Beethoven-Studien [Reprint 2019 ed.] 9783111505787, 9783111138909

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Beethoven-Studien [Reprint 2019 ed.]
 9783111505787, 9783111138909

Table of contents :
VORWORT ALS EINLEITUNG
INHALTSVERZEICHNIS
1. DIE „GROSSE FUGE"
2. „ ALLA DANZA TEDESCA"
3. ZWEI B-DUR-THEMEN
4. DAS FINALE DES C-DUR-QUARTETTS
5. DAS „PROBLEM" DER D-MOLL-SONATE VON BEETHOVEN
6. ZWEI ANMERKUNGEN ZU BEETHOVENS AS-DUR-SONATE OP. 110
7. ZUR THEMATIK DER EGMONT-OUVERTÜRE
8. WARUM SCHRIEB BEETHOVEN DIE VIERTE OUVERTÜRE ZU „FIDELIO"?
9. DIE SCHLACHT VON VITTORIA
10. ÜBER EINIGE KLAVIER-WERKE
11. ,,DIE HÖHE DER STIMMEN MEHR DURCH INSTRUMENTE"
12. „NON SI FA UNA CADENCA . . ."
13. ,,FIDELIO" ALS ETHISCHES BEKENNTNIS

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MISCH BEETHOVEN-STUDIEN

MEINER

FRAU

BEETHOVEN-STUDIEN

von

LUDWIG

MISCH

B E R L I N 1950

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Cösdiensdie Verlagshandlang • J . Guttentag, Verlagsbad)handlang. Georg Reimer • K a r l J . Trübner • Veit & Comp.

Archiv-Nr. 47 43 50 Sat; u n d D r u c k : München 13, S c h e l l i n g s t r a ß e 39

VORWORT ALS EINLEITUNG Die in diesem Band vereinigten Studien sind als Einzelaufsätze zu verschiedenen Zeiten entstanden, die Mehrzahl von ihnen, ein Wort Beethovens zu gebraudien, „inter lacrimas et luctum", nämlich in Atempausen zwischen den Schrecknissen derNazi-Zeit. Die Zusammenfassung dieser teils schon verstreut erschienenen, teils hier zum erstenmal veröffentlichten Arbeiten in Buchform möge sich nicht nur durch die allen gemeinsame Beziehung auf Beethoven rechtfertigen. Der Leser wird noch andere Zusammenhänge in Wahl und Behandlung der Themen bemerken. Mit einigen Ausnahmen, von denen noch zu sprechen sein wird, k ö n n t e n die vorliegenden Aufsätze als Parerga oder Vorarbeiten zu ungeschriebenen Abhandlungen umfassenderen Inhalts gelten — die in der jahrelangen Bedrängnis durch grauenhafteste politische Verfolgungen ungeschrieben bleiben m u ß t e n . So stehen die drei ersten Aufsäße in stofflich engerer Verbindung als Studien zum B-dur-Quartett op. 130; und wenn die Betrachtung über „Zwei B-dur-Themen'" im Wege einer „Beethoven-Schubert-Studie" durchgeführt ist, so wird man finden, daß gerade der Vergleich mit Schuberts Art hilft, den Blick f ü r den hier verfolgten Wesenszug Beethovenscher Kunst zu schärfen. Von der Analyse der „Großen F u g e " l ä u f t ein a n d e r e r Faden zur Formstudie über das „Finale des C-dur-Quartetts"; beide Untersuchungen bilden Beiträge zu einem „großen T h e m a " , das etwa formuliert werden k ö n n t e : Synthese von Sonaten- und Fugenprinzip bei Beethoven. Außerdem liegt die Analyse, die zum erstenmal die form-

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bildende Idee der „Großen F u g e " klargestellt hat, in einer Linie mit der Erforschung des „Problems der d-moll-Sonate", mit der ersten der beiden „Anmerkungen zur As-dur-Sonate" und mit der „Widerlegung einer Fehldeutung" der „Thematik der Egmont-Ouvertüre". In all diesen Fällen handelt es sich um unerkannte oder verkannte Formideen bei Beethoven. Förmstudien liegen auch der populär zusammengefaßten Einführung in „einige K l a v i e r w e r k e " zugrunde, und hinter der Fragestellung „Warum schrieb Beethoven die vierte Ouvertüre zu Fidelio?" verbirgt sich das Formproblem im höheren Sinne der „Einheit des Ganzen". Die abseits der angedeuteten Zusammenhänge liegende Würdigung der „Schlacht von Vittoria" endlich ist als einzelnes Kapitel aus einem Vortrag „ D e r unbekannte Beeth o v e n " hervorgegangen. Für sich allein stehen die drei letjten Aufsätje. Die neue Deutung der Notiz Beethovens „Die Höhe der Stimmen mehr durch Instrumente" schien in den Rahmen zu passen; „Non si fä una Cadenza" wurde aufgenommen, weil der darin enthaltene Appell an die Praxis noch immer nicht überflüssig geworden erscheint. Besondere Gründe aber waren bestimmend, den in Themenstellung und Darstellungsweise von den übrigen abweichenden Aufsat} „Fidelio als ethisdies Bekenntnis" hinzuzunehmen und als, wie der Verfasser hofft, nidit abschwächendes Schlußstück zu placieren. Geschrieben wurde dieser auf Gemeinverständlichkeit gerichtete Aufsaß in seiner ursprünglichen Fassung, um eine vom Terror gepeinigte, seelisch aufs tiefste bedrückte Gemeinschaft auf eine A u f f ü h r u n g des „ F i d e l i o " vorzubereiten. Erschienen ist davon seinerzeit nur ein Teil, und auch dieser nur einem engumsdiriebenen Leserkreis (den Besitzern des Judenausweises) zugänglidi und unter dem Drude der Zensur verstümmelt. Zu den damit angedeuteten Motiven kommt die „ A k t u a l i t ä t " der Beelhovenschen Oper als weiterer Grund hinzu, die der Humanität Beethovens dargebrachte Huldigung zu erneuern. Von einer Erneuerung darf dabei auch insofern gespro6

then werden, als sowohl „Fidelio als ethisches Bekenntnis" wie audi „Non si fä una Cadenza" für dieses Buch eine so eingreifende Umarbeitung erfahren haben, daß sie gegenüber den früheren Publikationen als neue Arbeiten gelten dürfen. Wie schon angedeutet, begründet auch die Art der Behandlung der Themen eine gewisse Zusammengehörigkeit der Mehrzahl dieser Studien. Dabei ist nicht an eine bestimmte Methode zu denken, denn die Betrachtungsweise wird nicht durch einen ein für allemal festgelegten Plan bestimmt, sondern ergibt sich von Fall zu Fall aus dem jeweiligen Stoff. Es handelt sich vielmehr um ein leitendes Prinzip, das Themenstellung und -behandlung in einem bedingt: um das bewußte Bemühen, Musik in ihrer eigenen „Dimension", d. h. mit den ihr eigenen Begriffen zu erfassen — im Sinne des Beethovenschen Worts: „Auf solche Fragen läßt sich nur am Klavier antworten" 1 ). Daraus folgt ohne weiteres, daß der Schwerpunkt der Betrachtung nach Seiten der Form-Erkenntnis liegt. In der Instrumental- (und, genau durchdacht, auch in der Vokal-) Musik 2 ) lassen sich „ F o r m " und „ I n h a l t " nicht wie in der Dichtung oder Malerei voneinander scheiden. Der „ I n h a l t " oder nach üblichem Sprachgebrauch der „Gehalt" der Musik, dem musikalischen „Verständnis", dem künstlerischen Gefühl ohne weiteres offenbar, kann gedanklich bestenfalls im Gleichnis erfaßt werden; weder poetische, philosophische, psychologische noch sonstige Begriffe des außermusikalischen Denkens rühren an das Wesen der Musik. „ B e g r e i f e n " aber läßt sich und „verständlich" machen — nach musikalischen Begriffen, für die uns die Worte zur Verfügung stehen, wie auch nadi entsprechenden Vorstellungen aus anderen Dimensionen — das sinnlich Wahrnehmbare der Musik: das ist „ F o r m " im weitesten Sinne, alles *) Aus dem Gedächtnis z i t i e r t . ' ) Denn die Vokalmusik ist zwar vom W o r t t e x t her i n s p i r i e r t und entspricht ihm — a b e r nicht als „ Ü b e r s e t z u n g " , sondern als Ergänzung, die auf i h r e eigene spezifisdie A r t einen andern I n h a l t zum Ausdrudc bringt als d e r T e x t : das nach R i d i a r d Wagners T e r m i n u s in W o r t e n „ U n a u s s p r e d i l i d i e " .

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musikalische Geschehen umfassend, von der motivischen Entwicklung bis zum großen Sachau, von der Instrumentation bis zu Dynamik und Tempo. Und begreifen und verständlich machen läßt sich das Architektur ähnliche der Musik, die Gliederung des Ganzen und das Verhältnis der Teile zum Ganzen und zueinander: das ist „ F o r m " im engeren, gewohnten Sinne. Durchleuchtung der „ F o r i n " (im engeren oder im weiteren Sinne) ist Erforschung des „spezifisch Musikalischen", und Erkenntnis der „ F o r m " ist objektiv gültige Erkenntnis. Bewußte Blickrichtung auf die Form bedeutet nichts weniger, als ein Übersehen oder gar Verleugnen des „Gehalts" -— das werden die betreffenden Aufsätje hoffentlich spüren lassen — , sie entspringt gerade dem Bewußtsein, daß der Gehalt der Musik irrational ist. Solche Selbstbeschränkung gegenüber dem Irrationalen hat aber keineswegs Verarmung der Erkenntnis zur Folge. Denn die Form wird — in den Werken der Großen wenigstens — durch den Gehalt, besser: durch die Idee bestimmt, die sich in ihr offenbart, hängt bis ins kleinste von ihr ab und ist daher lebendig, individuell, genial und bewundernswert wie die Idee. Und vielleicht ist das Studium der Form der einzige Weg, zu einer klaren Anschauung der Idee im musikalischen Kunstwerk zu gelangen. Berlin, im November 1947 Das Datum des Vorworts zeigt, daß ein früheres Erscheinen des Buches vorgesehen war. Technische Schwierigkeiten, die den Verhältnissen der Nachkriegszeit entsprangen und als „höhere Gewalt" hingenommen werden mußten, haben gegen den Willen de6 Verlages die Veröffentlichung verzögert. Nunmehr, bei Bevorstehen der Publikation, das Datum des Vorworts zu ändern, geht nicht gut an, weil die jetzt zutreffende Datierung sich nicht mehr auf den Anteil des Autors an der Fertigstellung des Buches beziehen würde.

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Aus dieser Verlegenheit zieht der Verfasser den Nutzen einer Gelegenheit, dem Verlag öffentlich seinen Dank dafür zu sagen, daß der Verlag sich schon damals, trotj der bedrückenden und undurchsichtigen Wirtschaftslage, entschlossen hat, eine Arbeit, die sich mit rein geistigem Gut befaßt, in seine Obhut zu nehmen. New York, im April 1950 Dr. Ludwig Misch

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INHALTSVERZEICHNIS Seite

Vorwort als Einleitung 1. Die „Große F u g e " 2. „Alla danza tedesca" 3. Zwei B-dur-Themen 4. Das Finale des C-dur-Quartetts 5. Das „Problem" der d-moll-Sonate 6. Zwei Anmerkungen zur As-dur-Sonate op. 110 7. Zur Thematik der Egmont-Ouvertiire 8. Warum schrieb Beethoven die vierte Ouvertüre zu „Fidelio"? 9. Die Schladit von Vittoria 10. Uber einige Klavierwerke 11. „Die Höhe der Stimmen mehr durdi Instrumente" 12. „Non si fa uns Cadenca . . 13. „Fidelio" als ethisches Bekenntnis

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VON DIESEN AUFSÄTZEN SIND F R Ü H E R ERSCHIENEN: Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 im P r o g r a m m h e f t zum B e r l i n e r P h i l h a r m o n i s c h e n ( F n r t w ä n g l e r - ) K o n z e r t , 10. 1. 1927. 2 in A l l g e m e i n e M u s i k z e i t u n g , B e r l i n , 1934, Nr. 37. 3 in A c t a m u s i c o i o g i c a , K o p e n h a g e n , 1941, Vol. X I I I , F a s e . I—IV. 8 in Schweizerische M u s i k z e i t u n g , Zürich, 1. 3. 1938. 9 in A l l g e m e i n e M u s i k z e i t u n g , B e r l i n , 1935, Nr. 5. 10 im P r o g r a m m h e f t zum Konzert von Edwin Fischer, B e r l i n e r Kunst* wochen, B e r l i n , 5. 6. 1930. 12 in A l l g e m e i n e M u s i k z e i t u n g , 1920, Nr. 20. 13 T e i l d r u c k in J ü d i s c h e s G e m e i n d e b l a t t , B e r l i n , 10. 11. 1934.

Nr. 12 u n d Nr. 13 erscheinen h i e r in völlig u m g e a r b e i t e t e r F a s s u n g .

DIE „GROSSE FUGE" Die „Große Fuge", die als selbständiges Werk u n t e r eigener Opuszahl in der Reihe der „legten Q u a r t e t t e " von Beethoven steht, war nicht von vornherein zu eigenherrlichem Dasein bestimmt. Sie erklang zum ersten Male (am 21. Marz 1825) bei der U r a u f f ü h r u n g des B-dur-Quartetts op. 130, dem sie als Schluß9at; zugedacht war. Daß Beethoven sieh vor der Drucklegung des B-dur-Quartetts entschloß, die Fuge durch ein weniger anspruchsvolles Finale zu ersehen, bedeutete schwerlich eine Konzession an den Verleger u n d die beratenden Freunde, denen der gewaltige Satj nicht recht geheuer erschien. Beethoven mochte sich vielmehr überzeugt haben, daß das Stück über den ihm ursprünglich gesetjten Zweck hinausgewachsen war und das B-durQuartett zu stark belastet hätte. Die Große Fuge war eine Welt f ü r sidi geworden, deshalb mußte 6ie aus der geplanten Verbindung (an die höchstens der auffallende Anfang in G-dur erinnert 1 ) gelöst werden. Aber der äußere Anschein, daß die Große Fuge ihrer Mißliebigkeit wegen den f ü r sie vorgesehenen Platj im B-dur-Quartett räumen mußte, blieb ihr als Odium a n h a f t e n oder wurde ihr doch wenigstens zum bösen Omen. Jedenfalls leidet das Werk noch heute u n t e r einem traditionellen, nur durch Respekt beschönigten Verruf. Es gilt nicht n u r als schwer faßlich, sondern geradezu als problematisch, steht im Ansehen einer weniger inspirierten als gelehrt verstiegenen Arbeit. In ' ) Nämlidi im Hinblick auf die gleidie m o d u l a t o r i s d i e I d e e am An. f a n g des n e u e n Finales.

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einem Standwerk wie der Thayerschen BeethovenBiographie lautet das Urteil: „ E s ist mehr subjektive geniale Gedankenarbeit, als aus der Tiefe des Herzens gekommen, und so wird es auch schwerlich je auf die Herzen wirken." Auch Paul Bekker, der in seinem „Beethoven" eine geistreiche Auslegung der Großen Fuge versucht, kommt am Ende zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er resümiert: „Alle Empfindungsregungen erstarren. Nur noch spekulative Erkenntnisse teilen sich dem in feinsten Schwingungen spielenden Bewußtsein mit." Und sogar H. Leichtentritt, der (in seiner „Formenlehre") nachdrücklich für die „wenig gekannte und kaum gewürdigte Schöpfung" eintritt, sagt ihr „eine fast unpersönliche, unliebenswürdige Sachlichkeit" nach. So teilt die „Große F u g e " hinsichtlich ihrer Bewertung das Schicksal des Fugenfinales der „Hammerklavier-Sonate". Aber während man die Klavierfuge wohl oder übel mit'dem ganzen Werk in Kauf nimmt — in landläufiger Yirtuosenweise heruntergerasselt, scheint sie freilich das herkömmliche Urteil nur zu bestätigen ! —, läßt die Quartettfuge in ihrer „splendid isolation" sich bequem umgehen. Und nur ausnahmsweise unterzieht sich eine Kammermusik-Vereinigung der vermeintlich undankbaren Aufgabe, die Große Fuge zu Gehör zu bringen. Selbst in cyklischen Aufführungen „sämtlicher Q u a r t e t t e " Beethovens wird sie nicht selten unterschlagen. Vergegenwärtigt man sich, wie schwer und wie spät die heute populären Werke der letjten Schaffensperiode Beethovens sich durchgesetjt haben — die „ N e u n t e " wie die „Missa", die Streichquartette wie die Klaviersonaten nebst den Diabelli-Variationen, so liegt die Vermutung nahe genug, daß dem Monumentalwerk der Großen Fuge nichts anderes fehlt, als — verstanden zu werden. Ihr einst als bizarr verschrienes Thema befremdet uns heute nicht mehr, ihre berüchtigten „ H ä r t e n " stehen dem Verständnis nicht mehr im Wege, um so weniger, als die Kühnheit ihrer Polyphonie nirgends 12

die Logik der Harmonie durchbricht. Bleibt die auf den ersten Blick verwirrende Eigentümlichkeit der Form und die Kompliziertheit der Struktur. Wer aber in das Werk einzudringen sucht, dem wird es sich erschließen, und wem es sich einmal erschlossen hat, der wird nicht wieder davon loskommen. Er wird die Form als ebenso sinnvoll wie originell erkennen, in der kunstreichen Arbeit das Walten einer unerschöpflichen Phantasie erspüren, und vor allem: er wird hingerissen und erschüttert werden durch eine Gewalt und Eindringlichkeit des Ausdrucks, die nur Beethoven zu Gebote steht, und zwar dem „letzten Beethoven". An vereinzelten Versuchen, der Großen Fuge zu ihrem Redite zu verhelfen, hat es nidit gefehlt. Als eine besonders aussichtsreiche Art der Werbung erscheint der Vortrag durch ein Streichordiester anstatt des solistischen Streichquartetts. Diese Übertragung des gigantischen Kammermusikwerks in die Klangdimension der Orchestermusik hat zuerst Hans von Bülow vorgenommen, und Felix Weingartner und W. Furtwängler sind seinem Beispiel gefolgt. *

Den unerhört kunstvollen Bau der Großen Fuge in allen Einzelheiten zu ergründen, wird dem satztechnisch durchgebildeten Musiker vorbehalten bleiben. Aber auch der Musikfreund, der einen künstlerischen Eindruck zu empfangen wünscht, wird gut tun, sich so weit wie möglich mit dem Plan des Werkes vertraut zu machen. Die Fuge, der eine besondere Einleitung („Overtura") vorausgeht, gliedert sich in drei Hauptabschnitte nebst Coda. Äußerlich entsprechen die drei Teile in der Anordnung Allegro 4/4 B-dur — Meno mosso e moderato 2A Ges-dur — Allegro molto e con brio 8/s B-dur der Satzfolge einer Sonate (mit der sie H. Leichtentritt vergleicht). Aber auch nur äußerlich, wie sich aus der näheren Betrachtung ergeben wird. Der erste Abschnitt zeigt das einheitliche Thema des ganzen Fugenwerkes 13

mit einem „ C o n t r a s u b j e k t " (2. T h e m a ) v e r k n ü p f t und stellt sich als eine regelrechte und vollständige Doppelf u g e dar. Im „ M e n o mosso e m o d e r a t o " wird das (Haupt-) T h e m a in rhythmisch v e r ä n d e r t e r F a s s u n g fugenmäßig verarbeitet, wobei ein n e u e r , den ganzen Abschnitt beherrschender „ K o n t r a p u n k t " zur Verwendung k o m m t . Der dritte Abschnitt, der von einem kurzen m a r s d i a r t i g e n Satz und seiner erweiterten Wiederholung u m r a h m t wird, bringt neue Durchführungen. 2 ) Hier gelangt aber nicht nur eine rhythmisdi wiederum andere F o r m des T h e m a s zur V e r a r b e i t u n g , sondern es werden auch Bruchstücke des s o n a t e n m ä ß i g zerlegten T h e m a s f u g i e r t , f e r n e r erscheint eine das „Contras u b j e k t " der D o p p e l f u g e verwertende u n d schließlich eine das „ M e n o m o s s o " r e k a p i t u l i e r e n d e P a r t i e . D a s f ü r das Verständnis d e r F o r m Entscheidende ist die Erkenntnis, daß im d r i t t e n Abschnitt die Technik der F u g e mit sonatenmäßiger ^ thematischer A r b e i t " verschmolzen wird. Rückblickend erfassen wir jetzt das Formgeheimnis der Großen F u g e . 1) J e d e r Abschnitt u m f a ß t eine G r u p p e von „ D u r c h f ü h r u n g e n " , die sich im I. Abschnitt zu einer vollständigen F u g e zusammenschließen. 2) D e r I. und I I . Abschnitt stehen im K o n t r a s t v e r h ä l t n i s . Der I I I . Abschnitt bringt nicht n u r Neues, sondern greift auf die früheren Abschnitte zurück, vor allem verbindet er sonatenmäßige „ D u r c h f ü h r u n g " mit den fugenmäßigen „ D u r c h f ü h r u n g e n " . Die ersten beiden Abschnitte verhalten sich zueinander wie eine erste und zweite „Themengruppe" (Haupt- und Seitensatz) eines „Sonatensatjes", der dritte Abschnitt steht ihnen gegenüber wie der „Durchführungsteil" der Sonate. Diese A u f f a s s u n g wird noch dadurch bestätigt, daß zwischen dem Schluß des I I I . Abschnitts und der Coda des ganzen Werkes Zitate des I. und I I . Abschnitts stehen: die skizzierte A n d e u t u n g einer „ R e p r i s e " . ') Der Aasdrude ^Durchführung" igt, soweit nidbt anderes auB drücklidi angegeben wird, im Sinne der Fugen-Satztedinik zu verstehen, d. h. als „ F ü h r u n g des Themas durch die einzelnen S t i m m e n " .

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OVERTURA Die „Overtura" bildet nicht nur das organische Fundament des ganzen Werkes, sondern zugleich die spannende Inhaltsangabe, indem sie das Thema in seinen wichtigsten Fassungen aufstellt. Zuerst in seiner wuchtigsten Form, in sdiweren, accentuierten Ganztaktnoten, fortissimo, unisono in drei Oktaven:

Eine zweite Fassung, die nach spannender Fermate folgt,

T bedarf ihrem beweglichen Rhythmus gemäß nur des einfachen forte. Die Wiederholung dieser Themengestalt vollzieht die Modulation nach F-dur, der DominantTonart von B, in der die dritte Form des Themas, akkordisch begleitet, eintritt:

p Bei der Wiederholung wird sie von dem Motiv kontrapunktiert, das ihr audi später bei der Verarbeitung angehört:

Erklang hier das Thema in sehnsuchtsvollem piano (Ankündigung des zweiten Abschnitts), so erscheint die vierte Form in schüchternem pianissimo: ff

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Aber diese Form ist es, die alsbald, in der nun beginnenden Doppelfuge, einen harten Kampf zu bestehen haben wird.

FUGA

Allegro (I. Abschnitt. Doppelfuge). Gegen das stürmische „Contrasubjekt", das zuerst einsetzt,

kann das Thema sich schwer behaupten, zumal da die anderen Stimmen den Rhythmus des Contrasubjekts kräftig unterstützen. Das verklammerte Themenpaar durchläuft die vier Stimmen (1. Durchführung), dann schließt ein fünfter Themeneintritt die „Exposition" ab. Eine Wendung nach Es-dur leitet den „Modulationst e i l " ein, der zwei Durchführungen umfaßt. Bei dem andauernden fortissimo des Konflikts der beiden Themen kann eine Steigerung nur durch vermehrte Bewegung erzielt werden. Mit Beginn der zweiten Durchführung stellen die kontrapunktierenden Stimmen den Themen einen Triolenrhythmus gegenüber, für die dritte Durchführung erscheint ein noch belebterer

Rhythmus (zugleich mit einer rhythmischen Variante des Themas). In den Kämpfen der „Zwischenspiele" scheint das 1. Thema völlig zu unterliegen, nur sein Rhythmus wehrt sich gewaltig gegen die Ubermacht 16

(Baßsprünge durch drei Oktaven!), aber es gewinnt neue K r a f t , und besteht audi in der 4. Durchführung, mit der der Schlußteil erreicht ist, gegen das feindliche Thema. In der legten Aufregung rasen die Themen in doppelter Geschwindigkeit dahin, auf das Maß von zwei Takten (gegen vorher vier) zusammengedrängt, das Contrasubjekt überdies in Triolen rhythmisiert. In der Coda triumphiert am Ende doch das Contrasubjekt, aber nun wandelt sich das Bild, eine Modulation nach Gesdur leitet über zum Meno mosso e

moderato

(II. Abschnitt, ebenfalls Doppelfuge.) Ein aus dem (Haupt-) Thema gewonnenes Motiv

bereitet den Eintritt einer jener wundersamen Melodien vor, die nur dem „legten Beethoven" zu singen gegeben waren. Anfangs akkordisch begleitet und vom obigen Motiv leicht umspielt, enthüllt die Weise sich als „Kont r a p u n k t " zum Fugenthema:

dieser Kontrapunkt aber gibt dem ganzen Abschnitt den Charakter, obwohl das Fugenthema nadi allen Regeln der Kunst darin verarbeitet wird. Im Unisono aller vier Stimmen hat der „ K o n t r a p u n k t " denn auch das legte Wort in diesem lyrischen Teil des Werks. Allegro molto e con brio (III. Abschnitt.) Das Fugenthema in der Fassung des zweiten Notenbeispiels gebärdet sich, als wollte es 2

Miedb, Beethoven-Studien

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eine Fuge aufbauen. (Auftritt als „ D u x " und „Cornea"). Aber es wird nichts daraus. Ein kontrapunktierendes Motiv entwickelt sich frei zu einer zündenden, sieghaften Marschweise,

die nun ihrerseits vom Thema kontrapunktisch umspielt wird. Man weiß, was Marschmelodien bei Beethoven bedeuten. Es bereitet sich eine Schlacht vor. Ein energischer Ruck von B-dur nach As-dur, und schon reckt sich drohend im Baß das Fugenthema in seiner gewaltigsten Gestalt, wie es in der Einleitung zuerst dastand:

Verzweifelte Schreie klingen ihm entgegen

und gleich mischt sich noch ein anderer Ruf ein (ein aus dem Thema gewonnenes Motiv)

Das Fugenthema zerbricht in dem Kampf (nach der ersten Durchführung), seine Glieder streiten getrennt weiter: die erste Hälfte während der zweiten, die zweite Hälfte während der dritten Durchführung, in die wütende Triolen hineinrasen. Über einer Engführung der tiefen Stimmen trillert die I. Violine, die das Thema gegen einen furchtbaren Orgelpunkt durchzusehen suchte, jagen die Triolen dahin, die mehr und mehr die 18

Gestalt des Fugenthemas annehmen. Mit einem leisen Signalruf kündigt sich das (in 6 /s-Rhythmus umgebildete) Contrasubjekt der Doppelfuge an, eine vom Thema gezeugte Schlange zischt ihm entgegen:

Das Contrasubjekt, das seine K r a f t in diesem Streit siegreich erprobt, nimmt es nun auch mit den Resten des großen Fugenthemas auf, die sich mit einer Engf ü h r u n g aller Stimmen zur letjten Schlacht gerüstet haben. Meno mosso moderato Gleichsam „neue K r a f t f ü h l e n d " richtet sich das Fugenthema in einem dem ersten „Meno mosso" entsprechenden, aber im Charakter stark verwandelten Satj auf. Aus der Ges-dur-Zärtlichkeit ist in As-dur lebensfrohe Energie geworden. Allegro

molto

e con

brio

Die Wiederkehr des Marsches bezeichnet das Ende der Kämpfe. Der Satj spinnt sich diesmal länger aus, macht in mystischer Versunkenheit einen Augenblick halt und verklingt allmählich, leise, in intimster Verinnerlichung der Stimmung. Allegro.

Meno mosso e

moderato

Die erwähnten Zitate der beiden ersten Abteilungen. Sie haben hier, wie angedeutet, einen anderen Sinn als die äußerlich ähnlichen „Erinnerungsmotive" im Finale der „Neunten". (Aphoristische Reprise.) Allegro

molto

e con

brio

(Die Coda.) Das Thema in der ersten Form, die sich jetjt als seine Ur- und Hauptform offenbart, aber 2*

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im hellen B-dur in erweiterter triumphaler Gestalt. Beruhigt antwortet die Vs-Form des Themas. Mystik über einem Orgelpunkt (Engführung der Oberstimmen), atemraubender Ubergang. Dann schwingt sich, im oktavverdoppelten Baß vom Hauptthema getragen, in einer Mittelstimme akkordisch begleitet, das Contrasubjekt empor, triumphierend und sehnsuchtsvoll, jubelnd und betend zugleich. Ein Schluß von überwältigender Herrlichkeit und erhebendem Ethos. Noch viel ließe sich über die Große Fuge sagen — doch nur zu einem, der dabei in die wunderbare Partitur blickt.

„ALLA DANZA

TEDESCA"

Beethoven hat sich bekanntlich niemals „wiederholt". Jedes seiner Werke — etwa ausgenommen gewisse Parerga, Gelegenheitsarbeiten, Jugendkompositionen und dergleichen — zeigt eine so individuelle Prägung und eine so eigentümliche geistige Atmosphäre, daß es die Bedeutung der Einmaligkeit hat. Keines erscheint als bloße Variante eines schon vorhandenen Typs. Eine ganz andere Bewandtnis hat es mit der bewußten mehrmaligen Verwendung desselben Themas (z. B. das des Eroica-Finales oder des Türkischen Marschs aus den „Ruinen von Athen"), mit der Entwicklung verschiedenartiger Themen, Sä£e, Werke aus einem gemeinsamen thematischen Keim (Streichquartette cis-moll, a-moll, Große Fuge), mit der wiederholten Inangriffnahme desselben künstlerischen Problems (z. B. Opferlied) oder mit dem Zurückgreifen auf die gleiche oder eine verwandte geistige Idee zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenartiger Gestaltung (Finale der Chorfantasie und der Neunten). Zu den Beispielen der letjteren Art dürfte eine merkwürdige, zwischen zwei Beethovenschen Sätjen ver20

schiedener Schaffensperioden bestehende Analogie zählen, auf die meines Wissens noch nidit hingewiesen worden ist. „Die Seele großer Musiker" sagt Max Graf in seinem schönen Buch „Die innere Werkstatt des Musik e r s " (Stuttgart 1910) „ist mit Tonphantasien angefüllt, die immer wieder zu künstlerischer Gestaltung sich durcharbeiten." Wenn Graf diesen Gedanken am Beispiel des Finales der 9. Symphonie ausführlich erläutert, 60 soll hier von einer solchen „Tonphantasie" oder „Vision" kleinen Formats die Rede sein. Der 1. Satj der Sonate op. 79 ist überschrieben: „Presto alla tedesca". Das Hauptthema verrät zunächst kaum etwas von seiner Herkunft vom „Deutschen Tanz". Es ist, obwohl adittaktig, nicht periodisch, sondern ametrisch gebaut, wie es eben für das 1. Thema eines Sonatensatjes (oder in diesem Falle eines Sonatinensa^es) die Regel ist. Erst in der Coda erfährt es eine Umformung in periodische, also dem Typ eines Tanzes entsprechende Struktur. Solche, Umprägungen des Sonaten-Hauptthemas in der Coda aber liebt Beethoven überhaupt, und so weist eigentlich nur die Überschrift noch darauf hin, daß der geistige Ausgangspunkt dieses Satjes der Typus des Deutschen Tanzes war. Durch die Skizzen allerdings wird diese Herkunft aufs deutlichste vor Augen geführt: die ursprüngliche Aufzeichnung des Themas zeigt nämlich eine periodische, ausgesprochen tanzmäßige Fassung 1 ). Erst im weiteren Verlauf des Schaffensprozesses hat Beethoven also absichtlich die tanzmäßige Gestalt abgeändert zugunsten einer Fassung, die ihm für das Thema eines Sonatensatjes geeigneter erschien. Die codamäßige Fassung aber identifiziert sich in diesem Falle als Wiederherstellung der Urgestalt, und von der Coda aus rückblickend erkennt man in den ersten vier Takten des Hauptthemas tatsächlich noch den „Vordersatj" eines ursprünglich „periodischen" Gebildes. Viele J a h r e später ist Beethoven auf die gleiche Idee einer künstlerischen Auswertung des Deutschen *) Nottebohm, Beethoveniana I I

(Skizzen ans dem Jahre 1809).

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Tanzes zurückgekommen: Der 4. Satj des Z?-dur-Quartetts op. 130 trägt bekanntlich die Überschrift: „Alla danza tedesca". Dieser Satj ist seinem Typus nach ein wirklicher Tanz, wenn auch selbstverständlich in sublimierter künstlerischer Stilisierung. Die Ähnlichkeit der Themen dieser beiden Sätje ist frappant. Das spätere erscheint, sofern der „Themenkopf" in Betracht kommt, geradezu als eine Umkehrung des früheren. Und doch hat Beethoven, wie die Skizzen beweisen 2 ), das Thema der „danza tedesca" neu erfunden und erst in allmählich fortschreitender Arbeit zu der uns bekannten Gestalt entwickelt.

Es könnte eingewendet werden, daß das nicht verwunderlich sei, da ja Dreiklangsthemen bei Beethoven nichts Seltenes sind und der Tanztyp in beiden Fällen den rhythmischen Typ bestimmt hat. Das wäre jedoch kein Einwand, sondern gerade eine Bestätigung dessen, was hier gezeigt werden soll: daß nämlich die nachweislich gleiche, von Beethoven selbst durch entsprechende Überschrift gekennzeichnete künstlerische „Vision" in zeitlich weit auseinanderliegenden Schaffensakten zu einer ähnlichen künstlerischen „Materialisation" geführt hat 3 ). Die inneren Beziehungen gehen bei aller technischen, inhaltlichen und formalen Verschiedenheit der beiden Sätje noch weiter, wie ein Vergleich des *) N o t t e b o h m , B e e t h o v e n i a n a I und I I . *) Auf einen kleinen Analogiefall aus dem Sdiaffen von B r a h m a «ei b e i dieaer Gelegenheit ebenfalls aufmerksam g e m a & t : Man vergleiche das T h e m a des im ersten Liedopus (op. 3) erschienenen Liedes „ W e i t über das F e l d ein G e i e r f l o g " mit dem T h e m a des im op. 93a erschienenen A-cappella-Chores „ D e r F a l k e " ( „ H e b t ein F a l k e sidx e m p o r " ) . Audi

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Seitensatjes von op. 79 u n d deB Mittelteils des Quartettsatjes zeigt:

Und hinzu kommt noch die Übereinstimmung der Tonart. Wer auch nur einigermaßen mit der Schaffensweise des Meisters v e r t r a u t ist, weiß, welch bestimmten (wenn auch in Worten nicht definierbaren) Charakter und Ausdrudeswert die T o n a r t f ü r Beethoven hat. U n d wie wenig die Wahl der gleichen T o n a r t eine zufällige ist, erweisen überdies die Skizzen. Das Thema zu op. 79 erscheint in der ersten bekannten Skizze in C-dur, das Thema der „danza tedesca" aus op. 130 ist ursprünglich in ,4-dur skizziert (und nach Schindler auch ausgef ü h r t worden) und war nach Schindler und Nottebohm ursprünglich f ü r das a-moll-Quartett op. 132 bestimmt. Bei der Einweisung in den Bereich des ß-dur-Quartetts erscheint der Saß zunächst in ß - d u r , um dann erst seine endgültige A u s f ü h r u n g in G-dur zu finden. Man mag immerhin geltend machen, daß der Gesamtplan des ß dur-Quartetts diese neue Änderung der T o n a r t verlangt hätte 4 ). Aber selbst wenn f ü r die endgültige Wahl von G-dur mehrere Motive zusammenkamen, so widerspricht das nicht der Annahme, daß die Vorstellung des „Deutschen Tanzes" Beethoven wieder das G-dur aufzwang. h i e r ergibt eine nachweislich gleiche Vorstellung v e r w a n d t e T h e m a t i k . D e r Flug des Geiers bzw. des F a l k e n , oder g e n a u e r : das jähe E m p o r s t o ß e n eines Raubvogels, wird in beiden Fällen durch eine T r i o l e , die den Anlauf zum Sprung in den Spißenton der Melodie b i l d e t , versinnbildlicht. «) Vgl. dazu den folgenden Aufaatj „ Z w e i B - d u r - T h e m e n " .

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ZWEI B-DUR-THEMEN Eine

Beethoven-Schubert-Studie

Zwischen dem Finalthema der B-dur-Sonate op. posth. von Schubert und dem Thema des nachkomponierten Schlußsatzes zum B-dur-Quartett op. 130 von Beethoven besteht eine frappante Ähnlichkeit, die noch nicht beachtet worden ist, obwohl sie zu interessanten stilistischen und schaffenspsychologischen Erkenntnissen verhelfen kann. Allegro

Allegro

BEETHOVEN

ma non troppo

SCHUBERT

Suchen wir der Wesensgemeinschaft der beiden Themen, die sich dem unbefangenen Hörer aufdrängt, auf den Grund zu gehen, so finden wir, daß das Übereinstimmende vornehmlich in der Harmonik liegt. Die 24

eigentlich „melodische" Zeichnung, d. h. die Bewegungskurve im Tonraum, ihre motivische Gliederung, ihre rhythmische und metrische Struktur, ist in beiden Fällen so verschieden, daß das jüngere Schubertsche Thema gegenüber dem Beethovenschen seine individuelle Selbständigkeit wahrt: Bei Beethoven volltaktiger, bei Schubert auftaktiger Rhythmus; bei Beethoven eine große Periode aus zwei analogen viertaktigen Motivgruppen, bei Schubert der Vordersatj der Periode aus zwei gleichen Zweitaktgruppen gebildet 1 ). Dem harmonischen Grundriß nach aber gleichen die Themen sich in solchem Grade, daß eine „Familienähnlichkeit" nicht zu verkennen ist. Beide Themen, in B-dur stehend, beginnen über dem (gebrochenen) Dominantseptim-Akkord auf G, der mit dem Klang der Subdominant-Parallelen von B-dur (c-es-g) kadenziert; beide biegen mit Beginn des Nachsatjes — insoweit auch Übereinstimmung der metrischen Anlage — aus dem scheinbar tonal entlegenen Bereich 2 ) ins eigentliche, engere Gebiet der Haupttonart ein; und zwar über die Dominante von B 3 ). Daß die dann anschließende Kadenzierung in B-dur nicht mehr auf einerlei Art vor sich geht, erscheint gegenüber der gemeinsamen harmonischen Grundidee unwesentlich. Die Ähnlichkeit wird noch unterstrichen durch das beiden Themen zwei Takte lang als Einzelton voraus' ) Z ü g e e i n e r s c h e i n b a r e n , nur äußerlichen Ähnlichkeit nicht unberücksichtigt z u l a s s e n : D e r Motiv6chluß h — c b e i S c h u b e r t auf g u t e m T a k t t e i l s t e h e n d , im N a d t s a g der P e r i o d e f o r t f a l l e n d ; d i e gleiche weibliche E n d u n g b e i B e e t h o v e n auf schlechtem T a k t t e i l als M o t i v v e r k e t t u n g u n d d e m g e m ä ß im N a c h s a g e n t s p r e c h e n d (als a — b ) w i e d e r k e h r e n d . D i e S e c h z e h n t e l f i g u r i m B e e t h o v e n s c h e n T h e m a s e l b s t ä n d i g e s M o t i v , d a h e r k o r r e s p o n d i e r e n d im V o r d e r - und N a c h s a g e n t h a l t e n ; d i e S e c h z e h n t e l f i g u r im v o r l e t j t e n T a k t d e s S c h u b e r t - T h e m a s e i n e m e l i s m a t i s c h e S c h l u ß v e r z i e r u n g ( v e r g l . auch d i e f o l g e n d e V a r i a n t e d e s T h e m a s ! ) typisch S c h u b e r t s d i e n C h a r a k t e r s . 2 ) „ F u n k t i o n e l l " b e u r t e i l t h a n d e l t e s sich u m e i n e n B e g i n n m i t d e r S u b d o m i n a n t e , d i e in d e r v e r s e l b s t ä n d i g t e n G e s t a l t d e r „ P a r a l l e l e n " a u f t r i t t , u n d zwar k a d e n z i e r e n d m i t i h r e r e i g n e n D o m i n a n t e , die i h r e r s e i t s aus der a l t e r i e r t e n T o n i k a - P a r a l l e l e g e b i l d e t i s t . Wir w e r d e n a b e r d i e s e D e u t u n g deB H a r m o n i e v e r l a u f s s p ä t e r , u n t e r e i n e m weiterreichenden G e s i c h t s p u n k t noch z u e r w e i t e r n u n d zu v e r t i e f e n h a b e n .

' ) D e r , , Q u a r t s e x t a k k o r d d e r I . S t u f e " , den wir an d i e s e r S t e l l e b e i S c h u b e r t finden, ist j a b e k a n n t l i c h n u r e i n e U m s c h r e i b u n g d e r D o m i n a n t e .

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klingende C : bei Beethoven in Oktavbredhung rhythmisiert, bei Sdiubert als festliegende Oktave. Hinzu kommt ferner die Gleichartigkeit der Begleitung, deren Rhythmus und Figuration in beiden Fällen identisch ist, und deren harmonische Einzelausführung mit orgelpunktartiger Wiederholung des Baßtones die ersten vier Takte hindurch dieselbe ist, ausgenommen allein die am Ende des vierten Schubertschen Taktes erfolgende Alteration. Bei einer Ähnlichkeit, die auf der Gemeinsamkeit so origineller und charakteristischer Züge beruht, ist die Vermutung begründet, daß das eine Thema die Gestaltung des andern beeinflußt hat. Die tatsächlichen Umstände sprechen dafür, daß Schubert Beethovens Thema gekannt hat: das B-dur-Quartett wurde mit dem neuen Finale schon im Dezember 1826 zum ersten Male aufgeführt und scheint in der nächsten Folgezeit mehrmals wiederholt worden zu sein 4 ). Schuberts B-durSonate entstand im September 1828; bei der Konzeption seines Finalthemas mag Beethovens Finalthema in ihm nachgeklungen haben . . . Natürlich steht es frei, auch eine „Duplizität 4 des Einfalls anzunehmen: unnötig zu sagen, daß an sich der geniale Harmoniker Schubert nicht der Anregung durch ein fremdes Thema bedurft hätte, um das seine zu finden. Gewiß ist nur die Priorität Beethovens. Doch diese Frage (die nur durch ein dokumentarisches Zeugnis mit Bestimmtheit entschieden werden könnte) bleibt von sekundärem Interesse angesichts eines Ausblicks, der sich hinter ihr auftut. Die Konfrontation der beiden Themen führte zur Bloßlegung des ihnen gemeinsamen Kerns. Wir werden aber erfahren, daß demselben Harmoniegebilde in der Geisteswerkstatt Beethovens eine durchaus andere Bedeutung zukommt als im Phantasiebereich Schuberts.

•) Vergl. Thayer Bd. 5 (2.—1. Auflage) SS. 407, 423. 435, 480.

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Das stilistische Wesen des Beethovensdien Themas werden wir am besten in einer „genetischen" Darstellung erfassen. Wir können nämlich, ohne direkte Skizzen zum nachkomponierten Finale des B-dur-Quartetts zu Rate zu ziehen, den Entstehungsprozeß des Themas bis zu seinem Ausgangspunkt zurückverfolgen; d. h. — im vollen Bewußtsein der Irrationalität des schöpferischen Akts — die geistigen Motive aufspüren, denen die musikalische Phantasie bei Gestaltung des Themas gehorcht hat. Den ersten Anhaltspunkt bietet uns ein auffallendes Merkmal, das der ursprüngliche Schlußsat} des Bdur-Quartetts, die „Große Fuge", mit dem nachkomponierten Finale teilt: der Beginn mit dem Tone G 5 ) . Mit einem wuchtigen, durch vier Oktaven gelagerten G, das durch Fermatendehnung und Oktavsprung 6 ) noch fester Boden faßt, segt die „Overtura" der Fuge ein, um dieser Vorbereitung zweimal das Thema in G-dur folgen zu lassen, bevor sie über C und F zur Haupttonart B-dur hinleitet. Was hat das zu bedeuten? Nimmt man die Große Fuge als selbständiges Werk, wie sie nach Beethovens endgültigem Willen j e g t dasteht, so läßt sich schwerlich für den G-dur-Anfang — denn um einen solchen handelt es sich wirklich — eine ungezwungene Erklärung finden. Sobald man sich aber die Komposition an den Plag zurückversegt denkt, den sie eigentlich einzunehmen bestimmt war, springt die Logik ihres Anfangs ins Auge: das G der „Overtura" ist die Anknüpfung an den legten Melodieton des voraufgehenden Es-dur-Sages, an die rührende Terz, mit der die „Cavatina" ausklingt; es dient als „gemeinsamer T o n " zur engen Verkettung der Säge, zur Herstellung eines festeren Zusammenschlusses, als ihn die Verwandtschaft der Tonarten allein bewirken könnte. Auf ähnliche Art sind ja auch der zweite und dritte Sag 6 ) Es eei e r l a u b t , vorläufig beziehungslos vom „ T o n e " G zu sprechen. ' ) D e r Oktavsprung hat — infolge des Synkopenrhythmus und der H a l t e b o g e n — für den H ö r e r die doppelte Bedeutung einer Befestigung des erklungenen T o n e s und eines spannend gedehnten T h e m e n a n f a n g s .

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des B-dur-Quartetts, das b-moll-Presto und das (mit b-moll-Einleitung beginnende) Des-dur-Stück (Andante con moto, ma non troppo) miteinander verbunden. Dodi während hier die Anknüpfung nur eine direkte Modulation zur Parallel-Tonart bedingt, wird das G des Fugenanfangs, das ja im Erklingen seine FunktionsBedeutung ändert 7 ), zugleich zum Ausgangspunkt einer höchst spannenden Einführung der Finaltonart. Wieviel Beethoven auf diese Idee des Anschlusses hielt, läßt sich daran erkennen, daß er sie — in einer später zu beleuchtenden Abwandlung — auch für den neuen Finalsat} verwertet hat. *

Bevor wir die Folgerung aus dem bisherigen Befund ziehen dürfen, haben wir uns noch mit einem unsern sonstigen Beobachtungen scheinbar widersprechenden Tatbestand auseinanderzusetzen: Im Gegensat} zu den erwähnten, auf ununterbrochene Aufeinanderfolge der Sätje berechneten Übergängen verziditet die „Danza tedesca" nichtnur auf eine derartige Verbindung mit dem ihr voraufgehendenSatj 8 )* sondern sie läßt sogar mit ihrem unvermittelt nach einem Des-dur-Stück einsehenden G-dur zwei weit entfernte Tonarten aufeinanderprallen. Wir wissen durch Schindler und Nottebohm, daß die „Danza tedesca" ursprünglich für das a-moll-Quartett bestimmt und in A-dur skizziert (bzw. auch schon ausgeführt) war. Warum aber wurde das Stück bei seiner Aufnahme in den Plan des B-dur-Quartetts nach G-dur transponiert und nicht in eine zwischen den Tonarten der Nachbarsätje vermittelnde Tonart, z. B . B-dur? — In der Tat hat Beethoven im Verlauf der Arbeit B-dur in Betradit gezogen 9 ), aber am Ende verworfen 7 ) Losgelöst vom bisherigen B a ß und bis in die B a ß r e g i o n greifend, wird das C vom H ö r e r alsbald zum Crundton einer neuen Harmonie umgedeutet — und a h solcher denn auch durdi das G-dur des T h e m a s b e s t ä t i g t . ®) Es ist natürlich nicht u n t e r s t e l l t worden, daß s ä m t l i c h e S ä t z e des op. 130 ohne U n t e r b r e & u n g zu Bpielen wären. •) N o t t e b o h m , B e e t h o v e n i a n a und Neue B e e t h o v e n i a n a .

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zugunsten von G-dur! Wenn wir dem Grunde dieser Entscheidung nachspüren, wird uns ein Blick in das innere Getriebe der Geisteswerkstatt Beethovens vergönnt. Im vorhergehenden „Alla danza tedesca" betitelten Aufsat} 10 ) habe ich zu zeigen versucht, daß die Vorstellung des „Deutschen Tanzes" in Beethovens Phantasie mit dem Tonart-Charakter G-dur assoziiert war, u n d daß diese Assoziation sich im Bereich des B-dur-Quartetts ebenso zwingend durchsetjte, wie es J a h r e zuvor bei der Arbeit am „Presto alla tedesca" der Sonate op. 79 geschehen war. Diesem Motiv aber, das ausweislich der Skizzen in beiden Fällen erst allmählich zum Vorschein kommt, gesellt sich im Falle des „Danza tedesca" verstärkend, entscheidend und die unbedingte künstlerische Notwendigkeit des G-dur begründend, noch ein weiteres Motiv: der tonale Gesamtplan des Quartetts. Zwischen den B-dur-Massiven der Ecksäge finden wir als Tonarten der Mittelsäße — ohne die „danza tedesca" — b-moll (Presto), Des-dur (Andante con moto) u n d Es-dur (Cavatina). Lassen wir, als herkömmlich f ü r langsame Mittelsäge, die Tonart der Subdominante außer Betracht, und nehmen wir b-moll als — ebenfalls gebräuchliche — Variante der H a u p t t o n a r t oder auch als Zubehör (Parallele) zum Des-dur-Komplex, so bleibt als fremderes Klanggebiet, mit dessen Einbeziehung die B-dur-Tonalität über den gewohnten Umfang hinaus erweitert ist, das alteriert „terzverw a n d t e " Des-dur 1 1 ). Hier seßt nun Beethovens wunderbares Tonalitätsgefühl an, das ihn die fernsten, seiner Phantasie u n d Ausdrucksabsicht entsprechenden Klänge in organischen Zusammenhang mit der H a u p t t o n a r t bringen und damit die Tonalität ins schier Unbegrenzte erweitern läßt, ohne sie zu sprengen. Als ein zur Erhaltung des tonalen Schwerpunkts erforderliches Gegengewicht gegen Des-dur verwendet er G-dur, die Tonart, ">) S. S. 20. n ) Die m o d e r n e T h e o r i e (W. Klatte) spricht von „tonischer Verwandtsdiaft".

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die in entgegengesetzter Richtung gleich weit vom tonischen Zentrum B entfernt liegt. Des-dur und G-dur, die Tonarten der kleinen Ober- und Unterterz (bzw. der dritten Quinte abwärts und aufwärts) stellen harmonische Gegenpole dar, zwischen denen die Tonika — ähnlich wie zwischen ihren Dominanten — als Ausgangsund Zielpunkt entgegengesetzter, gleich starker Spannungen ruht. Also nicht beziehungslos, sondern nach Art der beiden Dominanten einer Tonart (die ja auch nur durch das beiderseitige Verhältnis zur Tonika in Beziehung stehen) treten im Satzgefüge des B-dur-Quartetts Des-dur und G-dur nebeneinander. Aber das ist noch nicht alles. Die durch die Komponenten Des-dur und G-dur erweiterte und spezifisch gefärbte B-dur-Tonalität, wie sie durch das TonartenSpektrum der Sagfolge repräsentiert wird, findet sich — gleichsam als Mikrokosmos — schon vorgebildet in der harmonischen Disposition des ersten Satjes: hier wird der tonartliche Kontrast zwischen Haupt- und Seitensat} durch B-dur und Ges-dur dargestellt 1 2 ), und der breiten, den ganzen Seitensat} nebst Epilog umfassenden Ges-dur-Partie der Exposition entspricht in der Reprise eine Des-dur-Strecke, die der Seitensat} vor Erreichung der Haupttonart zu durchlaufen hat. Die Durchführung aber weist (nach zwei Takten Fis-dur, der enharmonischen Umdeutung von Ges-dur) die Tonarten D-dur, G-dur und c-moll auf, also die beiden den Harmonie-Einheiten Ges-dur und Des-dur zugeordneten „Komplementärfarben" 1 8 ) und dazu eine tonalitätseigne Vermittlungstonart als Ubergang zum B-dur des Reprisenbeginns. Beachtet man noch, daß der G-durAbschnitt seiner Lage und Ausdehnung nach 14 ) das l ä ) Die D o m i n a n t - T o n a r t t r i t t rilii011 innerhalb des Hauptsatzes, der j a durdi den Gegensatz Adagio — Allegro überhaupt besonderen Bedingungen u n t e r l i e g t , in W i r k s a m k e i t . l a ) D-dur und Ges-dur als T o n a r t e n der vierten Quinte auf- und abwärts von B v e r h a l t e n sich zueinander wie G-dur und Des-dur. *') 14 T a k t e G-dur stehen (wie eine T o n i k a zwisdien i h r e n beiden D o m i n a n t e n ) zwisdien 10 bzw. 11 T a k t e n D-dur und 9 T a k t e n c-moll, von denen der letzte schon der n a A B - d u r zurückführenden Modulationskadenz angehört.

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Zentrum der Durchführung und (in gewissem Betracht wenigstens 1 5 )) den Kulminationspunkt der Modulationskurve des ganzen Satzes bezeichnet, so wird ohne weiteres klar, daß die Harmonieführung des ersten Satzes für den tonalen Gesamtaufbau des B-dur-Quartetts richtunggebend gewesen ist, daß die durch die Kolorite Gesdur—Des-dur und D-dur—G-dur bestimmte Tonalitätsfärbung des ersten Satzes in der Tonartenordnung der Gesamtheit der Säße eine — natürlich vereinfachte — Projektion ins Große erfahren hat. Da im Beethovenschen Kunstwerk wie im naturgewachsenen lebendigen Organismus eine stete, wesensbedingende Wechselbeziehung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen waltet, konnte erst ein scheinbar vom eigentlichen Thema abschweifender Blick auf die harmonische Gesamtstruktur des B-dur-Quartetts uns zum vollen Verständnis eines einzelnen Charakterzugs des Werkes verhelfen. Jetjt wissen wir, daß die G-dur-Tonart in der Overtura der Großen Fuge noch mehr zu bedeuten hat, als einen durch den Verbindungston G veranlaßten und nach Laune der Phantasie bewerkstelligten Kunstgriff, die Finaltonart wirkungsvoll einzuführen: Dies G-dur ist Auswirkung und Faktor der stilistischen Einheitlichkeit des Ganzen, ein genial aufgetragener Pinselstrich, der demB-dur-Koloritdes letjten Satjes nochmals eine Nuance von der Tonalitätspalette des ersten Satjes und der Saßfolge beigibt 1 6 ); es ist sozusagen eine legte tonale Verankerung des G-dur der „Danza tedesca", das seine frühesten und tiefsten Wurzeln im G-dur-Teil der Durchführung des ersten Sages hat. Nun begreifen wir auch, was wir zuvor lediglich feststellen konnten: den von Beethoven selbst dieser Idee des Finalanschlusses beigemessenen Wert. Und daraufhin dürfen wir in unseren Folgerungen noch 1 5 ) I n s o f e r n nämlidi, als natil dem G-dur mit c-moll die Rüdtmodulation beginnt. 1 B ) V e r g l . im übrigen auch das Ges-dur des zweiten — einem „ S e i t e n s a t z " entepredienden — AbBdinitts ( „ M e n o mosso e m o d e r a t o " ) der Großen Fuge!

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einen Schritt weitergehen: Indem diese Idee in den Plan des an Stelle der Fuge „nachzukomponierenden" Finales einging, wurde sie geradezu der Keim zum Thema des neuen Satjes. Der Gedanke, in Anknüpfung an die Cavatina vom Verbindungston G aus — unter Berührung von G-dur — nach B-dur zu gehen, hat der erfindenden Phantasie bei der Konzeption des neuen Themas die Richtung gewiesen, hat sich zum thematischen Einfall transformiert. Und wenn wir in der jetjt gewonnenen Beleuchtung das Thema nochmals prüfen, werden wir auch die zuvor außer acht gelassene G-dur-Färbung — wenn auch nur andeutungsweise — noch darin entdecken. Die zweite Harmonie nämlich, der Klang c-es-g über ruhendem G, wird erst r ü c k w i r k e n d , vom erreichten B-dur aus, als Subdominante dieser Tonart gedeutet, beim ersten Erklingen aber als (Moll-) Subdominante auf eine Tonika G bezogen — Beweis: die Möglichkeit einer harmonisch ungezwungenen Weiterführung zum Abschluß in G! —, wobei freilich unentschieden bleibt, ob der Beginn auf reines G-dur oder auf die „Variante" g-moll hinzielt. Insoweit erscheint die ursprüngliche G-dur-Komponente in der neuen Auswertung der Anschluß-Idee modifiziert, abgeschwächt—wenn man w i l l — zu einem nur noch schlechthin tonischen Auftritt des G. Aber ist diese auf Annäherung des G-dur an das B-dur gerichtete Abwandlung („Variante" = Parallele!) nicht wiederum eine logische Folge der räumlichen Zusammendrängung, die durch Anpassung an die Disposition einer ganz neuen Komposition erfordert wurde: Statt der modulierenden Einleitung zur „Großen Fuge" ein „modulierendes Thema" des neuen Finales, ein zuvor m i t t e l s des Themas durchgeführter harmonischer Prozeß jetjt i n n e r h a l b eines Themas vollzogen! So bildet denn das End- und Hauptergebnis dieser Untersuchung, die uns Ursprung und Wachstum eines Beethovenschen Gedankens belauschen ließ, die Erkenntnis, daß das Thema des nachkomponierten Fina32

les aus dem Ganzen des B-dur-Quartetts hervorgegangen ist, wie ein neuer Keim aus einem lebenden Organismus, und daß seine eigentümlich schwebende, eine „romantische" Stimmungsfarbe vorwegnehmende Harmonik — Ausdruck des in dem Säße waltenden sublimen Humors — auf ebenso konsequenter wie genialer Fortentwicklung des Tonalitätsbegriffs beruht. *

Wollten wir versuchen, mit ähnlichen Gedankengängen dem stilistischen Prinzip des Schubertschen Themas beizukommen, so würden wir in die Irre geraten. Nichts spricht dafür und vieles dagegen, daß dies Thema einer musikalischen Denkweise entsprungen wäre, die der Beethovenschen entspräche. Ein Stück in der entlegenen Tonart cis-moll — das wundersame „Andante sostenuto" — eingereiht in die sonst durchweg in B-dur stehende Sagfolge eines B-dur-Werkes; die freizügige Harmonik namentlich des ersten Satjes mit seinem vielfachen, oft raschen Tonartwechsel, seinen weit von der Haupttonart wegführenden Modulationen und eingestreuten enharmonischen „Farbflecken" — das genügt schon, um zu zeigen, wie weit Schubert hier von der Beethovenschen Auffassung des Tonalitätsbegriffes entfernt war 1 7 ). Und eine tonale Begründung der für Beethovens Thema gekennzeichneten Art wird man für Schuberts Finalthema in den voraufgehenden Sägen vergeblich suchen. Fassen wir den ersten Vergleichspunkt, das vorausklingende G, ins Auge, so finden wir bei Schubert gerade den gegenteiligen Sinn wie bei Beethoven: ein Kontrastmoment statt der Absicht der Vereinheitlichung. Nach dem B-dur-Schluß des Scherzos bringt das wie ein Hornstoß tönende G des Sonatenfinales die erregende Wirkung des Unerwarteten hervor, den Eindruck eines harmonischen Szenen1 7 ) W i e er in der B - d u r - S o n a t e — bei aller Herrlichkeit i h r e r Musik — überhaupt weit e n t f e r n t ist von der Sonatenidee B e e t h o v e n s , der er in der h-moll-Symphonie schon so nahe gekommen war.

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Misch, Beethoven-Studien

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wechsele, einer neuen Tonart — während doch zwei Sätje gleicher Tonart aufeinander folgen. Wie wohl sich Schubert dieser Wirkung bewußt war, zeigt die weitere Ausnutzung des Mittels: zunächst schon bei der ersten Wiederholung des Themas, und später gesteigert in der Coda. Aber die Annahme, daß die Inspiration seines Themas von dieser Seite her ausgegangen wäre, würde zum mindesten unbeweisbar bleiben. Es sind hier offenbar ganz anders gerichtete K r ä f t e der Phantasie am Werk gewesen. Man werfe einen Blick auf die Harmonieführung des ersten Satjes: auf den Wechsel von B-dur und Ges-dur gleich im Hauptsag, das Schwanken zwischen fis-moll und A-dur im Seitensatj der Exposition; hinzugenommen die Parallelstellen der Reprise und aus der Durchführung das nach F-dur schillernde d-moll. Dann im Scherzo — das Andante nimmt mit seiner breitflächigen Harmonik eine Ausnahmestellung ein! — die zur Paralleltonart weisende Alteration der Dominante im 5. Takt, im Trio das Schweben zwischen b-moll und Des-dur. Kurz: das Nebeneinander, Gegeneinander und mischende Miteinander paralleler und terzverwandter Dur-Tonarten tritt als charakteristische Stileigentümlichkeit dieser Sonate hervor. Und im Finale, wo der erste Zwischensag nach g-moll abbiegt, das zweite Thema F-dur und D-dur gegeneinander setjt, findet sich unser in Frage stehendes Hauptthema gewiß in einer seiner Eigenart entsprechenden Umgebung. Die Folgerung liegt auf der Hand: nicht das Prinzip der tonalen Einheit, nicht die Absicht der organisch verbindenden Modulation, wie bei Beethoven, hat Schuberts Thema geprägt, sondern jener allenthalben in der B-dur-Sonate waltende Trieb der Phantasie, im Wechselspiel der harmonischen Farben der gleitenden Stimmung nachzuhängen, im Zauber eines „changierend e n " Kolorits das zarte Schwingen zwiespältiger Empfindungen nachzubilden. „Den Klassikern ist der harmonische Wechsel ein geistiges Ereignis, den Romantikern ein Mittel, um

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Stimmungen hervorzurufen, die Gefühlswelt zu bezaub e r n . " Wollen wir uns diesen Satj von Max G r a f (aus dem aufschluß- u n d inhaltsreichen Werk „Die innere Werkstatt des Musikers") zu eigen machen, so t r i t t uns Schubert, wie er sich in der B-dur-Sonate gibt, als „ R o m a n t i k e r " entgegen. Und darum bleibt es, im Grunde genommen, gleichgültig, ob sein Thema aus einer Erinnerung an das Beethovensche Thema inspiriert wurde oder nidit. War es wirklich der Fall, so hat Schubert Beethovens Thema nidit im Sinne der Beethovenschen Logik aufgefaßt, vielmehr den Wesenszug herausgehört, der seiner eigenen Phantasieriditung — jedenfalls bei der Konzeption der B-dur-Sonate — entsprach: den harmonischen Farbenwechsel, die scheinbar tonale Mehrdeutigkeit. Und auch wir hören Schuberts Thema dem harmonischen Inhalt nach anders als das Beethovens: nidit die Verbindung, sondern der Wechsel zweier Tonarten t r i t t hier in den Vordergrund. Das ist nidit eine theoretische Spitjfindigkeit, es ist die „Aussage des Ohrs", das in weiten Zusammenhängen hört und das Gehörte aus dem Zusammenhang beurteilt. Der Zusammenhang läßt aber auch den Anfang des Schubertschen Themas, dessen G an den entscheidenden Stellen jeweils auf ein B-dur oder g-moll zurüdigreift, im MollSinne verstehen: als auswechselbare Parallele von B-dur. *

Wir nehmen also aus der stilistischen Vergleidiung der beiden B-dur-Themen die immerhin merkwürdige Lehre mit, daß derselbe „harmonische T a t b e s t a n d " einmal als Kriterium des „klassischen Stils", das andere Mal als Kennzeichen einer „romantischen" Schreibart anzusprechen ist.

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DAS FINALE DES C-DUR-QUARTETTS Eine

Formstudie

B e e t h o v e n s „ G r o ß e F u g e " stellt i h r e r p h a n t a s t i s c h k ü h n e n A r c h i t e k t u r nach, wie ich im e r s t e n A u f s a ß dieses Buches 1 ) nachgewiesen h a b e , eine g r a n d i o s e , u n e r h ö r t geistreiche S y n t h e s e v o n F u g e u n d S o n a t e n s a t ; d a r . Es w ä r e l o h n e n d , d e n W e g , d e r z u r K o n z e p t i o n dieses W u n d e r b a u s g e f ü h r t h a t , e i n m a l p l a n m ä ß i g a u f z u s p ü r e n , d. h. in systematischem Z u s a m m e n h a n g die vielgestaltige F o r m e n w e l t zu b e t r a c h t e n , die B e e t h o v e n s immer erneute Beschäftigung mit dem Problem der V e r b i n d u n g v o n Sonaten- u n d F u g e n t e c h n i k b e z e u g t . Als A n r e g u n g u n d B e i t r a g zu solchen U n t e r . s u c h u n g e n gelte die F o r m - E r l ä u t e r u n g e i n e r r u n d zwei Jahrzehnte f r ü h e r entstandenen Beethovenschen Komp o s i t i o n , die u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t des gekennzeichn e t e n P r o b l e m s ein Gegensstück zur „ G r o ß e n F u g e " b i l d e t . Das o f t fälschlich als „ F u g e " 2 ) a n g e s p r o c h e n e F i n a l e des d r i t t e n R a s u m o w s k y - Q u a r t e t t s ( o p . 5 9 , C-dur) v e r w i r k l i c h t nämlich — w e n n auch in a n d e r e m Stil, anderer Ausdruckssphäre und anderer Behandlung der F o r m e l e m e n t e — die gleiche F o r m i d e e wie das gigantische S p ä t w e r k : die I d e e e i n e r S y n t h e s e v o n F u g e u n d Sonatensat}. D a b e i v e r s t e h e n wir u n t e r „ S y n t h e s e " eine F o r m g e b u n g , die — z u m U n t e r s c h i e d von a n d e r e n K o m b i n a t i o n e n des S o n a t e n - u n d des F u g e n p r i n z i p s — auf e i n e r v o l l k o m m e n e n V e r s c h m e l z u n g u n d gegenseitigen Durchdringung der beiden kompositorischen „Denkweisen" 3 ) b e r u h t . Z u m b e s s e r e n V e r s t ä n d n i s dessen v e r g e g e n w ä r t i g e n wir u n s zunächst noch e i n m a l — in K ü r z e u n d u n t e r ^ S . S. 14. 2 ) So R i e m a n n i n T h a y e r s B e e t h o v e n - B i o g r a p h i e B d . I I S. 533, u n d n e u e r d i n g s w i e d e r W i l h e l m A l t m a n n in d e r A l l g e m e i n e n M u s i k z e i t u n g . J a h r g a n g 1936, S. 320 ( N r . 2 0 ) . 3 ) D e n n d i e „ F u g e " w i e d e r „ S o n a t e n s a t ) " ist m e h r als n u r „ F o r m " , m e h r a u d i als f o r m e n z e u g e n d e s „ K o n s t r u k t i o n s p r i n z i p " ; jedes i s t v i e l m e h r in h ö h e r e m S i n n e s c h l e c h t h i n d e r I n b e g r i f f d e r j e w e i l i g e n musikalischen Logik einer bestimmten Epoche.

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Beschränkung auf das f ü r die Form-Erkenntnis Wesentliche — den Plan der „Großen Fuge". Der G r u n d r i ß entspricht der Gliederung des Sonatensatjes in Exposition, Durchführung und Reprise (nebst Einleitung u n d Coda). Den ersten Hauptabschnitt nach der programmatischen „ O v e r t u r a " (in der das Thema mit seinen zur Verwendung kommenden Varianten gezeigt wird) bilden zwei, aus zweierlei Fassungen des Themas entwickelte, sdiarf gegeneinander kontrastierende Doppelf u g e n : die erste („Allegro") in der H a u p t t o n a r t B-dur, hochdramatisch, breit ausgeführt, repräsentiert den „Hauptsat}'' im Sinne einer Sonatenexposition; die zweite („Meno mosso e moderato") in Ges-dur, k n a p p e r disponiert, vertritt mit ihrem neuen Contrasubjekt den lyrischen „Seitensatj". Der folgende Abschnitt, eröffnet und beschlossen durch die analogen Partien des marsdiartigen „Allegro molto e con brio", verbindet •— hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der Form! — sonaten- und fugenmäßige Durchführungstechnik, indem er außer einer rhythmisch wiederum veränderten Form des Themas n u n m e h r „Motive", d. h. Bruchstücke des sonatenmäßig zerlegten Themas fugenmäßig verarbeitet. Nach so erschöpfender Behandlung des Themas erübrigt sich eine „Reprise", wie 6ie im Sonatensat} zu erwarten wäre. Doch sie wird im Interesse der Klarheit des Formplans nicht völlig unterdrückt, sondern aphoristisch angedeutet: Vor der Coda stehen nämlich, gleich Zitaten, je zwei Takte der beiden Doppelfugen, u n d zwar, wie es den beiden Kontrastthemen in der Reprise des Sonatensattes zukommt, beide Zitate in der H a u p t t o n a r t 4 ) ! Wenn wir uns nunmehr dem Finale des C-dur-Quartetts zuwenden, so geht diese Studie lediglich auf Klarstellung der F o r m aus, nidit etwa auf eine erschöpfende Beschreibung oder ästhetische Würdigung der Komposition. Auf Notenbeispiele darf unsere Darstellung verzichten u n t e r der Voraussetzung, daß der Leser die Par') Diese Zitate, die unsere Deutung d e r Form bestätigen, haben also eine ganz andere Bedeutung als die äußerlidi ähnlidien ,,Erinnerungsm o t i v e " im F i n a l e der IX. Symphonie.

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titur zur Hand hat. Der Satj beginnt wie eine Fuge. Im Wechsel von Dux und Comes treten drei Stimmen (Bratsche, Violine I I , Violoncello) nacheinander ein. Da das Thema zur Dominante moduliert, fällt der „Antw o r t " die Rüdemodulation zu, die mit gebräuchlichem Kunstgriff durch Abbiegen von der Quint- in die Quarttransposition bewirkt wird. Aber schon der dritte Stimmeinsat} zeigt eine Abweichung von der Norm der Fugenexposition: die ursprüngliche Fassung des Dux bleibt nicht streng gewahrt, sondern erfährt im vorletjten (9.) Takt eine Veränderung, mittels deren ein tonischer Abschluß (statt des dominantisdien) herbeigeführt wird. Und beim unmittelbar folgenden Hinzutritt der vierten Stimme (Violine I) ersdieint gegen die Regel nochmals der Dux. Den Sinn dieser sdieinbaren Anomalie wird die weitere Entwicklung des Satjes klarstellen. Vorerst fällt an der eigengesetjlidien „Fugenexposition" noch ein Weiteres auf: der Verzicht auf eine konsequent polyphone Ausführung, der schon von vornherein der Vermutung, daß eine wirkliche Fuge beabsichtigt wäre, widerspricht. Der jedesmal dem Thema gestellte „Gegensag" nämlich 5 ), der anfangs die Achtelbewegung des Themas fortsetzt, um dann in Viertel überzugehen, ist zwar rhythmisdi äußerst markant, aber schon beim ersten „ K o n t r a p u n k t " mündet die auf Akkordtöne beschränkte Motivgruppe der Viertel in zwei Takte reiner Harmonieumschreibung (Dominantseptimakkord) aus; den nächsten Themaeinsat; kontrapunktieren zwei rhythmisch gleichlaufende Stimmen, deren sext- und terzverdoppelte Achtelfiguren6) sich zu Akkordschlägen der Viertel stauen. Und nach dem Hinzutritt der vierten Quartettstimme (Violine I) gestaltet sich der „potentiell" vierstimmige Saß zu oktavverdoppelter Zweistimmigkeit, wobei den s) Es ist streng genommen k e i n „ b e i b e h a l t e n e r K o n t r a p u n k t * 4 , vielmehr b l e i b t Dur die rhythmische G e s t a l t , nicht a b e r die melodisdie Zeichnung gewahrt. ' ) Terz- und Sextverdopplung einer K o n t r a p u n k t s t i m m e als B e e t h o * vensdies S t e i g e r u n g s m i t t e l : vergl. z. B . T r i o des e-moll*Quartetts, T r i o der I X . S y m p h o n i e .

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Oberstimmen das Thema, den Unterstimmen der Kontrapunkt zufällt. Mit der Zusammenfassung zur Zweistimmigkeit erreicht denn überhaupt die polyphone Struktur vorläufig ihr Ende. Der letjte Dux, nur noch sieben Takte in notengetreuer Fassung ausgeführt, findet mittels eines dem Anfang des Themas entnommenen — und zu selbständiger Weiterwirkung bestimmten — Motivs eine freie Fortsetjung, die — über einem später gleichfalls bedeutsamen Baßrhythmus in Halben — die Kadenzierung in der Haupttonart herbeiführt. Die damit eingeleitete r e i n h o m o p h o n e Partie moduliert mit einer eigenen, aus dem Vorhergehenden resultierenden Motivgruppe zur Wechseldominante. Und in der Tonart der Dominante 7 ) erscheint nun, vorbereitet durch eine auslaufende Solofigur der I. Violine, ein neuer Gedanke: ein kurzes, wieder zu polyphoner Behandlung bestimmtes Motiv, das mit den Mitteln der Wiederholung, Imitation und Stimmvertauschung im doppelten Kontrapunkt (der Undezime) in periodischer Symmetrie ausgeführt und durch motivische Arbeit zu einer Art zweiteiliger Liedform mit kadenzierendem, wiederum homophonem Abschluß erweitert wird. Schon bis hierher die Entwicklung des Satjea überblickend, erkennen wir den Grundriß einer S o n a t e n s a t z e x p o s i t i o n : die vermeintliche Fugenexposition bildet den Hauptsat}, der zweite kontrapunktische Abschnitt den Seitensat}, dazwischen liegt, in homophoner Sa^weise, die gewohnte Modulationspartie. Nun verstehen wir, warum der „Hauptsatj" gegen die Regel der Fugenexposition das Thema zweimal hintereinander in der Form des Dux bringt: es gilt hier die Haupttonart zu bekräftigen, die Dominanttonart aber für den Seitensat} aufzusparen 8 ). Und das Eindringen eines homo7 ) Um Mißverständnisse auszuschließen: das in G-dur stehende Thema beginnt dominantisch, also nur scheinbar in D. ®) Erinnert man sich, daß Beethoven es liebt, die Modulationspartie seiner Sonatensäge mit einer (verkürzten) Wiederholung des Hauptthemas einzuleiten, so kann man den legten (nur siebentaktigen) Auftritt des Themas auch in diesem Sinne deuten.

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phonen Elements in die F u g e n s t r u k t u r erklärt sich als besondere stilistische Feinheit, riditiger noch gesagt, als Auswirkung eines wunderbar einheitlich gestaltenden Formwillens, der die Idee des Ganzen, Verschmelzung von zweierlei Formtypen, auch in den Teilen lebendig werden läßt. Was der bisherige Verlauf des Satjes hinsichtlich der F o r m wahrnehmen ließ, wird •— um dies gleich vorwegzunehmen — bestätigt durch eine Re p r i s e , die mutatis mutandis genau der Exposition entspricht und im fugierten „Hauptsat}" sogar die f r ü h e r e Ordnung der Stimmeintritte nebst den Varianten des Themas wiederholt 9 ). Die in Beethovens Reprisen gewohnte Steigerung aber wird hier erzielt durch einen neuen „Gegensag", der dem Fugenthema von seinem ersten Wiederauftritt an verbunden bleibt und mit seiner sdiarf profilierten (nur in unwesentlichen Zügen variablen) Zeichnung im Gleichmaß der Halben die Rolle eines selbständigen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden „Cont r a s u b j e k t s " spielt. So wird die Quasi-Fuge des Anfangs jetjtergänzt u n d überboten durcheineQuasi-Doppelfuge! Wir haben einige 120 Takte 1 0 ) übersprungen, die zwischen Exposition und Reprise liegen: die ohne merkbare Abgrenzung oder gar sichtbar t r e n n e n d e n Doppelstrich unmittelbar aus der Exposition herauswachsende D u r c h f ü h r u n g . Es liegt außerhalb unserer Aufgabe, auf diesen, wenn auch noch so interessanten Teil näher einzugehen; der Zweck dieser Studie e r f o r d e r t lediglich die Feststellung, daß es sich wirklich um eine „Durchf ü h r u n g " im Sinne des Sonatensages handelt, in der das fugengerechte H a u p t t h e m a als Ganzes nicht ein einziges Mal ersdieint 1 1 ), geschweige denn eine fugenmäßige B ) Die einzige geringfügige Abweidiung besteht darin, daß der letjte Dux acht (statt v o r h e r sieben) T a k t e seiner Urgestalt b e h ä l t . 10 ) Wo die D u r c h f ü h r u n g beginnt, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, da M o t i v v e r k e t t u n g und metrisdie Bewegung ü b e r die gewöhnliche tonartliche Grenze der Exposition hinausgreifen und einen gliedernden R u h e p u n k t erst im Gebiet einer n e u e n T o n a r t (Dominante von Es-dur) erreichen. Entsprechendes gilt f ü r den Übergang von der Reprise zur Coda. n ) Der Seitensatj findet ü b e r h a u p t keine Berücksichtigung, wohl aber das Material der ModulationBpartie.

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„Durchführung" erfährt. Die kontrapunktische Technik, als wesentliches Mittel Beethovenscher Durchführungskunst überhaupt, beansprucht natürlich auch hier — und gerade hier — gebührenden Raum, ohne indessen die blühende Ausbreitung anderweitiger „thematischer A r b e i t " zu beeinträchtigen. Bleibt noch ein Wort über die C o d a zu sagen, die nicht nur der Ausdehnung nach — ihre Taktzahl ist sogar noch größer — der Durchführung entspricht, sondern auch durch Parallelbildung des Anfangs (wo man ihn auch annehmen will, vergl. Anmerkung 9) mit der Durchführung korrespondiert 1 2 ). Doch so wenig ungewöhnlich bei Beethoven solche Proportionen sind, so wenig stellt die Parallelbildung einen Einzelfall dar (vergl. z. B . den I. Satj der Waldsteinsonate). Und im übrigen zeigen zum mindesten die legten 105 Takte (von insgesamt 135 bzw. 124) so unverkennbar den Charakter der Coda, sogar den einer Stretta, daß kein Zweifel über die Form aufkommen kann. Es ist hiernach kaum zu verstehen, wie die Komposition im musikalischen Schrifttum und gar im speziellen Beethoven-Schrifttum unter dem Namen einer Fuge passieren kann. Eher ließe es sich noch rechtfertigen, von einem Sonatensatj mit Fugenarbeit zu sprechen. Doch damit würde das Wesentliche dieser Form nicht gekennzeichnet: die Verschmelzung des Sonatenmäßigen und des Fugenmäßigen zu einem neuen, weder mit dem einen noch dem anderen Grundtyp identischen Formgebilde. Denn die fugierten Partien stellen hier weder Einlagerungen im Sonatengefüge dar noch — wie so häufig in Beethovenschen Durchführungen — ein Ergebnis und Erzeugnis thematischer Arbeit; sie erscheinen vielmehr als konstitutive Träger der Sonatenidee, dem Gesetj der Sonate unterworfen (wie oben gezeigt) und ihrerseits den Organismus der Sonate beeinflussend (kontrapunktischer Seitensat;!). , 2 ) Die „Parallelatelle" t a k t e der Durdiführung.

läuft aus in die Wiederholung der Schluß-

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DAS „PROBLEM" DER D-MOLL-SONATE VON BEETHOVEN Versuch einer neuen

Formdeutung

Im Beethoven-Handbuch 1 ) spöttelt Th. Frimmel über die Untersuchungen, zu denen die eigenartige Form des ersten Sages von Beethovens d-moll-Sonate Anlaß gegeben h a t : „Die Benennung des Anfangs dieser Sonate ist eigentlich ziemlich gleichgültig, ob: Einleitung (allerdings sicher keine Einleitung im Sinne derer zu den älteren Symphonien), ob Hauptsat; oder Kopfmotiv. Immer bleibt der erste Sag bis zum 21. Takt kapriccioartig. Macht es jemandem Freude, den Hauptsag erst beim 21. T a k t beginnen zu lassen, so mag er 6idi weiter daran freuen. Ich störe ihn nicht. Aber dieser in den Intervallen des Dreiklangs aufsteigende Hauptsag ist jedenfalls schon im ersten T a k t der Sonate vorgebildet, so daß es doch nur Geschmackssache ist, ob man sein H. S. über den ersten oder den 21. Takt hinsegen will." Die Ironie wäre berechtigt, wenn es bei den Erläuterungsversuchen, die Frimmel im Auge hat, wirklich nur darum ginge, die Glieder der Komposition mit den geläufigen Fachausdrücken zu bezeichnen oder — was auf dasselbe hinausläuft — den Sag einem gebräuchlichen Formschema anzupassen. Es handelt sich aber um Wichtigeres: um die Erkenntnis der Konstruktionsidee, die einem auffallend von den gewohnten Prinzipien abweichenden Aufbau zugrunde liegt. Und wenn für den Historiker Frimmel „die ganze Formung durchsichtig genug" bleibt, so haben die Theoretiker, die sich mit solch lediglich gefühlsmäßigem Verständnis nicht zufrieden geben dürfen, bisher vergeblich versucht, das Geseg dieser Formgebung zu deuten. „Der erste Sag der d-moll-Sonate", stellt Arnold Schmig in seiner Abhandlung „Beethovens zwei Prin>) Leipzig 1926, Bd. I I S. 203.

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zipe" 2 ) fest, „bereitet der Analyse erhebliche Schwierigkeiten. Schon mit der Frage der Begrenzung des ersten Themas wird ein heikles Problem angeschnitten." Von einem „Problem", das — wie schon A. B. Marx richtig erkannt habe — „gleich daa Kopfthema des ersten Satjes stellt", spricht auch Hugo Riemann in seiner „Analyse von Beethovens Klaviersonaten" 3 ), um weiterhin zu bekennen, daß ihm seine eigene Formdeutung „keineswegs alle Rätsel löst". Und wenn Willibald Nagel, der Verfasser der anderen großen Monographie über Beethovens Klaviersonaten 4 ), die „Besonderheit der F o r m " des ersten Satzes der d-moll-Sonate auf den „eigenartigen Gehalt" zurückführt und eine in der Formgebung enthaltene „Reihe von R ä t s e l n " von der psychologischen Seite her zu lösen sucht, so verlegt er damit die Auseinandersetzung mit unabweisbaren Fragen nur in eine andere Ebene der Betrachtung. Nun ist, bei der wunderbaren Zielbewußtheit, mit der Beethoven seine schöpferischen Visionen zu gestalten pflegt, die Vermutung begründet, daß ein etwaiges „ P r o b l e m " formaler Art in einem Beethovenschen Werk nur so lange besteht, wie das die Konstruktion regelnde Prinzip unerkannt oder verkannt bleibt. Darum rechtfertigt sich wohl ein neuer Versuch, dem so viel erörterten „Problem" des ersten Satzes der d-mollSonate auf den Grund zu gehen und das Gesetj dieser eigengesetjlichen Form zu ermitteln, d. h. einen Blickpunkt zu finden, unter dem die bisher bemerkten „Anomalien" sich als logische Auswirkungen eines einheitlich formbildenden Prinzips darstellen. Da der Satj bei Gesamtanlage in Sonatenform nicht mit einem Hauptthema gewohnter Struktur beginnt, sondern mit einer durch Tempowechsel unterstrichenen Gegenüberstellung zweier scharf kontrastierender Motive, die sich später in breiteren Flächen entfalten sol' ) B e r l i n und B o n n 1923, S. 45. ») B e r l i n 1919 B d . I I S . 376 und 379. ' ) B e e t h o v e n und seine K l a v i e r s o n a t e n , I I . Bd. S . 20 ff.

2. Auflage, Langensalza 1924,

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len, liegt es auf den ersten Blick nahe, die eröffnende Largo-Allegro-Partie liebst ihrer gesteigerten Wiederholung f ü r eine Einleitung zu nehmen und den A n f a n g der eigentlichen E x p o s i t i o n erst im 21. T a k t zu vermuten, wo auf der wiedererreichten T o n i k a eine neue, aus dem Largo-Motiv entwickelte Allegro-Melodie anseht, die ihrer Plastik und ihrem inneren Gewicht nach f ü r ein „ H a u p t t h e m a " gelten könnte. Aber diese Deutung, die noch von H u g o Leiditentritt 5 ) vertreten wird, erweist sich nicht als stichhaltig. Sie wird vor allem dadurch e n t k r ä f t e t , daß das vermeintliche H a u p t t h e m a in der R e p r i s e nicht wiederersdieint. Ein Wegfall des H a u p t t h e m a s in der R e p r i s e würde ebensowenig mit dem Sinn der „ R e p r i s e " wie mit der Idee des „ H a u p t t h e m a s " (nach klassischem Begriff) in Ü b e r e i n s t i m m u n g zu bringen sein. Denn die „Wied e r a u f n a h m e " des thematischen Gedankengangs der Exposition dient j a nicht nur einer f o r m a l e n Symmetrie; ihre eigentliche, konstruktive B e d e u t u n g beruht vielmehr auf der veränderten Beziehung der thematischen P a r t i e n , die — abgesehen von dem Einfluß der Durchführung — d u r d i die tonartliche Angleichung des tonartlich k o n t r a s t i e r e n d eingeführten Materials bewirkt wird. Wie d ü r f t e bei diesem Prozeß der Vereinheitlichung auf d e r Basis der H a u p t t o n a r t gerade der ursprüngliche R e p r ä s e n t a n t der H a u p t t o n a r t , das Hauptthema, fehlen! E s würde aber durch Ausbleiben nach der Durchführung auch seine F u n k t i o n als H a u p t t h e m a einbüßen: es würde im Z u s a m m e n h a n g des Ganzen nur als A u s g a n g s p u n k t , nicht aber als G e g e n s t a n d der Entwicklung erscheinen. Schon aus diesem G r u n d e kann die in F r a g e stehende P a r t i e (ab T a k t 21) nicht das H a u p t t h e m a sein 6 ). ) M u s i k a l i s d i e F o r m e n l e h r e , L e i p z i g 1927, S, 162/163. * ) L e i c h t e n t r i t t n i m m t ein , , Ü b e r s p r i n g e n " des H a u p t t h e m a s in d e r R e p r i s e a n , m i t d e r M o t i v i e r u n g , „ d a ß die D u r c h f ü h r u n g sich schon ausführlich m i t d e m H a u p t t h e m a a b g e g e b e n " h a b e ; , , b e i n o c h m a l i g e r W i e d e r a u f n e h m e in der R e p r i s e w ü r d e es s e i n e W i r k u n g v e r l i e r e n " . D a s hieße entweder einen Dispositionsfehler B e e t h o v e n s unterstellen oder eine Formbehandlung voraussetzen, die r o m a n t i s i e r Denkweise, aber nidit Beethovenscher Cestaltungsweise entspräche. s

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S i e v e r l e u g n e t überdies a b e r auch in einem entscheidenden Wesenszuge den C h a r a k t e r eines H a u p t t h e m a s : Das H a u p t t h e m a eines B e e t h o v e n s c h e n Sonatensatjes r e p r ä s e n t i e r t und umschreibt — wie weit der K r e i s der T o n a l i t ä t auch gezogen sein mag — regelmäßig die H a u p t t o n a r t . H i e r aber handelt es sich um ein Gebilde, dessen Entwicklung in „ t h e m a t i s c h e r A r b e i t " aus der H a u p t t o n a r t wegführt zur Wechseldominante, also um e i n e n Abschnitt von der typischen S t r u k t u r der zwischen Haupt- und S e i t e n t h e m a gewohnten „ Ü b e r l e i tung". Das h a b e n natürlich schon R i e m a n n und Nagel e r k a n n t , aber beide haben sich zugunsten v o r g e f a ß t e r Ansichten über diese E r k e n n t n i s hinweggesetjt. F ü r Riemann b l e i b t die in F r a g e stehende P a r t i e der „eigentliche K e r n des ersten T h e m a s " , womit er zur K o n s t r u k tion eines „ e r s t e n T h e m a s " gelangt, das a u ß e r diesem „ K e r n s a t j " auch noch die beiden v o r h e r g e h e n d e n LargoAllegro-Abschnitte m i t u m f a ß t 7 ) . Nagel aber sucht sich mit der A n t i t h e s e „ r e i n f o r m a l " und „ I n W a h r h e i t " ü b e r den Widerspruch hinwegzuhelfen, daß er die modulierende P a r t i e als „eigentlichen H a u p t s a t j " ( S . 2 0 ) und „gesteigerte Auswirkung des thematischen K e r n g e d a n k e n s " (S. 2 3 ) empfindet und ihn dennoch als Überl e i t u n g s s a t j " (S. 2 3 ) identifizieren muß. E r s t Schmiß 8 ) zieht aus der F e s t s t e l l u n g , daß mit T a k t 21 schon die Ü b e r l e i t u n g beginnt, den einzig folgerichtigen S c h l u ß : „Also m u ß die eigentliche T h e m a - A u f stellung schon in den v o r h e r g e h e n d e n T a k t e n erfolgt sein." Mit seinen weiteren Untersuchungen — „ A b e r wo, das ist die F r a g e " —• gelangt freilich auch Schmity ( S . 49/50) zu einem Non l i q u e t : „ W i r d die F r a g e nach dem ersten T h e m a von einem traditionellen Gesichts7) F ü r ein wirkliches V e r s t ä n d n i s des A u f b a u s wird damit nichts g e w o n n e n . O f f e n b l e i b t d i e F r a g e , w a r u m g e r a d e d e r „ e i g e n t l i c h e K e r n des e r s t e n T h e m a s * 1 i n d e r R e p r i s e f e h l t ; o f f e n b l e i b t a u c h die — i m f o l g e n d e n n o d i zu b e h a n d e l n d e — F r a g e , wie in den B e r e i c h des , , e r s t e n T h e m a s " d a s f ü r den S e i t e n s a t z g r u n d l e g e n d e m o t i v i s c h e M a t e r i a l h i n e i n g e r ä t .

») A . a . O . S . 4 6 .

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punkt aus g e s t e l l t , . . . so bleibt sie in diesem Satj der Sonate op. 31 I I gleichsam ein Vexierbild." Denn der Abschnitt, in dem das „erste Thema' 4 zu finden sein müßte (Takt 1 — 2 0 ) , „stellt nodi keinen eigentlichen thematischen Komplex auf, nicht einmal einen komplexiven thematischen Kern, sondern nur einzelne Bestandteile, die durch verschiedene Tempobezeichnung, Largo-Allegro, und durch Fermaten voneinander getrennt bleiben". Es sei also, „was schließlich hier allein als erstes Thema bezeichnet werden kann, die Takte 1 bis 2 0 , . . . nur ein Versuch zu einem Thema, eine Improvisation". Ist diese Argumentation von Schmiß wirklich zwingend? Sie stützt sich ja, im Grunde genommen, nur auf den Tempowechsel und die Fermaten — denn „die Gegenüberstellung zweier grundsätzlich verschiedener Motive beziehungsweise Motivgruppen ist ein altes Gut der kunstmäßigen Instrumentalmusik" 9 ). Es ist nun nicht einzusehen, warum Schmitj — in betonter Unterscheidung von der „Spannungsfermate" im 6. T a k t der Es-dur-Sonate op. 31, I I I -—• die Fermate auf dem Schlußton des Largo der d-moll-Sonate für eine „trennende" erklärt. Daß es sich in Wahrheit auch hier um „Spannungsfermaten" handelt, läßt sich allein schon aus der Harmonik beweisen: Das erste Largo stellt die Dominantharmonie dar, auf die das Allegro — wenn auch nachträglich zur Dominante zurückkehrend — die Tonika folgen läßt. Es liegt also hier (und mutatis mutandis entsprechend im zweiten Largo-Allegro) das nach landläufigen Begriffen elementarste harmonische „Spannungsverhältnis" vor, und die „Dominantspannung" wird durch die Fermate nur noch erhöht. Harmonisch bildet also das erste Largo-Allegro (mit AdagioSchlußdehnung) eine vollkommene Einheit, und daß diese Einheit auch hinsichtlich der Metrik besteht, hat — im Anschluß an den alten A. B . Marx — schon Riemann (a.a.O. S. 377) gezeigt: „Nimmt man die Werte 9) K a r l Blessinger, S t u t t g a r t , 192«, S . 164.

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Grundzüge

der

musikalisdien

Formenlehre,

für das Largo gerade doppelt so lang wie für das Allegro, so ist in der Tat die Symmetrie eine vollständige." In inhaltlicher Beziehung endlich ergänzen Largo und Allegro einander im Sinne von „Sat} und Gegensatj", „Rede und Widerrede" oder dergl., und der Eindruck der Zusammengehörigkeit der kontrastierenden Glieder wird noch bestätigt und verstärkt durch das Korrespondenzverhältnis zwischen der ersten und der zweiten Largo-Allegro-Partie. (Man braucht, um sich dessen bewußt zu werden, nur einmal die Strecke von Takt 7 bis Takt 20 gestrichen zu denken.) So bliebe, wenn der Anfang des Satjes für sich allein zu betrachten wäre, als ungewöhnliches Moment tatsächlich, wie denn auch Karl Blessinger konstatiert hat 1 0 ), nur der kontrastverschärfende Tempowechsel übrig. Mit der Erkenntnis, daß der Komplex der sechs Anfangstakte — trotj der auf den ersten Blick irreführenden Gliederung in zwei Zeitmaße — sehr wohl ein „ T h e m a " darstellen kann, vereinfacht sich das „Prob l e m " des ersten Satjes der d-moll-Sonate schon merklich. Denn sobald man die erste Aufstellung des LargoAllegro als Thema anerkennt, stellt sich eine völlig normale Anlage der Reprise heraus: sie beginnt mit demselben „ T h e m a " wie die Exposition und läßt ihm sogar noch die C-dur-Wiederholung des Largo (unter Verzicht auf die zweite Allegro-Antwort) folgen. Dabei erfährt das Thema durch das aus dem Largo herauswachsende Rezitativ eine Steigerung, wie sie in Beethovens Reprisen den Themen stets auf irgendeine Art zuteil wird. In formaler Hinsicht gibt dies Rezitativ (und sein Pendant nach dem zweiten Largo) ja keine Rätsel mehr 1 0 ) A . a . O . S . 163, 164 (vergl. audi S. 3 0 ) : „ D i e A r t , wie B e e t h o v e n in diesem F a l l das Thema b i l d e t , ist an sidi in der klassischen Zeit durdbaus gebräuchlich . . . Die E i g e n a r t dieser Beethovenßdien Themengestaltung besteht nur darin, daß hier der an sidi deutlidie K o n t r a s t noch v e r s d i ä r f t wird durch die Gegenüberstellung zweier diametral entgegengesetzter T e m p i . " T r o t z d e m scheint audb Blessinger sidi nidit entschließen zu können, das erste „ L a r g o - A l l e g r o " ale „ T h e m a " B&lechthin a n z u e r k e n n e n ; denn nadi Zitat der ersten 4 T a k t e f ä h r t er f o r t : „ A n s diesem Eingang entwickelt sich allmählich eine mit ihm u n m i t t e l b a r verbundene zweite P e r i o d e , weldie äußerlich geschlossener i s t " (folgt Z i t a t der T a k t e 2 1 — 2 4 ) .

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a u f , seit R i e m a n n (S. 383) es als e i n e n zwischen d e n urs p r ü n g l i c h e n G l i e d e r n des T h e m a s e i n g e l a g e r t e n Bes t a n d t e i l e r k a n n t h a t . Nach dieser teils e r w e i t e r t e n , teils v e r k ü r z t e n , a b e r u n v e r k e n n b a r e n R e k a p i t u l a t i o n des „ H a u p t s a t j e s " , wie w i r diesen Teil schon jetjt n e n n e n d ü r f e n , „ ü b e r s p r i n g t " die R e p r i s e nicht e t w a e i n e n wesentlichen Teil d e r E x p o s i t i o n , s o n d e r n sie b r i n g t e n t s p r e c h e n d d e r E x p o s i t i o n eine zum Seitensat} f ü h r e n d e „ Ü b e r l e i t u n g " . Da diese P a r t i e im d r i t t e n Teil des S o n a t e n s a ß e s eine a n d e r e F u n k t i o n zu v e r r i c h t e n h a t als im e r s t e n ( V e r b i n d u n g z w e i e r t o n a r t l i c h ü b e r einstimmender statt kontrastierender Saßteile), fällt sie in d e r R e p r i s e r e g e l m ä ß i g a n d e r s aus als in d e r E x p o s i t i o n . Wie wir auch ü b e r das W u n d e r e i n e r Erfind u n g s t a u n e n m ö g e n , die d e r w i e d e r k e h r e n d e n „ Ü b e r l e i t u n g " h i e r e i n e n völlig n e u e n C h a r a k t e r gibt, so h a t doch diese A b w e i c h u n g v o n d e m e n t s p r e c h e n d e n Saßglied d e r E x p o s i t i o n im P r i n z i p nichts B e f r e m d e n d e s . D a ß die R e p r i s e im w e i t e r e n d u r c h a u s analog v e r l ä u f t , l e h r t schon ein flüchtiger Blick, so d a ß es n u r d e r Volls t ä n d i g k e i t h a l b e r zu v e r m e r k e n b l e i b t . D a m i t w ä r e zunächst e r w i e s e n , d a ß d e r Saß an k e i n e m P u n k t e seines V e r l a u f s die Logik d e r S o n a t e n idee d u r c h b r i c h t o d e r auch n u r v o m g e w o h n t e n G r u n d r i ß d e r S o n a t e n f o r m abweicht. A b e r dieser Nachweis d a r f , so schlüssig er sich schon a u s n e h m e n mag, v o r e r s t n u r als ein h y p o t h e t i s c h e r g e l t e n . D e n n b i s h e r w u r d e — im V e r f o l g d e r Blickrichtung v o n Schmiß — lediglich f e s t g e s t e l l t , d a ß das „ L a r g o - A l l e g r o " am P l a ß e eines H a u p t t h e m a s s t e h t u n d , f ü r sich allein b e t r a c h t e t , seiner S t r u k t u r nach „ T h e m a " sein k a n n . E i n e w e i t e r e F r a g e a b e r , vielleicht die wichtigste u n d i n t e r e s s a n t e s t e , die sich an dies T h e m a k n ü p f t , ist in den v o r a u f g e h e n d e n U n t e r s u c h u n g e n noch nicht e i n m a l b e r ü h r t w o r d e n . Es k a n n doch w o h l nicht n u r an d e r wechselnden T e m p o b e z e i c h n u n g liegen, d a ß m a n so lange m i t d e n B e g r i f f e n „Devise", „Einleitung", „Improvisation" experiment i e r t e , u m den Sinn dieses Largo-Allegro zu e r f a s s e n , d a ß w e d e r R i e m a n n noch N a g e l , w e d e r L e i c h t e n t r i t t

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noch Schmitj auf den scheinbar so naheliegenden Weg zur Lösung der Formfrage gerieten, den wir als gangbar vermuten. Und wirklich: das eigentlich Problematische ist nicht die Gestalt dieses „Themas'" an sich, sondern seine Beziehung zum Ganzen des Satzes. „Zunächst ist das erste Motiv das Hauptmotiv des Satjes überhaupt, sodann ist die leitende Achtelfigur des Allegro für den Seitensalj bestimmend geworden", mit diesen Worten hat Nagel das Wesentliche bloßzulegen versucht. Präziser ausgedrückt: das Merkwürdigste an dem zu Anfang aufgestellten Thema ist, daß es in seiner zweiten Komponente den Keim des Seitensatjes enthält. Unverkennbar entlehnt ja der wie ein „zweites T h e m a " auf die „Überleitung" folgende Abschnitt, den wir als das thematisdie Kernstück des Seitensatzes zu betrachten haben (Takt 4 2 — 5 5 ) seine motivischen Grundzüge, die auftaktige Achtelbewegung mit weiblicher Endung ebenso wie die für die Melodik so charakteristischen Tonwiederholungen, aus dem ersten Allegro. So stand denn die Herkunft des Seitensa^es „aus den nachdem ersten und zweiten Largo eintretenden Allegrosätjen" schon für A. B. Marx fest 1 1 ), und in gleichem Sinne haben die neuen Untersuchungen von Eugen Schmitz 1 2 ) zu dem Ergebnis geführt, daß die betreffende Taktgruppe „nicht ursprünglich aufgestellt, sondern abgeleitet" ist. Wenn aber demgegenüber Blessinger 1 3 ), ähnlich wie vor ihm auch Riemann, nur eine „gleichbleibende Achtelfiguration" erkennt, so scheint doch die bloße Aufzählung noch so handgreiflicher Ähnlichkeitsmomente nicht auszureichen, um die Art der vorliegenden Verwandtschaft einwandfrei klarzustellen. Wir dürfen also, soll unsere Formdeutung auf gesicherter Grundlage fußen, den ergänzenden Beweis für den behaupteten Ursprung der Takte 42 bis 55 nicht schuldig bleiben. n ) Ludwig van B e e t h o v e n , 1902, I . 143. l ä ) A . a . O . S . 48/49. " ) A . a . O . S . 189.

4

M i x t i , Beethoven-Studien

Leben und Sdiuffen, Leipzig,

Ausgabe

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Unklarheit oder Zweifel über den gegebenen Zusammenhang kann sich nur daraus herleiten, daß die im ersten Allegro eingeführte Urgestalt des Motivs im Seitensatje nicht wiedererscheint. Aber erfährt sie nicht schon gleich nach dem zweiten Largo eine Metamorphose? Niemand wird in Abrede stellen, daß diese Takte (9 ff.) eine gesteigerte Wiederaufnahme und weiterführende Fortsetjung des ersten Allegros darstellen; und zum Überfluß bestätigt eine von Nottebohm 1 4 ) mitgeteilte Skizze, die das zweite Allegro als notengetreue Transposition des ersten beginnen läßt, diese Analogie. Geben wir uns nun Rechenschaft über das Wesen der Verwandlung, die mit dem Motiv des ersten Allegro im Zuge der harmonischen und metrischen Expansion nadi dem zweiten Largo vor sich geht, so erkennen wir, daß die Abweichung von der Urform auf Vergrößerung und Richtungsänderung der Intervallschritte beruht — wobei die ursprünglidi aus Vorhaltbildung resultierenden Tonwiederholungen nunmehr zum Teil in Gestalt von Wechseltönen und Antizipationen auftreten: Allearol

A11PITW»TT

Das gleiche Prinzip der Motiventwicklung aber, das sich im zweiten Allegro auswirkt — an sich „die gewöhnlichste, weil die Wiedererkennbarkeit am wenigsten gefährdende Umbildung eines Motivs" 1 5 ), — führt von der Motivgestalt des zweiten Allegro folgerichtig weiter zu den Motivgebilden, aus denen die „Große P e r i o d e " des Seitensatjes sich formt. Sich davon zu überzeugen, genügt ein vergleichender Blick auf die Anfangstakte der beiden Stellen: " ) E i n Skizzenbudi von B e e t h o v e n , d a r g e s t e l l t , L e i p z i g , 1865, S . 2 7 . 15)

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besdirieben

nnd in

Auszügen

R i e m a n n , G r u n d r i ß der K o m p o s i t i o n s l e h r e , L e i p z i g 1910. B d . I , S . 9.

Das thematische Hauptstück des Seitensatjes ist also das Ergebnis eines g r a d u e l l fortschreitenden Entwicklungsprozesses, der sich sowohl auf das motivische Material selbst wie auf die daraus gestalteten (und zwar von Stufe zu Stufe wachsenden) metrischen Einheiten erstreckt. Es gilt nunmehr den Sinn, der dieser Besonderheit der Struktur innewohnt, verstehen zu lernen. Die erste Vermutung geht dahin, daß ein Konstruktionsgedanke älterer Zeit in den Plan des Satjes Eingang gefunden hat: Erinnert der motivische Ursprung des Seitensatjbeginns nicht an jenen aus der vor- und frühklassischen Sonatenliteratur bekannten Formtypus, dessen Haupt- und Seitenthema aus einer gemeinsamen Wurzel hervorgehen? Tatsächlich hat Beethoven ja mehrere Male — in seinen Klaviersonaten bei den ersten Sätjen von op. 2 No. 1, op. 57 und wohl auch op. 49,2 — auf diese Sa^anlage zurückgegriffen. Dabei hat seine Formgebung allerdings einen der entsprechenden Gestaltungsidee der älteren Meister geradezu entgegengesetzten Sinn: denn Beethoven geht — das gilt zum mindesten für die „Appassionata" 1 6 ) — vom Prinzip des Kontrasts der beiden Themen aus, zu dem jene Vorläufer erst hinstreben. Bildet doch der betreffende Satjtypus aus der Frühzeit der „klassischen Sonatenf o r m " geradezu ein Schulbeispiel zur Kennzeichnung einer Stilwandlung, die das späterhin herrschende ZweiThemen-Prinzip erst allmählich gegen die noch lebendige Idee von der „Einheit des Themas" durchsetzt! Bei solchen Überlegungen drängt sich eine Frage auf, deren Beantwortung zum Aufschluß über die kon16 ) Trotjdem Beethoven, wie Walter Riezler ( „ B e e t h o v e n " , Berlin und Zürich 1936) hervorhebt, das zweite (As-dur-)Thema „ e r s t spät, nachdem die Arbeit sdiou weit vorgeschritten war, e i n g e f ü g t " h a t !

i*

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struktive Idee im ersten Sage der d-moll-Sonate führen muß: Kann denn das betreffende Stüde des Seitensages, das ja nichts anderes darstellt, als eine neue Entwicklungsstufe des ersten Allegro-Gedankens, überhaupt den Namen eines „zweiten Themas" (oder „Seitenthemas") beanspruchen, den ihm Riemann und Paul Bekker wie A. Schmiß und Blessinger unbedenklich beilegen? Wenn ein Philipp Emanuel Bach oder Haydn ein eigens für den Seitensatj bestimmtes Thema aus motivischem Stoff des Hauptthemas bildet, so geht es bei dieser Umprägung des Materials doch offenbar darum, dem ersten Thema einen kontrastierenden Gedanken oder zum mindesten etwas Neues, anderes entgegenzusehen. Von einem solchen Verhältnis des Seitensatjes zum anfangs aufgestellten Thema kann aber in Beethovens d-moll-Sonate nicht die Rede sein. Nicht aus einer auf Kontrast gerichteten Umbildung thematischen Materials geht hier der Seitensat} hervor, sondern aus der Weiterentwicklung eines thematischen Gedankens, der schon in seiner ursprünglichen Fassung als kontrastierendes Prinzip wirksam ist. Nicht die Einführung eines erst erwarteten, sondern die Ausführung eines schon vorhandenen Kontrastmoments obliegt diesem Seitensat;. Wie könnte sein noch so themaähnliches Kernstück als neues, zweites „ T h e m a " gelten, da ihm außer der motivischen Selbständigkeit auch die Eigenschaft abgeht, gegen das Thema, aus dem er sich herleitet, zu kontrastieren! Aber auch noch von einem anderen Blickpunkt aus, von Seiten der Harmonik her, würde es sich verbieten, das Pseudo-Seitenthema mit einem wirklichen „zweiten T h e m a " zu identifizieren: Während das echte Seitenthema der klassischen Sonatenexposition die Kontrasttonart repräsentiert, stellt das vermeintliche Seitenthema im ersten Sag der d-moll-Sonate nur ein Tonartfragment dar, eine riesige Dominante, die der tonalen Ergänzung harrt. Es erreicht zwar mit seinem legten Ton eben noch den Bezirk der Tonika, aber wie könnte diese eine Viertelnote, die schon Ansagpunkt eines

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motivisch neuen Saßgliedes ist, ins Gewicht fallen gegenüber einem Orgelpunkt 1 7 ) von 14 Takten, der den ganzen Komplex zur harmonischen Einheit einer Dominante zusammenklammert! Zumal da diese Dominantkomponente der Seitensatj-Tonart unmittelbar und unmerklich aus der Modulationspartie herauswächst, dergestalt, daß die von der Haupttonart aus als „Wechseldominante" erreichte Harmonie sich ohne Dazwischentreten der neuen Tonika in eine Dominante der Kontrasttonart verwandelt. Der mächtige Dominantblock am Eingang des Seilensatjes bedingt eine entsprechend weit ausladende Befestigung der Tonika, die gewaltige Stauung der Harmonie drängt auf ein breites Ausschwingen der Tonalität hin. Diese harmonisch und metrisch notwendige Ergänzung aber, die erst die Vervollständigung der Tonart bewirkt, erfolgt mit neuem Material 1 8 ). Darum durften wir den motivisch geschlossenen Abschnitt, der unsere besondere Untersuchung erforderte, nicht einfach mit dem Namen „Seitensatj" belegen, mußten uns vielmehr mit umständlicheren Bezeichnungen behelfen. Man wird der eigenartigen Konstruktion, die hier vorliegt, nicht gerecht, wenn man die landläufigen Fadibezeichnungen schematisch auf sie anzuwenden versucht 19 ). Der zweite Teil der Exposition (gerechnet vom Beginn des Orgelpunkts, Takt 41) läßt zwar zwei Abschnitte von verschiedener motivischer Substanz erkennen, die Harmonieführung aber greift über diese Gliederung hinweg. Der zweite, auf der Tonika von a-moll I 3 ) B e i einem sdieinliar verwandten F a l l , dem S e i t e n t h e m a des ersten Satzes der f-moll-Sonate aus op. 2 verhalt es sidi in Wirklichkeit ganz andere, da liier der Orgelpunkt schon innerhalb der ersten Periode einer Kadenzierung P l a t z macht. 1S ) In diesem Schlußmotiv , , a , b, a, gis, a " wollen manche das Motiv wiederkennen, mit dem in der Modulationspartie ( T a k t 22/23) die Oberstimme dem Largo-Motiv des Basses a n t w o r t e t . Die F r a g e mag auf sidi beruhen, da sie für unsere Untersuchung unerheblidb und nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist. 1 S ) Das gilt audi für die von Riemann und Nagel mit widerspredien* den Ergebnissen vorgenommenen Einteilungsversudie.

53.

(Takt 55) einsetzende Komplex, thematisch eine Einheit untrennbarer, miteinander verklammerter, auseinander herauswachsender Motivglieder, steht in unlöslichem Kadenzzusammenhang mit dem ersten, dem „PseudoSeitenthema". Er könnte für einen „ E p i l o g " gehalten werden, wenn vor seinem Auftritt ein „Seitenthema" vorhanden oder der „Seitensatj" als ein tonartliches Ganzes schon fertig wäre. Aber erst aus dem Zusammenschluß des „Pseudo-Epilogs" mit dem „Pseudo-Seitenthema" ergibt sich ja die Tonalität eines Seitensatjes. So sind hier die Formteile „Seitensatj" und „ E p i l o g " zu einer unteilbaren Einheit versdimolzen. *

Aus der Feststellung, daß der zweite Teil der Exposition kein eigenes Thema enthält, daß der thematische Hauptgedanke des Seitensatjes weder die Rolle eines kontrastierenden „zweiten" Themas spielt noch überhaupt die Formulierung eines „ T h e m a s " aufweist, ergibt sich die eindeutige Antwort auf die früher gestellte Frage nach der Beziehung der Antithese „LargoAllegro" zum Ganzen des Satjes. Diese Antwort, die jeden Schein von „Problematik" verschwinden und die Konstruktionsidee des Satjes klar und lückenlos zutage treten läßt, kann nur lauten: Die am Anfang des Satjes stehende Antithese „Largo-Allegro" ist wirklich „ T h e m a " , und zwar nicht, wie es vor Untersuchung des Seitensatjes noch aussehen konnte, ein fragwürdiges „erstes" Thema, das zur einen Hälfte dem Hauptsatj, zur anderen dem Seitensatj angehört hätte, sondern „ d a s " Thema schlechthin, das e i n z i g e Thema des ganzen Satjes. In diesem einen Thema ist der Kontrast, den man sonst im Verhältnis zweier Themen zu finden gewohnt ist, in nuce vorweggenommen. Daher ist nach der Logik und Ökonomie Beethovenscher Gestaltungsweise die Einführung eines zweiten Themas weder nötig noch möglich; der weitere Verlauf der Exposition bleibt nur 54

darauf gerichtet, das Thema seiner Eigenart gemäß zu entwickeln, d. h. die zu Beginn aufgestellte Kontrastidee zu intensivieren, den Dualismus des Themas auszutragen. Im engen Raum eines sechstaktigen Themas mit der bloßen Gegenüberstellung der gegensätzlichen Motive beginnend, breitet sich der „Streit zweier Prinzipe", von dem diese hochdramatisdie Komposition handelt, in stetig wachsendem Intensitätsgrad und Größenmaß aus; in dieser Hinsicht verhält sich der „Seitensatj" zur „Modulationspartie" wie das erste und zweite Allegro zum ersten und zweiten Largo. In der Durchführung (man beachte den dreimaligen Ansät} des Largo-Motivs!) erfährt dies konsequent angewendete Steigerungsprinzip seinen Höchsteinsat; (mit dem Ergebnis, daß der zur Entscheidung drängende Konflikt seinen Austrag findet: nach dem letjten Ansturm des „Largo-Motivs" verrät sich das Dasein des „AllegroMotivs" nur noch im Wogen seiner Begleitfiguren). Von dem im Verhältnis zur Exposition formal durchaus regelmäßigen Verlauf der Reprise ist schon früher die Rede gewesen. Nach einer vielzitierten und -kommentierten Mitteilung von Czerny 2 0 ) soll Beethoven in der Zeit der Arbeit an den Sonaten op. 31 geäußert haben, er wolle „einen neuen Weg einschlagen". Wenn unsere Formdeutung überzeugt, 60 ist Beethovens Konstruktionsidee zum ersten Satj der d-molI-Sonate viel neuartiger und einfacher, kühner und logischer zugleich, als alle bisherigen Auslegungen vermuten ließen. z l ) Z i t i e r t nadi F r . K e r s t , , D i e Erinnerungen an B e e t h o v e n " 1,46.—• T h a y e r I I . 362 z i t i e r t einen etwas a b w e i s e n d e n W o r t l a u t .

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ZWEI ANMERKUNGEN ZU BEETHOVENS AS-DUR-SONATE OP. 110 I. DIE „SPIELFIGUR" IM ERSTEN SATZ Im ersten Satj von Beethovens As-dur-Sonate op. 110 wird der Übergang vom Haupt- zum Seitensatj durch eine Zweiunddreißigstel-Bewegung bewirkt, die mittels eines eigenen, weder aus dem Hauptsatj hergeleiteten noch in den Seitensatj eingeführten Motivs eine Folge von Akkordfigurationen darstellt und sich erst unmittelbar vor dem Einmünden in den Seitensatj motivisch (Oktavsprünge!) dem neu eintretenden Thema annähert. Obwohl dies feingeschliffene, klangsdiöne Figurenwerk, das bei Beginn der Reprise die ornamentale Begleitung für den ersten Abschnitt des wiederkehrenden Hauptthemas hergibt, einen so charakteristischen Bestandteil der Exposition bildet, daß es nicht nur an der Parallelstelle der Reprise, sondern audi in der Coda seinen Platj beanspruchen darf, scheint es seiner Substanz nach doch als eine rein figurative Einlagerung zwischen den eigentlich „thematischen" Partien gelten zu müssen 1 ). Und so drängt sich die F r a g e auf, wie es zu erklären ist, daß in einem Werke Beethovensdien Spätstils eine anscheinend thematisch beziehungslose „ S p i e l f i g u r " als tragender Gedanke der Überleitung konstruktive Selbständigkeit erlangt hat, und woran es liegt, daß das figurative Element als organischer Bestandteil der Komposition und dem sonstigen Material künstlerisch homogenes Ausdrucksmittel wirkt. Eigentlich hat schon A. B. Marx 2 ) diese Frage gestellt, als er die Zweiunddreißigstel-Stelle f ü r „höchst a u f f a l l e n d " erklärte, „nämlidi gegen Beethovens A r t . . . ') A l s B e i s p i e l e i n e r Ü b e r l e i t u n g , , i n P a 6 s a g e n a r t " in H u g o Leichten« t r i t t s „ M u s i k a l i s c h e r F o r m e n l e h r e " ( L e i p z i g 1927) S . 136 a n g e f ü h r t . s) „ L u d w i g van B e e t h o v e n " , letzte unbearbeitete Ausgabe, Leipzig 1902, I I . B d . S . 251.

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gar nicht aus dem Vorhergehenden motiviert" 3 ). Und Wilhelm von Lenz 4 ) scheint hinter dem Figurenwerk von „verführerischer A n m u t " („Zephyre in Akanthus und Epheu der Halle") etwas Verborgenes gewittert zu haben, wenn es auch eine unsichere und nicht weiterführende Spur war, auf die er bei Betrachtung der Coda geriet: „Kurzer Anhang im Klangspiel des 1. Teils. In diese Aeols-Harfenklänge versteckt sich, wie unter Blättern und Blüthen, die durch die Noten c, des, b vertretene anfängliche Frage (Baß, 8. und folgende Takte vor Sdiluß)." Zieht man aber die beiden Spezialwerke über Beethovens Klaviersonaten von Hugo Riemann 5 ) und Willibald Nagel 6 ) zu Rate, so ergibt sich, daß auch in der neueren Literatur noch keine Klärung der Frage erfolgt ist. Riemann gibt lediglich einen gefühlsmäßigen Eindruck wieder, wenn er (S. 423) sagt: „Das Passagenwerk dieses ganzen Satjes ist so wesentlicher Bestandteil der thematischen Erfindung, daß auch nicht einmal für Momente der Schein virtuosen Wesens aufkommt." Denn ein Kriterium, nach dem die Zweiunddreißigstel-Figuren als „thematisch" in Anspruch zu nehmen wären, führt er nicht an. Statt dessen fährt er im Widerspruch mit seiner vorhergehenden Bemerkung fort: „Selbst die Zweiunddreißigstel-Arpeggien der Anhänge vonPeriode I, V 7 ) und VIII sind nichts als ein harmloser Schmuck, ein leichter Nebeldunst, der das momentane Stagnieren der Entwicklung verhüllt, und aus dem dann die Umrisse neuer melodischer Gebilde desto reizvoller wieder auftauchen." Soll mit dem Worte „harmlos" nochmals der s ) Die im obigen Zitate ausgelassenen (an Stelle der Punkte einzuschaltenden) Worte: ,,sehr früh, sdion mit Takt 11 eintretend und 1 * sind — abgesehen von dem Drudtfehler Takt , , 1 1 " statt 12 — nidit redit ver« ständlich. ') „ B e e t h o v e n , eine K u n s t s t u d i e " , V. Teil (Hamburg 1860) S. 71/72. 6) „ L . van Beethovens sämtliche Klaviersonaten, ästhetisdie und formaltechnisdie Analyse mit historischen Notizen*'. I I I . Teil, 2. Auflage, Berlin 1920. •) „Beethoven und seine K l a v i e r s o n a t e n " , II. Band, 2. Auflage, Langensalza 1924. 7 ) Statt , , V " (Drudtfehler im Riemannsdien Text) muB, wie aus der ,,Skizze der Analyse des Satjefl" S. 424 ff. hervorgeht, „ V I 4 * gelesen werden.

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Verdacht „virtuosen Wesens" im Sinne eines äußerlichen Effekts abgewehrt werden — „mit solchen Passagen brillieren zu wollen, hieße dem Komponisten ins Gesicht schlagen" (424) — , so charakterisiert der Ausdruck „Schmuck" und vollends die Metapher vom „leichten N e b e l d u n s t , . . . aus dem neue melodische Gebilde desto reizvoller wieder auftauchen", die betreffenden Figuren gleichwohl als Zierwerk im Gegensatj zum thematischen Stoff der Komposition! Mit der Wendung von einem „momentanen Stagnieren der Entwicklung" aber setjt sich Riemann weiterhin in Widerspruch mit dem wenige Seiten früher (420) vorgetragenen Befund seiner Form-Analyse, wonach „den Anhängen von Periode I " — d. h. der Zweiunddreißigstel-Partie der Exposition — „die Rolle des Evolutionssatjes" zufällt, „zur Tonart des zweiten Themas zu modulieren". Hebt doch der von Riemann benutjte Terminus „Evolution" noch eigens hervor, daß „Entwicklung" die Aufgabe und das Wesen eines Saßteils ausmacht, der den Eintritt der Kontrast-Tonart und eines kontrastierenden Themas herbeizuführen hat. Nagel (S. 346) stellt in den „Arpeggiogängen" eine „Spielfigur" fest, „deren rhythmische Bestimmtheit und Energie ein neues Moment des Satjes vorbereitet, das in der Überleitung zum Seitenthema mehr und mehr zum Durchbruch kommt". Er rechnet nämlich die „Überleitung" erst von Takt 20 an, mit dem in Wirklichkeit, wie Riemann erkannt hat, schon das 2. Thema beginnt. (Yergl. Nagel S. 347 f, Riemann S. 420.) Indem Nagel ausdrücklich, wenn auch in Parenthese, „jede ernste Möglichkeit einer Bezugnahme der Stelle auf das Vorhergehende" leugnet, erklärt er, es sei „zunächst das sdion öfter als absichtslos bezeichnete Musizieren, das durch diese Figur in die Erscheinung t r i t t , . . . ein freies Spiel der Phantasie, in dem ein Gedanke wie traumverloren weite Gebiete des tönenden Reiches durchmißt". Den Faden des logischen Zusammenhangs sucht er in der Baßführung: das „charakteristische Motiv des Bass e s " (Takt 13/14) „und seine Weiterführung" gilt ihm 58

als das „Moment", das „sogleich wieder, wie stets in solchen Fallen in der Beethovenschen Musik44 hinzutritt und „die Gedanken von der Herrschaft phantastischer Willkür löst44. *

Solange man sich über die formale Disposition des Satjes so wenig im klaren war, wie das Stichproben aus der älteren Literatur direkt oder indirekt verraten 8 ), konnte man schwer zu einer andern Anschauung des Zweiunddreißigstel-Abschnitts kommen, als zu der eines episodenartigen Figurenspiels, das man — mit oder ohne Versuch einer Motivierung — als stilistische und formtechnische Anomalie hinnehmen mußte. Auf diesem Standpunkt steht noch W. Nagel. Durch verfehlte Bestimmung des zweiten Themas verschiebt sich sein Formbild so, daß er die Zweiunddreißigstel-Partie nicht als reguläres Satjglied im Gefüge der Sonatenform unterzubringen weiß. Und da er sie nicht auf eine 8 ) Marx (a.a.O. 254) b e r ü h r t die F o r m f r a g e nur indirekt mit dem oben zitierten Hinweis auf eine „gegen B e e t h o v e n s A r t " verlaufende Satzführung. Es sagt aber genug, daß er gerade die S t e l l e , die ihn kompositionstedinisch b e f r e m d e t ( T a k t 12 ff.), zum Ausgangspunkt einer poetischen Deutung des Satjes n i m m t : „ E s ist in ossianisdiem Sinne der Abschied vom trauten Saiten9piel. Noch einmal irrt die müde Hand über die Saiten der H a r f e . . (Von einer „müden 4 4 Hand zeugen die ZweiunddreißigstelFiguren gewiß nicht! Vergl. dazu übrigens den Anfang der „ M i t t e i l u n g H . P r o f e s s o r S c h i n d l e r s , a n u n s " b e i Lenz a . a . O . 1 1 2 ) .

Lenz a . a . O . 71/72 gibt einen trotj H i l f e von T a k t z a h l e n nicht ganz verständlichen K o n s t r u k t i o n s p l a n , wonach der Seitensat} ( „ G e g e n s a t } " in der Dominante) ab T a k t 28 angenommen scheint — wie b e i Nagel — obwohl als „Gegenmotiv 4 4 ( „ m e h r schmeichelnde Tonfigur als K a n t i l e n e " ) T a k t 34 bezeichnet wird. — Nach Wasielewski („Ludwig van B e e t h o v e n 4 4 , B e r l i n 1888, B d . I I , 271) „ n ä h e r t sich B e e t h o v e n 4 4 mit den beiden ersten S ä g e n von op. 110 „ w i e d e r mehr der Sonaten f o r m " . „ H a t auch der E r öffnungssag, ganz abgesehen von seinem mehrenteils träumerisch weichen C h a r a k t e r etwas P h a n t a s i e a r t i g e s , so erinnert doch die im m i t t l e r e n T e i l desselben erfolgende durchführungeähnliche Benutzung der beiden Anfangetakte, und ebenso die darauf folgende R e p e t i t i o n des ersten Abschnittes an den S o n a t e n s a t ; . " D e i t e r s (in T h a y e r s „ B e e t h o v e n 4 4 , B d . I V , Leipzig 1923, S . 235) fühlt 6ich durch den S a g , den er auch in anderer Hinsicht v e r k e n n t , an die „ a l t e S o n a t e n f o r m 4 4 e r i n n e r t und m e r k t u. a. a n : „ Z u einem recht ausgeprägten zweiten Thema kommt es nicht. 4 4 — U n t e r dem Einfluß von D e i t e r s steht noch P a u l B e k k e r ( „ B e e t h o v e n 4 4 , B e r l i n 1912, S . 189) in seiner — allerdings nicht anf die F o r m gerichteten — C h a r a k t e r i s t i k des Satzes.

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organische Bedingtheit zurückzuführen vermag, muß die Erklärung, die er ihr widmet, auf eine Verlegenheitsdeutung hinauslaufen. F ü r Riemann hingegen war mit der Erkenntnis der F o r m die Voraussetjung gegeben, der vermeintlichen Anomalie auf den Grund zu k o m m e n ; aber er hat es, wie gezeigt, verabsäumt, seine Untersuchung nach dieser Richtung hin folgerichtig weiterzuführen. Steht einmal fest, daß die T a k t e 12 bis 1 9 die Überleitung vom Haupt- zum Seitensag bilden 9 ), so ergibt sich folgende Betrachtung: Beethoven läßt in einer Reihe seiner Sonatensäge die Überleitung unmittelbar aus einer angefangenen, mehr oder weniger gesteigerten Wiederholung des Hauptthemas herauswachsen, in der A r t , daß das wiederholte Stück des Hauptthemas und die anschließende Modulation sich zu einem ununterbrochenen Abschnitt zusammenfügen 1 0 ). Vergegenwärtigt man sich diese Gestaltungsweise, so wird man im ersten Satj der As-dur-Sonate beim Forschen nach irgendeiner Beziehung der Überleitung zum Hauptthema nicht übersehen, daß die ersten vier Takte der Überleitung dem Harmonieverlauf nach dem ersten V i e r t a k t e r des Satjes — dem „ K o p f m o t i v " , wie Rie' ) Was dem Verständnis der K o n s t r u k t i o n so lange im Wege stand, ist offenbar die H a r m o n i k . Noch R i e m a n n , der die Uberleitung rüdtblickend vom 2, Thema aus e r k e n n t , meint, daß das von ihm „nach Maßgabe der t r a n s p o n i e r t e n R e p r o d u k t i o n " identifizierte 2. Thema „ m i t (8 = X)" ansetze, „ w o b e i , da a s + nodi immer T o n i k a ist, das 8 = 1 die harmonische 4 Umdeutung T = S b r i n g e n ' (sie! a . a . O . 4 2 0 ) . Das ist nicht zutreffend. Von T a k t 16 an wird vielmehr so entschieden nach Es-dur moduliert, daß die H a r m o n i e , mit der in T a k t 20 das neue Thema beginnt, nur als Subdominante der neu erreichten T o n a r t gehört werden k a n n , und daß es umgekehrt einer n a & f o l g e n d e n As-dur-Vollkadenz b e d ü r f t e , um den Beginn von T a k t 20 rückwirkend nodi als T o n i k a von As-dur glaubhaft zu m a d i e n ! In gleichem Sinne e r l ä u t e r t W a l t e r R i e z l e r ( „ B e e t h o v e n * * , B e r l i n und Zürich 1936, S . 345) die Harmonieführung, durdi die „ d e r Einsatz des zweiten Gedankens merkwürdig versdileiert i s t : er beginnt gleidi nach den 32tel Arpeggien in scheinbarem As-dur, das in Wirklichkeit die 4. S t u f e von Es ist. E r s t allmählich nach der K e t t e der B a ß t r i l l e r setzt sich das Es-dur deutlich durch*'. 1 0 ) B e i s p i e l e : die ersten Sätze der K l a v i e r s o n a t e n op. 31, 1, op. 5 3 , op. !>7, der 4. und 7. Symphonie, Egmont-Ouvertüre. (Grenz- und Übergangs* fälle nicht zu erwähnen.) Das gleiche V e r f a h r e n wendet Mozart im ersten Satz der großen g-moll-Symphonie an.

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mann diesen Kerngedanken des H a u p t t h e m a s 1 1 ) bezeichnet — entsprechen. D. h. die Akkordfolge der T a k t e 12 bis 15 besteht aus den Hauptharmonien (Taktbeginn-Akkorden) der T a k t e 1 bis 4 : Takt 1 und Takt 2 und quart-Akkord, Takt 3 und Takt 4 und

12 Tonika, 13 Dominante, durchgehender

Terz-

1 4 Tonika, Sextakkord, 15 Dominante.

Daß die Dominante aus Takt 4 (auf das zweite Viertel zum Dominantseptim-Akkord ergänzt) in T a k t 15 nicht in Grundstellung, sondern als Quintsext-Akkord wiederkehrt, bedeutet keine Beeinträchtigung der Übereinstimmung, sondern ist durch die architektonisch verschiedenartige Bestimmung der beiden analogen T a k t e bedingt: der F e r m a t e n - T a k t 4 ist auf starke Gliederung angelegt, durch die das „ K o p f m o t i v " gegen das Folgende abgehoben wird; Takt 15 hingegen auf Weiterentwicklung ohne Einschnitt gerichtet. Takt i-v

n) Als , , H a u p t t h e m a " ist natürlich die ganze, bis zum Anfang des 12. T a k t s reichende K a n t i l e n e zu verstehen, ü b e r das V e r h ä l t n i s des „ K o p f m o t i v s " — das in Wirklichkeit schon ein Motivkomplex, Vordersatz einer virtuellen P e r i o d e ist — zu dem folgenden Thema-Absdbnitt wird man sich k l a r , wenn man erstens den Rhythmus der Melodiestimme von T a k t 5 an als V a r i a n t e des Rhythmus der T a k t e I b i s 2 e r k e n n t , wenn man f e r n e r b e m e r k t , daß die B a ß l i n i e der T a k t e 5 bis 8 eine V a r i a n t e des B a ß f u n d a m e n t s von T a k t 1 bis zum ersten Schlag von T a k t 3 ist (Dehnung der Dominantbässe aus T a k t 2 auf die Länge von zwei T a k t e n ) , und wenn man endlich die Analogie der als Halb- und Ganzschluß korrespondierenden Melodieglieder T a k t 3 bis 4 und T a k t 10 bis 11 beachtet. W ä h r e n d Lenz, der die beiden Thema-Abschnitte in das V e r h ä l t n i s von F r a g e und Antwort setjt, schon erkannt zu haben scheint, daß der zweite als der „ a u s g e f ü h r t e m Melodiegedanke* 4 ( a . a . O . 71) aus dem ersten herausgewachsen ist, lassen die B e griffe „ E i n l e i t u n g 1 4 oder „ V o r h a n g 4 4 , die Riemann für die ersten vier T a k t e des „ K o p f m o t i v s 4 4 oder „ T h e m a k o p f s 4 4 zur Wahl stellt ( a . a . O . 419/20), vermuten, daß ihm die hier beleuchtete Art der Beziehung des zweiten Thema* Abschnitts auf den ersten entgangen ist.

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Zunächst scheint diese Feststellung noch keinen greifbaren Anhalt zu bieten, denn tro$ der ins Auge springenden Ähnlichkeit der Baßfiihrung läuft die Analogie schließlich doch nur auf einen symmetrischen Wechsel von Tonika und Dominante hinaus. Ein neues, klares Licht aber fällt auf das Verhältnis der beiden Stellen vom Beginn der Reprise her. Hier, wo das „ K o p f m o t i v " nach Art der „ornamentalen Variation" von den Figuren der Überleitung umspielt wird, offenbart sich, daß die Takte 12 bis 15 — das Weitere versteht sidi als logische Fortsetjung des Inhalts dieser Takte — die ornamentale Umschreibung des „Kopfmotivs" darstellen: die Stellvertretung des Kopfmotivs durch die ihm zugemessene (und in der Reprise wirklich zugefügte) ornamentale Einkleidung 1 2 ). Der Anfang der Reprise, der auf den ersten Blick gerade den rein figurativen Charakter der Überleitung zu bestätigen scheint, beweist in Wahrheit, daß das Rankenwerk dieser „Spielfiguren" auf thematischem Boden gewachsen ist. Damit erklärt sich die Wirkung des Folgerichtigen und Organischen, die dem scheinbar freien Spiel der Zweiunddreißigßtel-Arabesken innewohnt. Die Überleitung greift wirklich auf den Anfang des Hauptthemas zurück, aber sie deutet den thematischen Gedanken, auf den sie Bezug nimmt, nur „zwischen den Zeilen" an; sie gibt den harmonischen Grundriß des thematischen Urbilds mittels eines neuen Motivs (Variierungsmotivs) wieder: sie bringt gleichsam statt der realen Körperlichkeit nur den Duft des gemeinten Themas 1 8 ). Es wäre dies ein Beispiel jener „Strukturverhüllung", die Walter Riezler (a.a.O. 255) als ein Kriterium 1 S ) Man flicht den Zusammenhang am deutlichsten, wenn man sidi die drei S t e l l e n in v e r ä n d e r t e r R e i h e n f o l g e v o r s t e l l t : 1) Das K o p f m o t i v , wie es am Anfang des Satzes s t e h t , 2) das K o p f m o t i v in seiner ornamentalen Umhüllung, wie es in der R e p r i s e e r s d i e i n t , 3) die ornamentale Hülle ohne den thematischen K e r n , wie sie in den T a k t e n 12 bis 15 ( B e g i n n der U b e r , leitung) v o r g e f ü h l t wird. 13) E i n verwandtes B e i s p i e l , das — mutatis mutandis T— auf den gleidien satztedinisdien ,,Kunstgriff 4 * zurückzuführen i s t , b i e t e t die erste H ä l f t e der vierten V a r i a t i o n (Tempo I ) Im Adagio des E s - d o r - Q u a r t e t u

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des „legten S t i l s " Beethovens nachgewiesen hat. Was Beethoven aber bestimmt hat, das „Kopfmotiv" in der Uberleitung nur „ l a t e n t " hinter dem Schleier eines neu eingeführten Figurengespinstes erscheinen zu lassen, ist — das Irrationale des schöpferischen Einfalls unberührt — ein künstlerisch-ökonomischer Grund: die Wirkung der wundervollen Kantilene nicht durch verlängernde Wiederholung abzuschwächen, sondern durch Kontrast zu heben. Und so entspringt derselben „großen Weißheit", mit der Beethoven nach Riezlers Worten (a.a.O. 246) „in der Reprise v e r m e i d e t . . . das Liedthema noch einmal abgeschlossen zu bringen", auch die mit der Ungezwungenheit „absichtslosen Musizierens" hingesetjte und zum „wesentlichen Bestandteil" dieser innerlichen Tondichtung entwickelte „Spielfigur".

II. DIE HARMONIK IM TRIO DES ZWEITEN SATZES Bei Besprechung des zweiten Satjes von Beethovens As-dur-Sonate op. 110 streift Nagel (a.a. 0 . 3 5 4 ) die Harmonik des Des-dur-Mittelteils mit folgendem Sag: „Die führende Tonart ist die der großen Unterterz des Haupttones, die zweiten Abschnitte modulieren nach Ces-dur und dessen Mollparallele." Dann fügt er hinzu: „Wie der Abschnitt im einzelnen harmonisch zu verstehen ist, ist nicht durchaus zu sagen, da die Baßschritte keinen genügenden Anhalt geben." Es würde ein Armutszeugnis für die Musiktheorie bedeuten, wenn es über ihr Vermögen ginge, die harmonischen Vorgänge in diesem „ T r i o " — wie der Satzteil kurz bezeichnet sei — zu definieren. Dem Non op. 127: h i e r ist vier T a k t e hindurch die Beziehung auf das Thema n u r in T a k t a r t , M e t r u m , Hauptpunkten des Harmonieverlaufs und einigen Wendungen der neuen, scheinbar ganz frei erfundenen Melodie der 1. V i o l i n e gegeben. Mit dem A u f t a k t zum 5. T a k t aber erscheint das zuvor nur , , l a t e n t " vorhandene Thema r e a l in der V i o l o n c e l l o - S t i m m e , während die 1. V i o l i n e die bisherige Linienführung der V i o l o n c e l l o - S t i m m e ( T r i l l e r motiv und aufsteigende Triolenfigur) aufnimmt und sie als obligate Begleitstimme des T h e m a s (für die ganze V a r i a t i o n ) und e i g e n t l i & e s Variierunga» prinzip dieser V a r i a t i o n identifiziert.

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liquet Nagels widerspricht denn auch eine aus anderer Feder vorliegende Analyse, auf die Nagel selbst in einer Fußnote hinweist: „Einen sehr geistreichen Erklärungsversuch s. bei Riemann a.a.O. S. 431 ff." (sc. Riemanns Analyse der Beethovenschen Klaviersonaten). Daran knüpft sich die Frage, warum Nagel sich die Riemannsche Analyse nicht zu eigen gemacht hat, statt die Undurchführbarkeit einer ins einzelne gehenden Erläuterung der Harmonie zu behaupten. Auch Riemann (a.a.O. 432) findet, daß „die linke Hand . . . die Harmonie nur sehr unvollständig durch Einzeltöne" markiere — nicht unvollständiger, darf man sogleich einwenden, als es im Wesen des zweistimmigen Satjes liegt! — , aber er stellt zutreffend fest, daß diese Einzeltöne „nahelegen, Harmoniewechsel erst in Abständen von 4 zu 4 Takten . . . zu verstehen", und zwar (wie er im Notenbeispiel zeigt) 4 Takte tonisch, Takt 5 bis 7 dominantisch und den 8. wieder tonisch. Hätte Riemann diese gesunde, durch das Gehör bedingte Auffassung als Grundlage seiner theoretischen Erläuterung beibehalten, so hätte die Schwierigkeit seiner Aufgabe sich in der Klassifizierung der harmonieeigenen und harmoniefremden Elemente der Melodie erschöpft. „Aber"', widerspricht er der von ihm selbst als „naheliegend" anerkannten Auffassung, „das ist schwerlich k o r r e k t . " Wie er statt dessen den harmonischen Tatbestand verstanden wissen will, veranschaulicht folgender, mit Funktionsbuchstaben versehener Ausschnitt aus seiner „Skizze der Analyse" 1 ) (a.a.O. 4 3 4 ) :

1 ) Die Phrasierungsfrage, an die das B e i s p i e l mit der eigenmaditigen Zusammenfassung der Tongruppen durch B a l k e n und Bogen gleichzeitig rührt, b l e i b t hier außer B e t r a c h t .

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Sucht man nach einer Begründung für diese Deutung der Harmonieverhältnisse, so kann man sich nur an die Zergliederung der Melodie halten, die Riemann gleich zu Beginn seiner Erläuterung des Trios (a.a.O. 431/432) vornimmt. E r meint nämlich, „nur eine vollständige Herausschälung des Melodiekerns aus der Achtelfiguration" könne den Spieler „vor ernstlicher Entgleisung bewahren". Denn „die harmonischen Noten (Akkordtöne)" seien „zum Teil mit der oberen und unteren Wechselnote umschrieben, zum Teil aber nicht". Am Beispiel der ersten vier Melodietakte wird die von Riemann angenommene Verteilung der harmonieeignen Töne und Wechseltöne illustriert, wobei Funktionsbuchstaben besagen, welche Noten aus den zusammengeklammerten Achtelgruppen er jeweils als die harmonieeignen versteht:

Zum Überfluß wird dann unter der Angabe „Die eigentliche Melodie ist folgende" der ganze Vordersatj der ersten Periode des Trios auf nachstehende Fassung zurückgeführt:

Das ist natürlich weder die „eigentliche Melodie" — ebensowenig wie die melismatisch so wunderbar belebte und beseelte Linie der wirklichen Melodie eine „Figu5

Miadi, Beethoven-Studien

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ration" darstellt 2 ) —, noch auch nur ein Auszug der (nach Riemannscher Auffassung) harmonieeignen Töne, sondern ein nach rein subjektiver Methode aus der Melodie herauskristallisiertes Gebilde. Es ist nach diesem Blick auf die Riemannsche Harmonieanalyse nur zu begreiflich, daß W. Nagels musikalischer Instinkt sich sträubte, sie anzuerkennen. Wie kann man in Takt 2 das b im Zusammenklang mit dem as des Basses in subdominantischem Sinne verstehen — zumal da noch unmittelbar danach in der Melodie die Alteration des Subdominant-Grundtons erfolgt! —, wie kann man das über einem Baß-f auftretende as des 3. Taktes als Bestandteil des Dominantseptimakkordes hören? Und woraufhin will man das harmonisch nicht eigens gestufte ges im 5. Takt als Repräsentanten der Subdominante in Anspruch nehmen? Da das as des Basses aus dem vorhergehenden Takt beim Eintritt des ges der Oberstimme noch im Ohr ist und der Baß auf die Dominantterz c springt, müßte zwischen diesen beiden Baßtönen geradezu ein b eingeschoben werden, wenn das ges der Melodie als Subdominant-Grundton statt als Dominantseptime verstanden werden sollte. Zugegeben: Riemanns Funktionsbezeichnung würde eine annehmbare Deutung der Harmonie darstellen, wenn die Oberstimme für sich allein in Betracht zu ziehen wäre. Das heißt, die Beethovensche Melodie ließe sich so, wie Riemann sie hört, harmonisieren, wenn ihre originale Begleitung — und das ihr zukommende Tempo! — unbekannt wäre. Beethoven aber hat sie anders „har2) D a s g i l t j e d e n f a l l s , wenn m a n , w i e auch R i e m a n n s e l b s t , den G e g e n s a t z von „ F i g u r a t i o n " und , , M e l o d i e 4 4 im A u g e h a t , und d i e s e k l a r e , n o t w e n d i g e und g c b r ä u d i l i d i e ¿Unterscheidung nicht e t w a m i t G e g e n s ä t z e n a n d e r e r Art ( , , a b s o l u t e " und „ f i g u r i e r t e M e l o d i e " , „ A k k o r d m o t i v " u n d „ F i g u r a t i o n s m o t i v " , v e r g l . K a r l B l e s s i n g e r , „ G r u n d z ü g e der m u s i k a l i s c h e n F o r m e n l e h r e " , S t u t t g a r t 1926, S S . 114, 164) v e r m e n g t . — D i e Kennzeichn u n g d e r T r i o - M e l o d i e aus o p . 110 als „ A c h t e l f i g u r a t i o n " l i e g t ü b r i g e n s auf einer L i n i e m i t R i e m a n n s B e h a u p t u n g ( „ G r u n d r i ß d e r K o m p o s i t i o n s l e h r e " , L e i p z i g 1910, X S . 2 0 ) , „ d i e v e r m e i n t l i c h k o n s e q u e n t e F o r t f ü h r u n g e i n e s und d e s s e l b e n M o t i v s " im 1. S a t z e d e r B e e t h o v e n s c h e n c-moll-Symp h o n i e e r w e i s e Bich „ b e i n ä h e r e r B e t r a c h t u n g nur als F e s t h a l t u n g e i n e r bestimmten Form der F i g u r a t i o n " .

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monisiert" 3 ). Und damit ist der Grundirrtum der Riemannschen Deutung gekennzeichnet: Sie leitet sich aus einseitiger Berücksichtigung der Oberstimme her 4 ). Hört man die Melodie, wie sie gehört werden will, im Zusammenklang mit der harmonieergänzenden Begleitstimme, so tritt die Harmonie in eindeutiger Klarheit zutage, und die Auffassung, die Riemann nach Maßgabe der Unterstimme naheliegend findet, angesichts der gewaltsam isolierten Oberstimme aber verwirft, erweist sich als die für das musikalische Gehör zwingende, alleinmögliche. Die Baßtöne der ersten vier Takte stellen also den auseinandergelegten tonischen Dreiklang dar — die Art der Figuration läßt offen, einen zweimal gebrochenen ^-Akkord oder die Grundstellung, gefolgt vom Sextakkord, zu hören —•

JljJliJI

oder :

U

und das Baß-c des fünften Takts bestätigt das ges der Oberstimme als Dominantseptime 5 ) und bindet damit die Takte 5 bis 7 zur harmonischen Einheit der Dominante. 9 ) Selbstverständlich h a t B e e t h o v e n ü b e r h a u p t n i c h t in d e m S i n n e „ h a r m o n i s i e r t " , als o b e r e r 6 t d i e M e l o d i e e r f u n d e n u n d i h r d a n n d i e H a r m o n i e z u g e f ü g t h ä t t e ; die E r f i n d u n g d e r Melodie ist natürlich gar nicht o h n e d i e z u g e h ö r i g e H a r m o n i e zu d e n k e n , u n d d i e d e r M e l o d i e v o n U r s p r u n g an „ i m m a n e n t e " H a r m o n i e i s t auch n i c h t — w a s v o r s t e l l b a r w ä r e — künstlich v e r ä n d e r t w o r d e n . ') Wie wenig R i e m a n n selbst von der Stichhaltigkeit seiner Harm o n i e d e u t u n g ü b e r z e u g t w a r , g e h t d a r a u s h e r v o r , d a ß e r ( a . a . O . 432) verlangt, „ d i e in der O b e r s t i m m e a n g e d e u t e t e n Subdominanten44 m ü ß t e n „ t r o t z der scheinbar widersprechenden H a r m o n i e m a r k i e r u n g e n der linken H a n d herausgeholt w e r d e n " . Er k a n n den Widerspruch der Basse gegen s e i n e A u f f a s s u n g n i c h t ü b e r g e h e n , w e n n e r i h n au sition) folgt der Epilog, beginnend auf der ersten S t u f e von As-dur, melodisch ein aus dem Hauptthema gewonnenes Motiv e n t h a l t e n d , das dann über b*moll nach c-moll fortgesponnen wird, in welcher T o n a r t die Rück« führung zur R e p r i s e beginnt 4 4 (S. 150). Nichts spricht f ü r und alles spricht gegen eine solche Auffassung. Die Durchführung ist zwar ungewöhnlich kurz, und bis zum c-moll-Abschnitt mit dem E i n t r i t t des Hauptthemas in den Bässen nimmt sie sich in i h r e r liedmäßigen Melodik und instrumentalen K l e i n m a l e r e i zwischen den hoch dramatischen I n h a l t e n von E x p o s i t i o n und R e p r i s e fast wie ein lyrisches Intermezzo aus (wenn auch die Forte-Schläge der Kadenzschlüsse dazwischenfahren). Und daraus mag sich e r k l ä r e n , daß dieser F o r m t e i l nicht nur von B r a u n s t e i n v e r k a n n t , sondern von A. B . M a r x gar als ein „ z w e i t e r Seitensatz 4 4 ( a . a . O . 135) mißdeutet werden k o n n t e .

Im übrigen a b e r ist nicht einzusehen, warum eigentlich einem aus thematischer A r b e i t entwickelten S a g t e i l , der zwischen einer deutlich genug durch einen Orgelpunkt abgeschlossenen Exposition und einer ihr analogen R e p r i s e liegt, die Eigenschaft einer Durchführung abgesprochen werden sollte. Mit der Annahme eines h i n t e r diesem Orgelpunkt beginnenden Epilogs kommt B r a u n s t e i n in die V e r l e g e n h e i t , der R e p r i s e einen E p i l o g zuweisen zu müssen, „ d e r in melodischer Hinsicht anderes M a t e r i a l wie in der E x p o s i t i o n e n t h ä l t " (S. 150). Dieser vermeintliche Epilog der R e p r i s e ist a b e r in Wirklichkeit die Coda des ganzen Sonatensatzes. (Will man mit B r a u n s t e i n den T e r m i n u s „ C o d a ' 4 auf den F>dur