dass diese Selbstentfaltung auch zu einer – von Friedrich Schiller vorgezeichneten – Flucht in die »überschwängliche Misere« oder zu einer steigenden Rücksichtslosigkeit im späteren kapitalistischen Sinne führen könnte. Manche linke Kritiker haben ihm das im 20. Jahrhundert scharf angekreidet. So schrieb etwa Bertolt Brecht 1944 höchst indigniert: »Beethoven mag ich immer noch nicht, dieses Drängen zum Unter- und Überirdischen, mit den oft (für mich) kitschigen Effekten und der ›Gefühlsverwirrung‹. Das ›sprengt alle Bande‹ wie der Merkantilismus, da ist diese innige Pöbelhaftigkeit, dieses ›seid umschlungen Millionen‹, wo die Millionen den Doppelsinn haben (als ginge es weiter ›dieses Coca Cola der ganzen Welt!‹).«55 Obwohl in einer solchen Notiz auch die Empörung Brechts über die fortschreitende Vermarktung Beethovens durch Hollywood sowie eine gewisse Skepsis gegenüber den selbst das »bürgerliche« Kulturerbe in sich einschließenden Volksfront80

Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven?

konzepten seines Freundes Hanns Eisler zum Ausdruck kommt,56 äußert sich hierin zugleich ein Gespür für jenen Beethoven, der – wenn er ohne die nötige Distanz gehört wird – seine Hörer einfach mitreißt, einfach aufputscht, einfach zum sinnlosen Schwitzen bringt, anstatt ihre Gedanken und Gefühle, wie Brecht es gern möchte, in eine vernünftige Bahn zu lenken. Nun, nicht alle sind heutzutage so musikempfindlich wie Brecht – und geraten beim Anhören der Eroica sofort ins »Schwitzen«. Aber das bewusstlose Hören, das sich rein von dem mitreißenden Elan und der bestrickenden Klangsinnlichkeit dieses Werks gefangen nehmen lässt, ist weiterhin dominant geblieben, ja, wird von Jahr zu Jahr immer stärker. Wie seine 9. Symphonie muss sich daher auch Beethovens Eroica immer wieder die übelsten Prostituierungen – selbst zu rein marktwirtschaftlich-reklamehaften Zwecken – gefallen lassen. Und daran wird sich solange nichts ändern, wie die Welt der Instrumentalmusik als abstrakt und damit austauschbar gilt. Vielerorts wird noch immer so getan, als seien Gefühle und Empfindungen Phänomene, die etwas prinzipiell Unhistorisches, Allgemein-Menschliches und damit nur existentiell Erfahrbares haben. Deshalb versuchen viele Hörer, sich weiterhin »unmittelbar« in Beethovens Seele einzufühlen, ohne zu erkennen, dass auch der Gefühlshaushalt – ganz zu schweigen vom Gedankenhaushalt – der Zeit um 1800 notwendig ein ganz anderer als der unsrige war. Selbst Gefühle sind, wenn man sie auf ihre spezifischen Inhalte befragt, notwendig historisch. Man befragt sie eben nur nicht danach. Es wäre an der Zeit, solchen Formen des Hörens endlich mit dem Postulat eines auch inhaltsbezogenen, historisch-bewussten und damit dialektischen Hörens von Instrumentalmusik entgegenzutreten, anstatt sich – in der heute weit verbreiteten Konsumentenhaltung – von Werken wie Beethovens Eroica einfach bewusstlos einlullen zu lassen. Nur so entstände wieder ein Sinn für die wahre Größe und zugleich Problematik dieser Musik, welche zwar von den fortschrittlichsten Intonationen ihrer Zeit getragen ist, aber eben nur von den fortschrittlichsten Intonationen ihrer Zeit. Sie dialektisch zu hören, würde also bedeuten, sich sowohl in ihre historische Widersprüchlichkeit einzulassen als auch einen Respekt für ihren rebellischen Grundimpuls zu entwickeln, mit dem sich Beethoven über diese Widersprüchlichkeit hinwegzusetzen versuchte. Da sich dieses Werk mitten in solche Entscheidungen stellte, sollten sich auch seine Hörer und Hörerinnen mitten in solche Entscheidungen stellen. Schließlich war nicht nur Beethovens Ich ein Ensemble verschiedenster gesellschaftlicher Faktoren, in dem sich Altes und Neues, Reaktionäres und Fortschrittliches, Unerkanntes und Erkanntes oft erbittert miteinander befehdeten, auch unser eigenes Ich ist ein derartiges Ensemble. Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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III Kommen wir zum Schluss. Ein Hören dieser Art könnte uns vor zwei Dingen bewahren: zum einen vor einer platten Reduktion auf den historischen Anlass, die nur das geschichtlich Konkrete hervorhebt (in diesem Falle den Bezug zu Bonaparte), und zum andern vor einem ahistorischen Existentialismus, der nur das Unkonkrete akzentuiert (in diesem Falle irgendwelche nebulös bleibenden Gefühle). Im Gegensatz zu solchen Einseitigkeiten müsste ein historisch-bewusstes Hören stets auf der innigen Dialektik von Historisierung und eigenem Erleben beruhen. Anstatt sich einfach mit den geschichtlichen Details abzufinden oder sich bloß von der sinnlichen Unmittelbarkeit mitreißen zu lassen, wären wir im Rahmen eines solchen Hörens ständig dazu aufgerufen, in diesen beiden Haltungen sich komplementierende Phänomene zu sehen. Einfühlung und Verfremdung sollten deshalb bei einem derartigen Hören keine unüberwindbare Antinomie bilden, sondern in einem lebhaften Wechselverhältnis zueinander stehen. Bei jedem großen Kunstwerk, erklärte Robert Weimann einmal, werden wir dazu angehalten, stets »beides zu tun«, das heißt, uns »in das Geschehen einzufühlen« und uns »zugleich davon zu distanzieren«. Ja, Weimann behauptete sogar, dass die »Dialektik von Identifikation und Distanzierung« zum Grundbestand jeder »realistischen Wirkung« im besten Sinne des Wortes gehöre.57 Und damit landen wir notwendig bei der leidigen, aber unumgänglichen Erbe-Frage. Was an der Eroica weiterhin beerbbar ist, wäre demnach weniger ihr weltanschauliches Prometheus-Konzept als die in ihr ausgedrückte Tat­ gesinnung, deren Widersprüche in dieser Symphonie nicht einfach flach optimistisch im Gefolge des gängigen »Per aspera ad astra«-Schemas überspielt werden, sondern im Rahmen eines gewaltigen Konfliktgemäldes ganz offen zur Schau treten. Was also an diesem Werk beerbbar bleibt, ist vornehmlich das Rebellische und Engagierte, mithin der in ihm ausgedrückte Appell zum Aktivismus, der zwar seine nicht zu leugnenden historischen Begrenzungen aufweist, jedoch in seinem ethisch getönten Grundgestus noch immer von größter Eindringlichkeit ist. Ja, nicht nur das. Die Eroica hat in den letzten 200 Jahren einen solchen Bedeutungszuwachs erfahren, dass sie inzwischen – auf allegorischer Ebene – weit über ihren konkreten Anlass hinausreicht. Schließlich hören historisch-bewusste Menschen in diesem Werk heutzutage nicht nur die Reaktionen des jungen Beethoven auf die Ideen der Französischen Revolution und den frühen Napoleon, sondern auch ihre eigenen Reaktionen auf bestimmte politische Umwälzungen sowie auf jene Männer, die sich als die 82

Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven?

Vollstrecker dieser Umwälzungen aufgespielt haben. Trotz aller innig gefühlten Trauer, die sich beim Anhören des 2. Satzes einstellt, werden sie jedoch im weiteren Verlauf dieses Werks zugleich in jener Hoffnung bestärkt, die Beethoven im 4. Satz in jenem Thema ausdrückt, das bereits in den Geschöpfen des Prometheus eine entscheidende Rolle spielt. Statt nach dem ersten Anlauf sofort defätistisch zu verzagen und nur die »gescheiterte Hoffnung« darzustellen, greift Beethoven hier – »mit einem gewissen sprechenden Ausdruck« (Con una certa espressione parlante), wie er gern schreibt – weit in die Zukunft und damit zu jenen Hörern voraus, die nach ähnlichen Enttäuschungen ebenfalls nicht verzagten, sondern weiterzuhoffen und weiterzukämpfen versuchten. Demzufolge stellt sich die Frage des Eigenen und des Anderen, die Beethoven in diesem Werk beschäftigte, auch für uns. Gerade das Andere kann manchmal das spezifisch Eigene werden, wenn uns dieses Andere als besonders anregend, stimulierend, vorbildlich und damit modellartig erscheint. Für Beethoven erfüllte der junge Bonaparte, in welchen er sein Wesen am intensivsten hineinprojizieren konnte, diese Funktion. Obwohl er zugleich durch und durch Künstler war, ging es ihm – gerade in der Eroica – mindestens ebenso sehr um Politik. In diesem Werk flossen daher Biographie und Autobiographie in einer höheren Form von Wunschbiographie zusammen, die wie alle hochgespannten Tagträume zwar stellenweise ans Illusionäre grenzt, aber zugleich von faszinierender Utopieträchtigkeit ist. Und als uneingelöste Utopie, wie auch als überragendes Kunstwerk, sollte deshalb die Eroica weiterhin zum unabdingbaren Wunschvorrat aller nicht defätistisch gestimmten Menschen gehören.58

Vom Anderen und vom Selbst in der Sinfonia eroica

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»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde« Utopisches in Beethovens Fidelio

I Sowohl über die Entstehung von Beethovens Fidelio als auch über seine Aufführungsgeschichte sind wir durch viele detailreiche Studien bestens informiert.1 Zu diesen beiden Komplexen lässt sich also heute kaum noch etwas Neues beitragen. Immer wieder hat man entweder feuilletonistisch-­oberflächlich oder wissenschaftlich-akribisch nachgezeichnet, wie Beethoven 1803 als Dreiunddreißigjähriger zum ersten Mal einen Opernplan ins Auge fasste, und zwar die Vertonung eines Librettos, das ihm Emanuel Schikaneder, der damalige Direktor des Theaters an der Wien und frühere Freund Mozarts, vorgeschlagen hatte. Und Beethoven ging auf diesen Vorschlag auch spontan ein. Dabei handelte es sich um ein von Schikaneder selbst verfasstes Drama aus der Zeit des alten Rom unter dem Titel Vestas Feuer. Doch die in ihm ausgeführte Handlung mit ihren konventionellen Intrigen und Verwandlungen sprach Beethoven so wenig an, dass er das Ganze – nach einigen Skizzen zur ersten Szene – wieder aufgab.2 Kurz darauf, nach einem ihm gemäßeren Text suchend, stieß er auf das Opernlibretto Léonore ou L’amour conjugale von Jean-Nicolas B ­ ouilly, das ihn sofort in seinen Bann schlug. Dieses Werk gehörte zum Typ der französischen »Rettungsoper«, die sich seit 1800 auch in Wien und mehreren anderen deutschen Städten einer relativ großen Beliebtheit erfreute.3 Dafür sprechen vor allem jene Opern von Luigi Cherubini, Pierre Gaveaux, Simon Mayr, Étienne-­Nicolas Méhul und Ferdinando Paër, bei denen als thematischer Hintergrund noch immer der Sturm auf die Bastille von 1789 durchschimmert, deren Libret­tisten jedoch inzwischen – aufgrund der nachrevolutionären Stimmung – auch andere schreckenerregende oder rührselige Elemente in ihre jeweiligen Handlungsstränge aufgenommen hatten. Bei der Léonore Bouillys, in der eine zum Letzten entschlossene Frau ihren unschuldigen Mann, den freiheitlich gesinnten »Menschenfreund« Florestan, 84

»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde«

aus dem Kerker befreit, handelte es sich angeblich um eine »wahre Begebenheit« aus der Zeit der Französischen Revolution, die jedoch der 1793/1794 in Tours als öffentlicher Ankläger aufgetretene Verfasser in das noch mittelalterlich anmutende Spanien des 16. Jahrhunderts verlegt hatte, um dadurch das Grausame des dargestellten Justizmissbrauchs noch glaubhafter zu machen.4 Nach der Lektüre dieses Librettos, das Pierre Gaveaux bereits 1798 zu einer Opernkomposition unter dem gleichen Titel verwandt hatte, bat Beethoven Joseph Sonnleithner, den Nachfolger Schikaneders am Theater an der Wien, ihm doch diesen Text möglichst umgehend aus dem Französischen ins Deutsche zu übertragen, um mit seiner Vertonung beginnen zu können. Was bei Bouilly noch den Charakter einer Comédie lyrique hatte, das heißt weniger Arien und mehr gesprochene Partien enthielt, formte Sonnleithner so um, dass Beethoven durch eingefügte Arien, Duette, Rezitative, Chöre, Märsche usw. wesentlich mehr Möglichkeiten einer effektvollen musikalischen Ausgestaltung hatte. Obwohl sich Sonnleithner weitgehend an den vorgegebenen Handlungsverlauf hielt, intensivierte er – vor allem im zweiten Teil – die Dramatik des Ganzen so sehr, dass Beethoven hier sein Bestes an musikalisch-melodramatischer Steigerung leisten konnte.

Abb. 18  Anonym: Theater an der Wien (um 1805)

Allerdings milderte Sonnleithner dabei im Hinblick auf die Wiener Zensur – wie vor ihm schon Lorenzo da Ponte bei der Umarbeitung von Pierre-Augustin-­ Caron de Beaumarchais’ Lustspiel Der tolle Tag (1784) in das Libretto für Utopisches in Beethovens Fidelio

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Mozarts Figaros Hochzeit – einige der politisch anstößigsten Stellen, in denen die Liberté-Parolen der ersten Jahre der Französischen Revolution im Vordergrund standen, merklich ab.5 Was 1798 in Paris noch durchaus möglich war, hätte 1805 in Wien, als Beethoven die Komposition fertig hatte, niemals die Polizeihofstelle passiert. Schließlich war es hier ausdrücklich verboten worden, in einer Oper irgendwelche »hohen Persönlichkeiten« zu kritisieren oder eine unziemliche »Freiheitsgesinnung« zu verbreiten.6 Nachdem die Zensurbehörde das eingereichte Textbuch einer hochnotpeinlichen Untersuchung unterworfen hatte, meldete der amtierende Staatsrat Ferdinand von Stahl zuerst Bedenken an, erlaubte aber dann doch die Inszenierung des Ganzen, weil die österreichische Kaiserin Marie Therese, die das Textbuch ebenfalls zu sehen bekam, aus Gründen der idealisierten »Gattenliebe« und der »rührenden« Schlussszene ein persönliches Interesse daran nahm und die Aufführung des Fidelio gnädiglich befürwortete. Demzufolge schlug Sonnleithner den Wiener Behörden vor, die Premiere dieses die Ehe verherrlichenden Werks wegen des »rührenden Gemäldes der weiblichen Tugend« auf den »Namenstag seiner Majestät der Kaiserin« zu legen und stellte den Rest der Handlung – mit deutlich abwiegelnder Tendenz – als eine »Privatrache« des »bösgesinnten« Pizarro an dem armen Florestan, mit anderen Worten: als eine moralische und nicht eine politisch Angelegenheit hin.7 So viel zu den Tücken der damaligen Zensur und dem Zufall einer kaiserlichen Begünstigung! Trotz dieses Eingriffs von oben waren die Zeitumstände für die Uraufführung dieser Oper am 20. November 1805 so ungünstig wie nur möglich. Schließlich hatten wenige Monate zuvor Österreich, Russland und England Napoleon den Krieg erklärt, worauf dieser mit seinen Truppen nach Österreich vorzudringen begann und am 13. November mit Teilen seiner Armee in Wien einmarschierte, nachdem der Hof, der Adel und Teile des gehobenen Bürgertums die Stadt kurz zuvor verlassen hatten. Ja, am 2. Dezember schlug Napoleon in der Schlacht bei Austerlitz die verbündeten österreichischen und russischen Truppen so vernichtend, dass die Habsburger am 25. Dezember im Friedensvertrag von Preßburg große Teile ihrer Besitztümer an die mit Napoleon verbündeten deutschen Fürsten oder die Herrschaftsgebiete seiner Brüder abtreten mussten. Als daher, wie gesagt, am 20. November Beethovens Fidelio oder Die eheliche Liebe im k. und k. privilegierten Theater an der Wien zum ersten Mal über die Bühne ging, bestand das Publikum vornehmlich aus französischen Offizieren, die ihn zum Teil bewunderten und auch in seiner Wohnung aufsuchten,8 während die musikinteressierten Wiener entweder aus der Stadt geflohen waren oder wegen der unsicheren Zeitumstände lieber zu Hause blie86

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Abb. 19  Theaterzettel der Erstaufführung des Fidelio (1805)

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ben. Daher musste der Fidelio nach zwei weiteren Aufführungen vom Spielplan abgesetzt werden. Auch die Rezensionen dieser Aufführungen im Freimüthigen und in der Allgemeinen musikalischen Zeitung fielen recht ungünstig aus. Sie warfen Beethoven unter konservativ-ästhetisierender Perspektive vor allem das »Modische« des Befreiungsthemas im Gefolge der Oper Les deux journées, ou Le porteur d’eau von Luigi Cherubini vor und bemängelten zugleich seine Sucht, das »Schöne« zu Kosten des »Neuen und Sonderbaren« geopfert zu haben.9 Dieses Debakel empfand zwar Beethoven anfangs geradezu niederschmet­ ternd, zwang ihn aber zu einer dramaturgischen und musikalischen Revision seines Ur-Fidelio, den er am 29. März 1806, als sich die Verhältnisse in Wien wieder etwas beruhigt hatten, unter dem Titel Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe, erneut inszenieren ließ. Aus den drei Akten der ersten Fassung waren inzwischen durch erhebliche Kürzungen im ersten Teil zwei Akte geworden. Somit wirkte das Ganze wesentlich gestraffter und führte schneller in die Dramatik des Ganzen ein, ohne allzu lange in den bürgerlich-­ humoristischen oder auch rührseligen Szenen des Anfangs zu verweilen. Zu diesem Zweck hatte Beethoven das Duett »Um in der Ehe froh zu leben«, das Terzett »Ein Mann ist bald genommen« sowie eine Arie Pizarros kurzerhand gestrichen. Allerdings war selbst dieser Inszenierung kein großer Erfolg beschieden und so wurde Beethovens Leonore nach der Premiere nur noch einmal wiederholt. Auch die Reaktion in der Presse war kaum positiver als im Vorjahr. So lobte zwar der Wiener Korrespondent der Zeitung für die elegante Welt einige Partien der beethovenschen Musik, bezeichnete aber das politisch aufreizende Libretto Sonnleithners als ein »gehaltloses Machwerk« und fand die »rezitierenden Stellen« geradezu abgedroschen, wenn nicht gar sinnlos.10 Und damit schien das Schicksal dieser Oper, auf deren Erfolg Beethoven so große Hoffnungen gesetzt hatte, endgültig besiegelt zu sein. Eine neue Chance zu einer weiteren Bearbeitung und Wiederaufführung dieses bisher höchst missgünstig aufgenommenen Werks ergab sich erst zu Beginn des im Jahr 1814 stattfindenden Wiener Kongresses, als Beethoven durch den Erfolg seiner 7. Symphonie sowie des noch größeren Erfolgs seiner Schlachtensymphonie plötzlich den Zenit seines äußeren Ruhms erreichte.11 Deshalb holte er zu diesem Zeitpunkt auch seine inzwischen fast vergessene Fidelio-Leonore-Oper wieder hervor und bat Georg Friedrich Treitschke, der inzwischen Regisseur und Theaterdichter am Wiener Kärntnertortheater geworden war, den Text des Ganzen nochmals einer gründlichen Revision zu unterziehen. Und Treitschke war stolz, dass ihm Beethoven diese ehrenvolle Aufgabe antrug. Er strich bei seiner Neubearbeitung weitere kürzere Abschnitte 88

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und gab dafür dem Monolog Florestans zu Anfang des zweiten Akts ein wesentlich größeres Gewicht. Außerdem ließ er die Schlussszene in einem sonnenüberfluteten Schlosshof spielen, um dem Ganzen einen strahlenden Abschluss zu geben und zugleich mehr »Volk« auf die Bühne bringen zu können als in der ersten und der zweiten Fassung, wo sich die letzte Szene in einem dunklen Verlies abgespielt hatte. Und der Erfolg dieser Neuinszenierung, die vielfach wiederholt werden musste, gab Beethoven und Treitschke Recht. Dass der Fidelio, wie diese Oper jetzt wieder hieß, zu diesem Zeitpunkt vom Wiener Publikum so begeistert aufgenommen wurde, hing jedoch nicht allein mit der zweifellos wesentlich höheren Qualität der Textgrundlage und der musikalischen Ausarbeitung zusammen, sondern auch mit der Gunst der politischen Umstände. Die Premiere fand am 23. März 1814 im Kärntnertortheater statt, also wenige Tage vor dem endgültigen Sieg der Koalitionsarmeen über den »Tyrannen« Napoleon und seiner Verbannung auf die Insel Elba. Endlich schienen die durch den französischen Eindringling heraufbeschworenen »bösen Geister«, wie es allgemein hieß, vertrieben zu sein und eine Zeit des Friedens und des Wohlstands heraufzuziehen. Vom Sturm auf die Bastille und all den Folgerungen, die sich daraus ergeben hatten, sprach zu diesem Zeitpunkt fast niemand mehr. Und damit schien diese Oper – im Gegensatz zu den Jahren 1805/1806 – den Zensurbehörden plötzlich höchst passabel und konnte ohne ihren Einspruch anstandslos über die Bretter gehen. Jetzt waren es vor allem der Hass auf die Tyrannenwillkür und die Musik Beethovens, die allgemein bewundert wurden, während ihre Revolutionsthematik von dem in patriotischer Hochstimmung schwelgenden Wiener Publikum kaum noch wahrgenommen wurde.

II Und bei dieser Einschätzung blieb es auch in der Folgezeit. Lediglich in Zeiten politischer Unterdrückung wurde der Fidelio weiterhin als Befreiungsoper inszeniert und auch in den gleichzeitig erscheinenden Feuilletons oder wissenschaftlichen Interpretationen als ein solches Werk hingestellt. In Status-quo-­ Perioden hat sich dagegen die Beethoven-Forschung bei der Behandlung des Fidelio vornehmlich auf formale Aspekte beschränkt. Einer besonderen Vorliebe erfreuen sich dabei bis heute strukturelle Vergleiche der vier Ouvertüren zu dieser Oper.12 Ebenso beliebt sind gattungstheoretische Überlegungen, das heißt höchst detailreiche Analysen, welche Teile dieser Oper zum Genre des Drame Utopisches in Beethovens Fidelio

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sérieux, der Opera comique, der Comédie larmoyante, des Tableau vivant, des bürgerlichen Trauerspiels, des Singspiels oder des deutschen Rührstücks zuzurechnen sind. Eine der subtilsten Analysen auf diesem Gebiet hat Carl Dahlhaus geliefert.13 Andere haben sich eingehend mit dem Typ der »Befreiungsoder Rettungsoper« beschäftigt,14 die Ur-Leonore mit dem späteren Fidelio verglichen,15 an dem Phänomen der »Großen Oper« herumgerätselt,16 genaue Analysen der einzelnen Musiknummern unternommen,17 auf den historischen Hintergrund hingewiesen18 oder sich zu den höchst verschiedenen Aufführungen dieser Oper geäußert. Über all das geben die 21 kleingedruckten Seiten der ausführlichen Bibliographie zu diesem Werk in dem Fidelio-Buch (1986) von Willy Hess19 sowie die Fidelio-Interpretation (1994) von Heinrich W. Schwab genauestens Bescheid.20 Bedeutsame oder gar provokante Analysen, die auch den inhaltlichen Grundimpulsen dieser Oper nachgegangen wären und sie vielleicht sogar auf ihre ideologische Qualität befragt hätten, sind dagegen wesentlich seltener und lassen sich – genauer besehen – an den Fingern einer Hand abzählen. Einige wichtige Glanzlichter dieser Art finden sich in jenem kurzen Text, den Ernst Bloch unter dem Titel Marseillaise und Augenblick in Fidelio veröffentlicht hat.21 Mit all dem expressionistisch-utopischen Elan, der für diesen Autor bezeichnend ist, heißt es hier, dass Beethovens Fidelio-Musik fast an die »Grenzen der Menschheit« vorstoße, das heißt in jenen Bereich, wo sie sich als »erlangte Wir-Welt« überhaupt erst konstituiere. Diese Musik, lesen wir weiter, ist »ein Kristall, aber aus künftiger Freiheit, ein Stern, aber als neue Erde«.22 Ja, das Trompetensignal im zweiten Akt deutete für Bloch bereits auf die »Ankunft des Messias« hin, nach dem plötzlich jener »große Augenblick« möglich werde, der auf einem »Stern der erfüllten Hoffnung« und doch ganz konkret im Hier und Jetzt spiele. 23 Mit dem universalen Zug dieser Interpretation lassen sich an ideologischem Tiefgang eigentlich nur die verstreuten Bemerkungen zur Fidelio-Oper in Theodor W. Adornos nachgelassenen Beethoven-Fragmenten vergleichen.24 Was ihnen zugrunde liegt, ist eine Sicht Beethovens, die davon ausgeht, dass den Werken seiner mittleren, sprich: »klassischen« Periode stets eine gelungene Synthese zwischen objektiven Formgesetzen und höchst subjektiven Gefühlsimpulsen zugrunde liege. Und damit sei es Beethoven zwischen 1795 und 1815 gelungen, den dialektischen Fortschritt des Weltgeists in Töne gebannt zu haben, in denen sich sowohl seine eigene Seelenstimmung als auch die philosophische Grundsignatur des von ihm erlebten Zeitalters zu erkennen gebe. Wegen dieses doppelten Ausdrucksverlangens mache sich in der Musik des 90

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mittleren Beethoven, behauptete Adorno, nicht nur eine von der Französischen Revolution angefachte Sehnsucht nach weltbürgerlichen Solidaritätsgefühlen, sondern auch ein höchst persönliches Aufbegehren bemerkbar. Diese beiden Perspektiven, nämlich die Blochs und die Adornos, erscheinen mir für ein tieferes Verständnis des mittleren Beethoven und damit auch seiner Fidelio-Oper unverzichtbar. Schließlich äußert sich in diesem Werk, und zwar nicht nur in seiner Musik, sondern auch in seinem Text, der Beethoven von Anfang an faszinierte und in den er in seiner letzten Fassung sicher auch eigene sprachliche Wendungen einbrachte, eine weltanschauliche Haltung, bei der das Utopische, das Politische und das Weltgeistliche mit dem höchst Persönlichen eine untrennbare Synthese eingehen. Mögen auch die Genreaspekte dieses Werks noch so disparat sein, sein Grundimpuls ist bei aller Komplexität stets der Gleiche. Hier bäumt sich Jemand mit geradezu herkulischer Kraft sowohl gegen die Widrigkeiten seines eigenen Taubwerdens als auch die politischen Missstände seiner Zeit auf und schafft ein Werk, das trotz seiner kolportagehaften Handlungsführung sowie der durch die Zensur erzwungenen »Mäßigungen« dennoch von einer geradezu revolutionären Sprengkraft ist, die weit über alles hinausgeht, was das damalige Wiener Publikum von anderen Aufführungen im Theater an der Wien gewohnt war. Das soll im Folgenden an zwei zentralen Szenen dieser Oper etwas genauer dargestellt werden: und zwar an Florestans Monolog zu Beginn des 2. Akts (Nr. 11) und am Schlusschor »Wer ein holdes Weib errungen / Stimm’ in unsern Jubel sein« (Nr. 16). Zur Ausarbeitung der einen Nummer benötigte Beethoven 16, zur anderen 10 Entwürfe, so wichtig waren ihm diese beiden Szenen, die bis heute nichts von ihrer gewaltsam-rührenden Verve eingebüßt haben.

III Florestans Monolog ist bisher zumeist im Rahmen früherer Opernszenen dieser Art interpretiert worden, in denen ein unschuldig Verurteilter in einem dunklen Verlies schmachtet und doch trotz aller zu erduldenden Qualen nicht die Hoffnung auf eine mögliche Befreiung aufgibt. Solche Szenen waren bereits in der italienischen Oper des Spätbarocks Legion, erhielten aber im Rahmen des durch den Sturm auf die Bastille maßgeblich beeinflussten Beginns der Französischen Revolution eine ganz andere ideologische Qualität. Im Hinblick auf die Kerkerszenen in spätbarocken Opern, vor allem jene, die auf Librettos von Pietro Metastasio beruhen, hat Helga Lühning eine ausführliche Utopisches in Beethovens Fidelio

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Studie vorgelegt.26 So findet sich bereits in Metastasios Drama Sireo (1726) eine Kerkerszene, wie wir dort lesen, in welcher der Titelheld, der Prinz Sireo, wegen eines ihm zu Unrecht angelasteten Komplotts gegen seinen Vater im Kerker auf seine Hinrichtung wartet, aber in letzter Minute, als ihn sein ehrgeiziger Bruder ermorden will, von seiner listenreichen Braut Emirena befreit wird. Doch das ist lediglich eine jener Palastintrigen, wie sie für die höfischen Opern dieser Zeit allgemein typisch sind. Ähnliche Vorgänge spielen sich in vier anderen, auf Italienisch geschriebenen Librettos ab, die Metastasio verfasste. Ja, vergleichbare Handlungssituationen tauchen in einer Reihe französischer Opern der sechziger und siebziger Jahren, wie etwa im Déserteur (1769) von Pierre-Alexandre Monsigny und in Aucassin et Nicolette (1779) von André-­ Ernest-Modeste Grétry, aber auch in späteren Opern wie Les rigueurs du cloître (1790) von Henri-Montan Berton sowie der berühmt-berüchtigten Oper La caverne (1793) von Jean-François Lesueur, deren Höhlen- und Kerkerszenen sicher Jean-Nicolas Bouilly zu seiner Léonore angeregt haben, die 1798 erstmals von Pierre Gaveaux vertont wurde. Doch ebenso wichtig dürften für Beethovens Fidelio die Verhaftungs- und Befreiungsszenen in der Oper Les deux journées, ou Le porteur d’eau (1800) von Luigi Cherubini gewesen sein, die kurz nach der Jahrhundertwende auch in Wien aufgeführt wurde und deren Inszenierung er dort nachweislich gesehen hat. Obwohl Beethoven in Einzelzügen von diesen »Rettungsopern«,27 mit denen er in Konkurrenz trat, bei der Abfassung seines Fidelio maßgeblich beeinflusst wurde, übertrifft seine Kerkerszene zu Anfang des 2. Aktes sämtliche älteren Szenen dieser Art sowohl an dramatischer Wucht als auch an musikalischer Ausgestaltung bei Weitem und hat dadurch alle anderen Opern dieses Typs in die Rumpelkammer der Geschichte verbannt. Seine Kerkerszene sollte zwar ebenfalls im Hinblick auf den Sturm auf die Bastille und zugleich auf die durch Aufklärer wie Cesare Beccaria und John Howard in Gang gekommene Gefängnisreformbewegung des späten 18. Jahrhunderts gesehen werden, enthält aber zugleich wesentlich mehr. Hier wird nicht nur gegen die unmenschliche Behandlung der zu Recht oder Unrecht in den damaligen Kerkern eingesperrten Gefangenen protestiert, sondern obendrein die politische Komponente dieser Einkerkerungen herausgestellt. Schließlich ist in Beethovens Fidelio nicht nur Florestan ein zu Unrecht verurteilter Märtyrer, sondern auch alle anderen in diesem Kerker eingesperrten Gefangenen sind Opfer eines tyrannischen Gouverneurs namens Pizarro, der offenbar in seiner Region – wie schon sein früherer Namensvetter im Peru der »edlen« Inkas – keinerlei freiheitliche Regungen duldet. Und zwar wird das nicht nur im Schlusschor thematisiert, sondern 92

»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde«

bereits gegen Ende des ersten Aktes, als die Gefangenen – durch eine mutige Intervention Fidelios – nach Monaten oder Jahren der Einschließung in unterirdischen Verliesen endlich für wenige Minuten das Sonnenlicht der Freiheit erblicken dürfen und den hochbewegenden Gesang anstimmen: »O welche Lust, in freier Luft / den Atem leicht zu heben. / Nur hier, nur hier ist Leben / der Kerker eine Gruft« (Nr. 10). Doch gehen wir erst einmal auf Florestans Monolog ein. Gute neuere Formanalysen dazu finden sich bei Willy Hess28 und Helga Lühning,29 die vor allem folgende Ausdruckselemente herausgearbeitet haben. In ihren Untersuchungen wird höchst detailliert auf die Bedeutung der anfänglichen Paukenmotive innerhalb der instrumentalen Einleitung hingewiesen, mit denen Beethoven auf »Florestans Angst, das Klopfen seines Herzens, den Pendelschlag der verrinnenden Zeit, des nahenden Todes, aber auch die sich nähernden Schritte« anzuspielen versuche. Im darauf folgenden Rezitativ, lesen wir weiter, drückten die »Sekundschritte C – Des – C« vornehmlich das »Mühsame, Schwere der Bewegungen« des ermatteten Florestan aus. Im Gegensatz zu allen früheren Vertonungen dieser Szene wollte Beethoven damit, wie es bei Helga Lühning heißt, »mit offenkundigem persönlichen Engagement das Elend des Gefangenen« sowie die »Folter der Isolation« ausdrücken.30 Doch dann komme der große Aufschwung, der fast »an die Grenze der gesanglichen Ausführbarkeit« reiche. All das könne kaum noch »belcanto«, das heißt »schön« gesungen werden. Hier werde die »Unsagbarkeit zum Ausdrucksmittel«, um noch einmal Helga Lühning zu zitieren. Und auch im Allegro-Teil des »traumhaft-visionären Arienschlusses« erwachse das »Ekstatische des Ausdrucks nicht zuletzt aus den extremen Anforderungen an den Gesang«, der gerade in seiner Forciertheit so überzeugend wirke.31 Wie »dünn« klingt dagegen die gleiche Stelle in den Leonoren-Opern von Pierre Gaveaux oder Fernando Paër. Sogar ähnliche Szenen bei Luigi Cherubini haben eher eine klassizistische und damit kalte Ausdrucksform, die seelisch anspruchsvolle Hörer und Hörerinnen weitgehend ungerührt lässt. Auch Beethovens Erstfassung dieser Szene von 1805/1806 besaß noch nicht jene Intensität wie die der stark überarbeiteten Fassung von 1814, in der wir diesen Monolog heute hören. Die Urfassung der instrumentalen Einleitung malte Beethoven in der späteren Bearbeitung zwar etwas weiter aus, behielt sie aber sonst weitgehend bei. Auch das Rezitativ, das mit dem Aufschrei »Gott, welch’ Dunkel hier« beginnt, ist mehr oder minder das Gleiche geblieben.32 Dagegen hat Beethoven die ältere, relativ »gemäßigte« f-Moll-Arie »Ach, es waren schöne Tage« in der Fassung von 1814 durch jene himmelstürmende D-Dur-Partie Utopisches in Beethovens Fidelio

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»Und spür ich nicht linde, sanft säuselnde Luft? / Und ist nicht mein Grab mir erhellet« ersetzt, in der Florestan – im Zustand einer momentanen Verzückung – Leonore plötzlich in der Traumgestalt eines Engels erblickt, die ihn ins »himmlische Reich« zu führen scheint. Während ihm zuvor in einer tagträumerischen Stimmung nur die Gattin Leonore erschienen war, wird jetzt Leonore – wie Klärchen in der ebenfalls in einem Kerker spielenden Schlussszene von Goethes Egmont – zum »Engel der Freiheit«, der ihn zu einer visionären »Ekstase« hinreißt, auf die dann allerdings erneut ein Zustand der totalen Erschlaffung folgt, wie er in den letzten 18 Takten des Instrumentalnachspiels musikalisch ausgemalt wird. Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf diese Szene sagen, dass sie in ihren Fassungen von 1805/1806 in der »Trostlosigkeit der Gegenwart« spielt, dagegen in der dritten Fassung von 1814 eine in die Zukunft weisende »Vision der Freiheit« enthält, auf die allerdings auch hier ein Rückfall in die düstere Gegenwart des Kerkerlebens folgt.33 Ideologisch lässt sich daraus Folgendes schließen: Während in der Urfassung dieses Rezitativ mit anschließender Arie – vielleicht wegen der damals herrschenden Zensurbestimmungen – noch relativ »gemäßigt« klang, wird in der von Beethoven und Treitschke 1814 umgestalteten Arienfolge die visionär herbeigewünschte Gattin Leonore zu einer weit über die irdische Misere hinausragenden Figur, die den halbverhungerten Florestan in seinen Wachträumen in ein zwar »himmlisches«, aber zugleich »freiheitlich besseres« Reich aller erfüllten Sehnsüchte zu führen scheint. Und das verleiht dieser Szene einen neuen, völlig ungeahnten Glanz, der in seiner Ausdruckskraft sowohl menschlich als auch politisch die beiden früheren Fassungen weit übertrifft. Mit anderen Worten: In dieser und den folgenden Szenen, als sich Florestan und Leonore nach zweijähriger Trennung endlich wiedererkennen und beglückt in die Arme fallen, verbindet sich das Politische und das Persönliche zu einer geradezu untrennbaren Synthese, für die es an überwältigender Intensität im Bereich der Oper kaum Parallelen gibt. Zugegeben, ohne die politische Gesinnung Beethovens hätten diese Szenen sicher nicht jene Ausdruckskraft, die sie schon in der ersten Fassung von 1805 und dann verstärkt in der Fassung von 1814 haben. In ihnen bäumt sich Jemand auf, der jede fürstliche Willkür, jede Zensur, jede Beengung seiner Freiheit als unerträglich empfindet und denen er mit einem durch die Parolen der Französischen Revolution angefachten Emanzipationspathos entgegentritt, das dieser Oper im Rahmen aller politischen Befreiungsopern ihren einsamen Rang verleiht. Aber in diesem Pathos äußert sich zugleich ein höchst persönlicher Zug, nämlich das verzweifelte Bemühen Beethovens, wenigstens mit seiner Musik 94

»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde«

die Mauern jenes Kerkers der Taubheit zu sprengen, in den er sich wegen seiner zunehmenden Hörbehinderung eingesperrt fühlte.34 Florestans Monolog zu Anfang des zweiten Aktes ist daher nicht nur der heroische Gesang eines politisch Unterdrückten, der wieder das Licht der Freiheit erblicken möchte, sondern auch ein Ausdruck von Beethovens innerer Stimme, in der sich der verzweifelte Wunsch nach menschlicher Nähe und Wärme manifestiert. Und das gibt dieser Szene ihre erschütternde Glaubhaftigkeit. Wie wir wissen, begann Beethoven schon seit 1796 an Ertaubungssympto­ men zu leiden und musste sich später zusehends monströser Hörapparate oder Konversationshefte bedienen, um überhaupt noch mit anderen Menschen kommunizieren zu können.35 In Beethovens Briefen finden sich die ersten Klagen über seine »Harthörigkeit« erstmals 1801 in einem offenherzigen Schreiben an seinen Freund Carl Amenda vom 1. Juni dieses Jahres. Schon zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich plötzlich »unbehaust und verlassen«.36 »Meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort«, heißt es kurze Zeit später in einem Brief an Franz Wegeler in Bonn vom 29. Juni 1801, »ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: Ich bin taub.« Doch erst 1802 – nach sechs Monaten ländlicher Abgeschlossenheit, in denen er seine 2. Symphonie vollendete – schrieb er am 6. Oktober sein berühmtes Heiligenstädter Testament, in dem er seinen »Brüdern« den qualvollen Zustand seines Hörleidens offenbarte und sie bat, ihn nicht für »feindselig störrisch oder misanthropisch« zu halten und das nötige Verständnis für seine zunehmende Taubheit aufzubringen, die ihn dazu zwinge, »wie ein Verbannter« zu leben.37 Mit den in der Überschrift erwähnten »Brüdern« sind dabei wohl nicht nur seine beiden leiblichen Brüder Kaspar und Johann, sondern auch seine Freimaurer-Brüder, wenn nicht gar – wie in der Schlussszene des Fidelio – alle Menschen guten Willens gemeint, die ihr Leben eher in den Dienst höherer Ideale stellen, als sich einem blinden Egoismus und Materialismus zu verschreiben. Ja, wie stark Beethoven zu diesem Zeitpunkt seine gesellschaftliche Isolierung empfand, die er mit mutigem Trotz als etwas Schicksalsgegebenes hinnahm, beweist ebenso eindringlich sein Oratorium Christus am Ölberge (op. 85), das er 1803, kurz vor seinem Fidelio, komponierte. Neben dem Geist des Religiösen herrscht in diesem Werk eine Stimmung menschlicher Verlassenheit, die sich erst am Schluss – aufgrund der nach schweren inneren Kämpfen erfolgenden Akzeptanz der ihm auferlegten Leiden – etwas aufhellt. Beethovens Christus am Ölberg soll damit nicht mit dem Florestan im Kerker Pizarros gleichgesetzt werden. Aber eins haben sie gemeinsam: in beiden drückt sich zugleich jener Utopisches in Beethovens Fidelio

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Abb. 20  Anonym: Beethovens Hörrohre (1890)

Beethoven aus, der zutiefst mit seinem Schicksal haderte und dennoch das über ihn verhängte Los in dieser oder jener Form zu überwinden suchte. Darum ist die Kerkerszene im Fidelio (Nr. 11), die Beethoven kurz danach konzipierte und in der Florestan von seinem Leid als einer »schweren Prüfung« spricht, auch Ausdruck jener tiefen menschlichen Krise, die Beethoven selbst zu diesem Zeitpunkt durchmachte.38 96

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IV So viel zur inneren Identifikation Beethovens mit seiner Florestan-Figur.39 Durch sie konnte er all das in Worte und Klänge umsetzen, was ihn damals bedrückte: seine menschliche Isolierung und zugleich seinen Wunsch, diesen Zustand der Verlassenheit nicht nur durch eine allgemeine Menschenverbrüderung, sondern auch durch eine persönliche Liebesbeziehung zu überwinden. Die Zeit, in der er seinen Fidelio komponierte, ist nämlich auch die Zeit, in der er sich am stärksten nach einer ehelichen Verbindung mit einer zu ihm passenden Frau der Wiener Gesellschaft sehnte. Wir wissen in dieser Hinsicht vor allem um seine Bemühungen um Josephine von Deym, geborene Brunsvik de Korompa, die in einer unglücklichen Ehe lebte und deren Mann, der fast 30 Jahre älter war als sie, am 27. Januar1805 plötzlich starb. Josephine, die 1779 geboren war, wurde also schon mit 26 Jahren Witwe. Nach den Briefen zu urteilen, die Beethoven im Winter 1804/1805 an sie schrieb,40 muss seine Neigung zu ihr höchst intensiv gewesen sein und noch bis zum Jahr 1806 angedauert haben. Ja, Beethoven, der sie anfangs auch als Schülerin im Klavierspiel unterrichtete, widmete ihr sogar eine Folge von Variationen (WoO 74) und schrieb für sie im März 1805 das Lied An die Hoffnung, das jedoch später als op. 32 ohne eine Widmung an sie erschien. Doch nach allem, was wir über diese Liebesbeziehung wissen, lehnte Josephine von Deym den auch von ihr geliebten Beethoven – wegen seines misstrauischen, störrischen Wesens, das sich mit zunehmender Taubheit verstärkte, und wohl auch im Hinblick auf ihre vier unmündigen Kinder – nach reiflicher Überlegung schließlich doch als möglichen Ehekandidaten ab.41 Aufgrund dieser Fakten haben vor allem Harry Goldschmidt42 und Marie-­ Elisabeth Tellenbach43 in Josephine von Deym Beethovens »Unsterbliche Geliebte« gesehen, an die er jenen berühmten, aber undatierten und nie ab­ge­ schickten Brief verfasste, der die Beethoven-Forschung lange Zeit in Atem gehalten hat, bis Maynard Solomon diese Frau schließlich in Antonie Brentano, geborene von Birkenstock, entdeckt zu haben glaubte.44 Doch daran soll hier nicht weiter herumgerätselt werden. Was feststeht, ist lediglich Folgendes: Gerade in dem Zeitraum, als Beethoven an seinem Fidelio arbeitete, sowie in den kurz darauf folgenden Jahren scheint seine Sehnsucht nach einer möglichen Ehepartnerin besonders groß gewesen zu sein. Doch diese Sehnsucht blieb unerfüllt. Demzufolge ergab sich Beethoven – trotz seines heftigen Verlangens nach einer partnerschaftlichen Beziehung – schließlich in sein Schicksal, wohl auf ewig allein bleiben zu müssen. Von dem »Engel meines Herzens«, wie er Josephine in seinen Briefen gern nannte, blieb daher als Leitfigur seiner Utopisches in Beethovens Fidelio

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Wunschvorstellungen nur jene Leonore seines Fidelio übrig, in die Beethoven alles hineinlegte, was er von einem »liebenden Weib« erwartete: Edelmut, Hingebungsbereitschaft, Idealismus, allgemeine Menschenliebe und unwandelbare Treue. Und so ist seine Leonore, obwohl es in dieser Oper eigentlich zentral um die Befreiung des in seiner Wahrheitsliebe aufrührerischen Florestan und der mit ihm eingekerkerten politischen Gefangenen geht, doch für dieses Werk von ebenso entscheidender Bedeutung. Sie setzt die ganze Handlung in Bewegung, sie drängt darauf, die Gefangenen gegen Ende des ersten Aktes für eine Weile aus ihren Verliesen zu lassen, sie beredet Rocco, sie in den tiefsten Kerker mitzunehmen, wo sich jener geheimnisvolle Hauptgefangene befindet, in dem sie zu Recht Florestan vermutet, und sie zückt schließlich die Pistole gegen den tyrannischen Pizarro und verhindert dadurch die Ermordung ihres mit allen Fasern ihres Herzens geliebten Ehemanns. Was für eine Leonore, für die sich in der Opernliteratur des 18. Jahrhun­ derts – außer vielleicht den gluckschen Iphigenien und einigen Hero­inen in den Befreiungsopern der Französischen Revolution – kaum irgendwelche Vorbilder finden. In den Opern vor Beethoven hatten, etwas vereinfacht gesprochen, im Hinblick auf das weibliche Geschlecht meist folgende, kaum variierte Grundtypen im Vordergrund gestanden: erstens das sinnlich-­rücksichtslose Machtweib, zweitens die unter der Untreue ihres Mannes leidendende hochherrschaftliche Dame und drittens das klug-intrigante Frauenzimmer aus den unteren Ständen. Im Gefolge der damals noch dominierenden Ständeklausel hatten demnach in der Opera seria stets Frauen der oberen Stände, ob nun aktiv-­ aggressiv oder passiv-­trauernd, die Szene beherrscht. Man denke an all jene Frauengestalten von Claudio Monteverdis Poppea bis hin zu Händels Agrippina und Cleopatra, die sich jeder nur denkbaren Damentaktik bedienen, um sich den Weg zum Thron zu bahnen, oder an all jene leidenden Königinnen von Monteverdis Octavia bis hin zu Händels Rodelinda, die aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit von sinnlich leicht verführbaren Cäsaren oder Herrscherfiguren entweder verbannt oder gar umgebracht werden. Und man erinnere sich im Hinblick auf die Opere buffe, in denen sich die gescheiten Frauenzimmer der niederen Stände in Werken wie Das herrsch-süchtige Camer-­Magden Pimpinone (1725) von Georg Philipp Telemann, La serva padrona (1735) von Giovanni Battista Pergolesi, Il Barbiere di Siviglia (1782) von Giovanni P ­ aisiello oder Il matrimonio segrete (1792) von Domenico Cimarosa irgendwelcher Intri­ gen bedienen, um gegen den Willen ihrer Väter oder ihres Vormunds jenen Mann zu heiraten, den sie wirklich lieben, oder die als Dienstmädchen ihren dümmlichen Herrn so lange unter Druck setzen, bis er sie schließlich zur 98

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Hausherrin macht. Wie weit ist Beethoven von all dem entfernt! Seine Leonore ist eine heroische Gestalt, die sich nicht an die übliche Rollenfixierung gebunden fühlt, sondern mit der ganzen Stärke ihres Charakters für Ziele eintritt, in denen sie sowohl ihre individuelle als auch ihre menschheitliche Erfüllung zu finden sucht.

Abb. 21  V. R. Gröner: Pizarro will Florestan erstechen (1815). Wiener Hoftheater-Almanach Utopisches in Beethovens Fidelio

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Demzufolge schließt diese Oper nicht nur mit dem Jubelgesang der Befreiten, endlich wieder das Licht der Freiheit zu erblicken, sondern auch mit der ebenso bewegenden Szene, in der sich Florestan und Leonore in die Arme fallen und nur noch stammeln können: »O Gott! – welch ein Augenblick« und »O unaussprechlich süßes Glück«. Zutiefst gerührt durch den Mut dieser Frau stimmen darauf alle Anderen in jenen Hymnus ein, welcher diese beiden Zeilen noch einmal emphatisch wiederholt und dann zu dem Schlusschor ausholt: »Wer ein holdes Weib errungen, / stimm in unsern Jubel ein!« Einen noch besseren Schluss hätte diese Oper gar nicht haben können. Diese glückliche Wendung wird zwar gegen Ende auch durch die Ankunft des benevolenten, fast an einen Vertrauten Josephs II. gemahnenden Ministers Fernando miteingeleitet, aber sie ist zugleich das Ergebnis der ausdauernden, ja, sogar den Tod nicht fürchtenden Beharrlichkeit Florestans sowie jener alle bisher geltenden Geschlechtsschranken hinter sich lassenden Leonore, die nicht zögert, selbst einem übermächtigen Tyrannen wie Pizarro Paroli zu bieten. So gesehen ist diese Oper eine Kulmination vieler, wenn nicht aller Wunschvorstellungen, die Beethoven zu diesem Zeitpunkt hegte. Indem er in ihr das Politische aufs Engste mit dem Persönlichen verband, geht die Botschaft dieses Werks weit über den damals üblichen Typ der Rettungs- oder Revolutionsoper hinaus. Sie ist nicht nur eine vom Geist der Französischen Revolution inspirierte Zeitoper (obwohl sie das auch ist), sondern zugleich ein Werk von einer hohen utopischen Qualität, das gegen Schluss jenen »erfüllten Augenblick« menschlicher Verwirklichung beschwört, der sich nur als erträumter Vorschein auf »bessere Welten« zu erkennen gibt. Deshalb wäre es müßig, zu diskutieren, ob sich dieses Werk in seiner politischen Orientierung als josephinisch oder jakobinisch deuten lässt; ob es in seiner Beschwörung »Gottes« noch christliche Elemente enthält oder ob es bereits von rein säkularen Glücksvorstellungen ausgeht; ob die Befreiung der Gefangenen nur durch einen Zufall, das heißt die Ankunft des Ministers, oder durch Fidelios kühnes Eingreifen herbeigeführt wird. Auf alle diese Fragen gibt es keine eindimensionalen Antworten. Schließlich ging es Beethoven zwar auch um die Erfüllung der Forderungen nach »Liberté, Égalité et Fraternité«, aber doch weniger in einem zeitpolitischen als in einem menschheitlichen Sinne. Mit diesem Werk wollte Jemand nicht nur ein musikalischer Vollstrecker der Französischen Revolution sein, sondern bäumte sich zugleich gegen die politische Misere aller Zeiten auf, in denen idealistische Ansprüche hinter einem tyrannischen Machtstreben oder vom Schicksal verhängten Leiden zurückstehen müssen. In ihm beschwor dieser Jemand jenen »erfüllten Augenblick«, wie er nur in Werken mit utopisch-messianischen Hoffnungen 100

»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde«

aufleuchtet. Genauer gesehen werden hier jene »besseren Welten« anvisiert, die – in den Worten Ernst Blochs – lediglich auf jenem »Stern der Hoffnungen« zu finden sind,45 auf dem eine allgemeine Brüderlichkeit oder besser Mitmenschlichkeit herrscht,46 wie sie auch von anderen idealistisch ausgerichteten Utopien dieses Zeitraums ins Auge gefasst wurde. Am Schluss dieser Oper steht daher nicht nur das »hohe Paar« Florestan und Leonore auf der Bühne, sondern auch eine aus allen Ständen zusammengesetzte Menschenmenge, die jenes bessere Volk verkörpert, das sich nicht mehr unter den Machtwillen eines willkürlich handelnden Tyrannen beugt. In dieser Szene herrscht für einen Augenblick der Moment jener »erfüllten Hoffnungen«, wo sich »Gerechtigkeit« mit »Huld« vereint, wo jeder Mensch endlich seinen Mitmenschen findet und wo schließlich alle in einen gemeinsamen »Jubel« einstimmen (Nr. 18).47 Dementsprechend mündet das Ganze in ein Hohes Lied der Freiheit, hinter dem eine so starke Tendenz ins Universale steht, dass man es weder auf eine Siegeshymne im Kampf gegen Napoleon noch auf einen »Aufschwung aus dem Irdischen in das unbegreiflich Himmlische« reduzieren sollte.48 Hier werden seelische Energien freigesetzt, die auch heute noch auf jeden ähnlich denkenden und empfindenden Menschen – trotz aller historischen Spezifizität des Textes und der Musik – wegen ihres utopischen Mehrwerts eine ungeheure Wirkung ausüben können. Dietmar Holland schrieb daher zu Recht: »Gegen Ende geht es um mehr als die Überwindung Pizarros. Die Musik verschmilzt zwar mit der Bühnenaktion, aber sie illustriert sie nicht. Nach der Fanfare bricht sie in einen unbeschreiblichen Befreiungstaumel aus, der alle Worte übersteigt. Das ist Beethovens unverzichtbare Botschaft, Mut zu machen, dass um Freiheit zu kämpfen sich lohnt.«49

Utopisches in Beethovens Fidelio

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»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?« Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien

Während Haydn noch in publikumsgefälliger Manier 104 Symphonien zu Papier bringen und aufführen konnte, ja, es selbst Mozart in seinem kurzen Leben auf 41 Symphonien brachte, hat Beethoven nur neun Symphonien komponiert. Schon in diesem Quantitätsunterschied drückt sich ein unüberhörbarer Wandel in der Auffassung symphonischer Musik schlechthin aus. War die im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Orchestersuite hervorgegangene Symphonie vor Beethoven – von wenigen Ausnahmen abgesehen – noch ein weitgehend ohrenerfreuendes Vorspiel, mit dem man abendfüllende Konzerte einzuleiten pflegte, wurde sie seit Beethoven zu einem höchst anspruchsvollen Bekenntniswerk, welches um seiner selbst willen geschätzt werden sollte, in das die jeweiligen Komponisten die gesamte Empfindungsfülle ihrer Persönlichkeit hineinzulegen versuchten. Und das ging nicht mehr in gefälligen Serienkompositionen. Deshalb haben fast alle bedeutenden Komponisten seit Beethoven, ob nun Franz Schubert, Felix Mendelssohn, Robert Schumann, Johannes Brahms, Anton Bruckner, Gustav Mahler, selten mehr als vier oder neun Symphonien komponiert. Schon Beethovens 1. Symphonie in C-Dur (op. 21)‚ der bisher in seinem Œuvre – außer seinen beiden frühen Klavierkonzerten – nur kammermusika­ lische Werke vorangegangen waren, hat diesen »bekennerischen« Charakter. Ihre Steigerungen sind intensiver, ihre Bläserklänge herausfordernder, ihre Paukenschläge dröhnender als die fast aller seiner Vorgänger auf diesem Gebiet. Allerdings finden sich hier noch keine programmatischen Anklänge, die auf den ideologischen Hintergrund seiner aufbrausenden, ja, teilweise ins Stürmische übergehenden Kompositionsbemühungen verweisen. Schließlich hatte Kaiser Franz II. – als Reaktion auf die Französische Revolution – zu Beginn der neunziger Jahre alle noch von Joseph II. geförderten »aufklärerischen Bemühungen« 102

»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?«

kurzerhand unterdrückt und 1795 sogar die Ordre erlassen, einige der führenden Wiener Jakobiner hinrichten zu lassen. Darauf waren selbst Beethovens frühe Förderer, wie der freimaurerisch gesinnte Karl Alois Johann Fürst Lichnowsky, bei öffentlichen Auftritten wesentlich vorsichtiger geworden und hielten sicher auch den jungen Beethoven an, seinen politisch-rebellischen Überzeugungen lieber in Noten als in Worten Ausdruck zu verleihen. Und das tat Beethoven dann auch, und zwar nicht nur in seiner 1., sondern auch in seiner 2. Symphonie in D-Dur (op. 36), die er seinem Gönner Lichnowsky widmete und im April 1803 im Theater an der Wien uraufführen ließ. Trotz aller ideologischen Zurückhaltung ertönen hier demnach schon im ersten Satz – unter der für Beethoven charakteristischen Satzbezeichnung »Allegro con fuoco« – die gleichen aufbrausenden Klänge wie in der voraufgegangenen Symphonie, wenn auch ebenfalls noch ohne irgendeinen zeitpolitischen Bezug. Doch während der Uraufführung dieses Werks arbeitete Beethoven bereits an seiner 3. Symphonie in Es-Dur (op. 55), die genau ein Jahr später ihre erst halb öffentliche und dann öffentliche Premiere erlebte. In ihr ließ er – als ehemals linksrheinischer Sympathisant der Französischen Revolution – plötzlich seinem bisher verhaltenen Groll gegen den reaktionären Charakter des nachjosephinischen Wien freien Lauf und bekannte sich in aller Offenheit zu dem viele bürgerliche Liberale dieser Jahre in Begeisterung versetzenden jungen Napoleon Bonaparte, in dem sie den Hauptgegner des feudalaristokratischen Ancien régime, das heißt nicht den Bändiger, sondern den Vollstrecker der Ideen der Französischen Revolution sahen. Schon dass Beethoven dieser Symphonie den Titel »Bonaparte« gab, war geradezu revolutionär. Schließlich hatte besagter Bonaparte den Österreichern im Jahr 1800 in der Schlacht von Marengo eine vernichtende Niederlage beigebracht. Ja, Beethoven, was noch provozierender war, beabsichtigte sogar ursprünglich, seine 3. Symphonie nicht in Wien, sondern in Paris – im Zentrum der »neuen Welt« – uraufführen zu lassen. Trotz aller militärischen Anklänge ist dieses Werk keine Schlachtensymphonie, sondern ein politisches Konfliktgemälde, dessen musikalische Sub­ stanz eher in der Revolutions- als in der Kriegsthematik begründet ist. Wer die gleiche Gesinnung wie Beethoven hatte, glaubte damals in ihr, wie Boris Assafjew schreibt, »die appellartigen Ausrufe der Redner und Volksführer, die dem Auftreten von Flut und Ebbe vergleichbaren Wellen von Stimmen aus den Volksmassen« sowie die »Rhythmusintonationen der Trommeln, welche die Feinde der Revolution mit Schrecken erfüllen und die Revolutionäre in freudige Erregung versetzen«, zu vernehmen.1 Wie in so vielen Werken der französischen Revolutionsmusik manifestiert sich auch in diesem Werk jener zum Handeln Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien

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aufrufende Aktivismus, jener »Élan terrible«, mit dem man die Volksmassen während der Französischen Revolution immer wieder zu neuen Begeisterungsstürmen hinzureißen versuchte. Wie in der Musik von Revolutionskomponisten, ob nun Rodolphe Kreutzer, François-Joseph Gossec, André-Ernest-Modeste Grétry und Étienne-Nicolas Méhul, sollte diese »Sinfonia eroica« ihre Hörer in einen emotionalen Tumult versetzen, um ihnen Mut zu geben, ebenfalls für die Ideale von »Liberté, Égalité et Fraternité« in den Ring zu treten. Die Nachricht, dass sich Bonaparte am 18. Mai 1804 in Paris mit selbstherrlicher Attitude zum Kaiser gekrönt hatte, muss daher Beethoven einen tiefen Schock versetzt haben. Wie wir wissen, strich er daraufhin die Widmung »Intitulata Bonaparte« auf der Titelseite seiner Eroica kurzerhand durch. Doch die Partitur dieses Werks vernichtete Beethoven keineswegs. Als dann die 3. Symphonie 1806 im Druck erschien, trug sie den mysteriösen und doch höchst offenkundigen Titel »Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire d’un granduomo«. Das klang fast so, als ob es sich bei diesem »granduomo«, diesem »großen Mann«, um einen Toten handele. Danach taucht Napoleon in Beethovens Denken und Werken fast kaum noch auf. Wenn er sich nach 1806 weiterhin auf ihn bezog, dann nur in negativer Form, das heißt als Symbol des Egoistischen und Tyrannischen. Die »Erinnerung an die Revolution« blieb jedoch bei Beethoven auch weiterhin wach, erhielt jedoch in der Folgezeit im Verlauf der Befreiungskriegsstimmung zwischen 1813 und 1815 ganz andere politische Akzentsetzungen. In seiner 4. Symphonie in B-Dur (op. 60), die im Spätsommer und Herbst 1806, also in einer relativ kurzen Zeitspanne entstand und im März 1807 im Palast Lobkowitz uraufgeführt wurde, verzichtete dagegen Beethoven von vornherein auf alles »Bekennerische«, um nicht noch einmal in seinen utopischen Hoffnungen auf eine zunehmende Liberalisierung der Zeitumstände enttäuscht zu werden. Aufs Große und Ganze gesehen, wirkt sie in ihrer formalen Geschlossenheit wie eine Reprise der 1. und 2. Symphonie, das heißt enthält – im Gegensatz zur Eroica – keine programmatischen Anklänge, wodurch sie etwas im Schatten ihrer wesentlich berühmteren Nachbarsymphonien blieb. Ja, selbst in seiner 5. Symphonie in c-Moll (op. 67), deren Komposition er im März 1808 abschloss und die später wegen ihres vierfach pochenden Klopfmotivs im ersten Satz gern als »Schicksalssymphonie« bezeichnet wurde, verzichtete Beethoven wiederum auf irgendwelche Tonzusammenstellungen, die sich als programmatisch deuten ließen. Dass er mit diesem Werk dem »Schicksal in den Rachen greifen wollte«, wie es in der Presse öfters hieß, hat zwar metaphorisch gesprochen etwas Bestechendes, sagt aber wenig über ihren 104

»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?«

eigentlichen Bedeutungsgehalt aus. Falls sich dieser überhaupt entschlüsseln lässt, liegt ihm als Zielutopie sicher jene auch von anderen Aufklärern dieser Ära angestrebte Wendung aus dem Dunkeln ins Hellere zugrunde, die Hanns Eisler später mehrfach mit den Worten »Per aspera ad astra« umschrieben hat. Schließlich ertönen in ihrem ersten Satz weitgehend düstere c-Moll-Akkorde, während sich der vierte Satz mit seinen aufsteigenden C-Dur-Motiven, im Zuge eines »Éclat triumphale«, wie man das in der Musik der Französischen Revolution genannt hatte, in geradezu atemberaubende Höhen versteigt. Wie in so vielen Werken der Aufklärung scheint auch hier das strahlende Licht der Sonne den Sieg über die Mächte der Finsternis davonzutragen – eine ideologische Bildvorstellung, die Beethoven vor allem an Mozarts Zauberflöte bewunderte. Fast zur gleichen Zeit arbeitete er an seiner 6. Symphonie in F-Dur (op. 68), die er selbst als seine »Pastorale« bezeichnete. Dieser Begriff wurde zwar schon im 17. Jahrhundert im Hinblick auf bestimmte Sätze verwendet, mit denen man sogenannten Weihnachtskonzerten eine Wendung ins Schäferliche zu geben versuchte, ja, erfreute sich sogar noch im 18. Jahrhundert im Rahmen gewisser programmatischer Suiten einer unverminderten Beliebtheit, bekam jedoch erst in Beethovens 6. Symphonie einen deutlich bekennerischen Charakter. Im Zuge eines gesteigerten Verlangens nach Betonung der subjektiven Eigenart im Rahmen größerer Emanzipationsbestrebungen geht es in diesem Werk nicht nur um eine ins Metaphorische überhöhte Schäferlichkeit oder ein als »bäuerlich« ausgegebenes Stimmungsgemälde, sondern um Beethovens eigene Begeisterung für alles Unhöfische, Naturhafte, Unkomplizierte, das weder einer forcierten Ästhetisierung noch einer religiösen Verbrämung bedarf. Das drückt sich vor allem im ersten Satz aus, den er mit der programmatischen Überschrift »Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande« versah, wo man nicht nur das Rollen der Postkutsche auf einer der Landstraßen außerhalb Wiens, sondern auch Beethovens befreites Aufatmen zu vernehmen glaubt, endlich aus der Enge der Stadt ins »Freie« gelangt zu sein. Im zweiten Satz, der den Titel »Szene am Bach« trägt und dem nicht nur ein melodisches Wasserrauschen zugrunde liegt, sondern der selbst die Imitation bestimmter Vogelstimmen nicht verschmäht, glaubt man Beethoven als frohgestimmten Wanderer wiederzutreffen. Statt des herkömmlichen Scherzos folgen danach noch ein Tanz der Bauern und ein sich in mächtigen Donnerschlägen entladendes Gewitter. Beschlossen wird das Ganze mit dem Satz »Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm«, in dem sich Beethoven musikalisch unter die nach dem Unwetter dankbar aufatmenden Landleute zu mischen scheint. Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien

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Anschließend verstrichen mehrere Jahre, bis Beethoven wieder an die Ausarbeitung einer neuen Symphonie ging. An ihr, seiner 7. Symphonie in A-Dur (op. 92), arbeitete er von 1811 bis zum Frühjahr 1812. Ihre Uraufführung erlebte sie allerdings erst im Dezember 1813 in Wien. Dass ihr ein besonders großer Erfolg beschieden war, hängt weitgehend damit zusammen, weil sie vom Publikum als ein Werk der siegreichen Befreiungskriege aufgefasst wurde. Bei ihrer Premiere erklang sie vor zwei Orchestermärschen von Ladislaus Dussek und Ignaz Joseph Pleyel sowie Beethovens Tonpoem Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria, das heißt Beethovens sogenannter »Schlachtensymphonie«, mit der sein »lange gehegter Wunsch«, wie er selber schrieb, »unter den gegenwärtigen Zeitumständen auch eine größere Arbeit auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen«,2 endlich in Erfüllung gegangen sei. Ja, nicht nur im Donner der Schlachtensymphonie, sondern auch in den Marschrhythmen des vierten Satzes der 7. Symphonie glaubten damalige Hörer den wuchtigen Schritt der siegreich gegen Napoleon vorrückenden Truppen zu vernehmen, durch die man den selbstherrlichen französischen Empereur endlich bezwungen und über den Rhein zurückgedrängt habe. Deshalb stimmte nach den Aufführungen dieser beiden Symphonien das Wiener Publikum den gleichen Jubel an, welchen es ein Jahr später der Neubearbeitung von Beethovens Fidelio spendete, dem als Rettungs- und Befreiungsoper im Sinne der Französischen Revolution bei den Erstaufführungen der Jahre 1805/06 wegen ihrer rebellischen Intonationen noch kein Erfolg beschieden war, der aber jetzt als Ausdruck einer Befreiung von Tyrannenwillkür auf eine höchst aufnahmebereite Zuhörerschaft traf. Dagegen unterließ Beethoven bei seiner 8. Symphonie in F-Dur (op. 93), an der er ebenfalls im Jahr 1812 arbeitete und die ihre erste öffentliche Aufführung im Jahr 1814 erlebte, seltsamerweise alle von ihm erwarteten »hero­ ischen« Gesten und kehrte, wie schon in seiner 4. Symphonie, abermals zu den Formschemata seiner ersten beiden Symphonien zurück. Allerdings verzichtete er auch in diesem Werk im Kopf- und Schlusssatz keineswegs auf ein vorwärtsdrängendes »Allegro vivace«, ja, benutzte hier sogar erstmals die bisher ausschließlich in der Militärmusik verwendeten F-Trompeten und gebrauchte am Schluss des Finales, wie schon in seiner 7. Symphonie, als Vortragszeichen zweimal ein dreifaches »forte«, was der Berichterstatter der Allgemeinen musikalischen Zeitung im Jahr 1818, als sich die politische Situation nach den Befreiungskriegen wieder etwas »beruhigt« hatte, als »allzu kreischend« empfand.3 Danach hat Beethoven längere Zeit keine Symphonie mehr komponiert. Die forcierte Rückwendung zu den Herrschaftsformen des Ancien régime, die 1815 – nach der endgültigen Verbannung Napoleons auf die Insel St. Helena – 106

»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?«

auf dem Wiener Kongress von den dort versammelten Fürsten beschlossen wurde, musste alle, die sich von dem Sieg über Napoleon eine Erweiterung ihrer demokratischen Rechte versprochen hatten, notwendig verbittern. Wie wir wissen, konnte sich Beethoven in der Zeit von 1815 bis 1820 – außer dem Liederkreis An die ferne Geliebte (op. 98) sowie der Hammerklaviersonate (op. 106) – zu nichts Neuem entschließen. Was sollte ihn, den stets freiheitlich gestimmten Rebellen, jetzt noch begeistern? Wenn er die politische Situation überdachte, wütete eher »Gift und Galle« in ihm, wie einer seiner Zeitgenossen schrieb. Beethoven selber erklärte 1817: »Was mich belangt, so ist geraume Zeit meine Gesundheit erschüttert, wozu auch unser Staatszustand nicht wenig beiträgt, wovon bisher noch keine Verbesserung zu erwarten, wohl aber sich täglich Verschlimmerung ereignet.«4 Aufgrund solcher ins Düstere tendierenden Anwandlungen schloss er im April des gleichen Jahres einen Brief an einen Freund in Prag mit den Sätzen: »Leben Sie wohl. – Übrigens macht einen alles um uns nahe her ganz verstummen.«5 Aber Beethoven wäre nicht Beethoven gewesen, wenn er sich nicht schon 1820 unter der Maxime »Weitermachen auch in finsteren Zeiten« wieder zu neuen Kompositionen aufgerafft hätte, statt sich lediglich Stimmungen der Hoffnungslosigkeit oder gar des Verzichts hinzugeben. Und zu jenen Werken, in denen er dieses »Weitermachen« in Töne zu übersetzen versuchte, gehört – neben der Klaviersonate (op. 111) mit ihrem weit ausgesponnenen zweiten Satz – vor allem seine 9. Symphonie in d-Moll (op. 125), an der er von Anfang 1823 bis Anfang 1824 arbeitete. Während sich um ihn herum eine weithin ins Biedermeierliche trivialisierte Harmlosigkeit verbreitete, deren ideologische Absicht darin bestand, den Eindruck eines wohlgeordneten, das heißt auf ständestaatlichen Prinzipien beruhenden Gesellschaftszustands zu erwecken, versuchte Beethoven in diesem Werk noch einmal alles aufzubieten, was im Zentrum der aufklärerischen Emanzipationsbestrebungen des späten 18. Jahrhunderts gestanden hatte. Und er war widerborstig genug, das nicht nur mit musikalischen Mitteln ausdrücken zu wollen, sondern griff dabei im vierten Satz sogar als Textgrundlage auf ein Gedicht des jungen Friedrich Schiller, nämlich die Ode An die Freude zurück, welche einige illuminatisch gesinnte Studenten, wenn auch auf eine andere Melodie, schon während der Anfangsjahre der Französischen Revolution auf den Straßen von Jena gesungen hatten. Vor allem den Zeilen »Alle Menschen werden Brüder« sowie »Seid umschlungen, Millionen! / Diesen Kuß der ganzen Welt!« gab Beethoven einen so emphatischen Ausdruck, dass er – wie bereits Florestans Traum von den »besseren Welten« in seiner Fidelio-Oper – kaum noch singbar ist, sondern musikalisch Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien

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fast ans Utopisch-Unerreichbare grenzt. All das war – vor dem Hintergrund der machtvoll durchgeführten metternichschen Restaurationsbestrebungen – absolut kühn. Einer seiner späten Konversationspartner fragte ihn daher verwundert: »Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?«6 Dass Beethoven diese Symphonie in Wien überhaupt aufführen durfte, hatte er vor allem seinem im Laufe der Jahre erworbenen internationalen Prestige zu verdanken. Obendrein waren die maßgeblichen Autoritäten klug genug, Beethoven nicht durch irgendwelche Verbote den Rang eines bedauernswerten Märtyrers zu verleihen. Also ließ man ihn gewähren – zumal ein anspruchsvolles Werk wie die 9. Symphonie unter den damaligen Konzertbedingungen ohnehin nur selten aufgeführt werden konnte. Und wenn es einmal erklang, wurde es – wie auch andere Spätwerke Beethovens – von manchen mit der metternichschen Politik übereinstimmenden Kritikern als das Werk eines taub gewordenen Komponisten hingestellt, das streckenweise ins Bizarre, wenn nicht gar Unaufführbare übergehe. Dass Beethovens Symphonien in den Rang kaum zu überbietender Meisterwerke aufstiegen, ist weitgehend den großen Dirigenten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verdanken. Allerdings setzte dabei nach der gescheiterten Achtundvierziger-Revolution, wie schon nach dem Wiener Kongress von 1815, ein weiterer Rückgang liberaldemokratischer Freiheitshoffnungen ein. Und das führte zu einer bewussten oder unbewussten Verkennung von Beethovens politästhetischen Absichten. Statt bei der Interpretation seiner Werke die von ihm angestrebte Synthese subjektiver und zugleich kollektiver Emanzipationsbestrebungen in den Vordergrund zu rücken, die auf den Leitideen der Französischen Revolution von 1789 beruhten, wurden jetzt seine Symphonien, vor allem nach dem siegreichen Abschluss des Kriegs von 1870/1871, als Ausdruck eines spezifisch deutsch-heroischen Geistes hingestellt. Noch heldenhaftere Züge nahm das Beethoven-Bild bei den nationalistisch gestimmten Schichten im Ersten Weltkrieg und dann während des Dritten Reiches an. Statt weiterhin den gründerzeitlichen Bismarck-Beethoven zu beschwören, wurde jetzt in reaktionären Kreisen immer stärker der »völkische« Beethoven herausgestrichen, in dessen Symphonien eine »arische Willenskraft« zum Ausdruck komme, die es im Kampf gegen alles »Undeutsche« und damit »Kulturlose« einzusetzen gelte.7 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs im Mai 1945 setzte dagegen in der Wertschätzung der beethovenschen Symphonien eine deutliche Rückwendung zum Konzept der zutiefst »humanisierenden« Wirkung dieser Werke ein. Während in Ostdeutschland dabei vor allem ihre innige Verbundenheit mit den Ideen der bürgerlichen Aufklärung betont wurde, wich man in der ehe108

»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?«

maligen Bundesrepublik bei der Einschätzung seiner Symphonien anfangs lieber ins Formalistische oder Essentielle aus. Erst im Zuge jener Liberalisierungswelle, die sich im Gefolge der Achtundsechziger-Bewegung entwickelte, ging man auch hier wieder stärker auf die historisch bedingten Impulse seiner Werke ein, um auf diese Weise sowohl den Übersteigerungen ins Heroisch-­ Nationalistische als auch den Ausflüchten ins Abstrakt-Formalistische Paroli zu bieten. Allerdings wurde diese Sicht bereits kurz darauf weitgehend von Beethoven-Einschätzungen verdrängt, welche eher ins Psychologische, Wahrnehmungstheoretische, Ereignishafte oder Postmodernistische tendierten, die im Zeichen jener »Neuen Unübersichtlichkeit« standen, von der Jürgen Habermas in den achtziger und neunziger Jahren so gern sprach.8 Entgegen solchen Tendenzen wäre es angebracht, Beethovens Symphonien wieder wesentlich »konkreter« zu hören. Das bedeutet nicht, sich möglichst kongenial in den politischen Geist der Ära von 1789 bis 1827 einfühlen zu wollen. Schließlich wiederholt sich Geschichte nie direkt. Was an diesen Werken beerbbar ist, sind nicht die Ideen der Französischen Revolution, die inzwischen eine weitgehend andere Zielrichtung angenommen haben, sondern die »Haltungen«, die sich in ihnen ausdrücken. Und das waren in seinem Fall die des Trotzigen, des Sich-Aufbäumens, des Anfeuernden, ja, des im besten Sinne auf mehr soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit Drängenden. Und wer wollte leugnen, dass diese Haltungen – solange wir noch immer nicht in jenen von allen großen Menschheitsfreunden anvisierten gesellschaftlichen Utopien leben – keineswegs veraltet sind.9

Ideologische Grundimpulse seiner neun Symphonien

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»Heil dir, Germania!« Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

Nachdem in deutsch-chauvinistischen Kreisen Beethovens Musik immer wieder als Inbegriff eines spezifisch germanischen Tatgeistes, ja, militärischen Heroismus hingestellt worden ist, konnte es nicht ausbleiben, dass nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches vor allem Beethovens patriotische Kompositionen zur Unterstützung der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 entweder als musikalisch minderwertig hingestellt oder völlig verschwiegen wurden. Eine Schlachtensymphonie sowie eine Germaniakantate komponiert zu haben, galt nach diesem Zeitpunkt plötzlich als schmählicher Opportunismus oder als ebenso schmähliche Profitsucht, durch die Beethoven seinen künstlerischen Genius ins politisch Servile oder unwürdig Gewinnsüchtige erniedrigt habe. Daher charakterisierte ein von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebener Musikwissenschaftler wie Alfred Einstein 1957 Beethovens patriotische Kompositionen der Jahre von 1813 bis 1815 als »den Tiefpunkt in Beethovens Schaffen« – ein Urteil,1 dem sich auch andere Beethoven-Forscher und -Forscherinnen lange Zeit nur allzu willig angeschlossen haben. Es ist nicht leicht, gegen ein solches Verdikt, dem eine tiefe Verbitterung gegen die nazifaschistische Verfälschung Beethovens zugrunde liegt, anzuschreiben. Mit einem derartigen Versuch setzt man sich zwangsläufig dem Verdacht aus, ein unbelehrbarer Nationalist zu sein. Doch im Hinblick auf den nationaldemokratischen Geist der Befreiungskriege sind solche Vorwürfe letztlich unangebracht. Schließlich herrschte damals noch kein präfaschistischer Rassenhochmut und Eroberergeist, sondern lediglich ein gerechter Zorn auf die französische Besetzung Deutschlands, der sich bei vielen Menschen nicht nur mit der Hoffnung auf die Befreiung von den Franzosen, sondern zugleich mit der Hoffnung auf die Befreiung von der feudalabsolutistischen Unterdrückung durch die deutschen Fürsten verband.2 Das gilt in besonderem Maße für Beet110

»Heil dir, Germania!«

hoven, der seit den frühen neunziger Jahren aus seiner Abneigung gegen die Regierungsformen des Ancien régime und seiner Sympathie mit allen nach größerer Freiheit drängenden Bestrebungen nie ein Hehl gemacht hatte. Beeinflusst durch den Illuminaten Christian Gottlob Neefe und den Jakobiner Eulogius Schneider3 war er schon in seiner Frühzeit in Bonn für die Ideen von »Liberté, Égalité, Fraternité« eingetreten, was vor allem in seiner Trauerkantate auf den Tod Kaiser Josephs II. (1791) zum Ausdruck kommt. Danach hatte er sich in Wien mit dem heroischen Ballett Die Geschöpfe des Prometheus (1801) sowie der Eroica-Symphonie (1804) – mehr oder minder offen – zu dem durch Napo-

Abb. 22 Peter Krafft: Erzherzog Karl in der Schlacht bei Aspern am 22. Mai 1809, dem ersten österreichischen Sieg über Napoleon (1810). Wien, Heeresgeschichtliches Museum Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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leon weitergeführten Geist der Französischen Revolution bekannt. Erst nachdem sich Napoleon zum Kaiser erhob und mit seinen Armeen halb Europa in seine Gewalt zu bringen versuchte, musste Beethoven schmerzlich einsehen, dass sich dieser Herrscher weniger als Vollstrecker denn als Bändiger der Französischen Revolution verstand und vor allem auf seinen eigenen Ruhm sowie die Ausplünderung großer Teile Europas zugunsten Frankreichs bedacht war. Kein Wunder daher, dass Beethoven – als politisch leicht entzündlicher Mensch – seit dem Sieg des Erzherzogs Karl über Napoleon in der Schlacht bei Aspern am 22. Mai 1809 und dann verstärkt seit 1813 mit der in Wien von Jahr zu Jahr anschwellenden Befreiungskriegsgesinnung zu sympathisieren begann. Wie viele der enttäuschten Parteigänger der Französischen Revolution und des jungen Napoleon sah auch er die Möglichkeit einer Befreiung der unterdrückten Völker und einer Heraufkunft jener bereits in seinem Fidelio beschworenen »besseren Welten« jetzt nur noch in dem Versuch, sich des »Ungeheuers« Napoleon durch einen gesamteuropäischen Freiheitskrieg zu entledigen. Und wie schon in seinen frühen Jahren in Bonn und Wien verband er damit erneut die Hoffnung einer Wendung zu einer allgemeinen Menschheitsverbrüderung, selbst wenn hiermit das Opfer eines schweren Waffengangs verbunden wäre, um dadurch endlich ein Zeitalter des »ewigen Friedens« einzuläuten, in dem es nicht mehr um feudalaristokratische Machtbestrebungen, sondern vornehmlich um die soziale und kulturelle Wohlfahrt aller Menschen gehen würde. Die ersten Anzeichen einer solchen Gesinnung finden sich in Beethovens Schaffen, nachdem sich die napoleonische Armee Ende 1812 aufgrund ihrer Niederlage in Russland in ungeordneten Scharen nach Westen durchzuschlagen versuchte und ein halbes Jahr später auch die französischen Truppen in Spanien unter Marschall Jean-Baptiste Jourdan am 21. Juni 1813 bei Vittoria durch die englische Armee unter Sir Arthur Wellesley, dem Duke of Wellington, vernichtend geschlagen wurden. Damit geriet das gesamte napoleonische »System« in Europa ins Wanken und weckte in vielen Ländern die Hoffnung auf eine endgültige Befreiung von der französischen Fremdherrschaft. Und diese Erwartung erfüllte sich Mitte Oktober 1813 in der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig, in der die französische Armee – nach horrenden Menschenverlusten auf beiden Seiten – den vereinten russischen, preußischen und österreichischen Truppen unterlag und sich anschließend nach Frankreich zurückziehen musste. All das führte in Preußen und Österreich, aber auch anderen Teilen des ehemaligen Heiligen Römischen Reichs, zu vehementen Durchbrüchen pa­ triotischer Stimmungen, die zum Teil bis auf die durch Friedrich Gottlieb Klopstock und die Dichter des Göttinger Hains geweckten altdeutschen Frei112

»Heil dir, Germania!«

heitshoffnungen zurückgingen. In Beethovens Schaffen schlugen sich Stimmungen dieser Art im Jahr 1813 erstmals in zwei Liedern nieder. Das eine ist das Lied Der Bardengeist (WoO 142), dem ein Text von Franz Rudolph Hermann zugrunde liegt. In ihm wird jener seit der Ossian-Begeisterung und Klopstocks Hermann-Dramen beliebte »alte Bardengeist« beschworen, der in diesem Gedicht noch immer wie ein »Äolsharfenklang« von »hohen Felsen« in die Täler hinuntertönt und wie ein »banger, schwerer Trauersang« die Seelen aller hochgestimmten Vaterlandsfreunde bewegt. Einen ähnlichen Charakter hat das Lied Merkenstein (WoO 144) nach einem Text von Johann Baptist Rupprecht, das Beethoven kurz danach vertonte. Inhaltlich geht es diesmal um eine imposante Ruine in der Nähe von Baden bei Wien, welche in allen Menschen, die nach »der Vorzeit Bilder spähen«, ein Gefühl für die »Größe« der Vergangenheit und die »Kleinheit« der Gegenwart erweckt. Beide Lieder sind sowohl in ihrer Melodieführung als auch ihrer Begleitung äußerst einfach gehalten und wenden sich an eine »Gesellschaft von Gleichgesinnten«, wie Günther Schnitzler behauptet, die von ihnen gefühlsmäßig mitgerissen werden soll.4

Abb. 23  Europa im Jahr 1812 Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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Doch letztlich war Beethoven kein nationaler Romantiker, der sich wie Ernst Moritz Arndt oder Caspar David Friedrich weitgehend von der Größe der germanisch-­deutschen Vergangenheit inspirieren ließ.5 Ihm ging es um die politisch erlebte Gegenwart, nicht um die magisch weiterwirkende Kraft irgendeiner grauen Vorzeit. Daher konzentrierte er sich 1813 vor allem auf die Arbeit an seiner von der nationaldemokratischen Aufbruchsstimmung dieses Jahres erfüllten 7. Symphonie, die vor allem in den ungestümen Marschrhythmen des letzten Satzes zum Durchbruch kommt, sowie auf jenes Werk, in dem er Wellingtons Sieg bei Vittoria in Musik umzusetzen versuchte und das als seine Schlachtensymphonie in die Musikgeschichte eingegangen ist. Es ist bis heute nicht ganz klar, ob die Idee zu diesem Werk von Beethoven selber ausging oder ob sie von dem Hofkammermaschinisten Johann Nepomuk Mälzel an ihn herangetragen wurde.6 Fest steht nur, dass sich Beethoven verpflichtete, für einen von Mälzel im Jahr 1812 erfundenen Musikautomaten, ein sogenanntes »Panharmonikon«, eine dreiundzwanzigstimmige Partitur für Bläser, Schlagzeug und türkische Musik zu komponieren, in der es – mit dem dazugehörigen Schlachtendonner – primär um Wellingtons Sieg bei Vittoria gehen sollte. Und Beethoven ließ sich auf diesen Plan ein: einerseits weil er sich, da er stets in Finanznöten war, hiervon einen großen pekuniären Erfolg versprach, andererseits weil er von dem Sieg der Engländer über die napoleonischen Besatzungstruppen in Spanien tatsächlich begeistert war. Doch wahrscheinlich ist das von ihm komponierte Stück für das mälzelsche Panharmonikon nie gespielt worden. Jedenfalls hat es sich nicht erhalten und wir haben auch keinen Bericht über irgendeine öffentliche Aufführung dieser Fassung. Was aufgeführt wurde und wovon sich auch eine Partitur erhalten hat, ist lediglich Beethovens zweite Fassung dieser Symphonie für volles Orchester, die er zusätzlich um einen ersten Teil, genannt »Die Schlacht«, und eine Intrada zum zweiten Teil, genannt »Der Sieg«, erweiterte.7 Und es war diese Version, welche dieser Symphonie zu ihrem großen Erfolg verhalf, was zwangsläufig zu einem komplizierten Rechtsstreit zwischen Mälzel und Beethoven führte, die beide auf ihren Prioritätsrechten bestanden.8 An der Panharmonikon-Fassung der Siegessymphonie arbeitete Beethoven im August, an der Orchesterfassung zwischen Anfang Oktober und Ende November 1813. Die ersten zwei Aufführungen der Orchesterfassung, der er den Titel Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria gab, fanden am 8. und 12. Dezember, also wenige Wochen nach der Völkerschlacht bei Leipzig, im Wiener Universitätssaal statt und übertrafen alle Erfolge, die Beethoven bisher in dieser Stadt mit Darbietungen eigener Werke erzielt hatte. Das Orchester 114

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muss riesenhaft gewesen sein. Bei beiden Aufführungen wirkten allein 69 Streicher mit. Und auch die großen Trommeln, Ratschen und Kanonenmaschinen dröhnten mit einer Lautstärke, wie man sie in Wiener Konzertsälen vorher noch nie gehört hatte. In der Schlachtszene des ersten Teils standen sich als Melodieblöcke das englische Triumphlied Rule Britannia, Britannia Rule the Waves und das französische Spottlied Marlborough, s’en va-t-en guerre gegenüber, unterbrochen von Signaltrompeten, Kleingewehrfeuer und Artillerieduellen, bis die Franzosen durch einen Sturmmarsch der Engländer in die Flucht geschlagen werden. In der folgenden Siegesfeier hörte man erst das Lied God Save the King,9 worauf eine lange Stretta folgte, in welcher der Klang großer Militärkapellen nachgeahmt wurde und sich das Ganze – wie in den zwischen 1810 und 1814 komponierten Schlachtsymphonien von Ferdinand Hauff, Johann Friedrich Reichardt und Peter von Winter – schließlich ins Triumphale steigerte.10 Wegen ihres gewaltigen Erfolgs musste diese »Akademie«, wie solche Kon­ zerte damals hießen, am 2. Januar und am 27. Februar 1814 im Wiener Redou­ tensaal wiederholt werden. Den Auftakt dieser Konzerte bildete jeweils Beethovens 7. Symphonie, worauf sich zwei Orchestermärsche von Ladislaus Dussek und Ignaz Joseph Pleyel anschlossen, bei denen Mälzels mechanischer Feldtrompeter mitwirkte, während Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria als bekrönender Abschluss erklang. »Der Beifall, mit welchem diese Akademien aufgenommen wurde, war unbeschreiblich«, schrieb der Rezensent der Wiener allgemeinen musikalischen Zeitung und erklärte, dass diese Aufführungen »zu den denkwürdigsten Tagen in der Kunstgeschichte Österreichs gehörten«.11 Auch dass Beethoven die Einkünfte aus der ersten Aufführung zum »Vorteile der, unter dem Oberbefehl des Generals der Kavallerie Graf von Wrede, in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen kaiserlich-österreichischen und königlich-­bayrischen Krieger« stiftete, rührte das Publikum ungemein.12 In seiner Danksagung an die Mitwirkenden, zu denen unter anderem sowohl bekannte als auch junge, vielversprechende Komponisten wie Antonio Salieri, Johann Nepomuk Hummel, Giacomo Meyerbeer und Louis Spohr gehörten, erklärte Beethoven, dass mit diesem Werk der »schon lange bei mir gehegte sehnliche Wunsch, unter den gegenwärtigen Zeitumständen auch eine größere Arbeit von mir auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen zu können«, endlich in Erfüllung gegangen sei.13 Man sollte eine solche Äußerung nicht von vornherein als »berechnend« abwerten. Selbstverständlich sehnte sich Beethoven, wie alle freischaffenden Komponisten, auch nach »Erfolgen«. Aber letztlich ging es ihm selbst bei solchen Gelegenheitswerken stets um das Ideelle. Dafür spricht unter anderem, Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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Abb. 24 Blasius Höfel nach einer Zeichnung von Louis Letronne: Ludwig van Beethoven (1814)

dass er kurz darauf seinem Prager Freund und finanziellen Berater Johann Nepomuk Kanka in einem Brief auf unmissverständliche Weise beteuerte: »Von unseren Monarchen etc. den Monarchien etc. schreibe ich ihnen nichts – mir ist das geistige Reich das liebste.«14 Im Hinblick auf eine solche Äußerung stellt seine Komposition Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria nicht nur den Sieg der Engländer über die Franzosen dar, sondern ist zugleich ein Bekenntnis zum Sieg der Freiheit über die Tyrannei. Und was wäre beethovenscher als ein solches Thema? Schließlich komponierte er in den nächsten beiden Jah116

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ren, als Napoleon das Kriegsglück nochmals zu seinen Gunsten umstimmen wollte, vier weitere Werke, in denen er sich wie in seiner Schlachtensymphonie abermals für die Sache der Freiheit engagierte, ohne dabei primär von pekuniären Gesichtspunkten auszugehen. Wie wir wissen, war mit der Schlacht bei Vittoria im Juni 1813 und der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober des gleichen Jahres der Krieg der Alliierten gegen Napoleon noch keineswegs zu Ende. Nachdem Napoleon im Fe­­bruar 1814 auf dem Kongress zu Châtillon das Angebot eines relativ großzügigen Friedensschlusses ausgeschlagen hatte, waren die österreichischen und preußischen Truppen weiter nach Frankreich vorgestoßen und hatten Napoleon in den Schlachten bei Bar-sur-Aube, Laon und Arcis-sur-Aube dreimal besiegt. Ja, am 31. März zogen die Verbündeten schließlich in Paris ein, worauf Napoleon am 11. April in Fontainebleau abdankte und von den Siegermächten auf die Insel Elba verbannt wurde. Das nächste »patriotische« Werk, das Beethoven im Gefolge der Schlachtensymphonie in den ersten Apriltagen des Jahres 1814 komponierte, war der Schlusschor zu dem einaktigen Singspiel Die gute Nachricht seines Freundes Georg Friedrich Treitschke, der im gleichen Jahr auch maßgeblich an der Neufassung von Beethovens Befreiungsoper Fidelio mitarbeitete. Der Titel dieses Werks bezieht sich auf die lang erwartete »gute Nachricht«, dass der preußische General Gerhard Leberecht von Blücher am 31. März 1814 an der Spitze der verbündeten Heere siegreich in Paris eingezogen sei.15 Treitschkes Stück spielt in einer ländlichen Gegend am Oberrhein, wo das Wirtstöchterlein Hannchen von dem Windmüller Robert, einem Feldwebel der rheinischen Landwehr, und einem reichen, frankophilen Gewürzhändler, namens Süßlich, umworben wird. Bruno, ihr Vater, verspricht demjenigen die Hand seiner Tochter, der ihm zuerst die »gute Nachricht« von der Einnahme von Paris überbringt. Robert, der mit den alliierten Truppen in Paris eingezogen ist, schickt – auf Anregung seines Freundes Stürmer – eine weiße Brieftaube mit der »guten Nachricht« von dem endgültigen Sieg über Napoleons Grande Armée in sein Heimatdorf. Süßlich, der zu Hause geblieben war, muss daraufhin verzichten, und Hannchen wird von ihrem Vater die Ehe mit dem tapferen Robert versprochen. Da die Uraufführung dieses Stücks bereits am 11. April 1814 im Theater am Kärntnertor stattfand, muss das Ganze in unglaublich kurzer Zeit entstanden sein. Die Komposition der verschiedenen »Nummern« übertrug der kaiserlich-­königliche Operndichter Georg Friedrich Treitschke mehreren in Wien anwesenden Komponisten. Die Ouvertüre komponierte Johann Nepomuk Hummel, wobei er als thematisches Material die englische Nationalhymne Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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God Save the King, die österreichische Kaiserhymne Gott erhalte Franz den Kaiser sowie ein schlesisches Volkslied zu Ehren des preußischen Adels verwandte. Andere der eingelegten »Nummern« stammten von Adalbert Gyrowetz, Friedrich August Kanne und Joseph Weigl. Beethoven steuerte zu dem Ganzen, ohne irgendwelche Honorarforderungen zu stellen, den Schlusschor »Germania! Germania! / Wie stehst Du jetzt im Glanze da« (WoO 94) bei,16 der sich in seiner Melodieführung deutlich an zwei der bekanntesten Lieder der Befreiungskriege nach Texten von Theodor Körner anlehnte, nämlich das von Friedrich Heinrich Himmel vertonte Gebet während der Schlacht sowie das von Carl Maria von Weber mit einer höchst wirkungsvollen Melodie ausgestattete Schwertlied. Der Klavierauszug dieses Schlussgesangs erschien kurz darauf, weil er von dem immer berühmter werdenden Beethoven stammte, im kaiserlich-königlichen Hoftheater-Musikverlag, während die übrigen Musikstücke ungedruckt blieben. Nach der Uraufführung am 11. April wurde Die gute Nachricht noch fünfmal, nämlich am 12., 14., 17., 24. April und 3. Mai nachgespielt, als so beliebt erwies sich dieses heiter-idyllische und zugleich hochaktuelle Singspiel. Wie erfreut man in Wien allgemein über die »gute Nachricht« von der Eroberung von Paris war, zeigte sich auf musikalischer Ebene nicht nur im Erfolg des treitschkeschen Einakters, sondern auch in vielen gleichzeitig erscheinenden Klavierstücken desselben Inhalts, von denen vor allem der Triumph-Einzug der verbündeten Mächte in Paris von Ignaz Moscheles, Der Kurier, oder Wiens Jubel, bei dem Eintreffen der Siegesnachricht: Paris ist genommen von Tobias Haslinger sowie Joseph Weigls Heil dir Europa!!! oder: die Besitznahme von Paris, die sämtlich mit der Genrecharakterisierung »Tongemälde für das Pianoforte« erschienen, bei den Wiener Patrioten Furore machten. Beethovens Schlusschor, den er mit der Bezeichnung »Feurig, jedoch nicht zu geschwind« überschrieb, hat – wie sein ungefähr zur selben Zeit entstandenes Lied Des Kriegers Abschied (WoO 145) nach einem Text von Christian Ludwig Reissig – eine relativ einfache, ja, geradezu eingängige Melodie, in die alle Anwesenden, wenn sie wollten, sofort einstimmen konnten. Und zwar wird er von Bruno, dem Vater Hannchens, intoniert, worauf ein vierstimmiger Chor jeweils einen Achtzeiler mit dem Refrain »Heil dir, Germania!« singt. Der Text dieses Schlussgesangs hat zwar den üblichen höfisch-panegyrischen Charakter, das heißt mündet in eine Verherrlichung des österreichischen Kaisers Franz I., beschwört aber zugleich im Zeichen der »Germania« die Freiheitssehnsucht aller Deutschen und lobt obendrein die deutschen Fürsten, aufgrund der äußeren Bedrohung endlich ihre frühere Zwietracht überwunden zu haben. So gesehen ist das Ganze nicht servil, sondern beweist – im Rahmen der absolutistischen 118

»Heil dir, Germania!«

Machtverhältnisse – eine durchaus aufrechte Gesinnung. Dem entspricht eine Äußerung Beethovens in einem Brief vom 12. Juni 1814 an seinen wichtigsten Gönner, den Erzherzog Rudolph von Habsburg, in dem es heißt: »Das Lied Germania gehört der ganzen Welt, die Teil daran nimmt.«17 In der zweiten Aprilhälfte und im Mai 1814 war Beethoven voll und ganz mit der Einstudierung der treitschkeschen Neufassung seines Fidelio beschäftigt, die am 23. Mai – wegen der politischen Hochstimmung in Wien, endlich den Tyrann Napoleon überwunden zu haben und wieder in Freiheit leben zu dürfen – ihre erfolgreiche Erstaufführung erlebte. Anschließend wurde am 30. Mai des gleichen Jahres in Frankreich der erste Friede zu Paris unterzeichnet, wo­ rauf der Bourbone Ludwig XVIII. den französischen Thron besteigen konnte. Kurz darauf besuchten der Zar Alexander I. und der preußische König Friedrich Wilhelm  III. London und wurden dort von den Engländern stürmisch umjubelt. Der gleiche Jubel ertönte, als Kaiser Franz I. Mitte Juni 1814 nach Wien zurückkehrte. Tausende von festtäglich gekleideten Wienern zogen ihm entgegen und geleiteten ihn anschließend in die Stadt. Und auch die Komponisten wollten ihr Scherflein zu dieser Begeisterungswelle beitragen. So komponierte der geschäftstüchtige Anton Diabelli, der im April des gleichen Jahres ein »Tongemälde für Pianoforte« unter dem Titel Siegreicher Einzug Franz

Abb. 25  Titelseite des Klavierauszugs von Beethovens Schlachtensymphonie (1814) Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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des Allverehrten in Paris am 15. April verfasst hatte, jetzt ein Tongemälde, das er Glorreiche Rückkehr Franz des Allgeliebten in seine Residenz am 16. Juni 1814 nannte. Ignaz Moscheles brachte kurz darauf seine Klaviersonate Wiens Empfindungen bei der Rückkehr Franz I. heraus. Ja, Johann Nepomuk Hummel schrieb anlässlich dieser Ereignisse sogar eine einaktige Oper, in der es ausschließlich um die Rückkehr des Kaisers ging, während der Hofkapellmeister Joseph Weigl am 18. Juni, also zwei Tage nach der Rückkehr von Franz I., im Kärntnertortheater ein Stück unter dem Titel Die Weihe der Zukunft. Eine allegorisch-­dramatische Dichtung zur Zurückkunft seiner Majestät des Kaiser Franz aufführen ließ.18 Im gleichen Zeitraum beschlossen die Siegermächte, eine endgültige Neuregelung der europäischen Verhältnisse auf einem im September 1814 in Wien beginnenden Kongress aller europäischen Mächte vorzunehmen. Rund 200 Staaten, Herrschaften, Städte und Körperschaften erhielten Einladungen zu diesem Kongress, der nach mehrwöchigen Vorgesprächen am 1. November offiziell eröffnet wurde. Eine maßgebliche Rolle spielten allerdings bei diesem Treffen nur Großbritannien, Österreich, Preußen und Russland sowie in der Schlussphase auch Frankreich, das durch den Herzog Charles-Maurice de Talleyrand vertreten war. Wie die Rückkehr des »allverehrten« Kaiser Franz I. nach Wien brachte auch die Eröffnung dieses Kongresses eine Fülle panegyrisch gestimmter Kompositionen hervor, die in großen »Akademien« aufgeführt wurden. Die meisten davon hatten – rein ästhetisch gesehen – einen relativ peripheren Charakter und sind uns nicht im Druck überliefert. Das einzig wirklich bedeutsame Werk aus diesem Umkreis ist Beethovens Kantate Der glorreiche Augenblick (op. 136), die er vor den Teilnehmern des Wiener Kongresses in einer »Großen musikalischen Akademie« am 29. November 1814 zusammen mit seiner 7. Symphonie sowie Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria dirigierte. Das Publikum soll 3000 Menschen umfasst haben, die am Schluss Beethoven den größten Beifall seines Lebens spendeten.19 Der Text zu der Kantate Der glorreiche Augenblick für vier Solisten, Chor und Orchester stammte von Aloys Weißenbach. Da Beethoven dieses schnell hingeschriebene Gedicht anfangs weitgehend »unmusikalisch« fand, übergab er es dem Wiener Journalisten Carl Joseph Bernard, mit dem er seit langem befreundet war, »zur gänzlichen Überarbeitung«.20 Worin diese Neufassung bestand, wissen wir leider nicht. Ob Beethoven dabei einige der allzu obrigkeitsfrommen Stellen durch Bernard abschwächen ließ, bleibt also leere Spekulation. Dem Zeugnis seines Biographen Anton Schindler zufolge soll Beethoven dem Text wie auch seiner Vertonung keinen allzu großen Wert 120

»Heil dir, Germania!«

beigemessen haben.21 Doch das braucht – angesichts der vielen von späteren Beethoven-Forschern nachgewiesenen Fehleinschätzungen Schindlers – nicht unbedingt zu stimmen. Schließlich enthält dieses Werk streckenweise Partien, die fast die musikalische Höhe seines Fidelio erreichen und keineswegs den Charakter bloßer Gelegenheitsarbeiten haben. Ja, Beethoven wollte anschließend dem Ganzen sogar noch eine Ouvertüre voranstellen. Es wäre daher verfehlt, wie Maynard Solomon – und vor ihm schon Alfred Einstein – zu behaupten, dass diese Komposition in ihrer »bombastischen Rhetorik und ihrem patriotischem Überschwang« einen Tiefpunkt in Beethovens künstlerischer Laufbahn bilde, da sich in ihr sein »heroischer Stil ins Parodistische und Farcenhafte« verkehre.22 »Statt in der Richtung seines Spätstils vorwärts zu schreiten«, heißt es bei Solomon, wirke das Ganze wie ein »Pasticcio« und münde schließlich in einen öden »Konformismus«.23 Dem lassen sich jedoch, sowohl was das Gedicht als auch was die Musik betrifft, folgende Fakten entgegenhalten. Genau betrachtet ist der Text dieser Kantate – trotz der feierlichen Erwähnung fünf gekrönter Häupter, das heißt des Zaren, des preußischen Königs, des Königs von Dänemark und Norwegen, des Königs von Bayern und des Kaisers von Österreich – keineswegs so byzantinistisch oder lobhudelnd wie die meisten anderen Texte, die anlässlich der verschiedenen politischen Feierlichkeiten des Jahres 1814 in Wien vertont wurden. Dafür spricht schon die Tatsache, dass das Ganze »kein von oben bestelltes Auftragswerk« war, sondern eher als »Ausfluss der allgemeinen Begeisterung angesichts der Beendigung des langen Krieges« zu verstehen ist.24 Schließlich waren nicht nur die gekrönten Häupter und ihre Familien, sondern auch alle anderen Bevölkerungsschichten nach fast zwanzigjähriger Kriegszeit, die viel Leid und Verarmung mit sich gebracht hatte, aus tiefstem Herzen froh darü­ ber, dass nun wieder eine Zeit des Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt anbrechen sollte. Wenn darum am Schluss der 3. Nummer dieser Kantate ein »Bund friedlicher Brüder« beschworen wird, schreibt Ernst Herttrich zu Recht, »dann entsprach das auch den Erwartungen und Hoffnungen der Kleinen und Schwachen« unter den massenhaft herbeigeströmten Hörern und Hörerinnen.25 Schließlich wurden in derselben Nummer – wie in der Oper Fidelio vom gleichen Jahr – nochmals jene besseren Zeiten beschworen, in denen sich die »gelöste Menschheit« zum allgemeinen Bruderkuss vereinigen werde, was fast schon auf die allbekannten Zeilen »Seid umschlungen, Millionen / diesen Kuß der ganzen Welt« im vierten Satz der 9. Symphonie vorausweist. Bereits nach dieser Nummer »brach daher das Entzücken aus allen Anwesenden mit dem lautesten Beifalle vor«, wie die Wiener Zeitung vom 30. November 1814 schrieb. Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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Und auch das Rezitativ der Seherin in der 4. Nummer, wo vom »Bau der neuen Welt der neuen Zeit« die Rede ist, wurde mit dem gleichen Applaus begrüßt. Ähnlich Positives lässt sich über die Musik dieser Kantate sagen, die zwar streckenweise von monumentaler Schlichtheit ist, aber gerade darin so überzeugend wirkt. Jedes übertriebene Virtuosentum wäre bei dieser Gelegenheit fehl am Platze gewesen. In diesem Augenblick ging es nicht um eine Darbietung höchster künstlerischer Originalität oder bravouröser Artistik, sondern um den kollektiven Ausdruck einer allgemeinen Freude, bei dem ein Zuviel an Kunst lediglich gestört hätte. Und das wird die Mehrheit der Zuhörer und Zuhörerinnen auch verstanden haben. Schließlich steigert sich das Ganze gegen Schluss zu einem Jubelgesang der Wiener Bevölkerung, die in einem Chor der Männer, Frauen und Kinder ihrer Heimatstadt Vindobona jenes »Heil und Glück« wünschen, das man ihr in den Kriegszeiten so lange vorenthalten habe. Und dabei kommt es zu mächtig aufrauschenden Tuttipassagen, welche sich – wie so oft bei Beethoven – zu einer Chorfuge steigern, die dem Ganzen einen würdevollen Abschluss verleiht. Doch zu diesem Zeitpunkt kam Europa noch immer nicht zur Ruhe. Während die Verhandlungen in Wien weiterliefen, entschloss sich Napoleon – in der Hoffnung auf eine wachsende Uneinigkeit unter den Großmächten und zugleich in dem Glauben, dass die Mehrheit der Franzosen mit dem restaurierten Bourbonenregime unzufrieden sei – sein Asyl in Elba zu verlassen und noch einmal einen neuen Krieg zu entfesseln. Nachdem er am 1. März in Cannes gelandet war, zog er am 20. März in Paris ein, worauf die in Wien versammelten Staaten eine gemeinschaftliche Achterklärung gegen ihn erließen. Nach einem Sieg über die Preußen bei Ligny wurde Napoleon schließlich am 18. Juni in der Doppelschlacht bei Waterloo und Belle-Alliance von den Preußen unter Blücher und den Engländern unter Wellington entscheidend geschlagen. Da­ rauf zogen die Verbündeten am 7. Juli erneut in Paris ein, verbannten Napoleon nach St. Helena im Indischen Ozean und schlossen am 20. November den zweiten Frieden zu Paris, durch den Ludwig  XVIII. zwar wieder den französischen Thron zurückerhielt, aber Frankreich zur Zahlung von 700 Millionen Francs Kriegskosten verurteilt wurde. Während dieser erneuten Kriegswirren, die auch eine Unterbrechung der Verhandlungen auf dem Wiener Kongress mit sich brachten, kam es in Wien erneut zu patriotischen Bekundungen gegen Napoleon, diesen »Usurpator«, das heißt Thronräuber, wie ihn Beethoven jetzt nannte.26 Doch zu einem größeren musikalischen Werk zugunsten der erneut gegen Frankreich ausziehenden Heere konnte sich Beethoven zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entschließen. Zu 122

»Heil dir, Germania!«

den kleineren Kompositionen aus dem Frühjahr 1815, in denen er noch einmal seinem Unmut gegen die französische Fremdherrschaft der vergangenen Jahre Ausdruck verlieh, gehören vor allem die vier Musiknummern für das Drama Leonore Prohaska (WoO 96) des preußischen Kabinettssekretärs Johann Friedrich Leopold Duncker, der im September 1814 in Begleitung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm  III. zum Wiener Kongress angereist war und sich schnell mit Beethoven anfreundete. Leider hat sich der Text dieses Stücks nicht erhalten – und das Ganze scheint wohl auch nie aufgeführt worden zu sein. Eleonore Prochaska, die aus dem Potsdamer Militärwaisenhaus stammte, war eine der bekanntesten Heldinnen des preußischen Befreiungskampfes gewesen. Sie hatte sich mit 28 Jahren als Mann verkleidet und war wie viele patriotisch gesinnte Idealisten, zu denen auch Karl Friedrich Friesen, Friedrich Ludwig Jahn, Georg Friedrich Kersting und Theodor Körner gehörten, unter dem Namen August Renz den lützowschen Jägern beigetreten. Dies war eine militärische Widerstandsorganisation, die sich Anfang 1813 unter der Leitung von Adolf von Lützow, der bereits unter dem Dragoneroffizier Ferdinand von Schill als Guerilla gegen die französische Besatzungsarmee gekämpft hatte, in Breslau zur »Schwarzen Schar« zusammenschloss. Nachdem sich August Renz in mehreren Scharmützeln als tapferer Soldat bewährt hatte, wurde er Ende September 1813 im Gefecht an der Göhrde schwer verwundet. Erst jetzt erkannten seine Mitstreiter, als sie seinen Rock aufknöpften, dass es sich bei ihrem Kameraden Renz um eine Frau handelte. Am 5. Oktober, also 13 Tage vor der Völkerschlacht von Leipzig, erlag Eleonore Prochaska ihren Verwundungen – und stieg danach in Preußen schnell zu einer legendären Figur auf, der viele Gedichte und andere literarische Formen, darunter auch das erwähnte Drama von Johann Friedrich Leopold Duncker, gewidmet wurden. Dass dies ein Stoff für Beethoven sein musste, versteht sich fast von selbst. Schließlich hatte er bereits in seinem Fidelio in der Figur der Leonore, die sich als Mann verkleidet, um ihren Gatten Florestan aus dem Kerker des tyrannischen Pizarro zu befreien, das heroische Verhalten einer politisch bis zum Letzten entschlossenen Frau in Handlung und Musik umgesetzt. Doch soviel Spielraum war ihm diesmal nicht gegeben. Sein Beitrag zu dem Ganzen sollte lediglich aus vier Nummern bestehen. Die erste Nummer ist ein Kriegerchor, in dem – mit freimaurerischen Anklängen – alle »Gerechten« zum »Kampfe für Freiheit und Liebe« aufgerufen werden.27 Danach folgt eine »Romanze« für Sopran und Harfe, in der es um eine Blume geht, die ein Engel »ins Leben gesät« hat und die einst am »Leichenstein« verwelken wird, womit auf den frühen Tod der Heldin Eleonore Prochaska angespielt werden soll. Die dritte Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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Nummer besteht aus einem kurzen »Melodrama«, dessen Text mit den Klängen einer Glasharmonika untermalt wird und in dem nochmals von jenen »Totenblumen« die Rede ist, die an dem bereits erwähnten »Leichenstein« wachsen. Die vierte Nummer bildet ein Trauermarsch für Orchester, der auf der ergreifenden Melodie der »Marcia funebre sulla morte d’un Eroe« aus Beethovens Klaviersonate op. 26 beruht.

Abb. 26  Anonym: Eleonore Prochaska (um 1815)

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»Heil dir, Germania!«

Alles in allem stehen also in den drei letzten Nummern der Leonore Prohaska – nach dem heroisch-optimistischen Kriegerchor zu Anfang – die melancholischen Stimmungen im Vordergrund. Daher kann es sich bei dem dunckerschen Drama letztlich nur um eine weitausgedehnte Elegie gehandelt haben, die vor allem dem Andenken der frühverstorbenen Eleonore Prochaska gewidmet war. Vermutlich wird das auch Beethovens Stimmung zu diesem Zeitpunkt entsprochen haben, der im Laufe der Verhandlungen des Wiener Kongresses mehr und mehr einsehen musste, dass es sich bei dem Länderschacher dieser Fürstenversammlung nicht um den Anbruch einer neuen, besseren Zeit, sondern eher um die Restauration des von ihm so gehassten Ancien régime handelte, also all sein patriotischer Enthusiasmus der Jahre 1813/1814 vergeblich gewesen war. Und was eignete sich für eine solche Stimmung besser als ein elegisches Denkmal für eine sinnlos gefallene Heldin des von Beethoven und anderen Idealisten als »Freiheitskampf« aufgefassten Kriegs gegen Napoleon sowie ein sich daran anschließender Trauermarsch, der fast wie ein großes »Umsonst« klingt. Demzufolge blieb dieses Stück unaufgeführt – und auch Beethovens Trauermarsch wurde nie öffentlich gespielt und kam erst 1888 in der Alten Gesamtausgabe seiner Werke erstmals im Druck heraus.28 Lediglich seinem Freund Georg Friedrich Treitschke zuliebe ließ sich Beethoven im Sommer 1815 noch einmal erweichen, einen weiteren Chorsatz für ein vaterländisches Stück zu komponieren. Hierbei handelte es sich um den Schlusschor »Es ist vollbracht« für das von Treitschke geschriebene patriotische Festspiel Die Ehrenpforten. Während es in dem Stück Die gute Nachricht um den am 31. März 1814 erfolgten ersten Einmarsch der Verbündeten in Paris gegangen war, ging es in dem Stück Die Ehrenpforten um den am 7. Juli 1815 stattgefundenen zweiten Einmarsch der Alliierten in Paris. Im Mittelpunkt stand diesmal der Gutsbesitzer Teutschmann, der zutiefst darüber erbittert ist, dass sein Sohn Eduard sowie seine zwei zukünftigen Schwiegersöhne wegen des abermaligen Versuchs Napoleons, den französischen Thron zurückzuerobern, im Frühjahr 1815 nochmals ins Feld ziehen müssen. Doch auch hier folgt am Ende eine »gute Nachricht« auf die andere: Paris ist wieder in der Hand der Verbündeten, die drei Männer kommen unversehrt aus dem Krieg nach Hause und Teutschmann verkündet am Schluss, dass jetzt eine dreifache Hochzeit gefeiert werden kann.29 Die Uraufführung dieses Stücks fand bereits am 15. Juli 1815 im Theater am Kärntnertor statt. Beethoven komponierte wiederum nur den Schlussgesang »Es ist vollbracht« (WoO 97), ein chorisch untermaltes Bass-Solo mit deutlichen Anklängen an Händels Messias und die österreichische Hymne Gott Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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erhalte Franz den Kaiser. Die Ouvertüre schrieb Johann Nepomuk Hummel, während die anderen Gesangsnummern dieses Singspiels von Adalbert Gyrowetz, Ignaz von Seyfried, Anselm Weber und Joseph Weigl stammten, die zum Teil bereits an der Guten Nachricht des Vorjahres mitgewirkt hatten. Nur Beethovens Chorsatz erschien schon kurz nach der Aufführung als Klavier­auszug.30 Von den anderen Nummern sind dagegen keine Drucke überliefert. Bei späteren Aufführungen dieses Stücks im Oktober des gleichen Jahres wurden auch die inzwischen erfolgten politischen Ereignisse in das Ganze eingearbeitet und der Chor »Es ist vollbracht« durch den Chor »Germania, Germania! / Wie stehst Du jetzt im Glanze da!« ausgetauscht. Und zwar nahm dabei die Theaterleitung einige textliche Änderungen vor, die sich auf den nochmaligen Sieg gegen Napoleon bezogen und zugleich neben dem Kaiser Franz auch die mit »grünem Eichenlaub« bekränzten Soldaten sowie die aufrechten, freien Bürger Vindobonas herausstrichen.31 Das hat Beethoven sicher besser gefallen als jenes einseitige Kaiserlob, das in den Werken anderer Wiener Komponisten dieser Jahre meist im Vordergrund steht. Schließlich hatte auch der von allen demokratisch gesinnten »Patrioten« hochverehrte Ernst Moritz Arndt den Eichenkranz als das wichtigste Erkennungszeichen aller freiheitlich gesinnten Deutschen hingestellt. Damit kam eine Entwicklungsphase in Beethovens Schaffen zum Abschluss, in welcher der anfängliche Enthusiasmus für einen gesamtdeutschen, ja, gesamteuropäischen Befreiungskampf gegen Napoleon und seine Besatzungsheere allmählich der Einsicht wich, dass dieser Kampf nicht zur Erfüllung der damit verbundenen Freiheitshoffnungen geführt habe, sondern durch ihn an die Stelle der einen Tyrannei lediglich eine andere, nämlich die der älteren Potentaten getreten sei. Und dieser Umschlag in eine mit aller Schärfe durchgeführte Restaurationspolitik, mit der vor allem der österreichische Staatskanzler Fürst Klemens von Metternich, der führende Kopf des Wiener Kongresses und der Heiligen Alliance, allen nationaldemokratischen Regungen den Garaus zu machen versuchte, erbitterte Beethoven so sehr, dass er in den Jahren nach 1815 kaum noch komponierte.32 Erst um 1819/1820 fasste er wieder neuen Mut, gegen den herrschenden Absolutismus anzuschreiben. Dabei rang er sich zu der Maxime durch, dass man auch in »wüsten Zeiten« unverdrossen »weitermachen« müsse,33 statt die Hände in den Schoß zu legen und dadurch den Mächten des Status quo das alleinige Sagen zu überlassen. Dieses unauslöschliche Hoffen bewegte ihn schließlich, Anfang der zwanziger Jahre jene 9. Symphonie zu komponieren, die am 7. Mai 1824 in Wien uraufgeführt wurde und in deren chorischen Partien er noch einmal – mit den emphatischen Worten 126

»Heil dir, Germania!«

Friedrich Schillers – eine durch keinerlei Schranken eingeengte »Mitmenschlichkeit« beschwor, die inzwischen zu einer Hauptforderung aller humanistisch gestimmten Menschen geworden ist.34

Beethovens »patriotische« Kompositionen aus der Zeit der Befreiungskriege

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»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten« Die Klaviersonate op. 111

Mehr als andere Werke Beethovens umgibt die Klaviersonate op. 111 noch immer eine Aura des Mysteriösen. Sie ist seine letzte Sonate und bricht nach dem zweiten Satz, einem Adagio molto semplice e cantabile, das fast 17 Minuten währt, plötzlich unvermittelt ab, ohne dass darauf einer jener Allegro con brio-Sätze folgt, mit denen er seine Sonaten vorher zu beschließen pflegte. Diese getäuschte Erwartung galt lange Zeit als eine kompositorische »Bizarrerie« des alten Beethoven, der sich in seinen späten Werken – ob nun für Klavier oder Streichquartett – gar manche »exzentrischen« Wunderlichkeiten geleistet habe, wie es bereits in den Kritiken und Rezensionen seiner Zeitgenossen heißt.1 Und mit solchen Urteilen begnügten sich bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts selbst viele ernst zu nehmende Musikwissenschaftler, ohne dem frappierenden Phänomen der Zweisätzigkeit dieser Sonate eine tiefergehende Bedeutung zuzuschreiben. Doch dann erschien 1947 in Thomas Manns Roman Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde plötzlich eine Interpretation dieses Werks, die einen völlig neuen Horizont aufriss.2 Dabei handelte es sich um jene Passage, in welcher der stotternde Musikpädagoge Wendell Kretzschmar einem kleinen Hörerkreis, zu dem auch der junge Adrian Leverkühn gehört, zu erklären versucht, warum Beethoven, wie es wörtlich heißt, »zu der Klaviersonate op. 111 keinen dritten Satz geschrieben habe«.3 Die mit einem guten Gedächtnis Begabten unter den Thomas-­MannLesern und -Leserinnen erinnern sich vielleicht sogar noch an einige Details dieser durch mancherlei sprachliche »Kalamitäten« unterbrochenen und mit vielen Klavierbeispielen illustrierten Erläuterungen. Dass Beethoven »keine Zeit zu einem dritten Satz gehabt und darum lieber den zweiten etwas länger ausgedehnt habe«, wie er seinem Famulus Anton Schindler gegenüber erklärte,4 128

»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten«

wird von Kretzschmar als eine höhnische »Geringschätzung des Fragers« hingestellt. Und auch die These, dass Beethovens »Produktionskraft« zur Zeit der Niederschrift dieser Sonate bereits »erschöpft« gewesen sei, erscheint dem heftig gestikulierenden Vortragenden als irreführend.5 Um solchen kurzsichtigen Urteilen entgegenzutreten, entwickelt Kretzschmar daraufhin eine Interpretation dieses Werkes, die an tiefschürfender Ernsthaftigkeit alle bisherigen Deutungen dieses Werks weit hinter sich zu lassen versucht.6 Diese Sonate sei kein Werk der »Klassik«, erklärt er seinen ergriffen lauschenden Zuhörern, sondern in ihr herrsche bereits jener »Prozeß der Auflösung, der Entfremdung, des Entsteigens ins nicht mehr Heimatliche und Geheure«, behauptet Kretzschmar, wodurch sie sich schließlich – gegen Ende des zweiten Satzes – in jene »schwindelnden Höhen« verliere, »die man jenseitig nennen mochte oder abstrakt«.7 So gehört, sei sie der musikalische Ausdruck eines »schmerzlich isolierten, durch die Ausgestorbenheit seines Gehörs auch noch vom Sinnlichen isolierten Ichs, von dem selbst auf die willigsten Zeitgenossen« lediglich »fremde Schauer« ausgegangen seien und in deren »erschreckenden Botschaften sie nur noch augenblicks-, nur ausnahmsweise sich zu finden gewußt hätten«, wie es Mann in bewusst preziöser Umständlichkeit formuliert.8 Während Beethoven in seiner mittleren Schaffensperiode »weit subjektivistischer, um nicht zu sagen ›persönlicher‹ gewesen sei«, das heißt wesentlich stärker versucht habe, »alles Konventionelle, Formel- und Floskelhafte, wovon die Musik ja voll sei, vom persönlichen Ausdruck verzehren zu lassen«, betont der immer erregter Stammelnde, trete in diesem Werk die Konvention in einer »Kahlheit oder, man möchte sagen, Ich-Verlassenheit« hervor, welche »schaurig-­majestätischer wirke als jedes persönliche Wagnis«. In »diesen Gefilden«, lesen wir weiter, »gingen das Subjektive und die Konvention ein neues Verhältnis ein, ein Verhältnis, bestimmt vom Tode«.9 Und »wo Größe und Tod zusammentreten«, erklärt Kretzschmar, »da entstehe eine der Konvention geneigte Sachlichkeit, die an Souveränität den herrischsten Subjektivismus hinter sich lasse, weil darin das Nur-Persönliche, das doch schon die Überhöhung einer zum Gipfel geführten Tradition gewesen sei, sich noch einmal selbst überwachse, indem es ins Mythische, Kollektive groß und geisterhaft eintrete«.10 Und dann kommt jene unter manchen Germanisten, Philosophen und Musikwissenschaftlern beiderlei Geschlechts berühmte Stelle, in der Kretzschmar das kurze, seelenvolle »Dim-da-da« des Ariettasatzes von Beethovens op. 111 mit Worten wie »Liebesleid«, »Himmelsblau« und »Wiesengrund« Die Klaviersonate op. 111

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umschreibt.11 Anschließend versucht er im weiteren Verlauf seiner Interpretation die Wandlung dieses Motivs aus dem »Dim-da-da« des Anfangs und seinen sprachlichen Entsprechungen »Liebesleid«, »Himmelsblau« und »Wiesengrund« im Rahmen der darauf folgenden »Dim-Da-da-da« beziehungsweise »Dimda-Da-da-da«-Variationen durch Wortprägungen wie »O – du Himmelsblau«, »Grüner Wiesengrund« und »Leb’ – mir ewig wohl« und schließlich »Nun vergiß der Qual«, »Groß war – Gott in uns« und »Alles – war nur Traum« zu ersetzen. Den Schluss des Ganzen, nach dem ein dritter Satz eine absolute Unmöglichkeit gewesen wäre, deutet deshalb Kretzschmar als ein »Ende auf Nimmerwiederkehr«. Dadurch komme nicht nur diese Sonate, heißt es weiter, sondern »die Sonate überhaupt, als Gattung, als überlieferte Kunst« zu Ende. Mit diesem Satz habe sie ihr »Schicksal erfüllt, ihr Ziel erreicht, über das hi­ naus es nicht gehe. Sie hebe und löse sich auf, sie nehme Abschied«. Ja, an diesem Punkt löse sich alles auf. Hier lasse die Kunst sogar noch den »Schein der Kunst« hinter sich und begebe sich in »Kristallsphären, in denen Kälte und Hitze, Ruhe und Ekstase ein und dasselbe« seien.12 So weit Wendell Kretzschmar. Dass diese Interpretation zum größten Teil auf Theodor W. Adorno zurückgeht, hat Thomas Mann in seiner Schrift Die Entstehung des Doktor Faustus (1949) selbst in aller Offenheit zugegeben.13 Dort lesen wir, wie er sich in dieser Passage – wegen seiner geringen Vorkenntnisse auf dem Gebiet des Musikwissenschaftlichen – nicht der Gefahr des »Pfuscherhaft-Dilettantischen« aussetzen wollte und sich daher vor der Niederschrift dieses Kapitels erst einige Informationen aus Anton Schindlers Biographie von Ludwig van Beethoven geholt habe14 und dann an Theodor W. Adorno, der damals wie er zur deutschen Exilkolonie in Los Angeles gehörte, mit der Bitte herangetreten sei, ihm doch bei seiner Beethoven-Analyse als »Helfer, Ratgeber und teilnehmender Instruktor« zur Seite zu treten.15 Und dieser habe ihm nicht nur Beethovens Sonate op. 111 erläuternd vorgespielt, sondern ihm zugleich das Manuskript seiner Philosophie der neuen Musik und wohl auch den bereits 1934 geschriebenen Essay Spätstil Beethovens zur Lektüre überlassen.16 Dadurch habe er nicht nur viel Neues hinzugelernt, sondern in manchen Punkten sogar eine seltsame Affinität zwischen Adornos Theorien und seinen eigenen Ansichten – vor allem im Hinblick auf »Ideen über Tod und Form« – verspürt.17 Um sich für die »bedeutende Bereicherung«, die ihm dabei zuteil geworden sei, kenntlich zu zeigen, habe er als »versteckte Dankbarkeitsdemonstration« später in die »poetisierenden Wortunterlegungen« des Ariettamotivs den Vaternamen Adornos, nämlich »Wiesengrund«, eingraviert. Und das habe Adorno sehr gerührt, wie Thomas Mann behauptet.18 130

»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten«

Wieviel Grund Thomas Mann hatte, sich für die formanalytische wie auch geistesgeschichtliche Vertiefung der Kretzschmar-Passagen bei Adorno zu bedanken, ist nur allzu offensichtlich. Schließlich legte auch Letzterer bei der interpretierenden Analyse der Spätwerke Beethovens, die er scharf von den »klassischen« Werken der mittleren Periode zwischen 1800 und 1810 absetzte, den Hauptnachdruck stets auf das Zurücktreten des Subjektiven, die steigende Entfremdung, das Übergewicht des Kahl-Konventionellen, ja, das allmähliche Zerbrechen der musikalischen Formen, wodurch beim Hörer der Eindruck eines Déjà-vu-Erlebnisses entstehe, nach dem nichts Neues mehr möglich sei, sondern es nur noch ein »Rückschauen« und ein »Abschiednehmen« gebe.19 In diesen Phänomenen glaubte Adorno erste Durchbrüche zu jener modernistischen Kompositionsweise wahrzunehmen, welche später im Werke Arnold Schönbergs, wie er in seiner Philosophie der neuen Musik erklärte, ihren konsequentesten, das heißt jede Positivität im älteren Sinne negierenden Ausdruck gefunden habe.20 Und auch dies war ein Gedankengang, der Thomas Mann sofort eingeleuchtet haben muss, weshalb er die anfangs von den Biographien Friedrich Nietzsches und Hugo Wolfs inspirierte Figur des »deutschen Tonsetzers« Adrian Leverkühn – vor allem in seiner musikalischen Schaffensweise – immer stärker mit den kompositorischen Bemühungen Schönbergs in Beziehung setzte. Selbst ideologiekritisch ungeschulten Lesern und Leserinnen dürfte es nicht schwerfallen, aus diesen Ausführungen, die immer wieder eine Stimmung der Todesnähe heraufbeschwören, den Geist jener Endstimmung herauszuhören, den um 1945 viele bildungsbürgerlich-kulturbewusste Deutsche teilten. Damals erschien einer Unzahl dieser Menschen ein schmerzlicher Tiefpunkt jener geschichtlichen Fehlentwicklungen erreicht zu sein, deren Ursprünge Thomas Mann in seiner Rede Deutschland und die Deutschen (1945) und seinem Doktor Faustus (1947) bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückverfolgte, während Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung (1947) den Anfang dieser unheilvollen Entwicklung bereits in der Zeit der ersten Mythenbildungen erblickten. Zugegeben, bei Thomas Mann blieb hinter diesem Verfallskonzept stets ein Rest jener lutherischen Gnadenvorstellung erhalten, die er schließlich – zum Ärger Adornos – sogar an den Schluss seines Faustus-Romans setzte, der mit dem Satz schließt: »Gott sei eurer armen Seele gnädig, mein Freund, mein Vaterland.«21 Adorno landete dagegen im Rahmen seiner verfallsgeschichtlichen Vorstellungen bei einer Negativen Dialektik, innerhalb derer lediglich ein paar zur totalen Verneinung tendierende Kunstwerke wie die Romane und Erzählungen Franz Kafkas, die Dramen Samuel Becketts sowie einige Kompositionen Arnold Schönbergs, die sich jeder ideoDie Klaviersonate op. 111

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logischen Vereinnahmung entzögen, eine leise Hoffnung auf einen dialektischen Umschlag ins Positive böten, für den Adorno die Formel »Rettung des Hoffnungslosen« prägte.22 Doch lassen wir diese Unterschiede einmal beiseite. Im Hinblick auf die Einschätzung und Interpretation von Beethovens op. 111 bedeutete die Kretzschmar-­Passage in Manns Doktor Faustus, und zwar gleichviel ob nun in der mannschen oder der adornoschen Sehweise, einen tiefen Einschnitt.23 Wo immer diese Sonate in den späten vierziger, ja, noch in den frühen fünfziger Jahren in Westdeutschland gespielt wurde, hörten sie gebildete Hörer und Hörerinnen, die mit Manns Doktor Faustus vertraut waren, als ein Werk, dessen zweiter Satz so groß, so unvergleichlich, so ergreifend sei, dass er nur am Ende von Klavierabenden gespielt werden dürfe, da es nichts gebe, was würdig genug sei, auf dieses Werk zu folgen. Ja, manche der großen Pianisten und Pianistinnen dieser Ära, wie Wilhelm Backhaus und Elli Ney, verbaten sich vor dem Vortrag dieser Sonate ausdrücklich jeden Applaus, um nicht die Stimmung des Mysteriösen, die dieses Werk ausstrahle, durch ein unvornehmes Händeklatschen ins Alltägliche zu profanieren. Etwas von dieser Aura, mit der man dieses Werk damals umgab, hat sich zum Teil bis heute erhalten. Und ich sage das keineswegs in kritisch-entlarvender Absicht. Diese Sonate gehört auch für mich zu den bedeutendsten Werken, die es in der gesamten Klavierliteratur gibt. Über sie dürfte daher des Rühmens oder zumindest des Reflektierens kein Ende sein. Allerdings stellt sich dabei die Frage, welche Formen dieses Rühmen oder Reflektieren annehmen sollte. Schließlich sind weder das Endzeitliche noch das Vorgreifend-Modernistische, die auf diesem Gebiet von Mann und Adorno ins Spiel gebracht wurden, die einzigen Pegel, an denen die Bedeutung von Beethovens op. 111 zu messen wäre. Ja, nicht einmal Vorstöße ins Mysteriöse oder Religiöse führen hier viel weiter, sondern gehen der wesentlich komplexeren Frage nach dem nur historisch zu bestimmenden Bedeutungsgehalt dieses Werks lediglich aus dem Wege, indem sie von vornherein ins Zeitlose ausweichen. Solche Deutungen sagen zwar manches über die weltanschauliche Orientierung der jeweiligen Interpreten, aber nur wenig über die konkrete Intention sowie die sich daraus ergebende Formgebung dieser Sonate aus, die sich nur im Rahmen realgeschichtlich fundierter Form-Inhalt-Relationen zu erkennen geben. Werfen wir erst einmal einen kurzen Blick auf jene Interpretationen, die – nach dem Erscheinen des Doktor Faustus – bei der Deutung des zweiten Satzes von op. 111, der fast immer im Zentrum aller Interpretationen dieses Werks stand, mit der Zuhilfenahme von ins Mysteriöse, ja, Transzendente tendie132

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renden Bildern dem innersten Wesen, das heißt der vielbeschworenen Essenz dieser Musik nahezukommen hofften. So erklärte etwa Wilhelm Sauer 1958, dass er in diesem Satz die »Stimme eines reinen Herzens« vernähme, »die sich an die Gottheit wende«. »Der Engelsgesang schwebt höher und höher«, lesen wir bei ihm, »er entschwebt allmählich ätherisch, umgeben von allen Seiten und emporgehoben von lichten, unwirklichen Figuren und endlosen zarten Trillerketten. Wie ein spätgotischer Dom, von Erdenresten befreit, durchsichtig in das Himmelsblau hineinstrebt, so scheint die Sonate sich von den Formen und Gesetzmäßigkeiten der Musik und damit von der Musik selbst zu befreien. […] Man ahnt nur die Harmonie mit dem göttlichen Wesen, den Frieden mit sich selbst in Gott. Es ist die vollendete Auflösung im All, die eigene Vollendung.«24 Ja, Wilfrid Mellers zögerte noch 1983 nicht, in diesem in den Bereich des »Erhabenen« vorstoßenden Satz – unter mannigfachen Berufungen auf Dante, William Blake, T. S. Eliot und Martin Buber – die unverstellte »Stimme Gottes« zu hören.25 Während einige der vorwiegend inhaltsorientierten Musikkritiker und Musikwissenschaftler zum Teil bis heute an dieser religiös inspirierten Interpretationsweise von Beethovens op. 111 festzuhalten versuchen, herrscht unter den betont formanalytisch eingestellten Repräsentanten dieser Zunft seit langem eher das Bemühen, allein auf die kompositorischen Strukturelemente des zweiten Satzes dieser Sonate, das heißt seinen Variationscharakter, die Trillerketten, die Motivparallelen, die Arabesken der Zweiunddreißigstel-Triolen, die synkopischen Akkorde, die rhythmischen Diminuierungen, die vielen Unterteilungen in Dreiergruppen und Ähnliches hinzuweisen.26 Die Vertreter dieser Richtung verschmähen daher ausdrücklich, im Hinblick auf diese Sonate irgendwelche ans Religiöse grenzenden Erhabenheitsmetaphern oder poetisierenden Wortunterlegungen à la Thomas Mann ins Spiel zu bringen. Sie wollen keine ins Willkürliche ausschweifenden Inhaltisten, sondern wissenschaftlich ernst zu nehmende Formanalytiker sein. Ihre Interpretationen nehmen dementsprechend meist den Charakter einer professionellen Zurschaustellung handwerklicher Spezialkenntnisse an, welche der inhaltlichen Spezifik von Beethovens op. 111 keine besondere Beachtung schenken, sondern dieses Werk ebenso formanalytisch behandeln wie jedes andere Werk von Beethoven auch. Und zwar betonen sie dabei – im Gegensatz zu primär mimetisch ausgerichteten Interpretationsweisen – stets das »Nichtabbildliche« aller tonkünstlerischen Gebilde.27 Ja, einige dieser formanalytisch eingestellten Musikwissenschaftler halten sich dabei noch immer an die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgestellten Konzepte Eduard Hanslicks und Die Klaviersonate op. 111

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erklären, dass alle Musikwerke lediglich aus einer Folge »tönend bewegter Formen« beständen,28 die sich jeder semantischen oder begrifflichen Eindeutigkeit entzögen. Demzufolge sprechen sie im Hinblick auf nicht an Texte gebundene Musik, also symphonische oder kammermusikalische Werke, einschließlich von Sonaten, Trios, Quartetten oder anderen kleineren Ensemblestücken, gern von »absoluter Musik«.29 Einer der Wenigen, der – trotz seines hohen philosophischen Abstraktionsgrads – einen möglichen Weg zwischen diesen beiden, hier etwas vereinfacht herausgearbeiteten, Richtungen zu finden suchte, war Theodor W. Adorno. Auch er ging zwar gern von detaillierten Formanalysen aus, bettete jedoch diese stets in eine Formgeschichte ein, die in ihren jeweiligen Materialabwandlungen und ihrem Zerbrechen älterer musikalischer Aufbauprinzipien zugleich eine Inhaltsgeschichte enthält. So heißt es etwa in seiner Philosophie der neuen Musik mit lapidarer Schärfe: »Alle Formen der Musik, nicht erst die des Expressionismus, sind niedergeschlagene Inhalte.«30 Daher war Adorno weder ein einseitiger Inhaltist noch ein einseitiger Formalist, sondern versuchte, in der Formgebung jedes musikalischen Werks irgendwelche intelligiblen Sinnstrukturen aufzuspüren, die er meist mit gleichzeitig aufgestellten philosophischen Systemen in Beziehung setzte. Im Hinblick auf Beethoven war das für ihn vornehmlich das von Hegel nach 1800 in die Philosophie eingeführte dialektische Denken, das Adorno in dem Gegeneinander der Haupt- und Nebenthemen der beethovenschen Ecksätze, aber auch im Aufbau ganzer Sonaten wiederzuerkennen glaubte.31 In diesem Punkt sei Beethoven – wie etwa in der Sonate op. 101, wo der erste Satz das »Subjekt« vorstelle, der zweite es »entäußere« und der dritte die »Synthesis« bilde – fast »Hegelscher als Hegel« selbst.32 Dabei gelangen Adorno zum Teil faszinierende Einsichten, vor allem im Hinblick auf die Subjekt-Objekt-­Dialektik der beethovenschen Musik. Da er jedoch andererseits, aus Abneigung gegen alles »Abbildliche«, den formalen Aufbauprinzipien ebenso häufig eine strikte »Autonomie« zubilligte, die sich – im Gegensatz zu den von Georg Lukács in seinem Buch Die Eigenart des Ästhetischen (1963) aufgestellten Thesen – nicht auf eine »Widerspiegelung der Realität« oder eine »veränderte Seelenlage« reduzieren ließen,33 blieb von der eminent mimetischen Kraft der beethovenschen Musik, das heißt sowohl ihren malenden, redenden oder deklamatorischen Stellen als auch ihren gestisch vermittelten Inhalten ideologischer und emotionaler Art, bei seinen Analysen manchmal nicht allzu viel übrig.34 Wer also heutzutage, nach den endzeitlich, religiös, prämodernistisch, formalistisch oder geschichtsphilosophisch orientierten Interpretationsweisen der späten Klaviersonaten Beethovens sowie der mit ihnen verbundenen Gefühls134

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und Geistigkeitsvorstellungen, die sich – nach Meinung vieler Kritiker – jeder »realistischen« Ausdeutbarkeit entzögen, im Hinblick auf diese Werke überhaupt noch auf historisch-konkrete Momente zu sprechen kommt, sieht sich von vornherein der Gefahr ausgesetzt, als einer jener naiven oder zumindest reduktionistisch eingestellten Banausen angesehen zu werden, die ständig hinter den Notenspiegel greifen, als ob sich dort die eigentliche Realität der Musik verberge. Wie lassen sich deshalb in einer solchen Situation musiktheoretische Gegenkonzepte entwickeln, die wieder von einer geschichtlich determinierten und zugleich subjektiv abgewandelten Form-Inhalt-Dialektik ausgehen, ohne von jenen musikwissenschaftlichen Zünftlern, die so stolz auf ihre form­analytische Begriffssprache sind und selbst Adornos halbwegs geschichtsphilosophische Fundierung der kompositorischen Zeichensprache bereits als altmodisch empfinden, sofort als ahnungsloser Laie abqualifiziert zu werden? Sollte man darum nicht Eduard Hanslick doch recht geben und sogar Beethovens op. 111 einfach als eine Folge »tönend bewegter Formen« auffassen? Kein Zweifel, die Kompositionen Beethovens lassen sich auch ohne eine genauere Kenntnis der in ihnen vorwaltenden musikalischen Aufbauprinzipien ästhetisch »genießen«. Daher gibt es genug Hörer und Hörerinnen, die auf ein tieferes Verstehenwollen überhaupt keinen Wert legen und selbst die Spätwerke Beethovens, darunter sogar die als »mysteriös« geltende Klaviersonate op. 111, in der auf einen stürmisch-aufwühlenden ersten Satz ein lang ausgesponnener, scheinbar alle anfänglichen Konflikte wieder harmonisch glättender zweiter Satz folgt, lediglich als eine wohltuende Katharsis empfinden, die ihnen die gewünschte Beruhigung verschafft und sie dann angenehm entspannt in den Alltag entlässt. Ja, es gibt sogar Liebhaber und Liebhaberinnen dieser Sonate, die sie einfach als Hintergrundmusik hören oder sich an ihr – selbst bei genauerem Zuhören – wie an einer warmen Berieselung mit angenehmen Klangfolgen erfreuen. Dies sind zwar recht oberflächliche, durch das Radio und die Compact Disc ermöglichte Hörweisen. Wäre es daher nicht eine Form akademischer Selbstgerechtigkeit, ein solches Rezeptionsverhalten von vornherein als »unziemlich« zu verwerfen? Musik, selbst in ihren anspruchsvollsten Werken, hat nun einmal – neben ihrer formalen Qualität und ihren inhaltlichen Ansprüchen – als primär akustisches Phänomen auch einen eminent sensualistischen Charakter. Wer würde es daher wagen, diesen von vornherein zu leugnen und sich über jene ruhebedürftigen oder kulinarisch eingestellten Hörer und Hörerinnen lustig zu machen, die sich damit begnügen? Doch ihr eigentliches Wesen – und darauf sollte man im Rahmen eines primär musikwissenschaftlichen oder gar musikpädagogischen Ansatzes bestehen – Die Klaviersonate op. 111

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erschließt sich nun einmal nur denjenigen, welche sich jenseits der Ebene der sinnlichen Wahrnehmungsformen auch mit ihrer kompositorischen Qualität sowie ihren inhaltlichen Ansprüchen auseinanderzusetzen versuchen. Die Frage ist lediglich, wie man bei einem solchen Bemühen vorgehen soll. Dass man dabei im Falle Beethovens wie Harry Goldschmidt oder vor ihm schon Boris Assafjew,35 um nur zwei beispielhafte Figuren zu erwähnen, mit einer historisch fundierten Analyse beginnen muss, um erst einmal einen vorläufigen Einblick in die schöpferischen Intentionen bei der Komposition dieser Klaviersonate zu gewinnen, klingt deshalb fast wie eine Platitüde, ist aber immer noch die notwendige Vorbedingung aller weiteren Herangehensweisen. Statt also bloß mit dem Instrumentarium der heutigen Formanalytiker die kompositorischen Aufbauprinzipien der beiden Sätze von Beethovens op. 111 beschreibend auseinanderzunehmen, das heißt auf die betont rhythmischen Qualitäten des ersten Satzes und dann auf die sich aus dem Variationsschema des zweiten Satzes ergebenden harmonischen und melodischen Abwandlungen hinzuweisen und notfalls, aber nur als Zugeständnis an den Bildhunger naiver Hörer und Hörerinnen, bei der-Interpretation des zweiten Satzes auch einige Metaphern wie »Himmelsblau« oder »Wiesengrund« einzustreuen, wäre es an sich geboten, auch auf all jene historischen Quellen einzugehen, die wir aus der Entstehungszeit dieser Sonate von Beethoven und seinen Freunden besitzen, in denen sich Hinweise auf den ihr zugrunde liegenden kompositorischen Schaffensprozess finden. Obendrein wäre es nötig, sich über solche direkten Hinweise hinaus zugleich indirekte Einblicke in die Gemüts- und Geisteslage Beethovens in den Jahren, die dieser Komposition vorausgehen, also der Zeit zwischen 1815 und 1821, zu verschaffen, um so auch den inhaltlichen Intentionen oder besser Intonationen dieses Werks, mögen sie nun objektiv fassbar oder nur untergründiger Art sein, auf die Spur zu kommen. Man sage nicht, ein solcher Ansatz, der sich aus den Höhen der Form­ analyse in die Niederungen einer ideologie- und mentalitätsgeschichtlichen Analyse begibt, sei zu »platt«. Er ist in mancher Hinsicht, obwohl er lediglich eine vorläufige Basis späterer Erkenntnisse bildet, wesentlich komplexer als alle sich autonom gebenden Strukturanalysen. Schließlich geht er von einem »Material« aus, das viel diffuser ist als jenes musikalische Formenarsenal, das sich in den gedruckten oder auch handschriftlichen Fassungen der jeweils behandelten Werke findet. Die Erforschung des historischen Materials verlangt – genauer gesehen – stets einen erheblich größeren Kenntnisstand als die Erforschung des musikalischen Materials. Auf diesem Gebiet ist es mit einer handwerklichen Schulung allein nicht getan. Hier muss man zwangsläufig über 136

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ein ausgedehntes Wissen verfügen, das nicht nur die Kenntnis der geschichtlichen Situation voraussetzt, sondern zugleich weit ins Interdisziplinäre ausgreift, um zu wirklich konkreten Einsichten zu gelangen. Wer dieses Material unberücksichtigt lässt, landet deshalb bei Versuchen, auch etwas »Inhaltliches« über Beethovens op. 111 auszusagen, notwendigerweise bei existentiellen oder anthropologischen Verallgemeinerungen, denen häufig die falsche Prämisse zugrunde liegt, dass das Eigentliche aller menschlichen Emotionen stets das Gleiche gewesen sei und sich daher auch vor langer Zeit zum Klingen gebrachte Gefühle oder Stimmungen ohne Weiteres aktualisieren ließen. Zugegeben, ein solcher ahistorischer Zugriff bietet sich bei Instrumentalkompositionen geradezu an. Schließlich verfügen sie nicht über jene schon in ihren Motiven vorgegebene »Realistik«, welche Werke der Literatur, der Malerei oder der textgebundenen Musik aufweisen. Aber auch Werke der angeblich »absoluten Musik« befinden sich nicht jenseits geschichtlicher Voraussetzungen. Sonst wären sie nicht für geübte Hörer oder Hörerinnen, selbst ohne vorhergehende Kenntnis ihrer jeweiligen Komponisten, relativ leicht zu datieren. Existentielle oder anthropologische Aktualisierungen, gleichviel welcher weltanschaulichen Couleur, bleiben demzufolge meist auf dem gleichen Erkenntnisniveau wie die Hörweisen sogenannter naiver Hörer und Hörerinnen, die sich vom Verlauf der musikalischen Tonfolgen einfach mitreißen lassen und sich schließlich dem Glauben oder der Überzeugung hingeben, als würden in diesen Musikstücken – ohne jede Berücksichtigung des historischen Abstands – auch ihre eigenen Gefühle ausgedrückt. Solchen Hörweisen steht jedoch die nicht zu leugnende Tatsache entgegen, dass frühere Zeiten neben einem klar umrissenen Geisteshaushalt auch einen ebenso klar umrissenen Gefühlshaushalt hatten. Nicht nur weltanschauliche oder philosophische Konzepte können sich im Laufe der Zeit wandeln, wenn nicht gar in ihr Gegenteil umkehren, auch Gefühle verändern sich dementsprechend. Wie kurzschlüssig wäre es daher, von der Annahme auszugehen, dass wir uns in Beethovens Musik à la Wilhelm Dilthey ohne jeden Abstand »kongenial« einfühlen könnten. Wie die Inhalte von Dichtungen, die zwischen 1800 und 1825 entstanden, sind auch die zur gleichen Zeit komponierten Musikstücke und die in ihren Tonfolgen manifest gewordenen Inhalte lediglich geschichtlich erschließbar. Auch sie drücken bei genauerer Kenntnis der ihnen zugrundeliegenden Gesinnungen und der sich daraus ergebenden kompositorischen Gesten, wenn auch in ästhetisch wesentlich vermittelterer Form als in der Literatur und Malerei, nur historisch zu bestimmende Haltungen aus. Das bedeutet nicht, die jeweils gehörten Werke – im Sinne des älteren Historismus – Die Klaviersonate op. 111

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auf ihren geschichtlichen Standort zu reduzieren und dadurch den von ihnen ausgehenden Hörgenuss intellektuell abzumindern. Im Gegenteil, durch ein tieferes Verständnis dieser Inhalte könnte eine solche Einstellung, weit über das Essentielle eines sogenannten unmittelbaren Hörens hinaus, unseren Genuss und zugleich unseren Respekt für die in diesen Werken ausgedrückten Haltungen wesentlich erhöhen.36 Im Hinblick auf die Spätwerke Beethovens, und im besonderen Falle auf die Klaviersonate op. 111, würde eine derartige Hörweise zu folgenden Konsequenzen führen. Wie wir wissen, hat Beethoven in der Zeit von 1815 bis 1820 – außer dem Liederkreis An die ferne Geliebte sowie der Hammerklaviersonate op. 106 – fast nichts komponiert. Das ist von vielen Musikhistorikern und Musikhistorikerinnen meist auf den geradezu obsessiv geführten Vormundschaftsstreit zurückgeführt worden, in den Beethoven in diesen Jahren mit seiner Schwägerin Johanna, der Witwe seines Bruders Kaspar, im Hinblick auf seinen Neffen Karl verwickelt wurde. Das mag in psychologischer Hinsicht durchaus stimmen. Diese Inaktivität in kompositorischer Hinsicht hat jedoch politisch, weltanschaulich und mentalitätsgeschichtlich auch wesentlich tiefere Ursachen. Schließlich brach mit der 1815 auf dem Wiener Kongress gewaltsam durchgesetzten Restauration des Ancien régime eine Epoche an, die viele der vorher von freiheitlichen Ideen beseelten Rebellen wie Beethoven als äußerst bedrückend empfanden, ja, welche ihnen vorübergehend den Mut nahm, weiterhin in einer als »heroisch« empfundenen Haltung für die von der Französischen Revolution und der Befreiungskriegstimmung ausgelösten Freiheits-, Gleichheits- und Brüderlichkeitsvorstellungen einzutreten. Belege dafür gibt es genug. So erklärte etwa Karl von Bursy 1816 nach einem Besuch bei Beethoven: »Er erzählte mir viel von Wien und seinem Leben hier. Gift und Galle wütet in ihm.«37 Beethoven selbst schrieb 1817: »Was mich anbelangt, so ist geraume Zeit meine Gesundheit erschüttert, wozu auch unser Staatszustand nicht wenig beiträgt, wovon bis hierher noch keine Verbesserung zu erwarten, wohl aber sich täglich Verschlimmerung ereignet.«38 Aufgrund solcher depressiven Anwandlungen schloss er im April des gleichen Jahres einen Brief an Johann Nepomuk Kanka in Prag mit den Sätzen: »Leben Sie wohl. – Übrigens macht einen alles um uns nahe her ganz verstummen.«39 Mit dem »alles« war zweifellos die autoritäre Herrschaft Metternichs gemeint, dessen Sicherheitsbeamte das gesamte Gesellschaftsleben mit Argusaugen überwachten und jeden liberal gesinnten Geist sofort der Polizei meldeten, ja, deren Oberdirektor, der »Allbelauerer« Alois von Persa, wie er in Wien allgemein hieß, nicht nur den harmlosen Literaturverein »Die Ludlamshöhle« 138

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bespitzeln und schließlich – unter Berufung auf die 1819 erlassenen Karls­ bader Beschlüsse – verbieten ließ,40 sondern der sogar einem zutiefst konservativ eingestellten Dichter wie Franz Grillparzer einen Stein nach dem anderen in den Weg warf. Metternich und Persa waren der Überzeugung, dass sich die Vertreter des dritten Standes weder liberal noch konservativ, sondern – im Sinne der Parole »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« – schlechthin unpolitisch verhalten sollten. Das Ergebnis dieser Maßnahmen war jene ins Biedermeierliche trivialisierte Harmlosigkeit und Lieblichkeit, deren ideologische Absicht darin bestand, den Eindruck eines wohlbehüteten Gesellschaftszustands zu erwecken. Und die meisten Wiener fügten sich dieser neuen Stimmung und unterwarfen sich als folgsame oder eingeschüchterte Landeskinder einem angeblich allgütigen Landesvater, der sie aus dem Zustand der »selbstverschuldeten« Aufklärung wieder in den Zustand der kindlichen Unmündigkeit zurückzuführen suchte. So gesehen ist das sogenannte Biedermeierwesen, das ein konservativ gesinnter Germanist wie Friedrich Sengle ab 1971 noch einmal in drei dickleibigen Bänden ideologisch und literarisch zu rechtfertigen suchte, eine mit staatlicher Gewalt herbeigeführte Camouflage, deren reizvolle Oberfläche nicht über ihren zutiefst reaktionären Charakter hinwegtäuschen sollte. Auf dem Gebiet der Musik bedeutete das, dass an die Stelle der betont »heroischen« Werke des mittleren Beethoven, also von seiner Eroica (1804) bis zur 7. Symphonie (1813), jetzt Werke wie die Opern Gioacchino Rossinis, die Walzer Joseph Lanners, die kammermusikalischen Werke Johann Nepomuk Hummels und die virtuosen Klavierstücke Carl Czernys in den Vordergrund traten. Was sollten in einem solchen Milieu, in dem das Heitere, Leichtlebige und Oberflächliche den Ton angab, noch Werke wie Die Geschöpfe des Prometheus, die Appassionata, die Kreutzer-Sonate, die Coriolan-Ouvertüre oder die Musik zu Goethes Egmont, in denen man ein Donnergrollen zu vernehmen glaubt, das jeden Augenblick zur Entladung zu drängen schien? In Werken dieser Art hatte eine Hoffnungsseligkeit geherrscht, der immer noch jene ins Utopische gesteigerten Befreiungsvorstellungen zugrunde lagen, von denen sich Beethoven selbst nach der ihn zutiefst enttäuschenden Kaiserkrönung Napoleons nicht trennen konnte. Von dieser revolutionären Gewitterstimmung war jedoch in der Zeit nach 1815 nur wenig übriggeblieben – vor allem nicht in der Musik, die im Hinblick auf die Aufführungspraxis mehrheitlich auf adlige oder großbürgerliche Unterstützung angewiesen blieb. Deshalb zogen sich die bedeutenderen Wiener Komponisten dieser Ära, wie etwa Franz Schubert, weitgehend in den Bereich des Hausmusikalischen zurück, wo sie sich ihrer Schwermut über den Verlauf der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Die Klaviersonate op. 111

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Entwicklung ungestörter hingeben konnten, als wenn sie mit ihren Werken an eine breitere Öffentlichkeit getreten wären.41 Und auch Beethoven trat zwischen 1815 und 1820 diesen Rückzug ins Private an. Viele Musikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen, die nur gewöhnt sind, in individualpsychologischen, aber nicht in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen zu denken, haben das weitgehend als Verzweiflung über seine Gehörlosigkeit oder die Aufmüpfigkeit seines Neffen Karl interpretiert. Genauer gesehen lag jedoch dieser Haltung eher der Zorn zugrunde, sich in der Öffentlichkeit nicht gegen die durch Metternich herbeigeführte Restauration des Ancien régime äußern zu können. Dafür grollte es in Beethovens Inneren über die durch die Unterdrückung jeder liberalen Gesinnung eingetretenen »wüsten Zeiten«, wie er diese Jahre nannte,42 umso stärker. Schließlich war er nicht gesonnen, so sehr ihn die Verbitterung auch manchmal übermannte, sich für den Rest des Lebens ins Private zurückzuziehen oder sich gar dem harmlosen Geist der ins Biedermeierliche tendierenden Bestrebungen anzupassen. Demzufolge zog er in Privatgesprächen manchmal so scharf gegen den »Kaiser und seine Minister« vom Leder, dass ihn der Abbé Joseph Gelinek 1819 als einen »zweiten [Karl] Sand« bezeichnete und die Befürchtung aussprach, dass Beethoven einmal »an den Galgen kommen« könne.43 Auch von Anton Schindler wissen wir, dass Beethoven, dieser »Fortschrittsmann«, wie er ihn nannte, den österreichischen Staat als eine »bloße Rechtsanstalt«, wenn nicht gar als eine »große Kaserne« empfunden habe, wo es – im Gegensatz zu England – keine »weltbürgerliche Freiheit« gebe.44 Vor allem um 1820, nach den Auswirkungen der Karlsbader Zensurbeschlüsse, erklärte Schindler, sei Beethoven ein »konsequenter Gegner der österreichischen Staatspolitik« gewesen und habe sich über die »Polizei«, aber auch die »Rechtspflege«, die steigende »Bürokratisierung«, die »Demoralisation der Aristokratie« sowie das angemaßte »Droit divin des Kaisers« manchmal recht »satirisch« ausgesprochen.45 Aufgrund dieses tiefsitzenden Grolls entschloss sich Beethoven schließlich in den Jahren 1821/1822, wieder aktiv zu werden, statt sich weiterhin Stimmungen der Hoffnungslosigkeit oder gar des Verzichts hinzugeben. Er wusste zwar sehr genau, dass hinter dem ins Biedermeierlich-Liebliche gestimmten Zeitgeist eine skrupellose Unterdrückungsmaschinerie lauerte, die dafür sorgte, dass jeder rebellische Künstler, der nicht über sein Prestige verfügte, sofort eingesperrt oder des Landes verwiesen wurde. Doch gerade wegen dieses Prestiges, das Beethoven einen Sonderstatus unter den damaligen Wiener Künstlern gab, fühlte er die Verpflichtung wie auch den inneren Drang, nicht einfach aufzugeben, sondern sich mit ungewöhnlichen, trotzigen, gegen den Restaurations140

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geist auftrumpfenden Werken ins Album der Geschichte einzuschreiben. Für diese Gesinnung spricht der bekannte Brief vom 29. Juli 1819 an Erzherzog Rudolph, zu dem er ein besonders vertrautes Verhältnis hatte, in dem es an prononcierter Stelle heißt: »Weitergehen ist in der Kunstwelt wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck.«46 Und zu jenen Werken, die Ausdruck dieses »Weitergehens« oder »Weitermachens« sind, gehört auch die Klaviersonate op. 111, die Beethoven in den ersten Monaten des Jahres 1822, also in unmittelbarer Nähe zu den Diabelli-­ Variationen, der Missa solemnis und der 9. Symphonie, fertigstellte. Und zwar erfüllte ihn dabei, wie Schindler schreibt, eine Stimmung »neuer Impulse« und »verjüngter Kraft«.47 Was daher diesen Werken, wie überhaupt Beethovens letzten Sonaten und Streichquartetten, ihr charakteristisches Gepräge gibt, sind zwar auch düstere Partien, in denen er der Wut über sein eigenes Leiden und zugleich der Wut über die »wüsten Zeiten« einen ungehemmten Ausdruck verlieh, wo aber – wie schon in den Werken seiner »heroischen« Mittelphase – die anfänglichen Mollpartien gegen Ende fast immer in strahlende, wenn nicht gar utopisch verklärte Durpassagen übergehen. Jedenfalls ist in diesen Kompositionen von einer grundsätzlichen Abschiedsstimmung, von Kälte oder zerbrechenden Formen, um auf die Interpretation Thomas Manns oder Theodor W. Adornos von Beethovens op. 111 zurückzukommen, nichts zu spüren. Im Gegenteil, fast alle diese Werke haben einen obstinaten, manchmal fast ins Vitalistisch-Freudenvolle umschlagenden Trotzcharakter.48 Das kommt vor allem in den vielen Marschrhythmen, Fugen und Variationen zum Ausdruck, die schon in ihren formbestimmenden Aufbauprinzipien etwas Vorwärtsdrängendes, ja, Unaufhaltsames demonstrieren. Dafür sprechen unter anderem die Märsche in den Ruinen von Athen op. 113 und der Musik zu König Stephan op. 117, die Fuge im letzten Satz der Klaviersonate op. 110 und die Große Fuge für Streichquartett op. 133 sowie die Variationen im zweiten Satz der Klaviersonate op. 109, im letzten Satz der Klaviersonate op. 111 und in den Diabelli-Variationen op. 120. Während die Fugentechnik in der geistlichen Musik des Biedermeier – in ihrem Rückgriff auf Johann Sebastian Bach und andere protestantische Fugenmeister des frühen 18.  Jahrhunderts  – meist einen deutlich restaurativen Charakter hat, sind Beethovens Fugen durch und durch weltlich orientiert. Man denke an seine Große Fuge, welche vielen zeitgenössischen Hörern und Hörerinnen so ungefügig, so widerspenstig, so gewaltsam erschien, dass sie Beethoven aus seinem Streichquartett op. 130, wo sie ursprünglich den letzten Satz bilden sollte, herausnahm und als eigenes Werk erscheinen ließ. Ähnlich exzessiv sind Die Klaviersonate op. 111

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manche seiner Variationen aus diesen Jahren, vor allem die Variationen op. 120, deren Anregung von dem Verleger Anton Diabelli ausging, der 1819 Beethoven – neben Erzherzog Rudolph, Czerny, Hummel, Liszt, Moscheles, Schubert und vielen Anderen – aufforderte, zu einem von ihm herausgegebenen Sammelband des Vaterländischen Künstlervereins ebenfalls eine Variation auf ein harmloses Walzermotiv zu komponieren. Doch anstatt sich – wie die Mehrheit der anderen Beiträger – dem Trend ins Biedermeierlich-Unverbindliche hinzugeben, schickte

Abb. 27  Beethoven: Klaviersonate op. 111, Schluss des 2. Satzes (1822)

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»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten«

Beethoven seinem Verleger schließlich einen monumentalen Variationszyklus von »33 Veränderungen«, der in seiner ungebärdigen Größe jeden verharmlosend-­ geselligen Rahmen sprengt und nur als ein Werk des Widerstands gegen die lieblich anmutende Oberflächlichkeit dieser »wüsten Zeiten« zu verstehen ist. Und der gleiche Trotz- und Durchhaltecharakter liegt auch Beethovens op. 111 zugrunde, zu deren Deutung alles bisher Gesagte nur ein umständlicher, aber nichtsdestotrotz notwendiger Vorspann war. Schließlich lässt sich ein bestimmtes Werk nur dann verstehen, wenn man neben seiner subjektiven und ästhetischen Besonderheit zugleich sein gesamtes soziohistorisches Umfeld ins Auge fasst. Dass ein solches Unterfangen in einem kurzen Aufsatz nur ansatzweise geleistet werden kann und dass zu einer derartig weit ausgreifenden Interpretation dieser Klaviersonate noch wesentlich mehr Aspekte herangezogen werden müssten, versteht sich wohl von selbst. Aber es sollten im Hinblick auf eine solche Gesamtdeutung – neben einigen methodologischen Vorüberlegungen – wenigstens zwei oder drei Grundlinien herausgearbeitet werden, die zum Verständnis des späten Beethoven und damit auch dieser Sonate meines Erachtens nach unumgänglich sind. Doch nun zum Werk selbst. Der erste Satz dieser Sonate, die Beethovens verständnisvollstem Gönner und zugleich nicht unbegabten Kompositionsschüler, dem Erzherzog Rudolph, gewidmet ist, beginnt mit einer Maestoso-Partie und geht dann in ein Allegro con brio e appassionato über, die beide in ihrer aufwühlenden Rhythmik den heroischen Passagen in Beethovens mittleren Werken in nichts nachstehen. Wie die Grande Sonate pathétique, die Coriolan-Ouvertüre und die 5. Symphonie ist der gesamte Satz in jener »c-Moll-Stimmung« gehalten,49 die auch einigen von Beethovens früheren, ins Monumental-Heroische tendierenden Werken zugrunde liegt. Nach einem langsam gehaltenen, majestätischen Anfang beginnt der Hauptteil dieses Satzes mit einer Fugenexposition, die mit Allegro con brio e appassionato überschrieben ist, um damit den Eindruck des Vorwärtsdrängenden zu verstärken. Einen ähnlichen Charakter haben die folgenden Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelläufe, bei denen meist die Aufwärtsbewegungen dominieren und wo auch vor gewagten Sprüngen, manchmal bis zu vier Oktaven, nicht zurückgeschreckt wird. Auf diese Weise erhält der dynamische Verlauf des Ganzen stets neue Impulse, wodurch streckenweise fast der Eindruck des Atemlosen entsteht, der ständig auf ein erwünschtes Ziel zusteuert, dieses jedoch nicht erreichen kann und daher am Schluss scheinbar unvermittelt in eine Pianissimo-Passage übergeht. Doch dann kommt der berühmte zweite Satz, auf den nach Thomas Manns und Adornos Ansicht kein weiterer Satz mehr folgen kann, da er nicht nur Die Klaviersonate op. 111

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den Schluss dieser Sonate, sondern den Schluss aller Sonaten bilde. Er ist in C-Dur gehalten und mit Adagio molto semplice e cantabile überschrieben. Sein Hauptthema – von Beethoven als »Arietta« bezeichnet – ist von äußerster Schlichtheit und hat doch einen ans Hymnische grenzenden Charakter, der von vornherein Großes erwarten lässt. Und dieses Große folgt dann auch, und zwar in den anschließenden fünf Variationen, bei denen Beethoven zwar auch in andere Tonarten ausschweift, aber immer wieder zu strahlenden C-Dur-­ Akkorden zurückkehrt. Dadurch bekommt dieser Satz etwas ungewöhnlich Positives, ins Lichte, Helle Strebende. Hierzu passen die ungewöhnlich langen, meist in die Höhenlagen eingebetteten Trillerketten und Ostinato-­Figurationen, die Beethoven vor allem gegen Ende dieses Satzes verwendet. Sie geben dem Ganzen einen noch helleren, ins Sphärische verweisenden Charakter und sind von manchen Interpreten – mit religiösen Akzentsetzungen – als Eintritt in »ein verklärtes Reich« gedeutet worden.50 Doch trotz seines sphärisch-aufgehellten Adagio-Charakters, der ja auch eine Tendenz ins Vage, Unbestimmte, Zerfließende bewirken könnte, erweckt dieser Satz – schon durch die erwartete Variationenfolge – einen durchaus zielstrebigen Charakter und lässt sich keineswegs als Ausdruck der Trauer oder des Abschiednehmens interpretieren. Selbst in ihm überwiegt letztlich das Prinzip des Weitermachens, des Weiterspinnens, des Weitergehens, das für Beethoven bis zum Ende seines Lebens der Hauptantriebsmotor seines Schaffens blieb.51 So interpretiert, gehört diese Sonate zu den ergreifendsten Monumenten einer Gesinnung, die für alle nachrevolutionären Zeiten vorbildlich bleiben sollte. Mochten auch ihre Inhalte, die noch immer mit den idealistischen Konzepten der Französischen Revolution und der Befreiungskriege zusammenhängen, nach 1815 weitgehend anachronistisch geworden sein, die »Haltung«, die sich in diesem Werk kundtut, war es keineswegs. Auch unter »grundlegend gewandelten Verhältnissen« versuchte hier ein rebellisch gesinnter Künstler an jenen »Positionen eisern festzuhalten«, die ihm im Rahmen des Epochenumbruchs zwischen 1789 und 1815 als die entscheidenden Wegweiser zu »besseren Welten« erschienen waren.52 Dass eine solche Haltung auf Seiten aller sich anpassenden, verzweifelt gestimmten oder auch resignierenden Geister verkannt werden musste, ist nicht verwunderlich. Umso klarer erkannten sie jene, die sich um eine ähnliche Haltung bemühten. Und zwar gilt das schon für den ebenfalls unter den »wüsten Zeiten« der metternichschen Restauration leidenden Franz Schubert, der einmal im Hinblick auf die Werke des späten Beethoven gesagt hat:53 »Es wird noch viel Wasser die Donau dahin wogen, ehe es zum allgemeinen Verständnis gekommen, was dieser Mann geschaffen.«54 144

»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten«

»Der schwer gefaßte Entschluß« Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135 »Dem Musiker kann doch die Zensur nichts anhaben, selbst wenn sie wüßte, was Sie bei Ihrer Musik denken« (Eintrag Franz Grillparzers in Beethovens Konversationshefte).

I Das Streichquartett gilt selbst bei vielen Liebhabern und Liebhaberinnen sogenannter »Klassischer Musik« als ein ausgesprochen sprödes Genre. Noch stärker als Symphonien oder Sonaten scheinen Werke dieser Art keinerlei Hinweise auf irgendwelche Bedeutungsinhalte und damit Verständnishilfen zu bieten, sondern nur auf sich selber – auf die komplexe Vierstimmigkeit ihres Zusammenspiels – bezogen zu sein. Demzufolge werden Streichquartette weithin als Formen einer »autonomen« oder »absoluten« Musik hingestellt, bei denen es geradezu banausisch wäre, sich ihnen mit bestimmten Inhaltserwartungen zu nähern. Was sollen daher im Hinblick auf sie irgendwelche historisch fundierten Ableitungstheorien, die von den Kriterien einer einfachen oder gedoppelten Mimesis à la Georg Lukács ausgehen?1 Ist nicht das Streichquartett eine Gattung, die sich in erster Linie an musikalisch gebildete Notenbildhörer oder Connaisseurs wendet, wie man früher gesagt hätte? Deshalb haben selbst viele Musikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen bei ihren Analysen bestimmter Quartette meist auf die Frage nach den durch die Musik ausgedrückten »Inhalten« verzichtet und sich noch ausschließlicher als bei anderen Genres der Instrumentalmusik auf eine deskriptive Nacherzählung ihrer formalen Aufbauprinzipien beschränkt und diese – durch vergleichende Hinweise auf davor oder danach komponierte Quartette – in die sogenannte Strukturgeschichte dieses Genres eingereiht. Am deutlichsten ließe sich das anhand der Analysen der Streichquartette Franz Joseph Haydns, des ersten Großmeisters dieser Gattung, zeigen. Hier hat man immer wieder nachzuweisen versucht, wie seine Quartettkunst von den frühen Quartetten op. 17, op. 20 und op. 33 über die mittleren Quartette op. 54, op. 55 und op. 64 zu den späten Quartetten op. 71, op. 75, op. 76 und op. 77 ständig charakteristischer und zugleich differenzierter werde. Während »Der schwer gefaßte Entschluß«

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zu Anfang noch die stereotypen Floskeln eines sogenannten frühklassischen Stils dominierten, lasse sich später eine wesentlich sorgfältigere Verarbeitung der jeweiligen Motive beobachten, was dazu führe, dass die einzelnen Sätze immer umfangreicher würden. Ähnliche Entwicklungsverläufe hat man im Hinblick auf Beethovens Streichquartette herausgearbeitet, und zwar von seinen eher traditionellen frühen sechs Quartetten op. 18 über die drei mittleren Rasumowsky-Quartette op. 59 sowie die Quartette op. 74 und op. 95 bis zu den fünf späten Quartetten op. 127, op. 130, op. 131, op. 132 und op. 135. All das klingt zwar sehr überzeugend, hinterlässt aber bei musikwissenschaftlich ungeschulten Menschen, die man nie in die formalen Prinzipien der musikalischen Harmonielehre eingeführt hat, einen höchst unbefriedigenden Eindruck. Sie müssen zwar zugeben, falls sie solche Analysen überhaupt lesen, dass hier strenge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Werke sind, sehen aber keinen eigentlichen Nutzwert für ihre eigenen Erkenntnisbemühungen darin, wenn sie immer nur von Dreiklangsbrechungen, Sechzehnteltriolen, Achtelketten, Reprisen, Kadenzformeln, Septimsprüngen, motivischen Synthesen, Taktgruppen, Quartsechsakkorden und dergleichen lesen. Je mehr man von diesem Begriffsvokabular versteht, desto sinnvoller werden solche Analysen selbstverständlich. Und doch lassen sie selbst viele musikwissenschaftlich geschulte Hörer und Hörerinnen letztlich unbefriedigt – vor allem dann, wenn Analysen dieser Art um ihrer selbst willen betrieben werden, ohne zu einer inhaltlichen Interpretation überzuleiten, durch die solche Formbeschreibungen überhaupt erst einen tieferen Sinn erhielten. Doch sich um weiterführende »semantische« Auslegungen eines Instru­ mental­werks wie dem des Streichquartetts zu bemühen,2 ist leichter gesagt als getan. Es gibt zwar immer wieder interessante oder weniger interessante Ansätze dazu, die sich aber in vielen Fällen so eklatant widersprechen, dass solche Bemühungen in den Augen »objektverpflichteter« Forscher und Forscherinnen von vornherein als unwissenschaftlich gelten. Vor allem allzu tonmalerisch-­ illustrierende oder an literarischen Stoffen angelehnte Übersetzungen von Klängen in Bilder oder Ideen, wie sie etwa Arnold Schering in seinem Buch Beethoven und die Dichtung (1936) vorgenommen hat, haben dieser Richtung mehr geschadet als genutzt und viele Musikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen in dem Gefühl bestärkt, im Hinblick auf solche Werke lieber beim Konzept der »autonomen« oder »absoluten« Musik zu bleiben. Doch diese beiden Extreme – hie tonmalerische Bildlichkeit, hie Verweigerung jeder Form von Gegenständlichkeit – sollten bei derartigen Fragestellungen nicht das letzte Wort behalten. Zugegeben, es gibt Werke, deren Komponisten bewusst 146

»Der schwer gefaßte Entschluß«

ins »Inhaltslose« strebten, ohne sich dabei klar zu machen, dass selbst solche Abstraktionsbemühungen, mit denen sie sich aus weltanschaulichen Gründen von ins angeblich Unkünstlerische tendierenden Richtungen spätromantischer, sozialistischer oder kulturindustrieller Provenienz in der Musik abzusetzen versuchen, einen eminent ideologischen Charakter haben können. Gilt jedoch eine solche Absicht bereits für die Instrumentalwerke Beethovens, der sich mit anderen seiner Kompositionen bemühte, so intensiv wie nur möglich in das politische Geschehen seiner Zeit einzugreifen? Und verwandte er dabei nicht Motive und musikalische Floskeln, die von seinen Zeitgenossen als deutlich anfeuernde Intonationen aufgefasst werden sollten? All das ist anhand seiner Hauptwerke, wie etwa der Eroica, oft genug nachgewiesen worden. Aber trifft das Gleiche auch auf seine Streichquartette zu, denen eher etwas Intimes, wenn nicht gar Kennerisches anhaftet, um auf die Anfangsfrage dieses Aufsatzes zurückzukommen?

II Um darauf eine sinnvolle Antwort geben zu können, muss man erst einmal kurz auf die Vorgeschichte solcher Diskussionen im 18. Jahrhundert eingehen, anstatt sich hierbei lediglich von betont »modernistischen« Gesichtspunkten leiten zu lassen. Wie wir wissen, hatte es die Instrumentalmusik im 18. Jahrhundert nicht leicht, sich gegen die Vormacht der Vokalmusik durchzusetzen. Vor allem streng rationalistisch orientierte Aufklärer wandten sich anfangs entschieden gegen Gattungen wie die Symphonie, die Sonate oder das Quartett, da diese Formen keine fassbare Begrifflichkeit und damit keinen Nutzwert für den »Fortschritt der Menschheit« im Hinblick auf eine größere Mündigkeit hätten.3 Diese Gruppen traten stattdessen nachdrücklich für eine verkündende oder anfeuernde Vokalmusik ein – und betrachteten Instrumentalmusik als etwa Gefälliges oder Galantes und damit letztlich der höfischen Unterhaltung Dienendes. Und diesen Zweck erfüllte ja ein Großteil dieser Werke auch, wenn man an die zwischen 1740 und 1780 herrschenden Aufführungsbedingungen in Sanssouci, Salzburg, Wien, Eisenstadt, Bayreuth, Mannheim, Dresden, Paris oder Versailles denkt. Die dort aufgeführten Kompositionen hatten Grazie, waren rokokohaft verspielt, demonstrierten das Können durchreisender Virtuosen und wurden häufig von vornherein als Divertimenti, Cassationen, Serenaden oder gar »Petits riens« bezeichnet. Ja, bei ihren Aufführungen konnte man zum Teil sogar dinieren oder miteinander tuscheln. Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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Demzufolge waren sich die französischen und die deutschen Aufklärer in der Ablehnung dieser Form des Musikbetriebs relativ einig. So empfand etwa ein radikaler Demokrat wie Jean-Jacques Rousseau alle Musikstücke ohne Text, also selbst Symphonien, Konzerte oder Sonaten, von vornherein als bloßen »Plunder« (»fatras«).4 Auch der Abbé Pluche nannte Musik ohne Worte »nichtssagend«, während Bernard de Fontenelle mit dem oft zitierten Ausspruch »Sonate, que me veux tu?« in Paris Furore machte.5 Nicht viel anders äußerten sich Enzyklopädisten wie Denis Diderot und Jean d’Alembert, die im Rahmen der Instrumentalmusik nur »malende« Kompositionen gelten ließen, die sich den Gesetzen der Nachahmung unterwürfen und damit nicht nur dem Ohr, sondern auch dem nach Anschaulichkeit verlangenden inneren Auge etwas zu bieten hätten. Nicht minder scharf drückten sich manche der deutschen Theoretiker in dieser Hinsicht aus, die in der steigenden Beliebtheit der Instrumentalmusik eine Wendung ins Formalistische oder Verzärtelnde erblickten, wodurch jede inhaltliche Verbindlichkeit verloren gehe. Ein Kritiker wie Christian Gottfried Krause kanzelte daher in seinem Buch Von der musikalischen Poesie (1753) eine solche Musik als etwas »Liebhabermäßiges« ab.6 Noch abschätziger drückten sich die konsequenten Rationalisten unter den Aufklärern aus. So bezeichnete etwa Johann Christoph Gottsched die reine Instrumentalmusik als »unbeseelt und unverständlich«, ja, als ein leeres »Geklingel«.7 Johann Adolf Scheibe nannte sie ein bloßes »Geräusch«, während sie Immanuel Kant mit dem Geschnurr eines »Paradiesvogels« verglich.8 Ja, noch Johann George Sulzer ließ im Artikel »Musik« der 1. Auflage seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1771/1774) als den höchsten musikalischen Ausdruck nur das Vokale gelten. Aufführungen von Instrumentalmusik empfand er dagegen als nichtssagenden »Zeitvertreib«, bei dem alle Hörer dem »freien Herumirren ihrer Phantasie« überlassen würden. Und zu solchen Werken gehörten, wie er schrieb, vor allem die »Konzerte, die Symphonien, die Sonaten, die insgemein ein lebhaftes und nicht unangenehmes Geräusch oder ein artiges und unterhaltendes, aber das Herz nicht beschäftigendes Geschwätz vorstellten«.9 Nicht viel anders drückten sich Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing in dieser Hinsicht aus.10 Äußerungen dieser Art ließen sich leicht vermehren.11 Immer wieder haben sich die Theoretiker der Aufklärung gegen jenes Prinzip der absoluten Zweckentbundenheit gewandt, das sie in der textlosen Musik am reinsten verwirklicht sahen. Hierin witterten sie Formalismus, Begriffslosigkeit, Verselbständigung der künstlerischen Mittel und damit letzten Endes Sinnlosigkeit. Allerdings lässt sich dabei ein seltsamer Widerspruch beobachten, der selbst in den tief148

»Der schwer gefaßte Entschluß«

sinnigsten Äußerungen über Musik, welche diese Richtung hervorgebracht hat, nicht ganz zu übersehen ist. Indem nämlich die Aufklärung – auch in der Kunst – einerseits nach einer Befreiung des menschlichen Ausdrucks von allen klerikalen und absolutistischen Bevormundungen strebte, geriet sie mitunter fast in jenen Bereich, in dem sich später die sogenannte Autonomieästhetik ansiedelte, während sie andererseits von der Kunst eine moralische, ja, didaktische oder zumindest erhebende Funktion verlangte, der sie eindeutig inhaltistische Bestimmungen zugrunde legte. Und damit musste sie die Instrumentalmusik als Ausdruck der steigenden Autonomie der Künste aus ästhetischen Gründen zwangsläufig hochschätzen, sie jedoch im gleichen Atemzug im Gefolge ihrer gesellschaftskritischen Gesinnung als Inbegriff einer wirkungslosen Ideenlosigkeit ablehnen. Wohl am deutlichsten kommt das in Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft (1790) zum Ausdruck, wo er das »Schöne« in der Kunst außerhalb jeder Vorstellung von Gegenstand, Inte­ resse und Zweck zu definieren versuchte, während er zugleich das inhaltliche »Erhabene« als die höchste Wertvorstellung in der Kunst bezeichnete. Daher lobte er im Zusammenhang solcher Überlegungen die Instrumentalmusik wegen ihrer ästhetischen Autonomie einerseits als Ausdruck einer zunehmenden Verfreiheitlichung, während er sie andererseits mit »Papiertapeten« oder »Zeichnungen à la grecque« verglich, die zwar äußerst schön anmuten mögen, aber wegen ihrer inhaltlichen Leere und damit mangelnden Erhabenheit weniger »Wert hätten als jede andere Kunst«.12

III Nun, solche Anschauungen mussten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­ derts – im Zuge der gefühlsseligen Empfindsamkeit, der Genievorstellungen der Sturm und Drang-Bewegung sowie der von den Ideen der Französischen Revolution ausgehenden weltanschaulichen Begeisterungswelle – auf Seiten der nach einem gesteigerten Ausdrucksverlangen drängenden Instrumentalkomponisten sowie der mit ihnen Sympathisierenden zwangsläufig zu heftigen Gegenreaktionen führen. Demzufolge spürt man seit den späten siebziger und frühen achtziger Jahren in manchen Symphonien, Sonaten, Instrumentalkonzerten und schließlich auch Streichquartetten ein deutlich anwachsendes Bemühen um eine Intensivierung und damit zugleich Nobilitierung dieser lange Zeit von »rationalistisch« orientierten Kritikern als weitgehend unverbindlich oder gefällig eingeschätzten Gattungen. Den jetzt auftretenden Komponisten Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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genügte es nicht mehr, die Instrumentalmusik im Sinne der dem Prinzip der Nachahmung verpflichteten Theoretiker mit »malenden« Zügen auszustatten, indem man einzelnen Werken oder einzelnen Sätzen illustrierende Titel gab. Stattdessen bemühten sie sich zugleich darum, den Ausdruckscharakter ihrer Werke dadurch zu erhöhen, indem sie die älteren Mittel der musikalischen Rhetorik zu Ausdrucksmitteln einer »redenden« Musik zu machen versuchten, um so im Zuge steigender Subjektivierungsbedürfnisse in ihre Kompositionen – trotz aller formalen Rahmenbedingungen – auch ihre eigenen Ideen und Gefühle hineinlegen zu können. Dass sich schon vor ihnen viele Komponisten in ihren Werken bestimmter rhetorischer Mittel bedient haben, ist bekannt. So werden etwa in den geistlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs Mattigkeit und Schwäche in schleppenden Rhythmen ausgedrückt, Sterbestimmungen mit Glockenintervallen untermalt, Gewitterstürme mit Wellenmotiven begleitet, Sturzmotive mit fallenden Septimen verbunden oder der Zustand hoffnungsloser Trauer durch chromatisch absteigende Linien ausgedrückt, auf die pausendurchbrochene Rhythmen folgen, um so das Irrlichternde eines solchen Zustandes herauszustellen.13 Doch selbst solche motivischen Formeln waren manchen Komponisten des späten 18. Jahrhunderts noch nicht »ausdrucksstark« genug. Sie wollten nicht nur beschreiben oder ausmalen, das heißt im Bereich des Deskriptiven verharren, sondern auch ihrer eigenen Stimme Ausdruck verleihen. Und sie versuchten das, indem sie immer »sprachähnlicher« komponierten,14 um so an die Stelle des Objektivierend-Mittelbaren das Persönlich-Unvermittelte treten zu lassen. Nach zaghaften Ansätzen in den Werken Haydns und Mozarts sind vor allem die Frühwerke Beethovens wohl die besten Belege für diesen Entwicklungstrend. Bereits in seinen Klaviertrios op. 1, den ersten Klaviersonaten, vor allem der Grande Sonate pathétique op. 13 sowie den Streichquartetten op. 18 bemühte er sich, in die abstrakte Sprache der Instrumentalmusik einen Persönlichkeitston hineinzubringen, der diese Musik – weit über die rhetorische Figurationskunst der älteren Affektenlehre hinaus – zum Ausdruck seiner eigenen seelischen Verfasstheit zu machen versuchte. Wie stark solche Tendenzen durch die verschiedenen Freiheits- und Subjektivierungshoffnungen dieser Jahrzehnte angefacht wurden, braucht nach dem bereits Gesagten wohl nicht noch einmal erläutert zu werden. Schließlich war Beethoven nicht der Einzige, der sich in diesem Zeitraum um eine solche, der menschlichen Artikulation nachgebildete »Tonsprache« bemühte. Dafür sprechen auch eine Reihe musikalischer Theoriebildungen dieser Ära, wie sie unter anderem Hartmut Krones herausgearbeitet hat.14 So empfahl 150

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etwa Johann Philipp Kirnberger 1786 in seinem Artikel »Instrumentalmusik« in der 2. Auflage von Johann George Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste den Tonsetzern seiner Zeit, sich beim Komponieren den »Charakter einer Person, oder eine Situation, eine Leidenschaft, bestimmt vorzustellen« und »ihre Phantasie so lang auszuspannen, bis sie eine in diesen Umständen sich befindliche Person glauben reden zu hören«.16 Im gleichen Sinne nannte Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (1806) eine melodische Paraphrasierung eine »Rede«, einen zwei- bis dreistimmigen Satz eine »Unterhaltung« und eine Sonate eine »Konversation oder Nachäffung des Menschengesprächs«.17 Vor allem bei den Freunden, Bekannten und Schülern Beethovens finden sich solche Äußerungen immer wieder. Hartmut Krones wies in diesem Zusammenhang besonders nachdrücklich auf die Schriften des Wiener Komponisten und Musiktheoretikers Friedrich August Kanne hin, der in mehreren Aufsätzen um 1820 auf das rhetorische Vokabular der zeitgenössischen Instrumentalmusik eingegangen ist und dabei den Hauptnachdruck auf Bedeutungsfiguren wie Exclamatio, Interrogatio, Inganno, Repetitio und Dubitatio gelegt hat, um so Grundformen einer musikalischen Syntax bestimmen zu können.18 Ähnliches findet sich noch in Carl Czernys 1842 erschienener Vollständigen theoretisch-praktischen Pianoforte-Schule, wo er etwa dem Accelerando folgende Gestik, Deklamation oder auch inhaltliche Bestimmtheit zuordnete: »Plötzliche Munterkeit, eilende und neugierige Fragen, Ungeduld, Unmut und ausbrechender Zorn, kräftiger Entschluß, unwillige Vorwürfe, Übermut und Laune, furchtsames Entfliegen, plötzliche Überraschung, Übergang aus einem ruhigen Zustand in einen aufgeregten, usw.«19 Auch Beethoven selber hat sich beim Komponieren und beim Vortrag seiner Werke häufig solcher »Sprechweisen« bedient. So soll er laut Anton Schindlers Beethoven-Biographie von 1840 seine Interpreten aufgefordert haben, beim Vortrag seiner Werke »bisweilen passende Worte einer streitigen Stelle unterzulegen und sie zu singen«.20 Ja, in einem Brief vom 18. April 1815 an Johann Nepomuk Kanka, der ihm einen Kompositionsauftrag gegeben hatte, schrieb er sogar mit deutlichen Anspielungen auf die politische Situation dieser Zeit in Frankreich: »Womit soll ich Ihnen in meiner Musik dienen? Sprechen Sie, wollen Sie das Selbstgespräch eines geflüchteten Königs oder den Meineid eines Usurpators besungen haben – oder das Nebeneinanderwohnen zweier Freunde, welche sich nie sehen.«21 Zuweilen ging Beethoven sogar noch weiter und begrüßte es, wenn seine Freunde, wie etwa Franz Wegeler, einzelnen Stellen in seinen Werken, wie besonders charakteristischen Passagen seiner Klaviersonaten op. 21, 1 und Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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Abb. 28 Franz Wegeler: Textierung in Form eines Gedichtes zu Beethovens 2. Satz der Klaviersonate op. 2,1 (1797)

op. 26, mit bedeutsamen Texten versahen.22 Auch er selber neigte manchmal dazu, sich ähnlicher Mittel zu bedienen. So verwandte er bei der Komposition der Klaviersonate op. 31,2 eine bestimmte Konfiguration aus Shakespeares Sturm, überschrieb die Bagatelle op. 33, Nr. 6 mit »Allegro – Con una certa espressione parlante« und legte der Klaviersonate op. 90 als programmatisches Substrat eine sich tatsächlich ereignete Liebesgeschichte unter.23 Ja, in einigen Werken gab Beethoven seinen Melodien fast die Form erkennbarer Verse und Strophen, wie es bei Harry Goldschmidt einmal heißt,24 um ihnen damit einen möglichst gewichtigen, das heißt charaktervollen Ausdruck zu geben. Und zwar sollte das nicht nur die prosodischen und deklamatorischen Züge verstärken, sondern auch die aus seiner eigenen Psychomotorik erwachsenden Ausdrucksweisen akzentuieren, in denen er das Klangliche immer wieder mit bestimmten höchst persönlich empfundenen Gefühlen, Gedanken 152

»Der schwer gefaßte Entschluß«

oder auch politischen Überzeugungen zu verbinden suchte. Selbst in Briefen, vor allem nach 1819, umschrieb daher Beethoven ihm wichtig erscheinende Wendungen – wie etwa Todesahnungen – häufig mit Tonintervallen, die offenbar seiner eigenen Artikulationsweise nachgebildet waren.25 Dietmar Holland behauptete dementsprechend zu Recht, dass Beethovens Musik einen nicht zu überhörenden »Sprachcharakter« besitze.26 All das könnte man als jene »Haltung« in Beethovens Werken definieren, welche seine Musik über die so vieler Komponisten um 1800 erhebe, die weiterhin dem bloß Spielerischen, Unterhaltsamen, ja geradezu Domestikenhaften verpflichtet blieben.

Abb. 29 Aus einem Brief Beethovens an Dr. Anton Braunhofer vom 11. Mai 1825, dem er bereits 1820 sein »Abendlied unterm gestirnten Himmel« gewidmet hatte

IV Wie stark sich dieses subjektive Ausdrucksverlangen in Beethovens Fidelio sowie in manchen Symphonien und Sonaten seiner »heroischen« Phase äußerte, haben wir bereits gesehen. Aber wie ließ sich eine solche »Haltung« auch in der Form des Streichquartetts ausdrücken, um auch in dieser Hinsicht auf die Anfangsfrage dieses Aufsatzes zurückzukommen? War nicht in diesem Genre – schon durch die Vielstimmigkeit, die noch an Bläserquartette oder -quintette erinnerte – von vornherein eine ganz andere »Objektivität« vorgegeben? Ja und nein. Es stimmt schon, dass sich in einer Klavier- oder Violinsonate ein wesentlich »persönlicherer« Ton anschlagen ließ als in einem Quartett oder Quintett. Daher wurden diese beiden Gattungen zwangsläufig zu den Lieblingsgenres der Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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bürgerlich-subjektivistisch gestimmten Musik des 19. Jahrhunderts, während mehrstimmige Werke – wie die im 18. Jahrhundert noch beliebten ­Flöten-, Klarinetten-, Oboen- und Fagott-Partiten – immer stärker in den Hintergrund traten. Und an diesem Prozess war auch Beethoven maßgeblich beteiligt, der auf kammermusikalischem Gebiet sein Bestes im Bereich der ichbetonten Klavierund Violinsonaten zu geben versuchte, während Ensemblewerke für »neutraler« klingende Holzbläser – im Gegensatz zu Franz Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart sowie Franz Danzi, Franz Krommer, Friedrich Kuhlau, Anton Reicha und anderen sogenannten Kleinmeistern des späten 18. Jahrhunderts – in seinem Œuvre nur noch eine marginale Rolle spielen. Dagegen nimmt das von ihm immer stärker ins Subjektivierend-Ausdrucks­ hafte gesteigerte Streichquartett innerhalb seines kammermusikalischen Schaffens – neben den Klavier- und Violinsonaten – einen recht beachtlichen Raum ein. Die sechs Quartette op. 18, die Beethoven zwischen dem Herbst 1798 und dem Sommer 1800 komponierte und die im Palais des Fürsten Karl Alois Johann Lichnowsky uraufgeführt wurden, waren – an späteren Maßstäben gemessen – noch relativ traditionell gehalten. Aber schon sie empfanden die Zeitgenossen, wenn man einem Beitrag der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 26. August 1801 glauben darf, als »schwer auszuführen und keineswegs populär«. Die eher konservativ gesinnten Musikkritiker dieser Zeit spürten also durchaus, dass in ihnen nicht das Dankbare und Einschmeichelnde, sondern eher ein – wenn auch noch durch die strenge Form gemäßigter – persönlicher Ausdruckswille vorherrschte, der sich nicht mehr ohne Weiteres in die durch Haydn geschaffenen Parameter dieser Gattung einordnen ließ. Noch stärker wurden die Vorbehalte der Allgemeinen musikalischen Zeitung gegen jene drei Streichquartette op. 59, die Beethoven zwischen 1804 und 1806 komponierte und dem Fürsten Andreas Kyrillowitsch Rasumowsky widmete, in dessen Palais auch während der Besetzung Wiens durch die Franzosen weiterhin Kammermusikkonzerte stattfanden, für die Rasumowsky den berühmten Primgeiger Ignaz Schuppanzigh engagierte. Diesmal hieß es in einer Kritik der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 27. Februar 1807, dass diese Quartette zwar »tief gedacht und trefflich gearbeitet«, aber »sehr lang und schwierig« und daher nicht »allgemeinfaßlich« seien. Ja, kurze Zeit später bezeichneten andere Musikrezensenten, die etwas »Gefälliges« erwartet hatten, diese drei Quartette in reaktionärer Verbohrtheit als »verrückte Musik« oder »Flickwerk eines Wahnsinnigen«, als so egozentriert und damit unkonventionell empfanden sie diese Werke.27 Auch die beiden folgenden Quartette op. 74 und op. 95 dürften nicht sofort auf die Zustimmung der Musikkritiker oder eines breiteren Publikums 154

»Der schwer gefaßte Entschluß«

gestoßen sein. Im Hinblick auf das 1809 komponierte Quartett op. 74, das sogenannte Harfenquartett, fand der Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung, dass es die Ohren der Hörer nicht gerade »liebkose«.28 Noch weniger gefiel den Wiener Musikliebhabern das 1810 komponierte, aber erst 1814 uraufgeführte »Quartetto serioso« in f-Moll op. 95. Dieses Werk ist ein deutliches Dokument jener »Lebenskrise«, die bei Beethoven im Jahr 1810 durch die »erneute Verheiratung Josephine von Brunsviks und die Abweisung seines Heiratsantrags durch Therese Malfatti« ausgelöst wurde.29 All das hatte ihm seelisch so zugesetzt, dass er für eine Weile erwog, dieses Quartett – wegen seiner höchst persönlichen Intonationen – nie öffentlich aufführen zu lassen.30 Noch stärker als zuvor wird in diesem Werk Beethovens Quartettstil so stark subjektiviert, dass er – wie in manchen späten Klaviersonaten – immer stärker den Charakter des Zusichselbst-Sprechens annimmt und damit in seiner Ernsthaftigkeit fast etwas Unmelodisches bekommt. Für die fünf letzten Streichquartette op. 127, op. 130, op. 131, op. 132 und op. 135 gilt das zwar teilweise ebenso, aber dennoch weisen sie zugleich eine »Haltung« auf, mit der sich Beethoven – bei aller Beschränkung auf das Kammermusikalisch-Intime – zugleich zum Sprachrohr der allgemeinen politischen Situation zu machen versuchte, anstatt sich nur zu bemühen, seine eigenen Liebesenttäuschungen in Töne zu fassen. Diese Quartette, die – nachdem er kurz zuvor die Missa solemnis, die 9. Symphonie und die Diabelli-­Variationen abgeschlossen hatte – in relativ schneller Folge zwischen Februar 1825 und November 1826 entstanden, spiegeln zwar auch Beethovens Verbitterung über seinen Gehörverlust und die damit zusammenhängende Vereinsamung wider, repräsentieren aber zugleich wesentlich mehr. Sie sind der musikalische Ausdruck einer »Brückenkopf«- oder »Zitadell«-Gesinnung,31 mit der Beethoven nach dem Scheitern seiner erst napoleonisch und dann patriotisch gefärbten Freiheitsgesinnung den Repressionsmaßnahmen der Metternich-Ära nicht nur mit seiner 9. Symphonie, sondern auch mit seiner Klaviersonate op. 111 und seinen letzten Quartetten entgegenzutreten versuchte. So gesehen sind sie Werke, die sich bewusst gegen die durch die metternichsche Restaurationspolitik geförderte »biedermeierliche« Schönfärberei wandten, das heißt nicht ohne die Erbitterung über die Wiedereinführung des Ancien régime durch den Wiener Kongress sowie die scharfen Zensurbestimmungen der Karlsbader Beschlüsse von 1819 zu verstehen sind. Wer also weiterhin mit den herrschenden gesellschaftspolitischen Zuständen unzufrieden war, sah sich wie Beethoven nach dem offenherzigen Aufbegehren im Schlusschor der 9. Symphonie – wie Caspar David Friedrich in seinem Bild Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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Das Eismeer oder Die gescheiterte Hoffnung (1823) oder Franz Schubert in seiner Winterreise (1828) – zu einer kryptisch-verschlüsselten künstlerischen Ausdrucksweise gezwungen, die nur noch von Gleichgesinnten verstanden wurde.32 Und in diesen Kontext gehören auch Beethovens späte Streichquartette, in denen neben leidenden und entsagungsvollen Passagen auch immer wieder ein auftrotzender Ton durchbricht, mit anderen Worten: wo nicht nur resignative, sondern auch aufbegehrende Motive zu hören sind. Für eine solche Musik fand sich in diesen Jahren – im Zuge des Rückgangs an symphonischen Benefizkonzerten und der sich ausbreitenden kammermusikalischen Veranstaltungen – in Wien anfangs noch durchaus ein liberales, sich mit dieser Stimmung identifizierendes Publikum. Deshalb wurden seine letzten Quartette – in den Aufführungen des Schuppanzigh-Quartetts – von einer zwar kleinen, aber desto »begeisterten« Zuhörerschaft begrüßt, die diese Werke weder als eine »musica reservata« noch als eine »elfenbeinerne Fluchtburg des Ästhetischen« auffasste.33 So wurde etwa das Quartett op. 127 im Jahr 1825 in Wien gleich dreimal aufgeführt. Und auch die Quartette op. 130 und op. 132 konnten zwischen Ende 1825 und Anfang 1826 mehrfach öffentlich gespielt werden. Nur die Quartette op. 131 und op. 135 erlebten vor Beethovens Tod im Jahr 1827 in Wien keine Aufführungen mehr. Als sich danach die noch mit dem späten Beethoven sympathisierende Zuhörerschaft allmählich den »biedermeierlichen« Verhältnissen anpasste, wurden auch die drei anderen Quartette wesentlich seltener gespielt, zumal Schuppanzigh im März 1830 starb. Eine Renaissance erlebten diese Quartette erst wieder im Rahmen jener Fin-de-siècle-­Stimmungen um 1900, in denen plötzlich ein Interesse an allem Komplizierten, Altersbedingten und Spätzeitlichen einsetzte.34 Und zwar kam diese Stimmung vor allem dem Quartett op. 132 zugute, dessen zweiter Satz mit Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit in der lydischen Tonart überschrieben ist. Dabei wurde jedoch meist übersehen, dass nach dem betont »elegischen« Adagio-molto-Teil ein Andante folgt, das die Überschrift Neue Kraft fühlend trägt – also auch hier jener Wille zum »Weitergehen« oder »Weitermachen« betont wird, der bereits Beethovens Klaviersonate op. 111 auszeichnet.35

V Das Quartett op. 135 blieb dagegen ein Stiefkind dieser Renaissance, da es auf Anhieb in seiner relativ unkomplizierten Viersätzigkeit – jedenfalls im Vergleich zur Siebensätzigkeit von op. 131 oder dem weiträumigen Quartett op. 130, in 156

»Der schwer gefaßte Entschluß«

dem Beethoven als Schlusssatz ursprünglich eine »Große Fuge« verwenden wollte – fast wie eine Reprise früherer Aufbauprinzipien wirkte. Auch in seiner musikalischen Grundstimmung galt es eher als ein wohlklingendes als ein leidend gestimmtes Werk. Daher haben es später einige Musikwissenschaftler und -wissenschafterlinnen als eine nostalgische Rückkehr zum »galanten Stil« eines Haydn oder Mozart, wenn nicht gar als den Versuch einer halbwegs opportunistischen Anpassung an den »biedermeierlichen« Geist der Metternich-­ Ära hingestellt.36 Erst Maynard Solomon hat sich zu Recht gegen solche Charakterisierungen gewandt und auf der letzten Seite seines Beethoven-Buchs darauf hingewiesen, dass auch dieses Quartett alle Eigentümlichkeiten des Spätstils Beethovens aufweise.37 Allerdings ließ auch er die oft gestellte Frage unbeantwortet, warum Beethoven den letzten Satz dieses Quartetts Der schwer gefaßte Entschluß genannt hat und welche Rolle darin die hamletsche Frage »Muss es sein?« spielt, auf die Beethoven in der Partitur die ebenso lakonische Antwort »Es muss sein« gab. Und auf diese Frage soll im letzten Abschnitt dieses Aufsatzes, zu dem alles Vorhergegangene letztlich nur als eine weit ausholende, aber letztlich historisch unabdingbare Einleitung diente, noch etwas näher eingegangen werden. Nach einer der jüngsten Analysen dieses Werks von Friedhelm Krummacher, in der er sich ebenfalls gegen den abschätzigen Ton in manchen Urteilen über dieses Quartett wandte,38 herrsche in diesem Werk die gleiche »Radikalität«, die auch für die anderen vier späten Quartette charakteristisch sei. Dabei verstand er unter »Radikalität« allerdings nur die formale Avanciertheit des beethovenschen Altersstils, ohne auf irgendwelche inhaltlichen Kriterien einzugehen. So heißt es bei ihm gleich zu Anfang, dass die Überschrift Der schwer gefaßte Entschluß, also das Motto, welches Anton Schindler in seiner Beethoven-­Biographie (1840) lediglich anekdotisch interpretiere,39 »semantisch« kaum zu entschlüsseln sei, sondern im Bereich der »hermetischen Unbestimmtheit« bleibe.40 Krummacher sah sich durch dieses höchst kryptische Motto lediglich in der gängigen Anschauung bestätigt, dass das Wesen aller Instrumentalmusik eben darin bestehe, inhaltlich nicht interpretierbar zu sein. Er beschrieb daher den Anfang dieses Satzes in konsequenter Reduzierung auf die kompositorischen Vorgänge folgendermaßen: »Das Motto präsentiert zwei konträre Zellen, die erst in der Einleitung in f-Moll zu konkretem Klang gelangen. Die Zelle ›Muss es sein‹, die nach Terzfall g–e die Mollterz as erreicht, erklingt in den Unterstimmen, sie wird von skalaren Achtelketten im Legato durch beide Violinen und Bratsche in freier Imitation beantwortet. Die transponierte und variierte Wiederholung dieses zweitaktigen Modells (T. 1–2, 3–4) stößt auf Akkordschläge aller StimDer letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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Abb. 30  Beethoven: Streichquartett op. 135, Anfang des 4. Satzes (1827)

men (T. 5–6). Und beide Momente – Mottozelle und Akkordschläge – lösen sich ab, bis der Satz in Repetition des verminderten Septakkords über Grundton C und schließlich im Unisono verrinnt (T. 7–9, 10–12)«.41 Und auf diese Weise geht es in Krummachers minutiöser Formbeschreibung weiter bis hin zu der »raschen Steigerung« der Stretta gegen Schluss des Ganzen, die in das »Zitat der zweiten Mottoform münde (T. 258–277)«.42 158

»Der schwer gefaßte Entschluß«

Gegen eine solche »objektverpflichtete« Analyse lässt sich selbstverständlich nichts einwenden. Aber sie erläutert letztlich nur, was man gar nicht zu erläutern brauchte, nämlich die bereits von Beethoven vorgegebenen Tonfolgen.43 Und so kann auch Krummacher – wie vor ihm schon viele andere – daraus keine wirklichen »Schlüsse« ziehen. Bei ihm heißt es dementsprechend: »Die Frage, die das Motto dem Finale stellt, zielt weder auf semantische Charakteristik noch auf biographische Deutung.«44 Eine andere Antwort auf diese Frage kann auch er nicht geben. Als bloßem Formanalytiker bleibt ihm nur übrig, die von Beethoven vorangestellten Zeilen »Muss es sein?« und »Es muss sein« auf den »prozessualen Verlauf« des Ganzen zu beziehen, um damit zu beweisen, dass sich aufgrund der »Radikalität« von Beethovens Komponierweise in diesem Quartett ein integrales Kunstwerk nur noch mit einer gewissen Gewaltsamkeit, wie in der Stretta des Schlusses, erreichen ließ.45 Wie gesagt, gegen eine solche Sehweise lässt sich schwer etwas einwenden, es sei denn, man ginge auf die Frage ein, was ästhetisch höher zu bewerten sei: die innere Stimmigkeit der aufgewandten kompositorischen Mittel oder ein angeblich avanciertes Infragestellen aller bisherigen Kompositionsweisen? Doch selbst eine solche Problemstellung erscheint mir noch zu »formalistisch«. Schließlich geht es in allen großen Kunstwerken weder allein um die innere Stimmigkeit der stilistischen Aufbauprinzipien noch allein um die ästhetische Gewagtheit im Zerbrechen älterer Formen. Wer von den unabweislichen Kriterien einer Form-Inhalt-Dialektik ausgeht, dürfte daher bei seinen Formanalysen nie vergessen, welche innere Gezieltheit, das heißt denkerische oder gefühlsmäßige Disposition, den jeweils angewandten Formelementen zugrunde liegt. Sonst wäre Goethes Faust II aufgrund seiner recht disparaten Aufbauprinzipien für alle an klassischen Formprinzipien festhaltenden Konservativen ein »grundschlechtes« und für alle modernistisch zersplitterte Gestaltungsweisen bevorzugenden Liberalen ein »höchst bedeutsames« Werk. Und mit einer solchen dialektisch ausgerichteten Seh- oder besser Hörweise, die nie die Form-Inhalt-Relationen aus dem Auge verliert, sollte man sich auch dem vierten Satz von Beethovens Streichquartett op. 135 nähern. Mit anderen Worten: Geht es in ihm wirklich nur um eine musikalische Semantisierung des vorangestellten Mottos Der schwer gefaßte Entschluß? Rein vordergründig, das heißt im Sinne einer in Tönen ausgedrückten »Deklamation«, die sich einer logischen Argumentationsweise anzupassen bemüht, sicher nicht. Dennoch lässt sich das Moment des »Sprechenden« in Beethovens Instrumentalmusik, auf das neben Hartmut Krones46 unter anderem auch Harry Goldschmidt47 und Wolfgang Osthoff48 hingewiesen haben, bei der Interpretation dieses Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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Satzes nicht ganz von der Hand weisen. Allerdings sollte man dabei nicht wie Osthoff – trotz aller auch von ihm herangezogenen Belege »deklamatorischer« oder »sprechender« Partien in Beethovens Instrumentalwerken – gegen Schluss einfach die Folgerung ziehen, dass Beethoven in solchen Passagen weder in die ältere Rhetorik noch in die ältere Affektenlehre zurückfallen wollte, sondern sich bemüht habe, »aus Sprachvermögen eigenen Rechts von dem Unaussprechlichen Kunde zu geben«.49 Und dieses »Unaussprechliche«, so Osthoff, lasse sich selbst durch noch so konkret wirkende »Parallelerscheinungen« oder »Analogien« nicht erschließen.50 Er bezog sich dabei ausdrücklich auf Hegel, der in seinen Vorlesungen über die Ästhetik mehrfach erklärt habe, dass die »Hauptaufgabe« der Musik nicht in ihrer »Gegenständlichkeit«, sondern im Gegenteil darin bestehe, »die Art und Weise widerklingen zu lassen, in welcher das innerste Selbst seiner Subjektivität und individuellen Seele nach in sich selbst bewegt«.51 Das ist zwar tiefsinnig gesagt, gibt aber dennoch keine Antwort auf die Frage, welches denn die Determinanten sind, nach denen sich das »Selbst in sich selbst bewegt«? Schließlich zieht sich damit auch Hegel – trotz seiner immer wieder propagierten Dialektik aller geistigen und kulturellen Phänomene – in den Bereich des Essentiellen zurück, wo für die tatsächlichen Realisationen bestimmter Gedanken oder Gefühle keine weiteren Erklärungsgründe mehr nötig sind. Fragen wir daher ruhig weiter: Was sind denn die inhaltlichen Beweggründe, die Beethoven veranlassten, diesem Quartettsatz ein solches Motto voranzustellen? Auch er kann doch kein ausschließlich »in sich selbst« bewegtes Selbst gewesen sein, das es letztlich nur in der idealistischen Philosophie, aber nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gibt. Jedes Ich ist stets ein höchst komplexes Gebilde, das sich im Laufe des Lebens aufgrund vieler empfangener Eindrücke verschiedenster Art auf diese oder jene Art entwickelt, wobei allerdings neben den gesellschaftlich determinierenden Faktoren bei historisch-bewussten Menschen auch die freien Entscheidungen des sich selbst determinierenden Ichs eine wichtige Rolle spielen. Und dazu gehörte für Beethoven nach 1815 sicher auch der »Entschluß«, sich nicht dem ins »Biedermeierliche« tendierenden, wenn nicht gar maßgeblichen Kulturbetrieb der Metternich-Ära anzupassen, sondern seinen früheren, weitgehend aufmüpfigen Freiheitshoffnungen treu zu bleiben. Und davon »sprechen« zweifellos auch seine letzten fünf Streichquartette. Der schwer gefaßte Entschluß des Finales von op. 135 steht daher auch in diesen Zusammenhängen und lässt sich nicht allein auf formale Kompositionserwägungen zurückführen. Angesichts einer sich durch Taubheit und Altersbeschwerden einstellenden Teilresignation sprach sich Beethoven – im Sinne 160

»Der schwer gefaßte Entschluß«

eines heroischen Trotzalledem – in diesem Satz noch einmal Mut zu, dennoch »Weiterzumachen«, selbst wenn er politisch damit kaum etwas bewirken würde. Aber als menschheitlich denkender Komponist fühlte sich Beethoven selbst in diesem letzten, seiner Altersschwäche abgerungenen Quartett noch immer mit der Zukunft im Bunde. Wie sollte man sonst den expressiven Charakter der einzelnen Motive mit ihren Akkordschlägen, ihren häufigen Unterbrechungen, ihren Grave-Partien, ihren ständig neu ansetzenden und ihren ins Fortissimo drängenden Steigerungen hören, wenn nicht als Ausdruck eines widerspenstigen »Dennoch« oder »Trotzallerdem«? Hier versucht sich jemand trotz defätistischer Anwandlungen, die sich in allen nachrevolutionären Epochen einstellen, noch immer zu jenem »Prinzip Hoffnung« zu bekennen, das aller großen Kunst ihre eigentliche Würde und ihre in die Zukunft weisende Bedeutsamkeit verleiht. Es ist deshalb nicht genug, wie Lewis Lockwood zu behaupten, dass Beethoven im letzten Satz seines Streichquartetts op. 135 zwar die Instrumente zum »Sprechen« bringe, aber sich dann damit begnüge, den Inhalt des Ganzen lediglich als ein »adventure in dialectic« zwischen dem »Muss es sein?« und »Es muss sein« ablaufen zu lassen.52 Noch vordergründiger finde ich Joseph Kermans Charakterisierung dieses Satzes, der aus dem »Muss es sein? motif« vornehmlich eine »farcical depiction of an old miser’s discomfiture« heraushörte, die durchaus komisch wirke, wie er überhaupt das Ganze als ein Werk interpretierte, in dem »laughter, spontaneity, and verve« tonangebend seien.53 Da klingt mir Karl Schönewolfs Antwort auf die Frage nach dem »Müssen«, die in diesem Finale gestellt wird, nach wie vor überzeugender. Bei ihm heißt es in seinem Buch Beethoven in der Zeitenwende: »Die emsige Tätigkeit, die in diesem polyphonen Satz dargestellt wird, die frohgemute Bewegung und die Zuversicht, die dieses Allegro erfüllen, sagen aus, dass in der Arbeit, in der freischaffenden Tätigkeit, im schöpferischen ›Weitergehen‹ der Sinn und das höchste Glück des Lebens erkannt ist. Denn das ›Müssen‹ enthält ein Grundgesetz des gesellschaftlichen Seins, das jeder verantwortungsvolle Mensch freudig bejaht, da dessen Erfüllung ihm ja auch zugleich die höchste Freiheit gewährt.«54 Ob Beethoven diesen Formulierungen in allem zugestimmt hätte, wissen wir nicht. Aber er hätte sie sicher als den Ausdruck einer ähnlichen Gesinnung empfunden. Doch wie gesagt, die meisten von Beethovens Wiener Zeitgenossen wichen in den zwanziger Jahren lieber ins ideologisch Unverbindliche aus, anstatt weiterhin gegen den reaktionären Ungeist dieser Ära aufzumucken. Vor allem in der sich ins Biedermeierliche zurückziehenden Hausmusik, wo neben dem Liedersingen und Klavierspielen auch Werke für Harfe, Gitarre und Harmoniemusiken für kleinere Bläserensembles immer beliebter wurden, breitete sich ein Der letzte Satz des Streichquartetts op. 135

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ins Harmlose abgleitender Musikbetrieb aus, in dem Aufführungen von Beethovens letzten Klaviersonaten und Streichquartetten geradezu anachronistisch gewirkt hätten. Ja, selbst als sich in den dreißiger Jahren wieder rebellische Stimmen zu Worte meldeten, kam das zwar der Literatur zugute, die trotz aller Behinderungen durch die Zensur, wie dem Verbot der Jungdeutschen Schriftsteller von 1835, durch ihre in der Schweiz, in Paris oder im deutschen Untergrund gedruckten Werke eine gewisse Beachtung fand, aber das Musikleben blieb weiterhin romantisch-gefühlvoll oder biedermeierlich-harmlos. Daher schenkte man Beethovens späten Streichquartetten, die in ihrem Schwierigkeitsgrad professionelle Spieler voraussetzten, bis in die fünfziger und sechziger Jahre keine besondere Aufmerksamkeit. Erst in wilhelminischer Zeit wurden sie erneut gespielt, ohne dass man sich dabei an ihren ursprünglichen Aussagewert erinnert hätte.

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»Der schwer gefaßte Entschluß«

II.  Die Wirkung

Nähe in der Distanz Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

I Wie wir wissen, lebten die meisten Künstler jahrhundertelang in ideologisch überformten Notstands- oder Bedarfdeckungsgesellschaften, in denen sie vornehmlich eine den herrschenden Schichten – ob nun den Höfen, dem bürger­ lichen Patriziat oder den Kirchen – genehme Auftragskunst schufen, die entweder der Glorifizierung Gottes und seiner Heiligen oder der jeweiligen Vertreter der weltlichen Obrigkeit diente. Die Frage nach der heutigen Relevanz ihrer Werke wirft daher in allen auf eine fortschreitende Demokratisierung drängenden Gesellschaften zum Teil schwerwiegende Probleme auf. Schließlich, was gehen Menschen in solchen Ländern eigentlich Kunstgebilde an, die – etwas vergröbernd gesprochen – weitgehend unter den Bedingungen feudalistisch-­ klerikaler Gewaltsysteme entstanden und häufig lediglich die Aufgabe hatten, die politische und sozioökonomische Ungerechtigkeit der in ihnen herrschenden Klassenverhältnisse mit einer ästhetisch-rituellen Aura zu überblenden? Sollten wir nicht demzufolge alle diese Werke in die geschichtliche Rumpelkammer werfen, wie das in Deutschland von vandalistisch-radikalen Gruppen – wie manchen Dadaisten um 1919/1920, besonders entschiedenen Vertretern des Proletkults der Weimarer Republik oder mit popkulturellen Ideen sympathisierenden Revoluzzern zwischen 1968 und 1973 – mehrfach gefordert wurde, um sie dort mit anderen Relikten der Vorgeschichte der aufgeklärten Menschheit gnadenlos vermodern zu lassen? Nun, auf prekäre Fragen dieser Art gibt es seit langem sowohl einige konservative als auch einige historisch-dialektisierende Antworten. Zu den konservativen gehören vor allem folgende zwei: 1. eindeutig romantisierende, die aufgrund ihrer tiefen Skepsis an allen als »demokratisierend« ausgegebenen Ideen noch immer mit den Kunstformen ständisch gegliederter oder klerikal überformter Gesellschaften sympathisieren, sowie 2. eindeutig existentiell Nähe in der Distanz

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orientierte, die zwar solche Gesellschaftsformen verwerfen, aber dafür hartnäckig an sogenannten anthropologischen Grundbefindlichkeiten des Menschseins festzuhalten versuchen und dementsprechend erklären, dass sich zwar die politischen Systeme, aber nicht die in der Kunst ausgedrückten existentiellen Verhaltensweisen, das heißt Dinge wie Verliebtsein, Sexualität, Geschmack, Eitelkeit, Rechthabenwollen, Machtverlangen, Traumatisiertsein, Melancholie, Altern, Todesfurcht und dergleichen, im Laufe der Jahrhunderte geändert hätten. Sowohl die Einen als auch die Anderen behaupten daher bis heute, dass im Verhältnis zu allen älteren Kunstwerken – trotz des historischen Abstands – noch immer eine nicht zu leugnende Nähe bestehe. Mit den romantisch, wenn nicht gar reaktionär eingestellten Gruppen, mit anderen Worten: den sogenannten Rückwärtsern, braucht man im Zeitalter selbst von konservativen Regierungen als »zeitgemäß« hingestellter Fortschrittskonzepte wohl kaum noch zu rechnen. Ihre Zeit scheint – zumindest in allen hochindustrialisierten Ländern mitsamt ihren forcierten technologischen Umwandlungs- und Neuerungsideologien, die auf eine ständige Akzeleration der industriellen Zuwachsrate drängen – endgültig abgelaufen zu sein. Die retrovertierenden Konzepte dieser allmählich ins Randständige abgedrängten Vergangenheitsverehrer werden deshalb heute selbst von den Rechtsliberalen innerhalb der sogenannten Meinungsträgerschichten solcher Länder als reichlich obsolet empfunden und zusehends durch postmoderne Kunstvorstellungen ersetzt, in denen das »Alte« nur noch die Rolle eines interessanten, an frühere Pastiche-Künste erinnernden Zitats zu spielen beginnt.1 Bei Auseinandersetzungen mit Vertretern und Vertreterinnen der zweiten Gruppe muss man dagegen, falls man sich als ein in historischen Kategorien denkender Gesellschaftswissenschaftler ausweisen will, etwas differenziertere Gegenargumente aufbieten. Viele der existentiell orientierten Kulturtheoretiker und -theoretikerinnen sind nach wie vor davon überzeugt, dass wir uns im Gefolge Wilhelm Diltheys in ältere Kunstwerke noch immer spontan, wenn nicht gar »kongenial« einfühlen können, ja, dass gerade in dieser persönlichen Identifikationsmöglichkeit der eigentliche Wert aller Großwerke der älteren Kunst bestehe. Und zwar berufen sie sich dabei gern auf jenes »Allgemein-­ Menschliche«, das die Befürworter und Befürworterinnen eines konsequent historisch verfahrenden Denkens schon seit langem als hoffnungslos transzendierend oder zumindest idealistisch zu entlarven suchen. Weiterhin an lebensphilosophischen, existentiellen, psychoanalytisch-archetypischen oder anthropologischen Vorstellungen festhaltend, wollen sie nicht einsehen, dass sich mit dem Wandel der ökonomisch-technologischen Voraussetzungen 166

Nähe in der Distanz

sowie der durch sie bedingten politischen und sozialen Veränderungen auch die Gefühle, Bedürfnisse und Denkweisen der von all diesen Wandlungen betroffenen Menschen geändert haben. Um jedoch im Rahmen solcher Diskussionen, die immer wieder neu angefacht werden, dennoch als besonders avanciert zu gelten, stützen sich diese Gruppen hierbei meist auf eine als privatistisch oder empiriokritizistisch ausgegebene Sehweise, die den überindividuellen Faktoren und Determinanten innerhalb des gesellschaftlichen Geschehens und seinen kulturpolitischen Auswirkungen nur eine marginale Rolle zugesteht. Und damit hoffen sie – trotz ihres Festhaltens an relativ unveränderlichen Gefühls- und Denkstrukturen – gerade wegen ihrer existentiellen oder anthropologischen Orientierung als Vertreter und Vertreterinnen eines subjektivistisch-pluralistischen und demzufolge zwangsläufig positiv zu bewertenden Zeitgeistes angesehen zu werden, der sich mit demokratischer Emphase aus allen »kollektivistischen« Umklammerungen befreit habe.

II Um die Theoretiker und Theoretikerinnen solcher rein subjektorientierten Richtungen innerhalb der heutigen, meist im Zeichen irgendwelcher Posthistoire-, Postmoderne- oder Aisthesis-Vorstellungen stehenden Ästhetik von der unabweislichen Historizität aller die menschliche Kunstproduktion betreffenden Phänomene überzeugen zu wollen, muss man sich notwendigerweise noch etwas genauer mit den Prämissen der von ihnen propagierten ideologischen Grundkonzepte beschäftigen. Diese Gruppen geben zwar in vielen Fällen ohne Widerrede zu, dass sie die älteren politischen und sozialen Herrschaftssysteme schärfstens ablehnen, ja, bezeichnen diese Systeme – im Gegensatz zu den romantisch gestimmten Reaktionären – zum Teil sogar in aller Offenheit als veraltet, wenn nicht gar als archaisch, empfinden jedoch viele der in diesen Systemen produzierten Kunstwerke wegen ihrer angeblichen Tendenz ins »Subjektiv-­Wesenhafte« oder »Substantielle« weiterhin als etwas, in das man sich unmittelbar einfühlen könne. Während also die Vertreter und Vertreterinnen solcher Gruppen für die weltlichen und geistlichen Ordnungsmächte der Vergangenheit aufgrund ihrer Hochschätzung des »subjektiven Faktors« nur Verachtung übrig haben, preisen sie selbst die in antisubjektivistisch eingestellten Epochen entstandenen Kunstwerke – im Zuge einer undialektischen Trennung von Kunst und Politik – als etwas, was sich Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

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ohne Weiteres ins Heutige aktualisieren lasse. Ihnen zufolge hat es offenbar in der Geschichte der Menschheit – jedenfalls im Bereich der nur von existentiellen Antrieben bestimmten Gefühls- und Denkimpulse – nie eine prinzipielle Veränderung gegeben. Darum sehen sie im Bereich der Ästhetik keinen gravierenden Grund, in der Rezeption älterer Kunstwerke sogenannten »externen« Faktoren, seien Sie nun politischer, ideologischer oder sozioökonomischer Art, irgendeinen maßgeblichen Einfluss bei der Entstehung von Kunst einzuräumen. Dementsprechend ist für diese Gruppen jedes Artefakt, soweit es aus dem eigenen Kulturkreis stammt und nicht allzu fern zurückliegt, für kunstinteressierte Kenner und Kennerinnen jederzeit verfügbar. Aufgrund ihrer von anthropologischen Konstanten bestimmten Ideologie glauben sie, dass alles von Menschen ihrer Art Geschaffene auf die gleichen psychologisch-archetypischen Grundantriebe zurückgeht. Manche Anhänger und Anhängerinnen dieser Richtung sprechen daher kaum noch von älterer Kunst, sondern nur noch von Kunst schlechthin. Für sie ist alles, wie es paradoxerweise gern heißt, lediglich ein einmaliges »Ereignis« (Jean-François Lyotard), das fortwährend neu »geschieht«. Um 1900 hätte man eine solche Einstellung – im Rahmen der lebensphilosophischen Reaktion gegen den Historismus des 19. Jahrhunderts – noch als Sehnsucht nach genuinen »Urerlebnissen« (Friedrich Gundolf ) ausgegeben, die man nicht durch ein Zuviel an Wissen, das heißt durch sogenannte Bildungserlebnisse abstumpfen oder verwässern solle. Von einer solchen Emphase ist jedoch bei heutigen Anschauungen dieser Art nicht mehr viel zu spüren. Gegenwärtig begnügt man sich innerhalb solcher Theoriebildungen mit wesentlich bescheideneren Konzepten. In ihnen ist – im Hinblick auf die Rezeption von Kunst – oft nur noch von »transversalen« Momenten (Wolfgang Welsch) oder »sphärisch« erlebten Stimmungen (Gernot Böhme) die Rede, ohne dass deren ästhetischer Affektationswert weiterhin mit menschheitlichen oder gar »kosmogonischen« Triebkräften (Ludwig Klages) angereichert würde. Allerdings kommen dabei die ernsthaften Vertreter und Vertreterinnen dieser lebensphilosophisch, existentialistisch, psychologisch, archetypisch, anthropologisch oder aisthetisch gefärbten Einfühlungstheorien nicht umhin, im Hinblick auf die Rezeption der einzelnen Künste auch auf einige gravierende Unterschiede hinzuweisen. Während die ältere Literatur aufgrund ihrer sprachlichen Fremdheit und zum Teil auch ihres hohen Bildungsanspruchs selbst von ihnen manchmal als »schwierig« hingestellt wird, da sich die Lektüre solcher Werke, wie sie bedauernd hinzufügen, sogar im Rahmen höherer Schulen und Universitäten oft nur mit einer gewissen Gewaltsamkeit durchsetzen lasse, erfreuen sich viele Werke der älteren bildenden Künste sowie der älteren Musik inner168

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halb dieser Richtung einer relativ distanzlosen Beliebtheit. Als visuelle und akustische Phänomene, die weitgehend unter dem Primat aisthetischer Wahrnehmungsformen zu stehen scheinen, könnten sich viele Menschen, wie sie behaupten, in die durch sie vermittelten Stimmungen im Zuge einer spontanen Einfühlung wie in ihre eigenen Empfindungen versenken. Demzufolge hat sich in diesem Lager die Hochschätzung älterer Kunst immer stärker aus dem Bereich des Wortgebundenen in den Bereich des Visuellen und Akustischen verlagert. In solche Werke glauben sich die mit lebensphilosophischen, existentiellen oder anthropologischen Vorstellungen Sympathisierenden ganz unmittelbar, das heißt ohne die Krücken einer hochgestochenen Bildung einstimmen zu können. Dagegen wird die ältere Literatur, deren Verständnis stets einen langwierigen und zum Teil von mancherlei Bildungshürden durchsetzten Leseprozess voraussetzt, von vielen Anhängern und Anhängerinnen dieser Gruppen, und zwar selbst den akademisch Gebildeten unter ihnen, häufig als zeitraubend und damit umständlich empfunden. Sie wünschen sich eine Kunst, die sofort verfügbar ist. Und in dieser Hinsicht, erklären sie, hätten Bilder und Klangfolgen – im Unterschied zu den Werken der gedruckten Kunst – stets den Vorteil einer unverstellten Zugänglichkeit, das heißt einer »cognitio sensitiva«, für sich. Von ihnen könne man sich spontan »anmuten« lassen, wie es im Rahmen der werkimmanenten Ästhetik der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts gern hieß, mit deren Hilfe man schon damals – im Gefolge Emil Staigers und Wolfgang Kaysers – vor eventuellen gesellschaftlichen Relevanzforderungen in den Bereich eines konformistischen Nonkonformismus auszuweichen versuchte.2 Doch dieser angeblich leichtere Zugriff auf Werke der älteren bildenden Kunst und Musik ist letztlich höchst trügerisch. Denn bei einer solchen, auf schnelle Konsumierbarkeit eingerasteten Rezeption wird das, was sich in diesen Werken hinter dem Visuellen und Akustischen verbirgt und sich nur durch eine genauere Kenntnis der gedruckten Werke derjenigen Epochen erschließen lässt, in denen die jeweils betrachteten Bilder oder gehörten Kompositionen entstanden sind, meist übersehen oder überhört. Eine aisthetische Kunstrezeption, die sich weitgehend auf das Visuelle oder Akustische beschränkt, bleibt daher trotz aller Verbrämungen mit sinnespsychologischen oder sinnesphilosophischen Theorien stets eine in vieler Hinsicht entideologisierte und damit entfunktionalisierte Aufnahmeweise, welche vor einer tieferen Erkenntnis der jeweils rezipierten oder interpretierten Kunstwerke, die auch die politischen, sozioökonomischen, genderspezifischen und kulturellen Faktoren der in ihnen zum Ausdruck kommenden Epoche mitberücksichtigen würde, ins betont Oberflächlich-Sinnenhafte ausschert. Mit anderen Worten: denjenigen Aspekten, die an älteren KunstÜber den Umgang mit Werken älterer Kunst

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werken entweder noch relevant oder bereits veraltet sind, wird bei solchen Rezeptionsformen keine ins Konkrete hinabreichende Beachtung geschenkt, um sich so problemlos wie nur möglich irgendwelchen von der Geschichte abgelösten anthropologischen Allgemeinempfindungen hingeben zu können. Wer so argumentiert, kann letztlich in den wohligen Klangrausch einer sogenannten klassischen Symphonie (Ludwig van Beethovens Eroica) wie in eine warme Badewanne einsteigen oder auf den ins Weite, ja, angeblich ins Unendliche lockenden Landschaftsbildern des frühen 19. Jahrhunderts (Caspar David Friedrichs Der einsame Baum) wie in touristisch erschlossenen Naturschutzgebieten spazierengehen, ohne dabei das Gefühl einer historischen Distanz zu solchen Werken zu haben. Für einen solchen Menschen besteht alles, was diese Kunst zu bieten hat, lediglich in ihrer unmittelbaren Präsenz und damit dem subjektiv Berückenden. Eine derartige Einstellung bleibt selbstverständlich jedem Betrachter oder Hörer älterer Kunstwerke unbenommen. Und sie wird sicher auch in naher Zukunft, falls es nicht zu unvorhersehbaren Entwicklungen kommen sollte, die vorherrschende bleiben. Schließlich hat sie allen wissenschaftlichen Forderungen von Seiten engagierter Historiker und Historikerinnen, sogar mit den Augen oder Ohren zu denken, stets den Vorzug einer schwer zu leugnenden sinnlichen Gratifikation voraus. Gegen Wahrnehmungsformen dieser Art anschreiben zu wollen, wirkt daher von vornherein intellektuell überheblich, wenn nicht gar asketisch. Denn gegen etwas, was über die unmittelbare Befriedigung hinausgeht, reagieren heutzutage viele Menschen – inmitten der von verlockenden Konsumangeboten nur so strotzenden Reklamewelt – höchst allergisch. Wer also im Rahmen ästhetischer Rezeptionsweisen vor allem die a­ isthetischen Elemente »privilegiert«, sollte sich bewusst sein, dass er damit zugleich – gewollt oder ungewollt – die Werbestrategien der großen Konsumgüterkonzerne unterstützt, die sich im Rahmen ihrer Social-­engineeringKampagnen ebenfalls vornehmlich an unser sinnliches, wenn nicht gar vorbewusstes Aufnahmevermögen wenden, indem sie ihre prospektiven Kunden und Kundinnen mit so vielen medialen Reizen wie nur möglich zu überfluten suchen.

III Jeden die Verbesserung der gegenwärtigen Umgangsformen mit Kunst anstre­ benden Menschen wird deshalb die ideologische Intention solcher Sehweisen, nämlich vom Sozialbetonten ins Sensualistisch-Subjektive abzulenken, notwendig verstimmen. Doch Verstimmung ist keine gute Voraussetzung einer 170

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andersgearteten kunst- und geschichtsphilosophischen Auffassungsweise. Schließlich ist mit der Ablehnung solcher Rezeptionsformen noch immer nicht die Frage gelöst, was denn für jene Menschen, die weder die romantisierenden noch die existentiellen, anthropologischen oder aisthetisch argumentierenden Ansichten innerhalb der verschiedenen Kunstrezeptionstheorien der letzten Jahrzehnte teilen, das heißt die zu allen Erscheinungsformen der Vergangenheit kein primär subjektiv einfühlendes, sondern eher ein historisch distanziertes Verhältnis haben, überhaupt an den Werken der älteren Kunst von Interesse ist. Meines Erachtens kann das nur im Rahmen einer dialektisierenden Optik des ehemals Gewesenen erfolgen, welche die Relikte älterer Kunst weder ausschließlich als historisch veraltet noch ausschließlich als ahistorisch aktualisierbar betrachtet, sondern als Werke, die – falls hinter ihnen eine Haltung des Humanisierenden steht – allen sozialbetont denkenden Menschen trotz ihres zeitlichen Abstands das Gefühl verleiht, Fortsetzer, wenn nicht gar Vollstrecker oder Vollzugsorgane einer ähnlichen Gesinnung zu sein. Dennoch wäre es abwegig, bei der Wertschätzung älterer Kunst den Hauptakzent allein auf ihre inhaltliche Ausrichtung zu legen. Das käme einer Reduzierung ins Inhaltistische gleich, die letztlich ebenso problematisch ist wie eine Reduzierung in den Bereich der sinnlichen Wahrnehmungsweisen. Daher sollte man einer Verkultung von Inhalten entschieden aus dem Wege gehen. Schließlich waren die ideologischen Ausprägungen, mit welchen die verschiedenen Künste ihren humanisierenden Hoffnungen Ausdruck zu geben versuchten, aufgrund der sich wandelnden historischen Situationen zum Teil höchst unterschiedlicher Art. Einzelne dieser Ausprägungen noch heute als etwas Bleibendes und damit Vorbildliches hinzustellen, also – um nur ein bekanntes Beispiel anzuführen – den bürgerlichen Humanismus der sogenannten Weimarer Klassik oder Goethe-Zeit ins Zeitlose zu verklären, wäre deshalb von vornherein verfehlt. Weltanschauliche Inhalte älterer Kunst sind ebenso wenig beerbbar wie jene philosophischen Theorien oder politischen Traktate, die zur gleichen Zeit entstanden. Wer sie dennoch auf eine unvermittelte Weise zu beerben versucht, entzieht sich damit den gesellschaftlichen Konflikten seiner eigenen Epoche. Noch entschiedener ausgedrückt: Er erweist sich damit als ein »postum geborener Mensch« (Friedrich Nietzsche), der sich an etwas historisch Gewordenes festzuklammern versucht, statt im Sinne der damals herrschenden weltanschaulichen Emphase in die dialektischen Entwicklungsprozesse seiner eigenen Zeit einzugreifen. Selbst die »besten« Inhalte der älteren Kunst sind zwar als geschichtliches Anschauungsmaterial höchst lehrreich, sollten aber nicht in unsere Zeit »verrettet« werden, wie sich Bertolt Brecht gern ausdrückte. Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

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Was an älterer Kunst – wie überhaupt an allen Relikten der Vergangenheit – beerbbar ist, sind meines Erachtens lediglich die hinter diesen Werken stehenden ideologischen »Haltungen«. Nicht dieses oder jenes inhaltliche Postulat, das sich in ihnen auf eine bestimmte Gesellschaftsformation der Vergangenheit bezieht, ist heute noch relevant, sondern lediglich die sich in diesem Postulat und seiner künstlerischen Verwirklichung manifestierende Gestik des Fordernden, Hoffnungsvollen, Rebellischen, Utopischen, Eingreifenden oder auch Verzweifelnd-Widersetzlichen, wenn nicht gar Tragisch-Scheiternden, in denen sich Impulse zu erkennen geben, die sich den affirmativen Tendenzen der noch immer als unvollkommen empfundenen Gesellschaftsordnungen entgegenzustellen versuchten. Und an diesen Gesten ist zugleich der geistige Rang einer bestimmten »Haltung« abzulesen. Das gilt vor allem für die Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, als im Zuge der Aufklärung viele der politisch bewussteren Künstler und Künstlerinnen immer stärker mit der Frage konfrontiert wurden, sich innerhalb der Dialektik der allgemeinen Kulturbewegung entweder für das Prinzip des Humanistisch-Demokratischen zu engagieren oder für das Prinzip des Reaktionären im Sinne der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Eliten Partei zu ergreifen. Mit anderen Worten: Seitdem mussten sie sich – falls sie eine gesellschaftliche Rolle spielen wollten – entscheiden, entweder mit den feudalistisch-absolutistischen, klerikal-autoritären, kapitalistisch-­ ausbeuterischen, ja, sogar faschistisch-terroristischen Regierungsformen zu sympathisieren oder die gegen sie opponierenden philodemokratischen Bewegungen zu unterstützen. Eine ins Humanisierende drängende »Haltung« ist daher zwangsläufig et­was, was sich – im Sinne des vielbeschworenen »Prinzips Hoffnung« – im Rahmen repressiver Gesellschaftsformationen zu liberalen, demokratischen, radikaldemokratischen, kommunitaristischen oder sozialistischen Idealen bekennt. Demgemäß ist eine so definierte Haltung stets das Merkmal jener Künstler und Künstlerinnen, die sich selbst in politisch bedrückenden Zeiten bemühten oder immer noch bemühen, ihren »aufrechten Gang« (Ernst Bloch) beizubehalten, und zwar, in bewusster Frontstellung zu jenen ästhetischen Handlangern und Handlangerinnen, die sich innerhalb fest etablierter Machtapparate durch ein geducktes, dienendes und damit ins Konformistische neigendes Verhalten auszuzeichnen versuchen, um auf diese Weise entweder ungestört im gesellschaftlichen Abseits verharren zu können oder sich durch wohlgefällige Ergebenheitsgesten bei den jeweils Herrschenden prestigeverheißende und zugleich einträgliche Positionen zu ergattern. So gesehen ist »Haltung« letztlich das, was – im Gegensatz zu einem von allen Zwecken befreiten »interesselosen 172

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Wohlgefallen« (Immanuel Kant) – vor allem jene Menschen auszeichnet, welche nicht nachlassen, selbst im Rahmen kunstphilosophischer Spekulationen die jeweils miteinander konkurrierenden politischen Ansichten ihrer eigenen Zeit auf ihren humanisierenden Charakter hin zu überprüfen und dementsprechend Farbe zu bekennen. Rückgriffe auf sozialbetonte ältere Kunstwerke, ob nun in der Literatur, der bildenden Kunst oder der Musik, sollten darum stets auch Rückgriffe auf ins Humanisierende drängende »Haltungen« sein.3 Trotz des historischen Abstands und trotz mancher totalitaristisch überformten Zeitumstände, in denen viele der bedeutsameren, von mancherlei »Narben« übersäten Kunstwerke früherer Epochen entstanden sind (Walter Benjamin), könnten sie im Zuge einer solchen Einstellung allen in historischen Großräumen denkenden und zugleich ästhetisch empfänglichen Menschen – neben der sinnlichen Gratifikation – zugleich eine ideologische Schubkraft geben, auch sich selber in diesen offenbar nie enden wollenden Prozess der Humanisierung einzuordnen. Das mag allzu anspruchsvoll, wenn nicht gar utopisch klingen, bildet aber letztlich die einzige moralische Rechtfertigung von Kunst überhaupt, die nicht von vornherein ins Nebensächliche, Belanglose, Solipsistische und damit Affirmative tendiert, also bei der lediglich ein nichtssagender oder bewusst verunklärender ästhetischer Schein im Vordergrund steht. Dass zu einer solchen Form der Hochschätzung wahrhaft bedeutsamer Kunst viel Bildung nötig sein wird, um aus dem »kleinen Kreis der Kenner« den »großen Kreis der Kenner« (Bertolt Brecht) zu machen, lässt sich leider nicht leugnen. Um also einen solchen Zustand herbeizuführen, wird es weit mehr als nur neuer ästhetischer Theorien bedürfen. Dazu müssten ganz andere politische und sozioökonomische Verhältnisse geschaffen werden, in denen auch eine anspruchsvolle Kunst, die nicht nur der narzisstischen Selbstbefriedigung, momentanen Zerstreuung oder billigen Unterhaltung dient, wieder eine gesellschaftlich positive Funktion bekommen könnte. Ein sinnvoller Umgang mit den auf eine steigende Humanisierung drängenden Hauptwerken der älteren Kunst sollte daher unter den gegenwärtigen Bedingungen immer beides bedenken: den historischen Abstand, der die in dialektischen Geschichtsprozessen denkenden Menschen von ihnen trennt, und zugleich die Nähe, die sie mit der Gestik der hinter ihr stehenden Haltungen verbindet. Nur so könnte ein, wenn auch weiterhin bildungsmäßig eingeschränkter Bewusstseinszustand erreicht werden, der auf zweierlei Erkenntnisse hinausläuft: 1. welches Gefühl der Kraft und Zuversicht den auf diese Weise angesprochenen Menschen aus solchen Werken entgegenströmt, das Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

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sie darin bestärken würde, im Umgang mit älterer Kunst etwas Energetisierendes zu sehen, sowie 2. wieviel immer noch zu leisten ist, um diesen Prozess der Humanisierung weiter voranzutreiben. Statt also im Sinne der gängigen Einfühlungsästhetik, die weitgehend mit ahistorischen Analogiemodellen arbeitet, welche eine scheinbare Identifikation mit geradezu allen Inhalten der älteren Kunst erlauben und damit diese Inhalte politisch und soziologisch entkonkretisieren, könnten diese Menschen bei einem dialektisierenden, das heißt sowohl die Nähe als auch die Ferne dieser Werke im Auge behaltenden Kunstverständnis zugleich wichtige ideologische Lernprozesse durchmachen. Denn nur dann, wenn sie die asynchronische Vielheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mitbedächten, würde ihnen – jenseits angeblich anthropologischer Konstanten – ein Sinn für die historische Tiefendimension aller bedeutsamen, weil sozialbetonten älteren Kunstwerke aufgehen. Schließlich sind bei der allgemeinen Beschleunigung der geschichtlichen Vorgänge die 250 Jahre, die historisch denkende Menschen vom Beginn der Aufklärung trennen, »keine Kleinigkeit« (Bertolt Brecht). So dürfte man etwa Schillers Wallenstein nicht als Verschwörung der Offiziere vom 20. Juli inszenieren oder Beethovens Fidelio in eine Konzentrationslageroper verwandeln, sondern müsste statt dessen – bei aller Hochschätzung vor den in den Originalwerken ausgedrückten ideologischen Haltungen – zugleich den Abstand mitbedenken, der die heutigen Theaterbesucher und -besucherinnen von diesen Werken trennt.4 Man verstehe diese Einschränkung nicht falsch. Damit wird keinem unengagierten Historismus das Wort geredet. Im Gegenteil, durch eine Einstellung dieser Art sollten historisch gebildete Menschen bei der Rezeption und Interpretation solcher Werke zugleich lernen, was sich seit der Entstehung dieser Werke geändert hat, ob sie selber inzwischen eine höhere Bewusstseinsstufe erreicht haben, wie sich die neuen sozioökonomischen Voraussetzungen auf ihr Weltverständnis auswirken, warum es heute keine Dramen wie Goethes Faust, keine Gemälde wie Friedrichs Einsamer Baum oder keine Symphonien wie Beethovens Eroica mehr gibt, weshalb völlig andere Kunstformen an ihre Stelle getreten sind und vieles Andere mehr. Ja, der Umgang mit derartigen Werken sollte ihnen obendrein den Blick dafür schärfen, welche ideologischen Entscheidungen die damaligen Künstler in den Konfliktsituationen ihrer Zeit getroffen haben und sie dadurch indirekt auffordern, sich auch in heutiger Zeit gegen die Macht des Reaktionären aufzulehnen und die dementsprechenden Entscheidungen zu treffen.

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IV Das Postulat des sich daraus ergebenden historisch-bewussten Hörens läuft letztlich auf eine Aufklärung der Hörer und Hörerinnen über sich selbst hinaus. Sie sollten bei solchen Bemühungen erkennen, welches ihr eigener Ort in diesem Interessenfeld und der auf ihm ausgetragenen Konflikte ist. Da derartige Konflikte in den Instrumentalwerken der älteren Musik meist nur unterschwellig, das heißt in Form einer »gedoppelten Mimesis« (Georg Lukács) angedeutet werden und daher – im Gegensatz zu den bildlichen oder begrifflichen Darstellungsmitteln der Malerei und Literatur – selten oder nie eine konkrete Fasslichkeit bekommen, sind auf diesem Gebiet solche Bemühungen besonders schwierig, aber auch besonders wichtig. Schließlich soll dieser Aufklärungsprozess, der auf ein sich ständig erweiterndes historisches Bewusstsein hinausläuft, die jeweiligen Hörer und Hörerinnen nicht etwa ästhetisch abstumpfen, das heißt ihnen die Freude an der von ihnen als »beglückend« erlebten Musik nehmen, sondern ihnen im Gegenteil in ihrer Rezeptionsfähigkeit zusätzliche Dimensionen eröffnen und sie damit in einem politästhetischen Sinne wählerischer machen. Und zwar müsste man mit dieser Form eines historisch-bewussten Hörens sogar den selten oder nie in Frage gestellten »klassischen« Werken der deutschen Musik zwischen 1770 und 1820 gegenübertreten, die nicht nur einen vorbildlichen und damit zur Identifikation einladenden Charakter haben, wie oft behauptet wurde, sondern die zugleich in ihrer dialektischen Widersprüchlichkeit gehört werden wollen. Ihr Elan ist zwar oft geradezu unwiderstehlich, aber manche der ihr zugrunde liegenden Illusionen, mit denen sie sich aus der platten Misere in die überschwängliche Misere zu erheben versuchten, sind für Menschen mit denkenden Ohren ebenfalls nicht zu überhören. Geschichtsverständige Hörer und Hörerinnen sollten daher selbst diese Musik nicht einfach ins »Genialische« oder »Außerordentliche« fetischisieren, sondern auch versuchen, sich ihrer nur historisch zu verstehenden Aussagebemühungen bewusst zu werden. Eine solche Einschätzung hat nichts mit Respektlosigkeit, kritischer Zersetzung oder gar hämischer Abwertung zu tun. Im Gegenteil, was damit gefördert werden soll, ist eine Erbe-Einstellung, die sich weder mit veralteten Vorbildern begnügt noch einfach sinnlich genießt, sondern die im Genuss zugleich Einsichten gewinnen will, und zwar Einsichten in den dialektischen Charakter aller geschichtlichen und kulturellen Entwicklungen schlechthin. Dies ist nur möglich, wenn man selbst dieser Musik gegenüber eine gewisse Distanz behält, das heißt sich nicht nur von ihren Melodien hinreißen lässt Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

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oder sich durch motorische Körperbewegungen ihren Rhythmen anzupassen versucht, sondern sich auch bemüht, ihren Ort innerhalb der allgemeinen Dialektik der historischen Veränderungsprozesse zu erkennen. Nur eine solche Haltung würde die Hörenden einer solchen Musik befähigen, nicht an einmal errungenen Positionen und den damit verbundenen Gefühlen klebenzubleiben. Wenn nämlich in vergangenen Kulturleistungen überhaupt »Zukunft« steckt, dann weniger in ihren ideologisierten Inhalten, die wegen der Unwiederholbarkeit der Geschichte ohnehin vergangene und damit veraltete sind, sondern in den bereits apostrophierten »Haltungen«, die hinter diesen Inhalten stehen. Was deshalb manche Werke der deutschen Musik um 1800, wie die Beethovens, so bedeutsam macht, könnte man folgern, ist weniger ihre ins Idealistische tendierende Programmatik, welche untrennbar mit gewissen gesellschaftlichen Illusionen der damaligen Bourgeoisie verbunden ist, sondern ihr Bekennermut, ihr Elan, ihr Engagement, die auch heute noch begeistern können. Was uns diese Musik mitteilt, ist die frohstimmende Botschaft, dass es schon damals Menschen gab, die sich empörten, weil sie sich nach einer anderen, besseren Welt sehnten, was ihrer Kunst – bei aller hochgemuten Verbrämung – eine trotzige und zugleich beseelte Note gibt. Die Frage nach den ideologischen Ober- oder Untertönen dieser Art von Musik ist daher zugleich eine Frage nach dem Nutz- oder Gebrauchswert des musikalischen Erbes überhaupt. Anstatt bei der Beantwortung dieser Frage im Bereich des Formanalytischen und damit Akademisch-Abstrakten zu bleiben, sollten wir uns in Zukunft ruhig etwas stärker als bisher um die Aufdeckung zentraler weltanschaulicher Knotenpunkte innerhalb der gesamtkulturellen Entwicklung der letzten drei Jahrhunderte bemühen. Was die Musik, jedenfalls in dem Zeitraum zwischen 1770 und 1820 charakterisiert, ist schließlich der Versuch, den durch den bürgerlichen Liberalismus ausgelösten Ich-­Ausdruck zugleich zum Ausdruck des Gesamtgesellschaftlichen, ja, Menschheitlichen zu machen. Dies ist die eigentliche Größe und Bedeutsamkeit dieser Musik, in der sich das Weltanschauliche, mag es auch in vielem allzu »idealistisch« sein, in einer Haltung manifestiert, die alle bisherigen höfischen oder klerikalen Dienstbarkeitsformeln abstreift und dabei in manchmal geradezu atemberaubende Höhen vorstößt. Dieser Impuls gibt ihr den geradezu prometheischen Gestus, der sie so unvergesslich macht. Doch das ist noch längst nicht alles, was man aus dieser Musik heraushören kann. Da wären außerdem die biographisch-­ psychologischen Momente, das kompositorisch-denkerische Vermögen, das in dieser Musik steckt, ihre aus dem zeitgenössischen Leben geschöpften »Intonationen«, ihre ästhetische Qualität, in der sich zugleich ein »utopischer Mehr176

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wert« (Walter Benjamin) manifestiert, ihr trotziges Sich-Aufbäumen gegen die Korrumpierung der Ideale der Französischen Revolution durch Napoleon Bonaparte, ihre Enttäuschung über die reaktionären Beschlüsse des Wiener Kongresses und vieles andere mehr. Dass zu einer solchen Hörhaltung vorerst nur bestimmte weltanschaulich und zugleich bildungsmäßig konditionierte Gruppen fähig sind, spricht nicht gegen, sondern eher für eine solche Haltung. Und auch die Tatsache, dass diese Gruppen eher kleiner als größer werden, beweist lediglich, wie sehr den offiziellen und offiziösen Meinungsmachern an einer fortschreitenden Entalphabetisierung der kulturellen Zustände gelegen ist. Eine Änderung im gegenwärtigen Hörverhalten den ideologisch bedeutsamen Kompositionen der Vergangenheit gegenüber kann deshalb nur von jenen Kräften ausgehen, die an einer Verbesserung des momentan dominierenden Gesellschaftssystems und seiner Medienapparate interessiert sind.5 Jene, die mit den herrschenden Zuständen zufrieden sind, werden darum auch in Zukunft im Hinblick auf das Hören solcher Musik lediglich für vage Gefühligkeit, motorisches Energetisiertsein, sinnliche Animiereffekte und ähnlich narzisstisch orientierte Partialkonzepte eintreten. Wer dagegen vom Spontanen zum Kognitiven, zum Agnostischen zum Erkennenden, vom individualistisch Abstrakten zum gesellschaftlich Konkreten vordringen will, wäre besser beraten, sich nicht mit jenen Teilbefriedigungen abspeisen zu lassen, wie sie heutzutage vor allem im Bereich der industriell genormten Unterhaltungsmusik, aber auch in gewissen Formen der gegenwärtigen angeblich »avantgardistisch« gestimmten E-Musik tonangebend sind. Ihnen haben manche Werke der älteren Musik, wie etwa die von Beethoven, wenigstens eine humanere »Haltung« voraus.

Über den Umgang mit Werken älterer Kunst

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Ehre in Blech Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern im Rahmen anderer Jubiläumsberichte um 1970

I Der Spiegel hat eine durchaus ehrenwerte Vergangenheit. Er war bis zur Großen Koalition von 1967 eins der wenigen Oppositionsorgane gegen die adenauersche Restaurationspolitik, die Weiterbeschäftigung alter Nazis, den wachsenden Einfluss von Franz Josef Strauß und dergleichen mehr. Das sollte man ihm nicht vergessen. Doch leider weiß man auch, wieviel am Spiegel schon damals bloße Sensationslust, bloße Geschäftemacherei, bloße Kritik um der Kritik willen war. Wer das nicht von Anfang an gemerkt hatte, wusste es mindestens seit Hans Magnus Enzensbergers fulminanter Attacke Die Sprache des Spiegels. Moral und Masche eines Magazins, deren Erstdruck am 6. März 1957 selbstverständlich im Spiegel selber erschien. Hier wurden die Spiegel-Leser als »Schlüssellochgucker« denunziert, die dieses Blatt mit »Neid, übler Nachrede und Schadenfreude« zu ködern versuche, wodurch das Politische weitgehend ins Psychologische abgleite (10,89).1 Und solche Vorwürfe sind – bei steigender Auflagenhöhe – nie wieder ganz verstummt. Von links, von Michael Schneider, wurde ihm »Narzissmus« und »Parzellierung« vorgeworfen, wodurch jeder »authentische gesellschaftliche Zusammenhang« verloren gehe.2 Von rechts, von Kurt Ziesel, wurde er als die »Bundesgiftspritze« hingestellt, die selbst die letzten »wahren Deutschen« mit der Seuche des Unpatriotischen infiziere.3 Dennoch blieb der Spiegel – trotz oder wegen der durch ihn verursachten Skandale und Skandälchen – eins der einflussreichsten politischen Wochenblätter der Bundesrepublik. Ja, er wurde sogar von seinen Fans, die sich lange Zeit vornehmlich aus den Reihen der »freischwebenden Intelligenz« und ähnlichen Schichten rekrutierten, als notwendiger »Watchdog«, als »kritisches Nachrichtenmagazin«,4 als »Blatt des militanten Nonkonformismus«5 oder der »unbedingten Unabhängigkeit«6 herausgestrichen und dementsprechend beweihräuchert. Und seine Autoren taten selbstredend alles, dieses Image 178

Ehre in Blech

auch noch in den siebziger Jahren, als Adenauer schon längst das Zeitliche gesegnet hatte, in voller Leuchtkraft zu erhalten. Sie bezeichneten den ­Spiegel in Anlehnung an Rudolf Augstein, seinen Gründer und Hauptherausgeber, lange Zeit weiterhin als das entscheidende »Sturmgeschütz der Demokratie«,7 das heißt als ein Organ der kritischen Distanz, der furchtlosen Wahrheits­ vermittlung, der undoktrinären Parteilosigkeit oder wie all die schönen Parolen der »westlichen« Freiheit damals lauteten. Bei so viel kritischem Nonkonformismus stellt sich notwendig die Frage: Wie stand denn der Spiegel, der sich der adenauerschen Restauration metternichscher Verhältnisse so energisch zu widersetzen schien, in seinen Anfängen eigentlich zu anderen Traditionen der deutschen Geschichte und Kultur? Woran knüpfte er an? Was waren seine politischen, sozialen, künstlerischen oder philosophischen Vorbilder, die er zu popularisieren versuchte? Wer wurde in ihm – im Gegensatz zu den als negativ diffamierten Widersachern – letztendlich als Vertreter positiver und damit feierwürdiger Traditionen hingestellt?

II Den Auftakt zu dieser Untersuchung mögen die historischen Jubiläumsanlässe sowie die Geburtstage der großen Politiker bilden. Zeichnete sich damals im Spiegel irgendeine Linie ab, im Rahmen dieser Art von Feiertätigkeit demokratisch-­liberale oder gar jakobinische Ideale herauszustreichen und dementsprechend zu loben? Beginnen wir bei diesem Überblick mit dem Paulskirchenparlament. Hätte nicht ein solches Blatt darauf höchst positiv reagieren müssen? Doch 1948, als die 100-Jahrfeier dieses Aufbruchs ins Republikanische anstand, brachte der Spiegel nur Beiläufiges. Als 1973 von linker Seite aus in Frankfurt Versuche unternommen wurden, die 125-Jahrfeier dieser ersten Deutschen Nationalversammlung mit einer von Peter Palitzsch geplanten Polit-Revue zu verbinden, amüsierte sich der Spiegel lediglich darüber, dass dieser Plan ins Wasser gefallen sei (17,167). Ebenso wenig gedachte er der Weimarer Republik, die man 1969 hätte feiern können. Auch die Berichte zum 20. Juli 1944 waren meist recht knapp gehalten. So schrieb der Spiegel am 24. Juli 1972 lediglich, dass der Bundesverfassungsrichter Fabian von Schlabrendorff am 20. Juli Bundeskanzler Willy Brandt unterstellt habe, wegen seiner Exil­ vergangenheit den Geist der Männer vom 20. Juli überhaupt nicht verstehen zu können (31,17). Nicht minder knapp wurde meist über den 8. Mai, den »Tag der Kapitulation«, berichtet. 1965, zur 20. Wiederkehr dieses Tages, las man Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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im Spiegel lediglich, dass der SU-Botschafter in der Bonner Stadthalle einen Empfang gegeben habe. Die Bonner Prominenz sei jedoch nicht erschienen und dafür »lieber ins Grüne« gefahren (20,23). Ebenso witzelnd äußerte sich der Spiegel stets dann, wenn es um die von der CDU/CSU unterstützten Feier- und Gedenktage in Richtung Alleinvertretungsanspruch, Wiedervereinigung oder ähnlich nationalistische Anlässe ging. So spottete er etwa Jahr für Jahr über den 17. Juni, den die Adenauer-­ Regierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln politisch auszuschlachten suchte. Schon 1960 schrieb er unter dem Titel Einheit in Freizeit, dass die (West)-Deutschen diesen Tag nicht mit der nötigen Ergriffenheit feierten, sondern lieber baden gingen (25,13). Ebenso witzelnd äußerte sich der Spiegel im Hinblick auf diesen »Tag der Verlegenheit« in den Jahren 1966 und 1967, da der 17. Juni nur zu einer Überbelastung der Autobahnen und einem gesteigerten Niveacreme-Verbrauch beitrage (26,16 und 27,57). Aber auch über Pläne der sozial-liberalen Koalition, den 17. Juni gänzlich abzuschaffen und dafür den sogenannten »Verfassungstag« zum nationalen Feiertag zu machen, brachte der Spiegel am 7. Mai 1973 lediglich eine mokante Glosse (18,16). Ja, am 3. Dezember 1973 warf er zur gleichen Frage der SPD/FDP-Fraktion vor, sie hätten sich zur 25. Wiederkehr des Verfassungstages nichts, aber auch gar nichts einfallen lassen, um der Bundesrepublik endlich eine inhaltliche Bestimmtheit zu geben (49,57–60). Doch dieser Vorwurf fiel letztlich auf den Spiegel selbst zurück. Denn auch er knüpfte an nichts an, auch er pflegte keine demokratisch-liberalen Traditionen, auch er stellte keine neuen politischen Ziele oder Ideale auf. Kritik an einem falschen Nationalbewusstsein in allen Ehren! Aber an irgendetwas sollte man schließlich anknüpfen, wenn man überhaupt ein besseres N ­ ationaloder Staatsbewusstsein erreichen will. In diesem Punkt fiel dem Spiegel ebenso wenig ein wie dem Bundestag. Er rechnete zwar etwas schärfer mit der nazifaschistischen Vergangenheit ab, blieb aber durch seinen Anti-Ost-Affekt, dem er selbst manche »liberalen« Traditionen opferte, ohne ein spezifisch fortschrittliches Programm. Deshalb waren ihm »Feiern«, die ein geschichtliches Progressionsdenken voraussetzen, ebenso peinlich wie vielen Bundestagsmitgliedern. Das überließ man damals lieber den »altmodischen« Ostdeutschen, die es aufgrund ihrer sozialistischen Veränderungskonzepte offenbar eher nötig hätten, sich auf historische Auftaktbemühungen zu berufen. Im Westen, wo die meisten eine Ideologie des Status quo vertraten, gab es demzufolge in diesen Jahren fast nur die »ewige Wiederkehr des Neuen« und ihre modische Ausschlachtung. 180

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III Was noch am ehesten gegen dieses modisch-unverbindliche Denken verstieß, waren selbstverständlich die kirchlichen Feiertage. Ihnen gegenüber bezog deshalb der Spiegel eine eindeutig negative Haltung – vor allem wenn es sich um katholische Festtage handelte. Das war er schließlich seiner Anti-­Adenauerund Anti-Strauß-Linie schuldig. Besonders die Oberammergauer Festspiele waren daher für ihn ein gefundenes Fressen.8 So berichtete er 1970 unter dem Titel Rechts, wo das Herz ist, dass Oberammergau in »passionslosen« Zeiten nur vier Millionen DM im Jahr einnähme, während die »Pestspielwochen« das letzte Mal 18 Millionen DM eingebracht hätten (22,170). Nicht minder berichtenswert fand der Spiegel natürlich, dass Oberammergau im Wahlkreis von Franz Josef Strauß liege und dass es sich bei den Hauptdarstellern um lauter CSU-­Mitglieder handele. Noch gnadenloser witzelte der Spiegel im Dezember 1969 über das »bayrische Kalender-Kuriosum«, das sogar »Mariä Unbefleckte Empfängnis« zu den gesetzlich verordneten Festtagen zähle (49,68). Mit protestantischen Feiertagen sprang dagegen der Spiegel etwas glimpflicher um. Während er bei den katholischen vor allem die Gewinnsucht, die Reklametüchtigkeit und die politische Strategie herausstellte, wurden hier auch die »protestlerischen« Elemente gewürdigt. So äußerte er sich etwa 1965 recht positiv über eine Gedenkfeier für Johan Hus, von der man auf katholischer Seite keine Notiz genommen habe (28,81). Bei der Feier zum 450. Jubiläum des Wittenberger Thesenanschlags durch Martin Luther hielt er sich dagegen 1967 mit seinem Lob merklich zurück. Dieser Mann sei lediglich ein großer ichbesessener »Kerl« gewesen, hieß es, dessen These von der »Rechtfertigung durch den Glauben« längst ausgedient habe (45,38–52). Warum ein solcher »Kerl« dennoch weiterhin gefeiert werde, erschien ihm rätselhaft. Und so blieb dem Spiegel auch in diesem Punkt nur übrig, auf den vordergründigen Luther-­Rummel hinzuweisen: ob nun die Luther-Sondermarke, die 180 neuerschienenen Luther-Bücher sowie die »Luther-Sightseeing-Touren« durch die DDR für die zahlreich herbeigeströmten Lutheraner aus den USA. Nach so viel Kritik an der Kirche hätte man vom Spiegel eigentlich erwartet, dass er sich den antiklerikalen, das heißt aufklärerischen, liberalen, radikaldemokratischen, ja, vielleicht sogar sozialistischen Traditionen positiver gegenüber verhalten würde. Ein Blatt, das gegen die CDU/CSU und die katholische Kirche so forsch zu Felde zog, müsste doch zumindest die Gewerkschaften und die linken Parteien in ihrem Kampf gegen konservative Traditionen unterstützt haben. Doch gerade auf diesem Sektor wird man immer wieder enttäuscht. Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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Auch hier zog sich dieses Magazin meist ins Ironische oder Unverbindliche zurück. So finden sich etwa über den 1. Mai im Spiegel fast die gleichen Witze wie über den 17. Juni, als bestände zwischen diesen beiden Tagen überhaupt kein ideologischer Unterschied. Die Arbeiter, hieß es süffisant, seien heute vor allem an Fußball interessiert. Sie wollten keine politischen Reden mehr hören, da sie die Parolen der sozialistisch orientierten Arbeiterbewegung als ebenso veraltet empfänden wie die Dogmen der verschiedenen Konfessionen. Daran habe auch die »Neue Linke« nichts geändert, wie der Spiegel immer wieder beteuerte. Die Westberliner APO-Demonstrationen vom 1. Mai 1968 wurden daher im Spiegel als völlig ineffektiv hingestellt. Vor allem die Arbeiter und Hausfrauen hätten sich solche anarchistischen Aktionen entschieden verbeten, hieß es in ihm unverblümt (19,67–69). Ebenso kritisch äußerte sich der Spiegel über die im Herbst 1971 veranstalteten Arbeiterfestspiele, die er als ein »Klassenkampf-Stelldichein« karikierte, dem jeder »revolutionäre« Anstrich gefehlt habe.

IV Kommen wir zu ersten Folgerungen. Weder die staatlichen oder kirchlichen noch die parteigeschichtlichen Gedenktage wurden damals vom Spiegel als feierwürdig anerkannt. Da er kein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein besaß, konnte er auch an nichts anknüpfen, vor nichts Respekt haben, in nichts etwas Bedeutendes und damit Verwertbares erblicken. Was er tat, war lediglich ein konsequentes Infragestellen sämtlicher Überlieferungen. Nachdem man im Dritten Reich alles Große innerhalb der deutschen Geschichte geradezu permanent gefeiert hatte, befleißigte sich der Spiegel einer spöttischen, antifeierlichen Gesinnung, die in bewusst nonkonformistischer Einstellung selbst vor den heiligsten Gütern der Nation nicht zurückschreckte. Aus diesem Grunde fiel er nicht nur ständig über das schlechte, sondern auch über das gute Erbe her. Und zwar äußerte sich das nirgends eindringlicher als auf dem Gebiet der Kultur- und Geistesgrößen und ihrer Feiern, Gedenktage und Jubiläen. Auch hier ging es ihm weniger um das Herausstellen der bedeutsamen, noch heute rezipierbaren Elemente als um das Zerrupfen und Zerfleddern, das heißt um die Zertrümmerung aller nationalen Legenden, was meist mit dem Willen zu totaler Entmythologisierung gleichgesetzt wurde. Noch am wenigsten trifft das auf die Philosophen-Jubiläen zu, in denen der Spiegel zu einer größeren Abstraktion neigte und nicht nur das Lächerliche herausstellte. So brachte er am 20. Juli 1955 eine kritische Story über das 182

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Feuerbach-­Denkmal in Nürnberg, die sich in ihrer anti-bayrischen und anti-­ katholischen Tendenz durchaus »progressiv« liest. Der Spiegel-Bericht über die Frankfurter Schopenhauer-Ehrung vom 30. Januar 1967 wirkte dagegen wesentlich unverbindlicher. Hier wurden die Leser und Leserinnen am Schluss einfach unvermittelt mit der Äußerung abgespeist, dass Schopenhauers Philosophie eine »großartige Grundlage« für jedes demokratische Staatswesen bilde (6,90). Warum dem so sei, blieb leider im Dunkeln. Anlässlich der Hegel-Feiern von 1970 bekam man, wie schon bei den Marx-Feiern von 1968, fast nur ideologisch pikante Histörchen vorgesetzt. Diesmal hieß es am 24. August lediglich, dass die Stuttgarter Feiern unter dem Vorsitz des Hermeneutikers Hans-Georg Gadamer und die Ostberliner Feiern unter dem Vorsitz des Austromarxisten Wilhelm Raimund Beyer stattgefunden hätten, was seine Redakteure mit mancherlei spöttischen Seitenhieben verbrämten, die jedoch jeder tieferen Begründung entbehrten (35,122 f.). Als 1974 der 250. Geburtstag von Kant ins Haus stand, begnügte sich der Spiegel am 15. April wiederum mit einem ideologisch aufreizenden Vergleich der Kant-Feiern in Mainz und Ostberlin. Während man im Osten selbst im Hinblick auf Kant lauthals erklärt habe: »Kant gehört uns«, wie der Spiegel behauptete, habe man sich im Westen solcher leichtfertigen Urteile enthalten (16, 127–129). Und mit dieser Erklärung erübrigte sich für ihn die Notwendigkeit, in dieser Frage eine genauer umrissene Stellung zu beziehen. Zu den üblichen Dichter-Jubiläen äußerte sich dagegen der Spiegel recht kärglich. Solche Feiern, die offenbar nicht so stark im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen, schien er als weniger kontrovers und damit weniger zeilenwürdig zu empfinden. So wurde 1973, beim 75. Geburtstag von Bertolt Brecht, wiederum nur der ideologische Gegensatz in der Bewertung Brechts in Ost und West herausgestellt. Die westliche Rezeption setzte dabei der Spiegel am 5. Februar mit der »durchschlagenden Kommerzialisierung eines Klassikers« gleich, um sie als ökonomische Success-Story bloßzustellen und damit zu entpolitisieren (6,116). Unter dem gleichen Aspekt wurde eine Ehrung zugunsten Günter Eichs geschildert, die 1973 in Frankfurt stattfand. Sie stellte der Spiegel als einen finanziell geschickten Reklametrick des Suhrkamp-Verlages hin und garnierte sie lediglich mit der anekdotischen Bemerkung: »Böll trägt jetzt Schnurrbart«. Über Günter Eich erfuhr man dagegen fast nichts (6,110). Wesentlich besser ließen sich dagegen die Maler im Rahmen der medialen Visualisierung feiern und vermarkten. Auf diesem Sektor legte sich deshalb der Spiegel ganz anders ins Zeug, und zwar wiederum vornehmlich aus der Perspektive der Nationalismuskritik und der Kommerzialisierung. So erfuhr man in einem Gedenkartikel zum 80. Geburtstag von Ludwig Meidner vom Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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8. April 1964 lediglich, dass er jetzt ein »Comeback« erlebe, worin sein »Erfolgsrezept« bestehe und dass die Preise seiner frühen Bilder stark angestiegen seien (15,87 f.). Der Bericht vom 8. September 1974 über den 200. Geburtstag von Caspar David Friedrich und die mit ihm verbundenen Feiern, Ausstellungen und neuen Friedrich-Bücher beschäftigte sich hauptsächlich mit der nationalen Friedrich-Legende, die sich von Fidus bis zu den Nazis verfolgen lasse und durch die dieser Maler der unendlichen Landschaften für weite Kreise zum Inbegriff des »Deutschen« oder zumindest des schlechthin »Verinnerlichten« geworden sei (37,124–127). Dieser plakativen Vergröberung wurde von Seiten des Spiegels selbstredend heftig widersprochen. Worin jedoch die eigentliche Bedeutung Friedrichs bestehe, blieb auch hier unklar. Doch die wichtigste Feiergeschichte auf diesem Sektor war in diesem Zeitraum der 500. Geburtstag Albrecht Dürers im Jahr 1971, zu dem der Spiegel gleich drei Berichte brachte.9 Und zwar konzentrierte er sich dabei wiederum auf seine zwei Hauptinteressen: die Legendenzertrümmerung und die Kommerzialisierung, ohne darauf hinzuweisen, wie eng diese beiden Aspekte zusammenhängen. Im Hinblick auf die Kommerzialisierung solcher Feiern erfuhr man, dass die Dürer-Stadt Nürnberg bereits 1970 einen Werbeetat von über einer Million DM bereitgestellt habe, um sich nach den NS-Parteitagen und den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen endlich ein kulturbewussteres und zugleich moderneres Image zu verschaffen (13, 111 f.). Aus diesen Gründen sei die Stadtverwaltung nicht einmal davor zurückgeschreckt, Dürer wegen seiner langen Haare auf den offiziellen Plakaten als »Deutschlands ersten Hippie« hinzustellen. 1971 habe dann die Stadt Nürnberg noch einmal sechs Millionen Mark in den allgemeinen Dürer-Rummel investiert und für Dürer-Lebkuchen, Dürer-Faschingsorden, Dürer-Briefmarken und Ähnliches gesorgt, wodurch die Nürnberger Dürer-Feier zum »aufwendigsten deutschen Kulturfestival aller Zeiten« geworden sei, das vor allem den US-amerikanischen Touristen viel »Gaudi« bereitet habe (11,153–155). Aber auch das deutsche »Nationalbewusstsein« sei bei diesem Rummel nicht zu kurz gekommen. So habe ein CDU-­ Politiker wie Kurt Georg Kiesinger bei dieser Gelegenheit Dürer ausdrücklich als einen »Herold des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« gefeiert (11,154), während sich der Franko-Spanier Fernando Arrabal damit begnügt habe, eine der herumstehenden Dolmetscherinnen zu »beißen« (11,155). Wo­­ hinein – wird seltsamerweise nicht gesagt, obwohl das viele Spiegel-Leser sicher am meisten interessiert hätte. Doch bei einer Figur wie Dürer, dessen Werke so tief ins deutsche Nationalbewusstsein eingedrungen sind, musste sich der Spiegel zwangsläufig auch ins Ideologische und Kunsthistorische begeben. Er 184

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tat das in seiner üblichen Manier, indem er alle bisherigen Dürer-Projektionen und Dürer-Deutungen durch den Kakao zog und am Schluss einfach lapidar erklärte: »Ein neuer Dürer ist noch nicht in Sicht« (11,156). Dementsprechend stellte er Dürer (wie könnte es anders sein) einfach als einen mit allen Wassern gewaschenen Geschäftsmann hin, der als »gutbezahlter Auftragnehmer von Pfeffersäcken und Monarchen« ein beträchtliches Vermögen einkassiert habe (11,161).

V Doch das lauteste Tamtam wurde im Spiegel meist an den Gedenktagen berühmter Komponisten gemacht, die nicht nur in Deutschland, sondern auch auf dem internationalen Parkett das größte Ansehen genossen. Wie bei den Malern waren es selbst im Hinblick auf die Großmeister der Musik wiederum die Legendenbildung sowie die Kommerzialisierung, die dieses Blatt am schärfsten aufs Korn nahm. So berichtete es am 11. Juli 1962 voller Genugtuung, dass man auf dem 7. Bach-Fest in Mainz endlich darangegangen sei, die herkömmliche Legende von Johann Sebastian Bach als des »fünften Evangelisten« zu zerstören. Gestützt auf Erklärungen des Musikwissenschaftlers Friedrich Blume, behauptete hier der Spiegel, dass Bach kein begeisterter Komponist geistlicher Musik oder gar ein religiöser Ekstatiker, sondern ein durch und durch weltlicher Mensch gewesen sei, der selbst das geschickte Arrangieren profaner Melodien zu kirchlichen Zwecken keineswegs verschmäht habe. Und zwar gelte das sogar für seine von vielen Bach-Fans angehimmelte Matthäus-Passion, der weitgehend weltliche Melodien seiner Vorleipziger Zeit zugrunde lägen. Ja, Bach habe als skrupelloser Opportunist selbst katholische Werke wie die berühmte H-Moll-Messe komponiert, um sich einen besserbezahlten Job bei Hofe zu verschaffen (28,60). Mit anderen Worten: Wie Dürer stellte der Spiegel auch Bach weitgehend als geschickten Geschäftemacher und Gelegenheitskünstler hin. Eine ähnliche Umdeutung musste sich Ludwig van Beethoven gefallen lassen, dessen 200. Geburtstag sich im Jahr 1970 jährte und nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt gefeiert wurde. Auch hier wies des Spiegel in seinem Beitrag Für alle da vom 27. April – neben dem ideologischen Ost-West-­Gerangel um Beethoven – vor allem auf die auf Hochtouren laufende »Maschinerie der Erbauungsindustrie« hin und machte sich dementsprechend über die zahlreichen Beethoven-Schallplatten, Beethoven-Ausstellungen und Beethoven-­ Verpoppungen lustig (18,201). Allein die Beethoven-Stadt Bonn, konnte man Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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Abb. 31  Titelblatt des Spiegel vom 7. September 1970

in diesem Beitrag lesen, habe sich den anstehenden Beethoven-Rummel schon 1,3 Millionen DM kosten lassen. Außerdem seien die Kulturverantwortlichen im Auswärtigen Amt dabei, 60 Ausstellungen von Beethoven-Devotionalien in aller Welt vorzubereiten. Die European Broadcasting Union, hieß es wei186

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ter, habe es sich nicht nehmen lassen, nach zwei Jahren intensiver Vorarbeit nun die Wiedergaben sämtlicher Beethoven-Werke – einschließlich von Fragmenten und selten gespielter Werke wie dem Lob auf die Dicken – auszustrahlen. Auch die U-und E-Komponisten seien eifrig dabei, sich in diese zirkushafte Beethoven-Betriebsamkeit einzumischen. So hätten die »BeAthovens« bereits Beethovens 5. Symphonie verpoppt. Karlheinz Stockhausen habe sich die größte Mühe gegeben, auf einem elektronischen Mischpult eine Komposition Kurzwellen mit Beethoven zu »realisieren«, die er mit einer Lesung des Heiligenstädter Testaments verbinden wolle. Ja, der Kölner Komponist Mauricio Kagel plane eine burleske Ton- und Bildmontage unter dem Titel Ludwig van für das Dritte WDR-Programm, in der es lediglich um Beethovens Bonner Geburtshaus gehen solle. Eine eigene, von einem kulturellen Verantwortungsbewusstsein zeugende Haltung zu diesen Aktivitäten wurde auch hier nirgends sichtbar. Wie immer witzelte der Spiegel über alles Berichtete einfach mit der für ihn typischen Süffisanz. Und damit hatte es sich. In seinem ausführlichen Feierbericht vom 7. September des gleichen Jahres, der unter dem scheinbar vielsagenden und dennoch unverbindlichen Titel Vom armen B. erschien, zog das gleiche Blatt – im Gefolge eines alles Hohe ins Niedrige herabwürdigenden Enthüllungsjournalismus – vornehmlich gegen die herkömmliche Beethoven-Legende vom Leder, indem es sich über das im 19. Jahrhundert entstandene Beethoven-Image des großen Trutzigen, des Heros, des Titanen mokierte und dafür – wie in den meisten seiner Jubiläums-Stories – eher das Menschlich-Allzumenschliche oder gar Peinlich-Private dieses Komponisten hervorkehrte. Was es dabei herausstellte, war vor allem Folgendes: Beethovens Vater war ein Trunkenbold, er selbst hatte entstellende Blatternarben im Gesicht, wurde von neurotischen Komplexen geplagt, war herrschsüchtig, jähzornig und hochfahrend, warf seinen Dienstmädchen und Haushälterinnen gern Bücher an den Kopf, entwickelte eine geradezu groteske Affenliebe für seinen Neffen Karl, litt in den letzten Jahren seines Lebens an einer chronischen Darmentzündung, war auf eine krankhafte Weise misstrauisch, hielt die ganze Welt für »detestabel«, empfand weiblichen Wesen gegenüber tiefgehende Hemmungen, hatte latente homosexuelle Neigungen, soll in der Nähe »käuflicher Frauen« gesehen sein usw. – war also alles andere als ein genialisches Naturkind, ein Revolutionär, ein Zauberer oder ein bewunderungswürdiger Hohepriester der Musik, wie ihn Romantiker wie Bettina von Arnim, Clemens Brentano oder Ernst Theodor Amadeus Hoffmann gern gesehen hätten, sondern ein verklemmter und zugleich rücksichtsloser Narziss (37,182–194). Zur Unterstützung dieser Thesen berief sich der Spiegel dabei auf die poppsychologischen Ausführungen Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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des verkaufsstrategisch zum rechten Zeitpunkt erschienenen Buchs Ludwig van Beethoven und sein Neffe. Tragödie eines Genies (1969) von Editha und Richard Sterba, das sich mit pseudowissenschaftlichem Anspruch weitgehend mit den als »problematisch« ausgegebenen Seiten in Beethovens Privatleben beschäftigte.

Abb. 32  Michael Mathias Prechtl: Beethovens »Erotica« (1967)

Neben Beethovens verqueren Liebesbedürfnissen, die der Nürnberger Graphiker Michael Mathias Prechtl bereits 1967 auf seinem Bild Beethovens Erotica – wenn auch noch mit einem liebevollen Blick – persifliert hatte, wurden in diesem Bericht, wie erwartet, zugleich vor allem die geschäftlichen Machinationen 188

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des allerorts gefeierten Geburtstagskinds herausgestellt. Wenn man dem Spiegel glauben würde, war Beethoven ein wahrer »Geizkragen« und »Kunstwucherer«, der trotz weniger Werke zeit seines Lebens »meist gut verdient« habe (37,190). Statt nur der hehren Kunst zu dienen, wie man aufgrund seiner vielen idealistischen Äußerungen annehmen würde, habe er sich keineswegs gescheut, auch minder »gelungene Werke mit Hilfe seines guten Namens loszuwerden« (37,191). Und wie immer seien seine Honorarforderungen »ungewöhnlich hoch« gewesen (37,191). Mit all solchen Behauptungen und Erklärungen wurde Beethoven in diesem Artikel schließlich so stark auf die Ebene des Erotischen und Kommerziellen heruntergezogen, dass von ihm nur ein frustriertes oder neurotisch-­ gehetztes, wenn auch geschäftstüchtiges Talent übrigblieb. Von dem »Komponisten« Beethoven und der Bedeutung seiner Werke erfuhr man dagegen fast nichts. Auch das auf diesen Bericht folgende Gespräch mit ­Mauricio Kagel brachte wenig Erhellendes über die Besonderheit oder gar anfeuernde Kraft der beethovenschen Musik, sondern erschöpfte sich weitgehend in formalistischen Analogien zwischen Beethovens späten Streichquartetten und den seriellen Techniken in der Musik des Schönberg-Schülers Anton Webern, ohne da­ raus irgendwelche ideologischen Folgerungen zu ziehen. Mit der gleichen Wonne stürzte sich der Spiegel anlässlich der 100-Jahrfeier von Bayreuth auf Richard Wagner. Ihm widmete er am 1. März 1976 unter dem Titel Die Götter dämmern volle zwanzig Seiten (10,134–153), da er hier seiner Nationalismuskritik, seiner Neigung zur Legendenzertrümmerung und seinem Spott auf die übliche Kommerzialisierung noch freieren Lauf lassen konnte. In der hundertjährigen Geschichte von Bayreuth sah der Spiegel nur die geschäftstüchtige »Privatfirma Wagner und Co.« am Werke, die trotz des ständigen Geredes vom heiligen Gral lediglich an den eigenen Herd gedacht habe (10,134). Von diesen Opportunisten, diesen »Unternehmern vom kräftigsten Kaliber«, die genau gewusst hätten, dass zu einem »erfolgreichen Marketing« auch eine effektive Weltanschauung gehöre, sei vor allem der deutsche Nationalismus fleißig in Kapital umgesetzt worden. Außerdem bekam man in diesem Artikel – wie schon im Hinblick auf Beethoven – wiederum die üblichen Anekdötchen aufgetischt. Wagner, hieß es hier, dieser ressentimentgeladene Gnom und skrupelloseste Parvenü des 19. Jahrhunderts, habe gern »ordinäre Witze« gerissen und seine Freunde durch »gelegentliche Kopfstände auf Kneipenstühlen« verblüfft (10,142). Cosima sei in ihren letzten Jahren stets mit einer Flasche Bier ins Bett gegangen, und ihr Papagei habe dann die Gluckergeräusche nachgeahmt. Dementsprechend kam der Spiegel am Schluss zu dem Fazit: 100 Jahre Bayreuth seien eigentlich genug. Das Beste wäre, man mache diesen Laden endlich dicht. Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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VI Fassen wir zusammen. Das »Positive« an all diesen Feierberichten ist zweifellos ihre durchgehend antinationalistische Tendenz, die nach den chauvinistischen Orgien der NS-Zeit nur allzu gerechtfertigt war. Doch indem die Spiegel-Redakteure dabei – in geradezu masochistischer Selbstzerfledderung – den herkömmlichen Idealen und Kulturgütern jeden »Zug ins Höhere« und damit »Humanisierende« von vornherein absprachen, blieben von den großen Gestalten der geschichtlichen Überlieferung lediglich – à la Johannes Grützke – »Menschen wie Du und Ich« oder höchstens interessant aufgeputzte Illustrierten-Prominente übrig. Und wie derartige Gestalten wurden auch die Anti-­ Helden des Spiegels weitgehend von ihrer Person und nicht von ihrem Werk her gesehen – oder besser angeschnuppert, um ihren kleinen Schwächen, ihren menschlich-allzumenschlichen Zügen auf die Spur zu kommen. Das journalistische Hauptmittel, dessen sich seine Redakteure und Redakteurinnen dabei um 1970 bedienten, war die entlarvende Anekdote, die meist im Bereich des Sexuellen oder Kommerziellen angesetzt wurde, um so den ins Auge gefassten Lesern und Leserinnen, die weitgehend auf das Haben- und Besitzenwollen trainiert waren, die nötige psychomentale Einfühlungsbasis zu geben. Demzufolge erschienen die meisten dieser Größen der Vergangenheit im Spiegel des damaligen Spiegels notwendig als windige Opportunisten, rücksichtslose Karrieremacher, geschickte Public Relations-Manager, imagebewusste Werbespezialisten, kapitalistische Großverdiener und zugleich vom Stress geplagte Neurotiker, die auch heute noch – selbst beim Spiegel – eine beachtliche Karriere machen würden. Fast alle wirkten wie absolute Einzelgänger, die als gut- oder bestbürgerliche Parvenüs ständig nur den Weg nach oben im Auge hatten. Als typische Senkrechtstarter dachten sie offenbar im Sinne der geschilderten Beethoven- oder Wagner-Figuren lediglich an ihr eigenes Ich, weshalb es geradezu an Widersinn grenzen würde, wie der Spiegel behauptete, sie vor den Karren des deutschen Nationalismus oder irgendeiner anderen Ideologie spannen zu wollen. Damit befreite zwar der Spiegel diese Künstler aus dem Zwangskorsett der nationalistischen Verfälschung, lieferte sie aber zugleich der liberalistischen Unverbindlichkeit aus. Denn wenn diese Größen nicht mehr in das politische oder kulturelle »Erbe« eingebettet werden konnten – welchen Nutzwert hatten sie dann noch? Als was hätte man sie dann überhaupt noch feiern sollen? Als Vorbilder eines einzelpersönlichen Egoismus oder als interessante Ausprägungen des Abnormalen? Wem wäre damit gedient gewesen? Etwa den anderen Einzelnen, den Selfmade-Männern, den Parvenüs, den Freiberuf190

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Abb. 33  Johannes Grützke: Ludwig van Beethoven (1977)

lichen, den Akademikern, den Vertretern der sogenannten freischwebenden Intelligenz? »Aber natürlich«, hätten die Spiegel-Redakteure darauf geantwortet. Denn ihre Leser waren damals vornehmlich jene Selfmade-Männer, Parvenüs, Freiberuflichen, Akademiker und Intellektuellen, also weitgehend Leute mit Abitur, die alles unter der Perspektive einer liberalen Laisser-faire-Einstellung betrachteten. Diese Schichten wollten sich auch im Spiegel als Gebildete, als Einzelne angesprochen fühlen. Sie hatten keinerlei »Anliegen«, kein gesamtgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein, sondern lasen die Feuilletonseiten dieses Blatts hauptsächlich, um sich auf die witzigste und unverbindlichste Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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Weise unterhalten zu lassen. Die meisten dieser Leute hatten deshalb für Feiern, vor allem wenn sie ins Popularisierende tendierten, nur ein hochmütiges Naserümpfen übrig. Ihnen war nichts verhasster als irgendwelche Programme, Ideale oder ideologische Zielsetzungen. Das Einzige, was sich diese Schichten von den Kulturberichten eines Magazins dieser Art wünschten, waren geistreiche Pointen, entlarvende Witzchen, gut erfundene Anekdoten, kurz: unterhaltsame Stories, die sich bei Partys weitererzählen ließen.10 Und die lieferte ihnen der Spiegel allerdings zur Genüge, auch oder gerade in den Berichten über anstehende Jahrestage, indem er diese Feier-Stories genauso witzig verpackte wie die meisten seiner Artikel, nämlich als interessante Kuriosa für jene Gebildeten oder Halbgebildeten, die bei der Lektüre dieses Blatts weitgehend ihr gesellschaftliches oder ästhetisches Pläsier suchten. Selbst die Jubiläumsberichte, wo es eigentlich um die »höchsten Dinge« ging, wollten diese Leute als journalistische Leckerbissen serviert bekommen, und zwar so »kabarettistisch«,11 so »naßforsch«,12 so »snappy«13 wie nur möglich. Ihnen machte es nichts aus, wenn dabei die Berichte über die Beethoven- oder Dürer-Feiern auf der gleichen Ebene rangierten wie ein mokanter Artikel über das erste große Frauen-Festival in Westberlin vom 27. Mai 1974 (22,54) oder der Bericht vom 13. Dezember 1971 über die Münchner Sommerolympiade, der unter dem Titel Kampf der Waden und Gesänge erschien (51,150 f.). Es gab daher zu dem erwähnten Beethoven-Bericht vom 7. September 1970 in der darauf folgenden Woche auch keine protestierenden Leserbriefe, welche voller Empörung über den Ikonoklasmus des Spiegels den »himmelstürmenden Idealismus« oder die »weltbewegende« Größe der Symphonien dieses Komponisten herausgestrichen hätten. Was die meisten Leser dieses Blatts damals verlangten, war letztlich nur, dass alles »gleich lächerlich« gemacht wurde.14 Sie erwarteten vom Spiegel die »Moralität eines Kabaretts«, das immer »dagegen« ist, ohne selber eine eigene Richtung anzudeuten, das sich kritisch verhält, ohne sich um einen dialektischen Tiefgang zu bemühen, das satirische Seitenhiebe austeilt, ohne dahinter eine Utopie des Anderen, Besseren aufleuchten zu lassen. In seinen Anfängen war der Spiegel, wie gesagt, noch nicht so unverbindlich aufgetreten. Deshalb hatten ihn in den fünfziger Jahren manche als wichtigstes »Sinnbild der Opposition« gepriesen.15 Was seine Seiten in diesem Zeitraum füllte, waren größtenteils Angriffe gegen Adenauer und Strauß, die unbewältigte NS-Vergangenheit sowie die allgemeine politische Lethargie der westdeutschen Bevölkerung gewesen. Kulturelles hatte ihn vor 1960 kaum inte­ ressiert. In diesen Jahren verstand er seine Hauptaufgabe noch in der »Erziehung durch Information«, indem er Demokratisierung mit Öffentlichmachen gleich192

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setzte. Doch seit dem Ende der sechziger Jahre, seit der sozialliberalen Koalition, wurde der Spiegel ideologisch allmählich richtungsloser. Dafür spricht, dass Rudolf Augstein schon 1966 erklärte: »Ich vermag überhaupt nicht einzusehen, warum eine Zeitung eine weltanschauliche Grundlage haben soll.«16 Kein Wunder also, dass der Spiegel schließlich völlig »im politischen und gesellschaftlichen Status quo der Bundesrepublik« aufging, wie Erich Kuby 1967 bedauernd schrieb.17 Und so wurde aus einem anfänglichen Oppositionsblatt allmählich das Magazin einer elitären Status quo-Gesinnung. In den meisten Fragen bezog der Spiegel später eine Rechts der Mitte-Haltung, indem er sich zu einer »vagen Form des Antikommunismus« bekannte und ein ebenso »vages Ja zur pluralistischen Freiheit« vertrat.18 Demzufolge wirkten auch die »Waren«, die er in der Folgezeit offerierte, das heißt seine Reportagen, Glossen und Berichte, eher kabarettistisch als kritisch. Genau betrachtet, wurde er zum schichtenspezifisch eingegrenzten Blatt einer akademischen und wirtschaftlichen Intelligenz, die sich von der Mehrheit der Bevölkerung so weit absonderte, dass sie für Konzepte wie allgemeine Kultur oder gesellschaftliches Verantwortungsgefühl kein tiefergehendes Interesse mehr aufzubringen vermochte. Nichts lag dieser Schicht ferner als irgendein »Erbe«-Bewusstsein, welches sich auf das Prinzip einer dialektischen Aneignung zu stützen versucht. Im Rahmen ihrer Anschauungsweise hatte die Welt schon seit Jahrhunderten so ausgesehen, wie sie der Spiegel darstellte, nämlich wie eine Welt forcierter Individualgefühle und bürgerlicher Geschäftemacherei. Deshalb konnten auch seine Leser und Leserinnen an nichts anknüpfen und nichts feiern. Denn Anknüpfen und Feiern setzen – selbst im Falle Dürers oder Beethovens – stets ein Geschichtsbewusstsein voraus, dem eine vorwärtsweisende Etappenfolge der gesellschaftlichen und menschheitlichen Entwicklung zugrunde liegt. Dinge wie Verwertung oder Aufhebung, die zum Wesen echter Feiern gehören, kamen daher dieser Schicht gar nicht in den Sinn. Sie sah die Weltgeschichte nicht mehr linear, nicht mehr entwicklungsgeschichtlich, nicht mehr auf eine humanistisch-klassenlose Gesellschaft hinweisend. Für sie war das Ganze bereits damals nur noch ein postmoderner Kreislauf des Immergleichen, dem sich lediglich einige witzige Pointen abgewinnen lassen. Daher betrachtete auch der Spiegel – im Gegensatz zu früheren Moralischen Wochenblättern des aufsteigenden Bürgertums – seine Aufgabe nicht mehr in Aufklärung oder Wertesonderung. Statt sich irgendwelche sozialpädagogischen Ziele zu setzen, produzierte er einfach journalistisch interessante Konsumgüter. Und damit beteiligte sich selbst er an jenem Prozess, über den er sich in den zitierten Jubiläumsberichten zum Teil gnadenlos lustig machte, nämlich dem Die Spiegel-Berichterstattung der Beethoven-Feiern um 1970

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der totalen Kommerzialisierung aller älteren Werte, der sich nirgends so deutlich zu erkennen gibt wie in der fortschreitenden Verramschung des hochkulturellen Erbes. Während der Spiegel in den Sparten »Politik und Wirtschaft« auch später noch mancherlei faktenreiche, aufhellende, ja, geradezu provozierende Berichte brachte, die man in anderen Wochenschriften der Bundesrepublik schwerlich finden würde, machte er es sich auf dem Sektor »E-Kultur« etwas leichter. Hier verkaufte er weitgehend Nachrichten, die weder faktenreich noch aufhellend waren, sondern eher ins Unverbindliche, Kulinarische oder Entlarvende tendierten. Daher konnte er auch Beethoven – mit der ihm eigenen Tendenz zur »Entmythologisierung« – nur als einen von Neurosen geplagten Geschäftemacher hinstellen, ohne auf die humanistische Botschaft seiner Musik einzugehen.19 Denn diese Botschaft hätte ihn sofort in Probleme verwickelt, die bei seinen Lesern und Leserinnen lediglich eine zynische Abwehrgeste verursacht hätten. Schließlich fühlte sich die Mehrheit dieser Schichten schon um 1970 über jede Form einer weltverbessernden »Idealität« erhaben.20

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Beethoven – Tage aus einem Leben Ein DEFA-Film von 1976

Die Darstellung großer Künstler – ob nun in Romanen, Novellen, Gemälden, Graphiken oder Filmen – ist stets von zwei Gefahren umwittert: der Gefahr des maßlos Verkultenden oder der Gefahr des hämisch Entlarvenden. Während im Rahmen der humanistisch-klassizistischen Kultur des 18. Jahrhunderts und der auf sie folgenden geniekultischen Strömungen des 19. Jahrhunderts bei der Repräsentation überragender Kulturgrößen eher die idealisierende Komponente überwog, meldeten sich im 20. Jahrhundert im Rahmen der sich rapide ausbreitenden Massenmedien immer mehr Stimmen, welche sich bemühten, solche Figuren mit bewusst entlarvender, desillusionierender oder entmythologisierender Absicht ins Menschlich-Allzumenschliche herabzuziehen.1 Und zwar hing das sowohl mit der kommerziellen Anpreisung der gängigen Pop-­Kultur und der daraus resultierenden Verramschung der älteren E-Kultur als auch jenen entidealisierenden Sehweisen der menschlichen Natur zusammen, die sich seit der Durchsetzung psychoanalytischer, massenpsychologischer, schichtenspezifischer, poststrukturalistischer und posthistoristischer Anschauungen im Laufe des 20. Jahrhunderts verbreiteten. Seitdem es – in idealistischer Perspektive – nicht mehr der Geist ist, der sich den Körper baut, sondern der Mensch weitgehend als ein relativ unverantwortliches Triebbündel, mit sich unidentisches Genprodukt oder außengelenktes Massenwesen betrachtet wird, dem man die ältere, noch individuell geprägte Charaktermaske unbarmherzig vom Gesicht gerissen hat, haben viele Menschen für alles »Höhere« nur noch ein spöttisches Lächeln übrig, was dazu geführt hat, die angeblich »humanisierenden« Impulse von Seiten der älteren E-Kultur grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Damit waren für Beethoven – als einen lange Zeit als Heroen menschheitlicher Ideale angesehenen Künstler – keine guten Zeiten angebrochen. Seine Musik wurde zwar weiterhin durch zahlreiche Aufnahmen seiner Werke, FeierBeethoven – Tage aus einem Leben

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tagskonzerte und Radiosendungen »popularisiert«, aber die frühere Ehrfurcht seiner Person gegenüber, die oft ans Verkultende grenzte, wich einer immer stärkeren Normalisierung, wenn nicht gar psychologischen Entlarvung, die manchmal ins eindeutig Respektlose tendierte. Das gilt vor allem für jene Länder, in denen im Zuge der Ausweitung einer kapitalistisch-strukturierten Wirtschaftsordnung eine Tendenz ins Pseudo-Populäre oder Populistische um sich griff, die im Zuge bewusster Social Engineering-Taktiken zu einer steigenden Entwertung alles »Außergewöhnlichen« geführt hat. In ihnen wurden daher – mit deutlich nivellierender Absicht – in den sensationell aufgemachten Massenmedien auch die großen Künstler der Vergangenheit weitgehend als »Menschen wie Du und Ich«, das heißt als leicht zu verführende Triebbündel oder unterhaltungssüchtige Massenwesen, wenn nicht gar als geld- und geschlechtsgierige Verbrauchertypen hingestellt, um sie damit auf konsumpsychologische oder postmoderne Weise »up to date« zu bringen. Demzufolge ist im Popular­ bewusstsein solcher Länder selbst im Hinblick auf Beethoven an die Stelle des bisherigen Geistkämpfers, Heroen oder Titanen gleichen Namens ein Mann der sogenannten Human Interest Stories getreten, der unentwegt an seinen körperlichen Gebrechen litt, der sich wegen seiner Taubheit grotesker Hörrohre bediente, der eine Liebesaffäre nach der anderen hatte, dessen Neffe Karl höchstwahrscheinlich sein eigener Sohn war, der seine Haushälterinnen misshandelte, der in der Mehrheit der Menschen einen nichtswürdigen Pöbel sah, der wegen seines ständigen Alkoholkonsums an Leberverhärtung starb und Ähnliches mehr. Zu den wenigen Staaten, die sich diesem Sog ins Psychoanalytisch-, Medizinisch- oder Psychologisch-Entlarvende im Hinblick auf ältere Kulturgrößen entgegenzustemmen versuchten, gehörten einige der früheren Ostblockländer. So galt etwa in der DDR – seit ihrer Gründung im Jahr 1949 – die Zeit zwischen 1750 und 1848 weitgehend als das »klassische Jahrhundert«, dessen als normativ ausgegebener Humanismus die weltanschauliche Grundlage für die in diesem Staat angestrebten sozialistischen Experimente bilden sollte. Gerade in den ersten Jahren dieses Staates wurden daher ins »Idealistische« verklärte Künstler wie Goethe, Schiller, Hölderlin oder Beethoven stets als Bannerträger eines exemplarischen Fortschrittsbewusstseins hingestellt, an denen keine Kritik laut werden durfte.2 Wie im Hinblick auf die Literatur zogen die hierfür verantwortlichen Theoretiker auch auf musikalischem Gebiet zur Unterstützung solcher Vorstellungen meist die bereits von Franz Mehring und Georg Lukács aufgestellte These von der Vorbildlichkeit der in diesem Zeitraum entstandenen Kunst des »progressiven Bürgertums« heran, um selbst in die Musikrezeption 196

Beethoven – Tage aus einem Leben

eine für jede marxistische Sicht von Geschichte und Kultur unabdingbare Perspektive der »dialektischen Aneignung« in solche Diskussionen einzubringen und zugleich die bisher von den höheren Formen der Kunst ausgeschlossene Arbeiterschaft für diese Art von Musik zu gewinnen.3 So stellte etwa Ernst Hermann Meyer, der damals wohl wirkungsmächtigste DDR-Musikwissenschaftler, in seinem Buch Musik im Zeitgeschehen schon 1952 die Behauptung auf, dass Beethoven zeit seines Lebens ein radikal gesinnter »Jakobiner« gewesen sei, dessen Musik voll und ganz aus dem Geist einer fortschrittlichen, das heißt mit dem sogenannten einfachen Volk verbundenen humanistisch-­fortschrittlichen Gesinnung erwachsen sei.4 Andere DDR-Musikkritiker sprachen in den fünfziger Jahren davon, dass sich Franz Schuberts große C-Dur-Symphonie in ihrem »hinreißenden Optimismus« letztlich nur als »Protest und Aufruf gegen die herrschende Lethargie und Passivität seiner Landsleute« verstehen lasse.5 Selbst die wesentlich später entstandene 1. Symphonie von Johannes Brahms wurde damals in diesem Staat noch als musikalischer Ausdruck des »Kämpfens und Siegens« gedeutet, das heißt als ein Werk, welches ohne den »historischen Kampf des deutschen Volkes um Einheit und Freiheit« nie in dieser Form entstanden wäre.6 Durch die These von der progressiven Parteilichkeit jener Teile des deutschen Bürgertums zwischen Aufklärung und Vormärz, die in ihren besten künstlerischen Leistungen stets an nationale und zugleich humanistische Traditionen angeknüpft hätten, wurde so in der frühen DDR ein Musikkonzept postuliert, das in letzter Konsequenz – in Anlehnung an Johannes R. Bechers Ausspruch »Vorwärts zu Goethe!« – fast auf das Motto »Vorwärts zu Beethoven!« hinauslief. Jedenfalls schloss dieses Modell von vornherein jede Anlehnung an irgendwelche von spätbürgerlich-»dekadenten« oder sozialistisch-avantgardistischen Künstlern aufgestellten Modelle weitgehend aus. Das Ziel dieser Musiktheorie war also weder eine modernistische Innovationsmusik noch eine rebellisch auftretende Rote Kampfmusik, sondern eher eine volkstümliche Klassik, die sich sowohl von allen formalistisch-schönbergisierenden als auch allen parteilich-­ überdeterminierten, das heißt den Geist des Humanismus »verratenden« Experimenten fernzuhalten habe. Ihre Progressivität sollte sich in erster Linie jener »Tradition der deutschen Musik, die in der deutschen Geschichte mehrmals eine mobilisierende Kraft der Vorwärtsentwicklung der menschlichen Gesellschaft dargestellt hat, würdig erweisen«, wie es das wichtigste Musiklexikon der DDR noch Mitte der sechziger Jahre definierte.7 Im musikwissenschaftlichen Schrifttum der DDR wie auch in den volksbildenden Publikationen dieses Staates wurde daher im Rahmen der deutEin DEFA-Film von 1976

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schen Musiktradition immer wieder auf die überragende Bedeutung Beethovens hingewiesen. Und zwar erlebte diese Form einer am Kult der Weimarer Klassik geschulten Beethoven-Verehrung einen ihrer Höhepunkte bei jenen staatlichen Feierlichkeiten, die 1970 in Ostberlin zu Ehren der 200. Wiederkehr von Beethovens Geburtstag stattfanden.8 Wer damals gegen diese Art der Klassik-­Verkultung und ihres weiterhin gültigen Humanismus im Zeichen einer an »avantgardistischen« Vorbildern geschulten Kunstauffassung, wie etwa der Bertolt Brechts und seiner Musikkonzepte, aufzubegehren versuchte, wurde von den maßgeblichen Vertretern solcher Erbe- oder Vollstreckervorstellungen in den Publikationen der DDR zu diesem Zeitpunkt noch als Linkssektierer verurteilt. Das lässt sich unter anderem an der verärgerten Rezeption des 1971 von Reinhold Grimm und mir herausgegebenen Bands Die Klassik-Legende ablesen, den die orthodoxen Anhänger Walter Ulbrichts sowohl in der Zeitschrift Sinn und Form als auch in den Weimarer Beiträgen scharf angriffen.9 Doch das Jahr 1971 – ein Jahr nach den offiziellen Beethoven-Feiern – war bekanntermaßen in der DDR zugleich das Umbruchsjahr von der Ära Walter Ulbrichts zur Ära Erich Honeckers, wodurch es in mancherlei Hinsicht auch in den kulturtheoretischen Debatten zu neuen Orientierungsversuchen kam, welche sich vor allem auf die Einstellung zu dem bisher weitgehend als maßstabsetzenden »Kulturellen Erbe« der Weimarer und Wiener Klassik auswirkten.10 Im Zuge dieser ideologischen Umorientierungen, die zu einer merklichen Aushöhlung des bisherigen Anspruchs führten, die Werke der »klassischen« Kunstperiode zwischen 1750 und 1848 als unkritisierbare Vorbilder oder zumindest künstlerische Anleitungsmodelle zu betrachten, erfolgte daher seit 1972/1973 – trotz mancher Gegenreaktionen von Seiten älterer Antifaschisten oder DDR-Sozialisten der mittleren Generation – ein unübersehbarer Abbau vieler bisher von oben geförderter Normvorstellungen zugunsten einer Fülle sich verstärkender Ich-Konzepte, die ausgesprochen »libertäre« Züge trugen. So gab es 1975 in Jena, der Kultstadt der Romantik, eine Tagung zum Thema »Individuum, Subjektivität, Geschichte«, auf der nachdrücklich bedauert wurde, dass das Private bisher sowohl bei der Entstehung als auch der Rezeption von Kunst ungebührlich vernachlässigt worden sei. In der Folgezeit war darum in den kunsttheoretischen Schriften der DDR – zum Teil unter Berufung auf den frühen Karl Marx,11 der nicht nur die politische, sondern auch die persönliche Emanzipation des Menschen gefordert habe und dessen höchstes Ideal selbst später die ungehinderte Herausbildung aller menschlichen Eigenschaften geblieben sei – viel von »Differenzierung«, »Selbstverwirklichung«, »persönlicher Handschrift« und »künstlerischer Eigenart« die Rede.12 Statt weiterhin 198

Beethoven – Tage aus einem Leben

Abb. 34 Titelblatt einer vom Büro des Nationalrats der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik herausgegebenen Broschüre (1952)

lediglich die Klassenbezogenheit und soziale Verantwortlichkeit aller Künstler in den Vordergrund zu rücken, kam es so zu einem steigenden Interesse am Biographisch-Besonderen, was zu einer merklichen Abschwächung aller größeren, jetzt als »schematisch« bezeichneten sozioökonomischen Zusammenhänge und ästhetischen Normvorstellungen führte. Ja, manche DDR-Theoretiker ginEin DEFA-Film von 1976

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gen bereits zu diesem Zeitpunkt dazu über, im Hinblick auf die Entstehung künstlerischer Werke nicht nur – wie Bertolt Brecht – von relativer Autonomie, sondern von schlechthinniger Unabhängigkeit des künstlerischen Gestaltungsdranges zu sprechen, um so das Persönliche immer stärker über das im sozialen oder ästhetischen Sinne Kollektiv-Verpflichtende zu stellen. An die Stelle der Heroisierung oder gar Verkultung der bürgerlichen Kulturgrößen des »klassischen« Jahrhunderts, die in der Frühzeit der DDR – vor allem aufseiten der Weimarer Nationalen Kultur- und Gedenkstätten – geherrscht hatte, als noch Parolen wie »Vorwärts zu Goethe!« oder »Vorwärts zu Beethoven!« zu hören waren, trat so eine immer stärker werdende Tendenz zur Vermenschlichung, ja, selbst Privatisierung der bisher ins Zeitlos-Normative verklärten humanistisch gesinnten Idealfiguren um 1800. Und damit hörte der Streit um das »Klassische Erbe«, wie er noch um 1970/1971 in aller Schärfe getobt hatte, in den folgenden Jahren allmählich auf und wurde 1975 von Wilhelm Girnus in Sinn und Form mehr oder weniger ad acta gelegt.13 Dieser situative Wandel wirkte sich nicht nur auf die bisher höchst erregt geführten Debatten im Hinblick auf die wegweisende Vorbildlichkeit der Werke Goethes und Schillers aus, sondern griff auch in die Auseinandersetzungen um die mediale Umsetzung der neuen, ins Subjektiv-Liberale drängenden Bemühungen bei der Verfilmung der sogenannten bürgerlichen Klassiker und ihrer Werke ein. Und in diesem Kontext muss auch ein DEFA-Film wie Beethoven – Tage aus einem Leben gesehen werden, den Horst Seemann in den frühen siebziger Jahren nach einem Szenarium von Günter Kunert drehte und der am 14. Oktober 1976 in Ostberlin uraufgeführt wurde. Der Auslöser zu diesem Film war sicher die ostdeutsche Beethoven-Feier des Jahres 1970 und ihre weitgehend verehrungsvolle Haltung dem großen »Klassiker« Beethoven gegenüber. Wer jedoch gedacht hatte, dass sich dieser Film an die dort angeschlagenen Töne halten würde, wurde wegen der »Realistik« des Ganzen sicher etwas enttäuscht. Umso erfreuter waren all jene, die etwas Peinlich-Heroisierendes erwartet hatten und in diesem Film eher mit den persönlichen Eigenarten, ja, Schwächen des »Menschen« Beethoven konfrontiert wurden. Schließlich konnten sie sich in diese leichter »einfühlen«, als wenn man ihnen wiederum lediglich den großen »Heroen« Beethoven vorgesetzt hätte. Obwohl also dieser Film die erste Anregung zu seiner Entstehung offenbar durch die Ostberliner Beethoven-Feier von 1970 empfing, wurde er wegen seiner langen Entstehungszeit schließlich zu einem Spiegelbild der kulturellen DDR-Mentalität der mittsiebziger Jahre, in denen auch andere DEFA-­ Regisseure ihre verkultende Haltung gegenüber bisher als »klassisch« geltenden 200

Beethoven – Tage aus einem Leben

Künstlern und ihren Werken zusehends aufgaben. Dafür sprechen beispielsweise Filme wie Die Wahlverwandtschaften (1974) von Siegfried Kühn sowie Lotte in Weimar (1975) und Die Leiden des jungen Werther (1976) von Egon Günther. Von ihnen hieß es 1979 in dem von Käthe Rülicke-Weiler herausgegebenen Band Film- und Fernsehkunst in der DDR: »In allen drei Werken interessierte den Filmschöpfer vor allem die Herausbildung der Individualitäten vor dem Hintergrund des frühbürgerlichen Aufschwungs. Dieser neue, sozial determinierte Individualitätsausdruck wird, der Übergangszeit entsprechend, kaum vorgelebt, sondern noch mehr erahnt, vorempfunden. Ein unklares Fühlen gibt häufig den Grund her für Leidenschaftsausbrüche, Schwärmerei, Pathos, ja für Verzweiflungstaten. Der frühbürgerliche Mensch erfährt sich als Subjekt; aber es geschieht auch etwas mit ihm, das auf die sich verändernden Umstände zurückzuführen ist. Menschen im Aufbruch sind von der Sehnsucht nach harmonischer Ganzheit erfüllt. Dadurch dass die Filmwerke das ausdrücken, erhielten und vermittelten sie poetische Weite.« Ja, dort las man anschließend sogar noch pointierter: »Deutlich wird, dass die Figuren die feudalen Konventionen der absolutistisch regierten Gesellschaft als Enge empfinden; ihr Protest wird aber kritisch bewertet, wenn er sich auf das Geistige beschränkt und nicht zum Praktisch-Revolutionären kommt.«14 Diese sich verändernde Einstellung zu den großen Werken des »Kulturellen Erbes« ist in mehr als einer Weise aufschlussreich. Sie hielt zwar weiterhin zu Recht an einer sozialhistorischen Perspektive fest, drängte aber unterschwellig zu einer stärkeren Bewertung individueller Sehnsüchte und Gefühle, die man in einer von oben reglementierten Gesellschaft – wie jener der feudalabsolutistischen der Goethe-Zeit – noch weitgehend unterdrückt habe und die daher nur in Ausnahmesituationen zum Durchbruch gekommen seien. All das trifft in gleicher Form auf den Beethoven-Film von Horst Seemann zu, der in dem Rülicke-Weiler-Band fast mit denselben Worten charakterisiert wird wie die drei zuvor genannten Filme.15 Aufgrund dieser stärkeren »Subjektivierung« war die Rezeption dieser vier Filme, vor allem die des Beethoven-Films, sowohl in der ehemaligen Bundesrepublik als auch in der DDR gleichermaßen positiv.16 In beiden deutschen Staaten empfand man diese Filme als Ausdruck einer künstlerischen Liberalisierung, die zwar durch die Biermann-Affäre kurz unterbrochen wurde, aber letztlich – im Rahmen der sich lockernden Form der Kulturpolitik unter Erich Honecker – nicht mehr aufzuhalten war und schließlich zu einer allmählichen Annäherung der Geschmacksurteile der sich von den vulgären Produkten der Massenmedien absetzenden hochkulturell-interessierten Schichten in Ost und West führte. Ein DEFA-Film von 1976

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Doch gehen wir – vor weiteren Spekulationen dieser Art – erst einmal auf den Film Beethoven – Tage aus einem Leben selber ein. Wie schon der Titel andeutet, geht es in ihm nicht um eine fortlaufende Biographie oder eine alles überragende Problemstellung, sondern um eine Episodenfolge, die an Walter Benjamins »Denkbilder« oder Theodor W. Adornos »Konstellationen« erinnert. Mit diesem Film wurde also nichts kulturgeschichtlich vordemonstriert oder gar marxistisch auf den Punkt gebracht.17 Hier wurden lediglich Aspekte vorgestellt, welche die Zuschauer und Zuschauerinnen – aufgrund der mosaikartigen Repräsentation – dazu anregen würden, sich mit einer so komplexen Natur wie der Beethovens auf ihre eigene Weise auseinanderzusetzen. Schließlich finden sich bei Beethoven, wenn man seine Briefe und Konversationshefte liest, in Momenten kritischer Selbstbefragung oder leidenschaftlicher Überspanntheit sowohl Hybris als auch Demut, sowohl Menschenliebe als auch Pöbelverachtung, sowohl Werkbesessenheit als auch Sehnsucht nach geselligem Umgang, sowohl entschiedener Republikanismus als auch freundschaftliche Beziehungen zu Hochadligen, sowohl Misogynie als auch ständige Verliebtheit. Und dieser Film versuchte, diese Widersprüche in aller Deutlichkeit herauszustellen, anstatt an Beethovens Biographie im Sinne eines angeblich klassisch-harmonischen Menschenbilds irgendetwas zu glätten oder ins Eindimensionale abzuschwächen. Dennoch war das Ganze – trotz des von Günter Kunert entworfenen klugen Szenariums und der raffinierten Bild- und Schnitttechnik seines Regisseurs – kein lediglich Intellektuelle ansprechender Cineastenfilm wie etwa Jean-Marie Straubs Chronik der Anna Magdalena Bach (1967), Mauricio Kagels Ludwig van (1970) oder Klaus Kirschners Mozart. Aufzeichnungen einer Jugend (1976). Im Gegenteil, er erwies sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre als äußerst »publikumswirksam«, das heißt befriedigte sowohl die Ansprüche der Beethoven-Kenner und anderer Liebhaber »klassischer Musik« als auch die jener Kinogänger und Kinogängerinnen, die vor allem an starken Bildwirkungen sowie emotional aufwühlenden, wenn nicht gar mitreißenden Szenen interessiert waren. Wie erreichte das dieser Film eigentlich, ohne dabei den Gefahren der Verkultung oder der reißerischen Trivialisierung zu verfallen, die sich bei der Verfilmung berühmter Persönlichkeiten nur allzu leicht einstellen und entweder ins Langweilige oder ins Peinliche tendieren? Anstatt noch einmal das feurige Revolutionspathos zu beschwören, das in Walter Felsensteins Fidelio-Film (1952) vorherrscht,18 oder Beethoven wie in dem Hollywood-Film lmmortal Beloved (1994) von Bernard Rose als einen Ewig-Verliebten hinzustellen und ihm sogar seinen Neffen Karl als unehelichen Sohn unterzuschieben,19 wählten Seemann und Kunert einen »realistischen« Mittelweg zwischen diesen beiden 202

Beethoven – Tage aus einem Leben

Extremen, indem sie ein möglichst breites Panorama von 21 Szenen entfalteten, das sowohl auf die menschliche Misere Beethovens in den Jahren 1813 bis 1819 eingeht als auch genügend Raum für seine Herzensaffären, die Darstellung seiner kompositorischen Arbeitsweise, seine Hörbehinderung, seine familiären Verhältnisse sowie seine politischen, literarischen und philosophischen Anschauungen lässt. Daher wirkt die Beethoven-Figur dieses Films weder wie ein trotziger Titan oder eine alles überragende Menschheitsfigur noch wie ein ewig Gehetzter, dessen Kompositionswut sich nur aus seiner erotischen Frustrierung erklären lässt. Er wird eher wie ein höchst eigenwilliges Individuum dargestellt, das trotz der Widrigkeiten seines politischen Umfelds und seiner zunehmenden Ertaubung dennoch nicht aufhört, ein bewegendes Werk nach dem anderen zu schaffen. Und so bleibt er mit all seinen persönlichen Eigenarten und Schrullen, die manchmal fast etwas Groteskes haben, ein zwar seltsames, aber bedeutendes Individuum, statt ihn zu einem überzeitlichen Genie zu stilisieren, das jenseits der für normale Sterbliche geltenden Bedingungen in irgendwelchen höheren Regionen zu leben scheint.

Abb. 35 Ewald Balser als Beethoven beim Komponieren am Klavier in dem Film Eroica (1949) von Walter Kolm-Veltée

Ein DEFA-Film von 1976

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Während ein fortlaufender Lebensbericht Seemann und Kunert zu einer gewissen Entelechie oder zumindest einer sich allmählich verändernden Metamorphose im Sinne Goethes gezwungen hätte, wodurch sie wahrscheinlich der Verführung erlegen wären, das Ganze – wie in dem auf Romain Rollands Beethoven-Biographie beruhenden Film Une Grande amour de Beethoven (1936) von Abel Gance oder dem Eroica-Film (1949) von Walter Kolm-Veltée mit Ewald Balser als hochidealistisch agierendem Charakterdarsteller – nach dem beliebten »Per aspera ad astra«-Prinzip zu gestalten, erlaubte ihnen die Aufteilung in 21 Stationen, denen sie sogar jeweils eingeblendete Kapitelüberschriften voranstellten, den gesamten Film in eine höchst facettenreiche Denkbilderfolge aufzulösen. In ihr geht es hauptsächlich um den Zeitraum rund um den Wiener Kongress, als Beethoven auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand, sich aber zugleich seine Hörbehinderung so sehr verschlimmerte, dass er sich immer stärker zu einem ihn schmerzlich verstörenden Rückzug aus der Gesellschaft gezwungen sah. Das wird bereits in den ersten beiden Stationen

Abb. 36 Beethoven und Dr. Johann Malfatti in dem Film Beethoven – Tage aus einem Leben (1976) von Horst Seemann und Günter Kunert

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Beethoven – Tage aus einem Leben

dieses Films mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit klar. Bei der Anfangsszene handelt es sich um ein rapide aufeinander folgendes Gemisch aus blutigen Ausschnitten der Schlacht bei Vittoria vom 21. Juni 1813, in der die Engländer unter dem Duke of Wellington den französischen Truppen in Spanien eine verheerende Niederlage beibrachten, sowie Ausschnitten einer prunkvollen Aufführung von Beethovens Schlachtensymphonie während des Wiener Kongresses, wobei die schmerzverzerrten Gesichter der Verwundeten, Sterbenden und Gefallenen ständig mit den hocherfreuten Gesichtern der Pralinés naschenden hochadligen Wiener Damen konfrontiert werden, die dem »großen« Beethoven für sein sensationell aufgemachtes Werk einen frenetischen Beifall spenden. In der zweiten Szene, überschrieben »Liebe zur Kunst«, hört man den halbtauben Beethoven in seinem Zimmer beim Komponieren so laut schreien, als wäre er ein Besessener, weshalb er sogar einen seiner besten Freunde, nämlich den Geiger Ignaz Schuppanzigh, schnöde abweist, worauf Beethovens Haushälterin, die ihm seit Stunden das Essen warm gehalten hatte, schließlich verzweifelt ihre Kündigung einreicht. Um nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu geraten, seien aus dem weiteren Verlauf des Films nur folgende Szenen herausgegriffen. Und zwar überwiegt in vielen dieser Lebensausschnitte die durch Beethovens Hörleiden verursachte Menschenscheu. Besonders misstrauisch ist er seinen beiden Brüdern, dem Kassenangestellten Kaspar und dem Apotheker und späteren Gutsbesitzer Johann gegenüber. In dieser Hinsicht ist sein Misstrauen sogar berechtigt. Der schwer leidende Kaspar will seinem Bruder Ludwig lediglich die Sorge für seinen unmündigen Sohn Karl aufbürden, während Johann ihn zwar auf sein Gut in Gneixendorf einlädt, aber nur um mit gefälschten Autogrammen einen unsauberen Handel mit dem Namen seines berühmten Bruders zu treiben. Ebenso negativ wird in der siebten Szene mit der ironischen Überschrift »Vertrauen in die Wissenschaft« der Arzt Dr. Johann Malfatti dargestellt, der Beethoven den kaltherzigen Rat gibt, auf alle Gefühlsaufwallungen, sprich: Kompositionsbemühungen zu verzichten und sich eines gemäßigten Lebenswandels zu befleißigen, um nicht völlig zu ertauben, worauf Beethoven empört dessen Sprechzimmer verlässt und die ihm verabreichten Medikamente in die Gosse wirft. Auch der Hofmechanikus Johann Nepomuk Mälzel, der Beethoven die Anregung zu seiner Schlachtensymphonie gegeben hatte, wird bereits zu Anfang und dann noch einmal in der zwölften Szene, genannt »Die Eröffnung des technischen Zeitalters in der Kunst«, als ein banausischer, sich ständig die Hände reibender Geschäftsmann hingestellt. Er versucht Beethoven zu überreden, in Zukunft nur noch für ihn und seine Musikmaschinen zu komEin DEFA-Film von 1976

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ponieren, also seine »Klänge endlich in klingende Münze« umzusetzen, statt weiterhin unbeirrt an einer vortechnischen Reproduktion von Musik festzuhalten, die ohnehin in wenigen Jahrzehnten – aufgrund des allgemeinen »Fortschritts«, wie er hochtrabend erklärt – obsolet sein werde. Doch auch ihn weist Beethoven schroff ab, da er kein »Teil von Apparaten« werden wolle, wie er sich ausdrückt, sondern beim Komponieren nur seiner »inneren Stimme« zu folgen gedenke. Mit anderen Worten: Er will ein Freischaffender bleiben, statt wie Mälzel, dem es nur um den Profit geht, in die Klasse der »Unternehmer« aufzusteigen. Ja, sogar die meisten seiner bisherigen Freunde werden Beethoven mit den Jahren immer fremder. Als er sie eines Tages zu einem selbstgekochten, wenn auch total versalzenem Abendessen in seine Wohnung einlädt und ihnen anschließend in träumerischer Versunkenheit eine seiner neuen Klaviersonaten vorzutragen versucht, schnuddeln sie ungestört weiter, worauf er mit großem Aplomb den Klavierdeckel zuklappt und voller Wut aus dem Zimmer stürmt. Beethovens komplexes Verhalten dem Adel gegenüber, der ihm zeitweilig durch eine Pension ein relativ »unabhängiges« Leben ermöglichte, wird dagegen mit deutlich ideologiekritischen Akzenten dargestellt. So gehen etwa in der vierten Szene mit dem provokanten Titel »Kunstverständnis« Fürst Karl Alois Johann Lichnowsky und Graf Andrej Kyrillowitsch Rasumowsky, zwei der wichtigsten Gönner Beethovens, in Rokokokostümen im Park Schönbrunn spazieren und ereifern sich voller Emphase über jene Kunst, die uns alle »auf ihren Flügeln über den niedrigen Alltag« zu »höheren Lebensformen« erhebe, ohne dabei auf den Antrag eines ehrerbietig dienernden Bittstellers zu reagieren oder den schwer schuftenden Gärtnern und Gärtnerinnen, welche für sie den Park in seiner wohlgeordneten Schönheit erhalten, die geringste Beachtung zu schenken. Doch Seemanns und Kunerts Beethoven scheint die Hohlheit dieses »Idealismus« lange Zeit gar nicht wahrzunehmen. Und als er sie endlich durchschaut, verlässt er in der siebten Szene plötzlich abrupt den Musiksalon eines der Wiener Hochadligen, ohne die Umstehenden, die einen Klaviervortrag von ihm erwartet hatten, irgendeines Wortes der Entschuldigung zu würdigen. Als noch ambivalenter wird sein Verhältnis zu den »hochgeborenen« Damen dieser Gesellschaft dargestellt. So sehen wir ihn in der sechsten Szene (»Erinnerung an ein Glück«) und in der zehnten Szene (»Erinnerungsfortsetzung«) mit Josephine Gräfin Stackelberg, verwitwete Deym und geborene Brunsvik de Korompa, in einem Landgasthaus, wo sie ein vor der übrigen Welt verheimlichtes Glück zu finden suchen. Doch Josephine zweifelt von Anfang an, ob sich Beethoven wirklich ein Leben mit ihr vorstellen könne, wo er doch immer wieder betone, 206

Beethoven – Tage aus einem Leben

dass er nur dann ganz er selber sei, »wenn er arbeite«. Deshalb verlässt sie ihn schließlich mit der auf alle weiteren Hoffnungen verzichtenden Einsicht, dass sich sein Leben letztlich doch nur »in der Musik« abspiele.

Abb. 37 Beethoven und Josephine von Deym in dem Film Beethoven – Tage aus einem Leben (1976) von Horst Seemann und Günter Kunert

Wie von einem gehaltvollen DEFA-Film zu erwarten ist, kommen dabei – trotz aller Ichbezogenheit Beethovens – auch seine politischen Anschauungen nicht zu kurz. So sitzt etwa Beethoven in der dreizehnten Szene, überschrieben »Der Agitator«, mit Freunden und entfernteren Bekannten in einem Wiener Kaffeehaus und schwärmt vom »englischen Parlamentarismus«, fordert die »schöne Gleichheit« aller Staatsbürger, ereifert sich gegen das kaiserfromme Obrigkeitsdenken der Wiener Philister und lässt als einziges Gesetz nur die von Kant geprägte Formel vom »sittlichen Gesetz in mir und vom gestirnten Himmel über mir« gelten. Weil das einige der Dabeisitzenden als offenen Aufruf zur »Revolution« empfinden, packt ihn einer der mit ihm Sympathisierenden schließlich am Ärmel und zerrt ihn hinaus ins Freie. Da Beethoven kurz da­ rauf, in der vierzehnten Szene, mitleidige Worte für eine auf der Straße liegende Selbstmörderin findet, die sich offenbar aus dem Fenster gestürzt hat, wird er von den bigotten Herumstehenden mit gnadenloser Schärfe als »Ketzer« oder »Gottesleugner« angepöbelt. Als dem Staatskanzler Metternich einige der aufrührerischen Äußerungen aus Beethovens Munde hinterbracht werden, lächelt Ein DEFA-Film von 1976

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jedoch dieser nur. Da Künstlern lediglich das Ohr der Gebildeten, aber nicht das Ohr des Volkes gehöre, wie er einem seiner Informanten erklärt, hält er sie für ungefährlich. Allerdings muss der Beethoven dieses Films von solchen Spitzelberichten gehört haben und sieht sich in seinen Träumen plötzlich von einer Rotte blindwütiger Polizisten umgeben, die ihn an den Haaren zu Boden zerren und seinen Neffen Karl sogar in ein unterirdisches Verlies einsperren. Doch letztlich setzt sich Beethoven dann doch – in dem Gefühl kein obrigkeitsverpflichteter Staatsbeamter, sondern ein nur an seine Kunst denkender Komponist zu sein – über solche Befürchtungen hinweg. Das kommt am besten in der siebzehnten Szene unter dem Titel »Etwas über Freiheit« zum Ausdruck, in der sich ihm Anton Felix Schindler, der vorher »wegen Verbreitung umstürzlerischer Gesinnungen« im Gefängnis gesessen hat, als Gehilfe anbietet. Ihm schenkt Beethoven schon im ersten Gespräch, das sie miteinander führen, sofort sein volles Vertrauen. Jemand, der wie er den österreichischen Obrigkeitsstaat als ein System der »Unfreiheit« ablehnt, scheint ihm der einzig sinnvolle Gesprächspartner zu sein, wobei Schindler seine Fragen und Bemerkungen in die von Beethoven benutzten Konversationshefte einträgt. Doch dieser Mann ist zugleich derjenige, der Beethoven in manchem zu widersprechen wagt und ihm beispielsweise vorhält, dass die »Freiheit«, welche er unter Metternich genieße, lediglich eine »Narrenfreiheit« sei, die man nur ihm, dem weltberühmten Künstler, aber keinem anderen Bürger Österreichs gewähre. Und damit zwingt er Beethoven, seinen Kompositionseifer als den Ausdruck eines Bemühens zu rechtfertigen, mit seiner Musik in allen Menschen, die sie zu hören gewillt sind, zwar keinen unmittelbaren Umsturzwillen, aber doch eine größere Menschenfreundlichkeit anzufachen. Aber die Voraussetzung dazu sei nun einmal, wie Beethoven verärgert zugeben muss, die komplizierte Situation, sich von jenen Hochadligen finanziell aushalten zu lassen, die trotz ihrer schönen Worte und zum Teil auch edlen Gesinnungen – objektiv gesehen – die herrschenden Trägerschichten jenes absolutistischen Ungeistes seien, den er zutiefst verachte. Daher zieht sich Beethoven in den letzten Denkbildern dieses Films, welche die Überschrift »Einsiedlerkrebs« tragen, immer stärker in seine Wiener Komponierstube oder seine kleine Sommerwohnung in Baden zurück. Und dort arbeitet er an seiner 9. Symphonie, mit der er den Widerspruch, der zwischen seinen materiellen Umständen und seiner hochidealistischen Gedankenwelt aufklafft, mit einem möglichst großen, ja, monumentalen Werk zu übertönen hofft, in dem er noch einmal sein ganzes Pathos aufbietet, um nicht gegen Ende seine Lebens in den Augen der Anderen wie ein närrischer Misanthrop 208

Beethoven – Tage aus einem Leben

dazustehen. Als ihn eine junge Sängerin aus dieser verbissenen Einsamkeit herauszuholen versucht und ihm rät, sich doch endlich mit einer ihn liebevoll umsorgenden Ehefrau zu verbinden, um nicht mehr ständig einsam und verlassen zu sein, antwortet er ihr mit einer vom Leben Abschied nehmenden Geste, dass Jemand, der wie er die Liebe so lange entbehrt habe, nicht mehr zu lieben verstehe. Es gehe ihm wie einem Hungrigen, der so lange keine Nahrung mehr zu sich genommen habe, dass ihm die Lust aufs Essen vergangen sei. Und dann – nach all dieser »Realistik« – geschieht mit einem Mal etwas völlig Irreales. Man sieht Beethoven hinter einem Pferdewagen hertrotten, auf dem sich seine Bücher, seine Noten und sein Klavier befinden, als wolle er wieder einmal – wie schon so oft – in eine neue Wohnung umziehen. Zuerst glaubt man, dass sich dieser Umzug in einem der altmodisch verwinkelten Wiener Altstadtdistrikte abspielt. Doch dann verändert sich die Szenerie plötzlich: Beethoven läuft zwar nach wie vor – als habe er nur seine Musik im Kopf und kümmere sich überhaupt nicht um seine Umgebung – hinter seinem Pferdewagen her, aber dieser biegt gerade in Ostberlin vom Alexanderplatz in den breiten Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee ein. Doch, als sei nichts geschehen, folgt Beethoven weiterhin seinem vollgepackten Wägelchen, ohne zu merken, dass rechts und links von ihm ein starker Autoverkehr herrscht und auch die Bürgersteige voller neumodisch gekleideter DDR-Menschen sind. Aber all das sieht er nicht, so tief versunken ist er in seine eigenen Grübeleien. Ja, was noch überraschender ist, auch die Autofahrer und Passanten bemerken ihn nicht, sondern fahren und laufen unbekümmert weiter, als sei dieser seltsame, noch aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Mann gar nicht zu ihnen übergesiedelt. Und damit schließt dieser Film auf eine höchst frappante, ja, geradezu konsternierende Weise, ohne dass 1976 den Zuschauern und Zuschauerinnen in der DDR irgendeine bildliche oder musikalische Hilfestellung geboten wurde, diese Szene in einem kulturpolitischen Sinn auszulegen. Wie sollten sie diesen plötzlichen Ortswechsel eigentlich deuten? War das nur ein filmischer Gag? Ein anachronistisches Mätzchen? Oder welches Licht fiel von ihm letztlich auf den ganzen Film zurück? Dies waren die Hauptfragen, die man schon damals gestellt hat, ohne darauf konkrete Antworten zu finden. Selbst die Rezensenten dieses Films verhielten sich in dieser Hinsicht recht »zögerlich«.20 Fragen wir daher in dieser Hinsicht ruhig etwas weiter, um vielleicht doch einige halbwegs befriedigende Deutungen anzuvisieren, die im Jahr der Uraufführung dieses Films den damaligen Kinobesuchern und Kinobesucherinnen noch nicht aufgehen konnten. Mit anderen Worten: Ging es in diesem Film weiterhin zentral um die Frage nach der dialektischen Aneignung des »Kulturellen Erbes« oder Ein DEFA-Film von 1976

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schoben sich hier – bewusst oder unbewusst – ganz andere Problemstellungen in den Vordergrund? Um gleich in medias res zu gehen: Selbstverständlich handelte es sich auch hier noch immer um die Frage des »Kulturellen Erbes«! Aber sie wurde durch die Schlusswendung dieses Films deutlich problematisiert. In ihr kam zwar Beethoven in Ostberlin an, war also plötzlich einer der »Unsrigen«, wie man in den fünfziger und sechziger Jahren in der DDR gesagt hätte. Aber wurde er von den oft beschworenen »breiten Massen«, die in einer völlig anderen Zeit lebten, überhaupt noch bemerkt? War also der Traum Johannes R. Bechers von dem Weg zu der »einen großen, gebildeten Nation« sowie Walter Ulbrichts Hoffnung auf die Realisierung einer »sozialistischen Menschengemeinschaft« wirklich in Erfüllung gegangen? Oder lebten nicht auch die Menschen dieses Staats bereits in jenem »technischen Zeitalter«, das der Hofmechanikus Mälzel schon um 1815 vorherzusehen glaubte? Und hatte in einer solchen Welt die Musik Beethovens, die weitgehend von »frühbürgerlichen« Wunschträumen erfüllt war, überhaupt noch einen ideologischen »Gebrauchswert«? Oder ging sie – trotz ihrer ästhetischen Schönheit und gefühlsmäßigen Tiefe – im Rauschen der Autos und der heraufziehenden Massenkultur notwendig unter? Wie konnte es unter den radikal veränderten ökonomischen und sozialen Verhältnissen der mittsiebziger Jahre noch einen tieferen Bezug, dem eine unmittelbare Aneignung vorhergeht, zu der beethovenschen Musik geben? Hatte sich nicht der inhaltliche Funktionswert dieser Musik bereits in ihrer eigenen Zeit erschöpft? Was sollten also die auf Rock’n’Roll eingeschworenen jungen Bürger der DDR im Jahr 1976 damit überhaupt noch anfangen? So viele Fragen, so wenige Antworten. Um nicht bei diesem ungelösten Fragenwirrwarr stehenzubleiben, muss man sich zwangsläufig noch etwas genauer mit dem schwierigen Problem »Nähe in der Distanz« oder »Distanz in der Nähe« auseinandersetzen. Im Hinblick auf die Produktion eines Beethoven-Films wäre es möglich gewesen, all diesen Fragen auf zweierlei Weise aus dem Wege zu gehen: Entweder man hätte das Leben Beethovens mit allen Mitteln des Dokumentarismus ins Historische objektivieren können und damit in die Vergangenheit, wenn nicht gar die Rumpelkammer der Geschichte abgeschoben – oder man hätte es ins Allgemein-­Menschliche und damit ins Zeitlose oder gar Universale transzendiert. Von diesen zwei Vereinseitigungen haben Seemann und Kunert zum Glück keinen Gebrauch gemacht. Bei ihnen wird sowohl historisiert als auch aktualisiert, um damit den Zuschauern und Zuschauerinnen zwar eine gewisse Einfühlung, aber keine totale Identifikation zu erlauben. Und darin erweist sich 210

Beethoven – Tage aus einem Leben

dieser Film – auf seine Weise – doch als der Versuch einer kritischen oder dialektischen Aneignung des beethovenschen Erbes, der all jene geniekultischen oder poppsychologischen Verallgemeinerungen weit hinter sich lässt, wie sie in dem Hollywood-Film Immortal Beloved vorherrschen, der zu seiner Wirkungssteigerung sogar auf spannungserhöhende Keilereien, Prügelszenen und deutlich ausgeführte Erotikpassagen nicht verzichtet. So weit geht der hier ins Auge gefasste DEFA-Film nicht. Er enthält zwar auch militärische und erotische Szenen, aber sie sind stets auf die politischen Zeitumstände oder die menschliche Problematik der Beethoven-Figur bezogen, die von dem litauischen Hauptdarsteller Donatas Banionis auf eine so überzeugende Weise dargestellt wird, wie man es sich – bei der horrenden Schwierigkeit dieser Aufgabe – überhaupt nur wünschen konnte.21 Auf diese Weise bleibt bei aller Nähe stets das Gefühl erhalten, dass es sich hier um eine historische Figur handelt, die zwar nicht in »unserer« Welt lebt, aber doch – auf einer utopischen Ebene – eigentlich noch immer am Leben sein sollte, da so viele ihrer die damalige gesellschaftliche Realität weit übergreifenden Aspirationen letztlich unerfüllt geblieben sind. Und dazu gehörten – auch in der damaligen DDR – der Wunsch nach einer verstärkten Brüderlichkeit aller Menschen sowie einer größeren Wirkungsmöglichkeit aller höheren Formen von Kunst, die in der Thematik dieses Films eine zentrale Rolle spielen. Es ist die Größe dieses Films, Forderungen und Warnungen dieser Art in einem konstruktiven Sinne gestaltet zu haben und mit der Größe einer Figur wie der Beethovens zu verbinden, statt ihnen lediglich eine ins Singuläre ausweichende Note zu geben. So gesehen ist dieser Film zwar ein DEFA-Film, der auf eine höchst exakte Weise die kulturpolitische Situation der DDR in den mittsiebziger Jahren widerspiegelt, aber er ist zugleich wesentlich mehr, da die hinter ihm stehende »Haltung« auch in der heutigen Gesellschaft weiterhin eine wichtige Funktion haben könnte.

Ein DEFA-Film von 1976

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Der vertonte Weltgeist Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

I Seit 1937 beschäftigte sich Adorno mit dem Plan, ein »philosophisches Werk über Beethoven« zu schreiben.1 Doch trotz vieler Notizen und mancher ausgeführten Partien – wie dem Aufsatz über die Missa solemnis von 1964 sowie dem Radiovortrag zu Beethovens Spätstil von 1966 – blieben diese Aufzeichnungen im Fragmentarischen stecken. Obwohl die mehr oder minder durchformulierten Abschnitte im 1. Band von Adornos Nachgelassenen Schriften, der 1993 von Rolf Tiedemann unter dem Titel Beethoven. Philosophie der Musik herausgegeben wurde, über 270 Seiten umfassen, ist also dieses Werk kein wirklich durchgestaltetes Buch. Dennoch kommt in diesem stattlichen Konvolut verschiedenster Ideen, Einfälle und Kurzanalysen die Grundanschauung Adornos von Beethovens Kompositionsweise in wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck, zumal ihr Autor seine zentralen Thesen, die er in einem späteren, sorgfältiger formulierten Großessay sicher etwas gestrafft hätte, häufig genug drei- oder viermal wiederholt. Was in diesen Fragmenten sofort ins Auge sticht, ist der tiefe Respekt, welchen der sonst an vielem, ja, manchmal geradezu an allem überkritische Alban Berg-Schüler, Pianist und Kompositionsadept Adorno der »unvorstellbaren Größe und Höhe des Beethovenschen Werkes« entgegenbrachte.2 Das Ganze strotzt daher nur so von Anpreisungen und Superlativen. So nennt etwa Adorno die Sinfonia eroica, auf die er im Laufe seiner Überlegungen immer wieder zurückkommt, das »absolute Hauptwerk« (105) des frühen Beethoven. Die Klaviersonate op. 101 in A-Dur streicht er als ein »Werk der größten, unausschöpflichen Schönheit« heraus (198). Ja, beim Hören der letzten fünf Streichquartette aus den Jahren 1825 und 1826, lesen wir, habe man häufig »das Gefühl des Außerordentlichen und des allergrößten Ernstes, so wie ihn kaum eine andere Musik überhaupt kennt« (263). 212

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Wer jedoch nach solchen Lobeshymnen ein Bekenntnis zum Heroischen, Mitreißenden oder Beseligenden in der Musik Beethovens erwartet, wird leider etwas enttäuscht. Solche Qualifizierungen bleiben weitgehend ausgespart. Für den Philosophen Adorno bestand die unübertroffene »Größe« von Beethovens Musik nicht in ihrer unwiderstehlichen Melodienfülle oder leidenschaftlich überhöhten Revolutionsdramatik, sondern fast ausschließlich in ihrer Nähe zu der angeblich ebenfalls unübertroffenen Bedeutsamkeit der Philosophie Hegels und der in ihr zum Ausdruck kommenden Denkprinzipien. Und zwar legte Adorno bei dieser Beziehung den Hauptakzent vor allem auf zwei Aspekte: 1. auf die dialektische Subjekt-Objekt-Relation, bei der das Individuelle stets objektiv vermittelt werde sowie das Objektive stets in individualisierter Form erscheine, und 2. auf die aus dem herkömmlichen Sonatenschema entwickelte Form-Dialektik, bei der sich Haupt- und Nebenthema wie These und Antithese gegenüberständen und in der folgenden Durchführung auf dialektisierende Weise miteinander verarbeitet würden. Im Rahmen dieser Sehweise behauptete Adorno geradezu apodiktisch: »In einem ähnlichen Sinn wie dem, in welchem es nur die Hegelsche Philosophie gibt, gibt es in der Geschichte der abendländischen Musik nur Beethoven« (31). Ad 1. Im Hinblick auf die nur schwer zu fassende Subjekt-Objekt-Relation, die vor allem der Musik des mittleren, kurz: des »klassischen« Beethoven ihre innere Geschlossenheit gebe, schrieb Adorno: »Es handelt sich also beim musikalischen Subjekt-Objekt-Verhältnis um eine Dialektik im ›strengsten‹ Sinn – nicht um ein an zwei verschiedenen Enden des Stranges Zerren von Subjekt und Objekt, sondern um eine ›objektive‹, von der Logik der Form an sich entbundene Dialektik, die Bewegung des Begriffes in der Sache an sich, welche des Subjekts gleichsam nur als des Vollzugsorgans bedarf, welches das Notwendige aus Freiheit vollbringt (aber nur das freie Subjekt kann es vollbringen)« (99). Aufgrund dieser Interpretationsweise konnte Adorno schließlich die These aufstellen, dass Beethovens Musik dieselben »Erfahrungen« ausspreche, die »den Hegelschen Begriff des Weltgeistes inspirieren« (59). So gehört, kämen in ihr der freischaffende Genius, das von ihm verwendete kompositorische Formenarsenal und die sich aus einem ominös bleibenden Zeitgeist ergebenden intelligiblen Sinnstrukturen zu einer absoluten Deckung. Dementsprechend, folgerte Adorno weiter, gehe den Werken der mittleren, das heißt der klassischen Phase des beethovenschen Schaffens alles »Zufällige, Unverbindliche, Aperçuhafte vollkommen ab« (231). Sie seien stets ganz bei sich selbst, also Subjekt und Objekt zugleich, und entsprächen damit der »Doppelstellung« des oft beschworenen »Weltgeistes« in Hegels 1807 erschienener Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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Phänomenologie des Geistes (99). Aufgrund dieser Doppelstellung erfahre man in ihnen – »genau wie bei Hegel« – als »die eigentlich eingreifende Macht« in jeder Einzelheit, wie etwa im ersten Satz der Eroica, stets »das hinter den Kulissen waltende Ganze« (42). In dieser Eindeutigkeit des Gesamtzusammenhanges, der im hegelschen Sinne das einzig »Wahre« sei,3 stellten sie den höchsten Ausdruck einer nicht zu bezweifelnden »Totalität« (36), also die »unauflösliche Verschränkung von Ganzem und Teil« (48), dar. Damit werde das immer wieder als schwierig bezeichnete Problem aller Musik, wie sie ein »Ganzes« sein könne, ohne dem Einzelnen Gewalt anzutun, bei Beethoven auf eine geradezu klassische, wenn nicht die alleinig klassische Weise gelöst, mit anderen Worten: die Dialektik von Subjekt und Objekt in eine im Werden begriffene Synthese überführt. »Der Wille, die Energie«, welche in Beethovens Musik »die Form in Bewegung setzt«, heißt es deshalb zusammenfassend, ist bei ihm »immer das Ganze, der Hegelsche Weltgeist« (31). Ad 2. Die gleichen oder ähnliche Folgerungen zog Adorno stets dann, wenn er auf die strukturelle Formdialektik der »klassischen« Sonaten und Symphonien Beethovens zu sprechen kommt, in deren Kopfsätzen sich Hauptund Nebenthema oft wie These und Antithese gegenüberständen. Auch in diesen formalen Einzelzügen sah er weniger einen rein subjektiven, ja, persönlich-privaten Gestaltungswillen als einen »objektivierten«, von der »Zufälligkeit der Individuation« abgelösten Willen am Werk (29). Aufgrund ihrer strengen Formgesetze, die sie zwar ständig abwandele, aber dennoch immer wieder rekonstruierend bestätige, könne sich in der beethovenschen Musik, wie Adorno behauptete, das »Eigene« – im Gegensatz zu der mit Worten und Begriffen operierenden Literatur – nie »unmittelbar«, sondern nur objektiv »vermittelt«, das heißt als gestalterischer Prozess, kurz: als »Philosophie« aussprechen (31). Daher sei in ihr, wie in Hegels Weltsicht, alles dialektisch aufeinander bezogen, ohne dass den einzelnen Teilen eine vom »Ganzen« abgelöste Eigenwilligkeit eingeräumt werde. Ja, in diesem Punkte sei Beethoven »Hegelischer als Hegel« (231), was an der zu gestaltenden Beschaffenheit seines Materials liege, das »an sich« immer schon da sei, aber dennoch der ästhetischen Vermittlung bedürfe (46). Um diese philosophischen Thesen, die auf Adornos Grundüberzeugung beruhen, dass die deutsche Musik um 1800 viel stärker mit der damaligen Philosophie »konvergiere« als die gleichzeitig entstandene Literatur (55), nicht im leeren Raum stehenzulassen, baute er in seine aphoristischen Notate ständig kurze Formanalysen einzelner beethovenscher Werke ein. Dabei stellte er vor allem, wie zu erwarten, jene »Formideen« in den Mittelpunkt, die auf den 214

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Prinzipien der hegelschen Dialektik beruhen (24). So erschien ihm etwa die gesamte Klaviersonate op. 101 »eminent Hegelisch« (186). Der 1. Satz stelle das »Subjekt« vor, der 2. »entäußere« es und der 3. bilde die »Synthesis«, und zwar »aus der Kraft der Objektivität heraus, die im Prozeß als mit dem Subjekt, dem lyrischen Kern identisch sich erweist« (186). Doch nicht nur in diesem Fall, auch bei Analysen anderer beethovenscher Sonaten und Symphonien, in denen sich Adorno vornehmlich auf die »Formidee« konzentrierte, ist fortwährend im hegelschen Sinne von »Vermittlung«, »Entäußerung«, »Negation«, »Aufhebung«, »Dialektik« oder »Wahrheit des Ganzen« die Rede, um so seinen vorangestellten Thesen eine größere Beweiskraft zu geben. Auf diese Weise wird dem Aufbau einzelner Werke oft eine »Autonomie der Form« (26) zugestanden, die sich über alle vorgegebenen Wirklichkeitsbezüge oder seelischen Stimmungen in den Bereich lediglich philosophisch zu entschlüsselnder Sinnstrukturen erhebe. Während Literatur und Malerei stets etwas »Reales«, also nicht »in die Autonomie der Kunst Aufgelöstes« enthielten, sei die Musik, wie Adorno mit deutlichen Anklängen an Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung erklärte, von solchen Wirklichkeitsbezügen weitgehend frei (26). Der »strenge und reine Begriff von Kunst«, heißt es an einer Stelle mit apodiktischer Schärfe, lasse sich deshalb »überhaupt nur der Musik entnehmen« (26), die in ihren Formen »nicht einfach eine Widerspiegelung der Realität« oder der »Ausdruck einer veränderten Seelenlage« (95) sei, sondern fast ausschließlich den immanenten Gesetzen der Entwicklung des musikalischen Materials unterliege. Als Kronzeugen solcher Anschauungen zog Adorno dabei gern Schönberg-Schüler wie Rudolf Kolisch oder René Leibowitz, aber auch vorwiegend formalanalytisch eingestellte ältere Musikwissenschaftler wie August Halm, Hugo Riemann und Heinrich Schenker heran. Soviel zu Adornos »hegelischen« Analysen der »klassischen« Werke des frühen und mittleren Beethoven. Sobald er dagegen auf den Stil des späten Beethoven zu sprechen kam, änderten sich seine Formkriterien plötzlich.4 Hier sah er mit einem Mal ganz andere gestalterische Triebkräfte am Werk, die aus dem Bereich des »Klassischen« bereits in den Bereich einer nicht näher definierten »Moderne« verwiesen. In dieser Phase seines Schaffens durchschaue Beethoven die von ihm bis dahin angestrebte Klassik plötzlich als »Klassizismus«, kurzum: lehne sich mit den Stilmitteln der Negation gegen das »Affirmative« und damit »unkritisch das Sein Bejahende« (219) auf. »Der Wahrheitsanspruch des letzten Beethoven«, heißt es weiter, »verwirft den Schein jener Identität des Subjektiven und Objektiven, der fast eins ist mit der klassizistischen Idee. Es erfolgt eine Polarisierung. Einheit transzendiert Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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zum Fragmentarischen« (220). Anstatt weiterhin nach Geschlossenheit, also einer dialektischen Synthese aus Subjektivität und Objektivität zu streben, werde in Beethovens späten Werken – vor allem den letzten Klaviersonaten, den Diabelli-Variationen, der Großen Fuge sowie den letzten fünf Streichquartetten – die »Totalität« weitgehend als »Nivellierung aufs Allgemein-­ Menschliche« (203) desavouiert. Diese Werke hätten darum keine »Totalität« mehr, sondern betonten eher das »Episodische« (225). Viele von ihnen neigten zur »Aufspaltung nach Extremen« (225), wiesen »offene Risse« (221) auf, ja, tendierten fast zum »Katastrophischen« (184). Aufgrund dieser Hörweise ging Adorno schließlich soweit, die kühne, wenn nicht gar bizarre These aufzustellen: »Diese Musik spricht die Sprache der Archaik, der Kinder, der Wilden und Gottes, aber nicht die des Individuums. Alle Kategorien des letzten Beethoven sind Herausforderungen an den Idealismus – beinahe den ›Geist‹. Es gibt keine Autonomie mehr« (227). Was jedoch im Rückblick auf das »Klassische« in den Opera der frühen und mittleren Schaffensperiode Beethovens in seinen späten Werken als eher negativ erscheint, wurde von Adorno im Vorblick auf die sich in ihnen ankündigende »Moderne« stets als positiv, das heißt als eine ideologisch nicht zu vereinnahmende Sperrigkeit hingestellt. Diese »Musik hat gleichsam Löcher, kunstvolle Brüche«, behauptete er, »dadurch wird das Affirmative, das Hedonistische, das der Musik sonst innewohnt, erstmals gekündigt, und darin gibt es beim späten Beethoven durchaus eine Beziehung zu gewissen Phänomenen der modernen Musik, wie dem Satz von Arnold Schönberg ›My music is not lovely‹« (271). Und zwar versuchte Adorno selbst angesichts der »Dissoziations- und Verfremdungstendenzen« dieser Werke seine hegelische Sehweise durchzuhalten (270). Obwohl es in diesen Werken keine »mittlere Harmonie, keinen Ausgleich, keine Homöostase«, das heißt »keine Vermittlungen auf ein Mittleres« mehr gebe, wie er erklärte, finde in ihr »wie bei Hegel« dennoch eine »Vermittlung durch die Extreme hindurch« (270) statt. Ein Beweis dafür war ihm das Streichquartett op. 135, wo Beethoven – trotz seiner idealistischen Grundhaltung – nicht einmal vor Totentanz-Motiven zurückschrecke (271). Im Rahmen einer solchen Hörweise erschienen daher Adorno die Spätwerke Beethovens, die man solange missverstanden habe, als »das Substantiellste und Ernsteste, was an Musik gefunden werden kann« (268).

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II Kommen wir zu ersten Folgerungen. Ob nun die Musik des frühen bzw. mittleren oder die Musik des späten Beethoven: Alle diese Werke betrachtete Adorno als eine in Töne gefasste Philosophie, die anfangs mehr zum »Klassischen«, später mehr zum »Modernen« neige. Sie zu verstehen, das heißt ihre Strukturprinzipien zu erkennen, erschien ihm aufgrund dieser Prämissen als ein höchst komplizierter denkerischer Akt, zu dem nur gewisse Musikmandarine fähig seien. Darin äußert sich ein Erkenntnisinteresse, das einerseits – trotz aller unnötigen Verkomplizierungen und betont kennerischen Zurschaustellung handwerklicher Techniken – zwar manche erhellenden Züge aufweist, jedoch andererseits immer wieder ins Exklusive, Esoterisch-Elitäre, wenn nicht gar Überhebliche tendiert. Und zwar macht sich diese intellektuelle Arroganz in Adornos Beethoven-Fragmenten auf mehreren Ebenen bemerkbar, für die hier wenigstens einige Beispiele herangezogen werden sollen, die weitgehend für sich selbst sprechen. So wurde etwa von Adorno die beethovensche Musik – ohne die leisesten Skrupel – mehrfach als ein Phänomen hingestellt, das sich offenbar nur wenigen Connaisseurs erschließe. Ja, manche ihrer Werke solle man eher »lesen« als hören, wie er schrieb (21). Beethovens Symphonien im Rundfunk zu übertragen, stellte Adorno demzufolge als eine eindeutige »Banalisierung« hin, da sich auf diese Weise ihre »intensive Totalität« in eine »chronologische Folge von Episoden« auflöse. Bei Hörvorgängen dieser Art blieben letztlich von ihnen nur »emotionale Schablonen« sowie »ominöse schöne Stellen« (178) übrig. Dazu passt die provokante Äußerung: »Man könnte sich ja immerhin vorstellen, dass Beethoven taub werden wollte – weil er schon an der sinnlichen Seite der Musik jene Erfahrungen machte, die heute aus den Lautsprechern quellen« (57). Alle massenmedialen Vermittlungsversuche höherer Kultur, die ja auch gute, volksbildnerische Züge haben könnten, wurden deshalb von ihm mit gnadenloser Schärfe als unziemliche Depravierungen und Nivellierungen abgewertet (119). Darin keine bildungsbürgerliche Überheblichkeit zu sehen, hieße den zutiefst elitären Charakter seiner philosophischen Deutungsversuche von Musik wie auch den seiner gesamten Weltanschauung nicht genügend erkannt zu haben. Ebenso arrogant wirken Adornos Urteile über die angeblichen Kompositionsschwächen anderer Musiker vor oder nach Beethoven, mit denen er seinem Forschungsgegenstand einen besonders hohen Rang zu verleihen suchte. So billigte er etwa Händels Werken nur eine »bescheidene kompositorische QualiTheodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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tät« (237) zu. In Bachs Arbeitsweise konstatierte er einen »mechanistischen Rationalismus« (119). Die gleichen abfälligen Urteile finden sich im Hinblick auf die Musik der deutschen Romantik. »An den Ecksätzen der beiden Trios, dem Forellenquintett und selbst gewissen Teilen des Oktetts«, behauptete Adorno von Schuberts Kammermusikwerken, »fällt eine gewisse Abgegriffenheit und Konventionalität auf« (68). Schon in ihnen indiziere sich »der Warencharakter der Musik in einem Element des Shopworn, des Schäbigen und Saloppen, das gerade dort am deutlichsten ist, wo es scheinbar Beethovenisch zugeht« (68). Ja, derartige »Ausdrucksclichés«, die einen deutlichen Zug ins »Kleinbürgerliche«, wenn nicht gar »Hemdsärmelige« (68) hätten, seien das »Unglück« der gesamten »nachfolgenden Romantik« gewesen, die sich nur allzu häufig als ein Abgleiten in die »Verdinglichung« oder »Schwäche« (69) erweise. Was bei Schubert schon »schäbig« sei, werde dann bei Wagner »Theater« und bei Richard Strauss »Kitsch« (51). Eine ähnliche Überheblichkeit, die sich als »Kritik« ausgibt,5 äußert sich manchmal selbst dann, wenn Adorno auf die angeblichen »Schwächen« in den von ihm als mindergelungen eingestuften Werken Beethovens eingeht (121). So erschienen ihm die Schlussverse in Beethovens Fidelio, also Zeilen wie »Wer ein holdes Weib errungen«, als im schlechtesten Sinne des Wortes »stammbuchartig« (55). Die Ouvertüre zu Goethes Egmont fand er »tief unbefriedigend«, da sie etwas »Brutales, Deutsches, Auftrumpfendes« (121) habe. Die Coriolan-Ouvertüre wirke wie ein Symphoniesatz »für Kinder« (121). Andere Beethoven-Ouvertüren klängen »aus der Entfernung nur bum bum« (119). An dem langsamen Satz der 5. Symphonie bemängelte Adorno die »Banalität des marschartigen Bläserchores«, ja, überhaupt das »Ziellose, Zeitlose, Plätschernde dieses Satzes« (163). Im 2. Satz der Pastorale störte ihn die »Vogelimitation«, in der er nicht nur etwas »Mechanisches«, sondern auch eine »Konzession« an den Massengeschmack witterte (164). Es gibt sogar Passagen, wo Adorno – mit dem ihm eigenen Unbefriedigtsein – seinen Maßstab so hoch ansetzte, dass ihm überhaupt nichts mehr als gelungen erschien. So schrieb er einmal: »Die Kunstwerke des ersten Ranges unterscheiden sich von den anderen nicht durchs Gelingen – was ist schon gelungen? – sondern durch die Weise ihres Mißlingens« (149). Höchstes, Größtes, Bedeutendstes war deshalb für Adorno nur das, was als Kunst an die Grenze des Unerreichbaren stößt, wie etwa Beethovens letzte Klaviersonate op. 111, die ja auch Thomas Mann, nach längeren Gesprächen mit Adorno, in seinem Roman Doktor Faustus (1947) als ein Werk charakterisierte, dass in seiner mysteriösen Todesnähe kaum zu überbieten sei.6 218

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Abb. 38  Theodor W. Adorno beim Klavierspiel in seiner Wohnung (1967)

Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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III Was in diesen Überbietungsgesten zum Ausdruck kommt, ist letztlich eine Kunstanschauung, die alle konkreten Inhaltsbestimmtheiten von Musik  – also das, was Georg Lukács die »doppelte Mimesis« genannt hat,7 um auch die Musik in den Bereich materialistischer Widerspiegelungstheorien einzubeziehen – streng von sich weist. Im Gegensatz zu solchen mimetischen Interpretationsbemühungen war allerdings auch für Adorno Musik nicht »einfach tönend bewegte Form«, wie Eduard Hanslick in seinem Buch Vom Musikalisch-­ Schönen als Vertreter einer absoluten Musikautonomie geschrieben hatte,8 sondern stets das Produkt einer höchst konkreten Subjekt-Objekt-Beziehung. Dennoch weigerte er sich, solchen dialektisch zustande gekommenen musikalischen Strukturen eine klar erkennbare inhaltliche Spezifität zuzugestehen. Besonders vehement wandte er sich gegen alle impressionistischen, geistesgeschichtlichen, deutsch-nationalen oder sozialistisch-materialistischen Versuche, Werken der Instrumentalmusik aus der Wirklichkeit abgeleitete »Inhalte« unterschieben zu wollen. Der »Gehalt« eines musikalischen Werkes bestand für ihn nicht in einer klar erkennbaren Widerspiegelung oder genau definierbaren Seelenstimmung, sondern in ihrer »objektiv-musikalischen Gestalt« (23). Demzufolge hielt er »alle Aussagen über den Gehalt musikalischer Werke«, falls sie »nicht den technischen Befunden abgezwungen werden«, für »reines Geschwätz« (23). Einen der Fahrlässigsten solcher von bildlichen Äquivalenten ausgehenden »Barbaren« sah er in Paul Bekker, der in seinem Beethoven-Buch von 1911 an Beethovens Symphonien vor allem die »tonmalerischen« Elemente herausgearbeitet hatte (23). Derartige Festlegungen erschienen Adorno von vornherein »affirmativ« und damit im schlechten Sinne »ideologisch«. Wenn also Adorno in seinen Beethoven-Fragmenten doch ab und zu Begriffe wie »Humanität«, »Substanz«, »Erfahrung«, »Authentizität«, »Dialektik« oder »Wahrheit« verwandte, um damit auch eine gewisse Inhaltlichkeit in seine Analysen einzubeziehen, blieb er fast immer im Bereich philosophisch-abstrakter Sinnstrukturen. Da er fest davon überzeugt war, dass Musik »freier«, das heißt nicht so stark der »Realität« verpflichtet sei als die anderen Künste (26), konnte er in dieser Hinsicht gar nicht anders argumentieren. Für ihn bestand das »einzigartige Wesen« dieser Kunstgattung darin, dass sie nicht als »Bild für eine andere Wirklichkeit« einstehe, sondern als eine »Wirklichkeit sui generis« (235) angesehen werden müsse. Adorno wurde demnach stets polemisch, wenn es gegen irgendwelche ideologischen oder gar revolutionären Indienstnahmen von Beethovens Musik – vor allem im Sinne der Französischen Revolution oder 220

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des Sozialismus – ging. Auch dafür einige Beispiele, die für seine musikphilosophische wie auch seine politische Gesamthaltung höchst aufschlussreich sind. Beginnen wir mit den Parolen der Französischen Revolution, die von anderen Musikkritikern häufig als Hauptanregungen für Beethovens weltanschauliche Ausrichtung herangezogen wurden.9 Adorno gab zwar zu, dass Beethoven in seinem Auftreten einen »sansculottenhaften, antikonventionellen«, ja, geradezu »plebejischen Habitus« hatte, mit dem er die »Hofgesellschaft« zum Teil offen brüskiert habe (77). Er leugnete sogar nicht, dass auch Beethovens Musik von der bürgerlichen Freiheitsbewegung seiner Zeit »durchrauscht« (74) werde. Aber er versuchte, diesen Zug ins Rebellische immer wieder zu entschärfen, indem er schrieb, dass die ästhetischen Formen Beethovens mit den gesellschaftlichen Formen der damaligen Bourgeoisie nur darin übereinstimmten, weil sich in beiden eine Neukonstituierung bereits vorgebildeter Formen vollzogen habe. Beethoven und das aufgeklärte Bürgertum hätten etwas geschaffen, wie er behauptet, »was in Wahrheit schon da« gewesen sei (61). Was sich hierin als Freiheitssehnsucht äußere, könne also letztlich gar nicht als umstürzlerisch bezeichnet werden, sondern habe bereits einen Drall ins affirmierend »Ideologische« (61). Im Gegensatz zu marxistischen Musikwissenschaftlern wie Boris Assafjew,10 obwohl Adorno diesen wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hat, interpretierte er deshalb die beethovenschen Symphonien nicht als »gemeinschaftsstiftend«, sondern eher als bereits »neutralisierte Volksversammlungen« (71). Es »rumore« zwar in ihnen manchmal so stark, heißt es einmal, dass man sich fast an den »Lärm« der Französischen Revolution erinnert fühle (76). Daher sei es nicht ganz falsch zu behaupten, dass die Musik Beethovens – unter kultursoziologischen Aspekten betrachtet – an einem »vagen und trivialen Zeitgeist« (79) teilhabe. Allerdings werde seine Musik, wie Adorno immer wieder erklärte, »gesellschaftlich um so wahrer und substantieller«, je weiter sie sich vom »offiziellen Zeitgeist« (79) entferne. Für die sogenannte »Grundstimmung« der Epoche zwischen 1800 und 1825, behauptete er mit unverhohlener Süffisanz, sei ein musikalisches Unterhaltungsgenie wie Gioachino Rossini wesentlich »repräsentativer« (79) als ein Komponist wie Beethoven. Während also Adorno im Hinblick auf Beethovens Verhältnis zur Französischen Revolution manchmal durchaus »Konzessionen« machte, selbst wenn ihm – im Rahmen seiner Dialektik der Aufklärung und der aus ihr resultierenden allgemeinen Verfallsgeschichte – die Formel vom »aufsteigenden Bürgertum« zutiefst suspekt blieb, war er im Hinblick auf die Hochschätzung Beethovens im sozialistischen Lager, vor allem in seiner östlichen Ausprägung Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre, weder zu Verständnis noch zu Nachgiebigkeit bereit. Sogar als der von ihm hochverehrte Thomas Mann 1949 in Gesprächen mit Max Horkheimer und ihm angesichts der intensiven Musikpflege in der Sowjetunion eine »vorsichtig apologetische Haltung« einnahm und die Frage stellte, ob nicht für eine wahrhaft große Kunst stets eine gewisse soziale »Bindung« (71) nötig sei, verwahrte sich Adorno schärfstens gegen diese These und erklärte, dass man aus solchen Bindungskonzepten keineswegs eine »Ideologie für die russische Repression« (72) ableiten dürfe. Schließlich seien in der UdSSR, wie er sagte, die »kommandierenden Parteikommissare« in Sachen Musik »nichts als die engsten, zurückgebliebensten, finstersten Geister«, kurz: »Kaffern« (72). Allerdings sah sich auch Adorno, wie wir gesehen haben, angesichts solcher auf eine größere »Verbindlichkeit« drängenden Theoretiker von Zeit zu Zeit genötigt, ebenfalls auf die sogenannte Inhaltsfrage einzugehen. Meist tat er dies in einer Form, bei der trotz aller mimetischen Rückbezüglichkeit dennoch ein Rest an abstrakter Intelligibilität übrigblieb. Aus diesem Grunde charakterisierte er die Musik Beethovens in seinen Fragmenten dreimal als »bilderlose Bilder« (28, 235, 251), in denen sich das Objektive nur indirekt – als Strukturprinzip – zu erkennen gebe. »Seine Musik ist kein Bild von etwas – und ist es doch«, lesen wir an einer Stelle. Man könne auch sagen, heißt es weiter, sie sei kein Bild des Einzelnen, sondern »ein Bild des Ganzen«, ein »bilderloses Bild« (28). Was damit gemeint ist, wird jedoch nicht näher ausgeführt. In anderen Zusammenhängen verglich Adorno die in Beethovens Musik »vorbeihuschenden Bilder« mit Traumszenerien, also im Sinne Sigmund Freuds mit »Tagesresten« (27). Bilder dieser Art, selbst wenn sie sich sofort wieder im Gewoge der Musik auflösten, seien durchaus »objektiv«, das heißt nicht »bloß subjektive Assoziationen« (27). Nur so, schrieb Adorno lakonisch, sei möglicherweise eine »Rettung der Programmusik zu versuchen« (27), obwohl er sich selber dazu nicht entschließen könne. Doch dann taucht in seinen Beethoven-Fragmenten noch ein weiterer Ansatz zu einer möglichen Inhaltsausdeutung von Beethovens Instrumentalwerken auf, den man bei Adorno – weiß Gott – nicht vermutet hätte: nämlich die Gleichsetzung von Musik mit Gebet (235). In diesem Zusammenhang findet sich der frappierende Satz, dass es »nur soviel Musik wie Christentum in der Welt« gebe und »alle Kräfte der Musik mit denen des Christentums kommunizieren« (235). Auch an anderer Stelle erklärte Adorno, dass die Musik als nichtmeinende Sprache, wenn auch immer stärker ins Weltliche übersetzt, durchaus einen »theologischen Aspekt« habe.11 Auf Beethovens Musik angewandt, liest sich diese 222

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Sehweise folgendermaßen: »Es ist die reine Sprache des Gebets als der ergebenen Beschwörung. Damit aber hängt Beethoven aufs tiefste zusammen durch das Moment der ›Rhetorik‹. Seine Musik ist das innerweltliche Gebet der Bürgerklasse, die rhetorische Musik der Säkularisierung der christlich-liturgischen. Was in seiner Musik Sprache und Humanität ist, wird von hier aus zu entfalten sein« (235). Dazu passt, dass sich Adorno in diesem Zusammenhang gern auf Alfred Kerr beruft, der einmal den 2. Satz von Beethovens 7. Symphonie einen »Choral für Glaubenslose« genannt habe (128). Solche Äußerungen klingen im Munde eines Adorno auf Anhieb ungewohnt, allerdings nur vor dem Hintergrund gleichzeitig geschriebener Traktate christlicher Autoren wie Romano Guardini oder Reinhold Schneider, aber nicht im Hinblick auf die Schriften Walter Benjamins, die an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden (235). Schließlich brauchte auch Adorno – bei allem Bilderverbot und aller Angst vor dem Ideologischen – irgendwelche ins Verbindliche tendierenden Formeln, um nicht als ein auf die pure Kunstautonomie pochender Formalist missverstanden zu werden, der überhaupt keinen Sinn für die seelische oder mentalitätsgeschichtliche Fundierung der von ihm interpretierten Kompositionen habe. Aus diesem Grund stellt sich im Text seiner Beethoven-Fragmente manchmal der Begriff einer theologisierten »Humanität« ein, mit dem Adorno die nobelste Intention einer ins Höhere, ja, Höchste vorstoßenden Kunstpraxis zu umschreiben versuchte. Ja, zum Teil verknüpfte er diese Form einer halbwegs ins Religiöse gesteigerten Menschlichkeit sogar mit tataktivistischen Impulsen. So lesen wir etwa bei ihm unter dem Stichwort »Das Element der ›Praxis‹ bei Beethoven«: »Humanität bei ihm heißt: so sollst du dich verhalten, wie diese Musik sich verhält. Anweisungen zu einem aktiven, tätigen, sich entäußernden, dabei nicht engen und solidarischen Leben. Dazu ›dem Mann Feuer aus der Seele schlagen‹ – nicht ›Wallung‹« (28).12 Äußerungen dieser Art gehören meiner Meinung nach zum Besten, was sich in Adornos Beethoven-Fragmenten findet. Leider tauchen sie auf den 270 Seiten dieses Buches nur zwei- oder dreimal auf und werden sofort wieder durch formalästhetische Analysen sowie abstrakte Weltgeistspekulationen in den Hintergrund gedrängt. Schließlich hätten gerade sie eine gute Basis dafür abgeben können, den zeitgeschichtlich vermittelten Denk- und Mentalitätsstrukturen der beethovenschen Werke etwas näher auf die Spur zu kommen. Um wieviel konkreter haben dagegen Boris Assafjew, Hanns Eisler, Constantin Floros, Martin Geck, Harry Goldschmidt, Hans-Josef Irmen, Georg Knepler, Günter Mayer, Peter Schleuning, Karl Schönewolf oder Maynard Solomon die mitreißende Dynamik, die sich aus der dialektischen Struktur der beethovenTheodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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schen Musik ergibt, mit den josephinischen, jakobinischen und napoleonischen Elementen in Beethovens Geistes- und Seelenverfassung in Zusammenhang gebracht und dafür in ihren Interpretationen von Beethovens Trauerkantate auf den Tod Kaiser Josephs II., seiner Grande Sonate pathétique, seinem hero­ ischen Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, seiner Sinfonia eroica, der Musik zu Goethes Egmont, seinem Fidelio, seiner Kreutzer-Sonate, seiner Appassionata usw. überzeugende Belege geliefert. Durch ihre Studien wissen wir heute sehr genau, wieviel Beethoven seinem Bonner Lehrer, dem Jakobiner Eulogius Schneider, verdankt,13 wie stark Beethoven von Komponisten der Französischen Revolution wie Luigi Cherubini, François-Joseph Gossec, André-­ErnestModeste Grétry, Rodolphe Kreutzer, Jean-François Lesueur, Étienne-Nicolas Méhul, Ignaz Joseph Pleyel usw. inspiriert wurde, wie eng sein Verhältnis zu Paul Wranitzky und Anton Reicha, den beiden anderen deutschen Komponisten von Revolutionssymphonien, war, wie sein Fidelio in die Welle der durch den Bastille-­Sturm ausgelösten Befreiungs- und Rettungsopern hineingehört, wie er sich in Wien im Salon des Generals Jean-Baptiste Bernadotte mit den Publikationen des Musikverlags der Französischen Revolution vertraut machte, wie hoch er einen von vielen Fürsten gehassten Demokraten wie Johann Gottfried Seume schätzte, wie er selbst nach der Restauration des Ancien régime auf dem Wiener Kongress weiterhin radikalaufklärerische Schriften bevorzugte und wie eng diese Erfahrungen nicht nur auf seine politische Gesinnung, sondern auch auf die musikalische Struktur seiner Werke – in Form ständiger Marschrhythmen und beseligender Humanitätsmelodien – eingewirkt haben.

IV Von alledem findet sich in Adornos Beethoven-Fragmenten fast nichts. Es gibt zwar bei ihm auch Sätze wie: »Die Beethovenschen Symphonien waren, objektiv, Volksreden an die Menschheit, die, indem sie ihr das Gesetz des Lebens vorführten, sie zum unbewußten Bewußtsein jener Einheit bringen wollten, die den Individuen sonst in ihrer diffusen Existenz verborgen ist« (172). Doch mit einer solchen Redewendung wird lediglich ein pseudorebellischer Gestus beschworen, der auf die Erfüllung eines nicht näher definierten und damit nebulös bleibenden »Gesetz des Lebens« drängt. Ja, im Folgenden wurde selbst diese Forderung von Adorno wieder zurückgenommen und nachdrücklich auf die »Unvereinbarkeit« des politisch Allgemeinen und des individuell Besonderen hingewiesen. Dieser Widerspruch sei bereits dem alten Franz Joseph Haydn auf224

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gegangen, heißt es im gleichen Zusammenhang, als er den jungen Beethoven – wegen seines hochfahrenden subjektiven Anspruchs, ein Vertreter der Menschheit zu sein – als einen musikalischen »Großmogul« (173) verspottet habe. Wenn Adorno in seinen vielfältigen musikalischen Formanalysen oder philosophischen Spekulationen überhaupt etwas näher auf Zeitgeschichtliches einging (was selten genug geschieht), dann lediglich im Sinne herkömmlicher Stil- und Epochenbezeichnungen wie Klassik, Romantik oder Biedermeier. Aber selbst solche Begriffe bleiben meist recht unkonkret, statt genauer in irgendwelche sozialen oder gesamtkulturellen »Felder« einbezogen zu werden. So heißt es einmal völlig unvermittelt: »Der erste Satz der Eroica, Beethovens ›klassischster‹ ist in gewissem Sinn der romantischste« (151), ohne dass dafür eine tiefere Begründung gegeben würde. An anderer Stelle brachte Adorno einige Werke Beethovens mit »Romantikern« wie Franz Schubert und Caspar David Friedrich in Verbindung (126), zog jedoch daraus abermals keine weiterreichenden kulturpolitischen oder mentalitätsgeschichtlichen Folgerungen. Ebenso unkonkret wirken seine Erläuterungen zum zweiten Satz der Klaviersonate Les Adieux, den er – unter Weglassung aller historischen Begründungen – als »Antizipation« von Wagners Tristan und Isolde charakterisierte (251). Was damit gewonnen wird, ist kaum einzusehen. Es sei denn, man erblicke hierin eine Bestätigung jener höchst fragwürdigen These, dass Musik – im Rahmen eines von allen politischen, sozialen und weltanschaulichen Elementen gereinigten, also ins Formale entleerten Progressionsschemas – stets immanent aus bereits bestehender Musik hervorgehe, das heißt die älteren Tonmaterialien lediglich in einem formal-innovativen Sinne umarbeite. Aber eine solche Sehweise konnte letztlich nicht Adornos Ultima ratio sein, der auch in diesem Punkt einem späthegelianischen Denken verpflichtet blieb. Allerdings steuert bei ihm – im Rahmen einer von Oswald Spengler mitbestimmten negativen Dialektik – der hegelsche Weltgeist bereits auf ein nicht oder kaum mehr aufzuhebendes Ende hin. Lediglich die höchsten Werke der Kunst, wie die Musik des späten Beethoven, die Erzählungen Franz Kafkas sowie die atonalen Kompositionen Arnold Schönbergs, die sich gegen die unablässig fortschreitende Entfremdung und Ideologisierung der Welt zu »sperren« scheinen, ließen Adorno manchmal hoffen, dass diese Dialektik eines Tages – indem sie »gegen die universale Selbstentfremdung« das »hoffnungslos Entfremdete geltend« macht, wie es in seiner Philosophie der neuen Musik heißt14 – doch wieder ins Positive umschlagen könnte. Wie dies allerdings geschehen soll, bleibt unerfindlich. Jedenfalls wird bei solchen Hoffnungen auf die Hilfe bürgerlich-liberaler oder sozialistischer Konzepte aus dem Bereich des Politischen Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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oder Gesellschaftlichen ausdrücklich verzichtet. Immer wieder sind es nur jene Kunstwerke, die den Zustand der herrschenden Negativität möglichst unvermittelt wiederzugeben versuchen, welche in diesem Zusammenhang als mögliche »Flaschenpost zu neuen Ufern« erwähnt werden.15 Kein Wunder daher, dass Adorno dem frühen und mittleren Beethoven, der sich noch den revolutionären Hoffnungen der Französischen Revolution hingab, wesentlich weniger abgewinnen konnte als dem späten Beethoven, in dessen Werken der anfängliche Elan, wie er in Übereinstimmung mit seinen geschichtsphilosophischen Verfallsvorstellungen behauptete, immer stärker ins Leere tendiere. Was Adorno dennoch am frühen und mittleren Beethoven interessierte, um auch ihn in sein Konzept der negativen Dialektik einzubeziehen, war deshalb – trotz der geradezu »klassischen« Formgebung seiner Werke – vor allem der »Bruch« zwischen »bürgerlicher Ideologie« und gesellschaftlicher »Realität«, also der Widerspruch zwischen dem »Citoyen« Beethoven und dem napoleonischen »Empire-Stil« seiner Zeit (151). Im Hinblick auf diesen Widerspruch, der von progressiv eingestellten Historikern häufig allzu optimistisch überblendet werde, kam Adorno – aufgrund seiner pessimistisch eingedüsterten und daher stets kritisch hinterfragenden Weltanschauung – manchmal zu zwar verkürzten, weil eindeutig subjektivistisch gefärbten, aber dennoch nicht von vornherein zu leugnenden Einsichten. Dazu gehört unter anderem seine Erkenntnis, dass Beethoven zwar ein josephinisch gestimmter Aufklärer, ja, in manchem fast ein Jakobiner war, der sich ständig für eine befreite, glücklichere Menschheit ereiferte, sich aber zugleich als ein aus der sogenannten Sturm und Drang-Bewegung des frühbürgerlichen Liberalismus hervorgehendes Originalgenie empfand, das im Rahmen der gegebenen Umstände lediglich mit seiner persönlichen Eigenart aufzutrumpfen versuchte. Aufgrund dieser von Adorno klar erkannten Widersprüche lässt sich nicht abstreiten, dass Beethovens Musik ständig in der Spannung zwischen subjektiven Genieeinfällen (Pathétique), Bekenntnissen zum Prometheischen (Eroica), Lobliedern auf das Hausväterliche (Anfang des Fidelio), utopischen Hoffnungen auf »bessere Welten« (zweiter Akt derselben Oper), Beschwörungen einer allgemeinen Fraternité (»Seid umschlungen Millionen«), säkularisierten Gebetsmelodien (»Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit«) sowie trotzigem Aufbegehren (»Muss es sein? Es muss sein«) steht, die erst in ihrem komplizierten Nach- und Nebeneinander, ja, manchmal sogar Ineinander ein volles Bild dessen ergeben, was Beethoven in seiner Epoche erlebte und zugleich künstlerisch zu verarbeiten suchte. Schließlich war diese Zeitspanne, die von der josephinischen Aufklärung, der Französischen Revolution mit ihrer 226

Der vertonte Weltgeist

Jakobinerherrschaft und ihren girondistischen Rückschlägen über die Zeit der Koalitionskriege, den Aufstieg Napoleons und die Befreiungskriege bis zur Restaurierung des Ancien régime auf dem Wiener Kongress reichte, eine der dramatischsten und von extremen politischen Gegensätzen durchzogenen Perioden der zentraleuropäischen Geschichte, an der Beethoven als leichtentzündliches Genie mit allen Fasern seines Wesens einen intensiven Anteil nahm. Diesem widerspruchsvollen Entwicklungsverlauf der Geschichte, der sich in Beethovens Musik auf eine zutiefst erregende Weise widerspiegelt, allerdings allein mit dem hegelschen Prinzip der Dialektik nahekommen zu wollen, deren anfangs von Beethoven angestrebte Synthese von Subjektivität und Objektivität in seinem viele Züge der »Moderne« vorwegnehmenden Spätwerk wieder auseinanderbreche, erscheint mir, so fruchtbar manche der damit verbundenen Einsichten auch sein mögen, auf weite Strecken höchst forciert. Man sage nicht, dass dieses Buch, falls Adorno seine Beethoven-Notate wirklich zu einem in sich schlüssigen Traktat ausgearbeitet hätte, wesentlich anders ausgefallen wäre. Auch bei der Lektüre dieser 370 mehr oder minder aphoristischen Aufzeichnungen hat man stets das Gefühl, den reifen Adorno zu hören. Hier spricht jemand, der seine philosophischen Grundansichten bereits voll entwickelt hatte und sie auf die von ihm zum Teil hochverehrte Musik Beethovens zu projizieren versuchte. Dass man dabei zwar viel über Adorno, aber weniger über Beethoven erfährt, trifft nicht nur auf dieses Buch zu. Auch seine Philosophie der neuen Musik ist letztlich kein Buch über Arnold Schönberg und Igor Strawinsky, sondern ebenfalls eine Einführung in jenen Prozess, den Adorno immer wieder als »Dialektik der Aufklärung« bezeichnet hat,16 durch den selbst die von Beethoven ersehnte »Humanität« in der Folgezeit zu einer »Maske der Unmenschlichkeit« geworden sei.17

Theodor W. Adornos nachgelassene Beethoven-Fragmente von 1993

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Der »maskuline« Beethoven Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

I Es gibt ein Buch unter dem Titel Die Franzosen, das mit dem entlarvenden Satz beginnt: »Die Franzosen sind nicht die ›Franzosen‹«, jedenfalls nicht die Franzosen, wie sie sich der legendäre kleine Mann von der Straße vorstellt: nämlich espritvoll, gesellig, liberal, kulinarisch, frivol, wenn nicht gar lasziv. Diesen Satz sollten sich all jene Journalisten und Publizisten hinter die Ohren schreiben, die immer noch von den Deutschen, den Amerikanern, den Juden, den Frauen, den Männern und dergleichen reden, als ob es solche begrifflichen Abstraktionen in der gesellschaftlichen Realität tatsächlich gebe. All das sind letztlich ahistorische, anthropologische oder gar faschistoide Konstruktionen. George L. Mosse pflegte in diesem Zusammenhang höchst energisch zu erklären, dass derartige Pauschalisierungen für einen in sozialgeschichtlichen Kategorien denkenden Menschen von vornherein »unakzeptabel« seien. So sagte er etwa, wenn wieder einmal von den Juden die Rede war: »Wir sind kein Volk, wir sind keine Rasse, wie die Nazis perfiderweise behauptet haben. Gebrauchen Sie daher das Wort ›Jude‹ bitte nie wieder. Es gibt Israelis, deutsche Juden und amerikanische Juden. Und ich bin stolz, ein deutscher Jude zu sein.« Doch selbst eine solche Differenzierung ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Schließlich gibt es die einen und die anderen Israelis, die einen und die anderen deutschen Juden sowie die einen und die anderen amerikanischen Juden. Ja, innerhalb solcher Zweiteilungen lassen sich bei genauerem Zusehen – je nach Alter, Ideologie, bildungsmäßigem Herkommen, religiöser Orientierung, sozialer Stellung, persönlichem Besitzstand oder politischer Gesinnung – noch so viele weitere Untergruppen konstatieren, dass man fast zögert, überhaupt noch eine allumfassende Charakterisierung wie »jüdisch« zu gebrauchen. Fast dasselbe gilt für alle anderen völkerpsychologischen, genderspezifischen, religiösen, angeblich generationsbedingten oder gar anthropologischen Pau228

Der »maskuline« Beethoven

schalisierungen. Besonders problematisch erscheinen mir im Rahmen solcher Sehweisen alle Versuche, welche in den letzten 50 Jahren, das heißt seit dem Beginn der Zweiten Welle des Feminismus, angestellt wurden, die höchst komplexen Geschlechterverhältnisse innerhalb der menschheitlichen Entwicklungsgeschichte auf bestimmte männliche oder weibliche Urbefindlichkeiten zurückzuführen, denen angeblich irgendwelche biologischen Konstanten zugrunde lägen. Dabei wurden häufig jene von Michel Foucault herausgestellten männlich inaugurierten »Machtstrukturen« ins Feld geführt, nach denen das weibliche Geschlecht in allen sozialen Verhältnissen seit Urzeiten die schwächere and daher unterlegene, ausgebeutete, wenn nicht gar misshandelte Bevölkerungsschicht gewesen sei, die sich stets dem Aggressionstrieb der Männer unterzuordnen hatte. Dass diese These nicht völlig von der Hand zu weisen ist, weiß jeder, der sich mit den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Vergangenheit vertraut gemacht hat, nur allzu genau. Auch dass manche dieser Verhältnisse bis heute andauern, lässt sich ebenfalls nicht leugnen. Aber andererseits werden bei dieser rein feministischen Sehweise häufig jene Unterdrückungsmechanismen unterschlagen, unter denen auch die überwältigende Mehrheit der »Männer« seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden als Sklaven, Soldaten, leibeigene Bauernknechte oder unentwegt schuftende Arbeiter zu leiden hatten. Außerdem verlieren bei einer solchen Fixierung auf eine ausschließlich von der gleichbleibenden maskulinen Dominanz ausgehenden Blickrichtung manche Feministinnen den Blick dafür, dass es innerhalb der weiblichen Bevölkerungsschichten nicht nur Unterdrückte, das heißt Mägde, Dienstmädchen, Sklavinnen, Arbeiterinnen oder von der Öffentlichkeit ausgeschlossene bürgerliche Ehefrauen, sondern auch Geschäftsinhaberinnen, freischaffende Künstlerinnen, adlige Großgrundbesitzerinnen, ja, sogar Königinnen, Kaiserinnen und Zarinnen gegeben hat, die nicht der häufig apostrophierten »Geschlechterpolarität« mit all ihren politischen, ökonomischen und sozialen Folgerungen unterworfen waren, sondern oft erhebliche Machtkompetenzen besaßen, unter denen sowohl ihre weiblichen als auch ihre männlichen Untertanen zu leiden hatten. Der inzwischen gängig gewordene Begriff einer »genderspezifischen« Sehweise sollte daher nicht von vornherein ins Biologische, Psychologische oder Anthropologische verkürzt werden, wie das in den heutigen Kulturwissenschaften manchmal geschieht. »Gender« ist nicht nur Geschlecht im biologischen Sinne, sondern ebenso gut eine gesellschaftliche Konstruktion, die in den einzelnen Epochen der Vergangenheit – im Gefolge der jeweils wechselnden politischen und sozioökonomischen Bedingungen sowie ihrer ideologischen Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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Begleiterscheinungen – zum Teil recht verschieden ausgelegt wurde. Wenn man diesen Aspekt unterschlägt, landen solche Betrachtungsweisen – gleichviel, ob nun auf politischer, sozialer oder kultureller Ebene – zwangsläufig bei journalistischen, mit anderen Worten: von Tagesinteressen geleiteten Klischee­bildungen, bei denen »weiblich« im Sinne spezifisch bürgerlicher Traditionen gern mit sanftmütig, nicht-aggressiv, natur- und kinderliebend, sich ins Häusliche zurückziehend – und »männlich« ebenso gern mit aggressiv, militant-naturverachtend, in die Öffentlichkeit drängend, herrschsüchtig, wenn nicht gar vergewaltigend gleichgesetzt wird. Genau genommen werden damit lediglich all jene Pauschalisierungen perpetuiert, die sich im Rahmen jener von vielen Feministinnen heftig angegriffenen patriarchalischen Sehweise entwickelten, welche seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine strikte Trennung zwischen dem Häuslichen und dem Öffentlichen vornahm. Wohl ihre populärste Ausprägung erlebten solche Anschauungen in Friedrich Schillers Das Lied von der Glocke, in dem sich – im Hinblick auf das »männliche Geschlecht« – die später oft persiflierten Zeilen finden: »Der Mann muss hinaus / Ins feindliche Leben, / Muss wirken und streben / Und pflanzen und schaffen, / Erlisten, erraffen, / Muss wetten und wagen, / Das Glück zu erjagen«, während es dort von der »Frau« heißt: »Es dehnt sich das Haus. / Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise, im häuslichen Kreise.«1 Verständlicherweise haben sich große Teile der Vertreterinnen der Zweiten Welle des Feminismus, die sich seit den frühen siebziger Jahren ausbreitete, erbittert gegen solche stereotypen Sehweisen aufgelehnt und deutlich zwischen der »Frau« als biologischem Geschlecht sowie der »Frau« à la Simone de Beauvoir als sozial-determiniertem Geschlecht unterschieden. Und doch finden sich in einigen feministischen Studien, vor allem auf kulturwissenschaftlichem Gebiet, immer wieder Rückfälle in jene spezifisch »bürgerlichen« Klischees, die ihre Autorinnen aufgrund der fortschreitenden Demokratisierung und damit Überwindung der bisherigen Geschlechtergegensätze eigentlich abzuschaffen versuchen. Ja, manche Feministinnen, die weiterhin relativ undifferenziert von dem »Weiblichen an sich« sprechen, welches von »männlicher« Seite her lange genug politisch, sozioökonomisch, bildungsmäßig und sexuell unterdrückt worden sei, weshalb es sich nie zu seiner vollen menschlichen Leistungsfähigkeit entwickeln konnte, sehen in solchen krassen Vereinfachungen binärer Natur noch immer eine Möglichkeit, im Rückgriff auf sie so energisch wie möglich auf ihren persönlichen Eigensinn und sozialen Durchsetzungsdrang pochen zu können. Dem soll als Protesthaltung keineswegs widersprochen werden. Schließlich haben es viele Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts nach wie vor arg 230

Der »maskuline« Beethoven

nötig, gegen jene »Männer« zu rebellieren, die ihnen in Fortsetzung »bürgerlicher« Besitz- und Herrschaftsansprüche den Zugang zu besser bezahlten und mehr soziales Prestige verheißenden Berufen zu versperren suchen. Trotzdem sollten sich die Kulturwissenschaftlerinnen unter ihnen bei derartigen Bemühungen in Zukunft bei der Beurteilung der sogenannten »Maskulinität« früherer »Männer« nicht nur von radikalfeministischen Sehweisen leiten lassen, nach denen es zu allen Zeiten lediglich Machtstrukturen gegeben habe, die allein den Männern zugutegekommen seien. So wäre es etwa kurzschlüssig, einem König wie Ludwig XIV. – unter Nichtberücksichtigung der sozialen Vorstellungswelten der damaligen Zeit – seine Mätressenwirtschaft vorzuwerfen. Schließlich haben auch Zarinnen wie Katharina die Große ihre »Günstlinge« gehabt. Dasselbe gilt für viele andere »Verhältnisse« auf diesem Gebiet – nicht nur was die Adligen, sondern auch was hochgestellte Bürgerliche betrifft, die lange Zeit keineswegs den gleichen moralischen Konventionen unterworfen waren wie die bäuerlichen oder kleinbürgerlichen Bevölkerungsschichten. In vielen dieser Beziehungen war der Stand oder der Besitz oft wesentlich wichtiger als die geschlechtliche Zugehörigkeit oder die sexuelle Präferenz. Und auch viele der erfolgreichen Künstler und Künstlerinnen, falls sie die nötige finanzielle Rückversicherung hatten, erfreuten sich in aufgeklärten, das heißt weder feudalaristokratisch noch klerikal überformten Epochen, in ihrer persönlichen Lebensweise einer relativen Autonomie.

II Aufgrund solcher Vorüberlegungen sollte man sich hüten, im Bereich des Ästhetischen – ob nun in der Literatur, den bildenden Künsten oder der Musik – ausschließlich von genderspezifischen Aspekten auszugehen und die politischen, sozioökonomischen oder ideologischen Komponenten entweder völlig unberücksichtigt zu lassen oder als nebensächlich zu behandeln. Zugegeben, es ist schon wichtig, sich darüber zu informieren, welche Haltung bestimmte Künstler und Künstlerinnen in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Geschlechterverhältnissen ihrer Zeit eingenommen haben und ob sie dabei misogyne, heterosexuelle, lesbische oder bisexuelle Präferenzen an den Tag legten. All das ist sicher von großer Bedeutsamkeit, sollte jedoch nicht allein unter poppsychologischer Perspektive zum wichtigsten Kriterium ihrer subjektiven Wesensfindung oder gar ihrer ästhetischen Gestaltungsweise gemacht werden. Das würde einem Reduktionismus gleichkommen, der genauso problematisch Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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wäre wie jeder andere Reduktionismus ins Psychologische, Archetypische oder Psychoanalytische – ob nun in freudianischer, jungianischer oder lacanisierender Ausrichtung. Schließlich sind Männer nicht nur Männer und Frauen nicht nur Frauen, das heißt werden in ihren jeweils angenommenen menschlichen und ideologischen Haltungen nicht allein von biologisch-sexuellen Impulsen angetrieben, sondern auch von vielen anderen Beeinflussungen und Wirkungsmächten mitbestimmt. Ja, selbst wenn das Lesbische, Homosexuelle, Bisexuelle oder Heterosexuelle eine zentrale Kategorie in ihrem Leben war, so ist damit noch nicht alles gesagt. Schließlich müsste dann auch nach den jeweiligen historischen Ausprägungen dieser sexuellen Präferenzen und ihren gefühlsmäßigen Auswirkungen gefragt werden, die keine unwandelbaren Konstanten sind, sondern sich – wie alle menschlichen Verhaltensweisen – im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen ständig mitgewandelt haben. Bei einer Mitberücksichtigung all dieser Umstände käme man also nicht umhin, diese häufig als angeblich »naturhaft« ausgegebenen Veranlagungen auf die jeweils dahinterstehenden Vorstellungen innerhalb der ökonomischen und sozialen Verhältnisse zu beziehen und damit zu historisieren. So gesehen sind selbst sexuelle Präferenzen keine anthropologischen Grundbefindlichkeiten, sondern unterliegen denselben Veränderungen wie alle anderen Konstellationen zwischen Männern und Frauen innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsschichten. Ein gutes Beispiel dafür liefern jene musikwissenschaftlichen Untersu­ chungen, die sich in den letzten 40 Jahren mit der angeblich nachweisbaren Homosexualität von Franz Schubert befasst haben. Besonders einflussreich in dieser Hinsicht war ein Aufsatz des psychoanalytisch ausgerichteten Musikhistorikers Maynard Solomon, der 1981 in der Zeitschrift American Imago erschien,2 in dem er sich ausführlich mit der Interpretation von Schuberts Erzählung Mein Traum beschäftigte und dabei zu der Folgerung kam, dass dieses poetisch ausgeschmückte Traumprotokoll nur von einem homosexuell veranlagten Mann stammen könne. Diese These wurde wenige Jahre später – obwohl andere Schubert-Forscher und Schubert-Freunde dieser Sehweise energisch zu widersprechen versuchten – sowohl von Susan Youens3 als auch von Peter Gülke4 aufgegriffen und weiter ausgeführt. Ja, James Steakley schloss da­ raus 1991 in seinem Aufsatz Franz Schubert – absolut schwul?, dass sich Schuberts Homosexualität auch in seiner Musik nachweisen lasse.5 Er berief sich dabei unter anderem auf die sich mit Schubert auseinandersetzenden Aufsätze von Edward T. Cone,6 Jonathan Bellman,7 Edward Rothstein8 und Kofi Agawu,9 in denen behauptet wurde, dass Schuberts musikalische Ausdrucksmittel in ihrer Selbstvergessenheit an jene melodischen Strukturen erinnern, 232

Der »maskuline« Beethoven

die »für die Musik der Zigeuner und homoerotischen Parias typisch« seien.10 Und Steakley folgerte daraus, dass sich heterosexuelle Männer, deren Identität rein »maskulin« sei, beim Hören von Schuberts Musik zwangsläufig der »Verführung zur Überschreitung des eigenen Ich« ausgesetzt sähen. Sie biete einen »Genuß«, heißt es bei ihm weiter, »hinter dem Entgrenzungen ins Feminine, Effeminierte und Homoerotische lauern, die das Ideal der Männlichkeit einerseits bekräftigen und andererseits in Frage stellen«.11 Und als Gegenpol zu dieser vielfach behaupteten »Weichlichkeit« der schubertschen Musik wurde in solchen Studien fast durchgehend die »aggressive« Männlichkeit Beethovens ins Feld geführt, dessen »masculinity«, wie Maynard Solomon schreibt, auf einem »Herculean heroism« beruhe, mit dem er sich zu einer Ethik des Verzichts auf erotische Beziehungen gezwungen habe, um stets ganz »Mann«, ganz Schöpfer mit einer werkbetonten Persona zu bleiben.12 Kommen wir zu ersten Folgerungen. In psychoanalytisch oder homosexuell ausgerichteten Studien wird also Beethovens Musik in ihrer kraftbetonten »Maskulinität« seitdem gern mit den eher »effeminierten« Klängen der schubertschen Musik kontrastiert. Als »homosexuell« gilt dabei meist das Melodisch-­ Fließende, ja, Weiblich-Sanftmütige, wenn nicht gar Verzärtelte, während das »Männlich-Heterosexuelle« vielfach mit Adjektiven wie aggressiv, militant, laut, wenn nicht gar geradezu polternd oder gewalttätig umschrieben wird. Wieviel homoerotische Selbstrechtfertigung als einer besonders sanftmütigen Spezies »Mann« in solchen Studien steckt, liegt auf der Hand. In Aufsätzen oder Essays dieser Art geht es meist gar nicht um die jeweils behandelte Musik, sondern eher darum, irgendeinen großen Komponisten – ob nun Franz Schubert oder Pjotr Tschaikowsky – in die Ehrenliga der »Unsrigen« einzureihen und sich zugleich zu einer betont anti-militanten Weltanschauung zu bekennen, indem man die Schwulen von vornherein als effeminierte »Außenseiter« hinstellt – als ob es nicht auch sogenannte »männlich-aggressive« Homosexuelle gegeben habe und immer noch gibt.

III Gehen wir nun – nach diesem »männlichen« Vorspiel – auf die genderspezifischen Ansichten im Rahmen der feministisch ausgerichteten Musikwissenschaft ein, die sich zwar mit der homoerotischen Sehweise zum Teil merklich berührt, indem sie ebenfalls massive Vorbehalte gegen das angeblich »Männlich-­ Aggressive« akzentuiert, aber auch ihr eigenes Telos im Auge hat. In den VerGenderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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einigten Staaten wurde diese Forschungsrichtung maßgeblich durch das Buch Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality von Susan McClary eingeleitet,13 das seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1991 bereits mehrere Neuauflagen erlebte. In ihrem programmatischen Vorwort betonte McClary, dass das »Maskuline« und das »Feminine« als gesellschaftliche »Konstruktionen« zwar im Laufe der Zeit deutlich erkennbare Wandlungen durchgemacht hätten,14 jedoch als biologisch-binäre Oppositionskonzepte weiterhin unverzichtbar seien, zumal gerade die Musik in ihrer deutlich akzentuierten Rhythmik und sinnlich stimulierenden Klangwelt oft aufs Engste mit der Artikulation sexuellen Verlangens verbunden sei. Im Sinne ihrer feministischen Anschauungen lehnte sie dabei zwar alle von Männern aufgestellten Theorien auf diesem Gebiet, wie die von Willi Apel, Edward T. Cone, Arnold Schönberg und Heinrich Schenker, entschieden ab, kam aber selber – vor allem im Hinblick auf die geschlechtsspezifische Sexualität innerhalb der »musical narrative« – immer wieder da­ rauf zurück.15 Vor allem feministisch orientierte Musikwissenschaftlerinnen haben darauf im Gefolge solcher Theorien das »Musikalisch-Weibliche« gern mit »schwachen Endungen« und das »Musikalisch-Männliche« mit »starken Endungen« assoziiert und diese Ausdrucksformen aus der Unterschiedlichkeit der sexuellen Erregungskurven und der auf sie folgenden Orgasmuszuckungen der beiden Geschlechter zu erklären versucht. Trotz einer gewissen Einbindung in historisch-sozial determinierte Kriterien ließ deshalb Susan McClary nicht davon ab, Musik weitgehend mit geschlechtsbedingten Körpergefühlen zu verbinden. Und zwar berief sie sich dabei nicht nur auf jenes männlich-drängende »sexuelle Begehren«, das bekanntermaßen in der Musik von Richard Wagners Tristan und Isolde vorherrsche,16 sondern versuchte im Rahmen ihrer feministischen Sehweise auch die Musik Beethovens in diese genderspezifische Blickrichtung einzubeziehen. Wie die Theoretiker der homoerotisch gefärbten Musikwissenschaft stützte sie sich hierbei ebenfalls auf die dort beliebte Gegenüberstellung von Beethoven und Schubert, wobei sie die Musik des Einen mit dem Schlagwort »virile power« und die des Anderen mit Adjektiven wie »sensitive« und »romantic« charakterisierte.17 Aufgrund solcher Gegensätze wehrte sie sich energisch gegen die Anschauung, dass es letztlich nur eine, das heißt als universal ausgegebene, aber letztlich männlich fundierte Musik gebe. Derartige Konzepte seien in einer maskulin dominierten Kultur entwickelt worden, schrieb sie, in der nicht das Weiblich-Sanftmütige der »schwachen Endungen«, sondern – von gewissen Ausnahmen abgesehen – zumeist das Männlich-Aggressive der »starken Endungen« vorgeherrscht habe. Und gerade die Musik des vielverehrten Beethoven biete dafür höchst instruktive Beispiele. 234

Der »maskuline« Beethoven

Besonders krass kommt dieser genderspezifische Affekt in McClarys Interpretation von Beethovens 9. Symphonie zum Durchbruch, deren »musical narrative«, wie die der Werke Gustav Mahlers, oft in einer »explosive violence« kulminiere.18 Schon den ersten Satz dieses Werks stellte sie vornehmlich als den Versuch eines männlichen Subjekts hin, seine eigene Identität im Rahmen einer »womblike void« zu bekräftigen, wobei es gegen Ende – in einer »juxtaposition of desire and unspeakable violence« – zu einer »unparalleled fusion of murderous rage and yet a kind of pleasure in his fulfillment of formal demands« komme.19 Und diese explosive Wut bestimme auch große Teile der folgenden Sätze. Lediglich der dritte Satz weiche davon ab. Während die beiden ersten Sätze weitgehend »monomanical« seien und eine unentwegt vorwärtsdrängende männliche Dynamik aufwiesen, breite sich im langsam dahinfließenden Adagio molto e cantabile des dritten Satzes eine »feminine zone« der »tenderness and vulnerability« aus, in der es keinerlei »aggressiven« Momente gebe.20 Dagegen sei der berühmte Schlusssatz mit seiner Ode An die Freude für feministisch geschulte Ohren besonders problematisch. In ihm erreiche die patriarchalische Kultur in ihrer herrisch-auftrumpfenden, ja, geradezu »triumphalen« Gesinnung, mit der sie alles Andere an den Rand zu drängen versuche, um sich ganz auf ihre eigene sexuelle Erfüllung konzentrieren zu können, einen ihrer absoluten Höhepunkte. Und McClary zögerte nicht, das in diesem Zusammenhang von amerikanischen Feministinnen oft angeführte Gedicht The Ninth Symphony of Beethoven Understood at Last as a Sexual Message von Adrienne Rich zu zitieren, das mit den Zeilen beginnt: »A man in terror of impotence / or infertility, not knowing the difference / a man trying to tell something / howling from the climacteric / music of the entirely isolated soul«, und mit den Zeilen schließt: »Yelling of Joy from the tunnel of the ego / […] where everything is silence and the / beating of a bloody fist upon / a splintered table.«21 Ja, in den Alla marcia-, Andante maestoso- und Allegro energico-Passagen des letzten Satzes der Neunten, in denen Beethovens sexuelles Wunschverlangen mit all seinen orgasmusauslösenden Gewaltphantasien ganz zu sich selber komme, behauptete McClary, herrsche sogar ein noch »much higher level of violence« als in den beiden ersten Sätzen. Und Beethovens Nachfolger im 19. Jahrhundert hätten als komponierende Männer in den Kopf- und Schlusssätzen ihrer Symphonien von dieser »combination of desire and destruction« nie genug bekommen.22 Trotz aller Beteuerungen, auch die sozialhistorischen Komponenten nicht zu vergessen, herrscht in dieser Interpretation eine eindeutig genderspezifische Perspektive vor, die allein die angeblich verzweifelte Identitätsbemühung Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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Abb. 39  Fidus: Beethoven (1900)

Beethovens ins Auge fasst, sich in seiner bedrohten »Virilität« zu bestärken und dabei selbst zu höchst gewaltsamen musikalischen Ausdrucksmitteln zu greifen. Von allen sonstigen Aspekten, die dieser Symphonie ihr einmaliges Gepräge geben, nämlich ihren rebellischen Zügen, mit denen sich Beethoven gegen 236

Der »maskuline« Beethoven

den erdrückenden Geist der metternichschen Restauration aufzulehnen suchte, sowie dem Rückgriff auf die schillersche Ode An die Freude, die einstmals in einer anderen Vertonung ein Lied der aufmüpfigen Jenaer Illuminaten während der ersten Jahre der Französischen Revolution war, ist dagegen nirgends die Rede. Aber auch andere politische, soziale, kulturelle und ästhetische Aspekte werden bei einer so eindimensionalen Perspektive einfach unterschlagen. Trotz einiger gegenläufiger Behauptungen, auch ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dominiert hier fast ausschließlich der pure Biologismus, das heißt der bereits 1975 von Alice Schwarzer beschworene kleine Unterschied und die sogenannten großen Folgen.

IV Nun, solche Einseitigkeiten sind im Rahmen des ideologisch differenzierter argumentierenden Feminismus inzwischen wesentlich seltener geworden. Greifen wir dafür als ein Beispiel den im Jahr 2000 erschienenen Aufsatz Beethoven and Masculinity von Sanna Pedersen heraus.23 In ihm geht es anfangs um das bereits von Susan McClary kurz angesprochene Problem, ob die oft beschworene »Maskulinität« tatsächlich ein biologisches Urphänomen sei oder ob sie nicht nur ein Spiegelbild dessen darstelle, was in der patriarchalisch ausgerichteten Ideologie der bürgerlichen Aufklärung als Konstruktion des »Männlichen« galt, in dem viele Theoretiker dieser Ära einen »universalen« Leitbegriff des Menschlichen schlechthin gesehen hätten. Bei ihrer eigenen Definition des »Männlichen« stützte sich Pedersen dabei – neben dem bereits erwähnten Buch Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality (1991) von Susan McClary – sowohl auf Publikationen wie After the Lovedeath: Sexual Violence and the Making of Culture (1997) von Lawrence Kramer und The End of Masculinity: The Confusion of Sexual Genesis and Sexual Difference in Modern Society (1998) von John MacInnes als auch auf eine Reihe bereits zu Beethovens Lebzeiten vertretener Männlichkeitskonzepte, wie sie unter anderem in dem Essay Der Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur (1815) von Wilhelm von Humboldt sowie einigen verstreuten Äußerungen in den Schriften Johann Gottlieb Fichtes, Friedrich Schillers und Friedrich Schlegels zu finden seien, um so Beethovens »Maskulinität« nicht allein unter zeitgenössisch-feministischer, sondern auch im Lichte der Männlichkeitsvorstellungen des frühen 19. Jahrhunderts unter die Lupe nehmen zu können. Dabei stellte sie – neben den zu erwartenden genderspezifischen FolgerunGenderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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gen – auch zwei durchaus neue Kritikpunkte auf: 1. dass es Beethoven in seiner Hochschätzung der Parolen der Französischen Revolution nie eingefallen sei, das Konzept der »Fraternité« als eine spezifisch männliche Vorstellung zu problematisieren, da er das Feld der Politik ohnehin stets unter rein maskuliner Perspektive betrachtet habe, und 2. dass seine Musik in ihrer »heroic narrative« stets vom männlichen Gesichtspunkt der militanten Veränderung ausgegangen sei, während er das »Weibliche« – wie Humboldt, Schiller und andere forciert »idealistische« Humanitätsschwärmer – weitgehend als das bloß Daseiende, Naturhafte, Unveränderliche betrachtet habe.24 Setzen wir uns mit diesen zwei Punkten kurz auseinander. Worauf Pedersens Argumentation hinausläuft, ist eine kritische Hinterfragung jener zutiefst patriarchalisch ausgerichteten Ideologie, die sich mit dem Brustton der Selbst-

Abb. 40  Max Klinger: Ludwig van Beethoven (1902). Leipzig, Gewandhaus

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Der »maskuline« Beethoven

gerechtigkeit stets auf das »Allgemein-Menschliche« und andere ins »Universale« tendierende Begriffe berufen habe, aber – genauer besehen – nur der Aufrechterhaltung der männlichen Herrschaft dienen sollte. Diese Kritik ist selbstverständlich berechtigt und könnte sogar in einigen Punkten noch schärfer formuliert werden. Allerdings stellen sich dabei im Hinblick auf Beethoven einige nicht abzuweisende Fragen ein, nämlich ob er selber solche Anschauungen tatsächlich unterstützt hat, ob sie sich konkret in seinen Werken widerspiegeln oder ob solche Thesen – im Hinblick auf ihn – lediglich durch Analogieschlüsse gestützte Spekulationen bleiben? Darüber werden sicher noch weitere Diskussionen stattfinden, die neben genderspezifischen Gesichtspunkten auch andersgeartete ideologiekritische Gesichtspunkte berücksichtigen müssten. Vielleicht sollte man hierbei folgenden Standpunkt einnehmen. Für einige Aspekte innerhalb der pedersenschen Sehweise lassen sich weder in Beethovens Briefen oder Kompositionstexten noch in den inhaltlichen »Intonationen« seiner Instrumentalmusik irgendwelche überzeugenden Belege finden.25 Das mag durchaus sein, werden seine feministischen Kritikerinnen erklären, jedoch sofort weiterfragen: aber strotzen nicht seine Werke ständig von jenen heutzutage – nach dem weitgehenden Abbau aller nationalen, hochkulturellen oder sozialbetonten, kurz: überindividuellen Wertvorstellungen und dem durchschlagenden Erfolg angeblich pluralistischer Konzepte  – gern als pseudoidealistisch, wenn nicht gar totalitaristisch diffamierten Aufschwüngen ins »Heroische«? Ohne Zweifel tun sie das. Aber was ist daran so fragwürdig? Dass mit dem »Heroischen« lange Zeit Schindluder getrieben wurde, um die sogenannten breiten Massen in militante Stimmungen zu versetzen, wissen wir leider nur allzu genau. Doch das spricht letztlich nicht gegen das »Heroische« an sich, welches auch ganz andere Formen annehmen kann. Genauer gesehen gehen im Falle Beethovens solche im schlechten Sinne als »heroisch« geltenden Ansichten gar nicht auf ihn, sondern weitgehend auf das deutsche Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts zurück, das mit der emphatischen Berufung auf Beethovens »Heldentum« seinem eigenen tataktivis­tischen Nationalismus eine ästhetische Verbrämung zu geben versuchte.26 Neben den Beethoven-Darstellungen des Jugendstilkünstlers Fidus gehört dazu als die bekannteste bildkünstlerische Manifestation dieses Bemühens vor allem die 1902 enthüllte Monumentalstatue Beethovens von Max Klinger. Hier sitzt Beethoven als nackter, halbgöttlicher Titan auf einem Thron und blickt mit gesammelter Energie in eine noch ungeklärte Zukunft, wobei ihm wie Zeus oder Wotan ein Adler zu Füßen kauert, um dem Ganzen einen Zug ins Imperiale, wenn nicht gar Halbgöttliche zu geben. Die Begeisterung für diese StaGenderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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tue war damals – auf dem Höhepunkt der wilhelminischen Machtansprüche – innerhalb der konservativen Schichten geradezu enthusiastisch.27 Sie sahen in Beethoven einen der größten deutschen »Heroen« schlechthin. Weder Bach noch Haydn, Mozart, Schubert oder Schumann hätte man deshalb um 1900 als nackten Heros darstellen können. Nur Beethoven schien – nach einer langen und immer hektischer werdenden Legendenbildung von Seiten der romantischen und später reichsverbundenen deutschen Bourgeoisie – einer solchen Verklärung ins »Übermännliche« würdig zu sein. Eine solche Sehweise musste nach dem Zusammenbruch dieses als »idealistisch« ausgegebenen Tataktivismus zwangsläufig zu einem durchgreifenden Abbau derartiger Vorstellungen führen. Gegen diese Art des Heroismus zu opponieren, ist also nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg sowie dem Desaster des mit allen Stereotypen des angeblich Maskulinen operierenden Hitler-Reichs keineswegs eine ausschließlich feministische Prärogative, sondern wird heutzutage auch von vielen männlichen Beethoven-Forschern und -Freunden geteilt, die Klingers heroisierende Darstellung Beethovens geradezu lächerlich finden – womit allerdings noch nicht das letzte Wort über das »Heroische« auf anderen Gebieten gesprochen ist, wo es zur Änderung übelster politischer und sozialer Zustände durchaus der Forderung »heroischer« Bemühungen bedarf, ohne die es immer wieder zum Sieg des Reaktionären kommen würde.28 Ähnlich problematisch ist das bis heute nachwirkende feministische Vorurteil, dass Beethovens Musik so übermächtig »maskulin« sei, weil es in ihr so viele Marschrhythmen, auftrumpfende Crescendo-Partien wie überhaupt so viele laute, ja, gewalttätige Stellen gebe, die sich – in einem ständig betonten Gegensatz zur »sanftmütigen« Natur des Weiblichen – nur als spezifisch männlich, und zwar in einem dominierend »patriarchalischen« Sinne interpretieren ließen. Zugegeben, solche Partien, in denen das Marschmäßige und Militante überwiegt, finden sich in den Werken Beethovens durchaus. Doch sollte man sie nicht allein auf seinen psychischen oder physischen Durchsetzungsdrang, der immer wieder im Zentrum solcher Studien steht, sondern auch auf Beethovens politisches Engagement zurückführen, mit dem er sich für die jeweils »progressiven« Tendenzen in der Ideologiebildung seiner Zeit einzusetzen versuchte. Und außerdem: Gibt es nicht gerade in seinem Œuvre auch eine Fülle höchst »empfindsamer« Partien wie im ersten Satz der sogenannten Mondscheinsonate, zu Beginn des Florestan-Monologs seines Fidelio, im langsamen Satz seines 4. Klavierkonzerts, im Trauermarsch seiner Eroica, im Adagio seines a-Moll Streichquartetts op. 132, dem er den Untertitel Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit in der lydischen Tonart gab, oder im 3. Satz seiner 240

Der »maskuline« Beethoven

9. Symphonie, die man nicht einfach wie Susan McClary als »feminine zones« aus seinen Werken ausklammern sollte,29 sondern die dem rebellischen Charakter seiner Allegro von brio-Passagen als ein beseeligender Vorklang »besserer Welten« komplementär zugeordnet sind. Erst in ihrem Neben-, wenn nicht gar Ineinander geben sie Beethovens Werken jenen humanisierenden Elan, der für jeden nicht im engeren Sinne genderspezifisch oder gar sexistisch empfindenden Menschen etwas Unwiderstehliches, wenn nicht gar Beseeligendes hat.

V Etwas ernster zu nehmen ist dagegen die feministische Kritik Sanna Pedersens an Beethovens »Brüderlichkeits«-Vorstellungen, mit denen er sich – im Sinne der Französischen Revolution – zu eindeutig männlichen Politikkonzepten bekannt habe. In diesem Zusammenhang wird meist auf die Zeile gegen Ende des Fidelio hingewiesen, wo der »Bruder seinen Bruder« sucht (Nr. 16), oder jene Stelle aus dem Schlusschor der 9. Symphonie zitiert, wo es erst heißt: »Alle Menschen werden Brüder« und dann: »Laufet, Brüder, eure Bahn / Freudig wie ein Held zum Siegen. / Seid umschlungen, Millionen! / Diesen Kuß der ganzen Welt!« An der prononcierten Männlichkeit solcher Stellen lässt sich nicht zweifeln. Aber sollte man nicht versuchen, auch sie vor ihrem historischen Hintergrund zu interpretieren? Herrschten denn in der damaligen Politik tatsächlich nur jene maskulinen Dominanzansprüche vor, wie heute von einigen Feministinnen behauptet wird? Zum Teil schon! Aber wurden diese Ansprüche im 18. Jahrhundert lediglich als sexistische Vorurteile betrachtet oder galten sie nicht auch als Standesprobleme? Schließlich waren damals nicht alle Frauen unterdrückt. Wie wir wissen, gab es sogar eine Kaiserin wie Maria Theresia, eine Zarin wie Katharina die Große sowie jene Madame Jeanne-Antoinette de Pompadour, die einen so machtvollen Einfluss auf die französische Außenpolitik hatte, dass sich Friedrich II. von Preußen im Siebenjährigen Krieg zeitweilig von drei »Machtheroinen« eingekreist fühlte. Allzu gängige Klischees wie »männlich« oder »weiblich« reichen deshalb bei derartigen Fragestellungen nicht aus. Auch an diesen Problemkreis sollte wesentlich differenzierter herangegangen werden, wenn man zu historisch konkreten Urteilen gelangen will, statt nur seine eigenen psychischen oder geschlechtsspezifischen Präferenzen ins Spiel zu bringen. Gehen wir daher lieber, wie die Autoren und Autorinnen der Beiträge in dem im Jahr 2003 von Cornelia Bartsch, Beatrix Borchard und Rainer Cadenbach herausgegebenen Band Der Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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»männliche« und der »weibliche« Beethoven,30 von der etwas unverfänglicheren Frage aus: Welche oder wie viele Frauenbilder gab es denn eigentlich im deutschen Schrifttum um 1800, an denen sich Beethoven hätte orientieren können? Trotz mancher idealistischen Verklärungen der »Frau an sich« waren es sicher mehr als heutzutage. Das hing vor allem damit zusammen, dass damals innerhalb der altständischen Gesellschaftsordnung noch klare soziale Abstufungen und Rollenverteilungen bestanden, aber sich auch schon erste Proteste dagegen regten. Man denke lediglich an folgende Konfigurationen des »Weiblichen«, die zu den bekanntesten der damaligen Gendervorstellungen gehörten. Da gab es, wie in den Dramen Schillers und Kleists, tatkräftige, ja, heroische, wenn nicht gar gewaltsam herrschende Königinnen und Fürstinnen. Da gab es die »aufgeklärten Frauenzimmer« à la Lessings Minna von Barnhelm sowie die auf ihre Rechte bestehende Tochter in Johann Sebastian Bachs Kaffeekantate. Da gab es die »schönen Seelen« der gebildeten Mittelklasse und des niederen Adels, die ständig in Tränen ausbrachen oder sich untereinander empfindsame Briefe schrieben. Da gab es erotisch freizügig lebende Frauen wie Goethes ­Philine oder Friedrich Schlegels Lucinde. Da gab es die »Hyänen« der Revolution, vor denen Schiller in seinem Lied von der Glocke eindringlich warnte. Und da gab es die kleinbürgerlichen »Heimchen am Herd«, die arkadisch tändelnden Schäferinnen sowie viele andere literarisch stilisierte Frauenbilder, die als Leitbilder des Weiblichen durchaus eine Wirkung auf die gesellschaftliche Realität hatten. Von einer ausschließlichen Dominanz des Patriarchalischen kann daher – zumindest in der Kunst dieses Zeitraums – nur mit deutlich markierten Abstrichen die Rede sein. Doch nun zu unserer letzten Frage: Wie stand eigentlich Beethoven zu all diesen Bildern einer »imaginierten Weiblichkeit«, um einen Begriff Silvia Bovenschens aufzugreifen?31 Wenn wir seine Texte durchgehen, gibt es bei ihm weder Königinnen, »aufgeklärte Frauenzimmer«, »schöne Seelen«, »Hyänen« oder »Heimchen am Herd«. Was ihn offenbar anzog, waren eher jene angeblich »maskulinen« Frauen, die sogar in politischen oder kriegerischen Auseinandersetzungen ihren »Mann« zu stehen versuchten, wie es oft kurzschlüssigerweise heißt. Dafür spricht vor allem die Figur seiner Leonore, die sich als Fidelio ausgibt, um ihren Ehemann aus dem Kerker des tyrannischen Pizarro zu befreien, ja, die sogar nicht zögert, im entscheidenden Moment zur Pistole zu greifen, um die zur Katastrophe drängende Handlung doch noch zum Guten zu wenden.32 Und da wäre außerdem Beethovens Begleitmusik zu dem Drama Leonore Prohaska, in dessen Mittelpunkt eine junge Frau steht, die sich als Mann verkleidet, um in den Reihen der lützowschen Jäger als Guerilla 242

Der »maskuline« Beethoven

gegen die französischen Besatzungstruppen zu kämpfen, und deren Kameraden ihre weibliche Identität erst entdecken, als sie der auf dem Schlachtfeld tödlich Verwundeten plötzlich die Uniform öffnen. Beethoven vermied also in diesen beiden Figuren gerade den oft herausgestellten grundsätzlichen Unterschied zwischen dem »Männlichen« und dem »Weiblichen«, indem er heroisch handelnde Frauengestalten auf die Bühne zu bringen versuchte, die sich nicht als genderspezifisch zu definierende feminine Wesen, sondern als »Menschen« schlechthin verstanden. Das war unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen relativ kühn und sollte eine Perspektive auf menschliche Verhältnisse eröffnen, in denen es keine Trennung in eine weiblich-private und eine männlich-öffentliche Sphäre mehr gibt, sondern wo sich beide Geschlechter in dieselben politischen und sozialen Verhältnisse einmischen. Was wäre emanzipierter als eine solche Vorstellung? Und das obendrein von einem angeblich in patriarchalischen Denksystemen der Virilität und Brüderlichkeit befangenen »Mann«, von dem – unter feministischer Perspektive – eine solche Sehweise überhaupt nicht zu erwarten wäre? So gesehen ist Beethoven selbst auf diesem Gebiet ein von idealistischen Motivationen bewegter Utopiker, dessen politische und soziale »Haltungen« uns noch immer imponieren sollten.

Genderspezifische Deutungen seiner Person und Werke

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Problemzone »Kulturelles Erbe« Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

I Im Hinblick auf das, was früher einmal als das hochgeschätzte »Kulturelle Erbe« galt, hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Trend durchgesetzt, der anfänglich noch als Aufbruch in eine kulturbewusste »Postmoderne« charakterisiert wurde, aber inzwischen in der Bundesrepublik, wie auch in anderen westlichen Ländern, viel von seiner ursprünglich ins politisch Andersartige tendierenden Programmatik eingebüßt hat. Was heutzutage auf diesem Gebiet dominiert, ist weitgehend ein Verzicht auf irgendwelche inhaltlichen Qualifizierungen, die sich auch mit der ideologischen Bedeutsamkeit von künstlerischen Manifestationen einer höhergearteten »Kultur« auseinandersetzen würden.1 Zugegeben, Teile der mittelständischen, meist akademisch gebildeten Bevölkerungsschichten halten weiterhin an der Überzeugung fest, dass all das, was nach wie vor an Werken dieser Art in Theatern, Opernhäusern und Konzerthäusern, ja, zum Teil sogar im Fernsehen oder im Internet zu sehen oder zu hören ist, Ausdrucksformen einer ins Höhergeartete tendierenden »Kultur« seien, und sind froh darüber, dass diese Institutionen weiterhin von staatlicher Seite finanziell unterstützt werden. Doch ist das wirklich »ihre« Kultur, sollte man sich fragen, oder handelt es sich dabei nicht vornehmlich um Werke früherer Kulturepochen? Schließlich geht es dabei weitgehend um Dramen, Opern, Symphonien oder Kammermusikkompositionen des 18., 19. oder frühen 20. Jahrhunderts. Und obendrein interessieren diese Werke meist nur die sogenannten »Wenigen«, aber nicht die »Vielen« unter ihren Mitbürgern und Mitbürgerinnen.2 Dennoch empfinden diese Schichten all das dort Gesehene und Gehörte nach wie vor als Manifestationen einer unverbrüchlich weiterbestehenden »Kultur«. Aber ist das nicht letztlich illusionär? Wie alle Statistiken belegen, handelt es sich dabei nämlich gar nicht um künstlerische Leistungen einer genuin eigenständigen Kultur, sondern, wie gesagt, um Werke 244

Problemzone »Kulturelles Erbe«

aus Zeiten, in denen ganz andere gesellschaftliche Voraussetzungen und ästhetische Geschmackspreferenzen herrschten, die in einem absoluten Gegensatz zu dem stehen, was sich in dieser Hinsicht heutzutage zumeist durchgesetzt hat. Kurzum: Was die sogenannten Kulturträgerschichten gegenwärtig in Theatern, Opernhäusern und Konzerthallen sehen oder hören, sind gar nicht die Werke »ihrer« Kultur, sondern fast immer Werke längst vergangener Epochen.

II Und zwar gilt das vor allem für die Oper, die in diesen Kreisen immer noch als eins der bedeutendsten Genres höherer Kulturbemühungen angesehen wird. Obwohl auf diesem Gebiet in Deutschland – trotz der kompositorischen Bemühungen Hans Werner Henzes, Mauricio Kagels, Aribert Reimanns, Wolfgang Rihms und Bernd Alois Zimmermanns auf diesem Gebiet – seit fast 80 Jahren kaum noch repertoirewürdige Werke entstanden sind und sich manche innovationssüchtigen Modernisten wie Theodor W. Adorno und Pierre Boulez bereits in den sechziger Jahren für die Abschaffung dieses Genres eingesetzt haben,3 erfreut sich darum diese Form des »Kulturellen Erbes« bei vielen an bedeutsamer Musik Interessierten, als ob sich nichts geändert hätte, eines besonders hohen Ansehens. Ohne zu bedenken, ob diese elitäre Kunstform in unserem auf Demokratisierung drängenden Zeitalter überhaupt noch zu rechtfertigen ist, bestehen sie deshalb nach wie vor darauf, der Oper – trotz des ungeheuren Kostenaufwands, der damit verbunden ist – weiterhin einen prominenten Platz in »unserem« Kulturleben einzuräumen, als lebten wir immer noch im Zeitalter feudalaristokratischer oder großbürgerlicher Lebensverhältnisse.4 Schließlich war die Oper, ideologiekritisch gesehen, von Anfang an ein repräsentatives Schaustück innerhalb gesellschaftlicher Oberklassenverhältnisse. Erst waren es die Fürsten, die sich der Oper neben anderen Prunkbedürfnissen zur Demonstration ihres alle anderen Bevölkerungsschichten überragenden politischen Status bedienten. Danach war es die begüterte Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, welche sich in den immer zahlreicher werdenden Opernhäusern ihren ins Idealistische verklärten Hochgefühlen hingab, bis schließlich in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die erste Demokratisierungswelle diesen gesellschaftlichen Überlegenheitsgefühlen ein Ende bereitete und eine Reihe von Antiopern entstand, die jedoch wegen der hohen Eintrittspreise nur in Ausnahmefällen die ersehnte Breitenwirkung erreichten. Dennoch führte das, wie nicht anders zu erwarten, weitgehend zum Ende jener OpernFidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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produktion, die sich zwar im Rosenkavalier (1911) und der Arabella (1933) von Richard Strauss noch einmal feudalaristokratisch gab, aber dann als eine der Hauptformen der älteren E-Musik immer unwichtiger wurde. Seitdem ertönen in allen Opernhäusern fast immer die gleichen Werke, ob nun von Mozart, Beethoven und Strauss oder von Rossini, Verdi und ­Puccini, bei deren Aufführungen das Publikum zwar die jeweiligen Stars, den Schmelz der Liebeskoloraturen oder die zu Tränen rührenden tragischen Partien bewundert, aber ohne sich groß mit den in ihnen ausgedrückten ideologischen Haltungen auseinanderzusetzen, durch die sich diese Opern als Spiegelbilder der gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit erweisen. Ja, sogar die wenigen Opern, die es im 18. oder 19. Jahrhundert wagten, in offener oder versteckter Form in die damaligen politischen oder sozialen Zustände einzugreifen versuchten, werden meist mit der gleichen kulinarischen Absicht konsumiert, ohne sich genauer mit den ideologischen Implikationen zu beschäftigen, die manchmal selbst in diesem Genre, wie etwa in Mozarts Zauberflöte oder Beethovens Fidelio, zum Ausdruck gekommen waren.

III Fragen wir uns nun, wie sich diese veränderte Einstellung zur Oper in den letzten Jahrzehnten auf die Aufführungspraxis von Beethovens Fidelio – als einem besonders markanten Beispiel des sogenannten »Kulturellen Erbes« – ausgewirkt hat. Da sich derartige Prozesse oft sehr langsam und zugleich widersprüchlich vollziehen, lassen sich dabei mindestens drei verschiedene Tendenzen unterscheiden. Da wäre erst einmal das seit langem unveränderte Bemühen, diese Oper so historisierend wie nur möglich aufzuführen, das heißt in jenen Kostümen, wie sie in napoleonischer Zeit üblich waren, und sich auch bei der Gefängniskulisse an den damaligen Kerkerverhältnissen zu orientieren. Doch ebenso häufig waren Versuche, sie im Sinne des gegenwärtigen Regietheaters in die Jetztzeit zu aktualisieren, indem man ihren Handlungsablauf durch textliche Veränderungen, zeitgenössische Kostüme und modern wirkende Kulissen mit vielfach bekannten Gräueltaten der jüngsten Vergangenheit, meist totalitaristischen Lager- und Gefängnisverhältnissen, in Beziehung setzte, um dem Ganzen eine größere politische Relevanz zu verleihen, statt sich lediglich mit der Darstellung von Untaten einer mehr oder minder weit zurückliegenden Vergangenheit zu begnügen. Und dann wären da in jüngster Zeit noch Aufführungen, bei denen man sowohl auf das Eine 246

Problemzone »Kulturelles Erbe«

als auch auf das Andere verzichtete und das Ganze ohne irgendwelche klar erkennbaren politischen Implikationen einfach in einer nicht näher charakterisierten »Moderne« spielen ließ.

IV Die streng historisierende Aufführungspraxis war im Hinblick auf Beethovens Fidelio lange Zeit die gängigste und hat sich zum Teil bis heute erhalten. Maßstabsetzend war dafür im deutschsprachigen Bereich die 1955 an der Wiener Staatsoper inszenierte Aufführung dieses Werks unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler, in der Martha Mödl die Leonore, Wolfgang Windgassen den Florestan, Otto Edelmann den Pizarro und Gottlob Frick den Rocco sangen. Als ebenso bedeutsam, ja, vorbildlich erwies sich in dieser Hinsicht der 1970 von Gustav Rudolf Sellner in Szene gesetzte Fidelio an der Deutschen Oper in Westberlin, dessen musikalische Leitung Karl Böhm übernahm und in der

Abb. 41 Schlusstableau von Beethovens Fidelio (1978). Wiener Staatsoper. Gundula Janowitz als Leonore, René Kollo als Florestan und Hans Helm als Don Fernando Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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Gwyneth Jones als Leonore, James King als Florestan, Gustav ­Neidlinger als Pizarro und Josef Greindl als Rocco auftraten. Fast das gleiche Niveau erreichte im selben Jahr der Fidelio an der Hamburger Staatsoper unter dem Dirigenten Leopold Ludwig mit Anja Silja als Leonore, Richard Cassilly als Florestan und Theo Adam als Pizarro. Ja, 1978 gab es an der Wiener Staatsoper noch einmal eine Fidelio-Inszenierung, welche an die von Furtwängler, Böhm und Ludwig angestrebten Höhenleistungen heranreichte. Der Dirigent war diesmal Leonard Bernstein, Otto Schenk hatte die Regie und Ausstattung übernommen, während Gundula Janowitz die Leonore, René Kollo den Florestan, Hans Sotin den Pizarro, Hans Helm den Don Fernando und Lucia Popp die Marzelline sangen. Damit waren Vorbilder geschaffen, die bis heute selten oder nie erreicht worden sind. Diese Aufführungen erwiesen sich als schlechthin »klassisch«, indem sie den Fidelio in historischen Kostümen spielten, die von Beethoven in einem idealistischen Sinne vertretenen Konzepte von Freiheit und Brüderlichkeit betonten und auch sonst nicht von der »Urform« dieser Oper abwichen. Sie gelten daher bis heute, wie gesagt, bei vielen Musikinteressierten nach wie vor als »unübertroffen« und haben zugleich die größte Breitenwirkung erreicht, da sie auch als vielverkaufte CDs und DVDs erschienen sowie bis heute im Internet zu sehen und zu hören sind. Allerdings werfen sie zugleich die Frage auf, ob man sich mit derartigen Inszenierungen begnügen sollte. Nichts gegen ihre schwer zu überbietende musikalische Qualität und auch nichts gegen ihren historisierenden Aufführungsstil. Aber wurden sie durch ihre Entrückung in die Vergangenheit nicht zu unaktuellen Artefakten, von denen keine ideologisch bedeutsamen Impulse mehr ausgehen konnten? Genauer gesagt: Ließen sie sich nicht dadurch vornehmlich als Meisterwerke eines inzwischen unverbindlich gewordenen »Kulturellen Erbes« goutieren, bei denen eher die meisterliche Darbietung als die ihnen zugrunde liegenden politischen Intentionen den entscheidenden Ausschlag gaben? Ja und nein. Schließlich blieb dadurch – neben der mitreißenden Musik – wenigstens der rebellische Impuls jener von der Französischen Revolution herkommenden Passagen und komponierten Intonationen erhalten, der als vorwärtsweisende »Haltung« alle fortschrittlich gestimmten Menschen weiterhin zu einer die Missstände früherer Gesellschaftssysteme überwindenden Hoffnung auf die im Fidelio utopisch anvisierten »besseren Welten« anfeuern sollte. Darauf wird am Schluss dieses Beitrags noch einmal zurückzukommen sein.

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Problemzone »Kulturelles Erbe«

V Doch gehen wir erst einmal auf jene Inszenierungen ein, die sich seitdem nicht mit einer bewusst historisierenden »Werktreue« begnügt haben, sondern sich bemühten, das Handlungsgefüge des Fidelio in die Jetztzeit zu verlegen, um ihm dadurch eine aktuelle, eine in die heutigen politischen Kontroversen eingreifende Relevanz zu geben. Bezeichnenderweise begannen solche Versuche in der Bundesrepublik im Zuge jener Liberalisierungswelle der späten sechziger und frühen siebziger Jahre im Rahmen der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition und erlebten dann ihren Höhepunkt um 1989/1990 im Gefolge der durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ausgelösten ideologischen Auseinandersetzungen. Und welches Werk hätte sich dafür im Bereich der Opernaufführungen besser geeignet als Beethovens Fidelio? Ging es nicht schon in ihm um einen utopisch erhofften Aufbruch in eine von allen älteren Restriktionen befreite Gesellschaft, von der sich anfänglich auch manche westdeutschen Linken und darauf viele DDR-Bürger und -Bürgerinnen ein Leben in »besseren Welten« versprachen? Weit über den bereits 1956 im von Walter Felsenstein und Hanns Eisler konzipierten Fidelio-Film unternommenen Versuch, trotz der Beibehaltung des historischen Milieus dieser Oper durch eine Abschwächung der bürgerlich-­ familiären Anfangsszenen und eine verstärkte Herausstellung der rebellischen Volksmassen, die keinen Zweifel an der betont »linken« Tendenz des Ganzen ließen, schreckte man deshalb ab 1968 – als Affront gegen die lange Zeit in der BRD unterdrückten antifaschistischen Gesinnung – in den Gefängnisszenen der Aufführungen des Fidelio keineswegs vor Bezügen auf die Buchenwald- oder Auschwitzthematik zurück, um die bundesrepublikanischen Wohlstandsbürger und -bürgerinnen aus ihrer ideologischen Selbstgefälligkeit aufzuscheuchen. Doch das löste beim Publikum lediglich peinliche Betroffenheitsgefühle aus, aus denen sich keine politischen Folgerungen ergaben. Wesentlich heftigere, geradezu ins Tumultuarische übergehende Affekte kamen dagegen bei jenen Fidelio-Inszenierungen zum Durchbruch, die 1989 anlässlich der Feiern zum vierzigsten Jahrestag der Gründung der DDR in Ostdeutschland stattfanden. Das gilt vor allem für jene am 7. Oktober dieses Jahrs an der Dresdner Semperoper uraufgeführte Neuinszenierung des ­Fidelio von Christine Mielitz, bei der sich das Ganze in einem von »Stacheldraht« umgebenen »hochmodernen Gefängnis« abspielte,5 das fast an das bekannte SED-Gefängnis in Bautzen erinnerte. Obendrein trat der Gefangenenchor in zeitgenössischen Kostümen auf, worin große Teile des Publikums, die vorher Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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auf den Straßen von Dresden und Leipzig gegen die »totalitaristischen« Unterdrückungsmaßnahmen der SED-Regierung demonstriert hatten, ihre eigene Situation widergespiegelt sahen. Diese Szene, wie auch der Schlusschor, wurden daher so stürmisch umjubelt, dass die Aufführung nur mit Mühe zu Ende geführt werden konnte.

VI Doch zu solchen Affektentladungen ist es bei den darauf folgenden Fidelio-­ Inszenierungen kaum oder nicht mehr gekommen. Was sich seitdem in dieser Hinsicht durchgesetzt hat, ist eher eine Tendenz ins Enthistorisierende oder Entpolitisierende, durch die sogar dieses Werk seine frühere, ins Utopische tendierende Qualität mehr und mehr zu verlieren droht. Schließlich setzte sich in der Folgezeit auch in dieser Kunstform eine weit verbreitete Wendung ins »Allgemeinmenschliche« durch, die im Zuge einer als »demokratisch« ausgegebenen Status quo-Gesinnung zusehends jene ins Zeitlose entrückten anthropologischen Konstanten herausstellte, während sie den politischen und sozioökonomischen Grundbefindlichkeiten einer bestimmten Gesellschaftskonstellation keine kon­

Abb. 42 Anfang der Kerkerszene von Beethovens Fidelio (2015). Salzburger Festspiele. Adrianne Pieczonka als Leonore, Jonas Kaufmann als Florestan und Hans-Peter König als Rocco

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stitutive Bedeutsamkeit mehr zumaß. Statt in Opernaufführungen auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Zustände zu drängen, wurden danach – im Gefolge einer immer stärker werdenden Posthistoire-Stimmung – auch in diesem Genre nur noch Zustände beschworen, in denen sich alle Menschen stets von den scheinbar seit Urzeiten herrschenden gleichen Gefühlen, Trieben, Ängsten und den durch sie ausgelösten Leidenschaften hingaben. Und mit derartigen Anschauungen hofften viele Opernregisseure und -regisseurinnen die Mehrheit jener Menschen anzusprechen, die im massenmedial gesteuerten Konsumgetriebe ihre Lebensart als die einzig sinnvolle im Rahmen der endlich erreichten freien Marktwirtschaft empfinden, das heißt nur noch die immer wieder beschworene Jetztzeit im Auge haben und sich weder um ein tieferes Verständnis der Vergangenheit bemühen noch einen utopisch gefärbten Blick in die Zukunft werfen. Die meisten glauben daher, sich selbst bei Aufführungen älterer Opern mit den Schicksalen der jeweils auftretenden Figuren voll und ganz identifizieren zu können. Auch sie würden gern wie Leonore ihren totgeglaubten Gatten wieder umarmen, auch sie würden gern wie Sieglinde aus einer frustrierenden Ehe ausbrechen, auch sie haben Angst, wie Madame Butterfly sitzen gelassen zu werden, auch sie verstehen den alternden Wotan nur allzu gut, wenn er von seiner inzestuös geliebten Tochter Brünhilde Abschied nehmen muss, auch sie sehnen sich wie Arabella nach dem einzig »Richtigen« usw. usw. Und zahlreiche Regisseure und Regisseurinnen helfen ihnen dabei, indem sie selbst bei der Darstellung von Ereignissen des 18. und 19. Jahrhunderts, ja, sogar der Antike, des Mittelalters oder der frühen Neuzeit, möglichst viele Ikonen der gegenwärtigen Konsumkultur, ob nun bunt aufleuchtende Neonröhren, einen alten Cadillac, Reklametexte, Baseballkappen oder Andy Warhol-Poster und Blue Jeans verwenden, um damit den Zuschauern und Zuschauerinnen eine größere Identifikationsmöglichkeit zu eröffnen. Demzufolge wird in Mozarts Figaro das ältere Schlossmilieu gern durch eine Bürosituation im New Yorker Trump Tower oder einen mit vielen Postern ausgestatteten Autosalon ausgetauscht. In Wagners Rheingold trat Freia an der Stuttgarter Staatsoper als »Wiedergängerin« von Marilyn Monroe auf, während Donner und Loge stolz auf ihre »coolen Baseball Outfits« waren.6 In Cosi fan tutte räkelten sich bei einer Inszenierung an der Berliner Staatsoper von Doris Dörrie zwei Models auf einem Sofa herum, telefonierten oder sahen fern, während ihre Liebhaber wie zwei Junior Executives wirkten, deren Ehrgeiz vor allem darin bestand, mit American Airlines nach New York zu fliegen. Auch die steigende Erotisierung soll zu dieser bewussten, ins Modische oder Psychologische tendierenden Entgeschichtlichung beitragen. So fummelte Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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Melissa 1999 in Jossi Wielers Inszenierung von Händels Alcina an der Stuttgarter Staatsoper ständig am Hosenlatz ihres Partners herum, während andere Szenen deutlich ins Bisexuelle übergingen. In Mozarts Figaro ließ Claus Guth im Jahr 2006 bei den Salzburger Festspielen die Gräfin und Susanne beim Umkleiden Cherubinos »eine handfeste Triole exekutieren«.7 In seiner Zauberflöte gab Hans Neuenfels im gleichen Jahr an der Berliner Komischen Oper dem Prinzen Tamino statt einer Flöte einen übergroßen Penis in die Hand. In der straussschen Salome lässt die Protagonistin neuerdings nach ihrem siebten Tanz häufig den letzten Schleier fallen und wippt verführerisch mit den Brüsten. In Glucks Iphigenien-Opern treten die Chöre manchmal ebenfalls nackt auf, um so das ständig beschworene »Allgemeinmenschliche« zu Ungunsten des Geschichtlich-Besonderen zu betonen.

VII Zugegeben, bei einer so idealistisch konzipierten Oper wie Beethovens Fidelio schreckt man vor solchen Knalleffekten oder Erotisierungen meist zurück. Und doch sind sie auch hier nicht ganz zu übersehen. So schwächte etwa Martin Kušej 1998 bei seiner Inszenierung dieses Werks in der Stuttgarter Staatsoper die ins Utopische zielende Intention des Ganzen radikal ab, indem er nach dem Trompetensignal im zweiten Akt dieser Oper seinen Pizarro den am Hungertuch nagenden Florestan kurzerhand erschießen ließ. Darauf knallte Leonore den bösen Pizarro ab, wodurch die Schlussszene – ohne den auferstandenen Florestan – viel von ihrem »befreienden« Charakter verlor. Auch in der Bonner Aufführung von Beethovens Fidelio im Jahr 2005, die Günter Krämer inszenierte und deren Zwischentexte von Friederike Roth stammten, spürte man wenig von der in »bessere Welten« tendierenden Intention des Ganzen. Selbst der Edelmut der treuen Leonore wurde hier deutlich in Frage gestellt, indem sie erst dann zur Pistole griff, als ihr Pizarro mit obszöner Gestik »an die Wäsche ging« und es danach nicht zu den erwarteten beseligenden Umarmungen von Florestan und Leonore kam.8 Doch auch in anderen Inszenierungen dieser Oper wird die Handlung dieses Werks neuerdings meist in die Jetztzeit verlegt und zugleich ins Psychologisierende verdünnt. Dementsprechend spielte im Jahr 2014 der Fidelio in der Inszenierung von Deborah Warner an der Mailänder La Scala auf einer Bühne, die mit allen modernen Gadgets ausgestattet war. In der Mitte stand ein riesiger Ölkanister. Marzelline, die in ihrem Outfit wie ein amerikanisches Col252

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lege Girl wirkte, verfügte über ein elektrisches Bügeleisen. Die Soldaten spielten Basketball. Die Gefangenen traten zum Teil mit Hard Hats auf, während Leonore ein T-Shirt trug, sich empört über den »Scheißschmied« äußerte, bei dem sie einige Ketten erstanden hatte, ja, selbst Ausdrücke wie »Wow« nicht verschmähte. Obendrein konnte man kaum zwischen den Soldaten und den Gefangenen unterscheiden, da alle die gleiche lumpige Kleidung trugen, wie sie auch im heutigen Straßenbild tonangebend ist. Welche »Message« man damit zum Ausdruck bringen wollte, blieb deshalb auch bei dieser von Daniel Barenboim musikalisch hervorragend dirigierten Aufführung völlig unklar. Doch wie hätte man diese Oper im Rahmen der gegenwärtig vorwaltenden Juste milieu-Verhältnisse anders inszenieren sollen, um ihr wieder eine größere Relevanz zu verleihen? Diese Frage steht weiterhin unbeantwortet im Raum.

VIII Um darauf eine sinnvolle Antwort zu finden, kommt man zwangsläufig nicht umhin, sich etwas genauer mit dem Problem »Werktreue oder Bearbeitung« auseinanderzusetzen. Immer dann, wenn man sich bei Aufführungen des ­Fidelio für eine möglichst exakte Werktreue entscheidet, lassen sich bei Opernbesuchern oder auch Internetnutzern folgende, zum Teil recht unterschiedliche Reaktionen auf dieses Werk beobachten. Da gibt es jene, die sich, wie beim Hören von Beethovens Symphonien, einfach von der Gewalt ihres musikalischen Ausdrucks mitreißen lassen, ohne sich groß für die inhaltliche Aussage des Ganzen zu interessieren. Doch es gibt auch solche, die – jedenfalls beim ersten Hören oder Sehen – wie bei einem Krimi von der spannenden Handlungsabfolge so gepackt werden, dass sie kaum den zweiten Akt erwarten können, in dem durch das mutige Eingreifen Leonores die Ermordung des eingekerkerten Florestan verhindert wird. Und dann gibt es auch jene, die bei streng werkgetreuen Wiedergaben dieser Oper aufgrund ihrer allein auf die Jetztzeit gerichteten Interessen oder Wahrnehmungsweisen das Ganze – trotz der mitreißenden Musik – vor allem wegen der »bürgerlichen« Anfangsszenen sowie der Kostümausstattung im Stil des späten 18. Jahrhunderts als hoffnungslos »veraltet« empfinden und lieber eine den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen angepasste Aufführung bevorzugt hätten. Solche Reaktionen haben, wie gesagt, in den letzten Jahrzehnten viele Opernregisseure und -regisseurinnen bewogen, selbst diese, lange Zeit als »klassisch« und damit unantastbar empfundene Oper im Sinne jener Aufführungen Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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zu bearbeiten oder gar umzufunktionieren, für die sich seitdem der Begriff »Regietheater« durchgesetzt hat. Nichts gegen die Bearbeitungen älterer Dramen, falls man dabei, wie Bertolt Brecht bei seiner Neufassung der Antigone von Sophokles oder des Coriolan von Shakespeare – trotz aller Änderungen der gesellschaftlichen Konflikte innerhalb dieser Stücke – stets den »Respekt vor den Klassikern« im Auge behalten würde, wie er sich gern ausdrückte. Doch davon ist in den meisten Bearbeitungen älterer Stücke, die seit den letzten 30 oder 40 Jahren aufgeführt wurden, mit ihrem denglisierten Sprachgebrauch, der bewusst vulgarisierten Kostümierung und der im Bereich der Popkultur herrschenden Gestik nicht mehr viel zu spüren. In ihnen geht es, wie in den gängigen Massenmedien der jüngsten Vergangenheit, zusehends um eine Tendenz ins Psychologisierende, wenn nicht gar Sexualisierende und damit zu einem Verlust an gesellschaftspolitischer Bedeutsamkeit. Da sollte man lieber eigene Stücke schreiben, die auf solche Tendenzen abgestimmt sind. Was jedoch im Drama, wo sich alles im Bereich der Sprache abspielt, trotz aller Verhunzungen gerade noch erträglich erscheint, führt im Bereich der Oper durch das krasse Nebeneinander von älterer Musik sowie bewusst zeitgenössischer Kostümierung und fortschreitender Tendenz ins Anthropologische meist zu einem eklatanten Widerspruch zwischen dem Gefühlsausdruck der älteren Musik und dem radikal modernisierten Handlungsablauf. Schließlich drückt die Musik solcher Werke weiterhin unverändert die im Zeitpunkt ihres Entstehens herrschenden Seelen- und Gemütsstimmungen aus, was zwangsläufig eine deutliche Inkongruenz zwischen den jeweiligen Arien und Rezitativen sowie den in der Jetztzeit oder in gerade vergangenen Jahrzehnten spielenden Handlungen bewirkt, in denen völlig andere Seelen- und Gemütsstimmungen dominierten. Denn auch Gefühle, wie alle anderen gesellschaftlich bedingten Phänomene, sind keine gleichbleibenden Konstanten, wie uns die postmodernen Posthistoire-Theoretiker gern weismachen wollen. Es wäre deshalb ratsam, sich auf dem Gebiet der Oper, falls man dazu überhaupt noch gewillt ist, dem sogenannten »Kulturellen Erbe« einen gesellschaftspolitischen Wert zuzumessen, statt bedenkenlos einer Bearbeitungstendenz nachzugeben, der wie in anderen Bereichen der marktwirtschaftlichen Konsumgesellschaft das Prinzip der Innovation um der Innovation willen zugrunde liegt, um so eine verstärkte Breitenwirkung und damit einen größeren Umsatz zu befördern. Als Gegenreaktion auf derartige Tendenzen helfen im Hinblick auf Beethovens Fidelio selbst die zeitweilig beliebten Anklänge an Buchenwald oder Bautzen nicht viel weiter. In dieser Oper handelt es sich nicht um die Befreiung aus unmenschlichen Qualen. Hier geht es – im Sinne der idealistischen Philo254

Problemzone »Kulturelles Erbe«

sophie um 1800 – um die Befreiung der Menschheit schlechthin, wie sie Beethoven dann im Schlusschor seiner 9. Symphonie noch einmal mit allen ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmitteln zu beschwören versuchte. Statt also seinen Fidelio entweder ins Postmoderne zu verflachen oder im Hinblick auf irgendwelche zeitgeschichtlichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit zu aktualisieren, sollte man bei Aufführungen dieser Oper lieber die ihr innewohnende Tendenz ins Mitmenschliche, Erhabene, ja, Heroisierende intensivieren. Nur dann würde man ihrer weltanschaulichen Grundtendenz tatsächlich gerecht, welche im Sinne der damaligen Zeit als Zielutopie jene »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« ins Auge fasste, die den Grundimpulsen der Französischen Revolution von 1789 zugrunde lag. Man sage nicht, dass diese »Haltung« veraltet ist. Die »Freiheit« hat sich zwar inzwischen auf vielen Gebieten durchgesetzt. Aber von der damals angestrebten »Gleichheit« oder gar »Brüderlichkeit«, wenn nicht gar »mitmenschlichen Solidarität« ist immer noch nicht viel zu spüren. So gehört, könnte Beethovens Fidelio, wenn man ihn dementsprechend aufführen würde, trotz aller historischen Spezifität des Textes und der Musik, in seiner Hoffnung auf die von Florestan beschworenen »besseren Welten« weiterhin in allen ähnlich gestimmten Menschen wegen seines ideologischen Mehrwerts eine sie vorantreibende Wirkung auslösen, nämlich dass es auch heute noch erforderlich ist, sich für die in diesem Werk verkündeten Postulate einzusetzen.

Fidelio-Inszenierungen im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Bearbeitung

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Anmerkungen

Für die Komputerisierung meines Manuskripts bin ich Carol Poore und Brian Wilt zu großem Dank verpflichtet. Frank Hörnigk und Marc Silberman erwiesen sich bei der Materialbeschaffung zu dem Film-Kapitel als äußerst hilfreiche Kollegen. Christine Stehr und Douglas M. Austin gaben sich große Mühe bei der Besorgung bzw. Anfertigung der Bildvorlagen. Allen Genannten sei für ihre Bemühungen auch an dieser Stelle nochmals aufrichtig gedankt.

Beethovens historischer Ort 1 2 3

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Der Begriff »Intonation« wird hier im Sinne von Boris Assafjew gebraucht. Vgl. Ders.: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 225 ff. Vgl. dazu mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 151 ff. Zu Beethovens Klassenposition vergleiche u. a. das Gespräch zwischen Jürgen Mainka, Wolfgang Heise, Frida Knight, Joachim Streisand, Georg Knepler und Maynard Solomon auf der 1977 in Berlin abgehaltenen Beethoven-Tagung. In: Bericht über den Internationalen Beethoven-Kongreß. Hrsg. von Harry Goldschmidt, Karl-Heinz Köhler und Konrad Niemann, Leipzig 1978, S. 80–88, sowie Martella Gutiérrez-­Denhoff: Ludwig van Beethoven. »Freiherr« zwischen Adel und Bürgertum. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration. Hrsg. von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg, Bonn 1989, S. 51–76. Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: »Liberté – Égalité – Fraternité«. Die Postulate einer unerfüllten Revolution. In: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland. Hrsg. von Rainer Schoch, Nürnberg 1989, S. 31–41. Vgl. Karl Marx und Friedrich Engels: Über Kunst und Literatur. Hrsg. von Manfred Kliem, Frankfurt a. M. 1968, Bd. I, S. 468. Vgl. Jürgen Mainka: Beethovens Bonner Kantaten. In: Bericht über den internationalen Beethoven-Kongreß. Hrsg. von Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann, Berlin 1971, S. 515–526.

256Anmerkungen

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Vgl. Walter Grab: Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. Zur Geschichte der deutschen Jakobiner, Frankfurt a. M. 1984, S. 424–426. Vgl. hierzu allgemein Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte«. Beethovens »Eroica«. Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek 1989. Vgl. Walther Brauneis: »… composta per festiggiare il sovvenire di un grand Uomo«. Beethovens »Eroica« als Hommage des Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz für Prinz Louis Ferdinand von Preußen. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 52/53, 1996–97, S. 52–88, und Peter Schleuning: 3. Symphonie. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer, 2. Aufl., Darmstadt 1996, Bd. I, S. 398 f. Vgl. z. B. den Beitrag von Jürgen Mainka in: Gespräch (wie Anm. 3) S. 81–83, und Rudolf Bahro: »… die nicht mit den Wölfen heulen«. Das Beispiel Beethoven, Köln 1979, S. 14–19. Vgl. Peter Clive: Beethoven and his World, Oxford 2001, S. 301. Vgl. hierzu Hans Heinrich Eggebrecht: Die Geschichte der Beethoven-Rezeption, Laaber 1994, der in diesem Zusammenhang auf die Beethoven-Kritik »neusachlicher« Komponisten wie Kurt Weill und Ernst Krenek, aber auch Igor Strawinsky und Ferruccio Busoni hinweist (S. 11). Die ausführlichste Bibliographie bietet: http://www.sjsu.edu/beethoven/siteindex.html. Vgl. u. a. Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild, Berlin 1927, Rainer Cadenbach: Mythos Beethoven, Laaber 1986, Elisabeth Eleonore Bauer: Wie Beethoven auf den Sockel kam. Die Entstehung eines musikalischen Mythos, Stuttgart 1992, Scott Burnham: The Four Ages of Beethoven. Critical Reception and the Canonic Composer. In: Cambridge Companion to Beethoven. Hrsg. von Glenn Stanley, Cambridge 2000, S. 272–277, und Esteban Buch: Beethoven’s Ninth. A Political History, Chicago 2003. Vgl. dazu u. a. Arnold Schering: Beethoven und der deutsche Idealismus, Leipzig 1921, S. 3, und David B. Dennis: Beethoven in German Politics 1870–1989, New Haven 1996, S. 32 ff. Zit. in Martin Geck: Die Taten der Verehrer. In: Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte« (wie Anm. 8), S. 281. Ebd., S. 281. Vgl. hierzu auch Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Beethoven-Rezeption im 19. Jahrhundert, Mainz 1990, S. 257. So bezeichnete Werner Sombart Beethovens Egmont-Ouvertüre und die »Eroica« als den Ausdruck eines »echten Militarismus«. Zit. in Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal (wie Anm. 17), S. 258. Vgl. Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte« (wie Anm. 8), S. 302, und Heribert Schröder: Beethoven im Dritten Reich. Eine Materialiensammlung. In: Beethoven und die Nachwelt. Materialien zur Wirkungsgeschichte Beethovens. Hrsg. von Helmut Loos, Bonn 1986, S. 187–221. Vgl. Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen, Berlin 1952, Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende, Halle 1953, Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1961, und Rudolf Bahro: »… die nicht mit den Wölfen heulen« (wie Anm. 10). Vgl. dazu Martin Gecks Kapitel: Plädoyer für die ästhetische Autonomie des Kunstwerks. Carl Dahlhaus. In: Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte« (wie Anm. 8), S. 387–392.

Anmerkungen

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22 Vgl. Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik. Hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1993. 23 Vgl. Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik. Hrsg. von Richard Klein und Claus-Steffen Mahnkopf, Frankfurt a. M. 1998. 24 Vgl. Personenartikel »Harry Goldschmidt« in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. XVI, Kassel 1979, Sp. 501. 25 Vgl. Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, Wilhelmshaven 1978, Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte« (wie Anm. 8), und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit, Zülpich 1998. 26 Vgl. hierzu sehr einleuchtend Stefan Kunze: Beethovens Spätwerk und seine Aufnahme bei den Zeitgenossen. In: Beiträge zu Beethovens Kammermusik. Symposion Bonn 1984. Hrsg. von Sieghard Brandenburg und Helmut Loos, München 1987, S. 65–71. 27 Vgl. Gustav Nottebohm: Beethoveniana, Leipzig 1887, Bd. II, S. 329. 28 In: Gespräch (wie Anm. 3), S. 86.

Allons enfants de la musique 29 Adelheid Coy: Die Musik der Französischen Revolution. Zur Funktionsbestimmung von Lied und Hymne, München 1978. 30 Zit. in Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. I, Berlin 1961, S. 204 ff. 31 Die Musik des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Carl Dahlhaus, Laaber 1985, S. 335. 32 Vgl. u. a. Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende, Halle 1953, S. 48 ff., Harry Goldschmidt: Sinfonische Musik der Französischen Revolution. In: Konzertbuch. Hrsg. von Karl Schönewolf, Berlin 1958, S. 259 ff., und Georg Knepler: Die Technik der sinfonischen Durchführung in der französischen Revolutionsoper. In: Beiträge zur Musikwissenschaft 1, 1959, S. 44 ff. Vgl. aus dem Bereich der französischen Musikwissenschaft auch Jean Montgrédien: La Musique en France. 1770–1830, Paris 1986, und La Carmagnole des Muses. Hrsg. von Jean-Claude Bonnet, Paris 1988. 33 Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 208. 34 Ebd., S. 210. 35 Ebd., S. 209. 36 Zit. in ebd., S. 199. 37 Zit. in Michael Stegemann: François-Joseph Gossec oder »Die ehernen Saiten der Revolution«. In: Neue Zeitschrift für Musik 148, 1987, H 9, S. 5. 38 Vgl. mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 20 ff. 39 Vgl. hierzu Conrad Donakowski: A Muse for the Masses. Music in an Age of Democratic Revolution. 1770–1870, Chicago 1977, S. 33–75. 40 Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 130, und Adelheid Coy: Die Musik der Französischen Revolution (wie Anm. 1), S. 8. Vgl. auch Herbert Schneider: Der Formen- und Funktionswandel in den Chansons und Hymnen der Französischen Revolution. In: Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins. Hrsg. von Reinhart Koselleck und Ralf Reichardt, München 1988, S. 421–478.

258Anmerkungen

41 Adelheid Coy: Die Musik der Französischen Revolution (wie Anm. 1), S. 17. 42 Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 130, und Adelheid Coy: Die Musik der Französischen Revolution (wie Anm. 1), S. 8. 43 Vgl. hierzu auch Julien Tiersot: Les fêtes et les chants de la Révolution française, Paris 1908, Mona Ozouf: Festivals and the French Revolution, Cambridge, Massachusetts. 1988, und Music and the French Revolution. Hrsg. von Malcolm Boyd, Cambridge 1992. 44 Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 127 f. 45 Vgl. Ernst Bücken: Die Musik des Rokoko und der Klassik, Potsdam 1928, S. 235 f. 46 Max Dietz: Geschichte des musikalischen Dramas in Frankreich während der Revolution bis zum Direktorium in künstlerischer, sittlicher und politischer Beziehung, 2. Aufl., Wien 1886, S. 28. 47 Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 178. 48 Vgl. dtv-Atlas zur Musik, Bd. II, München 1985, S. 381. 49 Vgl. hierzu Alexander L. Ringer: Cherubini’s »Medée« and the Spirit of French Opera. In: Essays in Musicology. Hrsg. von Gustave Reese und Robert J. Snow, Pittsburgh 1969, S. 281–99. 50 Max Dietz: Geschichte (wie Anm. 18), S. 309. 51 Vgl. David Whitwell: Band Music of the French Revolution, Tutzing 1979. 52 Max Dietz: Geschichte (wie Anm. 18), S. 59. 53 Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 140. 54 Michael Stegemann: François-Joseph Gossec (wie Anm. 9), S. 9. 55 Vgl. Military Fanfares, Marches & Choruses from the Time of Napoleon (Nonesuch H–71057). 56 Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 241. 57 Vgl. u. a. Hans Werner Engels: Gedichte und Lieder der deutschen Jakobiner, Stuttgart 1971. 58 Ebd., S. 74 ff. 59 Vgl. Axel Kuhn: »Und ewig soll am Vater Rhein die Freiheits-Eiche blühn!« Die deutschen Revolutionsfreunde beim Feiern beobachtet. In: Deutsche Jakobiner. Mainzer Republik und Cisrhenanen. 1792–1798, Bd. I, 2. Aufl., Mainz 1982, S. 177–197. 60 Vgl. Gerhard Steiner: Franz Heinrich Ziegenhagen und seine Verhältnislehre. Ein Beitrag zur Geschichte des utopischen Sozialismus in Deutschland, Berlin 1962, S. 194 ff. 61 Vgl. die Bibliographie in Hans Werner Engels: Gedichte und Lieder (wie Anm. 29), S. 242 f. 62 Liederlese für Republikaner, Hamburg 1797, S. 7. 63 Hans Georg Werner: Geschichte des politischen Gedichts in Deutschland von 1815 bis 1848, Berlin 1969, S. 18. 64 Vgl. Hans-Günter Ottenberg: Die Entwicklung des theoretisch-ästhetischen Denkens innerhalb der Berliner Musikkultur von den Anfängen der Aufklärung bis zu Reichardt, Leipzig 1978, S. 168. Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: Die erste deutsche Nationaloper. »Günther von Schwarzburg« (1777) von Ignaz Klein und Ignaz Holzbauer. In: Jost Hermand und Michael Niedermeier: Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der »alten Freiheit« der Germanen. 1750–1820, Frankfurt a. M. 2002, S. 159 ff. 65 Vgl. Leslie Bodi: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung. 1781– 1795, Frankfurt a. M. 1977, S. 104. 66 Max Dietz: Geschichte (wie Anm. 18), S. 294 ff.

Anmerkungen

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Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), S. 156 f. Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende (wie Anm. 4), S. 215 f. Zit. in ebd., S. 258. Vgl. Karl-Heinz Viertel: Beethovens Oper »Leonore«. In: Bericht über den internationalen Beethoven-Kongreß in Berlin. Hrsg. von Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann, Berlin 1971, S. 295. Seitdem ist eine weitere Symphonie dieser Art aufgetaucht, und zwar die Symphonie »La Prise de la Bastille« in C-Dur von Carl Ditters von Dittersdorf (Capriccio 10280), die jedoch keine weiteren Untertitel aufweist, auf direkte Zitate französischer Revolutionsmusik verzichtet und ihrem Titel nur durch einen heroisch-triumphalen Charakter zu entsprechen versucht. Vgl. hierzu allgemein: Bericht über den Internationalen Beethoven-Kongreß 1977 in Berlin. Hrsg. von Harry Goldschmidt, Karl-Heinz Köhler und Konrad Niemann, Leipzig 1978, S. 7–93. Zur Frage, ob sich Beethoven als »Jakobiner« bezeichnen lässt, vgl. Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende (wie Anm. 4), S. 6, Peter Gülke: Motive aus französischer Revolutionsmusik in Beethovens fünfter Sinfonie. In: Musik und Gesellschaft, 1971, S. 636–641, Günter Mayer: Beethovens Stellung im gesellschaftlichen Leben seiner Zeit. In: Bericht über den internationalen Beethoven-Kongreß in Berlin (wie Anm. 42), S. 222, Rudolf Bahro: »… die nicht mit den Wölfen heulen.« Das Beispiel Beethoven, Köln 1979, S. 56 ff., und Hanns Eisler: Musik und Politik. Schriften 1948–1963, Leipzig 1982, S. 212. Vgl. Walter Grab: Radikale Lebensläufe, Berlin 1980, S. 43 ff. Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende (wie Anm. 4), S. 43, 150. Vgl. ebd., S. 73. Ebd., S. 150. Vgl. auch Kurt Pahlen: Ludwig van Beethoven. Fidelio, Mainz 1992, S. 146. Zit. in ebd., S. 130. Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), Bd. II, S. 544. Vgl. u. a. Arnold Schmitz: Das romantische Beethoven-Bild, Berlin 1927, S. 58 ff., Julien Tiersot: Les fêtes (wie Anm. 15), S. 95, Harry Goldschmidt: Sinfonische Musik (wie Anm. 4), S. 258 ff., und Georg Knepler: Musikgeschichte (wie Anm. 2), Bd. II, S. 553 ff. Vgl. hierzu Maynard Solomon. Beethoven and Bonaparte. In: Music Review 29, 1968, S. 96 ff. Wohl die besten Beiträge zu diesem Thema bieten Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik. Sujet-Studien, Wilhelmshaven 1978, und Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte«. Beethovens »Eroica«. Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek 1989. Constantin Floros: Beethovens Eroica (wie Anm. 52), S. 82 ff. Peter Schleuning: Beethoven in alter Deutung. Der »neue Weg« mit der »Sinfonia eroica«. In: Archiv für Musikwissenschaft 44, 1987, H. 3, S. 164–194. Vgl. Alexander Wheelock Thayer: Ludwig van Beethoven, Bd. IV, Leipzig 1907, S. 29. Vgl. Maynard Solomon: Beethoven, München 1979, S. 156 f. Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. Paul Bekker: Beethoven, Berlin-Leipzig 1911, S. 170 f. Walther Siegmund-Schultze: Beethoven, Leipzig 1975, S. 167. Ebd., S. 168. Gustav Ernest: Beethoven, Berlin 1927, S. 160.

260Anmerkungen

90 Vgl. u. a. Peter Schleuning: Beethoven (wie Anm. 54), S. 187, und Theophil Antoni­ cek: Humanitätssymbolik im Eroica-Finale. In: De ratione in Musica. Festschrift für Erich Schenk, Kassel 1975, S. 144–155. 91 Zit. in Gustav Ernest: Beethoven (wie Anm. 61), S. 162. 92 Ebd., S. 163. 93 Vgl. Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. VIII, Kassel 1960, Sp. 966. 94 Wie immer gibt es auch hier Ausnahmen. Dazu gehört unter anderem die Klavier­sonate »Bataille de Fleurus« (1794) von Franz Metzger, in der er darzustellen versuchte, wie die Österreicher der französischen Revolutionsarmee unter dem General Jean-­Baptiste Jourdan unterliegen und darauf Belgien und das linke Rheinufer räumen müssen. Allerdings konnte diese Sonate, die mit der »Carmagnole« schließt, nur in Paris und nicht in Wien vorgetragen werden. Vgl. die Einführung von Dorothea Enderle zu der CD »Militärisch-heroische Musikstücke« (MD+GL 34 35). 95 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Klaus Briegleb, Bd. III, München 1971, S. 605. 96 Vgl. hierzu vor allem Leo Balet: Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert, Straßburg 1936. 97 Eine erste, weniger detaillierte Fassung dieses Kapitels erschien in: »Sie, und nicht Wir«. Die Französische Revolution und ihre Wirkung auf Norddeutschland und das Reich. Hrsg. von Arno Herzig, Inge Stephan und Hans G. Winter, Bd. I, Hamburg 1989, S. 643–670.

Der Beginn der »heroischen« Linie 1

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Vgl. Alfred Becker: Christian Gottlob Neefe und die Bonner Illuminaten, Bonn 1969, Werner Mann: Beethoven in Bonn. Seine Familie, seine Lehrer und Freunde, Bonn 1984, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit, Zülpich 1998, S. 55 ff. Zu Neefes Leitsätzen bei seiner Aufnahme in die Bonner Illuminatenloge gehörten: »Trachten nach Tugend; Ausdauern in ihr; Widerstreben dem Laster; Mitleid und Hilfe dem Unglücklichen; Verderben dem unverbesserlichen Bösewicht; Duldung der Schwachheit; Unterricht dem Unwissenden; Aufklärung dem Irrtum.« Zit. in Klaus Kropfinger: Beethoven, Kassel-Stuttgart 2001, S. 94. Zit. in Irmgard Leux: Christian Gottlob Neefe, Leipzig 1925, S. 198. Vgl. Beethoven zwischen Revolution und Restauration. Hrsg. von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg, Bonn 1989, S. 19–30. Vgl. Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer, 2. Aufl., Darmstadt 1996, Bd. II, S. 420–428. Vgl. auch Hugo Riemann: Beethoven und die Mannheimer. In: Die Musik 7,3, 1907/08, S. 32–49, 85–97. Vgl. Jürgen May: Beethoven und Prinz Karl Lichnowsky. In: Beethoven Forum 3, 1994, S. 29–38, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 1), S. 78. Vgl. hierzu Alfred Körner: Die Wiener Jakobiner, Stuttgart 1972, S. 14 f., Walter Grab: Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. Zur Geschichte der deutschen Jakobiner, Frankfurt a. M. 1984, S. 401–428, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 1), S. 198.

Anmerkungen

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Vgl. Gonthier-Louis Fink: Pfeffel und die Französische Revolution. In: Gottlieb Konrad Pfeffel. Hrsg. von der Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe 1986, S. 173–197. Vgl. Uwe Martin: Im Zweifel für die Freiheit. Zu Schillers Lied »An die Freude« In: Germanisch-Romanische Monatsschrift, NF 48, 1998, S. 47–59, und Klaus Kropfinger: Beethoven (wie Anm. 1), S. 96 Zit. in Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), S. 11. Zit. in Thayer’s Life of Beethoven. Revised by Elliot Forbes, 9. Aufl., Princeton 1989, Bd. I, S. 170. So bei Peter Schleuning: Die Tat des Prometheus. In: Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte«. Beethovens »Eroica«. Revolution, Rezeption, Reaktion, Reinbek 1989, S. 51. Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 1), S. 201. Ebd. Vgl. mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 21–31. Johann George Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, 2. Aufl., Leipzig 1793, Bd. III, S. 431 f. Vgl. Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 14. Ebd., S. 16. Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 9), Bd. I, S. 164. Vgl. Theodor Frimmel: Beethoven als Klavierspieler. In Th. F.: Neue Beethoveniana, Wien 1988, S. 1–62, Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Beethoven-­ Rezeption im 19. Jahrhundert, Mainz 1990, S. 85–88, und Glenn Stanley: Genre Aesthetics and Function: Beethoven’s Piano Sonatas in their Cultural Context. In: Beethoven Forum 6, 1998, S. 1–29. Vgl. Musik in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Friedrich Blume, Kassel 1949 ff., Bd. XII, S. 5. Ebd., Bd. VII, S. 1154. Zit. in Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 26. Ebd. Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 99. Zit. in Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 54. Vgl. Tilman Skowronek: The Keyboard Instruments of the Young Beethoven. In: Beethoven and his World. Hrsg. von Scott Burnham und Michael P. Steinberg, Princeton 2000, S. 192. Vgl. Die Erinnerungen an Beethoven. Hrsg. von Friedrich Kerst, Stuttgart 1913, Bd. I, S. 64. Zit. in Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 78. Vgl. Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 10), Bd. I, S. 203. Genauere Belege dafür liefert Klaus Kropfinger: Beethoven (wie Anm. 1), S. 118. Vgl. hierzu auch Jürgen Mainkas Diskussionsbeitrag in: Bericht über den Internationalen Beethoven-Kongreß. Hrsg. von Harry Goldschmidt, Karl Heinz Köhler und Konrad Niemann, Leipzig 1978, S. 81. Peter Schleuning vermutet, dass diese Anregung eher von Rodolphe Kreutzer kam. Vgl. Peter Schleuning: Die Tat des Prometheus (wie Anm. 11), S. 53.

262Anmerkungen

32 Vgl. Michael O. Tusa: Beethoven’s »C-Minor Mood«: Some Thought on the Structural Implictions of Key Choice. In: Beethoven Forum 2, 1993, S. 1–28. 33 Allgemeine musikalische Zeitung, 1800, Sp. 573 f. 34 Zeitung für die elegante Welt 7, 1807, Sp. 997 f. 35 Egon Voss: Klaviersonate c-Moll Pathétique op. 13. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 89 f. 36 Johann Heinrich Campe: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelungs und Campes Wörterbüchern, Braunschweig 1813, Bd. II, S. 148. 37 Vgl. Beethoven. Interpretationen seiner Werke (wie Anm. 4), Bd. I, S. 90. 38 Ebd., Bd. I, S. 90 f. 39 Johann George Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste (wie Anm. 15), Bd. III, S. 661. 40 Ebd., Bd. III, S. 662. 41 Belege dafür, dass Beethoven Sulzers »Allgemeine Theorie« konsultiert hat, finden sich in Owen Janders Aufsatz: Exploring Sulzer’s »Allgemeine Theorie« as a Source Used by Beethoven. In: Beethoven Newsletter 2, 1987, S. 1–7. 42 Friedrich Schiller: Inseldünndruckausgabe, Leipzig o. J., Bd. V, S. 304. 43 Elaine R. Sisman hat im Hinblick auf Beethovens Konzept des »Pathetischen« neben Sulzer und Schiller auch auf den möglichen Einfluss von Quintilians »Institutio oratoria« und Johann Christian Adelungs »Wörterbuch« (1774–1786) hingewiesen. In: Dies.: Pathos and the »Pathetique«. Rhetorical Stance in Beethoven’s C-Minor Sonata, op. 13. In: Beethoven Forum 3, 1994, S. 81–105. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Eleanor Selfridge-Field: Beethoven and Greek Classicism. In: Journal of the History of Ideas 33, 1972, S. 77–95. 44 Vgl. hierzu auch die knappe, aber einleuchtende Interpretation der »Pathétique« in Martin Geck: Ludwig van Beethoven, 5. Aufl., Reinbek 2001, S. 84 ff., die an dieser Sonate vor allem die Verwendung »expressiver« und »konstruktiver« Momente, den Einsatz »rhetorischer Mittel« sowie das Bemühen, eine in Musik umgesetzte »tönende Philosophie« des von Napoleon inspirierten Zeitgeistes zu sein, akzentuiert.

Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven? 1

2 3 4

5 6

Vgl. u. a. Hans Engel: Battaglia. In: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. I, Kassel 1951, Sp. 1405–1411, Karin Schulin: Musikalische Schlachtengemälde in der Zeit von 1756 bis 1815, Tutzing 1986, und Richard Will: The Characteristic Symphony in the Age of Haydn and Beethoven, Cambridge 2002, S. 188–241. Vgl. Battle Music (Nonesuch H–71146). Hans Engel: Battaglia (wie Anm. 1), Sp. 1410. Vgl. den hierzu immer noch grundlegenden Aufsatz von Walter Grab: Eulogius Schneider. In: Demokratisch-revolutionäre Literatur in Deutschland. Jakobinismus. Hrsg. von Gert Mattenklott und Klaus R. Scherpe, Kronberg 1975, S. 72. Vgl. allgemein Frida Knight: Beethoven and the Age of Revolution, London 1973. Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. Eine ähnliche Sehweise findet sich in Jaroslav Jiráneks Aufsatz »Beethovens revolutionäre Ästhetik«.

Anmerkungen

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In: Wegzeichen. Studien zur Musikwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Mainka und Peter Wicke, Berlin 1985, S. 34–61. Vgl. Military Fanfares, Marches & Choruses from the Time of Napoleon (Nonesuch H–7105). Vgl. Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild, Berlin 1927, S. 163. Ebd., S. 173. Ebd., S. 174. Vgl. dazu Reinhold Brinkmann: In the Time(s) of the »Eroica«. In: Beethoven and his World. Hrsg. von Scott Burnham und Michael P. Steinberg, Princeton 2000, S. 1–26, wo das Moment der »reißenden Zeit« u. a. vor dem Hintergrund der Schriften von Ernst Moritz Arndt, Georg Forster, Ernst Ludwig Posselt, Karl Friedrich Reinhard und Johannes Weitzel gedeutet wird. Vgl. Walter Riezler: Beethoven, 8. Aufl., Zürich 1962, S. 140. Vgl. Frida Knight: Beethoven (wie Anm. 5), S. 36 ff., und Walter Siegmund-Schultze: Beethoven, Leipzig 1975, S. 44 ff. Gustav Ernest: Beethoven, Berlin 1927, S. 162. Paul Bekker: Beethoven, Berlin-Leipzig 1911, S. 166. Ebd., S. 167. Ebd., S. 170. Walter Siegmund-Schultze: Beethoven (wie Anm. 12), S. 167. Ebd., S. 168. Über Parallelen der einzelnen Motive in den Hymnen und Märschen der Französischen Revolution vgl. Claude V. Palisca: French Revolutionary Models for Beethoven’s »Eroica« Funeral March. In: Music and Context. Hrsg. von Anne Dhu Shapiro, Cambridge, Mass. 1985, S. 198–209. Gustav Ernest: Beethoven (wie Anm. 13), S. 160. Ebd., S. 163. Zu Beethovens Einstellung Napoleon gegenüber vgl. auch Maynard Solomon: Beethoven, New York 1977, S. 132 ff. Walter Riezler: Beethoven (wie Anm. 11), S. 139. Vgl. hierzu auch Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit, Zülpich 1998, S. 247. Vgl. Egon Voss: Beethovens »Eroica« und die Gattung der Symphonie. In: Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongress Bonn 1970, Kassel 1971, S. 600. Vgl. Willy Hess: Beethoven, Winterthur o. J., S. 109. Vgl. Allgemeine musikalische Zeitung vom 13. Februar 1805. Renate Beling: Der Marsch bei Beethoven, Bonn 1960, S. 22 ff. Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild (wie Anm. 8), S. 175. Hans Hollander: Zur Psychologie des Helden in Beethovens »Eroica«. In: Neue Zeitschrift für Musik 128, 1967, S. 206. Ebd., S. 206. Vgl. meinen Aufsatz: Das offene Geheimnis. Caspar David Friedrichs nationale Trauerarbeit. In: Ders.: Sieben Arten an Deutschland zu leiden, Königstein 1979, S. 37 ff. Vgl. Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild (wie Anm. 8), S. 1 ff. Ebd., S. 154. Paul Bekker: Beethoven (wie Anm. 14), S. 164 ff. Eduard Hanslick: Vom Musikalisch-Schönen, 6. Aufl., Leipzig 1881, S. 66. Ebd., S. 90 f. Vgl. Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik, Kassel 1978, S. 110 ff., und mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 63 ff.

264Anmerkungen

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Igor Strawinsky: Chronicle of My Life, London 1936, S. 91 f. Zit. in Ernst Fischer: The Necessity of Art, Baltimore 1969, S. 180. Hans Vogt: Neue Musik seit 1945, Stuttgart 1972, S. 8 f. Willy Hess: Beethoven (wie Anm. 24), S. 106. Zit. in George Richard Marek: Beethoven. A Biography of a Genius, New York 1969, S. 345. Vgl. mein Buch: Konkretes Hören (wie Anm. 36), S. 136 ff. Harry Goldschmidt: Beethoven. Werkeinführungen, Leipzig 1975, S. 29–33, 287– 300, Constantin Floros: Beethovens Eroica und Prometheus-Musik, Wilhelmshaven 1978, Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit, 2. Aufl., Laaber 1988, S. 48–58, und Peter Schleuning: Die Tat des Prometheus. In: Martin Geck und Peter Schleuning: »Geschrieben auf Bonaparte«. Beethovens »Eroica«. Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek 1989, S. 108 ff. Paul Bekker: Beethoven (wie Anm. 14), S. 178. Vgl. meinen Aufsatz: Napoleon im Biedermeier. In Ders.: Von Mainz nach Weimar. Studien zur deutschen Literatur, Stuttgart 1969, S. 113. Hans Hollander: Zur Psychologie des Helden (wie Anm. 28), S. 205. Vgl. Georg Lukács: Die Eigenart des Ästhetischen, Bd. II, Darmstadt 1963, S. 330–401. Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen, Berlin 1952, S. 37. Hanns Eisler: Musik und Politik. Schriften. Hrsg. von Günter Mayer, Bd. I, München 1973, S. 26 ff. Sidney Finkelstein: How Music Expresses Ideas, New York 1970, S. 60. Scott Burnham nennt daher in seinem Buch »Beethoven Hero« (Princeton 1995) die »Eroica« zu Recht ein Werk, das einen »overpowering sense of self, destiny, and freedom« demonstriert (S. 29). So schrieb Baron Trémont später in seinen Memoiren, dass ihm Beethoven – aufgrund seiner »demokratischen Ideen« – noch im Jahr 1809 gesagt habe, dass er an Bonaparte »vor allem das Emporsteigen aus so niedriger Stellung bewundert habe«. Zit. in Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 22), S. 241. Brief an Carl Amenda vom 1. Juni 1801. »Du darfst nicht Mensch sein, für Dich nicht, nur für andre«, schrieb er im März 1812 in sein Tagebuch. Vgl. Beethovens Tagebuch. Hrsg. von Sieghard Brandenburg, Bonn 1990, S. 39. Vgl. Franz Jochen Machatius: »Eroica« (Das transzendentale Ich). In: Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß, Kassel 1962, Kassel 1963, S. 194. Bertolt Brecht: Arbeitsjournal vom 16. August 1944. Vgl. hierzu meinen Aufsatz: »Manchmal lagen Welten zwischen uns!« Brecht und Eislers »Deutsche Symphonie«. In: Brecht und seine Komponisten. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Laaber 2000, S. 111–132. Robert Weimann: Zur Genesis und Struktur realistischer Weltaneignung. Grundzüge eines historisch-funktionalen Realismusbegriffs. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik, 1979, H. 2, S. 41. Stark überarbeitete Fassung des Aufsatzes »Beethoven und Bonaparte. Biographisches und Autobiographisches in der ›Eroica‹« in dem Sammelband: Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Königstein 1982, S. 183–197.

Anmerkungen

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»Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde« 1 2 3

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Vgl. die ausführliche Bibliographie zu Beethovens »Fidelio« in Willy Hess: Das Fidelio-­ Buch, Winterthur 1986, S. 394–414. Vgl. ebd., S. 34 f., wie auch Raoul Biberhofer: »Vestas Feuer«. Beethovens erster Opernplan. In: Die Musik 22, 1929/1930, S. 409–414. Vgl. u. a. Sieghart Döhring: Die Rettungsoper. Musiktheater im Wechselspiel politischer und ästhetischer Prozesse. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration. Hrsg. von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg, Bonn 1989, S. 109, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit, Zülpich 1998, S. 257 ff. Genaueres darüber in Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 37 f. Vgl. Thayer’s Life of Beethoven, Princeton 1987, Bd. I, S. 386, Willy Hess: Fidelio-­ Buch (wie Anm. 1), S. 55, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 285. Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 275. Vgl. hierzu Dietmar Holland: Rettung der Kolportage durch die Musik. Zu Beethovens »Fidelio«. In: Ludwig van Beethoven. Fidelio. Texte, Materialien, Kommentare. Hrsg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbek 1981, S. 23, und Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 54. Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 5), Bd. I, S. 387, 391. Eine genauere Beschreibung der historischen Situation liefert »Der Freimüthige« vom 26. Dezember 1805. Zit. in Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 60. Zeitung für die elegante Welt vom 20. Mai 1806. Vgl. Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 82, Von der »Leonore« zum »Fidelio«. Hrsg. von Helga Lühning und Wolfram Steinbeck, Frankfurt a. M. 2000, und Michael O. Tusa: Beethoven’s Essay in Opera. Historical, Text-Critical, and Interpretative Issues in »Fidelio«. In: Cambridge Companion to Beethoven. Hrsg. von Glenn Stanley, Cambridge 2000, S. 204–207. Vgl. ebd., S. 394–414. Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit, 2. Aufl., Laaber 1988, S. 223– 236. Vgl. Sieghart Döhring: Die Rettungsoper (wie Anm. 3), S. 109–136. Vgl. z. B. Harry Goldschmidt: Die Ur-Leonore. In: H. G.: Beethoven. Werkeinführungen, Leipzig 1975, S. 253–283. Heinrich W. Schwab: Fidelio. In: Beethoven. Interpretationen. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer, 2. Aufl., Laaber 1996, Bd. I, S. 558 f. Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 119–212. Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 284–299. Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 394–414. Heinrich W. Schwab: Fidelio (wie Anm. 16), S. 536–559. Ernst Bloch: Prinzip Hoffnung, Bd. III, Berlin 1955, S. 194 f. Ebd., S. 195. Ebd. Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994. Ebd., S. 61, 271.

266Anmerkungen

26 Helga Lühning: Florestans Kerker im Rampenlicht. Zur Tradition der Sotteranea. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), S. 137–204. 27 Vgl. nochmals den Aufsatz von Sieghart Döhring: Die Rettungsoper (wie Anm. 3), S. 109–137. 28 Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 171–177. 29 Helga Lühning: Florestans Kerker (wie Anm. 26), S. 198–202. 30 Ebd., S. 197 f. 31 Ebd., S. 203. 32 Vgl. hierzu und zum Folgenden Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 173–177. 33 Ebd., S. 177. 34 Vgl. Ernest W. Bergel: What did Fidelio mean to Beethoven? In: The Beethoven Journal 23, 2008, Nr. 3, S. 52–73. 35 Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 5), S. 373 f. Vgl. hierzu auch Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 216–227, und George Thomas Ealy: Of Ear Trumpets and a Resonance Plate. Early Hearing Aids and Beethovens Hearing Perception. In: Nineteenth Century Music 17, 1994, S. 262–273. 36 Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 217. 37 Zit. in ebd., S. 222 f. 38 Vgl. hierzu auch Lewis Lockwood: Beethoven, Florestan, and the Varieties of Heroism. In: Beethoven and his World. Hrsg. von Scott Burnham und Michael P. Steinberg, Princeton 2000, S. 27–47. Hier wird auf S. 37 der Christus in Beethovens Oratorium »Christus am Ölberg«, das er 1803 komponierte und noch im gleichen Jahr im Theater an der Wien uraufführte, geradezu als »Ur-Florestan« interpretiert. 39 Vgl. Helga Lühning: Florestans Kerker (wie Anm. 26), S. 141. 40 Vgl. Joseph Schmidt-Görg: Beethoven. Dreizehn unbekannte Briefe an Josephine Gräfin Deym, geb. von Brunsvik, Bonn 1957. 41 Vgl. Peter Clive: Beethoven and his World, Oxford 2001, S. 62 f. 42 Harry Goldschmidt: Um die unsterbliche Geliebte. Eine Bestandsaufnahme, Leipzig 1977. 43 Marie-Elisabeth Tellenbach: Beethoven und seine »Unsterbliche Geliebte« Josephine Brunswick. Ihr Schicksal und der Einfluß auf Beethovens Werk, Zürich 1983. 44 Maynard Solomon: Beethoven, 2. Aufl., New York 2001, S. 207 ff. 45 Ernst Bloch: Prinzip Hoffnung (wie Anm. 21), S. 195. 46 Vgl. Rudolf Bockholdt: Freiheit und Brüderlichkeit in der Musik Beethovens. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), S. 77–108. 47 Wohl die beste Umsetzung dieser Absichten bildet Walter Felsensteins »Fidelio«-Film von 1952. 48 Vgl. Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 94. 49 Dietmar Holland: Ludwig van Beethoven. Fidelio (wie Anm. 7), S. 31.

»Komponieren, heißt das nicht Handeln bei Ihnen?« 1 2

Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. Zit. in Albrecht Riethmüller: »Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria«. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller et al., Bd. II, 2. Aufl., Darmstadt 1996, S. 37.

Anmerkungen

267

3 4 5 6 7

8 9

Ebd., S. 401. Ludwig van Beethoven: Sämtliche Briefe. Hrsg. von Emerich Kastner, Leipzig 1910, S. 453. Ebd., S. 461. Zit. in Stephan Ley: Beethoven. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, Wien 1959, S. 296. Vgl. Albrecht Riethmüller: Nach wie vor Wunschbild. Beethoven als Chauvinist. In: Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven. Hrsg. von Cornelia Bartsch, Bea­ trix Borchard und Rainer Cadenbach, Bonn 2003, S. 97–117. Jürgen Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M. 1985. Stark veränderte Fassung meines Einleitungsessays in: Von der Ersten bis zur Neunten. Beethovens Symphonien im Konzert und im Museum. Hrsg. vom Beethoven-Haus in Bonn, Bonn 2008, S. 12–21.

»Heil dir, Germania!« Alfred Einstein: Das Militärische bei Beethoven. In: Ders.: Von Schütz bis Hindemith, Zürich 1957, S. 77. 2 Vgl. hierzu allgemein meinen Aufsatz »Vom altständischen Reichsgedanken zum deutsch-nationalen Befreiungskriegspathos« in dem Sammelband von Jost Hermand und Michael Niedermeier: Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der »alten Freiheit« der Germanen. 1750–1820, Frankfurt a. M. 2002, S. 1–20. 3 Vgl. Walter Grab: Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. Zur Geschichte der deutschen Jakobiner, Frankfurt a. M. 1984, S. 109–124. 4 Vgl. Günter Schnitzler: Politische Lieder im Schaffen Beethovens. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration. Hrsg. von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg, Bonn 1989, S. 220. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Deutschland unter Napoleon in Augenzeugenberichten. Hrsg. von Eckart Kleßmann, Düsseldorf 1965. 5 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Das offene Geheimnis. Caspar David Friedrichs christ-­ germanische Allegorien. In Jost Hermand und Michael Niedermeier: Revolutio germanica (wie Anm. 2), S. 172–220. 6 Vgl. Hans-Werner Küthen: Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria. Beethoven und das Epochenproblem Napoleon. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 5), S. 260. 7 Vgl. Hans-Werner Küthen: Neue Aspekte zur Entstehung von »Wellingtons Sieg«. In: Beethoven-Jahrbuch 8, 1975, S. 73–92. 8 Vgl. Albrecht Riethmüller: Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer, Bd. II, 2. Aufl., Darmstadt 1996, S. 36. 9 Über »Rule Britannia« und »God Save the King« hatte Beethoven bereits 1803 Variationen für Klavier verfasst. 10 Vgl. auch Karin Schulin: Musikalische Schlachtengemälde in der Zeit von 1756 bis 1815, Tutzing 1986, Thomas Röder: Beethovens Sieg über die Schlachtenmusik. Op. 91 und die Tradition der Battaglia. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration, 1

268Anmerkungen

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19 20 21 22 23

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(wie Anm. 5), S. 244–254, sowie Richard Will: The Characteristic Symphony in the Age of Haydn and Beethoven, Cambridge 2002, S. 188–241. Ludwig van Beethoven. Die Werke im Spiegel seiner Zeit. Gesammelte Konzertberichte und Rezensionen bis 1830. Hrsg. von Stefan Kunze, Laaber 1987, S. 269. Ebd., S. 270. Zit. in Albrecht Riethmüller: Wellingtons Sieg (wie Anm. 9), Bd. II, S. 37. Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. Gesamtausgabe, Bd. III, 1814–1816. Hrsg. von Sieghard Brandenburg, München 1996, S. 641. Vgl. Willy Hess: Zwei patriotische Singspiele von Friedrich Treitschke. In: Beethoven-Jahrbuch 4, 2. Reihe, 1965/1968, S. 268–293. Vgl. die Partitur der »Germania« in: Beethovens Werke, Bd. VII. Hrsg. von Sieghard Brandenburg und Ernst Herttrich, München 1998, S. 146–156. Zu weiteren Details dieses Werks vgl. Freia Hoffmann: »Germania« (wie Anm. 9), Bd. II, S. 500–504. Offenbar hat Beethoven während dieser Zeitspanne nicht nur Carl Maria von Weber, sondern auch Theodor Körner in Wien persönlich kennengelernt. Briefwechsel. Gesamtausgabe (wie Anm. 15), Bd. III, S. 33. Vgl. hierzu auch Michael Ladenburger: Der Wiener Kongreß im Spiegel der Musik. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 5), S. 284, und Otto Biba: The Congress of Vienna and Music. In: Denmark and the Dancing Congress of Vienna. Hrsg. von S. Haslund-Christensen, Kopenhagen 2002, S. 200–217. Vgl. Frank Schneider: Der glorreiche Augenblick (wie Anm. 9), Bd. II, S. 365. Zit. in ebd., S. 365. Vgl. ebd., S. 365. Maynard Solomon: Beethoven. Biographie, München 1979, S. 257. Ebd., S. 255. Vgl. hierzu auch Ingrid Fuchs: The Glorious Moment. Beethoven and the Congress of Vienna. In: Denmark and the Dancing Congress of Vienna (wie Anm. 20), S. 182–199. Ernst Herttrich: »Der glorreiche Augenblick«. In: Complete Beethoven Edition. Vol. XIX, Deutsche Grammophon Gesellschaft, Hamburg 1997, S. 57. Ebd., S. 58 Briefwechsel. Gesamtausgabe (wie Anm. 15), Bd. III, S. 134. Beethovens Werke (wie Anm. 17), Abt. IX, Bd. VII, S. 231. Ein weiterer Grund, dass die »Leonore Prohaska« nicht aufgeführt wurde, könnte darin bestehen, dass kurz zuvor im Leopoldstädter Theater das Stück »Das Mädchen von Potsdam« eines gewissen Piwald gespielt worden war. Vgl. Ingrid Fuchs: The Glorious Moment (wie Anm. 24), S. 192. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Helmut Loos: Beethovens Trauermarsch aus op. 26 und WoO 96. In: Beiträge zu Beethovens Kammermusik. Symposion Bonn 1984. Hrsg. von Sieghard Brandenburg und Helmut Loos, München 1987, S. 205–215. Vgl. Willy Hess: Zwei patriotische Singspiele von Friedrich Treitschke (wie Anm. 16), S. 298–301. Vgl. ebd., S. 31 8. Vgl. ebd., S. 318. Eine Ausnahme bildet lediglich das trotzige Lied »Der Mann von Wort« (op. 99) von 1816 nach einem Text von Friedrich August Kleinschmid, in dem ein deutsches Mannestum besungen wird, das sich weder durch »Gold und Gut« noch durch »Fürsten-

Anmerkungen

269

rang« einschüchtern lässt. Doch dann verstummen solche Töne allmählich. Ja, 1820 erschien Beethoven die metternichsche Staatsführung so übel, dass seine Einschätzung Napoleons wieder positiver wurde und er ihn dafür lobte, »überall das Feudalsystem gestürzt« zu haben und ein »Beschützer des Rechtes und der Gesetze« gewesen zu sein. Vgl. Ludwig van Beethovens Konversationshefte. Hrsg. von Karl-Heinz Köhler, Grita Herre, Dagmar Beck und Günter Brosche, Bd. I, Leipzig 1972, S. 210. 33 Vgl. Gustav Nottebohm: Beethoveniana, Leipzig 1887, Bd. II, S. 329. 34 Eine Erstfassung dieses Beitrags erschien in Jost Hermand und Michael Niedermeier: Revolutio germanica (wie Anm. 2), S. 254–266.

»Weitermachen« auch in »wüsten Zeiten« 1 2

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23

Vgl. Ludwig van Beethoven. Die Werke im Spiegel seiner Zeit. Gesammelte Konzertberichte und Rezensionen bis 1830. Hrsg. von Stefan Kunze, Laaber 1987, S. 377, 379. Vgl. William Kinderman: Klaviersonate c-Moll op. 111. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander C. Ringer, 2. Aufl., Darmstadt 1996, Bd. II, S. 175–181. Thomas Mann: Doktor Faustus, Frankfurt a. M. 1967, S. 71. Ebd. Ebd., S. 72. Als Beispiel einer oberflächlich »literarisierten« Interpretation dieser Sonate vgl. Arnold Schering: Beethoven in neuer Deutung, Leipzig 1934, S. 94–97. Thomas Mann: Doktor Faustus (wie Anm. 3), S. 73. Ebd. Ebd. Ebd., S. 74. Ebd., S. 76 f. Ebd., S. 75. Thomas Mann: Die Entstehung des Doktor Faustus. In: Reden und Aufsätze, Bd. III, Frankfurt a. M. 1960, S. 171–177. Ebd., S. 177. Ebd., S. 171. Ebd., S. 172. Ebd., S. 174. Ebd., S. 176. Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 252. Vgl. auch die Stellen, wo er im Hinblick auf den Spätstil Beethovens von »Distanziertheit« (S. 181), »kahler Konventionalität« (S. 185) und einem »Schwinden des Harmonieglaubens« (S. 227) spricht. Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt a. M. 1975, S. 125. Thomas Mann: Doktor Faustus (wie Anm. 3), S. 676. So bereits 1935 in einem Brief an Max Horkheimer. Zit. in Lucia Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen. Untersuchungen zur Ästhetik und Musikphilosophie Theodor W. Adornos, Würzburg 1994, S. 99. Vgl. William Kinderman: Klaviersonate op. 111. In: Beethoven (wie Anm. 2), S. 175 f.

270Anmerkungen

24 Wilhelm Sauer: Beethoven und das Wesen der Musik, Berlin 1958, S. 295. Schon Walter Riezler hatte 1951 über den Schluss dieser Sonate geschrieben, dass er die »letzte Vergeistigung«, ja, die »Auflösung im All« darstelle. Vgl. Ders.: Beethoven, 8. Aufl., Zürich 1962, S. 228. 25 Wilfrid Mellers: Beethoven and the Voice of God, London 1983, S. 240–273. 26 Vgl. u. a. Philip T. Barford: Beethoven’s Last Sonata, in: Music and Letters 35, 1954, S. 320–331, Carl Dahlhaus: Cantabile und thematischer Prozeß. Der Übergang zum Spätwerk in Beethovens Klaviersonaten. In: Archiv für Musikwissenschaft 37, 1980, S. 81–98, William Drabkin: The Scetches for Beethoven’s Piano Sonata in C Minor, opus 111, Diss. Princeton 1977, und William Kinderman: Thematic Contrast and Parenthetical Enclosure in the Piano Sonatas Op. 109 and 111. In: Zu Beethoven. Aufsätze und Dokumente. Hrsg. von Harry Goldschmidt, Berlin 1988, Bd. III, S. 43–59. 27 Vgl. mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 18 ff. 28 Eduard Hanslick: Vom Musikalisch-Schönen, Leipzig 1854, S. 32. 29 Vgl. Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik, Kassel 1978. 30 Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik (wie Anm. 20), S. 47. 31 Theodor W. Adorno: Beethoven (wie Anm. 19), S. 186. 32 Ebd., S. 186, 231. 33 Ebd., S. 26, 75. 34 Vgl. die Kritik an solchen Interpretationen bei Hartmut Krones: Geheime (?) Programme in klassischer Instrumentalmusik. In: Die Semantik der musiko-literarischen Gattungen. Hrsg. von Walter Bernhart, Tübingen 1994, S. 51–74. 35 Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. 36 Mein Buch: Konkretes Hören (wie Anm. 27), S. 158 ff. 37 Zit. in Rudolf Bahro: »… die nicht mit den Wölfen heulen.« Das Beispiel Beethoven, Köln 1979, S. 13. 38 Ludwig van Beethoven: Sämtliche Briefe. Hrsg. von Emerich Kastner, Leipzig 1910, S. 453. 39 Ebd., S. 461. 40 Vgl. mein Buch: Die deutschen Dichterbünde von den Meistersingern bis zum PENClub, Köln 1998, S. 92–96. 41 Vgl. Frieder Reinighaus: Schubert und das Wirtshaus. Musik unter Metternich, Berlin 1980. 42 Vgl. Gustav Nottebohm: Beethoveniana, Leipzig 1887, Bd. II, S. 329. 43 Zit. in Stephan Ley: Beethoven. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, Wien 1959, S. 296. 44 Anton Schindler: Biographie von Ludwig von Beethoven, Leipzig 1970, Bd. II, S. 20–22. 45 Ebd., Bd. II, S. 24–26. 46 Beethoven: Sämtliche Briefe (wie Anm. 38), S. 577. 47 Anton Schindler: Biographie von Ludwig van Beethoven (wie Anm. 44), Bd. II, S. 1. 48 Zur Stimmung der »Freude« in den letzten Lebensjahren Beethovens vgl. Anton Schindler: Ludwig van Beethoven (wie Anm. 44), S. 36, und Harry Goldschmidt: Der späte Beethoven. Versuch einer Standortbestimmung. In Ders.: Die Erscheinung Beethoven, Leipzig 1974, S. 108.

Anmerkungen

271

49 William Kinderman: Klaviersonate c-Moll op. 111 (wie Anm. 2), S. 176. Vgl. auch Michael O. Tusa: Beethovens »C-Minor Mood«. Some Thought on the Structural Implications of Key Choice. In: Beethoven Forum 2, 1993, S. 1–28. 50 Ebd., S. 179. 51 Auf den »zielstrebigen« Charakter von Beethovens Variationen hat vor allem Nicholas Marston aufmerksam gemacht. Vgl. Ders.: »The Sense of Ending«. Goal-­Directedness in Beethoven’s Music. In: The Cambridge Companion to Beethoven. Hrsg. von Glenn Stanley, Cambridge 2000, S. 9. Maynard Solomon: Beethoven, New York 1977, deutet dagegen Beethovens Vorliebe für Variationen als eine Flucht »from all messages and ideologies« (S. 303). 52 Harry Goldschmidt: Der späte Beethoven (wie Anm. 48), S. 103. Im gleichen Essay wendet sich Goldschmidt nachdrücklich gegen Adornos Interpretation von Beethovens Spätstil als eines Stils der »Risse und Brüche«, ja, der »Enigmatisierung« und »Enthumanisierung« (S. 90 f. und 95), denen er allerdings das ebenso problematische Konzept eines »klassischen Realismus« entgegensetzt (S. 99), der für Beethovens Musik bezeichnend sei. 53 Zit. in Otto Erich Deutsch: Franz Schubert. Die Erinnerungen seiner Freunde, Leipzig 1957, S. 213. 54 Eine erste Fassung dieses Beitrags erschien in: Archiv für Musikwissenschaft 55, 1999, S. 85–100.

»Der schwer gefaßte Entschluß« Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Double Mimesis. Georg Lukács’s Philosophy of Music. In: Sound Figures of Modernity. German Music and Philosophy. Hrsg. von Jost Hermand und Gerhard Richter, Madison, Wisconsin 2006, S. 244–260. 2 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Listy duverne. Janáčeks 2. Streichquartett. In: Die Semantik der musiko-literarischen Gattungen. Hrsg. von Walter Bernhart, Tübingen 1994, S. 117–34. 3 Vgl. mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 21–31. 4 Zit. in Hugo Goldschmidt: Die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts, Zürich 1915, S. 95. 5 Vgl. Carl Dahlhaus: Musikästhetik, Köln 1967, S. 39. 6 Christian Gottfried Krause: Von der musikalischen Poesie, Berlin 1753, S. 36. 7 Johann Christoph Gottsched: Auszug aus des Herrn Batteux Schönen Künsten, Leipzig 1754, S. 201, 207. 8 Vgl. Michael Mann: Ästhetik und Soziologie der Musik. 1600–1800. In: Propyläen-­ Weltgeschichte. Hrsg. von Golo Mann und August Nitschke, Bd. VII, Berlin 1964, S. 572. 9 Johann George Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, 2. Aufl., Bd. III, Leipzig 1793, S. 431. 10 Vgl. Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften, Leipzig 1843, Bd. IV,1, S. 70, und Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie (27. Stück). 11 Immanuel Kant: Werke. Hrsg. von Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1957, Bd. V, S. 431. 1

272Anmerkungen

12 Vgl. meinen Aufsatz: Vom neuen Sinn alter Werke. Johann Sebastian Bachs Geistliche Kantaten. In: Ders.: Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß, Frankfurt a. M. 1991, S. 18 f. 13 Vgl. etwa Dietmar Holland: Rettung der Kolportage durch die Musik. Zu Beethovens »Fidelio«. In: Ludwig van Beethoven. Fidelio. Texte, Materialien, Kommentare. Hrsg. von Attila Csampi und Dietmar Holland, Reinbek 1981, S. 10. 14 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hartmut Krones: »Una specie di romanzo ossie programma«. Geheime (?) Programme in klassischer Instrumentalmusik. In: Die Semantik der musiko-literarischen Gattungen. Hrsg. von Walter Bernhart, Tübingen 1994, S. 51–74. 15 Johann George Sulzer: Allgemeine Theorie (wie Anm. 9), Bd. II, S. 539. 16 Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, S. 360. 17 Zit. in Hartmut Krones: »Una specie« (wie Anm. 14), S. 58 f. 18 Carl Czerny: Vollständige theoretisch-praktische Pianoforte-Schule, Wien 1842, Teil III, S. 24. 19 Anton Schindler: Biographie von Ludwig van Beethoven. Hrsg. von Eberhard Klemm, Leipzig 1977, S. 492. Vgl. hierzu auch George Barth: The Pianist as Orator. Beethoven and the Transformation of Keyboard Style, Ithaca 1997. 20 Ebd., S. 478 ff. 21 Vgl. Franz Gerhard Wegeler und Ferdinand Ries: Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven, Koblenz 1838, S. 84, und Helmut Loos: Zur Textierung Beethovenscher Instrumentalwerke. In: Beethoven und die Nachwelt. Materialien zur Wirkungsgeschichte Beethovens. Hrsg. von Helmut Loos, Bonn 1986, S. 117–120 22 Vgl. Hartmut Krones: »Una specie« (wie Anm. 14), S. 68, und Owen Jander: Beethoven’s »Orpheus in Hades«. The Andante con moto of the Fourth Piano Concerto. In: The Nineteenth Century Music 8, 1985, S. 195–212. 23 Vgl. hierzu vor allem Harry Goldschmidt: Vers und Strophe in Beethovens Instrumentalmusik. In: Beethoven-Symposion, Wien 1970, S. 97–120. Vgl. aber auch allgemein Thrasybulos Georgiades: Musik und Sprache, Berlin 1954, S. 80 ff. 24 Vgl. Klaus Kropfinger: Beethoven, Kassel-Stuttgart. 2001, S. 70–72. 25 Dietmar Holland: Rettung der Kolportage durch die Musik (wie Anm. 13), S. 10. 26 Vgl. Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer, 2. Aufl., Darmstadt 1996, Bd. I, S. 431. 27 Allgemeine musikalische Zeitung vom 22. Mai 1811, Sp. 349 f. 28 Vgl. hierzu Hermann Danuser: Streichquartett op. 95. In: Interpretationen (wie Anm. 26), Bd. II, S. 80. 29 Vgl. ebd., S. 79. 30 Vgl. Maynard Solomon: Beethoven, 2. Aufl., New York 2001, S. 415. 31 Vgl. meinen Aufsatz: Das offene Geheimnis. Caspar David Friedrichs christgermanische Allegorien. In: Jost Hermand und Michael Niedermeier: Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der »alten Freiheit« der Germanen. 1750–1820, Frankfurt a. M. 2002, S. 209–218. 32 Vgl. Maynard Solomon: Beethoven (wie Anm. 30), S. 417, sowie Stefan Kunze: Beethovens Spätwerk und seine Aufnahme bei den Zeitgenossen. In: Beiträge zu Beetho-

Anmerkungen

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vens Kammermusik. Symposion Bonn 1984. Hrsg. von Sieghard Brandenburg und Helmut Loos, München 1987, S. 65–71. Vgl. Richard Hamann und Jost Hermand: Impressionismus, Berlin 1960, S. 156 ff. Nicholas Marston: »The Sense of Ending.« Goal-Directedness in Beethoven’s Music. In: The Cambridge Companion to Beethoven. Hrsg. von Glenn Stanley, Cambridge 2000, S. 9. So Antonio Bruers: Beethoven, 3. Aufl., Rom 1944, S. 317, Joseph Kerman: The Beethoven Quartets, New York 1979, S. 358–366, Kathryn Bumpass: Early Plans for Beet­hoven’s Last Quartet. In: Beethoven Newsletter 3, 1988, Nr. 1, S. 7, und Leonard Ratner: Beethoven’s String Quartets: Compositional Strategies and Rhetoric, Stanford 1995, S. 291. Maynard Solomon: Beethoven (wie Anm. 30), S. 425. Friedhelm Krummacher: Streichquartett op. 135. In: Interpretationen (wie Anm. 26), Bd. II, S. 348 f. Anton Schindler: Biographie von Ludwig van Beethoven (wie Anm. 18), S. 420. Friedhelm Krummacher: Streichquartett op. 135 (wie Anm. 26), Bd. II, S. 361. Ebd., S. 361 f. Ebd., S. 363. Ebenso formalistisch verfährt Christopher Reynolds in: The Representational Impulse in Late Beethoven, II: Stringquartet in F Major, Op. 135. In: Acta musicologica 60, 1988, S. 180–194. Vgl. hierzu auch Stefan Kunze: Beethovens Spätwerk (wie Anm. 32), wo er zu Recht schreibt, dass die Analyse von Beethovens Spätwerken »noch heute vornehmlich und einseitig formalistisch« sei, »als ob es um abstrakte Form- und Motivkombinationen ginge«, während doch »die gültige Formulierung von Gehalten« im Vordergrund stehen müsse, um so die »artikulierende Sagkraft« dieser Musik zu ergründen (S. 62, 76). Friedhelm Krummacher: Streichquartett op. 135 (wie Anm. 26), Bd. II, S. 363. Ebd., S. 363 f. Hartmut Krones: »Una specie« (wie Anm. 14). Harry Goldschmidt: Das Wort in Beethovens Instrumentalbegleitung, Köln 1999. Wolfgang Osthoff: Das »Sprechende« in Beethovens Instrumentalmusik. In: Beiträge zu Beethovens Kammermusik (wie Anm. 32), S. 11–40. Ebd., S. 33. Ebd., S. 12. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. In: Werke in zwanzig Bänden, Bd. XV, Frankfurt a. M. 1970, S. 135. Lewis Lockwood: Beethoven. The Music and the Life, New York 2002, S. 482, 486. Joseph Kerman: The Beethoven Quartets (wie Anm. 35), S. 363 f., 366. Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende, Halle 1953, Bd. II, S. 361.

Nähe in der Distanz 1 2

Vgl. Ingeborg Hoesterey: Pastiche. Cultural Memory in Art, Film, Literature, Bloomington 2001. Vgl. schon meine Reaktion darauf in: Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft, München 1968, S. 130–160.

274Anmerkungen

3 4

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Vgl. hierzu den Abschnitt »Fragen des musikalischen Erbes« in meinem Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 159–164. Siehe auch meinen Aufsatz: Zur Aktualität von Brechts Bearbeitungstechnik. In: Aktualisierung Brechts. Hrsg. von Wolfgang Fritz Haug, Klaus Pierwoß und Karen Ruoff, Berlin 1980, S. 122–142. Vgl. James D. Meinkes: Zwanzig Thesen zu einer alternativen Musik. In: Öko-Kunst? Zur Ästhetik der Grünen. Hrsg. von Jost Hermand und Hubert Müller, Berlin 1989, S. 106–124.

Ehre in Blech 1 2

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Die Zahlen in den Klammern verweisen hier und im Folgenden auf die Heft- und Seitenzahl des jeweiligen »Spiegel«- Jahrgangs. Michael Schneider: Der bürgerliche Journalismus und die Gewaltfrage. Am Beispiel des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«. In: Ders.: Die lange Wut zum langen Marsch, Reinbek 1975, S. 40 ff. Kurt Ziesel: Der deutsche Selbstmord. Diktatur der Meinungsmacher, Kettwig 1963, S. 21. Hans Dieter Jaene: Der Spiegel. Ein deutsches Nachrichtenmagazin, Frankfurt a. M. 1968, S. 21. Le Monde. Zit. in ebd., S. 10. Verlagsdirektor Becker. Zit. in ebd., S. 10. Rudolf Augstein. Zit. in ebd., S. 9. Vgl. Spiegel vom 1. September 1969, 36,188 f., 25. Mai 1970, 22, 170–172, und 23. August 1971, 35,61 f. Vgl. Spiegel vom 23. März 1970, 13,111 f., und 24. Mai 1971, 22,178. Zur soziologischen Struktur der damaligen »Spiegel«-Leser vgl. Hans Dieter Jaene: Der Spiegel (wie Anm. 4), S. 9, Broder Carstensen: Spiegel-Wörter, Spiegel-Worte. Zur Sprache eines deutschen Nachrichtenmagazins, München 1971, S. 28 f., und Peter Rühmkorf: Ein »Spiegel«-Essay. In: Literaturmagazin 5, 1976, S. 39 ff. Broder Carstensen: Spiegel-Wörter (wie Anm. 10), S. 11. Paul Seckarndt: Der Spiegel entzaubert. Analyse eines deutschen Nachrichtenmagazins, 2. Aufl., Essen 1961, S. 48. Rudolf Walter Leonhardt: 77 mal England, München 1957, S. 310. Michael Schneider: Der bürgerliche Journalismus (wie Anm. 2), S. 40. Facsimile-Querschnitt durch den »Spiegel«. Hrsg. von Erich Kuby, München 1967, S. 4. Zit. in ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 17. Wie verbreitet diese Tendenz zur Desillusionierung des älteren Beethoven-Mythos in der ehemaligen BRD war, belegt u. a. der Ausstellungsband »Mythos Beethoven«, der 1986 von Rainer Cadenbach beim Laaber-Verlag herausgegeben wurde, in dem sich eine Fülle von Beethoven-Karikaturen findet, die den Betrachtern »eine gewisse Befreiung von seiner Wucht« bieten sollten (S. 12). Eine erste Vorstufe dieses Aufsatzes – wenn auch noch nicht auf die entmythologisierende Beethoven-Berichterstattung hinauslaufend – erschien in: Deutsche Feiern. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Wiesbaden 1977, S. 155–70.

Anmerkungen

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Beethoven – Tage aus einem Leben 1 2 3

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Vgl. dazu den voraufgehenden Aufsatz zur Beethoven-Darstellung im »Spiegel« um 1970, S. 171–188. Vgl. das Vorwort zu dem Band: Weimarer Klassik in der Ära Ulbricht. Hrsg. von Lothar Ehrlich und Gunther Mai, Köln 2000. Vgl. hierzu und zum Folgenden meinen Aufsatz: »Auf andere Art so große Hoffnung«. Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen Deutschen Demokratischen Republik (1945–1965). In: Poesie als Auftrag. Festschrift für Alexander von Bormann. Hrsg. von Dagmar Ottmann und Markus Symmank, Würzburg 2001, S. 195–206. Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen, Berlin 1952, S. 61. Zit. nach Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, S. 293. Zit. ebd., S. 293. Horst Seeger: Musiklexikon, Bd. II, Leipzig 1966, S. 328. Vgl. dazu den Band: Bericht über den internationalen Beethoven-Kongreß in Berlin. 10.–12. Dezember 1970 in Berlin. Hrsg. von Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann, Berlin 1971. Die Klassik-Legende. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt a. M. 1971, Helmut Holtzhauer: Von Sieben, die auszogen, die Klassik zu erlegen. In: Sinn und Form, 1973, H. 1, S. 169–188, und Rudolf Dau: Erben oder Enterben? Jost Hermand und das Problem einer realistischen Aneignung des klassischen bürgerlichen Literaturerbes. In: Weimarer Beiträge 19, 1973, H. 7, S. 67–97. Vgl. hierzu auch Klaus L. Berghahn: Das Andere der Klassik. Von der »Klassik-Legende« zur jüngsten Klassik-Diskussion. In: Goethe-Yearbook 6, 1992, S. 7 ff., und meinen Aufsatz: Die Kontroverse um die »Klassik-Legende«. In: Goethe in der DDR. Hrsg. von Thomas Höhle, Berlin 2003, S. 47–59. Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844). In: MEW, Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1974, S. 540 ff. Vgl. hierzu allgemein meine »Geschichte der Germanistik«, Reinbek 1994, S. 194 ff. Wilhelm Girnus: Die Glätte des Stroms und seine Tiefe. Betrachtungen über unser Verhältnis zur literarischen Vergangenheit. In: Sinn und Form, 1975, H. 3, S. 55 ff. Vgl. den Beitrag von H. Lohmann und P. Weiß zu dem Band: Film und Fernsehkunst in der DDR. Traditionen – Beispiele – Tendenzen. Hrsg. von Käthe Rülicke-Weiler, Berlin 1979, S. 409. Ebd., S. 416. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Arbeit von Wolfgang Müller: Dichter-Helden in der DDR-Literatur der siebziger Jahre (Diss. Wisconsin-Madison, 1983), die sich ebenfalls mit der auffälligen »Subjektivierungswelle« in diesem Zeitraum beschäftigt. Vgl. u. a. Peter Ahrens: Beethoven und eine glückliche Ehe. In: Weltbühne 44, 1976, S. 1392–1393, und Heinz Kersten: Beethoven. Tage aus einem Leben. In: Ders.: So viele Träume. DEFA-FILM-Kritiken aus drei Jahrzehnten. Hrsg. von Christel Drawer, Berlin 1999, S. 107–109. Für kulturgeschichtliche Filme über Beethoven vgl.: Ludwig van Beethoven (1970) von Hans Conrad Fischer sowie die beiden amerikanischen Filme »Beethoven and the Age of Revolution« und »Beethoven as Hero« von 1987. Der amerikanische Film

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»Beethoven« (1992) von Joe Medjuk ist dagegen ein Hundefilm, in dem ein Sankt Bernhardiner »Beethoven« heißt. Vgl. hierzu Heinz Hofmann: »Da stiegen die Menschen ans Licht«. Zu Walter Felsensteins filmischer Deutung von Beethovens »Fidelio«. In: Deutsche Filmkunst 5, 1957, S. 267–269. Noch stärker dem Geist der frühen DDR verpflichtet ist der Film Beethoven (1955) von Max Jaap nach einem Skript von Stephan Hermlin, wo es am Schluss – zu Klängen der 9. Symphonie – zu großen Arbeiteraufmärschen kommt. Vgl. die kritischen Stimmen zu diesem Film in: The Beethoven Journal 10, 1995, S. 30–39, und Lewis Lockwood: Film Biography as Travesty: »Immortal Beloved« and Beethoven. In: The Musical Quarterly 81, 1997, S. 190–198. Nicht minder peinlich ist der Film »Le Neveu de Beethoven« (1984) von Paul Morissey, in dem es nur um Beethovens problematische Beziehung zu seinem Neffen Karl geht. Dagegen bemühte sich Agnieszka Holland in ihrem Film »Copying Beethoven« durch die Einführung einer jungen Komponistin, die Beethoven bei der Niederschrift seiner 9. Symphonie hilft, auch feministische Aspekte zu berücksichtigen. Vgl. u. a. die ausführlichen Besprechungen dieses Films von Heinz Hofmann in: Nationalzeitung vom 15. Oktober 1976, Horst Knietzsch in: Neues Deutschland vom 17. Oktober 1976, Brigitte Thurm: Rätsel der Genialität. In: Film und Fernsehen 9, 1976, S. 20 f., und Dieter Schiller in: Film und Fernsehen 10, 1976, Nr. 45, S. 12–14. Wohl die beste Würdigung dieses Films findet sich in: DEFA. Spielfilmregisseure und ihre Kritiker. Hrsg. von Rolf Richter, Berlin 1981, S. 167–173. Eine vollständige Aufzählung aller älteren Beethoven-Filme bietet Jürgen Pfeiffer: Beethoven im Film. Eine kommentierte Filmographie. In: Beethoven und die Nachwelt. Materialien zur Wirkungsgeschichte Beethovens. Hrsg. von Helmut Loos, Bonn 1986, S. 223–242.

Der vertonte Weltgeist 1 2 3

4 5

Rolf Tiedemann: Vorrede. In Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 9. Ebd., S. 55. Alle weiteren Zitate aus diesem Band werden nach ihrer Seitenzahl im Text zitiert. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd. XII, Frankfurt a. M. 1969, S. 3, 24. Vgl. hierzu auch Friedrich A. Uehlein: »Beethovens Musik ist die Hegelsche Philosophie: sie ist aber zugleich wahrer …« In: Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik. Hrsg. von Richard Klein und Claus-Steffen Mahnkopf, Frankfurt a. M. 1998, S. 206–228. Vgl. Lucia Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen. Untersuchungen zur Ästhetik und Musikphilosophie Theodor W. Adornos, Würzburg 1994, S. 85 ff. Vgl. zu Adornos Überheblichkeit in diesen Fragen u. a. auch Hans Heinrich Eggebrecht: Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption, Mainz 1972, S. 133–135, Martin Geck: Die Taten der Verehrer. In: »Geschrieben auf Bonaparte«. Beethovens »Eroica«. Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek 1989, S. 373, meine Rezension des Buchs »Adorno on Music« von Robert W. Witkin. In: Monatshefte 94, 2002, S. 139–142,

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und Charles Rosen: Should we Adore Adorno? In: New York Times Book Review vom 24. Oktober 2002, S. 59–66. Vgl. Thomas Mann: Doktor Faustus, Stockholm 1947, S. 74–77. Georg Lukács: Die Eigenart des Ästhetischen, Bd. II, Darmstadt 1963, S. 330–401. Vgl. dazu auch mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 117–119. Eduard Hanslick: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Darmstadt 1976, S. 32. Vgl. u. a. Beethoven zwischen Revolution und Restauration. Hrsg. von Helga Lühning und Sieghard Brandenburg, Bonn 1989. Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. Theodor W. Adorno: Sprache und ihr Verhältnis im gegenwärtigen Komponieren. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. XVI, Frankfurt a. M. 1978, S. 650. Adorno verändert hier die Formulierung »dem Manne muß Musik Feuer aus dem Geist schlagen«, die Bettina von Arnim als eine authentische Äußerung Beethovens ausgegeben hat. Vgl. Theodor W. Adorno: Beethoven (wie Anm. 1), Fußnote von Rolf Tiedemann, S. 284. Vgl. Walter Grab: Ein Volk muß sich seine Freiheit selbst erobern. Zur Geschichte der deutschen Jakobiner, Frankfurt a. M. 1984, S. 109–124. Vgl. Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt a. M. 1975, S. 34. Ebd., S. 79. Vgl. Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik (wie Anm. 14), S. 28. Ein erster Ansatz zu diesem Beitrag erschien in: Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft. Festschrift für Brunhilde Sonntag. Hrsg. von Bernhard Müßgens, Oliver Kautny und Martin Gieseking, Osnabrück 2001, S. 151–66.

Der »maskuline« Beethoven 1 2 3 4 5

6 7

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Inseldünndruckausgabe, Bd. IV, Leipzig o. J., S. 295 f. Maynard Solomon: Franz Schubert’s »My Dream«. In: American Imago 38, 2, 1981, S. 137–54. Susan Youens: Retracing a Winter’s Journey: Schubert’s »Winterreise«, Ithaca 1991, S. 25. Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit, Laaber 1991, S. 91 ff. James Steakley: Franz Schubert – absolut schwul? In: Responsibility and Commitment. Ethische Postulate der Kulturvermittlung. Festschrift für Jost Hermand. Hrsg. von Klaus L. Berghahn, Robert C. Holub und Klaus R. Scherpe, Frankfurt a. M. 1996, S. 109–124. Edward T. Cone: Schubert’s Promissory Note. In: Schubert: Critical and Analytical Studies. Hrsg. von Walter Frisch, Lincoln 1986, S. 13–30. Jonathan Bellman: Schubert, Freedom, and the »Style hongrois«. In: Abstracts of Papers at the 57 th Annual Meeting of the American Musicological Society. Hrsg. von Margret Murata, Madison, Wisconsin 1991, S. 23.

278Anmerkungen

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Edward Rothstein: Was Schubert Gay? If He Was, So What? In: New York Times Book Review vom 4. Februar 1992, S. 11. Kofi Agawu: Schubert’s Sexuality: A Prescription for Analysis? In: Nineteenth Century Music 17, 1993, H. 1, S. 79–82. In diesem Heft finden sich noch vier weitere Aufsätze zu Schuberts »Homosexualität«, die sich zum Teil auf den bereits von Robert Schumann herausgestellten Gegensatz von der betont »männlichen« Natur Beethovens und der eher »weichen« Art Schuberts beriefen. So Jonathan Bellman: Schubert (wie Anm. 7), S. 23. James Steakley: Franz Schubert (wie Anm. 5), S. 122. Maynard Solomon: Beethoven, 2. Aufl., New York 2001, S. 245. Vgl. auch Elmar Budde: Beethoven und Schubert. In: Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven. Hrsg. von Cornelia Bartsch, Beatrix Borchard und Rainer Cadenbach, Bonn 2003, S. 33–40. Susan McClary: Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality, 3. Aufl., Minneapolis 1994. Ebd., S. 8. Ebd., S. 12. Ebd., S. 24. Ebd., S. 18. Vgl. auch ihren Aufsatz: Constructions of Subjectivity in Schubert’s Music: In: »Queering the Pitch: The New Gay and Lesbian Musicology«. Hrsg. von Philip Brett et al., New York 1994, S. 205–233. Ebd., S. 127. Ebd., S. 128. Ebd., S. 128. Ebd., S. 129. Ebd., S. 130. Sanna Pedersen: Beethoven and Masculinity. In: Beethoven and his World. Hrsg. von Scott Burnham und Michael P. Steinberg, Princeton 2000, S. 313–331. Ebd., S. 326. Zur »Intonation« bei Beethoven vgl. Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 301. Vgl. zur Beethoven-Rezeption u. a. Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild. Darstellung und Kritik, Berlin 1927, Beethoven und die Nachwelt. Materialien zur Wirkungsgeschichte Beethovens. Hrsg. von Helmut Loos, Bonn 1986, Hans Heinrich Eggebrecht: Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption, Laaber 1994, David B. Dennis: Beethoven in German Politics. 1870–1989, New Haven 1996, und Esteban Buch: Beethoven’s Ninth. A Political History, Chicago 2003. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Max Klingers »Beethoven«. Ausschnitte aus seiner Rezeptionsgeschichte. In: Beethoven und die Nachwelt (wie Anm. 26), S. 139–156, und Rainer Cadenbach: Mythos Beethoven, Laaber 1986, S. 13–33. Vgl. Heroes and Heroism in German Culture. Essays in Honor of Jost Hermand. Hrsg. von Stephen Brockmann und James Steakley, Amsterdam 2001. Vgl. Susan McClary: Feminine Endings (wie Anm. 13), S. 128. Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven (wie Anm. 12). Vgl. dazu Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Frankfurt a. M. 1979.

Anmerkungen

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32 Vgl. William Kindermann: Die Priesterin und die Retterin. Über Geschlechterrollen in Leben und Kunst Beethovens. In: Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven (wie Anm. 12). S. 189–204.

Problemzone »Kulturelles Erbe« 1 2 3

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Vgl. dazu schon das Nachwort zu meinem Buch: Glanz und Elend der deutschen Oper, Köln 2008, S. 261–274. Vgl. mein Buch: Die Wenigen und die Vielen. Trägerschichten deutscher Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Köln 2007. Vgl. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. XIX, Frankfurt a. M. 1984, S. 494, und Pierre Boulez: Sprengt die Opernhäuser in die Luft. In: Der Spiegel, 1967, Nr. 40, S. 172. Vgl. dazu allgemein: Macht, Ohnmacht, Zufall. Aufführungspraxis, Interpretation und Rezeption im Musiktheater. Hrsg. von Christa Brüstle, Clemens Risi und Stephanie Schwarz, Berlin 2011. Vgl. Martin Walser: Kurz in Dresden. In: Die Zeit vom 20. Oktober 1989. Vgl. Albrecht Thiemann: In der Manege. In: Opernwelt, Juli 2000, S. 50. Vgl. Gerhard Rhode: Geschlechterkampf im Stiegenhaus. In: Opernwelt, Oktober 2000, S. 24. Vgl. Frieder Reininghaus: Tageszeitung vom 27. September 2005.

280Anmerkungen

Bildnachweise

Museen und Archive © akg images 15, 17, 18, 22, 42 Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz 1, 12, 20, 24 Berlin, Progress Film Verleih 36 © Bildarchiv Foto Marburg 40 Wikipedia Commons 26 Archiv des Verfassers 2, 3, 6, 9, 13, 21, 27, 30, 31, 34

Reproduktionen aus Büchern Beethoven und Böhmen. Hrsg. von Sieghard Brandenburg und Martella Gutiérrez-­Denhoff, Bonn: Beethoven-Haus 1988 8 Beethoven und die Nachwelt. Hrsg. von Helmut Loos, Bonn: Beethoven-Haus 1986 28 Deutsche Grammophon. Beethoven: Fidelio. DVD, Cover Photo © ORF 41 Geschichte Frankreichs. Hrsg. von Ernst Hinrichs, Stuttgart: Reclam 2002 23 Ludwig van Beethoven: Briefe und Aufzeichnungen. Hrsg. von Rüdiger Görner, Frankfurt a. M.: Insel-Verlag 1993 29 Rainer Cadenbach: Mythos Beethoven, Laaber: Laaber-Verlag 1986 33, 35, 37 Pierre Gazotte: La Révolution française, Paris: Flammarion 1963 4, 5 H. C. Robbins Landon: Beethoven, Zürich: Universal Edition 1970 7, 10, 11, 14, 25 Richard Petzoldt: Ludwig van Beethoven, Leipzig: Deutscher Verlag für Musik o. J. 16 Michael Mathias Prechtl: Prechtls Welttheater. Hrsg. von Kai Artinger, Wolfratshausen: Edition Minerva 2001 32 Hartmut Scheible: Theodor W. Adorno, Reinbek: Rowohlt 1989 38 Joseph Schmidt-Görg und Hans Schmidt: Ludwig van Beethoven, Braunschweig: Westermann 1969 19 Wilhelm Spohr: Fidus, Minden: J. C. C. Bruns 1902 39 Autor und Verlag haben sich um die Klärung der Rechte bemüht. Eventuelle Urheberrechtsverletzungen sind unbeabsichtigt.

Bildnachweise

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Personenregister

A Adam, Theo 248 Adenauer, Konrad 178, 179, 180, 181, 192 Adorno, Theodor W. 16, 56, 90, 91, 130, 131, 132, 134, 135, 141, 143, 202, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 245 Agawu, Kofi 232 Albrechtsberger, Johann Georg 53 Alexander I. von Russland 119 Amenda, Carl 95 Apel, Willi 234 Arndt, Ernst Moritz 73, 114, 126 Arnim, Bettina von 13, 187 Arrabal, Fernando 184 Assafjew, Boris 41, 66, 103, 136, 221, 223 Augstein, Rudolf 179, 193 B Bach, Carl Philipp Emanuel 9, 47, 50, 55 Bach, Johann Christian 47, 55 Bach, Johann Sebastian 50, 141, 150, 185, 218, 240, 242 Backhaus, Wilhelm 132 Bahro, Rudolf 16 Balser, Ewald 204 Banionis, Donatas 211 Barenboim, Daniel 253 Bartsch, Cornelia 241 Beaumarchais, Pierre-Augustin-Caron de 28, 35, 85 Beauvoir, Simone de 230

Beccaria, Cesare 92 Becher, Johannes R. 197, 210 Beckett, Samuel 131 Beethoven, Johanna van 138 Beethoven, Johann van 95, 205 Beethoven, Karl van 138, 140, 187, 196, 202, 205, 208 Beethoven, Kaspar van 95, 138, 205 Bekker, Paul 68, 74, 220 Bellman, Jonathan 232 Benjamin, Walter 173, 177, 202, 223 Berg, Alban 212 Berlioz, Hector 44, 73 Bernadotte, Jean-Baptiste 40, 58, 63, 67, 224 Bernard, Carl Joseph 120 Bernstein, Leonard 248 Berton, Henri-Montan 24, 28, 29, 92 Beyer, Wilhelm Raimund 183 Biermann, Wolf 201 Bismarck, Otto von 14, 15, 74, 108 Blake, William 133 Bloch, Ernst 90, 91, 101, 172 Blücher, Gerhard Leberecht von 117, 122 Blume, Friedrich 185 Böhme, Gernot 168 Böhm, Karl 247, 248 Böll, Heinrich 183 Borchard, Beatrix 241 Bouilly, Jean-Nicolas 36, 84, 85, 92 Boulez, Pierre 245 Bovenschen, Silvia 242 Brahms, Johannes 102, 197

282Personenregister

Brandenburg, Sieghard 17 Brandt, Willy 179 Brecht, Bertolt 80, 81, 171, 173, 174, 183, 198, 200, 254 Brentano, Antonie 97 Brentano, Clemens 13, 187 Bruckner, Anton 102 Buber, Martin 133 Bülow, Hans von 13, 14, 74 Bursy, Karl von 138

E Edelmann, Johann Friedrich 55 Edelmann, Otto 247 Eich, Günter 183 Einstein, Alfred 110, 121 Eisler, Hanns 46, 78, 81, 105, 223, 249 Eliot, Thomas Stearns 133 Enzensbergers, Hans Magnus 178 Ernest, Gustav 70

C Cadenbach, Rainer 241 Cambini, Giovanni 29 Campe, Joachim Heinrich 61 Cassilly, Richard 248 Catel, Charles-Simon 24, 27, 28, 29, 67 Cherubini, Luigi 24, 27, 28, 29, 36, 40, 42, 43, 46, 67, 84, 88, 92, 93, 224 Cimarosa, Domenico 98 Clement, Franz 70 Clementi, Muzio 47 Cone, Edward T. 232, 234 Coy, Adelheid 23 Czerny, Carl 72, 139, 142, 151

F Felsenstein, Walter 202, 249 Feuerbach, Ludwig 183 Fichte, Johann Gottlieb 45, 80, 237 Fidus 184, 239 Finkelstein, Sidney 78 Floros, Constantin 16, 40, 77, 223 Fontenelle, Bernard de 148 Förster, Emanuel Aloys 53 Forster, Georg 73 Foucault, Michel 229 Franz II. von Deutschland 10, 39, 51, 53, 102 Franz I. von Österreich 118, 119, 120, 126 Freud, Sigmund 222 Frick, Gottlob 247 Friedrich, Caspar David 73, 77, 114, 155, 170, 174, 184, 225 Friedrich II. von Preußen 34, 66, 241 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 119, 123 Friesen, Karl Friedrich 123 Fuchs, Georg Friedrich 29 Furtwängler, Wilhelm 247, 248

D Dahlhaus, Carl 16, 77, 90 Dalayrac, Nicolas-Marie 24, 27 d’Alembert, Jean 148 Danzi, Franz 154 Daunou, Pierre-Claude 24 Devienne, François 29, 30 Deym, Josephine von 97, 155, 206 Diabelli, Anton 119, 142 Diderot, Denis 148 Dilthey, Wilhelm 137, 166 Ditters von Dittersdorf, Carl 55 Dörrie, Doris 251 Druschetzky, Georg 66 Dumouriez, Charles-François 30 Duncker, Johann Friedrich Leopold 123, 125 Dürer, Albrecht 184, 185, 192, 193 Dussek, Johann Ladislaus 66, 106, 115

Personenregister

G Gadamer, Hans-Georg 183 Gance, Abel 204 Gaveaux, Pierre 84, 85, 92, 93 Geck, Martin 16, 223 Gelinek, Joseph 140 Girnus, Wilhelm 200 Gluck, Christoph Willibald 28, 35, 39, 45, 46, 61, 98, 252

283

Goethe, Johann Wolfgang 66, 77, 94, 139, 159, 171, 174, 196, 197, 200, 201, 204, 218, 224, 242 Goldschmidt, Harry 16, 23, 77, 97, 136, 152, 159, 223 Gossec, François-Joseph 24, 26, 27, 28, 29, 30, 39, 40, 42, 46, 67, 104, 224 Gottsched, Johann Christoph 148 Graun, August Friedrich 61 Greindl, Josef 248 Grétry, André-Ernest-Modeste 24, 28, 40, 46, 67, 92, 104, 224 Grillparzer, Franz 139, 145 Grimm, Reinhold 198 Grützke, Johannes 190 Guardini, Romano 223 Gülke, Peter 232 Gundolf, Friedrich 168 Günther, Egon 201 Gustav III. von Schweden 34 Guth, Claus 252 Gyrowetz, Adalbert 118, 126 H Habermas, Jürgen 109 Haibel, Jakob 55 Halm, August 215 Händel, Georg Friedrich 98, 125, 217, 252 Hanslick, Eduard 74, 75, 133, 135, 220 Haslinger, Tobias 118 Hauff, Ferdinand 115 Haydn, Franz Joseph 30, 37, 38, 40, 42, 43, 45, 46, 47, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 66, 78, 102, 145, 150, 154, 157, 224, 240 Hebenstreit, Franz 51 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 45, 68, 134, 160, 183, 213, 214, 215, 216 Heine, Heinrich 45, 77 Heise, Wolfgang 19 Helm, Hans 248 Herttrich, Ernst 121 Hess, Willy 90, 93 Himmel, Friedrich Heinrich 118 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 13, 187 Hölderlin, Friedrich 68, 73, 196

Holland, Dietmar 101, 153 Holzbauer, Ignaz 50 Honecker, Erich 198, 201 Horkheimer, Max 131, 222 Howard, John 92 Humboldt, Wilhelm von 237, 238 Hummel, Johann Nepomuk 66, 115, 117, 120, 126, 139, 142 Hus, Johan 181

I Irmen, Hans-Josef 17, 53, 223 J Jahn, Friedrich Ludwig 123 Jannequin, Clement 65 Janowitz, Gundula 248 Jones, Gwyneth 248 Joseph II. von Deutschland 9, 49, 51, 100, 102 Jourdan, Jean-Baptiste 112 K Kafka, Franz 131, 225 Kagel, Mauricio 187, 189, 202, 245 Kanka, Johann Nepomuk 116, 138, 151 Kanne, Friedrich August 118, 151 Kant, Immanuel 45, 148, 149, 173, 183, 207 Karl von Habsburg 112 Katharina von Russland 231, 241 Kauer, Ferdinand 66 Kayser, Wolfgang 169 Kerman, Joseph 161 Kerr, Alfred 223 Kersting, Georg Friedrich 123 Kiesinger, Kurt Georg 184 King, James 248 Kirnberger, Johann Philipp 151 Kirschner, Klaus 202 Klages, Ludwig 168 Kleist, Heinrich von 10, 73, 242 Klinger, Max 14, 239, 240 Klöffler, Johann Friedrich 66

284Personenregister

Klopstock, Friedrich Gottlieb 33, 35, 61, 112, 113 Knepler, Georg 16, 23, 223 Kolisch, Rudolf 215 Kollo, René 248 Kolm-Veltée, Walter 204 Königsegg-Rothenfels, Friedrich von 50 Körner, Theodor 118, 123 Kotzebue, August von 36 Kotzwara, Franz 66 Krämer, Günter 252 Kramer, Lawrence 237 Krause, Christian Gottfried 148 Kraus, Johann Martin 34, 35, 38, 39, 46 Kreutzer, Rodolphe 24, 29, 40, 58, 67, 104, 224 Krommer, Franz 42, 154 Krones, Hartmut 150, 151, 159 Krummacher, Friedhelm 157, 158, 159 Kuby, Erich 193 Kuhlau, Friedrich 154 Kühn, Siegfried 201 Kunert, Günter 200, 202, 204, 206, 210 Kušej, Martin 252 L Lanner, Joseph 139 Lehne, Friedrich 31 Leibowitz, René 215 Leopold II. von Deutschland 51 Lessing, Gotthold Ephraim 148, 242 Lesueur, Jean-François 24, 28, 29, 36, 42, 46, 67, 92, 224 Lichnowsky, Karl von 10, 50, 51, 53, 54, 62, 103, 154, 206 Lichnowsky, Moritz von 50, 58 Liszt, Franz 44, 73, 74, 75, 142 Lobkowitz, Joseph Franz Maximilian von 42, 70 Lockwood, Lewis 161 Louis Ferdinand von Preußen 10 Ludwig, Leopold 248 Ludwig XIV. von Frankreich 231 Ludwig XVIII. von Frankreich 119, 122 Lühning, Helga 17, 91, 93 Lukács, Georg 16, 134, 145, 175, 196, 220 Personenregister

Luther, Martin 181 Lützow, Adolf von 123 Lyotard, Jean-François 168 M MacInnes, John 237 Mahler, Gustav 102, 235 Malfatti, Johann 205 Malfatti, Therese 155 Mälzel, Johann Nepomuk 114, 115, 205, 206, 210 Mann, Thomas 128, 129, 130, 131, 132, 133, 141, 143, 218, 222 Maria Theresia von Deutschland 241 Marie-Antoinette von Frankreich 35 Marie Therese von Österreich 86 Martini, Johann Paul 42 Marx, Karl 198 Mayer, Günter 223 Mayr, Simon 84 McClary, Susan 234, 235, 237, 241 Mehring, Franz 196 Méhul, Etienne-Nicolas 24, 27, 28, 30, 36, 42, 46, 55, 67, 84, 104, 224 Meidner, Ludwig 183 Mellers, Wilfrid 133 Mendelssohn, Felix 102 Mendelssohn, Moses 148 Metastasio, Pietro 91, 92 Metternich, Klemens von 12, 18, 72, 108, 126, 138, 139, 140, 144, 155, 157, 160, 179, 207, 208, 237 Meyerbeer, Giacomo 115 Meyer, Ernst Hermann 16, 197 Mielitz, Christine 249 Mirabeau, Gabriel-Honoré de 24, 29 Mödl, Martha 247 Monsigny, Pierre-Alexandre 92 Monteverdi, Claudio 98 Moscheles, Ignaz 118, 120, 142 Mosse, George L. 228 Mozart, Wolfgang Amadeus 7, 33, 34, 35, 37, 38, 39, 45, 46, 50, 54, 55, 57, 84, 86, 102, 105, 150, 154, 157, 240, 246, 251, 252

285

N Nägeli, Hans Georg 33 Napoleon Bonaparte 10, 11, 30, 36, 37, 40, 41, 44, 45, 53, 58, 68, 70, 71, 76, 77, 82, 86, 89, 101, 103, 104, 106, 107, 112, 114, 117, 119, 122, 125, 126, 139, 177, 227, 246 Neefe, Christian Gottlob 9, 33, 39, 42, 49, 50, 55, 61, 111 Neidlinger, Gustav 248 Nelson, Horatio 66 Neubauer, Christoph 66 Neuenfels, Hans 252 Ney, Elli 132 Nietzsche, Friedrich 14, 131, 171

Riemann, Hugo 215 Ries, Ferdinand 68 Ries, Franz Anton 49 Ringer, Alexander L. 54 Robespierre, Maximilien 27, 45, 68 Rolland, Romain 204 Rose, Bernard 202 Rossini, Gioachino 72, 75, 139, 221, 246 Roth, Friederike 252 Rothstein, Edward 232 Rousseau, Jean-Jacques 29, 35, 148 Rudolph von Habsburg 119 Rülicke-Weiler, Käthe 201 Rupprecht, Johann Baptist 113

O Osthoff, Wolfgang 159, 160

S Saint-Just, Antoine 68 Salieri, Antonio 28, 40, 53, 55, 115 Sand, Karl 140 Sarette, Bernard 24 Sauer, Wilhelm 133 Scheibe, Johann Adolf 148 Schenker, Heinrich 215, 234 Schenk, Johann Baptist 53 Schenk, Otto 248 Schering, Arnold 146 Schikaneder, Emanuel 35, 38, 84, 85 Schiller, Friedrich 12, 51, 62, 77, 80, 107, 127, 174, 196, 200, 230, 237, 238, 242 Schill, Ferdinand von 123 Schindler, Anton Felix 40, 120, 121, 128, 130, 140, 141, 151, 157, 208 Schlabrendorff, Fabian von 179 Schlegel, Friedrich 237, 242 Schleuning, Peter 17, 40, 53, 77, 223 Schmitz, Arnold 74 Schneider, Eulogius 9, 39, 49, 55, 111, 224 Schneider, Michael 178 Schneider, Reinhold 223 Schnitzler, Günther 113 Schobert, Johann 55 Schönberg, Arnold 131, 189, 215, 216, 225, 227, 234

P Paër, Fernando 36, 67, 84, 93 Paisiello, Giovanni 55, 98 Palitzsch, Peter 179 Pedersen, Sanna 237, 238, 239, 241 Pergolesi, Giovanni Battista 98 Persa, Alois von 138, 139 Pfeffel, Gottlieb Konrad 51 Pleyel, Ignaz Joseph 24, 29, 106, 115, 224 Pompadour, Jeanne-Antoinette de 241 Ponte, Lorenzo da 35, 85 Popp, Lucia 248 Prechtl, Michael Mathias 188 Prochaska, Eleonore 123, 125 Puccini, Giacomo 246 R Rasumowsky, Andreas Kyrillowitsch 154, 206 Reicha, Anton 37, 42, 43, 44, 45, 49, 154, 224 Reichardt, Johann Friedrich 34, 115 Reissig, Christian Ludwig 118 Rich, Adrienne 235 Riedel, Andreas 51

286Personenregister

Schönewolf, Karl 16, 23, 161, 223 Schopenhauer, Arthur 183, 215 Schubart, Christian Friedrich Daniel 33, 151 Schubert, Franz 7, 102, 139, 142, 144, 156, 197, 218, 225, 232, 233, 234, 240 Schumann, Robert 13, 73, 102, 240 Schuppanzigh, Ignaz 154, 156, 205 Schwab, Heinrich W. 90 Schwarzer, Alice 237 Seemann, Horst 200, 201, 202, 204, 206, 210 Sellner, Gustav Rudolf 247 Sengle, Friedrich 139 Seume, Johann Gottfried 73, 224 Seyfried, Ignaz von 126 Shakespeare, William 152, 254 Silja, Anja 248 Simrock, Nikolaus 49, 52, 68 Solomon, Maynard 97, 121, 157, 223, 232, 233 Sonnleithner, Joseph 85, 86, 88 Sotin, Hans 248 Spengler, Oswald 225 Spohr, Louis 115 Spontini, Gasparo 75 Stahl, Ferdinand von 86 Staiger, Emil 169 Stamitz, Carl 46, 50 Steakley, James 232, 233 Sterba, Editha 188 Sterba, Richard 188 Stockhausen, Karlheinz 187 Straub, Jean-Marie 202 Strauß, Franz Josef 178, 181, 192 Strauss, Richard 74, 218, 246, 252 Strawinsky, Igor 75, 227 Sulzer, Johann George 54, 61, 148, 151 Süßmayr, Franz Xaver 53, 55 Suter, Rudolf 31 T Talleyrand, Charles-Maurice de 120 Telemann, Georg Philipp 7, 98 Tellenbach, Marie-Elisabeth 97

Personenregister

Tiedemann, Rolf 212 Tomaschek, Wenzel 57 Toscanini, Arturo 76 Treitschke, Georg Friedrich 88, 89, 94, 117, 118, 119, 125 Tschaikowsky, Pjotr 233 U Ulbricht, Walter 198, 210 V Vanhal, Johann Baptist 38, 50, 66 Verdi, Giuseppe 246 Vocke, Johanna Theodora 51 Vogel, Johann Christoph 28, 35 Voss, Egon 61 Voss, Johann Heinrich 31 W Wagner, Cosima 189 Wagner, Richard 72, 73, 75, 189, 190, 218, 225, 234, 251 Waldstein, Ferdinand Ernst von 50 Warhol, Andy 251 Warner, Deborah 252 Weber, Anselm 126 Weber, Carl Maria von 72, 118 Webern, Anton 189 Wegeler, Franz Gerhard 49, 79, 95, 151 Weigl, Joseph 118, 120, 126 Weimann, Robert 82 Weißenbach, Aloys 120 Wellington, Arthur Wellesley 11, 112, 114, 122, 205 Welsch, Wolfgang 168 Werner, Hans Georg 33 Wieler, Jossi 252 Winckelmann, Johann Joachim 28 Windgassen, Wolfgang 247 Winter, Peter von 55, 115 Wolf, Hugo 131 Wölfl, Joseph 66 Wranitzky, Paul 37, 39, 43, 44, 45, 53, 55, 67, 224

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Y Youens, Susan 232 Z Ziegenhagen, Franz Heinrich 33 Ziesel, Kurt 178

288Personenregister