Auf dem Weg in einen »neuen Rechtsstaat«: Zur künftigen Architektur der inneren Sicherheit in Deutschland und Österreich. Vorträge und Berichte im deutsch-österreichischen Werkstattgespräch zur inneren Sicherheit an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer im Oktober 2002 [1 ed.] 9783428513840, 9783428113842

Die innere Sicherheit zu gewährleisten, ist eine Kernaufgabe des demokratischen Rechtsstaates. Hierauf gründet ein wesen

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Auf dem Weg in einen »neuen Rechtsstaat«: Zur künftigen Architektur der inneren Sicherheit in Deutschland und Österreich. Vorträge und Berichte im deutsch-österreichischen Werkstattgespräch zur inneren Sicherheit an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer im Oktober 2002 [1 ed.]
 9783428513840, 9783428113842

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Auf dem Weg in einen „neuen Rechtsstaat"

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 160

Auf dem Weg in einen „neuen Rechtsstaat44 Zur künftigen Architektur der inneren Sicherheit in Deutschland und Österreich Vorträge und Berichte i m deutsch-österreichischen Werkstattgespräch zur inneren Sicherheit an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer i m Oktober 2002

Herausgegeben von

Rainer Pitschas und Harald Stolzlechner

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-11384-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Vorwort

15

Zur Notwendigkeit einer neuen Architektur der inneren Sicherheit Von Rainer Pitschas, Speyer

17

Erster Teil Grundlinien der Neuen Architektur

Die Politik der inneren Sicherheit in Deutschland vor neuen Herausforderungen Von Karl Peter Bruch, Mainz

25

Die Politik der inneren Sicherheit in Österreich vor neuen Herausforderungen Von Theodor Thanner, Wien

33

Polizeiföderalismus oder Bundeskriminalpolizei - Welche Organisationsstruktur verlangt die künftige polizeiliche Arbeit? Von Jörg Ziercke, Kiel

63

Künftige Gewährleistungsstrukturen der inneren Sicherheit in Europa zwischen Vergemeinschaftung und nationaler Fokussierung Diskussionsbericht zu den Vorträgen von Karl Peter Bruch, Theodor Thanner und Jörg Ziercke Von Stefanie Gille y Speyer

79

2

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil Wandlungen im Verhältnis von Sicherheit und Freiheit

Vom „neuen Rechtsstaat": Freiheit in Sicherheit durch gesellschaftliche Verantwortungspartnerschaft für den inneren Frieden Von Rainer Pitschas, Speyer

95

Freiheit durch Sicherheit? Wie viel Schutz der inneren Sicherheit verlangt und verträgt das deutsche Grundgesetz? Von Erhard Denninger, Frankfurt

113

Die Rolle der Rasterfahndung in Deutschland - Statement Von Aurangzeb Khan, Speyer

127

Die innere Sicherheit und die Rolle privater Sicherheitsvorsorge in Japan Von Akio Takahashi, Tokio

131

Wie viel Sicherheit verträgt oder benötigt Freiheit? Diskussionsbericht zu den Vorträgen von Rainer Pitschas, Erhard Denninger und Akio Takahashi sowie zum Statement von Aurangzeb Khan Von Alexandra Müller, Speyer

141

Dritter

Teil

Gesellschaftlicher Akteur im Umbau der Sicherheitsarchitektur: Das Sicherheitsgewerbe

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen an den Schutz der Inneren Sicherheit Von Jürgen Linde, Düsseldorf.

153

nsverzeichnis

3

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes am Beispiel der Geld- und Wertdienste Von Heinz Spiegelmacher, Düsseldorf

167

Neue Aufgaben für das private Sicherheitsgewerbe in einem „neuen Rechtsstaat"? Diskussionsbericht zu den Vorträgen von Jürgen Linde und Heinz Spiegelmacher Von Patrick Laurency, Speyer

179

Vierter

Teil

Vergleichende Perspektiven der Sicherheitsarbeit innerhalb der Europäischen Union: Österreich

Die neue Sicherheitsarchitektur in Österreich Von Harald Stolzlechner, Salzburg

193

Flughafensicherung in Österreich am Beispiel des Flughafens Wien-Schwechat Von Michaela Pfeifenberger,

Wien

223

Flughafensicherung in Deutschland am Beispiel des Flughafens Hamburg Von Dieter Bode, Hamburg

239

Sicherheit in österreichischen Gerichtsgebäuden Von Günther Winsauer, Linz

249

Demonstrationsbegleitung am Beispiel der „Anti-Temelin-Blockaden" Von Hans-Peter Zierl, Freistadt/Österreich

269

4

nsverzeichnis

Recht und Politik der inneren Sicherheit für die Europäische Union in vergleichender Perspektive - Das Beispiel Österreich Diskussionsbericht zu den Vorträgen von Harald Stolzlechner, Michaela Pfeifenberger, Dieter Bode, Günther Winsauer, Hans-Peter Zierl Von Christian Koch, Speyer

Verzeichnis der Referenten und Autoren

289

301

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

a.D.

außer Dienst

AG

Aktiengesellschaft, Arbeitsgemeinschaft

AK

Arbeitskreis

AK IS

Interdisziplinärer Arbeitskreis Innere Sicherheit

AKW

Atomkraftwerk

a.M.

anderer Meinung

Anm.

Anmerkung

AnwBl

Österreichisches Anwaltsblatt

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

Art.

Artikel

ASGG

Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (Österreich)

Ass.

Assistent(in)

AUA

Austrian Airline

Aufl.

Auflage

AuslG

Ausländergesetz

Az.

Aktenzeichen

BankwesenG

Bankwesengesetz (Österreich)

BayPAG

Bayerisches Polizeiaufgabengesetz

Bd.

Band

BDWS

Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V.

Abkürzungsverzeichnis bes.

besonders

BewachVO

Bewachungsverordnung

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BG

Bundesgesetz / Bezirksgericht

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGS

Bundesgrenzschutz

BHV

Bundeshaushaltsverordnung

BIA

Büro für interne Angelegenheiten

BKA

Bundeskriminalamt

BKA-G

Bundeskriminalamts-Gesetz

BlgBR

Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Bundesrates (Österreich)

BlgBR

Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates (Österreich)

BMF

Bundesministerium für Finanzen

BMI

Bundesministerium des Innern bzw. Bundesinnenminister

BMJ

Bundesministerium für Justiz

BMV

Bundesministerium

für

Verkehr,

Bau-

und

Wohnungswesen (Deutschland) BMVIT

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (Österreich)

BND

Bundesnachrichtendienst

BörseG

Börsegesetz (Östereich)

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BSDG

Bundesdatenschutzgesetz

BSG

Bahnschutz- und Servicegesellschaft

BT

Bundestag

B(-)VG

Österreichisches Bundesverfassungsgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

Abkürzungsverzeichnis BVerfGE

Amtliche

Sammlung

7 von

Entscheidungen

des Bundsverfassungsgerichts BVerfSchG BVT

Bundesverfassungsschutzgesetz Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

DEA

Drug Enforcement Agency

ders.

derselbe

DFK

Deutsches Forum für Kriminalprävention

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe(n)

DIN

Deutsches Institut für Normung

Diss.

Dissertation

DÖV

Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

Drs.

Drucksache

dtsch.

deutsch(e)

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd.

ebendie, ebenda

EBS

Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität

EBT

Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus

ECAC

European Civil Aviation Conference (Europäische Zivilluftfahrt-Konferenz)

ECB

European Central Bank

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EK

Europäische Kommission

EKO

Einsatzkommando

(E)MRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

8

Abkürzungsverzeichnis

etc.

et cetera

ETS

European Treaties Series (Sammlung europäscher Verträge)

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

Europol

Europäisches Polizeiamt

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EvBl.

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen in der Österreichischen Juristenzeitung

EZB

Europäische Zentralbank

f., ff.

folgend, fortfolgend

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn.

Fußnote

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

FrG

Fremdengesetz (Österreich)

FS

Festschrift

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GEF

Gemeinsame Finanzermittlungsgruppe

GEK

Gendarmerieeinsatzkommando

gem.

gemäß

GER

Gemeinsame Ermittlungsgruppe

GewArch

Gewerbearchiv (Zeitschrift)

(d/ö)GewO

(deutsche/österreichische) Gewerbeordnung

GewRNov

Gewerberechtsnovelle

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GOG

Gerichtsorganisationsgesetz (Österreich)

GP

Gesetzgebungsperiode

GrekoG

Grenzkontrollgesetz

GSD

Grenzschutzdirektion

h.A.

herrschende Auffassung

Abkürzungsverzeichnis HBS

Hold Baggage Screening (Reisegpäckkontrolle)

h.L.

herrschende Lehre

H(rs)g.

Herausgeber

HSOG

9

Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

ICAO

International Civil Aviation Organisation (Internationale Zi vi lluftfahrtorgani sation)

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

i.d.S.

in diesem Sinne

IHK

Industrie- und Handelskammer

IMK

Innenministerkonferenz

INPOL

Informationssystem der Polizei

insb.

insbesondere

INTERPOL

International Criminal Police Organization

i.S.(d.)

im Sinne (der/des)

IT

Informationstechnologie

i.V.m.

in Verbindung mit

JAP

Juristische Ausbildung und Praxis (Österreichische Zeitschrift)

JBI

Juristische Blätter (Österreichische Zeitschrift)

Jg·

Jahrgang

JR

Juristische Rundschau

JRP

Journal für Rechtspolitik (Österreichische Zeitschrift)

Kap.

Kapitel

Kfz

Kraftfahrzeug

KJ

Kritische Justiz (Zeitschrift)

km

Kilometer

KOM

Kommission (Europäische)

Krim. Journal

Kriminologisches Journal (Zeitschrift)

krit.

Kritisch

10 KSZE

Abkürzungsverzeichnis Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

LFG

Luftfahrtgesetz

LH

Landeshauptmann

LKA(Ä)

Landeskriminal amt(-ämter)

Lkw

Lastkraftwagen

LSG

Bundesgesetz zum Schutz vor Straftaten gegen die Sicherheit von Zivilluftfahrzeugen (Österreich)

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

Mag.

Magister

m.E.

meines Erachtens

MEK

Mobiles Einsatzkommando

ΜΕΡΑ

Mitteleuropäische Polizeiakademie

Min.

Minute

Mio.

Millionen

Mrd.

Milliarden

m. w. Nachw.

mit weiteren Nachweisen

NATO

North Atlantic Treaty Organisation

NGO

Nichtregierungsorganisation

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NPO

Non-Profit Organisation

Nr. (No.)

Nummer

N(R)W

Nordrhein-Westfalen

NSR

Nationaler Sicherheitsrat

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

o.a.

oben angegeben

o.a.

oder ähnliche(s)

Öl ES

Österreichisches Institut für Europäische Sicherheitspolitik

OG Η

Oberster Gerichtshof

ÖJZ

Österreichische Juristenzeitung

Abkürzungsverzeichnis

11

österr.

österreichisch(e)

o.g.

oben genannt

o.J.

ohne Jahrgang

OK

Organisierte Kriminalität

OLAF

Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung

OLG

Oberlandesgericht

o.O.

ohne Ort

ORF

Österreichischer Rundfunk

OSZE

Organization for Security and Cooperation in Europe

p.a.

per anno/pro Jahr

PEK

Polizeieinsatzkommando

PFA

Polizeiführungsakademie

Pkt(e).

Punkt(e)

Pkw

Personenkraftwagen

POG

Polizeiorganisationsgesetz

PolG

Polizeigesetz

Pol(izei)K(ooperations)G

Polizeikooperationsgesetz (Österreich)

PolRK

Polizeireformkonferenz

R(d)n(r)

Randnummer

RdW

Österreichisches schrift)

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RV

Rechtsverordnung (Österreich)

Rz.

Randziffer

S.

Seite, siehe

SB

Selbstbedienung

SDÜ

Schengener Durchführungsübereinkommen

SEG

Sondereinsatzgruppe

Sek.

Sekunde(n)

SEO

Sondereinheiten für Obervation

sog.

sogenannt

Recht der Wirtschaft

(Zeit-

12

Abkürzungsverzeichnis

SOKO

Sonderkommission

SondereinheitenV

Sondereinheiten-Verordnung (Östereich)

SPG

Sicherheitspolizeigesetz

Std.

Stunde(n)

StGB

Strafgesetzbuch

StGG

Staatsgrundgesetz (Österreich)

StPO

Strafprozessordnung

StV

Strafverteidiger

StVO

Straßenverkehrsordnung

TECS

The Europol Computer System

TKÜ

Telekommunikationsüberwachung

TUS

Telemetrie- und Sicherheitsdienst

u.a.

unter anderem

ÜG

Übergangsgesetz (Österreich)

UKO

Umweltkundige Organe

UN

United Nations

USG

Unterstützungsgruppe des Grenzdienstes

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

UVS

Unabhängige Verwaltungssenate in den Ländern (Österreich)

v.

von, vom

v. Chr.

vor Christus

VereinsG

Vereinsgesetz

VersG

Versammlungsgesetz

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VfGH

Österreichischer Verfassungsgerichthof

VfSlg

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des österreichischen Verfassungsgerichtshofs

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vol.

Volume/Band

Abkürzungsverzeichnis

13

VR

Verwaltungsrundschau (Zeitschrift)

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WaffenG

Waffengesetz

wbl

Wirtschaftsrechtliche

Blätter

(Österreichische

Zeitschrift) WEGA

Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung

WeLo

Werte-Logistik

WertpapieraufsichtsG

Wertpapieraufsichtsgesetz (Östereich)

WTU

Welttransportunternehmen

z.B.

zum Beispiel

ZBU

Zentralstelle zur Bekämpfung der Umweltkriminalität

ZBS

Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität

ZEUS

Zeitschrift für europäische Studien

ZfV

Zeitschrift für Verwaltung (Österreich)

Ziff.

Ziffer

ZKA

Zollkriminalamt

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z.T.

zum Teil

zutr.

zutreffend

ZVR

Zeitschrift fur Verkehrsrecht (Österreich)

z.Zt.

zur Zeit

2 Pitschas/Stolzlechner

Vorwort Nach dem 11. September 2001 erschallt in Deutschland und Österreich laut der Ruf nach einer „neuen Sicherheitsarchitektur" für den gesteigerten Schutz der inneren Sicherheit in beiden Ländern. Vor allem geht es um die Abwehr terroristischer Bedrohungen und neuer Formen der organisierten Kriminalität. Zugleich strebt die Europäische Union (EU), deren Mitgliedstaaten auch Österreich und Deutschland sind, die europaweite Erhöhung von Sicherheitsstandards im grenzüberschreitenden Luftverkehr sowie in zahlreichen Sektoren des Warenverkehrs, der Dienstleistungs- und Finanzwirtschaft an. Wir erleben den Eintritt in ein neues Zeitalter verstärkter Anstrengungen zum Schutz der inneren Sicherheit. Allerdings wird auch und zugleich von anderer Seite der Umbau von Sicherheitsstrukturen nicht flir notwendig gehalten. Der Bedarf nach einer gewandelten Sicherheitsarchitektur findet sich grundsätzlich mit dem Argument bestritten, schon seit längerem habe es wesentliche Veränderungen und zusätzliche legislative Aktivitäten in diesem Politikfeld gegeben, so dass Nachbesserungen nicht erforderlich seien. Den einander widersprechenden Auffassungen liegt ein sich stetig verschärfender Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit zugrunde. Wir befinden uns womöglich im Fluss der Entwicklung terroristischer Risiken und darauf reagierender Gefahrenvorbeugung auf dem Weg zu anderen rechtsstaatlichen Ufern, als sie bisher das freiheitlich-demokratisch geprägte Polizei- und Sicherheitsrecht erkennen ließ. Den damit aufgeworfenen Fragen nach einer neuen Balance zwischen rechtsstaatlicher Freiheitssicherung und der Bewahrung innerer Sicherheit durch den Staat gehen die in dem hier vorgelegten Sammelband abgedruckten Referate aus Praxis und Wissenschaft nach. Die Beiträge gehen auf die interdisziplinäre „Speyerer Sicherheitswerkstatt" zurück, die am 14./15. Oktober 2002 als „Deutsch-österreichisches Werkstattgespräch zur inneren Sicherheit" unter der Leitung der Herausgeber an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer stattfand. Die Veranstaltung versammelte in dem Bemühen, den Entwicklungslinien einer veränderten Architektur der inneren Sicherheit in Deutschland und der EU nachzugehen, namhafte Praktiker aus Bund und Ländern, Vertreter aus dem Sicherheitsgewerbe sowie Staatsrechtslehrer aus Deutschland, Österreich und Japan sowie weitere Wissenschaftler zu einem entsprechenden Diskurs. Der Landesregierung Rheinland-Pfalz ist herzlich flir die Unterstützung der Veranstaltung zu danken. Gleichermaßen schulden wir dem Sicherheitsunter2*

16

Vorwort

nehmen „SECURITAS" großen Dank für die erhebliche finanzielle Förderung. An der Hochschule Speyer haben bei der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz Frau Gabi Gerhardt, M.A., sowie Frau Ass. jur. Stefanie Gille und Herr Dipl.-Verwaltungswissenschaftler Patrick Laurency intensiv geholfen. Frau Gille hat auch das Manuskript des Tagungsbandes betreut und sich diese Aufgabe mit der Sekretärin des Erstherausgebers, Frau Michaela Busche, geteilt. Wir danken den Genannten sehr herzlich fur die große Mühe, die sie für die „Werkstatt" und die Drucklegung der dort gehaltenen Vorträge aufgewendet haben.

Speyer, im August 2003

Rainer Pitschas Harald Stolzlechner

Z u r Notwendigkeit einer neuen Architektur der inneren Sicherheit Von Rainer Pitschas I. Ausgangssituation: überkommene Verantwortungsverteilung bei der Gewährleistung innerer Sicherheit Die innere Sicherheit zu gewährleisten, ist zuallererst eine Kernaufgabe des demokratischen Rechtsstaates. Mag auch die Abgrenzung der Aufgabengehalte zu weiteren Staatsaufgaben unscharf bleiben, so ist doch nicht zu bestreiten, dass dem modernen Staat in der sozial- und rechtsstaatlichen Demokratie die unbedingte Aufgabe zukommt, für die Sicherheit seiner Bevölkerung vor Straftaten und terroristischen Angriffen einzustehen. Hierauf gründet ein wesentlicher Teil der staatlichen Existenz überhaupt 1. Wie der Staat im Anschluss hieran die ihm zugefallene Staatsaufgabe „Sicherheit" wahrnimmt, ist nach wie vor seine Sache. Denn er verfugt hierzu im Gestaltungsrahmen der Europäischen Verträge über die „innere Souveränität". Gleichwohl tut er Recht daran, die Mitverantwortung der Gesellschaft bei der Gewährleistung innerer Sicherheit zu suchen bzw. zu akzeptieren. Das Grundgesetz konstituiert hierfür und in Übereinstimmung mit dem europäischen Vertragsrecht ein sog. Sicherheitspolitisches Mitwirkungsverhältnis 2. In dem letzten Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends ist aus dieser sicherheitspolitischen Öffnung des Staates zwischen ihm, der Wirtschaftsgesellschaft, den Kommunen, ehrenamtlich tätigen Bürgern und der Polizei ein zivilgesellschaftliches Netzwerk zur Garantie der inneren Sicherheit entstanden. Es begründet vielfältige Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, wodurch es dem Sicherheitspolitischen Mitwirkungsverhältnis - zugegeben: derzeit mehr schlecht als recht - einen eigenen Inhalt gibt. An diesem Netzwerk sind die privaten Sicherheitsunternehmen immer stärker beteiligt. Deren Mitwirkung ergibt sich zum einen aus dem eigenen Anspruch auf freie berufliche Tätigkeit und als Wettbewerber auf dem Sicherheitsmarkt. Kraft der ihnen zustehenden grundrechtlichen Wirtschaftsfreiheit 1

Dazu statt aller Christof Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, Berlin 2001, bes. S. 40 ff., 190 ff. 2 Rainer Pitschas, Polizei und Sicherheitsgewerbe, Wiesbaden 2000, S. 127 ff.

18

Rainer Pitschas

dürfen sie von Verfassungs wegen anderen Bürgern oder auch Unternehmen und Institutionen Schutz anbieten und Sicherheit versprechen - selbstverständlich im Rahmen der Gesetze. Das Sicherheitsgewerbe unterliegt dabei neuerdings einer verschärften Zuverlässigkeitsprüfung im Rahmen des allgemeinen Gewerberechts. Ein spezielles „Sicherheitsgewerberecht" kennt aber die Gewerbeordnung nicht, sondern gem. § 34a GewO3 nur das Erfordernis besonderer Überwachung oder Genehmigung von Gewerbetreibenden und für bestimmte Tätigkeiten den Nachweis einer ausgeweiteten Sachkundeprüfung auf der Grundlage des „Gesetzes zur Änderung des Bewachungsgewerberechts" 4. Wirksam umgesetzt, wird diese Novellierung der Gewerbeordnung die erwähnte Verantwortungsteilhabe des Sicherheitsgewerbes an der Gewährleistung innerer Sicherheit stärken, nämlich nicht zuletzt seine öffentliche Akzeptanz verbessern helfen. Allerdings bleiben auch insofern Fortschreibungen unverzichtbar: Der Weg für die Unternehmen zur Anerkennung als wirkliche Sicherheitspartner durch Staat und Gesellschaft bei entsprechender Breitenqualifikation ist noch lang; bei Licht besehen, endet dieser Prozess kaum jemals. Auf der anderen Seite vermag der Staat ohne die Mitwirkung der privaten Sicherheitsdienste die innere Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten. Sicherheitsunternehmen können zwar niemals professionelle Polizeiarbeit ersetzen, aber sie vermögen außerhalb des hoheitlichen Bereichs einen wirksamen Beitrag sowohl zur Gefahrenabwehr und -Vorsorge als auch zur Kriminalprävention zu leisten. Freilich ist dies immer wieder unter Beweis zu stellen. Anzustreben scheint mir vor allem die Entlastung vom polizeilichen „Massengeschäft" wie ζ. B. vom Objektschutz o. ä. Die Zusammenarbeit folgt polizeilicherseits gewissen Leitlinien, die auch der Qualitätssicherung dienen, und sie beruht derzeit auf vertraglichen Grundlagen 5. Eine umfassende gesetzliche Grundlage existiert dagegen nicht, obwohl deren Entwicklung verschiedentlich und auch von mir gefordert wurde und ihre Existenz in anderen Industriestaaten einschließlich den USA gesichert ist.

II. Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Gewährleistung innerer Sicherheit Die voraufgehend skizzierte Verantwortungsverteilung bei der Gewährleistung innerer Sicherheit ist seit längerem durch gravierende Probleme geprägt. 3

Gewerbeordnung i. d. F. des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts v. 11.10.2002 (BGBl. I 2002, S. 3970, 4012). 4 In Kraft getreten zum 01. bzw. 15. Januar 2003 (BGBl. I 2002, S. 2724 ff.); vgl. dazu Ulrich Schönleiter, Das neue Bewacherrecht, GewArch 2003, S. 1 ff. 5 Näher dazu Rainer Pitschas, „Sicherheitspartnerschaften" der Polizei und Datenschutz, DVB1. 2000, S. 1805 ff.

Zur Notwendigkeit einer neuen Architektur der inneren Sicherheit

19

Für die Sicherheitsunternehmen zahlt sich ζ. B. die Übernahme von Verantwortung bislang nicht i. S. der fur Wirtschaftsunternehmen unabdingbaren ökonomischen Vorteile aus; hier muss der Staat „nachbessern". Er hätte schon längst die sich aus der Überwälzung von Aufgaben auf private Sicherheitsdienste ergebende Dividende der Haushaltskonsolidierung durch Einsparung von polizeilichen Planstellen samt der Vorteile aus dem Wegfall entsprechender Alterssicherung jedenfalls zu einem Teil an das Sicherheitsgewerbe weiterreichen müssen. Ähnlich unbefriedigend ist gegenwärtig noch immer die Sicherung der Tariftreue wie überhaupt die Vergabepraxis der öffentlichen Hand, die bei Aufträgen über Sicherheitsdienstleistungen immer noch den „Billiganbieter" zu bevorzugen scheint. Hier mag allerdings die neue DIN 77200 mit Festlegungen zu „Anforderungen an Sicherheitsdienstleistungen" künftig weiterhelfen. Das alles würde freilich den hiesigen Aufruf zu einer neuen Politik der inneren Sicherheit aufzubrechen, noch nicht rechtfertigen. Seine Quelle liegt vielmehr in der unaufhaltsamen Veränderung der tatsächlichen Rahmenbedingungen für die Gewährleistung der inneren Sicherheit. Diesbezüglich haben sich vor allem und einerseits die Sicherheitsrisiken in der Bundesrepublik Deutschland und innerhalb der Europäischen Union (EU) verändert. Die Terroranschläge der letzten Zeit auf fremdem Boden, deren Wirkungen nach Deutschland einströmen, sowie die Enthüllung unseres Landes als ein Ruheraum für Terroristen offenbaren eine zunehmend dramatische Risikolage für die innere Sicherheit, der gegenüber die bisherige starre Anti-Terrorismusgesetzgebung wenig hilft - zumal sie unnötig rechtsstaatlichen Bedenken hervorruft. Sie hilft auch deshalb weniger, weil immer weniger staatliche Polizei zur Umsetzung und Durchsetzung dieses „neuen Rechts" zur Verfügung steht. Damit ist andererseits die finanzielle Situation der Polizei und bei dem staatlichen Schutz der inneren Sicherheit angesprochen. Auch dieser Umstand lenkt letztlich den Blick zurück auf womöglich noch vorhandene gesellschaftliche Ressourcen zur Verwirklichung des Sicherheitspolitischen Mitwirkungsverhältnisses sowie dabei auf das Sicherheitsgewerbe. Der Einsatz der Bundeswehr im Landesinnern scheidet dagegen aus. Entsprechende Gesetzesgebungsinitiativen scheitern am Grundgesetz; dessen diesbezügliche Änderung dürfte selbst verfassungswidriges Verfassungsrecht darstellen. Statt dessen ist das bisherige Sicherheitsnetz neu zu justieren und in diesem Zusammenhang dichter zu spannen. Die entscheidende Frage ist heute und für die Zukunft: Lässt sich in der Stunde der „Not", um Kräfte i. S. einer gesamtgesellschaftlichen Reaktion zu „bündeln", das Sicherheitspolitische Mitwirkungsverhältnis nicht noch vertiefen? Dies zumal, wenn der Partner „Polizei" schwächelt? Ich meine, ja! Die notwendigen und nicht länger aufschiebbaren Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands und inmitten der EU setzen die verstärkte Einbindung der privaten Sicherheitsunternehmen voraus. Dazu will ich im Folgenden und zu Beginn unserer Tagung einige Thesen formulieren.

20

Rainer Pitschas

I I I . Thesen zur Einbeziehung des Sicherheitsgewerbes in eine Neue Sicherheitsarchitektur 1. Den privaten Sicherheitsdiensten ist programmatisch-aufgabenbezogen eine eigene Durchfuhrungsverantwortung für Schutzmaßnahmen bzw. übertragene Aufgaben zuzugestehen. Wie viel davon die Sicherheitsunternehmen nach welchen Leitlinien zugewiesen erhalten bzw. von Fall zu Fall subsidiär im Verhältnis zur Polizei in Anspruch nehmen dürfen, bleibt einem in dieser Legislaturperiode zu schaffenden Polizeikooperationsgesetz vorbehalten. Dieses enthält (auch) ein integriertes Gesamtkonzept zum Verbund der Polizei mit der Arbeit privater Sicherheitsunternehmen. Auf jeden Fall bleibt dabei die Steuerungs- und Gewährleistungsverantwortung fur die innere Sicherheit in den Händen der Polizei. Für die rechtliche Verankerung dessen steht als Rahmen die verwaltungsrechtliche Handlungsform der „Verantwortungspartnerschaft" zur Verfugung 6. 2. Die „Beleihung" von privaten Sicherheitsunternehmen ist das gegebene Instrument der künftig gesetzlich festzulegenden Verantwortungspartnerschaft. Sie könnte als Regelform und auf der Grundlage entsprechender Rechtsverordnungen Anwendung finden, sofern sie zuvor gesetzlich verankert worden ist bei der Privatisierung des Objektschutzes ebenso wie bei der Überwachung von Ordnungsrecht oder bei der Entlastung der Polizei hinsichtlich ausgewählter Verkehrsaufgaben. Gesetzesinterpretatorische „Kunststücke" helfen dagegen nicht weiter (Stichwort: „Entstempelung" von Kraftfahrzeugen), sondern sie diskreditieren nur ernsthafte Bemühungen um Problemlösungen. 3. Bestimmte Segmente im Leistungsportfolio der privaten Sicherheitsdienste unterliegen im Zeichen der skizzierten Risikolage noch zu schaffenden besonderen Sicherheitsanforderungen. Dies gilt z. B. fur die Einschaltung des Sicherheitsgewerbes in die bundesweite Steuerung der Geldkreisläufe in Deutschland im Rahmen der Wertelogistik. Finanzzentren und Finanzdienstleistungen dürften nämlich ein bevorzugtes Ziel künftiger terroristischer Angriffe auch in Deutschland sein. Besondere Aufmerksamkeit verdient ferner die Vernetzung von Leitstellen und Alarmdiensten. Hierfür bedarf es hoheitlicher Überprüfungen. 4. Die Integration der privaten Sicherheitsunternehmen in eine neue Gesamtarchitektur der inneren Sicherheit ist nicht kostenlos zu haben. Die Frage ist, wie die Investitionen hierzu - ζ. B. in fortgesetzte Qualitätssteigerungen der Dienstleistungen, Leistungsstandards oder auch in eine erweiterte Aus- und Fortbildung, ggf. in enger Abstimmung und Kooperation mit der Polizei - er6 Rainer Pitschas, Neues Verwaltungsrecht im partnerschaftlichen Rechtsstaat. Zum Wandel von Handlungsverantwortung und -formen der öffentlichen Verwaltung am Beispiel der Vorsorge für innere Sicherheit in Deutschland, DÖV 2003 (im Erscheinen).

Zur Notwendigkeit einer neuen Architektur der inneren Sicherheit

21

wirtschaftet werden. Bund und Länder müssen - so lautet meine Antwort - bereit sein, aus ihren Haushaltsmitteln den Aufgaben- und Aktionsverbund mit den privaten Sicherheitsunternehmen über angemessene Auftragsentgelte mitzufinanzieren. Die Staatsaufgabe „Innere Sicherheit" ist nicht zum Schleuderpreis erfüllbar. Die notwendigen Finanzmittel sollten sich aus den erwartbaren Entlastungspotentialen öffentlicher Haushalte für staatliche Sicherheitskräfte speisen. 5. Institutionell bedürfte es einerseits - und über die bloße Beteiligung des Sicherheitsgewerbes an der Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben schon hinausgehend - der Einrichtung eines „Sicherheitspolitischen Dialogs" in der Form eines noch schaffenden „Deutschen Sicherheitsforums". Es darf nicht mit dem „Deutschen Forum für Kriminalprävention" verwechselt werden 7. Darüber hinaus und andererseits müssen die Sicherheitsunternehmen gemeinsam mit Bund und Ländern alsbald eine Strategische Steuerungsgruppe für die Antwort auf die Frage einsetzen, wie das Sicherheitsgewerbe als privatwirtschaftliches Element der gesamtgesellschaftlichen Trägerschaft von Sicherheitsarbeit in die künftige Gesamtarchitektur der inneren Sicherheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts einzufügen wäre 8. Ich schlage vor, als eine Art Vorstufe einen „Gesprächskreis Innere Sicherheit" einzurichten 9.

7 Dazu Andreas Kossisiki, Das „Deutsche Forum für Kriminalprävention" als zentrale Institution der Präventionskooperation, in. Rainer Pitschas (Hrsg.), Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht", Berlin 2002, S. 45 ff. 8 Hierzu siehe auch Hans-Jürgen Lange/Jean-Claude Schenck, Polizei im kooperativen Staat, Opladen 2003. 9 Dies ist in der Zwischenzeit in Zusammenarbeit mit der deutschen Innenministerkonferenz geschehen: Am 28./29.01.2003 tagte der Gesprächskreis erstmalig in Trier. Eine zweite Sitzung folgte in München am 17./18.06.2003, jeweils unter Moderation durch den Verfasser.

Erster Teil

Grundlinien der Neuen Architektur

Die Politik der inneren Sicherheit in Deutschland vor neuen Herausforderungen Von Karl Peter Bruch Zu Beginn des Problemfeldes gilt es fur mich die Gelegenheit zu nutzen, die erkennbaren Schwerpunkte für die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden in den kommenden Jahren darzustellen. Die innere Sicherheit wird ganz wesentlich von den Elementen „Sicherheit und Freiheit" bestimmt. Während Thomas Hobbes bereits im 17. Jahrhundert feststellte, dass Sicherheit der Zentralbegriff des Staatszwecks sei, sah der Philosoph Spinoza den Zweck des Staates in der Gewährleistung der Freiheit seiner Bürger. Auch heute finden sich Befürworter sowohl der einen als auch der anderen These. Aufgabe des Staates und der Politik ist es deshalb, für die Gesellschaft die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden und zu garantieren. Immer wieder werden wir schockiert von scheußlichen Verbrechen gegen das Leben - wie vor wenigen Tagen in Neumünster oder Frankfurt. Dennoch, die Herausforderung an Polizei und Verfassungsschutz dieser Tage heißt politischer Terrorismus und internationale, organisierte Kriminalität. Beide Kriminalitätsformen nutzen zu förderst soziale Konflikte, wirtschaftliche Ungleichheiten und religiös geprägten politischen Fanatismus für ihre Zwecke. Die Politik und die deutschen Sicherheitsbehörden müssen die Frage beantworten, ob sie auf diese Herausforderungen angemessen vorbereitet sind. Es gibt vermutlich weltweit keinen Sicherheitsexperten, der, was den Bereich des Terrorismus betrifft, dazu nicht den 11. September 2001 als Wendepunkt für die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Sicherheits- und Bekämpfungsstrategien ansieht. Was an diesem Tag Realität geworden ist, hat bis zu diesem Zeitpunkt wohl niemand für möglich gehalten. Die Brutalität, mit der die Terroristen vorgingen, machte ein schnelles und gründliches Überprüfen bisher geltender Sicherheitsstrategien erforderlich. Immerhin wissen wir jetzt um die selbstmörderische Entschlossenheit und die weltweite Verflechtung der politischen Verbrecher. Obwohl die Sicherheitsexperten unter Hochdruck an neuen Konzeptionen gearbeitet haben, habe ich gewisse Zweifel, ob wir z. Zt. schon auf alle denkbaren terroristischen Herausforderungen vorbereitet sind.

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Karl Peter Bruch

Die jüngsten Meldungen über die Explosion auf einem französischen Tanker vor der Küste Jemens oder den furchtbaren Anschlag auf Bali dürften diese Zweifel untermauern. Im Folgenden möchte ich die Bedrohungsszenarien, die Reaktionen der deutschen Sicherheitsbehörden und dann die Bedeutung der nationalen Maßnahmen im europäischen bzw. internationalen Bereich herausstellen. Der 11. September, der sich erst vor wenigen Wochen jährte, hat gesellschaftliche, ja weltpolitische Fragen von großem Ausmaß und großer Intensität aufgeworfen. Deshalb komme ich zu der Schlussfolgerung, dass es niemals zuvor mehr Veränderungsbedarf gegeben hat. Auch wenn die Alltagsarbeit der Sicherheitsbehörden weitergehen muss, bestimmt nach wie vor die Sorge vor terroristischen Gefahren das Lagebild. Und das wird nach Auffassung aller Sicherheitsexperten, der ich mich anschließe, noch lange so bleiben. Ich habe eingangs bereits darauf hingewiesen, dass religiös geprägter Terrorismus, insbesondere der islamistische Fundamentalismus, nach einhelliger Beurteilung der Sicherheitsbehörden derzeit die größte terroristische Bedrohung und neben der organisierten Kriminalität die größte Herausforderung darstellt. Noch können wir nicht mit der notwendigen Zuverlässigkeit die Dimension des Bedrohungsszenarios eingrenzen, obwohl die Sicherheitsbehörden verständlicherweise unter außergewöhnlichem Erfolgsdruck stehen. Niemand kann ausschließen, dass auch amerikanische, israelische, jüdische oder islamische Einrichtungen in der Bundesrepublik in hohem Maße bedroht werden. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden steht fest, dass ein großer Teil der logistischen Vorbereitungen für den Anschlag auf das World Trade Center von Deutschland aus koordiniert wurde. Gerade diese Tatsache ist für die deutschen Sicherheitsbehörden eine besondere Aufforderung, den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen. Die Bundesregierung und alle Bundesländer haben auf die Anschläge mit umfangreichen gesetzgeberischen und strategischen Maßnahmen reagiert. Die vom deutschen Bundestag einstimmig beschlossenen Anti-Terror-Pakete, die in wesentlichen Teilen am Ol. Januar 2002 als Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft getreten sind, sind eine entschlossene Antwort darauf. Den Sicherheitsbehörden wurden damit die nötigen gesetzlichen Befugnisse gegeben, ihren Auftrag noch effektiver erfüllen zu können, ohne zugleich die Bürgerrechte unverhältnismäßig einzuschränken. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat im Bundesrat die gesetzgeberischen Maßnahmen nachdrücklich unterstützt. Sie sieht darin das notwendige Instrumentarium einer wehrhaften Demokratie.

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Beispielhaft darf ich die Einführung des § 129 b in das Strafgesetzbuch nennen, wonach die im Ausland gebildeten kriminellen und terroristischen Vereinigungen auch in Deutschland verfolgt werden. Damit einhergehend wurde zugleich die Strafverfolgungskompetenz des Bundeskriminalamtes auf diese Delikte ausgedehnt. Mit den in diesem Zusammenhang erfolgten Änderungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist es nunmehr möglich, bereits Vorbereitungshandlungen terroristischer Gewalttäter erkennen und entgegentreten zu können. Die Terroranschläge haben uns allen vor Augen gehalten, wie verwundbar die Infrastruktur unserer freiheitlichen Gesellschaft ist. Ich begrüße daher insbesondere auch die neuen gesetzlichen Regelungen zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz im Sicherheitsüberprüfungsgesetz und die stärkere Einbindung des Verfassungsschutzes in die Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Luftverkehr. Ebenso war die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz erforderlich. Ich verweise hierbei ausdrücklich auf die nunmehr geschaffene Möglichkeit, gegen Ausländervereine einzuschreiten, die beispielsweise ausländische gewalttätige oder terroristische Organisationen unterstützen. Inzwischen hat der Bundesinnenminister gemeinsam mit den Länderinnenministern davon in mehreren Fällen Gebrauch gemacht, zuletzt vor wenigen Wochen auch in Rheinland-Pfalz, wo extreme islamistische Vereinigungen verboten und sofort aufgelöst wurden. Ich will an dieser Stelle gerne die gute Zusammenarbeit der Innenminister von Bund und Ländern bei der Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen des Antiterrorprogramms besonders hervorheben. Sie hat sich in den Grundfragen der Sicherheit unseres Landes bewährt. Nicht erst nach den weltweiten Anschlägen werden in der Öffentlichkeit Fragen des Ausländerrechts diskutiert. Dabei werden immer wieder unspezifische Forderungen nach dessen Verschärfung erhoben. Ich glaube, es ist der deutschen Politik gelungen, diese Thematik zu versachlichen. Es wird zukünftig stärker darauf ankommen, eine gemeinsame europäische Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu gestalten. Nach meiner Überzeugung werden dabei von dem neuen Zuwanderungsgesetz wesentliche Impulse für eine zukünftige europäische Einwanderungspolitik ausgehen. Dies gilt insbesondere für alle Maßnahmen der Integrationsförderung. Die staatliche Reaktion auf die Terroranschläge und das daraus entstandene umfängliche Sicherheitsmanagement war angesichts der Sorgen gegenüber einem möglichen sogenannten Bioterrorismus sehr viel breiter anzulegen. Der Ausbau des Zivilschutzes und die Notfallkoordinierung haben dadurch deutlich an Bedeutung gewonnen. Informationsfluss und die Koordinierung zwischen Bund und Ländern wurden, genauso wie Logistik und Ausstattung der Katastrophenschutzeinrichtungen, verbessert. Neu eingerichtet wurden öffentliche

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Warnsysteme über die modernen Medien und eine Zentralstelle für bioterroristische Gefahren beim Robert-Koch-Institut in Berlin. Die Anschläge von New York haben der Welt verdeutlicht, dass die demokratischen Staaten gewillt und in der Lage sind, vor dem Hintergrund solcher Ereignisse Geschlossenheit zu zeigen und schnell und wirksam zu reagieren. Schon am 12. September 2001 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution Nr. 1368 die grauenhaften Terroranschläge als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verurteilt. Der Sicherheitsrat forderte im Weiteren alle Staaten auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen, namentlich durch verstärkte Zusammenarbeit. In einer beispielhaften Aktion wurde unverzüglich in Deutschland und in Europa ein Bündel an Maßnahmen gesetzgeberischer und operativer Art geschaffen. Als ein Meilenstein ist in diesem Zusammenhang auch der „ Gemeinsame Standpunkt des Rates" der EU Staaten vom 27. Dezember 2001 über „die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" zu bezeichnen. Hier sind erstmals eine Definition von Terrorismus und darüber hinaus konkrete Maßnahmen gegen die Vermögenswerte von Terroristen verabschiedet worden. Wenn die Vereinten Nationen der staatenübergreifenden Zusammenarbeit mit Recht eine hohe Bedeutung beimessen, stelle ich fest, dass sich die Zusammenarbeit der Polizeien der deutschen Bundesländer untereinander und mit dem Bundeskriminalamt ebenso bewährt hat wie die Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarstaaten. Der Zusammenarbeit mit den USA kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, zumal in Rheinland-Pfalz mit den Flughäfen Ramstein und Spangdahlem zwei herausragende militärische Objekte angesiedelt sind. Wichtig erscheint mir, nunmehr umgehend ein Frühwarnsystem zu entwickeln und auszubauen, mit dem die neuen Erscheinungsformen des Terrorismus frühestmöglich erkannt werden können. Ich habe an anderer Stelle bereits kritisch angemerkt, dass die Informationslage über die Struktur der Terrornetze vor dem 11. September lückenhaft war. Vielleicht konnten wir auch nicht mehr wissen, weil sich die Terroristen bis zur Ausführung eines Anschlages völlig legal verhielten und damit auch nicht auffällig wurden. Das bestätigten die Ermittlungen unmittelbar nach dem Anschlag, als dieses konspirative Verhalten mit dem Begriff des „Schläfers" treffend beschrieben wurde. Die unmittelbar an die Anschläge anschließenden Ermittlungen, zu denen ich u. a. die Rasterfahndung zähle, sowie die Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Vereinsverboten sind geeignet, die Strukturen aufzuhellen. Ich bin mir bewusst, dass die Wirkung der Rasterfahndung kontrovers diskutiert wird. Auch die Rechtmäßigkeit der Rasterfahndung wurde von deutschen

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Gerichten bekanntermaßen nicht einhellig bewertet. Für den Bereich des Landes Rheinland-Pfalz hat das Oberverwaltungsgericht diese Form der systematischen Fahndung für rechtmäßig erklärt. Neben dem eingangs genannten Maßnahmenbündel aus dem Sicherheitspaket der Bundesregierung haben die Bundesländer vielfältige ergänzende Maßnahmen beschlossen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat in einem umfangreichen Programm ebenso wie andere Länder Personal- und Sachmittel zur Bekämpfung des Terrorismus zur Verfügung gestellt. Unter anderem ist mit der Einstellung eines Islamwissenschaftlers beim Verfassungsschutz ein Anfang gemacht worden, die erkannten Informationsdefizite aufzuarbeiten. Ich bin sicher, dass die gesetzgeberischen und organisatorischen Maßnahmen in der Summe ihre Wirkung erzielen und den Sicherheitsbehörden wirksame Instrumente an die Hand geben, politisch motivierten Terrorismus frühzeitig zu erkennen und effektiv bekämpfen zu können. Die Anschläge haben die Sicherheitsbehörden und die Politik vor neue Herausforderungen gestellt. Mit gesetzlichen und polizeitaktischen Maßnahmen wurde auf die neue Erscheinungsform des Terrorismus wirksam reagiert. Dennoch erfordern die vorhandenen Erkenntnisse eine Neuorientierung hin zu neuen taktischen und strategischen Planungen. Isolierte, auf den Einzelfall zugeschnittene Maßnahmen reichen meines Erachtens nicht aus, diesem Phänomen der Bedrohung des Rechtsstaates entgegen zu wirken. Wir brauchen deshalb eine neue Sicherheitsarchitektur, die auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit einbezieht. Zunehmend sich verfestigende Strukturen unterstreichen den hohen Gefahrengrad der organisierten Kriminalität. Es gilt, diesen Verbrechen den Nährboden zu entziehen. Delikte dieser Art dürfen sich für die Täter nicht lohnen. Mit der strafrechtlichen Gewinn- und Vermögensabschöpfung wurde inzwischen ein wirksames Instrument geschaffen. Bisherige Ergebnisse zeigen, dass Polizei und Justiz diese gesetzliche Möglichkeit vermehrt und wirkungsvoll einsetzen. Durch die Harmonisierung des europäischen bzw. internationalen Rechts müssen schnellstmöglich die Grundlagen für die Finanzermittlungen auch im internationalen Bereich geschaffen werden. Zugleich sollte der Informationsund Datenaustausch zu strafrechtlich bedeutsamen Finanztransaktionen forciert werden. Bei der Bekämpfung dieser Delikte muss die strategische und operative Zusammenarbeit ausgebaut werden. Dabei kommt Europol eine bedeutsame Koordinierungsfunktion zu. Die Zukunft wird zeigen, ob die Koordinierungsfunktion ausreicht oder ob Exekutivbefugnisse unumgänglich sind. Neuen Erscheinungsformen der Kriminalität müssen wir künftig noch mehr Aufmerksamkeit widmen. Als Beispiel dafür nenne ich die Internetkriminalität. Hier muss es unser Ziel sein, Straftäter aus ihrer Anonymität herauszuholen. 3 Pitschas/Stolzlechner

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Dabei gilt es, die Verantwortung der Provider stärker als bisher zu betonen. Es ist für die Sicherheitsbehörden und die Bevölkerung schwer erträglich, wenn z. B. in einem weitgestreckten Pädophilen-Netzwerk von Providern mit Unkenntnis über die Angebote in ihren Netzen argumentiert wird. Erfreulicherweise ist es den Sicherheitsbehörden erst vor wenigen Tagen gelungen, in einem weltweiten Schlag gegen einen amerikanischen Provider und mehrere Tausend Tatverdächtige einen wichtigen Erfolg in der Bekämpfung der Kinderpornografie zu erzielen. Dieses Beispiel zeigt zugleich die besondere Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung. Mit dem am 01. Mai 1999 in Kraft getretenen „Amsterdamer Vertrag" ist u. a. ein Rationalisierungs- und Beschleunigungsprozess bei der Verbesserung der inneren Sicherheit in Europa angestoßen worden. Obwohl die polizeiliche Kooperation in Europa durchaus als zufriedenstellend bezeichnet werden kann, bleibt dennoch Handlungsbedarf. Der Austausch von Verbindungsbeamten muss schrittweise weiterentwickelt werden. Moderne Informationstechnologie alleine kann das persönliche Kennenlernen der Ermittlungsbeamten und der Ermittlungsmethoden nicht ersetzen. Die Einrichtung gemeinsamer Zentren, wie z. B. des deutsch-französischen Zentrums in Offenburg, bei den Länderpolizeien, der französischen Polizei und Gendarmerie sowie Zoll und Bundesgrenzschutz, um unter einem Dach zusammenzuarbeiten, halte ich dazu für wegweisend. Die Ermittlungsarbeit über die Grenzen der Nationalstaaten zu ermöglichen, das ist die Notwendigkeit der Zeit. Die derzeit bestehenden Informationssysteme, die zur Bekämpfung der Kriminalität genutzt werden, müssen weiter ausgebaut und untereinander kompatibel gemacht werden. Zu denken ist hier in erster Linie an den Auf- und Ausbau von Datenbanken zur Erfassung von Fingerabdrücken und DNA-Profilen. Dem Ausbau eines gemeinsamen Systems für den Austausch von Visadaten zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels ist mehr Aufmerksamkeit zu widmen als bisher. Dabei sind die Anforderung an und die Festlegung von biometrischen Daten auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Ein erfolgreiches Sicherheitskonzept in Europa erfordert auch ein neues, international orientiertes Verständnis der Strafverfolgungsbehörden in den Mitgliedsländern. Gute Beispiele für dieses internationale Verständnis sind die bilateralen Polizeiverträge und Kooperationen mit den Nachbarn Deutschlands. Da sind insbesondere der deutsch-schweizerische Polizeivertrag, die Kooperationen mit Frankreich, Luxemburg und Belgien oder der Tschechischen Republik zu nennen.

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Ich will an dieser Stelle ausdrücklich auch die seit vielen Jahren bewährte Zusammenarbeit mit Österreich hervorheben. Dem Beispiel des deutschschweizerischen Vertrages über die polizeiliche Zusammenarbeit folgend, soll auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich ein solcher Vertrag geschlossen werden. Damit bestünden mit allen Nachbarstaaten der Bundesrepublik Verträge zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit. Die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität erfordert auf europäischer Ebene auch eine Vereinfachung der Zusammenarbeit der Justizbehörden. Ich erinnere nur an das zuweilen nicht gerade die Ermittlungen beschleunigende Instrument der Rechtshilfe. Mit der Schaffung von Eurojust wurde inzwischen eine Stelle eingerichtet, die unter anderem die Erledigung von Rechtshilfe- und Auslieferungsersuchen erleichtern soll. Bei der Erörterung von Sicherheitsfragen in Deutschland halte ich es für geboten, kurz den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen zu thematisieren. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass innere Sicherheit sich nicht zu einem „Markenprodukt" entwickelt, das sich im ungünstigsten Fall nur wenige leisten können. Gleichwohl gibt es Felder, die von privaten Sicherheitsunternehmen abgedeckt werden können; und zwar immer dort, wo staatliches Handeln nicht zwingend erforderlich ist. Die Einbindung Privater findet dort ihre Grenzen, wo das staatliche Gewaltmonopol tangiert ist. Das ist für mich eindeutig. Ich habe versucht, in Grundzügen die Reaktion der Politik auf die neuen Herausforderungen zu skizzieren. Wenn wir, gestützt auf die vorliegenden Erkenntnisse, nach vorn schauen, so meine ich, dass wirksame Bekämpfungsstrategien eine neue Sicherheitsarchitektur als Grundlage brauchen, die ich wie folgt skizzieren möchte: Wirksame Sicherheits- und Kriminalpolitik muss künftig als eine Vernetzung der Sicherheitspolitik mit Sozial-, Wirtschafts-, Bildungs-, Ausländer- und Arbeitspolitik verstanden werden. Informationen zu internationalen Kriminalitätsfeldern erfordern hinsichtlich Erhebung, Bewertung und Weiterleitung eine neue Definition. Strategische Planungen sind hinsichtlich der Anschlagsszenarien breiter als bisher anzulegen. Eine noch engere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist weltweit anzustreben. Aufbauend auf den guten Erfahrungen der Zusammenarbeit in Europa müssen Wege zur Optimierung und Beschleunigung der Gesetzgebungs- und Abstimmungsverfahren gefunden werden. 3*

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Die künftige Sicherheitsarchitektur in Deutschland, aber auch in Europa, möchte ich mit einem Hausbau vergleichen. Wir müssen in Deutschland und in der Europäischen Union kein neues Haus bauen. Das vorhandene steht auf stabilem Fundament. Wie aber bei jedem Haus gilt auch hier: Modernisierungsmaßnahmen, sowie notwendige An- und Ausbaumaßnahmen zeichnen einen guten Bauherrn aus. Im Ergebnis wird sich dadurch eine Wertsteigerung einstellen.

Die Politik der inneren Sicherheit in Österreich vor neuen Herausforderungen 1 Von Theodor Thanner Der vorliegende Text stellt insbesondere die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich dar, wie sie ausgehend von den Ereignissen des 11. September gesetzt wurden. Es werden die konkreten Maßnahmen ebenso erörtert wie die zukünftigen Handlungserfordernisse dargestellt. Die Maßnahmen werden bewertet und in einen möglichen Handlungskatalog eingefügt, wobei dem rechtsstaatlichen Aspekt besonderer Augenmerk geschenkt wird.

I. Einleitung und grundsätzliche Feststellungen Es gehört zu den ersten und wichtigsten Aufgaben einer Regierung, den Bürgern Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Dabei müssen die staatliche wie private Sicherheitsvorsorge und die Freiheit der Bürger keinen Widerspruch bilden. Aufgabe des Staates ist es, Leistungen, die uns alle betreffen, sicherzustellen. Darunter fällt im speziellen die innere Sicherheit. Sicherheit erfordert Rahmenbedingungen, innerhalb der die Menschen ihre Zukunft planen können. Denn dazu brauchen die Menschen die innere aber auch die äußere Sicherheit des Staates, den Schutz von Leib, Leben und Eigentum.2 Ziel der Sicherheitspolitik 3 4 5 muss es daher sein, für möglichst alle Lebensbezüge6 eines Gemeinwesens Sicherheit zu gewährleisten. Dazu ist es notwen-

1 Dies ist die schriftlich vorliegende, um einige Passagen sowie um Anmerkungen ergänzte Fassung des beim Werkstattgespräch gehaltenen Referates. Diese Fassung gibt den Stand der Bearbeitung vom 30.10.2002 wieder. Die Anmerkungen sollen dem Interessierten die Möglichkeit geben, insbesondere die Diskussion zu Fragen der inneren Sicherheit in Österreich bei Interesse zu vertiefen. 2 Siehe etwa Strasser, Sicherheit auf der Höhe der Zeit, Österreichische Monatshefte 05/2002. 3 Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.), Wie sicher ist Europa? Perspektiven einer zukunftsfähigen Sicherheitspolitik nach der Jahrtausendwende, Münster 2001. 4 Siehe auch die von Reiter herausgegebenen Jahrbücher für internationale Sicherheitspolitik 1999, 2000 und 2001 (Hamburg, Berlin, Bonn).

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dig, dass sich besonders die Exekutive immer wieder den sich ständig ändernden Rahmenbedingungen anpasst. Sicherheit erfordert somit ein hohes Maß an Flexibilität, Vorausschaubarkeit u n d Analysefähigkeit, gleichgültig ob es u m Prävention, Verbrechensbekämpfung, Verkehrssicherheit oder Fremdenangelegenheiten geht. Nicht nur in Österreich, sondern auch in allen Ländern der Europäischen U n i o n 7 gilt das staatspolitische Prinzip, dass bei Eingriffen in subjektive, von der Verfassung und der E U garantierte Rechte der Staats- bzw. Unionsbürger privaten Sicherheitsorganisationen keine Handhabe 8 zur Verfügung steht - das w i r d von diesen Sicherheitsdiensten auch nicht in Frage gestellt. Neue Risiken wie internationaler Terrorismus 9 Organisierte K r i m i n a l i t ä t

11 12

10

, Schlepperunwesen und

stellen die Sicherheitspolitik der Staaten vor neue

Probleme, die neue Antworten erfordern. Diese Antworten liegen w o h l in einer überregionalen, globalen Sicherheitszusammenarbeit 13 her gemeinsam m i t seinen Partnern i n der E U

16

,4

. Österreich 1 5 muss da-

durch einen glaubhaften Beitrag

an der Gestaltung einer europäischen Sicherheit mitwirken. Die Freiheit ist des

5 Plattform fur Sicherheit und Solidarität (Hrsg.), Handbuch zur österreichischen Sicherheitspolitik, Wien 1998. 6 Etwa Reiter/Schöpfer (Hrsg.), Wirtschaft und Sicherheitspolitik, Graz 1999; Reiter (Hrsg.), Maßnahmen zur internationalen Friedenssicherung; Stupka, Multinationale Streitkräfte, eine sicherheitspolitische Analyse, Salzburg 1997. 7 Siehe etwa Philips-Slavkqff,\ Europäische Sicherheitspolitik, Neuorientierung Konzepte - Perspektiven, Wien 1993. 8 Dazu etwa Rehak, Polizei und innere Sicherheit, in: Neißer/Windhager (Hrsg.), Wie sicher ist Österreich?, Wien 1988. 9 Dazu etwa Grau, Internationaler Terrorismus - Bedrohung der internationalen Sicherheit, zu finden unter http//www.hausarbeiten.de. 10 Stix, Wir und die anderen, Wie geht es weiter?, Wien 1998. 11 Siehe dazu etwa Pretzner, Organisierte Kriminalität, Lagedarstellung in Theorie und Praxis, Manuskript Wien 2000; Glinig, Der internationale Finanzbetrug, Wien 1997. 12 Aichinger, Neue Fahndungsmethoden zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Wien 1997. 13 Siehe etwa Fischer, Sicherheit und Frieden: Dimensionen einer komplexen und globalen Sicherheitspolitik, in: Mader (Hrsg.), Europa 1996: Sicherheit in Europa, Wien 1996, S. 19 ff. 14 Siehe etwa die Homepage „Münchner Sicherheitskonferenz" unter http://www.securityconference.de mit einer Reihe von Texten und Referaten zur Sicherheitspolitik oder auch die Homepage der Bundesakademie fur Sicherheitspolitik unter http://www.baks.com. 15 Zur Situation in Österreich siehe etwa die Staatsschutzberichte 1998 und 1999 sowie die Verfassungsschutzberichte 2000 und 2001, jeweils herausgegeben vom Bundesministerium für Inneres, Wien. 16 Oberleitner, Schengen und Europol, Wien 1998.

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Menschen oberstes Gut, und es braucht Sicherheit mit Augenmaß, um diese zu garantieren. Längst schon hat die Kriminalität Landesgrenzen gesprengt und uns eine Schattenseite der Globalisierung vor das Gesicht gehalten. Die weltweite Vernetzung von Daten fuhrt auch zu einer Globalisierung der Kriminalität. Nicht nur kriminelle Organisationen, sondern auch potentielle Einzeltäter bedienen sich der neuen technischen und elektronischen Möglichkeiten. Diese Entwicklung bedingt gerade ein Hand-in-Hand-Gehen mit dem privaten Sicherheitsgewerbe: Dort, wo private Sicherheitsdienstleistungen effizienter sind und nicht das Gewaltmonopol beschränken, muss den Privaten auch Raum geschaffen werden. Das heißt, dass die Aktionsräume privater Firmen genauer definiert und - in beiderlei Interesse - klar bewertet werden müssen.17 Damit bestehende Instrumentarien effizient eingesetzt und konsequent angewandt werden können, ohne dabei die Freiheit des Einzelnen zu unterminieren, muss den Gefahren für die Freiheit, die sich aus neuen technischen Entwicklungen ergeben, rechtzeitig vorgebeugt werden: Weder staatliche Bevormundung noch unnötige Kontrolle von Privaten sollen unsere hohe Lebensqualität und liberale Sicherheitskultur schmälern. „Innere Sicherheit" ist das Ergebnis einer Politik der Vorsorge gegen Gefahren bzw. zur Vermeidung von Gefahren, die „von innen" auf eine Gesellschaft einwirken und dadurch die Handlungs- und Funktionsfähigkeit, die Selbstgestaltungsfähigkeit des innerstaatlichen Lebens sowie die individuelle Sicherheit der Menschen beeinträchtigen. Für Österreich sind im Bereich der „Inneren Sicherheit" als Schwerpunkte, insbesondere die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität in all' ihren Ausprägungen, die Eindämmung der illegalen Migration und Schlepperei, die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, ein verstärkter gegenseitiger Informationsaustausch sowie gemeinsame Lagebeurteilungen zur Erörterung aktueller Erkenntnisse anzusehen, wobei die österreichischen Sicherheitsinteressen Teil der Interessen des gemeinsamen Europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sind. 18

17 Nahezu zeitgleich mit dem deutsch-österreichischen Werkstattgespräch zur inneren Sicherheit hat in Österreich das Kuratorium Sicheres Österreich eine Arbeitstagung mit dem Schwerpunkt Privatisierung von Sicherheitsaufgaben durchgeführt. Der Bundesminister flir Inneres Dr. Ernst Strasser hat in der Folge eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet. Vgl. Öffentliche Sicherheit Oktober 2002, Wiener Zeitung vom 18. November 2002. 18

Siehe etwa Fischer, in: Mader (Fn.13), S.19 ff.

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Die „nationale Sicherheit" kann in einer immer stärker verflochtenen Welt nicht mehr alleine bestehen.19 Gemäß dem von der KSZE/OSZE beschriebenen Grundsatz der „Unteilbarkeit der Sicherheit" ist heute davon auszugehen, dass die Sicherheit von Einzelstaaten und einzelnen Regionen infolge des grenzüberschreitenden Charakters von Gefahren und Risken, des Vorhandenseins von transnationaler Abhängigkeit und der Komplexität möglicher Bedrohungsformen unteilbar auch mit der „äußeren Sicherheit" verbunden und deshalb ein umfassender sicherheitspolitischer Ansatz erforderlich ist. Einen weiteren Aspekt der „Inneren Sicherheit" stellen auch der Zivilschutz und das Staatliche Krisenmanagement dar. Die Gerichtsbarkeit zählt neben der Gesetzgebung und Verwaltung zu den drei klassischen Staatsgewalten und stellt eine unabdingbare Notwendigkeit jedes rechtsstaatlichen Gemeinwesens dar. Schon seit jeher bildete sie einen maßgeblichen Pfeiler der organisierten Gesellschaft und damit jedes Staates. Unabhängig von Kultur und gesellschaftlicher Ausgestaltung zählt eine der Gerechtigkeit verpflichtete Rechtsprechung zu den menschlichen Grundanliegen. In einem demokratischen Rechtsstaat20, in dem das gesamte Recht vom Volk ausgeht und die Vollziehung an die Gesetze als Ausfluss des vom Volk geschaffenen Rechts gebunden ist, bedarf es gerade dort, wo die individuellen Existenzsorgen und Schutzbedürfnisse der einzelnen Bürger berührt sind, der uneingeschränkten Gewährleistung einer alleine an den Gesetzen orientierten und von jedweden sonstigen Einflüssen unabhängigen Rechtsprechung. Nur so kann gewährleistet werden, dass über die Anliegen des Einzelnen in jedem Verfahren, auch gegen den Staat selbst, in objektiver, neutraler und gesetzeskonformer Weise, ohne Rücksicht auf allfällige damit einhergehende Folgen für andere Staatsgewalten und Machtträger entschieden wird.

II. Die Gewährleistung innerer Sicherheit als Staatsaufgabe Die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist im österreichischen Bundesverfassungsrecht zwar nicht ausdrücklich als Staatsziel verankert, es besteht jedoch kein Zweifel, dass dies eine zentrale Staatsaufgabe darstellt. Wenn diese wichtige Funktion des Staates auch nicht ausdrücklich als Staatszielbestimmung erwähnt ist, so wird sie doch an zentralen Stellen der österreichischen Bundesverfassung bedacht.

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Vgl. Reschke, Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, Rosenburg-Papiere Nr. 3. Schambeck, Entwicklungstendenzen der Demokratie und des Rechtsstaates heute, in: ders. (Hrsg.), Der Staat und seine Ordnung, Wien 2002. 20

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Zu nennen ist in diesem Zusammenhang vor allem die Kompetenzbestimmung des Art. 10 Abs.l Ziff. 7 B-VG, in der die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, zur Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung erklärt wird. Mit der Determinierung von Kompetenzen wird nicht bloß eine formal-abstrakte Ermächtigung eingeräumt, sondern auch ein inhaltlicher Rahmen vorgegeben. Schließlich nimmt das Bundesverfassungsgesetz auch in seinen Bestimmungen über das Bundesheer Bezug auf die innere Sicherheit, indem es das Bundesheer in Art. 79 Abs. 2 B-VG über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus (in Unterstützung der Zivilbehörden) zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner und zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren beruft. Die Sicherheitsfunktion des Staates findet schließlich auch in den institutionellen Absicherungen der Gerichtsbarkeit, im Besonderen der Strafgerichtsbarkeit, der Bestandsgarantie der Höchstgerichte sowie der Trennung von Justiz und Verwaltung in allen Instanzen ihren Niederschlag. Die Ereignisse des „11.9." und ihre Folgen erlaubten es nicht, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Neben den weltweit auf Hochtouren gelaufenen Ermittlungen, die die Vorgehensweise der Attentäter zutage brachte, nämlich dass in kleinen Terrorzellen agiert wurde, die jahrelang voneinander unabhängig und inaktiv waren und Osama Bin Laden als Schlüsselfigur bzw. Drahtzieher dieses Anschlages personifizierte, drängte sich eine sofortige und tiefgreifende Bewertung der bislang bestandenen Sicherheitsstrategien auf. Durch die Attentate wurden der gesamten westlichen Welt auch die fragilen sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge vor Augen geführt. Spätestens mit den Anschlägen vom 11. September wurde klar, dass sich kein Staat zurücklehnen kann, um darauf zu warten, dass ein anderer das anliegende Problem löst. In einem bis dato noch nicht gekannten Tempo wurden die Sicherheitspolitiken insbesondere westlicher Staaten verändert. Es wurden verschiedenste Anti-Terror-Pakete geschnürt, die eine Ausweitung bzw. Verschärfung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden sowie der Strafbestimmungen gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zum Inhalt haben. Diese Maßnahmen haben gemeinsam zum Ziel, es den staatlichen Sicherheitsbehörden zu erleichtern, die Sicherheit und den Schutz der Bürger vor vergleichbaren Terroranschlägen zu gewährleisten sowie die Täter und deren Komplizen festnehmen zu können. Auch für Österreich haben sich die Voraussetzungen und Bedingungen der inneren und äußeren Sicherheit, nicht zuletzt durch die Vorfälle vom „11.9." sowie wegen diverser internationaler Verpflichtungen grundlegend geändert.

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Als Reaktion auf diese neuen Herausforderungen hat die österreichische Bundesregierung eine Reihe von sicherheitspolitischen Maßnahmen gesetzt.21 Bevor ich Ihnen nun einen näheren Einblick über die organisatorischen und rechtlichen Maßnahmen nach dem 11. September vermitteln darf, erlauben Sie mir, zum besseren Verständnis einen groben Überblick über die bestehenden Strukturen in Österreich zu geben.

I I I . Die bestehenden Strukturen in Österreich 22 Die österreichische Verfassung beruht auf bestimmten Grundprinzipien, die die Fülle der einzelnen Regelungen zu einer systematischen Einheit zusammenfassen. In Österreich ist die Unterscheidung zwischen Grundprinzipien und Einzelregelung nicht nur theoretisch und didaktisch, sondern auch normativverfassungsrechtlich bedeutsam: Veränderungen eines Grundprinzips sind als „Gesamtänderung der Bundesverfassung" zu verstehen; sie bedürfen einer Volksabstimmung. Die Gesamtheit der Grundprinzipien bildet die verfassungsrechtliche Grundordnung, die im Gesamtaufbau der staatlichen Rechtsordnung eine eigene - die oberste - Stufe einnimmt. Als elementare Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung sind neben den deutlich erkennbaren - demokratischer, republikanisches und bundesstaatliches Prinzip - , ferner das durch ein sehr ausgebautes System rechtlicher Bindungen und Kontrollen gekennzeichnete und von Lehre und Rechtsprechung unter dem Stichwort „Rechtsstaat" angesehene „rechtsstaatliche Prinzip" zu nennen. Kern des rechtsstaatlichen Prinzips ist die Bindung der Verwaltung an das Gesetz im Sinne des Legalitätsprinzips des Art 18 Abs. 1 B-VG, wonach „die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden darf 4 . Das rechtsstaatliche Prinzip verlangt aber auch Rechtschutzeinrichtungen, die diese Bindung effektiv gewährleisten. Die Kontrolle der Verwaltung durch den Verwaltungs- und den Verfassungsgerichtshof sind wesentliche Bestandteile dieses rechtsstaatlichen Prinzips. Grundsätzlicher Sinn einer rechtsstaatlichen Verfassung ist ferner die Aufteilung staatlicher Macht auf eine Mehrzahl sich wechselseitig beschränkender und kontrollierender Staatsorgane sowie die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Beschränkung des Staates gegenüber der Gesellschaft.

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Siehe auch Kapitel 5 dieses Textes. Siehe etwa Öhlinger, Verfassungsrecht, 4. Auflage, Wien 1999.

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Der organisatorische Teil des Verfassungsrechts besteht fast zur Gänze in einer Zuweisung von jeweils begrenzten staatlichen Aufgaben auf unterschiedliche Rechtsträger oder Organe, die diese Aufgaben im jeweils vorgezeichneten Zusammenwirken und damit in wechselseitiger Abhängigkeit und Kontrolle („checks and balances")23 ausüben. Insofern ist es der elementare Sinn einer rechtsstaatlichen Verfassung, Gewaltenteilung zu normieren - dies freilich in einem weiteren, nicht nur auf die klassischen Staatsfunktionen der Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit beschränkten Sinn. Den Kern des bundesstaatlichen Prinzips bildet die Verteilung der staatlichen Funktionen zwischen dem Bund (Oberstaat) und den Ländern (Gliedstaaten) sowie die Möglichkeit einer Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung. Dies setzt eine Autonomie der Länder voraus. Im Bundesverfassungsgesetz werden die Kompetenzen zur Gesetzgebung und die Kompetenzen zur Vollziehung im Wesentlichen durch die Kompetenzbestimmungen der Art. 10 bis 15 B-VG verteilt. Der Begriff der Vollziehung erstreckt sich dabei jedoch nur auf die Hoheitsverwaltung. Nicht erfasst sind dagegen die Gerichtsbarkeit, die ausschließlich Bundessache ist und die Privatwirtschaftsverwaltung. Darunter versteht man ein Handeln der Verwaltungsorgane in einer Rechtsform des Privatrechts. Das Bundesverfassungsgesetz kennt 4 Haupttypen der Kompetenzverteilung: Gesetzgebung und Vollziehung sind Bundessache (Art. 10 B-VG): Der Katalog der dem Bund in Gesetzgebung und Vollziehung übertragenen Kompetenzen ist weitaus am umfangreichsten und bewirkt, dass vor allem in der Gesetzgebung das Schwergewicht ganz eindeutig beim Bund liegt. Als bemerkenswerte Kompetenztatbestände seien hier die Bundesverfassung selbst sowie die Ausfuhrungsgesetze zum B-VG, der Abschluss von Staatsverträgen, das Monopolwesen, das Zivilrechtswesen, das Strafrechtswesen mit dem gerichtlichen Strafrecht einschließlich des Strafverfahrensrechts sowie die ,Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung", jedoch mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei hervorgehoben. Letztgenannter Kompetenztatbestand umfasst einleitend die Abwehr allgemeiner Gefahren - allgemeine Sicherheitspolizei - , das sind jene Gefahren, die nicht auf ein bestimmtes Verwaltungsgebiet beschränkt sind. Von der Sicherheitspolizei zu unterscheiden ist die Verwaltungspolizei: Darunter versteht man Maßnahmen zur Abwehr „besonderer", d. h. für bestimmte Verwaltungsbereiche typische Gefahren

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Siehe dazu: Adams (Hrsg.): Hamilton/Madison/Jay, Die Federalist - Artikel, Paderborn 1994, S. 45.

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(ζ. Β. Baupolizei, Gewerbepolizei, Verkehrspolizei). Als Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei wird jener Teil der Sicherheitspolizei bezeichnet, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden; Gesetzgebung ist Bundessache, Vollziehung ist Landessache (Art. 11 BVG): ζ. B. Staatsbürgerschaftsrecht, Straßenpolizei; Grundsatzgesetzgebung ist Bundessache, Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung sind Landessache (Art. 12 B-VG): ζ. B. Armenwesen, Krankenanstaltenwesen, Teile des Elektrizitätswesens; Gesetzgebung und Vollziehung sind Landessache (Art. 15 B-VG): Entsprechend der bundesstaatlichen Idee werden die Kompetenzen der Länder nicht taxativ aufgezählt, sondern durch die Generalklausel des Art. 15 B-VG erfasst. Tatsächlich sind aber die dem Bund ausdrücklich übertragenen Angelegenheiten so zahlreich, dass den Ländern nur sehr wenig Gesetzeskompetenzen verbleiben, so ζ. B. im Bereich des Baurechts einschließlich der Raumordnung, Jagd und Fischerei, Grundverkehrsrecht, Naturschutz und Sport. Wie aus meinen einleitenden Ausführungen bereits zu entnehmen war, ist in der österreichischen Bundesverfassung aufgrund des gewaltenteilenden Prinzips die Gesetzgebung von der Vollziehung, und in dieser die Verwaltung von der Gerichtsbarkeit getrennt. Die obersten Organe der Verwaltung - d. h. nicht einem übergeordneten Organ unterstellte Organe - sind auf Bundesebene der Bundespräsident, die Bundesregierung (als Kollegium) und die Bundesminister, auf Landesebene die Landesregierungen sowie bei Einführung des Ressortsystems die Mitglieder der Landesregierungen. Auf der Seite der Bundesregierung muss wieder unterschieden werden zwischen den einzelnen Mitgliedern - Bundeskanzler, Vizekanzler, Bundesminister - und der Bundesregierung als Kollegium. Die Bundesverfassung sieht für die oberste Stufe der Bundesverwaltung prinzipiell das Ministerialsystem (Ressortsystem) vor: die einzelnen Aufgaben der Bundesverwaltung werden in der Regel von einem einzelnen Mitglied der Bundesregierung - Bundeskanzler, Vizekanzler, Bundesminister - und von dem diesem unterstellten Bundesministerium in alleiniger Verantwortung besorgt. Ein Bundesminister ist dabei weder dem Bundeskanzler noch dem Kollegium der Bundesregierung untergeordnet. Die Zahl der Bundesministerien, deren Wirkungsbereich und Einrichtung werden durch das einfachgesetzliche Bundesministeriengesetz geregelt. Unter der Leitung und Aufsicht der obersten Verwaltungsorgane vollziehen in weiterer Folge „berufsmäßig ernannte Organe" (Beamte24 und Vertragsbe-

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dienstete), die an die Weisungen der obersten Verwaltungsorgane gebunden sind, die einzelnen Verwaltungsgeschäfte. Dieses hierarchische Verwaltungsmodell ist als Pendant zur parlamentarischen Verantwortlichkeit der obersten Organe zu sehen: die Weisungsgebundenheit verknüpft die Verwaltung mit der parlamentarischen Kontrolle; das parlamentarisch verantwortliche oberste Organ kann so auch für die ihm nachgeordneten Verwaltungsorgane verantwortlich gemacht werden. In Österreich wird die SicherheitsVerwaltung, bestehend aus der Sicherheitspolizei mit ihren Kernaufgaben „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" - ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei und eine „erste allgemeine Hilfeleistungspflicht" sowie weitere verwaltungspolizeiliche Angelegenheiten (wie ζ. B. Pass- und Meldewesen, Fremdenpolizeiwesen, Grenzkontrolle, Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen, Vereins- und Versammlungswesen) - von den Sicherheitsbehörden besorgt. Darüber hinaus werden die Sicherheitsbehörden und ihre Organe aus eigener Veranlassung oder auf Veranlassung der Gerichte und Staatsanwaltschaften auch im Dienste der Strafjustiz tätig. Oberste Sicherheitsbehörde ist - anders als in der Bundesrepublik Deutschland - der Bundesminister für Inneres. Ihm unmittelbar unterstellt, besorgen die Sicherheitsdirektionen, diesen nachgeordnet die Bezirksverwaltungsbehörden und Bundespolizeidirektionen, die Sicherheitsverwaltung in den Ländern. Von den Sicherheitsbehörden sind die Wachkörper zu unterscheiden. Dabei handelt es sich um spezifische Hilfsorgane von Behörden, deren Handlungen jener Behörde zugerechnet werden, der sie jeweils unterstellt sind. Bundesgesetzlich als Wachkörper eingerichtet sind: Bundesgendarmerie, Bundessicherheitswache, Kriminalbeamtenkorps, Zoll- und Justizwache.

IV. Das Bundesministerium für Inneres in Österreich Das Bundesministerium für Inneres versteht sich als modernes Sicherheitsdienstleistungsunternehmen. Das B M I hat aufgrund der nationalen und internationalen Entwicklungen und der daraus gewonnenen Erkenntnisse zum Bereich Kriminalität sowie der darauf ausgerichteten neu entwickelten Sicherheitspolitik erkannt, dass es seine Bemühungen in Richtung einer zeitgemäßen und effizienten „Unternehmensstrategie" zu verstärken und auszubauen hat. Es hat ei-

24 Schambeck, Der Beamte und das Bundes-Verfassungsgesetz, in: ders. (Hrsg.), Der Staat und seine Ordnung, Wien 2002.

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nerseits die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu maximieren und andererseits seinen Beitrag zu einem sicherheitspolitischen Gesamtkonzept zu leisten. In den letzten Jahren hat die Bedrohung durch die organisierte Kriminalität zugenommen. Neue Kriminalitätsformen wie Straftaten im Zusammenhang mit der neuen Informations- und Kommunikationstechnik haben sich weltweit ausgebreitet. Schwerpunkt und Aufgabe der Inneren Sicherheit ist es, den Schutz seiner Bürger vor Übergriffen zu gewährleisten, wie überhaupt den „inneren Frieden" aufrechtzuerhalten. Weiterhin ist der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, vor allem gegen Drogen und das Schlepper-Unwesen zu intensivieren. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, kam es mit dem Ol. Dezember 2000 zu einer Änderung der Organisationsstruktur im Innenministerium. Es wurden Organisationseinheiten mit gleichen und ähnlichen Aufgaben zusammengelegt und Hierarchieebenen verflacht. Es kam zur Ausgliederung von Tätigkeiten, die nicht zu den Kernaufgaben des Innenressorts zählen. Durch die Reform des Kriminaldienstes war der Aufbau eines Bundeskriminalamtes und der Aufbau eines Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung notwendig geworden. Im Vordergrund der Reformen stehen die Verbesserung der Qualität der Sicherheitsdienstleistungen und ein optimaler Einsatz der Mittel. Maßgeblich war, dass die Effizienz bei knappen personellen und finanziellen Ressourcen erhöht wurde. Mit der Geschäftseinteilung vom 01. Dezember 2000 gliedert sich das Bundesministerium in das Kabinett des Bundesministers sowie fünf Sektionen mit den nachgeordneten Abteilungen und Referaten. Die Sektion I, Präsidialsektion, hat verstärkt koordinierende Aufgaben in den Bereichen Personal, Ausbildung, Budget, Beschaffung und internationale Angelegenheiten übernommen. Die Sektion II, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, hat neben den Gruppen Bundespolizei, Bundesgendarmerie, Staatspolizei und Kriminalpolizei-Interpol noch fünf Abteilungen, die dem Sektionsleiter direkt unterstehen. Die Sektion III beschäftigt sich mit fremdenpolizeilichen Angelegenheiten. Unter die Sektion IV fallen EDV und allgemeine Verwaltungsangelegenheiten. Die Sektion V ist verantwortlich für Rechtsangelegenheiten, Kontrolle und Verwaltungsinnovation. Für spezielle Angelegenheiten sind im Bundesministerium Sondereinheiten eingerichtet. Mit Wirkung vom 1.01.2003 ist eine weitere Straffung der Organisation des Bundesministerium für Inneres beabsichtigt.

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V. Organisatorische und legistische Maßnahmen in Österreich 1. Die neue österreichische Sicherheitsdoktrin

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Ausgangspunkt für die Beschlussfassung der neuen Sicherheitsdoktrin war folgender: Die Gewährleistung von Sicherheit in allen ihren Dimensionen ist Grundvoraussetzung für den Bestand und das Funktionieren einer rechtsstaatlichen Demokratie sowie für das wirtschaftliche Wohlergehen der Gesellschaft und ihrer Bürger. Unter den heute herrschenden Bedingungen ist eine „umfassende Sicherheitspolitik 44 daher eine vorrangige politische Aufgabe jedes Staates. Österreich war daher wie jeder Staat gefordert, seine Sicherheitspolitik den vielfältigen und weit reichenden Veränderungen laufend anzupassen26. Die Sicherheitslage eines europäischen Staates kann heute nicht mehr isoliert betrachtet werden; Instabilitäten und Gefahren in Europa bzw. an der europäischen Peripherie berühren die Sicherheitslage aller europäischen Staaten, aber auch weltweit. Der Zweck der Sicherheitspolitik besteht in der Gewährleistung von Sicherheit für möglichst alle Bereiche eines Gemeinwesens. Um diesen neuen sicherheitspolitischen Entwicklungen und Veränderungen Rechnung zu tragen, beschloss der österreichische Nationalrat am 12. 12. 2001 eine neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin, die auf folgenden Grundprinzipien basiert: Der österreichischen Sicherheitspolitik liegt das Prinzip der umfassenden Sicherheit zu Grunde, das sowohl den militärischen als den nicht militärischen Aspekten der Sicherheit entsprechende Bedeutung beimisst. Das Prinzip der präventiven Sicherheit löst das Bedrohungsreaktionskonzept ab. Die aktive Teilnahme an internationalen Maßnahmen zur Konfliktverhütung und des Krisenmanagements ist für Österreich ein wichtiger Bestandteil seiner Sicherheitspolitik. Das Prinzip der europäischen Solidarität ersetzt das Konzept einer autonomen Sicherheitspolitik. Die Sicherheit Österreichs und die der EU sind untrennbar miteinander verbunden. Die neuen sicherheitspoliti-

25 Vgl. etwa Österreichisches Institut fur Europäische Sicherheitspolitik (Hrsg.), Die neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin, in: OIES-Newsletter Nr. 4/2001, zu finden unter http://www.oeies.or.at/oeies. 26 Siehe auch den Beitrag von Stolzlechner, Die neue Sicherheitsarchitektur in Österreich, abgedruckt in diesem Band.

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sehen Herausforderungen und Risiken sind nicht im Alleingang, sondern nur durch internationale solidarische Zusammenarbeit zu bewältigen. Diese Sicherheitsdoktrin, die als Gesamtstrategie der obersten Entscheidungsträger zu sehen ist, behandelt insbesondere jene Aspekte der umfassenden Sicherheit, die sich mit dem Schutz des staatlichen Systems als Ganzes sowie dem Schutz seiner Bürger gegen Bedrohungen im großen Ausmaß befassen. Nicht zuletzt soll durch diese richtungsweisende Maßnahme das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhalten bzw. nachhaltig verstärkt werden. Im Lichte dieser Erwägungen sind in der Entschließung eine Reihe von grundsätzlichen Empfehlungen zur inneren Sicherheit aufgelistet. Die Verwirklichung der österreichischen Sicherheitspolitik im Rahmen einer umfassenden Sicherheitsvorsorge beruht auf einem systematischen Zusammenwirken verschiedener Bereiche der Politik auf Basis entsprechender Teilstrategien. Diese Teilstrategien, die derzeit in Ausarbeitung sind, enthalten Ziele sowie Maßnahmen und sollen entsprechend den internationalen Rahmenbedingungen laufend überprüft, koordiniert und gegebenenfalls angepasst werden.

2. Die Einrichtung des Nationalen Sicherheitsrates

27

Im Zuge der Beratungen über den Analyseteil der Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 28 hat die Bundesregierung bereits am 23.01.2001 beschlossen, einen Nationalen Sicherheitsrat (NSR) einzurichten. Die Attentate in New York und in Washington sowie insbesondere die daran anschließenden konzentrierten Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus haben die Notwendigkeit einer effizienten einheitlichen Plattform für die Beratung von Sicherheitsfragen noch unterstrichen. Die komplexen Bedrohungsformen, wie etwa Terrorismus und organisierte Kriminalität sowie die zunehmende Teilnahme Österreichs am internationalen Krisenmanagement im Rahmen der EU und der NATO-Partnerschaft für den Frieden machten eine Anpassung der Abläufe und Strukturen erforderlich.

27

BGBl. I 122/2001: Bundesgesetz, mit dem ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet und das Wehrgesetz geändert wird (NSR-Gesetz). 28 Siehe insbesondere den Bericht des Landesverteidigungsausschusses über den Bericht der Bundesregierung betreffend die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin - Analyse Teil (III-87 der Beilagen), 939 BlgNR XXI. GP.

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Der Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler, den Bundesministern fur auswärtige Angelegenheiten und Inneres, für Landesverteidigung und Justiz, Vertretern der im Hauptausschuss des Nationalrates vertretenen politischen Parteien sowie Vertretern der Länder und leitenden Beamten aus den eingangs erwähnten Ministerien zusammen.29 Die Aufgabe des Rates besteht in der Beratung der Bundesregierung und der einzelnen Bundesminister in allen grundsätzlichen Angelegenheiten der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie in der Erteilung von Empfehlungen für Maßnahmen im Rahmen des Aufgabenbereiches. 30 Zur Unterstützung des Nationalen Sicherheitsrates hat das Sekretariat zusammen mit den Verbindungspersonen die Angelegenheiten zu evaluieren und zu beraten sowie die Sitzungen des Rates vorzubereiten. 31 Die konstituierende Sitzung des NSR fand am 08. April 2002 statt. Dabei waren maßgebliche Themenschwerpunkte die „dramatische Situation im Nahen Osten und allfällige Auswirkungen auf die Sicherheit Österreichs" sowie der „österreichische Afghanistaneinsatz". Weiter wurde die Umsetzung der Empfehlungen der Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin festgelegt, d. h., dass für alle sicherheitspolitisch relevanten Bereiche Teilstrategien ausgearbeitet werden müssen, sodass bis Ende 2002 eine akkordierte Gesamtstrategie erstellt werden kann. Der NSR wird die politische Koordinierung der Umsetzung der in der Entschließung des Nationalrates enthaltenen Maßnahmen wahrnehmen.

3. Die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes

32

Für Zwecke einer wirksamen bundesweiten Bekämpfung gerichtlich strafbarer Handlungen und zur Wahrnehmung zentraler Funktionen im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation wurde das Bundeskriminalamt als Organisationseinheit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit eingerichtet. Das Bundeskriminalamt übernommen:

29

hat mit 01. Mai 2002 folgende

Aufgaben

Vgl. § 3 NSR-Gesetz. Vgl. § 2 NSR-Gesetz. 31 Vgl. die Verordnung der Bundesregierung, mit der die Geschäftsordnung des Nationalen Sicherheitsrates erlassen wird (BGBl. I 98/2002). 32 Vgl. Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundeskriminalamtes (Bundeskriminalamt-Gesetz - BKA-G), BGBl. I Nr. 22/2002. 30

4 Pitschas/Stolzlechner

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Verbindungsstelle zu Einrichtungen für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung; Zentralstelle zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, von Menschenhandel und Schlepperei; Zentralstelle in Angelegenheiten der Observation, der Computer- und Netzwerkkriminalität, der verdeckten Ermittlungen, des Zeugenschutzes, des Erkennungsdienstes, der Kriminaltechnik, der operativen und strategischen Kriminalanalyse, des kriminalpsychologischen Dienstes, der Kriminalprävention und Opferhilfe; Leitung und Koordinierung des Dienstes der Sicherheitsbehörden und -dienststellen auf dem Gebiet der kriminal- und sicherheitspolizeilichen Ermittlungen im Bereich der Kapital-, Sittlichkeits- und Eigentumsdelikte, der Wirtschafts-, Umwelt- und Suchtmittelkriminalität usw. Des Weiteren führt das Bundeskriminalamt das Nationale Büro der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL, die Nationale Europol- Stelle und das Sirene Büro.

4. Reform der Staatspolizei durch Aufbau eines Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung In Österreich wurde die Staatspolizei in ihrer Aufbau- und Ablauforganisation grundlegend neu strukturiert. 33 Die Neuordnung der Staatspolizei basiert auf einer Vorgabe des Regierungsübereinkommens und kann sowohl strukturell als auch im Hinblick auf die Inhalte und die Ablauforganisation als zukunftsweisend (neues Anforderungsprofil) für die Gewährleistung innerer Sicherheit angesehen werden. Die Notwendigkeit einer Reorganisation hatte sich durch die Ereignisse des 11. September 2001 verstärkt. Es wurde ein Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) unter besonderer Berücksichtigung des Ausbaus der nachrichtendienstlichen Elemente geschaffen. Hauptziel der Reform war die Stärkung des strategischen Schutzes durch Intensivierung der Analysetätigkeit und dem Einsatz der erweiterten Gefahrenerforschung. Der Ausbau des präventiven Staatsschutzes steht im Vordergrund. Weiter ist die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der Zentralstelle und den nachgeordneten Dienststellen in den Sicherheitsdirektionen der Länder (Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) vorgesehen.

33 Siehe dazu etwa Verfassungsschutzbericht 2001, Bundesministerium für Inneres, Wien 2002.

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Wesentliche Schwerpunkte der Reform sind auf die Konzentration der Kernbereiche wie die Bekämpfung der Phänomene Extremismus, Terrorismus 34 , Spionage, die Aufklärung und die Abwehr von Proliferationshandlungen sowie auf den Personen- und Objektschutz gerichtet. Weiterhin wird dem Aufbau klarer organisatorischer Strukturen zur Informationsgewinnung, zur Analyse staatsschutzrelevanter Phänomene und zur Bewältigung der Aufgabe des gerichtlichen Staatsschutzes ein großer Stellenwert eingeräumt. Das BVT besteht aus einem Leitungsgremium und drei Abteilungen. Als zentrales Element des Staatsschutzes ist die integrative Abteilung (Informationsbeschaffung, Analyse und Ermittlung) mit fünf Referaten (Extremismus, Terrorismus und Ausländerterrorismus, Spionageabwehr, Proliferation und Waffenhandel, Analyse sowie operative Unterstützung) vorgesehen. Den weiteren Abteilungen wird der Aufgabenbereich Administration, Logistik und Recht sowie der Personen- und Objektschutz zugewiesen.

5. Das Strafrechtsänderungsgesetz

2002 iS

Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September des Vorjahres wurden in Umsetzung von EU- und internationalen Verpflichtungen die Strafbestimmungen gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität verschärft. Primär hat der Entwurf des Anti-Terror-Pakets eine Verbesserung des strafrechtlichen Instrumentariums zur Bekämpfung des Internationalen Terrorismus zum Ziel. Daneben sollen auch im Bereich des materiellen und formellen Rechts weitere Schritte gegen die organisierte Kriminalität und Computerkriminalität gesetzt werden. Die vorliegende Gesetzesreform dient damit der Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung des Terrorismus 36, der gemeinsamen Maßnahme gegen die organisierte Kriminalität der EU 3 7 , des UN-Terrorismusfinanzierungsübereinkommens 38, der UN-Sicherheitsresolution 39 sowie der Cyber-Crime-Konvention des Europarates. 40

34 Siehe etwa Gridling, Wünschen uns mehr Befugnisse, in: Öffentliche Sicherheit, Wien 2002. 35 Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl. I 134/2002; siehe auch 1166 BlgNR XXI.GP (RV). 36 EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Terrorismus (über den beim Rat Justiz, Inneres und Katastrophenschutz am 6. Dezember 2001 politische Einigung erzielt wurde). 37 Gemeinsame Maßnahme gegen organisierte Kriminalität der EU (Gemeinsame Maßnahme vom 21. Dezember 1998 betreffend Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 351 vom 29. Dezember 1998, S. 1). 38 UN-Terrorismusfinanzierungsübereinkommen (Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, von der UN-Generalversammlung am 9. Dezember 4*

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Im Bereich des materiellen Rechts werden teils neue Tatbestände, wie „Terroristische Vereinigung", „Terrorismusfinanzierung", „Widerrechtlicher Zugriff auf ein Computersystem", „Missbräuchliches Abfangen von Daten" usw. geschaffen und teils bestehende angepasst. Zu einer Strafsatzerhöhung kommt es bei „terroristischen Straftaten". Neu formuliert wurde auch der gesamte Komplex der Telefon- und Handy-Überwachung sowie die Rufdatenerfassung und Standortfeststellung. Im Bereich des Strafprozessrechtes 41 sollen die auf eine kriminelle Organisation bezogenen Bestimmungen der StPO, insbesondere jene über den „großen Späh- und Lauschangriff 4 und über die „Rasterfahndung" auf den neuen Tatbestand der terroristischen Vereinigung erweitert werden. Die Kontrollbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten sollen auf den Bereich der Überwachung der Telekommunikation von Berufsgeheimnisträgern ausgedehnt werden. Durch eine Anpassung der StPO soll es künftig leichter möglich sein, Konten, mit denen kriminelle und terroristische Aktivitäten finanziert werden, ausfindig zu machen und über Kontobewegungen während eines bestimmten Zeitraumes Auskunft geben zu lassen. Den Sicherheitsbehörden soll eine verfassungskonforme Vollziehung des SPG ermöglicht werden, indem sie über die Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung oder Freispruch seitens der Gerichte künftig zu verständigen sein werden. Hier wurde nur jener Teil der Reform berücksichtigt, der mit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in Zusammenhang steht.

6. Die Sicherheitspolizeigesetznovelle

2002 42

Die SPG-Novelle 2002 hat schwerpunktmäßig Bestimmungen zum Zeugenschutz, zu verdeckten Ermittlungen, zum Datenschutz, d. h. vor allem Verbesserungen und Klarstellungen einzelner Datenrechtsregelungen sowie die Neu-

1999 angenommen, von Österreich am 24. September 2001 unterzeichnet und am 15. April 2002 durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen ratifiziert; vgl. ferner die RV 902 BlgNR XXI. GP sowie die Berichte des außenpolitischen Ausschusses 996 BlgNR XXI.GP und des Bundesrates 6586 BlgBR XXI.GP). 39 UN-Sicherheitsratsresolution No. 1373 (2001). 40 Cyber-Crime-Konvention des Europarats, ETS Nr. 185. 41 Das Vorhaben der Strafprozessreform (vgl. 1165 BlgNR XXI.GP) konnte aufgrund des vorzeitigen Endens der Legislaturperiode nicht mehr im Nationalrat beschlossen werden. 42

Vgl. BGBl. I 104/2002; siehe auch 1138 BlgNR XXI.GP.

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gestaltung des Fund- und Passwesens und die Übertragung der jeweiligen Agenden an die Gemeinden zum Inhalt. Im Einzelnen ist mit der Einführung besonderer Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität im Sicherheitspolizeigesetz (SPG)43 der Schutz gefährdeter Zeugen als Aufgabe des vorbeugenden Rechtsschutzes der Sicherheitsbehörden gesetzlich festgelegt. Zeugenschutzprogramme sollen auf nahe Angehörige, die über einen gefährlichen Angriff oder eine kriminelle Verbindung Auskunft erteilen könnten, ausgedehnt werden. Eine „Legende", also ein neuer Name mit neuer Identität ist in Zukunft nicht nur für Ermittler geplant. Für Observationen und verdeckte Ermittlungen sollen Beamte zur Infiltrierung von Gruppen Organisierter Kriminalität in Zukunft Scheinfirmen gründen und Wohnungen unter falschen Namen mieten dürfen. Im Bereich der DNA-Untersuchungen können nicht verdächtige Personen, die am Tatort Spuren hinterlassen, freiwillig eine Probe abgeben, die nach der Untersuchung vernichtet wird und keine weitere Verwendung mehr findet. Weiter ist die Schaffung eines Auskunftsrechtes über erkennungsdienstliche Daten sowie eine Regelung zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses vorgesehen.

7. Die Initiativen

Österreichs im Bereich der EU

Österreich ist bestrebt, sich auf europäischer Ebene aktiv am Diskussionsprozess betreffend die weiteren Entwicklungen der polizeilichen Zusammenarbeit mit der EU zu beteiligen.44 Entscheidend wird es sein, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die derzeitige Form der intergovernementalen Zusammenarbeit beibehalten oder auch dieser Bereich „vergemeinschaftet" werden soll, wie dies bereits im Hinblick auf Asyl, Immigration und Grenzschutz, durch den Vertrag von Amsterdam geschehen ist. Die zukünftige Gestaltung der justitiellen 45 und polizeilichen Zusammenarbeit in Strafsachen wird im Lichte der Gewaltentrennung und Subsidiarität dis43

Zum Sicherheitspolizeigesetz siehe etwa Fuchs-Funk-Szymanski, Sicherheitspolizeigesetz, Wien 1999; Dearing, Sicherheitspolizeigesetz, Wien 1999. 44 Siehe etwa Hochleitner, Das europäische Sicherheitssystem zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2000. 45 Siehe dazu etwa Gieß, Regionalisierung oder Zentralisierung justizieller Kontrolle der europäischen Polizei (Zusammenarbeit), in: Fehervary/Stangl (Hrsg.), Polizei zwischen Europa und den Regionen, Wien 2001.

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kutiert werden müssen, da sie einen wesentlichen Eingriff in die Lebenssphäre jedes einzelnen europäischen Bürgers darstellt. A m Ende diese Prozesses wird eine Architektur der inneren Sicherheit und Justiz, die dem Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die notwendige strukturelle Festigkeit gibt, stehen sollen. Die Steigerung der Effizienz und Effektivität bestehender Einrichtungen wie Europol, Eurojust, Europäische Polizeiakademie und Schengener Informationssystem ist dabei sehr von Bedeutung. Daneben ist die konsequente Weiterentwicklung des Schengener Durchführungsübereinkommens und die Harmonisierung des europäischen Datenschutzrechtes und Strafrechtes erforderlich. Außerdem benötigt der Europäische Raum einen verlässlichen Schutz seiner Außengrenzen, um die illegale Migration, Schlepperei, organisierte Kriminalität usw. hintanhalten zu können.

8. Besondere Initiativen

und Positionen Österreichs

Ich möchte auf einige österreichische Initiativen und Positionen besonders hinweisen.

a) Sicherheit des Flugverkehrs - Polizeiliche Flugbegleiter Der Rat „Justiz, Inneres und Katastrophenschutz" kam auf seiner außerordentlichen Tagung vom 20. September 2001 überein, dass unverzüglich - in Verbindung mit den Arbeiten des Rates „Verkehr" - darüber beraten wird, wie die Sicherheitsregeln in den Flughäfen und an Bord der Flugzeuge verstärkt werden können. Wesentliche Bedeutung kam dabei dem Einsatz von polizeilichen Flugbegleitern und der langjährigen österreichischen Erfahrung zu. Bedingt durch verstärkte terroristische Aktivitäten nahöstlicher Gruppen, hat sich Österreich bereits im Jahr 1981 entschlossen, österreichische Linienflüge durch Sicherheitsbeauftragte des Gendarmerieeinsatzkommandos sichern zu lassen. Seit 1981 wurden ca. 40.000 Flugbegleitungen durchgeführt. Die Sicherheit an Bord österreichischer Linienmaschinen wurde durch diese Maßnahme wesentlich erhöht. Unter anderem konnte am 17. Oktober 1996 eine versuchte Flugzeugentführung verhindert werden. Im Gegenzug ist kein Fall bekannt, bei dem durch polizeiliche Flugbegleiter Sicherheitsprobleme verursacht wurden. Auf Grund dieser Erfahrungen und im Lichte der Notwendigkeit, die Sicherheit der Flugzeuge auf das höchstmögliche Niveau zu heben, schlug Österreich beim Rat „Justiz und Inneres" am 28. Februar 2002 vor, die Arbeiten zur Schaffung eines Systems polizeilicher Flugbegleiter in der Europäischen Union

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aufzunehmen. 46 Diese Arbeiten müssen in folgenden Bereichen durchgeführt werden: Weiterentwicklung der internationalen Abkommen zur Sicherheit im Flugverkehr; Annahme eines Rahmenbeschlusses über den Einsatz polizeilicher Flugbegleiter; Schaffung eines Handbuchs für die Auswahl, die Ausbildung, die Ausrüstung und den Einsatz von polizeilichen Flugbegleitern; Entwicklung einer gemeinsamen Ausbildung für polizeiliche Flugbegleiter, die im Rahmen der Europäischen Polizeiakademie angeboten werden soll; Aufgaben und Einsatz der polizeilichen Flugbegleiter. Auf Grund der österreichischen Erfahrung können folgende Grundprinzipien für den Einsatz von polizeilichen Flugbegleitern formuliert werden: Als polizeiliche Flugbegleiter dürfen nur ausgewählte, speziell ausgebildete und ausgerüstete Polizeibeamte eingesetzt werden. Der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen für die Aufgabe wird im Hinblick auf die Natur des Einsatzes abgelehnt. Die Entscheidung, bei welchen Flügen und in welcher Form bewaffnete Flugbegleiter eingesetzt werden, muss bei den zuständigen Sicherheitsbehörden, in Abstimmung mit den Carriern, liegen. Polizeiliche Flugbegleiter haben folgende Aufgaben: Verhinderung von Flugzeugentführungen; Einschreiten gegen „unruly passengers"; Durchsuchung des Flugzeuges; „Passenger Profiling"; Erkennen von sprengstoffverdächtigen Gegenständen an Bord und Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen; Verhinderung des Einbringens gefährlicher Gegenstände an Bord; Erste Hilfe Zusätzliche Aufgaben (Schutz der Crew, Verhinderung anderer strafbarer Handlungen an Bord, etc.).

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Dokument 6391/02 JAI 26.

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Der Einsatz der polizeilichen Flugbegleiter erfolgt in Zivilkleidung, unter der Legende herkömmlicher Passagiere in einem zwei- bis vierköpfigen Team. Österreich hat deshalb ein Diskussionspapier ausgearbeitet, in dem neben den oben angeführten Arbeitsbereichen die Grundprinzipien fur den Einsatz und die Aufgaben von polizeilichen Flugbegleitern vorgeschlagen werden. Die Präsidentschaft hat im Ausschuss der Ständigen Vertreter diese Initiative als Ergänzung zu den Arbeiten in der ersten Säule begrüßt.

b) EU-Zukunftskonvent - Arbeitsgruppe „Freiheit, Sicherheit und Recht" Der EU-Zukunftskonvent hat eine Arbeitsgruppe zum Thema „Freiheit, Sicherheit und Recht" eingerichtet. Das Mandat der Arbeitsgruppe umfasst: Verbesserungen an den Verträgen im Hinblick auf die wirkliche Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; Verbesserungen an den Rechtsakten und den Verfahren; Abgrenzung der strafrechtlichen Fragen, die ein Vorgehen auf der Ebene der Union erfordern; Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden im strafrechtlichen Bereich; Anpassungen am Wortlaut der Bestimmungen des Vertrags, in denen die Zuständigkeit der Gemeinschaft insbesondere für Einwanderungsund Asylangelegenheiten definiert ist. Die Arbeitsgruppe hat am 16. September 2002 ihre Arbeiten aufgenommen, die Abschlusssitzungen sollen Ende November 2002 stattfinden. Der Abschlussbericht wird anschließend dem Plenum übermittelt. In der Arbeitsgruppe selbst fanden bislang vor allem Hearings mit nationalen Experten sowie von Europol und Eurojust über die Verbrechenssituation bzw. Möglichkeiten zur Verbrechensbekämpfung auf europäischer Ebene statt. Die Österreichische Position beinhaltet derzeit folgende Schwerpunkte: Zu Asyl und Migration wird die schrittweise Vergemeinschaftung unter Beachtung des „Nizza-Kompromisses" unter Beibehaltung des Initiativrecht der Mitgliedstaaten (kein Initiativ-Monopol der EK) und das „Checks and Balances"-System befürwortet. Bei Abstimmung über Grundsatzfragen soll das Einstimmigkeitsprinzip beibehalten werden, ζ. B. bei Entscheidung über die Erstzuwanderung, bei der Legalisierung von illegal Aufhältigen und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Das Prinzip der doppelten Mehrheit (wie im Schweizer System - Mehrheit nach dem Bevölkerungsschlüssel und ebenso Mehrheit der Anzahl der Mitgliedsstaaten) ist zu präferieren, wodurch ein Zwang zum Kompromiss gegeben wird.

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Im Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit soll es derzeit keine Exekutivbefugnisse für Europol geben und die Harmonisierung polizeilichen Handelns (Handbücher usw.) vorangeführt werden.

c) Der Aufbau einer Infoboard-Sicherheitspolitik im B M I Die österreichische Sicherheitspolitik wird in Form einer neuen Sicherheitsdoktrin, der Einrichtung des Nationalen Sicherheitsrates, der Erarbeitung der Teilstrategie innere Sicherheit sowie durch die fortschreitenden sicherheitspolitischen Entwicklungen im Bereich der EU neu gestaltet. Das Bundesministerium für Inneres hat eine zentrale Plattform 47 zur Informationssammlung, Informationsaufarbeitung und Analyse von Angelegenheiten die die innere Sicherheit berühren, etabliert. Maßgebliche Faktoren sind die Darstellung und Erklärung sicherheitsrelevanter Entwicklungstendenzen sowohl für eine sicherheitspolitische Diskussion als auch für strategische Entscheidungen. Dies kann nur durch Erstellung von strategisch-sicherheitspolitischen Lagebildern bzw. durch Evaluierung und Fortführung vorhandener Lageanalysen im Zusammenwirken mit den entsprechenden Organisationseinheiten des B M I realisiert werden. Weiterhin sollen die Empfehlungen eine Entscheidungsgrundlage für den Bundesminister für Inneres darstellen. Maßgebend sind auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sowie der sicherheitspolitische Erfahrungstausch innerhalb der Institutionen.

VI. Bewertung sowie denkbare terroristische Zukunftsentwicklungen Den vorangegangenen Ausführungen konnten Sie entnehmen, dass auch in Österreich aufgrund der aktuellen globalen Bedrohungslagen 48 in Form des international operierenden Terrorismus, der organisierten Kriminalität, aber auch der illegalen Migration in einem ersten Schritt umfangreiche organisatorische

47 Diese zentrale Plattform im Bundesministerium für Inneres wird als „InfoboardSicherheitspolitik" bezeichnet. Alle im Bereich des Bundesministerium für Inneres für Aspekte oder Teilaspekte der inneren Sicherheit Verantwortlichen übermitteln dem Infoboard ihre Informationen, die am Infoboard, der gleichzeitig die Verbindungsstelle des Bundesministerium für Inneres zum Nationalen Sicherheitsrat ist, zusammengeführt und bewertet werden. Für die Errichtung des Infoboard war die Etablierung einer ähnlichen Stelle im deutschen Bundeskriminalamt Vorbild. 48 Siehe etwa Österreichisches Institut für Europäische Sicherheitspolitik, Der internationale Terrorismus. Bedrohungspotential und Gegenmaßnahmen, ÖIES-Newsletter Nr. 2/2002, zu finden unter http://www.oeies.or.at/oeies.

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Maßnahmen sowie gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen und Strafbestimmungen geschaffen wurden. Angesichts der zunehmend komplexer werdenden Sicherheitsgesetze und der rasanten Reformprozesse wird es in einem weiterführenden Prozess für die Entscheidungsträger unseres Landes nun eine vordringliche Aufgabe sein, einerseits den Sicherheitsbehörden und ihren Organen vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen an Zeit, Geld und Personal sowie durch eindeutige Zielvorgaben einen klar eingegrenzten Handlungsrahmen vorzugeben. Andererseits wird es erforderlich sein, die Sicherheitsgesetzgebung und die Aufgabenstruktur der Sicherheitsbehörden durch flankierende Maßnahmen transparent zu machen, damit das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit staatlicher Instrumente erhalten bleibt. Denn wenn jede neue Bedrohungslage so grundlegender Gesetzesänderungen bedarf, kann bei vielen Bürgern der Eindruck entstehen, dass die zuvor geltenden Rechtsgrundlagen offensichtlich nicht geeignet waren, diese Gefahren abzuwehren. In diesem Zusammenhang wird es aus den Erfordernissen von Effizienz und Effektivität der Sicherheitsbehörden sowie der demokratischen Transparenz der Staatstätigkeit und der Gewähr von Grund- und Freiheitsrechten notwendig sein, nach einem bestimmten Zeitraum die neuen Gesetzesmaßnahmen dahingehend zu evaluieren, in welchem Umfang eine Gesetzesmaßnahme zu sichtbaren Wirkungen im Sinne der angestrebten Ziele geführt hat. 49 Zur wirksamen Bekämpfung der aktuellen Bedrohungslagen wird neben den umfangreichen legistischen und organisatorischen Maßnahmen künftig auch der Wissenschaft 50 und der Sicherheitsforschung ein noch breiterer Raum einzuräumen sein. Hier gilt es, die jeweiligen Bedrohungs- und Risikozusammenhänge hinsichtlich ihrer Ursachen, insbesondere hinsichtlich Tätermotive, Täterprofile, Täterdenken und Tatstrukturen fortlaufend und vertiefend zu analysieren bzw. zu erforschen. Während sich die Terroristen in der Vergangenheit ausschließlich „konventioneller" Methoden und Kampfmittel wie ζ. B. Entführungen, Attentate, Brand- und Sprengstoffanschläge bedienten, hat sich dieses Spektrum spätestens seit dem Anschlag der japanischen Aum-Sekte auf die U-Bahn von Tokio mit Nervengas grundsätzlich geändert. Schon vor dem verheerenden Anschlag auf das World Trade Center am „11.9." war dieses Gebäude bereits 1993 das Ziel einer Terroraktion islamistischer Extremisten. Schon damals umfasste ihr

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Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, in: Polizei & Wissenschaft, Ausgabe 2/2002, S. 43 f. 50 Hier gilt es insbesondere den beiden Organisatoren des deutsch-österreichischen Werkstattgesprächs zur Inneren Sicherheit, Univ. Prof. Dr. Pitschas und Univ. Prof. Dr. Stolzlechner, für ihre Initiative zu danken.

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Waffenlager auch Giftgas, das allerdings wegen technischer Schwierigkeiten nicht zum Einsatz kam. Die erneute Zunahme des Terrorismus seit dem späten 20. Jahrhundert wurde also zugleich von einer Steigerung der zum Einsatz gebrachten Mittel begleitet, die selbst tödliche Chemikalien und B-Kampfstoffe beinhalteten. Vor allem die westlichen Staaten müssen sich immer intensiver mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen. Dies wurde uns insbesondere durch die „Anthrax"Vorfälle in den USA zum letzten Jahreswechsel verdeutlicht. Heute zeichnet sich die Möglichkeit eines weitreichenden terroristischen Anschlages mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen mit höherer Wahrscheinlichkeit ab, als dies schon bisher der Fall war. Besorgniserregend ist jener Entwicklung entgegenzuschauen, die davon ausgeht, dass in nicht allzu ferner Zukunft von religiösen oder sektiererischen Fanatikern Kampfstoffe eingesetzt werden könnten, die zu einer Vernichtung einer entsprechenden Zielgruppe führen. Von Wissenschaft und Forschung wird die Frage, ob es möglich wäre, sogenannte „ethnische Waffen" zu entwickeln, die nur gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe wirken würden, grundsätzlich positiv beantwortet. Die Entwicklung derartiger „ethnischer Waffen" könnte dem Terrorismus gleichzeitig eine neue Dimension verleihen, nämlich den weitreichenden Einsatz ohne - wie bei den Ereignissen des „11.9." - das eigene Leben als Waffe einzusetzen.51 Darüber hinaus bleiben auch der nukleare Terrorismus oder selbst konventionelle Angriffe auf Atomkraftwerke, die zu Strahlenverseuchungen mit verheerenden Auswirkungen führen könnten bzw. Anschläge auf lebensnotwendige Ressourcen (wie ζ. B. Ernährung, Energie und Rohstoffe) sowie auf strategische Infrastruktur (wie ζ. B. Kommunikation und Verkehr) eine ernst zu nehmende Bedrohung. 52

V I I . Perspektiven und Herausforderungen Es gibt eine ganze Reihe von Perspektiven und Herausforderungen 53 für die Fragen der inneren Sicherheit. Ich will unsere wesentlichen Positionen thesenartig formulieren:

51 Mader/Micewski/Wieser, Terror und Terrorismus - Grundsätzliches, Geschichtliches, Reflexion und Perspektiven, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Wien 2001, S.62 f. 52 Mader/Micewski/Wieser (Fn.51), S.66. 53 Dazu etwa Feiner/Danich, Meine Heimat - Meine Sicherheit, Rahmenbedingungen und Reformerfordernisse für die innere Sicherheit Österreichs, Wien 1999; dies.,

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Die innere Sicherheit dient der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Lebens sowie der individuellen Sicherheit der Menschen. Sie hat sich an den Grundsätzen von Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit und unter Bedachtnahme auf die Kompetenzverteilung zu orientieren. Zur Wahrung und Weiterentwicklung der inneren Sicherheit ergeben sich daher folgende wesentliche Ziele: Bekämpfung des internationalen Terrorismus, insbesondere durch Intensivierung der innerstaatlichen Zusammenarbeit sowie auf bilateraler und multilateraler Ebene und im Rahmen der EU; Verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten und insbesondere der international organisierten Kriminalität in all' ihren Ausprägungen (Menschen-, Waffen- und Drogenhandel, Schlepperei, Geldwäsche etc.) im innerstaatlichen Bereich; Darüber hinaus durch Vereinbarungen über zwischenstaatliche sowie supra- und internationale Zusammenarbeit, insbesondere mit mittel- und osteuropäischen Staaten und mit Russland die Zielverwirklichung sicherzustellen, wobei der internationalen Ermittlungstätigkeit, dem Informationsaustausch und dem Knowhow-Transfer besondere Bedeutung zukommen; Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zur Vorbeugung gegen die und zur Bekämpfung der Schlepperei, des Menschenhandels und der illegalen Migration; Bereitstellung der erforderlichen budgetären, personellen und technischen Ressourcen sowie Intensivierung und Optimierung der Ausbildung und des Erfahrungsaustausches auf nationaler und internationaler Ebene, insbesondere zur Prävention und Bekämpfung des Terrorismus, der international organisierten Kriminalität und der illegalen Migration; Sicherstellung des wirksamen Schutzes des österreichischen Teils der EU-Außengrenze und Optimierung durch verstärkte Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten; Verstärkter Informationsaustausch über Migration auf der Ebene der Europäischen Union (Binnenwanderung) und insbesondere mit den USA, Kanada, Australien und Neuseeland;

Politik und Impuls Kriminalität als Herausforderung für Staat und Gesellschaft, Wien 1996.

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Aktiver Beitrag zur Stärkung der nicht-militärischen Fähigkeiten der EU zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie Teilnahme an internationalen friedenserhaltenden Maßnahmen; Bereitstellung der für das internationale zivile Krisenmanagement notwendigen Kräfte der Exekutive (Polizei, Gendarmerie) nach Maßgabe der Möglichkeiten, insbesondere der budgetmäßigen Bedeckung, inklusive der erforderlichen Ausbildung und Rahmenbedingungen für deren Einsatz; Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen für Aus- und Fortbildung von lokalen Polizeikräften aus Krisenregionen, im Sinne einer umfassenden Krisenprävention; Unterstützung der Bestrebungen der EU für eine gemeinsame und erfolgreiche Migrationspolitik unter Wahrung der jeweiligen nationalen Interessen der Mitgliedstaaten und des Prinzips der Lastenteilung. Ein wesentlicher, bisher noch nicht ausführlich erwähnter Arbeitsbereich soll noch angesprochen werden und zwar der Bereich der Migration: Folgende Eckpunkte können thesenartig hier angeführt werden: Grundsätzlich gilt es, den bisher eingeschlagenen Weg - der Integration von legal in Österreich lebenden ausländischen Staatsbürgern gegenüber der Neuzuwanderung den Vorzug einzuräumen - weiter zu beschreiten. Die weitere Zuwanderung hat sich vornehmlich an den Bedürfnissen Österreichs - insbesondere unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Arbeitsmarktes - zu orientieren und ist daher entsprechend zu steuern. Die Entwicklung der Aufgriffzahlen von 1994 bis 2002 lässt erkennen, dass es für Österreich wesentlich ist, den bisher eingeschlagenen Weg (Zuwanderungssteuerung und effektive Grenzsicherung) weiterzugehen. Es ist daher weiterhin klar, dass der Sicherstellung eines wirksamen und effektiven Grenzschutzes unter Verwendung der neuesten technischen Ausstattung ein großer Stellenwert zukommt. Zusätzlich kommt heute einem Informationsaustausch und einer engen Zusammenarbeit mit den Grenzkontrollorganen der Nachbarstaaten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. In Zukunft wird es aber auch gelten, durch eine verstärkte Zusammenarbeit (Bildung von strategischen und operativen Sicherheits-Partnerschaften mit den Nachbarstaaten) zu einer „Europäisierung" und „Internationalisierung" des Themas beizutragen, wo nicht mehr nur die Grenzstaaten, sondern alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Sinne einer gerechten Lastenteilung zur Lösung des Problems beitragen.

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Für eine erfolgreiche Migrationspolitik ist weiter von Bedeutung, dass die Bestrebungen der EU, bei bestimmten Staaten die Ausstellung von Heimreisezertifikaten zu erleichtern, entsprechend unterstützt werden. Abgesehen von Projekten, wie etwa die Harmonisierung der EURückführungspolitik, forciert Österreich daneben insbesondere seine Mitarbeit an den beabsichtigten Gemeinschaftsrückübernahmeabkommen, die ursprünglich auf eine Initiative während der österreichischen EU-Präsidentschaft zurückgehen. Ebenfalls von Österreich unterstützt werden sollen Initiativen, zusammen mit anderen Staaten in Problemstaaten Kontaktstellen einzurichten, die die Rückführung von Staatsangehörigen entsprechend erleichtern sollen. Eine erfolgreiche Weiterentwicklung der angeführten Bereiche (Rückübernahme, Migrationskontrolle und Optimierung der Zusammenarbeit) muss auf mehreren Ebenen - durch bilaterale und multilaterale Aktivitäten sowie Aktivitäten innerhalb der EU - erfolgen. Da die Aktivitäten zur Verbesserung der Sicherheitslage weit über die Grenzen der Europäischen Union hinausreichen und ζ. B. die Themen Schlepperei, Migrationskontrolle und Grenzkontrolle auch innerhalb der Vereinten Nationen, in der Budapester Gruppe und in der Internationalen Grenzpolizeilichen Konferenz erörtert und weiterentwickelt werden, stellt die Vertretung Österreichs in diesen Gremien einen weiteren Schwerpunkt dar. Verstärkte Aufmerksamkeit wird auch den neu entstandenen Gremien wie ζ. B. dem Stabilitätspakt, der der illegalen Migration durch gezielte Maßnahmen aus dem Balkanraum wirksam zu begegnen sucht, zuzuwenden sein. Entsprechend dem Grundsatz, wonach eine „Europäisierung" der Migrationspolitik und die Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" mit einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik angestrebt werden soll, wird es auch gelten, sich hinkünftig verstärkt auf europäischer Ebene zu positionieren. Insgesamt gesehen ist auch eine aktive Rolle Österreichs im nicht militärischen Bereich der EU für die internationale Krisenbewältigung, etwa durch die Teilnahme am EU-Polizeikorps, nicht nur ein Beitrag zur Solidarität und angemessenen Lastenteilung, sondern sie wirkt durch die Stabilisierung der Verhältnisse in Krisengebieten dem Entstehen von Terrorismus, internationaler organisierter Kriminalität und ungewollten oder illegalen Migrationsbestrebungen unmittelbar und vor Ort entgegen.

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V I I I . Zusammenfassung und Ausblick Es deutet viel darauf hin, dass der Terrorismus sowie dessen Bekämpfung im angebrochenen 21. Jahrhundert eine bedeutende Rolle spielen wird. Der demokratische Rechtsstaat54 wird sich dabei mit der Herausforderung konfrontiert sehen, wie er, ohne die humanistischen Prinzipien seiner eigenen sozialethischen Ordnung aufzugeben, das Inhumane wirksam bekämpfen kann. Wenn man die Vorhersagen der Experten in Bezug auf mögliche und denkbare Zukunftsentwicklungen des Terrorismus ernst nimmt, dann drohen ausgesprochene Horrorszenarien, bei denen freilich offen bleibt, ob sie auch - ähnlich dem Bedrohungsbild eines atomaren Weltkrieges - jemals eintreten werden. Allerdings erfordert bereits die bloße Möglichkeit eines solchen Terroraktes, sich a priori mit der gesamten Palette der Abwehr- und Bekämpfungsinstrumentarien eingehend zu beschäftigen. Die Antwort auf diese neue Art der globalen Bedrohung muss neben den jeweils nationalen Maßnahmen und Strategien 55 lauten, dass auch die Mittel der Bekämpfung nur durch einen noch stärkeren internationalen Ansatz und eine noch stärkere Vernetzung der Sicherheitssysteme erfolgreich sein werden. Die Erstellung von internationalen Lagebildern sowie die verstärkte Verzahnung der Informationsschienen ist das Gebot der Stunde. Die zu ergreifenden sicherheitspolizeilichen Maßnahmen müssen jedoch in ausgewogener Art und Weise vorgenommen werden, um bestehende Grundrechte nicht zu gefährden. 56 5 7 Ich will nochmals besonders betonen, dass es gerade auch für die Wissenschaft im Bereich der Inneren Sicherheit ein breites Betätigungsfeld gibt. Es gilt, vertiefende Lageanalysen zu erstellen, grundsätzliche Positionen zu erarbeiten und vor allem der Praxis notwendige Inputs zu geben. Österreich ist ein sehr sicheres Land. Eine gerade erschienene Studie58, die 49 Industriestaaten miteinander vergleicht, bestätigt den in Österreich eingeschlagenen Weg der Reform mit dem Ziel einer Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Österreich nimmt in der Rubrik „Sicherheit vor Bedrohung und Gewalt" den ersten Platz ein, ebenso in der Rubrik „Persönliche Sicherheit". 54

Siehe etwa Stangl, Nicht Gewalt, Friede ist das Problem!, in: Fehervary/Stangl (Hrsg.), Gewalt und Frieden, Wien 1999. 55 Wittkämper, Politisch-österreichische Umbrüche und ihre Auswirkungen auf die innere Sicherheit in Europa, Polizeiführungsakademie Münster, 1997. 56 Treibenreif Terrorismus - neue alte Bedrohung?, in: GEK aktiv, Nr. 2/2001, S.5. 57 Cas/ Ρeissl/Jochims, Beeinträchtigung der Privatsphäre in Österreich, Studie des Institutes für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2000. 58 World Competitiveness Yearbook 2002, International Institut for Management Development, Lausanne.

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Bevor ich schließe, möchte ich noch ca. 2700 Jahre in die Geschichte zurückgehen und aus den Werken und Tagen von Hesiod 59 zitieren: „Perses, ο mögest Du dieses im Herzen bewahren, Höre immer aufs Recht und übe niemals Gewalttat, denn diesen Nomos erteilte Kronion den Menschen. Bestien zwar und Fische und flügelumspannende Vögel Mögen einander verschlingen, denn die ermangeln des Rechts, Aber den Menschen verlieh er das Recht, Das Höchste der Güter." 60 6 1 Die tragischen Ereignisse des „11.9." und seine Folgen sowie die negativen Auswirkungen der Globalisierung stellen für alle Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung in Bezug auf die Wahrung der vitalen Sicherheitsinteressen der einzelnen Staaten sowie insbesondere der Sicherheitsinteressen der Europäischen Union dar. Doch gerade solche komplexe Aufgaben stellen einen Gradmesser für eine künftige Architektur der polizeilichen Zusammenarbeit dar. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, jedoch müssen wir auch in Zukunft zielstrebig und nachhaltig an diesem Weg festhalten. Ich denke, dabei können uns auch die Erfahrungen der Vergangenheit und die Bewältigung der Gegenwart weiterhelfen. 62

Weiterführende Literatur Ellinger, Alfred: Terror und Terrorabwehr, Wien - Eisenstadt 1990 Hacker, Friedrich: Terror Mythos - Realität - Analyse, Wien - München - Zürich 1973 Irnberger,

Harald: Nelkenstrauß ruft Praterstern, Wien 1981

Kellermann, Klaus: Der Staat lässt morden, Politik und Terrorismus - heimliche Verbündete, Berlin 1999 Möchel, Kid: Der geheime Krieg der Agenten, Spionagedrehscheibe Wien, Hamburg 1997 Pilz, Peter: Eskorte nach Teheran, Wien 1997 59 Hesiod, frühgriechischer Lyriker, lebte etwa zwischen 740 und 670 v.Chr. Hauptwerke „Theogonie" und „Werke und Tage". Zur Rechtsphilosophie von Hesiod siehe insbes. Verdross-Drossberg, Grundlinien der antiken Rechts- und Staatsphilosophie, Wien 1946. 60

Hesiod, Werke und Tage, Vers 274 ff. Der Hinweis auf Hesiod, den ersten Rechtsphilosophen, scheint mir vor allem deshalb wichtig, weil er als erster die Funktion des Rechts betont. 62 Für die Mitarbeit bei der Vorbereitung habe ich Gabriele Rester, Susanne Cekal, Dr. Herbert Anderl, Dr . Franz Juen und Mgr Gerhard Haberler herzlich zu danken. 61

Die Politik der inneren Sicherheit in Österreich Polizei-Führungsakademie

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Münster. Internationaler Terrorismus, Internationales Semi-

nar 18.-20. März 1997, Schlussbericht - Lagebild Innere Sicherheit, Internationales Seminar 8.-10. April 1997, Schlussbericht - Lagebild Innere Sicherheit, Internationales Seminar 28.-30. April 1999, Schlussbericht Purtscheller,

Wolfgang: Delikt: Antifaschismus, Berlin 1998

Schätz, Angelika: Nachrichtendienste in der österreichischen Rechtsentwicklung, Diss., Wien 1999 Volkmar,

Theobald (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur Europäischen Sicher-

heitsunion, Berlin 1997 Waldmann, Peter: Terrorismus, Provokation der Macht, München 1998

5 Pitschas/Stolzlechner

Polizeiföderalismus oder Bundeskriminalpolizei Welche Organisationsstruktur verlangt die künftige polizeiliche Arbeit? Von Jörg Ziercke I. Vorbemerkung Die Fragestellung „Polizeiföderalismus oder Bundeskriminalpolizei?" kann nicht ohne den gesamtpolitischen Rahmen des in Teilen in Verruf geratenen kooperativen Föderalismus in Deutschland erörtert werden. Im organisatorischen Teil ist es vorrangig die Frage nach der Funktion des Bundeskriminalamtes als Zentralstelle in Deutschland. Der Bogen ist allerdings noch weiter zu spannen: Wegen der Globalisierung und Internationalisierung der Kriminalität muss der Blick auf die gesamteuropäische Entwicklung gerichtet werden. Zu fragen ist, ob bei dieser Diskussion um eine neue Sicherheitsarchitektur in Deutschland und Europa der europapolitische Mainstream ausgeblendet werden kann, der die Chance eines vereinigten Europa in der Modernisierung des Föderalismus und im Prinzip der Subsidiarität und Regionalisierung sieht. Ist etwa ein sicherheitspolitischer Sonderweg wegen der internationalen Kriminalitätsentwicklung gerechtfertigt und politisch durchsetzbar? Ich möchte zunächst den politischen Mainstream zur Föderalismusdebatte kurz skizzieren, weil ich glaube, dass auch die sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland und in Europa davon nicht abgekoppelt werden kann. Meinungsbildende Europa-Politiker in Deutschland sehen polyzentrische Strukturen auf Dauer als erfolgreicher an als eine zu starke Zentralisierung. Föderalismus und Subsidiarität stehen ihnen für regionale Identität und Gestaltungskraft, die nicht zentrifugal, sondern integrativ im Verhältnis der Bürger zur EU, aber auch im Verhältnis der Bürger zum Staat wirken. Föderalismus kennt Grenzen der Koordination - auch in Deutschland. Föderalismus lebt in bestimmtem Umfang von Unterschiedlichkeit und soll in Zukunft weit stärker auch als Wettbewerbsföderalismus gesehen werden. Dieses Konkurrenzprinzip kann aber für die Innere Sicherheit nicht sinnvoll sein, weil vertrauensvolle Zusammenarbeit und Abstimmung und nicht Wettbewerb bei gemeinsamen polizeilichen Maßnahmen erforderlich sind. Der Föderalismus wird in der Regel nicht als die willkommene und interessante Vielfalt innerhalb eines größeren, von Solidarität und Vernunft geprägten Gemeinwesens wahrgenommen - eher als leistungshemmender, schwer ver5*

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ständlicher, bürokratischer Kompetenzstreit. Was Föderalismus sein sollte, zu sein vorgibt, ist manchmal nur blinder Provinzialismus. Das Grundproblem ist offensichtlich: Das deutsche föderale System definiert sich vom Bund her, nicht von den Ländern, obwohl die Länder als staatliche Teileinheiten eigentlich die Bausteine jeder Föderation bilden. Manchem mag die deutsche Politik zur Inneren Sicherheit ein Abziehbild des Provinzialismus statt eines anspruchsvollen intelligenten Föderalismus sein. Ich meine, dass die Polizeipolitik in Deutschland bei diesem Vorwurf relativ gelassen bleiben kann. Der Konsens in Fragen der Inneren Sicherheit in Deutschland ist länderübergreifend beachtlich hoch. Herausragende Ereignisse wie der 11. September 2001 haben unter Beweis gestellt, dass der Polizeiföderalismus in Deutschland intelligent gestaltet wird und die Funktionsfähigkeit der Polizeien unter Beweis gestellt hat.

I I . Nationale Kriminalitätsentwicklung und Kriminalitätsfurcht Zunächst erscheint es ratsam, sich auf das eigentliche Ziel der Debatte zu besinnen: Die nationale und internationale Kriminalitätsbekämpfung soll den Menschen Frieden und Zukunftsvertrauen vermitteln und ihnen ein Leben in Würde, in Freiheit und möglichst im Wohlstand ermöglichen. Sicherheit ohne Freiheit und Recht wäre ein menschenverachtendes Konzept. In Deutschland registrieren wir Jahr für Jahr mit ca. 6,3 Millionen Straftaten ein viel zu hohes Niveau an Kriminalität. Nach dem ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung entfallen bei den schwereren Kriminalitätsformen allerdings auf Raub und räuberische Erpressung nur ca. 1 % aller polizeilich registrierten Straftaten, auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 0,1 %, auf Mord/Totschlag 0,05 %. In den letzten drei Jahrzehnten hat weder die im Hellfeld erfasste Opfergefährdung durch Vergewaltigung und sexuelle Nötigung noch durch Mord oder Totschlag zugenommen; dies gilt auch für Sexualmorde an Kindern. Ebenfalls selten wurden von der Polizei Delikte der Wirtschaftskriminalität erfasst (1,8 %), auf die freilich 61 % aller in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Schäden entfielen. Die polizeilich registrierte Kriminalität hat sich, gemessen an der Rate der Straftaten pro 100.000 Einwohner, seit Mitte der fünfziger Jahre etwas mehr als verdoppelt; seit 1996 ist indes ein leichter Rückgang festzustellen. Die langfristige Zunahme polizeilich registrierter Kriminalität beruht weitgehend auf der Entwicklung im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte (ca. 62 % Anteil ), insbesondere im Bereich der Massendelikte wie einfacher Diebstahl (ca. 46 % Anteil), darunter vor allem Ladendiebstahl. Die Vermutung liegt nahe, dass jedenfalls ein Teil dieser Zunahme auf Änderungen im Anzeigeverhalten zurückgeht. Zugenommen haben freilich auch Gewaltdelikte, nämlich Körperverletzung und Raub. Die objektive Kriminalitätslage ist besser als das Krimi-

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nalitätsbild, das durch die Vielzahl aufsehenerregender Einzelfalldarstellungen in den Medien entsteht. Weit über 90 % dieser Delikte werden von den Bürgerinnen und Bürgern angezeigt, nicht von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Über 80 % der jährlich ermittelten 3,1 Millionen Tatverdächtigen stammen aus dem lokalen und regionalen Bereich, verüben also quasi ihre Straftaten um die Ecke, sozusagen im „eigenen Zuständigkeitsbereich". Dennoch ist das positive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mit über 80 % im eigenen Wohnumfeld am stärksten ausgeprägt. Die Polizei genießt in den Augen der Bevölkerung nach allen Umfragen ein sehr hohes Ansehen. Diese objektiven Befunde gilt es in der Debatte zur Organisation der Kriminalitätsbekämpfung festzuhalten: Lokale und regionale Kriminalitätsbekämpfung, dezentral und bürgernah organisiert, machen für über 80 % aller Kriminalitätsdelikte nicht nur Sinn, sie stabilisieren auch die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu diesem Staat und zu seiner Polizei. Sinnvolle Präventionsarbeit ohne Bürgernähe ist nicht möglich. In allen Staaten Europas ist die bürgernahe Polizeiarbeit und Kriminalitätskontrolle ein Eckpfeiler der Sicherheitsphilosophie. Die Aufklärung der genannten Straftaten erfolgt durch Polizeibeamte vor Ort, nicht durch Zentralstellen oder überregional tätige Einsatzkommandos. Zentralstellen klären keinen Fall in kriminalistischer Kleinarbeit bis zur Beweisführung vor Gericht, sie liefern aber den roten Faden zur Tataufklärung und Beweisführung durch die Analyse von Tatzusammenhängen, die lokal oder regional nicht erkannt werden können. Detektivische Aufklärungsarbeit leistet vor allem der Polizeibeamte vor Ort. Auf Bundesebene gibt es dazu nach meiner Überzeugung keine zentralistisch sinnvolle Organisationsalternative. Bedeutsam für die Organisationsdebatte ist auch die Feststellung, dass wir für einen beachtlichen Teil der Gesamtkriminalität von einem kriminalgeografischen Raum Europa ausgehen müssen, in dem Deutschland als Zentrum eines europäischen Binnenmarktes eine besondere Rolle spielt. In diesen Raum müssen die Staaten Mittel- und Osteuropas einbezogen werden. Die Aufgabe, innere Sicherheit zu gewährleisten, hat in diesem europäischen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts ihren ausschließlich nationalstaatlichen Charakter verloren. Dies gilt vor allem mit Blick auf alle Kriminalitätsfelder der Organisierten Kriminalität einschließlich der Betrugs- und Wirtschaftskriminalität. Experten sehen in den nächsten Jahrzehnten insbesondere in der legalen und illegalen Migration und den sich daraus ergebenden sozialen Folgen die größten Herausforderungen für die Sicherheitslage in Europa und in Deutschland. Wie lautet nun die organisatorische Bestandsaufnahme zur Kriminalitätsbekämpfung und damit zur Sicherheitsarchitektur auf der nationalen Ebene?

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I I I . Kooperationsverbund der Sicherheitsbehörden Die Arbeit des Bundeskriminalamtes ist vorrangig geprägt durch eine organisatorische, fachliche und personelle Konzentration auf die Kooperation mit allen nationalen und internationalen Zentralstellen. Diese Zusammenarbeit der nationalen Sicherheitsbehörden hat im Laufe der letzten 30 Jahre deutlich zugenommen. So ist zum Beispiel der Zoll intensiv in die Rauschgiftbekämpfung, die Bekämpfung des illegalen Technologietransfers, des illegalen Waffenhandels, der international organisierten Geldwäsche, der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und der illegalen grenzüberschreitenden Abfallbeseitigung gesetzlich einbezogen worden. Der Zoll hat insbesondere mit den Länderpolizeien über 30 sogenannte Gemeinsame Ermittlungsgruppen (GER) zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in Deutschland gebildet und sich zusätzlich an Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppen (GEF) zur Bekämpfung der Geldwäsche beteiligt. Das Zollkriminalamt hat mit dem Bundeskriminalamt eine gemeinsame Grundstoffüberwachungsstelle zur Kontrolle chemischer Substanzen für die Drogenherstellung gebildet. Der Bundesnachrichtendienst ist neben den klassischen Bereichen der Spionage und des Extremismus auch zuständig geworden für die Sammlung von Nachrichten über den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Kriegswaffen, den illegalen Technologietransfer sowie die internationale organisierte Rauschgiftbekämpfung und Geldwäsche. Der Bundesgrenzschutz hat seinen fachlichen Aufgabenbereich mit der Bahnpolizei, der Luftsicherheit und der Strafverfolgung in bestimmten Bereichen deutlich erweitert. Neu sind die Kooperationsabkommen der Länderpolizeien mit dem BGS und auch die gemeinsamen Ermittlungsgruppen zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität zwischen dem BGS und den Landeskriminalämtern zum Beispiel in Berlin, Sachsen und dem Saarland. Deutlich wird daraus, nicht die Länderpolizeien mit ihren Landeskriminalämtern oder das Bundeskriminalamt allein sind für die Qualität und Effektivität der Bekämpfung schwerster Kriminalitätsformen verantwortlich, sondern ein gemeinsames, abgestimmtes Wirken ist für alle Sicherheitsbehörden von immer größerer Bedeutung. Dem institutionalisierten Informationsaustausch, gemeinsamen Lagebildern und gemeinsamer Intelligence-Arbeit kommt eine immer größere Bedeutung zu. Probleme dürfen allerdings nicht verschwiegen werden: Doppelarbeit und Überschneidungen in der Aufgabenerledigung müssen vermieden und Synergieeffekte noch stärker genutzt werden. Die organisatorische Bewertung der neuen Kooperationsformen von BKA, BND, Zoll und BGS zeigt, das Anpassung und Flexibilität im Hinblick auf die Internationalisierung der Kriminalität nicht vernachlässigt worden sind. Natürlich muss man die Frage stellen, ob dieser Aufgabenverbund der Sicherheitsbehörden nicht besser in einer zentralen Behördenstruktur organisiert werden sollte.

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IV. Bundessicherheitsamt als neue Sicherheitsagentur? Die Idee eines Bundessicherheitsamtes als neue Institution, das die staatsschutzrelevanten Aufgaben von BND, BfV, LfV und BKA bündelt, oder das Modell einer Bundeskriminalpolizei als Behörde, die die kriminalpolizeilichen Kompetenzen von BKA, BGS und Zoll zusammenführt, wurden nach dem 11. September 2001 öffentlich diskutiert. Unbeantwortet blieb bei beiden Modellen allerdings, was die Herauslösung von Teilfunktionen aus dem umfangreichen Aufgaben- und Informationsverbund von BND, BfV, BGS, Zoll und BKA für die bestehen bleibenden originären Aufgaben dieser Behörden bedeutet und welche neuen Schnittstellen entstehen, vor allem mit welchen Konsequenzen. Erst dieser Saldo würde den Mehrwert einer organisatorischen Konzentration in einer neuen Sicherheitsbehörde verdeutlichen. Die pauschale Kritik, dass Doppel- und Parallelzuständigkeiten bestehen, halte ich für falsch, da die Zuständigkeiten sich aus der spezifischen gesetzlichen Aufgabenzuweisung ableiten, die nicht ein- und denselben Sachverhalt regeln. Dem Umstand, dass sich kriminelle Aktivitäten von bestimmten Organisationen oder Personen auf unterschiedliche Lebenssachverhalte erstrecken, sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Dies erfordert eine rechtzeitige und behördenübergreifende Koordination aller betroffenen Sicherheitsspezialisten. Das gilt für jede Organisationsform. Letztlich geht es um die Zusammenführung von Informationen zu kriminellen Aktivitäten, zu Netzwerken und ihren Strukturen, zu Personen und Sachverhalten. Es geht, wie schon angedeutet, um Intelligence-Arbeit. Die Antwort nach dem 11. September lautete: Mit einem institutionalisierten Informationsboard, an dem alle Sicherheitsbehörden unter der Leitung des BKA beteiligt sind, ist ein behördenübergreifendes Instrument geschaffen worden, das Kooperation und Koordination in Deutschland zwischen allen Sicherheitsbehörden des Bundes und bei Bedarf auch mit den Ländern ermöglicht, ohne rechtsstaatliche Grundsätze in Frage zu stellen. Diesem Informationsboard könnte man eine gesetzliche Verbindlichkeit geben. Die Verfechter der Idee eines Bundessicherheitsamtes rudern inzwischen zurück. Laut Frankfurter Rundschau vom 9. Juli 2002 wird nunmehr die Stelle eines Sicherheitsberaters der Bundesregierung vorgeschlagen, der direkt dem Chef des Bundeskanzleramtes oder dem Bundesinnenminister unterstellt werden sollte. Der Sicherheitsberater soll die Tätigkeiten des BND, des BfV und des BKA in Staatsschutzfragen koordinieren. Ziel ist es, ein Gesamtbild insbesondere des islamistischen Terrorismus ohne Bruchstellen durch Quellenschutz der Nachrichtendienste, Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz, Legalitätsprinzip der Polizei und föderale Strukturen der Ermittlungsbehörden zu erstellen. Eine Datenbank „Islamistischer Terrorismus" soll von den Sicherheitsbehörden in Deutschland gefüttert werden. Diese will der Sicherheitsberater der Bundesregierung als Koordinationsmedium nutzen. Meines Erachtens macht eine operationalisierbare Datenbank nur auf europäischer Ebene unter

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Anbindung an Europol Sinn. Ein neuer Sicherheitsberater ist dafür nicht erforderlich. Die Kooperationsstrukturen der Sicherheitsbehörden in Deutschland haben sich nach dem 11. September bewährt. Als der Verstärkung bedürftig hat sich vielmehr der europäische Informationsverbund erwiesen. V. Einsatz der Bundeswehr im Innern? Im Bundestagswahlkampf 2002 ist die Forderung nach einer Grundgesetzänderung im Hinblick auf den Einsatz der Bundeswehr im Innern erneut laut geworden. Weil zwischen innerer und äußerer Sicherheit angeblich nicht mehr klar genug unterschieden werden kann, wird der Einsatz der Bundeswehr zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit in Deutschland gefordert. Die traditionelle Sicherheitsarchitektur sei fragwürdig geworden. Falls die Notfallvoraussetzungen nach Art. 35 GG nicht vorliegen, die ohnehin nur ein schlicht hoheitliches Handeln erlauben, sieht das Grundgesetz im Verteidigungs- und Spannungsfall nach Art. 87 a Abs. 3 GG für die Streitkräfte die Befugnis des Objektschutzes und der Verkehrsregelung vor. Beide Notstände wurden nach dem 11. September 2001 aber nicht festgestellt. Die Feststellung des Bündnisfalles entsperrt zwar nach Art. 80a Abs. 3 GG einige Notstandsgesetze, jedoch nicht die Bestimmungen zum Objektschutz und zur Verkehrslenkung. Es bleibt daher die verfassungsrechtlich hohe Hürde des Art. 87 a Abs. 4 GG als Fall des inneren Notstandes zum Schutz ziviler Objekte durch die Bundeswehr und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer, wenn eine drohende Gefahr für ein Land oder den Bund besteht, diese die Gefahr nicht selbst abwenden können und die verfügbaren Polizeikräfte und der Bundesgrenzschutz zur Bekämpfung der Gefahr nicht ausreichen. Der Einsatz der Bundeswehr soll nach dem Willen der Verfassung nur ultima ratio sein. Ich denke, wir sind gut beraten, es dabei auch zu belassen und nicht eine fiktive Gemengelage zwischen äußerer und innerer Sicherheit herbeizureden, die auch nach dem 11. September 2001 klar getrennt war. VI. Exkurs: Neue Sicherheitsarchitektur - Bekämpfung der organisierten Kriminalität durch Nachrichtendienste? Zur Debatte um eine neue Sicherheitsarchitektur in Deutschland gehört seit einigen Jahren auch das besonders schwierige Feld der gemeinsamen Bekämpfung der Organisierten Kriminalität durch die Nachrichtendienste und die Polizei. Die organisatorische Karte ist wegen des Trennungsgebotes von Verfassungsschutz und Polizei in Deutschland jedoch nie offen gezogen worden. Richtig ist aber, dass sich Aufgaben- und Zuständigkeitsüberschneidungen in der Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und Polizei bei der Beobachtung des Links- und Rechtsextremismus, der Beobachtung des Terroris-

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mus, auf dem Feld der Spionage- und Sabotageabwehr sowie bei der Überwachung des Ausländerextremismus finden. Dies gilt aber auch für die Deliktsfelder der Waffenkriminalität, des illegalen Technologietransfers und in Einzelfällen auch für Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität. Die Tätigkeiten der Nachrichtendienste im Rahmen der vorhandenen Schnittmengen wären mit der neuen Dimension des nachrichtendienstlichen Kontrolleingriffs in das System der Bekämpfung der gesamten Organisierten Kriminalität (OK) nicht vergleichbar. Die Eindringtiefe der Nachrichtendienste in legale gesellschaftliche Strukturen wäre zur Aufklärung von Bestrebungen der OK, die als oligopolistische Netzstrukturkriminalität anzusehen ist, beliebig groß und ubiquitär. Die gesamte deliktische Breite des Strafgesetzbuches wäre von Bedeutung. Mit der Zusammenarbeit im Rahmen der klassischen Staatsschutzkriminalität hätte dies nichts mehr zu tun. Aus der in Deutschland akzeptierten Definition von OK leiten sich strategische Aufklärungsansätze der Polizei ab, die die neue Qualität der Kriminalitätskontrolle durch Nachrichtendienste erahnen lassen. Organisierte Kriminalität hat eben keine gemeinsame Ideologie, sondern ist eine strukturelle Beschreibung für eine große Vielfalt von deliktischen Erscheinungsformen. Ihr ausschließliches Ziel ist die Gewinn- und Profitmaximierung. Die Jahressumme der Verfahren zur Organisierten Kriminalität weist heute in Deutschland bis zu 280 000 Einzelstraftaten aus. Der Verfassungsschutz wäre auf die gesamte Informationsübermittlung der Polizei angewiesen. Nur so könnte er kriminelle Strukturen, die durch ein Frühwarnsystem aufgeklärt werden sollen, tatsächlich erfassen. Er müsste Zugriff haben auf die Informationssammlungen der Polizei, insbesondere die bundesweiten Falldateien und Meldedienste, müsste diese analysieren und für seine Zwecke der Aufklärung der Organisierten Kriminalität bewerten. Dies dürfte auch nicht ohne Rückwirkung auf den Kernauftrag des Verfassungsschutzes sein. Ein so hoher Grad an informationeller Verflechtung mit der Polizei hat zwangsläufig Auswirkungen für alle Tätigkeitsfelder. In Verbindung mit der Freistellung vom Strafverfolgungszwang für die Verfassungsschutzbehörden und der Möglichkeit des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel, bei denen kein Richtervorbehalt gegeben ist, führt eine solche Zusammenarbeit in der Praxis faktisch zu einem Austausch der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz. Dort wo die Polizei sich durch Staatsanwalt oder Richter in ihren Ermittlungsüberlegungen gehindert sieht oder wo die Schwelle des Anfangsverdachtes noch nicht erreicht ist, könnte der Verfassungsschutz mit seinen nachrichtendienstlichen Mitteln einspringen. Hinsichtlich des fehlenden Abhängigkeitsverhältnisses des Verfassungsschutzes von der Justiz ist auch anzumerken, dass die justitielle Kontrolle der Polizei zu den Eckpfeilern unserer Rechts- und Verfassungsordnung gehört.

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V I I . Polizeiföderalismus aus der Sicht der Zentralstelle Der Schwerpunkt der zukünftigen Polizeikooperation in Deutschland liegt eindeutig im Bereich der polizeilichen Informationsverarbeitung durch die Zentralstellen. Dem Bundeskriminalamt wächst hier mit dem neuen strategischen Führungs- und Informationssystem INPOL, das als Informationsbasis die Fall- und Personendaten der Vorgangsbearbeitungssysteme der Länder aufnimmt, eine immer größer werdende Bedeutung zu. Die Kooperation zwischen BKA, LKÄ, ZKA und GSD verlangt Intelligence-Arbeit auf hohem Niveau. Herkömmliche gemeinsame Lagebilder z. B. zur Organisierten Kriminalität werden zukünftig von Analysen zu kriminellen Netzwerken, Täterstrukturen, illegalen Handels-, Waren- und Geldströmen abgelöst. Die Analysearbeit muss eine deutliche operative Ausrichtung erhalten, um erkannte Ermittlungsansätze zur Initiierung von eigenen oder Ermittlungsverfahren auf Länderebene umzusetzen. Der Bedarf nach kooperativer Abstimmung zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland wird daher weiter anwachsen. Durch frühzeitige Kontaktaufnahme müssen die Auswerteprojekte abgestimmt und die Mitwirkung in den Analyseprojekten durch Bildung gemeinsamer Auswerteteams verabredet werden. Die Informationstechnik macht es möglich: Ermittlung und Auswertung rücken wieder näher zueinander. Information ist ihrem Wesen nach grenzenlos. Starre Organisationsgrenzen heutiger Art können und müssen überwunden werden. Nicht die Aufbauorganisation steht im Vordergrund, sondern die Prozessabläufe der Ablauforganisation und damit die Aufgabenerledigung selbst. Dies ist auch eine neue Chance für den kooperativen und intelligenten Polizeiföderalismus. Durch die Verfügbarkeit des Datenzugriffs vor Ort kann der polizeiliche Sachbearbeiter bis zu einem gewissen Grade selbst überregionale Kriminalitätszusammenhänge erkennen. Eine gewisse Zurückverlagerung von den Zentralstellen auf die Ermittlungsdienststellen wird also möglich sein. Dadurch entsteht auch eine Entlastung der Zentralstellen. Für den Bereich der die Länder übergreifenden und internationalen Kriminalität sind aber die Zentralstellen nötiger denn je. Ihre neuen Perspektiven bestehen in der internationalen Wechselbeziehung zwischen Analyse, Auswertung und Ermittlungsarbeit. Informationsprozesse auf internationaler Ebene sollen durch Technik innerhalb von Sekunden möglich werden.

V I I I . Neue Technologien und Polizeiföderalismus Analysiert man die Chancen des Polizeiföderalismus in Deutschland unter dem Aspekt der neuen Technologien, so kommt man zwangsläufig zum bereits erwähnten Informationssystem der deutschen Polizei INPOL. Für mich ist die Entwicklung dieses Systems bereits seit den 70iger Jahren das klassische Bei-

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spiel für Provinzialismus statt Föderalismus. Alle Länder und der Bund sind ihre eigenen Wege gegangen, obwohl Polizeiarbeit strukturell überall gleich gesehen und ausgeübt wird. Zwangsläufige Folge einer unterschiedlichen EDVPhilosophie waren unterschiedliche Systeme und Vorstellungen, die sich heute in überzogenen Forderungen an ein Zentralsystem auswirken, dessen Entwicklung jetzt erst langsam wieder an Fahrt gewinnt. Versäumt wurde vom Bund eine finanzielle Vorleistung für die deutsche Polizei in technischer Hinsicht, der sich alle hätten anschließen müssen. Eine ähnliche Entwicklung sehe ich für den bundesweit erforderlichen digitalen Bündelfunk voraus. Der Digitalfunk soll nach unterschiedlichen Schätzungen in Deutschland zwischen 6 bis 7 Milliarden Euro kosten. Bund und Länder sollen sich diese Kosten teilen. Auf Länderebene sollen die Kommunen wegen der Rettungsdienste und Feuerwehren an den Kosten beteiligt werden. Da die Finanzministerkonferenz die Etatreife anzweifelt, kommt das Projekt nicht in Fahrt. Niemand weiß, wie die Länder die unvorstellbar hohen Summen aufbringen sollen. Der Bund verhält sich, so möchte man zuspitzen, so provinziell wie ein 17. Land. Große Länder deuten eigene Wege bereits an. Hier wünscht man sich die Führungsstärke einer Zentralgewalt, deren Ziel es ist, den Föderalismus als Prinzip zu stärken. Lassen Sie mich neben dem Digitalfunk noch einige Beispiele zur kriminalistischen Beweiserhebung nennen, um die enorme finanzielle Dimension dieses technologischen Wandels anzudeuten: Als neue Technologien für die Kriminalitätsbekämpfung gelten die Maßnahmen der elektronisch-akustischen Beweissicherung (ζ. B. im Rahmen des sogen. „Lauschangriffs" in und außerhalb von Wohnräumen), die mobile Bildübertragung (ζ. B. die Bildübertragung bei der Tatortarbeit und kriminaltechnischen Spurenauswertung, auch bei der Zielfahndung oder bei Einsätzen von Identifizierungskommissionen) und natürlich ein europaweites Bild-Fahndungssystem. Im Internetzeitalter stellt die technische Auswertung elektronischer Spuren auf Datenträgern (ζ. B. in Bilddateien) oder die gezielte Selektion von Massendatenbeständen zur Beweissicherung die polizeilichen Dienststellen vor Ort im Rahmen der Alltagskriminalität vor ungelöste Probleme. Hier ist die Unterstützung von Zentralstellen dringlich. Auch kostenträchtige molekulargenetische Verfahren wie die DNA-Analyse überfordern ein System von Parallellösungen schon heute. Ferner sollen geografische Informationssysteme und neue Sicherungstechnologien wie ζ. Β die elektronische Aktivierung von Wegfahrsperren bei KfzDiebstählen die polizeiliche Fahndung erleichtern. Die Anforderungen im elektronischen Geschäftsverkehr werden weiter wachsen. Die sichere Gestaltung der digitalen Signatur auch mit biometrischen Identifizierungssystemen soll im (digitalen) elektronischen Geldverkehr eine Antwort auf neue Kriminalitätsphänomene sein.

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Fazit: Neue Technologien werden ohne Zweifel erhebliche Auswirkungen auf die Kriminalitätsentwicklung und auf die Standards der kriminalistischen Beweiserhebung in Deutschland und Europa und damit auf die Ressourcen der Polizeien in Bund und Ländern haben. Die Bedeutung von Zentralstellen wird in diesem Zusammenhang weiter wachsen, da das Ziel eindeutig zu definieren ist: Wir benötigen eine rechtzeitige Analyse sowohl des kriminogenen Potentials dieser technologischen Entwicklungen als auch die Entwicklung von Gegenstrategien und entsprechenden Handlungskonzepten. Dazu bedarf es auf europäischer Ebene auch der Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit bei der technischen Forschung und dem Aufbau eines Wissensmanagements. Diese Aufgaben müssen von zentraler Stelle geleistet werden. Alles andere wäre Doppelarbeit und Ressourcenvergeudung.

IX. Europäische Justiz: Die neue kriminalstrategische Perspektive? Die organisatorische Betrachtung der kriminalpolizeilichen Zentralstellen reicht allein nicht aus. Dies wäre nicht zukunftsorientiert. Überfällig ist eine Neuausrichtung der justitiellen Erkenntnisperspektive. Die Justiz muss, wenn sie die Strategie der Kriminalitätskontrolle in Deutschland und Europa mitbestimmen und nicht hemmen will, weg vom Denken in Einzelfällen und Einzelfallerledigungen, hin zur deliktsübergreifenden Betrachtung von Tatzusammenhängen und von personellen kriminellen Netzwerken. Die Justiz hat hier ein klar erkennbares strategisches Defizit. Trotz ihrer ständig beschworenen Sachleitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren ist sie nicht in der Lage, solche viel weitergehenden Ambitionen und Verantwortlichkeiten umzusetzen. Dies liegt sicherlich zum Teil an der juristischen Ausbildung ohne kriminalstrategische Führungsinhalte und an der getrennten Ausbildung von Staatsanwälten und Polizei- bzw. Kriminalräten in Deutschland. Selbst der von der Justiz gewünschte Zugriff auf die Informationssysteme der Polizei würde keine wesentliche Veränderung bringen, wenn die strukturellen Defizite bestehen bleiben. Die zurückhaltende Bereitschaft der Justiz bei der Erstellung gemeinsamer Lagebilder zur Organisierten Kriminalität in vielen Ländern zeigt den strategischen Mangel deutlich genug. Auf europäischer Ebene sind andere Signale gesetzt. Der Nationalstaat ist gezwungen, zur Gewährleistung jedenfalls des unverzichtbaren Minimums an Effizienz bei der Bekämpfung einer die EU selbst treffenden Kriminalität gewisse Befugnisse an supranationale Institutionen abzugeben. Daher ist neben dem bereits eingerichteten europäischen justitiellen Netz und Eurojust ein europäischer Staatsanwalt in der Diskussion. Das Spannungsverhältnis ist gewaltig: Die Autonomie der Rechtssysteme der Mitgliedsstaaten und ihrer regionalen Untergliederungen sollen nicht unnötig eingeschränkt werden. Eine Zwangsharmonisierung als Konzept wäre wohl zum Scheitern verurteilt. Wich-

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tig ist vor allem die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen einschließlich der dafür erforderlichen Angleichungen der Rechtsvorschriften und Mindestnormen. Die justitielle Zusammenarbeit muss auf ein der polizeilichen Zusammenarbeit vergleichbares Niveau gebracht werden. Andernfalls ist es nicht möglich, die polizeiliche Zusammenarbeit ohne Verzerrungen im europäischen System weiter zu fordern. Ein maximaler Synergieeffekt bei der Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden ist daher anzustreben. Eine größere Legitimität der polizeilichen Ermittlungen durch eine hoch angesetzte justitielle Prüfung sorgt für Verfahrenssicherheit als Voraussetzung für justitielle Effizienz. Daher ist eine frühe Konsultation der Justiz erforderlich. Dies gilt insbesondere bei der strategisch-operativen Abstimmung (z. B. TKÜ, Durchsuchungen, elektronisch-akustische Überwachung) und wegen der unterschiedlichen nationalen justitiellen Systeme und Rechtsanwendungen. Die Disparität der europäischen Rechts-, Gesetzes- und Verfahrensordnungen ist nun einmal schlicht und einfach Realität. Ein Grundkonsens über die Reichweite von Tatbeständen wie des Kriminalrechts insgesamt ist in Europa nicht absehbar. Hinzu kommt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die verschiedenen Grundstrukturen, die durch Legalitätsprinzip oder Opportunitätsprinzip, inquisitorische Gestaltung oder Parteienausrichtung des Verfahrens oder Mischungen aus denselben geschaffen wurden, als gleichermaßen mit den im Europäischen Grundrechtekatalog enthaltenen Wertungen für vereinbar hält. Die Europäisierung des Strafverfahrens präsentiert sich europaweit überwiegend als Verpolizeilichung des Strafverfahrens - eine wirksame Kontrolle insbesondere der europäischen polizeilichen Kooperation ist kaum zu erkennen.

X. Organisation der Kriminalitätsbekämpfung in Deutschland Die internationale europäische Kriminalitätsszene wird nach Auffassung aller Experten auch in der Zukunft von Drogenhandel, der Organisierten Wirtschaftskriminalität, dem Menschenhandel, der Schleusungskriminalität, der Kfz-Verschiebung, dem Waffenhandel, der Korruption, dem Terrorismus und der Geldwäsche gekennzeichnet sein. Gestützt wird diese Prognose durch die Vereinten Nationen, durch Interpol, die Weltzollorganisation, die G-8-Gruppe, eine Arbeitsgruppe der Weltwirtschaftsgipfelstaaten, die Baltic Sea Task Force, die Dublin-Gruppe, auch durch den Europarat und den Ostseerat. Insgesamt sind es fast 140 internationale Gremien, die auf diesem Feld Initiativen entwickelt haben. Die Globalisierung der grenzüberschreitenden und internationalen Kriminalität hat für die deutsche kriminalpolizeiliche Organisation strukturelle Konse-

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quenzen. Die Zentralstelle Bundeskriminalamt muss sich stärker denn je auf den notwendigen europäischen Informationsverbund mit Interpol und Europol und eventuell zukünftig mit einer Europäischen Staatsanwaltschaft konzentrieren. Dazu halte ich im Wesentlichen folgende Differenzierung für sinnvoll: Konzentration der Zentralstelle Bundeskriminalamt - neben den bereits zugewiesenen originären Ermittlungskompetenzen - auf den Informations· und Analysebereich zur Kriminalitätsbekämpfung unter Kooperation mit allen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder; Zentralstelle Bundeskriminalamt als Ansprechstelle für Europol und die Europäische Staatsanwaltschaft bei internationalen Ermittlungen; Erweiterung der eigenständigen Ermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes im Rahmen der Erweiterung der Ermittlungskompetenz von Europol und Europäischer Staatsanwaltschaft. Um diese Optionen ausfüllen zu können, muss sich das Bundeskriminalamt im föderativen europäischen Polizeisystem auf die nationalen Funktionen der Auswertung unter starker Einbindung der Länderpolizeien, der Serviceleistung auch in Form der Unterstützung mit Spezialisten und als Scharnier- und Koordinierungsfunktion bei der internationalen Zusammenarbeit verstehen. Dem Bundeskriminalamt kommt - ohne im organisatorischen Sinne eine Bundeskriminalpolizei zu sein - eine deutliche Initiativ- und Führungsrolle hinsichtlich konkreter kriminalpolizeilicher Bekämpfungskonzepte auf nationaler und internationaler Ebene zu. Der Informationsauftrag steht dabei im Mittelpunkt. Die kriminalpolizeiliche Auswertung wird zukünftig immer bedeutsamer, da die Vorgangsbearbeitungssysteme der Länder als integraler Bestandteil von INPOL einen Informationsschub zur Folge haben werden, der für die Analyse der Kriminalität eine neue Qualität bedeuten wird. Das Verdichten der Informationen muss auch durch aktive Informationsbeschaffung durch das BKA selbst erfolgen. Das Fazit lautet: Das B K A muss sich noch mehr von einer Zentralstelle für die Abwicklung des polizeilichen Dienst- und Rechtshilfeverkehrs mit dem Ausland hin zu einer proaktiven Analysezentrale mit Initiativfunktion bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität weiterentwickeln. Dazu passt aus föderaler Sicht der Direktverkehr der Länderpolizeien mit dem benachbarten Ausland durchaus. In Anbetracht offener Grenzen und zunehmender Kooperationsnotwendigkeiten ist dies offenkundig. Jede Zentralstelle wäre überfordert, wollte sie allein diesen polizeilichen Geschäftsverkehr kanalisieren. Natürlich müssen die wesentlichen Informationen zur Kriminalitätslage zentral gesichtet und bei Bedarf abrufbar gespeichert werden.

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XI. Exkurs: Europäische Strategieentwicklung zur Bekämpfung der Kriminalität - auch Interpol und Europol im Wandel Auch Interpol und Europol sind von diesem Strategiewandel erfasst. Das Erscheinungsbild moderner gefährlicher Kriminalität manifestiert sich in kriminellen Banden, die sich zu hierarchisch straff geführten oder netzwerkartig verflochtenen Organisationen entwickeln, international agierende kriminelle Großkonzerne mit Subunternehmern und Produktionsstätten fur illegale Güter darstellen, sich moderner Telekommunikationssysteme, Transportmöglichkeiten und global tätiger Banken bedienen. Für Interpol als Dach der weltweiten Vernetzung der Polizeibehörden von zurzeit 178 Mitgliedsstaaten erfordert dies den strategischen Übergang von der bloßen Nachrichtenzentrale zur fundierten Analysearbeit. Dies schließt eigene Intelligence-Arbeit durch polizeiliche und zivile Analytiker und die Verbindung der nationalen weltweiten Informations- und Analysesysteme der Sicherheitsbehörden ein. Es verwundert daher nicht, dass auch der Direktor von Europol der Meinung ist, dass dieses Szenario den Übergang von der bloßen Unterstützungsfunktion der Zentralstelle zu einer Zentralstelle mit operativen, später auch eventuell mit exekutiven Aufgaben impliziert. Europol wird in Zukunft eine stärkere aktive Rolle durch das operative Einwirken auf konkrete Ermittlungen übernehmen. Zentralstellen müssen weg von der bloß reaktiven Rolle und hin zu einer proaktiven Funktion. Gemeint ist die Gewinnung, Übermittlung und Verwertung von Informationen durch Intelligence-Arbeit sowie die Umsetzung in Ermittlungsund andere operative oder eventuell exekutive Maßnahmen mit einem multiagency-Ansatz, bei dem die verschiedenen Sicherheitsbehörden informationell zusammenwirken. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Zoll, Kriminalpolizei, Grenzbehörden, Finanzpolizei und Nachrichtendiensten fließen in die Analysearbeit ein. Analytiker müssen zu aktiven Partnern bei internationalen Ermittlungen werden. Dieser Paradigmenwechsel zu einer internationalen Ermittlungsbehörde ist, wie schon beschrieben, nicht ohne die Justiz denkbar. Diskutabel erscheint als erster Schritt zu begrenzten exekutiven Befugnissen von Europol die Übertragung von EU-spezifischen Ermittlungen im Zusammenhang mit Fälschungen des Euro, von Straftaten zum Nachteil der EU sowie von Straftaten aus der EU zum Nachteil von Drittstaaten (ζ. B. illegale Mülltransporte). Dabei müssen aber notwendigerweise die parlamentarische Kontrolle, die gerichtliche Kontrolle und die Kontrolle durch den Datenschutz gewährleistet werden. Der bereits vollzogene Aufbau der EU-Behörde OLAF zur Verfolgung gemeinschaftsbezogener Betrugs- und Korruptionsstraftaten mit zukünftig eventuell eigenständigen exekutiven Befugnissen, die von einem Europäischen Finanzstaatsanwalt ausgeübt werden, wäre ein erster qualitativer Schritt.

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Die Europäisierung der Polizeiarbeit ist auch Grundlage fur das Netzwerk der Europäischen Polizeiakademien, das seine Arbeit bereits aufgenommen hat. Ferner ist der Ausbau des Systems der Verbindungsbeamten der einzelnen Staaten untereinander, auch mit bilateralen Schwerpunkten, ein wichtiger Beitrag zur Steigerung der Effektivität der europäischen Kriminalitätsbekämpfung.

X I I . Europäische Polizeioperationen: Task Force der Europäischen Polizeichefs als vorläufige Zukunftsperspektive? Die Antwort auf die föderalistische Polizeistruktur auf europäischer Ebene ist derzeit eine Task Force der Europäischen Polizeichefs, eingerichtet durch Beschluss der EU auf dem Innen- und Justizgipfel in Tampere 1999, die vorrangig operative Polizeimaßnahmen zügig beschließen und durch konkrete exekutive Aktionen insbesondere zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in den Mitgliedsstaaten umsetzen soll. Organisatorisch werden hier die Spitzen der nationalen Polizeien zusammengeführt, die mit entsprechender Anordnungskompetenz Beschlüsse unmittelbar in den Polizeiapparaten umsetzen können. Die Maßnahmen der Task Force dokumentieren sich in einer Vielzahl von operativen bi- und multilateralen Aktionen mit konkreten Festnahmeerfolgen gegen Schleuser, Drogen- und Frauenhändler in ganz Europa. Sie verdeutlichen gleichzeitig den beachtlichen kriminalpolitischen Konsens der polizeilichen Praktiker auf europäischer Ebene.

X I I I . Schlussbemerkungen Ich hoffe, dass meine Antwort auf die Frage „Polizeiföderalismus oder Bundeskriminalpolizei in Deutschland?" deutlich geworden ist: Das Bedürfnis nach Sicherheit wird in Zukunft zunehmend stärker europäisch und weniger national definiert werden. Deutscher und europäischer Föderalismus und Regionalismus gehören daher insbesondere in der Kriminalitätsbekämpfung zusammen. Die nationale polizeiliche Organisationsstruktur kann nicht ohne Europa gedacht werden. Zentral überbordende Zuständigkeiten und Kompetenzen einer Zentralstelle werden der Kriminalitätsbekämpfung insgesamt weder qualitativ noch quantitativ gerecht. Der Botenstoff der Zentralstellen ist die veredelte Information. Diese ist bei entsprechender technischer Ausstattung von überall her abrufbar. Die qualifizierte Kriminalitätsanalyse durch Intelligence-Arbeit ist daher das eigentliche Produkt von Zentralstellen. Sie liefern die kriminalistischen Mosaiksteine und das Muster für die detektivische Arbeit der Kriminalisten vor Ort. In Deutschland brauchen wir daher keine allzuständige Bundeskriminalpolizei, die den organisatorischen und fachlich sinnvollen Verbund von Schutz-

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und Kriminalpolizei in den Ländern auflösen würde und sich als bundesweite Ermittlungsinstanz zur Kriminalitätsbekämpfung verstehen müsste. Dies würde der bürgernahen präventiven und repressiven Bekämpfung von über 80 % der Kriminalitätsfälle, der Entwicklung von Polizeiarbeit hin zu spezifischen Formen des Community Policing und von Police-Private-Partnership in den Ländern nicht gerecht. Wir haben bereits eine Bundeskriminalpolizei mit der Institution des Bundeskriminalamtes. Dieses Instrument gilt es angemessen auszubauen. Der Wandel aller Zentralstellen zur Intelligence-Arbeit mit zusätzlichen Informations- und begrenzten Ermittlungszuständigkeiten in herausragenden grenzüberscheitenden Kriminalfällen ist der richtige Ansatz. Dies gilt in besonderer Weise für Europol und die Entwicklung der europäischen Strafverfolgungspraxis durch die Justiz. Der europäische Ansatz muss daher darin liegen, sich in erster Linie grenzüberschreitender Phänomene anzunehmen, die sich einer Regelung der Mitgliedsstaaten entziehen. Die Task Force der Europäischen Polizeichefs könnte bei Konzentration auf das operative Geschäft die Keimzelle einer effektiven supranationalen europäischen Polizei werden. Dazu sind aber einheitliche Definitionen für kriminelle Verhaltensweisen erforderlich. Dies gilt insbesondere für den Terrorismus, die Organisierte Kriminalität, die Korruption und den Menschenhandel. Die Etablierung einer Europäischen Finanzstaatsanwaltschaft als erster Schritt und ein neuer kriminalstrategischer Denkansatz der Justiz gehören dabei zusammen. Als neuralgischer Punkt des Europäisierungsprozesses wäre eine Strafverfolgung ohne harmonisiertes Strafverfahrensrecht zu bezeichnen. Die Herstellung gemeinsamer europäischer Standards im Ermittlungs- und Strafverfahren ist daher besonders wichtig. Dies gilt ebenso für die Vereinheitlichung der Strafverfolgungspraxis sowie für die Strafzumessungspraxis. Dieser Weg wird noch lang sein. Europa muss jetzt diese Grundentscheidungen treffen, insbesondere wegen der Osterweiterung der Union, die alles noch komplizierter und zeitaufwändiger machen wird. Zwingend ist, dass es definierte europäische Bürgerrechte geben muss, wenn europäische Exekutivbefugnisse für Polizei und Staatsanwaltschaft geschaffen werden. Die vertiefende Diskussion der europäischen Charta der Grundrechte in den Mitgliedsstaaten ist nach der feierlichen Proklamation in Nizza im Dezember 2000 vor diesem Hintergrund von besonderer Bedeutung.

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Künftige Gewährleistungsstrukturen der inneren Sicherheit in Europa zwischen Vergemeinschaftung und nationaler Fokussierung Diskussion zu den Referaten von Karl Peter Bruch, Theodor Thanner und Jörg Ziercke Von Stefanie Gille Die Politik steht in Zeiten terroristischer Herausforderungen und globalen Zusammenwachsens vor neuen Problemen in den Fragen der inneren Sicherheit. Das fängt bei der Fragestellung an, ob es überhaupt noch so etwas wie abgeschüttete „innere" Sicherheit in einem Land der Europäischen Union gibt, oder ob man nicht vielmehr davon ausgehen muss, dass eine mehrschichtige Sicherheitspolitik im Sinne einer »Architektur" aufgebaut werden sollte, die sowohl im kleinsten Kommunal-/Regionalbereich, also im Quartier, den Herausforderungen genauso gewachsen ist wie denen der Angriffe auf den Staat und seine Führung. Begonnen wurde die Diskussion nach den beiden Referaten von Bruch und Thanner aus bundes- und nationalstaatlicher Sicht. Die Referenten konzentrierten sich auf ihren jeweiligen Bereich und boten der Diskussion den Anreiz, hinsichtlich konkreter Planungen und Umsetzungen nachzufragen. Dabei drehte es sich vor allem um die Frage des Umgangs mit terroristischen Bedrohungsszenarien. Stolzlechner griff das Thema im Zusammenhang mit den Geschehnissen am 11. September 2001 auf und wies auf den in Bruchs Referat erwähnten Umstand hin, dass ein Großteil der logistischen Vorbereitungen von der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen sei. Als Einwohner eines Nachbarstaates habe man sich immer die Überlegung zu eigen gemacht, wieso gerade Deutschland im Zentrum gestanden habe und nicht ein anderer europäischer Großstaat wie ζ. B. Italien oder Frankreich. Es stelle sich die Frage, ob dies beispielsweise gerade an der großen Freiheit dieses Staates, an dem hohen technischen Standard für Nachrichtenübermittlung oder an der guten bzw. freien Ausbildung gelegen habe. Wenn man sich solche Fragen auch in Deutschland stelle, wäre es spannend zu erfahren, ob dies nicht nur akademische Fragen blieben, sondern man daraus auch Rückschlüsse für die Sicherheitsarbeit ziehen würde. Dazu nahm Bruch dahingehend Stellung, dass es in Deutschland zu diesem Umstand bisher auch keine wirkliche Erklärung gebe. Die Sicherheitsbehörden gingen momentan davon aus, dass es einmal an dem berühmten „Zufall" gele*

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gen habe, andererseits aber durchaus Erkenntnisse gerade in Bezug auf die Atta-Gruppe dazu führten anzunehmen, dass wohl auch ein Zusammenhang mit der Freiheit der Hochschulen bestehe. Es habe dort überhaupt keine Überprüfungen gegeben und die Einreise sei relativ einfach gewesen, weil man nach einmaligem Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung durch die Botschaft im Heimatland keine weiteren Kontrollen mehr durchgeführt habe. Ob dies wirklich so war, ließe sich eben nicht mehr feststellen, meinte Bruch, weil die Täter nicht mehr gefragt werden könnten und es auch keine ihm zugänglichen oder bekannten Unterlagen darüber gebe. Man könne also vor allem nur Vermutungen über die wahren Gründe anstellen. Unter Fokussierung auf die europäische Sichtweise wies Stolzlechner anschließend darauf hin, dass ihm in den Referaten von Bruch und Thanner bei der Erwähnung von Europol und der polizeilichen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene eine unterschiedliche Nuancierung aufgefallen sei. Beide stünden zwar dazu, aber insgesamt sei von Bruch eine doch eher freundlichere Position der Deutschen zur europäischen Zusammenarbeit auch durch besondere Hervorhebung hörbar gewesen. Die österreichische Position sei hingegen nicht ganz so freundlich gewesen, was besonders durch die Betonung Thanners angeklungen sei, dass man keine weiteren Befugnisse auf die europäische Ebene übertragen wolle. Allzu viele Befugnisse habe Europol momentan noch nicht, so dass er sich frage, ob diese Deutung richtig sei und es da zwei eher gegensätzliche Nuancierung in den beiden europäischen Staaten gebe. Bruch wies darauf hin, dass die freundliche Haltung Deutschlands möglicherweise in einer längeren Historie und mehr Erfahrungen begründet liege. Man habe in Deutschland lange die Schwierigkeiten des Verkehrs mit den Benelux-Ländern und Frankreich beklagt. Dort habe sich dann im Verlauf der Zeit viel Eigeninitiative aufgebaut, die bis heute immer stärker ausgeweitet werde. Die Polizei in Rheinland-Pfalz sei beispielsweise in diesem Bereich sehr aktiv, weil sie in einem der Bundesländer mit den meisten europäischen Nachbarn häufig mit grenzüberschreitenden Zusammenhängen zu tun habe. Zu Europol nehme man allerdings auch in Deutschland die Position ein, dass es noch längerer Zeit und weiterer Überlegungen brauche, bevor man die Exekutivfunktionen dort ansiedeln könne. Dabei sei zu bedenken, dass man nach der Einrichtung von Europol, an der man letztendlich beteiligt gewesen sei, einen Informationsaustausch benötige, bei dem in erster Linie die Länder gefordert seien. Ihm, Bruch, sei vor kurzem von dem stellvertretenden Leiter von Europol auch geklagt worden, dass man die Behörde zur Zeit zu wenig am transnationalen Informationsaustausch teilhaben ließe. So lagen beispielsweise Informationen aus Kiew vor, die aber in Deutschland nicht abgefragt würden und im weiteren Verlauf stelle sich heraus, dass diese die Deutschen gebraucht hätten. So wäre es zielführender gewesen, Europol mit seinen Erkenntnissen zu speisen und dafür im Gegenzug selbst einige zu erhalten. Der wichtigste Punkt bei Europol sei also aus seiner Sicht, einen Informationsaustausch zu ermögli-

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chen, Datenbänke aufzubauen und die Daten zu transferieren, um dann entsprechend handeln zu können. Ansonsten stünde man in Deutschland einer Zusammenarbeit nicht nur freundlich gegenüber, sondern man würde sie vor allem als notwendig ansehen - und zwar auch über Europa hinaus. Auf seine Formulierung bezugnehmend, dass man „derzeit keine ExekutivBefugnisse an Europol" übertragen wolle, ergänzte Thanner, dass man in Österreich glaube, dass es in Europa einen langen Prozess geben könne, an dessen Ende durchaus die Übertragung solcher Befugnisse stehen würde. Ein solcher Prozess müsse erfolglos bleiben, solange die Informationsgewinnung und die informellen Ebenen noch nicht funktionierten. Er, Thanner, räume aber an dieser Stelle bereits ein, dass sich dahinter naturgemäß wesentliche Einflussfragen versteckten, die durchaus von nationalem Interesse seien. Dieses steuere die Entscheidung darüber, ob man Exekutiv-Befugnisse übertrage. Das stelle die momentane Position Österreichs dar, die es auch im EU-Konvent vertrete, und man müsse abwarten, wie der EU-Konvent die Lage nunmehr beurteile. Bezugnehmend auf das strukturelle Problem bei solchen Workshops wie dem hiesigen, dass beamtete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie beamtete Staatssekretäre anwesend seien, was zu einer weitgehenden Übereinstimmung in den Äußerungen führe, rückte Pitschas an dieser Stelle die Wissenschaft und ihre Stellung innerhalb einer solchen Veranstaltung in den Mittelpunkt seines Diskussionsbeitrages. Die Position der Wissenschaft sei es, kritisch gegen zu fragen und er begebe sich als Wissenschaftler nunmehr in die Situation, dies zu tun. Die höchst sensiblen Hinweise auf das Recht in Thanners Beitrag korrespondierten ζ. B. nicht gerade mit den Folgen, die zu künftigen Freiheitsverlusten der Bürger führten. Noch viel interessanter sei das Referat von Bruch, welcher eine Reihe von Maßnahmen, die inzwischen diskutiert aber noch nicht getroffen seien - wie ζ. B. die biometrische Datenerfassung - erwähne, als ob es gar keine Probleme damit gäbe. Eine Bemerkung zum Thema Rasterfahndung von Denninger schloss sich an diese Feststellung an. Bruch habe, so führte er aus, zwar hierzu kurz die Differenzen in der Rechtsprechung angesprochen; man müsse dabei aber die in den einzelnen Landespolizeigesetzen sehr unterschiedlich ausgestalteten Tatbestände und gesetzlichen Formulierungen der Rasterfahndung sehen. Wenn es ζ. B. in Hessen heiße, dass nur bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben eine solche Rasterfahndung eingesetzt werden könne, dann sei nach „Nine Eleven" - wie die Amerikaner formulierten - zu Recht der Streit darüber entstanden, ob es sich um eine gegenwärtige Gefahr handele, wenn es darum ginge, „Schläfer" zu entdecken, die vielleicht in 10 Jahren den nächsten großen Schlag ausführen wollten. Dies sei nach seiner, Denningers, Ansicht bereits ein Grund für die divergierende Rechtsprechung und er wolle dabei zunächst nicht mehr hineinlesen. Bruch habe aber auch die Zusammenarbeit zwischen den Polizeien der Länder - sowohl horizontal als auch vertikal - bis hin zum BKA als sehr gut bezeichnet. Ihn würde nunmehr interessieren, ob Bruch dies in glei-

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cher Weise auch für die Zusammenarbeit zwischen den Polizeien und den Staatsanwaltschaften bzw. Justizbehörden bejahe oder ob er dort Defizite sehe, insbesondere was die Abstimmung der Staatsanwaltschaften in den verschiedenen Bundesländern untereinander angehe. Zur Rasterfahndung pflichtete Bruch der Auffassung bei, dass unterschiedliche gesetzliche Vorgaben natürlich auch unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen nach sich zögen und dies auch so zu erwarten gewesen sei. Hessen sei seines Wissens nach momentan schon dabei, das Gesetz zu korrigieren und Rheinland-Pfalz habe die Vorschriften von vorneherein nicht an diese hohe Hürde im Polizeigesetz geknüpft. Bei der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei wolle er momentan von einem gesunden Spannungsverhältnis sprechen, wobei es in Rheinland-Pfalz eine durchaus gute Zusammenarbeit gebe, die im Einzelfall schon einmal „zum Telefonhörer greifen" lasse. Einzelfälle seien davon natürlich immer ausgenommen, aber einen grundsätzlichen Änderungsbedarf sehe er momentan eher nicht. In diesem Zusammenhang schaltete sich Reinhard Rupprecht, Ministerialdirektor a. D. und Berater der SECURITAS Deutschland Holding GmbH, in die Diskussion mit einer Frage an Bruch ein, der davon gesprochen habe, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland überdacht werden müsse. Er, Rupprecht, verstehe unter Sicherheitsarchitektur vor allem die Zuständigkeit im Aufgabenund Befugnisbereich von Behörden auf der einen und dem Sicherheitsgewerbe auf der anderen Seite. Architektur in diesem Sinne sei auch das Thema einer Podiumsdiskussion im letzten Jahr beim BKA gewesen und dort habe eigentlich keiner der Teilnehmer eine Notwendigkeit der Änderung der Sicherheitsarchitektur gesehen. Eine Ausnahme habe allerdings ein Vertreter des konservativsten Funktionsbereichs, nämlich der Justiz, gebildet, wobei dieser auch nur eine strukturelle Veränderung des § 129 StGB angesprochen habe. Bruch habe dagegen im europäischen Bereich viel angemahnt, was in der Tat längst überfällig sei, insbesondere im Bereich der justiziellen Rechtshilfe, der Zusammenarbeit der Polizeien und der eventuellen Ausweitung der Funktionen von Europol. Im innerstaatlichen Bereich habe der Referent darüber hinaus das für ihn, Rupprecht, noch etwas schwer verständliche Wort der Vernetzung der Sicherheitspolitik mit der Ausländer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik angesprochen, wobei ihm dabei doch etwas unklar sei, was damit konkret gemeint sei. Aber vor allem in zwei Bereichen müsse nach seiner Ansicht noch etwas zur Veränderung der Sicherheitsarchitektur gesagt werden. Zum einen sei dies der Bereich des Verhältnisses von Zuständigkeiten der Behörden der Länder und des Bundes. Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz hätten wesentlich weniger Kompetenzen als die entsprechenden Behörden der Länder, wobei sich die Frage stelle, ob man im Hinblick hierauf nicht etwas mutiger bei Reformen sein solle. Vor allem aber habe Bruch zwar das private Sicherheitsgewerbe erwähnt und positiv bewertet, aber für keine direkte Einbindung in die Sicherheitsarchitektur plädiert. Gerade in der jetzigen

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Situation der leeren Kassen und der personellen Überforderung der Polizeien sollte jedoch überlegt werden, ob es nicht eine ganze Reihe von Aufgabenfeldern gebe, für die die Polizisten überqualifiziert seien und die ohne Antastung des Gewaltmonopols mit oder ohne Beleihungen im mäßigen Ausmaß von Wach- und Sicherheitsunternehmen ohne Veränderungen der Sicherheitsprinzipien in Deutschland wahrgenommen werden könnten. In der Antwort auf die Frage konstatierte Bruch, dass er sich beim Erstellen seines Referats durchaus viele Gedanken über die Architektur gemacht habe und was im Lande zu verändern sei, wobei man immer einzelne Beispiele nennen könne. Die Idee der Vernetzung gefalle ihm dabei sehr gut. In der jetzigen Diskussion, deren Entwicklung man in der kommenden Koalitionsrunde noch abwarten müsse, wären auch die Probleme andiskutiert worden, die sich bei den sozialen Fragen in Bezug auf das Zuwanderungsrecht ergäben. Dabei habe man sich darauf konzentriert, wie man das Zuwanderungsrecht mit den sich daraus ergebenden Integrationsregelungen verknüpfen könne und was diese wiederum mit Sicherheit zu tun hätten. Dies wäre auch eine Netzwerkperspektive, die es zu fordern gelte. Daneben ging Bruch noch einmal auf die Zuständigkeitsfragen ein. Das BKA sei bewusst so ausgestaltet worden, wie es ausgestaltet sei, nämlich mit einem beschränkten Aufgabenbereich. Diesem habe man nunmehr eine zusätzliche Aufgabenkompetenz hinzugefugt. Momentan neige er nicht dazu, die Kompetenzlage grundsätzlich zu verändern. Was man wahrscheinlich aber ermöglichen müsse, sei eine engere technische Vernetzung, um das Wissen zu transferieren, wobei sich dies durch die technische Entwicklung wie von selbst ergeben werde. Man könne dann mit dem BKA noch viel enger zusammenarbeiten, was man auch jetzt schon anstrebe. Früher habe es mehr Abgrenzungen zwischen den Polizeien gegeben, was heute bei der zunehmenden Internationalität keinen Sinn mehr mache. Momentan sehe er jedenfalls keinen Bedarf, weitere Aufgaben an das BKA zu übertragen, wobei er hierzu durchaus offen wäre, wenn etwas in dieser Richtung an ihn herangetragen werden würde, was bisher in vielen Gesprächen auch unter Beteiligung des BKA noch nicht geschehen sei. Bei den Abklärungen über „Inpol neu" beispielsweise habe man sich technisch darüber verständigt, was das Land und was das BKA machen müsse. Die Diskussion über die private Sicherheit in Rheinland-Pfalz und über die Beteiligung des Sicherheitsgewerbes an ihrem Schutz sei daneben, so Bruch, durchaus im Gange. Dabei stelle sich die Frage, wie man künftig mit der Polizeiarbeit und mit den Aufgaben der inneren Sicherheit in Rheinland-Pfalz umgehen wolle. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Kassen geleert seien und man eine Laufbahnveränderung eingeführt habe, mit der die Polizei in den Bereich des gehobenen Dienstes hochgezogen würde, stelle sich die Frage, ob nicht die Polizei Aufgaben abgeben müsse. So wäre es möglich, dass es Aufgabenbereiche gäbe, für die nicht so qualifiziert ausgebildet werden müsste. Momentan bilde man alle Polizisten mit einer Fachhochschulausbildung - also quasi mit

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einem Hochschulstudium - aus; das sei schon eine Frage, die ihn umtreibe. Sie interessiere nicht zuletzt den Finanzminister des Landes auch immer wieder. In Rheinland-Pfalz werde man versuchen, die Diskussion ohne Scheuklappen erst einmal mit der ministeriellen Polizeiabteilung und allen, die damit zu tun haben, zu fuhren und dabei dann auch zu überlegen, was man möglicherweise auf private Sicherheitsdienste überlagern bzw. anders organisieren könne. Damit werde man sich in den nächsten zwei Jahren intensiv auseinandersetzen. Thanner berichtete ergänzend, wie man in Österreich in den letzten beiden Jahren im Bereich der Ausgliederung bzw. Privatisierung verfahren sei. Dabei habe es zwei „Körbe" gegeben. Zum einen sei das Pass-, Fund- und Meldewesen an andere Behörden abgegeben und zum anderen sei in einem Bereich des Zivildienstes, der Flugrettung, mit einer Ausschreibung privatisiert worden. Eine weitere Ausschreibung für die Flüchtlingsbetreuung wäre mittlerweile fertig gestellt. Sie überschneide sich allerdings nunmehr mit der Neuwahl, so dass man nicht wisse, ob man das noch umsetzen könne. Nach einer direkt im Anschluss hierzu geäußerten Ansicht von Hofrat Dr. Bernhard Wolfram, Bezirkshauptmann der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Österreich, seien aber die beiden Ausgliederungen, die Thanner voraufgehend erwähnt habe, unterschiedlich zu betrachten. Diejenige im Bereich des Zivildienstes stelle eine echte Ausgliederung an eine Gesellschaft des Handelsrechts dar, wohingegen diejenige des Pass-, Fund- und Meldewesens an sich keine Ausgliederung aus der staatlichen Verwaltung darstelle, weil sie nur Aufgaben von Bundesstellen an Stellen der Länder bzw. der Gemeinden übertrage, die in diesem Fall auch wieder staatliche Stellen verkörperten. Von einer echten Ausgliederung könne wohl nicht gesprochen werden. Auf Rückfrage von Thanner, der noch einmal auf die beiden Körbe hinwies und sich vergewissern wollte, welche Ausgliederungen gemeint seien, bekräftigte Wolfram, dass es sich nach seinem Dafürhalten nicht um eine Ausgliederung an eine private Stelle handele, wenn von einer staatlichen Behörde an eine andere staatliche Behörde übertragen würde. Das Fund- und Meldewesen sei von Polizeibehörden auf Städte ausgegliedert worden. Es sei also eine Definitionsfrage, wann man von einem „outsourcing" sprechen dürfe und wann nicht. Zum Abschluss der Diskussion zu den Referaten von Bruch und Thanner stellte Pitschas die rechtliche Frage in den Raum, welche Aufgaben man im Sicherheitsbereich überhaupt privatisieren dürfe und wo denn die Grenzen dessen lägen. Im Übergang auf das Referat von Ziercke forderte Pitschas sodann den Vertreter des BGS Mertens zur Stellungnahme hinsichtlich der Kooperationsüberlegungen auf. Dieser konstatiert, dass man aus der Sicht des BGS mit den Ansichten und Standpunkten von Ziercke gut zurechtkomme. Wünschenswert sei jedoch, dass gerade in den Ländern eine Kooperation in denjenigen Verfahren stattfinde, in denen die Erkenntnisse für die Auswertung gewonnen werden müsste. Oft wisse man in den verschiedenen Behörden nicht, wer an welchen

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Verfahren und Lebenssachverhalten arbeite. Deshalb teile auch er die Meinung von Ziercke, dass die Einrichtung eines Infoboards von großem Nutzen sei. Als Vertreter des bayerischen Staatsministeriums des Innern, der in erster Linie die Ländersicht in den Vordergrund stelle, meldet sich Konrad Schober, Kriminaloberrat und Sachbereichsleiter, zu Wort. Er stellte fest, dass er mit den Ausführungen von Ziercke in weiten Teilen übereinstimme, was die Teilnehmer wohl kaum überraschen würde. Ihm ginge es aber um eine ergänzende Anmerkung. Wenn über Themen wie exekutive Befugnisse für Europol oder über die Einrichtung einer europäischen Finanzstaatsanwaltschaft gesprochen werde, verwundere ihn an der ganzen Diskussion die Tatsache, dass sehr wenig über Dinge wie den Rechtsschutz, die Rechtsweggarantie usw. gesprochen werde. Es werde auch nicht verifiziert, inwieweit die momentane europäische Rechtsordnung geeignet sei, mit solchen neuen Institutionen umzugehen. Ein Problem sehe er ζ. B. darin, wie die europäische Finanzstaatsanwaltschaft zukünftig in all jenen Verfahren als Anklage- und Ermittlungsbehörde auftreten solle, in denen im weitesten Sinne europäische Gemeinschaftsinteressen nachteilig betroffen seien. Das polizeiliche Gegenüber erweise schließlich nur selten die Gefälligkeit, „sortenrein" zu arbeiten. Der Kriminelle werde sich als Geschädigten nicht nur die europäische Gemeinschaft aussuchen, sondern auch im Übrigen Ausland tätig werden. Gerade organisierte kriminelle Strukturen zeichneten sich dadurch aus, überall dort Gewinne erzielen zu wollen, wo solche auch zu holen seien, wodurch in diesem Bereich permanent Gemengelagen entstünden. Das Grünbuch der Kommission postuliere, in solchen Dingen sei ein Sachzusammenhang mit dem Interesse der Europäischen Union vorhanden und folglich sei auch der europäische Staatsanwalt zuständig. Seine, Schobers, Bedenken konzentrierten sich vor allem darauf, was dies für die Praxis allgemein und die Praxis der Staatsanwaltschaft im Besonderen bedeute. Nachzufragen sei, wie die europäische Finanzstaatsanwaltschaft und die national bzw. regional ausgerichteten Staatsanwaltschaften sicherstellen wollten, dass es nicht zu einem Nebeneinander und Parallelermittlungen käme. Bisher habe sich in der Diskussion insoweit niemand Gedanken über eine Art „Clearing-Stelle" gemacht. Wenn man weiter bedenke, dass es mit dem Ermittlungs- und Anklageverfahren noch nicht getan sei, sondern der Sachverhalt auch vor Gericht verhandelt werden müsse und nach den Aussagen des Grünbuchs die Anklage bei den nationalen Gerichten zu erfolgen habe, sei er sich nicht sicher, ob die Bewältigung dieser Problematik in allen Facetten wirklich schon durchdacht sei. Von einem harmonisierten, formalen oder auch materiellen Strafrecht in Europa sei man jedenfalls noch weit entfernt und eine europäische Strafprozessordnung sei auch im entferntesten nicht zu erkennen. Für ihn stelle sich somit die Frage, ob man mit der Einführung einer europäischen Finanzstaatsanwaltschaft nicht den fünften Schritt vor dem ersten mache. Schober führte ergänzend an, ob man nicht erfolgsträchtiger versuchen sollte, die

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Harmonisierung der nationalen Behörden zu forcieren. Dabei wäre ζ. B. daran zu denken, das justizielle Rechtshilfeverfahren in Strafsachen wesentlich effizienter zu gestalten und übersteigerte Formalismen, die nach wie vor bestünden, aus dem Verfahren herauszunehmen. Es sei ein erster Schritt, Entscheidungen eines nationalen Gerichts auch in einem anderen Mitgliedstaat uneingeschränkt anzuerkennen, bevor man nach europäischen Einrichtungen rufe - in der Hoffnung, dass alles mit dem Titel „Europa" Verbundene besser sei als das Bisherige. Bezugnehmend auf die Äußerungen Schobers, die ihm nicht ganz neu gewesen seien, wies Ziercke darauf hin, dass man in Brüssel festgestellt habe, in der EU schlage zur Zeit ein Schaden von 1 Mrd. Euro jährlich mit steigender Tendenz durch Korruption, Wirtschaftskriminalität, Betrug und Unterschlagung zu Buche. Daraus erwachse die Frage, welche Antwort man auf diese Summe habe. Es gebe die Möglichkeit, so weiter zu machen wie bisher, oder aber zu versuchen, die organisierte Kriminalität effektiver zu bekämpfen als bisher. Das europäische justizielle Netz sei hierzu ein erster Ansatz. Dabei sollten sich im Grunde die nationalen Generalstaatsanwaltschaften stärker austauschen. EuroJus habe man gegründet, um den Rechtshilfeverkehr in Europa besser gestalten zu können. Dies alles seien erste Schritte, doch bliebe in der Tat darüber hinaus die Frage offen, wie mit den riesigen Schäden bei steigender Tendenz in Europa umgegangen werden solle. Man habe auch in Brüssel bisher viel mehr über das Problem als über die möglichen Lösungen gehört und er, Ziercke, habe sich eigentlich gewünscht, dass der Diskussionsprozess konstruktiver abgelaufen wäre. Wer aber die bisherigen Schritte und die Pläne kritisiere, müsse auch eine Antwort auf den künftigen Umgang mit den Schäden haben. Es lohne sich im Übrigen darüber nachzudenken, ob mit dem Grünbuch wirklich schon der „große Wurf 4 gelungen sei. Er habe den Eindruck, dass das Grünbuch noch ein Stück weit „grün hinter den Ohren" sei. Sinn eines solchen Grünbuchs sei es, eine Entwicklung anzustoßen und - darauf aufbauend - deren Ergebnisse abzuwarten. Momentan glaube man, mit der Organisationsform der europäischen Staatsanwaltschaft, mit abgeordneten Staatsanwälten in den Ländern genau eine solche positive Entwicklung anzustoßen und die Schäden besser auffangen zu können. Er, Ziercke, sei der Auffassung, dass die Entwicklung in Europa, die im Grunde auch alle wollten, letztlich auch vor der Justiz nicht halt machen werde. Heikel wäre allerdings die Frage nach der nationalstaatlichen Souveränität. Als Beispiel führe er dazu an, dass der Vertreter Irlands sehr deutlich ausgeführt habe, dass bei der geplanten Schaffung eines europäischen Finanzstaatsanwalts in Irland ein Referendum durchgeführt werden müsse. Die Europabezogenheit des Referats von Ziercke griff auch Thanner im Folgenden auf. Er brachte seine Überraschung über die thematische Erweiterung zum Ausdruck, weil er aufgrund des Referattitels eher davon ausgegangen sei,

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etwas über die innerdeutschen Fragen und Auseinandersetzungen der Länder im Verhältnis zum Bund zu hören und nicht über die Zentralstellung des Bundes zu Europa. Zur kurzen Information weise er gleichwohl darauf hin, dass man das angesprochene Infoboard in Österreich bereits eingerichtet habe. Dazu sprach er als zweiten Punkt den Bereich der Ausbildung und der Polizeiakademien an, wobei es ihm speziell auf die Fragen der notwendigen Ausbildung im Sicherheitsgewerbe ankomme. Die europäische Polizeiakademie sei schon sehr lange im werden und Österreich habe zusammen mit Ungarn vor elf Jahren die mitteleuropäische Polizeiakademie gegründet. Dort seien auch ein Vertreter des BKA und der Polizeiführungsakademie Münster vertreten; der Vorstand setze sich zusammen aus Vertretern Österreichs, der Schweiz, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns. In diesem Vorstand habe man auch Vertreter der europäischen Polizeiakademie zu Gast gehabt und dabei das Phänomen entdeckt, das sehr unverblümt mit finanzintensiven Programmen gearbeitet werde, um die beitrittsfähigen Staaten in die europäische Polizeiakademie mit einzubeziehen. Er, Thanner, glaube, dass bestehende Strukturen ganz im Sinne des Föderalismus nicht vollständig abgebaut werden sollten, sondern man sich derer bedienen und somit auch die bereits bestehenden Institutionen wie ζ. B. die Mitteleuropäische Polizeiakademie integrieren könne. Von einer solchen Einbindung sei der gehobene Dienst betroffen, der sich in diesem Punkt intensiv austausche, wobei das bisher nicht die Ebene sei, die die Europäische Polizeiakademie als Zielgruppe anstrebe. Er habe, ebenso wie Schober, das Gefühl, dass „Europäisierung" nicht immer ein Allheilmittel sei. Bei der Einrichtung des österreichischen Polizeiamtes sei man von ganz anderen Voraussetzung, nämlich dem Erreichen einer Effizienzsteigerung und von dem Gedanken der Aufgabenkonzentration ausgegangen. In der Analysephase habe man eine Vielzahl von Sondereinrichtungen und Sondereinheiten vorgefunden, die keiner einheitlichen Führung unterlegen hätten. Als wesentliches Element einer Verbesserung habe sich das Prinzip der Zusammenführung von Verantwortlichkeit und Ressourcen herauskristallisiert. Faszinierenden Parallelstellen im Sinne von Karl Kraus wären hierdurch gefunden und beseitigt worden. Im zweiten großen Reformbereich, dem Bundesamt für Terrorismus und Verfassungsschutz, sei es ihnen ähnlich ergangen. Als Beispiel führte Thanner an, sie hätten in den Landeshauptstädten Staatsschutzabteilungen in zwei verschiedenen Behörden, einmal in der Sicherheitsdirektion und daneben in der Bundespolizeidirektion, unterhalten. Beide Einrichtungen seien seit 1945 in verschiedenen Strukturen geführt worden. Bis zu der umfassenden Analyse habe sich niemand Gedanken darüber gemacht, dass es zwei parallele Organisationseinrichtungen an demselben Ort und in einigen Landeshauptstädten sogar in demselben Gebäude gegeben habe, die sich mit denselben Themen beschäftigt hätten.

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Ziercke führte ergänzend zu diesen Ausführungen aus, dass der „Sicherheitsberater" eine Forderung im Zusammenhang mit der Diskussion um die neue Sicherheitsarchitektur in Deutschland gewesen sei, er diese aber nicht unterstützt habe. Er sei der Meinung, von der Zielstellung her müsse man eine Datengruppe „islamistischer Terrorismus" einrichten, um die vorhandenen Informationen aus deutschen Diensten und Polizeien zusammenzuführen. Dazu brauche man keinen zusätzlichen Sicherheitsberater in Deutschland, sondern das beim BKA geschaffene Infoboard reiche hierfür bereits aus. Die Frage nach der Ausrichtung des Polizeiföderalismus oder des BKA in Zukunft sei zu recht auch hier gestellt worden. Er, Ziercke, habe ganz bewusst darauf abgehoben, dass das Zusammenwirken der regionalen Ebene in Gestalt der Landeskriminalämter und der Bundesebene in Zukunft von Europa her definiert sein müsse. Auf Einzelprobleme sei er dabei nicht eingegangen, weil seiner Meinung nach keine gravierenden Probleme zwischen den LKAs und dem BKA bestünden. Als Vorsitzender des Arbeitskreises I I der Innenministerkonferenz, der sich mindestens 2 bis 3 mal im Jahr treffe, erlebe er hautnah alle Probleme und Facetten mit, die kooperative Kriminalitätsbekämpfung in Deutschland mit sich bringe. Auf dieser Konferenz würden die polizeipolitischen Entscheidungen für die Innenministerkonferenz vorbereitet. Dabei hätte er festgestellt, dass eine Übereinstimmung in Fragen der Kriminalitätsbekämpfung von über 90 % bis in die Innenministerkonferenz hinein vorliege. Daher sehe er kein Erfordernis darzulegen, wie die Kooperation untereinander verlaufe. In Deutschland sei es entscheidend, in den Arbeitskreis I I alle polizeipolitischen Entscheidungen hineinzubringen, die dann dort in Rückkoppelung mit den anderen Arbeitskreisen vorbereitet würden. Durch diesen Filter laufe im Prinzip die gesamte Polizeiarbeit in Deutschland, weil der Arbeitskreis die Vorbereitungen für die Staatssekretärsebene und die Innenministerkonferenz treffe. Die herausragenden Fälle „Öcalan" und „11. September" hätten gezeigt, dass sie anders auch nicht besser zu lösen gewesen wären. Die bestehende Struktur habe sich bisher als sehr tragfähig erwiesen, aber sie könne sicherlich intelligent erweitert werden. Er, Zierke, habe bisher auch von der eine neue Sicherheitsarchitektur fordernden Seite noch nicht das Gegenteil präsentiert bekommen. Außerdem gelte es zu betonen, dass sich beim Bundesnachrichtendienst, beim BKA, aber auch beim Zoll in den letzten Jahren wesentliche Veränderungen und zusätzliche gesetzliche Zuständigkeiten ergeben hätten. Man habe erkannt, dass in bestimmten Deliktsfeldern diese speziellen Behörden zur Kriminalitätsbekämpfung besser geeignet seien als eine Polizeibehörde wie das BKA. Deswegen habe man die Informationen zusammengeführt. Dies seien seiner Meinung nach die richtigen Ansätze. Noch einmal auf die Schwierigkeiten mit der justiziellen Ebene in Europa eingehend, nahm Ralf Moßmann aus der Abteilung Polizeiangelegenheiten im

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Bundesministerium des Innern bei der Wortmeldung Bezug auf seine Teilnahme an der betreffenden Anhörung in Brüssel. Man habe bei der Einrichtung von Eurojust gesehen, dass es innerhalb der Justiz in der EU sehr unterschiedliche Ausprägungen in den Befugnissen und Zuständigkeiten gebe. Insbesondere in den Mittelmeerländern hätte die Justiz eine Unabhängigkeit erreicht, die es unmöglich werden ließe, einem Richter oder Staatsanwalt von einem Verwaltungsbeamten oder Datenschützer irgendwelche Vorgaben machen zu lassen. Die Schwierigkeit läge somit in der fehlenden europäischen Strafprozessordnung, die klar umrissene Zuständigkeiten und Befugnisse enthalten müsse. Hinsichtlich der justiziellen Zusammenarbeit sei man allerdings, so fuhr Moßmann fort, in den letzten Jahren nicht ganz untätig geblieben. Man habe Eurojust und das europäische Netz sowie das europäische Rechtshilfeabkommen geschaffen, auch wenn letzteres noch nicht in Kraft getreten sei. Die Vorarbeiten seien aber geleistet und der Ratifizierungsprozess liefe. Die Frage sei und da stimme er mit Schober überein - ob die europäische Finanzstaatsanwaltschaft wirklich eine sinnvolle Einrichtung darstelle. Er habe den Eindruck, die Kommission versuche über OLAF bzw. über die Finanzstaatsanwaltschaft weitere Kompetenzen und Einwirkungsmöglichkeiten „an Land zu ziehen", ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was innerhalb der dritten Säule mit der Gründung von Eurojus usw. bereits passiert sei. Seiner Meinung nach müssten sich diese Einrichtungen erst einmal entwickeln dürfen, bevor neue Gremien geschaffen werden sollten. Als Ergänzung zu Moßmann fügte Winsauer hinzu, dass nicht nur in der südlichen europäischen Hemisphäre die Unabhängigkeit der Justiz besonders hoch gehalten werde. Auch in Deutschland seien in letzter Zeit Forderungen des deutschen Richterbundes laut geworden, der die richterliche Unabhängigkeit stark ausbauen und zudem einen Justizverwaltungsrat einführen wolle, um damit dem „Verwaltungsmensch Richter" zu entkommen. Doch in Österreich sei es eine Selbstverständlichkeit, dass der Richter nur nach dem Gesetz handle. Es sei illusorisch, diese Ausprägung der richterlichen Unabhängigkeit so rasch überwinden zu können. Bezugnehmend auf die Schäden in der EU durch organisierte Kriminalität konstatierte Winsauer, dass er dafür zwei Stränge der Bekämpfung sehe. Der eine wäre der zivilrechtliche Ansatz, was in die Frage einmünde, ob es nicht auf der zivilrechtlichen Ebene im europäischen Recht eine Möglichkeit gebe, dem kriminellen Schaden entgegen zu wirken. Dem zweiten Ansatz zufolge habe die Aufklärung von Schäden nicht primär mit der Funktion eines Staatsanwaltes in einem europäischen Rechtsverständnis zu tun. Ob eine europäische Finanzstaatsanwaltschaft eingesetzt werde oder nicht, sei also unerheblich. Es liege vielmehr an der EU, die Aufklärungsarbeit strukturgerecht zu gestalten. Der weitere Fortgang eines Verfahrens, also wie die Sanktion über den Europäischen Gerichtshof und die Art und Weise der Verfahrensbindungen aussehen könnten, seien dabei andere Fragen.

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Bezogen auf die Debatte um die europäische Rechtsstaatlichkeit ergänzte Gille an dieser Stelle, dass in der bisherigen Diskussion unversehens die Frage nach den Minimalstandards des Rechtsstaates aufleuchten würde. Es stelle sich das Problem, ob man ein einheitliches europäisches Rechtssystem wolle und wenn ja zu welchen Bedingungen. Schaue man sich die aktuelle Diskussion in Italien über die Frage der Abberufung von Richtern aber an, so frage man sich, ob in Zukunft in Europa sogenannte Minimalstandards auf rechtlicher Basis überhaupt gewollt seien. Außerdem verweise sie im Hinblick auf den genannten Punkt der richterliche Unabhängigkeit auf das europäische Richterstatut, worin es eindeutige Regelungen gerade zur Unabhängigkeit der Justiz gebe. Damit sei die richterliche Unabhängigkeit schon jetzt keine reine Ländersache mehr, sondern ihre Garantie beruhe auch auf einem europäischen Standard. Sie halte es für sehr bedenklich, diese Standards unter dem Vorzeichen der „Sicherheits-Angst" zu untergraben. Sie, Gille, plädiere vielmehr dafür, gewisse Standards gerade im Hinblick auf den Freiheitsschutz und rechtsstaatliche Grundsätze aufrecht zu erhalten. Diesen Ausführungen schloss sich Zierke in seinem Abschlussstatement an. Er betonte in dem gegebenen Zusammenhang noch einmal die völlige Uneinheitlichkeit der Rechtssysteme in Europa, wobei der Europäische Gerichtshof alles für vereinbar mit der europäischen Grundordnung erklärt habe. Die problematische Diskussion über das Grünbuch, die aus diesen Umständen entstanden sei, würde jetzt im Nachhinein zu neuen Hindernissen führen; dafür habe er kein rechtes Verständnis. In Brüssel seien die Themen und Argumente, auch der zivilrechtliche Weg, in zahlreichen Referaten an 50 Tagen vorgetragen worden und letztendlich sei es ein Abwägungsprozess gewesen, die strafrechtlichen Sanktionen in den Vordergrund zu rücken. Er sei der Meinung, dass die Politiker, die in Brüssel anwesend waren und an der Diskussion teilgenommen hätten, beim Wort genommen werden müßten, wenn man ein vereinigtes Europa wolle und anstrebe. Dabei müsse man sich auch die Rechtswege ansehen und trotz der Unterschiedlichkeiten die ersten konkreten Schritte machen. Natürlich könne man nachvollziehen, dass bei den Richtern in puncto ihrer Unabhängigkeit eine Betroffenheit spürbar sei. Er, Zierke, glaube aber, dass man an diesem Punkt nicht stehen bleiben dürfe. Ein weiterer Schritt und sehr fraglich sei es dagegen, was geschehe, wenn weitere Mitgliedstaaten - ζ. B. im Rahmen der Osterweiterung der EU beiträten - und aktuell noch keine Schritte unternommen würden, die Rechtssysteme einander anzugleichen. Das justizielle Netz solle sich erst einmal entwickeln und die Initiative für die Finanzstaatsanwaltschaft werde erst 2008/2009 beginnen. Eine Weiterentwicklung der Netze unter Mitnahme des Reformgedankens sei dabei erstrebenswert, wobei es eine spannende Frage sei, wie sich der Bereich der Justiz in Europa weiterentwickele; er, Ziercke, sehe dort doch erhebliche strategische Defizite. Er wünsche sich, dass man Institutionen wie Europol über die operative Komponente hinaus ausbaue. Es werde nämlich kein Weg

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daran vorbei fuhren, über exekutive Funktionen nachzudenken, auch wenn viele seiner Länderkollegen das anders sehen würden. Man müsse den Gedanken zu Ende denken und dabei die weltweite Kriminalitätsentwicklung, die Vernetzung und das Internet mit ins Kalkül ziehen. Bei einer realistischen Prognose der Szenarien, die sich entwickeln könnten, dürfe man sich nicht auf den momentanen institutionellen Bestand konzentrieren. Am Ende der Diskussion stellte Schober noch einmal klar, dass es sich bei der richterlichen Unabhängigkeit um ein extrem hohes Gut handele. Sie bilde die Garantie schlechthin für ein faires Verfahren und damit Rechtsstaatlichkeit in ihrem Kern. Er wolle diese nicht etwa in Zweifel ziehen. Die Problematik sei vielmehr, dass in einigen europäischen Ländern auch die Vertreter der justiziellen Ermittlungsbehörde - in Deutschland die Staatsanwaltschaft - auch richterliche Unabhängigkeit genössen. Der Widerstand richte sich daher eher gegen eine Position, die die richterliche Unabhängigkeit auf die Staatsanwaltschaften im Sinne von weisungsungebundenen Behörden übertragen wollte. Auch eine europäischen Staatsanwaltschaft dürfe nur Ermittlungsbehörde und nicht Gericht sein. Niemand wolle die richterliche Unabhängigkeit des Strafrichters antasten. Pitschas bedankte sich abschließend bei den Referenten und Diskussionsteilnehmern für die niveaureiche Debatte. Es wurde deutlich, dass es verschiedene nationalstaatliche und eben auch regionale Ansätze für die Strukturrevision und den Aufbau eines Mehrebenensystems von Polizei und Justiz gebe. Die unterschiedlichen Interessen und Auffassungen von Rechtsstaatlichkeit dabei unter einem Dach zu vereinigen und nicht alles den diesbezüglichen Minimalstandards bzw. für notwendig gehaltenen Veränderungen zum Opfer fallen zu lassen, wird die vorrangige Aufgabe bei der Gestaltung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa sein.

Zweiter Teil

Wandlungen im Verhältnis von Sicherheit und Freiheit

7 Pitschas/Stolzlechner

Vom „neuen Rechtsstaat66: Freiheit in Sicherheit durch gesellschaftliche Verantwortungspartnerschaft für den inneren Frieden Von Rainer Pitschas Unter dem Einfluss der gegenwärtigen Staats- und Verwaltungsmodernisierung in Deutschland1 verändern sich Organisation und Verfahren sowie das Haushalts- und Personalwesen der öffentlichen Hand immer stärker. Das Staats- und Verwaltungsrecht hat allerdings mit den daraus erfließenden Herausforderungen, die ferner von dem sukzessiven Übergang zu einem egovernment begleitet werden, keineswegs Schritt halten können.2 Nach wie vor bleibt somit aufgegeben, auf der Grundlage empirisch-verwaltungswissenschaftlicher Forschung die (verfassungs-)rechtlichen Grundlagen für die öffentliche Verwaltung im 21. Jahrhundert zu überarbeiten und namentlich das Verwaltungsrecht in seiner Steuerungsfunktion entsprechend fortzuschreiben. 3 Dabei ist auf die jeweiligen ,Aufgabenfelder" öffentlicher Verwaltung mit ihrer je spezifischen Entwicklung zu achten. Sie prägen in ihrer verwaltungsrechtlichen Strukturgebung eigenständige „Referenzgebiete" (,SchmidtAßmann) aus. Dies gilt auch und wegen seiner zugleich freiheitsschützenden

1 Dazu der Überblick bei Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 2000, S. 917 ff., 957 ff.; Klaus König, Verwaltete Regierung, Köln u. a. 2002, S. 476 ff.; Rainer Pitschas, Staats- und Verwaltungsmodernisierung als Wertkonzept des europäischen Rechts- und Sozialstaats, in: Ders./Christian Koch (Hrsg.), Staatsmodernisierung und Verwaltungsrecht in den Grenzen der europäischen Integrationsverfassung, Baden-Baden 2002, S. 13 ff. 2 Rainer Pitschas, Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsrecht im „schlanken Staat", in: Verwaltung und Management, 2. Jg. (1996), S. 4 - 8, 83 - 85, 163 - 165; ders., Verantwortungskooperation zwischen Staat und Bürgergesellschaft. Vom hierarchischen zum partnerschaftlichen Rechtsstaat am Beispiel des Risikoverwaltungsrechts, in: Karl-Peter Sommermann/Jan Ziekow (Hrsg.), Pespektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 223 ff.; Heinrich Reinermann, Internetportale in der öffentlichen Verwaltung: Die Neuordnung von Informationen und Geschäftsprozessen, ebd., S. 127 ff.; Reiner Schmidt, Die Reform von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: VerwArch 91 (2000), S. 149 ff., 157 f. 3

Vgl. auch Gunnar Folke Schuppert (Fn. 1), S. 150 ff., 975 ff.; Andreas Vosskuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 304 ff.; Rainer Pitschas, Verwaltungsrecht im funktionalen Wandel des spätmodernen Staates, in: Ders. (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Berlin 1998, S. 171 ff. *

Rainer Pitschas

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wie -beschränkenden Funktion besonders für das traditionsreiche Polizei- und Sicherheitsrecht.

I. Staatsaufgaben und Verwaltungsfunktionen im Wandel 1 .Privatisierung

und notwendige Staatsaufgaben

Im Zentrum von dessen Entwicklung stehen einerseits die Staatsaufgaben. Die Bemühungen von Rechts- und Verwaltungswissenschaft, in der aktuellen Entstaatlichungsdebatte die verfassungsrechtlichen Schranken der Privatisierung von Staatstätigkeiten nicht aus den Augen zu verlieren, führen immer wieder zu einer Auseinandersetzung darüber, ob es privatisierungshemmende „obligatorische" bzw. „genuine" Staatsaufgaben gibt. 4 Die Staatsaufgabendogmatik unter dem Grundgesetz kommt hierbei mittlerweile zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Gleichwohl besteht heute weitgehend Übereinstimmung in der Annahme, dass jedenfalls der Schutz der inneren und äußeren Sicherheit eine wirklich Staatsaufgabe darstelle, also Privaten von vorneherein verschlossen sei. Die Realität der Sicherheitsgewährleistung im Innern durch Prävention, Gefahrenabwehr und Straftatenverfolgung lässt freilich erkennen, dass mehr und mehr die Wirtschaft und andere private Akteure unter Beachtung des bei dem Staat verbleibenden Gewaltmonopols im Wege der funktionalen Privatisierung am Schutz der inneren Sicherheit beteiligt werden. 5 Dem Staat fällt eine spezifische Steuerungsverantwortung für diese Entwicklung zu. In deren Wahrnehmung stellen sich naturgemäß zahlreiche Rechtsfragen, die bis in die Gestaltung der Sicherheitskooperation im Einzelfall hineinreichen. Unabhängig aber davon entsteht eine neue Partnerschaft zwischen Staat und Bürgergesellschaft, die erst noch ihrer rechtlichen „Umhegung" bedarf. 6

4 Siehe statt aller Christof Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, Berlin 2001, S. 40 ff., 190 ff.; Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 3 ff., 37 ff. 5 Dazu näher Möstl (Fn. 4), S. 290 ff. sowie die Beiträge in Rainer Pitschas (Hrsg.), Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht44. Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft, Berlin 2002. 6 Ebenso Vosskuhle (Fn. 3), S. 279 m. Anm. 40, der dann freilich die Tragfähigkeit des Partnerschaftsgedankens verwirft, vgl. S. 283 f., 285 f., 291 ff., 304 ff.

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2. Sicherheitsrechtliche Aufgabenwahrnehmung in ,, Verantwortungsgemeinschaft" Mit der Entstehung dieser „Verantwortungsgemeinschaft" von Staat und (Wirtschafts-)Gesellschaft 7 verschwimmen nicht nur die überkommenen Abgrenzungen zwischen beiden, was zu staatsrechtlichen Legitimationsproblemen führt. Auch das Sicherheitsrecht muss nunmehr in seiner Steuerungskonzeption die Mitwirkung der gesellschaftlichen Akteure berücksichtigen. Ausdruck dessen ist vor allem die Öffnung der Verwaltungsfunktionen i. S. einer Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe an der Aufgabenwahrnehmung. Der partnerschaftliche Rechtsstaat verlangt gleichzeitig nach einem entsprechend angepassten Handlungsrahmen öffentlichen Verwaltens. Aufgegeben ist somit die dogmatische Einordnung namentlich der Kooperationsbeziehungen in das rechtliche Arsenal des formengebundenen Verwaltungshandelns. 8 Aussagen hierzu dürfen sich nicht an dem ungewissen Konstrukt eines ideellen „Gewährleistungsstaates" orientieren. Für diesen erweist sich jedenfalls im Polizei- und Sicherheitsrecht die Verifizierung des Gegenstandes seines vermeintlichen Gewährleistungsauftrags als schwierig, wenn nicht gar ausgeschlossen: So verschwimmen ζ. B. schon heute die Grenzen zwischen Strafverfolgung und Prävention, wie ich andernorts dargelegt habe9. Die Ableitung verwaltungsrechtsdogmatischer Konsequenzen aus rechtsstaatlichen Erfordernissen des Polizeihandelns im kooperativen Staat müssen vielmehr an der realen Gestaltung von Mitwirkungsverhältnissen in einzelnen Tätigkeitsfeldern ansetzen, in denen es zu einer „public-private-partnership" kommt. Die Verwaltungswirklichkeit zeigt insofern, dass selbst die Kennzeichnung einer Staatsaufgabe als „notwendig" nicht schon die Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung unterbindet. Dies belegt die immer stärker ausgreifende Übernahme von Bewachungsaufgaben im öffentlichen Sektor durch das Sicherheitsgewerbe. Hierzu zählen ζ. B. der Einsatz privater Sicherheitsdienstleister bei der Fluggastkontrolle zur Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs, bei der Abschiebungshaft unerwünschter ausländischer Personen bzw. nicht anerkannter Asylbewerber, dem Einsatz gewerblicher Sicherheitsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr, bei der Überwachung des fließenden und ruhenden Straßenverkehrs sowie in weiteren Fallgestaltungen die-

7 Rainer Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, München 1990, S. 275 ff. m. Anm. 186, 212 ff.; krit. hierzu aber Möstl (Fn. 4), S. 330. 8 Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verwaltungskooperationsrecht (Public Private Partnership), 2001 (ο. Ο.), S. 100 ff. 9 Pitschas (Fn. 5), S. 260, 261 ff.

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ser Art. 1 0 Sukzessive kommt es zu einer Entstaatlichung der inneren Sicherheit und Wirkungsbegrenzung des Polizeirechts. In der Folge dieser Entwicklung bedürfte es vor allem und auf der Grundlage eines noch zu schaffenden Strukturgesetzes für die Beteiligung des Sicherheitsgewerbes an der Gewährleistung innerer Sicherheit des Entwurfs rechtsstaatlich geeigneter Handlungsformen. Denn die in einer Verantwortungsgemeinschaft und nicht etwa in einer "Verantwortungsteilung" gebundene duale Handlungsverantwortung von Staat und Privaten, die sich im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit abzeichnet, schließt wegen des Bezugs zur „inneren Souveränität" des Staates den Rückgriff auf die Beleihung als zweckentfremdete Regelform des Verwaltungshandelns aus.11 Insoweit liegen die Umstände anders als in jenen Sach- und Rechtslagen, in denen das Handlungsinstrument der „Beleihung" nur punktuell begrenzt eingesetzt wird. Daher wartet die Frage, wie sich künftig und tendenziell die kooperative Gewährleistung innerer Sicherheit in Deutschland rechtlich „umhegen" lässt, weiterhin auf eine allgemeingültige Antwort. Diese fällt leichter, vergewissert man sich im Folgenden der rechtlichen Strukturmerkmale kooperativer Sicherheitsvorsorge.

I I . Rechtliche Strukturmerkmale kooperativer Sicherheitsvorsorge 1. Staatsaufgabe „Innere Sicherheit" im europäischen Mehrebenensystem Der Schutz der inneren Sicherheit wird in der Europäischen Union (EU) wie in Deutschland als eine Kernaufgabe des Nationalstaates und des (werdenden) europäischen Verfassungsstaates begriffen (Art. 33 Abs. 4 und 5 GG, Art.29 EUV, 61 EGV). 12 Hierauf gründet ein wesentlicher Teil der Rechtsstaatlichkeit dieser Gemeinschaft und der Legitimität ihrer Mitgliedstaaten als rechts- und sozialstaatliche Demokratien. Denn Freiheit zu verwirklichen, ist nur in Sicherheit möglich. Auf der europäischen Ebene handelt es sich daher bei der Verwirklichung des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" um verfassungsstaat-

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Dazu m. w. Nachw. im Einzelnen Gramm (Fn. 4), S. 420 ff. Α. A. mit bedenkenswerten Argumenten Möstl (Fn. 4), S. 353 ff, 356; Vosskuhle (Fn. 3), S. 294, 299 ff., 302 m. Anm. 149, der sich aber nicht wirklich mit der Kritik an der von ihm empfohlenen leichtgängigen Nutzung einer strukturellen „Beleihung" auseinandersetzt; siehe dagegen Rainer Pitschas, Polizei und Sicherheitsgewerbe, Wiesbaden 2000, S. 66 ff., 141 f., 143 ff. sowie die Nachw. bei Gramm (Fn. 4), S. 333 - 339. 12 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, Baden-Baden 2001, S. 40 ff.; Winfried Brechmann, in: Christian Callies/Matthias Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Neuwied 2002, Titel IV (Art. 61 - 69 EGV); Möstl {Fn. 4), S. 518 ff., 555 ff. 11

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lieh notwendige, derzeit freilich teilweise noch intergouvernementale Vorgänge der Kreation rechtsstaatlicher Strukturen und Prozesse. Mehr und mehr schafft sich aber das Vertragsrecht freie Bahn. Die Gewährleistung innerer Sicherheit wird damit zum Auftrag einer europäischen Innenpolitik. 13 Auf nationaler Ebene bleibt dagegen in Deutschland bis auf weiteres der Schutz der inneren Sicherheit kompetenziell und funktional stark gegliedert. Von besonderer Bedeutung sind dabei das Trennungsprinzip für Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz sowie der ausgreifende Polizeiföderalismus. Beide Prinzipien sind stark umstritten. 14

2. Kein Aufgabenmonopol der staatlichen Polizei Nach neuerem Verständnis liegt es in der Natur einer „Kernaufgabe" des Nationalstaates, die Sicherheit „nach innen" allein und umfassend zu gewährleisten, so dass er über ein Gewaltmonopol verfügt, aber nicht die Aufgabe selbst vollziehen muss. Wie er die Staatsaufgabe „Sicherheit" wahrnimmt, ist seine Sache; bis zu einem gewissen Grad darf der Staat die Aufgabenwahrnehmung privaten Unternehmen übertragen („outsourcing"). Zweifel hieran sind zwar verbreitet. Im Einzelnen bilden jedoch heute die repressive Strafverfolgung, die Abwehr konkreter Gefahren und die Prävention, also die drei Pfeiler der Sicherheitsgewährleistung, jene Felder, in denen teilweise private Kräfte eingesetzt werden. 15 Der tiefere Grund hierfür liegt im kooperativen Staat darin, dass der Schutz der inneren Sicherheit nicht nur staatlicher Auftrag ist, sondern gleichermaßen ein originäres Anliegen der Zivilgesellschaft darstellt. Deshalb tut der Staat recht daran, die Mitverantwortung der Gesellschaft für innere Sicherheit auf allen Ebenen - von „Europa" bis hinein in die Kommunen - zu suchen bzw. zu akzeptieren. Rechtspolitisch entstehen daraus ein „Sicherheitspolitisches Mitwirkungsverhältnis" sowie neue Anforderungen an die staatliche Rolle und Funktion. 16 Ein vierter Pfeiler der inneren Sicherheit mit Kooperations- und

13 Rainer Pitschas, Europäische Innenpolitik und private Sicherheitsdienstleistungen, in: Ders./Rolf Stober (Hrsg.), Quo vadis Sicherheitsgewerberecht?, Köln u. a. 1998, S. 1 ff., 8 ff, 17 ff; Rudolf Streinz, Die neuen Herausforderungen für die innere Sicherheit und die EU-Außenpolitik: Zwischen nationalen Souveränitätsinteressen und Brüsseler Kompetenzwirrwarr, in: Rupert Scholz (Hrsg.), Europa der Bürger?, Köln 2002, S. 52 ff., 56. 14 Hierzu näher Hans Lisken, in: Ders./Erhard Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. München 2001, Kap. C, Rn. 126 ff; zum Polizeiföderalismus siehe ebd. Hans Boldt, Kap. Α., Rn. 57. 15 Rainer Pitschas, Polizeirecht im kooperativen Staat, DÖV 2002, 221 ff. 16 Pitschas, a.a.O. (Fn. 14), 225 f.

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Kontrollaufgaben bildet sich auf diese Weise höchst sukzessive aus. Die durch sein Entstehen eintretende Verschiebung der Statik im Gebäude der inneren Sicherheit erzwingt dessen Umbau, d. h. eine neue »Architektur".

3. Das Netzwerk der Akteure Sie berücksichtigt, dass in den letzten Jahren aus der heranreifenden staatlich-gesellschaftlichen Verantwortungspluralität und -kooperation in Deutschland ein Netzwerk zur Gewährleistung der inneren Sicherheit im engeren Sinne (ohne Katastrophenschutz u. a.) entstanden ist, das die Wirtschaftsgesellschaft, Kommunen, ehrenamtlich tätige Vereine und Bürger sowie den Staat in Gestalt seiner Polizeien und anderer Verbände (ζ. B. BGS) umfasst. An diesem Netzwerk sind die privaten Sicherheitsunternehmen gleichfalls und zunehmend beteiligt. 17 Auch auf europäischer Ebene hat diese verantwortungsgetragene Sicherheitskooperation von Polizei, Wirtschaft, Gesellschaft und Bürgerschaft sichtbar Gestalt angenommen. Sie ist überdies gemeinschaftsrechtlich legitimiert. Verordnungsrecht der EU wird daher die wirklichen Kooperationsfragen zwischen den einzelnen Sicherheitspartnern europaweit lösen (müssen).18 Die sich insoweit verdichtenden „Netzwerkbeziehungen" offenbaren zugleich für den nationalen wie supranationalen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" einen wesentlichen Grundzug der gegenwärtigen Staatsmodernisierung in der EU mit Verbindlichkeit für Deutschland: Die Zivilgesellschaft in Europa beteiligt sich an der Verantwortung für Sicherheit und Polizeihandeln. Dazu gehört dann auch die Evaluation der Effektivität von Polizeiarbeit bzw. der Netzwerktätigkeit. Freilich bleibt bisher die rechtsstaatliche und demokratische Problematik dieser Entwicklung zu wenig ausgeleuchtet; selbst gesellschaftlich verknüpfte Sicherheitsnetze sind zugunsten des Freiheitsschutzes immer wieder zu überprüfen. Es gilt, kollektive Sicherheit, individuelle Sicherheitsbedürfnisse und die Freiheit des einzelnen stets von neuem auszutarieren.

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Dazu die Beiträge in Rainer Pitschas/Rolf Stober (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken, Köln u. a. 2000; siehe ferner Rainer Pitschas, Das Sicherheitsgewerbe in Deutschland. Bestand und Perspektiven am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Ders. (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer neuen Sicherheitsarchitektur?, Speyer 2003 (Speyerer Arbeitshefte Nr. 152), S. 49 ff; Klaus Stüllenberg (Hrsg.), Organisation von Sicherheit in Deutschland 2013. Umfeld, Akteure, Aufgaben Wahrnehmung, Münster 2003, bes. S. 26 ff. 18 Vgl. Brechmann (Fn. 11), Art. 61 EGV Rn. 1; Art. 29 Rn. 2.

Freiheit in Sicherheit durch Verantwortungspartnerschaft

4. Zivilgesellschaftliche

101

Beiträge zur Sicherheitsvorsorge

Im Gefüge der Netzwerkarbeit verdichtet sich die voraufgehend skizzierte Verantwortungspluralität zur „Verantwortungspartnerschaft". In diesem Sinne sind z. Zt. in Deutschland zahlreiche Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften entstanden. Ihnen zur Seite treten Präventionsräte und das „Deutsche Forum für Kriminalprävention", ehrenamtliche Kriminalitätsbekämpfung, „Sicherheitswachten" und die Präventionsanstrengungen der Polizei. 19 An alledem sind auch die privaten Sicherheitsunternehmen immer stärker beteiligt. Dies zum einen aus eigenem Anspruch als Wettbewerber auf dem Sicherheitsmarkt. Auf der anderen Seite vermögen EU und Mitgliedstaaten ohne die Mitwirkung der privaten Sicherheitsdienste die innere Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten. Tendenziell baut sich in allen Mitgliedstaaten der EU und in den Beitrittstaaten auf diese Weise eine „private Polizei" als Sicherheitsträger auf, die erst noch in das Legitimationsgefüge privater Einwirkung auf individuelle Selbstbestimmung eingefügt werden muss.20 Denn darin liegt die Grenze der Beteiligung privater Sicherheitsakteure: Sie dürfen nicht aus eigener Befugnis heraus in die Freiheitsrechte Dritter eingreifen. Solche Eingriffe erfordern vielmehr die staatliche Ermächtigung auf gesetzlicher Grundlage. Hierfür fehlen aber derzeit ein Gesamtkonzept und der gesetzliche Rahmen. Gewerbliche Zulassungs- und Qualifikationsanforderungen, wie sie unlängst verschärft worden sind, bilden zwar einen wichtigen Zwischenschritt, ersetzen aber keineswegs demokratie- und rechtsstaatliche Ordnungspolitik für den Sicherheitsmarkt.

a) Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften Gleichwohl verdichtet sich der funktionale Zusammenhang allgemeiner staatlicher Sicherheitsvorkehrungen mit den zivilgesellschaftlichen Sicherheitsbeiträgen in Gestalt der sog. Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften. 21 Zu deren Begründung setzt die Kooperation der Polizei mit der Ordnungsverwaltung („Ordnungspartnerschaft") - von der die „Sicherheitspartnerschaft"

19

Dazu die Beiträge in Pitschas (Fn. 5), S. 45 ff., 73 ff. u. a. Rolf Wackerhagen/Harald Olschok, Recht und Organisation privater Sicherheitsdienste in Europa: Deutschland, in: Reinhard W. Ottens/Harald Olschok/Stephan Landrock (Hrsg.), Recht und Organisation ..., Stuttgart u. a. 1999, S. 169 ff, Rn. 75 ff.; Meik Lange, Privates Sicherheitsgewerbe in Europa, Köln u. a. 2002, bes. S. 319 ff 21 Dazu näher die Beiträge in Rolf Stober/Rainer Pitschas (Hrsg.), Vergesellschaftung polizeilicher Sicherheitsvorsorge und gewerbliche Kriminalprävention, Köln u. a. 20

2001.

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als Form der Zusammenarbeit der Polizei mit weiteren Akteuren zum Schutz der inneren Sicherheit zu trennen ist - , an der herkömmlichen „Entpolizeilichung" der Gefahrenabwehraufgabe an. Regelmäßig soll nicht die Polizei, sondern die zuständige fachliche Verwaltungsbehörde bzw. die allgemeine nichttechnische innere Verwaltung zur Abwehr eines drohenden Schadenseintritts handeln. Die Polizei ist nach dem Recht jener Bundesländer, die Polizei und Ordnungsverwaltung trennen, deshalb nur dann zum Einschreiten berufen, soweit es sich um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, also wenn fachbehördliches Handeln nicht rechtzeitig und wirksam genug erreichbar ist. Ordnungspartnerschaften unterlaufen freilich in der Realität diese Eingrenzung polizeilicher Kompetenz partiell: Weder liegt Unaufschiebbarkeit polizeilichen Handelns in jedem Fall vor, noch ist in der Regel gewöhnliche Vollzugshilfe zu leisten. Statt dessen kommt es zur präventiven Handlungskooperation zwischen den Polizei- und Ordnungsbehörden. Beide Aktionsformen, die vorerwähnte Kriminalprävention und die Sicherheits· und Ordnungspartnerschaften, bilden unter Einbezug des neue erblühenden Handlungsauftrags der Polizei zum Schutz der „öffentlichen Ordnung" zusammenhängende Glieder einer „Sicherheitskette", die unter Einbezug der weiteren Bestandteile „öffentlicher Sicherheit" im Sinne von Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Verurteilung, Opfernachsorge und Resozialisierung das zu schützende Verfassungsgut „Innere Sicherheit" insgesamt umschließt. Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften lassen sich in dieser Funktion nach ihrer räumlichen Ausdehnung (örtlich, regional, national, grenzüberschreitend und supra- bzw. international), nach ihrer Bindung an innerstaatliche Ebenen (Kommune, Region, Landes- oder Bundesebene), ihrer „Dichte" und Vielfalt („duale" Partnerschaft, „Sicherheitsnetzwerke") sowie unter Abgrenzung von öffentlichen zu privaten Akteuren (Staat, Sicherheitsgewerbe und andere Private) typologisch unterscheiden. So finden sich, um ein Beispiel zu geben, im Prozess der europäischen Integration und als Reaktion auf internationale Kriminalität bzw. auf die Entwicklung der Kriminalität in Grenzgebieten immer häufiger grenzüberschreitende Sicherheitspartnerschaften wie die des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern mit der polnischen Wojwodschaft Westpommern unter Beteiligung privater Sicherheitsdienste auf polnischer Seite. Ein anderes Beispiel bildet die Bündelung personeller Ressourcen im Rahmen euro-regionaler Zusammenarbeit wie u. a. im Bereich der Polizeidirektionen Aachen, Kerkrade und Herzogenrath (Niederlande). Es handelt sich um eine schon seit längerem eingerichtete transnationale Sicherheitspartnerschaft, in der es auch zu grenzübergreifenden Polizeieinsätzen außerhalb der Ermächtigung durch Art. 47 Schengener Durchführungs-Abkommen (SDÜ) kommt. Kennzeichnen dieser und weiterer Kooperationen sind gemeinsame Sicherheitsanalysen, der Austausch von Lagebildern, gegenseitige Hospitationspro-

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103

gramme sowie die Bildung gemeinsamer Ermittlungs- und Fahndungsgruppen, die Pflege bürgernaher Polizeiarbeit durch Einrichtung eigener Bürgerbüros sowie die Entwicklung übergreifender Präventionsstandards. 22 Speziell der Gegenstand von Sicherheitspartnerschaften, die mitunter durch Einbezug mehrerer Akteure zu sog. Sicherheitsnetzen ausgeweitet werden, ist stets die gemeinsame - regelmäßig durch zwei oder mehrseitige „Partnerschaftsverträge" und hin und wieder durch zwischenstaatliche Rahmenabkommen rechtlich begründete Vereinbarung über die Bewältigung von Sicherheits- und Ordnungsproblemen.23 Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften (auch unter Einbezug privater Akteure) beziehen dabei entweder Präventionsmaßnahmen ein, gehen diesen voran oder folgen ihnen wegen entstehender Defizite des vorangegangenen Präventionshandelns.

b) Rechtliche Regelungsbedarfe für kooperative Sicherheitsvorsorge Der partielle Übergang von der Polizei als einer im Rechtsstaat gesetzlich zu zügelnden Herrschaftsmacht zur Polizei als einen aktivierenden „Partner" für kooperative Kriminalitätsverhütung und -bekämpfung im Wege staatlichen Leistungshandelns bei dem Zusammenwirken mit privaten Akteuren wirft allerdings die Frage nach den rechtlichen Grundlagen hierfür auf, ist doch für staatliches Leistungshandeln regelmäßig kein Gesetz erforderlich. Allerdings wissen wir inzwischen, dass der Leistungsstaat ebenso eingriffswirksam zu handeln vermag, wie wenn er die bürgerliche Freiheit durch Ge- und Verbote beschränkt. 24 Diese Ambivalenz wohnt auch der kooperativen Kriminalprävention und der Umsetzung von Sicherheits- bzw. Ordnungspartnerschaften in der Praxis inne. Es zeigt sich dabei und einerseits, dass vorfeld-polizeiliches Handeln zwar nicht durchweg, aber eben auch Eingriffscharakter annimmt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn es sich - und namentlich bei gemeinschaftlicher Datenerhebung bzw. -Verarbeitung - aufgrund seiner Intensität, des Umfangs oder der Dauer als Grundrechtsangriff darstellt, d. h. also dann, wenn bei einer Zusam-

22

Exemplarisch hierzu Hartmut Frommer, Kommunale Kriminalprävention in Nürnberg, in: Stober/Pitschas (Fn. 21), S. 145 ff. 23 Die Behauptung von Vosskuhle (Fn. 3), S. 283 m. Anm. 59 und 60, das „Kooperationsprinzip" und die „Partnerschaft" wären „konturschwach" und der Abschluss eines Verwaltungsvertrags helfe „in der Praxis ... wenig weiter" (S. 303 f.), steht deshalb ihrerseits auf empirisch schwachen Füssen. 24 BVerfGE 40, 65 (83 f.).

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menschau aller Indikatoren durch die faktische Beeinträchtigung eine eingriffsgleiche Belastung erzeugt wird. 25 Für die daraus folgende Notwendigkeit rechtlicher Rahmengebung des kooperativen Polizeihandelns streitet freilich mehr noch die neue Qualität der partnerschaftlichen Sicherheitsvorsorge. Denn bei gezielten Einzelmaßnahmen jenseits alltäglicher visueller Einzelbeobachtung und routinehafter Vorgehensweise geht es nicht mehr nur schlicht um eine Verstärkung des allgemeinen Präventionsgedankens, sondern um die Entwicklung eines neuen „Designs" kooperativer Sicherheit für die bzw. innerhalb der Zivilgesellschaft. Dieser zukunftsbezogene „Polizeientwurf 4 verknüpft - und eben ohne dafür im Polizeirecht des Bundes und der Länder eingestellte spezifische rechtliche Legitimation - die neuen Aufgaben der Polizei - ergänzend zu einer ehedem allein in das grundgesetzliche Freiheitsverständnis einbezogenen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungstätigkeit - mit dem nicht mehr nur polizeilich zu verantwortenden Erfolg oder Misserfolg des Präventionsauftrags und mit einer Evaluierung der Polizeiarbeit im Kontext der „gemischten" Sicherheitsverantwortung. Das demokratisch-rechtsstaatliche Grundverständnis der Verfassung erfordert für diese Zerlegung der Einheit von Kompetenz, Verantwortung und Legitimation kompensatorische Kontrollmechanismen, die vor allem die Transparenz sowie Publizität dieser Vorgänge sichern. Erforderlich wird daher auch insoweit eine gesetzliche Grundlage. 26 Auf der anderen Seite und aus der Sicht zivilgesellschaftlicher Akteure mag die kooperative Aufgabenerweiterung sympathisch sein, denn sie liegt immerhin auf der Linie eines derzeit gesellschaftlich erwünschten staatlichen Rückzugs.27 Doch dehnt sie gleichzeitig die gesellschaftliche Definitionsmacht der jeweiligen Handlungssituation und die dafür verfügbaren Handlungsspielräume sukzessive aus. Möglicherweise erweist sie sich dadurch für die Freiheit der Bürger und die faire Verteilung von Zugangschancen zur Verantwortungsteilhabe der Gesellschaft an deren Gewährleistung als ein Danaergeschenk, wenn nicht die Kooperationsspielräume privater Akteure und deren Teilhabe an den Ressourcen und Ergebnissen des Polizeieinsatzes rechtsförmig abgesteckt werden.

25 Vgl. Michael Kloepfer/Katharina Breitkreutz, Viedeoaufnahmen und Videoaufzeichnungen als Rechtsproblem, DVB1. 1998, 1149 ff., 1152; zum Problem siehe ferner Christoph Gusy, Polizei und private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum - Trennlinien und Bekämpfungspunkte, in: Rolf Stober (Hrsg.), Jb. des Sicherheitsgewerbes 2002, Köln 2003, S. 33 ff. 26 Pitschas (Fn. 14), 226 f. 27 Vgl. Rupert Scholz, Sozialstaat und Globalisierung, in: Festschrift fur Helmut Steinberger, Heidelberg 2002, S. 611 ff.

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I I I . Veränderung der Rahmenbedingungen bisheriger Sicherheitsarchitektur 1. Staatliche Ressourcenknappheit und „Riskanz" der Polizeiarbeit Schließlich wandeln sich auch die Rahmenbedingungen bisheriger Gewährleistung innerer Sicherheit durch die Polizei. So fuhrt zunächst die staatliche Ressourcenknappheit im Verbund mit einem „New Public Management" in allen Politik- und Aufgabenfeldern der europäischen Mitgliedstaaten zu einer durchgängigen Haushaltskonsolidierung. Davon ist auch die Polizei betroffen. In Deutschland entwickelt sich dabei die Einsicht, dass es zu einer Verringerung der Polizeikräfte bei gleichzeitig steigenden technischen Sicherheitsinvestitionen in die Polizeiausstattung kommen muss.28 Polizeiarbeit erweist sich überdies und inzwischen durch den Einbezug von Präventionsaufgaben als „Risikohandeln". Diesem erwächst mit dem Wachstum der Sicherheitsbedrohung durch terroristische Anschläge eine eigene Qualität: Es gibt bisher keine Modelle, mit denen die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen prognostiziert und diese verhindert werden können. Sicherheitsvorsorge steht deshalb unter Versuchsbedingungen; Polizeirecht wird zum „Risikorecht". Das hat verwaltungsrechtliche Konsequenzen.29 Personell verlangt diese Situation, i. S. einer gesamtgesellschaftlichen Reaktion alle Kräfte „zu bündeln", also auch die Sicherheitspartner in der Gesellschaft noch stärker in die Sicherheitsvorsorge einzubeziehen. Hierbei wirft namentlich die „duale Polizeiarbeit", d. h. die Sicherheitspartnerschaft von Polizei und Sicherheitsgewerbe bzw. mit anderen gesellschaftlichen Akteuren erhebliche Strukturprobleme im europäischen Mehrebenensystem auf.

2. Schutzbedarfe der Infrastruktursicherheit Insofern gerade die Luftfahrt und Finanzzentren zu den bevorzugten Angriffszielen des Terrorismus gehören, entstehen hier besondere Anforderungen an das Leistungsportfolio der Sicherheitspartner. Zugleich erweitert sich dadurch der Begriff der „inneren Sicherheit" zur Infrastruktursicherheit. Dies hat Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Polizei und Sicherheitsgewerbe: Die Kriterien für die Auswahl von Unternehmen werden strenger und die Aufsicht über sie muss zunehmen. Gleiches gilt für den Sektor der öffentlichen Gesundheit und das Katastrophenmanagement in Bezug auf

1% 29

Boldt (Fn. 14), Rn. 89; Lisken (Fn. 14), Rn. 161 ff. Siehe auch Christoph Gusy, Polizeirecht, 5. Aufl., Tübingen 2003, Rdnr. 108, 197.

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die dortigen privaten Akteure (Labore etc.). Darin liegt eine Ausweitung des Infrastrukturverwaltungsrechts. Schließlich scheint es in den letzten Jahren zu einer merkwürdigen Dialektik zwischen permanenter Bedrohung der inneren Sicherheit und kriminalitätspiegelnden Fiktionen zu kommen: Sinnlose Morde durch unerkannte Gewehrschützen wie in den USA oder an Kindern in Deutschland führen zu dem Einbruch filmreifer Fiktionen des Verbrechens in die Wirklichkeit. Die wachsende staatliche und private Überwachung des gesellschaftlichen und privaten Lebens offenbart sich als Konsequenz. Wie gehen wir damit um?

IV. Antworten des Staats- und Verwaltungsrechts auf neuartige Gefährungslagen 1. Bedarf nach konzeptionellen Antworten In der EU ist die Stärkung der Kompetenzen von „Europol" sowie die Beschleunigung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen über „Euro-Just" zum Aufbau einer europäischen Staatsanwaltschaft eine sinnfällige Folge der Veränderung der Sicherheitsrisiken. Dieser Prozess steht erst an seinem Beginn. 30 Eine weitere Folge im Kampf gegen den Terrorismus sind die Bemühungen der EU um den verstärkten Schutz der Sicherheit im zivilen Luftverkehr. 31 Für Deutschland hat ferner und bereits zum Ende des Jahres 2001 eine erste Anpassung zahlreicher Gesetze an die neue Bedrohungslage stattgefunden („Sicherheitspaket I"). Zu verweisen ist insbesondere auf die Stärkung des Verfassungsschutzes und der Nachrichtendienste, die Erweiterung der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes und der Kompetenzen des Bundeskriminalamtes. Brisant sind darüber hinaus die Ausweitung der polizeilichen Rasterfahndung und die Kontrolle der Telekommunikationsdienste - Teilnehmerdaten. 32 Allerdings wird damit das Niveau der neuen nationalen Sicherheitsstrategie in den USA noch nicht erreicht. Gerügt werden denn auch in der sicherheitspolitischen Diskussion „Schutzlücken" 33 .

30

Brechmann (Fn. 12), Art. 61 EGV Rn. 1 ff. VO (EG) vom 04.04.2003 (Abi. L 89 v. 05.04.2003, S. 9) zur Festlegung von Maßnahmen für die Durchführung der gemeinsamen grundlegenden Maßnahmen für die Luftsicherheit. 32 Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 09.01.2002 (BGBl. I S. 361 ff.), in Kraft getreten zum 01. Januar 2002. 33 Einen Überblick über die Diskussion gibt Martin Nolte, Die Anti-Terror-Pakete im Lichte des Verfassungsrechts, DVB1. 2002, 573 ff. 31

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2. Konzeptionelle Defizite und Reaktionserfordernisse Selbst wenn man dieser Kritik in gewissem Umfang zustimmen wollte, so fehlt es doch und einerseits bisher an einem integrierten Gesamtkonzept zum Verbund polizeilicher, weiterer staatlicher und der gesellschaftlichen Sicherheitsgewährleistung sowie an einem staatlich-gesellschaftlichen Diskurs über Entstehungsursachen, Reichweite und Konsequenzen aus den veränderten Sicherheitsrisiken. Denn im Kampf gegen Terroristen und Extreme alle Art darf der Staat nicht nur auf polizeiliches Handeln setzen. Mehr noch gilt es, die Gegenwehr der Zivilgesellschaft zu berufen: Gewalttäter sind sozial auszugrenzen, damit ihnen jedweder Rückhalt genommen wird. 34 Gleichwohl dürfte andererseits die Notwendigkeit unverkennbar sein, das staatliche Sicherheitsnetz neu zu justieren und im gegebenen Zusammenhang anders zu spannen - wenn man so will, zu einer neuen Sicherheitsarchitektur in Deutschland zu finden. Die deutsche Anti-Terror-Gesetzgebung hat bereits in diesem Sinne die Überwachungsaufgaben der Sicherheitsbehörden ausgeweitet, mehr als zuvor die kriminelle Kommunikation in den Blick genommen („Informationsboard") und die „intelligence"-Arbeit in Kooperation mit Europol verstärkt 35. Doch bleibt die Frage, ob die föderative Struktur der deutschen Polizei noch zeitgemäß ist. Auch um den Einsatz der Bundeswehr im Innern geht es, um die Zentralisierung der Ermittlungsarbeit bzw. um weitere besondere kriminalstrategische Maßnahmen. Jenseits dessen bleibt aber daran zu erinnern, dass zu einem Leben in Sicherheit und ohne Angst der private Freiheitsschutz durch denselben Staat dazu gehört. 36 Eine entscheidende Frage ist daher heute und für die Zukunft: Lässt sich in der Stunde der „Not", um alle Kräfte i.S. einer gesamtgesellschaftlichen Reaktion zu „bündeln" und die bestehende Verantwortungspartnerschaft mit dem Staat zu vertiefen, das Sicherheitspolitische Mitwirkungsverhältnis nicht noch zugunsten des Freiheitsschutzes verbessern? Die Antwort liegt auf der Hand: Die notwendigen und nicht länger aufschiebbaren Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands und inmitten der EU setzen die verstärkte Einbindung zivilgesellschaftlicher Kräfte in die Verwirklichung der inneren Sicherheit voraus. Nur so kann der Weg in den hoheitlichen „Polizeistaat" vermieden werden!

34 Verwiesen ist damit auf die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung neuartiger Kriminalitätsbedrohungen, vgl. nur Wolfgang Hoffmann-Riem, Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, ZRP 2002, 497 ff., 501. 35 Siehe dazu den Bericht von Jörg Ziercke in Teil II dieses Bandes. 36 Ebenso Hoffmann-Riem (Fn. 34), S. 498.

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3. Demokratisch-rechtsstaatliche

Antworten

a) Wandlungen im Verhältnis von Sicherheit und Freiheit Auf dem Weg zu einer solcherart veränderten Sicherheitsarchitektur bedarf das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit einer anderen Justierung als bisher. 37 Vor dem Hintergrund der skizzierten Herausforderung geht es um eine „neue Balance" des Rechtsstaates zwischen alles erstickender staatlicher Sicherheitsvorsorge und dem „laisser faire" individueller Freiheitsvorbehalte - ohne das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit leugnen zu wollen. Doch ist die kollektive (und personale) Sicherheit kein Feind (!) der individuellen Freiheit. 38 Darüber hinaus ist stärker als bisher über die inhaltliche Determination der Aufgabenübernahme durch private Sicherheitsakteure nachzudenken. Es gibt eine Reihe staatlicher Sicherheitsaufgaben, die eben nicht übertragbar sind. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Ausübung von substanzieller Gewalt durch Eingriffe in die Freiheit anderer Bürger. Freilich sind aber die Übergänge fließend. 39 Zur Auflösung der dadurch entstehenden Spannungslagen ist allerdings das substanzlose Verhältnismäßigkeitsprinzip kaum geeignet; es verhilft nicht dazu, zwischen Freiheit und Sicherheit einen ausgewogenen Ausgleich herbeizuführen. 40 Denn es geht nicht nur um die Aufgabe, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit prozedural neu auszutarieren; unklar ist zudem, was „Freiheit" gegenständlich bedeutet in Gesellschaften, die durch Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel und sinnlose Gewalt instabil werden. Der überkommene, auf dem abwehrgrundrechtlichen Verständnis beruhende Freiheitsschutz trifft somit auf eine gewandelte Realität.41

b) Auf dem Weg zu einem „Neuen Rechtsstaat" Die daraus resultierende (inhaltliche) Komplexität der Ausbalancierung von staatlichem Freiheitsschutz und gerade dadurch herbeigeführter Freiheitsge37

Vgl. schon Pitschas (Fn. 15), 226; siehe ferner Hoffmann-Riem (Fn. 34), S. 500 Davon geht auch aus Eberhard Denninger, Freiheit durch Sicherheit?, in: HansJoachim Koch (Hrsg.), Terrorismus - Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, Baden-Baden 2002, S. 83 ff. (S. 83). 39 Gramm (Fn. 4), S. 410 ff., 416 ff, 420 ff, 461 ff. 40 Anders wohl Denninger (Fn. 38), S. 91 m. Anm. 27. 41 Rainer Pitschas, „Schutzstaat" oder Sicherheit als gesellschaftlicher Mehr-Wert? Staatliche Integration als nationaler Wertkonflikt, in: Volker J. Kreyher/Carl Bohret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang, Baden-Baden 1995, S. 57 ff. 38

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fährdung öffnet dem Staat nicht nur Raum für neuartige Aufklärungsmaßnahmen gegenüber krimineller Kommunikation wie ζ. B. die akustische Wohnraumüberwachung, die verfassungsrechtlich zu „ertragen" ist 42 . Sie verweist gleichermaßen auf die Regelungsanforderungen für solche ungewissen Lagen, die gemeinhin das Risikoverwaltungsrecht formuliert, also ζ. B. auf Prognosemaßnahmen und Maßstäbe für Wahrscheinlichkeitsurteile. Die Notwendigkeit rechtsstaatlicher Antworten verschließt sich m. a. W. in Situationen der Unsicherheit über künftige terroristische Angriffe „einfachen" rechtlichen Empfehlungen.43 Im Übrigen spiegelt sich in der europäischen Vorstellungswelt von einem mehrdimensionalen „Raum" der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die Aufgabe einer anders gearteten Neuvermessung des gegenwärtigen Rechtsstaats wider. Binäre Codes der Gegenüberstellung von Freiheit und Sicherheit bleiben zur Vermessung dieses rechtsstaatlich zu strukturierenden (Spiel-) Raums hilflos. Erst durch die Festlegung eines gesellschaftlich konsentierten, aber doch flexiblen Niveaus an Freiheitsbeschränkung finden wir zur Freiheit in Sicherheit. 44

V. Zur Notwendigkeit der Entwicklung neuartiger Handlungsformen Die voraufgehend dargestellte Wirkungsverantwortung der Zivilgesellschaft für die innere Sicherheit führt in Verbindung mit der aktiven Verantwortungsteilhabe gesellschaftlicher Akteure zu einem Wandel im polizeilichen Aufgaben- und Rollenverständnis. Ging es in klassisch-rechtstaatlicher Perspektive noch darum, die Polizei als ein machtvolles Herrschaftsinstrument des Staates gesetzlich „zu zügeln" und die mit ihrem Eingriff zur Gefahrenabwehr verknüpfte Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten einzuschränken - nicht zuletzt darin liegt ein tragender Grund für die Bindung des Polizeihandelns an das Verwaltungsrecht und der polizeilichen Datenverarbeitung an den Gesetzesvorbehalt und an eine enge Zweckverfolgung durch das BVerfG - 4 5 , so offen-

42

Vgl. mit zahlr. Nachw. Rainer Pitschas. Arno Scherzberg, Die Sicht der Disziplinen: Rechtswissenschaften, in: Christoph Engel/Jost Halfmann/Martin Schulte (Hrsg.), Wissen - Nichtwissen - Unsicheres Wissen, Baden-Baden 2002, S. 113 ff, 121 ff. 43

44 Rainer Pitschas, Europäische Verwaltungsintegration als interkulturelle Herausforderung. Das Beispiel des interkulturellen Sicherheitsmanagements im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Ders./Christian Koch (Hrsg.), Staatsmodernisierung und Verwaltungsrecht in den Grenzen der europäischen Integrationsverfassung, Baden-Baden 2002, S. 213 ff, 230 f. 45 Siehe wie hier BVerfGE 65, 1 (44, 45); Hoffmann-Riem (Fn. 34), S. 499; Monika Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, Berlin 2001, S. 15 ff.

8 Pitschas/Stolzlechner

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bart sich nunmehr in Gestalt der Sicherheits- bzw. Ordnungspartnerschaften sowie der Risikoorientierung künftiger Kriminalitätsbekämpfung eine fundamentale Abkehr von diesem Prinzip. Dem überkommenen Prototyp der Gefahrenabwehr durch rechtlich determiniertes und begrenztes Polizeihandeln, der in seiner gleichzeitigen Bedeutung als Modell für die Konstruktion eines rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts nicht genug gewürdigt werden kann, gesellt sich heute durch Freisetzung des weiteren Prototyps der kooperativen Sicherheitsvorsorge ein neuer Handlungstyp an die Seite, der rechtlicher Formenbindung und -gebung erst noch bedarf. Eine rechtsstaatlich daher hinnehmbare Konsequenz hieraus dürfte in der zulässigen Entwicklung breiterer Befugnisse der Polizeibehörden zur Erlangung von Informationen für präventiv-polizeiliche Zwecke liegen, wobei diese aber den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz professioneller Kommunikationsverhältnisse (in aufgelockerten Grenzen) zu beachten haben46.

VI. Zusammenfassung Mit diesen Erkenntnissen verdeutlicht der Beitrag an dem Beispiel des Funktionswandels von Staat und Verwaltung bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit, in welchem Maße sich das deutsche Staats- und Verwaltungsrecht auf die aktuellen Herausforderungen speziell der Terrorismusbekämpfung einlassen muss. Die Diskussion um die Art und Weise der rechtlichen Reaktion auf diese neue Form der Kriminalität ist denn auch mittlerweile fruchtbar entbrannt. Ihre Ergebnisse könnten für die künftige Entwicklung eines „Neuen Verwaltungsrechts" 47 nützlich sein, denn es geht um grundsätzliche Fragen der Reformulierung unseres Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts im Wandel der rechts- und demokratiestaatlich abzustützenden Sicherheitsarchitektur. Erkennbar werden Veränderungstendenzen des Rechtsstaats. Im Mittel-

46 Nicht mehr voll tragfähig ist daher BVerfGE 33, 367 (381 f., 385); zutr. bedient sich der Entwurf eines Ersten Landesgesetzes zur Novellierung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes und anderer Gesetz - Stand: 04.02.2003 - in Rheinland-Pfalz bei der Regelung der Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten einer weiten Formel des beruflichen „Geheimschutzes". 47 Hierzu bereits die Hinweise bei Rainer Pitschas, Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Deutschland und Japan vor den Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit, in: Ders./Shigeo Kisa (Hrsg.), Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts, Berlin 2002, S. 11 ff., 17 f.

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punkt dieser nachvollziehender Überlegungen steht künftig die noch näher auszudifferenzierende Handlungsform der „Verwaltungspartnerschaft".

Freiheit durch Sicherheit? Wie viel Schutz der inneren Sicherheit verlangt und verträgt das deutsche Grundgesetz? Von Erhard Denninger Enduring Freedom - dauerhafte Freiheit heißt die weitausholende USamerikanische und internationale Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September. Die Freiheit, die die Lebensluft der westlichen Welt ist, soll dauerhaft und wirksam, Umweltrechtler würden vielleicht sagen auf nachhaltige Weise bewahrt und geschützt werden. In der Sprache des konsolidierten Vertrages der Europäischen Union wird dieses Ziel etwas genauer beschrieben. Zugleich wird dabei deutlich, weshalb es im Rahmen einer Tagung über die „Grundlagen der künftigen Sicherheitsarchitektur in Deutschland und der EU" nicht nur sinnvoll sein kann, sondern geradezu geboten ist, auf die rechtsstaatliche Problematik bereits beschlossener oder geplanter Terrorabwehrmaßnahmen näher einzugehen. Denn die rechtsstaatlichen Kriterien und Maßstäbe sind schließlich für die konkreten Grenzziehungen maßgeblich, wenn es darum geht, die durchweg unter Gesetzesvorbehalt stehenden Menschenrechte und Grundfreiheiten mit den Anforderungen einer wirksamen Politik der äußeren und inneren Sicherheit in ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Fälle, in denen der Kerngehalt des rechtsstaatlichen Minimums unmittelbar und transnational menschenrechtlich gewährleistet ist, sind zwar für den Einzelnen von existenzieller Bedeutung, betreffen aber nur einen Ausschnitt des weiten Feldes möglicher Konflikte zwischen Grundfreiheiten und Hoheitsmaßnahmen. Ich habe hier das Folterverbot, das Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft und das Verbot des nulla poena sine lege vor Augen, Art. 3, 4 I, 7 EMRK, also Normen, die auch im Krieg und bei nationalen Notständen keine Ausnahmen zulassen, in diesem Sinne „absolut" gelten, Art. 15 I I EMRK. Als Ziele der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der EU bestimmt der Vertrag in Titel V, Art. 11 Abs.l, u. a.: die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen, der Unabhängigkeit und Unversehrtheit der Union im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, die Stärkung der Sicherheit der Union in allen ihren Formen,

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die Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. In den Bestimmungen über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Titel VI, Art. 29, findet dies seine Ergänzung durch das Unionsziel, „den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten ". „Dieses Ziel", so der Vertrag, „wird erreicht durch die Verhütung und Bekämpfung der - organisierten oder nichtorganisierten - Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegenüber Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betrugs " . Eine engere Zusammenarbeit der Polizei-, Justiz- und anderer Sicherheitsbehörden einschließlich von Europol und Eurojust wird als Mittel zur Zweckerreichung in Aussicht genommen.

I. Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit Diese Formulierungen des Unionsvertrages sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens erteilen sie der Vorstellung eine Absage, als gäbe es im „europäischen Haus" getrennte Räume der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Vielmehr sind Freiheit und Sicherheit in einem und demselben „Raum" zu verwirklichen und zwar mit den Mitteln des Rechts. Damit ist zugleich das Grundproblem jeder Antiterror-Gesetzgebung formuliert; es ist freilich der Quadratur des Zirkels nicht unähnlich. Zweitens deutet sich ein Lösungshinweis an, drückt sich mindestens eine gewisse pragmatische Weisheit in der Formulierung aus, die nicht Sicherheit schlechthin, sondern (nur) „ein hohes Maß an Sicherheit" verspricht. Totale Sicherheit der physischen Existenz und der sie tragenden und ausschmückenden Güter, also Friede, Gesundheit, Eigentum, Wohlstand, ist ohnehin, wie seinerzeit schon Hans Peter Bull betont hat1, auf Erden nicht erreichbar, kann seriöser Weise auch nicht versprochen werden und wäre, selbst wenn es sie gäbe, jedenfalls nicht wünschbar um den Preis völliger oder fast völliger Unfreiheit. Der „Ewige Friede", den Immanuel Kant hinsichtlich seiner Hervorbringung und Gewährleistung entwirft, ist eben nicht der Frieden „auf dem Kirchhofe der Freiheit" 2 , sondern das Wetteifern der einander in „ungeselliger Geselligkeit" begegnenden Menschen3.

1 H. P. Bull, Die „Sicherheitsgesetze" im Kontext von Polizei- und Sicherheitspolitik, in: ders. (Hrsg.), Sicherheit durch Gesetze?, 1987, S. 15 ff. 2 1. Kant, Zum ewigen Frieden, Definitivartikel, 1. Zusatz, am Ende, in: v. K. Vorländer (Hrsg.), Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie Ethik und Politik, 1959, S. 148. 3 /. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Vierter Satz, Kl. Schriften (Fn. 2), S. 9.

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Dass zum vollen Menschsein, zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins beides gehört: ein gerüttelt Maß an Freiheit und ein gerüttelt Maß an Sicherheit, das geht dem Blick , der nach einem Terrorakt durch panisches Entsetzen getrübt ist, leicht verloren, dem Blick des Bürgers wie dem des Politikers und sogar dem des Richters. Dann reduziert sich das Staatsverständnis allzu schnell auf das angstbasierte Hobbes'sche Synallagma von Schutzversprechen und Gehorsam (gleich Unterwerfung), wie es in der „bleiernen Zeit" der ersten Terrorismuswelle in Deutschland (in den 70er Jahren) sogar vom Bundesverfassungsgericht zur Leitmaxime einer Art Staatstheorie verdichtet wurde: „Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet." 4

II. Zum Phänomen und zum Begriff „Terror" Die Erzeugung von Angst, und zwar von diffuser, nach Urhebern und Adressaten nicht spezifizierter, genereller Angst, gehört zum Grundkonzept des Terrors, mit dem wir es zu tun haben. „Selektiver Terror", präzisiert Wolfgang Sofsky, „ist ein Mechanismus zur sozialen Differenzierung der Angst. Er trennt diejenigen, die um ihr Leben fürchten müssen, von denen, die weiterhin eine gewisse Sekurität genießen dürfen. Genereller Terror hingegen zielt gegen alle. Er will die gesamte Gesellschaft durch Angst paralysieren - und dem Staat seine Basislegitimität rauben 5. Denn die erste Aufgabe des modernen Staates ist nicht Glück oder Wohlfahrt, sondern die Garantie der Unverletzlichkeit. Sobald er diesen Auftrag nicht mehr zu erfüllen vermag, droht er die Zustimmung der Untertanen zu verlieren. Damit niemand bemerkt, dass diese Garantie nur ein leeres Versprechen ist, beeilen sich die Eliten, durch neue Gesetze Sicherheit vorzuspiegeln." 6 Soweit der Terrorismus-Experte. Ich muss dreifach Widerspruch erheben. Erstens macht es einen Unterschied, ob die Bürger sich als „Untertanen" oder als betroffene und mitverant-

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BVerfGE 49, 24, 56 f. (1978). Zur Angst-Lähmung s. den Bericht von HM. Broder, In der Falle der Verzweiflung, DER SPIEGEL Nr. 15/ 2002, 152 ff., über die Lage in Israel. Geradezu exemplarisch für die Generalisierung der Angst ist die Moskauer Geiselnahme durch Tschetschenen im Oktober 2002: Das Theaterpublikum als Repräsentant der Allgemeinheit. ö W. Sofsky, Elemente des Terrors, in: H.Hoffmann / W. F. Schoeller (Hrg.), Wendepunkt 11. September 2001, S. 27 ff., 33 f. 5

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wortliche Bürger verstehen. Zweitens beruht die „Basislegitimität" des Staates zwar auch, aber nicht ausschließlich auf der Sicherheitsgewährleistung, besonders wenn diese sich nur auf die Sicherung der physischen Existenz beziehen soll. Natürlich ist der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit eine elementare Staatsaufgabe. Aber in einem freiheitlichen Verfassungsstaat, der sich auf die Würde und Entfaltungsfreiheit des Menschen gründet, bedeutet „Leben" im Vollsinne nicht nur einen physisch-biologischen Tatbestand, sondern eine biologisch-seelisch-geistige Ganzheit, zu der beispielsweise auch alle Arten sozialer Kommunikation gehören. Offenbar muss man in Zeiten der Bedrohung an die „goldenen Worte" des Lüth-Urteils zur freien Meinungsäußerung erinnern, die ja für jede Art von Kommunikationsfreiheit gelten7. Die Sicherheits- und Schutzaufgabe nur im Hinblick auf das physische Überleben zu diskutieren, wäre eine angstbedingte Blickverengung, auf welche die Fädenzieher der Terror-Netzwerke gerade spekulieren. Und drittens sind die Maßnahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zwar auch, aber keineswegs nur Akte »symbolischer Gesetzgebung', sind sie nicht nur Vorspiegelungen unerreichbarer Sicherheit, sondern auch real einschneidende Freiheitsbeschränkungen.

I I I . Rechtsstaat versus Präventionsstaat Deshalb sehe ich die prinzipielle Problematik der antiterroristischen Sicherheitsmaßnahmen, auch der des deutschen Gesetzes, vielmehr in Folgendem: Auf den kürzesten Nenner gebracht lautet meine These: Die an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierte Funktionslogik des liberalen Rechtsstaats und die an Sicherheit und Effizienz orientierte Logik des Sicherheits- oder Präventionsstaates schließen einander tendenziell aus. Dennoch muss eine beiden Logiken gerecht werdende, einigermaßen kohärente Sicherheitspolitik gefunden werden, die den Maßstäben unserer Verfassung genügt. Dazu werden auch neue Rechtsbegriffe des Sicherheitsrechts entwickelt werden müssen, die jedoch die freiheitlichen Grundprinzipien des Grundgesetzes nicht über Bord werfen dürfen. Die Kennzeichnung des „neuen Polizeirechts" als Risikoverwaltungsrecht kann deshalb zunächst nicht mehr als beschreibenden Charakter beanspruchen.8

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BVerfGE 7, 198, 208. Vgl. R. Pitschas, Polizeirecht im kooperativen Staat, DÖV 55 (2002), 221 ff,224, m. w. Nachw. Nachdrücklich ist es deshalb zu begrüßen, dass auch Pitschas, a.a.O., 228, betont, „dass polizeiliches Präventionshandeln ungeachtet seiner derzeitigen gesellschaftlichen Anerkennung nicht unter der Hand zu einem Titel für jede als zweckmäßig angesehene staatliche Intervention mutieren darf." 8

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Wenn man allerdings feststellt, dass im Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes auf dem Vorblatt und im Text der ausführlichen Allgemeinen Begründung das Wort Sicherheit 37mal, das Wort Freiheit hingegen nicht ein einziges Mal vorkommt, dann wächst die Neugier, ob der Gesetzgeber den hier aufbrechenden Antagonismus überhaupt in seiner Tragweite wahrgenommen, geschweige denn in vernünftiger Weise bewältigt hat. Etwas genauer, und nun am Beispiel des Sicherheitsauftrages der Polizei: „Wer hätte gedacht", so fragt der Soziologe Ulrich Beck, 10 „dass die innere Sicherheit, beispielsweise Deutschlands, einmal in den hintersten Tälern Afghanistans verteidigt werden muss?" Beck sieht durch die neue Qualität des Terrors die unser Weltbild tragenden Unterscheidungen von Krieg und Frieden, Militär und Polizei, Krieg und Verbrechen, innerer und äußerer Sicherheit, und - ganz allgemein - von innen und außen aufgehoben. Der auf Kompetenzen und normative Eingrenzungen bedachte und angewiesene Jurist wird eine solche Aussage als voreilig und übertrieben qualifizieren. Aber er wird nicht umhin können, sich über die veränderte Wirklichkeit und das Ungenügen herkömmlicher Begriffe Rechenschaft zu geben. Den „Abschied vom klassischen Polizeirecht" sah man schon vor mehr als zwölf Jahren mit den neuen informationsrechtlichen Befugnissen im Rahmen der „vorbeugenden Straftatenbekämpfung" und der „Gefahrenvorsorge" als einem „unstrukturierten Handlungskonzept" gekommen.11 Inzwischen arbeitet sich die Rechtsdogmatik des „Neuen Polizeirechts" je nach Akzentuierung entweder an den drei „Pfeilern der inneren Sicherheit": Gefahrenabwehr/repressive Strafverfolgung/ Kriminalprävention als Sicherheitsvorsorge - so Rainer Pitschas 12 - oder - so Marion Albers n - an dem „vernetzten Quadrat" der vier polizeilichen Aufgabenbereiche: Straftatenverhütung, Gefahrenabwehr, Verfolgungsvorsorge und Strafverfolgung ab. Ich möchte Straftatenverhütung, Sicherheits- und Verfolgungsvorsorge begrifflich als Prävention zusammenfassen und komme so zu einer Dreiheit des polizeilichen Sicherheitsauftrages: a) Gefahrenabwehr, b) Repression (Straftatverfolgung) und c) Prävention. Die Zäsur zwischen den Funktionslogiken - und das muss genauer als bisher bedacht werden - verläuft zwischen den beiden ersten Aufgabenfeldern einerseits und dem dritten Aufga9

Einschließlich der Composita wie ,Sicherheitsbehörde4. U. Beck, Das Schweigen der Wörter. Über Terror und Krieg. 2002, S. 10 f. 11 Vgl. R. Pitschas, Fortentwicklung des Polizeirechts und Legitimität des Staates, in: Polizeirecht heute, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 4/91, S. 7 ff., 13, m. w. Nachw. 12 R. Pitschas, Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention, in: ders. (Hrg.), Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht", 2002, S. 13 ff., 15. Ebenso ders., DOV 2002 (Fn. 8), 221. 13 M. Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 368. 10

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benfeld andererseits. Abwehr konkreter Gefahren und Verfolgung konkreter, bereits begangener Straftaten sind seit langem ,rechtsstaatlich durchgearbeitet 4, nach freiheitsschonenden Eingriffsvoraussetzungen und berechenbaren Befugnissen normiert. Das staatliche Eingriffshandeln auf diesen Feldern ist grundsätzlich überschaubar und begrenzt; es knüpft an das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Einzelfall an, richtet sich an einen bekannten oder doch auffindbaren „Störer" oder setzt den ,Anfangsverdacht" einer begangenen Straftat voraus. Die Funktionslogik des Rechtsstaats ist also grundsätzlich die einer bemessenen und angemessenen Reaktion, weshalb die Bestimmtheit des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel oder das Übermaßverbot tragende Säulen des rechtsstaatlichen Polizeirechts bilden. Dies gilt auch noch für extreme Situationen terroristischer Gefahrenlagen, etwa vom Typ der Moskauer Geiselnahme im Oktober 2002, wenn die richtige Auswahl und Anwendung der „erforderlichen" Mittel besonders schwierig ist.

IV. Die Funktionslogik des Präventionsstaats Durchaus anders operiert die Funktionslogik des Präventionsstaats. 14 Sie wartet nicht ab, bis ein konkreter Schadenseintritt wahrscheinlich oder Anzeichen für eine geschehene Straftat sichtbar werden, sondern sie will der Realisierung von Risiken aller Art zuvorkommen, sie zielt also auf Aktion, nicht auf bloße Reaktion, sie fordert „operatives", „proaktives" Polizeihandeln.15 Die Konturen solcher Aktionen werden aber nicht durch raum-zeitlich bestimmbare Schadenswahrscheinlichkeiten bestimmt, vielmehr bleiben sie unbestimmt, so unbestimmt und unberechenbar wie die Risiken, deren Verwirklichung sie verhüten sollen. Ein besonderes, bisher in dem aktuellen Ausmaß nicht bekanntes Element an Unbestimmtheit bringen die Selbstmord-Attentäter ins Spiel, sei es in Manhattan oder in Israel. Die „traditionelle" Verbrechensverfolgung - und das gilt auch noch für die üblicherweise unter „Organisierte Kriminalität" rubrizierten, „gewinnversprechenden" Delikte wie Menschen-, Drogen-, Waffenoder Kfz-Handel - konnte bei allen Prognosen über Verhaltensweisen der Straftäter deren grundsätzlichen Überlebenswillen und damit eine gewisse Grenze in Bezug auf die Risikobereitschaft einkalkulieren. Diese Schranke entfällt bei religiös- oder nationalistisch-fundamentalistisch „zum Äußersten" Entschlossenen. Hierzu fünf Gesichtspunkte:

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Zum Präventionsstaat grundsätzlich: E. Denninger, Der Präventions-Staat, KJ 1988, 1 ff. 15 Vgl. M. Albers (Fn. 10), S. 356.

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1. Der Wegfall der Möglichkeit, präventives Staatshandeln als „Gegenmaßnahme" an vorangegangenem Tun der Straftäter zu orientieren, zu individualisieren und damit zu dosieren, wird drastisch deutlich, wenn man versucht, die Normen über Standardmaßnahmen der O.K.-Bekämpfung wie Observation, den Einsatz technischer Mittel oder die polizeiliche Beobachtung auf den Mord-Selbstmord-Terrorismus anzuwenden. Sie laufen alle schrecklich ins Leere. Da hatte man in an sich löblicher rechtsstaatsbewusster Akribie Kataloge von Straftaten zusammengestellt, die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte von den zu Beobachtenden mutmaßlich begangen werden würden, da machte man „eine Gesamtwürdigung der Person und ihre bisherigen Straftaten" zur Prognosebasis für künftige Straftaten und deren polizeiliche ,Abwehr" 1 6 , da praktiziert man im Strafrecht den Haftgrund der „Wiederholungsgefahr": für die kontinuitätsfeindliche Singularität der Tat des plötzlich irgendwann irgendwo „erwachten" und zuschlagenden Sleepers und Suizidterroristen sind alle diese zugleich ermächtigenden wie befugnisbegrenzenden, auf Kontinuitäten und raumzeitliche Einbettungen setzenden Tatbestandmerkmale eines rechtsstaatlichen Sicherheitsrechts Makulatur. Die urplötzlich explodierende Bombe durchbricht „die Kontinuität der Zeit und zersprengt Vergangenheit und Zukunft." 17 Man muss diesen tiefgreifenden Wandel des empirischen Normbereichs dieser Materie sehen, wenn man die Hilflosigkeit des präventiv agierenden Gesetzgebers, etwa des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, richtig verstehen will. 2. Ein Zweites kommt hinzu. Es ist nicht nur die nach Ursache und Ausmaß, nach Ort, Zeit und Modalitäten zu erfahrende Unbestimmtheit des terroristischen Risikos und die dadurch provozierte Konturlosigkeit der präventiven, „proaktiven " Aktion, welche in den Normen Ausdruck findet, sondern zur Logik des Präventionsstaates gehört die Maßlosigkeit, weil Grenzenlosigkeit der Verfolgung eines nie erreichbaren Ideals. Dieses Ideal heißt Sicherheit und in der Werteskala der Gegenwart bringt es sich neben dem Ideal der Freiheit, welches den Rechtsstaat geprägt hat, immer stärker zur Geltung. Der Staat, der »Sicherheit 4 als Staatsaufgabe setzt, gibt ein Versprechen ab, das er nie voll befriedigend wird einlösen können, das ihn aber ständig zu neuer Aktivität anstachelt. Sicherheit bedeutet nicht mehr in erster Linie, wie nach der berühmten Formel Wilhelm v. Humboldts, die „Gewissheit der gesetzmäßigen Freiheit" 18 , sondern Sicherheit meint jetzt „die Zusage einer prinzipiell unbegrenzten, nie endenden staatlichen Aktivität zum Schutze des Bürgers vor sozialen, technik-

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Nur als wenige Beispiele: §§ 15 Abs. 2, 17 Abs. 2 HSOG, Art. 36 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG. 17 W. Sofsky, Zeiten des Schreckens, Amok, Terror, Krieg, 2002, S. 92. 18 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Leipzig o.J. (Reclam), S. 118.

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und umweltbedingten oder auch kriminellen Risiken und Gefahren." 19 Der eschatologisch-utopische Charakter des Sicherheitsgedankens verfestigt sich noch mehr in der Vorstellung eines „Grundrechts auf Sicherheit", welches einerseits den Bürger zu Sicherheits-Leistungen des Staates berechtigen soll, andererseits damit aber die Staatstätigkeit entgrenzt und entsprechend weitreichende Kompetenzen auslöst.20 „Sicherheit" wird dabei als ein paradiesischer Zustand gedacht, in welchem die Blindheit bewirkende faustische „Sorge" durch die vielleicht hellsichtige, aber maß- und grenzenlose „Vor-Sorge" beseitigt werden könnte. 3. Der außenpolitische, völkerrechtliche Aspekt unseres Themas kann hier nur als Merkposten eingebracht werden: Die Funktionslogik des Präventionsstaates transformiert nicht nur im Inneren die freiheitlich-rechtsstaatlichen Strukturen, sondern wirkt sich auch global auf die internationalen Beziehungen aus. Wir sind in diesen Monaten Zeugen einer tief greifenden Verwandlung des idealistisch-universalistischen Grundgedankens des klassischen Völkerrechts, wie er seinen Kulminationspunkt 1945 in der Gründung der Vereinten Nationen und in deren Verbot der offensiven Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen gefunden hat. Die neue, von der George W. BushAdministration proklamierte Doktrin der präventiven Selbstverteidigung (die sogar einen nuklearen Erstschlag, „preemptive strike", einkalkuliert) stellt eine ebenso exemplarische wie gefährliche Manifestation der Präventionslogik im internationalen Bereich dar. Man spricht von „Verteidigung", „Selbstverteidigung", und bewegt sich damit scheinbar im Rahmen und im Einklang mit den Prinzipien der UN-Satzung, vor allem des Art. 51. In Wahrheit geht es aber um offensiven Gewaltgebrauch, um „Angriff 4 . Wie immer auch das militärische und politische Resultat einer solchen Strategie (ich spreche vom „Irakkonflikt 44 ) aussehen mag: das großartige Καηή sehe Ideal des „Weltbürgerrechts 44, d. h. einer universellen Verrechtlichung auch in den transnationalen Beziehungen geht dabei vor die Hunde.21 4. Es liegt auch in der Logik des an „Risiko 44 , nicht mehr nur an „Gefahr 44, an genereller potentieller Kriminalität, nicht mehr an „Verdacht 44 orientierten Präventionshandelns, dass im Verhältnis Bürger - Staat eine generelle Umkehr der Beweislast stattfindet. Weil das „Risiko 44 immer und überall existiert, wird es zur Normalität; die Nichtgefährlichkeit bildet dann die Ausnahme, die der Bür19 So E. Denninger, Menschenrechte und Grundgesetz, 1994, S. 48. Hervorhebungen nicht im Original. 20 Zum Grundrecht auf Sicherheit vgl. J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983. 21 Zum „Weltbürgerrecht" vgl. jüngst V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, und den Essay von J. Habermas zu Kants Idee des Ewigen Friedens, wiederveröff. in J. Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 192 ff. Treffend S. 234: „Das Weltbürgerrecht ist eine Konsequenz der Rechtsstaatsidee."

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ger für seine Person beweisen muss. „Das ist der Geist des neuen Präventionsstaats", sagt Heribert Prantl 22 5. Die Grenzen- und Maßstabslosigkeit des Sicherheits- und des Präventionsgedankens hat unmittelbar praktische Auswirkungen auf das Informationsverhalten des Staates, und erst recht dann, wenn dieses durch eine passende Sicherheitsphilosophie theoretisch überhöht und abgesichert wird. Auf diese Weise wird das als staatliche Handlungslegitimation begriffene „Grundrecht auf Sicherheit" als Gegenpol zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. Als dessen zu schützendes Subjekt wird nicht mehr der Einzelne oder die Person anerkannt, sondern nur noch die „manipulationsfreie Kommunikation". 23 Das „Grundrecht auf Sicherheit", richtiger: die „Staatsaufgabe Sicherheit" verlange heute eine „umfassende Risikosteuerung". Der Begriff der „Gefahrenvorsorge" wird damit zum umfassenden, die staatliche Gefahrenabwehr mit einschließenden Begriff polizeilicher Risikosteuerung, meint J. Aulehner 24 Diese setze aber eine ebenso umfassende staatliche Informationsvorsorge voraus. Sowohl der Einzelne als auch die Allgemeinheit hätten ein existenzielles Interesse daran, „dass jedenfalls die Informationen kommuniziert werden, die eine Individualisierung ... der jeweiligen Person nach den Erfordernissen der konkreten Situation ermöglichen" (567). Die datenschutzrechtlichen Konsequenzen einerseits und andererseits die sicherheitsrechtlichen Handlungsermächtigungen einer solchen, extrem einseitig auf systemtheoretische Überlegungen

Niklas Luhmanns gestützten Kommunikations- und Risiko-

präventionstheorie liegen auf der Hand. Ausgehend von der undifferenziert verabsolutierten Aussage, wie die „Wirklichkeit allgemein [würden] auch Person und Sicherheit kommunikativ konstituiert" 25 , weshalb die Persönlichkeit nur als ein „soziales Konstrukt" zu begreifen sei (267), ist es ein Leichtes, mit der eigenständigen Persönlichkeit als selbstbestimmt, d. h. „autonom" handelndem Subjekt auch dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Verschwinden zu bringen. So als hätte es das Volkszählungsgesetz-Urteil 1983 und die vorangegangene wie die nachfolgende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, vom MikrozensusBeschluss 196926 bis zum Prinzessin-Caroline-von-Monaco-Urteil dreißig Jahre

22 H. Prantl, Verdächtig, 2002, S. 9. Gegen generalisiertes Misstrauen gegen den Bürger und für einen favor civis zur Frage der Verfassungstreue vgl. E. Denninger schon 1979 in : Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, wiederveröffentlicht in : Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 269 ff., 292. 23 Vgl. J. Aulehner, Polizeiliche Gefahren- und Informationsvorsorge, 1998, S. 557. 24 J. Aulehner (Fn.23), S. 565 ff., auch zum Folgenden. In Klammern angeführte Zahlen im Text bedeuten Seitenzahlen in diesem Werk. 25 J. Aulehner (Fn.23), S. 552 und öfters. 26 BVerfGE 27, 1,6 ff.

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später 27, nie gegeben, behauptet diese Theorie, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dürfe nicht als Anspruch auf eine manipulierte (Von wem? Von der Person selbst?) Selbstdarstellung (miss-)verstanden werden, sondern umfasse nur[!] ein Recht auf manipulationsfreie Fremddarstellung. Nicht mehr der Kernsatz des Volkszählungsgesetz-Urteils soll der Leitstern sein, nämlich, dass das in Art. 2 Abs.l in Verbindung mit Art. 1 Abs.l GG geschützte Grundrecht die Befugnis des Einzelnen gewährleiste, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen,"28 vielmehr wird in genauer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses nun die „manipulationsfreie Kommunikation" und nicht mehr der Einzelne „als Schutzgut des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" bestimmt (557). Unverständlich bleibt, inwiefern hier noch von Se/tobestimmung sinnvoll die Rede sein kann. Folgerichtig wird der missverständlich als „Informationsfreiheit" bezeichnete ungehinderte Fluss aller Informationen, auch der personenbezogenen, als Regelfall angesehen (567), während der Schutz der Privatsphäre und der auf diese bezogenen Daten als Informationsbeschränkung und damit als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme begriffen wird.(487). Auch dies ist eine der Erscheinungsformen der „Diktatur der Information", von der in anderem Zusammenhang Angelo Bolaffi spricht. 29 Der theoretische Boden für eine umfassende, tendenziell grenzenlose staatliche Informationsvorsorge mit entsprechenden Eingriffsermächtigungen, die auf das als Befugnisgeneralklausel ausgelegte so genannte „Grundrecht auf Sicherheit" gestützt wird, ist damit bereitet. Allerdings werden damit aber auch die jahrelangen europäischen Bemühungen um einen angemessenen Schutz der personenbezogenen Daten unterlaufen, wenn nicht zunichte gemacht - Bemühungen, die sowohl auf der Ebene der EMRK zur Auslegung des Art. 8 der Konvention 30 als auch auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft in der Richtlinie 95/46 EG des Parlaments und des Rates und zuletzt in Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vielversprechenden Ausdruck gefunden haben. Art. 52 der EU-Charta der Grundrechte formuliert sogar, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, eine Wesensgehalt-Garantie der in der Charta proklamierten Grundrechte. 31 Damit soll der legislativen oder administrativen schrankenlosen Relativierung der Rechte Einhalt geboten werden. Wie aber, wenn das 27 BVerfGE 101, 361, 380ff. 15. 12. 1999; dazwischen liegen „Lebach", „Eppler", „Gegendarstellung" u.v.a.m. 28 BVerfGE 65, 1,43. 29 A. Bolafjfi/G. Marramao , Frammento e Sistema. Il conflitto-mondo da Sarajevo a Manhattan, Roma 2001, S. 24. 30 Vgl. etwa J. A. Frowein , in: ders./W. Peukert (Hrsg.), EMRK-Kommentar, 2. Aufl. Kehl 1996, Art. 8 Rdn.3 ff. 31 Vgl. dazu Κ . Η. Fischer, Der Vertrag von Nizza, 2001, S. 550 ff.

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„Recht" selbst von vornherein gar nicht mehr als Befugnis einer autonom handelnden Person, sondern bestenfalls nur noch als Abwägungsmaterial im Widerstreit zu präventiv verfolgten Sicherheitsinteressen wahrgenommen wird?

V. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz als Modell der Präventionslogik Das Terrorismusbekämpfungsgesetz bietet im Einzelnen zahlreiche Beispiele fur das Wirksamwerden der Präventionslogik. Die „Versicherheitlichung" („securitization") zehrt an der Substanz „normativer Errungenschaften" rechtsstaatlichen Sicherheitsrechts. Das beginnt bei der Trennung von Aufgaben und Befugnissen, die ihre freiheitsschützende Funktion verliert, wenn man diese, also die Befugnisse, einfach nach jenen ausrichtet, somit den längst überwunden geglaubten „Schluss" von den Aufgaben auf die Befugnisse wiederbelebt. Die Begründung des Gesetzentwurfs 32 geht jedoch so vor, indem sie Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten, als erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit und als Nährboden für extremistische Auffassungen bezeichnet und dann einfach erklärt: „Es muss zulässig sein, dass der Verfassungsschutz solche Bestrebungen...beobachtet." Ich habe anderen Orts gezeigt, dass die vom Gesetzgeber für diese weitreichende Aufgabenerweiterung des Verfassungsschutzes begründungslos in Anspruch genommene verfassungsrechtliche Deckungsnorm des Art. 73 Nr. 10 b) GG mit ihrer ursprünglichen Definition von „Verfassungsschutz" gerade dies sehr wahrscheinlich nicht leistet.33 An vielen Einzelheiten des minutiös vorgehenden Artikelgesetzes und seiner Entstehungsgeschichte lässt sich aufzeigen, wie schwer der Gesetzgeber sich mit der Wahrung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien getan hat; neben dem Übermaßverbot sind vor allem die Grundsätze der Normbestimmtheit und der Wesentlichkeit zu nennen und sogar an den Gleichheitsgrundsatz ist zu erinnern. 34 Diese Schwierigkeiten sind nicht in politischer Unfähigkeit oder Unwilligkeit begründet, sondern in der strukturellen Diskrepanz zwischen einem rechtsstaatlich entwickelten Rechtssystem und dem Versuch, ein sicherheitspolitisches Präventivprogramm mit transnationalen Bezügen in dieses System einzubauen, d. h. in dessen Begrifflichkeit und Systematik auszudrücken. Kurz

32 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz), BT-Drs. 14/7386, S. 91. 33 E. Denninger, Freiheit durch Sicherheit? Anmerkungen zum Terrorismusbekämpfungsgesetz, StV 2002, 96 ff. So auch schon meine Stellungnahme zur Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages am 30.11.2001. Wie hier auch H.-U. Paeffgen, StV 2002, 336, 338, ähnlich M. Nolte , Die Anti-Terror-Pakete im Lichte des Verfassungsrechts, DVB1. 2002, 573, 574. 34 Zu Einzelbeispielen s. meine Kritik in StV 2002, 96 ff. (Fn.33).

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gesagt: Die Schwierigkeiten haben ihren Grund in der Inkompatibilität der beiden Funktionslogiken. Die Imperative der Prävention sprengen die Umzäunungen rechtsstaatlicher Begriffe. Das zeigt sich bei dem Versuch, die neuen Informationseinholungsbefugnisse des Verfassungsschutzamtes, § 8 Abs. 5-13 BVerfSchG, nicht völlig ausufern zu lassen ebenso, wie bei der Unmöglichkeit, den Kreis der dem „vorbeugenden personellen Sabotageschutz" unterfallenden Personen durch eine - eben nicht ausreichend mögliche - Definition der „lebenswichtigen" oder „verteidigungswichtigen Einrichtungen" (außerhalb des Militärs !) definitorisch einzugrenzen. Langfristig folgenreich und deshalb besonders beobachtungs- und evaluationsbefiirftig sind die zahlreichen Präventivmaßnahmen gegenüber Nicht-EU-Ausländern. (Leider sind gerade sie von der Evaluierungspflicht des Art. 22 ausgenommen!) Das neue Ausländerrecht, einschließlich des Ausländervereinsrechts, ist nach außen hin durch Abschottung und Zugangskontrolle, nach innen durch Überwachung und Verschärfung der Vereinsverbots- und Personenausweisungsgründe gekennzeichnet. Die dabei durchweg verwendeten höchst unbestimmten und wertausfüllungsbedürftigen Gesetzesbegriffe stehen in Widerspruch zu der jüngst vom Bundesverfassungsgericht im Vermögensstrafen-Urteil vom 20. März 2002 35 bekräftigten Tendenz, das Bestimmtheitsgebot zur Wahrung der Freiheitsrechte der Bürger und zum Schutz ihres Vertrauens ernst zu nehmen. Oder wie anders soll man z. B. den Grund für das Verbot verstehen (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG), das einen Ausländerverein trifft, soweit sein Zweck oder seine Tätigkeit „Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets fordert, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind." Wie soll der betroffene Bürger das auslegen? Kopftuch ja, Burqa nein? Dass diese Klausel bisher in § 37 Abs. 1 Nr. 4 AuslG stand, erhöht ihre Bestimmtheit nicht, jedenfalls widerlegt sie die Begründung des Gesetzgebers 36, die Neufassung der Verbotsgründe strebe einen „konkreteren und weniger wertungsbedürftigen Katalog von Verbotsvoraussetzungen an", um den „unter Zeit- und Entscheidungsdruck zum Handeln aufgerufenen Sicherheitsbehörden" nicht durch „vage, hochgradig auslegungsbedürftige Eingriffsvoraussetzungen" „Steine statt Brot" zu geben. Vor wenigen Monaten erst 37 hat der Zentralrat der Muslime in Deutschland in Berlin eine „Islamische Charta " verkündet, die die auch nach islamischem Recht bestehende Pflicht aller Muslime anerkennt, sich „grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten". Die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik wird ausdrücklich anerkannt. Man darf diese Charta als ein positives Signal der

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2 BvR 794 / 95, Urteil des Zweiten Senats vom 20.03.2002, DVB1. 2002, 697 ff. BT-Drs. 14/7386, S. 122. Notiz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 21. 2. 2002, Nr. 44, S. 5.

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Integrationsbereitschaft begrüßen. Dann ist aber auch zu hoffen, dass auf der anderen Seite wenigstens die Verwaltungspraxis das neue AusländerPräventivrecht nicht einseitig in kommunikations- und damit integrationshemmender Weise handhabt.

9 Pitschas/Stolzlechner

Die Rolle der Rasterfahndung in Deutschland Statement Von Aurangzeb Khan Seit den verheerenden Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA ist die Rasterfahndung - ein vor allem kriminalpolizeilich-taktisches Fahndungsmedium, welches von den deutschen Sicherheitsorganen seither im breiten Umfang zum Einsatz gekommen ist - nach einigen Jahren wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Sie hat hierzulande z. T. fur heftige Kritik gesorgt. Die Rasterfahndung ist den meisten wohl mittlerweile ein Begriff. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei nach § 98a der Strafprozessordnung um einen maschinell-automatisierten Datenabgleich zwischen bestimmten, auf den oder die Täter vermutlich zutreffenden Prüfungsmerkmalen mit aus anderen Gründen an anderen sowohl öffentlichen als auch nicht öffentlichen Stellen gespeicherten Daten. Durch diesen Abgleich sollen Nichtverdächtige herausgefiltert bzw. es sollen Personen identifiziert werden, die für die polizeiliche Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen. In Deutschland ist die Rasterfahndung kein Novum, denn sie wurde bereits in den 1970er Jahren und im Rahmen der Antiterrorismuskampagne in Deutschland - damals war diese in erster Linie gegen die Rote Armee Fraktion gerichtet - von den hiesigen Sicherheitsorganen und allen voran vom deutschen Bundeskriminalamt zum Aufspüren von Terroristen und deren Helfern eine Zeit lang intensiv und flächendeckend eingesetzt. Die Rasterfahndung wird von den Sicherheitsorganen Deutschlands als ein nützliches Hilfsinstrument in ihrem Kampf gegen die Kriminalität beurteilt. In der Öffentlichkeit wird dieses Fahndungsmedium stets im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung gesehen - zu unrecht, wie ich meine. Denn sie lässt sich ggf. auch in anderen Kriminalitätskontexten anwenden. Der erneut in breitem Umfang stattfindende Einsatz der Rasterfahndung in Deutschland nach dem 11. September 2001 richtet sich vor allem gegen islamistisch-fundamentalische Terrorgruppen, die die Bundesrepublik für ihre kriminelle Machenschaften missbrauchen und dabei auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für dieses Land darstellen. Bei den RasterfahndungsZielpersonen handelt es sich grundsätzlich um Individuen, welche bestimmte Merkmale aufweisen wie bspw. die islamische Religionszugehörigkeit, die zudem einer bestimmten Altersklasse angehören und über einen guten Bildungs*

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Aurangzeb Khan

stand verfugen - ζ. Β. Studenten technischer Fachrichtungen - , unauffällig leben und nicht in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. Der Einsatz der Rasterfahndung mag in sicherheitspolitischer Hinsicht nützlich und gefordert erscheinen, wenngleich die großen Erfolge dieses Fahndungsinstruments bei der Aufdeckung von islamistischen Schläferzellen in Deutschland noch auf sich warten lassen. Man weiß zwar, dass es sie gibt, aber man konnte sie bisher nicht ausfindig machen. Der Einsatz der Rasterfahndung ist aber in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht unproblematisch. Er wirft kontroverse Grundsatzfragen auf, womit sich auch die deutschen Gerichte gelegentlich befassen mussten. Sehen wir von der in manchen Teilen unserer Gesellschaft des öfteren zu hörenden polemischen Kritik über den sich ständig voranschleichenden „Überwachungsstaat" ab und richten wir unseren Blick statt dessen kurz auf zwei der öfteren geäußerten Bedenken gegen den Einsatz der polizeilichen Rasterfahndung: ( 1 ) Die Rasterfahndung wird dafür kritisiert, dass durch sie ein Teil der Bevölkerung - also lediglich diejenigen Personen, die die einer Rasterfahndung zugrundeliegenden Prüfkriterien erfüllen - zunächst unter einen Generalverdacht gestellt wird. Ein solcher Generalverdacht würde dem Geist der liberalen Demokratie, welcher dem Individuum ein breites Spektrum an verfassungsrechtlich verankerten Abwehrrechten gegen staatliche Eingriffsmaßnahmen in seine Privatsphäre gewährleistet, nicht entsprechen. (2) Gegen die Rasterfahndung könnte ferner der auch im deutschen Grundgesetz verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sprechen, der für die öffentliche Verwaltung und somit ebenso für die Sicherheitsorgane von Bund und Ländern gilt. In diesem Zusammenhang wäre ζ. B. zu fragen, ob die Rasterfahndung angesichts ihrer Eingriffsintensität in die Privatsphäre des Bürgers einerseits und wegen ihrer bisher ausgebliebenen Erfolge bei der Terrorismusbekämpfung andererseits überhaupt als eine verhältnismäßige Maßnahme - d. h. geeignet, erforderlich und angemessen - anzusehen ist. Manche mögen dies sicherlich nicht einsehen und bei einer oberflächlichen Betrachtung müsste man ihnen wohl recht geben. Im Übrigen stellt sich prinzipiell die Frage, ob in der heutigen, stark vom internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität geprägten Risikogesellschaft und den damit einhergehenden schwer einzuschätzenden Bedrohungslagen von Verhältnismäßigkeit überhaupt noch die Rede sein kann. Zwar ist die Rasterfahndung kein Wundermittel im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und kann bisher auch keine bedeutsamen „Erfolge" i. S. medienwirksamer Verhaftungen und anschließender Überführung vermeintlicher Terroristen in Deutschland aufweisen. Dennoch hat sie einen Nutzwert, der bei einer tiefgehenden Betrachtung nicht zu unterschätzen ist. Denn die Rasterfahndung bietet den Sicherheitsorganen in Deutschland, die aufgrund von personellen, materiellen und finanziellen Engpässen ohnehin auf Dauer be-

Die Rolle der Rasterfahndung in Deutschland

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reits erheblich ausgelastet sind, die Möglichkeit, ihre Ermittlungsressourcen auf Personenkreise zu fokussieren - in diesem Fall Mitbürger islamischen Glaubens - , die mit einiger Wahrscheinlichkeit Schläferzellen angehören. Die Rasterfahndung ist damit ein Hilfsmittel, deren Effektivität nicht isoliert, sondern erst im Zusammenhang mit dem Einsatz weiterer im Bereich der kriminalpolizeilichen Informations- und Kommunikationstechnik verwendeten Ermittlungs- und Fahndungsinstrumente sowie darüber hinausgehenden Einsatzmitteln zu beurteilen ist. Die Rasterfahndung - und gleiches gilt im Übrigen auch für den gesamten Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik - ist allerdings kein Ersatz für eine gründliche, professionelle, gut abgestimmte nachrichtendienstliche und kriminalpolizeiliche Ermittlungsarbeit, die auch einen systematischen sowie auf Dauer stattfindenden grenzüberschreitenden Informations- und Datenaustausch beinhaltet. Mit Hilfe der Rasterfahndung können aber durchweg Erkenntnisse gewonnen werden, die mit anderen Einsatzmitteln kaum, überhaupt nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand zu erlangen wären. Der Staat hat das Recht und die Verantwortung, sich und die Gesellschaft vor Kriminalität zu schützen; ebenso muss er aber die Freiheit und Bürgerrechte achten. Freiheit und Sicherheit sind dabei keineswegs sich gegenseitig ausschließende, sondern sind ergänzende, komplementäre Grundziele jeder modernen Gesellschaft oder um es mit Wilhelm von Humboldt auszudrücken: „Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit". In der Post-11. September-Ära, in der die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine bisher kaum für möglich erahnte Dimension erreicht hat und schlimmstenfalls kaum vorstellbare Schäden für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt verursachen kann, ist daher ein Umdenken in der deutschen Sicherheitspolitik erforderlich. Um die von der Kriminalität ausgehenden Risiken möglichst zu minimieren, ist der Staat herausgefordert, sich weg von seinem traditionell eher repressiv orientierten Verbrechensbekämpfungsansatz und hin zu einem präventiven bzw. vorbeugenden Ansatz zu orientieren. Hierfür steht ihm ein breites Spektrum an Steuerungsinstrumenten zur Verfügung, darunter ζ. B. das Recht (Strafrecht und sonstiges, auf die Kriminalprävention zugeschnittenes Recht), die ressourcenmäßige Unterstützung der Sicherheitsorgane, der verstärkter Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik und eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation, Kommunikation sowie Koordination zwischen den Sicherheitsbehörden. Bekanntlich ist die Kriminalitätsvorbeugung keine leichte Sache und jedes angemessene Mittel, welches die Sicherheitsorgane bei ihrer schwierigen Aufgabenbewältigung ein Stück voran bringt, soll und muss Verwendung finden. Die Rasterfahndung bildet in diesem Kontext ein Instrument, welches in

130

Aurangzeb Khan

einer solchen Kriminalpräventionspolitik in der Risikogesellschaft beibehalten werden sollte.

Die innere Sicherheit und die Rolle privater Sicherheitsvorsorge in Japan Von Akio Takahashi I. Die Organisation der japanischen Polizei Der vorliegende Beitrag will das recht enge Problemfeld der Einbeziehung Privater in das System der inneren Sicherheit in Japan etwas näher beleuchten und die momentane Situation erläutern. Um die Ansatzpunkte zu verdeutlichen, soll zuerst die Organisation der japanischen Polizei als Voraussetzung kurz erklärt werden. 1 Das Polizeiorganisationsgesetz (PolOG) vom 6. März 1948, das unter der Leitung von Kommandeur Douglas MacArthur eingeführt wurde, veränderte das vorherige zentralisierte staatliche Polizeiwesen in eine dezentralisierte Organisation. Die neue Polizei bestand aus zwei Säulen, der staatlichen Regionalpolizei und der Kommunalpolizei. Letztere wurde von dem jeweiligen kommunalen Sicherheitsausschuss (Koan-iinkai), die erstgenannte vom staatlichen Sicherheitsausschuss und dem regionalen Sicherheitsausschuss der Präfektur geleitet. Die Mitglieder der Sicherheitsausschüsse bestanden aus jeweils drei bis fünf Zivilisten, die in Teilzeit und mit Zustimmung der jeweiligen Parlamente sowie vom Ministerpräsidenten (für den staatlichen Sicherheitsausschuss), dem Präfekturoberhaupt (für den regionalen Sicherheitsausschuss) oder dem Bürgermeister (für den kommunalen Sicherheitsausschuss) ernannt wurden. Die Sicherheitsausschüsse wurden eingerichtet, um den Missbrauch der Polizeigewalt einzudämmen und politische Interventionen von außen auszuschließen. Dieses Polizeisystem scheiterte aber bald und vor allem aufgrund der finanziellen Schwäche der kommunalen Polizei. Die Polizeiorganisation wurde nach der Wiederherstellung der Souveränität im Jahr 1953 reformiert und in die jetzige Gestalt gebracht. Die neue Polizei besteht nun aus 47 Präfekturpolizeien, die unter der Leitung des staatlichen Sicherheitsausschusses in Tokio und der jeweiligen Präfektursicherheitsausschüsse arbeiten. Die Verwaltungsfunktion

1 Zur Geschichte der japanischen Polizei vgl. Joji Tagami, Polizeirecht (Neue Aufl.), S. 1 ff. Kürzer dazu vgl. auch Tetsuya Imamura, Japanisches Polizeiwesen, Kanto Gakuin Law Review Vol. 12, No. 1/2, S. 209 (210 ff.).

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Akio Takahashi

des zivilen Sicherheitsausschusses gegenüber der Polizei besteht unverändert fort. 2

I I . Die Reform des Polizeiwesens im Jahre 2000 /. Der Hintergrund der Reform Das japanische Polizeiwesen entwickelte sich seit 1953 ohne große Veränderungen über Jahre hinweg fort. Erst am Ende des letzten Jahrhunderts geriet die japanische Polizei aufgrund vieler Skandale in die Kritik, wobei an dieser Stelle nicht auf die Details der Skandale eingegangen werden kann.3 Eine wichtige Tatsache war aber, dass sich die Kritik in der Zwischenzeit auch gegen den Sicherheitsausschuss und das Kontrollsystem der Polizei richtete. Es wurden Vorwürfe laut, wonach der zivile Sicherheitsausschuss nur eine formale Organisation und unfähig sei, die Polizei zu verwalten. In der Folge brachte die Polizeireformkonferenz (PolRK), 4 die von der Regierung eingesetzt wurde und aus Professoren und zivilen Gelehrten bestand, einen Notvorschlag zur Polizeireform ein, auf dessen Grundlage das japanische Parlament das PolOG 5 grundlegend veränderte.

2. Der Inhalt der Reform 2000 6 Der Inhalt dieser Reform aus dem Jahre 2000 konzentriert sich vor allem auf folgende Punkte: Die Verwaltungsbefugnisse der Sicherheitsausschüsse werden verstärkt, was vor allem durch die Einräumung einer Weisungsbefugnis in einzelnen Angelegenheiten erreicht werden soll; 7

2 Nach dem PolOG kann der Sicherheitsausschuss der jeweiligen Präfektur und vor allem dem Polizeidirektor vorschlagen, einem Polizisten, der gegen die Vorschriften verstößt oder sich unmoralisch verhält, eine Disziplinarstrafe aufzuerlegen. 3 Zu den Skandalen der Polizisten und der Kritik gegenüber der Polizei vgl. Yutaka Katagiri, Umstände und Abriss der Polizeireform, Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No.8, S. 1. 4 Zum Inhalt des Vorschlags vgl. Kanji Takizawa, Zum Notvorschlagsrecht der Polizeireformkonferenz und der Richtlinie der Polizeireform, Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No.4, S. 1. 5 Vgl. Kanji Takizawa, Abriss der Renovierung des PolOG, Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No. 1, S. 20; ders, Jurist No. 1195, S. 68. 6 Zum Überblick über die Polizeireform vgl. Akio Takahashi, Zur Renovierung des Polizeiorganisationsgesetzes, Gyozaisei Kenkyu No.46 (2001), S. 2 (3 ff.); Katagiri (Fn.3), S. 11 ff.; Takizawa (Fn.4), Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No.5, S. 118.

Die innere Sicherheit in Japan

133

V o n diesem Zeitpunkt an besteht eine Verpflichtung zur Beschäftigung mit und Stellungnahme zu informellen Beschwerden gegen die Polizei und ihre Arbeit; 8 Es w i r d das System der Beiräte bei den Polizeirevieren eingeführt; Polizeiinformationen sollen zunehmend veröffentlicht und transparenter gemacht werden. 9 A u f die Funktion der neu geschaffenen Beiräte bei den Polizeirevieren, die besonders von Interesse ist, soll i m Folgenden näher eingegangen werden.

3. Die Konstruktion

und Funktion

bei den Polizeirevieren

der neu eingeführten (Keisatsusho-Kyogikaif

Beiräte 0

Die neu eingeführten Beiräte bei den Polizeirevieren haben die englische „Police-Community Consultative Group" z u m Vorbild. Sie sind bei jedem Polizeirevier eingerichtet worden. Die Mitglieder setzen sich u. a. aus Rechtsanwälten, Vertretern der Gemeinde, Lehrern der unteren Schulen, Vertretern der Lokalverbände sowie Vertretern der N P O zusammen, die v o m Sicherheitsaus-

7 Die von der Opposition geforderte Einrichtung eines neuen dritten Kontrollorgans mit Inspektionsfunktion wurde, bezogen auf den Vorschlag des PolRK, als nicht notwendig angesehen. Die Begründung fur diese Ablehnung war, dass die Untersuchung von gesetzlichen Verstößen durch Polizisten nicht von polizeiunabhängigen Organen durchgeführt werden sollten, weil sie zur Aufdeckung von Verbrechen fuhren könnte. Die Abschaffung des Sicherheitsausschusses als solchem wurde während der Diskussion nur selten gefordert. Zum Inhalt der Diskussion vgl. Katagiri (Fn.3), S. 20 ff. 8 Die Einführung dieser Verpflichtung ist eine Antwort auf die Kritik, dass die Polizei - ohne Rücksicht auf eine mögliche Beschwerde der Geschädigten - die notwendigen Maßnahmen aufgrund eines bestehenden Verdachts auf ein Vergehen häufig nicht in die Wege geleitet hätte. Dazu Tadataka Miyazawa, Zur Verstärkung der Selbstkontrolle der Polizei, Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No.8, S. 54. 9 Die Veröffentlichung der Polizeiinformationen wurde durch das am 1. April 2001 durchgesetzte neue Gesetz zur Veröffentlichung von Verwaltungsinformation und die inzwischen durchgeführten Novellierungen der Satzungen der Präfekturen realisiert. Nach diesem Gesetz und den Satzungen kann der Generalpolizeidirektor (auf der staatlichen Ebene) oder der Polizeidirektor (auf der Präfekturebene) beurteilen, ob die Veröffentlichung der angetragenen Information ein Hindernis fur die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bilden kann. Die PolRK hat eine Richtlinie für diese notwendige Beurteilung vorgeschlagen. Zur Praxis der Veröffentlichung der Polizeiinformationen vgl. Toshie Tanaka, Zur Förderung der Informationsveröffentlichung, Keisatsugaku Ronshu, Vol.54, No.8, S. 37. 10

Vgl. Tetsuya Imamura, Eine Studie zum unabhängige Kontrollorgan der Polizei (1), Kanto Gakuin Law Review, Vol. 12, No. 1/2, S. 1 (3).

134

Akio Takahashi

schuss der Präfektur ernannt werden. 11 Man erwartet von den Beiräten, dass sie die Anschauungen der Bürgergesellschaft in die Polizeiverwaltung einbringen und nicht nur einfache Beschwerden proklamieren. Nach der Richtlinie der Staatspolizeibehörde ist der Polizeivorsteher nicht an die Meinungen der Beiräte gebunden, er soll sie aber achten. Die Zahl der Mitglieder der Beiräte ist nicht gesetzlich bestimmt. Sie wird nach der Größe des Polizeireviers durch die Satzung der Präfektur jeweils festgelegt (ca. 3 bis 20 Personen). Auch Ausländer können Mitglied eines Beirats werden, was bereits in einigen Fällen in die Tat umgesetzt wurde. Vor der Ernennung der Mitglieder soll der Polizeivorsteher die Liste der Kandidaten an den Sicherheitsausschuss einreichen. Für die Aufstellung der Liste können die Kandidaten von den Lokalverbänden, Gemeinden oder Schulen empfohlen werden. Die Sitzungen der Beiräte finden durchschnittlich alle drei Monate statt. Welche Rolle die Beiräte im Einzelnen spielen und was sie wirklich leisten können, ist von Polizeirevier zu Polizeirevier unterschiedlich. Auf einzelne Fälle soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 12 Grundsätzlich erklärt in den jeweiligen Sitzungen der Polizeivorsteher die Situation und die Richtlinie des Polizeidienstes; er hört dazu die Meinungen der Mitglieder über die Sicherheit im Revier. Es gibt einige Berichte, wonach die Polizeireviere unter Berücksichtigung der Meinungen von Beiräten Maßnahmen getroffen haben, ζ. B. eine Veränderung der Streifenroute, die Einführung einer Streife in Kooperation mit zivilen Sicherheitsorganisationen usw. Aus vielen der Berichte über die Beiratsarbeit kann man erfahren, dass die Mitglieder häufig nach einer Verstärkung der Kooperation mit zivilen Sicherheitsorganisationen verlangen. Die Einrichtung von Beiräten und damit der Beginn dieser neuen Kooperationsform liegt erst 1 Vi Jahre zurück. Es ist daher noch zu früh, mit den ersten gemachten Erfahrungen die Vor- und Nachteile dieses Systems abschließend zu beurteilen. Was man aber jetzt schon sicher sagen kann ist, dass eine stärker werdende Neigung im Hinblick auf eine verstärkte Kooperation zwischen Polizei und Privaten vorliegt. Außer dieser neuen Form der Beiratsarbeit gibt es auch in Japan bereits viele verschiedene Kooperationen zwischen der Polizei und Privaten, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.

11 Vgl. die Leitlinie der Staatspolizeibehörde über Einrichtung, Mitglieder und Führung der Beiräte. 12 Manche Präfekturpolizeien veröffentlichen das Protokoll der Beiräte auf der Homepage (z.B. http://www.police.pref.gunma.jp/event/gkk/gkk_kaisai_higashi.html ).

Die innere Sicherheit in Japan

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I I I . Andere Formen der Kooperation zwischen Polizei und Privaten 1. Vereine für Verbrechensbekämpfung

(Bo-han-Kyokai)

Über 50 Jahre existieren in Japan bereits die zivilen Vereine für Verbrechensbekämpfung. Ihre Zentrale nahm im Jahr 1962 die Arbeit auf und seit 1963 wird sie in Form einer Stiftung geführt. Unterhalb der Zentrale gibt es 47 Präfekturvereine, 20.805 Betriebsvereine, 4.019 Kommunalvereine sowie 1.224 Bezirksvereine. 13 Dieses Netzwerk bezweckt vor allem die Verhinderung der jugendlichen Verwahrlosung, die Verhütung des Verwendens von Rauschgift und die Bekämpfung von Verbrecherbanden (Boryokudan = japanische Mafia). 14 Die Vereine sind in enger Kooperation mit der Polizei tätig im Bereich der Aufklärung, der Verbrechensbekämpfung und der Unterstützung von Bürgerbewegungen gegen Verbrechen. 15 Die Vereine, die bei jedem Polizeirevier eingerichtet sind (Bezirksvereine), haben ihre Büros sogar innerhalb von Polizeigebäuden. In der Vergangenheit wurden auch einige pensionierte Polizeibeamte Berater der Vereine. Die Bo-han-Kyokai gehören zwar formell nicht zur Organisation der Polizei, sie sind aber beinahe als eine Art von Teilorganisation der Polizei zu beurteilen. 16

2. Die Häuser des Kinder-Notrufs Neuerdings erweitert sich das Netzwerk um eine neue zivile Basisbewegung für Verbrechensbekämpfung, nämlich um die Häuser des Kinder-Notrufs 110, und zwar in ganz Japan.17 Diese Häuser sind mit einer innerhalb des jeweiligen Bezirks einheitlichen Platte (Kinder 110) gekennzeichnet und eingetragen als Zufluchtsort für Kinder. Ihre Bewohner sind ehrenamtlich verpflichtet, eine Zuflucht für Kinder zu bieten und diese zu beschützen. Das Netzwerk wurde

13

Zur Statistik vgl. http://www.bohan.or.jp/soshiki.htm._Vgl. auch Masahiro Anakura, Die Entwicklungen des 30jährigen Zentralen Vereins für Verbrechensbekämpfung, Keisatsu Jiho, Vol.50, No.9, S. 124. 14 Vgl. Art.4 des Stiftungsakts des Zentralen Vereins fur Verbrechensbekämpfung. 15 Vgl. ζ. B. Akira Noji, Fazit der Tätigkeit jedes Präfekturvereins für Verbrechensbekämpfung gegen Verbrecherverbände, Keisatsu-Koron, Vol.46, No.l (1991), S. 78. 16 Außer dem Verein für Verbrechensbekämpfung gibt es noch eine Verkehrspatrouillenperson, die gesetzlich die Befugnis hat, den fließenden und ruhenden Verkehr zu regeln (Art. 6 und 51 Straßenverkehrsgesetz). Die Verkehrspatrouillenperson ist ein Nichtpolizist, der aber als Angestellter einer Polizeibehörde tätig ist (Art. 114-4 Abs.3 Straßenverkehrsgesetz). In dem Sinne ist diese Person also kein Privater. Sie soll deswegen an dieser Stelle keine spezielle Erwähnung finden. 17

Die Nummer 110 ist die Telefonnummer für den Polizei-Notruf in Japan.

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Mitte der 90er Jahre als Reaktion auf den Mordfall einer Schülerin auf dem Weg nach Hause ins Leben gerufen, und es verbreitete sich nach einem weiteren grausamen Mord an einem anderen Schüler in Kobe sehr schnell in ganz Japan. Dem Bericht einer Zeitung zufolge liegt die Zahl der eingetragenen Häuser mittlerweile bei über einer Million. 1 8 Das Netzwerk wird teilweise von den jeweiligen Polizeirevieren oder den Vereinen für Verbrechensbekämpfung organisiert, ist aber teilweise auch von der Gemeinde (Erziehungsausschuss) oder Schule eingerichtet. 19 Damit stellt diese Bewegung nur ζ. T. eine Seite der privaten freiwilligen Bewegung für Verbrechensbekämpfung dar, die unabhängig von der Polizei ist. Ihre Wirksamkeit hängt aber immer von der guten Zusammenarbeit mit der Polizei ab, denn die Bewohner der eingetragenen Häuser haben keinerlei eigene Befugnisse zur Verbrechensbekämpfung. Sie können lediglich in einem Notfall die Polizei verständigen.

3. Das Netzwerk der Sicherheits-Community

und die Rolle der Gemeinde

In dem alten Polizeisystem, welches seit den 50er Jahren bestand, hatte die Gemeinde keine weiterreichenden Polizeibefugnisse - abgesehen von der verwaltungspolizeilichen Befugnis, wie sie ζ. B. die Baupolizei innehat. Momentan aber steigt die Zahl der Gemeinden, die mit der Satzung für die Lebenssicherheit ein Netzwerk der Sicherheits-Community organisieren wollen. Mittlerweile sind 970 Gemeinden dahingehend aktiv geworden, wobei dies ein Drittel aller existierenden Gemeinden in Japan ausmacht.20 Weil die Satzungsgebung von den Vereinen für Verbrechensbekämpfung unterstützt wird, fordert diese Bewegung auch indirekt die Staatspolizeibehörde. Das Netzwerk der Sicherheits-Community bildet eigentlich einen Bestandteil der Dezentralisierungspolitik - weg von staatlicher und hin zu kommunaler Verantwortung. Viele Gemeinden erkennen aber diese Bedeutung nicht oder nicht ausreichend, was daran sichtbar ist, dass die Satzungen häufig wortgleich mit Programmsätzen ausgefüllt sind. Eine bemerkenswerte Satzung existiert allerdings von der Osaka Präfektur, die ein Sicherheitsnetzwerk durch eine Kooperation zwischen Polizei, Gemeinde, Bewohnern und Vereinen für Verbrechensbekämpfung aufbauen will. 2 1 Die Zentrale dieses Netzwerks bilden die

18

Siehe dazu http://www.osaka.yomiuri.co.jp/feature/jidou/kodomo/010613.htm . Zur Zeit gibt es keine zuverlässige Statistik über dieses Netzwerk, weil die Organisationsform so verschieden ist, dass keine bestimmte Behörde zuständig ist. 20 Die Statistik findet sich auf der Homepage des Vereins für Verbrechensbekämpfung (http://www.bohan.or.jp/data.htm). 21 Vgl. Keiji Goto, Zur Satzung der Osaka Präfektur für sichere Stadtplanung, Keisatsugaku Ronshu, Vol.55, No.8, S. 23. Die Umstände innerhalb der Osaka Präfektur führten zum Erlass dieser Satzung. Dazu zählt, dass die Zahl der Verbrechen - insbe19

Die innere Sicherheit in Japan

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Präfektur und der Polizeivorsteher. Die Präfektur ist ebenso wie der Polizeivorsteher in seinem Revier durch die Satzung verpflichtet, in Kooperation mit der Gemeinde, den Unternehmen, den Bewohnern und den Bewohnerorganisationen ein System der Sicherheits-Community zu errichten. Durch diese doppelte Einbindung teilen sich die Präfektur und die Gemeinde die Sicherheitsverantwortung mit der Polizei. In diesem System ist der private Sicherheitsdienst nicht erwähnt. Aber die Tätigkeit der Bezirksvereine für Verbrechensbekämpfung, die die Basis für das Netzwerk dieser Vereine bilden, wird in der Realität von den privaten Sicherheitsunternehmen unterstützt. Daher ist nunmehr an dieser Stelle auf den privaten Sicherheitsdienst und seine Rolle einzugehen.

IV. Privater Sicherheitsdienst 1. Die Tätigkeiten In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann die Geschichte der privaten Sicherheitsdienste in Japan22. Seitdem erweitert sich ihr Tätigkeitsfeld ständig. Es reicht mittlerweile vom Schutz von Fabrikanlagen, Büros, Amtsgebäuden oder Atomkraftwerken bis hin zu Verkehrsleitung an Bauplätzen, Ordnungs- und Sicherheitsdiensten bei Großveranstaltungen, Geldtransportbegleitung und Leibwache23. Besonders hinsichtlich der Einführung und Verbreitung der mechanischen Bewachungsvorrichtungen an Häusern ist der private Sicherheitsdienst unter den Bürger anerkannt und etabliert. Die neueste Statistik aus dem Jahr 2001 besagt, dass in Japan 9.452 Sicherheitsunternehmen existieren, die insgesamt 446.703 Angestellte und Arbeiter beschäftigen. Diese Zahl ist 1 Vi mal so hoch wie die Zahl der Polizeibeamten in ganz Japan.24

2. Die Berechtigung der privaten Sicherheitsdienste Die Tätigkeit und die Befugnisse der privaten Sicherheitsunternehmen sind in dem Gesetz für das private Sicherheitsgewerbe geregelt. Nach diesem Gesetz

sondere auf den Straßen - ebenso wie der Anstieg der Verbrechenszahlen im Jahr 2001 die höchsten in ganz Japan sind. Vgl. dazu http://www.npa.go.jp/policeJ.htm. 22 Zur Geschichte vgl. http://www.secom.co.jp/company/history.html. 23 Vgl. http://www.npa.go.jp/policeJ.htm 24 Vgl. http://www.npa.go.jp/policeJ.htm sowie Kiyotaka Hirahara, Zukunft des Sicherheitsgewerbes und der Polizei, Keisatsugaku Ronshu, Vol.49, No.5, S. 26; Hisahiro Takayama, Zeitalter der gekauften Sicherheit, Anshinna Machini, Vol.41, No.7, S. 18 (19).

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beaufsichtigt die Polizei die privaten Sicherheitsunternehmen, wobei diesen durch das Gesetz keine besonderen Berechtigungen im Hinblick auf ihre Tätigkeit verliehen werden. Art. 8 des Gesetzes lautet wörtlich: „Die privaten Sicherheitsunternehmen und ihre Wachen sind bei der Ausführung von Sicherheitsdiensten im Sinne dieses Gesetzes nicht besonders berechtigt". Die Sicherheitsunternehmen können allerdings und daneben das Hausrecht des Kunden innerhalb dessen Grundstück im Auftrag in Anspruch nehmen. Darüber hinaus gibt es keine ernsthaften Kontroversen in Bezug auf die Zulässigkeit und Grenzen der Rechte von Sicherheitsdiensten. Auf öffentlichen Plätzen verrichten die Sicherheitsunternehmen lediglich aufgrund einer schlichten Anleitung oder Bitte das beauftragte Geschäft. Hinsichtlich der Berufung auf Jedermannsrechte, die in Deutschland besonders diskutiert wird, 25 findet man in Japan bisher keine Anwendungsfälle und es besteht demnach auch bisher keine Kontroverse darüber. 26 Diese rechtliche Situation kann sich in Zukunft vielleicht für die Sicherheitsunternehmen als ungenügend erweisen. Sie selbst oder die berufsgenossenschaftlichen Verbände haben aber bisher keine Einwände dagegen erhoben. Die Polizei sieht bis dato gleichfalls keine Notwendigkeit zur Veränderung der Situation. Die beiderseitige Zurückhaltung führt aber auch zu Nachteilen.

3. Probleme der privaten Sicherheitsdienstleistung

(eine Fallanalyse)

Im Juli 2001 gab es ein bedeutungsvolles Ereignis für die Kooperation zwischen Polizei und privaten Sicherheitsunternehmen, auf das an dieser Stelle in

25

Vgl. einerseits Wolfgang Hoffmann-Riem, Übergang der Polizeigewalt auf Private?, ZRP 1977, S. 277; Bernd Jeand'Heur, Von der Gefahrenabwehr als staatlicher Angelegenheit zum Einsatz privater Sicherheitskräfte, AÖR Bd.l 19, S. 107; Andreas Peilert, Police Private Partnership, DVB1. 1999, S. 282 (287); andererseits Lothar Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, Berlin 1987; Martin Schulte, Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte im Lichte des staatlichen Gewaltmonopols, DVB1.1995, S. 130; Gerhard Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, 2000, S. 333; Bernhard Weiner, Privatisierung von staatlichem Sicherheitsaufgaben, 2001, S. 138 ff.; Christof Grimm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, 2001, S. 129. 26 Zum Vergleich der japanischen Situation mit der deutschen vgl. Akio Takahashi, Privatisierung von Polizeiaufgaben in Deutschland, Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät an der Universität Osaka, 2002. Art. 35 bis 37 Japanisches Strafgesetzbuch regeln Jedermannsrechte. Art. 37 Abs. 2 bestimmt, dass der Abs.l (Nichtstrafbarkeit wegen Notstand) nicht für die geschäftlich verpflichtete Personen angewandt wird. Nach der herrschenden strafrechtlichen Meinung ist es aber nicht ausgeschlossen, dass die geschäftlich beschäftigte Person im Schutz der Rechtsgüter nicht strafbar sein kann. Vgl. Hitoshi Otsuka, Grundriss des Strafrechts (Allgemeiner Teil), S. 351 f. mit Literaturverweis.

Die innere Sicherheit in Japan

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Kürze eingegangen werden soll. 27 Fast 100.000 Zuschauer sammelten sich an der Küste von Akashi für eine Feuerwerkveranstaltung. A m Ende der Veranstaltung wurden zum einen die zurückkehrende Masse und zum anderen eine weitere Menschentraube, die noch an die Küste zu einem Spaziergang aufbrechen wollte, auf einer Fußgängerbrücke zwischen der Küste und dem nächsten Bahnhof zusammengedrängt. Es entstand eine Panik und Personen wurden wild zusammengeschoben bzw. zu Boden gerissen. Viele sind in dieser Panik ungekommen oder wurden verletzt; vorrangig starben Säuglinge, Kleinkinder und Alte. Diese Veranstaltung wurde von der Stadt Akashi als Gemeinde durchgeführt, so dass diese auch einen Plan für die Leitung der Zuschauer aufstellen musste. Mit der Planung und Durchführung einer solchen Leitung beauftragte die Gemeinde nun aber ein Sicherheitsunternehmen. Das zuständige Polizeirevier kontrollierte den Plan des Unternehmens, befand ihn für gut und traf keine weiteren Anordnungen. Das Polizeirevier hatte seinerseits einen Plan zur Stationierung von Polizeibeamten aufgestellt, aber in diesem Plan lag der Schwerpunkt auf eventuell notwendigen Maßnahmen gegen jugendliche Krawalltäter. Nur acht Polizeibeamte waren in der Nähe der betreffenden Fußgängerbrücke stationiert und darüber gab es keinen Informationsaustausch zwischen der Polizei und dem Veranstalter bzw. den Sicherheitsunternehmen. Die Angestellten und Arbeiter der Sicherheitsunternehmen, die zum Teil nur mit einem T-Shirt bekleidet waren, standen somit ohne hoheitliche Berechtigung und Durchschlagskraft sowie ohne polizeiliche Hilfe der Masse machtlos gegenüber. In dem formellen Bericht über diesen Unfall wurde erstmalig auf das Problem der fehlenden Berechtigung von Sicherheitsunternehmen hingewiesen. Dennoch enthielt der Bericht keinen Vorschlag für mehr Berechtigungen. Er sah nur die Verstärkung der Kooperation zwischen Polizei und Sicherheitsunternehmen vor. 28 Natürlich lassen sich an diesem Einzelfall nicht alle möglichen Arbeitsteilungen und Kooperationsformen zwischen Polizei und privaten Sicherheitsunternehmen aufschlüsseln und abschließend beurteilen. Die Richtung einer Verbesserung ist somit für die Zukunft noch völlig offen. 29

27

Zu den Tatsachen des hier mitgeteilten Unfalls vgl. den Bericht vom Untersuchungskomitee. Das Untersuchungskomitee, das von der Stadt Akashi organisiert wurde, hat einen Bericht über den Unfall im Januar 2002 erstellt, der auf der Homepage der Stadt Akashi (http://www.city.akashi.hyogo.jp/jikochousa/jikochou.html) veröffentlicht ist. 28 Vgl. den Bericht, S. 118, 124 ff., 128, 130. Der Bericht betont vor allem die Wichtigkeit des Informationsaustauschs zwischen Polizei und Veranstalter. 29 Unter dem Eindruck dieses Unfalls hat die Staatspolizei beh örde am 9. Mai 2002 die Leitlinie über die Verhinderung von Unfällen in Massenveranstaltungen aufgestellt (http://www.npa.go.jp/police_j.htm). Der Leitlinie nach ist die Polizei im Grundsatz verpflichtet, die notwendigen Leitlinien dem Veranstalter vorzugeben, den Bewa-

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Grundsätzlich lässt sich unter Berücksichtigung dieses abschließenden Beispiels aber festhalten, dass die innere Sicherheit in Japan durch weitere rechtsstaatliche gesetzliche Bestimmungen verbessert werden kann und soll. 3 0

chungsplan in Augenschein zu nehmen und die notwendige Kooperation mit dem Veranstalter vor Ort zu leisten. Der Veranstalter wiederum ist als Zweckveranlasser polizeilich verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen in großen Menschenansammlungen zu treffen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um den Innen- oder Außenbereich des betroffenen Geländes handelt. Diese Verpflichtung war in dem vorher geltenden Regelungskatalog der Polizei (vgl. Unterlagen zu dem Bericht, Fn.26) nicht klar, weil dieser die Regelung von Menschenansammlungen der Entscheidung des Veranstalters überließ. 30 Zum kooperativen Rechtsstaat vgl. Rainer Pitschas, Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsdienste?, DÖV 1997, S. 393 (398).

Wie viel Sicherheit verträgt oder benötigt Freiheit? Diskussion zu den Referaten von Rainer Pitschas, Erhard Denninger und Akio Takahashi sowie zum Statement von Aurangzeb Khan Von Alexandra Müller Die Diskussion um die Gestaltung der inneren Sicherheit sowohl in Deutschland als auch in Europa wird vorwiegend unter Praktikern und Politikern geführt. Wenn es aber um die Neugestaltung der inneren Sicherheitsarchitektur geht, scheint es unumgänglich, auch wissenschaftliche Unterstützung zu Rate zu ziehen, um eine breite Basis zu schaffen und Veränderungen fundierte Erkenntnisse zugrunde legen zu können. In diesem Kontext trugen bei dem Werkstattgespräch auch Wissenschaftler aus Deutschland, Japan, Österreich und Pakistan mit ihren Erkenntnissen und auf der Grundlage ihrer je eigenen Beurteilungsperspektive zur Diskussion bei. Im Anschluss an den Beitrag von Pitschas eröffnete zunächst Stolzlechner die Debatte, indem er noch einmal die drei Ebenen herausstellte, die im bisherigen Verlauf des Workshops immer wieder deutlich geworden wären und die auch von Pitschas noch einmal aufgezeigt worden seien. Es handele sich zum einen um die europäische Perspektive bzw. polizeiliche Zusammenarbeit, zum anderen um die Zusammenarbeit im Inneren auch auf der gesellschaftlichen Ebene, ausgedrückt durch die Formulierung des Netzwerkes bzw. der Sicherheitspartnerschaften und zum dritten gehe es um die kritische Hinterfragung der gegenwärtigen Sicherheitsarchitektur im Zusammenhang mit den neuen Aufgabenstellungen und Befugnissen der Sicherheitsbehörden. Gerade die letztere fordere dazu auf, Rechtsstaat und Grundrechte mit den neuen Befugnissen in eine ausgewogene Balance zu bringen. Unter Hinweis auf das von Pitschas vorgetragene und beeindruckende Gesamtkonzept fragte Dr. Josef Aulehner von der Universität München noch einmal hinsichtlich des Verhältnisses zwischen staatlicher und privater Polizei nach. Er, Aulehner, habe gehört, dass beide verhältnismäßig einfach bzw. harmonisch kooperieren sollten, was er sich nicht wirklich hinreichend vorstellen könne. Anhand eines konkreten Beispiels ließe sich dies auch verdeutlichen: wenn der Bürger A verhältnismäßig vermögend sei, könne er sich ein privates Sicherheitsunternehmen leisten, welches sein Eigenheim dreimal in der Nacht kontrolliere, was für ihn in der Tat sehr vorteilhaft wäre. Wenn der Bürger Β sich dieses aber nun nicht leisten könne, was passiere dann eigentlich? Er, Aulehner, habe das Gefühl, dass es dann einer staatlichen Gewährleistungsaufsicht 10 Pi tschas/Stol ziechner

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bedürfe, die sich so umsetzen lassen müsse, dass die staatliche Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten und soweit es notwendig sei, auch einzugreifen habe. In Bezug auf das Beispiel könne dies nur bedeuten, dass die Polizei soweit möglich und nötig Streife an dem Haus vorbeifahre, vielleicht nur in besonderen Situationen oder anlässlich ihrer allgemeinen Streifenfahrt. Bei dieser Vorstellung stelle sich für ihn nun umgekehrt die Frage, wenn die staatliche Gewährleistungsverantwortung sowieso schon bestehe, wofür dann der Bürger A - auch wenn er es sich leisten könne - noch ein Wachunternehmen beauftragen und die finanziellen Ausgaben dafür tätigen solle. Die Reichweite einer dualen Grundverantwortung im Detail sei ihm etwas unklar geblieben. Das von Aulehner aufgezeigte Beispiel, so erwiderte Pitschas, sei schon sehr alt, was aber nicht seine Bedeutung mindere. Man kenne es aus dem „Hahnenwald-Fair und aus anderen Zusammenhängen. Immer wieder stelle sich die Frage, ob es sich der Sozialstaat eigentlich bieten lassen könne, dass manche, die reicher seien, mehr Sicherheit bekommen könnten als solche, die weniger vermögend sein würden. Er, Pitschas, halte dies aber für einen gedanklichen Irrtum. Natürlich bestehe die staatliche Grundverantwortung für alle gleichermaßen und alle würden in der Bevölkerung auch gleichermaßen „bedient". So gebe es in dem Viertel, wo er wohne, eine nächtliche Streife der Polizei mit dem Pkw ebenso wie in den weniger gut beleumundeten Vierteln des Ortes. Wenn er sich nun mit anderen Bürgern zusammen einen privaten Schutz verschaffe, dann sei das etwas Zusätzliches, womit er gleichzeitig ermögliche, dass die Streife der Polizei, die dann wohl wegfallen könnte, eher den ärmeren Vierteln zugute komme. Die Argumentation müsse also eigentlich genau umgekehrt laufen: sozialstaatlich sei es am besten, wenn er sich private Polizei bestelle, weil dann mehr staatliche Polizei ,jenseits der Brücke zum Armenviertel" zur Verfügung stünde. Worum es aber eigentlich gehe, so fuhr Pitschas fort, sei doch zu zeigen, dass kein Problem des Verteilungskampfes zwischen Arm und Reich im Sektor der inneren Sicherheit gegeben sei. Es gehe vielmehr darum, dass unter bestimmten Haushaltsbedingungen und der weiteren von ihm aufgezeigten Anforderungen die Polizei einfach nicht in der Lage sei, mehr als nur eine Grundgesamtheit an Sicherheit bereitzustellen. Die Ausgangsfrage beantworte sich insoweit ohne Rückgriff auf arm und reich, Frau und Mann, jung und alt, sondern allein danach, ob und wie man Sicherheits Vorsorge aufteilen könne. Seiner Ansicht nach solle ein privater Sicherheitsdienst in Absprache mit der Polizei in jedem Viertel patrouillieren, so wie das in seiner Heimatstadt in der Fußgängerzone aktuell passiere, wo sich Arm und Reich begegneten und für Ordnung gesorgt werde. Er verkenne dabei nicht, dass es Auswüchse dieser Situation gebe, wie man es ζ. B. in Amerika sehen könne. Die amerikanischen Villenviertel, die umfassend privat bewacht würden und in die man als Fremder ohne entsprechende Legitimation keinen Zutritt erhalte, stünden für den Zustand ei-

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nes Zerfalls der Gesellschaft in den USA, von dem in Deutschland aber nicht die Rede sein könne. Bezugnehmend auf die Äußerungen in dem Referat von Pitschas, denen er im Grunde inhaltlich vollständig zustimme, beschrieb Horst Schult, Polizeidirektor a. D. und Berater der Securitas Deutschland Holding GmbH, seine Schwierigkeiten mit der Wahl der Begriffe. Pitschas habe von einer privaten Polizei und von einem Polizeikooperationsrecht gesprochen, was für ihn, Schult, nicht nur eine Frage redaktioneller Art sei. Er sehe darin einen erheblichen Sprengstoff, sowohl rechtlich als auch psychologisch. Er frage sich, ob es nicht gerade jetzt bei der beginnenden Vernetzung und Zusammenarbeit von Staat und Sicherheitsgewerbe richtiger wäre, auf den rechtlich bereits definierten Begriff der Polizei zu verzichten. Es gebe ζ. B. in der Polizeidienstvorschrift 100 den Begriff der anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben mit dem Kürzel BOS. Dies könne problemlos auch ein Sicherheitsunternehmen sein. Insofern wäre es vielleicht sinnvoller, anstelle von privater Polizei von privaten Sicherheitsakteuren bzw. Sicherheitsgaranten oder Sicherheitsträgern und statt von einem Polizeikooperationsrecht von einem Sicherheitskooperationsrecht zu sprechen. Dann hätte man die Möglichkeit, jedweden Akteur einzubinden. Reinhard Rupprecht, Ministerialdirigent a. D. und Berater für die Securitas Deutschland Holding GmbH, schloss direkt daran an, indem er betonte, dass der Vortrag von Pitschas eine Reihe von Punkten enthalten habe, die zu Widerspruch reizten, was aber vom Referenten wohl auch gewollt gewesen sei. Seine Bedenken gingen vor allem in die gleiche Richtung wie die seines Vorredners Schult. Man habe nun gerade den Gesetzgeber sprechen und festlegen lassen, dass das Sicherheitsgewerbe weiterhin auf der Grundlage der Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches handele und die entsprechenden Befugnisse verliehen bekomme. Er, Rupprecht, befürchte nunmehr, dass der Begriff der privaten Polizei ein wenig in die Irre führe, denn damit würde man diese normative Distanz wieder aufheben. Selbst dort, wo die Polizei nicht im Auftrag eines Privaten, sondern als Verwaltungshelfer der Polizei tätig werde, werde sie ja nicht als eine eigene Polizei tätig, denn Polizei sei für ihn der Ausdruck der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse. Interessant sei es also, ob Pitschas mit Polizeikooperationsrecht jedwede Kooperation der Polizei gemeint habe, soweit sie einer gesetzlichen Regelung bedürfe, weil es sich um Rechtseingriffe handele, oder ob nur die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsgewerbe gemeint gewesen sei. Wenn nur letzteres gemeint gewesen sei, habe er dieselben psychologischen Bedenken wie Schult. Man würde dabei wahrscheinlich Gefahr laufen, sich dem Vorwurf auszusetzen, das Sicherheitsgewerbe auf die gleiche Augenhöhe zu bringen wie die Polizei und nicht in der gebotenen Bescheidenheit aufzutreten. Pitschas stellte bezugnehmend auf die beiden Äußerungen von Schult und Rupprecht klar, dass er die begrifflichen Probleme zwar gesehen, sie aber mit 10*

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Absicht in die Diskussion gebracht habe. Die Realanalyse könne sich nicht daran orientieren, ob Begriffe Sprengstoff darstellten. Es sei gut, darauf hinzuweisen, dass sie solchen „Sprengstoff 4 enthielten, aber die Bestandsaufnahme müsse die Wirklichkeit abbilden und dafür aussagekräftige Kriterien entwickeln. Man müsse es wohl als „Polizei" bezeichnen und insoweit den materiellen Polizeibegriff ausdehnen, wenn private Sicherheitsdienste etwa mit dem Instrument der Beleihung oder in anderer Form hoheitliche Eingriffe ausführten. Dazu zähle ζ. B., Personalpapiere zu kontrollieren, Platzverweise auszusprechen oder Festhaltebefugnisse in Anspruch zu nehmen. Schon derzeit sei eine Annäherung von polizeilichen Befugnissen und die Wahrnehmung dieser Befugnisse durch private Sicherheitsdienste erkennbar, ohne dass dies in der Öffentlichkeit hinreichend deutlich würde. Im Auge des simplen Betrachters sei ζ. B. nicht mehr ganz unterscheidbar, ob es sich wirklich um Polizei handele oder nicht, wenn bspw. an den eingesetzten Pkw's der verwendete Autolack gleichfarbig und Uniformen vom gleichen Zuschnitt bzw. in der gleichen Farbe existierten. Soziologische Wahrnehmung würde es in diesem Fall rechtfertigen, von einer „privaten Polizei" zu sprechen. Dass der Begriff Reizwirkung habe, sei ihm, Pitschas, durchaus klar. Seien Verwendung solle darauf aufmerksam machen, dass man sich gewollt im Sinne des Mitwirkungsverhältnisses in eine Situation hineinbewege, in der man neue Strukturen schaffen müsse, um diese Situationen zu beherrschen. Für diesen Zweck bleibe dagegen der Begriff der Akteure ganz ungenau und diffus. Natürlich seien „Akteure" Bürger, Polizisten, Sicherheitsdienstmitarbeiter allesamt, aber es handele sich um einen Deckbegriff, der alles zulasse und jede Flucht aus der Verbindlichkeit ermögliche. Er sei deshalb untauglich zur Kennzeichnung der Lage. Sprengstoff enthalte in der Tat auch der Begriff der Polizeikooperation. Dieser wolle die Polizei rechtsstaatlich disziplinieren und darauf zurückführen, was zahlreiche Landespolizeigesetze nicht schafften, nämlich sozusagen die Arbeitsbeziehungen zwischen der staatlichen Polizei und dem Sicherheitsgewerbe zu strukturieren bzw. genau in Form zu bringen. Auch das Bundesdatenschutzgesetz sei insofern nicht trennscharf genug. Gleichwohl möge es sinnvoll sein, von Sicherheitskooperationsrecht zu sprechen, wobei er für den Hinweis dankbar sei. Man müsse diesen Rechtsstrang aus dem Landespolizeirecht herausnehmen und versuchen, das Rechtsgebiet durch Bundesgesetz näher auszuformen. Die Vielfalt bestehender Sicherheitswachten stelle in diesem Zusammenhang etwas dar, was ihm, Pitschas, ein Dorn im Auge sei. Die existierenden Landesgesetze seien zu vereinheitlichen, weil man in einem Bundesland nie wisse, wie es in einem anderen aussehe und was dort genau geregelt sei. Was ihm indes primär am Herzen liege, sei die Frage der kommunalen Präventionsräte. Denn es sollte vor allem keine Kumpanei irgendwelcher Art zwischen „staatlichen Organen" und privat-gesellschaftlich Tätigen entstehen. So gese-

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hen hätte er es auch vorgezogen, wenn man ein Gesetz über das „Deutsche Forum für Kriminalprävention" erlassen hätte. Dem Hinweis von Rupprecht, dass man seit der Änderung des Bewachungsrechts ein Gesetz habe und dieses dann auch erst einmal vollziehen solle, stimmte Pitschas uneingeschränkt zu. Dies sehe er als Jurist ganz genauso, weil Gesetze immer wirksam umzusetzen seien. Schaue man beispielsweise auf das Gewerberecht, so wäre es eben wichtig, im Hinblick auf das Unterrichtungsverfahren oder andere Gesetzesanliegen, die Gewerbeaufsichtsämter personell zu verstärken. Er habe aber darüber hinaus deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Gewerberechtsnovelle gar nicht so hilfreich sei, weil sie nur geringfügige QualifikationsVerbesserungen herbeiführe. Übergehend zu einer Diskussion des Referats von Denninger ging es zunächst Aulehner darum, seine in von diesem kritisierten kommunikationsrechtlichen Überlegungen noch einmal darzustellen. Seine Grundthese sei gewesen, so führte er aus, der Mensch habe Zugang zur Wirklichkeit nur durch die Kommunikation. Wenn man davon ausgehe, müsse die Kommunikation grundsätzlich frei sein. Das aber habe zur Konsequenz, dass der Staat -und damit alle Bürger - möglichst über alle Informationen verfügen müsste. Das schließe allerdings nicht aus, dass auf einer zweiten Ebene Beschränkungen eingeführt werden könnten. Aus dem Strafrecht sei eine solche Beschränkung in Form des Beweisverwertungsverbotes recht eindrucksvoll bekannt. Denn es lägen Informationen vor, die nicht genutzt werden dürften. So etwa stelle er, Aulehner, sich das auch für seine These vor, d. h. es bestehe zunächst einmal eine umfassende Informationsfreiheit bzw. ein umfassender Informationsfluss. Darunter gäbe es jedoch viele Informationen, bei denen man sich scheue sie zu eröffnen, die aber von der Gesellschaft und dem Staat gar nicht negativ bewertet werden würden. Auf dieser Grundlage gelange er zu dem Ergebnis, dass ein großes Bedürfnis bestehe, eine manipulationsfreie Fremddarstellung zu garantieren. Es dürften also nicht irgendwelche Informationen über eine Person verbreitet werden, die falsch seien. Er, Aulehner, bezweifle demgegenüber stark, ob ein Recht auf manipulierte Selbstdarstellung bestehe, weil ihm nicht ohne weiteres einsichtig sei, warum er als jemand anderes auftreten solle, als er sei. Für ihn gehöre zur Selbstbestimmung dazu, dass man seine Person richtig zuordnen könne. Winsauer ging direkt auf die Ausführungen von Aulehner ein. Er wies darauf hin, dass er als Richter in einem Rechtsmittelsenat an einem Oberlandesgericht tätig sei. Das von Aulehner dargestellte Modell fasziniere ihn. Seiner Erfahrung nach sei dies ein theoretisches Modell, das an der Praxis vorbei gehe. Gerade bei wesentlichen Entscheidungen neigten offensichtlich sehr viele Menschen dazu, nicht nur das zu verwerten, was sie offiziell verwerten könnten. Auf der emotionalen Ebene verwerteten sie bewusst oder unbewusst all' das mit, was sie überhaupt wüssten. Deswegen halte er, Winsauer, die Auffassung von Aulehner, dass alle Informationen über alle Menschen - also der „glä-

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seme Mensch" - dem Staat zur Verfugung stehen sollten, für eine theoretische Idealvorstellung, die an der menschlichen Natur vorbeigehe. Er selbst habe z. B. im Hinblick auf Personalentscheidungen aufgrund seiner Erfahrungen zu bedenken, dass wirklich immer nur die Informationen verwertet würden, die auch verwendet werden dürften. Es dürfe eben auch nicht sein, dass nicht verwertbares Wissen durch Scheinargumente und Worthülsen einfließe. Deswegen teile er in theoretischer Hinsicht die Meinung von Aulehner; praktisch sehe er diese Ansicht aber sehr kritisch. Denninger stellte seinen Antworten die Bemerkung voran, dass er sich dessen bewusst sei, dieses Problem heute nicht ausdiskutieren zu können. Er stellte fest, dass unterschiedliche Personenbegriffe in der Diskussion verwendet worden seien. Wenn Aulehner sage, die Person werde durch die Wirklichkeit konstituiert, würde er dem zwar zustimmen, jedoch sei dies nur die halbe Wahrheit, denn die Person konstituiere ihrerseits die Wirklichkeit neu. Darin läge ein Wechselverhältnis mit Konsequenzen für den zulässigen Informationsfluss und das Informationsverhalten. Denninger wies ferner darauf hin, das Bundesverfassungsgericht habe den Grundsatz geprägt, wonach jede Person grundsätzlich über das Recht verfüge, die Preisgabe seiner personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Damit gehe das Gericht von einem Menschenbild aus, bei dem die Person in der Lage sei, sich selbst darzustellen. Diesen Grundsatz akzeptiere er und er wehre sich dagegen, dass diese Verhaltensform sofort mit dem Adjektiv „manipuliert" versehen werde. Für Aulehner scheine es eine nicht manipulierte Darstellung der Person gar nicht zu geben. Er, Denninger, räume ein, dass er Aulehner vielleicht überinterpretiert habe, jedoch sei dies die Tendenz dessen wissenschaftlicher Arbeit. Von daher habe er die Pflicht und die Möglichkeit, auch die Grenzen festzustellen, in denen eine Person ihre Darstellung und den Informationsfluss bestimmen könne. Für die personenbezogene Darstellung gelte eben das „ IchSelbst". Jeder müsse selbst entscheiden dürfen, wie er sich darstelle. Man könne auch mal als ,»Hanswurst" oder in anderer Verkleidung auftreten. Schließlich habe jeder auch mal Masken getragen, das gehöre zum Menschsein dazu. Diese Darstellungsalternativen seien nicht durch den Gedanken einer objektiv manipulationsfreien Kommunikation zu bewältigen. Mit dem Ansatz von Aulehner sei jedenfalls eine Person nicht völlig zu erreichen, woran er, Denninger, auch festhalten möchte. Er gab zu bedenken, dass man in der Orwell'sehen Gesellschaft leben würde, wenn man die Fähigkeit der Person zur Selbstdarstellung beschneiden würde. Man komme dann an den Punkt, dass andere darüber bestimmten, was man sein dürfe. Er befürchte, dass es sonst eines Tages passieren könne, dass die Person Aulehner s eines Tages nicht mehr Herr Dr. Josef Aulehner in seiner ganz bestimmten Konkretion sein werde. Pitschas fügte ergänzend hinzu, dass man dem zwar folgen möchte, aber diese Diskussion schon vom Bundesverfassungsgericht bei der „Tagebuchentscheidung" geführt wurde. Dort sei anerkannt worden, dass es so etwas wie ei-

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ne Missbrauchsschranke gebe, wonach eine Person nicht alles fur sich behalten könne, wenn andere dadurch in einem sehr hohen Maße gefährdet würden. Wenn man das akzeptiere, würde ihn interessieren, wie Denninger seine Auffassung mit dem Verfassungsschutz als Missbrauchskontrolle in Einklang bringe, zumal er den Verfassungsschutz nicht besonders gewürdigt habe. Einem fundamentalen Islamisten, der sich nicht an eine Grundrechte-Charta halte, sondern auf seine Weise die Scharia oder sonstige Ordnungen auslege, müsse man doch eine Grenze oder einen Missbrauch entgegen halten können. Pitschas verband damit die Frage, wer das feststellen solle und ob dies nach der Tat oder dem Verhalten passieren solle. Für ihn gäbe es jedenfalls einen Umschlagpunkt: Bis zu einer gewissen Reichweite würde er Denninger zustimmen. Von dem Sonderfall des sozialen Konstrukts durch Kommunikation möchte er aber absehen. Ab einem gewissen Punkt müsse es eine Missbrauchsschranke geben, die auch festgestellt können werden müsse. Nach seiner Meinung seien dann staatliche Institutionen wie der Verfassungsschutz notwendig. Denninger erwiderte, er sei nicht der Auffassung, dass ein sachlicher Dissens vorliege. Was Missbrauch sei, werde in einem rechtlich geordneten Gemeinwesen durch die Gesetze bestimmt. Nach den Strafgesetzen bemesse sich die Zukunftsprojektion an der Gefährlichkeit eines Täters, der noch keine Tat begangen habe. Er halte die Wiederholungsprognosen ζ. B. bei Suizidmördern für problematisch, weil diese zu allem und damit auch zur Selbstvernichtung entschlossen seien. Natürlich sehe er Institutionen als selbstverständlich an, die durch Beobachtung und andere Kontrollmöglichkeiten dafür sorgten, solche Taten nach Möglichkeit zu verhindern. Er habe nur einen grundlegenden Dissens mit dem theoretischen Grundansatz von Aulehner. Auch wenn Pitschas dies beiseite lassen wolle, sehe er gerade darin den entscheidenden Punkt. Die Person sei nicht nur ein Konstrukt, sondern konstruiere selber auch an dieser Sozialität mit. Es müsse gesehen werden, dass dies ein Wechselverhältnis sei und beide Pole zusammenkommen müssten. Wenn das konsequent durchgeführt werde, komme man im Datenschutz auch zu vernünftigen Lösungen. Das Bundesverfassungsgericht habe immer gesagt, dass abgewogen werden müsse, ob das persönliche Darstellungs- bzw. Verheimlichungsinteresse oder aber das Interesse der Allgemeinheit an der Aufdeckung überwiege. Das sei für ihn, Denninger, kein Problem. Die Regel stelle für ihn die Freiheit und die Autonomie der Person dar, die gemeinschaftsgebunden und -bezogen sei, was auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betone. Wenn in diese Freiheit, in das Recht sich frei darzustellen, eingegriffen werde, bedürfe das einer gesetzlichen Grundlage. Für eine derartige Gesetzesgrundlage müsse aber ein Gemeinwohlinteresse gegeben sein, was sowohl die Bekämpfung des Terrorismus als auch von Seuchengefahren freisetzen könnten. Ein solcher Ansatz sei auch dem Datenschutz eng verbunden und auf einer solchen Basis könne man sich verständigen.

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An das Dilemma, welches Denninger zu Anfang seiner Ausführungen beschrieben hatte, knüpfte Konrad Schober, Kriminaloberrat und Sachbereichsleiter im Bayerischen Staatsministerium des Innern, in seiner Stellungnahme an. Der Staat versuche größtmögliche Sicherheit für seine Bürger zu schaffen und dies sei aus politischen Gegebenheiten auch nachvollziehbar. Politiker repräsentierten den Staat und wollten die Bürger für sich gewinnen, indem sie ihnen das Gefühl der Sicherheit vermittelten und alles dafür unternähmen, dass dieses Gefühl entstehe. Er gab aber zu bedenken, dass alles, was nunmehr an Eingriffsbefugnissen für staatliche Hoheitsträger geschaffen worden sei, die Grenzen dessen auslote, was rechtsstaatlich überhaupt noch vertretbar und erträglich wäre. Alles, was darüber hinaus gehe, würde nicht mehr mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen sein. Hieran anschließend ergriff Stolzlechner das Wort, der kurz auf den Verlauf der bisherigen Diskussion einging. Er merkte an, bereits vieles über die berühmte Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gehört zu haben, wobei die Waagschale zunächst ein bisschen mehr zugunsten der Sicherheit ausgeschlagen habe. Im weiteren Verlauf der Tagung sei dagegen mit dem Referat von Denninger eindeutig die Freiheit begünstigt worden. Fraglich sei aber, ob der Ausschlag zugunsten der Freiheit nicht zu extrem ausgefallen sei. Außerdem seien ihm einige Begriffe aufgefallen, die ihn zum Nachdenken angeregt hätten. So habe Denninger von der Hilflosigkeit des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, von dem eschatologischen Charakter der Freiheit, von der Entgrenzung der Staatstätigkeit und letztlich von den Grenzen und der Maßlosigkeit des Präventionsgedankens gesprochen. Für ihn, Stolzlechner, habe dabei die Alternative gefehlt, weshalb sich ihm die Frage stelle, ob der rechtstaatliche Gedanke der Grundrechte nicht zu einseitig betont worden sei. Daneben existiere eben auch das Demokratieprinzip und dieses verlange, dass Aktivitäten gegen die neuen Gefahren ergriffen würden, in deren Kontext versucht werden müsse, eine neue Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden. An dieser Stelle fügte Ruprecht als Annex an, dass er mit der These Denningers Schwierigkeiten habe, wonach sich die an Freiheit und Sicherheit orientierte Politiken in der Tendenz nahezu gegenseitig ausschlössen. Er sehe nicht ein, warum sich Politik an einem entgrenzten Freiheitsbegriff orientieren müsse. Zwar wolle er nicht auf den lutherischen Begriff von der „Freiheit nicht wovon, sondern wozu" rekurrieren, aber er mache geltend, dass auch das Bundesverfassungsgericht die persönliche Entfaltungsfreiheit als gemeinschaftsbezogen definiert habe. Deswegen sei er der Ansicht, dass eine Politik, die sich an einem solchen gemeinschaftsorientierten Freiheitsbegriff orientiere, grundsätzlich nicht eine Politik ausschließe, die auf einer Sicherheitsgewährleistung basiere. Denninger bedankte sich für die drei kritischen Beiträge, fügte aber sogleich hinzu, dass er sich seinerseits überinterpretiert fühle. Es entspreche nicht seiner Überzeugung, dass der Rechtsstaat in der momentanen Situation nicht weitere

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Einschränkungen erlauben würde. Mit dem Hinweis, dass sich die Präventionsund Rechtsstaatslogik verbinden ließe, entziehe man freilich seiner eher pessimistischen Einschätzung die tragende Grundlage. Natürlich sehe er auch, dass die Koppelung bis zu einem gewissen Grad richtig sei und seine These ebenso in diese Richtung gehe. Er habe keine Alternativen aufgezeigt, weil er momentan einfach keine Alternativen habe, die man kurz aufzeigen könne. Bis man zu einer alternativen Lösung käme, müsse man lange Punkt für Punkt diskutieren. Er, Denninger, habe auch bewusst auf dieses Defizit nicht hingewiesen, weil er die Diskussion nicht auf die Frage pragmatisch machbarer und sinnvoller Sicherheitsmaßnahmen zurückdrehen wollte. Vielmehr gehe es ihm darum, was gedanklich jeweils hinter den Einstellungen stehe. Er wolle daran festhalten, die Begriffe Sicherheit und Frieden weiterzudenken, so dass durchaus auch in utopische Gedanken abgeglitten werde. Seine These sei weiterhin, dass die Menschen nie genug Sicherheit haben könnten. Er wollte nur darauf hinweisen, was mit dem Rechtsstaat und seinem Gefüge passieren werde, wenn man ihn reflektionslos diesem Sicherheitsdenken aussetze: „Wer Prävention will, gibt sich nicht mit einem bestimmten Zustand zufrieden". Daraus stelle sich für ihn, Denninger, die Frage, was noch erträglich im Hinblick auf Freiheitsbeschneidungen sei. In diesem Punkt sehe er noch eine weite Eingriffspalette, zum einen hinsichtlich der Informationsströme, zum anderen hinsichtlich der Eingriffstiefe. Er denke dabei ζ. B. an die Kompetenzen des neuen Bundesverfassungsschutzes, die jetzt durch die Länderverfassungsschutzgesetze für die Länder entsprechend ergänzt würden. Dabei könnten durchaus neue und weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, wenn diese an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden sollten und keine unbegrenzten Möglichkeiten schlechthin eröffnet würden. Gesetzliche Anhaltspunkte wären dabei unverzichtbar. In den Gesetzesentwurf wäre erst durch aufkommende Kritik die Formulierung von den „schwerwiegenden Gründen" aufgenommen worden. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit sehe er, Denninger, damit fortgeschrieben. Es handele sich seiner Meinung nach auch um ein sehr gravierendes Problem, welches hier bestehe und auch bestehen bleiben müsse. Er warne davor, es umstandslos in die eine oder andere Richtung aufzulösen. Zum Abschluss halte er fest, dass nachdem am Beginn der Tagung der Sicherheitsgedanke im Vordergrund gestanden habe, nunmehr der Freiheitsgedanke gestärkt worden sei, so dass das Gleichgewicht insgesamt wieder hergestellt wurde. Pitschas bedankte sich für die intensive Auseinandersetzung mit den Referaten. Er hielt fest, dass sie im Anschluss an die wissenschaftlichen Vorträge vor allem zum Ausdruck brachte, welche große Rolle doch die Strukturdebatte über die künftige Sicherheitsarchitektur spielen würde. Zwar ist es einerseits wichtig, auch situationsabhängig, pragmatisch zu reagieren. Andererseits müssen aber auch grundsätzliche Überlegungen angestellt werden, um Spannungsver-

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hältnisse aufzulösen und dauerhafte, tragfähige Lösungen entwickeln zu können. Dass diese nicht ganz unumstritten seien, hätten die geführten Debatten sehr deutlich gemacht.

Dritter Teil

Gesellschaftlicher Akteur im Umbau der Sicherheitsarchitektur: Das Sicherheitsgewerbe

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen an den Schutz der Inneren Sicherheit Von Jürgen Linde I. Zur Legitimation Es ist einem Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Marktführers nur bedingt möglich, für die Gesamtheit der ca. 2700 Unternehmen des Sicherheitsgewerbes zu sprechen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass meine Ausführungen die Zustimmung einer Mehrheit - mindestens der größeren Unternehmen - finden würde. Ich übersehe nicht die Theorie, sehe aber die sicherheitspolitischen Herausforderungen und die Auflösung herkömmlicher Polizeirechtsdoktrin, kenne die Praxis aus zwei Kommunalverwaltungen, vom Aufbau des Landes Brandenburg und aus der Zeit als Bundestagsabgeordneter in den Krisenjahren terroristischer Herausforderungen. Deshalb begleite ich in meiner gegenwärtigen Funktion die Diskussion aus privatwirtschaftlicher Sicht mit besonderem Interesse und Engagement. Nicht zuletzt haben mir meine Erfahrungen bei der Mitwirkung in der Expertenkommission „Staatsaufgabenkritik für das Land Berlin" sehr genützt.

II. Sachstand Innere Sicherheit und Sicherheitsgewerbe So schwer es ist - wenn nicht gar unmöglich - den Zustand der Inneren Sicherheit zu quantifizieren, so schwer ist es auch, den Wechselbezug zwischen aktuellen Herausforderungen an den Schutz der Inneren Sicherheit und der Rolle des Sicherheitsgewerbes zu beschreiben. Die „.Rolle" des Sicherheitsgewerbes bei der Gewährleistung der Inneren Sicherheit im Sinne einer geregelten Einordnung in die staatliche/kommunale Sicherheitsstruktur wird seit langem kontrovers, jedoch bis zum heutigen Tag ohne rechts- und sicherheitspolitisch tragßhige Lösung diskutiert. Dies liegt zum einen daran, dass Umfang und Bedeutung der privatrechtlich gewährten Sicherheit öffentlich nicht in ausreichendem Maße bewusst sind; es liegt zum anderen daran, dass die Frage der staatlichen Gewährleistungsver-

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antwortung weder in rechtlicher oder finanzieller Hinsicht noch hinsichtlich ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit beantwortet ist. Ca. 85 % der Aufgaben des Sicherheitsgewerbes werden im privaten Auftrag und im privatrechtlichen Hausrechtsbereich ohne öffentlichen Zugang erledigt. Vielfach wird darunter diffamierend, jedenfalls absichtsvoll der Schutz großer Privatvillen genannt. Doch tatsächlich handelt es sich im Wesentlichen um den Schutz nahezu aller industriellen Werke und Objekte, den Schutz aller deutschen Kernkraftwerke sowie u. a. um die Gewährleistung der Dienstleistungen im Geld- und Wertbereich. Ist eigentlich allen bewusst, dass die EuroUmstellung im Wesentlichen durch private Dienstleister gemanagt worden ist? Stärker im öffentlichen Blickpunkt stehen jene Aufgaben, die zwar zu ca. 10 % im privat- und öffentlichrechtlichen Auftrag, jedoch in Bereichen mit öffentlichem Zugang durchgeführt werden. So ζ. B. auf Messen, Kongressen, kulturellen Großveranstaltungen oder in Einkaufszentren. Von besonders großer Bedeutung für die Innere Sicherheit sind vor allem die Sicherheitsdienste zum Schutz des öffentlichen Personennahverkehrs mit Millionen von Fahrgästen insbesondere in den Zentren der Großstädte. Staat und Kommunen beauftragen das Sicherheitsgewerbe nur zu ca. 5% mit dem Schutz ihrer Liegenschaften, insbesondere von Streitkräften und Polizei. Mit der operativen Durchführung der genanten Aufgaben werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Erstens die Vermeidung oder Minimierung von Schäden am Eigentum oder an sonstigen Rechten des Auftraggebers und zweitens, durch diesen Schutz strafrechtlich relevante Tatgelegenheiten zu reduzieren und Rechtsbrüche zu verhüten, d. h. auch, Kriminalprävention im engeren Sinne zu betreiben. Beide Ziele und Aufgaben sind nicht voneinander zu trennen und werden als Mischtätigkeiten überwiegend gleichzeitig wahrgenommen, wobei der präventive Teil durchaus noch auf- und ausgebaut werden könnte. In der täglichen Wahrnehmung dieser Aufgaben berühren sich Repression seitens Polizei und kommunalen Sicherheitsträgern mit den dienstleistenden Tätigkeiten des Sicherheitsgewerbes. Die Sicherheitsdienste werden in ihren privatrechtlichen Aufgabenbereichen sowie bei den gesetzlich übertragenen öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten (u. a. Luftverkehrssicherheit) in einem hohen Maße und zunehmend mit einer Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten konfrontiert, deren Verfolgung durch staatliche/kommunale Stellen zwingend erforderlich ist. Am deutlichsten zeigt sich dies im öffentlichen Personenverkehr. So werden in Hamburg von den Beschäftigten eines Sicherheitsdienstes jährlich mehr als

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10 000 Rechtsverstöße von der Sachbeschädigung bis hin zu Raub-, Drogenund Tötungsdelikten festgestellt. Die anschließende Übergabe von Verdächtigen und Beweismitteln an die Polizei erfordert den Austausch von Informationen und die Zusammenarbeit in jedem Einzelfall. Ich fasse zusammen: Die Privaten Sicherheitsdienste erbringen „ vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen an den Schutz der Inneren Si cherheit" in nahezu jeder Kommune bedeutende und unverzichtbare Beiträge zur Kriminalitätsverhütung und Gefahrenvorbeugung; d. h. Beiträge zur Inneren Sicherheit, die wesentlich umfangreicher und bedeutsamer sind, als dies der Öffentlichkeit oder der Polizei bewusst ist. Das wird auch inzwischen anerkannt: In der jüngsten Ausgabe der BKAForschungsreihe (Bd. 50) mit dem Titel „Polizei und Sicherheitsgewerbe" heißt es hierzu: „Die privaten Sicherheitsdienste sind längst zu einem wichtigen Bestandteil der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Der Rückzug des Sicherheitsgewerbes aus dem bestehenden Sicherheitsnetzwerk würde erheblich Sicherheitslücken aufreißen, wodurch sich die Gewissheitsverluste bürgerschaftlicher Sicherheitserwartungen in hohem Maße vergrößern müssten". Aus der gegenwärtigen konkreten Sicherheitslage ergeben sich für das Gewerbe keine zusätzlichen aktuellen operativen Herausforderungen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass bei einer signifikanten Zunahme der Kriminalitätsbelastung oder dem zusätzlichen notwendigen Engagement der Polizei im Zuge der Prävention bei weiter anhaltenden terroristischen Herausforderungen zusätzliche Aufträge an das Sicherheitsgewerbe folgen würden. Darauf ist jedenfalls die SECURITAS gedanklich, leider aber noch nicht tatsächlich vorbereitet. Damit komme ich im dritten Punkt zu den Herausforderungen an das Gewerbe:

I I I . Wie kann der sicherheitspolitische Wandel bewältigt werden? Das Wach- und Sicherheitsgewerbe hat 2001 sein 100-jährige Bestehen gefeiert. In den Festschriften wird der Wandel der Aufgaben von 1901 bis zur Gegenwart, d. h. vom „Nachtwächter" zum ,AHround-Sicherheitsdienstleister" beschrieben. Es ist davon auszugehen, dass sich der Wandel der Aufgaben des Sicherheitsgewerbes fortsetzen und aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen noch erheblich beschleunigen wird.

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So schreibt Innenminister Schily in der Jubiläumsschrift: „Wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser expandierenden Branche heute zum vertrauten Bild in Ladenpassagen und an U-Bahnhaltestellen gehören, wenn sie Gebäude, Baustellen und Industrieanlagen bewachen, Personen- und Begleitschutz übernehmen und für den ordnungsgemäßen Ablauf einer Großveranstaltung sorgen, ist dies eine wertvolle Ergänzung der polizeilichen Arbeit und ein anerkennenswerter Beitrag zur Inneren Sicherheit. Die Bedeutung der Branche wird in Zukunft noch zunehmen". Ich bin von der Richtigkeit dieser Aussage, der sicher von einer breiten politischen Mehrheit zugestimmt würde, überzeugt. Die Prognose des Bundesinnenministers wird jedoch nur dann auch Realität werden, wenn das Sicherheitsgewerbe und die politisch Verantwortlichen hierzu die notwendigen Voraussetzungen schaffen und dauerhaft erfüllen. Lassen Sie mich hierzu einige Herausforderungen an das Sicherheitsgewerbe und notwendige Maßnahmen des Staates und der Kommunen aufzeigen.

/. Herausforderungen

an das Sicherheitsgewerbe

a) Die Gewährleistung der Qualifizierung Mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 14.06.2002 wurden die Rechtsgrundlagen des Bewachungsgewerbes durch die Ergänzung der Gewerbeordnung (GewO) und der Bewachungsverordnung (BewachVO) den aktuellen Erfordernissen angepasst. Ich erinnere daran, dass Anlass dieser Gesetzesinitiative die kritischkontroverse öffentliche Diskussion über die Privaten Sicherheitsdienste war. Hauptgegenstände der Kritik waren die Vorwürfe zu geringer Qualifikation der Beschäftigten und unzureichender Rechte für das verstärkte Tätigwerden in öffentlich zugänglichen Räumen. Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze die Ergebnisse der Novellierung aufzeigen: Im neuen Abs. 5 des § 34 a GewO werden nunmehr die bereits gesetzlich zustehenden Jedermann- und Selbsthilferechte bestätigt und damit ausdrücklich auch die Rechtmäßigkeit ihres gewerblichen Gebrauchs. Juristisch war das ein salto mortale: Rechtfertigungs-Gründe einer Ausnahmesituation zur Handlungsgrundlage für 2.700 Unternehmen mit 17.500 Beschäftigten bei der SECURITAS zu machen. Mit der Einfügung der Beachtung des Grundsatzes der Erforderlichkeit und der Deklaration, dass das staatliche Gewaltmonopol unangetastet bleibe, wird insbesondere einer Forderung der Polizei gefolgt. Ob damit schon die Abgren-

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zung ausreichend gelungen ist, möchte ich dahingestellt lassen. Von einer positiven Regelung der Befugnisse sind wir noch weit entfernt. Die Neufassung des § 9 der BewachVO ermöglicht die seit langem auch vom Gewerbe geforderte unbeschränkte Auskunft zur intensiveren Überprüfung der Zuverlässigkeit der Beschäftigten. Durch den eingefügten § 15 BewachVO sind nunmehr Gerichte und Staatsanwaltschaften gehalten, den zuständigen Behörden Anträge auf Erlass eines Straf-, Haft- oder Unterbringungsbefehls, eine Anklageschrift sowie eine abschließende Entscheidung eines Verfahrens mitzuteilen. Ein zentrales Ziel der Novellierung war die Verbesserung der Qualifikation. Die Unterrichtung der Beschäftigten wird von 24 auf 40 Std., die der Unternehmer von 40 auf 80 Std. erhöht. Neben der Modifizierung von Unterrichtungsmethoden wurden die Themen „Datenschutz" sowie „Umgang mit Menschen, insbesondere Verhalten in Gefahrensituationen und Deeskalationstechniken in Konfliktsituationen" in den Stoffplan aufgenommen. Das Unterrichtungsmonopol der IHK bleibt unangetastet. Die Gedanken der Gewerbefreiheit, die für weniger Vorgaben sprechen, und vom Wirtschaftsministerium massiv vertreten wurden, machen den Innenund Sicherheitspolitikern Kopfzerbrechen. Für Kontrollgänge im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem Verkehr, für den Schutz vor Ladendieben und die Bewachung im Einlassbereich von gastgewerblichen Diskotheken ist nunmehr immerhin der Nachweis einer vor der Industrie- und Handelskammer abgelegten Sachkundeprüfung erforderlich. Beschäftigte, die diese Tätigkeiten ausüben, haben sichtbar ein Schild mit ihrem Namen oder einer Kennnummer sowie mit dem Namen des Gewerbetreibenden zu führen. Mit Blick auf die im täglichen Dienst zunehmenden Schnittstellen zur Polizei wurde auch das Bundesdatenschutzgesetz ergänzt (BSDG). Das Gesetz gilt nunmehr auch dann, wenn im Rahmen von Aufträgen Daten von Dritten erhoben werden, d. h. Datenaufnahme von Störern bei der Weiterleitung an Ordnungsbehörden ist zulässig. Dies ist insbesondere für die lokalen Sicherheitspartnerschaften zwischen Polizei und Sicherheitsgewerbe von Bedeutung. Und schließlich verschärft das Waffengesetz den Umgang mit Waffen dahingehend, dass der Gebrauch von Waffen einen konkreten Bewachungsauftrag fordert. Es wird aber auch ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass das Führen von Waffen durch Wachpersonal, insbesondere der Geld- und Wertdienste, auch außerhalb des befriedeten Besitztums zulässig ist.

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b) Die Qualitätsgarantie einer Dienstleistung A m 12.06.2002 wurde vom Deutschen Institut für Normierung und vom Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen die neue Norm DIN 77 200 ,Anforderungen an Sicherheitsdienstleistungen" vorgestellt. Sie legt differenziert Qualitätskriterien für spezielle Anforderungen in der Auftragserfüllung fest. Die Norm soll für den Kunden eine Anleitung zur Auswahl und zur nachvertraglichen Prüfung des geeignetsten Anbieters sein. Sie soll helfen, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot und nicht ausschließlich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgt. Hierdurch setzt sich das Gewerbe selbst unter Druck und bietet gleichzeitig Beurteilungsmaßstäbe für das eigene Handeln. Qualitätsmanagement ist die Folge.

c) Die Einführung eines Ausbildungsberufs Ein weiterer Beweis der ernsthaften Bemühungen um die Qualifizierung der Beschäftigten ergibt sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit, die am 1.08.2002 in Kraft getreten ist. Damit wurde erstmals ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf im Sicherheitsgewerbe geschaffen.

d) Kooperationsvereinbarungen mit der Polizei Ich bin überzeugt, dass die Effizienz der Aktivitäten aller staatlichen, kommunalen und privaten Sicherheitsakteure durch operative Vernetzung wesentlich verbessert werden könnte. Doch noch werden die möglichen Synergieeffekte nicht genutzt. Es überwiegt das ungeregelte Nebeneinander. Es ist daher zu begrüßen, dass zur Verbesserung der Sicherheit und zur Sicherung der Attraktivität als Wirtschaftsstandort inzwischen zahlreicher Kommunen und Länder „Vereinbarungen über die Zusammenarbeit von Polizei, Kommune, Land und Sicherheitsgewerbe" beschlossen haben. Ziele sind u. a. die Unterstützung der Polizei durch die personellen und materiellen Ressourcen der Sicherheitsdienste, Intensivierung des gegenseitigen Informationsaustausches und die Ergänzung des polizeilichen Lagebildes insbesondere durch die technisch anspruchsvollen Notruf- und Serviceleitstellen.

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes

159

Die Sicherheitsdienste erhalten keinen rechtlichen Sonderstatus. Ihre Maßnahmen beschränken sich auf Beobachten, Erkennen und Melden. Ich will gerne einräumen, dass bislang noch keine signifikanten operativen Erfolge erzielt werden konnten. Dies liegt im Wesentlichen in der fehlenden Erfahrung der Beschäftigten der Sicherheitsdienste, polizeilich relevante Sachverhalte zu erkennen und sie polizeigerecht zu melden. Diese Defizite zu beheben und die operative Wirkung der Kooperationen zu verbessern, ist eine der wesentlichen Herausforderungen des Sicherheitsgewerbes zum Schutz der Inneren Sicherheit.

e) Mitwirkung in kriminalpräventiven Gremien Die Innenministerkonferenz hat 1998 zum Tagesordnungspunkt „Verstärkung der Kriminalitätsbekämpfung in Bund und Ländern/Partnerschaft für mehr Sicherheit in unseren Städten und Gemeinden" beschlossen, dass „Kriminalprävention in enger Kooperation von allen staatlichen und privaten Institutionen wahrzunehmen ist". In Ausführung dieser sicherheitspolitischen Willenserklärung ist das Sicherheitsgewerbe Mitglied in mehreren Landespräventionsräten und in einigen kommunalen kriminalpräventiven Gremien. Der Bundesverband und der Marktführer SECURITAS sind darüber hinaus Mitglieder im Deutschen Forum für Kriminalprävention und dort für das Kuratorium benannt. Wenn das Sicherheitsgewerbe seine zustimmenden Erklärungen zu den politischen Mitwirkungsofferten ernstnimmt, dann hat es gegenüber der Gesellschaft eine „Bringschuld". Diese besteht neben der mitwirkungsadäquaten Qualifikation vor allem in der Notwendigkeit zum kontinuierlichen ehrenamtlichen Engagement. Dies aber kostet auch in privaten Unternehmen Geld, viel Geld sogar, dass nicht vom Steuerzahler gewährt, sondern zunächst auch verdient sein will. Gleichwohl ist es nicht nur wünschenswert sondern erforderlich, das „Bewusstsein für das Gemeinsame" ( Volmer) zu stärken.

f) Konsequenzen Aus der Darstellung der neuen und vielfältigen Anforderungen an die Qualifizierung und Zuverlässigkeit der Beschäftigten im Sicherheitsgewerbe, der unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit mit der Polizei sowie der Mitwirkung in kriminalpräventiven Gremien wird deutlich, dass Gesetzgeber und Sicherheitsgewerbe auf den aktuellen Aufgabenwandel und die zukünftigen Herausforderungen reagieren. 11*

160

Jürgen Linde

Im Vordergrund des staatlichen Interesses steht dabei die Kontrolle" über das verstärkte Auftreten privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum sowie die Gewährleistung der Rechtssicherheit für die Bürger. Die Chancen, die eine Zusammenarbeit bieten könnten, stehen dagegen trotz der abnehmenden Leistungsfähigkeit des Staates und besorgniserregender Defizite im Vollzug von Gesetzen noch nicht zur Debatte. Das Sicherheitsgewerbe muss erkennen, dass die Rechtsgrundlagen nicht nur zur gewerbeinternen Umsetzung ergänzt wurden, sondern dass die aktuellen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen eine Neuordnung der Infrastruktur von Gewährleistungs- und Durchführungsverantwortung für die Innere Sicherheit ermöglichen, wenn nicht gar aus fiskalischen Gründen (Geldknappheit) und strukturellen Gründen (zweigeteilte Laufbahn und Vollzugsdefizit), sogar erzwingen. Angesichts des sehr aggressiven Preiskampfes - um nicht zu sagen Preisdumping im Überlebenskampf kleinerer Unternehmen in der Strukturbereinigung der Branche - ist es verständlich, wenn über die nicht unerheblichen zusätzlichen Kosten für die Verbesserung der Qualifizierung geklagt wird. Es muss dort aber auch erkannt werden, dass Qualifizierung und Zuverlässigkeit der Beschäftigten die Voraussetzung für eine Übertragung weiterer, bislang noch öffentlich wahrgenommener Tätigkeiten sind. Das Sicherheitsgewerbe steht auch im eigenen Interesse in der Pflicht, diese neuen Herausforderungen zum Schutz der Inneren Sicherheit auch tatsächlich zu erfüllen. Das Gewerbe selbst kann und muss wesentlich zu einer zukunftsweisenden Weichenstellung und zur Förderung seiner öffentlichen Akzeptanz beitragen. Es gibt aber ebenso die Verpflichtung für den Staat, das noch ungeregelte Nebeneinander der verschiedenen Sicherheitsakteure zu regeln, für Polizei und Kommunen, Vorbehalte unter Überprüfung von Rechtspositionen sowie mit Blick auf den Einfluss von Art. 33 GG auszuräumen, Ursachen von Defiziten gemeinsam aufzuarbeiten und das Sicherheitsgewerbe bei der Bewältigung seiner Herausforderungen zum Schutz der Inneren Sicherheit (Thema!) zu unterstützen. Dazu gehört eben auch, über die Kosten von öffentlicher Sicherheit im staatlichen und im privaten Bereich offen und ehrlich zu reden und bei Auftragsvergaben durch die öffentliche Hand nach Qualität und nicht nur nach Preis zu entscheiden. Schließlich muss die öffentliche Hand sich selbst Rechenschaft ablegen über die Kosten ihrer Tätigkeit und die eigene Leistungsfähigkeit.

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes

161

2. Grauzonen Ich will noch einmal zurückkommen auf die bewachten Privatvillen oder noch schlimmer - auf die „gated communities" unter dem Stichwort „Sicherheit nur für Reiche"? Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, dass Menschen sicherheitsbewusst und geschützt leben möchten? Diese Neiddiskussion ist in einer sich mit 10 %iger Arbeitslosigkeit leider differenzierenden Gesellschaft außerordentlich einseitig. Sie wird erst vollständig, wenn man die Aufblähung des öffentlichen Bereiches, das Absinken staatsbürgerlicher Mitverantwortung, die sinkende Qualität sowie die Kosten öffentlicher Dienstleistungen mitdiskutiert. Ist es nicht auch die Furcht vor dem Wettbewerb und dem Offenlegen von Mängeln, die die Neiddiskussion so in Gang bringen? Ich weiß, ich betrete - allerdings mit Nachdruck - ein sehr weites Feld. Neulich hat mich in einer ähnlichen Veranstaltung jemand loben oder diffamieren wollen, in dem er glaubte verkünden zu müssen, dass diese „hochverräterischen" Gedanken von einem Sozialdemokraten geäußert werden: Ja wer denn, wenn nicht die (ehemaligen) Funktionäre selbst, sollte und müsste sich Rechenschaft über ihre Daseinsberechtigung ablegen? Ich wünschte mir, dass die öffentlichen Bediensteten unter Einschluss ihrer Gewerkschaften selbst Hand an die Reform und die im Allgemeininteresse sinnvollen Ausgaben und die Prioritätendiskussion jenseits des St.-Florians-Prinzips legen würden. Wie viel Wahrheit und wie viel Interessenpolitik gesellschaftlicher Gruppen hinter der Art. 33-Diskussion, der Debatte über die Gewährleistungsverantwortung und das Gewaltmonopol verborgen sind, möchte ich nur an einem Beispiel verdeutlichen: Es gibt private Unternehmen, die sich mit der Rechtsverfolgung von Ansprüchen Geschädigter - vor allem von Unternehmen - befassen, weil Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte der Strafverfolgung, Aufklärung und dem Schutz der Opfer nicht Genüge tun können. Das geht soweit, dass die komplette Beweisführung und die Formulierung von Anklageschriften als NonPaper privat erfolgen und 1:1 übernommen werden. Wer spricht eigentlich hier davon, dass ein „normaler" Bürger diesen Beitrag zur Rechtssicherheit und Gerechtigkeit nicht bezahlen kann? Und wer spricht eigentlich davon, wenn ein Gewalt- und Strafverfolgungsmonopol bzw. eine nach rechtlicher Unabhängigkeit strebende Staatsanwaltschaft, exzellente private und privat bezahlte Vorarbeit sich kostenlos zu eigen machen, auch um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit nicht trüben zu lassen. So viel zum Thema Grauzone.

162

Jürgen Linde

IV. Zur Notwendigkeit einer Neuen Architektur der Inneren Sicherheit Wenn es richtig ist, dass die Beiträge des Sicherheitsgewerbes und der Anwälte und Prüfungsgesellschaften zum Schutz der Inneren Sicherheit notwendig und unverzichtbar sind, dann muss unter Berücksichtigung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und zur Behebung der aufgezeigten Defizite auch ihre Integration in ein infrastrukturelles Netzwerk der Sicherheitsgewähr gelingen. Dies scheint auf der Basis der gegenwärtigen möglich zu sein.

Bewusstseinslage noch nicht

Ich begrüße daher das Leitthema dieses Deutsch-österreichischen Werkstattgesprächs , A u f dem Weg zu einer Neuen Architektur der Inneren Sicherheit" ausdrücklich und nehme zu dieser „Vision" im Bewusstsein der Grenzen aus der Sicht des Sicherheitsgewerbes Stellung. Ein Kriterium der Bewertung der Lage zur Inneren Sicherheit ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. Ich verzichte darauf, hier Zahlen zu nennen, weil ich die aktuelle quantitative Beurteilung als bekannt voraussetze. Wichtig sind mir nur die gesicherten Erkenntnisse über die qualitative Veränderung der Kriminalität, d. h. die signifikant wachsende Gewaltbereitschaft junger Menschen, die Zunahme der elektronisch gestützten, organisierten Kriminalität sowie die Probleme, die sich aus der unbefriedigenden Integration von Ausländern ergeben und die sich im Zusammenhang mit der EUOsterweiterung verschärfen werden. Bereits die gegenwärtige Sicherheitslage zwingt die Polizeien des Bundes und der Länder zu erheblichen Mehrbelastungen und zur Ausdünnung ihrer öffentlichen Präsenz. Ich befürchte weiter, dass die neuen Herausforderungen des Terrorismus „mit totaler Kriegsführung" außerhalb der Rechtsordnung zivilisierter Staaten und die Auswirkungen auf die Polizei noch nicht erkannt oder unterschätzt werden. Herr Professor Denninger hat unter den Stichworten Prävention und Freiheit dazu gestern auf die Auflösung oder gar Entfesselung polizeirechtlicher Strukturen und Grundrechtsgarantien hingewiesen. Wenn ich bedenke, dass ich früher für klare Grundaussagen zur Polizei gekämpft habe, stell ich heute fest: Angesichts der Haushaltslage in Bund, Ländern und Kommunen und der kurzfristig notwendigen Ergänzung und Modernisierung der kommunikationstechnischen Infrastruktur der Polizei mit einem Finanzbedarf in Milliardenhö-

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes

he wird eine Verstärkung nicht möglich sein.

163

der staatlichen und kommunalen Sicherheitskräfte

Bund, Länder und Kommunen haben darauf mit einer Vielzahl von Kompensationsversuchen reagiert, von denen ich nur einige nennen möchte: neue Organisations- und Steuerungsmodelle für die Polizei; Zusammenlegung von Dienststellen, Einsparung von Stabsstellen; Sicherheitsnetze und Ordnungspartnerschaften für Polizei und Kommunen; Hilfspolizisten, Sicherheitswachten und grüne Engel; Ausbau der kommunalen Sicherheitsdienste; Kooperationsvereinbarungen mit dem Sicherheitsgewerbe; Appell zu mehr Eigen- und Mitverantwortung der Bürger und permanent prozentuale Kürzungen im Personalbereich, wobei die Personaletats tabuisiert worden sind. Insbesondere die Grenzbelastung der Polizei und ihre zukünftigen Herausforderungen machen es unausweichlich erforderlich, neue Möglichkeiten der Gewährleistung der Inneren Sicherheit zu ermitteln. Dabei dürfte es nicht genügen, Vorhandenes partiell zu ergänzen oder zu vernetzen. Es muss wohl insgesamt neu gedacht werden: Die zweigeteilte Laufbahn, die für bessere Ausbildung der Polizei gerechteren Lohn bieten soll, erzwingt eine Antwort, wer die Aufgaben des einfachen und mittleren Dienstes wie übernehmen soll. Die leeren öffentlichen Kassen werden auch nicht dadurch gefüllt, dass Aufgaben an den Allerbilligsten, aber sicher dann nicht Qualifiziertesten, vergeben werden. Abgesehen davon, dass auch Private nicht umsonst oder für Luft und Liebe arbeiten, führt das zu der noch viel schwierigen Frage der Entstaatlichung vieler Lebensbereiche oder anders ausgedrückt zur Prioritätensetzung staatlicher Aufgaben. Dann erst wird man sehen können, ob und welche öffentliche Wertschätzung und zwar außerhalb von Wahlkampf- und Sonntagsreden, Familie, Bildung, Entwicklungshilfe oder öffentliche Sicherheitsaufgaben genießen. Es ist unabweisbar notwendig, aber noch nicht hinreichend akzeptiert, die „Kooperative Sicherheitsverantwortung von Polizei und Gesellschaft" in einem „Gesamtgesellschaftlichen Ansatz zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit" neu zu gestalten. Und dabei ist zu prüfen, in welcher Weise das Sicherheitsgewerbe eine „Rolle" übernehmen kann und soll. Es ist aber auch gleichzeitig mit der Illusion aufzuräumen, dass die öffentliche Hand Schutz und Sicherheit absolut und allumfassend bieten könnte. Auch die Bürger müssen wissen, dass das Leben Risiken birgt und Risikovermeidung viel Geld kostet.

164

Jürgen Linde

Lassen Sie mich daher einige Lösungsansätze aufzeigen, die von der Expertenkommission Staatsaufgabenkritik Berlin in ihrem Bericht, ζ. B. für den „Bereich Polizei" genannt werden. So heißt es unter Bezugnahme auf die Personal- und Aufgabensituation der Polizei in den grundsätzlichen Feststellungen des Berichts: „Dieser Zustand droht sich weiterhin zu verschlechtern, wenn es nicht gelingt, die gegenwärtigen Organisationsstrukturen und tradierten Verfahrensabläufe dem veränderten Lagebild anzupassen und eine Konzentration auf polizeiliche Kernaufgaben zu bewirken. Hierfür ist die Polizei von polizeifremden Sekundäraufgaben zu befreien." Die Berliner Kommission empfiehlt, eine Neubeschreibung der Aufgabenverteilung auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit unter stärkerer Einbeziehung privater Sicherheitsdienste und der Ordnungsbehörden Berlins vorzunehmen. Hierzu wird des weiteren ausgeführt: „Für eine Erweiterung und Verbesserung des Verbundes zwischen Polizei und Privaten Sicherheitsdiensten ist es unerlässlich, dass die Vorbehalte, die im Bereich der Politik, der Gewerkschaften und auch der Polizei immer noch bestehen, überwunden werden. Die Integration von Privaten Sicherheitsdiensten in ein arbeitsteiliges System mit der Polizei muss als Chance zur Entlastung der knappen und deshalb besonders wertvollen Polizeiressourcen verstanden werden. Auch muss die wirtschaftliche und damit arbeitsmarktpolitische Bedeutung dieses Dienstleistungsbereichs anerkannt werden."

V. Zusammenfassung Ich habe im Rahmen des mir gestellten Themas versucht, das Verhältnis des Sicherheitsgewerbes zur Inneren Sicherheit vor dem Hintergrund des Aufgabenwandels darzustellen und die sich daraus ergebenden Herausforderungen aufzuzeigen. Diese bestehen aktuell insbesondere in der gewerbeinternen Umsetzung der Novellierung der Rechtsgrundlagen, der Gewährleistung der neuen Qualifizierungsmodelle, der Steigerung der Effektivität der Partnerschaften mit der Polizei sowie der Mitwirkung in kriminalpräventiven Gremien. Welche Rolle aber öffentliche und private Sicherheitsdienste in einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz, in einer neuen Architektur der Inneren Sicherheit übernehmen sollen,

Die Rolle des Sicherheitsgewerbes

165

wie also die Verantwortung aufzuteilen ist, wie viel Durchführungsverantwortung Sicherheitsdienste nach welchen Prinzipien bekommen dürfen oder nach dem Subsidiaritätsprinzip sogar bekommen sollten, und dafür die Gewährleistungsverantwortung beim Staat zu verbleiben hat, dies ist offen und gehört dringend auf die Agenda der sicherheitspolitischen Diskussion. Ich bin der Hochschule Speyer dankbar, dass sie zu diesen sicherheitspolitischen Überlegungen eingeladen hat. Ich wünsche mir schnelle Ergebnisse. Die nächsten Sparrunden kommen gewiss. Damit stehen quantitative Entscheidungen bevor, die qualitativ nicht durchdacht werden konnten. Die Verwaltungswissenschaft hat die Chance, Neuland zu betreten und das Gebäude zunächst zu vermessen. Sie sollte die Chance, vorauszudenken, nutzen. Die Zeit dafür ist reif. Die Kenntnis des Ortes ist die der Jahre, hat Herr vom Stein gesagt. Dies gilt auch für die Sicherheitsarchitektur und ihre Statik.

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes am Beispiel der Geld- und Wertdienste Von Heinz Spiegelmacher1

SECURITAS C H D Germany

Die Geschichte vom:

Hässlichen Entlein.

(eine Erzählung nach SECURITAS AB)

SECURT IAS

1

Der Vortrag wurde frei unter Verwendung der hier abgedruckten Folien gehalten. Diese sind aus sich heraus verständlich. Daher wurde für den Tagungsband der Weg gewählt, nur die Folien zum Abdruck zu bringen. Im Übrigen wird auf den Diskussionsbericht von Patrick Laurency verwiesen.

168

Heinz Spiegelmacher

Das hässliche Entlein

[TT] SECURT IAS

SECURITAS CHD Germany Übersicht 9

Ausgangslage

β

Entwicklung WTU-Dienstleistungen



Strukturelle Veränderungen WTU Modulare Dienstleistungskonzepte Zusammenfassung

· · · SECURITAS

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes

169

SECURITAS Division Cash Handling Services SECURITAS Division Cash Handling Services (CHS) ist Unternehmensteil der SECURITAS Deutschland Holding GmbH.

SECURITAS Deutschland Holding GmbH ist ein Tochterunternehmen der schwedischen SECURITAS AB Stockholm mit Vertretungen in mehr als

32 Ländern und weltweit 230.000 Mitarbeitern Nummer 1 im deutschen, europäischen und internationalen Sicherheitsmarkt.

SECURITAS

SECURITAS Division Cash Handling Services SECURITAS Division Cash Handling Services (CHS) • • • • •

Hauptsitz in Düsseldorf 37 Filialen 3.000 Mitarbeiter 700 gepanzerte Fahrzeuge 30 % Marktanteil

• Kunden: • 54 % Banken und Sparkassen • 42 % Handel • 4 % Sonstige SECURITAS

170

Heinz Spiegelmacher

Banken - Die Stahlindustrie der 90-er Jahre? • Banken sind nationale Dinosaurier - globale Expansion wird im Vergleich zur Industrie nicht so aggressiv verfolgt (z.B. SAP, Daimler Chrysler) • Konsolidierungsprozess - die Rentabilität ist durch eine Zunahme von Kreditausfällen und sinkenden Einnahmen von „Gebühren" und Provisionen bedroht • Deutschland: 30% der bestehenden Arbeitsplätze könnten in den nächsten 10 Jahren wegfallen. • Bis Ende 2003 sollen 35.000 Stellen gestrichen werden SECURITAS

Sinkende Eigenkapitalrentabilität und steigende Risiken im europäischen



Ertragsbelastungen durch: -

Stagnation der konjunkturellen Entwicklung in Europa - Abschwung der Kapitalmärkte •

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Krisen in Lateinamerika

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Aufwandserhöhungen durch: Wertberichtigungen und Abschreibungen von Krediten und Assets - Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung

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2001

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Erhöhung der Risikovorsorge

Handlungsoptionen: - Weitere Konzentration auf Provisionsgeschäfte - Risikomanagement in Richtung Verbriefung, Kreditderivate & Konsortialkredite - Kurzfristig: Sachkostensenkung & Stellenabbau

Quatto ecb 08/2002

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PjftHSS

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes

Die deutschen Banken stecken in einer ernsthaften Kosten- u. Strukturkrise Alle deutschen Bankengruppen stehen unter einem hohen Kostendruck Im europäischen Vergleich der Aufwands/Ertragsrelation nehmen die deutschen Großbanken die letzten Plätze ein Starker Anstieg der Aufwendungen seit 1997: im Durchschnitt 9,3% p.a - Kostentreiber der letzten Jahre: •

Investitionen in IT (e-commerce boom)



Euro-Umstellung

Cost Earnings Ratio [%J

• Y2K •

Investment-Banking



Lohnnebenkosten

/ ' " / ' / y / / /

Ertragsanstieg aus Zinsen und Provisionsgeschäften in Höhe von lediglich 4,92% p.a. Stark rückläufiger Zinsüberschuß (Tiefststand 2002: ca. 1,15% der Bilanzsumme)

Queue BHF-Bank. Enterprise» Deutsche Bank

Beispiel beleghafter Zahlungsverkehr: Der Anteil am Outsourcing ist in den letzten Jahren stark gestiegen

IZV Belegvolumen in Deutschland (Stück p.a.) ca. 2,3 Mrd.

ca. 2 Mrd.

ca. 360 Mio.

BankenService Berlin Kleindienst Outsourcing Service

ca. 8% "ca. 6%~ Anteil Outsourcing

SI Securior ("GTG")

171

172

Heinz Spiegelmacher

Ausgangslage Q Banken reformieren ihre Ausrichtung ^ ^ strategische Gründe Kostengründe / Ertragsdefizite

Q Definition „Kerngeschäft" wird neu getroffen ^ ^ Bankagenturen ^ ^ Service Center Q Herausforderung „Bank" SKIIRIIAS

Ausgangslage •

Dienstleistung vs integrierte Wertschöpfungskette Basisdienstleistungen —^ intelligente Konzepte



Standards in der Industrie „Geld und Werttransporte"

Q •

Bundesbank schliesst 66 Niederlassungen bis zum Jahr 2007 Bundesbank definiert in Analogie zur Ausrichtung/Vorgabe der ECB ihre Dienstleistungsstandards neu, (ζ. B. Münzcontainer)

SECURITAS

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes

Entwicklung WTU Dienstleistungen



Kundenindizierte Entwicklung SB-Geräte Service Hauptkassenfunktion - Inhouse Geldzählung/ -bearbeitung Wertetransport

Bewachung

Step by step

12 Pitschas/Stolzlechner

173

174

Heinz Spiegelmacher

Business Line Organisation Germany Country Manager Finance & Risk Management —

j Transport Manager j

Regional Manager Ν Regional Manager W [ Regional Manager SW

Sales

-Region E RegionW Regions Regional Manager S | Region Ν

Regional Manager E

Human Res. & Legal Procurement

J

Cash Manager

Hub Manager Ν I1 H ub Manager W Hub Manager SW

J

Hub Manager E Hub Managers

WELO

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes

175

Transport - Scannerlogistik

ZuorcfrTung dwTransportguter zu Tor/Kunde via Scanner

12*

Daterttogabe an Tarenscamer ErsteDmg Err^angsbesa ibgung

Erfassirg des Transportgus l durch Fahrer

Unterschrift ind Ubergabe der Empfag i sbestatg i ung an Tresor

Heinz Spiegelmacher

176

Strukturelle Veränderung WTU

• Abbildung des gewünschten Geschäftsprozesses • komplett • modular

nach dem Prinzip „one face to the customer"

SECURITAS

Modulare Dienstleistungskonzepte Geschäftsprozess SECURITAS WerteLogistik (WeLo) SECURITAS WerteLogistik (WeLo) bietet: • das gesamte Management des physischen Geldkreislaufes (Filialen, SB-Komponenten und Kunden) als Komplettlösung als modularer Aufbau, der eine schrittweise Einführung gewährleistet inklusive der Buchungen und Bestandsführungen Automatisierte IT-Lösungen garantieren die Mandantenfähigkeit des Systems \ Disponieren \ \ Auttraue bcarhciteiW Geld bearbeiten \ \ Ausführen \YBuchen \ V Ermittlung Bedarr^. Beaufi^gung \ \ G e ^ c ^ B ^ ^ ^ \ Haftgcl d \ Kasse \ \ Aufträge termin.eren\\ W mn C * V \ Buchungsbelege \ >GAA )>Überwachung Auf- ))Scheme \ \ BB Bank,...) \ \ erstelen ) / /_

/

AKT

// //

// r: dUrChfi,hrUn8C n// Auftrage // abschließen / /

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Entsorgung Bank// (Safebag, NTK)//

Differenzen / η^^^^/ SECURITAS

tSSSff*

Neue Aufgaben des Sicherheitsgewerbes

177

Modular aufgebaute Dienstleistung: S E C U R I T A S WerteLogistik (WeLo)

WeLo Consult

Überwachung SB-Geräte GAA

Lieferung Safe Point Cashln JAA

Betrieb Cashpoint Cashln

Befüllung GAA

Werttransporte

Sicherheitsdienstleistungen

CashManagement Kassen, GAA,

Geldbearbeitung

Ver- und Entsorgung Bargeld

Modular aufgebaute Dienstleistung: Rationalisierungspotentiale durch Optimierung des Geldkreislaufes

178

Heinz Spiegelmacher

Zusammenfassung

Danke für Ihre Aufmerksamkeit !!!

Neue Aufgaben für das private Sicherheitsgewerbe in einem „neuen Rechtsstaat64? Diskussion zu den Referaten von Jürgen Linde und Heinz Spiegelmacher Von Patrick Laurency Nachdem Linde das Verhältnis des privaten Sicherheitsgewerbes zu veränderlichen Rahmenbedingungen der gegenwärtigen staatlichen Sicherheitsarchitektur dargestellt und daraufhin die Notwendigkeit auch einer vorausdenkenden Rolle der Verwaltungswissenschaft zur Klärung der angesprochenen und noch offenen Fragen angemahnt hatte, eröffnete Pitschas die erste Diskussionsrunde. In Reaktion auf den Vortrag griff zunächst Bode die Darstellung der umfangreichen Aufgaben, die das private Sicherheitsgewerbe - und insbesondere die Securitas Deutschland Holding GmbH - fur Kommunen zuzüglich der öffentlichen Verkehrsmittel erbringe, auf und stellte diesbezüglich die Frage, ob denn bereits Untersuchungen dahingehend erfolgt seien, wie groß dieses Auftragsvolumen für Deutschland insgesamt sein könne. Mit einer solchen Quantifizierung, so Bode, ließe sich nämlich herausarbeiten, in welcher Größenordnung der Staat bei einer eigenen Übernahme der dementsprechenden Aufgaben ins Defizit käme. Linde erwiderte, dass trotz einer bis heute nicht erfolgten Quantifizierung einigermaßen verlässliche Aussagen hierüber durch Hochrechnungen hergeleitet werden könnten. Trotz der Ermangelung konkreter Zahlen führte eine weitergehende Diskussion unter Einschluss von Ralf Brümmer, Prokurist und Leiter der Ünternehmenskommunikation der Securitas Deutschland Holding GmbH, zu dem Schluss, dass das Auftragsvolumen, das die privaten Sicherheitsdienstleister von Kommunen und Betrieben des öffentlichen Personennahverkehrs erhalten hätten, insgesamt sehr groß sein müsse. Pitschas unterstrich gleichwohl, dass die Frage der Quantifizierung der Auftragsvolumina von großer Bedeutung sei und daher einer weitergehenden Klärung bedürfe. Im Rückgriff auf den Grundtenor des Vortrags von Linde lenkte er sodann die Aufmerksamkeit auf die prinzipielle Frage, ob die These der Entlastung des Staates durch private Sicherheitsdienste so hingenommen werden dürfe oder ob vielmehr auch über die Möglichkeit der Erweiterung der Investitionen des Staates in einen weiterhin primär staatlich kontrollierten Raum der öffentlichen Sicherheit nachgedacht werden müsse.

180

Patrick Laurency

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus Österreich mit der Vergabe von Aufträgen an private Sicherheitsunternehmen merkte Winsauer an, dass es letztendlich eine Funktion der europäischen Vergaberichtlinien sei, die Qualitätsmaßstäbe der Aufgabenwahrnehmung durch private Sicherheitsdienste zu bestimmen. Natürlich, so Winsauer, sei es ein haushaltspolitisches Anliegen, dem Kostenfaktor ein entsprechendes Gewicht bei den Zuschlagskriterien zu verleihen, um die Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst überhaupt rechtfertigen zu können. Dennoch müsse eine eindeutige Bestimmung des Verhältnisses zwischen den Kosten- und den Qualitätsanforderungen herbeigeführt werden. Notwendig sei diesbezüglich insbesondere ein koordiniertes Zusammenwirken von privaten Sicherheitsdiensten und der Polizei zur Erstellung eines Leistungskatalogs fur Leistungen, die außerhalb des Kernbereichs der Aufgabenerledigung liegen, wenn die ausschreibenden Stellen dazu befähigt werden sollen, die angedachten Leistungsanforderungen für Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste tatsächlich formulieren zu können. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation auch in Österreich, in der einerseits die Einsparung an Personal im öffentlichen Dienst nicht aus einer zielgerichteten Aufgabenkritik, sondern vielmehr aus finanziellen Gründen heraus erfolge, andererseits aber innerhalb der politischen Führung die Tendenz bestehe, aus Legitimitätsgründen neue Aufgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit weiterhin staatlichen Stellen zu übertragen, komme er, Winsauer, zu dem Schluss, dass die bisherigen Maßnahmen der Aufgabenwahrnehmung um eine konsequente Aufklärungsarbeit bei der Legislative ergänzt werden müssten. Nicht zuletzt auch im Sinne vieler öffentlich Bediensteter bedürfe es hierbei einer klaren Definition staatlicher Kernaufgaben, von der dann die Übertragung verbleibender Aufgaben an private Sicherheitsdienste abgeleitet werden könne. Linde äußerte sich zu dem letztgenannten Punkt zustimmend und verwies gleichzeitig auf seine Erfahrungen als Leiter der Staatskanzlei Brandenburg während des ,Aufbau Ost". In Brandenburg sei trotz knapper Haushaltsmittel und eines rasch auf Westniveau angewachsenen Aufgabenvolumens eine konsequente Aufgabenkritik nur sehr schwer in Gang gebracht worden. Neben politischen Führungsschwächen identifizierte Linde hierfür das Vorliegen institutioneller Mängel als ursächlich, so insbesondere eine überproportional starke Legislative und die damit verbundene Dominanz an Mehrheiten orientierter Entscheidungsverfahren, die nicht immer der Sache dienen würde. Was die Kosten anginge, so sei eine große Spannweite der Vorstellungen, die in öffentlich-rechtlichen Institutionen vorherrschten, festzustellen. Tatsächlich stehe, so Linde weiter, hinter derartigen Vorstellungen jedoch ein politisches Problem. Da bestimmte Bereiche aus dem BundesangestelltenTarifvertrag und aus der Beamtenbesoldung herausgenommen und in einen Tarif überfuhrt worden seien, der für die Arbeitgeber günstiger sei, werde der öffentliche Tarif unterlaufen. Mit derzeit durchschnittlich 8,50 Euro Stundenlohn

Neue Aufgaben f r das private Sicherheitsgewerbe

181

sei bei den Sicherheitsbediensteten die Motivation zur Übernahme qualifizierter Tätigkeiten verständlicherweise gering. Deshalb müsse eine Steigerung der qualitativen Anforderungen an das Personal des privaten Sicherheitsgewerbes unweigerlich mit einer signifikanten Anhebung der Bezahlung gekoppelt werden. Die befristete Übernahme von unqualifiziertem Personal aus dem Arbeitslosensektor könne nicht mehr nur der Beschönigung der Arbeitslosenstatistik dienen und sei sicherlich nicht der richtige Weg. Bei einer ausreichenden Qualifizierung des Gewerbes könne man von einer Einsparung an Personalkosten im öffentlichen Dienst von ungefähr 20-25 % ausgehen. Im Sachkostenbereich könne man unter der Voraussetzung einer konsequenten Rationalisierung und Technisierung des Gewerbes mit einer noch größeren Einsparung rechnen. Darüber hinaus ließen sich beispielsweise über den verstärkten Einsatz von Elektronik bei der Überwachung auch noch weitergehende Personaleinsparungen erreichen. Diese seien im privaten Bereich auch leichter durchzusetzen als im öffentlichen Bereich. Mit Blick auf die Gewährleistung von Sicherheit in Fußballstadien oder bei sonstigen Großveranstaltungen forderte Linde ferner eine Versachlichung der Diskussion darüber, ob man zur finanziellen Entlastung bestimmte Bereiche aus der staatlichen Verantwortung überhaupt entlassen dürfe. Dabei müsse jedoch auch der Gefahr des Vorwurfs eines gesellschaftlichen Desinteresses des Staates begegnet werden. Reinhard Rupprecht, Ministerialdirigent a. D. und Berater der Securitas Deutschland Holding GmbH, merkte an, dass der Vortrag von Linde deutlich mache, dass nahezu alle Funktionen im privaten Sicherheitsgewerbe derzeit ohne beliehene öffentliche Befugnisse übernommen würden. Auch der zehnprozentige Anteil der Sicherheitsaufgaben in privaten Räumen mit öffentlichem Zugang an dem gesamten Aufgabenvolumen würde auf der Grundlage des Hausrechts und damit auch wieder ohne öffentliche Befugnisse wahrgenommen. Dabei erinnerte Rupprecht zunächst an die Zeit der Olympischen Spiele 1972, während der es in Deutschland sogar aus politischen Gründen Maßnahmen gab, Polizeibeamte als privaten Ordnungsdienst des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele ihrer öffentlich-rechtlichen Befugnisse zu entheben und stattdessen mit privaten Befugnissen auszustatten. In Anlehnung daran, so Rupprecht, sei es auch heute ohne weiteres möglich, fünf bis sechs Aufgabenfelder zu benennen, die bisher von der Polizei wahrgenommen würden, aber auch ohne weiteres von privaten Wach- und Sicherheitsunternehmen - bis hin zum Sicherheits- und Kontrollmanagement in Justizvollzugsanstalten - wahrgenommen werden könnten. Demgegenüber bestehe in einigen Bundesländern derzeit die Tendenz, angesichts der unter anderem durch die Einführung einer zweigeteilten Laufbahn im Polizeivollzugsdienst entstandenen finanziellen Probleme eine eigene billigere Hilfspolizei zu schaffen. Diesbezüglich stellte Rupprecht die Frage, ob man in der Schaffung einer staatlichen

182

Patrick Laurency

Hilfspolizei eine reelle Alternative zur Privatisierung von Sicherheitsaufgaben erkennen könne. Linde entgegnete daraufhin, dass ein derartiges Vorgehen eher den Versuch bedeute, möglichst viel an Sicherheitsaufgaben unter staatlicher Durchfuhrungsverantwortung zu belassen. Obwohl dies für eine Übergangszeit sinnvoll sein könne, werde man dem Erfordernis der Schaffung einer effizienten und langfristig angelegten Sicherheitsarchitektur damit nicht gerecht. Der Vorteil der Übergabe von Aufgaben in private Verantwortung liege zudem in der Möglichkeit, die Problematiken des öffentlichen Dienstrechts zu umgehen. Diesbezüglich verglich Linde die Diskussion über den Sinn einer öffentlichrechtlichen Hilfspolizei in einzelnen Aspekten mit der Behandlung der Vereinigungsbemühungen zwischen Berlin und Brandenburg. Dabei habe es Bestrebungen gegeben, 50.000 öffentlich Bedienstete des Landes Berlin in eine Art öffentliche Beschäftigungsgesellschaft zu überfuhren und damit nicht öffentliche Aufgaben weiterhin erfüllen zu lassen, um einer ansonsten kontraproduktiven Diskussion über einen Personalabbau weitgehend vorbeugen zu können. Da sich der Sinn der Einführung einer öffentlich-rechtlichen Hilfspolizei ähnlich dazu doch eher in der Vorbeugung eines nicht gewollten politischen Agendasettings organisierter Interessen erschöpfe und daher nicht der Sache an sich diene, könne eine Effizienzsteigerung bei der Erledigung staatlicher Kernaufgaben nur durch die tatsächliche Entlastung von Sekundäraufgaben und deren Übertragung auf private Sicherheitsdienstleister erreicht werden. Zustimmend hierzu äußerte sich auch Rupprecht, indem er auf zwei hauptsächlich bestehende Nachteile bei staatlichen Hilfspolizeien verwies. Erstens gäben Sie der öffentlichen Hand nicht die gleiche Flexibilität, wie sie bei einer Auftragsvergabe an private Sicherheitsdienstleister bestünden. Zweitens sei auch die Dienstaufsicht im privaten Bereich strikter. Pitschas schränkte aber ein, dass die in dieser Diskussion gelegentlich geäusserte Auffassung, wonach es nur um die Übertragung von Aufgaben außerhalb von Eingriffen in grundgesetzlich geschützte Freiheitsrechte gehe, so nicht zutreffend sei. Schließlich sei im Rahmen der Gewerberechtsnovelle bzw. der Änderung des § 34a der Gewerbeordnung der Sachkundenachweis für Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste deswegen eingeführt worden, weil einige Tätigkeiten privater Sicherheitsdienste in öffentlich zugänglichen Räumen unter Verdacht stünden, doch in den Bereich grundgesetzlich geschützter Freiheitsrechte hineinzuragen oder zumindest Auswirkungen hierauf zu erzeugen. Grauzonen seien m. a. W. zu beachten. Die Behauptung der Möglichkeit einer extensiven Umwandlung von Polizeiaufgaben bedürfe, so Pitschas, noch aus einem anderen Grund der sehr sorgfältigen Prüfung. Denn bei der Ausgliederung von Aufgaben bestände das Problem, dass polizeiliche Arbeit schon in scheinbar recht einfachen Bereichen relativ differenziert und komplex sei. Bereits die qualitativen Arbeits- und

Neue Aufgaben fiir das private Sicherheitsgewerbe

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Ausbildungsanforderungen, die etwa ein einfacher Verkehrsunfall an die damit befassten Beamten stelle, könne aufzeigen, dass vereinfachende Annahmen liber Qualitätsanforderungen der scheinbar zur Disposition stehenden polizeilichen Aufgaben irreführend seien und am Ende die praktische Durchführung einer Aufgabenübernahme durch private Sicherheitsanbieter eher noch erschweren würden. Hierauf erwidernd verwies Linde zunächst auf das Vorliegen von „Mischtatbeständen". Die darunter fallenden Tätigkeitsmerkmale hätten sowohl privatrechtlichen als auch öffentlich-rechtlichen Charakter und seien im öffentlichen Dienst eher zu legitimieren, da Tätigkeiten von Polizeibeamten im privaten Bereich nicht im Verdacht stünden, Grundrechte möglicherweise einzuschränken. Zudem seien polizeiliche Tätigkeiten im privaten Bereich weit weniger auffällig, weil öffentliche Präsenz die Vermutung einer gleichzeitig bestehenden öffentlich-rechtlichen Tätigkeit nach sich ziehe. Dies stelle dann eine Kompensation öffentlich-rechtlicher durch private Tätigkeiten im Sinne eines grundsätzlich wenig verdächtigen „Nachtwächterstaates" dar. Insgesamt, so Linde, stehe außer Frage, dass Tätigkeiten privater Sicherheitsdienstleister, die Merkmale von Eingriffen in grundgesetzlich geschützte Freiheitsrechte aufwiesen, nicht alleine durch Sachkundeprüfungen, sondern nur durch Beleihung oder durch polizeiliche Aufsicht legitimiert werden könnten. Die eigentliche Frage, die diskutiert werden müsse, sei vielmehr, ob eine weiterhin staatlich beaufsichtigte Tätigkeit privater Sicherheitsdienstleister in grundgesetzlich relevanten Bereichen auch mit einer geringeren Personalintensität erfolgen könne, als dies bei der Polizei der Fall ist. Pitschas merkte hierzu an, dass hierbei die Änderung der Aufsichtsform ein wichtiger Aspekt sei, insofern der Übergang zu einer Gewährleistungsaufsicht mit einer Rücknahme von Anforderungen verbunden sei und mehr Spielräume für private Sicherheitsunternehmen beließe, gleichzeitig aber daneben eine flexible Behandlung möglicherweise auftretender Problematiken erlaube. In Reaktion auf die These der Effizienzsteigerung von Maßnahmen zur Gewährleistung innerer Sicherheit durch einen umfassenden Transfer von Durchführungsverantwortung auf private Sicherheitsunternehmen hob Konrad Schober, Kriminaloberrat und Sachbereichsleiter aus dem Bayerischen Innenministerium, hervor, dass der Erfolg und die Legitimität polizeilicher Arbeit weitgehend von dem Grad der erreichten Bürgernähe abhingen. Bürgernähe entstehe dabei keinesfalls durch den Aufbau spezialisierter und vorwiegend reaktiv tätiger Dienststellen, sondern vielmehr in einer Art des täglichen Kontakts zwischen Bürgern und Beamten des Streifendienstes, der zum Teil auch unabhängig von einem Anlass erfolge. Nicht zuletzt sei die durch den Einsatz von öffentlich-rechtlich Bediensteten wiedergegebene staatliche Neutralität ein entscheidendes Kriterium für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgern und den für die innere Sicherheit Zuständigen.

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Vor diesem Hintergrund erfordere nach Ansicht von Schober eine nutzbringende Diskussion der Möglichkeiten der Übertragung vermeintlich „polizeifremder Routinetätigkeiten", wie beispielsweise die Bearbeitung von Verkehrsunfällen oder die Bewachung öffentlicher Gebäude, in jedem Fall die Berücksichtigung derjenigen Opportunitätskosten, die bei einer Reduzierung des „eingriffsfreien" Bürgerkontakts der Polizei entstehen könnten. So seien nicht nur Qualitätseinbußen bei der Sachbearbeitung beispielsweise eines Autounfalls zu befurchten. Auch könne der Erfolg polizeilicher Ermittlungen im Rahmen der Strafverfolgung gefährdet werden, insofern die Motivation von Bürgern zur Weiterleitung von Hinweisen entscheidend von dem Bestehen eines zuvor „in der Routine gewachsenen" Vertrauensverhältnisses abhinge. Eine zweite These formulierte Schober im Hinblick auf die Frage, ob die Bewertung von Problemen der inneren Sicherheit primär von monetären Erwägungen abhängen dürfte. Obwohl die Effizienz staatlicher Aufgabenerledigung natürlich gewünscht sei, müsse nach seiner Auffassung ein demokratischer Rechtsstaat zur Erfüllung der diesem Begriff entsprechenden Qualitätsanforderungen dennoch ebenfalls in defizitären, also durch Marktversagen gekennzeichneten Aufgabenfeldern handeln. Die damit verbundene Notwendigkeit der Abgrenzung zu den Möglichkeiten eines gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmens führe letztendlich daneben zu den Problemen, die mit einer Abschaffung des Beamtenstatus für zukünftige Dienste auf dem Gebiet der inneren Sicherheit verbunden sein könnten. Im Unterschied nämlich zu manchen Bereichen der Leistungsverwaltung, in denen sich der Sinn der Beibehaltung des Beamtenstatus nicht immer unmittelbar erschließe, sei, so Schober, im Bereich der klassischen Eingriffsverwaltung, die über das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit verfüge, eine Relativierung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nur zum Zweck der Verbilligung der von ihm abgeforderten Dienstleistung am wenigsten vorstellbar. Linde entgegnete diesem Einwand, indem er einen Automatismus bei der Entstehung eines Widerspruchs zwischen einer Beibehaltung rechtsstaatlicher Anforderungen und einer Aufgabenübertragung an private Sicherheitsunternehmen verneinte. Um der Entstehung von Widersprüchen vorzubeugen, müsse jedoch eine von der Legislative getroffene Definition rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen jeder weiteren Aufgabenverlagerung vorgeschaltet werden. Im Übrigen verweise die Tatsache, dass sich der Bundesverband des privaten Sicherheitsgewerbes stets gegen eine Unterrichtung seiner Mitarbeiter ausschließlich durch die Industrie- und Handelskammern ausgesprochen habe, auf das Bestehen einer rechtsstaatlich motivierten Bereitschaft auf dieser Seite, staatlich definierten Qualitätsanforderungen und -kontrollen nachzukommen. Zum Ende der ersten Gesprächsrunde machte Pitschas auf die Verbindungslinien dieser Diskussion zur Entstehung einer „neuen Rechtsstaatlichkeit" auf-

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merksam. Zusammenfassend könne bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt prognostiziert werden, dass für die rechtliche Konkretisierung der Stellung des privaten Sicherheitsgewerbes im Rahmen einer an aktuelle Erfordernisse anzupassenden Sicherheitsarchitektur vor allem die von Linde angesprochenen „Mischtatbestände" von zentraler Relevanz sein würden. In Überleitung zur Diskussion der Thesen des zweiten Vortrags bemerkte Pitschas, dass ähnliches im Übrigen auch für die Rolle der Geld- und Wertdienste gelte. Dieser in der öffentlichen Wahrnehmung noch eher verschwommene Bereich des privaten Sicherheitsgewerbes, der die logistische Einschaltung Dritter in den Geldverkehr beträfe, wurde von Spiegelmacher in seinem Vortrag näher ausgeleuchtet. Die von Spiegelmacher vorgetragenen Thesen könnten, so meinte Pitschas, den Ausgangspunkt für eine neue öffentlichrechtliche Diskussion bilden, die nicht mehr nur den Sektor des Polizeiwesens, sondern auch die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht betreffe. Für den Bestand des Staates sei das diesbezügliche Erkenntnisinteresse ebenso erkennbar wie für die Diskussion über die Neubestimmung polizeilicher Aufgaben. Daran direkt anknüpfend und konkret mit Blick auf die Institution der Bankenaufsicht fragte Gille nach der Notwendigkeit einer dementsprechenden Aufsicht über die Geld- und Wertdiensteunternehmen. Denn aus der Sicht einer staatlichen Gewährleistungsverantwortung stelle sich die konkrete Frage, ob und, wenn ja, in welcher Form und mit welchen Verantwortlichkeiten die bisher fehlende Einbindung der Geld- und Wertdiensteunternehmen in die staatliche Bankenaufsicht erforderlich sei. Spiegelmacher erwiderte daraufhin, dass es im Bankengewerbe zwei entscheidende Aufsichtsorgane gebe. Diese seien das ehemalige Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen sowie die Aufsichtsbehörde für das Finanztransfergeschäft, beide nunmehr in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vereinigt. Die als Abteilungen darin fortbestehenden Behörden seien ausschließlich für die Beaufsichtigung der Dienstleistungspalette, die in oder durch Banken erbracht würden, geschaffen worden. Sowohl die Bundesbank als auch diese beiden Aufsichtsämter hätten sich mit diesem Thema bereits auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass die Gesetze, die vor dem Hintergrund einer drastisch veränderten Wirtschaftslage für die Bankenaufsicht geschaffen worden seien, nicht die notwendige Flexibilität über verfügen würden. Für den Bereich der Geld- und Wertdienste bedeute dies konkret, dass bestimmte Auflagen zu Finanztransfergeschäften heute schon erfüllt werden müssten. Für die gesamte Geschäftsbranche inklusive der SECURITAS sei dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, insofern die die Bankenaufsicht betreffenden Verordnungen und Gesetze ausschließlich für Banken gemacht worden seien. Deswegen habe beispielsweise die Geschäftsleitung seines Unternehmens in der Division Geld- und Wertdienste zwar für alle bundesweit betriebenen Gesellschaften die entsprechenden Genehmigungen beantragt, jedoch

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fur einige Standorte in Deutschland auch Ausnahmegenehmigungen erhalten. Diese Ausnahmegenehmigungen seien, so Spiegelmacher, zwingend erforderlich, da das Gewerbe der Geld- und Wertdienste nicht alle Auflagen, die eigentlich für die Bankenwelt konstruiert worden seien, erfüllen könne. Die Zahl aller Auflagen sei zudem nicht erforderlich, da das Kerngeschäft des Gewerbes dem Geldkreislauf zugeordnet bleibe und keine Übernahme anderer Geschäftsfelder derzeit zur Diskussion stehe. Gille entgegnete dem, dass sich die Inhalte des neuen Begriffs der Finanzdienstleistungsaufsicht von denen der Bankenaufsicht unterschieden und sie sehr wohl den Kern des Geschäftsbereichs der Geld- und Wertdienste, so beispielsweise die Depotbankfunktion, beträfen. Daraufhin erwiderte Spiegelmacher, dass es die Bundesbank gewesen sei, welche die Depotbankfunktion „auf der Qualitätsebene ausgehebelt" habe, weil entsprechende Meinungen bestünden, dass die Dienstleistungsbranche nicht den Qualitätsstandard erfülle, der für einen ordnungsgemäßen Geldumlauf in Deutschland notwendig sei. Doch verwies er darauf, dass beispielsweise die SECURITAS Geld- und Wertdienste für alle Gesellschaften die Genehmigungen zum Finanztransfergeschäft beantragt habe. Jedoch sei ein hoher Grad an Technisierung bei der Geldbearbeitung nur dann sinnvoll, wenn das Resultat des Einsatzes von Technik unverändert der Bundesbank zugeführt würde. Bis vor kurzem hätten sich die Geld- und Wertdienste noch in einer Situation befunden, in der beispielsweise die durch Zählmaschinen herbeigeführte Zusammenführung („Verdichtung") von Geldbeträgen vor deren Überführung an die Bundesbank wieder nach Kunden aufgeteilt werden musste. Diese Situation sei nun glücklicherweise überwunden. Dennoch bedürften auch heute noch manche Positionen, die für das Finanztransfergeschäft definiert seien, einer Abänderung. So sei es für die Geld- und Wertdienste unmöglich, beispielsweise an jedem Standort zwei Geschäftsführer einzustellen, nur um der Struktur der Bankenwelt, die ebenfalls zwei Geschäftsführer je Bank erfordere, gerecht werden zu können. Das eigentliche Problem, so gab Pitschas zu verstehen, ergebe sich jedoch aufgrund der Situation, dass die funktionsangereicherten Geld- und Wertdienste als Depotbank ebenfalls eine Finanzdienstleistungsfunktion übernehmen würden, die in einem Katalog von europarechtlichen Normen strengen Voraussetzungen unterworfen wird. Koch lenkte die Diskussion im Folgenden auf die von Spiegelmacher angesprochene These von der Notwendigkeit der Optimierung von Geschäftsprozessen bei Banken, bei der dem Gewerbe der Geld- und Wertdienste eine erhebliche Beratungsfunktion zuteil werden solle. Dabei erinnerte er an die Diskussion zu den Referaten aus der Wissenschaft (siehe Bericht von Müller in diesem Band), in welcher Teilbereiche des Rechts der öffentlichen Sicherheit dem Begriff des Risikoverwaltungsrechts und der Riskanz zugeordnet worden

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seien. Vor diesem Hintergrund scheine der Beitrag der Geld- und Wertdienste zu einer Vermehrung privat angebotener Handlungsräume öffentlicher Sicherheit eine ganz neue Qualität zu entfalten. Denn die Aufgabenentwicklung privater Sicherheitsunternehmen umfasse mittlerweile beratende Beiträge auch auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung, also auch im Rahmen polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsarbeiten. Diese Gutachtertätigkeiten müssten jedoch einer ähnlich rigiden staatlichen Kontrolle unterworfen werden, wie sie im Rahmen der Finanzdienstleistungsaufsicht bereits bestehe. Hierauf antwortete Spiegelmacher, dass die Beratungskompetenz für den Bankensektor für das Gewerbe der Geld- und Wertdienste von elementarer Wichtigkeit sei. Diese Beratungskompetenz sei in den letzten zwei Jahren über die angesprochenen zwei Projekte, die mit den beiden Großbanken partnerschaftlich durchgeführt wurden, eher noch angewachsen. Zwar wäre die Behauptung, dass private Sicherheitsgewerbe verfüge über eine ausreichende Beratungskompetenz zur Modernisierung von internen Organisationsstrukturen der Großbanken, sicherlich vermessen. Aufgrund der momentan bestehenden Krise im Bankensektor und einer damit verbundenen Freisetzung von Veränderungspotential bestünde derzeit jedoch ein offener Markt, der für das Gewerbe der Geld- und Wertdienste sehr lukrativ sei. Zudem verspreche die Krise eine weitere Vergrößerung der Beratungskompetenz, insofern kompetente Bankkaufleute freigesetzt worden seien und daher vom Sicherheitsgewerbe übernommen werden könnten. Bei alledem sei es für die Geld- und Wertdienste von entscheidender Bedeutung, sich eine Kompetenz anzueignen, die über das Fahren, das Transportieren und über die Bearbeitung des Geldes hinausgehe. Insgesamt gesehen räume die Übernahme einer Beratungstätigkeit für interne Geschäftsabläufe eine entscheidende Position ein, da ansonsten der Anspruch auf Branchenführerschaft, im Rahmen derer man die Definitionsmacht für Standardlösungen besäße, nicht eingelöst werden könnte. Die Möglichkeit zur Umsetzung von Standardlösungen, die vom Anbieter und nicht vom Kunden vorgegeben würden, sei wiederum ein elementarer Kostenfaktor und damit für die Effizienz der Tätigkeit eines Geld- und Wertdiensteunternehmens von entscheidender Bedeutung. Die derzeitige Lage weise dagegen in eine andere Richtung, insofern die Vorgabe von Arbeitsabläufen noch zu 99 % durch den Kunden erfolge. Diese den Anbieter teuer zu stehen kommende Situation, in der eine Vielzahl von Vorgaben die parallele Durchführung einer Vielzahl andersartiger Arbeitsabläufe erfordere, gelte es in jedem Fall zu überwinden, so Spiegelmacher. Pitschas verwies in seiner Nachfrage hierzu auf die Möglichkeit, die Kosten einer Entstandardisierung mit der Erhöhung von Preisen zu kompensieren. Daran knüpfe die Frage an, wie die Entwicklung der Kostensituation in den Geschäftsbeziehungen zu den öffentlichen Banken zu beurteilen sei. Denn die Prognose, wonach die öffentlichen Banken dieselbe Entwicklung wie die beiden angesprochenen Großbanken durchlaufen würden, sei durchaus kritisch zu

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beurteilen. Sie lasse nämlich die Tatsache unbeachtet, dass die öffentlichen Banken, wie beispielsweise die Sparkassen, einen Daseinsvorsorgeauftrag hätten. Dieser sei nach dem Vertrag von Maastricht (Art. 16 EG-Vertrag) nun im Gemeinschaftsrecht verankert. Teil dieses Daseinsvorsorgeauftrages sei die Sicherstellung von Kundennähe durch den Aufbau eines möglichst feinmaschigen Filialnetzes. Das von den Geld- und Wertdiensten propagierte Konzept der Automatisierung und des Filialabbaus folge jedoch aufgrund einer damit eintretenden Lastenumschichtung zuungunsten des Bürgers einer Richtung, die diesem Daseinsvorsorgeauftrag widerspräche. Ein anderer Aspekt der Problematik des Daseinsvorsorgeauftrages sei zudem die Berücksichtigung älterer Menschen, von denen angenommen werden müsse, dass sie, wie das Beispiel der Schwierigkeiten bei der Benutzung von Geldautomaten zeige, mit einer Zunahme an technisierten Verfahren nicht Schritt halten und damit nur benachteiligt werden könnten. Vor diesem Hintergrund müsse man sich die Frage stellen, so Pitschas, ob denn die Entwicklung des öffentlichen Bankensektors auch anders, als im Vortrag vorgestellt, prognostizierbar sei. Spiegelmacher erwiderte, dass diesem Einwand prinzipiell nicht widersprochen werden könne. Die Bankenwelt sei in Deutschland grundsätzlich zweigeteilt. Auf der einen Seite befänden sich die Universalbanken, so wie beispielsweise die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Dresdner Bank und die Bayrische Hypotheken- und Vereinsbank, die insgesamt jedoch nur 17-18 % des gesamten Bankenmarktes ausmachten. Das Gros des Bankengeschäfts liege sicherlich im Genossenschafts- und im Sparkassensektor. Dennoch würde auch in diesem Sektor ertragsorientiert gearbeitet werden, so dass Maßnahmen zur Kostensenkung hier zu erwarten seien. Dies könne aus der in den letzten zehn Jahren stattgefundenen Entwicklung des Bankensektors abgeleitet werden. So sei das Volumen der Einsparungen, die durch die Schließung von Filialen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken erreicht worden seien, fünfmal größer, als das der Einsparungen bei den Universalbanken. Dies zeige, dass ein schleichender Rückzug dieser Banken aus den kleinen Städten und Dörfern längst stattfinde. In jedem Fall könne davon ausgegangen werden, dass auch in diesem Marktsegment der Aufbau einer engen Geschäftsbeziehung zwischen Banken und dem Gewerbe der Geld- und Wertdienste abzusehen sei. Linde fügte dem die Bemerkung hinzu, dass dieser Konzentrationsprozess in anderen Wirtschaftssegmenten, wie beispielsweise im Einzelhandel, in noch größerer Intensität stattgefunden habe. Besonders in Ostdeutschland habe dieser Konzentrationsprozess immense Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge der Bevölkerung gehabt. So habe es beispielsweise im Land Brandenburg eine Situation gegeben, in der sich innerhalb kürzester Zeit sowohl der Einzelhandel als auch der Dienstleistungssektor förmlich „aufgelöst" hätten. Dieser Prozess sei in Westdeutschland über einen Zeitraum von zwanzig bis dreißig Jahren viel langsamer abgelaufen, so dass sich die Bevölkerung darauf habe einstellen

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können. Der flächendeckende Rückzug des Bankensektors stehe stets am Ende derartiger Konzentrationsprozesse; er habe regionalpolitisch stets drastische Konsequenzen. In jedem Fall leide die Daseinsvorsorge der Bevölkerung darunter erheblich. Dem könne man noch hinzufügen, so Spiegelmacher, dass Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich mit Abstand die größte Bankendichte habe. Daher sei das Rationalisierungspotential innerhalb des Bankensektors in Deutschland auch am größten. Pitschas beendete diese Diskussionsrunde mit einem Hinweis darauf, dass das Gewerbe der Geld- und Wertdienste zu Lasten der integrierten Betrachtung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit bisher stark vernachlässigt worden sei. Doch verkörpere der Sektor Geld und Wert einen Kernbereich staatlicher Sicherheitsvorsorge. Denn es könne davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der neuen Bedrohungslage gerade die Geld- und Wertdienste ein Angriffsziel für vielfältige mögliche kriminelle Interventionen bilden werden. Diese bisher unterschätzte Rolle der Geld- und Wertdienste aufzuhellen, sei - so die abschließenden Worte von Pitschas - mit der Präsentation von Spiegelmacher gut gelungen.

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Vierter Teil

Vergleichende Perspektiven der Sicherheitsarbeit innerhalb der Europäischen Union: Österreich

Die neue Sicherheitsarchitektur in Österreich* Von Harald Stolzlechner I. „Neue Sicherheitsarchitektur 66; staatliche Sicherheitsverwaltung im Umbruch Der Titel des Vortrags bedient sich der Begrifflichkeit der Zivilingenieurwissenschaften („Neue Sicherheitsarchitektur"). Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass mit diesem Bild der fortlaufende Prozess einer funktionellen und organisatorischen Umwandlung und Erneuerung der österreichischen Sicherheitsverwaltung vortrefflich zum Ausdruck gebracht wird. Laut Duden versteht man unter „Architektur" einen „(mehr oder weniger) kunstgerechten Außau und künstlerische Gestaltung von Bauwerken" } Um einen solchen „kunstgerechten Aufbau", nämlich um ein funktionsadäquates Organisationsgejuge der öffentlichen Sicherheitsverwaltung geht es im Folgenden. Dabei muss der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Aufgabenstellung und Organisation in den Blick genommen werden: Die Änderung einer Organisation ist niemals Selbstzweck, sondern muss ausgerichtet sein auf optimale, nämlich effiziente und kostengünstige Aufgabenbewältigung. 2 Analysiert man die jüngsten Entwicklungen im österreichischen Sicherheitsapparat, zeigt sich in der Tat, dass etwas Neues im Entstehen begriffen ist, dass - ähnlich wie in anderen Bereichen staatlicher Aufgabenerfullung - aktuelle funktionelle Herausforderungen zu neuen Organisationsformen fuhren. Es geht daher zunächst darum, die neuen Aufgaben und Rahmenbedingungen im Bereich der öffentlichen Sicherheitsverwaltung darzustellen (II). Im Anschluss daran sind die neuen Organisationsformen zu erörtern, die zur Bewältigung neuer Herausforderungen bei der Vorsorge fur die Sicherheit im Inneren entwickelt wurden (III). Abschließend

* Ass. Prof. Dr. Karim Giese habe ich für fachliches Gespräch und Unterstützung bei der Zusammenstellung des Materials zu danken; Dank gebührt auch VAss. Mag. Andreas Winkler fur Durchsicht des Manuskripts. 1 Vgl. Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (3. Auflage), Stichwort „Architektur". 2 Treffend vertritt der VfGH die Ansicht, dass jede „organisatorische Regelung notwendig auf die Bewältigung irgendwelcher Funktionen ausgerichtet ist und umgekehrt die Regelung jeglicher Funktion auf ihre organisatorische Bewältigung Bedacht nehmen muss" (VfSlg 8466/1978).

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werden Entwicklungslinien zukünftiger wahrnehmung skizziert (IV).

sicherheitspolizeilicher

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II. Neue Aufgaben und Rahmenbedingungen Der neuen Sicherheitsarchitektur in Österreich liegen - ähnlich wie in den meisten europäischen Staaten, namentlich auch in der Bundesrepublik Deutschland - neue Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen zugrunde, die einen tief greifenden Umbau und eine Neuausrichtung der öffentlichen Sicherheitsverwaltung hervorgerufen haben. Auf diese geänderten Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen ist kurz einzugehen.

1. Neue Sicherheitsaufgaben Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit der Bürger - eingebettet in rechtsstaatlich kontrollierte Handhabung des staatlichen Gewaltmonopols - zählt unbestritten zu den zentralen Aufgaben und Zwecken des liberalen, aber auch des sozialen Rechtsstaats. Übersetzt in die Terminologie des B-VG gehört zu den Aufgaben der klassischen Innenverwaltung des Bundes die „ Auf rechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung" (Art. 10 Abs. 1 Ziff. 7 B-VG). 3 Dieser Kompetenztatbestand erfasst die Abwehr allgemeiner Gefahren (Sicherheitspolizei), also von Gefahren, die nicht auf ein bestimmtes Verwaltungsgebiet beschränkt, sondern insofern „allgemein" sind, als sie mit keinem Verwaltungszweig in Verbindung stehen. Dazu werden herkömmlich Maßnahmen der Vermeidung, Bekämpfung und Aufklärung von gerichtlich strafbaren Handlungen, Aktivitäten der Staatspolizei sowie Maßnahmen der „Obsorge für Sicherheit von Personen und des Eigentums ", wie Objektschutz, Überwachung des öffentliche Raums etc. gezählt.4 Obgleich der kompetenzrechtliche Rahmen unverändert geblieben ist, haben sich im Gefolge gesellschaftlicher, staatlicher und technischer Umwälzungen 3 Grundsätzlich zu diesem Kompetenztatbestand Hauer, Ruhe, Ordnung, Sicherheit (2000), S. 196 ff.; Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998), S. 20 ff.; Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts (9. Auflage 2000), S. 725 f.; Mayer, B-VG (3. Auflage 2002), Art. 10 B-VG I.7.; Öhlinger, Verfassungsrecht (4. Auflage 1999), S. 242. 4 Vgl. im Detail dazu Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998), S. 25 ff.; Giese, Sicherheitspolizeirecht, in: Bachmann et al (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (4. Auflage 2002), S. 3; Hauer, Ruhe, Ordnung, Sicherheit, S. 171 ff. sowie zuletzt Demmelbauer/Hauer, Grundriss des österreichischen Sicherheitsrechts (2002), S. 53 ff.

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der letzten Jahrzehnte die sicherheitspolizeilichen Aufgaben in jüngster Vergangenheit dramatisch verändert. Einst hatte sich der gute alte „Schutzmann" um die Sicherheit des öffentlichen Raums, um die Ordnung des ruhenden und fließenden Verkehrs sowie um Schlichtung lokaler Raufhändel oder familiärer Konflikte zu kümmern. 5 Diese sicherheitspolizeiliche Idylle gehört längst der Vergangenheit an: Für die Ordnung des ruhenden Verkehrs sorgen zunehmend private Sicherheitsdienste und lokale Konflikte werden heute vielfach von kommunalen Interventionsstellen geschlichtet. Dagegen haben sich aufgrund der Technisierung der Gesellschaft und der Öffnung der Grenzen sicherheitspolizeiliche Aufgaben von ganz anderer Dimension in den Vordergrund geschoben. Einige Stichworte müssen im vorliegenden Zusammenhang zur Charakterisierung der zentralen kriminellen Bedrohungen der Gegenwart genügen. Es geht heute um Bekämpfung von Menschenhandel, illegaler Immigration, Schlepperei, Drogenhandel bzw. sonstiger Suchtgiftkriminalität, Unterbindung der Autoschieberei, Bekämpfung des Terrorismus jedweder Schattierung - von der Separierung aggressiver Fußballfans über Ausschaltung gewaltbereiter Demonstrationsteilnehmer bis hin zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - , ferner um Unterbindung von Wirtschaftskriminalität jedweder Art von illegaler Kapitalflucht über Geldwäsche, Steuerhinterziehung bis hin zum Missbrauch staatlicher Pensionssicherungssysteme - , um Bekämpfung der Geldfälschung in der neuen Dimension des Euro-Raumes, um Bekämpfung der Computer- und Internetkriminalität, einschließlich des Kinderpornohandels, um Bekämpfung des organisierten Kunstdiebstahls bzw. der Fälschung von Kunstgegenständen in Form der Kulturgutfahndung sowie um Bekämpfung jedweder Form der Umweltkriminalität. 6 Bei aller Unterschiedlichkeit der von den aufgezählten Kriminalitätsfeldern ausgehenden Bedrohungsszenarien können gemeinsame Merkmale der neuen sicherheitspolizeilichen Herausforderungen ausgemacht werden, die bei Entwicklung operativer Gegenstrategien Beachtung erheischen, nämlich einerseits die nationale, vielfach internationale Vernetzung krimineller Akteure in Form Organisierter Kriminalität 1, andererseits Nutzung und Instrumentalisierung der

5 Zur älteren Rechtslage vgl. Thienel, Die Aufgaben der Bundesgendarmerie (1986), insb. S. 15 ff. 6 Auch die Kleinkriminalität nimmt zu. So ist die Zahl der Taschendiebstähle im Jahr 2002 in Wien um ein Drittel auf 13.000 gestiegen. Ein wichtiger Grund hierfür wird in der Aufhebung der Sichtvermerkspflicht für einige osteuropäische Staaten gesehen, vgl. den Artikel „Rekord bei Taschendiebstählen: Polizei startet Sonderstreifen", in: „Die Presse" vom 29.11.2002. 7 Aus der zahlreichen Literatur hierzu vgl. etwa Edelbacher, Organisierte Kriminalität in Österreich und Europa, in: Edelbacher (Hrsg.), Organisierte Kriminalität in Europa. Die Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität (1998), S. 15 ff; Funk, Sicherheitspolizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, JRP 1996, S. 26 ff.; Machacek, Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Ös-

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modernen Technik, namentlich der Informationstechnologie, für kriminelle Handlungen. Es ist eine keineswegs leichte Aufgabe der staatlichen Sicherheitsverwaltung, dem geschilderten Gefahrenpotential mit Hilfe adäquater Gegenstrategien entgegenzuwirken.

2. Neue Rahmenbedingungen Der neuen Sicherheitsarchitektur liegen auch geänderte gesellschaftliche und staatliche Rahmenbedingungen zugrunde, die kurz zu erörtern sind.

a) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen „Österreich zählt zu den sichersten Ländern der Welt. Die Kriminalität ist im internationalen Vergleich auf konstant niedrigem Niveau. Die Gesamtkriminalität ist um 7,7 % zurückgegangen". Mit diesen Worten charakterisierte B M I Strasser die Lage der inneren Sicherheit in Österreich anlässlich der Präsentation des Kriminalitätsberichts 2001} In absoluten Zahlen ausgedrückt, wurden im Jahr 2001 522.710 Straftaten registriert, davon 418.967 Vergehen und 103.743 Verbrechen, was einen Rückgang der Gesamtkriminalität um 7,7 % gegenüber dem Jahr 2000 bedeutet. Rückgänge wurden vor allem in den Deliktsbereichen Körperverletzung, Einbruchsdiebstahl, Betrug, Raufhandel und Mord verzeichnet. Zunahmen hingegen gab es bei Diebstahl- und Suchtmitteldelikten, bei vorsätzlichen Gemeingefährdungen und bei Geldfälschungsdelikten, was unbestritten mit der Euro-Umstellung zusammenhing.9 Die Aufklärungsquote ging aus verschiedenen Gründen (auf 41,7 %) leicht zurück. So beruhigend die genannten Zahlen an sich (namentlich im internationalen Vergleich) sind, so ist doch zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektiterreich, ÖJZ 1998, S. 553 ff; Miklau/Pilnacek y Optische und akustische Überwachungsmaßnahmen zur Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität („Lauschangriff') - Paradigmawechsel im Verfahrensrecht?, JRP 1997, S.286 ff.; Schmoller, Geändertes Erscheinungsbild staatlicher Verbrechensbekämpfung? Zur Diskussion über Lauschangriff, Rasterfahndung, verdeckte Ermittler, Kronzeugen uä., ÖJZ 1996, S. 21 ff.; Wiederin, Rechtspolitik der Zukunft - Innere Sicherheit, in: Holoubek/Lienbacher (Hrsg.), Rechtspolitik der Zukunft - Zukunft der Rechtspolitik (1999), S. 277 ff. (S.282); zu möglichen sicherheitspolitischen Konsequenzen organisierter Kriminalität zuletzt Kessel/Schmoller, Austria, in: de Boer (Hrsg.), Organised Crime. A Catalyst in the Europeanisation of National Police and Prosecution Agencies? (2002), S. 71 ff. 8 Vgl. dazu den Artikel „Weniger Straftaten", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 78/2002, S. 15 ff.; ferner den Artikel „Weniger Verbrechen, aber geringere Aufklärung", in: „Die Presse" vom 6.06.2002. 9 Vgl. dazu den Artikel „Weniger Straftaten", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 78/2002, S. 15 ff.

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vem Sicherheitsgefuhl von Teilen der Bevölkerung ein differenzierteres Bild zu zeichnen, wobei man sich vor Überzeichnung und Schwarzmalerei hüten muss. Ohne Rückgriff auf umfangreiches Zahlenmaterial lässt sich als allgemeine Erfahrung feststellen, dass die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, sei es in Familie, Beruf, Sport, im Straßenverkehr oder allgemein im Verkehr der Menschen untereinander, zunimmt l0. Die Senkung der Hemmschwelle gegenüber dem Einsatz von Gewalt ist ein Phänomen, das sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachten lässt; hiefiir zwei aktuelle Beispiele: Erst jüngst berichteten Zeitungen über eine Zunahme von Übergriffen von Fahrgästen auf Taxichauffeure, namentlich nachts, sodass von der Innung der Taxiunternehmen entsprechende Gegenmaßnahmen überlegt werden. 11 Symptomatisch und vom Ansatz her richtig ist, dass dabei nicht der (wenig nützliche) „Ruf nach dem Staat" erhoben wurde, sondern dass die Standesvertretung der Taxifahrer das Problem selbst „in die Hand" nimmt und die Einfuhrung eines digitalen Überwachungssystems überlegt. Das zweite Beispiel: Auch staatliche Sicherheitskräfte sind bei ihrer Tätigkeit, namentlich bei Überwachungsmaßnahmen, immer häufiger mit dem überraschenden Einsatz von Gewalt konfrontiert. So wurde erst jüngst ein Gendarmeriebeamter bei dem Versuch verletzt, eine in eine Verkehrskontrolle geratene Person an der Weiterfahrt zu hindern. 12 Eine positiv zu bewertende Änderung in den Rahmenbedingungen ist die Stärkung des Grundrechtsbewusstseins in weiten Teilen der Bevölkerung. Mit der Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus einhergeht, dass heute mehr Menschen als früher um ihre Grundrechte Bescheid wissen. Und sie sind häufiger bereit, für ihre Grundrechte zu kämpfen und allenfalls vor Gericht zu ziehen. Sie werden dabei vielfach von gesellschaftlichen Organisationen (ζ. B. Amnesty International) unterstützt. Dieses gestärkte Grundrechtsbewusstsein haben staatliche Sicherheitskräfte bei Handhabung gesetzlicher Handlungs- und Eingriffsbefugnisse zu beachten.

b) Staatliche Rahmenbedingungen Dabei geht es im vorliegenden Zusammenhang vor allem um die enger werdenden finanziellen Rahmenbedingungen. Die Sanierung des Bundeshaushalts

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Gegenmaßnahmen sind keineswegs auf das Polizeirecht beschränkt, sondern müssen vielfältig sein und auf allen gebietskörperschaftlichen Ebenen einsetzen, vgl. dazu etwa Glatt/Osswald, Was kann die Stadtplanung zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum beitragen?, in: Neuhofer/Jäggi-Torra (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Stadt- und Landplanung (2000), S. 113 ff. 11 Vgl. den Artikel „Faustrecht auf unseren Straßen: Taxifahrer haben Angst", in: „Salzburg-Krone" vom 30.09.2002. 12

Vgl. den Artikel „Polizist verletzt", in: „Salzburger Nachrichten" vom 2.10.2002.

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erzwingt Einsparungsmaßnahmen auf allen Ebenen, namentlich bei den Personalkosten. Das B M I ist in die fortlaufenden Bemühungen der Bundesregierung zur Senkung der Zahl der Bundesbediensteten und damit der Staatskosten eingebunden. Unbeschadet der grundsätzlichen Bedeutung der Staatsaufgabe „Innere Sicherheit" kann der Sicherheitsapparat von diesen Einsparungsbemühungen nicht grundsätzlich ausgenommen sein.13 Der im Rahmen der Bundesregierung koordinierte Planstellenabbau zeigt auch im Sicherheitsapparat Wirkungen: So wurden im Jahr 2001 im gesamten Bundesgebiet rund 100 kleinere Gendarmeriedienstposten aufgelöst bzw. mit größeren Gendarmeriedienstposten vereinigt. Begleitmaßnahmen, wie namentlich die Einrichtung von Betreuungs- bzw. Vertrauensgendarmen, die zeitweise in den von der Auflösung betroffenen Gemeinden Dienst verrichten, sollen zur Aufrechterhaltung des bisherigen Sicherheitsniveaus in den betroffenen ländlichen Regionen beitragen. 14 Nicht nur im ländlichen Raum, auch in der Großstadt Wien wird zum Zweck der Personaleinsparung der Polizeiapparat umstrukturiert. Dazu hat im Mai vergangenen Jahres B M I Strasser ein Konzept zur Reform der Wiener Polizei vorgestellt. 15 Ziele dieser Reform sind eine „schlankere Innenverwaltung" und eine Stärkung des Außendienstes. Kleine Bezirkskommissariate sollen zusammengelegt bzw. mit größeren vereinigt, die Kriminalabteilungen auf wenige Standorte zusammengeführt werden. 16 Das zentrale Reformbemühen geht dahin, freiwerdendes Verwaltungspersonal in sicherheitsnähere Bereiche, also in den Außendienst, zu verlagern. Die skizzierten Strukturreformen scheinen auch aus einer weiteren Kostenüberlegung heraus erforderlich: Die neuen Sicherheitsaufgaben (ζ. B. im Bereich der Computer- und Internetkriminalität) erfordern hervorragend geschultes Personal und Ausstattung mit technischen Geräten auf höchstem Niveau. Dies kostet den Bund zusätzliches Geld, das in den allgemeinen Bemühungen um Sanierung des Bundeshaushalts nur zur Verfügung steht, wenn das vorhandene und aller Voraussicht nach weniger werdende Sicherheitspersonal geziel-

13 Vgl. aus jüngster Zeit etwa den Artikel „Strasser wehrt sich gegen Budgetpläne: Hätten Kündigungen zur Folge", in: „Salzburger Nachrichten" vom 19.08.2002. 14 Vgl. den Artikel „Betreuungsgendarm", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 1-2/2002, S. 5; zur möglichen Einrichtung „kommunaler Sicherheitsbeauftragter" vgl. bereits Stolzlechner, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung staatlicher Gefahrenabwehraufgaben auf private Sicherheitsunternehmen, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen (2002), S. 27 ff. (48 f.). 15 Bei der Bundespolizeidirektion Wien sind knapp 9000 Personen, fast ein Drittel aller Sicherheitskräfte Österreichs, beschäftigt. 16 Vgl. dazu den Artikel „Schlankere Verwaltung", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 78/2001, S. 34.

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ter und effizienter in den sicherheitspolizeilich relevanten Bereichen eingesetzt wird.

c) Schlussfolgerung Im Blick auf geänderte sicherheitspolizeiliche Aufgabenstellungen sowie unter Beachtung aktueller staatlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wird die Richtung des laufenden Reformprozesses bereits sichtbar. Sicherheitspolizeiliche Aufgaben mit internationaler Vernetzung, die Notwendigkeit des Einsatzes modernster Technik, insbesondere der Informationstechnologie, eine in gesellschaftlichen Teilbereichen zu beobachtende Zunahme der Gewaltbereitschaft sowie ein verstärktes Grundrechtsbewusstsein der Bevölkerung verlangen nach Organisationsformen und -strukturen des staatlichen Sicherheitsapparates, die auf diese Herausforderungen eine entsprechende Antwort geben.

I I I . Neue Organisationsformen und Tätigkeitsfelder Zur Bewältigung der neuen Sicherheitsaufgaben unter geänderten Rahmenbedingungen wurden in jüngster Zeit gravierende organisatorische und funktionelle Veränderungen des Sicherheitsapparates durchgeführt; die wichtigsten hiervon sind: Bildung spezieller Organisationseinheiten und Exekutivkörper, einschließlich Forcierung der Ausbildung der Sicherheitskräfte; verstärkte Kontrolle sicherheitspolizeilicher Aktivitäten sowie nachhaltige Zusammenarbeit des Sicherheitsapparates mit Einrichtungen auf nationaler und internationaler Ebene.

1. Bildung spezieller Organisationseinheiten und Exekutivkörper zur Bewältigung besonderer sicherheits- oder kriminalpolizeilicher Aufgaben Eine wichtige organisatorische Maßnahme zur Bewältigung gegenwärtiger sicherheits- und kriminalpolizeilicher Aufgaben ist die Errichtung spezieller (Polizei-)Organisationseinheiten und Exekutivkörper, für deren Angehörige vielfach eine Sonderausbildung und eine Sonderausstattung vorgesehen sind. Dabei muss eingeräumt werden, dass in Österreich vielfach organisatorisch nachvollzogen wird, was in der BRD längst funktioniert. Beispielhaft erwähnt seien die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes, das in Entstehung begriffene Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (einschließlich Landesämter), die Neuorganisation des Einsatzkommandos-Cobra sowie die Errichtung weiterer operativer Sondereinsatzgruppen. Mit einigen Bemerkun-

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gen über besondere Schulungs- und Verwaltungsentlastungsmaßnahmen soll das Kapitel abgeschlossen werden. Ziel aller dieser organisatorischen Reformschritte ist eine Effizienzsteigerung der polizeilichen Verwaltung sowie eine Erhöhung der Schlagkraft der staatlichen Sicherheitskräfte.

a) Bundeskriminalamt Durch Erlass eines Bundeskriminalamtgesetzes (BKA-G) 1 7 wurde jüngst ein Bundeskriminalamt als Organisationseinheit der (im B M I eingerichteten) Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 18 errichtet. 19 Geleitet wird es von einem Direktor (§ 2 Abs. 1 BKA-G). Die Errichtung des Bundeskriminalamtes erfolgt für „Zwecke einer wirksamen bundesweiten Bekämpfung gerichtlich strafbarer Handlungen und zur Wahrnehmung zentraler Funktionen im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation " (§ 1 BKA-G). Das Bundeskriminalamt führt zur Erfüllung der dem B M I übertragenen Aufgaben der internationalen polizeilichen Kooperation das Nationale Zentralbüro der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation - INTERPOL, die nationale EuropolStelle und das SIRENE Büro (§ 4 Abs. 1 BKA-G). Daneben hat das Bundeskriminalamt für den B M I weitere Zentralstellenaufgaben zu erledigen, so ζ. B. die Bekämpfung der Geldwäscherei nach BankwesenG, BörseG 1989, WertpapieraufsichtsG und nach der GewO 1994 i. d. F. der GewRNov 2002 20 , die Sicherung und allfällige Vernichtung von aufgefundenem Kriegsmaterial sowie bestimmte Maßnahmen nach dem SuchtmittelG (vgl. § 4 Abs. 2 BKA-G). Die 17 Art. II des BG, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz geändert und ein Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundeskriminalamtes erlassen wird, BGBl. I 2002/22; näher dazu Giese, in: Bachmann et al (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (4. Auflage 2002), S. 7; allgemein zur Organisation der Sicherheitsverwaltung Wiederin, Einfuhrung in das Sicherheitspolizeirecht (1998), S. 36 ff. sowie Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz. Kommentar (2. Auflage 2001), §§ 4 ff. SPG; ferner Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts (9.Auflage 2000), S. 307 ff. sowie Demmelbauer/Hauer, Grundriss des österreichischen Sicherheitsrechts (2002), S. 8 ff. 18 Gem. § 6 Abs 1 SPG bilden jene Organisationseinheiten des BMI, die Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung besorgen, die „Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit". Sie wird von einem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit geleitet, der unmittelbar dem in Sicherheitsfragen letztverantwortlichen BMI untersteht. 19 Mit Rücksicht auf die bundesverfassungsrechtlichen Regelungen betreffend die Organisation der Sicherheitsbehörden gem. Art. 78a ff. B-VG konnte das Bundeskriminalamt nicht als eigene Sonder-Sicherheitsbehörde eingerichtet werden; vgl. dazu näher Wiederin, Verfassungsfragen der Errichtung eines Bundeskriminalamtes, JB1 2001, S. 273 ff. (mit weiterführenden Hinweisen); allgemein zum Problem Pöschl, Art. 78a BVG, Rz. 21 ff., in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), B-VG Kommentar (Loseblatt). 20 Vgl. dazu §§ 365m ff. GewO 1994 i. d. F. der Gewerberechtsnovelle 2002, BGBl. I 2002/111; vgl. dazu auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung (2. Auflage 2002), § 365m, Rz. 1 ff.

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organisatorischen Strukturen für eine Straffung und Bündelung der sicherheitsund kriminalpolizeilichen Ressourcen sind jedenfalls geschaffen. Jetzt muss das neue Regelwerk mit Leben gefüllt werden. Dies wird zweifellos geschehen. Dem Bundeskriminalamt können weitere Aufgaben übertragen werden (vgl. § 5 BKA-G). Bisherige Sondereinheiten des B M I sollen ihm eingegliedert werden, so ζ. B. die Sondereinheiten für Observation (SEO) 21 und die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität (EBS). 22

b) Bundesamt fur Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (einschließlich Landesämter) Mit der Reorganisation der bisherigen „Staatspolizei" 23 beschäftigen sich seit Mitte 2001 Arbeitsgruppen im BMI. Ziel der Überlegungen ist ein DreiStufen-Konzept 24: Zunächst soll die Zentralstelle der Staatspolizei restrukturiert werden. Anschließend soll die Anzahl der nachgeordneten Dienststellen von derzeit 22 auf 9 verringert werden. Letzte Stufe der Reform ist die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen starker Zentralstelle und nachgeordneten Dienststellen (Landesämter). Diese Zentralstelle soll eben das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sein. Darin sollen die bisherigen staatspolizeilichen Abteilungen des B M I und die Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) aufgehen. Der „Mehrwert" der Neuorganisation soll in einer stärkeren Analysekapazität und in einer rascheren Auswertung des operativen Informationsaufkommens bestehen. Das BVT soll überdies nach den Vorgaben des EU-Rates für Justiz und Inneres den Kampf gegen „terroristische Organisationen und Handlungen" intensivieren. 25

21 Vgl. dazu § 1 Ziff. 5 und § 6 SondereinheitenV, BGBl. II 1998/207 i. d. F. BGBl. II 2002/485. 22 Zur letzteren Einsatzgruppe vgl. den Artikel „Puma mit geschärften Krallen", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2001, S. 1 ff. 23 Zu diesem besonderen Zweig der Sicherheitspolizei vgl. Szirba, Staatspolizei - Institution, Aufgaben, Kompetenzen, Befugnisse, ZfV 1989, S. 486 ff.; Demmelbauer/Hauer, Grundriss des österreichischen Sicherheitsrechts (2002), S. 14 sowie Wiederin y Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998), S. 34. 24

Vgl. dazu den Artikel „Starke Zentralstelle", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 56/2002, S. 40 f. 25 Zur Bekämpfung des Terrorismus wurden in einer Novelle zum Strafgesetzbuch (BGBl. I 2002/134) ein neuer Straftatbestand „Terroristische Vereinigung" (§ 278b StGB) sowie ein Verbot der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) aufgenommen.

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c) Einsatzkommando (EKO) Cobra Im Sommer dieses Jahres nahm die neuorganisierte Sondereinheit „EKO Cobra " ihren Betrieb auf. 26 Es handelt sich dabei um eine Art „schnelle Eingreiftruppe" der Sicherheitskräfte, außerhalb Wiens. 27 Kernaufgaben des EKO Cobra sind Sondereinsätze mit mittlerem und hohem Gefährdungsgrad, z. B. bei Flugzeugentführungen, Geiselnahmen, Amokläufen, Festnahmen von Gewaltverbrechern. 28 Ferner ist das EKO Cobra zuständig für Personenschutz, besondere technische Einsätze und den Schutz österreichischer Missionen im Ausland. Zu den Kernaufgaben zählt überdies die Flugbegleitung: Seit 1981 fliegen Cobra-Beamte bei den österreichischen Flugunternehmen in heiklen Destinationen mit („Sky-Marshalls "). Nach dem 11. September 2001 haben auch amerikanische Sicherheitsexperten dieses System studiert. Die „neue Cobra " ist aus den bisherigen Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Polizei, den Sondereinsatzgruppen (SEG) bei den Landesgendarmeriekommandos und dem Gendarmerieeinsatzkommando (GEK) hervorgegangen. Bei diesen Sondereinheiten von Polizei und Gendarmerie waren insgesamt 730 Exekutivbeamte eingesetzt, bei der EKO Cobra werden es künftig 336 sein.29 Aus diesem Zahlenvergleich geht klar der personaleinsparende Effekt organisatorischer Konzentrationsmaßnahmen hervor.

d) Weitere Sondereinheiten 30 Im Rahmen des Sicherheitsapparates bestehen weitere Sondereinheiten mit speziellen sicherheits- und kriminalpolizeilichen Aufgabenstellungen. Eine der wichtigsten davon ist die auf Bekämpfung von Drogendelikten spezialisierte 26 Das EKO-Cobra ist eine Sondereinheit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (vgl. § 1 Ziff. 4 und § 5 SondereinheitenV, BGBl. II 1998/207 i. d. F. BGBl. II 2002/485). 27 Die Wiener Polizei verfügt über eine eigene Sondereinheit mit der Bezeichnung Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA), die jüngst in ein „Mobiles Einsatzkommando (MEK)" für Streifendienst und Ordnungseinsätze sowie in ein „Polizeieinsatzkommando (PEK) " für Zugriffe (z. B. Geiselnahme) untergliedert wurde; vgl. dazu den Artikel „MEK und PEK", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2001, S. 6 ff. 28 Vgl. zum neuorganisierten EKO-Cobra den Artikel „Einsatzkommando Cobra", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 9-10/2002, S. 6 ff.; zu den Aufgaben im Detail § 5 Sondereinheiten V, BGBl. II 1998/207 i. d. F. BGBl. II 2002/485. 29 Die Zahlen sind dem Artikel „Einsatzkommando Cobra", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 9-10/2002, S. 6 entnommen. 30 Der Begriff „Sondereinheit" wird hier als allgemeiner Organisations-, nicht als technischer Begriff i. S. der SondereinheitenV BGBl. II 1998/297 i. d. F. BGBl. II 2002/485 verwendet; zu den Sondereinheiten allgemein Demmelbauer/Hauer, Grundriss des österreichischen Sicherheitsrechts (2002), S.28.

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Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität (EBS). Die dieser Dienststelle zuzuschreibenden Fahndungserfolge sind zum erheblichen Teil auf die hervorragende Zusammenarbeit mit Polizeidienststellen anderer Staaten, so insbesondere auch mit der US-amerikanischen Drug Enforcement Agency (DEA), zurückzufuhren. 31 Die EBS wird in das neu geschaffene Bundeskriminalamt eingegliedert werden. Eine große Herausforderung der Gegenwart ist die Bekämpfung der Umweltkriminalität. Bei Polizei und Gendarmerie versehen derzeit speziell ausgebildete Umweltsachbearbeiter Dienst. Zusätzlich gibt es im gesamten Bundesgebiet etwa 600 „Umweltkundige Organe (UKO) ", die bei Verdachtsfällen erste Ermittlungen einleiten.32 Die Koordination der Tätigkeit dieser Organe nahm bisher eine beim B M I eingerichtete Zentralstelle zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (ZBU) wahr. Diese wurde inzwischen umgewandelt und im neuen Bundeskriminalamt als ,Meldestelle Umweltkriminalität" eingerichtet. 33 Dem Schutz der Bundesgrenzen kommt gegenwärtig im Kampf gegen grenzüberschreitende Delikte, wie z. B. illegale Migration, Schlepperei, Suchtgiftschmuggel, illegalen Waffenhandel, Kfz-Verschiebung steigende Bedeutung zu. Diesem Umstand Rechnung tragend, wurden zur Unterstützung der regulären Beamten des Grenzüberwachungsdienstes 34 Spezialeinheiten geschaffen, nämlich eine Sonderkommission-Grenze („SOKO-Grenze"), eine auf die Bekämpfung der Schlepperkriminalität spezialisierte Polizeitruppe mit erheblichen Fahndungserfolgen 35, ferner eine Unterstützungsgruppe des Grenzdienstes (USG). Die Dreier-Teams dieser technisch bestens ausgestatteten Unterstützungsgruppe kontrollieren im Bereich der Bundesgrenzen und im Binnenland, um nach Wegfall der regulären Grenzkontrollen die Sicherheit auf hohem Niveau zu halten (ähnlich den deutschen „Schleierfahndern"). Die USG ist Bestandteil der Ausgleichsmaßnahmen nach dem Beitritt Österreichs zum Schengen-Abkommen.36 Hinsichtlich der „SOKO-Grenze" gibt es inzwischen Um-

31 Vgl. dazu den Artikel „Puma mit geschärften Krallen", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2001, S. 11 ff. 32 Vgl. den Artikel „Spezialisten gegen Umweltverbrechen", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2001, S. 14 ff. 33 Vgl. den Artikel „Meldestelle Umweltkriminalität", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 9-10/2002, S. 11 ff. 34 Vgl. dazu etwa den Artikel „Streifen am Grenzfluss", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2002, S. 6 ff. 35 So wurden zuletzt in Zusammenarbeit mit Polizeieinheiten aus der Slowakei, Deutschland und Ungarn 47 Schlepper, darunter auch „Drahtzieher" gefasst; vgl. den Artikel „Nach Erfolg gegen Schlepper: Einheit aufgelöst", in: „Die Presse" vom 17.10.2002. 36

Vgl. den Artikel „Österreichs ,Schleierfahnder"\ in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 78/2002, S. 11 ff.

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strukturierungsabsichten: Sie soll aufgelöst und ihre Aufgaben sollen bei einer Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität (ZBS) im Bundeskriminalamt zentralisiert werden.

e) Intensivierung der Ausbildung Es gilt als sicherheitspolizeiliche Binsenweisheit, dass eine nachhaltige Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und eine wirksame Verbrechensbekämpfung nur gelingen können, wenn die Sicherheitskräfte den kriminellen Akteuren zumindest auf gleichem, womöglich aber auf höherem Niveau des Wissens und der technischen Ausrüstung entgegentreten können. Zur Bewältigung der neuen Herausforderungen ist daher eine Intensivierung der polizeifachlichen, technischen und rechtlichen Aus- und Weiterbildung der Sicherheitskräfte erforderlich, und zwar auf allen Einsatz- und Führungsebenen. Der Bedeutung des Faktors Weiterbildung wurde 1999 durch Errichtung einer Sicherheitsakademie Rechnung getragen. 37 Sie ist „zentrale Ausbildungsund Forschungsstätte " der Sicherheitsexekutive, die als unselbständige Anstalt unmittelbar dem B M I untersteht (§ 10a Abs. 1 SPG)38. In Konkretisierung dieses Lehr- und Forschungsauftrags obliegen der Sicherheitsakademie die Ausbildung der Führungs- und Lehrkräfte des BMI, der nachgeordneten Behörden sowie von Führungs- und Lehrkräften der Wachkörper der Sicherheitsexekutive, die Erfüllung sicherheitspolizei-fachlicher Forschungsaufgaben sowie die Erstellung von Gutachten auf einschlägigen Forschungsgebieten (§ 10a Abs. 2 SPG). Neben dieser nationalen polizeifachlichen Spezialausbildungsstätte gibt es die Mitteleuropäische Polizeiakademie (ΜΕΡΑ), in deren Rahmen polizeiliche Führungskräfte für die Zusammenarbeit im mitteleuropäischen Sicherheitsraum ausgebildet werden. 39

37

Die Sicherheitsakademie wurde errichtet durch BG, BGBl. I 1999/146. - Nähere Regelungen über den Zugang zur Sicherheitsakademie, über die Auswahl der Lehrkräfte und über die Ausbildungsprogramme enthält die Sicherheitsakademie-AusbildungsV, BGBl. II 2002/360. 38

BG über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei - Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. 1991/566 i. d. F. BGBl. I 2002/104. 39 Vgl. dazu den Artikel „Netz von Führungskräften", in: Öffentliche Sicherheit Nr. 7-8/2001, S. 28.

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f) Entlastung von nicht polizeitypischen Verwaltungsaufgaben Bei den Polizeibehörden wurden in der Vergangenheit Aufgaben angelagert, die sicherheitspolizeiliche Abwehr eher behindern denn fördern. Zu den die Polizeitätigkeit stärkenden Maßnahmen zählen daher auch Verwaltungsentlastung und Reduktion der Zuständigkeiten der Polizeibehörden auf polizeiliche Kerntätigkeiten. Ohne Detailanalyse sei hier beispielhaft etwa auf die Betrauung privater Versicherungsunternehmen mit der Kfz-Zulassung 40, die Übertragung der Überwachung des ruhenden Verkehrs in Stadtzentren auf private Sicherheitsunternehmen, die Übertragung des Meldewesens41 und des Fundwesens42 von den Bundespolizeidirektionen auf die Städte mit eigenem Statut sowie zuletzt die Ausgliederung der (privatwirtschaftlich zu erledigenden) Bundesbetreuung von Asylwerbern auf gesellschaftliche Einrichtungen 43 erwähnt.

2. Verstärkung

der Kontrolle der Sicherheitsverwaltung

Wie überall sonst sind auch bei den Sicherheitsbehörden Menschen am Werk. Die Gefahr polizeiinterner Korruption und des Missbrauchs behördlicher Befugnisse war immer gegeben und sie besteht weiter. 44 Die Verdichtung der sicherheits- und kriminalpolizeilichen Befugnisse nach SPG und StPO (ζ. B. Rasterfahndung; verdeckte Ermittlung), verstärktes Grundrechtsbewusstsein der Bürger sowie das nachhaltige Bestreben der Sicherheitsbehörden, die eigenen Dienststellen von „schwarzen Schafen" möglichst frei zu halten, haben in jüngster Vergangenheit den Ruf nach verstärkten Kontrollen des Sicherheitsapparates - neben den herkömmlichen Einrichtungen parlamentarischer, rechtsstaatlicher, strafgerichtlicher und disziplinärer Kontrolle - laut werden lassen. Entsprechend diesem rechtspolitischen Erfordernis wurden in jüngster Zeit neue Kontroll- und Rechtsschutzeinrichtungen geschaffen, namentlich solche

40

Vgl. Thann, Die Privatisierung der Kraftfahrzeugzulassung, ZVR 2001, S. 371. § 13 Abs. 1 i. V. m. § 23 Abs. 5 MeldeG i. d. F. BGBl. I 2001/28; in Kraft getreten mit BGBl. II 2002/66 am 1.03.2002. 42 Nach der SPG-Novelle 2002 BGBl. I 2002/104 besorgt nunmehr der Bürgermeister das Fundwesen als Aufgabe des übertragenen Wirkungsbereichs der Gemeinde (§§4 Abs. 3,42a SPG; Art. 119 B-VG). 43 Vgl. den Artikel „Die Verpflegung wird besser", in: „Die Presse" vom 27.02.2002. 44 Erst jüngst standen einige wenige Sicherheitsbeamte wegen Begünstigung sowie Verrat von Amtsgeheimnissen vor Gericht; vgl. den Artikel „'Vertrauen massiv erschüttert' - Haftstrafen für Mafia-Fahnder", in: „Die Presse" vom 7.09.2002, ferner den Artikel „Zwei karenzierte Polizisten und der Verrat von Amtsgeheimnissen", in: „Die Presse" vom 17.09.2002. 41

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des präventiven Grundrechtsschutzes 45. Zu erwähnen sind das „Büro für interne Angelegenheiten", besondere Rechtsschutzbeauftragte und der Menschenrechtsbeirat. 46

a) „Büro für interne Angelegenheiten (BIA)" Erst jüngst wurde mit internem Organisationsakt des B M I das BIA, eine Art „ Polizei in der Polizei ", eingerichtet. Die Mitglieder dieser Sondereinheit ermitteln gegen eigene Kollegen, eine zweifellos heikle Aufgabe. Die ersten Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft haben erheblichen Staub aufgewirbelt. 47

b) Rechtsschutzbeauftragte Für die besonders eingriffsintensiven Fahndungsmethoden, nämlich für die kriminalpolizeiliche Ermittlung im Wege des großen Lausch- und Spähangriffs sowie der Rasterfahndung, ferner für die verdeckte Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden, wurde je ein spezifischer Rechtsschutzbeauftragter eingerichtet (vgl. § 149n StPO; § 62a SPG).48 Diese (weisungsfreien) Rechtsschutzbeauftragten sollen die Rechtsstaatlichkeit der vorgesehenen Fahndungsmethoden im Anwendungsfall garantieren und Grundrechtsverletzungen verhindern.

c) Menschenrechtsbeirat Gemäß der Verfassungsvorschrift des § 15a SPG wird der B M I „in Fragen der Wahrung der Menschenrechte " vom Menschenrechtsbeirat beraten. Hiezu obliegt es dem Menschenrechtsbeirat, die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, einschließlich ihrer Exekutivorgane, unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte zu beobachten und begleitend zu überprüfen (§ 15a Abs. 1

45 Vgl. hiezu Österreichische Juristenkommission (Hrsg.), Neue Wege des Grundrechtsschutzes (2001), Bd. 16 mit Beiträgen von Funk, Grundrechtsschutz und Verwirklichung grundrechtlicher Werte, S. 32 ff.; Nowak, Neue Trends im internationalen Menschenrechtsschutz, S. 50 ff. und Szymanski, Der Menschenrechtsbeirat - Berater des Bundesminister für Inneres in Menschenrechtsfragen, S. 75 ff. 46 Vgl. dazu auch den Überblick über die besondere Kontrolle der Sicherheitsbehörden bei Giese, in: Bachmann et al (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (4. Auflage 2002), S. 8 f. 47 Vgl. den Artikel „Korrupte Polizisten: Im Vorjahr wurden 25 Beamte überführt", in: „Die Presse'4 vom 27.02.2002. 48 Eingehend zum Rechtsschutzbeauftragten Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz. Kommentar (42. Auflage 2001), S. 527 ff.

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SPG). Zu diesem Zweck kann der Menschenrechtsbeirat jede Dienststelle der Sicherheitsexekutive und jeden Ort der Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls· und Zwangsgewalt durch eine Delegation oder Kommission besuchen (§ 15c Abs. 1 SPG). Die Sicherheitsexekutive ist verpflichtet, den Menschenrechtsbeirat bei seiner Tätigkeit zu unterstützen (§ 15c Abs. 4 SPG) 49 . Dem Menschenrechtsbeirat gehören 11 Mitglieder an. Die Mitglieder werden vom B M I für zwei Jahre bestellt. Für den Vorsitzenden kommt dem VfGHPräsidenten ein Vorschlagsrecht zu; die übrigen Mitglieder werden auf Vorschlag anderer Bundesminister bzw. fünf Mitglieder werden auf Vorschlag gemeinnütziger Organisationen (NGO) bestellt. Die Tätigkeit einer Kommission des Menschenrechtsbeirates im Zusammenhang mit Gewaltdemonstrationen anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels 2001 in Salzburg hat zur Deeskalation der damaligen Situation beigetragen und sich in diesem Falle bewährt.

3. Verstärkung der sicherheits- und kriminalpolizeilichen Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene Schon in der Vergangenheit war der Bund als nach der Kompetenzverteilung des B-VG für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zuständige Gebietskörperschaft nicht in der Lage, eine effiziente und nachhaltige „ Vorsorge fur die Sicherheit im Inneren " (VfSlg 14.473/1996) alleine sicherzustellen, sondern war auf vielfältige Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene angewiesen.50 An diesem Befund hat sich durch die neuen Sicherheitsaufgaben nichts geändert; vielmehr ist mit Rücksicht auf die strukturelle Verflochtenheit aktueller Gefährdungslagen der nationale und internationale Kooperationsbedarf erheblich gewachsen. Dem wird in der Praxis der Sicherheitsbehörden durch merkliche Steigerung der Kooperationsaktivitäten Rechnung getragen. Die verstärkte Beachtung des Kooperationsprinzips

49 Zu Organisation und Funktionen des Menschenrechtsbeirates vgl. Funk, Der Menschenrechtsbeirat. Präsentation und erste Ergebnisse, ZfV 2001, S. 570 ff.; Posch/, Der Menschenrechtsbeirat, JRP 2001, S. 47 ff.; Holzinger, Der Menschenrechtsbeirat beim Bundesministerium für Inneres, Juridikum 2000, S. 16 ff.; Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz. Kommentar (2. Auflage 2001), S. 169 ff.; ferner Giese, Sicherheitspolizeirecht, in: Bachmann et al (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (4. Auflage 2002), S. 9. 50 Verwiesen sei z. B. auf die langjährige Zusammenarbeit im Rahmen der INTERPOL; ferner auf Fahndungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (z. B. Aktenzeichen XY), in denen die Bevölkerung zur Mitarbeit bei der Verbrechensaufklärung aufgefordert wird.

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kann daher zu den tragenden Strukturmerkmalen tektur gezählt werden. 51

moderner Sicherheits archi-

a) Polizeikooperation außerhalb der EU Abseits traditioneller Polizeikooperation im Rahmen von INTERPOL 52 wird in jüngster Zeit die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdienststellen jener Staaten forciert, von denen im Zusammenhang mit Drogenkriminalität erhöhte Sicherheitsrisiken ausgehen. Diese Polizeikooperation findet vielfach auf informellem Wege statt (ζ. B. Informationsaustausch, Fahndungsmitteilungen), in jüngster Zeit wird sie verstärkt rechtlich institutionalisiert. So hat der B M I erst kürzlich mit sechs mittelamerikanischen Staaten53 ein Abkommen gegen den Drogenhandel 54 abgeschlossen, um dem aus diesen Ländern veranlassten Drogenhandel wirksamer begegnen zu können. Ähnliche sicherheitspolitische Überlegungen standen beim Abschluss einschlägiger Regierungsabkommen über polizeiliche Zusammenarbeit mit Bulgarien 55 und Usbekistan 56 Pate. In diesen Abkommen ist ein Bündel unterschiedlicher Zusammenarbeitsbefugnisse festgelegt, umfassend gegenseitige Informationen, Observationen durch Organe des Partnerstaates, Anwesenheit von Polizeiorganen des Partnerstaates bei Befragungen, bis hin zu kooperativen Fahndungsmaßnahmen und Personenfeststellungen. Einen anderen sicherheitspolitischen Hintergrund, nämlich den einer verstärkten Polizeikooperation im nachbarschaftlichen Grenzraum und der Angleichung an europarechtliche Rahmenbedingungen, hat der jüngst abgeschlossene Vertrag betreffend grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits-

51 Grundlegend dazu jüngst Pitschas, Polizeirecht im kooperativen Staat - Innere Sicherheit zwischen Gefahrenabwehr und kriminalpräventiver Risikovorsorge, DÖV 2002, S. 221 ff 52 Vgl. dazu den Artikel „Gegenseitige Unterstützung", in: Der Kriminalbeamte, 1999/11, S. 40 ff. 53 El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama und Costa Rica. 54 In diesem Abkommen sind offenbar nur interne Verpflichtungen (ζ. B. gegenseitige Informationspflichten), jedoch keine hoheitlichen Befugnisse gegenüber Bürgern festgelegt; es handelt sich daher um ein (nicht im Bundesgesetzblatt kundzumachendes) Verwaltungsabkommen. 55 Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Bulgarien betreffend polizeiliche Zusammenarbeit, BGBl. III 2002/206. 56 Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Usbekistan über Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich und im Kampf gegen Kriminalität, BGBl. III 2002/91.

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und Zollbehörden mit der Schweiz und Liechtenstein. 51 Der Vertrag sieht Ermächtigungen zur informationellen, aber auch zur operationellen Zusammenarbeit durch Einschreiten von Organen der Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Nachbarstaaten für bestimmte sicherheits- und kriminalpolizeiliche Zwecke vor. 58 Beispielhaft erwähnt seien etwa die Ermächtigungen, dass in den Grenzregionen zur Schweiz und Liechtenstein dem Schengener Durchfuhrungsübereinkommen (SDÜ) nachgestaltete Handlungen, wie namentlich grenzüberschreitende Observationen (Art. 10 des Vertrags) und Nacheile (Art. 11 des Vertrags), durchgeführt werden dürfen. Ferner ist eine Legalisierung längst praktizierter gemischter Streifendienste mit hoheitlichen Befugnissen bis zu einer Entfernung von 10 km entlang der Staatsgrenze vorgesehen (Art. 16 des Vertrags). 59

b) Polizeikooperation innerhalb der EU aa) Vertragliche

Grundlagen

Die europäische Polizeikooperation innerhalb der EU wird in den „Bestimmungen über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen " (Art. 29 ff. EU) geregelt. 60 Gem. Art. 29 EU verfolgt die EU das Ziel, den Bürgern in einem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit" zu bieten, indem sie ein engeres gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich

57

Vgl. Vertrag zwischen der Republik Österreich, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden BGBl. III 2001/120. 58 Vgl. eingehend dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 479 BlgNR 21. GP, sowie den einschlägigen Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten, 527 BlgNR 21. GP. 59 Vgl. den Artikel „Nachbarpolizei patroulliert im Ländle", in: „Die Presse" vom 14.12.2001. 60 Grundlegend dazu Wiederin, Die polizeiliche Zusammenarbeit in der EU, in: Merli (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Osterweiterung der Europäischen Union (2001), S. 39 ff. (mit weiterführenden Hinweisen); Pitschas, Innere Sicherheit in der EU und europarechtliche Grundlagen des Sicherheitsgewerbes, NVwZ 2002, S. 519 ff.; ders. y Europarechtliche Grundlagen des Sicherheitsgewerberechts und der Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen, S. 5 ff.; zur Kriminalprävention im Rahmen der EU dersKriminalprävention und Polizeirecht: Von der polizeilichen Gefahrenabwehr zum kooperativen Leistungshandeln für Sicherheitsvorsorge, in: Stober/Pitschas (Hrsg.), Vergesellschaftung polizeilicher Sicherheitsvorsorge und gewerbliche Kriminalprävention (2001), S. 1 ff. (S. 8 ff.).

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der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen (ζ. B. organisierte oder nichtorganisierte Kriminalität, Terrorismus, Menschenhandel, Straftaten gegenüber Kindern, illegaler Drogen- und Waffenhandel, Bestechung und Bestechlichkeit sowie Betrug) entwickelt sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhütet und bekämpft. In Art. 30 EU werden wichtige Felder polizeilicher Zusammenarbeit aufgezählt: operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden (einschließlich Polizei, Zoll, sonstige Strafverfolgungsbehörden), Informations- und Datenaustausch unter Einschaltung von Europol, Zusammenarbeit in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, Personal- und Sachaustausch sowie kriminaltechnischer Forschung, ferner gemeinsame Evaluierung von Ermittlungstechniken. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Förderung der Zusammenarbeit mit Europol. Gem. Art. 30 Abs. 2 EU soll es Europol vor allem ermöglicht werden, die Mitgliedstaaten bei der Vorbereitung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen einschließlich operativer Aktionen zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollen Europol um Ermittlungen ersuchen können. Die Zusammenarbeit von Spezialisten für organisierte Kriminalität untereinander sowie mit Europol soll gefordert werden. Weiters soll ein Netz für Forschung, Dokumentation und Statistik über grenzüberschreitende Kriminalität eingerichtet werden.

bb) Europol Das völkerrechtlich vereinbarte Europol-Übereinkommen (BGBl. I I I 1998/123, BGBl. I I I 1998/193) bildet die rechtliche Grundlage für die in Den Haag errichtete Europol. Gem. Art 2 [Ziele, Zuständigkeiten] müssen für ein Tätigwerden von Europol mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss sich um eine Straftat bestimmten Typs handeln, ferner müssen Anzeichen einer kriminellen Organisation erkennbar, mindestens zwei Mitgliedstaaten erheblich betroffen und gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erforderlich sein. 61 Vorrangige Aufgabe von Europol ist gem. Art. 3 [Aufgaben] die Informationshilfe. Europol soll vor allem einen ständigen und intensiven Informations- und Datenaustausch der Mitgliedstaaten gewährleisten. Daneben ist Europol zur speziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten berufen (ζ. B. Beratung bei Ermittlungen, Übermittlung von strategischen Erkenntnissen). 62 61 Vgl. dazu Wiederin, Die polizeiliche Zusammenarbeit in der EU, in: Merli (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Osterweiterung der Europäischen Union, S. 46 ff. 62 Zu den Zielen und Aufgaben der Europol im Detail Oberleitner, Schengen und Europol. Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa der inneren Sicherheit (1998), S.

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Die Befugnisse weisen bislang einen deutlichen Bezug zur Informationsermittlung und -beschaffung auf. Europol soll Daten von nationalen Stellen erhalten (Art. 4), besondere Verbindungsbeamte sind zu entsenden (Art. 5). Das Herzstück von Europol bildet die Befugnis zur Führung einer automatisiert geführten zentralen Datenbank (TECS - The Europol Computer System) über Täter bzw. Tatverdächtige (Art. 6 ff.). Es sind weitere Entwicklungsschübe möglich, insbesondere im operativen Bereich (ζ. B. Bildung von Ermittlungsteams - vgl. Art. 30 Abs. 2 lit a und b EU). Die Unionsstrategie 2000 (Abi. 2000 C 124/1, Empfehlung 13) hatte hiefür bereits das Jahr 2001 vor Augen gehabt. Die Zusammenarbeit mit Europol wurde in Österreich beim neu geschaffenen Bundeskriminalamt konzentriert (§ 4 BKA-G). Die polizeiliche Amtshilfe mit europäischen und internationalen Sicherheitsorganisationen (wie ζ. B. Interpol) erfolgt insb. nach Maßgabe der §§ 3 ff. PolizeikooperationsG (BGBl. I 1997/104 i. d. F. BGBl. I 1999/146).

cc) Schengener Durchführungsübereinkommen

(SDÜ)

Mit der Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen im sog. Schengener Raum wurden - neben der Errichtung eines Schengener Informationssystems (SIS) zur Personen- und Sachfahndung (Art. 92 ff. SDÜ) - neue Formen der operativen Polizeikooperation (Art. 39 ff. SDÜ) notwendig und auch völkerrechtlich vereinbart. Ihren Kernbereich bilden kriminalpolizeiliche Maßnahmen, insb. grenzüberschreitende Observation (Art. 40 SDÜ), Nacheile (Art. 41 SDÜ) sowie gemeinsame Streifen 63 6 4 : Die Observation von - der Begehung auslieferungsfähiger Straftaten verdächtigen Personen kann im Hoheitsgebiet anderer SchengenMitgliedstaaten fortgesetzt werden, wenn einem zuvor gestellten Rechtshilfeersuchen zugestimmt und nicht die Abgabe der Observation 119 ff.; ferner Storbeck, Rechtsfragen und praktische Probleme in der polizeilichen Zusammenarbeit, in: Hummer (Hrsg.), Rechtsfragen in der Anwendung des Amsterdamer Vertrages (2001), S. 181 ff. (insb. S. 187 ff.). 63 Zu den Details des Schengener Übereinkommens Oberleitner, Schengen und Europol. Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa der inneren Sicherheit, S. 54 ff.; zum Problem der Übernahme des „Schengen-acquis" vgl. Elsen, Die Übernahme des „Schengen-acquis" in den Rahmen der EU, in: Hummer (Hrsg.), Rechtsfragen in der Anwendung des Amsterdamer Vertrages, S. 39 ff. 64 Unter dem Titel „Hospitation" werden von österreichischen und bayrischen Exekutivorganen gemeinsame Streifendienste und Kontrollen sicherheitspolizeilich neuralgischer Punkte (Fußgängerzonen, Diskotheken) im salzburgisch-bayrischen Grenzraum durchgeführt; vgl. den Artikel „Einig gegen Gesetzesbrecher", in: „Salzburger Nachrichten" vom 03.12.2001.

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verlangt wurde. Lediglich bei schweren Straftaten (ζ. B. Mord, Entfuhrung, schwere Eigentumsdelikte) und besonderer Dringlichkeit ist die Observation ohne vorheriger Zustimmung zulässig. Der Grenzübertritt ist noch während der Observation anzuzeigen und ein Rechtshilfeersuchen unverzüglich nachzureichen. A u f Verlangen oder mangels Zustimmung innerhalb von fünf Stunden nach Grenzübertritt ist die Observation einzustellen. Die grenzüberschreitende Nacheile (Verfolgung flüchtiger Tatverdächtiger) ist zulässig, wenn die Behörden eines anderen SchengenMitgliedstaates wegen besonderer Dringlichkeit nicht rechtzeitig verständigt werden oder diese die Verfolgung nicht rechtzeitig übernehmen können. Besondere Modalitäten (insb. zur Nacheile berechtigende Straftaten, räumlicher Bereich bzw. zeitliche Begrenzung der Verfolgung, Festhalterecht) können an den verschiedenen Landesgrenzen unterschiedlich festgelegt werden (Art. 41 Abs. 9 und 10 SDÜ). Diese Ermächtigungen zum grenzüberschreitenden Handeln werden in Österreich durch besondere Bestimmungen im Polizeikooperationsgesetz (BGBl. I 1997/104 i. d. F. BGBl. I 1999/146 - PolKG) ergänzt (vgl. insb. §§ 15 ff. PolKG). Zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Einschreitens von österreichischen Sicherheitsorganen im Ausland und ausländischen Sicherheitsorganen im Inland ist ein besonderes Maßnahmenbeschwerdeverfahren beim UVS vorgesehen (§ 17 PolKG).

dd) Spezifische zwischenstaatliche Abkommen innerhalb der EU (ζ. B. mit Deutschland und Italien) Zwischen den Regierungen Deutschlands (BGBl. III 11/2000) bzw. Italiens (BGBl. III 52/2000) und Österreichs wurden zwischenstaatliche Abkommen, insbesondere zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und der dazu erlassenen Ausführungsregelungen, abgeschlossen. In diesen Abkommen sind detaillierte organisatorische Rahmenbedingungen zur Durchführung der polizeilichen Zusammenarbeit festgelegt, wie ζ. B. Bestimmungen darüber, an welche Behörden des Partnerstaates Ersuchen zur grenzüberschreitenden Observation zu richten sind. 65

65

Ζ. B. in Österreich: Gerichtshof I. Instanz, in dessen Sprengel die Grenze voraussichtlich überschritten wird oder allenfalls die örtlich zuständigen Sicherheitsdirektionen - vgl. Art. 9 Abs. 2 und 3.

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c) Innerstaatliche Kooperation Bei der sicherheitspolizeilichen Zusammenarbeit im Inneren kann zwischen der Kooperation der Bundesdienststellen mit Ländern und Gemeinden sowie mit gesellschaftlichen Einrichtungen unterschieden werden.

aa) Kooperation mit den Ländern Die den Ländern auf dem Gebiet des Sicherheitswesens zustehenden Kompetenzen sind bescheiden:66 Was die Gesetzgebung anlangt, besteht eine Kompetenz nur hinsichtlich der örtlichen Sicherheitspolizei (Art. 15 Abs. 2 B-VG) und der Organisation von Gemeindewachkörpern (Art. 15 Abs. 1 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Ζ 14 B-VG). Die wichtigste Einflussnahmemöglichkeit der Länder liegt darin, dass Landesbehörden, nämlich die Bezirkshauptmannschaften, außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs der Bundespolizeibehörden, die Sicherheitsverwaltung fuhren (Art. 78a Abs. 1 B-VG) und der Bund hinsichtlich der personellen Ausstattung dieser Landesbehörden keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten hat. Zustimmungsrechte der Bundesregierung bestehen nur nach Art. 15 Abs. 10 B-VG (Änderung der Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern) und § 8 Abs. 5 lit d ÜG 1920 (Sprengeländerungen). Als „Zugeständnis" an die Länder ist Art. 78b Abs. 2 und 3 BVG zu sehen: Danach bestellt der B M I den Sicherheitsdirektor (Leiter der Sicherheitsdirektion, Bundessicherheitsbehörde in den Ländern) im Einvernehmen mit dem Landeshauptmann. Ferner hat der B M I jede staatspolitisch wichtige oder für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Bundesland maßgebliche Weisung, die er einem Sicherheitsdirektor erteilt, dem LH mitzuteilen. Zu erwähnen ist schließlich die Notstands- bzw. Katastrophenbekämpfungskompetenz des L H in Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung gem. Art. 102 Abs. 5 B-VG. 6 7 Abseits von dieser rigiden Verfassungslage bestehen - von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche - informelle Kooperationsverhältnisse zwischen

66 Bescheiden ist daher auch das dazu ergangene Schrifttum; vgl. dazu aber grundsätzlich Weber/Schlag, Sicherheitspolizei und Föderalismus, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung, Band 62 (1995); ferner Haslauer, Sicherheit ohne Sicherheit - selbständige Landespolitik auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit, in: Pernthaler (Hrsg.), Neue Wege der Föderalismusreform (1992), S. 155 ff. 67 Zur Funktion des LH als „Katastrophen-Koordinator" vgl. das unveröffentlichte Gutachten des Verfassungsdienstes des Landes Oberösterreich mit dem Titel „Der Landeshauptmann als Koordinator und umfassend zuständiger Entscheidungsträger in Krisen und Katastrophenfällen".

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den Sicherheitsbehörden des Bundes und einschlägig befassten Landesdienststellen. Folgende Beispiele aus dem Bereich des Landes Salzburg seien erwähnt: Da seit 1993 auch Landesbehörden mit der Vollziehung des Einwanderungswesens betraut sind, entstand ein Koordinierungsbedarf, dem durch anlassbezogene Treffen zwischen Vertretern der einschlägig befassten Behörden und Dienststellen des Bundes und des Landes Salzburg (Sicherheitsdirektion, Bundespolizeidirektion, Bundesasylamt, Arbeitmarktservice, Referat 0/912 des Amtes der Landesregierung, Bezirksverwaltungsbehörden) entsprochen wird. Zuletzt ging es bei den Sitzungen um die Abstimmung von EDV-Programmen in Bezug auf Quotenplanung und -vergäbe, da in diesem Bereich Divergenzen zwischen Bundes- und Landesbehörden bestanden. Die Initiative zu diesen informellen Treffen geht zumeist von den Vollzugsbehörden erster Instanz aus, die ihre Probleme an die Oberbehörden herantragen, welche dann eine Sitzung einberufen. Derartige Sitzungen finden ein- bis zweimal jährlich statt. Im Zuge der Ereignisse des 11. September 2001, insbesondere der, AnthraxAlarme", wurde auf informeller Basis ein „ Sicherheitsbeirat " geschaffen, dem der L H vorsitzt und den er mehrmals jährlich zu Routinesitzungen einberuft. Ihm gehören der Sicherheitsdirektor, der Polizeidirektor, der Landesgendarmeriekommandant, der Landesfeuerwehrkommandant, der Landesrettungskommandant, nach Bedarf weitere Vertreter von Berg- , Höhlen- und Wasserrettung, ferner alle Leiter der Bezirksverwaltungsbehörden, der Militärkommandant sowie der Leiter der Fachabteilung 0/91 (Allgemeine Präsidialangelegenheiten) und der Leiter des Referates 0/913 (Katastrophenschutz) des Amtes der Landesregierung an. Dieses Gremium hat sich bei aktuellen Einsätzen (ζ. B. Hochwasser 2002, Weltwirtschaftsgipfel 2002 in Salzburg) bewährt; die Zusammenarbeit in diesem Gremium hat die erforderliche Abstimmung der Aktivitäten der involvierten Bundes- und Landesdienststellen sichergestellt.

bb) Kooperation mit den Gemeinden Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Gemeinden ergibt sich ein ähnlicher Befund wie bei der Zusammenarbeit Sicherheitsbehörden/Länder: Es fehlen die rechtlichen Grundlagen. Dennoch wird die Zusammenarbeit bei „funktionellen Berührungspunkten" praktiziert, also namentlich dort, wo kommunale und sicherheitsbehördliche Aufgabenstellungen aufeinander treffen. So haben im Gefolge der Organisationsreform der Bundesgendarmerie und nach Auflösung von bundesweit rund 120 Gendarmeriedienststellen in den Gemeinden der B M I und der Präsident des Österreichischen Gemeindebundes im Juli 2001 ein Programm für mehr Sicherheit in den Gemeinden vereinbart, mit dessen Hilfe die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den betroffenen Gemeinden sichergestellt werden soll. 68 Dabei handelt es sich um eine poli-

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tische Absichtserklärung, jedoch um keine rechtlich durchsetzbare Vereinbarung. Andere operative Felder der Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und Gemeinden sind etwa die Bereiche der kommunalen Sozialpolitik, wie ζ. B. bei der Obdachlosenbetreuung, kommunale Kinder- und Jugendschutzeinrichtungen, Interventionsstellen (gegen Gewalt in der Familie) 69 , namentlich aber im Zusammenhang mit der kommunalen Suchtgiftprävention. 70 Im Kampf gegen eine stärker werdende Umweltkriminalität bietet sich überdies eine Zusammenarbeit zwischen kommunalen Umweltämtern und Umweltfachleuten der Sicherheitsbehörden an. 71 Gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen kommunal finanzierten Schulen und Sicherheitsbehörden bei Aktionen der Jugendberatung gegen Gewalt, Jugendkriminalität und Suchtmittelmissbrauch. 72

cc) Kooperation mit gesellschaftlichen

Einrichtungen

Die vielfältigen Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gehen von Mitgliedern der Gesellschaft aus. Bei der Gewährleistung einer effizienten und umfassenden Vorsorge für die Sicherheit im Inneren waren daher die Sicherheitsbehörden seit jeher auf eine intensive Zusammenarbeit mit der Bevölkerung angewiesen. Dieser Kooperationsbedarf hat sich unter geänderten gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Bedingungen der Jahrtausendwende erheblich verstärkt. Die Zunahme aktueller Gefahrenlagen erfordert eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren. Dies zeigt auch ein - zweifellos unvollständiger - Überblick über die Vielzahl kooperativer Aktivi-

68 Vgl. dazu den Artikel „Betreuungsgendarm", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 12/2002, 5. 69 Durchschnittlich siebenmal pro Tag wird in Österreich die Exekutive gegen Gewalttaten an Frauen und Kindern zu Hilfe gerufen. Seit 1997 wurden insgesamt in 13.835 Fällen von Polizeiorganen Wegweisungen bzw. Betretungsverbote fur Wohnungen gem. § 38a SPG ausgesprochen; vgl. dazu den Artikel „Schutzlos ausgeliefert", in „Der Standard" vom 31.07.2002. - Zu den rechtlichen Grundlagen für diese Polizeiakte vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz. Kommentar (2. Auflage 2001), S. 324 ff. sowie Giese, Sicherheitspolizeirecht, in: Bachmann et al (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (4 .Auflage 2002), S. 18. 70

Vgl. z. B. die Artikel „Obdachlose: Neue Heime entstehen, andere sperren zu", in: „Die Presse" vom 20.09.2002; ferner den Artikel „Am Nordrand: Die Streetworker von Sankt Pölten", in: „Die Presse" vom 22.07.2002; ferner den Artikel „Der lange Kampf gegen die Sucht: Methadon statt Heroin", in: „Die Presse" vom 26.08.2002. 71 Vgl. dazu den Artikel „Der grüne Sherlock Holmes", in: „Salzburger Nachrichten" vom 27.08.2001. 72

19 ff.

Vgl. den Artikel „Jung und gewaltfrei", in: Öffentliche Sicherheit Nr. 7-8/2001, S.

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täten zwischen den Sicherheitsbehörden einerseits und privaten Sicherheitsunternehmen sowie sonstigen gesellschaftlichen Einrichtungen andererseits. Es ist inzwischen auch in Österreich unbestritten, dass die Einbeziehung privater Sicherheitsunternehmen in die Gewährleistung der inneren Sicherheit zunehmend an Bedeutung gewinnt. 73 So hat etwa B M I Strasser anlässlich der Eröffnung der „Österreichischen Sicherheitstage" 2002 eine internationale Studie zitiert, aus der hervorgeht, dass Österreich unter 29 Industriestaaten in der Kategorie Persönliche Sicherheit/Eigentumsschutz auf Platz eins liegt. Im Anschluss daran stellte er fest: „Das ist eine großartige Leistung unserer Sicherheitsexekutive; sie ist aber auch ein Verdienst des privaten Sicherheitsgewerbes, das in vielen Bereichen ... mit dafür gesorgt hat, dass Österreich bei der Sicherheit das erste Mal die Nummer eins unter 49 Industrienationen ist". 74 Gegenstand der Beratungen zwischen Politikern, Experten des Sicherheitsapparates und Vertretern des Sicherheitsgewerbes bei den „Österreichischen Sicherheitstagen" 2002 war die Frage der Privatisierung der öffentlichen Sicherheitsdienstleistungen. Dabei wurde Übereinstimmung dahingehend erzielt, dass das Privatisierungspotential groß sei, jedoch die Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols nicht angetastet werden sollten.75 Ich selbst habe an anderer Stelle über den gegenwärtigen Stand der Übertragung staatlicher Sicherheits aufgaben auf Bewachungsunternehmen sowie über mögliche zukünftige Aufgabenfelder berichtet und konnte feststellen, dass private Sicherheitsunternehmen vor allem in den Bereichen Verkehrsüberwachung, Fluggastkontrolle, Gerichtsgebäudekontrolle sowie bei der Überwachung von Großveranstaltungen (ζ. B. Diskothekenschutz) tätig sind. 76 Dabei geht es einerseits um formal-juristische Einbeziehung privater Sicherheitsdienste in die Erledigung staatlicher Sicherheitsaufgaben, andererseits um eine forcierte eigengesellschaftliche Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben unter Heranziehung privater Sicherheitsdienste. 73 Dabei handelt es sich um einen europaweiten Trend; vgl. dazu die vergleichende Studie von Ottens/Olschok/Landrock (Hrsg.), Recht und Organisation privater Sicherheitsdienste in Europa (1999). 74 Die Eröffnungsrede ist unter dem Titel „Startschuss für intensivere Zusammenarbeit" abgedruckt in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 11-12/2002, S. 14. 75 Vgl. dazu den detaillierten Bericht „Privat statt Staat", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 11-12/2002, S. 6 ff. 76 Vgl. Stolzlechner, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung staatlicher Gefahrenabwehraufgaben auf private Sicherheitsunternehmen, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen, S. 27 ff. (insb. S. 30 ff); zu den Befugnissen privater Wachdienste eingehend Faber, Private Wachdienste in Österreich - Gewerbe, Tätigkeitsfelder und Befugnisse, ZfV 2000, S. 850 ff. - Die Heranziehung privater Sicherheitsunternehmen zur Durchführung staatlicher Kontrollaufgaben erfolgt mittels Vergabe öffentlicher Aufträge; dazu grundsätzlich Hauer, Sicherheitsgewerbe im Vergaberecht, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen, S. 89 ff.

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Gesellschaftliche Einrichtungen, die - aus welchen Gründen auch immer - erhöhtes Sicherheitsrisiko für sich oder die Gesellschaft verursachen, müssen in Eigenverantwortung zusätzliche Beiträge zur Sicherheitsvorsorge leisten. Treffend hat diesen Gedanken bei den Sicherheitstagen 2002 der Vorarlberger Sicherheitsdirektor zum Ausdruck gebracht, als er meinte: „ Wer höheres Risiko produziert, etwa durch den Bau einer Villa oder eines Einkaufszentrums, der muss auch die Eigenvorsorge verstärken. " 7 7 Damit ist unübertroffen klar die Mitverantwortung gesellschaftlicher Akteure für die Vorsorge für Sicherheit im Inneren angemahnt. Denn „staatliche Polizei hat kein Sicherheitsmonopol, aber ein Gewaltmonopol ". 78 Die Diskussion über verstärkte Anstrengungen gesellschaftlicher Akteure zur Wahrung der Sicherheit ist jedenfalls in Gang gekommen und es zeigt sich ein buntes Bild möglicher Betätigungsfelder für private Sicherheitsdienste 79: In der wichtigsten Geschäftsstraße Wiens formieren sich inzwischen Geschäftsleute und finanzieren eine „Private City Patrol·'/ „Shop Patrol" zur Stärkung und Aufrechterhaltung der Sicherheit in ihren Geschäftsgebäuden. 80 Betreiber von Fußballstadien engagieren zunehmend für die Erledigung des Ordnerdienstes private Sicherheitskräfte. 81 In den Wiener Verkehrsbetrieben wird das firmeneigene Personal für die Aufsicht im städtischen U-Bahnnetz aufgestockt. 82 Für die Heranziehung privater Sicherheitsdienste zur Einhebung der Autobahnmaut bzw. zur Mautaufsicht wurden jüngst gesetzliche Grundlagen geschaffen. 83 Auf Grundlage staatlichen Polizeibefehls („Ausübung unmit77 Zitat erwähnt in dem Artikel „Private Mautwächter", in: „Salzburger Nachrichten" vom 18.10.2002. 78 So der einhellige Tenor zwischen Vertretern der staatlichen Exekutive und privater Sicherheitsunternehmen bei den Sicherheitstagen 2002; Zitat erwähnt in dem Artikel „Private Mautwächter", in: „Salzburger Nachrichten" vom 18.10.2002. 79 Nur am Rande sei hier das in der Öffentlichkeit mit wenig Sensibilität vorgetragene Projekt einer privat finanzierten „Grazer Bürgerwehr" erwähnt, das inzwischen wieder eingeschlafen ist; vgl. den Artikel „FPÖ will mit eigener Bürgerwehr gegen Drogendealer vorgehen", in: „Die Presse" vom 4.04.2002; ferner den Artikel „Wo Bürgerwehren scheitern: das kurze Leben der Privatpolizei", in: „Die Presse" vom 15.05.2002. 80 Vgl. den Artikel „'Shop Patrol' für City kommt im Sommer", in: „Die Presse" vom 13.06.2002. 81 Vgl. den Artikel „Stadionverbot für aggressive Fans", in: „Die Presse" vom 26.06.2002; in diesem Artikel wird darauf hingewiesen, dass die staatliche Polizei bei der Stadienüberwachung allmählich von Sicherheitsdiensten abgelöst werden solle; empfohlen wird auch verstärkte Videoüberwachung. 82

Vgl. den Artikel „Gelbe U-Bahnschutzengel", in: „Die Presse" vom 10.08.2002; vgl. ferner den Artikel „Steigende Gewalt in Öffentlichen: Karate-Training für Kontrolleure", in: „Die Presse" vom 21.01.2002. 83 Vgl. §§ 17, 18 Bundesstraßen-MautG 2002 BGBl. I 2002/109; zur in Gang gekommenen Diskussion vgl. den Artikel „Private Mautwächter", in: „Salzburger Nachrichten" vom 18.10.2002; zur Mautfinanzierung des höheren Bundesstraßennetzes allgemein Stolzlechner/Kostal, Das Bundesstraßenfinanzierungsgesetz 1996, ZVR

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Harald Stolzlechner

telbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt") führt i n der Stadt Salzburg die Abschleppung kehrsbeeinträchtigend

und Verwahrung

von nach § 89a StVO ver-

Kraftfahrzeugen

seit Jahren ein privates Si-

abgestellten

cherheitsunternehmen durch. 8 4 I n alpinen Wintersportzentren beginnt man, private „ Ski-Sheriffs

" gegen rasant zunehmende Skidiebstähle einzusetzen, die i n

Zusammenarbeit m i t Gendarmerie, Hôtellerie und Hüttenwirten ihre Aufgabe in einer A r t „Sicherheitsnetzwerk" wahrnehmen. 8 5 Schließlich nehmen auch einzelne Universitäten i n Zeiten des Massenansturms der Studierenden zur Aufrechterhaltung

der inneruniversitären

Sicherheit

und Ordnung

die Dienste pri-

vater Sicherheitsunternehmen i n Anspruch (ζ. B. Zugangskontrolle bei überfüllten Hörsälen). 8 6 Bei vielen dieser gesellschaftlichen Überwachungstätigkeiten w i r d heute zur Effizienzsteigerung die Videoüberwachung

als technisches Hilfsmittel einge-

setzt. Die Verwendung v o n Überwachungskameras durch Wirtschaftsunternehmen und sonstige Private für Überwachungsmaßnahmen unterliegt nämlich nach derzeitiger Rechtslage keiner speziellen Regelung. V o n Grundrechtsbzw. Datenschützern w i r d der häufige Einsatz v o n Überwachungskameras i n Einkaufszentren, Banken etc. kritisch gesehen und die Forderung nach rechtspolitischen Maßnahmen erhoben. 8 7

5A/1999 (Sonderheft), S. 1 ff.; ferner Stolzlechner, Neue Entwicklungen bei der Bundesstraßenfinanzierung - Die BStFG-Nov 1999 im Überblick, in: Tades/Danzl/ Graninger (Hrsg.), Ein Leben für Rechtskultur, FS-Dittrich (2000), S. 787 ff. 84 Zu den rechtlichen Grundlagen der Entfernung verkehrsbeeinträchtigend abgestellter Fahrzeuge vgl. Dittrich/Stolzlechner, StVO-Kommentar (Loseblatt), § 89a StVO Rz. 30 ff.; zur Abschlepptätigkeit privater Sicherheitsunternehmen vgl. den Artikel „Die Schlepper vom Dienst", in: „Salzburger Nachrichten" vom 16.09.2002. 85 Vgl. den Artikel „Ski-Sheriff, in: „Salzburger Nachrichten" vom 12.02.2002; zu den „Sicherheitsnetzwerken" vgl. die Beiträge im Sammelwerk von Pitschas/Stober (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken (2000), sowie den Grundsatzartikel von Ottens, Die Rolle der Privaten Sicherheitsdienste in Sicherheitsnetzwerken deutsche und europäische Aspekte, in: Pitschas/Stober (Hrsg.), Kriminalprävention durch Sicherheitspartnerschaften (2000), S. 93 ff; zur datenschutzrechtlichen Problematik vgl. Pitschas, „Sicherheitspartnerschaften" der Polizei und Datenschutz, DVB1. 2000, S. 1805 ff.; hinsichtlich der österreichischen Diskussion vgl. Stolzlechner, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung staatlicher Gefahrenabwehraufgaben auf private Sicherheitsunternehmen, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen, S. 48 ff. 86 Vgl. den Artikel „Blutige Nasen und Ohnmächtige: Missstände an Unis eskalieren", in: „Die Presse" vom 5.03.2002 (Bericht über die Universität Wien). 87 Vgl. dazu jüngst den Bericht „Elektronische Augen", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 1-2/2003, S. 6 ff. - Gemäß § 54 Abs. 4 SPG ist Polizeibehörden die Ermittlung personenbezogener Daten „mit Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten" (also ζ. B. mit Videokameras) nur für die „Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen " erlaubt. Unzulässig ist insb. die Ermittlung personenbezogener Daten mit Bildaufzeich-

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Nicht nur mit privaten Sicherheitsdiensten arbeiten die staatlichen Sicherheitskräfte zusammen, sie sind auch im Verbund mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen zur Stärkung der inneren Sicherheit tätig 88 . Die Palette reicht von der Zusammenarbeit mit den vielfach von karitativen Organisationen finanzierten Interventionsstellen (Gewaltschutzeinrichtungen) 89 über Bürgerberatung und -information, über die von (staatlich finanzierten) Bewährungshilfevereinen durchgeführte Betreuung haftentlassener Personen („Bewährungshilfe bis hin zur Kooperation mit Ausländervereinigungen. Erwähnt sei das bei der Bundespolizeidirektion Wien gestartete (EU-finanzierte) Projekt „Polizei und Afrikaner ", eine Gesprächsplattform der Gesellschaft für bedrohte VölkerÖsterreich (privater Verein), der Wiener Polizei, der Universität Wien und afrikanischer Vereine. Ziel ist es, durch Dialog zum Abbau gegenseitiger Vorurteile und zu einer Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses beizutragen. 91 Resümierend kann festgestellt werden, dass auch in Österreich unter der Hauptverantwortung der Bundes-Sicherheitsbehörden im Verbund mit Ländern und Gemeinden sowie in Kooperation mit privaten Sicherheitsunternehmen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (karitative Organisationen, NGOs etc.) eine „neue Sicherheitsinfrastruktur" im Entstehen begriffen ist. 92

nungsgeräten, „um nichtöffentliches und nicht im Wahrnehmungsbereich eines Ermittelnden erfolgendes Verhalten aufzuzeichnen " (§ 54 Abs. 4 Ziff. 2 SPG). 88 Für Deutschland vgl. dazu grundlegend Pitschas, Kriminalprävention und Polizeirecht: Von der polizeilichen Gefahrenabwehr zum kooperativen Leistungshandeln für Sicherheitsvorsorge, in: Stober/Pitschas (Hrsg.), Vergesellschaftung polizeilicher Sicherheitsvorsorge und gewerbliche Kriminalprävention (2001), S. 1 ff. 89 Vgl. den Artikel „Wichtige Partner der Exekutive", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 7-8/2001, S. 17 ff. 90 Vgl. dazu „Zur Übertragung sozialpolitischer Aufgaben des Staates an Private am Beispiel der Bewährungshilfe", mit Beiträgen von Pilgram, Holoubek, KucskoStadlmayer, Vana , in der Zeitschrift Sozialarbeit und Bewährungshilfe - SUB extra 6/1992, S. 21 ff. 91 Vgl. dazu den Artikel „Polizei und Afrikaner", in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 56/2002, S. 41. 92 Zur Diskussion über eine gesellschaftliche Akteure verstärkt einbeziehende, „neue" Sicherheitsstruktur vgl. grundsätzlich Stober, Staatliche Gefahrenabwehr und private Sicherheitsunternehmen - Pol ice-Private-Partnerships als Essentiale einer effizienten Sicherheitsinfrastruktur, in: Stolzlechner/Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen, S. 61 ff. (S. 64 ff.); derselbe, Police-Private-Partnership aus juristischer Sicht, DÖV 2000, S. 261 ff. sowie derselbe (Hrsg.), Public-Private-Partnerships und Sicherheitspartnerschaften. Ergebnisse des Professorengesprächs vom 13. April 2000 (2000), jeweils mit weiteren Hinweisen.

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I V . Schlussbemerkung Als Resümee der vorangehenden Überlegungen kann festgehalten werden: 1)

Eine nachhaltige und effiziente Wahrnehmung neuer sicherheitspolizeilicher Herausforderungen, namentlich mit nationaler und internationaler Verflechtung, verlangt nach ständiger Verbesserung der Leistungs- und Schlagkraft staatlicher Sicherheitsorgane. Dieses Ziel wird vorrangig durch Bündelung personeller, technischer und infrastruktureller Ressourcen, durch organisatorische Straffung des Sicherheitsapparates, durch Spezialisierung polizeilicher Führungs- und Einsatzkräfte sowie durch eine auf Stand befindliche technische Ausrüstung der staatlichen Sicherheitsorgane sichergestellt. Unter Bedachtnahme auf diese Zielsetzungen wurden in jüngster Vergangenheit zahlreiche Umstrukturierungen des staatlichen Sicherheitsapparates zur Bewältigung zukünftiger Aufgabenstellungen durchgeführt. In diesem Sinne konnte B M I Strasser anlässlich der Sicherheitstage 2002 als Resümee seiner bisherigen Regierungstätigkeit festhalten: „Nicht ich, sondern die Exekutive kann stolz darauf sein, dass wir im Großen und Ganzen den Sicherheitsapparat völlig neu organisiert und für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bereit gemacht haben.