Aufklärung, Band 32: Feministische Aufklärung in Europa / The Feminist Enlightenment across Europe 9783787338696, 9783787338689

Wie aufgeklärt war die europäische Aufklärung im Hinblick auf rechtliche, politische, gesellschaftliche, religiöse und k

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Aufklärung, Band 32: Feministische Aufklärung in Europa / The Feminist Enlightenment across Europe
 9783787338696, 9783787338689

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AUFKL ÄRUNG   Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des BAND 32 ·JAHRGANG 2020

18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte

Isabel Karremann | Gideon Stiening (Hg.)

Feministische Aufklärung in Europa • The ­Feminist Enlightenment across ­Europe abhandlungen  von Antoinina Bevan Zlatar, Astrid Dröse, Marion Heinz, Dieter Hüning, Isabel Karremann, Annette Keilhauer, Claudia Opitz-Belakhal, Pam Perkins, Ina Schabert, Lieselotte Steinbrügge, Gideon Stiening, Lily Tonger-Erk und Miriam Wallraven kurzbiogr aphie  Marianne Ehrmann (1755–1795) diskussion  Beiträge von Barbara Becker-Cantarino und Gillian Dow aktuelle debatte  Bernd Dörflinger: Kants Theorie der Menschenrassen

AUFKLÄRUNG Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte

Herausgegeben von Martin Mulsow, Gideon Stiening und Friedrich Vollhardt Redaktion: Udo Roth

Band 32 · Jg. 2020

Thema: Feministische Aufkl-rung k Herausgegeben von Isabel Karremann und Gideon Stiening

FELIX MEINER VERLAG

ISSN 0178 – 7128 Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch für die Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. – Herausgegeben von Martin Mulsow, Gideon Stiening und Friedrich Vollhardt. – Redaktion: Dr. Udo Roth, Ludwig-Maximilians-Universität München. V Felix Meiner Verlag 2020. Das Jahrbuch und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Printed in Germany. www.meiner.de/aufklaerung

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Isabel Karremann / Gideon Stiening: Feministische Aufklärung in Europa – Skizze eines Forschungsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Marion Heinz: Paradigmen europäischer Sozialordnung: Aristoteles und Rousseau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Antoinina Bevan Zlatar: Reading Anne CliffordQs Books in the Company of Samuel Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Isabel Karremann: Religion and the Feminist Enlightenment in England: The case of Mary Astell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Ina Schabert: Utopias of Female Government . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Claudia Opitz-Belakhal: Orientalistische Phantasien in Montesquieus Perserbriefen (1721) und die Debatte über Politik, Polygamie und Geschlechterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Astrid Dröse: Aufklärungsfeminismus und weibliche Poetik: Christiana Mariana von Ziegler zwischen Salonkultur und Gottsched-Kreis . . . . . . 123 Lily Tonger-Erk: Sieg der Beredsamkeit: Luise Gottsched als Rhetorikerin 145 Gideon Stiening: Feministische Vorurteilskritik. Dorothea Christiane Leporins Argumente wider das Verbot des Frauenstudiums . . . . . . . . . . 173 Annette Keilhauer: Weibliche Selbstthematisierung zwischen Selbstfindung und feministischer Gesellschaftskritik in der Histoire de Madame de Montbrillant von Louise dQPpinay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Lieselotte Steinbrügge: FranÅoise de Graffigny und Anne Robert Jacques Turgot im Streit um die Weibliche Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Dieter Hüning: „Soll es denn aber immer mit dem andern Geschlecht so bleiben, wie es war und ist?“ Aufklärung und Emanzipation in Hippels Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Inhalt

Miriam Wallraven: „O! My Unenlightened Country-Women!“ Education and Enlightenment in Theoretical Feminist Texts of the 1790s . . . . . . . . 267 Pam Perkins: „Enlightened Strangers“: Charlotte Waldie Eaton and Late Enlightenment Educational Travel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

KURZBIOGRAPHIE

Sophie Forst: Marianne Ehrmann (1755–1795) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

DISKUSSION

Barbara Becker-Cantarino: Feministische Forschung zur Frühen Neuzeit und Aufklärung. Ein Rückblick auf das 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 323 Gillian Dow: Feminisms and Enlightenments. Women Writers, pan-European Exchanges, and the Future Writing of Literary Histories . 351

AKTUELLE DEBATTE

Bernd Dörflinger: Universalismus der Verschiedenheit. Kants naturhistorische Theorie der Menschenrassen – kein Fall von Rassismus 365

Isabel Karremann / Gideon Stiening Feministische Aufklärung in Europa – Skizze eines Forschungsprogramms

I. Aufklärung und Feminismus Wie aufgeklärt war die Aufklärung, wenn sie nicht feministisch war? Dies ist die polemische Variante einer Frage, die man auch in der folgenden Weise formulieren kann: Wie aufgeklärt war die europäische Aufklärung im Hinblick auf rechtliche, politische, gesellschaftliche, religiöse und kulturelle Egalitätspostulate für beide Geschlechter, deren Verwirklichung ein ,Zeitalter der AufklärungR allererst in ein ,aufgeklärtes ZeitalterR transformieren könnte? Die nachfolgenden Beiträge haben sich um Antworten auf diese Fragen bemüht. Dabei entstehen – und dies nicht ohne Kontroversen – in der Gesamtschau der Beiträge die Konturen eines Forschungsprogramms, deren forschungsgeschichtliche, historiographische und systematische Hintergründe und Bedingungen im Folgenden kurz zu skizzieren sind. Sowohl die Erforschung der realgeschichtlichen Stellung der Frau in den streng hierarchisierten und weitgehend undurchlässigen Gesellschaftsständen des 18. Jahrhunderts1 sowie deren Veränderung in rechtlicher, sozialer und kultureller Hinsicht2 als auch die teilweise innovativeren Positionen in den ideengeschichtlichen Begründungen und Veranschaulichungen der Rolle der Frau in den Entwicklungen der Aufklärung3 hat durch die Transformationen des zumeist soziologischen und politologischen Feminismus der 1960er bis 1990er Jahre in die Kategorienordnungen der Gender-Studies erhebliche Anschübe erfahren.4 Dem allHans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: 1700 – 1815, München 1987, 124 ff. 2 Siehe hierzu die ersten beiden Teile von Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997. 3 Siehe hierzu u. a. Barbara Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur 1500 bis 1800, Frankfurt am Main 1987. 4 Zu dieser Entwicklung vgl. u. a. Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 32010. 1

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gemeinen cultural turn der Geisteswissenschaften korrespondierend ermöglichte dieser Paradigmenwechsel in der Geschlechterforschung vielfältige Innovationen, vor allem aber den Weg aus der Ecke einer wohlgelittenen Spezialforschung ins Zentrum vieler historischer und philosophischer Wissenschaften. Die Rede von einer ,feministischen ForschungR zielt in ähnlicher Weise auf eine Zentrierung der Geschlechterfrage ab statt ihrer Separierung in eine Unterkategorie der Aufklärungsforschung: es geht nicht darum, eine ,weiblicheR Variante der Aufklärung zu konstatieren, oder eine thematische Nische zu bearbeiten, wie etwa die der Erziehung, zu welcher Frauen partikuläre Beiträge geleistet haben. Vielmehr besteht das Forschungsprogramm darin, Feminismus und Aufklärung engzuführen und ihre systematische Verschränkung zu belegen. Dazu gehört auch eine Historisierung der Vorstellung, was ,feministischR in der Aufklärung bedeuten konnte. Gemessen an heutigen Vorstellungen und Errungenschaften mag die Aufklärung als wenig feministisch erscheinen; heutige Maßstäbe für das lange 18. Jahrhundert anzulegen käme jedoch einer ahistorische Projizierung gleich, welche den Blick verstellt auf die spezifischen historischen Kontexte und diskursiven Konstellationen sowie das Selbstverständnis von Autorinnen und Autoren als ,feministischR. Auch wenn sich der Terminus erst im 19. Jahrhundert etablierte, sind die Kontroversen um männliche Autorität – vor allem in der Ehe – und weibliche Partizipation an Bildung, Kultur, Besitz, politischen und gesellschaftlichen Strukturen sowie Forderungen nach einer Gleichheit der Geschlechter in Hinblick auf den Verstand ebenso wie auf das Recht in ihrem Wesen feministisch. Dass sich keine ungebrochene Linie vom 18. ins 21. Jahrhundert ziehen lässt, dass die weibliche Emanzipation sich nicht als ein gradliniger Fortschritt fassen lässt, mag Anlass zu einer feministisch getragenen Enttäuschung geben; den historischen Konturen einer feministischen Aufklärung können solcherart „progessivistische Annahmen“ und daraus resultierende Verallgemeinerungen der Aufklärung als nur maskulinistisch jedoch nicht gerecht werden.5 Manche Diskursstränge der Aufklärung waren dezidiert maskulinistisch, andere dezidiert feministisch; zwischen den Extrempolen, die von der Sonderanthropologie eines Rousseau und dem Cartesianismus Poullain de La Barres markiert werden,6 öffnet sich ein Raum vielstimmiger 5

3–6.

Patricia Springborg, Mary Astell, Theorist of Freedom from Dominance, Cambridge 2005,

Siehe dazu Siep Stuurman, FranÅois Poulain [sic] de La Barre and the Invention of Modern Equality. Cambridge, Mass. 2004, 20 f.: „In the larger spectrum of Enlightenment thought, Poulain stands at one extreme and Rousseau at the other. All Enlightenment discourses on gender and sexual difference are articulated in the tension-ridden space constituted by these extremes. It makes no sense to aks whether Poulain or Rousseau, or those situated somewhere in between, represent the ,realR Enlightenment. They all do, and none of them does.“ Entsprechend verwehrt sich Stuurman gegen die Charakterisierung der Aufklärung als intrinsisch maskulinistisch und frauenfeindlich – „historical record does not bear out such contentions“ (vgl. 4). 6

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Debatten um die Geschlechter, deren Rhetorik, Argumentationsstrategien und Zielsetzungen in weiten Teilen ebenso feministisch wie aufgeklärt sind: ihnen gilt unsere Aufmerksamkeit. Bei allem produktiven Wandel im Übergang von den feministischen Geistesund Sozialwissenschaften zu den kulturwissenschaftlichen Gender-Studies, die sich keineswegs auf den Bereich der humanities beschränkten,7 ist gleichwohl seit einiger Zeit für die Philosophie, für die Philologien und für die historischen Wissenschaften ein eigentümlicher Stillstand in methodischer und systematischer Hinsicht feststellbar. Ohne je geklärt zu haben, in welchem Verhältnis die von Judith Buttler inthronisierten und seither fortentwickelten Begriffe und Kategorien der Gender-Studies bei aller kulturhistorischen Variabilität ihrer Inhalte zur Entwicklung der vor allem soziopolitisch zu erfassenden Realien und Ideen des neuzeitlichen Geschlechterverständnisse stehen, kurz in welchem Verhältnis eine kulturwissenschaftlich-skeptizistische zu einer soziopolitisch-geschichtsphilosophischen Frauen- und Geschlechterforschung steht, scheint sich das Innovationspotential der Gender-Forschungen erschöpft zu haben. Dies ist an zunehmend kritischen Positionsbestimmungen abzulesen, die keineswegs nur von außen an das Paradigma und deren Vertreterinnen und Vertreter herangetragen, sondern auch von innen heraus entwickelt werden.8 Darüber hinaus gibt es neue, vor allem sozialgeschichtliche Perspektivierungen der Stellung und gesellschaftlichen Funktion der Frau im 18. Jahrhundert, die sich weniger am ideengeschichtlichen Diskursen als an soziopolitische Realien abarbeiten.9 Selbst thematisch eher kulturwissenschaftlich ausgerichtete Studien bedienen sich zunehmend polit- bzw. sozialhistorischer Kategorien der Geschlechterforschung.10 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass sich die historische Geschlechterforschung – mit bedeutenden Ausnahmen11 – mehr mit der Frühen Neuzeit oder der Moderne und Postmoderne beschäftigte als mit dem späten 17. und 18. JahrhunRobin Bauer, Helene Götschel (Hg.), Gender in Naturwissenschaften. Ein Curriculum an der Schnittstelle der Wissenschaftskulturen, Mössingen-Talheim 2006; Sabine Oertelt-Prigione, Vera Regitz-Zagrosek (Hg.), Sex and Gender Aspects in Clinical Medicine, London 2011. 8 Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.), Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung, Bielefeld 2008; Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Hg.), AntiGenderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2016. 9 So u. a. Isabel Baudino, Jacque Carr8, Cecile R8vauger (Hg.), The invisible Woman. Aspects of WomenQs Work in Eighteenth-Century Britain, New York 2016. 10 Vgl. die Studie von Faramerz Dabhoiwala, The Origins of Sex. A History of the First Sexual Revolution, London 2012. 11 Vgl. hierzu u. a. Barbara Sollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, spez. 145 ff.; Barbara Taylor, Sarah Knott (Hg.), Women, Gender and Enlightenment, Basinstoke 2007; Sabine Koloch (Hg.), Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2010; Ellen Pollak, A Cultural History of Women in the Age of Enlightenment, London 2016. 7

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dert, d. h. mit der Epoche der Aufklärung. Ohne jeden Zweifel ist diese eigentümliche Zurückhaltung der kulturwissenschaftlichen Gender- bzw. sozial- und ideengeschichtliche Geschlechterforschung gegenüber der Aufklärung auf die kritische Distanz einiger Grundlagentheoretiker des Poststrukturalismus, wie Foucault oder Derrida, gegenüber jener ,BewegungR eines „Wandels durch Vernunft“12 zurückzuführen, die in der Theorien- und Methodenbildung der Gender-Studies prägenden Einfluss ausübten. Für die französischen Meisterdenker, aber auch für Butler beginnt spätestens mit Kant das Elend der kapitalistischen Moderne, weil sich hier ein säkularer Rationalismus Bahn breche, der auch in geschlechterpolitischer Hinsicht die Errungenschaften von Humanismus und Renaissance wieder Preis gebe. Die Sicht auf die Aufklärung ist vor diesem Hintergrund zumeist eher negativ, was auch engagierte Texte einer jüngeren Aufklärungsforschung dokumentieren.13 In dieser nicht selten weltanschaulich motivierten Kritik an der Aufklärung gehen allerdings die historischen Eigentümlichkeiten dieser Epoche, ihre Leistungen und deren Grenzen – auch und gerade in geschlechterhistorischer Hinsicht – verloren. Dass viele der prominenten Aufklärer in Philosophie, Wissenschaften, Kunst und Kultur durchaus ,unaufgeklärteR Verständnisse der Rolle der Frau in Staat und Gesellschaft, in Wirtschaft und Familie, in Kunst und Kultur hatten, ist weithin bekannt – kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit Blick auf die gesamteuropäischen Aufklärungsbewegungen zwischen 1650 und 1800 emanzipatorische und genuin feministische Konzepte, Modelle und Theorien gab, die keineswegs den Vorurteilen der Zeitgenossen ausgeliefert waren. An Wissenschaftlerinnen und Literatinnen wie Mary Astell, Pmile de Ch.telet oder Luise Adelgunde Victorie Gottsched, aber auch an Autoren wie Daniel Defoe, Christian Thomasius und noch Theodor Gottlieb von Hippel lässt sich dokumentieren, dass die Aufklärung als Aufklärung zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen ihrer Ausprägungen zu begründeten Vorstellungen von rechtlicher und moralischer, politischer und ökonomischer, intellektueller und kultureller Egalität der Geschlechter tendierte – und Egalität ist ein zentrales Anliegen der Aufklärung auch und gerade als feministischer Bewegung. Das mag man aus wortgeschichtlichen, polit- und sozialhistorischen oder rationalitätskritischen Gründen bestreiten; aufgeklärte Vernunft aber muss die Gleichheit zu einem ihrer So die präzise Formulierung für das Anliegen der Aufklärung durch Georg Schmidt, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009. 13 Vgl. hierzu u. a. Andreas Pec ˇ ar, Damian Tricore, Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, Frankfurt am Main 2015; zur kritischen Auseinandersetzung hiermit vgl. u. a. Oliver R. Scholz: Rezension von Pecˇar, Tricore, Falsche Freunde, in: Kant-Studien 110 (2019), 160 – 163; Gideon Stiening, Selbstermächtigung falscher Freunde? Zu Formen historiographischer Aufklärungskritik und deren Folgen, in: Daniela G. Camhy (Hg.), Enlightenment Today. Sapere aude! – Have Courage to Use Your Understanding, Baden-Baden 2020, 25 – 41. 12

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zentralen Postulate erheben, und dies in sozialer, ethnischer und geschlechtspolitischer Hinsicht.14 Umgekehrt gaben dezidiert feministische Forderungen wichtige Impulse für eine systematische Formulierung aufklärerischer Positionen.15 In ihrem systematischen Zentrum, unabhängig von ihren historischen Erscheinungsformen, ist alle Aufklärung feministisch.16 Schon für Descartes und den an ihn anschließenden philosophischen Rationalismus eines FranÅois Poullain de La Barre bis hin zu Kant war die Vernunft sozial, ebenso wie ethnisch und geschlechtlich indifferent. Aus dieser – zeitgenössisch skandalösen – philosophischen Voraussetzung wurden aber von den Beteiligten soziopolitische Funken geschlagen. Die Einschätzung, dass die aufklärerischen Debatten über eine unterschiedlich begründete Gleichberechtigung regelmäßig unter dem Druck der Ständeordnung „zusammengebrochen“ seien,17 lässt sich kaum aufrecht erhalten. Unbestreitbar zeigt sich am allgemeinen Geschlechterund besonderen Weiblichkeitsverständnis des 18. Jahrhunderts an vielerlei Beispielen, dass das Zeitalter der Aufklärung noch keineswegs ein aufgeklärtes Zeitalter war; und doch werden in dieser Zeit Theorien und literarische Reflexionen entworfen, die nicht zufällig das Geschlechterverständnis moderner westlicher Gesellschaften prägen sollten. Erst allmählich aber scheinen sich die vielfältigen Formen der Aufklärungsforschung in Geschichte, Theologie und Philosophie, in den Literatur- und Kunstwissenschaften der eigentümlichen Leistungen des Aufklärungszeitalters zu entsinnen und dabei auch neue Quellen zu erschließen. So hat die Philosophiegeschichtsschreibung zum 18. Jahrhundert systematisch bedeutende Autorinnen und Autoren zu bearbeiten begonnen, die bislang nicht in den Kanon der Gender-Forschungen zur Aufklärung aufgenommen worden waren, wie Dorothea Vgl. hierzu u. a. Claudia Opitz, Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster u. a. 2002, spez. 39 ff. sowie Martin Reulecke, Gleichheit und Strafrecht im Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, Tübingen 2007. 15 Dies kann Siep Sturman am Beispiel von FranÅois Poullain de La Barre zeigen, dessen feministische Schriften die Frage der Geschlechtergleichheit strategisch einsetzen um an ihnen allgemeine und umfassendere Forderungen nach Gleichheit, mithin eine aufgeklärte Sozialphilosophie zu entwickeln: „In Poulain, feminism and the new philosophy of modernity are for the first time brought together in a systematic argument, and the result is the first recognizably Enlightenment social philosophy“ (vgl. Stuurman, FranÅois Poulain de La Barre [wie Anm. 6], viii). 16 „We should, I think, look for connections between the egalitarian arguments advanced in different social, political, and intellectual contexts. The questioning of the hierarchy of gender cannot be isolated from other concerns. It is frequently connected to a critique of other forms of inequality and dependency“ (ebd., ix). 17 So aber Steffen Martus, Aufklärung. Das Deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild, Hamburg 2015. 14

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Christiane Leporin, Amalie Horst oder Betty Gleim,18 deren Werke zu den Gründen und Formen der Frauenbildung in Schule und Universität allererst angemessen zu erschließen sind. Wie schon für Mary Astell, Christian Thomasius oder August Ludwig von Schlözer ist dabei das beherrschende Thema das der spezifischen oder auch unspezifischen Partizipation der Frauen an den Bildungs- und Wissenschaftsprozessen der Zeit; nicht wenige Autorinnen und Autoren plädieren hier im Sinne eines allgemeinen Vernunftbegriffes und weit vor der Französischen Revolution für eine völlige Gleichstellung von Frau und Mann.19 Die Anstrengungen der vergangenen drei Dekaden, vernachlässigte Texte von Frauen zu heben und im Printmedium sowie zunehmend in digitaler Datenbanken verfügbar zu machen, haben erfolgreich den quantitativen Beweis des weiblichen Anteils an Aufklärungsdebatten geführt. Nun steht die dringliche Aufgabe an, auch auf qualitativ-kritischer Ebene diesen Beweis systematisch zu führen.20 Dabei gilt es, eine Verengung auf national-philologische Debatten zu vermeiden, um die europäische Dimension der Debatten über Aufklärung und Feminismus in den Blick zu bekommen, die vor der Französischen Revolution für die europäischen Aufklärerinnen und Aufklärer selbstverständlich war.21 Erkennbar wird diese Dimension in den transnationalen Netzwerken schreibender Frauen und mit ihnen korrespondierender Männer, aber auch im selbstverständlichen Bezug italienischer, französischer, englischer und deutscher – später auch spanischer22 – Autorinnen und Autoren auf ihre europäischen Kolleginnen und Kollegen, auch nach dem Zurückdrängen des Lateinischen als lingua franca. Nicht allein die Gender-Forschung scheint im Hinblick auf die Erforschung spezifisch feministischer Positionen der Aufklärung an einem Wendepunkt zu stehen, den die vorliegenden Beiträge behutsam und kritischen reflektieren; auch die allgemeine Aufklärungsforschung scheint sich zu reorganisieren, und dabei das Geschlechterthema neu bedenken zu müssen. Klar ist nämlich späteSiehe hierzu Barbara Dölemeyer, Die soziale und politische Stellung der Frau, in: Helmut Holzhey, Vilem Murdoch (Hg.), Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa, 2. Halbbd., Basel 2014, 1227 – 1234. 19 Siehe hierzu Christine Mayer, Erziehung und Schulbildung für Mädchen, in: Notker Hammerstein, Ulrich Herrmann (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: 18. Jahrhundert, München 2005, 188–211; Stuurman, FranÅois Poulain de La Barre (wie Anm. 6), Kap. 2: The Feminist Impulse, 52 – 86 und Kap. 4: The Power of Education, 124 – 158. 20 So die Forderung von Jenny Bachelard und Gillian Dow in der Einführung zu dem Band WomenQs Writing, 1660–1830: Feminisms and Futures, Basingstoke 2016, 13. 21 Vgl. hierzu die grundlegende, materialreiche Studie von Karen Offen, European Feminism 1700–1950: A Political History, Standford 2000, bes. 19 – 76, sowie in Ansätzen Friederike Kuster, Art. Frau/Weib, in: Heinz Thoma (Hg.), Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe, Konzepte, Wirkung, Stuttgart, Weimar 2015, 211 – 221. 22 Vgl. hierzu die Studie von Gernot Kamacke, Die Prosa der spanischen Aufklärung. Beiträge zur Philosophie der Literatur im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2015. 18

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stens seit den Forschungen Jonathan Israels zu einer so genannten Radical Enlightenment,23 dass es die Aufklärung im Sinne einer homogenen intellektuellen und kulturpolitischen Bewegung nicht gegeben hat. Vielmehr muss man nach Israel von wenigstens zwei (moderate und radikale Aufklärung), tatsächlich aber von einer Vielfalt sich unterschiedlich begründender Positionen der und zur Aufklärung bis hin zu den engagierten Formen der Gegenaufklärungen ausgehen,24 die je höchst unterschiedlich ihr stets reflektiertes Gender-Verständnis ausführen und begründen. Dabei verlaufen die Kontroverslinien zwischen Aufklärungs- und Gegenaufklärungsformationen quer durch die Fraktionierungen innerhalb der Querelle des femmes, die auch im 18. Jahrhundert noch unvermindert ausgetragen wird.25 Wie aber steht es mit den Vertretern eines Radical Enlightenment: Sind sie auch radikale Feministen? Und wenn nicht: Sind sie dann angemessener Weise noch als Radikalaufklärer zu bezeichnen? Und wie lassen sich feministische Forderungen erfassen, die auch heute noch als radikal verstanden werden könnten, dabei aber von politisch konservativen Positionen aus artikuliert wurden, wie zum Beispiel denen Mary Astells als Vertreterin eines ,Tory feminisimR, welcher eine feministische Kritik an der untergeordneten Stellung der Frau artikuliert und dabei gleichzeitig die konservativen Positionen der königstreuen Tories und der etablierten anglikanischen Staatskirche vertritt.26 Bislang wurden radikale frauenrechtlerische Forderungen in der Forschung ausschließlich mit radikalen politischen und religiösen Gruppen wie etwa den Dissenters, den Levellers oder den Quäkern in Verbindung gebracht. Neben dieser internen Differenzierung der Aufklärungsverständnisse erlebt die Aufklärungsforschung derzeit einen Internationalisierungsschub, der die Sicht auf die Aufklärung als eines europäischen bzw. westlichen Prozesses nachhaltig befördert und gleichzeitig auf ihre globalen Auswirkungen hin befragt.27 Die bislang mehr noch in den historischen und philosophischen als in den philologischen Fächern zu beobachtende Ausweitung der Perspektiven auf die europäJonathan Israel, Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity, Oxford 2002; zur breiten Wahrnehmung dieser Thesen in der Forschung vgl. u. a. Jonathan Israel, Martin Mulsow (Hg.), Radikalaufklärung, Frankfurt am Main 2014. 24 Siehe hierzu Zeev Sternhell, The Anti-Enlightenment Tradition, New Haven 2010; Theo Jung, Gegenaufklärung. Ein Begriff zwischen Aufklärung und Gegenwart, in: Dietmar J. Wenzel (Hg.), Perspektiven der Aufklärung. Zwischen Mythos und Realität, München 2012, 87 – 100. 25 Vgl. hierzu u. a. Friederike Hassauer (Hg.), Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der Querelle des femmes zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008, 309 ff. 26 Siehe hierzu Sarah Apetrei, „Call No Man Master upon Earth“: Mary AstellQs Tory Feminism and an Unknown Correspondence, in: Eighteenth-Century Studies 4 (2008), 507 – 523. 27 So verfolgt Siep Stuurman die globale Ausbreitung von Egalitätspostulaten aus ihrem aufklärerischen Ursprung heraus, vgl. The Invention of Humanity. Equality and Culttural Difference in World History, Cambridge, Mass. 2017. 23

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ischen Entwicklungen, die den Tendenzen zu einer Fokussierung auf einzelne Persönlichkeiten korrespondiert und sie keineswegs ausschließt,28 muss auch für die Frage nach einer feministischen Aufklärung produktiv gemacht werden. II. Aufbau und Beiträge des Bandes Ein gewichtiges Desidarat der Forschung zur europäischen Aufklärung, die deren feministische Leistungen und Überzeugungen erarbeitet, besteht in der Realisation einer Interdisziplinarität, die den disziplinübergreifenden Fähigkeiten und Interessen der Autorinnen und Autoren des 18. Jahrhunderts gerecht wird. Daher versammeln die nachfolgenden Beiträge philosophische und kunstwissenschaftliche sowie historiographische und philologische (und dabei romanistische wie anglistische und germanistische) Perspektiven auf die Frage, ob und in welcher Weise die Aufklärung tatsächlich feministische Konzepte und Überzeugungen entwickelte. Dabei beginnt die Reihe von Beiträgen mit Grundsatzüberlegungen zu einem zentralen Autor der Querelle, nämlich Jean-Jacques Rousseaus Geschlechter- und Weiblichkeitstheorie im Pmile, der seit 1761 die europäischen Debatten in einer Weise beherrschte, welche die Errungenschaften des Rationalismus vergessen ließ. Marion Heinz analysiert das fünfte Buch dieses europäischen Bestsellers auf seine philosophische Grundlegungen, Beweisführungen und Kontexte hin, und zwar dergestalt, dass sie auch methodisch aufzeigt, in welche Richtung eine feministische Aufklärungsforschung sich weiterentwickeln müsste. Antonina Bevan Zlatar zeigt anschließend, welche Formen weiblicher Gelehrsamkeit sich in der Vor- und Frühphase der europäischen Aufklärung entwickelten, deren Rekonstruktion zugleich die Bedeutung der sozialen Ausdifferenzierung der Ständegesellschaft zu berücksichtigen hat: Sieht sich Anne Clifford (1590–1676), die Autorin, an der Zlatar ihre Thesen entwickelt, vor allem als Frau oder als Adelige – oder vielmehr, weil relativ emanzipiert, nur durch beide Zuweisungen bestimmt? Isabel Karreman kann in ihrem Beitrag über Mary Astell an diese sozialgeschichtliche Grundlegung des Geschlechterverständnisses vieler Akteurinnen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts anschließen. Auch Astell (1666 – 1731) dokumentiert in ihren Texten nämlich ein präzises und explizites Ständebewusstsein, das zugleich eine theologische Legitimation ihrer Positionen zur Stellung der Frau in Ehe und Bildungskultur eröffnet. Religiöse Überzeugungen

Siehe hierzu die ebenso österreichische wie europäische Biographie von Barbara StollbergRilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit, München 2016. 28

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und feministische Forderungen schließen sich in diesem Entwicklungsstudium der Aufklärung offenkundig nicht aus. Welch grundstürzende Auswirkungen die Leitwissenschaft der Aufklärung, die Philosophie, auf den politischen Geschlechterdiskurs des Zeitalters haben konnte, zeigt Ina Schabert in ihrem Beitrag zu den Utopien weiblicher Regierung im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, die im Anschluss an und auf der Grundlage von de La Barres Pgalit8 de deux sexes (1673) entstanden. An den Beispielen von Eliza Haywoods Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo (1736) und MarieAnne Roumier-Roberts Voyage de milord C8ton dans les sept planHtes (1765/66) zeigt Schabert, dass schon die frühe Aufklärung Überlegungen zur möglichen Superiorität ,weiblichen HerrschensR entwarf, die allerdings – genuin aufklärerisch – in die Überzeugungen von der Überlegenheit der Egalität zwischen Herrscher und Herrscherin in Formen von „Doppelspitzen“ mündeten. Claudia Opitz-Belakhal weitet anschließend den Blick auf die ethnologischen Leistungen der europäischen Hochaufklärung aus, indem sie Montesquieus Lettres Persanes (1721) auf dessen feministischen Gehalt hin prüft. Dabei belegt Opitz-Belakhal, dass die kulturellen Spiegelungen der narrativen Ordnung des Briefromans allererst gewichtige Schieflagen der europäischen Geschlechterordnung aufweisen lassen, die als genuin feministische Kritik beurteilt werden müssen. Astrid Dröse weist in ihrem Beitrag über Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760) nach, dass auch die von Rousseau noch unbelastete deutschsprachige Hochaufklärung Formen eines aufgeklärten Feminismus hervorbrachte, die – wenn auch als Ausnahmen – bis in die als genuin männliche Domäne geltenden Ehrung als poeta laureata vordringend konnte. Es ist, so belegt die Autorin, der gottschedsche Rationalismus, der in den Zentren der Aufklärung des frühen 18. Jahrhunderts solcherart – wenngleich moderaten – Feminismus ermöglichte. Diese Zusammenhänge rekonstruiert auch Lily Tonger-Erk in ihrem Beitrag zu Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762), deren besondere Strategien im Hinblick auf eine Gleichberechtigung der Geschlechter in Gelehrsamkeitsfragen herausgearbeitet werden. Denn auf dem Feld der Rhetorik, das als männlich dominiert wahrgenommen wurde, entwickelt die ,GottschedinR zwar Vorstellungen einer spezifisch weiblichen Kunst der Rede, tritt damit aber selbst nicht in der Öffentlichkeit hervor; Tonger-Erk dokumentiert so in ihrer ausführlich belegten Studie Möglichkeiten und Grenzen weiblicher und feministischer Gelehrsamkeit in Zeiten der Hochaufklärung. Gideon Stiening kann an diese Ergebnisse anschließen, indem er die Formen der Vorurteilskritik Dorothea Christiane Leporins in ihrer Schrift Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das Weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten (1742) analysiert und interpretiert. Der Autor belegt in seinem Beitrag die philo-

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sophische Grundlegung der leporinschen Abhandlung ebenso wie die taktisch motivierten Grenzen bei der Einforderung von praktischen Konsequenzen. Mit der Studie von Annette Keilhauer wird nicht nur der deutschsprachige Raum der Aufklärung, sondern auch deren Frühphase verlassen, weil hier die Histoire de Madame de Montbrillant von Louise dQPpinay (1726–1783) ins Zentrum gestellt wird. Keilhauer zeigt an dieser Autorin nicht allein, dass eine sich auf ,große AutorenR konzentrierende Aufklärungsforschung auch deren weibliche Kritikerinnen und Konkurrentinnen aus dem Blick verliert, sondern damit auch die Formen genuin weiblicher als aufklärerischer Schreibpraktiken unreflektiert bleiben. Wie schon Annette Keilhauer so beschäftigt sich auch Lieselotte Steinbrügge in ihrem Beitrag zu FranÅoise de Graffigny und Anne Robert Jacques Turgot im Streit um die ,Weibliche AufklärungR intensiv und kritisch mit der Frage, ob überhaupt von einer feministischen Aufklärung gesprochen werden könne. Steinbrügge verneint diese These letztlich, weil die Aufklärung in ihrer Ambivalenz bzw. Dialektik zwischen politischem Egalitätspostulat und geschlechtlicher Sonderanthropologie einen konsequenten Feminismus verhindert habe. Demgegenüber zeigt Dieter Hüning in seinem Beitrag über Theodor Gottlieb von Hippels einflussreiche Abhandlung Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792), mit dem endgültig die Spätaufklärung thematisiert wird, dass viele Aufklärer in ihrem durchaus radikalen Anliegen in Geschlechterfragen bisweilen nicht aufgeklärt genug waren. Denn Hippel entwirft zwar eine Konzeption, die eine vollständige Egalität der Geschlechter einfordert, adressiert seine umfassend begründeten Postulate allerdings ausschließlich an Männer, womit Hüning im wenigsten deutlich macht, dass die politischen Entscheidungen über die gelehrten Postulate der Aufklärung – auch in Sachen Feminismus – zumeist jenen oblagen, deren Interessen mit diesen Forderungen konfligierten. Das schien sich allerdings durch die Ereignisse im revolutionären Frankreich zu ändern, wie Miriam Wallraven in ihrem Beitrag über Mary Wollstonecraft (1759–1797) und eine Reihe anderer feministischer Revolutionäre zu belegen vermag. Für einen kurzen Moment wurde in Europa eine Emanzipation der Frau durch Frauen möglich, weil die Verfassung der Französischen Republik eine rechtliche, politische und soziale Gleichheit der Geschlechter vorsah. Wallraven zeigt allerdings, dass in den Texten der Protagonistinnen auch auf diesem Feld konventionelle Grenzen wirksam waren und daher mehr als bisher zu berücksichtigen sind. In ihrem abschließenden Beitrag dokumentiert Pam Perkins am Beispiel der Reiseberichte Charlotte Waldie Eatons (1788–1859), dass die Aufrechterhaltung weiblicher Autonomie als aufgeklärt-rationaler unter den Diktaten der Mode romantischer Emotionlisierungen selbst für faktuale Texte schwer aufrecht zu erhal-

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ten war. Eaton aber kämpfte in den Briefen an ihren Verleger um die Legitimität weiblicher Intellektualität, was Perkins anschaulich dokumentieren kann. Die Beiträge werden komplettiert durch eine biographische Skizze der schweizerischen Schauspielerin und Schriftstellerin Marianne Ehrmann (1755–1795), deren Kritik an den zeitgenössischen Geschlechterverhältnissen in ihrem literarischen und journalistischen Werk als repräsentativ für den Anspruch weiblicher Emanzipation im Zeitalter der Aufklärung gelten kann. Sophie Forst kann mit dieser Skizze belegen, dass die Frage nach den Prämissen, Verfahren und Wegen einer feministischen Aufklärung neu zu stellen sind. Barbara Becker-Cantarino und Gillian Dow beschließen den Band mit zwei Forschungsberichten, die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Erforschung einer Feministischen Aufklärung ebenso minutiös wie problemorientiert darstellen. Die nachfolgenden Beiträge dokumentieren die Ergebnisse der interdisziplinären und internationalen Tagung Die feministische Aufklärung in Europa – Feminist Enlightenment across Europe, die vom 5. bis 7. Juli 2018 in Würzburg stattfand. Die Tagung wurde von der Fritz-Thyssen-Stiftung mit einem großzügigen Etat finanziert, wofür sich die Organisatoren an dieser Stelle ausdrücklich bedanken. Dank gilt selbstverständlich auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die mit ihren engagierten Vorträgen und Diskussionen zu einer produktiven Atmosphäre beitrugen; ihre Bereitschaft, die Ergebnisse der oft kontroversen Debatten in ihre Beiträge aufzunehmen, trug erheblich zu einer gewissen Einheit der thematisch, methodisch und systematisch unterschiedlichen Ausführungen zur Frage einer Feministische Aufklärung und deren Konturen bei. Zu danken ist darüber hinaus Elke Demant, Paulina Kriesinger und Vanessa Bayer für ihre Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der Tagung.

Marion Heinz Paradigmen europäischer Sozialordnung: Aristoteles und Rousseau

Die Paradigmen europäischer Sozialordnung im Kontext ,feministischer AufklärungR zu behandeln, zielt vor allem darauf, den Wandel in den Legitimationsinstanzen sichtbar zu machen, der sich plakativ als Ersetzung der Natur durch Vernunft beschreiben lässt. In diesem Prozess markiert Poullain de La Barres Dictum „lQesprit nQa pas de sexe“1 den auf dem Boden des Cartesianismus gewonnenen Ausgangspunkt für eine fortschreitende Denaturalsierung des Geschlechterverhältnisses, den Simone des Beauvoir mit ihrer programmatischen Formel „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“2 fortsetzt, und an dessen Ende Judith Butlers These von der Künstlichkeit3 des männlichen oder weiblichen Geschlechts (gender) gestellt werden kann. Indessen handelt es sich nicht um einen linearen Progress; gerade in der Epoche der Aufklärung erneuern die mit Rousseau beginnenden bürgerlichen Geschlechtertheorien die Versuche, das Geschlechterverhältnis auf Natur zu begründen. Dieser theoretisch und realpolitisch so erfolgreich gewordenen neuen Form von Einhegung einer natürlichen Geschlechterordnung in die Sphäre der nun durch Vernunft begründeten künstlichen politischen Ordnung sagt Olympe de Gouges den Kampf an und eröffnet damit die Linie feministischer Aufklärung als einer Aufklärung von Frauen über die „halbierte“Aufklärung und ihre ideologischen Komponenten. Im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung steht dieser Knotenpunkt des Aufklärungsdenkens; erinnert wird zunächst an das durch Aristoteles geprägte philosophische Paradigma der Geschlechterordnung, in dem die Natur von Frau und Mann sowie ihre Stellung in der sozialen Ordnung im Rekurs auf die Idee einer teleologisch verfassten Natur definiert worden sind, um im zweiten Schritt die Erosionen dieser bereits durch die cartesische Philosophie und das neuzeitliche Naturrecht angegriffenen FranÅois Poullain de La Barre, De lQPgalit8 des deux sexes, discours physique et moral oF lQon voit lQimportance de se d8faire des pr8jug8s, Paris 1673 [ND Paris 1984], 59. 2 Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek bei Hamburg 2000, 334. 3 Vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1971, 49. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Begründungsfigur in der Aufklärung, aber auch ihre neue Formierung im Denken Rousseaus aufzuzeigen, auf die sich die abschließend zu behandelnde Kritik von Olympe de Gouges richtet. Aristoteles beruft sich zur Rechtfertigung von Herrschaft in zweifacher Weise auf die Natur: Das teleologisch geordnete Ganze des von sich her Seienden ist das Vorbild aller menschlichen Ordnungen. Es ist die Natur im Sinne des Wesens oder der Eigenschaft eines Seienden, die über seine Stelle in dieser Ordnung entscheidet. Das Fundament beider Argumentationsfiguren ist die Metaphysik als Lehre von den ersten Prinzipien des Seienden, die auch von Aristoteles – freilich in grundlegend anderer Weise als bei Platon – für die Lehren der politischen Philosophie herangezogen wird. Bis in die Neuzeit beherrschend für den europäischen Geschlechterdiskurs konnte das aristotelische Paradigma der Sozialordnung nicht zuletzt deshalb werden, weil es – in Verbindung mit dem thomistischen Denken – die Leitvorstellungen des Christentums integrieren konnte. Die Problemstellungen dieser Lehren nimmt Rousseau im 5. Buch des Pmile auf, aber er entwickelt neue Lösungen und Begründungen, die für den philosophischen Diskurs der Folgezeit ebenso wie für die bürgerliche Gesellschaft bestimmend geworden sind.4 Während die Rechtsphilosophie dieses Denkers als die avancierte Position der Aufklärung rangiert, die zuerst die Prinzipien Gleichheit und Freiheit zur rein rationalen Grundlage des Rechts und des Staates macht, liefert die Kulturphilosophie des zweiten Discours ein Beispiel für die selbstreflexiv gewordene, vernunftkritische Aufklärung.5 Im Kontrast dazu greift seine neue Konzeptualisierung des Geschlechterdualismus und die dadurch begründete Theorie der Familie noch auf die Idee der Naturordnung zurück. Bei Rousseau wandelt sich das aristotelische Paradigma also dahingehend, dass die Legitimationsfiguren für die vorpolitische und die politische Ordnung auseinandertreten: Während diese nun im Anschluss an Hobbes neuzeitlich durch die Figur des Vertrags begründet wird, bleibt die Natur als Legitimationsinstanz der Geschlechterordnung erhalten, obzwar dieses Fundament dem Zweifel ausgesetzt und entsprechend metaphysikkritisch transformiert wird. Nicht mehr die metaphysische Erkenntnis, sondern die nun nur noch der – im Bekenntnis des Savoyischen Vikars vermittelten – natürlichen Religion zu entnehmende Idee einer Naturordnung kann, ergänzt durch empirische Befunde, in Ansatz gebracht werden, um die Normierungen für das Leben der Individuen und die Einrichtung ihrer vorpolitischen Gemeinschaften abzustützen. So wird mit der häuslichen Gemeinschaft eine Enklave des Natürlichen inmitten Einen konzisen Überblick über den Geschlechterdiskurs der Aufklärung gibt der Artikel von Friederike Kuster, Frau/Weib, in: Heinz Thoma (Hg.), Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe – Konzepte – Wirkung, Stuttgart 2015, 211–221. Vgl. auch dies., Philosophische Geschlechtertheorien zur Einführung, Hamburg 2019. 5 Vgl. Liselotte Steinbrügge, Das moralische Geschlecht, Stuttgart 1992. 4

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künstlicher Ordnung konserviert, die zu dieser in ein Spannungsverhältnis tritt.6 Der Gegensatz von Prinzipien ist charakteristisch für Rousseaus praktische Philosophie als Ganze: Moralität ist im moralischen Gefühl als dem natürlichen Ausdruck der dem Menschen von Natur her zukommenden Güte (bont8 naturelle) fundiert und so als Zweck der Natur begriffen – setzt also anders als das in der Vernunft verankerte Staatsrecht die Idee einer teleologisch verfassten Natur voraus.7 Es ist die Ethik, die mit ihrer Ansetzung des natürlichen Gefühls als desjenigen Prinzips der Moralität, das in dem durch Kultur und instrumentelle Vernunft herbeigeführten verderbten gesellschaftlichen Zustand Orientierung verspricht, die auch für Rousseaus bürgerliche Geschlechtertheorie mit ihrer neuen Definition der Frau als Gefühlswesen von Bedeutung ist.8 Mit Olympe de Gouges beginnt die feministische Aufklärung als jene von Frauen selbst initiierte politische Emanzipationsbewegung,9 zu der die Kritik tradierter und zeitgenössischer Legitimationsfiguren über die Stellung der Frau in Haus und Staat wesentlich gehört. Sie kann für sich reklamieren, die Programmatik der Aufklärung, den Ausgang des Menschen aus seiner nicht immer selbstverschuldeten Unmündigkeit konsequent zur Geltung zu bringen, indem sie die Behauptung natürlicher Geschlechtscharaktere ideologiekritisch destruiert und jede menschliche Ordnung als vom Menschen hergestellte, also durch seine Vernunft zu begründende und zu verändernde denkt. In direktem Widerspruch zu Platon10 hat Aristoteles das Geschlechterverhältnis philosophisch konzipiert. Und diese „aristotelische Revolution“11 hat das für die Folgezeit entscheidende Paradigma europäischer Sozialordnung mit seinen Eckpfeilern der Gliederung in Haus (oikos) und Staat (polis) als den der Art nach verschiedenen Herrschaftsbereichen, des Ausschlusses von Frauen aus Cornelia Klinger und Sabine Doy8 reflektieren die Rehabilitierung des vorneuzeitlichen Rückgriffs auf Natur in den Geschlechtertheorien der Aufklärung in der Perspektive einer Theorie der Moderne – Klinger im Anschluss an Luhmann, Doy8 im Anschluss an Habermas; vgl. Cornelia Klinger, Zwischen Haus und Welt. Zur sozialtopologischen Situierung der Kategorien Klasse, Rasse und Geschlecht. Ein Versuch, in: Michael Bayer u. a. (Hg.), Transnationale Ungleichheitsforschung. Eine neue Herausforderung für die Soziologie, Frankfurt am Main, New York 2008, 159–194; Sabine Doy8, Einleitung, in: Marion Heinz, Sabine Doy8 (Hg.), Geschlechterordnung und Staat. Legitimationsfiguren der politischen Philosophie (1600 – 1850), Berlin 2012, 9–42, insb. 9–23. 7 Vgl. Klaus Reich, Staatsrecht und Ethik bei Rousseau, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Manfred Baum u. a., Hamburg 2001, 200 – 214. 8 Vgl. die ausführlichere Darstellung von Rousseaus Geschlechtertheorie, auf die ich hier zurückgreife, in Marion Heinz, Zur Konstitution vergeschlechtlichter Subjekte bei Rousseau, in: Heinz, Doy8 (Hg.), Geschlechterordnung und Staat (wie Anm. 6), 163 – 180. 9 Vgl. Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus, München 2009. 10 Vgl. Politeia, V. Buch; zu AristotelesQ Kritik daran: Politik, Buch II. 11 Prudence Allen, The Concept of Woman. The Aristotelian Revolution 750 BC – AD 1250, Montreal 1985. 6

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der Polis und ihrer Unterordnung unter die Herrschaft des Mannes im Haus hervorgebracht. Es ist das Theorem von der Minderwertigkeit der Frau, das die Hierarchisierung von Männern und Frauen im sozialen und ihre Exklusion aus dem politischen Raum begründet. Staat und Haus gehören in dieselbe Gattung menschlicher Gemeinschaft (koinonia), die als Resultat menschlicher Handlungen um eines Guten oder eines Zwecks willen bestehen.12 Ihre spezifische Differenz bestimmt sich aus der Art des Guten, um dessentwillen sie sind. Dient der oikos der Lebenserhaltung, der tagtäglichen der Individuen und der generativen der Gattung,13 so geht es in der Polis um das gute Leben, das eu zen oder die eudaimonia. Haus und Staat sind als Verbindungen von Menschen Ganzheiten, die ihrer inneren Verfasstheit nach als Herrschaftsverbände bestimmt sind. Denn so heißt es zur Begründung: „Der Gegensatz von Herrschendem und Dienendem tritt überall auf, wo etwas aus mehreren Teilen besteht und eine Einheit bildet. […]. Und dieses Verhältnis von Über- und Unterordnung findet sich bei den beseelten Wesen auf Grund ihrer ganzen Natur“.14 Was ganz allgemein gilt, dass eine aus Teilen bestehende Einheit so verfasst sein muss, dass jene in einer dem Telos der Einheit dienlichen Gesamtordnung von Mittel-Zweck-Relationen stehen, gilt von den beseelten, d. h. lebendigen Wesen „auf Grund ihrer ganzen Natur“ Denn sie sind dadurch bestimmt, dass sie ein Zusammengesetztes aus Seele und Körper sind, in dem die Seele als Prinzip der Einheit das Telos dieses Seienden vorgibt, dem der Körper als Werkzeug (organon) dient. Besteht das Spezifische des Menschen aber darin, über eine vernünftige Seele zu verfügen, die den affektiven Seelenteil dominieren kann und soll, so erweist sich dieses Beseelte als ein mehrfach gegliedertes Herrschaftsgebilde, in dem nicht nur die Seele über den Körper herrscht, sondern auch die Teile der Seele hierarchisch geordnet sind. Während die Seele über den Leib despotisch herrscht, „führt der vernünftige über den unvernünftigen Teil [der Seele] ein politisches und königliches Regiment“.15 Grundlegend für AristotelesQ praktische Philosophie ist nun, dass die Verhältnisse zwischen Menschen nach diesem Vorbild des Lebendigen, und d. h. als hierarchische Ordnungen eingerichtet werden sollen. Ohne explizite Begründung gilt: Das, und nur das, was naturgemäß ist, ist auch zuträglich, d. h. ein Gutes für den Menschen. Die Position eines Menschen in dieser Ordnung richtet sich nach der spezifischen Natur dieses Teils; also nach dem natürlichen Rang, der eiVgl. zum Folgenden: Politik, Buch I, Kap. 1 – 7, 12, 13. Vgl. auch die Nikomachische Ethik (VIII, 1162 a 16 – 22), wo als das spezifisch Menschliche der Hausgemeinschaft (synoikousin) herausgestellt wird, dass sie „wegen der Lebensgemeinschaft“ gebildet wird (Übers. von Olof Gigon, Zürich, München 1967); vgl. auch Günther Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg, München 1973, 202. 14 Politik, 1254 a. 15 Politik, 1245 b. 12

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nem Menschen im Vergleich zu anderen aufgrund der Beschaffenheit seiner Seele zukommt.16 Während es sich in der Polis so verhält, dass es sich bei ihren Mitgliedern um Gleiche und Freie handelt, ist das Haus ein Verband von Ungleichen: von Männern und Frauen, Eltern und Kindern ebenso wie von Herren und Sklaven. Die Gleichheit der Bürger einer Polis erfordert, dass sie sich in den Positionen von Herrschendem und Dienendem abwechseln sollten. Anders verhält es sich im Haus, das in drei Teilbereiche von Herrschaft gegliedert ist, die die Position von Menschen, die sich nach der Verfasstheit ihrer Seele unterscheiden,17 unverrückbar festlegen: Das eheliche Regiment, das als aristokratische Herrschaft des Mannes über die Frau gefasst ist; die elterliche und königliche Herrschaft über die Nachkommen und die tyrannische Herrschaft über die Sklaven. Im Haus verbinden sich Menschen, die ohne einander nicht existieren können, sei es wegen der Erhaltung der Individuen oder der Gattung; sie sind voneinander Abhängige, deren Formen hierarchischer Vereinigung „natürlich“ ist, sofern sie der Realisierung dieser Zwecke dienen.18 Hinsichtlich der Begründungen für die Inferiorität der Frau, mittelst derer ihr Ausschluss aus der Polis und ihre Unterordnung im Haus legitimiert werden soll, ist zunächst für das Lebendige als solches zu konstatieren: Das Weibliche ist von Natur das Regierte, das Männliche das Regierende.19 Denn zwei geschlechtlich differente Lebendige bilden eine spezifische Einheit, deren Zweck die Fortpflanzung, also die Erhaltung der Gattung ist – durch die auch das vergängliche Lebendige eine Art von Verewigung erfährt. Auch diese zweckmäßige Einheit einer Mehrheit von Teilen ist hierarchisch strukturiert: Dass das Männliche darin den höheren Rang einnimmt, ist seinem überlegenen Beitrag zur Fortpflanzung geschuldet.20 Während ihm die Vermittlung des Formprinzips verdankt ist, trägt das Weibliche nur den Stoff des neuen Lebewesens bei. Auf diese – einer metaphysischen Vorstellung vom Kosmos als zweckmäßig gegliedertem Ganzen eingeschriebene – Hierarchisierung von Männlichem und Weiblichem rekurriert Vgl. Politik, Buch I, Kap. 13, 1260 a. Vgl. Politik, Buch I, Kap. 3–5, 12–13, bes. Kap. 13, 1260 a. Im Folgenden wird die Übersetzung von Eugen Rolfes (Hamburg 1958) zugrundegelegt. 18 Vgl. Politik, Buch I, 1252 a, 1255 b. Gegen Tendenzen biologistischer Verkürzung gilt es nach Bien, fünf Begriffe von Natur in AristotelesQ praktischer Philosophie zu unterscheiden: 1. meint physis die Verwirklichung (telos, actualitas) eines Seienden: 2. den naturhaften Trieb im Unterschied zur willentlichen Handlung; 3. dasjenige, was der Realisierung der Zwecke der Natur dient; 4. die von Geburt an mitgegebene Ausstattung eines Seienden; 5. Natur als Subjekt des Wirkens; vgl. Bien, Grundlegung (wie Anm. 13), 199–206. 19 Vgl. Politik, Buch I, Kap. 5, 1254 b 15 ff., Kap. 13, 1260 a. In der Metaphysik (Buch X, Kap 9) bestimmt Aristoteles die Eigenschaft des Männlichen und Weiblichen als accidens per se, d. h. als einen den Stoff, aber nicht die Form (Art) der Lebewesen betreffenden Unterschied. 20 Zu AristotelesQ Fortpflanzungstheorie vgl. Erna Lesky, Die Zeugungs- und Vererbungslehre der Antike und ihr Nachwirken, Wiesbaden 1950. 16 17

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Aristoteles auch im Zusammenhang menschlicher Herrschaftsformen.21 Für diesen Denker, der sich im zweiten Buch seiner Politik ausführlich mit Platons fünftem Buch des Staates auseinandersetzt, war indessen klar, dass biologische Lehren von dem differenten Beitrag der Geschlechter zur Fortpflanzung für die Bestimmung der Position von Menschen in Haus und Staat nicht relevant sind. Denn diese sollen zwar nach der Natur eingerichtet, aber doch umwillen menschlicher Zwecke bestehen, die hierarchisch auf jenen allein in der polis realisierbaren Zweck der eudaimonia (Glückseligkeit) hin geordnet sind, in dem sich der Mensch als Vernunft begabtes Wesen verwirklicht. Es müsste – im Anhalt an die Argumentation Platons – eine für die Erreichung dieses höchsten Zwecks relevante Minderwertigkeit von Frauen feststellbar sein, und d. h. ein die menschliche Praxis beeinträchtigendes Defizit in ihrer Seele geltend gemacht werden, um eine der biologischen Natur analoge Unterordnung von Frauen in der politischen Sphäre legitimieren zu können. In der Tat glaubt Aristoteles zu erkennen, dass das deliberative Vermögen von Frauen, das bouleutikon,22 defizitär ist. Es ermangele der nötigen Autorität oder Entschiedenheit,23 und deshalb müsse es bei Frauen stets fraglich bleiben, ob ihre Handlungen tatsächlich vernünftig sind, d. h. ihren Ursprung in Überlegung und Entscheidung haben oder dem unvernünftigen Begehren (orexis) entstammen. Belegt wird diese Behauptung von Aristoteles nicht; dem eminenten Erfolg dieses Lehrstücks hat dieser Mangel indessen nicht im Weg gestanden. Mit dem vielfach variierten Theorem von der Inferiorität der Frau wird ihr noch bei Kant der Männern gleichgestellte Status in der politischen Ordnung verweigert.24 Mit der Emanzipation des Bürgertums im 18. Jahrhundert entwickelt sich der weit verzweigte, aber insgesamt auf Rousseau fußende bürgerliche Geschlechterdiskurs.25 Im Vergleich zu Antike und Mittelalter bringt er grundlegende Verschiebungen mit sich, die offensichtlich dazu dienen, die konsequente theoretische und praktische Realisierung des Gleichheitsprinzips neuzeitlicher Philosophie und Politik abzuwenden, ohne sich dem Vorwurf eines eklatanten Widerspruchs zu diesem aussetzen zu müssen. Durch welche theoretischen Mittel ein Vgl. Politik, Buch I, Kap. 12, 1259 b. Vgl. Nikomachische Ethik, Buch III, Kap. 4 zur praktischen Vernunft und der Funktion des bouleutikon. 23 Es sei akyron, also nicht herrschaftlich, heißt es in der Politik (Buch I, Kap. 13, 1260 a. 24 Vgl. Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen [später: Deutschen] Akademie der Wissenschaften, Berlin u. a. 1900 ff. (im Folgenden AA Band, Seitenzahl), hier AA VIII, 273–314, hier: II. Vom Verhältniß der Theorie zur Praxis im Staatsrecht, 295. 25 Vgl. dazu den grundlegenden Artikel von Karin Hausen, Die Polarisierung der ,GeschlechtscharaktereR. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, 363–393. 21 22

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solcher Ausweg eröffnet werden konnte, zeigt der Blick in das fünfte Buch von Rousseaus Pmile,26 in dem die Idee eines Gleichwertigkeit postulierenden Geschlechterdualismus als Prinzip bürgerlicher Geschlechterordnung etabliert wird. Die Eckpfeiler dieses Konzepts sind die Wandlung des Hauses zur sentimentalen Kleinfamilie und die Zementierung des Ausschlusses von Frauen vom Vollbürgerstatus, die paradoxerweise zum Paradigma für die durch die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit bestimmte bürgerliche Ära seit der französischen Revolution geworden sind – für die Theoriebildungen nicht minder als für das geschlechterpolitische Leitbild des Bürgertums bis zum 20. Jahrhundert. Rousseaus Veränderungen des gedanklichen Instrumentariums sind subtil und gravierend; sie zentrieren in der nominalistischen Einebnung kategorialer Differenzen. Wie schon Platon und Aristoteles geht es auch ihm darum, Identität und Differenz von Mann und Frau zu bestimmen, um einen Maßstab dafür zu haben, wie sie „ihren Platz in der physischen und geistigen Ordnung aus[]füllen“ (385) können. Als durch Prinzipien bestimmte haben diese Ordnungen den Charakter von Systemen, in denen jedem Teil eine definierte Stelle zugewiesen ist. Wie seine Vorgänger geht also auch Rousseau von der Annahme eines vernünftig geordneten Ganzen der Natur aus (vgl. 264, 286, 311, 321). Sein Verständnis der Natur unterscheidet sich jedoch von der aristotelischen Idee des Kosmos als eines teleologischen, durch ihre Wesenheiten hierarchisch geordneten Ganzen von Seienden, deren Erkennbarkeit in der ersten Wissenschaft, der Metaphysik, sichergestellt wird, nicht unwesentlich durch eine philosophiekritische Erkenntnislehre. Nach ihm sind nur auf der Grundlage empirischer Erkenntnis Einsichten in die Ordnung des Ganzen zu erreichen, die im Pmile freilich nicht einmal mehr als Philosophie, sondern als Inhalt natürlicher Religion auftreten (275 ff.). Für die Erkenntnis des Menschen als Gattung, im zweiten Discours, und als Einzelwesen, im Pmile, sind daher genetische Verfahren – Naturgeschichte im ersten, Ontogenese im zweiten Fall – zu verwenden. Das, was etwas ist, kann nicht mehr als Wesensnatur rational erfasst werden, sondern ist aus dem, wie es geworden ist, und d. h. aus den zeitlichen, kausalen und sonstigen Relationen, in denen es zu beobachten ist, zu erschließen. „Ich beurteile die Ordnung der Welt, obwohl ich ihren Zweck nicht kenne, weil es zur Beurteilung der Ordnung genügt, die Teile untereinander zu vergleichen, ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitigen Beziehungen zu beobachten und deren Harmonie zu erkennen“ (286). Bedeutsam bleiben aber die metaphysikkritisch umgestalteten Vorstellungen traditioneller Ontologie im Kontext von Rousseaus Kulturkritik. Es ist die ErfahJean-Jacques Rousseau, Emil oder Über die Erziehung. In neuer deutscher Fassung besorgt von Ludwig Schmidts, Paderborn u.a 1995 (im Folgenden Seitennachweise im Fließtext); ders.: Pmile ou de lQPducation, in: Œuvres complHtes. Pdition publi8e sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond, 5 Bde., Paris 1959–1995, Bd. 4, 241– 871 (im Folgenden: OCP). 26

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rung vom Verlust orientierender Verortung des Menschen im vernünftigen Gefüge der Welt in seiner Gegenwart, die seine Bemühungen um die Wiedergewinnung dieser Horizonte motiviert. Der durch Kultur, also durch eigene Tat, in einen durch Laster, Perversionen und Entfremdung gekennzeichneten Zustand geratene Mensch, kann diese Fehlentwicklung nur in Orientierung an der Ordnung der Natur korrigieren, indem er seine vorpolitische Praxis an ihr neu ausrichtet. Auch die Grundlagen der Moralphilosophie werden vernunftkritisch revidiert: Anders als bei Shaftesbury ist es nicht die Erkenntnis der Schönheit der Natur und ihres vernünftigen Prinzips, die die moralische Vervollkommnung des Menschen ermöglicht; Moralität gründet sich nach Rousseau auf das moralische Gefühl und seine altruistischen Neigungen, also auf die Natur des Menschen, und kann daher als Naturzweck begriffen werden. Die Orientierung an der Natur verspricht die Überwindung der durch Kultur oder durch den von instrumenteller Vernunft geleiteten Menschen selbst verursachten vielseitigen Lastern und Fehlformen menschlicher Beziehungen. Diese metaphysik- und vernunftkritisch revidierte Konzeption von Natur als Richtmaß menschlicher Praxis bildet die Grundlage für Rousseaus Geschlechtertheorie. Um die Differenz von Mann und Frau und damit ihren Platz in der natürlichen und geistigen Ordnung bestimmen zu können, definiert er Mann und Frau durch Kennzeichen der Art oder Spezies einerseits und des Geschlechts andererseits (vgl. 385 f.). So heißt es in Bezug auf die Protagonisten seines Erziehungsromans: „Sophie muß eine Frau sein, wie Emil ein Mann ist, d. h. sie muß alles besitzen, was zu ihrer Art [espHce] und zu ihrem Geschlecht [sexe] gehört, um ihren Platz in der physischen und moralischen Ordnung der Dinge auszufüllen“ (385/ OCP IV, 693). Damit aber werden die kategorialen Vorgaben aristotelischer Ontologie nivelliert und ihre normierende Funktion verschiebt sich. Die begrifflichen Neuerungen bestehen erstens darin, dass Rousseau darauf verzichtet, die nach klassischer Lehre in der Definition zu erfassende Art (eidos) inhaltlich zu bestimmen. Zweitens wird das Verhältnis von Art- und Geschlechts-Merkmalen nicht als kategoriale Differenz zwischen Essenz und Akzidenz, sondern nominalistisch als Verhältnis von Begriffsklassen behandelt: Die Art-Merkmale beziehen sich auf alle Gegenstände der durch sie gebildeten Klasse von Gegenständen; aber unter Geschlechts-Merkmalen versteht Rousseau nicht die allgemeinen, Geschlechtlichkeit als solche charakterisierenden, Eigenschaften von Lebewesen oder Menschen. Es ist das als gegeben vorausgesetzte Faktum der Geschlechterdichotomie, das die Teilung dieses Begriffs bzw. dieser Eigenschaftsklasse in die Charaktere des Männlichen und des Weiblichen begründet (vgl. 386), wodurch zwei kontradiktorisch entgegengesetzte Klassen von Gegenständen konstituiert werden. Zufolge dessen, dass die Artmerkmale nicht definiert werden, wird es möglich, schlechthin alle Eigenschaften, sofern sie geschlechtsspezifisch differente Ausprägungen erkennen lassen, als Geschlechts-Merkmale zu rubrizieren

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– einschließlich derer, die traditionell der Art zugeordnet sind. D. h. im Ergebnis: es gibt weder identische Geschlechtsmerkmale noch nicht mit dem Geschlecht zusammenhängende Differenzen. „Das einzige, was wir sicher wissen, ist, daß alles, was sie [Mann und Frau] gemeinsam haben, zur Art, alles, was sie unterscheidet, zum Geschlecht gehört“ (385 f.). Beliebige beobachtbare Eigenschaften von Männern und Frauen werden von Rousseau zunächst mit Art oder Geschlecht als möglichen Gründen in Verbindung gebracht. Alles, was verschieden ist, ist geschlechtsbedingt, auch wenn es prima facie nichts mit der Geschlechterdifferenz zu tun hat. So muss eine Eigenschaft, wie z. B. eine bestimmte Verfassung des Geistes, sich als letztlich geschlechtsbedingt erweisen, wenn sie bei Männern und Frauen unterschiedlich ist. Die Voraussetzung für dieses Durchgreifen der Geschlechterdifferenz auf alle Charaktere des Menschseins hat sich Rousseau damit geschaffen, dass er die Artmerkmale inhaltlich völlig unbestimmt lässt, sodass die Wesensbestimmung nominalistisch ausgehöhlt wird und die Funktion eines Richtwerts verliert, in Bezug auf den erst der ontologische Status anderer Bestimmungen eines Seienden zu ermitteln ist. Es liegt auf der Hand, dass durch eine solche Methode, die von gegebenen Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten auf deren Zugehörigkeit zu einer der beiden Eigenschaftsklassen schließt, Versuche wie die der Cartesianer, faktisch feststellbare Differenzen zwischen den Geschlechtern als bloß zufällig Gewordenes und damit auch als Veränderbares aufzufassen, konterkariert werden. In direktem Widerspruch zu deren – auf dem Boden des Dualismus von res cogitans und res extensa gewonnenen – Einsicht „lQesprit nQa pas de sexe“ (Poullain de la Barre) deklariert Rousseau die Differenzen zwischen männlichem und weiblichem Geist zu der Natur gemäßen Normen. „Eine vollkommene Frau und ein vollkommener Mann dürfen sich im Geist ebenso [wenig] gleichen wie im Gesicht; auch in der Vollkommenheit gibt es kein Mehr oder Weniger“ (386). Indem die Geschlechterdifferenz zum Prinzip aller möglichen Differenz und damit zu einer das Menschsein bestimmenden Form erhoben wird, werden die dadurch in ihrer privaten und öffentlichen Rolle maßgeblich definierten – und zu normierenden – bürgerlichen Subjekte qua Mann und Frau kreiert. Das heißt indessen keineswegs, dass es sich um verschiedene, aber gleichermaßen durch ihr Geschlecht bestimmte Subjekte handeln würde. Im Gegenteil: Die vollständige Sexualisierung der Frau in ihrer ganzen Person, die Rousseau erstmals philosophisch konzipiert, geht mit der Verteidigung der tradierten Identifizierung des Mannes als das allein durch das Allgemeine, eben durch die Art, bestimmte Wesen einher. Während der Mann „nur in gewissen Augenblicken“ Mann ist, ist die Frau in ihrem ganzen Leben Frau (389). Diese „Befunde“ werden normativ gewendet zur Angabe der Bestimmung von Männern und Frauen: „Als ob nicht jedes von beiden [Geschlechtern], wenn es nach seiner Sonderveranlagung [destination particuliHre] die naturbedingten Ziele anstrebt, vollkommener wäre,

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als wenn es dem anderen ähnlicher zu sein trachtete!“ (ebd.). Jedes Streben der Frau nach Gleichheit mit dem Mann etwa in Hinsicht auf wissenschaftliche Kompetenz ist damit als Verlust genuin weiblicher Vollkommenheit zu kritisieren. Zu beklagen ist diese Setzung differenter Normen für Mann und Frau indessen nicht. Denn in diesem neu begründeten Paradigma philosophischer Geschlechtertheorie bedeutet Verschiedenheit zugleich strikte Gleichheit im Sinne der Gleichwertigkeit. Dagegen können die klassischen Theorien, die von Definitionen der Gattung des Menschen ausgehen, nur die beiden Möglichkeiten in Anschlag bringen: Entweder der Geschlechtsunterschied ist für die Ausbildung dieser Vermögen vollkommen irrelevant, Mann und Frau sind in ihren wesentlichen Bestimmungen gleich und gleichwertig; oder dieser Unterschied ist relevant, dann aber kann es sich unter der Voraussetzung qualitativer Gleichheit als Mensch nur um einen quantitativen Unterschied zwischen Mann und Frau, d. h. um die Feststellung minderer Vollkommenheit des einen, weiblichen, Geschlechts handeln. Rousseau aber erfindet vollständig durch das Geschlecht bestimmte Wesen, Frauen, die mit den das Allgemeine repräsentierenden Männern als gleichwertig gelten. Damit sind die begrifflichen Grundlagen von Rousseaus differenztheoretischer Geschlechtertheorie geklärt. Aber erst auf dem Wege einer genetischen Rekonstruktion der Geschlechtscharaktere gelingt es Rousseau, die der Ordnung der Natur konformen kulturellen Geschlechtscharaktere und Geschlechterverhältnisse inhaltlich zu bestimmen und als maßgebliche zu legitimieren. Auszugehen ist von der physischen Ordnung und ihrem für das Geschlechterverhältnis zunächst maßgeblichen „Gesetz der Natur“ (386). Wenn das Ziel der Natur bezüglich der Geschlechter in der Erzeugung von Nachkommen und d. h. in der Erhaltung der Gattung besteht (vgl. 338), ist das von der Natur bereitgestellte Mittel zur Erreichung dieses Ziels, die Sexualnatur von Frauen und Männern, zu beachten, um ihre „natürliche“ Rolle in dem zur Erreichung des Zwecks notwendigen Akt zu bestimmen. In der Vereinigung der Geschlechter tragen beide gleichmäßig zum gemeinsamen Zweck [der Fortpflanzung] bei, aber nicht auf die gleiche Weise. Daraus ergibt sich der erste bestimmbare Unterschied in ihren gegenseitigen moralischen Beziehungen. Der eine muß aktiv und stark sein, der andere passiv und schwach: notwendigerweise muß der eine wollen und können; es genügt, wenn der andere wenig Widerstand leistet. (386)

Dieser „Grundsatz“ (ebd.), der das von der Natur vorgegebene Prinzip zur Bestimmung aller Mann und Frau betreffenden Charaktere und zur Bestimmung ihres Verhältnisses formuliert, wird e contrario bewiesen. Vorausgesetzt, dass es zur Erreichung des natürlichen Zwecks der procreatio hominis mindestens ein aktives Geschlecht geben muss, bedarf es nur noch des Nachweises, dass zwei „mit der gleichen Kühnheit“ agierende Partner „undenkbar“ sind (ebd.). Undenkbar ist es

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nämlich, dass „das Menschengeschlecht durch die zu seiner Erhaltung bestimmten Mittel vernichtet würde“ (387). Eine solche Konsequenz ergäbe sich aber nach Rousseau aus der rohen sexuellen Triebnatur von Frau und Mann. Anders als das Tierweibchen ist die Frau durch negativen Instinkt gekennzeichnet und anders als der Mann ist sie zugleich schrankenlosen Begierden ausgeliefert (vgl. ebd.). Würde nun die Frau eine aktive Rolle einnehmen und ihr mit unbegrenzter Potenz einhergehendes grenzenloses Liebesverlangen ausleben, „würden die Männer von den Frauen tyrannisiert und schließlich ihre Opfer werden; sie sähen sich dem Tod überliefert, ohne sich jemals verteidigen zu können“ (ebd.). Die von Rousseau in Ansatz gebrachte Natur ist demnach als Natur unvernünftig: Sie bringt in Gestalt der Frau ein Wesen hervor, das als Mittel zur Realisierung ihres Zwecks der procreatio hominis notwendig ist und diese zugleich unmöglich macht. Dieser Widerspruch ist es, der die Notwendigkeit einer Kultur begründet, die den mit dem Auftreten der Frau herbeigeführten eklatanten Bruch vernünftiger Ordnung der Natur durch Herstellung eines der Natur konformen weiblichen Sexualcharakters zu kompensieren hat. Um das Verhältnis der Geschlechter zu befrieden und der Idee der Naturordnung keinen Abbruch zu tun, obliegt es der Frau, den status naturalis zu verlassen und sich selbst als Fehlform der Natur zu kurieren. Die Frau muss sich selbst durch Zurückhaltung diejenige Mäßigung auferlegen, die dem Mann die Natur befiehlt (vgl. ebd.). Sexualität und Generativität des Menschen können also nur in sublimierter Form mit der Naturabsicht zusammenstimmen. Die Frau ist es, von der als Ausgleich – oder theologisch gedacht als Strafe – die Einhegung ihrer gefährlichen Geschlechtsnatur erwartet wird. Dazu muss sie selbst ihre omnipotente Sexualität durch das zarte Gefühl der Scham überformen: Vermittelst dieses kulturell erzeugten Gefühls widersteht die Frau zuerst ihren eigenen vor der männlichen Begierde entstehenden Triebwünschen, setzt also der Natur Schranken und lernt, ihre Triebpotentiale zu sublimieren. Die Scham ist so als die erste und für alles weitere grundlegende durch die Frau erbrachte Kulturleistung angesetzt, die ihren im Vergleich zum Tierweibchen negativen Instinkt27 kompensieren kann und die zur entscheidenden Voraussetzung dafür wird, dass der Gattungszweck der Fortpflanzung realisiert wird. Das Gefühl der Scham bahnt einen Übergang von der physischen zur geistigen, d. h. moralischen Ordnung, indem es die Dynamik des Begehrens nicht nur initiiert, sondern zugleich konfiguriert, indem es die Rolle und den sozialen Status von Allgemein gilt für Rousseau, dass der Mensch vom Tier nur negativ, nämlich durch Instinktfreiheit unterschieden ist. Perfectibilit8 als das maßgebliche Konzept von Rousseaus Anthropologie ist entsprechend nicht als Streben nach Vervollkommnung oder Realisierung eines positiv bestimmten Wesens aufzufassen, sondern als „eine reine Überschreitungspotenz, die negativ als Möglichkeit, den Naturzustand zu verlassen erscheint, aber nicht positiv auf ein humanes Telos ausgerichtet ist“ (Friederike Kuster, Rousseau – Die Konstitution des Privaten. Zur Genese der bürgerlichen Familie, Berlin 2005, 44 f.). 27

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Mann und Frau vorzeichnet. Indem die Frau ihr eigenes Begehren durch Scham verdeckt, erweckt sie erst die Begierde und die Kraft des Mannes. Die Scham erscheint so als ohne Grund gezeigter oder bloß antizipierter Widerstand, der seinen Gegenpart, den aktiven Angriff, als dessen Beantwortung sie sich gibt, paradoxerweise erst provoziert. Anders gesagt: Der Mann entsteht als kulturelles Geschlechtswesen, indem er die im weiblichen Widerstand liegende Projektion seiner Rolle annimmt. Die tödliche Tyrannei durch den weiblichen Sexualtrieb verwandelt sich durch Kultur in eine mit dem Naturzweck kompatible Form der Unterwerfung des Mannes durch die ihre eigene Triebnatur beherrschende Frau, die mit der Entwicklung ihrer Scham zwar Souveränität über die Natur gewinnt, sich aber damit zugleich im sozialen Spiel des Begehrens unterwirft (vgl. 387). Sofern die Begierde des Mannes bedingt ist, erst vermittelst weiblicher Reize ins Spiel kommt, und die Frau ihre eigenen Triebziele nur vermittelst der männlichen Begierde realisieren kann, muss die Frau nämlich danach trachten zu gefallen – das ist ihre natürliche Bestimmung (vgl. 386). Der Mann ist am Gängelband inszenierter weiblicher Reize, aber das Joch – oder theologisch gedacht der Fluch – der Frau ist der ihr auferlegte Zwang zu gefallen. Die kulturelle Überformung weiblicher Sexualität als das Heilmittel einer mit sich entzweiten Natur hat die Sentimentalisierung der Geschlechterverhältnisse zur Folge: Die um willen einer mit sich einstimmigen Natur verlangte Form des zur Scham sublimierten weiblichen Begehrens stiftet die Möglichkeit einer auf Begehren und Liebe gegründeten ehelichen Vereinigung von Mann und Frau. Es entstehen jene für die bürgerliche Ehe charakteristischen Formen von Verinnerlichung und Überhöhung des Ehezwecks der Fortpflanzung, die die rein auf die Naturabsicht der Fortpflanzung gegründete societas matrimoniales der aristotelischen Tradition als roh erscheinen lassen. Im Ausgang von dieser Dialektik des Begehrens entwickelt Rousseau jene vorpolitischen Abhängigkeits- bzw. Herrschaftsverhältnisse, die seiner Postulierung uneingeschränkter Gleichwertigkeit von Mann und Frau entsprechend als ein Geflecht komplementärer Herrschaftsbeziehungen konzipiert sind: Emil wurde als ihr [Sophies] Gatte auch ihr Herr. Sie müssen gehorchen, so hat es die Natur gewollt. Gleicht die Frau Sophie, so ist es jedoch gut, wenn der Mann von ihr gelenkt wird. Auch das ist das Gesetz der Natur. Um sie zur Herrin über sein [Emils] Herz zu machen, wie sein Geschlecht ihn zum Herrn über Ihre Person macht, habe ich Sie zum Schiedsrichter über seine Lüste gemacht. (529)

Während der Mann als Geschlechtswesen durch die Frau beherrscht wird, ist er als Rechts- und d. h. als Willenssubjekt frei; umgekehrt stellt es sich bei der Frau dar: Sie ist zuerst als Geschlechtswesen „souverän“, wird aber – wie noch zu zeigen ist – rechtlich, und d. h. als Person, unfrei. Genau besehen erweist sich die sexuelle Unterwerfung des Mannes als Freisetzung seiner moralischen Vervollkomm-

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nung: Indem er durch die Frau von eigenen Triebmechanismen entlastet und zugleich als aktives, und d. h. vernünftiges, Wesen ins Spiel gebracht wird, gelangt er schließlich zur Beherrschung seiner Leidenschaften durch eigene Vernunft (vgl. 387). Komplementär verhält es sich bei der Frau: Ihre Fähigkeit zur Sublimierung ihrer Triebe und die daraus erwachsende Rolle der Herrin über männliche Lust machen sie paradoxerweise zum Geschlechtswesen par excellence und halten sie als Mensch in kindlicher Unmündigkeit. Als erotisches Wesen ist die Frau dem Zwang zu gefallen ausgeliefert und als moralisches Wesen wird sie dadurch von der Meinung anderer abhängig. Schließlich ist die Frau als Mutter angewiesen auf die Hilfe und Liebe des Mannes, und zugleich ist sie ihm gegenüber „verantwortlich“ – vor allem natürlich im Sinne der Gewährleistung seiner Vaterschaft (vgl. 390).28 Der Umstand, dass die Frau – wie bei Aristoteles – nicht wie der Mann zu einer vernünftigen, d. h. aktiven und willentlichen Steuerung ihrer Triebe gelangen kann, sondern sich vom Begehren des Mannes abhängig macht, begründet im Zusammenhang mit dem Zweck, legitime Vaterschaft zu gewährleisten, die Notwendigkeit der äußeren Lenkung und Kontrolle der Frauen durch öffentliche Meinung. Sie fungiert als die Instanz, die über die Tugend der Frau wacht und richtet. Diese Form gesellschaftlicher Abhängigkeit der Frau ist für ihre Rolle im politischen Raum bestimmend: Mit der Feststellung ihres inferioren moralischen Charakters nämlich wird ihr zugleich der Status eines aktiven, unabhängigen Subjekts der Meinungsbildung abgesprochen und in der Folge ist ihr verwehrt, an den Beratungen über das Gemeinwohl teilzunehmen.29 Rousseaus Konzeption der Frau als das Gefühlswesen par excellence mag zwar im Kontrast zu den durch Verfolgung egoistischer Interessen bestimmten männlichen Vernunftsubjekten des zweiten Discours so gelesen werden können, dass die Frau als das die Sittlichkeit der Familie tragende moralische, das unentfremdete Menschsein des goldenen Zeitalters bewahrende, Wesen gedacht ist; im Pmile besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sie wie schon bei Aristoteles im Vergleich zum Mann als moralisch defizitär gilt – mit vergleichbaren Folgen für ihren politischen Status.30

Wegen seines Geschlechts ist der weibliche Erwachsene schwach wie das Kind, aber seine Schwäche betrifft nicht in erster Linie seine eigene körperliche und geistige Kapazität; es handelt sich vielmehr um die oben beschriebene moralische Schwäche in Relation zu anderen Menschen, d. h. um eine gesellschaftliche Inferiorität. Vgl. Emil (wie Anm. 26), 61 ff., 386 ff., 402. 29 Vgl. Brief an DQAlembert, in: Jean-Jacques Rousseau, Schriften, Bd. 1, hg. von Henning Ritter, Frankfurt am Main 1988, 333 – 474; Kuster, Die Konstitution des Privaten (wie Anm. 27), 197 ff. 30 Diese Feststellungen zur moralischen Minderwertigkeit der Frau sind durchaus vereinbar damit, dass sie im Licht von Rousseaus aufklärungskritischen Beschreibungen der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft im zweiten Discours zugleich als das positive, durch Sittlichkeit und Ge28

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Zu klären ist im Folgenden, worin die im Staatsrecht bereit gestellten gedanklichen Mittel bestehen, die es erlauben, dem Gleichheitspostulat zu genügen und doch die Frauen vom Vollbürgerstatus auszuschließen. Dass das Recht zum Gebrauch äußerer Freiheit gegen andere Menschen in seiner Geltung nicht durch Berufung auf ein natürliches Recht begründet werden kann, sondern eines Vertrags als Grundlage seiner Legitimation bedarf, ist die Einsicht, die Rousseau Hobbes verdankt. Die Erkenntnis, dass HobbesQ Vorstellung von diesem Vertrag als einem Unterwerfungsvertrag der Qualität des Menschen als eines freien und rechtsfähigen Subjekts widerspricht, ist seine eigene epochale Leistung. Das Problem legitimer Herrschaft stellt sich daher für ihn vollkommen neu. Revolutionär und eigenständig ist Rousseaus Auflösung des sogenannten problHme fondamentale, eine Form von Herrschaft zu konzipieren, die nicht im Widerspruch zur Freiheit steht. Der Grundgedanke lautet: Die Art der Unterwerfung selbst muss die Freiheitsgarantie enthalten; das aber ist nur möglich, wenn kein zufälliger Wille einer juristischen oder physischen Person der Souverän ist, sondern die volont8 g8n8rale, der allgemeine Wille, der will, dass „alle in ihrer Freiheit in gleicher Weise, d. h. aufgrund von Gesetzen, die alle über alle beschließen, geschützt sein sollen“.31 Aus dem Gedanken der Freiheit und Gleichheit von Menschen als solchen erwächst zunächst das Bedenken, dass die Ungleichheit von Mann und Frau in der Ehe – die der Pmile lehrt – dem Gleichheitspostulat des Contrat Social32 widerspricht. Es kann jedoch spezielle Rechtsarten wie das Eherecht und das Elternrecht geben, die ein ungleiches Recht zwischen den in diesen Rechtsverhältnissen stehenden Gliedern rechtlich notwendig machen, ohne dem Staatsbürgerrecht zu widersprechen. Das ist genau dann der Fall, wenn es um Verhältnisse natürlicher Abhängigkeit geht, die die Bedingungen der Möglichkeit der Menschheit als solcher betreffen.33 So verhält es sich bei Kindern, die der Vormundschaft durch die Eltern bedürfen, um sich als Individuen erhalten zu können. Nach Rousseau beruht auch die Erhaltung der Gattung auf einem spezifischen Dependenzverhältnis von Menschen: auf der durch die Scham der Frau begründeten menschlichen Geschlechterordnung. Zwar ist die darin implizierte gesellschaftliche Abhängigkeit der Frau nicht natürlich, sondern durch Kultur hergestellt, aber als das zur Erreischmack bestimmte, Gegenbild erscheint; vgl. Steinbrügge, Das moralische Geschlecht (wie Anm. 5). 31 Julius Ebbinghaus, Die Idee des Rechtes, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Georg Geismann und Hariolf Oberer, Bd. 2, Bonn 1988, 141–198, hier 163. 32 Jean Jaques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechtes, in Zusammenarbeit mit Eva Pietzker neu übersetzt und hg. von Hans Brockard, Stuttgart 1977; im Folgenden: CS. 33 Julius Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und des Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung, in: ders., Gesammelte Schriften (wie Anm. 31), Bd. 2, 249–281, hier 272 f.

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chung des Naturzwecks notwendige Mittel ist sie durch Rekurs auf die Idee der Natur gerechtfertigt. Unter dieser Voraussetzung kann das ungleiche Recht zwischen Mann und Frau als durch das Recht der Menschheit selbst gefordert legitimiert werden (vgl. ebd.); und folglich kann es durch die Gesetzgebung des Staates ausgestaltet werden, ohne dem Prinzip gleicher Freiheit zu widersprechen. Ob nun die vorstaatliche Ungleichheit des Rechts in der Familie auch für die Frage nach dem rechtlichen Status der Frau als Bürger des Staates relevant ist, ist in Anbetracht der spärlichen Äußerungen Rousseaus zu diesem Punkt nicht leicht zu entscheiden. Die einzige im Contrat Social genannte Bedingung für den Beitritt zum Staatsbürgervertrag besteht darin, Herr seiner selbst zu sein. Strukturell analog zur aristotelischen Philosophie geht es darum, vermittelst dieses Kriteriums die Position von Menschen im Staat zu bestimmen. Genauer besehen sind es zwei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um diesen Status zugesprochen bekommen zu können: 1. Rationalität, und d. h. hier: Die zur Erreichung des Naturzwecks der Selbsterhaltung geeigneten Mittel werden überlegt gewählt;34 2. Ökonomische Unabhängigkeit: Nur der Erwachsene ist „sein eigener Herr, da er der einzige Richter über den Zweck seiner Erhaltung ist“.35 Dieser Rang würde im Falle ökonomischer Abhängigkeit von einem anderen Menschen zunichte.36 Nun hatte die Geschlechtertheorie des Pmile gezeigt, dass das weibliche Kind bloß in Folge seines Geschlechtscharakters unmittelbar vom Status des Kindes in den der zugleich unterworfenen und schutzbedürftigen Frau übergeht. Für Frauen gilt zufolge ihres Geschlechtscharakters dasselbe wie für Kinder: Sie sind zu ihrem Selbsterhalt auf andere angewiesen; und deshalb können sie im politischen Gemeinwesen nur als Schutzbürger, aber nicht als Glied des Souveräns zugelassen werden.37 Rechtsphilosophisch gesehen liefert die Geschlechtertheorie des Pmile also Erwägungen über die von der Natur vorgegebenen Bedingungen rechtlicher Freiheit,38 auf deren Boden die Unmündigkeit der Frau und ihre staatsrechtliche Minderwertigkeit, d.i. die Verweigerung des Vollbürgerstatus, zu begründen sind. Die in Ansatz gebrachten begrifflichen Mittel zum Verhältnis von Gattungs- und Geschlechtseigenschaften erlauben es, diese seit der Antike statuierten EinschränVgl. CS, I. 2; Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte (wie Anm. 33), 255 f. CS, I. 2. 36 Vgl. ebd. 37 Das belegt der Emil: Im Kontext der Erziehungslehre ist außer der physischen und moralischen Ordnung die politische Ordnung, in der der Mensch als Bürger in bürgerlichen Beziehungen steht, zu berücksichtigen (vgl. Rousseau, Emil [wie Anm. 26], 501 ff.). Die auf diese Beziehungen bezogenen Erziehungsziele von Individuen sind durch die Geschlechterdifferenz bestimmt: Nur das männliche Kind ist zum Staatsbürger heranzubilden, das weibliche hingegen zur Gattin und Mutter (vgl. ebd.). 38 Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte (wie Anm. 33), 259. 34 35

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kungen zu konservieren ohne die Minderwertigkeit ihrer menschlichen Natur behaupten zu müssen und damit dem neuzeitlichen Gleichheitspostulat zu widersprechen. Die Geschlechterdifferenz entscheidet „nur“ darüber, welcher Mensch sich zum Erwachsenen im vollen Sinne, d.i. zum Herrn seiner selbst entwickeln kann.39 Es war die Revolutionärin Olympe de Gouges, die sich für die konsequente Umsetzung des Menschen- und Staatsrechts auch für Frauen eingesetzt und die diesem Ziel entgegenstehenden, für die philosophische Nachwelt so faszinierenden Lehren Rousseaus der Kritik unterzogen hat. Für sie sind die empirisch untermauerten Konzepte von Frau und Mann als differente Subjekte Ideologeme, die aus kontingenten Tatsachen unumstößliche Normen für die vorpolitische Sphäre und Kriterien für die Zugehörigkeit zur politischen zu gewinnen suchen. So kommt De GougesQ Analyse des „ehemaligen Zustandes in der Gesellschaft“40 zu dem Ergebnis, dass es die gegen Frauen verübte „Gewalt“ war, die ihnen den Zwang zur Verstellung, das Defizit ihres moralischen Charakters also, ebenso wie die moralisch dubiosen Waffen von List und Reizen erst aufgenötigt hat. Auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass sich Rousseau mit seiner Lehre vom weiblichen Geschlechtscharakter, bestimmt durch Scham und Empathie für konkrete Individuen, gegen die „unmoralischen“ Frauen des Ancien R8gime, also gegen die faktischen Verhältnisse, wendet, trifft De GougesQ Kritik der Sache nach Rousseau: Dass sein als Gegenbild konzipiertes Ideal von Weiblichkeit den Zwang zu gefallen zur „natürlichen“ Norm für ihren kulturell zu erzeugenden Geschlechtscharakter erklärt, wovon die auf moralischen Gefühlen basierte vorpolitische Gemeinschaft der Familie abhängig gemacht wird, handelt es sich um eine Umwertung, die durch Naturalisierung die falschen gesellschaftlichen Verhältnisse verdeckt und verfestigt. Die ideologischen Fallstricke seiner wissenschaftlich modernisierten Berufung auf Natur als Legitimationsinstanz lassen sich im Rückgriff auf die vorstehenden Analysen genauer fassen: Die von metaphysischen Annahmen befreite Idee der Naturteleologie wird mit Inhalten angereichert, die als empirische Befunde deklariert in mehrfacher Weise fragwürdig sind: Erstens ist ihr epistemischer Status zweifelhaft, zum einen sofern den Tatsachen als solchen nicht zu entnehmen ist, wodurch sie verursacht sind – ob also eine bestimmte Eigenschaft von Frauen durch Natur oder Kultur entstanden, mithin veränderbar ist oder nicht. Zum anderen stellt sich die Frage, wie die relevanFriederike Kuster ist der weitergehenden Frage nachgegangen, wie Rousseau das Verhältnis der vorpolitischen Ordnung zur politischen konzipiert hat, vgl. Kuster, Die Konstitution des Privaten (wie Anm. 7) und dies., Philosophische Geschlechtertheorien zur Einführung, Hamburg 2019; vgl. dazu Heinz, Zur Konstitution vergeschlechtlichter Subjekte (wie Anm. 8). 40 Olympe de Gouges, Mensch und Bürgerin: Die Rechte der Frau, Paris 1791 (mit vollständigem Quellentext französisch/deutsch), hg. und kommentiert von Hannelore Schröder, Aachen 1995, 165. 39

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ten Tatsachen ausgewählt und belegt werden. Man denke an die zentrale Behauptung über den uneingeschränkten Sexualtrieb der Frau, die teils biologisch begründet, in die aber offensichtlich auch die christliche Vorstellung ihrer Sündhaftigkeit eingeschmolzen wird. Zweitens aber kann grundsätzlich nicht von einem Sein auf ein Sollen, d. h. auf eine normative Vorgabe zur Kultivierung der Geschlechtsnatur geschlossen werden. Das Theorem des Geschlechtscharakters erweist sich als ein Konstrukt, in das tradierte Vorurteile und sogenannte Beobachtungen eingehen und zu einem der Natur gemäßen Ideal aufgesteigert werden. Mit dieser Kritik ist aber nicht nur Rousseaus normatives Konzept von Weiblichkeit zerstört, auch die geltend gemachte Verknüpfung von Geschlechtertheorie und rein rational begründetem Staatsrecht ist in Frage gestellt. Den Bürgerstatus und die Rechte von Frauen mit der Begründung einzuschränken, sie seien keine der Herrschaft über sich fähige Wesen, erweist sich vor dem Richterstuhl der praktischen Vernunft als Verkehrung. Wenn diese angebliche Geschlechtsnatur der Frau als Resultat menschlicher Praxis erkannt ist, gilt es, die faktischen Verhältnisse zu kritisieren und so zu verändern, dass Institutionen entstehen, die die gesellschaftspolitische Realität dem vernunftrechtlichen Postulat der Gleichheit und Freiheit anzugleichen vermögen. Das ist es, was die Revolutionärin De Gouges einfordert: Die durch die „Tyrannei des Mannes“ der Freiheit der Frau in der „Ausübung der natürlichen Rechte“ und Bürgerin gesetzten „Grenzen […] durch Gesetze der Natur und der Vernunft“ zu reformieren.41 Entsprechend heißt es im ersten Artikel ihrer „Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin“ mit und gegen Rousseau: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich“.42 So erfolgreich diese Programmatik feministischer Aufklärung in der Sphäre des Rechts realisiert worden ist, gesellschaftlich hat sie sich nicht durchgesetzt. Sowohl das Konzept der Frau als Geschlechtswesen, das gefallen will und soll, als auch das der sentimentalen Familie als Biotop des Mitmenschlichen im Kontrast zu der durch Konkurrenz und egoistische Interessen bestimmten, aus dem Haus ausgegliederten Sphäre des Wirtschaftens sind von erstaunlicher Langlebigkeit. Die Philosophie der Aufklärung macht die von Autorität und Vorurteil befreite Vernunft zur Grundlage der Konstitution sozialer und politischer Ordnungen von Menschen. Indem sich die Legitimität von Herrschaft an der Wahrung der postulierten Freiheit und Gleichheit der Beherrschten bemisst, wird das antike Paradigma der Legitimation menschlicher Gemeinschaften durch Natur abgelöst. Rousseaus Konzeptionen der Frau und der durch sie bestimmten sentimentalen Familie verteidigt indessen eine Enklave des Natürlichen, die die feministische Philosophie – etwa der Olympe de GougesQ – als Ideologie kritisiert und philosophisch revidiert. 41 42

Ebd., 161. Ebd., 160.

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The examination of the paradigms of social order in the context of feminist philosophy aims to expose the ideological character of traditional strategies of justification by nature. A decisive argument for AristotleQs idea of the hierarchical order in the oikos as well as for his exclusion of women from the polis is furnished by his concept of the inferior nature of women. With the Hobbesian revolution in political theory, nature is abandoned as a foundation for legitimizing domination over human beings in favour of the institution of a contract. Within Enlightenment philosophy, it is Rousseau who develops a new theory of inequality of the sexes, which provides arguments both for the role of women as mothers and wives in the sentimentalized family as well as for the refusal to accord them status as full citizens. Olympe de Gouges realized that this amounted to nothing other than a naturalisation of the historically contingent features of women, which in turn hindered the emancipatory request to change the circumstancances that produced them. Prof. Dr. Marion Heinz, Kirchweg 28, D-51503 Rösrath

Antoinina Bevan Zlatar Reading Anne CliffordQs Books in the Company of Samuel Daniel

The 12th [May 1616] […] All this time my Lord was at London where he had infinite and great resort coming to him. He went much abroad to cocking, to bowling alleys, to plays and horse races and was commended by all the world. I stayed in the country having many times a sorrowful and heavy heart, and being condemned by most folks because I would not consent to the agreements, so I may truly say I am like an owl in the desert.1

Anne Clifford (1590–1676) is known to early modern English scholars for the extensive documentation of her life on paper, stone, and in paint. In the above diary entry, „my lord“ refers to Richard Sackville, the 3rd Earl of Dorset, whom Clifford married in 1609, while „the country“ is Knole House, SackvilleQs seat in Kent, where Anne and her 2-year-old daughter resided. As for the „agreements“, these pertained to the settlement of a notorious inheritance dispute over almost 90,000 acres of land, properties and titles in Westmorland and Yorkshire that Clifford deemed hers by right. According to an entail imposed by Edward II, the Clifford lands and titles were to descend in direct line to heirs both male and female, but AnneQs father, George Clifford, the 3rd Earl of Cumberland, having a daughter as his sole surviving heir, willed his lands to his brother and his male issue. From 1605 onwards, Anne, initially at her motherQs instigation, publicly contested her fatherQs will, assembling key legal documents to prove that the lands were to revert to the Crown in the case of no heirs general. Refusing to relinquish her claim in return for a cash settlement, Clifford incurred the „condemnation“ of her husband, „most folks“ attached to the Court, and that of King James I himself. Only when her cou-

CliffordQs life writings in manuscript comprise a „Memoir“ of 1603, a „Diary“ of 1616, 1617 and 1619, „The Life of Me the Lady Anne Clifford“, the „Yearly Memoirs“ of 1650 – 1675, and a „Daybook“ of 1676. We now have an annotated edition of all these texts in one volume, Anne CliffordQs Autobiographical Writing, 1590 – 1676, ed. by Jessica Malay, Manchester 2018, 34. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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sin Henry Clifford died without male heirs in 1643 did the lands finally revert to Anne.2 Given the gendered inflections of this narrative it will come as no surprise that Anne Clifford has repeatedly attracted the attention of feminist critics. In her pioneering Writing Women in Jacobean England (1993), the late Barbara Lewalski placed Clifford alongside female patrons such as Queen Anne of Denmark, the letter-writers Princess Elizabeth and Arabella Stuart, the poet Aemilia Lanyer, the playwright Elizabeth Carey, and writer of prose fiction Mary Wroth. Lewalski identified these women as exceptional in their ability to find a voice in spite of the repressive culture of James IQs court, and suggested various sources of empowerment: the scope for female patronage and networks occasioned by the death of Elizabeth I; a conviction that God was on their side, as well as the example of the rebellious heroines of literature. For Lewalski, Clifford is „a kind of female David taking on the Goliath of the patriarchal power structure […] to preserve the interests of a female line“, sustained by a female courtly network with her „blessed“ mother as her moral and spiritual model.3 Such accounts of general female oppression with isolated, heroic cases of resistance, underpinned by radical feminism, were especially prevalent in the 1980s and early 1990s, the pioneering period when scholars began to excavate and reinstate texts by women across Europe. More recently, poststructuralist and historicist critics have questioned this narrative, furnishing micro-histories that emphasise the plurality of womenQs and menQs experiences, and the complex, shifting, sometimes contradictory nature of identity. In Shakespeare and Women (2005), Phyllis Rakin argues that critics have mistaken patriarchal prescriptions for descriptions of actual practice, and overlooked the ways in which gender hierarchies Biographies of Clifford include George Williamson, Lady Anne Clifford, Kendal 1922, and Richard T. Spence, Lady Anne Clifford, Stroud 1997. For the ,Great Inheritance DisputeR, see Spence, 40 – 58. 3 Barbara Lewalski, Claiming Patrimony and Constructing a Self. Anne Clifford and her ,DiaryR, in: id., Writing Women in Jacobean England, Cambridge, Mass., 1993, 124 – 151, here 151. Other studies of Clifford that explicitly engage with gender include Mary Ellen Lamb, The Agency of the Split Subject. Lady Anne Clifford and the Uses of Reading, in: English Literary Renaissance 22/3 (1992), 347 – 368; Susan Wiseman, Knowing her Place. Anne Clifford and the Politics of Retreat, in: Philippa Berry, Margaret Tudeau-Clayton (eds.), Textures of Renaissance Knowledge, Manchester 2003, 199 – 221; Julie Crawford, The Case of Lady Anne Clifford. Or, Did Women have a Mixed Monarchy?, in: PMLA 121/5 (2006), 1682 – 1689; Jessica Malay, Crossing Generations. Female Alliances and Dynastic Power in Anne CliffordQs ,Great Books of RecordR, in: Christina Luckyj, Niamh J. OQLeary (eds.), The Politics of Female Alliance in Early modern England, Nebraska 2017, 207 – 224, and Jessica Malay, Anne Clifford. Appropriating the rhetoric of queens to become the lady of the North, in: Liz Oakley-Brown, Louise J. Wilkinson (eds.), The Rituals and Rhetoric of Queenship. Medieval to Early Modern, Dublin 2009, 157 – 170. 2

Reading Anne CliffordQs Books

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Fig. 1. „The Great Picture Triptych“, Abbot Hall Gallery, Kendal, UK

intersected with and were eclipsed by other hierarchies.4 Indeed, archival evidence has shown that early modern English women of all classes often did have agency, and not only within the economy of their households or as widows. Stephen Orgel, Amy Louise Erickson, Margaret Ezell, and Laura Gowing have uncovered women arranging marriages, bequeathing property, serving as executrixes of wills and, like Anne Clifford, engaging in litigation to further their financial interests.5 As Susan Wiseman reminds us in Conspiracy and Virtue, in the early modern period „[g]ender was not […], as it is for us, a crucial taxonomic term covering various aspects of social and cultural life. Women were, inevitably, understood in relation to other categories which are themselves shifting“.6 As a complement to the scholarship on Clifford that has tended to concentrate on her autobiographical writings, her resistance to male figures of authority, and her female networks, this essay will focus on the „Great Picture Triptych“ (see Fig. 1), an oil painting on canvass some 250 cm high by 500 cm long that Clifford commissioned in c. 1646, and its companion, her remarkable dynastic history The Great Books of Record. Comprising three elephant folios charting 600 years of her Phyllis Rackin, Shakespeare and Women, Oxford 2005 (Oxford Shakespeare Topics), 1 – 47. See Stephen Orgel, Impersonations. The Performance of Gender in ShakespeareQs England, Cambridge 1996; Amy Louise Erickson, Women and Property in Early Modern England, London 1993; Margaret Ezell, The PatriarchQs Wife. Literary Evidence and the History of the Family, Chapel Hill 1987, and Laura Gowing, Domestic Dangers. Women, Words, and Sex in Early Modern London, Oxford 1996. More recently, Helen Smith has shed light on the role of women in the book trade in Grossly Material Things. Women and Book Production in Early Modern England (Oxford 2012). 6 Susan Wiseman, Conspiracy and Virtue. Women, Writing, and Politics in Seventeenth-Century England, Oxford 2006, 24. 4

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Veteripont and Clifford ancestors, the Books of Record culminate in her own autobiography „The Life of Me the Lady Anne Clifford“.7 Both these works proclaim CliffordQs bookishness: the triptych is noteworthy for the depiction of a library of some 50 books with legible titles; the Great Books of Record are themselves the product of CliffordQs reading in history and engagement with the burgeoning field of antiquarianism. I will argue that CliffordQs culture of reading and of writing is best understood in the context of a mixed circle of aristocratic bookishness with the poet and historian Samuel Daniel as a key figure. Daniel has been largely overlooked or placed in opposition to Clifford in feminist studies, but he deserves our attention.8 From the late 1590s until circa 1603, he was employed by Margaret Clifford as tutor to Anne. His portrait hangs high up above the shelves on the left panel of the triptych, glossed by the following label (Fig. 2): Samuel Daniel Tutour to this Young Ladii a man of an Vpright and excellent Spirit as appears bii his Workes was borne in the Yeere of our Lord 1563. He dyed at Ridge in the parish of Beckinton in Sommersetshire about the 9.th of October in the Yeere 1619. and lyeth buried. in the Chancell of the Sayd Church. leauing no isue.

Indeed, the labels attributing two volumes in CliffordQs virtual library to Daniel are unique in specifying his relationship to Anne – „Tutour to the Young Ladii“. Today, Daniel is often relegated to a mere footnote in editions of Shakespeare, but he was considered a writer of note by his contemporaries. His oeuvre is distinctive for its engagement with mutability and the problems attendant on representing the past be it classical antiquity or medieval England. Influenced by the new historiography practiced on the Continent, his historical studies explore the complex, often irrecoverable, motivation of historical figures and the political, human force fields in which they operated. Moreover, he is particularly relevant to a study of early modern gender because of his empathetic treatment of women in distress including AnneQs ancestor Rosamond Clifford, the mistress of Henry II, and Octavia the abandoned wife of Mark Antony whom Daniel explicitly equates with AnneQs mother Margaret.9 The essay is split into three parts. I will begin with a tour of CliffordQs virtual library and introduce the other bibliophiles in her immediate family. In Part II, I will argue that Samuel DanielQs exclusive conception of „worthy“ books and learning as expressed in his prefatory poem to John FlorioQs English translation of Montaigne and in his major work Musophilus sheds new light on CliffordQs library Anne CliffordQs Great Books of Record, ed. by Jessica Malay, Manchester 2015. See Mihoko Suzuki, Anne Clifford and the Gendering of History, in: Clio 30/2 (2001), 195 – 229, here 202 f. 9 While women in distress are not uncommon in early modern Complaint literature, few are treated as empathetically as in DanielQs Complaint of Rosamond (1592) and his A letter from Octavia (1599). 7

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Reading Anne CliffordQs Books

Fig. 2. Portrait of Samuel Daniel in „The Great Picture Triptych“, Abbot Hall Gallery, Kendal, UK

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and her own conceptualisation of the immortalising power of literature. In the final section, I will turn to Clifford the writer of dynastic history and her debt to DanielQs Complaint of Rosamond in her Great Books of Record. More broadly, I will suggest that Clifford never forgets her „sex“, but that it is a category of identity that intersects with, and is often trumped by, that of class. This should make us wary of coopting Clifford as a feminist.

I. CliffordQs Virtual Library in the Context of Mixed Aristocratic Bookishness Anne Clifford commissioned the „Great Picture Triptych“ in c. 1646, using images and words to chronicle a series of key events: her conception and the death of her brothers (central panel), her disinheritance in 1605 (left panel), and the restoration of her lands in 1643 (right panel).10 The 37 heraldic shields framing the central panel are each explicated by a brief biography of her chief ancestors. Much of the wording in these biographies and in the paintingQs textual insets is echoed in CliffordQs Great Books of Record, proving the extent of CliffordQs involvement in the design of the painting while simultaneously signalling to the viewer that it is to be complemented by consulting the comprehensive history of her family.11 The painting thus functions like a reference in a bookQs margin, impelling the reader or viewer to consult the source. This, I think, explains the „paradox“ of including textual insets that would have been only partially legible when the painting was hung.12 But what are we to make of the books on display?13 The fact that each volume has a handwritten title in a slightly larger and more legible script suggests that Clifford wants us to take note of both the contents of her library and the position of the books. Indeed, when we compare the handwritten labels with the titles of the actual printed books, we notice how idiosyncratic and provocative they are. Three overlapping thematic clusters stand out: prose romanThe fullest account of the iconography of the triptych is Karen Hearn, Lady Anne CliffordQs Great Triptych, in: id., Lynn Hulse (eds.), Lady Anne Clifford. Culture, Patronage and Gender in 17th-Century Britain, in: Yorkshire Archaeological Society Occasional Paper 7, Leeds 2009, 1 – 24. Clifford had two versions made, one for each of her two daughters. The only extant version now hangs at Abbot Hall Art Gallery in Kendal. 11 Jessica Malay suggests that Edmund Langley, the main scribe and illustrator of Great Books of Record, was responsible for painting the textual inscriptions and the heraldic shields. A manuscript copy of the inscriptions produced by Langley has survived: CAS Kendal, WDHOTH 1/16. See Jessica Malay, Introduction in: CliffordQs Great Books (see note 7), 21 f. 12 Hearn draws attention to this „paradox“ in „Lady Anne CliffordQs Great Triptych“ (see note 8), 6. 13 ,Google Arts and CultureR (https://artsandculture.google.com/asset/the-great-picture/ugHL4_ozVj1f3 g), allows us to zoom in on the Great Picture and effortlessly read all the book labels. For a transcription of these labels, see the Appendix. 10

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ces and lyric poetry both continental and English; history and moral philosophy by classical and contemporary continental and English authors; and the Bible and devotional literature (for a table of all titles, see the Appendix). Most of the continental books are translated into English; a few are in French. While it is true that Queen Elizabeth I and CliffordQs friend, Arabella Stuart, herself in line to the English throne, knew Greek, Latin and Hebrew, 17th-century English women of the aristocracy and gentry, unlike their male counterparts, generally did not learn ancient languages. This was the case for CliffordQs mother who, as we will see, knew no language but her native tongue. As for her own education, Anne tells us with her usual modesty that „she was not admitted to learne any languages because her father would not permitt ytt, butt for all other knowledge fitt for her sexe none was bredd upp to greater perfection then her selfe“.14 By languages she seems to mean Latin because she was given French lessons,15 and PlutarchQs Lives and Morals as well as GuicciardiniQs History all appear translated into French in the triptych. As Jessica Malay has revealed, Clifford does seem to have acquired a smattering of Latin later in life in spite of her fatherQs proscriptions, enough to get the gist of the Latin and Norman French legal documents transcribed by Roger Dodsworth, one of the antiquarians involved in the laborious process of compiling the Great Books of Record.16 On the shelves in the ,youngerR left panel, we find „Ouids Metamorphosis“, Torquato TassoQs „Godfreij of Boulogne“ (unattributed), CervantesQs „Don Quixote“ (unattributed) arranged in proximity to the complete works of Chaucer and Edmund Spenser, and Philip SidneyQs Arcadia.17 Thomas SheltonQs English translation of Cervantes was printed with the title The History of the Valorous and Wittie Knight-Errant Don Quixote of the Mancha (Part I, 1612; Part II, 1620), but Clifford labels her copy „The Feigned History of Don Quixote“. The adjective „feigned“ coupled with its location – on the floor at the foot of the youthful Anne – seems to signal a fairly lowly place in the hierarchy of reading.18 On the ,olderR right panel of the triptych, lyrical poetry will continue to be a theme, but this time it is exclusively English. John DonneQs „Poems“ and Ben JonCliffordQs Great Books (see note 7), 728. See T. D. Whitaker, The History and Antiquities of the Deanery of Craven, London 1878, 388, quoted in Lewalski, Writing Women (see note 3), 137. 16 Of DodsworthQs 85 manuscript volumes deposited at the Bodleian Library, Oxford, volumes 70, 74 and 83 contain annotations in Anne CliffordQs distinctive hand instructing him which (Latin) documents were to be included in the Great Books. Cf. CliffordQs Great Books (see note 7), 8 f. 17 Given that a number of the books in the left panel of the triptych were published after 1605 – the year purported to be commemorated, we might usefully refer to the library as a ,diagramR of CliffordQs reading. I am grateful to Karen Hearn for this descriptive. 18 For a discussion of CliffordQs hierarchy of reading see Antoinina Bevan Zlatar, Anne Clifford and her Bible, in: SEL 57/1 (2017), 157 – 180. 14

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sonQs „works“ are tumbled together in the manner of humanist libraries on the upper shelf, while HerbertQs „Poems“ stand close by. Clifford uses „Mr“ versus „Dr“ to distinguish between DonneQs poems and his sermons, while the adjective „diuine“ marks out the sacred poetry of Herbert. Of course Clifford knew many of these authors in person. She had performed in Ben JonsonQs Masque of Beauty in 1608, and played Berenice of Egypt a year later in his Masque of Queens, both written for Queen Anne. George Herbert was related to the family of CliffordQs second husband, Philip Herbert, and was possibly chaplain at Wilton House where Clifford lived in the early 1630s. Extant letters suggest that Clifford and Herbert became friends.19 As for Donne, Clifford records that he preached one Sunday at Sevenoaks in 1617 and afterwards dined in the great chamber at Knole House.20 He is reported to have said that „she knew well how to discourse of all things, from Predestination, to Slea-silk“.21 Works of history and stoic moral philosophy form another cluster of interest. On the left panel lying beneath Epictetus and Boethius and in close proximity to his portrait, we see „All the works in Verse of Sa: Daniel Tutuor to this Young Ladij“ (see Fig. 3).22 Judging by the size of the volume in the painting, Clifford would seem to be denoting the quarto edition of 1599, yet her label is closer to the printed title of the folio of 1601. All the verse collected in the quarto and the folio engages with the theme of history, but DanielQs most explicit engagement with English history is the Civil Wars, a narrative that begins with the deposition of Richard II and was to conclude with the accession of Henry VII and the beginnings of the Tudor dynasty, but which broke off in the reign of Edward IV. On the lower shelf, this time above „L.d Michael de Montaigne his Essaijes“, lies „The Chronicle of England in prose bii Sa: Daniel“. This was the prose history that occupied Daniel See Michelle M. Dowd, ,Order plays the soulR. Anne Clifford, ,The TempleR, and the Spiritual Logic of Housework, in: Christopher Hodgkins (ed.), George HerbertQs Travels. International Print and Cultural Legacies, Newark 2011, 59 – 77, here 68. 20 See Anne Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 65. Donne was Rector of St Nicholas, Sevenoaks, from 1616 – 1631. 21 Edward Rainbowe, A Sermon Preached at the Funeral of the right Honorable Anne Countess of Pembroke, Dorset, and Montgomery, London 1677, 38. 22 A quarto edition of DanielQs collected verse was printed in 1599 as The Poetical Essays; in 1601 a well-printed folio entitled The Works of Samuel Daniel appeared in two issues, the larger delux version was to give away as gifts. The quarto included Musophilus, A letter from Octavia dedicated to CliffordQs mother, a revised version of the Complaint of Rosamond (1592), a revised version of his Senecan tragedy Cleopatra (1594), and five books of his epic poem the Civil Wars. The folio contained revised versions of all of the above plus six books of the Civil Wars and a substantially rewritten Delia his sonnet sequence. Daniel was a compulsive re-writer, which may account for the fact that there is still no modern edition of his complete works. See John Pitcher, Samuel Daniel, in: ODNB, 73 f. 19

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Fig. 3. Detail of book-labels in left panel of „The Great Picture Triptych“, Abbot Hall Gallery, Kendal, UK

throughout the last decade of his life, a narrative that began just before the Norman Conquest and progressed to the reign of Edward III. Clifford labels it a „chronicle“ but it was actually published as The Collection of the History of England, first in 1612 and in its final form in 1618. CliffordQs interest in history continues in the right panel with „Plutarches Liues“ on the lower shelf next to „Gurcherdinies History“ both in French, and „Aminianus Mercilianus of the Romish History“ on the upper shelf. By including Francesco Guicciardini, a friend of Machiavelli, in her virtual library, Clifford would seem to be signalling her interest in the new historiography practised on the Continent, an approach to history that she would have learnt from Samuel Daniel and which she would herself practice in her Great Books of Record.23 If CliffordQs labels subtly convey a hierarchy of reading with CervantesQs „feigned History“ implicitly relegated below ,truerR histories penned by Daniel or Guicciardini, the iconography of the painting encourages us to take note of the devotional literature and, in particular, of the Bible. In the left panel on the upper shelf four handsomely bound folios stand out: „The Holij Bijble the old See Alzada Tipton, Caught between ,VirtueR and ,MemorieR. Providential and Political Historiography in Samuel DanielQs the ,Civil WarsR, in: Huntingdon Library Quarterly 61 (1998), 325 – 341, here 330. 23

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and new Testament“, „S.t Avgustine of the Citij of God“, „Eusebius his Historij of the Church“, and „All the Workes of D.r Ioseph Hall“ (see Fig. 3 above). In the right panel, on the top shelf above the older Clifford, we find „Mr : Georg Sands his Translation of the Psalmes, & other partes of the Bible into verse“, „Mr : King Bishop of London his Sermons“ and „All Dr Iohn Dunn Deane of Pauls his Sermons“, as well as „Mr Wm Astins Books of Meditations and Devotions“. Again many of these authors were associated with Anne personally or with the court of Queen Anne, which Clifford attended.24 But it is the placement of the Bible that catches the eye: at the very centre of the central panel, Countess Margaret holds a book of Psalms over the unborn baby Anne; on the right panel under the older CliffordQs right hand we see „CharonQs Book of Wisdom translated out of French into English“, and, beneath that, „The Holy Bible The old and new Testament“. As I have argued elsewhere, the prominence given to the Bible serves to reinforce the narrative in the textual insets – a proclamation that the restitution of CliffordQs lands and titles is all in accordance with GodQs providential plan.25 The implication is that the Bible, GodQs history of his dealings with mankind, is her Truth. Scholars have expressed surprise that an early modern woman should display so many books spanning such a broad generic range.26 But, if we read this virtual library in the context of her Great Books of Record, we see CliffordQs insistence that her bibliophilia is not exceptional in a family where both sexes delighted in reading and book learning. She tells us that her paternal grandfather, Henry Clifford, 2nd Earl of Cumberland (1517–1570), was „very studious in all manner of learning soe as he had an excellent library both of written hand books and printed books, to which hee was exceedeingly adicted“.27 His „excellent library“ must have been at Brougham castle in Cumbria where he retired from court after the death of his first wife and later died.28 CliffordQs father, George (1558–1605), was born at Brougham, and, after his fatherQs death, became ward and later son-in-law of the bibliophile Francis Russell. He was sent to Cambridge in For CliffordQs connections with Queen AnneQs court, see Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 46–48, 69, and 72, and Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 17, 21, 61 – 63. George Sandys was George CliffordQs godson. Bishop John King was a preacher held in high regard by the queen, and someone Clifford turned to in her distress with Sackville in 1617. William Austin was a friend of Ben Jonson. Hall was chaplain to Prince Henry who was himself a friend of CliffordQs first husband, Richard Sackville. 25 See Bevan Zlatar, Clifford and her Bible (see note 17). 26 Graham Parry, The Great Picture of Lady Anne Clifford, in: David Howard (ed.), Art and Patronage in the Caroline Courts, Cambridge 1993, 202 – 219, observes that „[t]here is an imaginative range of works on display [in the left panel], far wider than a young man at Oxford or Cambridge was likely to have been exposed to“, 209 f. 27 CliffordQs Great Books (see note 7), 623. 28 Ibid., 709. 24

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1571 to be tutored by John Whitgift, graduating with an MA in 1576 aged only 18.29 Clifford tells us: [H]e had a generall knowledge and insight into all the Artes and especiallie into the Mathemetiques, wherein hee tooke greate delight and was soe exquisitly versed in the same thatt it was thought to bee one principall cause of his applyeing himselfe afterwards to sea voyages and navigations.30

George was a pre-eminent courtier, appointed the queenQs official tournament champion in 1590, and admitted to the Order of the Garter in 1592, offices commemorated in the triptych where he is depicted wearing part of his spangled tournament armour and the distinctive blue sash. He was a dedicatee of SpenserQs The Faerie Queene and seems to have written poetry himself – Stephen W. May suggests that George is to be numbered among some 30 ,courtier poetsR.31 AnneQs mother, Margaret Russell Clifford (1560–1616), was born into a very bookish household.32 A record of her father Francis RussellQs library at Chenies in Buckinghamshire dated 1584 suggests that he owned over 600 books and manuscripts. The Russells were also close to the queen – Francis was a member of the Privy Council and MargaretQs eldest sister, Anne, whose portrait hangs in the central panel in the triptych, was one of ElizabethQs longest serving Ladies of the Bed Chamber.33 Margaret was herself part of the queenQs extended female entourage, something that Clifford advertises repeatedly in her „Memoir“ of 1603 and in the Great Books.34 She was a keen reader and a patron of poets, translators, and preachers, the dedicatee of works by Spenser (including Fowre Hymns and Colin CloutQs Come Home Again), Fulke Greville, Samuel Daniel, Robert Greene, Thomas Lodge, Aemilia Lanyer, Richard Greenham and William Perkins to name but For the summary of the legal documents and the course of George CliffordQs life, see CliffordQs Great Books (see note 7), 706 – 713. See also Richard T. Spence, The Privateering Earl. George Clifford, 3rd Earl of Cumberland, Stroud 1995; Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 1 – 6, and passim, and Peter Holmes, Clifford, George, 3rd Earl of Cumberland (1558 – 1605), in: ODNB. 30 CliffordQs Great Books (see note 7), 710. 31 Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 189; Stephen W. May, The Elizabethan Courtier Poets. The Poems and their Contexts, Columbia 1991, here 247 – 249; Edmund Spenser, ,Dedicatory SonnetsR, DS5, in: The Faerie Queene, ed. by A. C. Hamilton, Longman 32007, 729. 32 See Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 7 – 12, 23 – 39, 192, and Richard T. Spence, Clifford, Margaret, Countess of Cumberland (1560 – 1616), in: ODNB. 33 See Wallace MacCaffrey, Russell, Francis, 2nd Earl of Bedford, ODNB, and M. St. Clare Byrne and Gladys Scott Thomson, ,My LordQs BooksR. The Library of Francis, Second Earl of Bedford, in 1584, in: Review of English Studies 7/28 (1931), 385 – 405. See also Simon Adams, Dudley, Anne, Countess of Warwick, ODNB. 34 Clifford, Autobiographical Writing (see note1), 17. In her Great Books of Record, Clifford tells us three times that the queen had attended her parentsQ marriage, (see note 7), 707, 710, and 720. See also Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 189. 29

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the most famous.35 In the Knole „Diary“, Clifford repeatedly pays tribute to her mother as a book owner,36 while the iconography of the triptych invites us to see the four books in the central panel as hers: ,A Written hand Booke of Alkimme Extractions, of distillations, And Excellent MedicinesR; ,All Senakes Workes translated out of Latine into EnglishR, ,The Holy Bible the old and new TestamentR, and, in her hand, a book of Psalms.37 In fact these four books are neatly glossed by what Anne says of her mother in the Great Books of Record: Shee had a great sharpe naturall witt, soe as there was few worthie knolledge butt shee had some insight into them, for though she had no language but her owne, yet was there few bookes of worth translated into England but shee read them […]. Shee was a lover of the studdie and practice of alchimy by which shee found out excellent medicine […]. And certainly this noble Countes had in her the infusion from above of many excellent knowledges and vertues […]. And a little before her death […] she wold often say to comfort her heart, the Earth is the LordQs, and all that therein is. Psalm 24.38

CliffordQs love of books was something she shared with both her parents and her grandfathers, but we should not forget that her first husband, Richard Sackville, Earl of Dorset, was also bookish. He studied at Oxford with the encouragement of his scholarly grandfather, Thomas Sackville, Lord Treasurer Buckhurst. In „The Description of Cooke-ham“, Aemilia Lanyer singles out a tree „Where many a learnHd book was read and scanned“ by Dorset and Anne at some point before their marriage in 1609.39 Amidst all the diary entries documenting SackvilleQs failings as a husband, Clifford does refer to him reading while she sews at Brougham in 1616, and to his wanting to study the Bible with Mr Ran at Knole in 1617.40 Barbara Lewalski, Writing Women (see note 3), 138. For Margaret Clifford and Greville, see Yvonne Bruce, ,That which Marreth AllR. Constancy and Gender in ,The Virtuous OctaviaR, in: Medieval and Renaissance Drama in England 22 (2009), 42 – 59, and Julie Crawford, Mediatrix. Women, Politics and Literary Production in Early Modern England, Oxford 2014, 40 – 47. For Margaret and Spenser, see Andrew Hadfield, Spenser. A Life, Oxford 2012, 351 – 357. 36 Cf. Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 61, 74, 78, 79. See also Appendix II in Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 257 – 260. 37 This volume is actually without a label in the extant version of the triptych, but in George Perfect HardingQs watercolour copy of the now lost Skipton version of the painting (c.1836 – 39), the book in MargaretQs hand is inscribed as a book of Psalms. See Hearn, CliffordQs Great Triptych (see note 9), 23. For the importance of the Psalms to CliffordQs autobiographical narrative, see Bevan Zlatar, Clifford and her Bible (see note 17). 38 Clifford, Great Books (see note 7), 720 f. 39 Aemilia Lanyer, The Description of Cookham, in: John P. Rumrich, Gregory Chaplin (eds.), Seventeenth-Century British Poetry 1603 – 1660, New York 2006 (A Norton Critical Edition), 14 – 19, here 16. Cookham belonged to the Crown but was leased to MargaretQs brother, William Russell. Clifford records visiting Cookham in the „Memoir“ of 1603 in Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 24. 40 Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 42, 48, 56. See also Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 60. 35

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In emphasising the aristocratic, courtly pedigree of CliffordQs bibliophilia I am not undermining the uniqueness of her virtual library, unlike Richard Spence, CliffordQs most recent biographer, who has argued that AnneQs objective in displaying these tomes in the triptych was „to illustrate further the memorial of her family. They were […] her parentsQ books as much as her own […] they are a metaphor for the course of her familyQs as well as her own affairs between 1589 and 1649“.41 Spence points out that George and Margaret knew Sidney, Spenser, Fulke Greville, and William Camden at Court, and would have owned and read their works. In addition, he surmises that Margaret would have read and owned all the Elizabethan books of devotion and stoic moral philosophy. He concludes that „over half“ of the books displayed in the triptych were inherited.42 This remains pure speculation, however. I propose, pace Spence, that Clifford is inviting us to see all but the four books clearly associated with Margaret as her own personal library. That Clifford was the owner of such a large library should not surprise us. While the prescriptive literature of the time tried to police what and how early modern women read, and while early modern women have left fewer traces of their reading practices and book ownership than their male counterparts, evidence of women as readers and book owners in this period is continuing to grow. Heidi Brayman HackelQs Reading Material in Early modern England (2005), an important cultural history of reading that focuses not on poets or scholars but on „less extraordinary“ early modern readers of both sexes, places Clifford alongside her first cousin once removed – Frances Stanley Egerton, Countess of Bridgewater (1585–1636).43 EgertonQs „A Catalogue of my Ladies Bookes at London“ (1627–1633) has survived. It comprises 241 volumes, with the printed works recorded according to format, and the manuscripts and books in French listed separately. Comparison of EgertonQs catalogue, usefully transcribed in an appendix by Brayman Hackel, reveals a great deal of overlap with CliffordQs books as well as some significant differences (see the Appendix).44 Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 189. Ibid., 192. 43 Heidi Brayman Hackel, Reading Material in Early Modern England. Print Gender, and Literacy, Cambridge 2005, here 222 – 255. For the problems attendant on writing a history of women readers enjoined to silence in the margins, see ibid., 196 – 221. 44 Other studies of individual early modern womenQs book collections include Paul Morgan, Frances Wolfreston and ,Hor BouksR. A Seventeenth-Century Woman Book-Collector, in: The Library, 6th ser., 11 (1989), 197 – 219; David McKitterick, Women and their Books in SeventeenthCentury England. The Case of Elizabeth Puckering, in: The Library, 7th ser., 1/4 (2000), 359 – 380; Arnold Hunt, The Books, Manuscripts and Literary Patronage of Mrs Anne Sadleir (1585 – 1670), in: Victoria E. Burke, Jonathan Gibson (eds.), Early Modern WomenQs Manuscript Writing. Selected Papers from the Trinity/Trent Colloquium, Aldershot 2004, 205 – 236, and Caroline Bowden, The Library of Mildred Cooke Cecil, Lady Burghley, in: The Library 6 (2005), 3 – 29. For a useful recent 41 42

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But did Clifford actually read the books she displays in the painting? Evidence external to the painting strongly suggests that she did.45 The Diary she had written up when Countess of Dorset functions among other things as a record of what and where she was reading on a certain date, who was reading to her, and how long it took to finish a particular book.46 Aural reading was common among aristocratic women and allowed Anne to work at her embroidery as she listened.47 What is striking about this reading diary is the sheer number and generic range of the books that Clifford is consuming in parallel, a feature no less evident in the arrangement of the books in the triptych.48 Some of the books she hears read reappear in the triptych (see the Appendix), but others such as „The History of the Netherlands“ (unattributed), George SandysQ book on the „government of the Turks“, „LeicesterQs Commonwealth“, „ParsonQs […] and BunneyQs resolution“ and JosephusQs „Antiquities of the Jews“ are absent.49 Was the religious colouring of these books deemed too polemical to allow their inclusion in a library of „worthy“ books, a restrictive term dear to Samuel DanielQs heart and analysed below? As we shall see, Daniel would not have approved of LeicesterQs Commonwealth – a scurrilous pro-Catholic pamphlet. We should also note that in her Diaries Clifford spells out which volumes were inherited and which were gifts, implying that all the others belong to her.50 And then we have the material evidence: the copies of her books that have come to light in libraries and at auction identified as hers by her marginal annotations, notably BarkleyQs Argenis, The Mirror for Magistrates, and most recently SidneyQs Arcadia. Minute study of these volumes by Heidi Brayman Hackel, Stephen Orgel, and Paul Salzman has revealed that Clifford is the ,authorR of the marginal comments, which she either dictated to her lectors collection of essays elucidating the ways in which digital tools are allowing us to excavate ever more women readers and collectors in the archive, see Leah Knight, Micheline White, Elizabeth Sauer (eds.), WomenQs Bookscapes in Early Modern Britain. Reading, Ownership, Circulation, Ann Arbor 2018. 45 For a reading that focuses at times excessively on the problems attendant on using the Great Picture as evidence of CliffordQs reading, see Leah Knight, Reading Proof. Or, Problems and Possibilities in the Text Life of Anne Clifford in: Knight, White, Sauer, WomenQs Bookscapes (see note 44), 253 – 273. 46 Clifford, Autobiographical Writings (see note 1), 43, 44, 48, 50, 60, 66, 76 – 79, 88, 93, 94. 47 Brayman Hackel, Reading Material (see note 43), 206. For stichwork produced in England in this period, see Andrew Morrall, Melinda Watt (eds.), English Embroidery from The Metropolitan Museum of Art, 1580 – 1700. ,Twixt Art and NatureR, New Haven 2008. 48 See Bevan Zlatar, Clifford and her Bible (see note 17), 161 f. 49 Clifford, Autobiographical Writings (see note 1), 43, 48, 88, 93, 94. 50 In March 1619 Clifford records that she has finished „my LadyQs book in the Praise of a Solitary Life“ and „the Bible […] which was my Lady my motherQs […] Mr SorocoldQs book of the Supplication of Saints which my Lord gave me“. Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 78, 79, emphasis in original.

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or wrote down in her own hand, that she continued to keep a reading diary into her 80s, that she re-read books, and, more importantly, that her marginal plot summaries, cross-references, underlining, and comments show her engaging closely with the style, narrative, and philosophical aspects of the text she was listening to or reading for herself.51 SidneyQs Arcadia was clearly enjoyed. We hear its cadences in an often-quoted passage from the „Life of me“: „the marble pillars of Knole in Kent and Wilton in Wiltshire were to me oftentimes but the gay harbours of anguish“, a silent adaptation of DorusQs „Come from marble bowers, many times the gay harbour of anguish“.52 Clifford listened to Moll Neville reading the Arcadia aloud in 1617, and, according to the copy identified as AnneQs at the Bodleian Library, Oxford, she heard it read again in 1651.53 Penshurst House, the seat of the Sidney family, was a short distance from Knole House, and the Sackvilles and the Sidneys socialised.54 Indeed, Anne records seeing the poet Mary Sidney Herbert, PhilipQs sister, for the last time in London in 1619; Mary was the mother of AnneQs second husband to be, Philip Herbert.55 Evidence suggests that Clifford was fond of Chaucer and Spenser too. Not only does she record reading Chaucer in SackvilleQs closet at Knole in 1617 during a rare marital rapprochement, but in 1649 in a letter to the Dowager Countess of Kent she writes: [I]ff I hade nott exelentt Chacors Booke heere to Comfortt mee; I wer in a pittifull Casse hauing So maney trubles as I haue heere butt when I rede in thatt I scorne and make litte of them alle, and a Little partt of his [Deuine?] sperett infusses itt selfe in mee.56

As is often noted, CliffordQs phrasing echoes Book IV of SpenserQs The Faerie Queene, when the poet begs ChaucerQs forgiveness for daring to continue The SquireQs Tale, explaining „Ne dare I like, but through infusion sweete / Of Brayman Hackel, Reading Material (see note 43), 234 – 240; Stephen Orgel, Marginal Maternity. Reading Lady Anne CliffordQs ,A Mirror for MagistratesR in: Douglas A. Brooks (ed.), Printing and Parenting in Early Modern England, Aldershot 2005, 267 – 289, and Paul Salzman, Anne CliffordQs Annotated Copy of SidneyQs ,ArcadiaR, in: Notes and Queries, December 2009, 554 f. 52 Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 102. Philip Sidney, The Countess of PembrokeQs Arcadia, ed. by Jean Robertson, Oxford 1973, 85. 53 Bodleian, J-J Sidney 13. 54 See also Edward Town, ,To PenshurstR and to Knole – networks of patronage between two Jacobean country houses, in: Matthew Dimmock, Andrew Hadfield, Margaret Healy (eds.), The intellectual culture of the English country house, 1500 – 1700, Manchester 2015, 64 – 77. 55 Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 85, note 487. 56 Ibid., 60. British Library Harleian 7001, fol. 212r, quoted in Brayman Hackel, Reading Material (see note 43), 233. Leah Knight alerts us to the problems attendant on using this passage as evidence for how Clifford read Chaucer, given that the adjective preceding „sperett“ is illegible in the manuscript. See Knight, Reading Proof (see note 45), 257 – 259. 51

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thine own spirit, which doth in me survive“.57 Clifford tells us that Moll Neville read The Faerie Queene to her in January 1617,58 but it is her marble tribute to Spenser that suggests a particular reverence for his poetry, and picks up on the idea of books being vessels of an authorQs spirit ready to be transmitted to the reader. In the 1620s or 1630s Clifford engaged Nicholas Stone the Elder to execute the monument which survives today in Westminster Abbey in what is now known as PoetQs Corner. It is in the fashionable style of Roman architectural memorials with a plain marble panel set between pilasters and topped with a triangular pediment without an effigy. The festoons flanking the inscription are of bay and laurel, the leaves appropriate for a poetQs garland since antiquity.59 The inscription reads: HEARE LYES (EXPECTING THE SECOND COMMINGE OF OVR SAVIOVR CHRIST IESVS) THE BODY OF EDMOND SPENCER THE PRINCE OF POETS IN HIS TIME WHOSE DIVINE SPIRRIT NEEDS NOE OTHER WITNESSE THEN THE WORKS WHICH HE LEFT BEHINDE HIM.

CliffordQs bibliophilia is writ large in the visual and textual remnants of her life –preeminently in the Great Picture with its extensive library of labelled books, but also in the records of reading that punctuate her autobiographical writings. In her epitaph for Spenser, she subscribes to an understanding of books as recepticles of a poetQs spirit, a medium implicitly, superior to stone monuments. As we shall see, this notion of books is indebted to her tutor Samuel Daniel, a figure who, I will argue, exerted a marked influence on her European library of „worthy“ volumes as well as on her historiography.

II. Bringing Daniel Back into the Picture Samuel Daniel studied at Magdalene Hall, Oxford, in the early 1580s and it was there that he befriended John Florio. Biographers concur that it was Florio, the son of an Italian and author of two Italian-English dictionaries but best known for his English translation of Montaigne, who oriented Daniel towards the contemporary literatures of Italy and France. DanielQs knowledge of Italian is testified by his first published work, a translation of Paolo GiovioQs Dialogo dellQImprese (1585), Edmund Spenser, The Faerie Queene (see note 31), IV.34.6 f. Clifford, Autobiographical Writing (see note 1), 50. 59 Nicolas Stone states in his Notebook that „I also mad a monement for Mr Spencer the pouett and set it up at Westminster for which the Contes of Dorsett payed me 40£“. For an account of the complicated history of this monument and CliffordQs involvement, see Adam White, Love, Loyalty and Friendship; Education, Dynasty and Service. Lady Anne CliffordQs Church Monuments, in: Hearn, Hulse (eds.), Culture, Patronage and Gender (see note 9), 48 – 54. 57

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commissioned by the Italophile Sir Edward Dymoke whom Daniel served for five years or more and accompanied to Italy in 1590. His debt to Petrarch is evident in his sonnet sequence Delia but also in The Prayse of Private Life, his paraphrase of PetrarchQs De Vita Solitaria, a work he presented to Margaret Clifford and which Clifford records reading in March 1619.60 Daniel also knew French and lived at the English embassy in Paris for nine months in 1586. His knowledge of the poetry of Du Bellay and Desportes is evident in Delia, while French neo-Senecan drama inspired his closet drama The Tragedy of Cleopatra (1593), as well as his Tragedy of Philotas (performed 1605, published 1607). MontaigneQs essays are clearly heard in the dialogic mode and tonal shifts of Musophilus while his Civil Wars and The Collection of the History of England looked to the new historiography practiced by Jean Bodin and Francesco Guicciardini.61 Joan Rees wonders whether DanielQs association with the Cliffords might date from the early 1590s in that his Complaint of Rosamond (1592) had given voice to a Clifford ancestor.62 A connection had certainly been made by the late 1590s when he dedicated A letter from Octavia (1599) to Margaret Clifford, thanking her for her patronage in the prefatory sonnet. OctaviaQs complaint to Mark Antony then in Egypt with Cleopatra, with its fervent plea that „If you will have us [women] good, be you [men] then good“ (stanza 21), has been interpreted as an allegory of MargaretQs marital difficulties with George Clifford.63 It was around this time that Margaret employed Daniel to tutor Anne, a role he performed until 1603, by which time Anne was 13. Two of DanielQs finest verse epistles are addressed to the Clifford women: „To The Lady Margaret Countess of Cumberland“, and „To The Lady Anne Clifford“.64 They draw heavily on SenecaQs letters and contemporary neo-Stoicism, a philosophical stance that is advertised in the Great Picture in MargaretQs copy of Seneca but also in AnneQs „Epictetus his Manual“ and „Boetius his Philosophicall comfort“ which have been carefully placed on top of „All the works in Verse of Sa: Daniel“ (see fig. 3 above). „This day I made an end of my LadyQs book in the Praise of a Solitary Life“, Clifford, Autobiographical Writing (cf. note 1), 78. See John Pitcher, Margaret, Countess of CumberlandQs ,The Prayse of Private LifeR, Presented by Samuel Daniel, in: S. P. Cerasano, Steven W. May (eds.), In Prayse of Writing. Early Modern Manuscript Studies. Essays in Honour of Peter Beal, London 2016, 114 – 144. 61 My account of DanielQs life and work is drawn from Joan Rees, Samuel Daniel. A Critical and Biographical Study, Liverpool 1964; Pierre Spriet, Samuel Daniel (1563 – 1619). Sa Vie et Son Œuvre, Paris 1968, and Pitcher, Samuel Daniel (see note 21). 62 See Rees, Samuel Daniel (cf. note 61), 76, note 20. 63 See Samuel Daniel, A Letter from Octovia to Marcus Antonius, in: The Complete Works in Verse and Prose of Samuel Daniel, ed. by A.B. Grosart, vol. 1, London 1885, 117 – 138, here 128. 64 Samuel Daniel, Poems and A Defence of Rhyme, ed. by Arthur Colby Sprague, London 1950, 111 – 115, 119 – 121. 60

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Fig. 4. Detail of book-labels in left panel of „The Great Picture Triptych“, Abbot Hall Gallery, Kendal, UK

Samuel Daniel and Anne Clifford seem to have remained in close contact until his death in 1619, no doubt partly because of their shared involvement with the court of Queen Anne.65 From 1604 Daniel devised court masques and dramas for the queen, and in 1607 was made a groom of the queenQs Privy Chamber. In celebration of the creation of Prince Henry as Prince of Wales in 1610, Daniel wrote TethysQ Festival and provocatively cast Clifford as the Nymph of the river Aire, the river which flows past Skipton Castle, one of the CliffordQs principal seats but then occupied by her uncle Francis. In 1616, in the midst of the marital tensions unleashed by AnneQs refusal to sign away her lands and titles, Daniel acted as spokesperson for a circle of friends, almost certainly including the queen, advising Margaret and Anne stoically to „endure the Storms that may come from an angry husband with Patience & sufferance“.66 In the 1650s, decades after DanielQs death, Clifford would erect a funeral monument to him in St GeorgeQs Church in Beckington, Somerset, a gesture which suggests that he was still very much alive in her memory at the time she commissioned the Great Picture and was working on her dynastic history. Like her tribute to Spenser, DanielQs monument is in classical style with an inscription panel set between pillars and topped by an open pediment. But it is more personal – a bust of Daniel is shown clad in a toga with a laureateQs wreath in the manner of the great authors of classical antiquity, the visual counterpart of the inscription praising him as an „Excellent Poet & Historian“.67 In the Great Picture, DanielQs „Chronicle of England in prose“ fittingly lies on top of „L.d Michael de Montaigne his Essaijes“ (see Fig. 4). This was John FloSee Rees, Samuel Daniel (see note 61), 90 – 121, 147 – 167. See also Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 17, 20 f., 62. 66 Quoted in Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 65. See also John Pitcher, Samuel Daniel. The Brotherton Manuscript, Leeds 1981 (Leeds Texts and Monographs, New Series 7). 67 See Spence, Lady Anne Clifford (see note 2), 151, 154, and White, Love, Loyalty and Friendship (see note 59), 56 – 58. 65

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rioQs translation of 1603, commissioned by CliffordQs cousin by marriage, Lucy Harington Russell, for which Daniel had written a prefatory poem „TQapplaud his [MontaigneQs] happy setling in our land“.68 For Daniel, Montaigne is a „Prince“ and Florio has „PlacQd him in the best lodging of our speech, / And made him now as free, as if borne here“.69 This act of translation – transportation and accommodation – has freed MontaigneQs spirit from all political and geographical constraints, allowing him to […] dwell with all the better world of men Whose spirits all are of one communitie, Whom neither Ocean, Desarts, Rockes nor Sands Can keepe from thQintertraffique of the minde, But that it vents her treasure in all lands, And doth a most secure commercement finde.70

Montaigne, through Florio, has become a denizen of a better world of men, a community of spirits engaged in boundless intellectual exchange. In extolling FlorioQs Englishing of Montaigne, Daniel is promoting translation and translators more generally, implicitly answering those critics who had charged translators with being „crows in borrowed feathers“ or double-tongued, or, as Ralph Lever in The Arte of Reason (1573) had famously bemoaned, for introducing „inkhorn terms derived of strange and foreign languages“ and „making a mingle mangle of their native speache“.71 Daniel does not explicitly advocate translation as a way of enriching the English tongue, the usual riposte to the fear of foreign corruption, but promotes the idea of a „world“ of „secure commercement“ or safe cultural trade. Daniel concludes that without a copy of FlorioQs Montaigne „The richest librarie can be but poore“.72 It does not seem far-fetched to say that CliffordQs virtual library is a model of DanielQs „better world of men / Whose spirits all are of one communitie“, one that, unimpeded by geographical distance, allows for the „intertraffique of the minde“. After all, her library juxtaposes contemporary continental masterpieces in translation (works by Tasso, Cervantes, Castiglione) with the best of contemporary English poetry and prose (works by Chaucer, Spenser, Sidney, and Daniel) in Samuel Daniel, To my deare brother and friend M. Iohn Florio, in: Michel de Montaigne, The Essayes, STC 18034, A3v. For Florio, Daniel, Lucy Harington Russell, and Clifford as readers of Montaigne, see William M. Hamlin, MontaigneQs English Journey, Oxford 2013, 5 – 36. 69 Daniel, To my deare brother (see note 68), A3v. 70 Ibid. 71 See Margaret Tudeau-Clayton, ,Mine own and not mine ownR. The Gift of Lost Property in Translation and Theatre, in: Gabriela Schmidt (ed.), Elizabethan Translation and Literary Culture. Berlin and New York 2013, 81 – 110; Ralph Lever, The Arte of Reason, 1573, fol. *6v, quoted ibid., 93. 72 Daniel, To my deare brother (see note 68), A4r. 68

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the left-hand panel, and, on the right, sets continental history (Guicciardini) and stoic philosophy (Charron) in French or in translation alongside seventeenth-century English poetry (Donne and Herbert) and prose (sermons by Donne and King). It is a European library and, it has to be said, exclusively male. We find no Mary Sidney Herbert, no Aemilia Lanyer, and no Mary Wroth. The absence of Lanyer is particularly surprising given the prominence played by Anne and her mother in „The Description of Cookham“ and the „Salve Deus Rex Judaeorum“ (1611).73 For a more extended discussion of DanielQs conceptualisation of the immortalising power of books and the community of the learned, we need to turn to his Musophilus. Containing a general defence of all learning, a dialogue in verse addressed to Fulke Greville and published in 1599 during the period when Daniel was tutor to Anne, and included in the quarto or folio denoted by „All the works in Verse of Sa: Daniel Tutuor to this Young Ladij“ (Fig. 3).74 Provoked by the pragmatism of Philocosmos, the lover of the world, who thinks poetry obsolete in „This wiser profit-seeking age“ (l. 13), and praise but „idle smoake“ (l. 9), Musophilus, the lover of the Muses, presents his poetic credo. Poetry is a „sacred art“ (l. 16) and its practitioners have a better chance of being remembered than a „faire house“ (l. 117) or „proude aspiring pallaces“ (l. 123) or exalted lineage, all being subject to the passage of time and forgetfulness. His exemplum is Chaucer, CliffordQs beloved author: For what hy races hath there come to fall, With low disgrace, quite vanished and past, Since Chaucer liuQd who yet liues and yet shall, Though (which I grieue to say) but in his last. Yet what a time hath he wrested from time, And won vpon the mighty waste of daies, Vnto thQimmortall honor of our clime, That by his meanes came first adornQd with Baies, Vnto the sacred Relicks of whose rime We yet are bound in zeale to offer praise? (ll. 149–158)

Chaucer has „a time […] wrested from time“ to the „immortall honour“ of England, who, through him was first rewarded with a poetQs laurel wreath, and continues to adore the „sacred Relicks“ of his rhyme. Chaucer, rendered incorruptible For LanyerQs „The Description of Cookham“ and „Salve Deus“ and its invocation of Margaret Clifford as a means to gain the patronage of Anne Clifford and Richard Sackville, cf. Jessica Malay, Positioning Patronage. LanyerQs ,Salve Deus Rex JudæorumR and the Countess of Cumberland in Time and Place, in: The Seventeenth Century 28/3 (2013), 251 – 274. See also Barbara Lewalski, Re-Writing Patriarchy and Patronage. Margaret Clifford, Anne Clifford, and Aemilia Lanyer, in: Studies in English Literature 21 (1991), 87 – 106, and Erin McCarthy, Speculation and Multiple Dedications in ,Salve Deus Rex JudaeorumR, in: Studies in English Literature 55/1 (2015), 45 – 72. 74 Daniel, Poems (see note 64), 67 – 97. 73

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through his poetry, has effectively become a latter-day saint. Daniel had explored the idea of the immortalising power of poetry, one indebted to Horace and Ovid as well as the French Pl8iade poets, in his sonnet sequence Delia and in The Complaint of Rosamond.75 Indeed, he was the first English sonneteer to offer immortality to the beloved through poetry, a theme which Shakespeare would borrow to brilliant effect in his sonnets.76 While conceding that compared to Chaucer, born in the spring, poets are now in an autumnal age, Musophilus is quietly optimistic that those of „stronger constitutions“ (l. 171) will „out-liue this fall“ (l. 173) and be praised: When as perhaps the words thou scornest now May liue, the speaking picture of the mind, The extract of the soule that laboured how To leaue the image of herself behind, Wherein posteritie that loue to know The iust proportion of our spirits may find. For these lines are the veines, the Arteries, The vndecaying life-strings of those harts That still shall pant, and still shall exercise The motion spirit and nature both imparts, And shall, with those aliue so sympathize As nourisht with their powers inioy their parts. O blessed letters that combine in one All ages past, and make one liue with all, By you we do confer with who are gone, And the dead liuing vnto councell call: By you thQvnborne shall have communion Of what we feele, and what doth vs befall. (ll. 177–194)

Musophilus exploits a range of conventional metaphors to conceive of poetry: it is a „speaking picture of the mind“ echoing Horace, an „extract“ (distillation) or „image“ (picture) of the labouring poetQs soul, where select future readers, „those that love to know“, may find the „just proportions“ (architecture) of the poetQs „spirit“. And then he introduces this startling conceit – „For these lines“, MusophilusQs lines and behind him DanielQs, are the veins, arteries, the „vndecaying life-strings“ of the poetQs heart that breathes and moves and sympaCf. Delia, especially Sonnet XXXIII, and The Complaint of Rosamond, ll. 701 – 728, in: Daniel, Poems (see note 64), 27 and 61 f. 76 See James Blair Leishman, Themes and Variations in ShakespeareQs Sonnets, London 1961; Thomas P. Roche, Petrarch and the English Sonnet Sequence, New York 1989, 362, and Stephen Guy-Bray, The Achievement of Print. Samuel Daniel and the Anxiety of Authorship, in: Explorations in Renaissance Culture 29/1 (2003), 105. Shakespeare plays with this topos especially in Sonnets 18, 55, 60, 63, 81, and 126, see William Shakespeare, ShakespeareQs Sonnets, ed. by Katherine Duncan Jones, London 2003 (Arden Shakespeare). 75

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thises with the hearts of the living and so remain alive. Letters are now „O Blessed letters“, extolled for allowing „us“ the living to speak with the dead and to call them to council, but also for allowing future generations to commune with us. Such blessed words and lines are capable of collapsing the past, present and future, making all one. Musophilus will return to the immortalising power of poetry later in the poem but the emphasis will be on „small […] rooms“, a play on the etymology of stanza, and the idea of books as small „tombs“. Compared to Stonehenge, „That huge domb heap, that cannot tel vs how, / Nor what, nor whence it is“ (ll. 339 f.), books, though small in size, are safer and stronger monuments, better able to keep the great worthies of the distant past alive „for eternitie“: Considering in how a small a roome do lie And yet lie safe, as fresh as if aliue All those great worthies of antiquitie, Which long foreliuQd thee, & shall long suruiue, Who stronger tombs found for eternitie, Then could the powers of al the earth contriue. (ll. 391–396)

That the spirit of an author is best seen not in a portrait or in a stone monument but in his works is a sentiment echoed in both CliffordQs monument to Spenser – „WHOSE DIVINE SPIRRIT NEEDS NOE OTHER WITNESSE THEN THE WORKS WHICH HE LEFT BEHINDE HIM“ – as well as in her gloss on DanielQs portrait in the Great Picture – „a man of an Vpright and excellent Spirit as appears bii his Workes“. Yet, it is important to emphasise that throughout the poem Daniel is speaking exclusively of „worthy“ literature, writing which, according to Musophilus, records actions „worthy the writing“ (l. 199) in a manner „Worthy the reading, and the worlds delight“ (l. 200). Throughout his oeuvre, Daniel betrays an insecurity about the grubby world of print, a world he was forced to enter as an impecunious author seeking aristocratic patronage.77 Indeed, his prefatory poem to FlorioQs translation of Montaigne opens with the following lines: Books, like superfluous humors bred with ease, So stuffe the world, as it becomes opprest With taking more than it can well digest; And now are turnd to be a great disease.78

Early in Musophilus, Philocosmos complains that „so many so confusedlie sing […] / And in contempt that mysterie doth bring“ (ll. 62–64), and Musophilus later agrees that „plenty hath imprest a deepe distast, / Of best and worst, and all in generall“ (ll. 255 f.). The implication is that a glut of indifferent books has brought 77 78

See Stephen Guy-Bray, The Achievement of Print (see note 78), 101 – 118. Daniel, To my deare brother (see note 68), A3r.

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learning into disrepute. Later, Philocosmos will be more specific, condemning the deluge of „Pamphlets, Libels, Rhymes“ (l. 446), and complaining that „ThQvnmateriall swellings of your pen / Touch not the spirit that action doth import“ (ll. 504 f.). Philocosmos is clearly not against poetry that celebrates and inspires heroic deeds; fifty lines earlier, acknowledging the fickleness of fame, he asks regretfully „How many thousands neuer heard the name / Of Syney [sic.], or of Spencer, or their books?“ (ll. 440 f.). It is in the context of this fear of the excesses of what would become Grub Street that Musophilus makes a lengthy appeal to the aristocracy to safeguard worthy literature: You mighty Lords, that with respected grace Do at the sterne of faire example stand, And all the body of this populace Guide with the onely turning of your hand, Keepe a right course, bear vp from al disgrace, Obserue the point of glory to our land: Hold vp disgraced knowledge from the ground Keepe vertue in request, giue worth her due, Let not neglect with barbarous means confound So faire a good to bring in night anew. Be not, k be not accessary found Vnto her death that must giue life to you. (ll. 313–324)

Towards the end of the poem, we hear Musophilus petitioning for the restoration of EnglandQs „drooping Academies“ through an elitist reform of learning whereby „learnings roomes“ would be distributed to „learned men“ (ll. 803 f.). Might we not read CliffordQs display of books in the triptych as a response to DanielQs plea for the aristocratic safeguarding of learning and „worthy“ books? If so, Clifford once again seems more impelled by her class than her sex. The exclusive nature of CliffordQs painted library is brought into stark relief when we compare it to that of her cousin Frances Egerton, Countess of Bridgewater.79 The catalogue of EgertonQs London book collection features many of the same books as CliffordQs but it also includes a number of works that Philocosmos would have termed „Pamphlets, Libels, Rhymes“ – polemical Protestant treatises such as John RowlinsonQs The Romish Judas, scurrilous tracts by Robert Greene, not to mention plays penned for the public theatres by the likes of Shakespeare.80 Daniel had written a closet drama The Tragedy of Cleopatra, and, more reluctantly, seSee Brayman Hackel, Reading Material (see note 42), 258 – 281. For books that both Clifford and Egerton owned, see the Appendix. For a discussion of women as readers and owners of ShakespeareQs plays, see Sasha Roberts, Engendering the Female Reader. WomenQs Recreational Reading of Shakespeare in Early Modern England, in: Heidi Brayman Hackel, Catherine Kelly (eds.), Reading Women. Literacy, Authorship, and Culture in the Atlantic World, 1500 – 1800, Philadelphia 2008, 36 – 54. 79

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veral masques for Queen Anne, as well as The Tragedy of Philotas performed before the king in 1605. But Daniel was always suspicious of the public stage, something made explicit in the Apology prefaced to the printed version of Philotas in 1607: „I thought the representing so true a History, in the ancient forme of Tragedy, could not but have had an unreproveable passage with the time, and the better sort of men, seeing with what idle fictions, and grosse follies, the Stage at this day abused mens recreations“.81 Daniel would not have approved of the playbooks in Frances EgertonQs library. What of female authors? Egerton owned Mary WrothQs Urania and Mary Sidney HerbertQs Antonius. Conspicuous by his absence is Samuel Daniel.

III. Catching Clifford Reading DanielQs Complaint of Rosamond We have noted that Daniel is a compulsive historian regardless of genre, that his oeuvre featured prominently on the youthful left panel of CliffordQs triptych, and that his historiography may have influenced her interest in Guicciardini later in life. In a subtle exploration of DanielQs Civil Wars, Alzada Tipton argues that Daniel juxtaposes the didactic, Providential history of the medieval chronicles with a new emphasis on archival sources, human agents, and political force-fields. „This complicates the idea of history as an objective account of the truth“, she writes, „making it both a record of what actually happened and a collection of historical authority built up by subsequent historians and the societies in which they lived and wrote“.82 The result of this „collection“ of different accounts of the same event results in a multi-perspectival and ultimately open-ended narrative where the reader is left to draw her own conclusions. Daniel had originally intended to publish a companion volume to The Collection of the History of England, „An Appendix“ collating transcriptions of all the primary sources he had consulted in writing his narrative. He died before this manuscript went to press but the manuscript has survived.83 If we were to reunite these two volumes and place CliffordQs Great Books of Record alongside them, I think we would be struck by the similarity in the methodology of tutor and tutee. For Clifford was not just a reader of worthy books, she was the author of the Great Books of Record; indeed it is as a dynastic historian that she deserves to be remembered. The genesis of her history of the Veteriponts and Cliffords was Quoted in Rees, Samuel Daniel (see note 61), 106. Tipton, Caught (see note 22), 332. 83 See John Pitcher, Samuel Daniel. New and Future Research, Oxford Handbooks Online 2017. https://www.oxfordhandbooks.com/view/10.1093/oxfordhb/9780199935338.001.0001/oxfordhb9780199935338-e-88?rskey=TzbqOE&result=1, 11; accessed 01.04.2020. 81

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in the archive, it was a collection of all the documentary evidence (Royal charters, wills, letters) of the lands and titles she eventually inherited in 1643, a collection begun by her mother Margaret and continued by herself with the help of the antiquarian Roger Dodsworth. But the Great Books of Record are not just transcriptions of legal documents translated into English from Latin and Norman French for the reader to consult and judge. Clifford would then interpret the evidence from the archive and compose biographies of each of her key ancestors, fathers and sons but also mothers, daughters and wives. Taking a leaf out of DanielQs book, Clifford was very interested in the women who had helped make her dynasty.84 One female ancestor that Clifford returns to repeatedly in the Great Books of Record is Rosamond Clifford, the daughter of Walter the 1st Lord Clifford and Margaret de Tony, who became the mistress of Henry II. She was of course the subject of Samuel DanielQs Complaint of 1592, the first of a series of female complaint poems that appeared in print in the 1590s of which ShakespeareQs The Rape of Lucrece is perhaps the most famous. The complaint is allied generically to BoccaccioQs accounts of the fall of illustrious men and women (De Casibus Virorum Illustrium and De Mulieribus Claris) and its English sequels John LydgateQs Fall of Princes and The Mirror for Magistrates, the latter a book that Clifford owned and annotated.85 True to convention, DanielQs poem gives voice to the ghost of Rosamond Clifford who asks the poet „To take this taske, and in thy wofull Song / To forme my case, and register my wrong“.86 But, from the outset, the motivation for telling her tale is ambiguous. The immediate aim is to provoke a sigh of pity in the reader and thus ensure her soulQs passage over the river Styx to Elysium, but long-term she hopes that her tale will prove to be a warning: Then write quoth shee the ruine of my youth, Report the downe-fall of my slippry state: Of all my life reueale the simple truth, To teach to others what I learnt too late: Exemplifie my frailtie, tell howe Fate Keepes in eternall darke our fortunes hidden And ere they come, to know them is forbidden. (ll. 64–70)

Fort he discussion of these women, see Jessica Malay, Constructing a Narrative of Time and Place. Anne CliffordQs ,Great Books of RecordR, in: The Review of English Studies, New Series 66/ 277 (2015), 859 – 875, and Malay, Crossing Generations (see note 3), 207 – 224. 85 See Anna Swärdh, From Hell: ,The Mirror for MagistratesR and the Late Elizabethan Female Complaint, in: Gerd Bayer, Ebbe Klitg,rd (eds.), Narrative Developments from Chaucer to Defoe, New York 2011, 97 – 115, and Anna Swärdh, Elizabethan Complaints, in: The Literary Encyclopedia, 9 May 2011, http://www.litencyc.com/php/stopics.php?rec=true&UID=16298, accessed 28.06.2018. 86 Daniel, Poems (cf. note 64), 31 – 63, here 34 f. 84

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What follows is an account of how, blessed with beauty, „mine friends mine honour sought to rayse“ (l. 89) and sent her to court, where she caught the eye of the aged King Henry II. She relates how she is counselled by an old woman „set in ambush to intrap my youth“ (l. 213), and persuaded that the KingQs favour is good fortune „Whereby thou maist thy honor great aduaunce“ (l. 227). The heart of the poem is the description of RosamondQs turmoil; on the one hand, her fear that the sin of concupiscence will tarnish her good name so „That Cliffords race should scorne thee one of theirs“ (l. 329), while, on the other hand, her recognition that „Whether I yeelde or not I liue defamed […] And if I yeeld, tis honorable shame“ (ll. 338–342). Ultimately „fraile flesh“ (l. 352) and „glittering pompe“ (l. 354) get the better of her. She falls and immediately her eyes are opened: „Now did I find myself vnparadisQd“ (l. 449). In time, the aged King grows jealous, imprisons Rosamond at the centre of a labyrinthine palace where, ultimately, the wronged Queen finds and poisons her. In a final scene, Rosamond tells how the King encounters her dead body, and confesses that in a life of broils and strife (cf. l. 654), Rosamond was his only comfort. He promises to commemorate her beauty in a monument. This she tells us has long since decayed and were it not for DanielQs „fauorable lynes“ (l. 715) „Fewe in this age had knowne my beauties praise“ (l. 719). She will be remembered „Till other ages shall neglect thy rime“ (l. 721). What is striking about the Complaint of Rosamond is DanielQs capacity to show the complex force-fields at play in any one life and the difficulties attendant on a didactic poet or historian. Rosamond is a maid betrayed by careerist family members who initially send her to court; she is the victim of the KingQs lust and his evil female counsellor; and yet, she falls knowingly, enjoying the power her beauty has over the King, flattered by his advances and his richly wrought gifts. Her psychological turmoil does arouse our pity, however, so well does the poet convey her agon. Even the King is allowed to explain his behaviour and to win a glimmer of sympathy. The moral of the story – stay at home in the country, avoid the court at all cost, and never put the king before God – is intimated but it is the psychological complexity of DanielQs characterization that leaves an abiding impression, something that is the hallmark of DanielQs oeuvre. So what does Anne Clifford make of her ancestor in her Great Books of Record? There are some eight references to Rosamond Clifford in CliffordQs history, and she even gets a mention in the mini-biography attached to Walter CliffordQs escutcheon in the Great Picture. Clifford seems fascinated by her. The first entry reads: Rosamond Clifford the fayre but unfortunate daughter of Walter the first Lord Clifford and Margaret de Tony was never maried but beloved of King Henry 2 and by him had

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William de Longspee Earl of Salsburye and other children. She died […] of poison as was suspected given her by the Queene.87

This synopsis is fleshed out further in Rosamond Clifford […] unfortunate in being beloved of King Henery the second whose unlimited power was sufficient to woork a complyance and so prevailed as that by him shee had William le Longespee Earle of Salisbury and other children by reason whereof shee became afterwards a sacrefize to the rage of the offended Queene. (166)

Here Clifford clearly presents Rosamond as the victim of the KingQs power and the QueenQs rage. But as the mother of William de Longspree, she is „Rosamond Clifford the pearless paragon of beuty in her tyme“ (196). Finally, in the context of Roger de Clifford the elder and the younger, we are told Noate also that Rosamond Clifford the unparaleld beautye of her tyme, one so highly favoured and beloved of King Henery the second, was aunte to the said Roger de Clifford the elder, and great aunt to this Roger de Clifford the younger. (236 f.)

Here Clifford edits out the part of the story that she had previously found so „unfortunate“. She merely commends her ancestorQs beauty and celebrates her being so highly favoured by the king. Here in these last entries we see dynastic interests overriding gender sensitivities but, read cumulatively, her treatment of Rosamond Clifford remains alive to the complex force-fields attendant on courtly women. In her treatment of Rosamond, I think we catch Clifford reading DanielQs nuanced, complex, multi-perspectival telling of a darkly human tale. IV. Conclusion This essay has repeatedly drawn attention to the ways in which Anne CliffordQs culture of reading is coloured by class. Anne Clifford read voraciously across genres and national boundaries and chose to display her reverence for „worthy“ books in The Great Picture, but her love of books was not exceptional for an aristocratic woman. As her own life writings and dynastic history demonstrate, the high born men and women of her immediate family were all bibliophiles and belonged to bibliophile Courts whose understanding of worthy books was inflected by continental Renaissance ideals. Samuel Daniel, CliffordQs tutor and ,friendR, championed these ideals in print. Indeed, DanielQs advocacy of translation in his preface to FlorioQs Montaigne, his conception of „worthy“ literature outlined in Musophilus coupled with his impassioned plea to the aristocracy to safeguard such learning from the excesses of print, are all writ large in CliffordQs virtual library. And 87

CliffordQs Great Books (see note 7), 160.

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yet, emphasising CliffordQs identification with the aristocracy is not to suggest that she forgets her sex. Like Samuel Daniel whose poetry and histories are remarkable for their empathetic treatment of the psychological turmoil of his protagonists of both sexes, CliffordQs life writing and Great Books of Record pay tribute to both the men and women of her dynasty, in the process giving voice to Rosamond Clifford, her own mother Margaret, and herself. This practice seems best described, not as ,feministR, but as enlightened female historicism. Ergänzend zur bisherigen Forschung über Lady Anne Clifford (1590–1676), welche auf ihr Geschlecht und ihr weibliches Netzwerk fokussiert, hebt dieser Aufsatz hervor, welchen Einfluss Cliffords gesellschaftliche Position und ihr Tutor, der Dichter und Historiker Samuel Daniel, auf ihre Lese- und Schreibkultur hatte. Ich zeige, dass Cliffords Verständnis von „würdiger“ europäischer Literatur, bildlich dargestellt in ihrem dynastischen Portrait, stark von Daniel geprägt ist, ebenso wie die gleichermaßen sympathetische Behandlung von Frauen und Männern in ihrer bemerkenswerten Familienchronik. Ich komme zu dem Schluss, dass diese Anschauung weniger als feministisch, sondern als aufgeklärter weiblicher Historismus zu beschreiben ist. As a complement to the scholarship on Lady Anne Clifford (1590–1676) which has emphasised her gender and her female networks, this essay focuses on the ways in which CliffordQs culture of reading and writing was inflected by her sense of class and the figure of her tutor, the poet and historian Samuel Daniel. I argue that CliffordQs conception of „worthy“ European books in the „Great Picture“ was indebted to Daniel, as was her empathetic treatment of both the women and men of her dynasty in her remarkable Great Books of Record. I conclude that this is a practice best described, not as ,feministR, but as enlightened female historicism. Dr. Antoinina Bevan Zlatar. Universität Zürich, English Department, Plattenstrasse 47, CH-8032 Zürich, Email: [email protected]

Reading Anne CliffordQs Books

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Appendix: Transcription of book labels in Anne CliffordQs „Great Picture Triptych“ (1646) * Denotes titles of books or works also included in A Catalogue of my Ladies Bookes at London (1627–1633), Frances Egerton, the Countess of BrigewaterQs London library, transcribed by Heidi Brayman Hackel, Reading Materials in Early Modern England: Print, Gender, and Literacy, Cambridge 2005, 258–281. 88 Denotes titles of books that Clifford records hearing in the Diary 1616, 1617 and 1619. + Denotes printed titles that post-date 1605, the year purportedly commemorated in the left panel.

LEFT PANEL Top shelf Left-hand side, top to bottom S.r Philip Sidneijs Arcadia 88 All Edmond Spencers Workes * 88 + Ouids Metamorphosis 88 Middle, top to bottom Epictetus his Manual Boetius his Philosophicall comfort * All the works in Verse of Sa: Daniel Tutuor to this Young Ladij Middle, left to right The Holij Bijble the old and new Testament * 88 S.t Avgustine of the Citij of God 88 + Eusebius his Historij of the Church * All the Workes of D.r Ioseph Hall * + Right-hand side, top to bottom Iohn Downame his Christian Warfare All Du Bartas his Workes * + All Geffreij Chaucers Workes 88

Lower shelf Left-hand, left to right The French Academij 1. Part The French Academij 2. Part

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The French Academij 3. Part The courtier bij Co: Castilio Right-hand side, top to bottom Godfreij of Boulogne * The Varietij of things bij Loijs le Roij The Chronicle of England in prose bij Sa: Daniel Tutour to the Young Ladij + L.d Michael de Montaigne his Essaijes 88 The Epitome of Gerards Herball On the floor, back to front Camdens Britannia + Abraham Ortelius his mapps of the World Cor. Agrippa of the Vanitie of Sciences The Feigned History of Don Quixote * +

CENTRAL PANEL Shelf, top to bottom A Written hand Booke of Alkimme Extractions, of Distillations, And Excellent Medicines All Senakes Workes translated out of Latine into English The Holy Bible – the old and new Testament –

In Margaret CliffordQs hand Psalms [?] *

RIGHT PANEL Top shelf Left-hand side, left to right, tumbled M.r Georg Sands his Translation of the Psalmes, & other partes of the Bible into verse Phillip de Comins in English * Moore his Mapp of Mortallity All Beniamine Iohnson his works * Mr Iohn Dunn his Poems *

Reading Anne CliffordQs Books

The Age of Mans Life George Herbert his diuine Poems * Barclays Argenisa * Anthonius his Meditations Mr : King Bishop of London his Sermons * Right-hand side, top to bottom Mr Wm Astins Books of Meditations and Devotions All Dr Iohn Dunn Deane of Pauls his Sermons * Aminianus Mercilianus of the Romish History

Lower shelf Left-hand side, left to right, tumbled M:r Georg Strowde his Booke of Death Plutarches Liues * in French Gurcherdinies History in French. Plutarches Morrals in French Sir Francis Greuill Lord Brooke his Workes. An Appologie of the Providence & Power of God by Dr : Hacwell Sir Henry Wootton his Booke of Architecture

Beneath Anne CliffordQs right hand CharonQs Book of Wisdom translated out of French into English * The Holy Bible The old and new Testament *

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Isabel Karremann Religion and the Feminist Enlightenment in England: The case of Mary Astell

I. The religious turn in Enlightenment studies According to the familiar secularization narrative, which sees the Enlightenment as the beginning of modernity,1 religion became increasingly marginal to ,The Age of ReasonR.2 Reason replaced „religious priorities […] in all walks of life – political, intellectual, social, cultural and economic“, it is claimed.3 Because of this, the Western world was able to take „significant steps toward modernity“, including the rise of religious toleration as well as of atheism, and the separation of state and church. The marginalization of religion served the purpose of keeping at bay the fanaticism and factionism which had been responsible for the religious wars that had raged across Europe in the seventeenth century. Thus, „the Enlightenment was first and foremost a movement to preserve civilized society against any resurgence of religious enthusiasm and superstition, that is to say, of evangelical Protestantism and Counter-Reformation Catholicism.“4 This secularization narrative had dominated Enlightenment studies until recently, with most research accounting for eighteenth-century developments largely in secular terms: political revolutions, the social rise of the middle classes, or cultural developments like the rise of realism in literature and the arts were „viewed as marking a shift from an obsession with religious matters to a growing preoccupation with this-worldly themes“.5 Such a disaffection with religious matters seemed persuasive, given the religious wars of the previous century, which had arisen from religious fanaticism; it was further rendered plausible by the contemSimon Grote, Review-Essay: Religion and the Enlightenment, in: Journal of the History of Ideas 75 (2014), 137–160. 2 Jeremy Gregory, Religion: Faith in the Age of Reason, in: Journal for Eighteenth-Century Studies 34 (2011), 435–443. 3 Ibid., 435. 4 Knud Haakonssen (ed.), Enlightenment and Religion, Cambridge 1996, 1–11, here 2. 5 Gregory, Faith in the Age of Reason (see note 2), 436. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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porary attacks on the church as an institution and in particular a clergy that neglected its pastoral duties and seemed more interested in personal profit than spiritual guidance. Even studies of religion „tended to echo the secularising interpretation“, offering sociological and statistical analyses rather than insights into theological matters: they „were more concerned with questions of religious attendance than questions of belief“, Jeremy Gregory concludes.6 Peter Gay famously claimed that the aim of the Enlightenment had been „the abolition of God“. Yet his interpretation of the Enlightenment in terms of „The Rise of Paganism“, as a result of a dialectical debate between the Christian heritage and the critical spirit of ancient thinkers and modern science, indicated that religion and faith would remain a challenge for exclusively secular definitions of the Enlightenment. GayQs terminology of paganism – rather that ,atheismR or indeed ,rationalismR – should thus not be seen as entirely „misleading“, as some of his earliest reviewers claimed, but rather as revealing, obliquely pointing to a problem that his own narrative of the Enlightenment did not openly admit to.7 Over the last fifteen years8 or so, historiographical debate in general has grown wary of the grand narratives of secularization, modernisation and progress, privileging instead models that take into account continuities as well as change, failures and dead-ends as well as enduring developments. This epistemological change in the discipline paved the way for a reconsideration of the role of religion in the Enlightenment and resulted in a host of new studies.9 The critique of the traditional narrative is based on a realisation of the continuing importance of religion throughout the eighteenth century, be it for the individual – reading the Bible, for instance, in fact increased as a practice of personal devotion during the Enlightenment – or for large-scale socio-political developments. As Fredric Jameson has commented in an article on the role religion played in the political revolutions of the time, „religion was ,not a mere private hobbyR in the period, but ,the master Ibid. Peter Gay, The Enlightenment. An Interpretation, vol. 1: The Rise of Modern Paganism, New York 1966; reviewed in James A. Leith, Peter GayQs ,EnlightenmentR, in Eighteenth-Century Studies 5 (1971), 157–171, here 158. Henry Hatfield likewise takes issue with the term, as it necessitates a very narrow selection of ancient writers as forefathers of the Enlightenment: Review of Peter Gay, The Enlightenment: An Interpretation, in: The Germanic Review: Literature, Culture, Theory 42 (1967), 312–314. 8 In 2003, a special issue of the American Historical Review had „heralded the return of religion to Enlighten-ment studies“; since then, „a steady stream of books and articles restoring religion to the Enlightenment“ have appeared; Grote, Religion and the Enlightenment (see note 1), 137. 9 For an overview, see Ritchie Robertson, Religion and Enlightenment: A Review Essay, in: German History 25 (2007), 422–431; Jeremy Gregory, Introduction: Transforming ,the Age of ReasonR into an ,Age of FaithsR: Or, Putting Religions and Beliefs (Back) into the Eighteenth Century, in: Journal for Eighteenth-Century Studies 32 (2009), 287–305, and the journal Aufklärung 21 (2009), Themenschwerpunkt: Religion, ed. by Robert Theis. 6 7

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code in which issues are conceived and debated […]. Religious and theological debate is the form, in precapitalist societies, in which groups become aware of their political differences and fight them outR.“10 Revisionist accounts of the Enlightenment therefore do not treat religion as something separate but as central to political, philosophical, social and economic developments of the time.11 Some studies even argue for the religious roots of modernity12 and point to the religious underpinnings of social reform movements;13 the crucial contribution made by religion to the abolition of the slave trade;14 the educational endeavours to which religion was harnessed;15 the ways in which religious debate profited from and even pioneered new forms of print media;16 and the ways in which it provided habits of thought that fed directly into the development of the novel.17 Indeed, religion should rightly be seen as a vehicle for some of the most central issues of the Enlightenment project: „As early modern politics became an autonomous sphere, carved out from the sphere of religion, morality and the eternal“, Sharon Achinstein writes, „it was precisely over the nature of human knowledge, autonomy and freedom, that theology came to be a mediating discourse, preparing the world for the removal of spiritual dependence and triggering real change.“18 Fredric Jameson, Religion and Ideology: A Political Reading of ,Paradise LostR, in: Francis Barker et al. (eds.), Literature, Politics and Theory, New York 1986, 35–56. Dale Van Kley comes to the conclusion that religion was still an operative factor at the end of the eighteenth-century, cf. The Religious Origins of the French Revolution: From Calvin to the Civil Constitution, 1560–1791, New Haven 1996, 354–358. 11 Thus Roy Porter, who in earlier studies inclined to GayQs anti-religious view of the Enlightenment, has offered a revisionary account of the relationship between religion and enlightenment thought as „Rationalising Religion“; cf. ch. 3 in Porter, Enlightenment: Britain and the Creation of the Modern World, London 2000, 96–127. 12 Grote, Religion and the Enlightenment (see note 1), 140 f. 13 See for instance Stephen H. Gregg, ,A Truly Christian HeroR: Religion, Effeminacy, and Nation in the Writings of the Societies for Reformation of Manners, in: Eighteenth-Century Life 25 (2001), 17–28. 14 James Walvin, The Rise of British Popular Sentiment for Abolition, 1787–1832, in: Christine Bolt (ed.), Anti-Slavery, Religion and Reform, Dawson, CT 1980, 149–162. 15 Thyge Winther-Jensen, The Enlightenment and Religion, Knowledge and Pedagogies in Europe, in: R. Cohen and A. M. Kazamias (eds.), International Handbook of Comparative Education, Dordrecht 2009, 823–835. 16 Gregory, Faith in the Age of Reason (see note 2), 440. 17 Felicity Nussbaum argues in The Autobiographical Subject (Baltimore 1995) that the religious practice of confession, which had been abolished by the Protestant Reformation, developed into the genre of the ,spiritual autobiographyR – as well as more worldly first-person memoirs – which in turn inform the narrative structure and reception attitudes of novels like DefoeQs Robinson Crusoe (1719). 18 Sharon Achinstein, Mary Astell, Religion, and Feminism: Texts in Motion, in: William Kolbrener, Michal Michelson (eds.), Mary Astell: Reason, Gender, Faith, Aldershot 2007, 17–30, here 22. 10

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On the whole, the ,religious turnR in Enlightenment studies has convincingly demonstrated that most ideas and arguments of the time cannot be properly understood without knowledge of eighteenth-century theology and theological controversies. It has led to a rediscovery of writers and texts that had been neglected so far; a reinvestigation of texts as well as historical figures and events whose significance had seemed clear but now need to be revised by taking into account questions of religion and theology; indeed, a redefinition of what ,EnlightenmentR means as a period,19 since the question of religion tends to stress continuities between the early modern period and the eighteenth-century, rather than a future-oriented narrative looking only toward modernity.20 II. Religion and the Feminist Enlightenment in England The revisionary potential of theology as a lens through which we can achieve a more complex understanding of the Enlightenment needs to be complemented by a feminist perspective. To date, most of the revisionist historiographical studies of the Enlightenment retain a gender-blind approach: for them the religious Enlightenment is still an all-male affair. From the perspective of womenQs history and literary gender studies, however, religion has been a central field of inquiry all along, especially in the context of seventeenth- and eighteenth-century England. Devotional texts and religious instruction, after all, had for a long time been the only areas of writing deemed suitable for women.21 It would be a misunGrote, Religion and the Enlightenment (see note 1), addresses the problem of how to define the central terms ,EnlightenmentR and ,religionR in relation to each other, discussing, among others, Jonathan IsraelQs distinction between ,radicalR and ,moderateR Enlighteners with regard to their attitude to religion (specifically, to SpinozaQs philosophical positions) and J. G. A. PocockQs pluralization of Enlightenments („there can be a Protestant and a Catholic Enlightenment; German, Scottish, and French Enlightenments“, 145); while he criticizes the latter as preventing a systematic definition of ,the EnlightenmentR, it seems to me a helpful move toward recognizing the historically uneven developments and heterogeneous forms of enlightened thinking as well as the necessity for recognizing transnational networks of correspondence and influence across Europe. This is an important consideration especially with regard to the conceptualization of a feminist Enlightenment, as the contribution by Gillian Dow in this volume shows. 20 Gregory comments with regard to J. C. D. ClarkQs revisionist study English Society, 1688–1832 (1985) that put religion back into the centre of English political and social history: „rather than seeing secularising change and modernity as the hallmark of the century, we need to recognise the crucial role that traditional forces such as religion, alongside the monarchy and aristocracy, played in the period, thereby emphasising what the eighteenth century had in common with the sixteenth and seventeenth centuries rather than, as is conventionally the case, highlighting its anticipation of modernity“ (Gregory, Faith in the Age of Reason [see note 2], 438). 21 Cf. Patricia Crawford, Women and Religion in England, 1500–1720, London 1993; Erica Longfellow, Women and Religious Writing in Early Modern England, Cambridge 2004; Femke 19

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derstanding, however, to equate religious subject matters with a withdrawal into the private female sphere. Rather, as Achinstein points out, for women writers „theological discourse was a means to express existential purpose, to construct subjectivity and community, indeed to mediate public and private“.22 And Diane Willen agrees that „[piety] provided women of various ranks with a platform on which to emerge on a public stage, especially in the mid-seventeenth century during the sectarian radicalism of the Civil War and the [Glorious] Revolution.“23 According to Patricia Crawford, during the seventeenth century women became increasingly involved in printing, petitioning and prophesying, a development which helped establish a self-understanding of women as participants in public religious debate and reform that continued well into the eighteenth century.24 This development profited from print culture and the emergent literary market, as Paula McDowell notes in her study of the first women who made a living by writing and publishing: „The heated religio-political debate-in-print of the seventeenth and early eighteenth centuries was a prime forum for English womenQs public expression […] a profound sense of religious calling made public expression, both oral and printed, appear a ,dutyR to women of diverse ideological allegiances and socioeconomic backgrounds.“25 Hence religious writing, whether it be on devotional subjects or theological debates, made up „the overwhelming majority of womenQs published writings“26 into the eighteenth century and beyond. This canon was emphatically not a separate one, but to a large part consisted of dialogues with or critical responses to male Enlightenment writers.27 Molekamp, Women and the Bible in Early Modern England, Oxford 2013; Sarah Apetrei, Hannah Smith (eds.), Religion and Women in Britain, c. 1660–1760, Aldershot 2014. 22 Achinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 22. 23 Diane Willen, Religion and the Construction of the Feminine, in: Anita Pacheco (ed.), Early Modern WomenQs Writing, Oxford, 2001, 22–39, here 23. 24 Crawford, Women and Religion (see note 21), 5. 25 Paula McDowell, The Women of Grub Street: Press, Politics, and Gender in the London Literary Marketplace, 1678–1730, Oxford 1998, 122. 26 Ibid., 123. 27 An interesting example of this are the multilateral correspondences and refutations between John Locke and Lady Damaris Masham, on the one hand, and William Norris and Mary Astell, on the other. Masham corresponded with the philosopher and „may have been an important source for the influence of Malebranche and the Cambridge Platonists on Locke“, and she authored a refutation of the Neoplatonist William NorrisQs Practical Discourses in which she „alludes to and develops his [LockeQs] ideas“ (Patricia Springborg, Mary Astell: Theorist of Freedom from Dominance, Cambridge 2005, 57 f.). William Norris, in turn, corresponded with Mary Astell about the Malebranchian thesis of seeing all things in God and debate their published in 1695 as Letters Concerning the Love of God; Masham again responded critically to this correspondence in her Discourse concerning the Love of God (1696). Much of Mary AstellQs own work was written in response to Enlightenment writers, above all to John Locke. As Penny A. Weiss points out, Astell is „more a contending voice in these debates than a mere commentator upon them“, an insight that is „critical to reclaiming her true

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Early modern womenQs religious writing is not readily recognisable as feminist in the sense that we today would define it: pious instruction usually tended to advise acceptance of womenQs sufferings and subordination, rather than to call for a reformation of the established civil society of family or state. Nevertheless, many of these pious women writers employed an Enlightenment discourse of reason that allowed them to voice their claims to spiritual as well as intellectual equality. At the same time, non-conformist religious movements like Quakerism, Methodism or Pietism provided women with a platform and arguments to call for a radical programme of spiritual improvement. Feminist historians have identified two basic types of early modern women writers, the „humanists“, who appealed to reason and drew on classical literature and philosophy along with the Bible to argue for egalitarian spirituality, and the „prophets“, who appealed to revelatory experience and engaged in a radical Puritan millenarian prophecy.28 That these different types existed alongside each other should alert us to two important aspects of the feminist Enlightenment: first, that it was not a homogenous movement but rather a field of heterogeneous positions, strategies, and aims, employing different modes of argumentation and articulation, in which we can nevertheless see strategic affiliations with other women writers as well as male thinkers. And second, that these differences played themselves out not only in the political and philosophical debates we deem typical of the Enlightenment, but also – and centrally – in the religious beliefs these women writers held. Religion formed a common concern for many women writers. This is not to suggest that all women were somehow united in their belief. Rather it means to recognise that religion was integral to early feminist thought. Sarah Apetrei, in her recent study on Women, Feminism and Religion in Early Modern England, speaks of a „religious feminism“, and arphilosophical and political importance“ (Locations and Legacies: Reading Astell and Re-Reading the Canon, in: Alice Sowaal, Penny A. Weiss [eds.], Feminist Interpretations of Mary Astell, University Park Pennsylvania 2016, 1–15, here 5). The series „Re-Reading the Canon“ features over 25 volumes by now, several of which are relevant for the idea of a feminist Enlightenment, such as Feminist Interpretations of Immanuel Kant (1997), Feminist Interpretations of Ren8 Descartes (1999), Feminist Interpretations of David Hume (2000) and even Feminist Interpretations of JeanJacques Rousseau (2002); on the anti-feminist consequences of RousseauQs writings, see the contribution by Marion Heinz in this volume. 28 Rosemary Ruether, Prophets and Humanists: Types of Religious Feminism in Stuart England, in: The Journal of Religion 70 (1990), 1–18, here 17. As the essays in the recent collection Religion and Women in Britain, c. 1660–1760 (see note 17) show, the range of confessional convictions and political positions articulated in womenQs religious writings was as broad as it was heterogeneous, spanning from English Protestant Dissenters, radical Scottish Presbyterians, Catholic nuns, Quaker prophetesses, to conservative Anglican Tories. Outside the sphere of religious texts, other models of female writing existed that made a case for womenQs capacity for intellectual thought, political commentary or emotional sincerity, such as Margaret CavendishQs scientific-philosophical writings or Katherine PhilippQs acclaimed poetry.

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gues that religion „is not only a neglected context for early feminist arguments, but is so centrally important that any attempt to interpret them without taking account of their theological content is bound to be distorting.“29 Sharon Achinstein likewise maintains that „theology may be seen as a means to understand and to practice agency, an agency that might properly be called ,feministR.“30 I would go a step further and claim that „religious feminism“ should be considered as much a structural as a thematic characteristic of enlightened womenQs writing: women did not only speak about religious themes; religion provided many women across confessions with an impetus, a justification and a language to participate in Enlightenment debates about human nature, liberty, equality and sociability. Nevertheless, the very notion of a „religious feminism“ might seem paradoxical to many students of womenQs history. Religion and feminism are not always easily reconciled. In fact, earlier studies have tended to cast them as oppositional forces, seeing religion as „the handmaid […] of patriarchal dominance“ that „reinforced and lent unimpeachable ideological authority to the subjection of women“.31 From this perspective, women writers employing the language of religion have often been excluded from the circle of properly feminist writers by historians – unless, of course, they had the right kind of religion, such as the Dissenting enthusiasm that sought to overthrow earthly structures of a patriarchal society. Women writers who adhered to the orthodox religious beliefs of the Anglican High Church and thereby tended to subscribe to a conservative understanding of the social order, by contrast, pose a serious problem for modern feminist critics. Such writers tended to be deeply conservative in their political allegiances and theological views – and yet, at the same time they vehemently defended the equality of their intellectual abilities and their duty to develop them through education. Characteristically, these claims were based on religious arguments drawn from Scripture and usually did not so much champion womenQs rights to equality and liberty but rather advocated acceptance of their duties and submission to the reigning order, if with the very important qualification that they not simply do as they are told but rather submit from their own reasoned understanding of those duties.32 Sarah Apetrei, Women, Feminism and Religion in Early Modern England, Cambridge 2010, 19 and 33. 30 Achinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 22. 31 Apetrei, Women, Feminism and Religion (see note 29), 28. 32 „Consequently, there have been more sustained and historically grounded attempts to come to terms with the deep-rooted Royalism of many of the early women writers. From this revisionary perspective, it has seemed all the more remarkable that so many female poets, playwrights, and philosophers of the late seventeenth and early eighteenth century were so overwhelmingly Tory“ (Julie Choi, Women, Religion, and Enlightenment: Mary AstellQs Serious Proposal to the Ladies, in: Feminist Studies in English Literature 19 [2011], 5–34, here 8). These royalist women writers would 29

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Michael McKeon sums up the seeming paradox as follows: „Why did the first generation of women writers to define what looks to us like a protofeminist position on the political rights of women subscribe not to ,WhigR contractualist theories but to the ,ToryR principles of divine right, patriarchalism, and royal absolutism?“ His answer locates the problem within todayQs identification of feminist politics with rights and agency: „Tory feminism seems counterintuitive because the basic feminist premise that women possess political rights would seem to require a model of political relations, like the contractarian model, that acknowledges the volitional agency of civil subjects“. Yet the contractarian model itself, Carole Pateman has shown, was anti-feminist in its very conception, effectively excluding women from the category of volitional subjects.33 Patricia Springborg points out as well that „this is a problem falsely posed – and bespeaks progressivist assumptions about a ,properR feminism that are anachronistic when applied to seventeenth-century women.“ Thus, the very fact that from todayQs perspective the idea of a ,Tory feminismR seems paradoxical at all is a direct result of the eventual triumph of the Whig account of historical progress: underlying such a perspective is the assumption that progress is always wedded to a language of rights, and that this is the only proper mode of feminist discourse. In SpringborgQs words, „[t]he refusal to apply the term ,feministR to those women who early engaged in the struggle to be recognized as minds and bodies with the autonomy and rights granted to men involves a kind of reverse anachronism. It assumes that we moderns, or postmoderns, have a monopoly on the claim to feminism“.34 In consequence, we need to overcome our „progressivist assumptions“ and instead strive to understand these women writers and their feminism in the terms of their own times.35 include the poet Katherine Philipps, playwright and poet Aphra Behn, author of scandalous romances Delariviere Manley, the philosopher Mary Astell, and the satirical writer Judith Drake, who moved in her circle. 33 Michael McKeon, The Secret History of Domesticity: Public, Private, and the Division of Knowledge, Baltimore 2005, 152 f.; Carole Pateman, The Sexual Contract, Stanford 1988. 34 Springborg, Mary Astell (see note 27), 3–6. 35 Ironically, we are currently experiencing a misogynist back-lash that should make us wary of denying feminist credentials to early modern womenQs calls for equality merely because they did not result in a truly egalitarian society: „the possibility of a paradox, that the legacy of the Interregnum“ during which feminist demands for womenQs participation in the public sphere of politics, religion and intellect were voiced (as was the case also in the years after 1968), „was a continuing expansion (in certain contexts) of female involvement in religion and public life and a patriarchal reaction which sought to limit that contribution“ (Apetrei, Smith, Religion and Women [see note 21], 4). This reaction is not unlike the resurgence of sexism and misogynism we have been witnessing for the last decade. For recent assessments of the ,successR of modern feminism and the ongoing need for it, cf. Nivedita Menon, Seeing Like a Feminist, London 2012; Amamanda Adichie, We Should All Be Feminists, London 2014; and Amia Srinivasan, The Right to Sex (London forthcoming; based on an article in the London Review of Books 40, March 2018). It is no coincidence that these critiques emerge from the Global South, where the material conditions of womenQs lives make the need for

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Conservatism and feminism appear much less contradictory when we listen to the charges these conservative women writers themselves brought against the progressive Whig position. They claimed that the Whig party – which had brought about the Glorious Revolution of 1689 that replaced the rightful, but suspiciously Catholic-leaning monarch, Charles II, with the Protestant William of Orange – exhibited a failure in loyalty, moral judgment and proper faith. Moreover, the Whigs based their politics on social contract theory and natural law rather than on divine right. This was problematic for women in so far as the social contract was effectively, as Pateman has demonstrated, a sexual contract.36 Conceived of as an agreement between free and equal individuals, the social contract is revealed by Pateman as an illusory construct designed to gloss over social inequalities – the „political fiction“, for instance, that people own their labour as property to freely sell in the form of employment contracts that are really subordinations – as well as sexual inequalities. The social contract silently excluded women from the realm of political subjects, since they were denied the status of free and equal citizens; it based this discrimination in the political realm on an assumed natural superiority of the male sex over the female; and it extended into the private realm of the family the idea of a marriage contract which defined access to and the subjection of the female body as a conjugal right.37 Contractual theory thus did not supersede paternalistic forms of political authority, but merely transformed the system of male domination. The ideal of equality and freedom in the public sphere „ironically translated into tyranny within the private sphere of the family“.38 This is one reason why the very division between public and private sphere was a development that many women writers, especially of the earlier part of the eighteenth-century, objected to. Admittedly, this division was not originally conceived of in gendered terms but rather as an attempt at keeping apart church and state, faith and politics, in order to avoid the upheavals of the religious wars of the seventeenth century. But along with religion, women saw themselves increasingly relegated to the private sphere – and they objected to this neither by casting off religion, nor by meekequality much more pressing, though each makes an argument about the political, economic, sexual and religious rights of women in a world of globalized capitalism, in which women are – another paradox – simultaneously at a disadvantage and held responsible for its fallouts such as (male) unemployment, dissolution of traditional family structures, social isolation and sexual deprivation. 36 Pateman, The Sexual Contract (see note 29). 37 Ibid., 151, 2 and 8. For an overview of the key theses of The Sexual Contract and its impact on feminist interpretations of political theory, cf. Mary Dietz, Carol Pateman, The Sexual Contract, in: Jacob T. Levy (ed.), The Oxford Handbook of Classics in Contemporary Political Theory, Oxford 2016, no pagination; https://www.oxfordhandbooks.com/view/10.1093/oxfordhb/ 9780198717133.001.0001/oxfordhb-9780198717133-e-12; access date 11. 11. 2019. 38 Julie Choi, Women, Religion and Enlightenment: Mary AstellQs Serious Proposal to the Ladies, in: Feminist Studies in English Literature 19 (2011), 5–33, here 24.

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ly withdrawing to a private spirituality, but by claiming the ongoing relevance of both religion and womenQs religiously sanctioned moral authority in the public sphere: theological discourse became their chosen means „to express existential purpose, to construct subjectivity and community, indeed to mediate public and private.“39 Against this complex historical background, the writings especially of conservative women pose a challenge to our understanding of the history of feminism and the Enlightenment as an important chapter in this history. They serve as a salutary warning against projecting modern-day notions – be it of the Enlightenment, or of feminism – onto a period whose historical texture and discursive entanglements were much more complex that retrospective accounts have allowed for so far. Perhaps the most vexing case is that of Mary Astell, whose conservative theological and political writings have posed difficulties for modern feminist critics, in spite of her being widely acknowledged as „the first feminist“.40 These difficulties, as I have just shown, can be explained as a result of modern misconceptions concerning early modern High-Church Tory feminism. But I would further like to argue that AstellQs work is indeed both enlightened and feminist, and that the conservative religious views she held served as a medium for claiming the intellectual and moral authority of educated women.

III. The case of Mary Astell Mary Astell was a royalist, a fervent follower of the Anglican Church and a selfconfessed true „lover of her sex“, as the title page to her most successful publication A Serious Proposal to the Ladies (1694) announced. She was born in 1666 as the daughter of a coal merchant in Newcastle and a Catholic mother; the family was on both sides connected to the landed gentry. These regional and family connections provided the basis of her political commitment: Newcastle had remained loyal to the monarchy during the Civil War, and NewcastleQs most important guild, the coal-merchants or Hostmen, in which the men of the Astell family had held the post of clerk, shared this royalism. AstellQs philosophical convictions were formed by her uncle Ralph Astell, a graduate of Cambridge and curate in St Nicholas Cathedral at Newcastle, who acted as tutor to his niece. He schooled her in the philosophical assumptions of the Cambridge Platonists, whose teachings he had imbibed during his own studies. Their insistence on the role of reason in religion – to show the Christian what reason could not resolve, and where the mysAchinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 19. Cf. Bridget Hill (ed.), Mary Astell, The First English Feminist: Reflections upon Marriage and Other Writings, Aldershot 1986. 39

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tery of faith began – infused „all of AstellQs formulations about religion, the nature of reality, and the function of thought“, her biographer Ruth Perry explains: „Reason was only the ladder to heaven, and the improving and strengthening of it was a religious act.“41 Another important philosophical tenet for Astell was Cartesian rationalism, in particular the mind-body dualism, which allowed Astell to formulate the idea of an un-gendered rational soul that enabled her to dismiss arguments about womenQs inferiority based in their physiology and sex as accidental. In this she could build on the work of French philosophers who had already adopted DescartesQ rationalism to build a case for the equality of womenQs souls, notably Poullain de La BarreQs De LQ8galit8 des deux sexes (1673; published in English as The Woman As Good As The Man in 1677) and Jacques du Bosc, whose The Excellent Woman was translated into English in 1692. AstellQs father died when Mary was twelve years old, her tutor-uncle a year later. The loss of financial security changed AstellQs prospects for the future; marriage to a man within her own class became impossible without a dowry, a connection below her station was unthinkable. Her sex prevented her from a career in the church, her class from entering into service. In 1687, when Astell was twenty-one, she went to London to see whether she could establish herself there as a writer – a daring venture at a time when women writers were attacked for being immoral, and the only genres in which they could write successfully were plays or fiction (likewise thought to be immoral). Against all odds, Astell managed to establish herself as a woman of letters. She was able to procure the patronage of William Sancroft, the Archbishop of Canterbury, who, impressed by the intelligence of this young women and the clarity of her philosophical reasoning, supported her financially and introduced her into society; in gratitude, Astell addressed a small volume of religious poetry to him. The manuscript had long remained in obscurity until Ruth Perry published the poems in the appendix to her biography of Astell in 1986. A recent study of them demonstrates how already in her first attempt at writing, Astell employs arguments for womenQs public speaking based on reason and piety, which would become characteristic of her later prose writings.42 Astell moreover acquired the patronage of aristocratic High Church Tory women such as Lady Catherine Jones, Lady Mary Wortley Montagu, Lady Anne Coventry, Lady Elizabeth Hastings, as well as the Princess Anne, to whom she dedicated her first published work, A Serious Proposal to the Ladies (1694). A Serious Proposal delineates the idea of a female academy in which women could devote themselves to the education of their minds and souls. This work, together with Some Reflections upon Marriage (1700), a harsh attack on the potenRuth Perry, The Celebrated Mary Astell: An Early English Feminist, Chicago 1986, 50 f. Cf. Claire Pickard, ,Great in HumilitieR: A Consideration of Mary AstellQs Poetry, in: Kolbrener, Michelson (eds.), Mary Astell (see note18), 115–126. 41

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tial tyranny of husbandsQ authority, established AstellQs credentials as a feminist with later critics. Less directly recognisable as feminist are her philosophical, religious and political works, such as her letter correspondence with the Platonist philosopher John Norris, Letters Concerning the Love of God (1695); The Christian Religion as ProfessQd By a Daughter of the Church (1705), a manifesto that seeks to combine philosophy and religion by establishing reason as the principle of her faith in God; or polemical political pamphlets like Moderation Truly Stated, A Fair Way With Dissenters and An Impartial Inquiry into the Causes of Rebellion and Civil War (all 1704) that accuse Whig and Dissenting ideology of leading to social disorder and war. Nevertheless, the question of womenQs intellectual and spiritual equality feature in all of her writings to varying degrees.43 What is more, these publications established Astell as „the first respectable woman prose writer in England, the prototype for the Bluestockings of the next generation.“44 Her ideas were picked up and imitated also by the leading male writers of the day, such as Daniel Defoe, Alexander Steele, and Samuel Richardson, all of whom referred to or cited verbatim long passages from Serious Proposal.45 The modern reception history begins with one of the first anthologies of feminist writing, Sarah FergusonQs First Feminists (1985), in which extracts of AstellQs work were included. Since then, almost all of her writings have been made available in modern critical editions.46 Christine Sutherland points out that, for instance, The Christian Religion „brings together her ideas about philosophy, politics, education, and womenQs issues, and shows them to be consistent with one another, based as all of them are, fundamentally, on her Christian convictions“ (The Eloquence of Mary Astell, Calgary 2005, 93). 44 Janet Todd, Dictionary of British Women Writers, New York 1989, 19. 45 Defoe proposed in his Essay upon Projects (1697) „An Academy for Women“ explicitly modelled on AstellQs idea for a quasi-religious convent for unmarried women, and Steele lifted over one hundred pages from Serious Proposal for inclusion – without acknowledgement – in his Ladies Library (1714). RichardsonQs sentimental hero Sir Charles Grandison (1753) discusses a similar idea of a „female nunnery“ over dinner, and „it has been suggested that Astell [herself] was the model for his pious and articulate Clarissa [1747]“ (Perry, The Celebrated Mary Astell [see note 41], 100). 46 Mary Astell, A Serious Proposal to the Ladies, ed. by Patricia Springborg, London 2002, contains both parts, the first published in 1694 and, due to the great success, a second offering „A Method for the Improvement of their Minds“ in 1697 (further references to this edition are abbreviated as SP I/II); Some Reflections upon Marriage appeard, in: Patricia Springborg (ed.), Astell: Political Writings, Cambridge 1996; the first modern edition of AstellQs correspondence with Norris was published in 2005, edited by Melvyn New and E. Derek Taylor for Ashgate; The Christian Religion, as Professed by a Daughter of the Church of England has been recently been published in its first modern critical edition by Jacqueline Broad for the Other Voice in Early Modern Europe Series, Toronto 2013; of her more polemic writings, only A Fair Way with the Dissenters has been included in Springborg (ed.), Astell: Political Writings – the others still await a modern edition, as does her last book, BartQlemy Fair: Or, an Enquiry after Wit (1709), written in response to ShaftesburyQs „Letter Concerning Enthusiasm“ (1708) which Astell condemned for what she perceived 43

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AstellQs feminist position emerges from her dialogue with the philosophical, political and above all theological discourses of the time.47 The most-quoted epigraph from AstellQs work, which is usually seen as establishing her feminist credentials, provides a good entry point, as it engages with central Enlightenment issues such as the nature of human agency, freedom, equality and personal relationships: „If all men are born free, how is it that all women are born slaves?“, she asks in Some Reflections upon Marriage.48 Most often, this is read by feminist critics as a straightforward call for womenQs rights; yet in its proper historical context of AstellQs theological program, her philosophical convictions and her political loyalties, the picture becomes more complex and nuanced, although certainly not less feminist – only different from what we might have expected. If the obvious target of AstellQs polemic question „How is it that all women are born slaves?“ is the natural inequality of the sexes emplied by contract theory, the starting point of her critique is the political presupposition that all humans might be born free. This was one of the central tenets of social contract theory based on natural law, as represented by Thomas Hobbes, John Locke and their followers. Astell found this idea preposterous, as it flatly contradicted her conservative Tory view of a divinely sanctioned social hierarchy. This god-given social order, however, does emphatically not extend to the sexual order. In AstellQs view, the hierarchy between the sexes is not a divine command issued by God but a man-made custom, legitimized by sexist prejudices or by womenQs perceived faults, and kept in place by institutionalized male power: Men are possesQd of all Places of Power, Trust and Profit, they make Laws and exercise the Magistracs, not only the sharpest Sword, but even all the Swords and Blunderbusses as a dangerous laissez-faire attitude to religion, in particular his dismissal of more extreme forms of religious enthusiasm as an anti-rational „Pannick“ – religion, for Astell, was a highly serious matter, and reason assisted by revelation the way to God. On the reception history of her work, cf. William Kolbrener, Michal Michelson, ,Dreading to engage herR: The Critical Reception of Mary Astell, in: id. (eds.), Mary Astell (see note 18), 1–15. 47 In an article on „The Political Context for Mary AstellQs Feminism“, Hilda Smith makes the convincing case that AstellQs conservative political values were not in opposition to her feminist ideology, but rather were essential to it: „her own Tory feminism is tied to a critique which employs progressive arguments to undermine parliamentarian and sectarian understandings of family and gender relationships“, she writes. „In AstellQs eyes, the Whig failure to express loyalty to the true authority of Charles was sign of a moral failure and hypocrisy, which registered further – and most significantly for her – in the disparity between their stated doctrines of equality and their attitudes toward women“ (in: Kolbrener, Michelson [eds.], Mary Astell [see note 18], 193–204, here 195). While I agree with Smith that we need to integrate AstellQs political and philosophical principles into an account of her feminism, her article largely ignores what I take to be the main vehicle for her „progressive arguments“ concerning women: religious discourse. 48 Mary Astell, Some Reflections upon Marriage, in: Springborg (ed.), Astell (see note 46), 18. Further references to this edition are abbreviated as SRM.

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are theirs, which by the strongest Logic in the World, gives them the best Title to every thing they please to claim as their Prerogative; who shall contend with them? Immemorial Prescription is on their side in these parts of the World, Antient Tradition and Modern Usage! Our Fathers have all along both Taught and PractisQd Superiority over the weaker Sex, and consequently Women are by Nature inferor to men, as was to be Demonstrated. (SRM, 29)

Astell bitterly inveighs against factual power structures, tradition, usage and arguments „by Nature“. Instead, she puts forward a vision of a social order in keeping with divine commands that nevertheless allows for sexual equality. Her most powerful tools of argumentation are Anglican doctrine and biblical exegesis.49 Astell challenges the sexist bias of both traditional paternalism and current political theory mainly by drawing on the Bible. Beginning with the story of the creation and the Fall, she points out that „The earthly AdamQs being FormQd before Eve seems as little to prove her Natural Subjection to him, as the Living Creatures, Fishes, Birds and Beasts being FormQd before them both, proves that Mankind must be subject to these Animals“, and asks pointedly „why [GodQs injunction to Adam and Eve after the Fall] shouQd prove AdamQs natural Right to Rule?“ (SRM, 19). Numerous examples of pious, prophetic and learned female biblical figures, which she marshals against the notion of womenQs incapacity for political and moral leadership, take her to the conclusion that „the Bible is for, and not against us“ (SRM, 28).50 Beyond this refutation of a ,naturalR female subordination she holds the argument that all human beings are ultimately dependent on God: „The Relation between the two Sexes is mutual, and the Dependence Reciprocal, both of them Depending intirely upon GOD, and upon him only; which one wouQd think is no great Argument of the natural Inferiority of either Sex“ (SRM, 13). This is an argument with an unexpected feminist purchase because such universal dependency effectively rendered the two sexes equal before God. The theological argument therefore allows her to undertake a feminist critique of the political discourse of social contract theory.

These are identified as key strategies of AstellQs argumentation by Michal Michelson, ,Our Religion and LibertiesR: Mary AstellQs Christian Political Polemics, in: Jacqueline Broad, Karen Green (eds.), Virtue, Liberty, and Toleration: Political Ideas of European Women, 1400–1800, Dordrecht 2007, 123–136, here 124. 50 For an impressive list of names, cf. ibid., 125. Lists of ,women worthiesR were a conventional feature of defences of the female sex across all political, religious and philosophical divides – they featured, for instance, in writings polemic treatises that participated in the popular controversy about the nature and role of women, like Esther SowernamQs Esther Hath HangQd Haman (1617); in Aemilia LanyerQs religious poem Salve Deus Rex Judaeorum (1611); in the sermon Womens Speaking Justified (1666) by Quaker preacher Margaret Fell Fox; in Judith DrakeQs An Essay in Defense of the Female Sex (1696); and George BallardQs Memoirs of several ladies of Great Britain, who have been celebrated for their writings, or skill in the learned languages, arts and sciences (1752). 49

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But the Bible is not AstellQs only weapon against natural law. She also counters its ideas, in particular concerning the relation between the sexes, by resorting to strategies of argumentation typical of Enlightenment discourse. In the Preface to the third edition of Reflections, she expounds against „the Natural Inferiority of our Sex“ as a prejudice and „antient“ error, and matches it with a „Natural Right of Judgment“: And since the only way to remove all Doubts, to answer all Objections, and to give the Mind entire Satisfaction, is not by Affirming, but by Proving, so that every one may see with their own Eyes, and Judge according to the best of their own Understandings, [I hope] it is no Presumption to insist on this Natural Right of Judging for her self, and the rather, because by quitting it, we give up all the Means of Rational Conviction. (SRM, 10)

Astell intertwines here her feminist project with the Enlightenment project: to hold on to womenQs capacity of rational judgment becomes a way of defending „Rational Conviction“ as a virtue, indeed as a „Natural Right“. Astell highjacks here the discourse of her opponents and makes it her own, that of feminist enlightenment discourse. Another enlightenment strategy employed by Astell is the reductio ad absurdum. In a passage that manages to kill two flies with one stone, she deflates the claims of both Biblical prescriptions of female inferiority and arguments made in the name of natural law. Taking issue with St. PaulQs famous ruling that women are forbidden to pray and prophesy in church unless „they do it with their Head CoverQd“ (1. Cor. 11), she first points out – against the customary interpretation of the passage – that this does not establish the inequality of the sexes but rather that when it comes to their identity as Christians, „they are in all things Coequal“ (SRM, 11). For if the ApostleQs words do prove anything, in her view, then it is that the difference between the sexes is a question of fashion merely since to the injunction that a man should not cover his head in church – distinguishing him from the women – St. Paul allows one exception: „if a Man have long hair it is a shame unto him.“ Astell is quick to point out that „the present Fashion of MenQs wearing long Hair“ consistently ignores this part of the ApostleQs ruling. And yet men keep drawing on his biblical authority to claim superiority over women – a claim warranted neither by the Bible nor by natural law, Astell concludes: „For all that appears in the Text, it is not so much a Law of Nature, that Women shouQd Obey Men, as that Men shouQd not wear long hair.“ Female obedience is reduced here to a shameful fashion, just as long hair in men is (ibid., 12). That Astell refutes the wholesale subjection of one sex to the other as posited by the dominant tradition of biblical exegesis as well as by natural law, however, does not lead her to call for an equally comprehensive equality of the sexes in society. She insists instead that within the divinely sanctioned institution of marriage, wives must indeed submit absolutely to the rule of their husband – much to the

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consternation of some feminist critics today. However, I would argue that Astell does not make an anti-feminist point here but conducts a more subtly feminist argument. For in opposition to the general assumption of natural female inferiority, Astell allows only a very specific kind of submission, that of wife to husband, within the specific institution of marriage.51 Importantly, this is not an institution created by man, but by God: when Astell cites St. PaulQs command in Ephesians 5.22 for „Wives to submit themselves to their own Husbands“, she is invoking the higher authority of God, for whom the husband is a stand-in at best. While Astell does admit the absolute hierarchy of husband over wife in Christian marriage, she manages to draw two feminist conclusions from it. First, given that „A Woman indeed canQt properly be said to Choose“, she insists on womenQs right at least „to Refuse or Accept what is offerQd“ (SRM, 43). In PerryQs view, this effectively „established a womanQs right to direct her own fate“ by abstaining from marriage altogether.52 This does emphatically not amount to the preservation of a freedom enjoyed „in [an] equal state of nature“, Achinstein points out: „On the contrary; that freedom was never theirs to begin with, for there is no state of nature“.53 Astell therefore does not call for emancipation in terms of womenQs rights, nor for „political participation and representation“, since this would mean subscribing to contract theory, nor indeed for a rebellion against authority – on the contrary, „it was because she believed in authority that Astell advised women not to marry.“54 Julie Choi therefore identifies a different understanding of personal freedom that is in keeping with AstellQs conservative beliefs as well as her feminism: „Rather, she espouses […] the free will to fulfill oneQs ethical and moral duty, especially if this involves obedience to a higher authority. Duty and freedom are not contradictory terms in AstellQs vocabulary“ but form the basis of her feminism, because the highest authority, after all, is not man but God – and the duty to GodQs commands gives women the freedom to refute the claims of men.55 This has nothing to do with open rebellion against social hierarchies and institutions: „We pretend not that Women shouQd teach in the Church, or usurp Authority where it is not allowQd them“, Astell assures her (male) readers: „permit us only to understand our own duty, and not be forcQd to take it upon trust from others“ (SP II, 81). It is important to realise that the language of duty and dependency The point of this specific circumscription of female submission to the state of marriage is made by again by a reduction ad absurdum: „Only let me beg to be informQd“, she begins in mock-modest naivet8, „to whom we poor Fatherless Maids, and Widows, who have lost their Masters, owe Subjection? It canQt be to all men in general, unless all Men were agreed to give the same Commands; do we then fall as Strays [i. e. masterless dogs, I.K.] to the first who finds us?“ (SRM, 29). 52 Perry, The Celebrated Mary Astell (see note 41), 164. 53 Achinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 21. 54 Perry, The Celebrated Mary Astell (see note 41), 165; emphasis in the original. 55 Choi, Women, Religion and Enlightenment (see note 38), 25. 51

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which Astell employs here does not translate into a gender-specific female duty and female dependency in the relation between the sexes. Throughout her work, Astell insists rather on the fundamental dependency of all human beings upon God. This idea of dependency further allows Astell to establish a spiritual conception of personhood that is fulfilled in the complete union with God, rather than in the union with a husband. This idea had been developed earlier in the 17th century in womenQs religious writing, where earthly marriage to a man is rejected in favour of a „mystical marriage“ with Jesus Christ.56 Astell similarly conceives of a self entirely in terms of a reason and piety that are directed towards an otherworldly desire for unification with God, yet in keeping with her egalitarian view of human beings equally dependent on God she replaces the marital image with one of devoted service: a woman may therefore „conclude, that she was made for the Service of GOD, and that this is her End. Because GOD made all Things for Himself, and a Rational Mind is too noble a Being to be Made for the Sake and Service of any Creature.“ And she continues in a dismissive tone that some readers at least may well have taken for arrogance: „The Service she at any time becomes obligQd to pay to a Man is only a Business by the Bye.“ Adding insult to injury, she continues with the unflattering comparison of the swine-herd whose profession does not comprise his raison dQÞtre: „Just as it may be any ManQs Business and Duty to keep Hogs; he was not Made for this, but he hires himself out to such an Employment, he ought conscientiously to perform it“ (SRM, 11). Likewise, it is the duty of married women to perform their business of taking care of their husbands conscientiously; yet this is not the sole purpose of their existence. That purpose lies in preparing their souls for the reunion with God. Already in her earliest writings, a set of religious poems dedicated in gratitude to her mentor Bishop Sandford, Astell expressed such an otherworldly desire, along with a similar contempt for all earthly occupations.57 In what is still the only essay on AstellQs religious poems, Claire Pickard argues that she „confronts the problem of gender inequality by shifting her readerQs attention from an earthly existence in which women are disadvantaged to a spiritual one in which such disadvantages are eradicated.“Far from offering an escapist fantasies, the poems rather are a spiritual exercise in shifting the focus „away from the false valuation of this transient material world to an arena in which spiritual worthiness, not gender distinctions, are paramount.“58 AstellQs early religious poetry in a sense offers a Femke Molekamp, Early Modern Women and Affective Devotional Reading, in: European Review of History / Revue Europe´enne dQHistoire 7 (2010), 53–74. 57 The poems existed in a single manuscript volume presented to Sancroft until they were published as Appendix D to PerryQs biography of Mary Astell in 1986 (see Note 41), 400–454. 58 Pickard, ,Great in HumilitieR (see note 42), 115 f. 56

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blueprint for the theological arguments she would employ in her more overtly political and philosophical writings. Lines like „My service is true Libertie“ (The Invitation, l. 9) or „They are more blessed who his word obey“ (In emulation of Mr. Cowleys Poem, l. 32) resonate clearly with ideas about gaining freedom through dependence and obedience just discussed. While Astell did not return to poetry as a mode of writing, the main themes of the spiritual value of suffering and the importance of submission to GodQs remained, as did the tone of pious enthusiasm that complements her rational and polemic diction. In the second part of the Serious Proposal, for example, we find a passage which sounds almost like an enthusiastic „incantation“ or „prayer“, as Achinstein notes,59praising God as „the only Amiable Being, who is altogether Lovely and worthy of All our Love, the Object of our Hope, the Sum of our Desire, the Crown of our Joy“ (SP II, 160).60 Such a conception of the self in terms of otherworldly desire has indeed the potential for a radical rejection of all worldly obligations. This potential was fulfilled in the radical protestant movement of the Dissenters or the Quakers in the mid-seventeenth century, which saw women like Margaret Fell Fox take over religious leadership and preaching social revolution. Writing from the other side of the upheavals of the Civil War, however, Astell chooses a different path, and argues for a duty and obedience to God that effectively stabilizes the social order. But again, this does not necessarily disqualify her as a feminist: her otherworldly stance, Achinstein persuasively argues, „enabled AstellQs contribution to the historical modes of the organisation of gender as a strategic intervention regarding hierarchy, identity, and subjectivity.“61 Instead of subscribing to the materialist logic of a natural difference between the sexes, AstellQs anti-materialist philosophy, while it accepts institutionalised differences in this world, insists on another, eternal world without gender.

Achinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 26. Pickard, ,Great in HumilitieR (see note 42) reads the poems mainly alongside AstellQs Serious Proposal to the Ladies and Some Reflections upon Marriage, but without linking them to her philosophical convictions and theological beliefs; however, she connects the figure of earthly martyrdom with that of the martyrdom of King Charles II, stressing AstellQs royalist commitments (116 f.). A comparison of AstellQs religious poetry with her theological maxims in Letters Concerning the Love of God is still to be wished for. 61 Achinstein, Astell, Religion and Feminism (see note 18), 28. 59

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IV. Conclusion AstellQs otherworldly orientation might sound as if she was indifferent to her fellow-beings living in this world.62 The contrary is true. Even when her focus is on educating oneQs immortal soul to become worthy of unification with God, she is acutely aware of the worldly uses especially of female education. Astell argues in Serious Proposal that the education of women would be important not only for the right „Conduct of her own Soul but in the management of her Family, in the Conversation of her Neighbours and in all the Concerns of Life. Education of Children is a most necessary Employment“ (SP I, 202). Care of the self extends to care of others, and makes an important difference in the private, domestic sphere as well as – potentially – in the public realm, Choi comments: „if the married woman with knowledge can reform her family, the unmarried woman with knowledge can transform the world“.63 This is how Astell presents her feminist vision of social change: Nor will Knowledge lie dead upon their hands who have no Children to Instruct; the whole World is a single LadyQs Family, her opportunities of doing good are not lessenQd but encreasQd by her being unconfinQd. Particular Obligations do not contract her Mind, but her Beneficience moves in the largest Sphere. And perhaps the Glory of Reforming this Prophane and Profligate Age is reservQd for you Ladies. (SP I, 203)

If this passage is perhaps overly optimistic in its claim that educated single women can reform the age, it certainly demonstrates once again, Choi writes, „how unhelpful the division of private and public is for comprehending the scope of AstellQs vision“.64 Equally unhelpful is the attempt to separate her political and philosophical writing from religious matters. Even as „Astell advocates quietism, private meditation, and an otherworldly perspective in much of her writing […] she herself actively intervened in the political turmoil around her through publication of numerous polemical treatises.“65 As the case of Mary Astell shows, theological debate functioned as a vehicle for women to participate in public discourse, to become and to remain visible in the secular sphere, even though the content of their writings often advocates retreat into private piety. The truth of this is borne out by the recent revisions of Enlightenment thought in the light of the ongoing importance While her epistolary correspondence with John Norris in Letters Concerning the Love of God does indeed discount any theological premise for loving GodQs creatures (rather than God himself), her other writings and indeed her life show that she was aware of and benefited from the love shown her by female community. 63 Choi, Women, Religion and the Enlightenment (see note 54), 28. 64 Ibid. 65 Michelson, Mary AstellQs Christian Political Polemics (see note 49), 127 f. 62

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of religion and faith: by this light, womenQs withdrawal into the seemingly private sphere of religion is revealed as a strategic retreat that allowed women to claim intellectual and moral authority. We would be wrong to dismiss these women writers as not properly feminist, or not properly political. „Though the versions of equality and freedom [that writers like Astell propose] are not political in a modern, secular sense“,66 they were important interventions into political and philosophical debates that mattered at the time, employing the terms and categories that mattered at the time. And what mattered was still to a significant extent determined by religious discourse. If we want to understand the feminist Enlightenment, we must learn to understand its religion first. Nach einem Überblick über die ,religiöse WendeR in der Aufklärungsforschung und einer Darstellung der Bedeutung religiöser Schriften von Frauen für eine Geschichte des Feminismus ebenso wie der Aufklärung, widmet sich dieser Aufsatz einer Fallstudie, dem Werk der Philosophin, polemischen Publizistin und frühen Feministin Mary Astell (1666–1731). Er argumentiert, dass Religion nicht unbedingt als Hindernis fungieren musste, vielmehr als Vehikel für Gleichheitsforderungen von Frauen dienen konnte. Ihre theologische Argumentation gestattete es Astell, in zentrale philosophische, politische und gesellschaftliche Debatten ihrer Zeit einzugreifen und für die intellektuelle und moralische Autorität gebildeter Frauen einzutreten. After giving a survey over the ,religious turnR in Enlightenment studies and discussing the importance that womenQs religious writing has had for a history of feminism as well as of the Enlightenment, this essay examines the writings of the philosopher, polemicist and early feminist Mary Astell (1666–1731) as a case study. It argues that religion, far from proving an obstacle to egalitarian claims for women, could function as a mediating vehicle and that theological argumentation allowed Astell to intervene in key philosophical, political and social debates of her time, claiming an intellectual and moral authority for educated women. Prof. Dr. Isabel Karremann; Universität Zürich, Englisches Seminar, Plattenstrasse 47, CH-8032 Zürich, Email: [email protected]

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Ibid., 133.

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I. The Equality of the Sexes In the Age of Reason the issue of female government was no longer the pressing dynastic question it had been during the Anglo-French controversy about the French crown in the sixteenth century. In Britain, where the fierce pamphlets of protestant divines against Elizabeth had led to the disgrace of the pamphleteers after her accession to the throne, female succession was accepted, with the only restriction that the sons of a monarch would take precedence over the daughters.1 In France by contrast, women were firmly excluded by means of the historical fiction of the Salic Law. When the question was discussed at all, it was considered as a philosophical and moral issue: if one attributed, as some Enlightenment thinkers did, the same abilities to men and women, they should be granted the same rights in all respects. This was the main point of a treatise by FranÅois Poullain de la Barre, a follower of Descartes. In 1673 he published De lQPgalit8 des deux sexes: Discours physique et moral OF lQon voit lQimportance de se d8faire des pr8jug8s. He finds that, putting aside prejudices, „Les deux sexes sont 8gaux pour le corps et pour lQesprit“.2 Not only does he endorse the Cartesian conviction that the mind has no sex; he boldly maintains that the female body is equal to the male. He concedes slight physical differences between men and women; these, however, are not to the disadvantage of the latter. Women being – at least – equal in all respects, he sees no reason why, if properly educated, they should not be fit for every profession and position in society, including that of governing a commonwealth. It is only because people tend to mistake prejudice for truth and custom for nature („on confonde ordinairement la nature avec la coutume“),3 that they donQt believe in the equality of the sexes. If the reign of the Amazons had continued, one would 1 2 3

Male-preference primogeniture was only abolished in 2011. FranÅois Poullain de la Barre, De lQPgalit8 des deux sexes, ed. by Martine Reid, Paris 2015, 24. Ibid., 80.

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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think the idea of male rule as strange as one now finds that of female government. Calmly but firmly Poullain brushes aside the Salic Law of Succession. Women comprehend and remember in detail the intricate plots of the romances they are so fond of – so why could they not acquire the knowledge of the laws and principles needed for governing a nation? Women can think strategically, they are certainly good at stealing a march on the enemy – so why should they not lead an army into battle?4 Poullain argues as a Cartesian theorist, in general terms, independent of the contingencies of history.5 His French readers, however, would have had no difficulty to supply factual evidence from the near past for womenQs qualification for political and military leadership. They certainly remembered the regency of Marie deQM8dici for Louis XIII and that of Anne dQAutriche for Louis XIV. They would know about the Frondeuses, the heroic female leaders of the opposition against Cardinal Mazarin in the early 1650s. De lQPgalit8 des deux sexes attracted long-lasting notice. There were six reprints before 1700.6 An English translation, by Archibald Lovell, came out in 1677, under the title The Woman as Good as the Man.7 Excerpts of another translation were published in GentlemanQs Magazine 1694.8 The work was an inspiration for the feminist writings of Mary Astell, especially for her fierce preface to the third edition (1706) of the Reflections upon Marriage;9 the preface conveys the impression that she wrote with PoullainQs text open before her. Poullain argues as a philosopher in search of the truth, with a touch of chivalry added. Astell, by contrast, makes a passionate, even sarcastic plea for the rights of her own sex. She reverses the FrenchmanQs statement on womenQs political and military competence for her own purposes. When she wrote the preface, her country was being governed by a woman. So, whereas Poullain concludes from the general abilities of women that they are also fit to govern, for Astell the example of Queen Anne as British sovereign is evidence for the general claim that women may be Cf. ibid., 102 f. For an evaluation of PoullainQs philosophical feminism cf. Siep Stuurman, FranÅois Poulain [sic] de la Barre and the Invention of Modern Equality, Cambridge, Mass. 2004. 6 Reprints Paris 1676 and 1679; pirated editions Lyons 1673 and 1676; reeditions Geneva 1690 and 1692. 7 For the reception history of PoullainQs treatise cf. Guyonne Leduc, R88critures anglaises au XVIIIe siHcle de ,LQPgalit8 des deux sexes (1673)R de FranÅois Poulain [sic] de la Barre. Du politique au pol8mique, Paris 2010, and Siep Stuurman, Reception and Influence of PoulainQs Feminist Writings, in: Poullain, Pgalit8 (see note 2), 277–283. 8 A full translation of the text, under the title Female Rights Vindicated; or, the Equality of the Sexes proved. By a Lady, again came out in 1758, it was reedited in 1780 as Female Restoration by a Moral and Physical Vindication of Female Talents, and dedicated to her Majesty (Queen Charlotte) (cf. Leduc, R88critures [see note 7], 58 f.). 9 Mary Astell, Reflections upon Marriage. The Third Edition. To which is added a Preface, in Answer to Some Objections, London 31706. 4

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superior to men. She thus confutes the theological dogma of essential female inferiority as maintained in the Anglican marriage service, which is the main target of her satire. From the example of the woman on the throne she also derives her own right to interfere in public affairs. Another English reworking of Poullain, a pamphlet published by ,SophiaR under the title Woman not Inferior to Man, appeared in 1739. The woman behind the pseudonym is probably Lady Mary Wortley Montagu. Her style is marked by the first person plural of female solidarity that characterizes enlightenment feminism. „We neither want spirit, strength, nor courage, to defend a country, nor prudence to rule it“, is her final conclusion.10 In her version of De lQPgalit8 des deux sexes, PoullainQs remarks on the possibility of successful female rule11 are substantiated not only by some of the mythical examples presented in the traditional defences of women (Semiramis, Zenobia, Boadicea), but also by a reference to recent English history: There are few nations, beside our own, which think Women capable of holding the sceptre; but England has learnQd by repeated experience, how much happier a kingdom is, when under the protection and rule of a Woman, than it can hope to be under the government of a Man.12

After a male authorQs intervention in favour of the opposite party, entitled Man Superior to Woman (1739), Sophia went one better with a second pamphlet maintaining WomenQs Superior Excellence over Man (1740). The three texts of the debate were reprinted in a partly revised form in 1751 under the title BeautyQs Triumph. In the 1751 version of Woman not Inferior to Man Sophia spells out her former general allusion to the happy rule of women during the recent English past by reminding her readers of Queen Elizabeth, Queen Mary and Queen Anne: So widely have indolence and folly spread their influence, that few nations beside our own, think Women capable of holding the sceptre, but England has learnQd by that famous instance I have been producing of Elizabeth, as well as by later ones, of Q Mary and her sister Anne, that a kingdom may arrive at the sublimest pitch of military glory under the rule and direction of a female.13

SophiaQs revision of Poullain was in turn retranslated into French by Madeleine de Pui-sieux as La femme nQest pas inf8rieure / lQhomme (1750). In spite of the Salic Law, de Puisieux renders SophiaQs claim to female statesmanship verbatim: Sophia, Woman not Inferior to Man. A Short and Modest Vindication of the Natural Right of the FAIR SEX to a Perfect Equality of Power, Dignity, and Esteem, with the Men, By Sophia, A Person of Quality, London 1739, ch. viii, emphasis in original; http://digital.library.upenn.edu/ women/sophia/woman/woman.html, accessed 16. 06. 2016. 11 Poullain, Pgalit8 (see note 2), 33. 12 Sophia, Woman not Inferior (see note 10), ch. v. 13 Sophia, BeautyQs Triumph, 41 f., quoted from Leduc, R88critures (see note 7), 447. 10

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„Nous ne manquons dQesprit, de force ni de courage pour d8fendre un pays, ni de prudence pour le gouverner“.14 In the French context SophiaQs praise of female reign in England becomes a subtle hint to the effect that France might fare better if female sovereignty were admitted: „lQAngleterre a appris par des exp8riences r8it8r8es, quQun Royaume est bien plus heureux sous la conduite dQune femme quQil ne peut lQesp8rer sous celui dQun homme“.15 However, Madeleine de Puisieux assures her readers, as Astell and Sophia had done before her, that women are not going to claim their rights by force. It is worth noting that, against the principle of strict equality, female rule tends to be characterized in feminist writings as not only as good as the male, but is presented as, in fact, the happier alternative. Sophia associates female government with the feminine social virtues when (as quoted above) she compares „the government of a Man“ to „the protection and rule of a Woman“. Poullain also assumes that the female sexual character would render the government of a woman especially agreeable. He praises „la vertu, la douceur et lQhonnÞtet8“ of female rulers,16 their „sagesse“ and „mod8ration“ as governors;17 he finds they are too humane to serve unjust purposes.18 Sophia and Madeleine de Puisieux argue in similar ways. In SophiaQs words: The reserve peculiar to our sex, proves, that knowing how to curb ourselves, we are qualified to govern them [the Men], and the meekness and tenderness which make part of our characteristic, are sufficient to persuade them that our yoke wouQd not be heavy.19

II. The Utopias of Female Government The fact that people doubt the possibility of female government is due, as Poullain implies with his example of the Amazons, to a lack of imagination. People have never seen a woman on the throne, hence they think this cannot be. To convince his readers of the contrary, he makes up a series of cameos presenting scenes of women at the top. Pour moi, je ne serais pas plus surpris de voir une femme le casque en tÞte que de lui voir une couronne, pr8sider dans un conseil de guerre comme dans celui dQun Ptat, exercer

Sophia, La femme nQest pas inf8rieure / lQhomme. Traduit de lQAnglois [par Madeleine de Puisieux], London 1750, 137; http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k10250646, accessed 30. 06. 2019. 15 Ibid., 87. 16 Poullain, Pgalit8 (see note 2), 116. 17 Ibid., 66. 18 Ibid., 31. 19 Sophia, Women not Inferior to Men (see note 10), ch. iv. 14

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elle-mÞme ses soldats, ranger une arm8e en bataille, la partager en plusieurs corps comme elle se divertirait / le voir faire.20

Similarly Astell in the „Preface“ to the Reflections changes over from philosophical argument to an appeal to the readerQs imagination when she idealizes the reigning Queen Anne into an icon of the triumphant ruler: that GREAT QUEEN who has subdued the Proud, […] Rescued an Empire, Reduced a Kingdom, ConquerQd Provinces in as little Time almost as one can Travel them, and seems to have chainQd Victory to her Standard; who disposes of Crowns, gives Laws and Liberty to Europe, and is the chief Instrument in the Hand of the Almighty, to pull down and set up the great Men of the Earth.21

It was a piece of pure wishful thinking: Queen Anne suffered severely from illhealth throughout the years of her reign and often found herself at the mercy of Whig and Tory party politics. Susan Gubar draws attention to this kind of compensatory gesture on the part of women writers when she provocatively asks: „If woman is dispossessed, a nobody, in the somewhere of patriarchy, is it possible that she might be somebody only in the nowhere of utopia?“22 The neglected and slighted author Margaret Cavendish had acted in this way a few decades ago when she imagined for herself a „Blazing World“ with a woman as its empress.23 The English author Eliza Haywood and her French colleague Marie-Anne de Roumier-Robert again supply evidence for GubarQs thesis. They themselves live in precarious circumstances and write in order to survive, and they devise stories of female government, fully-fledged narratives about women who become queens in utopia. Haywood invents an oriental tale for the purpose: Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo (1736).24 In France, Roumier-Robert opts for the equally fantastic framework of a planetary voyage: Voyages de Milord C8ton dans les sept planettes (1765/66). Both stories end happily with a female rule. The two writers seemingly keep their distance to their feminist fantasies, offering them as texts of obscure origin. Haywood prefixes an extravagantly elaborate pedigree of authorship to her text, announcing: „A Pre-Adamitical History. Written originally in the Language of Nature, (of later Years but little understood). First translated into Chinese […] and now retranslated into English, by the Son Poullain, Pgalit8 (see note 2), 103. Mary Astell, From ,Some Reflections upon MarriageR, 1700, in: First Feminists. British Women Writers 1578–1799, ed. by Moira Ferguson, Bloomington 1985, 196 f. 22 Susan Gubar, ,SheR in ,HerlandR. Feminism as Fantasy, in: Coordinates. Placing Science Fiction and Fantasy, ed. by George Slusser, Eric Rabkin, and Robert Scholes, Carbondale 1983, 140. 23 Margaret Cavendish, The Description of a New World, Called the Blazing World, London 1666. 24 [Eliza Haywood], Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo. A Pre-Adamitical History, London 1736; https://books.google.de/books?id=wUBWAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false, accessed 14. 01. 2020. 20 21

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of a Mandarin, residing in London“.25 Roumier-Robert pretends to edit a manuscript passed on to her by a spirit that approached her in the guise of a salamander, entering through the chimney. On perusing the text, she finds it written in a style very close to her own. Before publishing it she feels free, being a woman and therefore of a loquacious temperament, to add her own comments. Both HaywoodQs Adventures and Roumier-RobertQs Voyages are rambling works, loose baggy monsters that allow for the propagation of ideas as well as for entertainment. Haywood writes along a romance plot that leads her heroine, heiress to a kingdom, from youthful innocence via near-seduction by a political arch-villain to the happy ending of her rescue and restoration to the paternal throne. The narrative alternates between the political and the sexual, changing from topics of statecraft to erotic scenes that sometimes border on pornography, and back again. RoumierRobert relates how a young man and a young woman under the tutelage of an omniscient mentor are offered a visit to the seven planets, imagined to be inhabited by quasi-human societies. On the one hand this enables her to discuss extraterrestrial varieties of good and bad regimes for the education of the pair; on the other, it allows her to indulge in erotic fantasies. Her novel is a clever combination of two highly successful archetypes. It blends into one FontenelleQs Entretiens sur la Pluralit8 des mondes (1686), an entertaining introduction into the arcane speculations of contemporary astronomy (translated into English by Aphra Behn), and Les Aventures de T8l8maque (1699), the Mirror for Princes written by FranÅois de F8nelon for the use of the dauphin of France. Both Haywood and RoumierRobert protect their feminist message by references to politically conservative literary precedents. In HaywoodQs England the story of an innocent and helpless girl persecuted by an aristocratic villain used to be an instrument of Tory propaganda, exposing the brutal power politics of the liberal Whigs. In Roumier-RobertQs pretext T8l8maque the archbishop F8nelon famously argues for the reinstatement of a benevolent paternalism that would practise the ancient virtues of frugality, modesty and justice. The choice of conservative models was certainly meant to camouflage the politically subversive feminism of the messages, yet there is also a deeper reason for it. Poullain maintains that originally, in the state of nature, women were on a par with men. Things only changed when men started to unfairly profit from womenQs engagement in childbearing in order to enforce and ensure their sovereignty. So, by and by people took male superiority for a matter of course. The utopias of female government return to the far past before societyQs fall into inequality. Roumier-Robert makes her heroine queen of an archaic country called Georgia; HaywoodQs princess lives in a pre-Adamite world.

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Ibid., iii, emphasis in original.

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III. Eliza Haywood, Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo (1736) HaywoodQs princess inherits the crown from her father, a benevolent and enlightened patriarch, who imbues his only daughter with the exemplary principles of his rule: He presented to her, that the greatest Glory of a Monarch was the Liberty of the People […]. Remember, you are no less bound by Laws, than the meanest of your Subjects; and even they have a Right to call you to account for any Violation of them. (4)

After his death Eovaai reigns the country according to her fatherQs injunctions, thus ensuring the peace and happiness of her people. This changes abruptly when, after seven years, the princess is abducted by a political villain. She becomes involved in a series of adventures, which take her to foreign countries that represent various forms of government. Finally, she is extricated from an increasingly perilous situation and brought back to her native country by a chivalrous stranger. He restores her to her queenship and gives her the chance to renew her countryQs happiness. The object lesson in politics is intertwined with a story of love and lust. When abducted, Eovaai loses a precious jewel entrusted to her by her father; in consequence she runs a continual risk of being seduced or raped, until the stranger interferes and offers his protection. Of course she falls in love with him and marries him. The pairing of the two plot-lines was certainly meant to appeal to readers who appreciated HaywoodQs descriptions of sexually titillating scenes more than her excursions into politics. Yet the technique is also part of the argument. The coupling of a young womanQs story of sexual maturation with that of her political education makes the two processes appear as one and creates the impression that a happy female government is as natural and as much to be desired as a happy marriage of a young woman.26 Ochihatou, the villain responsible for the abduction of the princess, has usurped a neighbouring kingdom. He reigns as a dictator; the country he has made his own is „a Place where I, in effect, rule all“ (144). He exploits the people for his own material advantages. Absolute political power is coupled in his person with a sexually predatory attitude. He is obviously meant as a stand-in for Sir Robert Walpole, the all-powerful Whig prime minister under King George II. For a time, Eovaai feels strongly attracted to OchihatouQs libertinism, forgetting her fatherQs teachings and taking the people for her slaves. She abandons all shame and modesty, and sets up her own will as the only rule (cf. 46 f.). „There wanted so little of her Ruin, that one can only say, it was not quite compleated“, comments the narrator with one of the sexual innuendos that contemporaries appreciated in HaywoodQs On the interaction of sexual and political meanings in womenQs fiction of the time cf. Ros Ballaster, Seductive Forms. WomenQs Amatory Fiction from 1684 to 1740, Oxford 21998. 26

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,warm writingR (48). Eovaai is saved when a magical glass reveals to her the ugly truth concealed under the tempting glamour of sexual and political licentiousness, and makes her aware that „private Luxury“ occasions „publick Misery“ (76 f.). She comes under the influence of an oppositional group of politicians. In terms of contemporary English political thought they represent the ideas of the ,PatriotsR, a group of Tories and disillusioned Whigs inspired by the paternalism of BolingbrokeQs treatise On the Idea of a Patriot King. They wanted to replace WalpoleQs rule by an altruistic style of government that respects the principles of a constitutional regime. Their hope was the KingQs eldest son Frederick, Prince of Wales, who sympathized with these ideas. (Unfortunately the prince predeceased his father, George II).27 Eovaai easily identifies with the programme of the Patriots, which reminds her of her fatherQs style of government. In order to complete her education, Haywood has the princess visit yet another country, called Ozoff. Ozoff is organized as a staunch republic. The strict morals of its leaders stand in stark positive contrast to the unprincipled absolutism of OchihatouQs reign. Eovaai feels strongly drawn to their political ethos based on selfless service to the people. She objects, however, to the abrogation of all hereditary rank and wealth. In the wide-ranging political discussions favoured by OzoffQs republican culture, the female protagonist (and through her the female author) demonstrates her considerable competence in political theory. Eovaai sharpens her political understanding and comes to define her own agenda. She defends her ideals of constitutional monarchy and Patriot politics against the extremes of both absolutism and republicanism while reserving her sympathies for the latter: The truth is, that if she were not a Convert to all the Republican Principles, she at least thought some of them so highly reasonable, that she resolved, if she was ever happy enough to regain her Crown, she wouQd make them part of the Constitution. (127)

In the happy ending of her romance Haywood ties together the political and the sexual story lines: The knight who comes to the rescue of the princess gives back to her the jewel, symbol of purity, and at the same time reinstates her into her rights as sovereign of Ijaveo. With the return of the princess the good times come back to her country.

The importance of the Patriot programme for Haywood and Eovaai is explained in Kathryn R. KingQs chapter „Adventures of Eovaai“, in: id. (ed.), A Political Biography of Eliza Haywood, London 22016, 73–94. 27

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IV. Marie-Anne de Roumier-Robert, Voyages de Milord C8ton dans les sept Planettes (1765/66) The title character of Roumier-RobertQs story, Milord C8ton, is the son of an English nobleman. Together with his sister Monime he fled to France in order to escape the Puritan regime of Cromwell. The two protagonists are thus given the royalist credentials that make them acceptable to the censorship of the ancien r8gime. Under the guidance of an omniscient mentor named Zachiel they start on a journey to the seven planets thought to surround the earth, in order to study various options of social and political life. The constellation resembles that of F8nelonQs Mirror for Princes, where the young T8l8maque is taken by Mentor alias Minerva on a guided educational tour to Mediterranean islands and cities. As regards the planets, Fontenelle in his Entretiens sur la Pluralit8 des mondes had suggested that they might be inhabited by quasi-human beings. Other authors had imagined in detail the life on planets such as the Moon (Cyrano de Bergerac), or Mercury (Chevalier de B8thune), and they had explored the utopian and antiutopian potential of the alternative worlds. Criticism of political life at home, always a risky affair in pre-Revolutionary France, could be discretely hidden in the descriptions of fantastic, extra-terrestrial countries. The young Roumier-Robert had met the famous Fontenelle as a friend of her family; he was a feminist and would have encouraged her literary ambitions (as he did those of Anne-Marie du Boccage and Pmilie du Ch.telet). She goes out of her way to insert a homage to Fontenelle into the Voyages – he is solemnly received into the celestial academy of the Sun as „un des plus agr8ables g8nies que la France ait produits“ (Voyages de Milord C8ton, II, 56).28 In La Pluralit8 des mondes Fontenelle introduces a young Marquise to the science of astronomy, assuring her that it is not more difficult to understand than Madame de La FayetteQs Princesse de ClHves. Similar to Poullain de la Barre, Fontenelle likens the female culture of novel-reading to the male intellectual occupations of science and politics,

[Marie-Anne de Roumier,] Voyages de Milord C8ton dans les sept Planettes, ou le nouveau mentor (1765/66), Reprint in two volumes as vols. 17 and 18 (1789) of Voyages Imaginaires, Songes, Visions, et Romans Cabbalistique, ed. by Charles-Georges-Thomas Garnier, 39 vols., Amsterdam 1787–1789, here II, 56; Vol. 17 (i. e. vol. I): http://resolver.kb.nl/resolve?urn=dpo:9683:mpeg21:pdf, vol. 18 (i. e. vol. II): https://books.google.de/ books?id=ctUFAAAAQAAJ&pg=PA325&lpg=PA325&dq=Marie+Anne+Roumier+Robert+Voyage+de+Lord+Ceton&source=bl&ots=a4BalVSdZL&sig=Kd1CUbzwejy578McubO7NFJ0O_U&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjQu_W6toraAhVFOJoKHe7eDpc4ChDoAQhEMAU#v=onepage&q=Marie%20Anne%20Roumier%20Robert%20Voyage%20de%20Lord%20Ceton&f=false (accessed 15. 02. 2019). 28

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thus adroitly bridging the gap between the two gendered cultures.29 FontenelleQs female pupil follows the scientistQs explanations with a lively curiosity and a critical spirit that sometimes borders on mockery. Roumier-Robert attributes a similar cleverness to her female planetary traveller. MonimeQs comments on the teachings of the well-meaning mentor Zachiel, whom she calls her „cher petit Papa“, testify to her intelligence and her fondness for friendly banter. In Roumier-RobertQs version of history, originally unsexed human beings later developed, or rather degenerated into, sexual difference.30 Her female protagonist loves to explore the liminal sphere between male and female and to blur the border between the sexes. Monime has fled from England in male disguise and occasionally resumes the disguise during the planetary voyage. She flirts with the idea of a sex-change, longing – if in vain – for the magical sex-changing elixir possessed by a magician on the Moon. The Cartesian credo lQesprit nQa pas de sexe is quoted in the introduction of the Voyages with a vengeance: Monime finds that, if men were awarded the same amount of reason as women, they certainly have drawn less profit from it (I, 23). The narrative focalizes on the young womanQs experience and opinions, which in the light of her later accession to a royal throne are of crucial importance. Her brother C8ton is given the role of the mainly admiring narrator. F8nelonQs Mirror for Princes is not only a source of inspiration for RoumierRobert; the highly regarded precedent also endows her own ,Mirror for PrincessesR with additional authority. Both works make use of the fictional travelogue to juxtapose bad regimes with good ones for the sake of political instruction. The fantastic character of the planets gives Roumier-Robert even more scope than the Homerian landscape does to F8nelon to devise a detailed political topography. In the description of some of the societies visited by Monime and C8ton the author criticizes social abuses in contemporary France as harshly as F8nelon has done in the representation of the corrupt polis of Salente. Roumier-Robert borrows additional ideas for satire from SwiftQs GulliverQs Travels (publ. 1726; the French adaptation by Pierre-FranÅois Guyot Desfontaines was a great success), and from Cyrano de BergeracQs lunar and solar Histoires comiques. In her planetary world, life on the Moon holds up to ridicule the luxury and intellectual frivolity of the French court; life on Mercury exhibits the ruthless egoOn the assimilation of the two cultures as the special achievement of Entretiens see J. B. Shank, Neither Natural Philosophy, nor Science, no Literature. Gender, Writing, and the Pursuit of Nature in FontenelleQs ,Entretiens sur la pluralit8 des mondes habit8sR, in: Women, Men, and the Birthing of Modern Science, ed. by Judith P. Zinsser, DeKalb 2005, 86–110. For a similar claim with regard to Poullain de la Barre see Anthony J. La Vopa, Poullain de la Barre. Feminism, Radical and Polite, in: id. (ed.), The Labor of the Mind. Intellect and Gender in Enlightenment Cultures, Philadelphia 2017, 44–62. 30 Roumier-Robert, C8ton (see note 29), I, 21. 29

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ism and materialism which is the other side of wastefulness. The militancy on the planet Mars offers her the occasion to mention the heroic deeds of warlike women, yet her main purpose here is to make readers aware of the destructiveness of the wars during the reigns of Louis XIVand Louis XV. She acknowledges that sometimes war is inevitable; in these cases, humane feelings should direct the decisions of rulers and army leaders, both in relation to their own armies and to their enemies. The visit to Venus, the amatory planet, becomes the occasion for criticizing the hierarchy of the sexes and the double standard. The travellers find to their amazement that in this place „the same action that is the pride of a man destroys a woman for ever“ (I, 292). The contempt in which women are held on Venus renders genuine affection impossible; love has been replaced by its semblance, a „simulacre de lQamour“ that is bought and sold (I, 303). On Jupiter, the earlier lecture against ostentation is resumed: The ,jovialR society is characterized by an empty pursuit of parasitical and self-destructive wealth; the earth that should be a nourishing mother to all has become mere ostentation, „un th8.tre de pure repr8sentation et spectacle“ (II, 143 f.). The planet of the Sun, on the other hand, offers an exemplary exhibition of a rich cultural and literary life under the auspices of ,le bon-sens et la raisonR (Roumier-Robert uses here the favourite formula of Descartes for ,reasonR).31 Social life on the Sun is ruled by simplicity, absolute transparency and the equality of the sexes. ZachielQs instructions emphasize the last point: „La nature, toujours judicieuse & lib8rale / distribuer / chacun des humains une portion 8gale de ses dons, nQa point pr8tendu favoriser un sexe plus que lQautre“ (II, 49 f.). Impartial nature is assisted on the Sun by an egalitarian education of the two sexes; therefore the women participate fully in the cultivation of the arts and sciences. Political perfection, on the other hand, is represented on the planet of Saturn, visited last. Like F8nelonQs ideal island state La Bo8tique, the country has preserved the features of the Golden Age. Social life has kept its original beauty, simplicity and purity. In La Bo8tique the economic objective is frugal self-sufficiency, recommended in F8nelonQs words as „the abundance of the necessary“; on Roumier-RobertQs Saturne the same style of life, conjured up by the same words (II, 369), is again fully realized to everybodyQs satisfaction. At the end of the Voyages, Lord C8ton learns what Monime knew long before, namely that she is not his sister but a foreign princess who has been under the tutelage of his father. She has maintained the brother-sister fiction throughout the trip in order to keep their relation free from elements of courtship and ambition. Now she reveals herself as Thaymura, daughter of the late King of Georgia, and heiress to his throne. The travellers arrive in her native country, where she is reMost planetary phantasies of the time assumed that life on the fiery Sun was impossible. Roumier-Robert would not have known the precedent of the utopian „blazing world“ of the Sun imagined by Margaret Cavendish. 31

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cognized and solemnly led to the palace of her fathers. The usurper is driven away and order re-established. Other than in countless misogynist treatises, female rule in this case marks the end of male misrule. The mentor Zachiel comments: „La vertu, depuis long tems engourdie, va se ranimer / lQaspect dQune princesse vertueuse; sa pr8sence peut se comparer / celle du soleil“ (II, 367). The experience gathered by observing the regimes on the seven planets has taught Monime/Thaymura the dangers of bad styles of government and the blessings of good ones. In a long valedictory speech Mentor rounds off the practical lessons of the journey with additional directions for the exemplary ruler. The instructions meant to ensure the political competence of the princess serve at the same time to demonstrate the writerQs political know-how, which, however, is not as theoretically informed as HaywoodQs. V. The Ruling Couple In HaywoodQs as well as in Roumier-RobertQs novel a young woman inherits the crown from her father and by her reign gives proof of the female ability to govern a country. Yet finally both authors opt for the rule of a heterosexual couple as the best form of government. Their narratives end happily with a royal ,DoppelspitzeR of Queen and King. Eovaai marries Adelhu, a King in his own right; Thaymura insists on a crowning ceremony for her husband C8ton that grants him full participation in her royal privileges. As we have seen, the treatises on the equality of the two sexes tend to ascribe – not quite consistently – peculiar virtues to women. In the age of the ,two-sex modelR (Thomas Laqueur),32 the differentiation could even harden into the attribution of a special kind of reason to them. In the words of the later feminist philosopher Condorcet, „elles ne sont pas conduites, il est vrai, par la raison des hommes, mais elles le sont par la leur“.33 Hence a joint rule that would profit equally from female and male abilities would recommend itself. The royal couple after the English Revolution of 1688, William of Orange and Mary, was by some writers interpreted in this sense: „Mary was responsible for the morals of the nation, William for its military protection“.34 By contrast, a study of European female monarchs in the 18th century (Anne of England, Eleanora of Sweden, Maria

Thomas Laqueur, Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud, Cambridge, Mass. 1990. 33 Nicolas de Condorcet, Sur lQadmission des femmes au droit de la cit8 (3 juillet 1790), in: https://fr.wikisource.org/wiki/Sur_l%E2 %80 %99admission_des_femmes_au_droit_de_cit%C3 %A9, accessed 14. 11. 2019. 34 Rachel Carnell, Partisan Politics, Narrative Realism, and the Rise of the British Novel, New York 2006, 23. 32

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Theresa of Austria, Catherine the Great) finds that none of them ruled jointly with her husband.35 Haywood and Roumier-Robert have their heroines act otherwise. Haywood goes out of her way to insert an episode into EovaaiQs education that recommends the idea of conjugal rule. The princess arrives at an allegorical castle representing the values of the political programme of the ,PatriotsR. In the castleQs chapel she beholds the statues of the „majestick Figures“ of King Glaza and Queen Ibla, in whom „Dignity“ is blended with „Sweetness“ (85). The royal pair, she learns, took up arms together when their kingdom was attacked from two sides at once by the troops of foreign invaders. While the King fought on one border of the country, the Queen – „throwing off all Delicacies of her Sex and Rank“ (86) – defended it on the other side. Both led their armies to victory and then practiced leniency to the vanquished, thus assuring lasting peace and happiness to their own people and to their neighbours. The egalitarian relations between Glaza and Ibla foreshadow EovaaiQs own future. At the end of the narrative, when she falls in love with the knight who has brought her back to her native Ijaveo, the romance ending is given a feminist twist: the princess, assuming that her saviour has made himself king of her country during her absence, proudly declines to marry him. She does not wish to become his consort: „the Pride of Blood and conscious Title made her disdain the Thought of reigning with him“ (202). Only when she learns that he has reinstated her as the reigning Queen of Ijaveo, and knows him to be Adelhu, King of another, neighbouring country, does she agree to the union. Their marriage is emphatically a marriage of equals, of two ruling monarchs adhering to the same Patriot principles. The author keeps an exact balance in the wording of the courtship scene: What Words, what Ideas can be equal to the mutual Transports of this Happy pair! Eovaai! – Adelhu! – Queen of Ijaveo! – Prince of Hypotofa! – Divinest Woman! – Charming Hero! were all was to be heard between them for some time. (221, emphases in the original)

The happy pair then receives the congratulations of „the Nobility of both Sexes“ (223). Robert-Roumier represents and discusses various ways of female participation in government in the course of her description of the seven planets. The asymmetry between the sexes on Venus becomes an opportunity to approach the topic of female rule from a negative side: women here rule through their husbands. The author takes exception to the strategy, which was considered as typical of French politics. Equally strong is her disapproval of an unmarried reigning queen on the Moon who lets herself be courted and governed by flatterers.36 In a later fantastic 35 36

William Monter, The Rise of Female Kings in Europe, 1300–1800, Princeton 2012, 155–178. Roumier-Robert, C8ton (see note 29), I, 72.

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novel left unfinished at her death, Les Ondins, Roumier-Robert discusses Amazonian society at length. In her version the exclusively female government is marked by inhumanity, cruelty and fierce misandry; it has to be destroyed. The temporary rule of a widowed queen, though, is accepted here as the better alternative to political chaos and civil war. As in Voyages, in Les Ondins the happy ending is brought about by a heterosexual royal couple. Like Haywood, Roumier-Robert idealizes gender complementarity by a mythical prototype: Monime and C8ton learn that the marriage of the sun-king and the moon-queen has been the source of all life on earth. Soon after Monime/Thaymura has accepted C8ton as her husband, the country has to be defended against an enemy. Thus the author creates the opportunity to demonstrate the strength, courage and leadership of the female sovereign in times of war. As in the case of HaywoodQs Ibla, objections against ThaymuraQs participation in the war are brushed aside. Mentor judges it right that King and Queen share the dangers of the battle as well as the fame of victory.37 The Queen has not forgotten the lessons against destructive violence learnt during the visit on Mars; she assures her people that it is „only for safeguarding you a quiet well-being and a durable happiness, that I am going into battle for you today“ (II, 384). The soldiers are encouraged by the example of conjugal solidarity, of C8ton the fierce warrior king, and Thaymura, the prudent warrior queen who even in war practices the feminine virtues of modesty and gentleness: „on lQauroit prise pour Minerve ellemÞme, tant elle paroissoit sage & mesur8e au milieu des plus grands perils“ (II, 385). Whereas C8ton fights under the sign of Mars, ThaymuraQs patroness is the fertility goddess Ceres, patron of the golden world on the planet of Saturn. In the reorganization of political life after the victory, Thaymura insists that her husband formally share the crown with her; C8ton in turn makes her co-author of his narrative of the Voyages. The fruits of the union, we are told, are a little prince and a little princess. Eliza Haywood and Marie-Anne de Roumier-Robert were professional writers. Of their private life very little is known, it seems that at most times they lived as single women. Both wrote to survive; they published a lot, in various, mostly narrative genres. The utopian novels are among the less successful of their works; perhaps for once they sacrificed literary and financial success for the sake of their feminist ideals. Haywood was strongly involved in party politics on the side of the Tory opposition; she was even arrested and charged with seditious libel. In Adventures of Eovaai she has a precise political agenda inspired by the programme of the ,PatriotR group. When Roumier-Robert envisages the rule of a royal couple and criticizes the Salic law in Voyages de Milord C8ton, she prefers more general modes of representation, as did F8nelon who nonetheless 37

Ibid., II, 382.

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fell into disgrace with the publication of T8l8maque. Research on HaywoodQs writings and her political impact flourishes. By contrast Roumier-RobertQs works are practically ignored in feminist studies today.38 Only the words of her female protagonist in Les Ondins in refutation of the men who question womenQs abilities are remembered: „je r8ponds / cela quQune femme qui reÅoit une 8ducation pareille / celle que lQon donne aux hommes, peut tout entreprendre“ – ,I answer to this that a woman who has received an education equal to that which is granted to men, is capable of anythingR.39 Der französische Vorkämpfer für die Rechte der Frau, FranÅois Poullain de la Barre, plädiert in seiner Schrift De lQ8galit8 des deux sexes für die Möglichkeit einer weiblichen Thronfolge. Die positive Sicht weiblicher Herrschaft wird sodann sowohl in England (wo sie beim Fehlen männlicher Erben möglich war) und in Frankreich (wo das Salische Gesetz sie ausschloss) in feministischen Traktaten wiederholt aufgegriffen. Besonders wirksam werben utopische Romane der Zeit (Eliza Haywoods Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo und Marie-Anne Roumier-Roberts Voyage de Milord C8ton dans les sept Planettes) für die weibliche Herrschaft als positive Alternative, die sodann mit der Hochzeit der Königin zur Herrschaft einer ,DoppelspitzeR optimiert wird. „Rien nQempÞcherait quQune femme ne f0t sur un thrkne“, declares FranÅois Poullain de la Barre in De lQ8galit8 des deux sexes (1673). The claim was confirmed in rewritings of the treatise by feminist authors not only in Britain, where female rule was a historical fact, but also in France, where women were excluded from the throne by the Salic law. The utopian fictions of Eliza Haywood, Adventures of Eovaai, Princess of Ijaveo (1736), and MarieAnne Roumier-Robert, Voyage de Milord C8ton dans les sept Planettes (1765/66), explore the special character of female government and envisage its advantages. The two works offer a ,Mirror for PrincessesQ as well as a critique of male rule. Both authors start from an egalitarian position with regard to gender, yet come to attribute special virtues to female rulers. In the end, they prefer a complementary model of government, opting for a heterosexual ruling couple, a ,DoppelspitzeR of King and Queen. Prof. em. Dr. Ina Schabert, Hermann-Roth-Straße 16, D 82065 Baierbrunn

The only study of 18th-century French women authors interested in Roumier-Robert is Erica Harth, Cartesian Women. Versions and Subversions of Rational Discourse in the Old Regime, Ithaca 1992. A recent, gender-blind essay by Corin Braga, Antiutopies Astrales Spiritistes / lQ.ge Classique, Studia UBB Philologia 57/4 (2012), 53–72 interprets the work as a spiritualistic antiutopian fiction. Le Blog Gallica (8. 3. 2018, https://gallica.bnf.fr/blog/08032018/les-voyages-de-milordceton-dans-les-sept-planetes?mode=desktop, accessed 25. 2. 2020) suggests: „Profitons de la Journ8e Internationale des droits de femmes pour (re)d8couvrir MarieAnne Robert“. 39 Marie-Anne Roumier-Robert, Les Ondin. Conte moral, Paris 1788, 168. https://books.google.de/books?id=G-89AAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false, accessed 14. 11. 2019. 38

Claudia Opitz-Belakhal Orientalistische Phantasien in Montesquieus Perserbriefen (1721) und die Debatte über Politik, Polygamie und Geschlechterordnung

In seinem 1721 erstmals erschienenen Roman Lettres Persanes, in denen der französische Gelehrte und Literat Baron de Montesquieu die (fiktiven) Briefe zweier persischer Europa-Reisender, Usbek und Rika, einem staunenden Publikum präsentierte, wird unter anderem auch die Frage ventiliert, in welchem Kulturkreis Frauen die besseren Bedingungen vorfänden, im muslimischen Orient oder im christlichen Westen. Gleichzeitig entwickelt sich, gleichsam hinter dem Rücken der beiden wissensdurstigen Reisenden, im persischen Harem des Usbek ein dramatischer Zusammenbruch jeglicher Ordnung durch die (vor allem sexuellen) Ausbrüche der dort eingeschlossenen (Ehe-)Frauen, was den Briefwechseln einen wahrhaftig ,romanhaftenR, gleichzeitig auch dramatischen Charakter verleiht – der im übrigen nicht einmal ein happy end hat insofern, als sich die Lieblingsfrau des Protagonisten, die schöne, stolze Roxane, aus Liebesleid wie Freiheitsdrang das Leben nimmt. Die Debatte über Geschlechterordnungen und die Frage, in welchem Kulturkreis, aber auch unter welchen politischen Verfassungen und Verhältnissen Frauen mehr Freiheit(en) hätten, war insofern explizit wie implizit Gegenstand des ,galantenR Haremsromans. Aber auch in Montesquieus Hauptwerk De lQEsprit des Lois (1748 erstmals publiziert) spielte diese Frage eine zentrale Rolle. An der rechtlichen und vor allem moralischen Lage und Haltung der Frauen erweise sich letztlich, so Montesquieu, die ,bürgerlicheR Freiheit aller in einem Lande bzw. einer politischen Verfassung lebender Menschen, also auch die der Männer.1 Montesquieu kann damit zweifellos als ein wichtiger Vordenker jenes Salonfeminismus gelten, der u. a. auch die D8claration des droits de la femme et citoyenne

Vgl. dazu auch Claudia Opitz-Belakhal, Politik und Geselligkeit in Montesquieus ,Vom Geist der GesetzeR (1748), in: dies., Aufklärung der Geschlechter – Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster 2002, 60–73. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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der Olympe de Gouges von 1791 inspirierte. Dennoch wurden Montesquieus Werke in der feministischen Forschung höchst kontrovers beurteilt. Im Folgenden möchte ich insbesondere die Perserbriefe genauer in den Blick nehmen und dabei zu beleuchten versuchen, inwiefern und warum bereits in der aufklärerischen Debatte der Kulturvergleich zwischen ,OrientR und ,OkzidentR dazu genutzt wurde, über europäische Geschlechterverhältnisse und -ordnungen (neu) nachzudenken und damit eine wichtige und bis heute nachwirkende feministische Argumentationsweise zu entwerfen, deren ,orientalistischeR Begleiterscheinungen wir heute zunehmend als problematisch empfinden müssen. Dafür stelle ich zunächst Montesquieus ,HaremsromanR genauer vor und beleuchte dabei auch seine Despotie-Kritik, bevor ich auf die Frage komme, inwiefern sich hier – insbesondere in der Figur der Roxane – tatsächlich eine feministische oder jedenfalls emanzipatorische Perspektive des Autors niedergeschlagen hat oder wie sich der Briefroman und der Blick auf Geschlechtersegregation und Polygamie, den er erlaubt, auch noch anders deuten ließe.

I. Montesquieus Haremsroman, die Perserbriefe In seinem Briefroman, der 1721 zunächst anonym erschien und rasch zu einem Bestseller wurde, lässt Montesquieu zwei persische Reisende, Usbek und Rica, mit scharfem Auge und spitzer Feder die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse im Frankreich des beginnenden 18. Jahrhunderts diskutieren und kommentieren, aber auch, im Briefwechsel mit fernen Freunden und zurückgebliebenen Frauen, Sensationelles oder auch nur Vermutetes über Sitten und Gebräuche des Orients zum Besten geben.2 Genötigt von politischen Umwälzungen verlassen die beiden Reisenden die persische Kaiserstadt Isphahan, um sich im Westen einerseits in Sicherheit zu bringen, andererseits aber auch neuen Ideen zu öffnen – die beiden sind insofern bereits ,AufklärerR in nuce und im Folgenden auch begierig, die Grundlagen der westlichen Kulturen (und insbesondere Frankreichs) zu studieren und kritisch zu prüfen.3 Dies tun die beiden insbesondere dadurch, dass sie sich unter die Europäer mischen – sie legen dafür sukzessive ihre Montesquieus Lettres Persanes werden im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von 1721, die Andr8 Lefevre 1873 herausgab (https://fr.wikisource.org/wiki/Lettres_persanes). 3 Gleich im ersten Brief schreibt einer der Reisenden, Usbek, an seinen in Isphahan zurückgebliebenen Freund Rustan: „Rica et moi sommes peut-Þtre les premiers parmi les Persans que lQenvie de savoir ait fait sortir de leur pays, et qui aient renonc8 aux douceurs dQune vie tranquille pour aller chercher laborieusement la sagesse“ (ebd., 7). Später wird sich dann zeigen, dass er seine Heimat und die dort herrschende Despotie auch aus politischen Gründen verlassen musste – und dass schließlich die (sexuellen) Forderungen seiner Frauen und Sklavinnen in seinem Haus bzw. Harem für ihn unerträglich geworden waren. 2

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orientalische Kleidung, ihre Lebensgewohnheiten und bald auch ihre mitgebrachten Vorstellungen ab – und berichten gleichzeitig regelmäßig brieflich an Freunde in der Heimat oder auf ihrem Reiseweg. Insofern ähnelt der Roman zunächst den Reiseberichten über ferne Länder und Kulturen, vor allem über Asien, die schon seit längerem in Europa zirkulierten und die die europäische Expansion in alle Ecken der bekannten Welt begleiteten und kommentierten.4 Gleichzeitig finden sich in den Perserbriefen aber auch, und das ist typisch für das neu entstehende Genre des Briefromans, Antwortschreiben aus der Heimat, Briefe der Daheimgebliebenen, die das Berichtete kommentieren, sich über das Ausbleiben von Briefen beschweren, die lange Abwesenheit der Reisenden bedauern oder schlicht über die heimischen Ereignisse berichten. Und hier sind es insbesondere die Ereignisse im Harem Usbeks, des älteren der beiden Reisenden, durch die sich, zwischen die unterhaltsamen Berichte über Paris und die französische Lebensart eingeflochten, eine dramatische Geschichte entfaltet, welche sich um Sehnsucht und Leidenschaft, Erotik und Hass, Unterdrückung und Ausbruch bzw. Ehebruch und schließlich den (Frei-)Tod im Harem rankt – und die zweifelsohne Leserinnen und Leser zu fesseln vermochte, ja, bis heute zu fesseln vermag.5 Der Roman ist indes nicht allein für die Unterhaltung seines Lesepublikums geschrieben. Vielmehr diente die romanhafte Verbrämung mit exotischen und an die Geschichten aus 1001 Nacht erinnernden Erotica auch dem durchaus ernstgemeinten Anliegen des Autors, sich von herrschenden Vorurteilen und Dogmen – namentlich im Hinblick auf Religion und Politik – freizumachen und seine Erkenntnisse über die Mängel und Laster seiner Epoche, seines Landes und seiner Gesellschaft in satirisch verfremdeter, aber dennoch unmissverständlicher Weise an die Leserschaft zu bringen.6 Gerade die Form des Briefromans ermöglichte es dabei dem jungen Montesquieu, seine zeitkritischen Bemerkungen hinter den ,orientalisierenden GewändernR seiner Protagonisten zu verstecken und dabei die brennenden Themen seiner Zeit – vor allem die Frage der religiösen Toleranz, der gerechten Herrschaft und der vernunftgemässen Lebensweise – zu diskutieren Vgl. dazu die beeindruckende Auflistung bei Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 2010. 5 Zu den literarischen Vorbildern Montesquieus vgl. Robert Shackleton, Montesquieu. A Critical Biography, Oxford 1961, 27 ff.; zur Rezeption vgl. Edgar Mass, Literatur und Zensur in der frühen Aufklärung. Produktion, Distribution und Rezeption der ,Lettres PersanesR, Frankfurt am Main 1981. 6 Für die befreiende Wirkung der Islam- und Orientbetrachtung zu Beginn des 18. Jahrhunderts vgl. Maxime Rodinson, Die Faszination des Islam, München 1985, 64–70; über das zeitgenössische Publikumsinteresse am ,ExotismusR und seine Grenzen vgl. Urs Bitterli, Die ,WildenR und die ,ZivilisiertenR. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1976, bes. 182–185. 4

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und altüberkommende Traditionen und Tabus in Frage zu stellen, wie etwa Selbstmord, Geschwisterliebe und Inzest und vor allem den absoluten Wahrheitsanspruch von Papst und Katholizismus. Was nun erfahren wir über den Harem und die orientalische Geschlechterordnung in diesem Roman? – Bereits im zweiten Brief der Sammlung, den der orientalische Würdenträger und stolze Besitzer eines Harems (bzw. türkisch: eines Serails),7 Usbek, an die Zurückgebliebenen sendet, wird der Blick der Lesenden auf den Harem gelenkt, und zwar aus der Sicht des orientalischen Mannes. „Du bist der getreue Hüter der schönsten Frauen Persiens“, schreibt Usbek an den Obersten Eunuchen im Serail zu Isphahan: Tu es le gardien fidHle des plus belles femmes de Perse; je tQai confi8 ce que jQavois dans le monde de plus cher: tu tiens en tes mains les clefs de ces portes fatales, qui ne sQouvrent que pour moi. Tandis que tu veilles sur ce d8pkt pr8cieux de mon cœur, il se repose, et jouit dQune s8curit8 entiHre. Tu fais la garde dans le silence de la nuit, comme dans le tumulte du jour. Tes soins infatigables soutiennent la vertu lorsquQelle chancelle. Si les femmes que tu gardes vouloient sortir de leur devoir, tu leur en ferois perdre lQesp8rance. Tu es le fl8au du vice et la colonne de la fid8lit8.8

Der Harem ist also ein verschlossener Ort, ein Schatzkästchen gleichsam, in dem zusammen mit den Frauen die Tugend bewacht wird, „wenn sie ins Wanken gerät“. Die Gebote von Keuschheit und Demut sind hier Gesetz, der Harem ist ein Ort der Reinheit und Sauberkeit, ein „lieblicher Ort“, den die Frauen mit ihrer Schönheit zieren. In ähnlicher Weise beschreibt Usbek das Leben im Harem in einem Brief an seinen orientalischen Freund Ibben, nachdem er in seinem Exilort Paris voller Verwunderung die (Un-)Sitten der dortigen Frauen kennengelernt hat: Les femmes de Perse sont plus belles que celles de France; mais celles de France sont plus jolies. Il est difficile de ne point aimer les premiHres, et de ne se point plaire avec les secondes: les unes sont plus tendres et plus modestes; les autres sont plus gaies et plus enjou8es. Ce qui rend le sang si beau en Perse, cQest la vie r8gl8e que les femmes y mHnent: elles ne jouent ni ne veillent; elles ne boivent point de vin, et ne sQexposent presque jamais / lQair. Il faut avouer que le s8rail est plutkt fait pour la sant8 que pour les plaisirs: cQest une vie unie, qui ne pique point; tout sQy ressent de la subordination et du devoir; les plaisirs mÞmes y sont graves, et les joies, s8vHres; et on ne les go0te presque jamais que comme des marques dQautorit8 et de d8pendance.9

,SerailR, aus dem italienischen ,SeraglioR abgeleitet, das wiederum auf das türkische ,SarayR, Palast, zurückgeht, war der im Roman wie auch generell im 18. Jahrhundert gängigere Ausdruck für den polygamen Haushalt orientalischer Herrscher. Der ,HaremR (abgeleitet vom arabischen ,haramR, verboten) wird erst später zum Synonym für den Serail. Vgl. dazu die Ausführungen in Roswitha Gost, Der Harem, Köln 21994. 8 Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre I, 8. 9 Ebd., lettre XXXIV, 72. 7

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Zelis, seine erste Frau und Mutter seines einzigen Kindes, einer Tochter, teilt die Vorstellungen ihres Gatten vom Harem als ,geweihtem OrtR; im 62. Brief, in dem sie über die Unterbringung ihrer 7-jährigen Tochter im Serail berichtet, schreibt sie: Ta fille ayant atteint sa septiHme ann8e, jQai cru quQil 8toit temps de la faire passer dans les appartements int8rieurs du s8rail, et de ne point attendre quQelle ait dix ans pour la confier aux eunuques noirs. On ne sauroit de trop bonne heure priver une jeune personne des libert8s de lQenfance, et lui donner une 8ducation saine dans les sacr8s murs oF la pudeur habite. Car je ne puis Þtre de lQavis de ces mHres qui ne renferment leurs filles que lorsquQelles sont sur le point de leur donner un 8poux; qui, les condamnant au s8rail plutkt quQelles ne les y consacrent, leur font embrasser violemment une maniHre de vie quQelles auroient d0 leur inspirer. Faut-il tout attendre de la force de la raison, et rien de la douceur de lQhabitude?10

Die Nähe der Schilderung zu dem, wie in Europa ein (Frauen-) Kloster gesehen wurde, ist unübersehbar: Demut und Keuschheit bestimmen hier gleichfalls das Leben der Bewohnerinnen; und tatsächlich wird weiter unten der europäische Zölibat im Klosterleben dem Eunuchentum bzw. dem Haremsleben explizit gleichgesetzt.11 Diese Assoziation ist kein Zufall. Sie erinnert daran, dass als wichtigstes Vorbild für den Briefroman die hochmittelalterliche Geschichte von Abaelard und Helo"se diente, die ebenfalls in einem Briefwechsel dokumentiert wurde und sich im 18. Jahrhundert einer regelrechten Renaissance erfreute, was sich unter anderem auch in Rousseaus Briefroman La nouvelle H8lo"se aus dem Jahr 1761 niederschlug.12 Und bereits 1687 hatte Jean Chardin in seinem Reisebericht über Persien den Serail mit einem „couvent de nonnes“ verglichen.13 Allerdings entlarvt sich die Rede vom Harem als „sacr8 murs oF la pudeur habite“ in den Worten und Briefen der dort eingeschlossenen Frauen zunehmend als vorurteilsbehaftete Selbsttäuschung des besorgten Ehemanns.14 So stellen bereits Ebd., lettre XVII, 131. Dies wird im Briefwechsel zwischen Usbek und Rhedi über das Abnehmen der Bevölkerungszahlen und über Bedingungen von wirtschaftlicher Prosperität und Bevölkerungswachstum im 112. bis 122. Brief explizit thematisiert. Vgl. dazu unten, Anm. 20. 12 Auch hier geht es ja, wie bei der Liebesbeziehung der mittelalterlichen Helo"se zu Abaelard, um die Liebe einer Schülerin zu ihrem Hauslehrer, welche im einen Fall vom Vater, im anderen Fall vom Onkel und Vormund verboten und hintertrieben wird. 13 Jean Chardin, Journal de Voyage du chevalier Chardin en Perse et aux Indes Orientales, par la mer noire et par la Colchide, Bd. 1, Amsterdam 21689. Vgl. dazu auch Ruth P. Thomas, MontesquieuQs Harem and DiderotQs Convent. The Woman as Prisoner, in: The French Review 52 (1978), 336–345. 14 Dazu passt auch der offenherzige Kommentar Ricas, des Reisebegleiters, der schreibt: „Aussi nQy a-t-il point de pays oF ils soient en si petit nombre que chez les FranÅois. Leur tranquillit8 nQest pas fond8e sur la confiance quQils ont en leurs femmes; cQest, au contraire, sur la mauvaise opinion quQils en ont: toutes les sages pr8cautions des Asiatiques, les voiles qui les couvrent, les prisons oF 10

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im 3., 4. und 7. Brief die übrigen Gemahlinnen Usbeks, Zachi, Zephis und Fatme, den Harem keineswegs als Ort der Tugend „plutkt fait pour la sant8 que pour le plaisir“,15 sondern vielmehr als einer des erzwungenen Verzichts, vergangener Freuden und unbefriedigter Sehnsüchte dar, aber auch als einen Raum, in welchem Frauen-Rivalität im Kampf um die Gunst und Aufmerksamkeit des Ehemannes, Triumph und Niederlage und schließlich finstere Verzweiflung den Tagesablauf bestimmen. Der Harem ist eher ein Gefängnis als ein hortus conclusus, ein Hort der Tugend und Schönheit. Auch Usbek selbst ist sich dieser Ambivalenz sehr wohl bewusst, wenn er an eine seiner Gattinnen, Zachi, schreibt: Vous me direz peut-Þtre que vous mQavez 8t8 toujours fidHle. Eh! pouviez-vous ne lQÞtre pas? Comment auriez-vous tromp8 la vigilance des eunuques noirs, qui sont si surpris de la vie que vous menez? Comment auriez-vous pu briser ces verrous et ces portes qui vous tiennent enferm8e? Vous vous vantez dQune vertu qui nQest pas libre: et peut-Þtre que vos d8sirs impurs vous ont kt8 mille fois le m8rite et le prix de cette fid8lit8 que vous vantez tant.16

Ganz offensichtlich ist die Beziehung der Bewohnerinnen zu ihrem luxuriös ausgestatteten, aber fest verschlossenen ,goldenen KäfigR problematisch und spannungsreich; und bald schon erweisen sich die Vorstellungen Usbeks von seinem Harem als Fehleinschätzung: Selbst die verschlossenen Türen des Harems können nicht verhindern, dass dort Laster und Leidenschaften herrschen statt Schamhaftigkeit und Keuschheit. So wird bald schon eben jene Zachi, die sinnlichste und temperamentvollste von Usbeks Frauen, an die Usbek eben noch seine moralischen Vorhaltungen richtete, verdächtigt, sich den weißen Eunuchen Nadir zum Liebhaber genommen zu haben; eine weitere wurde mit einer ihrer Sklavinnen im Bett überrascht. Des Weiteren kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Ehefrauen. Streit, Unruhe und Intrigen beherrschen den Serail.17 Auch die Unterordnung der Ehefrauen unter den Befehl des Obereunuchen, der den Herrn vertreten soll, gerät in Gefahr. Eher hilflos lässt Usbek infolgedessen aus der Ferne die Kontrolle seiner Frauen verstärken, die nun vom Großeunuchen gleichsam in Einzelhaft gehalten und ihrerseits zu Sklavinnen degradiert werden. Letzteres führt indes nicht zur Beruhigung der Lage, sondern zur Katastrophe: Zwei seiner Frauen begehen Ehebruch, darunter seine Lieblingsfrau Roxane, die schon vor der Eheschließung mit Usbek eine außereheliche Liebensbeziehung eingegangen war und schließlich, elles sont d8tenues, la vigilance des eunuques, leur paroissent des moyens plus propres / exercer lQindustrie du sexe quQ/ la lasser“ (Montesquieu, Lettres Persanes [wie Anm. 2], lettre LV, 118). 15 Vgl. ebd., lettre XXXIV, 72. 16 Ebd., lettre XX, 46. Weiter heißt es im selben Brief: „Que les mœurs du pays oF vous vivez sont saintes, qui vous arrachent aux attentats des plus vils esclaves! Vous devez me rendre gr.ce de la gÞne oF je vous fais vivre, puisque ce nQest que par l/ que vous m8ritez encore de vivre“ (ebd.). 17 Vgl. den Bericht des schwarzen Obereunuchen in ebd., lettre LXIV, 135 f.

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angesichts ihres vom Obereunuchen getöteten Geliebten Selbstmord begeht, nicht ohne in ihrem Abschiedsbrief zu unterstreichen, dass sie ihren Gatten niemals geliebt und seine ehelichen Avancen nur mit größtem Widerwillen ertragen habe.18 II. Orientalische Despotie im Harem Gerade im Blick auf diese dramatischen Ereignisse im Harem Usbeks, die im heroischen Selbstmord der Roxane gipfeln, stellt sich die Frage, inwiefern es Montesquieu bei seiner Harems-Geschichte um mehr ging als nur darum, das französische Lesepublikum mit exotischen Phantasien zu unterhalten oder auch die orientalischen Ehesitten zu denunzieren. Tatsächlich war der Haremsroman ja in erster Linie ein Schlüsselroman, um die ,despotischenR Verhältnisse und Verhaltensweisen des 1715 verstorbenen Sonnenkönigs und seines Hofstaats zu kritisieren.19 Der persische Haremsbesitzer Usbek war in seinem Harem ebenso uneingeschränkter Herrscher, ebenso leidenschaftlich ersehntes Ziel der Sehnsüchte und Leidenschaften seiner zahlreichen Ehefrauen und Sklavinnen wie der französische König das Ziel der Hoffnungen und Wünsche von Günstlingen und Mätressen darstellte. Natürlich gab es auch einige Unterschiede zwischen den beiden – so Usbeks ganz und gar aufrechte Suche nach Wahrheit und Erkenntnis, seine Reflexion über Gerechtigkeit und Toleranz, auf der auf Seiten Ludwigs XIV. Intoleranz und Kriegsgelüste deutlich negativer zu Buche schlugen. Doch letztlich war Usbek ein ganz und gar ,absoluterR – von den Gesetzen der Gesellschaft und der Natur scheinbar uneingeschränkter – Despot in seinem Harem, Herr über Leben und Tod seiner Sklaven und Ehefrauen, die er seinem Willen unterwerfen wollte, zur Not auch mit Gewalt. Im Kern geht es in den Perserbriefen um diesen vergeblichen Kampf des persischen Hausherrn und Ehemanns Usbek gegen die mehr oder weniger legitimen, natürlichen Bedürfnisse seiner Ehefrauen und für die Aufrechterhaltung der häuslichen Ordnung. Hinter der tragischen Geschichte vom zerstörten Familien- und Eheleben im persischen Serail steht auch die Vergegenwärtigung und (damit) Entlarvung der Tyrannei des orientalischen Herrschers, also des „orientalischen Despotismus“ schlechthin, von dem dann in Montesquieus Hauptwerk Vom Geist der Gesetze (1749) ausführlicher die Rede sein wird. Der Serail steht stellvertretend Dies wird am Ende des Romans in dramatischer Zuspitzung geschildert, vgl. ebd., lettres CXLVII–CLXI, 143–159. 19 Namentlich Melvin Richter weist explizit auf die theoretischen Überlegungen hin, die sich hinter der Schilderung der ,despotischenR Haremskultur verbergen: Eine massive Kritik am ,despotischenR Herrschaftsstil überhaupt, die auch als Kritik am französischen Absolutismus unter Ludwig XIV. gelesen werden kann; vgl. Melvin Richter, The Political Theory of Montesquieu, Cambridge 1977, 46 ff. 18

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und symbolisch für den Herrschaftsbereich und -stil des orientalischen Despoten, denn die ,häusliche KnechtschaftR der Ehefrauen im Harem findet ihr Pendant in der ,politischen KnechtschaftR der Untertanen in den orientalischen Reichen. Diese kennten – so Montesquieu – keine persönliche oder politische Freiheit und sie könnte dort auch nicht zugelassen werden, ohne Repression, grausame Strafen und Verfolgung durch den Despoten oder gar die völlige Anarchie zu provozieren – ähnlich wie dies im persischen Harem der Fall ist, dessen Bewohnerinnen zur Aufrechterhaltung der inneren wie äußeren Ordnung in bisweilen äußerster Unfreiheit gehalten werden.20 Dadurch aber gerät seinerseits auch der ,BesitzerR und Beherrscher des Harems in Abhängigkeit und Unfreiheit, vor allem, weil ihm seine Leidenschaften und allen voran die Eifersucht das Leben zur Hölle machen. Diese ,Dialektik der DespotieR lässt sich besonders gut an der Beschreibung der Eunuchen ablesen, denen ja im Roman eine ebenso wesentliche wie vielschichtige Rolle zukommt.21 Bereits der zweite Brief Usbeks ist an den schwarzen Obereunuchen gerichtet. Er rühmt ihn darin nicht nur als „le gardien fidHle des plus belles femmes de Perse“, dem anvertraut wurde, „ce que jQavois dans le monde de plus cher.“ Gleichzeitig nennt er ihn aber auch „le fl8au du vice et la colonne de la fid8lit8“.22 Er ist derjenige, der gleichzeitig gehorcht und befiehlt, jedenfalls den Frauen, die zwar einerseits über ihm stehen und denen „die niedrigsten Dienste zu leisten“ ihm zur Ehre gereicht. Andererseits steht er als Tugendwächter über ihnen und kann ihnen befehlen und verbieten: Tu leur commandes, et leur ob8is. Tu ex8cutes aveugl8ment toutes leurs volont8s, et leur fais ex8cuter de mÞme les lois du s8rail; tu trouves de la gloire / leur rendre les services les plus vils; tu te soumets avec respect et avec crainte / leurs ordres l8gitimes; tu les sers comme lQesclave de leurs esclaves. Mais, par un retour dQempire, tu commandes en ma%tre comme moi-mÞme, quand tu crains le rel.chement des lois de la pudeur et de la modestie.23 Vgl. Montesquieu, De lQEsprit des Lois. Chronologie, introduction, bibliographie par Victor Goldschmidt, Paris 1979, Vol. I, TroisiHme partie, livre XVI, „Comment les lois de lQesclavage domestique ont du rapport avec la nature du climat“ (409–423). Die große Nähe zwischen dem Esprit des Lois und den Lettres Persanes ist v. a. auch dadurch begründet, dass Montesquieu letztere während und nach der Abfassung des ersteren nochmals intensiv überarbeitet und dabei auch wichtige Aspekte entsprechend akzentuiert hat; dazu gehört v. a. auch die „Haremsgeschichte“ und die darin verborgene Machtanalyse und Herrschaftskritik. Vgl. dazu Catherine Volpilhac-Auger, Montesquieu. Une histoire du temps, Lyon 2017, bes. Teil I, 43–58. 21 Dies wurde von der Forschung schon seit längerem konstatiert. Vgl. dazu neben Jean Starobinski, Une th8orie du pouvoir, in: La Nouvelle Revue FranÅaise 247 (Juli 1973), 28–35 v. a. Michel Delon, Un monde dQeunuques, in: Europe 574 (1977), 79–88 sowie neuerdings Susan Maslan, The Dream of the Feeling Citizen. Law and Emotion in Corneille and Montesquieu, in: SubStance 35 (2006), 69–84, hier 76–80 und Federico Bonzi, LQHonneur dans lQŒuvre de Montesquieu, Paris 2016, 101–108. 22 Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre II, 8. 23 Ebd. 20

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Vor allem aber ist er die vollkommen von seinem Herrn abhängige Kreatur, die ihm für die ihm zugewiesene Machtstellung ewige Dankbarkeit und v. a. Loyalität schuldet: Souviens-toi toujours du n8ant dQoF je tQai fait sortir, lorsque tu 8tois le dernier de mes esclaves, pour te mettre en cette place, et te confier les d8lices de mon cœur: tiens-toi dans un profond abaissement auprHs de celles qui partagent mon amour; mais fais-leur en mÞme temps sentir leur extrÞme d8pendance.24

Usbek selbst ist aber letztlich ebenso wenig ,freiR, sondern ein Sklave seiner Leidenschaften, seiner Furcht und seiner „finsteren Eifersucht“; diese machen ihn praktisch genauso zum ohnmächtigen Machthaber, zum sklavischen Herrscher, zum impotenten Liebhaber, wie jene Eunuchen es sind, die von ihrer Umwelt kaum noch als Männer und von den Frauen sogar als „Ungeheuer“ angesehen werden.25 Voller Furcht, die Kontrolle über seine Ehefrauen und sein „Schatzkästlein“ („les d8lices de mon cœur“) zu verlieren und letztlich machtlos und von Eifersucht zerfressen, wie er in einem schwachen Moment seinem Vertrauten Nessir in Isphahan gesteht, gibt Usbek das jämmerliche Bild eines Despoten ab, das alle, Ehemänner wie Fürsten, Könige wie ihre Beamten, gleichermaßen schrecken kann: Je vis dans un climat barbare, pr8sent / tout ce qui mQimportune, absent de tout ce qui mQint8resse. Une tristesse sombre me saisit; je tombe dans un accablement affreux: il me semble que je mQan8antis; et je ne me retrouve moi-mÞme que lorsquQune sombre jalousie vient sQallumer et enfanter dans mon .me la crainte, les soupÅons, la haine et les regrets. […] Malheureux que je suis! Je souhaite de revoir ma patrie, peut-Þtre pour devenir plus malheureux encore! Eh! quQy ferai-je? Je vais rapporter ma tÞte / mes ennemis. Ce nQest pas tout: jQentrerai dans le s8rail; il faut que jQy demande compte du temps funeste de mon absence: et si jQy trouve des coupables, que deviendrai-je? Et si la seule id8e mQaccable de si loin, que sera-ce, lorsque ma pr8sence la rendra plus vive? que sera-ce, sQil faut que je voie, sQil faut que jQentende ce que je nQose imaginer sans fr8mir? que sera-ce, enfin, sQil faut que des ch.timents que je prononcerai moimÞme soient des marques 8ternelles de ma confusion et de mon d8sespoir?26

Ebd. Diese ,verquereR Dimension der orientalischen Geschlechterordnung wird auch von Usbeks Gattin Zachi deutlich hervorgehoben, die sich zunächst in sehnsuchtsvollen Erinnerungen an lustvolle Momente mit ihrem Gatten erging, schon bald aber die Initiative ergriff und sich anderweitig Befriedigung ihrer Leidenschaften suchte. Sie schreibt im 62. Brief an ihren Gatten: „Dans la prison mÞme oF tu me retiens, je suis plus libre que toi: tu ne saurois redoubler tes attentions pour me faire garder, que je ne jouisse de tes inqui8tudes; et tes soupÅons, ta jalousie, tes chagrins, sont autant de marques de ta d8pendance“ (ebd., lettre LXII, 132). 26 Ebd., lettre CLV, 150 f. 24 25

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III. Widernatürliche Polygamie Mit der Entlarvung des ,orientalischen DespotenR als letztlich machtlos und impotent wird gleichzeitig auch die Polygamie einer scharfen Kritik unterzogen. Der Roman schreibt sich damit ein in eine im Laufe der Frühaufklärung heftig geführte Debatte über die katholische Ehelehre. Hierbei war insbesondere die Kritik an der Unauflöslichkeit der Ehe als ein unumstößliches Gesetz, ein Sakrament, von zentraler Bedeutung. Wie Carol Blum zeigen konnte, brachte gerade die radikale Kirchen- und Religionskritik der Aufklärung eine vehemente Debatte über die Bedeutung, Institution und Form der Ehe im christlichen Europa (und insbesondere im katholischen Frankreich) hervor, in der auch breit und z. T. höchst kontrovers über die Bedeutung, Chancen und Gefahren der Vielehe debattiert wurde.27 Zudem konstatierten seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zahlreiche Gelehrte eine Entvölkerung der Erde und, wegen der zahllosen Kriegszüge Ludwigs XIV., wegen seiner erbarmungslosen Steuerpolitik und den daraus resultierenden Hungersnöten und Seuchen, ein ,AusblutenR der französischen Monarchie – unter ihnen so prominente Geister wie der Erzbischof und Fürstenerzieher F8n8lon, der Architekt und Staatsbeamte Vauban und schließlich auch der kühne junge Rechtsgelehrte Montesquieu. Diese Furcht vor einer Entvölkerung, ja gleichsam einer nationalen Unfruchtbarkeit wurde von den Kritikern des ,SonnenkönigsR und seiner autokratischen Herrschaft nicht nur publizistisch breit vertreten, sondern auch politisch weidlich ausgenutzt, um die geistlichen wie weltlichen Autoritäten herauszufordern und ihre moralischen Grundsätze und die darauf beruhenden Institutionen in Zweifel zu ziehen. Einer der wichtigsten Beiträge zu dieser lebhaften und über das gesamte 18. Jahrhundert hin anhaltenden Debatte war eben auch Montesquieus Briefroman. Nur wenige Jahre, nachdem die Märchen aus 1001 Nacht vom französischen Orientalisten Antoine Galland vom Persischen ins Französische übertragen und veröffentlicht worden waren (1704–1717), nutzte Montesquieu die dadurch entfachte Persien- und Orientbegeisterung der französischen Öffentlichkeit, um in seinem Briefroman nicht zuletzt auch seine Sorge um die Entvölkerung der Welt und insbesondere Frankreichs zum Ausdruck zu bringen. Vom 112. Brief an, den der persische Reisende Rhedi aus Rom (wo sich wenige Jahre zuvor auch Montesquieu selbst aufgehalten hatte) an seinen Freund Usbek schreibt, welcher sich in Paris aufhielt, findet sich ein Austausch der beiden Perser über die angebliche Entvölkerung der Erde seit den glücklicheren Zeiten des Römischen Reiches, die schließlich in eine lange (sich über zehn Briefe erstreckende) AbCarol Blum, Une controverse nataliste en France au XVIIIe siHcle: La polygamie, in: Population (French Edition), Vol. 53, No. 1/2 (Jan.-Avril 1998: „Population et histoire“), 93–112. 27

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handlung über die Ursachen dieser Depopulation und deren Bekämpfung einmündet. Sehr ernst im Ton und deutlich abgehoben von der meist ironisierenden, kultur- und religionskritischen Schreibweise der übrigen Briefe bilden diese Ausführungen über die Entvölkerung der Erde gleichsam eine kleine (populations-)wissenschaftliche Abhandlung im Roman. So schreibt Rhedi aus Rom an Usbek: Tu nQas peut-Þtre pas fait attention / une chose qui cause tous les jours ma surprise. Comment le monde est-il si peu peupl8 en comparaison de ce quQil 8toit autrefois? Comment la nature a-t-elle pu perdre cette prodigieuse f8condit8 des premiers temps? Seroit-elle d8j/ dans sa vieillesse, et tomberoit-elle de langueur? JQai rest8 plus dQun an en Italie, oF je nQai vu que le d8bris de cette ancienne Italie, si fameuse autrefois. Quoique tout le monde habite les villes, elles sont entiHrement d8sertes et d8peupl8es: il semble quQelles ne subsistent encore que pour marquer le lieu oF 8toient ces cit8s puissantes dont lQhistoire a tant parl8. Il y a des gens qui pr8tendent que la seule ville de Rome contenoit autrefois plus de peuple quQun grand royaume de lQEurope nQen a aujourdQhui. Il y a eu tel citoyen romain, qui avoit dix, et mÞme vingt mille esclaves, sans compter ceux qui travaillaient dans les maisons de campagne; et, comme on y comptoit quatre ou cinq cent mille citoyens, on ne peut fixer le nombre de ses habitants sans que lQimagination ne se r8volte.28

Die Antwort, die Usbek ihm darauf gibt, ist zunächst überraschend: Es seien weniger die großen Seuchen oder gar eine Sintflut und ähnliche Naturkatastrophen, die zum langsamen, aber kontinuierlichen Aussterben der Menschheit führten, sondern vielmehr die großen Weltreligionen Christentum und Islam, die dafür verantwortlich zeichnen, welche das Römische Reich gleichsam übernommen und unter sich aufgeteilt und damit regelrecht ruiniert hätten: Tu cherches la raison pourquoi la terre est moins peupl8e quQelle ne lQ8toit autrefois: et si tu y fais bien attention, tu verras que la grande diff8rence vient de celle qui est arriv8e dans les mœurs. Depuis que la religion chr8tienne et la mahom8tane ont partag8 le monde romain, les choses sont bien chang8es: il sQen faut de beaucoup que ces deux religions soient aussi favorables / la propagation de lQespHce que celle de ces ma%tres de lQunivers. Dans cette derniHre, la polygamie 8toit d8fendue: et en cela, elle avoit un trHsgrand avantage sur la religion mahom8tane; le divorce y 8toit permis: ce qui lui en donnoit un autre, non moins consid8rable, sur la chr8tienne.29

Wie schon bei Pierre Bayle und in der Religionskritik der Frühaufklärung30 liegt auch für Usbek der wesentliche Grund für die (vermeintliche) Bevölkerungskatastrophe in fehlgeleiteten religiösen Verhaltensregelungen für die Ehe und die (damit verbundene) fehlende Zeugungskraft von Nachkommenschaft. Das von Usbek (oder eigentlich eher Montesquieu selbst) im Folgenden vorgebrachte Argument, die katholische Kirche hemme oder mindere mit ihrem Zölibatsgebot für 28 29 30

Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre CXIII, 47. Ebd., lettre CXV, 53. Vgl. dazu Blum, Une controverse nataliste en France (wie Anm. 27), 95 f.

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Priester, Mönche und Nonnen das ,natürlicheR Bevölkerungswachstum erheblich, erscheint zunächst naheliegend, konsequent und durchaus einleuchtend. Dass dieser Prozess auch durch das Verbot der Scheidung noch gefördert werde – zumal ja die katholische Ehelehre explizit das Zeugen und Aufziehen von Kindern als wichtigstes Ziel der Ehe deklariert hatte – liegt schon weniger nahe.31 Dass er aber als gläubiger Moslem auch die eigenen religiösen Normen hinsichtlich der Ehe und insbesondere die Polygamie in der Folge massiv kritisiert und für die Entvölkerung der Erde mit-verantwortlich macht, überrascht denn doch, wird jedoch ausführlich – und letztlich nachvollziehbar – begründet. Usbek schreibt nämlich höchst kritisch über die Möglichkeiten (oder genauer: über die Verpflichtungen), die die Polygamie für gläubige Muslime bereithält: Je ne trouve rien de si contradictoire que cette pluralit8 des femmes permises par le saint Alcoran, et lQordre de les satisfaire donn8 dans le mÞme livre. Voyez vos femmes, dit le ProphHte, parce que vous leur Þtes n8cessaires comme leurs vÞtements, et quQelles vous sont n8cessaires comme vos vÞtements. Voil/ un pr8cepte qui rend la vie dQun v8ritable musulman bien laborieuse. Celui qui a les quatre femmes 8tablies par la Loi, et seulement autant de concubines et dQesclaves, ne doit-il pas Þtre accabl8 de tant de vÞtements? Vos femmes sont vos labourages, dit encore le ProphHte; approchez-vous donc de vos labourages: faites du bien pour vos .mes; et vous le trouverez un jour. Je regarde un bon musulman comme un athlHte, destin8 / combattre sans rel.che; mais qui bientkt faible et accabl8 de ses premiHres fatigues, languit dans le champ mÞme de la victoire; et se trouve, pour ainsi dire, enseveli sous ses propres triomphes.32

Die Vielzahl der Frauen, die der Koran erlaubt, führt also zu einer potentiellen Überbeanspruchung und physischen Erschöpfung der muslimischen Ehemänner, was dann auch Folgen für den ausbleibenden Kindersegen hat: CQest dans cet 8tat de d8faillance que nous met toujours ce grand nombre de femmes plus propre / nous 8puiser quQ/ nous satisfaire. Il est trHs ordinaire parmi nous de voir un homme dans un s8rail prodigieux avec un trHs-petit nombre dQenfants: ces enfants mÞmes sont la plupart du temps faibles et malsains, et se sentent de la langueur de leur pHre.33 Vgl. Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre CXVI, 58. Dass es die Protestanten mit der Ermöglichung der Ehescheidung daher besser haben, betont Usbek im Folgebrief: „Dans la religion protestante, tout le monde est en droit de faire des enfants : elle ne souffre ni prÞtres, ni dervis; et si, dans lQ8tablissement de cette religion qui ramenoit tout aux premiers temps, ses fondateurs nQavoient 8t8 accus8s sans cesse dQintemp8rance, il ne faut pas douter quQaprHs avoir rendu la pratique du mariage universelle, ils nQen eussent encore adouci le joug, et achev8 dQkter toute la barriHre qui s8pare, en ce point, le Nazar8en et Mahomet. Mais, quoi quQil en soit, il est certain que la religion donne aux protestants un avantage infini sur les catholiques. JQose le dire: dans lQ8tat pr8sent oF est lQEurope, il nQest pas possible que la religion catholique y subsiste cinq cents ans“ (ebd., lettre CXVII, 62). Letztlich jedoch ist es weder die katholische noch die protestantische, sondern die römische ,patriotischeR (Zivil-)Ehe, die Usbek/Montesquieu vorbildlich erscheint. 32 Ebd., lettre CXV, 53 f. 33 Ebd., 54. 31

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Dazu kommt noch, dass für den Unterhalt einer solchen polygamen ,GroßfamilieR nicht nur erhebliche Mittel, sondern vor allem auch viele Menschen notwendig sind: Eunuchen und Sklavinnen, die den Frauen dienen, die aber selber keine Familie gründen können: Ce nQest pas tout: ces femmes oblig8es / une continence forc8e, ont besoin dQavoir des gens pour les garder, qui ne peuvent Þtre que des eunuques: la religion, la jalousie et la raison mÞme, ne permettent pas dQen laisser approcher dQautres; ces gardiens doivent Þtre en grand nombre, soit afin de maintenir la tranquillit8 au-dedans parmi les guerres que ces femmes se font sans cesse, soit pour empÞcher les entreprises du dehors. Ainsi un homme qui a dix femmes ou concubines nQa pas trop dQautant dQeunuques pour les garder. Mais quelle perte pour la soci8t8 que ce grand nombre dQhommes morts dHs leur naissance! Quelle d8population ne doit-il pas sQen suivre! Les filles esclaves qui sont dans le s8rail pour servir avec les eunuques ce grand nombre de femmes, y vieillissent presque toujours dans une affligeante virginit8: elles ne peuvent pas se marier pendant quQelles y restent; et leurs ma%tresses, une fois accoutum8es / elles, ne sQen d8font presque jamais. Voil/ comment un seul homme occupe lui seul tant de sujets de lQun et de lQautre sexe / ses plaisirs, les fait mourir pour lQPtat, et les rend inutiles / la propagation de lQespHce.34

Diese Reflexion verifiziert sich im weiteren Verlaufs des Romans: Auch Usbek selbst, stolzer Besitzer eines ausgedehnten Harems mit vier Ehefrauen und zahlreichen Eunuchen und Sklavinnen, kann lediglich ein einziges Kind, eine Tochter – und keinen Sohn! – sein eigen nennen; auch er leidet, wie er bereits im 6. Brief an seinen vertrauten Freund Nessir gestand, unter ,kalterR Eifersucht und Impotenz angesichts der Überforderung durch die vielen reizvollen Schönheiten, die sich in seinem Harem befinden und die um seine Gunst buhlen. Ja, es ist letztlich weniger die politische Verfolgung, die er in seiner Heimat fürchten muss, als jene erotischen Nachstellungen seiner zahlreichen Frauen und Sklavinnen, die ihn von der Rückkehr in die Heimat abhalten, wie er im gleichen Brief gesteht. Und weil er allzu lange abwesend ist und seine Ehefrauen sich aus Langeweile oder Sehnsucht, Frustration oder Rachsucht in illegitime Liebesabenteuer, Ehebruch oder gar den Freitod stürzen, zerfällt diese ,unproduktiveR Familie zusehends und der Roman endet in der Bestätigung der heftigen Anschuldigungen, die der einst so stolze muslimische Ehemann und Hausvater selbst gegen seine eigene Religion und deren polygames Eheregime so hellsichtig vorgebracht hatte.

34

Ebd., 55.

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IV. Ein feministischer Haremsroman? Die kritischen Kommentare über Haremskultur, orientalische Despotie und Polygamie, wie sie sich in den Perserbriefen finden, waren jedoch letztlich nicht nur als Zeitkritik und Warnung an den französischen König gemeint, sondern sehr wohl auch von der Sorge um die Verwirklichung weiblicher Bedürfnisse und Gefühle getragen, schließlich waren gerade Frauen besonders eifrige Leserinnen der frühen Romanliteratur, allen voran der Briefromane.35 So wird zum Beispiel die Kritik an den Folgen der Polygamie für die Frauen einer Hofdame in den Mund gelegt, die sich „für die Sitten der Perser und die Lebensweise der Perserinnen“ interessierte: Elle me fit mille questions sur les mœurs des Persans, et sur la maniHre de vivre des Persanes: il me parut que la vie du s8rail nQ8toit pas de son go0t, et quQelle trouvoit de la r8pugnance / voir un homme partag8 entre dix ou douze femmes.36

Auch das gelegentliche Anknüpfen an die zeitgenössische querelle des femmes, den Streit um Wert und Ort der Frauen in Gesellschaft und Geschichte, die insbesondere in den französischen Salons gepflegt wurde, legt eine solche Lesart nahe. So heißt es etwa in einem Brief Ricas an seinen Freund Ribben in Smyrna (dem heutigen Izmir): CQest une grande question, parmi les hommes, de savoir sQil est plus avantageux dQkter aux femmes la libert8, que de la leur laisser; il me semble quQil y a bien des raisons pour et contre. Si les Europ8ens disent quQil nQy a pas de g8n8rosit8 / rendre malheureuses les personnes que lQon aime, nos Asiatiques r8pondent quQil y a de la bassesse aux hommes de renoncer / lQempire que la nature leur a donn8 sur les femmes. Si on leur dit que le grand nombre de femmes enferm8es est embarrassant, ils r8pondent que dix femmes qui ob8issent embarrassent moins quQune qui nQob8it pas. Que sQils objectent / leur tour que les Europ8ens ne sauroient Þtre heureux avec des femmes qui ne leur sont pas fidHles, on leur r8pond que cette fid8lit8, quQils vantent tant, nQempÞche point le d8go0t, qui suit toujours les passions satisfaites; que nos femmes sont trop / nous; quQune possession si tranquille ne nous laisse rien / d8sirer ni / craindre; quQun peu de coquetterie est un sel qui pique et pr8vient la corruption. Peut-Þtre quQun homme plus sage que moi seroit embarrass8 de d8cider: car, si les Asiatiques font fort bien de chercher des moyens propres / calmer leurs inqui8tudes, les Europ8ens font fort bien aussi de nQen point avoir. AprHs tout, disent-ils, quand nous serions malheureux en qualit8 de maris, nous trouverions toujours moyen de nous d8dommager en qualit8 dQamants. Pour quQun Montesquieu selbst beschenkte seine Pariser Freundinnen mehrfach mit Sonderausgaben des Romans, vgl. dazu Hsu-Ming Teo, The Difficulty of Becoming a Civilized Human. Orientalism, Gender and Sociability in MontesquieusQs Persian Letters, in: Alexander Cook, Ned Curthoys, Shino Konishi (Hg.), Representing Humanity in the Age of Enlightenment, London 2013, 135–148, hier bes. 142, und Diane Schaub, Erotic Liberalism. Women and Revolution in MontesquieuQs ,Persian LettersR, London 1995, 11. 36 Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre CXLI, 110. 35

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homme p0t se plaindre avec raison de lQinfid8lit8 de sa femme, il faudroit quQil nQy e0t que trois personnes dans le monde; ils seront toujours / but quand il y en aura quatre.37

Das Interesse an der weiblichen Lebensweise und Freiheit ganz generell zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass innerhalb des Romans Ehe- und Geschlechterbeziehungen in den verschiedenen europäischen Nationen in satirischer Weise präsentiert und kommentiert werden, wobei der Herkunft des Autors gemäss, die französischen Verhältnisse den prominentesten Platz einnehmen.38 Mehrfach beziehen sich Rica und Usbek – kritisch, staunend und bisweilen sarkastisch – auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in Frankreich, auf französische Ehesitten, Rechtspraktiken und Wertvorstellungen. Dabei kommt es bisweilen zu einer regelrechten Umkehrung der Werte, wie etwa bei den eifersüchtigen Ehemännern, die im Orient die Regel, in Frankreich dagegen die (lächerliche) Ausnahme darstellen. Im 55. Brief, den Rica, der jüngere der beiden Reisenden an seinen Freund Ibben richtet, heißt es: Les FranÅois ne parlent presque jamais de leurs femmes: cQest quQils ont peur dQen parler devant des gens qui les connoissent mieux quQeux. Il y a parmi eux des hommes trHsmalheureux que personne ne console: ce sont les maris jaloux; il y en a que tout le monde ha"t: ce sont les maris jaloux; il y en a que tous les hommes m8prisent: ce sont encore les maris jaloux. Aussi nQy a-t-il point de pays oF ils soient en si petit nombre que chez les FranÅois. Leur tranquillit8 nQest pas fond8e sur la confiance quQils ont en leurs femmes; cQest, au contraire, sur la mauvaise opinion quQils en ont: toutes les sages pr8cautions des Asiatiques, les voiles qui les couvrent, les prisons oF elles sont d8tenues, la vigilance des eunuques, leur paroissent des moyens plus propres / exercer lQindustrie du sexe quQ/ la lasser. Ici les maris prennent leur parti de bonne gr.ce, et regardent les infid8lit8s comme des coups dQune 8toile in8vitable. Un mari qui voudroit seul poss8der sa femme seroit regard8 comme un perturbateur de la joie publique, et comme un insens8 qui voudroit jouir de la lumiHre du soleil / lQexclusion des autres hommes. Ici un mari qui aime sa femme est un homme qui nQa pas assez de m8rite pour se faire aimer dQune autre; qui abuse de la n8cessit8 de la loi pour suppl8er aux agr8ments qui lui manquent; qui se sert de tous ses avantages au pr8judice dQune soci8t8 entiHre. 39

Schon bei der Ankunft in Europa, im italienischen Livorno, fühlte sich Usbek durch für ihn ungeheuerliche Beobachtungen gedrängt, über die Situation der Frauen zu berichten und sie mit den orientalischen Verhältnissen zu vergleichen: Nous sommes arriv8s / Livourne dans quarante jours de navigation. CQest une ville nouvelle; elle est un t8moignage du g8nie des ducs de Toscane, qui ont fait dQun village mar8cageux la ville dQItalie la plus florissante. Les femmes y jouissent dQune grande libert8: elles peuvent voir les hommes / travers certaines fenÞtres quQon nomme jalouEbd., lettre XXXVIII, 80. Diane Schaub hat überzeugend dargelegt, dass etwa 40 % der Briefe in der einen oder anderen Weise das Thema Geschlechterbeziehungen behandeln, vgl. Schaub, Erotic Liberalism (wie Anm. 35), x. 39 Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre LV, 118. 37 38

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sies, elles peuvent sortir tous les jours avec quelques vieilles qui les accompagnent: elles nQont quQun voile. Leurs beaux-frHres, leurs oncles, leurs neveux peuvent les voir sans que le mari sQen formalise presque jamais.40

Auch im Süden Europas ist also die Eifersucht durchaus zu Hause, wenn auch in völlig anderer Weise als in Persien; die Italiener pflegen sie durch „Jalousien“ zu begrenzen, die Spanier durch andere (Un-)Sitten: Ils sont premiHrement d8vots, et secondement jaloux. Ils se garderont bien dQexposer leurs femmes aux entreprises dQun soldat cribl8 de coups ou dQun magistrat d8cr8pit; mais ils les enfermeront avec un novice fervent, qui baisse les yeux, ou un robuste Franciscain, qui les 8lHve. Ils connoissent mieux que les autres le faible des femmes; ils ne veulent pas quQon leur voie le talon, et quQon les surprenne par le bout des pieds: ils savent que lQimagination va toujours, que rien ne lQamuse en chemin; elle arrive, et l/ on 8toit quelquefois averti dQavance.41

Auf (mittel- und west-)europäische Betrachterinnen und Betrachter allerdings dürften diese Beschreibungen höchst komisch gewirkt haben, ebenso wie diejenigen der russischen oder eben der französischen Sitten. Doch sind auch diese Bemerkungen nicht nur für die Belustigung des Publikums gedacht, sondern die von Montesquieu in den Perserbriefen entworfenen orientalischen Lebens- und Geschlechterverhältnisse im Harem lassen sich als ein Extrem in einer breiten Scala von möglichen Geschlechterbeziehungen einordnen, die alle mehr oder weniger unvernünftig und widernatürlich erscheinen.42 Sie sind gleichsam Degenerationserscheinungen menschlichen Zusammenlebens, die nicht nur dysfunktional sind, weil sie nach Ansicht Montesquieus zur Entvölkerung der Welt beitragen, sondern auch die Menschen selbst, Männer und Frauen, unglücklich machen, weil sie letztlich wider die Natur – sozusagen ,nicht artgerechtR – sind. Das heißt mit anderen Worten auch, dass hinsichtlich der Missstände eine gewisse Ebenbürtigkeit von Orient und Okzident besteht, die gewissermaßen ,abfallende LinieR, die von den französischen Un-Sitten in Staat und Ehe über die spanisch-italienischen bis hin zu den orientalisch-persischen führt – fast ideal dagegen sind die englischen Verhältnisse, die laut Montesquieu-Usbek von Freundschaft bestimmt werden. Damit wird nicht nur die orientalische Welt – bzw. hier: Persien – zum Gipfel gesellschaftlicher Mängel und Fehlentwicklungen erklärt, sondern es wird gleichzeitig sichergestellt, dass die von Montesquieu intendierte Gesellschafts-

Ebd., lettre XXIII, 50. Ebd., lettre LXXVIII, 172, 42 Natürliche und vorbildliche Ehe- und Geschlechterverhältnisse schildert Montesquieu in der Troglodyten-Fabel, die Usbek gleich zu Beginn seiner Reise in drei Briefen an seinen Freund Mirza in Isphahan zum Besten gibt, die jedoch ebenso utopisch wie hypothetisch sind (vgl. ebd., lettres XI–XIV, 25–35). 40 41

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und Kulturkritik an den französischen Verhältnissen nur umso ätzender wirksam werden kann.43 Roxanes Ehebruch und ihr Selbstmord sind insofern ohne Zweifel als (wenn auch tödlicher) Befreiungsversuch aus der ,orientalischen Despotie im HaremR zu lesen. Denn auch im weiblichen Geschlecht sind Vernunft, Urteilskraft und Freiheitsliebe angelegt, meint Montesquieu als ,FrauenfreundR und Aufklärer, ebenso wie im männlichen. Dies vor allem zeigen denn auch die letzten Worte der sterbenden Roxane, die im letzten Brief des Romans mit schwindenden Kräften noch an ihren ehemaligen Herrn und Gatten schreibt: Oui, je tQai tromp8; jQai s8duit tes eunuques; je me suis jou8e de ta jalousie; et jQai su, de ton affreux s8rail, faire un lieu de d8lices et de plaisirs. […] Comment as-tu pens8 que je fusse assez cr8dule pour mQimaginer que je ne fusse dans le monde que pour adorer tes caprices? que, pendant que tu te permets tout, tu eusses le droit dQaffliger tous mes d8sirs? Non: jQai pu vivre dans la servitude, mais jQai toujours 8t8 libre: jQai r8form8 tes lois sur celles de la nature; et mon esprit sQest toujours tenu dans lQind8pendance.44

Freiheit und Gleichheit, Herrschaft und Knechtschaft, Sklaverei und Despotie und deren verheerende Folgen sind also zentrale Themen des ,HaremsromansR – und sie werden auch und gerade in den ,privatenR Geschlechterverhältnissen deutlich, weil ja der Harem bzw. genauer: der Serail, auch als Zentrum und damit Inbegriff des orientalischen Herrschaftssystems gewertet werden kann und muss. Auf diese Weise leistet der ,HaremsromanR eine Individualisierung und Emotionalisierung von Herrschaft und Knechtschaft, die die politische Theorie so bislang nicht leisten konnte oder wollte.45 Die Befreiung der Frauen aus den orientalischen Unterdrückungsverhältnissen wird indes nur als entweder tödliche, oder allenfalls phantastisch-utopische Option (in einigen Nebenerzählungen) sichtbar. Der heroische Selbstmord der Roxane nämlich hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack: Sie ist eben nicht die klassische Tugendheldin, die tragisch untergeht, sondern ähnelt eher jener machthungrigen und selbstsüchtigen Frauengestalt, die Racine in seinem Theaterstück Bajazet 1671 berühmt gemacht hatte. Sie täuschte Usbek über ihren wahren Gefühle, beging Ehebruch und tötete schließlich den Obersten Eunuchen aus Rache und Schmerz darüber, dass dieser ihren Liebhaber auf Befehl ihres Ehemanns von den Palastwachen umbringen ließ. Vgl. dazu auch Teo, The Difficulty (wie Anm. 35), bes. 145 f. Montesquieu, Lettres Persanes (wie Anm. 2), lettre CLXI, 157. 45 Vgl. dazu Claudia Opitz-Belakhal, Der Harem als Projektionsraum der europäischen Aufklärung. Montesquieus ,PerserbriefeR und die Orientalisierung der Despotie, in: Bettina Dennerlein, Elke Frietsch, Therese Frey Steffen (Hg.), Verschleierter Orient – entschleierter Okzident? (Un-) Sichtbarkeit in Politik, Recht, Kunst und Kultur seit dem 19. Jahrhundert, München 2012, 163–178. 43

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Eine direktere und realistischere Befreiungsperspektive bietet hingegen die ,EuropäisierungR des (männlichen) Orientalen Rica.46 Dieser nimmt zunächst voller Neugierde, dann mit immer größerer Begeisterung am freizügigen Umgang der Geschlechter in der französischen Gesellschaft teil und möchte schließlich überhaupt nicht mehr nach Persien zurückkehren.47 Dieser Vorgang, im Sinne Kants „ein Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“,48 wird im Roman einerseits vor allem als männliche Option sichtbar – andererseits aber auch als eine, die die kulturelle Überlegenheit des ,liberalenR Westens über den despotischen Orient feiert. In dieser Hinsicht entpuppt sich denn der „Haremsroman“ Montesquieus als substantieller Beitrag zum Instrumentarium des Kulturkampfes, zu einer ,OrientalisierungR des Orients im Sinne Edward Saids.49 Eine Anleitung zur ,Befreiung der FrauR oder gar eine Aufforderung zur ,Revolution der GeschlechterordnungR jedoch ist er nicht. Dieser Beitrag beleuchtet auf der Basis von Montesquieus Briefroman Lettres Persanes (1721), inwiefern und warum bereits in der aufklärerischen Debatte der Kulturvergleich zwischen ,OrientR und ,OkzidentR dazu genutzt wurde, über europäische Geschlechterverhältnisse und -ordnungen (neu) nachzudenken und damit eine wichtige und bis heute nachwirkende feministische Argumentationsweise zu entwerfen, deren ,orientalistischeR Begleiterscheinungen wir heute zunehmend als problematisch empfinden müssen. Dafür stelle ich zunächst Montesquieus ,HaremsromanR genauer vor und beleuchte dabei auch seine Despotie-Kritik, bevor ich auf die Frage komme, inwiefern sich hier – insbesondere in der Figur der Roxane – tatsächlich eine feministische oder jedenfalls emanzipatorische Perspektive des Autors niedergeschlagen hat oder wie sich der Briefroman und der Blick auf Geschlechtersegregation und Polygamie, den er erlaubt, auch noch anders deuten ließe. This article offers a reading of MontesquieuQs epistolary novel Lettres Persanes (1721) that explores how and why Enlightenment debates employed the cultural comparisons between ,orientR and ,occidentR to reflect on as well as to revise the relation between the sexes Auch Teo, The Difficulty (wie Anm. 35) betont diese ambivalente ,MoralR des Romans und betont gleichzeitig, dass Montesquieu indirekt in seinem Haremsroman für eine Reform patriarchaler Familienverhältnisse votiert. Dies halte ich indes für eine wenig überzeugende Interpretation, denn im Geist der Gesetze lehnt Montesquieu weibliche Hausherrschaft oder die Entmachtung der Väter rundweg ab. Vgl. dazu Opitz-Belakhal, Politik und Geselligkeit (wie Anm. 1), passim. 47 Rica bekennt im 63. Brief an Usbek: „[…] mon esprit perd insensiblement tout ce qui lui reste dQasiatique, et se plie sans effort aux mœurs europ8ennes. Je ne suis plus si 8tonn8 de voir dans une maison cinq ou six femmes avec cinq ou six hommes; et je trouve que cela nQest pas mal imagin8. Je le puis dire: je ne connois les femmes que depuis que je suis ici; jQen ai plus appris dans un mois que je nQaurois fait en trente ans dans un s8rail“ (Montesquieu, Lettres Persannes [wie Anm. 2], lettre LXIII, 133). 48 Vgl. Immanuel Kant, Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie, hg. von Jürgen Zehbe, Göttingen 1967. 49 Vgl. Edward Said, Orientalism, New York 1978. 46

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in Europe. It argues that this gave rise to a feminist argumentation whose impact are still felt today, even though its RorientalistQ side effects are rightly seen as increasingly problematic. After introducing the main figures and themes of MontesquieuQs ,harem novelR, including its critique of despotism, I proceed to the question of whether it registers a genuinely feminist or at least emancipatory view of the author – particularly in the figure of Roxane –, or whether the epistolary novel and the perspective on gender segregation and polygamy it provides might be open to other interpretations as well. Prof. Dr. Claudia Opitz-Belakhal, Departement Geschichte der Universität Basel, Hirschgässlein 21, CH-4056 Basel, Email: [email protected]

Astrid Drçse Aufklärungsfeminismus und weibliche Poetik: Christiana Mariana von Ziegler zwischen Salonkultur und Gottsched-Kreis

I. „Die deutsche Scud8ry“ Am 16. November 1730 können die Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen ein besonderes Ereignis aus Leipzig vermelden. Nach einem kurzen Bericht über die erfreulichen Entwicklungen in Gottscheds ,Deutscher GesellschaftR, die Mitgliederzuwachs zu verzeichnen habe und nun eine Dependance in Jena einrichte, heißt es: Sonst hat diese Gesellschafft neulich einer scharffsinnigen Frau und beredten Dame, Frauen Christianen Marianen von Ziegler, geb. Romanus, in Ansehung ihrer in gebundener und ungebundener Schreib-Art, zeither ans Licht gestellten Schrifften, durch einhellige Wahl und aus eigener Bewegung eine Stelle unter ihren Mitgliedern zuerkannt. Und da dieser Entschluß derselben durch ein paar Abgeordnete bekannt gemacht, auch nach einigen Überlegungen von ihr angenommen worden: Als hat gedachte [die erwähnte, A.D.] Frau von Ziegler bald darauf ihre Antritts-Rede an die Gesellschaft eingeschicket; welche dann gestern, als den 15. Nov. in einer ordentlichen Versammlung derselben vorgelesen worden; dahingegen auch der Herr Baron von Seher-Thoß die Antwort im Nahmen der Gesellschaft abgelesen.1

Christiana Mariana von Ziegler war die erste Frau, die in die einflussreiche Sozietät aufgenommen wurde. Seit 1728 (bis 1738) stand diese unter der Leitung Johann Christoph Gottscheds, der kurz nach seiner Ankunft in Leipzig Zieglers Bekanntschaft gemacht hatte. Die ,Deutsche GesellschaftR hatte sich selbst zur Normgeberin für die deutsche Sprache und Dichtung erklärt; durch eigene Publikationen wollte sie zudem geeignete Exempla bieten, also vorführen, was gutes Deutsch sei.2 Für Gottsched galt es, den Ruhm der Gesellschaft und damit auch

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen XCII, 16. November 1730, 816. Zur Geschichte, Struktur und Programmatik der 1697 in Leipzig gegründeten Gesellschaft (zunächst: „Vertrautes Görlitzisches Collegium Poeticum“), v. a. in der Phase um 1730, vgl. die 1 2

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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sein eigenes Ansehen zu steigern. Durchaus war es seine Absicht, mit einer außerordentlichen Aktion wie der Berufung einer Frau in den Kreis der gelehrten Männerrunde die Aufmerksamkeit überregional auf sich zu ziehen.3 Ziegler nahm das Angebot gerne an. Ihre Antrittsrede, die sie 1739 auch in ihren Vermischten Schriften publizierte,4 nutzte sie, um ihre zentralen Anliegen zu artikulieren und diese argumentativ mit den Zielen der Sozietät zu verschränken: Sprach- bzw. Kulturpatriotismus und die Bildung der Frau sind für Ziegler zwei Seiten einer Medaille. Die in das Deutsche eindringende Fremdsprache wird in ihrer Antrittsrede zur verführerischen Südländerin, in deren „süßen Klang“ sich die „verkehrte[n] [Männer-]Köpfe […] vergafft“ hätten (MVS 131). Die „vorher so reine und helle Muttermilch, womit sie [die deutsche Sprache] ihre Säuglinge“ genährt habe, sei nun „wässricht gemacht“ (MVS 132).5 Der implizite, provozierende Vorwurf lautet: Deutsche Männer haben die deutsche Sprache zugrunde gerichtet, gerettet werden kann sie nur mit Hilfe weiblicher Gelehrter.6 „Erinnern Sie sich nicht dabei eines geheiligten Verbotes, welches dem Weibe in einer Gemeinde schweigen heißt?“ (MVS 133), fragt sie, die berühmte Korintherbrief-Passage7 ironisch aktualisierend, in die Runde der Gesellschafter. Doch, so Ziegler weiter, man habe wohl an andere berühmte Frauen gedacht, die Mitglied einer gelehrten Sozietät gewesen seien oder in gelehrten Kreisen besondere Anerkennung genossen: Sie werden sich allerseits auf die Erfahrung berufen, und mir ein und anderes Exempel sowohl ausländischer als deutscher Damen, so wirkliche Mitglieder gelehrter Gesellschaften abgeben, unfehlbar vorstellen, um meine schüchterne Seele zu befriedigen und mir einen kräftigen Trost dadurch zuzusprechen. Mir ist auch selbiges gar wohl einschlägige Studie von Detlef Döring, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds, Tübingen 2002. 3 Ebd., 245 ff. 4 Christiana Mariana von Ziegler, Abhandlung, ob es dem Frauenzimmer erlaubet sey, sich nach Wissenschaften zu bestreben? In der Deutschen Gesellschaft abgelesen, in: dies., Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, 394–399. Der Text findet sich neu ediert in dies., Moralische und vermischte Sendschreiben. Ausgewählte Texte, hg. von Astrid Dröse unter Mitarbeit von Marisa Irawan, Berlin, Zürich 2019, 138–142. Im Folgenden mit der Sigle MVS abgekürzt. 5 Die sprachpuristische Metaphorik des ,VerwässernsR der Muttersprache durch Fremdwörter findet man bereits im 17. Jahrhundert, z. B. in den Schriften der ,Fruchtbringenden GesellschaftR: „[U]nsere ädle Muttersprache, welche […] uns gantz rein in der ersten Milch, gleichsam eingeträuffelt, nachmals aber durch fremdes Wortgepräng, wässerig und versaltzen worden“ (Georg Neumark, Neu-Sprossende Teutsche Palmbaum. Oder Ausführlicher Bericht von der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft, Nürnberg 1668, 13). 6 Zu sprachpuristischen Projekten der Aufklärung, v. a. mit Blick auf Gottsched, vgl. das Kapitel „Die reine deutsche Sprache“ in Wolfgang Mertens, Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1968, 408–418. 7 1 Kor 14, 33–35.

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bekannt. Ich weiß, dass die gelehrte Cornelia Piscopia in die Gesellschaften zu Rom, Siena, Padua und Venedig aufgenommen worden.8 Noch mehr bewundere ich die vortreffliche Scud8ry, welche zwar nicht ein Mitglied der Französischen Academie geheißen, doch (erstaunen Sie nicht hierüber?) den Königlichen Preis der Beredsamkeit darinnen an dem Tage St. Ludwig erhalten. (MVS 133 f.)

Aus der deutschen Geschichte erinnert Ziegler an Catharina Regina von Greiffenberg, Gertrud Möller und die anderen weiblichen Mitglieder des ,Pegnesischen BlumenordensR im 17. Jahrhundert (vgl. MVS 134). Der Hinweis auf Madeleine de Scud8ry zieht sich leitmotivisch durch das Werk Zieglers. Immer wieder nennt sie die berühmte femme de lettres als Modell für weibliche Bildung, vorbildliche Dichtung und gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten von gelehrten Frauen. 1735 übersetzt Ziegler schließlich die Conversations Morales ins Deutsche (Der Mad. Scud8ry Scharfsinnige Unterredungen von Dingen, 1735). Die programmatische Vorrede verbindet übersetzungspoetische Überlegungen mit genderpolitischen Fragen: „Die scharfsinnige und kluge Scudery“ habe mit ihren Conversations Morales auf lobenswerte Weise „die Lehren zur Tugend und einer wohlanständigen Aufführung“ vorgelegt, und da diese „aus dem Munde einer Französin weit kräftiger in den meisten Seelen wirken, als die Ermahnungen eines deutschen Frauenzimmers, so soll dieselbe itzo durch meine deutsche Feder reden“ (MVS 147 f.). Das Plädoyer für Frauenbildung – hier Einübung in Formen galanter Konversation9 – erhält also, so Zieglers Überlegung, mehr Gewicht, wenn eine Autorität aus Frankreich zu Wort kommt. Dabei bedeute Bildung, v. a. das Beherrschen des decorum, keineswegs Vernachlässigung ,weiblicherR Aufgaben. Dennoch sei mit Widerstand zu rechnen: „Denn wenn man in Erfahrung käme, dass ein junges Frauenzimmer in philosophischen Wissenschaften angeführt würde, behüte der Himmel, da würden viele unter dem so beschrienen weisen Geschlecht behaupten, sie könnte unmöglich dereinst eine gute Hauswirtin abgeben“ (MVS 153 f.).

Die Venezianerin Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (1646 – 1684) disputierte 1678 im Dom zu Padua vor illustren Gästen erfolgreich über die Physik und die Analytica Posteriora des Aristoteles, wofür sie den Titel „Magistra et Doctrix Philosophiae“ erhielt. Unter anderem wurde sie in die Paduaner Accademia Galileiana aufgenommen; vgl. Patrizia Carrano, Illuminata. La storia di Elena Lucrezia Cornaro, prima donna laureata nel mondo, Milano 2000. 9 Zur Thematik und Tradition der Conversations vgl. Franziska Meier, Baldassare Castiglione und Madeleine de Scud8ry oder das Verhaltenskonzept der Galanterie im Vergleich mit dem idealen Hofmann, in: Ruth Florack, Rüdiger Singer (Hg.), Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit, Berlin, Boston 2012, 149–175; zur Bedeutung der Scud8ry für die Modellierung der Galanterie als Ethik und Ästhetik vgl. Jörn Steigerwald, Affekt-Erzählungen. Die galanten Novellen Scud8rys und Villedieus, in: ebd., 179–197. Grundlegend zur Scud8ry Renate Kroll, Femme poHte. Madeleine de Scud8ry und die ,po8sie pr8cieuseR, Tübingen 1996. 8

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Die französische Salonliteratur war im Gottsched-Kreis nicht zuletzt durch Gottscheds Übersetzung von Bernard de Fontenelles Entretiens sur la pluralit8 des mondes (1686) eingeführt worden.10 Möglicherweise war es Zieglers Absicht, mit ihrem Übersetzungsprojekt Gottscheds Fontenelle-Adaptation ein feminines Pendant an die Seite zu stellen. Die Gesellschaft, vor allem ihr Vorsitzender Gottsched, war jedenfalls zufrieden mit ihrem ersten weiblichen Mitglied. Mehrfach sollte Ziegler in den folgenden Jahren mit dem Preis der Poesie ausgezeichnet werden. Den Vergleich mit der französischen SalonniHre zogen die Zeitgenossen bald: Ein Kupferstich von Georg Daniel Heumann (siehe folgende Seite) zeigt ihr Bildnis, umgeben von Allegorien der Poesie, Beredsamkeit und Philosophie, mit der Unterschrift: „Hier ist das Ebenbild der deutschen Scudery“. * Christiana Mariana von Ziegler stammte aus einer nobilitierten Juristenfamilie.11 Ihr Vater, Franz Conrad Romanus, erlangte das Bürgermeisteramt, wurde jedoch nach einem Betrugsprozess inhaftiert. Die Angelegenheit wurde nie durch einen Gerichtsprozess abschließend geklärt; Romanus starb erst 1746 als politischer Häftling auf der Festung Königstein. Die restliche Familie musste das vornehme Renaissancepalais im Stadtzentrum verlassen. 1711 heiratete die 16-jährige Christiana Mariana den adeligen Heinrich Levin von Könitz, Herr auf Arnstedt und Friedeburg im Mansfeldischen, der jedoch schon im Folgejahr verstarb. 1715 vermählte sich die junge Witwe und Mutter einer Tochter mit dem Offizier Georg Christoph von Ziegler, dem sie auf sein Gut Eckardtsleben bei Erfurt folgte. Eine zweite Tochter wurde geboren. Die Ehe scheint unglücklich verlaufen zu Astrid Dröse, Transkultureller Dialog und Genderpolitik. Gottsched übersetzt Fontenelles ,Entretiens sur la pluralit8 des mondesR, in: Christoph Strosetzki, Angela Schrott (Hg.), Gelungene Gespräche als Praxis der Gemeinschaftsbildung, Berlin, Boston 2020, 207–226. 11 Zu Ziegler liegt keine monographische Abhandlung vor; zu Leben und Werk im Überblick vgl. Barbara Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500 – 1800), Stuttgart 1987, bes. 259–277; vgl. auch Christiane Brokmann-Nooren, Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert. ,Gelehrtes FrauenzimmerR und ,gefällige GattinR, Oldenburg 1994, bes. 211–222; Anke Detken, Gekrönte Poetinnen. Gelegenheitsdichtung von Ziegler und Zäunemann, in: Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger, Jörg Wesche (Hg.), Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt, Tübingen 2004, 263–281; Katherine R. Goodman, Amazons and Apprentices. Women and the German Parnassus in the Early Enlightenment, Rochester, NY, Woodbridge 1999, 94–195; vgl. Susanne Schneider, Christiana Mariana von Ziegler (1695 – 1760), in: Kerstin Merkel, Heide Wunder (Hg.), Deutsche Frauen der frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen, Darmstadt 2000, 139–152; Cornelia Caroline Köhler, Frauengelehrsamkeit im Leipzig der Frühaufklärung. Möglichkeiten und Grenzen am Fallbeispiel des Schmähschriftenprozesses im Zusammenhang mit der Dichterkrönung Christiana Mariana von Zieglers, Leipzig 2007. 10

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sein; in den Quellen ist von Scheidung bzw. Scheidungsabsichten die Rede.12 Georg Christoph von Ziegler starb jedoch unerwartet 1722, die beiden kleinen Töchter, sechs und elf Jahre alt, fielen einer Krankheit zum Opfer. Christiana entschied sich für die Rückkehr nach Leipzig, erwarb von ihrem stattlichen Erbe das Elternhaus und organisierte hier, im sogenannten Romanushaus, fortan nach französischem Vorbild „einen mondänen Salon, in dem sich die intellektuelle Elite LeipAlbert Predeek, Ein vergessener Freund Gottscheds, in: Beiträge zur deutschen Bildungsgeschichte. Festschrift zur Zweihundertjahrfeier der Deutschen Gesellschaft in Leipzig 1727 – 1927, Leipzig 1927, 109–123, hier 121. 12

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zigs traf“.13 Die Gastgeberin verstand es, Kontakte zu knüpfen, geistreiche Konversationen zu führen und ihren gesellschaftlichen Einflussbereich systematisch auszubauen. Bei Zieglers Salon handelt es sich somit um eine Institution, die – wie die Salons im Frankreich des Ancien R8gime – für die „Interaktion in Oberschichten“ charakteristisch ist: Frauen, die in Paris „führend in den gesellschaftlichen Verkehr einbezogen“ sind, bestimmen „den Zugang zu ihrem Verkehrskreis, der wiederum weitere Kontakte vermittelt“.14 So war für Gottsched, der 1724 noch als Student aus Königsberg nach Leipzig gelangte, der ZieglerQsche Salon entscheidend, um im Kreis der Leipziger Funktionseliten zu reüssieren. Kurze Zeit später wurde er in Leipzig Professor und avancierte als scharfer Kunstrichter zu einer der bedeutendsten Figuren im deutschen Literaturbetrieb. Gottsched selbst war Befürworter der Frauenbildung und fand in Ziegler eine wichtige Mitstreiterin. Für die ambitionierte Ziegler eröffnete sich im Gegenzug die Möglichkeit, nach den vielen entbehrungsreichen, von Tod und Umzügen geprägten Jahren Anerkennung als femme de lettres und dame savante zu erlangen. Man hat hier also den sozialhistorisch interessanten Fall, dass kein asymmetrisches Geschlechterverhältnis vorliegt, in dem Sinne, dass eine bürgerliche Frau die Beihilfe eines männlichen Mentors (Gottsched) bräuchte, um eine bestimmte ,agencyR zu entfalten. Vielmehr beruht das Verhältnis zwischen der finanziell unabhängigen Witwe Ziegler und Gottsched auf gegenseitiger Unterstützung und Interaktion auf Augenhöhe. Dass Ziegler in dieser Beziehung auch eigenständige Positionen bezog, zeigt zum Beispiel ihr Eintreten für die Oper: Gottsched hatte in seiner Critischen Dichtkunst die Oper als Kunstform, die allen Prinzipien der Wahrscheinlichkeit widerspricht und somit auch moralisch verwerfliche sei, abgelehnt.15 Auch in seiner Zeitschrift Der Biedermann hatte er gefordert, dass die Oper „von rechtswegen gar nicht geduldet werden“ sollte.16 Demgegenüber betont Ziegler den eigenständigen Wert der Musik, der „Zaubersaal“ der Oper würde „eitel wollüstige Triebe“ nur bei „wächserne[n] Seelen“ hervorrufen, die „lasterhafte Gedanken Steffen Martus, Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild, Reinbek bei Hamburg 22018, 387. 14 Niklas Luhmann, Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt am Main 1980, 72–161, hier 99. 15 Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst, in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von P. M. Mitchell, Bd. 2, Berlin, New York 1973, 365. Ausführlich zu Gottscheds Opern-Kritik vgl. Bernhard Jahn, Die Sinne und die Oper. Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680 – 1740), Tübingen 2005, 176–198, bes. 184 f. 16 Der Biedermann, 95. Blatt, 28. Februar 1729, 179. Vgl. auch Jahn, Die Sinne und die Oper (wie Anm. 15), 18. 13

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bei Erblickung eines Frauenzimmers auf der Straße, oder wenn Sie selbige in Gesellschaft reden hören, so gut machen, als wenn Sie ein singendes Weibes-Bild auf dem Schauplatz erblicken und anhören“ (MVS 44 f.). Vernünftige Menschen hingegen erfreue vor allem die „gesetzte Musik“ (MVS 45). Die Oper selbst ist für Ziegler somit – im Rückgriff auf das Adiaphora-Argument – als Mittelding moralisch „indifferent“ (MVS 44). Dagegen bringe die Abschaffung der Oper den Menschen um ein emotionales Vergnügen. Ziegler war bereits 1728/1729 mit einem zweibändigen Versuch in Gebundener Schreib-Art literarisch hervorgetreten.17 Ihre Ambitionen, sich auch auf anderen Gebieten intellektuell zu betätigen, trieb sie in der Folgezeit voran. Bis zu ihrer dritten Ehe – 1741 heiratete sie den Professor der Rechte Wolf Balthasar Adolf von Steinwehr und folgte ihm nach Frankfurt an der Oder – war Christiana Mariana von Ziegler für rund zwei Jahrzehnte die vielleicht bemerkenswerteste Akteurin im Leipziger Kulturleben und eine produktive Autorin. Dass die „deutsche Scud8ry“18 die gesellschaftlichen und kulturellen Fäden Leipzigs in der Hand hielt, verdeutlicht nicht zuletzt die Tatsache, dass die beiden wohl bedeutendsten Kulturvertreter der Stadt mit ihr kooperierten: Neben Gottsched arbeitete sie mit Johann Sebastian Bach zusammen, der neun ihrer Kantaten vertonte.19 Ein Reisebericht des Gottsched-Freundes Christian Gabriel Fischer aus dem Jahr 1731 gewährt Einblicke in die Rituale des Romanushauses, in dem unter dem Mentorat Zieglers auch andere Teilnehmerinnen ihre Dichtung präsentieren konnten: Da der Wein zu Tische kam, ließen sich die poetischen Gesundheiten hören, da ein jeder mit Inventionibus certirete. Mad. Baudissen führte das Protokoll. Nach diesem beym Dessert, gaben Madames v. Zieglerin und Gleditschen, Herr Prof. Gottsched, Hr. Mag. May und Hr. Welck jeder zweymal 8 Reime zu Bourimees auff und verfertigte dieselben ex tempore […] Ich bewunderte die Fertigkeit und Einfälle dieser poetischen Gesellschaft, besonders an den Frauenzimmern, maßen beyde [Ziegler und Gleditsch] so artig ihre Gedancken zu rangiren und zu verknüpfen wußten, daß ein Mann nichts daran auszusetzen finden möchte. Mir konnte kein größeres Vergnügen begegnen als solche Christianen Marianen von Ziegler, Versuch in Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728; Christianen Marianen von Ziegler, In Gebundener Schreib-Art. Anderer und letzter Theil, Leipzig 1729. Vgl. hierzu Barbara Becker-Cantarino, Zum Stilwandel der Anthologie in der Frühaufklärung: Christiana Mariana von Zieglers „Versuch in gebundener Schreibart (1728/1729)“, in: Dirk Rose, Dirk Niefanger (Hg.), „Gesammlet und ans Licht gestellet“. Poesie, Theologie und Musik in Anthologien des frühen 18. JahrhundertsR, Hildesheim 2019, 120–144. 18 Vgl. Abb. 1: „Hier ist das Ebenbild der deutschen Scudery“. 19 Diese Gedichte, die Bach vertonte, befinden sich in Zieglers Versuch in Gebundener SchreibArt (wie Anm. 17), 243–248; vgl. Philipp Spitta, Mariane von Ziegler und Johann Sebastian Bach, in: ders., Zur Musik. 16 Aufsätze, Berlin 1892, 93–118; vgl. Sabine Ehrmann, Johann Sebastian Bachs Textdichterin Christiane Mariane von Ziegler, in: Beiträge zur Bachforschung 9–10 (1991), 261 – 268. 17

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muntere Köpfe zu sehen, wie sie sich untereinander raillireten und zu allerhand Einfällen ermunterten.20

1733 erreichte Zieglers Prominenz ihren Höhepunkt, was zugleich einen Skandal nach sich zog: Auf Bestreben Gottscheds war sie von der Universität Wittenberg (in Abwesenheit) zur Poeta laureata gekrönt worden. „Mit dieser bewussten Inszenierung der Ziegler als deutsche Dichterin förderte Gottsched sein Literaturprogramm und seine Deutsche Gesellschaft“,21 zugleich konnte durch die Promotion Zieglers ein eindrückliches und aufsehenerregendes Beispiel für den Erfolg seines Bildungskonzepts vorgeführt werden. Bald schon kursierten jedoch ehrenrührige Polemiken gegen die Geehrte. Ein aufwendiger Strafprozess am Leipziger Universitätsgericht wurde von offizieller Seite angestrebt.22 Die mit der Promotion zur lorbeergekrönten Dichterin – die als Äquivalent zu einer akademischen Promotion betrachtet werden konnte – einhergehenden Sonderrechte und Privilegien bedrohten offenbar in den Augen der Angreifer aus dem Universitätsmilieu die geschlossene Ordnung der männlichen Gelehrtengemeinschaft.23 Dass die Leipziger Universität diese Verunglimpfung der Würdenträgerin keinesfalls hinnahm, sondern aktiv gegen die Schmähungen vorging, zeugt nicht zuletzt von der Wertschätzung, die man Ziegler als Mitglied der Gelehrtenrepublik entgegenbrachte. * Ein Blick auf Zieglers Gesamtwerk zeigt, dass weibliche Autorschaft konstitutiver Bestandteil ihrer Poetik ist, Weiblichkeit wird immer wieder reflektiert und zum Ausgangspunkt ihres Schreibens gemacht. Die Rolle der Frau wird hier pragmatisch bewertet, Handlungsspielräume werden im Rahmen der bestehenden Sozial- und Geschlechterordnung ausgelotet. Dabei ist sie sich ihrer privilegierten Sonderstellung als wohlhabende Witwe durchaus bewusst. Um diese Schreibweise zu analysieren und zu charakterisieren, schlage ich als Alternative zu forschungsgeschichtlich belasteten Termini wie dem dekonstruktivistischen Konzept der ,8criture f8minineR24 als heuristischen Analysebegriff ,GynopoetikR Zitiert nach Döring, Geschichte der Deutschen Gesellschaft (wie Anm. 2), 203. Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit (wie Anm. 11), 264. 22 Ausführlich dokumentiert bei Köhler, Frauengelehrsamkeit (wie Anm. 11). 23 Vgl. Martus, Aufklärung (wie Anm. 13), 391 f. 24 Die psychoanalytisch inspirierte Vorstellung einer ,8criture f8minineR geht von einer Repräsentation des Weiblichen im Text aus. Dieses Einschreiben des weiblichen Körpers in den Text zersetze das logozentrische bzw. phallogozentrische Denken. Zur Kritik vgl. beispielsweise Ingeborg Weber, Weiblichkeit und Weibliches Schreiben. Poststrukturalismus, weibliche Ästhetik, kulturelles Selbstverständnis, Darmstadt 1994, 198 ff.: Weber wirft H8lHne Cixous, die den Begriff der ,8criture f8minineR prägte, „gynozentrische[n] Feminismus“ vor. Mit dem Konzept der ,8criture 20

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vor. Gynopoetik manifestiert sich (bei Ziegler) auf vier Ebenen: erstens auf thematischer Ebene, beispielsweise in der Wahl bestimmter Sujets, die weiblich konnotiert sind bzw. der realen oder auch imaginären weiblichen Lebenswelt entsprechen (wie Ehe, Kindererziehung, Musik, aber auch Bildung und Lektüre). Zweitens ist die Ebene der Darstellung für Texte, die einer Gynopoetik folgen, von Bedeutung, z. B. durch Rückgriff auf bestimmte Gattungen und Traditionen (wie weiblicher Petrarkismus, geistliche Lyrik oder Heroidenbriefe). Adressatenkreis, Publikationskontext und Rezeption bilden eine dritte gynopoetische Untersuchungsebene. So adressiert Ziegler zwar die gesamte literarische Öffentlichkeit, doch gerade Texte mit emanzipatorischem Apell, wie generell solche, die in Zeitschriften erscheinen, richten sich vor allem an weibliche Rezipienten, die sie auch als solche explizit anspricht („Meine Leserinnen“, MVS 148). Als vierte Ebene ist die ,PoesisR der Frau durch Schreiben und Bildung, also der Erziehungsaspekt, zu berücksichtigen. II. Gynopoetik – Send-Schreiben und Lyrik Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, Zieglers Gesamtwerk im Einzelnen vorzustellen. Daher konzentriere ich mich auf exemplarische Texte aus zwei Sammlungen: 1731 erschienen die Moralischen und vermischten Send-Schreiben. An einige Ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet. Es handelt sich um eine Sammlung von 100 im essayistischen Stil verfassten Briefen. 54 richten sich an Frauen, 46 an Männer. Die adeligen und bürgerlichen Empfänger und Empfängerinnen bleiben anonym oder erhalten bukolische Decknamen. Das Vorwort betont, dass die Briefe authentisch seien, jedoch für die Publikation bearbeitet wurden. Die epistolare Gestaltung aktualisiert eine verbreitete literarische Darstellungsform des 18. Jahrhunderts, die aber zugleich auf den Sitz im Leben dieser Texte verweist: Als „Form des ,geselligen BetragensR (Schleiermacher)“ wurde der Brief im 18. Jahrhundert „zum Medium der modernen Konversationskultur f8minineR verfalle Cixous in „biologischen Essentialismus“; die Folge sei „Sexismus mit umgekehrten Vorzeichen“ (ebd., 200). Auf diese Debatten kann hier nicht näher eingegangen werden. (Biologischer) Essentialismus wird durch die Beschreibungskategorie ,GynopoetikR strikt vermieden, da sie Aspekte weiblichen Schreibens konsequent im soziologischen bzw. sozialgeschichtlichen Kontext betrachtet. Zur Frage einer weiblichen ,SonderanthropologieR und einer weiblichen ,SonderästhetikR vgl. Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib 1750 – 1850, Frankfurt am Main 1991. Um diese Problembereiche weiter zu diskutieren, fehlen für das 18. Jahrhundert aus der Perspektive einer neuen, (sozial-)historischen Gender-Forschung jedoch noch exemplarische Studien. Zuletzt: Claudia Opitz, Aufklärung der Geschlechter. Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Berlin, Münster 2002; Sabine Koloch (Hg.), Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2010; Ellen Pollak, A Cultural History of Women in the Age of Enlightenment, London 2016.

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der gebildeten Stände“.25 Zugleich ermöglichten Briefe als literarische und essayistische Gattung gerade Frauen „den Einstieg in die originäre, literarische Produktion“.26 Selbstbewusst betont Ziegler in der Vorrede der Send-Schreiben, dass bislang „noch kein eintziges deutsches Frauenzimmer mit dergleichen SchreibArt auf den Schauplatz der Welt getreten“ sei.27 Orientierung bieten ihr die moralischen Briefe der Marquise de Lambert (1647 – 1733), die sich unter anderem mit Erziehungsfragen befassen. Doch als direkte Nachahmung der französischen Vorlage, die ihr zu verkünstelt erscheint, versteht Ziegler ihre Send-Schreiben nicht; vielmehr wird die ,NatürlichkeitR des Deutschen hervorgehoben. Bewunderung für die fortschrittliche Kultur Frankreichs verbindet sich bei Ziegler ganz im Sinne der GottschedQschen Sprachpolitik mit kulturpatriotischen Ambitionen. In den einzelnen Briefen tritt Ziegler als Ratgeberin und Vertraute, als Gesellschafts- oder Kunstkritikerin auf. Im Zentrum stehen traditionell weiblich konnotierte Themen: Erziehung, Ehe, aber auch ästhetische und gesellschaftliche Fragen. In einigen Briefen manifestiert sich eine weibliche Spielart des zeitgenössischen (männlichen) Freundschaftskults.28 So ist das bevorstehende Wiedersehen mit einer befreundeten Landadeligen Gegenstand eines Sendschreibens: „[A]ls ein paar in Wachs possierte Liebchen“, die „in einem Schneckenhaus einander umhälsen, und ihrer Treu und Liebe stilleschweigend versichern“ (MVS 68) imaginiert die Briefverfasserin das künftige Beisammensein. An anderer Stelle berät sie junge Frauen in Heiratsfragen und erteilt Lektüreempfehlungen (vgl. MVS 35). Auch ihren sozialen Status als Witwe thematisiert Ziegler immer wieder. Auf die Avancen, die ihr ein Freund im Auftrag eines Dritten macht, reagiert sie eindeutig: Zwar beabsichtige sie nicht prinzipiell aus dem „Witwenstande ein sonderbares Heiligtum zu machen“ (MVS 95), eine erneute Verehelichung lehne sie jedoch ab. Durch diesen Zustand habe sie

Gideon Stiening, Robert Vellusig, Poetik des Briefromans. Wissens- und mediengeschichtliche Perspektive, in: dies. (Hg.), Poetik des Briefromans. Wissens- und mediengeschichtliche Studien, Berlin, Boston 2012, 3–20, hier 13. Vgl. auch Robert Vellusig, Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert, Wien, Köln, Weimar 2000. 26 Barbara Becker-Cantarino, Leben als Text – Briefe als Ausdrucks- und Verständigungsmittel in der Briefkultur und Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Hiltrud Gnüg, Renate Mohrmann (Hg.), Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1999, 129–146, hier 130. 27 Christianen Marianen von Ziegler, Moralische und vermischte Send-Schreiben. An einige Ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731, unpag. Vorbericht. 28 Zum Freundschaftsverständnis der Aufklärung vgl. Eckhardt Meyer-Krentler, Der Bürger als Freund. Ein sozialethisches Programm und seine Kritik in der neueren deutschen Erzählliteratur, München 1984; zum weiblichen Freundschaftsdiskurs vgl. Barbara Becker-Cantarino, ,A Letter to a FriendR. Freundschaft und Briefroman in England, in: Stiening, Vellusig (Hg.), Poetik des Briefromans (wie Anm. 25), 21–34. 25

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wiederum das vorige Bürgerecht der Freiheit erkauft, ich bin mein eigener Herr, und habe nicht Ursache anderer Befehl mich zu unterwerfen. Mein Herr, Sie erwägen nur dies einzige Wort: Freiheit, selber bei sich. Dieser gleicht kein Gold. Einem Vogel, der sich außer dem Käfig befindet, schmeckt ein in der freien Luft und Felde gefundenes Körnlein viel süßer und schmackbarer, als wenn er in dem Gebauer mit Zuckerbrot gespeist wird. (MVS 96)

Andererseits sei sie als Witwe auch besonders den „Vorurteile[n] der Welt“ ausgesetzt, denn man „sieht alle Sonnenstäubchen auf unseren Kleidern mit Vergrößerungsgläsern an“ (MVS 76). Die Einladung eines Verehrers schlägt sie daher aus, um üble Nachrede zu vermeiden. Trotz der inhaltlichen Vielfalt lässt sich ein thematischer Dreh- und Angelpunkt der Send-Schreiben bestimmen: Die Bildung der Frau. Die meisten Briefe haben direkt oder indirekt mit Fragen der weiblichen Aufklärung durch Studium und Lektüre zu tun. Oft fällt Zieglers Antwort auf die verunsicherten weiblichen und männlichen Briefpartner dabei sehr direkt aus: Die Schwierigkeit, so man Ihnen hierinnen machen will, rührt wohl am meisten von dem männlichen Geschlecht her, dieses will immer etwas Besonderes für sich alleine behalten, und sieht gar nicht gerne, wenn ihnen das weibliche Geschlecht nachklettern will; ihr vermeintes Vorrecht, welches sie vor uns zu behaupten suchen, wirkt als eine heimliche Eifersucht. (MVS 10)

Warum, fragt Ziegler, soll eine junge Frau nicht „denjenigen Vorteil erhalten, den das männliche Geschlecht erlangt?“ (MVS 10). Schließlich würden „Verstand und Vernunft […] unter beiderlei Geschlechtern von der Natur ausgeteilt, und das Gedächtnis wird uns zur Mitgift von ihr mit angerechnet“ (MVS 11). Debatten um die Gleichwertigkeit der Geschlechter, die in Frankreich durch cartesianische Schriften wie Poullain de la Barres De lQEgalit8 des deux sexes (1673) und De lQ8ducation des dames (1674) geführt wurden,29 waren auch im Leipzig der Frühaufklärung präsent. Als Juristentochter und aufmerksame Beobachterin der Querelle des femmes war Ziegler hier auf dem neuesten Stand der Diskussion. Zum Beweis der weiblichen Verstandeskraft führt sie Beispiele aus der europäischen Geschichte an: Anna Maria von Schürmann (1607 – 1678), die niederländische Universalgelehrte, die bereits 1638 in ihrer Schrift De capacitate ingenii muliebris ad scientias (1638) für die wissenschaftliche Ausbildung von Frauen plädierVgl. Renate Kroll, ,Pgalit8R? Anmerkungen zur Gleichheit der Geschlechter bei den französischen Aufklärern, in: Hans-Joachim Lope (Hg.), Aufsätze zur Literaturgeschichte in Frankreich, Belgien und Spanien, Frankfurt am Main, New York 1985, 59–74. Kroll weist auch auf die (weiblichen) Vordenker Barres (wie Marie de Gournay, De lQ8galit8 des hommes et des femmes, 1626) hin. Vgl. Irmgard Hierdeis, ,Die Gleichheit der GeschlechterR und ,Die Erziehung der FrauenR bei Poullain de la Barre (1647 – 1723). Zur Modernität eines Vergessenen, Frankfurt am Main 1993; vgl. Ina Schabert, Aufklärung. Die intellektuelle Gleichheit der Geschlechter, in: dies., Englische Literaturgeschichte aus Sicht der Geschlechterforschung, Stuttgart 1997, 31–40. 29

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te, die französische Dichterin und Homer-Übersetzerin Anne LefHvre Dacier (1647 – 1720) und natürlich Madeleine de Scud8ry (1607 – 1701). Allein diese „drei gelehrten Heldinnen“ dürften „alle diejenigen Mannsbilder, die unser Geschlecht für untüchtig und ungeschickt erachten, in den Harnisch jagen“ (MVS 11). Zieglers Feminismus hat jedoch auch Grenzen. Stets wird betont, dass die primären Pflichten und Aufgaben der Frau als Ehefrau und Mutter bestehen blieben und durch Bildung keinesfalls beeinträchtigt würden. Das Gegenteil sei der Fall: Mit „Haushalten, Kinderziehen, und die Bedienten in Ordnung und Gehorsam zu erhalten“ (MVS 153) sei der Tag nicht ausgefüllt und die meisten Frauen vertrödelten ihre freien Stunden mit Kosmetik und sonstigen äußeren Eitelkeiten. Weibliche Bildung ist also ein nützliches und vernünftiges Ziel, das sich gut mit Ehevorstellungen und Arbeitsethos des protestantischen Bürgertums verbinden ließ: Sollten mir nicht alle vernünftige Männer beipflichten, daß eine Frau, die Erkenntnis und Wissenschaft besitzt, weit fähiger sein müsse, einer Haushaltung vorzustehen, als diejenige, welche aus ihrem Selbstwuchs und ihrer eingebildeten Weisheit verheiratet wird, so will ich künftig schweigen, und die Wahrheit denken. (MVS 154)

Außerdem befähige profunde Bildung eine Frau, sich bei gesellschaftlichen Treffen gewandt an der Unterhaltung zu beteiligen, also „von gelehrten Moralisten oder anderen scharfsinnigen Weltweisen“ zu reden, anstatt von „Fleischtöpfen und Gesinde“ (MVS 12). Diese Passage ist bezeichnend für Zieglers Stil: Genderpolitische Programmatik wird mit rhetorischem Nachdruck als eine Art Plädoyer vorgetragen, was dann wiederum gleichsam abmildernd auf eine satirische Pointe zuläuft. Gleichzeitig wird einmal mehr die Perspektive deutlich, in der weibliche Bildung steht: Die Bildung der Frau kommt der Ehe und damit letztlich dem Mann zu Gute. Auch in ihrer Lyrik manifestiert sich Zieglers Gynopoetik, wie die Durchsicht der 1739 erschienenen Vermischten Schriften in gebundener und ungebundener Rede zeigt. Die Sammlung wird mit einer umfangreichen Sequenz von Gedichten eröffnet, die Regentinnen aus Geschichte, Gegenwart und Mythologie gewidmet sind. Programmatisch ist der beigegebene Kupferstich, der Minerva mit einer Eule zu ihren Füßen und inmitten einer Fülle von Messgeräten zeigt, die verschiedene Wissenschaften repräsentieren (Zirkel, Globus, optische Geräte etc.). Bereits die ersten beiden Gedichte, ein Epicedium und eine Lob-Ode, sind der 1737 verstorbenen englischen Königin Caroline aus dem Haus Brandenburg-Ansbach, der Gemahlin Georgs II., gewidmet – es handelt sich also um Casualia, die Ziegler vor der Publikation in der Lyriksammlung möglicherweise an das Fürstenhaus gesandt hatte. Die Königin galt bei den Zeitgenossen als umsichtige Politikerin und Förderin von Kunst und Wissenschaft, unter anderem korrespondierte

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sie mit Leibniz und Thomasius.30 Diese Aspekte greift Ziegler auf: die „Staatskunst klagt“ wegen des Verlusts der klugen Regentin, deren „weise[r] Rath“ geschätzt wurde, wenn sie „den schweren Scepter führte“.31 Und auch „die Wissenschaften“ würden bereits „zittern“ und „ihr seltnes Glück verschwinden“ sehen (VS 5). Ein anderes Gedicht („Ueber die von den Türken aus der Stadt Nicosia geraubete, und mit dem Schiff sich großmüthig in die Lufft sprengende Heldin und schöne Arnalda di Recas“, XXV. Ode, VS 106) greift eine überlieferte Episode aus dem Jahr 1570 auf: In einem Entscheidungsmonolog fasst das zypriotische Heldenmädchen Arnalda aus patriotischem Sinn den Beschluss, sich als eine Art zweite Lucretia für die eigene Ehre und die der Vaterstadt zu opfern. Zahlreiche weitere Gedichte, auch mit regionalem Schwerpunkt,32 folgen. Obgleich unter den folgenden Gedichten auch männliche Herrscher gerühmt werden, entsteht eine poetische Galerie von clarae mulieres. Hier konnte sich Ziegler an der von Giovanni Boccaccio begründeten humanistischen Tradition des Frauenlobs (De mulieribus claris, 1374) orientieren. Außerdem inspirierten sie vermutlich auch hier die Schriften der Mademoiselle de Scud8ry, die in ihrer Porträtsammlung Femmes illustres (1642/44) Heroinen des Altertums beschreibt und sich selbst insbesondere mit Sappho identifizierte.33 Daneben gibt es einen weiteren Komplex innerhalb der Sammlung, der im Zeichen von Zieglers Gynopoetik steht: Eine Folge von Heroidenbriefen, also fingierten Briefen bzw. Briefgedichten einer weiblichen Heldengestalt aus Mythos

Herrmann Dallhammer, [Art.] Karoline, Kurfürstin von Hannover, Königin von Großbritannien, geborene Markgräfin zu Brandenburg-Ansbach, in: NDB 11 (1977), 282 f. [Online-Version, URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11887036X.html#ndbcontent, abgerufen 18. 03. 2020]. 31 Christiana Mariana von Ziegler, Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, 5. Im Folgenden mit der Sigle VS zitiert. 32 Die meisten Oden sind Trostgedichte bzw. Epicedien, also Gelegenheitsgedichte. Offenbar wurde Ziegler im Umfeld des sächsischen Fürstenhauses und der Stadtelite gerne für solche Anlässe um Gedichte gebeten oder sie betrachtete es selbst als ihre Aufgabe, vor allem weibliche Personen mit ihrer Dichtung zu ehren (VII. Ode: „Auf das Absterben Ihrer Hochfürstl. Durchl. Frauen, Frauen Friderica Elisabeth, verwittweten Herzogin von Sachsen Weissenfels“ [VS 39–42]; VIII. Ode: „An Seine Hochwürden den Herrn Abt Mosheim, Bey dem höchstschmerzlichen Verlust seiner Liebsten“ [VS 43–46]; IX. Ode: „Was meiner – – – Fall für bittren Schmerz gestift, Entdecket dir allhier, mein Leser“ [VS 47–50], diese Schrift richtet sich an eine verstorbene Freundin [„Rahel“]; X. Ode: „Zum Troste des Kupferwolfischen Hauses über das Absterben der Frau von Unruh“ [VS 51 f.]; Geburtstags- bzw. Glückwunschgedicht auf eine „Geliebte Freundin“ [XXII. Ode, VS 97–100, hier 98]). 33 Kroll, Femme poHte (wie Anm. 9), 105 ff. 30

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oder Historie an eine abwesende, meist männliche Person.34 Archeget der Gattung ist Ovid mit seinen sogenannten Epistulae Heroidum. Die feministische Literaturwissenschaft hat für diese Gattung und Tradition immer wieder die „feminine voice in the male-authored text“, das cross-dressing des männlichen Autors und v. a. die weibliche literarische Stimme als autorunabhängige Sprechinstanz unterstrichen.35 Im Fall der ZieglerQschen Heroidenbriefe fallen Geschlecht von Autorin und Sprechinstanz (in den Briefen der weiblichen Figuren) zusammen; bisweilen kehrt sich das Geschlechterverhältnis sogar um, wenn Ziegler männliche Stimmen sprechen lässt. Bei allen Frauen handelt es sich der Tradition der Gattung entsprechend um tragische oder skandalöse Figuren, deren Perspektive eingenommen wird, die aber in einem männlichen Gegenbrief auch durch eine männliche Stimme kommentiert wird. Dadurch werden die Frauenfiguren aus Mythos und Geschichte für sittliche Vergehen keinesfalls entschuldigt, allenfalls erscheint ihre Situation durch den Perspektivwechsel vielschichtiger. Die moralische Verurteilung beispielsweise im Fall der untreuen Königin Maria Francisca Elisabeth von Savoyen oder der mythologischen Figur der Byblis, die ihren Bruder liebt, bleibt jedoch am Ende eindeutig.36 Neben der clarae-mulieres-Sektion, den Heroidenbriefen und der quantitativ dominierenden, topischen Schäferdichtung (auf die hier nicht näher eingegangen werden kann) ist schließlich eine dritte Spielart von Zieglers Gynopoetik erkennbar: Die Satiren, in denen die Autorin generell kräftige Hiebe gegen ihre Kritiker verteilt und ihre Freiheit als Dichterin und Sittenkritikerin verteidigt. In vielen Satiren greift sie Themen und Motive der Querelle des femmes auf. Der Ode „Das männliche Geschlechte, im Namen einiger Frauenzimmer besungen“ (XIV. Ode) ist sogar eine Melodie beigefügt, so dass man annehmen darf, dass diese Lieder generell bei geselligen Zusammenkünften im Romanus-Salon intoniert wurden (MVS 176–179). Die Ode „Lob des weiblichen Regimentes“ (XXXIV. Ode, MVS 182–194) beschreibt die Überlegenheit der Frauen als Regentinnen. In 44 Strophen werden wiederum Exempel aus Antike, Mythologie und der näheren und ferneren (Zeit-)Geschichte aufgeboten und kontrapunktisch mit der Aufzählung von gelehrten Frauen aller Zeiten verwoben. Accursia und Sappho, Cleopatra und Fulvia Heinrich Dörrie, Der heroische Brief. Bestandsaufnahme, Geschichte, Kritik einer humanistisch-barocken Literaturgattung, Berlin 1968. Vgl. Ralf Georg Czapla, Heroide, in: Klaus Weimar u. a. (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2: H–O, Berlin u. a. 2007, 39–41. 35 Efrossini Spentzou, Readers and Writers in OvidQs Heroides. Transgressions of Genre and Gender, Oxford 2003. 36 Auf den Liebesbrief der Byblis (VS 191–195) folgt CaunusQ Antwort: „Vermaledeyte Brunst! verfluchenswerthe Liebe, Entmenschte Buhlerinn! du Scheusal der Natur! Du hast, vom wildem Vieh gewiß dergleichen Triebe Erlernt und abgesehn“ (195). Vgl. die entsprechenden Passagen bei Ovid (Met. 9, 530–563) bzw. in Ovids 16. Heroidenbrief. 34

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– um wenige Beispiele zu nennen – repräsentieren die gelehrte Ancienne, für die femme moderne stehen Elisabeth von England, Margarete von Österreich, Maria deQ Medici, Christina von Schweden, Catharina von Russland, aber auch Autorinnen wie Roswitha von Gandersheim, Anna Maria von Schürmann und Madeleine de Scud8ry: „Was gibt Roswita sich, was Roscia für Müh? / Das ist die Schurmannin, und dies die Scud8ry“ (MVS 186). Als Quelle für solche Kataloge darf man Lexika wie Gottlieb Siegmund CorvinusQ Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon (Leipzig 1715) vermuten, das zu allen genannten Frauen Lemmata aufweist. Mit dem Verfasser war Ziegler persönlich bekannt. Die Gedichte der Sammlung muten bisweilen sogar wie ein poetisiertes Frauenzimmer-Lexikon an. Die Aufzählung läuft auf die poetologische Kernaussage hinaus, nämlich: Frauen können am besten von Frauen bedichtet werden; implizit wird damit das Gedicht damit zu einem Plädoyer für weibliche Solidarität zwischen Vertreterinnen von Politik und Kunst: So hoch ihr auf dem Thron, gekrönte Frauen, sitzt, Die Länder überseht, und in die Ferne blitzt, Wird euer Auge doch dahin nicht blicken können, Wo Famens lauter Ruf wird euren Namen nennen. (MVS 194)

Zieglers Gynopoetik zeigt sich in dieser Sammlung, das ließe sich an vielen weiteren Beispielen zeigen, somit auf zwei Ebenen: Zum einen stehen Frauen thematisch im Zentrum, zum anderen werden Traditionen (weiblicher Petrarkismus, Anakreontik, Schäferdichtung, Heroidenbriefe) aufgegriffen und variiert, die – oft in der Umkehrung der Muster bzw. im Anschluss an entsprechende Vorbilder (Scud8ry) – eine weibliche Stimme zu Wort kommen lassen. Die internationalen Tableaux von clarae mulieres sollen belegen, dass Frauen im Hinblick auf Politik, Gelehrsamkeit, Bildung und Poesie den Männern ebenbürtig sind. Sie dienen also der Apologie von Frauengelehrsamkeit, zugleich der Rechtfertigung der eigenen Ambitionen der Autorin und verbinden sich mit einem impliziten Appell an die Leserin, die Spielräume ihrer gesellschaftlichen Partizipation, insbesondere ihre Bildungsoptionen, auszuschöpfen. Auf ein Beispiel für dieses poetische role modelling möchte ich an dieser Stelle noch abschließend eingehen: Die XII. Ode „Als die gelehrte Laura Maria Catharina Bassi in Bologna den Doktorhut erhielt“ (MVS 171–175) nimmt Bezug auf ein Ereignis, das weit über die Grenzen Bolognas hinaus Furore gemacht hatte: Im April 1732 bestand Laura Bassi37 in einem großen öffentlichen Spektakel im RatZu Laura Bassi liegt eine Vielzahl von Studien vor, vgl. etwa Aula Findlen, Science as a Career in Enlightenment Italy. The Strategies of Laura Bassi, in: Isis 84 (1993), 441–469; Gabriella Berti Logan, The Desire to Contribute. An Eighteenth-Century Italian Woman of Science, in: The Ame37

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haus von Bologna erfolgreich eine zweistündige Disputatio und erhielt dafür den Doktortitel in Philosophie. Noch größer war die Sensation, als sie im Folgejahr als erste Frau Europas zur Professorin ernannt wurde. Gratulationsgedichte wurden aus ganz Europa gesandt.38 Zunächst publizierte Ziegler ihr Gedicht in den Leipziger Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen, die über das sensationelle Ereignis mehrfach informierten. Am 14. Juli 1732 berichtet der Italienkorrespondent: Bononien. Die gelehrte Laura Maria Catharina Baßi hat sich neulich in Begleitung zweyer der vornehmsten Damen und mit einem großen Gefolge von Carossen in das hiesige Philosophische Collegium begeben und mit gewöhnlichen Ceremonien den Doctor-Hut erhalten, wovor sie in einer vortrefflichen Rede ihre Dancksagung abgestattet.39

Einige Monate später heißt es erneut aus Bologna: Den verwichnen 10. September ist im hiesigen gesammten Rath beschlossen worden, der neuen Doctorin Laura Maria Baßi zu erlauben, daß sie öffentlich Collegia halten möge, davor sie eine jährliche Besoldung wird zu geniessen haben. Sie ist auch schon bereit in kurtzen die erste Lection zu halten, und es wird dabey der gantze Rath, nebst vielen ausländischen Herren, so wohl Adelichen, als Gelehrten, erscheinen.40

Ziegler hatte das Ereignis unmittelbar in einem Gedicht aufgegriffen, das sie im Kreis der ,Deutschen GesellschaftR vorgetragen und diskutiert hatte, bevor sie es Johann Gottlieb Kraus (1684 – 1736) für sein gelehrtes Wochenjournal zur Publikation im Juli 1732 übergab. Kraus war übrigens Mitglied der Leucorea, die im Folgejahr die Promotion Zieglers zur Poeta Laureata umsetzen sollte. Man sieht, wie die Fäden in diesem Journal zusammenlaufen. Ziegler nutzt in der Tradition des frühneuzeitlichen Zeitungsliedes das Medienereignis um Laura Bassi, um für ihre bildungspolitischen Ziele zu werben. Ein näherer Blick auf das Zeitgedicht zeigt die formale Gestaltung des 12-strophigen Gedichts als schlichte sangliche Ode; der Zehnzeiler steht in der Tradition des Lutherliedes (z. B. „Wir glauben all an einen Gott“).41 Zunächst kritisiert die Sprecherin ihre männlichen Dichterkollegen, die sich bislang nicht zu dem epochemachenden Ereignis mit Gratulationsgedichten geäußert hätten. Der große Erfolg der Wissenschaftlerin hemme die irrican Historical Review 99 (1994), 785–812; Marta Franceschini, Marta Cavazza, Laura Bassi. Minerva bolognese, Bologna 2011. 38 Die Biblioteca comunale dellQArchiginnasio bewahrt eine große Sammlung dieser Texte, unter denen sich auch viele aus Deutschland befinden. Eine Anfrage hat ergeben, dass sich jedoch das Gedicht von Ziegler nicht in den Bologneser Beständen befindet. Vgl. http://badigit.comune.bologna.it/fondi/fondi/FS_Bassi_Veratti.pdf, abgerufen 03. 09. 2019. 39 Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 14. Juli 1732, 491. 40 Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 20. November 1732, 827. 41 Vollkommen stimmt die metrische Gestaltung hier nicht überein (z. B. ist das Reimschema verschieden). Dennoch ist eine Affinität unverkennbar.

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ritierten Männer an „der trägen Pleiße“ (MVS 172) derart, dass sie dichterisch geradezu impotent würden: So still ihr Dichter unsrer Zeit! Seid ihr auf einmal stumm geworden? Klingt denn gar keine Flöte heut In eurem ganzem Musenorden? […] Dies wisst ihr längst, so gut als wir; Und dennoch stocken eure Flöten, Ihr werdet, hoff ich doch, vor ihr, Und ihren Lorbeern nicht erröten. (MVS 172 f.)

In einem zweiten Gedankengang wird auf die naturrechtlich begründete Egalität der Geschlechter Bezug genommen – also im Sinne der 8galit8 des deux sexes argumentiert. Die Trennung von res cogitans und res extensa implizierte bereits bei Descartes, dass die Vernunft indifferent bezüglich der beiden Geschlechter sei – ein Gedanke, der u. a. durch Thomasius in die deutschen Debatten eingegangen war.42 Überhaupt kann Leipzig als ein geistiges Zentrum Europas gelten, wo Grundsteine zur modernen Gleichberechtigung der Geschlechter gelegt wurden. Neben Christian Thomasius ist hier z. B. der Jurist Johannes Jacob von Ryssel (1627 – 1699) zu erwähnen. Ryssel plädierte in seiner Abhandlung über Völkerund Naturrecht (De iure naturae et gentium libri duo, Leipzig 1689) für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe; die Befehlsgewalt des Mannes über die Frau bestehe nicht von Natur aus, sie widerspreche sogar dem Gesetz über die wechselseitige Gleichheit. Von einem natürlichen Vorrang des männlichen Geschlechts könne nicht die Rede sein. Somit liegen Ryssels Thesen, so der Rechtshistoriker Arne Duncker, „weit näher an Art. 3 II GG43 […] als an I 1 § 24 ALR44“.45 Ziegler wird als Juristentochter die Debatten um den „f8minisme au masculin“46 gekannt und verfolgt haben. Emanzipatorische Kerngedanken im Zeichen

Zu diesen Kontexten vgl. Friedrich Vollhardt (Hg.): Christian Thomasius (1655 – 1728). Neue Forschungen im Kontext der Fru¨ haufklärung, Tu¨ bingen 1997. 43 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html, abgerufen 17. 03. 2020. 44 „Die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch besondre Gesetze, oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt worden.“ Zitiert nach Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700 – 1914, Köln, Weimar, Wien 2003, 268. 45 Ebd., 448. 46 Beno%te Groult, Le f8minisme au masculin. Utopie dQhier, r8alit8 dQaujourdQhui, Paris 1977, 21–41. Für die deutsche Übersetzung siehe Beno%te Groult, Gleiche unter Gleichen. Männer zur 42

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des aufgeklärten Naturrechts durchziehen generell ihr Œuvre und werden auch im Bassi-Gedicht aufgegriffen: Ja wohl, sie haben nichts voraus: Was fänden wir denn zu beneiden? Der Körper nur, das Seelenhaus, Kann uns von ihnen unterscheiden; Sagt, wie viel Sinne habet ihr? Zählt sie nur selbst: Nicht mehr, als wir. (MVS 173)

Ähnliche Gedanken werden in „Lob des weiblichen Regimentes“ artikuliert: Warum erhebet ihr doch jenes Volk so sehr? Ist hier ein Unterschied? was hat denn jenes mehr? Weiß die Natur mit dem, womit sich jene brüsten, Nicht dieses Volk so wohl, als jenes auszurüsten. (MVS 182)

Erst die letzten Strophen des Bassi-Gedichts richten sich direkt an die italienische Doktorin, um in einem Appell an die „welsche[n] Musen“ (MVS 175) zu münden. In der letzten Strophe wird ein klassizistisches tableau vivant evoziert: Laura Bassi auf ihrer cattedra umringt von den Musen, der Lehrmeisterin ehrfurchtsvoll lauschend. Sprachlich schimmern biblische Wendungen hindurch, die die formale Vorlage des Lutherliedes in den Anspielungshorizont heben („Wer Ohren hat, der öffne sie“, MVS 175). Wird hier das christliche Glaubensbekenntnis zum Wissenschafts-Credo? Es sei nur noch einmal in Erinnerung gerufen, dass im Romanushaus auch eifrig gesungen wurde. Es ist sehr gut vorstellbar, dass Ziegler selbst die Ode mit der Luther-Melodie vorgetragen hat. Die letzten Verse können auch als Aufruf an die deutsche Dichterin und die deutsche Zeitungsleserin verstanden werden. Schmückt ihren Lehrstuhl tief gebückt, Und setzet euch zu ihren Füßen, Der Weisheit Nectar höchst beglückt Von ihren Lippen zu genießen. Wer Ohren hat, der öffne sie; Und habt ihr einst durch Fleiß und Müh Minervens Heiligtum erstiegen; So sprecht: Der Bassi kluger Kiel, Der uns und aller Welt gefiel, Gab uns die Kraft dahin zu fliegen. (MVS 175)

Frauenfrage, übers. von Gabriele Krüger-Wirrer, München 1995. Vgl. zur Debatte auch Kroll, ,Pgalit8R? (wie Anm. 29), 28.

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III. Fazit Im Rahmen ihrer Möglichkeiten und der legitimierten Handlungsfelder einer Frau im frühen 18. Jahrhundert konnte Christiana Mariana von Ziegler ihre Spielräume ausnutzen. Sie erkannte, dass die neuen Medien – Zeitschriften – neue Optionen von Öffentlichkeit boten und sie adaptierte die französische Salonkultur, die sie als Raum der Interaktion und Netzwerkbildung zu nutzen verstand. Mit der Heirat des Juraprofessors Steinwehr und ihrem Wegzug aus Leipzig in die kleine preußische Universitäts- und Garnisonsstadt Frankfurt an der Oder enden Zieglers literarische und essayistische Tätigkeiten im Jahr 1741. Bis zu ihrem Tod 1760 scheint sie ihrem Ideal einer gebildeten Ehefrau, die „Erkenntnis und Wissenschaft besitzt“ und somit eine „Haushaltung“ (MVS 154) besonders qualifiziert ausführen kann, exakt entsprochen zu haben. Während der beiden produktiven und ereignisreichen Dekaden im Leipziger Aufklärungslaboratorium betrat sie selbstbewusst männliche Domänen und verschaffte sich als Gelehrte und Poetin Anerkennung. Ihr vehementes Eintreten für die Gleichwertigkeit der Geschlechter und die Bildung der Frau, für das sie auch Häme, Spott und ehrenrührige Schmähungen einstecken musste, macht sie zu einer Pionierin der europäischen Emanzipationsgeschichte. Im deutschen Kulturraum repräsentiert Ziegler einen neuen Frauentypus nach französischem Vorbild, der für die folgenden Generationen wegweisend wurde: die gelehrte Frau. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich Ziegler als eine bedeutende Vertreterin des europäischen Aufklärungsfeminismus bezeichnen.47 Dass ihr eigener Lebensentwurf durch ihren besonderen Status als finanziell und sozial unabhängige Witwe bedingt war, betont Ziegler selbst. So entwickelte sie Vorschläge zur Bildung bürgerlicher Ehefrauen und deren Töchter, in denen familiäre Pflichten mit individuellem Bildungsstreben in Einklang gebracht werden. Für ihren substantiellen Beitrag zur Querelle des femmes auf dem ,langen Weg zur MündigkeitR48 verdient sie noch immer Aufmerksamkeit. Autorinnen der folgenden Generation wie Sidonia Hedwig Zäunemann wird Ziegler zum nachahmenswerten, bewunderten Vorbild. Als Zäunemann 1738 zur poeta laureata gekrönt wird, betont sie dies in ihrer Dankesode an die Universität Göttingen ausdrücklich: Unter dem Begriff „Aufklärungsfeminismus“ lassen sich Positionen aus dem Kontext der Querelle des femmes fassen, die zwischen etwa 1620 und 1800 die Gleichwertigkeit der Geschlechter postulieren und davon ausgehend die Emanzipation, Partizipation und Bildung der Frau ins Zentrum der Argumentation stellen. Vgl. hierzu Astrid Dröse, Marisa Irawan, Deutscher Aufklärungsfeminismus im europäischen Kontext – Christiana Mariana von Zieglers „Moralische und Vermischte Sendschreiben“, in Marina Hertrampf (Hg.), Femmes de lettres. Wiederentdeckungen und Neulektüren europäischer Autorinnen des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin [erscheint Ende 2020]. 48 Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit (wie Anm. 11). 47

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Die Vorwelt hat so manches Weib Von hohen Gaben dargestellet, Das sich, o edler Zeit-Vertreib! Minervens Söhnen zugesellet. Geht! seht die kluge Laura an, Die man in Purpur schauen kan, Und die jetzt unsre Krone worden. Begebt euch nur nach Sachsen hin; Ziert nicht die muntre Zieglerin Den schön und Lorberreichen Orden? Ihr Vorbild hat mein Blut erhitzt, Die Feder in die Hand zu nehmen; Ihr Eifer hat mich unterstützt. Wie solt ich mich der Weisheit schämen? […]49

Eine historisch perspektivierte Gender- und Frauenforschung, die auch Aspekte wie Mediengeschichte und den europäischen Kulturtransfer ernst nimmt, findet in der Leipziger Autorin jedenfalls ein bemerkenswertes Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen des frühen ,AufklärungsfeminismusR, an dem sich erklären lässt, welche Ideen und Konzepte das Geschlechterverständnis moderner westlicher Gesellschaften prägen. Der Beitrag befasst sich mit Christiana Mariana von Ziegler (1695 – 1760), einer Vertreterin des europäischen Aufklärungsfeminismus. Als wohlhabende Witwe führte sie in ihrem Leipziger Wohnhaus einen musischen und intellektuellen Salon nach französischem Vorbild, in dem u. a. Gottsched und Johann Sebastian Bach verkehrten. Die gekrönte Poetin und Scud8ry-Übersetzerin tritt in ihren Schriften vehement für die 8galit8 des sexes ein. Dabei ist weibliche Autorschaft, so die These des Beitrags, konstitutiver Bestand ihrer Poetik: Weiblichkeit wird in Zieglers Lyrik und Essays immer wieder reflektiert und zum Ausgangspunkt ihres Schreibens gemacht. Um diese Schreibweise zu charakterisieren, wird als Alternative zum umstrittenen Konzept der ,8criture f8minineR der heuristische Analysebegriff ,GynopoetikR vorgeschlagen. The article deals with Christiana Mariana von Ziegler (1695 – 1760), a representative of European feminism of the Enlightenment period. As a wealthy widow, she ran an artistic and intellectual salon in her Leipzig palace based on the French model, which Johann Christoph Gottsched and Johann Sebastian Bach, among others, frequented. Ziegler, a celebrated poet and Scud8ry translator, vehemently advocates the 8galit8 des sexes in her writings. The article argues that female authorship is a constitutive element of her poetics. Femininity is reflected again and again in ZieglerQs poetry and essays. Ziegler explores female

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Sidonia Hedwig Zäunemann, Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, 635; Hvhg. A.D.

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agency within the existing social and gender order. As an alternative to controversial terms such as CixousQ concept of 8criture f8minine, I propose a new heuristic term: gynopoetics. Dr. Astrid Dröse, Eberhard Karls Universität Tübingen, Deutsches Seminar, Wilhelmstraße 50, D-72074 Tübingen, Email: [email protected]

Lily Tonger-Erk Sieg der Beredsamkeit: Luise Gottsched als Rhetorikerin

Luise Adelgunde Victorie Gottsched, geb. Kulmus (1713–1762) erhält bereits zu Lebzeiten ein „Lob […], von welchem gantz Europa spricht“:1 als Übersetzerin, Schriftstellerin und Gelehrte. So nimmt es nicht Wunder, dass ihr umfangreiches Schaffen von der literaturwissenschaftlichen Forschung breiter rezipiert wurde, als das jeder anderen deutschsprachigen Schriftstellerin der Aufklärung: und zwar insbesondere von der feministischen Literaturwissenschaft, die Luise Gottscheds Dramen und Briefe seit den 1980er Jahren „gerade durch und mit der Frauenbewegung“ in Deutschland, Amerika und Kanada untersucht hat.2 Allerdings deckt sich die Erwartung (vielleicht sogar der Wunsch), in Luise Gottscheds Schreiben eine emanzipatorische, ja feministische Haltung zu entdecken, nicht durchgehend mit dem historischen Befund: Dass Luise Gottsched die aufJohann Christoph Schwarz, Schuldiges Ehrenmahl bey der Gruft der Hoch-Edelgebohrnen, Tugendreichen und gelehrten Frauen, Luise Adelgunda Victoria Gottschedinn, deren Geist sich den 26. Junii 1762 zu den Geistern der vollkommenen Gerechten empor schwung, Mannheim 1762, unpag. 2 Auf die feministische Forschungsgeschichte verweisen Gabriele Ball, Helga Brandes und Katherine R. Goodman, vgl. dies., Vorwort, in: dies. (Hg.), Diskurse der Aufklärung. Luise Adelgunde Victorie und Johann Christoph Gottsched, Wiesbaden 2006, 7–12, hier 8. Richtungsweisend für die feministische Forschung waren Ruth H. Sanders, Ein kleiner Umweg. Das literarische Schaffen der Luise Gottsched, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation bis zur Romantik, Bonn 1980, 170–194; Jeannine Blackwell, Weibliche Gelehrsamkeit oder die Grenzen der Toleranz. Die Fälle Karsch, Naubert und Gottsched, in: Peter Freimark, Franklin Kopitzsch, Helga Slessarev (Hg.), Lessing und die Toleranz. Beiträge der vierten internationalen Konferenz der Lessing Society in Hamburg Juni 1985. Sonderband zum Lessing Yearbook, Detroit, München 1986, 325–339; Barbara Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500–1800), Stuttgart 1987, 259–287; Magdalene Heuser, Das Musenchor mit neuer Ehre zieren. Schriftstellerinnen zur Zeit der Frühaufklärung, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, 294–313; Katherine R. Goodman, Klein Paris and WomenQs Writing. Luise GottschedQs unknown ,ComplaintsR, in: Daphnis 25 (1996), 695–711; Susanne Kord, Little Detours. The Letters and Plays of Luise Gottsched (1713–1762), Rochester, NY 2000. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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klärerische Idee von Freiheit und Gleichheit aller Menschen mit der traditionellen Rolle der Frau zu verbinden sucht und dabei widersprüchliche Positionen vertritt, wurde vielfach bemerkt. So hält Inka Kording fest: Louise Gottsched sucht das Ideal ihrer Zeit, die Gleichheit aller Menschen und das Glücksversprechen der Aufklärung, demnach der Mensch nur tugendhaft sein müsse, um glückselig zu werden, mit der überkommenen Rolle der Frau zu verbinden. Sie wollte in und mit ihrem Leben Harmonie stiften zwischen Freiheit und Einschränkung, zwischen Gleichheit und Unterordnung, zwischen Erneuerung und Tradition.3

Mein Beitrag spürt dieser ambivalenten Haltung von Luise Gottsched auf dem Feld der Rhetorik nach. Obwohl die Rhetorik bis ins 18. Jahrhundert als unbestrittene regina artis gilt, sind Luise Gottscheds Publikationen in diesem – von allen Wissenschaften und Künsten wohl am stärksten männlich konnotierten Bereich – bislang von der Forschung wenig wahrgenommen worden. Dabei impliziert schon die Wahl der Rhetorik als Betätigungsfeld eine insofern als feministisch zu bezeichnende Handlung, als sich Luise Gottsched damit von der Vormundschaft ihres Verlobten, Johann Christoph Gottsched, emanzipiert und zugleich mit ihren Kenntnissen auf just dem Wissensgebiet konkurriert, auf dem jener als außerordentlicher Professor für Poesie und Beredsamkeit in Leipzig seit 1730 tätig ist. Das erste Übersetzungsprojekt, das Luise Gottsched nicht auf Anraten von Johann Christoph Gottsched, sondern sogar gegen dessen expliziten Willen auswählt, trägt den Titel Der Sieg der Beredsamkeit, aus dem Französischen der Frau von Gomez (Leipzig 1735). Darin liefern sich vier griechische Redner einen fiktiven Redewettstreit, ob der Weltweisheit, Geschichtslehre, Dichtkunst oder Beredsamkeit der Vorzug zu geben sei. Luise Gottsched greift dieses Format des Redewettstreits wenige Jahre später erneut auf und verfasst – im Sinne einer aemulatio – selbst vier fiktive Reden römischer Redner, die nun den Triumph der Weltweisheit (Leipzig 1739) verkünden. Übersetzungen, das hat Hilary Brown in ihrer Monographie über Luise Gottsched the Translator gezeigt, sind im 18. Jahrhundert nicht etwa als spezifisch weibliche, marginale, abgeleitete und lediglich co-literarische Produktionen zu verstehen.4 Damit widerlegt Brown ein Urteil über den (Un-)Wert von Übersetzungen, das durch den Originalitätskult der Nach-GottschedQschen Zeit geprägt ist. Vielmehr betont Brown die eminente Relevanz von Übersetzungen im Europa der Aufklärung: als Form der aktiven Auseinandersetzung mit anderen Sprachen und Kulturen, als Mittel eines Kulturtransfers und als Popularisierungsinstrument

Inka Kording, Einleitung, in: dies. (Hg.), Louise Gottsched – „mit der Feder in der Hand“. Briefe aus den Jahren 1730 – 1762, Darmstadt 1999, 1–15, hier 3. 4 Hilary Brown, Luise Gottsched the Translator, Rochester, NY 2012. 3

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der Aufklärungsideen.5 Brown beobachtet, dass bürgerliche Frauen die Übersetzungstätigkeit als niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeit in den literarischen Markt nutzen, betont allerdings, dass diese keineswegs in einer unsichtbaren Mediatorenrolle verharren: „Women are shown engaging with or manipulating other peopleQs texts as a way of asserting their own agency, be it through their choice of authors, their methods of presentation (dedication, prefaces, notes) or their interventions into the source material“.6 Selektion – Präsentation – Intervention: Diese Analysekriterien für Übersetzungen lassen sich auch für Luise Gottscheds rhetorische Schriften fruchtbar machen, die nicht in den Fokus von Hilary Brown geraten, um sie auf ihren feministischen Beitrag hin zu überprüfen.7 Denn gerade in Bezug auf ihre rhetorischen Schriften wird Luise Gottscheds autonome Auswahl des Themas signifikant, ihre Selbstpräsentation zum rhetorischen Akt der Selbstermächtigung und ihre von der Tradition abweichende Intervention als originäre weibliche Einschreibung die Rhetorikgeschichte lesbar. Es ist, so werde ich zunächst vor dem Hintergrund der Rhetorikgeschichte (I.) zeigen, nicht nur überaus progressiv, dass sich Luise Gottsched dieses rhetorischen Formats bemächtigt (II. Selektion), gilt doch der Redewettstreit seit der Antike als männlich codierte, agonale und politische Technik der Wahrheitsfindung. Darüber hinaus ist es ebenso bemerkenswert, wie sie dies tut (III. Präsentation). Eine besondere Rolle spielen dabei die Paratexte wie Widmungen und Vorreden, in denen Luise Gottsched als Übersetzerin bzw. Autorin sichtbar wird, während die Reden in antiker Tradition auf männliche Redner und männliches Publikum beschränkt bleiben. Nicht zuletzt entwickelt Luise Gottsched das rhetorische Format weiter und setzt entgegen der historischen Tradition im Triumph der Weltweisheit eigene Akzente (IV. Intervention). Die schriftliche rhetorische Performanz ist wiederum vor dem Hintergrund der Begrenzungen mündlicher Wortergreifung von Frauen zu sehen (V. Regression). Während Luise Gottsched als Rhetorikerin schriftlich ,in Erscheinung trittR, scheint sie einen körperlichen Redeauftritt – beispielsweise in der ,Deutschen GesellschaftR – zu scheuen und damit hinter die feministischen Forderungen ihrer Zeit zurückzufallen. Zum Schluss (VI.) gilt es, diese Ambivalenz zwischen Luise Gottscheds emanzipiertem schriftlichen Auftreten als Rhetorikerin und ihrer scheinbar conZu Luise Gottscheds Übersetzungen als Popularisierung der Aufklärung vgl. Marie-H8lHne Qu8val, Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Philosophie und Religion, in: Sabine Koloch (Hg.), Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2010, 187–18, insb. 203 ff.; Hilary Brown, Luise Gottsched and the Reception of French Enlightenment Literature in Germany, in: Gillian E. Dow (Hg.), Translators, Interpreters, Mediators. Women Writers 1700–1900, Oxford u. a. 2007, 21–36. 6 Brown, Luise Gottsched the Translator (wie Anm. 4), 10. 7 Brown erwähnt die Gomez-Übersetzung nur an drei knappen Stellen ihrer umfangreichen Publikation, vgl. ebd., 35, 38, 192. 5

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tra-feministischen Ablehnung von weiblicher Wortergreifung in mündlichen, öffentlichen Redesituationen zu reflektieren.

I. Rhetorik im 18. Jahrhundert: eine „ernstliche, männliche und philosophische Kunst“ Bevor ich auf Luise Gottscheds rhetorische Schriften zu sprechen komme, möchte ich den diskursiven Hintergrund der Rhetorik in Bezug auf Geschlecht im 18. Jahrhundert skizzieren.8 Dass die Rhetorik, wie sie sich in der Antike formiert und am Beginn der Frühen Neuzeit wiederentdeckt wird, den gesamten Bereich der Bildung und des Wissens prägt, ja zur „beherrschenden Bildungsmacht“ Europas avanciert, ist bekannt.9 Dabei werden die geschlechtlichen Codierungen weiter transportiert, welche die Rhetorik selbst als ,männliche KunstR darstellen und insbesondere das Rednerideal betreffen. Seit der Antike wird der ideale Redner explizit männlich entworfen: „Orator est, Marce fili, vir bonus dicendi peritus“.10 Catos wirkmächtige Definition zwingt geradezu zu einer geschlechtsdifferenzierten Wahrnehmung des Redners: Der vir bonus zeichnet sich nicht nur durch seine umfassende allgemeine und rhetorische Bildung, seine staatsbürgerliche Aktivität und seine ethisch-moralische Integrität aus, sondern auch durch seine Männlichkeit. Die Differenzkategorie ,WeiblichkeitR wird in den alten Rhetoriken nur bemüht, um einen ,gutenR, dezidiert männlichen Redeauftritt von einer unangemessen effeminierten, überbordenden oder weichlichen rhetorischen Performanz zu unterscheiden und letztere zu verwerfen. Frauen sind in der Antike ebenso wie Kinder und Sklaven als rhetorische Subjekte undenkbar. In den kanonischen Rhetoriken von Aristoteles, Quintilian oder Cicero findet dementsprechend – mit der einzigen kurzen Ausnahme Hortensias bei Quintilian11 – keine einzige Rednerin Erwähnung. Umso mehr mag es überraschen, dass in einem sogenannten FrauenzimmerLexikon von 1631 behauptet wird, Hortensia habe selbst den besten Redner der Antike, Demosthenes, übertroffen. Diese Gattung bio-bibliographischer Lexika, Dabei beziehe ich mich auf die Forschungsergebnisse, die ich im Rahmen meiner Dissertation publiziert habe, vgl. Lily Tonger-Erk, Actio. Körper und Geschlecht in der Rhetoriklehre, Berlin, New York 2012; vgl. auch dies., Exempla. Zur Figur der Rednerin in der Frühaufklärung, in: Daniel Fulda, Frauke Berndt (Hg.), Die Sachen der Aufklärung, Hamburg 2012, 147–154. Zum Stand der gender-orientierten Rhetorikforschung vgl. Lily Tonger-Erk, Rhetorik und Gender Studies, in: Ulla Fix, Andreas Gardt, Joachim Knape (Hg.), Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung, Berlin, New York 2008, 880–894. 9 Clemens Ottmers, Rhetorik, Stuttgart, Weimar 1996, 4. 10 Cato Ad M. fil. F. 14. 11 Quint. Inst. or. I, 1, 6. 8

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die – oftmals im nationalen Überbietungsmodus – darauf abzielen, die intellektuelle Befähigung der Frau durch die Aufzählung einer Vielzahl gelehrter weiblicher Exempla zu belegen, blüht in der Frühaufklärung in ganz Europa auf.12 Johann Frawenlob schreibt in Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber: Hortensia „hat es in der Wohlredenheit dem Demostheni zuvor gethan“.13 Wenn auch die späteren Frauenzimmer-Lexika dieses höchste Lob als eine „Schmeicheley“ anzweifeln, ist doch signifikant, dass verschiedene Enzyklopädien des frühen 18. Jahrhunderts überhaupt diskutieren, dass eine Frau den berühmtesten Redner überflügelt haben könnte.14 Für eine historisch kurze Spanne in der Frühaufklärung wird die Frau als Rednerin intelligibel. Doch das solchermaßen erstmals gesammelte und zur Sprache gebrachte Wissen um die Existenz von Rednerinnen geht in keiner Weise in ,die RhetorikR ein: weder in das proklamierte Redner-Ideal, noch in das Gendering der Rede selbst. Zum Gegenstand des Diskurses wird die Rednerin nicht in den Institutionen der Rhetorik – in Redeschulen, Universitäten, Rednergesellschaften oder Rhetoriken –, sondern im Rahmen einer Debatte über den Wert und den Unwert der Frau, der Querelle des femmes, zu der die Frauenzimmer-Lexika beitragen.15 Auf die nationale Konkurrenz ebenso wie die transnationale Einflussnahme der Frauenzimmer-Lexika in der Nachfolge von Boccaccios De mulieribus claris (1361–1374) macht Hilde Hoogenboom aufmerksam, die damit zugleich die geographische und zeitliche Beschränkung der Querelle des femmes auf Frankreich und England ab 1700 kritisiert, vgl. Hilde Hoogenboom, The Community of Letters and the Nation State. Bio-Bibliographic Compilations as a Transnational Genre around 1700, in: Amelia Sanz, Francesca Scott, Suzan van Dijk (Hg.), Women Telling Nations, Amsterdam 2014, 273–292. 13 Johann Frawenlob, Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber, o. O. 1631, 18. 14 Johann Caspar Eberti, Eröffnetes Cabinet deß Gelehrten Frauen-Zimmers, Frankfurt am Main, Leipzig 1706, 192. Trotz Ebertis Distanzierung wird der Vergleich weiter tradiert. Sowohl Lehms als auch Amaranthes vergleichen Hortensia mit Demosthenes, wenn auch zurückhaltender: Hortensia solle „es fast dem berühmten Griechischen Oratori Demostheni zuvor gethan haben“, vgl. Gottlieb Siegmund Corvinus [Amaranthes], Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon, Leipzig 1715 (ND hg. von Manfred Lemmer, Frankfurt am Main 1980), 864. Bei Lehms heißt es fast wortgleich, Hortensia „soll es in der Wohlredenheit so gar dem berühmten Demostheni zuvor getan haben“, vgl. Georg Christian Lehms, Teutschlands Galante Poetinnen mit ihren sinnreichen und netten Proben, Frankfurt am Main 1715, Vorrede, unpag. 15 Vgl. zu den Frauenzimmer-Lexika Jean M. Woods, Maria Fürstenwald, ,Das gelehrte FrauenzimmerR. Kataloge der Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrten Frauen von 1606 bis zur Gegenwart, in: dies. (Hg.), Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon, Stuttgart 1984, xii–xxiv. Brita Rang liefert in einem instruktiven Artikel eine systematische Zusammenschau der aus ganz Europa stammenden Enzyklopädien. Dabei zeigt sie nicht nur die (üblicherweise informellen) Wege des Wissenserwerbs von Frauen und deren (vornehmlich adelige, wohlhabende) sozio-kulturelle Herkunft und familiären Hintergründe (ein Großteil der Frauen war verheiratet und bestätigt nicht das im späteren 18. Jahrhundert propagierte Bild der isolierten, asozialen Gelehrten) auf, sondern fragt auch, mit welchen Wissenschaften sich gelehrte Frauen vornehmlich beschäftigt haben und ob im Laufe der Zeit Verschiebungen in ihrem 12

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Dabei gibt es frühaufklärerische Rhetoriken, die eine Popularisierung des rhetorischen Wissens anstreben und in denen sich zumindest die Überlegung findet, die Frau in die Rhetorik-Lehre einzubeziehen. Dahinter steht ein Rhetorik-Konzept, das die private Wohlredenheit nicht nur als Teil der öffentlichen Beredsamkeit anerkennt, sondern diese sogar präferiert. Carl Christian Schramms Die Kunst im gemeinen Leben 1.) Wohl zu dencken, 2.) Vernünftig zu reden, 3.) Weißlich zu scherzen und wo es nöthig ist 4.) Klüglich zu schweigen von 1741 kritisiert die klassische Begrenzung rhetorischer Theoriebildung und praktischer Anleitung auf die öffentliche Rede. Alle Buchläden sind voll von Anweisungen zum Reden. Nur handeln sie nicht von derjenigen Art zu sprechen, welche zu wissen wir im gemeinen Leben alle Augenblick bedürfen: sondern sie legen meistentheils bloß das aus, was die Gelehrten in gebundner, oder ungebundener Rede auf Cathedern, oder Cantzeln, eine oder mehr Stunden lang gebrauchen; Allein was nützet dieses beydes Soldaten, Leuten vom Hofe, Bürgern und denen, so auf dem Lande wohnen, wenn sie nicht zugleich sich der Gelehrten Beredsamkeit gewidmet haben? Und was soll vollends das arme Frauenzimmer machen, das durchgehends, wenige ausgenommen, zum nehen, spinnen und kochen verdammet ist, gleichwohl aber im alltäglichen Leben so nöthig hat, ohne Plauderey geschickt zu reden, als der größte Gelehrte?16

Wird Rhetorik nicht nur als gelehrte, öffentliche Rede, sondern in einer aufklärerischen Wendung auf ihre bürgerliche Nützlichkeit auch als Kunst des Umgangs begriffen, kann die Frau in einem größeren Umfange einbezogen werden. Praktisch umgesetzt wird dies allerdings weder von Schramm, der im weiteren Verlauf seines Lehrbuchs das ,arme FrauenzimmerR mit keinem weiteren Wort erwähnt, noch von anderen Rhetorikern wie beispielsweise Johann Christoph Gottsched. Wird die Rhetorik hingegen nicht als private, sondern öffentliche Beredsamkeit definiert, bleibt sie, so Johann Christoph Gottscheds Ausführliche Redekunst von 1729, explizit eine „ernstliche, männliche und philosophische Kunst“17 und der Redner „ein[] gelehrte[r] und rechtschaffene[r] Mann, der die wahre Beredsamkeit besitzt“.18 Gottscheds Ausführliche Redekunst, nach Anleitung der alten Griechen und Römer, wie auch der neuern Ausländer, in zweenen Theilen verfasWissensinteresse sichtbar werden, vgl. Brita Rang, ,Jus fasque esse in rempublicam litterariam foemina adscribiR. Gelehrt(inn)en-Enzyklopädien des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Paedagogica Historica 28 (1992), 511–549; vgl. auch Karin Schmidt-Kohberg, „Manche Weibspersonen haben offtmals viel subtilere Ingenia, als die Manspersonen“. Weibliche Gelehrsamkeit am Beispiel frühneuzeitlicher Frauenzimmerlexika und Kataloge, Sulzbach 2014. 16 Carl Christian Schramm, Die Kunst im gemeinen Leben, Leipzig, Bautzen 1741, Vorrede, unpag. 17 Johann Christoph Gottsched, Ausführliche Redekunst, Leipzig 51759, ND in: ders., Ausgewählte Werke, Bd. 7.1: Ausführliche Redekunst. Erster, allgemeiner Theil, hg. von P. M. Mitchell, Berlin, New York 1975, 90. 18 Ebd., 102.

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set ist eine der bekanntesten deutschsprachigen Rhetoriken des 18. Jahrhunderts, die aus dem 1729 veröffentlichten Grundriß zu einer vernunfftmäßigen Redekunst hervorgeht, 1736 erstmals unter dem Titel Ausführliche Redekunst publiziert und 1739, 1743, 1750 und 1759 neu aufgelegt wird sowie in gekürzten Versionen bis zum Ende des Jahrhunderts in Europa zirkuliert.19 Gottscheds Neubegründung der Rhetorik als vernünftige Rede geht mit einer ausdrücklichen Rückbesinnung auf ihre Männlichkeit einher. Allerdings verzichtet Johann Christoph Gottsched konsequent auf die abwertenden Vergleiche einer guten, männlichen, würdevollen mit einer schlechten, weibischen, überbordenden Redekunst, die in der antiken Rhetorik topisch sind. Dies mag nicht zuletzt seinen Bemühungen um (private) Frauenbildung geschuldet sein, die Gottsched als Herausgeber der moralischen Wochenschrift Die Vernünftigen Tadlerinnen einer weiblichen Leserschaft vermittelt.20 Gottscheds Rhetorik-Lehrbücher richten sich jedoch alle an ein akademisches Umfeld, mithin an männliche Schüler, Gymnasiasten, Studenten.21 In Luise Gottscheds sozialem Umfeld scheint die aufklärerische Notwendigkeit von rhetorischer Bildung für Frauen zumindest diskutiert zu werden. Dies lässt die Ankündigung eines fiktiven Werkes erwarten, die in den Neufränkischen Zeitungen, dem Publikationsorgan der ,Scherzhaften GesellschaftR, einer lockeren „Gesellschaft witziger Freunde und Freundinnen“ aus dem engeren GottscJohann Christoph Gottsched, Ausführliche Redekunst. Nach Anleitung der alten Griechen und Römer, wie auch der neuern Ausländer, in zweenen Theilen verfasset; und itzo mit den Zeugnissen der Alten und Exempeln der größten deutschen Redner erläutert. Statt einer Einleitung ist das alte Gespräch, von den Ursachen der verfallenen Beredsamkeit, vorgesetzet, 5. Aufl., Leipzig 1759, ND in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von P. M. Mitchell, Bd. 7.1: Ausführliche Redekunst. Erster, allgemeiner Theil, Bd. 7.2: Ausführliche Redekunst, Besondrer Theil, Bd. 7.3: Ausführliche Redekunst, Anhang, Variantenverzeichnis, Nachwort, Bd. 7.4: Ausführliche Redekunst, Kommentar, Berlin, New York 1975–1981; Johann Christoph Gottsched, Grundriß zu einer Vernunfftmäßigen Redekunst Mehrentheils nach Anleitung der alten Griechen und Römer entworfen und zum Gebrauch seiner Zuhörer ans Licht gestellet von M. Joh. Christoph Gottscheden des Colleg. U. L. F. in Leipzig Collegiaten, Hannover 1729. Vgl. zu den Folgeauflagen Joachim Dyck, Jutta Sandstede, Quellenbibliographie zur Rhetorik, Homiletik und Epistolographie des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstadt 1996, 434. Vgl. zur europäischen Rezeption Thomas M. Conley, Rhetoric in the European Tradition, Chicago, London 1990, 206. 20 Vgl. Die vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726, hg. von Johann Christoph Gottsched. Im Anhang einige Stücke aus der zweiten und dritten Auflage 1738 und 1748, neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, Hildesheim 1993. 21 Gottsched entwirft die Ausführliche Redekunst als ein Lehrwerk für Universitäten, das ergänzt wird durch die kompaktere, erschwinglichere Akademische Redekunst für Studenten sowie durch die Vorübungen zur Beredsamkeit, die Gottsched für Gymnasien und andere Schulen entwickelte. Vgl. Johann Christoph Gottsched, Vorübungen der Beredsamkeit, zum Gebrauche der Gymnasien und größern Schulen, Leipzig 1754; ders., Akademische Redekunst, Zum Gebrauche der Vorlesungen auf hohen Schulen als ein bequemes Handbuch eingerichtet und mit den schönsten Zeugnissen der Alten erläutert, Leipzig 1759. 19

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hed-Kreis, zu finden ist:22 „Wohlzubereitetes und neueröffnetes Redeschränklein vor das polite Frauenzimmer, welches nicht gerne studieren, aber doch viel plaudern, sonderlich aber in den Wochenstuben und andern öffentlichen Zusammenkünften, ohne Vorbereitung und aus dem Stegereife [sic], sich über allerhand Stadt- und Land-Materien gerne hörenlassen will“.23 Die satirische Rezension des fiktiven Buches diene dazu, so Detlef Döring, „Aufklärungsfeinde lächerlich [zu] machen“.24 Döring vermutet, dass es kein Zufall sei, just diese Rezension in der vorletzten Ausgabe der Neufränkischen Zeitungen zu finden, die der kurz vor ihrer Hochzeit stehenden Luise Kulmus gewidmet ist.

II. Selektion: Wahl der Rhetorik-Übersetzungen Um die Besonderheit allein der Wahl von Luise KulmusQ Rhetorik-Übersetzungsprojekt aufzuzeigen, ist ein knapper Blick auf den biographischen Hintergrund und die Werkgenealogie erhellend. Luise Adelgunde Victorie Kulmus lernt den zweiunddreißigjährigen Johann Christoph Gottsched mit sechzehn Jahren 1729 in ihrem Danziger Elternhaus kennen. 1730 wird Gottsched Professor für Poesie und Beredsamkeit in Leipzig. Die beiden beginnen zu korrespondieren, von den sogenannten Brautbriefen sind allein Luise KulmusQ Briefe erhalten. 1731 erscheint die erste Übersetzung von Luise Kulmus. 1735, kurz nach ihrer zweiten Veröffentlichung, des Siegs der Beredsamkeit, heiratet das Paar und lebt fortan in Leipzig. Bei der Auswahl sowie Publikation des ersten Übersetzungsprojekts von Luise Kulmus spielt Johann Christoph Gottsched noch eine entscheidende Rolle. Er schickt der Siebzehnjährigen französische Schriften zur Mädchen- und Frauenbildung und fordert sie zur Übersetzung auf. Gottsched selbst hatte 1726 Fontenelles Entretiens sur la pluralit8 des mondes übersetzt, das Frauen eine philosophische Bildung empfiehlt.25 Kulmus schreibt: Vgl. Detlef Döring, Die Leipziger Lebenswelt der Luise Adelgunde Victorie Gottsched, in: Gabriele Ball, Helga Brandes, Katherine R. Goodman (Hg.), Diskurse der Aufklärung. Luise Adelgunde Victorie und Johann Christoph Gottsched, Wiesbaden 2006, 39–63, hier 54. 23 Neufränkische Zeitungen von Gelehrten Sachen, darinnen alle die sinnreichen Einfälle der heutigen Gelehrten, die in andern Zeitungen nicht Raum haben, der galanten Welt zur Belustigung enthalten sind, 12 Stücke, Leipzig 1733–1736, hier 11. Stück (1735), 170. 24 Döring, Die Leipziger Lebenswelt (wie Anm. 22), 55. 25 Herrn Bernhards von Fontenelle Gespräche von Mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten. Nach der neuesten Frantzösischen Auflage übersetzt, auch mit Figuren und Anmerckungen erläutert von Johann Christoph Gottscheden. Am Ende findet man noch ein Pastoral, genannt Endimion, aus eben dieses Autors Schäfergedichten in teutsche Verße gebracht, Leipzig 1726. 22

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Die Bücher, die Sie mir zu lesen empfehlen, sind vortrefflich. Ein Fenelon, ein Fontenelle haben sich viel Mühe gegeben, unser Geschlecht zu unterrichten und zu bessern. Vorzüglich aber gefällt mir die Marquise von Lambert. Welche unvergleichliche Mutter! Sie lehrt ihre Tochter nicht auf den äußerlichen Reitz ihrer Jugend, ihres Geschlechts sich zu verlassen, sondern ihr Herz zu bilden, ihren Verstand aufzuklären, und sich wirkliche Vorzüge zu verschaffen. Ich werde Ihrem Rathe folgen, und mich an die Übersetzung wagen.26

Anne-Th8rHse de Lambert (1647–1733) war Gastgeberin eines literarischen und philosophischen Salons.27 Ihre von Kulmus übersetzte Schrift R8flexions nouvelles sur les Femmes (1727) plädiert für Mädchenbildung und kritisiert mit deutlichen Worten ein misogynes Frauenbild, das seit MoliHres Les Femmes Savantes (1672) in Frankreich vorherrsche und der Frau das Recht auf geistige Betätigung abspreche. „Kan das Frauenzimmer nicht zu den Männern sagen: Was habt ihr für Recht uns das Lesen, die Wissenschaften, und die Künste zu verbiethen?“, fragt Lambert.28 Nicht „durch ein natürliches Recht“, sondern durch „Gewalt“ hätten Männer die Vormundschaft über die Frau ergriffen.29 Denn von der Natur, so argumentiert Lambert, sei die Frau nicht weniger mit Einbildungskraft und Geschmack ausgestattet als der Mann, weshalb sie auch ebenso zum „Dichter und Redner“ geeignet sei.30 KulmusQ erste Übersetzung erscheint 1731 anonym unter dem Titel Der Frau Marggräfin von Lambert Neue Betrachtungen über das Frauenzimmer. Aus dem Französischen übersetzt durch ein junges Frauenzimmer aus *** und herausgegeben von einem Mitgliede der Deutschen Gesellschaft in Leipzig.31 Die Übersetzerin steht zwar im Titel noch fast gleichberechtigt neben dem Herausgeber – beider Namen werden nicht genannt –, in der Widmung und Vorrede von Johann Christoph Gottsched jedoch tritt ihre Leistung maßgeblich zurück. Zunächst lobt Gottsched, dass „sowohl die Verfasserin als die Übersetzerin dieser Betrachtungen theils an Geist und Beurtheilungskraft, theils an Lebhaftigkeit und RichKulmus an Gottsched, 27. Okt. 1730, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 24 f. Lamberts Schrift Avis dQune mHre / son fils et / sa fille (1728) wurde 1729 von Georg Christian Wolff übersetzt, wie Johann Christoph Gottsched Mitglied der ,Deutschen GesellschaftR in Leipzig. Vgl. Anne-Th8rHse de Lambert, Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben. In zweyen Schreiben an ihren Sohn und ihre Tochter entworfen. Aus dem Französischen übersetzt von einem Mitgliede der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig, Leipzig 1729. Vgl. Brown, Luise Gottsched the Translator (wie Anm. 4), 50. 28 Der Frau Marggräfin von Lambert Neue Betrachtungen über das Frauenzimmer. Aus dem Französischen übersetzt durch ein junges Frauenzimmer aus *** und herausgegeben von einem Mitgliede der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, Leipzig 1731, 9. 29 Ebd., 3. 30 Ebd., 10. 31 Durchaus bemerkenswert ist im Vergleich, dass Johann Christoph Gottscheds erste Übersetzung – Fontenelles Entretiens (wie Anm. 25) – mit Angabe seines Klarnamens erschienen ist. 26

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tigkeit der Schreibart, wenige oder noch gar keine Personen ihres Geschlechtes über sich gehabt“.32 Bemerkenswert ist nicht nur, dass Autorin und Übersetzerin hier als pares inter pares dargestellt werden, sondern auch als Höhepunkte in einer Galerie von weiblichen Schriftstellerinnen, die bislang einer historischen Genealogie entbehrt. Lässt der diachrone Blick in die deutsche Geschichte nur wenige gebildete Frauen und Schriftstellerinnen erkennen, so erweitert der synchrone Blick auf Europa das Einzugsgebiet der Exempla weiblicher Gelehrsamkeit ungemein. So liegt es auf der Hand, dass das Projekt europäischer Übersetzungsarbeit zugleich das einer weiblichen Genealogie-Stiftung ist, welche „die sinnreichen Schriften so vieler auswärtigen und innländischen Frauenzimmer“ (wie Gottsched eigens differenziert) kulminiert und propagiert.33 Nach dem knappen Lob für Autorin und Übersetzerin stellt Johann Christoph Gottsched allerdings in der Vorrede seine eigene Leistung in den Mittelpunkt: Er habe nicht nur der Übersetzerin das französische Original geschickt und ihr die Übersetzung vorgeschlagen, sondern diese auch „fast ohne alle Erlaubniß“ in den Druck gegeben.34 Mit der Hervorhebung seiner eigenen Leistung bestätigt Gottsched das Bild von Luise Kulmus, das sie in den Briefen wiederholt von sich als ,SchülerinR und ,GehülfinR Gottscheds entwirft. In einer Zeit, in der das misogyne Zerrbild der hässlichen, gelehrten Frau noch immer topisch ist, scheint Gottsched die Persona der „scharfsinnigen Übersetzerin“ nicht nur durch die Betonung ihrer weiblichen Bescheidenheit, sondern auch durch die explizite Erwähnung ihres „wohlgebildeten Cörpers“ entkräften zu müssen.35 Wie anders liest sich dagegen Luise KulmusQ Begründung ihres zweiten Übersetzungsprojektes! Dass Kulmus nun überhaupt namentlich sowie gänzlich eigenständig – ohne Gottscheds Schützenhilfe als Herausgeber – an die Öffentlichkeit tritt, ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert. In für die Brautbriefe ungewöhnlich deutlicher Form lehnt Kulmus schon bei der Auswahl ihres Übersetzungsprojektes die Bevormundung durch Gottsched wortreich ab: Mein bester Freund! Sie nennen mich hartnäckig, daß ich nicht die Geschichte der Thermopylischen Bäder übersetzen will, und Sie thun mir Unrecht. Der Anfang ist schon gemacht, weil es Ihr Wille ist, ich habe nur nicht Lust, es zu vollenden. Ich liebe keinen Roman36 […]. Nächstens sollen Sie eine Übersetzung lesen, die ich nach meiner Johann Christoph Gottsched, Vorrede, in: Der Frau Marggräfin von Lambert (wie Anm. 28), unpag. 33 Johann Christoph Gottsched, Widmung, in: Der Frau Marggräfin von Lambert (wie Anm. 28), unpag. 34 Gottsched, Vorrede, in: Der Frau Marggräfin von Lambert (wie Anm. 28), unpag. 35 Ebd., unpag. 36 Roman ist hier im Sinne einer Liebesgeschichte zu verstehen, die das thematische Zentrum von Madeleine de Scud8rys Gesprächen bildet: Les bains de Thermopyles. A la Princesse de Milet, Paris 1732. Eine Übersetzung der verschmähten Gespräche übernimmt ein Jahr später Christiana Mariana 32

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Neigung gewählt. Wie sehr werde ich mich belohnet halten, wenn sie ihnen nicht mißfallen wird. Glauben Sie ja nicht mich eher zu bewegen, wenn Sie eine Dacier, eine Scüderie aus den Elisäischen Feldern zurückrufen, und mich auf dieses Beyspiel weisen. Sie bester Freund, haben mehr Gewalt über mich, als der ganze Weltkreyß; und kein Capuciner soll während seines Noviciats mich an Gehorsam übertreffen: lasen Sie nur in diesem Stücke meine billige Einwendung gelten. Erlauben Sie mir den Sieg der Beredtsamkeit von der Frau von Gomez zu wählen. Sie lobten dieses Stück in einem Ihrer Briefe, ich las es, und fand einen Trieb in mir, es zu übersetzen. Dieses sollen Sie erhalten. Vergeben Sie mir immer diesen kleinen Eigensinn.37

Widerspruchsgeist und Ungehorsam werden an verschiedenen Stellen in den Brautbriefen explizit als massive Störung des weiblichen Tugendkanons erwähnt. Dass sich Kulmus hier dennoch dem Vorwurf des Ungehorsams aussetzt, dass sie ganz explizit ihre eigene „Neigung“ und ihren „Trieb“ gegen den „Willen“ ihres Verlobten setzt, macht die Wahl des Objektes – Rhetorik statt Roman – als Akt einer Autonomiebekundung bedeutsam. III. Präsentation: Rhetorische Selbstinszenierung Anders als in den Betrachtungen über das Frauenzimmer ist im Sieg der Beredsamkeit38 auffällig, dass Luise Kulmus erstmals auf verschiedenen Ebenen namentlich in Erscheinung tritt: auf dem Titelblatt, in der Widmung, in der Vorrede sowie in einer bunten Mischung mehrerer Schriften39 im Anhang an die Übersetzung, die mit einem Hoch auf den „Weiberkiel“ unter „Männerfedern“40 enden. Dieses eigenständige In-Erscheinung-Treten ist für das feministische Projekt von Ziegler – mit der Johann Christoph Gottsched in engem Kontakt steht: Der Mad. Scudery Scharfsinnige Unterredungen von Dingen die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören. Übersetzet von Christiana Mariana von Ziegler, Leipzig 1735. 37 Kulmus an Gottsched, 1. Dez. 1734, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 81. „Sie fragen, was ich übersetze? Viel, sehr viel, mein bester Freund. Zuerst nenne ich Ihnen: Le triomphe de lQ8loquence de Madame Gometz. Ehe aber alles zu Stande kommt, habe ich Sie noch viel zu fragen“ (Kulmus an Gottsched, 20. März 1734, in: ebd., 60). Am 15. Dezember des Jahres dankt Kulmus Gottsched für die Versöhnung, am 10. Januar 1735 übersendet sie ihm die Übersetzung: „Ich überlasse Ihnen diese Blätter, machen Sie alles damit, was Sie denken zu verantworten“. Gottsched veranlasst den Druck und übersendet überdies ein gebundenes Exemplar an die Herzogin von Kurland. Am 19. April heiraten Kulmus und Gottsched. Vgl. ebd., 84–89. 38 Der Sieg der Beredsamkeit. Aus dem Französischen der Frau [Madeleine Ang8lique Poisson] von Gomez übersetzt, durch Luise Adelgunde Victoria Kulmus, Leipzig 1735. 39 Neben einer weiteren Übersetzung von Voltaires Trauerspiel Zaire finden sich dort drei von Kulmus selbst verfasste Lobgedichte: auf die russische Kaiserin Anna Iwanowna, auf ihren Vetter Johann Adam Kulmus sowie „an eine geschickte Poetin in E.“, das sich ausführlich mit Christiana Mariana von Ziegler sowie der Adressatin Sidonia Hedwig Zäunemann auseinandersetzt. 40 Luise Adelgunde Victorie Kulmus, Schreiben an eine geschickte Poetin in E., in: Der Sieg der Beredsamkeit (wie Anm. 38), 97–99, hier 99.

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der Aufklärung zentral. Im Folgenden möchte ich die rhetorischen Strategien dieses an die Öffentlichkeit Tretens in den Paratexten analysieren, bevor ich genauer auf den Inhalt der Übersetzung eingehe. Paratexte, daran erinnert G8rard Genette, sind Texte, die den ,nacktenR Text umgeben, ihn einkleiden und so allererst rezipierbar machen: „Der Paratext ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die Öffentlichkeit tritt“.41 An der „Schwelle“ zum Buch steuern Paratexte dessen Rezeption in der Öffentlichkeit und bieten ihm „Begleitschutz“.42 Diese Funktion ist – so scheint mir – in Schriften von Frauen besonders relevant. Denn als Frau bedarf Kulmus der doppelten Legitimation der Wortergreifung: einerseits, um den üblichen (geschlechterübergreifenden) Ansprüchen an eine captatio benevolentiae Genüge zu tun und andererseits, um den spezifischen Vorurteilen gegenüber schreibenden Frauen zuvorzukommen. Der Sieg der Beredsamkeit beginnt mit einer Widmung an die Herzogin Johanna Magdalena von Kurland, mit der Luise Kulmus persönlich bekannt ist.43 In der Widmung stellt Kulmus die Weiblichkeit aller Beteiligten explizit heraus: sowohl der Widmungsempfängerin (eine „Fürstin, welche, durch ein gründliches Erkenntniß der Gelehrsamkeit, dem ganzen weiblichen Geschlechte gleichsam die Freyheit zu ertheilen scheinet, unter einem so erlauchten Beyspiele denjenigen Gemüthsübungen ferner obzuliegen“) als auch der Autorin (eine „der gelehrtesten französischen Damen“) und der „Übersetzerin“ (mit ihrer den Gesetzen der captatio benevolentiae zufolge Bescheidenheit simulierenden „schwachen Feder“). Die Widmung ist von besonderer Relevanz, da das Projekt der Veröffentlichung Kulmus außergewöhnlich schutzbedürftig erscheint, hat doch „die Gelehrsamkeit des Frauenzimmers […] seit einiger Zeit mit so vielen Wiedersachern [sic] zu streiten gehabt“. Damit umreißt Kulmus den zeitgenössischen Stand der gesellschaftlichen Debatte um weibliche Intellektualität und situiert ihre Publikation politisch in diesem Kontext. Der Widmung folgt eine Vorrede an den „geneigten Leser“, in der Kulmus nochmals ihr Geschlecht (sowie ihr jugendliches Alter) in den Fokus stellt. Weniger die Leistung der Autorin, Madeleine Angelique Poisson de Gomez, als vielmehr ihre Eigenleistung als Übersetzerin hebt Kulmus in der Vorrede hervor. Auch die Vorrede folgt dem üblichen Vorsatz der captatio benevolentiae und entschuldigt sich zunächst für den Akt der Wortergreifung: „So klein gegenwärtiges Werkchen ist, und so wenig ich dir auch zu sagen habe; so sehe ich mich dennoch G8rard Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main 1989, 9 f. Ebd. 43 Vgl. Luise Adelgunde Victorie Kulmus, Der Durchlauchtigsten Fürstin und Frauen Frauen Johannen Magdalenen, in: Der Sieg der Beredsamkeit (wie Anm. 38), unpag. Vgl. Kulmus an Gottsched, 6. Juni 1733, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 46. 41

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genöthiget, dir zu demselben eine Vorrede zu machen: Denn das ist eine Regel!“44 Tatsächlich ist nicht allen Veröffentlichungen, zumal Übersetzungen der Zeit ein Vorwort vorangestellt. Vielmehr wird KulmusQ Verweis auf die „Regel“ der Vorrede als rhetorisch geschickte Legitimation der Wortergreifung lesbar, die nun nicht mehr des männlichen Schutzschildes von Gottsched bedarf, sondern vorwitzig die paratextuellen Gepflogenheiten selbst zur Rechtfertigung heranzieht. Vor dem Hintergrund der besonderen Relevanz der Legitimation weiblicher Wortergreifung überrascht es kaum, dass sowohl die Begriffe der „Vertheidigung“ als auch (und zwar doppelt) der „Rechtfertigung“ in der Vorrede fallen. Eingedenk der Tatsache, dass die Verteidigung bzw. Gerichtsrede seit der Begründung der Rhetorik in der Antike als klassisches rhetorisches Format gelten kann, lässt sich KulmusQ Vor-Rede als (schriftliche) Verteidigungs-Rede lesen. Eine weitere rhetorische Strategie der Rechtfertigung weiblicher Wortergreifung ist die Setzung, ja die explizite Konstruktion eines weiblichen ,wirR, einer imaginären Gemeinschaft von gebildeten Frauen bzw. Leserinnen, welche „die Liebe unsers Geschlechts zu den Wissenschaften“ teilt. Diese imaginäre Gemeinschaftsbildung verstehe ich insofern als feministisch, als sie nicht von einer individuellen Sonderposition ausgeht, sondern den Zugang zu den Wissenschaften von Frauen als Gruppe – ein nach Karen Offen signifikantes Merkmal des Feminismus45 – einfordert. Mir ist das französische Exemplar des Sieges der Beredsamkeit schon vor einiger Zeit zu handen gekommen, und ich habe allezeit gehoffet, daß sich jemand finden würde, der es einer Übersetzung werth hielte. Da sich aber keiner gefunden, so gestehe ich, daß ich für die Ehre meines Geschlechts viel zu eifrig bin, als daß ich ein Werk, welches uns nichts anders als Ruhm erwerben kann, noch länger im Verborgenen hätte lassen sollen. Das ist es wohl alles, geneigter Leser, was ich Dir zu sagen habe. Denn ohngeachtet ich hier die schönste Gelegenheit häte, die Liebe unsers Geschlechts zu den Wissenschaften, und (wofern ich mit dem verhaßten Namen hervor kommen darf,) zur Gelehrsamkeit, zu rechtfertigen; ohngeachtet es mir nicht schwer fallen würde, allerlei Vorfälle namhaft zu machen, die uns viele müssige Stunden verursachen, von welchen ich nicht weis, wie man sie mit einer edlern und erbaulichern Zeitkürzung zubringen könnte: So wird es doch vor diesesmal nicht geschehen.46

Kulmus macht ,ihrR Geschlecht explizit und leitet daraus den Auftrag und die Berechtigung ab, für alle Frauen zu sprechen. In deren Namen müsste sie nun „die Liebe unsers Geschlechts zu den Wissenschaften“ rechtfertigen und die gegneriLuise Adelgunde Victorie Kulmus, Vorrede, in: Der Sieg der Beredsamkeit (wie Anm. 38), unpag. 45 „Feminism is the name given to a comprehensive critical response to the deliberate and systematic subordination of women as a group by men as a group within a given cultural setting“ (Karen Offen, European Feminisms 1700–1950. A Political History, Stanford 2000, 20). 46 Kulmus, Vorrede, in: Der Sieg der Beredsamkeit (wie Anm. 38), unpag. 44

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schen Argumente widerlegen, fährt Kulmus fort. Obwohl ihr dieses nicht schwer fallen würde, verzichte sie auf eine Rechtfertigung „in meiner eigenen Sache“, da diese bereits oftmals, von objektiveren und namhafteren Personen vorgebracht worden sei. Damit untermauert Luise Kulmus ihr eigenes Schreiben implizit durch eine breite Basis von Unterstützern weiblicher Gelehrsamkeit. „Zu meiner besondern Rechtfertigung aber halte ich es vor unnöthig, solche Gründe zu widerlegen, die mir niemals stark genug zu seyn geschienen; daß sie mich jemals abhalten sollten, meine müssigen Stunden den schönen Künsten und Wissenschaften zu widmen“.47 Ergebnis dieser performativen Ignoranz, die Kulmus hier ausstellt, ist eine starke Selbstsetzung und Demonstration weiblicher Unabhängigkeit. Was dann in der eigentlichen Übersetzung folgt, liest sich – zumindest aus heutiger Perspektive – als überraschender Bruch: Im Gegensatz zu KulmusQ erster Übersetzung einer aktuellen feministischen Streitschrift ist im Sieg der Beredsamkeit auch nicht der geringste Bezug zu einer weiblichen Lebenswelt gegeben. Vier griechische Redner liefern sich in einem antikisierten Setting einen fiktiven Redewettstreit, ob der Weltweisheit, Geschichtslehre, Dichtkunst oder Beredsamkeit der Vorzug zu geben sei. Nicht nur die Redner und der Schiedsrichter sind männlich, sie richten sich auch an ein männliches Publikum: „Meine Herren!“ Der Sieg wird schließlich der Beredsamkeit zugesprochen, zum einen, weil sie diejenige Kunst sei, auf welcher die anderen drei basierten, um sich ausdrücken zu können. Zum anderen, weil der Sieg derjenigen Kunst zugesprochen werden soll, die – so heißt es in der Urteilsbegründung – einem Staat den größten Nutzen und Ruhm bringe. Den größten politischen Nutzen erbringe die Redekunst, weil sie für die Freiheit der Republik mit dem ,Schwert der RedeR eine schärfere Waffe bereitstelle, als alle anderen Künste, ja sogar als das Militär. So wird mit der bekannten antiken, agonalen, männlich codierten Metaphorik aus dem Bereich der Kriegsführung behauptet, dass der berühmteste Redner der Antike „Demosthenes ein viel gefährlicherer Feind sey, als alle atheniensischen Armeen“.48 Der zweite Preis geht an die Historie, die einem Staat den größten Ruhm erbringe; der dritte an die Philosophie, welche die Menschen „tugendhaft mache“ aber nur selten „weise“, und der letzte an die Poetik, die von geringstem Nutzen für den Staat sei.49 Warum nun dieses Werk, den Frauen „nichts anders als Ruhm erwerben kann“, wie Kulmus in ihrer Vorrede angekündigt hatte, liegt allein an der Autorschaft von Madeleine de Gomez, die sich – auch wenn sie jede Rede einer männlichen Figur in den Mund legt – als Urheberin dieser Reden und mithin als kundige Rhetori47 48 49

Ebd., unpag. Der Sieg der Beredsamkeit (wie Anm. 38), 50. Ebd., 63.

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kerin zeigt. Das antikisierte Format des Redewettstreits erfährt keinerlei Aktualisierung oder Öffnung hin zu einer zeitgenössischen Entsprechung wie beispielsweise der Preisreden, wie sie in der ,Deutschen GesellschaftR gehalten werden und – seit deren Aufnahme – auch Christiana Mariana von Ziegler offenstehen. Der deutliche Kontrast zwischen den Paratexten, vor allem der Vorrede, die eine weibliche Wortergreifung legitimiert, und den männlichen, antikisierten Reden macht das fehlende Angebot einer weiblichen rhetorischen persona in der antiken Rhetorik sichtbar und verweist zugleich auf die bis ins 18. Jahrhundert andauernde dezidiert männliche Codierung der Gattung Rede bzw. Redewettstreit.

IV. Intervention: Präferenz der ,WeltweisheitR Vier Jahre später, 1739, nimmt Luise Kulmus, nun verheiratete Gottsched, das Format des Redewettstreits wieder auf und verfasst selbst – im Sinne einer aemulatio – den Triumph der Weltweisheit.50 Luise Gottsched verlegt den Ort des Wettstreits von Griechenland nach Rom, legt wiederum historischen Männern die fiktiven Reden in den Mund und lässt diesmal, das ist eine signifikante Intervention, die Weltweisheit gewinnen. In ihrem Vorwort begründet sie die Korrektur des Sieges der Beredsamkeit so: Ich schätze diese freye Kunst [die Beredsamkeit] hoch, und gestehe, daß ich aus dem Lesen der größten Redner neuer und alter Zeiten, allemal ein außerordentliches Vergnügen geschöpfet; allein ich gestehe zugleich, daß ein gewisser angebohrner Trieb, der mich von Kindheit an zu den Lehren der Weltweisheit getrieben, und mit den Jahren täglich zugenommen hat, mich weit geneigter für diese Wissenschaft, als für irgend eine andre, gemacht hat.51

Wiederum stellt also Luise Gottsched ihre höchstpersönliche, eigene Neigung in Rechnung, erlaubt sich ein eigenes Urteil und vertritt dieses „vor der Welt“, wie es in der Vorrede in Bezug auf die Öffentlichkeit heißt. Dass sich dieses Urteil wohl kaum mit dem ihres Ehemannes deckt, kann nur vermutet werden. Luise Gottsched beruft sich explizit darauf, dass sie seit ihrer Ankunft in Leipzig „Gelegenheit hatte, täglich die gründlichsten Regeln und Exempel der Beredsamkeit zu hören“.52 Vermutlich bezieht sie sich hier auf die Vorlesungen ihres Mannes, seit 1730 außerordentlicher Professor für Poesie und Beredsamkeit und seit 1734 ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik, denen sie – wenn auch nicht im Hörsaal, sondern unsichtbar hinter einer angelehnten Tür – gelauscht hat. AufLuise Adelgunde Victorie Gottsched, Triumph der Weltweisheit, nach Art des franzo¨ sischen Sieges der Beredsamkeit. Nebst einem Anhange dreyer Reden, Leipzig 1739. 51 Ebd., Vorrede, unpag. 52 Ebd., Vorrede, unpag. 50

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grund dieser rhetorischen Ausbildung wagt sie sich nun an die Verteidigung der Philosophie bzw. gibt im Anhang gleich drei weitere Reden, „Übungen in der Beredsamkeit“ in den Druck. Im Vergleich zu den vormals übersetzten Reden von Madeleine de Gomez fällt auf, dass Luise Gottscheds Reden ungemein lebendiger sind. Mit fingierter Mündlichkeit, Ausrufen, rhetorischen Fragen, lebhaften Exempeln und „alle[r] Kraft des oratorischen Feuers“ lesen sie sich als Ausdruck einer neuen Rhetorik, die weit weniger steif daherkommt, als die von de Gomez oder auch Johann Christoph Gottsched selbst.53 Das liegt an der Zielsetzung, die nicht nur überzeugen, sondern vor allem das „Herz am meisten rühren“ möchte.54 Und so treffen sich Inhalt und Form: Den Sieg trägt diesmal nicht die Rhetorik davon, die zwar geschickt ist, „die Ohren zu kützeln, aber nicht das Herze zu bessern“.55 Der Schiedsrichter kritisiert: „Die Rednerkunst scheint mir mit allen ihren Zierrathen, mehr einem Fallstricke der Gemüthe, als einer Lehrmeisterinn der Herzen ähnlich zu sein: Und ich zweifle nicht, daß ein geschickter Redner nicht das Falsche eben so wahrscheinlich machen könnte, als die Wahrheit selbst“.56 Mit eben dieser topischen Kritik muss sich die Rhetorik seit ihren Anfängen auseinandersetzen. Die römische Rhetorik löst das Problem des rhetorischen Verführungspotentials, indem sie die Wahrheit der Rede an das Ethos des vir bonus, des Ehrenmannes, koppelt. Dieses männliche Ethos bemüht Luise Gottsched nicht. Vielmehr kehrt sie die Hierarchie der Künste um und präferiert nun die Weltweisheit bzw. Philosophie. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass sie in der Rede zur Weltweisheit das einzige Mal auf eine dezidiert weibliche Metaphorik zurückgreift: Alle Wissenschaften seien nur insoweit nützlich, als sie auf der Weltweisheit basierten. Daher sei es den anderen Wissenschaften „Ehre genug, wenn man sie Töchter der Weltweisheit nennet, und ihren Werth nach dem Maaße beurtheilet, je mehr sie dieser göttlichen Mutter ähnlich kommen“.57 Lautet das alte Argument: Alle Wissenschaften bedürfen der Rhetorik, um die Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, hält Luise Gottsched dagegen: Alle Redner bedürfen der Philosophie, um die Wahrheit zu erkennen. Die Philosophie bzw. Weltweisheit wird in einem aufklärerischen Sinne weit gefasst als Tugendlehre: „Sie ist der Ursprung der Zufriedenheit, der Großmuth, der Redlichkeit, der Standhaftigkeit, und kurz, der Glückseligkeit und der Tugend“.58 Herz, Rührung, Tugend: Die von Luise Gottsched prominent platzierten Schlagworte sind Vorbo53 54 55 56 57 58

Ebd., 103. Ebd., 102; vgl. ebd., 106. Ebd., 105. Ebd. Ebd., 70. Ebd., 73.

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ten einer empfindsamen Rhetorik der Natürlichkeit, die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichen wird. Damit kündigt Luise Gottsched hier eine progressive Rhetorik an, der sich Johann Christoph Gottsched Zeit seines Lebens verschlossen hat.59

V. Regression? Rhetorik ohne Performanz Ebenso wie das Drama eine Gattung ist, die darauf angelegt ist, im Theater aufgeführt zu werden, ist die Rede eine Gattung, die auf ihre Performanz hin konzipiert ist. Hat Luise Gottsched ihre Reden nicht nur veröffentlicht, sondern auch gehalten? Ist sie in einer – noch näher zu definierenden – Öffentlichkeit als Rednerin aufgetreten? Die Diskrepanz zwischen der schriftlichen Repräsentation weiblicher Redekunst und der Präsentation von Reden in der Öffentlichkeit ist in Luise Gottscheds Fall bemerkenswert. Einen öffentlichen Redeauftritt scheint Luise Gottsched bewusst gemieden und bei anderen Frauen ihrer Zeit sogar verurteilt zu haben, so dass sich die Frage stellt, ob Luise Gottsched in Bezug auf die mündliche Wortergreifung von Frauen hinter die feministischen Ziele und Errungenschaften ihrer Zeit zurückfällt. Warum vertritt Luise Gottsched mit Nachdruck die Befähigung der Frau als Dichterin und Rednerin, bemängelt jedoch deren körperliches Auftreten in der Öffentlichkeit? Diese Ambivalenz soll im Folgenden historisch kontextualisiert werden. Was die Performanz der Rede betrifft, die so genannte actio, sehen sich Frauen aufgrund der männlichen Codierung der Rede vor besondere Hindernisse gestellt. Die Regeln eines angemessenen Redeauftritts – Stimmführung, Gestik, Mimik, Raumverhalten – sind in der antiken Rhetorik für den hochgestellten Mann ausformuliert worden. Für die Frau greifen sie (bis heute) nicht in dem Maße, was zur Folge hat, dass weibliche Redeauftritte als unangemessen wahrgenommen werden können.60 Dass Luise Gottscheds Ablehnung von Redeauftritten von Frauen auch mit der damit verbundenen öffentlichen Wahrnehmung zu tun hat, lässt ein Gottscheds Ausführliche Redekunst steht dagegen für eine rationalistische Rede, welche mit der Vernunft die rhetorischen Tugenden der Klarheit, Angemessenheit und Sprachrichtigkeit ins Zentrum stellt – und dafür im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss von Empfindsamkeit und Sturm und Drang in die Kritik gerät. Vgl. Gert Ueding, Moderne Rhetorik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, München 2000, 18 f. 60 Aktuellere Beispiele wären die Wahrnehmung von Andrea Nahles vermeintlichem „Brüll¨ ber Auftritt“ auf dem SPD-Sonderparteitag im Januar 2018 (vgl. Antonia Baum, Andrea Nahles. U das Fremdscha¨ men fu¨ r eine Frau, in: ZEITmagazin 6 [2018]) oder die Debatte um die „nervende“ Stimme der Fußballkommentatorin Claudia Neumann bei der WM 2018 (http://www.spiegel.de/ kultur/gesellschaft/wm-2018-die-kritik-an-claudia-neumann-ist-sexistisch-kolumne-a1216395.html, abgerufen am 1. 8. 2019). 59

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Brief an Johann Christoph Gottsched 1732 ahnen. Luise Kulmus mokiert sich darin über die Rezeption der universitären Vorträge von der jüngst berufenen ersten Professorin Europas, Laura Bassi: „Ich vermuthe, daß, wenn dieser junge Doctor Collegia lesen wird, solcher in den ersten Stunden mehr Zuschauer, als in der Folge Zuhörer bekommen möchte“.61 – Eine Meinung, in der sie offenbar mit ihrem Verlobten übereinstimmt.62 Aus KulmusQ Kritik wird deutlich, dass der Redeauftritt einer Frau im frühen 18. Jahrhundert als Sensation im Wortsinn wahrgenommen wird: als visuelles Ereignis. Während schon Schriftstellerinnen, Journalistinnen oder Herausgeberinnen von Frauenzeitschriften, die mit ihren Publikationen an die Öffentlichkeit treten, in Widerspruch zu ihrer ,häuslichen BestimmungR geraten und sich genötigt sehen, ihre Wortergreifung zu rechtfertigen, gelten für die als Rednerin auftretende Frau verschärfte Bedingungen: Sie wird tatsächlich mit ihrem geschlechtlichen Körper sichtbar. In dem Moment, wo ein Redner/eine Rednerin die Bühne betritt, wo er/sie die Stimme anhebt und seine/ihre Worte mit Mimik und Gestik unterstreicht, rückt der geschlechtliche Körper ins Blickfeld. Eben diese körperliche Zurschaustellung an einem öffentlichen Ort gilt es im zeitgenössischen weiblichen Tugendkanon zu vermeiden. Jean-Jacques Rousseau wird in seinem viel rezipierten Brief an Herrn dQAlembert (Lettre / M. dQAlembert) 1758 eine Frau, die öffentlich auftritt, mit einer ,öffentlichen FrauR (d. h. einer Prostituierten) gleichsetzen: Sie stelle sich zur Schau, ziehe Blicke auf sich und ,veröffentlicheR ihren Körper.63 Zudem verstoße sie geKulmus an Gottsched, 30. Mai 1732, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 31. „Die Gleichheit unserer Meynung über die gelehrte Donna Bassi hat mich sehr erfreuet. Möchten doch unsere Gesinnungen künftig allemal so gleichförmig seyn“ (Kulmus an Gottsched, 28. Juni 1732, in: Kording [Hg.], Louise Gottsched [wie Anm. 3], 31). 63 Rousseaus Polemik im Brief an Herrn dQAlembert ist topisch: Eine Schauspielerin, die sich öffentlich und zudem gegen Geld zeige, gleiche einer Prostituierten. Auch wenn sich Rousseau auf Schauspielerinnen bezieht, lässt sich das Schreckbild der ,öffentlichen FrauR auf die Rednerin übertragen: „Ich kehre jetzt zu unseren Schauspielerinnen zurück und frage: Wie kann ein Stand, dessen einzige Beschäftigung es ist, sich öffentlich und, was noch schlimmer ist, gegen Geld zu zeigen, sich für ehrbaren Frauen schicken und sich mit ihrer Bescheidenheit und ihren guten Sitten vertragen? Muß man sich noch über die sittlichen Unterschiede der Geschlechter streiten, damit deutlicher wird, wie unwahrscheinlich es ist, daß eine Frau, die sich für Geld zur Schau stellt, sich nicht auch bald für Geld zur Verfügung stellt und sich nicht versuchen läßt, das Verlangen, das sie mit so viel Mühe erregt, auch zu befriedigen?“ (Jean-Jacques Rousseau, Brief an Herrn dQAlembert über seinen Artikel ,GenfR im VII. Band der Enzyklopädie und insbesondere über den Plan, ein Schauspielhaus in dieser Stadt zu errichten [1758], in: ders., Schriften, Bd. 1, hg. von Henning Ritter, München, Wien 1978, 333–474, hier 425 f.). Die deutsche Rezeption des Briefs an Herrn dQAlembert, so skizziert Ursula Geitner, nutzt Rousseaus Argumente zum einen für einen Angriff gegen Schauspielerinnen und zum anderen, um ein spezifisch bürgerliches, an Konzepte der na"vet8 und des Ausdrucks gebundenes Weiblichkeitsmodell als ursprüngliche Natur auszugeben. Beides wird in einer Unzahl an Traktaten breit entfaltet und überkreuzt sich insofern, als die Schauspielerin eben 61

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gen die ihr naturhaft zugeordnete Kardinalstugend der Bescheidenheit, die ein öffentliches Auftreten der Frau per se, so Rousseau, als „unschicklich“ ausweise.64 Begebe sich eine Frau in die Öffentlichkeit, so Rousseau, und versuche, „die männliche und feste Sicherheit des Mannes“ zu imitieren, pervertiere sie diese automatisch zur „Unverschämtheit“.65 Das gleiche – für ein Auftreten in der Öffentlichkeit notwendige – Selbstbewusstsein, das für den Mann schicklich ist, wird bei der Frau grundsätzlich mit ,UnbescheidenheitR gleichgesetzt und damit nicht nur als „unschicklich“,66 sondern sogar unnatürlich wahrgenommen. Denn „Schüchternheit, Schamhaftigkeit, Bescheidenheit“ lägen, wie Rousseau zu begründen sucht, in der Natur der Frau.67 Eine Frau, die sich als Rednerin in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt, Gefallen und Applaus zu provozieren sucht, ihre Stimme zu hören und ihren Körper zu sehen gibt, handelt dieser Argumentation zufolge gegen die eigene Natur. Auch ein Vierteljahrhundert vor Rousseaus Lettre / M. dQAlembert scheint diese Vorstellung bereits im Schwange. Ob Luise KulmusQ Kommentar über den Sensationswert von Laura Bassis Redeauftritt wirklich als konservative Opposition gegen Frauen an der Universität, die sie übrigens wiederholt formuliert,68 verstanden werden muss oder auch als ironische jenes Weiblichkeitsmodell augenscheinlich widerlegt, indem sie nicht nur öffentlich auftritt und ihren eigenen Lebensunterhalt verdient, sondern auch das propagierte Modell eines unmittelbaren, unwillkürlichen Ausdrucks des Inneren durch Mimik und Gestik mit ihrer einstudierten eloquentia corporis irritiert. Wenn schamhaftes Erröten, Verstummen und Erbleichen, wenn das verschämte Niederschlagen der Lider nicht authentische Zeichen der weiblichen Natur sind, sondern willkürlich auf der Bühne vorgespielt werden können, lässt die Schauspielerin jenes Ideal unverstellter, ursprünglicher und wahrer Kommunikation fragwürdig werden, als dessen Garantin Rousseau die bürgerliche Frau eingesetzt hatte. „Die Schauspielkunst verlangt, darin der rhetorischen eloquentia corporis, der körperlichen Beredsamkeit, und der Verstellungskunst vergleichbar, die willentliche, reflektierte ,RegierungR der Mienen und Gebärden, des Ausdrucks insgesamt. Damit ist die postulierte notwendige identische Beziehung von Innen und Außen, Sein und Schein, Natur und natürlichem Ausdruck fundamental gestört. Auch die Zeichen der weiblichen Physiognomie und Rede werden von nun an dem Verdacht der Verstellung und der Lüge ausgesetzt: Sie können natürlich scheinen und es doch nicht sein“ (Ursula Geitner, Die Frau als Schauspielerin. Auskünfte einer Metapher, in: dies. [Hg.], Schauspielerinnen. Der theatralische Eintritt der Frau in die Moderne, Bielefeld 1988, 252–284, hier 268 f.). 64 Rousseau, Brief an Herrn dQAlembert (wie Anm. 63), 423, vgl. 418. 65 Ebd., 423. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Jahre später mokiert sich Luise Gottsched über die Promotion von Frauen in einem Brief an ihre Freundin Dorothee Henriette von Runckel: „Unsere deutschen Fakultäten creiren, promovieren und krönen das deutsche Frauenzimmer trotz den Franzosen. Verschiedene haben ihre Wälder schon bald kahl gelorbert. Man hat vor kurzen ein Frauenzimmer [Dorothea Leporin-Erxleben] zum Doctor der Arzeneykunst gemachet […]. In Greifswalde wird das Frl. B. auch ehestens Doctor Juris werden. Ich für meinen Theil habe von dergleichen Ehrenbezeugungen meine eigenen Gedanken. Ich tadele niemand der sie annimmt, wenn er sie verdient; allein ich selbst, ich – – – Vor vielen Jahren

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Kritik an der historischen Rezeptionssituation, der Rednerinnen im 18. Jahrhundert ausgeliefert sind, wie Susanne Kord69 unterstellt, bleibt offen. Während der ,öffentlicheR Redeauftritt im 18. Jahrhundert zunächst für das weibliche Geschlecht grundsätzlich als prekäre Situation erscheint, ist der Begriff der ,ÖffentlichkeitR insofern problematisch, als die in Bezug auf die Kategorie Geschlecht so oft bemühte Dichotomie ,öffentlich-privatR nicht hinreichend ist, um die Ausschlusskriterien zu beschreiben, die Frauen wie Luise Gottsched vom Redepult abhalten. So schreibt beispielsweise Hilary Brown: „In public, Gottsched felt it most appropriate only to hover in the shadow of other scholars: she hid behind a door to listen in on her husbandQs lectures at the University. Yet the work she did away from the public eye required astonishing levels of erudition“ (Hvhg. L.T.E.).70 Diese Differenzierung ,öffentlich-privatR trifft es insofern nicht ganz, da sich das Haus der Gottscheds, in dem Gelehrte, Studierende sowie Adelige ein und ausgehen, als semi-privater Raum beschreiben lässt oder die aus dem Freundeskreis erwachsene Scherzende Gesellschaft (mit ihrem eigenen Publikationsorgan) als semi-öffentlicher Raum. Zudem beinhaltet der HabermasQsche Begriff der Öffentlichkeit just jenen sich durch zirkulierende Schriften konsolidierenden Kreis, vor dem Luise Gottsched keineswegs zurückschreckt, sondern in dem sie sich selbstbewusst bewegt und positioniert. Dass Luise Gottsched diese aus einer gemeinschaftlichen Lektüre resultierende Öffentlichkeit selbst reflektiert, zeigt sich in ihrer Vorrede zum Triumph der Weltweisheit: „Du wirst Dich, wofern du anders in der weiblichen gelehrten Welt bekannt bist, (denn diese fängt nunmehro auch schon an, eine Welt zu sein,) entsinnen, daß die Frau von Gomez, eine gelehrte Dame in Paris, im Jahre 1730, einen Sieg der Beredsamkeit, oder Triomphe de lQEloquence herausgegeben hat“.71 Um die Möglichkeiten weiblicher Wortergreifung im 18. Jahrhundert adäquat zu erfassen und damit zugleich Luise Gottscheds (contra-feministische?) Haltung in Bezug auf öffentliche Redeauftritte zu beschreiben, ist neben einem bewusst weit gefassten Öffentlichkeits-Begriffs ein Blick auf die konkreten Redesituationen notwendig. Im Bürgertum des 18. Jahrhunderts sind die maßgeblichen Orte der öffentlichen Rede neben dem bereits erwähnten UniversitätsPult: die Predigt-Kanzel, die für Frauen tabu bleibt, sowie die Gesellschaften, insbesondere die Rednergesellschaften. Zu diesen Gesellschaften gibt es unterwollte man mich zum Mitglied der hiesigen deutschen Gesellschaft erwählen; ich antwortete, ehe *** [Marianne von Ziegler] drinnen war, wäre mir die Ehre zu groß gewesen, jetzt ist sie mir zu klein“ (Luise Gottsched an Johann Christoph Gottsched, 27. Juli 1754, in: Kording [Hg.], Louise Gottsched [wie Anm. 3], 212 f.). 69 Vgl. Kord, Little Detours (wie Anm. 2), 50. 70 Brown, Luise Gottsched and the Reception of French Enlightenment Literature in Germany (wie Anm. 5), 31. 71 Gottsched, Triumph der Weltweisheit (wie Anm. 50), Vorrede, unpag.

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schiedliche Zugangs- und damit auch Redebeschränkungen. Eine akademische Rednergesellschaft wie die Leipziger ,Deutsche GesellschaftR stellt höhere Hürden auf als etwa die ,Scherzhafte GesellschaftR aus dem engeren Gottsched-Kreis, der Luise Kulmus bis zu ihrer Heirat angehört,72 oder die ,Societas AletophilorumR, einer Aufklärungsgesellschaft, welche der Verbreitung der WolffQschen Philosophie dient, und der sich beide Gottscheds von 1736 bis 1749 anschließen.73 Im Gegensatz zu der (bis zur Aufnahme von Christiana Mariana von Ziegler 1730) ausschließlich männlichen ,Deutschen GesellschaftR versammeln sich in der ,Scherzhaften GesellschaftR „witzige Freunde und Freundinnen“ und ist in der ,Aletophilen GesellschaftR jedem männlichen ein weibliches Mitglied zugeordnet. Die Kommunikationsformen der letzteren beiden Gesellschaften beinhalten nicht vorrangig (Preis-)Reden, sondern spielerische, theatrale und festliche Elemente.74 In diesem eher salon-artigen, nicht-akademischen und gemischtgeschlechtlichen Rahmen partizipiert Luise Gottsched auch mündlich. Verbürgt ist ihr Vortrag der Scherzrede „Lob der Spielsucht“ (später im Anhang von Triumph der Weltweisheit veröffentlicht) durch einen Brief von Cölestin Christian Flottwell, der sich für die Zusendung der gedruckten Rede am 2. Januar 1740 bedankt: Ich habe mich aller der vergnügten Stunden erinnert, die ich vor drey Jahren in dem Hause unsrer klugen Gottschedin so beneidens-würdig zugebracht. Ich schmeichele mir, das Vorrecht vor allen Lesern zu haben, umb die sinnreiche Vertheydigung der Spielsucht zu bewundern, da ich meinem Gedächtniß denjenigen Tag wohl eingeschärft, an welchem ich den lebhaften mündlichen Vortrag Ew. HochEdelgebohrnen von dem damahls vorgelesenen Lobe der Spielsucht auf das anmuthigste bin überzeuget worden. Meine stumpfe Muse feyerte diesen Götterdienst auf einem schönen Flügel durch Melodeyen vor und nach der Rede. Und fürwahr, dieses in denen angenehmen Laubenhütten unsrer geschätzten Gottschedin gefeyerte Fest wird mir ein erbaulicher Gedächtnis-Tag auf ewig heißen.75

Flottwell hebt die Lebhaftigkeit und Anmutigkeit des mündlichen Scherz-Vortrags eigens hervor – und gibt einen interessanten zeithistorischen Einblick in die musikalische Einbettung der Rede sowie in die festliche, semi-private Umgebung der GottschedQschen ,LaubenhütteR. Vgl. Döring, Die Leipziger Lebenswelt (wie Anm. 22), 54. Vgl. Marie-H8lHne Qu8val, Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Philosophie und Religion, in: Sabine Koloch (Hg.), Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2010, 187–218. Vgl. Döring, Die Leipziger Lebenswelt (wie Anm. 22), 57. 74 Vgl. ebd., 60; vgl. auch Detlef Döring, Beiträge zur Geschichte der Gesellschaft der Aletophilen in Leipzig, in: ders., Kurt Nowak (Hg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820). Teil 1, Stuttgart, Leipzig 2000, 95–150. 75 Flottwell an Luise Gottsched, 2. Jan. 1740, in: Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched, Bd. 6, hg. und bearb. von Detlef Döring u. a., Berlin, Boston 2012, 283 f., hier 284. 72 73

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Die Redesituation ist hingegen eine andere in der unter Johann Christoph Gottsched 1727 neu aufgestellten ,Deutschen GesellschaftR in Leipzig, die sich durch ihre progressive Aneignung aufklärerischen Denkens, kombiniert mit einer poetischen und sprachpflegerischen Ausrichtung auszeichnet, und sich innerhalb weniger Jahre „zu einer Akademie nationaler Bedeutung“ entwickelt.76 Die zumeist akademisch gebildeten Mitglieder sind nicht nur aufgefordert, ihre Befähigung „beim Abfassen poetischer Texte, sondern auch auf dem Felde des überzeugenden und ergreifenden Redens unter Beweis zu stellen“.77 Nina Hahne weist auf die enorme Bedeutung hin, welche die Gesellschaft der Beredsamkeit zuweist: Neben einer Antrittsrede werden weitere Reden in der Gesellschaft vorgetragen und dann (oftmals mit dem ,GütesiegelR „in der N.N.-Gesellschaft abgelesen“) veröffentlicht.78 1730 ernennt die Gesellschaft Christiana Mariana von Ziegler als erste (und fürderhin einzige) Frau zum ordentlichen Mitglied. In ihrer Antrittsrede thematisiert Ziegler die Außergewöhnlichkeit ihrer Mitgliedschaft als Frau ausführlich, spricht den erwarteten gesellschaftlichen Spott und Hass für ihre Aufnahme an, und versichert sich der Unterstützung ihres Publikum „gegen alle Tadler und unverschämte Spötter“.79 Zieglers Antrittsrede wird regulär in den Gesammleten Reden und Gedichten der Gesellschaft veröffentlicht, scheint jedoch in ihrer Abwesenheit verlesen worden zu sein – wie Nina Hahne behauptet, „da eine persönliche Teilnahme von Frauen an den Zusammenkünften einer Gesellschaft undenkbar“ sei.80 Im Anschluss an jede Antrittsrede findet sich eine Antwort abgedruckt, welche in Zieglers Fall in der Tat mit einer Bemerkung schließt, die auf ihre Abwesenheit hindeutet: Unsere Gesellschaft schätzt sich unterdessen beglückt, unter ihren Mitgliedern auch eine berühmte von Ziegler zu zehlen, und sollte dieselbe nicht das Vergnügen haben, Sie Hoch- und Wohlgebohrne Frau, in Person bey ihren Zusammenkünften zu sehen; so

Detlef Döring, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds, Tübingen 2002, 232. Vgl. Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Gesammlete Reden und Gedichte, welche bey dem Eintritte und Abschiede ihrer Mitglieder pflegen abgelesen zu werden. Nebst einer vorhergesetzten ausführlichen Erläuterung ihrer Absichten, Anstalten und der davon zu erwartenden Vortheile, ans Licht gestellet, und mit einer Vorrede versehen von Johann Christoph Gottscheden, Prof. der Poesie und Collegiaten zu Leipzig, auch der Königl. Preuß. Soc. der Wissenschaf. Mitgl., Leipzig 1732. 77 Nina Hahne, Der Rede-Essay als Selbsttechnik in Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, in: Aufklärung 28 (2017), 191–214, hier 191. 78 Vgl. ebd., 197. 79 Antrittsrede der Hoch-Wohlgebohrnen Frauen Christianen Marianen von Ziegler, geb. Romanus, aus Leipzig, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Gesammlete Reden und Gedichte (wie Anm. 76), 281–300, hier 295. 80 Hahne, Der Rede-Essay als Selbsttechnik (wie Anm. 77), 199. 76

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hat sie doch die Ehre, daß Dero geschickte Feder sich inskünftige mit den ihrigen vereiniget, die Ehre der Deutschen Nation auf das höchste zu treiben.81

Warum jedoch Ziegler nie vor der ,Deutschen GesellschaftR gesprochen hat, bleibt unklar.82 „Undenkbar“ scheint dies zumindest nicht zu sein, stellt sich doch Ziegler in ihrer Antrittsrede selbst in die Tradition einer Reihe deutscher Frauen, die in Gesellschaften „mitten unter gelehrten Männern sitzen“ und „ihre Stimme erheben“.83 Sollte Ziegler dennoch in der ,Deutschen GesellschaftR nie die Stimme persönlich erhoben haben, wäre dies ein weiteres Indiz dafür, wie problematisch der weibliche Sprechakt in der akademischen Deutschen Gesellschaft war, wohingegen der Ernennung von Ziegler und der Publikation ihrer Antrittsrede – trotz aller Ungewöhnlichkeit – offenbar weniger entgegenstand. Vor diesem Hintergrund mag die Weigerung der jungen Luise Kulmus verständlicher erscheinen, das Angebot von Johann Christoph Gottsched anzunehmen, es Christiana Mariana von Ziegler gleichzutun und als zweites weibliches Mitglied der ,Deutschen GesellschaftR beizutreten. Die Frau von Z. kann mit Recht die Aufnahme in die deutsche Gesellschaft ebenso hoch schätzen, als wenn sie von irgend einer Academie den Doctorhut erhalten hätte. Aber gewiß, Sie halten mich für sehr verwegen, wenn Sie mir zutrauen, an dergleichen Ehre zu denken. Nein, dieser Einfall soll nicht bey mir aufkommen. Ich erlaube meinem Geschlechte einen kleinen Umweg zu nehmen; allein, wo wir unsere Grenzen aus dem Gesichte verlieren, so gerathen wir in Labyrinth, und verliehren den Leitfaden unserer schwachen Vernunft, die uns doch glücklich ans Ende bringen sollte. Ich will mich hüten von dem Strom hingerissen zu werden. Aus diesem Grund versichere ich Sie, daß ich meinen Nahmen nie unter den Mitgliedern der deutschen Gesellschaft wissen will.84

Dass die Aufnahme in die ,Deutsche GesellschaftR der Doktorwürde gleiche, ist aus Luise KulmusQ Feder ein recht „zweifelhaftes Kompliment“, wie Inka KorCarl Heinrich Frh. von Seherrthoß, Antwort aufs vorhergehende, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Gesammlete Reden und Gedichte (wie Anm. 76), 206–301, hier 301. 82 Auch männliche Mitglieder konnten durch die „Entfernung oder andere Umstände“, wie Johann Christoph Gottsched in der Vorrede zu den Gesammlete Reden und Gedichten bemerkt, teilweise ihre Antrittsrede nicht selbst verlesen. 83 „Wie viel Deutsche Frauenzimmer, so gelehrten Zusammenkünften, als Mitglieder, beygewohnet, stellen sich nicht meinen Augen dar? Hier erinnere ich mich einer gelehrten und edelmüthigen Baronesse von Greiffenberg, die ihr kluges Urhteil nicht nur in der Deutschen Genossenschaft wohl zu fällen weis, sondern sich auch gar zur Obervorsteherin und Zunftmeisterin der Lilienzunft aufwirft. Dort sehe ich eine geschickte Möllerin von Königsberg in Preussen mitten unter gelehrten Männern sitzen. Bald ertheilet eine tiefsinnige Limburgerin, ihre Stimme und Meynung in der löblichen Blumengenossenschaft; bald aber erhebet eine in gelehrten Künsten und Wissenschaften wohlerfahrne Langin von Nürnberg die Stimme in ihrer Gesellschaft“ (Antrittsrede der Hoch-Wohlgebohrnen Frauen Christianen Marianen von Ziegler [wie Anm. 79], 293). 84 Kulmus an Gottsched, 19. Juli 1732, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 32 f. 81

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ding analysiert.85 Beides erscheint für die angehende Schriftstellerin außerhalb der „Grenzen“ des weiblichen Geschlechtes zu liegen. Susanne Kord hingegen bezweifelt, dass Luise KulmusQ Bemerkung ernst zu nehmen sei: Die Metaphorik sowie ihre Aussage seien „too evokative of the worst contemporary clich8s to be taken entirely seriously“ und stünden im Kontext der brieflichen ,VerhandlungenR mit ihrem Mentor Johann Christoph Gottsched, von dem sich Luise Kulmus abzugrenzen versuche, um Kontrolle über ihr eigenes Schreiben und Publizieren zu übernehmen.86 Obwohl eine solche ironische Lesart möglich ist, liegen meines Erachtens keine eindeutigen Ironiesignale im Kontext der Briefe vor. Auch der Vergleich mit Zieglers Antrittsrede, welche die üblichen Bescheidenheitsbekundungen aufgrund ihrer Ernennung geradezu in Demutsbezeugungen steigert, lässt weniger die ,schlimmsten Klisch8sR, sondern vielmehr eine in diesem Kontext nicht ungewöhnliche captatio benevolentiae erkennen. Beschreibt doch Ziegler in ähnlichen Wendungen ihre ,BlödigkeitR und ihre „nur halb geschnittene Feder“87 just in ihrer Antrittsrede für die ,Deutsche GesellschaftR, mit der es gilt, ihre intellektuelle und sprachliche Befähigung unter Beweis zu stellen: Mein Unvermögen ist mir am allerbesten bekannt, und meine herrlichste und schönste Wissenschaft, so ich vor allen andern besitze, ist diese, daß ich wirklich weis, wie wenig ich meinen Kräften zuzutrauen habe. […] Sie rufen mich ganz unverhoft unter die anmuthigen Lorbeersträucher ihres Deutschen Parnasses, bey welchen sie mir so Schatten, als Belustigung, großmüthig verprechen; und mein Geist ist viel zu blöde, den mir angewiesenen Sitz einzunehmen. Ich soll forthin ein Glied von ihrer gelehrten Zunft heissen, und die Ohnmacht hält meinen zitternden Fuß zurücke, da er die ersten Stufen ihres Musenhayns betreten will. Zu was entschliesse ich mich nun? Schlage ich ihnen solches ab, so dörfte sich so dann ihrer allerseits edelmüthige Neugung und Gunst gegen meine schlechte Muse in einen verdienten Haß und Wiedervillen verwandeln […]. Gebe ich ihrem Begehren Gehör, so werde ich selbst meine Schwäche des Verstandes und die wenigen Kräfte des Gemüthes in ihren Berathschlagungen und herumgehenden Stimmen verrathen.88

Ziegler inszeniert einen vermeintlichen Gewissenskonflikt, ob sie die Ehre des Beitrittsangebots annehmen oder ablehnen soll, der in der Redesituation einer Antrittsrede natürlich bereits gelöst sein muss. Doch gibt ihr diese Inszenierung Raum für die – offenbar erforderlichen – Bescheidenheitsbezeugungen, die in der spitzfindigen Argumentation gipfeln, sie halte ihre Ernennung zwar selbst für einen ,FehlerR, sei jedoch nicht in der Position diese zu kritisieren und müsse sie daher annehmen. Unter den Augen einer Öffentlichkeit, die „dem sämtlichen Kording, Einleitung (wie Anm. 3), 8. Kord, Little Detours (wie Anm. 2), 51. 87 Antrittsrede der Hoch-Wohlgebohrnen Frauen Christianen Marianen von Ziegler (wie Anm. 79), 288. 88 Ebd., 294. 85 86

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deutschen Frauen-Volke, die Fähigkeit und Geschicklichkeit gelehrten Wissenschaften nachzuhängen“ abspricht und die mit „Spötterey“, „Haß und Neid“ auf schreibende bzw. redende Frauen reagiert, wie es Ziegler selbst formuliert,89 können Frauen des frühen 18. Jahrhunderts wie Ziegler und Kulmus nicht offen den Wunsch oder die Forderung äußern, einer Gesellschaft oder Universität anzugehören, ohne mit massiven sozialen Repressionen rechnen zu müssen. Insofern offenbart sich hier eine Problematik der heutigen wissenschaftlichen Rekonstruktion emanzipatorischer Anliegen in dem nicht repressionsfreien Umfeld des 18. Jahrhunderts. Es bleibt Interpretationssache, ob der vielzitierte „kleine Umweg“90 von Luise Gottsched ironisch zu verstehen ist und mithin ein emanzipatorisches Bestreben ausdrückt, wie Susanne Kord vermutet; oder wortwörtlich zu verstehen ist und mithin Frauen zwar ,mehrR aber keinesfalls die ,gleichenR wissenschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten zugesteht, wie dies Inka Kording meint; oder ob die für heutige Leserinnen maßlos erscheinenden Bescheidenheitsbekundungen es gerade ermöglichen, unter diesem Deckmantel das eigene intellektuelle Vermögen zu illustrieren und so implizit den Anspruch auf Gleichheit zu proklamieren, wie ich meine. Dennoch ist zuletzt nicht von der Hand zu weisen, dass sich Luise Gottsched einem Beitritt zur ,Deutschen GesellschaftR mit den damit verbundenen Aktionsmöglichkeiten (ebenso wie den damit verbundenen sozialen Repressionen) Zeit ihres Lebens verweigert hat. Die progressive (Selbst-)Inszenierung weiblicher Redekunst in Luise Gottscheds schriftlichen Texten geht mit ihrer Selbstbeschränkung als Rednerin in der ,Deutschen GesellschaftR Hand in Hand. VI. Schluss Luise Gottsched hat sich mit ihren übersetzten und selbst verfassten Reden bzw. Redewettstreiten in eine exklusiv männliche Domäne: die Rhetorik eingeschrieben. Das emanzipative Potenzial der beiden Redewettstreite lässt sich aus der Reibung zwischen den Paratexten (Widmung, Vorrede, Anhang) und dem fiktiven Redewettstreit erschließen. Während Luise Gottsched in den Vorreden explizit auf ihre Weiblichkeit verweist, sich in eine weibliche Genealogie von Gelehrten Ebd., 288 f. Kulmus an Gottsched, 19. Juli 1732, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 32 f. Kaum eine Publikation über Luise Gottsched lässt dieses Zitat aus, viele setzen es gar in den Titel, so dass ein Feminismus der ,kleinen UmwegeR kennzeichnend für Luise Gottsched erscheint, vgl. bspw. Nicola Kaminski, Gottsched/in oder Umwege weiblicher Autorschaft. ,Die Vernünftigen TadlerinnenR – ,Die Pietisterey im Fischbein-Rocke; Oder die Doctormäßige FrauR – ,Herr WitzlingR, in: Stephan Pabst (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin, Boston 2011, 89–127. Vgl. Kord, Little Detours (wie Anm. 2), ebenso Sanders, Ein kleiner Umweg (wie Anm. 2), 170–194. 89 90

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einreiht, auf ihre Kenntnisse der Redekunst beruft und (im Triumph der Weltweisheit) ihre eigene Autorschaft der Reden betont, schlüpft sie in den Reden in eine männliche persona, die sich an ein ausschließlich männliches Publikum richtet. Dieser Kontrast macht das fehlende Angebot einer weiblichen rhetorischen persona in der (antiken) Rhetorik ebenso wie in der Rhetorik des 18. Jahrhunderts sichtbar. Während die Redetexte die Männlichkeit der Rede unkritisch zu bestätigen und zu wiederholen scheinen, eröffnen die Paratexte Raum für die weibliche Wort-Ergreifung. Luise Gottsched zeigt ostentativ, dass sie ebenso intellektuell befähigt, historisch bewandert und rhetorisch gebildet ist, wie die lange Reihe Redner vor ihr. Nicht zuletzt lässt sich Luise Gottscheds Auseinandersetzung mit der Rhetorik auch als Grundlage für die Literarisierung von redegewandten Frauenfiguren verstehen, die Barbara Becker-Cantarino als wichtigste Neuerung in Luise Gottscheds selbst verfassten Komödien beschreibt.91 In diesem Zusammenhang erscheint es mir auch kein Zufall, dass Luise Gottsched 1750 ein Trauerspiel über eine der wenigen überlieferten Ausnahmen rhetorisch versierter Frauen der Antike übersetzt: Cornelia, die Mutter der Grachen. Trotz dieser Verdienste um die Darstellung redekundiger weiblicher Figuren und trotz ihrer Selbstdarstellung als Rhetorikerin, scheut Luise Gottsched jedoch den öffentlichen Redeauftritt, ja äußert sich abfällig über Frauen wie Laura Bassi oder Christiana Mariana von Ziegler, die sich öffentlich als Rednerinnen zeigen. Dieser ambivalente Befund gibt in Bezug auf ein Konzept des Feminismus im 18. Jahrhundert zu denken: Ist Feminismus nur ganz oder gar nicht zu haben? Gibt es einen Feminismus der kleinen (Zwischen-)Schritte, der das emanzipative Potential einzelner Äußerungen vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Feldes honoriert, ohne zu erwarten, das Feld bereits ganz vermessen und durchquert zu haben? Ist es sinnvoll, einzelne Positionen, Handlungen bzw. Schriften als feministisch zu markieren, ohne die sich äußernde Person als Feminist/in zu beschreiben? Oder anders gefragt: Entgeht dem wissenschaftlichen Blick nicht eine Vielzahl feministischer Positionen der Aufklärung, wenn die Messlatte in einem universellen (Egalitäts-)Feminismus besteht? Nur im Rückblick kann Geschichte als teleologische Entwicklung oder Fortschritt der Emanzipation konstruiert werden, in der Gegenwart des 18. Jahrhunderts hingegen erscheint sie als kontingente Gleichzeitigkeit. Insofern kann auch nicht die Rede davon sein, dass Luise Gottsched eine bereits erreichte Errungenschaft – das Auftreten von Rednerinnen in der Öffentlichkeit – zurückzudrehen versucht. Vor dem Hintergrund der feministischen Entwicklung des 21. Jahrhunderts erscheinen Rednerinnen wie Laura Bassi oder Christiana Mariana von Ziegler zwar als Vorreiterinnen, vor dem Hintergrund des frühen 18. Jahrhunderts jedoch als singuläre Ausnahmen, die von wenigen gefeiert wurden, vor allem je91

Vgl. Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit (wie Anm. 2).

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doch massiven sozialen Anfeindungen ausgesetzt waren. Während Luise Gottsched im schriftlichen Kosmos der literarischen und wissenschaftlichen Texte raum- und zeitübergreifend auf die (wenigen) Frauen in ihrem Feld verweisen und eine weibliche Autorinnen-Genealogie konstruieren kann, die ihre eigene (schriftliche) Redeposition legitimiert, ist dies im mündlichen Redeauftritt in Leipzig nicht gleichermaßen möglich. Stattdessen stünde ihre Reputation auf dem Spiel. Ihre emanzipative Leistung ist insofern vor dem Hintergrund der Differenzen schriftlich/mündlich, gesellig/akademisch sowie privat/öffentlich zu bewerten. So wird die ambivalente Position Luise Gottscheds zumindest verständlich, die einerseits im weiten europäischen Schrift-Raum die Gleichheit der Geschlechter auf dem Feld der Literatur, Philosophie und – wie hier aufgezeigt: – der Rhetorik vehement einfordert, und andererseits im engeren Leipziger Lebens-Raum den öffentlichen, mündlichen Redeauftritt selbst scheut sowie kritisch beurteilt. Versteht man eine sukzessive Erweiterung von Grenzen weiblicher intellektueller Autonomie in einem gegebenen historischen Setting als feministischen Akt (ohne eine ,vollständigeR Auflösung dieser Grenzen einzufordern), wofür ich hier plädieren würde, lässt sich Luise Gottscheds Position trotz ihrer Ambivalenz als feministisch bezeichnen: weil sie die kulturell auferlegten Grenzen ihres Geschlechts in der Rhetorik reflektiert und ausweitet, auch wenn sie eben diese, „unsere Grenzen“ in Bezug auf den mündlichen Redeauftritt wiederum einzieht.92 Luise Gottsched gilt als eine der gebildetsten Frauen der Frühaufklärung, doch während sie einerseits für die intellektuelle Egalität der Geschlechter plädiert, stellt sie andere kulturell auferlegte „Grenzen“ ihres Geschlechts nicht in Frage. Der Beitrag hinterfragt diese ambivalente Position in Bezug auf Luise Gottscheds rhetorische Schriften. Er zeigt, wie sie das Format des dezidiert männlich konnotierten Redewettstreits nutzt, um im Kontrast zwischen männlicher Rede und weiblichen Paratexten die rhetorische Befähigung des weiblichen Geschlechts zu illustrieren, ihre eigene Könnerschaft zu demonstrieren und zugleich das Fehlen einer weiblichen rhetorischen persona im 18. Jahrhundert zu kritisieren. Obwohl Gottsched mit ihren Schriften zur Rhetorik an die Öffentlichkeit tritt, lehnt sie eine öffentliche Performanz von Frauen als Rednerinnen ab. Diese Ambivalenz zwischen Emanzipation und Tradition wird vor dem Hintergrund rhetorikgeschichtlicher Hindernisse weiblicher Wortergreifung erklärt. Dies führt zu einer Hinterfragung und Erweiterung der Parameter ,privat/öffentlichR zur Beschreibung des feministischen Projekts der Aufklärung um ,gesellig/akademischR und ,mündlich/schriftlichR. Luise Gottsched is considered to be one of the most well-educated women of early enlightenment. While she pleads for the intellectual equality of both sexes, she doesnQt question other culturally imposed „limitations“ of her gender. This paper questions this ambivalent position with respect to Luise GottschedQs rethorical writings. It shows how she uses the format of the speakersQ contest with its decidedly male connotations to illustrate the rhe92

Kulmus an Gottsched, 19. Juli 1732, in: Kording (Hg.), Louise Gottsched (wie Anm. 3), 32 f.

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torical ability of the female gender in the context of male speech and female paratext. She also demonstrates her own ability and in doing so criticizes the lack of a female rhetorical persona in the 18th century. Although Gottsched goes public with her writings on rhetoric, she rejects the public performance of women as speakers. This ambivalence between emancipation and tradition is explained against the backdrop of hindrances against women speaking up in the history of rhetoric. This leads to a questioning and the extension of the parameters of ,public/privateR used to describe the feminist project during enlightenment by the dichotomies of ,social/academicR and ,oral/writtenR. Dr. Lily Tonger-Erk, Eberhard Karls Universität Tübingen, Deutsches Seminar, Wilhelmstraße 50, D-72074 Tübingen, Email: [email protected]

Gideon Stiening Feministische Vorurteilskritik Dorothea Christiane Leporins Argumente wider das Verbot des Frauenstudiums Sind wir denn nicht so wohl Menschen als die Männer?1

I. Leporin als feministische Aufklärerin? Auf den ersten Blick mag es so scheinen, dass Dorothea Christiane Leporin in ihrem Kampf mit den Gegnern der Frauengelehrsamkeit weder zu einem Feminismus des 18. Jahrhunderts noch zur Aufklärung, noch gar zu einer feministischen Radikalaufklärung zu rechnen ist – zumal in Fragen einer Geschlechteranthropologie, -soziologie oder -politik. Zwar werden die mit diesen Disziplinen verbundenen Fragestellungen von der Autorin reflektiert und beantwortet. Dies erfolgt jedoch aus einer Position, die keineswegs als radikalaufklärerisch zu bezeichnen ist,2 und zwar allein deshalb, weil sie in ihrer umfangreichen Studie Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten aus dem Jahre 1742 deutlich macht, dass die theologisch lange umstrittene Annahme,3 dass nicht allein der Mann, sondern auch die Frau Ebenbild Gottes sei, eine der entscheidenden Grundlagen ihrer gesamten Argumentation darstellt; so heißt es:

Dorothea Christiana Leporin, Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, daß dieses Geschlecht der Gelahrheit sich befleisse, umständlich dargelegt wird, Berlin 1742, 106. 2 Zu dieser nach wie vor umstrittenen historiographischen Kategorie der Forschung vgl. Jonathan Israel, Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650 – 1750, Oxford 2001; zu einigen kritischen Diskussionen dieses Konzepts vgl. Frank Grunert (Hg.), Concepts of (Radical) Enlightenment. Jonathan Israel in Discussion, Halle 2014 sowie Jonathan Israel, Martin Muslow (Hg.), Radikalaufklärung, Frankfurt am Main 2014. 3 Vgl. hierzu u. a. Decretum Gratiani, Causa 33, Quaestio 5, c. 13: „Mulier […] non est gloria aut imago Dei.“ 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Indem dieser große Gelehrte [gemeint ist Christian August Heumann] auf das auch unserem Geschlecht zu theil gewordene göttliche Ebenbild seinen Satz gründet [d. i., dass auch das Frauenzimmer der gelehrten Weisheit, d. i. der Philosophie fähig sei], so macht er denjenigen Grund nahmhafft, der in unsrer gantzen Sache Haupt Grund ist, und bleibet, und welchen Niemand umwerffen wird.4

Leporin nimmt mithin den Nachweis der Geltung des imago dei-Arguments, einem der grundlegenden Dogmen christlicher Anthropologie,5 für die Frau als zentrale Prämisse ihrer Argumentation in Anspruch, und zwar auch und vor allem im Hinblick auf die gesellschaftliche und staatliche Zulassung der Frauengelehrsamkeit. Dieses Bekenntnis klingt aber wenig nach Aufklärung, Feminismus oder gar feministischer Radikalaufklärung, sondern nach einem – wie es in einer neueren Forschungsarbeit heißt – „pietistic belief“,6 also nach einem ,theologischen FeminismusR, dessen aufklärerische Kontur keineswegs selbstverständlich, sondern vielmehr überaus fraglich ist.7 Es wird aber noch problematischer: Ebenso wenig aufgeklärt, nicht einmal konsequent in Bezug auf ihr Argumentationsziel erscheint es, wenn Leporin in ihrer Studie nach einer Fülle von empirischen, rationalen und autoritativ-gelehrten Nachweisen zu der Ansicht gelangt, Frauen könnten in der Gelehrsamkeit grundsätzlich weniger leisten als Männer:

Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 59; Leporin hatte auf dieses Dogma schon zuvor hingewiesen, vgl. ebd., 21 und 42. 5 Anette Schellenberg, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen, Zürich 2011. 6 Elisabeth Poeter, Gender, Religion, and Medicine in Enlightenment Germany: Dorothea Christane LeporinQs Treatise on the Education of Women. In: NMSA-Journal 20 (2008), 99–119, hier 108. 7 Denn das Verhältnis von Aufklärung und Theologie ist weder in historischer noch in systematischer Hinsicht hinreichend erforscht; zwar nimmt eine spezifische Theologiehistoriographie für sich in Anspruch, eine aufgeklärte Theologie und deren Auswirkungen auf die Philosophie, die Wissenschaften und die Künste zu erforschen (vgl. u. a. Walter Sparn u. a., Philosophie und Theologie, in: Helmut Holzhey, Vilem Murdoch [Hg.], Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa, 1. Halbbd., Basel 2014, 449 – 517; Albrecht Beutel, Martha Nooke [Hg.], Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie, Tübingen 2016); gleichwohl müsste hinreichend berücksichtigt werden, dass spätestens ab 1781 jede Referenz auf eine Gottesinstanz und deren Konsequenzen im Rahmen rationaler Argumentation unmöglich geworden ist und es damit je schon war; auch die vor allem historische These von einer ,RadikalaufklärungR, die als streng säkulare recht eigentlich erst Aufklärung sei, sollte für diese Frage berücksichtigt werden; vgl. hierzu u. a. auch Gideon Stiening, „Die besonderen Absichten Gottes im Thierreiche“. Theologie und Metaphysik in ReimarusQ ,Allgemeiner Betrachtung über die Triebe der ThiereR, in: Stefan Klingner, Dieter Hüning (Hg.), Hermann Samuel Reimarus (1694 – 1768). Natürliche Religion und Popularphilosophie, Berlin, Boston [i. D.]. 4

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Das weibliche Geschlecht ist zwar vermögend in der Gelehrsamkeit vieles auszurichten, aber dennoch hat das männliche Geschlecht einige aufzuweisen, welchen das Frauenzimmer in gewissen Stücken der Gelehrsamkeit den Vorzug lassen muß.8

Die hier aufscheinende grundsätzliche Akzeptanz männlicher Superiorität in Gelehrsamkeitsfragen wirkt – bei aller quantitativen Einschränkung – für die These von einer ,Feministischen AufklärungR desaströs. Und noch eine dritte Haltung der Autorin muss deren Zuweisung zu einem aufgeklärten Feminismus – oder gar das Konzept selber – fragwürdig erscheinen lassen: Im Rahmen der mehrfach reflektierten Frage, ob gelehrte Frauen der Aufgabe der „Haushaltung“, also der Ordnung und Führung des privaten Haushalts, Rechnung tragen könnten, hält Leporin zunächst ausdrücklich fest: Die Haushaltung zu führen ist eine Pflicht, welcher sich kein einziges Frauenzimmer entziehen darf, und es würde alle ihr Wissen nichts seyn, wo man sie in Ansehung der Haushaltung einer Unwissenheit beschuldigen könte. Ich fodere daher keinesweges, daß das weibliche Geschlecht alle ihre Zeit mit dem Studiren zubringen, und sich um die Haushaltung nicht bekümmern solle, denn dieses wäre unvernünftig.9

Die durch die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert entstehende geschlechterspezifische Arbeitsteilung10 wird von der Autorin wie selbstverständlich vertreten und gar normativ fundiert, indem die Führung des privaten Haushalts als Pflicht des weiblichen Geschlechts ausgewiesen wird. Der noch zu betrachtende Pflichtbegriff Leporins wird zeigen, dass dieses Argument ein systematisches Fundament hat, also mehr als eine Floskel ist. Trotz dieser naturrechtlich fundierten Pflicht betont Leporin aber nachdrücklich, dass Frauen gleichwohl Wissenschaft betreiben können, ohne diese Pflicht zu vernachlässigen.11 Vor dem Hintergrund dieser Argumentation in einem der wenigen deutschsprachigen geschlechterpolitischen Traktate von Frauenhand im frühen 18. Jahrhundert stellt sich die Frage: Ist ,AufklärungR in Geschlechterfragen – zumindest aus Leporin, Gründliche Untersuchung (wie. Anm. 1), 64; Hvhg. G.S. Ebd., 209. 10 Vgl. hierzu Karin Hausen, Die Polarisierung der Geschlechterfrage: eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, 363 – 393; Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, 149 f.; Angelika Wetterer, Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit, in: Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2 2008, 126 – 136, spez. 131 ff. 11 Dass dieses Problem der Vermittlung von Haushalt und Gelehrsamkeit in der Frühaufklärung topisch ist, zeigen Gottscheds Ausführungen in den Vernünftigen Tadlerinnen, vgl. hierzu Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen Präsentationsformen des Weiblichen, Frankfurt am Main 1979, 108 f. 8

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der Sicht öffentlich beteiligter Akteurinnen – in den deutschsprachigen Ländern des 18. Jahrhunderts, hier in Quedlinburg, nahe einem der großen Zentren der Aufklärung, der Universität Halle,12 die Leporin 1757 als erste Frau im Fach Medizin promovieren wird,13 lediglich als ,moderateR, weil theonome und unterwerfungsbereite Kompromisskonzeption zu haben?14 Bei näherer Betrachtung ist dieses Urteil nicht zu begründen; betrachtet man nämlich genauer den Kontext, aus dem heraus und in den hinein Leporin ihren Text verfasst, betrachtet man zudem die Argumentationsbewegungen, -taktiken und -strategien, betrachtet man letztlich die systematischen Prämissen, die die Autorin ihren Beweisgängen zugrunde legt, sowie die klare Zielsetzung, auf die sie mit ihrer Abhandlung abzweckt, dann lässt sich erkennen, dass hier ein womöglich systematisch moderater, strategisch aber kluger und taktisch konsequenter ,aufklärerischer FeminismusR agiert, der bereit und in der Lage ist, es mit der gesamten gelehrten Welt aufzunehmen. Im Folgenden werden ausschließlich Methodik und Systematik der Gründlichen Untersuchung betrachtet werden, weil Leporins Dissertation schon mehrfach analysiert wurde,15 und weil ihre philosophische Abhandlung – und als ebendiese muss die Untersuchung bezeichnet werden16 – noch nicht hinreichend auf ihre philosophische Systematik und ihre argumentationslogische Strategie hin inVgl. hierzu Norbert Hinske, Zentren der Aufklärung I. Halle – Aufklärung und Pietismus, Wolfenbüttel 1989. 13 Zu den ungewöhnlichen Vorgängen vgl. Ursula Schiedgen, Dorothea Christiana Leporin, verheiratete Erxleben (1715 – 1762). Pfarrfrau und streitbare Ärztin in Quedlinburg, in: Eva Brinkschulte (Hg.), Dorothea Christiana Erxleben: Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert, Halle 2006, 32–54. 14 Der Begriff der ,moderaten AufklärungR wird hier zunächst im Sinne der Distinktionen Israels (wie Anm. 2), verwendet; es wird sich aber im Laufe und durch die Abhandlung zeigen, dass hieran erhebliche Differenzierungen vorzunehmen sind. 15 Vgl. hierzu u. a. Annette Fulda, „Da dergleichen Exempel bey dem weiblichen Geschlechte insonderheit in Deutschland etwas rar sind“. Gelehrtes Wissen, ärztliche Praxis und akademische Promotion Dorothea Christiana Erxlebens (1715 – 1762), in: Michaela Hohkamp, Gabriele Jancke (Hg.), Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, Königstein im Taunus 2004, 60–82; Ortrun Riha, „Gründliche Untersuchung“ und „Academische Abhandlung“. Die wissenschaftlichen Schriften von Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin, in: Brinkschulte (Hg.), Dorothea Christiana Erxleben (wie Anm. 13), 55–70 sowie Kornelia Steffi Gabriele Markau, Dorothea Christiana Erxleben (1715 – 1762): Die erste promovierte Ärztin Deutschlands. Eine Analyse ihrer lateinischen Promotionsschrift sowie der ersten deutschen Übersetzung, Diss. Halle-Wittenberg 2006. 16 Vgl. hierzu Annette Fulda, Vorurteilskritik und Zugang von Frauen zur Bildung: Dorothea Christiana Erxlebens Rezeption der Frühaufklärung, in: Brinkschulte (Hg.), Dorothea Christiana Erxleben (wie Anm. 13), 71–79 sowie Barbara Dölemeyer, Die soziale und politische Stellung der Frau, in: Helmut Holzhey, Vilem Murdoch (Hg.), Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, Schweiz, Nord- und Osteuropa, 2. Halbbd., Basel 2014, 1229–1234. 12

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terpretiert worden ist.17 Erst eine Analyse und Interpretation der philosophischen Gehalte der Gründlichen Untersuchung ermöglicht die Situierung der spezifischen Position Leporins in das vielfältige Tableau der Aufklärungsformationen.

II. Prämissen: Anthropologie und Theologie zwischen Thomasius und Wolff Schon gegen Ende ihrer Einleitung, die nach einer von Bescheidenheitstopoi überladenen Vorrede präziser zur eigentlichen Sache kommt, macht Leporin deutlich, in welchen methodischen Kontext sie die nachfolgenden Untersuchung gestellt sehen möchte, und sie macht es in einer der frühen Aufklärung geläufigen, polemischen Weise18 klar: Die aber gar nicht mahl wissen, was durch Vorurtheile zu verstehen, die werden auch wohl ohne mein Bitten so gut seyn, und diese Bogen ungelesen lassen.19

Unverkennbar ist folglich schon an dieser frühen Stelle der Abhandlung, dass es der Autorin mit ihrer Schrift um ein konstitutives Anliegen der Aufklärung, nämlich um Vorurteilskritik20 zu tun ist, die es durch rationale Widerlegung auszuräumen gelte, nicht allein um der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, sondern auch und vor allem, um die konkreten Beschränkungen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die diese Vorurteile in der lebensweltlichen, aber auch gesellschafts- oder auch institutionenpolitischen Wirklichkeit bedeuteten. Tatsächlich gelten Leporin eine Fülle vor Vorurteilen über die Gelehrsamkeit von Frauen als tatsächlich wirksame Ursachen, „welche die Studia des weiblichen Geschlechts hindern“.21 Das gilt unbenommen der Tatsache, dass Leporins Text in den letzten Jahren mehrfach ediert und – in Teilen – übersetzt wurde, vgl. hierzu hierzu Dorothea Christiana Leporin, Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, Berlin 1742 [mit einem Nachwort von Gerda Rechenberg, ND Hildesheim, Zürich, News York 1987]; Dorothea Erxleben, Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, Zürich, Dortmund 1993 [allerdings muss diese Ausgabe als entstellende, unbrauchbare Kürzung bezeichnet werden]; Dorothea Catherina Erxleben, Rigorous Investigation of the Causes that Obstruct the Femal Sex from Study (1742), in: Early German Philosophy (1690 – 1750). A Selection, edited and translated by Corey W. Dyck, Oxford 2019, 41–56. 18 Vgl. hierzu u. a. Laurenz Lütteken, Das ungeliebte Paradigma. Schwierigkeiten und Perspektiven musiktheoretischer Aufklärungsforschung, in: Stefanie Stockhorst (Hg.), Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung, Göttingen 2013, 159–179, spez. 173 ff. 19 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie. Anm. 1), 10. 20 Vgl. hierzu u. a. Werner Schneiders, Aufklärung und Vorurteilskritik. Studien zur Geschichte der Vorurteilstheorie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983; Paola Rumore, Introduzione. Un wolffiano differente: Georg Friedrich Meier e la sua dottrina dei pregiudizi, in: Norbert Hinske, Paola Rumore (Hg.), Georg Friedrich Meier. Contributi alla dottrina dei prediudizi. A cura di Heinrich P. Delosse, Pisa 2005, V–XXXVI. 21 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie. Anm. 1), 18. 17

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Auch Leporins Vater hatte seine die Schrift einleitende Vorrede mit einem eindeutigen Hinweis auf die Wirkmacht des Vorurteils und den Umgang der Aufklärung mit ihr beendet: „Ach! Hasset doch die Macht der blinden Vorurtheile.“22 Anders als eine jüngere, an Gadamer anschließende Forschung zum Vorurteilsdiskurs im 18. Jahrhundert suggerieren mag,23 wenn sie die epistemologische Leistungsfähigkeit des Vorurteiles für jedes Urteil oder gar für den sozialen Zusammenhalt herausarbeitet,24 liegt der eigentliche Schwerpunkt der aufklärerischen Behandlung des Vorurteils in dessen Kritik sowie der damit verbundenen Geltungsannihilierung seiner Inhalte, und dies zu dem praktischen Zweck einer Vermehrung der Glückseligkeit des Menschen durch Behebung von theoretischen und praktischen Mängeln. Die Vorurteilskritik der Aufklärung25 ist wie die Leporins keine gelehrte Spielerei, sondern eine Kritik an durch „Gewohnheit“26 festgefügten falschen Auffassungen, um deren theoretische Geltung, vor allem aber um deren praktische Konsequenzen aufzuheben27 – bei den Argumenten gegen die Gelehrsamkeit von Frauen ist diese Variante des aufgeklärten Umgangs mit dem Vorurteil für Leporin auch unmittelbar evident: Ihre aufgeklärte Vorurteilskritik zielt – wie alle Aufklärung28 – auf eine Veränderung der Realität durch einen ,Wandel durch und zur VernunftR.29 Methodisch geht es Leporin also um das genuin aufklärerische Thema der Widerlegung von Vorurteilen, die in der Forschung und der Lebenswelt jedwede Frauengelehrsamkeit ursächlich verhindern. Ausdrücklich heißt es im obigen Zitat daher in Richtung derjenige ihrer Gegner, die Begriff und Sache des Preiudiciums überhaupt, d. h. unabhängig von dessen Inhalten, nicht kennen oder nicht Christian Polycarpus Leporin, Vorrede, in: Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), [unpag.], § 110. 23 Zu den Problemlagen der gadamerschen Rehabilitierung des Vorurteiles vgl. Oliver Scholz, Vorläufige Urteile statt Vorurteile. Zur Kritik neuerer Versuche einer Rehabilitierung des Vorurteils in den Wissenschaften, in: Angewandte Philosophie. Eine internationale Zeitschrift 1 (2018), 78–90, spez. 85 f. 24 Vgl. hierzu u. a. Michel Delon, La R8habilitation de pr8juges et crise des LumiHres, in: Revue germanique international 3 (1995), 143–156; Rainer Godel, Vorurteil – Anthropologie – Literatur. Der Vorurteilsdiskurs als Modus der Selbstaufklärung im 18. Jahrhundert, Tübingen 2007. 25 Vgl. hierzu insbesondere Schneiders, Aufklärung und Vorurteilskritik (wie Anm. 20). 26 Vgl. hierzu Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 190 ff. 27 Und das gilt selbstverständlich auch für die Spätaufklärung, wie nicht allein das Beispiel Kants, sondern auch das Josephs II. dokumentiert, der gerne davon sprach, man müsse Vorurteile ,auswurzelnR; vgl. hierzu Leslie Bodi, Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781 – 1795, Wien, Köln, Weimar 21995, 160. 28 Vgl. hierzu auch Norbert Hinske, Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Eine Typologie, in: Raffaele Ciafardone (Hg.), Die Philosophie der Aufklärung. Texte und Darstellungen, Stuttgart 1990, 407 – 458. 29 Georg Schmidt, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009. 22

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kennen wollen, dass diese Zeitgenossen ihre Schrift gar nicht erst zu lesen brauchen. Und so hat es dieser scheinbar beiläufige, letzte Satz der Einleitung in sich: Mit Vertretern der Gegenaufklärung – und das sind eben solche, die nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, was ein Vorurteil ist30 – gibt es keine Verständigung auf den Feldern der intellektuellen Kontroverse. Nicht etwa, dass sich die Geschlechter nicht verstehen könnten, sondern dass sich Aufklärung und Gegenaufklärung zumindest nicht auf dem Felde des gelehrten Diskurses verstehen können und auch nicht zu verstehen brauchen, wird hier formuliert: eine echte Kampfansage, und zwar der aufklärerischen Vorurteilskritik an die Adresse der Vorurteilsapologeten und -leugner jeglicher Couleur.31 Dabei steht Leporin erkennbar in der Tradition der Vorurteilskritik Christians Wolffs, für den Vorurteile als falsche Urteile stets zu vermeiden bzw. zu verwerfen sind und für den die rationale Einsicht in die Fehlerhaftigkeit eines solchen Urteils als hinreichend galt, um sich von seiner Geltung zu verabschieden.32 Im Hinblick auf Argumente, die die Frauengelehrsamkeit verhindern wollen, ist diese kritische Haltung zu solchen Vorurteilen auch nur zu verständlich, wenngleich die Annahme, allein die Erkenntnis der Falschheit einer Annahme würde die praktische Geltung eines Vorurteiles beenden, unzureichend erscheint und schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts erschien.33 Zugleich unterscheidet sich Leporin deutlich von einer in den 1760er Jahren einsetzenden Apologie des Vorurteils, die sich vor allem pragmatischer und soziopolitischer Argumente bediente, um bestimmte Preiudicia zu legitimieren.34 Leporins strenge, d. h. hier konsequente Vorurteilskritik in Sachen Frauen-

Dass die Rehabilitierung des Vorurteils vor allem von Aufklärungsgegnern und -kritikern betrieben wurde, zeigen Schneiders, Aufklärung und Vorurteilskritik (wie Anm. 20), 236 ff. sowie Rainer Godel, Art. Vorurteil, in: Heinz Thoma (Hg.), Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe, Konzepte, Wirkung, Stuttgart, Weimar 2015, 548–557, spez. 551. 31 Man muss berücksichtigen, dass Friedrich II. erst seit 1740 im Amt und Wolff gerade erst aus Marburg nach Halle zurückgekehrt ist; noch ist unklar, wie sich der Pietismus dazu stellen wird; Leporin aber nimmt deutlich Stellung, und zwar eine solche, die ihr nicht zufällig noch Jahre später die Protektion Friedrichs II. einträgt. 32 Vgl. hierzu Christian Wolff, Ausführliche Nachrichten von seinen eigenen Schrifften, die er in deutscher Sprache heraus gegeben, Frankfurt am Main 21733, 125–149. 33 Vgl. hierzu insbesondere die alternativen Überlegungen des theonomen Voluntarismus, der sich bei Christian August Crusius Bahn bricht, so in Anweisung vernünftig zu leben. Darinnen nach Erklärung der Natur des menschlichen Willens die natürlichen Pflichten und allgemeinen Klugheitslehren in richtigen Zusammenhang vorgetragen werden, Leipzig 1744, 312 ff. (§§ 259 ff.). 34 Vgl. hierzu insbesondere Georg Friedrich Meier, Beyträge zu der Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts, Halle 1766, 103–109; Meier gibt das folgende, für jede Aufklärung desaströse Beispiel an: „Es ist ein an sich falsches Urtheil, wenn man alle Unglücksfälle für Strafen Gottes hält. Die gemeinen Christen stecken in diesem Vorurtheile. Es ist aber nicht rathsam, sie davon zu befreyen, sondern man kann es sehr nützlich anwenden, um in ihnen die Furcht Gottes, und den Abscheu vor den Sündern zu befördern“ (ebd., 108). 30

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gelehrsamkeit ist also als Hochaufklärung im uneingeschränkten Sinne zu bezeichnen. Neben dieser methodischen Vorgabe macht Leporin schon in der Einleitung ebenso klar, welche Art von Vorurteilen in der Folge analysiert und kritisch widerlegt werden sollen: Es handelt sich um jene Vorurteile, die dazu führen, dass das weibliche Geschlecht von der Gelehrsamkeit ausgeschlossen wird: Diese [d. i. die Absichten mit diesem Werk] gehen allein dahin, die Unerheblichkeit, der das weibliche Geschlecht vom studiren abhaltenden Ursachen zu untersuchen, und zu zeigen, daß es möglich, nöthig und nützlich sey, daß auch dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleisse.35

Es geht Leporin also um den Nachweis der „Unerheblichkeit“, und d. h. hier des Mangels an rationaler Beweisbarkeit und empirischer Verifizierbarkeit jener Ursachen, die dafür herangezogen werden, Frauen nicht allein von der Universitätsausbildung auszuschließen, sondern auch an jeder anderen Form privater Gelehrsamkeit zu behindern. Eine dieser Behinderungen36 bestand natürlich darin, Mädchen nicht in der Beherrschung der lateinischen Sprache auszubilden.37 Leporin zeigt in ihrer Abhandlung praktisch, dass es dafür keine guten Gründe gibt, zitiert sie doch ausführlich und wie selbstverständlich aus antiken und frühneuzeitlichen Quellen, und sie weist ausdrücklich darauf hin, dass für jeden echten Gelehrten – unabhängig von seinem Geschlecht – Übersetzungen dieser Passagen überflüssig sind.38 Das ist natürlich schon für den nur halbgebildeten Pfarrer ein Affront, den die Autorin aber genüsslich zelebriert.39

Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), Vorrede, unpag. Vgl. hierzu auch Eva Cescutti, Lateinkompetenz und ,GenderR im 16. Jahrhundert. Vier Beobachtungen und Thesen, in: Friederike Hassauer (Hg.), Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der ,Querelle des femmesR zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008, 155–167, spez. 158: „Latein-Kenntnisse sind offensichtlich nicht nur ein zentraler Indikator weiblicher Bildung und Bildungsfähigkeit, sondern auch maßgeblich für die Aufnahme in den literarischen Kanon.“ 37 Tatsächlich gehörte der Unterricht in dem auch für das 18. Jahrhundert als Gelehrten-Sprache unverzichtbaren Latein weder in der bestehenden Praxis der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch in den diversen Reform-Theorien zur Mädchenausbildung zum vorgesehene Curriculum, vgl. hierzu Christiane Mayer, Erziehung und Schulbildung für Mädchen, in: Notker Hammerstein, Ulrich Herrmann (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: 18. Jahrhundert, München 2005, 188–211. 38 So heißt es nach einem längeren Zitat aus Petrus Gregorius TholosanusQ De republica libri sex et viginti: „Statt dessen, daß ich denen, die es nicht verstehen, ins deutsche übersetze, will ich lieber aus des Hrn. Paulini gelehrten Frauenzimmer folgende Worte beyfügen“ (Leporin, Gründliche Untersuchung [wie Anm. 1], 51). 39 In einem späteren Teil der Abhandlung (vgl. ebd., 134 f.) wird sie die Fähigkeit, gelehrte Texte im Original zu lesen, auch mit dem Argument der besseren Verständlichkeit gegenüber einer Übersetzung begründen. 35 36

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Neben diesen methodischen und inhaltlichen Vorgaben lassen sich eine Reihe philosophischer Prämissen isolieren, die Leporin nicht eigens in ihrem Voraussetzungsstatus entwickelt, die jedoch für den Gang der Argumentation konstitutiv sind: Dazu gehört zunächst das Bekenntnis zu und die Anwendung von den Gesetzen der Logik und Ontologie, wie der Satz des Widerspruchs40 und der Satz des zureichenden Grundes;41 Christan Wolffs Logik wird zudem mit ihrer Unterscheidung zwischen natürlicher und künstlicher Logik ausdrücklich zitiert.42 Die Autorin dokumentiert zudem früh im Verlaufe ihrer Abhandlung, dass sie die Regeln der logischen Analyse nicht nur kennt, sondern auch beherrscht; so heißt es zum Gros der Argumente für einen Mangel an Vernunft beim weiblichen Geschlecht: Es wird als eine bereits ausgemachte und keinem Zweiffel mehr unterworffene Wahrheit von ihnen zum voraus gesetzt, daß das weibliche Geschlecht weniger Verstand, als das männliche empfangen habe, und wenn solches soll bewiesen werden, läufft alles auf petitiones principii und andere fallacias hinaus. Insonderheit berufft man sich darauf, daß das weibliche Geschlecht in studiis nicht so viel, als das männliche Geschlecht leiste. Aber es ist ein sehr verkehrter Schluß, wenn man daraus, daß nur wenige des weiblichen Geschlechts studia treiben, schließt, es fehle allen, die dieses Geschlechts sind, an denen zum Studiren erforderten Kräfften des Verstandes.43

Der Nachweis von Zirkel- und Trugschlüssen oder auch unbegründeten Verallgemeinerungen gehört zum zentralen Inventar logischer Analysen auch und gerade der Aufklärungslogiken44 und wird von Leporin hier und an vielen weiteren Stellen souverän angewandt.45 Neben den Gesetzen der Logik müssen die oben schon angedeutete theonome Anthropologie sowie eine allgemeine Physikotheologie zu den Grundlagen der leporischen Argumentation gerechnet werden. Tatsächlich zählt eine Theorie der allgemeinen, d. h. hier der geschlechtsindifferenten Natur des Menschen zu den zentralen Voraussetzungen der Autorin für die Begründung der Möglichkeit und Notwendigkeit der Frauenbildung und -gelehrsamkeit. Dabei wird die Allgemeinheit dieser Anthropologie nicht in der physischen und/oder moralischen Natur, sondern in der Gottesebenbildlichkeit und damit der Geschöpflichkeit des Menschen fundiert:

Ebd., 42. Ebd., 102. 42 Ebd., 158; zu dieser Distinktion vgl. auch Guido Zingari, Die Philosophie von Leibniz und die „Deutsche Logik“ von Christian Wolff, in: Studia Leibniziana 12 (1980), 265–278. 43 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 25. 44 Vgl. hierzu u. a. Wilhelm Risse, Die Logik der Neuzeit, 2 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1964/ 70, Bd. 2, 517 ff. 45 Vgl. hierzu Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntniß der Wahrheit, hg. und bearbeitet von Hans Werner Arndt, Hildesheim 1965, 237 ff. 40 41

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Die Kräffte der menschlichen Seele sind ein Theil des Bildes GOttes, nach welchen der Mensch gemacht ist. Nach diesem ist das weibliche Geschlecht so wohl, als das männliche Geschlecht geschaffen.46

Das zentrale anthropologische Argument für die intellektuelle Egalität der Geschlechter referiert auf deren gemeinsamen Ursprung in Gott und dessen Schöpfung des Menschen nach seinem Vorbilde. Leporin kommt auch im Zusammenhang einiger bibelhermeneutischer Auseinandersetzungen auf diesen theologischen Grundsatz der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zurück.47 Unabhängig von der Frage, ob die Autorin von diesem Theologumenon überzeugt war oder nicht – und vieles spricht dafür, dass sie es war –, ist doch evident, dass auch kaum zwei Jahre nach Amtsantritt Friedrichs II. und der Rückkehr Wolffs nach Halle eine Begründung für eine Egalität der Geschlechter hinsichtlich der entscheidenden Voraussetzungen für das Erstreben der Gelehrsamkeit, nämlich die natürlichen Fähigkeiten zu Verstand und Vernunft, kaum anders als theologisch zu leisten war, wollte sie denn irgend Erfolg haben.48 Es ist also nicht nur religiöse Überzeugung, sondern auch politische Klugheit, die die Autorin immer wieder zu diesem theologischen Grundlagenargument zurückgreifen lässt;49 es ist zugleich eines der wenigen Theologumena, derer sie sich bedient. Besonders deutlich zeigt sich diese Prudentia politica an der Abwehr der These, gelehrte Frauen leisteten dem Atheismus Vorschub. Im Zusammenhang des ausnehmend wirkungsvollen Vorurteils, Frauengelehrsamkeit führe zu großem Schaden in „Glaubens-Sachen“, heißt es süffisant: Ob denn denen Weibern der Ursprung der Atheisterey allein beyzumessen? wie Mons. Despreaut zu behaupten sich nicht gescheuet hat und noch andere dieser Meynung sind. Aber mich wundert, daß man nun auf einmahl den weiblichem Verstand so gar hoch erheben will: nur bey denen, wie man zu thun pflegt, den Atheismum suchen, die für andern Grütze im Kopffe haben, den Verstand des weiblichen Geschlechts hingegen so geringe machen, als vieler mode ist, und dennoch den Ursprung des Atheismi bey diesen suchen, schmecket nach geringer Überlegung. […] Nun behaupte ich nicht, daß die Weiber zum Atheismo zu tumm sind, aber dieses kann ich beydes ohne praejudiz sagen.50

Erneut bedient sich Leporin hier des Widerspruchsnachweises; dass man nämlich einerseits den Atheismus als Produkt bedeutender oder gar übermäßiger IntellekLeporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 21. Ebd., 42. 48 Zur noch immer angespannten Lage der Aufklärung in den 1740er Jahren, und zwar auch in deren Zentren Berlin, Leipzig und Halle vgl. u. a. Johannes Bronisch, Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus, Berlin, New York 2010, 190 ff. 49 Vgl. hierzu auch Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945 (ND Hildesheim 1992), 83 f. 50 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 181 f. 46

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tualität („Grütze im Kopffe“) interpretiert, andererseits aber dem weiblichen Geschlecht, dem man zuvor jene Intellektualität bestrittenen hatte, solche – nämlich übermäßig intellektuelle – Gottlosigkeit zuschreibt, ist ohne Zweifel ein Widerspruch. Ausdrücklich setzt Leporin sich zwar von der These ab, Frauen seien zu dumm für den Atheismus; gleichwohl stellt sie ebenso schlicht wie überzeugend fest, dass Frauen nicht der eigentliche Ursprung des Atheismus seien können, zumindest nicht mehr als Männer. Eine weitere philosophisch-theologische Voraussetzung bildet die von Leporin vertretene allgemeine Physikotheologie, die sie in Anbindung an Christian Wolff wie folgt begründet: Im Rahmen einer Erörterung der Frage, ob dem weiblichen Geschlecht das Studium der Medizin möglich sei, heißt es in der Entfaltung eines ersten Grundes: [A]ber dem allen ungeachtet ist und bleibt dennoch unserm Geschlecht das studium Medicum sehr nützlich 1) weil solches vieles beyträgt zur Erkäntniß Gottes. Nichts ist in der Natur mehr vermögend uns von der Weißheit und Allmacht unsers Schöpffers zu zeugen, als diejenigen Wahrheiten, welche uns die Medicin, und ein jeglicher Theil derselben insbesondere, darlegt: welches denn den Herrn Geh. Rath Hoffmann seine vernünfftige Physicalische Theologie zu schreiben alleben vermocht hat.51

Auch wenn sich Leporin an dieser Stelle auf Friedrich Hoffmanns Vernünfftige physicalische Theologie von 1742 bezieht, ist doch der Grundgedanke des physikotheologischen Gottesbeweises in Wolffs Metaphysik und natürlichen Theologie angelegt.52 Dieses Konzept von Theologie durch Naturlehre wird sich noch in den 1750er Jahren durch Hermann Samuel ReimarusQ Vornehmste Wahrheiten der christlichen Religion (1754) in ihrem aufklärerischen Gehalt erweisen53 und ab den 1770er Jahren durch Lessings Veröffentlichungen der Fragmente eines Ungenannten (Reimarus) in ihrer polemischen Wucht dokumentieren.54 Leporin deutet mit ihrer Referenz auf Hoffmanns Physikotheologie an, dass sie den Tendenzen der Rationaltheologie der Aufklärung (die u. a. die Trinität, die Gottessohnschaft und jede weitere Wunderlehre ablehnte55) zuneigte – ein 1742 bemerkenswertes Unterfangen. Auch bei diesem Bezug auf ein zeitgenössisches Theologumenon ist also der historische Kontext insofern zu berücksichtigen, Ebd., 151. Vgl. hierzu u. a. Ferdinando Luigi Marcolungo, Christian Wolff und der physiko-theologische Beweis, in: Aufklärung 23 (2011), 147–161. 53 Hermann Samuel Reinmarus, Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion in zehn Abhandlungen, Hamburg 1754. 54 Vgl. hierzu u. a. Hermann Timm, Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit, Frankfurt am Main 1974, 15–135, spez. 59 ff. 55 Vgl. hierzu Wilhelm Schmidt-Biggemann, Die destruktive Potenz philosophischer Apologetik. Der Verlust des biblischen Kredits bei Hermann Samuel Reimarus, in: ders., Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung, Frankfurt am Main 1988, 73–87. 51 52

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als die Physikotheologie im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts zu den ambitioniertesten Formen aufklärerischer Theologie zu rechnen ist.56 Eine weitere konstitutive Voraussetzung ihrer Argumentation besteht in der Annahme Leporins, der Mensch strebe in all seinem Handeln nach der Erhaltung und Vermehrung seiner Glückseligkeit. Dabei ist dieser eudämonistische Grundsatz der Autorin so selbstverständlich, dass sie ihn nicht eigens in seiner Grundlegungsfunktion ausführt; vielmehr bedient sie sich seiner, um den Status der Gelehrsamkeit im Rahmen ihrer praktischen Anthropologie zu verdeutlichen: Ich werde nicht nöthig haben die Vortrefflichkeit der wahren Gelehrsamkeit, noch ihren Nutzen weitläufftig zu preisen; auch will ich, der Kürze von Anfang mich zu befleißigen, die Lobsprüche übergehen, welche die Größesten unter denen Weisen derselben beygeleget haben; Genung, daß ihre Vortrefflichkeit allen ihren ächten Kennern kundbahr ist, und alle Vernünfftige von der Wahrheit meines Satzes längst überführet seyn, auch ein jeglicher, dem es der Wahrheit beyzutreten weder an Fähigkeit noch an Willen gebricht, für eine ungezweiffelte Wahrheit hält, daß die Gelehrsamkeit zu der Menschen Glückseeligkeit ein großes beyzutragen vermögend ist.57

Dass die Gelehrsamkeit die Glückseligkeit des Menschen befördere, gehörte zu den Grundannahmen der Frühaufklärung.58 Entscheidend ist für den Text Leporins zunächst, dass sie die Prämisse,59 der Mensch erstrebe a priori das Glück und vermeide ebenso das Unglück, uneingeschränkt teilt, und dass sie aus dieser praktisch-anthropologischen Prämisse ihre Gelehrsamkeitsapologie ableitet, die – und darin besteht allererst ihre Pointe – für beide Geschlechter gilt. Dabei teilt sie die stoisch-rationalistische Annahme, dass die Beherrschung von Leidenschaften als eine Form von Glückseligkeit zu interpretieren ist,60 die in besonderer Weise durch die Gelehrsamkeit befördert werden könne, weil diese Kultivierung der menschlichen Rationalität notwendig zur Beherrschung der Affekte führe. Diese Ausbildung des Verstandes durch Gelehrsamkeit korrespondiert zudem mit der Beherrschung des Willens, den Leporin – hier erneut wolffianisch61 – wie folgt definiert:

Vgl. hierzu u. a. Winfried Schröder, Hermann Samuel Reimarus, in: Holzhey, Murdoch (Hg.), Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, 1. Halbbd. (wie Anm. 7), 310–318. 57 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 3. 58 Siehe hierzu Frank Grunert, Von ,gutenR Büchern. Zum moralischen Anspruch der Gelehrsamkeitsgeschichte, in: ders., Friedrich Vollhardt (Hg.), Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007, 65–88, spez. 69 ff. 59 Vgl. hierzu jetzt auch Stefanie Arend, Glückseligkeit. Geschichte einer Faszination der Aufklärung. Von Aristoteles bis Lessing, Göttingen 2019. 60 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 31. 61 Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und auch der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (Deutsche Metaphysik). Mit einer Einleitung und einem kritischen Apparat von Charles A. Corr [Gesammelte Werke, Bd. I.2.1, Hildesheim 1983], 299 ff. (§§ 492 ff.); 56

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Der Wille des Menschen kan nichts anders, als was gut, wenigstens scheinet, wehlen: selbst bey denen lasterhafftesten können sogar die Laster nicht anders, als unter dem Schein des Guten, einen Eingang finden.62

Der Wille des Menschen richtet sich also stets auf das Gute bzw. das als gut Erscheinende, und zwar deshalb, weil seine anthropologische Grundausstattung auf die Vermehrung der Vollkommenheit ausgerichtet ist;63 der schlechte Schein des Guten entsteht dabei ausschließlich aus mangelhafter Erkenntnis,64 also der ungenügenden Ausbildung des Verstandes: [I]st nun der Verstand des Menschen nicht in diejenige Verfassung gesetzet worden, daß er das Gute gewiß und zu aller Zeit als gut, hingegen das Böse zu aller Zeit ungezweiffelt als Böse erkennet, sondern bald dieses, bald das Gegentheil für gut hält, so kan auch der Wille nichts beständig entweder als gut erwehlen, oder als böse verabscheuen, weil er öffters Wiederspruch findet und niemahls zur Gewißheit kommt, folglich seine Wahl so offt ändern muß, als sein Verstand eine Sache anders, als vorher einsiehet. Und dieses ist die wahre Quelle der Unbeständigkeit.65

Die Verbesserung der Verstandesleistungen führt folglich notwendig zur ethischen Vervollkommnung, so dass der Gelehrsamkeit eine substanziell praktische Funktion zukommt. Neben dieser normativen Dimension der moralisch-praktischen Anthropologie Leporins entwirft sie auch eine technisch-praktischen Natur des Menschen mit Hilfe des Begriff der „Nützlichkeit“. Auch diesen Begriff definiert die Autorin präzise: Dasjenige, was nützlich seyn soll, muß so beschaffen seyn, daß es gewisse Unvollkommenheiten hinwegnimmt, hingegen die Umstände dessen, dem es nützlich seyn soll, vollkommener macht.66

Erneut bewegt man sich im Rahmen der Vollkommenheitsmetaphysik des wolffschen Rationalismus,67 der gleichwohl mit dem Utilitarismus der Thomasiusvgl. hierzu auch Dieter Hüning, Christian Wolffs ,allgemeine Regel der menschlichen HandlungenR, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics 12 (2004), 91–113. 62 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 33. 63 Vgl. hierzu Clemens Schwaiger, Vollkommenheit als Moralprinzip bei Wolff, Baumgarten und Kant, in: ders., Alexander Gottlieb Baumgarten – ein intellektuelles Porträt. Studien zur Metaphysik und Ethik von Kants Leitautor, Stuttgart-Bad Cannstatt 2011, 155–165. 64 Ebendiese Konzeption stammt erkennbar von Wolff, vgl. Wolff, Vernünfftige Gedancken (wie Anm. 61), 309 f. (§§ 507 ff.) 65 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 33 f. 66 Ebd., 114. 67 Vgl. Wolff, Vernünfftige Gedancken (wie. Anm. 61), 78 ff. (§§ 152 ff.); vgl. hierzu auch Dirk Effertz, Ontologie, in: Robert Theis, Alexander Aichele (Hg.), Handbuch Christian Wolff, Wiesbaden 2018, 139–152, spez. 148 f.

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Schule vermittelt wird;68 wie schon seit den 1730er Jahren bei Autoren wie Gottsched, Knutzen oder später Meier gängig, so bewegt sich auch Leporin souverän zwischen den beiden prägenden Schulen der deutschsprachigen Frühaufklärung.69 Auch zeigt sich die Anwendung dieser Kategorie der Nützlichkeit auf die Stellung der Gelehrsamkeit für den Menschen – und damit nach Leporin eben auch für die Frau – sowohl Thomasius als auch Wolff verpflichtet. Denn nützlich ist die Gelehrsamkeit nach Leporin, weil sie die Erkenntnis Gottes, die des eigenen Selbst und die des Mitmenschen zwar nicht ursächlich ermöglich, wohl aber erheblich verbessert; nach einer längeren Ableitung heißt es hierzu resümierend: Gewiß, wo man einräumet, daß die studia vieles zur Erkäntniß GOttes beytragen, daß sie der Grund sind der Erkäntniß unserer selbst, daß sie den Weg zeigen die Gemüther anderer Menschen kennenzulernen, so wird man nicht in Zweiffel ziehen, daß die studia auch dem weiblichen Geschlecht sehr nützlich seyn.70

Die Erkenntnis Gottes, des eigenen Selbst und der Mitmenschen sind also für den Menschen nützlich, d. h. sie machen den Menschen vollkommener. Im Hintergrund dieser Ableitung steht eine spätestens seit Samuel Pufendorf kanonische Pflichtenlehre,71 die genau diese drei Instanzen als Referenzen für ein angemessenes und vollständiges System der menschlichen Pflichten begriff; so heißt es bei Pufendorf: Die einzelnen Pflichten, die das Naturrecht dem Menschen auferlegt, werden am besten nach der Art der Gegenstände, auf die sie sich beziehen, unterschieden. Demgemäß sind drei Hauptteile zu unterscheiden. Der erste Hauptteil enthält die Pflichten, die man allein gemäß dem Gebot der Vernunft im Verhalten zu Gott befolgen muß, der zweite die Pflichten, die man gegenüber sich selbst und der dritte, die, die man gegenüber andern Menschen befolgen muß.72

Vgl. hierzu Grunert, Von ,gutenR Büchern (wie Anm. 58), 71 f. Vgl. hierzu u. a. Benno Erdmann, Martin Knutzen und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Wolfischen Schule und insbesondere zur Entwicklungsgeschichte Kants, Leipzig 1876 (ND Hildesheim 1973), Eric Watkins, The Development of Physical Influx in Early Eighteenth-Century Germany: Gottsched, Knutzen, and Crusius, in: The Review of Metaphysics 49 (1995), 295–339 sowie Gideon Stiening, „[D]arinn ich noch nicht völlig seiner Meynung habe beipflichten können.“ Gottsched und Wolff, in: Eric Achermann (Hg.), Johann Christoph Gottsched. Philosophie, Poetik, Wissenschaft, Berlin, Boston 2014, 39–60. 70 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 119. 71 Vgl. hierzu u. a. Gerald Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, Freiburg, München 1999, 30 ff. 72 Samuel Pufendorf, Über die Pflichten des Menschen und des Bürger nach dem Gesetz der Natur, hg. und übersetzt von Klaus Luig, München 1994, 50 (I. 3. 13). 68

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Diese drei Pflichtarten haben unbedingten Charakter, weil sie – wie auch für den Leporin näherstehenden Christian Wolff73 – dem Naturrecht entstammend überzeitliche Geltung haben müssen und nur durch die Gottesinstanz ihre Verbindlichkeit erhalten.74 Nützlich sind die Erkenntnisse Gottes, des menschlichen Selbst und der aller anderen Menschen folglich, weil man, je mehr man diese „Gegenstände“ kennt, desto besser um seine unbedingten Pflichten als Mensch weiß. Leporin erweitert allerdings ihren allgemeinen Begriff dieser Pflicht als Mensch um die Pflicht als Christ: Die Pflicht, welche von allen Menschen gefodert wird, folglich auch dem weiblichen Geschlecht obliegt, ist, daß sie 1) als vernünftige Menschen, 2) als gute Christen sich aufführen.75

Damit wird der obige naturrechtliche Pflichtenkatalog um die zehn Gebote sowie insbesondere das unbedingte Liebesgebot Jesu erweitert, nicht aber eingeschränkt, und zwar auch nicht geschlechtspezifisch. Mit ihrem zentralen Pflichtenbegriff steht Leporin folglich inmitten der Aufklärungsphilosophie ihrer Zeit; deren rationalistische Anthropologie wird im Selbstverständnis der Akteure durch eine Rationaltheologie nicht begrenzt, sondern ergänzt.76 Gerade weil die Autorin der Untersuchung ihrer Argumentation einen naturrechtlichen Pflichtbegriff zugrunde legt, gilt die oben betrachtete Pflicht der Frau zur Leitung und Organisation des Haushaltes unbedingt – und zeigt damit nachdrücklich, dass dem Naturrecht im 17. und 18. Jahrhundert neben einer emanzipatorischen Funktion im Rahmen der Ständegesellschaft auch eine ideologische Rolle im Rahmen der Verfestigung soziohistorisch entstehender Herrschaftsordnungen zukam.77 Bevor nun vor dem Hintergrund dieses Systems von Prämissen zur Rekonstruktion des Beweisganges wider die Auffassung von der Unmöglichkeit der Frauengelehrsamkeit überzugehen ist, muss noch eine letzte zentrale Prämisse betrachtet werden, die erneut einen entscheidenden Kontext ausführt, dessen Kenntnis zum Verständnis von Gehalt und Strategie des leporinschen Feminismus erforderlich

Vgl. hierzu Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts. Mit einem Nachwort von Marcel Thomann, Hildesheim, New York 1980 [EA Halle 1754], 36 f. (§ 57). 74 Vgl. hierzu u. a. Gideon Stiening, Von der „Natur des Menschen“ zur „Metaphysik der Sitten“. Zum Verhältnis von Anthropologie und Sittenlehre bei Kant und in den Rechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Günter Kruck, Bernd Dörflinger, Dieter Hüning (Hg.), Das Verhältnis von Recht und Moral in Kants praktischer Philosophie, Hildesheim 2017, 13–44. 75 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 89. 76 Vgl. hierzu Werner Schneiders, Naturrecht und Liebesethik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Thomasius, Hildesheim, New York 1971. 77 Vgl. Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 41962, Carol Pateman, The Sexual Contract, Stanford 1988 oder auch Dan Edelstein, The Terror of Natural Right. Republicanism, the Cult of Nature, and the French Revolution, Chicago 2010. 73

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ist. Damit ist das Verständnis von Gelehrsamkeit gemeint, das Leporin in die folgende Definition fasst: Ich bedeute durch die Gelehrsamkeit eine gründliche Erkäntniß solcher nöthigen und nützlichen Wahrheiten, wodurch der Verstand und Wille gebessert, folglich des Menschen wahre Glückseligkeit befödert wird.78

Gelehrsamkeit ist für die selbst gelehrte Autorin kein Selbstzweck, sondern die Befähigung zur Erkenntnis, also zum Wissen solcher Sachverhalte, die nur als ,wahre gerechtfertigte ÜberzeugungR durchgehen können. Dieses Wissen bildet den Verstand als Vermögen der Erkenntnis und den Willen als Vermögen des Handelns so aus, dass sie den eigentlich praktischen Zweck menschlicher Existenz: die wahre Glückseligkeit befördern. Das ist kein Pietismus, weil diese wahre Glückseligkeit keineswegs als jenseitige ausgewiesen wird, sondern weltimmanent bleibt; sie steht im Kontext einer auf die Praxis der Glückseligkeitsmaximierung ausgerichteten Philosophie, die im Halle der Früh- und Hochaufklärung und auch über Halle hinaus einen bedeutenden Einfluss hatte: der Thomasianismus.79 Schon bei Thomasius heißt es nämlich zur Gelehrsamkeit, und zwar in der Einleitung zu der Vernunfft-Lehre: Die Gelahrtheit ist eine Erkänntniß durch welche ein Mensch geschickt gemacht wird das wahre von dem falschen / das gute von dem bösen wohl zu unterscheiden und dessen gegründete wahre / oder nach Gelegenheit wahrscheinliche Ursache zu geben / umb dadurch sein eigenes als auch anderer Menschen zeitliche und ewige Wohlfahrt zu befördern.80

Auch hier also hat die Gelehrsamkeit substanziell einen praktischen Zweck; nicht dass nicht auch Christian Wolff den Zweck seiner Philosophie in solcher Veränderung der Praxis gesehen hätte,81 doch muss für diesen Zweck die Wissenschaft zunächst unabhängig von ihrer individuellen oder gesellschaftlichen Funktion betrachtet und betrieben werden; so in der Mathematik oder der Metaphysik.82 Anders bei Thomasius und Leporin: Hier ist jede Gelehrsamkeit unmittelbar auf den praktischen Zweck der innerweltlichen Glückseligkeitsmaximierung ausgerichtet und also je schon auf menschliche Praxis. Diese enge Vermittlung von GelehrLeporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 19. Vgl. hierzu Werner Schneiders, Der Thomasianismus, in: Holzhey, Murdoch (Hg.), Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, 1. Halbbd. (wie Anm. 7), 61–102. 80 Christian Thomasius, Einleitung zu der Vernunfft-Lehre, Halle 1691, 75 f. 81 Vgl. hierzu u. a. Michael Albrecht, Christian Wolff und der Wolffianismus, in: Holzhey, Murdoch (Hg.), Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, 1. Halbbd. (wie Anm. 7), 105–236, spez. 154 f. 82 Vgl. hierzu Christan Wolff, Discursus Praeliminaris de Philosophia in genere. Einleitende Abhandlung über Philosophie im Allgemeinen. Historisch-kritische Ausgabe, übersetzt, eingeleitet und hg. von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. 78

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samkeit und Glückseligkeit hatte sich seit den 1730er Jahren schon so sehr verselbständigt, dass es selbst in Zedlers Universal-Lexicon zur ,GelehrsamkeitR hieß: Daß aber alle Gelehrsamkeit zu Beförderung wahrer Weißheit unter den Menschen, und folglich zu Erlangung wahrer Glückseligkeit dienen müsse, darinnen unterscheidet sich die wahre Gelehrsamkeit, von einer Pedantischen Wissenschaft, wodurch wir eine zahlreiche Wissenschaft ausgekünstelter, auch wohl scharffsinniger Gedancken, die aber keinen Nutzen haben, verstehen.83

Auch wenn Leporin sich von dieser Kritik am pedantischen einer nutzlosen, weil verselbstständigten Wissenschaft fern hält, die direkte Verknüpfung von wahrem Wissen und Glückseligkeit gilt auch für ihrer Haltung. Die Zuweisung zu den Kontexten der Hallenser Philosophie mag womöglich unerheblich erscheinen. Tatsächlich zeigt sich aber an Leporins ausnehmend selbständigen Umgang mit den als Antipoden zu bezeichnenden Wolff- und Thomasius-Schulen, dass sie in der Verwirklichung des genuin aufklärerischen Postulat des Selberdenkens eine gelehrte Autonomie dokumentiert, die sich in Halle und Leipzig der 1730er Jahre allererst auszubilden begann – Thomasius und Wolff zu vermitteln, das gelingt in Leipzig Gottsched und in Halle erfolgreich vor allem Georg Friedrich Meier ab Mitte der 1740er Jahre. Dessen Abbild eines wahren Weltweisen von 174584 bemüht sich ebenfalls, eine Vermittlung zwischen Wolff und Thomasius mithilfe einer Ästhetisierung des Denkens zu erzielen, insofern nur ein wahrer, unpedantischer Weltweiser die Schönheit der Erkenntnis zu erfassen vermag.85 Und doch dürfte gerade Meier zugleich im Hinblick auf die Vorurteile gegenüber gelehrten Frauenzimmern späterhin einer der entscheidenden Gegner Leporins gewesen sein, weil er schon ab den späten 1740er Jahren der Frau ausdrücklich die Befähigung zu wahrer Gelehrsamkeit absprechen wird.86 Die Halberstädter Ärztin und Philosophin scheint das nicht geschreckt zu haben. Vielmehr gelingt ihr schon vor dem nachmals berühmten Meier jene Vermittlung zwischen Thomasius und Wolff, und das auf einem ursprünglichen Gebiet aufklärerischen Denkens: der Vorurteilskritik. Tatsächlich zitiert sie an dieser und an vielen andern Passagen der Untersuchung den „großen Thomasius“,87 zu-

Art. Gelehrsamkeit, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 10, Halle, Leipzig 1735, Sp. 725. 84 Georg Friedrich Meier, Abbildung eines wahren Weltweisen, Halle 1745. 85 Ebd., 84 ff. 86 Vgl. hierzu Kay Zenker, Zwei Jahrzehnte Volksaufklärung. Meier als Herausgeber und Autor Moralischer Wochenschriften, in: Frank Grunert, Gideon Stiening (Hg.), Georg Friedrich Meier (1718 – 1777). Philosophie als „wahre Weltweisheit“, Berlin, Boston 2015, 55 – 80, spez. 70 ff. 87 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 57, vgl. auch 19 und 159. 83

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gleich aber und in einem Atemzug die wolffianische Logik,88 die in diesem Abschnitt der Abhandlung eine zentrale Rolle spielt.

III. Beweisgänge: Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirklichkeit des Frauenstudiums Wie geht Leporin genau vor? Wie lauten jene Vorurteile, die sie zu widerlegen sich anschickt? Und welche Gegenargumente führt sie auf ? Der Aufbau der Studie, und auch daran erkennt man den Einfluss des sich in Halle seit 1740 wieder ausbreitenden Wolffianismus,89 ist systematisch und also weder historisch noch gleichsam politisch im Sinne der zeitgenössischen Wirksamkeit spezifischer misogyner Vorurteile. Vielmehr ordnet Leporin die zu widerlegenden Vorurteile nach einer für die zeitgenössische Philosophie gängigen Distinktion, und zwar in Einwände der theoretischen Vernunft, Einwände der praktischen Vernunft sowie Einwände eines prudentiellen und eines gewohnheitsverfestigten Common Sense, dessen enorme Wirksamkeit aber nach Leporin nicht unterschätzt werden darf. Es geht also 1. gegen die Formationen des Vorurteils, Frauen seien unfähig zur Gelehrsamkeit (theoretisch Einwände), 2. gegen die Vorstellung, Frauengelehrsamkeit sei unschicklich, also unnütz bzw. nutzlos (praktische Einwände); 3. gegen die Behauptung, die Gelehrsamkeit der Frauen sei leicht zu missbrauchen (prudentielle Einwände), und 4. gegen die These, weibliche Gelehrsamkeit sei ungewöhnlich und daher zu unterlassen (habituelle Einwände). In einem systematisch eigenständigen Abschnitt werden zudem weitere Ursachen kritisch aufgeführt, die ein Studieren der Frau verhindern könnten. Dabei richtet sich Leporin gegen eine Gruppe von Annahmen, die keine Vorurteile ausbilden, und doch Wirksamkeit entfalten, weil nach ihnen das Frauenstudium a. b. c. d.

zu teuer, abstoßend, verwerflich (weil Ausdruck von Hochmut) und sündhaft sei;

Ebd., 158. Vgl. hierzu u. a. Martin Mulsow, Freigeister im Gottsched-Kreis. Wolffianismus, studentische Aktivitäten und Religionskritik in Leipzig 1740 – 1745, Göttingen 2007. 88

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letzteres gelte, weil weibliche Gelehrsamkeit Anlass zum Neid gebe, und d. h. im Sinne der Anstiftung des Mannes zur Sünde gleichsam eine formelle Wiederholung der Erbsünde ausmache. Diese zweite Gruppe von Einwänden ordnen sich also nach Ökonomie, Ästhetik, Moral und Religion. Die erste Gruppe entstammt dagegen der theoretischen und der praktischen Philosophie und deren, wie wir sehen werden, zahlreichen Unterabteilungen.90

III.1. Wider die These von der intellektuellen Inkompetenz des weiblichen Geschlechts Das erste zu widerlegende, in seinem „Ungrund“,91 also seiner Unbegründetheit und Unbegründbarkeit nachzuweisende Vorurteil besteht in der Annahme, das weibliche Geschlecht sei unfähig zur Gelehrsamkeit, verfüge mithin nicht über hinreichende ,Kräfte des DenkensR, d.i. eine Logik,92 die jedes Wissen erfordert.93 Leporin reagiert auf diese These, indem sie deren Implikationen präzise analysiert und dabei zu folgendem Schluss kommt: Wenn demnach behauptet wird, daß das weibliche Geschlecht zur Gelehrsamkeit nicht fähig sey, so muß entweder an sich und überhaupt [und das meint hier geschlechtsindifferent für den Menschen überhaupt] die Gelehrsamkeit zu erlangen unmöglich seyn; oder es muß das weibliche Geschlecht diejenigen Eigenschafften nicht besitzen, die Gelehrsamkeit zu erlangen erfodert werden, oder aber es müssen äussere Umstände vorhanden seyn, die das weibliche Geschlecht von denen Studiis abhalten.94

Das erste Argument, dass nämlich dem Menschen die Gelehrsamkeit überhaupt unmöglich sei, wird schlicht als widersprüchlich zurückgewiesen; im Hintergrund steht der erkenntnistheoretische Optimismus des wolffschen Rationalismus, und allein deshalb ist Leporins Untersuchung keineswegs im Kern pietistisch. Das zweite Argument wird ausführlich reflektiert, und zwar zunächst anthropologisch mit Referenz auf den Begriff der Seele: [W]er nicht wieder alle Begriffe, die wir uns von dem Wesen der Seele machen können [und wer anders als Wolff hat das in den 1730er Jahren ausführlich gemacht? G.S.], einen Unterschied der Seelen in Ansehung des Geschlechts behaupten will [was der Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich ausschließlich mit der Vorurteilskritik des ersten Hauptabschnitts; der zweite Teil der Untersuchung wird einer eigenen Studie vorbehalten. 91 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 19. 92 Zu terminologischen Bindung der Logik an die Kräfte des Verstandes vgl. Wolff, Vernünfftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes (wie Anm. 45). 93 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 18–110. 94 Ebd., 20. 90

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große Wolff eben explizit zurückgewiesen hat], der muß diejenigen Kräffte der Seele, die er bey dem männlichen Geschlecht antrifft, auch dem weiblichen Geschlechte accordiren.95

Der Begriff der Seele – Grundlage aller Psychologie und Anthropologie der Aufklärung96 – ist im Hinblick auf die Kräfte, die wir ihr zuschreiben müssen, geschlechtsspezifisch indifferent, und daher – so das Argument – müssen alle Kräfte, die der männlichen Seele zugeschrieben werden, auch der weiblichen angehören. Das ist rationale Psychologie der Wolff-Schule, auf die Leporin hier wie selbstverständlich zurückgreift. Um dieses Argument zu verstärken, keineswegs um es zu entwickeln und zu führen, bedient sich Leporin im unmittelbaren Anschluss theologischer Implikationen der zurückgewiesenen These, die Seelenkräfte von Mann und Frau wären verschieden: Die Kräffte der menschlichen Seele sind ein Theil des Bildes GOttes, nach welchen der Mensch gemacht ist. Nach diesem ist das weibliche Geschlecht so wohl als das männliche Geschlecht geschaffen. Darum, wer dem weiblichen Geschlechte die Kräffte der Seele absprechen wolte, der müsste auch behaupten, daß dieses Geschlecht nicht nach dem Ebenbilde GOttes gemacht sey.97

Der Argumentationsgang trifft ins Mark jeder theonomen Anthropologie; der Mensch ist imago dei, und damit sowohl Mann als auch Frau. Die Ebenbildlichkeit Gottes ist geschlechtsspezifisch indifferent. Wenn das zutrifft, dann muss auch das weibliche Geschlecht mit eben jenen Kräften der Seele ausgestattet sein wie der Mann. Entscheidend ist, dass diese rationalpsychologische Argumentation, die sich auf die „Kräfte der Seele“ – also deren Vermögen – bezieht, zwar ihre Genesis aus der Theologie bezieht, in ihrer Geltung jedoch ohne jeden theologischen Zusatz auskommt, weil die Leistungsfähigkeiten der männlichen und der weiblichen Seele substanziell gleich sind. Die theonome Verursachung muss jeden Theologen oder auch nur Gläubigen überzeugen, er ist aber für die im Kern der rationalen Psychologie entstammenden Argumentation zu den Kräften der Seele unerheblich.98

Ebd., 21. Vgl. hierzu u. a. Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 31973, 123 ff., Günter Mensching, Vernunft und Selbstbehauptung. Zum Begriff der Seele in der europäischen Aufklärung, in: Gerd Jüttemann, Michael Sonntag, Christoph Wulf (Hg.), Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim 1991, 217–235 sowie Roderich Barth, Von Wolffs ,Psychologia empiricaR zu Herders ,Psychologie aus BildwörternR. Beobachtungen zur Umformung des Seelenbegriffs in der Aufklärung, in: Katja Crone, Robert Schnepf, Jürgen Stolzenberg (Hg.), Über die Seele, Frankfurt am Main 2010, 174–209. 97 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 21. 98 Vgl. hierzu Jean-FranÅois Gourbet, Rationale Psychologie, in: Theis, Aichele (Hg.), Handbuch Christian Wolff (wie Anm. 67), 153–174. 95 96

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In dieser Weise gestaltet Leporin auch in der Folge das Geschäft einer aufgeklärten feministischen Kritik in ihrer differenziertesten, nämlich weitgehend formalen Weise: Unabhängig von der weltanschaulichen Überzeugungsseite werden die Argumentationsverläufe in den unterschiedlichen Disziplinen auf ihre Stellung zur Frage der Befähigung des weiblichen Geschlechts zur Gelehrsamkeit analysiert und interpretiert. Dabei hat die Autorin schon zu Beginn die Philosophie und die Theologie einer immanenten Kritik unterzogen und nachgewiesen, dass diese beiden Disziplinen bzw. Reflexionsformen für den Beweis einer Unfähigkeit der Frauen zur Gelehrsamkeit nicht herangezogen werden können. Dennoch werden weitere Vorurteile in Philosophie und Theologie einer scharfen Kritik unterzogen, so die Juan Huarte und Aristoteles zugeschriebene Annahme, „mulier non homo“99 oder die These, die Frau habe nur eine „halbe Vernunft“ die von Leporin mit Hohn und Spott bedacht wird.100 Gleiches gilt für die Behauptung, das weibliche Geschlecht habe durch den Fall mehr an Verstandesleistungen eingebüßt als der Mann101 – alles Thesen, die sie zumeist ausnehmend nüchtern wissenschaftstheoretisch durch den Nachweis rationaler Ableitungsfehler widerlegt – wie den einer unreflektierter petitio principii102 –, d. h. weitgehend ohne jede Empörungshermeneutik, sondern vielmehr sachlich, und zwar zumeist mit den Instrumenten der formalen Logik auch in theologischen Zusammenhängen. Anschließend geht sie zu einer anderen Disziplin über, die sich mit neuen, nämlich empirischen Argumenten die Gelehrsamkeitsunfähigkeit des Frauenzimmers nachzuweisen bemüht: Medizin bzw. Naturforschung, und da heißt es: Es könnte aber hierwider [nämlich den kritisch zu erbringenden Nachweis, dass die Kräfte des Verstandes beiderlei Geschlecht in gleichem Maße zugewiesen wurde] eingewendet werden: Das Gebäude des männlichen Körpers sey viel dauer- und standhaffter, als der Leib des weiblichen Geschlechts, demnach müssten auch die Kräffte der Seele bey jenem Geschlechte grösser seyn.103

Darauf reagiert Leporin nun deutlich anders, denn auf den Feldern der empirischen Naturforschung helfen formallogische Instrumente häufig weniger. Vielmehr zieht sie alternative empirische Forschungsergebnisse heran, und zwar nicht etwa solche zu Fragen der Geschlechteranthropologie, sondern vielmehr erneut solche zu einer allgemeinen Anthropologie, nämlich der des Körper-SeeleVerhältnisses überhaupt. Dazu zitiert sie ausgerechnet Michael Alberti,104 einen Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 22 ff. Ebd., 25. 101 Ebd., 26 f. 102 Ebd., 25. 103 Ebd., 27. 104 Leporin zitiert aus Albertis 1740, also kurz vor ihrer Gründlichen Untersuchung erschienener Schrift Philosophische Gedanken von dem Unterschiede der Kräfte der Seelen nach dem Unterschiede der Menschen (Halle 1741, vordatiert). 99

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damals ebenso produktiven wie berühmten Hallenser Mediziner aus der StahlSchule,105 der als strenger Pietist expliziter Gegner der Frauengelehrsamkeit war; Alberti jedoch hatte Folgendes empirisch nachgewiesen: Aber diesem Einwurf ist in des großen Hrn. Alberti philosophischen Gedancken von dem Unterschiede der Kräffen der Seelen nach dem Unterschied der Menschen, begegnet, daß die Kräffte der Seele nicht in dem Gebäude des Cörpers zu suchen. Cörperliche Qualitäten, setztet dieser recht ausbündige Lehrer hinzu, können nicht geistige Kräffte, Neigungen und Würckungen produzieren, effectuieren oder machen.106

Polemischer, aufgeklärter geht kaum: dem Gegner der Frauengelehrsamkeit werden die Ergebnisse seiner allgemeinen Anthropologie entgegen gehalten, die eine Bedeutung des Körpers überhaupt für die Gelehrsamkeit zurückgewiesen hatten. Wenn aber Ergebnisse der Körper-Seele-Forschungen in der allgemeinen Anthropologie gelten, dann müssen sie auch für Frauen gelten, so dass Albertis Gegnerschaft zur Frauen-Gelehrsamkeit seinen eigenen Forschungsergebnissen in der Naturlehre widerspricht. Der formale Vorwurf, auf den sich Leporin vor allem kapriziert, besteht daher darin, Alberti der Inkohärenz in Fragen der Frauenbildung zu bezichtigen, was vor dem Hintergrund ihres rationalistischen Systembegriffs107 als schwere Kritik zu werten ist. Letztlich spricht sie Alberti in Sachen weiblicher Gelehrsamkeit die Wissenschaftlichkeit ab – und das auf der Grundlage der von ihm selbst gelieferten Ergebnisse. Noch weitere 80 Seiten und damit den größten Teil ihrer Untersuchung wird Leporin dazu verwenden, die unterschiedlichsten Varianten dieses Vorurteils, nach dem das weibliche Geschlecht zur Gelehrsamkeit unfähig sei, kritisch zu bearbeiten. Dabei bedient sie sich neben den soeben betrachteten Prüfungen der Rationalitätsstandards auch der Referenz auf „Erfahrungen“,108 die jenen Vorurteilen widersprächen und ihnen so ihre Geltung entzögen. Der kämpferische Grundtenor dieser Kontroverstheorie in Sachen Geschlechteranthropologie wird in der folgenden Passage anschaulich: Im Rahmen einer energischen Auseinandersetzung mit der Temperamentenlehre Georg Ernst Stahls heißt es: Die erste Frage hat der große Stahlius deutlicher gemacht, und in diese Worte geschlossen; ob die Weiber, und zwar gleichsam überhaupt, kälter und feuchter als die Männer sind? Davon sagt er, daß es die allerälteste Meynung sey. Und gewiß eben dieses Vorurtheil hat viele tausend Menschen auf den Wahn gebracht, daß sie unserm Geschlecht eine allgemeine Unfähigkeit zum Studiren beygelegt, und das mehreste, was man uns entgegen setzt, beruhet auf diesem sehr schlechten Grunde.109 Siehe hierzu Johann Geyer-Kordesch, Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert, Tübingen 2000, 66 ff., 106 ff. u. ö. 106 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 27. 107 Vgl. hierzu ebd., 172. 108 Ebd., 30 ff. 109 Ebd., 37. 105

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Vorurteile in Sachen Frauengelehrsamkeit sind laut Leporin nicht allein in einem „Ungrund“ fundiert, also widersprüchlich, sondern transportieren einen ansteckenden „Wahn“, womit die Autorin ihre Gegner – immerhin in diesem Falle kein geringerer als Georg Ernst Stahl110 – keineswegs pathologisiert, sondern gemäß dem Wortgebrauch der Zeit eine „ungegründete Meynung von der Gewissheit unserer Erkänntniß oder eine leerer Einbildung“ attestiert, wobei die Besonderheit dieser Meinung als ,WahnR darin besteht, dass sie sich als unbegründete Meinung nicht selbst erkennt bzw. anerkennt.111 Das sind schwere Geschütze der akademischen Kontroverse, die Leporin jedoch geschickt und wirkungsvoll auch gegen die Koryphäen ihres Faches zu bedienen weiß.

III.2. Wider die These von der Nutzlosigkeit des Frauenstudiums Im zweiten größeren Abschnitt ihrer Gründlichen Untersuchung setzt sich Leporin mit dem weitverbreiteten Vorurteil auseinander, die Gelehrsamkeit von Frauen sei nutzlos: Das andere Vorurtheil welches die studia des weiblichen Geschlechts hindert, ist dieses: Gelehrsamkeit schicke sich nicht vor dieses Geschlecht, weil dasselbe keinen Nutzen davon zu erwarten habe.112

Auch in diesem Zusammenhang geht die Autorin systematisch vor, indem sie zunächst gegen das Vorurteil vorgeht, Gelehrsamkeit überhaupt sei unnütz, wogegen sich schon Francis Bacon habe erwehren müssen. Diese Argumentationsstrategie behält sie auf den nächsten 50 Seiten weitgehend bei, indem sie das allgemeine Vorurteil, Gelehrsamkeit sei überhaupt nutzlos, durch den Nachweis der individuellen und gesellschaftlichen Funktionalität allen Studierens in unterschiedlicher Hinsicht zu konterkarieren sucht. Dabei ist es die Diginität der Gegenstände, die die Funktionalität ihrer Erforschung hervorbringt. Leporins Argumente für den großen Nutzen der Gelehrsamkeit im Hinblick auf die Erkenntnis Gottes, des menschlichen Selbst und der Mitmenschen wurden oben schon betrachtet; der Nutzen der Studien ist folglich theologisch, psychologisch und moralisch gut zu begründen. Anschließend geht Leporin den Weg, die Thesen von der anthropologischen Allgemeinheit der Nützlichkeit der Studien zu differenzieren, und zwar zunächst Vgl. hierzu u. a. Axel W. Bauer, Georg Ernst Stahl, in: Dietrich von Engelhardt, Fritz Hartmann (Hg.), Klassiker der Medizin, Bd. 1: Von Hippokrates bis Hufeland, München 1991, 190–201 und 393–395. 111 Vgl. hierzu Art. Wahn, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 52, Halle, Leipzig 1747, Sp. 856 f. 112 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 113. 110

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erneut anthropologisch, dann aber auch soziologisch, politisch, medizinisch und psychologisch: Mit einem Worte: die studia sind nützlich jungen und alten, reichen und armen, hohen und niedrigen; sie sind nützlich dem, der andern zu befehlen hat; sie sind nützlich dem, der andern Gehorsam schuldig ist: sie sind nützlich Gesunden und Krancken, Betrübten und Frölichen.113

Von diesem Differenzierungsniveau hinsichtlich des Nutzens der Gelehrsamkeit ist es nur ein kleiner Schritt, auch die Geschlechterdifferenz zu berücksichtigen; der zitierte Satz wird nämlich wie folgt beendet: […] und Niemand der die Fürtrefflichkeit derselben kennet, wird zweifeln, daß sie auch dem weiblichen Geschlecht sehr nützlich seyn, denn es heisset hier wie auf einer der Cornaria zu Ehren geschlagenen Münze gestanden: Non sine foenore.114

Erst vor diesem Hintergrund befasst sich die Autorin mit spezifischen Argumenten, die den Nutzen der weiblichen Gelehrsamkeit in Zweifel ziehen. Dabei kann sie der topischen Debatte zur Verachtung der Gelehrsamkeit eine feministische Volte abgewinnen: „Gelehrsamkeit wird dann verachtet, wenn man das weiblich Geschlecht davon ausschließet.“115 Das führe nämlich dazu, dass Frauen aus ihrer Gelehrsamkeit selber keinen beruflichen Nutzen ziehen könnten, weil ihnen sowohl das Lehramt in allen Fächern als auch die praktische Anwendung als Ärztin, Anwältin oder Pastorin verwehrt war. Leporin reagiert darauf in zwei Schritten: Zunächst stellt sie einen ,wahren Nutzen wahrer GelehrsamkeitR den genannten pragmatisch-beruflichen Funktionen derselben entgegen: Es folget ja nicht, daß ein jeglicher, der studiren will, die Absicht haben müsse, einer von denen nahmhafft gemachten Lebens-Arthen sich zu widmen, dieses ist nicht der Endzweck des studirens, welcher, wie genung bedeutet worden, GOttes Ehre, unsere Besserung und des Nächsten Nutze ist.116

Die Einhaltung der naturrechtlichen Pflichtenlehre steht folglich im Vordergrund der Funktionen der Gelehrsamkeit, der gegenüber berufliche Umsetzungen als abkünftig bewertet werden. In einem zweiten Schritt geht Leporin jedoch gegen die Gründe vor, die jene Berufe an der Universität oder in der staatlichen Praxis für Frauen in Frage stellen. Dabei betrachtet sie die universitären Disziplinen von der Philosophie über die Theologie und Medizin bis zur Jurisprudenz im Hinblick auf die beiden Fragen, ob Frauen für diese Wissenschaften und diese Wissenschaften für Frauen von Nutzen sein könnten. Diese Fragen werden in allen Fällen und aus allen Perspektiven positiv beantwortet, und zwar zumeist durch die Aufführung 113 114 115 116

Ebd., 122. Ebd., 122 f. Ebd., 5. Ebd., 131.

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historischer und zeitgenössischer Beispiele gelehrter Frauen in den genannten Disziplinen – in der Theorie wie in der Praxis. Vergleichsweise ausführlich befasst sich Leporin mit den Argumenten gegen den Nutzen gelehrter Frauen in der Medizin. Der sachliche Grund für diese Schwerpunktbildung besteht weniger in dem individuellen Interesse der Autorin, als in einem systematischen Argument: Gegen das Vorurteil, Frauen in der Medizin neigten in besonderem Maße zu ,PfuschereiR, heißt es mit einigem Nachdruck: Es wäre zu wünschen, daß dieser Art Menschen beyderley Geschlechts das Handwerck endlich geleget würde, weil so mancher durch die Hände solcher Menschen gehende Patient getödtet wird. Wäre hingegen das weibliche Geschlecht bemühet der Medicin dergestalt sich zu befleißigen, daß man ohne Furcht das Leben derer Menschen ihnen anvertrauen könte, würde die praxis medica von ihnen nicht nur eben so glücklich, als von dem männlichen Geschlecht getrieben werden, sondern es würde in gewissen Fällen noch besondern Nutzen haben.117

Der Feststellung der geschlechtlichen Indifferenz der Kurpfuscherei ergänzt die Autorin um den Anspruch auf die Superiorität weiblicher Medizin „in gewissen Fällen“.118 Dieser gegenüber männlichen Medizinern ,besondere NutzenR ausgebildeter Medizinerinnen bezieht sich auf die Gynäkologie, die Frauen allein deshalb kompetenter betreiben könnten, weil sie über unmittelbare Erfahrungen über geschlechtsspezifische „Kranckheiten“119 verfügten, die sie in der medizinischen Praxis produktiv umwenden könnten. Es ist also ein ganz empirisches Argument, mit dem Leporin die nicht nur mögliche und männlichen Ärzten vergleichbare, sondern notwendige und diesen gegenüber superiore Befähigung des weiblichen Geschlechts zur medicina practica begründet. Neben ihrem Superioritätsargument liefert Leporin in diesem Abschnitt eine ebenfalls für ihr Selbstverständnis als feministische Aufklärerin prägnante Auseinandersetzung mit Hippokrates, der auch im frühen 18. Jahrhundert noch als uneingeschränkte Autorität galt.120 Zunächst zitiert sie eine längere Passage aus dessen Schriften, ohne allerdings den Namen des Autors anzugeben, den sie „aus besonderem Respect menagire“, also zurückhalte.121 Erneut beweist die Autorin bei allem systematischen Interesse an der Widerlegung wirksamer Vorurteile politiEbd., 140 f. Diese Volte zur weiblichen Superiorität in Fragen der Medizin ist – zumindest im Cartesianismus – nicht ungewöhnlich; vgl. hierzu FranÅois Poulain de la Barre, De lQEgalit8 des deux sexes [EA 1673], Paris 1984, 36: „Il semble que les femmes soient n8es pour exercer la Medecine et pour rendre la sant8 aux malades.“ 119 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 151. 120 Vgl. hierzu Hellmut Flashar, Hippokrates. Meister der Heilkunst. Leben und Werk, München 2016, 237 ff. 121 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 146. 117 118

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sche Klugheit, weil ihr eine offene Kritik an dem antiken Gelehrten als Hybris ausgelegt worden wäre.122 In der Sache aber lässt sie keine Zweifel daran aufkommen, dass sie die dumpfen Vorurteile, nach denen 1. „die Weiber“ geboren seien, „die Spinn und Wocken in der Küche zu warten“, 2. „die Weiber insgemein denen Gänsen gleich schwatz- und plauderhafft“ wären, und 3. „den Weibern“ das Temperament und die Urteilskraft mangele, um die hohe Kunst der Medizin auszuführen123 für unbegründet und unbegründbar hält. Jedes einzelne dieser weit über die Antike hinaus wirksamen misogynen Vorurteile wird nun von Leoprin eingehend widerlegt, wobei sie ihrer Lust an der polemischen Zuspitzung durchaus Raum gibt; so wird die Eigenschaft der ,SchwatzhaftigkeitR anhand einiger Beispiele auch für männliche Gelehrte nachgewiesen, und gegen die These, Frauen seien zu niederen Arbeiten geboren, legt sie „feyerlichen“ Protest ein, weil es dann unerklärlich wäre, warum Männer noch geringeren Tätigkeiten als Spinnen und Haushaltsführung – wie etwa Feld- oder Köhlerarbeiten – nachgingen. Insgesamt erweist sich die Autorin in diesem Abschnitt zur Frage des Nutzens der Frauenbildung energischer und kampfeslustiger als in den anderen Sektionen ihrer Abhandlung, weil die Frage der gesamtgesellschaftlichen, aber auch der geschlechtsspezifischen Funktion der Bildung zu den zentralen Anliegen der Aufklärung, und dabei insbesondere einer feministischen Aufklärung zählte.124 Dabei entwickelt sie kritische Perspektiven, die allererst einer aufgeklärten Sicht auf Herrschaftsverhältnisse entspringen kann; so heißt es gegen den als Frauenverächter bekannten,125 frühneuzeitlichen Politiktheoretiker Jean Bodin: Wie es scheinet so haben sich Lehrer gefunden, die uns nur deßhalb von wichtigern Geschäfften auszuschliessen gesucht, damit wir desto besser arbeiten mögten.126

Mit dieser gleichsam ideologiekritischen Analyse dokumentiert die Autorin, dass sie im Hinblick auf den Geschlechterkampf erkannt hat, dass wissenschaftliche Vgl. hierzu Richard Toellner, Medizin in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 1985, 194–217, spez. 198 f. 123 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 147. 124 Vgl. hierzu Bovenschen, Imaginierte Weiblichkeit (wie Anm. 11), 80 ff. sowie Barbara Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500 – 1800), Stuttgart 1987, 149 ff. 125 Vgl. hierzu Claudia Opitz-Belakhal, Jean Bodin: Von der patriarchalen Hausherrschaft zur absoluten Fürstenherrschaft, in: Marion Heinz, Sabine Doy8 (Hg.), Geschlechterordnung und Staat. Legitimationsfiguren der politischen Philosophie (1600 – 1850), Berlin 2012, 43–55. 126 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 156. 122

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Positionen nicht allein vom Telos der Wahrheitssuche, sondern von Herrschaftsinteressen konstituiert werden. Solche bissigen Analysen sind nun – mögen sie auch den Instrumenten der konfessionellen Kontroversen entstammen – genuin aufklärerische Leistungen in der Tradition Francis Bacons und weisen voraus auf eine Vorurteilskritik der Spätaufklärung.127

III.3. Wider die These vom notwendigen Missbrauch des Frauenstudiums Das dritte, wirksame Vorurteil über die weibliche Gelehrsamkeit lautet wie folgt: Das dritte Vorurtheil, welches das studiren des weiblichen Geschlechts hindert, ist dieses: Das studiren des weiblichen Geschlechts werde oft gemißbraucht, und gebe demselben zu vielerley Übel Anlaß, man thue also sicherer, wenn man die Gelegenheit verhüte und dasselbe nicht studiren lasse.128

Auch in der Kritik dieses prudentiellen Preiudiciums geht Leporin – gleichsam lege artis – in zweifacher Weise vor, indem sie zunächst eine formale Analyse des Vorurteils selber durchführt129 und erst hernach zu einer inhaltlichen Stellungnahme übergeht: In einem ersten Schritt bestreitet die Interpretin die in dem Vorurteils ausgeführte Ableitung, dass der Missbrauch einer Sache notwendig zum Bösen führe bzw. dazu Anlass gebe. Präzise und anschaulich durch die Verwendung von Beispielen beweist Leporin, dass eine missbrauchte Sache an ihr selbst gut ist und erst durch den Missbrauch ihrem Wesen entfremdet wird, während eine Sache, die zum Bösen Anlass gebe, an ihr selbst diese negative moralische Qualität haben müsse. Die Argumentation muss man nicht teilen oder auch nur kohärent finden, um dennoch zu erkennen, dass die Autorin an dieser Stelle eine Begriffsanalyse durchführt, die noch Kant als ein zentrales Instrument aufgeklärter Vernunft bezeichnen wird. In einem zweiten Schritt zeigt Leporin, dass der Grund für den Missbrauch von gelehrten Studien nicht diesen selbst, sondern den ausübenden Menschen zuzuschreiben ist; Aufklärung des Verstandes verbessert nach diesem Rationalismus die moralische Gesinnung des einzelnen, weshalb nur als Widerspruch zu werten ist, Studien als Anlass zu Bösen zu bezeichnen: Alles Vergehen der Menschen rühret her von einem verfinsterten Verstande und verderbten Willen, da aber die studia bemühet sind diese beyde Quellen zu verstopffen, so kan man ihnen nicht beymessen daß sie dergleichen Folgen würcken, wo man nicht ihm selbst wiedersprechen will. Denn räumet man ein, daß die Gelehrsamkeit Vgl. hierzu [C8sar Chesneau Du Marais, Paul Henri Thiry dQHolbach], Essay über die Vorurteile, übersetzt von Werner Blochwitz, hg. von Winfried Schröder, Leipzig 1972, 18 ff. u. ö. 128 Leporin, Gründliche Untersuchung (wie Anm. 1), 162 f. 129 Ebd., 164–166. 127

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eine solche Erkäntniß der Wahrheit sey, dadurch Verstand und Wille des Menschen gebessert wird, und will den noch behaupten, daß dieselbe dem Menschen Gelegenheit gebe dasjenige zu vollbringen, was aus einem verfinsterten Verstande und verderbten Willen fliesset, so wäre dieses eben so viel, als wenn ich sagen wolte: eben dasjenige, welches die Unordnungen meines Gemüths dämpffet, eben das, welches meinen Verstand auszuräumen und meinen Willen zu bessern bemühet ist, ist die Ursach, daß mein Verstand so finster und mein Wille so unordentlich ist.130

An ihr selbst kann Wissenschaft das Böse nicht befördern bzw. zu ihm Anlass geben, so die dieser Vorstellung zugrundliegende Metaphysik und Anthropologe. Zugleich betont Leporin mehrfach, dass keineswegs alle Frauen die Wissenschaften notwendig missbrauchten, sondern – wie unter Männern – nur einige, und dabei eher die schlechteren. Denn das in dieser Argumentation vorausgesetzte ,BöseR besteht vor allem in Verstößen gegen Tugendgesetze, d. h. in Lastern, von denen die Autorin die folgenden auflistet: Man spricht das weibliche Geschlecht werde durch die studia verleitet zu Hochmuth und Eigenliebe, zu verkehrten Meynungen in der Religion zu Hintenansetzung der Haußhaltung, zu unerlaubten Umgang mit Mannes Personen, zu Schwächung der Kräffte ihres Gemüths und zu Beleidigung ihrer Gesundheit.131

Erneut werden anschließend all diese Laster einzeln analysiert und im Hinblick auf ihre Bedeutung für die weibliche Gelehrsamkeit betrachtet; als Rationalistin ist für Leportin nicht nur evident, dass diese negativen Konsequenzen einer bestimmten Gelehrsamkeitspraxis geschlechtlich indifferent ist, sondern auch, dass sie allesamt nur einem Mangel an Bildung, an „Erkäntniß unserer selbst“132 zuzuschreiben sind. Damit zielt ihre Analyse des Vorurteiles, Frauengelehrsamkeit befördere das moralisch Böse, erneut auf das Ergebnis eines Selbstwiderspruchs ab: Alle Ausschweifungen des weiblichen Geschlechts, davon wir hier reden, sind Folgen eines schwachen Verstandes und eines verderbten und unordentlichen Willens; sollen die Folgen gehoben werden, so muß man die Quellen verstopffen, und will man gesichert seyn, daß das weibliche Geschlecht dergleichen nicht begehe, so muß der Verstand und Wille desselben gebessert werden; wie aber will man solches dadurch bewerckstelligen, wenn man demselben das studiren untersaget? […] Heißt das nicht Mittel wehlen, welche wieder die Absicht streiten, folglich wieder die Vernunft sind.133

Will man also verhindern, dass Frauen das moralisch Böse befördern, indem sie Studieren, dann gibt es nur eine Möglichkeit, den Widerspruch des Vorwurfes zu verhindern, indem man sie nämlich nur noch mehr studieren lässt, um jene dem 130 131 132 133

Ebd., 167. Ebd., 168. Ebd. Ebd., 178.

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Mangel an Erkenntnis zuzuschreibenden Lastern zu verhindern. Solche Analysen der rationalen Bedingungen und Konturen von Vorurteilen ist aber nicht anders denn als Aufklärung, und weil es um die Widerlegung von Vorurteilen zur Gelehrsamkeit von Frauen geht, als feministische Aufklärung zu bezeichnen.

III.4. Wider der These von der weiblichen Eitelkeit durch Gelehrsamkeit Letztlich wehrt sich Leporin gegen das Vorurteil, gerade weil gelehrte Frauen eher selten seien, führe dies bei denen, die sich dennoch der Bildung mit Erfolg widmeten, zur Eitelkeit und damit erneut zum moralisch Bösen bzw. zur Sünde. Auch in diesem Zusammenhang legt die Autorin zunächst die Voraussetzungen dieses Urteils frei, indem sie feststellt, dass die geringe Zahl gelehrter Frauen einzig auf (schlechte) Gewohnheit zurückzuführen sei, und damit keineswegs einen rationalen Grund aufweise: Wo wir aber keinen andern Beweiß hätten, daß die Gewohnheit eine grosse Gewalt über die Gemüther derer Menschen habe, so könten wir dennoch von der Wahrheit dieses Satzes deutlich überführet werden, wenn wir auf das studiren des weiblichen Geschlechts acht geben, denn wir finden, daß dasselbe fast durch nichts so sehr davon abgehalten wird, eben durch die Gewohnheit. Diese spricht man, bringet es so mit sich, daß das weibliche Geschlecht um die Gelehrsamkeit sich nicht bekümmere, das studiren desselben ist sehr was seltenes, diejenigen welche solches thun, erlangen das Ansehen, ob wolten sie für andern ihres Geschlechts was sonderliches seyn, sie thun daher besser, wenn sie das studiren denen überlassen, von welchen es vermöge der allgemeinen Gewohnheit gefordert wird.134

Auch in ihrer Analyse dieses letzten schweren Vorurteiles, das sie aufführt, bedient sich die Autorin der rationalen Analyse der Voraussetzungen und des Gehaltes, die dazu führen, dass die Tatsache der Gewohnheit einer geringen Anzahl studierender Frauen zwar bestätiget wird, dessen normative Qualität aber bezweifelt und damit als schlechte Gewohnheit qualifiziert wird, die gar einen ursächlichen Charakter für das Phänomen erhält. ,GewohnheitR ist hier nicht eine Beschreibungs-, sondern eine Verursachungskategorie, in die sie durch die Analyse Leporins erhoben werden kann. Der Vorwurf der Eitelkeit wird damit zu einem erklärbaren Epiphänomen jener (schlechten) Gewohnheit, der sich Männer und Frauen überlassen. Als normativ intendiertes Vorurteil hat die These, Frauenstudium fördere die Eitelkeit des weiblichen Geschlechts, damit aber seine Geltung verloren.

134

Ebd., 193.

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IV. Schluss: Leporins Vorurteils-Widerlegung als feministische Aufklärung In ihrem Durchgang durch die wirksamsten Vorurteile über die individuellen und gesellschaftlichen, die moralischen, politischen oder psycho-sozialen Nachteile der Frauengelehrsamkeit, die allesamt zurückgewiesen werden, bedient sich Dorothea Christiane Leporin zumeist der logischen Analyse der Urteilsgehalte und deren empirischen und rationalen Voraussetzungen. Dabei bleibt sie zumeist sachlich, argumentiert kohärent und stringent; zur Waffe der Polemik und des Spottes greift sie nur in Fällen offensichtlicher Irrationalität der misogynen Positionen. Sie attackiert Autoritäten ebenso wie Argumente, wobei sie präzise zwischen rationalen und empirischen Beweisgängen unterscheidet. Ihr Ziel ist und bleibt die Widerlegung der Rationalität dieser Vorurteile und damit die Eliminierung ihrer Wirksamkeit in Familie und Gesellschaft. Ohne jeden Zweifel referiert sie dabei auf theologische Argumente, ohne die sie aber in diesem Entwicklungsstadium der deutschsprachigen Kultur nur klandestin hätte wirken können.135 Gleichwohl sind ihre Bezüge auf die Philosophie der Aufklärung in ihren thomasianischen und wolffianischen Varianten deutlicher und auch wirkungsvoller als ihre theologischen Grundlagen. Mit diesem Primat philosophischer Argumentation sowie mit der Kritik an Vorurteilen entspricht und befördert sie Tendenzen der Aufklärung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zugleich richtet sich ihre kritische Analyse jener Vorurteile auf die Verhinderung einer gleichberechtigten und ungehinderten Gelehrsamkeit des weiblichen Geschlechts und verfolgt damit in der Abwehr misogyner Stereotypen und der Ausrichtung auf einen Wandel der gesellschaftlichen Realität durch Vernunft feministische Ziele. Dabei geht sie über frühneuzeitliche Instrumentalisierungen136 als auch über zeitgenössische Vorstellungen137 weiblicher Bildung weit hinaus. Leporins Gründliche Untersuchung können und müssen daher ohne Zweifel als eine – wenngleich moderate – Form feministischer Aufklärung beurteilt werden. Die Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, die Dorothea Christiane Leporin 1742 in Berlin erscheinen ließ, zielt auf eine umfassende Widerlegung all jener Vorurteile, die Frauen vom Zugang zu gelehrten Studien abhalten wollen. Auf der Grundlage einer philosophischen Systematik und mit geVgl. hierzu Kay Zenker, Denkfreiheit. Libertas philosophandi in der deutschen Aufklärung, Hamburg 2012, 263 ff. 136 Vgl. hierzu u. a. Martin Schmeisser, Gideon Stiening, Positive oder negative Utopie? Das ambivalente Bild der femina docta in ErasmusQ ,Colloqium Abbatis et EruditaeR, in: Robert Seidel, Reimund Sdzuj, Bernd Zegowitz (Hg.), Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti, Wien, Köln, Weimar 2012, 14–33. 137 Vgl. hierzu u. a. Stollberg-Rilinger, Aufklärung (wie Anm. 10), 156. 135

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nuin aufklärerischen Methoden werden diese Vorurteile und deren keineswegs nur männlichen Vertreter seit der Antike minutiös widerlegt. Dabei geht es nicht allein um die Frage, ob Frauen überhaupt der Gelehrsamkeit fähig seien, sondern auch, ob es für sie und die Gesellschaft nützlich sei, wenn sie sich der Gelehrsamkeit zuwenden; auch die moralische Zuträglichkeit des Frauenstudium steht auf dem Prüfstand. Letztlich geht es bei diesen Vorurteilen um die Berechtigung der Frau, ein Studium aufzunehmen, was von Leporin auch naturrechtlich begründet wird. Neben den Inhalten der Argumentation der Autorin für Möglichkeit und Notwendigkeit des Frauenstudiums wird auch die polemische Rhetorik der Schrift in den Blick genommen.

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Dorothea Christiane Leporins Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, which was published in Berlin in 1742, aims at a comprehensive refutation of all the prejudices that prevent women from having access to academic studies. Based on a philosophical system and with genuinely enlightening arguments, these prejudices and their not only male representatives have been meticulously refuted. It is not only a question of whether women are capable of learning at all, but also whether it is useful for them and society if they turn to learning. The moral sustainability of studying women is also under scrutiny. Ultimately, these prejudices are about the entitlement of women to study, which is also justified by natural law. In addition to the content of the authors argument for the possibility and necessity of studying women, the polemic rhetoric of writing is also considered. PD Dr. Gideon Stiening, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, SFB 1385 „Recht und Literatur“, Domplatz 6, D-48143 Münster, Email: [email protected]

Annette Keilhauer Weibliche Selbstthematisierung zwischen Selbstfindung und feministischer Gesellschaftskritik in der Histoire de Madame de Montbrillant von Louise dQPpinay

I. Feministische Aufklärung in Frankreich? In der französischen Literatur zur Geschichte feministischen Denkens wird der Beginn einer im engeren Sinne feministischen Tradition unterschiedlich definiert. Allgemeine Überblickswerke wie Leon Abensours klassischer historischer Abriss der Histoire g8n8rale du f8minisme von 19211 und zuletzt die panoramatische Studie von S8v8rine Auffret Une histoire du f8minisme2 bezeichnen schon Reflexionen zur Gleichstellung der Geschlechter seit der Antike als feministisch und betonen eine nahtlose Kontinuität mit dem sogenannten ,f8minisme historiqueR, der ab dem 19. Jahrhundert angesetzt wird.3 Eine zweite Tradition unterstreicht demgegenüber eher die Notwendigkeit eines philosophisch-rechtlichen Diskurses und einer kollektiven Stoßrichtung der Forderungen für die Nutzung des Begriffs. Eine eigentlich feministische Tradition beginne entsprechend mit der Französischen Revolution, die die Forderung rechtlicher Gleichstellung durch die Aufhebung der Ständegesellschaft erst ermögliche. Zu ihr gehört insbesondere die Historikerin Christine Bard, die ihre kleine Anthologie feministischer Texte mit dem Titel Les insoumises. La r8volution f8ministe folgerichtig mit einem Text von Olympe de Gouges beginnt.4 Auch das von ihr zusammen mit Sylvie Chaperon herausgegebene, beeindruckende kollektive Großprojekt des Dictionnaire des f8ministes. France XVIIIe–XXIe siHcle5 konzentriert sich auf knapp 1700 Seiten und in über 400 Einträgen auf Frauenrechtlerinnen und Leon Abensour, Histoire g8n8rale du f8minisme des origines / nos jours, Paris 1921. S8verine Auffret, Une histoire du f8minisme de lQAntiquit8 grecque / nos jours, Paris 2018. 3 Vgl. ebd., 22. 4 Christine Bard (Hg.), Les Insoumises. La r8volution f8ministe. Une anthologie, Paris 2013, 13 – 19. 5 Christine Bard, Sylvie Chaperon (Hg.), Dictionnaire des f8ministes. France XVIIIe– XXIe siHcle, Paris 2017. 1

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Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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auch Frauenrechtler des 19. bis 21. Jahrhunderts. Der Eintrag „R8volution franÅaise“ von Dominique Godineau6 unterstreicht die besondere Bedeutung der Revolution für den feministischen Aufbruch; die aufgeführten historischen Figuren beginnen mit den großen Namen der französischen Revolution wie Olympe de Gouges, Condorcet oder Th8roigne de M8ricourt. Lediglich drei Einträge finden sich zu historischen Personen, die schon vor der Französischen Revolution aktiv waren. Marie Gournay, Christine de Pizan und FranÅois Poullain de la Barre wurden alle drei bekannt durch programmatische theoretische und immer noch modern anmutende Texte mit internationaler Strahlkraft, die gleichstellungspolitische Argumentationen bis heute befruchten. Nicole Pellegrin betont in ihrem Artikel des Dictionnaire zu „F8minisme dQAncien R8gime“7 zunächst analog zu Christine Bard, dass die traditionelle Ständegesellschaft mit ihrer rechtlichen, politischen und kulturellen Zementierung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern die Entwicklung eines im eigentlichen Sinne feministischen Engagements auf kollektiver Ebene verhinderte. Pellegrin verweist allerdings zugleich auf zwei philosophisch-literarische Traditionen, die schon ab dem 14. Jahrhundert feministisches Gedankengut transportierten, nämlich einerseits der Diskurs der sogenannten Querelle des femmes, in dem jahrhundertelang über die Natur der Frau teils polemisch, teils rational-argumentativ gestritten wurde,8 und andererseits die frühen Dokumentationen von sogenannten ,femmes c8lHbresR, die als Vorläufer historischer Frauenforschung zumindest das Bewusstsein weiblicher Präsenz in der französischen Kulturgeschichte schärften.9 Die amerikanische Historikerin Karen Offen hat ihrerseits schon früh auf das Problem der anachronistischen Nutzung des Begriffs ,FeminismusR hingewiesen.10 Denn er wurde erstmals im 19. Jahrhundert zunächst als pejorativer Begriff gebildet und erst die französische Wahlrechtskämpferin Hubertine Auclert hat Dominique Godineau, R8volution franÅaise, in: Bard, Chaperon (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 5), 1213–1215. 7 Nicole Pellegrin, F8minisme dQAncien R8gime, in: Bard, Chaperon (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 5), 547–550. 8 Vgl. hierzu auch genauer Armel Dubois-Nayt, Nicole Dufournaud, Anne Paupert (Hg.), Revisiter la Querelle des femmes. Discours sur lQ8galit8/in8galit8 des sexes, de 1400 / 1600, SaintEtienne 2013; Danielle Haase-Dubosc, Marie-Elisabeth Henneau (Hg.), Revisiter la Querelle des femmes. Discours sur lQ8galit8/in8galit8 des sexes, de 1600 / 1750, Saint-Etienne 2013; Pliane Viennot, Nicole Pellegrin (Hg.), Revisiter la Querelle des femmes. Discours sur lQ8galit8/in8galit8 des sexes, de 1750 aux lendemains de la R8volution, Saint-Etienne 2012; Armel Dubois-Nayt, Marie-Elisabeth Henneau, Rotraud von Kulessa (Hg.), Revisiter la Querelle des femmes. Discours sur lQ8galit8/in8galit8 des sexes en Europe, de 1400 aux lendemains de la R8volution, Saint-Etienne 2015. 9 Vgl. Pellegrin, F8minisme (wie Anm. 7), 549. 10 Vgl. Karen Offen, Defining Feminism. A comparative historical approach, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 14 (1988), 119–157. 6

Weibliche Selbstthematisierung

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ihm zu seiner heutigen Bedeutung verholfen.11 In ihrem Überblickswerk European Feminisms 1700–1950. A Political History aus dem Jahr 2000 modifiziert Offen allerdings ihre Position etwas, indem sie zwar für die Aufklärung keine umfassenden Reformbewegungen beobachtet, die als feministische Bewegungen anzusehen seien, jedoch einräumt: „But there was clearly a full-blown feminist consciousness in existence among some privileged women and men“.12 Die Rekonstruktion dieses Bewusstseins verfolgt sie in öffentlichen Debatten über die Natur der Frau, zu denen inzwischen eine umfangreiche Literatur existiert, und definiert ihr Untersuchungsobjekt wie folgt: „Feminism is the name given to a comprehensive critical response to the deliberate and systematic subordination of women as a group by men as a group within a given cultural setting“.13 Diese Debatten äußern sich aus ihrer Sicht vor allem in diskursiven und argumentativen Texten, auch wenn sie darauf hinweist, dass die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft der Aufklärung ebenso in literarischen Texten inszeniert und thematisiert wird. Manuskripte zählt sie allerdings ausdrücklich nicht zu ihrem Korpus.14 Im Rahmen dieses Beitrags soll das 18. Jahrhundert mit Bezug auf die französische Tradition als eine Phase des Übergangs verstanden werden, in der die argumentative Tradition der Querelle des femmes noch wirkmächtig ist mit ihrem dialogischen und gelegentlich polemischen Austausch philosophischer, wissenschaftlicher und symbolpolitischer Argumente. Zugleich wird eine neue Betrachtungsweise entwickelt, die ab der französischen Revolution dann auch einen kollektiven Impetus entwickelt. Sie nimmt ihren Ausgang im Kontext des Sensualismus und der Empfindsamkeit bei zunächst subjektiven Wahrnehmungen, die aber durch die Evozierung eines kollektiven Rahmens in eine systematische gesellschaftskritische Analyse münden können und so das kritische Denken der Aufklärung auch auf die Geschlechterfrage übertragen. Im Folgenden soll anhand eines spezifischen Beispiels das Korpus weiblicher Memoirenliteratur des 18. Jahrhunderts in den Blick rücken, das trotz oder gerade wegen der ursprünglichen Manuskriptform den Blick auf die Diskurse der Aufklärung erweitern kann. Denn diese Texte geben eine subjektive und gewissermaßen intime Sicht von Frauen wieder, nicht ohne zugleich genau die drei großen Themenbereiche anzusprechen, die Karen Offen als zentrale Debatten der feministischen Aufklärung identifiziert: First, they pointed to the necessity of womenQs full spiritual/moral and intellectual development as individuals […]. Second, they led directly to a reassertion of so-called womenQs values, the claims of the heart and of the emotions – of sentiment, in 11 12 13 14

Vgl. hierzu auch Christine Bard, Le f8minisme au-del/ des id8es reÅues, Paris 2012, 11–13. Karen Offen, European Feminisms 1700–1950. A Political History, Stanford 2000, 49. Ebd., 20. Vgl. ebd., XVI.

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short, as the complement to ,masculineR rationality – even as women claimed reason for themselves. Third, they precipitated a rethinking, in the name of ,public utilityR of womenQs strategic societal importance as mothers and asserted their centrality as child nurturers and partners with men in the project of ,civilizationR.15

Selbsterzählungen von Frauen nützen in der Aufklärung zwar in der Regel nicht die anklagende und fordernde Sprache argumentativer Texte. Durch ihre Einnahme der weiblichen Perspektive mittels einer Protagonistin, die auch Opfer der patriarchal organisierten Gesellschaft wird, entwickeln sie allerdings dennoch eine performative Kraft, die mehr Beachtung verdient. Denn die Narration der erlittenen Biographien suggeriert ex negativo ein ganzes Programm sozialer und rechtlicher Reformen, die die gesellschaftliche Lage der Frau verbessern könnten. Die Schreiberinnen inszenieren sich gegebenenfalls als Leidtragende einer lieblosen und geistig unbefriedigenden Mädchenerziehung, die oft mit der Abschiebung in ein Kloster einhergeht. Sie beschreiben sich als Opfer der utilitaristischen Heiratspolitik ihrer Eltern sowie des Missbrauchs der rechtlichen Dominanz des Ehemanns in der Ehe in Form von Verschwendung des ehelichen Vermögens und der ehelichen Untreue bis hin zur Übertragung von Geschlechtskrankheiten. Sie dokumentieren die Schwierigkeit, aus der Opferrolle der Ehefrau zu entkommen durch eine offizialisierte Trennung, und thematisieren schließlich die intellektuelle und psychologische Herausforderung, den eigenen Kindern eine bessere Erziehung zu geben und damit auch den Prozess der Zivilisation zu befördern. Mit dieser Auflistung sind bereits die zentralen Etappen der Histoire de Madame de Montbrillant von Louise dQPpinay zusammengefasst, einem der schillerndsten Memoirentexte der französischen Aufklärung. All diesen Schwierigkeiten begegnet in der Tat die Heldin des Romans, der als Schlüsselroman und damit zugleich als autobiographische Bestandsaufnahme des Lebens von Louise dQPpinay gelesen werden kann.

II. Weibliche Memoirenliteratur im 18. Jahrhundert Bevor genauer auf den Text, seine Geschichte und seine mögliche feministische Dimension eingegangen wird, sollen einführende Bemerkungen zur Memoirenliteratur französischer Frauen des Ancien R8gime vorgeschaltet werden. Schon 1988 unterstrich B8atrice Didier in ihrem Aufsatz Les femmes et la diffusion des LumiHres,16 dass die Bedeutung der Frauen bei der Verbreitung der Aufklärung sich nicht nur, wie klassisch angenommen, auf die Organisation ihrer Salons beschränkt, sondern dass sie sich auch aktiv für die philosophes eingesetzt und die 15 16

Ebd., 32. B8atrice Didier, Les femmes et la diffusion des LumiHres, in: Man and Nature 7 (1988), 23–52.

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Entwicklung aufklärerischen Gedankengutes und wissenschaftlichen Denkens vorangetrieben haben. Ihr Argument, dass diese aktive Einflechtung der Frauen in die Entwicklung der Aufklärung gerade eine feministische Bewegung verhindert habe, ließe sich wohl kritisch diskutieren: Et cQest peut-Þtre parce que, du moins dans le domaine des lettres et de la philosophie, lRid8ologie des LumiHres va vite Þtre dominante, quQil nQy a pas au XVIIIe siHcle un v8ritable mouvement f8ministe, comme en verront na%tre le XIXe et le XXe siHcle. Les femmes ne font que demander que lQon applique / leurs problHmes sp8cifiques, les grands et beaux principes que les Philosophes r8clament pour tout Þtre humain.17

Angesichts der Studien von Lieselotte Steinbrügge,18 Elisabeth Badinter19 und anderen20 sollte man eher von einer Durchdringung aufklärerischen Denkens mit einem differenztheoretischen Geschlechterdiskurs ausgehen, der gerade dazu führt, dass das weibliche Geschlecht im Zuge einer jetzt anthropologisch begründeten Funktionsteilung zwischen den Geschlechtern noch stärker aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wird als zuvor. Unumwunden rechtgeben können wir B8atrice Didier aber bei ihrer Hervorhebung der wichtigen Rolle der ,8criture du moiR von Frauen in der französischen Aufklärung: Il est bien vrai cependant que lRoriginalit8 des femmes du XVIIIe siHcle 8clate davantage dans ce que lQon pourrait appeler les 8critures du Moi et dans le roman qui souvent sQapparente / ce type dQ8criture. On peut mÞme dire, sans exag8ration, quQelles ont grandement travaill8 / cette explosion de lQ8criture du moi / la fin du XVIIIe siHcle qui peut Þtre consid8r8e comme la cons8quence du progrHs des LumiHres dans leur revendication des droits de lQindividu. On les voit passer tout naturellement des chroniques de la vie du temps / lQautobiographie.21

Diese These Didiers widerspricht in der Tat der traditionellen Annahme,22 dass die Gattung der modernen literarischen Autobiographie von Jean-Jacques Rousseau Ebd., 49. Lieselotte Steinbrügge, Das moralische Geschlecht. Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung, Stuttgart 21992; dies., Geschlechterdiskurse als Herausforderung für das anthropologische Denken der Aufklärung, in: Sonja Asal, Johannes Rohbeck (Hg.), Aufklärung und Aufklärungskritik. Selbstdeutungen des 18. Jahrhunderts im Spiegel der Zeitgenossen, Berlin 2004, 185–197. 19 Elisabeth Badinter, Pmilie, Pmilie ou lQambition f8minine au XVIIIe siHcle, Paris 1983; Denis Diderot, Antoine L8onard Thomas, Madame dQPpinay, QuQest-ce quQune femme? Un d8bat pr8fac8 par Elisabeth Badinter, Paris 1989. 20 Vgl. etwa die neuere Studie von Florence Lotterie, Le Genre des LumiHres. Femme et philosophe au XVIIIe siHcle, Paris 2013. 21 Didier, Les femmes (wie Anm. 16), 46. 22 Vgl. hierzu Damien Zanone, LQautobiographie, Paris 1996, 10 sowie Jacques Lecarme, Plian Lecarme-Tambone, LQautobiographie, Paris 2015, 22; beide Gattungseinführungen beziehen sich auf die Studie von Georges Gusdorf, Lignes de vie, Paris 1990. 17 18

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mit seinen Confessions erst erfunden wird, und hat in den letzten Jahren in fundierteren Forschungen zum Korpus weiblicher Autobiographien ihre Bestätigung gefunden. Insbesondere zwei Publikationen haben weiblichen Selbstzeugnissen im 18. Jahrhundert zu neuer Beachtung verholfen: eine von Catriona Seth 2013 herausgegebene umfangreiche Anthologie und die Studie von Adela"de Cron zur weiblichen Memoirenliteratur im 17. und 18. Jahrhundert. Seths Anthologie La Fabrique de lQIntime. M8moires et journaux de femmes du XVIIIe siHcle23 verschafft autobiographischen Texten von Frauen des 18. Jahrhunderts in einer erschwinglichen Dünndruckausgabe auf knapp 1200 Seiten neu Gehör und wird sicherlich zahlreiche neue Forschungen zu diesem Korpus anstoßen.24 Ein zentrales Problem war nämlich in der Vergangenheit die fehlende Zugänglichkeit dieser Texte, die fast alle zu Lebzeiten ihrer Autorinnen nicht gedruckt und erst nachträglich für die Öffentlichkeit lesbar wurden. Oft stark gekürzte Ausgaben des 19. Jahrhunderts wurden später dann kaum mehr neu aufgelegt. Seth weist insbesondere darauf hin, dass diese Texte im Kontext der Erfindung des Intimen stehen, wie sie Goulemot für das 18. Jahrhundert konstatiert.25 Sie tragen aktiv bei zu einer Kultur der ,8criture personnelleR, die nicht mehr wie die Memoirenliteratur des 17. Jahrhunderts dominant die historische Entwicklung im Fokus hat, sondern das Schreiben als Teil einer „8laboration dQun avis, dQun caractHre“26 sieht. Als eines der zentralen Themen dieser Texte identifiziert Seth die Rolle der Frau als Erzieherin. Die neue Detailstudie von Adela"de Cron, M8moires f8minins de la fin du XVIIe siHcle / la p8riode r8volutionnaire27 bietet eine tiefergehende Analyse des Korpus. Zunächst betont sie die Notwendigkeit der Wahrnehmung und Neutralisierung von Verzerrungen, die durch die oft einseitige Überlieferung und verkürzende Neuedition dieser Texte entstanden sind. Von den Historikern des 19. Jahrhunderts wurden sie vor allem als Steinbruch für historische Anekdoten aus den Regierungszeiten von Louis XIV bis Louis XVI genützt und entsprechend verkürzt neuediert oder auch erstmals gedruckt. Cron geht so weit, die Gattung der M8moires als rückwirkende Konstruktion der Historiker und Verleger des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen, die als Komplement der ,grande histoireR auch die ,petite histoireR ihrer Zeit dokumentieren soll. Weibliche Memoiren konstruieren in ihren verstümmelten Editionen des 19. Jahrhunderts mithin, wie Cron Catriona Seth, La Fabrique de lQIntime. M8moires et journaux de femmes du XVIIIe siHcle, Paris 2013. 24 Erste Ansätze hierzu finden sich im von Catriona Seth zusammen mit Anne Coudreuse herausgegebenen Sammelband Le Temps des femmes. Textes m8moriels des LumiHres, Paris 2014. 25 Vgl. Seth, La Fabrique (wie Anm. 23), 11. 26 Ebd., 35. 27 Adela"de Cron, M8moires f8minins de la fin du XVIIe siHcle / la p8riode r8volutionnaire. EnquÞte sur la constitution dQun genre et dQune identit8, Paris 2016. 23

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schreibt, eine Art „mythe de la f8minit8 mondaine de lQAncien R8gime“.28 Was zu diesem Rückblick nicht passt, wird aus den Texten evakuiert, etwa die im 18. Jahrhundert wichtig werdenden Kindheitsberichte und die Darstellung der ,vie priv8eR, wenn sie denn nicht mit öffentlichen Personen in Verbindung gebracht werden kann. Genau diese Dimension aber macht einen zentralen Aspekt der Entwicklung eines Bewusstseins über die eigene Subjektivität und auch Geschlechtsidentität durch das Aufschreiben des eigenen Lebens aus – und ist zudem ein konstitutiver Teil der neuen Gattung der Autobiographie. Auf die Verstümmelung durch die Editionen des 19. Jahrhunderts werde ich bei Louise dQPpinay zurückkommen, deren Text durch seine hybride Gattungsstruktur in besonderer Weise gelitten hat. Drei Aspekte der Studie von Cron sind durch die längerfristige Perspektive besonders relevant: die Periodisierung, die Gattungsformen und das Themenspektrum dieses Textkorpus. Cron identifiziert zwei Wellen von Texten. Eine erste Welle setzt sie ab dem zu Ende gehenden 17. Jahrhundert an mit sogenannten ,SkandalmemoirenR, die von öffentlich ambivalent sichtbaren Frauen als Rechtfertigungsstrategie ihrer ,anstößigenR Biographie geschrieben und genau aus diesem Grund tendenziell öfter publiziert werden. Die zweite Welle beginnt erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts und ist mit der Entwicklung der Aufklärung in Verbindung zu bringen durch die Wende zum Intimen, zur Ernsthaftigkeit der individuellen Aufarbeitung der eigenen Biographie und zur Identitätskonstruktion mithilfe der Artikulierung einer weiblichen Subjektivität. Anschließend an die Beobachtung einer stärkeren Differenzierung zwischen den Geschlechtsidentitäten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert durch Thomas Lacqueur konstatiert Cron: Entre la fin de la Fronde et le d8but du XVIIIe siHcle, un ensemble de facteurs permettrait donc lQapparition dQun nouveau type de m8moires, oF lQidentit8 sexuelle de lQauteur 8crivant sa vie pourrait prendre plus dQimportance, 8volution qui irait de pair, dans le cas des auteurs femmes, avec une repr8sentation plus d8velopp8e, et dans une certaine mesure plus l8gitime que chez les hommes m8morialistes, de la vie priv8e. […]. Les femmes qui 8crivent leur vie peuvent donc Þtre amen8es, pour la premiHre fois peutÞtre, / sQinterroger sur la condition f8minine, le statut et le rkle de la femme en soci8t8, voir sur les comportements vus comme f8minins.29

Die detaillierte thematische Analyse bei Cron bestätigt zunächst die Diagnose von Karen Offen, dass keine direkt feministischen Forderungen zu finden sind, aber die „condition f8minine“ aus heutiger Sicht wenig überraschend ein Kernthema bildet. Kindheit und Erziehung sind zentrale Ankerpunkte dieser Texte und zwar in Bezug sowohl auf die Ich-Erzählerin selbst als auch auf ihre Aufgaben als Er28 29

Ebd., 19. Ebd., 9.

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zieherin ihrer eigenen Kinder. Auch die Heirat und ihre Asymmetrien sowie wenig überraschend die Tradition der Libertinage und der Galanterie werden jetzt thematisiert und aus einer weiblichen Perspektive problematisiert. Schließlich werden auch das Schreiben selbst und damit einhergehend die Marginalisierung der schreibenden Frau immer wieder reflektiert. Im Rahmen der genauen Analyse des Korpus werden auch die Gattungseinflüsse der einzelnen Texte nuanciert diskutiert. Cron beobachtet eine große Variationsbreite von Gattungshybridisierungen, die gerade in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine neue Qualität entwickeln und spätestens jetzt die Differenzierung zwischen den eine historische Entwicklung nachzeichnenden Memoiren und der auf die persönliche Entwicklung konzentrierten Autobiographie schwierig, wenn nicht unmöglich machen. Jenseits dieser referenziellen Gattungen mischen sich in die Texte auch Elemente fiktionaler Gattungen, die sich aus der Romantradition der Ich-Erzählung und des Briefromans, aber auch aus der Theatertradition und narrativen Kleingattungen wie dem literarischen Portrait speisen. Was aus Sicht der Historiker des 19. Jahrhunderts als zu vernachlässigender Formaspekt und im Abgleich mit Philippe Lejeunes klassischer Definition der Autobiographie30 als heterogen, inkonsistent, widersprüchlich und deshalb ,unreinR anzusehen wäre, ist aber, so das Fazit von Cron am Ende ihrer Analyse, gerade ein zentrales Atout dieser weiblichen Texte: Il y a / lQint8rieur dQun mÞme texte un jeu constant entre ce quQil est possible de dire et ce quQil convient de seulement sugg8rer (via diff8rentes strat8gies: r8ticence, humour …): t8moignage dQune 8criture qui sQimmisce, de faÅon pragmatique, dans les bornes 8troites des convenances, pour dire sans vraiment dire.31

Genau diese spezifische Mischung aus offenem Aussprechen und bloßem Andeuten hat Louise dQPpinay mit ihrer Histoire de Madame de Montbrillant zu einem besonders kunstvollen und komplexen Höhepunkt gebracht, der im Folgenden genauer betrachtet werden soll.

III. Die Histoire de Madame de Montbrillant von Louise dQPpinay im Schatten ihrer Editionsgeschichte Der besondere Stellenwert dieses Textes im Gattungsgefüge der Zeit und in der Geschichte der Autobiographie ist nicht ohne eine etwas ausführlichere Einfüh„R8cit r8trospectif en prose quQune personne r8elle fait de sa propre existence, lorsquQelle met lQaccent sur sa vie individuelle, en particulier sur lQhistoire de sa personnalit8“ (Philippe Lejeune, Le pacte autobiographique, Paris 1975, 14). 31 Cron, M8moires (wie Anm. 27), 271. 30

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rung zu seiner Autorin und zu seiner Entstehung und Publikation bestimmbar.32 Louise Florence P8tronille Tardieu dQEsclavelles wird 1726 in Valenciennes geboren. Ihr Vater verstirbt, als sie zehn Jahre alt ist, und sie heiratet 1745 im Alter von 19 Jahren ihren Cousin zweiten Grades, Denis-Joseph Lalive dQPpinay. Schnell bekommt sie zwei Kinder von ihm und verlässt nach der Geburt ihres zweiten Kindes ihren Ehemann, der sie nicht nur ständig betrügt, sondern auch das Vermögen der Familie durchbringt und sie mit der Syphilis ansteckt. Sie unterhält dann eine vier Jahre dauernde Liebesbeziehung mit dem Schriftsteller Dupin de Francueil, mit dem sie zwei weitere Kinder bekommt, und lernt 1748 Jean-Jacques Rousseau kennen. Dieser macht sie später mit Friedrich Melchior Baron von Grimm, dem Herausgeber der Correspondance litt8raire, bekannt, woraus sich ab 1755 eine langjährige Liebesbeziehung zwischen dQPpinay und Grimm entwickelt, die bis zu ihrem Tod im Jahr 1783 andauert. Louise dQPpinay führt einen der bekannten Salons ihrer Zeit, in dem sich Aufklärer wie Montesquieu, Marivaux, Raynal und Saint-Lambert treffen. Mit dem italienischen Ökonomen und Schriftsteller Abb8 Galiani führt sie ab 1769 eine viele Jahre andauernde Korrespondenz, die nach ihrem Tod auch veröffentlicht wird33 und in der sie in gesellschaftlichen Analysen gelegentlich an die Querelle des femmes anknüpft.34 Jean-Jacques Rousseau gehört zwischen 1756 und 1757 zu ihren Schützlingen. In dieser Zeit lebt er in einer von ihr zur Verfügung gestellten Eremitage in der Nähe ihres Schlosses und schreibt insbesondere an seinem Briefroman La Nouvelle H8lo"se und seinem Erziehungsroman Pmile ou De lQ8ducation. Die Publikation des letzteren bringt ihm später die Verfolgung durch die französischen Zensurbehörden ein und zwingt ihn zur Flucht aus Frankreich. In seinen Confessions, die traditionell als erste moderne literarische Autobiographie der französischen Literaturgeschichte angesehen werden, spielt Madame dQPpinay eine eher unrühmliche Rolle. Rousseau verdächtigt seine einstige Gönnerin der Verschwörung gegen ihn zusammen mit Grimm und Diderot: Das Trio hätte Misstrauen gesät, am Hof gegen ihn intrigiert, damit seinen Auszug aus seiner Bleibe 1757 forciert und den Auftakt seines unsteten Lebens bis zu seinem Lebensende aus seiner Sicht zumindest mitverantwortet.

Zu Biographie und Werk dQPpinays vgl. genauer Jacques Domenech (Hg.), LQŒuvre de Madame dQPpinay, 8crivain-philosophe des LumiHres. Actes du premier colloque international consacr8 / madame dQPpinay, Paris 2010 sowie die vergleichende biographische Studie zu Louise dQPpinay und Pmilie du Ch.telet von Elisabeth Badinter, Pmilie (wie Anm. 19). 33 La Signora dQEpinay e lQAbate Galiani, Lettere inedite (1769–1772), hg. von Fausto Nicolini, Bari 1929. 34 Vgl. Badinter, Pmilie (wie Anm. 19) sowie Mary Trouille, Sexual/Textual Politics in the Enlightenment. Diderot and dRPpinay respond to Thomas, in: British Journal for Eighteenth Century Studies 19 (1996), 1–15. 32

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Weniger bekannt waren lange Zeit die schriftstellerischen Aktivitäten von Louise dRPpinay. Ab 1756 ist sie aktiv an der Redaktion der europaweit gelesenen und über den klandestinen Buchhandel verbreiteten Correspondance litt8raire von Grimm beteiligt, für die sie auch selbst über 70 Texte schreibt und für deren Redaktion sie während einer längeren Abwesenheit von Grimm zusammen mit Diderot die Hauptverantwortung übernimmt.35 Ihr Erziehungstext Conversations dQPmilie von 1774 ist das einzige ihrer Werke, das zu ihren Lebzeiten als Buch veröffentlicht wird und recht erfolgreich ist.36 Es erlebt schon vor ihrem Tod mehrere Auflagen und wird 1783 mit dem Prix dQutilit8 der Acad8mie franÅaise ausgezeichnet. Der Titel ist durchaus programmatisch als Gegenentwurf zu Rousseaus Pmile von 1762 zu lesen, in dem bekanntlich Sophie, das weibliche Pendant des Pmile, eine recht eingeschränkte Erziehung genießt, die sie auf ihre Rolle als Gefährtin des Mannes und Mutter seiner Kinder vorbereitet. Die Pmilie von Louise dQPpinay dagegen genießt eine breite Erziehung und Bildung, die nicht geschlechtsspezifisch orientiert ist, sondern eher auf einem universell formulierten Erziehungsideal basiert. Ein besonderes Charakteristikum des Erziehungskonzepts von dQPpinay ist der Austausch auf Augenhöhe zwischen Erzieherin und Schülerin, der in den Conversations dQPmilie in Form eines Dialogs inszeniert wird und auch eine selbstkritische Reflexion der Erzieherin einschließt. Der strategischen Manipulation des Kindes zum Zwecke der Durchsetzung hehrer Erziehungsideale bei Rousseau setzt Louise dRPpinay einen gleichberechtigten Umgang entgegen, bei dem die Erzieherin transparent kommuniziert und auch einmal zugeben kann, dass sie irrt.37 Jenseits dieses Erziehungsdialogs hat Louise dRPpinay vor allem ein umfangreiches Werk hinterlassen, das als Manuskript nach ihrem Tod zunächst an Grimm ging, der es seinerseits aber nicht publizierte. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Histoire de Madame de Montbrillant wiederentdeckt. Der umfangreiVgl. hierzu genauer die neue Studie von M8linda Caron, Pcriture et vie de soci8t8. Les correspondances litt8raires de Louise dQPpinay (1775–1783), Montr8al 2017. 36 Louise dQPpinay, Les Conversations dQPmilie. Texte pr8sent8 par Rosena Davidson, Oxford 1996. Zu dQPpinays Erziehungskonzept vgl. genauer Annette Mohr, Madame dQPpinays Konzeption der Mädchenerziehung, St. Ingbert 1997; Alexandra Kleihues, Conversation versus Katechismus. Madame dQPpinays literarische Gestaltung eines innovativen Erziehungskonzepts, in: Gabriele Vickermann-Rib8mont, Dietmar Rieger (Hg.), Dialog und Dialogizität in der Aufklärung, Tübingen 2003, 107–123; dies., Erziehung im Plauderton. Formen des Widerstands gegen die Anthropologisierung der Geschlechterdiskurse bei Madame dQPpinay, in: Katharina Rennhak, Virginia Richter (Hg.), Revolution und Emanzipation. Geschlechterordnungen in Europa um 1800, Köln 2004, 51–66 und zuletzt Laurence Vanoflen, Libre ou soumise? DQPpinay / R8musat face / la ,SophieR de Rousseau, in: Rotraud von Kulessa (Hg.), D8mocratisation et diversification. Les litt8ratures dQ8ducation au siHcle des LumiHres, Paris 2015, 115–132. 37 Vgl. hierzu genauer Kleinhues, Conversation (wie Anm. 36) und dies., Erziehung (wie Anm. 36). 35

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che Text, der über 2300 Manuskriptseiten umfasst und in der aktuell verfügbaren Edition von 198938 immer noch über 1600 Druckseiten besitzt, entsteht in seiner ersten Fassung wahrscheinlich zwischen 1756 und 1762, also großteils vor dem Beginn der Redaktion der rousseauschen Confessions, und ist ein erstaunliches Gattungshybrid. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen polyphonen Briefroman, der mit Tagebucheinträgen der Protagonistin Madame de Montbrillant durchsetzt ist und regelmäßig durch Anmerkungen des fiktiven Herausgebers, Hauslehrers, Tutors und späteren Beraters der Protagonistin, Lisieux, unterbrochen und zugleich eingerahmt wird. Die zehn Jahre alte Pmilie de Gondrecourt verliert ihren Vater, wird in den folgenden Jahren nur unsystematisch erzogen und heiratet jung ihren Cousin Monsieur de Saint Ulce de Montbrillant, der sie nach der Heirat betrügt und das Geld der Familie durchbringt. Die zunächst sehr naive junge Pmilie nabelt sich von ihrem Ehemann ab und entwickelt Kontakte und Aktivitäten mit Schriftstellern ihrer Zeit. Sie berichtet von großen und kleinen Ereignissen und Diskussionen in ihrem Umfeld, von Zuspitzungen im Kontext der Trennung von ihrem Ehemann, vom intellektuellen Austausch mit Literaten über wichtige Themen der Aufklärung und philosophische Fragen, reflektiert aber auch über Erziehungsprinzipien und über ihre Liebesbeziehungen. Die Histoire de Madame de Montbrillant umfasst insgesamt einen Zeitraum von 26 Jahren, im Text datiert zwischen 1736 und 1762. Unschwer lässt sich schon an diesem kurzen AperÅu die autobiographische Dimension des Textes erkennen – denn er vollzieht ganz offensichtlich das Leben der Autorin nach, wenn man sich an zentrale biographische Entwicklungslinien hält. Allerdings sind die Namen der Protagonisten durchweg geändert und einige, wie der erzähltechnisch so entscheidende Tutor und Berater Lisieux, hinzuerfunden zur besseren Strukturierung der Diegese. Für Kenner und Kennerinnen der Biographie von Louise dQPpinay waren und sind aber die hinter den Namen liegenden Personen unschwer zu erkennen, was dem Text auch die Bezeichnung als Schlüsselroman eingebracht hat. Jenseits der formalen Hybridität und der Namensänderungen widerspricht vor allem ein zentraler Teil des Textes der autobiographischen Lesart: Er schließt, als die Protagonistin Pmilie de Montbrillant im Alter von 45 Jahren plötzlich stirbt – hier spätestens endet die Parallele mit der Biographie der Autorin. Das Jahr 1762 markiert für die Autorin nämlich lediglich den Tod ihrer Mutter. Es mag erstaunen, dass die Bedeutung dieses Textes für die Geschichte bzw. Vorgeschichte der Autobiographie im 18. Jahrhundert sehr lange Zeit nicht wahrgenommen wurde. Dies lässt sich zumindest teilweise erklären durch seine einLouise dQPpinay, Les Contre-Confessions. Histoire de Madame de Montbrillant. Pr8face de Elisabeth Badinter, notes de Georges Roth, revues par Elisabeth Badinter, Paris 1989. 38

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seitige Editionsgeschichte im 19. Jahrhundert,39 die exemplarisch steht für das Schicksal vieler Werke von Schriftstellerinnen des Ancien R8gime, seien es Memoiren, fiktionale Texte oder auch Korrespondenzen.40 Im Jahr 1818 gab nämlich der Verleger Brunet die sogenannten M8moires et Correspondance de Madame dQPpinay41 heraus, die in mehreren Neueditionen des 19. Jahrhunderts nachgedruckt wurden. Der abgewandelte Titel wurde vom Herausgeber ergänzt durch einen aussagekräftigen, aber auch entlarvenden Untertitel: M8moires et Correspondance de Madame dRPpinay ou elle donne des d8tails sur ses liaisons avec Duclos, J.-J. Rousseau, Grimm, Diderot, le baron dQHolbach, Saint-Lambert, Mme dQHoudetot, et autres personnages c8lHbres du dix-huitiHme siHcle. Ouvrage renfermant un grand nombre de Lettres in8dites de Grimm, de Diderot et de J.-J. Rousseau, lesquelles servent dQ8claircissement et de correctif aux Confessions de ce dernier.42

Der neue Titel ist Programm, denn der Herausgeber hat die Klarnamen der Protagonisten in den Text eingesetzt, diesen substanziell gekürzt und mit zahlreichen historischen Anmerkungen zu den bekannten Zeitgenossen versehen. Der autobiographische Roman verwandelt sich durch die Edition in historische Memoiren, die weniger die persönliche Entwicklung der Protagonistin als die Bezüge zu berühmten historischen Persönlichkeiten wie Diderot und Rousseau ins Zentrum stellen. Diese Textversion bleibt bis auf weiteres auch in leicht geänderten Neuauflagen der zentrale Referenzrahmen der Beurteilung ihres Romans. Sie wird bis ins 20. Jahrhundert hinein zerrieben in der Auseinandersetzung zwischen Rousseauisten und Antirousseauisten, die jeweils die Schlüsselpassagen der Confessions mit denen der M8moires abgleichen hinsichtlich der Freundschaft und des Zerwürfnisses zwischen Rousseau und Louise dRPpinay. Hier treffen zwei diametral entgegengesetzte Grundpositionen zu Leben und Werk Rousseaus aufeinander: Die eine Seite spricht von einem Komplott des von Rousseau in seinen Confessions als ,coterie de GrimmR bezeichneten Trios Ppinay-Grimm-Diderot. Die anZur Editionsgeschichte des Textes vgl. genauer das Vorwort der Textausgabe von Elisabeth Badinter (wie Anm. 38) sowie im Detail Odette David, LQautobiographie de convenance de Madame dQPpinay, Pcrivain-philosophe des LumiHres. Subversion id8ologique et formelle de lQ8criture de soi, Paris, 2007; die folgenden Ausführungen speisen sich insbesondere aus dieser Analyse. 40 Vgl. hierzu insbesondere die Studie von Lieselotte Steinbrügge zur einseitigen Wahrnehmung der umfangreichen Korrespondenz der Liselotte von der Pfalz: R8flexions sur la traduction des lettres de la duchesse Elisabeth Charlotte dQOrl8ans (Liselotte von der Pfalz), in: Annette Keilhauer, Andrea Pagni (Hg.), Refracciones/R8fractions. Traducciln y g8nero en las literaturas rom#ncias. Traduction et genre dans les litt8ratures romanes, Wien 2017, 41–56. 41 M8moires et Correspondance de Madame dRPpinay, oF elle donne des d8tails sur ses liaisons avec Duclos, J.-J. Rousseau, Grimm, Diderot, le baron dQHolbach, Saint-Lambert, Mme dQHoudetot, et autres personnages c8lHbres du dix-huitiHme siHcle, Paris 1818. 42 Ebd., Titelseite. 39

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dere Seite hebt die schwierige, misanthropische und arrogante Natur des Eigenbrötlers Rousseau hervor, dem man es nicht recht machen kann und dessen Verfolgungswahn ihn bereits in dieser Etappe seines Lebens einholt. Als Rousseau in den 1770er Jahren in Salons aus seinen gerade fertiggestellten Confessions liest, ist es in der Tat Louise dQPpinay, die ihre Verbindungen zur Pariser Polizei spielen lässt, um öffentliche Lesungen verbieten zu lassen – aus der begründeten Angst heraus, dass sie und ihre Freunde dabei schlecht wegkommen würden bzw. dass Rousseau verleumderische Behauptungen lancieren könnte, die nicht zutreffen.43 Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts beugt sich die Literaturwissenschaftlerin Frederica Macdonald44 wieder über das Originalmanuskript und entscheidet den Streit fürs Erste zugunsten Rousseaus – denn sie entdeckt im Originalmanuskript Korrekturen, die ganz augenscheinlich aus den 1770er Jahren stammen und möglicherweise nicht nur von Louise dQPpinay, sondern auch von Grimm und Diderot ergänzt wurden. Hier wurde also augenscheinlich nachträglich noch einiges klargestellt in Konfrontation mit den schon bekannt werdenden Confessions. Bei Betrachtung des Gesamttextes muss allerdings festgestellt werden, dass der Teil, in dem Ren8 alias Rousseau eine wichtige Rolle spielt, sich im Originalmanuskript auf ein Fünftel des Textes beschränkt. Ganz weggelassen werden in den Editionen des 19. Jahrhunderts aus nachvollziehbaren Gründen nicht nur das Ende des Textes, das nicht zur Gattungsbezeichnung der M8moires passen würde, sondern auch sein erster Teil, der aus unserer Sicht allerdings eine ganz zentrale Rolle spielt. Denn in der defizitären Erziehung der naiven jungen Frau findet sich der Nukleus für ihre Verirrungen, die zu ihrer frühen Ehe und ihren sich daran anschließenden bitteren Erfahrungen führen. Die erste vollständige Edition kommt erst im Jahr 195145 in drei Bänden heraus und wird von einer einbändigen, durch Georges Roth und Elisabeth Badinter kommentierten Ausgabe im Jahr 1989 gefolgt, die im Rahmen der allgemeinen Aufwertung von Schriftstellerinnen dieser Zeit den Text jetzt endlich umfassender würdigt.46

Vgl. Badinter, Pmilie (wie Anm. 19), 348 sowie Elisabeth Badinter, Pr8face, in: Ppinay, Les Contre-Confessions (wie Anm. 38), XV. 44 Frederica Macdonald, Jean-Jacques Rousseau. A new criticism, London 1906. 45 Louise dQPpinay, Pseudo-M8moires de Madame dQPpinay, Histoire de Mme de Montbrillant, 3 Bde., Paris 1951. 46 Elisabeth Badinter, Pr8face, in: Ppinay, Les Contre-Confessions (wie Anm. 38), IX–XXXII. 43

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IV. Histoire de Madame de Montbrillant: Selbstfindung oder feministisches Bewusstsein? Welche Charakteristika machen nun aber die Histoire de Madame de Montbrillant zu einem interessanten Korpus für die Frage nach einer feministischen Aufklärung? Betrachten wir zunächst die Geschichtsebene des Textes, dann können in der Biographie von Louise dQPpinay alias Madame de Montbrillant zentrale Momente festgemacht werden, die exemplarisch für die unterdrückte Situation aristokratischer Frauen im Frankreich des 18. Jahrhunderts stehen. Da wäre zunächst ganz allgemein die ausführlich nachvollzogene Innenperspektive eines Mädchens und dann einer jungen Frau zu nennen, die dem Unbill ihrer Umwelt, den Einflüssen verschiedener Einflüsterer ihrer Mutter und den defizitären Erziehungsmethoden im Kloster hilflos ausgeliefert ist, die auf die Lockungen religiösen Wahns hereinfällt und sich aus einer jugendlichen Schwärmerei heraus in einen Taugenichts verliebt. Sie hat Mühe, sich aus der schnell unglücklichen Heirat mit zumindest einem gewissen Teil ihres Vermögens zu retten. Gegen diese zunächst naive Innenperspektive47 werden Briefe ihres Umfeldes gesetzt, die die Instrumentalisierung des Mädchens und der jungen Frau entlarven, wie zum Beispiel die strategische und profitorientierte Heiratsplanung ihrer Mutter, die über alle Wünsche der Protagonistin hinweggeht, oder auch die Schmeicheleien ihres Ehemanns, die durch seine in Briefen Dritter berichteten ehebrecherischen Aktivitäten als Ablenkungsmanöver entlarvt werden. Auch der langwierige Trennungsstreit mit ihrem Ehemann wird über mehrere hundert Seiten in zahlreichen Briefen und Tagebucheinträgen verhandelt. Sie braucht lange, bis sie von seiner Untreue überzeugt ist, und muss später auch juristischen Rat einholen angesichts des durch sein Verschulden schwindenden Vermögens – bis hin zur schließlich erfolgenden Gütertrennung. Wir erleben also sozusagen auf der Mikroebene die auf ihren Lebenserfahrungen fußende geistige Entwicklung der Protagonistin ganz hautnah mit. Auch die Erziehung ihrer Kinder wird ausführlich thematisiert und reflektiert – insofern ist die Histoire auch ein wichtiges Komplement zu den Conversations dQPmilie. Hier werden nämlich auch die Grenzen der Erziehung der eigenen Kinder offenbar, insbesondere die Niederlage der Protagonistin angesichts der gescheiterten Erziehung ihres Sohnes, der ganz nach dem Vater kommt und im Gefängnis endet. Erst die Adoption der Enkelin ermöglicht der unzulänglichen Mutter, als Großmutter ein wirksames Erziehungskonzept zu entwickeln und sich dadurch zu rehabilitieren. Immer wieder wird die Ernüchterung der Protagonistin zum Thema angesichts der Ungerechtigkeiten, deren Opfer sie ist. Auch wenn dieser Diskurs nicht in eine Vgl. hierzu auch genauer Adela"de Cron, Madame dQPpinay et le modHle m8morialiste f8minin, in: Domenech (Hg.), LQŒuvre de Madame dQPpinay (wie Anm. 32), 79–91, hier 80 f. 47

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allgemeingesellschaftliche Analyse und die Entwicklung von Handlungsempfehlungen zu gesellschaftlichen Veränderungen mündet, ist in der Entwicklung der Protagonistin die schrittweise Ausbildung eines emanzipatorischen Bewusstseins zu erkennen. Implizit wird deutlich, dass die Situation der Frau vor allem durch ökonomische, rechtliche und erzieherische Ungleichbehandlung beeinflusst wird, nicht aber durch eine natürliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern – ein Credo, das sie in ihrer Korrespondenz mit Galiani expliziter in der Tradition eines rationalistischen Feminismus und in Kritik gegenüber Thomas ausbuchstabiert.48 Noch komplexer gestaltet sich die Analyse des Textes auf der Diskursebene. Als Gattungshybrid wurde er lange Zeit als ,inclassableR und unvollendet bezeichnet – auch weil die Autorin ihn zu Lebzeiten nicht veröffentlicht. Wie eine Einheit finden in der scheinbar widersprüchlichen Kombination aus Briefen, Tagebucheinträgen und Erzählkommentaren, die auf hunderten Seiten jeweils unterschiedlich alternieren? Erst die Gesamtedition des Textes hat überhaupt eine literarische Würdigung möglich gemacht. Eine erste Aufwertung erfährt das Werk durch Ruth Plaut Weinreb, die in ihrer Studie von 1993 seine literarische Qualität ins Zentrum stellt.49 Fundiert wird der Text dann gewürdigt in der subtilen Analyse von Odette David aus dem Jahr 2007.50 David belegt überzeugend die strategisch angelegte narrative Architektur des Textes, die die biographische Entwicklung der Madame de Montbrillant mit einer Dynamik in der Vermittlungsart und damit in der Schreibpraxis der Protagonistin selbst verbindet. Sie diagnostiziert drei zentrale Etappen in der biographischen Entwicklung, die jeweils mit einer Veränderung der ,8criture de soiR hin zu einer immer weitergehenden geistigen Autonomie der Protagonistin einhergehen. Wir wohnen gewissermaßen der Geburt des autobiographischen Schreibens einer Frau im Kontext ihrer sich anreichernden Lebenserfahrung bei, die geprägt ist von durch ihr Geschlecht bedingte Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen. Die frühen kindlich-naiven Briefwechsel insbesondere mit der Busenfreundin und dem Tutor, die eingerahmt werden von zum Teil längeren erklärenden und kommentierenden Passagen eben dieses Tutors und zugleich fiktiven Herausgebers des Manuskripts, werden nach dem ersten Drittel des Textes zugunsten einer stärkeren Dominanz des Tagebuches abgelöst. Die Scharnierstelle des Übergangs ist von besonderer Bedeutung. Die frisch verheiratete Madame de Montbrillant hat gerade ihr zweites Kind zur Welt gebracht, und von ihrem Mann wird ihr das Stillen verboten, was sie verzweifeln lässt. In dieser Situation erhält sie zuVgl. hierzu genauer Trouille, Sexual/Textual Politics (wie Anm. 34), 9–12. Ruth Plaut Weinreb, Eagle in a Gauze Cage. Louise dQPpinay, Femme de Lettres, New York 1993. 50 David, LQautobiographie de convenance (wie Anm. 39). 48 49

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gleich endgültige Beweise für die Untreue ihres Ehemannes und steht an einem persönlichen Scheideweg. Ihr Tutor schlägt ihr daraufhin vor, ein Tagebuch zu führen: Je voudrais que vous puissiez vous voir telle que vous avez 8t8, il nQy a pas longtemps, telle que vous Þtes aujourdQhui, et telle que vous serez peut-Þtre dans un ou deux mois. JQaimerais que la suite de ces diff8rentes positions se pr8sent.t tout dQun coup / votre esprit; alors vous verriez les changemens marqu8s de cet heureux caractHre avec lequel vous Þtes n8e, combien les circonstances 8trangHres influent sur votre .me, sur les jugemens quQelle porte, et sur toutes vos affections. Cette histoire de votre vie deviendrait pour vous un objet trHs int8ressant, une exp8rience soutenue et vous servirait de guide. DQaprHs cette id8e, au milieu des plaisirs oF je vois que vous allez Þtre entra%n8e par systHme, par complaisance, et peut-Þtre mÞme par go0t, pourriez-vous sacrifier quelques momens / tenir un journal de votre vie? Auriez-vous le temps de vous faire un d8tail de ce que vous voyez, de ce que vous entendez, de ce que vous pensez surtout, et de la maniHre dont vous vous affectez des choses? Un pareil tableau deviendrait pour vous bien int8ressant. Vous vous y verriez au naturel, et vous y verriez le monde et tout ce qui y est relatif / vous. Vous corrigeriez vos jugemens sur lQexp8rience que donnent le temps et de nouvelles lumiHres; enfin vous trouveriez en vous un ami s0r et s8vHre.51

Das Tagebuch soll eine Reflexion über das eigene Leben anstoßen, das durch die Gleichrangigkeit von Retrospektion, Gegenwartsperspektive und projektierter Zukunft erst in seiner dynamischen Entwicklung wahrgenommen und kritisch hinterfragt werden kann. Und diese Entwicklung ist nicht nur abhängig von äußeren Umständen und vielleicht gelegentlich zweifelhaften Einflüssen, sondern die Introspektion selbst kann die innere Reifung unterstützen, so der Tenor des Plädoyers von Lisieux. Madame de Montbrillant antwortet enthusiastisch: Je voudrais que vous sussiez tout; mais ind8pendamment de ce que je ne sais pas oF commencer, il y a des choses que je voudrais que vous puissiez savoir sans que je vous les eusse dites. CQest une des raisons qui me font saisir avidement lQid8e de faire un journal. Il me semble que je vous le laisserai plutkt lire, que je ne vous 8crirai les choses qui y seront. Vous ne sauriez croire le plaisir que jQai de voir que vous me conseillez cette m8thode; parce que lQid8e mQen 8tait venue souvent, et que je nQaurais jamais os8 la suivre, craignant quQon ne me prit pour folle de mQ8crire ainsi / moi-mÞme. […]. Je vais donc commencer. Je ne sais pas trop si je vous le communiquerai en entier. Au moins je vous en d8tacherai quelques morceaux.52

Sie gibt zu, mit der neuen Gattung schon geliebäugelt zu haben, und entwickelt eine neue Art der Selbstreflexion, in der jetzt die Trias der Reflexion über Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft ihres eigenen Lebens zentral gesetzt wird – eine Trias, die konstitutiv für die Gattungsdefinition der Autobiographie ist. Sie 51 52

Ppinay, Les Contre-Confessions (wie Anm. 38), 282. Ebd., 283.

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löst sich damit zugleich deutlich von der Einflussnahme durch ihren Tutor, dessen Rolle als Vertrauter ab hier in den Hintergrund tritt. Es beginnt eine Phase neuer Eigenständigkeit, in der sie sich zunächst heimlich einen Liebhaber nimmt, der sie aber nach einiger Zeit verlässt. Erst im letzten Drittel des Textes lernt sie dann Grimm kennen und entfaltet selbstbewusster ihre intellektuellen Fähigkeiten; hier tritt das Tagebuch wiederum in den Hintergrund. Der Text geht wieder über in einen multilateralen Briefwechsel, den sie vor allem mit ihrem neuen, sie auf Augenhöhe behandelnden Partner und anderen Aufklärern, insbesondere aber Ren8 (Rousseau) und Girard (Diderot) führt. Odette David zeigt in ihrer Studie deutlich auf, wie diese formale literarische Struktur eine subversive Qualität entwickelt, die sehr originell die verschiedenen Formen der 8criture du moi kombiniert und daraus eine übergreifende Strategie der Selbstentwicklung auf der Suche nach persönlichem Glück entfaltet. Der abschließende Tod der Protagonistin im Alter von 45 Jahren kann als Teil dieser Strategie gelesen werden. Er steht symbolisch für eine geistige Metamorphose: Die unzureichend erzogene, naive junge Frau, die von der Gesellschaft deformiert ist und schlecht behandelt wird, reift durch geistige und charakterliche Weiterentwicklung zu einer Persönlichkeit, die sich durch ihre erziehungstheoretischen Reflexionen für das Allgemeinwohl einsetzen kann, intellektuell auf Augenhöhe mit den Geistesgrößen ihrer Zeit diskutiert – und zu einer aus eigenem Impuls weiterentwickelten 8criture du moi findet. Aber warum nicht gleich eine Autobiographie im Stile Rousseaus verfassen, dessen Authentifizierungsstrategie uns bis heute direkt anspricht? Der Grund liegt in den stände- und geschlechtsspezifisch unterschiedlich verfügbaren Sprechpositionen. Die freizügige und freimütige Selbstreflexion eines Rousseau ist einer Aristokratin im Ancien R8gime nicht möglich, ein authentisches „je“ lässt sich aus Gründen der Schicklichkeit nicht ins Zentrums eines weiblichen Lebensberichtes stellen. DQPpinay bildet hier keine Ausnahme, wird doch etwa zwischen 1720 und 1755 in Frankreich kein einziger weiblicher Memoirentext veröffentlicht.53 Was dQPpinay hier konstruiert, nennt Odette David am Ende ihrer Studie eine „autobiographie de convenance“ und setzt diese ,8criture de soi au f8mininR von der maskulinen, mit Rousseau identifizierten Tradition ab.54 Sie unterstreicht aber zugleich die besondere literarische Qualität des Textes. Die äußere und innere Entwicklung der Madame de Montbrillant erhält ihre besondere Schlagkraft gerade dadurch, dass sie nicht dominant als außergewöhnlicher, individueller Lebenslauf einer vom Schicksal gebeutelten Frau zu lesen ist. Durch die Fiktionalisierung ermöglicht der Text eine verallgemeinernde Lesart, die die systematische Diskriminierung der Frau in der Gesellschaft des Ancien 53 54

Vgl. Cron, Madame dQPpinay (wie Anm. 47), 89. David, LQautobiographie de convenance (wie Anm. 39), 363.

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R8gime in den Blick nimmt und exemplarisch inszeniert. So formuliert dQPpinay im Vorwort sehr bewusst eine gesellschaftliche Stoßrichtung des Textes – die letztlich auch zeigt, dass sie mit dem Gedanken einer Publikation des Textes durchaus gespielt hat: Ces m8moires doivent servir de leÅon aux mHres de famille. On y verra le danger dQune 8ducation timide et incertaine, et la n8cessit8 dQ8tudier le caractHre dQun enfant pour former un plan dQ8ducation invariable. Celle quQavait reÅue Mme de Montbrillant avait si bien d8guis8 ou affaibli ses dispositions naturelles quQil a fallu un nombre dQann8es pass8es dans le malheur pour lui rendre la fermet8 de son caractHre.55

Zugleich könnte man, wie Adela"de Cron dies am Ende ihrer Studie tut, hier ein frühes Beispiel für die moderne Gattung der Autofiction sehen. Denn gerade durch die Gattungshybridisierung spiegelt sich das Bewusstsein der Schreiberin, dass jeder Selbstbericht durch die Literarisierung der Narration einen erfundenen, idealisierten und vielleicht geträumten Anteil besitzt.56 Die auf den ersten Blick so wenig produktive Schriftstellerin Louise dQPpinay hat damit ihrer Nachwelt ein Werk aufklärerischer Selbstreflexion in ihrer weiblichen Variante hinterlassen, dessen feministisches Potential nicht zu unterschätzen ist und genauerer Analysen noch harrt.57 Die Fallstudie hat gezeigt, dass die Suche nach einer feministischen Dimension aufklärerischen Denkens nicht auskommt ohne eine kritische Revision literarhistorischer Setzungen und eine stärkere Wahrnehmung und Neubewertung weiblichen Schreibens im 18. Jahrhundert, die insbesondere auch Manuskriptquellen wie nicht veröffentlichte Egodokumente und Korrespondenzen in den Blick nehmen sollte. Auch wenn in den letzten 20 Jahren eine ganze Reihe innovativer Studien initiiert wurde, bleibt noch ein weites Feld für zukünftige Untersuchungen. Die Suche nach einem selbstkritischen und zugleich selbstbewussten Blick der Betroffenen selbst auf die Spezifik der biographischen Entwicklung von Frauen in Abhängigkeit von einschränkenden gesellschaftlichen Gegebenheiten ist hierzu ein wichtiger Schlüssel. Der Beitrag beschäftigt sich nach einer kritischen Reflexion zur Verwendung des Begriffs des Feminismus für die französische Aufklärung und weiblichen Selbstthematisierungen im 18. Jahrhundert mit einem Text, der lange Zeit in der kontroversen Auseinandersetzung Louise dQPpinay, Mme de Montbrillant (wie Anm. 45), Bd. 1, 4. 56 Vgl. Cron, M8moires (wie Anm. 27), 269. 57 Vgl. auch das abschließende Urteil Badinters in der vergleichenden Betrachtung von Ch.telet und dQPpinay, das einen kämpferisch feministischen Impetus noch verneint: „Le moment dQune authentique solidarit8 f8minine nQ8tait pas encore venu. Et avec elle, une volont8 militante. Mmes dQPpinay et du Ch.telet avaient trHs bien analys8 les causes de lQoppression f8minine mais elles nQavaient pas voulu engager la guerre. […] Sans en avoir eu lQexplicite volont8, les Pmilie nous ont transmis ,lQarme de la critiqueR“ (Badinter, Pmilie [wie Anm. 19], 452). 55

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um die Confessions von Jean-Jacques Rousseau zerrieben wurde und dessen innovative hybride Gattungsform erst in neuester Zeit eine adäquate Würdigung erfahren hat. Vor den Confessions verfasst, erzählt die als Briefroman verschleierte Autobiographie Histoire de Madame de Montbrillant die Entwicklung der französischen Aristokratin Louise dQPpinay (1726–1783) bis in die 1750er Jahre. Louise dQPpinays detaillierte Darstellung der eigenen Jugend und Erziehung im ersten Teil ihrer zwischen 1756 und 1762 abgefassten Histoire de Madame de Montbrillant entwickelt eine kritische Sicht auf die Erziehung von jungen Aristokratinnen in dieser Zeit und bildet so eine realitätsgetränkte Vorarbeit zu den fiktiven Dialogen ihrer Erziehungsschrift Conversations dQPmilie von 1774. Zugleich wird die Entwicklung einer autonomen weiblichen Schreibpraxis nachgezeichnet, die die schrittweise Emanzipation der Protagonistin begleitet und unterstützt. Opening with critical comments on the usefulness of applying the term ,feministR to the French enlightenment and female self-reflections in the eighteenth century, this article examines a text which for a long time had stood in the shadow of the controversy over Jean-Jacques RousseauQs Confessions and whose innovative hybrid form has been adequately recognized only recently, the Histoire de Madame de Montbrillant. Written before the Confessions, between 1756 and 1762, this autobiography disguised as an epistolary novel recounts the development of the French Aristocrat Louise dQPpinay (1726–1783) up to the time of composition. Louise dQPpinayQs detailed description of her youth and education in the first part offers a critical assessment of the education of young aristocratic ladies and thus functions as a preliminary study, based on real-life experiences, for the fictive dialogues of her educational treatise Conversations dQPmilie (1774). At the same time, it charts the development of an autonomous female practice of writing, which accompanies and supports the protagonistQs steps to emancipation. Prof. Dr. Annette Keilhauer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Romanistik, Bismarckstraße 1, D-91054 Erlangen, Email: [email protected]

Lieselotte Steinbrggge FranÅoise de Graffigny und Anne Robert Jacques Turgot im Streit um die Weibliche Aufklärung

Die Epoche der Aufklärung war für den weiblichen Teil der Menschheit Segen und Fluch zugleich. Segen – weil das aufklärerische Menschenbild eben auch den weiblichen Menschen als ein freies, mündiges, sich seines eigenen Verstandes bedienendes Individuum denkbar werden ließ. Fluch – weil gerade die Anthropologie der Aufklärung die entscheidenden gedanklichen Weichen stellte für eine Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse und für ,moderneR patriarchalische Verhältnisse. Die Tatsache, dass diese Ambivalenz, die die Aufklärung für die Frauen hatte, keine reine Machtfrage war, dass sie nicht etwa Resultat einer männlichen Misogynie oder gar eines rüden Machismo war, sondern vielmehr ein Dilemma innerhalb des aufklärerischen Denkens widerspiegelt, möchte ich an einem Beispiel demonstrieren, das dieses Dilemma auf sehr sinnfällige und geradezu exemplarische Art und Weise illustriert: der Kritik des Philosophen Anne Robert Jacques Turgot an einem berühmten Roman der Zeit, den Lettres dQune P8ruvienne von FranÅoise de Graffigny. Zu Beginn aber möchte ich einige generelle Vorbemerkungen zum Verhältnis von Aufklärung und Weiblichkeit machen.

I. Segen Für die Frauen, die im 18. Jahrhundert geboren wurden, brachte die Bewegung der Aufklärung zunächst einmal vor allem Gutes. Die Anthropologie, la science de lQhomme, löste die religiösen Legitimierungen ab. Das Wissen über die „Natur des Menschen“ avancierte zum zentralen Wissen, das die aufklärerische Weltsicht determinierte. Die grundlegende Auffassung des Menschen als eines Naturwesens, die den aufklärerischen anthropologischen Diskurs bestimmt, artikulierte sich nicht nur für den Mann, sondern auch für die Frau als eine Befreiung von den lebensfeindlichen Fesseln kirchlicher Lehre und der daraus abgeleiteten frauenfeindlichen abendländischen Tradition. Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Ein Blick in die Encyclop8die, ein repräsentatives Werk für die französische Aufklärung (und nur um die französische Aufklärung wird es in diesem Artikel gehen) illustriert dies sehr anschaulich.1 Der Chevalier de Jaucourt, einer der eifrigsten Mitarbeiter der Encyclop8die und der Autor von nahezu einem Viertel der Artikel, hat den Artikel „FEMME (droit naturel)“ verfasst.2 Im Grunde geht es Jaucourt in dem gesamten Artikel darum nachzuweisen, dass die untergeordnete Position, die die Frau in der Ehe real hatte, naturrechtlich nicht zu legitimieren ist. Ausgehend von dem Faktum, dass das positive Recht dem Mann die absolute Verfügungsgewalt über die Familie und damit auch der Ehefrau zugesteht, versucht Jaucourt, die Form des Zusammenlebens von Mann und Frau auf naturgegebene Prinzipien zurückzuführen. Sein wichtigstes Argument besteht darin, dass der Mensch, wie das Tier auch, ein Naturwesen ist, das sich reproduziert. Einzig diesem Ziel ist die Gemeinschaft von Mann und Frau unterzuordnen. Ob das nun im Artikel „FEMME (droit naturel)“ oder im Artikel „MARIAGE“ (Ehe) oder im Artikel „MARI“ (Ehemann) oder „ENFANT“ (Kind) geschieht, immer wieder taucht sinngemäß der Satz auf: Das oberste Ziel der Ehe ist die Hervorbringung von Kindern. Unter dieser Voraussetzung sind die herrschenden patriarchalischen Machtverhältnisse unbegründet. Die aufklärerische Wende hatte noch eine weitere Konsequenz. Der Anspruch, den Menschen @ und damit auch die Frau @ zum Gegenstand eines rationalen Diskurses zu machen, verdrängte zunehmend die abergläubischen Legenden, die um das weibliche Geschlecht gewoben wurden. Die biologische Natur der Frau wurde für die Aufklärer zum rational erfassbaren Erkenntnisgegenstand, und das Wissen darüber wird in streng medizinischer Sachlichkeit abgehandelt. Wir finden in der Encyclop8die keinerlei pejorative Konnotation von Weiblichkeit. Typisch für diesen neuen, frauenbefreienden Zeitgeist ist z. B. der Artikel zum Stichwort „Menstruation“.3 Die Mediziner konnten sich dieses Phänomen nicht erklären @ und sie geben es auch zu. Aber sie verurteilen sämtliche Erklärungen, die dafür herangezogen wurden, als das, was sie sind: als Aberglauben. Die wohl folgenreichste Konsequenz dieses Umbruchs betrifft aber die Haltung zur Körperlichkeit. Dadurch, dass die Fortpflanzung enttabuisiert wird, wird der weibliche Körper von dem Odium der Sündhaftigkeit befreit, mit dem die katholische Kirche ihn umgab. Besonderes Augenmerk wird auf Schwangerschaft und Niederkunft gerichtet; in einer Vielzahl von Artikeln (unter den StichDenis Diderot, Jean le Rond dQAlembert (Hg.), Encyclop8die, ou Dictionnaire raisonn8 des sciences, des arts et des m8tiers, par une Soci8t8 des gens de lettres, 35 Bde., Paris 1751–1772 (Reprint Stuttgart-Bad Cannstadt 1966/67). 2 Chevalier de Jaucourt, Art. Femme (droit naturel), in: Diderot, dQAlembert (Hg.), Encyclop8die (wie Anm. 1), Bd. 6, 471 f. 3 Chevalier de Jaucourt, Art. Menstruelle, dans lQ8conomie animale, in: Diderot, dQAlembert (Hg.), Encyclop8die (wie Anm.1), Bd. 10, 342. 1

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worten „Hebamme“, „Niederkunft“, „Schmerzen“, „Geburt“ etc.) wird versucht, einem der großen Übel der Zeit beizukommen: dem Kindbetttod. Liest man heute all die medizinischen Artikel, so fallen zwei Dinge sofort auf: Zunächst einmal die unvorstellbare Unwissenheit über den weiblichen Körper und die daraus resultierenden, oftmals abwegigen Spekulationen. Zweitens, ein schon fast rührender Eifer, trotz dieser hilflosen Ignoranz, der sich die aufgeklärtesten Köpfe des Jahrhunderts durchaus bewusst waren, das Leben der Frauen zu retten. Es sollte nicht vergessen werden, dass für die Frauen des 18. Jahrhunderts jede Schwangerschaft potenziell den Tod bedeutete. Die Encyclop8die beschönigt hier nichts. Im Artikel „FEMME en couche“ (Wöchnerin), ebenfalls von Jaucourt, wird immer wieder unter der Abhandlung der verschiedenen Komplikationen, die nach oder während einer Geburt eintreten können, darauf hingewiesen, dass der Ausgang einer Niederkunft tödlich sein kann.4 Man kann behaupten, dass zum ersten Mal in der Geschichte die große Gefahr, die für Frauen bei der Geburt eines Kindes bestand, von den Männern nicht als unabwendbares Schicksal hingenommen wurde, sondern als eine medizinische Herausforderung. Und die Abkehr von kirchlichen Dogmen hat auch dazu geführt, dass Mediziner eine eindeutige Position für das Leben der Frau bezogen haben und nicht @ wie von der Kirche verlangt @ im Konfliktfall für das Kind. Nicht zufällig beginnt Jaucourt seinen Artikel mit folgenden Sätzen: Cet 8tat m8rite toute notre attention par humanit8, par devoir, & par sentiment. Les meres de nos enfans nous font revivre dans ces pr8cieux gages de leur amour; n8gligerions-nous de soulager avec zele les propagatrices du genre humain dans le tems critique oF elles ont le plus de besoin des secours 8clair8s de la Medecine? Non sans doute.5

Auch das aufklärerische Bildungsstreben machte vor den Frauen nicht halt. Es gab im 18. Jahrhundert, insbesondere in Frankreich, zahlreiche intellektuell ambitionierte Frauen. Sie betätigten sich als Schriftstellerinnen, Physikerinnen, Chemikerinnen, Biologinnen, Erzieherinnen, Philosophinnen, Mathematikerinnen. Isabelle de CharriHre, Emilie du Ch.telet, Claire de Duras, Louise dQEpinay, F8licit8 de Genlis, FranÅoise de Graffigny, Anne-Th8rHse de Lambert, Marie Leprince de Beaumont, FranÅoise Riccoboni (in alphabetischer Reihenfolge ohne Anspruch auf Vollständigkeit) und viele andere Namen stehen für diese Entwicklung.6

Chevalier de Jaucourt, Art. Femme en couche, in: Diderot, dQAlembert (Hg.), Encyclop8die (wie Anm. 1), Bd. 6, 479–481. 5 Ebd., 479. 6 Ein umfassender Überblick und eine ausführliche Bibliografie findet sich bei Adeline Gargam, Les Femmes savantes, lettr8es et cultiv8es dans la litt8rature franÅaise des LumiHres ou la conquÞte dQune l8gitimit8 (1690–1804), 2 Bde., Paris 2013. 4

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Diese Namen waren lange Zeit vollkommen unbekannt. Zwar sind mittlerweile eine Reihe weißer Flecken von der kultur- und literaturgeschichtlichen Landkarte verschwunden. In einer großen Exzellenzinitiative wurde die französische Literatur-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte in den letzten 30 Jahren von Romanistinnen und anderen engagierten Wissenschaftlerinnen neu, mit einem gendersensiblen Blick studiert. Für die Forschungen zum französischen 18. Jahrhundert denke ich hier an (wiederum in alphabetischer Reihenfolge, ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Janet Altman, Nadine B8renguier, Anne Brüske, Judith Bösch, Val8ry Cossy, Gillian Dow, Adeline Gargam, Elizabeth Goldsmith, Dena Goodman, Claudia Honegger, Joan DeJoan, Rotraud von Kulessa, Nancy Miller, Claudia Opitz, Esther Suzanne Pabst, Cathriona Seth, Joan Hinde Stewart, Ina Schabert, Suzan van Dijk u. a. Dennoch ist es faszinierend und desillusionierend zugleich, wie viele, selbst für Kennerinnen unbekannte Schätze immer wieder auftauchen, die es zu erforschen gilt.7 Eine Reihe von editorischen Projekten, allen voran die Encyclop8die, Veröffentlichungen und Ideen, die heute für die französische Aufklärung stehen, würden ohne die geballte Gelehrsamkeit, Kultiviertheit und Umtriebigkeit von Frauen des 18. Jahrhunderts überhaupt nicht existieren. Mit Fug und Recht lässt sich behaupten, dass das Projekt Aufklärung keine reine Männersache war.

II. Feministische Aufklärung? Dennoch sollte man nicht von „feministischer Aufklärung“8 sprechen. Der Begriff scheint mir für diese Entwicklung unangemessen, geradezu irreführend zu sein. Er suggeriert, dass die Aufklärungsbewegung „feministische Konzepte, Modelle und Theorien“ hervorgebracht habe, dass das aufklärerische Menschenbild des sich seiner Vernunft bedienenden, freien Menschen auch für die Frau Gültigkeit gehabt habe.9 Er suggeriert, dass der Anteil von Frauen an den rationalen Diskursen auch zur Herausbildung eines feministischen Weiblichkeitsideals geführt habe, das den weiblichen Menschen als dem männlichen gleichberechtigt und ebenbürtig versteht. Das war aber nicht der Fall. Ausgerechnet im Zeitalter der Aufklärung wurden von den Meisterdenkern die gedanklichen Weichen gestellt für den Ausschluss der Frauen von Bürgerrechten, bestimmten Berufen, den höheren BildungseinDas jüngste Beispiel dafür ist der von Huguette Krief u. a. herausgegebene Band Femmes des LumiHres. Recherches en arborescences, Paris 2018. 8 So der Titel der wissenschaftlichen Tagung, die unter der Leitung von Isabel Karremann und Gideon Stiening vom 5.–7. Juli 2018 an der Universität Würzburg stattfand. 9 Vgl. die Einleitung zu diesem Band, S. 8. 7

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richtungen, kurz: der gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Diese Ausgrenzung vollzog sich mit einer bis dahin unvorstellbaren diskursiven Wucht.10 Die jahrhundertealte Querelle des femmes, die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter, erlebt im 18. Jahrhundert einen neuen Aufschwung. Mai]t8 Albistur und Daniel Armogathe schreiben in ihrer umfassenden Geschichte des französischen Feminismus von einem Wiederaufleben der Querelle des femmes. Die Listen über die Abhandlungen, Broschüren und Traktate zum Thema Gleichheit und Unterschiede der Geschlechter, die sie zusammenstellen, bestätigen dies.11 Die 1977 erschienene Habilitationsschrift von Paul Hoffmann La femme dans la pens8e des LumiHres belegt ebenfalls materialreich, dass das Geschlechterverhältnis ebenso wie eine spezifisch weibliche Natur komplementär zur männlichen, Gegenstand aufklärerischer Reflexion war. Diese diskursive Wucht, die nicht nur zur diskursiven Dominanz führte, sondern spätestens mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft nach der französischen Revolution in höchst effizienter Weise realitätswirksam wurde, sollte das Kulturschicksal der Frau bis weit ins 20. Jahrhundert besiegeln. Das explizit nicht-feministische Frauenbild der Aufklärung formierte sich in medizinischen, juristischen, moralphilosophischen, ökonomischen und literarischen Diskursen, insbesondere während der zweiten Jahrhunderthälfte. Mehr noch: es wird begründet mit aufklärerischen Argumenten, ja sogar mit den avanciertesten wissenschaftlichen Paradigmen der Zeit. Die Anthropologie, Leitwissenschaft der Aufklärung, entwickelt eine weibliche Sonderanthropologie.12 Diese zeichnet sich aus durch ein fein ausdifferenziertes Bild einer weiblichen Natur, die geprägt ist durch Unmündigkeit, mangelnde Verstandesfähigkeit, mangelnde Urteilskraft, Unkontrolliertheit – also so ziemlich alles, was dem feministischen Frauenbild widerspricht. Am Ende des aufgeklärten Zeitalters besitzt die Vorstellung einer generellen Unfähigkeit der Frau zu menschlicher Emanzipation den Status einer anthropologischen Wahrheit. Diese Diskurse, die, insbesondere ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in unzähligen Traktaten, Abhandlungen, Romanen, Enzyklopädien etc. ihren Niederschlag finden, sind keineswegs Diskurse der Gegenaufklärung, d. h. der Anhänger von Kirche und Ancien R8gime – und im Übrigen auch keineswegs nur von Männern geschaffene. Die Aufteilung Hierzu und im Folgenden Lieselotte Steinbrügge, Das moralische Geschlecht. Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung, Weinheim, Basel 1987, Stuttgart 21992; englische Übersetzung The Moral Sex. WomanQs Nature in the French Enlightenment, New York 1995. 11 Ma"t8 Albistur, Daniel Armogathe, Histoire du f8minisme franÅais. Du moyen .ge / nos jours, Paris 1977, 185 f. 12 Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, 1750–1850, Frankfurt am Main 1991. 10

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des Menschen in zwei ungleichwertige Teile wird mit genuin aufklärerischen Argumenten begründet. Wenn eine Epoche das Attribut feministisch gerade nicht verdient hat, dann ist es die Epoche der Aufklärung. Natürlich gab es während des gesamten 18. Jahrhunderts, auch noch an seinem Ende, Denkerinnen und Denker, die ein egalitäres Verhältnis der Geschlechter propagierten und lebten. Als pars pro toto seien nur genannt die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Olympe de Gouges und der Philosoph Condorcet, ein Freund Turgots, der sich bereits 1791 für die Bürgerrechte von Frauen einsetzte. Auch die meisten der an den aufklärerischen Debatten beteiligten Frauen waren Rollenbrecherinnen. Sie reflektierten und kritisierten nicht selten explizit die condition f8minine des Ancien R8gime. Aber damit waren sie überhaupt nicht repräsentativ für das aufklärerische Denken, sie beeinflussten mitnichten die anthropologischen Debatten der Zeit. Denn sie standen in einer ganz anderen Tradition. Die großen egalitären Entwürfe entstanden vor der Geburt eines Voltaire, Rousseau, Diderot, dQAlembert, Buffon, Turgot und anderer Meisterdenker der ,LumiHresR. Es sind in Frankreich die Schriften aus dem 17. Jahrhundert, von Poullain de la Barre,13 den Preziösen14 oder von Marie de Gournay,15 die egalitäre Meilensteine in der Querelles des femmes markieren. Es ist kein Zufall, dass die Romanistin Renate Baader einen Aufsatz über die Salonkultur des 17. Jahrhunderts mit „Die verlorene weibliche Aufklärung“ betitelte.16 Die Ideen und Schriften der Egalitätstheoretikerinnen und -theoretiker geraten im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend in Vergessenheit und sie sind – das ist viel ausschlaggebender – überhaupt nicht praxisrelevant. Olympe de Gouges stirbt 1793 unter der Guillotine, Frauen müssen in Frankreich bis 1944 für ihr Wahlrecht kämpfen. Das von den Aufklärern entworfene Bild von der weiblichen Natur hingegen, das am ausführlichsten und wirkungsmächtigsten von Jean-Jac-

Poullain de la Barre, De lQPgalit8 des deux sexes, discours physique et moral, oF lQon voit lQimportance de se d8faire des pr8jugez, Paris 1673 (ND Paris 1984). 14 Zu den Preziösen siehe u. a. Renate Baader, Dames de lettres. Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und ,modernenR Salons (1649–1698). Mlle de Scud8ry, Mlle de Montpensier, Mme dQAulnoy, Stuttgart 1986; Renate Kroll, Femme poHte. Madeleine de Scud8ry und die ,po8sie pr8cieuseR, Berlin 1996; Lieselotte Steinbrügge, Du genre dQun genre nouveau. Les portraits litt8raires dQAnne-Marie-Louise dQOrl8ans, in: Litt8ratures classiques 90 (2016), 119–132. 15 Zu Marie de Gournay siehe u. a. die wichtige Studie von Brigitte Rauschenbach, Der Traum und sein Schatten. Frühfeministin und Herausgeberin von Montaignes Essais. Marie de Gournay und ihre Zeit, Königstein im Taunus 2000. 16 Renate Baader, Die verlorene weibliche Aufklärung. Die französische Salonkultur des 17. Jahrhunderts und ihre Autorinnen, in: Hiltrud Gnüg, Renate Möhrmann (Hg.), Frauen, Literatur, Geschichte, Stuttgart 1999, 59–82. 13

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ques Rousseau ausgearbeitet wurde,17 wird für lange Zeit die pädagogischen, juristischen, medizinischen, philosophischen und ökonomischen Diskurse und Praxen dominieren. Rousseaus Erziehungsroman Pmile (1762) verschwindet nie aus dem Kanon, im Gegensatz zu so vielen Schriften, die egalitäre Geschlechterverhältnisse propagieren. Die Gründe für diese paradoxe weibliche Dialektik der Aufklärung sind vielfältig. Als die wichtigsten gelten: Die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft, die zu einer zunehmenden Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben und damit zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung geführt hat,18 der Kampf gegen die hohe Mütter- und Geburtensterblichkeit, der u. a. das Stillen von Babys und generell das Muttersein aufwertete,19 der wissenschaftstheoretische Paradigmenwechsel vom Rationalismus zum Sensualismus und die Herausbildung einer auf Vernunftkritik basierenden Moralphilosophie.20 Diese Gründe verweisen bereits auf ein ganz wesentliches Merkmal der Aufklärung, insbesondere der französischen. ,AufklärungR bedeutet eben nicht nur „Herrschaft der Vernunft“, „Befreiung von Vorurteilen“, oder was es sonst noch für Charakterisierungen dieser Epoche gibt, sondern die große Leistung der Epoche der Aufklärung bestand darin, die gesellschaftlichen Dimensionen des neuen Denkens zu reflektieren.21 Die philosophes beließen es nicht bei der Entwicklung großer Theorien, sondern es ging ihnen immer um deren soziale Funktion. Ob auf den Gebieten der Politik, Moral, des Rechts, der Ökonomie, der Naturwissenschaften, der Literatur – und eben auch der Geschlechterverhältnisse @, stets galt es, die gesamtgesellschaftliche Realität in den Blick zu nehmen. Dass Feminismus und Aufklärung im 18. Jahrhundert gerade nicht harmonierten, möchte ich im Folgenden an den divergierenden Positionen von zwei prominenten Vertretern der französischen Aufklärung zeigen, nämlich an einer Kontroverse zwischen FranÅoise de Graffigny und Anne Robert Jacques Turgot. Es handelt sich um die ausführliche Kritik des Philosophen und Politikers Turgot Vgl. Steinbrügge, Das moralische Geschlecht (wie Anm. 10); Johannes Rohbeck, Lieselotte Steinbrügge, Einführung, in: dies. (Hg.), Jean-Jacques Rousseau. Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik, Berlin 2015, 1–26. 18 Karin Hausen, Die Polarisierung der ,GeschlechtscharaktereR. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, 363–393. 19 Elisabeth Badinter, LQAmour en plus. Histoire de lQAmour maternel, XVIIe–XIXe siHcles, Paris 1980. 20 Lieselotte Steinbrügge, Vernunftkritik und Weiblichkeit in der französischen Aufklärung, in: Jahrbuch für Volkskunde N.F. 14 (1991), 166–177. 21 Johannes Rohbeck, Aufklärung in Frankreich, in: ders., Helmut Holzhey (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts: Frankreich, 1. Halbbd., Basel 2008, XIX–XXXVIII. 17

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(1727–1781)22 an dem Erfolgsroman von FranÅoise de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne.23 Trotz der umfassenden Korrespondenz von Graffigny24 ist kein direkter Antwortbrief von ihr erhalten. Ich werte aber, wie ich im Folgenden zeigen werde, ihre Veränderungen und Ergänzungen, die sie in der 1752 erscheinenden zweiten Auflage vorgenommen hat, als Reaktionen auf Turgots Kritik.

III. Graffigny, Turgot und der Roman FranÅoise de Graffigny war im Jahr 1751, zum Zeitpunkt dieser Auseinandersetzung, „the worldQs most famous living woman writer“,25 wie ihr Biograph English Showalter behauptet. Sie hatte 1747 ihren Roman Lettres dQune P8ruvienne veröffentlicht, der sofort zum Bestseller und in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde. Anne Robert Jacques Turgot war ein junger, aufstrebender Gast in Graffignys berühmten Salon. Noch war er nicht der physiokratische Wirtschaftstheoretiker, der reformfreudige (und deshalb schnell erfolglose) Finanzminister Anne Robert Jacques Turgot, Lettre / Madame de Graffigny sur les Lettres dQune P8ruvienne, in: Gustave Schelle (Hg.), Œuvres de Turgot et documents le concernant, Bd. 1, Paris 1913, 241–255. Im Folgenden zitiere ich aus dieser Ausgabe im fortlaufenden Text. 23 Dieser Roman, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts wohl so ziemlich überall in Europa greifbar war, geriet danach vollkommen in Vergessenheit. Erst seit 1967 ist er durch eine in Italien von Gianni Nicoletti vorgenommene kritische Edition (Bari: Adriatica 1967) wieder zugänglich und von einer zunächst kleinen, dann immer größeren Zahl von Spezialisten und Spezialistinnen zum Gegenstand der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung gemacht worden. So unbekannt den modernen Leserinnen und Lesern lange Zeit der Roman war, so unbekannt war auch der Name der Autorin. Er wird auch heute noch mal mit einem, mal mit zwei „f“ geschrieben, gemäß der unregelmäßigen und noch nicht kodifizierten Rechtschreibung des 18. Jahrhunderts. – Als Standardwerke (mit guten Forschungsüberblicken und Bibliografien) seien genannt: Rotraud von Kulessa, FranÅoise de Graffigny. Lettres dQune P8ruvienne. Ein Briefroman aus dem 18. Jahrhundert, Stuttgart 1997 sowie Jonathan Mallinson (Hg.), FranÅoise de Graffigny, femme de lettres. Ecriture et r8ception, Oxford 2004. – Mittlerweile gibt es mehrere französische Editionen und auch eine moderne deutsche Übersetzung, vgl. Madame de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne, in: Bernard Bray, Isabelle Landy-Houillon (Hg.), Lettres portugaises. Lettres dQune p8ruvienne et autres romans dQamour par lettres, Paris 1983, 237–364; FranÅoise de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne (1747). Pr8face de Colette Piau-Gillot, Paris 1990; FranÅoise de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne. Introduction by Joan De Jean and Nancy K. Miller, New York 1993; Mme de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne, in: Romans de Femmes du XVIIIe siHcle. Textes 8tablis, pr8sent8s et annot8s par Raymond Trousson, Paris 1996; FranÅoise de Graffigny, Briefe einer Peruanerin, hg. und übers. von Renate Kroll, Königstein im Taunus 1999; Madame de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne, hg. von Thierry Corbeau, Paris 2005; FranÅoise de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne, hg. von Rotraud von Kulessa, Paris 2016. 24 J. A. Dainard u. a. (Hg.), Correspondance de Madame de Graffigny, 15 Bde., Oxford 1985–2016. 25 English Showalter, FranÅoise de Graffigny. Her Life and Works, Oxford 2004. 22

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von Ludwig XVI., als der er uns heute bekannt ist. Er war gerade mal 24 Jahre alt, hatte soeben seine theologische Laufbahn abgebrochen, beschäftigte sich ausgiebig mit Geschichtsphilosophie und war im Begriff, seine Abhandlungen zu verfassen, die so schöne Titel tragen wie: Philosophische Darstellung der allmählichen Fortschritte des menschlichen Geistes (Tableau philosophique des progrHs successifs de l’esprit humain) oder Untersuchungen über die Ursachen der Fortschritte und des Niedergangs der Wissenschaften und Künste (Recherches sur les causes des progrHs et de la d8cadence des sciences et des arts) oder Über die Vorteile, die die Entstehung des Christentums der Menschheit verschafft hat (Discours sur les avantages que l’8tablissement du christianisme a procur8s au genre humain).26 Zum Roman: Heldin und Hauptprotagonistin dieses monophonen Briefromans ist die Inkaprinzessin Zilia, die am Tag der geplanten Trauung mit dem Inkaprinzen Aza von Spaniern geraubt und entführt wird. Aus dem Peru der Conquista im 16. Jahrhundert wird sie als Gefangene der Spanier auf einem Schiff nach Europa geschickt. Unterwegs kapern Franzosen das Schiff, so dass Zilia schließlich nach einer langen Reise im Frankreich des 18. Jahrhunderts an Land geht. Auf dem französischen Schiff hat sich der Adelige D8terville, ein Ritter des Malteserordens, ihrer angenommen. Fasziniert von ihrer Anmut, Tugend und Einfachheit verliebt er sich in Zilia und bleibt auch in Frankreich ihr Mentor und Gastgeber. D8terville bringt ihr erste französische Laute bei @ diese sind „je vous promets d’]tre / vous“ und „oui, je vous aime“, und Zilia plappert sie nach, ohne sie zu verstehen. Zilia leidet unter der Ungewissheit über den Verbleib ihres Verlobten Aza. Er ist, auch wenn sie nicht weiß, ob er noch lebt, der Adressat all ihrer tagebuchartigen Briefe, in denen sie ihre Eindrücke und Erlebnisse in der neuen, ihr unbekannten und unverständlichen Welt festhält. So schildert sie ihren langsamen Prozess der Spracherlernung, des Verstehens der französischen Sitten und Gebräuche. Zunächst teilt sie sich mithilfe von quipos mit @ einem System von farbigen Schnüren, die miteinander verknotet sind. Sie dienten den Inkas zur Übermittlung von Zahlen und kurzen Botschaften, die anhand eines ausgeklügelten Systems von Staffelläufern überbracht wurden. Im Laufe ihres Pariser Aufenthaltes aber lernt sie Französisch zu sprechen und zu schreiben. Im Brief 23 schließlich ist sie so weit der französischen Sprache mächtig, dass sie das Missverständnis gegenüber D8terville ausräumen kann, dass sie ihn liebe, und sie gesteht ihm, dass sie weiterhin an der Liebe zu Aza festhalte. Deterville ist todtraurig, aber dennoch so ein perfekter honnÞte homme, dass er, erstens, dafür sorgt, dass Zilia ihren Besitz, Kleider und Andenken, zurückerhält, und ihr, zweitens bei der Suche nach In deutscher Übersetzung finden sich alle geschichtsphilosophischen Essays in Anne Robert Jacques Turgot, Über die Fortschritte des menschlichen Geistes, hg. von Johannes Rohbeck und Lieselotte Steinbrügge, Frankfurt am Main 1990. 26

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Aza behilflich ist. Diese Suche hat schließlich Erfolg, doch es kommt nicht zu dem erwarteten glücklichen Ausgang, der die Liebenden vereint. Aza nämlich, der ebenfalls von den Spaniern entführt wurde @ mit Erfolg nach Spanien @ hat seine Braut verraten. Er hat sich in eine Spanierin verliebt, ist zum Christentum konvertiert und wird seine Geliebte heiraten. Das ist der Moment für D8terville, Zilia zum wiederholten Mal seine Liebe zu erklären. Doch diese lehnt wieder sein Angebot ab, bietet ihm stattdessen eine tiefe Freundschaft an. Die letzten vier Briefe sind denn auch an D8terville gerichtet. Er nimmt das Angebot der Freundschaft an @ und kauft ihr mit Hilfe von eingeschmolzenen Inka-Schätzen ein Landhaus mit einer großen Bibliothek, zu dem er ihr feierlich den Schlüssel überreicht. So viel zum Roman, den Turgot sehr genau gelesen hat. Ganz offensichtlich hatte Graffigny den jungen philosophe um seine Meinung gebeten, bevor ihr Roman in die zweite Auflage gehen sollte, denn er schreibt zu Anfang seines Briefs: „[J]e ferai encore une fois auprHs de vous le rkle de donneur dQavis; […] Je r8serve, suivant ce que vous m’avez fait lQhonneur de me dire, les critiques de d8tail et je commence par vous communiquer les additions que jQimagine qu’on pourrait faire / lQouvrage“ (241 f.). Bereits rhetorisch ist der Brief höchst aufschlussreich, beginnen doch zahlreiche Sätze mit der Formel „Que Zilia nous dise …“ – „Zilia möge uns doch sagen, dass …“. Turgot entfaltet einen geradezu missionarischen Eifer, mit dem er die Erfolgsautorin bewegen möchte, ihren Roman umzuschreiben und zu ergänzen. Der politische Denker hatte offenbar erkannt, wie wirksam eine Identifikation stiftende literarische Figur, wie die Heldin des Romans, sein kann zur Propagierung politischer Ideen; er plädiert daher ganz unverhohlen für einen didaktischen Roman. Turgot entwickelt ein langes Programm mit Vorschlägen für zusätzliche Briefe, die in den Roman aufgenommen werden sollten. Drei große, für die Debatten der Zeit typische Themen werden von ihm angeschnitten: Er wünscht, 1. dass im Roman die Vorzüge der Zivilisation gegenüber dem Naturzustand genauer herausgestellt werden; 2. dass ein angemessenes Erziehungsprogramm für Kinder in den Roman Eingang finde; 3. dass die Autorin die Vorzüge der Ehe predige. Auf diese drei Aspekte möchte ich im Folgenden näher eingehen.

III.1. Zivilisation versus Naturzustand Que Zilia pHse encore les avantages r8ciproques du sauvage et de lQhomme polic8. Pr8f8rer les sauvages est une d8clamation ridicule. QuQelle la r8fute; quQelle montre que les vices que nous regardons comme amen8s par la politesse sont lQapanage du cœur humain; que celui qui n’a point dQor est aussi avare que celui qui en a, parce

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que partout les hommes ont le gout de la propri8t8, le droit de la conserver, lQavidit8 qui porte / en accumuler les produits. (243)

Turgot berührt hier einen ganz neuralgischen Punkt des Romans.27 Das Originelle an den Lettres dQune P8ruvienne, und das hat er offenbar genau erkannt, ist nämlich, dass sich Graffigny mit der Gestaltung ihrer Protagonistin eben nicht an das gängige Muster des Kulturvergleichs hält, so wie es von Montesquieu in seinem berühmten Briefroman Lettres Persanes (Persische Briefe, 1726) vorgegeben wurde.28 Mit Montesquieus Roman wurden die Lettres dQune P8ruvienne übrigens oft fälschlich in den Literaturgeschichten verwechselt. Dabei unterscheiden sich beide Romane in wesentlichen Punkten. Wir haben es in den Lettres Persanes mit gebildeten Männern zu tun, die einer privilegierten gesellschaftlichen Schicht ihres Heimatlandes entstammen und bei ihrem Europabesuch die entsprechende soziale Anerkennung erfahren. Sie beherrschen von Anfang an die Landessprache und passen sich schnell, oft erstaunlich problemlos den fremden Verhältnissen an. Sie selbst verfügen über relativ wenig eigene kulturelle Identität, sondern bieten nur eine exotisch-unverbindliche Kontrastfolie, um die französische Gesellschaft zu beschreiben und zu kritisieren. Graffigny entzieht sich diesen Mustern.29 Zilia ist keine „Wilde“, als die Turgot sie sieht. Graffigny verleiht ihrer Heldin eine individuelle Identität, die geprägt ist durch die Kultur und Geschichte ihres Landes und die sich weiter entwickelt durch ihre Erfahrungen in der neuen Umgebung. Wie eine Antwort Graffignys auf Turgots Monitum mutet das Vorwort an, das sie ihrer zweiten Ausgabe voranstellt. Sie hat sich ausführlich über die Kultur der Inkas durch ihre Lektüre der Comentarios reales von Garcilaso de la Vega informiert, und in ihrer 1752 veröffentlichten Introduction historique30 gibt sie eine kurze Einführung in die Sitten und Gebräuche der Inkas. Das Interesse an Peru wurde stark gefördert im Jahr 1745 @ dem Jahr, in dem Graffigny mit der Abfassung ihres Romans begann @, als eine Expedition aus Peru nach Frankreich zurückkehrte. Zilias Wahrnehmung wird eindeutig durch ihre kulturelle Identität bestimmt. Am Anfang, als sie die Sprache nicht beherrscht, versucht sie immer wieder, die fremde Welt durch ihre Erfahrungen aus ihrer Kultur zu erklären. Sie benennt das Siehe zu diesem Thema auch Florence Lotterie, La romanciHre et le philosophe, ou le sexe de la civilisation. La Lettre / Madame de Graffigny de Turgot (1751), in: Litt8ratures 36 (1997), 71–80. 28 Zu den Lettres Persanes vgl. den Beitrag von Claudia Opitz-Belakhal in diesem Band. 29 Siehe hierzu auch Janet Altman, Making Room for Peru. GraffignyQs Novel Reconsidered, in: Catherine Lafarge (Hg.), Dilemmes du roman. Essays in Honor of Georges May, Saragota 1991, 261–272. 30 Madame de Graffigny, Lettres dQune P8ruvienne, in: Bray, Landy-Houillon (Hg.), Lettres portugaises (wie Anm. 23), 252–256. Ich zitiere im Folgenden aus dieser Ausgabe mit Seitenangaben im fortlaufenden Text. 27

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Fremde auch oft mit den Worten ihrer Muttersprache. So wird D8terville zunächst als „cacique“ bezeichnet @ der Name für die Provinzgouverneure im Inkareich; ihre Zofe, die ihr zur Seite gestellt wird, ist die „china“, und von ihren Entführern schreibt sie anfangs als von „les sauvages“ (den Wilden). In dem Maße, in dem sie die fremde Gesellschaft begreift und die französische Sprache erlernt, verändert sie sich selber @ und auch ihre Haltung und ihr Reden über die neue Welt, in der sie lebt. Ihr anfängliches Unverständnis und ihre Angst vor den Errungenschaften der französischen Zivilisation weichen einer großen Faszination. Sie ist begeistert von Büchern, die ihren Wissenshunger stillen, sie liebt es, in der Kutsche durchs Land zu reisen und kann sich nicht genügend freuen über ihr Spiegelbild. Nun wird dabei weniger das Aufnehmen der neuen Kultur thematisiert, sondern umgekehrt @ Zilia bemüht sich, die Kultur ihrer Herkunft zu bewahren. Sie besteht auf ihrem Glauben an den Sonnengott @ und tritt nicht, wie Aza, zum Katholizismus über. Der schönste Raum in ihrem Landhaus ist „un cabinet tout brillant de glaces et de peintures: Les lambris / fond vert orn8s de figures extrÞmement bien dessin8es, imitaient une partie des jeux et des c8r8monies de la ville du Soleil“ (350 f.). Dieser Roman konstituiert sich also nicht durch einen konstant fremden Blick auf die französische Gesellschaft, vielmehr schildert er die Entwicklung eines Individuums, das sich nach und nach in diese Gesellschaft kulturell integriert. Zilias ,EroberungR Frankreichs geschieht behutsam unter Aneignung der Sprache, des kulturellen Kodex des Landes, ohne dass sie ihre ursprüngliche Persönlichkeit aufgibt. Graffigny stellt die beiden Kulturen als gleichberechtigt nebeneinander – ,barbarischR sind in dieser ganzen Angelegenheit immer nur die Spanier. Sie setzt keine Hierarchien. Das geht dem Geschichtsphilosophen, der an einer Stadientheorie bastelt und eine deutliche Aufwärtslinie im historischen Prozess behauptet, gegen den Strich. „Vous avez montr8 Zilia franÅaise aprHs nous lQavoir fait voir p8ruvienne“, schreibt Turgot. Aber „p8ruvienne“ ist für ihn „sauvage“ (wild) @ im Gegensatz zu Graffigny, und „franÅaise“ ist für ihn der „8tat polic8“, der zivilisierte Zustand. Hier verlangt er eine klarere Abgrenzung. Für Turgot besteht der entscheidende Vorteil des zivilisierten Zustandes in der „distribution des conditions“, in den unterschiedlichen Berufsständen. Er doziert im Folgenden über die Notwendigkeit der Arbeitsteilung und der damit verbundenen notwendigen Ungleichheit der Stände für den Prozess des gesellschaftlichen Fortschritts. In nuce enthält dieser Brief die Überlegungen Turgots, die zu seinem im selben Jahr begonnenen Discours sur lQhistoire universelle führen. Offenbar hat er sich an dem 20. Brief Zilias gestört, in dem sie dem „cher Aza“ über „le gouvernement de cet empire“ berichtet, dass sie als „entiHrement oppos8 / celui du tien“ und als „d8fectueux“ bezeichnet. Zilia schreibt dort an Aza:

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Au lieu que le Capa-Inca [damit ist der König gemeint] est oblig8 de pourvoir a la subsistance de ses peuples, en Europe les souverains ne tirent la leur que des travaux de leurs sujets; […] sans avoir de lQor il est impossible dQacqu8rir une portion de cette terre que la nature a donn8e / tous les hommes. Sans poss8der ce quQon appelle du bien, il est impossible dQavoir de lQor […]. Que la maniHre m8prisante dont jQentendis parler de ceux qui ne sont pas riches, me fit faire de cruelles r8flexions sur moi-meme! Je nQai ni or, ni terres, ni industrie. O ciel! Dans quelle classe dois -je me ranger? (303 f.)

Diese Gesellschaftskritik Graffignys ist eher peripher @ sie ist nicht besonders systematisch, aber sie genügt Turgot, um sein Credo der „in8galit8“ zu formulieren und es Graffigny nahe zu bringen: ,LQin8galit8R naitrait et sQaugmenterait mÞme chez les peuples les plus vertueux et les plus moraux. Mais elle nQest point un mal; elle est un bonheur pour les hommes, un bienfait de celui qui a pes8 avec autant de bont8 que de sagesse tous les 8l8ments qui entrent dans la composition du cœur humain. OF en serait la soci8t8 si la chose nQ8tait pas ainsi, et si chacun labourait son petit champ. […] La distribution des professions amHne n8cessairement lQin8galit8 des conditions. Sans elle, qui perfectionnera les arts utiles? … Libert8! je le dis en soupirant, les hommes ne sont peut-Þtre pas dignes de toi! Egalit8! ils te d8sireraient, mais ils ne peuvent tQatteindre! (243)

Auch wenn keine explizite Antwort Graffignys auf Turgots Brief bekannt ist, so halte ich den Brief 29, der der zweiten Ausgabe hinzugefügt wurde, für eine eindeutige Reaktion. In diesem Brief geht es um die „mœurs des FranÅais“. Weit davon entfernt, den Fortschritt der Wissenschaften und Künste per se als Wohltat zu sehen, wie Turgot es vorschlägt, lobt Zilia die vergangenen Zeiten dieser Nation, die ihr aus Büchern und Erzählungen bekannt sind und die offenbar vernünftiger waren als die, deren Zeugin sie ist: La vanit8 dominante des FranÅais est celle de para"tre opulents. Le g8nie, les arts et peut-Þtre les sciences, tout se rapporte au faste, tout concourt / la ruine des fortunes; et comme si la f8condit8 de leur g8nie ne suffisait pas pour en multiplier les objets, je sais dQeux-m]mes quQau m8pris des biens solides et agr8ables que la France produit en abondance, ils tirent / grands frais de toutes les parties du monde les meubles fragiles et sans usage qui font lQornement de leurs maisons, les parures 8blouissantes dont ils sont couverts, jusquQaux mets et aux liqueurs qui composent leurs repas. […] JQentends tous les jours avec indignation des jeunes gens se disputer entre eux la gloire dQavoir mis le plus de subtilit8 et dQadresse dans les manoeuvres quQils emploient pour tirer les superfluit8s dont ils se parent des mains de ceux qui ne travaillent que pour ne pas manquer du n8cessaire. (328 f.)

Graffigny fokussiert ihren Blick auf die Pariser Gesellschaft, auf die Adligen und neureichen financiers, auf die jeunesse dor8e dieser Zeit; es scheint, als setze sie diese Kritik am Luxus trotzig dem jungen Heißsporn Turgot entgegen.

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III.2. Das Erziehungsprogramm Turgot ist nun keineswegs ein unkritischer Zeitgenosse, und bei aller Vorliebe für den „zivilisierten Zustand“ ist ihm doch die Kindererziehung in aristokratischen Kreisen und die scholastische Bildung, oder besser: Verbildung der französischen CollHges ein Dorn im Auge. Que Zilia critique surtout la marche de notre 8ducation, quQelle critique notre p8danterie, car cQest en cela que lQ8ducation consiste aujourdQhui. On nous apprend tout / rebours de la nature. […] on commence par vouloir fourrer dans la tÞte des enfants une foule dQid8es les plus abstraites. (244)

Turgot stellt Prinzipien der Kindererziehung auf, die bereits einige Grundgedanken aus dem erst elf Jahre später erscheinenden Pmile von Rousseau vorwegnehmen @ wie z. B. das Prinzip, Kinder durch Anschauung und nicht durch die Predigt abstrakter Ver- und Gebote zu erziehen. Was macht nun Graffigny? Sie fügt einen Brief über Erziehung ein @ nämlich Nr. 34. Aber auch hier fällt ihre Antwort recht eigenwillig aus. Der Brief beginnt mit dem Satz: Il mQa fallu beaucoup de temps, mon cher Aza, pour approfondir la cause du m8pris que lQon a presque g8n8ralement ici pour les femmes. Enfin je crois lQavoir d8couvert dans le peu de rapport quQil y a entre ce qu’elles sont et ce que lQon sQimagine quQelles devraient Þtre. On voudrait, comme ailleurs, quQelles eussent du m8rite et de la vertu. Mais il faudrait que la nature les fit ainsi; car lQ8ducation qu’on leur donne est si oppos8e / la fin quQon se propose, quQelle me parait etre le chef-dQœuvre de lQincons8quence franÅaise. (341)

Zilia schreibt im Folgenden einzig über die Erziehung der Mädchen @ mit folgender Begründung: „[J]e ne sais quelles sont les suites de lQ8ducation quQun pHre donne / son fils: Je ne mQen suis pas inform8e“ (341). Vor dem Hintergrund von Turgots Brief, der lang und breit über die Erziehung und dabei immer von „le fils“ geschrieben hat und alles immer am männlichen Kind illustriert, ist das ganz witzig. In der Tat beklagt sich Turgot über die Erziehung in den CollHges @ aber zu denen hatten die Mädchen ja gar keinen Zugang. Für Turgot ist das nicht der Rede wert – Zilia macht hier nun die weibliche Gegenrechnung auf. Auch sie beklagt, ähnlich wie Turgot, die mangelnde Vorbereitung auf die Gesellschaft, aber bei den Mädchen sieht das Bild eben noch ganz anders aus. Bis zu ihrer Verheiratung bleiben sie hinter Klostermauern eingesperrt, die heuchlerische Moral verlangt von ihnen einerseits tugendhaftes Verhalten, ermutige sie aber ständig zur Übertretung der moralischen Gesetze. Aber sie ist in ihrer Schuldzuweisung für diese Missstände direkter als Turgot. Nicht „la soci8t8“ wird zur Rechenschaft gezogen, sondern der männliche Teil der Gesellschaft, der ihr die Gesetze gibt: „Quand tu sauras quQici lQautorit8 est entiHrement du cot8 des hom-

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mes, tu ne douteras pas, mon cher Aza, quQil ne soient responsables de tous les d8sordres de la soci8t8“ (345). Und während Turgot sich beklagt, dass die Jungen in den CollHges nur Latein lernen und nichts über die Welt, beklagt Graffigny, dass die Mädchen nicht mal ihre eigene Sprache können: „Elles ignorent jusquQ/ lQusage de leur langue naturelle; il est rare quQelles la parlent correctement, et je ne mQaperÅois pas sans une extrÞme surprise que je suis / pr8sent plus savante quQelles / cet 8gard“ (343).

III.3. Die Ehe und die Kinder Besonders aufschlussreich in Bezug auf die aufklärerische Konzeption von Geschlechterverhältnissen aber wird es beim letzten Punkt @ der von Turgot gewünschten Heirat. Hier ist er nämlich nicht der Einzige, den das Ende des Romans stört, sondern auch andere Zeitgenossen haben sich daran gestoßen, dass am Ende Zilia nicht wenigstens D8terville heiratet. Diese Wendung des Plots wird von Turgot scharf kritisiert. Sie ist für ihn eine unglaubwürdige Tugendheuchelei und eine vollkommen ungerechtfertigte Parteinahme für das weibliche Geschlecht, dem Graffigny zu Unrecht mehr Beständigkeit zuschreibe als den Männern. Je sais bien que vous avez voulu faire le procHs aux hommes, en 8levant la constance des femmes au dessus de la leur; cela me rappelle le lion de la fable, qui voyait un tableau oF un homme terrassait un lion: „Si les lions savaient peindre, dit-il, les hommes nQauraient pas le dessus“. Vous qui savez peindre, vous voulez donc les abaisser / leur tour; mais, au fond, je ne vous conseillerais pas de g.ter votre roman pour la gloire des femmes elle nQen a pas besoin. (247)

Turgot fordert von Graffigny ohne Umschweife eine Veränderung der Handlung. „Je voudrais donc quQAza 8pous.t Zilia!“ (248). Diese Wendung sollte, so Turgot weiter, eingebettet sein in ausführliche ,Überlegungen zur EheR („r8flexions sur le mariage“), die er der Autorin dann im Folgenden sicherheitshalber schon einmal selbst darlegt. In bester aufklärerischer Tradition insistiert er darauf, dass die Institution der Ehe naturgegeben ist. „CQest la nature qui amHne le mariage“ (249). Die Begründung liegt im Naturgesetz der biologischen Reproduktion.31 Die Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit der Kinder führe zwangsläufig für einen längeren Zeitraum zur Gemeinschaft von Vater und Mutter. Ohne eheliche Gemeinschaft keine biologische Reproduktion. Turgot appelliert deshalb eindringlich an die viel gelesene Autorin, Zilias Sehnsucht nach dem verlorenen Aza dadurch Nahrung zu geben, dass sie sich die Freude über gemeinsame Kinder ausmalt. Das Begehren nach Eine durchaus bemerkenswerte Position für einen Mann, der noch kurz zuvor auf dem Weg war, Priester zu werden. – Zur Rolle der Religion in Aufklärungsdiskursen vgl. den Beitrag von Isabel Karremann in diesem Band. 31

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dem Verlobten soll sich in ihren Briefen dadurch manifestieren, dass sie Kinder begehrt. Und Zilia möge in ihrem Sittengemälde der französischen Gesellschaft mehr auf die Reform der Kindererziehung eingehen, über die er dann ja auch oben bereits referierte Gedanken formuliert. Deutlich wird in diesem Brief, dass Turgot die grundsätzliche Entscheidung über Ehe oder Ehelosigkeit also nicht mehr zur Disposition stellen möchte. Dahinter steht keineswegs eine moralische Verurteilung außerehelicher affektiver und sexueller Beziehungen, schließlich ist Turgot ein aufgeklärter Mensch, sondern vielmehr die sehr aufklärerische Überzeugung, dass die biologische Reproduktion nicht im Belieben des oder gar der Einzelnen belassen werden darf. Der Grund dafür liegt darin, dass die Demographie in der aufklärerischen Theorie zu einem gesellschaftlichen Faktor geworden ist. Geburten entscheiden nicht nur über den Fortbestand von einzelnen Familien, sondern über Wohl und Weh der gesamten Gesellschaft. In der Theorie der Physiokraten, deren geistiger Kopf Turgot noch werden sollte, fungiert die Bevölkerung als entscheidende Variabel für gesellschaftlichen Reichtum. Die Ehe wird zur Gattungspflicht. Diese Diskussion hat im 18. Jahrhundert zu regelrechten Werbekampagnen geführt, um die Franzosen in ihre demographische Pflicht zu nehmen. Michel Foucault betont, dass die Entdeckung der Demographie zu „rituellen Klagen über die unfruchtbaren Ausschweifungen der Reichen, der Junggesellen und der Libertins“ führte.32 Hinzuzufügen ist, dass sie noch viel mehr zu rituellen Klagen über Mütter, die nicht stillen wollten oder ihre Kinder einer Amme überließen und über kinderlose Frauen geführt hat sowie @ das interessiert uns hier besonders @ über Autorinnen, die sich diesem Diskurs verweigern. Hier wird nur allzu deutlich, dass die demographische Diskussion der Aufklärung, die einmal mehr zeigt, dass es den Aufklärern immer um die gesamtgesellschaftliche Perspektive geht, letztlich für die Frauen ganz andere Konsequenzen hatte, als für die Männer. Dass der Physiokrat Turgot auch Graffigny für den Ehe-Diskurs einspannen wollte, ist sicherlich kein Zufall. Zwar redet sie in ihrem Roman nicht der Libertinage das Wort, auch nicht dem Zölibat, aber dem Begehren nach individuellem Glück, das sich durchaus auch für eine Frau außerhalb von Familie und Ehe und damit außerhalb physiokratischer Erwägungen realisieren kann. Graffignys Schwärmerei über die große Bibliothek in Zilias Haus, in der dann noch zu allem Überfluss die beim Schiffbruch geretteten Kultgegenstände aus dem Sonnentempel von Cuzco hängen, dürften ihm den Rest gegeben haben. Turgots Versuch, Graffigny zum Umschreiben zu bewegen, ist darüber hinaus symptomatisch für die Diskursstrategie der Aufklärung. Auch hierauf macht FouMichel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1977, 38. 32

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cault aufmerksam. Indem man die gesellschaftliche Dimension von Demographie erkannte, wurde auch die Rede über Sexualität in Nützlichkeitssysteme eingefügt. Deutlich wird dies an Turgots Rhetorik, die er entfaltet, um seine Ablehnung der Zwangsheiraten zu begründen. Das Thema der Verheiratung durch die Eltern gegen den Willen der Beteiligten ist ein Dauerbrenner, nicht erst im 18. Jahrhundert. Es taucht vor allem im literarischen Diskurs auf, nicht zuletzt gerade in den von Frauen verfassten Romanen. Spätestens seit den Preziösen geben die ,mariages forc8sR, die Zwangsheiraten, immer wieder Anlass zur grundsätzlichen Infragestellung der Ehe als einer Institution, die der „amour passion“ im Wege steht. Turgots Plädoyer für die Liebesheiraten nun erfolgt aber gar nicht im Namen der leidenschaftlichen Liebe, so wie Zilia sie sich mit Aza erträumt, sondern es wird einem analytischen und utilitaristischen Diskurs anvertraut. Er warnt @ besonders die Frauen @ vor allzu großen Erwartungen an die Liebesheiraten und entwickelt einen auf gegenseitigem Verständnis und Toleranz basierenden Verhaltenskodex für die eheliche Gemeinschaft, der die Ehepartner vor Unbeständigkeit und Überdruss bewahren soll. Welche Wirkung hat nun Turgots Standpauke auf die zweite Auflage? Graffigny ändert mitnichten ihren Plot. Während der Überarbeitung schreibt sie in einem Brief an ihren Vertrauten Devaux: „Non, tranquilise-toi, Zilia ne sera pas mari8e, je ne suis pas ass8s bÞte pour cela“.33 Was sie einfügt, ist aber im 34. Brief eine vernichtende Bemerkung über die rechtliche Stellung der Frauen in der Ehe: En effet, mon cher Aza, comment ne seraient-elles [les femmes] pas r8volt8es contre lQinjustice des lois qui tolHrent lQimpunit8 des hommes, pouss8e au mÞme excHs que leur autorit8? Un mari sans craindre aucune punition, peut avoir pour sa femme les maniHres les plus rebutantes, il peut dissiper en prodigalit8s aussi criminelles quQexcessives non seulement son bien, celui de ses enfants, mais mÞme celui de la victime quQil fait g8mir presque dans lQindigence par une avarice pour les d8penses honnÞtes, qui sQallie trHs commun8ment ici avec la prodigalit8. Il est autoris8 / punir rigoureusement lQapparence dQune l8gHre infid8lit8 en se livrant sans honte / toutes celles que le libertinage lui suggHre. Enfin, mon cher Aza, il semble quQen France les liens du mariage ne soient r8ciproques quQau moment de la c8l8bration, et que dans la suite les femmes seules y doivent etre assujetties. (345)

IV. Das Dilemma der Aufklärung Der ,Fall Graffigny versus TurgotR zeigt exemplarisch ein Dilemma der Aufklärung. Auch wenn es zunächst so aussah, als bringe das Projekt Aufklärung den endgültigen Durchbruch für die jahrhundertealten Egalitätsbestrebungen der Geschlechter, und auch wenn zunächst einmal, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, alle 33

Graffigny, zitiert nach Showalter, FranÅoise de Graffigny (wie Anm. 25), 23.

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Akteure, Männer wie Frauen, das aufklärerische Credo von der Mündigkeit des Menschen wörtlich nahmen, so überwogen bald jene Ideen und Kräfte, die der sozialen Wirklichkeit Rechnung trugen. Und die bestand u. a. aus einer hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit, zunehmend harten Bedingungen der Güterproduktion, die nicht mehr ans Haus gebunden war, Fortschrittsdenken und Fortschrittsdruck, die den ganzen Mann forderten, einem immer härter werdenden Konkurrenzkampf in den Bereichen von Wirtschaft und Wissenschaft, zu deren Kompensation es einer geschützten Sphäre und einer privaten Moral bedurfte. All das, und andere Faktoren mehr, führten dazu, dass sich das Differenzmodell, also die Auffassung von den unterschiedlichen Naturen der Geschlechter, als das ,vernünftigereR erwies. Die gesellschaftliche Arbeit wurde zunehmend geschlechtsspezifisch aufgeteilt. In dem Maße, in dem das ,ganze HausR nicht mehr Ort der Produktion war, wurde der Aktionsradius der Frauen immer mehr auf die Reproduktion eingeschränkt. Männer wie Frauen spezialisierten sich in ihren jeweiligen Bereichen und brachten es jeweils zu Spitzenleistungen. Die Frau galt aufgrund der gesellschaftlichen Implikationen ihrer biologischen Natur prädestinierter dafür, die Rolle des „moralischen Geschlechts“34 auszufüllen. Turgots Kritik an Graffignys Roman zeigt sehr gut die Tendenz aufklärerischen Denkens, das weibliche Lebensentwürfe letztlich ausschließlich als Ehefrau und Mutter konzipiert und folglich immer mehr mit feministischen und egalitären Entwürfen kollidiert. Elf Jahre später wird diese Tendenz zur festen Position, als Jean-Jacques Rousseau im 5. Kapitel seines Erziehungsromans Pmile die perfekte, bis in die anthropologischen Tiefen des Denkens hinein verankerte Theorie einer weiblichen Natur entfaltet.35 Rousseau geht mit seiner Polarisierung der Geschlechtscharaktere sehr viel weiter als z. B. die Physiokraten. Er erkennt sehr viel schärfer als seine Kollegen, welche Konsequenzen die klare Arbeitsteilung der Geschlechter auch mental und kulturell haben wird, und er erkennt vor allem, dass den verbreiteten Egalitätsdiskursen offensiv der Kampf angesagt werden muss, will man den Differenzdiskursen zum Durchbruch verhelfen. Rousseau klotzt. So genügt es ihm nicht (wie z. B. Turgot), dass Frauen aktiv sind in der Sphäre der Reproduktion, sie müssen sich auch konsequent aus der anderen Sphäre, derjenigen der Produktion raushalten, und das heißt eben auch: den Wissenschaften. Männer- und Frauenwelten driften immer mehr auseinander. Es genügt Rousseau nicht, dass die Frauen alles Öffentliche den Männern überlassen, sie müssen den Männern auch im Privaten einen Rahmen schaffen, damit diese in der rauen Welt optimal ihre Rollen wahrnehmen können. Und umgekehrt: Eine gute Ehefrau und Mutter kann nur werden, wer im häuslichen Schonraum verbleibt. 34 35

Steinbrügge, Das moralische Geschlecht (wie Anm. 10). Siehe hierzu den Beitrag von Marion Heinz in diesem Band.

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All dem verleiht der Philosoph Rousseau anthropologische Tiefe. Er konstruiert eine weibliche Natur, die sich – ganz im Gegensatz zur männlichen – durch Sanftmut, Gehorsam, Empathie, Intuition und die Unfähigkeit zum abstrakten Denken hervortut. Auch er weiß um die propagandistische Wirksamkeit von Literatur und schreibt einen Roman, La Nouvelle Helo"se (1761), der noch erfolgreicher sein wird als Graffignys Lettres dQune P8ruvienne. Mit seiner Protagonistin, Julie, schafft er die Gegenfigur zu Zilia, eine Figur, die zum Vorbild von Generationen von Leserinnen wird. In den darauffolgenden 200 Jahren verselbständigte sich diese Position und entwickelte ein so hartnäckiges Eigenleben, dass sie die gesellschaftlichen Umstände, in denen sie ursprünglich entstand, überleben konnte. Die Epoche der Aufklärung war für den weiblichen Teil der Menschheit Segen und Fluch zugleich. Segen – weil das aufklärerische Menschenbild eben auch den weiblichen Menschen als ein freies, mündiges, sich seines eigenen Verstandes bedienendes Individuum denkbar werden ließ. Fluch – weil gerade die Anthropologie der Aufklärung die entscheidenden gedanklichen Weichen stellte für eine Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse und für „moderne“ patriarchalische Verhältnisse. Dass diese Ambivalenz, die die Aufklärung für die Frauen hatte, keine reine „Machtfrage“ war, sondern vielmehr ein Dilemma innerhalb des aufklärerischen Denkens widerspiegelt, wird illustriert an der Kritik des Philosophen Anne Robert Jacques Turgot an einem berühmten Roman der Zeit, den Lettres dQune P8ruvienne von FranÅoise de Graffigny. Eine Antwort Graffignys ist nicht bekannt, aber ihr Festhalten am ursprünglichen Plot und die Passagen, die sie der Neuauflage ihres Romans hinzufügt, machen deutlich, dass die anthropologischen Positionen der Aufklärung in Teilen inkompatibel sind mit egalitären Diskursen, die eine Geschlechtergleichheit propagieren. Dem Konzept einer „feministischen Aufklärung“ wird widersprochen. The enlightenment was both a blessing and a curse for the female part of humankind. A blessing – because the enlightened view of human nature made it possible to conceive of women as free, autonomous and rational individuals. A curse – because the enlightenment anthropology also set into motion asymmetrical relations between the sexes and the „modern“ patriarchal gender order. This ambivalence, which the enlightenment held in store for women, was not purely a question of „power“, but rather reflects a dilemma within enlightenment thinking, as becomes visible in the philosopher Robert Jacques TurgotQs critique of a famous novel of the time, the Lettres dQune P8ruvienne by FranÅoise de Graffigny. We have no record of an explicit response to this critique by the writer, but GraffignyQs insistence on the original plot of her novel and the passages which she added to a new edition demonstrate that the anthropological positions of the enlightenment are in part incompatible with egalitarian discourses propagating an equality of the sexes. The article therefore rejects the concept of a „feminist enlightenment“. Prof. Dr. Lieselotte Steinbrügge, Ruhr-Universität Bochum, Romanisches Seminar, Universitätsstraße 150, D-44780 Bochum, Email: [email protected]

Dieter Hgning „Soll es denn aber immer mit dem andern Geschlecht so bleiben, wie es war und ist?“ Aufklärung und Emanzipation in Hippels Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber

Gemäß der berühmten Definition Immanuel Kants besteht Aufklärung in dem „Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“.1 Mit dieser Definition hat Kant in der Tat einen wesentlichen Aspekt der Aufklärungsbewegung getroffen, nämlich ihr Bestreben, alle Verhältnisse, in denen Menschen rechtlich diskriminiert und als unmündig betrachtet werden, aufzuheben. Diese geforderte Emanzipation betrifft nach Kants Auffassung einerseits die Veränderung der Rechtsverhältnisse, andererseits auch den Abbau der gängigen Vorurteile über die vermeintliche Unmöglichkeit eines solchen ,AusgangsR. Wir wissen allerdings auch, dass die Vertreter der Aufklärungsphilosophie zwar überwiegend von vergleichbaren Überzeugungen und insbesondere Rechtsprinzipien ausgingen, aber durchaus sehr unterschiedlich über die Reichweite der notwendigen aber wünschenswerten Konsequenzen bei der Anwendung dieser Prinzipien auf die gesellschaftliche Praxis gedacht haben.2 Exemplarisch für Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen [später: Deutschen] Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff., Bd. VIII: Abhandlungen nach 1781, 35; im Folgenden AA Band, Seitenzahl. 2 Nicht jeder, der sich mit der Aufklärungsepoche beschäftigt, ist zu solchen interpretatorischen Differenzierungen in der Lage bzw. bereit. Ein neueres Beispiel hierfür ist das ärgerliche Buch von Andreas Pecˇar, Damien Tricoire, Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, Frankfurt am Main 2015. Die Autoren sind jedoch so ehrlich, die Schranke ihrer eigenen Deutung den Leserinnen und Lesern gleich mitzuteilen: sie plädieren dafür, „die Fremdheit der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts“ anzuerkennen (12, 35) und wollen „Zweifel an der Vertrautheit der heuigen Zeit mit dem Phänomen und der Epoche der Aufklärung“ (13) säen. Nun beruht das Fremdheitsempfinden im Wesentlichen auf der mangelnden Bekanntschaft und Kenntnis der Sache, um die es geht. Reise ich in ein entferntes Land, so kann es sein, dass mir anfangs vieles an den Sitten und Gebräuchen seiner Bewohner ,befremdlichR vorkommt. Aber je länger ich in einem solchen Land verbleibe und je mehr ich mich darum bemühe, seine Kultur kennenzulernen, desto mehr wird mir dieses Land vertraut - insofern ist ,FremdheitR zwar der Ausgangspunkt einer Be1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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die Ambivalenz aufklärerischer Emanzipationsforderungen ist z. B. die Religionskritik. Die meisten Philosophen der Aufklärung forderten die „Emanzipation von rational nicht zu rechtfertigenden Traditionen“, ohne zugleich „den völligen Bruch mit der christlich geprägten Tradition“ zu propagieren: Ihre Protagonisten ebenso wie die Mehrzahl ihrer weniger prominenten Vertreter verstanden sich, auch indem sie sich um die Abtragung der supranaturalen und abergläubischen Überformungen des Christentums bemühten, eher als Sachwalter seines rational affimierbaren Kerns denn als Totengräber der Religion überhaupt.3

Charakteristisch für eine solche vermittelnde Stellung zur Religion ist die Haltung Voltaires. Auf der einen Seite kämpft er an verschiedenen Fronten gegen den religiösen Fanatismus und insbesondere gegen die von religiösen Vorstellungen beherrschte zeitgenössische Strafjustiz. Auf der anderen Seite sind die Armen und Ungebildeten für ihn keine Adressaten der antireligiösen Aufklärung: „Der Pöbel bleibt immer in tiefer Unwissenheit, worin ihn die Notwendigkeit, sein Brot zu erwerben, und ich wagQ es zu sagen, die Wohlfahrt des Staats erhalten müssen.

trachtung, aber kein dauerhafter Zustand. Wem die Aufklärung auch nach längerer Zeit der Befassung mit ihr ,fremdR geblieben ist, dem ist offenkundig der Zugang zur Aufklärungsepoche versagt geblieben. Die Schuld daran, dass die Autoren die „Fremdheit“ nicht überwinden konnten, liegt nicht bei der Aufklärung, sondern verdankt sich der Unangemessenheit ihrer Vorgehensweise, die statt einer systematischen Betrachtung der Aufklärung eigentlich nur ein Sündenregister ihrer Vertreter erstellen wollten, die nach ihrer Ansicht keine Sachprobleme lösen wollten, sondern in erster Linie an „polemische[r] Selbstinszenierung auf der Grundlage eines Geschichtsnarrativs“ (32, 141) interessiert waren. Weil der Streit über Inkonsequenzen der Emanzipationsprinzipien von den Vertretern der Aufklärung selbst geführt wurde, brauchte die Welt auch nicht auf das Erscheinen des Buches dieser beiden ,wahren FeindeR der Aufklärung zu warten. Übrigens erklären die Autoren wider Willen, wie sie selbst die „Fremdheit“ mit der Aufklärungsepoche produzieren. Im Hinblick auf Raynals und Diderots Geschichte beider Indien heißt es: Wenn man „den modernen Antikolonialismus [über den man aber bei Pecˇar und Tricoire nichts erfährt] zum Maßstab nimmt, muss man zumindest zur Einsicht gelangen, […] es handele sich um ein patriotisches und kolonialistisches Werk“. So einfach funktioniert Widerlegung: Man geht von den eigenen Vorurteilen aus, konstatiert „Fremdheit“ und Widersprüchlichkeit und kann den Text beiseite legen. Es handelt sich um eine unreflektierte Methode, „die in einer vollkommen unhistorischen Abgleichung bestimmter Positionen der Aufklärung […] aktuellen, zumeist postmodernen Überzeugungen besteht“, so Gideon Stiening in seiner konzisen Übersicht über die Strategien der Aufklärungsgegner, vgl. Gideon Stiening, Selbstermächtigung falscher Freunde? Zu den Formen historiographischer Aufklärungskritik und deren Folgen, in: Daniela G. Camhy (Hg.), Enlightenment today. Sapere aude! – Have Courage to Use Your Own Understanding, Baden-Baden 2020, 25–42. Stiening kritisiert u. a. die „zum Teil ermüdenden Taschenspielertricks der beiden Autoren, die bestimmte – an sich nur den Zeitkonventionen zu verdankende – Vorurteile einzelner Autoren zur Substanz der Aufklärungsdebatten erklären“ (38). 3 Winfried Schröder, Einleitung, in: Anonymus, Traktat über die drei Betrüger, hg. von Winfried Schröder, Hamburg 1992, VII–XIII, hier VII.

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Allein der Mittelstand ist aufgeklärt“.4 Auch auf anderen Gebieten schreckten die Propagandisten der Aufklärung vor weiterführenden Konsequenzen zurück. Friedrich II. von Preußen, der sich für einen aufgeklärten Monarchen hielt und es für ein prestigeträchtiges Signum seines aufgeklärten Standpunktes hielt, mit den führenden Repräsentaten der französischen Aufklärung in Kontakt zu stehen, verhinderte, dass Moses Mendelssohn Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften wurde. Insofern ist es keineswegs überraschend, dass die meisten Repräsentanten der Aufklärung auch im Hinblick auf die Emanzipation der Frauen radikale Positionen ablehnten. Dennoch bleiben die Verfechter solcher radikalen Positionen, auch wenn sie nur eine Minderheit darstellen, von Interesse, weil ihre Stellungnahmen einerseits auf theoretische Defizite ihrer Gegner aufmerksam, vor allem aber deutlich machen, wie weit die Aufklärungsbewegung hätte gehen können, wenn sie keine bürgerliche Aufklärung gewesen wäre, deren politischer und sozialer Emanzipationshorizont durch die Idealisierung der Bourgeoisgesellschaft begrenzt war. Ein solcher Vertreter der Radikalaufklärung - wenigstens in Sachen Frauenemanzipation - ist Theodor Gottlieb (von) Hippel. Er war im Hinblick auf die „bürgerliche Verbesserung der Weiber“ zu keinem Kompromiss und insbesondere zu keiner Relativierung der von ihm zugrunde gelegten Rechtsprinzipien bereit. Aufklärung bedeutet für ihn Gleichberechtigung tout court. Hippels Radikalität in der Durchführung seiner Rechtsgrundsätze soll im Folgenden anhand seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber,5 die im Jahre 1792 anonym erschien,6 illustriert werden. Der Titel knüpft an die von Christian Wilhelm Voltaire, Der Philosoph und der Generalfinanzkontrolleur, in: ders., Recht und Politik, hg. von Günther Mensching, Frankfurt am Main 1978, 308. 5 Alle Zitate ohne weitere Stellennachweise sind folgender Ausgabe entnommen: Theodor Gottlieb von Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow, Frankfurt am Main 1977. 6 Folgt man den Tagebuchaufzeichnungen von Johann Friedrich Abegg, dann hat Christian Friedrich Jensch gesprächsweise zumindest eine Mitautorschaft an der ,Bürgerlichen VerbesserungR für sich reklamiert, vgl. Johann Friedrich Abegg, Reisetagebuch von 1798, hg. von Walter und Jolanda Abegg in Zusammenarbeit mit Zwi Batscha, Frankfurt am Main 1976, 198 ff. Auf die Frage der Verfasserschaft werde ich jedoch nicht eingehen, da es in erster Linie um die Rekonstruktion der Argumente in der Bürgerlichen Verbesserung der Weiber geht. – Angesichts des Publikationsdatums 1792 könnte man vermuten, Hippels feministisch-emanzipatorische Überlegungen seien durch die französische Revolution veranlasst. Aber Hippel war bereits seit 1780 Mitglied der Kommission zur Vorbereitung der Einführung des Allgemeinen Preußischen Landrechts und hat in dieser Funktion schon emanzipatorische Vorschläge entwickelt, vgl. hierzu Susanne Weber-Will, Die rechtliche Stellung der Frau im Privatrecht des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794, Frankfurt am Main 1983, 54–56 sowie Anke Lindemann-Stark, „Die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich“. Hippels Kritik an der Rechtspraxis, in: Joseph Kohnen (Hg.), Königsberg. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main u. a. 1994, 289–308, bes. 296 ff. 4

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von Dohm im Jahre 1781 veröffentliche Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden an, d. h. Hippel betrachtet seine eigene Schrift als Moment einer umfassenderen aufklärerischen Emanzipationsbewegung.7 Hippel selbst schreibt in dem Bewusstsein, dass es sich bei seiner Schrift um ein radikalemanzipatorisches und zugleich frühfeministisches Manifest „zur Zerstörung der galanten Bastillen, der häuslichen Zwinger und der bürgerlichen Verließe, worin sich das schöne Geschlecht befindet“ (18 f.) handelt. Wie die französische Revolution die Bastillen des Absolutismus zerstört hat, so soll die Aufklärungsphilosophie die Bastillen der frauenfeindlichen Vorurteile beseitigen. Hippels radikal-emanzipatorische Position zeigt sich insbesondere darin, dass er keine der üblichen Begründungen, mit denen Frauen von Bildung, sozialen, kulturellen oder politischen und anderen öffentlichen Funktionen ausgeschlossen werden, für stichthaltig hält. Die biologische Geschlechterdifferenz, die Hippel noch für unbezweifelbar hält, bildet zwar den (einzigen) naturgegebenen Aspekt der Unterscheidung von Mann und Frau, aber diese biologische Differenz begründet in keiner Weise eine Entrechtung, Entmündigung oder Diskriminierung der Frauen: Die Natur scheint bei Bildung der beiden Menschengeschlechter nicht beabsichtigt zu haben, weder einen merklichen Unterschied unter ihnen festzustellen, noch eins auf Kosten des andern zu begünstigen. - Der Geschlechterunterschied kann nicht zur Antwort dienen, denn die Frage ist: ob das männliche Geschlecht mit wesentlichen körperlichen oder geistigen Vorzügen vor dem weiblichen ausgestattet worden sei? (26)8

Theodor Gottlieb von Hippel, der von 1741 bis 1796 lebte, hatte eine steile juristische Karriere in Königsberg hinter sich, als er seine Bürgerliche Verbesserung der Weiber veröffentlichte. Er war seit 1780 Bürgermeister und seit 1786 als Stadtpräsident von Königsberg oberster Verwaltungs- und Justizbeamter in Ostpreußen.9 Neben seinen Amtstätigkeiten verblieb ihm offenbar hinreichend Muße zur Abfassung diverser Schriften, deren Autorschaft Hippel allerdings geheim zu halten versuchte. Nur seine engsten Freunde, darunter Kant, wussten, dass er der Autor eines Buches Über die Ehe, das 1774 in erster und 1793 in vierter Auflage Dohms Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden wird von Hippel auch erwähnt, vgl. Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (wie Anm. 5), 20 f. 8 Vgl. ebd., 211: „Darf ich es noch einmal wiederholen, daß der Vorzug der physischen Größe und Stärke des Mannes in Hinsicht des Weibes sich auf keine moralische Überlegenheit unseres Geschlechts bezieht? Kein Geschlecht hat den mindesten Wert ohne das andere; zusammengenommen machen sie die Menschheit aus.“ 9 Zu Hippels Biographie vgl. die umfassenden Darstellungen bei Paul Peterken, Gesellschaftliche und fiktionale Identität. Eine Studie zu Theodor Gottlieb von Hippels Roman ,Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, CR, Stuttgart 1981, 145 ff.; Joseph Kohnen, Theodor Gottlieb von Hippel. LQhomme et lQœuvre, Frankfurt am Main u. a. 1983; Anke Lindemann-Stark, Leben und Lebensläufe des Theodor Gottlieb von Hippel, St. Ingbert 2001. 7

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erschien, der Bürgerlichen Verbesserung, zweier humoristischer Romane – Lebensläufe nach aufsteigender Linie (1778 – 1781) und Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z (1793/94) – sowie diverser anderer Gelegenheitsschriften war. Erwähnenswert ist vielleicht, dass der Verfasser des Ehebuches zeitlebens unverheiratet blieb, aber nach seinem Tode Gerüchte kursierten, die ihn als großen „Wollüstling“ schilderten.10 Grundlage der hippelschen Emanzipationskonzeption ist ein weit verbreitetes aufklärerisches Selbstverständnis, das eine „unparteiische Kenntnis der Natur“ und „wahre, nicht Schein-Aufklärung“ (112) fordert. Allerdings wird dieser normativ aufgeladene Begriff der Natur von Hippel nicht weiter thematisiert; vermutlich deshalb nicht, weil er – wie viele seiner Zeitgenossen – die Berufung auf die Natur als Berufungsinstanz und als kritischer Maßtsab für die Beurteilung der bestehenden ,unnatürlichenR, depravierten Verhältnisse für unproblematisch hielt. Aus diesem Begriff der unverfälschten Natur werden dann die unverlierbaren Rechte der Menschen abgeleitet. Die Entmündigung der Frauen beruht auf dem „Mißbrauch des Rechts, aber Menschenrechte können niemals […] verloren werden“ (115). Das Besondere dieses Naturrechtsverständnisses bei Hippel besteht nun darin, dass unter Berufung auf die „Grundsätze der natürlichen Gleichheit“ (129) die Geschlechterverhältnisse einer normativen Beurteilung unterzogen werden, in welcher die Berufung auf Tradition und Herkommen keine Rolle spielt: „Manns- und Weiberpersonen würden einerlei Rechte zu genießen haben, wenn es auf die Entscheidung der Natur ankäme“ (82).11 An anderer Stelle heißt es: Die Natur scheint bei Bildung der beiden Menschengeschlechter nicht beabsichtigt zu haben, weder einen merklichen Unterschied unter ihnen festzustellen, noch eins auf Kosten des andern zu begünstigen. – Der Geschlechterunterschied kann nicht zur Antwort dienen, denn die Frage ist: ob das männliche Geschlecht mit wesentlichen körperlichen oder geistigen Vorzügen vor dem weiblichen ausgestattet worden sei? (26).

Und diese Gleichheit der Geschlechter im Hinblick auf ihre Fähigkeiten bezieht sich auch auf das Vernunftvermögen: „Die evidente Vernunft ist eine Mitgift, welche die Natur allen Menschen in gleichem Maße bewilligt hat“ (196). Natur bedeutet deshalb einerseits das Ursprüngliche, noch nicht von Menschen Verdorbene; Natur ist insofern wie bei Rousseau der kritische Kontrastbegriff zu allem, was Abegg, Reisetagebuch (wie Anm. 6), 254, 244: „Hippel war ein großer Wollüstling. Er ließ sich mit nassen Handtüchern von seinem Bedienten auf den bloßen Leib geiseln, aus Lebenslust. […] Seine Mädchen verheyrathete er, wenn er ihrer müde war, an Gläubiger u. s. w. u. die wurden durch den 5. u. 6. Mann dazu überredet, u. mußten ihm noch gute Worte darum geben.“ 11 Zugleich ist die Rechtsgleichheit das Konstitutionsprinzip von Vergesellschaftung: „Gesellschaft setzt unter den Verbundenen eine Gleichheit voraus, wozu es der Urheber der Menschen auch angelegt hat“ (Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber [wie Anm. 5], 21). 10

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Produkt menschlicher Konvention ist. Natur ist für Hippel andererseits die „Natur der Sache“: „Das rechte Recht gründet sich in der Natur der Sache und hat sich von den Schlacken der Willkür und des türkischen Despotismus gereinigt“ (245 f.). Hippels Orientierung am Begriff des Vernunftrechts bleibt aber schemenhaft. Auf der einen Seite spricht er vom „Prinzip der Selbstgesetzgebung“, ebenso davon, dass man „ein vernünftiges Wesen [nicht] bloß als Mittel zu höheren Zwecken ansehen“ dürfe (197). Er hofft darüber hinaus, dass „unsere neue Philosophie […] ein Tribunalausspruch meiner Vorschläge werden“ kann (ebd.) – alles Formulierungen, die auf den Einfluss Kants hinzudeuten scheinen. Auf der anderen Seite ignoriert Hippel, dass Kants Moralphilosophie von allen empirischen Zwecken des Wollens abstrahiert und dass deshalb die Prinzipien sowohl des Rechts als auch der Ethik im engeren Sinne bloß formaler Natur sein können. Die beiden ,GrundsätzeR der praktischen Philosophie, die Hippel in seiner Schrift nennt, bewegen sich demgegenüber im Fahrwasser des Wolffianismus. Der „Grundsatz des Naturrechts“ lautet nach Hippel: „Verhindere, daß die Vollkommenheit aller Menschn nicht gemindert wird“ (196); das „höchste Material-Gesetz“ lautet: „Vervollkommne alle Menschen“ (197). I. Immanuel Kant oder der gescheiterte Ausgang der Frauen aus der Unmündigkeit Bevor das hippelsche Emanzipationskonzept en detail analysiert wird, soll zunächst ein Blick auf Kant, an dessen Mittagstafel Hippel ein gern gesehener Gast war, und seinen Beitrag zur Geschlechtertheorie geworfen werden. Hippels Text lässt sich als Radikalisierung und zugleich als Kritik von Kants Betrachtung der Geschlechterverhältnisse lesen. Denn Kants Position in dieser Frage war doppeldeutig, wie ich im Folgenden kurz andeuten will. In seinem bereits zitierten Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, der 1784 in der Berlinischen Monatsschrift erschien, problematisiert Kant die Unmündigkeit der Frauen: Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen: allein ein

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Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeinglich von allen ferneren Versuchen ab. (AA VIII, 35 f.)12

Allerdings blieb diese kritische Ausführung zur Entmündigung der Frauen, in welcher „die intellektuelle Unmündigkeit der Frau parallel zu der des unfreien Mannes als produziertes Faktum und keineswegs als Naturphänomen angesehen“ wird,13 bei Kant eine einmalige Episode, weil er aus der egalitaristischen Position des Aufklärungsaufsatzes in den späteren Schriften keine weitergehenden emanzipatorischen Konsequenzen gezogen hat. Das wird deutlich, wenn man einen Blick in das Kantische Eherecht in den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre von 1797 wirft. Dort stellt Kant die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Eheherrschaft des Mannes. Man hat den Eindruck, dass er bei der Antwort auf diese Frage an die entgegengesetzten Ansichten des langjährigen Gastes an seiner Mittagstafel, d. h. an Theodor Gottlieb von Hippel, gedacht hat, er aber dem Emanzipationsprojekt seines ,FreundesR nicht folgen wollte. Kant wusste um Hippels Schriftstellerei,14 er wusste auch, dass Hippel sich z. B. in seinen Lebensläufen durchaus an seiner, d. h. Kants, Philosophie orientiert hatte, weshalb sich Kant nach Hippels Tod angesichts von Mutmaßungen, er sei Autor oder Mitautor des Buches Über die Ehe oder der Lebensläufe nach aufsteigender Linie, gezwungen sah, in einer öffentlichen Erklärung wegen der von HippelQschen Autorschaft mitzuteilen, dass derartige Vermutungen falsch seien. Dass in Hippels Schriften kantische Gedanken vorkämen, sei - so Kant - dadurch erklärbar, dass sich Hippel diverser Vorlesungsnachschriften bedient habe. Darüber hinaus unternimmt Kant den leicht durchschaubaren, aber wenig freundschaftlichen Versuch, die Relevanz der literarischen Produktionen seines ,FreundesR durch den Hinweis zu relativieren, dass die von Hippel benutzten Vorlesungsnachschriften meistens „sehr mangelhaft […] nachgeschrieben worden“ seien, und ihre Aussagen von Hippel gleichsam nur „zur Würtze für den Gaumen seiner Leser“ gebraucht worden seien. Mit der fragwürdigen Behauptung, dass sein „Freund […] sich nie mit PhiloEine vergleichbare, an den Aufklärungsaufsatz erinnernde Passage findet sich in Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Dort heißt es: „Ich gestehe, daß ich mich in den Ausdruck, dessen sich auch wohl kluge Männer bedienen, nicht wohl finden kann: Ein gewisses Volk (was in Bearbeitung einer gesetzlichen Freiheit begriffen ist) ist zur Freiheit nicht reif […]. Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist“ (AA VI, 188). 13 Heidemarie Bennent, Galanterie und Verachtung. Eine philosophiegeschichtliche Untersuchung zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Kultur, Frankfurt am Main, New York 1985, 96. 14 Johann Georg Hamann, Brief an Johann Friedrich Reichardt vom 30. Juni 1782, in: ders., Briefwechsel, Bd. 4 (1778–1782), hg. von Arthur Henkel, Wiesbaden 1959, 396: „Noch muß ich Ihnen die unangenehme Nachricht mittheilen, daß durch die verrathene Autorschaft der hier im Verlag heausgekommenen und bereits in unsern Zeitungen recensirten Schrift [Über die Ehe, D.H.] das ganze Geheimnis ruchbar worden, und Prof. Kant mir zu meinem großen Befremden vor 8 Tagen bey Green den Namen zu sagen wuste.“ 12

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sophie sonderlich befaßt“ (AA XII, 360 f.) und die Nachschriften nur benutzt habe, um „dem Gerichte des Witzes einen schärferen Geschmack zu geben“, wollte Kant offenbar deutlich machen, dass man Hippels Ausführungen in philosophischer Hinsicht nicht ernst nehmen müsse.15 Jedenfalls war Kant nicht bereit, sich Hippels Emanzipationsforderungen zu eigen zu machen,16 wie ein Blick in die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre aus dem Jahre 1797 zeigt. Dort erklärt Kant im § 26, dass das „Verhältniß der Verehelichten ein Verhältniß der Gleichheit des Besitzes“ sei. Unter Besitz versteht Kant allerdings nicht allein den Sachbesitz, sondern sowohl den Besitz „der Personen, die einander wechselseitig besitzen […], als auch der Glücksgüter“ (AA VI, 278). Mit dieser formellen Gleichheit der Ehepartner im Hinblick auf die Besitzverhältnisse ist jedoch die Eheherrschaft des Mannes nach Kants Auffassung problemlos vereinbar: Wenn daher die Frage ist: ob es auch der Gleichheit der Verehelichten als solcher widerstreite, wenn das Gesetz von dem Manne im Verhältniß auf das Weib sagt: er soll dein Herr (er der befehlende, sie der gehorchende Theil) sein, so kann dieses nicht als der natürlichen Gleichheit eines Menschenpaares widerstreitend angesehen werden, wenn dieser Herrschaft nur die natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das weibliche in Bewirkung des gemeinschaftlichen Interesse[s] des Hauswesens und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl zum Grunde liegt, welches daher selbst aus der Pflicht der Einheit und Gleichheit in Ansehung des Zwecks abgeleitet werden kann. (AA VI, 279)

Die Eheherrschaft des Mannes soll also auf der „natürliche[n] Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das weibliche [Geschlecht] in Bewirkung des gemeinschaftlichen Interesse[s] des Hauswesens und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl“ beruhen. Kant hätte sich hier an seinen Aufklärungsaufsatz erinnern sollen, der deutlich gemacht hatte, dass eine solche männliche ÜberleKant bezweifelt in seiner Erklärung nur Hippels philosophische Kompetenz, während andere „Freunde“ Hippels sich nach dessen Tod, vermutlich v. a. wegen der Gerüchte über seine vorgebliche Unmoral, deutlicher distanzierten und dem Verstorbenen alle möglichen Laster zuschrieben und dadurch an der „Schädigung seines Nachrufes einen großen Anteil hatten“, vgl. Lindemann-Stark, Leben und Lebensläufe (wie Anm. 9), 173. Allerdings wurde Kants Erklärung wegen der von HippelQschen Autorschaft in Königsberg gerade im Hinblick auf Hippels Freundschaft kritisch beurteilt. Johann Friedrich Abegg berichtet in seinem Reisetagebuch: „K. R. [= Kriegsrat] Bock äußerte sich über Kant, daß er sich über Hippel so erklärt habe, als hätte ihm dieser seine Ideen geraubt. Kant ist ein fühlloser Philosoph, setzte er hinzu. Von Freundschaft und Liebe darf er nicht reden, er hat sich ganz darüber hinaus philosophirt“ (Abegg, Reisetagebuch [wie Anm. 6], 245); vgl. auch Lindemann-Stark, Leben und Lebensläufe (wie Anm. 9), 206. 16 Schon in der Vorlesung über Anthropologie vom Winter 1781/82 (Menschenkunde Starcke) hatte Kant weibliche Emanzipationsvorstellungen zurückgewiesen: „Es ist ein Grundsatz der faulen Vernunft, alles für einerley anzunehmen und so machens auch manche bey den beiden so sehr verschiedenen Menschen-Geschlechtern“ (AA XXV, 1188). 15

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genheit sozial bzw. historisch kontingent konstituiert und somit eo ipso fragwürdig ist. In der Rechtslehre erspart sich Kant die Frage, woraus denn die angebliche „natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes“ resultiert. Der Unterordnung der Frauen unter die Eheherrschaft des Mannes entspricht bei Kant ihre politische Unmündigkeit. Kant diskutiert in seinem Gemeinspruchaufsatz die Bedingungen, die erforderlich sind, damit jemand „das Stimmrecht“ in der gesetzgebenden Körperschaft haben kann. Neben der Eigentumsqualifikation, wonach jemand ökonomisch selbständig, d. h. „sein eigener Herr“ sein muss, nennt Kant die natürliche Qualität, dass jemand „kein Kind, kein Weib sei“.17 Der Ausschluss der Frauen wird an dieser Stelle nicht weiter begründet, aber historisch betrachtet befindet sich Kant in Übereinstimmung mit den Positionen der französischen Verfassung von 1791, die den Frauen ebenfalls die Möglichkeit politischer Partizipation vorenthalten hatte. Doch diese Orientierung am Vorbild der französischen Verfassung ist ein eher äußerlicher Aspekt, in dem sich Kants Vorstellung einer minderen Rechtsposition der Frauen manifestiert. Wirft man einen Blick in seine zahlreich dokumentierten Vorlesungen (bzw. die erhaltene Nachschriften) zur Anthropologie und in das einschlägige Kapitel seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, dann lässt sich leicht erkennen, dass Kant mit einem Weiblichkeitskonzept operiert, in welchem die Dominanz der Emotionalität bei Frauen gewissermaßen naturteleologisch unterfüttert ist: „Man kann nur dadurch, daß man, […] was Zweck der Natur bei Einrichtung der Weiblichkeit war, als Princip gebraucht, zu der Charakteristik dieses Geschlechts gelangen“,18 denn die „Maschiene des Frauenzimmers“19 funktioniert gemäß ihrer natürlichen geschlechtsspezifischen Bestimmung, die ihm bei der kulturell vermittelten Realisierung der Absicht der Natur zukommt. Durch diese Naturzweckmäßigkeit des weiblichen Geschlechts wird sowohl die natürliche wie die rechtlich-soziale Bestimmung der Frau determiniert: Die Natur hat 2 Absichten, die Fortpflanzung und Erhaltung der Art, und zu diesem Zweck hat die Natur den thierischen Unterschied beyder Geschlechter bestimmt, und dieses ist die Absicht in Ansehung der Thierheit. Die zweyte Absicht der Natur in Ansehung beyder Geschlechter ist, daß ein gesellschaftlicher Zustand seyn sollte. Dieser gesellige Umgang ist die Absicht in Ansehung der Menschheit, und dadurch unterscheiden wir uns von den Thieren. Um die erste Absicht der Natur zu erreichen, hat Über den Gemeinspruch, AA VIII, 295. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 305. 19 Die Formulierung stammt aus der Anthropologie-Vorlesung des Wintersemesters 1775/76 (Anthropologie Friedländer), AA XXV, 621. Allerdings vertritt Kant keinen „rein physiologischen Determinismus […]. Im Gegensatz zu den physiologischen Anthropologien deduzierte er den weiblichen Charakter nicht bruchlos aus irgendwelchen körperlichen ,OrganisationenR“ (Cornelia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib, Frankfurt am Main, New York 21991, 84). 17 18

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die Natur Triebe in uns gelegt, die an sich klar sind, und über die wir nicht weiter philosophiren dürffen; wenn wir nur diesem Trieb folgen, so erfüllen wir den Zweck der Natur, ohne denselben Zweck für Augen zu haben. Damit aber die zweite Absicht der Natur, daß eine gesellschaftliche Verfaßung und Umgang seyn soll, könnte zu Stande gebracht werden, so muß die Natur Quellen in uns gelegt haben, wodurch dieser gesellschaftliche Umgang zu Stande gebracht werden könnte. […] Die bürgerliche Ordnung bringt zwar durch den Zwang eine bürgerliche Gesellschaft hervor, allein es soll eine vollkommen innigliche Einheit errichtet werden, und zu dieser […] trägt das Frauenzimmer alles bey, denn die Natur wollte einen Umgang ohne Zwang zu Wege bringen.20

Die Voraussetzung dieser ,inniglichen EinheitR ist nun gerade die natürliche Verschiedenheit der Geschlechter, die sich in einander ergänzenden sozialen Rollen niederschlägt: Die wahre Vereinigung beruht auf dem Mangel des einen Theils, und den Besitz deßelben beym andern Theil. Wenn das nun verbunden wird, so entspringt draus ein gantzes der vollständigen freundschaftlichen Vereinigung. […] Damit also eine Verschiedenheit zwischen beyden Geschlechtern sey, und aus der Verschiedenheit eine Einheit entspringen möchte, so muß der Mann Stärcke haben, wo das Weib Schwäche hat, und da Schwäche wo das Weib Stärcke hat.21

Die in der neuzeitlichen Gesellschaft zu findende Rollenverteilung der Geschlechter hat nach Kant ihren Grund in der „Absicht der Natur“, die wiederum das Geschlechterverhältnis zu einem Verhältnis wechselseitiger Beherrschung mit unterschiedlichen sozialen Rollen macht: „Ein Theil muß im Fortgange der Cultur auf heterogene Art überlegen sein: der Mann dem Weibe durch sein körperliches Vermögen und seinen Muth, das Weib aber durch ihre Naturgabe sich der Neigung des Mannes zu ihr zu bemeistern; da hingegen im noch uncivilisierten Zustande die Überlegenheit blos auf der Seite des Mannes ist. […] Das Weib ist da ein Hausthier“.22 In seinen den Problemen der Anthropologie gewidmeten Schriften und Vorlesungen ist Kant als Verfechter einer „Konzeptionalisierung geschlechtsspezifischer Emotionalität“ aufgetreten, die dazu führte, dass Kant nicht nur Emotionalität als solche dem weiblichen Geschlecht zuordnete, den höher bewerteten Verstand hingegen dem Mann, sondern dass er darüber hinaus – explizit oder implizit – passiv und negativ konnotierte Emotionen in der Regel weiblich, aktiv und positiv konnotierte Emotionen hingegen männlich codiert.23

AA XXV, 701. Ähnlich die Anthropologie-Vorlesung des Wintersemesters 1781/82 (Menschenkunde Starcke), AA XXV, 1189 sowie Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 303. 21 AA XXV, 702. 22 Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 303 f. 23 Rolf Löchel, Frauen sind ängstlich, Männer sollen mutig sein. Geschlechterdifferenz und Emotionen bei Immanuel Kant, in: Kant-Studien 97 (2006), 50–78, hier 53. Löchel gibt eine gute Übersicht über Kants Vorstellungen naturgegebener Männ- bzw. Weiblichkeit. 20

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Die emanzipierte Frau, welche die angeblich ihr von Natur vorgezeichnete häusliche Sphäre verlässt, um solche Funktionen einzunehmen, die bisher von Männern ausgeübt wurden, verstößt nach dieser Konzeption der naturbedingten Geschlechterdifferenz gegen die „Absicht der Natur“. Sie wird dadurch tendenziell zu einem denaturierten Monstrum, das bei Männern kein Interesse mehr weckt, weil die gebildete Frau „die Anziehung ihrer Reize verliert“.24 Zwar ist – wie gezeigt – für Kant die formal-rechtliche Gleichheit der Ehepartner die konstitutive Voraussetzung für den Abschluss des Ehevertrags. Aber zu den Rechtsfolgen dieses Vertrags gehören rechtlich festgeschriebene unterschiedliche Geschlechterrollen, die ihrerseits von den Absichten der Natur abhängen. Man versteht angesichts dieser naturteleogisch fundierten Geschlechtertheorie, die übrigens deutlich macht, wie sehr Kant noch tradierten Weiblichkeitskonzepten folgt, dass für ihn die emanzipatorischen Entwürfe seines Freundes nicht anschlussfähig waren.25

„Männlichkeiten bei Frauenzimmern sind immer etwas Unschickliches“ (Menschenkunde, AA XXV, 1189). In den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen aus dem Jahre 1764 heißt es entsprechend: „Tiefes Nachsinnen und eine lange fortgesetzte Betrachtung sind edel, aber schwer und schicken sich nicht wohl für eine Person, bei der die ungezwungene Reize nichts anders als eine schöne Natur zeigen sollen. Mühsames Lernen oder peinliches Grübeln, wenn es gleich ein Frauenzimmer darin hoch bringen sollte, vertilgen die Vorzüge, die ihrem Geschlechte eigenthümlich sind, und können dieselbe wohl um der Seltenheit willen zum Gegenstande einer kalten Bewunderung machen, aber sie werden zugleich die Reize schwächen, wodurch sie ihre große Gewalt über das andere Geschlecht ausüben. Ein Frauenzimmer, das den Kopf voll Griechisch hat, wie die Frau Dacier, oder über die Mechanik gründliche Streitigkeiten führt, wie die Marquisin von Chastelet, mag nur immerhin noch einen Bart dazu haben; denn dieser würde vielleicht die Miene des Tiefsinns noch kenntlicher ausdrücken, um welchen sie sich bewerben“ (AA II, 229 f.). Die Ablehnung der gebildeten Frau erfolgt bei Kant also ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der Festschreibung der Geschlechterrollen: Durch Bildung und wissenschaftliches Interesse verliere die Frau ihre weiblichen Reize und habe deshalb weniger Aussichten, eine vorteilhafte Partie zu machen. Dass Frauen den männlichen Erwartungen entsprechen sollen, hält Kant für eine Selbstverständlichkeit. 25 Es gehört zu den Merkwürdigkeiten von Kants Rechtslehre, dass auch im Eherecht mit naturteleologischen Positionen zur Bestimmung der Geschlechterrollen operiert wird, obwohl sein Rechtsbegriff sich dadurch auszeichnet, dass er rein formal gefasst ist, also von allen möglichen Zwecken und Zweckmäßigkeiten abstrahiert. 24

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II. Hippel und die bürgerliche Emanzipation der Frauen

II.1. Mündigkeit und Emanzipation der Frauen Hippels Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber knüpft dort an, wo Kants Überlegungen zur Mündigkeit im Aufklärungsaufsatz aufgehört hatten.26 Und gerade dadurch erweist sich Hippel verglichen mit Kant als der konsequentere Rechts- und Emanzipationstheoretiker, der im Bewusstsein der rein rationalen Geltungsgründe des Vernunftrechts jegliche Relativierung seiner Grundsätze durch historisch-soziale oder vermeintlich in der (empirischen) Natur der Frauen angelegte Hindernisse bestreitet.27 Die Schrift ist eine durchgängige Kritik an den zeitgenössischen Vorstellungen über die geistige und soziale Inferiorität der Frauen und ein entschiedenes Plädoyer für ihre umfassende Emanzipation. In dieser Hinsicht ist „Hippels Position für die deutschen Verhältnisse“ einzigartig.28 Hippel bestreitet insbesondere, dass der biologische Geschlechtsunterschied (sexus) in irgendeiner Weise einen Einfluss auf die Geschlechtsidentität bzw. Geschlechterrolle (gender) haben würde; er akzeptiert anders als Kant keine „Absicht der Natur“, die das Geschlechterverhältnis präformieren würde. Er entwickelt – so die Formulierung von Isabel V. Hull in ihrer einschlägigen Studie über Sexuality, State, and Civil Society in Germany 1700 – 1850 – im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse ein „model of sexual irrelevancy“.29 Nach einer kurzen Einführung formuliert Hippel im zweiten Kapitel seiner Schrift die entscheidende Fragestellung: „Gibt es außer dem Unterschiede des Man hat bei der folgenden Passage den Eindruck, als wenn Kants Aufklärungsaufsatz die Vorlage hierfür gewesen wäre. Hippel schreibt zu einem Zeitpunkt, „nachdem es dem männlichen Geschlechte rühmlichst gelungen, die andere Hälfte der menschlichen Schöpfung, welche nach ihrer Bestimmung mit ihm ein Ganzes ausmachen sollte, zu unterjochen und sie an den Menschen- und Bürgerrechten nur bittweise, nur insoweit es seinem Majestätsrechte nicht zu nahe tritt und ihm nicht die Krone abbricht“ (Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber [wie Anm. 5], 38). Dass Hippel kantische Ideen radikalisiert, ist die einhellige Ansicht der Forschungsliteratur, siehe Juliane Jacobi-Dittrich, Einleitung, in: Theodor Gottlieb von Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (Unveränderter Neudruck), Vaduz 1981, IX–L, hier XXIII, XXIX; auch Ursula Pia Jauch betrachtet Hippel als „vorurteilskritisches Korrektiv Kants“, vgl. Ursula Pia Jauch, Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz. Aufklärerische Vorurteilskritik und bürgerliche Geschlechtervormundschaft, Wien 1988, 209 ff. 27 Um keine Missverständnisse aufkommmen zu lassen: Die Rede von Hippels rechtstheoretischer Überlegenheit Kant gegenüber bezieht sich ausschließlich auf seine konsequente Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes, nicht auf seine Rechtsbegründung, die – wie gezeigt – eher unscharf ist. 28 Jacobi-Dittrich, Einleitung (wie Anm. 26), XXVIII. 29 Isabel V. Hull, Sexuality, State, and Civil Society in Germany 1700 – 1850, Ithaca, London 1996, 323 f.: „Hippel made the sexual nature, activity, and status of women as irrelevant to their receiving rights as all other writers had made these matters irrelevant for men.“ 26

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Geschlechts noch andre zwischen Mann und Weib?“ (23). Hippel behandelt dieses Problem zunächst als eine durchaus offene Fragestellung, aber er sieht die Beweislast bei den Verfechtern der Unterlegenheit der Frauen angesiedelt: Haben wir wirklich bereits einen solchen Vorrat von Erfahrungen, daß wir ein System wagen können, nach welchem für eine ganze Hälfte des menschlichen Geschlechtes eine so nachteilige Unterscheidungslinie sicher gezogen werden kann? (37 f.)

Hippel geht im Anschluss an die Problemexposition der Reihe nach die verschiedenen Aspekte der Emanzipationsgegner durch. Eines der antiemanzipatorischen Argumente lautete, dass „das weibliche Geschlecht […] nicht jene hervorragenden Geistesfähigkeiten“ äußert. Aber selbst wenn man dies als Erfahrungstatsache einräumt, folgt daraus nicht der Schluss: „die Natur hat ihm die Anlagen dazu versagt“ (39). Der Grund für die überwiegende Inaktivität der Frauen in Wissenschaften und Künsten liegt nur in den sozialen Verhältnissen; die Unterlegenheit der Frauen ist keine Folge ihrer physischen oder psychischen Natur, sondern einzig und allein sozialhistorisch konstituiert: Fürwahr, es würde eine unerhörte und nach den angenommenen psychologischen Grundsätzen unerklärliche Erscheinung sein, wenn unter dem Drucke des Despotismus das Freiheitsgefühl [der Frauen] nicht endlich seine Spannkraft verlieren [würde]; wenn aus Mangel an Pflege und Wartung der herrlichste Boden nicht verwildern und endlich jeder nützliche Keim ersticken; wenn über den Gedanken von entrissenem Rechte, und daß dieses unwiderbringlich verlorengegangen sei, nicht endlich auch das Andenken an jene Rechte selbst und die demselben entsprechenden Gefühle, der Glaube an sich selbst und an seinen selbständigen Wert verlöschen sollte. (44 f.)

Die von Kant und anderen Autoren vertretene Auffassung einer spezifisch naturbedingten Weiblichkeit und entsprechender Geschlechterrollen hält Hippel für ein ideologisches Konstrukt zur Rechtfertigung männlicher Dominanz: Um alles in der Welt möchten wir die andere Hälfte des menschlichen Geschlechts überreden, nicht wir, sondern die Natur habe sie zurückgesetzt und uns unterworfen; und doch sind wir es, die seine Bedürfnisse erregen und Meinungen herrschend machen, wodurch wir, so wie durch jene Bedürfnisse, den Meister über die schöne Welt spielen. (69)

Dass ein Autor am Ende des 18. Jahrhunderts derartige Positionen vertritt, ist schon für sich genommen erstaunlich. Aber es ist noch erstaunlicher, wenn man in Rechnung stellt, dass Hippel in dieser Hinsicht selbst zu Beginn seiner literarischen Karriere ganz anders gedacht hat. Seine Lebensgeschichte ist in dieser Hinsicht eine Geschichte der theoretischen Radikalisierung seiner Aufklärungs-

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überzeugungen, die Hippel selbst folgendermaßen kommentierte: „Je älter ich werde, je politischer scheine ich auszuarten“.30 Im Jahre 1774 war Hippel mit einer Werbeschrift Über die Ehe an die Öffentlichkeit getreten, in der er sich noch ganz in den antiemanzipatorischen, frauenfeindlichen Bahnen seiner Zeitgenossen bewegt. Im Hinblick auf die Eheherrschaft des Mannes heißt es dort im fünften Kapitel: Den Männern kommt das Regiment zu, und jeder Ehemann ist Justitiarius in seinem Hause. Die Gesetze, nach denen er urteilt, heißen das Hausrecht.

In der vierten Auflage des Ehebuches von 1793 hat der gerade zitierte Eingangssatz des fünften Kapitels eine ganz andere Stoßrichtung erhalten. Nun heißt es: Wenn den Männern die Eheherrschaft im Hause zusteht, so kommt der Frau die Regierung zu; ist der Ehemann Präsident von der Haus-Justiz, so ist sie Polizeipräsident.31

Die Vormundschaft der Väter und Ehemänner hält Hippel in der Bürgerlichen Verbesserung für einen skandalösen Anachronismus: Die Zeiten sind nicht mehr, um das andere Geschlecht überreden zu können, daß eine Vormundschaft wie bisher für dasselbe zuträglich sei, daß sie seinen Zustand behaglicher und sorgloser mache als eine Emanzipation, wodurch es sich mit Verantwortungen, Sorgen, Unruhen und tausend Unbequemlichkeiten des bürgerlichen Lebens belasten würde, die es jetzt kaum den Namen nach zu kennen das Glück hatte. […] Als ob die Freiheit mit allen ihren Ungemächlichkeiten nicht der gemächlichen Sklaverei vorzuziehen wäre. (119)

Man könnte sich immer noch daran stören, dass Hippel die Geschlechterbeziehungen als Verhältnisse der wechselseitigen Beherrschung und Machtausübung beschreibt, aber deutlich wird doch, dass es keine einseitigen Herrschaftsverhältnisse mehr sein können.32

II.2. Die Genealogie der Geschlechterdifferenz Die Ablehnung der Vorstellung einer natürlichen Unterlegenheit des weiblichen Geschlechts führt Hippel im dritten Kapitel seiner Schrift zunächst zu der Frage: „Woher die Überlegenheit des Mannes über die Frau entstanden. Rückblicke auf Zitiert nach Theodor Gottlieb von Hippel, Über die Ehe, hg. von Günter de Bruyn, Berlin 1982, 128 (das Zitat stammt aus Hippels Selbstbiographie von 1790). 31 Theodor Gottlieb von Hippel, Über die Ehe. Vierte viel vermehrte Auflage, Berlin 1793, 114. 32 Der Herausgeber des Ehebuches, Günter de Bruyn, plädiert deshalb bei den Leserinnen auf Nachsicht mit einem Autor, der es fertiggebracht habe, „seine Frauen-Vorurteile, die die seiner Zeit waren, abzuwerfen und mit 50 Jahren zu bekämpfen, was er mit 30 vertreten hat“ (vgl. Hippel, Über die Ehe [wie Anm. 30], 113). Der systematische Vergleich der vier Auflagen des Ehebuches wäre eine noch zu leistende Forschungsaufgabe. 30

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die ältere Zeit.“ Diese Überlegungen zur historisch-sozialen Genealogie der Unterordnung und Unterdrückung der Frauen bzw. zur Geschichte geschlechtsspezifischer Sozialisation und Rollenverständnisse werden im vierten Kapitel weitergeführt. Dort macht Hippel „nähere Angaben, woher die Überlegenheit des Mannes über die Frau entstanden ist. Betreffen neuere Zeit“. Beide Kapitel liefern in deutlicher Anlehnung an Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit eine Genealogie der Geschlechterdifferenz.33 Zwar teilt Hippel nicht die anthropologische Prämisse von Rousseaus Naturzustandskonzeption, wonach der ursprüngliche Zustand derjenige gewesen sei, „wo jedes Individuum, ohne enge Verbindung mit andern seiner Art, in der vollkommensten Unabhängigkeit“ gelebt habe (52). Eine derartige Behauptung in Bezug auf „das geselligste unter allen Tieren“ widerspricht allen Erfahrungen und wird nach Hippel auch durch die zeitgenössischen Entdeckungsfahrten nicht bestätigt: Überall, wo die europäischen Entdecker „hinkamen, waren schon die ersten Umrisse der Gesellschaft gezeichnet, Familienverhältnisse (wenngleich unvollkommen) gegründet und Spuren […] von Kultur und Kunstprodukten vorhanden“ (52 f.). Aber von diesem Punkt abgesehen, verläuft Hippels hypothetische Genealogie durchaus in Analogie zu Rousseau: Während Rousseau die Entstehung der Ungleichheit der Besitzverhältnisse behandelt, fragt Hippel, wie es geschehen konnte, dass die ursprüngliche, natürliche Gleichheit der Geschlechter aufgehoben und sich in ein hierarchisches Verhältnis der Unterordnung der Frauen unter die Befehlsgewalt der Männer verwandeln konnte. Insbesondere die römische Gesetzgebung und ihre Übernahme in Deutschland hat bei der Entrechtung der Frauen eine wesentliche Rolle gespielt. Es ist nicht notwendig, Hippels Beschreibung der verschiedenen Stadien, in denen sich die Entwicklung der Ungleichheit der Geschlechter vollzogen hat, im Einzelnen nachzuzeichnen – seine historische Genealogie ist überholt. Wichtiger ist die Schlussfolgerung, die Hippel aus dieser Entwicklungsgeschichte zieht: Das weibliche Geschlecht kam um die Menschenrechte ohne seine Schuld, bloß durch den Schwung, den die menschlichen Angelegenheiten bei den Fortschritten zu ihrer Kultur nahmen. […] Während die Einsichten des Mannes durch seinen vergrößerten Wirkungskreis sich vermehrten; während daß seine Geschäfte mit der bürgerlichen Gesellschaft einen höheren Schwung nahmen, indem seine Begriffe sich zu generalisieren anfingen, schrumpfte die Seele des Weibes je mehr und mehr in die Grenzen des Haushalts ein. (121, 66)

„Hans Jakob“ wird auch explizit genannt, vgl. Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (wie Anm. 5), 52. Zur Rousseau-Nähe von Hippels genealogischen Überlegungen vgl. auch Kohnen, Theodor Gottlieb von Hippel (wie Anm. 9), 791 ff. 33

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Während Kant sich – wie schon erwähnt – hinsichtlich der politischen Entmündigung an der französischen Verfassung von 1791 orientiert hatte, setzt hier Hippels Kritik an: Staaten, die zum Schutze der Menschenrechte entstanden sind, entziehen ihn der Hälfte ihrer bürgerfähigen Einwohner! […] Die neue Französische Konstitution verdient eine Wiederholung meiner Vorwürfe, weil sie für gut fand, einer ganzen Hälfte der Nation nicht zu gedenken, ob sie gleich einem kleineren Teile derselben, der überall, wo er sich befindet, auf das Duldungsrecht beschränkt ist, die Rechte aktiver Bürger zugestand. Alle Menschen haben gleiche Rechte. – Alle Franzosen, Männer und Weiber, sollten frei und Bürger sein. (48, 121)

Auch Mirabeau, der in seiner postumen Schrift Travail sur lQ8ducation publique „das Frauenzimmer zur Häuslichkeit und zu stillen, sanften Tugenden“ bestimmt habe, wird von Hippel kritisiert (121 f.).34 Dagegen wird der Fall der französischen Frauenrechtlerin Olympe de Gouges (wenngleich nicht namentlich) erwähnt, die im Jahre 1791 eine D8claration des droits de la Femme et de la Citoyenne verfasst hatte. Eins unter ihnen [d. h. eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts] wagte es, ihren Unwillen laut werden zu lassen. In einem an die Nationalversammlung abgelassenen Briefe bemerkt es, daß kein Wort in der Konstitution von den Weibern vorkomme, obgleich die Mütter Bürgerinnen des Staates sein müßten. (123)35

II.3. Hippels Verbesserungsvorschläge Zum Abschluss möchte ich noch auf die umfangreichen Verbesserungsvorschläge eingehen, die Hippel im fünften Kapitel seines Buches vorbringt. Die Erziehung der beiden Geschlechter spielt hier eine entscheidende Rolle, was angesichts der umfassenden Debatten über Erziehung und die zeitgenössischen reformpädagogischen Unternehmen nicht verwunderlich ist. Hippel zitiert in diesem Kapitel wiederholt aus der antiemanzipatorischen Schrift von Ernst Brandes Betrachtun-

Von Hippel unerwähnt bleibt Condorcet, der im Jahre 1790 einen Aufruf Über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht (Sur lQadmission des femmes au droit de cit8, in: Journal de la Soci8t8 de 1789, 3. Juli 1790, 1–13) veröffentlicht hatte. 35 Helene Druskowitz, eine Frauenrechtlerin des späten 19. Jahrhunderts, die mit Nietzsche, den sie persönlich kannte, wegen seiner Verachtung der Frau in Streit geriet, hat vermutet, dass „die Nachricht von den Vorgängen in Frankreich Hippel den ersten Impuls zu der Schrift ,Ueber die bürgerliche Verbesserung der WeiberR gab“, zitiert nach Eric Neiseke, Theodor Gottlieb von Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter. Das Urteil der deutschen Frauenbewegung und dessen Folgen im historischen Kontext, in: Stephan Meder, Arne Duncker, Andrea Czelk, Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Köln, Weimar, Wien 2006, 211–234, hier 220. 34

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gen über das weibliche Geschlecht und dessen Ausbildung im geselligen Leben,36 um dessen Einwände der Reihe nach zu entkräften. Hippel fordert die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen, also Koedukation, die in Deutschland sich erst in den 1770er Jahren durchgesetzt hat, wenigstens bis zum Beginn der Pubertät: Öffnet Männer, der jetzigen weiblichen Jugend je eher je lieber unsere Edukations- und Lehranstalten und erlaubt ihr, an der Erziehung und dem Unterrichte […] teilzunehmen. (144)

Das zentrale Ergebnis der historisch-sozialen Konstitution der Geschlechterdifferenz ist für Hippel der Ausschluss der Frauen von den öffentlichen Tätigkeiten. Alle angeblichen Vorstellungen über die Unfähigkeit der Frauen, im öffentlichen Bereich aktiv werden zu können, erklärt Hippel zum Irrtum. Bei dieser Kritik hat er insbesondere die Beschränkung der Frauen auf unpolitische, nur auf die Familie bezogene Aufgaben im Auge: Wir irren, wenn wir uns überreden, daß die Weiber für die Ehrensache der Menschheit, für den Kampf der Freiheit mit der Alleingewalt, keine Sinne besitzen. (122)

Frauen können in allen öffentlichen Bereichen in Zukunft tätig werden, ja Hippel plädiert geradezu dafür, dass Frauen politisch aktiv werden: „Wahrlich, um sich wieder zu orientieren, sollte man die Weiber zum Staatsdienste vozieren – wozu sie unstreitig einen göttlichen Ruf haben, an dem es den meisten Taugenichtsen von hohen Staatsbeamten ermangelt“ (129). Im Folgenden gebe ich eine kursorische Übersicht über die Tätigkeitsfelder, auf denen Hippel den Frauen den ihnen zukommenden Platz einräumen möchte; dazu gehören Universitäten, Verwaltung und Künste. Frauen sollen auf „Kanzeln und Lehrstühle[n]“ tätig werden, denn dann würde sich zeigen, „ob sie […] nicht ebensogut unsere Überzeugungen zu gewinnen wissen“ (151). Auch die naturwissenschaftlichen Fächer („Physik“ und „Mathematik“) sollten zu einem Tätigkeitsfeld der Frauen werden, hier sollten ihnen die entsprechenden „Lehrstühle“ geöffnet werden (168 f.). Als Vorbild erwähnt Hippel, dass kurz zuvor „in Deutschland ein weiblicher Doktor kreiert“ worden sei, die „Doktor Schlözerin“ (169). Im Gesundheitswesen sollten „weibliche Ärtze“ ausgebildet werden und „Schulen für die Weiber“ mit ernährungswissenschaftlichen Schwerpunkten geschaffen werden, „wo das, was zum Unterhalt und zur Nahrung des Menschen dienen soll, näher geprüft und untersucht wird“ (204). Darüber hinaus kritisiert Hippel die im 18. Jahrhundert voranschreitende Verwissenschaftlichung der Gynäko-

Ernst Brandes, Betrachtungen über das weibliche Geschlecht und dessen Ausbildung im geselligen Leben, 3 Bde., Hannover 1802. 36

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logie37 und die damit verbundene Ausgrenzung der Hebammen, denen das „bloß Mechanische dieser Kunst“ überlassen bleibe, während „das Wissenschaftliche […] den Männern vorbehalten“ würde (205). Wenn bisher die Frauen auf dem Gebiet der Musik keine herausragenden Vertreterinnen, keine „Obermeisterin“ aufweisen könnten, so liege dies nicht an mangelnder Fähigkeit, sondern am fehlenden „Mut“; die „weiblichen Talente für die Musik sind [unbestritten]“ (164). Hippel fordert die Beteiligung der Frauen an der „inneren Staatsverwaltung und Staatshaushaltung“ (190). Diejenigen, die „dem weiblichen Geschlechte die Fähigkeit“ absprechen, „das Ganze zu übersehen, Anordnungen für Königreiche zu treffen, Plane zu umfassen und […] ihre Begriffe bis zum Allgemeinen zu erheben, der verrät wenig Weltkenntnis und schließt von den Geschäften des Details […] auf ihre Fähigkeit“ (191). Dementsprechend verlangt Hippel, dass die „Rechtspflege“ und „Justizverwaltung“ aufhören sollte, „ein Monopol einer besonderen besoldeten Männerklasse zu sein“ (194). Schließlich haben die Frauen ihre Befähigung „in der Stadt- und Landwirtschaft“ schon zur Genüge unter Beweis gestellt, weshalb Hippel erklärt: „Fast möchtQ ich sagen, die Ökonomie sei weiblichen Geschlechts“ (ebd.). Es überrascht nicht, dass Hippels Plädoyer für Mündigkeit und Emanzipation der Frauen und seine weitreichenden Vorschläge zur ,bürgerlichen Verbesserung der WeiberR bei den Zeitgenossen wenig Anklang gefunden hat. Neben der Vermutung, der Autor habe alles, was er pro mulieres schreibt, nur satirisch gemeint, stießen sich die Zeitgenossen am scheinbar utopischen Charakter der hippelschen Forderungen. Die Rezension des Verbesserungsbuches in der Allgemeinen Literatur-Zeitung macht deutlich, wie wenig die gebildete Öffentlichkeit bereit war, sich auf Hippels Argumentation einzulassen. Der anonyme Rezensent beklagt zunächst Hippels Stil. Sein Vortrag ist so seltsam, so dunkel und gedehnt, und regellos, voll Anspielungen, Abschweifungen und fremdartiger Einmischungen, wovon immer eine in die andere sich verliert, daß nicht selten der Zusammenhang ganz verschwindet, und daß man die fast unsichtbaren Faden, die das Räsonnement, oder richtiger die Phantasien des Verf. verbindet, auffinden kann.38 Vgl. hierzu Marita Metz-Becker, Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauen in den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, New York 1997. 38 Allgemeine Literatur-Zeitung, No. 387 vom 11. Dez. 1794, Sp. 537–544, hier Sp. 538. Ähnlich lautet die Einschätzung von Juliane Jacobi-Dittrich, Einleitung (wie Anm. 26), XIf.: „Die literarische Form der Schrift ,Über die bürgerliche Verbesserung der WeiberR ist vor allem geprägt durch die Abwechslung zwischen scharf pointierter Argumentation und langwierigen Abschweifungen, nach denen sich der Autor selbst wieder versichern muß, daß er den Faden nicht verloren hat: Der Faden, das ist die Forderung nach der Einlösung der großen Idee des aufklärerischen Zeitalters, der Befreiung aller Menschen aus Unmündigkeit. Durchsetzt von einer Unzahl historischer, literarischer und aktueller Anspielungen, die für den Leser des zwanzigsten Jahrhunderts mit seiner beschränkten Bildung oftmals nur schwer zu entschlüsseln sind, voller Witz und Ironie, ist 37

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Dieser Stilkritik wird man gerne zustimmen,39 aber den Intentionen Hippels begegnet der Rezensent mit völligem Unverständnis. Seine Einwände machen nämlich deutlich, dass er zwischen einer normativen und deskriptiven Ebene der Argumentation nicht zu unterscheiden vermag. So beklagt er, in Hippels Schrift sei „nichts häufiger, als Behauptungen, die so sehr gegen alle Erfahrung streiten, Paradoxen, die so ungeheuer, Vorschläge, die so ganz unausführbar und chimärisch sind, daß man sie schwer mit den übrigen so hellen Blicken, den Einsichten, der Menschenkenntniß und Beurtheilungskraft des Vf. reimen kann“. Wenn Hippel bestreitet, dass es „außer dem Unterschiede der Geschlechter […] zwischen Mann und Weib“ keine anderen relevanten Unterschiede gebe, dann beklagt der Rezensent erneut, dass Hippel diese Frage „trotz aller dawiderstreitenden Erfahrung […] keck und kühn mit Nein!“ beantwortet habe.40 Hat Hippel selbst geglaubt, dass seine Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden könnten? Hippel ist sich selbstverständlich über die Widerstände gegen seine Vorschläge im Klaren: „Es ist natürlich, wenn der Wille sich da sträubt, wo die Vernunft so viele Steine des Anstoßes und Felsen des Ärgernisses findet“ (48). Und er betrachtet es als „ewig schade um alle die Fortschritte, die durch jene männliche Grausamkeit gehemmet werden! Welch ein Stoff muß im anderen Geschlechte liegen, da er allen diesen Hindernissen noch bis jetzt so stattlichen Widerstand leistete!“ (ebd.).

III. Die bürgerliche Gesellschaft als Rahmenbedingung weiblicher Emanzipation Bisher habe ich vor allem die emanzipatorischen Aspekte von Hippels Bürgerlicher Verbesserung behandelt. Ich möchte zum Abschluss aber deutlich machen, dass Hippels Emanzipationsforderungen im Rahmen eines aufgeklärten bürgerlichen Selbstverständnisses verbleiben. Das bedeutet zum einen, dass die von Hippel intendierte Emanzipation der Frau im wahrsten Sinne des Wortes eine „bürgerliche Verbesserung“ ist, d. h. sie setzt die entstehende kommerzielle Geselldiese Schrift ein Zeugnis für die immense Gelehrtheit ihres Autors, einem Manne, der kein Berufsgelehrter war.“ 39 Wenngleich es in der Forschungsliteratur auch entgegengesetzte Stimmen gibt. So erklärt Cornelia Honegger, dass Hippels Bürgerliche Verbesserung der Weiber „bei allen humoristischen Einsprengseln und launigen Nebengleisen durchaus systematisch aufgebaut“ sei, vgl. Honegger, Die Ordnung der Geschlechter (wie Anm. 19), 85 f. 40 Allgemeine Literatur-Zeitung (wie Anm. 38), Sp. 537–539. Weitere Belege für die ablehnende Rezeption des Verbesserungsbuches bei Anke Lindemann-Stark, „Die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich“ (wie Anm. 8), 290–292. Zur Rezeption der hippelschen Schrift in der späteren deutschen Frauenbewegung vgl. Neiseke, Theodor Gottlieb von Hippel (wie Anm. 35), 211.

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schaft als soziale Grundlage voraus. Hippels Parole lautet: Emanzipation innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, damit die Frauen ihren natürlichen, d. h. bürgerlichen Beruf umso besser erfüllen können: Solange die Weiber bloß Privilegia und nicht Rechte haben; solange der Staat sie nur wie parasitische Pflanzen behandelt, die ihr bürgerliches Dasein und ihren Wert nur dem Manne verdanken, mit welchem das Schicksal sie paarte - wird nicht das Weib den großen Beruf der Natur: das Weib ihres Mannes, die Mutter ihrer Kinder und […] eine Bürgerin und nicht bloß eine Schutzverwandtin des Staates zu sein, nur immer sehr unvollkommen, und je länger je unvollkommener, erfüllen. (45)

Es ist die Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen innerhalb der frühbürgerlichen Gesellschaft, deren Bestand und Berechtigung von Hippel nicht in Frage gestellt wird. Ohne Emanzipation können die Frauen ihre angeblich natürliche Aufgabe bzw. den „großen Beruf der Natur“ nicht erfüllen. Das Muster dieser Kritik war in der Aufklärungsphilosophie weit verbreitet, indem im Namen des Natürlichen die bestehenden Verhältnisse des Ancien R8gimes kritisiert wurden. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings die Naturalisierung und Sanktionierung der bürgerlichen Verhältnisse. Die Institutionen, mit denen die Staatsgewalt die Geschlechterverhältnisse verfestigt und ihren Interessen gemäß verwaltet – also Ehe und Familie – werden von Hippel anerkannt. Darüber hinaus lässt Hippels radikalemanzipatorisches Programm weitere Fragen offen. Der erste Punkt betrifft Hippels Ausblendung der unmittelbaren Geschlechterverhältnisse. Schon der Herausgeber der Bürgerlichen Verbesserung der Weiber, Ralph-Rainer Wuthenow, hatte in seinem Nachwort darauf hingewiesen, dass „sexuelle Gleichberechtigung“ für Hippel kein Thema war.41 Noch auffälliger ist allerdings, dass Hippel die sexuellen und psychologischen Aspekte der Geschlechterverhältnisse insgesamt ausblendet: Weder die Liebe noch die sexuelle Lust oder andere Aspekte der Sexualität oder der Partnerbeziehungen finden Erwähnung. Das ist umso erstaunlicher, als angesichts der von Hippel propagierten Emanzipation der Frauen in Bezug auf Ausbildung und Beruf das Argument, das er selbst als entscheidend für die Eheschliessung betrachtet hat, wenn nicht aufgehoben, so doch stark relativiert wird: die Funktion der Ehe als eine Art Versorgungsanstalt für Frauen. In dem Maße, wie Frauen durch Berufsarbeit ökonomisch unabhängig werden, verliert die Ehe ihren Charakter als ausschließliche Form, in der Frauen in einer Gesellschaft reproduzieren und sozial interagieren können. Dieser blinde Fleck der hippelschen Ausführungen hängt vermutlich damit zusammen, dass er der Auffassung war, sich hierüber – ebenfalls anonym – in seiner Abhandlung Über die Ehe hinreichend ausgelassen zu haben. Andererseits spielen die religiöse Sanktion der Ehe sowie die entsprechende Legitimation der Unterordnung der Frau in Ehe und Familie bei Hippel keinerlei Rolle. 41

Wuthenow, Nachwort (wie Anm. 5), 270.

Aufklärung und Emanzipation

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Der andere Kritikpunkt betrifft Hippels Adressatenperspektive: Hippels Bürgerliche Verbesserung der Weiber ist ein ,Frauen-BuchR, das im Grunde genommen nur Männer als Adressaten kennt. Es ist ein Buch über Frauen von einem Mann, adressiert an andere Männer. Zwar will Hippel seine Bürgerliche Verbesserung sehr wohl als ,AufmunterungR der Frauen verstanden wissen, sich die „Erlösung [von der bestehenden Entrechtung] zu verdienen“,42 aber seine Schrift soll keineswegs den Frauen „Heerführerdienste“ leisten. In dieser Hinsicht schreibt Hippel gegen seinen Willen die Geschichte der Unmündigkeit der Frauen fort: Die Emanzipation der Frauen ist aus dieser Perspektive Männersache. Das kommt auch in den fortwährenden Appellen Hippels an die Männer zum Ausdruck: Männer sollen sich aufklären, ihre Vorurteile aufgeben, den Frauen den ihnen zukommenden Platz einräumen, die Hürden für die Emanzipation der Frauen abbauen usw. Die Frauen selbst spielen im Hinblick auf ihre „bürgerliche Verbesserung“ keine Rolle, jedenfalls keine aktive, sie sind nicht dazu aufgerufen, ihre Emanzipation selbst in die Hand zu nehmen, sondern sie bleiben Objekte männlicher Politik sowie gönnerhafter Betreuung und sollen sich die „Erlösung“ von ihrer Knechtschaft erst „verdienen“. Hierin zeigen sich die Schranken der aufklärerischen Emanzipationsbewegung vielleicht am deutlichsten: Selbst dort, wo aufgeklärte Verhältnisse durchgesetzt werden sollen, bleiben die entmündigten und unterdrückten Frauen abhängig vom guten, aufgeklärten Willen der Männer. Der Kampf um die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei bietet ein ähnliches Bild - wie die Frauen sind auch Sklaven in erster Linie Betreuungsobjekte der „bürgerlichen Verbesserung“ durch Männer.43 Mit dem Konzept der Aufklärung ist neben dem Kampf gegen religiöse Vorurteile und rechtliche Standesprivilegien die Forderung nach Emanzipation oder – mit Kant gesprochen – des „Ausgangs aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ verknüpft. Über die Reichweite bzw. Grenzen der Emanzipation gab es allerdings schon im Zeitalter der Aufklärung intensive Debatten und Kontroversen. Einer dieser Kampfplätze der Emanzipationsforderungen war die Frage der Gleichberechtigung der Frauen. Nahezu zeitgleich mit den vergleichbaren Emanzipationskonzepten in Frankreich und England (Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft) entwickelt Theodor Gottlieb (von) Hippel, der Freund und Tischgenosse Kants und zugleich hoher preußischer Beamter, in seinem Werk Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber von 1792 das radikale Projekt einer vollständigen Emanzipation der Frauen. Mit dem Titel seines Buches knüpft Hippel an die Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (wie Anm. 5), 18: „Ich legQ es so wenig darauf an, das andere Geschlecht Knall auf Fall von seiner Sklaverei zu befreien, daß ich mich vielmehr begnüge, es aufzumuntern, diese Erlösung zu verdienen.“ 43 Hier gibt es mindestens eine Ausnahme. Condorcet wendet sich in seinen R8flexions sur lQesclavage des nHgres mit einer Pp%tre d8dicatoire, aux NHgres esclaves (Neuch.tel 1781) direkt an die Opfer der Sklaverei. Allerdings propagiert er im weiteren Verlauf seiner R8flexions die schrittweise Abschaffung der Sklaverei. 42

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einige Jahre zuvor erschienene Schrift von Christian Wilhelm Dohm über Die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) an und stellt sich damit zugleich in den emanzipatorischen Kontext der Aufklärung. In seiner historisch-genealogischen Analyse über die Entstehung der Ungleichheit der Geschlechter zeigt Hippel, dass diese Entwicklung in erster Linie auf das Betreiben der Männer zurückgeht und ihren Interessen dient. Die Rechtlosigkeit der Frauen und ihre Reduzierung auf das traditionelle Feld angeblich spezifischer weiblicher Aufgaben ist Resultat eines langen Prozesses der Entmündigung. Hippel bestreitet dagegen, dass die biologische Geschlechterdifferenz irgendeine Relevanz für die Rolle der Frauen im öffentlichen Leben haben sollte: Alles, was Männer tun können, kann auch von Frauen geleistet werden. Deshalb muss den Frauen der Zugang zu allen möglichen beruflichen und politischen Positionen ermöglicht werden. In addition to the struggle against religious prejudices and state-instituted class privileges, the concept of the Enlightenment is connected to the demand for emancipation or – as Kant said – the „emergence from self-incurred immaturity“. However, already in the age of the Enlightenment, there were intense debates and controversies about the scope and limits of emancipation. One of the battlegrounds over the demands of emancipation was the question of equality for women. At nearly the same time that comparable conceptions of emancipation were developing in France and England (Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft), Theodor Gottlieb (von) Hippel, friend and regular dinner guest of KantQs, and a high Prussian official, developed a radical project for the complete emancipation of women in his 1792 work On the Civil Improvement of Women (Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber). With this title, Hippel ties his book to a text by Christian Wilhelm Dohm, The Civil Improvement of the Jews (Die bürgerliche Verbesserung der Juden), which was published a few years earlier (1781), and thereby places himself within the emancipatory context of the Enlightenment. In his historical-genealogical analysis of the origin of the inequality of the sexes, Hippel shows that this development is primarily due to the actions of men that serve their interests. The lack of rights of women and their reduction to the traditional realm of supposedly female-specific tasks is the result of a long process of legal incapacitation. Consequently, Hippel disputes the claim that biological differences between the sexes should have any relevance regarding the role of women in public life. He holds that women can do anything that men can do. Therefore, women must be given access to all possible professional and political positions. apl. Prof. Dr. Dieter Hüning, Universität Trier, FB I: Philosophie, Kant-Forschungsstelle, D-54286 Trier, Email: [email protected]

Miriam Wallraven „O! My Unenlightened Country-Women!“ Education and Enlightenment in Theoretical Feminist Texts of the 1790s

I. Education and the Enlightened Woman in the 1790s Influenced by the intellectual climate of the French Revolution, the 1790s in Britain occupy a central place in the history of the development of Enlightenment ideas as well as in the (r)evolution of feminist theory.1 In this age of calls for reforms and social change, demands for womenQs enlightened education as well as a new social and discursive position are voiced – demands that unfold within a matrix of beliefs about womenQs abilities, capacities, and the nature and value of femininity. Hence, situated between the feminist Enlightenment and the Anti-Jacobin backlash that affected the reception of feminist demands for equality, Mary Wollstonecraft as well as Mary Hays and Mary Robinson (who refer to themselves as belonging to the „school“ of Wollstonecraft)2 became influential authors of feminist treatises demanding an education that would enlighten women.

Feminism has to be regarded in its historical dimension since the term itself was only used in Britain from the 1890s onwards, as Gary Kelly states: „,FeminismR in the modern sense – advocacy of the rights or claims of women – did not come into the English language until the campaign for womenQs electoral rights in the 1890s, but it can be argued that there were feminisms in Britain before then, such as Renaissance feminism, seventeenth-century court and anti-court feminism, mid-eighteenth century Bluestocking feminism, and feminisms within cultural movements such as Sensibility and Evangelicalism“ (Gary Kelly, Revolutionary Feminism. The Mind and Career of Mary Wollstonecraft, Basingstoke 1996, 1 f.). 2 The campaign to enlighten women in order to achieve equality unites Wollstonecraft, Hays, and Robinson. In her Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination, Robinson writes about the „school“ of Wollstonecraft and states: „For it requires a legion of Wollstonecrafts to undermine the poisons of prejudice and malevolence“ (Mary Robinson [Anne Frances Randall], A Letter to the Women of England on the Injustice of Mental Subordination with Anecdotes, in: Sharon M. Setzer (ed.), A Letter to the Women of England and The Natural Daughter, Toronto 2003, 39–88, here 41). Hays likewise refers to WollstonecraftQs Vindication in her „Ad1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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The debates about womenQs education in the 1790s do not only discuss the abilities and potential of women, but, as I will show, particularly at this time the contested issue of the enlightened womanQs position in society becomes a crucial concern. The fact that this issue is central in the debates of the time can be highlighted by two questions that appear in recent research. These apparently different questions raise the issue of enlightened womenQs position in society from two angles. The first is the perspective of male thinkers and authors. Barbara Taylor justly emphasises the existence of serious problems that „men of enlightened views“3 encounter and writes: „How to encourage the spread of Enlightenment values while keeping at bay the Enlightenment Woman, the freethinking, independent femme philosophe?“4 The terminology utilised here – „keeping at bay“ – suggests that Enlightenment debates as such have to negotiate the figure of the enlightened woman and her place in society. Of course, the three authors who are discussed here emphatically emphasise the impossibility of „keeping at bay“ those women which they themselves embody but which they also want to foster by demanding education for all women. The second question is raised from womenQs perspective and I likewise read it as a question concerning position. As will be seen, all feminist authors struggle with the definitions – which are in effect positionings – of the woman who would be educated according to enlightenment principles of rationality, independence, and mental and bodily strength. Hence, particularly Wollstonecraft has to deal with the notion of the „masculine woman“,5 and in this context Sarah Knott and Barbara Taylor justly ask: „If Enlightenment philosophy was ,masculineR – as many modern critics would characterize it and she [Wollstonecraft] denominated it – why would a feminist identify with it?“6 As will be shown, all the texts discussed below revolve around questions such as: What are women? What are the characteristics of the enlightened woman? How can such an enlightened education be conceptualised? And where is the position of the enlightened woman? vertisement to the Reader“: Mary Hays, Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women, ed. by Gina Luria, New York 1974, n. pag. 3 Barbara Taylor, Feminists Versus Gallants. Sexual Manners and Morals in Enlightenment Britain, in: Sarah Knott, Barbara Taylor (eds.), Women, Gender and Enlightenment, Basingstoke 2005, 30–52, here 41. 4 Taylor, Feminists Versus Gallants (see note 3), 42. 5 „For Enlightenment to triumph, women too must become enlightened, abandoning false femininity for the ,practical virtuesR of rationality, independence, self-reliance: merits that Wollstonecraft sometimes labels – to the dismay of present-day readers – as ,manlyR, an adjective that in the eighteenth century, when manliness was virtually synonymous with personal strength, has more universal application than today“ (Taylor, Feminists versus Gallants [see note 3], 45). 6 Sarah Knott, Barbara Taylor, General Introduction, in: Knott, Taylor (eds.), Women (see note 3), xv–xxi, here xv.

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These contested issues come to the fore in the 1790s due to the inherent contradictions caused by the political and philosophical changes of the time. First, as Ina Schabert argues, in the eighteenth century the binary gender order solidified in so far as the two-sex model came to regard women and men as total opposites. In this vein, the biological differences of the sexes are regarded as absolute und unchangeable and are therefore employed for defining the character of each sex.7 Whereas at the beginning of the Enlightenment, the mental capacities of men and women were often regarded as equal („the mind has no sex“)8 while the definitions of bodily characteristics might or might not include general differences, those definitions solidified particularly after the Anti-Jacobin backlash. Thus, Mlnica Bolufer Peruga justly states that „WomenQs education, their access to learning, and what uses they should make of their reason, were intensely controversial subjects in eighteenth-century Europe“,9 since womenQs education was regarded as central to the progress of civilisation and social reform.10 Enlightenment debates concerning women were particularly fraught with such ambiguities, since, as MichHle Cohen writes, „it was possible to argue simultaneously for an absence of gender differences in mental capacity, which made womenQs equal education possible, and for the presence of gender differences which could potentially entrench existing inequalities“.11The emphasis on mental equality between the sexes was threatened not only by the emerging binary gender order but also by a massive backlash in reaction to the French Revolution. One product of this is the well-known poem The UnsexQd Females (1800) by Richard Polwhele which presents the Enlightenment feminist as unnatural and in which not only Wollstonecraft (who was already dead by the time) is slandered as unfeminine and thus scandalous, but likewise Hays and Robinson. This text clearly prescribes feminine gender roles and presents the enlightened woman of reason, and even more so the Enlightenment feminist, as unnatural: Survey with me, what neQer our fathers saw, A female band despising NATUREQs law, As ,proud defianceR flashes from their arms, Ina Schabert, Englische Literaturgeschichte. Eine neue Darstellung aus der Sicht der Geschlechterforschung, Stuttgart 1997, 336. 8 Francois Poullain de la Barre, On the Equality of the Two Sexes, in: Marcelle Maistre Welch (ed.), Three Cartesian Feminist Treatises, Chicago 2002, 49–121, here 82. See also Ina SchabertQs contribution in this volume. 9 Mlnica Bolufer Peruga, Gender and the Reasoning Mind. Introduction, in: Knott, Taylor (eds.), Women (see note 3), 189–194, here 189. 10 Compare Knott and Taylor who elucidate „the centrality of woman to the civilization paradigm“; Knott, Taylor, General Introduction, in: Knott, Taylor (eds.), Women (see note 3), xviii. 11 MichHle Cohen, ,To Think, to Compare, to Combine, to MethodiseR. GirlsQ Education in Enlightenment Britain, in: Knott, Taylor (eds.), Women (see note 3), 224–242, here 234. 7

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And vengeance smothers all their softer charms. I shudder at the new unpicturQd scene, Where unsexQd woman vaunts the imperious mien.12

Wollstonecraft in particular, clearly regarded as the ringleader of the „unsexQd women“, is described as dangerously unnatural by violating femininity: See Wollstonecraft, whom no decorum checks, Arise, the intrepid champion of her sex; OQer humbled man assert the sovereign claim, And slight the timid blush of virgin fame.13

The violation of sex and gender – which are of course not distinguished by Polwhele – are highlighted: neither decorum as designating proper gendered behaviour nor the blush as feminine nature hold Wollstonecraft back from highly improper behaviour. Robinson and Hays are not spared either; one line reads „And flippant HAYS assumQd a cynic leer“14 while the explanatory footnotes say that „she is evidently a Wollstonecraftian“.15 Those feminist women authors are all unnatural because they invert the gender order („OQer humbled man assert the sovereign claim“) and are thus exceptional; exceptions from ,normalQ women who are connoted negatively and therefore deserve to be ridiculed. Without doubt, this poem attempts to present the feminist woman, the woman author, and the educated woman in general as abnormal, as unnatural, and thus as having no legitimate place in society. In the following, I will analyse WollstonecraftQs A Vindication of the Rights of Woman (1792), HaysQs Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women (1798) and RobinsonQs A Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination (1799) as sites of resistance to this gendered status quo. I will show how these authors first conceptualise woman as both a sexed and gendered category, thus contributing to the ongoing debates about nature and education, and second how they voice their demands for a new form of education. Third, I will analyse how educational concepts are deployed to produce enlightened women who can occupy their places as rational citizens to further the progress of civilisation. Finally, it will be argued that what is at stake here is nothing less than the envisioning of a completely different image of femininity which necessitates a new place, role, and thus participation in society. By employing Yuri LotmanQs theories of the semiotic sphere in combination with Christine BattersbyQs arguments on gender and genius, I will show how WollRichard Polwhele, The UnsexQd Female; a Poem, addressed to the Authors of the Pursuits of Literature, New York 1800, 7 f. 13 Ibid., 16. 14 Ibid., 25. 15 Ibid. 12

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stonecraft, Hays, and Robinson want to enlighten woman by means of a different education to pave the way from her position of ,OutsiderR who is not heard in the centre of the semiosphere to the position of the ,OtherR, a more productive place on the periphery, and finally to the centre of the semiosphere where meaningful and socially influential discourses come into existence. Read in this way, these feminist treatises propagate new conceptions of femininity: since enlightened education is the key for equality, it also creates new positions and self-positionings for enlightened women that revalue their importance in society. II. „The Periphery Is Brightly Coloured“: Approaches at Reading the Woman Who Has Received an Enlightened Education – Other, Outsider, Genius? In his model of the semiotic space, Yuri Lotman proposes the existence of a ,semiosphereR in which language, discourses as well as cultural productions emerge and which can therefore be conceived as both the prerequisite for and the outcome of any culture. As a whole, it consists of a centre, a periphery with a shifting boundary, as well as an outside. Lotman argues that „The world-picture created in this way will be perceived by its contemporaries as reality. Indeed, it will be their reality to the extent that they have accepted the laws of that semiotics“. In order for it to appear stable, the centre has to control „the threat of too much diversity“. In this vein, he explains that „whole layers of cultural phenomena, which from the point of view of the given metalanguage are marginal, will have no relation to the idealized portrait of that culture. They will be declared to be ,non-existentR.“ What, then, happens outside the semiosphere? Lotman states that there cannot be any language or communication – at least, it is necessary to add, not a communication that is heard from within. Hence, while cultural norms and dominant discourses come into existence in the centre and are disseminated from there through the whole semiosphere, contrary systems of meaning – often indeed „declared to be ,non-existentR“ – exist in the periphery. Moreover, there is always the danger of being positioned as fully outside the semiosphere, and Lotman illuminates these mechanisms by asking: Where does this inexhaustible supply of ,unknownR and ,forgottenR figures come from? They are writers who in their time were classed as ,non-existentR and who were ignored by scholarship as long as its point of view coincided with a normative view of the period. But points of view change and ,unknownsR suddenly occur.16

16

Cf. Yuri Lotman, Universe of the Mind. A Semiotic Theory of Culture, London 1990, 124–129.

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Hence, for the feminist woman author occupying a position in the centre has almost been impossible at any time in a patriarchal culture. It is important to see that, stable and normative as the semiosphere might appear, the movement of cultural innovation takes place from the margins into the centre.17 Lotman emphasises that genres in art are more revolutionary in the periphery: „The periphery is brightly coloured and marked, whereas the nucleus is ,normalR, i. e. lacking in colour or scent, it ,simply existsR“.18 Hence, innovations from the periphery have the capacity to change political orders, philosophical arguments, and thus the „world picture“ created and upheld in the centre.19 Where does this place the enlightened woman and woman author? Reading Lotman together with more feminist critical approaches can prove fruitful in order to determine the feminist negotiations taking place in the 1790s. In her seminal book Gender and Genius, Christine Battersby traces the gendered notion of genius through the ages, beginning with its association with male generative power: „Thus, the English term ,geniusR was as associated with male sexual and generative powers as the Latin genius, which originally means ,the begetting spirit of the family embodied in the paterfamiliasR“.20 While different meanings of genius pertained at different times, women were always excluded from this tradition, as Battersby shows in detail in her study. How, then, can a woman position herself as genius? Where is her place in the semiosphere? Battersby also considers the issue of position: a „female genius“ is „a woman who is judged to occupy a strategic position in the matrilineal and patrilineal patterns of tradition that make up culture“.21 Occupying a strategic position, as we will see with Wollstonecraft, Hays, and Robinson, means moving – or rather writing – the enlightened feminist woman closer to the centre. Battersby makes a useful distinction between what would be a position outside of the semiosphere and one on the periphery. First, there is the category of „Others“: „those who, because of our racist and sexist paradigms of normal humanity, get viewed as not-quite-human“ and second, of the „Outsiders“, „those who are viewed as fully-human but not-quite-normal. Under this category come ,feminineR males, genius males, crazy males, degenerate males, shamanistic males … even pseudo-males (cf. LomborosoQs ,the women of genius are menR)“.22 Concerning the evaluations by art critics, Battersby convincingly argues that usually 17 18 19 20 21 22

Cf. ibid., 134–136. Ibid., 141. Cf. ibid., 129. Christine Battersby, Gender and Genius. Towards a Feminist Aesthetics, London 1989, 38. Ibid., 226. Cf. ibid., 199.

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„Other“ is used as a term for female artists whereas „Outsider“ is the norm for male innovative artists.23

III. „Till They Become Enlightened Citizens“: WomenQs Education and Enlightenment in Mary WollstonecraftQs A Vindication of the Rights of Woman (1792) AVindication of the Rights of Woman: With Structures on Moral and Political Subjects, which Wollstonecraft presents as a „treatise […] on female rights and manners“,24 has to be situated in the context of the revolutionary debate about human rights and equality. In this text, she exposes a faulty system of female education and menQs mistaken notions of women, which lead to the degradation of women who are prohibited from realising their potential. This turns out to be not only harmful to themselves and their husbands, but also to their children and, as a consequence, to the whole of society. Following this line of argumentation, she demands the same education for both sexes as well as the opportunity to access the public sphere and to lead a civil existence – clearly demands that aim at womenQs full participation in society and their visibility in the centre of the semiosphere. Overall, she establishes a theory of an egalitarian society and of equal – namely non gender-specific – human rights. Equal enlightened education, Wollstonecraft argues throughout her treatise, leads to and in turn requires equal rights. In concrete terms, Wollstonecraft hence calls for political representation for women, access to university education, and demands occupations for women both in order to render them independent and esteemed members of society and to free women from the confinements of „femininity“.25 WollstonecraftQs famous programmatic statement „It is time to effect a revolution in female manners – time to restore their lost dignity – and make them, as a part of the human species, labour by reforming themselves to reform the world“26 indicates that WollstonecraftQs aim consists in fusing the discussions prevalent in the conduct books. She combines matters of womenQs education that are mostly treated as private concerns, since women are clearly relegated to the private sphere, with a public and political feminist call to action redefining womenQs place in society as occupying both the private and the public sphere: as enlightened citizens who can „reform the world“. A lot is at stake according to Wollstonecraft: Cf. ibid., 203. Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights of Woman, ed. by Miriam Brody, Harmondsworth 1992, 79. 25 Cf. ibid., 265–268. 26 Ibid., 133. 23

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women without education are a threat to society. Thus, she repeatedly states that uneducated women are childlike and frivolous,27 that „women in particular, are rendered weak and wretched by a variety of concurring causes“ and that „[t]he conduct and manners of women, in fact, evidently prove that they are not in a healthy state“, which she explains by a „false system of education“.28 Above all, she warns that „till women are more rationally educated, the progress of human virtue and improvement in knowledge must receive continual checks“,29 thus granting them a crucial role within society and for civilisation as a whole. Whereas it becomes apparent that Wollstonecraft severely criticises the men that she addresses, this does not automatically imply that she approves of women. On the contrary, WollstonecraftQs text displays strikingly negative depictions of women. One explicit instance of criticising women is WollstonecraftQs accusation that „the only way women can rise in the world [is] – by marriage. And this desire making mere animals of them, when they marry they act as such children may be expected to act – they dress, they paint, and nickname GodQs creatures“.30 WollstonecraftQs negative depiction of women has resulted in a debate on „feminist misogyny“.31 The women whom Wollstonecraft attacks, however, as Barbara Taylor specifies in her response to Susan Gubar, belong to a specific group, which is the „wealthy landed elite“ and more specifically the „eroticized lady of fashion“.32 They are set in contrast to the woman who is educated in an enlightened way. What does being enlightened mean for Wollstonecraft? In Vindication, she often utilises the term to critically negotiate an ideal state of humanity that stands in contrast to the current morals and manners, particularly as far as women are concerned. Enlightened women make good mothers, she argues, and this is one Cf. ibid., 100, 120. Cf. ibid., 79. 29 Ibid., 127. 30 Ibid., 83. 31 Susan Gubar, Feminist Misogyny. Mary Wollstonecraft and the Paradox of ,It Takes One to Know OneR, in: Feminist Studies 20 (1994), 452–473, here 454. Susan Gubar argues that although WollstonecraftQs devaluations of the feminine are uttered in the context of WollstonecraftQs innovative analysis of the social construction of gender, it is particularly the most oppressed human beings, namely women, towards whom she shows pronounced antipathy (457). In this context, she writes that „Repeatedly, Wollstonecraft associates the feminine with weakness, childishness, deceitfulness, cunning, superficiality, an overevaluation of love, frivolity, dilettantism, irrationality, flattery, servility, prostitution, coquetery, sentimentality, ignorance, indolence, slavish conformity, fickle passion, despotism, bigotry, and a ,spaniel-like affectionR. The feminine principle, so defined, threatens – like a virus – to contaminate and destroy men and their culture“ (456). Indeed women who have received the wrong kind of education or none at all can be a danger, Wollstonecraft argues, precisely because their importance for society and civilisation is so high. 32 Barbara Taylor, Misogyny and Feminism. The Case of Mary Wollstonecraft, in: Constellations 6 (1999), 499–512, here 502 and 505. 27

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of the instances where Wollstonecraft clearly highlights the importance of enlightened education for society: Woman, however, a slave in every situation to prejudice, seldom exerts enlightened maternal affection; for she either neglects her children, or spoils them by improper indulgence. Besides, the affection of some women for their children is, as I have before termed it, frequently very brutish; for it eradicates every spark of humanity.33

Wollstonecraft distinguishes between different kinds of affection and essentially contrasts „brutish“ affection with a form of affection that is „enlightened“. Since humanity has to be differentiated from the „brutes“, education and enlightened consciousness are here presented as establishing and upholding this difference which defines the boundaries of the species and determines the parameters of being human. Enlightenment, however, is not restricted to motherhood, womenQs alleged primary sphere, since Wollstonecraft regards the position of women in society and for civilisation as much more encompassing, as the following quote elucidates: If marriage be the cement of society, mankind should all be educated after the same model, or the intercourse of the sexes will never deserve the name of fellowship, nor will women ever fulfil the peculiar duties of their sex, till they become enlightened citizens, till they become free, by being enabled to earn their own subsistence, independent of men; in the same manner, I mean, to prevent misconstruction, as one man is independent of another. Nay, marriage will never be held sacred till women by being brought up with men, are prepared to be their companions, rather than their mistresses; for the mean doublings of cunning will ever render them contemptible, whilst oppression renders them timid. So convinced am I of this truth, that I will venture to predict, that virtue will never prevail in society till the virtues of both sexes are founded on reason; and, till the affection common to both are allowed to gain their due strength by the discharge of mutual duties.34

According to Wollstonecraft, equal education will help women to fulfil gender specific roles better; while they will also be independent of men (for instance on an economic level), at the same time women will be better wives and „hold marriage more sacred“, and „virtue will prevail in society“ (we know that WollstonecraftQs complex conceptions of morals and manners for both sexes are included in the word „virtue“). In order to make all this happen, women have to „become enlightened citizens“ by means of education and „the virtues of both sexes have to be founded on reason“, which means that equal enlightened education is presented as the key to remedy social ills. Women are thus presented as central for the civilization paradigm while motherhood, the „duty of the sex“, and being a political citizen are connected in WollstonecraftQs argumentation. While Woll33 34

Wollstonecraft, A Vindication (see note 24), 271. Ibid., 289.

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stonecraft never ceases to emphasise womenQs ,natureR as mothers, she creates a hierarchy of female duties: „speaking of women at large, their first duty is to find themselves as rational creatures, and the next, in point of importance, as citizens, is that, which includes so many, of a mother“.35 Equality is highlighted here by drawing on the enlightenment ideal of the „rational creature“. Below that she situates the duty as citizen with political implications, and only then can we find the sex-specific duty as mother which thus becomes part of her role as citizen. Being a citizen clearly means occupying a position in the centre of the semiosphere and participating in society, culture, and politics. As I have shown elsewhere, in Vindication Wollstonecraft has to speak from different positions at once: as a philosopher, as the exceptional woman, who analyses and dissects women and comments on women as objects from a great distance (,theirR, ,themR), and as belonging to the larger group of women (for instance, she writes that „men endeavour to sink us still lower“36). Hence, this dissociation from and inclusion in the category ,womanR is crucial for the explorations of new positions for the feminist woman writer and for the enlightened woman. WollstonecraftQs own position and her active positioning are fraught matters precisely because she searches for a new position for woman in society and in the discursive field. Since in her time she would definitely not have had a place at the centre of society, this raises the question of where a ,female philosopherR, an educated woman, indeed a female genius would be located. In order to avoid designations of ,female philosophersR as aberrations (as for instance in PolwheleQs polemical poem) which would place them outside the semiosphere as the ,OtherR, many authors (including Hays37 and Robinson, and indeed some male authors38) compiled catalogues of ,women worthiesR which aim at positioning such women of genius as ,OutsidersR on the periphery of the semiosphere who potentially influence culture from the margins. Ibid., 263. Ibid., 80; cf. Miriam Wallraven, A Writing Halfway between Theory and Fiction. Mediating Feminism from the Seventeenth to the Twentieth Century, Würzburg 2007, 27. 37 Mary Hays, Female Biography; or, Memoirs of Illustrious and Celebrated Women, of all Ages and Countries, Philadelphia 1807 (first published in 1803 in Great Britain). Cf. Gillian Dow, The ,Biographical ImpulseR and Pan-European WomenQs Writing, in: id., Jennie Batchelor (eds.), WomenQs Writing, 1660–1830, London 2016, 193–213, here 200–204. 38 Male authors also participated in the compilation of ,women worthiesR which shows how both female and male writers were in dialogue concerning the revaluation of women. Compare for example George BallardQs Memoirs of Several Ladies Who have been Celebrated for their Writings (1752), John DuncombeQs poem The Feminiad (1754), William AlexanderQs The History of Women (1779) as well as the anonymously published Biographium Faemineum (1766). Cf. Schabert, Englische Literaturgeschichte (see note 7), 39, 214, 245 f. and Sharon Setzer, Introduction, in: Mary Robinson, A Letter to the Women of England and The Natural Daughter, ed. by Sharon Setzer, Ontario 2003, 9–32, here 23, as well as Dow, ,Biographical ImpulseQ (see note 37), here 200. 35 36

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Wollstonecraft explicitly places herself in this special position which clearly distinguishes her from most other women. However, it is interesting to see that it clashes with her later emphasis not on the exemplarity of womenQs achievements but on the belief in equal potential in women. While most feminists before Wollstonecraft and some after her attempted to prove the abilities of women by referring to a catalogue of ,women worthiesR who should serve as respected, awe-inspiring, and generally outstanding examples of what women are capable of, Wollstonecraft explicitly distances herself from this convention: „for I shall not lay great stress on the example of a few women who from having received a masculine education, have acquired courage and resolution“.39 Her footnote to this sentence highlights her belief in the possibility of equality for all women while at the same time presenting her aims as reasonable and reachable: „I wish to see women neither heroines nor brutes; but reasonable creatures“.40 „Reasonable“ here again points to her main demand, which is enlightened education for all women. At the same time, however, her distance from other women stresses the establishment of herself as outstanding „woman worthy“. It makes sense indeed that at the time of writing, Wollstonecraft regarded the woman author and philosopher as the „exceptional woman“, a place she reserved especially for the historian and essayist Catherine Macaulay about whom she wrote that „I will not call hers a masculine understanding“ but that she „was a proof that a woman can acquire judgment in the full extent of the word“.41 Thus, Brody shows how the exceptional and cultivated woman needs an ,OtherR, who is the weak woman of fashion in WollstonecraftQs writing.42 While this is also the reason for her misogynist outbursts, it likewise reveals the difficulty in describing, defining, and presenting the enlightened woman author. Whereas the woman of fashion would certainly represent the accepted model of femininity in society (encouraged, no doubt, by the male authors of conduct books whom Wollstonecraft severely criticises), Wollstonecraft on the one hand aims at placing the ,female philosopherR at the periphery of the semiosphere as an ,OutsiderR instead of an ,OtherR, but on the other hand, her trajectory is clearly to educate all women in an enlightened way in order to make it possible for them to exercise their duties as citizens which places them in the centre of the semiosphere. Hence, by repeatedly using the terms „masculine education“ and „masculine understanding“,43 she depicts the exceptional woman – exceptional due to education. Wollstonecraft, A Vindication (see note 24), 174. Ibid. 41 Ibid., 210. 42 Miriam Brody, The Vindication of the Writes of Women. Mary Wollstonecraft and Enlightenment Rhetoric, in: Maria J. Falco (ed.), Feminist Interpretations of Mary Wollstonecraft, Pennsylvania 1996, 105–123, here 115. 43 Cf. Wollstonecraft, A Vindication (see note 24), 174 and 210. 39

40

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However, this kind of woman will not remain exceptional any longer once the principles of Vindication are realised, since all women are envisioned to follow suit. This is a daring objective since it necessarily has to aim at the complete change of gender roles, of patriarchal structures and thus of society as such. Small wonder, then, that Vindication has been regarded as an ultimate threat and that feminist scholars in the twentieth century have revalued WollstonecraftQs writing as truly revolutionary. IV. „Mind, as Has Been Finely Said, Is of no Sex“: An Education based on Reason in Mary HaysQ Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women (1798) In Letters and Essays, Moral and Miscellaneous, Mary Hays shows her admiration of Mary Wollstonecraft: „The rights of woman and the name of Woollstonecraft [sic], will go down to posterity with reverence, when the pointless sarcasms of witlings are forgotten“.44 As a friend of Wollstonecraft and as one of the pioneers of feminist demands for education and equality in the 1790s, Hays became one of the major targets included in the „blasphemeous band“ of „Wollstonecraftians“ in PolwheleQs polemic poem The UnsexQd Females.45 Mary Hays published her Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women anonymously and by that draws attention to the changes in political climate from the years between 1793 (the publication of Letters and Essays under her own name) and 1798 (the publication of Appeal). This testifies to the backlash after RobespierreQs Reign of Terror and the British Treason Trials which created an increasingly repressive atmosphere, particularly for revolutionary intellectual women. Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women, although written in a different style and structure of argument than Vindication, likewise argues for an equal education, and HaysQs chosen title already indicates that her intended audience are men. In the chapters „Of the Erroneous Ideas which Men have formed, of the Characters and Abilities of Women“ and in „What Men would have Women to Be“, she reveals menQs striking misconceptions of women and makes them responsible for womenQs subjection. The longest chapter (which fills more than half of the book) is entitled „What Women Ought to Be“. In this chapter, she advances a decidedly modern approach to the question of the character – concerning both sex and gender – of women; she argues that it is not clear and cannot be clear what women are and what they are capable of in the present situation and society: 44

21. 45

Mary Hays, Letters and Essays, Moral and Miscellaneous, ed. by Gina Luria, New York 1974, Cf. Gina Luria, Introduction, in: Hays, Appeal to the Men (see note 2), 5–15, here 12.

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To say what women really are, would be a very difficult task indeed; we must therefore endeavour, to describe them by negatives. As perhaps, the only thing that can be advanced with certainty on the subject, is, – what they are not. For it is very clear, that they are not what they ought to be, that they are not what men would have them to be, and to finish the portrait, that they are not what they appear to be.46

Whereas WollstonecraftQs devaluation of women is noticeable and remains an uneasy feature of Vindication, even though it can be explained by the challenge she faced when striving for a new positioning of women in society and the discursive field, Hays sides with and speaks for women. When she criticises them, she explicitly makes it clear that her criticism is not directed at the women themselves: „I hope however that these observations will not be considered as a libel upon the sex; for as this inconsistency and uncertainty of character is a matter of necessity and not of choice, they are rather objects of pity than of blame“.47 Hays emphasises her belief in education and the resulting gender roles rather than in the essential nature of women: „And as their defects are generally speaking, I presume, those of education, rather than of nature, the men have more subject for remorse than triumph“.48 More explicitly than many other feminist authors, she unmistakably highlights how oppression influences human beings in general: „And it must be acknowledged a truth equally infallible, that any class held in a state of subjection and dependence, will degenerate both in body and mind“.49 However, her analysis only unfolds its full meaning when she explicitly places herself in the enlightenment tradition and discourse, a step which reveals the effects of such a subjection even though it is clear for her that no distinction exists between men and women concerning the mind: „Yes they [women] see – there is not an individual among them, who does not at times see, – and feel too with keenest anguish, – that mind, as has been finely said, is of no sex“.50 With that, she refers to Francois Poullain de la BarreQs statement „The mind has no sex“ in his 1673 essay „On the Equality of the Two Sexes“.51 At the same time, however, she presents numerous restrictions to equality: for instance, she lists warlike enterprises, law, divinity, physics and surgery as areas unsuitable for women due to womenQs „nature“, „common sense“, and „female delicacy“.52 Indeed, Hays sometimes finds herself in a double bind when she has to define ,womanR. Finally,

46 47 48 49 50 51 52

Hays, Appeal to the Men (see note 2), 67. Ibid. Ibid., 67 f. Ibid., 69. Ibid., 104. Poullain, On the Equality (see note 8), 82. Hays, Appeal to the Men (see note 2), 203.

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though, she argues that in order to determine differences, men and women first have to receive the same education.53 Equal education is again connected with the fear of the ,masculine womanQ and once again this has to be read as a comment on HaysQs attempt to place women in a different social position. She writes that „they [men] allege, that when women are educated too much upon an equality with them, it renders them – presuming and conceited; – unless [sic]54 in their families; – masculine, and consequently disgusting in their manners.“55 However, she reveals the term „masculine“ as being wrong and inappropriate, since she argues that If therefore we are to understand by a masculine woman, one who emulates those virtues and accomplishments, which as common to human nature, are common to both sexes; the attempt is natural, amiable, and highly honourable to that woman, under whatever name her conduct may be disguised or censured.56

The „masculine woman“, therefore, is not exceptional, since the characteristics described as masculine are in fact human – or at least they should be if men and women were educated equally. By this argument, the woman formerly designated masculine and hence positioned outside the semiosphere as ,OtherR, or, if revalued in some way as „woman worthy“ at the periphery as ,OutsiderR, is now moved into the centre of the semiosphere – a clever redefinition from ,OtherR via exception to ungendered human being. According to her argumentation, femininity is created by men and their inconsistent and negative image of women: „What a chaos! – What a mixture of strength and weakness, – of greatness and littleness, – of sense and folly, – of exquisite feeling and total insensibility, – have they jumbled together in their imaginations, – and then given to their pretty darling the name of woman!“57 The making of gender roles in the masculine imagination is here analysed in detail. As a consequence, women are kept in a „magic circle“, a „prison of the soul“.58 HaysQs use of this imagery underscores the irrationality and inscrutability of womenQs oppression and gender roles, which leads to the situation of women being kept „in a state of PERPETUAL BABYISM“.59 Small children of course have to be educated; here Wollstonecraft and Hays resort to the same argument. Such inequality is established as a norm for women which stunts their development and leads to social inequality: „From the first dawnings of reason they 53 54 55 56 57 58 59

Cf. ibid., 34, 38. Probably intended to be „useless.“ Hays, Appeal to the Men (see note 2), 162. Ibid., 173 f. Ibid., 46. Cf. ibid., 111. Cf. ibid., 97.

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find a part in life already prescribed for them, which they nearly as early find out to be unequal to their powers and capacities.“60 In her effort to change these unequal gender relations of her time, Hays does not propose a „revolution in female manners“ as does Wollstonecraft,61 rather men are her prime focus for an envisioned change: But when it is at any time argued and proved that to bring about reformation, the first step ought to be, the reformation of the moral conduct of the men themselves; and the next that of educating women on a more liberal and unprejudiced plan, and putting them on a more respectable footing in society; then it is that the generality of men fly off, and are not ashamed to declare, that they would rather a thousand times take women as they are; – weak, frail, dependent creatures.62

Her first proposed step, therefore, is the reformation of men, while an equal education for women is proposed only after achieving this. In this quotation, Hays is explicit about her aims: to put women „on a more respectable footing in society“. I read this as envisioning a new position for women in society and thus in the semiosphere. First of all, this new position for Hays means restoring what should be womenQs rightful position: when her text is presented as an „attempt to restore female character to its dignity and independence; though I trust, neither at the expence of the peace, the happiness, or the self-importance of man“,63 the use of the word „restore“ hints at the fact that women are not by nature weak and subordinate. Here, female genius is explicitly not regarded as exceptional: It is easily seen, from what has been said in different parts of this Appeal, that it is taken for granted, that it ought to be established upon fair and liberal principles; and that no instruction, which is suited to their stations, their circumstances, and their genius, should be denied to women any otherwise than men.64

Unlike Wollstonecraft, Hays rather refers to authorities instead of resorting to philosophical argumentation in order to state her case: „and these [materials] are to be found in the works of historians and biographers of credit, ancient and modern, assisted by daily observation and experience.“65 She sketches some examples of „women worthies“ and hints at a multitude of famous and intelligent women – examples with which she not only underscores womenQs equality but even superior achievements by asking „whether, taking into account the very few women, who have received a suitable education; the numbers who have 60 61 62 63 64 65

Ibid., 110 f. Wollstonecraft, A Vindication (see note 24), 133. Hays, Appeal to the Men (see note 2), 115 f. Cf. ibid., iv. Ibid., 239. Ibid., 35.

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shone, as sovereigns, as legislators, in politicks, in literature, and in common life; are not out of all proportion great?“66 In this vein, she states that in history there were many eminent women, „Nor are the niches of poetry and literature unfurnished with female ornaments“.67 However, she stresses the fact that she does not aim at expanding on the special or exceptional positions and abilities of some „women worthies“: But, heaven defend me from drudging in the mines of history and antiquity, and dragging forth to adorn, and swell out my slender pages, all the precious jewels of ancient, middle, and modern times! Life is too short for such an undertaking. It is enough for my purpose that we know, that such things as we allude to, have been, and are, most trueR.68

Her argument here is twofold: first it states that female genius exists and has always existed, that women are intellectually, politically, and „in common life“69 equal to men or even superior. Depending on the time and context, these women (particularly in antiquity) would have been seen as ,OutsidersR on the periphery of the semiosphere or in single cases even at the centreQs periphery as a „masculine“ woman, an exception. However, what would happen if women in HaysQs time received an enlightened equal education? HaysQs argument elucidates this: If then it can hardly be disputed that women – the ancients as far as we can learn from the extraordinary panegyricks of historians – the moderns from actual and undoubted proofs – have ruled with as much glory to themselves, as much benefits to their subjects, and as great marks of sound judgment, and knowledge in the arts of government, as the greatest princes their contemporaries; I hope it will not appear presumption to say, that did women receive equal advantages of education, there is every reason to suppose, they would equal men in the sublime science of politicks.70

The same holds true, she states, for arts, sciences, and literature. Therefore, as soon as women receive equal education, they are no longer the ,OtherR unheard in the semiosphere. Neither are they ,OutsidersR on the periphery as exceptions, as women designated masculine, as many of the „women worthies“ were. Instead, they can now occupy the very centre of the semiosphere together and on an equal footing with men.

66 67 68 69 70

Ibid., 36. Cf. ibid., 35. Ibid. Cf. ibid. Ibid., 38

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V. „WOMAN is a Thinking and Enlightened Being!“ Female Genius and Enlightened Education in Mary RobinsonQs A Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination (1799) In contrast to Mary HaysQs Appeal, Mary RobinsonQs A Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination (1799) already indicates the primary readership: women.71 A Letter has to be read as a call for educational reform, an equal enlightened education for women, but focuses even more on revealing the sexual double standard of the time,72 a topic which I will not focus on here. Due to the increasingly anti-feminist climate in the 1790s, Robinson published her text under the pseudonym Anne Frances Randall. In contrast to Wollstonecraft, who does not envision her readership as mainly consisting of women, and to Hays, who explicitly addresses men, RobinsonQs main thrust in her text is different; Setzer recognises that by addressing the women of England as a group, Robinson „hoped to foster a spirit of female solidarity that would cut across boundaries of economic and social standing“.73 When Robinson states that „I shall remind my enlightened country-women that they are not the mere appendages of domestic life, but the partners, the equal associates of men“,74 her main concerns already become transparent. „Remind[ing]“ women constitutes an instance of what we might call consciousness-raising today, and the „enlightened countrywomen“ are defined and created as a group by this address. Enlightenment, a term which Robinson uses deliberately and repeatedly, is from the beginning linked to happiness: „But I shall endeavour to prove that, under the present state of mental subordination, universal knowledge is not only benumbed and blighted, but true happiness, originating in enlightened manners, retarded in its progress.“75 Happiness, knowledge, and progress are thus linked. Compared to Wollstonecraft, Robinson does not employ a tone that might devalue women. Instead, she is very aware of the specific group of women she addresses when she criticises them. When she suggests that „If women sometimes, indeed too frequently, exhibit a frivolous species of character, we should examine the evil in which it originates, and endeavour to find a cure“,76 this concerns the nobility who pass their time at the gaming table. Similar to WollstonecraftQs use of the „weak woman of fashion“77 as an illustration of the counterpart of the enlight71 72 73 74 75 76 77

Cf. Wallraven, A Writing Halfway (see note 36), 79 f. Cf. Setzer, Introduction (see note 38), 23. Cf. ibid., 25. Robinson, A Letter to the Women (see note 2), 41. Ibid. Ibid., 45. Wollstonecraft, A Vindication (see note 24), 131.

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ened woman, the woman of nobility serves this purpose in A Letter; RobinsonQs analysis of the reasons for the „frivolous species of character“ of some women – from which both Wollstonecraft and Hays also distance themselves – blames aristocratic education, or rather the lack of enlightened education. With the help of this argument, she emphasises the status issue against which she wants to unite all other women. In the same vein as Wollstonecraft and particularly Hays, men are made responsible for the state and the character of women: „Man makes woman a frivolous creature, and then condemns her for the folly he inculcates.“78 At present, therefore, womenQs intelligence is bound to be ineffective for a change in gender relations given menQs refusal to search for an equal female partner: „How comes it, that in this age of reason we do not see statesmen and orators selecting women of superior mental acquirements as their associates?“79 Although Robinson explicitly addresses women, here she condemns men as if speaking to them directly. In that, her text shows affinities to HaysQs arguments. In her treatise, Robinson repeatedly writes about women as „the enlightened sex“80 and draws attention to the contrast between the degenerate aristocratic woman and the enlightened woman: From such women [aristocratic women], the majority of mankind draw their opinion of sexual imbecility; and, in order that their convenient plea may be sanctioned by example, they continue to debilitate the female mind, for the sole purpose of enforcing subordination. Yet the present era has given indisputable proofs, that WOMAN is a thinking and an enlightened being! We have seen a Wollstonecraft, a Macaulay, a S8vign8; and many others, now living, who embellish the sphere of literary splendour, with genius of the first order.81

As a contrast to such a depiction of aristocratic women as being characterized by „sexual imbecility“, Robinson lists Wollstonecraft, Catherine Macaulay and Madame de S8vign8, thus adding the contrast between a degenerate aristocracy and revolutionary intellectual women to the hierarchy between the sexes. Concerning the latter, A Letter consistently foregrounds RobinsonQs utilisation of enlightenment discourse as well as her self-positioning in this tradition. For instance, she takes up the division between body and mind in order to conclude that mind has no sex and mental equality between the sexes is the basis for social equality: „In what is woman inferior to man? In some instances, but not always, in corporeal strength: in activity of mind, she is his equal.“82 78 79 80 81 82

Robinson, A Letter to the Women (see note 2), 81. Ibid., 46. Cf. ibid., 66, 68. Ibid., 45. Ibid., 48.

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While men seem to fear or even reject enlightened women, women themselves misconceptualise and therefore likewise fear equal education. By stating that „She [woman] disdains to be strong minded, because she fears being accounted masculine“,83 the idea of being educated according to enlightenment principles and thus equal to men is revealed to hold a threatening potential, since it evokes the unnatural „masculine woman“ that Wollstonecraft and Hays already had to negotiate. Unlike Wollstonecraft, Robinson does not describe „strong minded“ women as masculine, but she merely reveals the fear of women to be accounted masculine to be a common misconception – of course also held by men who are accused as „mental despots“ when she writes: „Let these mental despots recollect, that education cannot unsex a woman; that tenderness of soul, and a love of social intercourse, will still be hers; even though she become a rational friend, and an intellectual companion.“84 Education cannot „unsex“ women or make them masculine, but merely makes them rational and intellectual. By arguing in this way, Robinson also severs the connection of femininity with stupidity that Wollstonecraft had still evoked. Instead of providing specific instructions for female education or advising a range of educational measures, as Wollstonecraft undertakes in the long and comprehensive Vindication, RobinsonQs much shorter A Letter leads in a different direction: it pivots on raising awareness of warped contemporary practices, the sexual double standard, men who are dismissive of educated women as well as the contradictions inherent in a time where on the one hand Enlightenment is hailed but on the other hand women are not given an appropriate education. Robinson employs many rhetorical questions to draw attention to these grievances: If WOMAN is not permitted to assert a majesty of mind, why fatigue her faculties with the labours of any species of education? why give her books, if she is not to profit by the wisdom they inculcate? The parent, or the preceptress, who enlightened her understanding, like the dark lantern, to spread its rays internally only, puts into her grasp a weapon of defence against the perils of existence; and at the same moment commands her not to use it.85

The merits of an enlightened education are emphasized here while at the same time the term „majesty of mind“ appears to be connected to genius and is applied to women as a natural feature. By directly addressing and admonishing women – again as a group – in effect what Robinson achieves is first to create this group of women, then to place herself explicitly within Enlightenment discourse and after that to give advice for an

83 84 85

Cf. ibid., 81. Ibid., 65. Ibid., 78.

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equal education. Her basic arguments can be found in the following quotation which forms the centre-piece of her text: O! my unenlightened country-women! read, and profit, by the admonition of Reason. Shake off the trifling, glittering shackles, which debase you. Resist those fascinating spells, which, like the petrifying torpedo, fasten on your mental faculties. Be less the slaves of vanity, and more the converts of Reflection. Nature has endowed you with personal attractions: she has also given you the mind capable of expansion […]. Let your daughters be liberally, classically, philosophically, and usefully educated; let them speak and write their opinions freely; let them read and think like rational creatures; adapt their studies to their strength of intellect; expand their minds, and purify their hearts by teaching them to feel their mental equality with their imperious rulers.86

The binaries that are established in the text appear to echo Wollstonecraft: the „trifling, glittering shackles“ of conventional femininity are placed in opposition to reason, the „fascinating spells“ of feminine decorum are contrasted with the „mental faculties“, vanity is opposed to reflection. In effect, the trifling, superficial, indeed stupid woman propagated by authors of conduct books is contrasted with the enlightened woman who is intellectually the equal of men. „Nature“ is utilised for a very different purpose than for example in RousseauQs writing, which praises the uneducated woman as being in a state of nature.87 The sentence „Nature has endowed you with personal attractions: she has also given you the mind capable of expansion“ highlights the fact that femininity according to new enlightened feminist views can combine both beauty and intellectual abilities. Hence, the „women worthies“ praised in this text do not serve to establish the image of the exceptional and unreachable woman but to constitute role models which women should and can aspire to, since they, too, are endowed with intellectual abilities. Accordingly, RobinsonQs aim is not only to praise women in history but also to emphasise womenQs achievements in her own time and country. For this purpose, she adds a „List of British Female Literary Characters Living in the Eighteenth Century“88 at the end of her text. Here, she narrows down her focus to women writers since this helps her to place herself and her own text in this context, especially as she mentions many revolutionary authors such as „Hayes“,89 „Macauley“ and „Wolstonecraft“ [sic].90 In the first edition, she is free to also include herself in this roll-call as „Robinson, Mrs. – Poems, Romances, Novels, a Tragedy, Satires, &c. &c.“,91 since she employs a pseudonym. 86 87 88 89 90 91

Ibid., 83. See the article by Marion Heinz in this volume. Cf. Robinson, A Letter to the Women (see note 2), 99 ff. Cf. ibid., 101. Cf. ibid., 103. Cf. ibid., 102.

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Even though Robinson highlights the achievements of „thinking and enlightened“ woman, she criticises England as a country which is not ready yet for female emancipation: There is no country, in this epoch, on this habitable globe, which can produce so many exalted and illustrious women (I mean mentally) as England. And yet we see many of them living in obscurity; known only by their writings […]. They must fly to foreign countries for celebrity, where talents are admitted to be of no SEX, where genius, whether it be concealed beneath the form of a Grecian Venus, or that of a Farnese Hercules, is still honoured as GENIUS, one of the best and noblest gifts of THE CREATOR.92

In contrast to England, other countries (and other times), she states, are more conducive to womenQs enlightened education and womenQs central position in society. RobinsonQs A Letter, therefore, clearly attempts to produce this community of intellectual women across countries and times. Nevertheless, the present time – even in Britain – holds special opportunities for women to reveal their natural genius, as Robinson claims: „Since the beginning of the present century, we have seen many examples, not only of natural genius, but of enthusiastic resolution, even in unlearned women; prompted by the purest and most feminine passion of the human soul.“93 Here, she again explicitly draws attention to the nature of female genius: even without education a woman can be a genius. Robinson utilises a striking phrase here which highlights her concept of gender: there is „feminine passion“ but an ungendered „human soul“ which belongs to both men and women before there is even something that could be considered specifically feminine. Women are thus equal to men; their position in society, or rather the position of the enlightened woman outside of the semiosphere as ,OtherR, does not depend on womenQs abilities nor on their nature but on menQs fears. Hence, she very distinctly explains the mechanisms of exclusion: Prejudice (or policy) has endeavoured, and indeed too successfully, to cast an odium on what is called a masculine woman; or, to explain the meaning of the word, a woman of enlightened understanding. Such a being is too formidable in the circle of society to be endured, much less sanctioned. Man is despot by nature; he can bear no equal, he dreads the power of woman; because he knows that already half the felicities of life depend on her; and that if she be permitted to demand an equal share in the regulations of social order, she will become omnipotent.94

This part of the text articulates a profound understanding of relegating the intellectual women to a sphere where she is not heard, since she can neither be endured nor sanctioned in „the circle of society“. By this depiction, Robinson provides an 92 93 94

Ibid., 70. Ibid., 60. Ibid., 73 f.

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almost exact picture of the model of the semiosphere. Indeed such a woman is placed wholly outside due to prejudice which Robinson equals with deliberate policy. This is achieved by „cast[ing] an odium“ on an enlightened woman and by calling her a „masculine woman“ which, in this case, does not even allow her a place as ,OutsiderR. She again explains that the previous concept of „masculine woman“ refers to „a woman of enlightened understanding“ – a concept that Robinson has already explained as natural since women have proven themselves to be capable of genius. She seems to turn the tables by defining menQs nature („Man is despot by nature“) which makes them fear womenQs intellectual power. Thus, the path from ,OtherR to ,OutsiderR to the centre of the semiosphere is RobinsonQs real trajectory. In more explicit ways than the two other authors she traces the path together with the „prejudice[s]“ which create mechanisms of exclusion.

VI. The Enlightened Woman as Genius and Insider Wollstonecraft, Hays, and Robinson all demand a different enlightened education for women. With various argumentative strategies they describe, define, and discuss what women are and what they are capable of. In their treatises, they question the beliefs and attitudes shaping gendered society that regards intellectual women as anomalies or as unnatural and thus relegates them to a space outside the semiosphere, without giving them a voice and without taking them seriously. However, these authors argue that the woman educated according to enlightenment principles should not be seen as an exception either, a view which would relegate her to the periphery of the semiosphere as ,OutsiderR. By exposing the mechanisms of exclusion, they demand and, through their texts, create a new position for the enlightened woman in the centre of the semiosphere where meaning, discourses, philosophy, politics, and art come into existence. Hence, the enlightened woman should no longer be a minority phenomenon (exemplified by the „woman worthies“), but enlightened education should now reach all women. Only then can the enlightened woman be envisioned as normal instead of being seen as an anomaly, a „masculine“ exception, or even a threat. The fear of the intellectual woman is of course one that runs through the history of patriarchy. In Bathshua MakinQs An Essay to Revive the Ancient Education of Gentlewomen from 1673, for instance, we read: The barbarous custom to breed women low, is grown general amongst us, and hath prevailed so far, that it is verily believed (especially among a sort of debauched sots) that women are not endued with such reason, as men; nor capable of improvement by education, as they are. It is looked upon as a monstrous thing, to pretend the contrary. A learned woman is thought to be a comet, that bodes mischief, whenever it appears. To offer to the world the liberal education of women is to deface the image of God

„O! My Unenlightened Country-Women!“

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in man, it will make woman so high, and men so low, like fire in the housetop, it will set the whole world in a flame!95

With a great dose of irony Makin describes not only the „custom“ of denying education to women but also the reason for it: the belief that an educated woman is „monstrous“. A „comet, that bodes mischief“ is unequivocally revealed to have its origin in the fear of educated women, since it is educated womenQs demand for equal rights that can change the whole established order of society based on gender inequality. It is this change that the authors of the 1790s attempt to bring about by their writing, which aims at fundamentally changing the position of women through enlightened education. Beeinflusst vom intellektuellen Klima der Französischen Revolution waren die 1790er Jahre in Großbritannien entscheidend für die Geschichte der feministischen Aufklärung. Dieser Artikel untersucht Wollstonecrafts A Vindication of the Rights of Woman (1792), Hays Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women (1798) und Robinsons A Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination (1799) als Orte des Widerstands gegen Ungleichheit aufgrund des Geschlechts. Mithilfe von Yuri Lotmans Theorien der semiotischen Sphäre in Kombination mit Christine Battersbys Argumenten zu Geschlecht und Genie wird gezeigt, wie die Autorinnen darauf abzielen, Frauen durch Bildung „aufzuklären“, um ihnen den Weg zu ebnen von ihrer Position als „Außenstehende“, die in der Semiospäre nicht gehört werden, hin zur Position der „Anderen“ an der Peripherie und schließlich sogar ins Zentrum, wo gesellschaftlich einflussreiche Diskurse entstehen. Influenced by the intellectual climate of the French Revolution, the 1790s in Britain were crucial in the history of the development of feminist Enlightenment ideas. In this article, WollstonecraftQs AVindication of the Rights of Woman (1792), HaysQs Appeal to the Men of Great Britain in Behalf of Women (1798), and RobinsonQs A Letter to the Women of England, on the Injustice of Mental Subordination (1799) are analysed as sites of resistance to the gendered status quo. By employing Yuri LotmanQs theories of the semiotic sphere in combination with Christine BattersbyQs arguments on gender and genius, it will be shown how the authors aim at „enlightening“ woman by education to pave the way from her position of „outsider“ who is not heard in the semiosphere to the position of the „other“ on the periphery, and finally to the centre of the semiosphere where socially influential discourses come into existence. PD Dr. Miriam Wallraven, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrstuhl für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft, Am Hubland, D-97074 Würzburg, Email: [email protected]

Bathshua Makin, An Essay to Revive the Ancient Education of Gentlewomen, in: Kate Aughterson (ed.), Renaissance Woman. A Sourcebook, London 1995, 186–191, here 186. 95

Pam Perkins „Enlightened Strangers“: Charlotte Waldie Eaton and Late Enlightenment Educational Travel

In May 1827, the Scottish travel writer and poet Anne Grant suggested to a friend that if she wished to learn „a great deal about Italy“ she should „read a most pleasing and authentic work, Rome in the Nineteenth Century“, a travelogue Grant thought so good that her friend would „scarcely believe it to be the production of a lady“.1 In this rather backhanded compliment, Grant is pointing to the unusual intellectual and scholarly ambition of the „lady“ in question, Charlotte Waldie Eaton (1788–1859) and echoing Eaton herself, who makes those ambitions very clear in both her prefatory material and in private correspondence about the book. First published in 1820, Rome in the Nineteenth Century is one of a pair of books about an Italian tour that Charlotte made between 1816 and 1818 with her younger sister Jane Waldie Watts (1793 – 1826).2 Watts published her Sketches Descriptive of Italy in 1820 as well, and while Eaton praised her sisterQs book, she was careful to distinguish between the works. Rather than offering a straightforward record of her travels, she proclaims that she is providing an intellectual and aesthetic guide to the city for the „enlightened stranger“ who wants something more engaging than dryly abstruse antiquarian speculation, on the one hand, but more demanding than desultory observations about landscape and the standard tourist sites on the other. Eaton is explicitly targeting an educated, sophisticated readership with wide general knowledge of the arts and culture, an audience that she claims is being neglected by most of her fellow travel writers. In doing so, she is not just glancing back to the elite practice of the eighteenth-century Grand Tour and creating a slightly belated female version of the idealized Grand Tourist; she is also rejecting or reinventing many of the emergent features of the genre that critics at the time and since have seen as making it more accesJohn Peter Grant (ed.), Memoir and Correspondence of Mrs. Grant of Laggan, vol. 3, London 1844, 115. 2 While neither sister was married when they published their books about Italy, I will refer to them by their married names to avoid confusion. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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sible to women. As she looks back to earlier modes of travel and travel writing, Eaton is also implicitly raising questions about how and to what degree a woman can contribute to a discourse of enlightened cosmopolitanism.

I. Enlightened Travellers in the Eighteenth Century Throughout the eighteenth century, travel was, at least in theory, an essential component in shaping an Enlightened British ruling class. As Jeremy Black3 and other historians of the Grand Tour have shown, the Tour was framed as a means of inculcating social and intellectual values: ideally, it was simultaneously a pilgrimage allowing a classically-educated young man to visit the sites of the literary works that had been the basis of his education; an immersion into a cosmopolitan world; and a practical introduction to questions of politics, nationhood, and culture. Lord Chesterfield illustrated the interconnection of these goals when, in 1749, he reminded his son that Italy, „once so famous both for arts and arms […] deserves your attention and reflection“ and then advised him to „compare its former with its present state“ and to „examine into the causes of its rise and its decay“.4 The implication is that direct experience of Italian culture and society will allow the young man to become a more engaged and informed contributor to the governance of his own country on his return. These assumptions about the value of travel in shaping political character and values also underlie works directed to a slightly less socially elevated audience. Later eighteenth-century handbooks for travellers – almost all of which assume a male readership – tend to take for granted that the traveller will be interested primarily in the pursuit of knowledge and to offer both detailed practical tips about the sorts of information that should be sought out and hints about the best ways to record, organize, and share that information. Leopold von Berchtold, for example, in a guide published in 1789, provides a formidable list of sample questions about civic, social and political issues for travellers to ask local dignitaries. As Zo] Kinsley notes, however, rather than addressing women „as travelling subjects“, Berchtold features them „as objects of enquiry, alongside topics such as ,SheepR, ,ManufactoriesR, ,Whale Fisher[ies]R, and ,Charitable EstablishmentsR“.5 This idea, that travel is by default a ,masculineR pursuit, is even visible when Berchtold turns his attention to methods of record keeping. The unspoken assumption guiding his advice on this subject is that the information gathered in travel has See Jeremy Black, Italy and the Grand Tour. New Haven, CT 2003 and Jeremy Black, The British and the Grand Tour, London 1985. 4 Lord Chesterfield, Letters, ed. by David Roberts, Oxford 1992, 164. 5 Zo] Kinsley, Women Writing the Home Tour, 1682 – 1812, Aldershot 2008, 179. 3

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a public utility, making the preservation and transmission of those facts a matter of great care and attention. He proposes a complex system of note-taking, involving, at a minimum, a pocket book to jot down notes on the spot; a journal in which to transcribe and amplify those notes each night before sleeping; and a book for strictly factual details, organized under proper headings.6 He also advises that a truly dedicated traveller will also want to keep a separate transcription of the main journal in case the original were lost or stolen. What Berchtold envisages is travel as a series of educational encounters, rather than as a source of pleasure, and he takes for granted that records of travel are valuable only insofar as they allow the traveller to remind himself of and to enlighten any prospective readers about the factual details he observed while abroad. Granted, there is plenty of evidence to suggest that the elite men who participated in the Grand Tour were not all as scrupulously devoted to self-improvement as Berchtold and other guidebook writers would have liked to imagine. Chesterfield sternly warns his son against frittering away his mornings in pursuit of amusement or wasting his time in the company of his more dissolute countrymen. Drinking and gambling are not the only dangers that Chesterfield feels obliged to warn against, however; he is also concerned about his sonQs being distracted by the wrong type of learning and information-gathering, and he criticizes not only drunken pleasure-seekers but also the so-called ,virtuosiR who lose their time „poring upon almost imperceptible Intaglios and Cameos“. In doing so, they are replacing what Chesterfield sees as a „real taste [for] and knowledge“ of the liberal arts, which „become a man of fashion very well“, with a sort of dissolute frivolity.7 This idea, that it was somehow unbecoming of a gentleman to cultivate highly specialized or artistic tastes while travelling – as opposed to seeking out more generalized political and cultural knowledge – persisted throughout the century. Writers on the Grand Tour ranging from the Scottish physician John Moore to the radical Birmingham novelist Robert Bage mocked travelling Englishmen who rejected a cosmopolitan breadth of tastes and interests in favour of a pursuit of the rare, the specialized, and the obscure. This insistence that the value of travel is dependent upon not just the range but also the type of information gleaned by the traveller complicates the discourse around the increasing numbers of well-to-do women who were, by the end of the eighteenth-century, making their own continental tours. The subtitle of Brian DolanQs 2001 book Ladies of the Grand Tour – one of the first on the subject – includes the phrase „women in pursuit of Enlightenment“, but as Dolan himself makes clear, a concept of the Grand Tour as a mode of deepening and enriching a Leopold von Berchtold, An Essay to Direct and Extend the Inquiries of Patriotic Travellers, vol. 1, London 1789, 43 f. 7 Cf. Chesterfield, Letters (see note 4), 164 f. 6

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classical education and thereby preparing the traveller for his place in adult public life did not necessarily translate in any easy way to women travellers.8 More recently, Emma Gledhill has argued that there were at least some late eighteenthcentury women who were able to parlay the ,cultural capitalR accrued from having been on a continental tour into a more secure social position back home; in particular, she points to the ways in which Elizabeth Fox, Lady Holland (1771–1845), was able to use „the material culture of the Grand Tour“ to help her as she established her influential political salon at Holland House.9 Even so, as Gledhill also makes very clear, such social power involved a precarious balancing act; anxieties about what counted as valuable or even appropriate knowledge tinged the cosmopolitan glamour associated with travel even more strongly when women, rather than men, were the travellers in question. „Classical connoisseurship“, Gledhill notes, „was considered unfeminine“, a claim she supports by quoting MooreQs provocative observation that women who had been in Italy and developed „a taste for vertffl“ were remarkable for the „intrepidity and cool minuteness“ with which they were willing to „examin[e] and criticiz[e] naked figures“.10 If, as Moore and others imply, the cultivation of a taste for objets dQart was faintly emasculating for a male traveller, it was far worse for a woman, signalling an alarming openness to improper or eroticized knowledge. Nor was eroticizing womenQs approach to Italian and classical culture the only means of undercutting women travellers and their interests. In a discussion of the travel writer Anna, Lady Miller (1741–1781) – who is also one of GledhillQs subjects – Laura Oscelli analyses the ways in which Miller attempts, without fully succeeding, to use the discussion of art and architecture in her Letters from Italy (1776) to demonstrate that she has „tastes, preferences, and inclinations“ similar to those of a cultured and sophisticated gentleman.11 As Oscelli notes, however, contemporaries such as Horace Walpole were far from convinced by MillerQs self-presentation, mocking her for everything from her misspellings of foreign terms to her pretensions to wide cultural knowledge. In effect, there was no easy way for a woman making a late eighteenth-century Italian tour to establish her enlightened cultural tastes: if she looked too closely at the art around her, she invited insinuations of prurience, but if she offered a more impressionistic overview, she risked mockery for dilettantism or vanity. Brian Dolan, Ladies of the Grand Tour. British Women in Pursuit of Enlightenment and Amusement in Eighteenth-Century Europe, London 2001. 9 Emma Gledhill, Improving on Birth, Marriage, and Divorce. The Cultural Capital of Three Late Eighteenth-Century Female Grand Tourists, in: Journal of Tourism History 10 (2018), 21–36, here 34. 10 Ibid., 24. 11 Laura Oscelli, Lady Anna Riggs Miller. The ,ModestR Self-Exposure of the Female Grand Tourist, in: Studies in Travel Writing 19 (2015), 312–322, here 312, 315. 8

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For women who, like Miller, chose to bring her observations into print, this dilemma would have been especially vexing, not least because by the end of the eighteenth century, the genre of the published travelogue was being held in increasingly high esteem. Yet that esteem tended to be built upon a critical definition of the genre that tacitly excluded the possibility of any truly valuable female contributions. Moving beyond ChesterfieldQs and Leopold von BerchtoldQs confident assumptions that wealthy men of leisure would be educating themselves by gathering large quantities of valuable information, other writers of the day were starting the reflect upon the sort of specialized knowledge or training that was supposedly necessary to find and assess that information in the first place. For example, the reviewer of a 1789 book on Mediterranean travels constructs what counts as „useful“ and interesting material in a way that makes the possession of a full classical education a basic prerequisite to gathering it: he takes for granted that the main reason for visiting and writing about Greece is to contribute to the „elucidation of obscure points in ancient history“.12 These ideas – that the value of travel writing lay both in a relatively specialized concept of what counted as ,usefulR information and in a rigid understanding of the sort of training necessary to gather such material – endured, in the eyes of at least some readers and critics, into the nineteenth century, and appeared even in some commentary that might initially seem to be opening out the genre. In 1806, for example, a writer for The Edinburgh Review (tentatively identified by the Wellesley Index as Macvey Napier) proclaimed that any traveller who „points out any thing remarkable, or characteristic, in the laws, manners, and opinions, even of a barbarous nation“ is a benefactor to humanity, as he „not only adds to our stock of general information, but gives us views of human nature, in situations in which we have not been accustomed to consider it“. Yet as Napier continues, the sorts of information he imagines the traveller providing starts to involve more specialized interests and knowledge. „Should [the traveller] describe men in civilized life“, Napier goes on, and instruct us in the proficiency of another country in the arts and science, in commerce and manufactures, we ought to thank him for, at least, collecting materials for the philosopher, the historian, and the political economist. If he make important addition to our knowledge in natural history, or correct material errors in our geography, or confirm by practical proofs the conclusions of science, his claims to notice will be readily allowed. Finally, the scholar and the antiquary will not refuse their tribute of applause to him who brings fresh and accurate tidings from those regions, which the classical genius of antiquity has rendered so interesting to men of taste and literature.13

Cf. ibid., 377. Macvey Napier [?], Review of J. GriffithsQ Travels in Europe, Asia Minor, and Arabia, in: The Edinburgh Review 8 (1806), 36. 12

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At first glance, Napier might seem to be imagining travellers who possess a remarkably generous range of skills and interests: the classical education that is the only important factor for the 1789 reviewer is almost an afterthought here. Yet even as he touches on fields as wide-ranging as law, commerce, manufactory, and political economy, aligning the more practical interests of the emerging professional classes with the classical tastes of an eighteenth-century gentleman, he continues to ground the preparation required of a traveller in bodies of knowledge that would, at the time, have been seen as both less accessible to women travellers and less interesting to women readers. As Clifford Siskin has influentially argued, the early nineteenth-century discourse of professionalism was in fact built in part on the exclusion of women and the feminine,14 making even the seemingly generous concept of travel outlined by Napier remain less than obviously welcoming to ambitious women travellers such as Lady Miller.

II. Feminizing the Travelogue Such implicit exclusion of female travellers was counteracted to some degree by a contemporaneous, and superficially more positive, shift in ideas about the travelogue as a genre, changes that were both shaped by and appeared more welcoming to the increasing number of women travellers. As Zo] Kinsley, Elizabeth Bohls, and Katherine Turner (among others) have shown,15 by the last decades of the eighteenth century, British women were making significant contributions to literature of travel, writing about both domestic and overseas destinations. Hester Piozzi (1741–1821), Mary Wollstonecraft (1759 – 1797), Helen Maria Williams (1759–1827), Ann Radcliffe (1764–1823), and Mary Shelley (1797–1851) were among the most famous of the British women offering perspectives on continental Europe, but there are many other accounts, both published and unpublished, by their now less-familiar contemporaries. The rising number of travel journals by women at this time is in part a function of social change: by the opening years of the nineteenth century, leisure travel was becoming more and more accessible to women beyond the tiny, privileged elite who were able to participate in a version of the Grand Tour, and while much of the continent had been closed to British travellers during the Napoleonic Wars, the years after Waterloo saw a steadily increasing number of Britons heading abroad. As the travel writer Mariana Starke comClifford Siskin, The Work of Writing. Literature and Social Change in Britain, 1700 – 1800, Baltimore 1999. 15 In addition to Kinsley, Women Writing (ses note 5), cf. Elizabeth Bohls, Women Travel Writers and the Language of Aesthetics, 1716–1818, Cambridge 2004 and Katherine Turner, British Travel Writers in Europe, 1750–1800. Authorship, Gender, and National Identity, Aldershot 2001. 14

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mented confidently, if a little prematurely in a March 1814 letter to her publisher, John Murray, „it seems reasonable to suppose that the emigration from this Country will be immediate & immense, in case of peace“.16 Nor is it surprising that many of the women who did travel chose to write about their experiences. As the aristocratic Grand Tour of the eighteenth century gave way in the early decades of the nineteenth to something more like the modern practice of tourism,17 ideas of what constituted interesting – if not necessarily socially or intellectually,usefulR – travel and travel writing began to change as well. However much critics had insisted, even into the nineteenth century, that the value of travel was purely intellectual, there had also been those who, from at least the mid-eighteenth century on, saw the genre as being attractive because it combined informational elements with the pleasures offered by fine writing and novel subject matter. Indeed, by the opening decades of the nineteenth century, at least some critics and reviewers were starting to worry that what Charles Batten later described as the „admirable […] blending of factual information and literary art“ that characterized the genre was giving way to a situation in which „pleasure“ was „becoming divorced from instruction“.18 What Batten and his early nineteenth-century predecessors were pointing towards is an emergent division between the travel writer as a collector of facts and the travel writer whose main interest was exploring his or her own aesthetic responsiveness. Granted, this taste for writing that focused on the aesthetic pleasure of the of the traveller has a history dating back to the mid-eighteenth century, and a number of the most influential ,sentimentalR travellers were men. It was, after all, Laurence Sterne who provided what is perhaps the definitive example of the genre in his Sentimental Journey (1768). Unsurprisingly, however, by the end of the century ,sentimentalR travel was becoming much more strongly associated with women both as writers and readers. The French traveller Joseph-Marie Lequinio offers a particularly neat example of this gendered split between utility and pleasure in both the title and the contents of his 1800 Voyage Pittoresque et Physico-Economique dans le Jura, which he divided into two parts and then advised those readers „avaricious of enjoyment“ (whom he assumed would be female) to avoid his „dry“ factual report and to read only the first section. „Si quelque femme entreprend de me lire“, he writes,

Mariana Starke, Unpublished Letter to John Murray 13 March 1814. Edinburgh, National Library of Scotland MS 41,151. 17 On the shift in types of travel following Waterloo, see James Buzard, The Beaten Track. European Tourism, Literature, and the Ways to ,CultureR, 1800–1918, Oxford 1989. 18 Cf. Charles Batten, Pleasurable Instruction. Form and Convention in Eighteenth-Century Travel Literature, Oakland, CA 1978, 30. 16

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cQest elle sur-tout que jQinvite / ne pas sQoccuper de ce seconde partie; elle sera beaucoup plus courte que la premiHre, il est vrai, mais elle sera plus sHche; elle sera trop d8pourvue de fleurs pour m8riter les regards dQun sexe si justement avide de jouissance; puisquQil en procure autant et quQil sait tant en inspirer.19

The assumption here is that while men are capable of pursuing and writing about both sorts of travel, women are capable only of seeking or writing about pleasure. Of course, there are a number of factors that complicate arguments about a late eighteenth-century split in the genre, with the feminized pursuit of pleasure separated from the more masculine, utilitarian quest for knowledge. For one thing, as Nigel Leask has argued, despite an emergent Romantic-era „scepticism“ about the possibility of travelogues consisting of „purely objective description“, the „complexity and diversity of the literary and epistemological fields“ at the time make it impossible to support any claims about a clear break between these two major strands of the genre at the opening of the nineteenth century.20 More to the point here, many of the women themselves resisted the idea that they should simply to write about their feelings, choosing instead to follow older ideas about travel as „pleasurable instruction“, and continuing to emphasize the instruction at least as much as the pleasure. As Rosemary Sweet has noted in reference to British visitors to Rome, even as the discourse of Roman travel was „beginning to fragment“ by the end of the eighteenth century, the „pursuit of taste“ remained important,21 and of course a demonstration of taste went hand-in-hand with the sort of claims to antiquarian and artistic knowledge that Lady Miller had attempted to assert in the 1770s. The degree to which such values remained central to womenQs ideas of what constituted ,properQ travel writing, even towards the end of the century and even in the face of the sort of dismissive commentary received by Miller, is suggested by the content of journals never intended for publication. In that case, rather than attempting the sort of public display of erudition derided by reviewers, women were writing strictly for their own pleasure and perhaps that of close friends and family, and a significant component of that pleasure appeared to arise from demonstrating the sorts of cultural and intellectual self-improvement gained by travel. To give just one example, a 1789 journal kept by the then-fourteen-year-old Lady Charlotte Campbell (later Bury) (1775–1861) when she toured Italy with her parents, the Duke and Duchess of Argyll, is a dutiful record of Joseph Marie Lequinio, Voyage Pittoresque et Physio-Pconomique dans le Jura, vol. 1, Paris 1801, 9. The English phrase is quoted from a review of the book published in The Annual Review 1 (1803), 44. 20 Cf. Nigel Leask, Curiosity and the Aesthetics of Travel Writing, 1770–1840. From an Antique Land, Oxford 2002, 6. 21 Cf. Rosemary Sweet, The Changing View of Rome in the Long Eighteenth Century, in: Journal for Eighteenth-Century Studies 33 (2010), 145–164, here 155. 19

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historical facts about the places they visited and the artworks that they saw, and BuryQs idea of what constituted appropriate material for an enjoyable travelogue is suggested by her emphasis not on her own thoughts and feelings but rather on the information about art, history and culture provided by her guides. (She reveals her sources of information in an annoyed aside explaining that she is unable to identify the creator of a needlework portrait of Christ that she admired because the ,stupidQ guide was unable to provide her with the artistQs name.22) Significantly, references in the journal itself suggest that this idea of what a travelogue should look like was shaped in part by other women – she compares her impression of Padua to that of Hester Piozzi – and her decision some fourteen years later to transcribe and preserve the journal for her own daughter implies a that even as an adult Bury believed that this record of her adolescent commentaries on art and artwork retained a continuing interest and value for other female readers, albeit within a very limited circle. While women travellers continued to insist upon the value of the information that they gained from travel, however, their culture was giving them very different messages. Had she chosen to publish her account of her Grant Tour, Bury, like Anna Miller before her, would probably have found her intellectual interests being treated dismissively. Indeed, the major public, artistic record of BuryQs time in Italy points to the ways in which even as women of her generation were being assimilated into discourse of travel, they were continuing to be treated in a very different manner than their male counterparts. In a Grand Tour portrait by the German artist Johann Tischbein (now owned by the Scottish National Portrait Gallery), Bury is depicted draped in vaguely neo-classical robes, sitting in a grove; in effect, she becomes an aestheticized element of an exotically classical world rather than an observer or student of it. The point is reinforced by contrasting the portrait of Bury with the Grand Tour portrait of her elder half-brother, the eighth Duke of Hamilton. The DukeQs tour, made more than a decade earlier under the supervision of the physician and writer John Moore, had become something of an exemplary version of the traditional, masculine tour after Moore made it the subject of his two very popular travelogues. In his portrait (by the Scottish artist Gavin Hamilton and also owned by the Scottish National Portrait Gallery), the Duke is portrayed with Moore, who gestures towards the city of Rome in the background, while MooreQs young son and namesake, in military uniform, gazes admiringly at the fashionable young Duke. As Hamilton makes clear through his painting, the Duke is part of a cosmopolitan, sophisticated world, in which education and public service are dominant values. (For later viewers, the fact that the younger Moore eventually became one of BritainQs most celebrated heroes of the Lady Charlotte Bury, unpublished journal. Edinburgh, National Library of Scotland, Acc. 8110, f. 83. 22

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Peninsular Wars would have added extra resonance to this aspect of the painting.) Even the animals accompanying the siblings reinforce the artistsQ heavily gendered messages. The Duke rests his hand near the head of a large, powerful dog, whose attentive gaze mirrors that of the younger Moore, while Bury is depicted bending the branch of a tree to feed a doe that timidly leans forward. The ways in which Tischbein positions Bury as a focal point of the viewerQs aesthetic pleasure is echoed in the rhetoric that some early nineteenth-century critics used in their discussions of women travel writers. By the beginning of the century, there was a marked tendency to praise women travellers not just for the affective qualities of their prose but also for the degree to which the women themselves could, like Bury, be imagined as embodying elements of stereotypically feminine desirability against a pleasurably exotic backdrop. To take two very famous examples, Mary Wollstonecraft was proud that an official in Sweden thought she asked „menQs questions“,23 but the success of her Short Residence in Sweden was driven far more by fascination with its impassioned narrative voice than by the facts and figures that it provided about late eighteenth-century Scandinavian life. In William GodwinQs much-quoted opinion, it was „a book calculated to make a man in love with its author“.24 A generation later, when WollstonecraftQs daughter Mary Shelley published her account of a European tour, BlackwoodQs proclaimed deep admiration for the work, despite the fact that, according to the unidentified reviewer, nobody would be „much the wiser“ after reading it. What the book offers instead, the reviewer explains is a picture of charmingly youthful female exuberance, as the author, in his words, „prattles away very prettily“ about all the new things she is seeing.25 This tendency to make the woman traveller herself part of the aestheticized pleasure that the reader finds in the work also helps to explain an otherwise odd tendency on the part of at least some reviewers to dwell upon the writerQs marital status. The BlackwoodQs reviewer explicitly links ShelleyQs success as a travel writer to what he, with almost comic inaccuracy, believes to be her whole-hearted embrace of a conventional marital life: as a „sweet-blooded wedded wife“, her heart „is at all times open to gladness and kindly feeling“, he proclaims.26 A few years later, a reviewer writing for The Westminster used similar rhetoric to comment approvingly on Marianne BaillieQs 1825 account of her Portuguese travels. If one is looking for an „unadorned, and unexaggerated picture“ of „actual Cf. Mary Wollstonecraft, Letters Written in Sweden, Norway, and Denmark, ed. by Tone Brekke and Jon Mee, Oxford 2009, 11. 24 Cf. ibid., ix. 25 Cf. anon., Review of ,History of a Six WeeksQ TourR, in: BlackwoodQs Magazine 3 (July 1818), 412–416, here 412. 26 Cf. ibid., note 25. 23

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life“ abroad, he writes, „there is no pen like that of a married female“ – and he stresses that the „married“ part is „indispensible“.27 The assumption, on the part of both reviewers, seems to be that marriage centres a womanQs attention on her affective ties, as opposed to more intellectual interests, and thereby ensures that she herself can easily be assimilated into a conventional narrative of femininity, even as she takes up the relatively unconventional roles of traveller and writer. The BlackwoodQs writer, in particular, comes close to making this point explicit as he contrasts Shelley with her older contemporary Elizabeth Isabella Spence (1768–1832), whom he dismisses as a „sour solitary spinster“ whose neglected affective life has curdled her writing into pretentious dullness.28 Some forty years after Miller was mocked for her pretentiousness in writing about art and culture, matters had degenerated to the point that SpenceQs similar choices as a travel writer were used as a measure of her failure not just as a writer but also as a woman. III. Charlotte EatonQs Reinvention of WomenQs Travel Charlotte Eaton is not well known today, but in her own time, she was a prominent voice among the early nineteenth-century British writers about Italy. This was a disparate group, encompassing the antiquarians Joseph Forsyth (1763–1815), John Milford (fl. 1815–1842), and John Chetwoode Eustache (c. 1762–1815); the artist Henry Sass (1788–1844); and women with a range of interests and approaches, including Mariana Starke (1762–1838), Sydney, Lady Morgan (1781–1859), Anna Jameson (1794–1860), and EatonQs younger sister Jane. Charlotte and Jane Waldie were the daughters of a Kelso gentleman, born in 1788 and 1793, and while little is known about their early lives, they appear to have been interested in art and culture from childhood. Their familyQs country house, Hendersyde Park, had a collection of art that their brother thought sufficiently distinguished to merit a printed catalogue of over two hundred pages,29 and their uncle was a school friend of Walter Scott. Charlotte herself claimed to have had a lifelong passion for study. Her interests in arts and culture led her to take an active role in raising money for the monument to the poet James Thomson that was erected at his birthplace, near the grounds of Hendersyde,30 and she was apparently an aspiring novelist before she began her travels. Clare Taylor identifies her as the author Cf. anon., Review of ,Lisbon, in the Years 1821, 1822, and 1823R, in: The Westminster Review 3 (Jan 1825), 275–277, here 275. 28 Cf. anon., Review of ,History of a Six WeeksQ TourR (see note 25), 412. 29 Cf. John Waldie, A Descriptive Catalogue of the Collection of Pictures, Sculptures, Bronzes, &c. at Hendersyde Park, Edinburgh 1835. 30 Her fundraising efforts are documented in an unpublished letter to John Murray. Edinburgh, National Library of Scotland, MS 40538, ff. 1–3. 27

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of an 1814 letter to The Monthly Review in which the writer notes the coincidental similarities between Maria EdgeworthQs Patronage and a novel that she had „lately written“. The fact that Charlotte thought it necessary to „vindicat[e]“ her „literary and even moral character“ in public in reference to a novel that she had made no attempt to publish at the time suggests that she was sufficiently serious in her literary aspirations to have shared the manuscript with at least some readers beyond her immediate circle.31 The sisters also seem to have had the support of their family in their literary work: CharlotteQs journal of her June 1815 visit to Belgium – she arrived in Brussels on the morning before the Battle of Waterloo – was seen into print in 1817 by family members in Britain while she was already in Italy. Narrative of a Residence in Belgium32 gives us some intriguing insights into the ways in which EatonQs initial practice and reception as a travel writer was shaped by gender, even as she was writing a book that could claim considerable informational value: what she was offering was a picture of life in Brussels during the battle and an eye-witness account of its aftermath. The Narrative was an expansion of an earlier, shorter account of the Battle of Waterloo, complete with sketches by Jane, that Charlotte had published shortly after returning to England from her Belgian tour. The reception of this second, longer narrative, which incorporates some elements of a conventional travelogue, is strikingly, if unsurprisingly, different from that of the original, more narrowly factual volume. And it seems clear that that difference arises at least in part because Eaton identifies herself as a woman on the title page of the later book but not the first. The Eclectic, for example, was willing to take the „Editor“ of the Waterloo book at face value as a strictly objective reporter, praising the accuracy with which „he“ delineated „the crisis of the battle“.33 Two years later, however, the same journal offered a very different perspective on the Narrative. The fact that the author is a woman, the reviewer explains, means that the book inevitably provides „a domestic picture of the feelings excited by the Battle of Waterloo […] rather than a narrative of the manner in which it was conducted“,34 and even though Eaton is offering a first-hand account of a transformative moment in European history, the reviewer finds that the main value of the book – which, in general, he admires – lies in its depiction of feminine sensitivities. „The grander events of life“, he writes, Cf. Charlotte Waldie Eaton, Similarity to Miss EdgeworthQs ,PatronageR, in: The Monthly Magazine 38 (1814), 423 f., here 424. TaylorQs identification of the author appears in her 2004 Dictionary of National Biography entry for Eaton. 32 An Englishwoman [Charlotte Waldie Eaton] Narrative of a Residence in Belgium and of a Visit to the Field of Waterloo, London 1817. 33 Cf. anon., The Battle of Waterloo, in: The Eclectic Review n.s. 4 (1815), 570–578, here 572. 34 Anon., Narrative of a Residence in Belgium, in: The Eclectic Review n.s. 4 (1815), 573–579, here 573 f. 31

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falling more rarely within the sphere of the actual observation of woman, awaken in her, when an opportunity of contemplating them does occur, a transport of feeling, which men seldom experience, and still more seldom express. Susceptible and enthusiastic from organization, retired and timid through habit, she is at once powerfully alive to impressions of novelty, and eloquent in her description of its effects.35

Instead of paying attention to the historical significance of the events being described or even assessing the bookQs potential contributions to the historiography of Waterloo – although it was popular enough to be republished under a new title in 1852 and, according to Peter Livsey, became one of the main sources for later nineteenth-century literary recreations of the battle – the reviewer praises the authorQs „melting sensibility“ and „active tenderness, which“, he proclaims, „are at once the most engaging and the most valuable attributes of the female character“.36 It is impossible to know whether or not Eaton read this review, which was not published until after she arrived in Rome at the end of 1816. Yet the preface of Rome in the Nineteenth Century can be read as an implicit rejection of such heavily gendered ways of reading travel writing and as a tart declaration of interests beyond the depiction of her own feminine sensibility. Although the book was published anonymously, and Eaton did not signal her gender on the title page (as she did with Narrative of a Residence in Belgium), she made no attempt to conceal in the text itself that the author was a woman. In that respect, her prefatory assertions that the essential responsibility of the travel writer is to provide accurate information, as opposed to chattily amusing records of feeling, become all the more striking and can be read as a direct attack on what had been by then a generation of critics asserting that, where women were concerned, precisely the opposite was true. Indeed, Eaton goes much further, stating directly that the scope and range of her interests and expertise mean that none of the many other books on Italy can match the intellectual heft of her volume: There is not one that contains any account of its antiquities, that can satisfy the antiquary – any description of its monuments of art, that can interest a man of taste – or any general information respecting its multiplied objects of curiosity and admiration, that can gratify the common inquirer. Every enlightened stranger at Rome feels the utter inefficiency of all the published accounts. He gazes on the splendid works of antiquity which surround him, lost in doubt as to their name, their date, and their destination.37

Ibid, 574. Ibid, 575; Peter Livsey, Napoleonic Encounters. The Waldies of Forth House, Newcastle, www.yumpu.com. 37 Charlotte Waldie Eaton, Rome in the Nineteenth Century. Written in Three Volumes, Edinburgh 1820, vol. 1, vi. 35 36

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In her appeal to the „enlightened stranger“, Eaton is glancing back to the cosmopolitan idea of the eighteenth-century (male) grand tourist, but she is expanding the range of material that might be expected to appeal to such a figure. As she promises to enlighten her readers on everything from classical history through art to mere „objects of curiosity“, she implies that the truly enlightened traveller is marked by the inclusivity of her tastes, rather than by any strictly hierarchical understanding of what constitutes worthwhile „knowledge“. Granted, Eaton needed to do a certain amount of special pleading to establish her credentials as an ,enlightenedQ traveller. In her preface, she explains that over the two years of her residence in Rome, she took the opportunity to „avail“ herself „to the utmost of every means of intelligence, of access to rare books, of the opinions of the best informed, and above all, of the diligent study of history“.38 She is even more forthright in response to the publisher John Murray, who had apparently explained his reluctance to publish her work in part through his hesitance about her ability to properly assess the sources she cites. „I must observe“, she writes tartly, that I do not quite understand your remark ,of my not being able to look into authorities myself.R – I am certainly able – whether the work be in latin, italian, french, or english – to read & understand it – and I am sure I have not been deficient in industry. There is no author that I have left unconsulted. – My citations I have scrupulously made in English – from the wish to make the knowledge which is generally confined to the – comparatively – learned popular – but the translation is always literal, & I think accurate. – If you imagine I have taken them second hand, you are mistaken. – Few I believe have gone so invariably to the fountain head.39

While she adds a conventionally modest disclaimer in the preface to the second edition that it „was with unfeigned diffidence“40 she chose the bring the product of her intellectual labour into print, Eaton is remarkably forthright in her implicit challenge to critics who, like the EcleticQs reviewer, assumed that the proper way to measure travelogues by women was through the quality of the emotion that they evoked rather than the soundness of the information that they provided. EatonQs rejection of these standards for judging womenQs travels is further highlighted by the contrast between the structure of her book and her sister JaneQs Sketches Descriptive of Italy, which is an account of the same journey. WattsQs book is a conventionally chronological narrative of her journey, in which she includes chatty accounts of the challenges of travel and the various adventures and difficulties she encounters on the way. She takes the entire first volCf. ibid., xf. Charlotte Waldie Eaton, unpublished letter to John Murray. Edinburgh: National Library of Scotland, MS 40538, f. 25, emphasis in original. 40 Cf. Charlotte Waldie Eaton, Rome in the Nineteenth Century, vol. 1, Edinburgh 21822, xix. 38

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ume (of four) to describe her experiences on the road to Rome; in contrast, Eaton launches her book with what is, in effect, an essay on art history, as she offers an assessment of the Venus de Medici and other sculptures in the Uffizi. EatonQs observations on this collection are also somewhat surprisingly resistant to being incorporated into a narrative of feminine sensibility, as the contrast with her sister makes clear. Jane Watts (who saves her description of the Venus de Medici for her fourth volume and the return visit to Florence) relies upon the words of other writers to convey her private aesthetic experience. She quotes James ThomsonQs description of the Venus de Medici as the „statue that enchants the world“, and then adds that its beauty is too powerful for „words, even poetical ones, to convey“.41 Admittedly, Eaton opens her account of the statue with the same line but then goes on to dispute rather than amplify, this poetic approach, noting briskly that what she saw was not the „soul-seducing image“ formed by her reading and her imagination but simply a fine statue of „a lovely and graceful woman“ with „rather thick“ legs.42 In general, Eaton tends to be dismissive about rhapsodically aestheticized descriptions of art, at least when unaccompanied by more factual detail. After summarizing WinkelmanQs elaborately emotive account of the Albani Thetis, for example, she remarks dryly that all one can gather from the „several pages“ he takes to describe it „is, that the thing being described must be something very pretty“.43 Unlike her sister, her discussion of art and antiquities tends to be buttressed at least as much by her classical reading and by contemporary scholarship as by poetry and the language of sensibility; she is just as interested in conveying visual, historical, and contextual information about the works in question as in documenting her own reactions to them. Granted, there are occasions on which she gives way with cheerful gusto to over-the-top emotive language. Her first glimpse of the Apollo Belvedere leads to several pages of poetic effusions in which she attempts to evoke the impact of what she calls „ideal beauty revealed to our senses“.44 Yet even here, as she insists that „the cold language of critics“ is incapable of communicating the overwhelming power of the work, she maintains enough of a critical eye to note the „badly repaired“ sections of one foot and ankle.45 Even more to the point, she concludes her account of the Apollo with some gentle mockery of what she implies is a form of emotional self-indulgence. „You will think me mad“, she tells her unnamed correspondent, but assures him that at least she is not as far Cf. Jane Waldie Watts, Sketches Descriptive of Italy in the Years 1816 and 1817, 4 vols., London 1820, vol. 4, 32. 42 Cf. Eaton, Rome in the Nineteenth Century (see note 37), vol. 1, 2. 43 Cf. ibid., vol. 3, 118. 44 Cf. ibid., vol. 1, 169, emphasis in original. 45 Cf. ibid., 168. 41

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gone as a presumably apocryphal young Frenchwoman who „at the sight of this matchless statue, lost at once both her heart and her reason“, then sat in front of it till she pined away and died.46 As Eaton quietly undercuts this narrative of female emotional excess, it is possible to read her anecdote as an implicit critique of worries by Moore and others that women will be led into inappropriately erotic responses by their exposure to classical art. Assuring her correspondent that she has no intention of dying from her susceptibility to aesthetic beauty, she moves briskly on to an analysis of the statueQs provenance, history, and materials, drawing on sources from Tacitus and Pliny to Winkelmann as she does so. In effect, Eaton takes for granted the compatibility of scholarly, aesthetic, and emotive responses to this statue – one of the most written about by eighteenth- and nineteenth-century British visitors to Rome – and in doing so, she offers an implicit challenge to contemporary assumptions that women travellers ought generally to confine themselves to the last. Eaton is also inclined, like her male predecessors on the Grand Tour, to assume it is part of her task to investigate contemporary politics, a subject that occupies her in far different ways than it does her sister. Watts does not avoid entirely the political contexts of her travels, noting such things as sites of battles and roads left incomplete at the fall of Napoleon. Yet she tends to diffuse the political implications of her travels by treating any encounters with current or formerly powerful figures as occasions for sentimental tableaux and moral reflection. A glimpse of the former empress Maria Louisa at the theatre in Parma, for example, leads into a series of sombre reflections on the vicissitudes of power.47 Likewise, while she mentions in passing that Pope Pius VII „spoke with energy“ and „some bitterness“ about the French during their audience,48 she quickly shifts from the political to the sentimental register, using a line from Alexander PopeQs „Eloisa to Abelard“ to downplay any contemporary resonance in his emotion. In contrast, Eaton does not mention the sighting of Maria Louisa at the opera (and indeed mentions her only to regret that her features are so plain that they reduce the artistic impact of a sculptural portrait by Canova),49 and she goes into much more detail about the PopeQs political views, offering her readers what she presents as a direct transcription of his „energetic picture of the miseries“ of the Napoleonic years. „What!“ she reports him saying in response to her comment that the French restored what they took from Italy. „[H]ave they restored the blood they have spilt – the wealth they have squandered – the morals they have corrupted?“50 Elsewhere, she discusses, 46 47 48 49 50

Cf. ibid., 169. Cf. Watts, Sketches Descriptive of Italy (see note 41), vol. 1, 238. Cf. ibid., vol. 3, 254. Cf. Eaton, Rome in the Nineteenth Century (see note 37), vol. 3, 301. Ibid., 121 f.

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with confident ease, matters ranging from the economic impact of duties to the politics of Italian unification.51 None of this is to imply that EatonQs book is ,betterQ than her sisterQs. Rather, what Eaton offers is an implicit demonstration that there is a range of appropriate modes of travel open to women. Her praise of her sisterQs book in the preface of her own as being among the „best“ of the recent Italian tours52 – although she does not mention that the author is her sister – implies that she sees a place for women to offer admirable travelogues that fit within contemporary ideas about how women should write. She reinforces this point in a sharp comment to Murray, who was hesitating about JaneQs manuscript, writing „I must say I think it is far superior to Milford Sass & many others I could name“.53 This comment can be read as a rejection of any hierarchical concept of travel writing: MilfordQs antiquarian interests are, Eaton implies, no more intrinsically valuable than her sisterQs reflections on landscape, aesthetics, and the process of travel. Yet Eaton goes further in her own work; as her treatment of the Apollo Belvedere makes clear, she is interested in breaking down the boundaries between conventionally gendered types of travel writing. That willingness to combine styles of travel writing appears as well in the relatively few points at which she describes the actual process of travelling. Unlike her sister or her contemporary Mariana Starke, she appears relatively uninterested in the practicalities of life on the road, but she does include a few anecdotes about her journey. Perhaps most notably, she provides a relatively detailed account of the uncomfortable winter journey that she and her sister made from Siena to Rome, with no companion except an Italian guide, and during which they stayed in dirty, insecure rooms and terrified themselves with exaggerated visions of banditti and Radcliffian adventure. „Certainly nothing could look more like an assassin“, Eaton writes of the ragged man who turned up at in their room in an isolated mountain village at four in the morning with a „huge knife or axe“. As it turned out, however, he was there only to cut their firewood and start their fire, and so, Eaton concludes, „with heads unchopped off we proceeded“.54 What Eaton is offering here is a sort of performative feminine artlessness combined with a nod to her own and her readersQ literary sophistication. That said, the question remains whether we can see Eaton as working within or contributing to a discourse of Enlightenment feminism. In some ways, Eaton appears to have embraced restrictive concepts of feminine literary decorum: she was unrelentingly insistent, for example, that her name not appear on the title pages of Cf. ibid., 406–411. Cf. ibid., vol. 1, vii. 53 Charlotte Waldie Eaton, unpublished letter to John Murray. Edinburgh, National Library of Scotland, MS 40538, f. 23v. 54 Cf. Eaton, Rome in the Nineeteenth Century (see note 37), vol. 1, 70 f. 51

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any of her books and that Murray maintain the secret of her authorship. More significantly, even as she implicitly critiqued assumptions about gender-appropriate forms of knowledge in her own book, Eaton could be dismissive about some conventionally feminine interests and topics. She mocked Marianne BaillieQs Portuguese travels – which the Westminster had praised for their exemplary femininity – as a mere „tour of caps & coiffeurs“.55 Yet the point remains that in looking back to an older, Enlightenment idea of travel as a pursuit of a particular type of knowledge, Eaton is doing more than simply demonstrating that she can participate in a conventionally ,masculineR discourse. By incorporating the languages of poetry, affect, and sentiment into her discussions of history and antiquities, she is demonstrating her conviction that women could not merely participate in but actually reinvent the process of gathering and sharing knowledge gained through travel. Whether or not Eaton succeeds in this attempt to write a book that creates a version of enlightened – as opposed to sentimental or affective – female travel might of course remain a matter of some debate. The book was popular and successful enough have gone into a fourth edition by 1826, and it received a number of positive reviews. The Monthly declared that EatonQs „estimate of the utility of her work has been by no means miscalculated“, while by 1825, The Westminster Review was already treating it as a standard reference, by far „the most able, the most original, and the most amusing“ of the available guides.56 Yet at the same time, the Westminster reviewer readily admitted when the book first came out, „the bare idea“ that a „young lady“ would produce „three thick volumes“ on Roman art and antiquities filled him with „horror“, and he later adds that some of the more rhapsodic descriptions of nature „betray[ ] the sex of the author“,57 an observation that implies that he sees Eaton as an only partially successful exception to his cultureQs gendered assumptions about travel writing. Likewise, the Monthly reviewer complains that her „cool investigation and critical analysis“ of antiquities is sometimes marred by her indulgence in „the fervour of poetry“.58 The reviewer found fault as well with at least some of EatonQs „critical analysis“, blaming her for „a fault which is less pardonable in a book written by a lady than in the composition of one of our own sex; viz. an ostentation of learning falling little short of pedantry“.59 Worse, given that classical history learned from original Charlotte Waldie Eaton, unpublished letter to John Murray. Edinburgh: National Library of Scotland, MS 40538, f. 10. 56 Cf. anon., Review of ,Rome in the Nineteenth CenturyR, in: The Monthly Review n.s. 96 (1821), 338–354, hier 341; cf. anon., Review of ,Rome in the Nineteenth Century and Italy and the ItaliansR, in: The Westminster Review 3 (1825), 358–385, here 360. 57 Cf. The Westminster Review (see note 56), 361, 366. 58 Cf. The Monthly Review (see note 56), 347, 341. 59 Cf. ibid., 338. 55

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sources was not usually included „in the circle of female attainments“,60 he (like John Murray) hints that EatonQs commentary must have been borrowed from male scholars, rather than derived directly from a study of the classical sources she cites. Other critics were even less kind: in 1831, Edward Carleton Tufnell, writing in the Foreign Quarterly Review, described Rome in the Nineteenth Century as the „ne plus ultra of coxcombry“ and used it as an illustration of why „female tourists“ did not „hold a very exalted rank in the circle of literature“.61 Perhaps most importantly, however, as the nineteenth century moved on, EatonQs version of the Italian travelogue lost ground to a completely different sort of book, the practical handbook for tourists inaugurated by EatonQs contemporary, Mariana Starke. Of course, Starke herself insisted that she was doing more or less the same sort of thing as Eaton: in the 1814 letter in which Starke offered her book to the publisher John Murray, she makes a point of stressing that what she is writing „is not merely a road-book, but [that it] likewise contains a classical account of the most celebrated works of art which adorn the Continent“.62 Yet the other part her work – „necessary & accurate directions, relative to travelling […] with comfort & oeconomy, on the continent“63 – moves in a completely different direction from Eaton, whose focus is unapologetically on the intellectual pleasures, not the practical difficulties, of travel and who makes clear that she is not writing for the casual tourist attempting to crowd in as much as possible in a relatively short time. Her book, in effect, looks back to the eighteenth-century model of the Grand Tour rather than forward to the nineteenth-century industry of mass tourism. Yet even if Eaton was somewhat out of step with her times, she still deserves attention for her attempt to give a feminine, and perhaps even feminist, twist to Enlightenment ideas of educational travel in the post-Napoleonic era of emerging tourism. Dieser Beitrag untersucht die Reiseberichte von Charlotte Waldie Eaton im Kontext von Debatten über den Zweck von Reisen und Reiseliteratur am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Eatons Text greift zurück auf ein älteres Konzept des Reisens, das das Sammeln und Teilen von Informationen privilegierte, und widersetzt sich damit zeitgenössischen Vorstellungen von einer angemesseneren ,femininenR Art die Welt zu sehen und zu beschreiben. Wie der Beitrag zeigt, verlagerte sich um 1800 die Tendenz hin zu weiblichen Reisebeschreibungen, die das Augenmerk vor allem auf emotionale Reaktionen und ästhetischen Genuss legten. Eaton jedoch bestand auf dem intellektuellen Anspruch ihrer eignen Darstellung italienischer Kunstwerke und Antiquitäten, sowohl in ihrem Buch als auch in der Korrespondenz mit ihrem Verleger. Auf diese Weise leistete sie

Cf. ibid. Cf. Edward Carleton Tufnell, Review of ,Briefe über einen Theil von Croatien und ItalienR, in: Foreign Quarterly Review 6 (1831), 423–432, here 423, emphasis in original. 62 Starke, Unpublished Letter (see note 16). 63 Ibid. 60 61

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einen höchst ungewöhnlichen Beitrag zur Reiseliteratur, zu einer Zeit, als diese Gattung eine bedeutende Veränderung durchlief. This paper looks at the travel writing of Charlotte Waldie Eaton in the context of late eighteenth- and early-nineteenth century debates about the purposes of travel and travel writing. Looking back towards an older concept of travel that focused on gathering and sharing information, Eaton challenges contemporary ideas about what constituted appropriately ,feminineR ways of looking at and writing about the world. As the paper argues, there was a marked tendency in late eighteenth- and early nineteenth-century criticism to prefer womenQs travel writing that focused on sentimental or aesthetic responses. Eaton, however, insists upon the intellectual rigour of her own presentation of Italian art and antiquities, both in the book itself and in her correspondence with her publisher. In doing so, she offers a highly unusual contribution to the travelogue, at a time when the genre was already undergoing significant change. Dr. Pam Perkins, University of Manitoba, Department of English, Theatre, Film, and Media, Winnipeg Manitoba Canada R3T 2N2, Email: [email protected]

Schattenriss aus: [Marianne Ehrmann,] Kleine Fragmente für Denkerinnen, Isny 1789

K U R ZB IO GR A P HIE

Marianne Ehrmann (1755–1795)

Durch seine Kritik konventioneller Geschlechterverhältnisse kann das literarische und journalistische Werk Marianne Ehrmanns als repräsentativ für den Anspruch weiblicher Emanzipation zur Zeit der Aufklärung gelten. Ehrmann (geb. [von] Brentano)1 wurde am 25. November 1755 im schweizerischen Rapperswil als Tochter von Maria Sebastiana, geb. Corti, und des Kaufmanns Franz Xaver Brentano geboren. Bevor ihre Mutter 1770 und ihr Vater 1775 verstarben, erhielt Ehrmann Unterricht von ihren Eltern; dies änderte sich in den Jahren 1775 bis 1777, in denen sie in Kempten von ihrem Onkel Dominikus von Brentano (1740–1797), der als Geistlicher Laut H. S. Madland (1998, 288 f.) gilt es als umstritten, ob Marianne Ehrmann mit einem Adelstitel geboren wurde. Folgt man K. Feilchenfeldts Aussage in Die Brentano. Eine europäische Familie, wurde sie als „Brentano“ geboren, während ihr Mann in ihrer Biographie auf ihren Nachnamen „von Brentano“ verweist, was womöglich den Hintergrund hat, dass ihr Onkel, Dominikus (von) Brentano, den Titel während seines Aufenthalts am Hof in Kempten erhielt und M. Ehrmann diesen übernahm. 1

Rat und als bekannter Theologe wirkte, unterrichtet wurde, und der einen nachhaltigen intellektuellen Einfluss auf ihr emanzipatorisches und aufklärerisches Gedankengut ausübte. Ihre erste Ehe mit einem Offizier, vermutlich aus ökonomischen Überlegungen geschlossen, die von 1777 bis zur Scheidung 1779 andauerte, erwies sich als wenig glücklich, da sich ihr Ehemann als spiel- und alkoholsüchtig offenbarte und sie infolge seiner Misshandlungen eine Fehlgeburt erlitt. Nach einer Bildungsreise durch Deutschland und Italien ging Ehrmann 1780 nach Wien, wo sie sich angesichts ihrer ungesicherten gesellschaftlichen Stellung und Mittellosigkeit nach der Scheidung einer Schauspielgruppe anschloss und unter dem Künstlernamen „Madame Sternheim“ auftrat. Die Tätigkeit als Schauspielerin bedeutete für Ehrmann eine neue finanzielle und geistige Unabhängigkeit, was für ihre späteren Werke prägend war. Durch ihre Karriere als Schauspielerin wirkte Ehrmann im öffentlichen Raum, was ihr 1784 den Übergang zur Tätigkeit als Schriftstellerin er-

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Kurzbiographie

möglichte. Ihre ersten beiden Werke Müssige Stunden eines Frauenzimmers und die Philosophie eines Weibs. Von einer Beobachterin erschienen zunächst anonym. Der Verweis auf „eine Beobachterin“ als Autorin der Philosophie verriet eine weibliche Verfasserin der Abhandlung, die damit in den von Männern dominierten Geschlechterdiskurs der Zeit eintrat, sich aber zugleich als neutrale, objektive Außenstehende positionierte. Zugleich provozierte sie mit dem Begriff der „Philosophie“, mit dem sie beabsichtigte, unmittelbar in den intellektuell dominierenden Diskurs der Aufklärung einzutreten, der eigentlich Männern vorbehalten war. Ohne die strenge Form einer philosophischen Abhandlung aufzuweisen, gliedert sich der Text in die drei Themengebiete der Liebe, der Erziehung und der Geschlechterrollen. Ehrmann plädiert aus einem moralisch-kritischen Blickwinkel für eine tugendhafte Erziehung, die zu einem vernünftigen Verhältnis beider Geschlechter führen soll. Eine Rezeption rousseauscher Erziehungsprinzipien ist in der Beschreibung des Geschlechterverhältnisses deutlich zu erkennen, indem Ehrmann die These der natürlichen Komplementarität der Geschlechter vertritt; diese Ordnung steht laut Ehrmann aber im Widerspruch zu dem Verhalten in der Gesellschaft der Zeit, das eher einem Herrscher-Untertan bzw. OpferTäter-Verhältnis gleiche. Aufgrund der komplementären Rollenverteilung müsse sich die Erziehung von Jungen und Mädchen unterscheiden. Ehrmann

definiert das Geschlechterverhältnis als eine gegenseitige Abhängigkeit; auf unterschiedliche Weise sollen die Geschlechter das gleiche Erziehungsziel verfolgen. Dabei plädiert sie für eine Erziehung der Frauen, die sie Sittlichkeit und Vernunft lehrt und ihnen einen kritischen Blick auf die Sitten ihrer Zeit vermittelt. Die Liebe sollte laut Ehrmann nicht auf Vergnügen ausgerichtet sein, sondern auf Verstand, Tugend und Achtung, und sie warnt Frauen vor der Verführungskunst des männlichen Geschlechts. „Ein elendes Ding ist daher ein Frauenzimmer ohne System gegen die Liebe – gegen die Männer“ (Philosophie, 4), behauptet Ehrmann, die Frauen dazu auffordert, sich einen Mann weniger aus Gründen der Leidenschaft als vielmehr aus vernünftigen Gründen auszusuchen. So plädiert sie für eine rigorose Triebkontrolle in der Wahl eines Partners. Die pädagogische Ausrichtung ihrer philosophischen Abhandlung spiegelt ihren aufklärerischen Anspruch wider, ihre Leserinnen zu motivieren, mündige, selbstbestimmte Frauen zu sein. Als junge Autorin, die bereits mit ihren ersten beiden Werken reüssierte und zugleich durch Provokation Aufsehen erregte, vergrößerte sich ihr Drang nach schriftstellerischer Tätigkeit, sodass sich Ehrmann 1784 in Straßburg von der Schauspielgruppe trennte. Sie lernte den promovierten Juristen Theophil Friedrich Ehrmann (1762–1811) kennen, der eine Rezension über ihr Werk verfasst hatte. Seine Familie stand einer Heirat mit der sieben Jahre

Kurzbiographie

älteren, geschiedenen und finanziell bedürftigen Frau kritisch gegenüber, sodass die Ehe 1785/86 heimlich geschlossen werden und Marianne Ehrmann zeitweise in einer Wohnung versteckt gehalten werden musste. In Straßburg wurde 1786 Ehrmanns dramatisches Werk, Leichtsinn und gutes Herz oder die Folgen der Erziehung. Ein Original-Schauspiel in fünf Aufzügen, das sie unter dem Namen „Maria Anna Antonia Sternheim“ publizierte, veröffentlicht und aufgeführt. Das Drama handelt von einem Adligen, Graf von Treuberg, der sich in ein Bürgermädchen, Lottchen, verliebt. Lottchen wird als tugendhafte und vernunftbegabte Figur vorgestellt, die Treuberg stets mit aufklärerischen Argumenten begegnet und die Ständegesellschaft grundlegend infrage stellt: „Und was ist denn eigentlich Geburt? Ein elender Zufall, ein Ungefähr, ein Nichts, ein so unbedeutendes Nichts, daß sich der Rechtschaffene nicht schämen darf, wenn es ihm nicht zu Theil geworden ist.“ (Leichtsinn, 56) Nachdem Lottchen Treuberg eine sofortige Heirat vorschlägt, bittet dieser um 14 Tage Bedenkzeit. Lottchen fühlt sich durch diese Bitte in ihrer Ehre gekränkt, nimmt vor Wut eine Pistole von der Wand, zielt auf den Grafen und drückt ab; die Waffe ist jedoch nicht geladen. Mit dieser Szene beweist sie weibliche Handlungsmächtigkeit und begehrt gegen die Ansprüche der männlichen Hauptfiguren auf. Als Ursache für das Verhalten des Grafen wird im Stück der ehemalige Hofmeister – Herr Mekler – verant-

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wortlich gemacht, durch den der Graf bestimmt wird. Der letzte mahnende Satz des Stücks – Eltern sollten auf die Erziehung ihrer Kinder achten – kritisiert die gängige Erziehungspraxis der Zeit. Die Rolle des Herrn Mekler wird deutlich problematisiert, denn er lehrte nach Aussage des Grafen, „das andere Geschlecht für ein Spielwerk meiner Sinnen [zu] halten“ (Leichtsinn, 108). Dieses Zitat unterstreicht die Ansicht Ehrmanns, dass das frauenfeindliche Verhalten der Männer auf die Erziehung zurückzuführen ist und nicht aus ihrer Natur hervorgeht, und dass das konventionelle Erziehungsprogramm auf eine neue vernünftige Grundlage gestellt werden muss. Nach einem Umzug nach Stuttgart veröffentlichte Ehrmann 1788 nicht nur Kleine Fragmente für Denkerinnen, eine Aphorismen-Sammlung über menschliche Gefühle, Moral, Religion und das Geschlechterverhältnis, sondern ebenso ihren ersten autobiographischen Briefroman, Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen. Von der Verfasserin der Philosophie eines Weibs. Sie kündigte diesen in der Frauenzimmer-Zeitung an, die von ihrem Mann herausgegeben wurde und in der sie belletristische Artikel veröffentlichte. In ihren 163 Briefen kritisieren Amalie, die Protagonistin des Romans, und Fanny, ihre beratende Freundin, die Institutionen und die Kultur des achtzehnten Jahrhunderts, insbesondere sprechen sie über die wirtschaftliche Stellung der Frau, diskutieren über Bildung, das Theater und die Rolle der Re-

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ligion. Dabei hält Ehrmann in ihrem Werk an der rousseauschen Idee eines von der Kultur zerstörten Naturzustands fest. Ihre Gesellschaftskritik ist stets auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten gerichtet und versucht, entsprechende Reformvorschläge zu formulieren. Ebenfalls autobiographisch kann der 81 Briefe umfassende Roman NinaQs Briefe an ihren Geliebten von 1788 gedeutet werden, denn die Beziehung der beiden Hauptfiguren ähnelt der Beziehung von Theophil und Marianne Ehrmann. Obwohl sich der Roman nur auf die Briefe von Nina beschränkt, erfährt man durch Ninas Worte, was ihr Geliebter – Friz – auf ihre Briefe antwortet. Durch Ninas Erzählfunktion im Roman erhält sie als weibliche Protagonistin die Rolle, den Diskurs zu leiten und die Kontrolle über die Informationen zu haben, die die Leserinnen und Leser erhalten. Nina berichtet in ihren Briefen von der Liebe zu Friz, dessen Eltern sie grundsätzlich ablehnen. Damit thematisiert Ehrmann nicht nur eine persönliche Problematik ihres Lebens, sondern kritisiert die gesellschaftlich vorgeschriebenen Rollenbilder von Mann und Frau. Im Roman werden insbesondere die Folgen einer konventionswidrigen Liebesbeziehung hervorgehoben, denn die Protagonistin leidet unter Suizidgedanken. Eine Kritik an unhinterfragten traditionellen Konventionen wird ebenso in dem im selben Jahr veröffentlichten Roman Graf Bilding. Eine Geschichte aus dem mittleren Zeitalter formuliert,

der in dialogischer Form verfasst ist und soziale Zwänge thematisiert, die sowohl Frauen als auch Männer betreffen. Ehrmann konstruiert einen männlichen Protagonisten, der unter der Kontrolle seines autoritären Vaters steht. In ihrem Roman macht sie deutlich, dass das Geschlechterverhältnis nur durch gegenseitigen Respekt und eine Kooperation von beiden Geschlechtern grundlegend modifiziert werden kann. Während Ehrmanns erste Publikationen mit den Informationen „Von der Verfasserin der Philosophie eines Weibs“ oder „Von der Verfasserin der Geschichte Amaliens“ versehen waren und diese von ihrem Ehemann herausgegeben wurden, trat sie 1790 mit ihrer Zeitschrift Amaliens Erholungsstunden. Teutschlands Töchtern geweiht von Marianne Ehrmann erstmals aktiv als Autorin und als eine der ersten weiblichen Herausgeberinnen einer deutschen Zeitschrift in die Öffentlichkeit. In ihrer Zeitschrift, die zunächst im Selbstverlag des Ehepaars erschien, plädierte sie – in kurzen Biographien, Anekdoten, fiktiven Gesprächen oder Prosatexten – vor allem für die Bildung der Frauen; sie machte deutlich, dass Männer die öffentliche Meinung formten und manipulierten und bewusst die Bildung von Frauen hemmten. Diesmal positionierte sie sich nicht außerhalb des Diskurses, sondern verdeutlichte in ihren Artikeln, in denen sie sich für Frauen aussprach, mit dem häufig wiederholten Personalpronomen „wir“, dass sie sich als Frau auf

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die gleiche Stufe wie ihre Leserinnen stellte und von der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit ebenso betroffen war. Sie betonte, dass den Frauen die Erziehung der Mädchen überlassen werden sollte und dass Frauen zu „Denkerinnen“ erzogen werden müssten, die sich in Bereichen der Sprachen, Geschichte, Geographie und Literatur Wissen aneignen sollten. Um die komplexe soziale Realität für ihre Leserinnen verständlich zu machen, verfasste Ehrmann für ihre Zeitschrift Erzählungen, die ihre Gesellschaftskritik ästhetisiert und in literarischer Verarbeitung wiedergeben. Exemplarisch dafür ist Die unglückliche Hanne, in der ein Dienstmädchen, Hanne, von dem Sohn eines Hofrats, Schwammer, verführt und von ihm schwanger wird. Aus Geld- und Hungersnot wird sie zur Diebin und wird schließlich mit ihrem Kind zusammen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In völliger Verzweiflung erkennt Hanne in der Gefängnisszene, dass ihre Tochter den misogynen Verhältnissen der Gesellschaft ausgesetzt sein wird und tötet ihr Kind in der Absicht, es vor gesellschaftlicher Erniedrigung zu bewahren. So wird im Roman ein Schwerpunkt auf die Beweggründe der Protagonistin gelegt, einen Kindesmord zu begehen: „Mutter bin ich? – Ja, Mutter eines Kindes, das nichts mehr als Schande zu hoffen hat“ (Hanne, 42). Ehrmann stellt auf drastische Weise literarisch dar, welche Folgen aus Angst vor gesellschaftlicher Demütigung sowie aus männlichem Fehlverhalten entstehen können.

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Nachdem der Selbstverlag der Ehrmanns aufgrund des Erfolgs 1791 von der CottaQschen Verlagsbuchhandlung übernommen worden war, kam es 1792 zu einem Bruch mit Cotta, da der Verlag Ehrmanns emanzipatorische Ideen scharf kritisierte. Um weiterhin als Gleichberechtigte am Geschlechterdiskurs teilzunehmen und ihre Kritik äußern zu können, wechselte Ehrmann 1793 zum Verlag Orell, Gessner, Füßli & Cie und brachte ihre zweite Zeitschrift, Die Einsiedlerin aus den Alpen. Teutschlands Töchtern geweiht von Marianne Ehrmann, heraus. Interessant ist, wie Ehrmann ihre gesellschaftliche Position als weibliche Autorin reflektiert und legitimiert. Die Rolle der „Einsiedlerin aus den Alpen“, deren Geschichte in mehreren Heften der Zeitschrift vorgestellt wird, impliziert eine sozial isolierte Position, die über der Gesellschaft steht, um durch einen distanzierten und zugleich reflektierten Blickwinkel die Probleme der Gesellschaft wirksamer analysieren zu können. Nach Ehrmanns Tod am 14. August 1795 in Stuttgart infolge einer Lungenentzündung veröffentlichte ihr Ehemann ihren literarischen Nachlass, ihre Erzählungen (1795), Amaliens Feierstunden (1796) und Antonie von Warnstein (1798). Zu Ehrmanns Lebenszeit gelang es ihr, eine wichtige Stimme im Geschlechterdiskurs zu sein und schließlich unter ihrem eigenen Namen zu schreiben – eine Errungenschaft, die zu ihrer Zeit für Frauen äußerst ungewöhnlich war. Mit einer selbstbewuss-

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ten Stimme und Autorität forderte Ehrmann in ihrem Werk Frauen dazu auf, rational zu denken, ohne dabei ihre sozial gezogenen Grenzen unvorsichtig zu überschreiten; sie warnte beispielsweise Frauen davor, ihre häuslichen Pflichten zu vernachlässigen. Ehrmanns Leben zeichnet sich nicht nur durch die einzigartige Situation als Herausgeberin zweier Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert aus, sondern auch durch ihre Position als weibliche Schriftstellerin, die mit ihrem Werk ihr grundlegendes Anliegen konsequent vertreten hat – Frauen ein Recht auf Bildung einzuräumen und ihre weiblichen Leserinnen zu selbstbestimmtem, kritischem Denken zu motivieren. Literatur in Auswahl: Müßige Stunden eines Frauenzimmers, Frankfurt am Main, Leipzig 1784; Philosophie eines Weibs, Kempten 1784; Leichtsinn und gutes Herz oder die Folgen der Erziehung. Ein Original-Schauspiel in fünf Aufzügen, Straßburg 1786; Graf Bilding. Eine Geschichte aus dem mittleren Zeitalter, Isny 1788; Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen, Bern 1788; NinaQs Briefe an ihren Geliebten, o. O. 1788; Kleine Fragmente für Denkerinnen, Isny 1789; Amaliens Erholungsstunden. Teutschlands Töchtern geweiht, 12 Bde., Stuttgart 1790–1792 (darin: Die unglückliche Hanne); Die Einsiedlerin aus den Alpen, 8 Bde., Zürich 1793/94; Erzählungen, Heidelberg 1795; Amaliens Feierstunden. Auswahl der hinterlassenen moralischen Schriften von Marianne Ehrmann. Er-

stes Bändchen: Amaliens Schreibtafel, Hamburg 1796; Antonie von Warnstein. Eine Geschichte aus unserm Zeitalter, Hamburg 1798; diverse Beiträge in Frauenzimmerzeitung, 1787/ 88, Der Beobachter, 1788–1790; Briefe an Johann Caspar Lavater, Stuttgart 1789–1792 (Zentralbibliothek Zürich, Lav. Ms. 507), an Johann Heinrich Heidegger, Stuttgart 1792–1795 (Zentralbibliothek Zürich, Ms. V 307.8), an Friedrich David Gräter, Stuttgart 1792/ 93 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, cod. misc. Q 30c, Nr. 22–24), an eine Unbekannte, o. O., o. J. (Zentralbibliothek Zürich, Ms. V 307.8), an einen Unbekannten, Stuttgart 1795 (Stadtarchiv Stuttgart, Nr. 707). Theophil Friedrich Ehrmann, Denkmal der Freundschaft und Liebe der verewigten Frau Marianne Ehrmann errichtet und allen ihren Gönnerinnen, Freundinnen und Leserinnen geweiht, Leipzig 1796; Friedrich David Gräter, Amalie. Ein Obelisk der Denkerin Marianne Ehrmann errichtet von ***, in: Theophil Friedrich Ehrmann (Hg.), Denkmal der Freundschaft und Liebe, Leipzig 1796, 187–196; J. J. Keller, Die Asche der verewigten Frau Marianne Ehrmann, in: Theophil Friedrich Ehrmann (Hg.), Denkmal der Freundschaft und Liebe, Leipzig 1796, 197–204; Theophil Friedrich Ehrmann (Hg.), Briefe von Gottfried August Bürger an Marianne Ehrmann. Ein merkwürdiger Beitrag zur Geschichte der letzten Lebensjahre des Dichters. Mit einer historischen Einleitung, Weimar 1802; Christine Touaillon, Der

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deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts, Wien, Leipzig 1919, 228 f.; Johannes von Brentano, Die Schriftstellerin und Dichterin Marianne Brentano aus Rapperswil und ihre Vorfahren und Verwandten, in: Heimatkunde vom Linthgebiet. Beilage zum St. Galler Tagblatt, 1935, 37–40; Edith Krull, Das Wirken der Frau im frühen deutschen Zeitschriftenwesen, BerlinCharlottenburg 1939, 236–276; Friedrich David Gräter, Mein Besuch bey Amalien und ihrem Gatten vom 24. Jul. bis 12. Aug. 93. Geschrieben für Freund Pahl, in: Dieter Narr (Hg.), Württenbergisch Franken, Bd. 52 (1968), 131–200; Dieter Narr, Studien zur Spätaufklärung im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, 413–416; Sabine Schumann, Das „lesende Frauenzimmer“: Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1980, 138–169; Elisabeth Friedrichs, Deutschsprachige Schriftstellerinnen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Stuttgart 1981; Ruth-Esther Geiger, Sigrid Weigel (Hg.), Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-Journal zum feministischen Journalismus, München 1981, 17 f., 22–28; Helga Meise, Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert, Berlin, Marburg 1983, 99–101; Ruth P. Dawson, „And this Shield is Called – Self-Reliance“ – Emerging Feminist Consciousness in

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the Late Eighteenth Century, in: Ruth-Ellen B. Joeres, Mary Jo Maynes (Hg.), German Women in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, Bloomington 1986, 157–174; Helga Brandes, Das Frauenzimmer-Journal: Zur Herausbildung einer journalistischen Gattung im 18. Jahrhundert, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, 452–468; Helga Stipa Madland, Three Late Eighteenth-Century WomenQs Journals: Their Role in Shaping WomenQs Lives, in: Women in German Yearbook 1988, 167–186; Helga Meise, Der Frauenroman: Erprobung der „Weiblichkeit“, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, 434–452; Helga Stipa Madland, An Introduction to the Works and Life of Marianne Ehrmann (1755–1795): Writer, Editor, Journalist, in: Lessing Yearbook 21 (1989), 171–196; Helga Gallas, Magdalena Heuser, Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800, Tübingen 1990, 52–65; Lisbeth Herger, Frauenpublizistik am Beispiel von Marianne Ehrmann (1755–1795), in: Bernhard Schneider (Hg.), Alltag in der Schweiz seit 1300, Zürich 1991, 191 – 98; Karin Wurst, Marianne Ehrmann geb. von Brentano (1755–1795), in: dies., Frauen und Drama im achtzehnten Jahrhundert, Köln, Wien 1991, 78–86; Konrad Feilchenfeldt, Luciano Zagari (Hg.), Die Brentano. Eine europäische Familie, Tübingen 1992; Helga Stipa Mad-

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land, Gender and the German Literary Canon: Marianne EhrmannQs Infanticide Fiction, in: Monatshefte 84 (1992), 405–416; Maya Widmer, Mit spitzer Feder gegen Vorurteile und gallsüchtige Moral – Marianne Ehrmann, geb. von Brentano, in: Elisabeth Ryter u. a. (Hg.), Und schrieb und schrieb wie ein Tiger aus dem Busch. Über Schriftstellerinnen in der deutschsprachigen Schweiz, Zürich 1994, 52–69; Doris Stump, Eine Frau „von Verstand, Witz, Gefühl, Fantasie und Feuer“. Zu Leben und Werk Marianne Ehrmanns, in: Maya Widmer, Doris Stump (Hg.), Marianne Ehrmann: Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen, Bern, Stuttgart, Wien 1995, 481–498; Maya Widmer, Amalie – eine wahre Geschichte?, Nachwort, in: Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen, Bern, Stuttgart, Wien 1995, 499–515; Ulrike Böhmel-Fischera, „Keine eigentliche Schulgelehrsamkeit“: Marianne Ehrmanns Begriff der „Denkerin“, in: Querelles: Jahrbuch für Frauenforschung 1996, 142–157; Siegrid Düll, Zwischen Nähkästchen und Pianoforte. „Amaliens Erholungsstunden – Teutschlands Töchtern geweiht“. Eine Monatsschrift für den Adel und den Mittelstand (1790– 1792), in: Margret Friedrich, Peter Urbanitsch (Hg.), Von Bürgern und ihren Frauen, Wien, Köln, Weimar 1996, 235–250; Josef Wallning, Zwischen Nähkästchen und Pianoforte. Die Monatsschrift „Amaliens Erholungsstunden“ als Zeugnis einer vorwiegend bürgerlichen und weiblichen Hausmusikkultur, in: Margret Friedrich, Peter Ur-

banitsch (Hg.), Von Bürgern und ihren Frauen, Wien, Köln, Weimar 1996, 225–234; Ulrike Weckel, Lehrerinnen des weiblichen Geschlechts. Die ersten Herausgeberinnen von Frauenzeitschriften und ihr Publikum, in: Elke Kleinau, Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt am Main, New York 1996, 428–439; Friederike Eigler, Susanne Kord, The Feminist Encyclopedia of German Literature, Connecticut, London 1997, 109 f.; BrittAngela Kirstein, Marianne Ehrmann. Publizistin und Herausgeberin im ausgehenden 18. Jahrhundert, Wiesbaden 1997; Helga Stipa Madland, Marianne Ehrmann. Reason and Emotion in her Life and Works, New York 1998; Heide von Felden, Geschlechterkonstruktion und Bildungsvorstellungen aus Männer- und Frauensicht im 18. Jahrhundert, in: Britta L. Behm, Gesa Heinrichs, Holger Tiedemann (Hg.), Das Geschlecht der Bildung – die Bildung der Geschlechter, Opladen 1999, 31–46; Helga Neumann, Zwischen Emanzipation und Anpassung. Protagonistinnen des deutschen Zeitschriftenwesens des ausgehenden 18. Jahrhunderts (1779–1795), Würzburg 1999; Ruth P. Dawson, Confronting the Lords of Creation: Marianne Ehrmann (1755–1795), in: dies., The Contest Quill: Literature by Women in Germany 1770–1880, Newark 2002, 221–285; Christina Fell, Marianne Ehrmann: Die Einsiedlerin aus den Alpen. Rezension, in: Das achtzehnte Jahrhundert 28 (2004), 129 f.; Therese

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Bichsel, Ihr Herz braucht einen Mann. Marianne Ehrmann-Brentano. Schriftstellerin und Denkerin, Oberhofen am Thunersee 2006 (Romanbiographie); Mary Helen Dupree, Playing against type. „Actress-Writers“ in German Literature and Culture, 1775–1815, New York 2006; Anca L. Holden, Marianne EhrmannQs ,Ein Weib ein WortR – A Platform for Moral Education, in: Marjanne E. Gooz8 (Hg.), Challenging Separate Spheres: Female ,BildungR in Eighteenth- and Nineteenth-Century Germany, Oxford 2007, 33–50; Martin Kagel, „Unglückliche Weiber haben wir heutiges Tages ohnehin genug“. Erziehung der Geschlechter in Marianne Ehrmanns Leichtsinn und gutes Herz, in: Johannes Birgfeld, Claude D. Conter (Hg.), Das Unterhaltungsstück um 1800. Literaturhistorische Konfigurationen – Signaturen der Moderne. Zur Geschichte des Theaters als Reflexionsmedium von Gesellschaft, Politik und Ästhetik, Hannover 2007, 144–165; Agnes C. Mueller, „Ein

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Weib – ein Wort“: Marianne Ehrmanns Aphorismen und Lichtenberg, in: Ulrich Joost, Alexander Neumann (Hg.), Lichtenberg-Jahrbuch 2007, 82–93; Friedemann Spicker, Ehrmann, Lichtenberg und der Aphorismus im 18. Jahrhundert, in: Ulrich Joost, Alexander Neumann (Hg.), LichtenbergJahrbuch 2007, 95–100; Mary Helen Dupree, The Mask and the Quill. Actress-Writers in Germany from Enlightenment to Romanticism, Plymouth 2011, 100–133; Wolfgang Petz, Zwischen Erlebnis und Fiktion: Oberschwaben im Blick des Schriftstellerehepaares Marianne und Theophil Ehrmann, in: Dietmar Schiersner u. a. (Hg.), Augsburg, Schwaben und der Rest der Welt. Neue Beiträge zur Landes- und Regionalgeschichte, Augsburg 2011, 299–323; Adalbert von Hanstein, Die Frauen in der Geschichte des deutschen Geisteslebens des 18. und 19 Jahrhunderts, Hamburg 2013. Sophie Forst

D ISKU SS IO N

Barbara Becker-Cantarino Feministische Forschung zur Frühen Neuzeit und Aufklärung Ein Rückblick auf das 20. Jahrhundert

Eine Rezension für die Schriftstellerin Gerlind Reinshagen (1926 – 2019) aus dem Jahr 1968, als sie Debütautorin mit ihrem Theaterstück Doppelkopf (im Theater am Turm in Frankfurt am Main) war, begann so : „Wenn der Gatte im Büro, die Töchter in der Schule waren, legte sich die Berliner Hausfrau Gerlind Reinshagen, 41, DIN-A4 Papier aufs Knie oder auf den Couchtisch, griff zum Kugelschreiber und begann zu dichten“.1 Der Regisseur dieses „Damen-Dramas“, so der Rezensent, war der damals 30-jährige Klaus Peymann. Diese, noch für die 1960er Jahre typische Rezension erscheint uns heute in der Herabsetzung der Autorin als dilettierende Hausfrau befremdlich, lächerlich und antiquiert-sexistisch – dank des kulturellen Wandels in den vergangenen 50 Jahren, den der Feminismus angestoßen und mitbefördert hat. Der Feminismus als politische Bewegung für die soziale und gesellschaftliche (,bürgerlicheR) Emanzipation der Frau entstammte den Ideen der Menschenrechte, der Utopie einer humaneren Gesellschaft (ähnlich wie der Sozialismus). Er erneuerte die Forderungen seit dem späten 19. Jahrhundert nach der rechtlichen und sozialen Gleichstellung der Frau sowie die diesbezüglichen Strategien besonders auf den Gebieten Bildung, Beruf, Politik, Familie und Sexualität und bezog auch das Private, den weiblichen Lebenszusammenhang, mit ein. Auch das Private ist politisch: Das war die – auch gegenüber feministischen Forderungen aus der Zeit um 1900 – neue Position. Wie konnte sich der Literaturbetrieb, oder hier präziser: die Perspektive der Literaturwissenschaft und Forschung so grundlegend seit den 1960er Jahren ändern? Im Folgenden möchte ich auf den kulturellen Wandel eingehen, den die feministische Forschung in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bewirkte, sowie auf wichtige Fragestellungen und stichwortartig auf drei Themenkomplexe eingehen, die für den heutigen feministischen Blick der Forschung zur O. A., Reinshagen. Steiles Hälschen, in: Der Spiegel, Nr. 8, 19. Febr. 1968, 145; wieder in: Der Spiegel, Nr. 25, 15. Mai 2019, 124; https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46122828.html, abgerufen 15. 09. 2019. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Frühen Neuzeit und zur Aufklärung noch relevant sind: die Re-Vision der Texte und Bilder, die Spurensuche nach Autorinnen und ,WeiblichkeitR, und die Problematik der Geschlechterbeziehungen in Kultur und Literatur. Unter Bezug auf Silva Bovenschens Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen (1979)2 stelle ich die feministische Interpretation der Bilderwelt zu ,WeiblichkeitR und die Problematik des sozialgeschichtlichen Bezugs zur historischen ,FrauR an Hand von Texten des Jahrhunderts vor. Für die Phase der Spurensuche nach Autorinnen und nach weiblichen kulturellen Räumen ist die Untersuchung Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und ,modernenR Salons. 1649 – 1698 (1986)3 der Romanistin Renate Baader eine erste fundierte, ergebnisreiche Studie. Die Problematik der Geschlechterbeziehungen in der dichotomisch organisierten Gesellschaft um 1800 erhellt Claudia Honeggers Die Ordnung der Geschlechter. Das Wissen vom Menschen und das Weib 1750 – 1850 (1991)4 in ihrer soziologisch-anthropologischen Untersuchung aus feministischer Perspektive. Geprägt waren diese Untersuchungen auch von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem philosophischen Konzept von Kants Was ist Aufklärung (1783), das ich als ,MündigkeitR – als Eigenschaft des frei denkenden und handelnden, nicht fremd bestimmten Individuums – zum Ausgangspunkt meiner Untersuchung Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur. 1500 – 1800 (1987)5 gemacht hatte. Die feministische Forschung wollte auch an emanzipatorische Impulse für Gleichheit, Freiheit, Bildung und für „die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ (Hippel 1792)6 der Aufklärung anknüpfen und diese für die eigene Gegenwart zu realisieren versuchen.

Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Frankfurt am Main 1979. 3 Renate Baader, Dames de lettres. Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und ,modernenR Salons (1649 – 1698). Mlle de Scud8ry – Mlle de Montpensier – Mme dQAulnoy, Stuttgart 1987. 4 Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750–1850, Frankfurt am Main, New York 1991. 5 Barbara Becker-Cantarino, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur 1500–1800, Stuttgart 1987. 6 Theodor Gottlieb von Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Berlin 1792. Zu Hippel siehe auch den Beitrag von Dieter Hüning in diesem Band. 2

Feministische Forschung

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I. Second Wave Feminism, (zweite) Frauenbewegung, soziokultureller Wandel und Bildungsreform im späten 20. Jahrhundert Frauen gelten zurecht als Profiteure besonders der Bildungsexpansion und des soziokulturellen Wandels der westlichen Gesellschaft,7 ein Wandel, der einen so abwertenden Blick auf die kulturelle Tätigkeit einer Frau wegen ihres Geschlechtes wie die eingangs zitierte Rezension bigott erscheinen lässt und nun Frauen im Literaturbetrieb, in Chancen für Bildung und Forschung ,gleichberechtigtR gemacht hat. Zur Erinnerung an die schleppende Entwicklung der Gleichberechtigung im Bildungssektor sei erwähnt: Seit 1909 Frauen schließlich auch in Preußen zum Studium zugelassen waren, konnte eine erste Etappe beginnen, aber erst 50 Jahre danach, mit einer ersten Revision des Familienrechts von 1958, konnte mit dem Gleichberechtigungsgesetz8 eine Frau auch ohne Erlaubnis des Ehemannes arbeiten, ein Konto eröffnen und ihr eigenes Geld verwalten oder studieren; allerdings durfte noch bis 1977 eine Frau in der Bundesrepublik nur dann berufstätig sein, wenn das mit ,ihren Pflichten in Ehe und FamilieR vereinbar war,9 während in der DDR Frauen allgemein ins Berufsleben eingebunden wurden, weniger jedoch in universitäre oder akademische Führungspositionen aufsteigen konnten.10 In der DDR konnten Frauen durch die Gleichstellungspolitik als ,Mitbauerinnen des SozialismusR (Walter Ulbricht) von Anfang an eine lebenslange Berufstätigkeit ausüben und dabei emanzipatorisch ihre Selbständigkeit in Familie und Gesellschaft entwickeln; ihre Bildung wurde gefördert und für die Doppelbelastung durch Beruf und Kindererziehung wurden vom Staat erleichternde Einrichtungen (u. a. Kinderkrippe, Ganztagsschule) geschaffen. DDR-Frauen waren im Sinne des ,Arbeiter- und BauernstaatesR und des ,RealsozialismusR (Honecker, 1973) der DDR emanzipiert.11 Doch die Bezeichnung ,FeminismusR war nicht üblich,12 auch nicht ,WestlichR bezeichnet hier die historische Perspektive, wie sie u. a. Heinrich August Winkler in Der lange Weg nach Westen (München 2000) vertreten hat. 8 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Art. 3 Abs. 2 GG). Elisabeth Selbert, Juristin und Feministin seit den 1920er Jahren, konnte als Mitglied des Parlamentarischen Rates, der die Verfassung ausarbeitete, nach einer Reihe von Kampfabstimmungen die noch unabgeschlossene Emanzipation der Frau innerhalb des Grundgesetzes mit Unterstützung von damaligen Frauenrechtsorganisationen vollenden helfen. Vgl. Barbara Böttger, Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Elisabeth Selber und der Kampf der Frauen um Artikel 3.2 Grundgesetz, Münster 1990. 9 Die ,eheherrliche VormundschaftR wurde 1977 abgeschafft; ausführlich bei Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek bei Hamburg 1990, 70; vgl. auch Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 1982, 253 – 272. 10 Gunilla-Friederike Budde, Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 bis 1975, Göttingen 2000, 291 – 306 und 318 – 329. 11 In der DDR entstand eine vom Staat unabhängige Frauenbewegung in der Wendezeit 1989 mit dem gegen das ,westlicheR Frauenbild gerichteten Slogan „Wer sich nicht wehrt, kommt an den 7

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in der Literaturwissenschaft der DDR, und das Wort ,FeminismusR war im Kalten Krieg spätestens seit den 1960er Jahren eher verpönt.13 Denn ,FeminismusR galt als gesellschaftspolitische Richtung des kapitalistischen Westens, die einen unsolidarischen Individualismus förderte und als ,klassenfeindlichR dem Kollektivismus der sozialistischen Staates entgegenstand. Im Westen musste Gleichberechtigung im Beruf und in den Wissenschaften durch ,FrauenförderungR (statt ,MutterschutzR) in Bildung und Berufstätigkeit erst langsam erkämpft werden. An westdeutschen Hochschulen waren 1968 von den ca. 290.000 Studierenden14 nur 25 % weiblich und diese Frauen waren zumeist an den damals segregierten, akademisch als ,zweitrangigR angesehenen Pädagogischen Hochschulen eingeschrieben; Verheirateten oder gar Frauen mit Kindern wurde die Immatrikulation nicht gestattet. Heute beträgt die Anzahl der Studierenden in der Bundesrepublik das etwa Zehnfache von 1968 und hat sich proportional normalisiert zu ca. 52 % weiblichen Studierenden, wobei es sogar zu einer Überlast der weiblichen Studierenden in den als ,weichR, d. h. finanziell weniger aussichtsreich betrachteten Fächern der Geistes- und Erziehungswissenschaften gekommen ist. Besonders ,feminisiertR sind mit etwa 72 % die Anglistik und mit etwa 77 % die Germanistik.15 Allerdings sind nur 36,8 % des gesamten akademischen Lehrköpers weiblich, nur

Herd“; vgl. Irene Dölling, Geschlechtervertrag und Geschlechterarrangements in den neuen Bundesländern, in : Kulturnation. Online Journal für Kultur Wissenschaft und Politik 42 (2019), http:// www.kulturation.de/ki_1_text.php?id=13, abgerufen 18. 10. 2019. Zum Vergleich DDR und BRD in der Frauenfrage vgl. Hannelore Scholz, Die DDR-Frau zwischen Mythos und Realität. Zum Umgang mit der Frauenfrage in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR von 1945 – 1989, Schwerin 1997. Anna Kaminskis Frauen in der DDR (Berlin 2016) geht besonders auf die Doppelrolle der DDR-Frau als Arbeiterin und Hausfrau/Mutter ein. 12 Dennoch gab es feministisches Bewusstsein z. B. bei den Schriftstellerinnen, vgl. Lorna Martens, Feminist Writing in the German Democratic Republic, New York 2001. 13 Vgl. ,Dokumente des Umbruchs DDR 1980/90R in Bärbel Klässner, Feminismus – ein Reizwort?, https://www.ddr89.de/ufv/UFV44.html, abgerufen 05. 11. 2019. Zur kontroversen Rezeption des (im Französischen und Englischen seit dem späten 19. Jahrhundert gebräuchlichen) Wortes ,FeminismusR im Deutschen vgl. Luise Pusch, Feminismus. Inspektion der Herrenkultur, Frankfurt am Main 1983, 9 – 12. 14 Heute etwa sind es 2,9 Mio. Studierende, von denen laut Sozialbericht des Studentenwerkes (Erhebung 2016) 46 % als Singles leben, 6 % verheiratet sind und 48 % in fester Partnerschaft verbunden sind, 6 % haben ein oder mehrere Kinder; vgl. http://www.sozialerhebung.de/archiv/ soz_21_haupt, 9, abgerufen 17.09.2019. Diese familiale Differenzierung für Studierende wäre in den 1960er Jahren unmöglich gewesen. 15 Statistik für 2015/16 des Bundesinstituts für Berufsbildung, Frauen und Männer an Hochschulen in Deutschland, https://www.klischee-frei.de/dokumente/pdf/a31_frauen_und_männer_an_hochschulen_in_deutschland_FB06.pdf, abgerufen 17. 09. 2019.

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etwa 25 % der Lehrstühle (und damit von Forschung bzw. Forschungsförderung bevorzugt) sind von Frauen besetzt.16 Die Universitäten und die Institute, an denen die sich als wissenschaftlich verstehende Forschung heute angesiedelt ist, geht auf eine ursprünglich rein männliche Korporation mit patriarchalen Förderstrukturen zurück, die erst nach den 1960er Jahren langsam in demokratisch ausgerichtete Bahnen gelenkt wurde, welche eine transparente Leistungskontrolle und meritokratische Entscheidungen mit bewirken sollen.17 In den späten 1960er Jahren war mit der Studentenrevolte der Achtundsechziger eine neue Generation in die Universitäten eingezogen, Studenten, die kritisch auf die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg zurückblickten, die „unter den Talaren den Muff von tausend Jahren“ sahen und dazu aufriefen, eben diesen „Muff“ in der universitären Kultur zu bekämpfen. Die – zumeist männlichen – Studenten begannen gegen die Ordinarienuniversität und die faschistische, sprich: unbewältigte Nazi-Vergangenheit und einen reaktionären Staat zu kämpfen, während die Studentinnen darüber hinaus begannen, gleiche Rechte und Bildungs-Chancen für Frauen einzufordern. Mit dem berühmten Tomatenwurf als Signal der Frauen vom ,Aktionsrat zur Befreiung der FrauR begannen die Studentinnen gegen den männlich dominierten SDS zu protestieren,18 und orientierten sich dabei am politischen Feminismus (second wave feminism), der im Rahmen der US-Bürgerrechts-, Antikriegs- und Studentenbewegung der 1960er Jahre entstanden war und in den 1970er Jahre als ,Zweite FrauenbewegungR in der Bundesrepublik Deutschland wirksam wurde. Diese feministische Bewegung verstand sich politisch als WomenQs Liberation Movement, war gleichzeitig mit und als ein Teil des Civil Rights Movement in den USA entstanden, ein gesellschaftliches und politisches Phänomen, das sich in den späten 1950er und besonders in den 1960er Jahren entwickelte.19 Mit dem Civil Rights Act von 1964 war endlich die Diskriminierung aufgrund von race, color, 45 % aller Promovierenden und 28 % aller Habilitierenden sind Frauen, vgl. DAAD, Kommentierte Grafiken zum Deutschen Hochschul- und Forschungssystem, 2016, https:// www.daad.de/ medien/der-daad/analysen-studien/daad-kommentierte_grafiken_2016.pdf, 16, abgerufen 07. 08. 2019. 17 Für eine Evaluation dieses Anspruchs aus dem Jahr 2007 vgl. Ruth Großmaß, Wissenschaft – immer noch ein für Frauen fremdes Terrain?, querelles-net 23 (2007), https://www.querelles-net.de/ index.php/qn/article/view/578/586, abgerufen 30. 07. 2019. 18 Beteiligt war u. a. die später prominente Filmemacherin Helke Sanders; trotz der Flut populärer und wissenschaftlicher Literatur fehlt ein solider Beitrag zur Rolle der Frauen, vgl. jedoch Gisela Notz, Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegungen der Siebziger Jahre. Entstehungsgeschichte, Organisationsformen, politische Konzepte, Neu-Ulm 2018. 19 Vgl. Kristina Schulz, Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich 1968 – 1976, Frankfurt am Main, New York 2002 und die noch immer relevante Untersuchung von Ursula Linnhoff, Die neue Frauenbewegung. USA – Europa seit 1968, Köln 1974. 16

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religion, national origin gesetzlich unterbunden worden, 1967 wurde dann Affirmative Action (positive Maßnahmen gegen Diskriminierung) auch auf Frauen ausgeweitet, nachdem besonders die Feministinnen politischen Druck mit Provokationen, in Demonstrationen, in der Presse und in Publikationen ausgeübt hatten. Es war Ausdruck einer sozialen Bewegung von unten mit dem politischen Ziel der Frauenemanzipation, d. h. der Forderung nach Egalität und Partizipation gegenüber männlichen Privilegien und Hegemonien in allen Bereichen, eine Bewegung, die sich bald auch auf fast alle westlichen Länder ausdehnte. Die Hauptforderungen der Frauen des second wave feminism der 1970er Jahre lauteten: soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann im Beruf, in der Ehe und in der Familie, gleiche Bildungs- und Berufsmöglichkeiten wie Männer, ökonomische Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung über den eigenen Körper (Schwangerschaftsverhütung und eine legale Abtreibungsregelung). Der ,KampfR richtete sich provokativ gegen ,MännergewaltR, nicht nur physische Gewalt, sondern allgemein gegen Vorherrschaft und Privilegien des Mannes aufgrund seines Geschlechtes, gegen maskuline Weiblichkeitsprojektionen, gegen die Benachteiligung und Abwertung der Frauen in der von Männern dominierten Politik und Gesellschaft, in den Medien, im Bildungsbereich und Wissenschaftsbetrieb, besonders an den Universitäten.20 Dabei verfolgte die Frauenbewegung auch einen „,Ausbau der FrauensubkulturR als alternative Lebensform“ und „die ,Strategie der individuellen Veränderung mit der Frauenbewegung als Bezugsgruppe“.21 Diese Feministinnen der 1970er Jahre waren reale, sich lebensweltlich ausrichtende Frauen – keine Kategorie in der Welt der theoretischen, akademischen Diskurse –, Frauen, die sich vielfach in Frauengruppen, Frauenseminaren (als caucus oder coalition) organisierten und in Selbsthilfegruppen (counsciousness raising groups) über ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft und ihre eigene Befindlichkeit als Frau diskutierten, sich auch in der Friedensbewegung und an Anti-Kriegsdemonstrationen beteiligten. In der BRD der 1970er Jahre dominierte besonders der Protest gegen die Tradition der Männervorherrschaft, auch in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus marxistischer Prägung, gegen Männergewalt (etwa durch Gründung von ,FrauenhäusernR) und der Kampf für Selbstbestimmung über den eigenen Körper (,mein Bauch gehört mirR) sowie für die Legalisierung der Abtreibung und der Schwangerschaftsverhütung: die ,PilleR war 1961 in den USA eingeführt worden, Problemaufrisse u. a. in Sandra Harding, B. Hintikka, Discovering Reality. Feminist Perspectives on Epistemology, Metaphysics, Methodology, and Philosophy of Science, Dordrecht, Boston 1983; theoretischer Neuansatz bei Sandra Harding, Whose Science? Whose Knowledge? Thinking From WomenQs Lives, Ithaca, NY 1991. 21 Herrad Schenk, Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1980, 207. 20

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kam dann in Deutschland aber erst 1971 mit rigiden Restriktionen auf den Markt (und blieb rezeptpflichtig). Diese Feministinnen stellten provokative, emanzipatorische Forderungen gegenüber männlichen Privilegien in der von ihnen als patriarchalisch bezeichneten Gesellschaft, übten Kritik an einer von Männern geprägten und beherrschten Wissenschaft und Universität, in der Frauen weitgehend benachteiligt, wenn nicht ausgeschlossen waren. Dennoch kamen mit der intensiven Bildungsdiskussion in der BRD, angestoßen von Publikationen wie Georg Pichts Die deutsche Bildungskatastrophe (1964)22 und Ralf Dahrendorfs Bildung ist Bürgerrecht (1965),23 seit der sozial-liberalen Regierung der 1970er Jahre Bildungsreformen (Gymnasialreform, Gesamtschul-Versuche, Hochschul- und Universitätsgründungen), welche Chancengleichheit und Demokratisierung des Bildungswesens teilweise gegen erbitterten Widerstand auch vieler Eltern und Vertreter der Bildungs-Elite anstrebten. Auch die Anzahl der Studentinnen war seit den 1970er Jahren unter dem Druck der Chancen- und Bildungsforderungen der Frauen sprunghaft angestiegen und bereitete damit ebenfalls den Weg vor für die seit den späten 1980er Jahren gezielt einsetzende Frauenförderung im universitären Bereich (Dissertations- und Habilitationsstipendien, Gender-Stellen, Quotenregelungen, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Frauen- bzw. Genderprofessuren). Diese Reformen wurden hauptsächlich aufgrund der Forderungen des Feminismus/Zweite Frauenbewegung und dann seit der Wende mit den Frauen aus der DDR (Zweites Gleichberechtigungsgesetz mit Frauenfördergesetz 1994) entwickelt.24 Die daraus resultierenden sozialen Veränderungen und auch der Wertewandel im späten 20. Jahrhundert vornehmlich für Frauen auf dem Gebiet der (Aus-)Bildung und im Berufssektor waren einschneidend, da nun Gleichstellungsgesetze auf den gesamten Beschäftigungsbereich ausgeweitet wurden. Kurzes Fazit einer facettenreichen historischen Entwicklung:25 Die demokratische Ausrichtung mit Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten für alle, historisch gesehen die Öffnung von Universität und Forschung für vormals explizit Georg Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe, München 21965. 23 Ralf Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik, Hamburg 1965. 24 Vgl. hierzu die Juristin und habilitierte Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn, Der Ritt auf der Schnecke – Rechtliche Gleichstellung in der Bundesrepublik Deutschland (Aktualisierung 2011), in : https://www.fu-berlin.de/sites/gpo/pol_sys/gleichstellung/Der_Ritt_auf_der_Schnecke/ Ritt-Schnecke-2011_1_nurText.pdf, abgerufen 24. 09. 2019. 25 Hier konnten die Komplexität der unterschiedlichen feministischen Positionierungen und die historischen Ereignisse sowie die anti-feministischen Reaktionen nicht einzeln berücksichtigt werden ; vgl. zum Letzteren u. a. Susan Faludi, Backlash. The Undeclared War Against American Women, New York 1991, 22006 sowie die interessante Replik von Cornelia Hauser, Maskulinisierungsprozesse und Frauenforschung. Überlegungen anläßlich der deutschen Veröffentlichung von Susan Faludi: Die Männer schlagen zurück, in : Das Argument 202 (1993), 891 – 897. 22

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ausgeschlossene Frauen wegen ihres Geschlechtes (und die Öffnung für weniger privilegierte Schichten), vollzog sich vor dem kulturellen Hintergrund des westlichen politischen Feminismus.26 Dieser Feminismus forderte eine geschlechtsneutrale Durchsetzung liberaler Prinzipien, mithin eine Auflösung der Geschlechtertrennung.27 Die Politologin Myra Marx Feree betrachtete 2012 die „globale Geschlechterpolitik“ als eine „fokale Flugbahn weg von den ,FrauenR hin zu ,GenderR […] auf individueller und institutionaler Ebene“.28 Sie verweist auf die Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen (1995), die ein Programm für das Gender-Mainstreaming (Gleichstellung der Geschlechter und aller Geschlechtsidentitäten) für das 21. Jahrhundert durchgesetzt hat: In Deutschland haben die stufenweise Einbindung feministischer Ziele in das Modernisierungsbestreben des Staates und die effektive Nutzung transnationaler Netzwerke durch Europäische Union und Vereinte Nationen einer weitaus größeren Akzentuierung politischer Veränderungen zum Durchbruch verholfen, die einst als radikal galten und nun als maßvoll-bescheidene Reformen erscheinen.29

Ist der liberale Feminismus in seinem ,ErfolgR nun obsolet geworden, oder ist es ein neuer Maskulinisierungsprozess?30 Die britische Soziologin Sylvia Walby stellt 2011 fest : „Feminism is not dead. […] Feminism is a success, although many inequalities remain. […] Feminism is taking new forms, which makes it unrecognizable. Feminism faces new challenges in new times“.31 Dennoch wird hier deutlich, dass im second wave feminism die schon im 18. Jahrhundert (und davor u. a. in der Querelle des femmes) und der Aufklärung angestoßenen progressiven, aber kontrovers diskutierten Ideen für Frauen nun auch für ,BürgerinnenR vernunftgeleitet neu konzipiert wurden: Freiheit, Gleichheit, Bildung als Emanzipation – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nun auch für Frauen. Diese Affinität des politischen Feminismus mit dem Zeitalter der Aufklärung betont u. a. auch die Historikerin Ruth H. Bloch in ihrem Rezensionsartikel „The Origins of Feminism and the Limits of Enlightenment“,32 den sie für den umfangreichen Band Women, Gender and Enlightenment (2005) verfasst hat. Vgl. auch Jutta Osinski, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, Berlin 1998, bes. 25 – 40; Barbara Becker-Cantarino, Genderforschung und Germanistik, Berlin 2010, 13–44. 27 Zur Kritik an dem liberalen Feminismus vgl. u. a. Nora Karsten, Der politische Liberalismus und seine Kritikerinnen, in: Kritische Justiz 31 (1998), 45 – 59. 28 Myra Marx Feree, Feminismen. Die deutsche Frauenbewegung in globaler Perspektive, Frankfurt am Main, New York 2012, 232. 29 Ebd., 296. 30 Silvia Walby, Gender Mainstreaming, in: dies., The Future of Feminism, Cambridge 2011, 80 – 100. 31 Ebd., 1. 32 Ruth H. Bloch, The Origins of Feminism and the Limits of Enlightenment, in: Modern Intellectual History 30 (2006), 473 – 494. 26

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Dieser Band anglo-amerikanischer HistorikerInnen zeigt überzeugend „the ubiquitous presence of women in Enlightenment circles and the way that questions about the nature and status of women kept surfacing in the minds of Enlightenment writers of both sexes“, denn betont werden hier „the egalitarianism of Enlightenment proponents of female education and womenQs civil and political rights“.33 Bemerkenswert ist hier auch die Historisierung von ,FrauR und ,MannR und die Analyse von Geschlechterbeziehungen und Gender im historischen Kontext, anstatt Rekurs auf die neuen Theorien der 1980er und 1990er Jahre (Dekonstruktion, differance und ecriture feminine, Performanz, queer feminism) zu nehmen. Hier zeigt sich ein „sober Anglophone empiricism“ und eine Hinwendung zu „scrupulous, sceptical historicism“ und damit eine Kehrtwende, die auf Abstand geht zu den Gendertheorien des späten 20. Jahrhunderts und der ,identity politicsR des frühen 21. Jahrhundert.34

II. Gender und Feminismen im akademischen Diskurs Kontroversen haben die feministische Diskussion stets begleitet. In den 1980er Jahren setzte sich auch in Deutschland der aus der englischen Grammatik entlehnte Begriff ,GenderR durch, um die soziokulturellen und psychologischen Auswirkungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu betonen und von biologischen Geschlechtsmerkmalen (,SexR) zu differenzieren, was zu immer neuen Theorien und Debatten über Wesen und Wirkung der Kategorie ,GeschlechtR führte.35 Gender (als kulturelle Ausprägung von Sex, der biologisch-natürlichen Zweigeschlechtlichkeit) wurde in multi-disziplinären Diskursen über Geschlechterrollen, Geschlechterbeziehungen und besonders Geschlechtsidentität diskutiert. Diese erweiterte Perspektive schloss nun ausdrücklich die Beziehung zu ,MännernR sowie Ebd., 477, 481. In den Aufsätzen in Women, Gender, and Enlightenment werden die dominanten Theoretiker der 1980er und 1990er Jahre wie Derrida, Lacan, Irigaray, Kristeva, Foucault oder Butler nicht mehr zitiert. Das sei aber keine Revolte oder Herabsetzung der Theorien, sondern ein „turn“, eine skeptische Abkehr von „solipsistic presentism“ und eine Hinwendung zu „creative and challenging historical understanding“ in der Neubestimmung von Feminismus und Aufklärung, vgl. Anthony J. LaVopa, Women, Gender, and the Enlightenment: A Historical Turn, in : Journal of Modern History 80 (2008), 332 – 357, hier 334, 355. Zu ,identity politicsR siehe auch den britischen Politologen Michael Kenny, The Politics of Identity. Liberal Political Theory and the Dilemmas of Difference, Cambridge 2004 und die interdisziplinäre Diskussion in Nordamerika von Linda Martin Alcoff u. a. (Hg.), Identity Politics Reconsidered, New York 2006. In diesem neuen Forschungspa radigma verortet sich auch die vorliegende Ausgabe der Aufklärung. 35 Vgl. etwa Sherry B. Ortner, Is Female to Male as Nature Is to Culture?, in: Michelle Zimbalist Rosaldo, Louise Lamphere u. a. (Hg.), Woman, Culture and Society, Stanford 1974, 67–87; Joan W. Scott, Gender and the Politics of History, New York 1988, 21999. 33 34

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,MännerR als Forschungsobjekt36 mit ein, und führte (besonders in Deutschland) zur Institutionalisierung der Frauen-/Gender-Forschung in den Hochschulen durch die Etablierung von Frauen-/Genderprofessuren, Zentren für Frauen-/ Genderforschung37 und entsprechenden Zeitschriften und Publikationsreihen für Forschungsergebnisse.38 Andererseits verdrängte bald eine theorielastige, teilweise undifferenziertschlagwortartige Verwendung von Gender für alles, was irgendwie Frauen (weniger: Frauen und Männer) speziell in der Moderne betraf, den Begriff ,FeminismusR, d. h. die feministisch-emanzipatorische, kulturpolitische und -historische Perspektive.39 Hatte die Frauenforschung in den Literaturwissenschaften mit philologischen, historisch-kritischen Analysen durch Re-Lektüre und Re-Vision der Texte über Frauen und von Frauen neue Interpretationen, Denkansätze, Themenfelder und Ergebnisse gebracht, so kamen mit Gender oft diffuse, eher für das Verständnis der Moderne entwickelte Interpretationsmethoden zu diversen ,FeminismenR (vielfältige Formen des Feminismus, der Frauenbewegungen und der praktischen Geschlechterpolitik)40 auf: ,DifferenzfeminismusR, psycho-soziale Theorien zu ,Weiblichkeit/MännlichkeitR, ,DekonstruktionsfeminismusR, ,feministische SystemtheorieR, ,IdentitätstheorienR, ,Queer Theory/QueerfeminismusR, die in den 1990er Jahren ,Gender TroubleR breit diskutierten.41 Judith Butler kriZur ,MännerforschungR vgl. weiter unten. Hierzu informativ Ulla Bock, Pionierarbeit. Die ersten Professorinnen für Frauen- und Geschlechterforschung an deutschsprachigen Hochschulen 1985 – 2014, Frankfurt am Main, New York 2015. 38 Aus der Vielzahl der auf Frauen- bzw. Gender-Fragen fokussierten akademischen Neugründungen in allen Humanwissenschaften sei auf einige in der Literaturwissenschaft sehr einflussreiche verwiesen: Feminist Studies (seit 1972), Signs. Journal of Women in Culture and Society (seit 1975), STREIT. Feministische Rechtszeitschrift (seit 1980), LQhomme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft (seit 1990), Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Gechlechterforschung (seit 1996). 39 Die Bezeichnung ,FrauenforschungR wurde obsolet, aus den WomenQs Studies/Frauenstudien (bzw. Frauenforschung) wurden die Gender Studies/Genderstudien (Genderforschung); besonders im akademischen Bereich wurde alle mit ,FrauenR konnotierte Forschung schnell neu etikettiert, denn noch immer wurde und wird, so scheint es mir, alles, was akademisch mit ,FrauR (eben dem ,zweiten / zweitrangigenR Geschlecht in Simone de Beauvoirs bahnbrechender Publikation von 1949) bezeichnet wird, als minderwertig angesehen. Weitgehend verdrängt (bis verpönt) wurde damit auch das Etikett ,FrauenforschungR. Vgl. Barbara Becker-Cantarino, Theoretische Holzwege in der Genderforschung und neue Perspektiven, in: Mirosława Czarnecka (Hg.), Genderforschung. Leistungen und Perspektiven in der Frühen Neuzeit, Wrocław, Dresden 2013, 21 – 30. 40 Feree, Feminismen (wie Anm. 28), bes. 287 – 290. 41 Vgl. die entsprechenden Lemmata in Renate Kroll (Hg.), Metzler Lexikon Gender Studies – Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart, Weimar 2002 und Ansgar Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart, Weimar 22001. Informativ sind auch Christina von Braun, Gender, Geschlecht und Ge36 37

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tisierte den empirisch-lebensweltlich ausgerichteten Feminismus, weil er auf restriktiver Heterosexualität beruhe und Geschlechterdifferenz als dominante Kultur weiter propagiere.42 Unter ihrer Ägide wurden ,FrauenR als historische und lebensweltliche Subjekte des Feminismus dekonstruiert und die Dichotomie ,Frau/ MannR als regressiv-heterosexuelles, binares Konzept verpönt und als eine hegemoniale Geschlechtsidentität verabschiedet. Stattdessen wurden im Zeichen von ,identity politicsR über multiple, indefinite Sexualitäten gestritten, die als ,TranssexualitätR (Wechsel von einem biologischen Geschlecht in das andere) und/oder ,TransgenderR (individuelle Selbstbestimmung der eigenen Sexualität ohne binäre/biologische Zuordnung eines Geschlechtes) eben kulturell konstruiert und transformierbar sind.43 In dieser theoretischen Konstruktion für die Postmoderne kommt ,FrauR als handelndes, politisches Subjekt nicht mehr vor, weil nicht mehr von Interesse, weil vielmehr die Emanzipation der LGTBQ-Community am Ende des 20. Jahrhunderts zur dominanten kulturpolitischen Agenda im akademisierten Genderdiskurs geworden ist,44 in dem der Präsentismus des ,HeuteR als Uni-Sex oder als multisexuelle oder selbstbestimmte Identität dominiert. Die Sozialpsychologin Gudrun-Axeli Knapp spricht heute (2018) rückblickend von einer „Weggabelung in feministischer Kritik“ in den Kulturwissenschaften der 1990er Jahren: ein Weg führte mit dem Begriff der Intersektionalität (Intra-Gruppen-Differenzen: Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Frauen) die feministische, frauen-/ gender-zentrierte Perspektive fort; ein anderer Weg führte zu einer queer-feministischen, d.h. dezentrierten Kritikperspektive, die sich nicht mehr mit männlicher

schichte, in : dies., Inge Stephan (Hg.), Gender-Studien. Eine Einführung, Stuttgart 2000, 9 – 15 und Inge Stephan, Gender, Geschlecht und Theorie, in : ebd., 16 – 57. 42 Butler behauptete in ihrem diskursanalytischen Theoriegebäude: „[T]he identity categories often presumed to be foundational to feminist politics, that is, deemed necessary in order to mobilize feminism as an identity politics, simultaneously work to limit and constrain in advance the very cultural possibilities that feminism is to open up. The tacit constraints that produce culturally intelligible ,sexR ought to be understood as generative political structures rather than naturalized foundations“ (Judith Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York, London 1990, 147). 43 Vgl. Terrell Carver: ,TransR Trouble. Trans-sexuality and the end of gender, in : Jude Brown (Hg.), The Future of Gender, Cambridge 2007, 116 – 135. Die Positionierungen im Gender-System changieren in immer neuen sprachlichen Formulierungen, so etwa bei der Geburt oder von anderen ,zugewiesenes GeschlechtR, ,ZwischendrinchenR (im Inter-sex-Kontext), Cisgender, Intersexualität, Spiegelgender, Transfrau/Transmann usw., die das biologische Geschlecht dekonstruieren. 44 Zur Diskussion heute vgl. Greta Olson, Mirjam Horn Scott, Introduction. Beyond Gender – Toward a Decolonized Queer Feminist Future, in: dies. u. a. (Hg.), Beyond Gender. An Advanced Introduction of Futures of Feminist and Sexuality Studies, London, New York 2018, 10 – 35.

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Privilegierung, Überordnung und Macht beschäftigt, sondern sich gegen das Raster heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit richtet.45

III. Wie männlich ist die Wissenschaft? Feministische Perspektiven und Fragestellungen in den Kulturwissenschaften von den 1970ern bis in die 1990er Jahre Im kulturpolitischen Klima der 1970er und 1980er Jahre wurden zunächst Konzepte für eine feministische Beschäftigung mit Literatur, Geschichte und Kultur entwickelt und damit gesellschaftlich und auch persönlich relevante Neuansätze in der Betrachtung von Frauen – zunächst analog zum politischen Feminismus – gesucht. ,FrauR wurde als handlungsfähiges Subjekt, als gleichrangig und gleichwertig (nicht gleichartig) mit ,MannR verstanden und als heuristischer Ausgangspunkt betrachtet. „Wie männlich ist die Wissenschaft?“ war eine Leitfrage, mit der die sozialen und kulturellen Differenzen zwischen Frau und Mann, die vermeintliche Geschlechtsneutralität und der universalistische Geltungsanspruch der Forschung untersucht wurden.46 Dabei wurden zunächst die einseitig aus der Sicht und dem Erkenntnisinteresse des Mannes geschriebenen, androzentrischen Darstellungen hinterfragt, ähnlich wie die Dominanz der Männer im öffentlichen Leben, in intellektuellen und literarischen Fragen und im privaten Bereich der Familie infrage gestellt wurde.47 Das Konzept ,AndrozentrismusR hatte bereits die amerikanische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman in The Man-Made World or, Our Androcentric Culture (1911)48 entwickelt. Der Androzentrismus verstand Frauen als das Mindere-Andere des Mannes, während der Mann sich selbst als Mensch geschlechtlich unmarkiert versteht und die DeuGudrun Axeli-Knapp, Auf ein Neues!? Feministische Kritik im Wandel der Gesellschaft, in : https://www.gwi-boell.de/de/2018/04/09/auf-ein-neues-feministische-kritik-im-wandel-der-gesellschaft, abgerufen 20.10.2019; vgl. auch dies., Im Widerstreit. Feministische Theorie in Bewegung, Wiesbaden 2012, 129 – 164. 46 Siehe Karin Hausen, Helga Nowotny (Hg.), Wie männlich ist die Wissenschaft? Frankfurt am Main 1986, darin Sigrid Weigel, Die Verdoppelung des männlichen Blicks und der Ausschluß der Frauen aus der Literaturwissenschaft, 43 – 61; Evelyn Fox Keller, Liebe Macht Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft?, München 1986. 47 Marie-Luise Janssen-Jurreit, Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage, München 1976 (Sexism: The Male Monopoly on History and Thought, London 1982). Die Kombination von persönlicher Betroffenheit als Frau (,the personal is political / das Persönliche ist politischR), Forschungsinteresse und dem Wunsch nach (und Kampf um) Beruf und Status waren typisch für den frühen akademischen Feminismus, der mit dem Journalismus und Literaturbetrieb eng verknüpft war. 48 Charlotte Perkins Gilman, The Man-Made World or, Our Androcentric Culture, New York 1911. 45

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tungshoheit in Kultur und Gesellschaft besitzt. Mit dieser Perspektive konnten Fragen an die Methodik und Epistemologie in den Kulturwissenschaften gestellt werden, etwa nach den Auswahlkriterien für Forschungsprojekte, Problemstellungen, an Interpretation (Verständnis), an Be-Deutung der Ergebnisse und an die Sprache.49 Hierbei wurden diffizile und kontroverse Fragen der Epistemologie, Philosophie und Psychologie berührt und aufgeworfen. Weitaus politischer als der Androzentrismus wirkte das feministische Konzept des Patriarchats. Traditionell wurde ,PatriarchatR (als soziologische Bezeichnung für ,VäterherrschaftR) in der Geschichtswissenschaft für die Stammväter in den frühen Kirchen und im Judentum sowie im 17. und 18. Jahrhundert als Legitimation für politische und familiale Herrschaft benutzt.50 Das Konzept ,PatriarchatR wurde feministisch vereinnahmt und als institutionalisierte Macht oder Hegemonie des Mannes über Frauen (und Kinder) verstanden.51 Patriarchat als ,MännerherrschaftR bezeichnete feministisch dann u.a. den allein an Männer-Institutionen orientierten männlichen Blick auf z. B. das 18. Jahrhundert, wenn etwa die klassische Publikation zu Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland (1986) von Richard van Dülmen folgende Gesellschaften als die Medien ,frühbürgerlicher KulturR vorstellt: gelehrt-literarische Sozietäten, die Gelehrtenrepublik, Vereinigung ,gesitteterR Männer, aufklärerische Klubs und politische Vereinigungen. Diese Vereinigungen waren alle als ,MännerbündeR unter explizitem Ausschluss von Frauen konzipiert.52 Wo waren die Räume mit und für Frauen, wie private Geselligkeiten, SaEine feministische Linguistik hat Das Deutsche als Männersprache kritisiert, sprachschöpferisch und sprachpolitisch bearbeitet, die Muttersprache „feminisiert und dadurch humanisiert“ und in einem weiteren Schritt gendergerecht gemacht; der anfängliche Spott über Bildungen wie ,KanzlerinR oder ,LeserInnenR, jetzt ,LesendeR oder ,LeserschaftR, trifft heute ins Leere; vgl. Luise Pusch, Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik, Frankfurt am Main 1984 (36 Auflagen zwischen 1984 und 2017). 50 Zur Patriarchatskritik im 18. Jahrhundert siehe Melissa A. Butler, Early Roots of Feminism. John Locke and the Attack on Patriarchy, in : Carol Patemen, Mary Lyndon Shanley (Hg.), Feminist Interpretations of Political Theory, University Park 1991, 74 – 95. 51 Sylvia Walby, Theorizing Patriarchy, Oxford 1990; Walby analysiert die Männergesellschaft und Hierarchien in Militär, Verwaltung/Regierung und Universität. 52 Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, 24 weist lediglich darauf hin, dass in der literarischen Gesellschaft ,Pegnesischer BlumenordenR in Nürnberg „auch Katholiken […] und bis 1681 sogar 13 Frauen [als] Mitglieder“ aufgenommen wurden; dass die Frauen allesamt als Ehefrauen angesehener Patrizier aufgenommen wurden, aber Frauen in der so dargestellten ,aufklärerische KulturR fehlten, wurde 1986 nicht thematisiert, dann aber in der ,SpurensucheR der Frauenforschung weitgehend differenziert und korrigiert. Sehr informativ war dann die interdisziplinäre feministische Perspektive in Gisela Völger, Karin von Welck (Hg.), Männerbande – Männerbünde. Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich. Katalog zur Ausstellung des RautenstrauchJoest-Museum für Völkerkunde, 2 Bde., Köln 1990. 49

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lons, später Lesegesellschaften, höfische Feste, Theater? Und warum gab es keine Frauen in „der Gesellschaft der Aufklärer“, nicht in den historischen Vereinen und nicht in der modernen wissenschaftlichen Darstellung? Das Konzept ,PatriarchatR lieferte eine historische Verständnishilfe und fungierte zunächst als ein Kampfbegriff mit mobilisierendem Potential, konnte sich aber als Theorem in der Gesellschafts- und Geschlechterforschung nicht durchsetzen.53 Das neue Erkenntnisinteresse (Gadamer) der Frauen in der Literaturwissenschaft verlagerte das Gewicht von der Werkimmanenz, vom literarischen Werk als ,KunstwerkR, auf die Einbeziehung von Kontexten für die Literatur- und Kulturwissenschaften. Der feministische Blick, der auf ,FrauR fokussiert war, wurde interdisziplinär, schaute auch auf Soziologie, Psychologie und Politologie, besonders auf die damals erneuerte Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikrohistorie – statt auf die traditionellen Makro-Geschichten und grand narratives (F. Lyotard), die sich an Dynastien und an Verfassungsgeschichte, d.h.an Imperien, Herrschern, Staatengründungen und Kriegen orientiert hatte. Bei diesen Fragestellungen wurde – gegenüber der etablierten, prestigeträchtigen ,werkimmanenten InterpretationsmethodeR in der Germanistik, im Anglo-Amerikanischen der ,New CriticismR – die traditionelle philologische und ästhetische, an kanonischer ,HöhenkammliteraturR orientierte Literaturbetrachtung mit kulturgeschichtlicher und besonders kulturkritischer Perspektive aus egalitär-emanzipatorischer Sichtweise befragt.54 Dabei wurde die vorgebliche Objektivität von literarischem Kanon, Gattung, Literaturgeschichte und Wertungen sowie eine geschlechtsneutrale Lektüre, Textverständnis und Sprachformen kritisiert.55 Denn hier hatten nur der ,männliche BlickR und Wertekanon dominiert, in dem Frauen eine Leerstelle oder ein Objekt, aber keine kreativen oder handelnden Subjekte waren – „Geschlechtsspezifität“ war vor 1970 „kein validierter Gegenstand der [traditionellen] literaturwissenschaftlichen Theorien“.56 Historisch gesehen waren Frauen mit Reduktions- oder Ergänzungstheorien in die rein männlich kodierte kulturelle Tradition eingepasst worden. In der feministischen Interpretation waren ,FrauenR (und ,MännerR) gesellschaftlich und historisch konstruierte Kategorien – keine essentialistischen, sondern ähnlich wie es ,ArbeiterR oder ,BürgerR im politischen und kulturkritischen Hierzu Karin Hausen, Patriarchat. Vom Nutzen und Nachteil eines Konzeptes für ,FraupolitikR und Frauengeschichte, in : Journal für Geschichte 5 (1986), 12 – 21. 54 Vgl. auch Barbara Becker-Cantarino, Feministische Germanistik in Deutschland. Rückblick und sechs Thesen, in: Women in German Yearbook 8 (1992), 219 – 233. 55 Siehe hierzu Isabel Karremann, Carolin Roder, Meaning by Critics: Klassikerverehrung als Ausschlusspolitik, in: Shakespeare-Jahrbuch 141 (2005), 119 – 132. 56 Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Frankfurt am Main 1979, 13; mehr hierzu unten. 53

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Diskurs waren –, keinesfalls aber eine „vorgegebene Identität“, wie später entstellend behauptet wurde.57 Probleme der Macht und Gewalt, Diskriminierung, Emanzipation, Beruf und Alltag, Doppelbelastung, Familie, familiäre Beziehungen, Mütter, Sozialisation, (Haus-)Arbeit, Selbstbestimmung auch über den eigenen Körper waren zentral im gesellschaftlich, relational orientierten Feminismus, der aus der (ethnisch gesehen homogenen) europäischen Kulturtradition, welche auch im anglo-amerikanischen Nordamerika dominierte, entwickelt worden war. Schon in den 1970er Jahren hatten sich jedoch women of color gegen die Hegemonie der white women im feministischen Literaturbetrieb zu Wort gemeldet, um gegen ihre doppelte Diskriminierung durch Rassismus und white supremacism zu protestieren und ihre Position im universitären und kulturellen Diskurs angloamerikanischer Prägung einzubringen.58 Frauen unterschiedlicher Ethnien und Nationalitäten kritisierten die Abgehobenheit weißer Frauen als ,westlichR und ,eurozentrischR aus den Positionen ihrer eigenen sozialen Lebenswelt, jener des kolonialisierten Anderen, heraus. Sie wandten sich ihren eigenen politischen Problemen aus der mehrfachen Diskriminierung zu und den literarischen Texten, die auch ihre eigene ethnische Position mit einschlossen und reflektierten.59 Hierauf wurden bald die dreifach aufgeladene Kategorie race, class, gender konzipiert, um ethnische, gesellschaftliche und geschlechtsbezogene Konstruktion oder Position zu analysieren. ,GenderR war zunächst eine weit offene, aber griffige Bezeichnung für das Konzept des sex-/gender-Systems,60 in dem dann die uralte Debatte über ,Natur versus So Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991, 15; Butler machte die Dekonstruktion vom ,autonomen SubjektR (der Aufklärung und Klassik) zum Ausgangspunkt ihrer vernichtenden Kritik des liberalen, politischen Feminismus: „The prevailing assumption of the ontological integrity of the subject before the law might be understood as the contemporary trace of the state nature hypothesis, that foundationist fable constitutive of the juridical structures of classical liberalism“; diese fundamentale Fiktion/Täuschung (,fableR) liege auch der Subjektkonzeption des Feminismus zugrunde (Butler, Gender Trouble [wie Anm. 42], 3). 58 Barbara Christian, Black Women Novelists. The Development of a Tradition, New York 1980. Der politische Feminismus öffnete sich zwar bald, blieb aber als white women feminism umstritten in der Wechselwirkung mit anderen Ungleichheitslagen und Diskriminierungen, insbesondere für Frauen aus den ,MinderheitenR (ein unscharfer Begriff, mit dem women of color und Latinas und Frauen aus anderen Kulturen bezeichnet wurden), um die Lebenserfahrungen und soziale Situation dieser Frauen zu artikulieren. 59 Patricia Hill Collins entwickelte das soziologische Konzept der ,intersectionalityR (systematische Verknüpfung unterschiedlicher Formen von Diskriminierung und Ungleichheit) für afroamerikanische Frauen, um die Verwobenheit und das Zusammenwirken sozialer, ethnischer und sexueller Ungleichheitslagen zu analysieren, wie etwa in Black Sexual Politics. African Americans, Gender and the New Racism, New York 2004. 60 Der verwickelte Zusammenhang von ,kulturellemR und ,biologischemR Geschlecht war schon seit Gayle S. Rubins The Traffic in Women zwischen Psychoanalyse und Konstruktivismus kontrovers diskutiert worden, vgl. u. a. Gayle Rubin, The Traffic in Women. Note on the ,Political Eco57

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KulturR, das Verhältnis von Biologischem zu Kulturellem ausgetragen wurde. Im wissenschaftlichen und feministischen Sprachgebrauch seit den späten 1980er Jahren setzte sich dann Gender als Analysekategorie für „alle gesellschaftlichen Konstruktionen des Mann/Frau Unterschieds“ oder auch die „kulturelle Interpretation und Entwicklung des physiologischen Geschlechtsunterschieds“ durch.61 Das Konzept von Gender als Konstruktion hatte sich gegen rein psychoanalytische, psychosomatische und biologistische Modelle behauptet, verstanden zunächst als historisches, soziales und kulturelles Konstrukt, das offen ist für individuelle, soziale, zeitliche und räumliche Variation und historischen Wandel. Gender als Forschungsfeld blieb auch für andere kultur-philosophische, anthropologische, historische und eben auch literarische Perspektiven offen. Von Gender als Analyse-Kategorie waren Verbindungslinien zur Repräsentation von Geschlecht im Text, zu geschlechtsspezifischen Textstrukturen, zu Fiktionalität, zu (Auto-)Biograpfie und zum Literaturbetrieb zu denken und zu ziehen. Gender sollte nun auch eine historisierende Erforschung der Geschlechtsrollen und des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, etwa in Bezug auf die Frühe Neuzeit und Aufklärung im sozialen Kontext ermöglichen, die auch Machtverhältnisse und Signifikationspraxis mit einbeziehen konnte. Gender als offene Kategorie erlaubte darüber hinaus unterschiedliche methodische Vorgehensweisen und konnte ebenso integrativ wie trans-disziplinär verortet werden, wobei auch über psychologische und biologische Komponenten gestritten werden konnte, um ein System aus Sexualität und Geschlechtsrolle für das moderne Individuum zu etablieren,62 was in historischen Epochen jeweils als Geschlechterrollen und Geschlechtscharaktere als moralischen Code erörtert und zumeist festgeschrieben worden war, wie etwa in Rousseaus Pmile ou De lQ8ducation (1762)63 oder Campes Väterlichem Rath für meine Tochter (1789).64 Das Gender-Konzept war kein ,ParadigmenwechselR, hatte aber die Untersuchungsfelder feministischer Forschung mit dem ausdrücklichen Bezug auf Frauen und Männer erweitert und regte damit auch die Entwicklung der Masculinity Studies an (der Ansatz der Male Feminists konnte sich nicht durchsetzen), die ähnlich wie die WomenQs Studies eine Reflexion auf Konzepte der Männlichkeit, Männerrolle mit Gender als Analysekategorie anvisierten und gleichfalls jeden biologischen Determinismus nomyR of Sex, in : Rayna R. Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Women, New York 1975, 157 – 210. 61 Linda Nicholson, Was heißt ,GenderR?, in : Katharina Pühl (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Politik, Frankfurt am Main 1994, 188 – 220. 62 Vgl. hierzu die (keineswegs deckungsgleichen) Positionen von Teresa de Lauretis, Technologies of Gender. Essays on Theory, Film and Fiction, Bloomington 1987, bes. 1 – 30 und Seyla Benhabib, Drucilla Cornell, Feminism as Critique. On the Politics of Gender, Minneapolis 1987. 63 Jean-Jacques Rousseau, Pmile ou De lQ8ducation, Amsterdam 1762. 64 Joachim Heinrich Campe, Väterlicher Rath für meine Tochter, Braunschweig 1789.

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verweigerten.65 Die rasch anwachsende Publikationsflut zu den Masculinity Studies zeigte, dass sich hier ein eigenes Forschungsfeld spätestens seit Anfang der 1990er Jahre etabliert hat. Um eine Integration hat sich der australische Soziologe Robert Raewyn Connell bemüht, der vielfach zum historisch-kulturell gewachsenen Männlichkeitskonzept publiziert hat, und dafür plädiert, dass die Entmachtung und Benachteiligung einzelner Männer und Frauen über den patriarchalischen Vorteil und die Trennwand hinaus zusammen zu denken sind, ohne jedoch das lange hegemonial kodierte Konzept ,MännlichkeitR außer Acht zu lassen.66

IV. ,Die imaginierte WeiblichkeitR, ,Präsentationsformen des WeiblichenR: Frauenbilder in der Re-Lektüre Ein wichtiges Themenfeld früher feministischer Kulturkritik wurden die kritische Analyse der historischen, zeitgenössischen und künstlerischen Darstellungen von Frauen, die Geschlechterrollen (soziologisch) und Geschlechtscharaktere (psychologisch) und das Verhältnis der Geschlechter zueinander, feministisch kritisch gesehen als Aspekte von Herrschaft/Macht und Unterdrückung/Anpassung. ,FrauR suchte zunächst besonders nach emanzipatorischen Frauenbildern und übte Ideologiekritik an den kanonischen Texten der Männer sowie an den Frauenbildern in Männertexten aus der Perspektive der Unterdrückung und Diskriminierung in einer umfassenden Herrschafts- und Kulturkritik. Schon Publikationen wie Kate Millets Bestseller Sexual Politics (1969)67 hatten damit begonnen, die sexistische Darstellung und Mythisierung von Frauenfiguren in Texten von (damals den Literaturbetrieb beherrschenden) Autoren wie Norman Mailer, Henry Miller oder D. H. Lawrence zu entlarven und leiteten damit die kritische Re-Lektüre der modernen wie der kanonischen Texte ein. Eine für die deutsche Literatur um 1800 grundlegende Arbeit war Silvia Bovenschens Die imaginierte Weiblichkeit: Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen (1979).68 Bovenschen untersuchte, auch inspiriert von der Kritischen Theorie der Frankfurt Schule, kritisch die Bilder und Vorstellungen (Imagines), die die kulturellen Erscheinungsweisen des WeibliSo wurde z. B. das Journal of MenQs Studies 1992 gegründet, seit 2002 erscheint das International Journal of MenQs Health, seit 2003 Fathering, seit 2009 erscheint Culture, Society, and Masculinities. 66 Robert W. Connel, Masculinities, Berkeley 1995 (Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999); das Buch wurde auch ins Schwedische, Französische, Italienische, Spanische und Chinesische übersetzt. Siehe jetzt auch Stefan Horlacher, Bettina Jansen, Wieland Schwabe (Hg.), Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016. 67 Kate Millet, Sexual Politics, New York 1969. 68 Bovenschen, Imaginierte Weiblichkeit (wie Anm. 53). 65

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chen modellieren, und prüfte dann die „kulturhistorischen Entstehungsbedingungen und ihre ästhetischen Ausformungen“ in der „sich formierenden bürgerlichen Kultur im Deutschland des 18. Jahrhunderts“.69 Bovenschen stellte u.a.die kritiklose Vermengung von imaginierten Bildern und historischen Frauen heraus, indem sie die Überlagerung, eher Verdrängung der ,gelehrten FrauR der Aufklärung von dem Bild der ,schönen SeeleR in der Empfindsamkeit verfolgte. Sie lieferte eine erste, differenzierte Kant-Kritik aus feministischer Perspektive und wies auf die „zahlreichen Invektiven Kants gegen die egalitären Weiblichkeitsentwürfe“70 hin. Zahllose Untersuchungen haben sich seither kritisch mit ,FrauenbildernR (Weiblichkeitsprojektionen, Geschlechtscharakteren und Geschlechterrollen) beschäftigt und „gängige Stereotypen der Weiblichkeitseinschätzungen“71 herausgestellt. Bei der Betrachtung der komplexen Bilderwelt der Texte wies Bovenschen auch auf das vielschichtige und umstrittene Verstehen der Texte und ihr Verhältnis zu einer vergangenen und im Lesen wie auch immer wieder erst zu vergegenwärtigenden ,RealitätR oder ,MentalitätR hin. Was lange den Blick der Literaturwissenschaftler verstellt hatte, war eine naive Gleichsetzung von literarischem Frauenbild mit realer Frau (oft in didaktischer Absicht) und die Vereinnahmung der realistischen Oberfläche der Texte für konkrete Aussagen zu historischen und allgemeingültigen Befindlichkeiten. So wurden in sorgfältiger Re-Lektüre der Texte der Frühen Neuzeit z. B. die Wirkung der biblischen Figuren in der Dichotomie von ,MariaR und ,EvaR, die Dämonisierung als ,LilithR, ,AmazoneR und besonders als ,HexeR, aber auch die Zähmung bzw. Sozialkontrolle in Bildern der ,HausmutterR, ,GehilfinR und ,tugendsamen, hohen FrauR betrachtet. Diese Arbeiten haben zumeist analog zur ,IdeologiekritikR der Frankfurter Schule, der Aufdeckung ideologischer Motive in der Gesellschaftskritik, misogyne Vorurteile, hegemoniale und patriarchale Strategien und Strukturen bei den Autoren, aber auch bei Autorinnen sowie im literarischen Feld hinterfragt und auch als ,MännerphantasienR72 untersucht. Die verwirrende Bilderwelt der ,imaginierten WeiblichkeitR einerseits und die kritiklose Vermischung dieser ,Repräsentationen des WeiblichenR mit historischen, realen Frauen andererseits, forderte zu einer Spurensuche von realen Frauen in der Geschichte heraus, wie sie bald auch die historische Frauenforschung einforderte.73 Das beVgl. ebd., 15 f. Ebd., 226. 71 Ebd., 13. 72 Ein Bestseller wurde ebenfalls Klaus Theweleit, Männer Phantasien. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, 2 Bde., Frankfurt am Main 1977/78, der in seiner Freiburger Dissertation die Freikorpsliteratur als Ausdruck des faschistischen Bewusstseins untersucht hat und dabei von der Literatur von Klassik und Romantik (vgl. Bd. 1) ausgegangen ist. 73 Eine Signalwirkung hatte Renate Bridenthal, Claudia Koontz, Becoming Visible. Women in European History, Boston 1976 im Rückgriff auf die Vorstellung des ,Invisible ManR, Titel eines 69 70

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wirkte eine intensive Spurensuche nach ,in der Geschichte unsichtbaren FrauenR,74 den vergessenen Autorinnen und ihren im Literaturkanon nicht repräsentierten Texten, sowie nach Texten über Frauen, Weiblichkeit oder feminine Lebensräume.75

V. Dames de Lettres: Spurensuche und feminine Selbstbestimmung Dann war es Ziel der feministischen Literaturkritik, die (in der Historiografie und damit im kulturellen Gedächtnis) ,unsichtbaren FrauenR auszugraben und ,in der Geschichte sichtbarR zu machen.Vor etwa 1980 waren Frauen in der Frühen Neuzeit noch weitgehend eine terra incognita in der Forschung, besonders was Deutschland anbetraf.76 In der Kette männlicher Autoren der Literaturgeschichte kam ,WeiblichesR in der Literatur immer dann mit in den Blick, wenn Erotik und Liebe abzuhandeln waren oder auch mal eine ,böse FrauR, eine Amazone oder gar eine Hexe oder Märtyrerin im Text nicht zu übersehen waren. Was Frauen als Individuen und als geschlechtsspezifische Gruppe anbetraf, so waren sie in der Geschichte der Frühen Neuzeit eher ,geschichtslosR und ,gesichtslosR, ebenso unerforscht und wenig dokumentiert wie ihre Rolle als entindividualisiert, schemenBestsellers des afroamerikanischen Schriftstellers Ralph Ellison. Unsichtbarkeit war keineswegs dasselbe wie Nicht-Existenz, sondern forderte zur Sichtbarmachung und damit Anerkennung dieser Personen, Frauen und Minderheiten, auf. 74 Für die Frühe Neuzeit wichtige Studien werden u. a. in meiner Sammelrezension besprochen, vgl. Barbara Becker-Cantarino, ,Feminist ConsciousnessR and ,Wicked WitchesR. Recent Studies on Women in Early Modern Europe, in : SIGNS. Journal of Women in Culture and Society 20 (1994), 152 – 175. 75 Die angloamerikanische feministische Literaturuntersuchung berief sich auf Virginia Woolfs Essay A Room of OneQs Own (1929), um den Ausschluss von Autorinnen aus den Literaturgeschichten und ihren eigenen Ort einer weiblichen Tradition zu thematisieren (so z. B. Elaine Showalter, A Literature of Their Own, Princeton, NJ 1977). Sandra Gilbert und Susan Gubars wegweisende Arbeiten zur englischen Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, The Madwoman in the Attic. The Woman Writer and the Nineteenth-Century Literary Imagination (New Haven 1979) und No ManQs Land. The Place of the Woman Writer in The Twentieth Century (3 Bde., New Haven 1988 – 1994), konnten Autorinnen des angloamerikanischen Literaturkanons einer Re-Lektüre unterziehen, ihre Autorpositionierung und Schreibstrategien herausarbeiten. Die drei Bände des umfangreichen, von der Yale University Press publizierten Werkes No ManQs Land trugen die bezeichnenden Untertitel The War of the Words (1988), Sexchanges (1989) und Letters from the Front (1994). 76 Einmal abgesehen von Maria Theresia (und einer Reihe fürstlicher Ehefrauen und Mitglieder prominenter Geschlechter wie Liselotte von der Pfalz, Sophie von Hannover oder Wilhelmine von Bayreuth, sowie unzähliger adliger Damen der Provinz) waren schreibende Frauen nicht gegenwärtig; vgl. hierzu Barbara Becker-Cantarino, ,Dames de LettresR und ,Die Ordnung der GeschlechterR. Neue Forschung zu Frauen und Geschlecht in der Frühen Neuzeit, in: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 23 (1994), 469 – 481.

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haft, unmündig und ohne eigenes Profil, und daher nicht-existent, galt.77 Frauen waren ein „zum Schweigen verurteiltes Geschlecht“, für das jedoch eine Reihe von Dichterinnen und Erzählerinnen in der Querelle des femmes der Romania sowie in England bereits in der Renaissance „weibliches Bewußtsein zumindest in Ansätzen mitteilt“,78 was Renate Baader zum Ausgangspunkt ihrer wegweisenden Untersuchung nahm. In ihrer literarhistorischen Spurensuche ging sie den Dames de lettres. Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und ,modernenR Salons (1649 – 1698) nach und untersucht an den Werken von Mlle de Scud8ry, Mlle de Montpensier und Mme dQAulnoy eine Kultur, die weitgehend von Frauen bestimmt war, und stellt die Frage nach den „Inhalten femininer Selbstbesinnung und den Formen, in denen diese sich – nicht allein, aber doch vor allem – literarisch niederschlug“.79 Baader verstand den Salon als Raum und Rahmen für Frauen, als ein Kontinuum ihrer intellektuellen und literarischen Bildung und Kreativität, das über die Mündlichkeit sie mündig werden lässt. Ihre Studie befreite diese Geselligkeitskultur endgültig vom Odium effeminierter Unernsthaftigkeit, der ihr aus dem Blickwinkel der humanistischen Erudition und der normativen Poetik von der Literaturwissenschaft angehängt worden war, die den Universalismus des ,KlassischenR und die Ästhetik der ,MeisterwerkeR predigte und zumeist nur die ,HöhenkammliteraturR als würdiges Objekt wissenschaftlicher Arbeiten und Lehrveranstaltungen betrachtete.80 Dabei ging Renate Baader auch auf die ständischen Unterschiede ein. Ein erster Teil behandelte „Feudalismus und Frauenkultur im Grand SiHcle“, in dem aus sozial- und ideengeschichtlicher Perspektive die Stellung der Frau und die elitäre weibliche Praxis (rechtliche Stellung, Bildungsmöglichkeiten, Frauenorden, Beginn der Mädchenerziehung und die Stimmen von Poullain de la Barre, Mme de Maintenon und von Mme de Lambert) umrissen werden. In der literarischen Salonkultur vom Vorabsolutismus bis zur Epoche der ,ModernesR zeichnete sie dann Spiel und Ernst einer Frauenbildung nach, die ,bienseanceR mit einschloss. Die Gesprächsspiele im ,Hktel de RambouilletR, dem ersten Salon der Fronde, waren eine Arte Übung in der Kunst des Mündlichen für beide Geschlechter. Baader zeigte überzeugend, wie die schon in Charles de Sorels gelehrter Abhandlung Vgl. Barbara Becker-Cantarino, Zur Sozialgeschichte von Frau und Literatur, in: BeckerCantarino, Der lange Weg (wie Anm. 5), 1 – 18. 78 Baader, Dames de lettres (wie Anm. 3), 1; Renate Baader (1937 – 2007) habilitierte sich 1984 mit dieser Arbeit, nach vielen Schwierigkeiten wurde sie schließlich in Bonn zur Akademischen Oberrätin ernannt. 79 Ebd., 2. 80 Ganz ähnlich war auch der feministische Ansatz von Carolyn C. Lougee, Le Paradis des Femmes. Women, Salons, and Social Stratification in Seventeenth-Century France, Princeton, NJ 1976. 77

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Maison des Ieux (1642)81 über die jeux dQesprit entworfene Möglichkeit in gesellige Wirklichkeit verwandelt wurde, so dass dichterische Versuche von Frauen aus spielerischen Improvisationen entstanden (die sich in Sammelbänden erhalten haben). Aus den liebeskasuistischen Unterhaltungen und Spielen des ,Preziösen SalonsR, den Abb8 de Pure in seinem Roman La Pr8cieuse (1656)82 abbildet, ging das erste bedeutende, von einer Frau verfasste Romanwerk hervor, das der Mlle de Scud8ry. Als kulturgeschichtliche Neudeutung der Preziösen ist dieses Kapitel auch von besonderem Interesse für das Thema von Geselligkeit und Literatur, von „Spiel und Konversation“83 in der höfischen Kultur im barocken Deutschland. Ein weiterer umfangreicher zweiter Teil der Studie gilt den Frauen und ihrer als ,Genres SalonniersR bezeichneten literarischen Produktion, den großen Romanen, Novellen und dem Alterswerk der Scud8ry, den literarischen Portraits und Galerien (Kreis der Mlle de Montpensier), den Maximen und ihrer Kritik (Kreis der Mme de Sabl8) und den ,femininen SalonmärchenR der Mme dQAulnoy, die Renate Baader als Dichtung femininer Wunscherfüllung neu erschloss. Sie subsumierte in ihrem Nachwort die behandelten Texte unter dem Begriff einer „weiblichen“ Aufklärung des 17. Jahrhunderts, der sich die andere „männliche“ im 18. Jahrhundert anschließt.84 Damit hatte Renate Baader wichtige Akzente gesetzt, die die von aristokratischen Frauen verfassten Texte als bildungsfördernd und aufklärerisch wirkend, als Ausdruck eines weiblichen Bewusstseins ausweisen und innerhalb der (französischen und europäischen) Literaturgeschichte entschieden aufwerten. Baader suchte nicht nach überzeitlicher, wesenhafter ,WeiblichkeitR oder 8criture f8minine im Sinne des in den 1980er Jahren populären, französischen Differenzfeminismus, sondern nach Handlungsspielräumen für Frauen in ihrer Kulturepoche und in ihren Schriften. Baaders Thesen und historische Lesart geben der Auffassung weitere Nahrung, dass im aristokratischen 17. Jahrhundert in Frankreich die Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen in der Spielkultur der Salons weitaus größer waren als im bürgerlichen 18. Jahrhundert in Deutschland. Eigene Sphären und eigener Raum zeichneten sich ab für die aristokratischen Frauen; allerdings war dieser Raum privilegiert, dem Alltag und der Welt der Arbeit und der Familie völlig enthoben. War das lediglich eine Utopie des unverbindlichen Spiels, eine gesellige Art der Selbstlegitimation, wie es die Mode der Schäferspiele, Masken und Feste der Aristokratie im 17. Jahrhundert nahelegte? Renate Baader verbindet alCharles Sorel, La Maison des Ieux, Paris 1642. Abb8 de Pure, La Pr8cieuse, ou Le mystHre des ruelles. D8di8e / telle qui nQy pense pas, Paris 1656. 83 Rosemarie Zellers Arbeit, Spiel und Konversation im Barock. Untersuchungen zu Harsdörffers ,GesprächsspielenR (Berlin 1974) wird bei Baader wesentlich erweitert. 84 Baader, Dames des Lettres (wie Anm. 3), 278 ff. 81

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lerdings eingehende Analysen zur moralischen Welt und zu den Geschlechterbeziehungen, zur Kritik der Frauen an männlichen Positionen und zu ihren Selbstwertvorstellungen. Damit ist die spielerische Weltentrücktheit eben doch eingebunden in ein Denken von Sitte und Moral in den Grenzen ihrer Zeit. Ähnlich wie Renate Baader suchte die literaturhistorische Frauenforschung nach Autorinnen und Spielräumen für Frauen in Texten und Biografien, die historisiert, d. h. aus der Perspektive der historischen Epoche selbst verstanden wurden.85 Besonders in der modernen Literatur wurden jedoch eher die Unangepassten, Aufmüpfigen, Grenzüberschreitenden, am Rande des Kanons situierten ,AnderenR bevorzugt. Zugleich suchte diese Frauenforschung nach Anfängen einer weiblich geprägten literarischen Tradition und Genealogie und besetzte diese positiv mit Werten wie Originalität, Individualität, Selbstbewusstsein, Selbständigkeit, Widerständigkeit, Emanzipation.86 In den1980er und besonders den 1990er Jahren entstand dann eine Flut von zumeist Qualifikationsarbeiten zu Autorinnen, Werken und ,SpielräumenR von Frauen besonders des späten 18. Jahrhunderts (,um 1800R), die dann u. a. als ,Ergebnisse der FrauenforschungR publiziert wurden und zumeist auch von der neuen Forschungsförderung für Frauen im akademischen Bereich profitiert hatten.87 Die Frauenforschung konnte sich so „fest etablieren; sie ist aufgrund ihrer Leistungen und Erkenntnisse aus dem Gesamtfach [Literaturwissenschaft] nicht mehr wegzudenken. […] . Ähnliches gilt auch für die feministische Frauenbildforschung“.88

Eine erste, erstaunlich umfangreiche Sammlung deutschsprachiger schreibender Frauen war das von Jean Woods und Maria Fürstenwald herausgegebene Lexikon Schriftstellerinnen. Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock (Stuttgart 1984); das Lexikon, das lange vor den technischen, digitalen Hilfsmitteln nur mit Archiv- und Bibliotheksbesuchen entstanden ist, müsste dringend mit den neuen Recherche-Möglichkeiten und den zahlreichen Arbeiten der Frauenforschung neu herausgegeben werden. 86 Siehe die Ansätze in u. a. Wolfgang Paulsen (Hg.), Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur, Bern, München 1979 und die Ergebnisse der Spurensuche in zwei Frauen-Literaturgeschichten, Renate Möhrmann (Hg.), Frauen – Literatur – Geschichte, Stuttgart 1985 (zweite, wesentlich erweiterte Auflage 1999) sowie Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen, 2 Bde., München 1988. 87 Siehe die bis 2000 im Springer-Verlag Stuttgart erschienene Reihe Ergebnisse der Frauenforschung. Die von einem interdisziplinären Gremium der Freien Universität Berlin begutachtete und herausgegebene Reihe hat seit 1985 Forschungsarbeiten zur historischen Frauen- und Genderforschung publiziert, vgl. u. a. Anita Runge, Liselotte Steinbrügge (Hg.), Die Frau im Dialog. Studien zur Theorie und Geschichte des Briefes, Stuttgart 1991; Susanne Kord, Ein Blick hinter die Kulissen. Deutschsprachige Dramatikerinnen im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1992; Renate Kroll, Margarete Zimmermann, Feministische Literaturwissenschaft in der Romanistik, Stuttgart 1995. 88 Osinski, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft (wie Anm. 26), 101. 85

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VI. Die Ordnung der Geschlechter: Aufklärung, Frauen und Gender in Deutschland Gender als Geschlechterdifferenz seit der Aufklärung war das Thema von Claudia Honeggers theoriebewusster, historisch-kritischer Analyse Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib. 1750 – 1850 (1991).89 Die grundlegende Arbeit hinterfragte „die positive Legende der bloßen Naturauslegung“, nämlich den Gestus der Moderne, dass ihre Ordnung der Geschlechter „von Anbeginn den Anspruch erhoben [hat], das getreue Abbild der natürlichen Ordnung der Dinge zu sein – und nichts weiter“.90 Honegger beleuchtete die kulturelle Neubestimmung der Geschlechter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Anvisieren des spezifisch modernen Problems der Geschlechterdifferenzen, die als natürliche Ordnung der Geschlechter konzipiert wurden. Der „männliche Bürger“ als „moderne kulturelle Leitfigur, dieser spezifisch männliche Mensch als autonom handlungsfähiges, mit sich identisches Subjekt zugleich immer auch wie selbstverständlich als alleiniger Inhaber des modernen Kanons von universalistischen Freiheits- und Gleichheitsrechten“ bildete sich in den kulturellen Umbrüchen in Deutschland von etwa 1770 – 1800 heraus.91 Die Ablösung der Frau vom traditionellen Muster der Hausmutter jedoch blieb widerspruchsvoll. Honegger zeigte an Selbstreflexionen von Frauen (u. a. an Emilie von Berlepsch, Amalie Holst, Marianne Ehrmann, Caroline von Wobeser), wie einzelne Frauen Individuierungs- und Autonomieversuche andachten, etwa als Aufbau einer mehr oder weniger autonomen weiblichen Kultur: um 1800 publizierten nachweislich über 200 Frauen empfindsame Romane und Schriften, in denen sie Sinnsuche und Selbstthematisierung als Frauen in der Umbruchsphase thematisierten. Honegger kann in ihrer interessanten Analyse von Elisa, oder das Weib wie es seyn sollte (1795) zeigen: „Weil die Frauen den die männliche Moderne bestimmenden epochalen Übergang von Erlösung zu Erfolg [Max Weber] nicht mitmachen konnten, prämierten sie an seiner statt weiterhin eine besondere Art säkularisierter Erlösungsfrömmigkeit“, die seit der Aufklärung vielfach beschworene moralischsittliche Überlegenheit des weiblichen Geschlechts.92 Lesenswert ist auch Honeggers soziologischer Blick auf die verspätete, zumeist von Männern geführte deutsche Querelle des femmes zu Ende des 18. Jahrhunderts. Honegger analysierte das von Rousseau beeinflusste, vielrezipierte Buch Über die Weiber (1887) von Ernst Brandes und Christoph MeinersQ Geschichte des weiblichen Geschlechts (1788) mit dem Kampf gegen gemischte Geselligkeiten; sie registrierte den ,misogynem 89 90 91 92

Honegger, Ordnung (wie Anm. 4). Ebd., IX. Ebd., 14; Hvhg. im Original. Ebd., 37.

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TonR, der sich hier abzeichnete und sich artikulierte in den „neu entstehenden Männerzirkeln und Männerklubs sowie in den Geheimbünden. […]. Es gibt als gegen Ende des Jahrhundert so etwas wie eine genuine politische ,MännerbewegungR mit dem Ziel, den Einfluß der Frauen und Damen auf Staat und Gesellschaft einzudämmen“.93 Honegger zeichnete weiterhin den Prozess der Verwissenschaftlichung der Geschlechterordnung nach, wie nämlich „die vergleichende Anatomie als Basiswissenschaft zur Bestimmung der menschlichen Natur zur Konzeptualisierung der Differenzen in der körperlichen Organisation der beiden Geschlechter grundlegend“ wird,94 wie ,Biologie zur BestimmungR (Freud) wird. Honegger untersuchte mithin die Entstehung einer Sonderanthropologie für die Frau seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die auch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch die Psychologie und Medizin beherrschen wird. Diese neue Geschlechterordnung führte zum Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben und Einschluss in den häuslich-familiären Bereich. Für das historische Verständnis des 18. Jahrhunderts ist Honeggers feministische Forschung wichtig, weil sie wissenschaftskritisch die lange dominante Theorie widerlegt hat, die Geschlechterdifferenz sei als solche für alle Lebensbereiche von der Natur vorgegeben, als natürliche Ordnung instituiert worden. Sie konnte den historischen Prozess der Verwissenschaftlichung einer Sonderanthropologie für Frauen nachzeichnen, die aus der Interpretation vergleichender Anatomie der Körper entstanden war. Honegger rekonstruierte ein kulturelles Deutungsmuster der Geschlechterdifferenz, das als vermeintlich wissenschaftliche Wahrheit die Codierung der Geschlechter bis in die Moderne beherrscht hat, und forderte eine „selbstreflektive Kulturtheorie der Geschlechterverhältnisse“.95 Die ,Ordnung der GeschlechterR könnte nun als Säkularisationsprozess aus der religiös bestimmten ,OrdnungR der Frühen Neuzeit beschrieben werden.96 Honeggers Studie zeigt jedoch einmal mehr, wie emanzipatorische, aufklärerische Denkanstöße für eine Konzeption der Geschlechter als gleichwertig im 18. Jahrhundert vielfach in Begrenzungen und ängstlichen Zurücknahmen in den 1790er Jahren mündete. Die nicht für Frauen, sondern für einen kleinen Kreis selbst schreibender Literaten, Philosophen und Gelehrter verfassten Texte über das Wesen der Frau formten ein Frauenbild, das langfristig für die Gesellschaft meinungsbildend werden sollte und als ,WissenschaftR für das 19. Jahrhundert von hoher Relevanz und lange unantastbar wurde. Eine ähnliche Beschränkung der Ebd., 53. Ebd., 42. 95 Ebd., 215; Hvhg. im Original. 96 Wie komplex das Verhältnis von Religion und Aufklärung ist, mithin welche Rolle die Religion für emanzipatorisch-aufklärerische Forderungen spielt, beleuchtet der Beitrag von Isabel Karremann in diesem Band. 93 94

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Frauen hatte Silvia Bovenschen auf dem Gebiet der Literatur festgestellt, dass nämlich zunächst eine Öffnung für Frauen im Vernunftbegriff der Aufklärung enthalten war, in dem Konzept der ,GelehrsamkeitR als auf Vernunft (nicht religiöses Dogma) gestütztes Wissen, ein Konzept, das die „produktiven Vermögen nicht geschlechtsspezifisch verteilte und insofern den Frauen – wenigstens in programmatischen Ansätzen – einen gleichberechtigten Zugang zu kulturellen Leistungen ermöglichen wollte“.97 Auch habe die ,EmpfindsamkeitR (wie die ,GelehrsamkeitR für Bovenschen ein heuristischer Topos), „sofern sie die Aufwertung der sensitiven Vermögen einschließt, eine ,FeminisierungR der Kultur“ herbeigeführt. Dennoch bestand „seit Mitte des 18. Jahrhunderts die Tendenz, die Frauen unter Berufung auf ihren ,GeschlechtscharakterR aus dem Status der ,AutorschaftR wieder zu verdrängen“, wie Bovenschen zeigen konnte. Frauen dienten dann als dankbares Lesepublikum, kreative Fähigkeiten als ,PoetenR aber wurden ihnen abgesprochen; das ,GenieR war männlich: „Der genialische Dichter kann [das Weibliche] instrumentalisieren zu seiner Sinfonie – denn selbst sind die Frauen, diese Wesen ohne Selbst, nichts weiter als seine Partituren“.98 Ist das nun eine Kritik der Vernunft und der gesamten Aufklärung, dass diese die Unterwerfung der Frau legitimiert habe? Führte also die Herrschaft der Vernunft letztendlich zur Zerstörung des Menschen, war Gleichheitsforderung der Aufklärung für alle Menschen nur eine weitere Maskulinisierung, eine neuerliche Festigung männlicher Herrschaft über die Frauen? „How good for women was the Enlightenment?“ war die zentrale Frage des großen kollaborativen englischen Forschungsprojekte „Feminism and Enlightenment, 1650 – 1850“ (1998 – 2001). Die meisten Beiträge in diesem Forschungsprojekt haben diese Frage eher positiv entschieden und führen für das ,langeR 18. Jahrhundert als Epoche der Aufklärung eine reiche Palette von Intellektuellen und Literaten an, darunter viele Frauen, die sich mit Gleichheitsfragen, Aspekten von Geschlecht und femininer Kultur beschäftigt haben und mit protofeministischen (nicht unbedingt emanzipatorischen) Texten dem modernen Feminismus vorgearbeitet haben. Allerdings beziehen sich diese Beiträge auf England, Frankreich, Spanien, Italien und Nordamerika – Deutschland kommt nicht in den Blick.99 Die Frage „How good for women was the Enlightenment“? sollte auch für Deutschland (besonders für deutschsprachige Texte) nochmals gestellt werden. ,The EnlightenmentR wird in dieser englischen Publikation als durchaus vielseiBovenschen, Imaginierte Weiblichkeit (wie Anm. 2), 245 und insbes. das Kapitel „Poetologische Begründungen poetischer Inkompetenz“, 244 – 256. 98 Ebd., 256. 99 Vgl. die reiche neuere Forschungsliteratur in der Bibliografie von ,nurR 100 Titeln in Patrick S. OQDonnell, Women as Intellectuals in the European Enlightenment. A Select Bibliography of Secondary Literature, https://s-usih.org/2015/05/bibliography-women-intellectuals-in-the-european-enlightenment/, abgerufen 23. 10. 2019. 97

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tiger, changierender Begriff konzipiert, als eine chronologische Periode, die das ganze (sogar das ,langeR) 18. Jahrhundert bezeichnet,100 als eine kulturelle Epoche, die durch eine Erneuerungs- und Aufbruchstimmung gekennzeichnet ist. Die expansive Konzeption von ,AufklärungR in Women, Gender, and Enlightenment vermittelt in seiner Breite den Eindruck, dass diese Epoche besonders auch Frauen des Landadels und des gehobenen Bürgertums einen Raum zur literarischen, geistigen und geselligen Entfaltung geboten habe. Dennoch waren die Entfaltungsmöglichkeiten in intellektueller geistiger Hinsicht auch in England etwa in der Philosophie und Gelehrsamkeit eher beschränkt,101 sondern boten sich mehr auf dem Gebiet der eher privaten Geselligkeit, in der literarischen Unterhaltung, in Romanen, Essays, den populären Wochenschriften und der Ratgeberliteratur. Auch in der deutschen Forschung wird die Aufklärung nicht mehr vornehmlich als eine philosophische Konzeption in der Ideengeschichte Europas, sondern zunehmend als kulturelle Epoche, auch mit Augenmerk auf die Frühaufklärung intensiv diskutiert.102 In Deutschland öffneten sich Spielräume für nicht-aristokratische Frauen erst sehr langsam im frühen 18. Jahrhundert, etwa in Gottscheds Literaturprogramm für Frauen als Leserinnen in seiner (nach englischem Vorbild gestalteten) moralischen Wochenschrift Die Vernünftigen Tadlerinnen (1724) und später in den Lustspielen seiner Frau Luise Kulmus – als ,GottschedinR früher bestenfalls eine Fußnote in der Literaturgeschichte –, die Gender-Szenarien (von englischen und französischen Vorbildern angeregt) selbstbestimmt durchspielte.103 Erst der langsame Übergang von der Erbauungsliteratur zur Schönen Literatur, zunächst gefördert durch Übersetzungen der Romane Richardsons, der moralischen Erzählungen aus vielen Literaturen, der englischen und französischen Lustspiele und Dramen und Moralischen Wochenschriften ermöglichte auch Frauen eine selbstbezogene, nicht nur religiös-erbauliche literarische Tätigkeit in deutscher Sprache, sei es als Leserinnen, Übersetzerinnen oder als (vielfach anonym) publizierende Autorinnen im späteren 18. Jahrhundert. Auch die ,LeseLaVopa, Women, Gender, and the Enlightenment (wie Anm. 34), 353. Hierzu John Robertson, Feminism and Enlightenment. A Historiographical Conclusion Legacies, in : Sarah Knott, Barbara Taylor (Hg.), Women, Gender, and Enlightenment, New York 2005, 692 – 704. 102 Vgl. die kulturgeschichtlich orientierten Beiträge in Daniel Fulda, Jörn Steigerwald (Hg.), Um 1700. Die Formierung der europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und Schließung, Berlin, Boston 2016. 103 Vgl. Gabriele Ball, Helga Brandes, Katherine R. Goodman, Diskurse der Aufklärung. Luise Adelgunde Victorie und Johann Christoph Gottsched, Wiesbaden 2006; darin Barbara BeckerCantarino, ,Wenn ich mündig bin, und hoffentlich verständig genug seyn werde …R. Geschlechterdiskurse in den Lustspielen der Gottschedin, 89 – 106. Vgl. auch Katherine R. Goodman, Amazons and Apprentices. Women and the German Parnassus in the Early Enlightenment, Rochester, NY 1999. 100 101

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RevolutionR seit der Mitte des 18. Jahrhundert104 dürfte die rege journalistische und literarische Tätigkeit von Frauen bewirkt haben – aber erst zum Ende des Jahrhunderts.105 Erst danach gab es erstmals zahlreiche schreibende Frauen, deren Texte auch publiziert wurden,106 die aber dennoch in der deutschen Literaturgeschichte und im Kanon – außerhalb der feministischen Literaturbetrachtung – kaum Beachtung fanden und finden.107 Das gilt auch für das Werk der bekanntesten deutschen Autorin des 18. Jahrhunderts, Sophie von La Roche (1730 – 1807), das von der Klassik als ästhetisch minderwertig ausgegrenzt wurde, deren Romane, moralische Erzählungen und Frauenzeitschrift Pomona sehr populär waren.108 Ihre Werke und ähnliche Schriften, die literaturgeschichtlich der Epoche der Empfindsamkeit zugerechnet und damit verengt werden, sind sicher der ,VolksaufklärungR zuzurechnen.109 La Roches Wahlspruch: „Ich bin mehr Herz als Kopf“ sollte die so vernunftgeleitet ihre Publikationstätigkeit organisierende Schriftstellerin nicht in die empfindsame Ecke verweisen, sondern auch den Blick auf das große, in der Aufklärungs-Forschung vernachlässigte Thema des Gefühls lenken – auf die Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert, die oft als ,feminine KulturR etikettiert wurde und wird. War nun die Epoche der Aufklärung ,gutR für Frauen auch in Deutschland? Das ist sicher zu bejahen, wenn man an Bildung, an die Öffnung und Förderung für Rolf Engelsing, Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500 – 1800, Stuttgart 1974 konnte den sprunghaften Anstieg weltlicher Literatur in der Jahrhundertmitte in der Buchproduktion, im Buchbesitz und den Beginn von Lesegesellschaften als Vorläufer der späteren (Leih-) Bibliotheken nachweisen, zu denen Frauen jedoch erst in den 1790er Jahren Zugang erhielten. 105 Karin Tebben (Hg.), Beruf: Schriftstellerin. Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 1998; Gisela Schwarz, Literarisches Leben und Sozialstruktur um 1800. Zur Situation der Schriftstellerin am Beispiel Sophie Mereau-Brentano, Frankfurt am Main u. a. 1991; Ina Schabert, Barbara Schaff (Hg.), Autorschaft. Genus und Genie um 1800, Berlin 1994; Helga Gallas, Magdalene Heuser (Hg.), Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800, Tübingen 1990. 106 Die informativen Werkbiografien in Gudrun Loster-Schneider (Hg.), Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730 – 1900), Tübingen, Basel 2006 verzeichnen erstmals eine erste „Zwischenbilanz“ (IX) zu diesen Autorinnen des 18. Jahrhunderts; weitere Hinweise auf frühere lexikalische und andere Sammlungen von deutschsprachigen Autorinnen, zur anonymen Publikationstätigkeit und zu den neuesten Bibliografien und Lexika von Autoren im „Vorwort“. 107 Vgl. Annette Keck, Manuela Günther, Weibliche Autorschaft und Literaturgeschichte. Ein Forschungsbericht, in : Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 26 (2001), 201 – 233. 108 Vgl. hierzu besonders Barbara Becker-Cantarino, ,Liebe des Lesens in allen StändenR. Publizistik, Verhaltensschriften, Wissensvermittlung, Erkundung der Welt durch Reisen, in : dies., Meine Liebe zu Büchern. Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin, Heidelberg 2008, 133 – 200. 109 Die rezente Forschung zur ,VolksaufklärungR beachtet – wieder einmal – nicht die Rolle von Frauen in dieser Forschungsrichtung, vgl. Holger Böning, Hanno Schmidt, Reinhart Siegert (Hg.), Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, Bremen 2007. 104

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musische und geistig-literarische Interessen denkt, nicht an gleichwertige Partizipation in Kultur und Literatur. Auch die ,bürgerliche EmanzipationR war noch nicht diskutabel, wenn man die völlig fehlende Resonanz auf die einzige emanzipatorische Schrift, Hippels Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792) in Betracht zieht.110 Emanzipation für Frauen war einfach noch kein Thema, auch nicht für die Romantiker, sondern kam erst im Vormärz auf. ,How good for women was the EnlightenmentR ist jedoch eine Frage, die hinsichtlich der deutschsprachigen Literatur und Kultur noch näher zu untersuchen wäre.

Zu Hippel vgl. Honegger, Ordnung (wie Anm. 4), 78 – 93 sowie den Beitrag von Dieter Hüning in diesem Band. 110

Gillian Dow Feminisms and Enlightenments Women Writers, pan-European Exchanges, and the Future Writing of Literary Histories

I begin with an account taken from an infamous travelogue, which crosses both temporal and national borders. In 1816, the Anglo-Irish writer Sydney Owenson (better known as Lady Morgan, 1781 – 1859) travelled to Paris to compile an account of post-Napoleonic France. She was already a celebrated author, thanks in large part to her popular 1806 novel The Wild Irish Girl, which was published and read across Europe. OwensonQs France was published in 1817 by publisher Henry Colburn, who – with his usual entrepreneurial eye for the British publicQs appetite for political and cultural news from across the Channel – paid Owenson £ 1,000 for her work. Colburn arranged for a simultaneous French translation of France to appear in Paris, via the publishers Treuttel et Wurtz.1 As part of her exploration of French literary culture in 1816, Owenson visited an important library, the BibliothHque du Roi. She points out that this French library was originally named the BibliothHque Nationale, and subsequently the BibliothHque Imp8riale, and that it is now once more the BibliothHque du Roi. Owenson believes it is, „deemed one of the most extensive and curious public libraries in Europe“. As a national library, it stood both as a symbol, and as a record of French literature, history and thought. One might expect it, in 1816, to be near-comprehensive it its coverage of the publications of the French Enlightenment. If that is indeed what we would expect, we would be wrong. Despite the treasures she sees included in the BibliothHque du Roi, Owenson notes a process of national canon formation in action. From this physical embodiment of a publication history of France, Owenson sees a telling omission: „not one manuscript of any literary woman; of the Scuderis, the Daciers, the Sevign8s, the La Fayettes“.2 For The translator was Auguste-Jean-Baptiste Defauconpret, who expurged a great deal of the political matter, and published his own attack on the work later the same year, Observations sur lQouvrage intitul8: La France; par Lady Morgan (Paris 1817). 2 Lady Morgan, France, London 1817, 37. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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Owenson, these French women of the seventeenth century had created the environment for the flourishing of Enlightenment thought across the Channel in the eighteenth century, and they had been written out. She notes their omission as an unfortunate curiosity, and then moves on with her narrative. But OwensonQs observation has more lasting implications for our own understanding of the business of books in the long eighteenth century, and for what we are able to recover of Enlightenment Feminisms as a result. Sydney Owenson was writing at a pivotal moment, not only providing a survey of post-Napoleonic France (always her intention), but from the point of view of an establishment of rival traditions of both literary history and Enlightenment narratives in France and Britain. And these rival traditions have been remarkably enduring, pitching the more militant French philosophes such as Voltaire and Diderot against the sceptical Enlightenment philosophers of England and Scotland such as David Hume and Adam Smith. There has been very little space for women writers and thinkers within these national accounts. What Owenson was observing, in 1816, was the start of what Clifford Siskin has called the „Great Forgetting“ of women writers: a process, during the nineteenth century, where women writers were – both consciously and unconsciously – „written out“ of national canon formation.3 Where space is accorded to women, it is still often with the framing of an individual woman as in some way exceptional, and with a male figure as both gatekeeper of reputation, and patron: the case of Voltaire and Mme du Chatelet is an obvious one here; there are many others. Alternatively, a woman writer can all too often be framed as an isolated genius: the case of Jane Austen, long felt to be largely untouched by the literature and thought of her period, is a good example. For many, she remains ,aunt JaneR, rural, isolated, domestic, untouched by Enlightenment thought, and certainly no feminist. In this short essay, I want to draw together some of the threads in very recent works of Anglo-American feminist criticism, and tentatively suggest some directions future research in womenQs writing on a pan-European scale might take. My ideas are inspired by a collection of essays that Jennie Batchelor and I co-edited in 2016, entitled WomenQs Writing, 1660 – 1830: Feminisms and Futures.4 In this book, we invited our contributors to reflect on five decades of work on writing women, and to think about what has been ,recoveredR in our search for womenQs voices in the past. The following year, Robin RuniaQs edited collection The Future of Feminist Eighteenth-Century Scholarship: Beyond Recovery shared our aims, addressing the unfortunate argument that feminist scholarship of Clifford Siskin, The Work of Writing: Literature and Social Change in Britain, 1700–1830, Baltimore 1998, 193–209. 4 Jennie Batchelor, Gillian Dow (eds.), WomenQs Writing, 1660–1830: Feminisims and Futures, Basingstoke 2016. 3

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eighteen-century literary studies has exhausted its academic potential. Taken together, these two publications suggested that we may be at something of a crossroads. I believe, four years later, that we remain there. For despite the oft-repeated cry that the recovery project is, or may soon be, or indeed should be, over, the history of European womenQs writing – and its interaction with Enlightenment thought and feminisms more broadly – has yet to be written. It must by definition be a collective endeavour, and the likelihood of a cohesive and unified movement is remote. Rather, there will be many approaches to undertaking this writing of new literary histories. My own inclination is towards the inclusionary, rather than the definitive. Some caveats, upfront. I read only English and French, and consider myself a literary historian, whose main interest is in the novel and its cross-channel development and reception in the (very) long eighteenth century. From my perspective, the study of eighteenth-century womenQs writing has been dominantly Anglophone in nature, and indeed Anglo-British in focus, and it was given impetus by the ,second waveR feminist movement in both the UK and the USA. I recognise that important work has been, and continues to be, carried out in German, in Dutch, in Spanish and many more European languages and contexts.5 As individual scholars, we are constrained by our background and training, and yet it seems fair to generalise that the recovery project is at very different stages of development in different national contexts.

I. Writing Literary History: Then and Now The female forerunners of the recovery project have now started to look back on the moment when writing about women writing became a collective – and political – endeavour. Cora Kaplan, an American academic working on women writers in the British university system in the 1970s writes movingly of her experiences of working on what was a marginalised – and politicised – endeavour in a postscript to WomenQs Writing 1660 – 1830: Feminisms and Futures. Her conclusion is worth citing at length: We need to pause, therefore, in this retrospective engagement and think in some details about how we go about reconstructing the last half-century of work on women without representing it simply as linear progress. For if in our effort at a sober and rational historicization of ourselves, we begin to think of the perceived limitations of that earlier moment of criticism as ,aberrationR and of our affective relationship then to our objects Pamela L. CheekQs Heroines and Local Girls: The Transnational Emergence of WomenQs Writing in the Long Eighteenth Century (Philadelphia 2019) is one of the most recent studies to include a helpful bibliography of relevant secondary reading. 5

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of study as ,what it ought not to have beenR, we are missing not only an opportunity of understanding the past of our discipline, but of the past itself.6

While agreeing wholeheartedly with Kaplan, some sketching out of the national projects to write womenQs literary history in France and Britain is indeed still necessary, and must – in part – provide a linear account. This is for the simple reason that writing eighteenth-century British and French womenQs literary histories (and German womenQs and Dutch womenQs literary histories, for that matter) has been a predominantly national affair. Betty SchellenbergQs survey from the perspective of research on British womenQs writing still sums up the state of the field neatly. In an essay for Literature Compass in 2007, Schellenberg observed that the time was ripe for writing reappraisals of womenQs writing. She suggested two models from the latter end of the long eighteenth century: Clara Reeve and Anna Letitia Barbauld. Both took on the task of writing an integrated account of the history of the novel – Reeve with her Progress of Romance through Times, Countries, and Manners (1785) and Barbauld with her prefaces to The British Novelists (1810). Both Reeve and Barbauld wrote of the tradition of the British novel, and their overt agenda was to differentiate native productions from their continental counterparts. This distinction – separating womenQs writing into two schools of investigation, French and British – has long been dominant in work on women writers in both countries. There are, of course, some exceptions. In the late 1980s, Ros Ballaster was working on her landmark study Seductive Forms (published 1992), in which she emphasised the influence of French romanciHres on British women writers such as Aphra Behn, Eliza Haywood and Delarivier Manley, writers of the early part of the eighteenth century who form what has been called ,the fair triumvirate of witR. At the same time, Joan Dejean was writing what was to become her study of French womenQs role in the origins of the novel in France, in which she examined Scud8ry, Lafayette and DQAulnoy. In 1991, in a study entitled Tender Geographies: Women and the Origins of the Novel in France, Joan DeJean pointed out that the history of womenQs writing in France and Britain should not be confused, writing: Now that its full history is being explored, the overall course of English womenQs writing appears readily comprehensible, perhaps because it so nearly duplicates that of the novel, the form that has so often served as the model for the history of genres. After an initial rise, the English female tradition reached what is generally presented as its moment of great prominence in the nineteenth century, before knowing something of a decline. French womenQs writing has a very different, and far less easily comprehensible, history. It came very quickly and fully into its own, so that we can speak of a ve-

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See Cora Kaplan, ,PostscriptR, in: WomenQs Writing (s. note 4), 232.

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ritable tradition of French womenQs writing as early as the 1660s, when across the Channel there is far less evidence of literary community.7

Almost twenty years after the publication of Tender Geographies, it is hard to agree with DejeanQs account of the rise and fall of the French woman of letters. Research has continued to identify and examine major French women writers right through the eighteenth, and well into the nineteenth, century. And yet the model of national accounts of women of the eighteenth century has proved remarkably persistent, even where the themes being explored are similar. Take the case of eighteenth-century women writing about old age – a topic that could have claims to universal relevance and interest for Enlightenment thought. Devoney Looser published her study Women Writers and Old Age in Great Britain, 1750–1850 in 2008; Joan Hinde Stewart published The Enlightenment of Age: Women, Letters and Growing Old in Eighteenth-Century France in 2010. These are Anglo-American scholars, working in the Anglo-American tradition of feminist criticism, and based in American institutions: their work would have benefitted greatly from being set in conversation with each other, and read by all scholars of womenQs writing, rather than being grounded in, and as part of, separate – indeed, rival – literary traditions. This is not to appoirtion blame to individual scholars, in this case Looser and Stewart. It is rather to highlight the ,gapR in scholarship ever when the respective traditions should share objectives and aims. The gulf can seem even greater between scholars based in France (or elsewhere in mainland Europe, where the archival project is barely underway, as I have noted) and in Britain and America. I believe strongly that we have been too hasty in drawing up clear national differences between womenQs writing in France and Britain. I find it more useful to think in terms of networks of women writers within Europe in the long eighteenth century, writers who corresponded with each other, attended each othersQ salons, read each othersQ work, and dedicated their own work to each other. FranÅoise de GraffignyQs important and influential Lettres dQune Peruvienne (1747), the fictional letters of a Peruvien princess in France, spawned several female-authored translations and imitations Europe-wide.8 There is also Isabelle de CharriHre (1740–1805), an author who is hard to situate in just one national context: she was not French but Dutch, not living in Holland but in Switzerland, and publishing only in French, her works are as ,forcefulR in their proto feminism at the end of the eighteenth century as any novellas I have read. Joan Dejean, Tender Geographies: Women and the Origin of the Novel in France, New York 1991, 7. 8 For an account of these – including Radagunda Roberts English translation and continuation of GraffignyQs novel – see Marijn Kaplan, Translations and Continuations: Riccoboni and Brooke, Graffigny and Roberts, London 2015. 7

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Many scholars of womenQs writing – including, of course, those whose work is represented in this special issue – share my perspective, work across Europe, and in particular across French, British and German literatures. Taking the lead from historical surveys such as Gerda LernerQs The Creation of Feminist Consciousness: From the Middle Ages to 1870 (1993) and Olwen HuftonQs The Prospect Before Her (1995), several comparative studies of the eighteenth century have illuminated the ,conversationsR between national literatures, and in particular the novel. April AllistonQs VirtueQs Faults: Correspondences in Eighteenth-Century British and French WomenQs Fiction (1996) covered both canonical and non-canonical texts, from LafayetteQs La Princesse de ClHves (1678) to Jane AustenQs Pride and Prejudice (1813).9 Antoinette Marie SolQs Textual Promiscuities: Eighteenth-Century Critical Rewriting (2002) looks at French and British women writersQ responses to Choderlos de LaclosQs Les Liaisons Dangereuses.10 Valuable work has been done by Kari Lokke to read Germaine de Sta]lQs 1802 pan-European bestseller Corinne alongside later novels by Mary Shelley, Bettine von Arnim and George Sand.11 In 2014, Alessa JohnsQs Bluestocking Feminism and British-German Cultural Transfer, 1750–1837 addressed issues of cosmopolitanism, concluding that „feminist historiography depends on […] recognizing simultaneously the micronarratives of individual striving and the grand narrative of womenQs long-standing oppression“, and leaving future studies to „take up the arguments, translate and modify them, and expand the terrain“.12 Most recently, Pamela L. Cheek, in Heroines and Local Girls: The Transnational Emergence of WomenQs Writing in the Long Eighteenth Century argues that womenQs writing was „the first modern literary category to capitalize transnationally on the virtue of identity, anticipating the global literary marketplaceQs segmentation of affinitybased reading publics, and continuing to define womenQs writing to this day“, a compelling thesis which demands – nonetheless – to be tested and challenged.13 Although the interventions I sketch out above are largely the work of individual scholars, such projects have been joined by intentionally collaborative ventures, where the expertise of groups of scholars working in different literary traditions have united to take the first steps in the direction of writing an international history of womenQs writing. The New Approaches to European WomenQs Writing project April Alliston, VirtueQs Faults: Correspondences in Eighteenth-Century British and French WomenQs Fiction, Stanford 1996. 10 Antoinette Marie Sol, Textual Promiscuities: Eighteenth-Century Critical Rewriting, Lewisburg 2002. 11 Cf. Kari Lokke, Tracing WomenQs Romanticism: Gender, history, and transcendence, Abingdon 2009. 12 Ibid., 170. 13 Cf. Pamela L. Cheek, Heroines and Local Girls: The Transnational Emergence of WomenQs Writing in the Long Eighteenth Century, Philadelphia 2019, 41 and the pr8cis on the cover jacket. 9

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is one such project, the amibitions of which have yet to be fully realised.14 In Women Telling Nations, the first volume of the RWomen Writers in HistoryQ Series published in 2014, editors Amelia Sanz, Francesca Scott and Suzan van Dijk ask – and attempt to answer – a series of questions about the status of womenQs writing in Europe: What were women doing from the 16th to the 19th centuries while national literatures were being forged? In what way were women, as readers and writers, contributing to these imaginary communities, or refusing to build them? Could nations be built without taking into account what women thought and wrote? To what extent were they invisible? Was the time of nations a time for women? […] If we go back to the etymological sense of ,nationR (birth), what were womenQs literary nations?15

Women Telling Nations does not attempt to provide definitive answers to any of these questions, but it does look beyond borders to interrogate issues of cosmopolitanism in the Enlightenment and beyond. Where do we go from here? Scholars are now equipped with the kinds of bibliographic tools and online databases necessary for a thorough reappraisal of womenQs writing of the long eighteenth century which would take into account continental sources and cross-channel exchange. These include biographies and indexes of book reviews that take account of translations. They include a great many digital resources such as Eighteenth-Century Collections Online, which facilitate quick key-word searches for translation, or works ,from the FrenchR. And they include such edited works as collections of translatorsQ prefaces to translations of English novels into French, both in print and online, where attitudes to Anglomania in France can be traced for the latter half of the eighteenth century.16 Where it used to be extraordinarily rare to produce new scholarly editions of important eighteenth-century translations (as opposed to new translations, an activity which is in itself a marker of canonicity) in the last 15 years, new editions of early translations have found publishers. From an interest in the translator as key eighteenth-century author himself, the focus has moved to lesser-known women translators who were very popular in their own age. The Pickering and Some information about this project can be read here: http://resources.huygens.knaw.nl/ womenwriters/. I was involved myself in the COSTAction that funded the intial project group. What is notable is that several members have gone on to find success with other European-funded projects with similar aims. See, for example, Marie-Louise Coolahan, Reception and Circulation of Early Modern WomenQs Writing, 1550–1700 at https://recirc.nuigalway.ie, and Carme Font PazQs project WINK, Trans-Genre Writing and the Gendering of Intellectual Value in Early Modernity https:// www.projectwink.eu/team/. 15 Amelia Sanz, Francesca Scott, Suzan van Dijk (eds.), Women Telling Nations, Amsterdam, New York 2014, 11. 16 Cf. Annie Cointre, Annie Rivara (eds.), Recueil de Pr8facesde traducteurs de romans anglais 1721–1828, Saint-Ptienne 2006. 14

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Chatto Chawton House Library series has, since 2007, included re-editions of English translations of novels by Sophie Cottin, St8phanie-F8licit8 de Genlis, FranÅoise de Graffigny, Isabelle de Montolieu and Marie-Jeanne Riccoboni, all of which contain lengthy notes and comments on variant translations and translators. Designed for the research library, these texts are nonetheless a valuable addition to a revised canon of eighteenth-century fiction. The issue of cross-cultural exchange through translation in the mid-century is given a thorough treatment in affordable new scholarly editions of Eliza HaywoodQs The Fortunate Foundlings and Edward KimberQs The Happy Orphans, and a new translation of a later novella, St8phanie-F8licit8 de GenlisQs The Duchess of C*** appears in the same MHRA series. There is, then, currently a great deal of scholarly and editing activity to build on, and a great many women writers to teach. Recent book historical approaches to the study of literary fiction can help us to fill out a more nuanced picture of the literary marketplace in the long eighteenth century. Using less well-known women writers in our teaching can challenge studentsQ understanding of the canon, complicating their appreciation of understanding of the ,greatR literary works of their own nation and beyond. For those of us who teach the literature of the Enlightenment, this is all the more important. Even that most English of English authors, Jane Austen, does not emerge from a ,Great TraditionR of the Anglo-Saxon novel to become a Global literary celebrity. Austen becomes quite a different writer when viewed in the context of the translated fiction that was so popular in her lifetime, and that we know she read.

II. Jane Austen among Continental Women The business of books in the long eighteenth century was, as James Raven has pointed out in his examination of booksellers and the English book trade, an international one, and should not be ,constrained by false national perspectives, and especially not by domestic book production ratesR.17 French books were omnipresent on British shelves, not least on the shelves of a library collection that Jane Austen herself had access to, the library at Godmersham Park in Kent. Edward Austen, later Edward Knight, Jane AustenQs elder brother, was made the heir of childless relatives of his motherQs, thus inheriting the Knight family library at Godmersham Park. The 1818 catalogue, now on deposit in the library at Chawton House in Hampshire, records a significant amount of French fiction.18 Indeed, James Raven, The Business of Books: Booksellers and the English Book Trade, Newhaven, London 2007, 2. 18 Godmersham Park Library Catalogue. Bound MSS. Chawton House, Chawton, UK. 1818, 2 vols. 17

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French originals and English translations sat on the library shelves, and were therefore available to Jane Austen when she visited her brother and his family: she writes of spending time in this library, and made at least six extended visits in the course of her forty one years.19 In 1818, the year after AustenQs death, the library at Godmersham Park contained a large number of French books, among them a 1755 French edition of Le Diable Boiteux, published in London by Pierre van Cleef, and Tobias SmollettQs 1749 translation of Le SageQs The Adventures of Gil-Blas of Santillane. VoltaireQs Candide et Microm8gas both feature, as does MarmontelQs B8lisaire and his Contes Moraux, a fifth edition of MontesquieuQs Lettres Persanes (1740) and a fourth edition of RiccoboniQs Lettres de Mylady Juliette Catesby (1760). RousseauQs Julie, oF la Nouvelle H8lo"se (1761) seems to have entered the collection at Godmersham Park as a gift to Catherine Knight, Edward AustenQs adoptive mother, in 1779: it is inscribed to her. There are some curious omissions: Pr8vostQs Histoire dQune Greque Moderne is present in a first edition of 1740, but there is no Manon Lescaut (1731), nor is there any sign of MarivauxQs Marianne (1731–1742), a novel that may well have inspired Austen in the writing of Sense and Sensibility (1811). Cr8billon filsQs Lettres de la Marquise de M*** au Comte de R*** sits on the Godmersham Park shelves, as does a complete works, published in Paris in 1785. GenlisQs Ad8le et Th8odore (1782) – an important novel in the denouement of AustenQs Emma (1815) – is there, as is her Veill8es du Ch.teau (1782), a novel for children that the entire Austen family enjoyed. Isabelle de Montolieu – Jane AustenQs own French translator, who translated both Sense and Sensibility (1811) and Persuasion (1817) in 1815 and 1821, respectively – is present via an edition of her Agathocles, oF lettres 8crites de Rome oF de GrHce (1812), itself a translation of PichlerQs German original. MontolieuQs tremendously popular Caroline de Lichtfield (1786), is not in the collection at Godmersham Park, but it is certainly a novel that Austen read. Some of these French works appear in both English translation, and the original English. F8nelonQs T8l8maque is one such ,duplicateR, and FranÅoise de GraffignyQs Lettres dQune P8ruvienne (1747), in the first Paris edition, is complemented by the splendidly-named Radagunda RobertsQs translation and continuation The Peruvian Letters, with an additional volume, in the first London edition of 1774. The Knight family library at Godmersham Park seems to have been a typical example of a ,country houseR library in the eighteenth and early nineteenth centuries. The importance of the conspicuous presentation of French texts on British shelves was acknowledged by those who created their libraries in the age of bibliomania. Mark Purcell, in his study of the country house library, points out that The 1818 library catalogue is held at Chawton House, in Hampshire. A virtual recreation of the library can be viewed at readingwithausten.com, the result of research carried out by Peter Sabor and the McGill University, Montreal. 19

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,lighter reading matterR in French is present in most of the libraries that form the corpus of his study.20 If the reading of French novels is sometimes presented as a morally suspect activity in British novels of the latter half of the eighteenth and early nineteenth centuries, and if French novels are presented by British literary periodicals as unworthy of their readers, then neither preoccupation seems to have affected those who created the libraries of the upper middle classes. Jane Austen wrote of her own family that they were ,great novel readers, and not ashamed of being soR, and this reading certainly included a great deal of French fiction.21 To furnish the book shelves of the British upper-middle classes with French texts, books could be, and were, brought back from Grand Tours of Continental Europe. After travelling in France, Switzerland and Germany in 1788 and 1789, Edward Austen himself sent a case of books back to Godmersham Park from Hamburg. The sum of £ 8.4s. 8d. was paid in duty on the arrival of these books in Kent in early September 1789. No documentation, alas, exists on whether the package of books – or a later package, sent from Livorno in Italy back to Godmersham in 1791 – contained novels, or indeed exclusively French works: there are a few volumes in Italian and in German in the Godmersham Park Library catalogue of 1818.22 Hoftijzer and Lankhorst document a ,lively trafficR across the Channel of merchants, diplomats, scholars, students, soldiers and tourists who returned home with books ,especially since books as a rule were much cheaper on the Continent than at homeR.23 It was certainly possible to commission someone to buy novels in Paris or The Hague, and many French works returned to Britain via agents. But there was a far easier way to access French books, and that was from the booksellers of London and Dublin.24 In London, French novels appeared on the booksellersQ shelves almost simultaneously with their appearance in Paris. French booksellers in London congregated around the Strand, and leading dealers stocked imported French fiction alongside English translations. Key names include brothers Paul and Isaac Vaillant and John Nourse, whose business in the Strand operated from c. 1731 to 1780 (a copy of Vaillant and NourseQs 1763 edition of Thomas NugentQs Emilius – a translation of RousseauQs Pmile – appears in the Mark Purcell, The Country House Library, New Haven, London 2017, 122. I expand on this point in my article Northanger Abbey, French fiction and the affecting history of the Duchess of C***, in: Persuasions 32 (2010), 28 – 45. 22 For details of Edward Austen KnightQs Grand Tour, cf. Deirdre Le Faye, Edward KnightQs Grand Tour, in: Jane Austen Society Report 2016, 28–36. 23 P. G. Hoftijzer, O. S. Lankhorst, Continental Imports to Britain, 1695–1740, in: The Cambridge History of The Book in Britain, vol. 5: 1695–1830, ed. by Michael F. Suarez, S.J. and Michael L. Turner, Cambridge 2009, 521. 24 An excellent examination – although it does not focus on the novel – is M#ire Kennedy, French Books in Eighteenth-Century Ireland, Oxford 2001. 20 21

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library of AustenQs brother at Godmersham Park). The appearance of ,LondresR on the title page of their books, however, is often misleading: only a small percentage of books in French were actually published in the English capital. ,LondresR as an imprint could signal a clandestine work printed on the Continent, or it could signal a novel printed elsewhere and destined for one of the London-based publishers. As Jenny Mander points out ,French editions of novels were rarely printed in Britain until the arrival of a new wave of French 8migr8s after 1789R.25 The eighteenthcentury market for French fiction was not confined to emigrant French communities, whether Protestant Huguenots at the beginning of the long eighteenth century, or Catholic Royalists towards the end. We do not know exactly how Austen accessed the French books she read. She had access to Enlightenment philosophes on her brotherQs shelves, including complete works of Voltaire and Rousseau, although of course their availability to her does not evidence her direct engagement with them. The intertextual evidence for her extensive reading of French fiction – and in particular the work of French women writers –, however, is strong. Reading Jane AustenQs juvenile work, in particular, shows her light-heartedly challenging the French dominance of sensibility in the fiction of the late eighteenth and early nineteenth centuries. ,Love and FreindshipR (c. 1790) was dedicated to Jane AustenQs cousin Eliza, Madame la Comtesse de Feuillide: the only member of the immediate Austen family to be French through marriage, and indeed through her education in France. Deirdre Le FayeQs ,Life and LettersR of this ,Outlandish CousinR of the Austen family documents the young Eliza HancockQs time in France, and her descriptions of the court of France and French fashion must have delighted the Austen family on her visits to them.26 In December 1786, Sister Hancock, Madame de Feuillide and ElizaQs son Hastings spent Christmas with the Austen family at Steventon, bringing a gift of the French author Arnaud BerquinQs LQAmi des Enfans with them – possibly a gift for JaneQs 11th birthday, and certainly owned by her: the name Jane Austen is on the fly-leaves. This French work – which consists of short, moralistic tales for young children – was a particularly appropriate gift, and one that was mirrored for the next generation of Austen family girls, Jane and CassandraQs nieces. Aunt Cassandra bought a copy of GenlisQs French plays for children for her niece and goddaughter Caroline Austen; niece Anna Lefroy owned a copy of le Prince de BeaumontQs Magasin des Enfants, gifted to her by her Steventon neighbour Mrs AuJenny Mander, Foreign Imports, in: Peter Garside, Karen OQBrien (eds.), The Oxford History of the Novel in English, vol. 2: English and British Fiction 1750–1820, Oxford 2015, 589–612, esp. 595. 26 Deirdre Le Faye, Jane Austen, Outlandish Cousin: The Life and Letters of Eliza De Feuillde, London 2002. 25

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gusta Bramston in 1802. The reading of short French moral tales and plays for children formed a very important part of the education of young girls, even while the reading of French sentimental fiction was morally suspect. Whether one was Jane Austen, in rural Hampshire, or her nieces in rural Kent, or Germaine de Sta]l and Luise Gottsched in the elite salons of Europe, it was felt by some that there was a shared cultural capital belonging to all women. These influences on the education of European women are being mapped out, as the idea of networks of women writers and thinkers has gained currency in recent critical studies of the period in recent years. It is increasingly apparent that an ,EnlightenmentR education for women depended on a core, pan-European, corpus. Indeed, the ,taggingR carried out by such online resources as the Orlando database encourages scholars to think about dynamic links between women as writers and as readers. That said, it is worth emphasising that womenQs writing in the period was naturally diverse, and from each end of the political spectrum. On the surface, little links a writer such as Margaret Cavendish, a member of a prominent seventeenth-century gentry family who became maid-of-honour to Queen Henrietta Maria and married a Royalist general, with Elizabeth Appleton, a private governess with what we would now call a middle-class background, writing in the early nineteenth century. Many women themselves recognised this diversity in aims and backgrounds, and explicitly pointed it out. In 1804, Maria Edgeworth wrote to the poet Anna Laetitia Barbauld suggesting that a ,periodical paper, to be written entirely by ladies, would succeedR, and expressing a ,wish that all the literary ladies of the present day might be invited to take a share in itR. BarbauldQs reply raised some objections: All the literary ladies! Mercy on us! Have you ever reckoned up how many there are, or computed how much trash, and how many discordant materials would be poured in from such a general invitation. I feel also doubtful of the propriety of making it declaredly a ladyQs paper. There is no bond of union among literary women, any more than among literary men; different sentiments and different connections separate them much more than the joint interest of their sex would unite them. Mrs. Hannah More would not write along with you or me, and we should probably hesitate at joining Miss Hays, or if she were living, Mrs. Godwin [i. e. Mary Wollstonecraft]. But suppose a sufficient number willing and able to co-operate, which I am willing to think might probably be found, still I do not see why it should be ostensibly ,The LadyQs PaperR. Many would sneer at the title, they would pretend to expect, however unreasonably, frivolity or romance. There is a great difference between a paper written by a lady, and as a lady.27

Letter dated 30 August 1804 from Anna Laetitia Barbauld to Maria Edgeworth. Cf. Anna Letitia Le Breton, Memoir of Mrs Barbauld (first published London 1874, now available in Cambridge Library Collection Digital reprint), Cambridge 2013, 86 f. 27

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BarbauldQs astute observations are a reminder that as much divided eighteenthcentury women writers as united them. Nevertheless, women across Europe seem to have been united in one thing at least: they wished to improve womenQs lot and usefulness to society by improving female education. The ways in which this should be achieved were not universally agreed on. Some felt that a private education, with lists of approved reading and time for quiet reflection, was best. Others emphasized attention to accomplishments – music, dancing, modern languages, drawing: the kind of education that would attract and keep an eligible husband, and that could be best studied in a boarding school in the company of other young ladies. Still other writers were convinced that female education should not differ greatly from male education. Although there was as yet no clear national curriculum, for men or women, many female educationalists felt that there was good reason to instruct women in all branches of Enlightenment thought, including natural philosophy, mathematics and botany. III. Writing (in) the Future The direction of scholarship in the Humanities must take a much broader approach to reach our aim for inclusivity and relevance. The story of Great White Male thinkers and any attempts at describing a unifying Enlightenment, in any Western European country, by definition excludes a great many writers of the period. These writers may be feminist, they may be women, and they may be writers of colour. They may be divided by as much as unites them; certainly, their positions in the society, and how they experienced that society, were different. We must account for this difference, and we cannot ignore the nuance of interpretation for the convenience of a strong and unifying thesis. At the same time, we must also strive for new literary histories of womenQs writing that take into account how much they had in common across the dividing lines of nationality and language, and how they formed networks or entered into dialogue with each other – as well as with male writers. One problem, working in this area, is that scholars are still obliged to locate our work within separate disciplines. We are firmly in English departments, or French departments (or Philosophy departments; German Departments; History Departments) and we work within university systems that have their own national pressures on funding and publication. A concerted effort must be made to join up in collaborative research directories, so that academic effort is not ignored or indeed duplicated, so that we are reading more, and so that more work is published beyond our own borders. I put the finishing touches to this essay just as Britain prepares to withdraw from the EU. This landmark political event seems – from my own perspective, as one who benefitted from access to tertiary education in France, and freedom of move-

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ment across Europe more generally – like an anti-Enlightenment move. For those of us who believe in the European project, more has been damaged than free trade agreements. The threat to the Erasmus scheme of student exchange, and to language learning in the UK, and to the study of literature and the humanities, is real. It pre-dates the July 2016 British referendum on leaving the EU, and it is ongoing. By definition, those of us who research pan-European feminisms must have had teaching in at least two languages and in at least two literary traditions, via modern languages departments. But the latter, in Britain, are moving their focus away from the eighteenth century, they are shrinking, and in some cases closing. How will the feminists of the future learn the languages – not to mention the research and writing skills – necessary to explore European Enlightenments in the broadest sense? Will there be another ,Great ForgettingR of women writers and thinkers in a context where the liberal arts and humanities matter less and less? Here – as in all research areas – feminist scholars are divided. Isobel Grundy, a pioneering scholar of British and American womenQs writing, is optimistic. She points out, however, that with the study of womenQs writing well established, while literary study itself remains less than secure, womenQs texts are „still a daring choice“.28 Emma Clery, the author of works of feminist scholarship such as The Feminization Debate in Eighteenth-Century England has a more negative view. She puts it well when she writes that remembering is what we scholars of womenQs writing do, and calls on us to beware „of claims that women have always-already been central, that feminism and neo-liberalism are compatible and that all thatQs required is to ,lean inR“.29 It is only with direct action within our own academies to keep women writers in print and on syllabi, and by exerting pressure outside the academy on neo-liberal policy makers, that we will protect our disciplines. To ensure that our field remains vibrant for generations to come, we must be able to continue to teach innovative, comparative, courses, and to persuade our students – not to mention our colleagues – that Enlightenment Feminisms mattered then, and remain important today. It will take a collective approach to write new literary histories. Pan-European collaborative networks – such as that represented in this collection of essays, and in the conference that drew us together in Würzburg in the summer of 2018 in the first place – matter more now than ever.

Isobel Grundy, Preface: Writing and Reading the ,Rugged Realities of LifeR, in: WomenQs Writing (see note 4), 9. 29 Emma Clery, Free Market Feminism? The Political Economy of WomenQs Writing, in: WomenQs Writing (see note 4), 57. 28

A K T U EL L E D E BATT E

Bernd Dçrflinger Universalismus der Verschiedenheit Kants naturhistorische Theorie der Menschenrassen – kein Fall von Rassismus

Kants Philosophie ist unter mehreren Hinsichten zweifellos universalistisch. Sie, deren spezifische Fragestellungen auf die Beantwortung der umfassenden Frage „Was ist der Mensch?“ hinauslaufen (vgl. Logik, AA IX, 25),1 bietet viele gute Gründe für die Gleichheit aller Menschen und für ihre Zusammengehörigkeit in einer einzigen Gattung. Das Gemeinsame der Begründungsanstrengungen ist die Absicht, apriorische Prinzipien herzuleiten und zu legitimieren, d. h. strikt allgemeine und notwendige Prinzipien, die alle Menschen gleichermaßen charakterisieren. Solche Prinzipien nachgewiesen zu haben, beansprucht Kant für den Menschen als Subjekt apriorischer Erkenntnis der Natur, für ihn als Subjekt apriorischer moralischer Normativität (ob in der Ethik oder im Recht) und sogar in Hinsicht auf den Menschen als Subjekt a priori fundierter ästhetischer Beurteilung. Unter allen diesen Aspekten ist von der Einheit der Menschheit und der Gleichheit der Menschen auszugehen. Auf der Gegenseite des Apriorischen steht all das, was durch Prinzipien nicht antizipiert werden kann, also das Empirische, das a posteriori mittels rezeptiver Sinnlichkeit bekannt werden muss. Bezogen auf das Erkenntnissubjekt steht auf dieser Gegenseite alles, was durch seine apriorischen Verstandesbegriffe „unbestimmt gelassen“ (KdU, AA V, 179) wird und „nach unserer Verstandeseinsicht zufällig“ (ebd., 180) erscheint. Durch den reinen Verstandesbegriff der Kausalität etwa ist nur antizipiert, dass alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, Auf die Schriften Kants wird nach einer Sigle, die die spezielle Schrift bezeichnet, unter Angabe von Band- und Seitenzahl der Akademie-Ausgabe (Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen [später: Deutschen] Akademie der Wissenschaften, Berlin u. a. 1900 ff.; im Folgenden AA) verwiesen. Die verwendeten Siglen sind: ApH – Anthropologie in pragmatischer Hinsicht; BM – Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace; EF – Zum ewigen Frieden; HN – Handschriftlicher Nachlass; KdU – Kritik der Urteilskraft; Logik – Immanuel Kants Logik, ein Handbuch zu Vorlesungen; TP – Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie; VR – Von den verschiedenen Racen der Menschen. 1

Aufkl-rung 32 · V Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0178-7128

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nicht antizipiert sind die vielen spezifischen Kausalitätsarten der vielen spezifischen Naturkräfte. Ebenso wenig ist a priori bestimmt, dass in der Natur Organismen erscheinen, erst recht nicht die Vielzahl ihrer Spezifikationen nach Gattungen, nach Arten unter Gattungen, nach Unterarten unter Arten bis hin zu den Individuen. Auf diese Seite des nach unserer Verstandeseinsicht Zufälligen gehört ersichtlich auch der Mensch hinsichtlich seines physischen empirischen Erscheinens als eine unter vielen Tiergattungen, die ihrerseits intern empirisch spezifiziert ist. Das Besorgniserregende am immensen Bereich empirischer Spezifikationen ist, noch ganz allgemein gesprochen, dass es vielleicht „für unseren Verstand unmöglich“ sein könnte, „aus einem für uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe, eine zusammenhängende Erfahrung zu machen“ (ebd., 185). Fehlender Zusammenhang unter den empirischen Spezifikationen – sei es der unter den spezifischen physikalischen Kausalitätsarten oder der unter den Spezifika innerhalb der Tierart „Mensch“ – spräche gegen deren Einheit, also für Disparatheit und Desintegration. Müsste es dabei bleiben, dass Zusammenhang und Einheit unsere Fassungskraft überstiege, würde, so Kant, diese „Vorstellung der Natur durchaus mißfallen“ (ebd., 188). Das Vermögen, das dem entgegenwirkt und also doch die Erkenntnis von Zusammenhang, Einheit und Integration intendiert, ist Kant zufolge reflektierende Urteilskraft. Sie tritt mit ihrem Suchprinzip der Zweckmäßigkeit an die Natur heran, um nach Einheit und Gesetzlichkeit auch unter den empirischen Spezifikationen zu fragen, die durch den reinen Verstand nicht antizipiert werden konnten. Im Rahmen der skizzierten allgemeinen Fragestellung lenkt Kant sein besonderes Augenmerk auf die Frage der Einheit der Menschheit, näherhin auf deren Einheit als eine Spezies von Lebewesen, deren leibliches Erscheinen unter dem Gesichtspunkt der Hautfarbe die tradierte Unterscheidung nach vier Rassen nahelegt. Er benennt sie als die der „Weißen, der gelben Indianer, der Neger und der kupferfarbig-roten Amerikaner“ (BM, AA VIII, 93). In der Anwendung darauf lautet also die konkretisierte Frage: Stehen die spezifizierenden Merkmale für Disparatheit und Desintegration oder lässt sich eine Deutung im Sinne der Einheit der Menschheit entwickeln? – Vor ihrer Beantwortung sei gesagt, was noch hergeleitet werden wird, nämlich dass Kant das Prinzip der Einteilung, die Hautfarbe, für berechtigt und signifikant hält, obwohl er zugesteht, dass es einem auf den ersten Blick „sehr unbedeutend vorkommen“ (ebd., 98) und „geringfügig erscheinen“ (ebd., 95) mag. Entsprechend hält er auch am landläufigen Begriff der Menschenrasse fest, dem er aber eine präzise terminologische Bestimmung geben will. Er hält deshalb an ihm fest, weil er eine Art der Einteilung einer Gattung indiziert, die jener Einheits- bzw. Integrationsintention günstig ist, unterschieden von einer anderen Art von Einteilung, die ihr ungünstig ist. Was Kant anvisiert, ist das Verständnis der Menschengattung als Realgattung, die die Glieder ihrer Einteilung in sich enthält, in Opposition zu einer Gattung als bloßer Nominalgat-

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tung, die ihre Glieder der Einteilung nach Art von abstrakten Begriffen in logischen Art-Gattung-Hierarchien nur unter sich enthält. Ein bloßes Unter-sich-Enthalten ist dem zuzuordnen, was Kant das „Schulsystem der Naturbeschreibung“ (VR, AA II, 434 Anm.) oder die „Schuleinteilung“ (ebd., 429) nennt. Diese „geht auf Klassen“, und teilt „nach Ähnlichkeiten“ ein. Sie hat „nur zur Absicht […], die Geschöpfe unter Titel […] zu bringen“ (ebd.). Das Verfahren solcher Einteilung bezeichnet Kant auch als das einer „bloß methodischen Benennung“ (TP, AA VIII, 164). Auf diese Weise zu Nominalgattungen zu kommen, lässt Raum für die Willkür, hinsichtlich des Vergleichs nach Ähnlichkeiten beliebig Merkmale auszuwählen oder außer Acht zu lassen. Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Willkür dessen, der sie konstruiert, nennt Kant Nominalgattungen auch „species artificialis“ (ebd., 178). Im Fall einer Realgattung mit Gliedern der Einteilung in ihr – und als solche ist die Gattung „Mensch“ (mit Rassen statt Klassen) im Blick – dürfte es solche Willkür mit dem Ergebnis letztlich beliebiger Einteilung nicht geben. In einem Gattungsbegriff im Verständnis der Schuleinteilung, also im Verständnis der logischen Art-Gattung-Hierarchie, sind nur die gemeinsamen Merkmale der Artbegriffe enthalten. Die Merkmale, die als spezifische Differenzen die Artbegriffe unter ihm konstituieren, sind, insofern er eben von ihnen abstrahiert, nicht in ihm enthalten. Aus diesem Grund gilt, dass „die niedrigern Begriffe […] nach dem, was sie Verschiedenes haben, von dem höheren niemals abgeleitet werden“ (ebd., 181) können. Dass die Artbegriffe unter dem Gattungsbegriff enthalten sind, gilt unter dem Aspekt der Begriffsumfänge, was bedeutet, dass der Gattungsbegriff sich auf den gesamten Gegenstandsbereich bezieht, auf den sich die Artbegriffe jeweils partiell beziehen. Das Verhältnis der durch spezifische Differenzen konstituierten Artbegriffe untereinander ist das der kontradiktorischen Entgegensetzung, d. i. das Verhältnis von A und Non-A zwischen einer Art und den anderen Arten. Im Modell der Schuleinteilung steht das Spezifische demnach in einer isolierten Position, steht also in keinem Verweisungszusammenhang mit den anderen Spezifika. Die erzielten Ergebnisse auf den hier interessierenden Begriff des leiblich-physischen Menschen angewandt, müssten sich die Menschen nach dem Modell der Schuleinteilung ihrer Gattung nach nur unter Abstraktion des Spezifischen, also nur vermittelt über gewisse gemeinsame Merkmale als vereint verstehen. Dieses abstrakt gattungshafte Selbstverständnis der Menschen lässt also nicht zu, sich und andere im Hinsehen auf die spezifischen Merkmale, also etwa auf die jeweilige Hautfarbe, als zusammengehörig zu betrachten. Die Spezifika sind in Bezug auf den abstrakten Gattungsbegriff desintegriert, zufällig und stehen zueinander in jenem Verhältnis kontradiktatorischer Entgegensetzung. Wenn nun zudem unter den Voraussetzungen der Schuleinteilung die Frage nach dem Grund der Spezifika gestellt würde, dann könnten die Arten der Menschen, da ja alles Niedrigere in den Punkten der Verschiedenheit niemals vom Hö-

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heren abgeleitet werden kann, nicht auf einen einzigen Grund, sondern nur auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. Für die weiß- oder schwarzhäutigen Menschen beispielsweise müssten verschiedene Ursprünge angenommen werden – mit dem Wort Kants „Localschöpfungen“ (VR, AA II, 430). Sie wären einander zwar „ähnlich, aber nicht verwandt“ (ebd.) – ähnlich insofern, als zwar gewisse gemeinsame Merkmale zur Bildung des abstrakten Begriffs einer artifiziellen Nominalgattung herangezogen werden könnten, nicht verwandt aber insofern, als ihr jeweiliges spezifisches Mensch-Sein disparate Ursprünge voraussetzte. Das Gegenmodell zur Schuleinteilung, die nach „Klassen von Geschöpfen“ einteilt, die „unter einer Gattung“ (BM, AA VIII, 100 Anm.; Hvhg. B.D.) enthalten sind, ist das der Realgattung. Darin sollen „Art und Gattung […] an sich nicht unterschieden“ (ebd.) sein. Es ist damit der Wechsel vom Unter-sich-Enthalten zum In-sich-Enthalten projektiert. Diesem Wechsel ist ein anderer Wechsel vorausgesetzt, nämlich der in der Einstellung des Reflektierenden von der Naturbeschreibung zur Naturgeschichte. Es ist nach Kant die „Naturbeschreibung (Zustand der Natur in der jetzigen Zeit) […] lange nicht hinreichend, von der Mannigfaltigkeit der Abartungen Grund anzugeben“ (VR, AA II, 443). Was mit der naturgeschichtlichen Reflexion nun thematisch wird, sind Abstammungsverhältnisse bzw. „Verwandtschaften in Ansehung der Erzeugung“ (ebd., 429). Wonach gesucht ist und wie dabei vorzugehen ist, drückt Kant so aus: „Ob es wirklich eine solche Verwandtschaft in der Menschengattung gebe, müssen die Beobachtungen, welche die Einheit der Abstammung kenntlich machen, entscheiden. Und hier sieht man deutlich, daß man durch ein bestimmtes Prinzip geleitet werden müsse, um bloß zu beobachten, d. i. auf dasjenige Acht zu geben, was Anzeige auf die Abstammung, nicht bloß auf die Charakteren-Ähnlichkeit geben könne“ (TP, AA VIII, 164). Das angesprochene Prinzip ist das Reflexionsprinzip der Zweckmäßigkeit, das die Spezifika des Beobachteten im Blick behält und daraufhin befragt, ob sie in einem teleologischen Verweisungszusammenhang stehen, d. i. in einem Finalzusammenhang, in dem die Elemente einander als Mittel zu Zwecken dienen können. Im gelingenden Fall wären die Spezifika nicht länger isolierte Momente einer bloßen Mannigfaltigkeit und stünden nicht länger in jenem kontradiktorischen Verhältnis der spezifischen Differenzen in den Artbegriffen der Schuleinteilung. Insofern in der projektierten Realgattung das Gattungshafte sich nur im Hinsehen auf das Spezifische der Glieder der Einteilung erschließt, ist das Spezifische hier anders als im Fall der Nominalgattung der logischen Art-Gattung-Hierarchie für die Gattung konstitutiv und also in ihr enthalten. Umgekehrt betrachtet, wäre ohne dieses Spezifische die Realgattung defizitär. Ersichtlich ist in einer solchen Gattung die Unterschiedenheit ihrer Glieder nichts Befremdliches, weil etwa Desintegration anzeigend, sondern um der Einheit der Gattung willen geradezu zu postulieren. Der Universalismus, den dieses Gattungsverständnis im-

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pliziert, ist aufgrund der Integration der Spezifika der Glieder der Einteilung ein Universalismus der Verschiedenheit. Die Menschengattung – als Tiergattung betrachtet – ist nach Kant eine Realgattung im entwickelten Verständnis. Sein Ausdruck „Menschenrassen“ bezeichnet die Glieder der Einteilung in dieser Gattung, die spezifische Verschiedenheiten der Menschen als integriert ansehen lässt. Durch ihn ist ausgedrückt, dass es „nicht verschiedene Arten von Menschen“ (VR, AA II 430; vgl. TP, AA VIII, 100) im Sinne der desintegrierenden logischen Art-Gattung-Hierarchie gibt. Wo Kant formuliert, dass es unter den Menschen „keineswegs Arten, sondern nur Rassen“ (TP, AA VIII, 99) gibt, da ist durch das „nur“ ausgedrückt, dass die vermittels des Begriffs der Rasse gedachte Unterscheidung keine kontradiktorische Entgegensetzung eines A zu einem Non-A impliziert, was bei der Schuleinteilung einer Nominalgattung hinsichtlich der Arten allerdings der Fall ist. Die durch den Begriff der Rasse gedachte Unterscheidung ist die zwischen Gliedern einer Einteilung, die zweckmäßig aufeinander bezogen sind. Wenn, wie gesehen, die Einheit der Abstammung der Glieder der Einteilung der Gattung, der Rassen also, kenntlich werden soll, dann muss sich diese Zweckmäßigkeit näherhin aus der Erwägung der Bedingungen der Fortpflanzung der Gattung ergeben. In der Tat ist der kantische Rassebegriff auf die Sphäre desjenigen bezogen, „was seines Gleichen erzeugen kann“, nicht auf die unbelebte Natur: „Mineralien haben keine Rassen, sondern nur organisierte Dinge“ (HN, AA XV.2, 876). Worin im Fall der Realgattung der Menschen die universelle wechselseitige Zweckmäßigkeit besteht, die die Einheit der Abstammung anzeigt, gibt Kant wie folgt an: Es gehören „alle Menschen auf der weiten Erde zu einer und derselben Naturgattung, weil sie durchgängig mit einander fruchtbare Kinder zeugen, so große Verschiedenheiten auch sonst in ihrer Gestalt mögen angetroffen werden. Von dieser Einheit der Naturgattung, welche eben so viel ist, als die Einheit der für sie gemeinschaftlich gültigen Zeugungskraft, kann man nur eine einzige natürliche Ursache anführen: nämlich, daß sie alle zu einem Stamme gehören, woraus sie unerachtet der Verschiedenheiten entsprungen sind, oder doch wenigstens haben entspringen können“ (VR, AA II, 429 f.).2 Noch hinzukommend dazu, dass aufgrund der gemeinschaftlich gültigen Zeugungskraft, von der kein Mensch ausgeschlossen ist, überhaupt Nachkommen entstehen können, gibt es noch ein spezielles anschauliches Phänomen, das Kant zufolge im Sinne der Einheit des Ursprungs aller Menschen gedeutet werden muss. Es Georg Forster hat bekanntlich die monogenetische Erklärung Kants in Frage gestellt und Argumente für die Annahme verschiedener Ursprünge vorgebracht. Zu diesem zentralen Problem – Monogenese oder Polygenese – und zu allen anderen Aspekten der Kant-Forster-Kontroverse vgl. Rainer Godel, Gideon Stiening (Hg.), Klopffechtereien – Missverständnisse – Widersprüche? Methodische und methodologische Perspektiven auf die Kant-Forster-Kontroverse, München 2012. 2

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handelt sich um die notwendige Vererbung einer mittleren Hautfarbe für den Fall, dass Nachkommen aus der Verbindung zweier Elternteile entstehen, die ihrerseits verschiedene Hautfarben haben. Diese nach Kants Sprachgebrauch notwendige halbschlächtige Anartung (vgl. ebd., 430 und BM, AA VIII, 99) indiziert ihm zufolge auf anschauliche Weise die Einheit der Realgattung, denn dass aus der Vermischung „ein Mittelschlag nicht bloß entspringen könne, sondern sogar unausbleiblich erfolgen müsse: das läßt sich bei der Verschiedenheit ursprünglicher Stämme gar nicht begreifen“ (BM, AA VIII, 98). Als Indikator für die Einheit des Ursprungs wird mit der Hautfarbe schließlich dasjenige doch „ein sehr merkwürdiges Phänomen“ (ebd., 95), was zunächst für unbedeutend und nebensächlich gehalten werden mochte. Ohne Aufmerksamkeit auf dieses Merkmal am physischen Erscheinen der Tiergattung Mensch würde etwas nicht thematisch werden können, was für die Einheit dieser Gattung spricht. Über das minimalistisch Prinzipielle seiner naturhistorisch teleologischen Theorie der Menschenrassen hinaus finden sich bei Kant auch noch speziellere teleologische Erwägungen, deren Ergebnisse aber nicht den Status von Derivaten aus dieser Theorie haben. Dazu gehört etwa die, welche bestimmte Zweckmäßigkeit den verschiedenen Hautfarben der Menschen wohl zuzuschreiben sei. Das ist seiner Ansicht nach ihre Angemessenheit an die Hauptklimate der Erde, wodurch die Selbsterhaltung der Tiergattung „Mensch“ in der Ausbreitung über die verschiedenen Weltgegenden begünstigt sei (vgl. VR, AA II, 435 ff.). Die Zuordnungen, die er hier vornimmt, sind die der weißen Farbe zur feuchten Kälte, der kupferroten zur trockenen Kälte, der schwarzen zur feuchten Hitze und der olivgelben zur trockenen Hitze (vgl. ebd., 441). Kant selbst gesteht Erwägungen dieser Art bloß den Status von „Mutmaßungen“ zu, „die wenigstens Grund genug haben, um anderen Mutmaßungen die Waage zu halten“ (ebd., 440). Noch unterhalb des eingeschränkten Erkenntnisanspruchs von Mutmaßungen siedelt Kant einen erwogenen Vorzug der Weißen an, eine „Stärke dieses Menschenschlags vor den übrigen“ (ebd.), weil in deren Blut das Eisen ganz aufgelöst sei. Er gesteht letztendlich, dass er auf diesem Feld „zu fremd“ sei, „um mit einigem Zutraun auch nur Mutmaßungen zu wagen“ (ebd.). Leider hat Kant den sehr angebrachten Minimalismus seiner naturhistorisch teleologischen Theorie der Menschenrassen nicht immer durchgehalten und sich darüber hinausgehende Aussagen erlaubt, oft ohne sie mit kritischen Einschränkungen hinsichtlich ihres hochproblematischen Erkenntnisanspruchs zu versehen. Weitestgehend nicht auf eigene Erfahrungen gestützt, sondern auf vermeintliches testimoniales Wissen, d. h. auf kaum wissenschaftlich zu nennende ethnographische Reisebeschreibungen, reproduziert er nicht selten Stereotypen seiner Zeit. Diesen zufolge wurden den Nicht-Weißen überwiegend negativ wertende Attribute zugeschrieben, sei es die körperliche, psychische, intellektuelle, zivilisatorisch-kulturelle und sogar die moralische Tauglichkeit betreffend. Als Beispiel für wiederholt vorgetragene herabstufende Bewertungen Kants, die ohne jede Grundlage in seiner

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eigenen, keine Rangunterschiede implizierenden naturgeschichtlichen Theorie der Menschengattung sind, mag dienen, was er über die Indianer Amerikas sagt. Von ihnen heißt es, dass „diese Rasse zu schwach für schwere Arbeit“ sei, „zu gleichgültig für emsige und unfähig zu aller Kultur“ und „noch tief unter dem Neger“ (TP, AA VIII, 176) stehe. Aussagen dieses Typs müssen als rassistisch qualifiziert werden. Sie können allerdings nicht als Folgerungen aus einem der Lehrstücke Kants mit Theorieanspruch verstanden werden, sondern stehen im Widerspruch zu diesen Lehrstücken, auch zu dem hier besonders beleuchteten zur Naturgeschichte der Menschengattung, die mit einem ganz wertneutralen Terminus der Menschenrasse operiert. Für seine Erkenntnislehre ist die Einheit und Gleichheit aller Menschen ebenso wesentlich wie für seine Morallehre, ob auf dem Gebiet der Ethik oder dem des Rechts. Letzteres betreffend, setzt etwa Kants Theorie des Völkerrechts die Gleichheit der personenanalog gedachten Staaten voraus, schließt also Unterschiede des Rangs unter den Völkern bzw. hinsichtlich des Rechtsstatus unter ihnen aus. Gleiches gilt für die Theorie des Weltbürgerrechts, der zufolge jeder Mensch im Verhältnis zu jedem auswärtigen Staat das gleiche Hospitalitätsrecht besitzt, d. i. das Recht eines jeden, sich zum Verkehr anzubieten, wobei Kant in erster Linie an rechtlich geregelte Handelsbeziehungen denkt. In der näheren Erläuterung dieses Begriffs schließt er übrigens den Rechtsbruch des Kolonialismus strikt aus (vgl. EF, AA VIII, 357 ff.), d. h. das Recht von vermeintlich Bevorrechtigten bzw. Ranghöheren, anderen den besagten Verkehr aufzuzwingen und sie zu unterdrücken. Aussagen der angeführten wertenden Art, die vermeintliche Rangunterschiede unter den Menschen betreffen, gehören auch keinesfalls in den Rahmen der Erkenntnisintention bzw. in den Gegenstandsbereich der naturgeschichtlichen Theorie Kants von den Menschenrassen. Dieser Gegenstandsbereich ist der der physischen Anthropologie, nicht der pragmatischen Anthropologie, die ihrerseits als bloße Beobachtungslehre nicht prinzipientheoretisch, hinsichtlich ihres Wissenschaftscharakters problematisch und besonders irrtumsanfällig ist. Aussagen der besagten Art über Menschenrassen führen ein illegitimes Eigenleben neben jener physischen Anthropologie.3 Sie liegen außerhalb dessen, was Kant selbst an einer Stelle als das zentrale Anliegen seiner naturteleologischen Theorie der Menschenrassen formuliert, nämlich die „Verteidigung [s]eines Begriffs von der Ableitung der erblichen Mannigfaltigkeit organischer Geschöpfe einer und derselben Naturgattung (species naturalis, so fern sie durch ihr Zeugungsvermögen in Verbindung Gideon Stiening, „[E]s gibt gar keine verschiedenen Arten von Menschen“, in: Godel, Stiening (Hg.), Klopffechtereien (wie Anm. 2), 19–53 hat mit Recht betont, dass „Kants Rassebegriff […] gegenüber Fragen der praktischen Vernunft indifferent“ (36) ist und dass insgesamt sein „allgemeines Konzept einer Naturgeschichte […] von normativen Implikationen im Hinblick auf die Frage der Menschenrassen frei“ (ebd.) ist. 3

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stehen und von Einem Stamme entsprossen sein können) zum Unterschiede von der Schulgattung (species artificialis, so fern sie unter einem gemeinschaftlichen Merkmale der bloßen Vergleichung stehen)“ (ApH, AA VII, 178). Ganz im Gegensatz dazu, Menschen oder Gruppierungen von Menschen in Verhältnissen wechselseitiger unüberbrückbarer Entgegensetzung oder einander hierarchisch über- bzw. untergeordnet zu denken, ist das Ergebnis der naturhistorisch teleologischen Reflexion Kants, dass sie zu einer einzigen Naturgattung als einer Abstammungsgemeinschaft gehören. Kants zentrales Argument für die Einheit der Realgattung der Menschen ist die Einheit der Zeugungskraft, d. h. dass alle Menschen bei aller Verschiedenheit des Erscheinens – die buchstäblich augenfällige ist die Verschiedenheit nach Hautfarben – sich untereinander fortpflanzen können. Dabei sind offenbar die Vererbungsverhältnisse gesetzlich geregelt, und zwar derart, dass die Charaktere der Verschiedenheit nicht wie im Fall eines abstrakten Gesetzes der Allgemeinheit des Gesetzes äußerlich sind, sondern dass eben diese Charaktere der Verschiedenheit für das Gesetz konstitutiv sind, dass sie also als solche in ihrer Anschaulichkeit Indikatoren für den gesetzlichen Zusammenhang sind. Das erweist sich besonders signifikant am Phänomen der halbschlächtigen Nachartung, d. h. an der gesetzlichen Notwendigkeit einer mittleren Hautfarbe beim Nachkommen von Eltern verschiedener Hautfarbe, welche Notwendigkeit Kant zufolge nur durch die Einheit des Ursprungs der Menschen erklärlich ist. Damit erweisen sich die Charaktere der Verschiedenheit, die zunächst einheits- und gesetzeswidrig zu sein schienen, die also Disparatheit und Desintegration anzuzeigen schienen, als Indikatoren für das Gegenteil, nämlich als Indikatoren für die Integration der Charaktere der Verschiedenheit in einem einzigen gesetzlichen Zusammenhang. Wie schon eingangs angeführt, ist die zunächst besorgliche empirische Mannigfaltigkeit der Spezifikationen der Natur, die durch die reinen apriorischen Verstandesbegriffe unbestimmt gelassen wurde, durch diese also nicht begriffen werden kann, das Motiv der Nachforschung reflektierender Urteilskraft nach gesetzlichen Zusammenhängen auch auf diesem Gebiet des für den reinen Verstand empirisch Zufälligen. Müsste es hier bei der Heterogenität der Spezifikationen bleiben, würde eine derartige „Vorstellung der Natur durchaus mißfallen“ (KdU, AA V, 188). Umgekehrt müsste ein entdeckter gesetzlicher Zusammenhang ein Gegenstand des Wohlgefallens sein. Ein solcher Zusammenhang ist nun im Fall der Realgattung der Menschen entdeckt, die eine Gattung organisierter, d. h. lebendiger Wesen mit zweckmäßig aufeinander bezogenen Gliedern der Einteilung, von Kant Menschenrassen genannt, ist. Was ihm zufolge im Allgemeinen gilt, muss auch hier gelten, dass nämlich „die entdeckte Vereinbarkeit“ empirischer Spezifikationen „Grund einer sehr merklichen Lust“ (ebd., 187) ist. Das Wohlgefallen muss sich dabei, weil die Spezifikationen für die Einheit konstitutiv sind, auf diese Spezifikationen als solche erstrecken, also die Menschheit inklusive der Vielfarbigkeit ihres Erscheinens umfassen.

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Durch Kants naturhistorisch teleologische Theorie der Menschenrassen ist den anderen universalistischen Zügen seiner Philosophie, das sind in der Hauptsache der Universalismus des erkennenden Subjekts und der Universalismus des moralischpraktischen Subjekts, ein weiterer universalistischer Zug hinzugefügt. Dieser lässt sich sogar als ein Universalismus der forcierten Art bezeichnen. Im Vergleich mit den Arten des Universalismus, die auf der Unterschiedslosigkeit der Subjekte beruhen, insofern ihnen allen gleichermaßen dieselben apriorischen Prinzipien der Erkenntnis und der Moral inhärieren, ist es als eine Steigerung zu betrachten, wenn sich die Zusammengehörigkeit aller Menschen in einer einzigen Menschheit nun auch noch unter dem Aspekt ihrer organisch-leiblichen Existenz begründen lässt, womit ihre verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit als Lebewesen begründet ist. Forciert ist der hinzukommende Universalismus auch dadurch, dass er keine Abstraktion, also kein Absehen von allen empirischen Unterschieden unter den Menschen erfordert. Er verlangt sogar das Hinsehen auf empirische Unterschiede, insofern diese für das neue Gattungsverständnis als Realgattung konstitutiv sind. Dieser Universalismus der Verschiedenheit ist ersichtlich kein Fall von Rassismus, lässt sich also in keiner Weise dafür instrumentalisieren, Verhältnisse der Entgegensetzung oder Rangunterschiede unter den Menschen zu konstruieren. Im Gegenteil lässt er sich gegen Rassismus in Stellung bringen, auch gegen gewisse einschlägige unbedachte Äußerungen von Kant selbst,4 die seine eigene reflektierte Theorie der Menschenrassen konterkarieren. Es gibt eine Tendenz innerhalb der Kant-Literatur, gewisse in der Tat haltlose Äußerungen Kants zu Rangunterschieden unter den Menschenrassen im Übermaß zu skandalisieren. Das Übermaß besteht darin, dass der Status dieser Aussagen, die keine prinzipientheoretischen sind und bei denen es sich um empirisch ganz unzureichend fundierte Meinungen handelt, doch prinzipientheoretisch überhöht wird. Repräsentanten der genannten Tendenz sind etwa Robert Bernasconi, Kant as an Unfamiliar Source of Racism, in: Tommy Lee Lott, Julie Ward (Hg.), Philosophers on Race, Oxford 2002, 145–166 und Charles W. Mills, KantQs Untermenschen, in: Andrew Valls (Hg.), Race and Racism in Modern Philosophy, Ithaca 2005, 169–193. Mills geht so weit zu behaupten, dass Kant nur den Weißen den Status moralischer Personen zugeschrieben habe (vgl. 183). Angemessener ist es wohl, den Universalismus der Philosophie Kants nicht im Prinzip in Frage zu stellen, allerdings die inkriminierten Äußerungen als im Widerspruch dazu stehend auszuschließen. Diese Position vertreten in der Kant-Forschung etwa Robert B. Louden, KantQs Impure Ethics, Oxford 2000 und Thomas McCarthy, On the Way to a World Republic? Kant on Race and Development, in: Lothar R. Waas (Hg.), Politik, Moral und Religion – Gegensätze und Ergänzungen, Berlin 2004, 223–243. Pauline Kleingeld, KantQs Second Thoughts on Race, in: The Philosophical Quarterly 57 (2007), 573–592 hat darauf hingewiesen, dass Kant sich im Laufe der 1790er Jahre selbst explizit korrigiert und seine Äußerungen zu einer Hierarchie der Menschenrassen widerrufen hat (vgl. 590). Sie legt nahe, das als Konsequenz aus der Ausarbeitung der Lehrstücke zum Völkerrecht und zum Weltbürgerrecht zu betrachten (vgl. 587). Ergänzend kann allerdings gesagt werden, dass Kants Selbstkorrektur auch schon vor diesen rechtsphilosophischen Spezifikationen möglich gewesen wäre, also auch nur auf der Grundlage seines Kategorischen Imperativs, etwa auf der der Selbstzweckformel, die eindeutig egalitaristisch ist und ausschließt, irgend einem Menschen einen minderen Rang zuzuschreiben, um ihn etwa nur als Mittel zu gebrauchen. 4