Architektur für Kanonissen?: Gründungsbauten und spezifische bauliche Veränderungen in Frauenkonventskirchen im Mittelalter : Beiträge zur ersten Tagung des Forums für Frauenstiftsforschung vom 4. bis 5. November 2017 9783412512675, 3412512672

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Architektur für Kanonissen?: Gründungsbauten und spezifische bauliche Veränderungen in Frauenkonventskirchen im Mittelalter : Beiträge zur ersten Tagung des Forums für Frauenstiftsforschung vom 4. bis 5. November 2017
 9783412512675, 3412512672

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Veröffentlichungen des Forums für Frauenstiftsforschung, Bd. 1 herausgegeben von Klaus Gereon Beuckers, Vivien Bienert, Jörg Bölling, Julia von Ditfurth, Maria Julia Hartgen, Tobias Kanngießer, Hedwig Röckelein, Esther-Luisa Schuster und Adam Stead



Julia von Ditfurth, Vivien Bienert (Hg.)

Architektur für Kanonissen?

Gründungsbauten und spezifische bauliche Veränderungen von

Frauenkonventskirchen im Mittelalter Beiträge zur ersten Tagung des Forums für Frauenstiftsforschung vom 4. bis 5. November 2017

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Köln, St. Maria im Kapitol, Außenansicht von Nordosten. Foto: Ulrich Knapp, Leonberg. Umschlaggestaltung: hawemannundmosch, Berlin Das Logo für das Forum für Frauenstiftsforschung wurde entworfen von Lukas von Bülow, Berlin Korrektorat: Claudia Holtermann, Berlin

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51267-5



Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Zur Frauenstiftsforschung aus kunsthistorischer Perspektive: Forschungsstand und Forschungsfragen

Julia von Ditfurth. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Gründungsbauten von Frauenstiften und früher Reliquienkult. Eine Problemskizze anhand der Stiftskirchen in Gandersheim und Vreden

Hedwig Röckelein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Chorus dominarum – zum Ort des Frauenchores in frühmittelalterlichen Stiftskirchen

Julia von Ditfurth. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Raum im Raum – Bemerkungen zu Querhausemporen in Frauenstiftskirchen im 11. und 12. Jahrhundert

Adam Stead. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Die Anfänge der Zisterzienserinnenkonvente im fränkisch-schwäbischen Raum und ihre frühen Bauten

Maria Magdalena Rückert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

St. Maria im Kapitol zu Köln als Frauenkonventskirche

Klaus Gereon Beuckers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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|  Inhalt Die Benediktinerinnenkirche in Schwarzrheindorf als Sonderfall? Architektur und Funktion

Esther-Luisa Schuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Zu dem Thema „Architektur für Kanonissen? Gründungsbauten und spezifische bauliche Veränderungen von Frauenkonventskirchen im Mittelalter“ richtete das ­‚Forum für Frauenstiftsforschung‘ vom 4. bis 5. November 2017 seine erste T ­ agung an St.  Maria im Kapitol zu Köln aus. Sie bildet den Auftakt zu einer Reihe von Untersuchungen zu Frauenstiftskirchen in der Zeit von den Stiftsgründungen im Frühmittelalter bis zur Säkularisation. Das ‚Forum für Frauenstiftsforschung‘ ist ein interdisziplinäres Netzwerk aus Vertreterinnen und Vertretern der Fächer Kunstgeschichte, Geschichte, Archäologie, Theologie, Liturgie- und Musikwissenschaft, in dem schwerpunktmäßig kunsthistorische Fragestellungen zu Frauen­stiften diskutiert werden. Bei der ersten Tagung ging es zunächst darum, die architektonischen Anfänge von Frauenkonventskirchen anhand von einzelnen Fallbeispielen sowie systematischen Überblicksdarstellungen zu betrachten, um die Kirchenbauten und insbesondere den Sitz der Frauen dort – soweit möglich – greifbar zu machen. Die Architektur determiniert als bauliche Hülle die Grenzen und Schwellen des Raumes und konturiert somit die Ausgangslage für die weiteren Untersuchungen zur Ausstattung, Liturgie und Performanz in Frauenstiften. Ein großer Dank geht an alle Mitglieder und Gäste des ‚Forums für Frauenstiftsforschung‘, die die Auftakt-Tagung und erste Publikation inhaltlich bestritten oder unterstützt haben: Klaus Gereon Beuckers, Jörg Bölling, Erika von ­Bülow, Maria Julia Hartgen, Tobias Kanngießer, Margit Mersch, Joachim Oepen, Anna Pawlik, Alheydis Plassmann, Hedwig Röckelein, Maria Magdalena Rückert, ­Esther-Luisa Schuster und Adam Stead. Herrn Beuckers sei für die Initiative, die zur Gründung des ‚Forums für Frauenstiftsforschung‘ geführt hat, und seine wertvolle Hilfe nochmals besonders gedankt. Zudem danken wir den studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften des Kunsthistorischen Instituts der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, insbesondere Katharina Pawlak, für die tatkräftige Unterstützung bei der Tagung sowie der Publikation. Das große Interesse und die angeregten Gespräche bestärkten das Vorhaben, den vorliegenden Tagungsband möglichst zügig zu publizieren, um die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung und zur Diskussion zu stellen. Sowohl den Autorinnen und Autoren als auch dem Team des Verlags Böhlau, hier insbesondere Kirsti Doepner, sind wir zu gro-

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|  Vorwort

ßem Dank verpflichtet, dass der strenge Zeitplan eingehalten und dieses Vorhaben möglich wurde. Joachim Oepen übernahm während der Tagung freundlicherweise den öffentlichen Abendvortrag in St. Maria im Kapitol. Der Vortragstitel lautete: „‚Ministeriales ecclesie sancte Marie‘: St. Maria im Kapitol als Bürgerkirche“. Dieser Beitrag ist umfangreicher und auf ein breiteres Publikum zugeschnitten, weshalb seine Drucklegung in den Rheinischen Vierteljahrsblättern oder der Geschichte in Köln für 2019 geplant ist. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pfarrgemeinde St. Maria im Kapitol, insbesondere Pfarrer Schnegg, und des Hauses Hermann-Josef in Köln, einer Jugendhilfeeinrichtung in Trägerschaft der Stiftung ‚Die Gute Hand‘, danken wir für die Möglichkeit, unsere Tagung in deren Räumlichkeiten und damit unmittelbar in bzw. bei der ehemaligen Frauenstiftskirche St. Maria im Kapitol ausrichten zu dürfen. Gleichermaßen ist der ,Deutschen Forschungsgemeinschaft‘ ein großer Dank für die Finanzierung von Netzwerk und Tagungsband auszusprechen. Nicht ohne Stolz blicken wir auf ein Werk, das alle Netzwerkgäste und -mitglieder mit der Unterstützung von weiteren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam geschaffen haben, und freuen uns auf eine weiterhin fruchtbare Zusammenarbeit. Kiel, im Frühjahr 2018 Julia von Ditfurth & Vivien Bienert

Zur Frauenstiftsforschung aus kunsthistorischer Perspektive: Forschungsstand und Forschungsfragen Julia von Ditfurth

Auf dem Gebiet der Frauenstiftsforschung wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten vornehmlich von historischer Seite Erfolge erzielt, die einerseits Grundlage und Anknüpfungspunkt für kunsthistorische Forschungen bilden und andererseits gerade das Desiderat eines genuin kunsthistorischen Ansatzes aufzeigen. Bereits 1907 stellte Karl Heinrich Schäfer in einer Studie zur inneren Verfassung von Kanonissenstiften im deutschen Mittelalter Frauenstifte und Frauenklöster einander vergleichend gegenüber.1 Aufgrund einer nur rudimentären Differenzierung der historischen Schichten führte diese Gegenüberstellung zu einer Herabstufung von Frauenstiften als liederliche, verfehlte Versionen eines klösterlichen Ideals. Dieser Topos hielt sich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.2 Erste unvoreingenommene geschichtswissenschaftliche Forschungen zu Frauenstiften wurden seit den 1980er Jahren vorgelegt.3 Dabei kristallisierte sich eine grundle-

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Karl Heinrich Schäfer: Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung im Zusammenhang mit dem altchristlichen Sanktimonialentum (Kirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 43/44), Stuttgart 1907. Vgl. Ulrich Andermann: Die unsittlichen und disziplinlosen Kanonissen. Ein Topos und seine Hintergründe, aufgezeigt an Beispielen sächsischer Frauenstifte (11.–13. Jh.), in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 146/I (1996), S. 39–63. Vgl. Wilhelm Kohl: Bemerkungen zur Typologie sächsischer Frauenklöster in karolingischer Zeit, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, hg. v. Max-Planck-Institut für Geschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 68; Studien zur Germania Sacra, Bd. 14), Göttingen 1980, S. 112–139. – Thomas Schilp: Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 137; Studien zur Germania Sacra, Bd. 21), Göttingen 1998. – Kurt Andermann (Hg.): Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen. Adelige Damenstifte in Vergangenheit und Gegenwart (Kraichtaler Kolloquien, Bd. 1), Tübingen 1998. – Irene Crusius (Hg.): Studien zum Kanonissenstift (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 167; Studien zur Germania Sacra, Bd. 24), Göttingen 2001.

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gende Unterscheidung zwischen Frauenstift und Frauenkloster heraus,4 die sich – trotz berechtigter Bedenken zur problematischen Quellensituation in der Frühzeit5 – in der aktuellen Forschung durchgesetzt hat. Die Verfassungsform von weiblichen Kommunitäten, also die Frage, ob sie monastischen Regeln folgten oder nach der 816 abgefassten Aachener Institutio sanctimonialium lebten, wurde daraufhin für verschiedene Institutionen differenziert diskutiert. Die zunehmende Anzahl an systematisierten Nachschlagewerken, die u. a. Geschichte, Quellen, Ausstattung und Personal von Frauenstiften anhand von Einzelstudien6 oder regionalen Übersichten7 verzeichnen, bildet die Grundlage für übergreifende und vergleichende 4 5

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Vgl. Irene Crusius: Sanctimoniales quae se canonicas vocant. Das Kanonissenstift als Forschungsproblem, in: Crusius 2001 (wie Anm. 3), S. 9–38. Vgl. zu den Bedenken u. a. Katrinette Bodarwé: Immer Ärger mit den Stiftsdamen – Reform in Regensburg, in: Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland. Beiträge zur interdisziplinären Tagung vom 21. bis 23. September 2005 in Frauenchiemsee, hg. v. Eva Schlotheuber / Helmut Flachenecker / Ingrid Gardill (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 235; Studien zur Germania Sacra, Bd. 31), Göttingen 2008, S. 79–102, hier S. 79. Vgl. Hans Goetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra N.  F., Bd. 7: Das Bistum Hildesheim, Bd. 1), Berlin/New York 1973. – Wilhelm Kohl: Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst (Germania Sacra N. F., Bd. 10: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Bistum Münster, Bd. 3), Berlin/New York 1975. – Edeltraud Klueting: Das Kanonissenstift und Benediktinerinnenkloster Herzebrock (Germania Sacra N. F., Bd. 21: Das Bistum Osnabrück, Bd. 1), Berlin/New York 1986. – Helmut Müller: Das Kanonissenstift und Benediktinerkloster Liesborn (Germania Sacra N. F., Bd. 23: Das Bistum Münster, Bd. 5), Berlin/New York 1987. – Bernhard Theil: Das (freiweltliche) Damenstift Buchau am Federsee (Germania Sacra N. F., Bd. 32: Das Bistum Konstanz, Bd. 4), Berlin/New York 1994. – Wilhelm Kohl: Das (freiweltliche) Damenstift Nottuln (Germania Sacra N. F., Bd. 44: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Münster, Bd. 8), Berlin/New York 2005. – Ulrich Löer: Das adlige Kanonissenstift St. Cyriakus zu Geseke (Germania Sacra N. F., Bd. 50: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Erzbistum Köln, Bd. 6), Berlin/New York 2007. Vgl. Wilhelm Dersch: Hessisches Klosterbuch. Quellenkunde zur Geschichte der im Regierungsbezirk Kassel, im Kreis Grafschaft Schaumburg, in der Provinz Oberhessen und dem Kreis Biedenkopf gegründeten Stifter, Klöster und Niederlassungen von geistlichen Genossenschaften (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Bd. 12), Marburg 21940 (ND 2000, EA 1915). – Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 1: Ahlen–Mülheim, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 1992. – Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 2: Münster–Zwillbrock, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 1994. – Westfälisches Klosterbuch.

Zur Frauenstiftsforschung aus kunsthistorischer Perspektive  |

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Untersuchungen mit verfassungsgeschichtlichen, prosopografischen und netzwerkanalytischen Methoden, die in den letzten Jahren erarbeitet worden sind.8 Franz J. Felten hat durch seine offene Frage „Wie adlig waren Kanonissenstifte (und andere weibliche Konvente) im (frühen und hohen) Mittelalter“9 auf ein zweites Kriterium zur Kategorisierung von Frauenstiften hingewiesen: Die soziale Differenzierung ermöglicht die Abgrenzung nach dem Stand der Stiftsmitglieder sowie die Zuspitzung der Fragestellungen auf bestimmte Personengruppen. Auch wenn die Grenzen der Exklusivität mitunter fließend waren und im Laufe des Mittelalters sowie der Frühen Neuzeit durchlässiger wurden, zogen fortan hochadlige Frauenstifte wie Essen, Gandersheim, Quedlinburg oder Herford mit direkten Beziehungen zum Adel, zu Königen und Kaisern die Aufmerksamkeit auf sich. Niederadlige Institutionen werden jenseits der Lokalforschung erst in den letzten Jahren vermehrt in den Blick genommen. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und Spiritualität, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 2003. – Württembergisches Klosterbuch. Klöster, Stifte und Ordensgemeinschaften von den Anfängen bis in die Gegenwart, hg. v. Wolfgang Zimmermann / Nicole Priesching, Ostfildern 2003. – Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dieter Heimann / Klaus Neitmann / Winfried Schich (Brandenburgische historische Studien, Bd. 14), 2 Bde., Berlin 2007. – Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Teil 1: Aachen bis Düren, hg. v. Manfred Groten u. a. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37), Siegburg 2009. – Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, hg. v. Josef Dolle / Dennis Knochenhauer (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 56), 4 Bde., Bielefeld 2012. – Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Teil 2: Düsseldorf bis Kleve, hg. v. Manfred Groten u. a. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37), Siegburg 2013. – Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden (10.–16. Jahrhundert), hg. v. Wolfgang Huschner / Ernst Münch / Cornelia Neustadt, 2 Bde., Rostock 2016. – Oberpfälzer Klosterlandschaft. Die Klöster, Stifte und Kollegien der Oberen Pfalz, hg. v. Tobias Appl / Manfred Knedlik (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Oberpfalz, Bd. 2), Regensburg 2016. – Klosterbuch SchleswigHolstein und Hamburg. Klöster, Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation, hg. v. Katja Hillebrand / Oliver Auge, Regensburg (in Druckvorbereitung). 8 Vgl. Schilp 1998 (wie Anm. 3). – Crusius 2001 (wie Anm. 3). – Schlotheuber/Flachenecker/Gardill 2008 (wie Anm. 5). – Sabine Klapp: Das Äbtissinnenamt in den unter­ elsässischen Frauenstiften vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Umkämpft, verhandelt, normiert (Studien zur Germania Sacra N. F., Bd. 3), Berlin/Boston 2012. 9 Franz J. Felten: Wie adlig waren Kanonissenstifte (und andere weibliche Konvente) im (frühen und hohen) Mittelalter, in: Crusius 2001 (wie Anm. 3), S. 39–128.

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Heute liegen vielfache Ergebnisse zu Frauenstiften und deren personellen, institutionellen, wirtschaftlichen und politischen Verbindungen sowohl untereinander als auch zu weltlichen Personen und Personengruppen vor. Sie betreffen sowohl die Gründungsumstände und die Funktionen von Frauenstiften als Memorialort, Erziehungs- und Bildungsanstalt, Vermittlungsorte wirtschaftlichen, handwerklichen und künstlerischen Wissens wie auch die Säkularisierung von Frauenstiften.10 Der ‚Essener Arbeitskreis zur Erforschung der Frauenstifte‘ hat seit 2001 jährlich Tagungen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten organisiert und deren Tagungsbände vorgelegt.11 Die interdisziplinäre Ausrichtung dieses 10 Vgl. u. a. Ute Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen (1605–1803). Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Stifte Thorn, Elten, Vreden und St. Ursula in Köln (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Bd. 8), Münster 1997. – Crusius 2001 (wie Anm. 4). – Ute Küppers-Braun: Zur Sozialgeschichte katholischer Hochadelsstifte im Nordwesten des Alten Reiches im 17. und 18. Jahrhundert, in: Crusius 2001 (wie Anm. 3), S. 349–394. – Harm Klueting: Das Ende der alten Klöster. Die Aufhebung der Klöster und Stifte in Westfalen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Westfälisches Klosterbuch 2003 (wie Anm. 7), S. 295–331. – Claudia Kleimann-Balke: Gleich nach ihrer Ankunft wurde … der preußische Adler vor dem Rathause und in der fürstl. Burg aufgepflanzt … Die Säkularisation in Stift und Stadt Essen, in: Reform – Reformation – Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten, hg. v. Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 3), Essen 2004, S. 201–221. – Edeltraud Klueting: Damenstifter sind zufluchtsörter, wo sich fräuleins von adel schicklich aufhalten können. Zur Säkularisation von Frauengemeinschaften in Westfalen und im Rheinland 1773–1812, in: Schilp 2004 (Ebd.), S. 177–200. – Irene Crusius: Im Dienst der Königsherrschaft – Königinnen, Königswitwen und Prinzessinnen als Stifterinnen und Äbtissinnen von Frauenstiften und -klöstern, in: Schlotheuber/ Flachenecker/Gardill 2008 (wie Anm. 5), S. 59–77. 11 Katrinette Bodarwé / Thomas Schilp (Hg.): Herrschaft, Liturgie und Raum. Studien zur mittelalterlichen Geschichte des Frauenstifts Essen (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 1), Essen 2002. – Jan Gerchow / Thomas Schilp (Hg.): Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 2), Essen 2003. – Schilp 2004 (wie Anm. 10). – Martin Hoernes / Hedwig Röckelein (Hg.): Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 4), Essen 2006. – Birgitta Falk / Thomas Schilp / Michael Schlagheck (Hg.): … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 5), Essen 2007. – Thomas Schilp (Hg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 6), Essen 2008. – Hedwig Röckelein (Hg.): Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 7), Essen 2009. – Ute Küppers-Braun / Thomas Schilp (Hg.): Katholisch – Lutherisch – Calvinistisch. Frauenkonvente im Zeitalter der Konfessionalisierung (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 8), Essen 2010. – Thomas Schilp (Hg.): Frauen bauen Europa. Internationale Verflechtungen des Frauenstiftes Essen (Es-

Zur Frauenstiftsforschung aus kunsthistorischer Perspektive  |

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Arbeitskreises, der sich 2016 aufgelöst hat, nahm auch die kunsthistorische Forschung mit in den Blick, sofern sie für die historischen Schwerpunkte von Belang war. Eine rein kunsthistorische Fragestellung wurde in keiner der Tagungen verfolgt. Gleiches gilt für die vorwiegend historischen Forschungen des deutschamerikanischen ‚Arbeitskreises geistliche Frauengemeinschaften im europäischen Mittelalter‘ (AGFEM), der seit nunmehr zehn Jahren aktiv ist. Zudem wurden hier Frauenstifte im Verhältnis zu den anderen Frauengemeinschaften vergleichsweise selten thematisiert. Im Gegensatz dazu liegt der Schwerpunkt des 2013 formierten ‚Arbeitskreises Süddeutsche Frauenstifte‘ eindeutig auf Frauenstiften. Einen explizit an kunsthistorischen Fragestellungen zu Frauenstiften ausgerichteten Arbeitskreis gab es bis zur Gründung des ‚Forums für Frauenstiftsforschung‘ aber nicht. Die Vorbedingungen für eine kunsthistorische Diskussion sind jedoch erfüllt: So liegen archäologische Untersuchungen zu Frauenstiften vor, insbesondere für Stifte im ehemaligen Sachsen.12 Die Liturgiewissenschaft hat sich der Frage nach sener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 9), Essen 2011. – Klaus Gereon Beuckers (Hg.): Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Forschungen zum Liber ordinarius (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 10), Essen 2012. – Thomas Schilp / Annemarie Stauffer (Hg.): Seide im früh- und hochmittelalterlichen Frauenstift. Besitz – Bedeutung – Umnutzung (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 11), Essen 2013. – Klaus Gereon Beuckers / Birgitta Falk (Hg.): Neue Räume – neue Strukturen. Barockisierung mittelalterlicher Frauenstifte (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 12), Essen 2014. – Jens Lieven / Birgitta Falk (Hg., unter Mitarbeit von Anna Pawlik): Aus der Nähe betrachtet. Regionale Vernetzungen des Essener Frauenstiftes in Mittelalter und früher Neuzeit (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 13), Essen 2017. – Stephan Freund / Thomas Labusiak (Hg.): Das dritte Stift. Forschungen zum Quedlinburger Frauenstift (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 14), Essen 2017. – Klaus Gereon Beuckers / Thomas Schilp (Hg.): Fragen, Perspektiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte. Beiträge der Abschlusstagung des Essener Arbeitskreises für die Erforschung des Frauenstifts (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 15), Essen 2018. 12 Vgl. Uwe Lobbedey: Zur archäologischen Erforschung westfälischer Frauenklöster des 9. Jahrhunderts (Freckenhorst, Vreden, Meschede, Herford), in: Frühmittelalterliche Studien 4 (1970), S. 320–340. – Uwe Lobbedey: Ausgrabungen auf dem Stiftsplatz zu Nottuln, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 58 (1980), S. 45–54. – Hilde Claussen / Uwe Lobbedey: Die karolingische Stiftskirche in Meschede. Kurzer Bericht über die Bauforschung 1965–1981, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 67 (1989), S. 116–126. – Matthias Wemhoff: Das Damenstift Herford. Die archäologischen Ergebnisse zur Geschichte der Profan- und Sakralbauten seit dem späten 8. Jahrhundert (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Bd. 24), 3 Bde., Bonn 1993. – Otfried Ellger: Ausgrabungen in der ehemaligen Damenstiftskirche St. Saturnina in Bad Driburg-Neuenheerse, Kreis Paderborn, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 9/C (1999), S. 1–62. – Uwe Lobbedey: Die Frauenstiftskirche zu Vreden. Bemerkungen zur Architektur und Liturgie. Mit einem Anhang von Norbert Eickermann (†), in: Gerchow/Schilp 2003 (wie Anm. 11), S. 185–218. – Harald Weiss:

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der Rolle der Frauen im kirchlichen Ritus vermehrt seit den 1990er Jahren angenommen und hauptsächlich durch die Auswertung von hagiografischen und liturgischen Texten sowie Kustodienbüchern wie dem Liber ordinarius wichtige Klärungen erzielen können.13 Diese stellen eine interdisziplinäre Verschränkung dar, da hierfür die Architektur, die Sakraltopografie und die Schriftquellen zum liturgischen Ritus zusammen analysiert werden mussten. Für einzelne Stifte wie beispielsweise Essen oder Gandersheim konnte eine aktive Teilnahme der Stiftsfrauen an der Prozessionsliturgie konstatiert werden, wie Kanonissen in allen Bereichen der Kirchen auch zum Zeitpunkt der Sakramentenspende Zugang hatten. Diese textlichen Zeugnisse sind bisher jedoch nur in wenigen Einzelfällen zu den überlieferten Kirchenräumen und deren Ausstattung in Bezug gesetzt worden. Hier besteht erheblicher Forschungsbedarf, der nur interdisziplinär erfolgen kann. Explizit kunsthistorische Forschungen zu Frauenstiften setzen 1985 mit Irmingard Achters Beobachtungen zu Emporen in Frauenstiftskirchen ein.14 Sie hatte damit auf einen frauenspezifischen Forschungsgegenstand aufmerksam gemacht, der seitdem mehrfach von kunsthistorischer und liturgiewissenschaftlicher Seite

Die Baugeschichte von St. Georg zu Vreden, Kr. Borken. Die Ergebnisse der Ausgrabungen von 1949–1951 und 2003–2004, Rahden 2010. 13 Vgl. Teresa Berger / Albert Gerhards (Hg.): Liturgie und Frauenfrage. Ein Beitrag zur Frauenforschung aus liturgiewissenschaftlicher Sicht (Pietas Liturgica, Bd. 7), St. Ottilien 1990, darin insb. Gisela Muschiol: ‚Psallere et legere‘. Zur Beteiligung der Nonnen an der Liturgie nach den frühen gallischen ‚Regulae ad Virgines‘, S. 77–121. – Dies.: Reinheit und Gefährdung? Frauen und Liturgie im Mittelalter, in: Heiliger Dienst 51 (1997), S. 42–54. – Dies.: Das ‚gebrechliche Geschlecht‘ und der Gottesdienst. Zum religiösen Alltag in Frauengemeinschaften des Mittelalters, in: Herrschaft, Bildung und Gebet. Gründung und Anfänge des Frauenstiftes Essen, hg. v. Günter Berghaus / Thomas Schilp / Michael Schlagheck, Essen 2000, S. 19–27. – Werner Jacobsen: Die Stiftskirche von Gernrode und ihre liturgische Ausstattung, in: Gerchow/Schilp 2003 (wie Anm. 11), S. 219–246. – Lobbedey 2003 (wie Anm. 12). – Gisela Muschiol: Zeit und Raum – Liturgie und Ritus in mittelalterlichen Frauenkonventen, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Ausst. Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, hg. v. Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, S. 41–51. – Christian Popp: Reliquienkult und Heiligenverehrung im Frauenstift Gandersheim im Spiegel liturgischer Quellen, in: Heilige – Liturgie – Raum, hg. v. Dieter R. Bauer u. a. (Beiträge zur Hagiographie, Bd. 8), Stuttgart 2010, S. 99–118. – Beuckers 2012 (wie Anm. 11). 14 Irmingard Achter: Querschiff-Emporen in mittelalterlichen Damenstiftskirchen, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 30/31 (1985), S. 39–54.

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beleuchtet wurde.15 Während die Institutio sanctimonialium die Abtrennung der Frauen von den anderen in der Kirche agierenden Personen durch einen Vorhang forderte,16 setzte sich ab dem 12.  Jahrhundert die Empore als frauenspezifisches Element zur notwendigen Separierung verschiedener Akteure im Kirchenraum durch. Diese waren zumeist nahe dem Hochchor in einem der Querhausarme eingefügt und zwar – entgegen der älteren Forschung, die sich für eine Versetzung von den Westteilen der Kirche in die Ostteile aussprach17 – von Anfang an. Otfried Ellger stellte die Bestimmungen der Institutio sanctimonialium zur Kirche und Klausuranlage von Frauenstiften, wie Thomas Schilp und Gisela Muschiol sie erarbeitet hatten,18 den bis dato archäologisch und kunsthistorisch annähernd aufgearbeiteten sächsischen Frauenstiften im Frühmittelalter gegenüber.19 Damit schuf er wichtige Grundlagen, die bis heute gültig sind: Demnach zeichnen sich die Kirchen von Frauenstiften als ambitionierte Bauten aus, die in Größe und Komplexität sowie hinsichtlich der gewählten Bautypen Domkirchen 15 Vgl. Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 12). – Gerhard Leopold: Frauenemporen in Stifts- und Klosterkirchen des frühen Mittelalters im östlichen Sachsen, in: ‚Es Thvn Iher Viel Fragen …‘ Kunstgeschichte in Mitteldeutschland. Hans Joachim Krause gewidmet, hg. v. Reinhard Schmitt / Uwe Steinecke / Mario Titze (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd.  2), Petersberg 2001, S. 15–30. – Gisela Muschiol: Liturgie und Klausur: Zu den liturgischen Voraussetzungen von Nonnenemporen, in: Crusius 2001 (wie Anm. 3), S. 129–148. – Gisela ­Muschiol: Architektur, Funktion und Geschlecht: Westfälische Klosterkirchen des Mittelalters, in: Westfälisches Klosterbuch 2003 (wie Anm. 7), S. 791–811 unter Einbeziehung der Korrekturen von Margit Mersch: Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Vallis Dei in Brenkhausen im 13. und 14. Jahrhundert (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Bd. 45), Mainz 2007, S. 223–225. – Klaus Gereon Beuckers: Die Westbauten ottonischer Damenstifte und ihre liturgische Funktion. Eine Skizze, in: Kunst und Kultur in ottonischer Zeit. Forschungen zum Frühmittelalter, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 3), Regensburg 2013, S. 73–118. – Julia von ­Ditfurth: Wandel der Strukturen. Barockisierungsprozesse in Damenstifts- und Frauenklosterkirchen in Westfalen, Regensburg 2016. 16 Vgl. Otfried Ellger: Das ‚Raumkonzept‘ der Aachener Institutio sanctimonialium von 816 und die Topographie sächsischer Frauenstifte im früheren Mittelalter, in: Gerchow/Schilp 2003 (wie Anm. 11), S. 129–159, hier S. 140 f. 17 Vgl. Schäfer 1907 (wie Anm. 1). – Hans Thümmler: Die frühromanische Baukunst in Westfalen. Neue Bauforschungen an St. Patrokli in Soest, der Abdinghofkirche in Paderborn und der Stiftskirche in Vreden, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 27 (1948), S. 177–214. – Achter 1985 (wie Anm. 14). – Ralf Dorn: Wo saßen die Stiftsdamen? Überlegungen zur Damenempore im Herforder Münster, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 9 (2001), S. 7–30. 18 Schilp 1998 (wie Anm. 3). – Muschiol 2001 (wie Anm. 15). 19 Ellger 2003 (wie Anm. 16).

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nahestehen und nicht mit zumeist deutlich bescheideneren Frauenklosterkirchen verglichen werden können.20 Systematische Untersuchungen zur Architektur und zur Ausstattung von mittelalterlichen Frauenstiftskirchen liegen bisher nicht vor. Zwar sind die Kirchen mitunter in Überblickswerken erfasst, doch sind selten umfassende Baumonografien erschienen, wie beispielsweise für Quedlinburg, Essen oder Regensburg.21 Ausstattungsstücke aus Frauenstiftskirchen sind zwar von der Forschung nicht absichtlich außen vor gelassen worden, doch spielte ihre Provenienz lange Zeit keine Rolle. Mit der Ausstellung ‚Krone und Schleier‘ wurde 2005 erstmals gezielt Kunst aus Frauenklöstern und – seltener – Frauenstiften mit dem Hinweis auf ihre Herkunft aus weiblichen Kommunitäten präsentiert.22 Seitdem haben sich Untersuchungen zu einzelnen Objekten und Objektgruppen vermehrt, die explizit die Herkunft der Stücke thematisieren.23 Übergreifende Forschungen, die mehr als die Architektur 20 Für die Frauenstifte in Regensburg vgl. beispielsweise Katrin Eichler: Zur Baugeschichte der drei Regensburger Damenstifte. Nieder-, Ober- und Mittelmünster, Regensburg 2009. – Für die Frauenstifte in Westfalen vgl. Julia von Ditfurth (geb. Sukiennik): Barockisierungen westfälischer Frauenstiftskirchen, in: Beuckers/Falk 2014 (wie Anm. 11), S. 151–171 und von Ditfurth 2016 (wie Anm. 15). 21 Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche St.  Servatii zu Quedlinburg. Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung, Berlin 1989. – Walther Zimmermann: Das Münster zu Essen (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 3), Essen 1956. – Klaus Lange: St.  Cosmas und Damian zu Essen. Ein Plädoyer für eine neue Sicht der älteren Baugeschichte, in: Berghaus/ Schilp/Schlagheck 2000 (wie Anm. 13), S. 43–57. – Klaus Lange: Der Westbau des Essener Doms. Architektur und Herrschaft in ottonischer Zeit (Quellen und Studien, Bd. 9), Münster 2001. – Klaus Lange: Der gotische Neubau der Essener Stiftskirche, in: Schilp 2004 (wie Anm. 10), S. 89–113. – Klaus Lange: Sakralarchitektur und Memoria. Das Essener Münster als Ort der Erinnerung, in: Schilp 2008 (wie Anm. 11), S. 59–78. – Klaus Lange: Stiftskirche, Kunstwerk, Geschichtsdenkmal. Zur architektonischen Eigenart des Essener Münsters, in: Schilp 2011 (wie Anm. 11), S. 249–259. – Eichler 2009 (wie Anm. 20). 22 Kat. Bonn/Essen 2005 (wie Anm. 13). – Jeffrey Hamburger u. a. (Hg.): Frauen – Kloster – Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom 13. bis 16.  Mai 2005 anlässlich der Ausstellung ‚Krone und Schleier‘, o.  O. [Turnhout] 2007. 23 Vgl. Martin Hoernes: Die figürliche Grabfigur ‚Herzog‘ Liudolfs in der Stiftskirche von Gandersheim. Ein neues Gründergrab in Zeiten der Bedrängung, in: Hoernes/Röckelein 2006 (wie Anm. 11), S. 131–149. – Falk/Schilp/Schlagheck 2007 (wie Anm. 11). – HansJoachim Krause: Das Heilige Grab in Gernrode. Bestandsdokumentation und Bestandsforschung (Beiträge zur Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt, Bd. 3), Berlin 2007. – Susanne Ruf: Stift und Welt. St.  Maria im Kapitol zu Köln und die Stiftungen der Familie Hardenrath, in: Hamburger u. a. 2007 (wie Anm. 22), S. 237–246. – Klaus Gereon Beuckers: Individuelle Fürbitte. Spätgotische Reliquienbüsten als personales Gegenüber, in: Schilp 2008 (wie Anm.

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und/oder Ausstattung einzelner Kirchen oder eng begrenzter Regionen erfassen, wurden zu Frauenstiften noch nicht angegangen. Gerade für das Mittelalter fehlen deswegen vielfach Grundlagen, wie die Arbeiten zeigen konnten, die sich in den letzten Jahren mit Frauenstiftskirchen und ihren Ausstattungen in der Frühen Neuzeit auseinandergesetzt haben.24 Bevor die neuzeitlichen Veränderungen analysiert werden konnten, mussten die mittelalterlichen Bau- und Ausstattungssituationen aus den Schrift- und Bildquellen heraus sowie anhand der erhaltenen Bauten und Objekte rekonstruiert werden. Insgesamt liegen diverse, meist disziplinär gebundene Einzelforschungen vor, während Gesamtdarstellungen rar sind. Die Bände des ‚Essener Arbeitskreises‘ zeigen als heterogene Aufsatzsammlungen ein symptomatisches Bild. Mehr noch als überblicksartige Zusammenfassungen fehlt jedoch eine methodische Diskussion zu Frauenstiften, die – wenn überhaupt – dann bisher von den textbasierenden Geschichtswissenschaften geführt wurde. Eine kunsthistorische Reflektion steht bisher aus. Aus kunsthistorischer Perspektive ergeben sich weitere Lücken: Selbst die teilweise substantiellen Baumonografien nehmen in der Regel keinen Bezug zur Nutzung durch Frauen und die damit spezifischen Anforderungen an die Architektur. Dabei bestehen für die Raumstruktur hier ganz andere Prämissen, wenn beispielsweise der Sitz der Frauen in der Kirche spätestens seit dem Zweiten Laterankonzil 1139 nicht – wie bei Männerkonventskirchen – im Chorraum sein sollte und erhöhte Immunitätsvorgaben zu berücksichtigen sind. Spezifische Untersuchungen zur Bautypologie von Frauenstiften fehlen deshalb bis heute. Dies betrifft auch die 11), S. 129–161. – Katharina Ulrike Mersch: Orte der Interaktion zwischen Frauenkonventen und Pfarrgemeinden: Das Beispiel der Taufsteine, in: Röckelein 2009 (wie Anm. 11), S. 160–169. – Birgitta Falk: Das Essener Ida-Kreuz, in: Schilp 2011 (wie Anm. 11), S. 143–175. – Susanne Ruf: Die Stiftungen der Familie Hardenrath an St. Maria im Kapitol zu Köln (um 1460 bis 1630). Kunst, Musikpflege und Frömmigkeit im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 8), Korb 2011. – Hiltrud Westermann-Angerhausen: Das Gedächtnis der Gegenstände. Spolien im Essener Schatz als Zeichen von Rang und Herkunft, in: Schilp 2011 (wie Anm. 11), S. 203–226. 24 Vgl. Erika von Bülow: Die Barockisierung der Damenstiftskirche in Preetz, in: Beuckers/ Falk 2014 (wie Anm. 11), S. 291–316. – von Ditfurth 2014 (wie Anm. 20). – Dies.: Die neuzeitlichen Nachträge im Gerresheimer Evangeliar und die Ausstattungsgeschichte der Damenstiftskirche im 17. und 18. Jahrhundert, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers / Beate Johlen-Budnik (Forschungen zur Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd.1), Köln u. a. 2016, S. 183–206. – von Ditfurth 2016 (wie Anm. 15).

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einzelnen Räume: Während zur Lage der Emporen in Frauenstiften inzwischen ein relativ einheitliches Bild gezeichnet werden konnte, ist die Nutzung der Emporenuntergeschosse kaum geklärt.25 Gleiches gilt für die Frage der liturgischen Nutzung der Westbauten.26 So gut wie gar keine Untersuchungen gibt es zu Chorgestühlen und zur Ausstattung der Frauenemporen insgesamt und zu Änderungen dieser Zustände im Laufe der Epochen. Ausstattungsstücke wurden bisher meist als isolierte Kunstwerke besprochen und nicht in ihren ursprünglichen Kontext eingeordnet. Darüber hinaus ist beispielsweise für die mittelalterlichen Ausstattungsstücke aus Frauenstiftskirchen noch zu ermitteln, wie sich übergeordnete geistige und geistliche Strömungen und Ereignisse auf ihre Form und Gestaltung sowie ihre Verwendung ausgewirkt haben und in welcher Weise hier frauenstiftsspezifische Komponenten relevant geworden sind. Der überlieferte Bildbestand beispielsweise der ‚mystischen Bildwerke‘ um 1300 stammt zu nennenswerten Teilen aus Frauenkonventen. Inwiefern es sich dabei um einen Zufall oder um eine explizit weibliche Frömmigkeit oder Liturgie gehandelt hat, ist zu diskutieren. Die regelmäßigen Erneuerungen, Umbauten des Kirchenraumes und die Wellen von Neuausstattungen von Frauenstiften sind bisher nur für die Barockisierung thematisiert worden,27 fanden jedoch ebenso im Mittelalter statt. Hierfür sind auf einer soliden Analyse der Bestände Modelle zu entwickeln, die sowohl mentalitätsgeschichtliche, lokalhistorische oder personenspezifische Einflüsse wie auch liturgische Nutzung und ästhetische Konzeptionen berücksichtigen. Dazu fehlen bisher methodische Entwürfe, die die mittelalterlichen Phasen und ihre materiellen Erscheinungsformen im Sakralraum auch im Sinne medialer, intermedialer und rezeptionsästhetischer Ansätze greifen lassen, aber ebenso theologische, liturgische und performative Aspekte sowie die wirkenden Personen und Personengruppen einbeziehen. Wenn der Raum nicht erschlossen, die liturgischen Handlungsorte nicht fixiert und die Ausstattungsstücke darin nicht lokalisiert werden können und damit die sakrale Binnentopografie nicht bestimmt werden kann, werden Fragen zu visuellen Medien, zur Ästhetik, zur Form, zur Akustik, zur Funktion oder zur Performanz in Frauenstiften ohne substantielle Basis diskutiert.

25 Vgl. zuletzt die Hinweise in von Ditfurth 2016 (wie Anm. 15), S. 40, insb. Anm. 243. 26 Vgl. zuletzt Beuckers 2013 (wie Anm. 15) für die Westbauten ottonischer Frauenstifte. 27 Vgl. Meinrad von Engelberg: Renovatio Ecclesiae. Die ‚Barockisierung‘ mittelalterlicher Kirchen (Studien zur internationalen Architektur, Bd. 23), Petersberg 2005. – Beuckers/Falk 2014 (wie Anm. 11). – von Ditfurth 2016 (wie Anm. 15).

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Das ‚Forum für Frauenstiftsforschung‘ möchte sich diesen essentiellen und methodischen Fragen Schritt für Schritt mit einer Reihe von Tagungen und Tagungsbänden widmen. Bei der ersten Tagung zur Architektur für Kanonissen wurden die frühen Bauten untersucht, die von Frauenkonventen genutzt worden sind – Neubauten wie auch vorhandene Bauten, die baulich modifiziert worden sind, als der Konvent dort einzog. Da für die Frühzeit bis ins 11. Jahrhundert nicht immer zweifelsfrei entschieden werden kann, ob es sich um ein Frauenstift oder ein Benediktinerinnenkloster handelte, wurden zuweilen beide Verfassungsformen in den Blick genommen. Zur Konturierung und Differenzierung der Ergebnisse zu Frauenstiften wurden diese mit Befunden und Forschungen zu (Frauen-)Klöstern und Kanonikerstiften konfrontiert. Die einzelnen Themen reichten von exemplarischen Studien bis hin zu breit angelegten Untersuchungen: So wurden die Stiftskirchen in Gandersheim und Vreden im Hinblick auf ihre Reliquien und deren Auswirkungen auf die Architektur untersucht (Hedwig Röckelein). Anhand ausgewählter Stiftskirchen sind der Ort des Frauenchores in frühmittelalterlichen Bauten (Julia von Ditfurth) sowie die Einführung von Querhausemporen im 11. und 12. Jahrhundert (Adam Stead) neu beleuchtet worden. Zur Relationsbildung rückte die Gründungsarchitektur von Zisterzienserinnenkonventen im fränkisch-schwäbischen Raum (Maria Magdalena Rückert) in den Fokus. St. Maria im Kapitol zu Köln (Klaus Gereon Beuckers) und St. Maria und St. Clemens in Schwarzrheindorf bei Bonn (Esther-­ Luisa Schuster) vertreten zwei ungewöhnliche Bautypen und werden hier erstmals explizit wegen ihrer Nutzung als Frauenkonventskirchen betrachtet. Methodische Grundlage für diese Auseinandersetzungen bilden verschiedene Raumtheorien, nach denen Raum einerseits durch seine ihn begrenzende Hülle als gebauter Raum und andererseits als ritueller und spiritueller Raum definiert wird. Ist die Untersuchung des gebauten Raums in der Kunstgeschichte durch bautypologische Fragestellungen und Formanalysen zur stilistischen, motivischen Einordnung und Kontextuierung und zur Klärung von Rezeptionsverhältnissen etabliert, so ist der rituelle Raum, determiniert aus liturgischen Handlungsorten, die eine sakrale Binnentopografie ausbilden, erst ein junges Feld der kunsthistorischen Forschung.28 Eine wesentliche Stellung nehmen dabei auch raumscheidende Gren28 Für den deutschsprachigen Raum wurde dieser Ansatz durch Clemens Kosch eingeführt, worauf die Beiträge in Wegmann/Wimböck 2007 (s.  u.), Rau/Schwerhoff 2008 (s.  u.) sowie Neuheuser 2010 (s. u.) durch ihre Hinweise zur Dynamik zeremonieller Handlungen als

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zen ein, wie beispielsweise Lettner, Schranken und Emporen, unterschiedliche Bodenniveaus oder Ausstattungsstücke wie Chorgestühl und Gemeindebänke. Unsichtbare, teilweise nur temporäre Grenzen ergeben sich durch Prozessionsliturgie, Personen und ihre Performanz sowie durch soziale Räume. Hierin liegt für Frauenstifte ein Spezifikum, da hier mit einem weiblichen, einem männlichen Konvent und unter Umständen einer Pfarrgemeinde oder Pilgergruppe unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen agieren, denen im Kirchenraum unterschiedliche Orte zugewiesen sind,29 die aber durchaus nicht konstant, sondern variabel sind. Mit dem Wissen, kraft des vorliegenden Bandes nur einen kleinen Schritt voranschreiten zu können, ist die Hoffnung verbunden, durch die folgenden Beiträge sowie durch künftige Veranstaltungen und Veröffentlichungen des ‚Forums für Frauenstiftsforschung‘ den Dialog über Frauenstifte in der kunsthistorischen Forschung langfristig und nachhaltig anregen und intensivieren zu können.

räumliche Definitionskriterien aufbauen: Clemens Kosch: Zum Projekt einer zeichnerischen Veranschaulichung der sakralen ‚Binnentopographie‘ des Hochmittelalters in ehemaligen Konventkirchen Kölns. Methodische Überlegungen am Beispiel von St. Andreas, in: Kölnische Liturgie und ihre Geschichte. Studien zur interdisziplinären Erforschung des Gottesdienstes im Erzbistum Köln, hg. v. Albert Gerhards / Andreas Odenthal (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, Bd. 87), Münster 2000, S. 127–142. – Susanne Wegmann / Gabriele Wimböck (Hg.): Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralraums in der Frühen Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 3), Korb 2007. – Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hg.): Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, München 2008. – Hanns Peter Neuheuser: Liturgische Raumerschließung und Heiligenverehrung, in: Bauer u. a. 2010 (wie Anm. 13), S. 183–216. 29 Vgl. Gabriela Signori: Links oder rechts? Zum Platz der Frauen in der mittelalterlichen Kirche, in: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Norm und Struktur, Bd. 21), Köln u. a. 2004, S. 339–382.

Gründungsbauten von Frauenstiften und früher Reliquienkult Eine Problemskizze anhand der Stiftskirchen in Gandersheim und Vreden1 Hedwig Röckelein

Reliquien – Bauten – Gender

Sind Reliquien von Heiligen relevant für die Gründung von Frauenstiften? Haben der Reliquienbesitz und der Heiligenkult bauliche Auswirkungen? Gibt es frauenspezifische Reliquienschätze und einen spezifischen Umgang mit Reliquien in den Frauenkonventen und wirkt sich dieser auf die Architektur aus? Diesen Fragen soll für das frühe und hohe Mittelalter am Beispiel zweier Frauenstifte im norddeutschen Raum nachgegangen werden, dem sächsischen Gandersheim (im Mittelalter: Bistum Hildesheim, Erzdiözese Mainz; heute: Land Niedersachsen) und dem fränkischen Vreden (im Mittelalter: Erzdiözese Köln; heute: Land NordrheinWestfalen). Ganz allgemein ist zu bemerken, dass der Besitz von Heiligenreliquien und der Kult um die Heiligen für geistliche Institutionen im Mittelalter von höchster Relevanz war, nicht nur in ihrer Gründungsphase;2 dies gilt für Männer- und Frauenkonvente gleichermaßen. Denn erstens symbolisierte und repräsentierte der heilige Patron als Rechtsfigur die Institution; als solche war er der Eigentümer des Besitzes und der gesamten Anlage inklusive ihrer Architektur. Zweitens trug der heilige Patron zur Identitätsbildung der religiösen Gemeinschaft bei – ein Faktor, 1 2

Auf die Angabe von Quellennachweisen im Einzelnen wird hier verzichtet. Siehe dazu die angegebene Forschungsliteratur. Vgl. dazu allgemein Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997 (EA 1994). – Zu Sachsen im Besonderen vgl. Hedwig Röckelein: Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia, Bd. 48), Stuttgart 2002.

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der besonders in Zeiten der Gründung und in Zeiten der Krise zum Tragen kam. Drittens setzte der Erwerb von Reliquien ein belastbares Netzwerk von Beziehungen zu geistlichen und weltlichen Herrschaftsträgern voraus, das bei der Beschaffung dieser raren religiösen Güter behilflich war. Viertens brachte der Besitz von Reliquien der geistlichen Einrichtung soziales, religiöses und gesellschaftliches Ansehen. Schließlich und fünftens ließ sich aus diesem Heiltum ökonomischer Gewinn ziehen, wenn es Anziehungspunkt für Pilger wurde. Im Frühmittelalter wurden die Heiltümer – je nach Größe und Umfang der Reliquien – an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise verwahrt: einzelne Körperpartikel von Heiligen im Altar (Sepulcren in der Mensa oder größere Fächer im Stipes), in der Sakristei, in Schreinen, in Tragaltären und in transportablen Reliquiaren, ganze Corpora in Sarkophagen unter oder hinter dem Altar oder in der Krypta. Nicht alle Formen ihrer Sicherung wirkten sich auf die Architektur aus. Besondere bauliche Maßnahmen erforderten lediglich die Ganzkörperreliquien, für deren Unterbringung Altarabschrankungen oder Krypten errichtet wurden, die sich archäologisch oder im bestehenden Mauerwerk erkennen lassen. Mobile Behälter wie Tragaltäre und Bursenreliquiare3 hinterließen in der Architektur ebenso wenig ihre Spuren wie die Reliquien, die Äbtissinnen und Kanonissen in Pectoralia um den Hals oder an Gürteln trugen. Über die Sakristeibauten schließlich haben wir vor dem 11. Jahrhundert keine Kenntnis. Der Heiligenkult in den Kirchen und Klöstern war nicht geschlechtsspezifisch, weder hinsichtlich des heiligen Patrons – es lässt sich keine Vorliebe von Frauengemeinschaften für weibliche Heiligenpatrone beobachten – noch hinsichtlich der Kultpraktiken und des Prestiges. Allerdings gibt es Unterschiede im Hinblick auf die Zugänglichkeit der Heiligen für Pilger, die von außen in den Konvent kamen, zumindest dort, wo die geistlichen Frauen in strenger Klausur lebten, wie dies die Regel des Bischofs Caesarius von Arles aus dem 6. Jahrhundert vorsah.4 Die Kanonissen im sächsisch-fränkischen Raum dürften freilich eher den Vorschriften 3

4

Vgl. dazu Kirstin Mannhardt: Das Hildesheimer Bursenreliquiar und der Typus der mittelalterlichen Reliquienbursen, in: Typen mittelalterlicher Reliquiare zwischen Innovation und Tradition. Beiträge einer Tagung des Kunsthistorischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am 22. Oktober 2016, hg. v. Klaus Gereon Beuckers / Dorothee Kemper (Objekte und Eliten in Hildesheim 1130 bis 1250, Bd. 2), Regensburg 2017, S. 47–79. Vgl. dazu Hedwig Röckelein: Inklusion – Exklusion: weiblich – männlich, in: Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt, hg. v. Gert Melville / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Klöster als Innovationslabore, Bd. 1), Regensburg 2014, S. 127–144.

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der Institutio sanctimonialium von 816 gefolgt sein, die es zuließen, dass die Kanonissen mit ihren Mägden in eigenen Wohnungen lebten und nicht in strenger Absonderung. Insofern dürften die Kultorte in Gandersheim und Vreden außerhalb der Messe und des Stundengebets, in denen der Kirchenraum dem Gebet der Sanctimonialen vorbehalten war, für Externe zugänglich gewesen sein. Für die Gründungssituation ausschlaggebend waren – wiederum unabhängig vom Geschlecht – drei Kategorien von Heiligen: erstens diejenigen Heiligen, die das Grundpatrozinium der Gemeinschaft lieferten. Dies sind in der Regel neben­dem Salvator und Maria Missions- oder Konversionsheilige, etwa die Apostel, a­ llen voran der Apostelfürst Petrus, Johannes der Täufer, der Erzmärtyrer ­Stephanus oder der Konvertit Paulus. Von diesen Patronen besaßen die Konvente in der Regel zum Zeitpunkt ihrer Gründung noch keine Reliquien. Sie bemühten sich meist darum, solche zu gewinnen, doch nicht immer gelang ihnen dies. Die zweite Gruppe bilden die importierten Heiligen, von denen die Konvente in der Frühzeit Reliquien empfingen; sie wurden in der Regel nicht in der Gründungszeit zu Patronen und damit zu identitätsstiftenden Rechtsfiguren, sondern erst viele Generationen später, oft ­ btissinnen, gar nicht. Zur dritten Kategorie gehören die Gründer und die ersten Ä die zu Heiligen erhoben wurden. Aber auch dies geschah erst in großem zeitlichem Abstand zur Gründungszeit, nämlich in Zeiten der Krise und Reform des Konventes im hohen oder späten Mittelalter. Bei den Gründungs­patrozinien lassen sich kaum Unterschiede zwischen Männer- und Frauenkonventen beobachten, wie ich anhand einer statistischen Datenerhebung feststellen konnte.5 Unter den importierten Heiligenreliquien hingegen findet sich in den meisten Frauenkonventen eine Gruppe römischer Märtyrerinnen. Vermutlich suchten sich die geistlichen Frauen aus ihnen Rollenvorbilder. Besonders dafür geeignet war die heilige Agnes, das Urbild der geistlichen Jungfrau.

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Vgl. dazu Hedwig Röckelein: Einleitung zum Kapitel ‚Patrone‘, in: Frauen – Kloster – Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom 13. bis 16. Mai 2005 anlässlich der Ausstellung ‚Krone und Schleier‘, hg. v. Jeffrey F. Hamburger u. a. in Kooperation mit dem Ruhrlandmuseum Essen, Turnhout 2007, S. 277–280.

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Fallbeispiele

Brunshausen – Gandersheim6 Das erste Beispiel Gandersheim steht für einen Fall von räumlicher Translozierung einer religiösen Frauengemeinschaft in der Gründungsphase, die einherging mit einem Wechsel des Patroziniums und des Heiligenkultes.7 Dieser Umzug erlaubte es der Sanctimonialengemeinschaft, sich von einer militärischen Umgebung, der befestigten Burganlage einer Adelsfamilie, zu emanzipieren und eine religiös konnotierte Architektur und Umgebung zu schaffen, in der sie sich ausschließlich auf den Kultus und die Memoria konzentrieren konnte. Dies spiegelt sich auch in der Anlage und Funktion der Architektur wider. Auf ihrem Burgareal errichtete die adelige Familie der Liudolfinger in karolingischer Zeit um oder kurz nach 800 eine kleine Hauskapelle.8 Hans Goetting hatte zunächst angenommen, dass diese Kirche unter dem Einfluss Fuldaer Mönche mit dem Patrozinium des heiligen Bonifatius ausgestattet worden sei.9 Klaus Nass hat 6

Im Folgenden stütze ich mich vor allem auf Hans Goetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra N. F., Bd. 7: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Hildesheim, Bd. 1), Berlin/New York 1973. – Hedwig Röckelein: Gandersheimer Reliquienschätze – erste vorläufige Beobachtungen, in: Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften, hg. v. Martin Hoernes / Hedwig Röckelein (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 4), Essen 2006, S. 33–96. – Christian Popp: Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, Bd. 3), Regensburg 2010. – Hedwig Röckelein (Hg., unter Mitarbeit von Thorsten Henke / Maria Julia Hartgen): Der Gandersheimer Schatz im Vergleich. Zur Rekonstruktion und Präsentation von Kirchenschätzen (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, Bd. 4), Regensburg 2013. 7 Zur Lage der verschiedenen geistlichen Einrichtungen in der Sakrallandschaft ‚Gandersheim‘ vgl. Uta Reinhardt / Caspar Ehlers / Lutz Fenske (Bearb.): Die deutschen Königspfalzen, Bd. 4: Niedersachsen. Erste Lieferung: Bardowick–Braunschweig (Anfang), Göttingen 1999, S. 249, Topogr. Karte 1: 25000 Bll. 4026 Lamspringe, 4126 Bad Gandersheim. 8 Vgl. Bauphase I (blau) in der Rekonstruktion der Kirchenbauten auf der Basis der Ausgrabungen 1960–1962 bei Maria Keibel-Maier: Brunshausen. Zur Baugeschichte der ehemaligen Klosterkirche, in: Harz-Zeitschrift 38 (1986), S. 7–19 mit Taf. 1–20. Die Chronologie der Bauten von Keibel-Maier wird derzeit durch Matthias Zirm einer Revision unterzogen. 9 Hans Goetting: Das Benediktiner(innen)kloster Brunshausen. Das Benediktinerinnenkloster St. Marien vor Gandersheim. Das Benediktinerkloster Clus. Das Franziskanerkloster Gandersheim (Germania Sacra N. F., Bd. 8: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Hildesheim, Bd. 2), Berlin/New York 1973, S. 20 f. und 23. – Aus dem Gandersheimer Besitz hat sich zwar eine Bonifatiusreliquie erhalten (Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Inv.

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diese Hypothese allerdings – zu Recht, wie mir scheint – verworfen.10 Wie die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben, dürfte die Kirche zunächst dem Salvator und Johannes dem Evangelisten geweiht gewesen sein.11 Dies wird durch den Fund einer ganz ungewöhnlichen Tuchreliquie aus dem frühen Mittelalter bestätigt, die erst vor wenigen Jahren als solche erkannt, datiert und analysiert worden ist.12 Später kam noch das Patrozinium des Erzmärtyrers Stephanus hinzu, das auf Beziehungen in das Weserkloster Corvey verweist.13 Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts hatte sich an dieser Burgkapelle eine kleine Gruppe von Sanctimonialen versammelt, die durch Hathumod (verst. 874), die Tochter Liudolfs und Odas, geleitet wurde. Für die Gründung dieses Konventes besorgten die Eltern Hathumods während einer Pilgerfahrt nach Rom diverse Reliquien. In ihrem Gepäck führten sie Reliquien der heiligen Päpste Anastasius und Innozenz, der Apostel, der Gottesmutter Maria und möglicherweise auch das besagte Tüchlein.14 Nr. 360), die in einen frühmittelalterlichen Stoff gewickelt ist, sie wurde jedoch erst im 11. Jahrhundert authentifiziert: „Sci bonefacii arhepi et mr“. 10 Klaus Nass: Fulda und Brunshausen. Zur Problematik der Missionsklöster in Sachsen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 59 (1987), S. 1–62. 11 Vgl. Röckelein 2006 (wie Anm. 6), S. 53 und 62. – Zur ubiquitären Verbreitung des SalvatorPatroziniums vgl. Arnold Angenendt: In honore Salvatoris. Vom Sinn und Unsinn der Patrozinienkunde, in: Revue d’histoire ecclésiastique 97 (2002), S. 431–456 und 791–823. 12 Sog. Salvatortüchlein, Bad Gandersheim, Evangelische Stiftskirchengemeinde, Inv. Nr. 394. Inschrift: „Salvatoris / et s(an)c(t)i iohanni / evangelista.“ – Vgl. dazu Annemarie Stauffer: Das Salvatortüchlein aus dem Gandersheimer Reliquienschatz, in: Röckelein/Henke/Hartgen 2013 (wie Anm. 6), S. 125–134 mit Taf. V–VI und S. 347 f. – Vgl. außerdem demnächst Hedwig Röckelein: Reliquienauthentiken des Frühmittelalters aus dem Frauenstift Gandersheim (Niedersachsen), in: Reliquienauthentiken. Kulturdenkmäler des Frühmittelalters, hg. v. Kirsten Wallenwein / Tino Licht, Regensburg 2018. 13 Vgl. Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 1: Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, bearb. v. Paul Kehr, Berlin 1934, Nr. 3, S. 335–337 und Nr. 4, S. 337–339. – Vgl. dazu auch Popp 2010 (wie Anm. 6), S. 38. 14 Diese Aussage ist in der verunechteten sog. älteren Gandersheimer Gründungsurkunde aus den 1040er Jahren inseriert (Niedersächsisches Landesarchiv, Staatsarchiv Wolfenbüttel, 6 Urk. 1. Vgl. Hans Goetting: Die gefälschten Gründungsurkunden für das Reichsstift Gandersheim, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica. München, 16.–19. September 1986, Teil 3: Diplomatische Fälschungen (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 33.3), Hannover 1988, S. 370), die besagt, dass Papst Sergius II. auf Bitten König Ludwigs [des Deutschen, amt. rex Franciae orientalis 833–876] Liudolf und dessen Frau erlaubt habe, diese Reliquien wegzuführen: „corpora Innocentii et Anastasii paparum necnon et reliquias domini ac salvatoris nostri sanctęque suę genitricis Marię atque duodecim

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Anlässlich der Ankunft der Reliquien ließ die Gründerfamilie eine Basilika errichten, vermutlich mit einer Empore für die Nonnen im Westen. Allerdings weist dieser Bau15 keine Einrichtungen für die Unterbringung dieses beeindruckenden Reliquienschatzes auf, weder eine Krypta noch eine Confessio. Vermutlich wurden das Tüchlein und die Berührungsreliquien der Apostel und des heiligen Stephan in mobilen Behältern verwahrt. Man kann hier an einen Tragaltar oder ein Bursenreliquiar denken. Für die Ganzkörperreliquien der heiligen Päpste müsste indes ein größeres Behältnis angefertigt worden sein. Jahre später begann die Adelsfamilie damit, etwa zwei Kilometer südlich von Brunshausen an der Gande einen Konvent für die Sanctimonialengemeinschaft erbauen zu lassen. Die Kirche dieses Klosters wurde 881 vom Hildesheimer Bischof geweiht; der Umzug erfolgte etwa um diese Zeit oder kurz danach. Die Sanctimonialen zogen die seither verstorbenen Äbtissinnen ihres Konventes mit um und legten sie in der nördlichen Chorseitenkapelle vor einem Maria geweihten Altar nieder.16 Den Leichnam ihres Gründers Liudolf (verst. 866) – die Gründerin Oda (verst. 913) lebte damals noch! – betteten sie in die südliche Chorseitenkapelle vor den Altar des heiligen Stephanus.17 Der Stephansaltar diente als Pfarraltar für die Stiftshörigen und war von außen her zugänglich, sodass diese die Kanonissen nicht störten, wenn sie zum Gottesdienst gingen. Die Reliquien der heiligen Päpste Innozenz und Anastasius wurden im oder unter dem Hochaltar aufgestellt.18 Für einige Partikel des Anastasius fertigte man zudem eine tragbare Burse an, die noch apostolorum ad predictum sanctum locum deferenda libenter praebuimus.“ – Dass die Reliquien mit Unterstützung des Hildesheimer Bischofs Altfrid (amt. 851–874) nach Gandersheim gebracht worden sind, lässt sich nach meinen neueren Untersuchungen nicht halten: vgl. Hedwig Röckelein: Altfrid, Gründer des Stifts Essen und international agierender Kirchenmann?, in: Frauen bauen Europa, hg. v. Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 9), Essen 2011, S. 27–64. – Die Ankunft der Gebeine der beiden Päpste Innozenz und Anastasius ist in Gandersheim vielfach bezeugt: vgl. dazu Röckelein 2006 (wie Anm. 6), S. 47–53. – Popp 2010 (wie Anm. 6), S. 23–34. 15 Nach neuesten Erkenntnissen von Matthias Zirm, der die Altgrabungen der 1960er Jahre untersucht, dürfte dies der von Keibel-Maier 1968 (wie Anm. 8) für Bau III gehaltene Bau sein. 16 Zur Lage der Altäre und des möglichen Liudolf-Grabes vgl. Karl Steinacker (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, Bd. 5: Die Kunstdenkmale des Kreises Gandersheim (Kunstdenkmälerinventare Niedersachsens, Bd. 12), Wolfenbüttel 1910, S. 92, Abb. 52, S. 131 und 167. 17 Die südliche Chorseitenkapelle ist archäologisch schlecht dokumentiert, daher ist unklar, ob Liudolf hier schon im 9. Jahrhundert oder erst nach Umbauten im 11./12. Jahrhundert an dieser Stelle seinen Platz fand. Vgl. dazu Popp 2010 (wie Anm. 6), S. 52 f. 18 Vgl. Röckelein 2006 (wie Anm. 6), S. 64 und 67.

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im späten Mittelalter bei den Rogationsprozessionen durch die Flure des Stifts getragen wurde.19 Das Patrozinium aus Brunshausen übernahmen die Kanonissen in ihrer neuen Bleibe hingegen nicht. Sie unterstellten die neue Einrichtung der Gottesmutter Maria und Johannes dem Täufer, dem sich im Verlauf des Hochmittelalters dann die Päpste Innozenz und Anastasius zugesellten.20 Auf dem Kapitelsiegel des 13. Jahrhunderts wird der Täufer von den beiden Päpsten flankiert.21 Im 17. Jahrhundert überführte Äbtissin Christina II. (amt. 1681–1693) die Reliquien der Päpste in den Archivschrank auf der Westempore der Stiftskirche.22 1958 hat man sie im Zuge einer Renovierungsmaßnahme in der Stiftskirche in der Krypta begraben.23 In der zweiten Hälfte des 9.  Jahrhunderts gelang es den Liudolfingern mehrfach, Ehen mit ostfränkischen Karolingern zu schließen.24 Diese Beziehungen eröffneten ihnen den Zugang zu weiteren hochrangigen Reliquien: einer Reliquie vom heiligen Blut Christi (während der Regierung der Äbtissin Gerberga I., amt. 874–896/97), die vielleicht identisch ist mit der, die heute in Gandersheim in einem fatimidischen Bergkristall verwahrt wird,25 und einer Reliquie vom Kreuz Christi.26 Beide wurden im Kreuzaltar vor den Stufen des Hochchores verwahrt und gezeigt,27 vor dem 995 Herzog Heinrich der Zänker (Herzog von Bayern amt. 19 Belegt 1429, vgl. Röckelein 2006 (wie Anm. 6), S. 67. Die Burse ist nicht erhalten, daher ist nicht bekannt, wann sie angefertigt wurde. 20 Laut dem spätmittelalterlichen Chronisten Heinrich Bodo von Clus standen Johannes Baptista sowie Anastasius und Innozenz bereits bei der Weihe 881 fest. Der älteste urkundliche Beleg dafür ist allerdings erst das Privileg Lothars von Süpplingenburg von 1134 (Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 8: Die Urkunden Lothars III. und Kaiserin Richenza, hg. v. Emil von Ottenthal / Hans Hirsch, Berlin 1927, Nr. 59, S. 92–94). 21 Von diesem Siegel sind nicht nur Abdrücke auf Urkunden erhalten, sondern sogar das Typar: Wolfenbüttel, Staatsarchiv, Typar 2 Slg 1 C 2. 22 Vgl. dazu Martin Hoernes: Ein Schrank voller Geschichte. Ein barocker Archivschrank aus dem ehemaligen Reichsstift Gandersheim, in: Jahrbuch für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 73 (2005), S. 65–78. 23 Vgl. dazu Röckelein 2006 (wie Anm. 6), S. 67. 24 Liudolfs Tochter Liutgard (verst. 885) wurde – vermutlich im Herbst 869 – mit Ludwig III., d. J. (verst. 882), verheiratet, Liudolfs Enkelin Uota/Oda (verst. nach 952) 879 mit Zwentibold (verst. 900). 25 Bad Gandersheim, Evangelische Stiftskirchengemeinde, Inv. Nr. 79t. 26 Vgl. dazu Christian von Heusinger: Zu zwei Hauptstücken aus dem Gandersheimer Stiftsschatz, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 43/44 (2004/05), S. 9–61. 27 Vgl. Die Gandersheimer Reimchronik des Priesters Eberhard, hg. v. Ludwig Wolff, Tübingen 21969 (EA Halle 1927), c. 10–11, S. 26–31 und c. 14, S. 36. – Zur Lage des Kreuzaltars siehe den Grundriss bei Steinacker 1910 (wie Anm. 16), S. 92, Abb. 52.

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955–967 und 985–995; Herzog von Kärnten amt. 989–995) aus der bairischen ­Linie der Liudolfinger seine letzte Ruhestätte finden sollte. Ebenfalls noch in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts erhielten die Ganders­ heimer Kanonissen – vermutlich aus dem Benediktinerkloster Corvey an der ­Weser – Reliquien der römischen Märtyrer Marcianus, Primitivus, Caecilia und Tiburtius, die bis heute in ihrem ursprünglichen Behälter liegen, einem rechteckigen Kasten aus Kirschholz mit einem Schiebedeckel.28 Der Kasten mit den Maßen 38 × 7,3 × 9 cm ist zu groß für eine Unterbringung in der Mensa eines Altars; im Stipes könnte er aber gut Platz gefunden haben. Um die Jahrtausendwende wurde in Gandersheim ein Tragaltar angeschafft, der laut der Inschrift auf der Rückseite ebenfalls Reliquien enthielt29 – wir wissen aber nicht, welche. Im Gandersheimer Konvent brachen im Hochmittelalter zweimal Brände aus: der erste im Jahr 973, der zweite während der Regierung der Äbtissin Adelheid II. (amt. 1061–1096). Bei den anschließenden Renovierungen schuf man noch keine dezidierten Ausstellungseinrichtungen für die Heiltümer. Dies änderte sich im 12. Jahrhundert, als eine Krypta eingebaut wurde. Allerdings wurde sie nicht als Confessio für einen Heiligen errichtet, sondern als Grablege für Herzog Otto den Erlauchten (amt. 880–912?), den Sohn Liudolfs und Odas, der der ottonischen ­Königsdynastie seinen Namen verliehen hatte. Im Chorscheitel der Krypta entstand ein Altar, der dem heiligen Nikolaus geweiht war.30 Im 13. Jahrhundert wird der Kult für den Gründer Liudolf promulgiert und bei dieser Gelegenheit ein hölzerner, verschließbarer Sarkophag mit der lebensgroßen 28 Gandersheim, Evangelische Stiftskirchengemeinde, Inv. Nr. 079h. Der Inhalt ergibt sich aus einer in Tinte aufgebrachten Inschrift an einer der beiden Längsseiten des Kastens. – Zu dem Objekt vgl. Hedwig Röckelein: Der Corveyer Heiligenkult des Mittelalters im Spiegel frühneuzeitlicher Überlieferung, in: Heilige – Liturgie – Raum, hg. v. Dieter R. Bauer u. a. (Beiträge zur Hagiographie, Bd. 8), Stuttgart 2010, S. 77–98. – Vgl. auch demnächst ausführlich Röckelein 2018 (wie Anm. 12). 29 Gandersheim, Evangelische Stiftskirchengemeinde, Inv. Nr. 057. Inschrift: „CORPORA S(AN)C(T)ORV(M) IN PACE SEPVLTA TVORUM / HIC VT MVNIMEN CERTV(M) SINT OMNIBVS AMEN/ME SI PORTE(T) LOCO QVISP(IAM) SVSTOLLAT AB IPSO: / ­DELEAT HVNC IPSVM XPO DE SORTE SVORVM.“ Zur Neudatierung „um 1000“ aufgrund der ­dendrochronologischen Untersuchung vgl. Hedwig Röckelein: Das Forschungsprojekt ‚Frauens­tift Gandersheim‘ zieht Bilanz, in: Röckelein/Henke/Hartgen 2013 (wie Anm. 6), S. 13–18, hier S. 15. 30 Zur Lage vgl. Miriam Gepp: Die Stiftskirche in Bad Gandersheim. Gedächtnisort der Ottonen, München/Berlin 2008, Nr. 4, S. 14.

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Liegestatue angefertigt.31 Er war zunächst wahrscheinlich in der Stephanskapelle aufgestellt; heute steht er in einer der im Spätmittelalter angebauten nördlichen Seitenkapellen. An Liudolfs Todestag, dem 12. März, fand eine Prozession durch den Chor, die Chorseitenkapellen mit dem Marien- und Stephansaltar sowie durch die Krypta statt, auf der die mobilen Reliquiare mitgeführt wurden.32 An diesem Tag gedachte der gesamte Konvent seiner Anfänge und Ursprünge, die nun fest mit der Person Liudolfs verknüpft wurden. Im Hinblick auf unsere Ausgangsfragen können wir festhalten, dass die Sanctimonialiengemeinschaft in Brunshausen zwar bereits im 9.  Jahrhundert hochrangige Reliquien erhielt, dass für deren Unterbringung aber weder in der ersten Kapelle noch in der darauffolgenden Basilika besondere bauliche Vorrichtungen getroffen wurden. Dies änderte sich auch nicht in der neuen Kirche an der Gande, in die die Gemeinschaft Anfang der 880er Jahre umzog. In der Gandersheimer Stiftskirche waren zwar eigens Gebets- und Memorialkapellen für die ersten Äbtissinnen und den Gründer Liudolf angelegt worden, aber nicht für die Heiltümer. Diese fanden ihren Platz am Hauptaltar und in den Mensen und Unterbauten der Seitenaltäre. Bei ihrem Umzug nahmen die Kanonissen das Patrozinium aus Brunshausen nicht mit, sondern gaben sich durch die Wahl eigener Schutzpatrone eine neue Identität. In der Folgezeit erwarben sie weitere hochrangige Reliquien, zu denen ihnen die Eheschließungen mit den Karolingern verhalfen; doch auch diese Heiltümer wurden nicht in eigenen Funktionsräumen untergebracht. Vielmehr fanden sie ihren Platz in den fixen Altären, in einem Tragaltar und in einer Burse, die auf Flurprozessionen mitgetragen werden konnten. Selbst die Krypta, die im 12. Jahrhundert unter dem Hochchor eingebaut wurde, diente nicht der Unterbringung der Heiligen, sondern als Grablege des Grafen Ottos des Erlauchten. Als man schließlich im 13. Jahrhundert begann, den Stifts- und Kirchengründer Liudolf als Heiligen zu verehren, präsentierte man ihn in einem hölzernen, mobilen Sarkophag, der in der Folgezeit an wechselnden Orten innerhalb des Kirchenraumes aufgestellt wurde.

31 Der Gründer ist mit einem Schwert und einem Modell der Stiftskirche in Händen ausgestattet. Vgl. dazu Jan Friedrich Richter: Gotik in Gandersheim. Die Holzbildwerke des 13. bis 16. Jahrhunderts (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, Bd. 2), Regensburg 2010, Kat. Nr. 1, S. 16-21. 32 Zum Registrum chori Gandesheimensis, Anfang 16. Jahrhundert vgl. Popp 2010 (wie Anm. 6), S. 53 f.

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Vreden33 Das zweite Beispiel, Vreden, mag für den Zwei-Kirchen-Typus stehen. Hier wurden zwei Kirchen in unmittelbarer Nähe errichtet,34 für die eine funktionale Spezialisierung in den Schriftquellen erst im späten Mittelalter erkennbar wird: Die Kirche St. Georg diente nun als Pfarrkirche und als Sitz der Kanoniker, die Kirche St. Felicitas als Sitz der Kanonissen. An den hohen Festtagen und im Rahmen liturgischer Umzüge betraten die Kanoniker und die Laien aber auch die Frauenkirche. Trotz der Ausgrabungen nach dem Zweiten Weltkrieg und der inzwischen durch Harald Weiss veröffentlichten Grabungsunterlagen ist nach wie vor unklar, wann der erste Bau unter der Felicitaskirche errichtet wurde und wie sich die Funktionen der beiden Gotteshäuser in den früheren Phasen des Mittelalters unterschieden. Sicher ist dagegen, dass die spätere Georgskirche – ihr ursprüngliches Patrozinium kennen wir nicht – bis in die Karolingerzeit zurückreicht.35 Bereits in der Bauphase Ia (um 820/30?) wurde eine bereits bestehende Kirche mit einer Außenkrypta versehen,36 einer Umgangskrypta, wie wir sie aus der Klosterkirche von Corvey und aus den Kathedralkirchen von Halberstadt, Paderborn und Hildesheim kennen. Diese ringförmigen Kryptenanlagen wurden nach westfränkischen Vorbil33 Im Folgenden stütze ich mich vor allem auf Röckelein 2002 (wie Anm. 2). – Uwe Lobbedey: Die Frauenstiftskirche zu Vreden. Bemerkungen zur Architektur und Liturgie, in: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, hg. v. Jan Gerchow / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 2), Essen 2003, S. 185–218. – Harald Weiss: Die Baugeschichte von St. Georg zu Vreden, Kr. Borken. Die Ergebnisse der Ausgrabungen 1949–1951 und 2003– 2004, Rahden 2010. – Julia von Ditfurth: Wandel der Strukturen. Barockisierungsprozesse in Damenstifts- und Frauenklosterkirchen in Westfalen, Regensburg 2016. – Hedwig Röckelein: Heilige und Reliquien aus den Vredener Kirchen St. Felicitas und St. Georg, in: Sankt Felicitas in Vreden. Verehrung – Kirche – Kirchenschatz, hg. v. Julia von Ditfurth / Volker Tschuschke (Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde, Bd. 97), Vreden 2017, S. 45–108. – Dies.: Die Stellung der Frauenstifte im Hoch- und Spätmittelalter und die Rolle der Klerikergemeinschaften, Vortrag Reichenau im Herbst 2017: Zwischen Klausur und Welt. Autonomie und Interaktion spätmittelalterlicher geistlicher Frauengemeinschaften. Die Publikation dieses Beitrages ist in Vorbereitung und erscheint voraussichtlich 2019. 34 Zur Lage der Vredener Kirchen unter ihrer Zugehörigkeit zu den Kirchenprovinzen Köln und Münster vgl. den Plan ,Wachstumsphasen der Stadt Vreden 1:5000‘. Entwurf bei Wilfried Ehbrecht: Vreden, in: Westfälischer Städteatlas, hg. v. Heinz Stoob, Lieferung 2, Nr. 14: Vreden, Dortmund 1981, Taf. 2. 35 Zum Gesamtplan der archäologischen Ausgrabungen von Winkelmann und Weiss vgl. Weiss 2010 (wie Anm. 33), Beilage 1. 36 Zum Baubefund, seiner Datierung und Interpretation vgl. Weiss 2010 (wie Anm. 33), S. 231 f. – Vgl. auch den Beitrag von Julia von Ditfurth in diesem Band mit einer Abbildung.

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dern dezidiert für die Aufbewahrung von Heiligen angelegt und zur Regulierung des Pilgerverkehrs, der nach dem Erwerb solcher Heiligen zu erwarten war. In Vreden hat man 839 die Reliquien der römischen Märtyrer Felicitas, Agapit und Felicissimus in Empfang nehmen können;37 vermutlich wurde die Ringkrypta für deren Verehrung errichtet. Obwohl diese Anlage bis in ottonische Zeit unvermindert bestehen blieb, fand keiner dieser Heiligen Aufnahme in das Patrozinium der Kirche. Dies änderte sich auch nicht, als um 980 die karolingische Umgangskrypta durch eine Hallenkrypta ersetzt wurde (Bau II) und diese wiederum nach einem Brand um 1030 erneuert werden musste (Bau III).38 Es ist keineswegs sicher, dass die Hallenkrypten der Ottonen- und Salierzeit als Orte der Heiligenverehrung errichtet wurden; zu denken ist auch oder vielleicht eher an eine Grablege für die Kanoniker. Ob die zweite Kirche, die nach der heiligen Felicitas benannt wurde, ebenfalls bereits Vorgänger aus karolingischer Zeit hatte, ist ungewiss. Uwe Lobbedey nimmt an, dass an dieser Stelle Mitte des 11. Jahrhunderts eine dreischiffige, vierjochige Hallenkrypta errichtet wurde, die nach einem Brand von Bischof Liemar von Bremen (amt. 1072–1101) um 1085 in der heutigen Form wiedererrichtet wurde.39 Ob der Altar darin bereits zu diesem Zeitpunkt zu Ehren des Münsteraner Heiligen Liudger geweiht wurde, muss offen bleiben.40 Im späten Mittelalter verlagerte sich die Verehrung der namengebenden Märtyrerin Felicitas ganz auf diese Kirche, in der die Stiftsfrauen ihr Stundengebet abhielten, in der die Äbtissin ihren weltlichen Aufgaben als Gerichtsherrin nachkam und in der sich die Kanoniker und das Volk zu den hohen Festtagen zur Liturgie und zu Prozessionen einfanden.41 Felicitas und ihre sieben Söhne wurden zu den identitätsstiftenden Figuren der Gesamtheit des Stifts aus Kanonissen und Kanonikern; das belegt ihr Bild auf dem Kapitelssiegel des späten Mittelalters.42 Die Reliquien der Schutzpatronin wurden nun im Hauptaltar der Frauenkirche verwahrt. Den Schlüssel zum Schrein verwahrten die Äbtissin und die Kanoniker gemeinsam; nur gemeinsam konnten sie ihn öffnen und die Reliquien für die jährliche Heiltumsweisung herausnehmen und sie anschließend reponieren. 1752 wurden die Reliquien der Felicitas mit de37 38 39 40 41

Die schriftlichen Quellenbelege bei Röckelein 2017 (wie Anm. 33), insb. S. 57–62. Vgl. dazu Weiss 2010 (wie Anm. 33), S. 232 f. Lobbedey 2003 (wie Anm. 33), S. 189–192. Zum Liudgerkult vgl. Röckelein 2017 (wie Anm. 33), S. 92 f. Zur Binnenorganisation der Stiftskirche und zu den Altären vgl. von Ditfurth 2016 (wie Anm. 33), S. 173–242. 42 Erhalten als geprägtes Siegel an einer Urkunde von 1350 Dezember 24.

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nen des heiligen Bischofs Aurelius in einen Bleikasten gelegt und im Matthiasaltar an der Südwand der Stiftskirche eingeschlossen, der im frühen 17.  Jahrhundert neu errichtet worden war. Dieses Bleireliquiar ist seit 1989 neu gefasst im Stipes des Zelebrationsaltars in Vreden zu sehen. In Vreden scheint in der Frühzeit des Stifts die später nach dem Patron Georg benannte Kirche die kultisch bedeutsamere gewesen zu sein. Die Funktionstrennung zwischen Herren- und Frauenkirche bahnte sich hier bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts an, mindestens fünfzig Jahre bevor das Zweite Laterankonzil im Jahr 1139 die Trennung des Chorgebets von Kanonissen und Kanonikern vorschrieb. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts scheint der karolingische Heiligen- und Reliquienkult, der Anlass zur Errichtung der monumentalen Umgangskrypta unter St. Georg gegeben hatte, bereits bedeutungslos geworden zu sein.

Resümee

An die beiden Fallbeispiele sollten sich zunächst einige methodische Überlegungen anschließen. Es ist nicht leicht, Zuverlässiges über die bauliche Situation der in der Karolingerzeit gegründeten Frauenstifte in Erfahrung zu bringen, da das aufgehende Mauerwerk in der Regel nicht über die salisch-staufische Periode des 11./12. Jahrhunderts zurückreicht. Wir dürfen zumindest seit dem hohen Mittel­ alter mit Kirchenfamilien auf dem Gelände von Frauenstiften rechnen. Dazu gehören nicht nur die Hauptkirchen selbst, sondern auch eine Reihe von Kapellen mit Sonderfunktionen etwa für den Totenkult.43 Die Genese und funktionale Differenzierung solcher Gebäude in der Karolingerzeit lässt sich aus den archäologischen Befunden oft nicht befriedigend klären und deuten. Auch wenn wir über den Empfang von Reliquien in der Gründungsphase dank schriftlicher Quellen relativ gut informiert sind, so erfahren wir daraus nichts über die kultischen Praktiken; darüber könnte uns nur die Architektur und die Raumdisposition Auskunft geben. Wo die Überreste der Heiligen verwahrt wurden, lässt sich jedoch im Normalfall nicht feststellen, da ihnen keine eigenen Gebäudeteile reserviert waren, es sei 43 Vgl. dazu an anderen Fallbeispielen Katrinette Bodarwé: ‚Kirchenfamilien‘ – Kapellen und Kirchen in frühmittelalterlichen Frauengemeinschaften, in: Herrschaft, Liturgie und Raum. Studien zur mittelalterlichen Geschichte des Frauenstifts Essen, hg. v. Katrinette Bodarwé / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 1), Essen 2002, S. 111–131.

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denn, man hat es mit einem exzeptionellen Fall wie der Vredener Umgangskrypta zu tun. In aller Regel findet man aber eher eine Situation wie in Gandersheim vor: die Unterbringung der Reliquien in Altären oder mobilen Behältern (Tragaltären, Bursenreliquiare, Pectoralia). Dass die Krypten, die im Hochmittelalter nachträglich eingebaut wurden, in erster Linie dem Heiligenkult dienten, ist keineswegs gesichert. Wie wir in Gandersheim und in Vreden gesehen haben, wurden sie im Hochmittelalter eher als Memorialorte für die Kanoniker oder eine Gründer­ persönlichkeit eingerichtet denn als Confessio für die Heiligen. Was ist nun geschlechtsspezifisch am Reliquienkult und an der baulichen Disposition der Frauenstifte? Zunächst einmal gar nichts. Männer- und Frauenkonvente waren gleichermaßen daran interessiert, unmittelbar nach ihrer Gründung in den Besitz von Reliquien zu gelangen und diese im Verlauf des Mittelalters zu mehren. Weder die Wahl der Gründungspatrozinien noch die importierten Reliquien stehen in irgendeinem Zusammenhang mit dem Geschlecht der Stiftsbewohner. In Bezug auf die Gründungspatrozinien ist Gandersheim typisch und untypisch zugleich für Frauenklöster und -stifte des frühen und hohen Mittelalters: Maria, Johannes Baptista und Johannes Evangelista gehören neben Petrus und Stephan zu den häufigsten Gründungspatrozinien von Frauenkonventen überhaupt. Ungewöhnlich an Gandersheim ist indes, dass die beiden Johannesse schon so früh zu Gründungspatronen gewählt werden. Wie die Statistik zeigt,44 kommen diese andernorts erst im 12./13. Jahrhundert als Patrone von Frauenkonventen in Mode, wohingegen in der Merowinger- und Karolingerzeit Petrus am häufigsten von Frauen gewählt wird; dieser ist aber in Gandersheim gar nicht vertreten. In Vreden kommt er immerhin zusammen mit Paulus zur Geltung, ein Symbol der kirchenrechtlichen Teilung der Siedlung in das Bistum Münster (Paulus) und die Erzdiözese Köln (Petrus). Man sollte meinen, dass die aktive Wallfahrt zu einer Frauenklosterkirche zu Konflikten führen müsste wegen der Einschränkungen während der Gebetszeiten und der Klausur der geistlichen Frauen. Offenbar ließ sich dieses Problem aber für Frauenstifte, wie am Beispiel von Vreden zu sehen, – nicht unbedingt für streng klausuriert lebende Frauen – genauso gut mit einer Umgangskrypta lösen wie für das Männerkloster in Corvey oder die sächsischen Kathedralkirchen. Wie im Falle von Gandersheim erhellt, verschaffte man den Laien Zugang zu einer Kapelle

44 Vgl. dazu Röckelein 2007 (wie Anm. 5).

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durch eine zusätzliche Tür nach außen; für Massen von Besuchern eignete sich diese Lösung freilich nicht. Es kann nicht stark genug betont werden, dass eine Zwei-Kirchen-Lösung für die Kanonissen und die Kanoniker wie in Vreden nur selten gewählt wurde. Gandersheim repräsentiert hier eher den Normalfall: getrennte Bereiche innerhalb ­einer Kirche für das Stundengebet der Kanonissen und der Kanoniker und strikte räumliche Trennung der Wohnbereiche beider Geschlechter in der Weise, dass die Kurien der Kanoniker außerhalb der stiftischen Immunität lagen.45

45 Zu weiteren separierenden Einrichtungen im hohen und späten Mittelalter vgl. Vortrag Röckelein 2017 (in Druckvorbereitung, wie Anm. 33).

Chorus dominarum – zum Ort des Frauenchores in frühmittelalterlichen Stiftskirchen Julia von Ditfurth

Die Empore gilt spätestens seit Irmingard Achters Untersuchung zu Querarm­ emporen in Damenstiften als bauliches Spezifikum von Frauenstiftskirchen, welches sie architektonisch von Männerkonventskirchen unterscheidet.1 Wurde zunächst angenommen, man habe die Emporen in Frauenstiftskirchen von Westen ab dem 12.  Jahrhundert nach Osten in einen der Querhausarme verlegt,2 so ist seit Hilde Claussens Beobachtungen zu den Ursprüngen der Querhausemporen in Damenstiftskirchen Forschungskonsens, dass die Querarmemporen keine Vorläufer im Westen hatten und später verlegt worden sind, sondern genuin in den Ostteilen der Kirche platziert waren.3 Dort sind sie seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert zu finden, vermehrt seit dem 12.  Jahrhundert.4 Für die ersten Kirchen 1 Irmingard Achter: Querschiff-Emporen in mittelalterlichen Damenstiftskirchen, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 30/31 (1985), S. 39–54. 2 Vgl. Karl Heinrich Schäfer: Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung im Zusammenhang mit dem altchristlichen Sanktimonialentum (Kirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 43/44), Stuttgart 1907, S. 188–191. – Hans Thümmler: Die frühromanische Baukunst in Westfalen. Neue Bauforschungen an St. Patrokli in Soest, der Abdinghofkirche in Paderborn und der Stiftskirche in Vreden, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 27 (1948), S. 177–214, hier S. 213. – Achter 1985 (wie Anm. 1), S. 50. 3 Hilde Claussen / Uwe Lobbedey: Die karolingische Stiftskirche in Meschede. Kurzer Bericht über die Bauforschung 1965–1981, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 67 (1989), S. 116–126, hier insb. S. 125 f. – Vgl. auch Gisela Muschiol: Architektur, Funktion und Geschlecht: Westfälische Klosterkirchen des Mittelalters, in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und Spiritualität, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 2003, S. 791–811, hier S. 804. 4 Zur hölzernen Frauenempore in Freckenhorst aus der Zeit um 1090 vgl. Uwe Lobbedey: Wohnbauten bei frühen Bischofs-, Kloster- und Stiftskirchen in Westfalen nach den Ausgrabungsergebnissen, in: Wohn- und Wirtschaftsbauten frühmittelalterlicher Klöster. Internationales Symposium, 26.9.–1.10.1995 in Zurzach und Müstair, hg. v. Hans Rudolf Sennhauser (Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Bd. 17), Zürich 1996, S. 91–105, hier S. 99. – Uwe Lobbedey: Bemerkun-

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von Frauenkonventen, die zu ihrer Gründungszeit im 8., 9. oder 10. Jahrhundert entstanden sind, konnten bisher keine Emporen nachgewiesen werden.5 Mit einer Ausnahme: Hilde Claussen und Uwe Lobbedey schlagen für die Rekonstruktion der karolingischen Stiftskirche in Meschede aus der Zeit um 900 Querarmemporen vor und verorten auf der südlichen Empore den Frauenchor.6 Das wirft die Frage auf, welche anderen Möglichkeiten es in den frühmittelalterlichen Stiftskirchen gegeben hat, den Ort des Frauenchores (architektonisch) zu determinieren. Dass eine Separierung des Frauenkonventes von den männlichen Geistlichen und eventuell Konventsfremden, wie den Mitgliedern einer inkorporierten Pfarrgemeinde oder Pilgern, gefordert war, diese aber nicht unbedingt über die Architektur zu erfolgen hatte, wurde bereits von Gisela Muschiol erkannt: Nach der Institutio sanctimonialium Aquisgranensis von 816 sollten die Frauen den Messen und dem Stundengebet hinter einem verschlossenen Vorhang beiwohnen, der sie von dem Altar und dem zelebrierenden Priester trennte.7 Hinweise auf die gen zur ursprünglichen liturgischen Nutzung der Stiftskirche zu Freckenhorst, in: Freckenhorst 851–2001. Aspekte einer 1150jährigen Geschichte, hg. v. Klaus Gruhn (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Warendorf, Bd. 38), Warendorf-Freckenhorst 2000, S. 31–44, hier S. 37. – Vgl. auch den Beitrag von Adam Stead in diesem Band. 5 Vgl. z.  B. Gerhard Leopold: Frauenemporen in Stifts- und Klosterkirchen des frühen Mittelalters im östlichen Sachsen, in: ‚Es Thvn Iher Viel Fragen …‘ Kunstgeschichte in Mitteldeutschland. Hans Joachim Krause gewidmet, hg. v. Reinhard Schmitt / Uwe Steinecke / Mario Titze (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd. 2), Petersberg 2001, S. 15–30. –M ­ uschiol 2003 (wie Anm. 3), S. 789 und 801–804 geht zwar von einer Vielzahl an Emporen in westfälischen Frauenstiftkirchen bereits im Frühmittelalter aus, bezieht sich aber oft nicht auf den Gründungsbau. 6 Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3). 7 Gisela Muschiol: Liturgie und Klausur: Zu den liturgischen Voraussetzungen von Nonnenemporen, in: Studien zum Kanonissenstift, hg. v. Irene Crusius (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 167; Studien zur Germania Sacra, Bd. 24), Göttingen 2001, S. 129–148, hier S. 133. – Vgl. auch Otfried Ellger: Das ‚Raumkonzept‘ der Aachener Institutio sanctimonialium von 816 und die Topographie sächsischer Frauenstifte im früheren Mittelalter. Eine Problemübersicht, in: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, hg. v. Jan Gerchow / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 2), Essen 2003, S. 129–159, hier S. 140 f. – Muschiol 2003 (wie Anm. 3), S. 800. – Ellger und vor ihm bereits Katrinette Bodarwé und Gisela Muschiol werten den Vorhang als Beleg für die Öffentlichkeit der Stiftskirche, die also nicht exklusiv dem weiblichen Konvent vorbehalten war, sondern mit weiteren, konventsexternen Personen und Personengruppen rechnete, wie beispielsweise einer Pfarrgemeinde. Vgl. Katrinette Bodarwé: ‚Kirchenfamilien‘ – Kapellen und Kirchen in frühmittelalterlichen Frauengemeinschaften, in: Herrschaft, Liturgie und Raum. Studien zur mittelalterlichen Geschichte des Frauenstifts Essen, hg. v. Katrinette Bodarwé / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 1), Essen 2002, S. 111–131, hier S. 118. – Zum Ver-

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tatsächliche Umsetzung dieser Vorgabe scheint es bislang nicht zu geben, zumal die Institutio sanctimonialium – folgt man Otfried Ellger – ohnehin eher als eine ungefähre Richtschnur denn als strenge Regel verstanden wurde.8 Schriftliche Quellen aus dem Frühmittelalter liegen zu den Gründungsbauten von Frauenkonventen in den meisten Fällen nicht vor.9 Wenn Schriftzeugnisse mit dem ersten Bau in Verbindung gebracht werden können, sind diese sehr allgemein. Der Gründungsbau des Kanonissenstifts in Geseke beispielsweise wird in einer Urkunde Ottos III. (amt. 983–1002) 986 erwähnt, aber nur als „constructe et consecrate“, also als errichtet und geweiht, bezeichnet.10 Ob und wenn ja in welchem Punkt dieser in Bezug auf seine Architektur frauenspezifisch ausgebildet war oder wo sich der Frauenchor befunden hat, geht daraus nicht hervor. Liturgische Quellen, die die Handlungen im Kirchenraum und damit auch bis zu einem gewissen Maße diesen selbst beschreiben, sind für das Frühmittelalter nicht überliefert.11 Auch wenn der Bestand der Gründungsbauten stark reduziert ist, bilden die erhaltenen Bauteile, archäologische Funde sowie Baurekonstruktionen somit die einzig auswertbare Materialgrundlage. Matthias Wemhoff hat anhand der archäologischen Befunde von Frauenstiftskirchen in Westfalen herausarbeiten können, dass in diesem Gebiet in der Regel

hältnis von Stiftskirchen und ihren Pfarrgemeinden vgl. Hedwig Röckelein (Hg.): Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 7), Essen 2009. 8 Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 140 f. 9 Vgl. z. B. Klaus Lange: Die ehemalige Stiftskirche in Herdecke. Baugeschichte – Bauschichten, Essen 1997, S. 18 zur Quellenlage in Herdecke. – Wolfgang Petke: Stift Ringelheim zwischen Adel, König und Bischof (um 941 bis 1150), in: Salzgitter-Jahrbuch 15/16 (1993/94), S. 91–110, hier S. 91 zu Ringelheim. – Katrin Eichler: Zur Baugeschichte der drei Regensburger Damenstifte. Nieder-, Ober- und Mittelmünster, Regensburg 2009, S. 26 und 69 zum Niedermünster, S. 280 zum Obermünster in Regensburg. – Sabine Klapp: Das Äbtissinnenamt in den unterelsässischen Frauenstiften vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Umkämpft, verhandelt, normiert (Studien zur Germania Sacra N. F., Bd. 3), Berlin/Boston 2012, S. 402 zu St. Stephan in Straßburg. 10 Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 2.2: Die Urkunden Otto des III., hg. v. Theodor Sickel, Hannover 1893, Nr. 29, S. 428 f., hier S. 429. – Vgl. Ulrich Löer: Das adlige Kanonissenstift St. Cyriakus zu Geseke (Germania Sacra N. F., Bd. 50: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Erzbistum Köln, Bd. 6), Berlin/New York 2007, S. 17 f. 11 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Westbauten ottonischer Damenstifte und ihre liturgische Funktion. Eine Skizze, in: Kunst und Kultur in ottonischer Zeit. Forschungen zum Frühmittelalter, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 3), Regensburg 2013, S. 73–118, hier S. 73 f.

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der Typus einer mehrschiffigen Anlage mit Querhaus im Osten gewählt wurde.12 Dies gelte für die meisten Kirchen des 9. Jahrhunderts, wobei in Westfalen keine Entwicklung von einfach strukturierten Räumen zu komplexeren zu verzeichnen sei, sondern die Frauenstiftskirchen von Anfang an als komplexe Anlagen konzipiert worden seien. Wemhoff leitet daraus die Frage ab, ob die Wahl dieses Bautyps im Zusammenhang mit der Liturgie des Frauenkonventes gestanden haben kann und die Kanonissen bereits im 9. Jahrhundert ihren Sitz in einem der Querhausarme gehabt haben könnten.13 Dieser Sitz sei wohl ebenerdig oder auch auf einer Empore zu denken, die – sofern heute keine Spuren im aufgehenden Mauerwerk nachgewiesen werden könnten – mitunter hölzern gewesen sein mochte. Auch Ellger betont für die Frauenstifte im sächsischen Gebiet, das Westfalen mit einschließt, die Komplexität der Bauten und den daraus abzuleitenden hohen Gestaltungsanspruch.14 Es sei möglich, dass man sich bei der Architektur der Frauenstifte an der Architektur der Domkirchen orientiert habe. Carola Jäggi und Uwe Lobbedey haben den geografischen Rahmen noch weiter gesteckt, bis nach Angelsachsen sowie ins Franken- und Langobardenreich, und zeichnen ein anderes, weniger einheitliches Bild: Die Kirchen weiblicher Kommunitäten seien sehr heterogen und es ließen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kirchen weiblicher und männlicher Konvente feststellen.15 Bis ins 12.  Jahrhundert seien bisher keine frauenspezifischen Bauformen nachweisbar. Die Tatsache, dass Jäggi und Lobbedey nicht nur Frauenstifte, sondern auch Frauenklöster einbeziehen, erklärt dieses andere Bild nur teilweise. Denn zum einen lässt sich für die Frühzeit die Verfassung kaum sicher bestimmen,16 12 Matthias Wemhoff: Zum Stand der archäologischen Erforschung der Baugestalt westfälischer Damenstifte im 9. und 10.  Jahrhundert, in: Hortus Artium Medievalium. Journal of the International Research Center for Late Antiquity and Middle Ages 8 (2002), S. 119–124, hier S.  119–121. Er behandelt die Frauenstiftskirchen in Herford, Vreden, Freckenhorst, Neuenheerse und Meschede sowie in Herzebrock, bei der aber von einem Saalbau und nicht von einer mehrschiffigen Anlage ausgegangen werden muss. 13 Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 120. 14 Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 142 f. 15 Carola Jäggi / Uwe Lobbedey: Kirche und Klausur – Zur Architektur mittelalterlicher Frauenklöster, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Ausst. Kat. Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, hg. v. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, S. 89–103. 16 Vgl. Irene Crusius: Sanctimoniales quae se canonicas vocant. Das Kanonissenstift als Forschungsproblem, in: Crusius 2001 (wie Anm. 7), S. 9–38, hier S. 10.

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weshalb ein gewisser Spielraum ohnehin gewährt werden muss, und zum anderen bleibt das Bild auch anders, wenn man die Bauten herauszählt, die später sicher als Frauenkloster und nicht als Frauenstift benannt werden können. Wenn das Ostquerhaus, das für westfälische bzw. für sächsische Frauenstiftskirchen zunächst als bauliches Spezifikum und Sitz der Kanonissen erschien, nicht für einen größeren geografischen Rahmen gelten kann und auch nicht die Komplexität der Bauten an sich, die ja ohnehin ebenso bei Kirchen männlicher Konvente zu konstatieren ist, beginnt die Suche von vorn. Der begrenzte Umfang dieses Beitrages erfordert eine Einschränkung des Materials. Um neben den inzwischen gut erforschten hochadeligen sächsischen Frauen­ stiften auch bisher weniger beachtete Konvente einbeziehen zu können, muss ein anderer Zuschnitt gewählt werden als ein geografischer oder statusbezogener. Aus verschiedenen Gründen bietet es sich an, den Fokus auf die Ostteile und Chorformen der frühen Frauenkonventskirchen zu legen. So ist der Hochchor als liturgisches Zentrum der wichtigste Bereich im Kirchenraum und es ist anzunehmen, dass der Frauenkonvent hierzu eine gewisse Nähe suchte – wie sich an den späteren Querarmemporen zeigt. Ein ebenerdiger Frauenchor im Westen, wie er für St.  Maria im Kapitol nachgewiesen ist,17 scheint bislang die Ausnahme zu sein. Außerdem hat Claussen 1989 die Vermutung geäußert, die Kanonissen könnten möglicherweise zunächst mit den Kanonikern im Hochchor gesessen haben, bevor die Emporen für sie eingerichtet worden und sie in die Querhausarme umgezogen seien.18 Sie leitet dies aus dem Verbot des Zweiten Laterankonzils 1139 ab, welches das gemeinsame Stundengebet im Hochchor untersagte. Ihrer Ansicht nach könne dieses Verbot jedoch nur dann nötig gewesen sein, wenn die Frauen noch bis zu diesem Zeitpunkt zumindest in einigen Fällen im Hochchor ihren Sitz gehabt hätten. Ob sich diese Vermutung in den Befunden widerspiegelt oder die Befunde wiederum einen anderen architektonisch determinierten Ort der Frauen anzeigen, soll im Folgenden untersucht werden.

17 Vgl. dazu den Beitrag von Klaus Gereon Beuckers in diesem Band. 18 Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3), S. 126.

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Vorbemerkungen zu Material und Vorgehensweise

Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann hier nicht angestrebt werden, da trotz der erheblichen Fortschritte der Frauenstiftsforschung in den vergangenen Jahrzehnten noch viele Grundlagen fehlen.19 Beispielsweise lässt sich nicht einmal ohne Weiteres ein Überblick gewinnen, welche Frauenstifte im Frühmittelalter überhaupt bestanden haben20 und es ist erstaunlich, wie oft (sogar jüngere) archäologische und bauhistorische Arbeiten zu Frauenkonventskirchen die Nutzung durch einen Frauenkonvent und die Lokalisierung des Frauenchores nicht oder nur beiläufig thematisieren. Auch die Anzahl der Konventsmitglieder – Kanonissen wie Kanoniker – ist aufgrund fehlender Quellen für die Frühzeit häufig nicht überliefert,21 sodass Aussagen zu den benötigten Raumkapazitäten schwer zu treffen sind, obgleich sie einen wichtigen Indikator für die Lokalisierung des Kanonissen- und des Kanonikerchores im Kirchenraum darstellen. Die Auswahl der behandelten Stiftskirchen richtet sich in erster Linie nach dem Material: Bei einer Vielzahl der Frauenkonvente ist der Gründungsbau nicht vollständig erhalten und in keinem Fall unverändert. Es sind aber ausreichende Befunde durch Grabungen oder durch Reste des aufgehenden Mauerwerks gesichert, die hier miteinbezogen und ausgewertet werden können. Ein Teil der Frauenkonventskirchen kann mangels gesicherter Befunde für die frühmittelalterlichen Gründungsbauten hingegen nicht berücksichtigt werden. Dazu gehören u. a. die Kirchen der ehemaligen Frauenkonvente in Liesborn (gegr. um 815 / kurz vor 860),22 Böddeken 19 Vgl. dazu den Forschungsüberblick der Verfasserin in diesem Band. 20 Erste, jedoch zu ergänzende Anlaufstellen wären Datenbanken wie FeMoData: http://femmodata.uni-goettingen.de/ [28.2.2018]. 21 Vgl. z. B. für Gandersheim Hans Goetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra N. F., Bd. 7: Das Bistum Hildesheim, Bd. 1), Berlin/New York 1973, S. 173, für Freckenhorst Wilhelm Kohl: Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst (Germania Sacra N. F., Bd. 10: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Bistum Münster, Bd. 3), Berlin/ New York 1975, S. 111, zu Geseke Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 134. 22 Vgl. Hans-Werner Peine: Ausgrabungen in der Abtei Liesborn. Ein Beitrag zur Baugeschichte des ehem. Kanonissenstiftes und Benediktinerklosters von der Karolingerzeit bis zur Aufhebung 1803, in: Ausgrabungen in der Abtei Liesborn. Eine Dokumentation des Westfälischen Museums für Archäologie, Ausst. Kat. Museum Abtei Liesborn, hg. v. Bendix Trier, Münster 1993, S. 33–106, hier S. 44–47. – Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 120. – Vgl. ferner Art. „Liesborn“, in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 1: Ahlen–Mühlheim, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur

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(gegr. 836),23 Bassum (gegr. zw. 846 und 850),24 Nottuln (gegr. vor 860/62),25 Herzebrock (gegr. zw. 860 und 884),26 Wunstorf (gegr. um 865),27 Gerresheim (gegr. vor 870),28 Metelen (gegr. 889),29 Ringelheim (gegr. vor der Mitte des 10. Jahrhunderts),30

Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 1992, S. 522–529 (Helmut Müller). 23 Vgl. Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 119 und ferner Wilhelm Segin: Kirchen und Kapellen im Raume Böddeken, in: Paderbornensis Ecclesia. Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Paderborn. Festschrift für Lorenz Kardinal Jaeger zum 80. Geburtstag am 23. September 1972, hg. v. Paul-Werner Scheele, München u. a. 1972, S. 49–85, hier S. 57. – Art. „Böddeken“, in: Westfälisches Klosterbuch 1992 (wie Anm. 22), S. 102–105, hier S. 104 (Manfred Balzer). 24 Für den Vorgängerbau der heutigen Backsteinkirche des 13. Jahrhunderts ist nur die Translation der Viktor-Reliquien durch Erzbischof Adaldag (amt. 937–988) im Jahr 980 bekannt. Vgl. Art. „Bassum“, in: Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, hg. v. Josef Dolle / Dennis Knochenhauer (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 56), 4 Bde., Bielefeld 2012, hier Bd. 1, S. 59–70, insb. S. 68 (Bernd Ulrich Hucker). 25 Vgl. Uwe Lobbedey: Ausgrabungen auf dem Stiftsplatz zu Nottuln, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 58 (1980), S. 45–54, hier insb. S. 50 f. geht von einem Vorgängerbau unter dem romanischen Bau des 12. Jahrhunderts aus. Ebd., S. 53 gibt der Autor an, von einer karolingisch-ottonischen Kirche sei auszugehen, doch weder für diese noch für die folgende ottonische Kirche könne die Baugestalt rekonstruiert werden. Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 144, Anm. 63 hingegen geht für Nottuln ohne Angabe von Gründen von einer Saalkirche aus. 26 Vgl. Cornelia Kneppe / Hans-Werner Peine: Ausgrabungen in der kath. Pfarrkirche St. Christina in Herzebrock, Kreis Gütersloh. Ein Beitrag zur Baugeschichte von Kirche und Kloster, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 8/B (1993), S. 41–52, hier S. 42 zur Gründung und S. 50 f. zu den Grabungsergebnissen. – Vgl. ferner Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 120. – Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 144, Anm. 63. 27 Vgl. Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 144, Anm. 63. – Art. „Wunstorf “, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 1576–1590, hier S. 1585 (Sven Mahmens). 28 Vgl. zur heutigen, 1236 geweihten Stiftskirche Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen und romanischen Denkmäler, 4 Bde., Berlin 1976/89, hier Bd. 1, S. 316–320 sowie zu den Grabungen Hannelore Schubert: Die ersten Kirchen in Gerresheim, in: Düsseldorfer Jahrbuch 49 (1959), S. 143–175, hier S. 143 f. und 155–159. 29 Vgl. zuletzt Julia von Ditfurth: Wandel der Strukturen. Barockisierungsprozesse in Damenstifts- und Frauenklosterkirchen in Westfalen, Regensburg 2016, S. 282–284 mit weiterführender Literatur. 30 Vgl. Petke 1993/94 (wie Anm. 9), S. 92 mit Verweis auf Stephan Beddig / Thomas Uhrmacher: Das Kloster Ringelheim, in: Salzgitter-Jahrbuch 7 (1985), S. 67–100, hier S. 77 f. – Art. „Ringelheim“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 1314–1321, hier S. 1314 und 1319 (Wolfgang Petke).

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Fischbeck (gegr. 955),31 Borghorst (gegr. zw. 968 und 974)32 oder Thorn (gegr. in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts / vor 992)33. Die Kirchenbauten des Frauenstifts in Herford sind durch die archäologischen Untersuchungen von Wemhoff bestens aufgearbeitet.34 Für die Gründungszeit des Stifts nach um 790 ist zunächst ein hölzerner Pfostenbau nachweisbar und als erster steinerner Bau entstand vor 822/23 ein zweifach unterteilter, 10 m breiter und mindestens 41 m langer Saal, über dessen Ostabschluss allerdings keine Aussage getroffen werden kann wie auch über den Sitz der Frauen in diesen frühen Bauten.35 In Wetter (gegr. erste Hälfte des 11. Jahrhunderts) und Oberstenfeld (gegr. 1016) sind von den Gründungsbauten immerhin noch die Krypten erhalten.36 In 31 Vgl. Art. „Fischbeck“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 410–417, hier S. 415 (Renate Oldermann). 32 Vgl. Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 121. – Ferner von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 250–253 mit weiterführender Literatur. 33 Zu den frühesten erhaltenen Bauteilen der Thorner Stiftskirche gehören die unteren Teile des Turmes. Vgl. dazu u. a. Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 1070 f. – Für eine Zusammenfassung der Baugeschichte mit weiterer Literatur vgl. kürzlich Julia von Ditfurth: Stilcollage – Zur Ausstattung der gotischen Stiftskirche in Thorn zwischen Renaissance und Klassizismus, in: Fragen, Perspektiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte. Beiträge der Abschlusstagung des Essener Arbeitskreises zur Erforschung des Frauenstifts, hg. v. Klaus Gereon Beuckers / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 15), Essen 2018, S. 219–265, hier S. 224–226. – Zur Gründungsgeschichte vgl. Hartwig Kersken: Die Gründung der religiösen Frauengemeinschaften von Essen und Thorn in vergleichender Perspektive. Typologische Bemerkungen zu Lage, Gründern und innerer Verfassung, in: Aus der Nähe betrachtet. Regionale Vernetzungen des Essener Frauenstifts in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Jens Lieven / Birgitta Falk unter Mitarbeit von Anna Pawlik (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 13), Essen 2017, S. 47–72. 34 Matthias Wemhoff: Das Damenstift Herford. Die archäologischen Ergebnisse zur Geschichte der Profan- und Sakralbauten seit dem späten 8. Jahrhundert (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Bd. 24), 3 Bde., Bonn 1993. 35 Vgl. Wemhoff 1993 (wie Anm. 34), Bd. 1, S. 12–17, hier insb. S. 16 (zum Holzbau), S. 17–20 (zum ersten steinernen Bau) sowie S. 18 f. und 153 (zum Sitz der Frauen, möglicherweise auf einer Empore). 36 Zu Wetter vgl. Annegret Wenz-Haubfleisch: Das Kanonissenstift und seine Rolle in der Stadt Wetter von seinen Anfängen bis zu seiner Umwandlung 1532, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000), S. 249–257, hier insb. S. 249 f. – Christa Meiborg: Das Kanonissenstift in Wetter, Kr. Marburg-Biedenkopf. Die Ausgrabungen im ehemaligen Stiftsgelände auf dem Klosterberg, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000), S. 71–248, hier S. 81 und 83: Bau 1 wird rekonstruiert als Basilika mit Querhaus, Rechteckchor und Ostkrypta aus der Zeit zwischen 1000 und 1050. – Christoph Galle: Kanonissenstifte im Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung des Stifts in Wetter (Hessen), in: Jahrbuch der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 67 (2016), S. 79–97, hier S. 86–88. – Vgl. ferner Hans Uffe Boerma: Die

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Säckingen (gegr. frühestens im 8. Jahrhundert, 878 erstmals schriftlich belegt) und Buchau (gegr. um 770) zählen die Krypten ebenfalls zu den ältesten überkommenen Räumen, gehören aber schon nicht mehr zum jeweiligen Gründungsbau.37 Eine weitere Eingrenzung ergibt sich aus der Konzentration auf die Gründungsbauten, d. h. auf diejenige Architektur, in die der Frauenkonvent bei seiner Gründung einzog. Dabei werden die bestehenden Kapellen, die manche Konvente vermutlich provisorisch bis zur Fertigstellung ihrer ersten Konventskirchen nutzten, ausgeklammert. Dagegen werden bestehende Bauten, die für einen einziehenden Frauenkonvent umgestaltet wurden, behandelt, da die Umbauten möglicherweise

Stiftskirche in Wetter, in: Jahrbuch für den Landkreis Marburg-Biedenkopf (2010), S. 141–144, hier S. 141. – Zu Oberstenfeld vgl. Adolf Mettler: Die bauliche Anlage der alten Stiftskirche und der Peterskirche in Oberstenfeld, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 25 (1916), S. 47–60, hier S. 49–51 und 53 f. mit einer Rekonstruktion des Gründungsbaus auf S. 54 f. als „doppelchörige querschifflose Basilika mit drei gleichlaufenden Apsiden und einer Krypta im Osten und mit einer doppelgeschossigen Apsis zwischen zwei Treppentürmen im Westen“. Von der folgenden Forschung wurde dieser Vorschlag nicht aufgegriffen. – Vgl. Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, bearb. v. Friedrich Oswald / Leo Schäfer / Hans Rudolf Sennhauser, hg. v. Zentralinstitut für Kunstgeschichte, 3 Bde., München 1966–1971, hier Bd. 2, S. 243 (Friedrich Oswald). – Heinfried Wischermann: Romanik in Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S. 291 f., hier S. 292. – Ernst Schedler: Stiftskirche St. Johannes d. T. Oberstenfeld, Oberstenfeld o. J. [2003], S. 21 f. und 25. 37 Zur Gründung von Säckingen vgl. Alfons Zettler: Fragen zur älteren Geschichte von Kloster Säckingen, in: Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhundert), hg. v. Walter Berschin / Dieter Geuenich / Heiko Steuer (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland, Bd. 10), Stuttgart 2000, S. 35–51 sowie zur Architektur zuletzt Felicia Schmaedecke: Kirche und Konventsbauten des Damenstiftes Säckingen im frühen und hohen Mittelalter. Aussagemöglichkeiten der archäologischen und bauhistorischen Forschung zu Form und Funktion, in: Funktion und Form. Die mittelalterliche Stiftskirche im Spannungsfeld von Kunstgeschichte, Landeskunde und Archäologie. Zweite Wissenschaftliche Fachtagung zum Stiftskirchenprojekt des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen (16. bis 18. März 2001, Weingarten), hg. v. Sönke Lorenz / Peter Kurmann / Oliver Auge (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 59), Ostfildern 2007, S. 113–131, hier insb. S. 118, 120 und 122–124. Entgegen der älteren Forschung datiert Schmaedecke die Entstehung der Krypta nicht in karolingische Zeit, sondern zusammen mit dem ersten archäologisch nachweisbaren Kirchenbau, einer dreischiffigen Basilika ohne Querhaus, in das frühe 11. Jahrhundert. – Zur Krypta in Buchau aus der Zeit um 1000 vgl. Bernhard Theil: Das (freiweltliche) Damenstift Buchau am Federsee (Germania Sacra N. F., Bd. 32: Das Bistum Konstanz, Bd. 4), Berlin/New York 1994, insb. S. 18 f.

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Aufschluss über die neuen Anforderungen geben können, die mit dem Einzug des Frauenkonventes an die existierende Architektur gestellt wurden.38 Die verschiedenen Bilder, die sich bei der Betrachtung von frühmittelalterlichen Frauenkonventskirchen durch unterschiedliche regionale Zuschnitte ergeben, wurden oben bereits mit dem Hinweis auf die Schlussfolgerungen von Wemhoff, Ellger sowie Jäggi und Lobbedey schlaglichtartig verdeutlicht. Andere Gebiete als Sachsen weisen eine geringere Anzahl und Dichte an Frauenstiften auf. Von diesen wenigen sind die Gründungsbauten nicht ausreichend überliefert, weshalb sich eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Regionen, z. B. die sächsischen und die baierischen Frauenstiftskirchen im Vergleich, nicht anbietet. Eine chronologische Reihung der Bauten zur Bildung einer Architekturchronologie ist aus zwei Gründen nicht vielversprechend: Einerseits, weil für bestimmte Bauten keine genauen Datierungen vorliegen. Die Entstehung der Stiftskirche in Herdecke beispielsweise kann nach den jüngeren Untersuchungen von Klaus Lange nur in einen sehr weiten Zeitraum zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert eingeordnet werden.39 Andererseits, weil Bautypen wie die Saalkirche weit verbreitet sind, lange Zeit und auch neben komplexen mehrschiffigen Anlagen existieren und für kleine wie große Bauprojekte gewählt wurden.40 Eine Entwicklungslinie lässt sich also weder für die Stiftskirchen im Allgemeinen noch für den Frauenchor im Speziellen zeichnen. Stattdessen bietet eine bautypologische Zusammenstellung die Möglichkeit, das zuletzt als heterogen angesprochene Bild der Frauenstiftskirchen durch die Bildung von Gruppen zu systematisieren und nach den jeweiligen Optionen für den Ort des Kanonissenchores zu fragen.

38 Vgl. für den Einzug eines Benediktinerinnenkonventes in eine bestehende Kirche und die damit verbundenen Umbauten den Beitrag von Esther-Luisa Schuster in diesem Band. 39 Lange 1997 (wie Anm. 9), S. 37–50. 40 Vgl. u. a. Günther Binding: Bericht über Ausgrabungen in niederrheinischen Kirchen 1964– 1966, in: Bonner Jahrbuch 167 (1967), S. 357–387, hier S. 387. – Uwe Lobbedey: Der Kirchenbau im sächsischen Missionsgebiet, in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Bd. 3: Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hg. v. Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff, Mainz 1999, S. 498–511, hier S. 498 f.

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Saalkirchen mit rechteckigem oder apsidialem Chorschluss

Der einfachste Bautypus, der bei den Gründungsbauten von Frauenstiften Verwendung fand, war die Saalkirche mit rechteckigem Chorschluss. Dazu zählen das Niedermünster in Regensburg (gegr. vor 866)41, St. Cäcilien in Köln (gegr. vor 881/82)42 und St. Peter in Vilich (gegr. 978/87)43. In Ermangelung von Seitenschiffen, Querarmen und (in der Regel) Westbauten ergeben sich für diesen Bautyp nur zwei Optionen für die Verortung des Frauenchores: der Saal oder der Rechteckchor bzw. – wie weiter unten an anderen Beispielen aufgezeigt wird – die Apsis. Im Regensburger Niedermünster wurde im 8. oder 9. Jahrhundert eine Schranke eingezogen, die den Saal in eine Ost- und eine Westhälfte teilte.44 Diese Maßnahme ist sehr wahrscheinlich für den Einzug des Frauenkonventes in die bestehende karolingische Pfalzkapelle durchgeführt worden.45 Katrinette Bodarwé und Clemens Kosch zufolge war der westliche Teil der Kirche nun weltlichen Laien vorbehalten und der Chorbereich im Osten dem Frauenkonvent.46 Offen bleibt, ob die Frauen direkt in dem eingezogenen, rechteckigen Chorjoch ihren Sitz hatten oder in dem ähnlich großen, sich nach Westen erstreckenden Bereich zwischen dem Sanktuarium und der Schranke.

41 Für die Rekonstruktion des Baus, der dem Konvent vermutlich als Gründungsbau diente, vgl. Eichler 2009 (wie Anm. 9), S. 27 und 76–78. – Zuletzt Katrinette Bodarwé / Clemens Kosch: Fürsten – Äbtissinnen – Heilige. Zu prominenten Grablegen des Früh- und Hochmittelalters in der Regensburger Frauenstiftskirche Niedermünster, in: Zugänge zu Archäologie, Bauforschung und Kunstgeschichte – nicht nur in Westfalen. Festschrift für Uwe Lobbedey zum 80. Geburtstag, hg. v. Mareike Liedmann / Verena Smit, Regensburg 2017, S. 341–357, hier S. 341 f. mit einer kurzen Zusammenfassung der Bauentwicklung und weiterführender Literatur. 42 Vgl. Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen. Nachtragsband, bearb. v. Werner Jacobsen / Leo Schaefer / Hans Rudolf Sennhauser, hg. v. Zentralinstitut für Kunstgeschichte (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, Bd. III/2), München 1991, S. 218 f., hier S. 218 (Leo Schaefer). – Zum Gründungszeitraum vgl. zuletzt Tobias Kanngiesser: Hec sunt festa que aput nos celebrantur. Der Liber Ordinarius von Sankt Cäcilien, Köln (1488) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 44), Siegburg 2017, S. 29. Dem Autor sei herzlich für diesen Hinweis gedankt. 43 Zu Vilich immer noch maßgeblich Irmingard Achter: Die Stiftskirche St. Peter in Vilich (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 12), Düsseldorf 1968. 44 Vgl. Eichler 2009 (wie Anm. 9), S. 33 und 78. 45 Vgl. Bodarwé/Kosch 2017 (wie Anm. 41), S. 341. – Vgl. auch Eichler 2009 (wie Anm. 9), S. 33. 46 Bodarwé/Kosch 2017 (wie Anm. 41), S. 341, insb. Anm. 9.

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Abb. 1: Vilich, ehem. Frauenstiftskirche St. Peter, Umzeichnung der Grundrissrekonstruktion nach ­Irmingard Achter.

Für St. Cäcilien in Köln ist ein ca. vier Meter breiter, trapezförmiger, eingezogener Rechteckchor ergraben, an den sich nach Westen ein langer Saal anschloss.47 Einen Westchor wies dieser frühe karolingische Bau des Frauenkonventes nicht auf. Bemerkenswert ist die Größe der Anlage, die mit einer Gesamtlänge von 33,70  m zu den Großbauten im Rhein-Maas-Gebiet zählt.48 Über den Ort des Frauenchores lässt sich nur spekulieren, doch liegt es aufgrund der geringen Größe des Chores im Gegensatz zu den enormen Ausmaßen des Saales nahe, die Frauen im Saal zu suchen. Ob dort im Osten, in der Nähe des Chores, oder im Westen, wie bei den Nachfolgebauten, ist unklar. Archäologische Funde von Schranken oder Ähn­lichem, die auf eine Separierung der Frauen von anderen im Kirchenraum agierenden Personengruppen hinweisen könnten, sind nicht bekannt. Für den Einzug des Frauenkonventes in Vilich wurde eine bestehende kleine Saalkirche mit Rechteckchor aus dem 8. oder 9. Jahrhundert erweitert, sodass kurz vor 987 eine erheblich größere Saalkirche mit zwei seitlichen, zweigeschossigen Annexen im Westen und einem zweifach eingezogenen Chorbereich im Osten entstanden war (Abb. 1).49 47 Vgl. zur Grabung und Rekonstruktion maßgeblich Elisabeth Maria Spiegel: St. Cäcilien. Die Ausgrabungen. Ein Beitrag zur Baugeschichte, in: Köln: Die Romanischen Kirchen. Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. v. Hiltrud Kier / Ulrich Krings (Stadtspuren. Denkmäler in Köln, Bd. 1), Köln 1984, S. 209–234, hier insb. S. 222 f. und 227. 48 Vgl. Spiegel 1984 (wie Anm. 47), S. 226. 49 Vgl. Achter 1968 (wie Anm. 43), S. 135–140.

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Die gestaffelte Disposition des Chorbereiches ergab sich aus der Weiterverwendung der alten Kirche, die zum neuen Anbau geöffnet und durch einen Triumphbogen mit dem Saal verbunden war. Achter geht von einer Empore im Westen aus und verortet hier den Frauenchor.50 Zwar sind die von ihr angeführten Gründe (optische Milderung der Überlänge des Saales, Nutzung der zweigeschossigen Annexe als Treppentürme) durchaus schlüssig, doch ist fraglich, wie sehr diese Lokalisierung von dem Willen der älteren Forschung geleitet ist, Frauenemporen grundsätzlich im Westen zu verorten. Quellen oder archäologische Befunde stützen Achters These für die Frühzeit nicht,51 sodass eine ebenerdige Verortung des Frauenchores im Saal nicht ausgeschlossen werden kann. Auch der große, durch die Staffelung architektonisch in zwei Bereiche gegliederte Chor hätte theoretisch genügend Platz für den Frauenkonvent geboten. Seltener als Saalkirchen mit rechteckigem Chorschluss sind Saalkirchen mit apsidialem Chorschluss zu finden. In Möllenbeck (gegr. vor 896) ist nur eine Apsis ergraben, die dem Chor des Gründungsbaus zugewiesen wird.52 Ein sich nach Westen anschließender Saal von geringer Größe wird hier von Rüdiger Klessmann angenommen.53 In der Mittelachse vor der Apsis wurde unmittelbar vor einem Altar ein Frauengrab gefunden, bei dem es sich um das Grab der Stifterin Hildburg oder der ersten Äbtissin Wendelburg handelt könnte.54 Möglicherweise stand der Sitz der Frauen in enger räumlicher Beziehung zu diesem prominent positionierten Grab, was für eine Verortung des Frauenchores im Osten des Kirchenschiffs vor der Apsis sprechen könnte. 50 Achter 1968 (wie Anm. 43), S. 138. 51 Vgl. dazu Achter 1968 (wie Anm. 43), S. 138 selbst. 52 Vgl. Rüdiger Klessmann: Die Baugeschichte der Stiftskirche zu Möllenbeck an der Weser und die Entwicklung der westlichen Dreiturmgruppe (Göttinger Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 1), Göttingen 1952, S. 42 f., 48 f. und 52. – Vgl. zum Stift allgemein auch Art. „Möllenbeck“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 1059–1065 (Dieter Brosius). – Ähnlich ist die Situation in Kemnade (gegr. zw. 959 und 965), wo von dem Gründungsbau ebenfalls nur ein Teil der Apsis freigelegt werden konnte. Für den nach Westen anschließenden Raum liegen allerdings keine Rekonstruktionsvorschläge vor, sodass die Grundlage für eine Lokalisierung des Frauenchores fehlt. Vgl. zum Stift Art. „Kemnade“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 2, S. 875–881 (Stefanie Mamsch). – Zum Gründungsbau vgl. Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36), Bd. 2, S. 134 f. (Friedrich Oswald). 53 Klessmann 1952 (wie Anm. 52), S. 52. 54 Vgl. Klessmann 1952 (wie Anm. 52), S. 52 f. – Zuletzt sprach sich Dieter Brosius in Art. „Möllenbeck“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 1059–1065, hier S. 1060 (Dieter Brosius) für Hildburg aus.

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Abb. 2: Wendhusen, ehem. Frauenstiftskirche St. Maria und Pusinna, Umzeichnung der Grundrissrekonstruktion des Gründungsbaus (um 840) nach Heinz A. Behrens: Befund gefüllt, Rekonstruktion liniert.

Für das Regensburger Obermünster (gegr. vor 833) ist hingegen der Saal nach Befunden rekonstruiert und ein apsidialer Chorschluss hypothetisch vermutet worden.55 Ein aufsehenerregender Fund wurde 2010/11 bei archäologischen Bodenuntersuchungen in Wendhusen gemacht.56 Für den Gründungsbau des Frauenkonventes (gegr. zw. 811 und 825) konnte eine um 840 fertiggestellte Saalkirche nachgewiesen werden, die nach Osten mit einem sehr stark gestelzten, hufeisenförmigen Chor schließt (Abb. 2). Im Westen der Kirche dürfen zwei Wandansätze auf einer durchlaufenden Fundamentierung laut Heinz A. Behrens nicht als Vorhalle interpretiert werden, sondern könnten – trotz diverser Unsicherheiten – womöglich als Unterkonstruktion einer Empore zu deuten sein.57 Von einer Empore selbst sind aber offenbar keine Spuren nachweisbar. Behrens spricht dennoch von ei55 Zur Rekonstruktion von Obermünster I durch Andreas Trapp 1953/57 vgl. Eichler 2009 (wie Anm. 9), S. 293 f. mit Abb. 281 auf S. 296 sowie Eichlers Schlussfolgerungen S. 367 und 387, in denen sie wegen des geringen Befundes Abstand von Trapps Rekonstruktion nimmt. 56 Zu Wendhusen vgl. grundlegend Heinz A. Behrens / Birgit Behrens: Kloster Wendhusen. Die erste Adelsstiftung in Ostfalen und das Leben der Klausnerin Liutbirg (Kloster Wendhusen, Bd. 1), Thale 2009. – Heinz A. Behrens: Kloster Wendhusen. Baugeschichte von den Anfängen im 9. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Kloster Wendhusen, Bd. 2), Thale 2013 (mit erheblichen Korrekturen der Baurekonstruktion gegenüber Bd. 1). 57 Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 34–36 mit Abb. 20. – Zum Ausschluss einer Vorhalle vgl. Ebd., S. 50, Anm. 53.

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ner Kanonissenempore an dieser Stelle und scheint hier den ständigen Sitz der Stiftsdamen zu vermuten, ohne diese Funktionszuweisung näher zu erläutern.58 Bei einer rekonstruierten Gesamtlänge der Kirche von 33,10 m hätten die Frauen auf einer Westempore aber einen nicht unerheblichen, ca. 20 m weiten Abstand zum Hochchor im Osten gehabt, was das Verfolgen liturgischer Handlungen im Chorbereich erschwert hätte. Problematisch ist weiterhin, dass die Zugangssituation zu der für die Gründungszeit ohnehin nur vage zu vermutenden Empore nicht bekannt ist.59 Jedoch spielt gerade dieser Punkt für die Funktionszuweisung eine große Rolle, wie die Diskussionen um die Westempore in Meschede oder die Seitenschiffsemporen in Gernrode zeigen: Obwohl in beiden Fällen das Bestehen der Emporen ohne Zweifel ist, kann wegen der unzulänglichen und für adelige Stiftsdamen unangemessenen Zugänge ausgeschlossen werden, dass sich dort der Frauenchor befand, d. h. die Kanonissen mehrmals täglich über schmale Leitern oder enge Treppenspindeln dort hinaufstiegen.60 Auch weitere Aspekte wie die Art der Öffnung zum Kirchenraum oder der Anschluss der Konventsgebäude an den Gründungsbau sind für Wendhusen im 9.  Jahrhundert nicht geklärt, sodass sie nicht für die Argumentation herangezogen werden können.61 „[D]ass wir damit 58 Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 43 und 49 spricht nur allgemein die Bestimmungen der Institutio sanctimonialium an und verweist auf andere, nicht konkret benannte Frauenstifts- und Frauenklosterkirchen. 59 Hypothetisch geht Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 18, 35 und 61 von einem vor der Westwand der Kirche nach Süden versetzten Turm aus, in dem sich seiner Ansicht nach eine Treppenanlange befunden haben müsste. Obwohl dies eine sinnfällige Lösung ist, führt Behrens keine entsprechenden schriftlichen oder baulichen Belege an, sodass der Treppenturm spekulativ bleibt und damit auch die Zugangssituation zur Empore. 60 Für Meschede vgl. Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3), S. 121 und 126. – Für Gernrode vgl. Hiltje F. H. Zomer: The so-called women’s gallery in the medieval church: an import from Byzantium, in: The empress Theophano. Byzantium and the West at the turn of the first mil­ lennium, hg. v. Adalbert Davids, Cambridge 1995, S. 290–306, hier S. 302. – Clemens Kosch: Zur zeichnerischen Veranschaulichung der sakralen Binnentopographie von St.  Cyriacus in Gernrode während des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Vom Leben in Kloster und Stift. Wissenschaftliche Tagung zur Bauforschung im mitteldeutschen Raum vom 7. bis 9.  April 2016 im Kloster Huysburg, hg. v. Elisabeth Rüber-Schütte (Veröffentlichung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Arbeitsberichte, Bd. 13), Halle 2017, S. 66–94, hier S. 69 und 71 geht von einer temporären Nutzung der Seitenschiffsemporen durch die Öffentlichkeit, nicht durch die Kanonissen, aus. 61 Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 10, 18, 35 und 59 f. geht von der Lage der Konventsbauten an der Südseite der Kirche aus, was auch aufgrund der fehlenden baulichen Reste an der Nordseite und diverser Grabfunde überzeugend ist. Wie er selbst einräumt, können aber Form und Größe nicht rekonstruiert werden. Dass die nachweisbare Türöffnung an der Südseite ganz im Westen

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in Wendhusen über den ältesten noch erhaltenen Rest einer Damenstiftsempore [im Westen] verfügen“, wie Behrens postuliert,62 ist jedenfalls nicht bewiesen und erfordert eine kritische Reflexion; zumal Claussen schon 1989 festgestellt hatte, dass es „keinen einzigen sicheren literarischen Beleg dafür gibt, daß die Stiftsdamen in der Frühzeit die Westemporen für den Chordienst genutzt hätten“,63 woran sich trotz intensiver Forschung zu den Westbauten bis heute nichts geändert hat.64 Für Wendhusen sollte insbesondere für die Frühzeit eine ebenerdige Positionierung des Frauenchores in Betracht gezogen werden. Während sie ganz im Westen wegen dreier Durchgänge in der West- und Südwand unwahrscheinlich ist, kämen noch der Saal – möglicherweise mit Schranken, die bisher mangels Grabungen nicht bekannt sind65 – sowie der Chor in Frage. Der Chorbereich ist gegenüber dem Langhaus leicht erhöht, eine Krypta darunter aber wohl auszuschließen. Der hufeisenförmige Chorschluss ist bisher ohne Vergleich geblieben.66 Behrens vermutet als Grund für die Länge ein Grab oder Reliquien,67 jedoch ohne dass zurzeit etwas über eine besondere Grabstätte oder den Reliquienschatz des Stiftes bekannt wäre. Zu fragen ist, ob die außergewöhnliche Chorform nicht auch den Sitz der Frauen anzeigen könnte. Denn die Stelzung bringt gegenüber einer einfachen halbrunden Apsis mehr Fläche, die möglicherweise genutzt wurde, um die Frauen hier im Chorbereich zu positionieren. Zahlen zur Konventsgröße sind bisher nicht bekannt und können hier somit nicht als (Gegen-)Argument angeführt werden. Für die Nutzung des Chores durch die Frauen könnte eine nahe gelegene Kirche,

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der Kirche – im vermeintlichen Emporenuntergeschoss – in die Klausur führte, ist zwar denkbar, aber wiederum weder ein Beweis für eine Frauenempore in diesem Bereich noch für einen zweigeschossigen Kreuzgangflügel, in dem sich ein Dormitorium befunden hat. Auch wenn Behrens Deutungen hypothetisch gut zusammenpassen, basieren sie sehr oft auf allgemeinen Annahmen und Herleitungen aus der Institutio sanctimonialium. Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 50. Claussen in Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3), S. 126. Vgl. beispielsweise Dagmar von Schönfeld de Reyes: Westwerkprobleme. Zur Bedeutung der Westwerke in der kunsthistorischen Forschung, Weimar 1999. – Beuckers 2013 (wie Anm. 11). Zu den Grabungsschnitten vgl. Behrens 2013 (wie Anm. 56), Abb. 8. Zur Einordnung vgl. Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 48 und 51–54. Behrens vermutet eine Schirmkuppel in der Apsis und die Adaption der Hufeisenform von Bauten aus dem süddeutschen oder schweizerischen Raum. Unter den Vergleichsbauten, die er auf einer Übersichtskarte auf S. 54 eingetragen hat, befindet sich keine weitere Frauenstiftskirche. – Zu Spekulationen, ob sich weiter nach Osten ehemals eine Außenkrypta oder Scheitelkapelle angeschlossen haben könnte, vgl. Ebd., S. 26. Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 52.

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die spätere Andreaskirche, sprechen, die als Kanonikerkirche gilt.68 Falls schon in karolingischer Zeit in Wendhusen zwei Kirchen nebeneinander bestanden – eine seltene Disposition, wie sie beispielsweise in Vreden vorhanden ist69 –, könnten die Frauen womöglich ihren ständigen Sitz im Chor der Stiftskirche gehabt haben, die Kanoniker in der (späteren) Andreaskirche. Da Wendhusen das bisher erste bekannte Beispiel einer Frauenstiftskirche mit einem hufeisenförmigen Chor ist, kann dieser nicht als generelles bauliches Spezifikum von Frauenstiftskirchen gewertet werden. Aber vielleicht ist hiermit eine weitere Lösungsmöglichkeit für die Unterbringung des Frauenkonventes in querarmlosen Saalkirchen dokumentiert.

Kreuzförmige Saalkirchen

Der Gründungsbau des Frauenstifts in Schildesche (gegr. 939) ist weder erhalten noch ergraben,70 doch lässt die schriftliche Überlieferung zumindest Vermutungen über den ersten, 960 geweihten Bau zu. Die sog. Fundatio des Stifts, eine Beschreibung der Gründungsgeschichte, die frühestens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist, aber auf die Begebenheiten um 939 zurückgehen soll,71 nennt vier Altarstellen für den Gründungsbau sowie deren Standorte, woraus Gertrud Angermann eine kreuzförmige Saalkirche mit rechteckigem Chorschluss rekonstruiert.72 Damit würde die Disposition des Gründungsbaus der des nachfolgenden Baus entsprechen, welcher nach Brand und Zerstörung ab etwa 1235 errichtet wurde und in weiten Teilen bis heute besteht.73 In der Fundatio wird der 68 Zur Kanonikerkirche St. Andreas in Wendhusen vgl. Behrens/Behrens 2009 (wie Anm. 56), S. 55. – Behrens 2013 (wie Anm. 56), S. 8 und 127. 69 Zu Vreden s. u. sowie den Beitrag von Hedwig Röckelein in diesem Band. 70 Vgl. Wemhoff 2002 (wie Anm. 12), S. 121. 71 Fundatio monasterii Schildecensis, hg. v. Oswald Holder-Egger, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 15.2, Hannover 1888, S. 1045–1052. – Vgl. zur Quelle Olaf Heuermann: Die ,Fundatio Monasterii Schildecensis‘. Eine Gründungsgeschichte in Zeiten innerer Not?, in: ,Heiliges Westfalen‘. Heilige, Reliquien, Wallfahrt und Wunder im Mittelalter, hg. v. Gabriela Signiori (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft, Bd. 11), Bielefeld 2003, S. 111–121. 72 Gertrud Angermann: Mittelalterliche Bau- und Kunstdenkmäler Schildesches, in: Stift und Kirche Schildesche 939–1810. Festschrift zur 1050-Jahr-Feier, hg. v. Ulrich Andermann, Bielefeld 1989, S. 192–215, hier S. 194 und 197. 73 Zur Stiftskirche des 13. Jahrhunderts vgl. Angermann (wie Anm. 72), S. 194.

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Abb. 3: Pfalzel, ehem. Frauenstiftskirche St. Marien, schematische Darstellung der Bauphasen.

Frauenchor mit dem Altar des heiligen Stephanus verortet und zwar im nördlichen Querhausarm.74 Ob dieser Frauenchor ebenerdig zu denken ist oder sich, wie im Nachfolgebau des 13. Jahrhunderts, auf einer Empore befand, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Unabhängig von der Höhe des Frauenchors könnte dies für die Lage bedeuteten, die Stiftsdamen in Schildesche hätten schon lange vor den Bestimmungen des Zweiten Laterankonzils ihren Platz außerhalb des Hochchores gehabt, nämlich in einem der Querhausarme – vorausgesetzt man folgt dem Rekonstruktionsvorschlag von Angermann sowie der Verortung des Frauenchores 74 Fundatio (wie Anm. 71), S. 1051: „Tertium altare in aquilonari manica, in choro dominarum sancto Stephano et omnibus sanctis martyribus consecratur […].“ – Vgl. Angermann 1989 (wie Anm. 72), Anm. 41 mit der schlüssigen Erläuterung zur Übersetzung von „manica“ in diesem Fall als Querhausarm und nicht als (Seiten-)Schiff einer Kirche.

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in der Fundatio des 13. Jahrhunderts schon für die Frühzeit der Stiftskirche. Der Typus einer Saalkirche mit Rechteckchor und Querhausarmen ist in der Reihe der überlieferten Frauenstiftskirchen des 10. Jahrhunderts sonst nicht anzutreffen. Ein späteres Beispiel wäre der Neubau der Stiftskirche St. Felicitas in Vreden (zw. 1085 bis kurz vor 1100) an seinem heutigen Platz, allerdings mit einem vermutlich apsidialen Chorschluss75 statt mit einem rechteckigen wie in Schildesche. Dort hatten die Stiftsdamen ihren Chor ebenfalls im Querhausarm, aber auf der Südseite mit Anschluss an die dortigen Konventsbauten. In Pfalzel bei Trier nutzte der um 700 gegründete Frauenkonvent eine spätrömische Schlossanlage, die um 360 entstanden war.76 In dieser dreigeschossigen Vierflügelanlage mit Innenhof wurden sowohl die Kirche als auch die Konventsgebäude untergebracht, doch mussten dafür einige Umbaumaßnahmen vorgenommen werden (Abb. 3). Die Risalite der östlichen Ecke wurden genutzt, um dort den Chor und einen Querhausarm einzurichten. Durch Wanddurchbrüche wurden zwei weitere Raumkompartimente geschaffen. Anders als noch in der älteren Literatur, wo von einer Anlage in Form eines lateinischen Kreuzes ausgegangen wurde,77 sprach sich Franz-Josef Heyen 2005 für eine Anlage in Form eines griechischen Kreuzes mit vier gleich langen Kreuzarmen aus.78 Seiner Meinung nach wurde die Kirche zunächst auch nur in einem Geschoss, nicht in zwei von insgesamt drei Geschossen eingerichtet. Wichtig für die Frage nach frauenspezifischen baulichen Elementen ist auch seine Auslegung der weiteren Umbauten, die zuvor erst mit dem Einzug eines Kanonikerkonventes im 11. Jahrhundert in Verbindung gebracht wurden. Nach Heyen sollen aber noch zur Zeit des Frauenkonventes im 10. Jahrhundert zwei tonnengewölbte Annexräume in die Winkel zwischen Chor und Querhausarmen eingestellt worden sein, die als Chorseitenkapellen gedeutet werden.79 Zeitgleich habe man die Zwischendecke zum Obergeschoss im Bereich der Vierung geöffnet und über den Querarmen separate Räume eingerichtet, 75 Zur Baugeschichte von St. Felicitas vgl. zuletzt von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 178–183 mit weiteren Literaturverweisen. 76 Vgl. Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36), Bd. 2, S. 259–260 (Leo Schäfer / Friedrich Oswald). – Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 929–933. – FranzJosef Heyen: Das St. Marien Stift in (Trier-)Pfalzel (Germania Sacra N. F., Bd. 43: Die Bistümer der Kirchenprovinz Trier. Das Erzbistum Trier, Bd. 10), Berlin/New York 2005, S. 16–26, hier insb. S. 16–18. 77 Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36), Bd. 2, S. 260 (Leo Schäfer / Friedrich Oswald). – Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 930. 78 Heyen 2005 (wie Anm. 76), S. 16. 79 Heyen 2005 (wie Anm. 76), S. 16.

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die über eine offene Bogenstellung zur Vierung und zum Chor geöffnet gewesen seien. Ferner soll spätestens jetzt der nordwestliche Kreuzarm verlängert worden sein, sodass die Kirche nun den Grundriss eines lateinischen Kreuzes bzw. einer kreuzförmigen Saalkirche aufwies.80 Damit könnte der Stiftskirche in Schildesche ein zweites Beispiel dieses Bautyps an die Seite gestellt werden, welches aber nicht sofort in dieser Form als Neubau entstand, sondern sukzessive durch den Umbau älterer Bausubstanz. Für den Gründungsbau, den sich die Frauen nach 700 in der römischen Schlossanlage einrichteten, ist keine frauenspezifische architektonische Ausformung, weder im Chorbereich noch in den anderen Raumkompartimenten, festzustellen. Es ist jedoch denkbar, dass die Umbaumaßnahmen des 10. Jahrhunderts, insbesondere das Einrichten separater, aber durch Bogenöffnungen mit dem Kirchenraum verbundener Räume in den Obergeschossen ähnlich zu deuten sind, wie das spätere Exponieren der Frauen auf Querarmemporen. In jedem Fall scheint im 10. Jahrhundert die merowingische Anlage zu klein geworden zu sein, sodass man die Kirche um ein Joch im Untergeschoss sowie durch das Schaffen von emporenartigen Räumen im Obergeschoss vergrößerte.

Dreischiffige Anlagen ohne Querhaus

Bis vor einigen Jahren wurde der aus Feldsteinen errichtete Gründungsbau des Frauenkonventes in Heeslingen (gegr. 961; Mitte des 12. Jahrhunderts nach Zeven verlegt und in einen Benediktinerinnenkonvent umgewandelt) noch zu den Saalkirchen mit apsidialem Schluss gezählt und als eines der frühesten Beispiele aus der Zeit um 1000 für diesen Bautypus gehandelt.81 Erst durch das Freilegen der Mauerflächen im Zuge denkmalpflegerischer Untersuchungen wurde klar, dass es sich ursprünglich um eine dreischiffige Basilika gehandelt hat, deren Schiffe durch Pfeilerarkaden voneinander separiert waren (Abb. 4).82 Ein Querhaus oder ein 80 Laut Heyen 2005 (wie Anm. 76), S. 17 soll das obere Geschoss in diesem Bereich noch während der Zeit als Frauenstift geöffnet worden sein, also noch vor 1017, nicht erst als der Männerkonvent eingezogen ist. 81 Vgl. z. B. noch Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 144, Anm. 63 mit der Bezeichnung der Heeslinger Kirche als Saalkirche mit apsidialem Chorschluss. 82 Vgl. dazu maßgeblich Konrad Maier: Die Kirche in Heeslingen – Neue Erkenntnisse, neue Fragen zur mittelalterlichen Baugestalt, in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 15 (1995), S. 50–55. – Bernd Ulrich Hucker: Gründung und Untergang des Damenstifts Heeslin-

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Abb. 4: Heeslingen, ehem. Frauenstiftskirche, Rekonstruktion des Gründungsbaus.

rechteckiges Chorjoch gab es höchstwahrscheinlich nicht, sodass davon ausgegangen wird, die heutige Apsis spiegele die ursprüngliche Situation wider und habe sich direkt an das Mittelschiff angeschlossen. Über die Breite und den Abschluss der Seitenschiffe – ob apsidial oder gerade und in welcher Flucht – ließ sich bisher keine Aussage treffen. Spuren von einer Empore gibt es nicht und somit darf von einem ebenerdigen Sitz der Frauen ausgegangen werden. Die Anordnung der Klausurgebäude, die einen Hinweis auf die genaue Position des Frauenchores im Kirchenraum geben könnte, ist noch unbekannt, wobei deren Lage wegen des steilen Geländes im Süden der Kirche dort aber höchstwahrscheinlich ausgeschlossen werden kann. Der Hauptzugang zur Kirche, den die Pfarrgemeinde genutzt haben dürfte, wird von Westen aus angenommen, sodass der Publikumsverkehr gegen eine Verortung des Frauenchores an dieser Stelle sprechen würde; zumal ebenerdige Westchöre, wie in St. Maria im Kapitol, wie gesagt, eine Sonderlösung darstellen und bislang nicht als Regelfall gelten können. Günstiger und wegen der Nähe zum Hochchor bedeutender wäre die Positionierung des Frauenchores vor der Apsis im Osten des Mittelschiffes. Inwiefern Mittelschiff und Seitenschiff, also die gesamte Breite des Langhauses, genutzt wurde, muss offenbleiben bis weitere Bodenuntersuchungen erfolgt sind, die die genauen Abmessungen der Seitenschiffe gen. Mit einem Exkurs über die Edeldame Rikquur, in: Rotenburger Schriften 91 (2011), S. 205–233, hier S. 206. – Art. „Zeven“, in: Niedersächsisches Klosterbuch 2012 (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 1593–1600 (Elfriede Bachmann), insb. S. 1595 und 1598 zum Bau.

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belegen und möglicherweise Abschrankungen in Längs- oder Querrichtung zur Separierung verschiedener Personengruppen sichtbar machen. In Säckingen ist zwar der Gründungsbau nicht mehr greifbar, aber ein im frühen 11. Jahrhundert errichteter Neubau, bei dem es sich ebenfalls um eine dreischiffige Basilika ohne Querhaus mit apsidialem Chorschluss handelte.83 Das Sanktuarium war wegen der darunterliegenden Kryptenanlage erhöht. Der Frauenchor wurde von Felicia Schmaedecke ebenerdig vor dem Sanktuarium am Ostende des Mittelschiffes verortet.84 St. Gertrud in Nivelles bestand seit dem 9. Jahrhundert als Frauenstift und erhielt zur selben Zeit einen Neubau in Form einer dreischiffigen Anlage mit Rechteckchor, Ringkrypta im Osten und einem Atrium im Westen.85 Auf ein Querhaus wurde auch bei diesem Bau verzichtet. Der Sitz der Frauen in Nivelles wird in der Literatur nicht thematisiert, aber möglicherweise könnte eine genaue Analyse der sakralen Binnentopografie Aufschluss bringen. Erste Anhaltspunkte dafür sind die auf der Mittelachse nachweisbaren Altäre und verschiedene Gräber sowie Fragmente von Skulpturen und Säulchen, die im nördlichen Seitenschiff gefunden und als Reste einer Schrankenanlage gedeutet wurden.86 Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass sowohl die Altarstellen als auch die Schranken erst einer späteren Bauphase um 1000 zugerechnet werden. Der Zugang zur Ringkrypta erfolgte über die Seitenschiffe,87 was nahelegt, die Frauen im Mittelschiff zu verorten, wo sie ungestört von den Pilgern ihrem Chordienst hätten nachkommen können. Theoretisch denkbar wäre, dass die Skulpturen- und Säulenfragmente von einer Abschrankung zwischen Mittel- und Seitenschiffen stammen, die den Frauenchor ebenerdig separiert hat.

83 Vgl. Schmaedecke 2007 (wie Anm. 37), S. 121. 84 Schmaedecke 2007 (wie Anm. 37), S. 125 mit Abb. 10 auf S. 122. 85 Zu Nivelles vgl. Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36), Bd. 3, S. 236–238. – Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 860–875, hier S. 862 und Bd. 4, S. 616–618. – Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 135 f. 86 Vgl. für die Funde und Datierungen Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 862 zusammen mit den Korrekturen in Bd. 4, S. 616 f. Zu klären wäre dabei die Datierungen der Schrankenfragmente, die zunächst als „karolingisch“ bezeichnet, dann aber der Bauperiode um 1000 zugeschlagen werden. 87 Vgl. Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 4, S. 617.

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Für St.  Ursula in Köln sind unter dem romanischen Neubau seit spätrömischer Zeit Bauten nachweisbar, die sukzessive umgebaut wurden.88 Umfangreiche Veränderungen, die aufgrund von Keramikfunden in das 10. Jahrhundert, in die Amtszeit von Erzbischof Hermann I. (amt. 889–924), datiert werden, sind von der Forschung mit dem Einzug des Frauenkonventes aus Gerresheim in St. Ursula in Verbindung gebracht worden.89 Vorgefunden wurde eine dreischiffige Anlage mit Apsis, Apsisnebenräumen und einem schlüssellochförmigen Einbau, vermutlich einem Ambo, vor dem abgeschrankten Chor, wie er vermutlich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts entstanden war.90 Im Zuge der Umbauten des 10. Jahrhunderts wurden die Zwischenräume zwischen den Stützen bis zu einer unbekannten Höhe vermauert. Die Schranke, die zuvor die Apsis vom Mittelschiff abgrenzte, wurde niedergelegt und stattdessen ein knapp 27 m2 großer Einbau errichtet. Über diesen Einbau gibt es keine genauere Kenntnis, außer dass er sich – wie ein Podium gestaltet – in den Ostteilen der Kirche über die gesamte Breite erstreckte. Mög­licherweise hing der Einbau dieses Podiums mit den Hippolythus-Reliquien zusammen, die die Gerresheimer Stiftsdamen mit nach St. Ursula brachten. Zumindest wäre durch diese Erhöhung eine Inszenierung der Reliquien, deren Verehrung seit ca. 925 in St. Ursula überliefert ist,91 möglich. Auch wenn die Höhen der verschiedenen Schranken im Inneren der Kirche nicht bekannt sind, stellen sie eine Separierung dar und legen die Nutzung des Raumes durch mehrere Personengruppen nahe. Kaum vorstellbar ist, dass die Stiftsdamen in ihrer Kirche an den Rand, also in die Seitenschiffe oder den im Westen abgeschrankten Bereich, fern vom Allerheiligsten und den Reliquien, gedrängt wurden, auch wenn sich deren Sitz vor dem Podium im Mittelschiff zurzeit nicht beweisen lässt. Bei den hier betrachteten mehrschiffigen Frauenstiftskirchen ohne Querarme ist kein Ort architektonisch besonders ausgebildet, der die Position des Frauenchores markiert. Für steinerne oder hölzerne Emporen im Westen oder in den Sei88 Vgl. für die Rekonstruktionen der einzelnen Bauten Gernot Nürnberger: Die Ausgrabungen in St. Ursula zu Köln, Diss. Bonn 2000 [masch.], online publiziert 2002. http://hss.ulb.unibonn.de/2002/0006/0006.htm [2.10.2017]. 89 Vgl. Nürnberger 2002 (wie Anm. 88), S. 152 f. 90 Vgl. die Beschreibung von Bau IIb und IIc/IIIa bei Nürnberger 2002 (wie Anm. 88), S. 36–65 und 152 f. 91 Vgl. Tracy Niepold / Hedwig Röckelein: Frühmittelalterliche Seiden und Authentiken aus St. Ursula in Köln, in: Seide im früh- und hochmittelalterlichen Frauenstift. Besitz – Bedeutung – Umnutzung, hg. v. Thomas Schilp / Annemarie Stauffer (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 11), Essen 2013, S. 199–231, hier S. 201 f.

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tenschiffen gibt es in diesen frühen Bauten keine Hinweise, sodass bis auf Weiteres von einem ebenerdigen Sitz der Frauen ausgegangen werden muss. Sinnfällig ist aus verschiedenen Gründen der östliche Bereich der Kirche, je nach Bau, Chorform und Konventsgröße beispielsweise im Mittelschiff vor dem Sanktuarium, wie Schmaedecke es für Säckingen vorgeschlagen hat. In St. Gertrud in Nivelles oder in St. Ursula in Köln weisen Funde auf permanente Abschrankungen hin und ebenso könnten (zusätzliche) temporäre, mobile oder zumindest aus flüchtigerem Material wie Holz oder Stoff bestehende Trennvorrichtungen zur Exponierung des Frauenchores gedient haben.

Dreischiffige Anlagen mit Querhaus

Sehr häufig weisen mehrschiffige Frauenstiftskirchen Querarme auf, wie beispielsweise die Gründungsbauten der Frauenkonvente in Essen, Freckenhorst, Frose, Gandersheim, Gernrode, Geseke, Oberkaufungen oder Vreden sowie die Bauten in Meschede, Neuenheerse oder Neuss. Wie bei den Saalkirchen treten auch hier zwei verschiedene Chorschlussvarianten auf: häufig apsidial, selten gerade. Die Verteilung ist hier also genau andersherum als bei den Saalkirchen. Diese Beobachtung mag sich bei der Einbeziehung eines größeren Denkmälerbestandes ändern, könnte aber möglicherweise auch auf einen Zusammenhang zwischen Bauform und Konventssitz hindeuten: Ein rechteckiger Chorschluss bietet potentiell mehr Platz für Personen als ein apsidialer – insbesondere, wenn kein zusätzliches Chorjoch zwischen Apsis und Saal eingefügt ist, wie es dagegen bei den mehrschiffigen Anlagen oft der Fall ist. Während der Konvent in mehrschiffigen Anlagen mit Querhaus an verschiedenen Orten seinen Sitz haben konnte und man hier nicht auf einen möglichst großen Chorbereich angewiesen war, standen in Saalkirchen weniger Möglichkeiten zur Verfügung, was vielleicht zur häufigeren Verwendung von Raum bietenden Rechteckchören oder zur Ausbildung von Sonderlösungen wie der Hufeisenform in Wendhusen führte. Zu den wenigen mehrschiffigen Anlagen mit Querarmen und Rechteckchor gehört der Gründungsbau des Frauenstifts in Meschede (gegr. zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts / vor 913), für den sich eine dreischiffige, kreuzförmige Basilika mit Westturm und Krypta nachweisen lässt.92 Große Teile davon sind noch im 92 Zu Meschede vgl. grundlegend Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3). – Lobbedey 1996 (wie Anm. 4), S. 99 f. – Kat. Nr. VIII.41 Meschede, ehem. Stiftskirche St.  Walburga (Uwe

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bzw. unter dem heutigen barocken Neubau von 1663/64 erhalten. Dendrochronologisch konnte eine Bauzeit um 900 ermittelt werden.93 Die Querhausarme sind zu den Seitenschiffen abgeschlossen gewesen, während das Mittelschiff bis zu dem rechteckig schließenden Chor durchläuft. Nur die flachen Wandvorlagen bilden hier eine Zäsur. Über die apsidial geschlossenen Querarme ist die Winkelgangkrypta mit den Walburgareliquien zugänglich. Große Bedeutung kommt der Kirche in Meschede wegen ihrer Emporen zu – den frühesten bisher nachgewiesenen aus der Karolingerzeit. Für die Empore im Westen wird u. a. aufgrund der Steilheit der Stiege dort hinauf ausgeschlossen, dass sich hier der Frauenchor befand.94 Eine zweite Möglichkeit bieten die Querhausarme: Hilde Claussen und Uwe Lobbedey haben zwischen Mittelschiff und Querhausarmen Spuren je einer Mittelstütze gefunden, im Norden noch die Basis, im Süden einen Abdruck an korrespondierender Stelle.95 Sie rekonstruieren daraus Doppelarkaden, werten diese als Indiz für zwei weitere Emporen und verorten auf der Empore im Südquerarm den Chor der Stiftsdamen, was von der Forschung durchweg akzeptiert wird. Zur Gruppe der mehrschiffigen Anlagen mit Querhaus und apsidialem Chorschluss gehört der Gründungsbau von St.  Cyriakus in Geseke (gegr. 946).96 Die Gestalt des Langhauses ist nicht mehr zu klären, der Chorbereich hingegen wurde von Dora Marie Wintzer und Elisabeth Bömken anhand der Befunde, die zum Teil noch in dem heutigen Bau vorhanden sind, rekonstruiert. Demnach wies der

­Lobbedey), in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Bd. 2: Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hg. v. Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff, Mainz 1999, S. 553–555. – Siehe auch die Abbildung im Beitrag von Adam Stead in diesem Band. 93 Zu den genauen Dendrodaten 897–907 (± 6) vgl. Ernst Hollstein: Mitteleuropäische Eichenchronologie. Trierer dendrochronologische Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte (Trierer Grabungen und Forschungen, Bd. 11), Mainz 1980, S. 96 f. 94 Vgl. Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3), S. 121. – Vgl. dazu auch den Beitrag von Adam Stead in diesem Band. 95 Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 3), S. 120 f. und 125 f. – Vgl. Kat. Nr. VIII.41 Meschede, ehem. Stiftskirche St.  Walburga (Uwe Lobbedey), in: Kat. Paderborn 1999 (wie Anm. 92), S. 555. 96 Zur Bau- und Ausstattungsgeschichte vgl. grundlegend Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 17–22 mit den Ergebnissen der unpublizierten Magisterarbeit von Elisabeth Bömken, Münster 2003 sowie zuletzt von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 127–172 mit Quellen- und Literaturangaben. – Der Konvent zog zuerst vermutlich in die bereits vorhandene Martinskapelle ein, bis die Stiftskirche vollendet war. Vgl. dazu Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 38 und 43.

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Gründungsbau des 10.  Jahrhunderts im Osten Querhausarme mit Apsiden auf, ebenso wie ein Chorquadrum mit Apsis (Abb. 5).97 Ohne Nachweise zu erbringen, hält die Lokalforschung daran fest, es habe in Geseke eine Krypta unter dem Hochchor gegeben.98 Durch Grabungen und Geo­ radaruntersuchungen kann eine Krypta im Osten der Kirche allerdings ausgeschlossen werden und auch die Auswertung spätmittelalterlicher Schriftquellen, wie den Jura et Consuetudines (um 1370), legt nahe, dass mit der cripta in Geseke vielmehr das Turmuntergeschoss im Westen gemeint ist.99 Die ältere Forschung verortete den Sitz der Frauen in Geseke auf einer Empore im Westen100 und während Ulrich Löer bereits 2007 erste Zweifel daran aussprach,101 konnte kürzlich durch die Forschungen zum Barockisierungsprozess der Stiftskirche nachgewiesen werden, dass eine Frauenempore erst im Jahr 1669 oder kurz zuvor aus dem süd-

97 Vielen Dank an Elisabeth Bömken für das Überlassen der Zeichnungen zu den Georadaruntersuchungen und Rekonstruktionen sowie die anregenden Gespräche vor Ort. – Dora Marie Wintzer: Die Baugeschichte der Stiftskirche St. Cyriakus zu Geseke in Westfalen, Diss. Göttingen 1954 [masch.], S. 2, 25–32, 44 f., 48 und 88. Während Wintzer den Kernbau in das 10. Jahrhundert datiert, wird der mögliche Entstehungszeitraum bei Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen II: Westfalen, hg. in Zusammenarbeit mit der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen und dem Institut für vergleichende Städtegeschichte unter wissenschaftlicher Leitung von Ursula Quednau, Berlin/ München 2011, S. 347 bis ins 11. Jahrhundert ausgedehnt. 98 Paul Henke: Die Stiftsdamen, in: Geseker Heimatblätter 79/80 (1958), o. S. – Hermann Hinteler: Fragen zur Baugeschichte der Geseker Stiftskirche: Grablege/Krypta – Godehardikapelle/ Kapitol, in: Geseker Heimatblätter 373 (1993), S. 235–237, hier S. 235 f. – Hermann Hinteler: St. Cyriakus Geseke (Kleine Kunstführer, Bd. 2205), Regensburg 1995, S. 12. – Edgar Lüüs: Was schon fast vergessen ist! Über die Stiftskirche und ihre Umgebung. Grabungsbericht von Rektor Eberhard Henneböle (Rüthen) aus dem Jahr 1953, mit einem Vorwort von Dipl.-Ing. Edgar Lüüs, in: Geseker Heimatblätter 451 (2003), S. 153–158, hier S. 154. 99 Vielen Dank an Elisabeth Bömken für die Mitteilung zu den Ergebnissen der Bodenuntersuchungen. Sie werden in ihrer Dissertation, die an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster bei Prof. Dr. Werner Jacobsen begonnen wurde, publiziert. – Zu einer Krypta in den Geseker Schriftquellen vgl. von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 134–136. – Die Jura et Consuetudines sind publiziert in Johann Suibert Seibertz (Hg.): Quellen der Westfälischen Geschichte, Bd. 3, Arnsberg 1869, S. 267–322 mit einem Kommentar auf S. 255–267. – Vgl. zudem Daniel Berger: Brot und Beten. Das Präbendensystem der Geseker Stiftskirche im 14. Jahrhundert, in: Geseker Heimatblätter 503/504 (2008/09), S. 153–158 und 164–167, hier S. 155 u. a. mit einer Korrektur der vormaligen Datierung (um 1380) in die Jahre 1369/70. 100 Wintzer 1954 (wie Anm. 97), S. 30 f., 35 und 57. – Henke 1958 (wie Anm. 98), o. S. – Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 146, Anm. 71. 101 Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 21.

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Abb. 5: Geseke, ehem. Frauenstiftskirche St. Cyriakus, Rekonstruktion der Ostteile des Gründungsbaus nach Vorlagen von Elisabeth Bömken: Befund liniert, Rekonstruktion gepunktet.

Abb. 6: Gernrode, ehem. Frauenstiftskirche St. Cyriakus, schematische Rekonstruktion der Frauenstiftskirche und ihrer Sakraltopografie gegen Ende des 11. Jahrhunderts nach Clemens Kosch: Kanonissenchor kreuzschraffiert, (c) Kreuzaltar, (d) Nebenaltar im nördlichen Querschiffarm: St. Maria, (e) Nebenaltar im südlichen Querschiffarm: St. Petrus, (f) Kryptenaltar; (1) Confessio mit Cyriakus-Reliquiar, (2) Hl. Grabkammer, (3) Stiftergrab des Markgrafen Gero (verst. 965), (4) Grab der Gründungsäbtissin Hathui (verst. 1014) vor dem Hl. Kreuzaltar sowie weitere Äbtissinnengräber, (5) Grab einer unbekannten Frau (Äbtissin des 11./12. Jahrhunderts) im zum Mittelschiff geschlossenen Annex des südlichen Querschiffarms, außen an die Ostwand der Hl. Grabkammer stoßend.

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lichen Querhausarm nach Westen verlegt worden ist.102 Laut Bömken darf schon für den Gründungsbau des 10.  Jahrhunderts eine Empore im Südquerhausarm angenommen werden, da hier eine hochgelegene Nische, vermutlich zur Aufbewahrung von Gegenständen für den Chordienst, auf eine Zweigeschossigkeit hinweist.103 Die Position des Stifterinnengrabes in der Vierung und der Anschluss der Konventsbauten mit Dormitorium an den Südquerhausarm stützten diese These. Eine vergleichbare Disposition in den Ostteilen hat der Gründungsbau des nur wenige Jahre später, nach 959, gegründeten Konventes in Gernrode (Abb. 6): An das wegen der darunterliegenden dreischiffigen Hallenkrypta deutlich erhöhte Chorquadrum ist eine leicht eingezogene Apsis angefügt.104 Die Querhausarme schließen in kleinen Nebenapsiden nach Osten. Während die Emporen in den Seitenschiffen ursprünglich sind, wurden die Emporen in den beiden Querhausarmen erst später, vor 1149, eingezogen. Clemens Kosch zufolge befand sich der Frauenchor jedoch vermutlich schon im Gründungsbau im Südquerhausarm, allerdings zu ebener Erde, wie eine Türöffnung in der Stirnwand nahelegt, über welche die Kanonissen zu einer Treppe gelangten, die ins Dormitorium führte.105 Der kurze Vergleich von St. Cyriakus in Geseke und St. Cyriakus in Gernrode zeigt, dass bei etwa zeitgleicher Entstehung und ähnlicher Gesamtdisposition zwei verschiedene Positionierungen des Kanonissenchores möglich waren und eine Wahlmöglichkeit zwischen einer ebenerdigen Lösung und einer auf einer Empore erhöhten Lösung bestand. Zwei weitere Frauenstiftskirchen weisen erhebliche Gemeinsamkeiten in den Ostteilen auf: Essen und Gandersheim (Abb. 7 und 8). Der Gründungsbau des Essener Stifts (gegr. Mitte des 9.  Jahrhunderts) wird anhand der fast vollständig ergrabenen Fundamente als dreischiffige Anlage mit nahezu quadratischem Vorbau im Westen und nur etwa um Mauerstärke hervorspringenden Querarmen rekonstruiert.106 Das Chorjoch ist leicht eingezogen, schließt im Osten mit einer 102 von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 148–162. 103 Freundliche Mitteilung von Elisabeth Bömken im Juli 2013. – Vgl. auch Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 20 f. mit weiteren Gründen. 104 Zu Gernrode vgl. jüngst Kosch 2017 (wie Anm. 60) S. 67–75. – Vgl. auch den Beitrag von Adam Stead in diesem Band, insb. zum Einbau der Emporen im 12. Jahrhundert. 105 Kosch 2017 (wie Anm. 60), S. 73. 106 Zu Essen nach wie vor maßgeblich Walther Zimmermann: Das Münster zu Essen (Die Kunstdenkmäler des Rheinlands, Beiheft 3), Essen 1956, insb. S. 208–214. – Vgl. auch Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36), Bd. 1, S. 73–75, hier S. 73 f. – Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 28), Bd. 1, S. 268–278, hier S. 269.

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Abb. 7: Essen, ehem. Frauenstiftskirche St. Cosmas und Damian, Grundrissrekonstruktion des Gründungsbaus (um 850–870) nach Walther Zimmermann.

Abb. 8: Gandersheim, ehem. Frauenstiftskirche St. Anastasius und Innocentius, Grundriss des Gründungsbaus (856–881).

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Apsis und wird von Chorseitenkapellen flankiert. Dass diese Disposition mit der in Gandersheim (gegr. 852) vergleichbar ist, wurde schon mehrfach thematisiert, zuletzt 2006 von Lobbedey.107 Dabei darf vernachlässigt werden, dass die Reste des Querhauses und der Chorseitenkapellen in Gandersheim in das letzte Viertel des 10.  Jahrhunderts datiert werden und nur die Seiten des Chorjochs noch vom Gründungsbau des 9. Jahrhunderts (gew. 881) stammen. Denn die Form der Ostteile geht insgesamt, inklusive der Chorseitenkapellen,108 sehr wahrscheinlich auf den Gründungsbau zurück, u. a. weil hier das Stifterpaar bestattet wurde: Herzog Liudolf (805/06–866) in der Stephanuskapelle im Süden, seine Gemahlin Oda (verst. 913) später, einige Jahrzehnte nach Fertigstellung des Baus, in der Marienkapelle im Norden, wo zuvor schon deren gemeinsame Tochter und erste Äbtissin Hatumod (amt. 852–874) beigesetzt worden war.109 Wurde von der Forschung ganz allgemein schon häufig ein räumlicher Zusammenhang zwischen dem Grab der Stifter, der ersten Äbtissin oder einer/einem Gründungsheiligen und dem Sitz der Frauen in der Kirche festgestellt,110 so ist dieser auch hier zu konstatieren. Die Gandersheimer Stiftsdamen hatten ihren Sitz im Nordquerhausarm, vermutlich zu ebener Erde in unmittelbarer Nähe zu ihrer Gründungsäbtissin.111 Für Essen geht Walther Zimmermann ebenfalls von einem Sitz der Frauen in den Ostteilen aus, entweder in einem der Querhausarme ebenerdig oder alternativ auf einer Empore oder in den überbauten Chorseitenkapellen, jedenfalls im Norden wegen der dort anschließenden Konventsbauten.112 Die Chorseitenkapellen in Essen und Gandersheim schienen bisher eine Seltenheit zu sein, die bei der Betrachtung der Chorformen nur diese beiden Frauenstiftskirchen zusammenbindet. Allerdings 107 Uwe Lobbedey: Bemerkungen zur Baugeschichte der Stiftskirche in Gandersheim, in: Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften, hg. v. Martin Hoernes / Hedwig Röckelein (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 4), Essen 2006, S. 151–172, hier S. 160 f. 108 Nach Lobbedey 2006 (wie Anm. 107), S. 161 könnten sie eine andere Form gehabt haben, sind aber an derselben Stelle anzunehmen. 109 Zur problematischen Quellensituation für die Bestattungsorte von Oda und ihren Töchtern vgl. Christian Popp: Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, Bd. 3), Regensburg 2010, S. 56–58. 110 Vgl. Muschiol 2001 (wie Anm. 7), S. 145. – Löer 2007 (wie Anm. 10), S. 21. – Vgl. ferner Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 139 f. – von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 351 f. 111 Vgl. Lobbedey 2006 (wie Anm. 107), S. 161 mit Verweis auf die Stellen bei Goetting 1973 (wie Anm. 21), S. 24 f., 27 und 39. 112 Zimmermann 1956 (wie Anm. 106), S. 212.

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Abb. 9: Vreden, ehem. Frauenstiftskirche St. Felicitas, Rekonstruktion des Gründungsbaus mit Krypta (Bau I und Ia) nach Harald Weiss.

weist auch die Stiftskirche in Pfalzel nach den letzten Umbauten des 10. Jahrhunderts eine ähnliche Disposition auf und wäre bei einer genaueren Betrachtung mit einzubeziehen. Es sollen abschließend zwei weitere Stiftskirchen genannt werden, die gemäß den von der Forschung akzeptierten Rekonstruktionen ebenfalls in die Kategorie der mehrschiffigen Anlagen mit Querhaus und Apsis fallen: Der Gründungsbau der Frauenstiftskirche in Vreden (gegr. um 839), der unter der heutigen Pfarrkirche St. Georg ergraben wurde, war nach Harald Weiss eine dreischiffige Basilika mit einem vermutlich mehrgeschossigen Westbau und Querhausarmen sowie vermutlich drei Apsiden im Osten (Abb. 9).113 Die Nebenapsiden sind ergraben. Befunde für den Chorschluss fehlen, aber anhand der Disposition der kurze Zeit später, um 839, eingefügten Umgangskrypta rekonstruiert Weiss ein schmales, queroblonges Sanktuariumsjoch zwischen Vierung und Apsis.114 Die Querhausarme waren von den Seitenschiffen aus nicht zu betreten und die Vierung war durch Mau113 Harald Weiss: Die Baugeschichte von St.  Georg zu Vreden, Kr. Borken. Die Ergebnisse der Ausgrabungen von 1949–1951 und 2003–2004, Rahden 2010, insb. S. 61–85 und 159–162. – Vgl. auch den Beitrag von Hedwig Röckelein in diesem Band. 114 Weiss 2010 (wie Anm. 113), S. 159.

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erzungen vom Mittelschiff abgeschnürt. Der Zugang zur Krypta erfolgte von der Vierung aus über eine Treppe in den Mittelstollen. Dieser verzweigte sich nach Norden und Süden, sodass jeweils ein Umgang zu einer Treppe hinauf in die Querhausarme führte, sowie nach Osten zu einer kreuzförmigen oder runden Scheitelkapelle. Die Wegeführung in die Krypta hinein bzw. wieder heraus macht es sehr unwahrscheinlich, dass sich der Frauenchor ebenerdig vor dem Sanktuarium oder in einem der Querhausarme befunden hat. Für die Gestalt und die Nutzung des Westbaus fehlen bisher genaue Anhaltspunkte, die die Annahme gestatten, den Frauenchor hier zu verorten. Sofern der von Weiss gezeichnete Rekonstruktionsvorschlag richtig ist und es Zugangsmöglichkeiten über die Stirnseiten der Querarme gegeben hat,115 wäre theoretisch ein Sitz der Frauen ebenerdig im Mittelschiff denkbar, da die Besucher der Krypta hier nicht entlang gemusst hätten. Eine Querarmempore könnte – wie in Meschede – ebenfalls eine Lösung geboten haben, wäre hier dann aber ein deutlich früheres Beispiel aus dem zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts. Da die Konventsbauten auf der Südseite der Kirche vermutet werden, wäre der dortige Querarm derjenige, der für den Frauenchor eher in Frage käme. Obwohl es für diese Zeitstellung bisher nichts Vergleichbares gibt, muss dies kein Ausschlusskriterium sein; es bedarf aber einer genaueren Überprüfung. Darüber hinaus käme der Hochchor selbst als Sitz des Frauenkonventes in Frage, womit sich die Frauen direkt über den Gründungsreliquien positioniert hätten. Schon in der Frühzeit gab es in Vreden neben der Stiftskirche eine zweite Kirche (an der Stelle der heutigen Felicitaskirche), die seit dem Spätmittelalter als Kanonikerund Pfarrkirche belegt ist, diese Funktion vermutlich aber schon seit früherer Zeit hatte. Wenn die Stiftsdamen ihre Kirche sozusagen für sich hatten, spricht einiges dafür, sie hier im Hochchor zu verorten, zumal dies die Besucherführung in die Krypta nicht tangieren und auch keine besonders frühe, bisher jeder Grundlage entbehrende Empore im Querarm erfordern würde. Die Frauenstiftskirche des 9.  Jahrhunderts ist in Freckenhorst (gegr. um 856) nur in Ansätzen bekannt, wird aber in Anlehnung an den Vredener Gründungsbau als mehrschiffige Anlage mit zu den Seitenschiffen abgeschlossenen Querhausar-

115 Harald Weiss: Die Baugeschichte von St.  Georg bis zur spätromanischen Kirche, in: Stift – Stadt – Land. Vreden im Spiegel der Archäologie, hg. v. Hans-Werner Peine / Hermann Terhalle (Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde, Bd. 69), Vreden 2005, S. 99–138, hier S. 109, Abb. 11 (in diesem Beitrag Abb. 9). – Vgl. Weiss 2010 (wie Anm. 113), Taf. 1–3 und 15–17.

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Abb. 10: Freckenhorst, ehem. Frauenstiftskirche St. Bonifatius, Rekonstruktion des Gründungsbaus nach Uwe Lobbedey.

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men und Umgangskrypta rekonstruiert (Abb. 10).116 Die Apsiden waren hier nur in die Mauerstärke eingetieft und traten am Außenbau nicht zum Vorschein. Für diesen karolingischen Bau ist nicht bekannt, wo die Kanonissen ihren Sitz hatten, sondern erst für den Nachfolgebau. Nach Lobbedey entstand der Südquerhausarm des Neubaus um 1090 und wies eine hölzerne Empore auf.117 Dieser Ort wurde in der Folgezeit bei allen weiteren Bau- und Neuausstattungsmaßnahmen beibehalten und die steinerne Empore des 12.  Jahrhunderts erst 1824 abgebrochen.118 Auch wenn der Wunsch nach Kontinuität es nahelegt, kann damit letztlich nicht bewiesen werden, dass sich schon der Frauenchor des Gründungsbaus im Südquerhausarm ebenerdig oder auf einer Empore befunden hat. Die Wegeführung zur Krypta würde auch hier eher für eine Empore als für eine ebenerdige Disposition sprechen, aber zum einen basiert die Rekonstruktion der Ostteile inklusive der Krypta in Freckenhorst in weiten Teilen auf einer Analogiebildung zur Situation in Vreden und zum anderen ließe sich auch hier einwenden, dass es für so frühe Querarmemporen – die Reliquienübertragung, die der Grund für den Bau der Umgangskrypta gewesen sein wird, fand 861 statt – bisher keine erhaltenen oder archäologisch sicher nachweisbaren Beispiele gibt. Viele der mehrschiffigen Anlagen mit, aber auch ohne Querhaus weisen eine Krypta auf. Die Krypten folgen wiederum unterschiedlichen Typen: Winkelgangkrypten wie in Meschede und Säckingen, Umgangskrypten wie in Vreden und Freckenhorst oder Hallenkrypten wie in Gernrode und Oberstenfeld. Etwas Frauen­spezifisches lässt sich dabei nicht finden – vielmehr bedingen sich Form und Funktion: Die Winkelgang- und Umgangskrypten sind durch das Gangsystem auf Prozessionen angelegt, die Hallenkrypten bieten durch ihre Mehrschiffigkeit mehr Raum für Stationen und Versammlungen. Wichtig für die Verortung des Frauenchores in diesen Bauten ist die Wegeführung der Pilger in die Krypta. Da diese Konventsfremden möglichst von den Konventsmitgliedern separiert werden sollten, können Bereiche, an denen zu viel Publikumsverkehr herrschte, als Ort für den Frauenchor mit einiger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. 116 Zum Gründungbau in Freckenhorst vgl. Uwe Lobbedey: Zur Baugeschichte von Kirche und Kloster zu Freckenhorst, in: Kirche und Stift Freckenhorst. Jubiläumsschrift zur 850. Wiederkehr des Weihetages der Stiftskirche in Freckenhorst am 4. Juni 1979, hg. v. Karl Theodor ­Kusenberg, Warendorf 1979, S. 69–93, hier S. 74–82. – Hilde Claussen: Die Krypta der Stiftskirche zu Freckenhorst, in: Kusenberg 1979 (Ebd.), S. 57–68, hier S. 65–68. – Lobbedey 2000 (wie Anm. 4), S. 32 f. 117 Lobbedey 1996 (wie Anm. 4), S. 99. – Lobbedey 2000 (wie Anm. 4), S. 37. 118 Vgl. von Ditfurth 2016 (wie Anm. 29), S. 261–269.

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Resümee

Die Gründungsbauten von Frauenstiften im Frühmittelalter zeigen – wie die frühmittelalterliche Architektur allgemein – diverse Bautypen. Dabei weisen sie keine frauenspezifischen Merkmale auf; alle Bautypen finden sich ebenso bei Männerkonventskirchen oder Pfarrkirchen.119 Der Ort des Frauenchores ist an der Form allein nicht ablesbar. Dennoch liefert die Architektur Indizien: Ein flächenmäßig sehr kleiner Bereich, wie ein einfaches Apsisrund oder der trapezförmige Chor in St. Cäcilien in Köln, dürfte zu wenig Platz für den Frauenkonvent geboten haben. Mehrere Zugänge an einer Stelle können gegen die Lokalisierung des Frauen­chores sprechen, sofern es sich nicht um konventseigene Zugänge handelte. Abschrankungen dienten möglicherweise dazu, den Frauenchor zu exponieren. Sofern aufgehendes Mauerwerk erhalten ist, können Sitznischen oder Nischen zur Aufbewahrung von Utensilien für den Chordienst auf den Konventssitz hindeuten. Neben der Architektur müssen selbstverständlich liturgische Handlungsorte wie Altäre oder Grabstellen berücksichtigt werden, zu denen die Stiftsdamen unter Umständen Nähe suchten, wie auch die Wegeführung verschiedener Akteure innerhalb und gegebenenfalls außerhalb des Baus. Schon die wenigen hier angesprochenen Beispiele haben durch die bautypologische Systematisierung gezeigt, dass auch innerhalb bestimmter Kategorien wie Saalkirchen, kreuzförmigen Saalkirchen, dreischiffigen Anlagen mit oder ohne Querhaus mit rechteckigem, apsidialem oder hufeisenförmigem Chorschluss unterschiedliche Dispositionen mit oder ohne Empore vom 9. bis zum 11. Jahrhundert möglich sind. Das Bild bleibt gewissermaßen heterogen, denn allgemeingültige, gar übertragbare Regeln lassen sich bislang keineswegs ableiten. Ebenso wenig wie der Frauenchor auf einer Westempore gelegen haben muss (was für die Frühzeit nach wie vor nicht ohne Zweifel nachgewiesen werden kann), hat er sich stets sicher ebenerdig oder auf einer Empore im Querarm befunden. Auch wenn es eine recht starke Tendenz für die Nutzung der Querarme durch Frauenkonvente gibt, darf dies einerseits nicht einfach, sozusagen ‚wie üblich‘, vorausgesetzt werden und andererseits nicht dazu führen, Bauten ohne Querhaus von der Betrachtung auszuschließen. Im Gegenteil, das Einbeziehen verschiedener Bautypen kann helfen, das Bild zu differenzieren und dem Kategorisierungs- und Vereinfachungsbestre119 Das haben bereits die Einzelstudien gezeigt, die zur Einordnung mehrfach auf andere Kirchen zurückgreifen. Vgl. z. B. die Ausführungen bei Lange 1997 (wie Anm. 9), S. 37–47 und 50. – Ellger 2003 (wie Anm. 7), S. 142 f. – Weiss 2010 (wie Anm. 113), S. 231 f. und passim.

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ben unserer Wissenschaft entgegenzuwirken. Das macht die Sache zugegebenermaßen komplex, zumal die Lokalisierung des Frauenchores in nahezu allen Fällen für die Frühzeit zunächst hypothetisch bleiben muss. Claussens These, die Stiftsdamen hätten bis 1139 in einigen Fällen noch gemeinsam mit den Kanonikern im Hochchor gesessen, lässt sich somit bisher weder bestätigen noch widerlegen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich von alten Denkmustern zu lösen und die immer besser aufgearbeiteten Bauten nach und nach vor dem Hintergrund der aktuellen Frauenstiftsforschung im Hinblick auf ihre Nutzung durch einen Frauenkonvent neu zu prüfen. Im Rahmen einer summarischen Zusammenstellung ausgewählter Beispiele war dies nur in Ansätzen möglich und es muss tiefgehenden Einzelstudien und systematischen Monografien vorbehalten bleiben, die sakrale Binnentopografie frühmittelalterlicher Stiftskirchen zu rekonstruieren. Dabei gilt es vor allem diejenigen Frauenkonvente mit einzubeziehen, die bisher wenig besprochen worden sind. Die Funde beispielsweise in Heeslingen und Wendhusen zeigen, wie überraschend eine Neubetrachtung sein kann und wie viel Diskussionsbedarf es noch gibt.

Raum im Raum – Bemerkungen zu Querhausemporen in Frauenstiftskirchen im 11. und 12. Jahrhundert Adam Stead

Die Frage nach dem Sitz der Kanonissen gehört zu den Kernfragen in der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte vor allem aus liturgiewissenschaftlicher und kunsthistorischer Perspektive. Von besonderer Bedeutung ist das bereits im späten 11. Jahrhundert nachweisbare Vorkommen und die besonders im 12. Jahrhundert vermehrt zu beobachtende Verbreitung von Querhausemporen als Mittel zur Abgrenzung der Kanonissen, sowohl von Klerikern im Hochchor als auch von Laien im Langhaus. Zu dieser Zeit werden Emporen nachträglich in den Querarmen bereits bestehender Kirchenbauten errichtet oder als integraler Bestandteil von Neubauten eingeplant. Diese Einbauten wurden also in ein schon vorhandenes oder in ein neu definiertes sakraltopografisches und liturgisches Gefüge eingezogen. Neben ihrer Funktion als Räume der Klausur – ein Aspekt, der bisher das Hauptaugenmerk auf sich gezogen hat1 – ist daher auch zu fragen, wie sich Querhausemporen als neues, zeitgemäßes Element in ihren jeweiligen räumlichen und kultischen Zusammenhang einfügten. Im Folgenden wird dieser Frage nachgegangen, um herauszuarbeiten, wie Querhausemporen in hochmittelalterlichen Frauenstiften als ‚Raum im Raum‘ funktioniert haben könnten – als Räumlichkeiten, die nicht nur Trennung für Chorgebet 1

Vgl. vor allem Gisela Muschiol: Liturgie und Klausur: Zu den liturgischen Voraussetzungen von Nonnenemporen, in: Studien zum Kanonissenstift, hg. v. Irene Crusius (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 167; Studien zur Germania Sacra, Bd. 24), Göttingen 2001, S. 129–148. – Dies.: Architektur, Funktion und Geschlecht: Westfälische Klosterkirchen des Mittelalters, in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und Spiritualität, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte, Bd. 2), Münster 2003, S. 791–811, insb. S. 799–805. – Dies.: Zeit und Raum – Liturgie und Ritus in mittelalterlichen Frauenkonventen, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Ausst. Kat. Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, hg. v. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, S. 40–51, hier S. 45.

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und Messe ermöglichten, sondern auch in mehrfacher Beziehung zu umliegenden Raumteilen und dort stehenden Ausstattungsstücken sowie dort vollzogenen liturgischen Feiern standen. Der Fokus liegt dabei exemplarisch auf Beispielen aus größeren, ranghohen Frauenstiften im deutschsprachigen Raum, für die der architektonische Befund und die Quellenlage eine solche Fragestellung überhaupt zulassen.2 Diesen Ausführungen zu hochmittelalterlichen Querhausemporen vorangestellt ist ein Überblick zum Forschungsstand mit besonderer Berücksichtigung der Frage nach möglichen Vorstufen von Kanonissenemporen in frühmittelalterlicher Zeit.

Forschungsstand

Das Phänomen der Querhausemporen in mittelalterlichen Frauenstiftskirchen hat Irmingard Achter 1985 zum ersten Mal grundlegend, ausführlich und in seiner geschichtlichen Komplexität untersucht.3 Dabei verwies sie auf eine Reihe von Emporeneinbauten, die im Hochmittelalter nachträglich in die Querarme bestehender Kirchenbauten eingezogen wurden, sowie auf die Errichtung von Emporen in Neubauten des 13. Jahrhunderts und stellte damit eine breite Materialsammlung auf. Mit ihrem Beitrag hat Achter nicht nur ein wichtiges architekturgeschichtli2

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Eine umfassende Darstellung aller bekannten Beispiele von Querhausemporen in mittelalterlichen Frauenstiften muss aus Platzgründen ausbleiben. Zusammenstellungen von Beispielen finden sich bei Irmingard Achter: Querschiff-Emporen in mittelalterlichen Damenstiftskirchen, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 30/31 (1985), S. 39–54. – Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 800–804 (speziell zu Westfalen), wobei hier die Korrekturen von Margit Mersch: Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Vallis Dei in Brenkhausen im 13. und 14. Jahrhundert (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Bd. 45), Mainz 2007, S. 223–225 zu berücksichtigen sind. – Nicht diskutiert wird hier die Ausstattung der Emporen, darunter die häufig erst für spätere Zeit überlieferten Altäre auf Emporen; wie von Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 798 mit Anm. 28 bereits angemerkt, bedarf die Frage nach der Nutzung von Altären auf Frauenemporen insgesamt – und besonders im Wandel der Zeit – noch einer eingehenden Behandlung. – Da im Folgenden der Fokus auf Querhausemporen liegt, werden die gelegentlich zur gleichen Zeit in Frauenstiftskirchen anzutreffenden Westemporen bis auf wenige Beispiele (s. u. zu den Kölner Frauenstiften) nicht behandelt. Ausgeklammert bleibt ebenfalls die noch näher zu untersuchende Frage nach Divergenzen und möglichen Berührungspunkten zu Frauenklöstern in dieser Zeit. Achter 1985 (wie Anm. 2). – Vgl. bereits zuvor in Ansätzen Karl Heinrich Schäfer: Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung im Zusammenhang mit dem altchristlichen Sanktimonialentum, Stuttgart 1907, S. 188–191.

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ches Phänomen umrissen, sondern auch erstmalig die Querhausemporen in Frauenstiften als eine geschlechtsspezifische, in der Notwendigkeit der Trennung der Kanonissen von Klerus und Laien bedingte Baulösung erwiesen. Während dieses Ergebnis bis heute seine Gültigkeit bewahrt hat, sind andere Thesen Achters inzwischen von der Forschung zurückgewiesen worden. Entgegen ihrer Annahme, dass die Querhausemporen des Hochmittelalters eine Verlegung des Kanonissenchores aus früheren Westbauten nach Osten darstellen würden,4 geht die jetzige Forschung vielmehr davon aus, dass Kanonissen bereits in der Frühzeit der Frauenstifte ihren Platz in einem Querarm im Osten der Kirche gehabt haben könnten.5 Als Gründe hierfür werden die relative Abgeschiedenheit dieser Räume vom übrigen Kirchenraum sowie die Nähe zum Hochchor genannt, wobei Letzteres in den standesbewussten, hochadeligen Frauenstiften besonders ausschlaggebend gewesen sein könnte.6 Die Verortung von Kanonissenchören in Querarmen für die Frühzeit bleibt allerdings noch weitgehend hypothetisch und muss in jedem Einzelfall auf der Grundlage der örtlichen Indizienlage kritisch

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Achter 1985 (wie Anm. 2), S. 46 und 50. – Vgl. zuvor bereits Schäfer 1907 (wie Anm. 3), S. 189 f. – Ähnlich auch bei Ralf Dorn: Wo saßen die Stiftsdamen?, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 9 (2001), S. 7–30, hier S. 19 f. 5 Diese These wurde zuerst aufgestellt von Hilde Claussen / Uwe Lobbedey: Die karolingische Stiftskirche in Meschede. Kurzer Bericht über die Bauforschung 1965–1981, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 67 (1989), S. 116–126, hier S. 121 und 125 f. – Vgl. außerdem Uwe Lobbedey: Romanik in Westfalen, Würzburg 1999, S. 16. – Gerhard Leopold: Frauenemporen in Stifts- und Klosterkirchen des frühen Mittelalters im östlichen Sachsen, in: ‚Es Thvn Iher Viel Fragen …‘ Kunstgeschichte in Mitteldeutschland. Hans-Joachim Krause gewidmet, hg. v. Reinhard Schmitt / Uwe Steinecke (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd. 2), Petersberg 2001, S. 15–30. – Matthias Wemhoff: Zum Stand der archäologischen Erforschung der Baugestalt westfälischer Damenstifte im 9. und 10. Jahrhundert, in: Hortus artium medievalium. Journal of the International Research Center for Late Antiquity and the Middle Ages 8 (2002), S. 119–124, hier S. 120. – Otfried Ellger: Das ‚Raumkonzept‘ der Aachener Institutio sanctimonialium von 816 und die Topographie sächsischer Frauenstifte im früheren Mittelalter. Eine Problemübersicht, in: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, hg. v. Jan Gerchow / Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 2), Essen 2003, S. 129–159, hier S. 145 – Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 799–804, insb. S. 804. 6 Vgl. Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 145.

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Abb. 11: Meschede, ehem. Frauenstiftskirche St. Walburga, Rekonstruktion der karolingischen Kirche nach Uwe Lobbedey.

überprüft werden.7 Ungeklärt ist auch, inwiefern die Liturgie in frühmittelalterlichen Frauenstiften ortsfest in einzelnen Raumteilen verankert war.8 Ebenfalls schwer zu beantworten ist die Frage nach möglichen frühmittelalterlichen Vorläufern für die Querhausemporen des Hochmittelalters. Eine Schlüsselposition kommt in dieser Hinsicht der um 900 errichteten Stiftskirche in Meschede zu, für die Hilde Claussen und Uwe Lobbedey 1989 anhand von Grabungsbefunden und Bauuntersuchungen eine Rekonstruktion vorlegten, die seitdem als Beispiel für das Vorkommen von Querhausemporen bereits in karolingischer Zeit genannt wird (Abb. 11).9 7 Wie Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 145 f. betont, können auch andere Orte im Kirchenbau als Sitz der Kanonissen nach dem jetzigen Wissensstand nicht vollständig ausgeschlossen werden; er vermutet für die Frühzeit neben der Nutzung für besondere liturgische Feiern eine vereinzelte Nutzung von Westemporen als Kanonissenchor. – Zum Ort des Frauenchores in der Frühzeit vgl. auch den Beitrag von Julia von Ditfurth in diesem Band. 8 Vgl. hierzu Klaus Gereon Beuckers: Forschungen zum Liber ordinarius und die Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Einige Vorbemerkungen, in: Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Forschungen zum Liber ordinarius, hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 10), Essen 2012, S. 7–23, hier S. 20. 9 Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5). – Vgl. zur Baugeschichte auch Werner Jacobsen / Leo Schaefer / Hans Rudolf Sennhauser (Bearb.): Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, Nachtragsband, hg. v. Zentralinstitut für Kunstgeschichte (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, Bd. III/2),

Bemerkungen zu Querhausemporen in Frauenstiftskirchen im 11. und 12. Jahrhundert  |

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Danach verfügte die dreischiffige Kirche über eine Empore im Westen, wies aber niedrige östliche Querarme auf, die im Untergeschoss durch Doppelarkaden auf einer Mittelstütze zur Vierung geöffnet und vermutlich mit hölzernen Emporen versehen gewesen wären.10 Claussen und Lobbedey verwiesen auf praktische, von der Forschung weitgehend akzeptierte Aspekte, die gegen eine Verortung des Kanonissenchors auf der Westempore sprechen, darunter die schwere Zugänglichkeit sowie das Fehlen eines Anschlusses an die Konventsbauten, und lokalisierten den Chor der Stiftsfrauen stattdessen auf der von ihnen rekonstruierten Empore im Südquerarm.11 Allerdings wurde in Meschede nur im Nordquerarm die Basis einer Mittelstütze aufgedeckt, im Südquerarm hingegen nur ein entsprechender Abdruck.12 Ob die nördliche Mittelstütze mit einer Emporenkonstruktion auf Balken zu verbinden ist, ist nicht zwingend; jedenfalls konnte bei der jüngsten Auswertung der archäologischen Ergebnisse kein zweifelsfreier Beweis für einen Ansatz bzw. Auflager einer Empore im Aufgehenden erbracht werden.13 Insgesamt bleibt die Annahme eines Kanonissenchors auf einer Empore im Südquerarm in München 1991, S. 276 f. (Werner Jacobsen). – 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Ausst. Kat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff, Mainz 1999, Bd. 2, Kat. Nr. VIII.41, S. 553–555 (Uwe Lobbedey). – Olaf Goldstein: Die Bauuntersuchungen in der karolingischen Stiftskirche St. Walburga, in: Mescheder Geschichte, Bd. 1, hg. v. Heimatbund der Stadt Meschede, Meschede 2007, S. 103–120. 10 Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5), S. 120. 11 Die Nutzung der Westempore bleibt weiterhin unklar. Es befinden sich dort zwar in den Langhauswänden eingelassen die bekannten Schallgefäße, doch der akustische Wert dieser kleinen Gefäße war wohl nicht besonders groß, sodass sie per se keinen Rückschluss auf die mögliche Funktion der Empore liefern; vgl. hierzu Kat. Paderborn 1999 (wie Anm. 9), Kat. Nr. VIII.42, S. 556 (Uwe Lobbedey). – Vgl. dagegen jüngst Matthias Untermann: The Place of the Choir in Churches of Female Convents in the Medieval German Kingdom, in: Women in the Medieval Monastic World, hg. v. Janet Burton / Karen Stöber (Medieval Monastic Studies, Bd. 1), Turnhout 2015, S. 327–353, insb. S. 337, der aus dem Vorhandensein der Gefäße eine Nutzung der Empore für Chorgesang erwägt: „this is an important indication that this area was used for singing.“ 12 Vgl. den Ausgrabungsplan bei Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5), S. 117, Abb. 89 und S. 120. 13 Vgl. Goldstein 2007 (wie Anm. 9), S. 112. Er folgt Claussen und Lobbedey in der Annahme von Emporen in beiden Querarmen der karolingischen Kirche und verweist hierbei knapp auf „zwei Ausbrüche an den Außenseiten der heutigen Chorpfeiler“, die nahelegen, „dass das Obergeschoss des Kryptenumgangs […] an seinen Westenden mit Bögen überwölbt war, die zu einem anschließenden Raum übergeleitet haben“. Von den zwei von ihm genannten Möglichkeiten – Treppenanlagen oder Emporen – nimmt er Emporen an. Neben der unsicheren Datierung dieser Ausbrüche (karolingisch oder doch später?) wäre bei einer solchen Lösung

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Meschede in karolingischer Zeit weiterhin spekulativ, aber nachvollziehbar. Auch Rekonstruktionsversuche für andere Gründungsbauten, wie etwa in Quedlinburg und Essen,14 für die jeweils Emporenräume in den Querarmen rekonstruiert und eine Nutzung dieser Räume als Kanonissenchor ebenfalls vermutet wurde, basieren auf der Interpretation von (bau-)archäologischen Befunden und sind hinsichtlich aufgehender Strukturen entsprechend hypothetisch. Kurzum: Es kann möglicherweise vereinzelte Vorläufer für die hochmittelalterlichen Querhausemporen gegeben haben, gesichert ist vor dem ausgehenden 11. Jahrhundert jedoch nichts – erst mit der wohl um 1090 in den Südquerarm der Stiftskirche St. Bonifatius in Freckenhorst eingezogenen Querhausempore ist eine Kanonissenempore im Aufgehenden eindeutig nachgewiesen.15 Die Bedeutung des Zweiten Lateranums 1139 im Kontext der Verbreitung von Querhausemporen in den darauffolgenden Jahrzehnten – viele der bekannten Beispiele datieren aus der Mitte des 12. Jahrhunderts oder danach – ist bereits mehrfach von der Forschung betont worden.16 Der 27. Kanon dieses Konzils zielte auf eine konsequente Trennung der Sanktimonialen von den Kanonikern und Mönchen ab, indem Ersteren das gemeinsame Chorgebet mit Letzteren im gleichen Chor verboten wurde: „simil modo prehebimus, ne sanctimoniales simul cum canonicis vel monachis in ecclesia in uno choro conveniant ad psallendum.“17 Als Mittel zur Abgrenzung bot eine Querhausempore gleich mehrere Vorteile für diejenigen Frauenstifte, die sich für diese Lösung entschieden hatten – sowohl vor als auch nach 1139. Wenn, wie Gisela Muschiol es formuliert hat, Frauenemporen im Allgemeinen „das kirchliche Gebot zur Abgrenzung während der Liturgie mit der Möglichkeit, in größerem Maße an der Feier der Messe teilzuhaben als beispielsweise hinter Trennwänden“ verband, war dies besonders bei den in nächster Nähe zum dann zu fragen, wie (und ob?) die oberen Kryptagänge von anderen Personen außer den Stiftsangehörigen erschlossen worden wären. 14 Zur Diskussion der jeweiligen Bauten s. u. 15 Zur Empore in Freckenhorst s. u. Dass nicht mehr im Aufgehenden nachweisbare hölzerne Emporen – in diesem Fall in Querarmen – in der Frühzeit auch als Kanonissenchor gedient haben könnten, bleibt hypothetisch. Vgl. dazu Carola Jäggi / Uwe Lobbedey: Kirche und Klausur – Zur Architektur mittelalterlicher Frauenklöster, in: Kat. Bonn/Essen 2005 (wie Anm. 1), S.  88–103, hier S. 91. 16 Vgl. Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5), S. 126. – Dorn 2001 (wie Anm. 4), S. 18. – ­Beuckers 2012 (wie Anm. 8), S. 19. 17 Conciliorum oecumenicorum generaliumque decreta. Editio critica. Teil II/1: The General Councils of Latin Christendom. From Constantinople IV to Pavia-Siena (869–1424), hg. v. Antonio García y García u. a., Turnhout 2013, S. 113.

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Hochchor gelegenen Querarmemporen der Fall (auch wenn die Teilhabe hier primär akustisch gewesen sein mag).18 Somit geht die Tendenz zur Querarmempore auch mit der zunehmenden Bedeutung der Messfeier im Hochmittelalter einher.19 Zugleich ermöglichte die Lage des Frauenchors auf einer erhöhten Querarmempore in der Regel einen direkten und durchaus komfortablen Anschluss an die Osttrakte von Konventsbauten, wo das Dormitorium häufig im Obergeschoss untergebracht war.20 Zudem waren die Kanonissen auf einer Empore in einem abgeschiedenen Querarm auf sehr praktische Weise von den Laien im Langhaus abgegrenzt und die Stiftsfrauen besaßen mit der Empore darüber hinaus einen erhöhten, durchaus „exklusiven Gebetsort“ im Kirchenbau, der ihrem adeligen Rang entsprach.21

Querhausemporen des 11. und 12. Jahrhunderts in Frauenstiftskirchen – ein exemplarischer Überblick

St. Cyriakus in Gernrode Mit der Frauenstiftskirche St. Cyriakus in Gernrode (um 960–975) sind nicht nur Emporen aus dem zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts in beiden Querarmen erhalten, sondern zum großen Teil auch der Gründungsbau, in den diese Einbauten nachträglich eingezogen wurden (Abb. 12).22 18 Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 797. – Zur auditiven Teilnahme weiblicher Religiosen an der Messe im Allgemeinen vgl. auch Muschiol 2005 (wie Anm. 1), S. 45. 19 Vgl. Muschiol 2001 (wie Anm. 1), S. 148. 20 Vgl. hierzu Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 147. – Beuckers 2012 (wie Anm. 8), S. 19 f. 21 Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 797 f. (Zitat S. 797). 22 Zur Baugeschichte vgl. Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche zu Gernrode und ihre Restaurierung 1858–1872, Berlin 1980. – Wolfgang Erdmann u.  a.: Neue Untersuchungen an der Stiftskirche in Gernrode, in: Bernwardinische Kunst. Bericht über ein wissenschaftliches Symposium in Hildesheim vom 10.10. bis 13.10.1984, hg. v. Martin Gosebruch / Frank N. Steigerwald (Schriftenreihe der Kommission für Niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte bei der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft, Bd. 3), Göttingen 1988, S. 245–285. – Hans-Joachim Krause in Verbindung mit Gerhard Leopold / Reinhard Schmitt: Zur architektonischen Gestalt und ihrer Geschichte. Dokumentation der bauarchäologischen Befunde, in: Das Heilige Grab in Gernrode. Bestandsdokumentation und Bestandsforschung, hg. v. Hans-Joachim Krause / Gotthard Voß (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd. 3), Berlin 2007, Textbd., S. 207–310, hier S. 288–300 (mit Datierung der Bautätigkeit des 12. Jahrhunderts erst ab Mitte des Jahrhunderts statt wie gewöhnlich um 1130). – Zur Sakraltopografie vgl. Werner Jacobsen: Die Stiftskirche von Gernrode und ihre liturgische Ausstattung,

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|  Adam Stead Abb. 12: Gernrode, ehem. Frauenstiftskirche St. Cyriakus, Empore im Südquerhaus.

Aufgrund dieses außergewöhnlichen Erhaltungszustands wird das Beispiel Gernrode hier an erster Stelle und etwas ausführlicher behandelt. Bereits im ottonischen Gründungsbau könnte sich ein erster Chor für die Kanonissen im Südin: Gerchow/Schilp 2003 (wie Anm. 5), S. 219–246. – Clemens Kosch: Zur zeichnerischen Veranschaulichung der sakralen Binnentopografie von St. Cyriakus in Gernrode während des 11. und 12.  Jahrhunderts, in: Vom Leben in Kloster und Stift. Wissenschaftliche Tagung zur Bauforschung im mitteldeutschen Raum vom 7. bis 9. April 2016 im Kloster Huysburg. Reinhard Schmitt gewidmet, hg. v. Elisabeth Rüber-Schütte (Arbeitsberichte des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Bd. 13), Halle 2017, S. 65–94.

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querhaus der Stiftskirche befunden haben, als ebenerdiger oder leicht erhöhter, zur Vierung durch eine Trennwand abgegrenzter Raum.23 Die Lage hier hätte einen leichten Zugang vom Klausurbereich im Süden gewährleistet; der Chor hätte sich zudem in unmittelbarer Nähe zum Hochchor mit dem Hochaltar als liturgischem Zentrum sowie dem Vierungsbereich mit dem Kreuzaltar und der Grablege des Stiftsgründers Gero (verst. 965) befunden.24 Die nachträgliche Einrichtung der beiden Emporeneinbauten in den Querarmen im 12. Jahrhundert lässt sich noch gut an der Bausubstanz ablesen: Die westöstlichen Bögen der ausgeschiedenen Vierung wurden für die Arkadenbögen der Emporen beseitigt, wobei im Osten ‚Stümpfe‘ beibehalten wurden, die als Stützen für die Arkaden dienen und zusammen mit den beibehaltenen, tonnengewölbten Zugängen zur Krypta die Aufgänge vom Chorraum zu den Emporen tragen.25 Während die ursprüngliche Funktion der Nordempore unklar bleibt, geht die Nutzung der Südempore als Frauenchor eindeutig aus spätmittelalterlichen Quellen hervor.26 Somit steht die Lage der Kanonissenempore im Südquerarm vermutlich in der Tradition des ersten Kanonissenchors. In dieser Hinsicht ist die Empore als Fortführung schon bestehender topografischer Strukturen aufzufassen.27 Mit der Em23 Vgl. Erdmann u.  a. 1988 (wie Anm. 22), S. 281 f. – Leopold 2001 (wie Anm. 5), S. 24. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 73–75 und 78 mit einem Plan auf S. 68 (vgl. hier die Abbildung im Beitrag von Julia von Ditfurth). – Die Seitenschiffemporen mit 24 Bogenstellungen, deren Zahl der Anzahl der Gernröder Kanonissen in dieser Zeit entspräche, wurden lange als erster Kanonissenchor angesehen (vgl. z. B. Voigtländer 1980 (wie Anm. 22), S. 115). Diese Annahme wird heute mit Hinweis auf die hoch angelegten Brüstungen und den schwierigen Zugang über enge, dunkle Wendeltreppen angezweifelt: Vgl. Hiltje F. H. Zomer: The so-called women’s gallery in the medieval church: an import from Byzantium, in: The empress Theophano. Byzantium and the West at the turn of the first millennium, hg. v. Adalbert Davids, Cambridge 1995, S. 290–306, hier S. 302. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 69–72 und 89, Anm. 39. 24 Zur Grablege, die wohl von Anfang an in der Vierung axial vor der Konfessio zu verorten ist, vgl. Erdmann u. a. 1988 (wie Anm. 22), S. 252 und 260. – Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 229. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 72 mit einem Plan auf S. 68. 25 Zu diesen Änderungen vgl. Erdmann u. a. 1988 (wie Anm. 22), S. 253–258 und 263 f. 26 Vgl. die Quellensammlung bei Voigtländer 1980 (wie Anm. 22), S. 137 mit eindeutiger Erwähnung 1392 (Nr. 32): „up der iuncvrowen kore“. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 76 f. vermutet auf der Nordempore eine Sakristei bzw. Schatzkammer, die dann in die für die gotische Zeit belegte Sakristei überging. 27 Vgl. Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 77. – Eine Veränderung der Sakraltopografie ergab sich allerdings dadurch, dass unter der Empore ein neuer Raum im Kirchenbau entstand. Um 1500 stand hier ein dem heiligen Petrus geweihter Altar; vgl. Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 229.

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pore entstand allerdings nun ein erhöhter, über dem Bodenniveau des Hochchors liegender Raum, der als ‚exklusiver Gebetsort‘ der Stiftsfrauen fungierte. Wie wohl bereits beim mutmaßlich ersten Frauenchor im Querhausarm war der neue Chor direkt an die Konventsbauten im Süden der Kirche angebunden; eine westlich in der Querhausstirnwand gelegene Tür ermöglichte eine komfortable Verbindung zwischen der Empore und dem Dormitorium im Obergeschoss des Osttraktes.28 Mit der Querhausempore befand sich der Kanonissenchor auch weiterhin in nächster Nähe zum Hochchor, dem Ort des Hochamts, welches die Kanonissen wie in ihrem ersten, niedrigeren Chor nicht visuell, sondern primär akustisch wahrnehmen konnten.29 Die Kommunionsspende an die in ihrem Chor versammelten Kanonissen war über den Aufgang zur Empore vom Hochchor möglich.30 Nach Ausweis des Prozessionales von 1502 wurde diese Treppe aber auch von den Kanonissen bei Prozessionen benutzt, um in den übrigen Kirchenraum zu gelangen.31 Für die Frauen bildete bei diesen Prozessionen die Empore wohl häufig den Ausgangs- und Endpunkt: Bei der depositio crucis am Karfreitag beispielsweise stiegen sie von der Empore hinunter zu den vor dem Hochchor versammelten Kanonikern und begaben sich mit ihnen in Prozession zur Vorkammer des Heiligen Grabes; nach der Grablegung des Kreuzes gingen sie wieder mit den Kanonikern zurück zum Chorbereich, wobei die Kanoniker in den Hochchor und die Kanonissen wieder auf ihre Empore zogen.32 Wie von der neueren Forschung mehrfach betont, können die spätmittelalterlichen liturgischen Quellen aus Frauenstiftskirchen, wie sie sich neben Gernrode u.  a. für Gandersheim, Essen und St.  Ursula in Köln erhalten haben, durchaus ältere Bräuche widerspiegeln.33 Eine Bewegung Nach dem Prozessionale von 1502 wurde am Palmsonntag der Palmesel durch das Langhaus bis zum Petrusaltar gezogen; vgl. Ebd., S. 241. 28 Vgl. Erdmann u. a. 1988 (wie Anm. 22), S. 282. – Leopold 2001 (wie Anm. 5), S. 24. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 77. – Die Konventsbauten wurden im 12. Jahrhundert in mehreren Phasen erneuert. 29 Vgl. Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 235. 30 Diese Praxis ist in spätmittelalterlichen Quellen dokumentiert. Vgl. Voigtländer 1980 (wie Anm. 22), Nr. 36, S. 137 (1502): „nach dem agnus dei kommet der hoemessen here vff der frowichen chor vnd bringet daß heylige sacrament.“ 31 Vgl. Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 236–244. – Am bekanntesten sind die Prozessionen zum Heiligen Grab im Rahmen des Osterfestes, wobei auch Prozessionen zu anderen Anlässen überliefert sind. 32 Vgl. Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 241. 33 Vgl. Christian Popp: In honore sanctae Mariae et omnium sanctorum. Reliquienkult und Heiligenverehrung im Frauenstift Gandersheim im Spiegel der liturgischen Quellen, in: Heilige – Liturgie – Raum, hg. v. Dieter R. Bauer u. a. (Beiträge zur Hagiographie, Bd. 8), Stuttgart 2010a,

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der Frauen im Kirchenraum in der Frühzeit lässt sich in Ermangelung von Quellen nur schwer fassen, ist nach dem aktuellen Wissensstand aber keineswegs auszuschließen.34 Möglicherweise gab es in Gernrode bereits vor dem Einziehen der Kanonissenempore Prozessionen, bei denen die Frauen ihren Chor im Querarm verließen – so viel legt das Heilige Grab im Südseitenschiff nahe, das in Form einer Arkosolnische wohl bereits um 1000 angelegt wurde.35 Nach ihrem Einbau war die Empore dann in diese raumteilübergreifenden liturgischen Feiern über die Bewegungen der Frauen eingebunden. Nicht zuletzt blieb mit der Querhausempore die räumliche Anbindung des Frauenchors mit dem Grab Geros in der Vierung aufrechterhalten. So hat Werner Jacobsen bereits von den „liturgischen Wirkungssphären“ gesprochen, von denen die Memoria Geros durch seine Grablege vor der Konfessio mit der Reliquie des heiligen Cyriakus hinter dem Kreuzaltar als Ort der Seelenmessen und neben dem Kanonissenchor sozusagen profitierte.36 Gleichzeitig ist aber auch von einer Wirkung in umgekehrter Richtung auszugehen. So hat die Forschung für eine Reihe einzelner Beispiele bereits auf die enge Verbindung zwischen der Lage des Frauenchors und Stiftergräbern hingewiesen.37 Besonders mit der wachsenden historischen Distanz zur Gründung konnten die Grablegen von Stiftern über ihre Memorialfunktion für die Toten hinaus zu wichtigen Orten institutioneller Selbst-

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S. 99–115, hier S. 114 f. – Ders.: Liturgie im Frauenstift Gandersheim. Zur Überlieferungs- und Textgeschichte sowie zum Quellenwert des Registrum chori ecclesie maiores Gandersemensis, in: Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Forschungen zum Liber ordinarius, hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 10), Essen 2012, S. 113–130, hier S. 120–124. – Allgemein zum Quellenwert des Liber ordinarius als Gattung vgl. Beuckers 2012 (wie Anm. 8). Vgl. hierzu insb. Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 148: „eine über das in der Aachener Institutio [816] Gebotene hinausgehende Beweglichkeit und Sichtbarkeit der Frauen innerhalb ihrer Kirchen [ist] auch in der Liturgie schon für das frühere Mittelalter zu vermuten.“ – Vgl. diesbezüglich ebenfalls Beuckers 2012 (wie Anm. 8), S. 17: „Die Vielgestaltigkeit der früh- und hochmittelalterlichen Liturgie in Frauengemeinschaften lässt sich weniger aus frühen Schriftquellen, als vielmehr aus den Bauten mit ihrer differenzierten Sakraltopografie ablesen.“ Vgl. zuletzt und resümierend zu den Entstehungsphasen des Heiligen Grabes Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 74. Jacobsen 2003 (wie Anm. 22), S. 232–234 (Zitat S. 232), insb. S. 234: „Die Frauen […] sangen ‚vor‘ den Stiftergräbern in der Vierung.“ – Vgl. hierzu ebenfalls Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 77 und 89, Anm. 43. Bereits in Ansätzen bei Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5), S. 125. – Vgl. auch Muschiol 2001 (wie Anm. 1), S. 145. – Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 139 f.

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reflexion für die Kanonissen werden.38 Auch in Gernrode lässt sich eine solche Situation erkennen, wobei das Grab Geros fast zwei Jahrhunderte nach seinem Tod die prestigeträchtige Vergangenheit des Stiftes für die Kanonissen dokumentierte, und zwar weiterhin ganz in der Nähe ihres neuen Chorraums auf der Empore.

St. Anastasius und St. Innocentius in Gandersheim Für die Frauenstiftskirche in Gandersheim ist eine Querhausempore ebenfalls überliefert, in diesem Fall im Nordquerarm der romanischen Kirche (gew. 1168) (Abb. 13). Der Gandersheimer Frauenchor ist in spätmittelalterlichen Quellen gut belegt, eine Entstehung der Frauenempore im Zuge der Instandsetzung der Kirche unter Äbtissin Adelheid  IV. (amt. 1152/53–1184) ist wahrscheinlich.39 Ob diese Position für den Frauenchor schon in den Vorgängerkirchen gewählt wurde, ist schwer zu beurteilen, da wenig über die frühen Kirchenbauten in Gandersheim bekannt ist: Der Chorbereich war wohl bereits im späten 9. Jahrhundert mehrteilig angelegt mit an den Chor angefügten Seitenräumen; die Umfassungsmauern sowohl dieser Räume als auch der Querarme dürften im Kern aus dem letzten Viertel des 10. Jahrhunderts stammen.40 Eine Nutzung der Chorseitenkapellen für die Grablegen der Stifterfamilie – Liudolf (verst. 866) in der Stephanuskapelle im 38 Für den Umgang mit bedeutenden Grablegen während der Reformation vgl. Hedwig ­Röckelein: Gründer, Stifter und Heilige – Patrone der Frauenkonvente, in: Kat. Bonn/Essen 2005 (wie Anm. 1), S. 67–77, hier S. 70. – Für den Umgang mit Grablegen während Barockisierungsprozessen vgl. Julia von Ditfurth: Wandel der Strukturen. Barockisierungsprozesse in Damenstifts- und Frauenklosterkirchen in Westfalen, Regensburg 2016, S. 350–352. 39 Vgl. Hans Goetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra N. F., Bd. 7: Das Bistum Hildesheim, Bd. 1), Berlin 1973, S. 176 (1404: „upp der vrauwen kore“; 1500: „up der jungfruwen chor“; 1507: „ad corum dominarum“). – Dass der Frauenchor sich in erhöhter Lage, d. h. auf einer Empore, befand, geht aus Angaben in dem Registrum chori ecclesie maioris Gandersheimensis aus der Zeit um 1540/60 hervor. So wurde bei Hochfesten das Plenar auf den Kanonissenchor hinaufgetragen: „Et in summis festivitatibus sub Symbolo Niceno semper ascenditur cum turribulo et plenario in chorum dominarum.“ Vgl. Christian Popp: Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, Bd. 3), Regensburg 2010b, S. 197 f., dort auch das Zitat. – Popp 2012 (wie Anm. 33), S. 130. 40 Vgl. Uwe Lobbedey: Bemerkungen zur Baugeschichte der Stiftskirche in Gandersheim, in: Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften, hg. v. Martin Hoernes / Hedwig Röckelein (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 4), Essen 2006, S. 151–172, hier S. 161.

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Abb. 13: Gandersheim, ehem. Frauenstiftskirche St. Anastasius und St. Innocentius, Grundriss.

S­ üden, seine Gemahlin Oda (verst. 913) sowie die drei Töchter des Paares, Hathumod (amt. 852–874), Gerberga I. (amt. 874–896/97) und Christina (amt. 896/97– 919), zugleich die ersten drei Äbtissinnen des Stifts, im Norden – ist wahrscheinlich.41 Ob der Nordquerarm bereits in der Frühzeit einen Chor für die Stiftsfrauen beherbergte, ist angesichts der angrenzenden Chorseitenkapelle mit den Grab­ legen der weiblichen Mitglieder der Stifterfamilie möglich, bleibt aber lediglich eine Vermutung.42 Wie in Gernrode ist die Frauenempore in Gandersheim ein Ort der Separierung, der zugleich unterschiedliche Bezüge zu anderen Raumteilen aufweist. Eine direkte Anbindung an die nördlich der Kirche gelegenen Konventsbauten, speziell an den zweistöckigen Ostflügel mit Dormitorium im Obergeschoss, war durch die Lage im Nordquerarm gegeben.43 Nach Süden diente die Empore zur Trennung der Kanonissen vom Klerus im Bereich des Hochchors und der Vierung. Von be41 Vgl. Goetting 1973 (wie Anm. 39), S. 20, 27 und 176. – Lobbedey 2006 (wie Anm. 40), S. 161. – Miriam Gepp: Die Stiftskirche in Bad Gandersheim. Gedächtnisort der Ottonen, München 2008, S. 15. – Popp 2010a (wie Anm. 33), S. 104. – Popp 2010b (wie Anm. 39), S. 48–60 mit der Einschränkung (S. 57 f.), dass die Grablegen Odas sowie die ihrer Töchter nicht gesichert sind. 42 Vgl. Goetting 1973 (wie Anm. 39), S. 176. – Lobbedey 2006 (wie Anm. 40), S. 161 und 164. 43 Vgl. Goetting 1973 (wie Anm. 39), S. 49, 176 und 178.

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sonderer Bedeutung scheint jedoch die an den Frauenchor durch einen großen Bogen räumlich angebundene nördliche Chorseitenkapelle gewesen zu sein, die wohl bereits seit der Frühzeit des Stiftes bestand. Wie Hans Goetting vermutete, könnte der dort befindliche Marienaltar teilweise für die Gottesdienste der Kanonissen benutzt worden sein.44 Darüber hinaus hätte sich durch die Lage des Frauenchors in unmittelbarer Nähe zu den Grablegen Odas und der ersten drei Äbtissinnen des Stifts in der Marienkapelle eine für die Memoria der Gründerfamilie äußerst förderliche Raumdisposition ergeben, die „eine intensive Gebetsfürsorge“ durch die Kanonissen ermöglicht hätte.45 Analog zu Gernrode wird es sich hierbei nicht nur um die Aufrechterhaltung bestehender Memorialpflichten gehandelt haben, denn das räumliche Nebeneinander von Frauenchor und Stiftergräbern schuf ein Memorialgeflecht, bei dem die Gräber der Liudolfingerinnen mit der Zeit zu wichtigen Orten der eigenen Geschichte wurden, die durch die Erinnerung an die adelige Gründung des Stifts sicherlich identitätsstiftend waren. So hat Christian Popp anhand des Registrum chori aus dem 16. Jahrhundert eindrucksvoll aufgezeigt, wie die Kanonissen von ihrer Empore aus in Prozessionen mit den Kanonikern mehrfach die wichtigsten Memorialorte im Ostbau, darunter die Kapellen mit den Stiftergräbern, aufsuchten.46 Wie in Gernrode könnten sich auch hier ältere Zeitschichten widerspiegeln.47 Und wie dort könnte die im spätmittelalterlichen Gandersheim evidente „Affinität zur körperlichen Bewegung im Bereich der Liturgie“ auch eine im 12. Jahrhundert entstandene Situation reflektieren, wobei die Kanonissenempore einerseits Abgrenzung geschaffen hat und andererseits fest in einen größeren, über die Prozessionsliturgie erschlossenen Kirchenraum integriert war.48

44 Goetting 1973 (wie Anm. 39), S. 27. – Der Marienaltar wird zwar erstmal 1251 urkundlich erwähnt (Ebd., S. 27), kann jedoch älter sein. Vgl. hierzu Popp 2010a (wie Anm. 33), S. 114 f., der aus der Bedeutung des Hoch-, Kreuz-, Marien- und Stephanusaltars innerhalb der spätmittelalterlichen Prozessionsliturgie des Gandersheimer Stifts darauf schließt, dass diese vier Altäre wohl zu den ältesten der Kirche gehörten. 45 Gepp 2008 (wie Anm. 41), S. 25. – Zur Memoria der weiblichen Mitglieder der Gründerfamilie im Spätmittelalter vgl. Popp 2010b (wie Anm. 39), S. 55. 46 Popp 2010a (wie Anm. 33), S. 103 f. – Popp 2010b (wie Anm. 39), S. 52–54. 47 Vgl. Popp 2010a (wie Anm. 33), S. 104 und 114 f. – Popp 2012 (wie Anm. 33), S. 120–124. 48 Popp 2010a (wie Anm. 33), S. 103 (dort das Zitat) sowie insb. S. 114 zum Verlassen der Empore durch die Kanonissen für Prozessionen. – Vgl. auch Popp 2012 (wie Anm. 33), S. 122.

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St. Servatius in Quedlinburg Während die Kanonissenemporen in Gernrode und Gandersheim gut belegt sind, bietet die Indizienlage für das Frauenstift St.  Servatius in Quedlinburg weniger Anhaltspunkte hinsichtlich der Lage und Gestalt des Frauenchors in der romanischen Stiftskirche (um 1070–1129). Bereits für den Bau des 10. Jahrhunderts werden Emporenräume in den Querarmen rekonstruiert, von denen einer vielleicht als Frauenchor gedient haben könnte.49 Beim romanischen Neubau wurde der alte Chorbau durch einen Ostbau mit Hochchor, Vierung und Querarmen ersetzt, der sich über der Krypta erhob und gegenüber dem Langhaus stark erhöht war (Abb. 14). In der Forschung herrscht noch Uneinigkeit über die Lokalisierung des Kanonissenchors in den neuen Ostteilen. Klaus Gereon Beuckers hat jüngst die Frage aufgeworfen, ob sich eine Empore im Nordquerhausarm, über der im späten 12. Jahrhundert errichteten Schatzkammer, dem sog. Zitter, befunden haben könnte.50 Im Hinblick auf die Ausgangsdisposition ist allerdings zu fragen, ob die Stiftsfrauen in Quedlinburg ohne Empore ausgekommen sein könnten: Da der Frauenchor im Ostbau gegenüber dem Langhaus bereits erhöht war, ist der zusätzliche Einbau einer Empore zur Separierung der Kanonissen von den Laien nicht nötig gewesen und eine Abgrenzung von den Kanonikern war durch Trennwände leicht vorzunehmen. Für den Kanonissenchor kommt, wie bereits Voigtländer und Leopold vorschlugen, vor allem der Südquerhausarm in Betracht: So verzeichnet eine 49 Die Forschung geht übereinstimmend von frühen Emporenräumen in den Querarmen aus, wobei die Chronologie noch kontrovers diskutiert wird. Vgl. Werner Jacobsen: Zur Frühgeschichte der Quedlinburger Stiftskirche, in: Denkmalkunde und Denkmalpflege. Wissen und Wirken. Festschrift für Heinrich Magirius zum 60. Geburtstag am 1. Februar 1994, hg. v. Ute Reupert / Thomas Trajkovits / Winfried Werner, Dresden 1995, S. 63–72, hier S. 65, der die Emporenräume mit einem Umbau mit Weihe 997 in Verbindung bringt. – Vgl. dagegen Leopold 2001 (wie Anm. 5), S. 16–19, der die Emporenräume bereits in einem ersten, vielgliedrigen Großbau unter Königin Mathilde (verst. 968) entstanden sieht. – Vgl. zur Debatte zuletzt Tobias Gärtner: Archäologische Quellen zur Entwicklung von Stadt und Stift Quedlinburg vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, in: Das dritte Stift. Forschungen zum Quedlinburger Frauenstift, hg. v. Stephan Freund / Thomas Labusiak (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 14), Essen 2017, S. 33–58, hier S. 39 f. und 47. 50 Klaus Gereon Beuckers: Zu den Befunden an der Westwand der Westempore der ehemaligen Damenstiftskirche in Quedlinburg, in: St. Servatius zu Quedlinburg. Untersuchungen anlässlich einer Bauaufnahme der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Februar 2013, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Kiel 2014, S. 7–17, hier S. 16.

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Abb. 14: Quedlinburg, ehem. Frauenstiftskirche St. Servatius, Innenansicht nach Osten.

Quelle für 1574 Arbeiten am Südgiebel „uff der fruehen Khore“;51 zudem wurde der Südquerhausarm nach der Fertigstellung des neuen Chores nicht verbaut – im Gegensatz zum Nordquerarm mit dem Zitter.52 Auf eine Abgrenzung des Kanonissenchors im Südquerarm durch Trennwände könnten die in der jetzigen südlichen Trennwand integrierten ornamentalen Stuckfragmente hindeuten. Die Bestim51 Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg. Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung, Berlin 1989, S. 78, Anm. 7 (dort die Quelle) sowie S. 27 und 84, Anm. 33, wo er eine Lage des Frauenchors im Südquerarm in romanischer Zeit vermutet. 52 Vgl. Leopold 2001 (wie Anm. 5), S. 22, der darüber hinaus auf die reichere Bauzier der Nebenapsis im Südquerarm als mögliches Indiz für die Lage des Kanonissenchors hinweist. – Ebenfalls für eine Verortung des Kanonissenchors im Südquerarm plädierte zuletzt Untermann 2015 (wie Anm. 11), S. 329 und 339.

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mung der Fragmente, die stilistisch sicher ins 12.  Jahrhundert zu datieren sind, ist unbekannt; eine Anbringung an einer ehemaligen Schrankenanlage zwischen dem Südquerarm und der Vierung ist, wie Voigtländer vermutete, plausibel.53 Mit einem abgegrenzten Kanonissenchor im Südquerarm hätte es immer noch eine herausgehobene Position für die Kanonissen im erhöhten Chorbau sowie eine Trennung vom Hochchor gegeben, zudem hätte er sich zum praktischen Vollzug der Messliturgie noch in dessen unmittelbarer Nähe befunden.

St. Bonifatius in Freckenhorst Für Westfalen ist die Forschungslage zu Querhausemporen in Frauenstiften dichter, eine Reihe von Untersuchungen zur Gesamtsituation sowie zu einzelnen Beispielen liegt vor.54 Aufgrund ihrer frühen Zeitstellung soll hier kurz auf die Querschiffempore in der ehemaligen Frauenstiftskirche St. Bonifatius in Freckenhorst (um 1080 begonnen, Brand 1116, Weihe 1129) eingegangen werden (Abb. 15).55 Neben dem im Kern noch der Zeit um 1000 angehörenden Westbau mit Westempore ist der romanische Neubau in weiten Teilen erhalten. Dessen Ostteile waren nach Lobbedey wohl bereits um 1090, also vor dem Brand 1116, fertig-

53 Voigtländer 1989 (wie Anm. 51), S. 83–85, insb. S. 85, Anm. 47. 54 Dazu gehören beispielsweise die Frauenstifte in Geseke, Freckenhorst, Meschede, Neuenheerse oder Vreden. Vgl. für Übersichten mit Literatur Claussen/Lobbedey 1989 (wie Anm. 5), S. 120 und 125 f. – Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 142–148. – Muschiol 2003 (wie Anm. 1), S. 799–805 mit den Korrekturen von Mersch 2007 (wie Anm. 2), S. 223–225. – Zur wohl aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammenden Querhausempore in Vreden vgl. Uwe Lobbedey: Die Frauenstiftskirche zu Vreden. Bemerkungen zur Architektur und Liturgie, in: Gerchow/Schilp 2003 (wie Anm. 5), S. 185–218, hier S. 199 f. Zuvor schon: Otfried Ellger / Walter Melzer: Neue Bodenfunde zur Geschichte von Stadt und Stift Vreden, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 8/B (1993), S. 183–205, hier S. 201: Es gibt es keinen Grund, „an einem ursprünglichen Sitz der Vredener Stiftsdamen im Südquerhaus des 12. Jahrhunderts zu zweifeln“. – Eine Empore aus dem 13. Jahrhundert hat sich im Nordquerhausarm der Frauenstiftskirche in Herford erhalten, vgl. dazu Dorn 2001 (wie Anm. 4). – Ders.: Die Kirche des ehemaligen Damenstifts St. Marien und Pusinna in Herford. Architektur unter den Edelherren zur Lippe, Petersberg 2006, S. 39–43 und 78–81. 55 Zur Sakraltopografie der Freckenhorster Stiftskirche und der Datierung der Bauphasen vgl. ausführlich Uwe Lobbedey: Bemerkungen zur liturgischen Nutzung der Stiftskirche zu Freckenhorst, in: Freckenhorst 851–2001. Aspekte einer 1150jährigen Geschichte, hg. v. Klaus Gruhn, Warendorf-Freckenhorst 2000, S. 31–44.

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|  Adam Stead Abb. 15: Freckenhorst, ehem. Frauenstiftskirche St. Bonifatius, Rekonstruktion der Empore im Südquerhaus nach Uwe Lobbedey.

gestellt.56 Für diese Zeit ist eine Empore mit hölzernem Boden im Südquerarm durch den Baubefund eines Zugangs auf Emporenhöhe in der Querhaussüdwand bezeugt.57 Durch diesen Zugang gelangten die Frauen vom Chor direkt in die Konventsbauten, genauer in den Osttrakt mit dem Dormitorium im Obergeschoss. Wie in Gernrode gab es ebenfalls eine Verbindung – hier in Form eines durch den Vierungspfeiler geführten Ganges – zwischen Frauen- und Hochchor.58 Im 56 Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 36 f. 57 Die Empore wurde erst 1824 abgebrochen. Vgl. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 37. – Nicht sicher ist, wo sich der Frauenchor vor diesem Zeitpunkt befand. Mit Hinweis auf den direkten Weg vom Südquerarm zu den Konventsbauten vermutet Lobbedey (Ebd., S. 38) auch im 9./10. Jahrhundert eine Lokalisierung des Frauenchors in den Ostteilen der Stiftskirche. 58 Ein zweiter Gang in der Ostwand des Emporenraums führte hinauf in das dritte Geschoss des Südtürmes zur Loge der Äbtissin, aber seine Datierung ist nicht sicher. Vgl. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 35 f.

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­ ierungsbereich neben der Empore stand wohl bereits ab dem späten 11.  JahrV hundert der Kreuzaltar.59 Etwa ab 1200, als eine Kreuzreliquie nach Freckenhorst gelangte, war jedoch der Hochaltar dem Heiligen Kreuz geweiht und der Pfarraltar – der zumindest später vor einem zwischen den westlichen Vierungspfeilern befindlichen Lettner unbekannten Datums stand – dem Kirchenpatron Bonifatius.60 Auch der Raum unterhalb der Querhausempore scheint eine wichtige Rolle gespielt zu haben: Hier befand sich, möglicherweise von Anfang an, die sog. Thiatildiskapelle mit dem Grab der ersten Äbtissin Thiatildis (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts), die der Legende nach auch die Nichte der Stiftsgründer Everword und Geva war, und dem Thiatildisbrunnen.61 Die Freckenhorster Frauenempore war auf unterschiedliche Weise in das liturgische Geschehen und in die Sakraltopografie der Stiftskirche eingebunden: Auf ihrem Chor verrichteten die Kanonissen in Abgeschiedenheit ihr Chorgebet und konnten die Messe im Hochchor auditiv verfolgen. Wenn der Lettner in Verbindung mit dem Pfarraltar um 1200 (oder sogar später) errichtet wurde, hätten die Kanonissen mindestens in der Zeit davor auch die am Kreuzaltar zelebrierten Messen von ihrer Empore aus verfolgen können. Mit dem Gang zwischen Hoch- und Frauenchor war die Sakramentsspende an die Kanonissen möglich.62 Eine räumliche und ideelle Verbindung zwischen dem Chor der Stiftsfrauen und wichtigen Grablegen ist ebenfalls zu beobachten. Die erste war eine vertikale: In ihrem Chor saßen die Kanonissen als ‚Hüterinnen‘ der Memoria über dem Grab ihrer legendär aus der Stifterfamilie stammenden und verehrten ersten Äbtissin Thiatildis, für die sie beteten, die aber für die Kanonissen zugleich ein Bindeglied zurück zu den Anfängen des Stiftes darstellte. Frühneuzeitliche Quellen berichten von Prozessionen zum Thiatildisgrab.63 Eine zweite Verbindung mit der Grablege der Stifterin Geva, die sich mindestens bis 1641 in der Vierung befand, ist ebenfalls 59 Vgl. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 40, dort der Verweis auf eine Urkunde des Bischofs Erpho von 1090, in der der Kreuzaltar erwähnt wird: „ad altare sancte Crucis“. 60 Vgl. zu den Altarpatrozinien Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 39 f. Der Lettner (vgl. Ebd., S. 36) wird erstmalig 1550, erneut 1626 erwähnt, beide Male in Verbindung mit dem davorgelegenen Pfarraltar. Der Lettner wurde 1750 abgebrochen. Sein Alter lässt sich nicht näher eingrenzen. Nach einer Beschreibung der Kirche, die der Jesuit Johannes Gamans in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfasste, befand sich der Lettner zwischen den westlichen Vierungspfeilern. 61 Vgl. dazu ausführlich Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 34 und 38. 62 Vgl. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 37. 63 Eine Prozession am Epiphaniasfest wird von Gamans in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts überliefert, dem offenbar eine ältere, zeitlich jedoch nicht näher eingrenzbare Quelle mit litur-

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zu vermuten: Das erhaltene Grabmal stammt zwar aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, könnte aber eine Erneuerung einer früheren Grablege der Stifterin an dieser Stelle darstellen.64 Möglicherweise zogen die Freckenhorster Kanonissen auch in Prozessionen von ihrer Empore in den Westen der Kirche, um bei bestimmten Anlässen die ältere Empore im aufwändigen Westbau liturgisch zu bespielen.65 Die Funktion der Westempore ist mangels Quellen unsicher, doch könnte der Raum zeitweise für die Inszenierung der Osterliturgie genutzt worden sein.66 Alles in allem lässt sich mit Freckenhorst die Einbettung der Frauenempore in ein größeres räumliches und liturgisches Ganzes bereits Ende des 11. Jahrhunderts erkennen.

St. Cosmas und Damian in Essen und die stadtkölnischen Frauenstifte Hinsichtlich der Hinwendung zur Querhausempore zeigt das Rheinland ein uneinheitliches Bild. Es begegnen hier im 12. Jahrhundert Emporen sowohl in den Querarmen als auch in den Westteilen von Frauenstiftskirchen. Für St.  Cosmas und Damian in Essen (Ostteile unter Äbtissin Theophanu (amt. 1039–1058) errichtet) ist der nachträgliche Einbau einer Empore im Nordquerarm der Stiftskirche durch einen sich zwischen den nördlichen Vierungspfeilern erstreckenden Fundamentzug archäologisch gesichert (Abb. 16).67

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gischen Anweisungen vorlag; vgl. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 38. Die Prozession führte zuerst über die Kanonissenempore, dann zum Thiatildisgrab. Zum Grabmal und seiner Datierung vgl. Werner Ueffing: Das Grabmal der Geva zu Freckenhorst, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 49 (1971), S. 101–110. – Dass die Grabfigur nicht die Stifterin Geva, sondern eine Äbtissin aus dem frühen 12. Jahrhundert mit dem gleichen Namen darstellt, wie bisweilen vermutet wurde, ist angesichts der prominenten Position des Grabes in der Vierung unwahrscheinlich; vgl. hierzu Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 42. Lobbedey 2000 (wie Anm. 55), S. 39 bezeichnet die Westempore als einen „Ort des liturgischen Geschehens“. Zu den möglichen Nutzungen vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Die Westbauten ottonischer Damenstifte und ihre liturgische Funktion. Eine Skizze, in: Kunst und Kultur in ottonischer Zeit. Forschungen zum Frühmittelalter, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriftenreihe des Europäischen Romanikzentrums, Bd. 3), Regensburg 2013, S. 73–118, hier S. 95–98. Vgl. Walther Zimmermann: Das Münster zu Essen (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 3), Essen 1956, S. 267.

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Abb. 16: Essen, ehem. Frauenstiftskirche St. Cosmas und Damian, Längsschnitt der Kirche des 11. Jahrhunderts nach Walther Zimmermann.

Später durch einen gotischen Nachfolger ersetzt,68 wurde die Frauenempore wohl um 1160 im Zuge einer Erneuerung der Ostteile der Kirche unter Äbtissin Hadwig von Wied (amt. 1154–1170/72) errichtet.69 Ob diese Lage einen früheren Platz des Frauenchors im Nordquerarm tradiert, lässt sich nicht mehr klären.70 68 Vgl. Klaus Lange: Der gotische Neubau der Essener Stiftskirche, in: Reform – Reformation – Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 3), hg. v. Thomas Schilp, Essen 2004, S. 89–114, hier S. 94–96. 69 Zimmermann 1956 (wie Anm. 67), S. 276 ging von einer Entstehung vor der Einwölbung der Ostteile unter Hadwig aus und setzte die Empore um 1050 bis 1150 an. Darin folgten ihm Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen und romanischen Denkmäler, 3 Bde., Berlin 1976, hier Bd. 1, S. 276. Ein nachträglicher Einbau der Empore kurz nach der Fertigstellung der ottonischen Ostteile erscheint allerdings unwahrscheinlich. Treffender ist die Datierung von Clemens Kosch: Die romanischen Kirchen von Essen und Werden. Architektur und Liturgie im Hochmittelalter (Große Kunstführer, Bd. 253), Regensburg 2010, S. 20, der die Entstehung der Empore mit der Einwölbung der Querarme um 1160 verbindet. – Vgl. zu Hadwig von Wied und ihren Bautätigkeiten in Schwarzrheindorf den Beitrag von Esther-Luisa Schuster in diesem Band. 70 Vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 69), Bd. 1, S. 272 (Frauenchor in der Vierung oder im Nordquerarm der Vorgängerbauten). – Klaus Lange: Der Westbau des Essener Doms. Architektur und Herrschaft in ottonischer Zeit (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchenrechtliche Forschung des Bistums Essen, Bd. 9), Münster 2001, S. 86 (schon im karolingischen Altfridbau zweigeschossige Querarme mit Frauenchor auf einer Empore im Nordquerarm). – Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 20 und 26 (Frauenchor vielleicht ursprünglich im Mittelschiff im Bereich des Kreuzaltars).

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Auch die Essener Querhausempore wurde in ein schon herausgebildetes Raumkonzept eingezogen, sodass sich hier eine Reihe funktionaler und liturgischer Verbindungen ergaben: Nach Norden war die Empore mit den Klausurgebäuden verbunden, deren Osttrakt das Dormitorium beherbergte.71 Mit Clemens Kosch ist zu fragen, ob die Arbeiten im Osten der Kirche im 12. Jahrhundert bereits eine Umorganisierung der Memorialtopografie mit Verlegung des Grabs des Stiftgründers Altfrid (um 800–874) von der Krypta in die Vierung mit sich brachten.72 Das jetzige Grabmal Altfrids datiert aus dem ausgehenden 13.  Jahrhundert, also aus der Zeit nach dem großen Brand im Jahr 1275, doch könnte es sich hierbei, wie Kosch vermutet, um einen Ersatz für ein früheres, durch den Brand beschädigtes Grab Altfrids in der Vierung handeln.73 In diesem Fall hätten die Kanonissen nach Süden eine Sichtachse von der Empore herunter auf das Stiftergrab bereits im 12.  Jahrhundert erhalten: So hätte nicht nur die Memoria Altfrids eine neue Fokussierung durch die Verlegung des Grabes in die Vierung erfahren,74 sondern eine dauerhafte Vergegenwärtigung der institutionellen Vergangenheit wäre auch erfolgt.75 Wahrscheinlich wurde beim Einzug der Querhausempore die Geschoss­ einteilung der nördlichen Chorseitenkapelle des ottonischen Baus beibehalten, sodass die Empore nach Osten mit dem Obergeschoss der Kapelle verbunden war. Dort stand der Marienaltar, bereits vor 1058 bezeugt,76 zudem bot dieser Raum als „Vergrößerung“ des Frauenchors den Kanonissen einen Zugang zur Außenkrypta.77 Zuletzt war die Querarmempore auch nach Westen in die Sakraltopografie der Kirche eingebunden, und zwar über die Westempore. Diese war vom Frauenchor über den schmalen Laufgang auf der Innenseite des ottonischen Seitenschiffs erreichbar und wurde zumindest im 14. Jahrhundert – und wohl auch seit Bestehen der 71 Vgl. Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 22. 72 Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 22. 73 Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 22. – Vgl. dagegen Lange 2004 (wie Anm. 68), S. 72 und 75, der die Verlegung des Grabs aus der Krypta in die Vierung erst nach dem Brand von 1275 ansetzt. 74 Vgl. Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 22. 75 Zur Gründerverehrung Altfrids im Spätmittelalter vgl. Anna Pawlik: Die Gründerverehrung in Essen und Werden im Spiegel der spätmittelalterlichen Kirchenausstattung‚ in: Aus der Nähe betrachtet. Regionale Vernetzungen des Essener Frauenstiftes in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Jens Lieven / Birgitta Falk unter Mitarbeit von Anna Pawlik (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 13), Essen 2017, S. 255–276, hier S. 271–273. 76 Vgl. Thomas Schilp (Bearb.): Essener Urkundenbuch. Regesten der Urkunden des Frauenstifts Essen im Mittelalter, Bd. 1: Von der Gründung um 850 bis 1350 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, Bd. 80), Düsseldorf 2010, S. 351. 77 Kosch 2010 (wie Anm. 69), S. 19 f. und 22, das Zitat S. 22.

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Querhausempore – auf diesem Wege erreicht, wie das im Liber ordinarius tradierte Osterspiel belegt.78 In den drei Kölner Frauenstiften ist der Chor der Kanonissen im 12. Jahrhundert wiederum jeweils im Westen der Kirche zu lokalisieren. In St. Maria im Kapitol (um 1040–1065) war der in den westlichen Langhausjochen befindliche Frauenchor ebenerdig.79 In St.  Cäcilien (um 1130–1160/70) befand sich die Empore für die Stiftsfrauen über der Westkrypta mit einer sich nach Osten erstreckenden Vorkrypta.80 Die zum Langhaus gerichtete Ostseite der Vorkrypta bzw. Empore erhielt wohl im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts eine Bogenstellung auf Säulen.81 St.  Ursula, die dritte Kölner Frauenstiftskirche (zweites Viertel des 12.  Jahrhunderts), weist ebenfalls eine Westempore auf (Abb. 17).82 In der Höhe der Anlage, die den ebenerdigen Chor von St. Maria im Kapitol und die vergleichsweise niedrige Empore von St. Cäcilien übertraf, könnte die monumentale Westempore von St. Ursula möglicherweise eine konkurrierende Reaktion gegenüber den anderen stadtkölnischen Frauenstiften darstellen, zumal Arbeiten 78 So benutzten die Kanonissen beispielsweise den nördlichen Laufgang, die Kanoniker den südlichen, um für die elevatio crucis auf die Westempore zu gelangen. Vgl. Franz Arens: Der Liber ordinarius der Essener Stiftskirche. Mit Einleitung, Erläuterungen und einem Plan der Stiftskirche und ihrer Umgebung im 14. Jahrhundert, Paderborn 1908, S. 71, auch S. 73–76 zur weiteren Nutzung des über den Frauenchor erschlossenen Laufgangs. – Zur Nutzung der Westempore im Rahmen der Osterliturgie vgl. zuletzt ausführlich Beuckers 2013 (wie Anm. 66), S. 84–90. 79 Zur Verortung des Frauenchors vgl. den Beitrag von Klaus Gereon Beuckers in diesem Band. – Zuletzt und ausführlich zur Baugeschichte Klaus Gereon Beuckers: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol. Zum Baukonzept in seinem historischen Kontext, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 49–70. – Ulrich Knapp: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol zu Köln – eine kritische Revision, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 71–105. 80 Zur Baugeschichte vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 69), Bd. 1, S. 523–527. – Ulrich Krings: St.  Cäcilien. Das frühstaufische Bauwerk aus der Mitte des 12.  Jahrhunderts. Seine Gestalt und die Geschichte seiner späteren Veränderungen, in: Köln: Die Romanischen Kirchen. Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. v. Hiltrud Kier / Ulrich Krings (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 1), Köln 1984, S. 235–255. – Speziell zur Empore vgl. Clemens Kosch: Kölns Romanische Kirchen. Architektur und Liturgie im Hochmittelalter (Große Kunstführer, Bd. 207), Regensburg 2000, S. 59 f. 81 Vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 69), S. 525, dort die Datierung ins zweite Viertel des 12. Jahrhunderts anhand der Bauformen. 82 Zur Baugeschichte vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 69), Bd. 1, S. 603–609. – Karen Künstler: St. Ursula. Der Kirchenbau des 12. Jahrhunderts und seine Ausgestaltung bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Kier/Krings 1984 (wie Anm. 80), S. 523–545. – Speziell zur Westempore vgl. Kosch 2000 (wie Anm. 80), S. 76. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 84.

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Abb. 17: Köln, ehem. Frauenstiftskirche St. Ursula, Grundriss und Längsschnitt der romanischen Basilika nach Fried Mühlberg.

zeitgleich an der Kanonissenempore in St. Cäcilia zu verzeichnen sind.83 Wie bei St. Cyriakus in Gernrode finden sich in St. Ursula auch Seitenschiffemporen, die ersten im Rheinland. Nicht mehr im Inneren der Kirche zu erahnen ist, dass die romanische Basilika ebenfalls Emporen in den stark über die Flucht des Langhauses nach außen hervortretenden Querarmen hatte, die im 17. Jahrhundert beseitigt, aber von Fried Mühlberg auf bauarchäologischer Basis überzeugend rekon-

83 Für den Hinweis auf die Möglichkeit einer Konkurrenzsituation sei Klaus Gereon Beuckers herzlich gedankt.

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struiert worden sind.84 Danach waren die Querarmemporen architektonisch nicht besonders hervorgehoben, sondern wiesen den gleichen Aufriss wie das Langhaus auf – im Untergeschoss mit Mittelpfeiler und Doppelarkade, im Emporengeschoss mit Drillingsarkaden um einen Mittelpfeiler, darüber der Obergaden in Fortführung der Gliederung des Langhauses. Getragen wurden die mit Holzdecken überfangenen Emporenräume von Kreuzgratgewölben auf Mittelstützen und Halbsäulenvorlagen. Angesichts der Nutzung der Westempore als Frauenchor stellt sich die Frage nach möglichen Funktionen der Querarmemporen. Mit Hinweis auf den im 12. Jahrhundert wachsenden Kult um die heiligen Jungfrauen hat Clemens Kosch eine zeitweilige Funktion dieser Räume, die offenbar über Treppen mit dem Untergeschoss verbunden waren, als eine Art „Gebetsloge“ plausibel gemacht, die es Laien ermöglicht hätte, Sicht auf Heiltümer im Mittelschiff sowie im Langchor zu erhalten.85 Darüber hinaus wäre zu fragen, ob die Querhausemporen zeitweise von den Kanonissen im Rahmen der Jungfrauenverehrung genutzt wurden – schließlich waren diese Räume über die Seitenschiffemporen mit der Westempore verbunden und die Reliquien der Jungfrauen waren das identitätsstiftende Unterpfand der Rangansprüche des Ursulastiftes im Beziehungsgeflecht der geistlichen Institutionen Kölns. Auf den Querhausemporen hätten sich die Kanonissen in jedem Fall näher an einer teilweise unter dem Kreuzaltar gelegenen Reliquienkammer befunden, in der wohl Reliquien der heiligen Jungfrauen aufbewahrt wurden, und könnten die Querarmemporen oder auch nur eine davon in der Art eines temporären Chores zur Teilnahme an dort abgehaltenen liturgischen Feiern benutzt haben.86 So erwähnt jedenfalls der Liber ordinarius aus St.  Ursula aus der Zeit um 1400 etliche rituelle Vorgänge (Messen, Heiligenverehrung) am und um den Kreuzaltar sowie ein Herunterschreiten der Kanonissen von hochgelegener Stelle hinab in diesen Bereich der Kirche.87 Kamen die Kanonissen von den Querarm­emporen? 84 Fried Mühlberg: St. Ursula in der kölnischen Kirchenbaukunst der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: Festschrift für Gert von der Osten zum 60. Geburtstag am 17. Mai 1970, Köln 1970, S. 39–76, hier S. 50–54 und 60 f. – Zu den Veränderungen im Zuge des Barockisierungsprozesses in St. Ursula vgl. Marion Opitz: St. Ursula. Kirche des Damenstifts (seit 1804 Pfarrkirche), in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 20 (2005), S. 408–434, hier insb. S. 408–416. 85 Kosch 2000 (wie Anm. 80), S. 76–78. – Kosch 2017 (wie Anm. 22), S. 79–82. 86 Zur Sakraltopografie in diesem Bereich der Kirche vgl. Kosch 2000 (wie Anm. 80), S. 78 mit einem Plan auf S. 74. 87 Vgl. Gertrud Wegener: Der Ordinarius des Stiftes St. Ursula in Köln, in: Aus kölnischer und rheinischer Geschichte. Festgabe Arnold Güttsches zum 65. Geburtstag gewidmet (Veröffent-

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Waren sie vielleicht dort zeitweilig versammelt für solche Feierlichkeiten? Auch wenn viele Fragen offenbleiben müssen, ist wie bei den oben behandelten Frauenstiften möglicherweise auch für St. Ursula bereits im 12. Jahrhundert von einer liturgischen Erschließung des gesamten Kirchenbaus durch die Kanonissen auszugehen, bei der die Querarmemporen eingeschlossen waren.

Schluss

Wie die hier untersuchten Beispiele verdeutlichen, ist die Frage nach der Bedeutung der Querhausemporen in Frauenstiften nicht vom restlichen Kirchenraum zu trennen. Mit den hochmittelalterlichen Querhausemporen entstanden exklusive Räume im Kirchenbau, in denen Kanonissen in herausgehobener Stellung ihr Chorgebet verrichteten. Hier war eine auditive Teilnahme an der Messe im Hochchor (weiterhin) möglich, ebenfalls konnten die Kanonissen, je nach der jeweiligen örtlichen Situation, Messen am Kreuzaltar oder an anderen Altären in angrenzenden Räumen verfolgen. Bei mehreren der hier behandelten Fallbeispiele blieb mit der Empore eine wohl bereits zuvor vorhandene enge Verbindung zwischen dem Kanonissenchor und wichtigen, in die Gründungszeit des Stiftes zurückweisenden Grablegen bewahrt (so in Gernrode, Gandersheim, Freckenhorst) oder wurde erstmalig hergestellt (wie möglicherweise in Essen). Die liturgischen Quellen des Spätmittelalters weisen vielfach auf ein Verlassen der Querhausemporen durch die Kanonissen für die Prozessionsliturgie hin, sei es im Rahmen der Osterliturgie (so Gernrode, wohl Freckenhorst, Essen) oder für Memorialfeiern (Gandersheim). Möglicherweise spiegeln sie eine früher entstandene, auf die Zeit der Errichtung der Emporen (und vielleicht noch weiter) zurückreichende Situation wider. Auf eine mögliche temporäre Nutzung von Emporenräumen in Querarmen bei einem ständigen Kanonissenchor im Westen weist zuletzt St. Ursula in Köln hin. In dem vielschichtigen räumlichen, kultischen und sakraltopografischen Gefüge hochmittelalterlicher Frauenstiftskirchen hatten auch die Querhausemporen ihren Platz. lichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 29), Köln 1969, S. 115–132, hier z. B. S. 120 zum Fest des heiligen Valerius, eines spanischen Königs aus dem Gefolge Ursulas, zu dessen Grab sich die Kanonissen anlässlich des Festes hinbegaben: „cum puellae terciam antiphonam compleverint, descendent iuxta locum ubi iacet sanctus Valerius“; danach wurde eine Messe zu Ehren von Valerius „in altari animarium“ (wohl Kreuzaltar) gefeiert. – Zum Bewegungsradius der Stiftsfrauen nach dem Liber ordinarius vgl. ferner Muschiol 2001 (wie Anm. 1), S. 139.

Die Anfänge der Zisterzienserinnenkonvente im fränkisch-schwäbischen Raum und ihre frühen Bauten Maria Magdalena Rückert

Im Jahr 1307 baten die Äbtissin und die Nonnen des Zisterzienserinnenkonventes Gnadental bei Schwäbisch Hall die Pfarrherren der Umgebung darum, ihre Pfarrkinder zu einem Beitrag zu ihrem Klosterbau zu bewegen. Ohne deren finanzielle Unterstützung meinten die Nonnen, nicht in der Lage zu sein, diesen vollenden zu können.1 Dies muss überraschen, da bereits 1264 den Besuchern der Klosterkirche zu Gnadental an den Marienfesttagen ein vierzigtägiger Ablass gewährt worden war.2 Außerdem war der Konvent schon 1246 von seinem ersten Standort Hohebach nach Gnadental umgezogen, da dort die Voraussetzungen für ein Leben der Frauen unter den Bedingungen der Klausur besser gegeben waren.3 Nun aber erfahren wir, dass das Kloster noch gar nicht fertiggebaut war. Um die Hintergründe dieser Quellenauszüge zu verstehen, möchte ich im Folgenden die Gründung von Gnadental und sechs weiterer Nonnenkonvente im Raum Württembergisch Franken sowie deren Inkorporation in den Zisterzienserorden untersuchen. Mit der Aufnahme der frommen Frauen in den Orden von Cîteaux war die Einführung der strengen aktiven und passiven Klausur verbunden. Diese hatte nicht nur weitreichende Folgen für die cura monialium und die Wirtschaftsweise der Nonnen, sondern wirkte sich ebenso massiv auf die Bauten der Klöster aus, die hier in den Blick genommen werden sollen. Eine Vorbemerkung zur Quellenlage ist vorauszuschicken. Neben den normativen Texten liegen aus der Frühzeit der behandelten Klöster nur spärliche schriftli1

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Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, GA 10 Schubl. 20, Nr. 35: „Nos soror Jutha abbatissa totusque conventus sanctimonialium de Valle Gratie, […]. Cum multis constare possit in veritate pluribus argumentis, nos proprie facultatis et substantie penuria exigente nostris sumptibus et expensis structuram nostri claustri non posse sine subventione et auxilium fidelium consumare […]“ (1307). Vgl. Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 6: 1261–1268, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1894 (ND Aalen 1974), Nr. 1747, S. 145 f. Vgl. Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 4: 1241–1252, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1883 (ND Aalen 1974), Nr. 1066, S. 124–126.

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Abb. 18: Ausbreitung der Zisterzienserinnen im fränkisch-schwäbischen Raum bis 1300.

che Quellen zur Baugeschichte vor. Bau- oder Handwerkerrechnungen kennen wir nur aus späteren Jahrhunderten. Urkunden erwähnen zwar die Einweihung von Altären oder Bauten wie z. B. das Infirmarium oder das Refektorium, geben aber in der Regel keine Auskunft über deren Lokalisierung. Hier sind die Ergebnisse der Archäologie und Bauforschung mit heranzuziehen, wobei ich mich für die fränkischen Zisterzen vor allem auf die Forschungen von Claudia Mohn stützen kann.4 Im Raum des württembergischen Franken wurden in der ersten Hälfte des 13.  Jahrhunderts sieben Niederlassungen von Zisterzienserinnen gestiftet (Abb. 18). Sie unterstanden entweder der Männerzisterze Maulbronn oder deren 4 Claudia Mohn: Mittelalterliche Klosteranlagen der Zisterzienserinnen. Architektur der Frauenklöster im mitteldeutschen Raum (Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege, Bd. 4), Petersberg 2006. – Vgl. ebenso Ernst Coester: Die einschiffigen Cistercienserinnenkirchen West- und Süddeutschlands von 1200 bis 1350 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 46), Mainz 1984.

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Tochterklöstern Schöntal und Bronnbach und gehörten damit alle zur Filiation von Morimond. So waren die Frauenklöster Frauental und Seligental direkt der Abtei im Taubertal unterstellt. Gnadental und Billigheim wurden Schöntal zu­ gewiesen, während Frauenzimmern, Lichtenstern und das etwas weiter südlich gelegene Rechentshofen unmittelbar Maulbronn zugeordnet waren.5 Die Anfänge dieser Klöster liegen weitgehend im Dunkeln, da es in der Regel keine Gründungsurkunden gibt. Ein Zusammenspiel der frühen Urkunden und der spätmittelalterlichen Klosterchronistik ergibt das folgende Bild: Im Jahr 1232 stifteten die beiden Brüder Gottfried und Konrad von Hohenlohe und ihre Gattinnen Richenza und Petrissa zu ihrer aller Seelenheil ein „monasterium feminarum Cisterciensis ordinis“6 auf einem Gut im Tal südlich ihrer Burg Brauneck, das sie Frauental nannten. Bezeugt wurde der Vorgang von Ulrich von Dürn und Wolfrad von Krautheim, deren Familien als Förderer der Männerzisterze Schöntal hervortraten und wenig später ebenfalls Frauenklöster stiften sollten, die nach den Gewohnheiten der Zisterzienser lebten. Konrad und Mechthild von Dürn nämlich gründeten 1236 in der Nähe von Schlierstadt das Frauenkloster Seligental.7 Ein 5

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Vgl. Maria Magdalena Rückert: Zur Inkorporation südwestdeutscher Frauenklöster in den Zisterzienserorden. Untersuchungen zu Zisterzen der Maulbronner Filiation im 12. und 13.  Jahrhundert, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 111 (2000), S. 381–410. – Hermann Ehmer: Zisterziensische Frauenklöster im baden-württembergischen Franken, in: Unter Beobachtung der heiligen Regel. Zisterziensische Spiritualität und Kultur im baden-württembergischen Franken, hg. v. Dieter R. Bauer (Forschungen aus Württembergisch-Franken, Bd. 48), Stuttgart 2002, S. 49–58. – Die im heutigen Bayern gelegenen fränkischen Zisterzienserinnenkonvente werden hier ausgeklammert bzw. nur vergleichsweise herangezogen. Vgl. dazu Ernst-Günther Krenig: Rechtliche Voraussetzungen und Organisationsformen der Frauenklöster in Franken, in: Zisterzienser in Franken. Das alte Bistum Würzburg und seine einstigen Zisterzen, hg. v. Wolfgang Brückner / Jürgen Lenssen (Kirche, Kunst und Kultur in Franken, Bd. 2), Würzburg 1991, S. 21–27. Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 3: 1213–1240, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1871 (ND Aalen 1974), Nr. 818, S. 313 f. – Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. N16, S. 459. – Vgl. zu Frauental Michael Wieland: Das Cistercienserinnen-Kloster Frauenthal (in Württemberg), in: Cistercienser-Chronik 17 (1905), S. 33–46 und 71–79. – Winfried Schenk: Vom Kloster zum Dorf. Kulturlandschaftswandel auf der Gemarkung des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Frauental. Exemplarisches und Besonderheiten zur Landschaftsgeschichte Frankens seit 1500, in: Württembergisch Franken 74 (1990), S. 121–161. Vgl. Michael Wieland: Das Cistercienserinnen-Kloster Seligenthal (in Baden), in: Cistercienser-Chronik 17 (1905), S. 161–176. – Elmar Weiss: Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Seligental bei Osterburken, in: Die Zisterzienser im baden-württembergischen Franken, Sonderdruck aus Jahrbuch des Historischen Vereins für Württembergisch Franken 72 (1990), S. 85–104.

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Jahr später folgte Gnadental als Stiftung des Konrad von Krautheim und seiner Gemahlin Kunigunde von Eberstein in der heutigen Gemeinde Michelfeld bei Schwäbisch Hall.8 Im selben Jahr, 1237, wird erstmals das Kloster Mariental erwähnt. Es muss zunächst in Lauterstein, dann in der heute abgegangenen Siedlung Alt­ böckingen bei Heilbronn gesucht werden. Nach dem Umzug der frommen Frauen nach Zimmern in der Diözese Worms begegnet es schließlich als Frauenzimmern.9 An dieser Stiftung waren die Herren von Magenheim maßgeblich beteiligt. Der Maulbronner Abt nahm auch die cura monialium im Kloster Marienkron zu Rechentshofen in der Diözese Speyer wahr, bei dessen Gründung durch Belrein von Eselsberg und seiner Frau Agnes am 30. Juli 1241 er anwesend war. In der nur kopial überlieferten Urkunde wird von der Stiftung eines „claustrum aput Rechentshofen“ gesprochen, das in der nächsten vorliegenden Urkunde als „conventus Corone Sancte Marie, Cysterciensis ordinis“ bezeichnet wird. Dabei wird seines Gründers Belrein nochmals gedacht, der es mit umfangreichen Gütern in der unmittelbaren Umgebung versehen hatte.10 1242 folgte die Gründung von Kloster Lichtenstern, das auf Luitgart, die Witwe Engelhards von Weinsberg und geborene Schenkin von Limpurg zurückgeht, die dann selbst dort eintrat.11 Bereits 1239 war der Anschluss des auf das 12.  Jahrhundert zurückgehenden Klosters Billigheim an den Zisterzienserorden erfolgt. Dieses zwischen Schöntal und Mosbach gelegene Frauenkloster wird erstmals 1166 erwähnt. Die Stiftung Billigheims erfolgte wohl schon um 1150 durch die Edelfreien von Lauda, doch hatten auch die Herren von Dürn enge Beziehungen hierher, wie aus einem

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Vgl. Hermann Bauer: Das Kloster Gnadenthal, in: Württembergisch Franken 9 (1871), S. 34–71. – Michael Wieland: Das Cistercienserinnen-Kloster Gnadenthal in Württemberg, in: Cistercienser-Chronik 18 (1906), S. 65–71, 107–115 und 135–144. 9 Vgl. Eberhard-Ulrich Hink: Das Zisterzienserinnenkloster Mariental zu FrauenzimmernKirchbach im Zabergäu. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Stuttgart 1961. 10 Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 950, S. 454. – Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 3), Bd. 4, Nr. 1049, S. 107 von 1245 Juli 16. – Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 5: 1253–1260, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1889 (ND Aalen 1974), Nr. 1341, S. 105 und Nr. 1345, S. 110. – Vgl. Thomas Faltin: Das Zisterzienserinnenkloster Rechentshofen und seine Stellung gegenüber geistlicher und weltlicher Gewalt, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 55 (1996), S. 27–64, insb. S. 28–30. 11 Vgl. Michael Wieland: Das Cistercienserinnen-Kloster Lichtenstern, in: Cistercienser-Chronik 18 (1906), S. 289–294, 330–339 und 357–363. – Christa-Maria Mack: Die Geschichte des Klosters Lichtenstern von der Gründung bis zur Reformation (Göppinger akademische Beiträge, Nr. 91), Göppingen 1975.

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­ ekrolog des 13. Jahrhunderts hervorgeht.12 Seine Inkorporation in den ZisterziN enserorden geschah auf Bitten König Konrads IV. (amt. 1237/50–1254) und seiner Schwägerin Margarethe, der Witwe Heinrichs VII. (amt. 1222–1235), der Billigheim 1226 ebenfalls gefördert hatte. Damit schließt sich der Kreis: Alle Klosterstifter nämlich standen in enger Beziehung zu den Staufern und waren in den Konflikt Friedrichs II. (amt. 1212–1250) mit seinem Sohn Heinrich (amt. 1222–1235) verwickelt, der in Franken ausgetragen wurde. Sie bildeten ein Netzwerk, das noch durch Verwandtschaft und Verschwägerung gefestigt wurde und Teil eines noch größeren, über Franken hinausgehenden Beziehungsgeflechts war. Die edelfreien Herren von Hohenlohe, von Dürn und von Krautheim sowie die Schenken von Limpurg bzw. Schüpf zeichneten sich in der Stauferzeit durch eine besondere Königsnähe aus. Gottfried und Konrad von Hohenlohe-Brauneck waren als Grafen von Molise und der Romagna Stützen der staufischen Herrschaft in Süditalien. Gottfried von Hohenlohe war mit Richenza von Krautheim verheiratet, deren Familie über ausgedehnte Besitzungen in Franken verfügte und das Kloster Gnadental dotierte. Auch die Familie von Eberstein, der die Gemahlin Konrads von Krautheim, Kunigunde, entstammte, tat sich als Förderin der Zisterzienser hervor, indem sie die Männerzisterze Herrenalb im Nordschwarzwald und das Zisterzienserinnenkloster Rosenthal in der Pfalz stiftete. Sie war darüber hinaus mit den Markgrafen von Baden, den Stiftern von Lichtenthal verschwägert, wo 1252 bis 1257 eine Adelheid von Krautheim Äbtissin war.13 In unmittelbarer Nähe der Burg Krautheim, in Hohebach, ließen sich Zisterzienserinnen nieder, bevor sie mit Unterstützung der Krautheimer 1246 nach Gnadental umziehen konnten.14 Konrad von Dürn, der mit Mechthild von Lauffen verheiratet war, gilt als der Erbauer der Wildenburg bei Walldürn, die als Munsalväsche im Parzival Wolframs von Eschenbach erscheint. Die Schenken von Schüpf besaßen etwa ab 1230 die Limpurg unweit von Schwäbisch Hall und hatten seit Konrad III. das Erbschenkenamt als eines der vier Hofämter inne. Mit Konrad von Limpurg brachten sie 12 Vgl. Michael Wieland: Das Cistercienserinnen-Kloster Billigheim, in: Cistercienser-Chronik 17 (1905), S. 289–298 und 323–328. – Karl-Heinz Mistele: Billigheim. Beziehungen, Probleme und Aspekte eines Frauenklosters im 12. Jahrhundert, in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Geschichte 26 (1969), S. 115–131. 13 Vgl. Ernst Coester: Die Klosterkirche Lichtenthal. Ein Bau im Stil der kraftvollen Gotik süddeutscher Zisterzienserinnenkirchen, in: 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal. Faszination eines Klosters, hg. v. Harald Siebenmorgen, Sigmaringen 1995, S. 85–94, insb. S. 87. 14 Vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 3), Bd. 4, Nr. 1012, S. 62 f. (1243) und Nr. 1065, S. 123 (1246).

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einen bedeutenden Minnesänger hervor. Die hier als Stifter von Frauenklöstern auftretenden Familien taten sich durch die Förderung von Literatur und Kunst hervor, gehörten also zur kulturtragenden Schicht der Zeit, was hier nur am Rande erwähnt sei. Die Frauenklöster dienten diesen Stifterfamilien zum Ausbau ihrer eigenen Territorien. Die Vertreter der edelfreien oder reichsministerialen Schicht strebten dabei dem im 11. und 12. Jahrhundert vornehmlich als Klostergründer hervorgetretenen Hochadel nach. Sie schufen sich damit eine Familiengrablege und trafen Vorsorge für ihr Seelenheil und ihr Totengedenken.15 Verantwortlich für die Pflege der Memoria waren oftmals weibliche Familienangehörige, die in die Klöster geschickt wurden und dort leitende Ämter übernahmen.16 Begräbnisse der Stifter sind für Seligental, Lichtenstern und Gnadental bezeugt, wo die für Konrad von Krautheim und seinen Sohn gefertigte Grabplatte noch heute erhalten ist. Nicht sicher ist allerdings, wo das Stiftergrab ursprünglich zu verorten ist. Auch musste die Pflege der Memoria und der Besuch der Grabstätten an den Jahrtagen durch die Angehörigen der Bestatteten bei der baulichen Einrichtung der Frauenzisterzen berücksichtigt werden. Auf die Auswirkungen der Grablegen auf die Raumstruktur wird zurückzukommen sein.

15 Vgl. Maria Magdalena Rückert: Bestattungsverbot versus Stiftergrab – Südwestdeutsche Zisterzienserklöster als Begräbnisstätten, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 116 (2005), S. 89–105, hier S. 104. – Zu den Motiven der adligen Stifter vgl. auch Helmut Flachenecker: Memoria und Herrschaftssicherung – Vom fränkischen Adel und von frommen Frauen zwischen Spessart und Thüringer Wald, in: Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland, hg. v. Eva Schlotheuber / Helmut Flachenecker / Ingrid Gardill (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, Bd. 235; Studien zur Germania Sacra, Bd. 31), Göttingen 2008, S. 143– 177, hier S. 151. 16 Z. B. wurde Kloster Wald für die beiden Schwestern des Stifters eingerichtet. Judintha von Weckenstein wurde Äbtissin und Ita, die jüngere Schwester, übernahm das Amt der Priorin. Vgl. Maren Kuhn-Rehfus: Die Entstehung der oberschwäbischen Zisterzienserinnenabteien und die Rolle Abt Eberhards von Salem, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 49 (1990), S. 123–141, hier S. 125.

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Zur Inkorporation der Frauenklöster in den Zisterzienserorden

Ohne die Diskussion über die Haltung des Zisterzienserordens im 12. und 13. Jahrhundert zu den Frauen hier aufzunehmen, soll im Folgenden kurz geschildert werden, wie die Inkorporation von Frauenklöstern in den Orden von Cîteaux ablief.17 Der mittelalterliche Zisterzienserorden setzte sich aus selbstständigen Abteien zusammen, die durch den Grundsatz der Filiation miteinander verbunden waren. Der Abt eines Gründerklosters visitierte sein Tochterkloster, das durch die Entsendung von Mönchen selbst zum Mutterkloster werden konnte. Bei Frauenklöstern sah das Ordensrecht vor, sie der Paternität eines Männerklosters zuzuweisen. Seit 1213 wurde dieses Affiliationsverhältnis durch ein Aufnahmeverfahren geregelt.18 Dabei beauftragten die in Cîteaux versammelten Äbte zwei Klostervorsteher, die durch ihren persönlichen Besuch, die sog. inspectio, die wirtschaftliche und disziplinarische Eignung der religiösen Frauengemeinschaft prüften, die aufgenommen werden wollte. Wesentlich war dabei auch, dass die baulichen Voraussetzungen für die Einrichtung der Klausur gegeben waren. Die Entscheidung über die Inkorporation fällte dann meist das Generalkapitel des folgenden Jahres. Im sog. sit-filiaVermerk wurde dann festgelegt, welche Abtei die Paternität übernehmen sollte. Dies zeigt das Beispiel des Maulbronn unterstellten Klosters Lichtenstern, das

17 Vgl. zusammenfassend Franz J. Felten: Der Zisterzienserorden und die Frauen, in: Weltverachtung und Dynamik, hg. v. Harald Schwillus / Andreas Hölscher (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, Bd. 10), Berlin 2000, S. 34–135. – Ders.: Waren die Zisterzienser frauenfeindlich? Die Zisterzienser und die religiöse Frauenbewegung im 12. und frühen 13. Jahrhundert. Versuch einer Bestandsaufnahme der Forschung seit 1980, in: Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter, hg. v. Franz J. Felten / Werner Rösener (Vita regularis. Abhandlungen, Bd. 42), Berlin/Münster 2009, S. 179–223. ­Felten wendet sich v. a. deutlich gegen die Thesen von Brigitte Degler-Spengler: ‚Zahlreich wie die Sterne des Himmels‘. Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner vor dem Problem der Inkorporation von Frauenklöstern, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 4 (1985), S. 37–50. 18 Vgl. Maria Magdalena Rückert: Die Auswirkungen der Klausur auf die Wirtschaftsweise der Cistercienserinnen im Mittelalter, in: Analecta Cisterciensia 61 (2011), S. 145–167. – Dies.: Das Kloster Salem und die ihm unterstellten Frauenklöster, in: Das Zisterzienserkloster Salem im Mittelalter und seine Blüte unter Abt Ulrich II. von Seelfingen (1282–1311), hg. v. Werner Rösener / Peter Rückert (Oberrheinische Studien, Bd. 31), Ostfildern 2014, S. 161–177, hier S. 164.

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durch die Äbte von Schöntal und Bronnbach 1267 inspiziert und ein Jahr später dem Orden als Tochter von deren Mutterkloster Maulbronn inkorporiert wurde.19 Dass die Inkorporation erst 25 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung von Lichtenstern und zehn Jahre nach der Ausstellung des großen Ordensprivilegs durch den Papst stattfand, ist ungewöhnlich. Die Ansiedlung erfolgte an einem Ort, an dem sich bereits ein Hospital befunden haben soll. Möglicherweise hatten aber die baulichen Gegebenheiten anfangs nicht den Anforderungen des Ordens entsprochen. Auch für Rechentshofen liegen zwei Inspektionsnotizen der Jahre 1266 und 1267 vor, in denen die Äbte von Eußerthal und Schönau mit der Begutachtung der Niederlassung beauftragt waren und offenbar 25 Jahre nach der ersten urkund­ lichen Erwähnung noch nicht mit den Gegebenheiten vor Ort zufrieden waren.20 Das von den Herren von Krautheim gestiftete Gnadental wird nach der Inspektion dem Bronnbacher Abt unterstellt.21 Dies scheint im Laufe der Zeit geändert worden zu sein, da die Urkunden seinen Schwesterabt von Schöntal ausdrücklich als Visitator oder Weiserabt ausweisen.22 1289 bestätigte Abt Walkun von Schön19 Zu den Statuten des Generalkapitels vgl. Joseph Maria Canivez (Hg.): Statuta capitulorum generalium Ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786 (Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique, Teil 9–14B), 8 Bde., Louvain 1933–1941, im Folgenden zitiert als Canivez, Statuta, Jahreszahl:Nummer des Generalkapitelstatuts, hier Canivez, Statuta, 1267:34: „Inspectio monasterii de Clara stella, de Speciosa valle et de Brunebac abbatibus iterato committitur a Capitulo generali ut ad locum personaliter accedentes, pensatis omnibus quae secundum Deum et Ordinem sunt pensanda, quid inde fecerint anno sequenti renuntient Capituli generali“; 1268:43: „Incorporatio monasterii de Clara stella, de Speciosa valle et de Brunebach abbatibus committitur, etc., ut supra, et sit filia de Mulebruna.“ – Darüber hinaus ist in Einzelfällen, wie z. B. für Heiligkreuztal, noch eine Inkorporationsurkunde überliefert. Vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 825, S. 320 f. 20 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1266:31: „Inspectio domus monialium Coronae Sanctae Mariae Spirensis diocesis quam petit incorporari Ordini dominus Spirensis episcopus, de Uterina valle de Sconounne abbatibus committitur a Capitulo generali ut ad dictam domum personaliter accedentes, pensatis omnibus, etc., et quid inde“; 1267:44: „Inspectio monialium de corona Sanctae Mariae, de Sconoia et de Uterina valle abbatibus committitur auctoritate Capituli generalis ut ad locum, etc., et quid inde, etc.“ 21 Vgl. Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1237:53: „Inspectio duorum monasteriorum scilicet Vallis gratiae et Vallis Sanctae Crucis quae petit episcopus Herbipolensis incorporari Ordini nostro, de Bildeusa et de Brunebal abbatibus committitur qui ad locum personaliter accedentes, consideratis omnibus quae secundum formam Ordinis consideranda sunt, associent ea Ordini si viderint expedire et sint patres illorum monasteriorum [...].“ 22 1266 ist in Bezug auf ihn vom „venerabilis dominus abbas pater noster“ die Rede. Der Schöntaler Abt, der 1289 als „visitator ipsarum“ erscheint, nennt selbst 1285 die Gnadentaler Nonnen „filias nostras“. Zur Urkunde von 1266 Juni 14 vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie

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tal (amt. 1289–1302), dass das Kloster Gnadental im Besitz mehrerer Ablassbriefe sei, die zugunsten des Baus – „in structura operis sui claustri“23 – des Klosters von verschiedenen Bischöfen ausgestellt worden waren. Er beglaubigte damit, dass ein beauftragter Konverse für das Kloster sammeln durfte. Deutlich wird hier, dass der Vaterabt sich auch um die baulichen Belange des affiliierten Tochterklosters kümmern musste. Wenn auch nicht für alle hier angesprochenen Klöster ein Inkorporationsstatut vorliegt, können sie, wie ich in anderem Zusammenhang zeigen konnte, alle als dem Zisterzienserorden inkorporiert gelten.24 Wesentlich in unserem Zusammenhang ist nun, dass die Statuten des Generalkapitels der Zisterzienser, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Aufnahme von Frauen in den Orden regelten, gerade die Klausur zur conditio sine qua non machten. So heißt es etwa 1213: „Durch die Autorität des Generalkapitels wird bestimmt, dass Nonnen, die schon inkorporiert sind, keinen freien Ausgang haben, außer mit Erlaubnis des Abtes, der die Aufsicht über sie wahrnimmt.“25 1220 wird ergänzt, dass die Nonnen eingeschlossen leben sollen und diejenigen, die nicht in Klausur leben wollen, von der Aufsicht des Ordens ausgeschlossen werden.26 1228 wurde sogar verfügt, dass Vateräbte, die nach drei Jahren nicht die Klausurierung eines unterstellten Frauenklosters erreicht hatten, gehalten waren, die Nonnen wieder aus dem Konvent wegzuschicken.27 Neben disziplinarischen Problemen müssen hier auch die baulichen Voraussetzungen, die für die Einhaltung der Klausur nötig waren, mitgedacht werden. Vor diesem Hintergrund werden die Aktivitäten des Schöntaler Abtes in Gnadental nochmals verständlicher.

Anm. 2), Bd. 6, Nr. 1865, S. 259–261, insb. S. 260. – Zu den Stücken von 1285 und 1289 vgl. Bauer 1871 (wie Anm. 8), S. 38 f. – Wieland 1906 (wie Anm. 8), S. 139 f. 23 Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 9: 1285–1291, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1907 (ND Aalen 1978), Nr. 3883, S. 295 f. von 1289 August 9: „nos videntes et legentes earumdem indulgentiarum literas principales ipsis dominabus de Gnadental de eisdem indulgentiis omnibus datis suis benefactoribus in structura operis sui claustri testimonium clarum tenore presentium perhibemus, testificantes nichilominus literas per presentes, quod conversus lator presentium est professus in Gnadental et verus ipsius monasterii nuntius missus ab abbatissa et conventu ibidem propter colligendam ipsis elemosinam ordinatus.“ 24 Vgl. Rückert 2000 (wie Anm. 5), S. 381–410. 25 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1213:3. 26 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1220:4: „Moniales Ordinis nostri includantur, et quae includi noluerint, a custodia Ordinis se noverint eliminatas.“ 27 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1228:17.

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Bei den Frauenzisterzen im Bodenseeraum kümmerte sich Abt Eberhard von Salem (amt. 1191–1240) intensiv um die Erfüllung der baulichen Bedingungen.28 Neben der Ausstattung eines Frauenkonventes mit den notwendigen Büchern oder Kleidungsstücken war der Vaterabt auch für die Bestellung von Beichtvätern für die Nonnen verantwortlich. Abt Siegfried von Maulbronn (amt. 1281–1285) und Abt Hildebrand von Bronnbach (amt. 1281–1288) bekunden eine Stiftung zum Unterhalt eines ständigen Priesters, der am Kreuzaltar zu Seligental die Messe zelebrieren soll.29 1287 schenkt Ritter Swicker von Gemmingen dem Kloster Rechentshofen seinen Hof zu Zimmern bei Gemmingen mit der Bedingung, daraus einen Messpriester zu besolden, den der Abt von Maulbronn zu ernennen habe.30 Für uns stellt sich die Frage, wo die Beichtväter und Kapläne im Kloster untergebracht waren, wie sie den Nonnen die Sakramente spendeten, also unter den Bedingungen der Klausur die Kommunion austeilen und die Beichte hören konnten. Als Voraussetzung für die Inkorporation eines Nonnenkonvents in den Zisterzienserorden wird 1225 ferner bestimmt, dass dieser seine Mitglieder aus eigenen Mitteln und ohne das die Klausur verletzende Almosennehmen unterhalten konnte.31 Nur wirtschaftlich stabile Konvente sollten demnach in den Orden aufgenommen werden. Wenn auch nach den normativen Quellen für die Frauenklöster prinzipiell dieselben Ordensvorschriften über die Lage ihrer Klöster, über die Handarbeit und die wirtschaftlichen Grundlagen galten wie für die Männerabteien, so lässt sich wie bei diesen eine deutliche Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit feststellen. Man siedelte die Nonnen oftmals in bereits bestehenden Ortschaften oder bei Pfarrkirchen an, deren Kirchensatz in den Besitz der Frauen28 Vgl. Kuhn-Rehfus 1990 (wie Anm. 16), S. 123–141. 29 Staatsarchiv Würzburg, MU 5853 bzw. Druck bei Valentin Ferdinand von Gudenus: Codex diplomaticus anecdotorum res Moguntinas, Francicas, Trevirenses, Hassiacas, finitimarumque regionum nec non ius Germanicum, et S. R. I. historiam vel maxime illustrantium, Bd. III, Göttingen 1751, S. 710. 30 Vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 23), Bd. 9, Nr. 3663, S. 153 sowie Joseph Dambacher: Urkunden-Archiv des Klosters Rechentshofen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 4 (1853), S. 338–356 und 451: „sigillo reverendi patris nostri domini abbatis de Mulenbrunnen visitatori nostri.“ 31 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1225:7: „et ita possessionibus et rebus necessariis sufficienter dotatae fuerint et ditatae, quod possunt includi penitus et inclusae sustentari de suo, ita quod eas non oporteat mendicare.“ – Vgl. auch Brigitte Degler-Spengler: Die religiöse Frauenbewegung des Mittelalters. Konversen – Nonnen – Beginen, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 3 (1984), S. 75–88. – Eva Schlotheuber: Die Zisterzienserinnengemeinschaften im Spätmittelalter, in: Felten/Rösener 2009 (wie Anm. 17), S. 265–284, hier S. 271.

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klöster überging.32 Die Kirchen selbst wurden oft in Klosterkirchen umgewandelt, mussten also auch an die Bedürfnisse der Klausur angepasst werden.33 Für ihre Wirtschaftsverwaltung hatten die Zisterzienserinnen wie die Mönche Kloster­ ämter eingerichtet, wie die der Priorin, Kellerin, Pförtnerin und Gastmeisterin. Wenn auch die Kellerin mit Erlaubnis des Vaterabtes in Ausnahmefällen das Kloster verlassen durfte,34 so war sie doch wie ihre Amtsschwestern in der Regel in ihrem Handeln auf den inneren Wirtschaftsbetrieb beschränkt. Der Vaterabt musste daher auch für männliche Amtsträger sorgen, die die klausurierten Nonnen bei der Wirtschaftsführung unterstützten. Hier kommen nun die Konversen ins Spiel, die wir in unterschiedlichen Positionen in den Frauenklöstern antreffen. Sie begegnen als Grangien- oder Hofmeister auf den Eigenbauhöfen, wo sie die Aufsicht über weitere Konversen und Lohnarbeitskräfte führten. Die auf den nahe gelegenen Bauhöfen erwirtschafteten Überschüsse wurden auf städtischen Märkten durch den frater mercator verkauft. Er stellte eine Verbindung des Konventes nach außen dar und verwaltete oft gleichzeitig die Stadthöfe. Verkauft wurden in den Stadthöfen aber auch von klostereigenen Handwerkerkonversen erstellte Waren.35 32 Vgl. dazu die Gründungsurkunden von Frauental: Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 818, S. 313 f. und von Kirchheim im Ries: Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 7: 1269–1276, hg. v. Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1900 (ND Aalen 1974), Nr. 2172, S. 112 f. 33 Zur Übernahme bestehender Kirchen durch die Zisterzienserinnen vgl. Maren Kuhn-Rehfus: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung oberschwäbischer Zisterzienserinnenabteien, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 4 (1985), S. 59–91, hier S. 61. – Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 33–35. – Kristin Dohmen: Forschungen zu Bau- und Raumkonzepten rheinischer Zisterzienserinnenklöster, in: Die Zisterzienser im Mittelalter, hg. v. Georg Mölich / Norbert Nußbaum / Harald Wolter-von dem Knesebeck, Köln u. a. 2017, S. 85–112, hier S. 85 hält fest, dass ein Viertel der Zisterzienserinnenkonvente im Rheinland an schon bestehenden Kirchen angesiedelt wurde. 34 Vgl. Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1220:4: „[…] Liceat tamen abbatissae cum duabus, vel cellerariae ad procurandum negotia domus exire.“ 35 Vgl. Michael Toepfer: Die Konversen der Zisterzienserinnen von Himmelspforten bei Würzburg – Von der Gründung des Klosters bis zum Ende des 14.  Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Konversen im Mittelalter, hg. v. Kaspar Elm (Berliner historische Studien, Bd. 2; Ordensstudien, Bd. 1), Berlin 1980, S. 25–48. – Maren Kuhn-Rehfus: Konversen und Pfründner in südwestdeutschen Zisterzienserklöstern, in: Das Zisterzienserkloster Bebenhausen. Beiträge zur Archäologie, Geschichte und Architektur (Beiträge zur Tübinger Geschichte, Bd. 6), hg. v. Wilfried Setzler / Franz Quarthal, Stuttgart 1995, S. 105–130. – Maria Magdalena ­Rückert: Konversinnen und Konversen in Frauenklöstern des Hoch- und Spätmittelalters, in: Das Konverseninstitut und sein Umfeld im Hoch- und Spätmittelalter. Beiträge des Kol-

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In einzelnen Abteien wird das Kellereiamt, das sonst der celleraria vorbehalten war, von einem Konversen geführt, so auch in Seligental, wo wir 1285 auf Bruder Albert den Kellermeister treffen.36 Möglicherweise handelt es sich hier aber nur um eine andere Bezeichnung für den Leiter der gesamten Wirtschaft. 1267 legte das Generalkapitel für diese unter dem Titel provisor oder magister auftretenden Amtsträger die einheitliche Bezeichnung als procurator fest.37 Belege für dieses Amt liegen in Seligental etwa 1257 mit einem „Heinricus dictus Pris provisor“ vor und 1298 wird in Frauental ein Bruder Konrad als Prokurator bezeichnet. In Gnadental ist 1266 ein „Heinricus […] procurator“ belegt.38 Mit männlichen Konversen ist in den Frauenzisterzen von der Gründungszeit an zu rechnen. Auch hier stellt sich wie bei den geistlichen Amtsträgern die Frage nach dem Ort der Wohnung im Kloster und dem Platz der Brüder in der Kirche beim Gottesdienst. Neben den Laienbrüdern lebten in den Frauenklöstern von Anfang an auch weibliche Konversen.39 Sie waren wohl hauptsächlich in der Hauswirtschaft, in Küche, Bäckerei, Wäscherei und in den Klostergärten beschäftigt und erscheinen in diesen Funktionen nicht in den Quellen.40 Allerdings liegen uns aus dem späten Mittelalter auch Urkunden vor, in denen durchaus als wohlhabend anzusehende Konversinnen Schenkungen an den eigenen Konvent machten:41 Zwei Laienloquiums zum 70. Geburtstag von Werner Rösener am 13.12.2014 im Kloster Arnsburg, hg. v. Christian Stadelmaier / Andreas Kuczera / Holger Sturm (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission N. F., Bd. 37), Darmstadt 2017, S. 45–70. 36 Vgl. Weiss 1990 (wie Anm. 7), S. 94. 37 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1267:10: „Item, moniales Ordinis nostri quae provisores suos consueverunt appellare praepositos, eos ulterius non praepositos vel priores, sed procuratores appellant, nec eos ulterius eligant vel assumant, nisi de visitatoris sui licentia speciali.“ 38 Zu Seligental Staatsarchiv Würzburg, MU 5819 bzw. von Gudenus 1751 (wie Anm. 29), S. 677. – Zu Gnadental Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 10), Bd. 5, Nr. 1254, S. 14. – Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. 1865, S. 260. – Zu Frauental vgl. Gustav Bossert: Urkunden des Klosters Frauenthal, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 12 (1889), S. 218–240, hier Nr. 32, S. 226. 39 Vgl. Kuhn-Rehfus 1995 (wie Anm. 35), S. 115. 40 Eine Ausnahme stellt vielleicht die 1347 erwähnte Walder „Schwester Mechthild die Gastmeisterin“ dar. Die Urkunden des Zisterzienserinnenklosters Wald. Regesten, bearb. von Maren Kuhn-Rehfus, red. v. Tobias Blaser u. a., hg. v. Volker Trugenberger (Documenta Suevica, Bd. 23), Eggingen/Konstanz 2014, Nr. 276, S. 173 von 1347 Feb. 2. 41 Die Urkunden der Fürstl. Oettingischen Archive in Wallerstein und Oettingen. 1197–1350, hg. v. Richard Dertsch / Gustav Wulz (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte, Reihe 2A, Bd. 6), Augsburg 1959, Nr. 196, S. 76; Nr. 436, S. 158 f. und Nr. 473, S. 173 zu den Schwestern Agnes und Diemut, die bezeichnet werden als „bescheidnen Frauen […], Laienschwestern von Zimmern.“

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schwestern aus Klosterzimmern im Ries, Agnes und Diemut von Aichach, kauften 1338 vier Äcker und 1341 einen Ewigzins. 1360 wird im Kloster Wald beurkundet, dass Wille, genannt die Hohin von Thalheim, eine Konversin im Kloster, und deren Neffe Heinz der Hohe, Pfründner daselbst, auf Lebenszeit ein Gut in Bietingen, das sie dem Kloster gegeben hatten, nutznießen durften. Im selben Kloster wird 1378 durch die Äbtissin bestätigt, dass der dortige Sutermeister, Hans der Vogler, dem Kloster eine Wiese gekauft hatte, deren Nutznießung ihm auf Lebenszeit zustehen sollte. Nach seinem Tod aber soll diese an seine Muhme, Schwester Elisabeth die Vogelin, Laienschwester im Kloster Wald, fallen. Auch traten immer wieder adlige Witwen in die Klöster ein, um dort ihren Lebensabend als Laienschwestern zu verbringen. Der rechtliche und monastische Status der Konversschwestern entsprach demjenigen der Laienbrüder. Auch sie waren durch ihr Gelübde zwar an den Orden gebunden, hatten aber nicht den Charakter von Nonnen. Sie besaßen weder das passive noch das aktive Wahlrecht und hatten nur verminderte religiöse Pflichten zu erfüllen.42 In unserem Zusammenhang ist nun zu fragen, wo die Konversinnen im Kloster untergebracht waren und wie und wo sie ihren religiösen Verpflichtungen nachkommen konnten.

Die Folgen der Klausur für die Klosterbauten der Zisterzienserinnen

Von den hier angesprochenen Frauenzisterzen, die eben auf dieselbe Zeit und dasselbe Stifterkonsortium zurückgehen, haben meist nur noch die Kirchen überdauert. Die Ausstattung der Kirchen und die Lokalisierung der Konventsanlagen sind oft nur schwer bzw. in sehr unterschiedlichem Maß zu rekonstruieren. Im Folgen– Julia Bruch: Die Zisterze Kaisheim und ihre Tochterklöster. Studien zur Organisation und zum Wirtschaften spätmittelalterlicher Frauenklöster. Mit einer Edition des ‚Kaisheimer Rechnungsbuches‘ (Vita regularis. Editionen, Bd. 5), Berlin/Münster 2013, S. 171. – Urkunden Wald (wie Anm. 40), Nr. 343, S. 198. 42 Vgl. Kuhn-Rehfus 1995 (wie Anm. 35), S. 118–124. – Untersucht werden müssten dieselben Aspekte auch für die Pfründner, deren Anzahl im Spätmittelalter in den Frauenklöstern ständig zunahm. Vgl. dazu auch Margit Mersch: Conversi und conversae in den Nonnenklöstern der Zisterzienser, in: Gebaute Klausur. Funktion und Architektur mittelalterlicher Klosterräume (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 52), hg. v. Renate Oldermann, Bielefeld 2008, S. 63–79, die vor allem den norddeutschen Raum untersucht.

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Abb. 19: Rechentshofen, ehem. Zisterzienserinnenkirche, Außenansicht von Süden.

den soll der Fokus auf den baulichen Aspekten liegen, die mit der Einhaltung der Klausur in Verbindung standen. Am besten erhalten sind die Kirchen von Gnadental, Lichtenstern, Frauental und Billigheim, da sie als Pfarrkirchen weitergenutzt wurden. Die Kirche von Rechentshofen (Abb. 19) diente als Scheune und Getreidespeicher auf einer landwirtschaftlichen Domäne, während von der Seligentaler Kirche nur ein Portal überdauert hat. Dennoch steht fest, dass es sich auch bei der Kirche von Seligental wie bei den anderen hier untersuchten Klosterkirchen um eine einschiffige Saalkirche gehandelt hat. Gustav Rommel, der die 1928 abgerissene Kirche noch gesehen hat, beschreibt sie wie folgt: „Die Kirche, der Jungfrau Maria geweiht, ein romanischer Bau in Ost-West-Richtung mit langgestrecktem Schiff und ohne Turm […] ist heute profaniert […]. Die halbkreisförmige Apsis ist fast ganz zerstört, Reste von Säulen und

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vom Chorbogen sind an der Ostseite in den Ecken noch zu bemerken. […] Im Innern sind noch spärliche Reste alter Wandmalereien vorhanden.“43 Der für fast 80 % der zisterziensischen Neugründungen belegte Bautypus der einschiffigen Saalkirche wurde im Fall von Billigheim als Argument herangezogen, den Konvent überhaupt dem Zisterzienserorden zuzuordnen. Die frühere Forschung, v. a. Ernst-Günther Krenig, sah in Billigheim nämlich einen Benediktinerinnenkonvent, der nach einer Reform durch Bischof Hermann von Würzburg (amt. 1225–1254) und auf Intervention König Konrads IV. und seiner Schwägerin Margarethe 1239 dem Zisterzienserorden inkorporiert wurde.44 Archäologische Grabungen und dendrochronologische Untersuchungen des Dachstuhls haben ergeben, dass die noch heute stehende Klosterkirche aus der Zeit um 1185 stammt und keinen Vorgängerbau hatte.45 Damit kann Billigheim zu den ältesten Zisterzienserinnenklöstern Südwestdeutschlands gerechnet werden. Die frühe Gründung macht auch die Unterstellung unter das weit entfernte Ebrach verständlich. Die von ihrer räumlichen Nähe her als Weiserabteien in Frage kommenden Zisterzen Bronnbach und Schöntal wurden ja selbst erst in der Mitte des 12. Jahrhunderts gestiftet. Vor der Inkorporation inspizierten die Äbte von Bronnbach und Langheim den Ort, den sie persönlich aufsuchten, und begutachteten alles, was aus Sicht des Ordens wichtig war.46 1410 ging die Paternität auf Wunsch des Ebracher

43 Gustav Rommel: Geschichte des ehemaligen Klosters Seligenthal (Zwischen Neckar und Main. Schriftenreihe des Vereins Bezirksmuseum Buchen, Heft 5), Buchen 1922, S. 4. 44 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1239:21: „Inspectio abbatiae in Bullincheim quam illustres Corradus in Romanorum regem electus et regina uxor H[einrici] fratris sui bonae memoriae, quondam romani regis, petunt Ordini nostro incorporari […].“ – Ernst-Günther Krenig: Mittelalterliche Frauenklöster nach den Konstitutionen von Cîteaux unter besonderer Berücksichtigung fränkischer Nonnenkonvente, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis. Periodicum semestre Curiae Generalis Sacri Ordinis Cisterciensis 10 (1954), S. 1–105, hier S. 25 f. 45 Vgl. Dietrich Lutz: Die Archäologie des Mittelalters in der Denkmalpflege dargestellt an einigen Beispielen aus dem Regierungsbezirk Karlsruhe, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 4.2 (1975), S. 67–77, insb. S. 75. – Peter Schubart: Ein Dachstuhl des 12. Jahrhunderts in der Klosterkirche zu Billigheim, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 5.2 (1976), S. 71–74. 46 Vgl. Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1239:21: „Inspectio abbatiae in Bullincheim […] committitur de Brunebach et de Lankehin abbatibus qui ad locum personaliter accedentes, pensatis omnibus quae secundum formam Ordinis sunt pensanda, faciant de toto illo negotio prout eis visum fuerit expedire, non expectata licentia Capituli generalis, et quid inde, etc., et sit filia Ebracensis.“

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Abtes jedoch an das wesentlich näher gelegene Schöntal über, das auch schon früher Aufgaben des Visitators übernahm.47 Als einschiffiger Bau mit eingezogener Apsis und westlicher Nonnenempore gehört Billigheim zu den frühesten Beispielen dieses Typs in Franken. Für eine Stiftung des Hochadels aus der Zeit vor 1200 ist dieser Kirchenbau aber eher ungewöhnlich. Die aus derselben Zeit stammenden Bauten von Wechterswinkel (1144) oder Ichtershausen (1147) wählten die viel repräsentativere Bauform der Basilika.48 Für die fränkischen Edelfreien- und Ministerialengeschlechter, die sich Frauenklöster als Familiengrablegen errichteten, scheint Billigheim aber stilbildend gewirkt zu haben. Deutliche Parallelen ließen sich zwischen den Kirchen von Billigheim und Seligental, ebenfalls eine flachgedeckte, turmlose Saalkirche mit Ostapsis, feststellen.49 Dies mag zunächst der räumlichen Nähe der beiden Orte zueinander und den Beziehungen der Herren von Dürn als Gründer von Seligental zu Kloster Billigheim geschuldet sein.50 Die Bestätigung von Seligental durch Bischof Hermann von Lobdeburg (amt. 1225–1254) erfolgte zudem zu derselben Zeit wie die Inkorporation Billigheims in den Zisterzienserorden, an der der Würzburger Bischof großen Anteil hatte. Bis auf Rechentshofen, das zur Diözese Speyer gehört, war Bischof Hermann von Würzburg an allen hier genannten Frauenklostergründungen beteiligt. Auch stand er in enger Verbindung zu den Klosterstiftern.51 Bei Frauental, Frauenzimmern, Seligental und Lichtenstern stellte er die Bestätigungsurkunden aus. Für Gnadental und Billigheim trat er als Bittsteller beim Generalkapitel auf. Bei einzelnen Gründungen reservierte er sich weitgehende Rechte, so etwa in Seligen47 Vgl. Rückert 2000 (wie Anm. 5), S. 399. 48 Vgl. Angela Treiber: Wechterswinkel, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 128. – Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 29 und 264. 49 Vgl. Coester 1984 (wie Anm. 4), S. 14–16. 50 Vgl. Karl-Heinz Mistele: Kalendar und Nekrolog des Klosters Billigheim, in: CistercienserChronik 69 (1962), S. 55–68. 51 Zur Rolle Hermanns und der Stifterfamilien im Konflikt Friedrichs II. mit seinem Sohn Heinrich  VII., der weitgehend in Franken ausgetragen wurde, vgl. Karl Borchardt: Der sogenannte Aufstand Heinrichs (VII.) in Franken 1234/35, in: Forschungen zur bayerischen und fränkischen Geschichte. Peter Herde zum 65. Geburtstag von Freunden, Schülern und Kollegen dargebracht, hg. v. Karl Borchardt / Enno Bünz (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, Bd. 52), Würzburg 1998, S. 53–119. – Maria Magdalena Rückert: Fromme Frauen, weltliche Stifter und geistliche Förderer. Zur Verdichtung Württembergisch Frankens und Oberschwabens zu ‚Frauenklosterlandschaften‘, in: Landschaft(en). Begriffe – Formen – Implikationen (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 68), Stuttgart 2012, S. 223–244.

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tal, Frauenzimmern, Lichtenstern und Billigheim das Recht über die Spiritualien und die Temporalien. In Frauenzimmern behielt er sich das Patronatsrecht vor, was mit seiner weltlichen Stellung als Herzog von Franken zu erklären sein wird. In Seligental nahm er gar die Einsetzung des Klosterseelsorgers und des Prokurators wahr, was sonst Aufgabe der Vateräbte war. Ähnliche bischöfliche Vorbehalte sicherte er sich in Himmelspforten vor Würzburg, als dessen Stifter er 1231 auftrat. Bei der Gründung von Seligental war Äbtissin Jutta von Heiligenstadt (amt. 1233– vor 1251) anwesend, die offenbar den Gründungskonvent entsandt hatte. Auch ihr Herkunftskloster war 1234 von Bischof Hermann bestätigt worden.52 Auf die verwandtschaftlichen Beziehungen der Stifterfamilien wurde bereits hingewiesen. Daneben wird in der Literatur das persönliche Engagement Hermanns von Würzburg als Grund dafür angesehen, dass die einschiffigen Zisterzienserinnenkirchen eine „typologisch sehr geschlossene Gruppe“ bildeten.53 Während Seligental, Frauental und Lichtenstern einen polygonalen Chorabschluss aufweisen, fällt dieser bei Gnadental quadratisch aus. Der Bau weist Parallelen zum badischen Lichtenthal auf, dessen romanischer Gründungsbau ebenso über einen eingezogenen quadratischen Ostchor verfügte. Wie bereits betont, war Konrad von Krautheim, der Gründer Gnadentals, mit Kunigunde von Eberstein verheiratet, deren Familie zu den Förderern von Lichtenthal zählte. Auf die von 1252 bis 1257 als Lichtenthaler Äbtissin amtierende Nichte Konrads, Adelheid von Krautheim, wurde bereits verwiesen.54 In den fränkischen Zisterzienserinnenklöstern konnte Claudia Mohn vielfache Parallelen im Bauablauf konstatieren. In Frauental wurde eine deutliche Baunaht zwischen östlichem Langhaus und westlichem Nonnenchor festgestellt. Begonnen wurde der Kirchenbau im Osten mit dem Sanktuarium, dann folgte das Langhaus, dann die Unterwölbung der Nonnenempore im Westen.55 Im Jahr 1235 stellte 52 Vgl. Coester 1984 (wie Anm. 4), S. 88. – Angela Treiber: Heiligenthal, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 109–110. – Maria Magdalena Rückert: Regulierung und Differenzierung. Die ‚weibliche‘ Klosterlandschaft im deutschen Südwesten im Hochmittelalter, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 27 (2008), S. 51–70, hier S. 58–66. 53 Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 29. – Vgl. auch Wolfgang Brückner: Die fränkischen Frauenzisterzen und ihre Bauten im Wandel der Zeiten, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 41–54, hier S. 42–45. 54 Vgl. Coester 1984 (wie Anm. 4), S. 96 f. – Ders. 1995 (wie Anm. 13), S. 87. – Adelheid stammte aus Kloster Himmelspforten, das über einen eingezogenen zweijochigen Rechteckchor verfügte. Vgl. dazu Angela Treiber: Himmelspforten, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 112. 55 Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 32 f.

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Papst Gregor  IX. (amt. 1127–1241) einen zwanzigtägigen Ablass für Frauental aus, der für begonnene Bautätigkeit gewährt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das Kloster schon dem Zisterzienserorden inkorporiert. 1259 wurde ein hunderttägiger Ablass von Papst Alexander  IV. (amt. 1254–1261) für diejenigen ausgestellt, die am Jahrtag der Einweihung die Kirche besuchten.56 Hier findet sich zumindest der Hinweis, dass zu diesem Zeitpunkt Chor und Laienteil fertig gestellt waren. Ähnlich muss man sich die eingangs geschilderte Situation in Gnadental vorstellen: Eine erste Altarweihe ist 1254 überliefert. Ablässe, die für den Bau des Klosters bestimmt waren, folgten bis in die 1280er Jahre. 1289 bestätigte der Schöntaler Vaterabt, dass ein Konverse Almosen für den Bau der Gnadentaler Kirche sammeln durfte. Der Hilferuf der Äbtissin Jutta von 1307 deutet darauf hin, dass zunächst nur provisorisch errichtete Bauten oder auch Holzkonstruktionen durch massivere Gebäude ersetzt werden sollten.57 Damit löst sich der vermeintliche Widerspruch zu den Ablassurkunden auf. Der Konvent des 1238 von Bischof Hermann von Würzburg bestätigten Klosters Mariental hatte offenbar nach seinem Umzug nach Zimmern zunächst dort vorgefundene Gebäude benutzt. 1268 nämlich erfahren wir wiederum durch eine Ablassurkunde Papst Clemens IV. (amt. 1265–1268), dass der Konvent den Neubau der Klosterkirche in Angriff genommen hatte und dafür finanzielle Unterstützung brauchte.58 Da die Kirche nicht mehr erhalten ist, kann hier keine Aussage über ihre nähere Gestalt getroffen werden. Festzuhalten aber bleibt, dass die Weihe eines Altars im Zusammenhang mit der Klostergründung oder der Inkorporation eines Frauenklosters nicht bedeutet, dass das Klaustrum vollständig fertig gestellt war. Oft muss man von Provisorien ausgehen, die ein Leben in Klausur und die Teilnahme am Gottesdienst ermöglichten.

56 Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 10), Bd. 5, Nr. N40, S. 429 (1235). – Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. N3, S. 475 f. (1259). 57 Zu den Ablassurkunden vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. 1935, S. 325–336 von 1267 (Papst Clemens IV.); aus dem Jahr 1275 liegen drei Ablassbriefe verschiedener Bischöfe vor, vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 32), Bd. 7, Nr. 2490, S. 358 f. (Bischof Bruno von Brixen), Nr. 2501, S. 367 (Bischof Berthold von Würzburg), Nr. 2503, S. 368 f. (Bischof Heinrich von Trient) sowie die Bestätigungsurkunde von Abt Walkun von Schöntal (Württembergisches Urkundenbuch, Bd. 11: 1297–1300, hg. v. Königlichen Staats­ archiv in Stuttgart, Stuttgart 1913 (ND Aalen 1978), Nr. 3883, S. 295 f.). 58 Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. 2013, S. 405: „abbatissa et conventus monasterii in Cymmern […] ecclesiam eiusdem monasterii de novo edificare inceperunt opere sumptuoso nec ad comsummacionem tanti operis proprie sibi suppetant facultates.“

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Abb. 20: Gnadental, ehem. Zisterzienserinnenkirche, Westempore.

Zum Bereich der Klausur zählten die Nonnenemporen in den einschiffigen ­Zisterzienserinnenkirchen. Wie bereits erwähnt, verfügte auch Billigheim über eine Nonnenempore im Westen, was durch den Fund von zehn Säulenbasen unter dem Fußboden bestätigt wurde, die den Grundriss einer Empore über einem

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dreischiffigen, fünfjochigen Untergeschoss/Unterbau ergaben. Die Empore muss somit die Hälfte des Langhauses eingenommen haben und ruhte an den Wänden auf später abgeschlagenen Konsolen.59 Wie Billigheim weisen auch Frauental, Gnadental und Lichtenstern einen separierten Nonnenchor auf einer Westempore auf, von der aus die Zisterzienserinnen dem Gottesdienst beiwohnten. Abschrankungen und Trennwände verhinderten, dass sie den Altarraum einsehen konnten. Meist handelte es sich um hölzerne Emporenkonstruktionen, deren Auflagen heute noch erhalten sind. In Gnadental gab es einen steinernen Bogen, der vermutlich ehemals mit einer Brüstung begrenzt war, die als Sichtschranke diente bzw. durch Vorhänge blickdicht gemacht werden konnte (Abb. 20).60 In Frauental wurde an der Ostseite der Trennwand zwischen Empore und Langhaus ein lettnerartiger Vorbau auf einem dreijochig gewölbten Unterbau errichtet. Baubefunde haben erwiesen, dass dieser Laufgang erst nachträglich, also nach dem Bau der Querwand entstand. Da er aber stilistisch der Wölbung der Unterkirche sehr nahekommt, ist er in die Zeit um 1280 zu datieren. Über die Treppe, die in Frauental im Jahr 1990 rekonstruiert wurde, hatte der Priester die Möglichkeit, zur Reichung der Sakramente auf die Empore zu gelangen. Claudia Mohn hat betont, dass die Übernahme der liturgischen Funktionen durch nicht zum Konvent gehörende Männer innerhalb eines wesentlich zur Isolierung der Frauen geschaffenen Raumes eine höchst komplex organisierte räumliche Struktur erforderte.61 Auch Gisela Muschiol sieht in den Nonnenemporen eine „doppelte Abschließung“ der Frauen, sowohl von der Gemeinde als auch von der Liturgie.62 Während die Nonnenemporen zur inneren Klausur gehörten, gilt dies nicht bei allen Kirchen für die unter ihnen errichteten Unterkirchen. Vom östlichen Langhaus durch eine massive Wand getrennt, entwickelten sie sich im 13. und 14. Jahr59 Vgl. Coester 1984 (wie Anm. 4), S. 9. – Angela Treiber: Billigheim, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 100. 60 Vgl. Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 38. 61 Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 12. – Auf die Überlegungen betreffend eines Wandels von der Mund- zur Handkommunion als Folge der Abschließung und die Folgen des Fronleichnamsfestes für die Liturgie in den Frauenklöstern im späteren Mittelalter kann hier nicht eingegangen werden. 62 Gisela Muschiol: Architektur, Funktion und Geschlecht. Westfälische Klosterkirchen des Mittelalters, in: Westfälisches Klosterbuch. Teil 3: Institutionen und Spiritualität, hg. v. Karl Hengst (Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 2; Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44), Münster 2003, S. 791–811, hier S. 798.

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hundert zu architektonisch eigenständigen Räumen, teilweise zu mehrschiffig gewölbten Hallen. Ein schönes Beispiel dafür ist in Frauental zu finden. Bei der dortigen Unterkirche handelt es sich um eine dreischiffige Halle mit Kreuzrippengewölbe, die als Sepultur genutzt wurde. Seit dem 16.  Jahrhundert dient sie als Gottesdienstraum für die evangelische Kirchengemeinde. Sie gehörte um 1300 aber offenbar zum Bereich der Klausur, da sie nur über zwei Zugänge vom Klaustrum aus verfügte. Während Angela Treiber eine Fensteröffnung zur Laienkirche hin als Nische für eine Totenleuchte deutet, vermutet Claudia Mohn hier eine Einrichtung für die Beichte und die Kommunion.63 Dafür spricht, dass sich im Mauerwerk Eisenstifte erhalten haben, die als Reste einer drehbaren Lade interpretiert werden können. Über ein Fenster mit Drehlade konnte der Priester vom östlichen Langhaus aus die Kommunion in die Unterkirche reichen, die zur Klausur gehörte. In Seligental kann dies ebenso erschlossen werden.64 Das Generalkapitel der Zisterzienser betonte 1225 und 1231 ausdrücklich, dass auch bei der Beichte die Klausur einzuhalten war, d. h. dass sie nur an einem Beichtfenster erlaubt war.65 In Lichtenstern ist eine solche Beichtnische ebenso überkommen, allerdings öffnet sie sich vom Langhaus zum ehemals dort anschließenden Klausurostflügel bzw. zum Kreuzgang (Abb. 21). Hier befand sich die beichtende Nonne, während sich der Beichtvater in der Kirche aufhielt.66 In Lichtenstern und Gnadental nämlich war der Raum unter der Nonnenempore für Besucher von außen zugänglich und schied damit als Bereich für die Beichte aus. Die Eingangsportale für die Laien befanden sich im westlichen Langhaus. Die Laien mussten demnach die Unterkirche durchqueren, um in den Ostteil der Kirche zu gelangen. Da auch ein Portal zum Klaustrum hin vorhanden war, muss der Raum zumindest zeitweise auch für die Nonnen zugänglich gewesen sein. Dies liegt auch dann nahe, wenn die Unterkirche als Sepultur genutzt wurde, wo durch die Nonnen das Totengedenken gepflegt wurde.67

63 Angela Treiber: Frauental, in: Brückner/Lenssen 1991 (wie Anm. 5), S. 106. – Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 101. – Zu ähnlichen Einrichtungen in Maidbronn und Himmelspforten vgl. Ebd., S. 138 und 310. 64 Vgl. Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 228. 65 Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1225:7 und 1231:6: „Omnes moniales quaecumque sint loquantur de confessione per fenestram ad hoc, prout statutum est, deputatam, praeter graviter infirmantes et exceptis visitatoribus cum quibus in capitulo loqui possunt.“ 66 Vgl. Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 172 und Abb. 48. 67 Vgl. Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 48 f.

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Abb. 21: Lichtenstern, ehem. Zisterzienserinnenkirche, Beichtnische an der Klausursüdseite.

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Abb. 22: Gnadental, ehem. Zisterzienserinnenkirche, Portal an der klausurabgewandten Südseite.

Möglicherweise befand sich hier unter der Empore in Gnadental die Grablege der Stifter. Das Portal, das den Zugang in Gnadental gestattete, hat sich erhalten (Abb. 22). 1266 waren Konrad von Krautheim und seine Gemahlin Kunigunde von Eberstein in das Kloster eingetreten und dort bald verstorben.68 1271 bestätigten 68 1266 bezeichnet Kraft von Hohenlohe seinen Onkel Konrad von Krautheim als im Kloster Gnadental lebend: Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 6, Nr. 1846, S. 241 f.; am

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­ btissin und Konvent, dass sie die Todestage des Stifterehepaars feierlich begehen Ä würden, wofür ihnen die Verstorbenen bestimmte Einkünfte überlassen hatten.69 An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Funktion der Grablege, die in der Regel im Sanktuarium, also in der Nähe des Hauptaltars, zu vermuten ist, bedeutenden Einfluss auf die Organisationsstruktur der Nonnenkirchen hatte. An den Jahr- und Gedenktagen mussten diese Bereiche für die Angehörigen der Stifter und andere Förderer zugänglich sein. Die klausurierten Nonnen, bei denen es sich teilweise um Familienmitglieder handelte, durften damit aber nicht in Kontakt kommen. Um die Memoria zu begehen, sollten sie aber trotzdem am Grab der Verstorbenen die Gebete sprechen. Von großer Bedeutung war daher auch die Frage, wie die Nonnen überhaupt in die Kirche gelangen konnten, sei es auf den Nonnenchor oder in die Unterkirche unter der Empore. Die Verbindung vom Dormitorium zum Nonnenchor bedingte zwangsläufig eine Umstrukturierung der Konventsräume im Vergleich zu den Männerabteien.70 Erschlossen wurde die Nonnenempore in der Regel über das Obergeschoss des Kreuzgangs, der zumindest auf der Kirchenseite zweigeschossig war. In Frauental und Gnadental schloss sich der Konventsbau nördlich der Kirche an. Kloster Frauental wird nördlich vom Fluss Steinach umflossen, südlich der Kirche verläuft eine Straße, die das Klosterareal von der dörflichen Siedlung trennt. Das Dormitorium befand sich im zweiten Obergeschoss des Klausurostflügels, dem sog. Nonnenhaus. In Lichtenstern, Seligental und Billigheim schloss sich der Konvent im Süden der Kirche an. Auch wenn die fränkischen Zisterzen wegen ähnlicher Gründungsumstände zahlreiche Parallelen aufweisen, waren doch auch immer topografische Besonderheiten beim Bau der Anlagen mit in den Blick zu nehmen. Die Reste des Klosters Rechentshofen führen die Forschungsdesiderate vor Augen: Neben der als Scheune und Getreidespeicher genutzten Kirche ist hier auch das Nonnenhaus erhalten (Abb. 23).

14. Juni 1266 vermacht Konrad im Falle seines Todes dem Kloster Gnadental bestimmte Güter zur Feier seiner Memoria: Ebd., Nr. 1865, S. 259 f. 69 Vgl. Württembergisches Urkundenbuch (wie Anm. 32), Bd. 7, Nr. 2227, S. 151. 70 Anders sehen dies Brückner 1991 (wie Anm. 53), S. 52 und Otto Beck: Die Reichsabtei Heggbach. Kloster, Konvent, Ordensleben. Ein Beitrag zur Geschichte der Zisterzienserinnen, Sigmaringen 1980. Sie gehen von einem an den Männerzisterzen orientierten Idealplan aus, was sich für die hier vorgestellten Frauenklöster nicht bestätigt findet.

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Abb. 23: Rechentshofen, ehem. Nonnenhaus, Klausurostflügel.

Wenn es auch nicht den Stand der Erbauungszeit wiedergibt, so ließe sich allein durch die Analyse der Fenster an der Wand an die Forschungen von Claudia Mohn und anderer anschließen, was den Zugang zur Nonnenempore und die Verteilung weiterer Funktionsräume angeht.71 Einen Eindruck von der Gesamtanlage bietet ein Lageplan von Seligental aus der Zeit um 1731, der im Fürstlich von Leiningenschen Archiv in Amorbach aufbewahrt wird (Abb. 24).72 Den Klosterhof betrat man durch einen Torturm von Nordwesten aus. Dort lagen die Wirtschaftsgebäude des Klosters. Ungefähr in der Mitte des Gesamtareals stand die Kirche. Auf dem Plan sind von der Klausur nur Ost- und Westflügel eingezeichnet. Nach Süden wird sie von einer Mauer abgeschlossen. Vom Ostflügel blieb das Erdgeschoss stehen, das bis vor wenigen Jahren als Stall genutzt wurde, während das Obergeschoss 1951 abgerissen wurde. Dendrochronologische Untersuchungen weisen in das Jahr 1233 als vorsichtiger Anhaltspunkt für den Beginn des Konventsbaus in der Zeit der Gründung des Klosters. Dieser Flügel kann als eigentliches Nonnenhaus rekonstruiert werden, das im Erdgeschoss Sakristei und Kapitelsaal und im Obergeschoss das Dormitorium aufnahm. Von dort 71 Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 69–82. – Vgl. auch Mersch 2008 (wie Anm. 42), S. 63–79. – Dohmen 2017 (wie Anm. 33), S. 85–112. 72 Fürstlich von Leiningensches Archiv Amorbach, Sig. 7/39/6.

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Abb. 24: Seligental, Lageplan der Klostergebäude (1731).

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gab es eine Türöffnung in die Kirche. Vermutet man, so Mohn, in der Kirche eine Westempore, muss es einen Laufgang an der Langhaussüdwand gegeben haben, der ­Dormitorium und Nonnenchor verbunden hat.73 Der Plan mit den Wirtschaftsgebäuden leitet zur Frage über, wo die Konversen und Konversinnen untergebracht waren, die zum Funktionieren der Wirtschaft und damit zur Aufrechterhaltung der Klausur notwendig waren. Separate Räume für diese Gruppen lassen sich in keinem der hier behandelten Klöster ausweisen. Anders als bei den großen Männerabteien wie Salem oder Bebenhausen, wo die Anzahl der Konversen diejenigen der Chormönche bei Weitem überschritt, ist bei den vergleichsweise kleinen Frauenzisterzen auch nur von einer geringeren Anzahl von Laienmönchen und -schwestern auszugehen.74 Da keine Quellenaussagen direkt dazu vorliegen, soll ein vom Kaisheimer Abt 1299 für die ihm unterstellten Frauenklöster vorgegebener numerus taxatus (Verhältnis 1 zu 3) hilfsweise herangezogen werden. In Zimmern im Ries sollten 60 Nonnen und 26 Konversen, in Seligenthal bei Landshut ebenso viele moniales und 23 Laienbrüder, in Pielenhofen 50 Nonnen und 20 Konversen, in Oberschönenfeld 60 Nonnen und zwölf Konversen und in Niederschönenfeld schließlich 60 moniales und 20 Konversen leben.75 Auf drei Konventualinnen kam somit ein Laienbruder. Noch geringer war die Zahl der Konversinnen. 1355 stehen in Zimmern 73 Chorschwestern und 15 Konversen nur vier Konversinnen gegenüber. In Pielenhofen haben wir 1339 75 Chorschwestern, zwölf Konversinnen und 20 Laienbrüder.76 Die geringe Anzahl rechtfertigte wohl kaum die Anlage eigener Klosterflügel für diese Gruppe. Kloster Frauental verfügt über ein extrem langes Nonnenhaus, das über den Kreuzgang hinausragt. Möglicherweise lebten in diesem Trakt Konversinnen. Ein hier vorhandenes Portal könnte von den Laienschwestern genutzt worden sein, um Aufgaben außerhalb der Klausur wahrzunehmen.77 73 Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 227. – Vgl. auch Rommel 1922 (wie Anm. 43), S. 5 f. – Matthias Untermann: Das Nonnenhaus. Traditionen eines klösterlichen Bautyps, in: Oldermann 2008 (wie Anm. 42), S. 97–109. 74 Laut Werner Rösener: Die Agrarwirtschaft der Zisterzienser. Innovation und Anpassung, in: Felten/Rösener 2009 (wie Anm. 17), S. 67–95, hier S. 85, gab es in Salem 1311 130 Mönche und 180 Konversen; für Bebenhausen sind Ende des 13. Jahrhunderts 80 Mönche und 130 Laienbrüder anzunehmen; für Kloster Eberbach im 13.  Jahrhundert 100 Chormönche und 200 Konversen. 75 Vgl. Canivez, Statuta (wie Anm. 19), 1298:2. – Bruch 2013 (wie Anm. 41), S. 443 f. 76 Zu den Kaisheimer Rechnungen vgl. auch Rückert 2017 (wie Anm. 35), S. 59 f. sowie die Tabelle in Anhang 1. 77 Vgl. Mohn 2006 (wie Anm. 4), S. 70–72 mit weiteren Beispielen aus Brandenburg.

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Auch wenn die Konversen in den Urkunden als Teil der Klostergemeinschaft erscheinen, mussten sie getrennt vom Nonnenkonvent untergebracht werden. Sie lebten entweder innerhalb des Klosterbezirks oder im Vorhof bei den Wirtschaftsgebäuden. Je nach Art ihrer Tätigkeit müssen sie wohl auf den Grangien oder in den Stadthöfen gewohnt haben.78 In Heiligkreuztal wird 1309 ein Bruderhaus, 1349 eine Bruderkirche erwähnt, in Heggbach ist dies 1412 der Fall.79 Margit Mersch, die sich den Konversen in norddeutschen Frauenklöstern gewidmet hat, kommt zu dem Ergebnis, dass sich weder die Unterbringung noch der Platz der Konversen beim Gottesdienst eindeutig festlegen lassen.80 Vermutlich wohnten sie dem Gottesdienst mit anderen Laien bei. Ob hier Frauen und Männer getrennt saßen, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob die Laienschwestern mit auf der Empore etwa hinter einer Abschrankung saßen oder aber in der Unterkirche. Auch hier ist bei allen Gemeinsamkeiten der fränkischen Frauenzisterzen von unterschiedlichen Lösungen auszugehen. Äußere Faktoren und verschiedene Entstehungskontexte erforderten unterschiedliche Raumlösungen, die zu einer Vielfalt der Frauenzisterzen führte, die auch für andere ‚Klosterlandschaften‘ bestätigt wurde.81

Fazit

Die aufgrund der schriftlichen Quellen gewonnenen Erkenntnisse zu Motiven der Stifterfamilien bei der Gründung von Frauenzisterzen ließen sich – wenn auch nicht in allen Punkten – durch zahlreiche Parallelen bei der Errichtung der nahezu zeitgleich entstandenen Kloster- und Kirchenbauten vertiefen. Meist wurde unmittelbar nach der Stiftung, über die die Urkunden Auskunft geben, mit dem Bau der Anlagen begonnen. Dieser zog sich über Jahrzehnte hin, bis die Voraussetzungen für das Leben der Nonnen in Klausur gegeben waren. Unterschiede wie z. B. die Anlage der Konventsgebäude im Norden oder im Süden der Klosterkirche hingen offenbar mit räumlichen oder topografischen Gegebenheiten zusammen wie der Lage an einer Straße oder der Begrenzung durch das Bett eines Flusses. 78 Vgl. Kuhn-Rehfus 1995 (wie Anm. 35), S. 127. 79 Vgl. Urkundenbuch des Klosters Heiligkreuztal, Bd. 1, bearb. von Anton Hauber (Württembergische Geschichtsquellen, Bd. 9), Stuttgart 1910, Nr. 205, S. 81: „bruderhaus“ (1309); Nr. 519, S. 289: „bruderkirchen“ (1349). – Zu Heggbach vgl. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, B 456 U +185. 80 Mersch 2008 (wie Anm. 42), S. 70. 81 Für Westfalen vgl. Muschiol 2003 (wie Anm. 62), S. 805–809. – Für das Rheinland vgl. ­ ohmen 2017 (wie Anm. 33), S. 107. D

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Der Schwerpunkt meiner Ausführungen lag auf den Folgen der Klausur für die Anlage der Bauten der Zisterzienserinnen. Da die vom Zisterzienserorden als bestimmendes Organisationsmuster festgelegte Klausur aber auch bei Frauenklöstern anderer Observanz eine Rolle spielte,82 bleibt schließlich zu fragen, ob die hier festgemachten Befunde ordensspezifisch oder eher frauenspezifisch zu nennen sind.

82 Hier wären die Ergebnisse von Carola Jäggi: Frauenklöster im Spätmittelalter. Die Kirchen der Klarissen und Dominikanerinnen im 13. und 14. Jahrhundert (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, Bd. 34), Petersberg 2005, vergleichend heranzuziehen.

St. Maria im Kapitol zu Köln als Frauenkonventskirche Klaus Gereon Beuckers

Die Kirche von St.  Maria im Kapitol zu Köln gehört ohne Frage zu den prominentesten Bauten des europäischen Hochmittelalters. Die in ihrem Namen fortlebende antike Tradition des römischen Tempels verweist nicht nur auf ihre lange Geschichte, sondern vertritt auch einen Anspruch. Etliche Beiträge haben sich der Architektur des um 1040 begonnenen, 1049 und 1065 geweihten Neubaus gewidmet, von denen vor allem die große Monografie aus der Feder von Hugo Rahtgens hervorsticht, die zuletzt durch Baubeobachtungen von Ulrich Knapp ergänzt und auf den aktuellen Stand der Bauentwicklung gebracht wurde.1 Immer wieder genannt, und so auch im Korpuswerk von Hans Erich Kubach und Albert ­Verbeek 1976 sowie im Aufsatzband zum Jahr der Romanischen Kirchen in Köln 1985 und in der Dissertation zum Trikonchos von Matthias Kitschenberg 1990 aufgeführt, ist ihre Nutzung als Frauenkonventskirche.2 Die Gründung der Frauengemeinschaft ist seit den wichtigen Aufsätzen von Friedrich Wilhelm Oediger und Eduard Hlawitschka aus den 1960er Jahren gut untersucht und von ­Marianne Gechter 2009 im Tagungsband zu einem wissenschaftlichen Kolloquium 2007 über die Kirche noch einmal neu dargestellt worden.3 Zuletzt hat 1 Hugo Rahtgens: Die Kirche S. Maria im Kapitol zu Köln, Düsseldorf 1913. – Ulrich Knapp: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol zu Köln – eine kritische Revision, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 71–105. 2 Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas, 4 Bde., Berlin 1976/89, hier Bd. 1, S. 557–568 und passim. – Ulrich Krings: St. Maria im Kapitol, in: Köln. Die Romanischen Kirchen von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. v. Hiltrud Kier / Ulrich Krings (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 1), Köln 1984, S. 345–380. – Matthias Kitschenberg: Die Kleeblattanlage von St. Maria im Kapitol zu Köln. Ihr Verhältnis zu den kirchlichen Trikonchen des frühen Christentums und des Frühmittelalters sowie die Frage nach der Entstehung des allseitigen Umganges (Veröffentlichung der Abteilung Architektur des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln, Bd. 36), Köln 1990. 3 Friedrich Wilhelm Oediger: St. Maria im Kapitol und Remiremont. Bemerkungen zu einem Kollektar des 12. Jhs., in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 36/37 (1961/62), S. 73–93. – Eduard Hlawitschka: Zu den klösterlichen Anfängen in St. Maria im Kapitol zu Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 31 (1966/67), S. 1–16. – Marianne Gechter: Quellen zur Ent-

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Heribert Müller noch einmal zu Plektrudis und zur Frühgeschichte von St. Maria im Kapitol gearbeitet.4 Eine umfassende Zusammenfassung des Forschungstandes hatte bereits 1999 Joachim Oepen in seinem grundlegenden Band zur Memorialüberlieferung des Hauses gegeben.5 Überraschenderweise fehlt aber bis heute ein Beitrag, der sich mit der Nutzung des Baus durch den Frauenkonvent einmal ausführlicher auseinandersetzt. Dies soll im Folgenden geschehen.

Der Kirchenbau

Der salische Kirchenbau von St. Maria im Kapitol war eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit dreitürmigem Westbau und trikonchalem Ostbau mit sowohl das Querhaus als auch den Ostabschluss umlaufenden Umgängen über einer Hallenkrypta. Die Baugeschichte ist nicht zuletzt dank Ulrich Knapp auf der Grundlage älterer Forschung weitgehend geklärt: Der offenbar bis in das 11. Jahrhundert noch zu erheblichen Teilen erhaltene, dreizellige Tempelbau aus dem 2. Jahrhundert, in dem spätestens unter Plektrudis (verst. vermutlich 725) eine Kirche eingerichtet wurde, für die man wahrscheinlich die östliche Säulenhalle vermauert und als Sanktuarium umfunktioniert hatte,6 wurde östlich anstelle der Treppenanlage durch eine Krypta für einen darüber geplanten Ostbau ergänzt (Abb. 25). Dieser bezog sich in der Höhe außen auf das Fußbodenniveau des römischen Temenosbezirks und wurde durch eine Fundamentplatte aus Geröll und Schutt begründet. Das innere Niveau lag mehr als fünf Meter höher, da es sich an dem Tempel auf seinem hohen Postament orientierte. Offenbar plante man die Beibehaltung des Tempels oder stehungsgeschichte von Kirche und Stift, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 31–48. 4 Heribert Müller: Köln und die Lande an Rhein und Maas zur Zeit Plektruds und Pippins des Mittleren: Am Rande des Frankenreiches?, in: Francia. Forschungen zur europäischen Geschichte 44 (2017), S. 1–28, insb. S. 5–7. Dort (S. 6, Anm. 18) kündigt er einen Beitrag über die Frühgeschichte von St. Maria im Kapitol an. 5 Joachim Oepen: Die Totenbücher von St. Maria im Kapitol zu Köln. Edition und personengeschichtlicher Kommentar (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 32), Siegburg 1999. – Vgl. auch Klara Neuhoff: Das älteste Lehnsbuch des Stiftes St.  Maria im Kapitol in Köln (13.–16. Jahrhundert), in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 59 (2012), S. 105–127. 6 So rekonstruiert es zumindest Sven Schütte: Der Kapitolstempel und die vorsalischen Bauphasen von St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 15–30, hier S. 24 f.

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Abb. 25: Köln, St. Maria im Kapitol, schematische Rekonstruktion der Übergangsphasen vom römischen Tempel zum salischen Kirchenbau nach Sven Schütte.

Abb. 26: Köln, St. Maria im Kapitol, nördliche Mittelschiffswand des Langhauses mit Kartierung der verbauten Gesteine. Zeichnung: Ulrich Knapp.

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e­ inen Neubau, der sich weitgehend auf dessen Fluchten bezog. Aufgrund der Höhen war eine Zugänglichkeit in die Kirche nur von Westen gegeben, wie es sie seit der kirchlichen Nutzung auch bereits gegeben haben muss. Im Zuge der Errichtung der Krypta wurde mit dem Neubau eines Langhauses begonnen, für das man die beiden äußeren Cellae des ehemaligen Tempels abbrach und die Fundamente für die Mittelschiffsarkaden unmittelbar außerhalb der Fundamente der Mittelcella anordnete. So konnte der Gottesdienst während der Baumaßnahmen relativ lange am alten Ort fortgesetzt werden. Spätestens im Vorfeld der Kreuzaltarweihe vom 2.  Juli 1049, die am Fest Maria Heimsuchung durch Papst Leo IX. (amt. 1049–1054) im Beisein von Kaiser Heinrich III. (amt. 1039–1056) und weiten Teilen der Reichsnobilität erfolgte (die bei den Brüdern Gelenius abschriftlich überlieferte Quelle berichtet von allein 72 anwesenden Bischöfen und Äbten),7 muss die Cella abgebrochen und so das Mittelschiff an den sicher noch unfertigen Ostbau angebunden worden sein. Wie weit das Langhaus beispielsweise im Obergaden zu diesem Zeitpunkt gediehen war, ist kaum zu rekonstruieren, zumal schon Rahtgens festgestellt hat, dass das Langhaus im Norden gegen den Trikonchos stößt, während zur Verzahnung des Obergadens wegen späterer Veränderungen Befunde fehlten.8 Jedenfalls spricht die Steinwahl, bei der das großquadrige römische Material, insbesondere der Drachenfelstrachyt, nur für die Krypta und die Langhausarkaden sowie den westlichen Vierungsbogen benutzt wurde, während der Obergaden sowohl im Ostbau als auch im Langhaus aus Tuffen besteht, da das römische Material offenbar zur Neige ging (Abb. 26),9 für eine Vollendung des Langhauses vor der Fertigstellung des Obergadens des Trikonchos. Die Fertigstellung der Kirche bis zur Abschlussweihe 1065 hatte seit dem Kryptenbau mit nennenswerten statischen Problemen zu kämpfen, die u.  a. mit dem Bruch der Fundamentplatte während der Aufsetzung der Krypta zusammenhin-

7

8 9

Der Text ist in einer Abschrift der Brüder Johannes und Aegidius Gelenius in den Farragines, Bd. XIV, fol. 644 im Historischen Archiv der Stadt Köln überliefert. Als Quelle geben sie „ex capitolio Beatae Mariae Virginis Colon. fol. 95“ an. Die Farragines konnten für diesen Beitrag nicht eingesehen werden. Der Text zit. bei Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 40 f. und Klaus Gereon Beuckers: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol. Zum Baukonzept in seinem historischen Kontext, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 49–70, hier S. 66, Anm. 2. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 109. – Vgl. auch Knapp 2009 (wie Anm. 1), S. 80 f. Eine Kartierung des Steinmaterials zuletzt bei Knapp 2009 (wie Anm. 1), S. 79, Abb. 12.

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gen.10 Konnten die daraus resultierenden Neigungen des bereits stehenden Mauerwerks teilweise durch Abarbeitungen und den Weiterbau kaschiert werden, so dürften damit Planungen beispielsweise eines Vierungsturmes und wohl auch von Wölbungen des Trikonchos vorerst obsolet geworden sein. Die statischen Pro­ bleme setzten sich fort und sind wohl noch im 13. Jahrhundert ein Grund für den Umbau der Ostkonche gewesen.11 Vor allem aber verzögerten sie die Fertigstellung des Ostbaus in salischer Zeit und der ansässige Frauenkonvent musste sich längere Zeit mit der Nutzung des Langhauses zufriedengeben, da die Ostteile Baustelle blieben. Erst um die Weihe am 18. Oktober 1065 herum dürfte er auch Zugriff auf den Ostbau bekommen haben. Dies hatte Konsequenzen für die liturgische Disposition des Baus bis in den Barock hinein.

Die Vita Adelheidis und die Verfassung des Konventes von St. Maria im Kapitol

Doch um welche Art des Konventes handelte es sich? Die Unterscheidung von Frauenklöstern und Frauenstiften ist für das frühe Mittelalter nicht nur aufgrund der Quellenlage meist unmöglich, sondern die Übergänge zwischen den verschiedenen Lebensformen dürften fließend gewesen sein.12 Kernaspekte waren die ­Gültigkeit der Gelübde als zeitlich befristet oder ewig sowie die Frage des persönlichen Besitzes und der Finanzierung der einzelnen Stiftsperson durch Präbenden, möglicherweise auch des gemeinsamen Lebens in Tisch- und Schlafgemeinschaft sowie Speiseregeln. Äußerlich dürfte die Tracht eine markante Rolle gespielt haben.

10 Vgl. Knapp 2009 (wie Anm. 1), S. 77 f. 11 Zum Umbau des Trikonchos und der Ostkonche im 12./13. Jahrhundert vgl. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 44, 86 f. und 96 f. – Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 565 f. 12 Zum Gesamtproblem vgl. Irene Crusius: Sanctimoniales quae se canonicas vocant. Das Kanonissenstift als Forschungsproblem, in: Studien zum Kanonissenstift, hg. v. Irene Crusius (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 167; Studien zur Germania Sacra, Bd. 24), Göttingen 2001, S. 9–38. – Franz-Josef Felten: Auf dem Weg zu Kanonissen und Kanonissenstift. Ordnungskonzepte der weiblichen vita religiosa bis ins 9. Jahrhundert, in: Europa und die Welt in der Geschichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dieter Berg, hg. v. Raphaela Averkorn, Bochum 2004, S. 551–573 mit älterer Literatur. – Thomas Schilp: Die Wirkung der Aachener Institutio sanctimonialium des Jahres 816, in: Frühformen von Stiftskirche in Europa. Funktion und Wandel religiöser Gemeinschaften vom 6. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Festgabe für Dieter Mertens zum 65. Geburtstag, hg. v. Sönke Lorenz / Thomas Zotz (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 54), Leinfelden-Echterdingen 2005, S. 163–184.

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Für St. Maria im Kapitol ist im 11. Jahrhundert der Fall ungewöhnlich eindeutig, denn hier gibt die im Umfeld der Frauengemeinschaft am Kapitol entstandene Vita Adelheidis mit ihren Erzählungen zur Gründung der Frauengemeinschaft in Vilich einen Einblick in das Nebeneinander von benediktinischen und stiftischen Formen. Der Text wurde seinem Prolog nach unter Erzbischof Anno II. von Köln (amt. 1056–1075) wohl um 1056/57 geschrieben, ist also aus dem Blickwinkel der Zeit zu verstehen, als aktuell Anno im Vorfeld der Gründung von Kloster Siegburg (1064) – entgegen der Politik seines Vorgängers Hermann  II. (amt. 1036–1056) und auch seiner eigenen Stiftungstätigkeit an den Kölner Stiften St. Maria ad Gradus und St. Georg – jetzt eine monastische Linie bevorzugte und ab 1068 mit der Übertragung von Mönchen aus Fruttuaria nach Siegburg sogar eine eigene Welle der benediktinischen Klosterreform initiierte.13 Der Prolog stellt Anno als Verbesserer des Schlechten und Verteidiger des Besseren heraus, was in einem Bescheidenheitstopos auf die ‚bäuerliche‘ Schrift der Heiligenvita bezogen wird, die er ebenfalls verbessern könne.14 Die Vita Adelheidis berichtet von ihrer Heldin, die von ihren Eltern Megingoz und Gerberga nach St. Ursula in Köln zur Erziehung gegeben wurde, wo die als Hieronymus-Regel bezeichnete Aachener Institutio sanctimonialium galt, also eine stiftische Gemeinschaft bestand.15 Ihre Schwester Bertrada kam in das (benediktinische) Frauenkloster St. Maria im Kapitol und stieg dort aufgrund ihrer ‚Regel13 Vgl. grundlegend Josef Semmler: Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Reformprogramm im 11. und 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv, Bd. 53), Bonn 1959. – Zu Anno immer noch gültig Georg Jenal: Erzbischof Anno II. von Köln (1056–75) und sein politisches Wirken. Ein Beitrag zur Geschichte der Reichs- und Territorialpolitik im 11. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 8), 2 Bde., Stuttgart 1974/75. 14 „Nam, si pro malis nostris omniumque tibi subditorum nunc emendano, nunc defendendo sustines laborem, iure pro bonis quoque nostris Deo adiuvante peractis merebis honorem. […] In quo [opusculum, die Vita] quidem quaecumque fuerint corrigenda, cum piis quos asciscere volueris emenda.“ Vita Adelheidis, c. 1, zit. n. Jakob Schlafke: Leben und Verehrung der hl. Adelheid von Vilich, in: Irmingard Achter: Die Stiftskirche St.  Peter in Vilich (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 12), Düsseldorf 1968, S. 261–329 mit einer Edition und Übersetzung der Vita nach Oswald Holder-Egger (Bearb.), in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in Folio), Bd. 15.2, Hannover 1888 (ND Stuttgart 1963), S. 754–763, Zitate S. 266. – Vgl. auch Heinz Pesig: Vita Adelheidis. Das Leben der hl. Adelheid von Vilich, lateinisch und deutsch, Bonn 2003. 15 Zur Aachener Institutio vgl. Thomas Schilp: Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 137; Studien zur Germania Sacra, Bd. 21), Göttingen 1998.

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konformität‘ und geistlichen Strenge zur Äbtissin auf.16 Dezidiert unterscheidet die Vita zwischen den beiden Verfassungsformen, was für die folgende Geschichte wichtig wird, als die Eltern der beiden geistlichen Frauen nach dem Tod ihres Sohnes 977 zur Memoria das Kloster Vilich bei Bonn gründeten und Adelheid als Leiterin einsetzten. Ein Privileg Ottos III. (amt. 983–1002) aus dem Jahr 987 stellte Vilich mit den Frauenstiften Gandersheim, Quedlinburg und Essen als Reichsstift gleich.17 Bald nach diesen offenbar stiftischen Anfängen suchten Megingoz und Gerberga der Vita zufolge Adelheid und die Stiftsfrauen zu einem Übertritt zu benediktinischen Gepflogenheiten nach, was an der Kleidung festgemacht wird.18 Adelheid lehnte ab, weil sie auf ihre schönen Gewänder nicht verzichten und Gott keine erzwungenen Dienste leisten wollte.19 Die Stelle ist insofern interessant, als die Autorin der Vita den Ungehorsam gegenüber der Bitte der Eltern durch die Ju16 „Reliquae vero binae Coloniae mancipatae sunt servituti et legi divinae; una [Bertrada] in monasterio sanctae Dei genitricis Mariae [St. Maria im Kapitol], quae tanta promovebatur industria morum, observantia regularis imperii, ut digne constitueretur domna et mater illius monasterii. Haec vero, de qua nobis est sermo [Adelheid], in monasterio sanctarum virginum subiit suave iugum Domini secundum regularem insitutionem sancti Iheronimi [St. Ursula].“ Vita Adelheidis (wie Anm. 14), c. 3, S. 271 f. – Vgl. auch Gechter 2009 (wie Anm. 3), S. 33 f. 17 Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 2.2: Die Urkunden Otto des III., hg. v. Theodor Sickel, Hannover 1893 (ND München 1997), Nr. 32, S. 431 f. – Die regionale Stellung von Vilich auch Mitte des 11. Jahrhunderts, als die Vita abgefasst wurde, hat diese Bedeutung gegenüber den ottonischen Hausstiften nie einlösen können. Vgl. Claudia Krahnert: Die rechtliche Gleichstellung der Frauenkommunität Vilich mit dem Frauenstift Essen – Urkundenformel oder nachvollziehbare Rechtswirklichkeit?, in: Aus der Nähe betrachtet. Regionale Vernetzungen des Essener Frauenstiftes in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jens Lieven / Birgitta Falk (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 13), Essen 2017, S. 73–99. – Zur Geschichte Vilichs vgl. Helga Giersiepen: Das Kanonissenstift Vilich von seiner Gründung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn, Bd. 53), Bonn 1993. – Letha Böhringer: Der Kaiser und die Stiftsdamen. Die Gründung des Frauenstifts Vilich im Spannungsfeld von religiösem Leben und adliger Welt, in: Bonner Geschichtsblätter 53/54 (2004), S. 57–77. 18 Zur Kleidung von Stiftsfrauen im Früh- und Hochmittelalter vgl. Thomas Schilp: Kleidung aus Seide in Frauengemeinschaften? Spannungsfelder von Norm und Wirklichkeit, in: Seide im früh- und hochmittelalterlichen Frauenstift. Besitz – Bedeutung – Umnutzung, hg. v. Thomas Schilp / Annemarie Stauffer (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 11), Essen 2013, S. 49–99, zu Vilich S. 81–85. 19 „Tunc exultabant in Domino pii parentes, tantum suae prolis sibique subditarum virginum profectum videntes, cupientesque eas adhuc excellentiorem arripere viam, rogabant, ut, mutato habitu, monachicae conversationis subirent vitam. Haec, quia adhuc iuvenis cultum vestium suae religioni congruentium, ut ipsa asseruit, multum concupivit, humili responsione illorum petitioni contraivit, affirmans, Deum non querere coacta servicia, sed quae voluntarii cordis simplex offert munditia.“ Vita Adelheidis (wie Anm. 14), c. 3, S. 274.

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gend zu erklären versucht, vor allem aber die Eigenständigkeit des Konventes und seiner Leiterin in geistlichen Dingen gegenüber den Stiftern betont. Ein Einfluss auf das geistliche Leben und seine Formen durch die Stifter wird zurückgewiesen, was dem Gedankengut der Reformkreise der Mitte des 11. Jahrhunderts auffallend ähnelt, aus dem heraus in Köln wenige Jahre vor der Abfassung der Vita beispielsweise die Türen von St. Maria im Kapitol entstanden sind.20 Der Text verarbeitet also vor-investiturzeitliche Vorstellungen der Mitte des 11. Jahrhunderts, ebenso wie die nur wenige Jahre ältere, aus dem gleichen Umkreis in Köln stammende Heribertvita.21 Erzähltechnisch schlägt diese Episode die Brücke zu den Geschehnissen nach dem Tod Gerbergas, als Adelheid zuerst im Verborgenen monastische Gewohnheiten annimmt. So habe sie auf Fleisch und auf abwechslungsreiche, erlesene Speise verzichtet und unter ihren Leinengewändern ein raues Wollkleid getragen. Nach einem Jahr habe sie dann ihre Schwester Bertrada und andere Frauen aus St. Maria im Kapitol um Unterweisung gebeten sowie den Konvent zur Konversion bewegt. Einige Frauen seien daraufhin ausgezogen.22 Die stark topische Erzählung von der 20 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Rex iubet – Christus imperat. Studien zu den Holztüren von St. Maria im Kapitol und zu Herodesdarstellungen vor dem Investiturstreit (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 42), Köln 1999, insb. S. 177–191. 21 Zur Heribertvita vgl. grundlegend Bernhard Vogel (Hg.): Lantbert von Deutz: Vita Heriberti, Miracula Heriberti, Gedichte, Liturgische Texte (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum seperatam editi, Bd. 73), Hannover 2001. – Zuletzt auch Klaus Gereon Beuckers: Heinrich  II. und Köln. Die Gründung von Kloster Deutz im (kunst)historischen Kontext, in: Herrschaftslandschaft im Umbruch. 1000 Jahre Merseburger Dom, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 6), Regensburg 2017, S. 79–112, insb. S. 86–89. 22 „[…] et quod utroque parenti de mutando habitu prius contradixit, tunc statuens ante oculos mentis, salubri compunctione tacta est gratia Dei omnipotentis, et qualiter ad monachicam religionem pervenire posset, secum reputabat omnibus momentis.“ und „Nam cotidinae refectionis hora, spretis carnibus ceterisque variis et exquisitis alimentis, monachilis edulii tantum contenta est alimentis […]. Lineis etiam indumentis foris nitebat ad oculos hominum, subtus autem ad carnem laneae vestis asperitate se afflixit propter Dominum, edomans corpus nobilis et mollis naturae ad sufferendam institutionem legis durae. Cum enim necessarios virium sumptus per unum annum ita laborans computaret eosque ad peragendum laborem inchoati operis sufficere speraret, tamen non suis confisa meritis, sed gratia Dei, diu deliberatum animi votum confirmavit effectibus rei. Tunc vocata venerabili abbatissa et prioribus de sanctae Dei genitricis monasterio [St. Maria im Kapitol], humili devotione illarum sese subdidit magisterio, ut per illarum doctrinam monachicae conversationis inveniret viam; suadens subiectis materna pietate, ut hanc eandem non dubitarent secum intrare. Hoc quibusdam illarum nolentibus, sed retro post seculum abeuntibus, illa vehementer condoluit, quia more apostoli omnes sicut se ipsam esse voluit.“ Vita Adelheidis (wie Anm. 14), c. 3, S. 275 und 276 f.

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Askese im Verborgenen ist sicherlich der hagiografischen Struktur geschuldet und auch die faktische Grundlage der Erzählung, nämlich der Übergang von einem Stift zu einem Kloster in Vilich unter Adelheid, ist fraglich.23 Aber es wird hier Mitte des 11.  Jahrhunderts eine dezidierte Polarität aufgebaut, bei der St.  Maria im Kapitol für die monastische Richtung steht. Ob dies literarisch wiederum als Klammer für die Übernahme des Abbatiats von St. Maria im Kapitol nach dem Tod Bertradas gesetzt wird oder ob hier Rückprojektionen eines Richtungswechsels aus der Mitte des 11. Jahrhunderts in die Gründungszeit vorliegen, ist letztlich ohne wesentlichen Belang. Bei der Besetzung scheint es jedenfalls Probleme gegeben zu haben, denn die Vita berichtet von dem expliziten Wunsch Erzbischof Heriberts von Köln (amt. 999–1021), Adelheid in Köln nachfolgen zu lassen, dem sie sich zuerst verweigert und erst nach kaiserlicher Intervention dazu gebracht werden kann.24 Aus Sicht Vilichs, wo die Äbtissin nach ihrem Tod (um 1015, vor 1021) bestattet wurde und wo mit der Vita eine aufkeimende Heiligenverehrung initiiert oder zumindest gestärkt werden sollte, war es ein Anliegen, die besondere Bindung Adelheids an Vilich zu unterstreichen und gegenüber dem deutlich bedeutenderen Institut in Köln hervorzuheben. Zugleich dient der dezidierte Wunsch des als Heiligem verehrten Heribert zur Nobilitierung dieses Unterfangens. Es ist nicht auszuschließen, dass die gesamte Geschichte der Konversion Adelheids zu einer benediktinischen Lebensform der Legitimation der Übernahme des Klosters in Köln dienen sollte. Für St.  Maria im Kapitol ist dieser Text jedoch aufschlussreich, da er genau zur Bauzeit der salischen Klosterkirche die Kölner Frauengemeinschaft als Ideal monastisch-benediktinischen Lebens herausstellt. Dies wäre für die Zeitgenossen nicht glaubhaft, wenn in der Kapitolskirche zu dieser Zeit unter dem Abbatiat von Ida (amt. um 1040–1060) ein stiftisches oder gar klosterfernes Leben geführt worden wäre. Es muss also in dieser Zeit mit den strengen Vorgaben der der Klosterreform entsprechenden Consuetudines auf dem Kapitolshügel gerechnet werden, was die regelmäßige Durchführung der Tagzeitengebete belegt. 23 Vgl. Böhringer 2004 (wie Anm. 17), S. 73–75. – Schilp 2013 (wie Anm. 18), S. 82 f., Anm. 94. 24 „Interim predicta sorore eius Berthrada in Christo feliciter obeunte, archipresul sanctus Heribertus, sciens hanc matrem nostri septam omnium virtutum munimine, voluit, ut defunctae sorori succederet in regimine. Sed illa totis viribus renitebatur seque tanti honoris indignam ­fatebatur. Cum vero imperatori Aquasgrani tunc commoranti nuntiatum fuisset, quod neque iubenti neque petenti episcopo consensisset, eam inperiali potentia vocabat defunctaeque ­sororis honore sublimabat.“ Vita Adelheidis (wie Anm. 14), c. 6, S. 281 f.

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Schon Friedrich Wilhelm Oediger hat prägnant weitere Argumente für die Gültigkeit der Benediktsregel in St. Maria im Kapitol zusammengestellt und dabei auf die Existenz einer Benediktskapelle im Klausurbereich, den offenbar bis in das 15. Jahrhundert beibehaltenen schwarzen Habit und die nach der Benediktsregel geforderten zwölf (statt neun) Lesungen an Heiligenfesten hingewiesen, die für die Kapitolskirche durch ein zwischen 1183 und 1190 geschriebenes Kollektar (Erzbischöfliches Diözesanarchiv, Bestand St. Maria im Kapitol, A II 181) belegt sind.25 Besonders schlagendes Argument für die benediktinische Verfassung des Konventes im 11. Jahrhundert sind jedoch in Abschriften des Vikars Alfter vom Ende des 18. Jahrhunderts überlieferte Professzettel des 11. Jahrhunderts aus St. Maria im Kapitol unter den Abbatiaten von Bertrada, Haldewiga und Ida, die dezidiert auf ein Gelübde nach der Benediktsregel verweisen.26 Sie widersprechen spätmittelalterlichen Selbstzeugnissen, nach denen der Konvent seit seiner Gründung immer der Aachener Kanonissenregel gefolgt sei.27 Der Konvent von St. Maria im Kapitol war im 11. Jahrhundert benediktinisch, die Umwandlung in ein freiweltliches Damenstift wird von der Forschung seit der Studie Anna Walterfangs übereinstimmend erst für das 12. Jahrhundert angenommen.28 Man muss für St. Maria im Kapitol während der Bauzeit und Ersteinrichtung der salischen Kirche somit einen benediktinischen Frauenkonvent annehmen, der die Gepflogenheiten des monastischen Chorgebetes wichtig nahm.

Lage und Form des Frauenchores im Spätmittelalter

Die Frage nach dem konventualen Sitz in St.  Maria im Kapitol hat die formgeschichtlich orientierte Kunstgeschichte lange kaum interessiert. Hugo Rahtgens 25 Oediger 1961/62 (wie Anm. 3), S. 74. 26 Bl. Alfter: Annales archiepiscoporum Coloniensium II, S. 427 f. (Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 7030: Chroniken und Darstellungen, Chron. 137), zit. n. Oediger 1961/62 (wie Anm. 3), S. 74, Anm. 12. Die Schrift konnte nicht eingesehen werden. 27 Heinrich Schäfer: Inventare und Regesten aus den Kölner Pfarrarchiven, III. Band (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Bd. 83), Köln 1907, Nr. 434, S. 83 f. mit einer Beschreibung der Geschichte und praktizierten Lebensform der Gemeinschaft von 1483 (s. u.). 28 Anna Maria Friederike Walterfang: Studien zur Geschichte des Stiftes St. Maria im Kapitol zu Köln, Diss. Bonn 1920, S. 24–29. – Frederick Marc Stein: The Religious Women of Cologne 1120–1320, Diss. Yale 1977, S. 25 f. – Toni Diederich: Stift – Kloster – Pfarrei. Zur Bedeutung der kirchlichen Gemeinschaften im Heiligen Köln, in: Kier/Krings 1984 (wie Anm. 2), S. 17–78, hier S. 36.

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|  Klaus Gereon Beuckers Abb. 27: Köln, St. Maria im Kapitol, Grundriss und Längsschnitt mit Eintragung der liturgischen Ausstattung im Hochmittelalter nach Clemens Kosch: (a) Hochaltar St. Maria (gew. 1065), (b) Kreuzaltar (gew. 1049), (c) Nebenaltar im Umgangsscheitel der Ostkonche: St. Katharina (gew. 1065), (d) Nebenaltar der nördlichen Chorwinkel-Kapelle: St. Stephan (gew. 1065), (e) Nebenaltar der südlichen Chorwinkel-Kapelle: St. Petrus (gew. 1065), (f) Hauptaltar der Krypta in ihrer mittleren Apsisnische: St. Johannes Baptist (gew. 1065), (g) Altar der Kapelle St. Benedikt, (h) Hauptaltar St. Peter und Paul der Notburgiskapelle, (i) Altar der Kapelle St. Nikolaus; (1) älteres Bodengrab der Stiftsgründerin Plektrudis (verst. 726), (2) Grablege von Äbtissin Ida (verst. 1060), (3) Grablege von Notburgis (verst. um 715).

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nahm den Frauenchor „wie es die Regel war“ auf der Westempore an und stellte dafür einige Schriftzeugnisse zusammen, die jedoch nicht mehr als die Verortung im Westen der Kirche belegen.29 Etwas unsicher erweiterte er dies auf die Vorhalle im Westbau, weil Bestattungen im „choro domicellarum“ nachgewiesen sind, die auf einer Empore nicht möglich wären. Als erster scheint Clemens Kosch 2000 daraus die Konsequenz gezogen und eine Lokalisierung des Frauenchores ebenerdig im westlichen Langhaus erwogen zu haben, als er systematisch die liturgischen Dispositionen der Kölner Konventskirchen untersucht und grafisch aufbereitet hat (Abb. 27).30 Umfassender gingen dann Susanne Ruf und Joachim Oepen den spätmittelalterlichen Zeugnissen insbesondere von Bestattungen und Ausstattungsstiftungen, die Lokalisierungsangaben enthalten, nach.31 Beide bestätigen die Lage des Konventschores ebenerdig im westlichen Langhaus, wenn auch mit unterschiedlichen Ausmaßen in ihren Zeichnungen: Verortet Ruf ihn ohne Einzeichnung einer Ostbegrenzung zwischen den Zungenmauern, welche die Heiltumskammer (Norden) und die Sakristei (Süden) in den Seitenschiffen vom Mittelschiff abtrennen, so zeichnet Oepen ein Chorgestühl ein, das die gesamte Mittelschiffsbreite einnimmt 29 Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 189 f. – Die Lokalisierung des Chores auf der Westempore übernehmen auch Fried Mühlberg: Grab und Grabdenkmal der Plektrudis in St. Marien im Kapitol zu Köln, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 24 (1962), S. 21–96 und sogar noch Krings 1984 (wie Anm. 2), S. 353. – Mühlbergs Lokalisierung zuletzt in die Nordkonche kann hier ignoriert werden, vgl. Fried Mühlberg: St. Marien im Kapitol zu Köln. Beobachtungen und Einsichten, red. bearb. v. Hiltrud Kier (Sonderveröffentlichung des Fördervereins Romanische Kirchen Köln), Köln 2007, S. 30. 30 Clemens Kosch: Kölns Romanische Kirchen. Architektur und Liturgie im Hochmittelalter (Große Kunstführer, Bd. 207), Regensburg 22005 (EA 2000), zu St. Maria im Kapitol dort S. 64–73, insb. S. 65. Eine Neuauflage befindet sich in Vorbereitung. – Ihm folgt mit teilweise fehlerhafter Lokalisierung von Altären Lucia Hagendorf-Nussbaum: St. Maria im Kapitol. Kirche des Damenstifts, seit 1802 Pfarrkirche, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 20 (2005) [Kölner Kirchen und ihre Ausstattung in Renaissance und Barock, Bd. 3], S. 114–174. 31 Susanne Ruf: Vom stiftisch geprägten Kirchenraum zur bürgerlichen Kirche? Tendenzen des Stiftungswesens im 15. Jahrhundert, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 203–218, insb. S. 204–207. – Inhaltlich übereinstimmend: Susanne Ruf: Die Stiftungen der Familie Hardenrath an St. Maria im Kapitol zu Köln (um 1460 bis 1630). Kunst, Musikpflege und Frömmigkeit im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 8), Korb 2011, S. 336–349 mit Abb. 141 und 143. – Joachim Oepen: Das liturgische Totengedenken an St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 219–236, zum Kanonissenchor S. 232.

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und auf genau diese beiden Joche zwischen den Zungenmauern beschränkt ist.32 Er modifiziert dabei den Plan von Kosch, der allerdings noch ein Langhausjoch weiter nach Osten ausgegriffen hatte.33 Das wohl älteste Zeugnis für den Kanonissenchor selbst ist die schon von Rahtgens herangezogene Überlassung eines Erbbegräbnisses durch Äbtissin Hadewig 1281 an den Ritter Daniel Jude, die „vor der Tür ihres Chores gegenüber dem h. Kreuzaltar ihrer Kirche“ gelegen habe.34 Ebenfalls erwähnt Rahtgens die Zusammenstellung zur Geschichte und den Gewohnheiten des Kapitolsstifts anlässlich der päpstlichen Genehmigung zum Wechsel der Kleidung vom schwarzen (benediktinischen) Habit zum weißen Superpellicium (der Säkularkanonissen) vom 13. November 1483, nach dem die Kanoniker – wie die Domkleriker – ihre Stundengebete im Ostchor, die Kanonissen aber im Westchor halten würden.35 Die Lage des Kanonikergestühls – der Kanonissenkonvent von St. Maria im Kapitol beschäftigte mit zwölf eine relativ große Anzahl an Kanonikern, die sich jedoch (im Gegensatz zu Essen) offenbar nie zu einer eigenständigen Gemeinschaft formiert haben36 – wird von der Forschung unterschiedlich gesehen. Neigt Kosch wieder zu einer besonders ausgreifenden Anlage, die sowohl die gesamte Vierung als auch 32 Ruf 2009 (wie Anm. 31), Abb. 1, S. 204 und Abb. 3, S. 207. – Oepen 2009 (wie Anm. 31), Abb. 10, S. 231. 33 Kosch 2005 (wie Anm. 30), S. 66. 34 Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 189. – Die im Original erhaltene, von Erzbischof Siegfried von Westerburg gesiegelte Urkunde ist über das Pfarrarchiv überliefert. Vgl. Schäfer 1907 (wie Anm. 27), Nr. 35, S. 11. – Richard Knipping (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 3.2: 1261–1304 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21), Bonn 1913, Nr. 2892, S. 118. 35 Schäfer 1907 (wie Anm. 27), Nr. 434, S. 83 f. Die Urkunde ist im Original erhalten und bezeugt die aktuellen stiftischen Lebensformen des Konventes, die angeblich seit seiner Gründung bestanden hätten. 36 Vgl. Karl Heinrich Schäfer: Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung im Zusammenhang mit dem altchristlichen Sanktimonialentum (Kirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 43/44), Stuttgart 1907 (ND Amsterdam 1965), S. 97–99. Die Damenstifte in Nivelles und Essen unterhielten 30 bzw. 20, in Gandersheim elf und in Freckenhorst sowie St. Cäcilien in Köln acht bzw. sechs Klerikerpfründe. Eine Zahl deutlich unter zwölf dürfte selbst unter den größeren Damenstiften die Regel gewesen sein. – Vgl. auch Thomas Schilp: Der Kanonikerkonvent des (hochadligen) Damenstifts St. Cosmas und Damian in Essen während des Mittelalters, in: Crusius 2001 (wie Anm. 12), S. 169–231, hier S. 171 f. – Hugo Stehkämper: Bürger und Kirchen in Köln im Hochmittelalter (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 45), Köln 2007, S. 67 nennt für die Kapitolskirche 13, für St. Ursula fünf und für St. Cäcilien vier Kanonikate. – 13 Kanonikate nennen auch Oepen 1999 (wie Anm. 5), S. 18 und ihm folgend Neuhoff 2012 (wie Anm. 5), S. 109.

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das Vorchorjoch der Ostkonche mit Gestühl umfasst habe (und im Westen zum Kreuzaltar abgeschrankt gewesen sei), so lokalisiert Oepen das Kanonikergestühl in der Vierung, während Ruf es mit guten Gründen (und in Übereinstimmung mit Rahtgens) auf das Vorchorjoch beschränkt.37 Sie stützt sich dafür auf eine Skizze zur Choreinrichtung aus dem 18. Jahrhundert [1722],38 da sich hier aufgrund der darunter befindlichen Krypta keine Bestattungen befinden, die mit ihren Lokalisierungsangaben Hinweise liefern könnten. Die seitliche Abschrankung der Vierung zu den Konchen, die Kosch dem Kanonikerchor zuschlägt, wurde erst 1682 im Zuge der Barockisierung eingebracht.39 Für die Frage des Kanonissenchores, für den bisher kein historisches Planmaterial bekannt geworden ist, ist dies nur am Rande von Belang. Die Lage des Kanonissenchores im Westen ist durch die Angaben zu Bestattungen eindeutig zu belegen. Susanne Ruf hat die Nachrichten für das 15. Jahrhundert zusammengestellt: 1416 Bestattung von Hermann von Heymbach „iuxta sedem cancellatam dominae abbatissae“, 1429 Bestattung von Konstantin von Lyskirchen „prope sedilia cancellata seniorissae“, 1444 Bestattung von Äbtissin Iburg von Dadenberg (amt. 1418–1444) „in choro canonissarum“, 1449 Bestattung von Äbtissin Elisabeth von Milendonk (amt. 1444–1449) „in choro canonissarum sub pulpito in medio“, 1474/75 Bestattung von Lukardis von Vittinghoff „in choro canonissarum ad latus dextrum medii plutei“, 1477/78 Bestattung von Johann von Heymbach „iuxta sedem cancellatam dominae abbatissae“ und 1504 Bestattung von Margaretha von Merode zu Frankenberg „in choro canonissarum iuxta ostium sedis abatissae“.40 Die Nachrichten stammen aus den von Joachim Oepen edierten Totenbüchern des Stifts, wobei vor allem das 1634 durch den Vikar Heinrich Berchem angelegte Kalendarium mit seinen ausführlicheren Ortsangaben von Bedeutung ist.41 Oepen trägt insgesamt neun Bestattungen von Äbtissinnen im Kanonissen37 Kosch 2005 (wie Anm. 30), S. 66. – Oepen 2009 (wie Anm. 31), Abb. 10, S. 231. – Ruf 2009 (wie Anm. 31), Abb. 1, S. 204 und Abb. 3, S. 207. – Vgl. auch Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 191. 38 Der Plan, der sich im Stadtarchiv (heute Historisches Archiv der Stadt Köln), Plankammer 236 befindet, ist abgedruckt bei Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), Abb. 129, S. 191. Er konnte im Original nicht eingesehen werden. 39 Vgl. Angela Kulenkampff: St.  Maria im Kapitol. Dreikonchenanlage und Binnenchor der Stiftskirche im 17. und 18. Jahrhundert, in: Kier/Krings 1984 (wie Anm. 2), S. 381–391, hier S. 383 mit Anm. 29. – Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30), S. 124. 40 Ruf 2009 (wie Anm. 31), Abb. 1, S. 204 mit Legende. 41 Vgl. die Edition und Auswertung der Totenbücher bei Oepen 1999 (wie Anm. 5). – Zusammenfassend zu den Quellen auch Oepen 2009 (wie Anm. 31), S. 229–232.

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chor ein, ohne diese im Einzelnen zu benennen.42 An den ersten freistehenden Mittelschiffspfeilern von Westen standen im Norden beim Eingang zur Heiltumskammer der 1495 von dem Stiftskanoniker und Universitätsprofessor Heinrich von Berchem (verst. 1508) (neu?) gestiftete Johannes Evangelistaltar, vor dem mehrere Bestattungen belegt sind, die meist mit „iuxta altare s. Iohannis ev.“ oder „iuxta sacellum s. Iohannis ev.“ lokalisiert sind. Gegenüber auf der Südseite stand der ungleich wichtigere Ursula- oder Jungfrauenaltar, an dem sehr zahlreiche Bestattungen nicht zuletzt aus dem Konvent bezeugt sind. Weder am Johannes- noch am Ursulaaltar wurden – zumindest im 15. Jahrhundert – Bürger bestattet, beide blieben in direkter Nachbarschaft zum Kanonissenchor den Stiftsangehörigen – seien es Kanonissen oder Kanoniker – vorbehalten.43 Da mehrfach Lokalisierungen von Gräbern, die vor dem Ursulaaltar lagen, auf Gräber im ­Kanonissenchor Bezug nehmen, ist die Verortung des Chores hier unzweideutig.44 Nichts sagen die Quellen jedoch zur Gestalt des Chores. Erwähnt werden die Thronsitze der Äbtissin und der Seniorissa als Lokalisierungshilfen, was auf die Anordnung der einen auf der Nord- und der anderen auf der Südseite hinweisen könnte.45 Die Bestattung von Hermann von Heymbach lag bei der Sedilie der Äbtissin, die von Konstantin von Lyskirchen bei der Seniorissa. Man mag kaum glauben, dass diese Laienbestattungen innerhalb des Chorgestühls gelegen haben sollten und die Quellen sagen dies auch nicht aus, sondern sprechen von „iuxta“. Erklärbar wäre dies theoretisch, wenn der Chorbereich nicht die gesamte Breite des Mittelschiffs eingenommen hätte und es eine Bestattung seitlich des Chores, eben bei den jeweiligen Sedilien (also an ihrer Außenseite), gegeben hätte. Die For42 Oepen 2009 (wie Anm. 31), Abb. 10, S. 231. 43 Vgl. Ruf 2009 (wie Anm. 31), Abb. 1, S. 204 und Abb. 3, S. 207. – Die Patrozinien der Altäre korrigiert gegenüber der älteren Forschung auch bei Oepen 2009 (wie Anm. 31), Abb. 10, S. 231. 44 Vgl. Oepen 2009 (wie Anm. 31), S. 232 mit Nachweisen. Er verweist auch auf die Angaben zur Prozession an Mariä Lichtmess, am Allerheiligentag und an Silvester, die jeweils vom Kanonikerchor durch den Kanonissenchor zum Haus der Äbtissin westlich des Kreuzgangs geführt hat, also durch das Langhaus von Osten nach Westen hindurch. 45 Auszuschließen ist damit die ohnehin sehr unwahrscheinliche Lokalisierung des Äbtissinnenthrons auf der Westempore, die Kosch 2005 (wie Anm. 30), S. 67 eingezeichnet hat. – Zu einer liturgischen Nutzung der Westempore vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Westbauten ottonischer Damenstifte und ihre liturgische Funktion. Eine Skizze, in: Kunst und Kultur in ottonischer Zeit. Forschungen zum Frühmittelalter, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 3), Regensburg 2013, S. 73–118, hier S. 90–94.

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schung zeichnet das Chorgestühl allerdings durchgängig entlang der Mittelschiffswände ein, also in voller Chorbreite. Wenn dies so gewesen wäre, dann hätten die beiden bürgerlichen Grablegen im Chor der Frauen gelegen und dieser hätte durch die Laien zu den Totenfeierlichkeiten sowie den Memorialfesten betreten werden müssen. Auch wenn es sich zumindest bei Konrad von Lyskirchen um eine relativ prominente Familie handelte, so wäre dies mit der Immunität des Frauenchores schwer zu vereinbaren. Doch die Rekonstruktion des Frauenchores in gesamter Mittelschiffsbreite ist nicht wahrscheinlich. Das Mittelschiff von St.  Maria im Kapitol ist etwa elf Meter breit. Dies ist für einen Chor dieser Zeit ungewöhnlich breit, wenn man die etwa gleichzeitig errichteten Kölner Kanonikerchöre beispielsweise von St. Severin (gew. 1043), St.  Georg (gew. 1067) und St.  Gereon (gew. 1068) vergleicht: Misst der Chor von St.  Georg mit etwa 7,40 m lichter Breite fast vier Meter weniger als ein das Mittelschiff ganz ausfüllender Kanonissenchor der Kapitolskirche, so sind selbst die beiden ambitionierten Chorbauten an St. Severin und dem vornehmen Stift St. Gereon mit jeweils etwa neun Metern noch zwei Meter schmaler. Es spricht deshalb einiges dafür, dass der Frauenchor in St. Maria im Kapitol nicht die gesamte Mittelschiffsbreite eingenommen hat, sondern seitlich Durchgänge bestanden haben, die die Verbindung vom westlichen Konventseingang direkt in die Kirche ohne Betreten des Frauenchores ermöglichten. Für die Binnentopografie bedeutet dies jedoch wenig, da es höchst unwahrscheinlich ist, dass sich die bezeugten Grablegen Heymbach und Lyskirchen zwischen der Einschrankung des Kanonissenchores und den Mittelschiffswänden befunden haben. Diese Zwischenräume dürften kaum zwei Meter Breite besessen haben, wenn man St. Georg als Maßstab nimmt.46 Dieser Platz reicht kaum aus, um hier in repräsentativer Weise Bestattungen einbringen zu können, was jedoch angesichts der Überlieferung und auch der Prominenz der Bestatteten offensichtlich der Wunsch war. Dies alles spricht gegen die Anordnung der beiden Sitze von Äbtissin und Seniorissa, neben denen sich die Gräber befanden, irgendwo an den Längsseiten des Gestühls. Entweder sie lagen am östlichen Abschluss der Gestühlsreihen oder – wahrscheinlicher – quer zu diesen an der östlichen Schranke. Hier wäre eine Bestattung „iuxta“ der Sitze leicht möglich. Für eine solche Rekonstruktion spricht auch die einzige Quelle, die indirekt die Abschrankung des Kanonissenchores nach Osten in dem Bereich vor dem Kreuz46 Geht man – in Analogie zu St. Georg – von einem gut sieben Meter breiten Kanonissenchor aus, so ergeben sich seitliche Durchgänge außerhalb des Chores von etwa eineinhalb Metern.

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altar und des dort befindlichen Grabes der Kirchengründerin Plektrudis benennt: Der oben schon erwähnte Text zum Erbbegräbnis der Familie Jude von 1281 lokalisiert die Grabstelle „vor der Tür ihres Chores gegenüber dem h. Kreuzaltar ihrer Kirche“.47 Demnach hat es eine Türe nach Osten gegeben, die dann wohl mittig auf der Kirchenachse anzunehmen ist. So ergaben sich zwangsläufig seitlich Bereiche beiderseits der Türe,48 die vermutlich von den Sitzen der beiden Dignitärinnen eingenommen wurden. Die Gräber Heymbach und Lyskirchen lagen somit unmittelbar östlich des Kanonissensitzes beiderseits des Durchgangs aus dem Chor zum Plektrudisgrab und Kreuzaltar. Sollte es sich bei Konstantin von Lyskirchen um den bis 1306 erwähnten Airsbacher Burggrafen gehandelt haben, der bei etlichen Frauenkonventen als Zustifter beteiligt war und auch die jüngere Plektrudisplatte gestiftet haben soll,49 so wäre sein Grab in einem zeitlichen Kontext mit der Anlegung der Familiengrabstätte der Jude zu sehen, an die sie sich auch räumlich angliederte. Die Familie Jude besaß schon seit dem ersten Drittel des 13.  Jahrhunderts verwandtschaftliche Beziehungen zu Kanonissen auf dem Kapitol.50 Ihre Grabanlage könnte das Vorbild für die wenig jüngeren, bürgerlichen Bestattungen gewesen sein. Allerdings ist die Identifizierung schwierig, da Konstantin ein Leitname der Familie Lyskirchen war und über die Jahrhunderte mehrfach auftritt.51 Hermann von Heymbach ist jedenfalls mit dem Kölner Tuchhändler, Ratsherrn und Mitglied der Marienbruderschaft an der Kapitolskirche zu identifizieren, der bis 1416 bezeugt ist.52 Seine Grabstelle dürfte demnach erst wesentlich später als die der Jude und Lyskirchen entstanden sein. Wenn der Äbtissinnensitz und der Sitz der Seniorissa als Pendants an der östlichen Seite des Konventschores angeordnet waren, so stellt sich die Frage, welcher Sitz im Norden (auf der Evangelienseite) und welcher im Süden (auf der Epistelseite) anzuordnen wäre. Hierarchisch wäre die Äbtissin im Norden zu erwarten. 47 Schäfer 1907 (wie Anm. 27), Nr. 35, S. 11. – Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 189. – Knipping 1913 (wie Anm. 34), Nr. 2892, S. 118. 48 Geht man – wiederum in Analogie zu St. Georg – von einem gut sieben Meter breiten Kanonissenchor aus, so hätte die östliche Stirnwand bei einer etwa zwei Meter breiten Mitteltüre auf jeder Seite etwa zweieinhalb Meter Platz für einen Dignitärinnensitz besessen, was für einen repräsentativen Thronsitz vielleicht mit einem seitlichen Sitz für eine Zofe oder Adjutantin gut rekonstruierbar wäre. 49 Vgl. Oepen 1999 (wie Anm. 5), S. 408 f. – Stehkämper 2007 (wie Anm. 36), S. 72, 131 und 154, Tabellen S. 274 und 276. 50 Vgl. Stehkämper 2007 (wie Anm. 36), S. 65. 51 Vgl. Oepen 1999 (wie Anm. 5), S. 408–410. 52 Vgl. Oepen 1999 (wie Anm. 5), S. 359 f.

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Hier schloss sich am Freipfeiler des Langhauses der Johannes Evangelistaltar an, der erst im 16. Jahrhundert (neu) gestiftet wurde. Im Süden hingegen dürfte der Jungfrauenaltar, in dessen Umkreis viele Dignitärinnen des Konventes bestattet wurden, deutlich älter sein. Diese Seite als Seite der Seniorissa, also der profess­ ältesten Kanonisse, anzunehmen, passt somit auch gut in die Grabtopografie des Konventes. Bezeichnend ist, dass hier Konstantin von Lyskirchen sein Grab nahe am Konvent suchte, während die Äbtissinnenseite erst im 15. bzw. 16. Jahrhundert mit dem Heymbach-Grab und der Altarstiftung nennenswert belegt wurde. Sollte Konstantin von Lyskirchen der Auftraggeber der gotischen Plektrudisplatte gewesen sein, wie die Wappen am Fuß der Platte nahelegen,53 so ist die Nähe von seinem Grab und dem Plektrudisgrab wohl kein Zufall und ein wichtiges Argument für die Identifizierung Konstantins innerhalb seiner Familie. Wie weit der Frauenchor nach Osten reichte, ist aus der Quelle zur Einrichtung des Familiengrabes Jude kaum abzulesen. Unstrittig belegte der wichtige Kreuzaltar das östliche Langhausjoch, vor dem in etwas Entfernung westlich das Plektrudisgrab stand. Es ist hier nicht der Ort, die umfangreiche Diskussion zum mehrfach verlegten Plektrudisgrab noch einmal aufzuzeigen,54 jedoch ist die Lage des Grabes vor seiner Verlegung bei der ersten Barockisierungswelle der Kirche 1666,55 als es hinter den Kreuzaltar unter den Lettner verlegt wurde, in der Mitte der Kirche (1482: „[Plectrudim] in eadem ecclesia in eius medio sicut fundatricem

53 Vgl. Mühlberg 1962 (wie Anm. 29), S. 36. – Ulrike Bergmann: Die gotische Grabplatte der Plektrudis in St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 3 (1988), S. 77–88, hier S. 84. – Oepen 1999 (wie Anm. 5), S. 408. 54 Vgl. Mühlberg 1962 (wie Anm. 29). – Bergmann 1988 (wie Anm. 53). – Friedrich Dahm: Die romanische Grablege der Plektrudis in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol, in: Aachener Kunstblätter 60 (1994), S. 211–222. – Martin Seidler: Das spätromanische Grabmal der Plektrudis. Kritische Betrachtung der bisherigen kunsthistorischen Thesen aufgrund des konservatorischen Befunds, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 187–193 (mit Restaurierungsberichten von Georg Maul zur romanischen und zur gotischen Platte S. 194–200). 55 Zur Barockausstattung von St.  Maria im Kapitol vgl. Kulenkampff 1984 (wie Anm. 39). – Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30). – Grundlegend zu Barockisierungen und ihren Phasen vgl. Klaus Gereon Beuckers: Barockisierung mittelalterlicher Frauenstifte. Bemerkungen zu einem neuen Forschungsfeld, in: Neue Räume – neue Strukturen. Barockisierung mittelalterlicher Frauenstifte, hg. v. Klaus Gereon Beuckers / Birgitta Falk (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 12), Essen 2014, S. 11–38. – Julia von Ditfurth: Wandel der Strukturen. Barockisierungsprozesse in Damenstifts- und Frauenklosterkirchen in Westfalen, Regensburg 2016.

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decet honorifice sepultam“56) gesichert, also auf der Mittelachse. Über dem Grab befand sich eine große Lichtkrone und schon Rahtgens verweist auf die Parallele zum Heziloleuchter in Hildesheim, der ebenfalls im Langhaus hing.57 Gleiches gilt für den wohl Mitte des 11.  Jahrhunderts aufgehängten Radleuchter in St. Severin über dem Grab Annos I. westlich des Hochaltares im Mittelschiff.58 Die genaue Lage des Plektruidisgrabes ist unklar, wobei von der jüngeren Forschung einer der beiden fränkischen Trapezsarkophage hierfür in Anspruch genommen wird, die im Langhaus exakt auf der Mittelachse ergraben wurden.59 Eigentlich kommt dafür nur der westliche in Betracht, da der östliche, der sich relativ genau zwischen dem ersten Paar der östlichsten Freipfeiler befand, so nah an den 1049 geweihten Kreuzaltar anschließt, dass eine feierliche Zelebration an diesem nach Osten nur sehr beengt möglich gewesen wäre. Der westliche Sarkophag lag hingegen zwischen dem dritten Freipfeilerpaar von Osten. Für die westliche Bestattung sprechen auch zwei Schriftquellen, die 1305 das Plektrudisgrab als in der Nähe des Jungfrauenaltares bezeichnen, der sich ja am Südpfeiler des vierten Freipfeilerpaares befand, sowie 1382 als in der Nähe des Chores, was hier eindeutig den Kanonissenchor meint.60 Ohne Kenntnis der Grabungen hat Rahtgens das Plektrudisgrab relativ treffend im Interkolumnium zwischen dem dritten und vierten Freipfeilerpaar eingezeichnet.61 56 Vgl. Schäfer 1907 (wie Anm. 27), Nr. 434, S. 83 f. – Zit. n. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 190, dort S. 190–192 auch weitere Belege. 57 Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 192. – Zu Radleuchtern und ihrer Lokalisierung vgl. immer noch gültig Adelheid Kitt: Der frühromanische Kronleuchter und seine Symbolik, Diss. Wien 1944. – Zum Heziloleuchter vgl. zuletzt Karl Bernhard Kruse (Hg.): Der Heziloleuchter im Hildesheimer Dom, Regensburg 2017, zur Lokalisierung insb. S. 345–355. 58 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 185–187. 59 Vgl. Seidler 2009 (wie Anm. 54), S. 190. – Zur Lage vgl. Stefan Neu: St. Maria im Kapitol. Die Ausgrabungen, in: Kier/Krings 1984 (wie Anm. 2), S. 331–344, hier Fig. 152, S. 332. – Zu den Sarkophagen vgl. Sebastian Ristow: Trapezförmige Sarkophage des frühen Mittelalters in Köln, in: Kölner Jahrbuch 32 (1999), S. 305–341, zu den Sarkophagen aus St. Maria im Kapitol Kat. Nr. 32–40, S. 332–336, der Plektrudissarkophag Kat. Nr. 37, S. 335. – Laure-Anne Finoulst: Les sarcophages du haut Moyen Âge en Gaule du Nord. Production, diffusion, typochronologie et interprétations, 2 Bde., Diss. Brüssel 2012, hier Bd. 2, S. 116–123. 60 Seidler 2009 (wie Anm. 54), S. 190 liest die beiden Quellen aufgrund der jüngeren Quelle als Argument für den östlichen Sarkophag, da er mit ,Chor‘ den Ostchor benannt sieht. Die Widersprüchlichkeit zu seinen sonstigen Ausführungen ignoriert er dabei. Nachweise der beiden Quellen liefert er nicht. 61 Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), Abb. 129, S. 191.

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Abb. 28: Köln, St. Maria im Kapitol, Grundriss mit schematischer Eintragung ausgewählter liturgischer Einbauten: (A) Hochaltar (gew. 1065) mit begleitendem Kanonikergestühl, (B) Kreuzaltar (gew. 1049), (C) Plektrudisgrab mit darüber hängender Lichtkrone, (D) Kanonissenchor mit Gestühl in der Form ab etwa 1300.

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Im Jahre 1283 hat die Familie Jude „ad caput sepulchri quondam serenissime Blitrudis regine fundatricis eiusdem loci“, also östlich des Plektrudisgrabes, im Zusammenhang mit ihrer Grabanlage westlich des Kreuzaltares einen Barbaraaltar gestiftet.62 Demnach bildete 1283 eine Abfolge des Kreuzaltares im östlichen Langhausjoch, der Grablege Jude mit zugehörigem Barbaraaltar westlich davon, dem Gründerinnengrab von Plektrudis noch weiter westlich mit der darüber hängenden Lichtkrone und schließlich dem Zugang in den abgeschrankten Frauenchor über eine mittige Türe, zu deren beiden Seiten sich später die Gräber Lyskirchen und Heymbach befanden, eine Achse (Abb. 28). Liest man die Raumkonzeption entsprechend der 1235/40 eingefügten Langhauswölbung,63 so fungierte das östliche Doppeljoch als Bereich des Kreuzaltars, das nächste Doppeljoch als Bereich des Plektrudisgrabes und das westliche Doppeljoch sowie das westlichen Joch als Bereich des Kanonissenchores. Bezeichnenderweise markieren die abweichenden Vorlagenformen des Gewölbes genau diese Grenze zwischen Konventsbereich und Langhaus. Dieser Konventsbereich umfasste den offenbar zwischen den Abmauerungen zur Heiltumskammer und Sakristei liegenden, abgeschrankten Konventssitz mit mittigem Ostausgang sowie das östlich davorliegende Halbjoch, in dem sich die Durchgänge in die Seitenschiffe befanden (über die die Krypta erschlossen wurde), in die (später) der Jungfrauen- und der Johannesaltar aufgestellt wurden. Diese Disposition gilt spätestens für das 13./14. Jahrhundert, dürfte aber zumindest in der Raumkonzeption auf den salischen Bau zurückgehen.

Zum Frauenchor im 11. Jahrhundert und zu der Entstehung des Chorgestühls

Die Disposition des Konventschores ebenerdig im Westen des Langhauses ist höchst ungewöhnlich. Auch wenn zu den Örtlichkeiten, an denen die geistlichen Frauengemeinschaften im frühen und hohen Mittelalter ihren Chordienst versehen haben, nur wenig überliefert ist, so überwiegen seit dem 12./13. Jahrhundert 62 Schäfer 1907 (wie Anm. 27), Nr. 38, S. 11. 63 Vgl. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), Abb. 129, S. 191. – Zu der seit dem Zweiten Weltkrieg verlorenen Einwölbung vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Die spätstaufische Langhauswölbung von St. Maria im Kapitol, in: Zugänge zu Archäologie, Bauforschung und Kunstgeschichte – nicht nur in Westfalen. Festschrift für Uwe Lobbedey zum 80. Geburtstag, hg. v. Mareike Liedmann / Verena Smit, Regensburg 2017, S. 207–220, insb. S. 214–217 zum Raumbezug.

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ortsfeste Chorgestühle auf Emporen, die bei Frauenstiften oft im konventseitigen Querarm, bei Frauenklöstern oft im westlichen Langhaus oder auch in Westbauten angeordnet waren.64 Ebenerdige Anlagen sind selten und vor der Etablierung der Emporen dürften die Frauen als Hausherren ihren Chordienst meist im Hochchor vollzogen haben. Gründe für die dauerhafte Anordnung des Chores im westlichen Langhaus in St.  Maria im Kapitol sind überliefert. Aufgrund des Bauverlaufs war das Langhaus der erste und möglicherweise auch einzige Raum, der nach dem Abbruch der ehemaligen Tempelcella für eine Nutzung zur Verfügung stand, nachdem es im Ostbau wegen des Bruchs der Fundamentplatte zu Verzögerungen kam. Auch in Essen, wo mit Äbtissin Theophanu (amt. 1039–1058) die Schwester der Bauherrin Äbtissin Ida von St. Maria im Kapitol (amt. um 1040–1060) aktiv war, wurde im Zuge des Neubaus der Ostteile der Konventssitz in das westliche Langhaus verlagert, was Auswirkungen auf die liturgischen Nutzungsstrukturen weit über die Baumaßnahmen hinaus besaß, als der Konvent längst im 12. Jahrhundert auf der nördlichen Querarmempore sein Chorgestühl eingerichtet hatte.65 Eine solche Anordnung während der Baumaßnahmen dürfte üblich gewesen sein, warum in Köln jedoch nach oder zu der Schlussweihe von 1065 der Kanonissenchor nicht (wie in Essen) nach Osten verlagert wurde, bleibt rätselhaft. Möglicherweise spielte die Erschließung durch die westlich gelegenen Konventsbauten eine Rolle,66 möglicherweise auch die Nutzung des Trikonchos durch den Erzbischof.67 Eine Anordnung im Trikonchos wäre eigentlich in der Vierung zu erwarten gewesen, was den Um-

64 Vgl. Irmingard Achter: Querschiff-Emporen in mittelalterlichen Damenstiftskirchen, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 30/31 (1985), S. 39–54. – Hilde Claussen / Uwe Lobbedey: Die karolingische Stiftskirche in Meschede. Kurzer Bericht über die Bauforschung 1965–1981, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 67 (1989), S. 116–126, hier S. 125–126 [zur Frage der Ursprünge der Querhausemporen in Damenstiftskirchen]. – Gerhard Leopold: Frauenemporen in Stifts- und Klosterkirchen des frühen Mittelalters im östlichen Sachsen, in: ‚Es Thvn Iher Viel Fragen …‘ Kunstgeschichte in Mitteldeutschland. Hans-Joachim Krause gewidmet, hg. v. Reinhard Schmitt u. a. (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd. 2), Petersberg 2001, S. 15–30. – Vgl. auch Gisela Muschiol: Liturgie und Klausur. Zu den liturgischen Voraussetzungen von Nonnenemporen, in: Crusius 2001 (wie Anm. 12), S. 129–148. – Vgl. auch die Beiträge von Julia von Ditfurth und Adam Stead in diesem Band. 65 Vgl. Beuckers 2013 (wie Anm. 45), S. 84–90. 66 Zu den Klausurbauten vgl. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 204–209. 67 Vgl. Beuckers 1999 (wie Anm. 20), S. 126–144.

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gängen um die gesamte Ostanlage für die Wegeführung aus den Querarmportalen auch einen Sinn gegeben hätte. Möglicherweise spielte jedoch ein anderer Punkt eine Rolle, der sich mit der Charakterisierung des Konventes durch die Vita Adelheidis decken würde: Gleichzeitig mit der Innutzungsnahme des Langhauses durch den Frauenkonvent wurde von Erzbischof Hermann II. in Köln mit dem Langchor von St. Severin (gew. 1043) eine Chorform etabliert, die gleichzeitig oder wenig später in St. Andreas und im Bonner Münster sowie gut zehn Jahre später in St. Gereon aufgegriffen wurde.68 Der Kanonikerchor dieser Kirchen wurde gegenüber dem übrigen Kirchenraum räumlich separiert und für die Aufstellung eines ortsfesten Chorgestühls eingerichtet. Die Erhöhung zur Separierung des Konventes, der sich so – ganz im Sinne der Kirchenreform – intensiv seinen Stundengebeten widmen konnte, dürfte in Köln (in anderer baulicher Form) mit der Klosterkirche von Deutz um 1021 Einzug gehalten haben.69 Für St. Severin wurde dieser Bautypus aus dem monastischen Kontext (wenig vor St. Severin wurde auch der Langchor von Kloster Hersfeld erbaut70) auf Kanonikerstifte übertragen und durch die Überhöhung auf einer Hallenkrypta ­ ivelles baulich weiterentwickelt. Nahezu zeitgleich adaptierte auch das Frauenstift N 71 diesen Chortypus (gew. 1046) (Abb. 29).

68 Zum Chor von St. Severin vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Sakraltopographie um Grab und Schrein. Zum Ostabschluss der salischen Krypta von St. Severin in Köln, in: Kirche und Kloster, Architektur und Liturgie im Mittelalter. Festschrift für Clemens Kosch zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus Gereon Beuckers / Elizabeth den Hartog, Regensburg 2012, S. 31–52. – Zum Bautypus des Langchors vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 58), S. 240–244. – R. J. Stöver: De Salvator- of Oudmunsterkerk te Utrecht. Stichtingsmonument van het bisdom Utrecht (Clavis. Kunsthistorische Monografieen, Bd. 16), Utrecht 1997, S. 117–126. – Klaus Gereon Beuckers: Der Chor des Bonner Münsters und die salischen Langchöre des 11. Jahrhunderts. Zur Entstehung einer architektonischen Sonderform im Umkreis der Kanonikerreform, in: Märtyrergrab – Kirchenraum – Gottesdienst II. Interdisziplinäre Studien zum Bonner Cassiusstift, hg. v. Andreas Odenthal / Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 36), Siegburg 2008, S. 33–82. 69 Vgl. Beuckers 2017 (wie Anm. 21), S. 102. 70 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 58), S. 242. – Zu Hersfeld vgl. zuletzt Verena Smit: Die Baugeschichte der salischen Abteikirche in Hersfeld (Studien zum Kulturerbe in Hessen, Bd. 4), Regensburg 2018, insb. S. 189–191. 71 Vgl. Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 860–869. – Klaus Gereon Beuckers: The Abbey Church of St. Gertrude in Nivelles. Observations regarding its Architectural Disposition, in: The Liber ordinarius of Nivelles: Liturgy as Interdisciplinary Intersection, hg. v. Jeffrey F. Hamburger / Eva Schlotheuber, Tübingen 2019 (im Druck).

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Abb. 29: Nivelles, St. Gertrud, Chorinnenansicht mit Sitznischen.

Auch dieser Bau wurde im unmittelbaren familiären Umfeld von Äbtissin Ida von St.  Maria im Kapitol und ihres Bruders Erzbischof Hermann  II. durch ihre Tante Äbtissin Richenza (verst. 1049) erbaut. In Nivelles scheint es noch kein hölzernes Chorgestühl mit Stallen und Dorsale gegeben zu haben, da in das Mauerwerk Sitznischen eingetieft sind. In den Kölner Langchören, wo solche Sitznischen fehlen,72 dürfte es hingegen bereits längsgestellte Bänke gegeben haben, von denen sich in Bonn beispielsweise noch steinerne Gestühlswangen aus dem 13. Jahrhundert erhalten haben.73 Welcher Form die Gestühle auch immer gewesen sein mö72 Gebaut wurden solche Sitznischen in Köln noch im Westbau von St. Pantaleon in den 1020/30er Jahren, wo sie vor dem Westportal in der Vorhalle angeordnet wurden. An dieser Stelle fand der Memorialdienst im Zuge der sonntäglichen Prozession statt. – Zu St. Pantaleon vgl. demnächst Klaus Gereon Beuckers: Der Kölner Kirchenbau unter den Ottonen und die Datierung des Westbaus (II) von St.  Pantaleon, in: L’évêque Werner et la cathédrale romane de Strasbourg. Actes du colloque à l’occasion du millénaire de la cathédrale de Strasbourg 2015, hg. v. Marc Carel Schurr, Straßburg 2018 (im Druck). 73 Vgl. Brigitte Kaelble: Untersuchungen zur großfigurigen Plastik des Samsonmeisters (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland, Bd. 27), Düsseldorf 1981, S. 70–80. – Vgl. auch Heribert Reiners: Die rheinischen Chorgestühle der Frühgotik. Ein Kapitel der Rezeption der Gotik in Deutschland (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 113), Straß-

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gen, sie ermöglichten in der spezifischen Architektur des Langchores, die auf ostwestlich ausgerichtete Anordnungen der Bänke zu einem Gegenüber angelegt war, die Adaption monastischer Gebetszeiten und der Reformideale auch für stiftische Gemeinschaften. In diesem Umfeld erscheint es denkbar, dass auch der Frauenkonvent von St. Maria im Kapitol diesem Ideal folgte und bereits um 1049 einen eingeschrankten Konventschor vielleicht schon mit einem ortsfesten Chorgestühl etablierte. Dies ist insofern von Bedeutung, als das ortsfeste Chorgestühl zu dieser Zeit erst im Entstehen begriffen war. Chorgestühl ist im erhaltenen Denkmälerbestand nicht vor dem 13.  Jahrhundert zu greifen, als das älteste erhaltene Beispiel auf deutschem Boden gilt das dendrochronologisch 1228 datierte Gestühl im Xantener Dom, das bereits die für das Spätmittelalter und danach typische mehrreihige Form mit einzelnen Stallen vor einem Dorsale besitzt.74 Aufgrund seiner groben Formen wird gelegentlich das im Ratzeburger Dom in 1876/81 rekonstruierter Gestalt erhaltene Gestühl um 1200 oder gar in das 12. Jahrhundert gesetzt, wie auch die gut sieben Meter lange Bank in Alpirsbach, deren Funktion jedoch unbekannt und die inzwischen dendrochronologisch in die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert ist.75 Sowohl in Frankreich als auch in England sind Gestühle der gleichen Zeit wie in Xanten zumindest fragmentarisch erhalten (Poitiers, um 1240; Rochester, um 1227; Salisbury, um 1245) und im sog. Bauhüttenbuch von Villard d’Honnecourt wurden um 1230/35 Chorgestühlswangen abgebildet (Bibliothèque nationale de France, MS Fr 19093, fol. 27v und 29r).76 Insgesamt dürfte das Chorgestühl in der burg 1909, S. 20. – Fritz Neugass: Mittelalterliches Chorgestühl in Deutschland (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 249), Straßburg 1927, S. 2. – Walter Loose: Die Chorgestühle des Mittelalters (Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, Bd. 11), Heidelberg 1931, S. 32. 74 Vgl. Eva-Maria Günther: Das Gestühl des Xantener Domes. Betrachtungen zu seiner Herkunft und kunsthistorischen Stellung, in: Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins 1996–1998, hg. v. Dieter Geuenich, Duisburg 1998, S. 195–216. 75 Vgl. Christoph Graf Pfeil / Hans Westhoff: Die mittelalterliche Bank. Untersuchung eines gedrechselten Möbels, in: Alpirsbach. Zur Geschichte von Kloster und Stadt, hg. v. Dieter Planck (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg, Bd. 10), 3 Bde., Stuttgart 2001, hier Bd. 1, S. 189–200, zur Datierung S. 196. 76 Vgl. Günther 1998 (wie Anm. 74), S. 204–206. – Zum Skizzenbuch vgl. Hans R. Hahnloser: Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches ms. fr. 19093 der Pariser Nationalbibliothek, Graz 1972 (EA 1935), hier Taf. 54 und 56. – Zuletzt Carl F. Barnes: The Portfolio of Villard de Honnecourt. (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS Fr 19093). A new critical edition and color facsimile, Burlington 2009.

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Abb. 30: Sankt Galler Klosterplan, Ausschnitt der Ostteile der Kirche.

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seit dem 13. Jahrhundert kanonischen Form nicht wesentlich vor dem Ende des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Aussagekräftiger für die Entstehung des Chorgestühls sind die schriftlichen Quellen.77 Zelebrantengestühl wie auch die im Apsisrund angeordneten Priesterbänke gibt es bereits seit der Spätantike. Spätestens mit der Cassianregel im 5. und dann vor allem der Benediktsregel im 6. Jahrhundert, die das teilweise Sitzen während der lectiones erwähnt, muss es auch im monastischen Bereich während der Gebetszeiten Sitzmöglichkeiten gegeben haben.78 Der Sankt Galler Klosterplan zeichnet um 820 im Psalierchor (chorus psallentium) vier nordsüdlich angeordnete Bänke (formulae) ein, denen in den Querarmen jeweils eine ebenso ausgerichtete Bank entspricht (Abb. 30).79 Vom späteren Chorgestühl unterscheidet sich nicht nur die Bankform, sondern vor allem die Ausrichtung nach Osten, die einen mehrstimmigen Gesang deutlich erschwert. Der Konvent wird hier als Gruppe versammelt, nicht zum respondierenden Gesang oder wechselseitigen Beten der Stundengebete. Der Platz in dem Psalierchor blieb dabei jedoch so groß, dass der Konvent sich auch in anderen Formationen aufstellen konnte, überhaupt war die Aufstellung wenig statisch. Deutlich fester gefügt war der etwa gleichzeitige Chor in St.  Johann in Müstair, den kürzlich Hans-Rudolf Sennhauser aufgrund der erhaltenen Fragmente rekonstruieren konnte (Abb. 31): In zwei Blöcken reihte er jeweils sieben Bänke hin-

77 Vgl. hierzu die bis heute gültige Zusammenstellung bei Reiners 1909 (wie Anm. 73), S. 7–18. 78 Vgl. Johannes Cassianus: De institutis coenobiorum et de octo principalibus vitiis, c. 12: „absque eo, qui dicturus in medium psalmos surrexerit, cuncti desilibus humillimus insidentes.“ Zit. n. De institutis coenobiorum / De incarnatione contra Nestorium, hg. v. Michael Petschenig (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 17), Wien 2004. – Regula Benedicti, c. 9: „[…] sedentibus omnibus in scamis legantur vicissim a fratribus in codice super analogium tres lectiones; […] post tertiam vero lectionem, qui cantat, dicat ,Gloriam‘. Quam dum incipit cantor dicere, mox omnes de sedilibus suis surgant ob honorem et reverentiam sanctae Trinitatis.“; c. 11: „Residentibus cunctis disposite et per ordinem in subseliis etc. Subsellia: id est in humilibus sellis, quae etiam scamna dicuntur“. Zit. n. Reiners 1909 (wie Anm. 73), S. 7 f. 79 Zum Sankt Galler Klosterplan vgl. Johannes Duft (Hg.): Studien zum St. Galler Klosterplan [I] (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Bd. 42), St. Gallen 1962. – Peter Ochsenbein / Karl Schmucki (Hg.): Studien zum St. Galler Klosterplan II (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Bd. 52), St. Gallen 2002. – Andrea Zur Nieden: Der Alltag der Mönche. Studien zum Klosterplan von St. Gallen, Hamburg 2008. – Barbara Schedl: Der St. Galler Klosterplan. Ein materialisierter Diskurs, in: Benedikt und die Welt der frühen Klöster, Ausst. Kat. ReissEngelhorn-Museen Mannheim, hg. v. Alfried Wieczorek / Gerfried Sitar (Publikationen ReissEngelhorn-Museen, Bd. 50), Regensburg 2012, S. 93–106.

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Abb. 31: Müstair, St. Johann, schematische Rekonstruktion eines möglichen Schrankengevierts mit Sitzbänken im Kirchenschiff.

tereinander, die durch eine umgrenzende Schranke mit westlichem und östlichem Ausgang eingefasst sind.80 Den Abstand des Schrankengevierts zu den Mittelschiffsarkaden nimmt er mit etwa zwei, die Breite der Schrankenanlage insgesamt mit etwa acht Metern an, was den Überlegungen zu einer ähnlichen Anlage in St.  Maria im Kapitol oben entspricht. Diese Lösung orientiert sich an der schola cantorum als rechteckig eingeschranktem Bereich im Langhaus vor den Stufen zum Sanktuarium, wie sie heute noch beispielsweise in Kirchen wie San Clemente, Santa Maria in Cosmedin oder Santa Sabina in Rom erhalten sind (Abb. 32). 80 Vgl. Hans-Rudolf Sennhauser: Kirche und Konventflügel im Kloster St. Johann in Müstair. Raumorganisation und Nutzung, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 67 (2010), S. 1–7, insb. S. 2. – Katrin Roth-Rubi (in Zusammenarbeit mit Hans-Rudolf Sennhauser): Die frühe Marmorskulptur aus dem Kloster St. Johann in Müstair (Veröffentlichungen der Stiftung für Forschung in Spätantike und Mittelalter, Bd. 5), 2 Bde., Ostfildern 2015, hier insb. Bd. 1, S. 165–167.

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Stammen sie dort meist erst aus dem Hochmittelalter, so geht die Tradition solcher Anlagen bis in die Spätantike zurück und auch in Köln hat sich im Frühmittelalter eine solche Anlage, die mit Ambonen bestückt war, mindestens im Dom befunden.81 Erste schriftliche Belege für Chorgestühl stammen aus dem Umkreis der Klosterreform von Cluny und datieren erst gegen Ende des 11. bzw. Anfang des 12. Jahrhunderts. So differenzieren die Constitutiones Hirsaugienses in Kapitel 26 und 29 Gestühl in den Querarmen und im Psalierchor.82 Im Psalierchor stand es offenbar zweireihig vor der Wand. Die formae hinten besaßen Miserikordien, hatten also klappbare Sitze, während die scamna davor eine Banklehne aufwiesen, auf die sich die Mönche beim Knien abstützen konnten. Aussagekräftig sind die Aussagen in Kapitel 29, wo verlangt wird, dass zwischen den Stundengebeten die Stühle (forma transversa) aufgehoben, gedreht und leise abgesetzt werden sollen. 81 Vgl. Cordula Krause: Neue Untersuchungen zum frühchristlichen Ambo unter dem Kölner Dom, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins Köln 62 (1997), S. 177–206. – Sebastian Ristow: Ambonen und Solea in Gallien, Germanien, Raetien und Noricum im Frühmittelalter, in: Rivista di Archeologia Cristiana 80 (2004), S. 289–311. – Ulrich Back: Zur Schola cantorum unter dem Kölner Dom, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-DombauVereins Köln 76 (2011), S. 46–75. 82 Constitutiones Hirsaugienses, c. 26: „Si vero est de his, qui in ordine sunt altiores, locum habeat in aliquo sedilium ad parietes. Si est usus seniorum in utrolibet cancello occidentalium. Et si procumbendo oratur ipse super scamnum, quod ante pedes positum est, sustentatur. Si ad dextrum parietem locum habet, super sedile aliquantulum transversus jacet. Si ad sinis­ trum, ulnas ponit super scamnum item versus ad latus dexterum. In neutro autem pariete sice stand oretur, sive procumbendo numquam alii est collateralis.“ und c. 29: „Hi, qui super sedilia sedent exerta manu propter hoc parum retro versi solent leniter ea erigere eodemque modo pro sonitu devitando deponere quod et quilibet eorum observare debet, quotiescumque vel solus vel cum alii sedet. Illi vero, qui in scamnis, quae infra ad formas posita sunt, sedent, non tunc se, sicut nec aliquando retro sustentant, sed ita sedendo in anteriora, quantum valent, se inclinant. Quandocumque quis super sedilium misericordias habuerit, se sustentat ibi tunc, alii absque sustentaculo stant inclinati. Quando autem cuncti debent esse inclinantes longiori mora, sicut est ad preces et suffragium, isti, ut praedictum est, sedent super scamna item inclinantes in anteriora, quando illi super formas isti, qui stant ante formas, super scabella ante se posita iacent. Quotquot autem de his, qui priores sunt, ad lineam positam ascendunt et super formas transversas contra altare procidunt, ceteri, qui adhuc supersunt, super eiusdem lineae sedilia procumbunt. Si aliqui de his, qui certas stationes habent, adhuc supersunt, hi ad gradum sedent et praecumbunt. Ad Nocturnus cero, si opportune in choro esse non possunt, extra secedunt. Nam hoc semper cavetur, ne retro ad formas stent coram eis scilicet qui ad parieles locum habent.“ Zit. n. Reiners 1909 (wie Anm. 73), S. 13 f. – Zu den Hirsauer Constitutiones vgl. zuletzt Pius Engelbert (Bearb.): Willehelmi abbatis Constitutiones Hirsaugienses (Corpus Consuetudinum Monasticarum, Bd. 15), 2 Bde., Siegburg 2010.

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Abb. 32: Rom, San Clemente, schola cantorum im östlichen Mittelschiff.

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Demnach waren sie also nicht ortsfest, scheinen eher leicht drehbare Einzelstühle gewesen zu sein. Die Consuetudines Cluniacenses differenzieren in Kapitel 22 zwischen forma explicata für den Alltag und forma complicata für Festtage.83 Heribert Reiners vermutet, dass die forma complicata mit den in Hirsau erwähnten forma transversa identisch waren.84 Jedenfalls zeugen auch diese beiden Varianten von einer Austauschbarkeit der Sitzgelegenheiten. Ein festes Chorgestühl wie zum Beginn des 13.  Jahrhunderts war dies ganz offensichtlich noch nicht. Ob es neben diesen Einzelstühlen und den querstehenden Bänken aus Sankt Gallen noch weitere Varianten gab, ist aus den Quellen nicht zu ersehen. Jedenfalls bildete die gereihte Aufstellung bei den Cluniazensern entlang der Wand eine signifikante Abweichung von der Aufstellung in Sankt Gallen oder Müstair. Diese neue Aufstellungsform übernehmen offenbar die Gestühle in den Kölner Langchören, bei denen am ehesten an Bänke zu denken ist. Insgesamt ist mit einer ersten Formierung von Chorgestühl um die Mitte des 11. Jahrhunderts zu rechnen, das sich aus dem monastischen Bereich kommend erst zaghaft ausbreitete, bevor es im 13.  Jahrhundert auch bei Stiftskirchen zum Standard wurde. Ein früher Nachweis mag dabei auch das nach Rupert von Deutz 1128 bei dem Brand der Abteikirche von St.  Trond zerstörte Chorgestühl sein, das angeblich schon 100 Jahre alt gewesen sein soll.85 Mit einem solchen Gestühl in Längsrichtung rechnete auf jeden Fall der zwischen 1066 und 1071 verlegte Schmuckfußboden der Abteikirche von Montecassino, bei dem unter den Gestühlsreihen die Mosaizierung ausgesetzt wurde.86 83 Consuetudines Cluniacenses, c. 12: „[…] cum venerint in chorum, complicantur formae, sicut est consuetudo, in his diebus [Gründonnerstag], in quibus venia non est petenda. […] Finita missa tabula percutitur pro signo ad orationem vesperarum, quam formis iterum explicatis faciunt procumbendo.“ Zit. n. Reiners 1909 (wie Anm. 73), S. 17. – Die Consuetudines von Cluny bei Bruno Albers (Bearb.): Consuetudines Cluniacenses antiquiores (Consuetudines Monasticae, Bd. 2), Montecassino 1905, S. 1–61. 84 Reiners 1909 (wie Anm. 73), S. 17. 85 Gesta abbatum Trudonensium, hg. v. Richard Köpke, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores (in Folio), Bd. 10, Hannover 1852 (ND Stuttgart 1963), S. 213–448, lib. 3, c. 4: „Armarium etiam, ubi calices reponi solebant, et formae in choro operis dui pulchritudine decentes, sedes etiam ad standum seu sedendum fratribus satis commodae arserunt, aliaque quamplura utilitate sui satis preciosa, seviente invendio ad nichilum redacta disperierunt.“ 86 Vgl. Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz / Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff, 2 Bde., München 2006, hier Bd. 2, Kat. Nr. 375, S. 270 f. (Gunther Lettau).

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Für St. Maria im Kapitol bedeutet dies, dass bei der baulichen Fassung um 1049 oder um 1065 nicht einfach aus dem Spätmittelalter zurückprojiziert ein ortsfestes Chorgestühl in der Art von Xanten erwartet werden darf. Jedoch ist mit einer baulichen Fassung eines Chores zu rechnen, der die Fortdauer dieser Lösung bewirkte. Als Modelle stehen dabei Lösungen wie in Müstair mit quergestellten Bänken oder analog zu Montecassino und vor allem zu den Kölner Langchorlösungen mit längsgestellten Sitzen zur Alternative. Letztere eignen sich zum gemeinsamen Stundengebet deutlich besser und treten nicht umsonst im Umkreis der monastischen Reform bzw. deren Adaption bei den Kanonikerstiften auf. Wie sehr Mitte des 11. Jahrhunderts um das Sitzen und Stehen des Konventes während der Gottesdienste gerungen wurde, belegt die Streitschrift des gregorianischen Reform­ autors Petrus Damiani (verst. 1072) Contra sedentes tempore divini officiis.87 Die Nähe zur Kirchenreform, die bereits in der Vita Adelheidis herausgestellte monastische Strenge des Konventes von St. Maria im Kapitol und nicht zuletzt die Etablierung von Gestühl im Umkreis der für den salischen Neubau verantwortlichen Personenkreise insbesondere in Köln macht die Verwendung von Gestühl auch für den Frauenkonvent des 11. Jahrhunderts naheliegend.

Schluss

In St. Maria im Kapitol wurde der Konventssitz aufgrund der spezifischen Bauabläufe im westlichen Langhaus angeordnet, der mit der Kreuzaltarweihe von 1046 benutzbar war. Unvorhergesehenerweise zog sich der Bau länger hin als geplant, weshalb der Konvent bis mindestens 1065 an diesen Ort gebunden blieb, da die östlichen Bauteile nicht zur Verfügung standen. Die dabei gefundene Lösung war so stabil, dass man hieran auch für die kommenden Jahrhunderte festhielt, was insbesondere durch eine bauliche Fassung in einem abgeschrankten Bereich und durch ein vermutlich sehr frühes Gestühl begründbar ist. Die genaue Form dieses Konventschores kann nur aus den deutlich späteren Quellen bis zu einem gewissen Maße rückerschlossen werden. Möglicherweise ist die dort greifbare Gestalt erst im Zuge späterer Veränderungen so entstanden, als beispielsweise das spätmittelalterliche Chorgestühl in Köln um 1300 auf breiter Front eingeführt wurde. 87 Vgl. Kurt Reindel (Hg.): Die Briefe des Petrus Damiani (Monumenta Germaniae Historica. Die Briefe der deutschen Kaiserzeit, Bd. 4), 4 Bde., München 1983/93, hier Bd. 3, Brief 111, S. 246–258.

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Hierauf wird zurückzukommen sein. Die Gestalt des aus den spätmittelalterlichen Quellen zu erschließenden Frauenchores belegt einen mittigen Ostausgang, der sehr wahrscheinlich von den mehrfach erwähnten Sitzen der Äbtissin und der Seniorissa flankiert wurde. Über diesen Ausgang hatte der Konvent direkten Zugang zu der nur wenige Meter östlich hiervon liegenden Grabanlage der legendären Gründerin Plektrudis. Ein mittiger Ostzugang erschwert die Aufstellung eines Altares innerhalb des Konventschores. Entsprechend sind weder zur Weihe von 1049 noch zur Weihe von 1065 oder später Weihetitel für einen solchen überliefert. Clemens Kosch hatte deshalb den Kreuzaltar als Konventsaltar angenommen und den Frauenchor auf das gesamte Langhaus erstreckt.88 Dies widerspricht der Quelle von 1281 mit ihrer Erwähnung der Türe, die den Chor dezidiert vom Kreuzaltar abgrenzte. Es ist ohnehin fraglich, ob ein Konventschor von Nonnen oder Kanonissen, die selbst keine sakramentale Wandlung vollziehen konnten, einen Altar bei ihrem Gestühl benötigte. Für die eucharistische Versorgung konnte der konsekrierte Leib Christi auch vom Hochaltar, vor dem die Kanoniker ihren Sitz hatten, oder auch vom Kreuzaltar in den Frauenchor gebracht werden, wie dies später für zahlreiche Konventssitze auf Emporen bezeugt ist. Die Weihenachrichten von 1049 und 1065, wie sie Gelenius überliefert, sind klar zugeordnet und mit einer Ausnahme eindeutig zu identifizieren. Diese Ausnahme betrifft den 1065 konsekrierten Altar „De ­Sepulcri Domini“, der zum Abschluss der Reihe erscheint. Vorher waren der Hochaltar mit den beiden Nebenaltären, dann der Kryptenaltar mit den beiden Nebenaltären dort genannt worden.89 Eine Lokalisierung im Ostbau ist nicht erkennbar, zumal der Altar in den jüngeren Listungen nicht mehr erscheint. Reflektiert man den Bauablauf, so dürfte das Langhaus zwar 1049 benutzbar, eine Fertigstellung des Westbaus aber höchst unwahrscheinlich gewesen sein. Da auf der Westempore beispielsweise der Essener Frauenstiftskirche das Ostergrab aufgeschlagen wurde, dürfte der Heiliggrabaltar auch in St. Maria im Kapitol auf der hochgelegenen Westempore lokalisiert werden.90 Hier wurde er im Zuge des zunehmend baufälliger werdenden Westbaus, der dann 1666 einstürzte, aufgegeben und seine 88 Kosch 2005 (wie Anm. 30), S. 65: „Das Chorgestühl der Kanonissen stand hingegen zu ebener Erde im westlichen Bereich des Mittelschiffs und war auf den Kreuzaltar ausgerichtet, […].“ 89 Gelenius (wie Anm. 7): „Anno Dominicae incarnationis 1065 indict. 2. Dedicatum est hoc oratorium S. Mariae, quod dicitur Capitolium […] in principali ara […]. In australi parte […]. In septentrionali ara […]. In crypta principali ara […]. In australi ara […]. In septentrionali ara […]. In sepulcro dni. […].“ Zit. n. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 41. 90 Vgl. Beuckers 2013 (wie Anm. 45), S. 94.

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Funktion an nahezu identischer Stelle, nur ebenerdig, durch die vor 1508 gestiftete Heiliggrabgruppe an der Westwand der Vorhalle ersetzt.91 Einen anderen Altar dürfte der Frauenchor nie erhalten haben. Unklar bleibt, wann der Konventschor abgebrochen wurde. 1667/78 wurde im Ostbau ein neues Hochaltarretabel errichtet, das offenbar schon länger geplant war.92 Einem Kapitelsprotokoll von 1666 nach war kurz zuvor der Kreuzaltar verändert worden, um eine bessere Sicht auf den Hochaltar zu ermöglichen.93 Diesen ersten Schritt, bei dem der Gabelkruzifixus zum Retabel des Kreuzaltars wurde, ergänzte als zweiter Schritt eine Ausräumung des Langhauses, bei der man – nach einer Visitation der Gebeine – das Plektrudisgrab hinter den Kreuzaltar verlegte, also offenbar unter den 1523 errichteten Lettner. Ein Kupferstich zeigt die Disposition um 1680 mit dem Gabelkruzifixus im Mittelpunkt.94 Der Einrichtungsplan von 1722 zeigt den Konventschor schon nicht mehr, wie auch der um 1760/70 auf den Langhauspfeilern aufgebrachte Apostelzyklus keine Rücksicht mehr auf Einbauten nehmen musste.95 Wann genau vorher der Chor abgebrochen wurde, 91 Zur Grablegungsgruppe vgl. Wolfgang Stracke: St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 11 (1996) [Kölner Kirchen und ihre mittelalterliche Ausstattung, Bd. 2], S. 79–103, hier S. 94. – Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30), S. 166 f. 92 Vgl. Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30), S. 134–137. 93 „Nachdem durch gottselige Eingebung einige dessen Ehren Eiferer zu deren Fortsetzung und dieser hochlöbl. Collegiat-Kirchen mehreren Zierraths dahin bewog, vorerst das alte Cruzifix hinter dem Seelenaltar umb und uff selbigen Altar zu setzen und dadurch des Hohen Altars Prospect einigermaßen frey zu machen, und selbige den Vorschlag gethan, daß es zu mehrer Gottes Ehre und der Kirchen Zierath gereiche, wann dero gottseligsten Andenkens dieser hochrühml. Collegiat-Kirchen Stifterinne und Königinne Plectrudis vor genanntem Seelenaltar stehendes Grab hinter selbigen transferiert würde […] Und nachdem Ihre Hochwürden [der Domkanoniker Paul Aussem im Auftrag der Äbtissin] zu erkennen gegeben, daß man solche vor dem Seelen-Altar weg und hinter selbigen zu bringen gemeint sei […] auch den Ort angewiesen, haben Ihre Hochw. solches laudiert und geordnet, daß das Grab den langen Weg dem Hohenaltar zu hinter den Seelenaltar […] zu stellen sei.“ Zit. n. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), S. 190 f. 94 Vgl. Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30), Abb. 16, S. 137. 95 Vgl. Rahtgens 1913 (wie Anm. 1), Abb. 129, S. 191. – Zum Apostelzyklus vgl. Sabine Czymmek: Schattenrisse. Zur barocken Ausstattung von St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 3 (1988), S. 99–111, insb. S. 108–110. – Horst Hahn / Wilfried Hansmann: Zu den Malereifragmenten auf den Langhauspfeilern in St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 4 (1989), S. 165–167. – Horst Hahn: Zur Restaurierung der spätbarocken Malereifragmente in St. Maria im Kapitol, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 15 (2000), S. 137–142. – Hagendorf-Nussbaum 2005 (wie Anm. 30), S. 128 f.

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muss unklar bleiben. Vielleicht hatten der Westturmeinsturz 1637 und die anschließende Renovierung dazu den Anlass gegeben. Einen allerdings höchst unsicheren Hinweis könnte der Gabelkruzifixus geben, der kurz vor 1666 auf den Kreuzaltar transloziert wurde. Aegidius Gelenius beschreibt den Kruzifixus 1645 in Bezug auf seinen Text 1639 als „VI. Crux sub odaeo miraculosa“, was Godehard Hoffmann als eine Art Lettner liest.96 Da das Kreuz erst 1666 an den Lettner bzw. den davorstehenden Kreuzaltar kam,97 muss es an einer anderen, vergleichbaren Stelle gehangen haben, was vielleicht die Ostwand des Frauenchores gewesen sein könnte. Dort hätte ein solches, auf die mystische Andacht ausgerichtetes Bildwerk vielleicht auch seinen angestammten Ort. Wenn dies stimmt, dann dürfte der Kanonissenchor kurz vor 1666 abgebrochen worden sein und somit den Anlass für die vollständige Freiräumung des Langhauses mit Verlagerung des Plektrudisgrabes gegeben haben. Mit dem Abbruch des Kanonissenchores ging jedenfalls die liturgische Disposition der Frauenkonventskirche St. Maria im Kapitol unter, die sowohl innerhalb der Kölner Bauten als auch im weiten Feld anderer Frauenkonventskirchen ungewöhnlich und einzigartig gewesen ist. Heute geben weder historische Spuren noch moderne Hinweise im Rahmen des Wiederaufbaus oder der didaktischen Aufarbeitung in den letzten Jahren etwas von dieser Raumkonzeption zu erkennen.

96 Aegidius Gelenius: De admiranda, sacra, et civili magnitudine Coloniae, Köln 1645, S. 329 f. mit anschließendem Zitat seiner Ausführungen in der Staurologia Coloniensis, Köln 1636, S. 23. – Godehard Hoffmann: Das Gabelkreuz in St. Maria im Kapitol zu Köln und das Phänomen der Crucifixi dolorosi in Europa (Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege, Bd. 69; Studien zu Kunstdenkmälern im Erzbistum Köln, Bd. 2), Worms 2006, S. 40. 97 An dieser Stelle dürfte sich vor der Errichtung des Lettners 1523 und vermutlich auch noch darüber hinaus das große Triumphkreuz befunden haben, das heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird. Es datiert aus dem 12. Jahrhundert und erhielt um 1230 (stilistische Datierung), vielleicht auch erst nach der Einwölbung des Langhauses 1235/40, ein neues Haupt. Zum Triumphkreuz vgl. Manuela Beer: Triumphkreuze des Mittelalters. Ein Beitrag zu Typus und Genese im 12. und 13. Jahrhundert. Mit einem Katalog der erhaltenen Denkmäler, Regensburg 2005, Nr. 58, S. 661–664.

Die Benediktinerinnenkirche in Schwarzrheindorf als Sonderfall? Architektur und Funktion Esther-Luisa Schuster

„Für den Freund der Natur und Liebhaber der Denkmale deutscher Vorzeit giebt es keine anmuthigere und belohnendere Wanderung als die nach der Stiftskirche zu Schwarz-Rheindorf, man mache den Weg dahin in den Morgenstunden, welche die beste Beleuchtung zu einem Rückblick auf Bonn geben, oder am Nachmittage und Abend, wo die Aussicht in den Sieggrund klarer wird, auch die Sonne den Blick nach dem Siebengebirge freier läßt, immer wird man sich zugleich eines Ganges erfreuen können, der von dem Landungsplatze der fliegenden Brücke, entweder am Rheine durch dichte grüne Schatten leitet, oder mehr landwärts über einen sonnigen Hügel auf das angenehmste und reizendste durch Weingärten und ländliche Wohnungen dahin führt.“1 So schwärmt Bernhard Hundeshagen 1832 von der kleinen Kirche im rechtsrheinischen Bonner Stadtteil Schwarzrheindorf vis-à-vis dem Römer­ kastell (Abb. 33). Abgesehen von ihrer malerischen Lage zwischen Rhein und Siegaue zeichnet sich die ehemalige Burgkapelle und Benediktinerinnenklosterkirche kunsthistorisch zum einen durch ihre außergewöhnliche Gestalt und zum anderen durch ihre ungewöhnlich gut erhaltene Ausmalung aus.2 Als Burgkapelle des Kölner Erzbischofs Arnold II. von Wied (amt. 1151–1156) wurde sie als doppelgeschossiger Zentralbau errichtet, der allerdings bald nach der Weihe in eine Frauenklosterkirche umgestaltet wurde. Zur Ausstattung der Burgkapelle gehören vermutlich die höchst qualitätvollen Wandmalereien, die Szenen aus dem Buch des Propheten Ezechiel in der Unterkirche mit apokalyptischen Darstellungen in der Oberkirche verbinden. 1 Bernhard Hundeshagen: Die Stadt und Universität Bonn am Rhein. Mit ihren Umgebungen und zwölf Ansichten dargestellt, Bonn 1832, S. 176. 2 Zum letzten Restaurierungsbefund der Malereien vgl. Wilfried Hansmann / Jürgen Hohmann: Die Gewölbe- und Wandmalereien in der Kirche zu Schwarzrheindorf. Konservierung – Restaurierung – neue Erkenntnisse (Arbeitshefte der rheinischen Denkmalpflege, Bd. 55), Worms 2002.

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Abb. 33: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Ansicht von Nordosten.

Bisher beschränkten sich Auseinandersetzungen mit der Kirche unter funktionalen Gesichtspunkten auf die Frage der Gründungsintentionen, vor allem in Verbindung mit dem komplexen Wandmalereiprogramm und dem Bautypus der Doppelkapelle.3 Die Gestaltung der Oberkirche galt in diesem Zusammenhang 3

Aus historischer Perspektive argumentierte hier z.  B. Johannes Kunisch: Konrad  III., Arnold von Wied und der Kapellenbau von Schwarzrheindorf (Veröffentlichungen des Histori-

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meist nur als Fortsetzung der Unterkirche – insbesondere, da die Wandmalerei im Osten der Oberkirche aus stilistischen Gründen in die 1170er Jahre datiert oder der Ausstattungskampagne nach dem Tod Arnolds II. von Wied zugeordnet wurde.4 Die Funktion der Doppelkapelle als Klosterkirche für einen Frauenkonvent wurde aus kunsthistorischer Perspektive meist nur in Bezug auf die Datierung der Wandgemälde beachtet. Diese Forschungslücke soll hier ein Stück weit geschlossen werden. Die Gründungs- und Baugeschichte der Doppelkirche wird zunächst in einem einleitenden Teil – mit dem Fokus auf die Aufgaben als Kirche für Sanktimonialen und ihre bauliche Umsetzung – kurz referiert. Der anschließende Hauptteil widmet sich der im Titel anklingenden Kernfrage: Ist die Doppelkirche in Schwarzrheindorf ein Sonderfall? Der Status als Sonderfall bezieht sich in erster Linie auf die besondere Form der Klosterkirche als Doppelkapelle. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Architektur für Kanonissen und der Anforderungen an Bauten für Frauenkonvente wird dabei ein besonderes Augenmerk auf der Bedeutung von Emporen liegen. Dies soll zum Abschluss eine Zusammenstellung der Funktionen und liturgischen Erfordernisse in Bezug auf ihre architektonische Umsetzung ermöglichen.

Zur Gründungs- und Baugeschichte

Die Doppelkirche von Schwarzrheindorf steht auf dem Areal einer karolingischen Burganlage, die wohl zum Schutz eines hier verlaufenden Rheinübergangs errichtet worden war.5 Im 10. Jahrhundert wurde der Übergang nach Süden verlegt und

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schen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das alte Erzbistum Köln, Bd. 9), Düsseldorf 1966. – Zu architekturhistorischen Überlegungen vgl. Meta Friese: Die Doppelkapelle von Schwarzrheindorf (Kölner Architekturstudien, Bd. 84), Köln 2006. Vgl. Paul Clemen: Die romanischen Monumentalmalereien in den Rheinlanden (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 32), Düsseldorf 1916, S. 274. – Albert Verbeek: Schwarzrheindorf. Die Doppelkirche und ihre Wandgemälde, Düsseldorf 1953, S. X f. – Peter Kern: Das Bildprogramm der Doppelkirche von Schwarzrheindorf, die Lehre vom vierfachen Schriftsinn und die ‚memoria‘ des Stifters Arnold von Wied, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 77.3 (2003), S. 353–379, hier S. 355. Vgl. Hildegunde Frizen: Die Geschichte des Klosters Schwarzrheindorf von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit (Studien zur Heimatgeschichte des Stadtbezirks Bonn-Beuel, Bd. 23), Bonn 1983, S. 7.

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der Ort verlor seine militärische Bedeutung. Im 11.  Jahrhundert gelangten das Gelände und die Burg in den Besitz der Grafen von Wied, die aus dem Gebiet um Trier stammten.6 Bis zum 12. Jahrhundert scheint das auch deren Hauptwirkungsgebiet gewesen zu sein.7 Der weit abgelegene Besitz in Bonn, den der spätere Erzbischof Arnold  II. von Wied vermutlich von seinem Vater als Erbe erhalten hatte,8 wurde von diesem ausgewählt, um dort etwa ab 1147 eine Kirche errichten zu lassen.9 Arnold war ein Zeitgenosse des Abtes Wibald von Stablo und Corvey (amt. 1131–1158 in Stablo, 1146–1158 in Corvey) und wurde von diesem in einem Brief von 1149 an den Hildesheimer Bischof Bernhard I. (amt. 1130–1153) als sein Freund bezeichnet, mit dem er seit seiner Jugend eng verbunden sei.10 Möglicherweise wurden beide in Lüttich von Rupert von Deutz unterrichtet.11 Arnold ist seit 1127 urkundlich als Dompropst überliefert.12 Ab 1138 war er Kanzler am Hof König Konrads III. (amt. 1138–1152).13 1147 bis 1149 begleitete Arnold Konrad III. auf den Zweiten Kreuzzug. Johannes Kunisch weist in diesem Zusammenhang auf einen Brief des Sekretärs Bernhards von Clairvaux hin, in dem dieser Arnold um seine Büchersammlung bat, um im Gegenzug für den günstigen Ausgang des Kreuzzugs zu beten.14 Während Kunisch diesem Brief nicht allzu viel Bedeutung

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Zur Familie vgl. Ludwig Wirtz: Die Grafen von Wied (mit Stammbaum), in: Nassauische Annalen 48 (1927), S. 65–107. 7 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 13. 8 Vgl. Wirtz 1927 (wie Anm. 6), S. 77. 9 Zu Arnold II. von Wied vgl. Kunisch 1966 (wie Anm. 3). 10 Wibaldi Epistolae, in: Monumenta Corbeiensia, hg. v. Philippus Jaffé (Bibliotheca Rerum Germanicum, Bd. 1), Berlin 1864, Nr. 150, S. 231–251, hier S. 241. 11 Vgl. Wilhelm Neuss: Das Buch Ezechiel in Theologie und Kunst bis zum Ende des XII. Jahrhunderts. Mit besonderer Berücksichtigung der Gemälde in der Kirche zu Schwarzrheindorf. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Typologie der christlichen Kunst, vornehmlich in den Benediktinerklöstern (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens, Bd. 1.2), Münster 1912, S. 286 f. 12 Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 2: 1100–1205, bearb. v. Richard Knipping (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21), Bonn 1901, Nr. 236, S. 36. 13 Vgl. Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 12), Nr. 498, S. 85. 14 Nicolaus Claraevallensis: Nicolai Epistolae edente Joanne Picardo Canonico Regulari S. Victoris Parisiensis, in: PL 196, Sp. 1589–1654, Ep. 29, Sp. 1620b–1621c, hier Sp. 1621b: „Sed et illum singulariter thesaurum tuum nobilem, bibliothecam loquor: quam utique tam mirabiliter, quam incomparabiliter congessisti, vide ut relinquas pauperibus Christi, qui pro te orent et plorent ut prosperum iter faciat Deus salutarium nostrorum.“ – Vgl. Kunisch 1966 (wie Anm. 3), S. 58.

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zumisst und die Bautätigkeit in Abgrenzung zur Büchersammlung betrachtet,15 ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass mit Bruno von Hildesheim (amt. 1153– 1161) etwa zur gleichen Zeit ein Bischof eine umfangreiche Bücherstiftung an das Bistum Hildesheim vornahm. Die Büchersammlung weist den Bischof als in den aktuellen Werken der frühscholastischen Exegese und Erkenntnislehre kundig aus.16 Die Inhalte der Bücher haben nachweislich auch Brunos Kunststiftungen beeinflusst.17 Ein ähnlicher Zusammenhang kann auch für Arnolds Sammlung vermutet werden, obgleich keine Informationen über den Inhalt der Bücher vorliegen. Im Jahre 1151 wurde Arnold zum Erzbischof von Köln gewählt. Am 25. April desselben Jahres, als er noch Elekt war, wurde die Doppelkapelle in Schwarzrheindorf geweiht. Am Tag danach empfing Arnold in Köln die weltlichen Regalien von Konrad III.18 Erst im November reiste er gemeinsam mit Wibald nach Rom, um das Pallium zu empfangen, nachdem mehrere Briefe aus Köln an Papst Eugen III. (amt. 1145–1153) gerichtet worden waren, in denen man um die Bestätigung der Wahl bat.19 Im Januar 1152 schließlich erfolgte die Weihe zum Erzbischof. Arnold starb vergleichsweise früh 1156 nach fünf Jahren Amtszeit an den Folgen eines Sturzes.20 Er wurde in der Westkonche der Doppelkapelle in Schwarzrheindorf beigesetzt. Während Arnold auf dem Kreuzzug weilte, hatte seine Schwester Hadwig (ca. vor 1120–1170/72) die Aufsicht über die Bauarbeiten an dieser Kirche übernommen, wie sich aus einem Brief Wibalds von Stablo aus dem Jahr 1148 entnehmen 15 Kunisch 1966 (wie Anm. 3), S. 58. 16 Zur Bücherstiftung Brunos von Hildesheim vgl. Christian Heitzmann: Pro remedio animae meae. Mittelalterliche Bücherstiftungen am Beispiel Brunos von Hildesheim, in: Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim, Ausst. Kat. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Monika E. Müller (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek, Nr. 93), Wiesbaden 2010, S. 155–160. – Zum Einfluss der Bücherstiftung auf die Hildesheimer Kunst vgl. Harald Wolter-von dem Knesebeck: ‚Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut‘. Bilder, Buchkunst und Buchkultur in Hildesheim während des 12. Jahrhunderts, in: Abglanz des Himmels. Romanik in Hildesheim, Ausst. Kat. Dom-Museum Hildesheim, hg. v. Michael Brandt, Regensburg 2001, S. 97–113. 17 Vgl. dazu die Forschungen der Verfasserin im BMBF-Verbundprojekt ‚Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim 1130–1250‘, Teilprojekt 2: Tradition und Innovation in der Monumentalmalerei des Domes vor dem Hintergrund der Entwicklung von Bildverständnis und Bildgebrauch bei den Hildesheimer Klerikereliten des Hochmittelalters. Eine Publikation ist in Vorbereitung. 18 Vgl. Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 12), Nr. 502, S. 86. 19 Vgl. Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 12), Nr. 513–515, S. 87. 20 Vgl. Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 12), Nr. 635, S. 102.

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lässt, der an sie gerichtet ist.21 1151 wurde die Kirche in Anwesenheit zahlreicher weltlicher und geistlicher Würdenträger dem heiligen Clemens geweiht. Von den Weihehandlungen berichtet eine Inschrift auf einer Steinplatte, die vermutlich nach dem Tod Arnolds angebracht wurde und heute in die Ostapsis der Unterkirche eingelassen ist.22 Sowohl die drei Altäre in der Unterkirche mit den Patrozinien der beiden Märtyrer Stephanus und Laurentius sowie der Apostelfürsten als auch der Altar in der Oberkirche wurden zu diesem Zeitpunkt konsekriert. Dieser ­Altar wurde Maria und dem Evangelisten Johannes geweiht. Dies und die Beschreibung der Doppelkapelle als „capella operosa“ in den Gesta Friderici des Otto von ­Freising23 dienen in der Forschung allgemein als Hinweis darauf, dass die Kapelle und auch die Ausmalungen wenigstens der Unterkirche bei der Weihe weitestgehend fertig gestellt waren.24

21 Wibaldi Epistolae (wie Anm. 10), Nr. 96, S. 169–171. – Zu Hadwig vgl. auch Michael Buhlmann: Die Essener Äbtissin Hadwig von Wied, in: Das Münster am Hellweg 56 (2003), S. 41– 78. 22 Die Inschrift (unter fehlerhafter Angabe des Weihedatums) lautet in Übersetzung nach DI 50, Bonn, Nr. 21 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238di050d004k0002102 [14.2.2018] folgendermaßen: „Im Jahre [der Fleischwerdung] des Herrn 1151 [...] 8. [...] Mai [in der 14. Indiktion] ist diese Kapelle [geweiht] worden durch den hochwürdigen Bischof Albert von Meißen unter Mitwirkung des hochwürdigen Bischofs Heinrich von Lüttich zu Ehren des allerseligsten Clemens, des Märtyrers und Papstes und Nachfolgers des seligen Apostelfürsten Petrus. Der linke Altar aber ist zu Ehren des seligen Märtyrers ­Laurentius und aller Bekenner geweiht worden, der rechte Altar aber zu Ehren des seligen Protomärtyrers Stephan und aller Märtyrer, der mittlere Altar aber zu Ehren der Apostel ­Petrus [und Paulus], der Altar der oberen Kapelle aber zu Ehren der seligsten Muttergottes, der ewigen Jungfrau Maria, und des Evangelisten Johannes durch den hochwürdigen Bischof Otto von Freising, den Bruder des Herrn Konrad, des Rex augustus der Römer, in Anwesenheit ebendieses Königs und des Gründers Arnold frommen Angedenkens, damals Elekt der Kölner Kirche, auch in Anwesenheit des hochwürdigen Herrn Abts Wibald von Corvey und Stablo, Walters, des Dekans der Domkirche in Köln, des Bonner [Propstes und] Archidiakons Gerhard und auch des hochwürdigen Abts Nikolaus von Siegburg und vieler weiterer Personen adeliger und ministerialer Herkunft. Sie wurde auch von [demselben Gründer und] von seinem Bruder Burchard von Wied und seiner Schwester [Hadwig, Äbtissin von Essen und] Gerresheim, und von seiner Schwester [Hizeka, Äbtissin von Vilich, mit einem Eigengut] in Rülsdorf mit allem Zubehör, Äckern, Weingärten, dotiert ...“. 23 Georg Waitz (Hg.): Otto von Freising: Ottonis et Rahewini Gesta Friderici  I. imperatoris (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 46), Hannover/Leipzig 31912 (EA 1884), c. 68, S. 96. 24 Vgl. z. B. Verbeek 1953 (wie Anm. 4), S. X.

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Kurz vor seinem Tod übergab Arnold die Kirche an seine Schwester Hadwig.25 Sie war seit 1150 Äbtissin des Frauenstifts in Gerresheim und seit 1154 sicher auch des Essener Stifts.26 In einem Brief an Hadwig aus dem Jahr 1150 beschreibt ­Wibald von Stablo das Leben einer Braut Christi. Zum Anlass ihrer Äbtissinnenwahl übersandte er ihr zudem einen Ring.27 Als Äbtissin von Essen urkundet Hadwig zwischen 1154 und 1170.28 Im nahegelegenen Frauenstift Vilich war Hadwigs Schwester Hizecha Äbtissin (1144–vor 1172). Nach dem Tod des Bruders nahm Kaiser Friedrich I. (amt. 1155–1190) Hadwig und ihren Bruder Burkhard von Wied (1145–1166) in seinen Schutz, genauso wie die Kirche in Schwarzrheindorf und all ihre Besitzungen. Von einem Kloster spricht der Urkundentext hier noch nicht, sondern erwähnt lediglich die Kirche, in welcher der Erzbischof begraben sei.29 In der Urkunde, die der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg (amt. 1167–1191) 1176 zur Bestätigung der Gründung und des Klosterbesitzes ausstellte, wird erwähnt, dass die weiteren Geschwister Arnolds ihre Zustimmung zur Gründung eines Klosters erteilt hätten.30 In der Zeit vor 1176 gründete Hadwig also ein Benediktinerinnenkloster in Schwarzrheindorf. Auch die Schwestern Siburg und Sophia traten in das Kloster ein. Siburg wurde Dekanin (amt. 1172–1176) und Sophia die erste Äbtissin (amt. 1172–1208).31 Es entstand auf dem Anwesen der Grafen von Wied an der erzbischöflich gegründeten Doppelkirche und wurde von Mitgliedern der Familie geleitet. Damit hat es zunächst alle Eigenschaften eines Eigenklosters. Ob Arnold eine Klostergründung bereits beim Bau der Kirche intendiert hatte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. In Anbetracht des zu erwartenden regelmäßigen Gebets für sein Seelenheil, das durch seinen Status als Gründer der Kirche umso inniger ausgefal-

25 Vgl. Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürsten­ thümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Kleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden, Bd. 1: Von dem Jahr 779 bis 1200 einschliesslich, hg. v. Theodor Joseph Lacomblet, Düsseldorf 1840, Nr. 460, S. 323: „soror eius domna Hadwigis asnidensis abbatissa, cui […] adhuc vivens eandem ecclesiam comiserat.“ 26 Vgl. Wibaldi Epistolae (wie Anm. 10), Nr. 235, S. 354 f. – Vgl. auch Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 26. 27 Wibaldi Epistolae (wie Anm. 10), Nr. 235, S. 354 f. 28 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 26. 29 Urkundenbuch Niederrhein (wie Anm. 25), Nr. 389, S. 269 f. 30 Urkundenbuch Niederrhein (wie Anm. 25), Nr. 460, S. 323. 31 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 10 und 28.

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len sein dürfte, kann ein solcher Plan aber durchaus bestanden haben.32 Mit der Gründung hat Hadwig das Kloster allerdings der Obödienz des Erzbistums übergeben.33 Ab diesem Zeitpunkt kann es nicht mehr als Eigenkloster angesprochen werden. Sowohl Arnold als auch Hadwig gelten als Gründerpersönlichkeiten für den Kirchenbau in Schwarzrheindorf. Dies äußert sich auch in der Ausmalung der Ostapsis in der Oberkirche, in der die Geschwister als Stifter in Proskynese dargestellt sind. Hadwig starb vermutlich zwischen 1170 und 1172, da ab 1172 Sophia als Äbtissin von Schwarzrheindorf auftritt und in einer Urkunde desselben Jahres von deren verstorbenen Geschwistern Arnold und Hadwig gesprochen wird.34

Zur Baugestalt

Unter Arnold von Wied wurde die Kirche zunächst als doppelgeschossige Vierkonchenanlage errichtet (Abb. 34). Der Ursprungsbau präsentierte sich als Zentralbau über dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Über der Vierung erhob sich ein eingeschossiger Turm. Der östliche Kreuzarm schließt nach außen in einer halbrunden Apsis, während die anderen Arme einen rechteckigen Schluss aufweisen. In der Ostachse lässt ein Rundbogenfenster Licht in den Kirchenraum. Weitere Rundbogenfenster in der Wand des Chorjoches und in den Konchen der Querarme sorgen für zusätzliche Beleuchtung. Eine längstonnengewölbte Zwerggalerie mit einem Pultdach schließt das Erdgeschoss ab. Das Obergeschoss springt um die Breite der Zwerggalerie zurück, um dieser Platz zu geben. Sie wird fast um den gesamten Bau herumgeführt und ist mit 1,15 m Breite und 3,20 m Höhe recht großzügig dimensioniert. Der Rücksprung in den Außenmauern und die Zwerggalerie lassen die Doppelgeschossigkeit des Baus von außen deutlich sichtbar werden. Dies setzt sich auch in der Wandgliederung fort. Während die Außenwände der Unterkirche ungegliedert bleiben, wird die Oberkirche durch Lisenen und Rundbogenfriese strukturiert. An der Apsis sind zusätzliche Blendarkaden sowie Halbsäulen eingefügt. Lilien- und 32 Zum Gebet für Gründer in Frauenklöstern vgl. Gisela Muschiol: Zeit und Raum – Liturgie und Ritus in mittelalterlichen Frauenkonventen, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Ausst. Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, hg. v. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn / Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, S. 41–51, hier S. 42. 33 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 99. 34 Urkundenbuch Niederrhein (wie Anm. 25), Nr. 444, S. 309 f.

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Abb. 34: BonnSchwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Rekonstruktion der Doppelkapelle (Weihe 1151).

Vierpassfenster in der Apsis, dem Chorquadrum und den Querhausstirnwänden beleuchten das Obergeschoss. Der Vierungsturm erhielt eine Gliederung durch Blendarkaden hinter kräftigen Lisenen, die unter der Trauflinie von einem Blendbogenfries abgefangen werden. Im Inneren der Unterkirche schließen die einjochigen Querarme halbrund ab. Die Querarme und das Chorjoch überspannt ein Kreuzgratgewölbe. In Ost- und Westwand der Querarme sind jeweils flache Muldennischen eingetieft. Auf diese Art war vermutlich auch die später abgebrochene Westkonche gestaltet. Im Zentrum des Kreuzgratgewölbes, das die ausgeschiedene Vierung überfängt, verbindet

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eine oktogonale Öffnung Ober- und Unterkirche miteinander. In der Oberkirche schließen die Querarme, entsprechend der Außenwände, rechteckig ab, im Osten befindet sich, wie in der Unterkirche, eine halbrunde Apsis. Das Chorjoch ist kreuzgratgewölbt. Die Vierung wird von einem achtteiligen Klostergewölbe überspannt. Ober- und Unterkirche sind durch eine Wendeltreppe in der nördlichen Wand der Westkonche verbunden. Im Westen der Oberkirche finden sich Spuren einer Empore. Anhand von Wandvorsprüngen lassen sich sowohl das Niveau des Emporenbodens als auch des Gewölbes ablesen. Sogar die zugemauerte Türöffnung ist zu erkennen. Im ehemaligen Westjoch der Oberkirche lässt sich demnach eine etwa 3,20 m hohe und etwa zwei Drittel des Jochs einnehmende Empore rekonstruieren.35 Sie war durch eine Wandtreppe im Norden zu erschließen, die ursprünglich wohl von der Zwerggalerie aus zugänglich war und damit eine Verlängerung der Wendeltreppe darstellte, welche die Unter- mit der Oberkirche verbindet.36 An der Emporentür vorbei führte diese Treppe weiter in den Turm und in einen Dachraum oberhalb des Westarms über dem Gewölberücken (Abb. 35).37 Der querrechteckige Raum weist seitliche Halbkreisnischen auf, die sich in die Zwickel des Dachraums drängten. Hier wird eine Nutzung als Schatzkammer vermutet.38 Von dort führt die Mauertreppe weiter in die Glockenstube.

Zur Modifikation der Kirche für den Frauenkonvent

Nach dem Tod Arnolds und der Gründung des Klosters musste die Doppelkirche an die Anforderungen eines Nonnenklosters angepasst werden. In erster Linie galt es, einen abgegrenzten Klausurbereich für die Angehörigen des Klosters zu 35 Vgl. Friese 2006 (wie Anm. 3), S. 237. 36 Die Empore fasst Verbeek in Anlehnung an die Situation in Aachen als Herrscherempore auf. Dementsprechend ist diese auch in seiner Rekonstruktion des Zentralbaus eingezeichnet. Vgl. Verbeek 1953 (wie Anm. 4), S. XXV f. – Zur Diskussion der Herrschersitze auf Emporen vgl. Beat Brenk: Wer sitzt auf der Empore?, in: Sinopien und Stuck im Westwerk der karolingischen Klosterkirche von Corvey, hg. v. Joachim Poeschke, Münster 2002, S. 71–86 mit Verweis auf weitere Literatur. – Klaus Gereon Beuckers: Die Westbauten ottonischer Damenstifte und ihre liturgische Funktion. Eine Skizze, in: Kunst und Kultur in ottonischer Zeit. Forschungen zum Frühmittelalter, hg. v. Andreas Ranft / Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 3), Regensburg 2013, S. 73–118. 37 Vgl. Verbeek 1953 (wie Anm. 4), S. XVIII. 38 Vgl. Kunisch 1966 (wie Anm. 3), S. 91.

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Abb. 35: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Grundriss des Daches über dem westlichen Gewölbe.

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|  Esther-Luisa Schuster Abb. 36: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Grundriss der Unterkirche nach der westlichen Erweiterung.

schaffen. Die bestehende Empore im Westjoch bot offensichtlich nicht ausreichend Platz für den Konvent, sodass Hadwig eine doppelgeschossige Erweiterung um zwei Joche nach Westen erbauen ließ (Abb. 36 und 37). Darüber hinaus wurde der Vierungsturm um ein Geschoss erhöht.39 Damit wurde der Turm an die neuen Proportionen des Langhauses angepasst und es ist denkbar, dass die Erhöhung des Turms für den Aufbau eines Glockengeschosses mit Schallarkaden genutzt wurde. Erst als aus der Burgkapelle eine Klosterkirche geworden war, wurde eine Glocke nötig.40 Das oberste Geschoss des Turmes ist 39 Vgl. Friese 2006 (wie Anm. 3), S. 3. 40 Für diesen Hinweis sei Harald Wolter-von dem Knesebeck, Bonn, herzlich gedankt.

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Abb. 37: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Grundriss der Oberkirche nach der westlichen Erweiterung.

durch eine Mauertreppe erschlossen, eine bauzeitliche Nutzung als Glockengeschoss ist wahrscheinlich.41 Die den Außenbau gliedernde Zwerggalerie wurde nicht vollständig um den neu entstandenen Bauteil herumgeführt. Da die Erweiterung an der Nordseite auf bereits bestehende Bauten traf, verzichtete man auf dieser Seite auf eine Fortführung der Zwerggalerie. Im Süden wurde sie am Langhaus entlang verlängert und um den neuen Westabschluss herumgeführt. Sie endete in der Nordwestecke.

41 Vgl. Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der romanischen und vorromanischen Denkmäler, Bd. 2, Berlin 1976, S. 1008.

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Abb. 38: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Blick durch die Unterkirche nach Westen.

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Abb. 39: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, Lageplan der Klostergebäude.

Im Inneren der Unterkirche wurde die Kalotte der Westkonche mit einer Dreierarkade auf Säulen abgestützt und öffnet so den ursprünglichen Zentralbau in den zweijochigen Westteil der Kirche (Abb. 38). Im Obergeschoss vermittelt ein weiter Bogen zwischen dem ursprünglichen Teil und dem Anbau. In den neu errichteten Westjochen werden Wandpfeiler auf halber Höhe von Konsolen abgefangen.42 Mittig in der Westwand befindet sich eine Nische. Die Oberkirche hat zwei Zugänge. Der eine führt im Norden von der Zwerggalerie in den westlichen Arm und kann als ursprünglicher Zugang aus dem Burggebäude in die Kirche gelten. Eine weitere Tür befindet sich im Südwesten und führt ebenfalls auf die Zwerggalerie hinaus. Dort wird der Zugang aus dem Klausurbereich vermutet. Die Klostergebäude befanden sich im Süden der Kirche und sind teilweise ergraben worden (Abb. 39).43 42 Vgl. Friese 2006 (wie Anm. 3), S. 7. 43 Vgl. den Lageplan der Klostergebäude bei Paul Clemen: Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Bonn (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 5.3), Düsseldorf 1905, Taf. XXVIII.

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Eine bis heute an derselben Stelle überlieferte, überdachte Treppe etwa in der Mitte der Südwand des westlichen Anbaus kennzeichnet mutmaßlich den Ort, an dem die Sanktimonialen aus der Klausur in die Oberkirche gelangten. Sie knickt vor der Südwand nach Westen ab und führt im Südwesten in die Zwerggalerie, direkt auf Höhe der südwestlichen Tür. Die Klostergebäude wurden 1814 abgebrochen.44 Im Keller des Pfarrhauses, das 1862/63 errichtet wurde, sind noch Keller des Westflügels der Klosteranlage erhalten. Sie stammen aus dem 17. oder 18. Jahrhundert.45 In nordwestlicher Richtung erstreckten sich die Wohngebäude der ehemaligen Burg. 1902/04 wurde an dieser Stelle ein Anbau errichtet, der die frühere Verbindung der Oberkirche zum nebenstehenden Bau rekonstruiert. Dieser Anbau integriert auch den Standort des sog. Drususturms oder Hexenkellers, der bei der westlichen Erweiterung wohl bereits vorhanden war und eine leicht schräge Wandführung im zweiten Joch erzwang (Abb. 40). Dieser etwas schräg gesetzte Bau bestand aus zwei kreuzgratgewölbten quadratischen Geschossen. Der obere Raum wies eine Zwillingsöffnung nach Westen hin auf. Sein Gewölbescheitel war niedriger als der Boden der Oberkirche. Nach einer 1820 von Bernhard Hundeshagen angefertigten Zeichnung wird der Bau in das 12. Jahrhundert datiert.46 Über seine Nutzung lassen sich kaum noch Vermutungen anstellen. Möglich ist eine Funktion als Burgkapelle vor der Errichtung des Zentralbaus. Verbeek rekonstruiert eine Größe von etwa 12 m2 bei einer Gewölbehöhe von 4 m und konstatiert dies als ausreichend für eine Hauskapelle.47 Leider lassen sich für das hohe Mittelalter keine wesentlichen Quellen außer den bereits genannten Urkunden heranziehen, die Auskunft über das Leben im Kloster oder die Liturgie geben könnten. Im Truchsessischen Krieg (1583–1588) wurde das Kloster zunächst besetzt und am Ende des Jahres 1583 von den Truppen des Erzstifts zurückerobert. In diesem Zusammenhang verbrannte das gesamte Stiftsarchiv.48 Außer zwei Urkunden aus den Jahren der Klostergründung, einer Papsturkunde von 1228 und einem Lehensregister aus dem 14. Jahrhundert gibt es keine schriftlichen Quellen zum Kloster aus dem Hochmittelalter. Die Überlie– Zum Grabungsbericht vgl. Hans Lehner: Ein römischer Marmorkopf aus Schwarzrheindorf, in: Bonner Jahrbücher 118 (1909), S. 121–138. 44 Vgl. Clemen 1905 (wie Anm. 43), S. 644. 45 Vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 41), S. 1009. 46 Vgl. Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 41), S. 1008 f. 47 Verbeek 1953 (wie Anm. 4), S. XXII. 48 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 53 mit Bezug auf die Aussagen in den Stiftstatuten von 1589.

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Abb. 40: Bonn-Schwarzrheindorf, St. Maria und St. Clemens, sog. Drususturm im Nordwesten (Zustand um 1820 nach Bernhard Hundeshagen).

ferung setzt erst mit den Stiftsstatuten von 1589 wieder ein.49 Bis 1605 hatten die Gebäude als Folge der Eroberungen und Besetzungen im 16.  Jahrhundert keine Dächer.50 Im Verlauf des 17.  Jahrhunderts kam es zu weiteren Beschädigungen aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen. Die darauffolgende Baukampagne diente der Wiederherstellung der Kirche unter Kurfürst Clemens August I. (amt. 1723–1761), der 1747–1752 die Dächer erneuern und den gesamten Innenraum weiß tünchen ließ.51 Hierbei wurden auch die Wandmalereien in der Ober- und Unterkirche überdeckt. Die überdachte Treppe an der Südseite des Langhauses, die dem Zugang aus dem Klausurbereich in die Kirche diente, wurde in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erneuert, um 49 Vgl. Clemen 1905 (wie Anm. 43), S. 638. 50 Vgl. Clemen 1905 (wie Anm. 43), S. 644. 51 Vgl. Clemen 1905 (wie Anm. 43), S. 644.

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die Oberkirche als Pfarrkirche nutzen zu können. Die Weihe der Oberkirche als Pfarrkirche erfolgte im Herbst 1832.52 Die Farbfassung der Kirchenfassade ist eine freie Neuschöpfung und stammt aus den 1970er Jahren. Im Ganzen ist die Doppelkirche von Schwarzrheindorf also durchaus in ihrer Gestalt des Mittelalters auf uns gekommen – der einzige gravierende Eingriff war die Umgestaltung unter Hadwig für den Einzug des Frauenkonventes. Auch in Essen zeichnete sich Hadwig wohl für einige Umbau- und Ausstattungsmaßnahmen verantwortlich.53 In ihre Essener Amtszeit (ca. 1154–1170/72) fällt beispielsweise der Anbau am Südquerarm der Münsterkirche, der als Schatzkammer genutzt wurde. Die Einwölbung der Ostteile der Kirche und ihre Ausmalung werden ebenfalls ihrer Initiative zugeschrieben. Stilistisch scheinen sich die Bauformen an der maasländischen Bauskulptur orientiert zu haben – genauso wie die Kapitelle der Schwarzrheindorfer Zwerggalerie.54 Darüber hinaus sorgte Hadwig in Essen für den Einbau einer Empore im Nordquerarm, die fortan den Platz für das Chorgestühl der Nonnen bot.55 Hadwig erscheint als tatkräftige Äbtissin, die in den Kirchen, denen sie vorstand, die liturgisch genutzten Bereiche modernisieren ließ.

Zur Funktion und Ausstattung der Klosterkirche

Als zweigeschossige Burgkapelle am Sitz der Familie von Wied bedient die Kirche zunächst einen traditionellen Bautypus,56 der sich auch in anderen Bauten des 12. Jahrhunderts nachvollziehen lässt. Als prominente Beispiele für Doppelkapellen können hier St. Emmeram und Katharina in Speyer (um 1080), St. Godehard in Mainz (um 1137), St. Ulrich in Goslar (Mitte bis zweites Drittel 12. Jahrhundert) und die Burgkapelle in Sayn (nach 1152) genannt werden. Ulrich Stevens 52 Vgl. Clemen 1905 (wie Anm. 43), S. 645. 53 Vgl. zur Essener Baugeschichte Walther Zimmermann: Das Münster zu Essen (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 3), Düsseldorf 1956. 54 Vgl. Zimmermann (wie Anm. 53), S. 270 f. 55 Vgl. Clemens Kosch: Die romanischen Kirchen von Essen und Werden. Architektur und Liturgie im Hochmittelalter (Große Kunstführer, Bd. 253), Regensburg 2010, S. 20. – Vgl. zur Empore in Essen auch den Beitrag von Adam Stead in diesem Band. 56 Vgl. Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas, Bd. 4: Architekturgeschichte und Kunstlandschaft, Berlin 1989, S. 331. – Vgl. auch Ulrich Stevens: Burgkapellen. Andacht, Repräsentation und Wehrhaftigkeit im Mittelalter, Darmstadt 2003 und Friese 2006 (wie Anm. 3) mit weiterführender Literatur zu den im Folgenden genannten Kapellen.

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konstatiert für diese Bauform eine rein repräsentative Bedeutung.57 Indes sind die Doppelkapellen des 12.  Jahrhunderts keineswegs ausschließlich im Bereich der Burgkapellen zu finden. Während die Doppelkapellen in Speyer und Mainz der gängigsten Form der Doppelkapelle, der quadratischen Vierstützenkapelle,58 angehören, weisen sowohl die Pfalzkapelle in Goslar als auch die Kapelle in Sayn einen kreuzförmigen Grundriss wie in Schwarzrheindorf auf. Die Speyerer Doppelkapelle erhebt sich im Winkel zwischen Südquerhaus und Seitenschiff des Doms und ist damit in einiger Entfernung der bischöflichen Pfalz errichtet. Hier ist im Untergeschoss eine Nutzung als Kapitelsaal möglich.59 Auch die Mainzer Godehard-Kapelle ist unmittelbar am Querhaus des Doms errichtet worden. Sie diente der Grablege des Mainzer Erzbischofs Adalbert  I. von Saarbrücken (amt. 1111–1137).60 Am Südende der Goslarer Kaiserpfalz liegt die Doppelkapelle St. Ulrich, deren kreuzförmiges Untergeschoss in ein Oktogon im Obergeschoss übergeht. Ebenso wie in Goslar scheint die Kapelle in Schwarzrheindorf unmittelbar neben einem palasähnlichen Gebäudeteil der Burg gelegen zu haben. Auch die Burgkapelle in Sayn, die lediglich ergraben wurde, lag im Burgbereich direkt an der Ringmauer.61 Ihr Grundriss mit einem tetrakonchosartigen Chorbereich und rechteckig geschlossenen Querarmen, deren Seitenwände durch Muldennischen erweitert wurden, erinnert stark an den Grundriss des Schwarzrheindorfer Zentralbaus. Bei Stevens Datierung in die Zeit um 1200 aufgrund eines Konkurrenzverhältnisses der Grafen von Sayn62 und der Familie von Wied muss allerdings bedacht werden, dass die Doppelkirche in Schwarzrheindorf zu dieser Zeit längst in ein Frauenkloster umgewandelt und um die beiden Westjoche erweitert worden war.63 Der Bautyp der Doppelkapelle war zur Zeit der Errichtung der Kirche durch Arnold demnach klar repräsentativ belegt. Die Doppelgeschossigkeit, die zunächst der Trennung von Herrschaft und Bediensteten diente, bot Hadwig opti57 Stevens 2003 (wie Anm. 56), S. 124. 58 Vgl. Stevens 2003 (wie Anm. 56), S. 73. 59 Vgl. Hans Erich Kubach / Walter Haas: Der Dom zu Speyer, Bd. 1 (Die Kunstdenkmäler von Rheinland-Pfalz, Bd. 5.1), München 1972, S. 433 f. 60 Vgl. Stevens 2003 (wie Anm. 56), S. 78. 61 Vgl. Axel von Berg / Hans-H. Wegner: Die archäologischen Untersuchungen auf der Burg Sayn bei Bendorf, Kr. Mayen-Koblenz, in: Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel 2 (1990) (Trierer Zeitschrift, Beiheft 12), S. 169–205. 62 Zur Familie von Sayn vgl. Joachim J. Halbekann: Die älteren Grafen von Sayn. Personen-, Verfassungs- und Besitzgeschichte eines rheinischen Grafengeschlechts 1139–1246/47 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 61), Wiesbaden 1997. 63 Vgl. Stevens 2003 (wie Anm. 56), S. 102.

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male ­Voraussetzungen für die Umwandlung in eine Frauenklosterkirche mit ihren spezifischen Anforderungen, die Sanktimonialen von den männlichen Geistlichen und einer Pfarrgemeinde zu separieren. Die Nutzung der ehemaligen Burgkapelle als Frauenklosterkirche bedingt die besondere Form. Dem Zentralbau wurde ein Annex vorgesetzt, um genügend Platz für den Frauenkonvent zu schaffen. Von außen nicht sofort als eigenständiger Baukörper augenfällig, wurde der Anbaucharakter im Inneren der Unterkirche umso stärker betont: Die bereits bemalte Kalotte der Westkonche wurde durch eine Dreierarkade abgestützt, sodass der ursprüngliche, zentrierte Eindruck der Unterkirche erhalten blieb. Arnolds Konzeption mit dem komplexen Wandmalereiprogramm wurde somit im Untergeschoss bewahrt. Darüber hinaus wurde nach dem Tod Arnolds die Widmungsinschrift angebracht, die alle Würdenträger auflistete, die bei der Weihe der Kirche dabei gewesen waren. Durch die Bestattung des Gründers in der Unterkirche ist diese zur Grabkirche geworden und stellt damit auch einen Ort für die externe Memoria des Erzbischofs dar. Hier betont Hadwigs Umbau die vom Gründer ersonnene Anlage, indem der schlichte Westanbau im Untergeschoss Annexcharakter behält. Die Unterkirche hatte zudem frühestens ab 1176 Pfarrfunktion. So durfte an Ostern und an Pfingsten getauft werden.64 Ein Eingang im Norden ermöglichte die Zugänglichkeit in den Raum von der Seite der Burganlage aus. Die Memoria des Burgherrn und Kirchengründers lag also nicht nur in den Händen der Sanktimonialen. Die Laien konnten ebenfalls für das Seelenheil Arnolds beten. Auch wenn Hadwig im Außenbau den Bautyp der Doppelkapelle aufgeben musste – im Innern der Kirche blieb der ursprüngliche Eindruck bestehen. Das Programm der Gewölbemalereien im Untergeschoss macht in diesem Zusammenhang einmal mehr deutlich, dass es nicht für eine Pfarrkirche geschaffen wurde und damit vor der Umwandlung in eine Klosterkirche mit Pfarrfunktionen fertig gestellt worden sein muss. Beginnend mit dem Chorjoch im Osten verbildlicht die Malerei im Gewölbe die Vision vom Neuen Jerusalem bei Ezechiel. Das Neue Jerusalem wird im zentralen Joch dargestellt, das gleichzeitig die achteckige Öffnung zur Oberkirche aufnimmt. In den Apsiden werden christologische Szenen den alttestamentlichen Darstellungen zugeordnet. Die Nischen in den Querarmen zeigen Darstellungen der vier Weltreiche, im Chorraum sind zudem die Apostelfürsten verbildlicht. Über der Tür zur Wendeltreppe, die in die Oberkirche führt, 64 Vgl. Urkundenbuch Niederrhein (wie Anm. 25), Nr. 460, S. 323.

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ist eine Halbfigur des Erzengels Michael in ein Medaillon eingefügt. Seit der Veröffentlichung zu den Wandmalereien durch Wilhelm Neuss galt das Programm als Verbildlichung des Ezechielkommentars von Arnolds möglichem Lehrer Rupert von Deutz (amt. 1120–1129).65 Fast 100 Jahre später konnte Peter Kern Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen der These aufzeigen und eine neue, nachvollziehbare Deutung des Bildprogramms als Exemplum für eine Bildtheologie des vierfachen Schriftsinns erarbeiten, deren genauere Wiedergabe hier zu weit führen würde.66 Es wird indes deutlich, dass das Bildprogramm komplexen bildtheologisch-exegetischen Überlegungen folgt, die über eine schlichte Unterweisung von Laien weit hinausgeht. Nichtsdestotrotz werden diese, bei der Umwandlung der Kirche erst etwa 20 Jahre bestehenden Wandmalereien als Teil des Gründungskonzepts beibehalten. Der Annexbau hat keine Ausmalung erhalten – auch hier wird die Trennung von Gründungsbau und Erweiterung deutlich. Ganz anders stellt sich dies in der nun als Nonnenchor genutzten Oberkirche dar: Sie wirkt wie ein organischer Gesamtraum. Heute ist dieser Eindruck durch die Orgel, die am Übergang in den westlichen Anbau aufgestellt wurde, leider gestört. Was die täglichen Abläufe des klösterlichen Gottesdienstes angeht,67 liefert der Bau einige wenige Anhaltspunkte: Im Obergeschoss der Kirche weisen die auf halber Wandhöhe abgefangenen Dienste darauf hin, dass hier möglicherweise das Gestühl der Nonnen gestanden haben könnte. Eine Nische ganz im Westen bot vermutlich Platz für den Sitz der Äbtissin, ähnlich wie es in St.  Ursula in Köln der Fall war.68 Zur Zeit der Gründung des Konventes ist von einer mit zwölf bis 14 Nonnen69 recht kleinen klösterlichen Gemeinschaft auszugehen, die nach den Regeln des heiligen Benedikts lebte. Die Umwandlung in ein adeliges Frauenstift erfolgte erst im 14. oder 15. Jahrhundert.70 Der zentrale Schacht blieb geöffnet und vermittelte sowohl optisch als auch akustisch zwischen den beiden Geschossen. Es darf angenommen werden, dass

65 Neuss 1912 (wie Anm. 11). 66 Kern 2003 (wie Anm. 4). – Das Bildprogramm der Doppelkirche wird in einem Forschungsprojekt von Hanna Christine Jacobs, das seit August 2018 am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn durchgeführt wird, eine zentrale Rolle spielen. 67 Vgl. hierzu einführend z. B. Muschiol 2005 (wie Anm. 32). 68 Vgl. Verbeek 1953 (wie Anm. 4), S. XXV. 69 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 76 f. 70 Zur Frage, ob es sich bei der Gemeinschaft in Schwarzrheindorf um ein Kloster oder ein Stift handelte, vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 37–58.

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sich der Hauptaltar der Kirche weiterhin in der Unterkirche befand. In den Statuten des 16. Jahrhunderts gibt es keine Information über die Lage des Altars.71 Die Kirche ist demnach ein zweigeschossiger Hybrid mit den primären Funktionen Grabkirche unten und Frauenkonventskirche oben, wobei diese Funktionen stets durch den Verbindungsschacht miteinander verwoben bleiben. Darüber hinaus erinnert die Kirche auch nach dem Umbau an die vom Gründer intendierte Gestalt als repräsentative Burgkapelle auf dem Familiengut. Die Burg blieb lange erhalten und diente u. a. als Wohngebäude für die Äbtissin. Die adelige Herkunft der Gründergestalt wurde somit besonders betont. Dies hatte Auswirkungen bis in die Frühe Neuzeit. In den Statuten von 1589 muss das Mädchen seine adelige Herkunft „durch je vier der väterlichen und der mütterlichen Seite“ nachweisen.72 Im 17. Jahrhundert war die Aufnahme in das Stift an eine Ahnenprobe über 16 Generationen geknüpft.73 Das adelige Selbstverständnis, das sich aus der Burg ergibt, scheint die Gemeinschaft bis in die Neuzeit hinein geprägt zu haben.74 Die Tradition des Ortes, d. h. die Verbindung zur adeligen Familie von Wied, lässt sich in der Wandmalerei in der Oberkirche nachvollziehen. Dort ist im Gegensatz zur Unterkirche nur der Chorraum ausgemalt. In der Apsiskalotte ist eine Maiestas Domini zu sehen, flankiert von Darstellungen der Patrone der Altäre in der Unterkirche: Stephanus, Laurentius, Johannes der Täufer und Petrus. Darunter finden sich die bereits erwähnten Stifterbilder in Proskynese: Arnold und Hadwig, das Gründer-Geschwisterpaar. Im Bildstreifen darunter stehen zur Rechten und Linken des Vierpassfensters die Essener Patrone Cosmas und Damian, Eustachius, zwei Kriegerheilige, möglicherweise Gereon und Viktor, Mauritius, die Bonner Patrone Cassius, Florentius und Mallusius sowie Hippolytus, der Patron des Frauenstifts in Gerresheim. In der Ausmalung der Chorapsis werden somit die Patrone des Klosters genannt und damit die Aufforderung deutlich gemacht, Arnold und Hadwig in die Gebete mit einzuschließen. Die Darstellung des Mallusius diente Kubach und Verbeek zur Festlegung eines terminus post quem für die Malereien der Oberkirche: Da Mallusius erst nach der Erhebung 1166 durch den Kölner Erzbischof Rainald von Dassel (amt. 1159–1167) als Patron des Bonner 71 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 105. 72 Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 79. 73 Vgl. Frizen 1983 (wie Anm. 5), S. 83. 74 Zur Geschichte des Klosters in der Neuzeit vgl. Peter Bier: Das Stift Schwarz-Rheindorf in der Zeit vom 16. Jahrhundert bis zu seiner Aufhebung, in: Bonner Geschichtsblätter 5 (1951), S. 77–110.

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Stiftes auftaucht, könnten die Wandmalereien der Oberkirche nicht vorher ausgeführt worden sein.75 Hier sind mit Sicherheit noch tiefergehende Forschungen erforderlich, um das Verhältnis der Malereien in der Oberkirche zu jenen in der Unterkirche zu klären.

Schluss

Zurückführend auf die eingangs formulierten Fragen nach einer Sonderstellung der Doppelkirche kann abschließend festgehalten werden, dass St.  Maria und St. Clemens in Schwarzrheindorf deshalb einen Sonderfall darstellt, weil die ­Klostergründerin Hadwig eine von ihr selbst bereits im Bauprozess begleitete und kurz zuvor fertig gestellte Kirche vorfand, die sie für den Konvent anpassen ließ. Als Burgkapelle und Grabkirche ihres Bruders besaß der Bau bereits wichtige Funktionen, die durch die Umwandlung in eine Klosterkirche nicht vernachlässigt werden sollten. Die von Hadwig in Auftrag gegebene, zweigeschossige Erweiterung ließ die Memoria des Erzbischofs in der Unterkirche zu, ohne dass die Liturgie der Nonnen beeinflusst wurde. Die Verbindungsöffnung zwischen Ober- und Unterkirche eignete sich hervorragend, um eine Teilnahme der Nonnen an den Gottesdiensten, die am Altar in der Unterkirche zelebriert wurden, zu gewährleisten. Die Wandtreppe ermöglichte zudem einen Zugang des Zelebranten für die Ausgabe der Kommunion. Im Hinblick auf die architektonische Umsetzung der, angesichts der Größe des Konventes, großzügig bemessenen, westlichen Erweiterung erweist sich diese als eine fast modern denkmalpflegerisch gedachte Anpassung an die neuen Anforderungen des Baus. Dabei werden der Ursprungsbau und seine vorhandenen Funktionen sowie die Gründungsintentionen und die Bedeutung der Kapelle für die Repräsentation der Familie respektiert und in effizienter Weise in die Frauenkonventskirche eingebunden.

75 Kubach/Verbeek 1976 (wie Anm. 41), S. 1009.

Bildnachweise

Abb. 1: Heiko von Ditfurth, Kiel nach Achter 1968 (wie Anm. 43 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 137, Abb. 138. Abb. 2: Heiko von Ditfurth, Kiel nach Behrens 2013 (wie Anm. 56 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 19, Abb. 8. Abb. 3: Aus: Heyen 2005 (wie Anm. 76 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 18, Abb. 4. Abb. 4: Aus: Maier 1995 (wie Anm. 82 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 54, Abb. 9. Abb. 5: Heiko von Ditfurth, Kiel nach Vorlagen von Elisabeth Bömken, Lichtenau-Dalheim. Abb. 6: Aus: Kosch 2017 (wie Anm. 60 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 68, Abb. 3A. Abb. 7: Aus: Zimmermann 1956 (wie Anm. 106 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 209, Abb. 225. Abb. 8: Aus: Vorromanische Kirchenbauten 1966/71 (wie Anm. 36 im Beitrag J. von Ditfurth), Bd. 1, S. 89. Abb. 9: Aus: Weiss 2005 (wie Anm. 115 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 109, Abb. 11. Abb. 10: Aus: Lobbedey 1979 (wie Anm. 116 im Beitrag J. von Ditfurth), S. 76, Abb. 3. Abb. 11: Aus: Lobbedey 1999 (wie Anm. 5 im Beitrag Stead), S. 462. Abb. 12: © János Stekovics/Dößel. Abb. 13: Aus: Karl Steinacker (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Gandersheim (Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, Bd. 5), Wolfenbüttel 1910 (ND Osnabrück 1978), S. 92, Abb. 52. Abb. 14: Kunsthistorisches Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Foto: Kathrin Ulrich, Kiel). Abb. 15: Aus: Lobbedey 2000 (wie Anm. 55 im Beitrag Stead), S. 34. Abb. 16: Aus: Zimmermann 1956 (wie Anm. 67 im Beitrag Stead), S. 237, Abb. 246. Abb. 17: Aus: Mühlberg 1970 (wie Anm. 84 im Beitrag Stead), S. 41 und 57. Abb. 18: Heiko von Ditfurth, Kiel nach Rückert 2008 (wie Anm. 52 im Beitrag Rückert), S. 53. Abb. 19: Maria Magdalena Rückert, Ludwigsburg. Abb. 20: Landesmedienzentrum Baden-Württemberg.

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Abb. 21: Claudia Mohn, Esslingen. Abb. 22: Maria Magdalena Rückert, Ludwigsburg. Abb. 23: Maria Magdalena Rückert, Ludwigsburg. Abb. 24: Fürstlich von Leinigensches Archiv Amorbach, Sig. 7/39/6. Abb. 25: Aus: Schütte 2009 (wie Anm. 6 im Beitrag Beuckers), S. 28, Abb. 33–35. Abb. 26: Ulrich Knapp, Leonberg. Abb. 27: Aus: Kosch 2005 (wie Anm. 30 im Beitrag Beuckers), S. 66 und 67. Abb. 28: Heiko von Ditfurth, Kiel (auf der Grundlage des Grundrisses von Hugo Rahtgens 1913). Abb. 29: Aus: Schatz aus den Trümmern. Der Silberschrein von Nivelles und die europäische Hochgotik, Ausst. Kat. Schnütgen-Museum Köln / Musée National du Moyen Âge-Thermes de Cluny Paris, hg. v. Hiltrud Westermann-Angerhausen, Köln 1996, S. 75, Abb. 5. Abb. 30: Aus: Hans Reinhardt: Der St. Galler Klosterplan (Neujahrsblatt, Bd. 92), St. Gallen 1952, Vorsatzblatt. Abb. 31: Aus: Roth-Rubi 2015 (wie Anm. 80 im Beitrag Beuckers), Bd. 1, S. 167, Abb. 4.44. Abb. 32: Aus: Back 2011 (wie Anm. 81 im Beitrag Beuckers), S. 46. Abb. 33: © Detlef Huhn (Lizenz: CC BY-SA 4.0). Abb. 34, 36, 37, 40: Aus: Verbeek 1953 (wie Anm. 4 im Beitrag Schuster), S. LXV– LXVI und LXXVI–LXXVII. Abb. 35, 39: Aus: Clemen 1905 (wie Anm. 43 im Beitrag Schuster), S. 651 und Taf. XXVIII. Abb. 38: Aus: Hansmann/Hohmann 2002 (wie Anm. 2 im Beitrag Schuster), S. 13.

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