Arbeitsrecht: Systematische Darstellung [Reprint 2018 ed.] 9783486785166, 9783486226782

Didaktisch vorzügliche Darstellung des Arbeitsrechts für alle, also auch für Nichtjuristen.

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Arbeitsrecht: Systematische Darstellung [Reprint 2018 ed.]
 9783486785166, 9783486226782

Table of contents :
Vorwort zur 3. Auflage
Vorwort zur 1. Auflage
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht
Inhaltsverzeichnis zum ersten Teil
I. Einleitung
II. Kollektives Arbeitsrecht
Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht
Inhaltsverzeichnis zum zweiten Teil
I. Einleitung
II. Das Arbeitsverhältnis
III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren
Inhaltsverzeichnis zum dritten Teil
I. Einleitung
II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren
Literatur- und Quellenhinweise
Stichwortverzeichnis

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Arbeitsrecht Systematische Darstellung

Von

Dr. Wolfram H. Eberbach und

Dipl.-Kfm. Hans-Christian Brauweiler

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Barbara und m e i n e n Eltern W.H.E.

Meiner M u t t e r , meinem Vater in m e m o r i a m H . C . B.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eberbach, Wolfram H.: Arbeitsrecht : systematische Darstellung / von Wolfram H. E b e r b a c h u n d Hans-Christian Brauweiler. - 3., vollst. Überarb. und erw. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 1993 ISBN 3 - 4 8 6 - 2 2 6 7 8 - 9 N E : Brauweiler, Hans-Christian: (Bis z u r 2. Aufl. u.d.T.: Eberbach, Arbeitsrecht)

© 1 9 9 3 R. Oldenbourg Verlag G m b H , München Das Werk außerhalb lässig und filmungen

einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzustrafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

D r u c k : Grafik und Druck, München Bindearbeiten: R . Oldenbourg Graphische Betriebe G m b H , München ISBN 3 - 4 8 6 - 2 2 6 7 8 - 9

Vorwort zur 3. Auflage Die Zeitspanne, die seit der zweiten Auflage verstrichen ist, machte eine vollkommene Aktualisierung und Überarbeitung in Bezug auf die umfangreichen zwischenzeitlichen Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen notwendig. G e r a d e das Arbeitsrecht gehört zu den Teilgebieten des deutschen Rechtes, die einer stetigen Fortentwicklung durch Legislative und Judikative unterliegen, wobei es bisweilen auch zu Richtungsänderungen gerade der judikativen Gewalt k o m m t . Als wichtigste Änderungen soll an dieser Stelle nur der Erlaß des Sprecherausschuß-Gesetzes und die Rechtsprechungsänderung bezüglich gefahrgeneigter Arbeit und Fragen nach der Schwangerschaft einer Bewerberin erwähnt werden. Weiterhin zeichnet sich im Zusammenhang mit der zum 3. O k t o b e r 1990 vollzogenen Vereinigung der beiden deutschen Staatsgebiete eine Vereinheitlichung des Rechtes durch die Überleitung des bundesdeutschen Arbeitsrechts in das Gebiet der ehemaligen D D R ab, die sich aber durch verschiedene Übergangsbestimmungen über einen längeren Zeitraum erstreckt. Wünschenswert wäre hier, wenn der Gesetzgeber sich durchringen k ö n n t e , das verschiedentlich angefangene W e r k eines einheitlichen „Arbeitsrechtsbuches" endlich durchzusetzen, um die Zersplitterung des Arbeitsrechtes in einige Dutzend Einzelgesetze abzuschaffen. Die Intention des Buches, sich sowohl an Juristen als auch an Nicht-Juristen, an Praktiker, L e h r e n d e und L e r n e n d e zu wenden, wird an dieser Stelle nochmals betont, wobei die grundlegende Darstellung sich zum einen f ü r alle eignet, die sich erstmalig in den Bereich des Arbeitsrechtes einarbeiten, zum anderen auch diejenigen ansprechen soll, die sich auf diesem Rechtsgebiet „up-to-date" halten möchten. Die G r u n d f o r m der Darstellung wurde wegen ihres didaktischen Wertes unverändert gelassen, wobei auch die graphischen Veranschaulichungen in der Regel unverändert beibehalten wurden. Unser Dank gilt besonders H e r r n Dipl.-Vw. Martin Weigert vom Oldenbourg-Verlag, der die Neuauflage erst ermöglicht hat. Rheinbach/Paderborn/Zittau Hans-Christian

Brauweiler

Erfurt Wolfram H.

Eberbach

Vorwort zur 1. Auflage Ziel dieses Buches ist, in verständlicher Weise die Grundlagen des Arbeitsrechts zu erklären. Es wendet sich in erster Linie an „Nicht-Juristen", die sich im Rahmen ihrer Aus- oder Fortbildung mit diesem Rechtsgebiet zu beschäftigen haben - also an Studenten der Wirtschaftswissenschaften und Fachhochschulen, sowie an Teilnehmer von Volkshochschulkursen und anderer weiterbildender Einrichtungen (wie IHK, VWA o. ä.). Für sie wurden all jene Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches in die Darstellung einbezogen, die zu kennen im Arbeitsrecht unerläßlich ist. Besonderen Wert habe ich darauf gelegt, „lesbar" zu schreiben — d. h., soweit einem Juristen möglich, „Amtsdeutsch" zu vermeiden. (Wegen der unumgänglichen Fachausdrücke, ist dies jedoch nicht immer im wünschenswerten Maß zu verwirklichen.) Außerdem habe ich den Text abschnittsweise - und wo immer es sich anbot - auf wenige Stichworte „verkürzt", die in Grafiken und Übersichten zusammengefaßt sind. Damit sollen dem Leser der wesentliche Inhalt noch einmal vor Augen gehalten und außerdem Zusammenhänge „optisch klargestellt" werden. (Nebeneffekt davon ist, daß der Lernende fast „automatisch" den Inhalt wiederholt und vertieft.) Da die „Optik" in der juristischen Studienliteratur weitgehend vernachlässigt wird, habe ich hier vielfach „Neuland" betreten - es wäre daher vermessen, die grafischen Darstellungen als vollkommen anzusehen. Für jede Art von Verbesserungsvorschlägen bin ich deshalb dankbar - denn solche Versuche bedürfen der „kritischen Räsonanz". Die an den Anfang eines jeden Abschnitts gesetzten Literatur- und Quellennachweise — ebenso die in den Fußnoten zitierte Rechtsprechung - sind für die in zweiter Linie angesprochenen Studenten der Rechtswissenschaft bestimmt. (Sie beziehen sich meist auf leicht zugängliche Studienbücher bzw. verweisen auf wesentliche Gerichtsentscheidungen.) Denn da jedes Lernen leichter fällt, wenn man sich zunächst über die das Stoffgebiet prägenden Grundgedanken informiert, glaube ich, daß auch sie das vorliegende Buch als „ersten Einstieg" oder als „kurze Wiederholung" verwenden können. Wolfram H.

Eberbach

Inhaltsübersicht: Seite 5 9

Vorwort Abkürzungsverzeichnis

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht Inhaltsverzeichnis

15

I. Einleitung Das Recht als Gestaltungsmittel des Z u s a m m e n l e b e n s - D a s Rechtssystem - Historische Entwicklung des Arbeitsrechts - Das Arbeitsrecht als Sonderrecht - Grundgesetz und Arbeitsrecht - Quellen des Arbeitsrechts Begriffsbestimmungen II. Das kollektive Arbeitsrecht A. Koalitionen Koalitionsbegriff - Koalitionsfreiheit - Voraussetzungen der Koalition B. Tarifvertragsrecht Die Teile des Tarifvertrags - Voraussetzungen eines Anspruchs aus Tarifvertrag - Grenzen der Tarif autonomie C. Arbeitskampf D e r A r b e i t s k a m p f - Voraussetzungen des rechtmäßigen Arbeitskampfes - Folgen des rechtmäßigen Arbeitskampfes - Folgen des rechtswidrigen Arbeitskampfes D. Betriebliche Mitbestimmung Grundgedanken der Mitbestimmung - Regelungsbereich des BetrVG Wege der kollektiven Mitbestimmung - Wahl des Betriebsrats Grundsätze der Zusammenarbeit BR X A G - Lösungswege für Streitigkeiten B R X A G - Mitwirkungsrechte des BR - Mitwirkungsrechte des einzelnen AN - Bereiche der kollektiven Mitwirkung - Betriebsvereinbarungen - Gewerkschaften im Betrieb - Die Vertretung der leitenden Angestellten E. Mitbestimmung im Unternehmen Begriffsbestimmungen - Grundprobleme der Unternehmensmitbestimmung-Gesetzliche Mitbestimmungsregelungen

21

34 34 38

45

55

72

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht Inhaltsverzeichnis I.Einleitung Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen - Grenzen der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht

81 89

8

Inhaltsübersicht

II. Das Arbeitsverhältnis A. Der Arbeitsvertrag Abschluß des Arbeitsvertrags nach B G B - Die Geschäftsfähigkeit Strukturmerkmale des Arbeitsvertrags - Das Ausbildungsverhältnis Der anfechtbare Arbeitsvertrag - Leistungsaustausch beim nichtigen Arbeitsvertrag B. Stellung des A N und A G im Arbeitsverhältnis Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers - Die Hauptpflicht des Arbeitgebers - Lohnansprüche ohne unmittelbare Arbeitsleistung - Beeinträchtigung des Lohnanspruchs - Beschäftigungsrecht und Beschäftigungspflicht C. Nebenrechte und Nebenpflichten der Vertragsparteien Die Treuepflicht des Arbeitnehmers - Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers D. Haftung und Leistungsstörungen im Arbeitsrecht Haftung wegen „unerlaubter Handlungen" - Gefahrgeneigte Arbeit Umfang und Inhalt der Haftung - Haftungsverlagerung bei Personenschäden gern. § 636 R V O - Vertragshaftung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber- Betriebsbußen III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Beendigungsgründe außerhalb der Kündigung - Ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber-Fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber

94 94

108

125

130

147

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren Inhaltsverzeichnis I. Einleitung Die deutsche Gerichtsbarkeit - die Organisation der Arbeitsgerichtsbarkeit II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren A. Vorfragen Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte - Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze - Parteien und Parteivertreter B. Der Instanzenweg Das Verfahren in der 1. I n s t a n z - D a s Verfahren in der2. I n s t a n z - D a s Verfahren in der 3. Instanz Literatur-und Quellenverzeichnis Stichwortverzeichnis

171 173

177 177

185

191 195

Abkürzungsverzeichnis Absatz Aktiengesellschaft Alternative Amtsgericht Anmerkung Arbeitgeber Arbeitnehmer Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsrecht Arbeitsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Arbeitsverhältnis Arbeitsvertrag Arbeitszeitordnung Arbeit und Recht (Zeitschrift) Artikel Aufsichtsrat außerordentliche Kündigung Berufsbildungsgesetz Betriebsrat Betriebsvereinbarung Betriebsverfassungsgesetz beziehungsweise Bürgerliches Gesetzbuch Bundesarbeitsgericht Bundesfinanzhof Bundesgerichtshof Bundessozialgericht Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht das heißt Der Betrieb (Zeitschrift) Einleitung entsprechend et alteri Finanzgericht folgende gemäß Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gewerbeordnung Grundgesetz Handelsgesetzbuch

Abs. Akt.Ges. Alt. AmtsG Anm. AG AN ArbG ArbGG ArbPlSchG AR AP AVerh. AV AZO AuR Art. AufsR aoK BBiG BR BV BetrVG bzw. BGB BAG Β FH BGH BSG BUrlG BVfG BVwG d.h. DB Einl. entspr. et al. FG f. gem. GmbH GewO GG HGB

10

Abkürzungsverzeichnis

herrschende Meinung Herausgeber im einzelnen im engeren Sinne im Sinne (des/von) im weiteren Sinne in der Regel in Höhe von insbesondere in Verbindung mit Jugendarbeitsschutzgesetz Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Landessozialgericht Landgericht laut Lohnfortzahlungsgesetz Mitbestimmungsgesetz mit weiteren Nachweisen Montan-Mitbestimmungsgesetz Mutterschutzgesetz Neue Juristische Wochenschrift Nummer oben Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht oder ähnlich ordentliche Kündigung Paragraph Paragraphen Randnummer Reichsversicherungsordnung Schwerbehindertengesetz siehe oben siehe unten sogenannte Sozialgericht Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz Textziffer und ähnlich und so weiter unseres Erachtens unten unter anderem unter Umständen

h.M. Hrsg. i.e. i.e.S. i.S.(d./v.) i.w.S. i.d.R. i.H.v. insbes. i.V.m. JArbSchG KG KGaA KSchG LAG LSG LG lt. LFG MitbestG m.w.N. Montan-MitbestG MuSchG NJW Nr. o. OLG OVwG o.ä. oK §

§§

RdNr. RVO SchbG s.o. s.u. sog. SG TV TVG Tz. u.ä. usw. u.E. u. u.a. u.U.

11

Abkürzungsverzeichnis vergleiche vergleiche auch vergleiche dort vergleiche oben vergleiche unten Verordnung Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Willenserklärung Zivilprozeßordnung zum Beispiel zum Teil

vgl. vgl.a. vgl.d. vgl· o. vgl.u. VO VersR VwG WE ZPO z.B. z.T.

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

Inhaltsverzeichnis zum ersten Teil I. Einleitung 1. Kapitel: 1.1. 1.2. 1.3.

Das Recht als Gestaltungsmittel des Zusammenlebens Inhalt des Rechts Sitte Moral

21 21 21 21

2. Kapitel: 2.1. 2.2.

Das Rechtssystem Die Rechtskreise (Öffentliches Recht-Privatrecht) Stellung des Arbeitsrechts

21 22 22

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

Historische Entwicklung des Arbeitsrechts AN-Zusammenschlüsse Gesetzgebung bis 1933 Gesetzgebung nach 1933 Betriebliche AN-Vertretung Wiedervereinigung Deutschlands

22 22 23 23 23 23

4. Kapitel: 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3.

Das Arbeitsrecht als Sonderrecht Wirtschaftsordnung als Bestimmungsgrund Marktwirtschaft Planwirtschaft Soziale Ungleichheit Freiheit und Chancengleichheit Staatliche Eingriffe ins Arbeitsrecht Individuelles Arbeitsrecht Daseinsvorsorge Kollektives Arbeitsrecht

24 24 24 24 24 24 25 25 25 25

5. Kapitel: 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 5.7. 5.8. 5.9.

Grundgesetz und Arbeitsrecht Art. 9 III Art. I I Art. 21 Art. 31,11 Art. 51 Art. 61, IV Art. 121 Art. 141,11 Grundrechte

26 26 27 27 27 28 28 28 28 28

6. Kapitel: 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.

Quellen des Arbeitsrechts Die einzelnen Rangstufen Rechtsgestaltung Rangprinzip / Günstigkeitsprinzip Widersprüche auf gleicher Ebene

29 29 29 29 30

16 7. Kapitel: 7.1. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7.

Inhaltsverzeichnis Begriffsbestimmungen Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellter Arbeiter Angestellter Arbeitnehmerähnliche Personen Auszubildende Praktikanten/Volontäre Arbeitgeber

31 31 32 32 32 32 33 33 33

II. Das kollektive Arbeitsrecht A . Koalitionen 1. Kapitel: Koalitionsbegriff 1.1. Gewerkschaften 1.2. Arbeitgeberverbände Innere Organisation 1.3. 1.4. Rechtliche Organisation

34 34 34 34 34 34

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.4.

Koalitionsfreiheit Individuelle Koalitionsfreiheit Kollektive Koalitionsfreiheit Bestandsgarantie Betätigungsgarantie Negative Koalitionsfreiheit Freiheitliche Wirtschaftsordnung

35 35 35 35 35 35 36

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7.

Voraussetzungen der Koalition Freie Vereinigung Körperschaftliche Organisation Zeitdauer Zweck Gegnerfreiheit Überbetrieblichkeit Art. 911GG

36 36 36 36 37 37 37 38

B . Tarifvertragsrecht 1. Kapitel: Die Teile des Tarifvertrags 1.1. Normativer Teil Schuldrechtlicher Teil 1.2. 1.2.1. Friedenspflicht 1.2.2. Relative / absolute Friedenspflicht 1.2.3. Durchführungspflicht 1.2.4. Verlängerung der Friedenspflicht

38 38 39 39 39 39 39 40

Inhaltsverzeichnis

17

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3. 2.5. 2.5.1. 2.5.2. 2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.6.3. 2.7. 2.8. 2.9. 2.10.

Voraussetzung eines Anspruchs aus Tarifvertrag Schriftform Tariffähigkeit Tarifzuständigkeit Geltungsbereich Persönlicher Zeitlicher Räumlicher Tarifgebundenheit Ausnahme: § 3 I I T V G Ausnahme: Allgemeinverbindlicherklärung Zulässige Normen Inhaltsnormen Abschlußnormen Beendigungsnomen Gesetzeskonformität Verfassungskonformität Nachwirkung/Verjährung/Verwirkung Ausschlußfristen

40 40 40 41 41 41 41 41 41 41 42 42 42 42 42 42 42 42 42

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

Grenzen der Tarifautonomie Rechtsstaatliche Grundsätze §§ 134/138 BGB Individualsphäre Vertragsfreiheit Betriebsverfassung Unternehmensverfassung

43 43 43 44 44 45 45

C. Arbeitskampfrecht

45

1. Kapitel: 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.3.1. 1.4.3.2. 1.4.3.3.

Der Arbeitskampf Streik und Aussperrung Arbeitskampfrecht Grenzen des Arbeitskampfes Voraussetzungen des Arbeitskampfes Kollektives Handeln Veränderung Tarifliche Regelung Politische Streiks Sympathiestreiks Warn-und Proteststreiks

45 45 45 46 46 46 46 47 47 47 47

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2.

Voraussetzungen des rechtmäßigen Arbeitskampfes Tariffähigkeit Tariflich regelbarer Sachverhalt Keine Friedenspflicht Verfahren Begründung der Verfahrenspflicht Verstoß gegen Verfahrenspflicht

48 48 48 49 49 49 49

18

Inhaltsverzeichnis

2.5. 2.5.1. 2.6.

Verhältnismäßigkeit Auflösende Aussperrung Faire Kampfführung

49 49 50

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3.

Folgen des rechtmäßigen Arbeitskampfes Suspendierung des Arbeitsverhältnisses Fortfall der Lohnzahlung Keine Kündigung Sonderprobleme Nichtorganisierte A N Krankenversicherung Auswirkung auf andere Betriebe

51 51 51 51 52 52 52 52

4. Kapitel: 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3.

Folgen des rechtswidrigen Arbeitskampfes Kollektive Ebene Vertragliche Schadensersatzansprüche Unterlassungsanspruch Kein deliktischer Schadensersatzanspruch Einzelvertragliche Ebene Vertragliche Schadensersatzansprüche Unterlassungsanspruch Ordentliche Kündigung Außerordentliche Kündigung Deliktische Schadensersatzansprüche Deliktischer Anspruch des Einzelnen gegen eine Koalition Absolutes Recht des A G , §8231 BGB Absolutes Recht des AN, §8231 BGB Direkte Ansprüche

52 53 53 53 53 53 53 53 53 54 54 54 54 54 54

. . . .

D . Betriebliche Mitbestimmung

55

1. Kapitel: 1.1. 1.2. 1.3.

Grundgedanken der Mitbestimmung Interessenvertretung Mitverwaltung Humanisierung

55 56 56 56

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4.

Regelungsbereich der BetrVG Privatwirtschaft Mindestgröße des Betriebs Ausnahmen Leitende Angestellte Tendenzbetriebe Unternehmensverfassung

57 57 57 57 57 58 58

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.1.2.

Wege der kollektiven Mitbestimmung Betriebsrat Wahlberechtigung Wählbarkeit

58 58 59 59

Inhaltsverzeichnis

19

3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.5. 3.6.

O r g a n e des B R Betriebsversammlung Jugendvertretung JV-Voraussetzungen JV-Organe Betriebsjugendversammlung Wirtschaftsausschuß

59 59 59 60 60 60 60

4. Kapitel: 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.

Wahl des Betriebsrats Wahlvorstand Wahlvorschläge Wahlregelungen Wahlanfechtung

60 61 61 61 61

5. Kapitel: 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

Grundsätze der Zusammenarbeit BR - A G „Vertrauensvolle Z u s a m m e n a r b e i t " Besprechung und V e r h a n d l u n g A b s o l u t e Friedenspflicht V e r b o t parteipolitischer Betätigung

61 61 62 62 62

6. Kapitel: 6.1. 6.2.

Lösungswege für Streitigkeiten B R - A G Rechtsstreitigkeiten A n d e r e Streitigkeiten

62 62 63

7. Kapitel: 7.1. 7.2. 7.3. 7.4.

Mitwirkungsrechte des B R Unterrichtung Anhörung/Beratung Widerspruchsrecht Mitbestimmung

63 63 63 64 64

8. Kapitel:

Mitwirkungsrechte der einzelnen A N

64

9. Kapitel: 9.1. 9.2. 9.3.

Bereiche der kollektiven Mitwirkung Soziale Angelegenheiten Personelle Angelegenheiten Wirtschaftliche A n g e l e g e n h e i t e n

65 65 65 66

10. Kapitel: 10.1. 10.2. 10.2.1. 10.2.2. 10.2.3. 10.2.4. 10.2.5. 10.2.6. 10.2.7. 10.2.8.

Betriebsvereinbarungen A r b e i t s o r d n u n g , §87 B e t r V G Voraussetzungen eines A n s p r u c h s aus B e t r . - V e r e i n b a r u n g Schriftform Zulässige R e g e l u n g e n - § § 7 7 III B e t r V G Geltungsbereich Gesetzeskonformität Verfassungskonformität Kündigung Verjährung/Verzicht/Verwirkung Ausschlußfristen

66 66 67 67 67 67 67 67 67 67 67

. . . .

20

Inhaltsverzeichnis

11. Kapitel: 11.1. 11.2. 11.2.1. 11.2.2. 11.2.3. 11.2.4. 11.2.5. 11.2.6.

Gewerkschaften im Betrieb Der Kompromiß des BetrVG Befugnisse der Gewerkschaften im Betrieb Zutritt zum Betrieb BR-Wahl Wahlvorschläge Kontrollrechte Teilnahmerechte Betriebsversammlung

68 68 69 69 69 69 69 70 70

12. Kapitel: 12.1. 12.2. 12.3. 12.4. 12.5.

Die Vertretung der leitenden Angestellten Rechtsstellung Wahlen Unternehmenssprecherausschüsse Vereinbarungen Einigungsstellen

70 71 71 71 71 71

E. Die Mitbestimmung im Unternehmen

72

1. Kapitel: 1.1. 1.2.

Begriffsbestimmungen Betrieb Unternehmen

72 73 73

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3.

Grundprobleme der Unternehmensmitbestimmung Unterschied der Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen Betroffene Rechtspositionen Arbeitgeber-Seite Arbeitnehmer-Seite Parität und „Patt"

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4.

Gesetzliche Mitbestimmungsregelungen Geltungsbereich des Montan-MitbestG 1951 Rechtsformen und Anzahl der Arbeitnehmer Aufsichtsrat Wahl der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitsdirektor Geltungsbereich des BetrVG 1952 Rechtsformen und Anzahl der Arbeitnehmer Aufsichtsrat Wahl der Aufsichtsratsmitglieder Geltungsbereich des MitbestG 1976 Rechtsformen und Anzahl der Arbeitnehmer Aufsichtsrat Wahl der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitsdirektor

. .

73 74 74 74 74 75 75 75 75 75 76 76 76 76 76 76 76 76 77 77 78

I. Einleitung 1. Kapitel Das Recht als Gestaltungsmittel des Zusammenlebens Literatur: Brox, BGB Altg. T., RdNr. 1 - 3 ; Lorenz,

BGB Allg. T., § 22 III.

Das Arbeitsrecht ist ein Teil unseres Rechtssystems. Das Recht ist eine Möglichkeit. Vorstellungen über menschliches Zusammenleben zu gestalten und Wertmaßstäbe dafür zum Ausdruck zu bringen. Abzugrenzen ist das Recht deshalb von zwei anderen Begriffen, die ebenfalls solche Vorstellungen zum Inhalt haben: die Sitte und die Moral. 1.1. Das Recht befaßt sich mit dem äußeren Verhalten der Menschen; dieses „rechtmäßige" Verhalten kann vom Staat erzwungen werden (ζ. B. Strafgesetze) - oder der Staat stellt dem einzelnen eine Institution zur Verfügung, mit deren Hilfe er dieses Verhalten erzwingen kann: die Gerichte (Beispiel: Bürgerliches Recht und Zivilgerichte). 1.2. Die Sitte dagegen enthält zwar auch Regeln für äußeres Verhalten - der Staat greift hier jedoch nicht mit Zwangsmitteln ein oder stellt solche zur Verfügung. Es bleibt vielmehr der Gesellschaft selbst, also den jeweiligen Mitmenschen, überlassen, ob und wie sie solche sittlichen Vorstellungen verwirklichen helfen. (Beispiel: Man wird kaum jemanden wieder als Gast zu sich bitten, der sich bei der letzten Einladung „danebenbenommen" hat.) 1.3. Moral schließlich ist sowenig staatlich erzwingbar wie die Sitte - sie enthält jedoch nicht Vorstellungen über das äußere Verhalten, sondern über innere Wertmaßstäbe des einzelnen (wie Güte, Fleiß, Großherzigkeit). Recht

eui

Moral Sitte

2. Kapitel: Das Rechtssystem Literatur: Brox, BGB Allg. T., RdNr. 9 - 1 6 ; Lorenz, BGB Allg. Τ., § 11.; Rüthers, BGB Allg. T., RdNr. 1 - 3 ; H.-A., Β. I. 8.; Schaub, § 5 I. 1. u. 2.; Söllner, § 6.

Von einem Rechtssystem spricht man, weil das Recht nicht aus einer Anzahl unzusammenhängender Vorschriften und Regelungen besteht. Sondern es ist systematisiert, d. h. in eine gewisse Ordnung gebracht, eingeteilt in einzelne Rechtsgebiete, die jeweils sachliche Zusammenhänge erfassen; diese stehen auch untereinander wieder in Beziehung. Auch für diese Verbindungen der Rechtsgebiete gibt es wiederum Regeln.

22

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

2.1. Umfaßt von einem allgemeinen Grundwertekatalog, der in der Verfassung (Grundgesetz) niedergelegt ist, wird unser Rechtssystem zunächst in zwei große Rechtskreise unterteilt: das öffentliche Recht - es enthält alle Normen, die das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern (und umgekehrt) regeln; und das Privatrecht — darunter sind jene Rechtsvorschriften zu verstehen, die das Verhalten der Bürger zueinander ausgestalten. 2.2. Das Arbeitsrecht enthält Normen aus beiden Rechtskreisen — z . T . greift der Staat ein und schreibt vor, wie bestimmte Probleme zu lösen sind; insoweit ist das Arbeitsrecht Teil des öffentlichen Rechts. Zum Teil aber überläßt es der Staat den einzelnen Personen, die im Arbeitsrecht eine Rolle spielen, wie sie ihre Verhältnisse regeln wollen; hierfür ergeben sich aus dem Privatrecht Bestimmungen, die jedoch meistens nur als „unverbindliche Vorschläge" zu verstehen sind. Einordnung des ArtxR. im Rechtssystem

3. Kapitel: Historische Entwicklung d e s Arbeitsrechts Literatur: G.-S., RdNr. 2; L.-L., Kap. Β II., III.; Kap. Ε 1.2.; Η.-Ν.. 8§ 2 - 4 : Söllner, § 2; Zöllner, §3. Das Arbeitsrecht in seiner heutigen Gestalt hat sich erst im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt. Es entstand mit und aufgrund der arbeitsteiligen Verfahrensweisen in Handel und Industrie - also als Folge der Industrialisierung und den dabei auftauchenden Massenarbeitsverhältnissen. Da zunächst am freien Arbeitsvertrag (vgl. u. 4.1.4. f.) festgehalten wurde, kam es zu sozialen Spannungen (ζ. B.: Aufstand der Weber, 1844). 3.1. Kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden deshalb seitens der Arbeiter die ersten Zusammenschlüsse (die Vorläufer der Gewerkschaften), um von den Arbeitgebern durch gemeinsames Handeln bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen in Form von Gesamtarbeitsverträgen, d . h . Tarifverträgen.

I. Einleitung

23

3.2. In die Gesetzgebung ging der Tarifvertrag jedoch erst nach dem 1. Weltkrieg ein in der Tarifvertragsverordnung vom Dezember 1918 wurde erstmals die Rechtswirksamkeit von Tarifverträgen anerkannt. In Art. 159 der Weimarer Reichsverfassung fanden dann auch die Gewerkschaften eine verfassungsrechtliche Absicherung. 3.3. Nachdem in der Zeit von 1933-1945 die Koalitionsfreiheit, Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbände zu gründen (vgl. u. aufgehoben worden war, wurde sie nach 1945 wiederhergestellt und Art. 9 III G G verankert. Ein Tarifvertragsgesetz wurde bereits seitdem weiter ausgebaut.

also die Freiheit, 4.2.3. und 5.1.), grundgesetzlich in 1949 erlassen und

3.4. Auch die Vorstellung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung tauchte bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf. A b e r erst 1891 wurde in die Gewerbeordnung eine Vorschrift eingefügt, die die Errichtung von Arbeiterausschüssen in Betrieben ermöglichte. 1920 wurde das Betriebsrätegesetz erlassen. Nach 1933 ersetzte man die Betriebsräte durch „Vertrauensräte" unter Vorsitz des „Betriebsführers". An die früheren Regelungen wurde dann 1952 angeknüpft im Betriebsverfassungsgesetz, zuletzt wesentlich geändert und neu verkündet 1972; hierbei wurden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats erheblich erweitert und verstärkt. Die Vertretung der leitenden Angestellten, die grundsätzlich nicht unter das BetrVG fallen, wurde schließlich in dem Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten vom 20.12.1988 kodifiziert. 3.5. Durch die Teilung Deutschlands und der Implementation zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme entwickelte sich das Arbeitsrecht in der D D R anders als in der B R D . Somit bedarf es im Z u s a m m e n h a n g mit der zum 3. O k t o b e r 1990 vollzogenen Vereinigung der beiden Staatsgebiete auch einer Vereinheitlichung des Rechtes. Hierbei kommt es zu einer Überleitung des bundesdeutschen Arbeitsrechts in das Gebiet der ehemaligen D D R . Dies geschieht in m e h r e r e n Stufen, die erste Stufe begann schon am 1.7.1990, also vor der politischen Wiedervereinigung. Durch die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion per Vertrag vom 18.5.1990 wurden sofort die wesentlichen bundesdeutschen arbeitsrechtlichen Gesetze in der D D R in Kraft gesetzt. Hierzu gehören das Tarifvertragsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz sowie die Mitbestimmungsgesetze. Gleichzeitig galten einige Regelungen des Arbeitsgesetzbuches der D D R weiter, wobei aber diejenigen Bestimmungen aufgehoben wurden, die auf die sozialistische Staatsform und die Planwirtschaft abgestimmt waren. Mit der o.g. politischen Union trat die zweite Stufe der Überleitung in Kraft. Hierdurch wurden die restlichen arbeitsrechtlichen und arbeitsgerichtlichen Gesetze und Verordnungen auf das Gebiet der neuen Bundesländer ausgedehnt, wobei aber auch hier wieder zahlreiche Ausnahmeregelungen und Übergangsvorschriften gelten. In einer dritten Stufe ist der (nunmehr gesamt-) deutsche Gesetzgeber verpflichtet, ein einheitliches und zeitgemäßes Arbeitsrecht zu gestalten. Hierunter ist eine Anpassung des deutschen Arbeitsrechtes an die gewandelten sozialen und internationalen Gegebenheiten zu verstehen. Als Stichworte seien hier nur Gleichberechtigung und Europarecht genannt.

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Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

4. Kapitel: Das Arbeitsrecht als Sonderrecht Literatur: H.-A., Α. I. u. II.; L.-L., Kap. Α III.; H.-N., § 1 1. u. 3.; § 5 l . u . 5 . ; § 3 6 \.\Schaub, 8 2 II. 1. u. 2.; Söllner, S 1 I., Zöllner, vor § 1; § 1 I. 1., III., 4.; IV. 1.; Z.-M. I, Stud. Ε. 1. Teil I 3. (S. 18). Das Arbeitsrecht ist - wie seine historische Entwicklung zeigt (vgl. o. 3.), ein besonderes Rechtsgebiet: es gilt nur für diejenigen, die abhängig, d. h. nach Weisungen anderer Arbeit leisten - die Arbeitnehmer; und diejenigen, die Arbeit entgegennehmen — die Arbeitgeber. 4.1. Dabei richtet sich die konkrete Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen (man kann sagen: das rechtliche „Teilsystem Arbeitsrecht" — vgl. o. 2.) nach der Wirtschaftsordnung, aus der sie hervorgeht. 4.1.1. In der B R D ist dies die (soziale) Marktwirtschaft. Die Grundidee der Marktwirtschaft ist, man solle den Austausch von Leistung und Gegenleistung (ζ. B. W a r e gegen Geld) dem „Markt" überlassen, also dem freien Spiel der Kräfte, die durch Angebot und Nachfrage den jeweiligen Preis festlegen. Dabei gilt als Regel, daß der Preis desto höher wird, je knapper ein angebotenes Gut oder eine Dienstleistung sind. Über den Preis wird zugleich erreicht, d a ß die am Wirtschaftsleben Beteiligten ihre jeweiligen Pläne koordinieren. 4.1.2. Im Gegensatz zur Planwirtschaft: hier wird die Koordination der Einzelpläne durch einen - meistens zentralen - Gesamtplan herbeigeführt. Für individuelles Handeln und Reagieren ist kein Platz. Folge ist die große Schwerfälligkeit der Planwirtschaft, sich auf neue Situationen einzustellen. 4.1.3. Die in der Marktwirtschaft dem Einzelnen gewährte Freiheit führt jedoch dann zu sozial u n a n n e h m b a r e n Situationen, wenn aufgrund wirtschaftlicher Voraussetzungen die am Wirtschaftsprozeß beteiligten Personen nicht alle gleichermaßen in der Lage sind, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. Denn dann besteht trotz rechtlicher Gleichheit für den sozial Schwächeren tatsächlich diese Freiheit nicht (vgl. o. 3.). 4.1.4. Z u r Verdeutlichung: Die in der Marktwirtschaft gebotene und in Art. 2 G G kodifizierte Freiheit allein genügt nicht, um auch gerechte Ergebnisse zu erzielen. Diese Freiheit - die sich übrigens grundlegend ausdrückt in der Vertragsfreiheit - beruht auf der idealistischen Vorstellung, d a ß alle ihre Freiheit gleichermaßen nutzen könnten (z.B. also ihre Vertragsbedingungen gleichberechtigt aushandeln). D a diese Vorstellung jedoch nicht mit der wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit übereinstimmt, m u ß die - rechtliche - Freiheit ergänzt werden durch die - tatsächliche - Chancengleichheit. Diese Erkenntnis ergab sich speziell für das Arbeitsrecht aus der oben skizzierten Geschichte der Industrialisierung im 19. J a h r h u n d e r t . Hier wurde zunehmend deutlich, daß die Arbeitnehmer keine Chance hatten, ihre einzelnen Arbeitsverträge „gleichberechtigt" mit dem Arbeitgeber auszuhandeln; sondern sie waren wegen ihrer wirtschaftlichen Lage gezwungen, die vom Arbeitgeber festgesetzten Arbeitsbedingungen anzunehmen — oder ohne Arbeit zu bleiben.

I Einleitung

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4.2. U m diesem „Wildwuchs" der Marktwirtschaft auf arbeitsrechtlichem Gebiet entgegenzutreten, griff - und greift - der Staat zunehmend korrigierend in den Arbeitsmarkt ein: die Marktwirtschaft soll sozial sein 4.2.1. Die marktwirtschaftlichen Regeln wurden deshalb zum Schutz der Arbeitnehmer eingeschränkt Dabei entwickelte sich ein Arbeitnehmerschutzrecht zunächst auf der Ebene des einzelnen Arbeitsvertrages (also beim sog individuellen Arbeitsrecht) Die Vertragsfreiheit wurde beschränkt ζ Β durch Regelungen der Arbeitszeit, der Arbeitsbedingungen (insbesondere techn Arbeitsschutz), des Urlaubs und des Mutterschutzes, der Lohnfortzahlung und des Kündigungsschutzes 4.2.2. Ferner wurden M a ß n a h m e n der Daseinsvorsorge für die Arbeitnehmer ergriffen in Form der Sozialversicherung (Auch diese wäre bei „reiner" Marktwirtschaft Aufgabe des einzelnen Wirtschaftssubjekts') 4.2.3 Und schließlich wurde die Notwendigkeit anerkannt, die marktwirtschaftliche Vorstellung auch insoweit zu korrigieren, als eine kollektive Ebene zunächst geduldet, dann sogar gesetzlich verankert wurde Die Möglichkeit, Koalitionen (vgl u II A l ) zu bilden, stellt die Grundlage dar für wirksame arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen Erst durch kollektives Vorgehen auf Arbeitnehmerseite konnte ein Gleichgewicht geschaffen werden zur wirtschaftlich stärkeren Arbeitgeberseite Erst hierdurch konnte jene genannte Chancengleichheit (vgl ο 4 1 4 ) hergestellt werden, die es jedem A N ermöglicht, seine Freiheit gegenüber dem mächtigeren A G durchzusetzen Durch die Anerkennung der Gewerkschaften als diesbezüglich rechtsfähige „Marktpartner" (vgl u II A 1 4 ) werden somit die grundlegenden Normen und Strukturen der sozialen (freien) Marktwirtschaft auch f ü r den Arbeitsmarkt gewahrt. Zweck des kollektiven Arbeitsrechts ist die O r d n u n g der Rechtsverhältnisse zwischen den AN-Organisationen und den AG-Organisationen Hier gibt es die drei Bereiche (Tarif-) Verträge, Arbeitskampf und Vertretung der Individuen sowohl auf betrieblicher als auch auf überbetrieblicher Ebene.

Staatliche Eingriffe in den Arbeftsmarkt durch

Individuelles Arbeitnehmerschutzrecht Daseinsvorsorge Kollektives Arbeitsrecht

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Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

5. Kapitel: Grundgesetz und Arbeitsrecht Literatur: Gamillscheg II; II u. III; H.-A., Β. II. 1. ff.; L.-L., Schaub, § 31. 1.; § 53 II. 5.; Söllner, § 9; Zöllner, §§ 7,8.

Kap. A IV.; Η.-Ν.,

§ 38;

G r u n d r e c h t s t r ä g e r sind sowohl A G als auch A N , jedoch hat d e r G e s e t z g e b e r die Rechte der A N in den V o r d e r g r u n d gestellt, weil bei ihnen das Schutzbedürfnis am ausgeprägtesten ist. Schließlich ist A u f g a b e der staatlichen R e c h t s o r d n u n g der Ausgleich d e r Interessen aller Beteiligten. U n t e r Hinweis auf A r t . 9 III G G wurde a n g e d e u t e t , d a ß im „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" vom 23.5.1949 Regelungen enthalten sind, die auch f ü r das Arbeitsrecht b e d e u t s a m sind: G e m ä ß A r t . 1 III G G regeln die G r u n d r e c h t e in erster Linie nur das Verhältnis des Bürgers zum Staat, d.h. Legislative, Exekutive und Judikative sind direkt g e b u n d e n . J e d o c h hat die höchstrichterliche R e c h t s p r e c h u n g auch eine Drittwirkung im privatrechtlichen Bereich, insbesondere im kollektiven Arbeitsrecht, a n e r k a n n t . 1 5.1. Vor allem hat die Kollektive Ebene (vgl. o. 4.2.3.) verfassungsrechtlichen R a n g erhalten. Art. 9 III Satz 1 und 2 lauten: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für oder zu behindern alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig." M a n spricht vom Grundrecht der Koalitionen. Dies b e d e u t e t einmal, daß j e d e r einzelne das R e c h t hat, Vereinigungen d e r g e n a n n t e n Art zu bilden o d e r ihnen beizutreten (und zugleich das Recht, solchen Vereinigungen fernzubleiben). Z u m a n d e r e n sichert A r t . 9 III G G aber auch Bestand und Betätigung der Koalition selbst (vgl. u. II. A . 2.). D a s BAG b e t o n t bei vielen Anlässen, daß E n t s t e h u n g und Bestand der Koalitionen und ebenso ihre koalitionsmäßige Betätigung grundgesetzlich garantiert und geschützt sind. Jedoch bedarf es, da kein Recht schrankenlos gewährt w e r d e n k a n n , einer gewissen Einschränkung: D e s h a l b reicht etwa die Betätigungsgarantie nur so weit, wie die jeweilige Betätigung unerläßlich ist, um den Bestand der Koalition zu sichern. So zweifelsfrei also etwa ist, d a ß die Werbung neuer Mitglieder f ü r eine G e w e r k s c h a f t ü b e r m ä ßig erschwert w ü r d e , d ü r f t e sie sich nicht selbst durch Informationsverteilung darstellen, so deutlich ist andererseits zu sehen, d a ß diese Verteilung nicht notwendig in d e r Arbeitszeit erfolgen m u ß . Wird ihr dies untersagt, ist der geschützte Kernbereich d e r Betätigungsfreiheit nicht b e r ü h r t . 2 E b e n s o w e n i g wird dieser Kernbereich der Koalitionsfreiheit beeinträchtigt, w e n n die Voraussetzungen f ü r die Tariffähigkeit einer Vereinigung so festgelegt w e r d e n , d a ß die Koalition ihren aus A r t . 9 III G G folgenden A u f g a b e n auch gerecht w e r d e n k a n n . In diesem Sinn ist z.B. zulässig, n u r solche Koalitionen an der Tarifautonomie (vgl. u. II.B.3) teilhaben zu lassen, die genügend Durchsetzungskraft h a b e n gegenüber ihrem sozialen Gegenspieler. N u r ihre Verbandsmacht kann sicherstellen, daß sie ernstgen o m m e n wird. Nur wenn ihre V e r h a n d l u n g s a n g e b o t e nicht ignoriert werden k ö n n e n , ist sie fähig, die Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen sinnvoll mitzugestalten. 3 1 2 3

BAG in API, AP69 BAG in ΝJW198212890 BVfG in NJW1982/815

I Einleitung

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5.2. Weiterhin wirkt auf das Arbeitsrecht ein Art. 1 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Damit ist ein höchster Verfassungswert festgelegt, an dem sich alle M a ß n a h m e n auszurichten h a b e n Insbesondere folgt hieraus, d a ß der Mensch - auch im Arbeitsleben - stets als Subjekt zu achten ist, er ist keine als bloßes O b j e k t behandelbare W a r e , wie dies ζ Β dem Sklavenhandel als A n s c h a u u n g zugrunde liegt 5.3. Ergänzt wird diese Wertsetzung durch Art. 2 I GG: , Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit " Auch dies betont das „Subjekt-Sein", da hierin das Recht liegt, über sich selbst zu bestimmen ( D a r a u s folgt - verfassungsrechtlich im übrigen auch die prinzipielle Vertragsfreiheit' Vgl u Z w e i t e r T e i l , I Einl 1 ) 5.4. Aus Art. 3 G G (Abs. I: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich " Abs. II: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt ") wird - wie in a n d e r e n Rechtsgebieten auch f ü r das Arbeitsrecht ein allgemeiner Gleichheitssatz abgeleitet gleiche Sachverhalte sind grundsätzlich gleich zu regeln - es sei d e n n , d a ß ein sachlicher Grund zur Differenzierung besteht Bezüglich der allgemeinen Gleichbehandlung hat das B A G klargestellt D e r Gleichbehandlungsgrundsatz kann ü b e r h a u p t nur angewendet werd e n , wenn bereits eine bestimmte O r d n u n g im Betrieb besteht, die überindividuell ist, die ü b e r die einzelnen Verträge hinaus f ü r alle (oder wenigstens eine ganze G r u p p e ) von A V e r h . gilt Besteht aber eine derartige O r d n u n g im B e t r i e b , d ü r f e n einzelne A N nicht willkürlich schlechter gestellt werden als a n d e r e , sondern nur d a n n , wenn hierfür in der Sache selbst liegende G r ü n d e bestehen (ζ Β niedrigere Klassifizierung der zu leistenden Arbeit) D e r Gleichbehandlungsgrundsatz führt hier dazu, einem zu Unrecht von einer allgemein gewährten betrieblichen Leistung ausgeschlossenen A N einen (notfalls einklagbaren) Anspruch auf Gleichstellung e i n z u r ä u m e n 4 Dies gilt sogar d a n n , wenn es sich um freiwillige Leistungen des A G handelt, wie etwa übertarifliche Zulagen Auch sie sollen den A G nicht berechtigen, willkürliche Unterschiede zwischen den einzelnen A N zu m a c h e n , s o n d e r n der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, die Voraussetzungen f ü r diese Leistungen so festzulegen, d a ß kein AN aus sachfremden G r ü n d e n ausgeschlossen bleibt Will der A G Gruppen von A N bilden, und ihnen freiwillige Leistungen in unterschiedlichem M a ß g e w ä h r e n , so m u ß diese G r u p penbildung wiederum an sachlichen M e r k m a l e n orientiert sein 5 Z u r Gleichberechtigung von M a n n und Frau verweist das BAG auf A r t 3 II und III G G , die verbieten, nach dem Geschlecht zu differenzieren Als supranationales Recht enthält A r t 119 E W G - V e r t r a g eine zwingende Bestimmung, die gleiches Entgelt für M ä n n e r und F r a u e n (bei gleicher A r b e i t ) vorschreibt D . h . , allein das Geschlecht ist kein sachlicher Grund f ü r eine ungleiche B e h a n d l u n g Dies stellen die §§ 611 a und b B G B f ü r das Arbeitsrecht ausdrücklich klar H i e r a u s folgt insbesondere der Grundsatz der Lohngleichheit von M a n n und Frau: D e r Lohn darf ausschließlich nach d e r Art der zu leistenden Arbeit bestimmt werden Dies gilt auch bei freiwilligen Leistungen des A G , etwa einer übertariflichen Bezahlung; 6 aber ebenso etwa bei einem vom A G gew ä h r t e n Hausarbeitstag - der A G darf eine solche Vergünstigung nicht nur ζ Β. allein-

4 5 6

BAG in ΝJW198212687 BA G in NJW 1982/2838 und 19821461 BAG in NJW 19821461 und 19831190

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Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

s t e h e n d e n F r a u e n e i n r ä u m e n , sondern m u ß ihn gegebenenfalls auch M ä n n e r n in vergleichbarer Lage zugestehen. 7 5.5. D i e Meinungsfreiheit des Art. 5 1 G G gilt auch im Arbeitsrecht. Jedoch darf ihre W a h r n e h m u n g nicht den Betriebsablauf stören 8 . 5.6. Art. 6 I G G lautet: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." Und A b s . IV: Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft." H i e r a u s folgt für das Arbeitsrecht die Ungültigkeit aller gegen eine Eheschließung eines Arbeitnehmers gerichteten Vereinbarungen; auf Grund des Abs. IV wurde das Mutterschutzgesetz erlassen. 5.7. Besonders wichtig ist auch Art. 121 GG: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." Darin liegt u . a . auch eine n ä h e r e Ausgestaltung des Art. 2 1 G G (vgl. o. 5.3.). Auf diesem G r u n d r e c h t b e r u h t insbesond e r e das Recht des A r b e i t n e h m e r s , seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Für juristische P e r s o n e n b e d e u t e t A r t . 12 I G G die G e w e r b e f r e i h e i t . Die A b s ä t z e II und III schließlich enthalten das V e r b o t d e r Zwangsarbeit. Von A r t . 12 G G nicht erwähnt - und damit nicht garantiert - ist das häufig diskutierte „Recht auf Arbeit"! 5.8. Schließlich ist auf Art. 14 G G hinzuweisen: er garantiert in Abs. I das Eigentum. Insbesondere wird damit f ü r die Arbeitgeberseite das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt, d . h . das U n t e r n e h m e n in seinem materiellen und ideellen Bestand ( G e b ä u d e , Maschinen, W a r e n usw. - A b s a t z c h a n c e n , G e schäftsbeziehungen u. ä.). Abs. II aber lautet: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Im Spannungsfeld dieser Bestimmungen liegt das Mitbestimmungsgesetz 19769-in ihm w u r d e der Streit entschieden in welchem U m f a n g die A r b e i t n e h m e r in der Unternehmensführung m i t b e s t i m m e n k ö n n e n (vgl. zur Mitbestimmung im U n t e r n e h m e n u. II. E.). 5.9. In einigen P u n k t e n k ö n n e n die Grundrechte eingeschränkt sein, s o z . B . durch § 74 II B e t r V G f ü r den speziellen Fall parteipolitischer Äußerungen im Betrieb. Ein weiterer Fall, bei dem die G r u n d r e c h t e des A N zurückzutreten h a b e n , liegt dann vor, w e n n bei sog. Tendenzunternehmen i.S.d. § 118 B e t r V G die W a h r u n g d e r T e n d e n z sonst in Frage gestellt würde. V o r a u s s e t z u n g ist hierbei allerdings, d a ß der A N nach a u ß e n hin als Tendenzträger e r k e n n b a r ist, a u ß e r d e m d ü r f e n die G r u n d r e c h t e nur insoweit eingeschränkt w e r d e n , als dies zur W a h r u n g des betrieblichen Interesses notwendig ist. Letzteres ist Ausdruck d e r Verhältnismäßigkeit.

1 8 9

BAG in NJW198212573 Vgl. etwa BAG in VersR 19811379 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes BVfG in NJW 19791699

I Einleitung

29

6. Kapitel: Quellen des Arbeitsrechts Literatur Brox, RdNR 16-28 Gast II, G -S , RdNr 3-33, Η -Ν , § 6, Richardi, Fall 2, Schaub, § 3, Söllner, § 1 III , Wlotzke, Das Günstigkeitsprinzip, Zöllner, § 6 I , Ζ -Μ I, Stud Ε 2 (S 33ff ) Die geschichtliche Entwicklung des Arbeitsrechts (vgl ο 3.) bewirkte, daß die für dieses Rechtsgebiet bedeutsamen Regelungen nicht in einem großen Arbeitsgesetzbuch zusammengefaßt sind (wie etwa das Bürgerliche Gesetzbuch die hauptsächlichen pnvatrechtlichen Vorschriften enthält), sondern daß es eine Vielzahl Rechtsquellen gibt Das deutsche Zivilrecht enthält zwei prinzipielle Ausflüsse von Rechtsnormen Das Gesetz und die Privatautonomie (Vertragsfreiheit) Das Gesetz gibt zwingende Regeln vor, die ζ Τ aber eine durchaus beachtliche Bandbreite für einzelvertragliche Abweichungen zulassen (dispositives Recht) Sobald Vertragspartner aber den gesteckten Rahmen verlassen, kann es zur Kollision der unterschiedlichen Rechtsnormen kommen Um eine notwendige Rechtssicherheit zu gewährleisten, wirken die möglichen Rechtsquellen nicht gleich stark auf das einzelne Arbeitsverhältnis ein, sondern in einer bestimmten Rangfolge 6.1. Diese Stufen sind: Grundgesetz Landesverfassung Gesetz Rechtsverordnung Tarifvertrag Betriebsvereinbarung Betriebsübung (Gewohnheitsrecht) Arbeitsvertrag Weisungsrecht (Direktionsrecht) 6.2. Auf jeder Stufe gibt es weiterhin die Unterscheidung in absolut zwingendes Recht, relativ zwingendes Recht und in dispositives Recht Absolut zwingendes Recht untersagt jegliche Abweichung von der Rechtsnorm, relativ zwingendes Recht hingegen verbietet eine Abweichung zuungunsten des AN, schließlich enthält das dispositive Recht nur nachgebende Regelungen, so daß die Beteiligten hier voll ihre Vertragsautonomie durchsetzen können. 6.3. Das Arbeitsrecht gehört entsprechend Art 74 Ziff 12 GG zur sog. konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes und der Länder, d h. jedes Bundesland ist befugt, ein Gebiet des Arbeitsrechtes durch ein eigenes Gesetz zu regeln, solange der Bund noch kein diesbezügliches Gesetz erlassen hat Ist dies geschehen, so bricht gem Art. 31 GG Bundesrecht das Landesrecht Anzumerken ist, daß heute die meisten Regelungen auf Bundesgesetzen beruhen, wichtigste Ausnahme ist der Bildungsurlaub Enthalten Normen unterschiedlichen Ranges sich widersprechende Regelungen, so geht grundsätzlich die im Rang höhere Norm der niedrigeren vor (sog Rangprinzip) Eine Ausnahme wird hiervon dann gemacht, wenn die niedrigere Norm eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung bringt (sog. Günstigkeitsprinzip1) Zu einer Durchbre1

Vgl BAG in AP, Nr 13 zu § 4 TVG, Günstigkeitsprinzip

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Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

chung dieses Prinzips kann es jedoch in Einzelfällen k o m m e n , denn das BAG gestattet in engen Grenzen eine Verschlechterung eines individuellen Vertrages durch eine Betriebsvereinbarung: W e n n die Einzelverträge bereits eine einheitliche Regelung enthalten (sog. vertragliche Einheitsregelung), die Betriebsvereinbarung Recht und Billigkeit beachtet u n d zudem eine Frage geregelt wird, bei der d e m B R ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zusteht (z.B. in den Fällen des § 87 B e t r V G ) , dann kann der B R auch zu Lasten des einzelnen A N von günstigeren Vertragsabreden abweichen. 2

Auf das Arbeitsverhältnis einwirkende Rechtsquellen

6.4. Auf gleicher Rangstufe gilt bei Widersprüchen: die neuere Regelung geht der älteren vor und die speziellere der allgemeinen 3 .

2 1

BAG in ΝJW1983/68 Vgl. zum Prinzip der Tarifeinheit BAG in AP, Nr. 4zu§4TVG,

Tarifkonkurrenz

I. Einleitung

31

7. Kapitel Begriffsbestimmungen Literatur: Box, RdNr. 9; G.-S., RdNr. 3 4 - 5 1 ; 295; 298; 302; H . - A , E . 2 u. 5.;//.-/V., § 7 1.; § 9; § 101.; L.-L., Kap. A I. 2.; Schaub, §§ 8; 9; 13; 16 III. u. IV.; Söllner, § 3 I. l.;U.;Zöllner, § 4 III. 5.a), 2.a), V. Abschließend sind in dieser Einleitung noch die juristischen Begriffsbestimmungen der wichtigsten Personen zu klären, die im Arbeitsrecht zu beachten sind. 7.1. Arbeitnehmer ( A N ) ist, wer als Nichtselbständiger in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis beschäftigt ist und fremdbestimmte Arbeit leistet, während er in eine Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Arbeitnehmer

priv.-rechtl. Arb.-Vertr.

fremdbestimmte Arbeit

Eingliederung in Arb.-Organisation

7.1.1. Dabei richtet sich die Unselbständigkeit nach dem Maßstab, den § 84 /, Satz 2 Handelsgesetzbuch für Handelsvertreter aufstellt: nämlich, ob er im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und Arbeitszeit - und Arbeitsort — bestimmen kann. Selbständiger

frei wie er arbeitet

frei wo er arbeitet

frei wann er arbeitet

Besonders deutlich wird die Abhängigkeit (Nichtselbständigkeit) des A N daran, d a ß er dem Weisungsrecht (Direktionsrecht) des Arbeitgebers unterworfen ist (vgl. ο. 6.1.). 7.1.2. D a H a u p t m e r k m a l der genannten Definition des A N die Arbeits/mfKng ist, kann kein A N sein, wer sich verpflichtet, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen — in diesen Fällen liegt ein Werkvertrag vor gem. §§ 631 f f . BGB (Beispiel: Von einem selbständigen Schreinermeister wird nicht erwartet, daß er eine ganz bestimmte

32

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

S t u n d e n z a h l a u f w e n d e t , u m e i n e n Tisch z u b a u e n - wichtig ist n u r , d a ß der Tisch fertig ist u n d g e r a d e s t e h t , d . h . , d e r Erfolg.) 7.2. Arbeiter und Angestellte: Diese Unterscheidung dürfte nach der Entscheidung des BVerfG, daß es dem Gleichheitssatz des A r t . 3 G G widerspreche, Arbeiter und Angestellte beispielsweise in Hinblick auf die Kündigungsfristen unterschiedlich zu behandeln, 1 Makulatur sein. Das BAG hat ebenfalls die Unterscheidung in Arbeiter und Angestellte und die damit verbundene Ungleichbehandlung (im Falle des § 124 b G e w O ) für nicht verfassungskonform erklärt. 2 7.2.1. Arbeiter sind alle A N , die nicht Angestellte sind. Die G r e n z e n sind heute nicht mehr fest; als Faustregel kann gelten: der Arbeiter leistet überwiegend körperliche Arbeit. 7.2.2. Angestellter ist d a h e r ein A N , der überwiegend geistige Arbeit leistet. (Eine gewisse Zuordnung ermöglichen die §§ 2/3 des Angestelltenversicherungsgesetzes, in denen eine größere Anzahl Angestelltengruppen aufgefüht wird. Ebenso weist § 6 I u. II B e t r V G auf die unterschiedlichen Versicherungspflichten hin, um diese Personengruppen - Arbeiter und Angestellte - voneinander abzugrenzen.) Die Angestellten sind wiederum einteilbar nach den von ihnen w a h r g e n o m m e n e n Aufgaben in: Kaufmännische Angestellte (für sie gelten als besondere Vorschriften §§ 59 f f . HGB); technische, bzw. gewerbliche Angestellte (vgl. § 133 c Gewerbeordnung) und die sonstigen Angestellten, für die außerhalb der §§611 ff. B G B keine Spezialgesetze gelten. 7.4. Arbeitnehmerähnliche Personen w e r d e n j e n e g e n a n n t , die zwar w e d e r persönlich a b h ä n g i g noch in e i n e B e t r i e b s o r g a n i s a t i o n e i n g e l i e d e r t sind. Sie sind j e d o c h e b e n s o wie die A N wirtschaftlich abhängig von e i n e m A r b e i t g e b e r u n d e r s c h e i n e n d e s h a l b d e n ü b r i g e n AN sozial gleichgestellt. Z u diesen P e r s o n e n g r u p p e n g e h ö r e n die Heimarbeiter, die d u r c h ein e i g e n e s Heimarbeitergesetz geschützt w e r d e n ; f e r n e r d i e j e n i g e n Handelsvertreter, die m e i s t sog. Einfirmenvertreter sind u n d m o n a t l i c h nicht m e h r als e i n e n b e s t i m m t e n B e t r a g v e r d i e n e n (die G r e n z e liegt g e m . § 5 III A r b e i t s g e r i c h t s g e setz derzeit bei 2 . 0 0 0 , - D M / M o n a t ) . A u c h auf diese G r u p p e n w e r d e n d i e die A N s c h ü t z e n d e n V o r s c h r i f t e n im a l l g e m e i n e n a n g e w a n d t .

Arbeitnehmer

Arbeitnehmerähnliche Person

privatr. Arb.-Vertr.

privatrechtl. Arb.-Vertr.

fremdbestimmte Arbeit

wirtschaftliche und soziale Gleichstellung mit AN

Eingliederung in Arb.-Organisation

1 2

Β VerfGB 62/256 = NJW1983/617 BAG in AuR 1984/187

I. Einleitung

33

7.5. Auszubildende sind P e r s o n e n , die in e i n e m Berufsausbildungsverhältnis stehen. D e s s e n Zweck ist nicht, wie b e i m A r b e i t s v e r h ä l t n i s , A r b e i t zu leisten; V e r t r a g s z w e c k ist hier s t a t t d e s s e n , Fähigkeiten und Kenntnisse v e r m i t t e l t zu b e k o m m e n . D e r V o l l s t ä n d i g k e i t h a l b e r sei e r w ä h n t , d a ß das Berufsbildungsgesetz in Ausbilder, d i e d i e A u s b i l d u n g (als Fachkräfte) d u r c h f ü h r e n u n d A u s b i l d e n d e , d . h . die den Ausbildungsvertrag mit d e m A u s z u b i l d e n d e n e i n g e h e n , u n t e r t e i l t : Vertragszwecke im Arbeits recht

Ausbildungsvertrag

Arbeitsvertrag

Erbringung von Leistungen

Erwerb von Fähigkeiten

§ 611 BGB

und Kenntnissen § 6 Abs. I/Il BBiG

W e g e n dieses speziellen V e r t r a g s i n h a l t s u n t e r l i e g t d a s A u s b i l d u n g s v e r h ä l t n i s e i n e r A n z a h l Sonderregelungen, wie B e r u f s b i l d u n g s g e s e t z , J u g e n d a r b e i t s s c h u t z g e s e t z u n d B e s t i m m u n g e n im B e t r i e b s v e r f a s s u n g s g e s e t z ü b e r e i g e n e J u g e n d v e r t r e t u n g e n . 7.6. Praktikanten/Volontäre u n t e r s t e h e n , soweit nicht a u s d r ü c k l i c h ein A r b e i t s v e r hältnis v e r e i n b a r t ist, a n d e r e r s e i t s a b e r auch kein B e r u f s a u s b i l d u n g s v e r t r a g vorliegt, d e m Berufsbildungsgesetz (vgl. § 19 B B i G ) . I h r e T ä t i g k e i t ist n ä m l i c h , ähnlich insoweit d e r B e r u f s a u s b i l d u n g , d a r a u f gerichtet, b e r u f l i c h e K e n n t n i s s e , F e r t i g k e i t e n o d e r E r f a h r u n g e n zu e r w e r b e n . (Beispiele: V o l o n t a r i a t bei e i n e r Z e i t u n g ; I n d u s t r i e p r a k t i k u m eines S t u d e n t e n d e r B e t r i e b s w i r t s c h a f t . ) 7.7. Arbeitgeber ( A G ) schließlich sind natürliche o d e r juristische P e r s o n e n (das sind G e s e l l s c h a f t e n , die mit e i g e n e r R e c h t s f ä h i g k e i t - vgl. u. D r i t t e r Teil, II. A . 3. — ausgestattet sind, wie G m b H o d e r A k t i e n g e s e l l s c h a f t ) , die m i n d e s t e n s einen AN beschäftigen in a b h ä n g i g e r A r b e i t . I h n e n steht o r i g i n ä r ( u r s p r ü n g l i c h - d a s heißt: v o n k e i n e r a n d e r e n P e r s o n v e r l i e h e n o d e r a b g e l e i t e t ) das Weisungsrecht (Direktionsrecht) zu. Arbeitgeber

1 AN beschäftigen

originäres DirektionsR.

II. Kollektives Arbeitsrecht

A. Koalitionen 1. Kapitel: Koalitionsbegriff Literatur: H.-A., C. 1.; L.-L., K a p . Β III. 1. u. 2.; H.-N., § 39 v o r l . ; § 4 0 : SchaubAW § 189 I. 3., II. 1. u. 3., I V . 1.; Söllner, § 10 I.—III.; Zöllner, 8 8 II.

II.;

Vereinigungen von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern, die sich zum Ziel gesetzt h a b e n , ihre jeweiligen Interessen bei d e r Festlegung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren u n d zu fördern, w e r d e n Koalitionen g e n a n n t . Seitens der A N sind dies die Gewerkschaften, seitens d e r A G die Arbeitgeberverbände'. 1.1. Nach 1945 wurde von den zuvor teils politisch, teils religiös getrennten Gewerkschaften eine neutrale Einheitsgewerkschaft gegründet: d e r Deutsche Gewerkschaftsbund ( D G B ) . Die darin zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften sind überwiegend nach d e m sog. Industrieverbandsprinzip organisiert. Ihre jeweiligen Mitglieder sowohl Arbeiter wie Angestellte — sind also sämtlich A n g e h ö r i g e eines bestimmten Industriezweiges (ζ. B. „Metall", „Chemie", „Bau, Steine, E r d e n " usw.). A u ß e r h a l b des D G B b e s t e h e n noch kleinere G e w e r k s c h a f t e n , vor allem die Deutsche Angestelltengewerkschaft ( D A G ) , außerdem christliche G e w e r k s c h a f t e n - letztere spielen jedoch nur eine u n b e d e u t e n d e Rolle. 1.2. Auch die Arbeitgeberverbände sind größtenteils z u s a m m e n g e f a ß t nach den jeweiligen Wirtschaftsbereichen ( ζ . Β. „ G e s a m t m e t a l l " ) . Die einzelnen V e r b ä n d e sind, e b e n s o wie die G e w e r k s c h a f t e n , in einer Spitzenorganisation vertreten: d e r Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). 1.3. Die innere Organisation der einzelnen G e w e r k s c h a f t e n und Arbeitgeberverb ä n d e ist üblicherweise aufgeteilt in Bezirksverbände (und eventuelle Untergliederungen auf k o m m u n a l e r E b e n e ) , die meistens ein Bundesland umfassen. Auf dieser Bezirksebene stehen sich A N und A G als Tarifpartner g e g e n ü b e r . 1.4. Nach ihrer rechtlichen Organisationsform sind G e w e r k s c h a f t e n wie Arbeitgeberv e r b ä n d e Vereine des bürgerlichen Rechts. W ä h r e n d aber die A r b e i t g e b e r v e r b ä n d e eingetragene Vereine sind — und damit rechtsfähig. §§ 21 ff. B G B — sind die G e w e r k s c h a f t e n größtenteils nichtrechtsfähige Vereine (§ 54 B G B ) .

Vgl. BVfG in AP, Nr. 1 zu Art. 9 GG

35

II. Das kollektive Arbeitsrecht 2. Kapitel: Koalitionsfreiheit Literatur:

H.-A.,

C. I. 4. a) u. b); H.-N.,

§ 43; Schaub,

δ 188 I I I . - V I . ; Zöllner,

§ 8 IV. 4.

Bereits in der Einleitung (s. ο. I. 5.1.) wurde d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß die Koalitionen in mehrfacher Hinsicht grundrechtlich geschützt sind in Art. 9 III G G - daß sog. Koalitionsfreiheit besteht. 2.1. Garantiert wird zum einen die individuelle Koalitionsfreiheit. Jeder hat Recht, einer Koalition beizutreten oder sie neu zu gründen'. Nachteile dürfen daraus nicht entstehen - vgl. Art. 9 III Satz 2 G G . (Dieses Recht gilt auch Ausländer!) Schließlich umfaßt die individuelle Koalitionsfreiheit das Recht einzelnen, für die Vereinigung tätig zu werden.

das ihm für des

2.2. Auch die Koalition selbst kann sich aber auf Art. 9 III G G berufen, denn er garantiert neben der individuellen auch die kollektive Koalitionsfreiheit. Erst durch diesen grundgesetzlichen Schutz können die Koalitionen ihre A u f g a b e n im Arbeitsleben erfolgreich w a h r n e h m e n , denn erst durch diese Garantie erhalten sie ihre rechtlich abgesicherte Stellung als wirksam handelnde Sozialpartner. 2.2.1. Deshalb umfaßt die kollektive Koalitionsfreiheit auch die sog. Bestandsgarantie — jede M a ß n a h m e , die darauf gerichtet ist, eine Koalition abzuschaffen oder zu verbieten, ist verfassungswidrig. 2.2.2. Ferner gehört dazu die Betätigungsgarantie. Diese umfaßt alle Betätigungen, die zur Erfüllung der in Art. 9 III GG genannten Zwecke vorgenommen werden. (Es wäre auch sinnlos, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu garantieren, wenn sie keine diesbezüglichen Tätigkeiten vornehmen dürften.) Daraus folgt auch, daß den Koalitionen Mittel und Wege eröffnet werden müssen, mit denen sie ihre Zielsetzungen rechtmäßig verfolgen können. Hierzu gehören alle den Gewerkschaften eingeräumten Rechte zur Mitwirkung in den Betrieben und Unternehmen (vgl. u. D. u. E.). Ferner die Möglichkeit, durch Koalitionen gültige Vereinbarungen abschließen zu können — also ein Tarifvertragsrecht. Und letztlich wird hierzu auch das Recht zu zählen sein, Arbeitskämpfe führen zu dürfen, um die eigenen Vorstellungen durchsetzen zu können - also die Mittel des Streiks und der Aussperrung. 2.3. A u s Art. 9 III G G wird außer der geschilderten „positiven Koalitionsfreiheit" (2.1./2.2.) auch eine „negative Koalitionsfreiheit"'' abgeleitet: die Freiheit, einer Koalition fernzubleiben (oder wieder aus ihr auszutreten). U m dieses Recht nicht zu unterlaufen, sind sog. Differenzierungsklauseln unzulässig, d. h. tarifliche Regelungen, die ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern zugute kommen dürfen 4 . Hierdurch würde D r u c k auf jene ausgeübt, die von ihrer negativen Koalitionsfreiheit Gebrauch

' Vgl. BVfG in AP, Nr. 16 zu Art. 9 GG Vgl. BVfG in AP, Nr. 1 zu Art. 9 GG 3 Vgl. BAG in NJW 196811903

2

4

Vgl. BAG

in AP, Nr. 13 zu Art 9 GG

36

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

machen. Aus demselben G r u n d ist das closed-shop-Prinzip unzulässig, bei dem mit dem A G vereinbart wird, daß nur gewerkschaftlich organisierte A N eingestellt werden dürfen. 2.4. Somit spielt im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts die Koalitionsfreiheit eine überragende Rolle, da sie eine der richtungsweisenden Entscheidungen zur Freiheit in unserer Wirtschafts- und Verfassungsordnung ist (vgl. S. 26, Ziff. 5.1.). Koalitionsfreiheit

Individuelle Koalitionsfreiheit

Kollektive Koalitionsfreiheit Negative Koalitionsfreiheit

31

Bestandsgarantie Betätigungsgarantie

3. Kapitel: Voraussetzungen der Koalition Literatur: Brox, RdNr. 20; Buchner, Fall9 I. 3. a.; G.-S., RdNr. 436; H.-A.. C. I. 2. u. 3 . \ H . - N . . § 39; Schaub, § 187; Söllner, 5 9 I.; § 10 III. u. IV.; Zöllner. § 8 III; Z.-M.Il, Stud. Ε. 11, T e i l III ( S . 1 0 7 f f . ) .

D a Art. 9 III G G einerseits Vereinigungen der dort genannten Art schützt, andererseits offensichtlich ist, d a ß nicht jeder beliebige Zusammenschluß einiger Personen diese verfassungsrechtliche Sonderstellung beanspruchen kann, müssen Voraussetzungen genannt werden, die das Wesen einer Koalition festlegen und beschreiben. 3.1. E s muß eine freie, privatrechtliche Vereinigung vorliegen. Zwangsverbände kommen nicht in Betracht, da hier - schon vom Wortlaut her - keine Koalitions/refheit gegeben ist. (Eine A u s n a h m e gilt gem. 8 54 III Nr. 1 Handwerksordnung für Innungen1 — sie sind tariffähig.) Privatrechtlich müssen sie sein, da sie nur dann unabhängig sein können von staatlicher Einflußnahme und Aufsicht (vgl. ο. I. Einl. 4.1.3./4.1.4.: die Koalition nimmt kollektiv privatrechtliche Interessen wahr!). 3.2. Die Koalitionen müssen körperschaftlich organisiert sein. Dazu gehört die Möglichkeit der Willensbildung innerhalb der Koalition; ferner sind vertretungsberechtigte Organe (Vorstand!) zu bilden. Im wesentlichen entspricht dies einer vereinsmäßigen Organisation (§§ 21 ff. B G B ) . 3.3. Der Zusammenschluß m u ß auf Dauer angelegt sein. Ein einmaliger Zweck genügt nicht - ad-hoc-Koalitionen (spontane Koalitionen), die nur ein kurzfristiges Ziel verfolgen (etwa einen Streik durchzuführen), fallen daher nicht unter den Koalitionsbegriff-. 1 2

Vgl. BVfC in AP, Nr. 24 zu § 2 TVG Vgl. BAG in NJW 1964/883 und in NJW 19791236

II. Das kollektive Arbeitsrecht

37

3.4. Der Hauptzweck der Vereinigung ergibt sich aus Art. 9 III GG: die Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen'. Dabei sind mit „Wirtschaftsbedingungen" nur jene gemeint, die unmittelbare rechtliche Bedeutung haben im Arbeitsverhältnis. 3.5. Ein weiteres Merkmal ist die Gegnerfreiheit \ Die Koalition darf nur ms AG oder AN bestehen. Diese Voraussetzung bezweckt, innerhalb einer Koalition eine klare Meinungsbildung ohne Rücksichten auf die Gegenseite zu ermöglichen. Nur so können im Rahmen der Interessenvertretung klare Aussagen und eindeutige Forderungen entstehen (einfacher gesagt: man weiß, woran man ist). Nur von klaren Ausgangspositionen kann man zu vernünftigen Kompromissen kommen. Deshalb gehört hierzu auch die Gegnerunabhängigkeit4 — rechtliche, wirtschaftliche und organisatorische Einflüsse sollen die eindeutige Willensbildung nicht behindern. (Diese Voraussetzung des Koalitionsbegriffs ist jedoch inzwischen problematisch geworden: einerseits durch die Mitwirkung der AN-Seite in den Aufsichtsräten, vgl. u. Ε. 3.1.2., 3.2.2. und 3.3.2., andererseits durch die von Gewerkschaften selbst als A G entfalteten wirtschaftlichen Aktivitäten - wie B f G , C O O P , Neue Heimat usw.) 3.6. Koalitionen müssen überbetrieblich 5 sein; sonst können sie die ihnen vom Bundesverfassungsgericht zugeschriebenen Aufgaben nicht wirksam erfüllen: eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens zu bewirken. A u ß e r d e m wäre bei rein betrieblichen Vereinigungen auch die Gegnerunabhängigkeit nicht mehr gewährleistet - der Bestand der Koalition wäre abhängig von Entlassungen und Einstellungen des A G . (Ausnahmen vom Merkmal der Überbetrieblichkeit gibt es für die Eisenbahner- und Voraussetzungen einer Koalition

Freie Vereinigung

Körperschaftliche Organisation Auf Dauer angelegt

Zwecksetzung Gegnerfreiheit Überbetriebl. Vereinigung Kein Verbot gem. Art. 9 Abs. II GG

3 4 5

Vgl. BVfG in AP, Nr. 1 zu Art. 9 CG Vgl. ζ. B. BVfG in NJW 19791699 Vgl. BVfG in AP, Nr. 15 zu § 2 TVG

38

E r s t e r Teil: Das kollektive A r b e i t s r e c h t

Postgewerkschaft - hier fehlt es an den konkurrierenden U n t e r n e h m e n , deren A N mit in die Koalition einbezogen werden könnten.) 3.7. Schließlich darf die Koalition nicht gem. Art. 9 II GG verboten sein. D . h., sie darf ihre Zwecke und Tätigkeiten nicht darauf richten, Strafgesetze zu verletzen; ebensowenig darf sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung wenden. (Siehe Graphik auf vorangegangener Seite!)

B. Tarifvertragsrecht 1. Kapitel: D i e Teile d e s Tarifvertrags Literatur: Brox, R d N r . 22; Gamillscheg, Fälle, 19. 23. 60 b, 96; G.-S. R d N r . 4 4 1 - 4 5 » ; H. A., C. II. l . u . 6.-H.-N., § § 4 8 , 4 9 , 63; L.-L., Kap. C H I . u. IV.; Richardi, Fall W\Schaub, §§ 198,201, 202; Söllner, § 15 II. 3.; § 16 III.; Zöllner, § 33 I., II., I V . : § 35 V . ; § 36 I.

Das Tarifrecht konkretisiert die Betätigungsfreiheit der Koalitionen aus Art. 9 III G G (vgl. S. 35, Ziff. 2.2.2.), d.h. es gehört zu dieser Freiheit, Tarifverträge abschließen zu k ö n n e n . Mit ihrer Hilfe soll eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens erzielt werden. 1 Allerdings überläßt es Art. 9 III G G grundsätzlich den Koalitionen zu wählen, mit welchen Mitteln sie - im R a h m e n des geltenden Rechts - ihre Ziele erreichen wollen. Ist daher z.B. eine Koalition nicht zu Tarifverhandlungen bereit, so hat der Gegenspieler hierauf keinen einklagbaren Rechtsanspruch. Wollte man ein solches Recht annehmen, träte nämlich an die Stelle der Tarifautonomie eine gerichtliche Inhaltskontrolle. Denn das Arbeitsgericht müßte nachprüfen, ob die Koalition nicht nur rein „formal" verhandelt, sondern ob sie auch „ernstlichen Einigungswillen" besessen hat. 2 Damit würde also gerade jene Tarifautonomie beseitigt, die mit dem „Recht auf Verhandlung" gesichert werden sollte. Wenn jedoch ein T V abgeschlossen wurde, dann wohnt ihm eine (relative) Friedenspflicht inne (vgl. u. 1.2.1.). Sie muß nicht eigens vereinbart werden, sondern sie gehört zu seinem Wesen. Damit sind beide TV-Parteien verpflichtet, Arbeitskämpfe gegen diesen TV zu unterlassen. D e n n die im T V geregelten Fragen sollen für seine Laufzeit der kollektiven Auseinandersetzung entzogen sein. 3 Nachdem dargestellt wurde, wer die Parteien des Tarifvertrages sind (I. Einl. 4.2.3. und ο. A . l./2.2.ff.) und wo der Tarifvertrag im Rechtssystem seinen Platz hat (I. Einl. 6.1.), ist nun im einzelnen zu klären, wie ein solcher Tarifvertrag aufgebaut ist, welchen Inhalt er hat und was für Probleme hier entstehen.

1 2 3

Β VerfG in NJW1982/815 BAG in NJW 1982/2395 BAG in NJW 1983/1750

II. Das kollektive Arbeitsrecht

39

Ausgangspunkt ist, daß der Tarifvertrag üblicherweise aus zwei Teilen besteht, da er rechtliche Regelungen enthält sowohl f ü r die Vertragsparteien selbst (die ihn abschließenden Koalitionen), als auch für die einzelnen Mitglieder dieser Koalitionen. Man spricht deshalb von dem schuldrechtlichen und dem normativen Teil des Tarifvertrags (sog. Doppelnatur des TV). 1.1. Die Regelungen des normativen Teils sind jene, in denen die Tarifvertragsparteien die — neuen — Arbeitsbedingungen f ü r die einzelnen Arbeitsverhältnisse festgelegt haben. Diese Vorschriften wirken unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein, d . h . : es bedarf keiner weiteren vertraglichen Vereinbarung zwischen einzelnem A N und A G , um die im Tarifvertrag ausgehandelten A n s p r ü c h e geltend machen zu können, § 4 I Tarifvertragsgesetz ( T V G ) . Die Wirkung eines Tarifvertrags ist hier wie die eines Gesetzes4 - mit seinem Inkrafttreten ist er gültige Rechtsgrundlage (vgl. u. 2.). 1.2. D e r schuldrechtliche Teil bringt Rechte und Pflichten nur für die Tarifvertragsparteien (die ihn abschließenden V e r b ä n d e ) selbst, also nicht f ü r den einzelnen A N oder A G . 1.2.1. Die wichtigste schuldrechtliche Pflicht ist die Friedenspflicht 5 . Die Tarifvertragsparteien vereinbaren, den Bestand des ausgehandelten Vertrags f ü r eine bestimmte Laufzeit zu respektieren, die ihrerseits im Vertrag festgelegt wird. Damit sind die im Tarifvertrag enthaltenen Regelungen für diese Laufzeit (oder bis zu seiner zulässigen Kündigung) einseitigen Änderungswünschen entzogen — insbesondere natürlich auch dem Versuch, eine solche Ä n d e r u n g mit Arbeitskampfmaßnahmen zu erzwingen. Eine Vertragspartei, die diese Friedenspflicht nicht einhält, verletzt den Vertrag und setzt sich damit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen d e r anderen Seite aus. (Hier liegt für die Gewerkschaften das Problem der sog. Nachschlagsforderungen bei günstiger Konjunkturentwicklung!) 1.2.2. Die Friedenspflicht ist jedoch relativ: sie bezieht sich nur auf den Inhalt des jeweiligen Tarifvertrages. Forderungen außerhalb der im Vertrag geregelten Fragen können mit allen üblichen Arbeitskampfmitteln durchgesetzt werden (Beispiel: ein geltender Urlaubstarifvertrag hindert nicht, einen neuen Lohntarifstreit zu f ü h r e n . ) Eine absolute Friedenspflicht gibt es nur, wenn dies zwischen den Tarifvertragsparteien ausdrücklich vereinbart wird. In einem solchen Fall sind sämtliche Arbeitskampfm a ß n a h m e n — egal für welche Ziele — verboten (einschließlich ihrer Vorbereitung, wie etwa Urabstimmung). 1.2.3. Die Friedenspflicht wird ergänzt von der Durchführungspflicht. (Sowenig die Koalitionsfreiheit nützt, wenn nicht auch ihre Betätigung geschützt wird, vgl. ο. A . 2.2.2. - sowenig würde eine Friedenspflicht bewirken, die durchzusetzen jeder Vertragspartei frei stünde.) Die einzelnen A N und A G sind nicht Partei des Tarifvertrags — sie unterliegen nur seinen normativen Regelungen — die schuldrechtlichen Wirkungen betreffen nur die vertragsschließenden Parteien selbst (also die V e r b ä n d e als solche). Deshalb sind die am Tarifvertrag beteiligten Koalitionen verpflichtet, auf ihre jeweiligen Mitglieder einzuwirken, d a ß auch diese sich an die Vereinbarungen des

4 5

Vgl. BVfG in AP, Nr. 15 zu § 2 TVG Vgl. BA G in Α Ρ, Nr. 4 zu § 1 TVG, Friedenspflicht

40

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

Tarifvertrags halten - also insbesondere keine die Friedenspflicht verletzenden M a ß n a h m e n ergreifen. U m dies zu erreichen, sind die Mitglieder über den Tarifvertrag zu informieren. K o m m t es zu Verstößen, ist die Tarifvertragspartei gehalten, die betreffenden Mitglieder mit allen rechtlich verfügbaren Mitteln zu beeinflussen. 1.2.4. Die Friedenspflicht kann zeitlich erweitert werden durch die A u f n a h m e eines Schlichtungsabkommens in den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags. Regelmäßig wird dabei vereinbart, daß nach dem Scheitern von Tarifverhandlungen, aber vor d e m Beginn von K a m p f m a ß n a h m e n , einer Schlichtungsstelle letzte Versuche einer friedlichen Einigung übertragen werden. Bestandteile eines Tarifvertrages Bestandteile eines TV Obligatorischer Teil (schuldrechtl. Teil) Normativer Teil (definitorischerTeil)

wichtigste Inhalte Friedens- und Einwirkungspflicht Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen für Einzelverträge Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen

2. K a p i t e l : V o r a u s s e t z u n g e n eines A n s p r u c h s aus Tarifvertrag Literatur: Brox, RdNr. 22-24; Buchner, Fall 7 l.b). 2.b); Gamillscheg, Fälle 19. 55. 60: C.-S., RdNr. 445 - 451, 459 - 469; H.-A., C. II. 2.; L.-L., Kap. C II. 2.a). III. 1. b). 2., 3.ff.; H.-N., §§ 50-62; Richardi, Fall 11: Schaub, §§ 199.200.203-209; Söllner, § 15 Ill.ff.; §§ 16. Π\ Zöllner, §33 III.; §34; §35 I . - I V ; § 3 6 I I . - I V ; § 37;Z.-M. II, Stud. Ε. 12.Teil I 1.. I I - I V ( S . 114ff., 121 ff.). Um in seinem normativen Teil eine wirksame Anspruchsgrundlage zu sein (vgl. ο. B. 1.1.), muß der Tarifvertrag bestimmte Voraussetzungen erfüllen 2.1. Da der Tarifvertrag ein privatrechtlicher Vertrag ist. gelten zunächst die Regeln des B G B ü b e r den Vertragsschluß (hierzu Näheres im Individuellen Arbeitsrecht): es müssen Angebot und Annahme vorliegen. Der Tarifvertrag unterliegt jedoch nicht der zur Vertragsfreiheit gehörenden Formfreiheit — gemäß § 1 II T V G ist der Tarifvertrag schriftlich abzuschließen 1 (da der Tarifvertrag auch nach außen wirkt, für Dritte Rechte und Pflichten festsetzt. Nach § 8 T V G m u ß der Tarifvertrag deshalb auch bekanntgegeben werden; ob der Tarifvertrag gültig ist. hängt von dieser Bekanntgabe jedoch nicht ab). 2.2. D e r V e r t r a g muß durch tariffähige Parteien geschlossen werdend Wer tariffähig ist, bestimmt § 2 T V G : Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber (insoweit wird die 1 1

Vgl. BAG in AP, Nr. 6 zu § I TVG, Form Vgl. zur Tariffähigkeit BAG in AP, Nr. 24 zu Art. 9 GG; Nr. 25 zu § 2 TVG

II. Das kollektive Arbeitsrecht

41

F o r d e r u n g , Koalitionen m ü ß t e n stets überbetrieblich sein - vgl. ο. A . 3.6. - f ü r die A G - S e i t e eingeschränkt), Vereinigungen von A r b e i t g e b e r n und f e r n e r Spitzenorganisationen, sofern sie e n t s p r e c h e n d e Vollmacht besitzen, § 2 II T V G , o d e r satzungsgem ä ß handeln, § 2 III T V G . Steht auf AG-Seite ein V e r b a n d als Tarifvertragspartei (Normalfall), spricht man vom Verbandstarif·, handelt auf A G - S e i t e ein einzelner A G , liegt ein Haus- oder Firmentarifvertrag vor (ζ. B. V W - W e r k e ) . 2.3. Die vertragschließenden Parteien müssen zuständig sein für den Abschluß des TV 3 . O b sie es sind, ergibt sich aus der Satzung der jeweiligen T V - P a r t e i . Grundsätzlich sollen dabei Ü b e r s c h n e i d u n g e n innerhalb eines Betriebes vermieden werden Grundsatz der Tarifeinheit. Wird ein Betrieb dennoch von zwei o d e r mehreren verschiedenen T V e r f a ß t , ist d e r betriebsnähere anzuwenden (vgl. ο. I. Einl. 6.3.). 2.4. U m festzustellen, ob ein bestimmter T V als Anspruchsgrundlage dienen kann, ist auch sein Geltungsbereich zu p r ü f e n . Dabei sind zu unterscheiden: persönlicher, zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich. 2.4.1. Im Tarifvertrag wird v e r e i n b a r t , für welche Personengruppen er gilt - oder welche ausgeschlossen sein sollen (ζ. B.: A r b e i t e r — Angestellte - Hilfskräfte, Teilzeitbeschäftigte - usw.). 2.4.2. Normalerweise gilt ein T V ab d e m Z e i t p u n k t seines Abschlusses bis zum E n d e der vertraglich ausgehandelten Laufzeit o d e r d e m Ablauf der Kündigungsfrist. Es kann jedoch vereinbart w e r d e n , d a ß ein T V erst einige Zeit nach seinem Abschluß Inkrafttreten soll. Eine Rückwirkung ist dagegen nur in engen G r e n z e n zulässig, da wie bei Gesetzen - die Rechtssicherheit der B e t r o f f e n e n prinzipiell zu beachten ist4. 2.4.3. D e r räumliche Geltungsbereich eines T V ist meistens beschränkt auf ein Bundesland oder einen kleineren Bereich. Für den Abschluß eines T V mit Gültigkeit f ü r m e h r e r e B u n d e s l ä n d e r o d e r gar das ganze Bundesgebiet hätte ein Bezirksverband keine Tarifzuständigkeit (vgl. o. 2.3.). Hier m ü ß t e eine Spitzenorganisation handeln. 2.5. Weitere Voraussetzung ist die Tarifgebundenheit, § 8 3 1 , 4 1 T V G . Tarifvertragliche A n s p r ü c h e können nur geltend gemacht werden, wenn beide Vertragsteile des k o n k r e t e n Arbeitsvertrages Mitglieder d e r Tarifvertragsparteien sind. Dabei hindert es die Tarifgebundenheit nicht, wenn die einzelne Partei erst nach Abschluß des T V Verbandsmitglied wird („auch wer auf einen fahrenden Z u g springt, wird b e f ö r d e r t " ) . Andererseits bleibt die T a r i f g e b u n d e n h e i t bestehen, wenn der Verbandsaustritt während der Laufzeit eines T V erfolgt - bis d e r T V abgelaufen ist, § 3 III T V G („wer vom f a h r e n d e n Z u g abspringt, m u ß trotzdem Fahrgeld bezahlen"). 2.5.1. E i n e Ausnahme von der beidseitigen T a r i f g e b u n d e n h e i t besteht g e m . §3 II TVG f ü r solche tarifvertraglichen Vorschriften, die betriebliche o d e r betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln - hier genügt es, daß allein der A G t a r i f g e b u n d e n ist. (Beispiel: Bestimmungen ü b e r betriebliche Einrichtungen f ü r die A N - wie

1

Vgl. BAG in AP, Nr. 1 zu § 2 TVG,

4

Vgl. zur Rückwirkung grundsätzlich BVfG in AP, Nr. 19 zu Art. 14 GG sowie BAG in AP, Nr. 4 zu § 1 TVG,

Tarifzuständigkeit

Rückwirkung

• Zur Verfassungsmäßigkeit vgl. BVfG in NJW 1981/215 sowie BAG in AP, Nr. 12 zu § 5 TVG

42

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

Waschräume, Kantine u. ä.; oder Bestimmungen über die betriebliche Ordnung - wie Raucherzimmer, Taschenkontrolle usw.) 2.5.2. Eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der Tarifgebundenheit liegt im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung 5 vor, § 5 T V G . Sie ist zulässig, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht und mindestens 50% der A N des Tarifbereichs bei tarifgebundenen A G arbeiten. Die für die übrigen A N und A G dieses Tarifbereichs fehlende Tarifgebundenheit wird durch die Allgemeinverbindlicherklärung im Rahmen des Tarifvertrags ersetzt. 2.6. D a s T V G unterscheidet in den §§ 1 und 4 mehrere Arten zulässiger Normen: Inhaltsnormen, Abschlußnormen und Beendigungsnormen (jeweils bezogen auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse). 2.6.1. A m wichtigsten sind die Inhaltsnormen. Sie regeln den Inhalt der Arbeitsverhältnisse — also etwa L o h n h ö h e , Urlaub, betriebliche Ruhegelder, aber auch zusätzliche Vereinbarungen über Lohnfortzahlung etc. 2.6.2. Abschlußnormen enthalten Bestimmungen über die Eingehung von Arbeitsverhältnissen. Hierzu gehören Formvorschriften (z.B.: Schriftform für den Vertragsschluß), Abschlu ßverbote ( ζ . Β.: Frauen oder Jugendliche für gesundheitsgefährdende Arbeiten einzustellen) und Abschlußgebofe (u. a. die Vereinbarung, eine Anzahl älterer A r b e i t n e h m e r zu beschäftigen). 2.6.3. Beendigungsnormen schließlich sind diejenigen, die Voraussetzungen und Abwicklung der Kündigung betreffen. 2.7. Erforderlich f ü r einen durchsetzbaren Anspruch aus TV ist auch, daß die dem Anspruch zugrundegelegte Norm nicht übergeordnetes zwingendes Gesetzesrecht verletzt ( A u s n a h m e : das Günstigkeitsprinzip-vgl. I. Einl. 6.3.!). 2.8. Ferner ist darauf zu achten, daß die Norm nicht gegen die Verfassung verstößt (Beispiel: ein A G kann sich nicht auf eine Vorschrift berufen, die unter Verstoß gegen Art. 3 III G G Ausländer benachteiligt). 2.9. Der TV darf auch nicht bereits erloschen sein (durch Anfechtung, §§ 119,123ff. BGB, Aufhebungsvertrag oder Zeitablauf). Der Zeitablauf allein genügt jedoch nicht: gemäß § 4 V T V G gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch andere Abmachungen - auch einzelvertragliche - ersetzt werden (sog. Nachwirkung). Auch die Verjährung kann der erfolgreichen Durchsetzung eines Anspruchs aus TV entgegenstehen. Dagegen ist eine Verwirkung gem. § 4 IV, 2 TVG ausgeschlossen. 2.10. Letztlich sind die sog. Ausschlußfristen zu beachten. Sie zwingen den A N , seine Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen. Ausschlußfristen dürfen nur tarifvertraglich vereinbart werden, § 4 IV T V G . Sic sind meist relativ kurz (etwa 3—6 M o n a t e . Im Vergleich: arbeitsrechtl. Ansprüche verjähren in 2 Jahren §§ 196 I Ziff 8. und 9./201 B G B ) und führen bei Versäumung der Frist (im Gegensatz zur Verjährung) zum Untergang des Anspruchs. Ziel und Zweck der Ausschlußfristen ist, möglichst bald klare Rechtsverhältnisse zu schaffen.

II. D a s kollektive Arbeitsrecht

43

Voraussetzungen eines Anspruchs aus TV

Schriftform Tariffähigkeit Tarifzuständigkeit Geltungsbereich Tarifgebundenheit Normative Zulässigkeit Gesetzeskonform Verfassungskonform keine Verjährung Ausschlußfrist

3. Kapitel: G r e n z e n der Tarifautonomie Literatur: G.-S., RdNr. 456; 461; H.-A., C. II. 3. u. 4.; L.L., Kap. C III.7.; H.-N., § 5 0 III. 2 . ; § 5 1 ; Schaub, §200; Söllner, § 17; Zöllner, § 3 8 ; Z.-M. II, Stud. Ε . 12. Teil III 3.b). Teil V (S. 125 ff., 134 ff.).

Daß Koalitionen überhaupt Tarifverträge abschließen dürfen, und damit ihre eigenen Angelegenheiten unter Ausschaltung des Staates regeln können, ergibt sich aus der Betätigungsgarantie des Art. 9 III G G (s. ο. A. 2.2.2.). Man spricht daher von der Tarifautonomie. Wie jedes Recht, gilt aber auch die Tarifautonomie nicht unbeschränkt - sie muß gewisse Grenzen respektieren. 3.1. Die Betätigung der Koalitionen im Rahmen der Tarifautonomie darf nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen (vgl. auch o. 2.8.). So ist ζ. B. eine Rückwirkung bei Tarifverträgen grundsätzlich unzulässig (vgl. o. 2.4.2.), ebenso Regelungen, die gegen den Gleichheitssatz und andere Verfassungsprinzipien gerichtet sind. 3.2. Ebenso ist ein T V ungültig, der die §§ 134/138 BGB verletzt. Die Grenzen des § 138 B G B können ζ. B. überschritten werden, wenn ein T V eindeutig gegen das Gemeinwohl verstößt 1 . (Eine Bindung an das Gemeinwohl besteht nicht nur für 1

Zur Gemeinwohlbindung vgl. BVfG

in AP, Nr. 23 zu Art. 9 GG

44

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

staatliche M a ß n a h m e n , sondern auch für Koalitionen, weil die von ihnen geschlossenen TV Teil der Rechtsordnung sind — die vom Staat garantierte Tarifautonomie kann kein „Freibrief" sein, gerade jene zu schädigen, die dieses Recht gewähren.) Da der Begriff des Gemeinwohls jedoch sehr unbestimmt ist, kann ein Verstoß gegen § 138 B G B nur in extremsten Fällen a n g e n o m m e n werden. 3.3. D e r T V darf weiterhin nicht in die Individualsphäre eingreifen. D . h . , ein persönlicher Bereich f ü r private Entscheidungen muß erhalten bleiben, er ist tarifvertraglichcr Regelung entzogen - etwa die Verwendung des Lohns, Verhaltensweisen außerhalb des Betriebs u. ä. (Diese Grenze der Tarifautonomie kann auf die Art. 11/21 G G gestützt werden: eine totale Lebensregelung widerspricht der Würde des Menschen und macht s e i n e / r a e Entfaltung der Persönlichkeit unmöglich - vgl. I. Einl. 5.2./ 5.3.). 3.4. D e r Tarifautonomie unterliegen auch jene Bereiche nicht, die wegen des Günstigkeitsprinzips der Vertragsfreiheit vorbehalten sind. T V dürfen deshalb keine Höchstbedingungen enthalten. Unzulässig sind außerdem die sog. Effektiv-Klauseln2 - sie besagen, d a ß eine übertarifliche Bezahlung in gleichem M a ß bestehen bleiben muß, wenn ein neuer T V abgeschlossen wurde. (Beispiel: alter tarifl. Stundenlohn 1 0 , - D M ; übertarifl. Bezahlung 10%; effektive Bezahlung also 1 1 , - D M . N e u e r T a r i f l o h n : 10,80 D M . Wäre nun die Effektivklausel gültig, müßten auf diesen neuen Tariflohn wiederum 10% übertariflichen Lohn bezahlt w e r d e n , d. h. effektiv 11,88 D M . Da die Effektivklausel jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ungültig ist, bleibt es d e m A G überlassen, ob er freiwillig auch auf den neuen Tariflohn 10% aufschlägt, oder ob er seinen alten Lohn fortbezahlt, da dieser im gegebenen Beispiel immer noch über dem neuen Tariflohn liegt.) Grenzen der Tarifautonomie

Rechtsstaatliche Grundsätze §§ 134/138 BGB Individualbereich Vertragsfreiheit AG-AN Betriebsverf.-rechtl. Fragen Unternehmensverfassung

2

Vgl. BAG in AP, Nr. 7 u. Nr. 8 zu S 4 TVG,

Effektivklausel

II. D a s k o l l e k t i v e A r b e i t s r e c h t

45

3.5. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen unterliegen der Tarifautonomie nur in den Grenzen des § 3 BetrVG (vgl. auch ο. 2.5.1.). 3.6. G a n z entzogen ist der tarifvertraglichen Regelung und damit der Tarifautonomie die Unternehmensverfassung (also etwa die Frage, ob und welche Art Mitbestimmung eingeführt werden soll). Sie ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. hierzu u. E . ) .

C. Arbeitskampfrecht 1. Kapitel: Der Arbeitskampf Literatur:

Brox,

R d N r . 79; G a m i l l s c h e g , Fälle 38, 135; C . - 5 . R d N r . 4 7 0 - 4 7 4 . 4 7 6 - 4 8 1 : H.-A.,

C.

III. 1., 2., 5.; L.-L., Kap. D; H.-N., §§67-71; Richardi, Fall 10; Schaub, §§ 192-194; Söllner, § § 1 2 , 13; Zöllner,

§ § 3 9 - 4 1 ; Z.-M.

11, Stud. Ε. 13 (S. 1 3 9 f f . ) .

Zur Betätigungsgarantie der Koalitionen gehört, Vereinbarungen schließen zu können, bezüglich der A r b e i t s - u n d Wirtschaftsbedingungen - Art. 9 III G G (vgl. ο. A . 2.2.2.). Es genügt jedoch häufig nicht, die Interessen der eigenen Koalitionsmitglieder nur durch Verhandlungen wahrzunehmen. D e n n die Gegenseite vertritt ihre Positionen in gleicher Weise — d. h. zunächst unnachgiebig. Deshalb gibt es eine weitere Möglichkeit, den Vertragspartner zu beeinflussen zu versuchen: den Arbeitskampf. 1.1. Kampfmittel für die AN-Seite ist der Streik, f ü r die AG-Seite die Aussperrung 1 . Streik ist die kollektive Arbeitsniederlegung oder Teilleistung (Bummelstreik, Dienst nach Vorschrift) der Arbeitnehmerschaft eines Betriebs oder U n t e r n e h m e n s , Aussperrung ist das Verbot des A G gegenüber A r b e i t n e h m e r n , die Betriebsstätte bzw. das U n t e r n e h m e n zu betreten und die Arbeit zu leisten. Obwohl bei Streik wie bei Aussperrung eigentlich die jeweiligen Arbeitsverträge verletzt werden (die A N verweigern die Arbeitsleistung; die A G lehnen die Beschäftigung der A N ab und bezahlen keinen Lohn), darf die Rechtsordnung diese Vertragsverletzungen nicht als rechtswidrig einstufen. Denn es wäre sinnlos, Arbeitskampfmittel zur Verfügung zu stellen, deren Einsatz das Recht verletzen würde. Andererseits bedarf es einer genauen Bestimmung, was Arbeitskampf ist und wann er rechtmäßig sein soll - sonst könnte jede beliebige Arbeitsniederlegung und jede willkürliche Lohnverweigerung als „ A r b e i t s k a m p f " ausgegeben werden. 1.2. Daraus wird bereits ersichtlich, d a ß der Arbeitskampf gewisse Regeln braucht, die einzuhalten sind, um ihn als rechtmäßig anzusehen. Das bedeutet: auch Streik und Aussperrung müssen sich im Rahmen des für sie geltenden Rechts bewegen. (Verlassen sie diesen R a h m e n , verbleibt es bei den Vertragsverletzungen, die objektiv vorliegen, mit allen üblichen Folgen auf vertraglicher wie deliktsrechtlicher E b e n e , wie Schadens1

Zur Rechtmäßigkeit vgl. BAG in NJW1980/1642 und BAG in DB 198811902

46

Erster Teil Das kollektive Arbeitsrecht

ersatzforderungen, Kündigungsrechterr usw ) Man spricht deshalb vom Arbeitskampfrecht. Dieses Recht ist allerdings nicht in Gesetzen niedergelegt Einige Gesetzestexte erwähnen die Termini Aussperrung, Streik, A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n etc , ohne sie jedoch zu definieren Das Arbeitskampfrecht entwickelte sich somit überwiegend aus der Rechtsprechung sowie der arbeitsrechtlichen Literatur 1.3. D e n Sinn des Streiks sieht das BA G darin, daß auf den Kampfgegner Druck ausgeübt werden kann, indem die Arbeitsleistung vorenthalten wird Die Schäden, die entstehen, weil der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden kann, verursachen den Druck auf die Gegenseite Grundsätzlich ist dabei die Höhe des Schadens ohne Belang ' Jedoch müssen, soll dieses Vorgehen berechtigt sein, zuvor alle zumutbaren Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein („ultima-ratio-Prinzip" des Arbeitskampfes - s.u 2 5 ) Schließlich berühren die Arbeitskämpfe der TV-Parteien auch oft Rechte Dritter und der Allgemeinheit A u f g r u n d dieser sozialen Verantwortung der Parteien ist die Arbeitskampffreiheit nicht schrankenlos 4 Äußerste Grenzen des Arbeitskampfes sind die Existenz der Betroffenen und Situationen des Notstands Streik oder Aussperrung, die darauf gerichtet sind, den jeweiligen Gegner wirtschaftlich zu vernichten, sind unzulässig Denn Ziel sind nach Art 9 III G G die Wahrung und die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen - nicht dagegen, die Grundlagen dieser Bedingungen zu zerstören Die Mittel des Arbeitskampfes sollen nur dazu dienen, auf neuer Vertragsgrundlage wieder eine Zeit des wirtschaftlichen Friedens zu erreichen Pflicht der Arbeitskampfgegner ist es a u ß e r d e m , Notstände zu vermeiden in lebenswichtigen Betrieben (ζ Β Krankenhäusern), die fur die Gesamtbevölkerung von Belang sind. (Diese Pflicht ist aus der Gemeinwohlbindung zu begründen, die bereits als eine Grenze der Tarifautonomie genannt wurde - vgl. ο Β 3 2 ) Deshalb ist durch Notstandsmaßnahmen die Funktion dieser Betriebe zu gewährleisten 1.4. U m zu wissen, auf was für Handlungen die erwähnten Regeln des Arbeitskampfes anzuwenden sind, sind seine Voraussetzungen festzulegen 1.4.1. D a Ziel des Arbeitskampfes ist, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu vereinbaren, und da gem § 2 T V G nur die dort genannten Verbände usw. tariffähig sind, folgt als erstes, daß der Arbeitskampf kollektives Handeln erfordert Der einzelne A N kann also nicht „streiken" - er kann nur seine Arbeit verweigern Auf der anderen Seite kann ein A G auch nicht einen einzelnen A N „aussperren", sondern nur seine Beschäftigung ablehnen. 1.4.2. D e r Arbeitskampf muß - als zweites - stets darauf gerichtet sein, eine Veränderung herbeizuführen bei den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der eigenen Koalitionsmitglieder. (Dies folgt aus den Erläuterungen ο. 1 nur f ü r dieses Ziel stellt die Rechtsordnung die Arbeitskampfmittel zur Verfügung )

2 i 4

Vgl BAG in ΝJW1979/236 BAG in ΝJW 198212835 BAG in ΝJW 198212395

II. Das kollektive Arbeitsrecht

47

1.4.3. Z u m dritten muß der Arbeitskampf auf eine tarifliche Regelung zielen 5 - denn nur sie legt kollektiv die erstrebten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fest. Problematisch sind deshalb all jene K a m p f m a ß n a h m e n , die das Ziel tarifvertraglicher Regelung nicht oder nur mittelbar bezwecken: Politische Streiks, Sympathie-, Warnund Proteststreik. 1.4.3.1. Politische Streiks verfolgen im allgemeinen keine arbeitsrechtlichen Ziele. Wenn jedoch der politische Streik zur Durchsetzung arbeitsrechtlicher Gesetze dienen soll (wie etwa 1972, wegen des neuen B e t r V G ) , kann er ausnahmsweise als gerechtfertigt angesehen werden. Ansonsten finden solche Streiks keine verfassungsrechtliche Stütze. 1.4.3.2. Beim Sympathiestreik werden keine eigenen unmittelbaren Vorteile der Streikenden erstrebt, sondern fremde Kampfziele unterstützt. In engen Grenzen kann ein solcher Streik gerechtfertigt w e r d e n , wenn einerseits die betroffenen Koalitionen eng verbunden sind (ζ. Β. Zusammenschluß im selben Oberverband), andererseits die Verhältnismäßigkeit (vgl. u. 2.5.) auch bei strenger Prüfung beachtet ist. 1983 entschied das BAG, daß Sympathiestreiks nicht tarifwidrig sind, da sie sich gegen keinen bestehenden TV wenden. 6 1985 und bestätigend 1988 änderte das BAG seine Rechtsprechung diesbezüglich und erklärte Sympathie- und Solidaritätsstreiks für unzulässig.1 1.4.3.3. Warn- und Proteststreiks haben zwar f ü r sich, daß sie gelegentlich längere Arbeitskämpfe verhindern bzw. überflüssig machen können. Eigentlich verstoßen sie jedoch insofern gegen die Friedenspflicht, als sie in aller Regel während noch laufender Tarifverhandlungen stattfinden (um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen) und daher nicht die vorgeschriebenen Arbeitskampfregeln (Urabstimmung!) einhalten. Soweit sie jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, werden diese Streikarten heute von der Rechtsprechung als rechtmäßig anerkannt 8 . Seitdem das BAG 1976 einen ca. zweistündigen, gewerkschaftlich geführten Warnstreik als rechtmäßig beurteilt hat, 9 wurde von den Gewerkschaften daraus systematisch eine Strategie aufgebaut - die sog. „Neue Beweglichkeit". Bereits in der Verhandlungsphase um einen Tarifabschluß werden planmäßig zahlreiche Warnstreiks durchgeführt, heute hier, morgen dort, von je verschiedener D a u e r , unabsehbar für den einzelnen A G , wann welcher Betrieb betroffen sein wird. G e r a d e diese Verunsicherung ist jedoch von Gewerkschaftsseite gewollt, sie ist das bewußt eingesetzte Druckmittel, um ein schnelleres und weiteres E n t g e g e n k o m m e n der A G beim Tarifabschluß zu erreichen. Zugleich sollen hierdurch die eigenen finanziellen Reserven geschont werden. Bis zu einer weiteren ΒAG-Entscheidung 1984 war umstritten, o b diese Art Warnstreiks noch rechtlich zulässig waren. Bedenken ergaben sich aus der z.T. beträchtlichen Wirkung der vereinzelt durchgeführten Warnstreiks, so daß diese in ihrer Wirkung einem Erzwingungsstreik nahe k a m e n . In der Entscheidung von 1984 legte das B A G dar, d a ß , sofern es sich um kurze, zeitlich befristete Arbeitsniederlegungen han-

5 6 7 8 9

Vgl. BAG in AP, Nr. 44 zu Art. 9GG, Arbciiskampf BAG in NJW1983/1750 BAG in DB 1985/1695 und DB 1988/1270 Vgl. z.B. BAG in NJW 197711079 BAG in AP, Nr. 51 zu Art. 9 GG, Arbeitskampf

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

48

dein w ü r d e , diese als Warnstreiks selbst dann zulässig seien, wenn dahinter ein planmäßiges Konzept stehen würde. 1 0 1988 o r d n e t e das B A G dann den Warnstreik wiederum dem ultima-ratio-Prinzip unter, d e m alle Streikformen unterliegen." Ein Arbeitskampf liegt vor bei

Kollektivem Handeln zur Veränderung der Arbeitsbedingungen durch tarifliche Regelung

2. Kapitel: Voraussetzungen des rechtmäßigen Arbeitskampfes Literatur: Brox, R d N r . 79; G.-S., R d N r . 4 7 5 ; H. A., C. III. 5. u. 6 , : L . - L . , Kap. D I I . 2 . . V.; H.N., § 67; Richardi, Fall \0\Schaub, § 193 I . u . U. , Söllner, S \2: Zöllner, § 4 0 , i n s b e s . V I . u . V I I I . ; Z.-M. II, Stud. Ε . 13, Teil II (S. 143ff.).

Bereits erwähnt wurde (vgl. ο. 1.1./1.2.), daß der so beschriebene Arbeitskampf (kollektives Handeln zur Änderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch tarifliche Regelung) nach gewissen Regeln durchgeführt werden und bestimmte Merkmale erfüllen m u ß , um von der Rechtsordnung als rechtmäßig anerkannt zu werden. Diese Voraussetzungen sind: 2.1. Streik bzw. Aussperrung müssen von Parteien durchgeführt werden, die gem. § 2 T V G tariffähig sind. (Sind die A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n zulässig eingeleitet, müssen die streikenden A N bzw. aussperrenden A G jedoch nicht Mitglied der handelnden Koalition sein; es genügt, daß sie zum jeweiligen Industriezweig gehören, in dem der Arbeitskampf geführt wird.) Dieses Merkmal fehlt in der Regel bei sog. wilden Streiks d. h. der Arbeitsniederlegung einer - auch größeren - G r u p p e von A N , die nicht als solche tariffähig ist. 2.2. Die A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e muß auf einen durch Tarifvertrag regelbaren Sachverhalt gerichtet sein — also auf eine Veränderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. (Hier sind deshalb wiederum die Grenzen der Tarifautonomie zu beachten — vgl. ο. B. 3.! Streiks und Aussperrungen, die verfassungswidrige oder dem

10 11

BAG BAG

ν. 12.09.1984,-1 in BB1988/2461

AZR342/83

' Vgl. zur Rechtswidrigkeit wilder Streiks BAG

in AP, Nr. 32 zu Art. 9 GG,

Arbeitskampf

II Das kollektive Arbeitsrecht

49

Gemeinwohl offensichtlich widersprechende Ziele verfolgen, können nicht rechtmäßig sein ) Damit sind all jene Regelungen angesprochen, die unter §11 TVG fallen D e r Arbeitskampf kann demnach insbesondere um solche Bestimmungen gehen, die den normativen Teil eines TV ausmachen (vgl ο Β 1 1 12 6 ) 2.3. Weiterhin darf für die handelnde Koalition keine Friedenspflicht mehr bestehen (vgl ο Β 1 2 1 Ί 2 2 ) Damit sind sogar die Vorbereitungen fur A r b e i t s k a m p f m a ß nahmen unzulässig, solange die Fnedenspflicht gilt - wie ζ Β die Durchführung der Urabstimmung* Diese einleitenden M a ß n a h m e n gelten bereits als „Kampferöffnung" Und dies zurecht es ist offensichtlich, d a ß etwa der Ausgang einer Urabstimmung die Willensbildung der AG-Seite beeinflussen kann, wenn sich eine besonders hohe Streikbereitschaft der AN herausstellt 2.4. Diejenige Koalition, die A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n durchführen will, muß ein bestimmtes Verfahren einhalten Wie dieses ausgestaltet ist, ergibt sich aus den jeweiligen Satzungen Besondere Bedeutung haben hier fur die Streikvorbereitung die Urabstimmung und die bei ihr zu erreichenden Mehrheitsverhältnisse (Der Streik als das übliche Angriffsmittel ist genauer geregelt als die Aussperrung, die meistens defensiv eingesetzt wird.) 2.4.1. Man kann die Verpflichtung, ein bestimmtes Verfahren einzuhaken, aus d e m Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit" (s u 2 5 ) herleiten da diese satzungsmäßigen Maßnahmen eine gewisse Zeit beanspruchen, entsteht durch den jeweiligen einzelnen Verfahrensschritt f u r die Gegenseite möglicherweise eine Uberlegungsfrist. ob man — je nach Signalwirkung der Arbeitskampfvorbereitungen - durch neue, a n n e h m b a r e Vorschläge den Arbeitskampf selbst doch noch verhindern kann Dies ermöglicht, Streik bzw Aussperrung als verhältnismäßig schwerwiegendere Eingriffe in das Wirtschafts- und Arbeitsieben zu vermeiden - was dem allgemeinen Ziel des Arbeitsfriedens dient 2.4.2. Wird gegen die Pflicht, das vorgeschriebene Verfahren einzuhaken, verstoßen, ist der Streik rechtswidrig. 2.5. Weitere Voraussetzung eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ist, die genannte Verhältnismäßigkeit zu wahren Dies bedeutet nicht, daß Streik oder Aussperrung die letzte Möglichkeit der handelnden Koalition sein müssen' Jedoch sind die zumutbaren Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und ein eventuell vereinbartes Schlichtungsverfahren durchzuführen A u ß e r d e m darf zwischen zu erwartendem Schaden und Nutzen des Arbeitskampfes kein krasses Mißverhältnis bestehen 2.5.1. Ein besonderes Problem ist in diesem Z u s a m m e n h a n g , ob die sog auflösende Aussperrung zulässig ist, d. h , ob mit der Aussperrung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbunden werden darf. Dies wird heute vom Bundesarbeitsgericht grundsätzlich abgelehnt\ D e n n Ziel des Arbeitskampfes ist gerade, das Arbeitsverhältnis neu zu gestalten - es also nach Beendigung der K a m p f m a ß n a h m e fortzusetzen. A u ß e r d e m , so das B A G , sei 2. B. der Verlust aller betrieblicher Anwartschaften (als Folge der auflösenden Aussperrung) unsozial - mit anderen Worten eben nicht 2

Vgl BAG in AP, Nr 2 zu § 1 TVG, Fnedenspflicht ' Vgl BAG in NJW 198011642, in NJW 1980/1652 sowie m NJW 197111668 4 Vgl BAG in AP, Nr 43 zu Art 9GG Arbeitskampf - gegen Nr 1 zu Art 9 GG, Arbeitskampf

50

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

verhältnismäßig. (Nur unter ganz besonderen Umständen kann eine auflösende Aussperrung gerechtfertigt sein, ζ. B. bei extrem langer D a u e r des Streiks.) 2.6. Schließlich ist eine faire Kampfführung erforderlich. Dies folgt daraus, daß K a m p f m a ß n a h m e n Teil des Arbeitskampfrec/i/s sind (vgl. o. 1.2.) - das Recht läßt aber keine „Schläge unter die Gürtellinie" zu. D a r u m sind jene bereits o. 1.3. genannten Verhaltensweisen erforderlich, also bei Notmaßnahmen mitzuwirken und Vernichtungskämpfe zu vermeiden; weiterhin aber nicht nur für die allgemein lebenswichtigen Betriebe, sondern für jedes U n t e r n e h m e n M a ß n a h m e n zu treffen, die seinen Bestand sichern (ζ. B. gefährliche Anlagen bewachen, Maschinen und G e b ä u d e instandhalten u.ä.). Sie sollen die sächlichen Betriebsmittel (Anlagen, Rohstoffe, Produkte) in dem Zustand erhalten, in dem sie zu Beginn des Arbeitskampfes waren und der ermöglicht, nach seiner Beendigung die Arbeit unverzüglich wiederaufzunehmen, denn der Arbeitskampf unterbricht die Produktion von Gütern und Dienstleistungen nur, er zielt nicht darauf ab, den Betrieb zu verändern 5 . Arbeitskämpfe, die dieses Fairness-Gebot verletzten, finden keine rechtliche A n e r k e n n u n g . Voraussetzungen eines rechtmäßigen Arbeitskampfs

Tariffähige Partei Tariflich regelbarer Sachverhalt Keine Friedenspflicht Einhaltung des Verfahrens Verhältnismäßigkeit Faire Kampfführung

5

BAG in NJW1982/2835

II D a s k o l l e k t i v e A r b e i t s r e c h t

51

3. Kapitel: Folgen des rechtmäßigen Arbeitskampfes Literatur Brox, R d N r 80, Gamillscheg. Fälle 60. 195. G -S . R d N r 482 484. 489. Η A . C III 7 , L -L , K a p D III 2 , Η -Ν . § 68, Richardi. Fall 10, Schaub. § 194 I - I V . Söllner. § 13, Zöllner, § 41, Ζ -Μ 11. Stud Ε 13. Teil III (S 149ff )

Werden die ο 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, liegt ein rechtmäßiger Arbeitskampf vor. Trotz objektiver Vertragsverletzung verwirft die Rechtsordnung also diesen Vertragsbruch nicht als rechtswidrig (vgl bes ο 1 1 ), sondern sie geht davon aus, daß er von der Rechtsordnung wegen einer Ausnahmesituation gebilligt wird D a in der fraglichen Zeit jedoch tatsächlich keine Arbeit geleistet, bzw kein Lohn bezahlt und die Beschäftigung verweigert werden, mußten Rechtsprechung und arbeitsrechtliche Literatur die speziellen Folgen eines solchen rechtmäßigen Arbeitskampfes bestimmen 3.1. Streik bzw Aussperrung die gleiche Wirkung zuzusprechen wie einer Kündigung, wird seit der Entscheidung des B A G aus dem Jahr 1971' abgelehnt aus den bereits ο 2.5.1 genannten G r ü n d e n : eine solche Folge widerspräche sowohl der Verhältnismäßigkeit als auch den Zielen des Arbeitskampfes D a die Hauptpflichten des Arbeitsvertrages aber in dieser Zeit nicht erfüllt werden, sagt man, das Arbeitsverhältnis „ r u h t " , oder es wird während der Zeit des Arbeitskampfes suspendiert. Diese Wirkung tritt mit dem Beginn des - rechtmäßigen - Streiks oder der - zulässigen - Aussperrung automatisch ein, besonderer Erklärungen auf einzelvertraglicher Ebene bedarf es hierfür nicht Da keine Kündigung vorliegt, bleiben auch alle zu ihr gehörenden Schutzvorschriften (etwa aus dem Mutterschutz o d e r Schwerbehindertenschutz) außer Betracht. Wird der Arbeitskampf beendet, entfällt die Suspendierung - die Arbeitsverhältnisse treten wieder in Kraft 3.2. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses bewirkt, daß in der Zeit des Streiks kein Lohn zu bezahlen ist. Da vom A N seine Hauptpflicht - Arbeit zu leisten - nicht erfüllt wird, muß auch der A G seine Hauptpflicht - Lohn zu bezahlen - nicht mehrerfullen (Denn der Arbeitsvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, Hauptpflichten und -rechte stehen sich abhängig voneinander gegenüber - vgl hierzu u beim Individuellen Arbeitsrecht ) Diese Folge ergibt sich aus § 323 B G B Seinen Lohnanspruch verliert der A N in gleicher Weise bei der rechtmäßigen Aussperrung' (Ist die Aussperrung dagegen unzulässig, besteht der Lohnanspruch des A N weiter, weil sich der A G in diesem Fall in Annahmeverzug befindet bezuglich der ihm angebotenen Arbeitsleistung, § 615 B G B - vgl auch hierzu u beim Individuellen Arbeitsrecht ) 3.3. Solange der Arbeitskampf rechtmäßig ist, liegen auch keine Gründe f u r eine Kündigung jener A N vor, die an ihm teilnehmen - rechtmäßiges Handeln kann also weder eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen, $ 1 II KSchG, und erst recht kann sie kein wichtiger Grund gem § 626 B G B für eine fristlose Kündigung sein. (Denn besser als „rechtmäßig" - d h aber in einer Art, die von der Rechtsordnung gebilligt wird, kann man sich eben nicht verhalten 1 ) Anders sind nur die Fälle zu beurteilen, in

Vgl

BAG

in AP. Nr

43 zu Art

9 GG.

Arbeitskampf

52

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

denen ein A N während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes Handlungen vornimmt, die aus diesem R a h m e n fallen, die also selbst rechtswidrig sind (ζ. B.: Streikposten, die arbeitswillige Kollegen, statt nur mit W o r t e n , tätlich von der Arbeitsaufnahme abhalten wollen). Hier gelten die allgemeinen Regeln über die Verletzungen des Arbeitsvertrages (s. u. 4.2.) 3.4. W ä h r e n d eines rechtmäßigen Streiks entstehen einige besondere Probleme. 3.4.1. Nichtorganisierte AN, die wegen des Arbeitskampfes keinen Lohnanspruch m e h r besitzen, sind berechtigt, Sozialhilfe zu beanspruchen, wenn sie entsprechend bedürftig sind, §§ 11 ff. Bundessozialhilfegesetz. 3.4.2. Die Krankenversicherung der A N bleibt für 3 Wochen bestehen; erst danach ist das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis unterbrochen. 3.4.3. Werden durch einen Streik Betriebe berührt, die nicht am Arbeitskampf beteiligt sind, etwa derart, daß die Arbeit eingestellt werden muß (Beispiel: Zulieferindustrie der bestreikten U n t e r n e h m e n ) , entfällt auch f ü r die hier beschäftigten A N der Lohnanspruch 2 (vgl. zur Begründung dieses Ergebnisses die Sphärentheorie beim Individuellen Arbeitsrecht).

Folgen des rechtmäßigen Arbeitskampfs

Arbeitsverhältnis suspendiert Kein Lohnanspruch

4. Kapitel: Folgen des rechtswidrigen Arbeitskampfes Literatur: Brox, RdNr. 80; GamillschegFall 37; C.-S., RdNr. 482,485-488; H.-A., C. III. 8.;L·.L., Kap. D III. 3., IV.; Η.-Ν., §§69-71 \Richardi, Fall \0\Schaub, § 193 III.; §194 VI. u. VII.; Söllner, §12 II. 5. u. 6.; § 13 VI.; Zöllner, §40 III.-V.; §41; Z.-M. II, Stud. Ε. 13.Teil III (S. 149).; Liegt kein Arbeitskampf vor, der den A n f o r d e r u n g e n dieses Begriffs entspricht (vgl. ο. 1.), oder verstoßen Streik bzw. Aussperrung gegen die o. 2. genannten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, dann ist der Arbeitskampf rechtswidrig. Folge davon sind Ansprüche wegen Vertragsverletzung und aus sog. unerlaubter Handlung (§§823ff. B G B ) , die im Arbeitsrecht - wie in anderen Rechtsgebieten - stets rechtswidrigem

2

Vgl. BAG in AP, Nr. 45 zu Art. 9 GG

II. D a s kollektive Arbeitsrecht

53

H a n d e l n z u g e o r d n e t sind, d e m V e r t r a g s p a r t n e r steht somit bei r e c h t s w i d r i g e n A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n ein U n t e r l a s s u n g s a n s p r u c h zu 1 . Bei d e n r e c h t s w i d r i g e n H a n d lungen ist zu u n t e r s c h e i d e n , o b V e r l e t z u n g s h a n d l u n g u n d S c h a d e n auf kollektiver oder auf einzelvertraglicher Ebene a u f t r e t e n 2 . 4.1. A u f kollektiver E b e n e b e s t e h t ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen d e n Koalit i o n e n (vgl. ο. Β. II. 1. ff.). A u s d i e s e m V e r t r a g e n t s t e h e n f ü r b e i d e V e r t r a g s p a r t n e r ( G e w e r k s c h a f t - A G - V e r b a n d ) u. a. F r i e d e n s p f l i c h t , E i n w i r k u n g s p f l i c h t , bei b e s o n d e r e r V e r e i n b a r u n g auch die Pflicht, ein S c h l i c h t u n g s v e r f a h r e n d u r c h z u f ü h r e n . W e r d e n v o n e i n e r d e r b e i d e n P a r t e i e n H a n d l u n g e n v o r g e n o m m e n , die diese P f l i c h t e n v e r l e t z e n (wie: U r a b s t i m m u n g w ä h r e n d d e r F r i e d e n s p f l i c h t ; A u f f o r d e r u n g an d i e G e w e r k s c h a f t s m i t g l i e d e r , l ä n g e r e W a r n s t r e i k s d u r c h z u f ü h r e n o . ä . ) , d a n n liegen z u n ä c h s t Handlung und Schaden auf kollektiver Ebene. 4.1.1. D i e selbst Vertragstreue G e g e n s e i t e k a n n in diesem Fall z u m e i n e n w e g e n d e r V e r l e t z u n g des schuldrechtlichen Vertrags Schadensersatzansprüche g e m . § 325 BGB geltend m a c h e n . 4.1.2. Z u m a n d e r e n steht ihr a u s § 1004 BGB e i n Unterlassungsanspruch g e g e n d i e rechtswidrig h a n d e l n d e Koalition zu. (Sinnvollerweise ist gerichtlich zuerst d e r U n t e r l a s s u n g s a n s p r u c h g e l t e n d zu m a c h e n , u n d z w a r i n d e m b e i m A r b e i t s g e r i c h t e i n e einstweilige Verfügung b e a n t r a g t w i r d . ) 4.1.3. U n m i t t e l b a r zwischen d e n K o a l i t i o n e n b e s t e h e n k e i n e A n s p r ü c h e aus unerlaubter Handlung (sog. deliktische S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e ) . D e n n die Koalition selbst ist nicht d u r c h § 823 I B G B geschützt - d i e s e r e r f a ß t n u r absolute Rechte (vgl. u . b e i m Individuellen Arbeitsrecht). 4 . 2 . A u f einzelvertraglicher E b e n e b e s t e h t e b e n f a l l s ein schuldrechtlicher Vertrag d e r A r b e i t s v e r t r a g zwischen A N und A G - d e r d u r c h T e i l n a h m e a m r e c h t s w i d r i g e n A r b e i t s k a m p f verletzt wird 1 . 4.2.1. Folge d e r V e r t r a g s v e r l e t z u n g ist deshalb h i e r , wie auf kollektiver E b e n e , ein Schadensersatzanspruch g e m . § 325 BGB g e g e n d e n Vertragsbrüchigen P a K n e r . 4.2.2. E i n Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB b e s t e h t e b e n f a l l s - e r hat j e d o c h kaum praktische Bedeutung neben der Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis wegen der V e r t r a g s v e r l e t z u n g zu b e e n d e n - vgl. 4.2.3. 4.2.3. F ü r d e n A G e n t s t e h t zusätzlich d a s R e c h t , g e g e n ü b e r d e m A N eine ordentliche Kündigung a u s z u s p r e c h e n , w e n n sich d e r A N a m r e c h t s w i d r i g e n Streik beteiligt o d e r w ä h r e n d eines an sich r e c h t m ä ß i g e n Streiks e i n z e l n e rechtswidrige H a n d l u n g e n v o r n i m m t (vgl. o. 3 . 3 . ) . D i e s e K ü n d i g u n g ist im Sinn des § 1 II K S c h G sozial gerechtfertigt — das rechtswidrige V o r g e h e n des A N ergibt e i n e n verhaltensbezogenen Kündigungsgrund. ( D e m A N e n t s t e h t seinerseits bei r e c h t s w i d r i g e n A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n d e s A G kein n e u e r G r u n d f ü r e i n e o r d e n t l i c h e K ü n d i g u n g , d a er f ü r e i n e solche K ü n d i g u n g o h n e h i n k e i n e n G r u n d a n g e b e n m u ß . )

1 2

3

BAG in DB 198811902 Vgl. zur einheitlichen Beurteilung beider Ebenen BAG in AP, Nr. 1 zu Art. 9GG, kampf Vgl. ζ. B. BAGinAP, Nr. 24zuArt.9GG, Arbeitskampf

Arbeits-

54

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

4.2.4. A G wie A N gibt außerdem die Vertragsverletzung der anderen Seite normalerweise auch einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung 3 . 4.2.5. U n d schließlich bestehen zwischen einzelnem A G und A N deliktische Schadensersatzansprüche gem. § 823 I BGB. D e n n zu den durch ihn erfaßten absoluten Rechten gehören einerseits für den A G das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (vgl. ο. I. Einl. 5.8.); andererseits f ü r den A N das Recht am Arbeitsplatz. Beide Rechte werden bei rechtswidrigen A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n der jeweils anderen Seite verletzt. 4.3. W e n n auch zwischen den Koalitionen selbst keine Ansprüche aus unerlaubter H a n d l u n g entstehen (vgl. ο. 4.1.3.), so können sich doch derartige Ansprüche gegen eine Koalition richten. Denn es gibt Fälle, bei welchen Verletzungshandlung und -schaden auf je verschiedenen Ebenen liegen (vgl. o.4.). 4.3.1. Wenn etwa eine Gewerkschaft rechtswidrige A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n ergreift, verletzt sie damit nicht nur ihren schuldrechtlichen Vertrag gegenüber dem Koalitionspartner, sondern zugleich das absolute Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb jedes betroffenen A G . 4.3.2. Gleiches gilt f ü r den einzelnen A N , dessen absolutes Recht am Arbeitsplatz durch eine unzulässige Handlung des A G - V e r b a n d e s beeinträchtigt wird. 4.3.3. Diese auf § 823 I B G B gestützten Ansprüche bestehen also nicht zwischen Beteiligten jeweils einer gleichen Ebene (Gewerkschaft — A G - V e r b a n d oder A N A G ) , sondern es sind deliktsrechtliche Ansprüche eines Einzelnen gegen eine Koalition. Die folgende Darstellung enthält zunächst eine Zusammenfassung der möglichen Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes; diese Folgen sind dann in den weiteren 2 Übersichten den einzelnen Ebenen zugeordnet, entsprechend den A u s f ü h r u n g e n im Text 4. Folgen des rechtswidrigen Arbeitskampfs

3

Vgl. BAG

Unterlassungsanspruch

§ 1004 B G B

Delikt. Schadensersatzanspruch

§ 8 2 3 Abs. 1 BGB

Vertr. Schadensersatzanspruch

§ 325 B G B

ordentliche Kündigung

§ 622 B G B

außerordentliche Kündigung

§ 626 Abs. 1 BGB

in NJW 1971/1668

und in NJW

1979/236

55

II. Das kollektive Arbeitsrecht Ansprüche w e g e n rechtswidrigen Arbeitskampfes (getrennt nach Ebenen)

kollektive Ebene

Individ. Ebene

kollektive Ebene

Individ. Ebene

AN-Koalit.

§§ 325/1004 BGB



AG-Koalit.

§§ 325/1004/823 I BGB AN

*

£

AG

§§ 620 II/626 BGB

AN-Koalit.

AG

"K°alit'

AN

AG

D. Die betriebliche Mitbestimmung 1. Kapitel: Grundgedanken der Mitbestimmung Literatur: Brox, RdNr. 81 ff.; G.-S., RdNr. 492, 493; Halbach, Kap. 5; Η.-Α.,Ό. 1.1. u. 2.; L.-L., Kap. Ε I.I.; Η.-Ν., § 72 I.; Schaub, § 210; Zöllner, §§ 43, 44 I. und III.; Ζ.-Μ. /., Stud. Ε. 1, Teil III 1. (S. 26 ff.). Wiederholt wurde in den bisherigen Ausführungen erwähnt, daß im Arbeitsrecht auch eine betriebliche AN-Vertretung ihren festen Platz gefunden hat. In der Einleitung wurde die geschichtliche Entwicklung kurz umrissen (vgl. I. Einl. 3.4.) und die Stellung betrieblicher Regelungen, der Betriebsvereinbarungen, im Rechtssystem gezeigt (vgl. I. Einl. 6.1.). Außerdem wurde klargestellt, daß diese Betriebsebene tarifvertraglicher Regelung entzogen ist (Ausnahme: § 3 BetrVG — vgl. ο. II. B. 3.5.). Wie der Tarifvertrag, ermöglicht auch die Mitwirkung der A N im Betrieb, die einzelnen Arbeitsverhältnisse zu gestalten. Diese Einflußnahme im Betrieb hat zwei Vorteile: gegenüber Gesetz und Tarifvertrag - also den übergeordneten Normen enthält sie mehr auf den jeweiligen Betrieb zugeschnittene Regelungen; gegenüber dem einzelnen Arbeitsvertrag bewirkt sie eine gewisse Vereinheitlichung.

56

Erster Teil Das kollektive Arbeitsrecht

D i e M i t w i r k u n g d e r A N im B e t r i e b hat e i n e b e s t i m m t e Organisationsform - wie diese a u f g e b a u t ist u n d w e l c h e e i n z e l n e n R e c h t e d e n A N e i n g e r ä u m t sind, ist im Betriebsverfassungsgesetz ( n e u v e r k ü n d e t am 15 1. 1972) n i e d e r g e l e g t D i e s e s G e s e t z g e h t von f o l g e n d e n Grundüberlegungen aus: 1 . 1 . U m die ο. I. E i n l . 4.2 d a r g e s t e l l t e tatsächliche Ungleichheit (trotz rechtlicher G l e i c h s t e l l u n g zwischen A N u n d A G , wie sie sich a u f e i n z e l v e r t r a g l i c h e r E b e n e e r g i b t ) a b z u g l e i c h e n , g e n ü g t es nicht, A N - K o a l i t i o n e n , also ü b e r b e t r i e b l i c h e O r g a n i s a t i o n e n , z u z u l a s s e n Kollektives H a n d e l n d e r A N m u ß auch u n d g e r a d e im einzelnen Betrieb möglich sein, auf d e r E b e n e , w o die A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e b e g r ü n d e t u n d a u s g e f ü h r t w e r d e n . Insoweit ist die b e t r i e b l i c h e M i t b e s t i m m u n g d e r A N vor allem eine Interessenvertretung. 1.2. E i n w e i t e r e r G e s i c h t s p u n k t ist die Mitverwaltung A u s d e r öffentlichen Verwaltung w u r d e ins P r i v a t r e c h t , u n d hier b e s o n d e r s in das kollektive Arbeitsrecht, die V o r s t e l l u n g ü b e r n o m m e n , d a ß alle an d e r R e g e l u n g j e n e r A n g e l e g e n h e i t e n beteiligt w e r d e n sollen, die sie selbst b e t r e f f e n 1 ( D i e s e n G e d a n k e n k a n n m a n a u s A r t 1 1 . 2 1 G G a b l e i t e n - vgl. ο I. Einl 5 .1./5 2 w e r v o n e i n e r M a ß n a h m e b e r ü h r t w i r d , soll dies nicht als beliebiges O b j e k t h i n n e h m e n m ü s s e n , v i e l m e h r f o r d e r t es das „ S u b j e k t - S e i n " d e s e i n z e l n e n M e n s c h e n , d a ß e r selbst m i t e n t s c h e i d e t - dies f o r d e r t seine Würde u n d e n t s p r i c h t e i n e r freien Entfaltung der Persönlichkeit.) D a es a n d e r e r s e i t s nicht n u r u m die R e c h t e d e r A N g e h t , s o n d e r n auch u m j e n e d e s A G (vgl etwa ο II C 4 2 5 - d a s Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb), sind diese sich g e g e n ü b e r s t e h e n d e n R e c h t s p o s i t i o n e n a b z u g l e i c h e n im Sinn e i n e r betrieblichen Partnerschaft 1.3. Schließlich g e h t es d a r u m , die Arbeitswelt humaner zu gestalten D a die A N d e n ü b e r w i e g e n d e n Teil des T a g e s und s o g a r ihres L e b e n s an A r b e i t s p l ä t z e n v e r b r i n g e n , sollen diese so ungefährlich wie möglich sein, sollen die A r b e i t s a b l ä u f e d e r menschlichen Leistungsfähigkeit e n t s p r e c h e n , k u r z : die A r b e i t soll d e m M e n s c h e n , nicht d e r Mensch der Arbeit angepaßt werden Grundgedanken des Betriebsverfassungsrechts

Interessenvertretung

Mitverwaltung

Humanisierung

' Vgl zur Herleitung des Mitverwaltungsgedankens aus Art 2 0 I G G BAG in AP, Nr 1 zu §118 BetrVC

1972

57

II. D a s kollektive Arbeitsrecht

2. Kapitel: Regelungsbereich des BetrVG Literatur: Buchner, F a l l ö A . I . l . ; G . - S . , RdNr. 494,495; H.-A., D . I . 2 ,:L.-L., Kap. Ε 3.; §74; Schaub, § 2 1 2 III. u. IV., §214; Söllner, § 19 II.; Zöllner, § 4 4 IV. u. V.

Η.-Ν.,

Diese Leitgedanken ο. 1. werden vom B e t r V G umgesetzt in konkrete Bestimmungen, wie im einzelnen die Mitwirkung der A N im Betrieb 1 wahrzunehmen ist. Da wegen der Vielzahl der Arbeitsverhältnisse üblicherweise nicht jeder A N selbst diese Rechte ausüben kann, wurde eine AN-Vertretung geschaffen, die für die AN handelt - auch auf betrieblicher E b e n e geht es im wesentlichen um kollektives Arbeitsrecht. Im Unterschied zur Koalition vertritt die betriebliche AN-Vertretung, der Betriebsrat (BR), jedoch nicht nur bestimmte Mitglieder, sondern alle AN eines Betriebs. Außerdem darf der B R keine Arbeitskämpfe f ü h r e n ; gegen ihn solche M a ß n a h m e n zu richten ist unzulässig - §7411,1 B e t r V G . Das heißt, auf Betriebsebene besteht absolute Friedenspflicht. Ganz grob kann man das B e t r V G einteilen in solche Bestimmungen, die die Organisation der AN-Vertretungen betreffen ( 1 . - 3 . Teil des B e t r V G ) und jene, die die Rechte dieser Vertretungen enthalten (4. Teil des B e t r V G ) . Das BetrVG ist jedoch nicht auf alle Betriebe anwendbar - es hat einen Regelungsbereich, d. h. einen bestimmten Bereich, in dem seine Regeln gelten. 2.1. Aus § 130 B e t r V G folgt, daß nur privatwirtschaftliche Betriebe seinen Bestimrtiungen unterliegen, denn „Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, Gemeinden und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts" werden vom B e t r V G nicht erfaßt. (Hier gelten stattdessen die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder.) 2.2. A u ß e r d e m muß der privatwirtschaftliche Betrieb eine bestimmte Größe aufweisen. Nach § 1 B e t r V G kann ein B R erst gewählt werden, wenn in dem Betrieb „in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigte A N beschäftigt sind (von denen wiederum drei die Voraussetzung erfüllen müssen, wählbar zu sein). 2.3. Vom Regelungsbereich des BetrVG werden bedeutende Personengruppen und Unternehmenszweige nicht, bzw. nur eingeschränkt erfaßt. 2.3.1. Die leitenden Angestellten 2 unterliegen gem. § 5 III BetrVG ab einer gewissen, dort beschriebenen, betrieblichen Stellung nicht dem B e t r V G . Die Sonderstellung der leitenden Angestellten ist aus der geschichtlichen Entwicklung zu sehen: Sie galten als Angehörige des Topmanagements als den U n t e r n e h m e n ( = A G ) nahestehende Personen, eine Wahl in den B R würde somit zu Interessenkollisionen führen. Erst zum 1.1.1989 wurde durch das Sprecherausschuß-Gesetz eine gesonderte (gesetzliche) Vertretung der leitenden Angestellten eingerichtet (vgl. u. 12. Kapitel: Die Vertretung der leitenden Angestellten). Eine konkrete Abgrenzung der „Leitenden" von den Angestellten hat erst die Ä n d e r u n g des B e t r V G vom 20.12.1988 gebracht (vgl. § 5 III BetrVG).

1

Zur Abgrenzung Betrieb-Unternehmen vgl. u.

2

Zur Definition des „leitenden Angestellten" vgl. BAG in NJW1974/965

E.l. und in

NJW198012724

58

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

2.3.2. Nur eingeschränkt gilt das BetrVG gem. § 118 I für sog. Tendenzbetriebe. Dies sind insgesamt Betriebe, bei denen weniger die Teilnahme am Wirtschaftsleben als solche im Vordergrund steht, sondern die gleichrangig oder sogar überwiegend die in §118 I B e t r V G genannten Ziele verfolgen'. Auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen findet das B e t r V G gem. § 118 II B e t r V G überhaupt keine Anwendung 4 . 2.4. U n d schließlich befaßt sich das B e t r V G auch nicht mit der Unternehmensverfassung (die auch tarifvertraglicher Regelung entzogen ist - vgl. ο. B. 3.6.) — also der Mitwirkung der AN-Vertretung bei der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens als selbständiger Einheit. Diese E b e n e wird geregelt von einigen noch gültigen Bestimm u n g e n des BetrVG 1952 und dem Mitbestimmungsgesetz von 1951 für die Montanindustrie sowie dem Mitbestimmungsgesetz von 1976. Hierbei geht es u. a. um die Vertretung der A N in den Aufsichtsräten. D e r Gesetzgeber hat sich vorbehalten, diesen Bereich selbst zu gestalten, da diese Probleme in den Bereich wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Vorstellungen hineinreichen (vgl. u. E.). Regelungsbereich des Betr. VG

BetrVG gilt

Betriebl. Mindestgröße

eingeschränkt Leitende Angestellte

Tendenzbetriebe Privatwirtschaft

Unternehmensverfassung

3. Kapitel W e g e der K o l l e k t i v e n M i t b e s t i m m u n g Literatur: Brox, RdNr. 82; G.-S., RdNr. 496,518.521.522.533-543; H.-A., D.I. 4 .\L.-L., Kap. Ε II.; H.-N. 74, 78-80; Schaub, §219; §220 I . - I I I . ; §223; §§227-229Söllner, §20 I u. III.; Zöllner, §45 II., III. 1. u. 2., VI.-VIII. Soweit das B e t r V G anzuwenden ist (vgl. o. 2.2.), können im Betrieb die A N ihre kollektiven Mitwirkungsrechte in verschiedener Weise wahrnehmen. 3.1. D a s wichtigste Organ, das den A N dafür zur Verfügung steht, ist der BR. Seine Wahl ist jedoch von zwei, o. 2.2. genannten Mindestbedingungen abhängig: 3 4

Vgl. BAG in AP, Nr. 13 zu § 81 BetrVG 1952 Vgl. BAG in AP, Nr. 6 zu § 118 BetrVG 1972

II. Das kollektive Arbeitsrecht

59

3.1.1. In dem betreffenden Betrieb müssen mindestens 5 ständig wahlberechtigte AN beschäftigt sein, § 1 B e t r V G . Die Wahlberechtigung besteht für alle A N , die das 18. Lebensjahr vollendet haben, § 7 Betr V G . 3.1.2. Von diesen 5 wahlberechtigten A N müssen gem. § 1 B e t r V G wiederum mindestens 3 die Voraussetzungen erfüllen, wählbar zu sein. Wählbar sind alle A N , die zum einen das 18. Lebensjahr vollendet haben (also selbst gem. § 7 BetrVG wahlberechtigt sind), zusätzlich jedoch mindestens 6 Monate dem Betrieb angehören, § 8 I BetrVG 1 . Auf diese 6 Monate werden Zeiten angerechnet, in denen der AN in anderen Betrieben desselben U n t e r n e h m e n s oder Konzerns beschäftigt war, § 8 1,2 BetrVG. Besteht der Betrieb noch keine 6 M o n a t e , sieht § 8 II BetrVG eine Ausnahme von dieser Voraussetzung vor. Wahl des Betriebsrats (Mindestbedingungen)

5 ständige wahlberechtigte AN

Wahlberechtigung ab 18 J.

3 wählbare A N

Wählbarkeit ab 6 M. Betr.-Zugehörigkeit

3.2. D e r B R besteht jedoch - normalerweise — wiederum aus mehreren Personen, vgl. § 9 B e t r V G . U m handlungsfähig zu sein, wählt deshalb der BR aus seiner Mitte einen Vorsitzenden, §26 I B e t r V G , der den B R nach außen, also insbesondere gegenüber dem A G , vertritt. Dabei ist der Vorsitzende jedoch an die im BR gefaßten Beschlüsse gebunden, § 26 III B e t r V G . Hat der B R weniger als 9 Mitglieder, kann dem Vorsitzenden zusätzlich übertragen werden, die laufenden Geschäfte w a h r z u n e h m e n , §27 IV B e t r V G . Besteht der B R dagegen aus 9 oder mehr Mitgliedern, wird ein Betriebsausschuß gebildet, § 271 B e t r V G , der diese laufenden Geschäfte erledigt; ihm können auch weitere Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen werden, § 27 III B e t r V G . 3.3. D e r B R muß allen A N des Betriebs in jedem Kalendervierteljahr einmal Rechenschaft ablegen über seine Tätigkeit. Dazu wird eine Betriebsversammlung einberufen, § 42 B e t r V G . Hier können sich die einzelnen A N vergewissern, o b und wie ihre Rechte von den gewählten AN-Vertretern ausgeübt werden. Auch diese Einrichtung dient deshalb der kollektiven Interessenwahrnehmung. Hierfür können von der Betriebsversammlung dem B R auch Anträge unterbreitet w e r d e n ; außerdem besteht die Möglichkeit, über jene tarif- und sozialpolitischen sowie wirtschaftlichen Angelegenheiten zu reden, die den Betrieb oder seine A N unmittelbar betreffen, vgl. § 45 B e t r V G . 3.4. D a sich der B R , wie sich aus §§7/8 B e t r V G ergibt, nur aus Personen über 18 Jahren zusammensetzt, wurde die Möglichkeit geschaffen, eine eigene Jugendvertretung zu errichten, die die besonderen Belange der jugendlichen AN wahrnimmt, § 60 II B e t r V G . Diese Jugendvertretung hält eine eigene Sprechstunde ab, § 69 B e t r V G und nimmt besondere Aufgaben wahr, die ihr in § 70 B e t r V G zugewiesen sind.

' Vgl. BAG in AP, Nr. 2 zu § 8 BetrVG 1972

60

E r s t e r Teil: D a s k o l l e k t i v e A r b e i t s r e c h t

3.4.1. Voraussetzung für die Wahl einer Jugendvertretung ist, daß im Betrieb mindestens 5 Personen unter 18 Jahren beschäftigt sind, § 60 I BetrVG. Wahlberechtigt und wählbar sind alle Jugendlichen des Betriebs; darüber hinaus sind wählbar ferner alle AN, die noch keine 24 Jahre alt sind. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in BR und Jugendvertretung ist für letztere jedoch nicht zulässig. 3.4.2. Auch die Jugendvertretung wählt einen Vorsitzenden, der sie vertritt, § 65 I BetrVG. Im übrigen wird die Geschäftsführung geregelt in etwa wie beim BR, vgl. §65 I BetrVG. 3.5. Ähnlich der Betriebsversammlung, gibt es eine spezielle BetriebsjugendverSammlung — obwohl die Betriebsversammlung alle, also auch die jugendlichen A N , umfaßt. Gem. § 71 BetrVG sind die wichtigsten Regelungen der Betriebsversammlung auf die Betriebsjugendversammlung anzuwenden. 3.6. Als weitere Möglichkeit, die kollektive Mitwirkung im Betrieb zu verwirklichen, ist schließlich noch der Wirtschaftsausschuß zu erwähnen. Er ist zu bilden, wenn ein Unternehmen mehr als 100 AN ständig beschäftigt, § 106 I BetrVG. Dieser Ausschuß besteht aus 3 bis 7 Mitgliedern, die vom B R bestimmt werden, § 1071, III BetrVG. Der A G hat mit dem Wirtschaftsausschuß wirtschaftliche Angelegenheiten zu beraten, § 106 I BetrVG, die in § 106 III BetrVG beispielhaft aufgezählt sind. Wahrnehmung der kollektiven Mitbestimmung durch

Betriebsrat

- BR-Vorsitzender - Betr.-Ausschuß

Betriebsversammlung Jugendvertretung

- JV-Vorsitzender

Betriebsjugendversammlung Wirtschaftsausschuß

4. Kapitel: Wahl des Betriebsrats Literatur: Buchner, Fall 1 Α. II. 3.; G.-S., RdNr. 500-507; H.-A., D. I. 3.; H.-N., §§ 75; 76 I.; Schaub, §§ 217; 218; Söllner, §20 II.; Zöllner, §45 III. 4. Liegen die Mindestvoraussetzungen für eine BR-Wahl vor (vgl. o. 3.1,1 ./3.1.2.), so kann - muß also nicht! - ein BR gewählt werden, dessen Amtsperiode sodann 4 Jahre beträgt, §131 BetrVG.

II Das kollektive Arbeitsrecht

61

4.1. Als erstes ist hierfür ein Wahlvorstand zu bilden, der entweder vom BR bestellt (wenn ein solcher schon besteht und es nur um die Neuwahl geht) oder auf einer Betriebsversammlung gewählt wird, §§ 16 I, 17 I B e t r V G D e r Wahlvorstand hat die Aufgabe, die Wahl „unverzüglich einzuleiten, sie durchzufuhren und das Wahlergebnis festzustellen", § 18 I B e t r V G 4.2. Die wahlberechtigten AN k ö n n e n Wahlvorschläge m a c h c n , wenn der Wahlvorschlag von 1/20 aller wahlberechtigten G r u p p e n m i t g l i e d e r , mindestens aber von 50 G r u p p e n a n g e h ö r i g e n ( - die Wahl findet getrennt statt nach den Gruppen der Arbeiter und Angestellten, § 14 II B e t r V G ) unterzeichnet ist, § 14 V B e t r V G Diese Wahlvorschläge sind u . a wichtig, da aus den Vorschlagslisten die Ersatzmitglieder des BR bestimmt werden, wenn ein BR-Mitglied an der A m t s a u s u b u n g verhindert ist o d e r a u s dem A m t ausscheidet, § 25 I, II B e t r V G 4.3. Die Wahl findet sodann nach den Regelungen des § 14 B e t r V G statt - sie ist frei, gleich, allgemein, unmittelbar und geheim d. h , es gibt keine Wahlpflicht, die Stimmen haben alle den gleichen Zählwert, keiner ist von der Wahl ausgeschlossen, sie findet nicht über „Wahlmänner" statt; und es bleibt geheim, wie der einzelne A N gestimmt hat A u ß e r d e m wird grundsätzlich getrennt gewählt nach den G r u p p e n A r b e i t e r Angestellte, vgl. § 14 II B e t r V G 4.4. Ist die Wahl durchgeführt, kann sie innerhalb von 2 Wochen angefochten w e r d e n , indem ein e n t s p r e c h e n d e r Antrag gestellt wird an das Arbeitsgericht (vgl Dritter Teil, II. A 1.2.2 ff.) Anfechtungsgrund kann sein, d a ß gegen eine wesentliche Vorschrift über Wahlrecht, Wählbarkeit o d e r W a h l v e r f a h r e n verstoßen wurde und dieser Versind stoß ursächlich sein k o n n t e f ü r ein unrichtiges Wahlergebnis Antragsberechtigt mindestens 3 Wahlberechtigte, eine G e w e r k s c h a f t , die im Betrieb Mitglieder hat o d e r der A G (vgl insgesamt hierzu § 19 B e t r V G ) Ziel d e r W a h l a n f e c h t u n g kann sein, das Wahlergebnis zu berichtigen o d e r die Wahl zu wiederholen

5. Kapitel: Grundsätze der Zusammenarbeit BR — AG Literatur Brox, RdNr 86, C -S , RdNr 527, H A , D II 1 , L -L . Kap Ε IV 1 , Η -Ν . S 85. Schaub, §215 II u III , §230 III , Söllner, §21 I , Zöllner, §44 VII Ist der B R gem ο. 4. - 4 . 3 . gewählt, gelten für seine Zusammenarbeit mit d e m A G die folgenden Grundsätze, die letztlich alle auf der Ü b e r l e g u n g b e r u h e n , d a ß d e r B e t r i e b eine Einheit darstellt, die nur lebensfähig ist, w e n n alle Beteiligten zum g e m e i n s a m e n Nutzen zusammenwirken. S . l . D a s B e t r V G stellt an den A n f a n g seiner Vorschriften, in § 2 I, die zentrale Forderung, d a ß A G und B R vertrauensvoll und zum Wohl der A N sowie des Betriebs zusammenarbeiten sollen 1 Dies ist weniger ein k o n k r e t e s , einklagbares Recht, als ein Programmsatz und Auslegungsmaßstab f ü r a n d e r e Bestimmungen des B e t r V G

Vgl BAG in AP, Nr 3 zu § 23 BetrVG 1952

62

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

5 . 2 . D i e s e F o r d e r u n g wird n ä h e r ausgestaltet zu B e g i n n d e s 4. Teils d e s B e t r V G , in d e m die einzelnen Mitwirkungsrechte d e r A N u n d ihrer V e r t r e t u n g a u f g e f ü h r t w e r d e n : § 74 I B e t r V G v e r l a n g t , d a ß A G und B R sich zu Besprechungen t r e f f e n u n d ü b e r u m s t r i t t e n e F r a g e n „mit dem ernsten Willen zur Einigung" verhandeln sollen. Das Ziel ist also Kooperation, nicht Konfrontation. 5 . 3 . U m dieses Ziel zu s c h ü t z e n , v e r b i e t e t § 74 II B e t r V G alle Arbeitskampfmaßnahmen zwischen B R u n d A G 2 . B e i d e Seiten h a b e n alles zu u n t e r l a s s e n , was A r b e i t s a b l a u f u n d B e t r i e b s f r i e d e n b e e i n t r ä c h t i g e n k ö n n t e - es b e s t e h t absolute Friedenspflicht. 5 . 4 . E b e n s o u n t e r s t ü t z t d a s Ziel des A r b e i t s f r i e d e n s u n d d e r Z u s a m m e n a r b e i t § 74 II, 3 B e t r V G : im B e t r i e b ist keine parteipolitische Betätigung seitens des B R o d e r des A G zulässig'. Grundsätze zur Zusammenarbeit BR - A G

Vertrauensvolle Zusammenarbeit

§2

Besprechungs- u. Verhandlungspfl.

§ 74 Abs. 1

Absolute Friedenspflicht

§ 74 Abs II

Verbot parteipol. Betätigung

§ 74 Abs. II

6. Kapitel: Lösungswege für Streitigkeiten BR—AG Literatur: Brox, RdNr. 86; G.-S„ RdNr. 6 0 6 - 6 1 2 : H . - A . . D. II. 2.; L.-L., Kap. Ε IV.2.; Η.-Ν., §84 IV.; Schaub, §232; Söllner, § 19 IV.6.; Zöllner, §46 I V . \ Z . - M . /, Stud. Ε. 5. Teil V 5. (S. 117 ff.). D a A r b e i t s k ä m p f e zwischen A G und B R v e r b o t e n sind, b e i d e v i e l m e h r stets das Ziel einer Einigung v e r f o l g e n sollen (vgl. o . 5 . ) , ist e i n e Lösungsmöglichkeit f ü r j e n e Fälle v o r z u s e h e n , in d e n e n t r o t z e n t s p r e c h e n d e r B e m ü h u n g e n k e i n e Ü b e r e i n s t i m m u n g erzielt wird. H i e r b e i ist zu u n t e r s c h e i d e n , o b die Streitigkeit im rechtlichen Bereich liegt o d e r in tatsächlichen. 6 . 1 . Rechtsstreitigkeiten w e r d e n von d e n Arbeitsgerichten e n t s c h i e d e n , d e r e n Z u s t ä n d i g k e i t aus §§ 2 u n d 2 a A r b e i t s g e r i c h t s g e s e t z folgt (vgl. z u m A r b e i t s g e r i c h t s v e r f a h r e n u. D r i t t e r Teil). D i e s sind vor allem M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n d a r ü b e r , o b e i n e b e s t i m m t e R e g e l u n g o d e r M a ß n a h m e mit d e m B e t r V G v e r e i n b a r ist - also o b sie e r l a s s e n w e r d e n darf. 2 3

Vgl. BAG in AP, Nr. 52 zu Art. 9 GG, Arbeitskampf Vgl. BAG in AP, Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972.

II. Das kollektive Arbeitsrecht

63

6.2. Streitigkeiten aus dem tatsächlichen Bereich (sog. Regelungsstreitigkeiten), gehen darum, ob eine Regelung oder M a ß n a h m e erlassen werden soll. Hier sind sich die Parteien also einig, d a ß die Regelung rechtlich zulässig wäre - streitig ist jedoch, ob sie sinnvoll ist. Für diese Art Konflikte ist eine Einigungsstelle zu bilden, entweder von Fall zu Fall oder, aufgrund einer Betriebsvereinbarung, als ständige Einrichtung, § 76 I B e t r V G . Sie wird anteilig von AG und BR besetzt und erhält einen unparteiischen Vorsitzenden, § 76 II B e t r V G . D e r Spruch dieser Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen A G und BR in allen Fällen, die vom B e t r V G genannt werden, § 76 V B e t r V G (vgl. 2. B. §87 II B e t r V G ) . Ansonsten ist der Spruch als ein Vorschlag anzusehen, der zu einer Einigung nur in den in § 76 VI BetrVG erwähnten Fällen führt: also wenn er freiwillig akzeptiert wird. Lösungswege für Streitigkeiten BR - A G

Regelungsfragen

Einigungsstelle § 76 Betr VG

Rechtsfragen Arbeitsgericht § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG

7. Kapitel: Mitwirkungsrechte des B R Literatur: Brox, RdNr. 85; G.-S., RdNr. 559-561;//.-/!., D. III. 2. u. 3 ;L.-L., Kap. Ε V . - V I I . ; Η.-Ν., § 86; Schaub, §230 I. u. II.; Söllner, §21 II.-VI.; Zöllner, §46I.;Z.-A/. /, Stud. Ε. 1, Teil III 1. (S. 26ff.). Ausgehend von den 0. 5. erläuterten Grundsätzen, betreffend die Zusammenarbeit des B R mit dem A G , sind die Mitwirkungsrechte des BR im Betrieb unterschiedlich stark ausgeprägt. 7.1. Das allgemeinste, praktisch f ü r alle betrieblichen Bereiche bestehende Recht ist der Anspruch auf Unterrichtung. Jede wirksame Tätigkeit des BR setzt Information voraus; seine Aufgaben sind ohne Information nicht erfüllbar, vgl. § 80 II BetrVG 1 . D a letztlich auch keine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist, wenn die eine Seite der anderen die Grundlagen jeder Mitsprache vorenthält, ist das Unterrichtungsrecht in vielen Vorschriften festgeschrieben - vgl. etwa §§ 80 II, 89, 90, 92, 99 1,100 II, 105, 106 II, 110 I, 111 B e t r V G . 7.2. Weitere Stufen der Einflußnahme sind erreicht, in den Fällen, in welchen das Gesetz dem A G vorschreibt, den B R anzuhören, vgl. vor allem § 102 I B e t r V G (Anhörung des B R vor der Kündigung), oder d a ß der A G mit dem BR Probleme beraten, gegebenenfalls darüber verhandeln soll (2. B.: §§ 92 I, 96 I, 97, 111 B e t r V G ) . ' Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 2 zu § 80 BetrVG 1972

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

64

7.3. N o c h s t ä r k e r wird die Stellung d e s B R , w e n n ihm d a s B e t r V G die M ö g l i c h k e i t gibt, e i n e r M a ß n a h m e des A G zu widersprechen. K o m m t auf d e n W i d e r s p r u c h hin k e i n e E i n i g u n g z u s t a n d e , e n t s c h e i d e t r e g e l m ä ß i g das Arbeitsgericht - vgl. §§ 98 II, V ; 99 I I , I V ; 102 B e t r V G . 7 . 4 . A l s eigentliche Mitbestimmung sind schließlich die Fälle zu n e n n e n , in d e n e n d e r B R wirklich gleichberechtigt mit d e m A G ist. H i e r k a n n d e r B R strittige A n g e l e g e n h e i t e n selbst v o r die Einigungsstelle (vgl. o. 6 . 2 . ) b r i n g e n , die e i n e n f ü r b e i d e Seiten verbindlichen Spruch fällt — d e m B R s t e h t insoweit ein Initiativrecht zu ( ζ . Β. §§ 87 II, 91, 94, 95 II, 98 I, und IV, 112 I V B e t r V G ) . Wirkliche M i t b e s t i m m u n g e r m ö g l i c h e n a u c h all j e n e V o r s c h r i f t e n , die M a ß n a h m e n des A G von d e r Zustimmung des B R a b h ä n g i g m a c h e n - es sind dies im w e s e n t l i c h e n die gleichen Fälle wie b e i m I n i t i a t i v r e c h t . H a n d e l t d e r A G einseitig, die R e c h t e d e s B R m i ß a c h t e n d , k a n n d e r B R b e i m Arbeitsgericht gegen solche R e g e l u n g e n e i n e n Aufhebungsanspruch geltend m a c h e n . In all diesen Fällen e c h t e r M i t b e s t i m m u n g ist eine allein v o m A G g e t r o f f e n e M a ß n a h m e nicht wirksam. Kollektive Mitbestimmungsrechte im BetrVG Recht auf

geregelt in § des BetrVG

Unterrichtung Information Einsichtnahme

92,93,991,10611,111

Anhörung

1021

Beratung

921,961,97,111

Widerspruch

9811,9911,102111

Initiativrecht

93,9511,98,112

Zustimmungs- oder Vetorecht

871,94,951

Aufhebungsanspruch

91

8. Kapitel: Mitwirkungsrechte der einzelnen

Mitwirkung

Mitbestimmung i.e.S.

AN

Literatur: G.-S., RdNr. 553-558; H.-A., D. III. 1.; L.-L., Kap. Ε. VIII.; Schaub, § 234; Söllner, §19 VI.; Zöllner, §50 I. N a c h d e m B e t r V G stehen a u ß e r d e m B R als K o l l e k t i v - O r g a n auch d e m einzelnen A N M i t w i r k u n g s r e c h t e d e r o. 7. g e n a n n t e n A r t z u , w e n n a u c h in viel g e r i n g e r e m U m f a n g . D e r A N h a t e i n e n Unterrichtsanspruch, b e z o g e n auf seine Stellung im B e t r i e b , § 81 I B e t r V G . Soweit seine P e r s o n b e t r o f f e n ist, ist er zu b e t r i e b l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n zu hören, § 82 B e t r V G . I h m s t e h t d a s R e c h t z u , seine Personalakte einzusehen, § 83 B e t r V G . U n d letztlich hat d e r einzelne A N ein Beschwerderecht, w e n n e r sich selbst im B e t r i e b benachteiligt o d e r sonst b e e i n t r ä c h t i g t f ü h l t , § 84 B e t r V G .

II. D a s k o l l e k t i v e A r b e i t s r e c h t

65

Individuelle Mitbestimmungsrechte im Betr. VG

Unterrichtung

§81

Anhörung

§82

Person.-Akteneinsicht

§83

Beschwerde

§84

9. Kapitel: B e r e i c h e der k o l l e k t i v e n M i t w i r k u n g Literatur: Brox, R d N r . 84; G.-S., R d N r . 5 6 2 - 5 9 0 : H.-A., D. III. 4 . - 6 . ; L.-L., Kap. Ε V . - V I I I . ; H.-N., § § 8 6 - 8 8 ; S c h a u b , § § 2 3 5 - 2 4 4 ; Söllner, 821 I I I . - V I . ; Zöllner, § S 4 7 - 5 0 ; Z.-M. 1, Stud. Ε. 1, Teil III 2. (S. 27ff.).

Die o. 7. dargestellten, verschieden starken Mitwirkungsrechte des BR spielen in drei betrieblichen Bereichen eine Rolle. 9.1. Eine starke Stellung nimmt der B R aufgrund seiner Mitwirkungsmöglichkeiten bei den sog. sozialen Angelegenheiten ein, §§ 8 7 - 8 9 B e t r V G . Dazu kann man, wenn auch in einem erweiterten Wortsinn, auch die §§ 90 und 91 BetrVG (Gestaltung des Arbeitsplatzes, Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung) zählen. Bei diesen Angelegenheiten geht es im wesentlichen d a r u m , wie die Arbeit im Betrieb im einzelnen durchzuführen ist, soweit dies nicht bereits durch Gesetz oder T V geregelt ist. Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten f ü r Betriebsvereinbarungen zwischen BR und A G , vgl. besonders § 87 I B e t r V G . 9.2. Ebenfalls stark ausgeprägt ist die Mitwirkung des BR in sog. personellen Angelegenheiten, §§ 92—105 B e t r V G . Bei der Personalplanung, bei Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätzen und Auswahlrichtlinien bestehen umfassende Unterrichtungs- und Zustimmungsrechte, vgl. §§ 92, 94. 95 BetrVG. Dasselbe gilt gem. §§ 9 6 - 9 8 B e t r V G bei der betrieblichen Berufsausbildung. Beschäftigt ein Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte AN, muß der B R bei praktisch allen personell wichtigen M a ß n a h m e n zustimmen, wie etwa Einstellung, Ein- oder U m g r u p p i e r u n g und Versetzung, vgl. § 99 BetrVG. Will der B R seine Zustimmung verweigern, ist er allerdings an bestimmte, in § 99 II B e t r V G aufgezählte. G r ü n d e gebunden. Besonders hervorzuheben sind ferner aus diesem Bereich das Anhörungsund Widerspruchsrecht bei der Kündigung, § 1021, III B e t r V G , sowie das Mitbestimmungsrecht des § 103 B e t r V G bei der außerordentlichen Kündigung von Mitgliedern des B R oder der Jugendvertretung und der weiteren dort genannten Personen (vgl. hierzu u. Zweiter Teil, III. 3.ff.).

66

E r s t e r Teil: D a s k o l l e k t i v e A r b e i t s r e c h t

9.3. Wesentlich schwächer ist die Rechtsposition des BR in den wirtschaftlichen Angelegenheiten, § § 1 0 6 - 1 1 3 BetrVG, ausgeprägt. Dem hier vorgesehenen Wirtschaftsausschuß (vgl. o. 3.6.) stehen hauptsächlich Unterrichtungsrechte zu, ζ. B.: §106 II BetrVG, ebenso dem BR, vgl. § 111 I BetrVG. (Im übrigen kann der B R die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auf einen Ausschuß des BR übertragen, vgl. § 107 III BetrVG, und auf diese Weise versuchen sicherzustellen, daß er vollständig unterrichtet wird.) Neben einer in § 111 I BetrVG vorgesehenen Beratungspflicht des A G , ist vor allem die Mitwirkung des BR im Rahmen des § 112 BetrVG zu beachten: er stellt mit dem A G in den Fällen des § 111 Ziff. 1 . - 5 . BetrVG den Sozialplan' auf, vgl. §112 I BetrVG. Bereiche kollektiver Mitbestimmung

Soziale Angelegenheiten

§§ 87-91

Personelle Angelegenheiten

§§ 92-105

Wirtschaftliche Angelegenheiten

§§ 106-113

10. Kapitel: Betriebsvereinbarungen Literatur: Brox, RdNr. 25, 88; Buchner, Fall 7 l.b); G.-S., RdNr. 545-551; H.-A., D. II.3.; LL., Kap. Ε V.2.; H.-N., §§81-83; Schaub, §231 II.; Söllner. §22; Zöllner. §46 II.; Z.-M. 1, Stud. Ε. 2, Teil II (S. 37ff.).

Eine der wesentlichsten Aufgaben des BR im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts besteht darin, mit dem A G über die sozialen Angelegenheiten sog. Betriebsvereinbarungen abzuschließen - vgl. § 87 I BetrVG. Ihre rechtliche Einordnung wurde bereits ο. I. Einl. 6. 1. dargestellt - sie nehmen den Rang zwischen dem einzelnen Arbeitsvertrag und dem TV ein, wobei es sogar wie ο. 1.6.3. geschildert zur Durchbrechung des Günstigkeitsprinzips kommen kann. Wie der TV verwirklicht die Betriebsvereinbarung die Chancengleichheit der AN (vgl. ο. l . / l . l . ) . Auch ihre Folgen sind denen des T V vergleichbar: sie wirken „normativ", d.h. unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse, § 77 IV BetrVG (auf die Ausführungen zu § 4 I TVG wird insoweit verwiesen, vgl. ο. II. Β. 1.1.). Die Betriebsvereinbarung enthält - wiederum wie der TV - auch einen schuldrechtlichen Teil (vgl. ο. II. B. 1.1.), also Pflichten und Rechte direkt zwischen BR und AG - insbesondere die Pflicht des A G , die Betriebsvereinbarung durchzuführen, § 771 BetrVG. 10.1. Inhaltlich beziehen sich die Betriebsvereinbarungen, wie aus §87 I BetrVG deutlich wird, auf die Arbeitsordnung im Betrieb. Hierher gehören etwa die Regelung ' Vgl. zur Wirkung des Sozialplans BAG in AP, Nr. 2 zu 8 112 BetrVG

1972

II. Das kollektive Arbeitsrecht

67

der Torkontrollen und die Betriebsjustiz' (also Verwarnungen, Verweise, Betriebsbußen), § 87 I Nr. 1; die Einführung von Kurz- oder Mehrarbeit\ § 87 I Nr. 3, sowie der bargeldlosen Bezahlung\ § 87 I Nr. 4; die Aufstellung eines Urlaubsplans\ § 87 I Nr. 5 und die Gewährung betrieblicher Ruhegelder', § 87 I Nr. 8 . . . usw. 10.2. U m einen Anspruch aus der Betriebsvereinbarung mit Erfolg durchsetzen zu können, müssen — wie beim T V - bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein (auf die jeweiligen Abschnitte der Erläuterungen beim T V wird deshalb Bezug genommen — vgl. ο. II. B. 2.ff.). 10.2.1. Die Betriebsvereinbarung ist entsprechend den Regeln des BGB abzuschließen, jedoch ist zwingend die Schriftform vorgeschrieben und die beiderseitige Unterzeichnung, §77 II B e t r V G (vgl. ο. II. Β. 2.1.). 10.2.2. Welche Art Regelungen in der Betriebsvereinbarung zulässig sind, ergibt sich zum einen aus der Aufzählung der §§87/88 B e t r V G , (vgl. Beispiele o. 10.1.). Vor allem jedoch dürfen sie nicht gegen §§ 77 III BetrVG verstoßen: d . h . , über Fragen, die üblicherweise durch einen TV geregelt werden, insbesondere Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, darf keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Wird § 77 III B e t r V G nicht beachtet, ist die Betriebsvereinbarung nichtig. (Auch das Günstigkeitsprinzip gilt hier ausnahmsweise nicht!). 10.2.3. Will der A N einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung geltend machen, muß er unter ihren Geltungsbereich fallen — ausgenommen sind also die in § 5 II, III BetrVG genannten Personen (vgl. ο. II. B. 2.4. - die dortigen Ausführungen über persönlichen und räumlichen Geltungsbereich sind hier jedoch nicht anwendbar). 10.2.4. Weiterhin darf die Betriebsvereinbarung nicht gegen übergeordnete Gesetze verstoßen (vgl. ο. II. B. 2.7.). 10.2.5. Aus Bestimmungen, die Verfassungsprinzipien verletzen, kann der A N keine Ansprüche herleiten (vgl. ο. II. B. 2.8.)« 10.2.6. Zu beachten ist auch, o b die Betriebsvereinbarung gekündigt ist, § 77 V B e t r V G ; ebenso jedoch, ob sie gem. § 77 VI B e t r V G noch über die Kündigung hinaus, nachwirkt (vgl. entsprechend bei § 4 V T V G ! ) . 10.2.7. Voraussetzung eines Anspruchs aus Betriebsvereinbarung ist weiterhin, daß keine Verjährung eingetreten ist; ihre Frist kann verkürzt worden sein - vgl. § 7 7 I V , 4 B e t r V G . Ein Verzicht auf einen Anspruch aus der Betriebsvereinbarung ist nur wirksam, wenn der B R zustimmt, § 77 IV, 2 B e t r V G . Dagegen ist eine Verwirkung gem. § 77 IV, 3 B e t r V G ausgeschlossen (vgl. ο. II. B. 2.9.). 10.2.8. Schließlich ist festzustellen, o b der AN eine gem. §77 IV, 4 B e t r V G vereinbarte Ausschlußfrist beachtet hat (vgl. ο. II. B. 2.10.).

1 2 3 4 5

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ζ. B. BAG in AP, Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972, Betriebsbuße etwa BAG in AP, Nr. 1 und Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972, Kurzarbeil BAG in AP, Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972, Auszahlung BAG in AP, Nr. 15 zu § 611 BGB, Urlaubsrecht etwa BAG in AP, Nr. 1 und Nr. 2 zu $ 87 BetrVG, Altersversorgung

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Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht Voraussetzungen eines Anspruchs aus BV

Schriftform, § 77 Abs. II Normative Zulässigkeit § 77 Abs. III Geltungsbereich, § 5 Abs. II/III Gesetzeskonform Verfassungskonform Kündigung der BV, § 77 Abs. V/VI Keine Verjährung Ausschlußfrist

11. Kapitel: Gewerkschaften im Betrieb Literatur: Buchner, Fall 1 A . 1.2.a, Β.; G. -S., R d N r . 496,497,503,504; Η. -Α., D . 1.5.; L.-L., Kap. Ε III. 1.; Η.-Ν., § 73; Schaub, § 215 I.; Söllner, § 19 V.; Zöllner, § 44 VI.; Ζ.-Μ. II, Stud. Ε . 11, Teil 12. (S. 96). In d e r E i n l e i t u n g w u r d e b e g r ü n d e t , w a r u m die W i r t s c h a f t s o r d n u n g in d e r B R D , die soziale Marktwirtschaft, auf A N - S e i t e eine kollektive I n t e r e s s e n v e r t r e t u n g b e n ö t i g t u n d w e s h a l b diese v o n d e n Gewerkschaften w a h r g e n o m m e n e A u f g a b e letztlich dazu d i e n t , die Prinzipien u n s e r e r W i r t s c h a f t s o r d n u n g zu e r h a l t e n (vgl. ο. I. Einl. 4.1.1. 4.1.4. u n d 4 . 2 . 3 . ) . D a r g e s t e l l t w u r d e auch in d e n w e i t e r e n Teilen d e s T e x t e s , d a ß als F o l g e die G e w e r k s c h a f t e n verfassungsrechtlich garantiert w e r d e n , d a ß sie a n d e r Tarifautonomie t e i l h a b e n , also mit der A G - S e i t e o h n e staatliche E i n g r i f f e A r b e i t s - u n d W i r t s c h a f t s b e d i n g u n g e n f e s t l e g e n . H i e r z u k ö n n e n sie sich d e r Mittel des TV u n d des Arbeits kämpf es b e d i e n e n , (vgl. II. B. u n d C . ) . 11.1. F ü r die Gewerkschaften ist es, v o n dieser G r u n d l a g e a u s g e h e n d , eine folgerichtige u n d n a h e l i e g e n d e E r w a r t u n g , auch auf d e r betrieblichen E b e n e als die natürliche AN-Vertretung a n g e s e h e n zu w e r d e n . A n d e r e r s e i t s steht die A G - S e i t e auf d e m S t a n d p u n k t , d a ß e i n e vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie sie f ü r das G e d e i h e n j e d e n B e t r i e b s nötig ist, nicht verwirklicht w e r d e n k a n n mit e i n e r A N - V e r t r e t u n g , die notfalls ihre F o r d e r u n g e n mit A r b e i t s k a m p f m i t t e l n verfolgt - die also m e h r einseitiger I n t e r e s s e n v e r t r e t e r als Betriebspartner ist. D a s B e t r V G m u ß t e e i n e n K o m p r o m i ß f i n d e n zwischen diesen e x t r e m e n A u s g a n g s p u n k t e n . D i e G r u n d e n t s c h e i d u n g des B e t r V G fiel z u g u n s t e n des Betriebsfriedens auf

II. Das kollektive Arbeitsrecht

69

der Grundlage betrieblicher Partnerschaft aus. Deshalb wurde der B R als ein Organ aller A N im Betrieb festgelegt, nicht als ein Gewerkschaftsorgan. Diese Lösung berücksichtigt zugleich die negative Koalitionsfreiheit (vgl. ο. II. A . 2.3.) der einzelnen A N - sie wäre unterlaufen, müßten sich die nichtorganisierten AN durch einen rein gewerkschaftlichen B R vertreten lassen. Nach dieser Entscheidung des B e t r V G richten sich die bereits besprochenen Grundsätze über die Zusammenarbeit zwischen B R und A G (vgl. o. 5. - 5.4.). 11.2. D a jedoch die Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene nicht einfach außer Acht gelassen werden können, enthält das B e t r V G zum Ausgleich für diese Grundentscheidung etliche Vorschriften, die den AN-Koalitionen - und zwar in wichtigen Fragen — ermöglichen, auf das Betriebsgeschehen einzuwirken. Damit wird anerkannt, daß sich die Betätigungsgarantie der Koalition (vgl. ο. II. A . 2.2.2.) auch und gerade im einzelnen Betrieb, wo sie ihre Mitglieder hat, verwirklicht. (Auswirkung dieser Einsicht ist insbesondere § 74 III BetrVG: A N , die A u f g a b e n nach dem BetrVG übernehmen also etwa BR-Mitglied werden — sind hierdurch in ihrer gewerkschaftlichen Betätigung nicht eingeschränkt.) Die vom B e t r V G eingeräumten Rechte stehen jedoch nur den Gewerkschaften zu, die - wenigstens ein oder aber mehrere — Mitglieder im betreffenden Betrieb haben! 11.2.1. Diese Gewerkschaften haben das R e c h t . Beauftragte in den Betrieb zu entsenden, damit sie die ihnen vom B e t r V G gestellten Aufgaben w a h r n e h m e n können. Den Beauftragten muß vom A G Zutritt zum Betrieb gewährt werden 1 . Ausnahmen bestehen nur, wenn „unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen" (vgl. § 2 II BetrVG). § 2 I B e t r V G fordert ergänzend, daß A G und B R auch mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften (und A G - V e r b ä n d e n ) zusammenwirken sollen. 11.2.2. Besonders wichtig für die Gewerkschaften ist, daß sie „Starthilfe" leisten können zur BR-Wahl. G e m . § 16 II B e t r V G können sie beim Arbeitsgericht beantragen , einen Wahlvorstand zu bestellen, falls 6 W o c h e n , bevor die Amtszeit des bisherigen BR abläuft, noch kein Wahlvorstand vorhanden ist. In Betrieben, die bisher keinen BR haben, können sie zur Betriebsversammlung einladen und Vorschläge unterbreiten, wie der Wahlvorstand zu besetzen ist, § 17 II B e t r V G . Bleibt dies ohne Erfolg, steht ihnen gem. § 17 III B e t r V G wiederum das Recht zu, beim Arbeitsgericht einen entsprechenden A n t r a g zu stellen. 11.2.3. Die Gewerkschaften können auch unter den Voraussetzungen des § 14 VII BetrVG Wahlvorschläge einreichen. 11.2.4. Ist die Wahl ausgeführt, kann die Gewerkschaft sie gem. § 19 II B e t r V G anfechten und damit ein ihr zustehendes Kontrollrecht ausüben. Ebensolche Rechte stehen ihr zu gem. § 23 B e t r V G : die Gewerkschaft kann beim Arbeitsgericht beantragen, ein BR-Mitglied aus zuschließen oder sogar den ganzen BR aufzulösen, wenn sich herausstellt, daß diese ihre gesetzlichen Pflichten grob verletzt haben (§ 23 I B e t r V G ) . D e m A G kann bei entsprechender Pflichtverletzung vom Arbeitsgericht auferlegt werden, die angegriffenen Handlungen zu unterlassen oder eine bestimmte H a n d l u n g vorzunehmen u. ä., wenn die Gewerkschaft dies beantragt (§ 23 III B e t r V G ) . 1

Vgl. BAG

in AP,

Nr. 2 zu § 2 BetrVG

1972

70

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

11.2.5. An einer Sitzung des BR teilzunehmen kann sie dadurch erreichen, daß Ά der gesamten BR-Mitglieder oder die Mehrheit einer G r u p p e (Arbeiter - Angestellte) einen solchen Antrag stellt, vgl. § 31 B e t r V G . Sogar ohne Antrag besteht dieses Teilnahmerecht bei Betriebsversammlungen, § 46 I B e t r V G . 11.2.6. Und schließlich kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft auch beim B R beantragen, eine Betriebsversammlung einzuberufen. wenn im vorausgegangenen Kalendervierteljahr keine entsprechende Versammlung durchgeführt wurde, § 43 IV B e t r V G . Dieses Recht steht den Kontrollrechten nahe (vgl. o. 11.2.4.), da die Gewerkschaft auf diesem Weg nicht nur erreicht, daß die A N des Betriebs unterrichtet werden über die Tätigkeit des B R , § 43 I B e t r V G , und andere den Betrieb betreffende Angelegenheiten, § 45 B e t r V G - sondern da auch sie selbst über ihren Beauftragten, der gem. § 46 I B e t r V G an der Versammlung teilnimmt, diese Informationen bekommt. Befugnisse der Gewerkschaften im Betrieb

Zutritt zum Betrieb Initiativrecht zur BR-Wahl Wahlvorschläge Kontrollrechte

§2 §§ 16 Abs. II 17 Abs II/III § 14 Abs. VII § § 19 Abs. II 23 Abs. I/Ill

Teilnahmerechte

§§ 31 46 Abs. 1

Einberufung d. Betr.-Versammlung

§ 43 Abs. IV

12. K a p i t e l : D i e V e r t r e t u n g der l e i t e n d e n A n g e s t e l l t e n

Literatur: G.-S. (8), RdNr. 625; Halbach, S. 31 Iff.; L. RdNr. 748-801; Gnade, S. 374 ff. Wie oben unter D.2.3.1. schon dargestellt, wurde den leitenden Angestellten eine Teilnahme an der Arbeitnehmervertretung verwehrt, weil man glaubte, G r u n d zu der A n n a h m e zu haben, daß die „Leitenden" dem A G näher stehen würden als den übrigen A N . Seit den siebziger Jahren kam es aber vornehmlich in den Großbetrieben der B R D zur freiwilligen Bildung von Vertretungen der Leitenden, so daß der Gesetzgeber sich schließlich genötigt sah, eine konkrete gesetzliche Regelung zu schaffen. A m 20.12.1988 wurde das Gesetz über Sprecherausschüsse welches dem B e t r V G nachge-

II. Das kollektive Arbeitsrecht

71

bildet w u r d e , so d a ß es sehr viele Parallelen und Querverweise gibt, verabschiedet. I m folgenden sollen nur kurz die wesentlichen Unterschiede zum B e t r V G bzw. d e r Stellung des B R aufgezeigt werden. 12.1. D a s Sprecherausschuß-Gesetz weist den Vertretungen d e r leitenden Angestellten eine schwächere Rechtsstellung als d e n B R zu, so gibt es keine wirkliche Mitbestimm u n g , sondern lediglich Mitwirkungsrechte f ü r die Sprecherausschüsse. 12.2. Die ersten gesetzlichen Wahlen f a n d e n im Z e i t r a u m März bis Mai 1990 statt, die weiteren Wahlen werden alle 4 J a h r e parallel zu den B R - W a h l e n stattfinden. Sprecherausschüsse sind in Betrieben mit mindestens 10 leitenden Angestellten zu bilden. Sollte ein Betrieb weniger als 10 L e i t e n d e h a b e n , so sind diese d e m nächstliegenden B e t r i e b des gleichen U n t e r n e h m e n s z u z u o r d n e n . 12.3. A n d e r s als das B e t r V G sieht das S p r A u G die Bildung von Sprecherausschüssen auf Unternehmensebene vor. Dies soll zum einen die V e r t r e t u n g der leitenden A n g e stellten in U n t e r n e h m e n , die in ihren B e t r i e b e n nicht die Mindestzahl von 10 Leitenden beschäftigt h a b e n , ermöglichen, z u m a n d e r e n aber auch die A n p a s s u n g d e r Vert r e t u n g an die U n t e r n e h m e n s s t r u k t u r und -erfordernisse. 12.4. Zwischen der V e r t r e t u n g d e r L e i t e n d e n und dem A G können Vereinbarungen getroffen w e r d e n , die - ähnlich wie Betriebsvereinbarungen - allgemeine R e g e l u n g e n f ü r den Abschluß und den Inhalt von Arbeitsverträgen mit leitenden Angestellten enthalten. Diese V e r e i n b a r u n g e n sind g e m . § 28 I S p r A u G nicht verbindlich, sie erhalten erst durch einen b e s o n d e r e n Zusatz g e m . § 28 II S p r A u G den zwingenden Charakter, den Betriebsvereinbarungen per se h a b e n . 12.5. Einigungsstellen, die vom B e t r V G vorgesehen sind, gibt es g e m ä ß Sprecherausschuß-Gesetz nur auf freiwilliger Basis.

72

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

E. Die Mitbestimmung im Unternehmen Z u d e r o. D . b e s c h r i e b e n e n E b e n e betrieblicher Mitbestimmung tritt ein z w e i t e r B e r e i c h , d e r die B e l a n g e d e r A N b e r ü h r t u n d in d e m sie d e s h a l b m i t z u b e s t i m m e n v e r l a n g e n : das Unternehmen. B e r e i t s m e h r f a c h w u r d e auf diesen P r o b l e m k r e i s h i n g e w i e s e n : 2. Β., d a ß das E i g e n t u m u n d seine sog. Sozialpflichtigkeit b e t r o f f e n sind (vgl. ο. I. E i n l . 5.8.) o d e r d i e G e g n e r u n a b h ä n g i g k e i t — als e i n e V o r a u s s e t z u n g d e r Koalition - hier eine Rolle spielt (vgl. ο. II. A . 3 . 5 . ) . F e r n e r w u r d e die Unternehmensverfassung als eine d e r G r e n z e n d e r T a r i f a u t o n o m i e b e z e i c h n e t (vgl. ο. II. B. 3 . 6 . ) .

1. Kapitel: Begriffsbestimmungen Literatur: Brox, RdNr. 11;G.-S., RdNr. 52; H.-A., D. I.2.; J. IV. 5.;L.-L., Kap. Ε I. 3 . e ) ; H . N., § 11; Schaub, § 18 I. 1., IV.; § 214 I. 2.; Söllner, § 3 IV.; Zöllner, § 44 II. 2.; Z.-M. 1, Stud. Ε. 1, Teil III 1. (S. 27). U m d i e b e t r i e b l i c h e von d e r U n t e r n e h m e n s e b e n e abgrenzen zu k ö n n e n , m ü s s e n die B e g r i f f e Betrieb u n d U n t e r n e h m e n klargestellt w e r d e n . ( D e n n d a m i t wird zugleich f e s t g e l e g t , in w e l c h e n B e r e i c h e n die A N auf w e l c h e W e i s e m i t b e s t i m m e n k ö n n e n . )

Unternehmen und Betrieb

Unternehmen -Planungsebene-

Betrieb -Ausführungsebene-

II Das kollektive Arbeitsrecht

73

1.1. D e r Betrieb ist eine organisatorische Einheit, in der mit sachlichen und personellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt werden' Hierzu zählen ζ Β die Produktion, Produktentwicklung, Lagerhaltung - aber auch alle Verwaltungsaufgaben, die diesen Tätigkeiten direkt dienen, wie Kalkulation, Lohnbüros, Ein- und Verkauf, außerdem die benutzten G e b ä u d e und Materialien Dieser Ebene ist die im BetrVG geregelte Mitbestimmung zugeordnet (vgl ο II D ) 1.2. Das Unternehmen ist dagegen die (gesamt-)wirtschafthche und rechtliche Einheit, die den Zweck festlegt und uberwacht D e r Betrieb (oder mehrere Betriebe) sind dem Unternehmen zugeordnet Hierher gehören 2 Β Marktanalyse u n d - p l a n u n g , Investitions- und Finanzplanung sowie Entscheidungen darüber, ob die (im Betrieb entwikkelten) Produkte hergestellt werden sollen Auf das U n t e r n e h m e n werden die Mitbestimmungsgesetze (vgl u 3 ) angewendet (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

2. Kapitel: Grundprobleme der Unternehmensmitbestimmung Literatur Brox, RdNr 83, G S , RdNr 591, Η -A , C II 3 f , D IV , L -L , Kap Ε IX , Schaub,§ 245, Söllner,§ 24 3 , Zöllner, § 511 u IV , Ζ -Μ II, Stud Ε 11, Teil III 5

Wege der AN -Mitbestimmung

Unternehmen

AG

AN

BR

Betrieb

1

Vgl BAG in AP. Nr 1 und Nr 5 zu § 3 BetrVG 1952

74

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

Die Mitbestimmung im Unternehmen geht von denselben Vorstellungen aus wie im Betrieb: die Interessen der Arbeitnehmer sollen gegen die Kapitalseite wahrgenommen werden, wofür nötig ist, sie an der Verwaltung und Planung zu beteiligen (vgl. ο. II. D . 1.1. und 1.2.). 2.1. Jedoch ist die Art, wie im Unternehmensbereich diese Mitbestimmung gestaltet werden kann, durch das Gesellschaftsrecht eingeengt: sie kann nur im Aufsichtsrat verwirklicht werden. Damit unterscheiden sich aber die betriebliche und Unternehmensmitbestimmung grundsätzlich: im Betrieb arbeiten AN und A G zwar zusammen, jedoch stehen sie sich gegenüber als jeweils selbständige, unabhängige Interessen vertreter — insbesondere bleiben die BR-Mitglieder stets A N . Im Unternehmen besteht dagegen nur ein gemeinsames Führungsorgan: der Aufsichtsrat. In ihm werden auch von den AN-Vertretern (zusammen mit den Vertretern der Kapitalseigner) A G Aufgaben wahrgenommen - denn zu planen, zu führen und Ziele festzulegen sind typische AG-Tätigkeiten. (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!) 2.2. D e r durch die Mitbestimmungsgesetze zu lösende Konflikt wird daher bestimmt von den jeweils betroffenen Rechtspositionen'. 2.2.1. Je umfangreicher die A N in den Aufsichtsräten (AufsR) — und damit an den A G - A u f g a b e n - beteiligt werden, desto mehr sehen die Kapitalseigner ihr in Art. 141 GG (vgl. ο. I. Einl. 5.8.) garantiertes Eigentum verletzt. D a sie nicht mehr selbst über ihr im U n t e r n e h m e n verkörpertes Eigentum verfügen könnten, liege eine Enteignung vor. Auch werde gegen den Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit (der aus Art. 9 III GG hergeleitet wird — vgl. ο. II. A. 3.5.) verstoßen, wenn die „feindliche Partei" bereits an der Meinungsbildung der A G beteiligt sei. A u ß e r d e m verliere das U n t e r n e h men seine Funktionsfähigkeit, wenn im A u f s R „gestritten statt entschieden" werde. 2.2.2. Demgegenüber rechtfertigen die A N (in diesem Streit vertreten durch die Gewerkschaften) ihren Wunsch mitzubestimmen, indem sie insbesondere auf Art. 14 Grundpositionen zur AN-Mitbestimmung

1

AG

AN

Enteignung

Sozialpflichtigkeit d. Eigentums

Gegnerunabhängigkeit

Demokratiegebot

Funktionsfähigkeit

Mitverwaltung

Vgl. die Erörterung dieser Positionen bezüglich des Mitbestimmungsgesetzes durch das BVfG in NJW 19791699 = AP, Nr. 1 zu § 1 MilbestG

II. Das kollektive Arbeitsrecht

75

II GG hinweisen: die U n t e m e h m e n s m i t b e s t i m m u n g verwirkliche die dort festgelegte Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Auch entspreche sie dem in Art. 201 G G enthaltenen Demokratiegebot und dem berechtigten Verlangen der A N , teilzuhaben an Entscheidungen, die ihre eigene Z u k u n f t grundlegend beeinflussen konnten( vgl. die entsprechende Begründung beim B e t r V G , ο. II. D . 1.2.). (Siehe Graphik auf vorangehender Seile!)

2.3. In den seit 1945 verabschiedeten Mitbestimmungsgesetzen mußten diese grundsätzlichen Interessen und Rechte jeweils „auf einen N e n n e r " gebracht werden. A m meisten umstritten war stets, mit welcher Parität die A N im AufsR beteiligt sein, d. h. wieviele AN-Vertreter den Kapitalsvertretern gegenübersitzen sollten. Die volle Parität ist bis jetzt nicht ganz verwirklicht, insbesondere weil befürchtet wird, es könnte dann jene Patt-Situation entstehen, in der durch unvereinbare Standpunkte der ANund AG-Vertreter das U n t e r n e h m e n steuerungs- und funktionsunfähig würde. Unterhalb dieser Paritätsgrenze wurden unterschiedlich starke Beteiligungen und Verfahren gesetzlich geregelt (vgl. u. 3.). 3. Kapitel: Gesetzliche Mitbestimmungsregelungen Literatur: Brox, RdNr. 83; G.-S., RdNr. 591-612; Η.-Α.,Ό. IV.; L.-L., Kap. Ε I X . ; Η.-Ν., § 72 III.; § 89;Schaub, §§246-248; Söllner, § 24; Zöllner, § 51 II. u. III. Die drei wichtigsten gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen sind enthalten: - im Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 (Montan-MitbestG), - in dem - insoweit noch geltenden — B e t r V G von 1952 und - im Mitbestimmungsgesetz von 1976 (MitbestG 1976)'. (Diese Gesetze gelten aber nicht für Tendenzunternehmen und U n t e r n e h m e n vor Religionsgemeinschaften - vgl. auch ο. II. D. 2.3.2.). 3.1. Das Montan-MitbestG hat als Geltungsbereich die sog. Montan-Industrie: Unternehmen des Kohlen- und Eisenerzbergbaus, sowie der eisen- und stahl erzeugenden Industrie, vgl. § 1 I. Nicht betroffen sind also Gesellschaften, die 2. B. Erdöl- oder Buntmetallgewinnung betreiben, ebensowenig die eisen- und stahl verarbeitenden Industrien - sie können jedoch von den anderen Mitbestimmungsgesetzen erfaßt werden, soweit deren jeweilige Voraussetzungen vorliegen (vgl. u. 3.2. und 3.3.). 3.1.1. Auch M o n t a n - U n t e r n e h m e n fallen jedoch nur dann unter das Montan-MitbestG , wenn sie zum einen bestimmte Rechtsformen haben (§111: Akt. Ges., G m b H . . - auch die KG (auf Aktien) gehört hierher), zum anderen ständig mehr als 1000 A N beschäftigen. 3.1.2. Im AufsR ist das o. 2.3. dargelegte Paritätsproblem dahingehend gelöst, dal: zwar grundsätzlich volle Parität besteht; jedoch müssen AN- und AG-Vertrete] gemeinsam ein weiteres „neutrales" Mitglied wählen, vgl. § 8, so d a ß der A u f s R au; einer ungeraden Zahl Mitglieder besteht (dies können 11,15 oder 21 Personen sein vgl. § 4 I und § 9). Damit wird die Patt-Situation (vgl. 0. 2.3.) vermieden. ' §§-Angaben beziehen sich in den folgenden A b s c h n i t t e n auf die jeweils b e s c h r i e b e n e n G e s e t z e

76

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

3.1.3. Die AufsR-Mitglieder werden bei der Akt.-Ges. von der Hauptversammlung (bei anderen Gesellschaftsformen von der Gesellschafter-Versammlung) gewählt, § 6. Die AN-Vertreter werden dabei vorgeschlagen vom B R und den Spitzenverbänden der Gewerkschaften. D a ß diese AufsR-Mitglieder der A N - mindestens nach dem Gesetz - v ö l l i g die Rolle wechseln (vgl. ο. 2.1.), zeigt § 4 III: Danach haben a\\e AufsR-Mitglieder die gleichen Rechte und Pflichten, eine „Sonderstellung" f ü r die die A N vertretenden Mitglieder gibt es nicht - insbesondere sind sie auch nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden; dadurch sollen sie frei sein, allein entsprechend den sachlichen Aufgaben einer verantwortlichen Unternehmensführung zu entscheiden. 3.1.4. Als Sonderregelung sieht das Montan-MitbestG vor. daß gemäß § 13 vom A u f s R ein Arbeitsdirektor zu bestellen ist — er ist gleichberechtigtes Mitglied des Vorstandes, also jenes Organs, das das U n t e r n e h m e n nach außen rechtlich vertritt. E r soll im Vorstand die Interessen der A N (insbesondere: Personalangelegenheiten) wahrnehmen. 3.2. D e r Geltungsbereich des BetrVG 1952 umfaßt U n t e r n e h m e n , soweit sie nicht von einem der anderen beiden Mitbestimmungsgesetze erfaßt werden. 3.2.1. Ihren Rechtsformen nach müssen sie Kapitalgesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit o d e r Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sein, vgl. §§ 76 I, 77. Vorausgesetzt wird jedoch, daß sie mehr als 500 AN beschäftigen. D a auf Großbetriebe mit mehr als 2000 AN das MitbestG 1976 anzuwenden ist, bleiben hier also U n t e r n e h m e n mit Belegschaften von 500 bis 2000 A N . 3.2.2. Die Parität im AufsR beträgt Ά (vgl. § 76 I — das o. 2.1. ff. genannte Mitbestimmungsproblem ist also hier f ü r die AG-Seite nicht so schwerwiegend, da sie eine klare Mehrheit besitzt). Auch hier haben alle AufsR-Mitglieder dieselben Rechte und Pflichten, die sich aus den Vorschriften des jeweiligen Gesellschaftsrechts ergeben. 3.2.3. Die Wahl der AN-Vertreter erfolgt direkt durch die A N des U n t e r n e h m e n s f ü r das aktive Wahlrecht sind die entsprechenden Vorschriften des BetrVG 1972 anzuwenden (vgl. ο. II. D. 3.1.1.). Weitere Wahlvoraussetzungen ergeben sich aus dem jeweiligen Gesellschaftsrecht und aus § 76 II: Danach können insbesondere unternehmensfremde AN-Vertreter (Gewerkschaftsfunktionäre!) erst ab einer bestimmten Mitgliederzahl des A u f s R gewählt werden. 3.3. D e r Geltungsbereich des MitbestG 1976' liegt bei G r o ß u n t e r n e h m e n außerhalb der Montan-Industrie. 3.3.1. E r f a ß t werden gemäß § 1 I Nr. 1. Gesellschaften in den Rechtsformen der Akt.Ges., K G (auf Aktien) und G m b H , ferner die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sowie gemäß § 4 bestimmte Formen der K G . Großunternehmen sind dabei jene, die mehr als 2000 A N beschäftigen, vgl. § 1 I Nr. 2.

Vgl. zu seiner Verfassungsmäßigkeit BVfG in NJW1979/699 Meessen in NJW 19791833

sowie die Urteilsbesprechung von

77

II. Das kollektive Arbeitsrecht

3.3.2. D e r AufsR ist im Ansatz (wie bei der Montan-Industrie — vgl. o. 3.1.2.) paritätisch besetzt (vgl. § 7; im Verhältnis 6:6; 8:8 oder 10:10, je nach Unternehmensgröße). D e r Patt-Situation wird jedoch nicht durch einen Neutralen begegnet (vgl. ο. 3.1.2.). Statt dessen steht dem AufsR-Vorsitzenden g e m ä ß § 29 II eine zweite Stimme zu, wenn zuvor zweimal mit Stimmengleichheit abgestimmt wurde. Durch diese „Zweitstimme" bleibt der A u f s R entscheidungsfähig. Damit wird aber entscheidend, wer den AufsR-Vorsitzenden bestimmt: im Streitfall die Vertreter der Anteilseigner, vgl. § 27 II! Also überwiegt letztlich die „Kapitalseite" doch geringfügig. Welche - für A N - und A G - V e r t r e t e r gleichen - Rechte und Pflichten bestehen, ist im jeweiligen Gesellschaftsrecht festgelegt. 3.3.3. Die Wahl der AN-Vertreter (anteilig Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte, vgl. §§ 15,18) findet entweder direkt statt, durch sog. Urwahl, §§ 9 II, 18; oder mittelbar durch Wahlmänner, §§ 9 I, 15. (Diese W a h l m ä n n e r werden ihrerseits gewählt, grundsätzlich getrennt nach den G r u p p e n der Arbeiter und Angestellten, § 10 I). Ob direkt oder mittels Wahlmännern gewählt werden soll, können die A N selbst beschließen, vgl. § 9 III. Zwingend legt das Gesetz fest, daß eine bestimmte Anzahl der

Regelungen der Unternehmensmitbestimmung Gesetzl. Regelung

Montan-MitbestG 1951 Mitbest-ErgG 1956

BetrVG 1952

MitbestG 1976

Akt.Ges.; K G (auf Aktien); G m b H ; Erwerbs- u. Wirtschaftsgenossenschaften; Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit;

Akt.Ges.; K G (auf Aktien); G m b H ; Erwerbs- u. Wirtschaftsgenossenschaften K G (gem. §4);

Akt.Ges.; K G (auf Aktien); GmbH; des Montanbereiches

Anzahl der A N

500-2000

über2000

über 1000

Mitbestimmung im AufsR

1/3

Parität

Parität

2. Stimme des A u f s R Vorsitzenden, § 29 II

zusätzliches „neutrales" AufsR-Mitglied,§8

Gesellschaftsformen

Lösung der Patt-Situation Wahl der AN-Vertreter

Direktwahl

Urwahl oder Wahlmänner

Wahl durch die Hauptversammlung

Gewerkschaften im AufsR

ab 3 AN-Vertreter, §76ll,3

2 oder 3 Gew.-Vertreter, § 7 II

Vorschlagsrechte, § 6

Arbeitsdirektor

Arbeitsdirektor

Sonderregelung fürVorstand Ausnahmen

Tendenzunternehmen §81

Tendenzunternehmen §1

78

Erster Teil: Das kollektive Arbeitsrecht

AN-Vertreter im A u f s R Gewerkschaftsvertreter sein müssen, vgl. § 7 II. Sie werden gemäß § 16 II von den Gewerkschaften vorgeschlagen und, wie die anderen ANVertreter, direkt oder durch Wahlmänner gewählt, §§ 16 I, 18. 3 . 3 . 4 . D e r AufsR bestellt gemäß § 31 den Vorstand, also jenes Organ, das das Unternehmen nach außen vertritt. Wie in der Montan-Industrie (vgl. o. 3 . 1 . 4 . ) ist ein Arbeitsdirektor als gleichberechtiges Vorstandsmitglied zu berufen, § 33. Abschließend wird ein Überblick gegeben über die wichtigsten Regelungen der Unternehmensmitbestimmung. (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Inhaltsverzeichnis zum zweiten Teil I. Einleitung 1. Kapitel: 1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.2.1. 1.3.2.2. 1.3.2.3.

Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen A V als schuldrechtlicher Vertrag Vertragsfreiheit im BGB Personenfreiheit Inhaltsfreiheit Formfreiheit Grenzen der Vertragsfreiheit Art. 2 I G G Schutzwürdigkeit Grenzen der Personenfreiheit Grenzen der Inhaltsfreiheit Grenzen der Formfreiheit

89 89 89 89 90 90 90 90 91 91 91 92

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.3.

Grenzen Grenzen Grenzen Grenzen

92 92 92 92

der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht der Personenfreiheit der Inhaltsfreiheit der Formfreiheit

II. Das Arbeitsverhältnis A. Der Arbeitsvertrag

94

1. Kapitel: 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.3. 1.4. 1.5. 1.5.1.

Abschluß des Arbeitsvertrags nach BGB Angebot-Willenserklärung Handlungsbewußtsein Erklärungsbewußtsein Geschäftsbewußtsein Zugang des Angebots Zugang unter Anwesenden Zugang unter Abwesenden Definition des Zugangs Annahme-Willenserklärung Zugang der Annahme Gleicher Inhalt „Annahme" mit Abänderung, §150 II BGB

94 94 94 94 95 95 95 95 96 96 96 96 96

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2.

Die Geschäftsfähigkeit Volle Geschäftsfähigkeit Ausnahmen: § 104Ziff. 2. und3. B G B Geschäftsunfähigkeit gem. § 104 Ziff. 1. B G B Beschränkte Geschäftsfähigkeit Die „schwebend unwirksame" W E Ausnahmen

97 97 97 97 97 97 98

82

Inhaltsverzeichnis

2.3.2.1. 2.3.2.2. 2.4.

„Rechtlicher V o r t e i l " „Taschengeldparagraph" §113 B G B

98 98 99

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.3. 3.3.1. 3.3.2.

Strukturmerkmale des Arbeitsvertrags A V als zweiseitiger Vertrag Unterschied zu a n d e r e n zweiseitigen V e r t r ä g e n Personen / Zeit-Verhältnis bei anderen V e r t r ä g e n Personen / Zeit-Verhältnis beim Α V A V als „ p e r s o n e n b e z o g e n e s Gemeinschaftsverhältnis" A V als gegenseitiger schuldrechtlicher V e r t r a g H a u p t - u n d Nebenpflichten Gegenseitige R e c h t e

99 100 100 100 101 101 101 102 102

4. Kapitel: 4.1. 4.1.1. 4.1.2.

Das Ausbildungverhältnis Zweigliedriges Ausbildungssystem Regelung d e r staatlichen Ausbildung Regelung d e r betrieblichen Ausbildung

103 103 103 103

5. Kapitel: 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.3.1. 5.1.4. 5.2. 5.2.1. 5.2.1.1. 5.2.1.2. 5.2.2. 5.3.

Der anfechtbare Arbeitsvertrag Fehler in d e r W E § 1 1 9 1 , 1 . A l t . B G B (Inhaltsirrtum) § 1 1 9 1 , 2 . A l t . B G B (Erklärungsirrtum) §119 II B G B („Motivirrtum") „Wesentliche Eigenschaft" §1231 B G B (Täuschung-Drohung) Anfechtung Anfechtungsfristen § 121 B G B („unverzüglich") §124 B G B (Jahresfrist) Schadenersatz Folge der A n f e c h t u n g

104 104 104 104 104 105 105 105 106 106 106 106 106

6. Kapitel: 6.1. 6.2. 6.2.1. 6.3.

Leistungsaustausch beim nichtigen Arbeitsvertrag Herausgabepflicht, §8121,1 B G B Das „faktische Arbeitsverhältnis" § 8 1 2 1 , 1 B G B im Arbeitsrecht Weitere Nichtigkeitsfolgen

107 107 107 108 108

B.Stellung des A N und A G im Arbeitsverhältnis

108

1. Kapitel: 1.1. 1.1.1

109 109

1.2. 1.3. 1.4.

Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers G r u n d l a g e n der Arbeitspflicht: A V A u s n a h m e n zu § 613 B G B (Betriebsübertragung/ Leiharbeitsvertrag) Direktionsrecht des A G Betriebliche Mitbestimmung Gesetz/Tarifvertrag

109 109 110 110

Inhaltsverzeichnis

83

1.5. 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3.

Besondere Regelungen Arbeitszeit Arbeitstempo Arbeitsumgebung

110 110 110 111

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.5. 2.5.1. 2.5.2. 2.5.3.

Die Hauptpflicht des Arbeitgebers Grundlagen der Lohnzahlungspflicht: TV Anwendung wegen vertraglicher Vereinbarung Anwendung wegen „Gleichheitssatz" Anwendung wegen „betrieblicher Übung" Grundlage: Betriebsvereinbarung Grundlage: AV Gleichheitssatz Betriebliche Übung Grundlage: Gesetz Lohnformen Zeitlohn Akkordlohn Andere Lohnformen

111 111 111 111 112 112 112 112 112 112 113 113 113 113

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.2.1. 3.1.2.2. 3.1.2.3. 3.1.2.4. 3.1.2.5. 3.1.3. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.3.1. 3.3.3.2. 3.4. 3.5.

Lohnansprüche ohne unmittelbare Arbeitsleistung Urlaub Berechnung des Urlaubs Urlaubsgrundsätze „Zerstückelungsverbot" „Übertragungsverbot" „Nötigungsverbot" „Selbstbeurlaubungsverbot" Arbeitsverbot Bildungsurlaub Lohnzahlungen an Feiertagen Lohnfortzahlungen bei Krankheit 6-Wochen-Frist Höhe des Lohnanspruchs Voraussetzungen des Anspruchs Meldung gem. §3 LFG Kein Verschulden, §1 LFG Schwangerschaft/Mutterschaft Vorübergehende Verhinderung

114 114 114 115 115 115 115 116 116 116 116 117 117 117 118 118 118 119 119

4. Kapitel: 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.2. 4.2.1. 4.2.2.

Beeinträchtigung des Lohnanspruchs Rückzahlungsklauseln Zulässigkeit Gratifikationen mit „Doppelnatur" Rückzahlungsklauseln bei AG-Kündigung Rückforderungen §8121,1BGB § 818 III BGB - „Entreicherung"

120 120 120 121 121 122 122 122

84

Inhaltsverzeichnis

4.3. 4.4. 4.5. 4.5.1. 4.5.2.

„Ausgleichsquittungen" Pfändung Verjährung Verjährungsfrist und-folgen „Ausschlußfristen"

122 123 123 123 124

5. Kapitel: 5.1. 5.2.

Beschäftigungsrecht und-pflicht Grundlage Ausnahmen

124 124 124

C. Nebenrechte und Nebenpflichten der Vertragsparteien

125

1. Kapitel: 1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.5.1. 1.5.2.

Die Treuepflicht des Arbeitnehmers Verschwiegenheitspflicht Wettbewerbsverbot Bei bestehendem Arbeitsverhältnis Nach beendetem Arbeitsverhältnis Schmiergeldverbot Interessenwahrung Beschränktes Nebentätigkeitsverbot Grundsatz: Art. 12IGG Einschränkungen

125 126 126 126 126 126 127 127 127 127

2. Kapitel: 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.6.3.

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Personensorge, §6181 B G B Eigentumssorge Allgemeine Sorgfaltspflicht Auskunfts-und Informationspflicht §629 B G B Zeugnis Einfaches Zeugnis Qualifiziertes Zeugnis Beurteilungsgrundsätze

128 128 128 128 128 129 129 129 129 129

D.Haftung und Leistungsstörungen im Arbeitsrecht

130

1. Kapitel: Haftung wegen „unerlaubter Handlungen" 1.1. Tatbestand 1.1.1. Schaden 1.1.1.1. Absolute Rechte 1.1.1.2. Schutzgesetze 1.1.2. Handlung/Unterlassung 1.1.3. Verursachung 1.2. Rechtswidrigkeit 1.2.1. Ausnahme: rechtmäßiger Arbeitskampf 1.2.2. Ausnahme: Notwehr/Einwilligung 1.3. Schuld 1.3.1. Vorsatz 1.3.2. Fahrlässigkeit

131 131 131 131 131 132 132 132 132 132 133 133 133

Inhaltsverzeichnis

85

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2.

Gefahrgeneigte Arbeit Grundgedanke Voraussetzungen Folgen: Haftungseinschränkung

133 134 134 135

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.1.5. 3.2. 3.3.

Umfang und Inhalt der Haftung §§ 249ff. BGB Wiederherstellung, §249 Satz 1 B G B Geldersatz, §249 Satz 2 B G B Geldersatz, § 2511 BGB Materieller Schaden, §253 BGB Ausnahme: Schmerzensgeld, §8471 B G B Mitverschulden, §2541 BGB Kündigungsmöglichkeiten

135 135 135 136 136 136 136 136 137

4. Kapitel: 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2.

Haftungsverlagerung bei Personenschäden gem. § 636 RVO . . . . Arbeitsunfall-Personenschaden Ausnahmen zu §636 R V O Vorsätzliches Handeln des AG Teilnahme am „allgemeinen Verkehr"

137 137 138 138 138

5. Kapitel: 5.1. 5.1.1. 5.1.1.1. 5.1.1.1.1. 5.1.1.1.2. 5.1.1.1.3. 5.1.1.1.4. 5.1.1.1.5. 5.1.1.1.6. 5.1.2. 5.1.2.1. 5.1.2.1.1. 5.1.2.1.2. 5.1.2.1.3. 5.1.2.1.4. 5.1.2.1.5. 5.1.3. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.2.1. 5.2.2.2. 5.2.3. 5.2.3.1. 5.2.3.2.

Vetragshaftung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Vertragshaftung des AN Hauptpflicht-Unmöglichkeit Verschulden Kein Verschulden, §2751 BGB Gegenleistung, § 3231 BGB Verschulden, §3251 BGB Keine Gegenleistung A G verschuldet Unmöglichkeit, §3241 BGB Kündigung Hauptpflicht-Schlechtleistung Lösungsgrundsätze Gegenleistung bleibt Keine Gewährleistung „Positive Vertragsverletzung" Aufrechnung Kündigung Nebenpflichten-Schlechtleistung Vertragshaftung des A G Hauptpflicht-Unmöglichkeit Zahlungsverzug Leistung und Schadensersatz Gegenleistung Haupt-und Nebenpflichten-Gegenleistung „Positive Vertragsverletzung" Arbeitspflicht

138 138 139 139 139 139 139 139 140 140 140 140 140 140 140 141 141 141 142 142 142 142 143 143 143 143

86

Inhaltsverzeichnis

5.2.4. 5.2.4.1. 5.2.4.2. 5.2.5. 5.2.5.1. 5.2.5.2. 5.2.5.3. 5.2.5.4. 5.2.6. 5.2.7. 5.2.7.1. 5.2.7.2. 5.2.7.3.

Annahmeverzug (Gläubigerverzug) Kein Verschulden §615 BGB Unverschuldete „Betriebsstörungen" § 3231 BGB? Betriebsrisiko „Sphärentheorie" Folge unverschuldeter Betriebsstörungen Haftungseinschränkungen,-inhalt und-umfang Kündigung BeiVerzug Bei Schlechtleistung Bei unverschuldeten Betriebsstörungen

143 143 144 144 144 144 144 145 145 145 146 146 146

6. Kapitel:

Betriebsbußen

146

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1. Kapitel: 1.1. 1.1.1. 1.1.1.1. 1.1.2. 1.2. 1.3. 1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3.

Beendigungsgründe außerhalb der Kündigung Tod einer Vertragspartei ToddesAG Betriebsübertragung Tod des A N Aufhebungsvertrag Anfechtung Befristeter A V Risiken des befristeten AV Zulässigkeit Folgen

147 147 147 148 148 148 148 148 149 149 149

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.4.1. 2.5.

Ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber Kündigungserklärung „Bedingte" Kündigung „Teil-"Kündigung „Grundlose" Kündigung Ausschluß der Kündigung Befristeter A V Mutterschutz Auszubildende Wehrpflichtige BR-Mitgliederu.ä Behördliche Zustimmung Schwerbehinderte Massenentlassungen Anhörung des B R Widerspruch des BR Kündigungsschutz

151 151 152 152 152 152 153 153 153 153 153 154 154 154 154 155 155

Inhaltsverzeichnis

87

2.5.1. 2.5.2. 2.5.3. 2.5.3.1. 2.5.3.2. 2.5.3.3. 2.5.3.4. 2.5.4. 2.5.4.1. 2.5.4.2. 2.5.5. 2.6. 2.6.1. 2.7. 2.7.1. 2.7.2. 2.8. 2.8.1. 2.8.2.

Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes Klagefristen „Soziale Rechtfertigung" Personenbezogene Kündigung Verhaltensbezogene Kündigung Betriebsbezogene Kündigung „Soziale Auswahl" Verlängerte Beschäftigungspflicht Widerspruch des ΒR Anspruch auf Weiterbeschäftigung Leitende Angestellte Kündigungsfristen Ungleichbehandlung Änderungskündigung Voraussetzungen Folgen Abmahnung Rechtliche Stellung Bestandteile

155 155 157 157 158 158 158 158 159 159 159 159 159 160 161 161 161 161 162

3. Kapitel: 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.3.1. 3.4.3.2. 3.4.4.

Fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber Kündigungserklärung Behördliche Zustimmung Anhörung-Zustimmung^esBR „Wichtiger G r u n d " Klagefrist Erklärungsfrist „Wichtiger Grund" Zumutbarkeit Verdachtskündigung Auflösungsantrag des AN

162 163 163 163 164 164 164 165 165 165 166

I. Einleitung 1. K a p i t e l : D i e V e r t r a g s f r e i h e i t u n d ihre G r e n z e n Literatur: Brox, BCBAIlg. T., RdNr. 24.25. 73-75,252 ff.. 273 ff.: Diederichsen. BGB Allg. T., RdNr. 214 ff., 329 ff., 337 ff.; Flume, BGB Allg. T., Bd. II, 8 1;§8 17: 18; Lorenz, BGB Allg. T„ § 1 I . a ) ; § 4 III.; 88 18 II.; 22; 23; Rüthers, BGBAllg. T.. RdNr. 35 ff.: 41 ff.; 294ff.; 369ff.; Gamillscheg, Fall 37; G.-S., RdNr. 65-74; 87; 88: H.-A., F. III. 1. u. 2.; L.-L., Kap. Ο Ι., II. 1.; H.-N.,§ 14 1.; § 16 I.; § 17 I.; Schaub, § 32; Schwerdiner, Fall 1. RdNr. 9 ff.; Zöllner, § 11 I. u. III. D a s individuelle Arbeitsrecht befaßt sich mit den rechtlichen Beziehungen zwischen einzelnem A r b e i t n e h m e r und einzelnem A r b e i t g e b e r . Im Ersten Teil, I. 4.1.1., wurde bereits kurz d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß grundsätzlich alle am Wirtschaftsleben beteiligten P e r s o n e n , also auch A G und A N , ihre vertraglichen B e z i e h u n g e n / r e i gestalten k ö n n e n (Vertragsfreiheit). D a ß andererseits die b e s o n d e r e n Bedingungen des A r b e i t s m a r k t e s - das wirtschaftliche Ungleichgewicht A N / A G dazu geführt h a b e n , diese Vertragsfreiheit einzuschränken im Sinn eines AN-Schutzrechts(vg\. E r s t e r T e i l , I. Einl. 4.1.4./4.2.1.). D e s h a l b s o l l hier zunächst das Verhältnis der Vertragsfreiheit zu ihren Einschränkungen vorausgestellt w e r d e n , da dieses Spannungsverhältnis f ü r das individuelle Arbeitsrecht grundlegende B e d e u t u n g hat. I.1. Ausgangspunkt sind die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ( B G B ) . In ihm sind viele Bestimmungen e n t h a l t e n , die das individuelle Arbeitsrecht ( A R ) geprägt und beeinflußt h a b e n , die G r u n d l a g e und Leitlinie der arbeitsrechtlichen Entwicklung waren. D e n n das Arbeitsvertragsrecht ist aus den Vorschriften des B G B zum Dienstvertrag, §§611-630 BGB, hervorgegangen. Wie der Dienstvertrag, ist auch der Arbeitsvertrag ( A V ) ein „Schuldverhältnis" (vgl. Inhaltsverzeichnis des B G B , 2. Buch, 7. Abschnitt), weshalb die Vorschriften des B G B — insbes. das 1. B u c h , ,Allgemeiner Teil" und das 2. B u c h , das „ Recht der Schuldverhältnisse" - grundsätzlich a n w e n d b a r sind. 1.2. Das B G B geht, wie erwähnt ( E r s t e r T e i l , I. Einl. 4.1.4.), vom Grundsatz d e r s o g . Vertragsfreiheit aus. Diese ist zwar nirgendwo im B G B unmittelbar ausgedrückt. Sie wird jedoch in d e r für Vertragsschlüsse grundlegenden B e s t i m m u n g des § 305 BGB vorausgesetzt. A u ß e r d e m folgt die Vertragsfreiheit aus A r t . 2 I G G ; W e n n j e d e r das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, m u ß hierzu g e h ö r e n , nach eigenem Willen Verträge abschließen zu k ö n n e n . Diese Freiheit besteht aus drei Teilbereichen: den Freiheiten bezüglich der Person, des Inhalts und der Form. 1.2.1. Die Personenfreiheit u m f a ß t die Fragen, o b man ü b e r h a u p t einen V e r t r a g abschließen will (sog. Abschlußfreiheit) und a u ß e r d e m , mit welcher a n d e r e n Person man sich vertraglich verbinden möchte. Z.B.: O b m a n einen A V lieber beim Arbeitgeber X o d e r Y schließt - und o b man ü b e r h a u p t einen A V abschließen will.

90

Zweiter Teil Das individuelle Arbeitsrecht

1.2.2. Die Inhaltsfreiheit bedeutet, daß man grundsätzlich alles zum Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung machen kann Bekannt und „normal" sind die im B G B genannten typischen Verträge wie Kauf, Miete. Werkvertrag, Dienstvertrag usw., aber auch ζ Β der Arbeitsvertrag Schon bei diesen Vertragsarten hat die Inhaltsfreiheit weiten Raum - o b man beim Autokauf bar bezahlt oder in Raten; beim Mietvertrag die Wohnung selbst renoviert; beim Werkvertrag (2 Β Hausbau) nur den R o h b a u erstellen läßt, um den Rest selbst zu machen - dies alles ist nirgends festgelegt und deshalb eine Frage freier Vereinbarung der Vertragsparteien A b e r auch Verträge sind d e n k b a r , die als solche im B G B gar nicht erwähnt werden: 2. Β die Vereinbarung zweier Arbeitskollegen, daß Α den Β täglich mit im A u t o zur Arbeit nimmt, Β dafür einen Teil der Benzinkosten trägt - ein „Mitfahr"- oder „Beförderungsvertrag". 1.2.3. Schließlich gilt auch der Grundsatz der Formfreiheit. Die oben erwähnten Verträge, die man schließen kann mit wem man will und mit welchem Inhalt man will, kann man auch in jeder beliebigen Form vereinbaren Es genügt ohne weiteres eine mündliche Absprache, man kann jedoch auch beschließen, den Vertrag schriftlich niederzulegen und zu unterschreiben oder ihn vom Notar aufsetzen zu lassen Ein Vertrag kann sogar durch sog. schlüssiges Handeln Zustandekommen, wenn etwa der Hausbesitzer zum Gelegenheitsarbeiter X sagt, er bezahle ihm D M 50, - , falls X den G a r t e n umgrabe, und X beginnt ohne weitere Worte mit der Arbeit - dann zeigt ei durch seine Handlung, d a ß er einverstanden ist: man kann von ihr auf seinen Willen „schließen" Vertragsfreiheit

1.3. Wie jedes rechtliche Prinzip, gilt jedoch auch die Vertragsfreiheit des B G B nicht ohne Grenzen. 1.3.1. Eine Einschränkung folgt schon aus dem Grundgesetzartikel selbst, der die Vertragsfreiheit trägt - Art. 2 I GG gewährt die freie Entfaltung der Persönlichkeit nur, soweit nicht gegen Rechte anderer und die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird.

I. Einleitung

91

1.3.2. Eine andere Begrenzung folgt unmittelbar aus dem Ideal, das der Vertragsfreiheit zugrundeliegt (vgl. schon beim Ersten Teil, I. Einl. 4.1.4.): daß nämlich alle am Vertrag beteiligten Personen die gleichen Chancen haben, ihren Willen im Vertrag durchzusetzen. Dies setzt voraus, daß die Vertragspartner gleich stark sind. Denn wenn der eine, etwa wegen seiner finanziellen, wirtschaftlichen Überlegenheit, den Vertragsinhalt „diktieren", also praktisch allein festlegen kann, bleibt von der Freiheit des anderen nichts übrig. Hieraus folgt ein allgemeiner Rechtsgedanke, der sich in vielen Gesetzesvorschriften ausdrückt: die Vertragsfreiheit muß eingeschränkt werden, wenn das Ideal gleicher Chancen der Vertragspartner nicht vorliegt. O d e r mit anderen Worten - wenn der eine Vertragsteil wegen besonderer Umstände schutzwürdig ist. 1.3.2.1. Die Personenfreiheit wird deshalb ζ. B. durch die Vorschriften ü b e r die Volljährigkeit und den Schutz Geisteskranker u. ä. (vgl. §§ 104ff. B G B ) begrenzt. Sie wird aufgehoben (bei § 104 B G B ) bzw. eingeschränkt (§§ 106ff. B G B ) , weil davon auszugehen ist, daß grundsätzlich erst ab 18 Jahren der am Rechtsleben teilnehmende, geistig gesunde Mensch die nötige Reife hat, um zu überblicken, was er tut, worauf er sich einläßt. 1.3.2.2. Die wichtigste Schranke der Inhaltsfreiheit folgt aus §8 134/138 BGB: Rechtsgeschäfte, die gegen gesetzliche Verbote oder gegen die guten Sitten verstoßen, sind nichtig - d. h., sie werden behandelt, als hätte es sie nie gegeben. Mit den guten Sitten wird nochmals Art. 2 I G G aufgegriffen - vgl. o. 1.3.1. - außerdem wird in § 138 II B G B der Schutzgedanke (vgl. o. 1.3.2.) beispielhaft dargestellt. Demnach sind ζ. B. Verträge gemäß § 134 B G B ungültig = nichtig, in denen Schwarzarbeit vereinbart wird, weil sie gesetzlich verboten ist; oder ζ. B. der Vertrag mit einem ausländischen A N , der sich für D M 1,—/Stunde zu arbeiten verpflichtet, weil er keine Ahnung hat, daß der sonst übliche Lohn D M 7,— beträgt (Verstoß gegen § 138 II B G B , da seine Unerfahrenheit ausgenützt wurde).

Vertragsfreiheit im B G B

92

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

1.3.2.3. Die Formfreiheit schließlich wird eingeschränkt in manchen gesetzlich besonders geregelten Fällen, um eine oder alle Vertragsparteien vor vorschnellen Geschäftsabschlüssen zu schützen o d e r um die Beweissituation zu erleichtern (ζ. Β. § 766 B G B bei der Bürgschaft oder § 313 B G B beim Grundstückskauf). W e r d e n diese Formvorschriften verletzt, ist das betreffende Rechtsgeschäft wiederum nichtig, § 125 B G B . Das Bild der Vertragsfreiheit ist also zu ergänzen um ihre jeweiligen Schranken. (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

2. Kapitel: Grenzen der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht Literatur: Brox, BGBAllg. T., RdNr. 26; Brox, RdNr. 1:19:54; Gamillscheg, Fälle 25:30: H.-A., F. II. 1.; H.-N., § 16 II.;§ IV lll.-.Schaub, § 32 IV.u.V.:§35 l.-.Schwerdtner, Fall 1. RdNr. 10; Zöllner, § 11 I. Die bisher aufgezeigten Regelungen und - teilweise unausgesprochenen — Grundgedanken des B G B beherrschen auch das Arbeitsvertragsrecht. D e n n wie bereits o. 1.1. erwähnt, hat sich das Recht des Arbeitsvertrages aus den §§ 611 ff. B G B entwickelt. Wegen der besonderen Bedingungen am Arbeitsmarkt sind jedoch die Schranken der Vertragsfreiheit enger gezogen als allein nach den Vorschriften des B G B . Der AN gilt generell als der Schutzwürdigere, da ihm der A G wirtschaftlich überlegen ist. Der Staat griff und greift deshalb mit vielen Gesetzen in die Vertragsfreiheit ein (vgl. o. Erster Teil, I. Einl. 4.2. ff.). 2.1. D i e Personenfreiheit ist im AR noch weitgehend gewahrt, insbesondere die Abschlußfreiheit - es ist grundsätzlich Sache jedes einzelnen A N oder A G , ob und mit wem er seinen Arbeitsvertrag schließt. Eingeschränkt ist diese Freiheit aber, soweit für den A G eine Einstellungspflicht besteht {z.B. § 5 SchbG) oder bestimmte Personen nicht beschäftigt werden dürfen (etwa § 7 J A r b S c h G ) - nach dem Grundgedanken, d a ß bestimmte Personengruppen wegen ihrer besonderen Schutzwürdigkeit von dei Vertragsfreiheit ausgenommen sind. 2.2. D i e Inhaltsfreiheit erlaubt in den G r e n z e n der §§ 134/138 B G B jede Art Arbeit vertraglich zu vereinbaren. Im Arbeitsrecht hat der Gesetzgeber über die weitgefaßten Tatbestände dieser BGB-Vorschriften hinaus vielfach eingegriffen: wie und untei welchen Umständen die Arbeit zu verrichten ist, wurde in zahlreichen Gesetzen nähei festgelegt. So bestimmt die A Z O , daß normalerweise nicht mehr als 8 Stunden täglich gearbeitet werden soll; das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) regelt einen Mindesturlauh pro J a h r ; werdende Mütter dürfen nicht mit schweren und gefährlichen Arbeiter betraut werden; für Jugendliche gelten besondere Vorschriften ζ. B. über Pausen und Nachtarbeit; bezüglich technischem und medizinischem Arbeitsschutz wurden zum Teil sehr detaillierte Regelungen erlassen . . . usw. 2.3. D i e Formfreiheit ist im A R zwar nicht durch Gesetze beschränkt (außer beirr Ausbildungsvertrag, der gemäß § 4 BBiG schriftlich niederzulegen und zu unterschreiben ist'). Jedoch sehen TV meistens eine Schriftform vor. ' Allerdings ist der A u s b i l d u n g s v e r t r a g nicht ungültig, nur weil die S c h r i f t f o r m fehlt, vgl. BA G it

AP, Nr. 1 zu § 15 BBiG

I. Einleitung Für das Arbeitsrecht stellt sich also das Bild d e r Vertragsfreiheit wie folgt d a r : Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht

93

94

Z w e i t e r Teil D a s individuelle Arbeitsrecht

II. Das Arbeitsverhältnis

A. Der Arbeitsvertrag 1. Kapitel: Abschluß des Arbeitsvertrags nach BGB Literatur Brox, BGB Allg Τ . RdNr 69 ff , 80 ff . 141 ff , 168 ff , Diederichsen. BGB Allg Τ . RdNr 195 ff , 235 ff , 250 ff , Flume. BGB Allg Τ . Bd II. 8§ 4 - 6 . 1 4 . 3 3 , 3 5 , Lorenz. BGB Allg Τ , § 19 I , III , IV , § 21 II , §§ 27, 28, Lorenz. BGB SchuldR II. § 52. Ruthers. BGB Allg Τ . RdNr 190ff , 212ff , 265ff , 428ff , Η -A . F III . Η -Ν . § 17. Schaub §S 29, 30, 32. Zöllner. § 11 I u III

Nachdem in der Einleitung (ο. I ) die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen gezeigt wurden, soll nun erklärt werden, wie ein Arbeitsvertrag zustande k o m m t , der innerhalb dieser Vertragsfreiheit abgeschlossen wird Hierfür ist wiederum auf die allgemeinen Regelungen des B G B zurückzugreifen, da der A V als schuldrechtlicher Vertrag, vor allem in der Phase seines Abschlusses, keinen eigenen gesetzlichen Vorschriften unterliegt 1 1.1. Aus den §§ 145ff. B G B ist zu entnehmen, daß zunächst ein Angebot einer Person vorliegen m u ß , die einen A V abschließen will - ob dieses Angebot vom A N oder A G ausgeht, ist ohne Bedeutung. Ein solches Angebot nennt man eine Willenserklärung, denn ζ Β der AN läßt mittels des Angebots erkennen, daß er gewillt ist. bei einem bestimmten A G die Arbeit aufzunehmen, also f ü r einen festgesetzten Arbeitslohn seine Arbeitsleistung zu erbringen Die juristische Definition der Willenserklärung ( W E ) lautet Eine WE ist eine menschliche Äußerung, die darauf gerichtet ist, einen bestimmten rechtlichen Erfolg herbeizuführen 1.1.1. Im einzelnen . Eine menschliche Äußerung liegt vor. wenn einer weiß, daß er eine äußerlich bemerkbare Handlung vornimmt, die er selbst auch vornehmen will (also ζ Β nicht, wenn jemand im Schlaf redet oder im Reflex reagiert, weil solche „Handlungen" nicht vom Bewußtsein gesteuert sind) Man sagt deshalb, daß fur diese menschliche Ä u ß e r u n g ein Handlungsbewußtsein vorliegen muß 1.1.2. Die menschliche Ä u ß e r u n g muß „gerichtet sein" (auf einen rechtlichen Erfolg), also ein Ziel haben. Dieses Ziel muß jedoch irgendwo im rechtlichen Bereich liegen denn ein Vertrag kann nicht entstehen, wenn ζ Β einer Fußball spielt, damit nimmt er zwar auch eine „menschliche Äußerung" vor, sein Ziel ist jedoch 2 Β , Tore zu (Die folgenden Erklärungen enthalten wesentlich ..juristische Technik " - denn wie der Maurer Kelle, Wasserwaage, Steine. Mörtel usw benutzen muß. um eine Mauer zu errichten, so braucht der Jurist sein Handwerkszeug und sein Material, um ein .,rechtliches Gebäude" zu errichten er braucht den „Fall", den er lösen soll und die Gesetze und Definitionen, mu denen er dem Fall zu Leibe rückt)

II Das Arbeitsverhältnis

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schießen und nicht etwa, irgendwelche Rechtsfolgen herbeizuführen Man spricht auf dieser E b e n e vom Erklärungsbewußtsein, d h dem Bewußtsein, eine menschliche Äußerung vorzunehmen, die sich im Rechtsbereich abspielt 1.1.3. U n d schließlich m u ß diese menschliche Ä u ß e r u n g darauf abzielen, einen bestimmten rechtlichen Erfolg zu erreichen; d h ein ganz bestimmtes, geplantes Rechtsgeschäft vorzunehmen Auf dieser letzten Stufe spricht man deshalb vom Geschäftsbewußtsein. Als Beispiel Der A G Flink unterschreibt mehrere Dutzend Auftragsbestätigungen Zufällig ist jedoch ein Blankoscheck zwischen die Aufträge geraten - da er nicht näher hinsieht, unterschreibt Flink auch den Blankoscheck Flink handelt hier mit Handlungsbewußtsem, da er weiß, daß er eine äußerlich erkennbare Handlung vornimmt (Unterschriften leistet) Er besitzt auch ein Erklärungsbewußtsein, denn ihm ist bewußt, daß seine Handlung rechtlich bedeutsam ist durch seine Unterschriften sollen Rechtsgeschäfte zustande kommen (nicht etwa Einladungen zu einer privaten Feier) Bezüglich des Geschäftsbewußtseins ist jedoch zu unterscheiden: für die Auftragsbestätigungen liegt es vor, denn Flink will gerade diese Geschäfte abschließen, f ü r die Ausstellung des Blankoschecks jedoch fehlt ihm dieses Geschäftsbewußtsein: seine Vorstellung (Auftragsbestätigung) und die Wirklichkeit (Blankoscheck) fallen insoweit auseinander Die Willenserklärung

Menschliche Äußerung

Handlungsbewußtsein

Zielrichtung

Erklärungsbewußtsein

rechtlicher Erfolg

Geschäftsbewußtsein

1.2. Wenn nun eine W E abgegeben und damit ein Angebot gemacht wurde, kann ein Vertrag nur entstehen, wenn der in Aussicht genommene Vertragspartner überhaupt von dem Angebot erfährt. 1.2.1. Kaum Probleme tauchen auf. wenn ein solches Angebot einer anwesenden Person gemacht wird, sie hört, was ihr gesagt wird (Sogar hierbei können jedoch Schwierigkeiten entstehen, wenn der Vertragspartner ζ Β schwerhörig ist und das Angebot nicht oder mißversteht ) 1.2.2. Wenn aber der Vertragspartner abwesend ist. muß ihm die W E übermittelt werden - juristisch gesagt: ihm muß die W E zugehen (vgl § 130 I, 1 BGB) Beispiele Ein Angebot soll bis zum 5 8 eintreffen - am 5 8 , 23 00 Uhr, wird es in den Briefkasten gesteckt, wann ist das Angebot „zugegangen" 0 Oder Kündigungstermin ist der 15 4 Das Kündigungsschreiben wird vom Werksboten persönlich noch am 15 4 abends 21.00 Uhr an die im gleichen H a u s wohnende G r o ß m u t t e r des Gekündigten ausgehändigt - wann ist die Kündigung „zugegangen'" 7

96

Zweiter Teil Das individuelle Arbeitsrecht

1.2.3. U m diese Probleme zu lösen, wurde der Zugang folgendermaßen definiert Eine W E ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß unter normalen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme gerechnet werden kann1 Dieser Satz enthält zwei wesentliche Elemente ein räumliches (Machtbereich) und ein zeitliches {normale Umstände - was sich auf die Zeit des Zugangs bezieht) Wenn beide Faktoren gegeben sind, ist die W E tatsächlich zugegangen (Im Beispiel ο 1 2 2. sind also sowohl Angebot wie Kündigung nicht rechtzeitig zugegangen, weil zu so später Stunde nicht damit gerechnet werden k a n n , daß dem Empfänger die W E noch zur Kenntnis gelangt.) 1.3. D e r Arbeitsvertrag k o m m t aber nur zustande, wenn das zugegangene Angebot auch angenommen wird (vgl. §§ 147ff. B G B ) . Denn beide Vertragstelle müssen mit dem Vertrag einverstanden sein, und dies kann äußerlich nur festgestellt werden, wenn dem Angebot eine A n n a h m e folgt Auch sie ist eine W E - die Ausführungen o l l . gelten genauso für die A n n a h m e (und für die meisten anderen Willenserklärungen') 1.4. Die Annahme ist dem Vertragspartner gegenüber zu erklären - denn der Anbietende muß irgendwie erfahren, o b nun ein Vertrag entstanden ist oder nicht Die Annahme muß deshalb dem Anbietenden ebenso zugehen, wie zuvor das Angebot zugehen mußte. Z u r Verdeutlichung: A G Α bietet schriftlich A N X Arbeit an, als Kraftfahrer zu einem Stundenlohn von D M 10,57 (Angebot) Der Brief geht bei X am 7 6. zu (Zugang). A m 8. 6 schreibt X an A, er nehme dieses Angebot an (Annahme). Sein Brief erreicht Α am 9 6. (Zugang) Damit ist am 9 6 der A V abgeschlossen 1.5. Schließlich dürfen, damit ein gültiger Vertragsschluß zustande kommt, Angebot und Annahme nicht voneinander abweichen - es muß also eine Einigung erzielt werden. Haben Angebot und A n n a h m e nicht denselben Inhalt, kommt kein Vertrag zustande (Wer sollte auch entscheiden, welche der beiden W E nun Vertragsinhalt ist 9 Wenn ζ. B. der A G als Stundenlohn D M 10,57 anbietet, der A N jedoch sagt, er nehme die Arbeit nur für einen Lohn von D M 11,07 an - wieviel sollte dann tatsächlich bezahlt werden?) 1.5.1. Ein besonderer Fall liegt vor, wenn in der Annahmeerklärung ausgedrückt wird, daß zwar eine gewisse grundsätzliche Übereinstimmung bestehe, jedoch teilweise Einschränkungen oder sonstige Änderungen enthalten sind Hier legt § 150 II B G B fest, daß eine wirkliche A n n a h m e gar nicht vorliege, vielmehr das ursprüngliche Angebot ganz abgelehnt sei - die , A n n a h m e e r k l ä r u n g " wird jedoch nun ihrerseits als neues Angebot betrachtet, das vom Vertragspartner angenommen werden kann (zum Zustandekommen des Arbeitsvertrages

Angebot gleicher Inhalt Zugang^ Vgl BAG in NJW 198111470

^

Annahme

II. Das Arbeitsverhältnis

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obigen Beispiel 1.5.: sagt der A G , daß er auf die Forderung des AN hin auch bereit sei, D M 11,07/Stunde zu bezahlen, dann liegt eine Einigung vor; ein A V ist geschlossen, da nun der A G das A n g e b o t des A N seinerseits angenommen hat.) (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!) 2. Kapitel: D i e Geschäftsfähigkeit Literatur: Brox, BGB Allg. T., RdNr. 222ff.; Diederichsen. BGB Allg. T., RdNr. 321 ff.; Flume, BGB Allg. T., Bd. II, § 13; Lorenz, BGB Allg. T., § 6 I.—III.; Rüthers, BGB Allg. T., RdNr. 157 ff. Soll ein Vertrag gemäß ο. II. 1.1. Zustandekommen, ist dies nur möglich, wenn die Vertragspartner an der Personenfreiheit teilhaben, d . h . nicht unter jene Personengruppen fallen, die kraft Gesetzes zu ihrem eigenen Schutz als nicht o d e r nur beschränkt geschäftsfähig angesehen werden. Welche Personen dies sind, ergibt sich — auch für das Arbeitsrecht — grundlegend wiederum aus dem B G B . Im folgenden sollen deshalb die Regelungen über die Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104ff. B G B erklärt werden. 2.1. Geschäftsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, sich durch eigenes Händen rechtlich verpflichten zu können. Diese Geschäftsfähigkeit besitzt grundsätzlich jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr vollendet hat — also volljährig ist. A b Volljährigkeit kann man sich vertraglich zu allem, was erlaubt ist, verpflichten — also ζ. B. auch einen A V schließen (und ihn wieder kündigen) - man ist voll für sich selbst verantwortlich, trägt Vorteil und Schaden selbst. Die WE eines Geschäftsfähigen ist gültig. 2.1.1. Eine A u s n a h m e besteht nur insoweit, als eine volljährige Person entmündigt ist (§ 104 Nr. 3. B G B ) oder gem. § 104 Nr. 2. B G B auf D a u e r einer geistigen Störung unterliegt, die selbständiges, eigenverantwortliches und willensgesteuertes Verhalten nicht zuläßt. Aus dem ο. I. Einl. 1.3.2. entwickelten Schutzgedanken folgt, d a ß diese Gruppen geschäftsunfähig sind, da sie die Tragweite ihrer eigenen Handlungen nicht erfassen können - das Gesetz bestimmt deshalb in § 105 B G B , daß ihre WE ungültig sind. 2.2. Ebenso ist geschäftsunfähig, - und kann deshalb keine gültige W E abgeben, — wer das 7. Lebensjahr nicht vollendet hat, §§ 104 N r . 1., 105 B G B . Die Schutzwürdigkeit ist hier so offensichtlich, daß es keiner weiteren Erläuterungen bedarf. 2.3. Die verbleibende Altersgruppe ist die zwischen Vollendung des 7. und 18. Lebensjahrs. Sie ist dadurch gekennzeichnet, d a ß sie einerseits schon eine gewisse Einsichtsfähigkeit besitzt, andererseits aber mangels Erfahrung doch noch nicht in der Lage ist, voll verantwortlich am Rechtsleben teilzunehmen — die G e f a h r , d a ß ihre Unerfahrenheit ausgenützt wird, ist zu groß. Das Gesetz bezeichnet diese Personen als beschränkt geschäftsfähig, vgl. § 106 B G B , und versucht, d e m aufgezeigten „Zwischenstadium" durch eine besondere Regelung gerecht zu werden. 2.3.1. D i e WE, die ein beschränkt Geschäftsfähiger abgibt, ist grundsätzlich weder wirksam noch unwirksam — sie ist „schwebend unwirksam". Sie befindet sich also — entsprechend der „beschränkten" Geschäftsfähigkeit - ebenfalls in einem unentschiedenen Zustand; sie kann ganz wirksam werden, wie die W E eines Volljährigen; oder

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Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

ganz unwirksam, wie die W E eines Geschäftsunfähigen. Als Kriterium, das über das Schicksal dieser „schwebend unwirksamen" W E entscheidet (also sozusagen als „Zünglein an der W a a g e " ) , wurde vom Gesetzgeber die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (im Normalfall also der Eltern) festgelegt, vgl. § 107 B G B . Ein Vertrag, der ohne diese Einwilligung vom beschränkt Geschäftsfähigen abgeschlossen wird, kann nur wirksam werden, wenn die Eltern (oder der Vormund) ihn genehmigen, § 108 I B G B . Man kann also sagen, daß der Gesetzgeber für diese Altersgruppe an die „gesetzlichen Vertreter" jene Schutzfunktion weitergegeben hat, die er sonst — ζ. B. durch die Regelung der §§ 104/105 B G B - selbst wahrnimmt. Die Eltern (der V o r m u n d ) können damit in jedem einzelnen Fall entscheiden, ob sie die W E als „vernünftig" ansehen und ihr dann zur Wirksamkeit verhelfen, oder nicht. 2.3.2. Die W E eines beschränkt Geschäftsfähigen kann in zwei Fällen ausnahmsweise von Anfang an doch voll wirksam sein: 2.3.2.1. Z u m einen gemäß § 107 BGB, wenn sie für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Dabei bleibt außer Betracht, ob das Geschäft wirtschaftlich günstig wäre - es genügt, daß der beschränkt Geschäftsfähige sich rechtlich verpflichtet oder ein Recht aufgibt, um die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich zu machen. (Ausschließlich rechtlichen Vorteil bringt ζ. B. die Schenkung, weil sie zu keiner Gegenleistung verpflichtet.) Diese A u s n a h m e besteht, weil der beschränkt Geschäftsfähige in diesen Fällen nicht geschützt werden m u ß - er begibt sich hier nicht in Verpflichtungen, die er eventuell nicht übersehen kann. 2.3.2.2. Z u m anderen besteht eine A u s n a h m e beim sog. Taschengeldparagraphen, § 11.0 BGB. Werden dem beschränkt Geschäftsfähigen von den Eltern (dem V o r m u n d ) oder einem anderen Mittel gegeben, über die er frei verfügen kann, oder aber mit der Auflage, sie für bestimmte Zwecke zu verwenden, kann er in diesem R a h m e n Verträge schließen; sie gelten als von Anfang an wirksam. Etwa: Der Auszubildende wohnt nicht mehr zu Hause, sondern in einer anderen Stadt; seine Eltern geben ihm monatlich D M 3 0 0 , - Zuschuß zum Lebensunterhalt. Verträge, die er damit zu seiner allgemeinen Lebensführung abschließt (ζ. B. Einkauf von Lebensmitteln u. ä.) sind gültig. (Tatsächlich liegt hier keine wirkliche Ausnahme vor, da die Einwilligung des § 107 B G B bei § 110 B G B nicht etwa fehlt, sondern für die in § 110 B G B genannten Fälle „generell" erteilt wurde. Das Gesetz ist insoweit von dem Schutzgedanken nicht abgewichen.) Die Gültigkeit einer Willenserklärung

gültig

über 18 Jahre

Ausnahme: § 104 Ziff. 2. u. 3. B G B

schwebend unwirksam

7-18 Jahre §§ 106-108 B G B

Ausnahme: §§ 107/110 B G B

ungültig

unter 7 Jahre §§ 104 Ziff. 1 u. 105 B G B

Ausnahme: -

II. D a s Arbeitsverhältnis

99

2.4. Eine gewisse Sonderstellung, die gerade f ü r das A R von Bedeutung ist, nimmt § 113 BGB ein: f ü r einen begrenzten Lebensausschnitt wird ein beschränkt Geschäftsfähiger als volljährig behandelt. Ist er mit Einwilligung der gesetzlichen Vertreter ein Arbeitsverhältnis ( A V e r h . ) (nicht: Ausbildungsverhältnis!) eingegangen, dann kann er ohne weitere einzelne Einwilligungen alle Rechtsgeschäfte abschließen, die in diesen Bereich fallen (ζ. B.: Kauf von Kantinenmarken, Arbeitskleidung u. ä.; auch in die entsprechende Gewerkschaft einzutreten ist von dieser Vorschrift gedeckt!). Neben der beschränkten Geschäftsfähigkeit, die als allgemeine Regelung gilt (vgl. o. 2.3.), gibt es damit noch einen Bereich, den man als begrenzte Geschäftsfähigkeit bezeichnen kann (und von dem anderen Begriff scharf unterscheiden muß) — nämlich volle Geschäftsfähigkeit eines ansonsten beschränkt Geschäftsfähigen f ü r einen begrenzten Lebensbereich. Alle WE innerhalb dieses Bereichs sind von Anfang an gültig. Damit ergibt sich folgendes Bild f ü r die Wirksamkeit der Willenserklärung des beschr. Geschäftsfähigen

3. Kapitel: Strukturmerkmale des Arbeitsvertrags Literatur: Brox, BCBSchuldRl, R d N r . l O f f . \ B r o x , BGB SchuldR II, R d N r . 230ff.; Flume, BGB Allg. T„ Bd. II, §33 4.; Lorenz, BGB SchuldR /, SS 2; 15 I.; Lorenz, BGB SchuldR II, S 52 I.; H.-A., E . 10.; H.-N., §§ 13; 14; Schaub, § 29; Schwerdtner, Fall 8. R d N r . 111 ff.; Zöllner, § 11 I I . ; Wiedemann, D a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s als A u s t a u s c h - und G e m e i n s c h a f t s v e r h ä l t n i s .

Wenn entsprechend den bisherigen Ausführungen (also im R a h m e n der Vertragsfreiheit und ihrer Grenzen, durch Angebot/Zugang/Annahme/Zugang usw.) ein A V entstanden ist, dann hat die damit hergestellte Beziehung zwischen dem beteiligten A N und A G eine bestimmte Struktur. Nicht gemeint ist der Inhalt des einzelnen A V , also

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Z w e i t e r Teil Das individuelle Arbeitsrecht

zu welchem Lohn wie viel Zeit welche Tätigkeit ausgeübt werden soll. Vielmehr sollen hier die dahinterstehenden grundsätzlichen Positionen von AN und A G angesprochen werden - denn sie beeinflussen wiederum die Auslegung vieler arbeitsrechtlicher Vorschriften. 1 3.1. Ausgangspunkt ist, was aus den Erläuterungen ο I. Einl. 1 und II 1 folgt, daß der AV ein zweiseitiger Vertrag ist, entstanden aus Angebot und Annahme als jeweilige WE des A N bzw. des A G Beide WE werden im Rahmen der Vertragsfreiheit abgegeben - ihre allgemeinen Grenzen (nach BGB) und die speziellen des A R müssen beachtet werden. Innerhalb dieses Rahmens sind beide Vertragspartner frei bezüglich der von ihnen gewählten Person, des Inhalts und der Form Der zweiseitige Vertrag

3.2. Der AV unterscheidet sich aber durch ein bestimmtes Strukturmerkmal von anderen zweiseitigen Verträgen wie ζ Β Kauf- oder Mietvertrag 3.2.1. Beim Kaufvertrag sind normalerweise die rechtlichen Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer sehr kurz, Ware und Geld werden ubereignet, womit das Geschäft abgewickelt ist. Die beteiligten Personen sind dem Einfluß ihres jeweiligen Vertragspartners nur wenig ausgesetzt. Beim Mietvertrag sind die zeitlichen Berührungen bereits umfangreicher; man spricht deshalb von einem „Dauerschuldverhältnis", der Mieter ist auch mehr durch den Vertrag eingeschränkt, etwa durch Vorschriften, wie er mit der Mietsache umgehen darf und wie nicht ' Der Gedanke der Vertragsfreiheit und die sich anschließenden Überlegungen über den Schutz bestimmter Personengruppen - vgl ο I Eml 1 3 - sind ähnliche grundsätzliche Gesichtspunkte Diese allgemeinen Gedanken und Strukturen zu kennen kann helfen, nicht nur den Gesetzesinhalt zu wissen, sondern ihn auch zu begreifen

II. Das Arbeitsverhältnis

101

3.2.2. Der AV dagegen beansprucht die beteiligten Personen am meisten. Besonders offensichtlich wird dies am AN: er ist nicht nur oft viele Jahre, womöglich ein ganzes Arbeitsleben lang, vertraglich mit einem A G verbunden, sondern seine Person ist so umfangreich wie in sonst keinem schuldrechtlichen Vertrag vom A V beansprucht. Er verbringt normalerweise viele Stunden täglich in den Räumen des A G und ist dort vielfachen Weisungen unterworfen bezüglich seiner Arbeitsleistung. 3.2.3. Diese besonderen Umstände bedingen, daß der A V nicht nur als ein Austauschverhältnis anzusehen ist (Leistung gegen Lohn), bei der jede Seite ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgt. Vielmehr ergeben sich darüber hinausgehende Verpflichtungen beider Seiten, weitgehende gegenseitige Rücksichtnahmen. (Letztlich steht dahinter die Vorstellung, daß A N und A G aufgrund ihrer besonderen Situation und über die natürlichen Gegensätze hinweg doch auch „in einem Boot sitzen" - ein Gedanke, der im kollektiven Arbeitsrecht ebenfalls verschiedentlich angesprochen wurde, ζ. B. bei den „Grenzen des Arbeitskampfes", ErsterTeil II. C. 1.3.; der ,,fairen Kampfführung", Erster Teil II. C. 2.6.; insbesondere aber bei der Regelung, wie die Gewerkschaften im Betrieb vertreten sein sollen, vgl. Erster Teil II. D. 1.1.1.) Dies rechtfertigt, beim Arbeitsverhältnis von einem personenbezogenen Gemeinschaftsverhältnis zu sprechen. Der Arbeitsvertrag als personenbezogenes Gemeinschaftsverhältnis

Person

Arbeitsvertrag

Mietvertrag

Kaufvertrag

— l — — - Z e i t 3.3. Insgesamt ergibt sich nunmehr, daß der A V ein zweiseitiger Vertrag ist; außerdem ein schuldrechtlicher Vertrag im Sinne des B G B (aus dem er hervorgegangen ist), in welchem beide Parteien gewisse Verpflichtungen eingehen, weil und damit sie auch Rechte aus dem Vertrag herleiten können.

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Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

3 . 3 . 1 . D e r A N verspricht d e m A G , Arbeitsleistung zu e r b r i n g e n ; d e r A G v e r p f l i c h t e t sich, d e n v e r e i n b a r t e n Lohn z u b e z a h l e n - dies sind die sog. Hauptpflichten, d e n n i h r e t w e g e n wird d e r V e r t r a g geschlossen. D a d e r A V a b e r auch ein personenbezogenes Gemeinschaftsverhältnis ist, s t e h e n n e b e n diesen H a u p t p f l i c h t e n noch eine g r o ß e A n z a h l Nebenpflichten; an wichtigster Stelle die Treuepflicht des AN- u n d die Fürsorgepflicht des AG'. Sie e r g e b e n sich aus d e m g e n a n n t e n Z w a n g , die gegenseitigen I n t e r e s s e n zu berücksichtigen (vgl. o. 3 . 2 . 3 . ) , weil sonst bei so e n g e r r e c h t l i c h e r , a b e r a u c h tatsächlicher B e z i e h u n g k e i n e friedliche Z u s a m m e n a r b e i t möglich ist. 3 . 3 . 2 . D e r zweiseitige schuldrechtliche V e r t r a g ist a u ß e r d e m ein gegenseitiger Vertrag. D a s b e d e u t e t , d a ß nicht n u r die g e n a n n t e n Pflichten f ü r die V e r t r a g s p a r t n e r b e s t e h e n , s o n d e r n daß j e d e r Pflicht d e r e i n e n Seite ein e n t s p r e c h e n d e s Recht d e r a n d e r e n Seite direkt gegenübersteht. D e r A r b e i t s p f l i c h t des A N entspricht sein R e c h t , Der Arbeitsvertrag als zweiseitig verpflichtender Vertrag

2 3

Vgl. BAG in AP. Nr. 1 zu § 611 BGB. Treuepflicht Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 75 zu § 611 BGB. Fürsorgepflicht

II. Das Arbeitsverhältnis

103

Lohn zu b e k o m m e n ; d e r Lohnzahlungspflicht des A G das Recht auf die Arbeitsleistung. J e d e Seite kann also „mit R e c h t " von d e m V e r t r a g s p a r t n e r verlangen, daß e r seinen Verpflichtungen n a c h k o m m t (gegebenenfalls ist dies auch gerichtlich einklagbar) - werden sie nicht erfüllt, entfällt grundsätzlich auch die Gegenpflicht. ( S i e h e G r a p h i k a u f v o r a n g e h e n d e r Seite!)

4. Kapitel: Das Ausbildungsverhältnis Literatur: G.-S., RdNr. 295-308; H.-A., E. 9.; H.-N., §9:Schaub, I.; Zöllner, S 5 IV.; § 28.

SS 16; 173; 174; Söllner, §38

A b z u g r e n z e n ist schließlich d e r o. 3. beschriebene A V vom Ausbildungsvertrag. Dieser entsteht zwar „technisch" auf dieselbe Weise wie ο. 1. beschrieben. A u c h ist e r , wie d e r A V , ein gegenseitiger, schuldrechtlicher Vertrag und stellt ein personenbezogenes Gemeinschaftsverhältnis d a r — enthält also all die bei 3. g e n a n n t e n Strukturmerkmale. Jedoch schon als die P e r s o n e n „vorgestellt" w u r d e n , die im A R eine Rolle spielen — vgl. Erster Teil I. Einl. 7.5. — wurde darauf hingewiesen, daß der grundlegende Vertragszweck beim Ausbildungsverhältnis ein a n d e r e r ist: dem Auszubildenden sollen gem. § 61/II B B i G Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden (dagegen soll der A N im A V Arbeitsleistung erbringen). 4.1. Z u diesem Zweck sieht das Gesetz ein zweigliedriges Ausbildungssystem vor: betriebliche und staatliche Ausbildung stehen n e b e n e i n a n d e r . 4.1.1. Für d e n staatlichen Teil sieht das Schulpflichtgesetz d e r einzelnen Bundesländer meist eine dreijährige Schulzeit vor, die sich an die allgemeine Schulpflicht anschließt. Sie gilt für Jugendliche, die ein Lehr- o d e r ähnliches Lernverhältnis eingehen g e n a u s o wie f ü r jugendliche ungelernte A r b e i t e r . 4.1.2. Die betriebliche A u s b i l d u n g ist grundlegend geregelt im Berufsbildungsgesetz, das teilweise durch die Handwerksordnung ergänzt wird. Als weitere Sonderregelung für Jugendliche besteht das Jugendarbeitsschutzgesetz, in d e m ζ. B. Kinderarbeit verboten wird (§ 5), b e s o n d e r e Vorschriften über R u h e p a u s e n (§ 11), Schichtdienst (§ 12), tägliche Freizeit (§ 13), a b e r auch ü b e r längeren U r l a u b (§ 19) enthalten sind. In § 9 ist d a r ü b e r hinaus d e r A G angewiesen, den Jugendlichen freizustellen f ü r den Berufsschulunterricht. E b e n s o wird die spezielle Situation des Jugendlichen berücksichtigt 2. B. in §§ 6 0 - 7 1 des BetrVG, die die J u g e n d v e r t r e t u n g im Betrieb regeln (vgl. Erster Teil II. D . 3.4./ 3.5.). Soweit sich im übrigen aus der b e s o n d e r e n Ausbildungssituation keine P r o b l e m e e r g e b e n , gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften (vgl. § 3 II B B i G ) . D e r Jugendliche A N untersteht damit insbesondere allen sich aus dem Schutzgedanken ergebenden Regelungen und G r u n d s ä t z e n .

104

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

5. Kapitel: Oer anfechtbare Arbeitsvertrag Literatur: Brox, BGB Allg. T., RdNr. 327ff.; 359ff.; 401 ff.; Diederichsen, BGB Allg. T„ RdNr. 372ff.; 375 ff.; 379 ff.; Flume, BGB Allg. T„ Bd. II, §§ 19; 2 1 - 2 5 ; 2 7 - 2 9 ; Lorenz, BGB Allg. T., § 20 II. u. IV.; Rüthers, BGB Allg. T„ RdNr. 310ff.; 319ff.; 355ff.; Schaub, § 35 II. E s gibt Fälle, bei d e n e n ä u ß e r l i c h ein „ n a c h allen Regeln d e r K u n s t " g e s c h l o s s e n e r A V ( o d e r A u s b i l d u n g s v e r t r a g ) b e s t e h t - A n g e b o t u n d A n n a h m e liegen v o r , die W E h a b e n d e n gleichen I n h a l t . . . - ein A V also, d e r alle o. 3. b e s c h r i e b e n e n M e r k m a l e a u f w e i s t . Tatsächlich k a n n m a n einen s o l c h e n V e r t r a g j e d o c h d a n n als „ k r a n k " o d e r „ f e h l e r h a f t " b e z e i c h n e n , w e n n e r nur äußerlich die V e r t r a g s v o r a u s s e t z u n g e n e r f ü l l t . D i e im I n n e r n w o h n e n d e „ K r a n k h e i t " b e d e u t e t juristisch: der V e r t r a g ist anfechtbar. D i e wichtigsten T a t b e s t ä n d e , d i e d a z u f ü h r e n , d a ß d e r a b g e s c h l o s s e n e V e r t r a g „ k r a n k " ist, n e n n t d a s G e s e t z in §§ 119/123 B G B : I r r t u m , arglistige T ä u s c h u n g u n d D r o h u n g . ' G e m e i n s a m ist d i e s e n Fällen, d a ß d i e „ K r a n k h e i t " in d e r W E selbst (nicht ζ. B. in i h r e m Z u g a n g ) a n g e s i e d e l t ist. 5 . 1 . D i e s e W E e r s c h e i n e n n a c h ihrem ä u ß e r l i c h e n W o r t l a u t klar u n d richtig. D e i F e h l e r liegt j e d o c h d a r i n , d a ß d e r j e n i g e , d e r e i n e solche W E a b g i b t , nicht wirklich das will, was seine W o r t e b e d e u t e n . Ζ . B . : D e r A N X b i e t e t d e m A G A an, f ü r D M 5 , - / S t u n d e bei ihm zu a r b e i t e n - A n i m m t f r e u d i g an. T a t s ä c h l i c h m e i n t e X j e d o c h D M 1 5 , - , h a t t e sich a b e r v e r s c h r i e b e n (Irrtum). Oder: A N Α bewirbt sich bei d e r „Schmidt & C o . , S t a h l g r o ß h a n d e l " , weil e r aus seinei F i r m a „ B l e i b t r e u " a u s s c h e i d e n will - e r h a t t e ständig Ä r g e r m i t d e m d o r t i g e n C h e f . N a c h s e i n e m V e r t r a g s s c h l u ß e r f ä h r t A , d a ß h i n t e r d e r F i r m a „ S c h m i d t & C o . " wiedei d e r alte „ B l e i b t r e u - C h e f " s t e h t , der h i e r u n t e r a n d e r e m N a m e n e i n e zweite Firma b e t r e i b t u n d f ü r d e n Α auf k e i n e n Fall m e h r a r b e i t e n will. W e s e n t l i c h f ü r alle diese F e h l e r ist, daß sie sich auf d e r Ebene des Geschäftsbewußtseim (vgl. o. 1.1.3.) abspielen - d e n n sonst läge ü b e r h a u p t k e i n e W E v o r . ( W e r nicht einmal w e i ß , d a ß er im rechtlichen B e r e i c h h a n d e l t , also nicht e i n m a l Erklärungsbewußtseir h a t , will auch nicht e i n e n b e s t i m m t e n rechtlichen E r f o l g e r z i e l e n , vgl. o. 1.1.2.) 5 . 1 . 1 . § 119 I B G B n e n n t als ersten „ F e h l e r " dieser A r t d e n sog. Inhaltsirrtum hierzu zählen ζ. B. d e r I r r t u m ü b e r die P e r s o n des V e r t r a g s p a r t n e r s (vgl. das zweite Beispiel ο. 5 . 1 . ) , ü b e r d e n G e s c h ä f t s g e g e n s t a n d , ü b e r die R e c h t s n a t u r des G e s c h ä f t s ( d e r A N sagt etwa, e r w o l l e einen W e r k v e r t r a g a b s c h l i e ß e n , m e i n t j e d o c h d a m i t tatsächlich e i n e n A V ) . 5 . 1 . 2 . A u ß e r d e m ist in § 119 I B G B d e r sog. Erklärungsirrtum e n t h a l t e n . Hierzu z ä h l e n Fälle wie d e r o. 5 . 1 . b e s c h r i e b e n e , in d e n e n sich j e m a n d verspricht oder verschreibt - Fälle also, in d e n e n sich d e r I r r t u m nicht auf den E r k l ä r u n g s / n / i a / i (so bei 5 . 1 . 1 . ) , s o n d e r n auf die E r k l ä r u n g s / i a n d / i m g b e z i e h t . 5 . 1 . 3 . In § 119 II B G B ist ein S o n d e r f a l l geregelt: N a c h d e m G e s e t z e s t e x t soll es sich u m e i n e n Inhaltsirrtum h a n d e l n wie bei § 119 I 1. A l t . B G B . T a t s ä c h l i c h liegt hier j e d o c h ein sog. Motivirrtum v o r , der ausnahmsweise einem Inhaltsirrtum gleichgestellt wird. ' Zur Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB im A R vgl. BAG in AP, Nr. 2 zu § 123 BGB sowie BAG in NJW 1980/1302

II. Das Arbeitsverhältnis

105

Grundsätzlich berechtigt nämlich der Motivirrtum nicht, einen Vertrag anzufechten. (Dem Verkäufer einer A r m b a n d u h r etwa ist es egal, ob der Käufer die Uhr gekauft hat, weil - Motiv! - er sie f ü r sich wollte oder als Geschenk für einen Freund.) Wenn er sich jedoch auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft bezieht im Sinne des § 119 II B G B , kann ausnahmsweise doch angefochten werden. 5.1.3.1. Eine wesentliche Eigenschaft liegt nur vor, wenn die Person oder Sache in ihrem Wesen durch diese Eigenschaft charakterisiert wird, wenn die Sache bzw Person ohne diese Eigenschaft einer anderen Wertschätzung unterliegen würde. Ζ. B.: D a ß ein Bild von Picasso stammt, ist eine „wesentliche Eigenschaft"; daß eine U h r „wasserdicht" ist ebenso. Diese Eigenschaften müssen daher immer von einer gewissen Dauer sein - der A G A kann deshalb den A V mit einer A N nicht anfechten, weil er deren Schwangerschaft nicht gekannt habe - § 119 II B G B ist hier nicht anwendbar, weil die Schwangerschaft kein „Umstand ist, der der Person auf D a u e r anhaftet". Charakteristisch für die bei 5.1.1.—5.1.3. genannten Anfechtungsgründe ist, daß sie sich in der Person abspielen, die anschließend anfechten will - der Vertragspartner hat keine Ahnung von diesen inneren Vorgängen, bis angefochten wird. 5.1.4. Anders bei § 123 I BGB: Hier wird eine W E herbeigeführt durch arglistige Täuschung oder Drohung — der Fehler der W E wird also von außen verursacht. Dabei ist als weiterer Fall hinzuzunehmen die arglistige Unterlassung — wer verpflichtet ist, gewisse U m s t ä n d e mitzuteilen, die für den Vertragsschluß wesentlich sind und dies unterläßt, riskiert, daß der Vertrag angefochten wird. Ζ. B.: Wer ein gebrauchtes Fahrzeug verkauft ist verpflichtet, eventuelle f r ü h e r e Unfälle ungefragt (!) dem Käufer mitzuteilen; der Buchhalter, der beim Vertragsschluß nicht darauf hinweist, daß er wegen Unterschlagung vorbestraft ist, täuscht ebenfalls arglistig „durch Unterlassen", denn für seine Arbeit ist eine derartige Vorstrafe wesentlich; der Vertrag kann von dem getäuschten A G angefochten werden. Anfechtungsgriinde

Eigenes Verhalten

Fremdes Verhalten

Erklärungsirrtum § 119 Abs. I BGB

arglistige Täuschung § 123 Abs. I BGB

Inhaltsirrtum § 119 Abs. I BGB

arglistiges Unterlassen § 123 Abs. I BGB

Motivirrtum § 119 Abs. II BGB

Drohung § 123 Abs. I BGB

5.2. Wird die „ k r a n k e " , die anfechtbare W E nicht angefochten, bleibt der Vertrag bestehen und muß erfüllt werden - er wird insoweit genauso behandelt wie ein fehlerfrei zustandegekommener Vertrag. Soll die Anfechtung jedoch durchgeführt werden, so ist sie gemäß § 143 BGB demjenigen zu erklären, f ü r den zuvor auch die W E bestimmt war: dem Anfechtungsgegner.

106

ZweiterTeil: Das individuelle Arbeitsrecht

5.2.1. Z u r rechtsgültigen A n f e c h t u n g sind aber einige Voraussetzungen notwendig, so m u ß zum einen der A n f e c h t u n g s g r u n d im Z e i t p u n k t der A n f e c h t u n g s e r k l ä r u n g noch b e s t e h e n , zum a n d e r e n sind bestimmte Fristen einzuhalten. 5.2.1.1. Ein Irrtum g e m ä ß § 119 Uli BGB ist unverzüglich a n z u f e c h t e n , n a c h d e m d e r Irrtum b e m e r k t w u r d e , § 121 B G B 2 . D a der Vertragspartner nichts weiß von den inneren Vorgängen des I r r e n d e n , vertraut er d a r a u f , einen gültigen V e r t r a g geschlossen zu h a b e n . U m dieses V e r t r a u e n nicht durch längeren Zeitablauf noch zu vertiefen, gibt das Gesetz nur eine kurze Anfechtungsfrist. Dieser de lege lata nicht g e n a u bezifferte Z e i t r a u m beträgt nach einer Entscheidung des BAG zwei Wochen ab d e m Z e i t p u n k t , an d e m der A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e von d e m Irrtum erfährt 3 . 5.2.1.2. Dagegen beträgt die Anfechtungsfrist bei Täuschung und Drohung g e m . § 124 B G B ein Jahr. D e n n hier weiß der Vertragspartner sehr wohl, mit welchen „Tricks" und Mitteln der V e r t r a g e n t s t a n d - sein „ V e r t r a u e n " in d e n Bestand eines solchen Vertrages ist nicht schutzwürdig. 5.2.2. Wegen dieses 'Vertrauensschutzes m u ß auch d e r gem. § 119 IUI BGB Irrende Schadensersatz an seinen V e r t r a g s p a r t n e r bezahlen. Hat dieser bereits Mittel aufgew e n d e t , um seinerseits d e n V e r t r a g erfüllen zu k ö n n e n (ζ. B. : der A N ist u m g e z o g e n , um seine neue Arbeit a m n e u e n Ort a u f n e h m e n zu k ö n n e n - danach erst erfolgt die A n f e c h t u n g durch den A G ) , so sind diese A u s g a b e n zu ersetzen, vgl. § 122 I B G B . Dagegen gibt es keine Schadensersatzpflicht, wenn ein V e r t r a g wegen § 123 1 BGB angefochten wird; wer einen anderen in einen Vertrag zwingt o d e r lockt, ist selbst schuld, wenn er auch noch Ausgaben macht, um den V e r t r a g zu erfüllen - er darf nicht darauf vertrauen, daß d e r V e r t r a g bestehen bleibt. 5.3. Wichtigste Folge ist j e d o c h bei der A n f e c h t u n g , d a ß sie g e m . § 142 I B G B den bis dahin nur „ k r a n k e n " , d e n fehlerhaften Vertrag vollends vernichtet. Der Vertrag gilt als nichtig, d . h . , rechtlich nicht vorhanden — aus ihm k ö n n e n keinerlei R e c h t e m e h r Anfechtung

§ 119 B G B

Voraussetzungen

Anf.-Erkl., § 143 B G B unverzüglich, § 121 B G B

Folgen

2 3

§ 123 B G B

Anf.-Erkl., § 143 B G B innerhalb 1 Jahr, § 124 B G B

von Anfang an nichtig, § 142 B G B

von Anfang an nichtig, § 142 B G B

Schadensersatz, § 122 B G B

kein S c h a d e n s e r s a t z

Vgl. BAG in NJW1980/1302 E d . BAG ν. 14.12.1979, in BB 1980,S. 834

II. Das Arbeitsverhältnis

107

hergeleitet werden. Diese Rechtsfolge gilt nach dem B G B jedoch nichr nur ab dem Zeitpunkt der Anfechtungserklärung - sondern rückwirkend: der Vertrag ist „als von Anfang an nichtig anzusehen". Wurden bereits vor der Anfechtung Leistungen ausgetauscht (Arbeit geleistet, Lohn bezahlt), „hängen diese plötzlich in der Luft" — sie sind ohne vertragliche Grundlage erbracht.

6. Kapitel: Leistungsaustausch beim nichtigen Arbeitsvertrag Literatur: Flume, BGB Allg. T., Bd. II. S 8 II.; H.-A., F. III. 3.; L.-L., Kap. ü II. 3. b); H.-N., §13 1.; § 19 III.; § 32 IV.; Schaub. § 35 III.; Schwerdtner. Fall I, RdNr. 7; Zöllner. § 11 II. 1.; Z.-M. I, Stud. Ε. 3, Teil II (S. 63ff.). Bereits mehrfach tauchte nun der Fall auf, daß ein A V nicht zustande kam - etwa wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 B G B (vgl. ο. I. Einl. 1.3.2.2.) oder mangelnder Geschäftsfähigkeit (vgl. o. 2.1.1. und 2.3.) - oder daß er rückwirkend nichtig wurde (vgl. o. 5.3.). Ein rechtliches Problem entsteht dann, wenn die Vertragsparteien trotz dieser fehlenden vertraglichen Grundlage Leistungen ausgetauscht haben; wenn sie also davon ausgingen, der Vertrag sei gültig und ihn deshalb erfüllt haben. (Beispiel: D e r 17jährige Schüler Α arbeitet ein halbes Jahr jeden Samstag bei der Tankstelle X vier Stunden; seine Eltern wissen davon nichts. Als sie es erfahren, verweigern sie die Zustimmung zu dem von Α mit X geschlossenen A V . ) Juristisch gesagt: Die gegenseitigen Leistungen wurden in einem solchen Fall ohne rechtlichen Grund (gemeint ist hier: ohne gültige Vertragsgrundlage) erbracht. 6.1. Das Problem, das damit im A R entsteht, ergibt sich aus den Vorschriften des B G B : die §§ 812ff. BGB gelten f ü r die sog. ungerechtfertigte Bereicherung - dazu gehören auch die hier aufgezählten Fälle der rechtsgrundlosen Leistung (vgl. § 812 I, 1 B G B ) . G e m ä ß § 812 1,1 B G B sind diese Leistungen herauszugeben. Dies bedeutet im A R : D e r A N hätte sämtlichen Lohn, Gratifikationen, Zulagen usw. für die ganze Arbeitszeit zurückzugeben; der A G , der als Hauptleistung die vom AN abgearbeitete Arbeitszeit empfangen hat, müßte bestenfalls gem. § 818 II B G B Wertersatz leisten. Diese Regelung widerspricht ganz offensichtlich den oben dargestellten Schutzgedanken. 6.2. U m diese unsozialen Folgen zu vermeiden, geht man im A R davon aus, d a ß in der Zeit zwischen Arbeitsaufnahme und dem Zeitpunkt, in dem die Ungültigkeit entdeckt wird, ein sog. faktisches Arbeitsverhältnis besteht. Es ist gekennzeichnet dadurch, daß zwar kein wirksamer Vertrag vorliegt, das Arbeitsverhältnis jedoch tatsächlich vollzogen, d. h. Leistungen ausgetauscht wurden. Voraussetzungen des faktischen Arbeitsverhältnisses

ungültige Vertragsgrundlage Arbeitsverhältnis vollzogen

108

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

6.2.1. L e i s t u n g e n , d i e e r b r a c h t w u r d e n , um d e n (nichtigen) V e r t r a g zu e r f ü l l e n , b r a u c h e n f ü r die Z e i t d e s faktischen Arbeitsverhältnisses nicht h e r a u s g e g e b e n zu w e r d e n . D a m i t wird b e i m vollzogenen A r b e i t s v e r h ä l t n i s d i e Folge des § 812 I, 1 B G B im A r b e i t s r e c h t „ e n t s c h ä r f t " : in den Fällen a n f ä n g l i c h e r o d e r r ü c k w i r k e n d e i n g e t r e t e n e r Nichtigkeit des A V gilt § 812 1 , 1 B G B n u r f ü r die Zukunft. 1 I n s g e s a m t h a b e n d a h e r die P a r t e i e n w ä h r e n d d e r Z e i t d e s faktischen A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s die gleichen R e c h t e u n d Pflichten wie bei e i n e m gültigen V e r t r a g . 6.3. D i e weiteren Folgen der Nichtigkeit sind bei v o l l z o g e n e m wie nicht v o l l z o g e n e m A r b e i t s v e r h ä l t n i s gleich: D e r A N b r a u c h t ab s o f o r t nicht mehr beschäftigt, bzw. gar nicht erst eingestellt zu w e r d e n — da kein V e r t r a g b e s t e h t , h a t d e r A N kein R e c h t auf Beschäftigung. E i n e Kündigung ist nicht erforderlich, da nur bestehende Verträge gekündigt werden k ö n n e n . E s g e n ü g t e i n e f o r m - u n d fristlose E r k l ä r u n g , d a ß k e i n e w e i t e r e B e s c h ä f t i g u n g e r f o l g t , bzw. k e i n e A r b e i t m e h r geleistet wird. D a k e i n e K ü n d i g u n g e r f o r d e r l i c h ist, gelten natürlich auch die V o r s c h r i f t e n des K ü n d i g u n g s s c h u t z g e s e t z e s o d e r a n d e r e K ü n d i g u n g s s c h u t z v o r s c h r i f t e n nicht (ζ. Β. aus d e m M u t t e r s c h u t z g e s e t z u s w . ) . Folgen des nichtigen Arbeitsvertrages

AVerh. vollzogen

AVerh. nicht vollzogen

§ 812 I, 1 gilt nur für die Zukunft

Rückgabe der Leistungen gem. § 812 I, 1

keine weitere Beschäftigung

Beschäftigung wird nicht aufgenommen

Kündigung entfällt kein Kündigungsschutz

B. Die Stellung des Arbeitnehmers und Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis In Z i f f . A . w u r d e d a r g e s t e l l t , wie das A V e n t s t e h t u n d d u r c h welche S t r u k t u r es g e k e n n z e i c h n e t ist. D a r a u f a u f b a u e n d wird im f o l g e n d e n Teil gezeigt, w e l c h e Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis der A N - wie A G - S e i t e z u g e o r d n e t sind. B e s o n d e r s d a r a u f h i n z u w e i s e n ist d a b e i n o c h einmal (vgl. ο. A . 3 . 3 . 2 . ) , d a ß d a s B e z i e h u n g s g e f ü g e A N — A G wesentlich g e p r ä g t ist von d e r gegenseitigen Abhängigkeit dieser R e c h t s p o s i tionen. 1

Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 2 zu § 123 BGB und Nr. 2 zu § 611 BGB, Faktisches

Arbeitsverhältnis

109

II. D a s Arbeitsverhältnis

1. Kapitel: Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 240; Lorenz, BGB SchuldR II. § 52 II. a); Brox, RdNr. 16ff.; 2 7 - 3 6 ; Gast, Arbeitsvertrag und Direktion; G.-S., RdNr. 9 6 - 1 1 9 ; H.-A., G. I . - I V . ; L.L., Kap. F I.; H.-N., 5§ 16; 19 1 . - 4 . a); Richardi, Fall 2; Schaub, § 45; Schwerdiner, Fall 2. RdNr. 52; Süllner, § 29 I.; Zöllner, § 12 I . - I V . ; S 20 II.; Z.-M. I, Stud. Ε. 4. Teil I 1., Teil II (S. 82ff.; 84ff.).

Bei II. A. 3.3.1. wurde angesprochen, daß A N und A G sich zu gegenseitigen Leistungen verpflichten — die Gegenseitigkeit wurde in dem Bild nach A . 3.3.2. verdeutlicht. Hierbei wurde als Hauptpflicht des A N genannt, dem A G Arbeitsleistungen zu erbringen. 1.1. Wie bei jedem im R a h m e n der Vertragsfreiheit (vgl. ο. I.) abgeschlossenen schuldrechtlichen Vertrag, ist auch im A R die Grundlage dieser Pflicht zunächst unmittelbar der Vertrag selbst. Wiederum ist das B G B Ausgangspunkt: 8 611 I B G B sagt, daß derjenige, der „Dienste zusagt", verpflichtet ist, diese Dienste zu erbringen — und zwar üblicherweise persönlich, nicht etwa durch einen Vertreter (vgl. § 613 BGB) ; auch dies ein Hinweis darauf, d a ß der Dienst- bzw. Arbeitsvertrag ein personenbezogenes Gemeinschaftsverhältnis ist: es kommt auf die konkrete Person an, nur mit ihr wurde der Vertrag geschlossen. 1.1.1. Ausnahmen hiervon sind einmal die Betriebsübertragung: gem. § 613 a B G B tritt der neue Betriebsinhaber in die Rechtsstellung des früheren ein - die Arbeitsleistung ist nunmehr ihm zu erbringen.' Z u m anderen das Leiharbeitsverhältnis 2 : der AN muß seine Arbeit an den Entleiher leisten, obwohl er mit dem Verleiher vertraglich verbunden ist. ( Z u m Ausgleich besteht f ü r den Entleiher gegenüber dem „geliehenen" A N eine Fürsorgepflicht - man kann deshalb auch sagen, im Leiharbeitsverhältnis sei der AG gespalten in zwei Personen, von denen jede einen Teil der AG-Pflichten gegenüber dem A N trägt.) 1.2. Welcher Art die Dienste sind, richtet sich demnach in erster Linie nach d e m A V , in dem festgelegt ist, zu welcher Arbeit der A N sich verpflichtet. Da jedoch im Vertrag selbst meistens Angaben fehlen, in welcher Art, Weise und wo die Arbeit auszuführen ist, wird der A V insoweit ergänzt durch die konkreten Weisungen des A G im R a h m e n seines Direktionsrechts (vgl. Erster Teil, I. Einl. 6.1./6.2.).' Diese Weisungen beziehen sich ferner darauf, wie sich der A N im Betrieb zu verhalten hat. Jedoch sind Weisungen unzulässig, wenn sie über den vom AV gesteckten Rahmen hinausgehen und der Betriebszweck sie nicht erfordert. Z.B.: D e r Gastwirt kann seinen Koch zwar anweisen, wegen langer Haare bei der Arbeit eine Mütze zu tragen; er kann jedoch nicht anordnen, daß der Koch sich die Haare schneiden läßt, weil er damit über den A V hinaus in das Privatleben des Kochs eingreift und der Betriebszweck durch die „Kochsmütze" hinreichend gewahrt wird. 1 2 3

Vgl. etwa BAG in AP, Nr. I und Nr. 3 zu § 613 α BGB Vgl. die besondere Regelung dieses Verhältnisses im ..Arbeitnehmerüberlassungsgesetz" Vgl. etwa BAG in AP, Nr. 2 zu § 611 BGB, S 611 BGB, Direktionsrecht

Beschäftigungspflicht

und BAG

in AP, Nr. 18 zu

110

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

D i e W e i s u n g e n d ü r f e n a u ß e r d e m nicht d e n A V inhaltlich abändern — dies ist d e r vertraglichen g e g e n s e i t i g e n A b s p r a c h e ( d . h . einer V e r t r a g s ä n d e r u n g ) v o r b e h a l t e n . Beispiel: D e r B e t r i e b s s c h r e i n e r einer F i r m a darf nicht „ a n g e w i e s e n " w e r d e n , als K u n d e n d i e n s t m o n t e u r zu a r b e i t e n , da dies e i n e r V e r t r a g s ä n d e r u n g g l e i c h k o m m t . 1.3. D i e Pflicht z u r A r b e i t s l e i s t u n g wird auch b e e i n f l u ß t d u r c h die zwischen B R u n d A G geschlossenen Betriebsvereinbarungen u n d a n d e r e k o l l e k t i v e betriebliche Mitbestimmungsrechte (vgl. E r s t e r T e i l , II. D . 10.): hier w e r d e n i n s b e s o n d e r e P r o b l e m e d e r A r b e i t s z e i t , des V e r h a l t e n s im B e t r i e b (§ 87 I N r . 1 . - 3 . B e t r V G ) sowie F r a g e n des örtlichen A r b e i t s e i n s a t z e s ( V e r s e t z u n g e n - § 99 I B e t r V G ) g e r e g e l t . 1.4. K o n k r e t i s i e r t w e r d e n k a n n die H a u p t p f l i c h t d e s A N schließlich d u r c h d e m A V u n d betrieblicher M i t w i r k u n g ü b e r g e o r d n e t e V o r s c h r i f t e n : d u r c h Gesetz und Tarifvertrag. Ζ. B. wird die A r b e i t s z e i t b e g r e n z t d u r c h die A Z O o d e r die gesetzlichen bzw. t a r i f v e r t r a g l i c h e n U r l a u b s b e s t i m m u n g e n . A u f g r u n d d e s Rangprinzips (vgl. E r s t e r Teil, I. Einl. 6.2.) k ö n n e n A V u n d erst recht D i r e k t i o n s r e c h t von diesen R e g e l u n g e n nicht zuungunsten des A N abweichen.

Grundlagen der Arbeitspflicht

Arbeitsvertrag

^H

Direktionsrecht

Betriebl. Mitbestimmung Tarifvertrag Gesetz

1.5. B e s o n d e r s b e d e u t s a m sind f ü r die A r b e i t s p f l i c h t die R e g e l u n g e n von Arbeitszeit, Arbeitstempo u n d Arbeitsumgebung. 1.5.1. Die Arbeitszeit ist grundsätzlich festgelegt in d e r Arbeitszeitordnung (AZO): § 3 A Z O schreibt (als ü b l i c h e O b e r g r e n z e ) d e n 8 - S t u n d e n t a g fest - diese 8 S t u n d e n (in d i e k e i n e Pausen e i n z u r e c h n e n sind, vgl. § 2 I A Z O ) ist d e r A N v e r p f l i c h t e t , seine A r b e i t s l e i s t u n g f ü r d e n A G zu e r b r i n g e n . D i e A Z O regelt a u c h e v e n t u e l l e Mehrarbeit u n d läßt hierbei f ü r t a r i f v e r t r a g l i c h e V e r e i n b a r u n g e n e r h e b l i c h e n S p i e l r a u m ( § 7 1 A Z O ) . W e i t e r e V o r s c h r i f t e n z u r Arbeitszeit e n t h a l t e n ζ. B. d a s M u t t e r s c h u t z g e s e t z (§ 8 M u S c h G ) u n d d a s J u g e n d a r b e i t s s c h u t z g e s e t z (§§ 12 ff. J A r b S c h G ) . A u f betriebliche R e g e l u n g e n d e r A r b e i t s z e i t w u r d e bereits o. 1.3. h i n g e w i e s e n . 1.5.2. D a s A r b e i t s t e m p o richtet sich z u n ä c h s t nach d e n persönlichen Fähigkeiten des AN. E r ist v e r p f l i c h t e t , nach besten K r ä f t e n seine A r b e i t s l e i s t u n g e i n z u s e t z e n — wie j e d o c h einerseits Bummelei diese Pflicht verletzt, f i n d e t sie a n d e r e r s e i t s ihre G r e n z e n

II. Das Arbeitsverhältnis im k ö r p e r l i c h u n d seelisch Zumutbaren.* D i e s e G r e n z e n sind i n s b e s o n d e r e a u t o m a t i s i e r t e n P r o d u k t i o n e n (2. B. F l i e ß b a n d g e s c h w i n d i g k e i t ) zu b e a c h t e n .

111 bei

1.5.3. D i e A r b e i t s p f l i c h t wird an e i n e m b e s t i m m t e n Arbeitsplatz e r f ü l l t . W i e dieser zu gestalten ist, u n t e r l i e g t h e u t e e i n e r b e t r ä c h t l i c h e n A n z a h l V o r s c h r i f t e n ü b e r technischen und medizinischen Arbeitsschutz. N a c h der VO über Arbeitsstätten b e s t e h e n in d e r Arbeitsumgebung H ö c h s t w e r t e für L ä r m . H i t z e , S t a u b usw. E s ist geregelt, wie mit g e f ä h r l i c h e n S t o f f e n u m z u g e h e n ist, u n d es gibt V o r s c h r i f t e n ü b e r die M a s c h i n e n e i n richtung d e s B e t r i e b s . D i e A r b e i t s p f l i c h t b e s t e h t n u r . solange nicht v o m A G u n z u m u t b a r g e g e n diese B e s t i m m u n g e n v e r s t o ß e n wird.

2. Kapitel: Die Hauptpflicht des Arbeitgebers Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 245; Lorenz, BGB SchuldR II, § 52 II. b; Brox, RdNr. 4 7 - 5 2 ; G.-S., RdNr. 149-183; H.-A., Η. I. u. II.; L.-L., Kap. G I . - I I I . ; H.-N., §§ 16; 21; Schaub, §§ 6 2 - 7 0 ; 75ff.; Söllner, § 31; Zöllner, § 15 I . - V . ; Z.-M. I, Stud. Ε. 4, Teil I 1. (S. 82ff.); Stud. Ε. 5, Teil I u. II (S. 104ff.). D i e Hauptpflicht des A G ist die Lohnzahlungspflicht. D e n n wie d e r A G d e n A V schließt, u m die A r b e i t s l e i s t u n g d e s A N f o r d e r n u n d e r h a l t e n zu k ö n n e n , so b i n d e t sich dieser vertraglich an d e n A G , d a m i t er i h m L o h n b e z a h l t . D e s h a l b s t e h e n A r b e i t s - und L o h n z a h l u n g s p f l i c h t im Gegenseitigkeitsverhältnis (vgl. ο. A . 3 . 3 . 2 . ) . 2.1. Wie f ü r die A r b e i t s p f l i c h t , k o m m e n a u c h f ü r die L o h n z a h l u n g v e r s c h i e d e n e Anspruchsgrundlagen in B e t r a c h t , in e r s t e r L i n i e j e d o c h ein Tarifvertrag. (Im G e g e n s a t z zur Arbeitspflicht, die sich zuerst a u s d e m A V e r g i b t ; d e n n die L o h n z a h l u n g ist d e r wichtigste Teil d e r Tarifpolitik.) H i e r ist u. a . zu ü b e r p r ü f e n ( e n t s p r e c h e n d den A u s f ü h r u n g e n , E r s t e r Teil, II. B . 2 . f f . , auf die insoweit v e r w i e s e n wird), o b die V e r t r a g s p a r t e i e n d e s A V tarifgebunden sind, o b sie d e m Geltungsbereich des TV u n t e r s t e h e n , w e n n a u c h eventuell n u r , weil dieser g e m . $ 5 T V G f ü r allgemeinverbindlich e r k l ä r t w u r d e , u n d w e l c h e r k o n k r e t e Z a h l u n g s a n s p r u c h aus d e n Inhaltsnormen des T V folgt. 2.1.1. E r g i b t sich, d a ß A G o d e r A N nicht u n t e r d e n tarifgebundenen Personenkreis fallen, ist festzustellen, o b im A V vereinbart w u r d e , e i n e n b e s t i m m t e n T V anzuwenden - o b sich also die V e r t r a g s p a r t e i e n an e i n e n T V „ a n g e h ä n g t " h a b e n . Ist dies d e r Fall, ergibt sich die k o n k r e t e L o h n z a h l u n g s p f l i c h t d e s A G , bzw. d e r L o h n a n s p r u c h des A N , aus d i e s e m T V . 2.1.2. A u c h w e n n die P a r t e i e n d e s E i n z e l v e r t r a g e s nicht t a r i f g e b u n d e n sind ( o d e r den T V einzelvertraglich f ü r a n w e n d b a r e r k l ä r t h a b e n ) , k a n n sich die F o r d e r u n g d e s A N aus e i n e m T V e r g e b e n : w e n n d e r TV anzuwenden ist a u f g r u n d d e s sog. Gleichheitssatzes (vgl. E r s t e r Teil, I. Einl. 5 . 4 . ) . G e m e i n t sind die Fälle, in d e n e n alle d e m A N vergleichbaren K o l l e g e n e n t s p r e c h e n d T V bezahlt w e r d e n - dies v e r b i e t e t , d e n n e u e n A N grundlos a n d e r s zu b e h a n d e l n . (Ein Grund zu v e r s c h i e d e n e r R e g e l u n g ergibt sich 4

Vgl. BAG in AP, Nr. 27 zu § 123 GewO

112

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

auch nicht aus dem Geschlechtsunterschied B G B klarstellen.)

von Mann u n d F r a u , wie §§ 611 a und b

2.1.3. Ebenfalls aus T V kann die Lohnzahlungspflicht des A G folgen, w e n n er bereits seit längerer Zeit in seinem Betrieb auch nicht t a r i f g e b u n d e n e A N nach Tarif bezahlt und man insoweit von e i n e r betrieblichen Übung 1 sprechen kann. 2.2. Neben dem T V als Grundlage, können sich aus Betriebsvereinbarungen in b e s c h r ä n k t e m U m f a n g A n s p r ü c h e ergeben - insbesondere, soweit g e m . § 77 III B e t r V G der T V solche zusätzlichen Regelungen zuläßt. 2 Spielraum besteht vor allem f ü r die G r u p p e der außertariflich bezahlten Angestellten; a u ß e r d e m f ü r alle Sonderleistungen, die nicht als reine Lohnteile anzusehen sind, also f ü r Gratifikationen, T r e u e p r ä m i e n , betriebliche Versorgungsleistungen u. ä. Schließlich regeln Betriebsvereinbarungen häufig g e m . § 87 I Nr. 4. B e t r V G zusätzlich, wie der Lohn zu bezahlen ist (Zeit, Ort und A r t d e r Auszahlung, hier vor allem die bargeldlose Z a h l u n g - vgl. im Kollektiven Arbeitsrecht II. D . 10.1.). 2.3. Ergibt die P r ü f u n g kollektiver Vereinbarungen keine k o n k r e t e Lohnzahlungspflicht des A G , ist nächstmögliche G r u n d l a g e der Arbeitsvertrag selbst. Wie f ü r die Arbeitspflicht des A N , bestimmt δ 6111 B G B für den A G , d a ß er verpflichtet sei, die vertraglich vereinbarte Vergütung zu bezahlen. Kein Problem ergibt sich d a h e r , wenn im A V genau festgelegt ist, welcher Lohnanspruch (bzw. welche Lohnzahlungspflicht) besteht. 2.3.1. Enthält dagegen d e r Vertrag - wie häufig — keine hinreichenden A n g a b e n , ist wiederum d e r Gleichheitssatz anzuwenden (vgl. ο. 2.1.2.): Lohn o d e r Zusatzzahlungen sind dem A N so zu g e w ä h r e n , wie a n d e r e vergleichbare A N sie erhalten'. Hiervon darf nur dann abgewichen werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt (damit soll vermieden w e r d e n , d a ß d e r A G willkürlich einen A N schlechter als a n d e r e b e h a n d e l t , weil ihm „dessen Nase nicht gefällt" - der sachliche G r u n d m u ß sich aus dem Arbeitsverhältnis selbst e r g e b e n ) . So hat ζ. B. ein A N keinen A n s p r u c h auf eine sonst bezahlte T r e u e p r ä m i e nach lOjähriger Betriebszugehörigkeit, wenn e r gerade zu diesem Zeitpunkt gekündigt hat. 2.3.2. D e r A V kann auch ausgefüllt werden durch betriebliche Übung (vgl. ο. 2.1.3.), d. h. wiederum, weil b e s t i m m t e Zahlungen bereits seit längerer Zeit gewährt w u r d e n . ( Z u r Verdeutlichung: D e r Gleichheitssatz stellt ab auf die vergleichbaren Personen — die betriebliche Übung dagegen bezieht sich auf einen Zeitraum.) D a d u r c h verursacht d e r A G beim A N Vertrauen dahingehend, d a ß diese Bezahlungen auch in Zukunft erfolgen würden. D i e s e s V e r t r a u e n wird rechtlich geschützt; der A G ist zur Z a h l u n g verpflichtet, wenn e r nicht bereits f r ü h e r darauf hingewiesen hat, d a ß sie freiwillig und „ o h n e A n e r k e n n u n g eines Rechtsanspruchs" erfolgte. 2.4. Als letzte mögliche Anspruchsgrundlage der Lohnzahlungspflicht besteht schließlich das Gesetz selbst. In § 612 II BGB ist eine Ersatzvorschrift enthalten f ü r Fälle, die von den o. 2.1.-2.3. g e n a n n t e n Regelungen nicht erfaßt w e r d e n oder bei d e n e n 1

Vgl. zur betrieblichen Übungz. B. BAG in AP, Nr. 1, Nr. 5 und Nr. 8 zu§ 242 BGB, Betriebliche Übung

2

Vgl. etwa BAG in AP, Nr. 24 zu # 59 BetrVG

3

Vgl. BAG in NJW

1979/181

1952 und Nr. 1 zu § 87 BetrVG

1972

II. Das Arbeitsverhältnis

113

vertragliche Vereinbarungen ungültig sind, gleichwohl aber Arbeit geleistet wurde. § 612 II B G B verweist jedoch lediglich auf „die übliche Vergütung", wie sie in vergleichbaren Fällen zu bezahlen ist. Im Einzelfall muß deshalb - eine erweiterte Anwendung des Gleichheitssatzes - verglichen werden, was andere A N für entsprechende Tätigkeiten bezahlt b e k o m m e n . Anspruchsgrundlagen für d e n Arbeitslohn

— unmittelbar — über einzelvertr. Vereinbarung Tarifvertrag

— über den Gleichheitssatz • wegen bindender betrieblicher Übung

Betriebsvereinbarung

falls dort keine Regelung: Arbeitsvertrag

I - Gleichheitssatz —bindende betriebl. Übung

Gesetz

2.5 Bei der Lohnzahlungspflicht des A G ist weiterhin festzustellen, nach welchen Maßgaben sie sich richtet: welche Lohnform vorliegt. (Dabei wird nach wie vor dem Arbeiter überwiegend Lohn, dem Angestellten Gehalt bezahlt, jedoch hat heute diese Unterscheidung keine wesentliche Bedeutung mehr.) 2.5.1. Beim Zeitlohn wird die vom A N aufgewendete Arbeitszeit zugrundegelegt — berechnet nach Stunden, Tagen, Wochen oder Monaten (das Gehalt bemißt sich regelmäßig nach M o n a t e n , der Lohn dagegen richtet sich meistens auch heute noch nach Stunden). 2.5.2. D e r Akkordlohn richtet sich nach dem Arbeitsergebnis. Damit ist zwar häufig, bei entsprechendem Einsatz, ein überdurchschnittlicher Verdienst zu erzielen, andererseits kann das notwendige Arbeitsiempo zu Überlastung führen. U m gesundheitliche Schäden zu vermeiden, ist deshalb zu ihrem Schutz bestimmten A N untersagt, nach Akkord zu arbeiten (ζ. B. Frauen während der Schwangerschaft, vgl. § 4 III MuSchG). 2.5.3. A u ß e r dem Zeit- und Akkordlohn gibt es noch etliche andere Lohnformen, wie die Prämie ( ζ . Β. f ü r bestimmte Arbeitsmengen, f ü r besondere Qualität u . ä . ) , die Gratifikation (wegen betrieblicher Anlässe, wie langjähriger Betriebszugehörigkeit; oder sonstiger G r ü n d e , wie etwa zu Weihnachten); Provisionen (als Entgelt insbesondere der Handelsvertreter, vgl. §§ 8 7 , 8 7 a - c H G B ) ; und Tantiemen, d. h. Gewinnbeteiligungen.

114

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Lohnformen

Zeitlohn

Akkordlohn andere Lohnformen (Prämie, Provision usw.)

3. Kapitel: Lohnansprüche ohne unmittelbare Arbeitsleistung Literatur: Brox, BGB SchuldR II, R d N r . 2 4 7 ; Lorenz, BGB SchuIdR II, § 52 II. b ) , c) \.\Brox, R d N r . 65; 66; 7 3 - 7 7 ; G.-S., R d N r . 1 9 4 - 2 1 0 ; 2 4 8 - 2 8 7 ; H.-A., H . I I I . 1 . - 3 . , 4. d ) ; L . - L . , K a p . G V I . 1.; K a p . H ; J ; H.-N., § 22 I I I . 1. c . , 3.; § 25 I I I . ; Richardi, Fall 3 I . ; Schaub, §§ 9 7 - 9 9 ; 1 0 2 - 1 0 7 ; 167; 169 V I . ; 171; 1 7 2 ; S c h w e r d t n e r , F a l l 5 , R d N r . 7 5 ; 7 6 ; Söllner, § 32 1 . - 3 . , 6 . ; §§ 27; 33; Zöllner, § 18 II. 2. u . 3 . ; § 32 I. u. I I . ; Z.-M. II, S t u d . Ε . 7, T e i l III u. I V (S. 1 6 f f . ) .

Bei den Ausführungen zu o. 2. wurde stillschweigend davon ausgegangen, daß der A G Lohn bezahlt, weil der A N entsprechend ο. 1. Arbeit geleistet hat. Es gibt jedoch Situationen, in denen der A N seine Leistung nicht erbringt und dennoch Lohn beanspruchen kann. Teilweise steht dahinter u. a. die Überlegung, daß der A N diesen Lohn schon durch seine f r ü h e r e Arbeit verdient habe. 3.1. An erster Stelle ist hier der Urlaub zu nennen (vgl. § 2 B U r l G ) . Grundgedanke des Anspruchs auf bezahlten Urlaub ist, d a ß der A N ein gewisses Mindestmaß an Erholung benötigt, da sonst gesundheitliche Schäden unvermeidbar sind. Die Würde des Menschen (Art. 1 I G G ) fordert, daß der A N nicht wie ein Arbeitstier in der Arbeit „verbraucht" und dann durch einen anderen ersetzt wird (vgl. Erster Teil, I. Einl. 5.2.). Deshalb ist einerseits der A G verpflichtet, den Lohn auch während des Urlaubs zu bezahlen (vgl. § 1 B U r l G ) , um dem A N zu ermöglichen, den Urlaub überhaupt zu nehmen (es fehlte sonst f ü r diese Zeit die „Ernährungsgrundlage"). 1 Andererseits ist der A N zu seinem eigenen Schutz gesetzlich gehalten, den Urlaub sinnvoll zu nutzen — vgl. § 8 BUrlG: er darf in dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, die dem Urlaubszweck widerspricht. 2 3.1.1. Das Bundesurlaubsgesetz legt den gesetzlichen Mindesturlaub fest. (Speziellere Vorschriften erhöhen die Zahl der Urlaubstage für besondere Personengruppen — ζ. B. § 1 9 J A r b S c h G . TV bringen häufig Urlaubsregelungen, die für die A N vorteilhafter sind als das B U r l G ; auch im einzelnen AV kann natürlich dem AN mehr Urlaub zugestanden werden — es gilt hier das Günstigkeitsprinzip, vgl. Erster Teil, I. Einl. 6.1./ 6.2.) ' Vgl. z u m W e s e n d e s U r l a u b s ζ. B. BAG 2

in AP,

Nr. 7 zu § 611 BGB,

D e r A G k a n n sich s o n s t w e i g e r n , U r l a u b s e n t g e l t zu b e z a h l e n - vgl. BAG BUrlG

- bzw. bereits bezahltes zurückfordern.

Urlaubsrecht in AP,

Nr. 1 zu § 8

II. Das Arbeitsverhältnis

115

Geht der AN ein neues Arbeitsverhältnis ein, steht ihm erstmals nach 6 Monaten der volle Urlaubsanspruch zu, § 4 B U r l G — derzeit gem. § 3 B U r l G 18 Werktage. Hat der AN diese „Wartezeit" noch nicht erfüllt, kann er für jeden Monat Vv. des Jahresurlaubs beanspruchen, § 5 Ia) B U r l G (Beispiel: nach 5 M o n a t e n besteht ein Anspruch auf Yu des vollen Urlaubs; 'λι = 1,5 Tage; '71: = 7,5 Tage). G e m ä ß § 5 II BUrlG sind jedoch halbe Tage aufzurunden, so d a ß im obigen Beispiel dem A N nach fünfmonatiger Betriebszugehörigkeit 8 Tage Urlaub zustehen. Die gleiche Berechnung (mit I/12 pro Monat) gilt, wenn das Arbeitsverhältnis noch vor Ende der 6-Monats-Frist endet oder wenn der A N spätestens zum 30. 6. des Jahres aus der Firma ausscheidet (vgl. § 5 I b) u. c) B U r l G ) . Kann der AN seinen Urlaub nicht mehr nehmen, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist, muß ihm der A G gem. § 7 IV B U r l G diesen Anspruch abgelten. Jedoch ist nur in diesem Ausnahmefall der finanzielle „Urlaubsersatz" zulässig: der eigentliche Urlaubszweck, sich zu erholen, soll nicht auf diesem Wege umgangen werden können.

Der Urlaubsanspruch des AN

AV mindestens 6 Monate

voller Urlaubsanspruch

AV kürzer als 6 Monate

1/12 Jahresurlaub/Monat

AV gekündigt vor/zum 30. 6.

1/12 Jahresurlaub/Monat

3.1.2. Bezüglich des Urlaubs sind folgende Grundsätze zu beachten: 3.1.2.1. G e m ä ß § 7 II B U r l G ist der Urlaub zusammenhängend zu gewähren. Zerstückelt werden darf er nur, wenn dringende betriebliche Gründe oder G r ü n d e , die in der Person des betroffenen AN liegen, dies erfordern. Dahinter steht die Erfahrung, daß man eine bestimmte Zeit braucht, um vom täglichen Arbeitsrhythmus „abschalten" zu können, der Erholungserfolg also ausbleibt, wenn die arbeitsfreie Zeit zu kurz ist. 3.1.2.2. Der Urlaub darf nicht „aufgespart" werden f ü r das nächste Jahr, er ist grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr zu n e h m e n , § 7 III B U r l G . Übertragbar auf das neue Kalenderjahr ist er wiederum nur bei besonderen betrieblichen oder in der Person des AN liegenden G r ü n d e n . 3.1.2.3. Der A N darf nicht genötigt werden, „einen freien Tag zu n e h m e n " , d. h. einen Urlaubstag, wenn er nicht an betrieblichen Feiern oder Ausflügen teilnehmen will. 1

J

Vgl. BAG in AP, Nr. 5 zu § 7 BUrlG

116

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

3.1.2.4. Die zeitliche Lage des Urlaubs wird grundsätzlich gem. § 7 I BUrlG vom AG einseitig festgesetzt.4 Er hat dabei die Wünsche des AN zu berücksichtigen, soweit betriebliche Erfordernisse dies zulassen und auch nicht andere AN wegen ihrer sozialen Situation Vorrang beanspruchen können (so hat etwa der Wunsch des Junggesellen, im August Urlaub zu machen, zurückzutreten hinter dem gleichen Wunsch des Familienvaters, der wegen schulpflichtiger Kinder auf diese Ferienzeit angewiesen ist). Fühlt sich ein A N hier nicht wunschgemäß berücksichtigt, darf er nicht ,Mch selbst beurlauben", er muß vielmehr die Streitfrage gerichtlich (gegebenenfalls mit dem Eilverfahren der einstweiligen Verfügung) klären. Sofern im betreffenden Betrieb ein BR besteht, hat der A G mit ihm einen Urlaubsplan aufzustellen - der A G kann dann also nicht mehr einseitig den Urlaub festlegen. Ebenso hat der B R das Recht, in Einzelfällen mitzubestimmen, vgl. § 87 I Nr. 5. BetrVG. 3.1.2.5. Bereits bei 3.1. wurde darauf hingewiesen, daß außerdem der AN den Urlaub zur Erholung nutzen soll — dem dient das Verbot, während dieser Zeit erwerbstätig zu sein, § 8 BUrlG. Grundsätze zum Urlaub des AN

Zerstückelungsverbot Übertragungsverbot Nötigungsverbot Selbstbeurlaubungsverbot Arbeitsverbot

3.1.3. Eine andere Urlaubsart ist der Bildungsurlaub: gem. § 37 VII BetrVG können BR-Mitglieder für insgesamt 3 Wochen bezahlten Urlaub beanspruchen, um an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. 5 Voraussetzung ist, daß die jeweiligen Veranstaltungen als geeignet anerkannt werden - ob sie dies sind, stellt die Oberste Landesarbeitsbehörde fest, die darüber mit den Spitzenorganisationen der AG- und AN-Vereinigungen berät. 3.2. Der zweite wichtige Fall, daß dem AN Lohn zusteht, obwohl er nicht unmittelbar Arbeit leistet (vgl. o. 3.), ist die Lohnzahlung an Feiertagen - sofern diese nicht auf sowieso arbeitsfreie Tage fallen. Gemäß § 1 I des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen muß der A G hier dem AN den Lohnausfall bezahlen. Diese Pflicht 4 5

Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 84 zu § 611 BGB, Vgl. etwa BAG in AP, Nr. 5 zu § 37 BetrVG

Urlaubsrecht

II. Das Arbeitsverhältnis

117

besteht jedoch nicht, wenn d e r A N am Arbeitstag vor o d e r nach diesem Feiertag unentschuldigt fehlt (vgl. § 1 III des g e n a n n t e n Gesetzes). Wird an solchen Feiertagen gearbeitet, enthält dieses Gesetz keine zusätzlichen Bestimmungen zur L o h n h ö h e ; sie folgt meistens aus T V , die Feiertagszuschläge vorsehen. F ü r Jugendliche bestimmt das J A r b S c h G (vgl. § 18 III), daß ihnen zum Ausgleich f ü r Feiertagsarbeit an einem anderen Arbeitstag, der auch nicht bereits mit Berufsschulunterricht belegt ist, freigegeben werden m u ß . 3.3. Auf ähnliche G e d a n k e n wie die Urlaubsregelung ist der Anspruch des A N z u r ü c k z u f ü h r e n , im Krankheitsfall weiterhin L o h n fordern zu können. Mit d e r Menschenwürde ist es unvereinbar, einen A N o h n e finanzielle U n t e r s t ü t z u n g zu belassen, weil er zeitweise seiner Arbeitspflicht nicht n a c h k o m m e n kann - weil e r v o r ü b e r g e h e n d „nicht m e h r f u n k t i o n i e r t " . A n d e r e r s e i t s kann f ü r den A G eine kaum kalkulierbare, finanziell f ü r den Betrieb m i t u n t e r schwer tragbare Lage e n t s t e h e n , wenn er einem k r a n k e n A N beliebig lange L o h n zu bezahlen h ä t t e . 3.3.1. D a s Gesetz gleicht diese gegensätzlichen Interessen mit einem Kompromiß aus: der Lohnanspruch besteht für 6 Wochen. (Bei längerer Krankheit tritt anschließend die Krankenkasse ein; die Unterstützungspflicht wird also nach diesen 6 Wochen auf die G e m e i n s c h a f t ü b e r t r a g e n . ) Die L o h n f o r t z a h l u n g im Krankheitsfall gem. § 1 L F G bezweckt also, den A N wirtschaftlich f ü r die D a u e r von sechs W o c h e n abzusichern. Auch wenn er in dieser Zeit seiner Arbeitspflicht nicht n a c h k o m m t , soll er wirtschaftlich einem gesunden A N gleichgestellt und sein L e b e n s s t a n d a r d in dieser Zeit nicht beeinträchtigt w e r d e n . D e s h a l b sind z.B. V e r e i n b a r u n g e n ungültig, die es dem A G erlaub e n , Prämien bei krankheitsbedingten Fehlzeiten zu kürzen (sog. Anwesenheitsprämien), denn anderenfalls würde der Zweck dieser den A N schützenden gesetzlichen Regelung verfehlt. 6 Z w a r bestehen f ü r A r b e i t e r und Angestellte unterschiedliche Rechtsgrundlagen (§ 616 II mit I B G B / § 1 I L F G ; als Sonderregelungen f e r n e r : § 63 H G B für kaufmännische, § 133c G e w O für gewerbliche und technische Angestellte und § 12 I Nr. 2 . b ) B B i G f ü r Auszubildende). Dies erklärt sich aus der geschichtlich verschiedenen Entwicklung dieser A N - G r u p p e n , hat heute aber nur noch geringe B e d e u t u n g . Die meisten G r u n d s ä t z e gelten aber f ü r diese G r u p p e n gemeinsam. 7 zu 3.3.2. W ä h r e n d d e r 6 W o c h e n hat der A G d e m k r a n k e n A N den Lohnausfall bezahlen. Die H ö h e des Betrags richtet sich d a n a c h , was der A N in diesen 6 W o c h e n üblicherweise verdient hätte (vgl. § 2 I L F G ) ; d. h . , daß d e m A N Überstunden, die e r regelmäßig f r ü h e r geleistet hat, mit zu b e r e c h n e n sind. Wird im B e t r i e b des b e t r o f f e n e n A N andererseits w ä h r e n d dieser 6 W o c h e n Kurzarbeit a n g e o r d n e t , steht ihm nur ein der verkürzten Arbeitszeit e n t s p r e c h e n d e r Lohn zu, da er tatsächlich in dieser Zeit nicht mehr h ä t t e verdienen k ö n n e n , § 2 II L F G . Kündigt der AG d e m A N w ä h r e n d dessen Krankheit - was zulässig ist! 8 - so b e r ü h r t dies den genannten Fortzahlungsanspruch w e d e r nach G r u n d noch in der H ö h e , vgl. § 6 I L F G . D e r A G soll durch die Kündigung diese 6-Wochen-Frist nicht „unterlaufen" können. 6 7 8

BAG in ΝJW1982/2789 Zur Angleichung von Arbeitern u. Angestellten vgl. BAG in AP, Nr. 2zu§ 1 LFG Vgl. BA G in NJW19811298

118

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

3.3.3. Die L o h n f o r t z a h l u n g ist gesetzlich an zwei Voraussetzungen g e k n ü p f t : 3.3.3.1. Der A N m u ß d e m A G unverzüglich melden, daß er erkrankt ist und wie lange die Krankheit vermutlich d a u e r n wird. Nach 3 Tagen spätestens m u ß er hierüber eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt haben. Unterläßt d e r A N diese Meldung, ist der A G gem. § 5 L F G berechtigt, die Lohnfortzahlung zu verweigern. 3.3.3.2. A u ß e r d e m darf die Krankheit nicht vom A N verschuldet sein. H i e r stehen sich wieder die verschiedenen Interessen des A G und A N g e g e n ü b e r : Für den A G wäre es am vorteilhaftesten, unterließe der A N alles, was irgendwie zur Arbeitsunfähigkeit f ü h r e n k ö n n t e (dazu k ö n n t e sogar ζ. B. g e h ö r e n , d a ß der A N bei kaltem W e t t e r nicht ins Freibad geht). A n d e r e r s e i t s ist der A N bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 I G G ) frei, erst recht, wenn es um die Freizeitgestaltung geht; Eingriffe in diesen privaten Bereich stoßen alsbald auf den Grundrechtsschutz. (Hierzu gehört d e m n a c h , daß der A N auch an gefährlichen Sportarten teilnehmen kann, wie Boxen usw.) Als Verschulden in diesem Sinn kann deshalb n u r ein Verhalten angesehen w e r d e n , das einen groben Verstoß gegen eigene Interessen aufweist 9 , ein V e r h a l t e n , bei d e m sich einem vernünftigen Menschen der G e d a n k e a u f d r ä n g t „das ist ja verrückt". (Von der Rechtsprechung w u r d e bisher noch keine Sportart als so gefährlich eingestuft, d a ß schon sie auszuüben als „Verschulden" im Sinne von § 1 L F G gewertet w u r d e . ) Schuldhaft gegen sich selbst handelt somit der A N , wenn e r gröblich jenes Verhalten a u ß e r acht läßt, das von einem verständigen Menschen schon im eigenen Interesse zu erwarten ist. Hierzu hat das BAG entschieden, daß der A N nicht schuldhaft handelt, wenn er ein zweites Arbeitsverhältnis eingeht und dann d o r t einen Arbeitsunfall erleidet - vorausgesetzt, d a ß er insgesamt, in beiden Arbeitsverhältnissen z u s a m m e n , nicht m e h r als 48 Stunden pro Woche arbeitet, die die A Z O in § 3 als Regelarbeitszeit vorsieht und daß seine tägliche Arbeitszeit 10 Stunden nicht übersteigt, §§ 4 III, 11 A Z O . Bei Arbeitsunfällen außerhalb dieser G r e n z e n liegt es n a h e , d a ß sie auf den Raubbau an den eigenen K r ä f t e n zurückzuführen sind, d e m die A Z O vorbeugen will. 10 Bei der Frage, ob k r a n k h a f t e Alkoholabhängigkeit eine selbstverschuldete Krankheit sei, hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung geändert. Es stellte fest, die f r ü h e r e A n n a h m e , im Normalfall liege ein Verschulden des b e t r o f f e n e n A N vor, sei aufgrund der neuesten Forschungsergebnisse nicht aufrechtzuerhalten. D a s Verschulden müsse deshalb in j e d e m Einzelfall geprüft werden. 1 1 Sportverletzungen sind n u r dann selbstverschuldet, wenn d e r A N seine Kräfte und Fähigkeiten deutlich überschätzt und sich deshalb verletzt. E b e n s o kann ein Verschulden gegen sich selbst vorliegen, wenn der A N eine besonders gefährliche Sportart betreibt. D a s BAG definiert sie als objektiv so riskant, „daß selbst ein gut ausgebildeter Sportler, der sorgfältig alle Regeln beachtet, die Risiken nicht v e r m e i d e n k a n n . " (Die N ä h e dieser Beschreibung zur „gefahrgeneigten A r b e i t " - vgl. u. D.2.1.1. - ist augenfällig!) N u r wenn sich der Sportler also unbeherrschbaren Gefahren aussetzt, h a n d e l t er unvernünftig. Beim Drachenfliegen etwa ist dies nicht der Fall. 1 2

9

10 11 12

Vgl. BAG in NJW1972/703; 2326 BAG in NJW 1983/2900 BAG in NJW 198312659 BAG in NJW 198211014

oder BAG in AP, Nr.8zu§l

LFG, sowie BAG in NJW1979/

II. Das Arbeitsverhältnis

119

Als schuldhaft herbeigeführt sieht das BAG dagegen Verletzungen an, die ein A N (auch auf einer Privatfahrt) erleidet, weil er im A u t o den Sicherheitsgurt nicht anlegt. Denn den Gurt zu tragen sie gesetzlich vorgeschrieben, und jene G e f a h r e n , die vom Gurt selbst ausgehen können, seien so seltene A u s n a h m e n , d a ß sie für einen vernünftigen A N nicht ins Gewicht fielen. 1 3 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (nach LFG)

Voraussetzungen

Krankheit, § 1

Meldung, § 3

kein grobes Verschulden

Folgen

Lohnfortz. 6 Wochen, § 1

Höhe, § 2

trotz Kündigung, § 6

3.4. Neben den kranken A N ist einer weiteren G r u p p e Lohn zu bezahlen für einen Zeitraum, in der die betroffenen Personen ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen: den Schwangeren und Müttern. Im Unterschied zum L F G ist hier jedoch grundsätzlich nicht der A G verpflichtet, für den Lohnausfall einzustehen. Vielmehr tritt insbesondere in den Fällen der §§ 3 II, 61 MuSchG und §§ 15ff. B E r z G G (Beschäftigungsverbote 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt sowie Erziehungsurlaub) sofort die Unterstützungspflicht der Krankenkassen, also der Allgemeinheit ein, vgl. § 13 I MuSchuG i. V.m. §§ 200ff. R V O . D e r Grund hierfür findet sich in Art. 6 1 und IV G G : D e r Staat stellt E h e und Familie unter seinen besonderen Schutz und sagt insbesondere den Müttern Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft zu. Jedoch muß der A G auch bei Schwangerschaft und in der Zeit nach der G e b u r t gem. §11 MuSchG selbst zahlen, wenn die betreffende Frau von den Vorschriften der R V O nicht erfaßt wird, bzw. wenn sie wegen besonderer Beschäftigungsverbote oder -beschränkungen weniger als zuvor verdient. 3.5. Als letzte Regelung ist schließlich noch § 616 I BGB zu nennen: Ist der A N „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" aus persönlichen Gründen gehindert, seine Arbeitspflicht zu erfüllen, bleibt sein Lohnanspruch bestehen - Voraussetzung ist jcdoch wie beim L F G , daß die Verhinderung nicht verschuldet 14 ist, (vgl. o. 3.3.3.2.). § 616 I B G B gilt für alle Fälle, die nicht schon von den spezielleren Bestimmungen (ζ. B. des L F G und des MuSchG) erfaßt werden. D a die Formulierung „eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" sehr ungenau ist, werden in vielen TV Einzelfälle

13 14

ΒAC, in ΝJW198211103 Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 28 zu § 63 HGB oder Nr. 45 zu § 616 BGB

120

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

und Zeiträume festgelegt, die u n t e r diese V o r s c h r i f t fallen sollen: 2. B. e i g e n e E h e schließung: 2 T a g e ; die d e r e i g e n e n K i n d e r : 1 T a g ; N i e d e r k u n f t der E h e f r a u : 1 T a g ; J u b i l ä u m nach 25jähriger B e t r i e b s z u g e h ö r i g k e i t : 1 T a g usw. A u c h Arztbesuche, die nicht auf die a r b e i t s f r e i e Zeit gelegt w e r d e n k ö n n e n , fallen daru n t e r ; e b e n s o nicht selbst verschuldete V o r l a d u n g e n bei Behörden.15 E i n e endgültige A u f z ä h l u n g ist auch im T V nicht möglich; die Beispiele g e b e n j e d o c h einen A n h a l t s p u n k t d a f ü r , wie etwa § 616 B G B ausgelegt w e r d e n k a n n . D e r L o h n a n s p r u c h bleibt also bei § 616 I B G B e r h a l t e n , o b w o h l d e r A N e i n e Z e i t l a n g nicht a r b e i t e t . D e r G r u n d , d e r den A N zu a r b e i t e n h i n d e r t , m u ß in seiner P e r s o n lieg e n . D i e s trifft a b e r nicht n u r zu, wenn sich die U r s a c h e in e i n e r persönlichen Eigenschaft des A N f i n d e t , s o n d e r n es genügt, d a ß er a u f g r u n d seiner persönlichen V e r h ä l t nisse, d . h . seiner L e b e n s u m s t ä n d e , an d e r A r b e i t g e h i n d e r t ist. H i e r z u k a n n zwar z . B . z ä h l e n , d a ß ein F a m i l i e n a n g e h ö r i g e r d r i n g e n d p f l e g e b e d ü r f t i g ist. G e l a n g t d a g e g e n d e r A N wegen eines s m o g b e d i n g t e n b e h ö r d l i c h e n F a h r v e r b o t e s nicht zur A r b e i t , verliert er seinen L o h n a n s p r u c h , weil hierbei k e i n e persönlichen U m s t ä n d e vorliegen. 1 6

4. Kapitel: Beeinträchtigungen des Lohnanspruchs Literatur: Brox, BGB Allg. T., RdNr. 617ff.; Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 385ff.; 389ff.; 425 ff.; Larenz, BGB SchuldR II, §68 I.:§70 I. u. II.; G.-S., RdNr. 178-183; 217; 220-228; //.Α., Η. IV.;L.-L., Kap. G I. 3.f), IV.; H.-N., § 21 III. 4., VII., VIII.; § 23; Richardi, Fall 4 I.; Schaub, §§72-74;78;92;ScAwm/mer, Fälle 3. u. 4.; § 15 V . 8 . ; § 3 1 1.4.:Zöllner, §7 I. 4. i); § 15 III. 5., IV., V. 7.; Z.-M. I, Stud. Ε. 5, Teil III 2. u. 3.. Teil IV 2.f)(S. 108ff.. 112 ff.); Stud. Ε. 4, Teil I 1. (S. 82); Stud. Ε. 3, Teil I 4., II 1. u. 2. (S. 59ff.. 63ff.). D e r bisher b e s c h r i e b e n e Lohnanspruch (der sich a u f g r u n d geleisteter A r b e i t , o d e r a b e r o h n e u n m i t t e l b a r e A r b e i t aus gesetzlichen R e g e l u n g e n e r g a b ) d r o h t in b e s t i m m ten Fällen beeinträchtigt zu w e r d e n , die nicht u n m i t t e l b a r mit d e r A r b e i t z u s a m m e n hängen. 4.1. In erster Linie sind hier die sog. Rückzahlungsklauseln zu n e n n e n : D e r A G g e w ä h r t d e m A N freiwillig eine L e i s t u n g , wie 2. B. Darlehen, Umzugsoder Ausbildungsbeihilfen, b e s o n d e r s aber Gratifikationen; diese v e r k n ü p f t er j e d o c h mit d e r Auflage, sie zurückzubezahlen, w e n n d e r A N d e n A V kündigt. In e i n e r solchen L a g e s t e h e n sich wieder die gegensätzlichen Rechte und Interessen von A N u n d A G g e g e n ü b e r : D e r A G gewährt diese L e i s t u n g e n , u m den A N zu b i n d e n ; er beeinträchtigt d a d u r c h j e d o c h das R e c h t des A N , seinen A r b e i t s p l a t z frei zu wählen u n d zu wechseln, A r t . 12 I G G (vgl. o . E r s t e r Teil, I. E i n l . 5.7.). 4.1.1. D i e Rechtsprechung' u n t e r s c h e i d e t , u m diesen K o n f l i k t zu lösen, f o l g e n d e Fälle: die R ü c k z a h l u n g s k l a u s e l ist dann gültig, wenn der A N die fragliche Leistung des 15 16

1

Vgl. BAG in AP, Nr. 30undNr. ΝJW198311078 BAG in

37 zu§ 616

BGB

Vgl. von den zahlreichen Entscheidungen etwa BAG in AP, Nr. 1 und Nr. 86 zu § 611 BGB, Gratifikation

121

II. Das Arbeitsverhältnis

A G n o c h nicht d u r c h seine bisherige T ä t i g k e i t e r a r b e i t e t h a t . Unzulässig ist sie d e s h a l b bei allen r e i n e n Lohnzulagen, wie etwa d e m 13. M o n a t s g e h a l t — dies w u r d e im a b l a u f e n d e n K a l e n d e r j a h r b e r e i t s „ v e r d i e n t " . Rechtlich wirksam ist die K l a u s e l , w e n n d e r A G L e i s t u n g e n e r b r i n g t , die ausschließlich zukunftsbezogen sind - w e n n e r also s o z u s a g e n investiert, d a m i t d e r A N d a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s f o r t s e t z t , so ζ. B. bei U m z u g s k o s t e n , A u s b i l d u n g s d a r l e h e n u. ä . : 4.1.2. E i n e besondere Regelung w u r d e entwickelt f ü r j e n e G r a t i f i k a t i o n e n , d i e einerseits bezahlt w e r d e n , u m die bisherige Arbeit a n z u e r k e n n e n , zugleich a b e r als A n s p o r n d i e n e n sollen f ü r die w e i t e r e , zukünftige Arbeit - die also beide Funktionen gleichzeitig e r f ü l l e n ' . B e i s p i e l h a f t ist d a f ü r die Weihnachtsgratifikation 4 . H i e r w u r d e festgelegt, d a ß d i e R ü c k z a h l u n g s k l a u s e l unzulässig ist, w e n n die G r a t i f i k a t i o n nicht mehr als DM 200,— b e t r ä g t - d . h . , d e r A N k a n n zu j e d e m zulässigen Z e i t p u n k t k ü n d i g e n , o h n e diese D M 200,— z u r ü c k z a h l e n zu m ü s s e n . B e t r ä g t die G r a t i f i k a t i o n zwischen DM 200,— und einem Monatsgehalt, ist die R ü c k f o r d e r u n g zulässig, w e n n d e r A N v o r d e m 31.3. des folg e n d e n J a h r e s aus d e m B e t r i e b a u s s c h e i d e t ; d e r A N darf f r ü h e s t e n s zum 31.3. k ü n d i g e n , will er d e n B e t r a g b e h a l t e n . B e t r ä g t die L e i s t u n g genau ein Monatsgehalt, wird d e m A N z u g e m u t e t , erst ab d e m 31.3. d e s F o l g e j a h r e s zu k ü n d i g e n . Bei G r a t i f i k a t i o n e n v o n mehr als einem Gehalt ist es unzulässig, d e n A N ü b e r d e n 30.6. des n ä c h s t e n J a h r e s zu b i n d e n . E i n e R ü c k f o r d e r u n g bis z u m 30.9. ist möglich bei G r a t i f i k a t i o n e n in H ö h e v o n zwei Monatsverdiensten. D i e s e E i n t e i l u n g ist z.B. auf freiwillige, zusätzliche U r l a u b s g e l d e r e n t s p r e c h e n d anzuwenden.

Rückzahlung von Gratifikationen bei Kündigung

Gratifikation

bis 200,-DM

200,-DM1 Monatsgehalt

1 Monatsgehalt

mehr als 1 Monatsgehalt

2 Monatsgehälter

Kündigung ohne Rückzahlungspflicht

immer

zum 31.3

ab 31.3.

bis 30.6.

bis 30.9.

4.1.3. Nicht anwendbar sind R ü c k z a h l u n g s k l a u s e l n , w e n n d e r A G selbst kündigt a u s b e t r i e b l i c h e n G r ü n d e n - es soll ihm nicht möglich sein, die o. 4.1.2. d a r g e s t e l l t e n R e g e l u n g e n zu u n t e r l a u f e n . Bei e i n e r d e r a r t i g e n K ü n d i g u n g m u ß d a h e r d e r A N d i e G r a t i f i k a t i o n nicht z u r ü c k z a h l e n 5 .

2 3

4

5

Vgl. für Ausbildungskosten BAG in AP, Nr. 25 zu Art. 12 GG Vgl. BAGinAP, Nr. 15 zu§611 BGB, Gratifikation, sowie in NJW1974/1671 und in NJW 1979/1222 Vgl. hierzu insbes. BAG in AP, Nr. 22 zu § 611 BGB, Gratifikation, sowie BAG in NJW 1983/67 Vgl. BA G in AP, Nr. 72 und Nr. 73 zu § 611 BGB, Gratifikaiton

122

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

4.2. E i n e w e i t e r e B e e i n t r ä c h t i g u n g d r o h t d e m A N , w e n n e r Lohnteile z u r ü c k b e z a h l e n soll, die ihm irrtümlich ausbezahlt w u r d e n (Beispiel: N a c h A b s c h l u ß eines n e u e n L o h n T V wird d e m A N das G e h a l t falsch b e r e c h n e t , ihm w e r d e n m o n a t l i c h D M 100, — zuviel ausbezahlt). 4 . 2 . 1 . Rechtsgrundlage f ü r d e n A G , d i e Ü b e r z a h l u n g z u r ü c k z u f o r d e r n , ist § 8 1 2 1 , 1 B G B , d e r b e r e i t s b e i m faktischen Arbeitsverhältnis, dargestellt w u r d e (vgl. ο. II. A . 6.). F ü r d e n zuviel b e z a h l t e n Lohnteil b e s t e h t kein „Rechtsgrund", d. h., e r ist nicht d u r c h d e n V e r t r a g g e t r a g e n . D a h e r ist d e r A N g e m . § 812 I, 1 B G B „zur Herausgabe verpflichtet". 4 . 2 . 2 . J e d o c h hilft hier d e m A N eventuell § 818 III B G B i. V . m . § 819 B G B : W e n n d e r A N d e n Irrtum nicht erkannt h a t (was m i n d e s t e n s bei allen schwieriger zu b e r e c h n e n d e n Z a h l u n g e n d e r Fall sein d ü r f t e ) u n d zusätzlich d e n zuviel b e z a h l t e n B e t r a g ausgegeben, b e s t e h t d i e H e r a u s g a b e p f l i c h t nicht". A l l e r d i n g s darf d e r A N auch nicht auf d e r a n d e r e n Seite e i g e n e s , ihm tatsächlich z u s t e h e n d e s Geld gespart h a b e n , i n d e m er s t a t t d e s s e n d e n zuviel b e z a h l t e n B e t r a g a u s g a b ; sonst ist er d o c h n o c h „bereichert". {Beispiel: K a u f t sich d e r A N von den ü b e r z a h l t e n D M 1 0 0 , - eine H o s e , die e r a u c h o h n e diese D M 100, — g e k a u f t h ä t t e , gibt er z w a r d e n f r a g l i c h e n B e t r a g aus, spart a b e r a n d e r e r s e i t s „sein e i g e n e s G e l d " . ) E i n e Entreicherung i. S. d. § 818 III B G B k o m m t d a h e r h a u p t s ä c h l i c h in B e t r a c h t , w e n n die Ü b e r z a h l u n g ü b e r e i n e n gewissen Zeitraum f o r t g e s e t z t erfolgt u n d d e r A N d e s h a l b seinen Lebensstandard erhöht — dies h ä t t e e r o h n e zusätzliches G e l d nicht tun k ö n n e n , eine Eigenersparnis liegt damit nicht vor. Folgen rechtsgrundloser Zahlungen

§ 812 I, 1 BGB

Voraussetzungen

Folgen

§ 8 1 8 111 BGB

— Zahlung an AN

— keine Kenntnis des AN

— ohne Rechtsgrund

— Entreicherung

— Rückzahlungspflicht

— Rückzahlungspflicht entfällt

4.3. D e r A N k a n n f e r n e r e i n e n Teil seiner A n s p r ü c h e v e r l i e r e n , w e n n er auf sie verzichtet. D i e s k o m m t i n s b e s o n d e r e bei sog. Ausgleichsquittungen v o r . In i h n e n bestätigt der A N , seine A r b e i t s p a p i e r e b e k o m m e n zu h a b e n ( Q u i t t u n g ) ; h ä u f i g e r k l ä r t er d a b e i aber zusätzlich, g e g e n d e n A G keine Forderungen mehr zu haben (Verzicht) 7 . H i e r m u ß festgestellt w e r d e n , o b tatsächlich d e m A N k e i n e R e c h t e m e h r g e g e n ü b e r d e m A G z u s t a n d e n , o d e r o b er v i e l m e h r auf noch bestehende A n s p r ü c h e (ζ. B. e i n e n 6 1

Vgl. BAG in AP, Nr. 5 zu § 394 BGB Vgl. insbes. zum Verzicht auf die Kündigungsschutzklage NJW 197912267

in einer Ausgleichsquittung BAG in

123

II. D a s Arbeitsverhältnis

Teil seines Urlaubs u. ä.) verzichten wollte". Denn zum Teil kann der A N einen solchen Verzicht gar nicht wirksam aussprechen, etwa gerade im Fall noch offenstehenden Urlaubs (vgl. § 13 B U r l G ) oder wenn dem AN während seiner E r k r a n k u n g gekündigt wurde und noch Ansprüche aus dem L F G bestehen (vgl. § 9 L F G ) . Ebenso sind Forderungen, die sich unmittelbar aus kollektiven Vereinbarungen ergeben, nicht verzichtbar (vgl. für TV: § 4 IV T V G , f ü r Betriebsvereinbarungen: § 77 IV B e t r V G ) . Eventuell ist auch zu prüfen, ob die Verzichtserklärung gem. §§ 119/123 B G B anfechtbar ist (denn der Verzicht stellt eine Willenserklärung dar, wie ο. II. A . 1.1. beschrieben). Ist die Erklärung in der Ausgleichsquittung nichtig bzw. wirksam angefochten (Fristen beachten! vgl. ο. II. Α . 5.2.1.), kann der A N die noch offene Forderung gegenüber dem A G geltend machen. Gültigkeit der „Ausgleichsquittungen"

Quittung

Verzicht

gültig ungültig bei: -Nichtigkeit -Anfechtung

4.4. Die Lohnansprüche des A N können weiterhin belastet werden durch Pfändungen. Kommt etwa ein A N mit der Ratenzahlung f ü r seinen Pkw in Verzug, oder stehen Unterhaltsleistungen ζ. B. f ü r nichteheliche Kinder oder Kinder aus einer geschiedenen E h e aus, so können die Gläubiger den Lohnanspruch pfänden. Jedoch nicht soweit, daß der A N völlig mittellos wird: die §§ 850ff. ZPO legen fest, bis zu welcher H ö h e der Lohn pfändbar ist. (Hinter diesem Pfändungsschutz, steht der G e d a n k e , daß der A N selbst zum „Sozialfall" würde, ließe man ihm nicht wenigstens ein Existenzminimum.) Auch die Möglichkeit des A G , gegenüber einer L o h n f o r d e r u n g des AN aufzurechnen mit einer eigenen Gegenforderung, gem. §§ 387ff. BGB, ist beschränkt durch die pfändungsfreien Beträge, vgl. § 394 B G B . (Dies ist bedeutsam vor allem bei Schadensersatzansprüchen des A G gegen den A N - vgl. u. D. 5.1.2.1.2. und 5.1.2.1.4.) 4.5. Schließlich droht der Lohnanspruch des A N auch beeinträchtigt zu werden durch die Verjährungsvorschriften der §§ 194ff. BGB. 4.5.1. G e m ä ß § 196 I Nr. 8. und 9. B G B verjähren solche Ansprüche nach zwei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres, in d e m die entsprechende Forderung fällig wurde, § 201 B G B (Beispiel: der Anspruch wird fällig am 30. 6. 1976 - die V e r j ä h r u n g tritt ein mit Ablauf des 31.12.1978; in diesem Beispiel tatsächlich also erst nach 2'Λ Jahren, da gem. § 201 B G B nur volle Kalenderjahre zu rechnen sind). Hat der A N seinen Anspruch nicht innerhalb dieser Zeit gegenüber dem A G geltend gemacht, ist er verjährt. Dies bedeutet gem. § 222 I B G B , daß der A G sich nunmehi

* Vgl. zur Rechtsnatur und Auslegung des Verzichts BAG in NJW

198111285

124

Z w e i t e r Teil: D a s individuelle A r b e i t s r e c h t

weigern k a n n (nicht m u ß ! ) , d e n fraglichen B e t r a g zu b e z a h l e n . (Leistet er, weil e r 2. B. d i e V e r j ä h r u n g ü b e r s i e h t , k a n n der A N allerdings g e m . § 222 II B G B das G e l d behalten.) 4 . 5 . 2 . A b w e i c h e n d von diesen gesetzlichen V e r j ä h r u n g s b e s t i m m u n g e n , s e h e n T V o f t e i n e a n d e r e R e g e l u n g v o r : sie legen Ausschlußfristen f e s t . I n n e r h a l b meist w e n i g e r W o c h e n o d e r M o n a t e m u ß d e r A N seine A n s p r ü c h e schriftlich oder gerichtlich g e l t e n d g e m a c h t h a b e n , will er sie nicht verlieren. D a m i t soll d e r Rechtsfrieden sobald als möglich hergestellt u n d a u ß e r d e m d e m U m s t a n d R e c h n u n g g e t r a g e n w e r d e n , d a ß nach l ä n g e r e r Z e i t d e r A n s p r u c h oft nicht mehr zu beweisen ist. Ansprüche aus dem AVerh. können undurchsetzbar werden durch

Verjährung

Ausschlußfristen

§§ 196/201/222 BGB

-§ 4 IV, 3 TVG -§ 77 IV, 4 BetrVG

5. Kapitel: Beschäftigungsrecht und -pflicht Literatur: Larenz, BGB SchuldR II, § 52 II. c ) 3 . ; G.-S., R d N r . 97; H.-A., G. IX. 1 .\L.-L., Kap. F I V . ; H . - N . , § 25 \.\Schaub, § 110 I. 4., II.;Schwerdmer, Fall9. R d N r . 116ff.;Söllner, § 28 III. 4.; Zöllner, § 16 II. 1.; Z.-M. 1, Stud. Ε. 4, Teil III 4. (S. 90).

A u f d e r S t u f e d e r Hauptpflichten ( A r b e i t zu leisten u n d L o h n zu b e z a h l e n ) b e s t e h t n o c h ein w e i t e r e s R e c h t - P f l i c h t - V e r h ä l t n i s : d a s R e c h t d e s A N , seine A r b e i t zu leisten u n d die d e m e n t s p r e c h e n d e Pflicht d e s A G , d e n A N zu beschäftigen 1 . 5.1. D i e s e s R e c h t des A N folgt aus d e r Ü b e r l e g u n g , d a ß d a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s ein personenbezogenes Gemeinschaftsverhältnis ist. D e n n w ä h r e n d d e r langen Z e i t d a u e r , die d e r A N an d e n B e t r i e b g e b u n d e n ist, w ü r d e ihm die M ö g l i c h k e i t f e h l e n , sich selbst in s e i n e m Wertgefühl zu bestätigen u n d soziale Anerkennung zu e r f a h r e n , w ü r d e er in dieser Zeit nicht mit A r b e i t beschäftigt. D a a b e r die menschliche W ü r d e sich w e n i g s t e n s teilweise a u c h d a r a u s ergibt, gestellte Aufgaben zu erfüllen, hat d e r A N ein R e c h t d a r a u f , sich selbst zu v e r w i r k l i c h e n , i n d e m er die vertraglich ü b e r n o m m e n e A r b e i t a u s f ü h r t ; d e r A G darf ihn hiervon grundsätzlich nicht a b h a l t e n . 5.2. D e r A G k a n n sich n u r dann weigern, trotz b e s t e h e n d e m A V d e n A N zu D i e s m a g d e r Fall b e s c h ä f t i g e n , w e n n seine e i g e n e n Interessen die des A N überwiegen\ sein, w e n n d e r A G d u r c h die B e s c h ä f t i g u n g d e s A N ζ. B. geschädigt w ü r d e o d e r in d e r P e r s o n des A N G r ü n d e liegen, die u n z u m u t b a r m a c h e n , ihn w e i t e r im B e t r i e b zu lassen (etwa, w e n n ein e r h e b l i c h e r V e r d a c h t b e s t e h t , d e r A N h a b e eine s t r a f b a r e H a n d l u n g begangen). ' Vgl. BAG in AP, Nr. 2 zu § 611 BGB, Vgl. BAG in AP, Nr. 4 zu § 611 BGB,

2

Beschäftigungspflicht Beschäftigungspflicht

II. Das Arbeitsverhältnis

125

C. Nebenrechte und Nebenpflichten der Vertragsparteien A u ß e r den in II. B. dargestellten Hauptpflichten, ergeben sich aus dem Arbeitsverhältnis f ü r beide Vertragsteile eine Anzahl Nebenpflichten (vgl. auch ο. II. Α. 3.3.1.). Sie beruhen nicht unmittelbar auf vertraglicher Vereinbarung (bzw. deren Ergänzungen, vgl. ο. II. B. 1 . 1 . - 1 . 4 . und II. B. 2 . 1 . - 2 . 4 . ) , sondern folgen aus der Struktur des Arbeitsverhältnisses als personenbezogenem Gemeinschaftsverhältnis - letztlich also aus der Überlegung, daß neben den Hauptrechten/-pflichten weitergehende Rücksichtnahmen notwendig sind. Die Nebenpflichten stehen dabei nicht in gleicher Weise in einem Gegenseitigkeitsverhältnis wie die Hauptpflichten - bei diesen entfällt grundsätzlich ζ. B. die Lohnzahlungspflicht, wenn keine Arbeit geleistet wird (bis auf die A u s n a h m e n von ο. II. B. 3. — vgl. auch u. D. bei den Leistungsstörungen). Dagegen kann der A N ζ. B. auch dann beanspruchen, daß sein Leben im Betrieb geschützt wird (Fürsorgeanspruch), wenn er selbst seine Treuepflicht verletzt (ζ. Β. Betriebsgeheimnisse verrät). Die Nebenpflichten sind nur in dem weitergefaßten Sinn „gegenseitig", als das Recht der einen Seite zugleich die Pflicht der anderen Seite bedeutet, also etwa die Fürsorge/?flicht des A G zugleich den Fürsorgeanspruch des A N darstellt. Dieser Unterschied zwischen Hauptund Nebenpflichten ist vor allem bedeutsam bei den Rechtsfolgen, die sich aus sog. Leistungsstörungen ergeben (vgl. u. D . ) .

1. Kapitel: Die Treuepflicht des Arbeitnehmers Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 241; Lorenz, BGB SchuldR II, § 52 II. c); Brox, RdNr. 3 7 - 3 9 ; G.-S., RdNr. 140-148; 422-428; H.-A., E. 10., G.IX.W., X.; L.-L., Kap. F. II.; H.-N., § 20; Schaub, §§ 5 3 - 5 8 ; Schwerdtner, Fall 8, RdNr. 108ff.; Söllner, § 29 II.; Zöllner, § 13; Z.-M. /, Stud. Ε. 4, Teil IV u. V (S. 95ff.). Grundlage aller Nebenpflichten des A N ist die Treuepflicht 1 . D a der A N normalerweise eingegliedert ist in den Betrieb des A G (vgl. E r s t e r T e i l , I. Einl. 7.1.), kommt er dort mit sachlichen Betriebsmitteln, also mit Maschinen, Material usw. in Berührung; möglicherweise sind ihm andere Personen als Untergebene oder zur Ausbildung anvertraut; er hat eventuell Zugang zu Betriebsgeheimnissen - insgesamt hat der A N damit vielfältige Möglichkeiten, in die Interessen des AG einzugreifen. Alis dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), unter dem alle vertraglichen Beziehungen stehen, folgt, daß der A N diese Lage nicht mißbrauchen darf; vielmehr hat er die Interessen seines A G zu schützen und zu fördern. O h n e jede entsprechende ausdrückliche Vereinbarung wird dem A N diese Treuepflicht auferlegt, da sie aus dem Sinn und Zweck des geschlossenen A V von selbst folgt. (Die anschließende Aufzählung nennt nur die wichtigsten Teilbereiche der Treuepflicht. Im täglichen Arbeitsleben entstehen immer wieder andere Probleme, die nicht unter bereits vorhandene „Stichworte" passen und deshalb neu zu prüfen sind mittels der dargestellten Grundüberlegungen.) ' Vgl. BAG in AP, Nr. 1 zu § 611 BGB, Treuepflicht

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

126

1.1. A u s d e r Treuepflicht folgt, d a ß d e r A N ü b e r G e s c h ä f t s - u n d B e t r i e b s g e h e i m n i s s e schweigen m u ß 2 , erst r e c h t , d a ß er sie nicht an die K o n k u r r e n z „ v e r k a u f e n " d a r f . ( F ü r A u s z u b i l d e n d e ist d i e s e Verschwiegenheitspflicht in § 9 N r . 6. B B i G a u s d r ü c k l i c h gesetzlich f e s t g e l e g t . ) Z u diesen „ G e h e i m n i s s e n " zählen d a b e i nicht nur P r o d u k t i o n s v e r f a h r e n u n d a n d e r e t e c h n i s c h e F r a g e n , s o n d e r n auch etwa die F i n a n z s i t u a t i o n des B e t r i e b s o d e r a n d e r e E i n z e l h e i t e n , d i e n o r m a l e r w e i s e nicht „öffentlich gehandelt" w e r d e n . A N , d i e solche G e h e i m n i s s e z u m e i g e n e n N u t z e n v e r k a u f e n , m ü s s e n nicht n u r d a m i t r e c h n e n , gekündigt zu w e r d e n u n d Schadensersatz zu b e z a h l e n , s o n d e r n auch bestraft zu w e r d e n g e m . § 17 d e s „Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb". 1.2. A u ß e r d e m b e s t e h t f ü r d e n A N ein Wettbewerbsverbot'. 1.2.1. W ä h r e n d e i n e s bestehenden Arbeitsverhältnisses e r g i b t sich dieses V e r b o t f ü r kaufmännische Angestellte aus § 60 HGB; f ü r die a n d e r e n A N aus der allgemeinen Treuepflicht: D e r A N darf zu seinem A G nicht unmittelbar in Konkurrenz t r e t e n - es sei d e n n , d e r A G s t i m m t e i n e r e n t s p r e c h e n d e n T ä t i g k e i t zu. D a h i n t e r steht die Ü b e r l e g u n g , d a ß d e r A N d u r c h seine A r b e i t u n d die a l l g e m e i n e T r e u e p f l i c h t g e h a l t e n ist, die Interessen s e i n e s A G zu fördern — m a c h t d e r A N s e i n e m A G Konkurrenz, setzt er sich dazu in Widerspruch, da e r nicht gleichzeitig d e n A G als A N u n t e r s t ü t z e n u n d als W e t t b e w e r b e r b e k ä m p f e n k a n n . Verstößt d e r A N gegen das Wettbewerbsverbot, k a n n d e r A G von i h m v e r l a n g e n , dies zu unterlassen, Schadensersatz f o r d e r n u n d i h m kündigen (vgl. u. bei Leistungsstörungen, D . 5 . 1 . 3 . ) . 1.2.2. Ist das Arbeitsverhältnis beendet, ist d e r A N grundsätzlich nicht gehindert, in Wettbewerb zu s e i n e m f r ü h e r e n A G zu t r e t e n , d a ihn nun k e i n e v e r t r a g l i c h e n Pflichten m e h r binden; 4 er ist g e m . A r t . 12 I G G in seiner Berufswahl u n d -ausübung frei. Will d e r f r ü h e r e A G v e r h i n d e r n , d a ß ihm ein n e u e r K o n k u r r e n t e n t s t e h t , k a n n e r mit d e m A N ein Wettbewerbsverbot vertraglich vereinbaren. H i e r f ü r sieht das G e s e t z wied e r u m eine spezielle R e g e l u n g vor in §§ 7 4 f f . HGB, die j e d o c h auf a n d e r e A N e b e n f a l l s a n g e w e n d e t w e r d e n ( d a sie e i n e n allgemeinen Rechtsgedanken enthalten — w e g e n des R e c h t s d e s A N aus A r t . 12 I G G u n d d e r b e s o n d e r e n M a c h t p o s i t i o n des A G , ist d e r A N d a v o r zu s c h ü t z e n , ein W e t t b e w e r b s v e r b o t zu untragbaren Bedingungen einzugehen) 5 . D i e V e r e i n b a r u n g ist g e m . § 74 I H G B schriftlich n i e d e r z u l e g e n u n d die v o m A G u n t e r s c h r i e b e n e Urkunde d e m AN auszuhändigen. F e r n e r darf das W e t t b e w e r b s v e r b o t nicht mehr als zwei Jahre d a u e r n u n d ist d e m A N eine b e s t i m m t e Mindestentschädigung zu b e z a h l e n , vgl. §§ 74 I I / 7 4 a H G B . A u ß e r d e m ist ein solcher V e r t r a g n u r zulässig, w e n n d e r A G ein berechtigtes g e s c h ä f t l i c h e s Interesse d a r a n nachweist. 1.3. D e m A N ist a u f g r u n d d e r Treuepflicht v e r b o t e n , Schmiergelder a n z u n e h m e n u n d d a f ü r H a n d l u n g e n z u z u s a g e n , d i e gegen die I n t e r e s s e n s e i n e s A G v e r s t o ß e n - auch w e n n e r sie s p ä t e r nicht a u s f ü h r t . Verletzt d e r A N diese Pflicht, m a c h t er sich, n e b e n d e m Vertragsverstoß, e v e n t u e l l gem. § 12 II des „Gesetzes gegen den unlauteren

2 3 4 5

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BAG BAG ζ. B. BAG

in AP, Nr. 1 zu § 611 BGB, Schweigepflicht, sowie in VersR 19811379 in AP, Nr. 7 zu § 611 BGB, Treuepflicht BAG in AP, Nr. 28 zu § 611 BGB, Konkurrenzklausel in AP, Nr. 7 und Nr. 20 zu Art. 12 GG

II. Das Arbeitsverhältnis Wettbewerb" herausgeben.h

strafbar

u n d m u ß die Zuwendung

127

g e m . § 687 II B G B an seinen A G

1.4. D e r A N ist f e r n e r g e h a l t e n , die i h m e r k e n n b a r e n Interessen seines A G zu wahren. D a z u g e h ö r t z u m e i n e n , Schäden abzuwenden von S a c h e n seines A G (2. B. v o n A r b e i t s g e r ä t e n , W a r e n u s w . ) , selbst keine solchen Schäden zu verursachen oder g e g e b e n e n f a l l s zu helfen, sie zu beseitigen. Z u m a n d e r e n m u ß er eingetretene Schäden d e m A G melden, d a m i t rechtzeitig A b h i l f e g e s c h a f f e n w e r d e n o d e r der S c h a d e n sich nicht v e r g r ö ß e r n k a n n (z.B., w e n n ein A N s t ä n d i g e n Ü b e r d r u c k in e i n e m Kessel feststellt, so d a ß E x p l o s i o n s g e f a h r b e s t e h t ) . A u s d e r Pflicht zur I n t e r e s s e n w a h r u n g folgt a b e r etwa a u c h , d a ß d e r A N in gewissem U m f a n g Arbeiten übernehmen m u ß , die an zeitweilig u n b e s e t z t e n a n d e r e n A r b e i t s p l ä t z e n a n f a l l e n . 1.5. Schließlich b e s t e h t ein beschränktes Nebentätigkeitsverbot f ü r den A N , ü b e r d a s o. 1.2. b e s c h r i e b e n e spezielle W e t t b e w e r b s v e r b o t hinaus. 7 1.5.1. Grundsätzlich ist d e r A N zwar berechtigt, a u ß e r seine A r b e i t s l e i s t u n g z u e r b r i n g e n (vgl. ο. II. Β. 5./5.1.), auch Nebentätigkeiten aufzunehmen bei a n d e r e n A G . D i e s folgt w i e d e r aus d e r Berufsfreiheit, A r t . 12 I G G . 1.5.2. J e d o c h sind Einschränkungen zu b e a c h t e n : D a d e r A N seine A r b e i t s l e i s t u n g f ü r eine gewisse Z e i t im e r s t e n A r b e i t s v e r h ä l t n i s b e r e i t s zu e r b r i n g e n sich verpflichtet h a t , m u ß er alle Handlungen unterlassen, die seine Leistungsfähigkeit f ü r diesen V e r t r a g mindern. D e r A N darf seine A r b e i t s k r a f t nicht „zweimal v e r k a u f e n " . Erst recht darf e r nicht w e g e n dieser N e b e n t ä t i g k e i t konkrete Pflichten aus d e m e r s t e n A r b e i t s v e r h ä l t n i s Auswirkungen der Treuepflicht

Verschwiegenheit Wettbewerb Schmiergeld Interessenwahrung Nebentätigkeit

6 7

Vgl. BAG in AP, Nr. 1 und Nr. 5 zu § 687 BGB Vgl. BAG in AP, Nr. 60 und Nr. 68 zu § 626 BGB

128

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

vernachlässigen. Er m u ß auch darauf achten, gem. § 8 B U r l G , w ä h r e n d der Urlaubszeit k e i n e r E r w e r b s t ä t i g k e i t n a c h z u g e h e n (vgl. ο . II. B . 3 . 1 . 2 . 5 . ) u n d sich grundsätzlich i n n e r h a l b d e r V o r s c h r i f t e n d e r A Z O z u h a l t e n (vgl. ο. II. Β. 1.5.1.). (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

2. Kapitel: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 248; Larenz, BGB SchuldR 11, § 52 II. c); Brox, RdNr. 53; G.-S., RdNr. 234-237; 241-244; 415-421; H.-A., E. 10.; L.-L., Kap. 1 I., III., IV.; H.-N., §§24; 25 \V.\Schaub, §§ 108; 146; Schwerdtner, Fall 8, RdNr. 108ff.; Söllner, § 30 II.; §34 III. 2 . - 5 . ; Zöllner, § 16 I., II. 2., III.; Z.-M. I, Stud. Ε. 4, Teil III (S. 89ff.)· W i e sich f ü r d e n A N v e r s c h i e d e n e Pflichten aus der g r u n d l e g e n d e n Treuepflicht e r g e b e n , so g e h e n b e i m A G die weiteren N e b e n p f l i c h t e n aus d e r Fürsorgepflicht h e r v o r (vgl. ο. II. Β. 3 . 3 . 1 . ) . I h r e rechtliche Grundlage hat die F ü r s o r g e p f l i c h t e b e n f a l l s in § 242 BGB (vgl. ο. 1.); j e d o c h w u r d e sie v o m G e s e t z teilweise g e n a u e r f ü r b e s t i m m t e T e i l b e r e i c h e geregelt: 2. B. in § 618 I B G B u n d f ü r A u s b i l d u n g s v e r h ä l t n i s s e in § 6 I N r . 5./II B B i G . G e d a n k l i c h e r Ausgangspunkt ist w i e d e r u m , d a ß d e r A G d e n A N so w e i t r e i c h e n d in seinen Einflußbereich e i n b e z i e h t (vgl. ο. II. A . 3.2. ff.), d a ß d a r a u s die rechtliche Pflicht des A G folgt, f ü r „ W o h l und W e h e " des A N umfassend zu sorgen. 2.1. Als wichtigste N e b e n p f l i c h t ergibt sich e n t s p r e c h e n d § 618 I B G B f ü r d e n A G , „Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften" s o „einzurichten und zu unterhalten", daß L e b e n u n d Gesundheit d e s A N geschützt w e r d e n . H i e r a u s h a t sich ein vielfältiges Arbeitsschutzrecht ( t e c h n i s c h e r , medizinischer A r b e i t s s c h u t z u s w . ) e n t w i c k e l t , das großenteils staatlich ü b e r w a c h t wird (vgl. hierzu bereits ο. II. Β. 1.5.3.). 2.2. D e r A G m u ß a u c h f ü r d a s Eigentum d e s A N s o r g e n , d a s dieser in d e n B e t r i e b mitbringt: ζ. B. sind v e r s c h l i e ß b a r e S c h r ä n k e nötig, in d e n e n d e r A N K l e i d u n g , A k t e n m a p p e u. ä. w ä h r e n d d e r Arbeitszeit sicher v e r w a h r e n k a n n . A l l e r d i n g s g e h t diese Pflicht n u r s o w e i t , wie d e m A G dies wirtschaftlich u n d technisch zumutbar ist. Parkplätze b e r e i t z u s t e l l e n k a n n d a h e r n u r w e g e n besonderer Umstände auf d e r A N Seite verlangt w e r d e n ( z . B . bei G e h b e h i n d e r u n g o d e r w e n n k e i n e ö f f e n t l i c h e n V e r k e h r s m i t t e l in z u m u t b a r e r E n t f e r n u n g v o r h a n d e n sind)'. 2 . 3 . D e m A G w e r d e n a u ß e r d e m allgemeine Sorgfaltspflichten a u f e r l e g t ; ζ. B. L o h n u n d L o h n s t e u e r richtig zu b e r e c h n e n ; B e i t r ä g e zur S o z i a l v e r s i c h e r u n g r e g e l m ä ß i g u n d rechtzeitig a b z u f ü h r e n ; auf m e n s c h e n g e r e c h t e P e r s o n a l f ü h r u n g zu a c h t e n ; d a s Direktionsrecht so a u s z u ü b e n , d a ß a u c h die I n t e r e s s e n d e r A N g e w a h r t w e r d e n (ζ. B. u m d e n B e t r i e b s f r i e d e n zu w a h r e n e i n e n b e s t i m m t e n A N v e r s e t z e n ) ; d i e P e r s o n a l a k t e n richtig zu f ü h r e n usw. 2.4. D e r A G ist f e r n e r v e r p f l i c h t e t , d e m A N A u s k ü n f t e und Informationen zu erteilen 2 , ζ. B. ü b e r d i e G e h a l t s b e r e c h n u n g sowie Steuer- u n d sozialversicherungsrechtliche R e g e l u n g e n ; e b e n s o Einsicht in die P e r s o n a l a k t e zu g e w ä h r e n (vgl. § 83 1 2

Vgl. BAG in AP, Nr. 7, Nr. 26 und Nr. 75 zu $ 611 BGB, Fürsorgepflicht Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 14 zu S 242 BGB, Auskunftspflicht

II. Das Arbeitsverhältnis

129

B e t r V G ) . Er muß auch - zum Teil wegen gesetzlicher Vorschriften - die f ü r das Arbeitsverhältnis wesentlichen Bestimmungen bekanntmachen (vgl. etwa § 8 T V G , § 54 III JArbSchG). 2.5. A u s § 629 B G B kann der A N vom A G beanspruchen, ihm Zeit zu gewähren, sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist. Bedeutungslos ist. welche Vertragspartei die Kündigung ausgesprochen hat. 2.6. Besonders wichtig ist schließlich noch das Recht des A N , vom A G ein Zeugnis zu verlangen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist, vgl. § 630 B G B . Hiernach sind einfaches und qualifiziertes Zeugnis zu unterscheiden. 2.6.1. Daseinfache Zeugnis sagt nur darüber etwas aus, wie lange das Arbeitsverhältnis gedauert und welche Tätigkeiten der A N in dieser Zeit ausgeführt hat, § 630 Satz 1 B G B . ' (Beispiel: „Herr A N war in unserer Firma als Lohnbuchhalter tätig vom 1.1.1974 bis 31.12. 1978. Vom 15. 9.1978 bis 31. 12.1978 vertrat er den Abteilungsleiter".) 2.6.2. Im qualifizierten Zeugnis werden gem. § 630 Satz 2 B G B auch Leistung und Führung des A N beschrieben. 4 O b der A N ein einfaches oder qualifiziertes Zeugnis vom A G ausgestellt b e k o m m e n will, kann er selbst entscheiden. (Fortsetzung des Beispiels ο. 2.6.1.: „Herr A N ist eine strebsame Nachwuchskraft, die bereit ist, zusätzliche A u f g a b e n zu ü b e r n e h m e n . Er arbeitet stets sorgfältig, jedoch trotzdem zügig. Auch die Vertretung des erkrankten Abteilungsleiters bewältigte er zur allgemeinen Zufriedenheit. Sein persönlicher Umgang mit Vorgesetzten und Mitarbeitern ist höflich und bestimmt; er vertritt eine eigenständige Meinung, ohne deshalb unzugänglich zu sein gegen Ratschläge erfahrener Kollegen.") 2.6.3. Allgemeine Beurteilungsgrundsätze gibt es nicht. Das Zeugnis soll jedoch wohlwollend sein, um den A N nicht in seinen beruflichen Aussichten zu behindern; andererseits muß das Zeugnis wahr sein, es darf weder Übertreibungen enthalten noch für die Charakterisierung des A N wesentliche Punkte weglassen. Zeugnis des AN gem. § 630 B G B

Einfaches Zeugnis

Qualifiziertes Zeugnis Art der Beschäftigung

Art der Beschäftigung Dauer der Beschäftigung Leistung Dauer der Beschäftigung Führung

! Vgl. BAG in AP, Nr. 10 und Nr. II zu § 630 BGB ' Vgl. etwa BAG in AP, Nr. 11 und Nr. 12 zu § 630 BGB

130

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Für den einzelnen Betrieb kann der A G mit der Zustimmung des B R „allgemeine Beurteilungsgrundsätze" aufstellen, vgl. § 94 II B e t r V G . (,Allgemein" gelten sie aber nur innerhalb dieses speziellen Betriebs, d. h. in diesem Betrieb sind sie in allen Einzelfällen gleich anzuwenden.) (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!) Zusammenfassend werden nochmals dargestellt die wichtigsten Auswirkungen der Fürsorgepflicht

§6181 BGB Eigentum des AN Sorgfaltspflicht Fürsorgepflicht Auskunft/Information § 629 BGB Zeugnis

D. Haftung und Leistungsstörungen im Arbeitsrecht Bei Ziff. II. B. und C. wurde dargestellt, welche Haupt- und Nebenpflichten f ü r A N und A G im Arbeitsverhältnis bestehen. Nicht immer erbringen jedoch die Vertragspartner ihre Leistungen so, wie sie aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen zu erfüllen wären. Das Gesetz muß deshalb auch den dabei entstehenden Konfliktsfall vorausbedenken u n d Lösungsmöglichkeiten dafür bereithalten. D a es keine arbeitsrechtliche Besonderheit ist, daß Verträge nicht oder nicht richtig erfüllt werden oder andere Störungen a u f t r e t e n , ist hier wieder auf die Vorschriften des B G B zurückzugreifen, das solche Streitfälle umfassend regelt.

IJ. Das Arbeitsverhältnis

131

Das Gesetz geht dabei von einer grundsätzlichen Unterscheidung aus: Einerseits sind Störungen geregelt, die sich aus verletzten Vertragspflichten ergeben (Haupt- und Nebenpflichten), die sog. Leistungsstörungen (vertragliche Haftung). Andererseits schützt das Gesetz bestimmte wichtige Rechtsgüter jedes einzelnen gegen andere, ohne daß ein Vertrag zugrundeliegt (Beispiel: Gesundheit und Freiheit des AN oder das Eigentum des A G zu schützen, folgt nicht nur aus vertraglichen Nebenpflichten Fürsorgepflicht/Treuepflicht - sondern kann von jedem anderen Menschen verlangt werden). Werden diese Rechtsgüter verletzt, entsteht eine Haftung wegen sog. unerlaubter Handlungen.

1. Kapitel: Haftung wegen „unerlaubter Handlungen" Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 436ff.; Lorenz, BGB SchuldR I, S 20; Lorenz, BGB SchuldR II, §§ 71; 72; Brox, RdNr. 62; G.-S., RdNr. 130ff.;487; H.-A., G. VII. 5.; Richardi, Fall

5 l\.\Schaub, § 52 IV.-VIII.; Söllner, § 30 1.; Zöllner, § 19 II.; Z.-M. II, Stud. Ε. 8 (S. 29ff.). Die Haftung wegen unerlaubter Handlungen ist in den §§ 823ff. BGB geregelt. Wichtig ist im A R vor allem § 823 IUI BGB: Verletzen AN oder A G entweder bestimmte Rechtsgüter (§ 823 I BGB) oder ein Schutzgesetz (§ 823 II BGB) und verursachen sie dadurch einen Schaden, müssen sie diesen Schaden ersetzen — vorausgesetzt, sie handeln dabei rechtswidrig und schuldhaft. Wie schon öfters gezeigt (vgl. etwa die Darstellung o. nach II. B. 4.2.2.), stellt das Gesetz auch hier bestimmte Voraussetzungen auf und schließt daran eine Rechtsfolge an. Diese Voraussetzungen sind Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld. 1.1. Der Tatbestand besteht „rechtstechnisch" wiederum aus drei Teilen: 1.1.1. Es muß ein Schaden vorliegen; wegen § 253 BGB ein sog. materieller Schaden, d. h. ein Vermögensschaden (Beispiel: A N X fährt auf dem Firmenparkplatz den Pkw des A G Α an — die entstehenden Reparaturkosten stellen einen Vermögensschaden des Α dar. Saß Α zu diesem Zeitpunkt im Auto und brach sich den Arm, sind seine Arztkosten ebenfalls materieller Schaden; seine Schmerzen dagegen sind immateriell, sie wirken sich nicht im Vermögen aus — allerdings greift hier § 847 BGB als Sonderregelung im Sinne des § 253 B G B ein und gewährt einen Anspruch auf Schmerzensgeld.) 1.1.1.1. Dieser Schaden muß gem. § 823 I BGB an einem der dort aufgezählten absoluten Rechte entstehen; Rechte also, die jedermann zu respektieren hat ohne besondere vertragliche Vereinbarung. Der Gesetzgeber hat jedoch nicht alle absoluten Rechte in § 823 I B G B aufgezählt, sondern nur Beispiele gegeben - dies zeigt der Ausdruck „oder ein sonstiges Recht" (gemeint ist: ein sonstiges absolutes Recht). Andere absolute Rechte sind ζ. B. der Name, die Ehre — aber auch das im Ersten Teil, I. Einl. 5.8. und II. C. 4.2.5./4.3.14.3.1. genannte Recht des A G am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. 1.1.1.2. Gemäß § 823 II BGB muß ein Schutzgesetz verletzt sein. Da das A R wegen seiner historischen Entstehung weitgehend Arbeitnehmerschutzrecht ist (vgl. Erster Teil, I. Einl. insbes. 4.2.1.), gibt es zahlreiche solcher Schutzgesetze — die wichtigsten

132

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

sind jedoch die B e s t i m m u n g e n des technischen ο. II. B. 1.5.3. u n d II. C . 2.1.).

und medizinischen

Arbeitsschutzes

(vgl.

1.1.2. Der Schaden m u ß auf einer bestimmten Handlung b e r u h e n , also einem nach außen gerichteten Verhalten (Beispiel: mit d e m A u t o j e m a n d e n a n f a h r e n ; Beschimp f u n g e n ; Tätlichkeiten usw.). Gleichgestellt wird der H a n d l u n g ausnahmsweise auch eine Unterlassung (also ein „Nichtstun") - wenn der B e t r e f f e n d e verpflichtet war zu h a n d e l n ; dies k o m m t b e s o n d e r s in Betracht, wenn der A G Schutzgesetze verletzt, ζ. B. unterläßt, eine Sicherungsvorkehrung an einer Maschine anbringen zu lassen u. ä. 1.1.3. Die H a n d l u n g m u ß außerdem den Schaden verursachen. O b diese Voraussetzung vorliegt, ist zwar m e i s t e n s einfach festzustellen — es sind jedoch Fälle d e n k b a r , wo m e h r e r e U r s a c h e n z u s a m m e n w i r k e n und nicht m e h r geklärt werden k a n n , welche von ihnen tatsächlich z u m Schaden geführt hat. (Beispiel: A G Α versäumt, an der Baustelle das Fanggerüst ständig zu kontrollieren; A N X fällt durch ein Loch im G e r ü s t und zieht sich schwerste i n n e r e Verletzungen zu. Seine Arbeitskollegen Y und Ζ h e b e n ihn unsachgemäß hoch, nm ihm zu helfen - X stirbt auf d e r Fahrt zum K r a n k e n h a u s . Nicht mehr feststellbar ist, ob der Sturz — verursacht durch die Nachlässigkeit des A — o d e r die falsche B e h a n d l u n g durch die Arbeitskollegen den T o d herbeigeführt hat). 1.2. Zweite B e d i n g u n g d a f ü r , daß Schadensersatz bezahlt w e r d e n muß ist, daß A G o d e r A N die V e r l e t z u n g s h a n d l u n g rechtswidrig v o r n e h m e n . Grundsätzlich ist es stets rechtswidrig, a n d e r e n S c h a d e n zuzufügen - d . h . , die R e c h t s o r d n u n g billigt solches Verhalten nicht. ( E s w ä r e auch sinnlos, würde das G e s e t z bestimmte Rechtsgüter schützen — oder Schutzgesetze erlassen — wenn sie zu verletzen j e d e r m a n n freistünde.) Allerdings k e n n t das Recht b e s o n d e r e U m s t ä n d e , die zu einer Rechtfertigung f ü h r e n , d. h. es wird a n e r k a n n t , daß trotz Schadens die H a n d l u n g übereinstimmt mit der Rechtsordnung. 1.2.1. Eine solche Ausnahme wurde bereits im E r s t e n Teil, II. C. 1.1. und 3. dargestellt: D e r Arbeitskampf verletzt zwar objektiv den Arbeitsvertrag u n d eventuell auch das Recht des A G am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bzw. des A N am Arbeitsplatz; t r o t z d e m ist der Arbeitskampf rechtmäßig, wenn er bestimmte (im Ersten Teil II. C. 2. ff. beschriebene) Voraussetzungen erfüllt. 1.2.2. Weitere Ausnahmen sind Notwehr und Einwilligung. W e r den A n g r e i f e r , um sich selbst zu verteidigen, verletzt (objektiv also durch eine eigene H a n d l u n g bei ihm einen Schaden v e r u r s a c h t = Tatbestand), handelt nicht rechtswidrig, sondern in Einklang mit der R e c h t s o r d n u n g . D a h i n t e r steht der G r u n d s a t z , daß „Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht" - d e r Angreifer selbst hat bereits zuvor den B o d e n d e r Rechtmäßigkeit verlassen, die (den Angreifer verletzende) Verteidigungshandlung stellt deshalb das R e c h t wieder h e r . E b e n s o ist ein schädigendes Verhalten von A n f a n g an r e c h t m ä ß i g , wenn d e r Geschädigte eingewilligt hat. Z w a r bietet die R e c h t s o r d n u n g dem einzelnen an, ihn zu schützen (vgl. ο. 1.2.), sie zwingt ihn aber nicht, diesen Schutz zu beanspruchen. (Beispiel: A G A will e i n e n neuen chemischen Stoff herstellen und läßt durch den Werksarzt eine V e r s u c h s r e i h e aufstellen, mit deren Hilfe festgestellt werden soll, welche gesundheitlichen G e f a h r e n den A N erwarten - stellt sich A N X freiwillig als „Versuchskaninchen" zur V e r f ü g u n g u n d erleidet er einen Schaden, war die H a n d l u n g des A G - und des A r z t e s — nicht rechtswidrig, da X eingewilligt hat.)

II. D a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s

133

1.3. Schließlich haften A G und A N bei § 823 B G B nur, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt (unterlassen) haben. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind die beiden Formen der Schuld. Ausgangspunkt ist, daß nur derjenige für einen von ihm verursachten Schaden einstehen muß, dem vorzuwerfen ist, er hätte sich auch anders — nämlich rechtmäßig - verhalten können. Wer bei dem Schadenseintritt in keiner Weise „etwas dafür k a n n " , haftet nicht: ihm ist kein Vorwurf zu machen. 1.3.1. Vorsätzlich handelt, wer bewußt und gewollt den Schaden herbeiführt (ζ. B. eine Maschine zerstört, um den Betrieb lahmzulegen; oder einen anderen schlägt). 1.3.2. Fahrlässigkeit wird vom Gesetz wie folgt beschrieben (§ 276 I, 2 B G B ) : „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. " Welche Sorgfalt erforderlich ist, richtet sich nach dem jeweiligen Lebensbereich, in dem der einzelne tätig wird. D e n n jeder Bereich, in dem Menschen irgendwie zu Sachen oder mit anderen Menschen in Kontakt treten, hat seine eigenen Sorgfaltserfordernisse (ζ. Β. ist die Sorgfalt eine andere, ob sich ein A N im Straßenverkehr befindet, als Büroangestellter am Geschäftsverkehr teilnimmt oder als Kellner Gäste bedient). Haftung gem. § 823 B G B

Η Tatbestand

— Schaden — Handlung —Verursachung

^

1 Rechtswidrigkeit

4 Schuld

Λ

—Vorsatz —Fahrlässigkeit

2. Kapitel: Gefahrgeneigte Arbeit Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 244; Lorenz, BGB SchuldR II, § 52 II. d); Brox, RdNr. 43; 44; G.-S., R d N r . 1 3 2 - 1 3 6 ; H.-A., G . VI. 2.; L . - L . , Kap. Ν III.; Richardi, Fall 5 I.; Schaub, § 5 2 VI. 3.; Schwerdtner, Fall 12, RdNr. 140 ff.; Söllner, § 30 \Zöllner A II.; Z.-M. II, Stud. Ε. 8, Teil II (S. 3 4 f f . ) .

Die ο. 1. dargestellte Regelung des B G B gilt, wie in der E i n f ü h r u n g D. bereits erwähnt, nicht nur im A R , sondern für alle unerlaubten Handlungen, egal wo sie stattfinden. Damit liegt nahe, daß diese allgemeinen Vorschriften für die besonderen Bedingungen des AR nicht immer genügen (eine entsprechende Einschränkung mußte auch bereits bei den Folgen des § 812 1,1 B G B gemacht werden - vgl. ο. II. A. 6.1. ff.).

134

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Sie zu e r g ä n z e n w u r d e n o t w e n d i g , u m eine spezielle arbeitsrechtliche Konfliktlage zu lösen: E i n e r s e i t s haftet der AN d e m A G , a u ß e r f ü r vorsätzliche B e s c h ä d i g u n g e n , auch f ü r jede Fahrlässigkeit, sei sie n o c h so gering. 1 A n d e r e r s e i t s ü b e r t r ä g t d e r A G d e m A N h ä u f i g Arbeiten, d i e a l l g e m e i n o d e r w e n i g s t e n s in b e s t i m m t e n S i t u a t i o n e n besonders schwierig sind, bei d e n e n d e s h a l b auch b e s o n d e r s sorgfältigen A N F e h l e r u n t e r l a u f e n . M a n spricht in diesen F ä l l e n v o n gefahrgeneigter o d e r schadensgeneigter Arbeit. H i e r steht d e r A N s t ä n d i g „mit e i n e m Bein in d e r H a f t u n g " , d o c h d e n G e w i n n aus dieser Tätigkeit b e k o m m t der A G . 2.1. D a s G e s e t z b i e t e t k e i n e L ö s u n g dieser gegensätzlichen I n t e r e s s e n l a g e . Rechtsprechung und )\iüstisches S c h r i f t t u m h a b e n j e d o c h — um d e n A N zu schützen (!) - f ü r d e n Fall gefahrgeneigter Arbeit d i e sonst übliche Haftung d e s A N (vgl. ο . 1.) eingeschränkt. 2 Sie g e h e n d a b e i v o n der Ü b e r l e g u n g aus, d a ß d e r A G bei g e f a h r g e n e i g t e r A r b e i t ein h ö h e r e s Betriebsrisiko eingeht. D a e r im positiven Fall d a f ü r d e n G e w i n n e r h ä l t , soll er im negativen nicht i m m e r d e n S c h a d e n auf d e n A N a b w ä l z e n k ö n n e n , auch w e n n e r d u r c h d e n A N v e r u r s a c h t w u r d e . 2.1.1. Z u n ä c h s t wird mittels e i n e r Definition festgelegt, w a n n ü b e r h a u p t eine solche Tätigkeit vorliegt. D a n a c h ist gefahrgeneigt eine Arbeit, die allgemein oder wenigstens in einer speziellen Situation mit großer Wahrscheinlichkeit, auch bei einem sorgfältigen Arbeitnehmer, gelegentlich zu Fehlern führt; zwar w ä r e n diese F e h l e r , einzeln b e t r a c h tet, v e r m e i d b a r g e w e s e n , sie sind j e d o c h a u f g r u n d d e r menschlichen Unzulänglichkeit typische Folgen d i e s e r A r b e i t . 3 Allgemein b e s o n d e r s g e f a h r v o l l sind ζ. B. die T ä t i g k e i t e n eines K r a f t f a h r e r s . B a g g e r f ü h r e r s , S t r a ß e n b a h n f ü h r e r s , sowie die B e d i e n u n g ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h schwieriger M a s c h i n e n . In einzelnen Situationen k ö n n e n 2. B. a b e r auch die A r b e i t d e r B a u s t e l l e n ü b e r w a c h u n g o d e r die d e s B u c h h a l t e r s g e f a h r g e n e i g t sein, etwa bei b e s o n d e r e r A r b e i t s ü b e r l a s t u n g o d e r bei Z e i t d r u c k .

Voraussetzungen der gefahrgeneigten Arbeit

allgemein gefährliche Arbeit

spezielle gefährliche Situation

trotz besonderer Sorgfalt

vermeidbare Fehler wegen allg. menschlicher Unzulänglichkeit

1 2 3

Vgl. BAG in AP. Nr. 1 zu § 276 BGB Vgl. BAG in AP, Nr. 8 zu § 611 BGB, Haftung des Vgl. BAG in AP, Nr. 4 zu § 898, 899 RVO

Arbeitnehmers

II. Das Arbeitsverhältnis

135

2.1.2. Wird nun bei gefahrgeneigter Arbeit der A G geschädigt, treten nicht die üblichen Rechtsfolgen ein (die Voraussetzungen der Haftung - Tatbestand/Rechtswidrigkeit/Schuld - bleiben also bestehen). Sondern der AN haftet nunmehr bei — Vorsatz und grober Fahrlässigkeit voll; — bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen A G und A N geteilt (berücksichtigt wird bei der Zuteilung der Schadensquote ζ. B. wie groß die G e f a h r war, wieviel der A N verdient, seine Stellung im Betrieb, sein Alter, seine körperliche Verfassung u. ä.); — bei leichter Fahrlässigkeit trägt der A G den Schaden allein (hierzu gehört auch der Fall, daß der A N andere Personen wegen der gefahrgeneigten Arbeit leicht fahrlässig schädigt - der A G muß den A N von Ersatzansprüchen dieser Dritten freistellen). Damit ergibt sich folgende Übersicht der H a f t u n g des A N im Arbeitsrecht: Die Haftung des AN im Arbeitsrecht

Haftung

Vorsatz

grobe Fahrlässigkeit

mittlere Fahrlässigkeit

leichte Fahrlässigkeit

Normalfall

ja

ja

ja

ja

gefahrgeneigte Arbeit

ja

ja

geteilt AN-AG

nein

3. Kapitel: U m f a n g u n d Inhalt der H a f t u n g Literatur: Brox, BGB SchuldR /, RdNr. 315ff.; 319ff.; 327ff.; 333ff.: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 504ff.; Lorenz, BGB SchuldR I, §§ 27-32; Lorenz, BGB SchuldR II. § 75; Brox. RdNr. 42; G.-S., RdNr. 131; 137;H.-A., G. V. i.:Schaub, §52 IV.. V., VI. 2.-.Z.-M. II, Stud. Ε. S.Teil II (S. 34ff.). Wenn festgestellt ist, daß A N oder A G für einen Schaden haften, ist noch zu klären, welchen Umfang der Schadensersatz hat und wie er zu leisten ist. 3.1. § 823 I/II B G B ζ. B. sagen nur aus, daß der Schädiger „zum Ersatz des . . . entstehenden Schadens verpflichtet" ist. Wie dies im einzelnen auszusehen hat, regeln — auch für das A R - die §§ 249ff. B G B . 3.1.1. G e m ä ß § 249 Satz 1 BGB ist der ursprüngliche Zustand wiederherzustellen. (Beispiel: Verletzt ein Arzt schuldhaft bei einem Verkehrsunfall einen Automechaniker, so könnte er selbst die Heilbehandlung des Mechanikers ü b e r n e h m e n , also im Sinne des § 249 Satz 1 B G B selbst den ursprünglichen Zustand wiederherstellen.)

136

Z w e i t e r Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

3.1.2. Oft ist eine solche Wiederherstellung jedoch dem Schädiger nicht möglich (der Arzt könnte nicht das beschädigte Auto des Mechanikers reparieren) oder der Geschädigte will sie nicht (der Mechaniker will lieber zu seinem Hausarzt in Behandlung gehen). Für diese Fällfe bestimmt § 249 Satz 2 BGB, daß der Geschädigte denjenigen Geldbetrag verlangen kann, der nötig ist, um den Schaden zu beheben, sog. Geldersatz. 3.1.3. Ist eine Wiederherstellung objektiv unmöglich (ζ. B.: Der AN ist nach einem vom A G verschuldeten Arbeitsunfall auf einem Auge blind; oder ein bisher unfallfreier Pkw wird beschädigt und kann ab diesem Zeitpunkt, trotz Reparatur, nur als „Unfallfahrzeug" verkauft werden), muß der Schädiger gem. § 251 I BGB ebenfalls Geldersatz leisten. 3.1.4. Bereits o. 1.1.1. wurde erwähnt, daß der von § 823 BGB genannte Schaden materiell sein, d. h. sich auf das Vermögen des Geschädigten auswirken muß, vgl. § 253 BGB. Grundgedanke dieser Einschränkung ist, daß nur Vermögensschäden berechnet (und damit ersetzt) werden können; immaterielle Schäden (Schmerz, Mißvergnügen, Unlust, Angst usw.) dagegen nicht - sie sind so subjektiv im Empfinden des einzelnen verwurzelt, daß keine objektive, d . h . allgemeingültige Berechnung möglich ist. 3.1.5. § 253 B G B überläßt es allerdings dem Gesetzgeber, Ausnahmen zuzulassen wie sie ζ. B. für das besonders wichtige Gebiet des Schmerzensgeldes in § 847 BGB vorgesehen ist. Die dort zu bezahlende „billige Entschädigung in Geld" wird im Einzelfall von den Gerichten festgelegt, die sich bemühen, typische Verletzungsfolgen nach einem einheitlichen Katalog zu bewerten (Schwere/Dauer/Ausmaß usw.), um den eigentlich „unberechenbaren" Schmerzensgeldanspruch berechenbar zu machen. Inhalt des Schadenersatzanspruchs

Materieller Schaden § 249, 1

Immaterieller Schaden

Wiederherstellung

§ 249, 2

Geldersatz

§251 I

Geldersatz

Ausnahmen: kein Ersatzanspruch, §253

gesetzl. Sonderregelung - ζ. B. § 847 I

3.2. Die Pflicht, vollen Schadensersatz zu leisten, wird eingeschränkt, wenn neben dem Schädiger auch der Verletzte selbst den Schaden verschuldet hat, vgl. § 254 I BGB. Hier m u ß abgewogen werden gegeneinander, wieviel beide zum Schaden beigetragen haben — je nach Anteil wird der Schaden geteilt oder trägt einer von beiden einen größeren Teil; im äußersten Fall kann sogar der Verletzte den Schaden allein zu tragen haben, wenn sein Mitverschulden soweit geht, daß die Beteiligung des Schädigers nicht mehr ins Gewicht fällt. (Beispiel: Der A G versäumt es, eine

II. D a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s

137

Schutzvorrichtung an der Metallpresse anbringen zu lassen; der A N sieht dies, weist aber den A G nicht darauf hin, sondern arbeitet trotzdem an der Maschine. Zieht er sich dabei eine Verletzung zu, hat er diese mitverschuldet, die Ersatzpflicht des A G wird mindestens gemindert.) 3.3. Hat der A N eine unerlaubte Handlung begangen, folgt aus seiner H a f t u n g letztlich auch, daß ein Kündigungsgrund entsteht für den A G (im umgekehrten Fall erwächst d e m A N kein - neuer - G r u n d zu kündigen, da er hierfür keinen besonderen Anlaß braucht). Ist der angerichtete Schaden groß genug, kann sogar eine fristlose Kündigung gem. § 626 B G B gerechtfertigt sein (vgl. im übrigen zur Kündigung u. III. 2. und 3.).

4. Kapitel: Haftungsverlagerung bei Personenschäden gem. § 636 RYO Literatur: Brox, RdNr. 62; G.-S., RdNr. 238-24Ü; H.-A., G. VII.; L.-L., Kap. I II.; Richardi, Fall 5 ll.\Schaub, § 52 IX.; § \09-,Söllner, § 8 III.; Zöllner, § 19 I.; Z.-M. II, Stud. Ε. 8.Teil IV (S. 4 5 f f . ) .

Aufgrund der besonderen Bedingungen im A R haftet nicht nur der A N manchmal beschränkt (bei gefahrgeneigter Arbeit - vgl. o. 2. ff.). Auch für den A G besteht eine Sonderregelung: bei Personenschäden greift § 636 RVO ein. 4.1. Zunächst ist zu prüfen, ob ein Arbeitsunfall (§§ 5 4 8 - 5 5 1 R V O ) vorliegt, bei dem der A G schuldhaft den A N verletzt hat und deshalb zum Schadensersatz verpflichtet wäre. Liegt ein solcher Haftungsgrund vor, ist weiterhin festzustellen, ob der A N einen sog. Personenschaden erlitten hat ( d . h . Tötung oder Körperverletzung). Ist auch diese Voraussetzung gegeben, haftet der AG wegen § 636 RVO ausnahmsweise nicht selbst. Haftung des A G bei Arbeitsunfällen (§§ 548 ff RVO)

138

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Statt d e s s e n greift die gesetzliche Unfallversicherung e i n , die v o n d e n A G f i n a n z i e r t wird. ( I m G e g e n s a t z zu Sachschäden, f ü r die d e r A G nach d e n o b e n g e n a n n t e n a l l g e m e i n e n R e g e l u n g e n e i n z u s t e h e n h a t , ist bei Personenschäden meistens eine h ö h e r e E r s a t z l e i s t u n g n ö t i g - ζ. B. bei D a u e r s c h ä d e n . U m d a f ü r eine genügende finanzielle Deckung zu s c h a f f e n u n d zusätzlich f ü r d e n B e t r i e b von g e n a u e r kalkulierbaren Kosten a u s g e h e n zu k ö n n e n , verlagert sich d i e H a f t u n g s / o / g e auf d e n V e r s i c h e r u n g s t r ä g e r — die H a f t u n g s V o r a u s s e t z u n g e n m ü s s e n a b e r n a c h wie v o r v o m A G selbst erfüllt w e r d e n . ) 4.2. § 636 R V O e n t h ä l t seinerseits zwei A u s n a h m e n ; liegen sie v o r , h a f t e t nicht die U n f a l l v e r s i c h e r u n g , s o n d e r n d e r A G w i e d e r selbst n a c h d e n allgemeinen Vorschriften: 4.2.1. W u r d e der Arbeitsunfall-vom A G vorsätzlich (vgl. o. 1.3.1.) h e r b e i g e f ü h r t , g e h t die H a f t u n g nicht g e m . § 636 R V O auf die V e r s i c h e r u n g ü b e r . 4.2.2. D e r A G h a f t e t a u c h selbst für P e r s o n e n s c h ä d e n d e s A N aus e i n e m Arbeitsunfall, w e n n d i e s e r sich bei d e r Teilnahme am allgemeinen (Straßen-)Verkehr e r e i g n e t hat. 1 H i e r z u zählt i n s b e s o n d e r e d e r Wegeunfall (§ 550 R V O ) , also ein U n f a l l auf d e m W e g z u r o d e r v o n d e r A r b e i t . (Nicht z u m allgemeinen Verkehr ist d e r Werksverkehr1 zu r e c h n e n - e r u n t e r l i e g t u n e i n g e s c h r ä n k t § 636 R V O ; P e r s o n e n s c h ä d e n des A N a u s diesem B e r e i c h w e r d e n also v o n der V e r s i c h e r u n g a b g e w i c k e l t . ) (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

5. Kapitel: Yertragshaftung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Literatur: Brox, BGB SchuldR /, RdNr. 215 ff.; 230ff.; 271 ff.; 291 ff.; 303 ff.; ΒΙ-ΟΛΓ, BGB SchuldR II, RdNr. 242-244; 249; Lorenz, BGB SchuldR I, §§ 2 1 - 2 5 ; Lorenz, BGB SchuldR II, § 52 II. b); Brox, RdNr. 40ff.; 60ff.; G.-S., RdNr. 125-131; 186-192; H.-A., H. III. 4. a ) - c ) ; L.-L., Kap. G VI. 2. u. 3.; H.-N., § 22; Richardi, Fall 3 II.; Schaut, §§ 4 8 - 5 2 V.; §§ 95; 96; 101; Schwerdtner, Fall6, RdNr. 78ff.; Fall7, RdNr. 84ff.; Fall 12. RdNr. 139ff.; Fall 14, RdNr. 174ff.; Söllner, § 32 4. u. 5.; Zöllner, § 18 I.—VIII.; Z.-M. II, Stud. Ε. 7, Teil I, II, V(S. 7ff., 23ff.). N e b e n der H a f t u n g aus unerlaubten Handlungen (vgl. ο. 1.), steht die vertragliche Haftung von A N u n d A G (vgl. Einleitung II. D . ) . Sie spielt überall da eine R o l l e , w o die V e r t r a g s p a r t e i e n die v o n i h n e n ü b e r n o m m e n e n Pflichten nicht - o d e r nicht richtig - e r f ü l l e n , w o also die L e i s t u n g gestört ist (sog. Leistungsstörungen). W i e d e r u m f i n d e n sich - bis auf typisch arbeitsrechtliche S o n d e r r e g e l u n g e n - die einschlägigen Vorschriften im BGB; d e n n d e r A V ist ein g e g e n s e i t i g e r schuldrechtlicher V e r t r a g (vgl. ο. II. A . 3 . f f . ) , d e r sich grundsätzlich nach d e n B e s t i m m u n g e n d e s B G B richtet. (Soweit in d e r Vertragshaftung gleiche P r o b l e m e wie bei d e n unerlaubten Handlungen zu lösen sind, wird auf die d o r t i g e n A u s f ü h r u n g e n v e r w i e s e n . ) 5.1. A u f A N - S e i t e ist v o r s t e l l b a r , daß d e r A N seine Pflichten gar nicht o d e r schlecht erfüllt. W e i t e r h i n ist m ö g l i c h , d a ß diese L e i s t u n g s s t ö r u n g e n bei d e n Haupt- oder bei d e n Nebenpflichten auftreten. 1 2

Vgl. ζ. B. BGH in NJW 1973/1326 Vgl. BAG in AP, Nr. 1 zu § 636 RVO

II. Das Arbeitsverhältnis

139

5.1.1. Leistet der A N seine Arbeit nicht - er bleibt ζ. B. unentschuldigt einfach eine Woche zu Hause (Verletzung der Arbeitspflicht = Hauptpflicht) - ist von den Vorschriften über den gegenseitigen Vertrag auszugehen, §§ 275ff., §§ 320ff. B G B . (Die Arbeitspflicht steht im Verhältnis der Gegenseitigkeit zur Lohnzahlungspflicht vgl. ο. II. A. 3.3. und 3.3.1./3.3.2.). Diese Leistungsstörung nennt das Gesetz Unmöglichkeit, weil der AN seine Leistung in einer bestimmten Zeit erbringen muß (sie oft aufgrund des Betriebsablaufs auch nur in dieser Zeit erbringen kann) — die Arbeit nachzuholen ist deshalb unmöglich. (Sog. Verzug gem. § 284 B G B kann also nicht vorliegen, wenn die Arbeit nicht rechtzeitig geleistet wird, weil dies voraussetzen würde, daß die Leistung noch — wenn auch verspätet - erbracht werden könnte.) Das Gesetz muß in dieser Situation zweierlei regeln: Z u m einen, was geschieht mit der Arbeitspflicht selbst, mit der Leistung; zum anderen, wie wirkt sich die Leistungsstörung auf die Gegenleistung - die Lohnzahlung - aus. 5.1.1.1. Bei dem ersten Problem unterscheidet das Gesetz danach, ob der A N die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht; d. h., ob er sie verschuldet hat (vorsätzlich oder fahrlässig - vgl. ο. 1.3. ff.). Beispiel: Bleibt der A N zu Hause, weil er keine Lust zu arbeiten hat oder weil er irrtümlich glaubt, Urlaub beantragt zu h a b e n , hat er seine Arbeitspflicht schuldhaft verletzt. Ist dagegen seine Frau schwer erkrankt und pflegebedürftig, hat er die Leistungsstörung nicht zu vertreten. 5.1.1.1.1. § 275 I BGB bestimmt, d a ß bei nichtverschuldeter Unmöglichkeit „der Schuldner von der Verpflichtung zur Leistung frei" wird; die Arbeitspflicht entfällt also f ü r diese Zeit. Damit ist zugleich gesagt, daß der A N dem A G auch keinen Schadensersatz bezahlen m u ß (ζ. B. f ü r die Anstellung einer Aushilfskraft). Wie bei der unerlaubten Handlung, ist damit auch bei der Vertragshaftung der Schaden nicht zu ersetzen, wenn der Schädiger schuldlos handelt (vgl. o. 1.3.)! 5.1.1.1.2. Folge dieser entfallenen Leistungspflicht ist gem. § 323 I B G B , daß auch die Gegenleistung entfällt - arbeitet der A N nicht, braucht der A G keinen Lohn zu bezahlen. (Auch beim gestörten Vertrag ist also die Gegenseitigkeit gewahrt!) Im A R gibt es allerdings von diesem Grundsatz beträchtliche Ausnahmen. Sie wurden ο. II. B. 3.ff. unter der Überschrift ,,Lohnansprüche ohne unmittelbare Arbeitsleistung" besprochen - es handelt sich um Urlaub, Lohnzahlung an Feiertagen, Krankheit, Schwangerschaft und die vorübergehende Verhinderung gem. § 616 I B G B . D a n e b e n bleibt für § 323 I BGB tatsächlich kaum Platz - um den A N zu schützen, wurde die ursprüngliche Regelung des B G B fast in ihr Gegenteil verkehrt. 5.1.1.1.3. Hat der A N dagegen die Unmöglichkeit verschuldet, wandelt sich seine — nicht mehr erfüllbare - Verpflichtung, Arbeit zu leisten: Statt dessen m u ß e r n u n m e h r dem A G , der einen Schaden erlitten hat, Schadensersatz wegen Nichterfüllung leisten, vgl. § 325 I BGB. (In diesem Fall müßte der A N also die Kosten der Aushilfskraft übernehmen - vgl. Beispiel o. 5.1.1.1.1.). 5.1.1.1.4. Ein Anspruch des A N auf die Gegenleistung - Lohn - besteht hier nicht mehr (auch nicht aus Sonderregelungen wie o. 5.1.1.1.2.) — da ein A N , der seine Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, nicht schutzwürdig ist. ( A u ß e r d e m wäre dem A G mit seinem Schadensersatzanspruch wenig gedient, müßte er „mit der anderen H a n d " dem A N davon dessen Lohn bezahlen.)

140

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

5.1.1.1.5. Einen besonderen Fall löst 8 324 I BGB: D e r A N arbeitet nicht, hat dies aber nicht zu vertreten; vielmehr hat ihm der A G schuldhaft zu arbeiten unmöglich gemacht. Beispiel: A G Α teilt dem Montagearbeiter X nicht rechtzeitig mit, daß der nächste Arbeitseinsatz statt in H a m b u r g in München sein soll. X kommt deshalb einen T a g zu spät. Hier ist X' ( A r b e i t s l e i s t u n g unmöglich geworden; zur Gegenleistung Lohnzahlung — bleibt der A G aber verpflichtet gem. § 324 I B G B , weil er selbst schuldhaft die Leistung des X verhindert hat. 5.1.1.1.6. Als weitere Folge der Unmöglichkeit ist stets auch zu prüfen, ob eine ordentliche oder sogar fristlose Kündigung zulässig ist: Bei der nicht zu vertretenden Unmöglichkeit kann nur ausnahmsweise ordentlich gekündigt werden (ζ. B. bei Krankheit oder bei § 616 I B G B ) ; eine außerordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht, weil es mangels Verschuldens des A N immer zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis (wenigstens bis zur Frist der ordentlichen Kündigung) aufrechtzuerhalten. Allerdings ist auch die ordentliche Kündigung in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen ausgeschlossen, ζ. B. § 9 MuSchG, § 15 II B B i G . 5.1.2. A u ß e r durch Nichtleistung kann eine Leistung auch gestört sein, wenn der A N schlechte Arbeit leistet (sog. Schlechtleistung). D e r A N kommt also zwar seiner Arbeitspflicht als solcher nach - die Arbeit ist jedoch mangelhaft, weil schlechte Arbeitsprodukte entstehen (ζ. B. ungleichmäßig lackierte Autos), Arbeitsgerare beschädigt werden oder-weil er zu wenig Arbeitsleistung erbringt. Das Gesetz regelt diesen Fall nicht. 5.1.2.1. In der Rechtsprechung und Lehre wurden jedoch Grundsätze entwickelt, die sich entweder aus der speziellen Eigenart des Arbeitsverhältnisses ergeben oder sich an vorhandene gesetzliche Vorschriften anlehnen. Mit ihnen wird bestimmt, was bei der Schlechtleistung mit Leistung und Gegenleistung geschieht und welche weiteren Rechtsfolgen angemessen sind. 5.1.2.1.1. D e r A N verpflichtet sich im A V , seine Arbeitsleistung zu erbringen — er verspricht dagegen nicht, bestimmte Arbeitsergebnisse zu liefern. Auch bei der Schlechtleistung erfüllt der A N also grundsätzlich seine Hauptpflicht. Wegen der Gegenseitigkeit des A V bleibt deshalb auch die Pflicht des A G zur Gegenleistung bestehen. 5.1.2.1.2. Diese Ausgangslage ergibt sich nicht nur aus der Natur des A V als gegenseitigem Vertrag, sondern auch daraus, daß das Gesetz beim A V keine sog. Gewährleistungsansprüche vorsieht (vgl. die §§ 611 ff. B G B ) , wie etwa beim Werkvertrag (§§ 633ff. B G B ) oder beim Kaufvertrag (vgl. §§ 459ff. B G B ) , wonach Besteller bzw. Käufer ζ. B. verlangen können, daß der jeweilige Preis herabgesetzt wird. Damit ist dem AG versagt, von vornherein das Einkommen des AN zu kürzen. (Auch dies dient dem Schutz des A N , da bei entsprechend großen Schäden der A G sonst den ganzen Lohn einbehalten und der A N damit seine Existenzgrundlage verlieren könnte.) 5.1.2.1.3. Z u m Ausgleich wird dem A G ein Schadensersatzanspruch gewährt aus sog. positiver Vertragsverletzung. Ausgangspunkt sind j e n e gesetzlichen Regelungen, die bei Unmöglichkeit und Verzug einen Schadensersatz festlegen, nämlich §§ 280 I, 286, 325, 326 BGB. W e n n das Gesetz in diesen Fällen jeweils Schadensansprüche gewährt,

II. Das Arbeitsverhältnis

141

erscheint es richtig, dieselbe Konsequenz auch bei anderen Vertragsverletzungen zu ziehen - vorausgesetzt, es liegt schuldhaftes Handeln vor. (Letztlich steht dahinter die Überlegung, daß jeder die Folgen seiner Handlungen selbst zu verantworten hat — denn wenn gem. Art. 1 1 , 2 1 G G jeder Mensch frei ist, über sich selbst zu entscheiden, muß er auch für das einstehen, was seine Entscheidungen bewirken.) 5.1.2.1.4. Mit diesem Anspruch aus positiver Vertragsverletzung kann der A G gegenüber dem Lohnanspruch des A N aufrechnen gem. §§ 387ff. B G B . Dabei ist jedoch § 394 B G B zu beachten: A u f z u r e c h n e n ist nur möglich bis zu den Pfändungsfreigrenzen (vgl. hierzu ο. II. B. 4.4.). Mittels dieses „Tricks" (keine Gewährleistung, statt dessen eine aufrechenbare Gegenforderung) wird dem A N ein Existenzminimum gesichert. 5.1.2.1.5. Wie bei der Unmöglichkeit, ist auch bei der Schlechtleistung eine weitere mögliche Folge, daß der A G das Arbeitsverhältnis kündigt (vgl. o. 5.1.1.1.6.). Eine ordentliche Kündigung ist dabei (bis auf die gesetzlichen A u s n a h m e n ) stets möglich. A b e r auch eine außerordentliche Kündigung ist grundsätzlich zulässig, wenn die Schlechtleistung so schwerwiegend ist, daß ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 I B G B vorliegt. 5.1.3. Schließlich kann der A N nicht nur seine Hauptpflicht, sondern auch seine zahlreichen Nebenpflichten schlecht erfüllen (vgl. ο. II. C. 1.). Er kann 2. B. Betriebsgeheimnisse verraten oder gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen usw. Auch der Fall verletzter Nebenpflichten ist nicht gesetzlich geregelt. Es gelten jedoch dieselben Grundsätze, die ο. 5 . 1 . 2 . 1 . - 5.1.2.1.3. entwickelt wurden: D e m A G steht daher ein Anspruch zu aus positiver Vertragsverletzung, mit dem er gem. §§ 387ff. B G B aufrechnen kann (wie ο. 5.1.2.1.4.). Z u r Kündigung gilt o. 5.1.2.1.5. entsprechend. Wegen schlecht erfüllter Haupt- oder Nebenpflichten sind daher grundsätzlich zu prüfen als Folgen der Schlechtleistung

Schadensersatz

ordentliche Kündigung

außerord. Kündigung

142

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

E s folgt eine v e r e i n f a c h t e Z u s a m m e n f a s s u n g d e r Leistungsstörungen auf AN-Seite

Leistungsstörung

Schlechtleistung

unverschuldete Unmöglichkeit

verschuldete Unmöglichkeit

Lohnfortfall

nein

. ja

ja

Schadenersatz

ja

nein

ordentl. K.

ja

nein

außerord. Κ

ja

nein

Folgen

Ο

ja OO

ja

ja

β Zwar entfällt der Lohnanspruch grundsätzlich gem. § 323 I BGB; wegen vieler Ausnahmen besteht er jedoch tatsächlich in den meisten Fällen fort - vgl. o. 5.1.1.1.2. O © Ausnahmen vgl. o. 5.1.1.1.6.

5.2. D i e vertragliche Haftung des Arbeitgebers b e r u h t bis auf w e n i g e Besonderheiten auf d e n s e l b e n R e c h t s s ä t z e n wie die des A N ; a u c h v o m A G k ö n n e n Hauptoder Nebenpflichten verletzt w e r d e n , auch bei ihm k a n n die L e i s t u n g s s t ö r u n g darauf b e r u h e n , daß er seine P f l i c h t e n nicht erfüllen kann o d e r will bzw. d a r a u f , d a ß e r sie nicht rechtzeitig o d e r schlecht erfüllt. 5.2.1. Bei d e r Lohnzahlungspflicht ( H a u p t p f l i c h t ) ist es z w a r t h e o r e t i s c h , a b e r k a u m praktisch d e n k b a r , d a ß Unmöglichkeit vorliegt, d e r A G also nicht bezahlt u n d dies a u c h nicht nachholbar sein soll. Die weitere F r a g e , o b die Unmöglichkeit v o m A G zu vertreten ist o d e r nicht - wie dies für die u n t e r l a s s e n e A r b e i t s l e i s t u n g zu p r ü f e n w a r , vgl. o. 5.1.1. f f . - b r a u c h t d e s h a l b hier nicht e r ö r t e r t zu w e r d e n . ( D a f ü r , d a ß die Pflicht G e l d zu b e z a h l e n , nicht u n m ö g l i c h wird, k a n n m a n sich als Faustregel m e r k e n : „ G e l d hat m a n zu h a b e n " . ) 5.2.2. D e r A G b e f i n d e t sich statt dessen mit d e r Lohnzahlung in Verzug, vgl. §§ 2 8 4 f f . B G B , d . h . , e r e r b r i n g t seine Leistung zu spät. G e m ä ß § 285 B G B wird auch hier w i e d e r v o r a u s g e s e t z t , d a ß d e r A G die L e i s t u n g s s t ö r u n g verschuldet, also vorsätzlich o d e r fahrlässig (vgl. ο. I I . D . 1.3. ff.) h e r b e i g e f ü h r t h a t . 5 . 2 . 2 . 1 . A u s d e m Verzug folgt für d e n A G , d a ß er weiterhin seine Leistung zu erbringen h a t . D a z u k o m m t g e m . § 286 B G B e i n e Schadensersatzpflicht: E r l e i d e t der A N e i n e n S c h a d e n , 2. B. weil e r sein K o n t o ü b e r z i e h e n u n d d a f ü r Z i n s e n z a h l e n m u ß o d e r e i n e n R a t e n k a u f v e r t r a g nicht m e h r e r f ü l l e n k a n n , h a t d e r A G diesen S c h a d e n zu b e z a h l e n . Inhalt und Umfang der Ersatzpflicht e r g e b e n sich aus §§ 249ff. BGB (vgl. o. 3. f f . ) .

II. Das Arbeitsverhältnis

143

5.2.2.2. Wegen der Gegenseitigkeit des A V (vgl. ο. II. A. 3.3.2.) wirkt sich der Verzug des A G aus auf die Pflicht des A N , seine Gegenleistung zu erbringen (vgl. ο. 5.1.1.). Ist der Lohn im voraus zu bezahlen, kann der A N gem. § 320 I B G B sich weigern zu arbeiten. Wird der Lohn (wie meistens) erst nach der erbrachten Arbeit fällig, steht ihm dasselbe Recht f ü r seine zukünftige Arbeit gem. § 273 I B G B zu. Seinen Lohnanspruch verliert der A N hierbei nicht, denn diese Leistungsverweigerungsrechte sollen ein Druckmittel darstellen gegen den „pflichtvergessenen Vertragspartner'· dieser Zweck würde nicht erreicht, könnte der A G seinerseits auf die nun fehlende Arbeitsleistung des A N verweisen. 5.2.3. D a ß der A G seine Hauptpflicht, Lohn zu bezahlen, „schlecht erfüllt" (Schlechtleistung, vgl. o. 5.1.2.) ist praktisch so wenig denkbar wie die Unmöglichkeit bei Geldschulden (vgl. ο. 5.2.1.). W ü r d e etwa der A G mit „Falschgeld" bezahlen, so hätte er tatsächlich seine Pflicht nicht „schlecht", sondern gar nicht erfüllt. Dagegen tritt die Schlechtleistung bei Nebenpflichten häufig auf. Beispiel: D e r A G verletzt technische oder medizinische Arbeitsschutzvorschriften (vgl. ο. II. B. 1.5.3.) - er sichert seine Maschinen nicht, der Lärm in der Fabrikhalle übersteigt die zulässigen Höchstgrenzen, er läßt keine abschließbaren Kleiderschränke einbauen, weshalb A N immer wieder Geld entwendet wird . . . usw. 5.2.3.1. Wie bereits bei der Schlechterfüllung auf AN-Seite ausgeführt (vgl. o. 5.1.2.1.3.) ist dieser Fall nicht gesetzlich geregelt. Entsprechend §§ 280 I, 286, 325, 326 BGB steht jedoch dem A N ein Anspruch zu aus sog. positiver Vertragsverletzung — der A G muß ihm den entstandenen Schaden ersetzen, wobei sich Inhalt und Umfang aus den §§ 249ff. BGB (vgl. o. 3. ff.) ergeben. 5.2.3.2. Inwieweit durch den A G schlecht erfüllte Nebenpflichten geeignet sind, die Arbeitspflicht des A N entfallen zu lassen, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Wesentlich hängt dies davon ab, wie unmittelbar die Arbeitsausführung berührt ist: Unterläßt ζ. B. ein Dachdeckerbetrieb, Fangvorrichtungen anzubringen, kann der A N die Arbeit verweigern ohne seinen Lohnanspruch zu verlieren, weil ihm die daraus entstehende G e f ä h r d u n g nicht zugemutet werden kann. Sind dagegen Kantinenessen oder sanitäre Einrichtungen unzulänglich, berührt dies die Arbeitspflicht nicht. Grundsätzlich braucht also der A N nicht zu arbeiten, wenn die Nebenpflicht so verletzt wird, daß ihm zu arbeiten nicht mehr zumutbar ist. 5.2.4. Eine besondere Situation entsteht im Arbeitsverhältnis, wenn der A G die Leistung des A N nicht annimmt. (Bereits ο. II. B. 5. wurde darauf hingewiesen, d a ß der A N aufgrund seines A V ein Recht darauf hat, beschäftigt zu werden.) D e r A G schickt etwa den A N nach H a u s e , weil wegen mangelnder Aufträge gerade keine Arbeit anfalle. Auch hier spricht das Gesetz von Verzug (wie o. 5.2.2.): Jedoch ist jetzt der A G nicht als Schuldner seiner Lohnzahlungspflicht in Verzug (Schuldnerverzug oder Leistungsverzug)·, sondern der Verzug bezieht sich n u n m e h r auf seine Rolle als Gläubiger der Arbeitsleistung - er nimmt sie nicht an (Gläubigerverzug oder Annahmeverzug - vgl. § 293 BGB). 5.2.4.1. Während aber bei allen bis jetzt behandelten Leistungsstörungen (und der Haftung aus unerlaubter Handlung) stets gefordert wurde, d a ß ein schuldhaftes Verhalten vorliegt (vgl. o. 1 . 3 . - 1 . 3 . 2 . ; 5.1.1.1.1.; 5.1.1.1.3. und 5.2.2.), wird dies beim Gläubigerverzug nicht vorausgesetzt. Dahinter steht der G e d a n k e , d a ß der

144

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Gläubiger weiß, d a ß e r eine Leistung e r w a r t e t - er m u ß deshalb rechtzeitig d a f ü r sorgen, d a ß er sie auch a n n e h m e n kann. 5.2.4.2. Will der A G d e n A N nicht beschäftigen, befindet er sich also bezüglich d e r Arbeitsleistung im Annahmeverzug, enthält § 615 B G B für Lohnzahlungs- und Arbeitspflicht (Leistung und Gegenleistung) eine besondere Regelung: D e r A N kann seinen Lohn auch f ü r die Zeit verlangen, in d e r er wegen des A n n a h m e v e r z u g s nicht gearbeitet h a t ; die versäumte Arbeit muß er nicht nachholen. Voraussetzung ist nur, d a ß der A N tatsächlich fähig gewesen wäre zu arbeiten (also nicht zufällig in d e r gleichen Zeit etwa k r a n k war) u n d seine Arbeitsleistung dem A G angeboten hat (§ 294 B G B ) . H a t der A N wegen der ausgefallenen Arbeit weniger Ausgaben gehabt (ζ. B. weniger Fahrtkosten zur A r b e i t ) o d e r in der fraglichen Zeit anderweitig etwas dazu verdient, kann der A G diese B e t r ä g e vom Lohn abziehen - denn der A N soll durch den Gläubigerverzug zwar keinen Verlust erleiden, andererseits aber auch keinen Gewinn erzielen - vgl. § 615 Satz 2 B G B . 5.2.5. O b w o h l o. 5.2.4.1. gesagt wurde, beim A n n a h m e v e r z u g spiele keine Rolle, o b der A G schuldhaft handle, fällt eine Situation „aus d e m R a h m e n " : W e n n nämlich der A G die A r b e i t d u r c h a u s a n n e h m e n will, aber nicht a n n e h m e n kann. U n d zwar nicht a n n e h m e n kann wegen Umständen, die er nicht selbst in der Hand hat, gegen die er auch keine Vorsorge t r e f f e n kann - sog. unverschuldete Betriebsstörungen. Hierzu zählt ζ. B., d a ß ein unvorhersehbarer technischer D e f e k t den Maschinenpark lahmlegt, d a ß eine Fabrikhalle bei einer Explosion zerstört wird, der Strom ausfällt o d e r der Betrieb bestreikt wird. 5.2.5.1. Diese Fälle k ö n n t e n mit § 323 I BGB gelöst w e r d e n , da die Lage vergleichbar ist (vgl. o. 5.1.1.1.2.): D e r A N kann wegen der Betriebsstörung nicht arbeiten — er ist jedoch nicht schuld an dieser Unmöglichkeit; gem. § 275 I BGB entfiele damit seine Hauptpflicht. Weil aber auch der A G die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. würde er gem. § 323 I BGB von d e r Lohnzahlungspflicht frei. 5.2.5.2. D i e Rechtsprechung geht jedoch von a n d e r e n Ü b e r l e g u n g e n aus. D a n a c h ist es das unternehmerische Risiko des A G , daß solche Betriebsstörungen auftreten. Der A G erzielt mit Hilfe der von ihm organisierten technischen und sachlichen Betriebsmittel seinen Gewinn — handelt er ζ. B. mit den S t r o m e r z e u g e r n einen günstigen Industrietarif aus, hat e r allein den Vorteil davon. D e s h a l b soll der A G nicht nur die positive, s o n d e r n auch die negative Seite seines Risikos tragen. E r ist also f ü r seine Sphäre selbst verantwortlich und kann dies nicht auf den A N abwälzen, indem er keinen L o h n bezahlt. ( D e r G e d a n k e des Betriebsrisikos diente bereits bei gefahrgeneigter Arbeit d a z u , die H a f t u n g des A N zu b e s c h r ä n k e n - vgl. ο. II. D . 2. D o r t wie bei den jetzt b e h a n d e l t e n Betriebsstörungen geht es letztlich d a r u m , mit Hilfe des Risikogedankens eine dem AR angemessene Schadensverteilung zu erzielen.) 5.2.5.3. Allerdings gibt es eine grundsätzliche Einschränkung, die aus diesem Risikogedanken folgt: Der AG trägt das Risiko einer Betriebsstörung nur, soweit sie tatsächlich aus der von ihm beherrschten Sphäre kommt. E n t s t e h t sie dagegen aus der Sphäre der AN (die der A G nicht „in der H a n d h a t " ) , tragen diese das Risiko, verlieren also ihren L o h n a n s p r u c h (sog. Sphärentheorie 1 .) Die typische aus d e m Bereich d e r A N stam' Vgl. BAG in AP, Nr. 1 -Nr. 4, Nr. 14-Nr. 16, sowie Nr. 28 zu $ 615 BGB, BAG in NJW 19571687, in NJW 19731342 und in NJW 1976/990

Betriebsrisiko;

odei

II. Das Arbeitsverhältnis

145

mende Betriebsstörung ist der Streik. Dabei zählt zur Sphäre der A N nicht nur der Streik im eigenen Betrieb; sondern auch wenn ihr eigener Betrieb nicht bestreikt wird, aber wegen Streiks in der Abnehmer- oder Zulieferindustrie nicht gearbeitet werden kann, kommt die Störung von AN-Seite (man spricht von der Solidarität der AN). 5.2.5.4. Die unverschuldeten Betriebsstörungen sind also wie folgt geregelt: Liegt die Störung in der Sphäre des A G , haftet er dem A N wie beim Annahmeverzug (vgl. o. 5.2.4.) - der AN kann seinen Lohn fordern, obwohl er seine Arbeitspflicht nicht erfüllen muß in dieser Zeit (vgl. § 615 BGB). Entsteht die Störung dagegen aus der Sphäre der A N , verlieren sie entspr. § 323 l BGB ihren Lohnanspruch. (Bei Betriebsstörungen werden also die Folgen — je nach Sphäre — den Verzugs- bzw. den Unmöglichkeitsregeln entnommen.) Regelung unverschuldeter Betriebsstörungen

5.2.6. W u r d e festgestellt, daß A N oder A G ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zusteht, ist auch hier noch zu prüfen, ob die Haftung beschränkt ist - weil der A N eine gefahrgeneigte Arbeit ausgeführt hat oder beim A G § 636 RVO eingreift. Die Ausführungen o. 2. und 4. gelten bei Leistungsstörungen genauso wie bei den unerlaubten Handlungen. Ebenso sind bezüglich Inhalts und Umfangs der Haftung die §§ 249ff. BGB anzuwenden; auf die Darstellung o. 3. kann daher verwiesen werden. 5.2.7. Entsprechend Unmöglichkeit und Schlechterfüllung auf AN-Seite, ist auch bei den Leistungsstörungen auf AG-Seite stets zu b e d e n k e n , ob der Vertragstreue Teil den AVkündigen kann (vgl. o. 5.1.1.1.6. u n d 5 . 1 . 2 . 1 . 5 . ) . Ein Unterschied besteht jedoch insofern, als der A N f ü r eine ordentliche Kündigung nie einen G r u n d angeben muß (vgl. auch o. 3.3.) — er kann aber natürlich die Leistungsstörungen des A G zum Anlaß nehmen, um zu kündigen.

146

Z w e i t e r Teil: Das individuelle A r b e i t s r e c h t

5.2.7.1. Eine fristlose Kündigung gem. § 626 BGB ist bei Verzug (Annahme- wie Leistungsverzug) möglich, wenn dem AN unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen bis die Kündigungsfrist abgelaufen wäre (ζ. B. wenn der AG den Lohn nicht bezahlt und ankündigt, er werde dies auch in Zukunft nicht mehr tun). 5.2.7.2. Ebenso kann der A N fristlos kündigen, wenn der A G seine Nebenpflichten grob verletzt (Schlechtleistung) und dadurch dem Arbeitsverhältnis die Vertrauensgrundlage entzieht. 5.2.7.3. Bei Betriebsstörungen aus der AN-Sphäre ist keine außerordentliche Kündigung möglich, weil der A G nichts getan hat, was einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 I B G B darstellen könnte; bei solchen aus der Α G-Sphäre, die also entsprechend den Verzugsvorschriften geregelt sind, gelten die Ausführungen o. 5.2.7.1. - es wird hier jedoch besonders genau zu prüfen sein, ob dem AN nicht doch zugemutet werden kann, sich auf die ordentliche Kündigung zu beschränken. Es folgen in vereinfachter Darstellung die Leistungsstörungen auf AG-Seite

Leistungsstörung

unverschuldete Betriebsstörungen (Sphärentheorie) AG 11 AN

Schlechtleistung (bei Nebenpflichten)

Verzug

Lohnanspruch

ja

ja

ja

Arbeitspflicht

. ja

nein

nein

Schadenersatz

ja

ja

ja

ordentl. Κ

ja

ja

ja

außerordenti. K.

ja

ja

ja

0

Ο Werden Nebenpflichten vom AG schlecht erfüllt, entfällt die Arbeitspflicht AN zu arbeiten nicht zugemutet werden kann (vgl. o. 5.2.3.2.).

1 ! 1 1 ] I 1 | I I ] I I ι I

nein

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nein

ja

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6. Kapitel: Betriebsbußen Literatur: Brox, R d N r . 45; G.-S., RdNr. 564; H . - A . , G. V I I I . ; L.-L., Kap. Ε V. 3.; Schaub, §§ 59-61; Schwerdtner, Fall 13, R d N r . 155ff.; Söllner, § 21 III. 4.; § 28 IV. 1.; Zöllner, § 18 IX.

III. D i e B e e n d i g u n g d e s A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s

147

Die Pflicht, Schadensersatz zu bezahlen wegen unerlaubter Handlungen oder Vertragsverletzungen, zielt nicht nur darauf ab, dem Geschädigten Ersatz zu schaffen. Sondern zugleich sollen dadurch die Beteiligten beeinflußt werden, sich so zu verhalten, daß ein Schaden erst gar nicht entsteht — daß sie also ihren Pflichten ordnungsgemäß nachkommen. Denselben Zweck verfolgen auch die sog. Betriebsbußen'. Ihre Grundlage ist nicht das Weisungsrecht des A G (vgl. ο. II. Β. 1.2.). da mit ihm nur festgelegt wird, wie der A N seine Arbeit zu leisten und sich im Betrieb zu verhalten hat; d . h . , das Direktionsrecht füllt lediglich den Vertrag aus und wird von diesem begrenzt. Eine Disziplinargewalt des A G kann daraus nicht folgen. Betriebsbußen (Verweise, Bußgelder, Lohnabzug) können daher nur verhängt werden, wenn dies entweder im einzelnen A V vereinbart ist — in diesem Fall unterwirft sich der A N freiwillig solchen M a ß n a h m e n — oder wenn kollektive Regelungen (TV/ Betriebsvereinbarung) den A G dazu ermächtigen. Bei tarifvertraglich oder in Betriebsvereinbarungen (aufgrund § 87 I Nr. 1. B e t r V G ) vorgesehenen Bußen muß in jedem einzelnen Fall der B R (bzw. ein BR-Äusschuß gem. § 28 III B e t r V G ) mitwirken, wenn gegen einen A N disziplinarisch vorgegangen werden soll.

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1. Kapitel: Beendigungsgründe außerhalb der Kündigung Literatur: Brox, BGB SchuldR II, R d N r . 254; Lorenz, BGB SchuldR I, § 19 II. b ) , c); Lorenz, BGB SchuldR II, § 5 2 III. a); Brox, R d N r . 8 9 - 9 6 ; G.-S., R d N r . 3 2 4 - 3 4 4 ; H.-A., J I.. I V . l . u . 2.-L.-L., Kap. Ρ I. u. III.; H.-N., § 26 I.; Richardi, Fall 6 \.\Schaub, §§ 121; 122; Schwerdiner, Fall 19, R d N r . 220; Söllner, § 34 I. u. II.; Zöllner, § 21; Z.-M. II, Stud. Ε . 9, Teil III (S. 5 6 f f . ) .

Immer wieder wurden in den bisherigen Ausführungen Fälle erwähnt, die das Arbeitsverhältnis beenden - ζ. B. die Anfechtung gem. §§ 119/123 B G B (ο. II. A . 5. ff.) - oder die den Vertragsparteien ermöglichen zu kündigen, etwa bei Vertragsverletzungen (ο. II. D . 5.1.1.1.6.). Nun folgend werden diese G r ü n d e , sowie die a n d e r e n , die das Arbeitsverhältnis beenden, dargestellt, wobei die ordentliche Kündigung (oK vgl. u. 2.) und die außerordentliche Kündigung (aoK - vgl. u. 3.) den Schwerpunkt bilden. 1.1. Der Tod einer Vertragspartei beendet das Arbeitsverhältnis nicht in jedem Fall. 1.1.1. Stirbt der A G , so geht sein Betrieb - und damit auch alle Arbeitsverhältnisse auf den oder die Erben über (§ 1922 B G B ) . Damit wird auf seiner Vertragsseite ein Personenwechsel durchgeführt — der Erbe als neuer A G ist nunmehr (nicht wegen vertraglicher Vereinbarung, sondern kraft Gesetzes) Schuldner der Lohnzahlung und aller Nebenpflichten, sowie Gläubiger bezüglich der Arbeitsleistung und der Neben-

1

Vgl. BAG in AP, Nr. I zu § 87 BetrVG

1972,

Betriebsbuße

148

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

pflichten des A N . (Ausnahmsweise endet der A V beim T o d des A G , wenn das Arbeitsverhältnis durch seine ganz spezielle Persönlichkeit geprägt wurde, wie etwa beim Schriftsteller, der einen Privatsekretär beschäftigt.) 1.1.1.1. Einen inhaltlich ähnlich geregelten Fall stellt die Betriebsübernahme dar: Wird ein Betrieb verkauft, tritt der Käufer kraft Gesetzes als neuer A G in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein, vgl. § 613a BGB (hierauf wurde bereits ο. II. B. 1.1.1. hingewiesen); die Arbeitsverhältnisse sind also nicht beendet. 1.1.2. Dagegen ist die Rechtsstellung des A N nicht vererblich - mit seinem Tod erlischt das Arbeitsverhältnis immer. Diese unterschiedliche Regelung kann mit folgendem G e d a n k e n erklärt werden: Der A N , der gem. § 613 BGB normalerweise.seine Arbeitsleistung persönlich zu erbringen hat, wird vom A G eingestellt, weil er eine ganz bestimmte berufliche Qualifikation, Erfahrung usw. hat — d . h . , wie er seine Pflicht erfüllt, wird entscheidend geprägt durch seine eigene Person. Dagegen ist die Hauptpflicht des A G nicht individuell „gefärbt": Lohn zu zahlen ist in diesem Sinn keine „individuelle" Leistung, sie kann von beliebigen Personen ausgeführt werden. Deshalb ist die Position des A G vererblich (und beim Betriebsübergang übertragbar). Der A N wird sich in den meisten Fällen auch seinen A G nicht danach aussuchen, welche bestimmte Person den Lohn bezahlt, sondern wieviel sie bezahlt. 1.2. D a s Arbeitsverhältnis kann auch durch einen Aufhebungsvertrag beendet werden {Vertragsfreiheit! vgl. ο. I. Einl. 1.2. u. 1.2.2.)'. Hierfür sind, genau wie beim Abschluß des A V (vgl. ο. II. A. 1.1. —1.5.), zwei WE notwendig, die d e m jeweiligen Vertragspartner zugehen und inhaltlich übereinstimmen müssen. Vertragsinhalt ist jetzt jedoch, daß der AV aufgelöst werden soll - meistens zu einem bestimmten Zeitpunkt; zum Teil auch mit der weiteren Vereinbarung, d a ß der A G dem A N ein oder mehrere Gehälter bezahlt. (Ζ. B.: Die vorzeitige „Ablösung" eines Bundesligatrainers stellt häufig einen solchen Vertrag dar.) Für den A N ist aber der Aufhebungsvertrag nicht ungefährlich, da er auf sämtliche Vorschriften verzichtet, die ihn sonst gegen eine ungerechtfertigte Kündigung schützen (vgl. u. 2.5.3.ff.). 1.3. Auf die Anfechtung gem. §§ 119/123 B G B als Beendigungsgrund wurde bereits hingewiesen (ο. II.A.5.ff.). 2 Glaubt z.B. der A G , der von ihm eingestellte Personalchef sei ausgebildeter Betriebswirt und entdeckt er, daß er sich geirrt hat, kann er anfechten gem. §§ 11911/121 B G B . Verschweigt aber z.B. eine Schwangere trotz entsprechender Fragen, d a ß sie schwanger ist, oder antwortet sie wahrheitswidrig, so ist der A V entgegen der f r ü h e r e n Β AG-Rechtsprechung gültig. 3 Wurde der A V vor der Anfechtung noch nicht vollzogen, d. h. die Arbeit noch nicht a u f g e n o m m e n , entstehen keine Probleme. Andernfalls liegt sin faktisches Arbeitsverhältnis vor, dessen Regelung bereits ο. II. A . 6.ff. erklärt wurde. 1.4. Ein Arbeitsverhältnis kann auch befristet abgeschlossen werden - es endet ohne weitere Erklärung nach Ablauf einer vorher bestimmten Frist, vgl. § 620 I B G B . Typische Beispiele sind alle Saisonarbeiten (wie Erntehilfe; Hauswirtschaftshilfe, 1 2 3

Vgl. BAG in NJW198111286 Vgl. BA G in NJW 1980/1302 EuGHRsC-177/88 in ZfW 1991/117

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

149

Kellner oder Skilehrer während der Winterzeit in einem Skigebiet) aber auch der befristete Lehrauftrag. 1.4.1. Zwar sind diese befristeten AV im R a h m e n der Vertragsfreiheit grundsätzlich zulässig. Aber durch die automatische Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse wird der AN weithin schutzlos gestellt: ζ. B. greift das Kündigungsschutzgesetz nicht ein, der BR hat keine Mitwirkungsrechte, der Mutterschutz kann unterlaufen werden usw. Den A G kann der befristete A V verlocken, bewußt diese Schutzgesetze zu umgehen, indem er mehrfach hintereinander jeweils nur einen befristeten Vertrag abschließt - einen sog. Kettenarbeitsvertrag. 1.4.2. Die Rechtsprechung läßt deshalb den befristeten A V nur zu, wenn entweder die Befristung ausdrücklich vom A N gewünscht wird; oder wenn in der Art der Arbeit selbst ein sachlicher Grund liegt, der einen solchen Endzeitpunkt rechtfertigt,4 Dies ist z.B. bei den o. 1.4. genannten typischen Saisonarbeiten der Fall; ebenso ist zulässig, ein Probearbeitsverhältnis zu vereinbaren, bei dem erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit ein endgültiger A V geschlossen werden soll; denn beim befristeten AV weiß der A N von Anfang an, daß und wann der A V enden wird, er kann sich also rechtzeitig nach einer anderen Arbeit umschauen - im Gegensatz zu einer auflösenden Bedingung (oder bedingten Kündigung, vgl. u. 2.1.1.), bei der der A N nicht weiß, ob und wann sie eintritt. 5 Jedoch ist beim befristeten Vertrag der Schutz des AN geringer als beim unbefristeten. Deshalb muß als Ausgleich sowohl f ü r die Befristung als auch für die, spezielle Dauer der Befristung je ein sachlicher Grund vorliegen, der beides rechtfertigt. Werden mehrere befristete A V hintereinander geschaltet, so müssen solche sachlichen Rechtfertigungsgründe für jede, vereinbarte D a u e r vorliegen - sonst ist es ein Kettenarbeitsverhältnis (vgl. ο. 1.4.1.). 6 Prüft man, ob die angegebenen G r ü n d e wirklich sachlich, d.h. in der Sache selbst begründet sind, ist auf allgemeine Merkmale abzustellen: z.B. ob die Befristung üblich ist; ob diese Üblichkeit auch berechtigt ist u.ä. Falls die U m s t ä n d e , die über die Sachlichkeit entscheiden werden, erst in der Z u k u n f t vorliegen, ist eine Prognose nötig; ihr müssen aber konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen, nicht bloße Spekulationen. 7 Liegt ein Kettenarbeitsverhältnis vor, so wird dieses so behandelt, als sei ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag zustandegekommen. Durch diese Einschränkung soll eine willkürliche H a n d h a b u n g durch den A G verhindert werden - er soll bei der Vertragsfreiheit seine wirtschaftliche Ü b e r m a c h t nicht mißbrauchen können, um mittels befristeter A V ihm unangenehme AN-Schutzrechte zu umgehen. (Letztlich also auch hier wieder die Vorstellung, daß in die Vertragsfreiheit bei fehlender Chancengleichheit korrigierend eingegriffen werden m u ß vgl. o. Erster Teil, I. Einl. 4.1.3./4.1.4.). 1.4.3. Ist ein befristeter AV zulässig abgeschlossen, endet er bei Fristablauf automatisch. Es sind keinerlei Erklärungen oder Vereinbarungen mehr nötig, die ihn b e e n d e n - es gelten keine Schutzvorschriften, keine Fristen·, es sind keine besonderen Gründe erforderlich. Während der befristete A V besteht, ist ordentlich zu kündigen üblicherwei-

4 5 6 1

Vgl. BAG in NJW19611798, in NJW198011766 sowie in AP, Nr. 16zu§620BGB, ter A rbeitsvertrag BAG in NJW 19821788 ΒAG in NJW 198211172 und 198211173 BAG in NJW 198211475 und 1984/993

Befriste-

150

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht Der befristete Arbeitsvertrag

—Wunsch des AN

Zulässigkeitsvoraussetzungen

- s a c h l i c h e r Grund - automatische Beendigung bei Fristablauf

Folgen

—nur außerord. K. möglich —kein Kündigungsschutz

se ausgeschlossen 8 - der Grund, der den Vertrag beendet, ist in Form der Frist von Anfang an festgelegt. Dagegen ist eine ao Κ immer möglich, wenn die Voraussetzungen des § 626 BGB vorliegen, d.h., wenn ein so gewichtiger Grund vorliegt, daß der anderen Vertragspartei nicht zumutbar ist, den Vertrag bis zum Fristablauf fortzusetzen. (Beispiel: Der für eine Saison eingestellte Kellner unterschlägt einen Teil der von ihm kassierten Gelder.)

Zusammenfassend bestehen also folgende Beendigungsgründe für den Arbeitsvertrag

Tod des AN Aufhebungsvertrag Anfechtung Zeitablauf ordentl. Κ außerord. K.

8

Vgl. BAG in NJW19811246

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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2. Kapitel: Die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber Literatur: B.-S.; Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 251; 252; Lorenz, BGB SchuldR II, § 52 III. b), c); Brox, RdNr. 97-108; G.-S., RdNr. 345-368; 382-403; 406-413; H. A., J. I., II., IV. 1. u. 5. ; L.-L., Kap. Ρ II. 1. u. 2. Kap. Q ; H . - N . , §§ 27; 28; 30; Richardi, Fall 7; Schaub, §§ 123; 124; 126-137; 142-145; Schwerdtner, Fall 15, RdNr. 180ff.; Fall 17, RdNr. 205ff.; Söllner, § 35 I. u. II.; §§36, 37; Zöllner, § 22 I. u. II.; § 23 I. —III., V.; §§ 24; 25; Z.-M. II, Stud. Ε. 9, Teil IV (S. 59ff.); Stud. Ε. 10, Tei I, II, IV, V (S. 87ff.). Der wichtigste Beendigungsgrund für das Arbeitsverhältnis ist die oK. G e r a d e in diesem Teilgebiet zeigt sich wieder, daß das A R weitgehend AN-Schutzrecht ist. D e n n die Kündigung durch den A N ist überwiegend problemlos — er braucht keine Gründe anzugeben und muß lediglich die gesetzlichen - oder tarif- bzw. einzelvertraglich vereinbarten — Fristen wahren. Meinungsverschiedenheiten tauchen meistens nur wegen Ausgleichsquittungen (vgl. ο. II. B. 4.3.) oder Rückzahlungsklauseln auf (vgl. o. II. B. 4.1.) - diese berühren jedoch nicht die Kündigung selbst. Dagegen wird der A N gegen eine willkürliche Kündigung des A G vielfach geschützt. Es genügt deshalb hier, im einzelnen nur die oK durch den A G darzustellen. 2.1. Erste Voraussetzung der Kündigung ist, daß eine ordnungsgemäße Kündigungserklärung vorliegt. Die Kündigung ist eine einseitige WE, wie sie ο. II. A . 1.1. ff. erläutert wurde: Eine Äußerung des A G (Kündigungserklärung), die darauf gerichtet ist, eine rechtliche Änderung (Beendigung des A V ) herbeizuführen. Diese W E muß dem AN zugehen (entspr. ο. II. A . 1.2. ff.), um wirksam zu werden, d. h. so in seinen Machtbereich gelangen, daß der A N sie bei gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann.' Für die Kündigung durch den A G während des Urlaubs des A N war lange ungeklärt, wann dem A N die Kündigung zugegangen ist (siehe auch ο. II.A.1.2.ff.). Dies ist aber bedeutsam z.B. für die Fragen, wann die Kündigungsfrist abläuft und ob die Kündigungsschutzklage rechtzeitig eingereicht wurde, da hierfür gem. § 4 KSchG nur drei Wochen ab Zugang der Kündigung zur Verfügung stehen. Das BAG hat entschieden, die Kündigung gehe dem A N , falls dieser verreist ist, erst nach seiner Rückkehr zu. 2 Da die Kündigung jedoch eine einseitige Erklärung ist, besteht außer dem Zugang keine weitere Voraussetzung, damit sie wirksam wird. Insbesondere m u ß die Kündigung nicht „angenommen" werden! (Zweiseitig im Sinne von Angebot und A n n a h m e ist nur der Aufhebungsvertrag, vgl. ο. 1.2.). Wie grundsätzlich alle W E , ist auch die Kündigungformfrei3 (zur Formfreiheitvgl. ο. I. Einl. 1.2.3.) - s i e kann also z.B. mündlich ebensogut wie schriftlich erfolgen. Es ist Sache des A G , in welcher Form er d e m A N kündigt. Wegen eventueller Beweisschwierigkeiten und um sicher zu sein, daß der A N sie auch wirklich b e k o m m t , ist jedoch schriftliche Kündigung üblich. (Notwendig ist die Schriftform, wenn sie einzel- oder tarifvertraglich vereinbart wurde.)

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Vgl. BAGinAP, Nr.lundNr. 7zu§130BGB, sowie BAG in NJW1981/1470 BAG in NJW 1981/1470 Ausnahme: schriftliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses, § 15 III BBiG

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Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

In einer weiteren E n t s c h e i d u n g hat das BAG b e t o n t , daß eine Kündigung nicht m e h r einseitig „ z u r ü c k g e n o m m e n " werden k a n n , w e n n sie d e m E m p f ä n g e r bereits zugegangen ist, d e n n ab diesem Augenblick wird die Willenserklärung wirksam. Die zweite, nachträgliche E r k l ä r u n g des A G , er n e h m e die Kündigung zurück, kann d a h e r n u r ein neues Vertragsangebot an den A N darstellen, mit dem b e s o n d e r e n Inhalt, d a ß mit d e m n e u e n V e r t r a g alle W i r k u n g e n der Kündigung beseitigt sein sollen (also z.B. keine U n t e r b r e c h u n g der Betriebszugehörigkeit i.S.d. § 1 K S c h G ) . O b ein neuer V e r t r a g mit diesem Inhalt entsteht, hängt nun allein davon ab, o b der A N dieses V e r t r a g s a n g e b o t nach d e n allgemeinen Regeln des Vertragsrechts (Vgl. ο. II. A . ) annimmt* 2.1.1. Grundsätzlich unzulässig ist, die Kündigung von einer Bedingung abhängig zu m a c h e n (bedingte Kündigung); ζ. B. zu kündigen f ü r den Fall, d a ß sich die Auftragslage nicht bessert u. ä. D e n n gerade weil die K ü n d i g u n g nicht „ a n g e n o m m e n " w e r d e n kann, s o n d e r n nur einseitig erklärt wird, m u ß d e r A N wissen, „woran er ist": ob ersieh eine n e u e Arbeitsstelle suchen, ob er Kündigungsschutzklage e r h e b e n soll usw. A u s diesem G e d a n k e n folgt aber auch schon die Ausnahme, bei der eine B e d i n g u n g doch zulässig ist: nämlich wenn es nur vom Willen des AN abhängt, ob sie eintritt o d e r nicht. D e n n in diesen Fällen weiß er, was geschehen wird. (Steht ζ. B. die Kündigung unter d e r Bedingung, d a ß der A N weiterhin gegen das W e t t b e w e r b s v e r b o t verstößt, so liegt es allein an i h m , o b er diese Tätigkeit einstellt — womit die Kündigung hinfällig wird; o d e r o b er seinen A V auch in Z u k u n f t verletzt, mit der Folge, daß die Kündigung wirksam ist.) 2.1.2. D e r A V k a n n auch nicht „teilweise" gekündigt w e r d e n . 5 (Es sei d e n n , der A G hat sich dies im V e r t r a g vorbehalten - d a n n macht er lediglich von einem gemeinsam vereinbarten Recht G e b r a u c h . ) Da der V e r t r a g zustande k o m m t , weil beide Vertragsparteien einverstanden sind, ist es unzulässig, diesen Inhalt einseitig a b z u ä n d e r n — sonst w ü r d e der Wille d e r anderen Seite verfälscht, die den Vertrag mit diesem v e r ä n d e r t e n Inhalt vielleicht nie abgeschlossen hätte. 2.1.3. D i e Kündigung des A G ist wirksam, auch wenn er dem A N nicht gleichzeitig die Nebend a h i n t e r s t e h e n d e n Gründe mitteilt/' J e d o c h m u ß e r sie ihm (vertragliche pflicht!) auf Frage a n g e b e n . Unterläßt er dies, kann f ü r den A G eine Schadensersatzpflicht e n t s t e h e n (z.B. wenn d e r A N mit einer Kündigungsschutzklage kostenpflichtig abgewiesen wird, die er nicht erhoben h ä t t e , w ä r e ihm die B e g r ü n d u n g b e k a n n t gewesen.) In den Fällen des § 1 III KSchG und § 626 II, 3 BGB verpflichtet schon das G e s e t z selbst d e n A G , die Kündigung zu begründen, wenn d e r A N dies verlangt. A u c h im einzelnen A V oder TV kann die Begründung als notwendig vereinbart werden - wird hiergegen v e r s t o ß e n , ist die Kündigung unwirksam. 2.2. W e n n die Kündigungserfc/ä/wtg selbst keine Mängel aufweist, kann doch die Kündigung unzulässig sein — wenn sie wegen gesetzlicher Bestimmungen nicht ausgesprochen werden darf. Grundgedanke solcher Vorschriften ist stets, A N in einer besonderen Situation verstärkt zu schützen.

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BAG inNJW 1983/1628 Vgl. BAG in AP, Nr. 25 zu §123 GewO Vgl. BAG in AP, Nr. 50 und Nr. 55 zu § 1 KSchG 1951

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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2.2.1. Bereits o. 1.4.3. wurde e r w ä h n t , d a ß bei befristeten A Y (§ 620 I B G B ) n u r eine aoK möglich ist (wenn nicht im einzelnen V e r t r a g die o K ausdrücklich zugelassen wird). Sinn dieser Regelung ist, d a ß zum einen w ä h r e n d der meist relativ kurzen Zeit des A V eine oK nicht nötig ist; dem A G kann meistens zugemutet w e r d e n , den vereinbarten Endtermin abzuwarten. Z u m a n d e r e n soll dem A N wenigstens f ü r diese Zeit eine sichere Position eingeräumt w e r d e n - durch die Befristung ist er sowieso relativ ungeschützt (vgl. ο. 1.4.1.). 2.2.2. W e i ß der A G , daß eine A N schwanger ist, darf er ihr gem. §§ 9 I M u S c h G während der Schwangerschaft und bis einschließlich 4 Monate n a c h d e m sie e n t b u n d e n h a t , nicht kündigen; ebensowenig während des Mutterschaftsurlaubs einschließlich d e r 2 folgenden Monate. (Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber wieder gem. Art. 6IV GG die b e s o n d e r e Situation der Frau im Arbeitsleben berücksichtigt. 7 ) Nur ausnahmsweise ist gem. § 9 III M u S c h u G die K ü n d i g u n g zulässig, wenn die zuständige Behörde wegen d e r Besonderheit des Falles vorher zugestimmt hat. 2.2.3. A u c h das Ausbildungsverhältnis kann - nach abgelaufener Probezeit - vom A G n i c h t m e h r durch die o K b e e n d e t w e r d e n , vgl. § 15 I I B B i G . Hierdurch soll f ü r den Auszubildenden sichergestellt w e r d e n , d a ß er seine Ausbildung ungestört und o h n e unnötigen Firmenwechsel beenden k a n n . A u ß e r d e m wird damit berücksichtigt, d a ß er - meist schon wegen seines Alters - noch viel weniger als andere A N chancengleich dem A G gegenübersteht. 2.2.4. W u r d e ein Wehrpflichtiger e i n b e r u f e n , so ist eine oK unzulässig g e m . § 2 I A r b P l S c h G - und zwar ab dem Z e i t p u n k t , an d e m er den Einberufungsbescheid b e k o m m e n und bis er den Grundwehrdienst beendet hat. (Kündigt der A G t r o t z d e m in dieser Z e i t , verlängert sich die Frist zur E r h e b u n g der Kündigungsschutzklage — vgl. § 2 IV A r b P l S c h G . ) 2.2.5. B e s o n d e r s gefährdet in ihrer arbeitsvertraglichen Position sind auch alle A N , die ein A m t aufgrund des Betriebsverfassungsgesetzes e i n n e h m e n : Betriebsräte und Jugendvertreter. N e h m e n sie die Interessen der A N nach der Meinung des A G zu kompromißlos wahr, k ö n n t e er versucht sein, sich dieser „unliebsamen P a r t n e r " zu entledigen. Diese Möglichkeit u n t e r b i n d e t § 151/II KSchG: Betriebsratsmitglieder und Jugendvertreter ordentlich zu kündigen ist w ä h r e n d ihrer Amtszeit, sowie noch ein Jahr danach, unzulässig. Für Mitglieder des B R gilt dieser besondere Kündigungsschutz des § 15 I K S c h G , um dem A N zu ermöglichen, o h n e Furcht vor eventuellen Repressalien des A G die ihm ü b e r t r a g e n e n Arbeiten zu erledigen. A u ß e r d e m wird die Stetigkeit der Amtsführung gewährleistet, wenn die Z u s a m m e n s e t z u n g des B R w ä h r e n d der v i e r j ä h rigen W a h l p e r i o d e unverändert bleibt. 8 Sechs Monate gegen eine oK geschützt sind ferner die Mitglieder des Wahlvorstands sowie alle Wahlbewerber, § 15 III KSchG. E s bleibt gegen all diese Personen nur die aoK übrig - sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Damit soll der A G gehindert w e r d e n , den Willen, f ü r Arbeitskollegen einzutreten, bereits „im Keim zu ersticken".

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Vgl. etwa BA G in AP, Nr. 5 zu §9 MuSchG BAG in NJW1981/252

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Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

2.3. Liegt e i n e f e h l e r f r e i e Kündigungserklärung vor u n d ist die K ü n d i g u n g a u s z u s p r e c h e n nicht gesetzlich untersagt (o. 2.1. u n d 2 . 2 . ) , m u ß w e i t e r h i n festgestellt w e r d e n , o b sie n u r mit behördlicher Zustimmung e r f o l g e n d a r f . Fehlt in diesen Fällen die Z u s t i m m u n g , ist die K ü n d i g u n g unwirksam. 2.3.1. D i e e i n e G r u p p e d e r d a d u r c h b e s o n d e r s g e s c h ü t z t e n P e r s o n e n w u r d e ο. I. E i n l . 2.1. e r w ä h n t : D e r A G m u ß g e m . § 4 SchbG grundsätzlich eine b e s t i m m t e / A n z a h l Schwerbehinderter b e s c h ä f t i g e n - seine Abschlußfreiheit (als Teil d e r Vertragsfreiheit) ist insoweit eingeschränkt. E r g ä n z t wird d i e s e r S c h w e r b e h i n d e r t e n s c h u t z d a d u r c h , d a ß d e r A G g e m . § 15 SchbG, b e v o r er k ü n d i g t , d i e Zustimmung der Hauptfürsorgestelle e i n h o l e n m u ß 9 . D e r A G m u ß die H a u p t f ü r s o r g e s t e l l e n u r d a n n nicht anhören, wenn die K ü n d i g u n g d e r Schwerbehinderten A N i n n e r h a l b einer m a x i m a l 6 - m o n a t i g e n Probezeit e r f o l g t . A b e r a u c h in diesem Fall gilt z u m Schutz des B e t r o f f e n e n die Mindestkündigungsfrist v o n 4 W o c h e n g e m . § 15 S c h w b G ; zusätzlich sind v o m A G die f ü r alle V e r t r ä g e g e l t e n d e n B e s t i m m u n g e n g e m . § 622 I, II B G B o d e r eventuell g e l t e n d e tarifvertragliche Termine einzuhalten.10 Ist die Z u s t i m m u n g d e r H a u p t f ü r s o r g e s t e l l e e r f o r d e r l i c h , so ist sie sowohl d e m A N als auch d e m A G zuzustellen. Wirksam w i r d d i e s e Z u s t i m m u n g s c h o n , w e n n sie e i n e m von b e i d e n z u g e g a n g e n ist. F ü r die Frist d e r Kündigungsschutzklage (s.u. 2 . 5 . 2 . ) d e s A N z ä h l t a b e r g e m ä ß d e m W o r t l a u t des § 4 K S c h G allein d e r Z u g a n g b e i m Gekündigten.11 2 . 3 . 2 . E i n e ä h n l i c h e R e g e l u n g besteht bei Massenentlassungen: G e m . § 17 K S c h G m u ß d e r A G die g e p l a n t e M a s s e n e n t l a s s u n g v o r h e r d e m Arbeitsamt anzeigen - sonst sind d i e e n t s p r e c h e n d e n K ü n d i g u n g e n unwirksam. 2.4. S i n d g e g e b e n e n f a l l s e r f o r d e r l i c h e behördliche Z u s t i m m u n g e n erteilt, ist zu b e r ü c k s i c h t i g e n , d a ß auch d e r B R bei der K ü n d i g u n g Mitwirkungsrechte h a t . G e m . § 102 I, 2 B e t r V G m u ß d e r A G d e m B R , bevor e r die K ü n d i g u n g ausspricht 1 2 , die Kündigungsgründe mitteilen - d e r B R kann innerhalb einer Woche dazu Stellung n e h m e n (§ 102 I I , 1 B e t r V G ) . U n t e r b l e i b t die A n h ö r u n g , ist die K ü n d i g u n g unwirksam, § 102 I, 3 B e t r V G . Ä u ß e r t sich d a g e g e n d e r B R t r o t z rechtzeitiger M i t t e i l u n g nicht i n n e r h a l b hat - § 102 II, 2 B e t r V G . Sinn dieser W o c h e , unterstellt das G e s t e z , d a ß e r zugestimmt und Zweck d e r in § 102 B e t r V G geregelten Anhörung des B R bei j e d e r K ü n d i g u n g ist, d e m B R G e l e g e n h e i t zu g e b e n , seine Ü b e r l e g u n g e n zu d e r b e a b s i c h t i g t e n K ü n d i g u n g d e m A G d a r z u l e g e n . D e r A G soll bei s e i n e r E n t s c h e i d u n g e v e n t u e l l e B e d e n k e n d e s Β R b e r ü c k s i c h t i g e n k ö n n e n , ζ. Β zur F r a g e , o b ein R e c h t z u r K ü n d i g u n g tatsächlich genutzt w e r d e n soll, o d e r o b im k o n k r e t e n Fall nicht aus sozialer Rücksicht e i n e g e r i n g e re M a ß n a h m e g e n ü g t . D a r a u s folgt z u m e i n e n , d a ß d e r A G d e m B R alle j e n e G r ü n d e f ü r e i n e K ü n d i g u n g mitteilen m u ß , die f ü r d e n A G selbst von maßgeblicher Bedeutung sind, d a m i t d e r B R zu i h n e n Stellung n e h m e n k a n n . N a c h d e r E i n l e i t u n g d e s A n h ö r u n g s v e r f a h r e n s darf d e r A G also k e i n e n e u e n G r ü n d e nachschieben, s o n d e r n allenfalls d i e b e r e i t s m i t g e t e i l t e n n ä h e r d a r l e g e n . 1 3 Z u m a n d e r e n m ü s s e n diese K ü n d i g u n g s -

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Vgl. BAGinNJW 1981/1332 BAG in ΝJW198112772 und 198112831 BAG inNJW 198212630 Vgl. ζ. B. BAG in AP, Nr. 2 zu § 102 BetrVG Β AG inNJW 198112316

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III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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gründe auch tatsächlich bereits vorliegen zu dem Zeitpunkt, in d e m der A G die Anhörung einleitet. Denn der B R kann den betroffenen A N nicht gem. § 102 II S. 4 B e t r V G a u f f o r d e r n , Stellung zu n e h m e n zu einer Pflichtverletzung, die der A N noch gar nicht begangen, sondern vielleicht nur angedroht hat {z.B. dem Arbeitsplatz in Z u k u n f t fernzubleiben). 1 4 2.4.1. Der B R kann der Kündigung widersprechen, wenn die in § 102 III B e t r V G aufgezählten Gründe vorliegen (also wenn 2. B. der A G bei sonst gleicher Situation einem Familienvater statt einem Junggesellen gekündigt hat - § 102 III Nr. 1. B e t r V G ) . 1 5 Dieser Widerspruch macht allerdings die Kündigung als solche nicht unwirksam (!) - er bewirkt jedoch, daß dem betroffenen A N umfangreicherer Kündigungsschutz eingeräumt wird, als er bei Zustimmung des B R hätte (vgl. § 102 V B e t r V G und § 1 II, 2 und 3 K S c h G - h i e r z u u. 2.5.4.ff.). 2.5. Liegen die Voraussetzungen o. 2.1. bis 2.4. vor, ist anhand des Kündigungsschutzgesetzes festzustellen, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. (Das Kündigungsschutzgesetz ist das Kernstück des AN-Schutzes, wenn es um Entlassungen geht. Hier zeigt sich am deutlichsten, wie weitreichend der Gesetzgeber zugunsten der A N in den „freien" Arbeitsmarkt eingreift — wie die (Chancen-)Gleichheit die Freiheit begrenzt.) 2.5.1. G e m ä ß §§ 1 1/23 KSchG ist dieses Gesetz nur anwendbar, wenn in dem betreffenden Betrieb mehr als fünf A N (Auszubildende werden nicht mitgerechnet) beschäftigt sind - betriebliche Voraussetzung - und der gekündigte AN ununterbrochen länger als sechs Monate in dieser Firma gearbeitet hat - persönliche Voraussetzung. ( D a ß Kleinbetriebe vom Kündigungsschutzgesetz ausgenommen w e r d e n , ist teilweise damit zu begründen, daß vom A G eines solchen Betriebs die finanzielle Belastung schwerer zu tragen ist — teilweise aber auch damit, d a ß hier aufgrund der viel engeren persönlichen Bindung zwischen A G und A N eine sozial nicht gerechtfertigte Kündigung als unwahrscheinlicher gilt.) 2.5.2. D e r gekündigte A N muß, wenn das Kündigungsschutzgesetz anzuwenden ist, innerhalb von drei Wochen, nachdem er die Kündigung erhalten hat, Klage einreichen beim Arbeitsgericht — die Kündigungsschutzklage — § 4 KSchG. Versäumt er diese Frist, ohne d a ß eine Ausnahme gem. § 5 KSchG vorliegt (unverschuldete Versäumnis), ist es unnötig, weitere Überlegungen über die soziale Rechtfertigung anzustellen, da der A N nun nicht mehr geltend machen kann, daß sie fehlt, § 7 KSchG. In der Klage muß er ausführen, daß die Kündigung nicht zulässig sei; sinnvoll ist es, zugleich zu beantragen, daß der A G den Lohn weiterbezahlen m u ß (vgl. hierzu u. Dritter Teil, II. Β. 1.1.1.).

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BAG in NJW1983/2047 Bedenken, die nicht unter § 102 III BetrVG fallen, kann der BR im Rahme der „vertrauensvollen Zusammenarbeit", § 2 I BetrVG (vgl. Erster Teil, II. D. 5.1.) dem A G vortragen - jedoch ohne die Folgen eines förmlichen Widerspruchs damit zu erreichen.

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Z w e i t e r T e i l : Das individuelle Arbeitsrecht

Damit ergibt sich folgende Übersicht:

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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2.5.3. Ist die Klage rechtzeitig erhoben, kann sie nur Erfolg haben, wenn die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist. 16 Der Gesetzgeber schränkt die Vertragsfreiheit (die auch die Freiheit umfaßt, einen Vertrag durch Kündigung zu beenden) für den A G soweit ein, daß seine Kündigung grundsätzlich unzulässigst, wenn nicht ganz bestimmte, im Kündigungsschutzgesetz aufgeführte Gründe vorliegen, die sie, (sozusagen „ausnahmsweise") wirksam sein lassen. G e m . § 1 II, 1 KSchG kann der A G nur kündigen, wenn entweder in der Person oder im Verhalten des AN G r ü n d e vorliegen, „die einer Weiterbeschäftigung des AN in diesem Betrieb entgegenstehen" - man spricht von personenbezogenen und verhaltensbezogenen Kündigungsgründen. Sozial gerechtfertig kann die Entlassung auch sein, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen sog. betriebsbezogene Kündigungsgründe. D e r B R kann eine Kündigung eventuell verhindern, wenn er gem. § 1 II S. 2 Nr. 1 b KSchG darauf hinweist, daß für den betroffenen A N ein anderer geeigneter Arbeitsplatz im Betrieb in Betracht kommt. Diese Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit gilt also nicht nur bei einer Kündigung aus dringenden betrieblichen G r ü n d e n , sondern auch bei der verhaltensbezogenen sowie der personenbezogenen Kündigung. 1 7 2.5.3.1. Personenbezogen ist eine Kündigung z.B., wenn der A N entlassen wird, weil er erkrankt. (Entgegen einem verbreiteten Irrtum darf der A G auch wegen Krankheit des A N kündigen! 1 8 Etwa: wenn die Verkäuferin einer Metzgerei an krankheitsbedingtem Haarausfall leidet; der angestellte Friseur gegen H a a r e allergisch ist; der Lizenzfußballspieler sich eine Rückgratverletzung zuzieht, die ihn für unabsehbare Zeit spielunfähig macht; der Masseur bei einem Unfall eine H a n d verliert ... usw.) Oder weil er wegen seines Alters der Produktionsgeschwindigkeit nicht mehr gewachsen ist. Sofern eine personenbezogene Kündigung wegen Krankheit erfolgt, m u ß hier u.a. gefordert werden, daß die E r k r a n k u n g des A N sich häufig wiederholt oder langanhaltend ist; d a ß die durch die Krankheit des A N entstehenden Fehlzeiten den Betriebsablauf nachhaltig stören; daß die Prognose bezüglich der Krankheit ungünstig ist, 19 d.h. daß objektiv nicht absehbar ist, wann die Gesundheit des A N wieder hergestellt sein wird und es deshalb dem A G nicht zugemutet werden kann, die betrieblichen Auswirkungen zu tragen. Jedoch wird vom A G durchaus erwartet, zunächst Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, z.B. eine Ersatzkraft einzustellen, Überstunden anzuordnen o . a . , bevor er als letztes Mittel („ultima ratio") zur Kündigung greift. O b schließlich der Betriebsablauf über das M a ß des dem A G Z u m u t b a r e n gestört wird, darf nicht an verallgemeinernden Regelungen gemessen werden. Insbesondere die in der betrieblichen Praxis mitunter angewandten Punktetabellen werden vom BAG nicht anerkannt. Statt dessen sind in jedem einzelnen Fall das Für und Wider, die Betriebsbeeinträchtigung und der Schicksalsschlag für den A N (erst zu erkranken und dann auch noch den Arbeitsplatz zu verlieren) gegeneinander abzuwägen. 211

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Vgl. zum Prinzip der Interessenabwägung bei der „sozialen Rechtfertigung" BAG in AP, Nr. 5 und Nr. 6 zu§ 1 KSchG BAG in ΝJW19831700 Allerdings muß die Kündigung das letzte vom A G eingesetzte Mittel sein - dies fordert der Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit" - vgl. etwa BAG in NJW1968/1693 oder BAG in ΝJW 19811298 LAG Hamm in NJW 19821713 BAG in NJW in 198312897

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Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

2.5.3.2. Verhaltensbezogene Kündigungen erfolgen meistens, weil der A N Vertragspflichten verletzt - ζ. B. die Fälle der Schlechtleistung, wenn ein A N überdurchschnittlich viel Ausschuß produziert oder Maschinen ständig beschädigt; aber auch, wenn er häufig zu spät zur Arbeit erscheint, Pausen überzieht oder „blau macht". In all diesen Fällen müssen jedoch, wie bei den personenbezogenen Kündigungen, die Gründe gewichtig sein; geringfügige Anlässe genügen nicht. A u ß e r d e m müssen andere Mittel, den Mißstand zu beseitigen, fehlen oder vergeblich eingesetzt worden sein (z.B. A b m a h n u n g , vgl. u. 2.8.). 2.5.3.3. Betriebsbezogen ist ein Entlassungsgrund heute insbesondere, wenn der Arbeitsplatz des betroffenen A N „wegrationalisiert" wird und im Betrieb für ihn keine angemessene andere Beschäftigung zu finden ist. Ebenso, wenn ein U n t e r n e h m e n „sich gesund geschrumpft", um sich einer abgeflauten K o n j u n k t u r anzupassen. Allerdings ist eine betriebsbezogene Kündigung gemäß BAG nur dann sozial gerechtfertigt, wenn es dem A G unmöglich ist, die betriebliche Lage anders als durch eine Kündigung zu meistern. Nur wenn etwa bei Umsatzrückgang, Gewinnverfall oder Unrentabilität weder organisatorische, noch wirtschaftliche oder technische Maßnahmen helfen, seien die betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung „dringend". 2 1 Die soziale Auswahl, die gem. § 1 III KSchG bei einer betriebsbedingten Kündigung getroffen werden muß, hat stets die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles zu beachten. Auch h i e r - w i e bei der personenbezogenen Kündigung wegen Krankheit (s.o. 2.5.3.1) - ist eine Punktetabelle unvereinbar mit diesem Gebot der Einzelfallabwägung. D a § 1 III KSchG keinen Katalog der für die Kündigung erheblichen Sozialdaten enthält, sind alle beachtenswerten Umstände einzubeziehen, ζ. B. Lebensalter, D a u e r der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen, Gesundheitszustand des A N oder eines seiner Familienangehörigen, Vermittclbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, Schutzrechte (wie etwa Schwangerschaft) usw. Das Gewicht dieser Daten ändert sich aber von Fall zu Fall, es ist abhängig u.a. von industriellen, arbeitsmarktpolitischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklungen - aus all diesen G r ü n d e n entzieht sich die soziale Auswahl einem festgefügten Katalog von Kennziffern. Ihre jeweilige Gewichtung kann sich daher nur aus dem konkreten Einzelfall ergeben. 2 2 2.5.3.4. Für den Fall der betriebsbezogenen Kündigung engt der Gesetzgeber in § 1 III KSchG die soziale Rechtfertigung noch weiter ein: Die Kündigung ist vom Gericht für unwirksam zu erklären, wenn der AG keine soziale Auswahl getroffen hat. 2 1 Z.B. darf der Wehrdienst in solchen Fällen nicht zuungunsten des A N berücksichtigt werden vgl. § 2 11,2 ArbPlSchG. (Der Gesichtspunkt, soziale Bedingungen besonders zu berücksichtigen, wurde schon mehrfach hervorgehoben. Ausgangslage ist immer, d a ß f ü r eine M a ß n a h m e des A G mehrere AN gleichermaßen in Frage kommen - vgl. z.B. beim Urlaubsplan ο. II. B. 3.1.2.4.). 2.5.4. O b e n 2.4.1. wurde festgestellt, d a ß die Kündigung nicht unwirksam wird,wenn ihr der BR widerspricht - daß jedoch der Kündigungsschutz des A N in diesen Fällen umfangreicher ist.

21 22

BAG in NJW198111986 BAG in NJW 1984178

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

159

2.5.4.1. Z u m e i n e n engt sich d u r c h d e n W i d e r s p r u c h die Kündigungsmöglichkeit des A G noch w e i t e r ein. G e m . § 1 II, 2 u n d 3 K S c h G ist die K ü n d i g u n g nicht sozial g e r e c h t f e r t i g t — o b w o h l ein p e r s o n e n - , Verhaltens- o d e r b e t r i e b s b e z o g e n e r G r u n d vorliegt - w e n n d e r A G Auswahlrichtlinien des § 95 B e t r V G verletzt. ( S o l c h e Richtlinien k ö n n e n in e i n e r Betriebsvereinbarung e n t h a l t e n sein.) H i e r i n w e r d e n h ä u f i g A u s w a h l v e r f a h r e n f ü r K ü n d i g u n g e n f e s t g e l e g t , die d e n A G b i n d e n . Sozial ungerechtfertigt ist die E n t l a s s u n g a b e r a u c h , w e n n d e r betroffene AN im B e t r i e b an anderer Stelle — eventuell nach e i n e r Umschulung o d e r u n t e r anderen Arbeitsbedingungen — w e i t e r h i n eingesetzt w e r d e n k a n n . (Beispiel: E n t f ä l l t d e r A r b e i t s p l a t z e i n e s S a c h b e a r b e i t e r s in d e r M a h n a b t e i l u n g , weil diese in Z u k u n f t mit e i n e r E D V - A n l a g e a r b e i t e t , m u ß ihm d e r A G d e n e t w a in d e r K a l k u l a t i o n f r e i g e w o r d e n e n A r b e i t s p l a t z a n b i e t e n u n d ihn nötigenfalls e n t s p r e c h e n d u m s c h u l e n lassen.) 2.5.4.2. Z u m a n d e r e n ist es f ü r d e n A N w e g e n des W i d e r s p r u c h s des B R m ö g l i c h , g e m . § 102 V B e t r V G v o m A G zu v e r l a n g e n , über die Kündigungsfrist hinaus wie bisher weiterbeschäftigt zu w e r d e n - bis d e r K ü n d i g u n g s p r o z e ß e n d g ü l t i g b e e n d e t ist. Es e n t s t e h t also f ü r d e n A G eine verlängerte Beschäftigungspflicht g e g e n ü b e r d e m AN. 2 . 5 . 5 . E i n e Sonderregelung gilt f ü r leitende Angestellte 2 4 : Z w a r g e n i e ß e n auch sie Kündigungsschutz g e m . § 1 II, 1 K S c h G 2 5 . J e d o c h k a n n d e r B R diesen Schutz nicht erweitern, i n d e m er w i d e r s p r i c h t , da diese A N - G r u p p e g e m . § 5 III B e t r V G g r u n d s ä t z l i c h v o m B e t r i e b s v e r f a s s u n g s g e s e t z a u s g e n o m m e n wird - w e s h a l b auch d e r B R bei i h r e r E n t l a s s u n g nicht m i t w i r k t . D i e Kündigung eines l e i t e n d e n A n g e s t e l l t e n ist d e m B R g e m . § 105 B e t r V G n u r mitzuteilen. 2.6. Ist die w i r k s a m e r k l ä r t e Kündigung sozial gerechtfertigt, e n d e t bei d e r ο Κ d a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s nicht s o f o r t , s o n d e r n e r s t , w e n n e i n e b e s t i m m t e Kündigungsfrist verg a n g e n ist. S o f e r n k e i n e b e s o n d e r e gesetzliche B e s t i m m u n g eingreift (wie z.B. § 13 S c h b G ) , gilt f ü r diese Frist § 622 B G B . § 6221 u n d II B G B regeln die Kündigungsfristen f ü r Angestellte u n d Arbeiter s e h r u n t e r s c h i e d l i c h . D a s B V e r f G h a t e n t s c h i e d e n , d a ß diese R e g e l u n g mit d e m Gleichheitsgrundsatz des A r t . 3 G G nicht vereinbar sei. I n s b e s o n d e r e r e c h t f e r t i g e d e r U n t e r s c h i e d zwischen geistiger und k ö r p e r l i c h e r A r b e i t diese R e g e l u n g nicht; es liege eine historisch b e d i n g t e D i f f e r e n z i e r u n g v o r , die h e u t e j e d o c h nicht m e h r G r u n d l a g e sein k ö n n e , K ü n d i g u n g s f r i s t e n von A r b e i t e r n u n d A n g e s t e l l t e n ungleich zu b e r e c h n e n . 2 6 2 . 6 . 1 . G e m . § 622 I B G B k a n n e i n e m Angestellten mit einer 6-Wochen-Frist z u m Quartalsende g e k ü n d i g t w e r d e n , die r e g e l m ä ß i g e K ü n d i g u n g s f r i s t f ü r e i n e n Arbeiter b e t r ä g t g e m . § 622 II B G B zwei W o c h e n . G e s t a f f e l t nach d e r D a u e r d e r Betriebszugehörigkeit sind l ä n g e r e Fristen v o r g e s e h e n , w o b e i die D a u e r sich n u r n a c h den J a h r e n nach V o l l e n d u n g d e s 25. L e b e n s j a h r e s f ü r A n g e s t e l l t e bzw. 35. L e b e n s j a h r e s f ü r A r beiterrichtet.

23 24 25 26

Vgl. z.B. BAG in AP, Nr. 7 und Nr. 14 zu § 1 KSch G1951, Betriebsbedingte Zur Definition vgl. BAG in NJW1974/965 und in NJW1980/2724 Vgl. §14 KSchG Β VerfG in NJW 1983/617

Kündigung

160

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

D i e s e a b s o l u t e Ungleichbehandlung o h n e sachlichen R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d widerspricht g e m ä ß e i n e r E n t s c h e i d u n g des B V e r f G d e m Gleichheitsgedanken des Art. 3 G G Ρ D a m i t darf § 622 nicht m e h r von d e n A r b e i t s g e r i c h t e n zur B e r e c h n u n g d e r K ü n d i g u n g s f r i s t e n in K ü n d i g u n g s s c h u t z p r o z e s s e n v e r w e n d e t w e r d e n . V i e l m e h r m ü s s e n alle a n h ä n g i g e n V e r f a h r e n bis zur Neuregelung des S a c h v e r h a l t e s d u r c h d e n G e s e t z g e b e r r u h e n . D a s B V e r f G h a t d e r Legislativen hierzu d e n T e r m i n 30. Juni 1993 gesetzt. Die ordentliche Kündigung

Kündigungserklärung gesetzl. Ausschluß der Κ behördliche Zustimmung zur K. Anhörung des BR Kündigungsschutz Kündigungsfrist

— KSchG anwendbar — Klagefrist — soziale Rechtfertigung — soziale Auswahl — verlängerte Beschäftig.-Pflicht

2 . 7 . E i n e besondere Situation besteht, w e n n d e r A G e i n e n A N zwar weiterbeschäftigen will - a b e r nicht zu d e n bisherigen B e d i n g u n g e n . O b e n 2.1.2. w u r d e d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß d e r A G d e n A V nicht teilweise k ü n d i g e n d a r f ; d a ß auch mittels des Direktionsrechts d e r V e r t r a g nicht ä n d e r b a r ist, w u r d e ο. II. B . 1.2. e r w ä h n t . D e m A G bleibt desh a l b n u r , e i n e sog. Änderungskündigung a u s z u s p r e c h e n - eine Kündigung, bei d e r d e r A G d e m A N zugleich anbietet, einen neuen Vertrag zu schließen, j e d o c h n u n mit e i n e m anderen Inhalt28. Beispiel: A N Α a r b e i t e t in e i n e m C h e m i e u n t e r n e h m e n in M a n n h e i m ; im V e r t r a g ist k e i n e V e r s e t z u n g in eine a n d e r e S t a d t v o r g e s e h e n . D i e F i r m e n l e i t u n g m ö c h t e Α in Berlin e i n s e t z e n - sie k ü n d i g t Α d e s h a l b , b i e t e t ihm a b e r gleichzeitig a n , die Stelle in Berlin zu ü b e r n e h m e n . W i e j e d e a n d e r e K ü n d i g u n g steht auch d i e Änderungskündigung unter dem Grundsatz d e r Verhältnismäßigkeit, d . h . die Ä n d e r u n g ist n u r sozial gerechtfertigt, w e n n d e r A G k e i n e w e n i g e r e i n s c h n e i d e n d e Möglichkeit h a t , u m das b e z w e c k t e Ziel zu e r r e i c h e n (z.B. e i n e e i n v e r n e h m l i c h e Vertragsänderung; o d e r auch d e n Widerruf v o n Sozialleistungen, d i e er d e m A N n u r widerruflich g e w ä h r t h a t ) . 2 9 W e i l d i e Ä n d e r u n g s k ü n d i g u n g aus e i n e r vollständigen Kündigung u n d e i n e m n e u e n V e r t r a g s a n g e b o t b e s t e h t , m u ß f ü r die K ü n d i g u n g d e r B R e n t s p r e c h e n d § 1021 B e t r V G -7 BVcrJG in DB 199011565 ls l ι;/, /im Abwägung der A G - und AN-Interessen BAG in AP, Nr. 17 zu §620 BGB, rungskündigung 2 " BAG in ΝJW1982/2687

Ände-

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

161

gehört w e r d e n , a u ß e r d e m m u ß i h m das n e u e A n g e b o t mitgeteilt w e r d e n . 3 0 W i e j e d e a n d e r e o K ist im ü b r i g e n die Ä n d e r u n g s k ü n d i g u n g g e g e n ü b e r e i n e m B R - M i t g l i e d g e m . § 15 I K S c h G unwirksam (vgl. o. 2 . 2 . 5 . ) . 3 1 2.7.1. E i n e solche Änderungskündigung ist u n t e r d e n s e l b e n Voraussetzungen zulässig wie eine „ n o r m a l e " o K , die sie als Teil u m f a ß t . (Nimmt der AN das neue Angebot nicht an, endet das Arbeitsverhältnis, wenn die Kündigungsfrist abgelaufen ist.) Die E r l ä u t e r u n g e n 0 . 2 . 1 . - 2 . 6 . gelten d e s h a l b auch hier - i n s b e s o n d e r e ist d e r A N auch in d i e s e m Fall g e g e n eine ungerechtfertigte K ü n d i g u n g geschützt. A l l e r d i n g s m u ß berücksichtigt w e r d e n , d a ß d a s Ziel des AG hier nicht ist, sich e n d g ü l t i g von d e m b e t r o f f e n e n A N zu t r e n n e n — g e r a d e im G e g e n t e i l beabsichtigt er, d e n A N weiterhin zu beschäftigen. W i r d u n t e r s u c h t , o b die M a ß n a h m e d e s A G sozial gerechtfertigt ist g e m . § 1 II K S c h G , ist d e s h a l b nicht zu p r ü f e n , o b die Kündigung allein, s o n d e r n o b das mit ihr v e r b u n d e n e Änderungsangebot § 1 II u. III K S c h G e n t s p r i c h t (vgl. § 2 K S c h G ) . 2.7.2. G e m ä ß § 4 K S c h G m u ß d e r A N w i e d e r u m innerhalb drei Wochen seine Kündigungsschutzklage e r h e b e n , diesmal a b e r mit d e m Z i e l , die ihm a n g e b o t e n e Änderung gerichtlich prüfen zu lassen (§ 4 Satz 2 K S c h G ) . Bei dieser K l a g e d r o h t d e m A N e i n e besondere Gefahr: H ä l t er die Änderung selbst f ü r nicht sozial g e r e c h t f e r t i g t , e n d e t sein alter A V , w e n n das Gericht die soziale R e c h t f e r t i gung als g e g e b e n ansieht. N u n bliebe d e m A N nicht einmal d e r n e u e , g e ä n d e r t e V e r t r a g , d a er dieses A n g e b o t nicht angenommen h a t . U m diesen „ R e i n f a l l " zu v e r m e i d e n , ermöglicht § 2 KSchG d e m A N , die Änderung „unter Vorbehalt" a n z u n e h m e n . D i e s b e d e u t e t : Eigentlich will e r sich auf die Ä n d e r u n g nicht e i n l a s s e n u n d klagt d e s h a l b b e i m Arbeitsgericht d a g e g e n . Für den Fall a b e r , d a ß d a s Gericht sie als sozial g e r e c h t f e r t i g t b e t r a c h t e t , n i m m t er d a s n e u e V e r t r a g s a n g e b o t an. S e i n e n Vorbehalt m u ß d e r A N g e m . § 2 Satz 2 K S c h G i n n e r h a l b d e r K ü n d i g u n g s f r i s t , s p ä t e s t e n s a b e r n a c h drei Wochen, d e m AG mitteilen. D i e Frist berechnet sich a b d e m Z e i t p u n k t , an d e m ihm die Änderungskündigung zugegangen ist. K o m m t das Gericht zu d e r Ü b e r z e u g u n g , die Änderungskündigung sei nicht sozial gerechtfertigt, gilt sie als von A n f a n g an rechtsunwirksam, d. h . , d a s Arbeitsverhältnis wird mit d e n alten V e r t r a g s b e d i n g u n g e n fortgesetzt (vgl. § 8 K S c h G ) . 2 . 8 . D i e ο 2 . 5 . 3 . 2 . g e n a n n t e A b m a h n u n g ist nicht gesetzlich g e r e g e l t , sie w u r d e d u r c h R i c h t e r r e c h t k r e i e r t . B e g r ü n d e t wird die Notwendigkeit zur A b m a h n u n g v o r e i n e r ( v e r h a l t e n s b e z o g e n e n ) K ü n d i g u n g z u m e i n e n a u s d e n G r u n d s ä t z e n d e s Treu und Glaubens sowie d e r Verhältnismäßigkeit, z u m a n d e r e n aus d e r Fürsorgepflicht des A G . 1980 h a t d a s BAG die noch h e u t e gültige Definition e i n e r A b m a h n u n g e n t w o r f e n . 3 2 D e m n a c h wird d u r c h eine A b m a h n u n g in deutlich e r k e n n b a r e r W e i s e d e m A N v o m A G mitgeteilt, d a ß zu b e a n s t a n d e n d e L e i s t u n g s m ä n g e l v o r l i e g e n , die bei e i n e r W i e derholung das A V e r h . gefährden. 2 . 8 . 1 . F ü r d e n A N ist die Abmahnung d e s h a l b b e s o n d e r s wichtig, weil sie d e r e r s t e Schritt zu e i n e r s p ä t e r e n K ü n d i g u n g sein k a n n , o d e r weil sie sich in d e r B e u r t e i l u n g , im

30 31 32

BAG in NJW198212839 BAG in NJW 19811252 BAG in AP Nr. 3 zu §1 KSchG 1969

162

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht Soziale Rechtfertigung

Kündigung

Klage gem. § 4

Änderungskündigung — Klage gem. § 4 — Annahme unter Vorbehalt, § 2

Soziale Rechtfertigung liegt vor:

gem. § 1 II/III

gem. § 1 ll/lll + § 2

Folge: AVerh. beendet mit Fristablauf

Folge: AVerh. wird fortgesetzt mit geändertem Inhalt

Zeugnis auswirkt. Nimmt also der AG eine schriftliche Abmahnung zur Personalakte, so beeinflußt dies die rechtliche Stellung des A N meist nachhaltig. Deshalb kann der betroffene A N vom A G verlangen, die schriftliche Abmahnung wieder aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie zu Unrecht - z.B. irrtümlich, wegen einer Verwechslung - erfolgte. Nur so kann vermieden werden, daß der AN ungerechtfertigte Nachteile erleidet. 3 3 2.8.2. Für den A G ist eine wirksame Abmahnung wichtig, um bei einer Kündigungsschutzklage den Nachweis führen zu können, daß das Fehlverhalten des A N nachhaltig vorkam und eine Änderung des Verhaltens gefordert wurde. Zur Wirksamkeit der Abmahnung bedarf diese zweier Bestandteile: Die konkrete Bezeichnung des Fehlverhaltens und die Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen im Wiederholungsfalle. Um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden ist dringend die Schriftform anzuraten, obwohl auch eine mündliche Abmahnung unter den gegebenen Bedingungen wirksam ist.

3. Kapitel: Die fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber Literatur: Brox, BGB SchuldR II, RdNr. 2 5 3 ; Lorenz, BGB SchuIdR II, § 52 III. d ) ; Brox, R d N r . 1 0 9 - 1 1 2 ; G. -S., R d N r . 3 6 9 - 3 8 1 ; 404; H.-A., J . I I I , u. I V . 3. u. 4 .\L.-L., K a p . Ρ II. l . u . 3 , ; H . - N „ §§ 29; 3 0 II. 4 . , I V . ; Richardi, Fall 8; Schaub, §§ 125; 138; Schwerdtner, Fall 16, R d N r . 1 9 3 f f . ; Fall 2 1 , R d N r . lA2ii.\ Söllner, § 35 I. u. III.; § 37 I. 3.; Zöllner, § 2 2 I. u. III.; § 2 3 I V . ; Z . - M . II, S t u d . Ε . 9 , Teil I V 3. (S. 6 3 f f . ) ; S t u d . Ε . 10, Teil III (S. 8 5 f f . ) .

Außer der oK wurde auch die außerordentliche (fristlose) Kündigung bereits vielfach im vorangegangenen Text angesprochen (vgl. etwa ο. II. D. 5.1.1.1.6. oder II. D. 5.1.2.1.5.). Ihre Eigenheit besteht darin, daß der Gesetzgeber einerseits darauf 33

BAG

in

ΝJW1982/2835

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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verzichtet hat, eine Kündigungsfrist festzusetzen, die abläuft nach der Kündigungserklärung, bis das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet ist. Z u m Ausgleich d a f ü r m u ß ein wichtiger Grund vorliegen (vgl. § 626 I B G B ) , der fristlos zu kündigen rechtfertigt 1 . Im Gegensatz zur ordentlichen, ist die aoK auch nie gesetzlich ausgeschlossen oder ausschließbar2 — gerade die Gesetze, die eine Kündigung sonst für unwirksam erklären, weisen ausdrücklich darauf hin, daß die fristlose Kündigung zulässig ist (vgl. z.B. ξ 2 III ArbPlSchG; § 15 II Nr. 1. BBiG). Dahinter steht die Überlegung, daß es immer möglich sein muß, ein unzumutbar gewordenes Arbeitsverhältnis aufzulösen, weil unter diesen Umständen nicht mehr friedlich zusammengearbeitet werden kann. D a wesentlich seltener Probleme entstehen, wenn der A N wegen eines wichtigen Grundes fristlos kündigt, genügt es auch hier (wie o. 2.) nur die aoK des AG zu erörtern. Will der A G (oder der AN) fristlos gem. § 626 B G B kündigen, dann wird das A V e r h . nur sofort beendet, wenn zweifelsfrei klargestellt ist, daß tatsächlich eine a o K gewollt ist. Zwar ist die Kündigung nicht an bestimmte Worte gebunden, weil die a o K normalerweise aber einen Vorwurf, ein „Unwerturteil" enthält, m u ß die Kündigungserklärung unzweideutig diesen Vorwurf erkennen lassen, damit sich die Gegenpartei in ihrer Rechtsverteidigung darauf einrichten kann. 3 3.1. Die aoK ist (wie die ordentliche) eine einseitige empfangsbedürftige WE - auf die Ausführungen o. 2.1. wird deshalb verwiesen, sie gelten auch hier. 3.2. Zwar ist die fristlose Kündigung nirgendwo gesetzlich ausgeschlossen, jedoch in einigen Fällen davon abhängig gemacht, daß die zuständige Behörde vorher zugestimmt hat. (Diese Regelung findet sich hauptsächlich in den Fällen, in denen auch die oK an eine Zustimmung gebunden oder ganz ausgeschlossen ist.) Z u nennen sind hier § 9 III M u S c h G und § 18 SchbG. 3.3. Weiterhin ist die fristlose Kündigung nur wirksam, wenn der BR in besonderen Fällen zugestimmt hat, in allen anderen Fällen gehört wurde. Zustimmen m u ß er, damit die aoK wirksam wird, wenn ein Mitglied des BR, der Jugendvertretung, des Wahlvorstandes oder ein Wahlbewerber von dieser M a ß n a h m e betroffen ist (also bei den Personen, die während ihrer Amtszeit und eine bestimmte Frist danach besonders geschützt werden, vgl. o. 2.2.5.) - § 103 B e t r V G , § 15 K S c h G . Diese Zustimmung m u ß ausdrücklich erfolgen, denn anders als bei der Mitwirkung des B R bei der Kündigung eines A N nach § 102 B e t r V G gibt es nämlich bei § 103 B e t r V G keine Regelung, die das Schweigen des B R als Zustimmung wertet. Deshalb m u ß der A G bei der aoK eines BR-Mitgliedes an den B R innerhalb der 14-Tagesfrist des § 626 II B G B den Zustimmungsantrag stellen. Durch die ausdrückliche Zustimmung des B R zur fristlosen Entlassung eines seiner Mitglieder, wird die unbefangene Amtsausübung gefördert und die Funktionsfähigkeit des B R geschützt vor unbegründeten a o K . Verweigert der B R seine Zustimmung, so kann der A G die Trennung von diesem A N nur noch erreichen, wenn er ebenfalls innerhalb der o.g. 14-Tagesfrist gem. § 103 II Bet r V G das Arbeitsgericht anruft; dort werden dann die angegebenen Kündigungsgründe

' Die aoK muß das letzte vom AG eingesetzte Mittel sein („ultima ratio") - vgl. ζ. B. BAG in 2 3

NJW 19791332 Vgl. BAG in AP, Nr. 14 und Nr. 27 zu § 626 BAG in NJW 19831303

BGB

164

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

überprüft, d.h. möglicher Willkür vorgebeugt. 4 In den übrigen Fällen muß der BR (wie bei der oK) gem. § 102 I BetrVG vor der fristlosen Entlassung gehört werden (Ausgenommen sind auch hier die leitenden Angestellten - wie bei der oK, vgl. o. 2.5.5.). Er kann innerhalb von drei Tagen seine Bedenken schriftlich äußern, § 102 II, 3 BetrVG. 3.4. Liegen die Voraussetzungen ο. 3.1.—3.3. vor, ist die ao Κ gerechtfertigt, wenn sie auf einem wichtigen Grund beruht. 3.4.1. Jedoch kann der AN nur gerichtlich prüfen lassen, ob diese Begründung tatsächlich rechtlich zutrifft, wenn er innerhalb von drei Wochen Klage beim Arbeitsgericht einreicht und darin festzustellen beantragt, daß die aoK nicht gerechtfertigt sei, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 I BGB vorliege. Diese Klagefrist ist in § 13 1,2 KSchG festgelegt — im übrigen aber wird das Kündigungsschutzgesetz bei der fristlosen Entlassung nicht angewendet (vgl. § 13 I, 1 KSchG)! Daß gerade die Klagefrist auch bei der aoK gilt, ist damit zu erklären, daß in allen Kündigungsfällen gleichermaßen so schnell wie möglich die rechtliche Situation geklärt werden soll. Außerdem ergibt sich häufig in solchen Verfahren, daß zwar ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung fehlt, eine ο Κ jedoch nur durch die vorgetragenen Gründe gerechtfertigt wäre. Üblicherweise wird aber eine unzulässige aoK gem. § 140 BGB umgedeutet in eine oK. Hätte nun der AN nicht auch bei der aoK die 3-WochenFrist einzuhalten, wäre in diesem Fall für seine Klage bezüglich der oK die Klagefrist verstrichen. Damit zeigt sich, daß es wieder dem AN-Schutzgedanken entspricht, diese Frist auch bei der aoK gesetzlich für anwendbar zu erklären. 3.4.2. Bei der fristlosen Entlassung ist auch die Kündigung selbst innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären: gem. § 626 II BGB muß sie innerhalb von zwei Wochen erfolgen. 5 Wenn nämlich die aoK erst später ausgesprochen wird, unterstellt das Gesetz, daß gar kein wichtiger Grund vorliegen kann - wer mehr als zwei Wochen nicht kündigt, dem ist zumutbar, nun auch noch den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Will der AG also diese Frist wahren, muß er den BR gem. § 102 I BetrVG so rechtzeitig anhören, daß dessen 3tägige Frist zur Stellungnahme (§ 102 II, 3 BetrVG) innerhalb der 2-Wochen-Frist liegt. Die Kündigungserklärungsfrist beginnt, wenn der AG diejenigen Tatsachen erfährt, die den wichtigen Grund darstellen 6 - ζ. B.: Am Dienstag stiehlt AN Α aus dem Schreibtisch des Hausmeisters die Getränkekasse - AG X erfährt am Freitag davon; damit beginnt die Frist am Freitag. Schwieriger ist den Anfangszeitpunkt festzulegen, wenn nicht ein einzelner gewichtiger Grund vorliegt, sondern viele kleine Ereignisse zusammenkommen - bis die Lage entsteht, in der man sagen kann: „jetzt langt's, - das Maß ist voll". Wenn 2. B. der AN Α ständig lA Stunde morgens zu spät kommt - wann beginnt die 2-Wochen-Frist? Hier kann sich der AG dadurch helfen, daß er abmahnt und darauf hinweist, daß im nächsten ¥&\\ fristlos gekündigt werde. Kommt Α erneut zu spät, ist ab diesem Tag die Frist des § 626 II BGB zu berechnen. Kündigt der AG trotzdem noch nicht, beginnt eine neue 2Wochen-Frist, wenn Α sich ein weiteres Mal verspätet. 4

BAG in NJW1982/2891

5

D . h . , sie m u ß d e m A N innerhalb dieser 2-Wochen-Frist zugehen - vgl. BAG in NJW 1978/ 2168

6

Vgl. BAGinAP,

Nr.lundNr.

9zu§626BGB,

Ausschlußfrist

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

165

3.4.3. Welcher Art nun dieser wichtige Grund sein muß, welche Ereignisse, Tatsachen usw. vorliegen müssen, um die aoK zu rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher beschrieben (vgl. § 626 I BGB, § 15 II Nr. 1. BBiG). Da eine Unzahl Fallgestaltungen denkbar sind, wäre es auch nicht zweckmäßig, dies genauer festzulegen. 3.4.3.1. § 626 I BGB hilft jedoch dieses Problem zu lösen, indem es sagt, der wichtige Grund müsse so beschaffen sein, daß es nicht zumutbar sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Üblicherweise geht man zwar so vor, daß zuerst festgestellt wird, ob gesetzliche Voraussetzungen gegeben sind, um dann nach den Folgen zu fragen (z.B.: Α schlägt Β ins Gesicht - damit liegt eine Körperverletzung vor; Folgen im Zivilrecht: Schadensersatz und Schmerzensgeld). Bei § 626 I BGB ist der umgekehrte Weg zweckmäßiger: Ist die Folge, daß das Arbeitsverhältnis fortzusetzen unzumutbar ist, läßt dies darauf schließen, daß ein wichtiger Grund vorliegt. 7 (Beispiel: A N X schlägt A G Α ins Gesicht; Α ist nicht zumutbar, X weiterhin zu beschäftigen - demnach stellt der Schlag einen wichtigen Grund zur fristlosen Enlassungdar.) Grundsätzlich kommen als wichtige Gründe alle schweren Vertragsverstöße in Betracht, weil hier die Unzumutbarkeit fast immer vorliegt. 8 Schwieriger sind jene bereits o. 3.4.2. genannten Fälle zu entscheiden, bei denen das Arbeitsverhältnis durch fortgesetzte kleinere Vorkommnisse beeinträchtigt wird. Denn hier ist es oft zumutbar, eine oK auszusprechen und zu warten, bis die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Abzumahnen und die aoK anzudrohen kann dem A G hier zwar helfen - aber nicht garantieren, daß das Arbeitsgericht seine Meinung teilt. Kein wichtiger Grund sind wirtschaftliche Überlegungen - rationalisieren, „gesundschrumpfen", Wirtschaftsflaute, sogar der Konkurs gehören in den Bereich des AGRisikos. Sie sind wichtige Gründe in seiner eigenen Person, nicht jedoch auf AN-Seite. Der wichtige Grund muß jedoch immer auf Seiten des Vertragspartners, nicht in der Person des Kündigenden selbst liegen. Deshalb kann der A G zwar versuchen, solche Situationen durch ordentliche (betriebsbezogene), nicht aber durch eine aoK zu bewältigen. 3.4.3.2. Ein besonderer Fall des wichtigen Grundes liegt vor bei der sog. Verdachtskündigung. Sie ist eine aoK und muß deshalb den oben genannten Voraussetzungen entsprechen - jedoch unterscheidet sie sich insoweit, als der A G noch nicht endgültig weiß, ob tatsächlich der wichtige Grund vorliegt: er hat nur einen entsprechenden Verdacht. (Hauptsächlich kommen hier Straftaten des AN in Frage.) Die Besonderheit dieser Kündigung liegt darin, daß der A G eigentlich bei oK wie bei aoK die von ihm behaupteten Gründe beweisen muß. Bei der Verdachtskündigung läßt die Rechtsprechung dagegen genügen, daß der A G gewichtige Indizien vorträgt, die auf die Täterschaft gerade dieses AN schließen lassen — wenn also ein schwerer Verdacht besteht.

7 8

Vgl. BAG in AP, Nr. 4 zu§ 626 BGB - Zur aoK wegen Teilnahme an rechtswidrigen Arbeitsniederlegungen vgl. z.B. BAG in NJW 1971/1668 oder in NJW1979/236 - zum Prinzip der Abwägung bei Feststellung der Unzumutbarkeit vgl. etwa BAG in NJW 1956/240 oder in NJW 1979/239

166

Zweiter Teil: Das individuelle Arbeitsrecht

Der Grund für diese den AN benachteiligende Regelung liegt darin, daß gerade bei Straftaten (ζ. B. Diebstahl) die Grenze der Unzumutbarkeit schneller erreicht, der Betriebsfrieden eher gefährdet wird als bei anderen Fällen. Ausgeglichen wird dieser Nachteil, indem der fälschlich beschuldigte A N verlangen kann, wieder eingestellt zu werden, wenn der Verdacht gegen ihn ausgeräumt ist. 9 (Jedoch kann es hierfür unter Umständen erforderlich sein abzuwarten, bis ein gegen den AN eingeleitetes Ermittlungs- oder Strafverfahren beendet ist.) Die außerordentliche Kündigung

Kündigungserklärung

behördl. Zustimmung zur K.

Anhörung/Zustimmung des BR Klagefrist wichtiger Grund

Frist für K-Erklärung wichtiger Grund

3.4.4. Ist die aoK unwirksam, weil eine der 0 . 3 . 1 . - 3 . 3 . aufgeführten Voraussetzungen fehlt, ein wichtiger Grund nicht vorliegt, und ist sie auch als umgedeutete ο Κ nicht zulässig, dann ist das Arbeitsverhältnis nicht beendet, sondern besteht fort. Jedoch hat sich häufig während des Arbeitsgerichtsprozesses die Beziehung AN/AG - über den vom A G behaupteten wichtigen Kündigungsgrund hinaus - so verschlechtert, daß anzunehmen ist, in Zukunft könnten diese beiden Personen im Betrieb nicht mehr friedlich zusammenarbeiten. Oder der betroffene A N befürchtet benachteiligt zu werden, wenn er seine Arbeit wieder aufnimmt. Ist dem AN deshalb trotz gewonnenen Prozesses nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (was gerade bei der o. 3.4.3.2. genannten Verdachtskündigung häufig anzunehmen sein wird), kann er beim Arbeitsgericht beantragen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. 10 Das BAG hat seine frühere Rechtsprechung nunmehr geändert und entschieden, dieser Begriff der „Unzumutbarkeit" sei ein anderer als der des § 6261 BGB, denn dort müsse nur geprüft werden, ob nicht wenigstens zumutbar sein, das AVerh. bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. B e i § 9 I S . 1 KSchG dagegen geht es um eine Fortsetzung auf unbestimmte Dauer. Deshalb ist hier die „Unzumutbarkeit" auch umfassender zu verstehen, sie enthält alle „wichtigen Gründe" des § 626 I BGB; darüber hinaus genügen aber auch Tatsachen, die für eine aoK nicht ausreichen würden. Beispiel: Der A G glaubt tatsächlich, der A N sei unqualifiziert für bestimmte Arbeiten. Dies berechtigt den AN nicht, fristlos zu 9 10

Vgl. BAG in AP, Nr. 13zu§626BGB, Verdacht straßarer Handlungen Vgl. BAGinAP, Nr. 20 zu §7 KSchG 1951

III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

167

kündigen. Kündigt ihm aber der A G aus diesem Grund und gewinnt der AN den Kündigungsschutzprozeß, dann kann der AN durchaus im Rahmen des § 9 I KSchG einwenden, für eine unbestimmt lange Zusammenarbeit fehle die Vertrauensbasis. 11 Folgt das Gericht dem Antrag des A N , legt es zugleich fest, wie hoch die Abfindung ist, die der A G in diesem Fall zu bezahlen hat (vgl. §§91,131 KSchG). 1 2 Anschließend soll noch mit einer Übersicht dargestellt werden, in welchen Fällen bei der Kündigung ein Grund bestehen muß, der dem Vertragspartner mitzuteilen ist, wenn dieser es verlangt: KUndigungsgnind?

ordentl. K. durch

11 12

außerord. K. durch

AN

AG

AN

kein Grund nötig

Grund nötig § 1 II/III K S c h G

wichtiger Grund nötig (§ 6 2 6 Abs. I BGB)

AG wichtiger Grund nötig (§ 6 2 6 Abs. I BGB)

BAG in NJW1982/2015 Vgl. zur Bemessung der Abfindung z.B. BAG in AP, Nr. 7 zu§ 7 KSch G1951

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

Inhaltsverzeichnis zum dritten Teil I. Einleitung 1. Kapitel: 1.1. 1.2. I.2.1.

Die Deutsche Gerichtsbarkeit B u n d e s l ä n d e r - 1 . und 2. Instanz B u n d - 3 . Instanz Bundesverfassungsgericht

173 173 173 174

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.3. 2.3.1.

D i e Organisation der Arbeitsgerichtsbarkeit A r b e i t s g e r i c h t - 1 . Instanz K a m m e r und K a m m e r b e s e t z u n g Geschäftsverteilungsplan L a n d e s a r b e i t s g e r i c h t - 2 . Instanz B u n d e s a r b e i t s g e r i c h t - 3 . Instanz „GroßerSenat"

174 174 175 175 176 176 176

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren A.Vorfragen

177

1. Kapitel: 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.2.1. 1.1.2.2. 1.1.2.3. 1.1.2.4. 1.2. 1.2.1. 1.2.1.1. 1.2.1.2. 1.2.1.3. 1.2.2. 1.2.2.1. 1.2.2.2. 1.2.2.3.

Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte Örtliche Zuständigkeit Allgemeiner Gerichtsstand B e s o n d e r e Gerichtsstände Aufenthaltsort Niederlassung Erfüllungsort Unerlaubte Handlung Sachliche Zuständigkeit §2 A r b G G Kollektivrechtliche Streitigkeiten aus Tarifverträgen Kollektivrechtliche Streitigkeiten aus unerlaubten H a n d l u n g e n . . Individualrechtliche Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis . . . § 2a A r b G G B e t r V G 1972 M i t b e s t G 1 9 7 6 - B e t r V G 1952 Tariffähigkeit/Tarifzuständigkeit

177 177 177 177 178 178 178 179 179 179 179 179 180 180 180 180 180

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.2.1. 2.1.3. 2.1.3.1.

Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze Urteilsverfahren Antragsgrundsatz Verhandlungsgrundsatz Einschränkungen Weitere G r u n d s ä t z e Öffentlichkeitsgrundsatz

181 181 181 181 181 182 182

172

Inhaltsverzeichnis

2.1.3.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3.

Beschleunigungsgrundsatz Beschlußverfahren Antragsgrundsatz Untersuchungsgrundsatz Öffentlichkeits-und Beschleunigungsgrundsatz

182 182 182 182 182

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.2. 3.3. 3.3.1.

Parteien und Parteivertreter Partei-und Rechtsfähigkeit Erweiterte Parteifähigkeit im Arbeitsrecht Prozeß-und Geschäftsfähigkeit Prozeßvertretung Vertretungszwang

183 183 183 184 184 184

B. Der Instanzenweg

185

1. Kapitel: 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4. 1.1.5. 1.1.5.1. 1.2.

Das Verfahren in der 1. Instanz Urteilsverfahren Klagearten Zustellung und Einlassungsfrist Güteverhandlung Urteil Gerichtskosten Kosten des Prozeßbevollmächtigten Beschlußverfahren

185 185 185 185 185 185 185 185 186

2. Kapitel: 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.2.

Das Verfahren in der 2. Instanz Berufung Zulässigkeit der Berufung Berufungseinlegungs- und -begründungsfrist L A G als Tatsacheninstanz Urteil Kosten Beschwerde

186 187 187 187 187 188 188 188

3. Kapitel: 3.1. 3.1.1. 3.1.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.2.

Das Verfahren in der 3. Instanz Revision Zulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde B A G als Rechtsinstanz Revisionsurteile Rechtsbeschwerde

188 188 188 188 189 189 189

I. Einleitung D i e Arbeitsgerichtsbarkeit ist zuständig, arbeitsrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, vgl. § 1 Arbeitsgerichtsgesetz ( A r b G G ) . D a sich das A R aus den Vorschriften des B G B entwickelt hat (vgl. o. E r s t e r T e i l , I. Einl. 3. u. 4.; Zweiter Teil, I. Einl. 1.1.), w e r d e n aus ihm sich e r g e b e n d e Konflikte als privatrechtlich angesehen (vgl. o. Erster Teil, I. Einl. 2.1./2.2.). U n d so, wie sich das A R als ein Sonderrecht aus dem allgemeinen Zivilrecht entwickelt hat, zweigten sich die Arbeitsgerichte ( A r b G ) als - privatrechtliche - besondere Gerichtsbarkeit von der ordentlichen Gerichtsbarkeit ab, die f ü r die sonstigen privatrechtlichen Streitfälle zuständig ist.

1. Kapitel: Die Deutsche Gerichtsbarkeit Literatur: Feichtinger, A 1; G.-S., RdNr. 626; Schaub, ArbGVVerf.,

§ 1.

Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist ein selbständiger Teil der Deutschen Gerichtsbarkeit. Sie steht gleichrangig neben vier weiteren, je eigenständigen Gerichtszweigen: den ordentlichen, den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten. Diese Gerichtsbarkeiten sind alle ähnlich aufgebaut. 1.1. Die Bundesländer sind verantwortlich für die 1. Instanz (die sog. Eingangsgerichte, also jene, bei denen die rechtlichen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n erstmals vorgebracht werden). Auf dieser E b e n e befinden sich für die ordentliche Gerichtsbarkeit die Amtsgerichte ( A m t s G ) - bzw. Landgerichte ( L G ) , wenn der Streitwert ü b e r D M 3 0 0 0 , - beträgt o d e r die Angelegenheit d e m L G gesetzlich zugewiesen ist; f e r n e r die ArbG, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte ( V w G - SG - F G ) in den a n d e r e n Gerichtszweigen. Wie die A r b G eine besondere privatrechtliche Gerichtsbarkeit sind - zuständig nur f ü r einen Teil d e r allgemeinen privatrechtlichen Streitigkeiten - sind SG und FG besondere Verwaltungsgerichte. A u s dem weiten Bereich des sog. Öffentlichen Rechts (vgl. o. Erster Teil, I. Einl. 2.1.) werden von ihnen nur die „Spezialgebiete" des Sozialversicherungsbzw. Steuerrechts b e h a n d e l t . Alle a n d e r e n öffentlich-rechtlichen Konflikte werden vor dem - allgemeinen - V w G ausgetragen (ζ. B . : Prozesse aus d e m Baurecht, B e a m t e n r e c h t , Sicherheitsrecht, Wasserrecht . . . usw.). Ebenfalls von den Bundesländern eingerichtet ist die 2. Instanz — Berufungsinstanz, vgl. u. 2.2. Hier bestehen das Oberlandesgericht ( O L G ) , Landesarbeitsgericht (LAG), Oberverwaltungsgericht ( O V w G — ζ. T. auch Landesverwaltungsgericht g e n a n n t ) und Landessozialgericht ( L S G ) . Nur bei der Finanzgerichtsbarkeit fehlt dieser Rechtszug. 1.2. Für die 3. Instanz — Revisionsinstanz, vgl. u. 2.3. - ist der Bund zuständig. D i e s e Stufe u m f a ß t die fünf den jeweiligen Instanzenweg abschließenden Bundesgerichte: den Bundesgerichtshof ( B G H — Karlsruhe), das Bundesarbeitsgericht (BAG — Kassel), das Bundesverwaltungsgericht ( B V w G — Berlin), das Bundessozialgericht ( B S G - Kassel) und den Bundesfinanzhof (BFH — München).

174

Dritter Teil Das Arbeitsgerichtsverfahren

1.2.1. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVfG) in Karlsruhe ist ein Gericht des Bundes. Es ist jedoch nicht einfach „eine weitere Instanz" (Super-Revisionsgericht). Vielmehr ist es das oberste, ausschließlich für Verfassungsfragen zuständige Gericht. Hier wird - nachdem Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde - letztgültig überprüft, ob durch die Entscheidung eines der o. g Bundesgerichte das GG verletzt wurde (Beispiel: Würde das BAG in einem Urteil erklären, eine Kündigung sei allein schon deshalb gerechtfertigt, weil der betroffene AN Ausländer ist, läge ein Verstoß gegen Art. 3 III GG vor. Hierauf könnte der AN eine Verfassungsbeschwerde stützen.) Die Deutsche Gerichtsbarkeit

BVfG (nur für Verfassungsfragen) BUND Verfassungsbeschwerde 3. Instanz

BGH

BAG

BVwG

BSG

Β FH

Revision LÄNDER 2. Instanz

LG/OLG

LAG

OVwG

LSG

Berufung

1. Instanz

AmtsG/LG

ArbG

VwG

SG

FG

2. Kapitel: D i e Organisation der Arbeitsgerichtsbarkeit Literatur Feichtinger, A 2 1, G -S , RdNr 628-632, Η -Ν , § 91 II u IV , § 92, Schaub, ArbGVerf, § 14, Stahlhacke, §§8,21,33,35,40 2.1. Als Eingangsgericht (vgl. ο 11.) für alle arbeitsgerichtlichen Streitfälle ist das ArbG vorgesehen. Anders als im Zivilrechtsstreit, kommt es dabei nicht auf einen Streitwert an, vgl. § 8 I ArbGG.

I. E i n l e i t u n g

175

2.1.1. Die anfallenden Verfahren werden an den A r b G auf sog. Kammern verteilt, § 17 I A r b G G . Sie bestehen aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern. Diese werden von den A G - und A N -Verbänden vorgeschlagen und von den Landesarbeitsbehörden berufen (beim B A G : vom Bundesarbeitsminister), vgl. §§ 20, 37, 43 A r b G G . Dabei wird jeder K a m m e r jeweils ein „Laienrichter" von der AN- und einer von der AG-Seite zugeteilt, § 16 II A r b G G — auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit wird also „Parität" angestrebt (vgl. o. Erster Teil, II. Ε . 2.2.123.). Ehrenamtlicher Richter werden kann nur, wer bestimmte — in §§ 21—23 A r b G G genannte Voraussetzungen erfüllt; u. a. ist berufen zu werden erst nach vollendetem 25. Lebensjahr möglich, § 21 I ArbGG. 2.1.2. Welcher K a m m e r welche Verfahren zugeteilt werden, ist im sog. Geschäftsverteilungspian festgelegt. Er verwendet als „Verteilungsschlüssel" ζ. B. die Anfangsbuchstaben der Verfahrensbeteiligten (etwa: 1. Kammer: A - D ; 2. Kammer: E - K l . . . usw.) oder die Verfahrensnummer im Geschäftsjahr (ζ. Β. : 1. Kammer: Endziffern 1 , 3 , 5 ; 2. Kammer: 2, 7, 9; 3. Kammer: 4 , 6 , 8 . . . o . a . Die N u m m e r „256/81" ist also der 256. Streitfall im J a h r 1981 - im o. Beispiel wäre wegen der Endziffer „6" die 3. Kammer zuständig.)

Die Organisation der Arbeitsgerichte

BAG

LAG

ArbG

176

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

2.2. Auch bei dem LAG als 2. Instanz, vgl. §8 II A r b G G , bestehen Kammern, besetzt mit einem Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern, § 35 II A r b G G — o. 2.1. gilt entsprechend. Jedoch müssen hier ehrenamtliche Richter das 30. Lebensjahr vollendet haben, um berufen werden zu können, § 37 I A r b G G ; auch sollen sie schon mindestens 4 Jahre in derselben Funktion am ArbG tätig gewesen sein. Für die Geschäftsverteilung gilt o. 2.1.2. - allerdings kommt es nun auf den Namen dessen an, der Berufung zum L A G (vgl. u. II. B. 2.) eingelegt hat, bzw. auf die Nummer dieses Verfahrens (ζ. B.: „27/81" wäre die 27. Berufung im Jahr 1981). 2.3. Die 3. Instanz - auf Bundesebene, vgl. o. 1.2. - ist das B A G , § 8 III A r b G G . Statt Kammern gibt es hier die sog. Senate; sie werden gebildet von drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern, vgl. § 41 A r b G G . Diese in einen Senat berufenen ehrenamtlichen Richter müssen (zusätzlich zu den Voraussetzungen aus §§ 2 1 - 2 3 A r b G G ) das 35. Lebensjahr vollendet und „besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und des Arbeitslebens" haben, vgl. § 43 II A r b G G . Sie sollen auch schon mindestens vier Jahre am ArbG tätig gewesen sein. 2.3.1. In einzelnen Fällen tritt beim B A G der sog. Große Senat zusammen - wenn ζ. B. die „Fortbildung des Rechts" dies erfordert oder die „einheitliche Rechtsprechung" gesichert werden soll; insbes. jedoch, wenn ein Senat beabsichtigt, anders zu entscheiden, als dies zuvor ein anderer Senat getan hat, vgl. § 45 II A r b G G . In solchen Fällen legt der Große Senat (sechs Berufs- und vier ehrenamtliche Richter, vgl. § 45 I A r b G G ) die zukünftige „gemeinsame Marschroute" fest. (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren Verschiedentlich w u r d e n im Ersten Teil u n d Zweiten Teil S i t u a t i o n e n a n g e s p r o c h e n , die zu a r b e i t s r e c h t l i c h e n Streitigkeiten f ü h r e n k ö n n e n : 2. B. w e n n b e g e h r t wird, e i n e n rechtswidrigen A r b e i t s k a m p f zu u n t e r l a s s e n ( E r s t e r T e i l , II. C. 4 . 1 . 1 . ) ; w e n n d e r B R einer M a ß n a h m e d e s A G w i d e r s p r o c h e n h a t u n d sie sich nicht einigen k ö n n e n ( E r s t e r Teil, II. D . 7 . 3 . ) - o d e r w e n n K S c h - K l a g e e r h o b e n wird ( Z w e i t e r Teil, III. 2 . 5 . 1 . ) . In diesen u n d allen a n d e r e n Fällen m ü s s e n , b e v o r d e r Streit v o r d e m A r b G a u s g e t r a g e n w e r d e n k a n n , drei „Vorüberlegungen" angestellt w e r d e n : - welches A r b G ist zuständig (vgl. u. A . 1.)? - w e l c h e Verfahrensart ist zu w ä h l e n (vgl. u. A . 2.)? — w e r d a r f v o r G e r i c h t als Partei a u f t r e t e n u n d h a n d e l n (vgl. u. A . 3 . ) ?

A. Vorfragen 1. Kapitel: Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte Literatur: Feichtinger, §§2; 2a.

B; G.-S., R d N r . 631-637; Schaub, ArbCVerf.,

§§ 12; 13;

Stahlhacke,

Bei der Zuständigkeit sind zwei B e r e i c h e zu t r e n n e n : z u m e i n e n ist f e s t z u s t e l l e n , in welchem Gerichtsbezirk das A r b G a n z u r u f e n ist — also die örtliche Zuständigkeit. Z u m a n d e r e n m u ß g e p r ü f t w e r d e n , o b d a s (örtlich z u s t ä n d i g e ) A r b G a u c h befugt ist, ü b e r die Streitigkeit zu entscheiden — o d e r o b nicht ein a n d e r e s G e r i c h t zu e n t s c h e i d e n h ä t t e , e t w a das A m t s G o d e r das V w G — h i e r f ü r ist die sachliche Zuständigkeit ausschlaggebend. 1.1. D a s A r b G G e n t h ä l t grundsätzlich k e i n e e i g e n e R e g e l u n g d e r örtlichen Zuständigkeit. Statt d e s s e n sind die §§ 12—37 d e r — die o r d e n t l i c h e G e r i c h t s b a r k e i t r e g e l n d e n — Zivilprozeßordnung ( Z P O ) a n z u w e n d e n . ( A u c h dies zeigt, d a ß die A r b e i t s - aus d e r ordentlichen G e r i c h t s b a r k e i t h e r v o r g e g a n g e n ist, vgl. ο. I. E i n l . , vor 1.). 1.1.1. D i e g r ö ß t e B e d e u t u n g h a t d e r sog. allgemeine Gerichtsstand. E r legt d e n O r t u n d d a m i t d e n Gerichtsbezirk f e s t , in d e m e i n e P e r s o n zu v e r k l a g e n ist, vgl. § 12 Z P O . Bei natürlichen P e r s o n e n ist dies d e r Wohnsitz, § 13 Z P O — bei d e n sog. juristischen Personen g e m . § 17 Z P O d e r Verwaltungssitz. ( B e i s p i e l : A N X w o h n t in M ü n c h e n u n d arbeitet d o r t bei d e r F a . B . E i n e e v e n t u e l l e K S c h - K l a g e m u ß X a m A r b G M ü n c h e n e r h e b e n , weil d o r t d e r Sitz d e r F i r m a ist. B e h a u p t e t Β , X h a b e zuviel L o h n b e k o m m e n , klagt sie ebenfalls a m A r b G - M ü n c h e n auf H e r a u s g a b e . W o h n t d a g e g e n X in A u g s b u r g , w ä r e sein „ W o h n s i t z g e r i c h t " d a s A r b G - A u g s b u r g - die F a . Β m ü ß t e n u n hier ihre K l a g e gegen X e i n r e i c h e n . ) 1.1.2. N e b e n d e m allgemeinen, sind einige besondere Gerichtsstände zu b e a c h t e n — sie b e s t e h e n j e d o c h n u r bei Ansprüchen ganz bestimmter Art, vgl. § § 2 0 - 3 4 Z P O . E s ist

178

Dritter Teil : Das Arbeitsgerichtsverfahren

also möglich, daß für eine Klage mehrere Gerichtsstände in Betracht kommen; dann kann der Kläger wählen, an welches der jeweils örtlich zuständigen A r b G er sich wenden will, § 35 ZPO. 1.1.2.1. Im Gerichtsstand des Aufenthaltsorts können vermögensrechtliche (also in Geld berechenbare) Ansprüche verfolgt werden, § 20 ZPO. Während der Wohnsitz dort ist, wo man sich ständig niedergelassen hat (§ 7 I BGB!), ist zwar auch der Aufenthaltsort von einiger Dauer, jedoch letztlich „vorübergehend". (Ζ. B.: A N X wohnt in Köln. Jeden Winter arbeitet er 3 Monate als Kellner in Oberammergau. Während Köln sein Wohnsitz ist, ist für einige Monate Oberammergau sein Aufenthaltsort.) 1.1.2.2. Der besondere Gerichtsstand der Niederlassung gilt für alle Ansprüche, die unmittelbar mit dieser Niederlassung zusammenhängen, § 21 Z P O . (Wäre im Beispiel o. 1.1.1. AN X nicht in München, sondern in der Augsburger Filiale der Fa. Β beschäftigt, könnte er seine KSch-Klage zum ArbG-Augsburg einreichen.) Damit soll vermieden werden, daß einheitliche Vorgänge zerrissen und teilweise von einem Gericht beurteilt werden müssen, das eventuelle örtliche Eigenheiten, Umstände usw. nicht kennt. Außerdem schützt diese Vorschrift den AN davor, an einem möglicherweise weit entfernten Firmensitz klagen zu müssen. 1.1.2.3. Der Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsorts, § 29 Z P O , ist zuständig, wenn arbeitsvertragliche Pflichten umstritten sind oder wenn zweifelhaft ist, ob ein A V überhaupt besteht. Erfüllungsort ist dort, wo die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen ist. (Zum Beispiel ο. 1.1.2.2.: Will der in Augsburg beschäftigte X rückständigen Lohn einklagen, könnte er statt das Gericht der Niederlassung auch das ArbGMünchen wählen — § 35 ZPO! — wenn die Fa. Β ihre Lohnabrechnungen in München vornimmt.)

Die örtliche Zuständigkeit

Allg. Gerichtsstand

Bes. Gerichtsstände

-natürliche Person: Wohnsitz

§§12/13 Z P O

-juristische Person: Verwaltungssitz

§§ 12/17 Z P O

-Aufenthaltsort

§ 2 0 ZPO

-Niederlassung

§ 21 Z P O

•Erfüllungsort

§ 2 9 ZPO

-Unerlaubte Handlung

§ 3 2 ZPO

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

179

1.1.2.4. Schließlich ist noch der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung hervorzuheben, § 32 Z P O (vgl. zur unerlaubten Handlung im Zweiten Teil, II. D. 1.). D e m n a c h kann auch dort geklagt werden, wo eine solche unerlaubte Handlung begangen wurde (Beispiel entspr. ο. 1.1.2.3.: Die Fa. Β kann X am A r b G - M ü n c h e n auf Schadensersatz verklagen, wenn er aus Wut über die Kündigung dort einen Geschäftswagen beschädigt hat.) (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!) 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des A r b G ist in den §§ 2—4 A r b G G abschließend geregelt. (Auch aus den „Katalogen" der §§ 2 u. 2a A r b G G folgt, daß die A r b G als besondere Zivilgerichte nur für privatrechtliche Streitigkeiten zuständig sind - vgl. ο. I. Einl., vor 1.). Finanz-, sozial- oder verwaltungsrechtliche Konflikte sind vom A r b G nicht einmal dann zu entscheiden, wenn sie unmittelbar mit einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit zusammenhängen. (Ζ. B.: Verlor ein A N durch einen Arbeitsunfall ein Bein, kann er nicht etwa innerhalb einer KSch-Klage durchsetzen, als Schwerbeschädigter anerkannt zu werden. Vielmehr m u ß er hierfür zuerst bei der zuständigen Hauptfürsorgestelle, vgl. § 3 SchbG, einen entsprechenden Antrag stellen.) 1.2.1. Das A r b G ist gem. § 2 ArbGG sachlich zuständig für individual- und kollektivrechtliche Streitigkeiten, die im Urteilsverfahren (vgl. u. 2.1.) entschieden werden. Besonders wichtig sind: 1.2.1.1. Kollektivrechtliche Streitfälle des Bürgerlichen Rechts zwischen den TVParteien (also etwa A G - und A N - V e r b a n d ) , vgl. § 1 I Nr. 1. A r b G G . Hierzu zählen ζ. B. alle Probleme aus den schuldrechtlichen Vereinbarungen des TV (vgl. o. Erster Teil, II. Β. 1./1.2.). Beispiel: ein A G „unterläuft" den T V und der A G - V e r b a n d kommt seiner Durchführungspflicht (vgl. o. Erster Teil, II. B. 1.2.3.) nicht nach. 1.2.1.2. Bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten tariffähiger Parteien, die aus unerlaubten Handlungen 1 (vgl. o. Zweiter Teil, II. D . 1.) beim Arbeitskampf entstehen oder auf der Es folgt eine Übersicht der wichtigsten Beispiele f ü r Die sachliche Zuständigkeit gem. § 2 ArbGG

Kollektivrechtl. Streitigkeiten aus

-schuldrechtl. TV-Beziehungen

§ 21 Nr. 1.

-unerlaubten Handlungen

§ 21 Nr. 2.

-Arbeitsverhältnissen

§ 21 Nr. 3. a)

-unerlaubten Handlungen

§ 21 Nr. 3. d)

Individualrecht!. Streitigkeiten aus

1

Vgl. zur Auslegung BAG in AP, Nr. 26 zu Art. 9 GG

180

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

Betätigungsfreiheit einer Koalition beruhen, § 2 INr. 2. ArbGG (vgl. o. Erster Teil, II. A . 2.2.2.) - wenn also ζ. B. dem Gewerkschaftsbeauftragten vom A G verboten wird, den Betrieb zu betreten (vgl. o. Erster Teil, II. D. 11.2.1.). 1.2.1.3. Alle mit dem individuellen A R zusammenhängenden bürgerlich-rechtlichen Konflikte, vgl. § 2 I Nr. 3. A r b G G . Sie wurden den ArbG wegen ihrer besonderen Fachkenntnis übertragen - ansonsten wären hierfür die ordentlichen Gerichte zuständig. Zu nennen sind etwa Zahlungsklagen der AN gegen A G , KSch-Klagen usw.; ebenso die Klagen der A G gegen AN, ζ. B. wegen verletzter Vertragspflichten u. ä. (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!)

1.2.2. Für kollektivrechtliche Angelegenheiten, auf die das Beschlußverfahren (vgl. u. 2.2.) anzuwenden ist, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des ArbG aus § 2 a ArbGG. 1.2.2.1. Hierher gehören Fragen des BetrVG, vgl. § 2 a I Nr. 1. A r b G G . Ζ. B . : Soll die BR-Wahl angefochten werden, ist das ArbG ebenso zuständig2, wie wenn A G und B R darüber streiten, wie umfangreich einzelne Mitwirkungsrechte des B R sind (vgl. o. Erster Teil, II. D. 7.). 1.2.2.2. Zu nennen sind ferner Angelegenheiten aus dem MitbestG 1976 und BetrVG 1952, § 2a I Nr. 2. A r b G G - also aus der Unternehmensverfassung (vgl. o. Erster Teil, II. E . 3. ff.); z.B.: wie die Wahl der AN-Vertreter in den AufsR durchzuführen ist. 1.2.2.3. Schließlich ist hier auch zu entscheiden, ob eine Vereinigung tariffähig und tarifzuständig ist, § 2a I Nr. 3. A r b G G (vgl. o. Erster Teil, II. B. 2.2.12.3.) - eine Frage, die für ihre Mitglieder u. a. deshalb bedeutsam ist, weil daraus folgt, ob diese Vereinigung Arbeitskampfmittel einsetzen darf (vgl. o. Erster Teil, II. A . 2.2.2.).

Die sachliche Zuständigkeit gem. § 2a A r b G G

Kollektivrechtl. Streitigkeiten aus

2

-BetrVG 1972

§ 2a I Nr. 1.

-MitbestG 1976/ BetrVG 1952

§ 2a I Nr. 2

-Tariffähigkeit/ Tarifzuständigkeit

§ 2a I Nr. 3.

Vgl. etwa BAG in AP, Nr. 5 zu § 3 BetrVG 1952

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

181

2. Kapitel: Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze Literatur: Feichtinger, D.2.2, 2.4., 2.5.; G 2.1.1., 2.1.2.; G.-S., RdNr. 638-650; ArbGVerf., § § 2 0 ; 4 7 1 . , I I . , V.;Stahlhacke, § § 9 ; 4 6 ; 5 2 ; 8 0 ; 8 1 ; 8 3 .

Schaub,

Bei d e r E r l ä u t e r u n g d e r sachlichen Z u s t ä n d i g k e i t w u r d e bereits e r w ä h n t , d a ß f ü r m a n c h e A n g e l e g e n h e i t e n das Urteilsverfahren (§ 2 A r b G G ) , f ü r a n d e r e d a s B e s c h l u ß verfahren (§ 2 a A r b G G ) v o r g e s e h e n ist (vgl. o. 1.2.1. u. 1.2.2.). Sie zu u n t e r s c h e i d e n ist wichtig, weil b e i d e V e r f a h r e n gesetzlich verschieden ausgestaltet sind u n d a u ß e r d e m d a s G e r i c h t ein R e c h t s s c h u t z b e g e h r e n als unzulässig zurückweisen m u ß , w e n n die falsche V e r f a h r e n s a r t gewählt w u r d e . 2.1. D a s Urteilsverfahren ist n ä h e r g e r e g e l t in §§ 4 6 - 7 9 A r b G G . D a ß die A r b G besondere Zivilgerichte sind, zeigt sich w i e d e r u m d a r a n , d a ß g e m . § 46 II A r b G G w e i t g e h e n d die Vorschriften der ZPO a n g e w e n d e t w e r d e n . 2.1.1. Soll e i n e r d e r in § 2 A r b G G abschließend a u f g e z ä h l t e n Streitfälle v o r d a s A r b G g e b r a c h t w e r d e n , ist eine Klage b e i m G e r i c h t schriftlich e i n z u r e i c h e n o d e r bei d e s s e n G e s c h ä f t s s t e l l e zu Protokoll zu g e b e n . ( W e l c h e n Inhalt die Klage h a b e n m u ß , u m als o r d n u n g s g e m ä ß e r h o b e n a n g e s e h e n zu w e r d e n , ergibt sich aus §§ 496. 253 Z P O . ) A u f keinen Fall a b e r wird d a s A r b G v o n allein tätig - sog. Antragsgrundsatz! 2.1.2. W i e d a s U r t e i l s v e r f a h r e n sich f o r t e n t w i c k e l t , insbes. welcher Sachverhalt in F r a g e s t e h e n soll, wird wesentlich b e s t i m m t d u r c h d e n hier g e l t e n d e n Verhandlungsgrundsatz': Allein die Parteien e n t s c h e i d e n , w e l c h e T a t s a c h e n sie d e m G e r i c h t v o r t r a g e n ! Sie k ö n n e n also gemeinsam ganz bewußt einen Teilsachverhalt „ausblend e n " , w e n n sie nicht wollen, d a ß d a r ü b e r e n t s c h i e d e n w e r d e n soll - d a s G e r i c h t darf solche U m s t ä n d e a u c h d a n n nicht v e r w e r t e n , w e n n sie ihm b e k a n n t sind. ( B e i s p i e l : A N X klagt n u r 1 M o n a t s l o h n ein, o b w o h l seit 3 M o n a t e n nicht bezahlt w u r d e ; die P a r t e i e n sind sich a b e r einig, d a ß alle 3 G e h ä l t e r b e z a h l t w e r d e n , w e n n g e k l ä r t ist, d a ß überhaupt bezahlt w e r d e n m u ß . ) D e r V e r h a n d l u n g s g r u n d s a t z e r g ä n z t die Vertragsfreiheit - d e n n w e n n die P a r t e i e n grundsätzlich frei sind d a r i n , wie sie ihre p r i v a t r e c h t l i c h e n B e z i e h u n g e n z u e i n a n d e r gestalten (vgl. o. Z w e i t e r Teil, I. E i n l . 1.), m u ß diese Freiheit auch im Streitfall g e l t e n . E s ist auch kein G r u n d ersichtlich, w a r u m „von Amts wegen" d e r Zwist v e r g r ö ß e r t w e r d e n sollte, i n d e m B e r e i c h e e i n b e z o g e n w e r d e n , in d e n e n die P a r t e i e n n o c h einig sind. 2 . 1 . 2 . 1 . Eingeschränkt wird d e r Verhandlungsgrundsatz nur dadurch, d a ß der Gerichtsvorsitzende g e m . § 139 ZPO mit d e n Beteiligten d e n Streitfall e r ö r t e r n u n d darauf hinweisen soll, w e n n ζ. B. B e w e i s a n t r ä g e unvollständig sind. G e m . § 56 I ArbGG m u ß er die V e r h a n d l u n g so v o r b e r e i t e n , d a ß möglichst schon im e r s t e n T e r m i n e n t s c h i e d e n w e r d e n k a n n . H i e r z u k a n n e r d e n P a r t e i e n ζ. B. a u f g e b e n , U r k u n d e n v o r z u l e g e n usw. D i e s e V o r s c h r i f t e n wollen a b e r h a u p t s ä c h l i c h e r r e i c h e n , d a ß rechtsunkundige Parteien nicht benachteiligt w e r d e n — etwa weil sie nicht wissen, w a s bewiesen w e r d e n m u ß o d e r

1

Vgl. ζ. B. BAG in AP. Nr. 3 zu § 9 KSchG

182

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

welche Beweismittel geeignet sind. Sie werden dadurch nicht gehindert, im Prozeß über ihre Interessen frei zu verfügen. 2.1.3. Für das gesamte Urteilsverfahren sind - neben anderen — zwei weitere Grundsätze besonders bedeutsam: der Öffentlichkeits- und der Beschleunigungsgrundsatz. 2.1.3.1. Nach dem Öffentlichkeitsgrundsatz - der in fast allen gerichtlichen Verfahren gilt! - können Personen im Gerichtssaal anwesend sein während der Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung, die eigentlich mit dem Prozeß „nichts zu tun h a b e n " , die also nur Zuhörer sind, vgl. § 52 A r b G G . Dadurch soll eine „Geheimjustiz" verhindert werden und die Öffentlichkeit sich informieren können. Nur unter besonderen U m s t ä n d e n kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden; ζ. B. wenn über Betriebsgeheimnisse verhandelt wird (vgl. zu Einzelheiten § 52 Satz 2 A r b G G ) — also wenn Interessen betroffen sind, die in einzelnen Fällen wichtiger erscheinen als die Öffentlichkeit zu unterrichten. 2.1.3.2. Besonders betont wird im A r b G G der Beschleunigungsgrundsatz, vgl. etwa §§9 1,1 u. 61 a A r b G G . Ziel ist, Streitigkeiten möglichst schnell zu erledigen, was allen Prozeßparteien zugute kommt. Dafür werden etliche Fristen der Z P O im arbeitsgerichtlichen Verfahren verkürzt (ζ. B.: Klageerwiderung in 1 Woche, § 47 I A r b G G ; Terminsvorbereitung gem. §56 I A r b G G - vgl. ο. 2.1.2.1.; die Frist zur Berufungsbegründung kann nur einmal verlängert w e r d e n , 8 66 1,4 A r b G G . . . usw.). 2.2. Für das Beschlußverfahren gelten die §§ 8 0 - 9 8 A r b G G . 2.2.1. Auch für die in § 2a A r b G G genannten Angelegenheiten herrscht der Antragsgrundsatz (vgl. ο. 2.1.1.): Nach § 81 I A r b G G wird das Gericht nur tätig, wenn ein Antrag schriftlich vorgelegt oder auf der Geschäftsstelle mündlich „zur Niederschrift" gestellt wird. 2.2.2. Ansonsten sind zwar gem. § 80 II A r b G G viele Vorschriften des Urteilsverfahrens auch hier anwendbar. Jedoch besteht ein wesentlicher Unterschied insofern, als im Beschlußverfahren nicht der Verhandlungs- sondern der sog. Untersuchungsgrundsatz gilt: G e m . § 83 A r b G G erforscht das Gericht d e n Sachverhalt von Amts wegen. Danach bestimmen die Beteiligten durch ihre A n t r ä g e nur „das T h e m a " , über das gestritten wird. Innerhalb dieses Rahmens sind sie aber nicht frei darin, was sie dem Gericht vortragen; stattdessen befindet das ArbG d a r ü b e r , welche U r k u n d e n vorzulegen, A u s k ü n f t e einzuholen oder Zeugen und Sachverständige zu vernehmen sind, vgl. § 83 II A r b G G . D a ß im Beschluß- die Beteiligten nicht so frei sind wie im Urteilsverfahren, erklärt sich daraus, daß nicht nur ihre eigenen Rechte betroffen sind, wie dies sonst bezeichnend ist f ü r privatrechtliche Streitigkeiten. Vielmehr wirken sich die Beschlüsse des A r b G auf alle Betriebs- bzw. Unternehmensangehörigen aus. Denn es wird entschieden, wie und in welchem Umfang ihre Interessen vertreten werden können; bei § 2 a I Nr. 3. A r b G G : ob ihre Vereinigung einen T V abschließen darf und für welchen Bereich. 2.2.3. Angeglichen ist das Beschluß- d e m Urteilsverfahren wieder darin, daß öffentlich verhandelt wird, § 80 II i.V.m. § 52 A r b G G . Auch der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz des § 9 1 , 1 A r b G G gilt, da insoweit die Beteiligten genau wie im Urteilsverfahren interessiert sind, die Streitfragen schnell zu klären.

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

183

Die wichtigsten Verfahrensarten und -grundsätze

Urteilsverfahren

Beschlußverfahren

§§ 46 - 79 ArbGG

§ § 8 0 - 98 ArbGG

Verhandlungsgrundsatz

Untersuchungsgrundsatz

Antragsgrundsatz

Öffentlichkeitsgrundsatz Beschleunigungsgrundsatz

3. Kapitel: P a r t e i e n u n d Parteivertreter Literatur: Feichtinger, C; G.-S., RdNr. 638,639;Schaub, ArbGVerf., hacke, §§ 10; 11.

§§ 15-17; 47 III.; Stahl-

Als dritte Vorfrage im arbeitsgerichtlichen Verfahren (vgl. ο. II. vor A . ) ist zu klären, wer überhaupt bei Gericht eine Klage oder einen Antrag einreichen und gegen wen sie sich richten darf: d. h. wer Partei sein kann. (Die Parteien werden im Urteilsverfahren als Kläger und Beklagter, im Beschlußverfahren als Antragsteller und Antragsgegner bezeichnet.) 3.1. Partei kann nur sein, wer partei/äVif'g ist. Die Parteifähigkeit folgt gem. § 50 Z P O aus der Rechtsfähigkeit. Diese umfaßt „die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten" sein zu können. § 1 B G B legt hierzu fest: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt" — und sie endet erst mit dem Tod. D a s heißt, daß die Rechtsfähigkeit dem Menschen als eine „juristische Eigenschaft" zugeordnet ist. (Beispiel: Schenkt der Vater dem Kind „zur G e b u r t " ein Haus, so hat es das Eigentumsrec/ζί und die Steuerpflicht d a f ü r . ) A b e r auch juristische Personen können rechtsfähig sein, weil sie eine „verselbständigte juristische Persönlichkeit" besitzen, der die Rechtsordnung diese Eigenschaft verleiht (ζ. B.: A k t . G e s . , G m b H , eingetragener Verein). Die Parteifähigkeit ist also das prozessuale Gegenstück zur Rechtsfähigkeit - denn wer Rechte und Pflichten haben kann, für und gegen den müssen sie, notfalls auch im Prozeßweg, durchsetzbar sein. 3.1.1. Im A R ist die Parteifähigkeit erweitert auf all jene G r u p p e n , denen aus ihm eigene Rechte und Pflichten zustehen. Dies sind gem. § 10 ArbGG ζ. B. die Gewerk-

184

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

Schäften (im Ersten Teil, II. A . 1.4. wurde darauf hingewiesen, daß sie meist keine eingetragenen Vereine, also eigentlich ohne verselbständigte Rechtspersönlichkeiten sind), die A G - V e r b ä n d e und jene Personen und Organisationsteile, die aus der betrieblichen und Unternehmensverfassung Rechte herleiten können. D e n n auch im A R wären gerichtlich nicht erzwingbare Rechte von geringem Wert. 3.2. Z u r Parteifähigkeit muß jedoch noch die Prozeßfähigkeit hinzutreten, damit selbst geklagt oder Anträge gestellt werden können. D e n n so, wie nur der voll Geschäftsfähige am Rechtsleben selbständig teilnehmen kann (vgl. o. Zweiter Teil, II. A . 2.), wird nur der prozeßfähigen Partei zugetraut, sich selbst vor Nachteilen zu schützen. D e m entsprechend legt § 52 Z P O fest, daß eine Person nur insoweit prozeßfähig ist, „als sie sich durch Verträge verpflichten kann", d. h., soweit sie auch geschäftsfähig ist. Auch hier wird also die „materiell-rechtliche" durch die „prozessuale Fähigkeit" ergänzt (vgl. ο. 3.1.). Beispiel: Will der 16jährige AN X, der gem. § 113 B G B eine Arbeit aufgenommen hat, seinen A G verklagen, ist er selbst parteifähig. Weil er für diesen „Lebensausschnitt" als begrenzt geschäftsfähig gilt, vgl. o. Zweiter Teil, II. A. 2.4., ist er insoweit auch prozeßfähig. Außerhalb dieses Bereichs kann er Prozesse nicht selbst f ü h r e n , weil er nur beschränkt geschäftsfähig ist - er benötigt d a f ü r seinen gesetzlichen Vertreter.

Materielle und prozessuale „Entsprechungen"

Rechtsfähigkeit



Parteifähigkeit

Geschäftsfähigkeit



Prozeßfähigkeit

3.3. Parteien, die prozeßfähig sind (vgl. o. 3.2.), können ihr arbeitsgerichtliches Verfahren in 1. Instanz selbst führen. O f t ist es jedoch ratsam, jemanden hinzuzuziehen, der besondere Fachkenntnisse besitzt. Deshalb können sich die Parteien gem. § 11 I A r b G G auch „vertreten lassen". Als solche Vertreter kommen insbes. Rechtsanwälte in Betracht oder Verbandsvertreter ( d . h . Mitglieder der AN- oder A G Verbände), die ständig mit solchen Aufgaben betraut werden und daher entsprechend erfahren sind. 3.3.1. Vertretungszwang besteht sogar im Urteilsverfahren der 2. u. 3. Instanz, § 11 II A r b G G (vgl. u. B. 2. u. 3.). Damit soll vermieden werden, daß gerichtlich unerfahrene Parteien in diesen höheren Rechtszügen, in denen es „immer juristischer wird", benachteiligt sind. Zugleich können die Verfahren dadurch schneller durchgeführt werden, was dem Beschleunigungsgrundsatz dient (vgl. ο. 2.1.3.2.).

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

185

B. Der Instanzenweg 1. Kapitel: D a s V e r f a h r e n in der 1. Instanz Literatur: Feichtinger, D 1, 3, 4, 6; G.-S., RdNr. 638-650; Schaub, ArbGVerf., 19-25; 47IV.-VI.; Stahlhacke, §§ 50; 54; 56; 57; 60; 80; 81; 83; 84.

§§ 4-6; 8-10;

Sind die Vorfragen geklärt (Zuständigkeit, Partei-/Prozeßfähigkeit u. Prozeßvertretung, vgl. ο. Α. 1.—3.), muß sich der Rechtsuchende im Urteils- wie im Beschlußverfahren an das ArbG als 1. Instanz wenden (vgl. ο. I. Einl. 2.1.). 1.1. Das Urteilsverfahren wird eröffnet, indem eine Klage schriftlich eingereicht oder auf der Geschäftsstelle protokolliert wird (vgl. ο. Α. 2.1.1.). 1.1.1. Üblicherweise handelt es sich um eine Leistungsklage (ζ. B. auf Lohnzahlung gerichtet) oder um eine Feststellungsklage (ζ. B., daß die Kündigung unwirksam sei). Auch beide Klageanträge miteinander zu verbinden ist möglich und oft zweckmäßig; insbes. bei KSch-Klagen wird meistens gleichzeitig beantragt festzustellen, die Kündigung sei unwirksam und der A G weiterhin Lohn zu bezahlen verpflichtet. 1.1.2. Die Klage ist dem Beklagten zuzustellen, damit er sich dazu äußern kann, wozu ihm mindestens 1 Woche Zeit einzuräumen ist, vgl. § 47 I A r b G G - sog. Einlassungsfrist. Jedoch muß er nicht Stellung n e h m e n ; er wird auch nicht ausdrücklich dazu aufgefordert, § 47 II A r b G G . 1.1.3. Nach dieser Wochenfrist ist ein Termin anzusetzen, in dem der Vorsitzende zunächst mit den Parteien eine Güteverhandlung durchführt, § 54 I A r b G G , mit dem Ziel, den Streit friedlich beizulegen. Einigen sich die Parteien dabei, ist der Rechtsstreit beendet. Ansonsten wird — nunmehr vor der Kammer, § 57 A r b G G - streitig verhandelt, wobei dem Vorsitzenden wiederum allein obliegt, den „Streittermin" vorzubereiten, § 56 A r b G . 1.1.4. Kommt auch weiterhin keine gütliche Regelung zustande, wird das Verfahren grundsätzlich mit einem Urteil abgeschlossen, vgl. § 60 A r b G G . Dieses Urteil ist den Parteien zuzustellen, § 50 I A r b G G - ab diesem Zeitpunkt läuft die Berufungsfrist (vgl. u. 2.1.2.). 1.1.5. Erst nachdem das Verfahren in dieser Instanz beendet ist, werden die Gerichtskosten fällig (zu ihrer Berechnung vgl. § 12 I — III A r b G G ) — anders als bei Zivilprozessen ist also nicht vor oder mit Klageerhebung ein Gerichtskostenvorsc/jn/i zu bezahlen, vgl. § 12 IV A r b G G . Die obsiegende Partei ist hier auch nicht sog. Zweitschuldner, kann die unterlegene Partei die Gerichtskosten nicht bezahlen, wird nicht auf die obsiegende zurückgegriffen, sondern diese Kosten von der Staatskasse ü b e r n o m m e n , vgl. § 12 IV, 4 A r b G G . Damit wird das Kostenrisiko wesentlich gemindert. 1.1.5.1. Die Kosten ihres Prozeßbevollmächtigten trägt jede Partei in dieser Instanz selbst, vgl. § 12a I A r b G G . Wer sich ζ. B. einen Rechtsanwalt nimmt, muß ihn auch dann selbst bezahlen, wenn er den Prozeß gewinnt — hierauf muß der Rechtsanwalt die Partei hinweisen, § 12a I, 2 A r b G G . Diese Vorschrift bezweckt zu vermeiden, daß

186

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

finanzstärkere Beteiligte Schwächere allein schon durch das Kostenrisiko beeinflussen — etwa keine Klage zu erheben oder sich gegen eine Klage nicht zu wehren.

Die wichtigsten Stationen des Urteilsverfahrens

Klage u. Zustellung

Gütevertiandlung

Streitige Verhandlung

Urteil Kostenfolge

1.2. Das Beschlußverfahren ist grundsätzlich wie das Urteilsverfahren geregelt, vgl. § 80 II A r b G G . Eröffnet wird das Verfahren jedoch nicht durch eine Klage, sondern durch einen Antrag. Er muß schriftlich eingereicht oder bei der Geschäftsstelle des Gerichts niedergeschrieben werden, § 81 I A r b G G (vgl. entspr. ο. A.2.2.I.). Auch in diesem Verfahren soll versucht werden — allerdings ohne daß es hier als spezielle Güteverhandlung vorgeschrieben wäre - die Angelegenheit friedlich zu regeln, vgl. § 80 II i.V.m. § 57 II A r b G G . Gelingt dies nicht, wird vor der Kammer streitig verhandelt, wozu die Beteiligten zu hören sind, § 83 III u. IV A r b G G . Schließlich entscheidet das Gericht durch einen - schriftlichen - Beschluß, wobei es das gesamte Ergebnis des Verfahrens zugrundelegt, § 84 A r b G G . Der Beschluß wird (wie das Urteil, vgl. o. 1.1.4.) den Beteiligten zugestellt, wodurch die Beschwerdefrist beginnt. Gerichtskosten werden im Beschlußverfahren nicht erhoben, vgl. § 12 V A r b G G .

2. Kapitel: D a s Verfahren in der 2. Instanz Literatur: Feichtinger, D 8-8.2.3.2.; G 3-3.1.3.; G.-S., RdNr. 648; Schaub, ArbGVerf., §§ 33; 34; 47 VII.; Stahlhacke, §§ 64; 66; 69; 87; 89; 90; 91. Ist die im erstinstanzlichen Verfahren unterlegene Partei nicht bereit, die Entscheidung anzunehmen, kann sie sich mit einem sog. Rechtsmittel an das LAG als 2. Instanz wenden.

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

187

2.1. Gegen Urteile ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben ArbGG.

vgl. §§ 6 4 - 6 9

2.1.1. Allerdings ist nicht gegen jedes Urteil Berufung einzulegen möglich. Handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit, besteht keine Beschränkung (ζ. B.: der A G verlangt vom A N , ehrkränkende Äußerungen zu widerrufen; unterliegt er in 1. Instanz, steht ihm die Berufung offen). Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten dagegen kann nur Berufung eingelegt werden, wenn entweder das A r b G das Rechtsmittel zugelassen hat (Zulassungsberufung) oder wenn die betroffene Partei mit einem Betrag von mehr als DM 800, - unterlegen ist - sog. Beschwer, vgl. § 64 II A r b G G . (Beispiel: Die Zahlungsklage des A N X über D M 3 2 0 0 . - wurde in H ö h e von D M 2 0 0 0 , abgewiesen: da er mit D M 2 0 0 0 , - unterlegen ist, kann er Berufung einlegen, weil die Beschwer über D M 8 0 0 , - beträgt. Jedoch stehtauch dem A G das Rechtsmittel zu, weil er mit D M 1 2 0 0 , - beschwert ist.) Das A r b G muß die Berufung zulassen in den Fällen des S 64 III Nr. 1. A r b G G , insbes. also, wenn die „Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat"1, § 64 III Nr. 1. A r b G G . 2.1.2. Ist Berufung einzulegen grundsätzlich zulässig, muß die Partei innerhalb eines Monats, nachdem ihr das Urteil zugestellt wurde, überlegen, ob sie sich an das L A G wenden will — sog. Berufungsfrist. Ein weiterer Monat steht ihr zur Verfügung, um das Rechtsmittel zu begründen - „Berufungsbegründungsfrist", vgl. § 66 I A r b G G . 2.1.3. Ist die zulässige Berufung fristgerecht eingelegt und begründet, wird vom L A G der gesamte Prozeß noch einmal durchgeführt; d. h., alle Urkunden, Zeugen, Sachverständige usw. werden vom Gericht erneut geprüft und rechtlich gewertet. Denn auch das L A G ist eine sog. Tatsacheninstanz. Es ist nicht gebunden an den Sachverhalt, wie er in der 1. Instanz dargestellt wurde. Das L A G legt seiner Entscheidung nur die Tatsachen und Umstände zugrunde, die es selbst festgestellt hat.

Das Berufungsverfahren

Vermöge nsrechtl. Streit: -ab 800,- DM Beschwer -Zulassung

*

Zulässig keit

Nichtvermögensrecht!. Streit: I -keine Beschränkung

Fristen

-Einlegung -Begründung

Verhandlung

Urteil Kosten

1

Vgl. BAG in NJW 1955/278 und in NJW

1968/1980

188

Dritter Teil: Das Arbeitsgerichtsverfahren

2 . 1 . 4 . Falls auch d e m B e r u f u n g s g e r i c h t nicht gelingt, d e n Streit zu schlichten, e r g e h t g e m . § 69 A r b G G ein Urteil, d a s den P r o z e ß p a r t e i e n zugestellt w i r d , vgl. § 64 V I I i . V . m . § 50 I A r b G G . D a m i t läuft die Revisionseinlegungsfrist (vgl. u. 3 . 1 . 2 . ) . 2 . 1 . 5 . Die Kostenregelung entspricht n u n m e h r d e n §§ 91 ff. Z P O - d . h . , die u n t e r l e g e n e m u ß ab d i e s e m R e c h t s z u g d e r o b s i e g e n d e n P a r t e i die g e s a m t e n Kosten erstatten (§ 12a I, 1 A r b G G gilt ausdrücklich n u r f ü r die 1. I n s t a n z , vgl. o. 1.1.5.1.). (Siehe Graphik auf vorangehender Seite!) 2 . 2 . G e g e n Beschlüsse des A r b G kann g e m . §§ 87—91 A r b G G Beschwerde zum L A G eingelegt w e r d e n — d i e B e r u f u n g s v o r s c h r i f t e n sind hier e n t s p r e c h e n d a n z u w e n d e n , vgl. § 87 II, 1 A r b G G . H e r v o r z u h e b e n ist, d a ß die Beschwerdeschrift von e i n e m Rechtsanwalt - o d e r e i n e m d e r a n d e r e n g e m . § 11 II, 2 A r b G G z u g e l a s s e n e n Prozeßvertreter — zu unterzeichnen ist, § 89 I A r b G G . A n s o n s t e n b e s t e h t a b e r bei dieser V e r f a h r e n s a r t kein Vertretungszwang (vgl. ο. Α . 3 . 3 . 1 . ) . N a c h d e m die B e s c h w e r d e u n d ihre B e g r ü n d u n g den a n d e r e n Beteiligten zugestellt ist, vgl. § 90 I, 1 A r b G G , wird d a s V e r f a h r e n nach den f ü r die 1. I n s t a n z g e l t e n d e n §§ 83, 8 3 a A r b G G d u r c h g e f ü h r t , vgl. § 90 II A r b G G . D a s L A G e n t s c h e i d e t ü b e r die B e s c h w e r d e d u r c h e i n e n Beschluß, § 91 I, 1 A r b G G .

3. Kapitel: Das Verfahren in der 3. Instanz Literatur: Feichtinger, D 8.3.; G 3.2., 3.3.; G.-S., R d N r . 649; Schaub, ArbGVerf., V I I I . ; Stahlhacke, §§ 72-75; 92-94.

§§ 35; 47

A u c h gegen zweitinstanzliche U r t e i l e u n d B e s c h l ü s s e sind Rechtsmittel g e g e b e n . Die beschwerte, d . h . ganz o d e r teilweise u n t e r l e g e n e P a r t e i , k a n n als 3. Instanz das B A G anrufen. 3 . 1 . G e g e n Endurteile des L A G findet die Revision statt, vgl. §§ 7 2 - 7 7 A r b G G . 3 . 1 . 1 . F ü r diese I n s t a n z wird j e d o c h nicht m e h r u n t e r s c h i e d e n zwischen v e r m ö g e n s rechtlichen u n d n i c h t v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n Streitigkeiten (vgl. ο. 2 . 1 . 1 . ) . Revision einzulegen ist v i e l m e h r ausschließlich m ö g l i c h , w e n n sie v o m L A G zugelassen wird — sog. Zulassungsrevision, § 72 I A r b G G . W a n n sie zugelassen w e r d e n muß, ist in § 72 II A r b G G festgelegt: h a u p t s ä c h l i c h w i e d e r u m bei „grundsätzlicher Bedeutung" des Rechtsstreits 1 , vgl. § 72 II N r . 1 A r b G G ; f e r n e r ζ. B . , w e n n d a s L A G in s e i n e m U r t e i l v o n d e r R e c h t s p r e c h u n g d e s B A G abweicht, vgl. § 72 II N r . 2. A r b G G . ( D a h i n t e r s t e h t w i e d e r der G e d a n k e d e r „einheitlichen Rechtsprechung", d e r bereits o b e n , I. E i n l . 2.3.1. beim Großen Senat d e s B A G e r w ä h n t w u r d e . ) 3 . 1 . 1 . 1 . L ä ß t d a s L A G die Revision nicht z u , k a n n h i e r g e g e n eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt w e r d e n , § 7 2 a A r b G G . 2 D a s B A G e n t s c h e i d e t d a n n d u r c h e i n e n Beschluß, o b d a s R e c h t s m i t t e l zuzulassen ist, § 7 2 a V , 2 A r b G G .

1 1

Vgl. BAG in NJW 19551278 und in NJW 196811980 Vgl. hierzu BAG in AP, Nr. 1 zu $ 72a ArbGG 1979

II. Die arbeitsgerichtlichen Verfahren

189

3.1.2. Ist die Revision zulässig, muß sie innerhalb eines Monats bei Gericht eingehen und eines weiteren Monats begründet werden - Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsfrist, § 74 A r b G G . Die Revision kann nur darauf gestützt werden, das L A G habe eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet. Denn das BAG ist eine sog. Rechtsinstanz. Hier wird kein Sachverhalt mehr ermittelt, ζ. B. durch Zeugenaussagen o. ä.; diese Instanz dient stattdessen dazu, die Rechtseinheit zu wahren, ζ. B. indem für eine einheitliche Gesetzesauslegung gesorgt wird. 3.1.3. K o m m t das B A G zum Ergebnis, das L A G habe noch nicht alle angebotenen Beweismittel ausgeschöpft, hebt es das zweitinstanzliche Urteil auf und verweist den Rechtsstreit zurück an das L A G als Tatsacheninstanz (vgl. o. 2.1.3. Hier müssen anschließend die notwendigen Umstände - der Sachverhalt - festgestellt und ein neues Urteil ausgesprochen werden). Nur wenn die Entscheidung des L A G auf einer falschen Gesetzesanwendung beruht, der Sachverhalt selbst aber vollständig ist, erläßt das B A G ein Endurteil, vgl. § § 7 5 , 7 2 V A r b G G i.V.m. §565 III Nr. l . Z P O . {Beispiel: Würde das L A G eine wegen Konkurs erfolgte fristlose Kündigung für gerechtfertigt halten, weil ein wichtiger Grund vorliege — vgl. hierzu o. Zweiter Teil, III. 3.4.3.1. — könnte das B A G diese falsche Auslegung des § 626 I B G B selbst berichtigen.) Von einer eventuellen Verfassungsbeschwerde abgesehen (vgl. ο. I. Einl. 1.2.1.), ist damit das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren abgeschlossen.

Das Revisionsverfahren

Zulassung

Fristen

Rechtsverletzung

Urteil

1

Nichtzulassungsbeschwerde -Einlegung -Begründung