Aus Shakespeares Meisterwerkstatt: Stilgeschichtliche Studien [Reprint 2018 ed.] 9783111483696, 9783111116891

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Aus Shakespeares Meisterwerkstatt: Stilgeschichtliche Studien [Reprint 2018 ed.]
 9783111483696, 9783111116891

Table of contents :
VORWORT
INHALT
I. DIE ROMEO-PERIODE
II. DIE FREUNDSCHAFTSSONETTE
III. KÖNIGSDRAMEN
IV. FALSTAFF UND GENOSSEN
V. REALISTISCHE ROMANTIK
VI. JULIUS CAESAR UND HAMLET
NACHTRÄGE UND ANMERKUNGEN

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AUS S H A K E S P E A R E S ME ISTERWERK STATT

STILGESCHICHTLICHE STUDIEN VON

GREGOR

SARRAZIN

BERLIN DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER 1906

MEINER LIEBEN FRAU

FRANCES SARRAZIN IN DANKBARKEIT

GEWIDMET

VORWORT. Die folgenden Blätter enthalten die Ergebnisse mehrjähriger vergleichender Studien, welche die Chronologie und Stilgeschichte der Dichtungen Shakespeares in der Zeit von Romeo bis Hamlet betrafen. Es war vor allem mein Bestreben, den inneren Zusammenhang, in welchem die Dichtungen untereinander stehen, und die vollkommen organische Stilentwicklung, die bei richtiger Chronologie ganz von selbst zutage tritt, genauer nachzuweisen, als dies bisher geschehen ist. Nur auf diese Weise können wir hoffen, zu einem Verständnis der inneren Lebensgeschichte des Dichters vorzudringen. Die Shakespeare-Forschung hat bisher aus begreiflichen Gründen mehr den Inhalt, die Komposition und die Charakterzeichnung, als die poetische Form der Dramen und anderen Dichtungen in Betracht gezogen. Diese Untersuchungsweise ist indessen für die Erkenntnis der Dichterindividualität wenig ersprießlich gewesen, ja, sie hat geradezu auf Abwege geführt, besonders in bezug auf die Autorfrage. Mehr und mehr hat sich herausgestellt, daß der Inhalt der Dichtungen nur zum geringen Teil geistiges Eigentum des Dichters ist. Vielfach hat er ältere Dramen umgearbeitet, Vers- und Prosanovellen und Chronikenerzählungen dramatisiert, oft mit sehr enger Anlehnung an den Gang der Handlung. Zuweilen kennen wir die Quellen, zuweilen nicht. Auch die Charakterzeichnung ist nur zum Teil freie Schöpfung. Sogar scheinbar ganz originelle, geistreiche oder tiefsinnige Gedanken sind nicht selten nachweisbar entlehnt. Das Ursprünglichste, das Eigenste in den Dichtungen Shakespeares ist nicht der Inhalt, sondern die dichterische Form, insbesondere Sprache und Stil. Solange der Shakespeare-Forscher nur auf den Inhalt und auf die Charakterdarstellung achtet, erscheint ihm der Dichter-Schauspieler wie ein Proteus. Denn dem Inhalt und den dargestellten Personen entsprechend ist die Eigenart der Dichtungen sehr verschieden. Diese

VI

Vorwort.

Proteus-Natur hat bei Shakespeare-Studien verwirrend gewirkt. Weil der Dichter und Schauspieler meist „auf der Menschheit Höhen" wandelt, glaubten manche auch den Menschen dort, in der Aristokratie, suchen zu müssen. Weil der Dichter Lebensweisheit und Staatskunst zu predigen versteht, sollte er ein Philosoph und Staatsmann sein. Weil je nach dem Stoff der Dramen Roheit und Feinheit miteinander abwechseln, sollte Shakespeare mit anderen geringeren Dichtern in Gemeinschaft gearbeitet haben; oder es wurden ihm einzelne Dramen ganz aberkannt. Eine sorgfältige Stilvergleichung kann diese ganz haltlosen Hypothesen für jeden, der sehen will, ad absurdum führen. Denn Shakespeares Dichtungen sind nicht nur in einem ganz eigenartigen, allmählich ausgebildeten Stil geschrieben (in dem Stil eines literarischen Parvenüs, wenn man es so nennen will), sondern sie hängen auch untereinander mit so zahlreichen zarten Fäden zusammen, daß nuf Willkür und Unkenntnis sie auseinanderreißen kann. Es ist besonders das Verdienst Hermann Conrads, auf diese Verbindungen mit Hilfe einer reichen Sammlung von Ausdrucksparallelen aufmerksam gemacht zu haben. Auch in bezug auf die Chronologie hat dieser Forscher außerordentlich wertvolle Winke gegeben. So läßt sich jetzt mit Hilfe metrischer, sprachlicher und stilistischer Kriterien, mit Benutzung der Anspielungen auf Zeitereignisse und literarischer Beziehungen eine ziemlich sichere Reihenfolge der Dichtungen Shakespeares aufstellen. Aus der gesicherten Datierung ergibt sich nun, abgesehen von anderem, die Folgerung, daß der große Dichter doch viel mehr aus seiner Zeit heraus und für seine Zeit gedichtet hat, als gewöhnlich angenommen wird, daß er den literarischen Strömungen, dem Zeitgeschmack und den Zeitereignissen feinfühlig, j a fast allzu nachgiebig gefolgt ist. Auch die Kunstentwicklung, der Stimmungswandel und die allmähliche Verschiebung des Interessenkreises tritt jetzt klar zutage. Nächst dem Stil richtete sich die Untersuchung auf Kolorit und Milieuschilderung. Daraus erwuchsen Hypothesen über den realen Hintergrund, den die Dichtungen in eigeneri Erlebnissen und persönlichen Beziehungen zu haben scheinen. Das für mich wichtigste Ergebnis indessen, welches ich hier allerdings noch nicht streng erweisen, sondern nur durch gelegentliche Beispiele andeuten konnte, ist, daß auch das geistige Schaffen dieses größten Dichters den Gesetzen psychischer Mechanik zu unterliegen scheint, die sich sogar statistisch wird feststellen lassen. Wie die

Vorwort.

VII

Metrik, so hat sich auch die Sprache, der Wortschatz, der Stil allmählich und stetig geändert; wo Sprünge und Risse vorzuliegen scheinen, ergibt sich auch für diese eine Erklärung. Durch Wortechos, Reminiszenzen und Wiederkehr von Motiven werden aufeinander folgende Dramen nicht nur gelegentlich, sondern ganz regelmäßig verkettet. Wir können deutlich beobachten, wie die Phantasie des Dichters oft noch unter der Nachwirkung des unmittelbar vorher Geschaffenen steht, oder andererseits gegen den Abschluß eines Dramas schon mit dem nächsten dichterischen Plan sich beschäftigt. Die biographische Shakespeare-Forschung hat stets über den Mangel an urkundlichem Material geklagt. Aber für das innere Leben des Dichters haben wir eine solche Fülle von Urkunden, wie nur bei wenigen anderen geschichtlichen Personen. Wir müssen sie nur ordnen, sichten und entziffern lernen. Den Verwaltungen der Königlichen Universitätsbibliothek zu Breslau, der Bodleiana in Oxford und des Britischen Museums in London spreche ich verbindlichen Dank aus für die Bereitwilligkeit, mit der mir die erforderlichen Bücherschätze zur Benutzung anvertraut wurden. B r e s l a u , Juli 1906. Gregor Sarrazin.

INHALT. Seite

I. Die R o m e o - P e r i o d e

1

Romeo und Julia

1

Zwei Veroneser

28

Mittsommernachtstraum

39

Zähmung der Widerspenstigen

56

Kaufmann von Venedig

60

II. Die F r e u n d s c h a f t s s o n e t t e

75

III. K ö n i g s d r a m e n

114

König Johann

114

Eduard III

122

Richard II

124

Heinrich IV., erster Teil

137

Heinrich IV., zweiter Teil

144

Heinrich V

149

IV. F a l s t a f f u n d G e n o s s e n

153

V. R e a l i s t i s c h e R o m a n t i k

172

Die lustigen Weiber von Windsor

172

Viel Lärm um nichts

179

Wie es euch gefällt DreikönigsabeDd

. . . .

184 •

185

VI. J u l i u s C a e s a r u n d H a m l e t

193

Julius Caesar

193

Hamlet

203

Nachträge und Anmerkungen

S a r r a z i n , Aas Shakespeares Meisterwerkstatt.

219

b

I. DIE ROMEO-PERIODE. Die Entstehung der großen Liebestragödie Shakespeares hat immer noch etwas Rätselhaftes. Alle früheren Dramen des großen Dichters — auch Richard III. — erklären sich ungezwungen aus der literarischen Entwicklung jener Zeit; sie deuten auf Kyd, Marlowe, Greene, Peele, Lyly als Lehrmeister hin und zeigen einen nur allmählichen, stufenweisen Fortschritt. Aber 'Romeo and Juliet' steht an poetischem Wert so hoch über den früheren Dramen, zeigt eine so fortgeschrittene dramatische Technik, Charakterzeichung und Ausdrucksfähigkeit, ist zugleich im Stil und Ton so verschieden von allen früheren dramatischen Dichtungen, auch denen Shakespeares, daß es kaum möglich erscheint, einen organischen Zusammenhang mit früheren Dichtungen nachzuweisen. . Die Romeo-Tragödie ist etwas ganz Neues in der Geschichte der englischen Dichtung. Die romantische (sentimentale) Periode beginnt in Wirklichkeit nicht mit Wordsworth, sondern mit Shakespeares Romeo and Juliet. Am besten läßt sich die Stilentwicklung begreifen, wenn wir die epischen und lyrischen Gedichte Shakespeares als Bindeglieder, als Vorstudien annehmen. Und in der Tat enthalten besonders die ersten Szenen der Tragödie mannigfache Anklänge an Lucretia und die früheren Sonette. Es ist nicht unmöglich, daß die Lektüre von Painters Novellensammlung 'Palace of Pleasure', welche Shakespeare wohl zur Gestaltung der Lucretia-Sage anregte (wenngleich nicht eigentlich als Quelle diente), auch einen Anstoß gab zur Behandlung der Romeo-Sage. Jedenfalls hat Shakespeare diese Version (die fünfundzwanzigste Novelle des zweiten Bandes) auch gekannt, obwohl er hauptsächlich Brookes Gedicht 'Romeus and Juliet' als Quelle benutzte. Auch Bandello hat übrigens Lucretia neben Romeo und Julia als Novellenstoff behandelt. Die epische Dichtung von Lucretia ist gleichsam das Treibhaus, aus dem der Dichter-Gärtner seine poetischen Blumen S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterwerkstatt.

1

9

I. Die Romeo-Periode.

später ins Freie verpflanzt. In der Lucretia zuerst tritt die Individualität des Dichters voll und ganz hervor, 1 ) obwohl auch hier der .Einfluss anderer Dichter, besonders von Marlowe und Samuel Daniel, noch unverkennbar ist. Ungeachtet mancher Geschmacklosigkeiten ist der lyrische Schmelz der Sprache, die Naturwahrheit in der Darstellung der Leidenschaft, die Feinheit der Schilderung von Seelenzuständen hier schon bewundernswert. Uber dem Gedicht liegt aber, durch Schönheitsfreude noch gedämpft, derselbe Hauch von Schwermut, der die große Liebestragödie durchzieht. — Shakespeare galt, auch als er schon berühmt war, manchen seiner Zeitgenossen nur oder doch vorwiegend als Liebesdichter. So stark war der Eindruck, den seine Erstlingsdichtungen gemacht hatten. Der anonyme Verfasser des Universitätsschauspiels 'The Return from Parnassus' (herausgegeben von W. D. Macray, Oxford 1886) kritisiert (um 1600) in einigen dem Judicio in den Mund gelegten Versen 'William Shakespeare' in folgender Weise (p. 87): W h o loves not Adons love, or Lucrece rape? His sweeter verse contaynes heart-throbbing line, Could but a graver subject him content, Without loves foolish lazy languishment.

Kurz vorher (1599) hatte ein betriebsamer Verleger für eine bunte Sammlung von Liebesgedichten, von denen gewiß nur wenige von Shakespeare herrührten, den Namen des großen Dichters mißbraucht: The Passionate Pirgrim. By W. Shakespeare. Aus den Anekdoten von Liebesabenteuern, die zu Shakespeares Lebzeiten im Umlauf waren, läßt sich schließen, was Zeitgenossen dem berühmten Manne zutrauten. Daß diese Auffassung nicht unbegründet war, geht einerseits aus Shakespeares Sonetten hervor, andererseits aus den epischen Gedichten und aus den Dramen einer bestimmten Periode, in denen Liebe und immer wieder Liebe das Hauptthema ist. Die persönlichen Erlebnisse, welche Shakespeares Liebesdichtungen zu Grunde liegen, werden für alle Zeiten verborgen bleiben — auch die neuesten Versuche, aus der rätselhaften anonymen Dichtung 'Willobie his Avisa' ein Liebesverhältnis Shakespeares herauszulesen, scheinen nicht gelungen — aber daß der Dichter von 'Romeo and Juliet' manches von eigenen Herzenserlebnissen in seine große Liebestragödie hineingeheimnist hat, dürfen lebenskundige Erklärer mit großer ') Vgl. Wilhelm Ewig, Shakespeares Lucrece, Anglia X X I I .

3

I. Die Romeo-Periode.

Wahrscheinlichkeit voraussetzen. Und wir dürfen annehmen, daß es die heimliche, schmerzlich-süße, schuldbewußte Leidenschaft des gereiften Mannes war, die sich in Romeo und Julia widerspiegelte. Aber die Erinnerung an die schwülen Hochsommernächte des Jahres 1582 mag wohl auch noch nachgeklungen haben. — Liebestragödien waren damals allerdings schon in die literarische Mode gekommen. Der Geschmack des Publikums hatte sich allmählich verfeinert und war sentimentaler geworden, besonders seitdem die Jeunesse doree der Hauptstadt dem Theater ihr Interesse zugewandt. Der immer noch lebendige Petrarchismus und die Lektüre italienischer und anderer Liebesgeschichten begünstigten diese Richtung. Zurückzuführen ist sie aber im wesentlichen wohl auf den Einfluß Senecas und seiner italienischen, französischen und englischen Nachahmer. Senecas Agamemnon und Phaedra, Wilmots Tancred and Gismunda, Kyds Spanische Tragödie und 'Soliman and Perseda', das Dido-Drama von Marlowe (und Nash) markieren die bedeutsamsten Stufen in der Entwicklung dieses Genres. Die Geschichte von Pyramus und Thisbe war wohl ebenfalls schon früher dramatisiert worden, und im Winter 1593/4 wurde ein Drama aufgeführt, welches die tragische Liebesgeschichte von Palamon und Arcite zum Gegenstande hatte. Ein akademisches Drama von Garnier, welches den Tod des Antonius behandelt, von Lady Pembroke übersetzt, war im Jahre 1592 im Druck erschienen. Mehrere Anregungen und Vorbilder waren also vorhanden. Trotzdem dürfen wir sagen, daß erst Shakespeare die Liebestragödie im großen Stil geschaffen hat. Eine tiefe Kluft trennt Romeo und Julia von allen früheren Liebesdramen. Erst Shakespeare hat die Sprache wahrer Leidenschaft gesprochen. Noch in einer anderen Beziehung ist dies Drama bahnbrechend gewesen: Erst durch Shakespeare ist Italien das Lieblingsland der englischen Dramatiker geworden. Vor Romeo und Julia gab es kein Drama von Bedeutung, in welchem die Szene das moderne Italien war. Tancred und Gismunda von Wilmot war eine akademische Tragödie im Seneca-Stil und mit mittelalterlicher Färbung, auf englischen Volksbühnen kaum heimisch. Marlowes Jude von Malta wird kaum als italienisches Drama angesehen werden. Sonst verlegten die Vorläufer Shakespeares — Lyly, Peele, Kyd, Greene, Marlowe — ihre Dramen zwar nach den verschiedensten fremden Ländern: Persien, Türkei, Griechenland, Spanien, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schottland, aber seltsamer Weise kaum jemals nach Italien. Nur der 1*

4

I. Die Romeo-Periode.

Dramatiker Anthony Munday, der selbst in Italien gewesen war, scheint ausnahmsweise Lustspiele mit italienischer Färbung gedichtet zu haben, wenn es richtig ist, ihm das Stück 'Fidele and Fortune: the Receipts in Love discoursed in a Comedie of II Italian Gentlemen, translated into English' by A. M. (1584) zuzuschreiben. Aus den Stationers' Registers, Henslowes Rechnungen und anderen Quellen erfahren wir noch die Titel einiger anderen 'italienischen' Dramen: Duke of Milan and Marquis of Mantua (1579), Three sisters of Mantua (1578), The History of Titus and Gisippus (1577), Pope Joan, Machiavel, Cosmo (die letzteren drei in den Jahren 1592—93 aufgeführt). Aber da alle diese Stücke nicht gedruckt erhalten und, wie es scheint, nicht oft aufgeführt worden sind, so ist nicht anzunehmen, daß sie eine tiefer gehende Bedeutung hatten. Gascoignes Supposes und die ,Bugbears' sind kaum in diesem Zusammenhang zu nennen. L. Schücking hat in seiner anregenden Schrift 'Die stofflichen Beziehungen der englischen Komödie zur italienischen bis Lyly' (1901) manche Zusammenhänge aufgedeckt und auf manche vermutlichen Beziehungen hingewiesen. Aber auch aus seinen Darlegungen ist nicht zu entnehmen, daß der Einfluß des italienischen Dramas auf das englische vor Shakespeare sonderlich groß war. Unmittelbar nach Romeo und Julia kam indessen italienische Szenerie auch auf der Volksbühne in Mode, zunächst durch Shakespeare selbst, dann in mehreren anonymen (ungedruckten) Dramen (Fair Maid of Italy, Venetian Comedy, Tassos Melancholy, Barnardo and Fiametta), noch mehr durch Shakespeares Nachahmer. Die Wirkung von Shakespeares Beispiel zeigt sich schon in den Erstlingsdramen von Ben Jonson und Marston und hält an bis zu Websters Tragödien. Eine Flut von 'italienischen' Tragödien und Komödien ergoß sich nun über die englische Bühne. Der Dichter, welcher bis dahin Schüler und Nachahmer gewesen war, wurde nun vollkommen selbständig und tonangebend. Auf fremdländisches Kolorit überhaupt wurde vor Shakespeare im allgemeinen wenig Gewicht gelegt. Aber Shakespeares italienische Dramen zeigen — trotz mancher Verstöße im einzelnen — ein deutliches Bestreben, italienisches Leben und italienische Charaktere, auch italienische Landschaft zu schildern. Auch in dieser Beziehung ist Shakespeare bahnbrechend gewesen. — Wie ist der Dichter zu dieser Änderung, des Geschmacks, zu dieser literarischen Neuerung gekommen? Vielleicht ergibt sich eine Beantwortung dieser Frage im Verlauf unserer Untersuchung.

I. Die Romeo-Periode.

5

Zunächst dürfen wir uns wohl der Tatsachen erinnern, daß gerade Anfang der neunziger Jahre eine neue Flutwelle italienischen Kultureinflusses England überströmte, daß die Sonettdichtung wieder in Mode kam, daß Ariost und Tasso übersetzt und nachgeahmt wurden, daß junge Engländer jetzt häufiger als je zuvor nach Italien reisten, nicht nur vornehme Herren oder Gelehrte, sondern auch Dichter, Schriftsteller, Schauspieler, wie Greene, Daniel, Nash, Munday, Kempe, daß die italienische Sprache und Literatur in London damals sehr gepflegt wurde. Die Abfassungszeit der im Jahre 1597 zuerst gedruckten Tragödie 'Romeo and Juliet' läßt sich jetzt mit ziemlicher Sicherheit bestimmen. Allerdings ist das Drama nicht ganz aus einem Gusse gearbeitet. Die Abweichungen der beiden ersten Quartoausgaben von 1597 und 1599 deuten auf eine spätere teilweise Umarbeitung, die durch das Titelblatt der zweiten Ausgabe bezeugt wird. In der zweiten Quarto, die den gangbaren Text bietet, lassen sich leicht Stellen, die einen reiferen Stil zeigen, ausscheiden. Im ganzen aber macht die Diktion der Tragödie einen einheitlichen, zwar noch jugendlichen, aber doch schon ziemlich abgeklärten Eindruck, wenn man von einigen Szenen absieht, welche die jugendliche, virtuose Antithesensucht und Wortspielerei allzusehr zur Schau tragen. Die süße Melodie der Verse, der lyrische Schmelz der Sprache erinnert an den Sommernachtstraum (Frühling 1594); mannigfache Reminiszenzen verbinden die Tragödie sowohl mit der Verlorenen Liebesmühe (1593), wie auch mit der epischen Dichtung Lucretia (1593—94) (vgl. Shakespeare-Jahrbuch XXIX, 103). Auch Versgebrauch und Wortschatz weisen genau auf diese Zeit hin. Daniels epische Dichtung Complaint of Rosamond (1592), welche Shakespeares Lucretia beeinflußte, war dem Dichter von Romeo and Juliet noch in deutlicher Erinnerung, wie aus mehreren Anklängen erhellt (vgl. Works of Shakespeare, ed. Herford VII, 393). Lucretia ist dem Stil nach früher, der Sommernachtstraum später als Romeo. Das Drama hat daher sicher in den Jahren 1593—94, wahrscheinlich im Winter 1593—94 im wesentlichen die Gestalt erlangt, in der wir es kennen, wenngleich einige Szenen früher konzipiert und ausgearbeitet, andere später hinzugefügt und umgearbeitet sein mögen. Im Jahre 1591, welches wegen der vermeintlichen Anspielung auf das Erdbeben früher als Abfassungszeit angenommen wurde, kann das Drama aus inneren Gründen nicht verfaßt sein. Aus dem Londoner Winternebel hat den Dichter seine Phantasie in den sonnigen Süden geführt. Wir dürfen ihn uns vorstellen, wie er in enger, dürftiger

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I. Die Romeo-Periode.

Stube, bei einem Talglicht am Kamin sitzend, Brookes altmodischsteifes Gedicht las und daraus seine wunderbaren Liebeszenen gestaltete. Vielleicht erklärt sich aus dem Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Dichtung zum Teil die hochromantische Färbung des Dramas. Die Art, wie der Dichter den Stoff dramatisch gestaltet hat, ist doch in mehrfacher Beziehung interessant. Im Gang der Handlung folgt er seinem Gewährsmann Brooke zwar getreulich,') aber er drängt sie zusammen. Die Ereignisse folgen Schlag auf Schlag; die breite, etwas trockene und nüchterne Erzählung hat nicht nur dramatisches Leben, sondern auch poetischen Gehalt eigentlich erst durch Shakespeare gewonnen. In der Charakterzeichnung, im realistischen und humoristischen Detail (Amme, Apotheker) hatte Brooke vorgearbeitet; Shakespeare aber machte aus Skizzen oder bloßen Andeutungen (Mercutio) farbenreiche Charaktergemälde. Die Inszenierung und Darstellungsweise folgt zuweilen dem Muster früherer Dramen (Greene, Friar Bacon: Edward, Lacy, Margaret), teils ist sie durch Lylys Roman Euphues etwas beeinflußt;*) im ganzen zeigt sie doch schon die Unabhängigkeit und geniale Kunst des gereiften Dichters. Der erste Akt ist Brooke gegenüber recht frei gestaltet. Von vornherein betont Shakespeare den Streit der beiden Familien, der zum verhängnisvollen Zweikampf zwischen Tybalt und Romeo führt, stärker als Brooke. So erhalten wir eine tumultuarische, wirkungsvoll aufgebaute Eingangsszene, die noch etwas im Historienstil (Rosenkriege) komponiert ist. Es ist gleichsam eine Ouverture, die das Eingangsthema des dritten Aktes variiert. Mehrere Reminiszenzen an die Lucretia-Dichtung verraten, daß der Dichter diese kurz vorher verfaßt hatte. Aber schon in dieser, mehr noch in den folgenden Szenen macht sich Nachwirkung von Lylys Lustspieltechnik geltend: der zierliche, ') Vgl. Delius, Shakespeare Jahrbuch, Jahrg. 1881 ( = Abhandlungen zu Shakespeare, Neue Folge 1888), S. 135 ff. 2 ) Wie neuerdings R. Warwick Bond gezeigt hat: Works of John Lyly I, 165. Daß Sh. Lylys Roman noch in deutlicher Erinnerung hatte, geht daraus hervor, daß die komische Rede des Dieners I, 2 , 3 9 : ('It is written, that the shoemaker should meddle with his yard, and the tailor with his last, the fisher with his pencil, and the painter with his nets') eine Stelle aus der Vorrede (Ed. Bond I, 180) deutlich parodiert: 'The shomaker must not go aboue his latchet . . . It is unsemely for the paynter to feather a shaft, or the Fletcher to handle the pensill . .' Auf andere Reminiszenzen hat Bond hingewiesen.

I. Die Romeo-Periode.

7

sentenzenreiche, in Wortspielen sich ergehende Dialog, das Witzgeplänkel zwischen Dienern und Herren, das behagliche Dahinschlendern der Exposition, die lang ausgesponnenen humoristischen Einlagen (Erzählung der Amme, Mercutios Schilderung der Königin Mab), das alles erinnert an Lylys Konversationslustspiele. Man merkt hier, daß Romeo derselben Periode angehört wie Verlorene Liebesmüh' und diesem Lustspiel wahrscheinlich bald gefolgt ist, was wiederum durch mehrere Anklänge bestätigt wird. In der scheinbaren Kunstlosigkeit des ersten Aktes ist große Kunst verborgen. In der ersten und zweiten Szene schon wird der Konflikt vorbereitet, der die Katastrophe herbeiführt: Streit der Familien, Werbung des Paris um Julia, Einladung zum Maskenball. Fast alle Hauptpersonen werden im Verlauf des ersten Aktes nicht nur vorgeführt, sondern auch in ihrer Individualität gezeichnet: Escalus, der Fürst, Ehepaar Montagne, Ehepaar Capulet, Romeo, Julia, die Amme, Paris, Benvolio, Mercutio, Tybalt. Die Freunde Romeos sind Shakespeares Zutat — nicht nur als 'Confidants' und Folie für den Helden, sondern im dritten Akt auch als Hebel der Handlung notwendig. Rosalinde, die frühere Geliebte, tritt dagegen gar nicht auf. Die blasse, schwarzäugige Kokette ist nicht einmal eine Folie für Julia; sie ist nur der unsichtbare Köder, der Romeo ins Netz lockt. Der Dichter ist einsichtig und ökonomisch genug, auf diese Rolle, die doch nur eine störende und undankbare geworden wäre, ganz zu verzichten; vielleicht weil ihm nicht genug Schauspieler für Frauenrollen zur Verfügung standen, vielleicht auch aus dem Grunde, weil er eine ganz ähnliche Rolle kurz vorher in der Verlorenen Liebesmüh' zur Darstellung gebracht hatte. Viel Gewicht ist auf die Schilderung des Milieus gelegt, in dem Julia aufgewachsen. Die köstliche, echt italienische Figur der Amme, offenbar nach dem Leben gezeichnet, dürfte doch (abgesehen von Brooke) auch ein literarisches Vorbild haben: die Amme in Marlowe-Nashs Dido-Drama. Ohne literarische Vorbilder, nur aus dem Leben gegriffen, sind offenbar solche Charaktere gezeichnet, wie der alte Capulet, der joviale Haustyrann, seine Gemahlin, die oberflächliche Weltdame, der derb-humoristische Mercutio. Romeo, der melancholische Träumer und Schwärmer, der an Torquato Tasso erinnert, ist eine echt italienische, aber auch echt Shakespearische Figur, die zum Hamlet-Typus gehört. Der sentimentale, weiche Zug stammt aus Brookes Gedicht, das Heldenhafte ist von Shakespeare mehr betont. Der Charakter des Mercutio — wohl der einzige des Dramas, der nicht ganz in das italienische Milieu zu passen scheint —

8

I. Die Romeo-Periode.

entspricht einem anderen bei Shakespeare beliebten Typus: Biron, Benedikt von Padua, Casca sind Geistesverwandte. Die Rede Mercutios, in der er über Königin Mab phantasiert, ist von manchen Kritikern getadelt und als störendes Beiwerk bezeichnet worden; aber, ganz abgesehen von dem poetischen Reiz dieser köstlichen Vorstudie zum Sommernachtstraum, läßt die Phantasie vom Standpunkt der dramatischen Technik Shakespeares sich wohl rechtfertigen. Shakespeare gibt gern bedeutsamen pathetischen Szenen eine humoristische Folie und liebt retardierende, scheinbar nebensächliche Reden in Momenten höchster Spannung (z. B. die Rede Hamlets über die Trunksucht vor der Erscheinung des Geistes). Auch mußte die Rolle des Mercutio deutlich markiert und individualisiert werden. Außerdem hat jene Rede gerade damals (1594) wohl eine aktuelle Bedeutung als literarische Satire gehabt. Im selben Jahr erschien die kleine Schrift von Thomas Nash 'Terrors of the Night', in welcher die Entstehung der Träume auf Elfenzauber zurückgeführt wurde. 1 ) Da Shakespeare Chaucers Dichtungen jedenfalls gekannt hat, so sei auf eine Parallele aus dem 'Parlement of Foules' hingewiesen: Y. 99. The wery hunter, slepinge in his bed, To wode ayein his minde goth anöon; The juge dremeth how his plees ben sped; The Carter dremeth how his cartes goon; The riche, of gold; the knight fight with his foon, The seke met he drinketh of the tonne, The lover met he hath his lady wonne.

Wenn Romeo (abweichend von Brookes Darstellung) von vornherein von guten Freunden oder Kameraden umgeben ist — während er seinen besorgten Eltern offenbar ziemlich entfremdet ist (I, 1) und sich nicht viel um sie zu kümmern scheint —, so entspricht das ganz dem Milieu und Interessenkreise, in welche der Dichter seine Helden gewöhnlich versetzt. Fast regelmäßig sehen wir den Helden im Verein guter Freunde oder wenigstens Kameraden (König von Navarra, Kaufmann von Venedig, Bassanio, Prinz Heinz, Claudio, Hamlet), fast ebenso regelmäßig aber in unbefriedigenden Familienverhältnissen oder ohne Familienbeziehungen. Es liegt nahe, aus dieser Darstellungsweise Schlüsse auf die eigene Lage des Dichters zu ziehen. Es ist einigermaßen auffallend, daß gerade in Shakespeares Erstlingsdramen Familiengefühle, besonders Elternliebe, sehr stark zum Ausdruck kommen, ') Vgl. Archiv f. n. Spr. Bd. 95, S. 295 ff.

9

I. Die Romeo-Periode.

während nachher diese Seite des ethischen Empfindens eine Zeitlang wenigstens vernachlässigt wird. In der letzten Periode von Shakespeares Dramen werden dann im Gegenteil Familiengefühle wieder sehr stark betont (Macbeth, Lear, Coriolan, Cymbeline, Wintermärchen, Sturm). In den ersten Szenen hat Shakespeare also das Material, welches ihm Brooke bot, recht frei und mit genialer Kunst verwertet. Die erste Begegnung der Liebenden schildert unser Dramatiker ungefähr ebenso wie Brooke, nur in viel poetischerer Sprache. Doch fehlt bei Brooke die realistisch-humoristische Einkleidung der Szene, welche durch die Reden des alten Capulet geliefert wird. Auch Tybalt tritt bei Brooke an dieser Stelle noch nicht auf. Das erste Gespräch von Romeo und Julia ist noch im zierlichen, konventionellen italienischen Concettistil gehalten (ganz abweichend von Brookes Darstellung), aber dabei in eine so poetische Stimmung gehoben, daß schon hierdurch diese erste Liebesszene hoch über die früheren englischen Dramen emporragt. Ärmlich und dürftig nimmt sich daneben z. B. das erste Gespräch von Tamerlan und Zenocrate bei Marlowe oder die große Liebesszene in Kyds Spanischer Tragödie aus. Ganz deutlich läßt sich nun beobachten, wie eine Reminiszenz aus der epischen Dichtung Lucretia die Phantasie des Dichters geleitet und zu seinem schönen, echt italienischen Gleichnis vom Heiligenschrein geführt hat. Tarquinius, der sich in das Schlafzimmer der Lucretia schleicht, beginnt sein Selbstgespräch mit den Worten: Fair torch, burn out thy light, and lend it not To darken her whose light excelleth

thine:

And die unhallow'd thoughts, before you blot With your uncleanness that which is divine: Offer pure incense to so pure a shrine.

Lucr. 190.

Wenn hier der Vergleich der Lucretia mit einem Heiligenbild auch ein Anachronismus ist, so ergibt er sich doch ungezwungen aus der Situation und aus dem Zusammenhang. In unserer Szene ist offenbar durch die Erwähnung der Fackeln an der entsprechenden Stelle von Brookes Gedicht ('with torche in hand') dieselbe Gedankenreihe wieder angeregt worden. Romeo hatte den ersten Anblick der Julia mit den Worten begrüßt: 0 , she doth teach the torches to burn

bright!

Und er redet sie dann mit dem Gleichnis an: If I profane with my unworthiest hand This holy shrine, the gentle sin is this: My lips, two blushing pilgrims, ready stand To smooth that rough touch with a tender kiss.

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I. Die Romeo-Periode.

Auch der erste Händedruck, den Tarquinius von Lucretia erhält, mag dem Dichter, der ihn mit Wärme geschildert hatte, wieder in Erinnerung gekommen sein: Lucr. 253. Quoth he, 'she took me kindly by the hand And gazed for tidings in my eager eyes And how her hand, in my hand being lock'd, Forced it to tremble with her loyal fear!

Ob der Dichter, der einigermaßen mächtig war, grim, palmer) kannte und Pilger zu vergleichen, läßt auch ohnehin nahe genug ;palm —

doch jedenfalls der italienischen Sprache die Bedeutung des Namens Romeo ( = pilso darauf kam, den Helden mit einem sich nicht entscheiden. Der Vergleich lag und ergab sich leicht aus dem Wortspiel 'palmer:

And palm to palm is holy palmers' kiss.')

I, 5, 102.

So wachsen die Concetti dieses graziös-galanten Gespräches gleichsam organisch aus naheliegenden Ideenverbindungen heraus. Die ganze abwechslungsreiche Schlußszene des ersten Aktes, die gleichsam im Tempo agitato komponiert ist, zeigt den Dichter als Meister. Bewundernswert ist besonders der gewandte Übergang vom trivialen Konversationston und von galanten Phrasen zu hohem Pathos, und dabei die echt italienische Färbung in der Schilderung der Sitten 3 ) und in der Redeweise. ') Hier werden wir an die Worte der Prinzessin in Love's Labour's Lost V, 2, 816 erinnert: And, by this virgin palm now kissing thine, I will be thine — — — — — — Shakespeare erwähnt und schildert in dieser Zeit mit Vorliebe die Schönheit der weißen Frauenhand, z. B.: Lucr. 386. Her lily hand her rosy cheek lies under — — Lucr. 393. Without the bed her other fair hand was, On the green coverlet; whose perfect white Show'd like an April daisy on the grass, With pearly sweat, resembling dew of night. LLL III, 1, 169, IV, 2, 136, V, 2, 230; Mids. Ill, 2, 141. 2 ) Noch Fynes Moryson berichtete! um 1610 in seiner Reisebeschreibung (Shakespeares Europe, ed. Charles Hughes p. 458) fiber die Freiheit, die ungeladenen maskierten Gästen in Italien zugestanden wurde: 'Yea the very houses of noblemen and gentlemen, upon occasions of meetings to danse with wemen and virgins of honour, are open for any masked persons to enter and behold them.'

I. Die Romeo-Periode.

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Der zweite Akt schließt sich bei Shakespeare zeitlich unmittelbar an den ersten an. Die Inszenierung und Szenenfolge, welche von dem Gartengespräch zur heimlichen Vermählung führt, ist meist durch den Verlauf der Handlung bedingt und bei Brooke vorgezeichnet, wo indessen die Handlung viel langsamer fortschreitet. Nur hat auch hier der Dichter noch realistisch-burleske Szenen eingefügt, wohl mit zu dem Zweck, die Figuren des Mercutio und der Amme noch mehr in den Vordergrund zu rücken. Die zum Teil sehr derben und lasziven Späße sind für modernes Empfinden abstoßender als für die Zeitgenossen des Dichters. Bedeutsamer ist die Einführung des Einsiedlers Lorenzo, welcher eine so wichtige Rolle zu spielen hat. Sie ist durchaus passend für diesen Akt aufgespart, in welchem er als Ehestifter in Aktion tritt. Bruder Lorenzo erscheint zuerst als heilkundiger Kräutersammler — wie denn die Mönche von Verona wirklich als Kräutersammler und Destillateure berühmt waren —, womit wir schon auf den wunderbaren Schlaftrunk vorbereitet werden, den der Mönch später in Bereitschaft hat. Seine weisen Worte über die Verwendung von Giften als Heilmittel, über die Leichtigkeit, mit der Böses in Gutes und Gutes in Böses sich wandelt, sind durch ähnliche Betrachtungen, die in Brookes Gedicht dem Mönch in den Mund gelegt sind, angeregt, geben aber auch Gedanken wieder, die vom Dichter oft ausgesprochen werden und offenbar einen Teil seiner Lebensphilosophie bilden. Originell sind indessen diese Gedanken nicht; sie finden sich schon in Lylys Euphues. Der Charakter des Bruders Lorenzo, in Brookes Gedicht schon skizziert, ist von Shakespeare mit Behaglichkeit und Wärme ausgearbeitet worden. Das Schwergewicht des Aktes liegt indessen in den Szenen, in welchen Julia auftritt, besonders in der zarten und hochpoetischen Gartenszene. Hölzern und steif erscheinen daneben wiederum die Liebesdialoge in allen früheren englischen Dramen, z. B. das Stelldichein von Horatio und Bellimperia in Kyds Spanischer Tragödie, eine Szene, die damals von vielen noch als Glanzleistung angesehen wurde. Bewundernswert ist besonders der Ubergang von stilisierter Diktion zu einfacher, natürlicher Sprechweise. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf: woher hat der Dichter diese Glut und Zartheit der Empfindung, diese Grazie im Ausdruck? Von Ann Hathaway oder den Frauen, mit denen der Schauspieler in London gewöhnlich in Berührung kam, kann diese Inspiration schwerlich ausgegangen sein. I n Brookes Erzählung ist die Szene und das Liebesgespräch schon in allgemeinen Umrissen enthalten, auch sind einige Wendungen

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I. Die Romeo-Periode.

daraus benutzt; aber der poetische Zauber fehlt vollständig. Literarische Vorbilder können höchstens den Stil in Einzelheiten, aber nicht den Ton und die Darstellungsweise beeinflußt haben. 1 ) So bleibt denn nur die Erklärung übrig, daß der Dichter sich damals schon in Lebenssphären bewegt hatte, in welchen eine solche Verfeinerung der Empfindung und des Ausdrucks der Empfindung vorkommen konnte. Es ist immerhin merkwürdig, daß die Liebesszenen, die in Shakespeares italienischen Dramen oder in solchen mit südlichem Kolorit vorkommen, ungleich zarter, poetischer und leidenschaftlicher gehalten sind, als in den auf englischem oder französischem Boden spielenden Stücken, z. B. in Heinrich V. oder in den Lustigen Weibern von Windsor. Ist das nur Zufall? Bei der letzten Szene des zweiten Aktes (Vermählung) läßt sich deutlich beobachten, wie der Dichter die Diktion allmählich verfeinert und den Stimmungsgehalt vertieft hat. In der Quarto von 1597 hat diese Szene einen ganz anderen Wortlaut und ist phrasenhafter gehalten als in der zweiten Ausgabe. In der Eingangsszene des dritten Aktes leuchtet Mercutios Humor noch einmal auf, wie ein letzter, fahler Sonnenblick, bevor das Gewitter hereinbricht. Dann folgt der Straßentumult: Tybalt ersticht Mercutio, Romeo tötet Tybalt und wird zur Verbannung verurteilt 2 ) (eine ähnliche Szene wie in Soliman und Perseda [II, 1]: Zweikampf zwischen Ferdinando und Erastus mit tödlichem Ausgang, Flucht des Erastus). Hier ist Shakespeare sehr von der Darstellung Brookes abgewichen, indem er Mercutio (der bei Brooke ganz außer dem Spiele bleibt) als Urheber des Streites einführt. Hat dem Dichter vielleicht bei dieser Szene eine Erinnerung an jene Rauferei vorgeschwebt, bei welcher Marlowe nicht lange vorher (31. Mai 1593) erstochen worden war? Ist etwa der Spötter Mercutio ein posthumes Porträt des wilden Spötters Marlowe ('blaspheming Tamberlaine')? Shakespeares Darstellung des Zwistes läßt Romeo in günstigerem Lichte erscheinen, >) Es ist z. B. an die Verse in Marlowes Jew of Malta (Akt II) erinnert worden: But stay, what Star shines yonder in the East The load-star of my life — — — Vgl. Rom. II, 2, 2: But, soft! what light through yonder window breaks? It is the east, and Juliet is the sun. 2

) Im XVIII. Jahrhundert verlegte die volkstümliche Uberlieferung der Veroneser den Schauplatz dieses Kampfes in die Nähe der Porta dei Borsari: Grund, Malerische Reise eines Künstlers nach Rom, Wien 1789, S. 177.

I. Die Romeo-Periode.

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weil er nur durch die Ermordung seines Freundes zur Teilnahme am Kampfe bewogen wird. Der nun folgende Monolog Julias, viel bewundert und viel bekrittelt (ein Gegenstück zu dem reiferen Monolog des Troilus, Troil. III, 2, 21), ist Shakespeares ursprüngliche Schöpfung. Der Dichter scheint jedenfalls eine solche Fieberglut des Liebesverlangens, eine solche Ubersehwenglichkeit des Ausdrucks, wie hier Julia in den Mund gelegt ist, bei einer Italienerin nicht für unnatürlich gehalten zu haben. Man mag darin einen noch nicht ganz reifen Geschmack oder mangelhafte Seelenkenntnis sehen, aber des Dichters unwürdig ist die Szene nicht. Die Farben, die in den Bildern dieses Epithalamions aufgetragen werden, sind allerdings etwas zu grell und zu bunt. Der Dichter scheint noch zu sehr im Stil Marlowes und im Stil Philipp Sidneys befangen zu sein. Der Monolog beginnt, wie allbekannt, mit einer wörtlichen Reminiszenz aus Marlowes Edward II. (IV, 3, 45), wo der König, der den Kampf mit den Rebellen nicht erwarten kann, deklamiert: Gallop apace, bright Phoebus, through the sky, And dusky night, in rusty iron car, Between you both shorten the time, I pray — — —

Die Reminiszenz ist aber durch einen Vers Brookes veranlaßt: 'The hastines of Phoebus steeds in great despyte they blame' — und auch in der folgenden Apostrophe sind Wendungen aus Brookes Gedicht mit Erinnerungen an Marlowes Hero und Leander und an Sidneys Stella-Sonette verwoben. Für die Darstellung von Julias Liebesleidenschaft hat der Dichter außerdem die Farben wahrscheinlich Chaucers Palette entlehnt, der seiner Criseyde eine im Ton ganz ähnliche Apostrophe an die Nacht in den Mund legt (Troil. III, 1427—1442), vielleicht auch Lyly, da einige Verse auffallend an eine Stelle aus Lylys Woman in the Moon (IV, 1, 248 ff.) erinnern: 'When will the sun go downe? Flye, Phoebus flye. . . . Come night, come, gentle night!' Julia wird aus Hochzeitsträumen in Verzweiflung gestürzt. Bruder Lorenzo und die Amme trösten und vermitteln, jeder auf seine Weise. Die schleunige Vermählung der Julia mit dem Grafen Paris wird von ihren Eltern, ohne ihr Wissen, beschlossen. Romeo, der sich in der Nacht vermittelst der Strickleiter ins Haus geschlichen, nimmt bei Tagesanbruch in einem zärtlichen Tageliedduett Abschied von Julia. Dann wird am frühen Morgen der Ahnungslosen von ihren Eltern der Vermählungsplan angekündigt; erneute Verzweiflung, vergebliche Bitten.

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I. Die Romeo-Periode.

Das alles war bei Brooke schon erzählt, nur breiter und weitschweifiger. In der Darstellung der Tageliedszene hat dem Dichter wohl eine berühmte Stelle aus Chaucers Troilus, dem Versroman, den er später dramatisierte, als Muster vorgeschwebt. Deutsche oder romanische Tagelieder (die allerdings in der Darstellungsweise auffallend ähnlich sind) hat er schwerlich gekannt. Die Ähnlichkeit wird in der Situation begründet sein, ebenso die einer Szene aus Luigi Grotos Adriana. — Im vierten Akt wird Julia die Hauptperson und wächst zur Heldin heran. Julias Besuch bei dem Klausner, Hochzeitsvorbereitungen, der Monolog vor dem verhängnisvollen Schlaftrunk, die Klagen über die Scheintote — alles ist bei Brooke schon erzählt oder wenigstens angedeutet. Außerdem hatte der Dichter für solche Szenen Vorbilder in früheren Dramen: Tancred und Gismunda, Dido, Spanische Tragödie, Soliman und Perseda. Vereinzelte wörtliche Reminiszenzen scheinen literarische Beeinflussung nahezulegen. Shakespeare könnte hier fast noch als Nachahmer Thomas Kyds erscheinen. In den Klagen der Capulets klingt die Diktion infolge dessen etwas hohl und phrasenhaft-pathetisch, was indessen vielleicht beabsichtigt ist. Die Späße der Musikanten und ähnliches sind eine Konzession an das Parterrepublikum und an die witzhaschende Jeunesse doree. Vielleicht rühren sie' zum Teil gar nicht von Shakespeare, sondern von dem Komiker Will Kemp her, der die Rolle des Peter zu spielen hatte, Im ganzen macht dieser Akt doch den Eindruck, als wenn das Interesse und die dichterische Kraft etwas erlahmt wären. Auch die ersten beiden Szenen des letzten Akts (falsche Todesnachricht, Romeos Gespräch mit dem Diener und mit dem Apotheker in Mantua, aufklärende Unterredung zwischen Bruder Lorenzo und Bruder Giovanni scheinen etwas hastig geschrieben zu sein, obwohl die Apothekerszene große Feinheiten enthält. Die lakonische Kürze und scheinbare Ruhe in den Reden des Helden ist unter den Umständen begreiflich und wohl beabsichtigt. Erst die dritte Szene (auf dem Friedhof in Verona) zeigt den Dichter wieder auf der Höhe seiner Kunst. Vielleicht hat das alte Kydsche Hamlet-Drama schon eine ähnliche Szene enthalten wie den Zweikampf zwischen Romeo und Paris (Streit von Hamlet und Laertes an der Bahre der Ophelia). Auch der Schluß von Soliman und Perseda läßt sich vergleichen. Im übrigen ist dieser Akt frei und mit mancherlei Abweichungen aus der Brookeschen Erzählung herausgearbeitet; Einzelheiten in der Darstellung, besonders im letzten Monolog des Romeo, erinnern an Daniels Rosamond. Alle

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diese literarischen Einwirkungen sind aber nur geringfügig. Das Pathos der letzten Reden Romeos ist im wesentlichen Shakespeares ureigenste Schöpfung. Die etwas breiten und langatmigen Erklärungen und Rekapitulationen, in denen sich die Nebenpersonen nach der Katastrophe ergehen, sind für uns entbehrlicher, als für das Publikum jener Zeit, welchem die Fabel nicht so geläufig war. Die Technik der Komposition zeigt also zwar erheblichen Fortschritt gegenüber früheren Dramen, aber doch noch zuweilen Anlehnung an ältere Muster. Wir sehen die Kunst des Meisters sich in dieser Beziehung gleichsam organisch entwickeln. Schwieriger schon ist es, die Eigenart der Charakterzeichnung zu erklären; denn die geschilderten Charaktere (mit Ausnahme von Mercutio bei Brooke schon skizziert) lagen zum Teil außerhalb des gewöhnlichen Bereiches der Lebens- und Beobachtungssphäre des Dichters. Hier kann und muß man indessen mit der dichterischen Intuition rechnen, die durch literarische Quellen und Vorbilder genährt wurde. Zuweilen hat ja auch der Dichter ohne Zweifel in der Charakterzeichnung sich ein wenig vergriffen, etwas zu grelle Lichter aufgesetzt, z. B. in dem Prothalamion der Julia, oder in Romeos Ausbrüchen der Verzweiflung. Indessen darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Personen als Italiener dargestellt sind. Sehr merkwürdig und geradezu rätselhaft ist aber die Diktion und das Kolorit der Dichtung. In dieser Beziehung bot die Tragödie dem englischen Publikum etwas vollständig Neues: eine Anmut und Lieblichkeit der Sprache, einen Schwung der Leidenschaft, eine Tizianische Pracht und Üppigkeit der Darstellungsweise, die in der früheren dramatischen Dichtung, auch bei Shakespeare selbst, unerhört war. Matt und farblos erscheinen daneben die glänzendsten Szenen der Dramen von Lyly, Kyd, Greene, Marlowe. Nur die unmittelbar vorausgehende epische und lyrische Dichtung Englands zeigt einen ähnlichen Schwung der Diktion, eine ähnliche Pracht der Darstellung: Brooke, Sidney, Spenser, Daniel, Marlowe haben in der Tat den Boden für Romeo und Julia vorbereitet, Marlowe besonders in der unvollendeten epischen Dichtung Hero und Leander, die bald nach seinem Tode (Sommer 1593) veröffentlicht oder sonst,bekannt, wurde. Indessen auch gegenüber diesen Vorbildern steht der Dichter ziemlich selbständig da. Manche Bilder und Vergleiche, die in Romeo und Julia vorkommen, sind j a konventionell, z. B. solche, die sich auf Seefahrt und Kriegshandwerk beziehen (zum

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I. Die Romeo-Periode.

Teil aus Brookes Gedicht entlehnt); die meisten aber durchaus originell, und manche zeigen, daß der Dichter seine Anschauungsweise und seine Sprache fast mit einem gewissen Zwange dem südlichen Kolorit anpaßte. Die Sprache Romeos z. B . ist im ersten A k t künstlich und petrarchistisch; ganz allmählich wird sie einfacher und natürlicher, ein Ubergang, der besonders in der zweiten Szene des zweiten Aktes mit großer Feinheit durchgeführt ist. Hier und da erinnert ein Vers auch an Kyds Spanish Tragedy, an Soliman und Perseda, an Marlowes Jew of Malta und Edward II., an Daniels Rosamond. Aber von einer eigentlichen Nachahmung kann keine Rede mehr sein. Ein Maler, der ein Meister seiner Kunst ist, kann gelegentlich ein Klümpchen Farbe von der Palette eines anderen entnehmen, ohne darum der Entwendung bezichtigt zu werden. Der Dichter bemüht sich, die Bildersprache des Dramas den Charakteren der einzelnen Personen anzubequemen. Die noch halb kindliche, der Schule k a u m entwachsene, der Welt unkundige J u l i a spricht von der Rose (II, 2, 44), von schönen Blumen (II, 2, 121), von gefangenen Vöglein (II, 2, 178), von den Tauben der Venus (II, 5, 7), von einem ungeduldigen Kinde, das nicht erwarten kanD, neue Kleider zu tragen (III, 2, 30), von einem schön eingebundenen Buch (III, 2, 83), von Nachtigallensang (III, 5, 2), von Alraunen (IV, 3, 47), von Drachen, Raben, Wölfen ( I I I , 2, 73 ff.), von Basilisken (III, 2, 47), von Falkenzähmung (III, 2, 13, II, 2, 160), aber auch altklug von J u piter, der über die Schwüre von Liebenden lacht, von Cupido und Venus, von Phaethon und Phoebus, also in klassischen Schulreminiszenzen, die damals (besonders in Italien) noch nicht außerhalb des Bereiches feiner Mädchenerziehung lagen. Romeo ist im Ausdruck seiner Gefühle welterfahrener und vielseitiger. Als Zögling und Beichtkind des Bruders Lorenzo redet er gern von Pilgern und Heiligenbildern, von Ketzern, von Hölle und Fegefeuer, aber auch von Hinrichtungen (III, 3, 22), von Belagerungen (I, 1, 218), von Fahnen und Standarten (V, 3, 94), von Pulver und Kanonen (V, I, 64, III, 3, 104), von Seefahrt und Steuermannskunst (I, 4, 112, II, 2, 8 2 ) und von einem Schiffbruch (V, 3, 128) (die letzteren Bilder Brooke entlehnt); dann wieder vergleicht er sich mit Schulknaben, die unwillig zur Schule gehen. Das letzte Bild, welches in einem späteren Lustspiel wieder aufgenommen wird ( A s you like it II, 7, 145) ist wohl das originellste. Der geschmacklose Vergleich des Loses eines Verbannten mit dem einer Schmeißfliege

I. Die Romeo-Periode.

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ist durch ein Wortspiel veranlaßt. Für die vulgäre Amme ist Paris ein Wachspüppchen, Romeo mit ihm verglichen ein Wischtuch, Julia dagegen ein Goldkäferchen. Dame Capulet bewegt sich in gezierten, eleganten Vergleichen (Buch mit Gold geschmückt), ihr Gatte scheint seine altmodischen, konventionellen Redeblumen aus alten Sonetten entnommen zu haben. Dagegen hat Mercutio sehr derbe, drastische und zweideutige Vergleiche. Bruder Lorenzo zeigt sich in seiner Bildersprache als welterfahrenen Philosophen, dem sogar das Soldatenhandwerk vert r a u t ist. Die bunte Mannigfaltigkeit und geschmackvolle Ausführung der Bilder und Vergleiche zeigt für sich allein schon, daß die Tragödie nicht zu den Erstlingswerken Shakespeares gehört. Auch gegenüber Richard III. ist darin ein großer Fortschritt erkennbar (vgl. Shakespeares Lehrjahre S. 193). Ganz deutlich läßt sich beobachten, wie die epischen Dichtungen von Venus und Adonis und Lucretia, besonders die letztere, als Vorstudien dienten. Mehrere Bilder und Vergleiche sind in diesen schon enthalten: Desire my pilot is, beauty my prize; Then who fears sinking where such treasure lies? Lucr. 279, vgl. Rom. II, 2, 82. Or like the deadly bullet of a gun, His meaning struck her ere his words begun. Ven. 461, vgl. Rom. Ill, 3, 109. But she, that never coped with stranger eyes, Could pick no meaning from their parting looks, Nor read the subtle-shining secrecies Writ in the glassy margents of such books. Lucr. 99, vgl. Rom. I, 4, 86. But as the earth doth weep, the sun being set, Each flower moisten'd like a melting eye, Even so the maid with swelling drops gan wet Her circled eyne, enforced by sympathy Of those fair suns set in her mistress' sky. Lucr. 1226, vgl. Rom. Ill, 5, 127.

Für die Rhetorik der Liebesleidenschaft, der Trauer, der Verzweiflung hatte Shakespeare in seinen epischen und lyrischen Gedichten Vorstudien gemacht. In der Tragödie mußte er diese Sprache den Personen und Situationen anpassen und den verschiedenen Graden der Erregung entsprechend abtönen. S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterwerkstatt.

2

I. Die Romeo-Periode.

18 I n der Gartenszene

z. B .

hältnismäßig sanft bewegt, ziemlich sparsam Ganz anders welche

die

ist

der R h y t h m u s

rhetorische Fragen

der Rede

noch

a n d A u s r u f e sind

vernoch

verwendet. ist

die R h e t o r i k

Ausbrüche

der

in

den S z e n e n des d r i t t e n

Verzweiflung

der

Liebenden

Aktes,

schildern.

J u l i a klagt ganz wie eine leidenschaftliche Italienerin, m i t Antithesen und

Oxymora,

harschem

rhetorischen

F r a g e n und

Ausrufen,

R h y t h m u s , in atemlos hervorgestoßenen

in

aufgeregtem,

Sätzen:

0 serpent heart, hid with a flowering f a c e ! Did ever dragon keep so fair a cave? Beautiful tyrant! fiend angelical! Dove-feather'd raven! wolvish-ravening lamb! Despised substance of divinest show! 0 nature, what hadst thou to do in hell, When thou didst bower the spirit of a fiend In mortal paradise of such sweet flesh? Was ever book containing such vile matter So fairly bound? 0 , that deceit should dwell In such a gorgeous palace! Ähnlich gleichen,

Romeo,

nur nicht m i t e i n e m solchen U b e r s c h w a n g von

aber mit hartnäckigerem

Festhalten bestimmter

Worte

Verund

Vorstellungen: And say'st thou yet that exile is not death? Hadst thou no poison mix'd, no sharp-ground knife No sudden mean of döath, though ne'er so mean, B u t 'banished' to kill me? — 'banished'? 0 friar, the damned use that word in hell; Howling attends i t : how hast thou the heart, Being a divine, a ghostly confessor, A sin-absolver, and my friend profess'd To mangle me with that word 'banished'? W i e d e r u m in a n d e r e m , ruhigerem, aber sanft-eindringlichem

Rhythmus

sind die g u t m ü t i g - u n w i l l i g e n M a h n r e d e n des B r u d e r s L o r e n z o g e h a l t e n : Hast thou slain Tybalt? wilt thou slay thyself And slay thy lady that in thy life lives, B y doing damned hate upon thyself? W h y rail'st thou on thy birth, the heaven and earth? Since birth, and heaven and earth, all three do meet In thee at once, which tbou at once wouldst lose. Fie, fie, thou shamest thy shape, thy love, thy wit; Which like a usurer, abound'st in all,

I. Die Romeo-Periode.

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A n d usest none in that true use indeed Which should bedeck thy shape, thy love, tfiy wit etc.

Sehr kunstvoll geht in dieser Rede der zuerst heftig-tadelnde, unwirsche Rhythmus (besonders in den ersten, hier nicht wiedergegebenen Sätzen) ganz allmählich in einen sanft-beschwichtigenden Wiederum

in

etwas

anderem

Rhythmus

über. sind

die

polternden

Scheltreden des alten Capulet gehalten ( I I I , 5 ) . Den Höhepunkt rhetorischer Kunst in diesem Drama bildet wohl der

Monolog

der Julia ( I V , 3 )

Schlaftrunk nimmt.

in

der Szene,

in

welcher

sie den

Diese grüblerischen, selbstquälerischen Phantasien

sind bezeichnend für Shakespeares Schilderung

von Seelenzuständen.

Vergleichen

in

läßt

Schlußmonolog

sich

z. B.

Clarences Traum

Richard I I I . ,

der

Richards I I I . , aber auch die Träumerei Richards I I .

i m Kerker, der berühmte Hamlet-Monolog ( T o be), Macbeths Monologe oder die Klage der Constanze ( K i n g John I I I , 9, 76

ff.).

W e r diesen

Monolog der Julia etwa mit den Stellen aus Richard I I I . vergleicht, w i r d doch wohl die größere Kunst der Rhetorik erkennen; andererseits ist die Diktion

noch nicht so abgerundet w i e in Richard I I .

Sehr

ähnlich im Ton ist dagegen die Rhetorik in K ö n i g Johann. Ein Gegenstück

bildet der letzte Monolog Romeos, der ebenfalls

reich ist an rhetorischen Ton

und

Fragen

dementsprechend

Nichts von

der

und Ausrufen. Rhythmus

Hier ist aber der

wiederum

ein

anderer.

ängstlicher Aufgeregtheit, welche sich in Julias Monolog

auch durch den etwas verworrenen Satzbau, den wechselnden rhythmus

und

mehrere weibliche Versausgänge

kundgab;

Vers-

vielmehr

eine stille, beinahe somnambule Entschlossenheit, die sich in einfachem Periodenbau, in ebenem

Fluß

der Verse

männlichem Versausgang ausspricht.

und

fast

der Gedanken sind die pausenlosen Versverkettungen Gelegentlich

zeigen

sich

noch

Spuren

U n r e i f e : Neigung zur Tändelei mit Worten Antithesen, unangebrachte Wortwitze, recht passende Vergleiche.

ausschließlichem

Für das träumerische Fortspinnen der

bezeichnend.

Jugendlichkeit

und

und zum Wortprunk in

weithergeholte

Concetti,

nicht

Mitunter hat man, ähnlich wie in einer

italienischen Oper, das Gefühl, daß die einfache, süße Grundmelodie von Koloraturen zu sehr überwuchert wird. A b e r sogar diese Stilfehler stören nicht sehr, weil sie mit dem Charakter

und

dem Lokalkolorit

bewundernswert, Sprechweise

und

und

fast

des Dramas

rätselhaft,

wie

harmonieren.

der Dichter

sich

Es ist in

die

in die Anschauung von Italienern, von Südländern

hineingedacht und hineingelebt hat, da ihm doch seine Quelle, Brookes 2*

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I. Die Romeo-Periode.

Gedicht, in dieser Beziehung nicht viel Anregung bot. Schon das erste Zwiegespräch von Romeo und Benvolio ist im Antithesen- und Concettistil Petrarcas gehalten. Die ersten Reden von Romeo und Julia zeigen Anlehnung an die Sonettform und die zierliche Diktion italienischer Lyrik. Die Balkonszene entfaltet eine südliche, echt italienische Phantasie und Leidenschaftlichkeit in Vergleichen und Hyperbeln (Sonne, Mond und Sterne!), ebenso spätere Monologe von Romeo und Julia. Die Tageliedszene erinnert an die romanische Dichtungsform der Alba. Sogar der alte Capulet schwelgt in überschwänglichen Vergleichen und Personifikationen. Auch die katholische Religion und Anschauungsweise der Personen ist dem Dichter beständig gegenwärtig. Von Ketzerverbrennung, von Fegefeuer, von Engeln und Heiligen, von Fastenkost, von der Hostie, von Beichte und Absolution und von einer Abendmesse (ganz im Einklang mit damaligem Brauch in Verona) ist gelegentlich die Rede, und stets in so passender Weise, daß Shakespeare sogar für einen Katholiken gehalten werden konnte. Bemerkenswert ist es auch, wie der Dichter dem Kunstsinn und der ästhetischen Auffassung der Italiener gerecht geworden ist. Nicht nur Mercutio, sondern sogar der Diener Peter verrät musikalische Kenntnisse. Julia spricht in der Tageliedszene vom Lerchensang mit den technischen Ausdrücken und dem Kunstverständnis einer Primadonna. 1 ) Romeo rühmt in der Balkonszene den süßen Klang der Stimme Julias und bittet sie nach der Vermählung, ihre Seligkeit im Gesang ausströmen zu lassen. Auch Eindrücke bildender Kunst scheinen nachzuwirken. Beim ersten Anblick vergleicht Romeo seine Geliebte mit einem Heiligenbild, in der Balkonszene mit einer Engelsgestalt, die in den Wolken schwebt: 0 speak again, bright angel! for thou art As glorious to this night, being o'er my head, As is a winged messenger of heaven Unto the white-upturned wondering eyes Of mortals that fall back to gaze on him When he bestrides the lazy-pacing clouds And sails upon the bosom of the air.

Den Dichter hat hier offenbar die Erinnerung an ein Gemälde geleitet, in welchem Menschen zu einer in den Wolken schwebenden Engels') Vgl. Naylor, Shakespeare and Music p. 28.

I. Die Romeo-Periode..

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gestalt emporschauen. Man möchte fast an Tizians Assunta denken, welche damals noch Altarbild der Kirche dei Frari in Venedig war. In der Schlußszene will der alte Montague zum Andenken an Julia sie als Statue aus reinem Gold verewigen. Von Frauenschönheit und Männerschönheit ist natürlich oft die Rede, häufiger wohl als in irgendeinem anderen Drama Shakespeares; das ist indessen aus dem Thema und aus der damaligen Geschmacksrichtung des Dichters einigermaßen zu erklären. Immerhin paßt auch dieser Zug zum italienischen Kolorit; ebenso die Überschwänglichkeit des Schönheitspreises und die fast phrasenhafte Hervorhebung des Schönheitsglanzes (z. B. 1,1, 239, I, 2, 25, I, 3, 81 ff., I, 5, 46 ff., II, 1, 17 ff., II, 2, 3 ff., III, 2, 17 ff., V, 3, 85, V, 3, 94). Sonne, Mond und Sterne, Fackellicht, Juwelenschimmer und leuchtender Schnee dienen als Vergleichsobjekte, ganz im Stil italienischer Poesie. Bemerkenswerter ist es, daß mehrfach von der Schönheit der Stadt Verona gesprochen wird ( f a i r Verona Prol. 2, I, 2, 36). Niemals wird vom Dichter die Schönheit irgend einer englischen Stadt hervorgehoben. Wohl aber ist auch gelegentlich vom 'schönen' Padua (Taming I, 1 , 2 ) und vom 'schönen' Mailand die Rede (King John III, 1, 138, Temp. I, 2, 126). Das Epitheton könnte als phrasenhaft oder auf Hörensagen beruhend aufgefaßt werden; aber aus mehreren gelegentlichen Bemerkungen in diesem Drama, wie auch sonst, geht doch hervor, daß der Dichter von der Natur und dem Klima des Landes, von der Stadt Verona und ihrer Umgebung eine ziemlich deutliche Vorstellung hatte, eine deutlichere, als er aus Brookes Gedicht 1 ) oder anderen Quellen gewinnen konnte. Öfters läßt der Dichter durchblicken, daß wir uns in ein Land des Sonnenscheins, in Sommerhitze und sommerliche Blütenpracht zu versetzen haben. Vom Sonnenschein ist in den ersten drei Akten oft die Rede, und zuweilen wird die Sonne mit Beiwörtern bedacht (the worshipp'd sun I, 1, 125, the all-cheering sun I, 1, 140, the allseeing sun I, 2, 97, garish sun III, 2, 25, the sun—Ms burning eye II, 3, 5), welche den Begriff bedeutungsvoll hervorheben. Der Aufgang der Sonne über den Hügeln und Bergen, welche die Stadt im Norden und Osten einfassen, wird ganz treffend mit den Worten geschildert: jocund day stands tiptoe on the misty mountain-tops (III, 5, 10).

') Brooke rühmt nur im Eingang: 'The fruitful hills above, the pleasant vales below, the silver stream with channel deep, that through the town doth flow.*

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I. Die Romeo-Periode.

Die Jahreszeit ist Mitte Juli (I, 3, 17): Blumen blühen, und die Nachtigall singt auf dem Granatapfelbaum; die Tage sind schon heiß (in these hot days III, 1, 4), und das Auge der Sonne brennt (II, 2, 5). Wer italienischen Mondschein kennen gelernt hat, wird keine Übertreibung in Romeos Worten finden: by yonder blessed inoon I swear That tips with silver all these fruit-tree tops (II, 2, 108).

Die Lichtwirkung des Mondscheins wird vom Dichter merkwürdigerweise nur in italienischen Dramen hervorgehoben (Merch. of Ven. V, 1). In den letzten beiden Akten der Romeo-Tragödie ist von Sonnenschein und Mondschein kaum mehr die Rede; der tragischen Stimmung entsprechend, scheint alles Licht erloschen zu sein. Die Kirchhofszene hat sich der Dichter in finsterer, nur durch Fackeln erhellter Nacht gedacht (V, 3, 2, 21); bei Tagesanbruch will die Sonne ihr Antlitz nicht zeigen (V, 3, 300). Dem südlichen Charakter des Klimas entspricht es, wenn das Leben sich mehr auf der Straße abspielt, als in nordischen Ländern üblich ist. In dieser Beziehung unterscheiden sich Shakespeares italienische Dramen sehr wesentlich von denen, die in England spielen (z. B. Heinrich IV., Lustige Weiber von Windsor). In englischen Dramen ist die Szene häufig in ein Wirtshaus oder eine Taverne verlegt, in den italienischen — der Landessitte entsprechend — kaum jemals (bei gebildeten Italienern ist es ja im allgemeinen nicht üblich, in eine Osteria zu gehen). Es stimmt ferner vollständig zu italienischen sozialen Verhältnissen, wenn in diesem ebenso wie in anderen italienischen Dramen Adlige vorwiegend als Städter dargestellt sind, die allerdings auch Landhäuser im Besitz haben. Umgekehrt sind und waren (wie der Dichter auch schildert) englische Aristokraten vorwiegend Landbewohner, die allerdings oft auch Stadthäuser besaßen. Dieser feine Unterschied wird von Shakespeare in allen italienischen Dramen festgehalten. Das Haus der Capulets hat sich der Dichter offenbar ähnlich gedacht wie ein englisches (oder italienisches) vornehmes Stadthaus: Speisesaal und Gesellschaftsräume zu ebener Erde, Schlafzimmer im Oberstock; hinter dem Hause, an einer Nebengasse entlang ein Garten, in dem die Nachtigall auf dem Granatbaum singt (ein echt italienisches Bild). Granatapfelbäume waren in England im XVI. Jahrhundert nur ganz vereinzelt angepflanzt (Ellacombe, Plant Lore of Shakespeare S. 234) und wurden daher in englischen Dichtungen vor Shakespeare

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kaum jemals erwähnt. Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Dichter den Namen aus dem Hohenlied Salomonis oder aus der mittelenglischen Ubersetzung des Romans von der Rose erfahren haben konnte. Aber Shakespeare war damals wenigstens noch kein eifriger Bibelleser, und auch die mittelenglische Literatur wird er kaum durchstöbert haben, um etwas südliches Lokalkolorit f ü r ein italienisches Drama daraus zu entnehmen. Wenn nun aber englische Interpreten gar annehmen, der Dichter habe aus irgend einer Reisebeschreibung die Tatsache erfahren, daß die Nachtigall eine besondere Vorliebe für den blühenden Granatapfelbaum hat, 1 ) so ist das doch sehr weit hergeholt. Der Umstand kann zufällig getroffen sein; aber unleugbar ist in dem Verse Nightly she sings on yond pomegranate tree

ein für Oberitalien merkwürdig zutreffendes Naturbild skizziert. Diese Stelle der Tageliedszene erinnert, wie oft genug hervorgehoben, an eine entsprechende Szene aus Luigi Grotos Drama Adriana. Dort ist bei demselben Anlaß von einer Nachtigall, aber nicht vom Granatapfelbaum die Rede. Die Lage und Umgebung des Hauses der Capulets würde dem Palazzo Giusti in Verona entsprechen, hinter welchem der altberühmte Giardino Giusti liegt. Denn auch an diesem Palast zieht sich ein Gäßchen (Vicolo Giardino Giusti) entlang (vgl. Rom. II, 2), von dem aus man in den Garten gelangen kann. Von einem nach dem Garten hinausgehenden Fenster könnte man in der Tat den Tagesanbruch beobachten (wie dies in Rom. IIT, 5 vorausgesetzt ist), da die Himmelsrichtung Nordosten ist. Und es wäre von diesem Standpunkt aus auch vollkommen zutreffend, daß der aufgehende Tag gleichsam über Berge zu lugen scheint; die Sonne selbst ist zunächst nicht sichtbar (vgl. III, 5, 12, III, 5, 19), da die südlichen Ausläufer der Lessinischen Alpen sie dem Blick versperren. Das kann natürlich ein zufälliges Zusammentreffen sein; aber bemerkenswert ist es immerhin, daß die Schilderung gerade auf den berühmtesten, schon damals von Reisenden besuchten Palast und Garten von Verona zutrifft.

]

) Knight: 'But where did Shakespeare find that the nightingale haun ted

the pomegranate tree, pouring forth her song from the same bough week after week? Doubtless in some of the old travels with which he was familiar.

Chaucer

puts his nightingale in a fresh green laurel tree, but the preference of the nightingale for the pomegranate tree is unquestionable.'

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I. Die Romeo-Periode.

Eino Schilderung dieses Gartens ist schon in dein Reisetagebuch von Furttenbach (Newes Itinerarium Italiae, 1627) S. 245 zu finden: „Nahent bey der .Statt hat es eines Grafen Garten, in welchem ein schöner wol erbawener Pallast, und der vornembste so in Verona zu finden, mit herrlichem Saal, auch wol geordneten Zimmern versehen: darbey ein großer Garten, dessen Eingang zu beyden Seiten mit sehr großen rund wol 90 Schuch hohen Cipressen Bäumen besetzt, dergleichen Heroische Prospectiva nit viel zu finden sein. . . . Auff dieser höhe kan man die gantze Stadt Verona obersehen." Jedem, der Verona besucht hat, wird diese Cypressenallee als eine, die wohl einzig in ihrer Art ist, in Erinnerung sein. Daran, daß hier der Giardino Giusti beschrieben ist, kann also kein Zweifel sein, ebensowenig daran, daß dieser Garten schon damals dem reisenden Publikum zugänglich war. Für jemanden, der in Verona gewesen war, hätte es aber sehr nahe gelegen, eine Gartenszene gerade in diesem Garten spielen zu lassen. Die Möglichkeit, daß dem Dichter, wenn er Verona aus eigener Anschauung kannte, dieser Garten und dieses Haus in der Erinnerung und Phantasie vorschwebte, wird jedenfalls zugegeben werden. Auch der Platanenhain westlich von der Stadt (grove of sycamores I, 1), obwohl heutzutage bei Verona nicht mehr nachweisbar, paßt vorzüglich zum Kolorit einer oberitalienischen Stadt.') In England waren damals Platanen auch schon eingeführt, aber höchstens in Alleen, nicht in eigentlichen Hainen angepflanzt. Die Spuren einer Vertrautheit des Dichters mit Örtlichkeiten von Verona sind sonst nur gering. Die Erwähnung der Peterskirche (abweichend von Brooke) ist nicht sehr charakteristisch (III, 5). Immerhin war damals die (nicht mehr erhaltene) Kirche San Pietro di Castello eine der ältesten und berühmtesten in Verona, schon von Liudprand (ca. 950) in der Antapodosis gerühmt. Aber die Kirche des Heiligen Zeno oder der Heiligen Anastasia hätte, nach den An') Vgl. Verona illustrata (Verona 1732) III p. 516: 'Anche più che d'erbe ricchissimo fu già d' alberi il Veronese Ora n' è disertata la Lombardia in gran parte, che pur si dilettava anche nelle prossime età d' aver boschi d' agrumi, di platani, e di cipressi, come si può raccogliere da Francesco Marchi, ove tocca, che gran tagliate se ne fecero per le spianate innanzi le città, mandando a terra anche i borghi, come a Verona parimente avvenne.' Also Maffei klagte zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts schon darüber, daß die Haine von Zypressen oder Platanen, die früher die Umgebung der norditalienischen Städte, auch von Verona, zierten, zerstört worden wären.

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schauungen moderner Kunstreisender, eher genannt werden können. Weder von der Arena (die allerdings damals wohl noch nicht vollständig ausgegraben war), noch von den Denkmälern der Scaligeri, noch von der Piazza delle erbe oder vom Palazzo del Consiglio (Loggia) ist irgendwo die Rede. Für Villafranca gebraucht der Dichter, Brooke folgend, den englischen Ausdruck Freetown. Aber es ist zu bedenken, daß Shakespeare ü b e r h a u p t , auch in Dramen, die z. B. in London oder Windsor spielen, auf Lokalkolorit wenig Gewicht legt, ferner, daß Engländer, die in jener Zeit Italien bereisten, weder Reisehandbücher noch Spezialkarten hatten, und daß von irgendwelchem Verständnis f ü r italienische Kunst und A l t e r t ü m e r auch bei den gebildetsten Engländern wenig zu verspüren war (vgl. Einstein, Italian Renaissance in England p. 149: 'Even the most cultivated Englishmen of the time were unable to appreciate the greatest of the Italian arts'). Indessen von der geographischen Lage der Stadt hat der Dichter offenbar eine ganz deutliche und im wesentlichen zutreffende Vorstellung gehabt, wie sich auch aus anderen Dramen Shakespeares ergibt, die zum Teil in Verona spielen. Verona und Mantua sind, wie der Dichter sich stets bewußt ist, benachbarte Städte, die indessen zu verschiedenen Staaten gehören (r, 3, 28, III, 3, 149, III, 5 , 1 5 , IV, 1, 117, V, 1, 51, V, 2, 12, V, 3, 273). Die Entfernung ist nach der Anschauung des Dichters nicht sehr groß, aber immerhin beträchtlich, so daß j e m a n d , der gegen Abend (V, 1, 26) mit Postpferden aus Mantua abreist, u m Mitternacht in Verona eintreffen k a n n — vollkommen zutreffend ( 4 0 Kilometer). Auch P a d u a liegt nach der Auffassung des Dichters nicht allzuweit von Verona entfernt ( Z ä h m u n g der Widerspenstigen), aber doch schon erheblich weiter. Der Veroneser Petruchio gebraucht einen halben Tag (von Mittag bis Abend), um zu Pferde von P a d u a aus sein Landhaus zu erreichen. Die Reisedauer ist etwas k n a p p bemessen, auch wenn wir annehmen, daß das Landhaus 1 0 — 2 0 Kilometer vor Verona lag (denn die Entfernung von Verona und P a d u a ist etwa 7 8 — 8 0 Kilometer), aber doch annähernd richtig. Gewöhnlich brauchten Reisende allerdings, bei dem damals sehr schlechten Wege, 8 — 9 Stunden. Die Entfernung von Verona nach Mailand denkt sich der Dichter ganz richtig als eine weite Reise (Gentl. of Verona II, 7, 8). Der Weg von Mailand nach Verona f ü h r t an der Grenze des Mantuanischen Gebiets vorbei (Gentl. IV, 1, 18), wiederum ganz richtig. Auch daß in dieser Gegend ein Wald lag, in dem die Räuber hausten trifft zu (Sh.-Jahrb. XXXIX, 62). Nach b e k a n n t e n Angaben in den

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beiden Veronesern könnte es scheinen, als ob der Dichter als Verbindung zwischen Verona und Mailand auch einen Wasserweg angenommen, was natürlich ganz unzutreffend wäre; es ist freilich nicht ersichtlich, ob die ganze Reise oder nur ein Teil derselben zu Wasser zurückgelegt wurde. Wenn der Dichter hier geirrt hat, so war es ein Irrtum, auf den jemand, der Verona und die Etsch gesehen, aber Landkarten nicht benutzte, leicht verfallen konnte, besonders, da ein Teil der Reise von Mailand nach Verona damals in der Tat oft auf dem Wasserwege zurückgelegt wurde (Naviglio della Martesana). Jedenfalls ist die Erwähnung des Flusses und des Flußhafens (Gentl. I, 1, 53, II, 4, 187, II, 3, 58) zutreffend, vgl. Sh.-Jahrbuch XXXVI, 96. Alles dies wäre j a heutzutage aus Landkarten und Reisehandbüchern leicht zu ersehen; aber Shakespeare scheint sonst dergleichen Hülfsmittel, die es nur in sehr unvollkommener Gestalt gab, nicht benutzt zu haben. Solche geographische Kenntnisse sind daher immerhin sehr merkwürdig. Von den Personennamen, die der Dichter im allgemeinen mit genialer Nachlässigkeit hinzugefügt hat, sind einige der Gäste Capulets wenigstens charakteristisch: Petruchio, Vitruvio, Martino, Anselme, Placentio, Valentio. 'County Anselme' ist offenbar 'Conte Anselmi', ein bekannter italienischer Familienname. Placentio und Valentio sind deutlich von den oberitalienischen Städtenamen Piacenza, und Valenza hergeleitet. Petruchio ( = Petruccio) ist ein echt italienisch gebildeter, aber aus der englischen Literatur vor Shakespeare kaum bekannter Name; Martino ist ein ganz üblicher italienischer Name und hat einigermaßen Veroneser Lokalfarbe, wenigstens für Kunstkenner, die an den Maler Martino da Verona denken; der Name Vitruvio ist spezifisch veronesisch, da der alte Baumeister Vitruvius ein Veroneser war, der auch ini Palazzo del Consiglio durch ein Standbild geehrt ist. Auch der Frauenname Angelica (IV, 4, 5) ist bemerkenswert. Verstöße gegen das Lokalkolorit kommen zuweilen, aber nicht häufig vor, abgesehen vom humoristischen Dialog, der natürlich englischen Anschauungen angepaßt ist. Wenn der alte Capulet seinen Ballsaal heizen läßt, noch dazu mitten im Sommer, so ist das eine jener Zerstreutheiten, denen wir bei dem Dichter öfters begegnen. Statt von Eibenbäumen (Taxus) hätte in der Kirchhofsszene eher von Cypressen gesprochen werden sollen. Ein unscheinbarer, aber sehr feiner und zutreffender Zug ist es dagegen, wenn bei Gelegenheit der Gastmähler Konfekt (Marzipan)

I. Die Romeo-Periode.

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und Südfrüchte (Dattela und Quitten) besonders hervorgehoben werden. Der kräutersammelnde Franziskanermönch, die Amme mit ihrem Fächer, die auf der Straße umherlungernden und schwatzenden Diener und Herren, der joviale Hausherr, der sich im Umsehen in einen polternden Haustyrannen verwandelt, die elegante und schönredende Dame Capulet, die indessen auch vor dem Plan eines Giftmordes nicht zurückschreckt, alle diese Genrebilder und Charakterskizzen passen recht wohl zum Lokalkolorit. Noch eines scheinbar nebensächlichen Umstandes sei gedacht. Der Dichter nimmt an, daß in Verona eine außergewöhnlich strenge Sanitätspolizei herrscht, welche aus Furcht vor der Pest den Mönch, welcher Romeo Bruder Lorenzos Brief überbringen sollte, zurückgehalten habe — eine Verzögerung, welche die Katastrophe herbeiführt (V, 2). Dies Motiv ist Brookes Erzählung entnommen. Bei Brooke wird indessen der Mönch vielmehr in Mantua festgehalten. Es ist immerhin auffallend, daß der Dichter einen scheinbar so unwahrscheinlichen Hinderungsgrund nicht durch einen besseren zu ersetzen wußte. Nun erfahren wir aber aus der ungefähr gleichzeitigen Reisebeschreibung Michel de Montaignes, daß dieser Hinderungsgrund damals für veronesische Verhältnisse gar nicht so unwahrscheinlich war, daß aus leicht begreiflichen Gründen, wegen der Pest, welche in den Jahren 1576—78 Oberitalien (besonders Venedig und Padua) verheerte, die Veroneser Sanitätspolizei damals in der Tat sehr rigoros verfuhr. Der Sekretär Montaignes schreibt (um 1580) in bezug auf die Ankunft in Verona (Giornale del Viaggio, nach Alessandro d' Anconas Ausgabe, L' Italia alla fine del secolo XVI): 'Sans les boletes de la sanità, que ils avoint prises a Tränte, & confirmées a Rovere, ils ne fussent pas antres en la ville, si n'estoit nul bruit de dangier de peste; mais c'est par coutume ou pour friponner quelque quatrin qu' elles coûtent.' Auch dieser Zug entspricht somit vollständig damaligen Veroneser Gepflogenheiten. Der Dichter hat also nicht nur von Verona sich eine ganz deutliche und merkwürdig zutreffende Vorstellung gemacht, er hat nicht nur in mehreren charakteristischen Einzelheiten das Lokalkolorit getroffen, sondern auch die Sitten, das Leben im ganzen zutreffend geschildert und sich in die Anschauungsweise von Italienern eingelebt.

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I. Die Romeo-Periode.

Wenn dem gegenüber von einigen Literarhistorikern immer noch behauptet wird, in diesem Drama sei nichts Veronesisches, wenig Italienisches zu finden, so ist dies wohl nur durch mangelhafte Kenntnis zu erklären. 1 ) Wäre Romeo und Julia das einzige Drama mit italienischem Kolorit, so ließe sich vielleicht noch an Shakespeares intimer Vertrautheit mit italienischem Leben zweifeln. Aber es' gibt Dramen, besonders solche, die in Venedig und Padua spielen, in denen die Lokalfarbe noch deutlicher und intensiver ist (Tli. Elze, Venezianische Skizzen). Die Hypothese der italienischen Reise Shakespeares wird freilich wohl stets Hypothese bleiben; denn es ist nicht anzunehmen, daß jetzt noch irgend welcher urkundliche Nachweis dafür erbracht werden kann. Aber wenn irgend eine Hypothese gerechtfertigt ist, so ist es diese, welche auf eine solche Fülle von Indizien sich stützt. Jedenfalls würde mit dieser Annahme eine Erklärung für die sonst unerklärliche Änderung der Diktion und des Kolorits gegeben sein, welche sich in den Dichtungen dieser Periode geltend macht. Die Romeo-Periode Shakespeares wäre mit einem Schlage aufgehellt. Das Lustspiel von den Beiden Vero7iesern (Two Gentlemen of Verona) wird von vielen Forschern in die früheste Periode von Shakespeares Schaffen verlegt, sowohl wegen einer gewissen Unreife in der Charakterzeichnung und Komposition, wie wegen mancher jugendlichen Stilmanieren, die an die Komödie der Irrungen und an die Verlorene Liebesmühe erinnern (Knittelverse, gesuchte Wortwitze, Stichomythie, Antithesenspiel, Antimetabole, Wortgetändel). Die MäDgel der Komposition und Charakterzeichnung dürften indessen teilweise in der erwiesenen Flüchtigkeit der Abfassung, zum Teil auch in dem Umstände begründet sein, daß das Stück nur die Überarbeitung eines älteren Lustspiels war. Die 'jugendlichen' Stileigentümlichkeiten geben keinen sichern chronologischen Anhalt, da sie auch in manchen späteren Lustspielen noch zuweilen hervortreten. Sie sind übrigens, abgesehen von den Clown-Szenen, nicht mehr so ausgeprägt, wie in den früheren Lustspielen. Andererseits zeigen manche Szenen doch schon eine reife Schönheit der Diktion, einen musikalischen Wohllaut der Verse, der in den früheren Lustspielen noch nicht zu finden war. Man versuche z. B. in der Komödie der ') Vgl. Tb. Elze, Venezianische Skizzen zu Shakespeare S. 110 ff.

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Irrungen oder in Verlorene Liebesmühe auch nur annähernd so schöne Verse zu entdecken, wie jene (Gentl. II, 7, 30): The current that with gentle murmur glides, Thou know'st, being stopp'd, impatiently doth r a g e ; 1 ) But when his fair course is not hindered, He makes sweet music with the enamell'd stones, Giving a gentle kiss to every sedge He overtaketh in his pilgrimage — — — etc.

oder (I, 3, 84): 0 , how this spring of love resembleth The uncertain glory of an April day, Which now shows all the beauty of the sun, And by and by a cloud takes all away.

(ein anscheinend aus Chaucers Troilus (II, 763) entlehntes Bild). Obwohl weibliche Versausgänge im ganzen noch ziemlich selten sind, so erscheinen sie doch zuweilen schon so gehäuft, wie es in lyrischen Partien früherer Lustspiele kaum möglich wäre, z. B. (Gentl. III, 1, 140): My thoughts do harbour with my Silvia nightly, And slaves they are to me that send them flying: 0, could their master come and go as lightly, Himself would lodge where senseless they are lying! My herald-thoughts in thy pure bosom rest them; While I, their king, that hither them importune, Do curse the grace that with such grace has bless'd them, Because myself do want my servants' f o r t u n e : I curse myself, for they are sent by me, That they should harbour where their lord would be.

Weder in den Liebesgesprächen der Komödie der Irrungen (z. B. Err. III, 2, 1 if.), noch in den Sonetten von LLL. ist eine ähnlich weiche Melodie der Verse zu finden, wohl aber in Lucretia; auch geht das etwas künstliche Gleichnis, welches aus Rom. II, 5, 4 (love's heralds should be thoughts) herausgesponnen ist, über die preziöse Sprache der früheren Lustspiele hinaus (vgl. Sonn. 27, 5). Auch in Lucr. (V. 659 f., 666) kommt ein ganz ähnliches Bild vor (lüsterne Gedanken als Sklaven oder Vasallen eines Königs). *) Offenbar Ausmalung eines schon vorher Lucr. III 8 gebrauchten Bildes: — — — l i k e a gentle

flood,

Who, being stopp'd, the bounding banks o'er flows welches auf Ovids Metamorphosen (III, 568) zurückgeführt worden ist (Creizenach, Shakespeare-Jahrb. XLI, 211).

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I. Die llomeo-Periode.

Der Inhalt dieser Verse erinnert aber an mehrere Sonette (No. 27, 28, 43, 44), welche wahrscheinlich in den Jahren 1593—94 gedichtet sind. Manche Sentenzen des Lustspiels gemahnen auch sonst an Verse aus der Lucretia: Gentl. III, 1, 243 Time is the nurse and breeder of all good. Lucr. 995 0 Time, thou tutor both to good and bad. Gentl. II, 7, 76 His love sincere, his thoughts immaculate. Lucr. 1656 Immaculate and spotless is my mind. Gentl. I, 2, 106 Injurious wasps, to feed on such sweet honey, And kill the bees that yield it with your stings. Lucr. 839 In thy weak hive a wandering wasp hath crept And suck'd the honey which thy chaste bee kept.

Wer solche und ähnliche Parallelstellen (z. B. Gentl. V, 4, 136 [degenerate], Lucr. 1003) aufmerksam im Zusammenhange vergleicht, wird sich kaum der Folgerung entziehen können, daß das epische Gedicht als Vorstudie für den Stil des Lustspiels gedient hat. Da nun aber die Abfassungszeit von Lucretia (1593) ziemlich feststeht, gewinnen wir schon aus dieser Vergleichung einen Anhaltspunkt für die Datierung des Lustspiels. Eine weitere Stütze gewähren zwei Anspielungen auf ein Gedicht von Hero und Leander (I, 1, 22, III, 1, 120). Gewiß war diese Sage Klassisch-Gebildeten auch sonst bekannt; aber in weiteren Kreisen dürfte sie doch erst durch Marlowes unvollendetes Gedicht wieder in Erinnerung gebracht worden sein. Da nun Sh. dieses Gedicht nachweislich kannte, da er mit Beziehung auf die Sage von Hero und Leander ausdrücklich (Gentl. I, 1, 21) von 'some shallow story of deep love und von 'some book I love' spricht (womit schwerlich das Epos des Musaios gemeint ist), so dürfte die Folgerung, welche an diesen Stellen Anspielungen auf Marlowes Gedicht (1593) sieht, nicht zu kühn sein. Höchst wahrscheinlich ist Sh. bei der Abfassung der Lucretia schon von Reminiszenzen an diese Dichtung beeinflußt worden (Ewig, Anglia XXII, 952). Vor dem Sommer 1593 ist diese unvollendete, nachgelassene Dichtung Marlowes Shakespeare sicher nicht bekannt geworden. Alle diese Erwägungen führen auf die Abfassungszeit 1593—94, also die Romeo-Periode. Das Lustspiel ist gleichsam ein Bindeglied zwischen Rom. u. Mids. N. Dr., da es inhaltlich, in Komposition und Charakterzeichnung mit diesen beiden Dramen sich nahe berührt, und andererseits in Versbau und Rhetorik auf einer Zwischenstufe steht.

I. Die Romeo-Periode. Die Art

des Satzbaues,

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der R h y t h m u s d e r R e d e ,

rakter der Gleichnisse ist ganz ähnlich w i e in

a u c h der

Cha-

Rom.:

Gentl. IV, 4. 68. Sebastian, I have e n t e r t a i n e d thee, Partly t h a t I have n e e d of such a y o u t h T h a t can with some discretion do my business, F o r ' t is no trusting to y o n d foolish lout, Bat chiefly for t h y face a n d t h y behaviour etc. Rom. V, 3, 30. W h y I descend into this b e d of death Is partly to behold m y l a d y ' s face; But chiefly to take thence from her dead finger A precious ring, a r i n g t h a t I m u s t use etc. Die Gegenüberstellung von partly—chiefly k o m m t gelegentlich noch etwas

späteren Dramen

aber nur in Prosa;

in

vor ( A d o III, 3, 1 6 6 , H e n r y I V A , II, 4 , 4 4 4 ) ,

in den eigentlichen J u g e n d d r a m e n fehlt sie

ganz.

Gentl. I, 2, 57. Fie, fie, bow wayward is this foolish love. R o m . I l l , 3, 122. Fie, fie, thou shamest thy shape, thy love, thy wit. Gentl. V, I, 8 Amen, a m e n ! Go on, good E g l a m o u r etc. Rom. II, 6, 3 Amen, a m e n ! but come what sorrow can etc. Gentl. I, 1, 11 Wilt t h o u be gone? Sweet Valentine, a d i e u ! Rom. Ill, 5, 1 W i l t t h o u b e gone? It is not y e t n e a r day. Gentl. II, 6, 25 A n d Silvia—witness Heaven, that m a d e h e r f a i r ! Shows J u l i a but a swarthy E t h i o p e . Rom. I, 5. 47 It seems she hangs u p o n the cheeks of n i g h t Like a rich jewel in an Ethiop's ear. Gentl. 11,4, 193 E v e n as one heat another heat expels, Or as one nail by strength drives out another, 1 ) So t h e remembrance of my former love Is by a newer object quite forgotten. R o m . I, 2, 46 Tut, m a n , one fire b u r n s out another's b u r n i n g , One p a i n is lessen'd by a n o t h e r ' s a n g u i s h — — — Take thou some new infection to t h y eye, A n d t h e r a n k poison of t h e old will die. Manche Motive,

dramatische Szenen, Reden

Julia (Strickleiter,

Verbannung,

erinnern

Bruder Lorenzo,

an Romeo

und

Bruder Patrick),

und

Vgl. Brooke, Romeus (p. 24) A n d as out of a plank a nail a nail doth drive, So novel love out of the mind t h e ancient love doth rive.

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I. Die Romeo-Periode.

zwar in der Weise, daß die Veroneser Tragödie dem Lustspiel voraufgegangen sein muß. Ferner steht das Lustspiel der Elfenkomödie in der Diktion und Komposition sehr nahe; es finden sich mehrfache wörtliche Reminiszenzen, welche den Schluß nahelegen, daß Die beiden Veroneser eine Vorstudie zum Sommernachtstraum waren. Wenn wir also recht haben, die Tragödie von Romeo und Julia in den Winter 1 5 9 3 — 9 4 zu verlegen, den Sommernachtstraum etwa in den April 1594, so dürften Die beiden Veroneser in den Spätwinter desselben Jahres (etwa Februar-April) fallen. Und einige offenbar aus unmittelbarer Anschauung geschöpfte Gleichnisse (Liebe, verglichen mit einer in Eis geritzten Figur, die beim Auftauen zergeht, Gentl. III, 2, 6, vgl. Mid. IV, I, 171; veränderlicher Apriltag, Gentl. I, 3, 85; Schnee, Gentl. II, 7, 19) deuten gerade auf eine solche Jahreszeit der Abfassung. W i e in Rom., so ist auch in Gentl. der Stil noch sehr euphuistisch angehaucht, mehr als es nach den Darlegungen von Bond (Lyly, Works I, 169 ff.) scheinen könnte: Gentl. I, 1, 45. And writers Is eaten by Even so by Is turn'd to

say, as the most forward bud the canker ere it blow, love the young and tender wit folly, blasting in the bud

Euphues ed. Bond I, 184: As therefore the sweetest Rose hath his prickel — — so the sharpest witte hath his wanton will. Ibid. I, 242: The Rose though a lyttle it be eaten with the Canker yet being distilled yeeldeth sweete water and witte although it hath bene eaten with the canker of his owne conceite, and fretted with the rust of vaine loue, yet being purified in the still of wisedome — — — will shine bright and smell sweete in the nosethrilles of all young novises. Euphues p. 259: — — some one Rose will be blasted in y° bud — — — some women will easily be entised to folly — Gentl. 11,4, 192. Even as one heat another heat expels So the remembrance of my former love Is by a newer object quite forgotten. Euphues p. 255: a fire deuided in twayne burneth slower one loue expelleth an other, and the remembraunce of the latter quencheth the concupiscence of the first. Gentl. IV, 2, 14. Yet spaniel-like, the more she spurns my love, The more it grows and fawneth on her still. Euphues p. 249. Wilt thou resemble the kinde Spaniell, which the more he is beaten the fonder he is?

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Diesen Parallelen ließen sich noch andere anreihen, z. B. das Wortspiel zwischen 'substance' und lshadow' (Gentl. IV, 2, 127 ff. Euph. p. 200—1), die Gleichnisse vom erstickten Feuer und eingedämmten Bach (Gentl. II, 7, 24 Euph. 209). Gerade in der Romeo-Periode hat Shakespeare den Euphues offenbar eifrig studiert. Auch die Komposition und Charakterzeichnung des Lustspiels ist durch diesen damals schon etwas altmodischen Roman gewiß noch ein wenig angeregt worden. Die Liebesintrige des Lustspiels scheint der des Romans nachgebildet zu sein: Euphues-Proteus, PhilautusValentine, Lucilla-Silvia, Don Ferardo-Herzog von Mailand. Euphues verrät seinen Freund Philautus, indem er ihm die Geliebte, Lucilla, abspenstig macht. Proteus hat dieselbe Absicht; nur gelingt sie ihm nicht. Die kokette und wankelmütige Lucilla ist der treuen Silvia allerdings nur in der Situation, nicht im Charakter zu vergleichen. Der geistlose Curio im Euphues erinnert als Freier an den dummen Thurio. Das Lustspiel, in den wesentlichen Grundzügen indirekt aus dem Schäferroman Diana von Montemayor, direkt höchstwahrscheinlich aus dem verloren gegangenen Drama 'Felix and Philiomena' geschöpft,1) ist doch offenbar ziemlich frei gestaltet, allerdings mit Benutzung von Motiven aus verschiedenen Dichtungen. Der von Tieck und Zupitza angenommene Zusammenhang mit der alten deutschen Tragödie von Julio und Hyppolita (vermutliches englisches Original: Philippo and Hewpolyto, in den Theaterrechnungen von Henslowe erwähnt) scheint mir allerdings zweifelhaft. Aber außer Lylys Euphues dürften noch andere Erzählungen Anregungen geboten haben: Sidneys Roman Arcadia (Pyrocles, der unter die Heloten geht), Brookes Romeus (Romeos Verbannung und Trennung von der Geliebten, Flucht nach Mantua, der hartherzige Vater, der verhaßte Freier), ferner Chaucers Knightes Tale (Streit zweier Freunde um eine Geliebte, Verbannung des einen, Zusammentreffen im Walde, Heimkehr und Versöhnung), Lodges Rosalynde (Alinda, von Räubern bedroht, von Rosader befreit). In der Komposition und Szenenführung hat wohl neben Lyly und Kyd auch der Dramatiker Anthony Munday ('our best plotter', wie ihn Francis Meres im Jahre 1598 nennt) etwas eingewirkt, was sich leider nicht genau feststellen läßt, da die früheren Dramen Mundays nicht erhalten sind oder, wie bei dem Stück 'Fidele and Fortune', ') Zupitza, Shakespeare-Jahrbuch XXIII, 1. S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterwerkstatt.

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Mundays Autorschaft nicht feststeht. Das alles beeinträchtigt aber nicht die Anerkennung einer schon gereiften und im wesentlichen selbständigen Lustspieltechnik. Der Abschied der Freunde als Eingangsszene entspricht der gewöhnlichen (wohl durch Kyd beeinflußten) Expositionstechnik Shakespeares (vgl. z. B. Kaufmann von Venedig, Ende gut alles gut, Hamlet, Cymbeline, Wintermärchen). Die Szene enthält im ersten, seriösen Teil noch manche Reminiszenzen an Stellen aus Romeo (1,1), in dem folgenden humoristischen Gespräch Anklänge an Verlorene Liebesmühe. Die zweite Szene, in engem Anschluß an Montemayors Diana ausgearbeitet, zeigt außerdem (wie die erste) Einwirkung von Lylys Lustspieltechnik (Sappho III, 3). Sie ist gleichsam eine Vorstudie zum Kaufmann von Venedig. Sodann folgt eine Familienszene, in der Proteus' Vater die Hauptrolle spielt, der seinen Sohn in die Fremde schickt. Hier hat wiederum Montemayors Roman (oder das verlorene Drama) die Anregung gegeben. Aber wir werden auch an bekannte Szenen des Hamlet erinnert, die vielleicht im Urhamlet schon vorgebildet waren, sowie an die erste Szene des Jeronimo-Vorspiels der Spanischen Tragödie. Die schalkhafte Eingangsszene des zweiten Aktes (Valentin, der im Auftrage der Prinzessin Silvia einen Liebesbrief an sich selbst schreibt) ist nach Zupitza Shakespeares Erfindung. Sie erinnert aber lebhaft an die humoristische Szene, in welcher Sh. in 'As you like it' darstellt, wie Rosalinde den Orlando lehrt, um sie zu werben (IV, I). Da diese Szene in Lodges Schäferroman Rosalynde (1590) schon vorgebildet ist, dürfen wir auch hier wohl Lodge in gewissem Sinne als Shakespeares Quelle ansehen (Rosader und Ganymede [ = Rosalynde], Phoebes Brief an Ganymede). Sodann folgt eine Abschiedsszene der Liebenden in Verona, die an Romeo und Julia gemahnt. Ein verhaßter Freier der Silvia tritt auf — ebenfalls, wie es scheint, eine Reminiszenz an die Liebestragödie (Graf Paris). Nun folgen Szenen (Proteus' Untreue und Verrat), die aus Motiven von Lylys Euphues (ed. Bond I, 206) hervorgegangen sein können (wenn sie nicht durch die Tragödie von Julio und Hyppolita angeregt sind). Der Entschluß der Julia, ihren Proteus in Verkleidung aufzusuchen (II, 7), ist bei Montemayor schon vorgebildet; ein ähnliches Motiv findet sich auch in Lodges Rosalynde und mag durch Ideenassoziation zu weiteren Reminiszenzen an diesen Roman Anlaß gegeben haben. Valentin wird dann verbannt wie Romeo und wie Rosader in Lodges Rosalynde, Silvia folgt ihm wie Rosalynde (Akt III, IV), Valentin geht unter die Räuber wie Robin Hood (IV, I).

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Übrigens war in der Nähe von Mantua an dem. Wege von Mailand nach Verona früher wirklich ein Räubernest in einem Walde oder Buschwalde (Shakespeare-Jahrbuch XXXIX, 66). Die weiteren Szenen des vierten Aktes sind wiederum zum Teil Montemayor nachgebildet: Julia tritt bei Proteus als Page in Dienst, überbringt der Silvia einen Liebesbrief ihres eigenen Geliebten. Der Strohmann Thurio entspricht etwa Lucillas Strohmann Curio im Euphues (ed. Bond I, 239). Die Ständchenszene (IV, 2) schließt sich mit einer leichten Modifikation an Montemayors Darstellung an. Im V. Akt sind offenbar, wie schon erwähnt, Motive aus Chaucers Knightes Tale und aus Lodges Rosalynde kombiniert. Die unwahrscheinliche Lösung des Konflikts scheint Shakespeares freie Erfindung zu sein, aus einer Stimmung hervorgegangen, die im 40. Sonette ausgesprochen ist. Shakespeares freies Eigentum sind auch die humoristischen Clownszenen, das Salz des sonst nicht sehr schmackhaften Stückes. Er folgte indessen hier dem Beispiel von Lylys Komödien, 1 ) welchen er an Witz und Humor allerdings bedeutend übertraf. Schon allein der frische und übermütige Humor dieser Szenen deutet auf eine spätere als die gewöhnlich angenommene Abfassungszeit. Jedenfalls sind sie analogen Szenen in der Komödie der Irrungen und in Verlorener Liebesmühe sehr überlegen. Die Darstellungsweise, in den ersten Akten von einer gewissen behaglichen Breite, wird in den letzten knapper und hastiger. Der Stil, zu Anfang mehr zierlich und künstlich, ist gegen den Schluß nachlässiger, aber natürlicher. Diese Verschiedenheiten kann man in manchen der früheren, zuweilen auch in späteren Dramen Shakespeares beobachten. Bisweilen scheint es, als wenn der Dichter seiner Arbeit allmählich überdrüssig geworden wäre. Die Poesie und der Humor des Stückes ist in den ersten drei Akten ziemlich erschöpft. Im letzten Akt ist der Monolog Valentins bemerkenswert, in dem sich sentimentale Naturschwärmerei ausspricht. Ferner scheinen gegen den Schluß einige Stellen zu verraten, daß dem Dichter zurzeit schon Erinnerungen an die Theseussage (IV, 4, 172), an die von Pyramus und Thisbe (V, 4, 33) und an Chaucers Knightes Tale (V, 4, 161) durch den Kopf gingen, als wenn er sich damals schon mit Vorstudien zum Sommernachtstraum beschäftigte. Vielleicht erklärt sich so der überhastete Schluß. ]

) So ist z. B. schon in Lylys 'Endimion' IV, 2, 9 an das Sprichwort 'the tyde tarieth no man' ein Wortspiel zwischen 'tide' und 'tied' angeknüpft, ähnlich wie in Gent. II, 4, 40. 3*

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Das dramatisch unbedeutende Stück macht den Eindruck einer poetischen Beichte, etwa wie Goethes Clavigo. Im Leben hatte der Dichter sowohl die Rolle eines Proteus, wie die eines Valentin gespielt: er war ein ungetreuer Liebhaber gewesen, aber er erwies sich als treuer, fast allzutreuer Freund, sogar, wenn wir dem 40. Sonett Glauben schenken, indem er zugunsten des Freundes auf die Geliebte verzichtete. Wenn aber eine Anspielung auf diese Liebesaffäre in die letzte Szene des Stückes hineingeheimnist ist, so hat der Dichter sich selbst eher mit dem ehrgeizigen Valentin verglichen, der verbannt wird und unter die Friedlosen geht, seinen Freund dagegen mit dem liebenswürdigen, aber wankelmütigen Proteus. Und in der Tat wird der Freund der Sonette auch als eine solche Proteus-Natur geschildert (Sonn. Nr. 53): What is your substance, whereof are you made, That millions of strange shadows on you tend? Since every one hath, every one, one shade, And you, but one, can every shadow lend.

Und es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, daß gerade in einem Gespräch zwischen Proteus und Silvia in ähnlicher Weise mit den Worten 'substance' und 'shadow' gespielt wird (IV, 2, 124), wie in diesem Sonett. Die Lokalisierung des Stückes in und bei Verona könnte durch Erinnerung an Romeo und Julia veranlaßt sein. Aber möglicherweise haben Reiseerinnerungen mitgewirkt. Die 'Reede' von Verona war jedenfalls nicht Phantasie, ebensowenig der Räuberwald an der Grenze des mantuanischen Gebiets. Von Mailand scheint der Dichter allerdings keine sehr deutliche Vorstellung zu haben. Aber wenn er einen fürstlichen Hofhalt in Mailand erwähnt, der gelegentlich auch als kaiserlicher oder königlicher Hof (emperor's court, royal court) bezeichnet wird, so entspricht das den Verhältnissen des XVI. Jahrhunderts. Zu Anfang des Jahrhunderts hatte Kaiser Karl V. in Mailand Hof gehalten. Und zu Shakespeares Zeit residierte dort ein Statthalter mit fürstlichem Pomp. William Thomas hatte in seiner 'Historye of Italye' (1549) von Mailand erzählt (p. 187): 'Neuerthelesse he that nowe shall happen to see the companye of noblemen and gentilmen, that ar in maner continually attendaunte on themperours lieutenaunte or deputie in Myllaine, shall saye, that the same represented rather the court of some puissaunte kynge than the traine of a deputie.'

Kenntnis mailändischer Ortsverhältnisse scheint sich auch in der Erwähnung eines Brunnens des Hl. Gregor (Saint. Gregory's Well)

I. Die Romeo-Periode. zu

verraten ( I V , 2, 8 5 ) .

Denn

der

deutsche Reisende

37 Furttenbach

berichtete u m 1627 über Mailand u. a. folgendes (p. 2 4 ) : 'Lazaretto, oder Brechhauß, welches Sani Gregorio genannt wirdt, steht vor der Statt vnd bey der Porta Orientale.' Ob in der T a t neben diesem Gebäude einst sich ein Brunnen befand, ist w o h l k a u m zu ermitteln. W o h l aber wird von Ripamonti hervorgehoben, daß das Lazarett v o n fließendem W a s s e r u m g e b e n war. D a s alte Lazarett, auf älteren Plänen von Mailand noch verzeichnet, ist jetzt nicht mehr vorhanden, sondern nur noch der Cimitero di S a n Gregorio vor der Porta ( d i ) Venezia ( w i e j e t z t die frühere Porta Orientale heißt). In einer älteren Beschreibung von Mailand (Descrizione di Milano — — — — Raccolta ed Ordinata da Serviliano Latuada, In Milano, MDCCXXXVII, Tom. I, p. 2 1 2 , 5 5 ) sowie i n der Mailänder Chronik von R i p a m o n t i wird sehr ausführlich über dieses von Quellwasser umrieselte Hospital b e r i c h t e t 1 ) u n d erwähnt, daß der Weg, der am Hospital vorbeiführte, ein beliebter Spaziergang der Mailänder war. — D i e Räuberszenen in den beiden letzten A k t e n des Lustspiels p a s s e n durchaus i n j e n e Zeit u n d in die erwähnte Gegend. Denn gerade damals stand in der Lombardei das B a n d i t e n w e s e n sehr i n

•') 'Su la sinistra mano all' uscir della Città è posto, il Lazzaretto, separato sol tanto dalle Mura, quanto porta la larghezza del Navilio, ed una regia Strada, che serve principalmente a' passeggi de' Cittadini, e di un Canale che tutto lo cinge allo' ntorno. Fu fatto innalzare questa Fabbrica da Lodovico Sforza detto il Moro.' — — — — Latuada, a. a. 0. p. 216. 'Altre volte prima di questo comodo si faceva Spedale per gl' Appestati nelle Ville, che ora si dicono di San Gregorio, e di Casanuova, e quest' ultima fu poi comprata dal Cardinale Federigo per sua delizia, e dal medesimo lasciata alla sua Bibblioteca Ambrogiana — — —. Questo Lazzaretto appartiene allo Spedale Maggiore, che ne trae le rendite dell' affitto del grand' Atrio cambiato in Orto, e prato, con comodo di acque.' In der Chronik von Ripamonti (Historia Mediolana Vol. II a. 1643) wird dieses Hospital des Hl. Gregor ('Gregoriana septa', 'Gregoriana tuguria') öfters erwähnt, und mehrfach das fließende, heilsame Gewässer hervorgehoben, von dem es umgeben war: II, 43 Satis lata fossa circumdata est in omneis partes: per oam flunnt eopiosae & salubris aquae perennes rivi. II, 186 'ad Gregoriana septa brevi tempore itur. Quadratum id esse aedificium in superioribus libris demonstravi, quod Franciscus Sfortia posuit, cum in eius principatu similis clades urbem popularetur. — — — Perennis aquae rivus ab exteriore parte fossae circuitum implet.

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Blüte. 1 ) Wenn Shakespeare den Räuberwald, in dem Valentin festgehalten wird, an die Grenze des mantuanischen Herzogtums verlegt, so entspricht das genau den damaligen Verhältnissen. Denn gerade in solchen Grenzdistrikten sammelten sich die Banditen mit besonsonderer Vorliebe.2) Noch im XVII., XVIII., ja sogar noch im XIX. Jahrhundert wurde die Gegend zwischen Brescia und Verona, also das an das Herzogtum Mantua angrenzende Gebiet, durch Banditen unsicher gemacht. So erwähnte z. B. der deutsche Reisende Furttenbach (Newes Itinerarium Italiae, Clm 1627) die Banditennester in der Gegend von Montichiari und Castiglione delle Stiviere (S. 236), Jak. Ferber in seinen Briefen aus Wälschland (Prag 1773) beklagte sich über die Unsicherheit der Landstraße, die durch das Brescianische führte, 3 ) und Grund erzählt in seiner Malerischen Reise eines Künstlers (Wien 1789) folgendes Erlebnis (S. 169): 'Castelnuovo war das (sie!) letzte Ort vor Verona Ich verließ diesen Ort so bald als möglich, um vor Abend Verona zu erreichen. Aber auch auf dieser Straße hatte ich Ursach auf meiner Hut zu seyn. Denn ich erblickte vor und nach mir auf gewissen waldichten Höhen Pursche, die ein Gewehr bey sich hatten, und ganz müßig an einen Baum gelehnt da stunden, und beym Anblick meines Wagens sich durch Pfeifen ein Zeichen gaben. Der eine war so dreiste und trat mir in den Weg und betrachtete mich ganz genau. Ich erfuhr nachher, daß acht Tage vorher ein Reisender, der spät in den Abend hier vorbey passirte, von einer Bande Spitzbuben Fynes Moryson schreibt in seinem 'Itinerary' (Shakespeares Europe ed. Charles Hughes I, p. 178): 'From hence (viz. Bergamo) I tooke not the right way to Geneua, but declined to the way of Chur, afwell becaufe it was more fafe from robbery, as to be freed from all dangers by ventering againe to paffe through the ftate of Milan.' Auch die Chronisten jener Zeit (Ripamonti, Possevino) erwähnen das Räuberunwesen in der Lombardei. 2 ) Fynes Moryson a. a. 0 . III, 25: (The Italians) when they haue done a murther, they flie without any impediment to the confines of neigbour Princes, liuing there as banished men for a time vpon roberies. — — — p. 26 Neither would I advise a stranger to light for his money, if he be assaulted by theeues (called Banditi) in Italy — — —• since they are men of desperate fortune, and when they assaile the passengers, haue not only their bodies armed — — but carry Muskets, and haue ready meanes of escape, euer lying upon the confines of Princes — — — — they vse not to kill any not resisting, being content with the spoile of them. 3

) Vgl. Shakespeare-Jahrb. X X X I X , p. 66.

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angefallen und er und sein Postillion ausgeraubt und umgebracht worden sey.' Wenn sich das Banditenunwesen in dieser Gegend also bis ins XVIII. Jahrhundert erhielt, so werden wir annehmen dürfen, daß Shakespeares Szenen im XVI. Jahrhundert durchaus den damaligen Verhältnissen entsprachen. Daß der Weg von Mailand nach Verona (oder Mantua) in der Tat damals noch durch eine waldähnliche Wildnis führte, geht auch aus älteren Reisebeschreibungen sowie aus Ortsnamen recht deutlich hervor (vgl. Shakespeare-Jahrbuch XXXIX, 63). Noch Robert Browning, der doch die betreffende Gegend aus eigener Anschauung kannte, schilderte in seiner Erstlingsdichtung Sordello den nördlichen Teil des Herzogtums Mantua, die Gegend um Goito, als Waldgebiet. Georg von Martens sagt (Das malerische und romantische Italien III, 145): 'Durch die flache, sumpfige Ebene am Eingange [der Halbinsel Sirmione] zieht jetzt die Poststraße nach Verona, zog einst die Via Gallica durch einen Wald — — —.' Reisehandbücher aus dem XVII. Jahrhundert erwähnen nur noch die 'unbebauten und steinigen Gefilde' ('incultos et lapidosos Veronensium campos') welche sich von Verona westlich 20 Meilen weit, also ungefähr bis Desenzano, erstrecken. Daß aber die Gegend früher viel waldreicher war als heute, ist noch aus Waldspuren in der Gegend von Desenzano ersichtlich. Auch in diesem Punkt also zeigt Shakespeares Darstellung eine merkwürdige Ubereinstimmung mit den Ortsverhältnissen. Wiederum führt die eingehende Untersuchung zu der Überzeugung, daß Shakespeare Oberitalien, insbesondere die Gegend zwischen Mailand und Verona, recht gut kannte.

'Ein Mittsommernachtstraum'' hat fast noch mehr als 'Verlorene Liebesmühe' den Charakter eines höfischen, für ein vornehmes Publikum gedichteten Lustspiels. Schon die größere Eleganz der Diktion, die außergewöhnliche Rücksicht auf Dezenz verrät dies, mehr noch eine gewisse Nachahmung der Manier Lylys. Es ist sogar anzunehmen, daß der Dichter an die Königin als mögliche Zuschauerin gedacht hat; sonst hätte er wohl kaum — gegen seine Art — ein zierliches Kompliment auf die 'Vestalin, die im Westen thront', eingeflochten und sich auch sonst zuweilen in gelegentlichen Anspielungen auf die Jungfräulichkeit als höchste Tugend ergangen (z. B. 1,1, 73, II, 1, 219,

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II, 2, 59). 1 ) Auch die schönen Worte des Theseus über einstudierte Huldigungsreden (V, 1, 90) sehen aus wie eine feine captatio benevolentiae. Sodann macht das Stück entschieden den Eindruck eines Hochzeits-Festspiels. Die Hochzeit des Theseus und der Hippolyta, die mit der Haupthandlung in gar keinem Zusammenhang steht, ist dennoch nicht nur zum Ausgangspunkt und Endziel, sondern recht eigentlich zum Hebel der Handlung gemacht worden. Die den Liebespaaren gesetzte Frist läuft mit dem Hochzeitstage ab. Um die Hochzeit von Theseus und Hippolyta zu feiern, sind die Elfen in den Wald bei Athen gekommen und die Handwerker proben bei der Eiche des Herzogs ihr Festspiel. Sodann führt das Eintreffen des fürstlichen Brautpaares im Walde zur Lösung des Konfliktes. Und der Epilog enthält einen Segenswunsch für die Neuvermählten, der eine aktuelle Deutung wenigstens sehr nahe legt. Über die wirkliche Veranlassung des Festspiels herrschte bis vor kurzem Unklarheit und Meinungsverschiedenheit. An die Hochzeit des Grafen Essex (1590) ist natürlich ebensowenig zu denken, wie an die des Grafen Southampton (1598). Die beiden Vermählungen wurden nur im engsten Kreise und jedenfalls ohne weitere Festlichkeiten gefeiert, die des Grafen Southampton erst zur selben Zeit, als Francis Meres dieses Lustspiel schon als bekannte Dichtung Shakespeares erwähnte. F. G. Fleay dachte an eine aristokratische Hochzeit, die am 24. Januar 1595 gefeiert wurde. Die Chronologie würde bei dieser Annahme eher zu ihrem Rechte kommen, aber irgend welche Beziehungen des Dichters zu diesem Brautpaar (William Stanley Graf Derby und Lady Elizabeth Vere, die früher dem Grafen Southampton zugedacht war) sind unerweislich; die offenbar auf die unmittelbare Gegenwart sich beziehenden Klagen über regnerisches Frühlingswetter (Mids. II, 1) würden mitten im Winter nicht recht am Platze gewesen sein; überdies wurde jene Hochzeit am Hofe in Greenwich gefeiert und die Hofrechnungen weisen für diesen Tag keine Theatervorstellung auf. Der Versbau und Stil des Lustspiels deutet allerdings ungefähr auf diese Zeit (1594, 1595) hin; aber ohne ») Auch die Verse (III, 1, 203): The moon methinks looks with a watery eye And when she weeps, weeps every little flower Lamenting some enforced chastity, erscheinen wie eine zarte, allegorische Anspielung auf Königin Elisabeth, die als Cynthia, Diana, Mondgöttin gepriesen wurde, und auf ihre Hofdamen, deren Vermählung Oynthia möglichst verhinderte.

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Zweifel macht der Sommernachtstraum einen, erheblich jugendlicheren Eindruck als der Kaufmann von Venedig (ungefähr 1595) und ist in unmittelbare Nähe von Romeo und Julia (1593—94) zu rücken. Gerade im Frühling und Sommer des Jahres 1594 war, wie Chronisten vermelden, in der Tat das Wetter ganz ungewöhnlich regnerisch und stürmisch. Der Titel des Stückes könnte auf die Jahreszeit der Abfassung schließen lassen. Aber es wäre auch möglich, daß er sich auf die erste Konzeption des Planes oder — wie bei 'Twelfth Night' — auf die erste öffentliche Aufführung bezöge, oder daß darin nur ganz allgemein der phantastische Charakter des Stückes ('midsummer madness') zum Ausdruck käme. Die Hochzeit des Theseus und der Hippolyta ist — abweichend von der Quelle, Chaucers Erzählung des Ritters, wo nichts über die Jahreszeit der Vermählung gesagt ist — auf den ersten oder zweiten Mai verlegt, wie besonders aus Mids. IV, 1, 137 hervorgeht. Das sieht ganz nach einer Anspielung auf das wirkliche Datum der vornehmen Hochzeit aus. Und in der Tat hat diese Spur zu einer befriedigenden Deutung der Veranlassung und damit des Charakters der Elfenkomödie geführt.') Am 2. Mai 1594 vermählte sich die verwitwete Mutter des Grafen Southampton, eine gereifte, aber noch stattliche Matrone mit dem hochgeachteten, schon betagten Vizekanzler der Königin, Sir Thomas Heneage. Daß gerade in jener Zeit, als — nach der Widmung der Lucretia zu schließen — das Verhältnis des Dichters zu seinem Patron ein besonders enges war, Shakespeare bei diesem Fest einen poetischen Tribut darbrachte, war fast selbstverständlich. Wir wissen leider nichts über den Verlauf der Hochzeitsfeier, aber bei dem Rang und Reichtum der beiden Neuvermählten ist anzunehmen, daß das Fest mit Pomp begangen wurde. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit konnte auf die Königin als Hochzeitsgast gerechnet werden, da sowohl die Gräfin Southampton Beziehungen zu ihr hatte — Elisabeth war z. B. im Jahr 1591 bei ihr in Titchfield zu Besuch gewesen — als auch Sir Thomas Heneage, der Vizekanzler in großer Gunst bei ihr stand (Diction of National Biogr. s. v. Heneage). Allerdings scheint die Königin dann doch nicht an der Hochzeit teilgenommen zu haben (sonst wäre wohl irgendwo etwas davon erwähnt worden); vermutlich !) Vgl. Archiv f. n. Spr. Bd. 95, S. 291 ff. Die dort begründete, im folgenden mitgeteilte Hypothese, habe ich in einem späteren Aufsatz Archiv f. n. Spr. Bd. 104 S. 67 noch weiter ausgeführt.

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war die Verstimmung hinderlich, welche gerade damals zwischen ihr und dem Vizekanzler eingetreten. 1 ) Wir wissen nun freilich nicht, ob der 'Mittsommernachtstraum' wirklich damals aufgeführt wurde. Aber daß das Stück für diesen Zweck geschrieben wurde, kann man wohl mit Sicherheit behaupten, da nur unter dieser Voraussetzung das eigenartige Gewebe der Dichtung und der Hinweis auf die Maifeier sich erklärt, da andererseits die Anspielung auf das außergewöhnlich regnerische Frühlingswetter gerade auf den Frühling des Jahres 1594 hindeutet. Das würdevolle Brautpaar hat an Theseus und Hippolyta phantastische Schattenbilder gefunden. Die Elfenkönigin begrüßt und beglückwünscht das Brautpaar zwar nicht bei der Hochzeitsfeier, segnet aber das Haus zum Schluß. Den Freundeskreis der gräflichen Familie Southampton kennen wir aus den Briefen Rowland Whytes ziemlich genau und können uns daher wenigstens zum Teil ein Bild von der Hochzeitsgesellschaft machen. Zu den Geladenen gehörte sicher der greise Lord Burleigh, der Vormund des jungen Grafen Southampton, die verwandte Familie des Lord Montague, die befreundete Familie Essex, besonders Graf Robert Essex, vielleicht auch seine Mutter, die verwitwete Gräfin Lettice Leicester, frühere Gräfin Essex (inzwischen zum dritten mal vermählt), Lord und Lady Pembroke, wohl auch die Gräfin Rutland mit ihrer hübschen Tochter Brigitte, vielleicht auch eine Base des Grafen Essex, die schöne Hofdame Elisabeth Vernon, welcher der junge Graf Southampton möglicherweise schon damals huldigte. Entsprechend dem Alter des Brautpaares waren die meisten Hochzeitsgäste gewiß ältere Leute. Eine Anspielung auf so weit zurückliegende Vorgänge wie das Fest von Kenilworth (1575) konnte daher sicher auf Verständnis rechnen (Mids. II, 1, 148, in der' Rede Oberons). Es ist auch unter den Umständen begreiflich, daß Theseus und Hippolyta als Brautpaar mehr würdevoll und gesetzt als zärtlich und liebegirrend auftreten, und daß der Wankelmut, die Irrungen und Wirrungen der jugendlichen Liebesleute zu der abgeklärten und gefestigten Liebe des gereiften Brautpaares in wirkungsvollen Gegensatz gebracht werden. Der junge Graf Southampton, der zuerst sich mit einer Enkelin des Lord Burleigh, Lady Elisabeth Vere, vermählen ') Vgl. Birch, Memoirs of Queen. Elizabeth I, 171, wo ein Brief Francis Bacons vom 1. Mai 1594 abgedruckt ist, aus dem hervorgeht, daß der Vizekanzler damals mit der Konigin auf gespanntem Fuße stand (on hard terms).

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sollte, dann Bridget Manners (der Tochter der Gräfin Rutland) und Elisabeth Vernon den Hof machte, kann sehr -wohl das Urbild des Demetrius gewesen sein. Dreierlei Arten von Hofkomödien (oder Masken) waren damals beliebt: antikisierende Konversationslustspiele mit Liebesintriguen im Stil Lylys, Maskenspiele, in denen mythologische Figuren oder auch Elfen, Nymphen u. dergl. auftraten im Stil von Peele oder Nash, burleske oder parodistische Interludes im Stil Heywoods oder der plautinischen Komödien. Die letztere Gattung von Schwänken war als selbständige Kompositionsart damals schon ziemlich veraltet: die Interludes oder 'Antimasques' waren zu integrierenden Bestandteilen der mythologischen Masken oder der Konversationslustspiele geworden, z. B. in Lylys 'Endymion' oder in 'Alexander and Campaspe'. Mischtypen waren auch sonst nicht selten. Chaucers Erzählung des Ritters (oder das alte [nicht erhaltene] Schauspiel von Palamon und Arcite [1594], welches daraus hervorgegangen ist) mag eine Anregung zur Verflechtung der ersten beiden Typen gegeben haben, denn dort werden die Geschicke der Liebenden durch Gottheiten entschieden. Das alte Schauspiel von Huon von Bordeaux (1593) muß in ähnlicher Weise wie der Sommernachtstraum die Liebesgeschichte mit Elfenszenen verknüpft haben. Und das ursprüngliche Lustspiel von der Zähmung der Widerspenstigen (1594) war in einem burlesken Interlude, in dem Schauspieler auftraten, gleichsam eingerahmt. Diesen Mustern ist Shakespeares Kunst wahrscheinlich gefolgt, indem sie die drei Typen in ganz eigenartiger Weise verflocht. Für die Ausgestaltung der Handlung und die Einflechtung der Elfenszenen bot vielleicht der Tag der Hochzeitsfeier (2. Mai) eine Anregung. Denn in der Walpurgisnacht trieben auch nach englischem Volksglauben Elfen und Kobolde ihr Wesen. Und in derselben Nacht zogen nach englischem Volksbrauch junge Leute beiderlei Geschlechts in die Wälder und Haine hinaus um Maien einzuholen. Gelegentlich werden auch im Freien nächtliche Generalproben für die Maispiele abgehalten worden sein. Aber auch ohne solche Anregung läßt sich die Komposition dieses originellsten und genialsten Lustspiels, welches Shakespeare geschaffen, aus einer Kombination nahe liegender literarischer Reminiszenzen wohl verstehen. So traumhaft wirr die Fäden der Handlung auch durcheinander zu laufen scheinen, so sind sie doch aus den einfachen Leitmotiven in natürlicher Gedankenfolge, gleichsam organisch, herausgesponnen. Die ersten Leitmotive sind

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jedenfalls aus Chaucers Erzählung des Ritters entnommen: Hochzeit von Theseus und Hippolyta, Streit zweier Jünglinge um ein Mädchen, Zweikampf im Walde, Auszug von Theseus und Hippolyta zur Jagd. Daß diese Jagd bei Chaucer auf einen Maimorgen verlegt wird, hat durch eine natürliche Ideenassoziation den Dichter wohl auf diese Geschichte geführt, die gerade für diese Gelegenheit ihm willkommene poetische Anregungen bot. Auch die Erzählung von Pyramus und Thisbe, die der Dichter aus den Metamorphosen kannte, hat er sich wohl durch Chaucers Nachdichtung (Legende von den guten Frauen) "wieder in Erinnerung gebracht. Die Kombination dieser beiden Geschichten ergab die Anfangssituation, den Hauptkonflikt, die romantische Szenerie (Flucht in den Wald), das Interlude und die Lösung des Konflikts (Dazwischenkunft der Jagdgesellschaft). Bei der weiteren Ausgestaltung der Handlung folgte die Phantasie des Dichters offenbar den Spuren der Veroneser Komödie, welche ja ganz ähnliche Motive hatte. Aus dieser ist wohl auch die Umwandlung des Liebestrios in ein Quartett und die Verschlingung der Verhältnisse ('cross-wooing') zu erklären. XJnd auf die Hauptquelle jenes Lustspiels, den Schäferroman Diana des Montemayor, ist wohl das Motiv des Liebeszaubers zurückzuführen. Elfen (Oberon) als Beschützer (oder Friedensstörer) der Liebenden waren aus dem Drama von Huon von Bordeaux bekannt, ebenso aus Chaucers Erzählung des Kaufmanns. Die Elfenkönigin Titania, dem klassischen Kolorit etwas angepaßt und dem Namen nach aus den Metamorphosen Ovids entnommen, erinnert etwas ah Kirke, die dort mit jenem Namen bezeichnet wurde. Aber eine Anspielung auf Königin Elisabeth, die Feenkönigin Spensers, lag ebenfalls sehr nahe, und es ist nicht ganfc unmöglich, daß der Zwist von Oberon und Titania ursprünglich das Verhältnis der Königin zu ihrem Günstlinge, dem Grafen Robert Essex, widerspiegelte, welches schon damals ein wechselvolles und oft gespanntes war. Gerade damals war Graf Essex wieder in Ungnade. Die Koboldstreiche Pucks wurzelten in englischen Volksmärchen, wie denn überhaupt der Glaube an Elfen und Kobolde damals noch nicht ganz erloschen war. Daß die Elfen durch Träume den Sinn der Menschen betören, wurde im selben Jahr (1594) von einem akademisch gebildeten Schriftsteller, Thomas Nash, in seiner Schrift 'Terrors of the Night' ernsthaft auseinander gesetzt. Die ergötzlichen Wirrungen, welche durch Liebeszauber entstehen, beruhen wie es scheint auf freier Erfindung Shakespeares, haben aber ihr Vorbild in der Komödie der Irrungen, in welcher sie ebenfalls, wenn aueli irrtümlich, auf Zauberei und Koboldstreiche zurückgeführt

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wurden. Dort ist auch schon von der Verwandlung des einen- Clowns in einen Esel die Rede (Err. II, 2). Die Einflechtung der Handwerkerposse in das romantische Gewebe, die Elfenkomödie, Zettels Verzauberung, seine Entzauberung, das Auftreten des Theseus mit Jagdgefolge — das alles erinnert an das alte Vorspiel zur Zähmung der Widerspenstigen. Außerdem ist in neuester Zeit von Hermann Reich darauf aufmerksam gemacht worden, 1 ) daß die romantisch-humoristischen Szenen von Titania und dem eselsköpfigen Weber wahrscheinlich aus der damals vielgelesenen Geschichte des Apuleius vom Goldenen Esel entnommen sind. Da um dieselbe Zeit George Peele Motive dieses Romans für sein Possenspiel von der Erzählung der alten Frau (Old Wives Tale) verwertete, ist es sehr wohl möglich, daß auch Shakespeare durch die antike Fabel poetisch angeregt wurde. Der fünfte Akt, dem Schluß der 'Verlorenen Liebesmühe' ähnlich, ist offenbar nach dem Leben dargestellt; eigentlich nur ein Nachspiel, denn die Handlung ist mit dem vierten Akt zu Ende. Das parodistische Spiel von Pyramus und Thisbe mag eine bestimmte satirische Spitze haben, die wir nicht mehr zu erkennen vermögen; vielleicht liegt auch etwas Selbstparodie darin. Es ist an italienische Schäferspiele erinnert worden, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Sommernachtstraum haben, z. B. an Pasqualigos Gl' Intricati/) und es ist immerhin möglich, daß Shakespeare irgendwie und irgendwo derartige Stücke gesehen oder wenigstens in englischer Bearbeitung kennen gelernt. Aber notwendig ist die Annahme dieser Beeinflussung nicht, da das Gewebe des Festspiels auch so verständlich ist. Manche Anspielungen auf Zeitereignisse und zeitgenössische Personen sind für uns allerdings nicht mehr durchsichtig. Will man von einer Tendenz oder von Grundgedanken des Stückes sprechen, so wären es etwa die, daß die ruhige und nüchterne Weisheit des reiferen Alters (Theseus) der phantastischen, wankelmütigen Jugend überlegen ist, daß die jugendliche Liebe manchen Gefahren und Irrungen ausgesetzt ist, und daß die Waldgeister verirrte Menschenseelen wieder auf den rechten Weg weisen. Der letzte Gedanke, der in späteren Dramen (As you like it, Cymbeline, Winter's Tale) wieder auf!) H. Reich, Shakespeare-Jahrbuch X X X X , 109. 2) W. Vollhardt, Die Beziehungen des Sommernachtstraumes zum italienischen Schäferdrama. Leipzig 1899.

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taucht, dürfte indessen hier dem Dichter noch kaum bewußt gewesen sein. Eine wohlige Feiertagsstimmung liegt über dem Lustspiel, welches prosaische, ernste und trübe Gedanken mit einer gewissen Absicht zu verscheuchen scheint. Die reife Klugheit, die aus Theseus Worten spricht, andererseits die Sympathie und Wehmut, mit der von der Liebe geredet wird, zeigt, daß der Dichter zwar über die eigentlichen Jugendjahre hinaus ist, aber sich doch noch lebhaft in die Gefühle der Jugend versetzen kann. Eine Stimmung, die sich in dieser Lebenszeit gar leicht einstellt. Der Hauptreiz des Lustspiels liegt nicht sowohl in der Komposition und Charakterzeichnung, obwohl auch die letztere große Feinheiten aufweist, als vielmehr im Stil und in der Darstellungsweise, in der süßen Melodie der Verse, im Zauber der Sprache, in der Romantik und Phantastik der Elfenszenen und in dem unverwüstlichen Humor der Handwerkerkomödie. Die Diktion weist immer noch Spuren des jugendlichen Geschmacks auf, obwohl sie schon reifer und abgeklärter ist als in Romeo und Julia. Antithesen, 1 ) Wortechos') kommen vereinzelt noch vor, ebenso die Figur der Antimetabole; 3 ) auch Stichomythie 4 ) wird zuweilen noch angewandt. Der Stil Lylys wirkt noch ein wenig nach. 5 ) Wortspiele sind im ganzen schon in die burlesken Szenen verbannt, doch finden sie sich vereinzelt auch im pathetischen Stil noch. Der Satzbau hat schon jene reife Rundung und Fülle erlangt, die der zweiten Periode der dichterischen Entwicklung eigen ist. Die Bilder und Gleichnisse sind nur zum teil noch konventionell. Gar nicht selten stoßen wir auf dieselben Vergleiche, die in Romeo and Juliet und Two Gentl. of Verona angewandt werden, was sich aus der Nähe der Abfassungszeit erklärt. 6 ) Ebenso begreiflich ist es, daß die halbpastorale Färbung sich in frischen Bildern aus dem Land- und Waldleben geltend macht. 7 )

2

) ) *) 5 ) 6 ) 7 ) 3

Z. B. The more my prayer, the lesser is my grace II, 2, 89. The one I slay, the other slayeth me II, 1, 190. The more I love, the more he hateth me I, 1, 199. Z. B. I, 1, 181 (fair), II, 1, 191 (wood). V. 1, 13 from heaven to earth, from earth to heaven. I, 1, 194 ff., II, 2, 84 ff., I, 1, 136 ff. I, 1, 76 (the rose distill'd), II, 2, 137 (surfeit of the sweetest things). Vgl. Shakespeare-Jahrb. Bd. XXXII, S. 172. Ygl. z. B. So doth the woodbine the sweet honeysuckle Gently entwist (IY, 1, 48.)

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Ein klein wenig höfischer Firnis liegt allerdings über der Dichtung. Der Hofstaat der Titania wird mit einem wirklichen Hofstaat verglichen: The cowslips tall her pensioners be: In their gold coat spots you see; Those be rubies, fairy favours In those freckles live their savours.

Die Mädchenfreundschaft wird in einem höfischen Bilde geschildert: So we grew together — — — Two of the first, like coats in heraldry, Due but to one and crowned with one crest (III, 2, 213).

Sogar die alte, langsam dahinschwindende Luna erinnert an eine verwitwete Lady, die von des Sohnes Renten zehrt: she lingers my desires, Like to a step-dame or a dowager Long withering out a young man's revenue.

Lysander bezeichnet die Vernunft als den Marschall des Willens (II, 2, 120). Demetrius vergleicht die Hand der Helena mit einer weißgekleideten Prinzessin (III, 2, 143). Es ist eine Feinheit des Dichters, daß er auch auf die Bildersprache etwas von dem eigenartigen Kolorit jeder Dichtung übergehen läßt. Die Häufigkeit der mythologischen Vergleiche und sonstigen klassischen Anspielungen paßt zur antiken Gewandung, wie auch zum höfischen Charakter des Lustspiels. 1 ) Idyllische Schilderungen sind hier besonders reizend: Pucks Streiche, Titanias Ruheplatz, die Elfenlieder, das Lob der Mädchenfreundschaft, Pucks Erzählung von Titanias Verblendung, die Jägergespräche. — — — your tongues sweet air More tuneable than lark to shepherd's ear When wheat is green, when hawthorn buds appear (I, 1,183.) Two lovely berries moulded on one stem (III, 2, 211.) — — As wild geese that the creeping fowler eye, Or russet pated choughs — — — So at his sight away his fellows fly (III, 2, 19.) ') Vgl. Robert Kilburn Root, Classical Mythology in Shakespeare, New York 1903 (Yale Studies in English X I X ) p. 122. Diese gediegene Schrift giebt wertvolle Aufschlüsse über die Art, in welcher Shakespeare m verschiedenen Perioden seiner Entwicklung antike Mythologie verwendet hat.

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Shakespeare ist sein eigener Dekorationsmaler. Zu seiner Zeit, als Wälder und Haine noch näher an die Städte heranreichten, hatte er gewiß leicht Gelegenheit Naturstudien zu machen, die einem modernen englischen Dichter erschwert sind. Aber noch heute gibt es Wälder und Parks in Südengland, deren phantastische und beinahe exotische Pracht im dämmrigen Mondlicht Elfenmärchen vorzaubern könnte. Vielleicht schwebten dem Dichter auch Jugenderinnerungen an frühere Maifeste, an Jagd- und Liebesabenteuer vor, welche er bei Stratford erlebt hatte: seine eigenen Hochzeits- und Sommernachtsträume. — So heiter die Dichtung auch ist, so hat sie doch schwermütige Untertöne. Es ist fast, als wenn der Dichter sich erst durch Melancholie zur Heiterkeit und zum Humor durchringen müßte. Der glückliche Bräutigam Theseus ist mismutig und will die Melancholie verscheuchen; kaum hat er diese Worte gesprochen, so tritt Menschenleid an ihn heran. Ein tragischer Konflikt scheint zu drohen. Schwermütig klagen die Liebenden ihr Herzeleid. Mädchenfreundschaft wird durch Eifersucht gestört. Sogar in der Elfenwelt herrscht Disharmonie, und in der Natur richten Stürme und Regengüsse Verheerungen an. Pucks letztes Lied erweckt Grabesgedanken. Doch der romantische Humor des Dichters überwindet alle Dissonanzen. Die Eingangsszene des Lustspiels, welche in der Gruppierung der Personen an den Eingang des alten Dramas von König Johann erinnert, hat (wie auch einige spätere Szenen) noch etwas von der steifen Grazie des Puppenspiels; daher nehmen wir auch die Zerwürfnisse der Liebenden nicht allzu ernst. Der melodische Dialog geht zuweilen fast ins Singspielartige über. Den melancholischen und sentimentalen vornehmen Leuten, welche im Ernst Pyramus und Thisbe spielen wollen, folgen in der zweiten Szene im wirkungsvollen Gegensatz die derben, munteren Männer aus dem Volke, die ebenso eifrig und ernsthaft Pyramus und Thisbe travestieren. Und nun werden wir durch den Zauberstab des Dichters in das Elfenland, in den Wald bei Athen versetzt. Dieser zweite Akt ist vielleicht das Genialste, was Shakespeare gedichtet hat. Die Musik der Verse, der Zauber der Sprache, die Pracht der Naturschilderungen, die Zierlichkeit der Elfenszenen und Elfenlieder, das drollige, puppenspielartige Pathos der Liebespaare, Pucks Humor — das alles wirkt zusammen, die Zuhörer in eine phantastische Märchenstimmung zu bringen. Bewundernswert ist aber besonders, wie der Dichter den Liebeszauber und das Blümlein 'Lieb im Müßiggang' (Viola tricolor) in

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Verbindung bringt mit einem zierlichen Kompliment, welches der königlichen Vestalin dargebracht wird. Hier hat der Dichter seinen Lehrmeister Lyly an Zartheit und Zierlichkeit höfischer Huldigung übertroffen, indem er die Schmeichelei sorgfältig und poetisch verschleierte. Der eigentliche Sinn der allegorischen Huldigung ist noch immer nicht zu allgemeiner Zufriedenheit enträtselt. Soviel ist indessen sicher und unbezweifelt, daß 'die schöne im Westen thronende Vestalin' sich auf niemand anders beziehen kann, als auf Königin Elisabeth. Es kann ferner kein Zweifel darüber bestehen, daß Cupidos glühender Pfeil, der in den keuschen Strahlen des feuchten Mondes verlöscht und sein Ziel, das Herz der königlichen Nonne, nicht erreicht, irgend welche angeblich erfolglose Bemühungen von Freiern oder Günstlingen, das Herz der Königin Elisabeth zu gewinnen, versinnbildlichen muß. Daß gerade an den Grafen von Leicester und seine Feste von Kenilworth (1575) zu denken sei, wie vielfach angenommen wird, ist weniger sicher. Der Hinweis in den Versen Mids. II, 1, 148 ff. ist ziemlich undeutlich. Freilich hatte der Dichter als Knabe im nahen Stratford gewiß viel von jenen glänzenden Veranstaltungen gehört, vielleicht auch von einer 'Sirene', die auf dem Rücken eines Delphins saß (obwohl dies nicht zutrifft). Freilich hatte Lyly in seinem Lustspiel Endymion (1591) ohne Zweifel den Grafen Leicester und sein Verhältnis zur Königin dargestellt. Und wenn dort Endymion der Mondgöttin Cynthia seine Verehrung widmet, aber andererseits auch der Erdgöttin Tellus ( = Mary Stuart?) zuweilen sich zuzuneigen, ja sogar für eine untergeordnete Person 'Floscula' ( = Lady Lettice Essex?) sich zu interessieren scheint, so liegt es sehr nahe, damit die Verse zu vergleichen: Mids. II, 1, 157.

I saw Flying between the cold moon and tbe earth Cupid all arm'd: a certain aim he took At a fair Vestal throned by the West But I might see young Cupid's fiery shaft Quench'd in the chaste beams of the watery moon, Yet mark'd I where the bolt of Cupid fell: It fell upon a little western flower, Before milk-white, now purple with love's wound, And maidens call it love-in-idleness.

S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterwerkstatt.

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Daß Shakespeare Lylys Endymion genau kannte, ist sicher.1) Hat er aber die Allegorie Lylys so durchschaut, wie wir es jetzt können ? s ) Wäre es in diesem Falle nicht sehr geschmacklos gewesen, die Erinnerung an die inzwischen Großmutter gewordene und zum dritten mal vermählte Lady Leicester (Lady Essex) durch das Sinnbild des Blümleins (Viola tricolor) wideraufzufrischen? Lagen die Feste von Kenilworth nicht allzuweit zurück, um das Publikum noch zu interessieren? Diese Fragen lassen sich nur durch eine historische und vergleichende Betrachtung entscheiden, welche auch den Zusammenhang jener Stelle in Rechnung zieht. Wir müssen versuchen, uns auf den Standpunkt und in die Anschauungsweise jener Zeit hineinzudenken. Die Dichtungen von Spenser, Lyly, Peele, Nash, Ben Jonson u. a. zeigen, wie beliebt allegorische Schmeichelei damals war. Auch bedeutende und ernsthafte Dichter gingen darin viel weiter als unser moderner Geschmack erlauben würde. Sehr viel Geist und Phantasie wurde darauf verwandt, Anspielungen auf hochstehende zeitgenössische Personen und Ereignisse in die Dichtungen hinein zu verweben. Spensers Feenkönigin und Lylys höfische Lustspiele sind ohne Schlüssel nicht recht verständlich. Aber die Allegorie muß cum grano salis genommen werden; in den meisten Fällen würde ein pedantisches Ausspinnen der Deutungen zu Absurditäten führen. Die Dichter behielten sich das Recht der freien Phantasie und des 'double entendre' vor; ja sie mögen manchmal die Allegorie absichtlich etwas verschleiert oder undeutlich gemacht haben. So ist natürlich auch nicht alles, was Lyly über Endymion sagt, auf Leicester zu beziehen, Tellus entspricht nicht durchweg Mary Stuart, Floscula ist nicht ohne weiteres mit Lettice ( = lettuce??) Essex zu identifizieren. Dennoch muß es mit höfischen Angelegenheiten vertrauten Engländern ohne weiteres klar gewesen sein, daß die Beziehungen von Endymion zu Cynthia, Tellus, Floscula den Beziehungen Leicesters zur Konigin, zu Mary Stuart und der Gräfin Essex entsprachen. Die Liebeskomödie des Grafen Leicester im Jahre 1575 hatte sich sozusagen vor den Augen und Ohren des Knaben William Shakespeare oder wenigstens in seiner nächsten Nähe abge>) Vgl. John Lyly, Works ed. Bond II. 297. ) Dank der scharfsinnigen Interpretation von Halpin und Bond Works III, 89 ff.). 2

(Lyly,

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gespielt; die Bürger in Stratford 011 Avon werden mit ihren Kommentaren nicht zurückgehalten haben. Das Heiratsprojekt zwischen Leicester und Mary Stuart gehörte allerdings einer weit zurückliegenden Vergangenheit an (1563—65); aber noch in den siebziger, ja noch in den achtziger Jahren und später wird die Erinnerung daran in Hofkreisen lebendig gewesen sein. Für die alternde Königin waren die glänzenden Feste von Kenilworth gleichsam das Abendrot der Jugend gewesen. Keiner ihrer späteren Günstlinge hatte sie so gefesselt wie Leicester. Damals war allerdings in Kenilworth keine Meermaid sondern nur eine Dame vom See erschienen, und nicht sie, sondern Proteus saß auf dem künstlichen Delphin, dessen Inneres eine Musikkapelle enthielt; aber diese Abweichungen von der Wirklichkeit in Shakespeares Schilderung fallen nach so langer Zeit nicht ins Gewicht. Die 'aus ihren Sphären schießenden Sterne' lassen sich etwa als Raketen erklären. Es scheint also, daß wir hier eine Erinnerung an jene Ereignisse zu sehen haben, allerdings keine sehr bestimmt angedeutete. Der Satz: iCertain stars shot madly from their spheres to hear the sea-maid's music', dürfte allerdings noch eine besondere allegorische Auslegung verlangen. Und so ist denn auch an englische Adlige erinnert worden, welche sich in jener Zeit vom Sirenengesang der Mary Stuart betören ließen. Ja sogar an die einstige Vermählung der Königin mit dem Dauphin von Frankreich ist gedacht worden (Delphin?). Dann hätten wir einen wirkungsvollen Gegensatz zwischen der 'Sirene' und der 'Vestalin'. Dieser Gegensatz würde in anderer Weise angedeutet sein dadurch, daß Cupido zwischen dem kalten Mond und der Erde (Tellus) daher fliegt. Und auch diese Worte würden dann eine prägnante Bedeutung gewinnen. Und wenn wir bedenken, daß in jener Zeit der Mond ein feststehendes Symbol für Elisabeth, die keusche 'Diana' oder 'Cynthia', war und auch in diesem Lustspiel verdächtig oft auf Mondenschein angespielt wird, so dürfte auch die Deutung der 'Erde' (Tellus) als Rivalin oder Gegensatz zum Monde einigermaßen wahrscheinlich dünken. Dies alles kann zugegeben werden, obwohl die Auslegung keineswegs sicher ist. Aber die allegorische Deutung des Blümleins scheint zu einer Absurdität zu führen. Hier kehrt die Phantasie des Dichters offenbar aus der Allegorie wieder in die Märchenwelt zurück. Es liegt nun sehr nahe, auch das Verhältnis von Oberon zu Titania allegorisch zu deuten. Natürlich wäre es abgeschmackt, die Feenkönigin Titania ( = Diana?) etwa mit der Königin Elisabeth zu identifizieren, oder Oberon dem Grafen Robert Essex gleichzustellen. 4*

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Aber die häufigen Zwistigkeiten zwischen den hohen Herrschaften im Elfenreich gemahnen doch sehr an Szenen am Hofe der Königin Elisabeth. Gerade im Jahre 1593 war Essex wieder einmal in Ungnade gewesen und erst im Frühling 1594 war infolge der vom Grafen in Szene gesetzten Enthüllung des angeblichen Attentats, welches Dr. Lopez geplant haben sollte, eine Aussöhnung mit der Königin erfolgt. Wenn nun die Elfenkönigin sich auf einen hübschen Pagen kapriziert hat, den Oberon in seinem Gefolge haben will, so entspricht das wiederum der bekannten Vorliebe der 'jungfräulichen' Königin für schöne Jünglinge, welche sie bis in ihr hohes Alter bewahrte. Der schöne junge Graf Southampton stand gerade damals in hoher Gunst. Im Sommer 1592 war er im Gefolge der Königin gewesen. Im folgenden Jahre stand er auf der Liste der Kandidaten für den Hosenbandorden, was an sich schon außergewöhnliche Gunst der Königin voraussetzte, in Anbetracht seiner Jugend; allerdings wurde der Name von der Liste wieder abgesetzt, offenbar um nicht ältere und verdientere Männer, die übergangen wurden, zu kränken. Aber auch Graf Essex suchte den Jüngling als Gefolgsmann zu gewinnen, was ihm sehr bald gelang. So ist gewiß der Eingang des zweiten Aktes (etwa wie manches in Gullivers Reisen) eine zierlich-drollige liliputartige Travestie von wirklichen Hofszenen und Hofanekdoten, mit eingeflochtenen Gesprächen über das Wetter; aber diese Trivialitäten sind so in Poesie getaucht, daß sie einen durchaus romantischen Eindruck machen. Die Elfenszenen, bei anderen Dichtern jener Zeit konventionell und roh, gewinnen bei Shakespeare ein zartes individuelles Leben, weil auch sie eine gewisse Porträtähnlichkeit aufweisen. Der Mondschein, die obligate allegorische Färbung der Hofkomödien (vgl. Lylys Man in the Moon, Woman in the Moon), wird hier wirklich stimmungsvoll; gleichzeitig erklärt der Mondschein, nach damaligem astrologischem Glauben, den Wankelmut der Menschen und Elfen. Die Einflechtung echtvolkstümlicher Märchenmotive und realistischer Schilderungen des Landlebens verrät außerdem, daß Jugenderinnerungen (auch außer den an die Feste von Kenilworth) in die Dichtung verwoben sind. Es folgen Szenen, die noch die Schule Lylys verraten, aber auch zuweilen an italienische Schäferspiele erinnern. Das erste Paar, Demetrius und Helena, tritt auf: pathetische sentimentale Gespräche im Modestil, mit den üblichen euphuistischen Gleichnissen, Concetti und Wortspielen. Die graziöse Elfenszene wird durch Oberons romantische Schilderung von Titanias Buheplatz eingeleitet; das Elfenlied erinnert im

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Rhythmus an manche lyrische Gedichte Robert Greenes, ohne daß notwendig literarische Beeinflussung anzunehmen ist. Die Melodie und die Worte eines volkstümlichen Wiegenliedes (Lullaby) mögen den Versen (die wir uns jetzt kaum ohne Mendelssohns Musik denken können) zugrunde gelegt worden sein,') nur ist der Text ins Elfenhafte travestiert worden. Oberon verzaubert nun Titania, Puck aus Versehen den schlafenden Lysander statt des Demetrius (Szenen, die an Lylys Endymion erinnern). Die nun folgenden Szenen gemahnen in der Darstellungsweise etwas an Peeles Arraignment of Paris, ohne daß indessen direkte Beeinflussung vorzuliegen braucht. Helena, von Demetrius im Stich gelassen, stößt auf den schlafenden Lysander und weckt ihn. Der Zauber wirkt: Lysander erklärt Helena seine Liebe und folgt der Fliehenden. In den pathetisch-euphuistischen Dialogen sind zuweilen ironische Pointen angebracht, z. B. daß der zauberbetörte Lysander sich auf die Vernunft beruft. Der dritte Akt erscheint besonders originell und phantastisch. Aber auch hier wirken literarische Reminiszenzen wohl noch nach. Die Verwirrung der Mittsommernachtstollheit erreicht ihren Gipfel. Die Fäden der Liebesgeschichte, Elfenmaske und Antimaske werden mit Hilfe des Apuleius-Motivs noch mehr verknotet. Die Mimen proben; der Weber Zettel wird mit einem Eselskopf begabt. Das dilettantische Philistertum dringt in das Reich der Poesie ein und erlebt trotz des Eselskopfes einen stillvergnügten Traum von Liebesglück. Die vornehmen romantischen Liebespaare aber geraten außer Rand und Band. Es ist darauf hingewiesen worden, daß hier wahrscheinlich Szenen und Motive aus Lylys Lustspielen Anregung gegeben haben.®) Pandoras Schwärmerei für den Clown Gunophilus in 'The Woman in the Moon' (III, 2) läßt sich mit der Verblendung der Titania vergleichen, die Eselsohren des Königs Midas mit dem Eselskopf des Webers, die Elfenszenen des Endymion (IV, 3) mit denen des Sommernachtstraums. Aber die vermutete Verwertung dieser Motive ist eine sehr freie. Die Szene des Streites der Liebespaare erscheint fast wie eine Parodie der entsprechenden Situation von Chaucers Erzählung des Ritters. Hier wie dort streiten im Walde ') Das Gedicht von Richard Verstegan 'Our blessed Lady's Lullaby' (abgedruckt in der Shakespeare-Anthology von Arber p. 103) hat einen ähnlichen Rhythmus. 2 ) Vgl. Bond, Complete Works of John Lyly III, 232, 233, II, 297.

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zwei Männer um ein Mädchen — bei Chaucer Palamon und Arcite um Emilia — bei Shakespeare Lysander und Demetrius um die einst verschmähte Helena. Aber auch an eine Selbstpersiflage der letzten Szene der Beiden Veroneser könnte gedacht werden. Im Streit zwischen den beiden Freundinnen erinnert Hermia etwas an die zänkische Katharina (Taming of the Shrew II, 1), welche hier gleichsam ihren Schatten vorauswirft. Der Dialog hat trotz des puppenspielartigen Tones, der auch hier festgehalten wird, und ungeachtet eines etwas monotonen Staccato-Rhythmus große Feinheiten. Helena, die früher verschmähte, nun doppelt umworbene, ist zuerst über den scheinbaren Spott entrüstet, dann schlägt sie Hermia gegenüber weichere Töne an, indem sie an die frühere Mädchenfreundschaft erinnert, und zeigt sich überhaupt als die sanftere und nachgiebigere, ähnlich wie Bianca, die Schwester der zänkischen Katharina. Aber sie wirft der Freundin vor, die Spötterei angestiftet zu haben. Hermia dagegen ist zunächst ahnungslos und spricht ruhig und beschwichtigend, aber nachdem sie endlich den wahren Sachverhalt, die Untreue ihres Lysander erkannt, wendet sie sich mit bitteren Vorwürfen nicht gegen ihn, sondern gegen Helena, die ihres Liebsten Herz gestohlen. Und in ihrer Heftigkeit läßt sie jetzt nur mit Mühe sich zurückhalten, ihrer Nebenbuhlerin die Augen auszukratzen. Der Schluß des dritten Aktes bereitet die Lösung des Konfliktes vor. Der Kobold Puck führt die Streitenden auseinander und wieder zusammen, ganz wie in alten Volksmärchen und beschließt die Szene mit einem Beschwörungsreim im Volkston. Die Inszenierung ist hier deutlich durch Lylys Endymion (Akt III, IV) beeinflußt. Der vierte Akt bringt Titania und Bottom in zärtlicher Eintracht noch einmal auf die Bühne. Das Gespräch Bottoms mit den dienstbaren Elfen erinnert, wie schon mehrfach bemerkt, an eine Elfenszene aus dem Pseudo-Lylyschen Schäferspiel 'The Maydes Metamorphosis' (II, 2, Lyly's Works ed. R. Warwick Bond III, 360). Da indessen die Abfassungszeit dieses Lustspieles ganz ungewiß ist (es wurde im selben Jahr wie der 'Sommernachtstraum' [1600] zuerst gedruckt), so läßt sich nicht entscheiden, wer der Nachahmer war. Das ApuleiusMotiv kommt nun erst zu phantastisch-grotesker Bühnenwirkung. Dann folgt das Denouement, in welchem der Dichter Motive aus Lylys Endymion mit solchen aus Chaucers Erzählung des Ritters verwoben hat. Wie weit etwa das nicht erhaltene Drama von Huon von Bordeaux, welches im Winter 1593—94 aufgeführt worden war,

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oder das Stück Delphrigus oder 'König der Feen' (King of the Fairies) eingewirkt hat, läßt sich nicht beurteilen. Das Auftreten des Herzogs Theseus und der Hippolyta ist offenbar eine Reminiszenz an Chaucers Erzählung des Ritters (Canterbury Tales V. 1685 ff.). Auch dort ist das fürstliche Brautpaar an einem Maimorgen zur Hirschjagd ausgezogen und findet bei dieser Gelegenheit die streitenden Liebhaber. Aber auch das Vorspiel des alten Stückes von der Zähmung der Widerspenstigen hat die Phantasie des Dichters hier gewiß befruchtet. Der schlafende Weber hat in dem schlafenden Kesselflicker offenbar sein Vorbild. Endlich hatte der Dichter ja schon in der letzten Szene des Veroneser Lustspiels eine Vorstudie für den vierten Akt der Elfenkomödie gehabt. Die Darstellungsweise verbindet sehr geschickt klassische Reminiszenzen und Anspielungen (Ovids Metamorphosen) mit modernen Jagdgesprächen. Wir spüren gleichsam einen Hauch von frischer Morgenluft und würzigem Waldesduft. Die Erinnerung an die einstigen Wildschützabenteuer mag wohl nachgewirkt haben. Der fünfte Akt enthält im wesentlichen nur die Antimaske, die wohl als humoristische Persiflage aufzufassen ist. Das einleitende Gespräch zwischen Theseus und Hippolyta, die jetzt in angemessener Weise wieder in den Vordergrund treten, scheint nebenher Spensers Poesie kritisch zu beleuchten: 'I never may believe these antique fables nor these fairy toys.' Jedenfalls galt von Spensers 'Visionen' und von seiner allegorischen Feen-Dichtung mehr als von Shakespeare, was Theseus von der Poesie im allgemeinen sagt: The poet's eye in a fine frenzy rolling, Doth glance from heaven to earth, from earth to heaven; And as imagination bodies forth The forms of things unknown, the poet's pen Turns them to shapes and gives to airy nothing A local habitation and a name.

Aber auch auf Ovids Metamorphosen könnten die Verse Bezug haben. — Shakespeare hat sich gerade damals in Gedanken viel mit der Macht der Liebe, der Phantasie und der Poesie beschäftigt (Love's Labour's Lost IV, 3, 327—353, Gentlemen of Verona II, 6, 6 ff., Romeo I, 1, 182 ff., I, 4, 53 ff.). Die vorgeschlagenen Themen von Interludes, die Philostrat ( = Lyly ?) zur Auswahl vorlegt —• durchweg tragische Stoffe, in ironischem Widerspruch mit der Aufforderung der ersten Szene (I, 1, 13) — sind fast alle Ovids Metamorphosen entnommen. Nur die Klage der Musen

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«eine Satire scharf und kritisch' scheint auf Spensers 'Tränen der Musen' zu zielen. Shakespeares Urteil über Spensers Dichtung kennen wir leider nicht; der berühmteste epische Dichter der Zeit dürfte dem Dramatiker wegen seiner allegorischen Richtung nicht sehr sympathisch gewesen sein. Doch konnte Shakespeare sich, wie der Mittsommernachtstraum zeigt, dem Bannkreise seiner Märchendichtung nicht ganz entziehen. Die groteske Mimik der Handwerker entsprach ungefähr dem Zerrbilde, welches Spenser (Thalia) in den 'Tränen der Musen' von dem Treiben ungebildeter roher Schauspieler entworfen hatte. Auch Robert Greenes bekannte Äußerungen über 'Johannes Faktotum' werden Shakespeare zeitweilig verstimmt, später vielleicht belustigt haben. Es lag nahe, solchen Angriffen mit einer Persiflage auf dilettantische Schauspielerei entgegenzutreten, wie sie z. B. von George Peele, Thomas Nash oder Anthony Munday als Stadtdichter damals gewiß öfters in Szene gesetzt wurde. Die schönen Worte des Theseus über unbeholfene Huldigungen erinnern an das dreiundzwanzigste Sonett, welches vermutlich als Geleitgedicht von Lucretia um dieselbe Zeit gedichtet wurde. Nach dem Schluß der kläglichen Tragikomödie mahnt die Mitternachtsglocke zum Aufbruch. In die dumpfe und heiße Luft des geleerten Saals bringt Puck einen kühlen und frischen Hauch, wenn er in gravitätischen Trochäen düstere Nachtbilder ausmalt.1) Das Auftreten von Oberon und Titania mit Gefolge, Elfentanz, Gesang und Oberons Segenswunsch geben dem Märchenspiel einen stimmungsvollen Abschluß. Das Lustspiel von der Zähmung der Widerspenstigen ist von geringer Bedeutung: offenbar leicht hingeworfen und ganz flüchtig gearbeitet. Auf den Stil des Schwankes ist offenbar nicht viel Kunst verwandt. Manche Szenen sind so salopp und zuweilen auch so hölzern geschrieben, daß die Autorschaft Shakespeares zweifelhaft erscheint. Aber das Vorspiel und die meisten Petruchio-Szenen haben ein unzweifelhaft echtes Gepräge und zeigen einen Stil, der dem Sommer') Die ersten Worte Pucks klingen wie eine Reminiszenz an die Schilderung der Mitternacht in Lucretia: Lucr. 162. Now stole upon the time the When heavy sleep had closed No comfortable star did lend No noise but owls' and wolves'

dead of night, up mortal eyes: his light, death-boding cries.

I. Die Romeo-Periode. nachtstraum und Romeo u n d Julia sehr n a h e steht.

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k o m m e n mehrere wörtliche A n k l ä n g e an das Elfenlustspiel vor.

Die

Schlußrede der Katharina ist noch fast ganz i m Stil der Romeoperiode. I n den folgenden Versen dieser R e d e z. B. (Tarn. V, 2, 1 7 0 ) : My mind hath been as big as one of yours My heart as great, my reason haply more, To bandy word for word and frown for frown. klingt noch beinahe dieselbe Redemelodie durch, w i e i n Mids. I, 1, 9 9 : I am, my lord, as well derived as he, As well possessed, my love is more than his. Eine kurze Stilprobe wird genügen, die jugendliche Färbung der Diktion zu zeigen, einige Verse aus Katharinas letzter R e d e ( V , 2 , 1 3 6 ) : Fie, fie unknit that threatening unkind brow 1 ) And dart not scornful glances from those eyes, 2 ) To wound thy lord, thy king, thy governor: It blots thy beauty as frosts do bite the meads, 3 ) Confounds thy fame as whirlwinds shake fair buds, 4 ) And in no sense is meet or amiable. A woman moved is like a fountain troubled, 5 ) Muddy, ill-seeming, thick, bereft of beauty; 6 ) And while it is so, none so dry or thirsty Will deign to sip or touch one drop of it. Satzbau, Epitheta, Vergleiche b e k u n d e n g l e i c h m ä ß i g den Stil der italianisierenden Periode. V o n den Historien Shakespeares steht besonders 'King John' u n geachtet eines ganz verschiedenen I n h a l t s u n d T o n e s i m Stil u n d i n !) Vgl. Tit. Andr. III, 2, 4 : Marcus, unknit that sorrow-wreathen knot. John III, 4, 120: She looks upon them with a threatening eye. Lucr. 1509: a brow unbent. 3 ) Vgl. Ven. 196: thine eye darts forth the fire that burneth me. 3 ) Ygl. Lucr. 331: Like little frosts that sometime threat the spring. Lucr. 1217: Poor Lucrece cheeks unto her maid seem so, As winter meads when sun doth melt their snow. 4

) Vgl. S o n n . 18, 3 : winds

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shake the buds of M a y .

) Vgl. Lucr. 577: Mud not the fountain that gave drink to thee Sonn. 35, 2: Roses have thorns, and silver fountains mud. ®) Vgl. Sonn. 5, 11: Beauty's effect with beauty were bereft. Ven. 133: Were I hard-favour'd, foul, or wrinkled-old, Ill-nurtured, crooked, churlish, harsh in voice, O'erworn, despised, rheumatic and cold, Thick-sighted, barren, lean and lacking juice, Then mightst thou pause.

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der Charakterzeichnung (Petruchio-Falconbridge) der Posse nahe. Die ersten Akte der Historie enthalten auch wörtliche, allerdings nur leichte Anklänge an die letzte Rede der Katharina. Daß Francis Meres 1598 'Taming of the Shrew' nicht unter den Lustspielen Shakespeares erwähnte (oder vielleicht doch als Love's Labour's Won??) ist kein Grund gegen eine frühere Datierung. Das Stück ist ja keine selbständige Arbeit Shakespeares. Um 1598 oder später schrieb der Dichter jedenfalls schon einen ganz anderen Stil. In die eigentlichen Lehrjahre Shakespeares gehört das Lustspiel indessen ungeachtet des geringen künstlerischen Wertes sicher auch nicht. Versbau (die beträchtliche Zahl weiblicher Endungen) und Stil weisen mit Entschiedenheit in die Zeit um 1594—95. Auch die flotte, realistische Behandlung der humoristischen Szenen zeigt den gereiften, sicher, nur schon etwas nachlässig arbeitenden Künstler. Was in dem Stück unbeholfen und altmodisch ist, erklärt sich aus der Nachlässigkeit (und oft wörtlichen Anlehnung), mit der zwei altmodische Stücke oberflächlich ineinander gearbeitet wurden. 1 ) Die Stratforder Erinnerungen des Vorspiels 3 ) — Stephen Sly, John Naps of Greece ( = Greet in Gloucestershire?), Marian Hacket, 'the fat ale-wife of Wincot' — könnten auf eine frühere Abfassungszeit hinweisen, wenn nicht solche Reminiszenzen auch in den 'Lustigen Weibern' vorlägen, die ohne Zweifel später geschrieben sind. Andererseits deutet aus dem Munde des betrunkenen Kesselflickers das Zitat aus der Spanischen Tragödie ('Go by Jeronimy', Ind. 1) bestimmt auf eine Zeit, in der dies Stück schon den Höhepunkt seiner Popularität überschritten hatte und verspottet wurde, also auf die Jahre nach 1592. Der Druck des alten von Shakespeare benutzten Lustspiels 'Taming of a Shrew' (1594) und der enge Zusammenhang mit dem Sommernachtstraum (1594) gibt einen bestimmteren chronologischen Anhalt. Da Shakespeare das ältere Stück öfters mit wörtlicher Anlehnung benutzt hat, ist doch wohl anzunehmen, daß es ihm schon gedruckt vorlag. Er scheint es also bald nach dem Erscheinen umgearbeitet zu haben. Die Art der Umarbeitung verrät noch deutlich die Technik der Romeo-Periode. Der Blankvers herrscht gegenüber der Prosa noch Mit Recht sagt Herford von der Technik des Schwankes: 'So far as the piece betrays Shakespeare's hand at all, it suggests not immaturity, but preoccupation'. 2 ) Ygl. Sidney Lee, Life of Shakespeare p. 165.

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vor; wenn Reimverse etwas seltener sind, als in den meisten anderen Stücken dieser Periode, so erklärt sich das aus der Vorherrschaft des Blankverses im ältern Stück. Die Diktion zeigt ungeachtet des humoristischen Stoffes noch eine gewisse Neigung zu melodramatischem Pathos (z. B. I, 2, 200, IV, 3, 175, V, 2, 136ff.); die Komik ist noch jugendlich, derb und ausgelassen. Aber schon die sichere Hand, mit der das Vorspiel umgearbeitet ist, verrät, daß der Dichter über die eigentlichen Lehrjahre hinaus ist. Die Erwähnung und Schilderung der mythologischen Gemälde (Induction 2, 52) zeigt, was für Vorstellungen und Erinnerungen die Künstlerphantasie Shakespeares damals noch beherrschten. Ähnliche Gemälde konnte man damals zwar nicht in England, wohl aber in Italien sehen. Tizian, Correggio und Giulio Romano hatten dieselben mythologischen Szenen (Venus und Adonis, Jupiter und Io, Apollo und Daphne) gemalt oder gezeichnet. Diese Vorliebe für antike Liebesszenen ist ein Kennzeichen der Romeo-Periode (vgl. z. B. Mids. II, 1, 231, Gentl. I, 1, 22). Das von Shakespeare ausgearbeitete oberitalienische Lokalkolorit des eigentlichen Lustspiels ist in seiner naturgetreuen, realistischen Ausführung m. E. ein Hauptbeweismoment für den Aufenthalt des Dichters in Oberitalien und kann dann auch zur Stütze der angenommenen Datierung dienen. Verstöße gegen das Lokalkolorit kommen hier nur selten vor. Wenn von einem Hügel in der Nähe von Padua die Rede ist (IV, 2, 61), so trifft das allerdings nicht zu (wenn man nicht etwa an die alten Stadtwälle denken will); aber das Versehen wird durch Anlehnung an die Originalposse (wo an der entsprechenden Stelle ebenfalls ein Hügel erwähnt ist) begreiflich und verzeihlich. Auf die italienische Lokalfarbe könnte der Dichter dadurch verfallen sein, daß er Szenen aus Ariosts Lustspiel 'I Suppositi' (Gascoignes 'Supposes') in die alte Posse hineinarbeitete; allein dort ist die Szene Bologna. Das Leben und Treiben der Bürger und Studenten in Padua ist realistisch geschildert, mit mehr moderner Färbung, als in den beiden Veroneser Stücken zutage trat (besonders in der genauen und zutreffenden Schilderung vornehmen Hausrats II, 1, 346). Petruchio, der als Statist in Romeo und Julia figurierte, tritt in die Rolle des Frauenzähmers ein. Der Charakter ist von Shakespeare lebensvoller und individueller ausgearbeitet als in der alten Komödie. Fast könnte man auf die Vermutung kommen, daß der jüngere Freund Shakespeares, Ben Jonson, hierbei als Modell gedient. Denn Ben Jonson,

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eine kräftige, derbe, rauflustige Natur, hatte bald nach seiner Soldatenzeit ') (um 1592) sich verheiratet, und er bezeichnete später seine Frau als 'a shrew, but honest'. Aber wir wissen allerdings nicht, ob die Bekanntschaft der beiden Dichter und Schauspieler schon so früh begonnen hat. Der K a u f m a n n v o n V e n e d i g gehört nicht mehr eigentlich in die Romeo-Periode und sei nur darum hier besprochen, weil doch noch ein gewisser Zusammenhang mit den früheren Stücken besteht, und weil gleichsam noch ein Abglanz des früheren Feuers, wie ein Abendrot, diese Dichtung bestrahlt. Der Stil zeigt indessen eine erhebliche Wandlung der Sinnesart des Dichters an, wie allein schon aus der reichlichen Verwendung von Prosa hervorgeht. Wir hören nicht mehr die Sprache der Liebesleidenschaft, sondern nur noch die einer gehaltenen, aber darum nicht weniger tiefen Zuneigung (Portia, Bassanio) oder die der Liebeständelei (Lorenzo, Jessica). Die Diktion ist nicht mehr so überschwänglich und rhetorisch wie in Romeo und Julia, in den Beiden Veronesern oder auch noch im Sommernachtstraum, vielmehr in Portias Reden ruhig-ernst oder schalkhaft, bei Bassanio grüblerisch. Der Grundton der Dichtung ist Schwermut, gemildert durch selige Erinnerung an vergangene Zeiten. Trübe Lebenserfahrungen haben dem Dichter offenbar eine herbe Lebensweisheit eingebracht, die sich besonders in Bassanios Rede (III, 2, 73) und in Gratianos Vergleich (II, 6) ausspricht. Auch Portias schwermütige, und doch tröstliche Sentenz ist bemerkenswert. How far that little candle throws his beams! So shines a good deed in a naughty world.

Der Stil ist schon ein etwas anderer als in Romeo oder im Sommernachtstraum. Nicht mehr jene weiche, liebliche, aber etwas monotone Legato-Melodie der Sätze und Verse, sondern ein etwas loserer, nachlässigerer Satz- und Versbau, den man als 'parlando', zuweilen auch als 'staccato' bezeichnen kann.

i) Ebenso wie Petruchio: Have I not in a pitched battle heard Loud 'larums, neighing steeds, and trumpets' clang? Taming, I, 2, 206.

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Der Unterschied muß jedem ins Ohr fallen, der mit den ersten Reden der Julia in der Veroneser Tragödie die folgenden Verse, welche Portia in den Mund gelegt sind, vergleicht (Merch. III, 2, 1): I pray you tarry: pause a day or two Before you hazard, for in choosing wrong, I lose your company, therefore forbear awhile. There's something tells me, but it is not love, I would not lose you: and you know yourself, Hate counsels not in such a quality. But lest you should not understand me well — And yet a maiden hath no tongue but thought — I would detain you here some month or two Before you venture for me.

Die zahlreichen Satzpausen inmitten des Verses, die pausenlosen Verschlüsse entsprechen nicht mehr ganz dem Stil der Romeo-Periode. Portias berühmte Rede über die Gnade (IV, 1) oder z. B. das Zwiegespräch von Lorenzo und Jessica hat eine Cadenz, für die sich höchstens in Dramen der zweiten Periode Parallelen finden lassen, z. B. im Eingang von Twelfth Night oder in Tw. Night II, 4 oder in Richard II. III, 4. Am meisten Ähnlichkeit zeigt der lyrische, sentenziöse Stil von Richard II. Manche Verse aus beiden Dramen klingen so ähnlich, als wenn sie unmittelbare Echos wären, z. B.: Merch. IV, 1, 115. the weakest kind of fruit. Drops earliest to the ground; and so let me. Rich. II. II, 1, 153. The ripest fruit first Jails, and so doth he.

oder Merch. Y, 1, 224. Since he hath got the jewel that I loved Rich II. I, 3, 270. — I wander from the jewels that I love.

Die beiden Dramen haben übrigens auch noch einige jugendliche Stileigentümlichkeiten gemein, z. B. gelegentliche Anwendung von Stichomythie (Merch. IV, 1, 65 ff., Rich. II. I, 3, 257 ff., V, 1, 81 ff. oder Vorliebe für Anaphora (Merch. IV, 1, 71ff., V, 1, 6ff., Rich. II, IV, 1,207ff., IV, 1, 281 ff.); Epiphora (Merch. V, 1, 193ff.) hat nur in King John III, 1, 12—15 eine vollständige Parallele; doch läßt sich auch das beliebte Spiel mit Wortechos in Rich. II. III, 3, 153, IV, 1, 281 ff. vergleichen. Antithesen kommen noch zuweilen vor (V, 1, 91, V, 1, 160, V, 1, 130), Klimax einmal (III, 2, 162). Wortechos und Wortspiele sind noch ziemlich häufig, besonders in den humoristischen Prosaszenen.

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I. Die Romeo-Periode.

Im ganzen ist indessen der Stil schon schmuckloser als in den Dramen der eigentlichen Romeo-Periode — auch dies ein Anzeichen etwas späterer Abfassung. Fast jedes Drama von Shakespeare hat sozusagen seine besondere poetische Atmosphäre, die sich besonders in den Bildern und Vergleichen kundgibt. Bedingt ist dies zum Teil wohl durch den Charakter des Stoffes, zum Teil durch die jeweilige Stimmung und Umgebung des Dichters, vielleicht auch durch die Jahreszeit der Abfassung. Für den Kaufmann von Venedig ist zunächst wie in den meisten italienischen Dramen eine vorwiegend ästhetische, künstlerische Lebensauffassung charakteristisch. Vor dem Schmuck (ornament) des Lebens warnt Bassanio (III, 2) zwar mit weiser Vorsicht, aber gleich darauf schwärmt er im Anblick von Portias Porträt, als echter Renaissancemensch. Portia, Lorenzo und Jessica schwelgen in Musik und Mondschein (III, 2, 43ff., V. 1, lff.) Gratiano spielt auf das alabasterne Grabdenkmal eines Ahnen an (1,1, 84), Portia auf ein Gemälde, in welchem die Befreiung der Hesione durch Herkules dargestellt wird (III, 2, 56). Lorenzo und Jessica überbieten einander in klassischromantischen Mondscheinbildern. Reminiszenzen aus griechisch-römischen Sagen im Renaissancegeschmack sind überhaupt beliebt, besonders wie begreiflich auf die Sage von Jason und dem goldenen Vlies (I, '2, 171, III, 2,245). 1 ) Die meisten Personen wenden gelegentlich zierliche klassische Vergleiche an. In scharfem Gegensatz dazu steht die alttestamentarisch-nüchterne, unästhetische, brutale Sprech- und Denkweise des Juden Shylock, der sich zwar in biblischen Gleichnissen und Anspielungen ergeht, aber sonst aller Poesie sich abhold zeigt und mit Vorliebe von Tieren und besonders von widerwärtigen oder mißachteten Tieren, wie Ratten, Schweinen, Eseln, Mauleseln, Hunden, wildeD Katzen, Ziegen, Schnecken, Schlangen spricht. — Portia redet zuerst in euphuistischen Vergleichen, die auch später auftauchen (V, 1), vor der Kästchenwahl in ähnlicher Weise wie Marlowes Dido, dann in der Gerichtsszene mit biblischem Pathos — mit Vorliebe spielt sie auf Könige und königliche Würde an (III, 2, 50, III, 2, 167, IV, 1, 189, V, 1, 94), wie sie denn überhaupt ungeachtet aller Leutseligkeit und Schalkhaftigkeit etwas von königlicher Majestät zeigt. Die Anspielungen auf die Argonautensage lagen im Sommer 1595 (der wahrscheinlichen Abfassungszeit) besonders nahe, weil gerade damals Walter Ralegh seine Argonautenfahrt nach der Goldstadt Manoa angetreten hatte.

I. Die Romeo-Periode.

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Bassanios leichtherzige, sorglose und doch zielbewußte Art wird vortrefflich durch das erste Gleichnis angedeutet, mit dem er sich einführt (1,1, 139): In my school-days when I had lost one shaft, I shot his fellow of the self-same flight The self-same way with more advised watch, To find the other foith, and by adventuring both I oft found both.

Dem Lebemann Gratiano ist das folgende Gleichnis in den Mund gelegt (II, 6,14): How like a younker or a prodigal The scarfed bark puts from her native bay, Hugg'd and embraced by the strumpet wind! How like the prodigal doth she return, With over-weather'd ribs and ragged sails, Lean, rent and beggar'd by the strumpet wind!

Vielleicht hat der Dichter an Francis Drakes Barke 'The Golden Hind' gedacht, welche damals gerade von langer Seefahrt in sehr beschädigtem Zustande zurückgekehrt war und bei Deptford jahrelang als Schaustück und Merkwürdigkeit vor Anker liegen blieb. — Im ganzen ist die Bildersprache in diesem Drama nicht mehr so üppig, wie z. B. in Romeo und Julia, dafür aber origineller und charakteristischer. Die Vergleiche erinnern am meisten an den Stil von King John (z. B. Merch. III, 2, 41 ff. Schwanengesang, Krönung — John V, 7, 22, V, 7, 102; Merch. V, 1, 95 König mit einem Ozean verglichen — John V, 4, 50), mitunter auch an Richard II. Die Bilder, die sich auf das Landleben, besonders Tierleben beziehen (z. B. V, 1, 71, V, 1, 103), sind meist erquicklich frisch und deuten auf persönliche, unmittelbare Anschauung, also etwa auf einen Landaufenthalt im Sommer. Aber in England konnte der Dichter schwerlich beobachten, was in dem Gleichnis Antonios geschildert ist (IV, 1, 75): You may as well forbid the mountain pines To wag their high tops and to make no noise, When they are fretten with the gusts of heaven.

Liegt etwa die Erinnerung an eine Alpenlandschaft oder Schilderung ähnlicher Szenerie zugrunde, etwa wie in Richard II. (I, 1,63)? Wahrscheinlicher dürfte eine literarische Reminiszenz anzunehmen sein. Thomas Kyd hatte in seiner Übersetzung von Garniers Cornelie,

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I. Die Romeo-Periode.

welche 1594 veröffentlicht wurde, geschrieben (V. 1732, Kyd Works ed. Boas p. 153): As on the Alpes the sharpe Nor-North-east wind, Shaking a Pynetree with theyr greatest powre, One while the top doth almost touch the earth, And then it riseth with a counterbuffe: So did the Armies presse and charge each other.

Da Shakespeare die anderen Dramen Kyds (Spanish Tragedy, Soliman and Perseda, Hamlet, [Troublesome Reign of King John??]) jedenfalls genau gekannt hat, wird er auch die Cornelia gelesen haben, obwohl sonstige sichere Anklänge kaum zu entdecken sind (vgl. Engl. Stud. XXII, 306). Höchst merkwürdig ist in diesem Drama das Lokalkolorit, welches sogar Th. Elze in seinen Venezianischen Skizzen als bewundernswert anerkannte, obwohl er nicht an einen Aufenthalt Shakespeares in Italien glaubte. Die mehrfache Erwähnung des Rialto (1,3, III, 1) als eines Platzes, wo Kaufleute zusammenkommen, Geschäfte machen und Neuigkeiten austauschen, ist durchaus zutreffend. Dieser gegenwärtig als 'Erberia' bezeichnete Platz an der Rialto-Brücke diente damals in der Tat zu einem solchen Zweck. Das ist insbesondere aus einer Stelle des erst neuerdings (1903) von Charles Hughes veröffentlichten Itinerary von Fynes Moryson ('Shakespeares Europe') ersichtlich (p. 459), wo der Verfasser, der um dieselbe Zeit (1594) Italien bereist hatte, von den gesellschaftlichen Sitten der Italiener spricht: 'The gentlemen seldome feasting meetinges in the markett places, and Venice, where the gentlemen daly meete, where they stand by them selues, and St. Marke, where they walke together.

one another — daily haue generale priuate in gardens — — — espetially at with the marchants, before noone at Rialto, towardes euening in the markett place of

Nur jemand, der Venedig, sei es aus eigener Anschauung, sei es aus der genauen Schilderung von Reisenden, kannte, konnte diese intime Einzelheit in einem Drama verwerten. In der Originalnovelle ist nicht vom Rialto die Rede, ebensowenig in der bekannten alten Ballade von Gernutus. Es ist auch ganz unwahrscheinlich, daß dieser Zug des Lokalkolorits von dem Verfasser des alten anonymen Stückes 'The Jew' herrührte. Auch manche englische Reisende, die in jener Zeit in Venedig gewesen waren und ihre Reise beschrieben, erwähnen den Rialto entweder gar nicht oder zeigen, daß sie falsche Vorstellungen

I. Die

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Romeo-Periode.

hatten, z. B. Coryat in den Crudities (neu herausgegeben 1905, Glasgow Mc. Le Hose), der den Rialto als ein hohes Backsteingebäude bezeichnete. Wohl aber hatte schon William Thomas in seiner Historye of Italye (1549) p. 74 bei der Schilderung von Venedig, welches er aus eigener Anschauuug kannte, (p. 74) Ubereinstimmendes berichtet: 'The Rialto is a g o o d l y place in the bert of the Citee, where the merchauntes tv. r yse a day assemble.'

Hat nun Shakespeare etwa Thomas' Buch studiert, um seinem Drama Lokalfarbe zu geben? Hat er daraus nur eben jene Einzelheit entnommen? Auch der Name Launcelot Gobbo scheint venetianisches Lokalkolorit zu haben, denn auf dem Rialtoplatz war schon damals unter der Säulentreppe jene knieende Figur zu sehen, die noch heute 'II Gobbo' (Der Bucklige) heißt (vgl. Bädeker, Oberitalien). Die Erwähnung der Gondel (gundilo Merch. II, 8, 8) zeigt ebenfalls genaue Kenntnis venetianischer Lokalverhaltnisse. Auch der Titel 'Magnifico' (Merch. III, 2, 282) verrat, daß der Dichter mit italienischen Sitten vertraut war. Noch auffallender ist die jedenfalls vom Dichter selbst herrührende Lokalisierung von Portias Wohnsitz Belmout in Shakespeares Drama. Der Name Belmonte ist aus der Originalnovelle des Giovanni Fiorentino entnommen. Aber dort ist Belmonte als ein Ort irgendwo am Adriatischen Meer gedacht, in märchenhafter Ferne. Shakespeare versetzt Belmont auf das venezianische Binnenland, in die Nähe von Padua: wie ausdrücklich erwähnt wird, 20 (engl, oder ital.) Meilen von Venedig entfernt, und zwar in eine solche Lage, daß der Ort auch zu Schiffe von Venedig erreicht werden kann — denn Bassanio reist ja zu Schiff nach Belmont. Portia dagegen fährt später mit ihrer Kutsche auf der Landstrasse nach Venedig, oder wenigstens bis zur Fähre ('common ferry', auch als 'tranect' bezeichnet); sie hat indessen von ihrem Palast aus einen Eilboten inzwischen nach Padua geschickt, der sie dann an der Fähre einholen soll (III, 4). In der Nähe von Belmont (zwei Meilen entfernt) soll ein Nonnenkloster liegen. Wenn diese Angaben wörtlich gedeutet werden, so passen sie in ihrer Kombination, wie Th. Elze schon vor Jahren ermittelt hat (Venezianische Skizzen, S. 10), nur auf einen Ort, auf diesen aber sehr gut: Dolo (Stra) an der Brenta. Gerade dort war schon zu Shakespeares Zeiten der berühmte, von einem wunderschönen Garten umgebene Palazzo der Familie Pisani zu finden, welcher von S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterweikstatt.

5

66

I. Die Romeo-Periode.

Reisenden des XVIII Jahrhunderts (z. B. Volkmann in seinen Nachrichten aus Italien) als das prächtigste aller venezianischen Landhäuser gepriesen wurde. Es ist die jetzige 'Villa Nazionale'. Von Stra, welches ungefähr 20 ital. Meilen von Venedig entfernt ist, kann man sowohl zu Schiff die Brenta hinunter nach Venedig fahren, wie auch auf der Landstraße zu Wagen nach der Fährstation Fusina gelangen. Die Entfernung von Padua (ungefähr 5 ital. Meilen) ist so gering, daß ein reitender Eilbote, der dort hingeschickt wird, den gemächlich vorausfahrenden Wagen bei Fusina einholen kann. Ein Nonnenkloster soll, wie Elze ermittelte, im XV. Jahrhundert in der Nähe von Stra in der Tat existiert haben, und zwar in Soanara, etwa drei ital. Meilen entfernt. Ein Kenner Oberitaliens wie Theodor Elze hat nun hervorgehoben, wie wunderschön die Schilderung der mondscheindurchglänzten Sommernacht in der Gartenszene des Kaufmanns von Venedig gerade zu einer Sommernacht an der Brenta stimmt. Es läßt sich natürlich nicht streng beweisen, daß der Dichter eine solche Szene nicht auch in England erlebt haben kann. Solche mondscheinhelle und sternenklare Sommernächte können ja auch in England sehr reizvoll sein, wenn sie gleich seltener sind. Aber Shakespeare hebt merkwürdigerweise nur in Dichtungen mit italienischem oder doch südlichem Kolorit (Romeo, Sommernachtstraum, Kaufmann von Venedig, Verlorene Liebesmühe) die Lichtwirkung des Mondscheins hervor, während sonst der Mond für ihn blaß (pale, pale-faced) ist. Jeder Kenner Italiens weiß, daß dort der Mond in der Tat stärkere Lichtwirkungen hervorbringt als im Norden. Viktor Hehn sagt mit Recht: 'Die Nächte in Italien haben mehr Mondschein als bei uns, was auch die Astronomie dagegen sagen mag, vielleicht weil schon das erste und das letzte Viertel so viel Licht ergießen, daß die Nacht für eine mondhelle gelten mag.' Auch die Serenadenmusik (Merch. V, 1, 55) ist zwar nichts ausschließlich Italienisches, paßt aber, selbst in der musikliebenden Zeit der Königin Elisabeth, besser nach Oberitalien als nach England. Jedenfalls hat Shakespeare solche Serenaden nur in Dramen mit südlichem Kolorit erwähnt (Two Gentlemen of Verona IV, 2, Midsmmernight's Dream I, 1, 30, Romeo II, 2, 166, Much Ado about Nothing II, 3, 40). Shakespeare hat die Mondscheinromantik in die englische Dichtung eingeführt; sie ist später besonders von denjenigen englischen Dichtern gepflegt worden, die den Süden aus eigener Anschauung kannten:

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I. Die Romeo-Penode.

Milton, Wordsworth, Byron, Shelley, Tennyson, Swinburne (aber allerdings auch von Macpherson und Walter Scott). Auch bei deutschen Romantikern ist die Schwärmerei für die 'mondbeglänzte Zaubernacht' gewöhnlich mit der Sehnsucht nach Italien verbunden. Die Abfassungszeit des Dramas, für welche ja durch die Erwähnung bei Meres (1598) ein Anhalt gegeben ist, kann etwa durch die Jahre 1594—1596 begrenzt werden. Wenn es zutrifft, daß der Dichter Mundays englische Übersetzung von Alex. Silvayns 'Redner' •('The Orator') bei der Ausarbeitung zu Rate zog, so müßten wir das letztere Jahr als Abfassungszeit annehmen. Allein die nachgewiesenen Übereinstimmungen sind inhaltlich begründet, keineswegs sehr auffallend und können zufällig sein. Im Ton und in der Diktion paßt die venezianische Komödie eher zu Richard II. als zu Heinrich IV., und andere Gründe, die besonders von Sidney Lee hervorgehoben sind, 1 ) deuten auf eine etwas frühere Zeit als 1596. Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, daß der Hochverratsprozeß •des jüdischen Arztes Dr. Roderigo Lopez, welcher die Hinrichtung am 7. Juni 1594 zur Folge hatte, den Dichter zur Zeichnung des ShylockCharakters anregte. Juden gab es damals noch sehr wenige in England, und das Interesse an der Zeichnung eines jüdischen Charakters kann daher vorher beim englischen Publikum nicht sehr groß gewesen sein. Aber im Jahre 1594 scheint in der Tat aus begreiflichen Gründen, wenn auch nicht gerade eine antisemitische Strömung, so •doch ein verstärktes Interesse für jüdisches Volkstum beim Londoner Publikum sich geltend gemacht zu haben. Marlowes Jude von Malta, ein schon etwas altmodisch gewordenes Stück, wurde damals wiederholt aufgeführt (nach Henslowes Rechnungen 6 mal vom 4. Februar bis zum 12. Juni 1594). Einige Dramen mit alttestamentarischen Stoffen tauchen jetzt in den Theaterrechnungen und Buchhändlerregistern auf: so ein anonymes ungedrucktes Stück (Hester and Ahasverus, Sommer 1594, vermutlich identisch mit dem alten Stück von Königiii Hester 1561). Auch Peeles 'David and Bethsabe' dürfte in diesen Zusammenhang gehören. Das alte, von Stephen Gosson erwähnte Stück The Jew ist wohl um dieselbe Zeit wieder aufgefrischt worden (vielleicht unter dem Titel 'Venetian Comedy', welche als l n[e\v] e[nterlude'] in Henslowes Rechnungen seit dem 25. Aug. 1594 erwähnt ') Sidney Lee, A Life of Shakespeare p. 68. 5*

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I. Die Romeo-Periode.

wird), wenn es richtig ist, dies Drama als Grundlage von Shakespeares Kaufmann von Venedig anzusehen. Im Mai 1594 wurde Marlowes Jew of Malta in die Buchhändlerregister eingetragen. Und fast gleichzeitig wurde die Ballade vom Juden Gernutus gedruckt, welche dieselbe Fabel wie Shakespeares Drama behandelt. Auf die Krönung eines neuen Königs wird an einer bedeutsamen Stelle unseres Dramas angespielt, und es ist vermutet worden, daß der Dichter an die pomphafte Krönung Heinrichs IV. am 27. Febr. 1594 gedacht habe (von der bald danach eine Beschreibung in englischer Sprache erschien). Die Dichtung scheint also mit verschiedenen Fäden in dem J a h r e 1594 zu wurzeln, wenngleich nach Metrik und Stil die eigentliche Abfassung erst um das Jahr 1595—1596 anzusetzen ist. Und zwar dürfte der Kaufmann von Venedig zwischen 'König Johann' und 'Richard I I / einzuschieben sein, da einerseits der in diesem Lustspiel erwähnte 'Falconbridge' (I, 2) und der Schiffbruch an den 'Goodwins' (III, 1) deutliche Reminiszenzen an die erstere Historie (King John I, 1, V, 5 ) darstellen, andererseits die ersten Szenen von Richard II. auffallende Gedankenechos aus den letzten Szenen des Kaufmanns von Venedig enthalten. 1 ) Vielleicht hatte die Fabel des Dramas gerade damals für den Dichter ein sehr aktuelles persönliches Interesse, weil er selbst um die Zeit seinen tief verschuldeten Vater vor den Verfolgungen seiner Glaubiger retten mußte. In dieser Zeit aber trat der 'Königliche Kaufmann' von London Sir Horatio Palavicino in den Vordergrund des öffentlichen Interesses, ein Mann, der nach seiner einflußreichen Stellung wohl ein Vorbild für den Venetianer Antonio, aber in seinem Charakter als Geizhals und unbarmherziger Gläubiger auch für Shylock abgeben konnte. Der reiche Bankier hatte damals sozusagen das Schicksal Englands in seinen Händen. Schon im Jahre 1593 belief sich die Summe, welche die Königin ihm schuldete, auf 30000 Pfund, für jene Zeit ein nicht unbedeutendes Kapital. Seine während der folgenden Jahre oft geäußerten Bitten um Rückzahlung der Summe, ja auch Drohungen blieben ziemlich erfolglos; beim Tode der Königin hatte die Schuld immer noch die ansehnliche Höhe von 29000 P f u n d . Im Jahre 1595 trat die Königin mit einem neuen Versuch einer Anleihe an ihn heran, mit dem sie Thomas Bodley betraute. ' BegreifShakespeare-Jahrbuch X X X I I , tungen.

Zur Chronologie von Shakespeares

Dich-

I. Die Romeo-Periode.

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licherweise zeigte sich indessen Sir Horatio jetzt abgeneigt. 1 ) Der 'Kaufmann von Venedig' war also damals besonders aktuell. Gerade in diesem Stücke kann man das seit Lyly so beliebte 'double entendre' des Elisabethanischen Dramas studieren. Ungeachtet des märchenhaften Inhalts und italienischen Kolorits ist doch manches ohne Zweifel als Anspielung auf moderne englische Verhältnisse aufzufassen. Die vielumworbene Portia, die ihre Freier kritisiert, mußte das Publikum jener Zeit an die Königin Elisabeth erinnern, wenn auch damals die Zeit der Werbungen längst vorüber war. Obwohl Shakespeare zum hofischen Schmeichler offenbar wenig Anlage und Neigung hatte, konnte er doch nicht umhin, bei der Schilderung der Schönheit der Portia (III, 2 , 1 2 0 ) gerade das hervorzuheben, was Zeitgenossen an Königin Elisabeth rühmten: das schöne Goldhaar und die dunklen, durchdringenden Augen. Auch daß die Weisheit Portias so besonders hervorgehoben und das Alter unbestimmt gelassen ist, scheint bedeutungsvoll; ebenso daß die königlichen Worte über die Gnade Portia in den Mund gelegt sind. So läßt sich denn auch Bassanio mit einem der Günstlinge der Königin Elisabeth vergleichen. Wie es scheint, stand damals Graf Southampton noch in hoher Gunst. Wir brauchen auch nur für Venedig London, für Belmont Windsor und für Padua Oxford einzusetzen, um das Lokal vollständig englischen Verhältnissen anzupassen. Die Lokalangaben würden ziemlich genau stimmen. Auch hier also scheint, ähnlich wie in der Verlorenen Liebesmühe und im Sommernachtstraum, etwas höfischer Firnis aufgetragen zu sein, wenn auch nicht mehr so stark wie in den früheren Lustspielen. Ob Shakespeare dem verloren gegangenen anonymen Drama The Jew, welches Gosson im Jahre 1579 erwähnte, irgend etwas, oder wieviel er ihm verdankte, laßt sich leider nicht feststellen, ja nicht «inmal vermuten. Das ältere Stück wird wegen der moralischen Tendenz gerühmt; und immerhin könnte die Neigung, zu moralisieren, welche in diesem Drama Shakespeares zuerst sehr deutlich hervortritt, durch die Vorlage veranlaßt sein. Aber der Inhalt der moralisierenden Betrachtungen stimmt doch andererseits so gut zu Gedanken der etwa gleichzeitigen Dramen und Sonette, daß wir darin wohl Shakespeares geistiges Eigentum erblicken müssen. Wenn wirklich, wie manche vermuten, die Kästchenwahl schon in dem älteren Stücke an die Vgl. Diction, of National Biogr. s. v. Palavicino; Einstein, Italian Renaissance in England p. 273 ss.; Birch Memoirs of Queen Elizabeth I, 230.

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I. Die Romeo-Periode.

Stelle der roheren Freierprobe gesetzt worden war, so muß der anonyme Verfasser ein viel feinerer Kopf gewesen sein, als andere Dramatiker jener früheren Zeit. Aber die kurze Inhaltsangabe Stephen Gossons ('representing the greediness of worldly chusers, and bloody minds of usurers') deutet doch nicht mit Sicherheit auf jenes Motiv hin. Auch Shakespeare könnte diese Geschichte aus der englischen Ubersetzung der Gesta Romanorum (1577) entnommen haben. Sicher ist die nach dem Vorbilde von Marlowes Juden von Malta eingeflochtene JessicaEpisode Shakespeares geistiges Eigentum. Im ganzen ist jedenfalls Komposition und Charakterzeichnung des Dramas echt Shakespearisch. Gleich der Eingang ist offenbar dem ersten Gespräch von Romeo und Benvolio nachgebildet, nur daß hier auch andere Shakespearische Typen (Gratiano=Mercutio) hinzugefügt sind. Die zweite Szene wiederum hat ihr Vorbild in den Beiden Veronesern (I, 2). Von da an ist der Gang der Handlung im wesentlichen durch die Fabel gegeben; nur hat Shakespeare nach MarlowesVorgang Szenen eingefügt, in denen Jessica ( = A b i g a i l ) und Lancelot Gobbo (vgl. Ithimore) auftreten. Lancelot Gobbo erinnert wiederum an Launce in den Beiden Veronesern und ist offenbar eine Rolle, die für den Komiker Kempe geschrieben war. Die Jessica-Episode ist flüchtig gearbeitet: offenbar haben Liebesszenen jetzt für den Dichter nicht mehr dasselbe Interesse wie früher. Auch der Prinz von Marokko und der Prinz von Aragonien sind nur Folien für Bassanio, obwohl ihre (etwas nachlässig stilisierten) Reden doch Shakespeares Poesie und Lebensweisheit deutlich genug verraten. Mit um so größerer Liebe und Wärme ist dafür die Szene der Kästchenwahl Bassanios ausgeführt. Der Übergang vom Parlando zu leidenschaftlich bewegtem, wenn auch durch vornehme Zurückhaltung gedämpftem Pathos ist bewundernswert. Nur die beiseite gesprochenen Worte der Portia verraten in den Reimversen lyrische Stimmung. Bassanios Betrachtungen geben, wie es scheint, die neueste Lebensweisheit des Dichters wieder, da sie im Gedankengang, zuweilen auch im Ausdruck, mit mehreren der späteren Sonette (No. 54, 66, 67, 68, 70, 93, 94, 95, 102) übereinstimmen. Wenn der von dem Gefühl seines Glücks schwindlige Bassanio sich mit einem vergleicht, der bei einer Preisbewerbung Sieger geblieben und nun noch nicht weiß, ob das Beifalljauchzen der Menge ihm gilt oder seinem Nebenbuhler — so stammt das Gleichnis offenbar aus der Erfahrung des Schauspielers Shakespeare her. Hier treten passend Reimpaare wieder in ihr Recht. Für die folgende

I. Die Romeo-Periode.

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Rede der Portia sind die rhetorischen Figuren der Cumulatio und der Klimax bezeichnend, als wenn der Dichter dadurch die Häufung und Steigerung des Glücksgefühls hätte andeuten wollen, welche dennoch die Ruhe und Besonnenheit der Überlegung nicht beeinträchtigte. So ist denn Portia auch wieder zum Blankvers zurückgekehrt. Das nun folgende höfische Gleichnis Bassanios (von dem Volksjubel, der der Rede eines geliebten Fürsten folgt) läßt die Wogen der hochgespannten Stimmung allmählich zurückebben; die Verlobung von Gratiano und Nerissa, die Ankunft von Lorenzo und Jessica bietet ein passendes Intermezzo — und nun folgt der dramatische Rückschlag, die Mitteilung von Antonios verzweifelter Lage. Bassanio klagt, die praktischere Portia tröstet nicht nur mit schönen Worten, sondern treibt zum Handeln an. Und nun endlich bricht die lange zurückgedämmte lyrische Stimmung sich wiederum in gereimten Versen Bahn. Die folgende kurze Szene, die in Venedig spielt, ist notwendig, um die Hartnäckigkeit Shylocks und die verzweifelte Lage Antonios dem Zuschauer voll zum Bewußtsein zu bringen. In der vierten Szene bereitet Portia ihren Rettungsplan vor. Die Schlußszene des dritten Akts ist ein Lückenbüßer, der wohl die zum Umkleiden nötige Zeit mit Clownspässen ausfüllen soll; sie zeigt indessen in dem Gespräch zwischen Jessica und Lancelot, daß auch Shakespeare der Rohheit des damaligen Zeitalters einen Tribut zollen mußte. Ähnliche Witzeleien stören auch noch in späteren Dramen die Stimmung, z. B. in All's well that ends well, Othello, Macbeth. Nur durch ihre Bewunderung für Portia kann die oberflächliche und pietätlose Jessica ein wenig Sympathie bei dem modernen Publikum gewinnen. Shakespeares Publikum war aber anders geartet, hatte sicher wenig Gefühl für die ethischen Mängel dieser Nebenfigur und erfreute sich ganz harmlos an den unzarten Spaßen über Judentum und Schweinefleisch. Die große Gerichtsszene des vierten Aktes, in ziemlich engem Anschluß an die ursprüngliche Erzählung dargestellt, zeigt dennoch nicht nur Shakespeares Rhetorik und Dialektik, sondern auch seine dramatische Kunst im glänzendsten Lichte. Der Prozeß ist in eine würdevolle Staatsaktion und zugleich in eine spannende Szene umgewandelt. Der Doge tritt auf, mild und mitleidig, aber als ein unbeugsamer Vertreter des Rechts, etwa wie der Herzog in der Komödie der Irrungen oder Theseus im Sommernachtstraum, also offenbar so recht ein Herrscher nach dem "Herzen des Dichters. Antonio ist auf das Schlimmste vorbereitet und in sein Schicksal ergeben. Shylock

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I. Die Romeo-Periode.

beruft sich zur Begründung seines Hasses und seiner Halsstarrigkeit auf Idiosynkrasien und auf das böse Beispiel der Venetianer, welche das Eigentumsrecht an Menschenfleisch in der Duldung der Sklaverei anerkennen (ein Argument, welches vielleicht aus Sylvains Orator entlehnt ist). Die Diktion, zuerst noch ruhig und nüchtern, wird durch Shylocks höhnenden Trotz erregt, ein kurzer stichomythischer Wortwechsel zwischen Bassanio und Shylock leitet zu einer würdevoll-pathetischen Rede Antonios über. Shylock repliziert mit orientalischer Heftigkeit und Rabulistik. Die hochgespannte Erregung wird durch das Auftreten der als Advokatenschreiber verkleideten Nerissa gedämpft. Während der Doge den Brief des Rechtsgelehrten Bellario liest, ergeht sich Gratiano, seinem Charakter entsprechend, in törichten Witzeleien und Scheltreden gegen Shylock, die natürlich den Haß des Juden noch mehr schüren. Portias Auftreten in der Advokatenrobe hebt die Gerichtsverhandlung sofort auf ein höheres Niveau. Sie beginnt mit kurzen, sachlichen Fragen und mahnt in feierlicher Rede noch einmal, Gnade zu üben. Diese berühmte Rede über die Gnade ist, wie überhaupt der erste Teil der Szene, Shakespeares Erfindung. Verfolgte der Dichter hier vielleicht einen besonderen Zweck, etwa die Gnade der Königin für die Papistenprozesse jener Zeit zu erflehen? Die weitere Entwicklung der Szene war dem Dichter vorgezeichnet; er hat sie nur dramatisch wirkungsvoll ausgestaltet. Der plötzliche Umschwung der Lage, die Verwandlung des trotzig-ingrimmigen Juden in den gebrochenen Mann, der mühsam hinauswankt, bietet den größten Schauspielern Gelegenheit, ihre Kunst zu erproben. Der Schluß der Szene und der folgende zweite Auftritt leiten nur zum fünften Akt über. Bassanio, von Portia genötigt, ihr den Verlobungsring als Advokatendouceur zu schenken, kommt nun seinerseits in eine Klemme, die wie ein heiteres, harmloses Nachspiel der ernsteren Handlung wirkt. Das Schauspiel, welches eigentlich schon mit dem vierten Akt zu Ende ist, schließt (ähnlich wie der Sommernachtstraum im fünften Akt) mit einem Notturno voll süßer Melodien, dem dann noch ein Scherzando-Dialog folgt. Der Dichter wollte offenbar den harschen Eindruck des fast zu tragischen Ausgangs durch ein mild-heiteres Ausklingen der Dissonanzen abschwächen. Und es ist — wenigstens vom Standpunkt jener Zeit aus —zart empfunden, daß er zunächst an Shylocks Tochter, die in Liebesglück schwelgende Jessica, denkt.

73

I. Die Romeo-Periode.

Die

reizende

Jüdin,

die

durch

ihre

Flucht

die

Lebensgefahr.

Antonios und das Strafgericht, das ihr V a t e r sich zugezogen, mit verschuldet hat, kümmert sich in naivem Egoismus nicht im darum.

mindesten

Der Dichter scheint daran keinen Anstoß zu nehmen,

er deutet an, wie der tiefer angelegte Lorenzo sein Weib und ethisch erziehen wird.

aber

ästhetisch

Der ganze Zauber italienischer Renaissance-

Stimmung ist in seinen Reden gleichsam zu einer duftenden Quintessenz

zusammengepreßt:

antike Poesie,

Naturschwärmerei,

Kunst-

begeisterung, platonische Philosophie, Grazie und glückliche Liebe. Aber selbst diese glänzenden Renaissance-Gestalten verblassen beim Auftreten

der

glückspendenden

Portia.

Bedeutungsvoll

sagt Portia

selbst: A Substitute shines brightly as a k i n g Until a k i n g be by, and then his state Empties itself, as doth an inland brook Into the main of waters.

A u s der lyrisch gehobenen Stimmung geht der Dialog allmählich wieder in das Parlando des Lustspieltones über. Die A u f k l ä r u n g des Ring-Scherzes und Portias und Nerissas Mitteilungen über die glückliche Lösung des Konflikts bilden den Beschluß. Die Dramen der Romeo-Periode werden literarhistorisch verständlich erst mit der Annahme, daß der Dichter eigene Herzenserlebnisse und

Reiseerinnerungen

hineingeheimnist

hat.

Die

fast

unablässig

wiederkehrenden und mit leidenschaftlicher W ä r m e variierten Themen von Liebe und Freundschaft und besonders vom Konflikt zwischen Freundschaftspflicht und Liebe erhalten durch Vergleichung mit den (ungefähr gleichzeitigen) Sonetten Shakespeares eine prägnante

Bedeutung.

Stil und Färbung, Charakterzeichnung und Darstellungsweise verraten den tiefgehenden Eindruck, den der Dichter von italienischer Kultur, italienischer Kunst und italienischer Natur erfahren hat.

Es ist fast

unmöglich, einen solchen Einfluß ohne einen vorherigen Aufenthalt in Italien zu erklären. klärt sich

die

Mit dieser allerdings kühnen Annahme aber er-

Stilentwicklung

ohne

weiteres.

Naturtreue der italienischen Fiirbung wird dann Aber auch die freie, heitere, mehr

Die

Intensität

und

alsbald verständlich.

ästhetische Lebensauffassung, die

der Dichter kundgibt, sehr zum Unterschied von den meisten seiner Zeitgenossen, meisten

wird

bei

dieser

ausgeprägt

ist

der italienische

in der Romeo-Tragödie.

Annahme

leichter Charakter

begreiflich.

Am

begreiflicherweise

Hier hatten frühere Dichter

vorgearbeitet;

74

I. Die Romeo-Periode.

und die Erinnerung war noch frisch. neser Lustspiel

ist dennoch nicht

Das

flüchtig

viel weniger

gearbeitete Vero-

naturgetreu,

hier die Lokalisierung erst der Phantasie Shakespeares

obwohl

entstammte.

Das Elfenlustspiel hat nur einen Anhauch italienischer Färbung,

er-

innert aber in der Diktion und Komposition lebhaft an italienische Schäferspiele (Gl'Intricati).

Die

Zähmung

der

Widerspenstigen

ist

von Shakespeare erst nach Oberitalien verlegt und hat im Stil nicht mehr viel Italienisches.

U m so bewundernswerter ist die Naturtreue

in der Sitten- und Charakterschilderung, die noch oft an die Commedia dell'arte erinnert.

Im K a u f m a n n von Venedig endlich ist der italiani-

sierende Stil fast ganz aufgegeben; aber Land und Leute von Venedig und Umgegend sind dem Dichter offenbar noch in deutlicher Erinnerung, wenngleich schon in märchenhafte Ferne gerückt.

Und

italienische Renaissance-Stimmung, traumhaft verklärt, klingt hier noch sehr deutlich an.

echte gerade

II. DIE FREUNDSCHAFTSSONETTE. "0, learn to read, what silent love hath writ: To hear with eyes belongs to love's fine wit."

Diese Verse, welche das dreiundzwanzigste Sonett beschließen, können als Motto für jede Untersuchung über die Sonette dienen. Viele Interpreten haben sich um die Deutung dieser rätselhaften Gedichte bemüht. Aber gerade diese Verse, die sich allerdings zunächst nicht auf die Sonette, sondern auf andere Dichtungen ( " B ü c h e r ' ) beziehen, scheinen noch nicht genügend beachtet worden zu sein. Sonst wären wohl manche gewagte Hypothesen unausgesprochen geblieben, die mit dem Inhalt dieses Sonetts unvereinbar sind. Insbesondere wäre wohl niemals die Ansicht aufgetaucht, daß diese Gedichte nur ein Spiel der Phantasie oder ein Produkt höfischer, konventioneller Rhetorik ohne tieferen Gefühlsinhalt seien. Aber man m u ß erst lesen lernen, "was stille Liebe geschrieben h a t " , und muß mit den Augen nicht nur lesen, sondern gleichsam auch hören lernen, d. h. beim Lesen den Gefühlston heraushören. Wie ist das aber möglich? Nur indem wir zunächst die Gedichte rein äußerlich auffassen, sorgsam ihre poetische Technik studieren, was in ihnen konventionell ist, uns klar machen und gleichsam absondern, und so allmählich zu einem Verständnis des Inneren, des Individuellen vordringen. Schon die Betrachtung der äußeren Sprachform schärft das Ohr für die innere Musik dieser Lieder. Im Stil verrät sich auch hier der Mensch. Aber was der Dichter nicht an jener Stelle allein, sondern oft und immer wieder versichert, daß die Lieder mit „Liebe" geschrieben worden sind, darf nicht vergessen werden. Virtuose Koloratur läßt sich in der Poesie wie in der Musik unter Umständen mit tieferem Gefühl vereinen. Aber der Verzicht auf virtuose Koloratur spricht in der Regel allerdings für tieferes Empfinden.

76

II. Die Freundschaftssonette.

Der Stil der 'Sonette' ist durch die Strophenform bedingt. Shakespeares lyrische Gedichte sind ja nicht Sonette im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern (von der Geleitstrophe No. 126 abgesehen) Lieder in vierzehnzeiligen Strophen, die aus drei kreuzweise gereimten Vierzeilen und einem Reimpaar zum Schluß bestehen (mit Ausnahme des unregelmäßig gebauten Gedichts No. 99). Nur die Zahl der Verse und die Zahl der Hebungen im einzelnen Verse stimmt mit dem normalen Sonett überein. Die Reimstellung ist eine ganz abweichende; die Struktur der Strophe eine völlig andere. Diese Abart des englischen Sonetts, die nicht von Shakespeare, sondern von Surrey erfunden und vor Shakespeare von Daniel besonders ausgebildet worden war, führt von selbst zu einer vollständigen Umgestaltung des stilistischen Charakters. Die zierliche Harmonie zwischen Aufgesang und Abgesang ist gestört, der einschmeichelnde musikalische, lyrische Charakter des Sonetts wesentlich beeinträchtigt. Die natürliche Folge der neuen metrischen Struktur ist, daß ein Hauptgedanke in drei Vierzeilen ausgesponnen, oder daß drei Gedanken gleichmäßig aneinandergereiht werden, und daß dann im Schlußreimpaar gleichsam das Fazit gezogen und daß der Schluß epigrammatisch zugespitzt wird. Der Aufgesang schwillt zu zwölf Versen an, der Abgesang schrumpft zu einem Reimpaar zusammen. Im allgemeinen ist dieses Reimpaar stilistisch gleichsam die Achillesferse des Shakespeareschen Quatorzains; es ist hier und da forciert, mitunter etwas matt und leer, aber zuweilen doch auch sehr wirkungsvoll und glücklich, etwa wie ein Sonnenblick, der durch trübende dunkle Wolken bricht, z. B. in No. 25, 33. Für die Sprache der Leidenschaft, der Zärtlichkeit, der Galanterie ist diese Strophenform weniger geeignet, als die des italienischen Sonetts, wohl aber für Grübelei und spitzfindige Kasuistik. Shakespeares Sonette sind dementsprechend wesentlich Reflexionslyrik. Sie erhalten leicht den Charakter von sinnenden, schwermütigen Monologen, die ja in Shakespeares Dramen ebenfalls häufig durch Reimpaare zum Beschluß epigrammatisch zugespitzt werden. Allerdings wirkt die Tradition und der Stil der echten Sonettdichtung auch bei Shakespeare noch etwas nach, wie sich ganz deutlich im rhetorischen Aufbau vieler Sonette beobachten läßt. Die alte Zweiteilung in Aufgesang (zwei Vierzeilen) und Abgesang (zwei Terzinen) ist noch nicht ganz beseitigt. Sie gibt sich noch darin kund, daß der Dichter bestrebt ist, nach dem achten Verse eine rhetorische Pause zu machen. In der Tat ist nicht nur gewohnlich der Schluß

II. Die Freundschaftssonette.

77

des achten Verses durch ein stärkeres Interpunktionszeichen (Punkt, Fragezeichen, Ausrufungszeichen, Kolon, mindestens Semikolon) markiert, sondern der neunte Vers wird auch meist durch rhetorisch bedeutsame Worte, besonders Interjektionen eingeleitet, so durch 0 (No. 10, 19, 21, 22, 23, 32, 39, 61, 65, 71, 72, 76, 95, 114, 119, 120), Ah (No. 104), Aye me (No. 41), Alas (No. 115), Look (No. 9, 77), No (No. 121, 125), But (No. 7, 14, 18, 44, 54, 62, 93), Yet (No. 29, 78, 97), Now (No. 24, 107, 110, 124), So (No. 16, 17, 37, 47, 52, 74, 106), Even so (No. 33), Thus (No. 118). Anderseits ist mitunter nur eine schwache Pause vor dem Reimpaar, z. B. in No. 41, 44. Wenn nun, wie es zuweilen geschieht, die ersten beiden Vierzeilen durch einen gewissen Parallelismus in der rhetorischen Struktur oder durch Anaphora markiert werden, so ergibt sich allerdings mitunter eine Form des Quatorzains, die der des eigentlichen Sonetts stilistisch noch sehr nahe steht, z. B. in No. 6 1 : Is it thy will thy image should keep open My heavy eyelids to the weary night? Dost thou desire my slumbers should be broken, While shadows like to thee do mock my sight? Is it thy spirit that thou send'st from thee So far from home into my deeds to pry, To find out shames and idle hours in me, The scope and tenure of thy j e a l o u s y ? 0, no! thy love, though much is not so great: It is my love that keeps mine eye awake; Mine own true love that doth my rest defeat, To play the watchman ever for thy sake: For thee watch I whilst thou dost wake elsewhere, From me far off, with others all too near.

Hier schimmern die beiden Stollen des Aufgesanges und der Abgesang noch deutlich durch (ähnlich z. B. in No. 12, 15, 76). Das rhetorische Verhältnis von Aufgesang und Abgesang kann bei dieser mehr lyrischen Art von Quatorzains sehr verschieden sein: Frage und Antwort, Vordersatz und Nachsatz (z. B. No. 12, 29), Reflexion und Apostrophe (z. B. iso. 40), Betrachtung und Resume (z. B. No. 106), Gleichnis und Anwendung (z B. No. 33, 47). In der Tat lassen sich manche der 'Sonette' als 'lyrisch' auffassen und stilistisch unter diese Rubriken bringen. Bei anderen Quatorzains Shakespeares ist die ursprüngliche stilistische Sonett-Struktur mehr oder weniger verwischt und die rhetorische Hauptpause hinter den zwölften Vers verlegt; die drei

78

II. Die Ereundschaftssonette.

Quatrains sind zu einer rhetorischen und stilistischen Einheit zusammengefaßt, der das Reimpaar als Cauda lose angehängt ist, z. B. in dem berühmten Sonett No. 66 'Tired with all thèse', aber auch z. B. in No. 30, 34, 42, 45, 49, 50, 51, 57, 58, 64 usw. Man kann also zwei stilistische Spielarten des Shakespeareschen Quatorzains unterscheiden: eine lyrische, sonettartige, und eine dramatische, monologartige. In den früheren Sonettgruppen (No. 127—152, 1—22) sind die beiden Varietäten noch nicht sehr ausgeprägt, da ja der Dichter zunächst nach jedem Verspaar, ja fast nach jedem Verse eine Pause zu machen liebt, infolgedessen die rhetorischen Hauptpausen nicht so deutlich hervortreten. Später wird bald diese, bald jene stilistische Form angewandt, und zwar, wie es scheint, die lyrische Form mehr in pathetischer Apostrophe, die dramatische mehr im grübelnden Selbstgespräch (z. B. No. 50, 51, 64, 66, 75). Man kann aber wohl kaum eine besondere Vorliebe für die eine oder andere stilistische Spielart in einer der Sonettgruppen nachweisen. Uberhaupt sind die stilistischen Unterschiede zwischen den einzelnen Sonetten und Sonettgruppen nicht sehr erheblich. Auch aus diesem Grunde ist wohl kaum anzunehmen, daß die Abfassungszeit sich über eine lange Reihe von Jahren erstreckt hat. Immerhin läßt sich beobachten, daß in den noch von Daniel und Sidney beeinflußten, also vermutlich frühesten Sonetten (No. 127—152, 1—22) der Satzbau verhältnismäßig einfach und gleichsam kurzatmig ist, daß allmählich dagegen ein kunstvollerer und längerer Periodenbau üblich wird, und infolgedessen pausenlose Versschlüsse öfter vorkommen. Die gewöhnliche, inhaltlich begründete, Annahme, daß in den Sonetten 1—126 die chronologische Reihenfolge ziemlich gut gewahrt ist, wird durch metrische und stilistische Kriterien durchaus gestützt. In den ersten 42 Sonetten kommen nur spärliche und leichtere Fälle pausenloser (schwacher) Versausgänge vor: 3, 7—8, 4, 1—2, 5, 1—2, 13, 1 - 2 , 6 - 7 , 16, 1—2, 26, 1—2, 30, 1 - 2 , 41, 7—8. Später werden sie allmählich häufiger und auffallender: 45, 11-12, 46, 9 - 1 0 , 11—12, 51, 1—2, 53, 5 - 6 , 55, 1—2, 56, 5—6, 7—8, 57, 1—2, 58, 10—11, 59, 9—10, 63, 4—5, 64, 5—6, 65, 5 - 6 , 67, 13—14, 70, 5—6 usw. Aus den Sonetten 1 0 4 - 1 2 5 hebe ich noch hervor: 104, 3—4, 105, 3—4, 106, 1—2, 7—8, 9 - 1 0 , 107, 1—2, 108, 9—10, 109, 9—10, 110, 10—11, 111, 6—7, 112, 5—6, 9—10, 115, 3—4, 116, 1—2, 118, 9 - 1 0 , 121, 9—10, 122, 7 - 8 , 124, 6 - 7 , 125, 5—6.

79

II. Die Freundschaftssonette.

Andererseits sind in den ersten 45 (53?) Sonetten stärkere Satzpausen im Verse (Punkt, Fragezeichen, Kolon) ganz unüblich. Das erste Beispiel bietet No. 46 (54); in den spätesten Sonetten kommen mehrere markante Fälle vor (No. 99, 101, 104, 109, 110, 116, 117). In solchen Äußerlichkeiten zeigt sich, daß die Satzrhythmik und der Stil sich allmählich, und zwar ziemlich stetig, doch etwas geändert hat. Ähnliches gilt,' in bezug auf Vers- und Satzmusik und Klangmalerei. In den ersten Sonetten schwelgt der Dichter noch in melodischen Effekten und Klangspielereien: Binnenreime, Assonanzen, Stabreime werden reichlich eingestreut, z. B. in No. 1, 3, 6, 8, 9, 12, 16, 18, 21. 30, 35. 40. Später werden solche Kunstmittel doch nur selten und spärlich, diskret und, wie es scheint, mit einer bestimmten Absicht angewandt (z. B. in No. 48, 60, 65, 68, 83, 84, 85, 86, 102, 107, 114, 116).') Das Spiel mit Wortechos und Antimetabole, zunächst sehr im Schwang, wird allmählich aufgegeben oder doch später nur mäßig geübt. 2 ) Antithesen sind durchweg beliebt, z. B. noch in No. 95, 119, 121; aber nur in den früheren Sonetten kann man eine Art Antithesensucht beobachten, z. B. in No. 1, 4, 10, 11, 17, 1 8 , 4 2 , 4 8 . Anaphora kommt vornehmlich in den mittleren Sonetten zuweilen vor, besonders um die Quatrains zu markieren, z. B. in No. 30, 49, 51, 61, 64, 66, 73, 76, 86, 91, 94, 96, 104. Wer diese Rhythmik und Rhetorik mit der in Shakespeares Dramen und epischen Gedichten üblichen aufmerksam vergleicht, wird finden, daß die früheren Sonette der Lucretia, aber auch Dramen wie Romeo und Julia, Veroneser, Sommernachtstraum sehr nahe stehen. Die späteren Sonette weisen einen etwas reiferen und schmuckloseren Stil auf, der eher an Richard II. und den Kaufmann von Venedig erinnert (vgl. Shakespeare-Jahrbuch XXXII, 153). Deutlicher zeigt sich die Stilähnlichkeit noch in der Bildersprache und in der Darstellungsweise. Hermann Isaac hat in seiner dankenswerten Abhandlung (Shakespeare-Jahrbuch XIX, 184ff.) Autoreminiszenzen zu den Sonetten gesammelt. Aus dieser Sammlung geht sehr deutlich hervor, daß die früheren Sonette mit Venus und Adonis und Lucretia, aber auch mit Romeo ') In der Einleitung von Wyndhams Ausgabe 'The Poems

of Shakespeare'

p. CXLIIff. ist die 'Wortmelodie' in den Sonetten feinsinnig erörtert. -) z. B. in No. 1, 4, 6, 8, 11, 13, 18, 20, 23, 24, 28, 31, 32, 35, 36, 39, 40, 43, 44, 64, 78, 82, 101, 104, 105, 119, 120, 121.

80

II. Die Freundschaftssonette.

und Julia und den anderen Dramen dieser Periode sich sehr oft im Ausdruck berühren, daß die späteren Sonette aber auch manche Übereinstimmungen mit etwas späteren Dramen aufweisen. Besonders nahe scheint den früheren und mittleren Sonetten die epische Dichtung von Lucretia zu stehen. Ein Grundgedanke, der den ganzen Sonettenzyklus von den frühesten bis zu den spätesten wie ein roter Faden durchzieht: die zerstörende Wirkung der Zeit und der Kampf gegen diese Zerstörung, ist aus einer Apostrophe der Lucretia gleichsam herausgesponnen (Lucr. 925—1001). Die Sonette No. 15. 16, 19, 64, 65, 115, 123 variieren die Tiraden und Klagen der Lucretia über 'Time'. Aber auch sonst erinnern manche poetische Bilder in den Sonetten gerade an diese epische Dichtung: Tiger und Löwe No. 19 vgl. Lucr. 955, Wolf und Lamm No. 96 vgl. Lucr. 878, fliegende Krähe No. 70 vgl. Lucr. 1010, die durch Schlamm getrübte Quelle No. 35 vgl. Lucr. 850, Blumen zwischen Unkraut No. 94 vgl. Lucr. 870, Ringelblume No. 25 vgl. Lucr. 397, Süß wird sauer No. 94 vgl. Lucr. 867, Wurm, der an der Knospe nagt, No. 35, 70 vgl. Lucr. 848, Antlitz, mit Landkarte verglichen, No. 68 vgl. Lucr. 1712, Geizhals No. 52, 75 vgl. Lucr. 855, Juwelen, aus einem Kästchen gestohlen, No. 48, 52 vgl. Lucr. 1056. Wenn auch einige dieser Vergleiche konventionell sind und vom Dichter auch sonst (aber fast ausschließlich in Jugenddichtungen!) angewandt werden, so geht doch aus so mehrfachen Ubereinstimmungen in Gedanken und Vergleichen mit einiger Wahrscheinlichkeit hervor, daß die Sonette ungefähr derselben noch jugendlichen Periode der dichterischen Entwicklung angehören, wie Lucretia (1593). Immerhin weist der Stil der meisten Sonette auf eine etwas spätere, reifere Phase der dichterischen Entwicklung hin. 1 ) Auch Romeo und Julia, Veroneser, Sommernachtstraum enthalten manche Parallelen zu den früheren, mitunter auch zu späteren Sonetten, besonders das erstere Drama (vgl. C. F. McClumpha Modern Language notes XVI, 328 — Shakespeare-Jahrbuch XL, 187). Das euphuistische Gleichnis von der Rosenessenz (No. 5 , 6 , 5 4 ) kehrt im Sommernachtstraum (I, 1) wieder. Der Grundgedanke des 27. Sonetts (Pilgerfahrt liebender ') Die jugendlichen Stilkünste und Stilkunsteleien beherrschen die poetische Technik nicht mehr so ausschließlich wie in 'Lucrece'. Vollgemessene Verbalformen auf -eth, in Lucrece noch recht häufig, sind in den Sonetten schon erheblich seltener:

reeleth

( 2 0 , 6, 8), disdaineth,

(7, 10), debateth stameth

(15, 11), presenteth

(33, 13, 14), Jadeth

( 1 5 , 3), gazeth,

( 7 3 , 6), maketh

(113,

14).

amazeth

II. Die

Gedanken)

81

Freundsohaftssonette.

erinnert auffallend

an

das S y l v i a - S o n e t t

in

den

beiden

V e r o n e s e r n ; das Concetto, welches das Phantasiebild des Freundes m i t e i n e m J u w e l in dunkler Nacht vergleicht ( 2 7 , 1 1 ) , ist ganz i m S t i l von Romeo (I, 5).

I n dem

unmittelbar

folgenden,

eng m i t

No. 27

zu-

sammengehörenden S o n e t t gemahnen die Concetti des letzten Quatrains ebenfalls deutlich an die Hyperbeln von Romeo und J u l i a ( I I , 2 ) . Vereinzelt finden sich Ausdrucksparallelen wie zu den all erspätesten

zu den allerfrühesteD,

Dichtungen.

S o sind z. B . die V e r s e in Nr. 4 1 : G e n t l e t h o u a r t , a n d t h e r e f o r e to be w o n , B e a u t e o u s t h o u a r t , therefore to be a s s a i l e d ; A n d w h e n a woman woos, what w o m a n ' s son W i l l s o u r l y l e a v e h e r till he h a v e

prevailed?

wie bekannt, eine deutliche Reminiszenz an einige Verse aus Henry V I . und T i t u s Andronicus.

Und der V e r s

W i t h i n the g e n t l e c l o s u r e of m y b r e a s t (Nr. 4 8 , 1 1 )

erinnert auffallend an V e n u s and Ad. V . 7 8 2 : I n t o the q u i e t c l o s u r e of m y b r e a s t .

Andererseits ist eine S t e l l e aus Nr. 2 9 : H a p l y I think o n thee, a n d t h e n m y L i k e to the L a r k a t b r e a k of d a y From

state,

arising

sullen e a r t h , s i n g s h y m n s a t H e a v e n ' s

gate

auffallend ähnlich einigen V e r s e n des bekannten S t ä n d c h e n s aus Cymbeline, wie oft genug hervorgehoben wurde. Chronologische Folgerungen lassen sich natürlich aus solchen vereinzelten A n k l ä n g e n n i c h t ziehen, im ersten F a l l e auch darum nicht, weil die betreffenden V e r s e

beinahe sprichwörtlich geworden

waren,

im letzten F a l l e auch aus dem Grunde nicht, weil das in Cymbeline eingelegte Lied viel früher gedichtet sein kann.

Das ist sogar wahr-

scheinlich, weil, wie b e k a n n t , eine Reminiszenz an ein L i e d aus L y l y s Campaspe ( V , 1 , 3 7 ) zugrunde liegt, ein altes S t ü c k , welches Shakespeare in seinen späteren Lebensjahren gewiß schon ziemlich vergessen hatte. Viele

andere Gedankenparallelen,

die

indessen

besagen, hat H. I s a a c a. a. 0 . angeführt. wenig Berührungen

m i t den

m i t den späteren D r a m e n ,

recht

und

noch

viel

weniger

viele m i t denen, die um

die Mitte der 9 0 e r J a h r e gedichtet sind. S a r r a z i n , Aus Shakespeares Meisterwerkstatt.

wenig

I m ganzen h a b e n die Sonette

allerfrühesten,

dagegen

chronologisch

6

82

II. Die Freundschaftssonette.

Spätere Sonette gemahnen in ihrer Bildersprache mehr an etwas spätere Dramen als die bisher erwähnten, z. B. Nr. 68, 3 (an den Kaufmann von Venedig) Before these bastard signs of fair were born, Or durst inhabit on a living brow; Before the golden tresses of the dead, The right of sepulchres, were shorn away, To live a second life on second head; Ere beauty's dead fleece made another gay: In him those holy antique hours are seen, Without all ornament itself and true, Making no summer of another's green, Robbing no old to dress his beauty new.

Ein ähnlicher absonderlicher Gedanke wird von Bassanio mit ähnlichen Worten ausgesprochen (Merch. III, 2, 88): Look on beauty, And you shall see 't is purchased by the weight; — So are those crisped snaky golden locks Which make such wanton gambols with the wind, Upon supposed fairness often known To be the dowry of a second head, The skull that bred them in the sepulchre. Thus ornament is but the guiled shore To a most dangerous sea; the beauteous scarf "Veiling an Indian beauty 1 ) — — —

Es ist natürlich schwer zu sagen, welche von diesen beiden Stellen die früher gedichtete ist; aber bemerkenswert ist es doch, daß die Sitte der Damen, falsches blondes Haar zu tragen, damals besonders in Venedig üblich, also gerade für den Venetianer Bassanio ein naheliegender Gedanke war. In England mag dergleichen gelegentlich auch vorgekommen sein, aber doch sicher nicht als weit verbreitete Mode. Eine andere Gedankenparallele bietet das 102. Sonett verglichen mit Merch. V, 1. 103 (Gesang der Nachtigall von dem anderer Vögel übertönt). In dem unmittelbar vorhergehenden, eng zusammengehörenden Sonett (102, 11) ist von einem vergoldeten Grabe (gilded tomb) die Rede, ebenso wie in Merch. II, 8, 69. 'Der Schleier der Schönheit' wird auch im 95. Sonett erwähnt ( Where beauty's veil doth cover every blot). Dasselbe Sonett enthält in seinem Hauptgedanken (in what sweets dost thou thy sins enclose!) ebenfalls eine Parallele zu jenem Monolog Bassanios (Merch. III, 2, 81).

83

II. Die Freundschaftssonette.

Der Anfangsvers von Nr. 81 'Or I shall live your epitaph to make ' erinnert auffallend an Merch IV, 1, 117: You cannot better be employ'd, Bassanio Than to live still and write mine epitaph.

Uberhaupt scheinen in mehreren der mittleren und späteren Sonette dem Dichter dieselben Bilder und Situationen vorzuschweben, welche er in diesem Drama poetisch gestaltete. Schon in zwei der frühesten Sonette (Nr. 133, 134) hatte er die Geliebte mit einem hartherzigen Wucherer verglichen, der nicht nur seinen Schuldner, sondern auch dessen Freund, der sich für ihn verbürgt hat, durch Kerkerhaft, Folterung und eine Herzenswunde büßen läßt. Auch der Freund wird mit einem Wucherer verglichen (Nr. 6). Mehrere der späteren Sonette spielen auf einen reichen Geizhals an, der Schätze, Juwelen in Kisten verbirgt und verschließt und trotzdem Diebstahl fürchtet (Nr. 48,52,75). Wieder in anderen, eng mit jenen zusammenhängenden ist von Schuldverschreibungen die Rede (Nr. 87, 117) von einer Verhaftung und von dem Messer eines Elenden, welches den Tod bringen kann (Nr. 74), von einer Gerichtsverhandlung, durch die ein Zivilprozeß entschieden wird (Nr. 46). Und wenn der Dichter in einem anderen Sonette das Phantasiebild einer Meeresfläche (Ocean) heraufbeschwört, auf der kleine Barken neben stolzen Segelschiffen sich schaukeln (Nr. 80), so liegt es wenigstens nahe, an eine ganz ähnliche Schilderung in der ersten Szene des Kaufmanns von Venedig zu denken: Your mind is tossing on the ocean; There, where your argosies with portly sail, Like signiors and rich burghers on the flood. Or, as it were, the pageants of the sea, Do overpeer the petty traffickers, That curtsy to them, do them reverence, As they fly by them with their woven wings.

Solche Ubereinstimmungen können zufällig und bedeutungslos sein. Sollte sich aber aus anderen Gründen herausstellen, daß diese Sonette um dieselbe Zeit abgefaßt sind wie das Drama, so würden die Parallelen bedeutungsvoll und psychologisch interessant werden; sie würden zeigen, daß der Dichter, als er an seinem Freundschaftsdrama schrieb, zugleich auch seinem Freunde in diesen Sonetten huldigte, und daß die Sonette von den dramatischen Entwürfen und ihrer Ausarbeitung gleichsam befruchtet wurden. Bei den Historiendramen ist ein solcher Einfluß weniger zu erwarten, weil sie wenig inhaltliche Beziehungen zu den Freundschafts6*

84

II. Die Freundschaftssonette.

Sonetten haben. Immerhin erzählt der Dichter doch im 106. Sonett von einer Chronik, die er liest, und von alten Gedichten, in denen stattliche Ritter und Edeldamen gepriesen werden. Man darf wohl an die Chronik von Holinshed denken, vielleicht auch an Gedichte von Chaucer oder Daniel. Wörtliche Reminiszenzen an Richard III., König Johann, Richard II. sind von Hermann Isaac nachgewiesen worden. Besonders auffallend ist der übereinstimmende Vergleich der Sonne mit einem Alchymisten (Nr. 33, King John III, 1, 78), ferner das Bild von Juwelen, die aus einem Kästchen geraubt sind (Nr. 48, 52, 73, King John V, 1, 40). Die häufigen Hinweise auf Tod und Begräbnis, Totenbett (Nr. 73), Totenglocke (Nr. 71) Gräber und Grabmäler (Nr. 1, 4, 6, 17, 31, 32, 55, 68, 71, 72, 77, 81, 83, 107) haben gerade in den Historien von König Johann und Richard II. Parallelen, wo ähnlich düstere Gedanken mit hypochondrischer Selbstquälerei ausgesponnen werden, z. B. King John II, 1, 354, III, 3, 40, III, 4, 25, Richard II, V, 1, 38, III, 3, 153. Auch sonst bewegen sich die späteren Sonette ungefähr in denselben Gedankenkreisen wie die Historien. Von einem Hinterhalt (Nr. 70), von der Nachhut eines geschlagenen Heeres (Nr. 90), von Empörung und Belagerung (Nr. 65, 109), von Laufgräben (Nr. 60), ist gelegentlich, von Kämpfen, Seefahrten (z. B. Nr. 116, 117), Reisen oft die Rede, auch von Gesandtschaften (Nr. 26, 45), von Krönung (Nr. 107, 114), von höfischen Schmeichlern (Nr. 114) und von einem enterbten Bastard der Fortuna (Nr. 124). Bald vergleicht sich der Dichter mit einem Tyrannen (Nr. 120), oder Monarchen (Nr. 104), oder einem König (Nr. 87), bald mit einem Vasallen (Nr. 58), mit dem Träger eines Baldachins (Nr. 125). Manche der von H. Isaac hervorgehobenen Gedankenparallelen, die zwischen den späteren Sonetten und den Historien von Heinrich IV. bestehen (z. B. Sonn. 118 — Henry IV, B, IV, 1, 54—66) sind ebenfalls bedeutsam; aber im ganzen erinnern im Ausdruck wie in Gedanken auch die späteren Sonette mehr an frühere und mittlere Historien, besonders an Richard II. So gemahnen Nr. 50—52, besonders die Anfangsverse im 50. Sonett: How heavy do I journey on the way, When what I seek, my weary travels end Doth teach that ease and that repose to say Thus far the miles are measured from thy friend

85

II. Die Freundschaftssonette.

an die Worte Bolingbrokes (Rich. II. I, 3, 268): — — every tedious stride I make "Will but remember me what a deal of world I wander from the jewels that I love.

Spiegel und Uhr sind mehrfach verwendete Bilder der spätesten Sonette (Nr. 62, 77, 103, 104), wie auch die Requisiten der Monologe Richards II. Sonst wird noch von Alchymie (Nr. 33) und Retorten (Nr. 190), von Giften und heilenden Salben oder Tränken (z. B. Nr. 34, 111, 118, 120) gesprochen. Die meisten dieser Vergleiche sind nicht sehr charakteristisch, stimmen aber in ihrer Gesamtheit am besten zum Sprachgebrauch und Gedankenschatz der mittleren Historien (König Johann, Richard II). Daher ist es vielleicht bedeutsam, wenn der Freund mehrfach mit einer Rose verglichen wird (Nr. 54, 67, 105, 109), ebenso wie Richard II. Bei der großen, bis in die späteste Lebenszeit festgehaltenen Vorliebe des Dichters für Blumen sind allerdings die mehrfachen Blumenvergleiche (Lilie, Rose in Nr. 98, Veilchen, Rose, Lilie, Majoran in Nr. 99) leicht erklärlich, auch wenn sie nicht durch ähnliche in einem Sonett Constables angeregt sein sollten. In einigen Sonetten gemahnt die Bildersprache allerdings auch auffallend an Stellen aus dem ersten Teil von Henry IV., worauf besonders Beeching (Sonnets of Shakespeare p. XXV) aufmerksam gemacht hat. Sonn. 33, 1.

Full many a glorious morning have I seen Flatter the mountain-tops with sovereign eye A n o n permit

the basest clouds to r i d e

With ugly rack on his celestial face, And from the forlorn world his visage hide, Stealing unseen to west with this disgrace. Henry IV. A. I, 2, 221. Yet herein will I imitate the sun, W h o d o t h permit t h e base c o n t a g i o u s

clouds

To smother up his beauty from the world.

Hier ist der wörtliche Anklang sehr auffällig. Die unmittelbar folgenden Verse im Drama aber scheinen den Gedanken des unmittelbar folgenden Sonetts weiter zu spinnen. Henry IV. A. I, 2, 224. That when he please again to be himself Being wanted, he may be more wonder'd at.

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II. Die Freundschaftssonette. By breaking through the foul and ugly mists Of vapours that did seem to strangle him. Sonn. 33, 5. 'T is not enough that through the cloud thou break To dry the rain on my storm-beaten face.

In den beiden Sonetten ist ein, wie es scheint, aus unmittelbarer Naturanschauung (33, 1—4) entsprungenes Gleichnis breit und sorgfältig ausgeführt; im Drama ist es nicht ganz so anschaulich und etwas mehr komprimiert. Die Sonette scheinen also dem Drama voranzugehen, aber der Dichter hat sie offenbar noch in ziemlich frischer Erinnerung gehabt. Ähnlich ist folgende Parallelstelle zu beurteilen: Sonn. 52, 5. Therefore are feasts so solemn and so rare, Since, seldom coming, in the long year set, Like stones of worth they thinly placed are, Or captain jewels in the carcanet. So is the time that keeps you as my chest, Or as the wardrobe which the robe doth hide — Henry IV., A., Ill, 2, 56. My presence, like a robe pontifical Ne'er seen but wonder'd at: and so my state, Seldom but sumptuous, show'd like a feast And won by rareness such solemnity.

Hier zeigt schon der Stil die Priorität des Sonetts. Der Wechsel der Jahres- und Tageszeiten, Mond, Sterne, Sonnenschein, Regen, Sturm u. dgl. bietet natürlich auch sonst für unseren Dichter eine unerschöpfliche Quelle von Vergleichen, über die aber nicht viel zu sagen nötig ist. Nur zeigt sich, daß diese Quelle für Shakespeare frischer sprudelt, als für die meisten seiner Zeitgenossen; denn die Schilderungen und Vergleiche sind meist lebendiger und realistischer ausgeführt und scheinen oft aus unmittelbarer Anschauung zu stammen, z. B. in den schönen Sonetten Nr. 33, 34, 73, 97, 98, 102. Kunstinteressen verraten sich in den häufigen Anspielungen auf Gemälde (Nr. 20, 24, 46, 47) und Statuen (Nr. 55). Weniger entsprechen manche andere Concetti dem modernen Geschmack, z. B. die öfters wiederkehrende Personifikation der Zeit (mit Stundenglas und Hippe, wie der Tod): Nr. 115, 116, 117, 126 (vgl. King John III, 1, 324); sonstige Personifikationen abstrakter Begriffe wie Verdienst, Autorität, Torheit (Nr. 66), Vergleich des Antlitzes mit einer Landkarte (Nr. 68), Streit zwischen Auge und Herz (Nr. 46), spitzfindige Erörterungen über die Wirkung der vier Elemente (Nr. 44, 45), über philosophische Begriffe wie Substanz und Schatten (—Accidens): Nr. 53. Auch

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dafür lassen sich meist Parallelen aus den epischen und dramatischen Dichtungen, besonders denen der früheren Perioden, beibringen. 1 ) Der Dichter folgt hier dem Zeitgeschmack und der Tradition des Petrarchismus (Petrarcas Trionfi). Klassische Anspielungen sind selten: Musen, Sirenen (119), Adonis, Helena (53), Mars (55), Saturn (98), Auguren (107). Originell ist der Vergleich der Schönheit des Freundes mit dem verführerischen Apfel der Eva (Nr. 93). Shakespeare hat im ganzen keine allzu große Vorliebe für biblische Vergleiche, aber im Kaufmann von Venedig a ) und in Richard II. zeigt sich verstärktes Interesse für die Heilige Schrift. Da gerade die Sonette dieser Gruppe einen näheren Zusammenhang mit Richard II. nahelegen, so ist vielleicht die folgende Gedankenparallele beachtenswert: Rich. II. III, 4, 75.

What Eve, what serpent, hath suggested thee, To make a second fall of cursed man.

Religiöse oder kirchliche Interessen verraten sich noch in einigen anderen Sonetten dieser Gruppe: 85, 6.

A n d like unletter'd clerk still cry 'Amen' To every Hymn that able spirit affords In polish'd form of well refined pen,

was an eine Stelle aus Rich. II. IV. 1, 173 erinnert: 'Am I both priest and clerk? well then, amen.' 108, 5. but yet, like prayers divine I must each day say o'er the very same. 110, 13.

T h e n give me welcome, next my heaven the best, E v e n to thy pure and most loving breast. 125, 9. No, let ine be obsequious in thy heart, Ant take thou my oblation, poor but free.

Der feierliche Stil der letzten Sonette gemahnt auch sonst zuweilen an biblische Bilder und Wendungen: all frailties that besiege all kinds of blood (109, 10), potions of eisel (111, 10), my adder's sense (112, 10), cherubins (114, 6), even to the edge of Doom (116, 12).

Im Zeitalter des Humanismus hängte die Dichtung mehr als heutzutage ein gelehrtes Mäntelchen um. So ist es begreiflich, daß J ) Z. B. Henry VI. III, 1, 203 (.in thy face I see the map of honour), Antony Y, 2, 292 (vier Elemente), Merch. III, 2, 128 (substance, shadow), Lucr. 50ff. (Streit zwischen Schönheit u n d Tugend). 2

) Vgl. Merch. of Ven. I, 3, 112: 'A goodly apple rotten at the heart'.

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auch Shakespeare manche Sonette wissenschaftlich, philosophisch einkleidete und verbrämte. Er philosophiert über die Begriffe Schönheit, Wahrheit, Zeit, Unsterblichkeit, Substanz, Schatten, Liebe, Freundschaft in Ausdrücken und Wendungen, in welchen Kenner den mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß Platonischer Philosophie vermutet haben. Daß der Dichter etwa Piatons Phaedrus im Original oder in Ubersetzung gelesen, braucht darum nicht angenommen zu werden. Platonische Ideen waren damals in so vielfacher Weise durch 'Akademien', auch durch Dichter, popularisiert worden, daß sie fast als Gemeingut der Gebildeten bezeichnet werden konnten. Besonders sind Thomas Hobys Übersetzung von Baldassarre Castigliones Cortegiano (London 1561) und Spensers Hymnen auf irdische und himmlische Schönheit (London 1596) als Vermittler platonischer Ideen hervorgehoben worden. 1 ) Die zitierten Gedankenübereinstimmungen genügen aber wohl kaum, um den Schluß zu rechtfertigen, daß Shakespeare gerade diesen Büchern seine Philosophie verdankt. Auch Watson, Lyly, Greene, Sidney, Daniel haben in ihren Dichtungen schon ähnliche Gedanken ausgesprochen. Obwohl es vergebliche Mühe ist, den Dichter zum Philosophen oder auch nur zum Schüler eines Philosophen stempeln zu wollen, so ist doch eine gewisse Neigung zu philosophischer Grübelei schon in den Jugenddichtungen Shakespeares (z. B. Lucretia, Verlorene Liebesmühe, Romeo) deutlich erkennbar, mehr noch im Kaufmann von Venedig (Bassanios großer Monolog) und in Richard II. (Schlußmonolog des Königs). Wenn also einige der Sonette, z. B. Nr. 66, in ihren philosophierenden Betrachtungen an den Hamlet erinnern, so brauchen sie deshalb doch nicht erst in der Hamlet-Periode gedichtet zu sein. Im Gegenteil, wer das 66. Sonett (Tired with all these) mit dem berühmten Hamlet-Monolog (To be or not to be) sorgfältig vergleicht, wird zu der Überzeugung kommen, daß trotz gewisser inhaltlicher Ähnlichkeit Geist und Stil beider recht verschieden sind, und daß schon wegen der größern Neigung zur Personifikation abstrakter Begriffe das Sonett einer früheren Periode angehören muß. Ahnliche weltschmerzliche Betrachtungen sind in Verbindung mit Selbstmordgedanken schon in der Lucretia (V. 876ff.) ausgesprochen worden, und zwar in ähnlicherem Stil. Auch einen Juristen, oder wenigstens ehemaligen Advokatenschreiber, haben manche Biographen aus Shakespeare machen wollen, ') George Wyndham, Poems of Shakespeaie, Introductiou p. CXX.

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hauptsächlich wegen der allerdings auffallend häufigen Anspielungen auf Gerichtsverhandlungen und Rechtsgeschäfte, die in den Sonetten vorkommen (Nr. 35, 46, 47, 49, 87). Aber es ist in neuerer Zeit nachgewiesen worden, 1 ) daß die juristischen Kenntnisse des Dichters doch nicht sehr tiefgehende und genaue waren, daß er manche Kunstausdrücke falsch anwendete, daß er namentlich vom englischen Kriminalprozeß-Verfahren nur sehr unklare Vorstellungen hatte. Die Vorliebe für juristische Anspielungen und einige Sachkenntnis in Zivilprozessen erklärt sich auch ohne jene Annahme aus Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten, in welche sowohl der Vater John Shakespeare wie sein Sohn William gelegentlich verwickelt waren, vielleicht auch aus den Vorstudien für die Gerichtsverhandlung im Kaufmann von Venedig. Die Häufigkeit solcher Anspielungen in den Sonetten wäre vielleicht noch besser zu verstehen, wenn wir wüßten, wer der Adressat war, und ob er juristische Interessen hatte. Graf Southampton wenigstens hatte die Rechte studiert. Auf seinen Schauspielerberuf hat der Dichter in mehreren Sonetten angespielt (Nr. 23, 110, 111). Dagegen spricht er merkwürdig selten von Ackerbau (Nr. 3, 12) oder von der Jägerei, wofür er doch in seinen frühesten Dichtungen (noch in Venus und Adonis) so viel Interesse verriet. Auch Handwerksbrauch wird nicht oft erwähnt, abgesehen davon, daß der Dichter seinen eigenen Beruf mit dem Handwerk eines Färbers vergleicht (Nr. 111). Der Dichter ist seiner ländlichen Heimat offenbar schon etwas entfremdet; er zeigt mehr die Interessen des Großstädters, des Gelehrten, des Schauspielers und er bewegt sich mit seinen Gedanken gern in aristokratischer Atmosphäre. — Nur in geringem Grade ist die Bildersprache konventionell, meist individuell charakteristisch. Im ganzen ist der Stil und die Darstellungsweise in Shakespeares Sonetten ungleich origineller als in denen seiner Zeitgenossen, z. B. Sidney, Daniel, Spenser. Trotz aller Bemühungen neuerer Forscher (Sidney Lee, Wyndham, Hermann Conrad) ist ein sicherer Einfluß früherer englischer, französischer, italienischer Sonette auf Shakespeares Dichtung nur in sehr geringem Grade nachgewiesen worden. Die Untersuchung der äußeren Stileigentümlichkeiten ergibt somit einigen Anhalt für die Beurteilung der Dichtungen und des Dichters. Ch. Allen, Notes on the Bacon-Shakespeare Question (Boston and New York 1900) p. l l l f f .

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Zunächst zur Entscheidung der Frage, ob wir hier bloße rhetorische Stilübungen, etwa virtuose Variationen über das Thema der Freundschaft, einen Freundschaftsroman, oder Schmeicheleien — oder wahrhafte Herzensergüsse vor uns haben. Ein gewisser Einfluß der hergebrachten stilistischen Technik des Sonetts ist auch bei Shakespeare unleugbar. Manche konventionelle Stileigentümlichkeiten (Antithesen, Anaphora, Antimetabole, Personifikation, Concetti, typische Vergleiche: Sonne, Mond, Sterne, Blumen, Seefahrt) wirken noch nach, besonders in den früheren Sonetten. Einige der Sonette machen daher in der Tat den Eindruck von Stilübungen. Daß der Dichter seinen Stil an dem früherer Sonettisten (Sidney, Daniel, vielleicht auch Constable) gebildet hat, ist kaum zu bezweifeln. Es kann wohl auch zugegeben werden, daß einige dieser Gedichte unter dem Druck einer gewissen moralischen Verpflichtung — invita Minerva — geschrieben sind. Vielleicht sind einige ursprünglich einer Geliebten gewidmete Gedichte später dem Gönner zugeeignet worden. Manches ist allzu spitzfindig ausgeklügelt, bei anderen Sonetten drängt sich die Empfindung auf, daß der Dichter von anderen dichterischen Gedanken, dramatischen Plänen und dergleichen stark in Anspruch genommen war und diese Sonette mehr als Nebenarbeit betrachtete. „Klinge, klinge, mein Pandero, doch an Andres denkt mein Herz."

Nachdem dies alles zugegeben und in Abzug gebracht ist, bleibt indessen doch noch die Hauptmasse der Sonette als eine Gedichtsammlung von hohem poetischem Werte, tiefer Empfindung und großer Originalität übrig. Die Eigenart der Ausdrucksweise gibt eine Gewähr für die Echtheit und Aufrichtigkeit der in den Gedichten aussprochenen Gedanken. Wäre der Dichter ein Phrasenheld, ein Heuchler oder Schmeichler gewesen, so hätte er sich seine Aufgabe viel bequemer machen können; er wäre dann jedenfalls von seinen Vorbildern abhängiger geblieben. Auch die Sonette Spensers und Sidneys sind innerhalb gewisser Grenzen konventionell und phrasenhaft. Trotzdem zweifeln die Literarhistoriker im allgemeinen nicht an der Echtheit und Wahrheit der in ihnen ausgesprochenen Gefühle. Und gerade der größte, der originellste Dichter soll ein Phrasenmacher gewesen sein, wie Sidney Lee und seine Anhänger anzunehmen geneigt sind! Gerade'ihn will man zum verächtlichen Speichellecker herabwürdigen, nur weil er sich

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in einigen dieser Sonette etwas hyperbolisch und phrasenhaft ausgedrückt hat. Ich glaube moderne, besonders englische Kritiker, die an eine etwas kühlere Temperatur des Gefühls und des Gefühlsausdrucks gewöhnt sind, vergessen nur zu leicht, daß Engländer der Tudorzeit lebhafter und heißblütiger waren als ihre Nachkommen, ferner, daß damals die Ausdrucksweise eine andere war, und daß manche Ausdrücke (wie z. B. 'slave', 'servant') eine etwas andere Bedeutung hatten. Endlich scheinen sie zuweilen außer acht zu lassen, daß die sozialen Verhältnisse, die Beziehungen zwischen einem Dichter (besonders wenn dieser zugleich Schauspieler war) und seinem vornehmen Patron ganz andere waren als heutzutage. Die natürlichste Deutung der Freundschafts-Sonette ist die, daß der Dichter von einer zunächst etwas konventionellen, aber ernstgemeinten Huldigung, die er seinem vornehmen Gönner darbrachte, allmählich zu wärmeren und sogar leidenschaftlichen Herzensergüssen überging. Dafür spricht der allmählich ernstere und doch zärtlichere Ton. Damit steht auch die immer origineller und prunkloser werdende Fassung der Gedanken im Einklang. Die sicherste Gewähr für die Wahrheit dieser lyrischen Gedichte liegt indessen in der fast beispiellosen, mitunter sogar peinlichen Ungeschminktheit und Offenheit der dargelegten Gefühle und Stimmungen. Die stetig zunehmende Zärtlichkeit und Intimität, der allmähliche Übergang von Verehrung und Schwärmerei zu wirklicher Freundschaft, spiegelt sich auch in den Formen der Anrede wider. In den ersten zwölf Sonetten sind die Worte Hove\ ifrien