Anstaltsseelsorge: Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug [1 ed.] 9783428477913, 9783428077915

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Anstaltsseelsorge: Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug [1 ed.]
 9783428477913, 9783428077915

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Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 22

Anstaltsseelsorge Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug

Von

Susanne Eick-Wildgans

Duncker & Humblot · Berlin

SUSANNE EICK-WILDGANS

Anstaltsseelsorge

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Alexander Hollerbach * Josef Isensee - Joseph Listi Wolfgang Loschelder · Hans Maier · Paul Mikat · Wolfgang Rüfner

Band 22

Anstaltsseelsorge Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug

Von

Susanne Eick-Wildgans

Duncker & Humblot * Berlin

Schriftleitung der Reihe „Staatskirchenrechtliche Abhandlungen": Prof. Dr. Joseph Listi, LennéstraBe 15, D-53113 Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Eick-Wildgans, Susanne: Anstaltsseelsorge : Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug / von Susanne Eick-Wildgans - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen ; Bd. 22) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07791-1 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-07791-1

Meiner Familie

Vorwort

Mein Dank gilt den zahlreichen Korrespondenzpartnern in den Justizministerien der Länder sowie den Diözesen und Landeskirchen, die mit der Zurverfügungstellung von Materialien und Informationen große Teile der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht haben. Insbesondere möchte ich mich bei Professor Dr. Dr. Dietrich Pirson bedanken für die zahlreichen Anregungen und die aufmerksame Förderung, die er mir während der langjährigen Tätigkeit an seinem Institut zuteil werden ließ. Großen Dank schulde ich auch Professor Dr. Udo Steiner, der mit viel Verständnis die Entstehung dieser Arbeit begleitet hat. Ebenfalls möchte ich den Herausgebern der "Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen"- namentlich Herrn Professor Dr. Joseph Listi - für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe danken. Für Hilfestellungen technischer Art danke ich der Kanzlei Dr. Peters, Dr. Fleschutz und Dr. Hahn in München. Ein besonderer Dank gilt auch dem Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands unter der Leitung von Prof. Dr. Joseph Listi sowie dem Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für die großzügige Unterstützung dieser Veröffentlichung.

München, im Februar 1993

Susanne Eick-Wildgans

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

22

Einleitung

25

I.

Einführung in das thematische Umfeld

25

II. Die Problemstellung

25

III. Der zeitliche Rahmen

28

IV. Der Aufbau

28

T e i l 1: L ä n d e r ü b e r g r e i f e n d e D a r s t e l l u n g des Z u s a m m e n w i r k e n s v o n S t a a t u n d K i r c h e i m S t r a f v o l l z u g der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d

§ 1

Kirchliches und staatliches Strafverständnis

30

I.

Die unterschiedlichen Ansätze von Staat und Kirche im Strafvollzug

30

1. Die Problematik einer Begriffsidentität

30

2. Staatliches 3.

und

kirchliches

Ordnungsverständnis

als Ursache

differierender Haltungen zum Strafvollzug

31

Das Bewußtsein um die Sündhaftigkeit des Menschen

33

4. Das Bewußtsein der Transzendenz

34

5. Unterschiede im Schuldverständnis

35

II. Ziel und Zweck des Strafvollzugs aus staatlicher Sicht 1. Strafe und Strafvollzug a.

2.

Gerechtigkeitstheorien

36 36 36

b. Phasen und Komponenten der Strafe

37

c. Speziai-und Generalprävention im Strafvollzug

39

Die Aussagen des Strafvollzugsgesetzes zum staatlichen Vollzugsziel

3. Zukunftsorientierte Aspekte des staatlichen Strafens

40 41

III. Die Kirche zwischen Funktion und Dysfunktion

43

IV. Zusammenfassung

47

10

nsverzeichnis

§2

Die Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat im Strafvollzug I.

II.

49

Grundwerte staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug

49

1. Die Sorge um den Frieden

49

2. Die Erhaltung der menschlichen Würde

52

3. Das Streben nach Gerechtigkeit

54

4. Die Bedeutung des Freiheitsgedankens

56

Mensch, Kirche und Staat als Wirkungsfelder

58

1. Die Gestaltung der Dreiecksbeziehung

58

2.

59

Die Entwicklung von Wirkungsfeldern

3. Der Mensch als Objekt staatlichen und kirchlichen Wirkens a.

Die Bedeutung der subjektiven Haltung des Einzelnen

60 62

b. Die Bedeutung des staatlichen und kirchlichen Selbstverständnisses III.

§ 3

I.

65

Kirchliches Wirken im staatlichen Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit" Kirchliches Wirken im öffentlichen Raum 1. Die Besonderheit des Strafvollzugs als öffentlich-rechtlich geregelter 2.

II.

63

Zusammenfassung

66 66

Bereich

66

Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche

68

3. Staatliche Grenzen des Öffentlichkeitsauftrags

70

Bildhafte Darstellung kirchlichen Wirkens im Strafvollzug

72

1. Der Oberbegriff "Gemeinsame Angelegenheit"

72

2. Graphische Darstellung staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug

III.

§ 4

74

3. Materielle Interpretation des graphischen Modells

76

4.

77

Die spezifisch kirchlichen Angelegenheiten im Strafvollzug

5. Der materiell staatliche Bereich

78

6. Die Bedeutung der Interessenabwägung im Schnittbereich

78

Zusammenfassung

80

Überblick über die Rechtslage

81

I.

Bundesrechtliche Regelungen

81

II.

Chronologischer

Überblick

über die rechtlichen Regelungen des

Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Justizvollzug

83

nsverzeichnis

III.

IV.

Übersicht über die Regelungen staatlichen und kirchlichen Wirkens im Justizvollzug der Länder nach dem Rechtscharakter der Vorschriften

85

1. Tabellarische Übersicht

85

2. Verfassungen der Länder

87

3. Staatskirchenverträge und Konkordate

87

4. Spezielle Vereinbarungen zur Seelsorge im Strafvollzug

88

5. Weitere Regelungen zum Wirken der Kirche im Strafvollzug

89

Konsequenzen für den Aufbau der Darstellung

89

Leitlinien zur Inhaltsbestimmung von Art. 141 W R V I.

Historische und staatskirchenrechtliche Grundbedingungen 1. Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte 2. 3.

Der Grundsatz der Parität im Strafvollzug

4.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht

Die Aussage des Art. 141 WRV 1. Die Definitionskompetenz a.

Der Staat als Entscheidungsträger

b. Die Grenzen der staatlichen Entscheidungsgewalt 2. Die inhaltliche Aussage des Art. 141 WRV a.

III.

91 91 92

Der Grundsatz der konfessionellen Neutralität unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Strafvollzug

II.

11

Der Kreis der Berechtigten

95 97 101 103 104 104 104 107 107

b. Die Feststellung des "Bedürfnisses"

110

c.

111

Der Begriff "Gottesdienst"

d. Der Begriff der "Seelsorge"

112

e.

Das Zwangsanwendungsverbot

115

f.

Die Tragweite des Begriffs der "Zulassung"

115

Zusammenfassung

Die Aussagen des Art. 4 GG in ihrer Bedeutung für den Strafvollzug

116

118

I.

Die Glaubensfreiheit

II.

Die Gewissensfreiheit

119 122

III.

Die Bekenntnisfreiheit

123

IV.

Die Freiheit der Religionsausübung

125

V.

Das weltanschauliche Bekenntnis

126

12

nsverzeichnis

§ 7

I.

II.

Die Religionsfreiheit im Strafvollzug unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Grundrechtsträger

129

Grundrecht und Grundrechtsträger

129

1. Die Grundrechtsträger

129

2. Die Beziehung von Grundrecht und Grundrechtsträger

131

Die Kirche im Strafvollzug als Grundrechtsträger

133

1. Schranken für kirchliches Wirken im Strafvollzug

133

a.

Die Religionsfreiheit anderer als Grenze

135

b. Das Zwangsanwendungsverbot c.

136

Das Abwägungserfordernis bei der Begrenzung durch andere Grundrechte

136

d. Sicherheit und Ordnung als Schranke kirchlichen Wirkens e.

Verfassungsmäßigkeit

der

durch

das

137

Strafvollzugsgesetz

gezogenen Grenze des § 154 Abs. 1 StVollzG

138

2. Zusammenfassung zu den religiösen Rechten der Kirche im Strafvollzug gem. Art. 4 GG

139

ΙΠ.

Die Wechselwirkung korporativer und individueller Religionsfreiheit im Strafvollzug

140

IV.

Der Strafgefangene als Grundrechtsträger

140

1. Tatbestandsmäßigkeit und Schrankenproblematik der Religionsfreiheit beim Strafgefangenen

140

2. Überblick über faktische Probleme im Strafvollzug als einem "besonderen Gewaltverhältnis"

§ 8

141

3. Die Religionsfreiheit im Strafvollzug als Leistungsgrundrecht

143

4. Die Bedeutung des Strafvollzugsgesetzes

144

Die religionsbezogenen Regelungen des gesetzes im Lichte des Verfassungsrechts

Strafvollzugs145

I.

Überblick über individuelle und generelle religionsbezogene Regelungen

II.

Religiöse Betreuung

146

1. Die Organisation religiöser Betreuung als staatliche Aufgabe

146

2. Die Konfessionsbezogenheit religiöser Betreuung

148

im Strafvollzugsgesetz

ΠΙ.

145

3.

Der Umfang "religiöser Betreuung"

149

4.

Die Reichweite karitativer Tätigkeit

151

5. Das Zwangsanwendungsverbot

153

6. Die Rechtsdurchsetzung

153

Religionsausübung gem. §§ 53 und 54 StVollzG

154

nsverzeichnis

13

1. Die Abgrenzung von § 53 StVollzG und § 54 StVollzG

154

b. Konfessionsfremde Veranstaltungen

155

c. 2.

154

a. Religiöse Veranstaltungen Das Recht auf Einzelseelsorge gem. § 53 Abs. 1 StVollzG

Das Problem von "Sicherheit und Ordnung"

156 157

3. Religiöse Schriften, § 53 Abs.2 StVollzG

159

4. Gegenstände des religiösen Gebrauchs, § 53 Abs. 3 StVollzG

161

IV.

Religiöse Speisevorschriften, § 21 S. 3 StVollzG

162

V.

Der Mißbrauch als Grenze von Religionsfreiheit - Wechselwirkung von individuellen und generellen Faktoren

163

1. Das Teilnahmeverbot für einzelne Gefangene aus überwiegenden

2.

Gründen der Sicherheit und Ordnung

164

a. Sicherheit und Ordnung

164

b. Die Kirche als Betroffene

165

Abwägungsgesichtspunkte bei der Entscheidung über die Teilnahme einzelner Gefangener an religiösen Veranstaltungen

166

3. Die Anhörung des Seelsorgers VI.

VII.

§ 9

168

Die Aussage des § 55 StVollzG

169

1. Weltanschauungsgemeinschaften

169

2. Die Problematik "neuer Religionen" im Strafvollzug

172

Zusammenfassung

173

Der Anstaltsseelsorger

175

I.

Die Problemkreise

175

II.

Statistische Angaben zur Anstaltsseelsorge

177

III.

Uberblick über die den Anstaltsseelsorger betreffenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

178

1. Die Bestellung oder Verpflichtung, § 157 Abs. 1 StVollzG

IV.

178

2. Seelsorgerliche Betreuung auf andere Weise, § 157 Abs. 2 StVollzG

180

3. Seelsorger von außen und Seelsorgehelfer, StVollzG 4. Das Zusammenarbeitsgebot, § 154 StVollzG

180 182

§ 157 Abs. 3

Die dienstrechtliche Stellung der Anstaltsseelsorger

183

1. Die grundsätzliche Ausgangsfrage

183

a.

Die umfassende Pflichtenstellung von Beamten

184

b. Die Eigenständigkeit des kirchlichen Arbeitsrechts

185

c.

186

Das Treueverhältnis zum Staat bzw. zur Kirche

d. Der kirchliche Auftrag und das Beamtenrecht

187

e. Möglichkeiten einer Modifizierung des Beamtenrechts

187

14

nsverzeichnis

f. 2.

Das Rechtsverhältnis eigener Art

188

Bestellung, Anstellung und Finanzierung

189

a.

189

Die Bestellung

b. Rechtsvorschriften und statistische Angaben zur Anstellung in c. 3. V.

einzelnen Ländern

189

Anstellung und Finanzierung

192

Aufsicht

Das Problem der "pastoralen Identität"

VI.

193 195

1. Der Zusammenhang mit den Entwicklungen im Strafvollzug

195

2. Die Empfehlungen der evangelischen Kirche

197

Das Arbeitsfeld des Anstaltsseelsorgers

199

1. Gottesdienste

201

2. Gruppenseelsorge

202

3.

Einzelseelsorge

205

4. Sonstige Tätigkeiten

206

5. Mitarbeit in der Straffälligenhilfe

207

6.

208

Betreuung der Bediensteten

7. Aus- und Fortbildung

209

VII.

Das Schweigerecht

210

VIII.

Zusammenfassung

212

§ 10

Zusammenfassung des ersten Teils

215

Teil 2 : Das Zusammenwirken von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in den Ländern

§11

Regelungsreichweite und Aussagen der Länderverfassungen

I.

Das Verhältnis von bundesverfassungsrechtlichen und länderverfassungs-

II.

Darstellung der Aussagen der Verfassungen von Bayern, Brandenburg,

rechtlichen Regelungen

223

223

Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland nach thematischen Gesichtspunkten

226

1. Zur Frage des "Bedürfnisses" 2. Der Fragenkreis der Zulassung

226 228

nsverzeichnis

3.

Der Kreis der Berechtigten

231

5. Das Zwangsanwendungsverbot

232

Der Umfang staatlicher Mitwirkung in sachlicher und personeller Hinsicht

§ 12

I.

Zusammenfassung zu den Aussagen der Länderverfassungen

Zulässigkeit und Bedeutung vertraglicher Regelungen kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug

234

235

anschauliches Wirken im Strafvollzug

235

1. Aspekte des Staates

235

2.

Aspekte der Kirche

Arten und Bezeichnungen der Vereinbarungen

III.

Die Bedeutung des Reichskonkordats fiir das kirchliche Wirken im Straf-

237 238

vollzug

239

1. Geltungsbereich

239

2. Materielle Aussagekraft

240

3. Auswirkungen fiir die evangelische Kirche

242

4. Zusammenfassung zur Bedeutung des Reichskonkordats

243

Systematische Erfassung vertraglicher Vereinbarungen zur Anstaltsseelsorge 1. Das Wesen der Gegenseitigkeit

243 243

2. Der Aufbau der Darstellung a. Statistik, Rechtsquellen und statusbezogene Regelungen

244 244

b. Der Aufgabenkatalog c.

Der Begriff der "Seelsorge" in den Verträgen

d. Weitere Gliederungspunkte

§ 13

233

Die Zulässigkeit von Vereinbarungen über religiöses und welt-

II.

IV.

229

4. Die geschützte Tätigkeit 6. III.

15

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Baden-Württemberg

245 245 247

248

I.

Statistische Daten

Π.

Überblick über die Rechtslage in Baden-Württemberg

249

ΠΙ.

Darstellung der Richtlinien

250

1. Stellung der Seelsorge

250

2. Statusbezogene Regelungen

251

a.

Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter

b. Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht

248

251 252

16

nsverzeichnis

3. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

253

4. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

253

5. Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers

254

a.

§ 14

254

b. Aufgaben

254

6. Organisationsfragen

258

7.

IV.

Zuständigkeit

Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

258

8. Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer

258

9. Konferenz und Dekan

259

Zusammenfassende Beurteilung

259

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Bayern

261

I.

Statistische Daten

261

II.

Uberblick über die Rechtslage in Bayern

262

1. Aussagen im Bayerischen Konkordat und in den Kirchenverträgen 2. Weitere Regelungen III.

Darstellung der Verwaltungsvereinbarungen über die katholische und die evangelische Seelsorge

266

1. Stellung der Seelsorge

266

2. Statusbezogene Regelungen

266

a.

Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter

b. Darstellung des Gestellungsvertrages c.

Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht

d. Besonderheiten zur Stellung katholischer Seelsorger e. 3.

Dienstaufsicht

Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

266 268 269 269 270 270

4. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

271

5. Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers

271

a.

Zuständigkeit

b. Aufgaben

IV.

262 264

271 272

6. Organisationsfragen

275

7. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

275

8. Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer

277

9. Konferenz und Dekan

277

Zusammenfassende Beurteilung

278

nsverzeichnis

§ 15

17

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Berlin

I.

Statistische Daten

II.

Rechtliche

Gestaltung kirchlichen

279 279 Wirkens

im Strafvollzug

von

Berlin

280

1. Sondersprechstunden

281

2. Gegenstände

282

3.

284

Fotografieren

III.

Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer

284

IV.

Zusammenfassende Würdigung

284

§ 16

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Freien Hansestadt Bremen

286

I.

Statistische Daten

286

II.

Überblick über die Rechtslage in Bremen

287

III.

Darstellung der Vereinbarung über die evangelische Seelsorge vom 28. Oktober 1987

288

1. Dienstaufsicht

288

2.

288

Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

3. Zuständigkeitsvereinbarungen

289

IV.

Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer

289

V.

Zusammenfassende Beurteilung

290

§ 17

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Freien und Hansestadt H a m b u r g

291

I.

Statistische Daten zur Anstaltsseelsorge

291

II. III.

Rechtslage der Anstaltsseelsorge in Hamburg Würdigung

292 293

§ 18

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Hessen

294

I.

Statistische Daten

294

II.

Überblick über die Rechtslage in Hessen

295

III.

Darstellung der Regelungen über die katholische und die evangelische Seelsorge

2 Eick-Wildgans

299

18

nsverzeichnis

1. Stellung der Seelsorge

299

2. Statusbezogene Regelungen

300

a.

Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter

b. Berufung und Versetzung c.

302

d. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

302

e.

Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht

304

f.

Dienstaufsicht und Visitationen

g. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung 3. Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers a.

Zuständigkeit

b. Aufgaben 4. Organisationsfragen

§ 19

301

Verhältnis zu den anderen Vollzugsbediensteten und Zusammenarbeitsgebot

IV.

300

304 304 305 305 305 308

5. Finanzielle Regelungen

310

6. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

311

7. Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer

311

8. Konferenz

312

9.

313

Funktion und Arbeitsweise der Schlichtungsstelle

Zusammenfassende Betrachtung

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Niedersachsen

314

316

I.

Statistische Daten

II.

Überblick über die Rechtslage in Niedersachsen

316 317

III.

Darstellung der rechtlichen Gestaltung der Anstaltsseelsorge

318

1. Kirchenvertragliche Vereinbarungen

318

2. Weitere Regelungen zu religionsbezogenen Rechten im Strafvollzug IV.

§ 20

Zusammenfassende Betrachtung

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Nordrhein-Westfalen

320 322

324

I.

Statistische Daten

324

II.

Überblick über die Rechtslage

325

1. Verfassungsrechtliche Regelungen

325

2. Verträge und Vereinbarungen

327

Inhaltsverzeichnis

19

3. Regelungen fur nicht hauptamtliche Seelsorger und Seelsorgehelfer III.

328

Darstellung der Regelungen kirchlichen Wirkens im Strafvollzug

329

1. Überblick über die Inhalte des Gestellungsvertrages, der Dienstordnung und der Pastoralinstruktion

329

2. Stellung der Seelsorge

330

3. Statusbezogene Regelungen

331

a.

Berufung und Versetzung

332

b. Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern / Zusammenarbeitsc.

gebot

332

Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

333

d. Dienstaufsicht und Visitation e.

333

Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

4. Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers

IV.

§ 21

5. Amtsverschwiegenheit

338

6. Finanzielle Regelungen

338

Zusammenfassende Betrachtung

339

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Rheinland-Pfalz

340

I.

Statistische Daten

340

II.

Überblick über die Rechtslage im Land Rheinland-Pfalz

341

III.

Darstellung der rheinland-pfälzischen

Dienstordnung zur Anstalts-

seelsorge

344

2. Statusbezogene Regelungen

344

3. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

345

4. Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht

346

5. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

346

6. Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers

347

Zuständigkeit

b. Aufgaben

IV.

343

1. Stellung der Seelsorge

a.

2*

334 335

347 347

7. Organisationsfragen

350

8. Finanzielle Regelungen

352

9. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

352

10. Konferenz

352

Zusammenfassende Beurteilung

353

20

nsverzeichnis

§ 22

I.

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs im Saarland

354

Statistische Daten

354

Π.

Überblick über die Rechtslage im Saarland

355

ΙΠ.

Darstellung der Rechtslage zwischen dem Saarland und der evangelischen Kirche

356

1. Tätigkeitsbereich des evangelischen Anstaltsseelsorgers

356

a.

Zuständigkeit

b. Aufgaben

IV.

2. Freundschaftsklausel

357

3.

Berufung und Stellung des Anstaltspfarrers

357

4.

Abberufung

358

5. Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter

359

6. Der Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten

359

7. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

360

8. Finanzielle Regelungen

360

Zusammenfassende Bewertung zur Vereinbarung mit der evangelischen Kirche

V.

§ 23

361

Darstellung der rechtlichen Regelungen hinsichtlich des Wirkens der katholischen Kirche

361

1. Stellung der Seelsorge

362

2.

VI.

356 356

Das Dienstverhältnis der Anstaltspfarrer

362

3. Finanzielle Regelungen 4. Konferenz

363 364

Zusammenfassende Bewertung zur Regelung des Wirkens der katholischen Kirche im saarländischen Justizvollzug

364

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Schleswig-Holstein

366

I.

Statistische Daten

366

II. III.

Überblick über die Rechtslage in Schleswig-Holstein Darstellung der Aussage des schleswig-holsteinischen Kirchenvertrages zur Anstaltsseelsorge Nichthauptamtliche Anstaltsseelsorger Zusammenfassende Bewertung

366

IV. V.

368 369 369

nsverzeichnis

§ 24

21

Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in den Ländern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

371

I.

Brandenburg

372

II.

Mecklenburg-Vorpommern

372

ΠΙ.

Sachsen

373

IV.

Sachsen-Anhalt

374

V.

Thüringen

374

§ 25

Musterentwurf

einer

Vereinbarung

zwischen Staat

Kirche über kirchliches W i r k e n i m Strafvollzug I.

Π.

§ 26

Textentwurf

und 375 375

1. Stellung der Seelsorge

375

2. Aufgaben

375

3. Amtsverschwiegenheit

376

4. Stellung des Anstaltsseelsorgers im Vollzug

376

5. Anstellung, Versetzung, Abberufung

376

6. Zweifels- oder Streitfragen und Beschwerden

377

7. Aufsicht und Visitation

377

8. Fortbildung, Urlaub, Vertretung und Arbeitszeit

377

9. Organisatorische Voraussetzungen

378

10. Konferenz

378

11. Nebenamtliche Seelsorger

378

12. Dienstordnung

379

13. Finanzielle Regelungen

379

14. Freundschaftsklausel

379

15. Inkrafttreten und Geltungsdauer

379

Erläuterungen

379

Zusammenfassung

388

Anhang: Verfassungen der Länder - Auszug

399

Literaturverzeichnis

402

Quellenverzeichnis

423

Personenregister

432

Sachwortregister

435

Abkürzungsverzeichnis ABl. amtl. Anm. ArchKathKR Art. AV AV BaWü

Az. bay. BayK BayVBl. BayVGHE

Bd., Bde. begr. Beil. ber. betr. BGBl. BS BT BT-Dr. BV BVerfGE BVerwG can. CIC 1983 ders. Diss. DÖV Drs. DVB1. DVO DVollzO EKD Erl. Ess.Gespr.

ev. EvStL f. ff. FS G GBl.

Amtsblatt amtlich (e,er,es) Anmerkung Archiv fiir katholisches Kirchenrecht Artikel Allgemeinverfügung Allgemeine Richtlinien fur den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg. Allgemeinverfügung des Justizministers vom 25.4.1977 ; Die Justiz Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg - 26 (1977), S. 221 Aktenzeichen bayerisch(e,er,es) Bayerisches Konkordat vom 29.März 1924 Bayerische Verwaltungsblätter Sammlung von Entscheidungen des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Band, Bände begründet Beilage berichtigte,er,es) betreffend(e,er,es) Bundesgesetzblatt Sammlung des bereinigten Landesrechts Deutscher Bundestag Bundestagsdrucksache Bayerische Verfassung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht canon Codex Iuris Canonici von 1983 derselbe Dissertation Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung vom 1.12.1961 Evangelische Kirche in Deutschland Erlaß Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begr. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marré. Hrsg. von Heiner Marré und Johannes Stüting, Bd. 1 - 25, Münster, 1969 - 1991 evangelisch(e,er,es) Evangelisches Staatslexikon folgende (Seite) folgende (Seiten) Festschrift Gesetz Gesetzblatt

Abkürzungsverzeichnis

Ges. GG GMB1. GS GVB1. HdbBayStKirchR HdbKathKR HdbStKirchR HdbStR HesKV hess. HessVerf Hrsg. hrsg. HV/HesV i.d.F. i.e.S. i.V.m. Jg. JGG Jh. JMB1. JöR JR jur. JuS JVA JZ Κ KAB1. Kap. kath. KG KuK KV LG luth. LV m.w.N. MB1. MdJ MDR MSchrKrim N.F. nds. NdsKV NJW NRW

23

Gesetz Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinsames Ministerialblatt Gesetzessammlung Gesetz- und Verordnungsblatt Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts. Von Otto J. Voll unter Mitwirkung von Johann Stöhrle, München, 1985 Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listi, H. Müller, H. Schmitz, Regensburg, 1983 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner i.V.m. Joseph Listi, 2 Bande, Berlin, 1974 / 1975 Handbuch des Staatsrechts. Vertrag des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen in Hessen vom 18. Februar 1960 (GVB1. für das Land Hessen S. 54); Hessisch(e,er,es) Verfassung des Landes Hessen Herausgeber herausgegeben Hessische Verfassung in der Fassung im engeren Sinn in Verbindung mit Jahrgang Jugendgerichtsgesetz Jahrhundert Justizministerialblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau juristisch(e,er,es) Juristische Schulung Justizvollzugsanstalt Juristenzeitung Konkordat Kirchliches Amtsblatt Kapitel katholisch(e,er,es) Kammergericht Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Joseph Listi, 2 Bände, Berlin, 1987 Kirchenvertrag Landgericht lutherisch(e,er,es) Landesverfassung mit weiteren Nachweisen Ministerialblatt Minister der Justiz Monatsschrift für deutsches Recht Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform neue Folge niedersächsisch(e,er,es) Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955 (Nieders. GVB1. S. 159); Loccumer Vertrag Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen

24 NStZ NVwZ O.J. OLG preuß. PreußK Prof. prot. Prot. Rd.Erl. Rdnr. ref. RegBl. RGBl. Rh-PfVerf. Rh.-Pf. RhPfKV RiLi RK Rspr. RV SaAnh saarl. SaarVerf Schl.-H. schlesw.-holst. SHKV Sp. StGB StL StPO StVollzG theol. TRE u.a. u.a.m. Urt. V/Verf V.

Vb. VO VOB1. W VvB WdStRL WRV WzM ZevKR ZfStrVo ZStW

Abkürzungsverzeichnis

Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ohne Jahr Oberlandesgericht preußisch(e,er,es) Preußisches Konkordat vom 14. Juni 1929 Professoren) protestantisch^,er,es) Protokolle Runderlaß Randnummer reformierte,er,es) Regierungsblatt Reichsgesetzblatt Verfassung für Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz Vertrag der Evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz mit dem Lande Rheinland-Pfalz vom 31.3.1962 (GVB1. S. 173) Richtlinien Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (Reichskonkordat) vom 20. Juli 1933 Rechtsprechung Reichsverfassung Sachsen-Anhalt saarländisch^,er,es) Verfassung des Saarlands Schleswig-Holstein schleswig-holsteinisch(e,er,es) Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein vom 23. April 1957 (GVOB1. für Schleswig-Holstein S. 73); Spalte Strafgesetzbuch Staatslexikon Strafprozeßordnung Strafvollzugsgesetz theologisch Theologische Realenzyklopadie. Hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Berlin/New York, 1977 ff. und ähnlich(e,es) und andere(s) mehr Urteil Verfassung vom, von Vereinbarung Verordnung Verordnungsblatt Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Verfassung von Berlin Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) Wege zum Menschen Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung

I. Einführung in das thematische Umfeld Die Tätigkeit von Christen im Strafvollzug gibt es seit den Anfangen des Christentums. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich aus der anfänglichen Liebestätigkeit von einzelnen engagierten Christen in Deutschland eine vom Gefängniswesen heute nicht mehr weg zu denkende religiöse Betreuung von Gefangenen durch die Kirchen entwickelt, die verfassungsrechtlich in der Weimarer Reichsverfassung institutionalisiert wurde und unverändert auch in das Grundgesetz übernommen wurde. So können die Kirchen ihre Tätigkeit im Strafvollzug zum einen auf die verfassungsrechtliche Garantie der Anstaltsseelsorge stützen. Zum anderen wurde den Gefangenen selbst - bei allen Grundrechtseinschränkungen, die sie in der Vergangenheit erfahren mußten selten das Recht auf religiöse Betreuung abgesprochen. In der Geschichte war es lange Zeit ein Anliegen des Staates, religiöse Betreuung von Gefangenen zuzulassen - wenngleich möglicherweise nicht nur aus altruistischen Motiven. Mag auf den ersten Blick daher Tradition die Kirche zur Tätigkeit im Strafvollzug legitimieren, erscheint es dennoch als eine lohnende Aufgabe, die Umstände zu ermitteln, die fur das Zusammenspiel von Staat und Kirche im Strafvollzug von Bedeutung sein könnten, und die Möglichkeiten und Grenzen dieses Zusammenwirkens aufzuzeigen.

IL Die Problemstellung Die Problemstellung dieser Arbeit liegt in der Frage nach den unterschiedlichen Ansätzen von Staat und Kirche im Strafvollzug und der kritischen Betrachtung der Zusammenarbeit dieser beiden Kräfte. Mit der aufgeworfenen Fragestellung wird die Analyse vielfältiger Zusammenhänge und Verzahnungen nötig, da, wie überall in der Gemeinschaft von

26

Einleitung

Menschen1, erst in der Zusammenschau zahlreicher Einzelaspekte ein repräsentatives Bild staatlicher und kirchlicher Zusammenarbeit entsteht. In diese Komposition fließen allgemeine Grundvoraussetzungen staatlicher und kirchlicher Tätigkeit ebenso ein, wie Besonderheiten, die aus der spezifischen Situation im Strafvollzug heraus zu berücksichtigen sind. Auch verdienen die Wechselwirkungen zwischen objektiven Faktoren der Beteiligten - dem Staat, der Kirche und dem einzelnen Menschen - ebenso Beachtung, wie das jeweilige Selbstverständnis vom eigenen Auftrag. So drängt sich die Frage auf, wie gewandelte Einstellungen zu Sinn und Zweck staatlichen Strafens auf die Tätigkeit der Kirche gewirkt haben, welche Folgen die Umstellung des deutschen Strafvollzugs auf einen Behandlungsvollzug für die Rolle der Anstaltsseelsorge gezeigt haben, in welchem Maße die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten des Strafgefangenen Folgen für die Ausübung der Religionsfreiheit des Einzelnen und der Kirchen im Strafvollzug gehabt hat. Auf der Suche nach einem Weg zur Darstellung der individuellen und generellen, der subjektiven und objektiven Interdependenzen2 staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug bietet es sich an, - nach einer Klarstellung der unterschiedlichen Ansatzpunkte von Kirche und Staat im Strafvollzug - zunächst gewisse Grundkonstellationen zwischen Staat und Kirche zu klären. So macht es die Mehrdimensionalität dieses Themas notwendig, einige allgemeine Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche voranzustellen, um im Anschluß daran deutlich auf die strafvollzugsrechtlichen Specifica eingehen zu können. Dabei beschränken sich die allgemeinen Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche in dieser Arbeit auf die Aspekte, die für den Strafvollzug für wesentlich erachtet werden 3.

1 Zum Zusammenspiel der Momente in der menschlichen Gemeinschaft unter Berücksichtigung individual-psychischer Vorgänge und äußerer Wechselwirkungen: Zippelius, Reinhold, Das Wesen des Rechts, München 1965, S. 147 f 2

Zur "Rundum-Erörterung" bei der gerechten Konfliktlösung unter Berücksichtigung gesetzlicher und außergesetzlicher Umstände vgl. Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin, Heidelberg, New York, Tokio 1983, S. 140 ff 3 Vgl. zu grundsätzlichen Aussagen über das Verhältnis von Staat und Kirche: von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 45 - 112; Listi, Joseph, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbkathKR 1983, § 113; Scheuner, Ulrich, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im GG. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, Berlin 1974, S. 5 - 86; Ebers, Godehard Josef, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930; Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 6 - 56; Hollerbach, Alexander, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 57 - 106; Mikat, Paul, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik, Berlin 1964; Voll, Otto / Störle, Johann, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts, München 1985

Einleitung

Die Suche nach Möglichkeiten und Grenzen staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens macht es ferner notwendig, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Staat und Kirche im Strafvollzug herauszuarbeiten. Insbesondere ist zunächst nach den verbindendenden und den trennenden Grundmotivationen von Staat und Kirche zu suchen, die die beiden Institutionen im Strafvollzug tätig werden lassen. Hierbei sind "atmosphärische"4 Faktoren zwischen Staat und Kirche und "Klimaveränderungen" 5 zwischen den Beteiligten ebenso zu berücksichtigen, wie in Rechtsquellen niedergelegte Intentionen. Eine Betrachtung und kritische Würdigung des staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug hat neben den bundesweit geltendenden Normen auch die Verträge und Vereinbarungen zwischen einzelnen Ländern und den jeweiligen Kirchen intensiv zu erörtern. Die kirchliche Tätigkeit im Strafvollzug, wie sie sich aus den staatlichkirchlichen Vereinbarungen ergibt, war bisher noch nicht Gegenstand einer vergleichenden juristischen Arbeit. Die vorliegende Untersuchung hat sich daher die Aufgabe gestellt, Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland ausführlich darzustellen und speziell unter dem Aspekt der unterschiedlichen Ansätze von Staat und Kirche kritisch zu würdigen. Dabei mußte eine sinnvolle Verknüpfung von staatskirchenrechtlichen, strafvollzugsrechtlichen und theologischen Aspekten erfolgen. Bei zahlreichen weithin bekannten Rechtsfragen allgemeiner Art konnte auf hervorragende Darstellungen verwiesen werden, um allein den problematischen Elementen des staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug vermehrt Aufmerksamkeit schenken zu können. Interessierten Lesern wird an entsprechender Stelle jeweils weiterführende Literatur genannt. Dennoch können Grundbedingungen religiöser Tätigkeit, ebenso wie Grundbedingungen staatlichen Handelns und Grundsätze des Staatskirchenrechts in Deutschland nicht unerwähnt bleiben.

4 Zur Bedeutung der metaphysischen Anthropologie in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche vgl.: Scherer, Georg, Religion als anthropologisches Phänomen in ihrer Bedeutung für Staat und Gesellschaft, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre, Band 2, Münster 1969, S. 12-31 5

Von einem "Klimawandel" spricht: Link, Christoph, Neuere Entwicklungen und Probleme des Staatskirchenrechts in Deutschlands, in: Gampl, Inge und Christph Link, Deutsches und österreichisches Staatskirchenrecht in der Diskussion, Paderborn 1973, S. 25 ff

28

Einleitung

III. Der zeitliche Rahmen Die aufgeworfene Problemstellung hinsichtlich der Basis des staatlichen und kirchlichen Wirkens wird in diesem Rahmen auch zeitlich beschränkt, auf die im Zusammenhang mit dem Strafvollzug relevanten Aspekte staatlicher und kirchlicher Zusammenarbeit heute, da eine umfangreiche historische Darstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche den Blick vom Thema dieser Arbeit ablenken könnte6. So konzentriert sich diese Darstellung auf das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Fragen, die der heutige Strafvollzug aufwirft 7. Trotz dieser Beschränkung auf die heutigen Verhältnisse sind aufgrund der Geschichtsbezogenheit des Menschen8 und der Relevanz historischer Entwicklungen für das Recht im allgemeinen9 und für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im besonderen10 gelegentliche Hinweise auf historische Vorgaben nicht verzichtbar.

IV· Der Aufbau Dem Thema angemessen schien der folgende Aufbau: Zunächst wird der unterschiedliche Ansatz von Staat und Kirche, insbesondere deren jeweiliges Verständnis von ihrer Aufgabe (§ 1) und die daraus folgenden Fragen für die

6 Vgl. zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche: von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 1 - 44; Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josefund Kirchhof, Paul (Hg.), Heidelberg 1989, Band IV, § 138, S. 471 - 555 7 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung von Strafvollzug und Strafrechtspflege: Schmidt, Eberhard, Einfuhrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Nachdruck der 3. Aufl., Göttingen 1983; Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 17 - 51; S. 161 - 174; S. 212 - 214; S. 228 - 252; Alertz, Ewald, Die Strafanstaltsseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Köln 1961 S. 22 - 82; 8

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin 1983, S. 182f;

9

Vgl. zur Bedeutung von Zeit und Recht in philosophischer Betrachtung: Opocher, Enrico, Recht und Zeit in: Arthur Kaufmann, (Hrsg.), Die ontologische Begründung des Rechts, Darmstadt 1965, S. 319 - 327; 1° Heckel, Martin, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ZevKR 12 (1966 / 67), S. 1 - 39; Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 5 - 26; Hesse, Konrad, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR NF 10 (1961), S. 6 - 34; Hesse, Konrad, Kirche und Staat, bes. Π. und IV., in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 1546 - 1575

Einleitung

Funktion der Kirche im Strafvollzug vorangestellt. Nach der Erörterung der Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat (§ 2) im Strafvollzug und Grundwerten, die die Tätigkeit von von Staat und Kirche durchziehen, wird versucht, das kirchliche Wirken im staatlichen Strafvollzug einzuordnen (§ 3). Nach dieser Klärung von Grundwerten und Grundmotiven von Staat und Kirche im Strafvollzug schließt sich ein kurzer Überblick über die Rechtslage (§ 4) an, der deutlich macht, daß hier Verfassungsrecht, Vertrags-, Verwaltungsund Strafvollzugsrecht untrennbar ineinandergreifen. Aufgrund des in Deutschland anerkannten Primats des Verfassungsrechts beginnt die rechtliche Erörterung mit einer Darstellung des Aussagegehalts des Art. 141 WRV (§ 5), dem sich eine kurze Zeichnung des Inhalts der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG (§ 6) anschließt, welche im folgenden unter besonderer Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Strafvollzug (§ 7) vertieft wird. Sodann werden die religionsbezogenen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes (§ 8) im Hinblick auf die zuvor erarbeiteten Aussagen der Verfassung auf das spezielle Problem des Zusammenwirkens von Staat und Kirche bezogen - erörtert, dem sich eine generelle Tätigkeitsbeschreibung der Anstaltsseelsorger (§ 9) anschließt. Bei der Tätigkeitsbeschreibung der Anstaltsseelsorger verdient die unterschiedliche Regelung dieses Themenkomplexes in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland besondere Beachtung. Daher ergibt sich im logischen Anschluß an den vorwiegend bundesrechtlich orientierten ersten Teil dieser Arbeit eine nach Ländern gestaffelte kritische Darstellung kirchlichen und staatlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug im zweiten Teil. Hier werden nach einer Erörterung der Aussagen der Länderverfassungen (§ 11), die sich zu diesem Problem äußern, die Verhältnisse in den Ländern (§§ 13 - 24 ) ausführlich dargestellt und im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede, auf Grenzen und Möglichkeiten, gewürdigt. Dabei geht den Darstellungen in den einzelnen Ländern eine Übersicht zu Wirksamkeit und generellen Aussagen aller Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche voraus (§ 12). Nach einer vergleichenden, kritischen Erörterung der rechtlichen und teilweise auch tatsächlichen Verhältnisse im Strafvollzug aller Länder der Bundesrepublik Deutschland ( §§ 13 - 24) wird ein Musterentwurf (§ 25) einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche zum kirchlichen Wirken im staatlichen Strafvollzug vorgestellt, an den sich eine Zusammenfassung (§ 26) der Ergebnisse dieser Arbeit anschließt. Wenn mit Hilfe dieser Darstellung und kritischen Würdigung der Möglichkeiten und Grenzen staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug eine Lücke im Bereich zwischen Staatskirchenrecht und Strafvollzugsrecht geschlossen werden könnte, hätte diese Arbeit ein großes Ziel erreicht.

TEIL 1 § 1 Kirchliches und staatliches Strafverständnis

I. Die unterschiedlichen Ansätze von Staat und Kirche im Strafvollzug Für eine Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Strafvollzug, bedarf es neben der Feststellung staatlicher Intentionen beim Strafvollzug auch der Statuierung des kirchlichen Verständnisses vom Strafvollzug. Dabei sollen in diese Arbeit, die sich dem generellen Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug verschrieben hat, nur die nach außen wirkenden, konfessionsübergreifenden 1 kirchlichen Standpunkte einbezogen werden, die von Relevanz für das Verhältnis von Staat und Kirche erachtet werden 2 .

1. Die Problematik einer Begriffsidentität

Ausgangspunkt der Begegnung von Staat und Kirche im Strafvollzug sind im Grundsätzlichen die Begriffe Recht, Gerechtigkeit, Vergebung und Vergeltung, Schuld und Sühne. Durch die Verwendung dieser Begriffe wird heute noch die frühere Verknüpfung von Recht und Religion deutlich 3 . Allerdings werden diese Termini von Staat und Kirche zum großen Teil nicht mehr im gleichen, übereinstimmenden Sinn verstanden, was teilweise Anlaß

1 Vgl. zum Verhältnis von Staat und Kirche nach dem CIC: Listi , Joseph, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: H. Marré / J. Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (19), Münster 1985, S. 9 ff 2 Es sei fur die theologische Theorie der Strafgefangenenseelsorge auf die detaillierte Abhandlung von Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge - Geschichte Theorie - Praxis, Göttingen 1985 und die umfangreiche Arbeit von Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978 verwiesen.

3 Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 272

§ 1 Kirchliches und staatliches Strafverstandnis

31

zu Spannungen4 zwischen Kirche und Staat sein kann 5 . Über staatliches Strafen und göttliches Handeln 6 können keine Aussagen nach gleichen Kategorien gemacht werden, weil die diesbezüglichen Urteile auf jeweils anderen psychologischen, soziologischen und theologischen Prämissen beruhen. Im Rahmen einer Arbeit, die sich das Wirken von Staat und Kirche im Strafvollzug zum Thema gemacht hat, sollen schwerpunktmäßig die mit juristischen Gegebenheiten zusammenhängenden Gründe für das 7 unterschiedliche Verständnis gesucht werden . Es stellt sich daher die Frage, worin die Ursache für unterschiedliche Begriffsinhalte liegen könnte, und welche Auswirkungen dies für das Wirken der Kirche im Strafvollzug mit sich bringt.

2. Staatliches und kirchliches Ordnungsverständnis als Ursache differierender Haltungen zum Strafvollzug

Die Unterschiede zwischen staatlicher und kirchlicher Sicht des Strafvollzugs könnten bereits in ihrem jeweiligen eigenen Ordnungsverständnis begründet sein, ohne bereits ein Wertungselement der jeweiligen Ordnungsmacht an diesem Punkt berücksichtigen zu müssen. Der Staat ist hierarchisch von unten nach oben aufgebaut. Er erhält seine Legitimation und Staatsgewalt

4

betont distanziert: Helm, Lothar und Jiirges, Jutta, Der Geistliche. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau, Strafvollzug in der Praxis, Berlin, New York 1976, S. 197 -204 5

Das Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat im Strafvollzug ist jeweils abhängig von gesellschaftsübergreifenden Einstellungen, ebenso wie vom Verhalten der einzelnen Personen im Vollzug. In den 70 er Jahren gab es zahlreiche Reibungspunkte zwischen Staat und Kirche; vgl. dazu: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 278 ff; Man bemühte sich, den jeweiligen Standpunkt deutlich zu machen, vgl. "Wort zum Dienst der Kirche im Justizvollzug" in: RassoWy Peter (Hrsg.), Der Dienst des Anstaltspfarrers im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, Celle 1975, S. 39 6 dazu näher: Heusel y Hans Martin, Freiheit fur den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 (49) 7 Zum staatlichen Strafen aus pastoralanthropologischer Sicht: Molinski, Waldemar, Strafe in pastoralanthropologischer Sicht, in: Molinski, Waldemar (Hrsg.), Versöhnen durch Strafen? Perspektiven für die Straffälligenhilfe. Göttingen 1979, S. 79-115

32

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

von unten, von den Bürgern 8 . Nur ein Konsens der Mehrheit kann Richtlinien setzen. Ein Verstoß gegen diese Richtlinien stellt einen, die Stabilität der Mehrheit gefährdenden Angriff dar, der nicht ungestraft bleiben kann, um die Aufrechterhaltung der gemeinschaftlichen Ordnung zu sichern. Jeder einzelne Bürger ist grundsätzlich daran interessiert, daß der Staat durch eine funktionierende Rechtsordnung fundamentale Werte schützt 9 . So geht es dem Staat und im Staat um das Wohl der Allgemeinheit. Diesem Wohl weiß sich der Staat verpflichtet. Gleichzeitig erhält er aus dem Volk, dessen Wohl und Willen seine Legitimation. Sobald das Wohl der Allgemeinheit gefährdet ist, ist der Staat im Interesse seiner Bürger und seiner Existenz zum Eingreifen berechtigt und verpflichtet. Demzufolge beinhaltet die von unten aufgebaute staatliche Ordnung bei einer die Gemeinschaft verletzenden Handlung die Verpflichtung, staatlicherseits lenkend, bzw. strafend einzugreifen, anderenfalls wäre der Mittelpunkt und Urgrund staatlichen Seins gefährdet. So stellt sich die Strafe als ordnungserhaltendes Element im Staat dar. Dagegen weiß die Kirche ihren Mittelpunkt in der Herrschaft Gottes, dessen Wirken sie auf dieser Erde allen Menschen zu verkünden hat 1 0 . Dieses von oben kommende Element zur Rechtfertigung kirchlicher Existenz auf dieser Erde ist unabhängig vom Verhalten einzelner Menschen. Es berührt die Kirche eben nicht in ihrem Aufbau, wenn einzelne gegen die irdische Ordnung verstoßen. Sie weiß, daß ihr Wesen nicht auf einer unten anzusiedelnden Ebene beruht, sondern von oben bestimmt wird, mögen auch Menschen ihr konkretes Dasein gestalten. Eine Gefahrdung ihres Seins kann durch einzelne Menschen nicht geschehen. Daher ist zu konstatieren, daß durch Verstöße einzelner gegen die weltliche Ordnung das Wesen der Kirche, im Gegensatz zum Wesen des Staates, nicht erschüttert wird. Aufgrund der andersgearteten Legitimation der Kirche, nämlich von oben, stellt sich ein für die Gemeinschaft schädliches Handeln Einzelner als nicht existenzbedrohend dar. So resultiert bereits - unabhängig von jeglichem kirchlichem Wertungssystem - aus der bloßen Mittelbarkeit der Beeinträchtigung des kirchlichen Wesens durch

8 Listi , Joseph, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: H. Marré / J. Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (19), Münster 1985, S. 39 9 Hoerster, Norbert, Die moralische Pflicht zum Rechtsgehorsam; in: Hoerster, (Hrsg.), Recht und Moral, München 1980, S. 111 (117)

Norbert,

10 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 9

§ 1 Kirchliches und staatliches Straferstndnis

33

menschliches Handeln eine größere Toleranzbreite der Kirche gegenüber menschlichem Fehlverhalten. Allein aus dem unterschiedlichen Aufbau von Staat und Kirche wäre daher ein differierendes StrafVerständnis, das der Kirche eine größere Toleranz erlaubt, zu erklären.

3. Das Bewußtsein um die Sündhaftigkeit

des Menschen

Jedoch ist nicht allein der unterschiedliche Aufbau von Staat und Kirche für ein abweichendes StrafVerständnis ausschlaggebend. Auch aufgrund innerer Wertungen entsteht eine spezifisch kirchliche Sicht vom Sinn der Strafe. Die Kirche weiß um die Sündhaftigkeit 11 jedes Menschen. Die Gesamtheit der Menschen macht sich täglich schuldig durch ihre Beteiligung am Abfall von Gott und von den Mitmenschen 12 . Wenn der Staat Verfehlungen als die Ausnahme anzusehen hat, die eine Bestrafung notwendig machen, so kennt die Kirche kraft ihres Menschenbildes den Menschen als potentiellen Sünder, der der Versöhnung bedarf 13 . Es ist gerade ihr Auftrag, den Sündern in dieser Welt mitzuteilen, daß die vergeltende Gerechtigkeit Gott bereits gewirkt hat, indem Gott durch das Leben und Sterben von Christus Gericht gehalten hat, und somit der Weg für Barmherzigkeit und Vergebung für alle frei ist 1 4 . So kennt auch die Kirche die Vorstellung eines Gerichts, das jedoch anders als weltliche Gerichte vom Gedanken der Gnade geprägt ist. Diesen Gedanken der Gnade verkündet die Kirche auch und gerade im Strafvollzug 15 . Statt menschlich-weltlicher Gedanken der Vergeltung verkündet die Kirche Ver-

n Koch, Herbert, Der Seelsorger. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 209 12

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (6)

13

Vgl. Track, Joachim, Sühne und Versöhnung - Zum Umgang mit Schuld und Strafe, in: Ev. Komm. 1991, S. 28-30 14 Brandt y Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 258 15 Heusely Hans Martin, Freiheit für den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 (50 f)

3 Eick-Wildgans

34

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

söhnung 16 . Der Aufgabe der Versöhnung weiß sich die Kirche überall, und auch und gerade im Strafvollzug verpflichtet, da Versöhnung durch Jesus zum Ziel des menschlichen Zusammenlebens geworden i s t 1 7 . Im Gegensatz zu der staatlichen Vorstellung der tat- und schuldangemessenen Strafe ist die Kirche dem Gedanken der Vergebung 18 verbunden. Vergebung und Versöhnung sind ihre Botschaft, die sie im Strafvollzug nicht nur verkündet, sondern auch praktiziert.

4. Das Bewußtsein der Transzendenz

Das kirchliche Bewußtsein einer nicht den irdischen Dingen verpflichteten Strafvorstellung macht einen weiteren Unterschied zwischen Staat und Kirche im Strafvollzug aus. Während der Staat sich bewußt an die gesetzlich festgehaltenen, aus der Erfahrung resultierenden, von Menschen gesetzten Normen hält 1 9 ist das Denken der Kirche vorwärts, auf die Zukunft des Menschen, die nicht in dieser Welt liegen wird, gerichtet. Der Staat muß darauf bedacht sein, daß die bestehenden Gesetze eingehalten werden. Die Kirche ist bestimmt von transzendentem Denken und weist auf die Koexistenz von menschlicher Schuld und göttlicher Güte hin, die beide zusammen für die Wirklichkeit des Lebens auszulegen sind 2 0 . Ihr Denken ist zukunftsorientiert, wobei die Zukunft, auf die ihr Handeln gerichtet ist, ferner als die Zukunft ist, die der Staat beim Strafvollzug im Auge hat, der das zukünftige Leben des Gefangenen berücksichtigt. Das Wissen der Kirche um ein Leben jenseits dieser Welt prägt den Unterschied zum gegenwartsbezogenen, weltlichen Staat. So ist auch die Idee der Transzendenz eine das unterschiedliche Strafverständnis von Staat und Kirche prägende Komponente.

16 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979,S. 9 17 Hölzner, Dieter, Otto Seesemann, Helmut Weiler, Probleme pfarramtlicher Tätigkeit, in: Kleinen, Ulfrid (Hrsg.), Strafvollzug, Analysen und Alternativen, München 1972, S. 118

(122)

18 Morgenthaler, Christian, Seelsorge im Strafvollzug. Theologische Grundsätze und Konkretionen, in: Krim Bull 1987 (13) S. 3 (13) 19 Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 262

20 Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 262

§ 1 Kirchliches und staatliches Strafverständnis

35

5. Unterschiede im Schuldverständnis

Ein weiterer zentraler Begriff, den Staat und Kirche mit unterschiedlichem Inhalt füllen, ist der Begriff der "Schuld". Während die Kirche Schuld wesentlich umfassender versteht, als der Staat, nämlich als menschliche Schuld vor dem Nächsten und vor Gott, kann der Staat nur die Schuld an den Mitmenschen geltend machen. Die theologisch fundamentale Schuld 21 ist darin zu sehen, daß der einzelne Mensch nicht sich im Dialog mit seinen Mitmenschen als Geschöpfe Gottes betrachtet, sondern sich absolut setzt. Der Respekt vor Gott verbietet ein monologisches Menschenverständnis. Der Mensch kann also gegenüber seinen Mitmenschen und gleichzeitig gegenüber Gott schuldig werden, indem er seine Nächsten nicht mehr als Gegenüber behandelt. Insofern gibt es Parallelen zwischen staatlichem und theologischem trafverständnis, als derjenige, der gegen seine Mitmenschen handelt, schuldig wird. Jedoch ist es auch denkbar, daß ein Mensch dem staatlichen System zuwiderhandelt, ohne vor Gott schuldig zu werden. Die Erkenntnis, daß Strafe und Strafvollzug menschlich begrenzt sind 2 2 erklärt Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichem Schuldverständnis. Es kann zu Widersprüchen zwischen Staat und Kirche im Verständnis von Schuld kommen. Wenn ein Mensch religiös motiviert wird, gegen gemeinschaftsbewahrende Prinzipien zu verstoßen, um Gott ohne Schuld gegenüber stehen zu können, so hat der Staat dies aufgrund seines in dieser Welt resultierenden Schuldverständnisses als schuldhaft zu bewerten. Die Kirche dagegen, die sich nicht dem weltlichen Schuldbegriff verpflichtet weiß, vermag dieses vor Gott schuldlose Verhalten zu entschuldigen. Staatliches Schuldverständnis und theologisches Verständnis von schuldhaftem Verhalten sind somit nicht notwendigerweise kongruent. Sie überlagern sich zwar, weisen aber auch spezifisch kirchliche, bzw. spezifisch staatliche Elemente auf.

21

Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 263 22 3*

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (7)

36

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

II· Ziel und Zweck des Strafvollzugs aus staatlicher Sicht 1. Strafe und Strafvollzug

Der Staat begegnet dem straffällig gewordenen Menschen in drei Phasen, die durch das Strafrecht, das Straiprozeßrecht und das Strafvollzugsrecht 23 unterschiedliche Kodifizierungen erfahren haben: Zum einen droht der Staat Strafen an, er verhängt sie, und er vollzieht sie 2 4 . Dabei wird der Strafvollzug als die dritte Phase der Strafe definiert als der Zeitraum, der im Anschluß an ein rechtskräftiges Urteil mit der Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt beginnt und mit der Entlassung endet 25 . Die verschiedenen Stadien der Strafrechtsverwirklichung werden im Hinblick auf unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien begründet, wobei hier kein Raum für eine ausführliche Darstellung von Gerechtigkeitstheorien sein soll, sondern nur ein knapper Überblick über die existierenden Gerechtigkeitstheorien erfolgt 2 6 . a. Gerechtigkeitstheorien Allgemein werden absolute und relative Straftheorien unterschieden 27. Innerhalb der absoluten Straftheorien gibt es die Gerechtigkeits-, bzw. Vergeltungs-, und die Sühnetheorie. Die Gerechtigkeitstheorie 28 rechtfertigt staatliche Strafe mit dem menschlichen Bemühen um Ausgleich nach einer schuldhaften T a t 2 9 . Heutzutage wird die Gerechtigkeitstheorie aufgrund ihres

23 Müller-Dietz, Heinz, Strafe und Strafbewältigung in rechtlicher Sicht, in: Molinski, Waldemar (Hrsg.), Versöhnen durch Strafen? Perspektiven für die Straffälligenhilfe. Göttingen 1979, S. 23 (24)

24

Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 (381)

25 Schiiler-Springomm, Horst, Strafvollzug, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3546; Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 1 26

Vgl. dazu Zippelius, Reinhold, Das Wesen des Rechts, München 1965, S. 64 ff

27 Schmidhäuser, Eberhard, Strafe. II. Juristisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3529 (3531 f) 28 Kurzer Überblick zur Gerechtigkeit in theologischer Hinsicht: Sauter , Gerhard, Gerechtigkeit, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 1074 - 1083

29 Schmidhäuser, 1987, Sp. 3529 (3531)

Eberhard, Strafe. II. Juristisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart

§ 1 Kirchliches und staatliches Strafverstndnis

37

Charakters Vergeltungstheorie genannt, da es hier Sinn der Strafe ist, ein schuldhaftes Verhalten durch Zufugung eines Strafubels abzugleichen 30 . Als weitere absolute Straftheorie gilt die Sühnetheorie. Sie sieht eine Rechtfertigung der Strafe darin, daß dem Straftäter die Möglichkeit reinigender Sühne geboten wird, wodurch eine Gleichstellung mit den übrigen Mitmenschen gewährt w i r d 3 1 . Eine Bejahung der Strafe als zweckorientiertes Handeln erfolgt demgegenüber bei den relativen Straftheorien. Sie lassen sich in die Theorie der Speziai- und die Theorie der Generalprävention aufteilen. Dabei geht es bei der Generalprävention um die Abschreckung der Allgemeinheit von der Begehung von Straftaten, während die Spezialprävention den Sinn der Strafe darin sieht, den einzelnen Bestraften von künftigen Straftaten abzuhalten 32 . Aufgrund der reichhaltigen Kritik, die jeder der oben erwähnten Straftheorien wegen der einseitigen Betonung einzelner Strafkomponenten entgegenzubringen i s t 3 3 , haben sich Vereinigungstheorien entwickelt, die versuchen, einzelne Aspekte der Theorien sinnvoll miteinander zu verknüpfen. b. Phasen und Komponenten der Strafe Im Hinblick auf die Dreiteilung des Strafgeschehens läßt sich festhalten, daß in der Phase der Strafandrohung der Gesichtspunkt der Generalprävention ausschlaggebend ist, in der Urteilsphase der Vergeltungsdanke durchdringt und in der Vollzugsphase spezialpräventive Momente überwiegen sollen 34 . Für die hier interessierende Komponente staatlichen Strafens ist vornehmlich auf zwei Komponenten abzustellen, die im Strafvollzug aufeinander treffen, nämlich zum einen, den dem einzelnen Verurteilten gegenüber wirkenden Strafzweck, der Spezialprävention, und zum zweiten, auf eine generelle, die Gemeinschaft betreffende Komponente des Strafrechts, der Generalpräven-

30

Roxifty

Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377

31 Schmidhäuser, 1987, Sp. 3529 (3532)

Eberhard, Strafe. II. Juristisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart

32 Schmidhäuser, 1987, Sp. 3529 (3532)

Eberhard, Strafe. II. Juristisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart

33

Vgl. Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 - 387

34

Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 (381)

38

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

tion 3 5 . Diese beiden Komponenten lassen sich aus verschiedenen Rechtsgrundlagen ableiten: Zum einen enthält das Strafvollzugsgesetz selbst eine Niederlegung der Aufgaben des Vollzuges am einzelnen Gefangenen und der Grundlagen des Vollzugs, § § 2 - 4 StVollzG, zum anderen sind die bei jeder strafrechtlichen Verurteilung zu beachtenden Kriterien, wie gerechter Schuldausgleich, Generalprävention und Verteidigung der Rechtsordnung heranzuziehen, wenngleich auf eine Definition von Sinn und Zweck von Strafe im Strafgesetzbuch bewußt verzichtet worden ist. Da sich die Frage nach dem Sinn der Strafe und dem vom Gesetzgeber damit verfolgten Zweck für jede Generation erneut 36 stellt, kann sie nicht ohne den jeweiligen historischen Kontext beantwortet werden. Für die hier interessierende Frage eines Vergleichs staatlicher und kirchlicher Vorstellungen vom Ziel der Strafe 37 und des Strafvollzugs sollen für die staatlichen Intentionen nur die dem Strafgesetzbuch und dem heutigen Strafvollzugsgesetz zu entnehmenden Leitmotive dargestellt werden 38 . Erkennbar wird aus den Rechtsquellen zu Strafe und Strafvollzug der speziai», wie auch der generalpräventive Charakter staatlicher Strafe und Vollzugs, wobei gerade in den letzten Jahren immer deutlicher die Problematik des mangelnden Abgleiche von Strafzweck und Strafvollzugsdurchführung, insbesondere im Hinblick auf das Maß der Berücksichtigung der Schuld 39 deutlich wird. Dabei ist offensichtlich, daß sich staatliche und gesellschaftliche Erwartungen an die Strafe und den Strafvollzug immer neuen Ent-

35 Für ein Fortwirken der Zielsetzungen der ersten beiden Phasen auch in der Phase des Vollzugs setzt sich ein: Dietl, Hubert, Sollen Strafzwecke wie Schuldausgleich, Sühne, Verteidigung der Rechtsordnung in den Strafvollzug hineinwirken? in: Zehn Jahre Strafvollzugsgesetz: Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel? hrsg. von Schwind, HansDieter und Dieter Bandeil, Heidelberg 1988, S. 55 (58ff) 36

Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377

37

Übersichtlich und kritisch zu Vergeltungstheorie, Spezialprävention und Generalprävention im staatlichen Strafrecht: Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 - 387 38 Vgl. zur Entwicklung des Strafvollzugs nach 1945: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 228 ff und zum Strafvollzug seit Inkrafttreten des StVollzG, S. 241 f; 39 Vgl. dazu auch: Eyrich, Heinz, Hat sich das Strafvollzugsgesetz bewährt? in: Zehn Jahre Strafvollzugsgesetz: Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel? hrsg. von Schwind, Hans-Dieter und Dieter BandelL Heidelberg 1988, S. 29 (34 f)

§ 1 Kirchliches und staatliches Straferstndnis

39

Wicklungen stellen müssen, und daher stets im Fluß sind 4 0 . Auch das Strafvollzugsgesetz war nur der Anfangspunkt eines justiz- und gesellschaftspolitischen Prozesses 41, der, ebenso wie gesellschaftliche Entwicklungen nie einen Schlußpunkt finden wird.

c. Speziai- und Generalprävention im Strafvollzug Die Zweiteilung der Zielvorstellung staatlichen Strafens nach General- und Spezialprävention läßt sich auch in eine Dreiecksbeziehung von Staat, Kirche und Gefangenem (Vgl. zur Dreiecksbeziehung im einzelnen: unten Kapitel § 2) einarbeiten. In der Beziehung zwischen Staat und individuellem Gefangenen - d.h. dem entsprechend den Kriterien des Strafgesetzes bereits Verurteiltem - sollten die spezialpräventiven Gesichtspunkte des Strafvollzugsgesetzes im Vordergrund stehen, wenngleich auch das Strafvollzugsrecht zweigleisig 42 ausgerichtet ist. Zum einen geht es um die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, zum anderen um individuelle Behandlung des Betroffenen. Bei Maßnahmen gegenüber dem Einzelnen sollten allerdings Behandlungsaspekte die Gestaltung seines Vollzugs prägen. Dagegen kann in der Beurteilung staatlicher Strafzwecke im Verhältnis zur kirchlichen Sicht des Strafvollzugs das allgemeine Verständnis von staatlichem Strafen herangezogen werden, welches sich nicht nur aus den im StVollzG niedergelegten Grundsätzen, sondern auch aus dem in den übrigen Strafgesetzen erkennbaren staatlichen Strafverständnis ergibt. Aus der Gesamtsicht von generellem Strafzweck und individuellem Strafvollzugszweck soll hier ein staatliches Strafverständnis abgeleitet werden, das dem kirchlichen Verständnis gegenübergestellt werden kann.

40 Blau, Günter, Die Entwicklung des Strafvollzuges seit 1945 - Tendenzen und Gegentendenzen, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 17 (28) 41 Schüler-Springorum, Horst, Das Strafvollzugsgesetz: nicht Schlußpunkt, sondern Beginn eines justiz- und gesellschaftspolitischen Prozesses, in: Diesici Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 39-51

42 Schüler-Springorum, 3546 (3547)

Horst, Strafvollzug in: EvStL, 3. Aufl., Bd. 2, Stuttgart 1987, Sp.

40

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung 2. Die Aussagen des Strafvollzugsgesetzes

zum staatlichen Vollzugsziel

§ 2 S. 1 StVollzG enthält das staatlicherseits angestrebte Vollzugsziel 43 , nämlich die Befähigung des Gefangenen, künftig ein Leben ohne Straftaten zu fuhren. Diese durch Resozialisierung herbeizuführende Legalbewährung ist oberste Richtschnur und Aufgabe für die Ausgestaltung des Vollzugs 4 4 . Andere Vollzugsaufgaben haben im Grundsatz hinter das Ziel, den Gefangenen zu einem künftigen Leben ohne Straftaten zu befähigen, zurückzutreten. Die Nennung des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten in § 2 S. 2 StVollzG ist zwar beim Vollzug der Freiheitsstrafe zu beachten, jedoch kein selbständiges Vollzugsziel 45 . Somit sind die individualpräventiven Aufgaben 4 6 , besonders die soziale Integration des Gefangenen vorrangig vor allen weiteren Aufgaben des Vollzugs 4 7 . Dennoch läßt auch § 2 StVollzG Raum für weitere Vollzugsaufgaben, wie z.B. die Verteidigung der Rechtsordnung oder andere Strafzwecke, sofern diese sinnhaft mit dem Vollzugsziel des § 2 StVollzG verknüpft werden. Im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frage nach dem Sinn und Zweck staatlichen Strafens kann die Diskussion, ob und wie weit weitere staatliche Strafzwecke bei individuellen Strafvollzugsentscheidungen berücksichtigt werden dürfen 48 , an dieser Stelle dahingestellt bleiben, da jedenfalls bei der Untersuchung der generellen Motivation staatlichen Strafens allgemeine Strafzwecke miteinbezogen werden können. Weitere staatliche Gesichtspunkte des Strafvollzugs ergeben sich aus den in §§ 3,4 StVollzG niedergelegten Grundsätzen. Neben dem Angleichungsgrundsatz, der beinhaltet, daß das Leben im Freiheitsentzug dem allgemeinen Leben so weit als möglich entsprechen soll, § 3 Abs. 1 StVollzG, ist der

43 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 1; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 2 Rdn. 4 44

Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 3; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 2 Rdn. 4 45 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 1 46 Müller-Dietz, Heinz, Strafe und Strafbewältigung in rechtlicher Sicht, in: Molinski, Waldemar (Hrsg.), Versöhnen durch Strafen? Perspektiven für die Straffälligenhilfe. Göttingen 1979, S. 23 (38f) 4 ? Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 1 48 Vgl. zum Meinungsstreit: Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, StrafVollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 6 ff

§ 1 Kirchliches und staatliches Strafverstndnis

41

Vollzug darauf auszurichten, schädliche Folgen zu verhindern, § 3 Abs. 2 StVollzG, und eine spätere Eingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft zu ermöglichen, § 3 Abs. 3 StVollzG. Grenzen werden der Entfaltung des Gefangenen nur durch im Strafvollzugsgesetz vorgesehene Beschränkungen gesetzt. In § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG ist festgeschrieben, daß zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßliche Beschränkungen auferlegt werden dürfen. Somit ergeben sich hier nochmals zwei weitere Gesichtspunkte für die Durchführung des staatlichen Strafvollzugs: Es darf weder die Sicherheit, noch die Ordnung der Anstalt gefährdet werden. Wenn auch Sicherheit und Ordnung nicht als eigene Vollzugsziele angesehen werden dürfen, so ist ihre Bedeutung im Rahmen des Vollzugs nicht zu übersehen. Über die ausdrücklich im einzelnen im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Schranken hinaus, werden jeder Betätigung im Strafvollzug dann Schranken gesetzt, wenn anderenfalls Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gravierend gestört werden würde, § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Dabei ist hier Reichweite und Grenzen dieser Begriffe unscharf. Es soll jedoch an dieser Stelle auf eine nähere Erörterung der Begriffe verzichtet werden, da im Rahmen der im Strafvollzugsgesetz niedergelegten individuellen Rechte des Gefangenen eine Begriffserläuterung stattfindet (vgl. Kapitel § 8). Für die hier interessierende Frage nach Komponenten staatlichen Handelns im Strafvollzug sei neben der Resozialisierung des Gefangenen, die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt festgehalten. Weitere Zwecke als die genannten, sind dem Strafvollzugsgesetz nicht zu entnehmen.

5. Zukunftsorientierte

Aspekte staatlichen Straf ens

Im Strafgesetzbuch haben Sinn und Zweck staatlichen Strafens bewußt keinen definitionsmäßigen Niederschlag gefunden 49 . Allerdings läßt sich aus dem Strafgesetzbuch rückschließen, welche Gesichtspunkte staatlicherseits als maßgeblich für staatliches Strafen befrachtet werden. So kann aus § 47 Abs. 1 StGB sowohl der spezialpräventive Gedanke der Einwirkung auf den Täter, als auch der generalpräventive Gedanke der Verteidigung der Rechtsordnung entnommen werden. Oberstes Ziel staatlichen Strafens, sowohl der Andro-

49 Dreher, Eduard, Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 44. Aufl., München 1988, § 46 Rdn. 3

42

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

hung, als auch der konkreten Verhängung der Strafe, ist es, der Begehung weiterer Straftaten entgegenzuwirken, also eine allgemeine Generalprävention zu bewirken 50 . Hierbei kommt es neben dem Schutz der Rechtsgüter der Allgemeinheit auch auf den Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen an. Daher genießt insbesondere die Ordnung des Gemeinwesens in der Gestalt, die sie durch das Recht gefunden hat, besonderen Schutz. Diese Verteidigung der Rechtsordnung läßt sich weiter aufteilen: Einerseits ist für die Rechtsordnung die Erkenntnis der Bevölkerung wesentlich, daß die Rechtsordnung geschützt wird, ein Verstoß gegen sie also nicht sanktionslos bleibt. Dies soll die Rechtstreue der Bürger erhalten. Andererseits ist dem einzelnen vor Augen zu führen, daß er gegen die Rechtsordnung verstoßen hat 5 1 . Der Sühnegedanken ist zwar an keiner Stelle schriftlich fixiert, kann jedoch bei den Grundsätzen der Strafzumessung gem. § 46 StGB jeweils mitgelesen werden. Zwar ist das deutsche Strafrecht kein Vergeltungsstrafrecht mehr, jedoch enthält auch ein Strafrecht, das sich die Besserung des Täters zum Ziel gemacht hat, unterschwellig ein gewisses Sühneelement, welches im Strafvollzug der Länder der Bundesrepublik Deutschland von unterschiedlicher Gewichtung ist 5 2 . Staatliches Strafen hat also neben den im Strafvollzugsgesetz niedergelegten individuellen Zwecken von Resozialisierung und Schutz der Allgemeinheit, sowie der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, die dem Strafgesetzbuch zumindest mittelbar zu entnehmenden Zwecke der General- und Spezialprävention, Verteidigung der Rechtsordnung, Schuldausgleich und Vergeltung.

50 Dreher, Eduard, Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 44. Auf., München 1988, § 46 Rdn. 3 51 Dreher, Eduard, Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 44. Auf., München 1988, § 46 Rdn. 6 52 Vgl. zur Gewichtung des Sühnegedankens im bayerischen Strafvollzug: Dietl, Hubert, Sollen Strafzwecke wie Schuldausgleich, Sühne, Verteidigung der Rechtsordnung in den Strafvollzug hineinwirken? in: Zehn Jahre Strafvollzugsgesetz: Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel? hrsg. von Schwind, Hans-Dieter und Dieter Bandeil, Heidelberg 1988, S. 55 - 67; zurückhaltender: Eyrich, Heinz, Hat sich das Strafvollzugsgesetz bewährt? in: Zehn Jahre Strafvollzugsgesetz: Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel? hrsg. von Schwind, Hans-Dieter und Dieter Bandeil, Heidelberg 1988, S. 29 (34f)

§ 1 Kirchliches und staatliches Straerstndnis

43

I I I · Die Kirche zwischen Funktion und Dysfunktion

So lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Ordnungssysteme, des differierenden Verständnisses von Vergebung, Transzendenz und Schuld beträchtliche Unterschiede der staatlichen und der kirchlichen Einstellung zur Strafe und zum Strafvollzug feststellen. Es ist daher zu fragen, ob die Kirche angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zwischen ihr und dem Staat überhaupt im Strafvollzug tätig werden soll, und gegebenenfalls wie die Kirche sich zum staatlichen Strafvollzug verhalten kann und soll, ob sie sich in der Rolle der Funktion oder der Dysfunktion verhalten soll 5 3 . Trotz der abweichenden Straf- und Schuldbegriffe kann die Kirche nicht Abstand nehmen von einer Tätigkeit im Strafvollzug. Es ist ihr spezifischer Auftrag, dem Nächsten, und zwar gerade dem Nächsten in Not zu Hilfe zu kommen. Bereits seit den Urgründen der Christenheit 54 weiß sich die Kirche der Seelsorge um die Gefangenen verpflichtet gemäß dem Evangelium, Matth. 25, 36, 40: "Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen" - "was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" 5 5 . Daher ist ein völliger Rückzug aus dem Strafvollzug keine der Kirche offenstehende Möglichkeit. Die Kirche ist heute, wie in den Anfängen der Christenheit gefordert, im Strafvollzug tätig zu werden, um dem Einzelnen die frohe Botschaft zu verkünden und um ihrem Auftrag gemäß handeln zu können. Somit ist Untätigkeit der Kirchen im Strafvollzug keine Lösung der Problems einer möglichen Identifizierung von Staat und Kirche im Strafvollzug. Weil die Kirche den Menschen in seiner humanen Natur ernst nimmt 5 6 , nimmt sie sich seiner in jeder Lage an, und damit auch und gerade im Straf-

53

Begriffe nach: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis II, in: Diesici Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fiir Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 122 ( 124ff) 54 Kurze Übersicht über die Geschichte: Stubbe, Ellen, Gefangenenfursorge, Gefangenenseelsorge in: TRE Band XII, Berlin, New York 1984, S. 144 ff

55 Zur Geschichte der Anstaltsseelsorge: Alerti , Ewald, Die Strafanstaltsseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes NordrheinWestfalen, Jur. Diss., Köln 1961, S. 22 - 82; Voigts, Werner, Zur Entstehung des Strafanstaltspfarramtes, in: Kleinen, Ulfrid (Hrsg.), Strafvollzug, Analysen und Alternativen, München 1972, S. 113 ffm.w.N. 56 Schiaich, Klaus, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. II, Berlin 1975, S. 251

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Vollzug als einer extremen Situation des menschlichen Seins. Die Kirche ist aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihres eigenen Auftrags verpflichtet, im Strafvollzug tätig zu werden. Dort sieht sie sich der schwierigen Aufgabe der Sorge um den Gefangenen gegenüber, die von der staatlichen Sorge um den Gefangenen abweicht, weil die Kirche sich nicht nur dem "Gefangenen", sondern dem Menschen als Ganzem widmet. Trotz der Andersartigkeit kirchlicher Arbeit ist sie in der staatlichen Sorge auf eine gewisse Weise - und sei es auch nur aufgrund der Tatsache der kirchlichen Arbeit innerhalb einer staatlichen Institution - enthalten. So ist die Kirche in ihrem eigenen Interesse gefordert, darauf zu achten, nicht mit dem Staat und seinem Auftrag zur staatlichen Rechtspflege gleichgesetzt zu werden und gleichzeitig sich nicht in einen derartigen Widerspruch zum staatlichen Anspruch zu setzen, daß eine sinnvolle Arbeit im Justizvollzug unmöglich w i r d 5 7 . Trotz der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat hat die Kirche anzuerkennen, daß sie in dieser Welt wirkt und sich gewissen weltlichen Zwängen zumindest in ihrem Handeln in dieser Welt unterwerfen muß. Es geht für sie um die schwierige Pflicht eines auch nach außen erkennbaren eigenständigen Wirkens ohne Identifikation mit dem Staat innerhalb des staatlichen Strafvollzugs. Bei dieser Aufgabe gilt es im Sinne aller Beteiligten einige Grundlinien einzuhalten. Dabei sollen die hier aufgezeigten Grundlinien keine Einschränkungen der Kirche darstellen, sondern als Hilfestellungen dienen, staatliche und kirchliche Interessen im Strafvollzug so zu koordinieren, daß für den einzelnen Gefangenen, an dessen Wohl beiden Kräften gelegen ist, eine den Vorgaben der Rechtslage in Deutschland entsprechende Situation geschaffen wird. So ist die Kirche gehalten, den Auftrag des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, und damit zusammenhängend den staatlichen Strafanspruch, prinzipiell zu bejahen. Eine totale Konfrontation mit dem Staat im Strafvollzug ist nicht im Sinne des Auftrags der Kirche, dem einzelnen Menschen die gute Botschaft von Gottes Herrschaft über die Welt und von Vergebung zu bringen. Die Kirche kann und darf sich zwar nicht mit der staatlichen Aufgabe des Strafvollzugs identifizieren. Sie kann und darf jedoch auch nicht sein System vollkommen negieren und ablehnen, oder auf dessen Abschaffung hinarbeiten 58 . Anderenfalls würde sie die von ihr betreuten und so beein-

57 Beispiele für dysfiinktionales Verhalten nennt: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis II, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 126 58 Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis II, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fiir Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis

§ 1 Kirchliches und staatliches Strafverstndnis

45

flußten Menschen in größte Konflikte mit dem staatlichen Strafvollzug bringen. Es ist also nicht nur eine gewisse Solidarität mit dem Staat, die die Kirche zu einem nicht auf völlige Konfrontation mit dem Staat ausgerichtetes Wirken im Strafvollzug zwingt, sondern es ist die Einsicht in die Wirklichkeit des Menschen, der zwar gerade im Strafvollzug des kirchlichen Zuspruchs bedarf, dabei durch die kirchliche Botschaft jedoch nicht aus dem weltlichen System katapultiert werden darf. Die Kirche wirkt im staatlichen Strafvollzug. Diesen Wirkungskreis muß sie als von außen gegeben akuzeptieren. Sie kann diesen Wirkungskreis nicht ungeschehen machen. Allerdings kann sie aufgrund ihres transzendenten Menschenverständnisses, den Freiheitsentzug nur als âufierstës Mittel zur Aufrechterhai tung der rechtlichen Ordnung betrachten 59 . Staatlicher Strafvollzug kann von der Kirche als ultima ratio gesehen werden, ohne daß diese Betrachtung zu einer vollkommenen Ablehnung des staatlichen Strafanspruchs fuhren darf. Die Kirche soll den von ihr betreuten Menschen Wege durch diese Welt zeigen, indem sie hier im Bewußtsein einer anderen Welt agiert. Auch die Kirche mußte in der Vergangenheit erkennen, daß allein die christliche Botschaft für ein reibungsloses, geordnetes Zusammenleben von Menschen nicht genügt. Die staatliche Ordnungsgewalt sorgt fur das einigermaßen friedliche Zusammenleben der Menschen in dieser Welt. Der Staat, in dem diese Kirche tätig wird, ist verpflichtet, den Menschen, die gegen die die Gesamtordnung regelnde Gesetze verstoßen, zu zeigen, daß sie verstoßen haben - zu ihrer eigenen Belehrung und als Vertrauensbasis für die anderen Menschen. Die Antwort auf die Frage, wie den Menschen in dieser Welt der richtige Weg zu einem Leben ohne Straftaten gezeigt werden kann, hat die Kirche für den Bereich des Strafrechts dem Staat überlassen 60. Der Sinn der Strafe ist daher mit Karl Barth als menschliche Fürsorgemaßnahme, die nichts mit Sühne zu tun haben darf, sowie als Proklamation der Staatshoheit zum Schutz des Täters und der Gemeinschaft zu qualifizieren 6 1 . Allein die Anerkennung der Staatshoheit auf dem Gebiet des Strafens beinhaltet nicht die Zustimmung der Kirchen mit dem Strafvollzug als Institution. Eine Identifikation mit dem staatlichen Strafen ist für die Kirche ausim Strafvollzug. München 1980, S. 126 59

Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 12; vgl. fiir die evangelische Kirche die 5. These der Banner Erklärung 6°

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5

61

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (7)

46

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

geschlossen62, da die Kirche um die Menschlichkeit des Gesetzes und der Strafe im Sinne der menschlichen Fehlbarkeit 63 weiß. Insofern kann und darf sich die Kirche mit dem staatlichen Strafvollzug nicht identifizieren. Allerdings ist mit dieser Feststellung nur eine negative Abgrenzung zum Staat geschaffen. Fraglich ist, ob und wie weit Übereinstimmungen mit dem Staat im Strafvollzug existieren, bzw. wie deutlich die Kirche ihre Abgrenzung vornehmen darf. Die Tätigkeit der Kirche im Strafvollzug soll dem Gefangenen, nicht dem Staat dienen. Dieser Dienst am Menschen darf die einzige weltliche Motivation kirchlichen Wirkens im Strafvollzug sein. Eine Hilfestellung zur Bejahung des Staates kann zwar Nebenprodukt kirchlichen Wirkens bei einzelnen Gefangenen sein. Die Unterstützung des Staates um seiner selbst willen, ist jedoch nicht kirchliches Motiv. Dabei bedarf die Frage, welche Auswirkungen die kirchliche Tätigkeit im Strafvollzug am einzelnen Gefangenen auf die staatliche Intention beim Strafvollzug hat, einer näheren Erörterung. Karl Barth hat als Aufgabe und als Grenze der Seelsorge im Strafvollzug 64 die Herantragung der göttlichen Gnade an den Menschen bezeichnet und gleichzeitig die unbedingte Solidarität mit den Gefangenen als Voraussetzung hierfür genannt. Daher sah er als wesentliche Aufgabe des Seelsorgers gegenüber den Vollzugsbehörden den immer wiederkehrenden Hinweis auf den Sinn der Strafe als Fürsorge, verbunden mit einem Kleinkrieg um Einzelpositionen zugunsten des Gefangenen 65. Es hat sich der Strafvollzug seit der Zeit der Thesen Barths geändert. Daher können die Thesen Barths als "Meilensteine" im theologischen Verständnis von der Seelsorge im Strafvollzug nicht mehr unreflektiert übernommen werden. Inzwischen ist nämlich durch das Strafvollzugsgesetz der staatliche Vollzug rechtlich zu einem Behandlungsvollzug umgestaltet worden. Doch auch in diesem Behandlungsvollzug kann die Seelsorge nicht aufgehen 66 , da 62 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 13 63

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (7)

64

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (6)

65

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S.5(10)

66 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 14

§ 1 Kirchliches und staatliches Straferstndnis

47

die Kirche nicht nur das Wohl, sondern auch das Heil des Menschen als Aufgabe hat. Auch wenn der heutige Behandlungsvollzug der kirchlichen Sicht von Strafe möglicherweise näher kommt, so kann das kirchliche Wirken nicht in der unbefragten Unterstützung staatlichen Strafvollzugs enden. Die kirchliche Verkündung umfaßt mehr, als der Staat in und durch den Strafvollzug erreichen kann. Dieser überschießende Inhalt des kirchlichen Auftrags ist im kirchlichen Verständnis vom Menschen angelegt. Es gebietet, daß die Kirche im Strafvollzug tätig wird, ohne sich mit dessen Zielen gleichzusetzen und ohne diese Ziele gänzlich zu bekämpfen, verlangt von den Kirchen also eine Gratwanderung. Wo die Grenzen kirchlicher Toleranz im Strafvollzug liegen, bzw. wer diese Grenzen festlegt, ist bei der Erörterung der konkreten Gestalt, die kirchliches Wirken im Strafvollzug durch gesetzliche Regelungen gefunden hat, zu untersuchen.

I V . Zusammenfassung

An dieser Stelle läßt sich festhalten, daß kirchliches und staatliches Strafverständnis wegen des unterschiedlichen Wesens von Staat und Kirche naturgemäß erheblich voneinander abweichen. Auch im Strafvollzug behält und behauptet die Kirche das ihr eigene Menschen Verständnis und die Sicht des Menschen als Ganzen. Ohne bereits an dieser Stelle auf die konkreten rechtlichen Regelungen der Seelsorge im Strafvollzug einzugehen, läßt sich festhalten, daß die Kirchen sich nicht mit dem staatlichen Strafanspruch und dem staatlichen Strafverständnis identifizieren, sondern innerhalb des Strafvollzugs ihrem spezifischen - vom Staat tolerierten - Verkündungsauftrag zugunsten des Gefangenen nachgehen. Dabei liegen Unterschiede im staatlichen und kirchlichen Verständnis vom Strafvollzug bereits in der Andersartigkeit staatlicher und kirchlicher Ordnung. Bewußtseinsmäßig unterscheiden sich Staat und Kirche in der Sicht des Menschen als Sünder. Auch ist der Gedanke der Transzendenz eine kirchliche Vorstellung, deren Reichweite staatliches Strafverständnis nicht folgen kann. Geprägt wird der Unterschied zwischen Staat und Kirche ebenso durch ein unterschiedliches Schuldverständnis. Kirchliche Arbeit im Strafvollzug kann daher weder im Wege staatlicher Gleichschaltung ihren Auftrag erfüllen noch in einem kompromißlosen Gegeneinander. Die Kirche darf den staatlichen Strafvollzug weder verneinen noch sich mit dem staatlichen Auftrag identifizieren. So heißt es, ein geordnetes Miteinander von Staat, Kirche und Gefangenem zu finden, das den Vorgaben des rechtlichen Netzwerks, in dem

48

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

sich staatliches und kirchliches Wirken im Strafvollzug befinden, Rechnung trägt. Vor der Untersuchung, welches rechtliche Gepräge diese angedeuteten Grundbedingungen von Staat und Kirche im Strafvollzug im einzelnen gefunden haben, soll zunächst nach verbindenden Grundwerten staatlichen und kirchlichen Wirkens geforscht werden.

§ 2 Die Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat im Strafvollzug

I. Grundwerte staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug Recht und Strafe sind nicht Selbstzweck, sondern sie dienen der Aufrechterhaltung gewisser Grundwerte, denen sich sowohl der Staat, als auch die Kirche verpflichtet wissen. Recht soll ein friedliches Zusammenleben der Menschen sicherstellen, der Bewahrung der Würde dienen, Gerechtigkeit schaffen und erhalten 1. Sowohl der Staat, als auch die Kirche sind sich dieser Grundwerte bewußt, vermitteln aber diese Werte im Strafvollzug in unterschiedlicher Weise:

1. Die Sorge um den Frieden

Auf der Suche nach den Staat und Kirche gemeinsamen Grundwerten ihrer Tätigkeit findet sich das Streben nach Frieden 2 . Beide sehen ihr jeweiliges Wirken als friedensstiftend und friedensichernd 3 an. Aufgrund der historischen Erfahrung, die Kirche und Staat in der Vergangenheit gemacht haben,

1 Müller-Dietz, Heinz, Strafe und Strafbewältigung in rechtlicher Sicht, in: Molinski, Waldemar (Hrsg.), Versöhnen durch Strafen? Perspektiven für die Straffälligenhilfe. Göttingen 1979, S. 23 (24) 2 Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965,S. 95; Pastoralinstruktion, 1925, S. 1 in: Rehborn, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J.; vgl. zur Friedensordnung im Strafvollzug: Stubbe y Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978, S. 218; Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug, Gütersloh 1990, S. 60 f; S. 69 3

Latenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin 1983, S. 319

4 Eick-Wildgans

50

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

ist die Erkenntnis entstanden, daß ohne Frieden - innerer und äußerer Frieden - kein Leben in Würde möglich ist. Das Bekenntnis des deutschen Staates zum friedlichen Zusammenleben ist in Art. 1 Abs. 2 GG niedergelegt 4. Abgesehen von diesem Bekenntnis zum internationalen Frieden ist das gesamte übrige Rechtssystem vom Streben nach Frieden gekennzeichnet, sei es nun die befriedende Funktion des Zivilrechts 5 , Streit zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Parteien zu schlichten, sei es die friedensstiftende Funktion des Strafrechts. Das Strafrecht und in ihm das Strafvollzugsrecht 6 ist - nach dem letzten Urgrund befragt - aus dem Streben nach Frieden zu begründen. Strafrechtliche Normen intendieren eine Lenkung des Verhaltens einzelner Menschen oder Gruppen 7 . Wenn ein einzelner gegen den Frieden der Gesellschaft durch ein von der Gemeinschaft als schädlich erachtetes Verhalten gehandelt hat, so ist nach einem gewissen gesellschaftlichen Grundkonsens der Friede nur durch eine gleichzeitig belehrende, als auch vergeltende Maßnahme wieder herstellbar. Wenn auch die Art und Weise der Belehrung und Vergeltung desjenigen, der gegen die gemeinschaftliche Friedensordnung verstoßen hat, umstritten sein mag 8 , so besteht jedenfalls bei der Mehrzahl der Staatsbürger eine Übereinstimmung hinsichtlich der Bedeutung des Strafrechts als friedenserhaltendem Recht 9 . Eine friedliche Gesellschaft lebt von der Anerkennung ihrer Mitglieder gewisser Grundrichtlinien des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Der "Normalbürger" hat ein gewisses Interesse an der grundsätzlichen Erhaltung der Rechtsordnung als staatlicher Ordnung, die zumindest das geregelte

4 Näher zu den Grundlagen der menschlichen Gemeinschaft: Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 1 Rdn. 95 ff 5

Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin, Heidelberg, New York, Tokio 1983, S. 319 ff 6 vgl. die Funktionsbeschreibung von Strafe und Strafvollzug in: Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug, Gütersloh 1990, S. 66 ff 7

Hart y H. L. Α., Das positive Recht als System von sozial akzeptierten Regeln; in: Hoerster, Norbert (Hrsg.), Recht und Moral, München 1980, S. 45 (54) 8 Vgl. zur rechtphilosophischen Diskussion über den Sinn von Strafe: Menninger, Karl, Therapie statt Strafe; in: Hoerster, (Hrsg.), Recht und Moral, München 1980, S. 195 ff; Schmidhäuser, Eberhard, Strafe. II. Juristisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3529 - 3536; Theologisch: Stein, Albert, Strafe. I. Theologisch, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3525 - 3529 9 Vgl. zu theologischen Aspekten der "Strafe" als Zwangsmaßnahme gegenüber dem Gesetzesübertreter: Barth, ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (6)

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

51

Zusammenleben festschreibt, deren Respektierung durch die Mitmenschen durchgesetzt werden muß, anderenfalls ein Zusammenbruch des Systems zu befürchten wäre 1 0 . Ohne diese Anerkennung der Mehrheit der Gemeinschaft wäre ihr innerer Friede gefährdet. Auch ohne rechtliche Fixation wäre das Prinzip des Strebens nach Frieden ein gewissermaßen vorrechtlicher Gedanke und übergesetzlicher Wertungsmaßstab 11, der uneingeschränkt Zustimmung findet, mag es auch abweichende Auffassungen zur näheren Ausgestaltung von Frieden geben. Das staatliche Recht, wie es heute existiert, hat aufgrund der Anerkennung durch die Mehrheit der Bevölkerung eine friedensbewahrende Funktion 1 2 . Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Staat zwar die äußere Ordnung zu wahren hat, da er seine Autorität von den Menschen ableitet, die Kirche 1 3 dagegen in einer anderen Situation ist und einem anderen Friedensverständnis unterliegt, da sie eine andere Legitimationsgrundlage hat, wie bereits in Kapitel § 1 ausgeführt wurde. Frieden ist aber auch gleichzeitig der Gedanke, der die christliche Botschaft in allen ihren Wirkungsweisen durchzieht. Die Kirche versteht die Friedensbotschaft und die Botschaft der Versöhnung als eine ihr aufgrund ihres göttlichen Sendungsauftrags zu verkündende Wahrheit, die sie überall und zu jeder Zeit verbreiten darf 1 4 . Es ist gerade die Nachricht vom Frieden in dieser Welt und in der Welt Gottes, die die Kirche zu den Menschen in Not bringt. Im Strafvollzug ist die Friedensbotschaft eine, die allein von der Kirche glaubhaft vermittelt werden kann, da sie - im Gegensatz zum Staat, der aus der Sicht des Einzelnen die Situation, in der sich der Gefangene im Strafvollzug befindet verursacht hat, - glaubhaft den Friedensgedanken an die Ein-

10

Hoerster, Norbert, Die moralische Pflicht zum Rechtsgehorsam; in: Hoerster, Recht und Moral, München 1980, S. 111 (118)

(Hrsg.),

n vgl. zur Frage nach übergesetzlichen Wertungsmaßstäben: Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin, Heidelberg, New York, Tokio 1983, S. 123 ff 12 Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssicherheit: Zippelius, Reinhold, Das Wesen des Rechts, München 1965, S. 107 13

vgl. Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 (382)

14 Pastoralinstruktion, 1925, S. 1 in: Rehborn, (Hg,), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, o.J.; Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, 1979, S. 10; 4*

52

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

zelnen herantragen und somit Brücken 15 bauen kann. Mag die rechtsphilosophische Begründung des Strafrechts auch im Streben nach Frieden für die Gemeinschaft zu finden sein - es vermag nur die Kirche, wahrhaft dem Gefangenen die Botschaft vom Frieden nahe zu bringen. So ist jedenfalls das Streben nach Frieden und Versöhnung ein dem kirchlichem und staatlichem Wirken gemeinsamer Aspekt im Strafvollzug, wobei für den einzelnen Gefangenen die Friedensbotschaft der Kirche offener erkennbar ist, als die des Staates.

2. Die Erhaltung der menschlichen Würde

Weiterhin verbindet Staat und Kirche das Streben nach der Aufrechterhai tung und dem Schutz der menschlichen Würde 1 6 auch im Strafvollzug. Die Würde als oberstes Schutzgut des Menschen ist staatlicherseits in Deutschland in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegt 17 . Die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde bedeutet, daß der Staat um des Menschen willen da ist, statuiert also den Vorrang des Menschen vor dem Staat 18 . So durchzieht der Gedanke des Schutzes der menschlichen Würde alle Bestimmungen des Grundgesetzes 19, besonders das Grundrecht der Religionsfreiheit, das bei der Erörterung des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug als

15 Vgl. dazu Erfahrungsberichte von Peters, Fränkle, Lüdemann, Vos, Brendel, Smilde, Eschen und Lenk in: Daiber y Karl-Fritz, Peter Rassow, in Zusammenarbeit mit Fritz Sperle (Hrsg.), Gemeinde beiderseits der Mauern - Studien und Berichte zum Verhältnis zwischen Ortskirche und Geföngnisseelsorge, Hannover 1986, Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, hrsg. von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Band 3, S. 47 - 87 16 Altenhain, Gustav Adolf, Das Grundrecht der Menschenwürde und sein Schutz im Strafvollzug, in: ZfStrVO 1988 (37), S. 156 (158)

17 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck y Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 1 Rdn. 1 ff 18 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck y Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 1 Rdn. 1 19 Schmidt-Bleibtreu, Bruno, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Neuwied 1990, Art. 1 Rdn. 1

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

53

ein tragendes Prinzip anzusehen ist. Es ist die menschliche Würde 2 0 , die alles staatliche Verhalten bestimmen sollte 2 1 . Auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Bedeutung der Würde als höchstes zu schützendes Gut bestätigt 22 . Ebenso bekennt sich kirchliches Wirken zur Bedeutung der menschlichen Würde 2 3 . Immer wieder fällt die Kirche auf als Bewahrer der menschlichen Würde, gerade dort, wo die Gefahr besteht, daß staatliche Kräfte dieser Würde zuwider handeln 24 . Die Kirche kann aufgrund ihrer Stellung im Strafvollzug auch für den einzelnen Gefangenen glaubhaft die Würde des Menschen verkünden und erhalten. Den Respekt vor dem inneren Wesen des Menschen, die Achtung seiner Persönlichkeit und die Hilfe zur Verarbeitung des Gefühls unwürdiger Behandlung aufgrund einer staatlichen Zwangsmaßnahme, vermag die Kirche im Strafvollzug zu vermitteln. Ihr Menschenverständnis und ihre Art, die Menschen im Strafvollzug zu betreuen, ist erkennbar vom Gedanken der menschlichen Würde geprägt. Die menschliche Würde als Leitmotiv kirchlichen und staatlichen Handelns im Strafvollzug ist somit wesentlicher Bestandteil einer gemeinsamen Basis von Staat und Kirche im Strafvollzug. Daher ist die Beachtung der menschlichen Würde ein dem Staat und der Kirche gemeinsamer im Strafvollzug verbindender Grundwert.

20

Zur Problematik der Würde im Strafvollzug: Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 84 ff 21 (37);

Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL Heft 26, 1968, S. 5

22 Vgl. BVerfG, Urteil vom 16.1.1957, BVerfGE 6, 32 (36); BVerfG, Beschluß vom 20.12.1960, BVerfGE 12,45 (53); BVerfG, Beschluß vom 16.7.1969, BVerfGE 27,1 (6); BVerfG, Urteil vom 5.6.1973, BVerfGE 35, 202 (225); BVerfG, Urteil vom 21.6.1977, BVerfGE 45, 187 (228); 23 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, 1979, S. 13; Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug, Gütersloh 1990, S. 76 ff 24 Vgl. die Berichte von Sternberg, Punke, Kuhrmeyer, Jochen in: Rassow, Peter (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen, Stuttgart 1987, S. 15 - 29; über die alltägliche Rolle der Gefangnispfarrer;

54

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung 3. Das Streben nach Gerechtigkeit

Die Frage nach Rechtfertigung oder Begründung gewisser Verhaltensmaßstäbe kommt nicht ohne normative Bewertungskriterien aus 2 5 . Eines der obersten Prinzipien hierbei ist das Gebot der Gerechtigkeit 26 . Dabei sind Staat und Kirche sich einig in dem Streben nach Gerechtigkeit 27 . Denn nur Gerechtigkeit 28 vermag den individuellen Schutz der Würde, ebenso wie den generellen Schutz des Friedens zu garantieren. Gerechtigkeit bedeutet nicht Gleichbehandlung um jeden Preis, sondern die entsprechend der individuellen Beschaffenheit angepaßte Behandlung, d.h. die Gleichbehandlung solange, als es keine Rechtfertigung zur Ungleichbehandlung gibt 2 9 . Der Staat bemüht sich mit seinen Mitteln, dem staatlichen Recht, Gerechtigkeit seinen Staatsbürgern widerfahren zu lassen. Die Kirche erkennt Gerechtigkeit als das göttliche Gebot, weiß aber, daß menschliches Streben nach Gerechtigkeit nur unvollkommen sein kann 3 0 . Zwar ist anerkannt, daß als wesentliche Aufgabe von Recht und Gerechtigkeit, die Herstellung einer Übereinstimmung zwischen dem Sollen und dem Sein, anzusehen i s t 3 1 , allerdings ist der Kirche bewußt, daß der eigentliche Sinn der Strafe auf einer "höheren Ebene" gesucht werden muß 3 2 , da die Gerechtigkeit Gottes anderes

25

Hoerster, Norbert in: Hoerster, N. (Hrsg.), Recht und Moral, München 1980, S. 10

26 Zur Diskussion: Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1983, S. 120 ff; Sauter , Gerhard, Gerechtigkeit, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 1074 - 1083 27 Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965 S. 95; 28 Vgl. zu den verschiedenen Gerechtigkeitstheorien von der Antike bis heute: Zippelius, Reinhold, Geschichte der Staatsideen, 8. Aufl., München 1991 29

Frankena, in: Hoerster, (Hg.), Recht und Moral, 1980, S. 132 (137)

30

Barth, Karl, Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge, in: ZfStrVo 18 (1969), S. 5 (7)

31 Pius XII., S. 187 in: Rehbom, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J. 32

Pius XII., a.a.O., S. 189

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

55

ist als das Recht der Menschen 33 . So kommt es zwischen Kirche und Staat zwar zu einer übereinstimmenden Verwendung des Wortes "Gerechtigkeit", jedoch sind unterschiedliche Auffassungen, welche Gerechtigkeit hiermit gemeint ist, nicht zu vermeiden. Die Verwendung gleicher Termini zeigt noch die ursprünglich enge Verbindung von Recht und Religion 3 4 . Allerdings ist nicht zu vernachlässigen, daß sich in neuerer Zeit die Sinnhaftigkeit dieses Begriffs zwischen Kirche und Staat verschoben hat, wobei eine Diskussion der unterschiedlichen Begriffsinhalte nur am Rande geführt w i r d 3 5 . Insofern ist es insbesondere im Strafvollzug möglich, daß die kirchliche Auffassung von Gerechtigkeit von der staatlich geübten Gerechtigkeit abweichen kann 3 6 . Auf die Problematik der unterschiedlichen Verarbeitung des Begriffs "Gerechtigkeit" wird im Rahmen dieser Arbeit bei der Darstellung der Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers im Strafvollzug näher eingegangen37. Für die hier in Kürze darzustellenden äußerlich gemeinsamen Leitlinien kirchlichen und staatlichen Verhaltens im Strafvollzug soll der Begriff "Gerechtigkeit" vorerst genügen. Somit kann eine gewisse, äußerliche Übereinstimmung der beiden Kräfte im jeweiligen Streben nach Gerechtigkeit verzeichnet werden, nicht ohne jedoch die Problematik des unterschiedlichen Gerechtigkeitsverständnisses von Staat und Kirche anzudeuten.

33 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 68 f 34

Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 272 35 Wullschleger, Religion und Kriminalität, in: Schneider, (Hg.), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, 1981, S. 622 - 630 36 Insofern bleibt menschliches Strafen aus christlicher Sicht stets in gewisser Weise fraglich: Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 70 f 37 Vgl. die Einzeldarstellungen zu Tätigkeiten von Anstaltsseelsorgern bei: Rassow, Peter (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur kirchlichen Arbeit im Gefängnis. Stuttgart 1987; Daiber, Karl-Fritz, Peter Rassow, in Zusammenarbeit mit Fritz Sperle (Hrsg.), Gemeinde beiderseits der Mauern - Studien und Berichte zum Verhältnis zwischen Ortskirche und Gefangnisseelsorge, Hannover 1986, Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, hrsg. von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Band 3

56

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

4. Die Bedeutung des Freiheitsgedankens

Es stellt sich die Frage, ob auch die Gewährleistung von Freiheit für den Menschen ein Staat und Kirche verbindender Gedanke ist. Heutzutage geht der Staat von mündigen Bürgern aus, die in ihrer Freiheit zu leben, geschützt werden sollen. Er hat sich die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Grundgesetz als Aufgabe gesetzt 38 . So sind auch die staatlicherseits garantierten Grundrechte Freiheitsrechte 39 . Der Staat will seinen Bürgern soviel Freiheit, wie sie in einem auf gegenseitige Achtung des Nächsten angelegten Gemeinwesen möglich ist, vermitteln. Gerade die Ausrichtung auf gegenseitige Achtung gebietet allerdings, Freiheit nicht unbeschränkt zu gewährleisten 40 , sondern dort, wo die Freiheit des anderen beginnt, Grenzen zu ziehen, also die Menschen im Sinne des Kantschen Imperativs leben zu lassen. So ist es staatlicherseits legitim, denjenigen, der einen anderen in seiner Freiheit in einer von der Gesellschaft nicht tolerierbaren Weise beschränkt, seine Freiheit zu nehmen. Die Idee der Freiheit ist - trotz des staatlich angeordneten Freiheitsentzugs - ein den heutigen Strafvollzug durchziehendes Motiv. Der Strafvollzug ist daraufhin auszurichten, daß der Gefangene befähigt wird, in Freiheit zu leben 41 . Selbst wenn im Strafvollzug der einzelne Mensch seiner Bewegungsfreiheit beraubt ist, so hat sich der Staat dennoch verpflichtet, dem Gefangenen die Freiheit zu belassen, die über die Bestimmung des Aufenthaltsorts und gewisse modale, mit der Art und Weise des Strafvollzugs zusammenhängende Einschränkungen hinausgeht. Grundgesetzlich verboten ist die seelische oder körperliche Mißhandlung von Gefangenen, Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG. Trotz gewisser räumlicher und zeitlicher Freiheitsbeschränkungen, wird jedenfalls die innere Freiheit des Gefangenen somit garantiert. Auch äußerlich ist der Anstaltsinsasse frei in seiner Lebensgestaltung, sofern diese den Zielen und dem Ablauf des Vollzugs nicht zuwider läuft. Zudem ist der heutige Strafvollzug auf Resozialisierung, d.h. die Ermöglichung eines sozialen Lebens in

38

Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL Heft 26,1968,S. 5 (38)

39

Vgl. Maunz / Zippelius, Deutsches Staatsrecht, München 1983, S. 184 ff m.w.N.

40 Vgl. die Darstellung des Freiheitsbegriffs bei: Zippelius, Rechts, München 1965, S. 120 ff

41 Schüler-Springorum, Sp. 3546 (3548)

Reinhold, Das Wesen des

Horst, Strafvollzug, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987,

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

57

Verantwortung und Freiheit ausgerichtet 42 und bemüht sich um Anpassung des Lebens im Strafvollzug an das Leben außerhalb des Strafvollzugs, § 3 Abs. 1 StVollzG 4 3 . Daher ist das Streben nach Schaffung individueller Freiheit auch im Strafvollzug ein das Handeln des Staates durchziehendes Motiv, mag es auch dem einzelnen Gefangenen in seiner Unfreiheit nicht deutlich werden. Deutlich kann dagegen die Kirche 4 4 von Freiheit sprechen und ihrem Auftrag gemäß handeln. Sie kann das Bewußtsein wecken, daß es noch eine andere Freiheit als die physische Freiheit in dieser Welt gibt. Sie stellt in ihrer Sorge um den Menschen als ganzen Menschen auch und gerade im Strafvollzug eine - auch von den Gefangenen als solche empfundene - "Oase der Freiheit" 4 5 dar. Hier finden die gefangenen Menschen einen Freiraum in einer sonst totalen Institution, die sie auf das Leben in Freiheit vorbereiten sollte. So vermittelt die Kirche im Strafvollzug die Idee der Freiheit sehr deutlich. Wie die Kirche - auch dem eigenen Verständnis entsprechend - konkret den Freiheitsgedanken im Strafvollzug 46 umsetzt 47 und welche Probleme in dem gewöhnlichen Alltag des Strafvollzuglebens gelegentlich aufgrund unter-

42 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, StrafVollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, §2 Rdn. 1,3 43 Näher zur Problematik der Resozialisierung: Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 66 ff 44

Zur Problematik der Vermittlerrolle des Anstaltsseelsorgers: Rassow, (Hg.), Der Dienst des Anstaltspfarrers im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, 1975; ti Schiaich, Klaus, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. II, Berlin 1975, S. 269 46 Die Schwierigkeiten des Gottesdienstes im Strafvollzug beschreiben: Koch, Herbert, Peter Rassow, Karl Steinbauer, Christian Wahner, Werner Wendeberg, unter Mitarbeit von Gerhard Hechler, Peter Kratz und Dietrich Schulz, Gottesdienst im Gefängnis - Erfahrungen Orientierung - Konkretionen, Hannover 1984, Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, hrsg. von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Band 1; 47 Zu praktischen Problemen der Gruppenseelsorge: Diekmann, Peter, Gudrun Janowski, Birgit Köhler-Günther, Michael Popke, Peter Rassow, Ute Vos, Werner Wendeberg (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989; Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, hrsg. von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Band 4;

58

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

schiedlicher Auffassungen von Staat und Kirche zum Begriff der Freiheit 48 entstehen, ist später darzulegen 49 . Es sind jedoch nicht nur objektive Werte, die das Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug gleichzeitig ermöglichen und begrenzen, sondern es gilt, diese Werte und Überzeugungen, die im Strafvollzug aufeinandertreffen, sinnvoll einander zuzuordnen, festzustellen, welche Bedeutung diese objektiven Werte für die einzelnen Beteiligten in subjektiver Hinsicht entfalten und welche Wechselwirkungen sich daraus ergeben. Dafür ist es erforderlich, die Beziehungen zwischen den Beteiligten systematisch zu erfassen.

II. Mensch, Kirche und Staat als Wirkungsfelder

1. Die Gestaltung der Dreiecksbeziehung

Staat, Kirche und Mensch bilden die Eckpunkte eines Dreiecks, welches durch subjektive und objektive Komponenten zwar seine Grundform als Dreieck stets behält, jedoch durch unterschiedliche Interessenlagen seine konkrete Gestalt zu ändern vermag. Dabei besteht zwischen Staat und Kirche eine unmittelbare Beziehung, ebenso wie zwischen dem einzelnen Menschen und jeweils Staat und Kirche separat. Gleichzeitig sind diese Eckpunkte über den jeweiligen Partner wieder mit dem Dritten verbunden. Insofern muß eine Betrachtung des Verhältnisses von Staat und Kirche bei ihrer Begegnung am Menschen stets zwei Aspekte im Auge haben:

48 Allgemein zur Problematik kirchlichen Handelns im Strafvollzug: Diestel Gudrun, Peter Rassow, Otto Schäfer, Ellen Stubbe (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980; Rassow> Peter (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur kirchlichen Arbeit im Gefängnis. Stuttgart 1987 49 Vgl. zu den Problemen, die in der Praxis bestehen bei kirchlicher Tätigkeit innerhalb und außerhalb des Gefängnisses: Daiber, Karl-Fritz, Peter Rassow, in Zusammenarbeit mit Fritz Sperle (Hrsg.), Gemeinde beiderseits der Mauern - Studien und Berichte zum Verhältnis zwischen Ortskirche und Gefängnisseelsorge, Hannover 1986, Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, hrsg. von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Band 3;

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

59

Zum einen die sich aufgrund der direkten Verbindung zwischen Staat und Kirche ergebende Situation, zum anderen die sich aufgrund der mittelbaren, über den Menschen laufende Verbindung ergebende Situation. Je nach Betrachtungsweise entstehen somit differierende rechtliche Ansatzpunkte, die jeweils von den subjektiven Komponenten der Beteiligten mitgeprägt sind.

2. Die Entwicklung

von Wirkungsfeldern

Ausgangspunkt der Betrachtung von Staat und Kirche im Strafvollzug ist demzufolge die grundlegende Feststellung, daß im Strafvollzug eine Begegnung von drei Beteiligten stattfindet 50 . Diese drei Beteiligten - Staat, Kirche und Gefangener - stehen untereinander in bestimmten Beziehungen 51 , wobei es sich aufgrund der multikausalen Zusammenhänge von Aktionen und Reaktionen der Beteiligten anbietet, von einem Feld zu sprechen, das den jeweils Beteiligten umgibt. Da dieses Feld durch Wirkungen und Wechselwirkungen mit den beiden anderen Feldern gekennzeichnet ist, scheint es opportun, die Beteiligten als "Wirkungsfelder" zu klassifizieren. Diese drei Wirkungsfelder werden durch die Rechtskreise gebildet und umgrenzt, welche den Staat, die Kirche und den einzelnen Menschen umgeben. So entfaltet jedes dieser Wirkungsfelder im Strafvollzug Beziehungen zu den beiden weiteren Beteiligten, wobei diese Beziehungen unterschiedliche subjektive und objektive Faktoren aufweisen, deren rechtliche Bedeutung und Wirkung erst in der Gesamtschau mit den Motiven des Handelnden erkennbar wird. Es stellt sich aufgrund der mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen den Beteiligten die Aufgabe einer systematischen Einordnung der Verhältnisse zwischen Staat, Kirche und dem einzelnen Menschen. Daher gilt es, eine gemeinsame Basis zu finden, von der aus die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Handlungsweisen der jeweils Beteiligten deutlich werden.

50 Peters, Karl, Seelsorge und Strafvollzug, in: JR 1975, 402 - 407 nennt den Inhaftierten, den Staat und die Kirche 51 Peters, Karl, Seelsorge und Strafvollzug, in: JR 1975, 402 (403) zeigt vier rechtliche Wechselbeziehungen auf: 1. Verurteilter gegen den Staat 2. Kirche gegen den Staat 3. Staat gegen Kirche 4. Verurteilter gegen Kirche

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Da sowohl staatliches als auch kirchliches Handeln im Strafvollzug am Menschen ansetzt, soll zunächst die Bedeutung des Menschen und seiner Einstellung als individuell Betroffenem dargelegt werden. Es wird demzufolge zunächst versucht, den Menschen und die mit ihm verbundenen subjektiven Komponenten im Strafvollzug als Wirkungsfaktoren kirchlichen und staatlichen Handelns deutlich zu machen, um zu zeigen, daß im Strafvollzug bereits der Einzelne und seine subjektive Einstellung Konsequenzen für das Handeln von Staat und Kirche entfaltet. Um die Bedeutung subjektiver Erwartungen zu verdeutlichen, sei im folgenden zunächst von der Prämisse ausgegangen, daß Staat und Kirche im Strafvollzug objektiv identisch tätig werden könnten. In der Praxis sei hier etwa an die Durchführung eines Vortrags zu einem sozial-karitativen Thema gedacht, welcher sowohl von einem staatlichen Sozialarbeiter, als auch von einem Anstaltsseelsorger durchgeführt werden könnte 52 . So fragt sich, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede diesbezüglich zwischen Staat und Kirche bestünden.

3. Der Mensch als Objekt staatlichen und kirchlichen

Wirkens

Auf der Suche nach dem Staat und Kirche grundsätzlich gemeinsamen Element ihres Wirkens im Strafvollzug fällt zunächst die Objektidentität staatlicher und kirchlicher Tätigkeit auf. Staat und Kirche begegnen sich in dieser Welt stets am gleichen Objekt, nämlich dem Menschen 53 . Ihr Wirken geschieht im Hinblick auf den Menschen, ist ein Dienst am Menschen 54 . Der Mensch wird sowohl vom Staat als auch von der Kirche als sein Gegenüber

52

In der Praxis sehen sich die Anstaltsseelsorger häufig der Gefahr ausgesetzt, als Sozialarbeiter tätig werden zu müssen, vgl. Busch, Max, Behandlungsvollzug und Seelsorge, in: Diesici Gudrun, Peter Rassow, Otto Schäfer, Ellen Stubbe (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980. S. 52 (580; Hölzner, Dieter, Otto Seesemann, Helmut Weller, Probleme pfarramtlicher Tätigkeit, in: Kleinen, Ulfrid (Hrsg.), Strafvollzug, Analysen und Alternativen, München 1972, S. 118 (1200; 53 Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, WDStRL Heft 26, 1968, S. 6 (52); Böckle, Franz, Kirche - Staat - Gesellschaft. Theologische Bemerkungen zu ihrem Verhältnis, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marré, Band 2, Münster 1969, S. 32 (33ff) 54 Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, WDStRL Heft 26, 1968, S. 5 ( 37); Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965, S. 92

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

61

und als Gegenstand seines Handelns angesehen. Staat und Kirche wissen sich denselben Menschen verpflichtet 55 . Mögen auch die Beweggründe für das Handeln der jeweiligen Ordnungsmacht unterschiedlich 56 sein - das Objekt ihres Wirkens ist grundsätzlich der individuelle Mensch. Somit sieht sich der einzelne Mensch der Tätigkeit zweier Ordnungssysteme ausgesetzt. Dabei wird der Begriff 'Ordnungssystem" in diesem Zusammenhang untechnisch, d.h. nicht im Sinne einer systematischen Unterscheidung von Kirchenrecht und staatlichem Recht verstanden 57. Auch soll hier nicht auf das zwischen den Kirchen unterschiedliche Verständnis von Staat und Kirche als "societates perfectae" 58 nach der katholischen Lehre, bzw. dem evangelischen Verständnis der Andersartigkeit des kirchlichen Rechts 59 aufgrund seiner Verbindung mit dem göttlichen Recht eingegangen werden 60 . Für die vorliegende staatskirchenrechtliche Frage, bei der die Unterscheidung von Staat und Kirche, nicht jedoch die Unterscheidung der jeweiligen kirchlichen Auffassungen im Zentrum der Erörterung steht, soll die Betrachtung der Kirchen als Einheit genügen. Eine konfessionelle Unterscheidung wird weitest gehend vermieden, um die Wirkungsfelder Staat - Kirche - Individuum im Strafvollzug nicht noch weiter aufzufächern und so die Gefahr der Unüber sichtlichkeit der. ohnehin vielfältigen Beziehungen zu vergrößern. Die Kirchen im Strafvollzug werden daher als Einheit betrachtet, die sich ebenso wie der Staat, entsprechend ihren Vorgaben, um das Wohl des Einzelnen 61 bemühen.

55

BVerfG, Beschluß vom 21.9.1976, BVerfGE 42, 312 (331)

56 Listi , Joseph, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbkathKR 1983, § 111, S. 1034 57

Vgl. zur Problematik des Aufeinandertreffens von Kirchenrecht und staatlichem Recht: Pirson, Dietrich, Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung, in: Festschrift für Erich Ruppel, H. Brunotte, K. Müller, R. Smend (Hrsg.),Hannover,Berlin,Hamburg 1968,S.277-312 58 Vgl. zur Kirche als "societas inaequalis" und zur "societas perfecta "-Lehre die umfassende Darstellung: Listi , Joseph, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Staatskirchenrechtl. Abhandlungen, Bd. 7, Berlin 1978

59 Heckel, Martin, Rechtstheologie Luthers, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 2818 - 2849 60 Vgl. Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: FS Ruppel, 1968, S. 312 - 329 (322); Listi, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche (19), 1985, S. 16 ff 61 Listi , Joseph, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbkathKR 1983, § 111, S. 1034

62

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Der Einzelne im Strafvollzug wird daher von zwei Systemen, Staat und Kirche, zumindest potentiell erfaßt. Dabei bleibt es die subjektive Entscheidung des einzelnen, ob und falls ja, welcher Ordnungskraft - der staatlichen oder der kirchlichen - er sich innerlich verpfliehtet weiß. Es kann der Gläubige sich freiwillig in die kirchliche Ordnung einfügen 62 , während von einer generellen Einordnung des Einzelnen in das staatliche System wohl ausgegangen werden muß, wenngleich auch im Strafvollzug es der Freiwilligkeit des Einzelnen überlassen bleibt, ob er von bestimmten staatlichen Angeboten Gebrauch machen möchte, oder nicht. Jedenfalls bemühen sich im Strafvollzug, ebenso wie in anderen Bereichen, sowohl der Staat, als auch die Kirche um den gleichen Menschen 63 . Auch wenn dieser subjektiv möglicherweise als Objekt staatlichen oder kirchlichen Handelns eine Verpflichtung zur Anerkennung der jeweiligen ordnenden Kraft nicht für sich persönlich anzuerkennen willens ist, so ist der Mensch für die jeweilige Ordnungsmacht Mitglied oder zumindest potentielles Mitglied ihres Hoheitsbereiches. Daher stellt sich der Mensch auch im Strafvollzug als Bürger zweier ihn umsorgenden Kreise dar, des staatlichen und des kirchlichen.

a. Die Bedeutung der subjektiven Haltung des Einzelnen Unter der vorläufigen Prämisse, daß eine Tätigkeit am Menschen im Strafvollzug aufgrund der gleichen Handlungsweise von Staat und Kirche objektiv identisch sein könnte, beispielsweise das Angebot einer identischen Veranstaltung, sodaß es objektiv im Ergebnis für den Einzelnen keinen Unterschied machen würde, welche Ordnungsmacht sich seiner annähme, ergäbe sich folgendes: Wäre es für den jeweils betroffenen Menschen subjektiv ohne Bedeutung, ob Staat oder Kirche sein Dasein regeln, so könnte es sich ergeben, daß gleichartiges Handeln von Staat und Kirche am Menschen im Strafvollzug keinen Unterschied mehr machte. Ein Unterschied ergäbe sich bei objektiver Identität einer Handlung von zwei Kräften an einem Dritten allein aufgrund der differenzierenden subjektiven Sicht des Empfängers. Für einen urheberschaftsindifferenten Menschen wäre es danach subjektiv belanglos, welche Ordnungskraft sich seiner annähme. In einem derartigen Fall wäre der Grund für die Tätigkeit gerade der Kirche oder gerade des Staates nicht in der 62 Listi , Joseph, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat) in: H. Marré / J. Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (19), Münster 1985 S. 44

63

Heckel, M., Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26,1968,S.5(32)

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

63

Interessenlage des Einzelnen gegeben. Hier müßten Staat oder Kirche ihrerseits Gründe für gerade ihr Wirken aufweisen, die unabhängig von der subjektiven Haltung des Einzelnen wären. Für einen "urheberschaftsindifferenten" Gefangenen wäre es bloß bedeutsam, daß sich eine Kraft seiner annähme. Die subjektive Einstellung des Einzelnen vermag also allein dann Einfluß auf die Tätigkeit von Staat und Kirche im Strafvollzug auszuüben, wenn der Einzelne ein schützenswertes Interesse an der Urheberschaft einer Tätigkeit durch den Staat oder durch die Kirche hat. Das Interesse, das der Einzelne daran hat, daß entweder die Kirche, oder der Staat handelt, kommt dem jeweils gewünschten Partner zugute. Dieser kann sich darauf berufen, von dem Einzelnen gewünscht worden zu sein, oder jedenfalls nicht abgelehnt worden zu sein. So vermag bereits die subjektive Haltung des Gefangenen, mögliche Argumente zur Tätigkeit des Staates oder der Kirche im Strafvollzug zu schaffen.

b. Die Bedeutung des staatlichen und kirchlichen Selbstverständnisses Allerdings ist zu beachten, daß nicht nur subjektive Einstellungen des Einzelnen den Charakter staatlichen und kirchlichen Handelns ausmachen, sondern auch Einstellungen von Staat und Kirche selbst: Sofern Staat oder Kirche eine Handlung als ihren spezifischen Auftrag verstehen und Wert darauf legen, daß gerade sie als Ordnungsgewalt tätig werden, ändert dies zwar nichts an der oben dargelegten Objektidentität Mensch. Jedoch bestimmt die Auffassung von Staat und Kirche die Art der Begegnung. Es ist daher bei staatlichem und kirchlichem Wirken im Strafvollzug nicht nur die subjektive Komponente des Individuums, sondern auch die subjektive Einstellung von Staat und Kirche von ihrem jeweiligen Auftrag zu berücksichtigen. Staatliche und kirchliche Tätigkeit im Strafvollzug rechtfertigt sich nicht allein aus den subjektiven Erwartungen und Rechten des Einzelnen, sondern auch aus den aufgrund historischer oder mit dem Wesen der jeweiligen Ordnungskraft zusammenhängenden Gegebenheiten, die eine bestimmte Tätigkeit als zu ihrem spezifischen Auftrag am Menschen gehörig klassifizieren. So gibt es allein aufgrund der unterschiedlichen Erwartungshaltungen der drei Beteiligten variable Beziehungen. In den folgenden Fallkonstellationen wird das Verhältnis von staatlichem und kirchlichem Handeln zur echten Begegnung im Sinne einer potentiellen Konflikthaftigkeit:

64

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Zum einen dann, wenn der Einzelne differenziert, wer Urheber der jeweiligen Handlung an ihm ist, weil er subjektiv mit dem jeweils anderen Urheber eine andere Ziel-, Weg- oder Handlungsvorstellung verbindet. Hier ist es für den Einzelnen von Wichtigkeit, ob der Staat oder die Kirche an ihm tätig wird. Gleichzeitig tritt in diesem Fall auch für den Staat und die Kirche ein Unterschied in ihrer Tätigkeit ein, sofern sie die subjektiven Wünsche und Erwartungen ihres Handlungsobjekts in die jeweilige Auffassung ihres Auftrags am Menschen miteinbeziehen. Da der Staat sich zur Achtung der Menschenwürde und zum umfassenden Schutz der Gedankenfreiheit 64 verpflichtet hat, die auch die Berücksichtigung innerer Haltungen des Einzelnen beinhaltet, und auch die Kirche ihren Auftrag am Menschen als Ganzen versteht, ist sowohl von der staatlichen, als auch von der kirchlichen Einbeziehung der subjektiven Haltung des Menschen im Strafvollzug auszugehen. Infolge der Integration der subjektiven Einstellung des Handlungsobjekts Mensch in den jeweiligen Auftrag, kann es für die Kirche und den Staat nicht mehr bedeutungslos sein, wer von den beiden eine Handlung vornimmt. Eine Begegnung von Staat und Kirche fände trotz Objektidentität und Handlungsidentität statt, allein aufgrund der Aufnahme des subjektiven Empfängerhorizonts in die Motivation des jeweils Handelnden. Die zweite Fallkonstellation ergibt sich bei Gleichgültigkeit des Objekts Mensch, aber Anerkennung eines eigenen Interesses der jeweiligen Ordnungsmacht an der Qualität der Urheberschaft einer Handlung an einem Menschen. Die jeweilige Ordnungsmacht kann ein spezifisches Interesse haben, gerade bei einer bestimmten Fragestellung unabhängig von der Einstellung der anderen von Ziel, Weg oder Vorgehensweise handeln zu können. So beeinflußt auch die Einstellung der jeweiligen Ordnungskraft die Art der Begegnung von Staat und Kirche am gleichen Objekt. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß trotz Objektidentität die subjektive Einstellung der Betroffenen, sowohl des empfangenden Objekts, als auch der gebenden Kräfte, für die Art der Begegnung wesentlich ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung im Sinne einer potentiellen Konflikthaftigkeit ist umso größer, je unterschiedlicher die Zielvorstellungen sind, mit denen Staat und Kirche die jeweilige Aufgabe zu erfüllen streben.

64 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Rdn. 11

§ 2 Grundkonstellation von Mensch, Kirche und Staat

65

III. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß die Grundwerte der Sorge um den Frieden, sowie das Bemühen um die Erhaltung der menschlichen Würde, und das Streben nach Gerechtigkeit und Freiheit für den Menschen im Strafvollzug die Tätigkeit von Staat und Kirche verbinden. Dabei gelingt es jedoch den Kirchen aufgrund ihrer Rolle als "neutrale" Instanz im Strafvollzug überzeugender, diese Werte dem Gefangenen zu vermitteln, als dies dem Staat möglich ist. Diese objektiven Werte entfalten daher im Strafvollzug subjektive Komponenten, die jeweils abhängig von den Beteiligten Wechselwirkungen zeigen. Staat, Kirche und Gefangener bilden im Strafvollzug ein Dreieck mit unterschiedlichsten Beziehungen zu- und übereinander. Inwieweit die unterschiedlichen Erwartungshaltungen einen Niederschlag in rechtlichen Regelungen gefunden haben, und wie welche Wechselwirkungen in die Praxis Einzug genommen haben, wird im Laufe der folgenden Kapitel dargestellt werden. An dieser Stelle sei fixiert, daß, abgesehen von der Identität des Objekts Mensch im Strafvollzug, die Werte Menschenwürde, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit gemeinsame Grundwerte von Staat und Kirche bilden, die sie - trotz ihres unterschiedlichen Strafverständnisses und ihrer unterschiedlichen Sicht vom Menschen - dennoch im Grundsätzlichen im Strafvollzug verbindet. Diese Grundwertebestimmung läßt sich ohne detailliertes Eingehen auf rechtliche Fixierungen von staatlichem und kirchlichem Wirken im Strafvollzug treffen. Es schließt sich nach dieser Klärung des trennenden und des verbindenden Gedankenguts von Staat und Kirche im Strafvollzug die Frage an, wie eine Einordnung der kirchlichen Tätigkeit im Strafvollzug rechtlich erfolgen kann.

5 Eick-Wildgans

§ 3 Kirchliches Wirken im staatlichen Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

I. Kirchliches Wirken im öffentlichen Raum

1. Die Besonderheit des Strafvollzugs als öffentlich-rechtlich geregelter Bereich

Die Kirche wird im Strafvollzug als einem öffentlich-rechtlich 1 geregelten Gebiet tätig. Strafvollzug ist ein Rechtsbereich, der seit seinem Entstehen durch die Unterordnung des betroffenen Bürgers unter die Macht des Staates gekennzeichnet ist. Hier entscheidet der Staat in einem weit stärkeren Maße als in anderen Gebieten, in denen Staat und Kirche gleichzeitig tätig werden, über modale Beschränkungen des Lebens seiner Bürger. Es wird zwar gemeinhin die Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten, Bundeswehr und Polizei unter dem Sammelbegriff der Anstaltsseelsorge erfaßt. Allerdings unterscheiden sich die genannten Institutionen und die Motivationen der in ihnen befindlichen Menschen erheblich 2 . Gemeinsam ist den in ihnen befindlichen Menschen, daß der Staat in gewissen Bereichen die Verantwortung für die Ermöglichung bestimmter Grundrechte übernimmt 3 .

1 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 17 2

Auch Höllerbach, Alexander, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1989, Band VI, § 140, S. 595 (601) spricht sich für eine Unterscheidung der unterschiedlichen Arten der Anstaltsseelsorge aus. 3 Ausführlich zur staatlichen Verantwortung: Loschelder, Wolfgang, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung. Zur Institutionalisierung der engeren Staat / Bürger- Beziehungen, Köln, Berlin, Bonn, München 1982, S. 435 f, 439 ff

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

67

Während in Krankenhäusern jedoch das persönliche, physische Unvermögen des Einzelnen eine Hilfestellung des Staates zur Ausübung religiöser Grundrechte rechtfertigt 4 , ist die Situation der Seelsorge im Strafvollzug etwas anders. Im Gegensatz zum Kranken, der aus Rechtsgründen nicht gehindert ist, das Krankenhaus jederzeit zu verlassen, befindet sich der Strafgefangene für gewisse Dauer an einem staatlich bestimmten Aufenthaltsort. Aufgrund eines Verhaltens, das gegen die allgemein anerkannte Rechtsordnung in gravierendem Maß verstoßen hat, wurde der Staat durch den Konsens der übrigen Bürger, der seine Manifestation in den einschlägigen Gesetzen gefunden hat, zu Sanktionen gegen den einzelnen Gesetzesübertreter ermächtigt. Diese Sanktionen stellen zum großen Teil Einschränkungen der persönlichen Freiheiten dar. Eine Rechtfertigung dieser Einschränkung bürgerlicher Freiheiten resultiert aus dem Benehmen des Einzelnen, der ein derartiges Eingreifen des Staates durch sein Fehlverhalten verursacht hat, wobei im Rahmen dieser Arbeit nicht auf die Diskussion von Determinismus und Indeterminismus im Bereich menschlicher Schuld eingegangen werden kann und soll 5 . Jedenfalls begibt sich der Strafgefangene nicht freiwillig in eine Lage, in der er auf die Vermittlungstätigkeit des Staates zur Ausübung seiner religiösen Rechte angewiesen ist, wie dies im Bereich des Polizei- 6 und heute zum großen Teil im Bereich des Militärdienstes gegeben ist 7 . Der einzelne Straftäter hat sich zwar auf eine ihm zurechenbare Weise selbst, nicht jedoch freiwillig, in eine Situation, in der der Staat über Modalitäten seines Lebens bestimmt, hineingebracht. Er befindet sich unfreiwillig und unausweichlich in einem öffentlich-rechtlich geregelten Raum, in dem er zur Befriedigung seiner grundrechtlichen Bedürfhisse des Einverständnisses und der entsprechenden Hilfe der öffentlichen Gewalt bedarf 8 . Strafvollzug ist daher ein Bereich, der

4 Vgl. zur Seelsorge im Krankenhaus: Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 45 - 137 5 Zur Unbeweisbarkeit von Willensfreiheit: Roxin, Claus, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, S. 377 (378) m.w.N. 6 Zur Geschichte und Rechtsgrundlagen der Seelsorge in der Polizei: Schwark, Heribert, Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Frankfurt, Bern, New York 1986 7 Vgl. zur Seelsorge in der Bundeswehr: Seiler, Rudolf, Seelsorge in der Bundeswehr und im Bundesgrenzschutz, HdbStKirchR Bd. II, Berlin 1975, S. 685 - 700; Aus der Sicht der Politikwissenschaft: Steuber, K., Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland, 1972; 8 Zu den Grundrechten im Strafvollzug vor Inkrafttreten des StVollzG: von Münch, Ingo, Die Grundrechte des Strafgefangenen, in: JZ 1958, 73

5*

68

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

in besonderem Maße durch das spezifisch hoheitliche Element, d.h. durch die besondere Rechtsmacht des Staates gekennzeichnet ist.

2. Der Öffentlichkeitsauftrag

der Kirche

Wenn die Kirche gerade in diesem Bereich tätig werden möchte, so stellt sich die Frage, mit welchem Anspruch sie dort wirken kann, ob und gegebenenfalls warum der Staat auch ihr dort Schranken setzen kann, obwohl sie primär keinen Grund für modale Beschränkungen ihres Wirkens gesetzt hat. Seit der "Loccumer Formel" vom Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen 9 hat sich ein gesellschaftliches und staatlich-politisches Bewußtsein von einer kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit und ihrer Berechtigung entwickelt, die zunehmend zu einer gewissen Position verfestigt wurde, die vereinzelt als Öffentlichkeitsanspruch 10 deklariert wird. Gegen die Anerkennung eines juristisch faßbaren "Anspruchs" sprechen allerdings die verschwommenen Konturen eines derartigen "Anspruchs", da weder Inhalt, noch Gegner des Anspruchs bisher dargelegt werden konnten 11 . Daher ist es dem Wesen kirchlichen Wirkens adäquater von einem kirchlichen "Öffentlichkeitsauftrag" zu sprechen, im Sinne einer wahrnehmbaren Stimme zur Mahnung an christliche Werte, sowie dem Praktizieren christlicher Werte in Staat und Gesellschaft. Der Öffentlichkeitsauftrag 12 der Kirche hat in den letzten Jahrzehnten 13 auch Eingang in staatlich-kirchliche Vereinbarungen gefunden 14 . Von der früheren

9 Ausfuhrlich zu Entstehung und Wesen des Öffentlichkeitsauflrags: Schiaich, Klaus, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. II, Berlin 1975, S. 231 - 272 10 Kritisch zum Begriff des Öffentlichkeitsanspruchs: Pirson, Dietrich, Offentlichkeitsanspruch der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 2278 - 2284 11 Zutreffend: Pirson, Dietrich, Öffentlichkeitsanspruch der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 2278 (22830 12 Vgl. dazu die Präambeln der Kirchenverträge von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz 13

Näher dazu: Schlaich y Klaus, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. II, Berlin 1975, S. 231 ff 14

Mikat, Paul, Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 111-243 in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960, S. 142

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

69

Einstellung, die Kirche solle sich um das innere Heil des Menschen kümmern, und dieses nur im eigentlich kirchlichen Raum tun, hat sich die Auffassung gewandelt. Die Kirche betrachtet ihren Auftrag als Öffentlichkeitsauftrag. Sie hat erkannt, daß der von ihr betreute Mensch in dieser Welt, hier und jetzt, umsorgt werden muß. Gleichzeitig ist sie sich bewußt, daß zwischen ihrem geistigen Auftrag 15 und dem weltlichen Auftrag des Staates klar unterschieden werden muß, um durch diese Unterscheidung eine positive Beziehung zwischen den beiden Institutionen herstellen zu können 16 . Die Kirche macht in der Gesellschaft einen Öffentlichkeitsauftrag geltend, der theologisch begründet wird, in der Weise, daß es der Kirche obliegt, zu jeder Zeit und an jedem Ort - auch im Gefängnis - zu verkünden und zu urteilen, sofern sie dies grundrechtsbedingt oder aus Gründen des Seelenheils als notwendig erachtet 17 . Diese Erkenntnis hat zur Folge, daß die Kirche sich nicht auf einen ihr spezifischen Bereich zurückziehen kann, sondern sich den Gegebenheiten und Herausforderungen des staatlichen Lebens stellen muß. Aus diesem Öffentlichkeitsauftrag folgt ein verstärktes Engagement auf verschiedenen Gebieten, die der Staat teilweise freiwillig und gerne den Kirchen überläßt. Zum Teil engagiert sich die Kirche aber auch in Bereichen, die der Staat ehemals für sich allein beansprucht hatte 18 . Der Strafvollzug ist zwar im Grundsatz ein hoheitlich geregeltes Gebiet, wobei seine heutige verfassungsrechtliche Institutionalisierung in Deutschland durch Art. 104 GG erfolgte 19 . Dennoch hat der Staat von altersher die religiöse Betreuung der Gefangenen durch die Kirche zugelassen und die Kirche hat die Sorge um die Gefangenen 20, wie auch fiir alle anderen Ausgestoßenen,

15 Sehr informativ zum Auftrag der Kirche und ihrem Verhältnis zum Staat: Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh, 1985 16 a.a.O., S. 12 f 17 Listi , Joseph, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: H. Marré / J. Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (19), Münster 1985, S. 23) 18 Vgl. zur Geschichte: Heckel, M., Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ZevKR 12 (1966 / 67), S. Iff

19 Münch, Ingo, von, Die Grundrechte des Strafgefangenen, in: JZ 1958, S. 73 20 Vgl. Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie Praxis; Göttingen 1985, S. 56 ff

70

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

als ihren Auftrag empfunden 21 . So wäre die gewandelte Auffassung der Kirche von ihrem zwischenzeitlich umfassenden Auftrag an sich problemlos, da der Strafvollzug seit seinen Anfangen ein Gebiet war, auf dem der Staat die Kirche mehr oder weniger beschränkt gewähren ließ. Problematisch war und ist allerdings dabei die Grenzziehung von staatlichem und kirchlichem Wirkungsbereich im Strafvollzug. Da die Kirche heutzutage den Menschen als Ganzes 22 erfassen will, dieser im Strafvollzug jedoch bereits durch den staatlichen Hoheitsanspruch nahezu vollkommen erfaßt wird, werden einem freiheitlichen Öffentlichkeitsauftrag der Kirche staatlicherseits Grenzen gesetzt. An die Existenz von staatlichen Grenzen ist die Kirche im Strafvollzug auch insoweit gebunden, als sie mit ihrem Anspruch, in der Öffentlichkeit zu wirken, auch die Pflicht auf sich nimmt, die Hoheit des Staates zu gewissen öffentlich-rechtlichen Regelungen zu akzeptieren und sich bei ihrer Tätigkeit dort auf die besonderen Bedingungen des Strafvollzugs einzulassen23. Die Balance zwischen kirchlichem freiheitlichen Wirken und Anerkennung staatlicher Grenzen für den Öffentlichkeitsauftrag wird durch unterschiedliche Faktoren gehalten.

3. Staatliche Grenzen des Öffentlichkeitsauftrags

So resultiert die Grenzziehung im Strafvollzug aus zwei Komponenten, zum einen der aus dem Wesen des Strafvollzugs als absoluter Institution, die kein unbeschränkt freies Wirken einer in ihr tätigen Einrichtung zulassen kann, da anderenfalls das System des Strafvollzugs als solches nicht funktionieren könnte, zum anderen aus der individuellen Freiheitsbeschränkung des einzelnen Gefangenen. Für das Bild des Dreiecks von Staat, Kirche und Gefangenem ist insofern festzuhalten, daß der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche sowohl direkt gegenüber dem Staat, als auch indirekt über den Gefangenen dem Staat gegenüber geltend zu machen ist. Dabei ist die Tatsache staat-

21 Vgl. Zur Geschichte kirchlichen Wirkens im Strafvollzug: Alertz, Ewald, Die Strafanstaltsseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Köln 1961, S. 59 ff; 22 Zum Auftrag der Kirche, der "Parzellierung" des Gefangenen entgegenzuwirken: ToblerStämpfli, E., Seelsorge im Strafvollzug, in: Krim Bull 1987 (13), S. 16 (21 f) 23 Kirchenkanzlei (Hg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 10

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

71

licher Grenzziehung überhaupt aufgrund des hoheitlichen Charakters des Strafvollzugs von der Kirche als unumstößlich zu akzeptieren. Wenn sie in diesem öffentlichen Raum wirkt, ist sie grundsätzlich dem Hoheitsanspruch des Staates unterworfen. Damit ist jedoch noch nichts über die konkrete Grenzziehung ausgesagt. Die Grenzziehungen für kirchliches Wirken sind insofern unterschiedlich, je nachdem, ob sie direkt die staatliche Tätigkeit berührt, oder indirekt über den Gefangenen. Wenn sie über den Gefangenen staatliche Belange berührt, so ist sie an die Grenzen, die der Staat dem Einzelnen setzt, gebunden. Dies sind dann die Grenzen, die letztendlich aus dem Fehl verhalten des Einzelnen resultieren, und die daher strenger sind als andere, aus dem Wesen des Strafvollzugs als solchem abzuleitende. Begegnet die Kirche in ihrem öffentlichen Wirken jedoch dem Staat direkt, so stehen die ihrem Wirken gesetzten Grenzen unter einem ganz anderen Aspekt, da doch die Kirche sich keines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat, das eine Einschränkung ihrer Freiheit rechtfertigen würde. So könnte aus der Tatsache, daß die Kirche sich quasi "schuldlos" und freiwillig im Strafvollzug befindet, gefolgert werden, daß die Kirche dort unbeschränkt wirken könnte. Doch kann die Tätigkeit der Kirche im Strafvollzug nicht unabhängig von ihrem Wirkungskreis gesehen werden. Zwar hat sie selbst keine Einschränkungen rechtfertigende Handlung begangen, jedoch begibt sie sich freiwillig in einen hoheitlich beherrschten Raum. Die Beschränkungen dieses Raumes, die aufgrund der allgemeinen Situation in diesem Bereich bestehen, muß daher auch die Kirche gegen sich wirken lassen. Es kann also der Staat der Kirche nicht die gleichen Grenzen setzen, wie dem einzelnen Gefangenen. Andererseits kann die Kirche auch im Strafvollzug nicht unbeschränkte Tätigkeit beanspruchen. Wenn die Kirche gerade in diesem Bereich tätig werden möchte, so ist sie dort nicht frei, sondern an gewisse, staatliche Vorgaben gebunden. Auch wenn Staat und Kirche als zwei unabhängige, gleichberechtigte Mächte mit jeweils eigenem Mittelpunkt 2 4 angesehen werden, die auf einer gewissen außerrechtlichen Ebene auf gleicher Stufe stehen, so befindet sich im Bereich des staatlich geregelten Strafvollzugs die Kirche innerhalb eines staatlichen Rahmens, der durch Gesetze gebildet wird. Regelungen kirchlichen Wirkens im Strafvollzug ergeben sich aus dem Grundgesetz, einzelnen Länderverfassungen, dem Strafvollzugsgesetz und vereinzelten Vereinbarungen mit den Ländern. Es stellt sich daher die Frage,

24 Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965, S. 90

72

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

wie diese gesetzlichen Vorgaben von Staat und Kirche interpretiert werden. Allein die Anerkennung des Strafvollzugs als staatlich beherrschtem Bereich hat noch keine Auswirkungen auf die konkrete Inhaltsbestimmung gesetzlicher Vorgaben. Aufgrund des Öffentlichkeitsauftrags und des Verständnisses des Menschen als Ganzem kann und will sich die Kirche nicht auf einen rein religiösen Bereich zurückziehen, ist aber auch nicht legitimiert, einen Absolutheitsanspruch geltend machen. Die Ausfüllung der staatlich gesetzten Rahmenbestimmungen ist eine Aufgabe, die zugunsten des Gefangenen Staat und Kirche gemeinsam zu lösen versuchen. Insofern wird kirchliches Wirken im Strafvollzug mit Recht unter dem Oberbegriff "Gemeinsame Angelegenheit" gefaßt 25 . Dennoch stellt sich bei der Verwendung dieses Oberbegriffs die Aufgabe, den genauen Inhalt kirchlicher Tätigkeit im staatlichen Strafvollzug zu differenzieren. Somit ist darzustellen, was im Einzelnen unter den Begriff des kirchlichen Wirkens im Strafvollzug als "Gemeinsamer Angelegenheit" zu fassen ist.

II. Bildhafte Darstellung kirchlichen Wirkens im Strafvollzug 1. Der Oberbegriff

der "Gemeinsamen Angelegenheit"

Seelsorge im Strafvollzug wird gemeinhin unter die "Gemeinsamen Angelegenheiten" 26 oder auch "res mixtae" 2 7 von Staat und Kirche gerechnet 28 .

25 Vgl. zum Begriff die ausführliche Darstellung von: von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978 26 Sehr ausführlich zur Thematik der Gemeinsamen Angelegenheiten nach der Bayerischen Verfassung, dargestellt nach der Art der einzelnen Angelegenheiten: von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978 27 Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: in: Essener Gespräche, Krautscheidt, Joseph, und Heiner Marré (Hg.), Münster 1989, Band 23, S. 4 (6) 28 Vgl. Ebers, Godehard Josef, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 261, 279ff; Mikat, Paul, Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 111-243 in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 195; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 113; Ebers, Godehard Josef, Religionsgesellschaften, in: Nipperdey, Hans Carl (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsver-

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

73

Der Bezeichnung "Gemeinsame Angelegenheit" ist insoweit zuzustimmen, als damit ausgedrückt wird, daß im Strafvollzug Staat und Kirche notwendigerweise zusammenwirken müssen 29 , weil weder alleine der Staat, noch alleine die Kirche die hier zu wahrenden Belange religiöser Betreuung in einer staatlichen Institution wahrnehmen könnten. Die Kirche ist zur Erfüllung ihres Verkündungsauftrags auch an Strafgefangenen auf die Bereitschaft des Staates angewiesen, sie im Strafvollzug tätig werden zu lassen. Der Staat ist auf die Bereitschaft der Kirche angewiesen, im Strafvollzug tätig zu werden, um den Ansprüchen der Gefangenen auf religiöse Betreuung nachkommen zu können. Insoweit besteht zwischen Staat und Kirche eine gewisse Abhängigkeit, die auch als Gemeinsamkeit zu klassifizieren ist, jedoch ohne durch den Begriff der "Gemeinsamen Angelegenheit" bereits eine Interessenidentität von Staat und Kirche vorwegnehmen zu wollen 3 0 . Desweiteren ist die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung des Begriffs der Seelsorge im Strafvollzug als "Gemeinsamer Angelegenheit" zu betonen 31 . Wie stets bei der Verwendung von Oberbegriffen besteht auch hier die Gefahr der Verschleierung des eigentlichen Wesens staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens. Zwar ist es evident, daß es zu einem gewissen Miteinander von Staat und Kirche auf diesem Gebiet kommen muß, also eine "Gemeinsame Angelegenheit" vorliegt, jedoch läßt sich auch hier fragen, worin die Besonderheit dieser Beziehung von Staat und Kirche besteht. Neben den allgemeinen, oben herausgearbeiteten Grundsätzen und Motivationen von Staat und Kirche im Strafvollzug gilt es, die rechtlichen Regelungen kirchlichen Wirkens im Strafvollzug auf Konkretisierungen dieser Grundeinstellungen zu überprüfen. Es stellt sich die Frage, wie die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Staat und Kirche, sowie des Gefangenen rechtlich aufeinander abgestimmt sind, bzw. wie eine solche Abstimmung erfolgen könnte.

fassung, Zweiter Band: Artikel 118 - 142, Berlin 1930, S. 362 (395); von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 221 ff 29 von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 17; Ehlers, Dirk, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in: ZevKR 32 (1987) S. 158 (173) 30 Auf diese Gefahr wird aufmerksam gemacht bei: Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 4 (6)

3! von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 20, der eine Strukturanalyse der verschiedenen gemeinsamen Angelegenheiten durch Einzeluntersuchung vornimmt

74

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Dabei bietet sich die Entwicklung eines gedanklichen Modells an, welches die Komponenten Staat, Kirche und Gefangener enthält, gleichzeitig den staatlichen und den kirchlichen Wirkungskreis veranschaulicht, sowie Raum für die unterschiedlichen Beziehungen zueinander läßt. Zum leichteren Verständnis eines derartigen Modells wird es im folgenden in seinen Grundzügen thesenartig dargestellt, um anschließend anhand der vorhandenen rechtlichen Regelungen vertieft werden zu können. Dabei beschränkt sich die erste thesenartige Zusammenstellung aus Gründen der Übersichtlichkeit auf Aussagen, die erst nach der graphischen Vorstellung des Modells einzeln erläutert werden.

2. Graphische Darstellung staatlichen und kirchlichen im Strafvollzug

Wirkens

Der Aussageinhalt des Gesamtbildes läßt sich kurz auf folgende Weise umschreiben: Der Staat läßt die Kirche im Strafvollzug zu, da er als konfessionell neutraler und dem Grundsatz der Parität verpflichteter Staat keine Möglichkeit hat, selbst dem Gefangenen Heimstatt für dessen religiöse Bedürfnisse zu bieten, und er anderenfalls dem verpflichtenden Auftrag des Grundgesetzes zur Gewährleistung der Religionsfreiheit 32 nicht gemäß handeln könnte. Es besteht also auch im Strafvollzug ein noch näher zu erarbeitender Zusammenhang 33 zwischen der grundgesetzlichen Glaubensfreiheit und institutionellen Garantien 34 . Die Kirche ihrerseits wirkt im Strafvollzug nicht nur aufgrund der grundgesetzlichen Zulassung ihrer Tätigkeit im Strafvollzug gem. Art. 141 WRV, sondern auch aufgrund der sowohl ihr, als auch dem Gefangenen garantierten Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG. Insofern müssen Staat und Kirche auf dem Gebiet der Seelsorge in der staatlichen Institution Strafvollzug notwendigerweise zusammenarbeiten, da beide zur Erfüllung ihrer Aufgaben entweder die Zustimmung, oder auch die Mithilfe des anderen benötigen. In-

32

Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich. Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 33

Allgemein zum Zusammenhang der staatskirchenrechtlichen Normen im Grundgesetz: Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof \ Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (522 ff) 34 Vgl. allgemein: Scheuner, Ulrich, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: Ges. Aufsätze (Hrsg.) J. Listi, Berlin 1973, S. 33 - 54

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

75

nerhalb dieser durch notwendige Zusammenarbeit gekennzeichneten gemeinsamen Angelegenheit gilt es, verschiedene Bereiche zu differenzieren. Es bietet sich eine Dreiteilung des Bereichs der "Gemeinsamen Angelegenheit" kirchlichen Wirkens im Strafvollzug an: Zum einen gibt es einen Bereich kirchlichen Wirkens, der allein der Kirche zusteht, zum anderen einen Bereich staatlicher Tätigkeit, der allein vom Staat geregelt wird und zum dritten einen Schnittbereich, der in Erfüllung der staatlichen, kirchlichen und menschlichen Erwartungshaltungen nur in Übereinstimmung von Staat und Kirche und insofern gemeinsam von beiden geregelt werden kann. Diese Dreiteilung folgt aus der Anerkennung eigenständigen und unabhängigen Wirkens von Staat und Kirche am Menschen. Die skizzenhaft umrissenen Überlegungen können anschaulich in einem graphischen Modell dargestellt werden: Auszugehen ist von einer gemeinsamen Ebene, einem Sockelbereich, auf dem sich das Dreieck mit den Eckpunkten Staat, Kirche und Gefangener befindet. Dabei stellen die Eckpunkte Staat und Kirche ihrerseits wieder Mittelpunkte von Kreisen dar. Diese Kreise überschneiden sich. Innerhalb der Schnittfläche befindet sich der Gefangene, der somit von beiden Kräftefeldern umfaßt wird.

Gefangener Staatlicher Wirkungskreis

Staat

Kirchlicher Wirkungskreis

Kirche Staatliches R e c h i

Inhaltlich ist dieses geometrische Bild nach den Grundsätzen des Staatskirchenrechts in Deutschland umrißartig folgendermaßen zu füllen:

76

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

3. Materielle Interpretation

des graphischen Modells

Der geschilderte Sockelbereich kommt durch die Faktizität des Strafvollzugs als staatlicher Einrichtung zustande, da bei der Begegnung von Staat und Kirche im Strafvollzug stets zu berücksichtigen ist, daß die gesamte Begegnung auf der Ebene des staatlichen Rechts stattfindet. So ließe sich festhalten, daß formal allein der Staat bestimmen könnte, was im Strafvollzug geschieht, da der Strafvollzug ein öffentlich-rechtlich geregelter Raum ist, dessen Inhalte kein anderer, als der Staat selbst festlegen darf. Diese formale Definitionskompetenz schlägt sich daher im graphischen Modell als staatlicher Sockel nieder. Doch auch bei Anerkennung einer formalen Omnipotenz des Staates müßte weiter gefragt werden nach den Kriterien, die der Staat bei der Gestaltung des auf dem Sockel stehenden Dreiecks anwenden könnte, bzw. wie die jeweils die Kirche bzw. den Staat umgebenden Kreise festgelegt werden können. Die Kriterien, die hierbei vom Staat anzulegen sind, sind durch das Grundgesetz vorgegeben. Im und durch das Grundgesetz werden dem Staat Richtlinien für sein eigenes Handeln aufgestellt. Dabei bilden Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und die Aussagen des Art. 140 GG die Eckpfeiler staatlichen und kirchlichen Wirkens im allgemeinen 35 . Die Richtlinien für den Staat hinsichtlich kirchlichen Wirkens im Strafvollzug werden neben der Achtung der allgemeinen Grundrechte, zu der der Staat stets verpflichtet ist, hier im Besonderen gebildet von der individuellen Religionsfreiheit des Gefangenen gem. Art. 4 GG, der Garantie religiöser Betätigung für Religionsgemeinschaften im Strafvollzug in Art. 140 GG / Art. 141 WRV, des religiösen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen gem. Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 WRV und des Rechts auf Religionsfreiheit der Kirchen gem. Art. 4 GG. So ließe sich also festhalten, daß Staat und Kirche sich im Strafvollzug zwar auf einer staatlich geregelten Ebene treffen, in der auf dieser Ebene stattfindenden Begegnung von Staat und Kirche jedoch durch die grundgesetzlich garantierten Wirkungskreise von Staat und Kirche zwei Kreise mit jeweils spezifischem Zentrum zu differenzieren sind. Durch die Existenz der zwei sich schneidenden Kreise können drei Bereiche unterschieden werden, nämlich der spezifisch staatliche, der spezifisch kirchliche und der gemeinsame Bereich, in dem Staat und Kirche zugunsten der Erhaltung der Freiheitsrechte des Gefangenen zusammenwirken müssen, ohne daß sich im letztgenannten Schnittbereich situationsunabhängige, stets geltende Grenzen finden ließen.

35 Holicrbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

77

4. Die spezifisch kirchlichen Angelegenheiten im Strafvollzug

Der die Kirche umgebende Wirkungskreis, der nicht im Schnittbereich des staatlichen Wirkungskreises liegt, findet seine rechtliche Grundlage in der Garantie der Selbstverwaltung gem. Art. 140 GG / 137 Abs. 3 WRV. So gibt es einen grundgesetzlich garantierten spezifisch kirchlichen Bereich, in den der Staat sich auch trotz der Tatsache, daß es sich um kirchliches Wirken im Strafvollzug handelt, nicht regelnd eingreifen darf. Die kirchlichen Angelegenheiten werden vom Bundesverfassungsgericht danach bestimmt, "was materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen i s t " 3 6 . Der Streit, ob sich die "Natur der Sache" bzw. "Zweckbeziehung" nach dem kirchlichen Selbstverständnis richten müsse, oder dieses nur mitzuberücksichtigen sei, kann jedenfalls insoweit dahingestellt bleiben, als weitgehend Einverständnis besteht, daß den Kirchen nicht das Recht zusteht, den Schutzbereich verfassungsrechtlicher Garantien aufgrund subjektiver Maßstäbe obligatorisch zu fixieren 37 . Der für den Strafvollzug relevante spezifisch kirchliche Bereich ist jedenfalls derjenige, der unbeeinflußt bleibt von der besonderen Umgebung, von Raum und Zeit kirchlichen Wirkens. Hierzu läßt sich der rein kultische Bereich rechnen, sowie die innerkirchlichen Angelegenheiten, die ohne jegliche Außenwirkung bestehen. Dabei kann jedoch innerhalb des Strafvollzugs der Begriff des kultischen Bereichs nicht so weit ausgedehnt werden, wie dies üblicherweise geschieht, da hier Grundrechte anderer und sonstiges kollidierendes Verfassungsrecht den sonst großzügig bemessenen Schutzbereich des Art. 137 Abs. 3 WRV einengen 38 . Es ist dies das Gebiet, in dem die Kirchen dank ihres eigenen Rechts in einem vom Staat wesensmäßig verschiedenen Bezirk wirken 3 9 . Auch im Strafvollzug gibt es so

36 BVerfG, Beschluß vom 17.2.1965, BVerfGE 18, 385 (387); BVerfG, Beschluß vom 21.9.1976, BVerfGE 42, 312 (334); BVerfG, Beschluß vom 28.11.1978, NJW 1980, 1041; BVerfG, Beschluß vom 1.6.1983, NJW 1983, 2569 37 Ehlers, Dirk, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in: ZevKR 32 (1987) S. 158 (162); allgemein: Isensee, Josef, Wer definiert die Freiheitsrechte?: Selbstverständnis der Grundrechtsträger und Grundrechtsauslegung des Staates, Karlsruhe 1980 38 Die Eignung von Grundrechten und anderem Verfassungsrecht zur Einschränkung ist erwähnt bei: Ehlers, Dirk, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in: ZevKR 32 (1987) S. 158 (162); 39 Mikat, Paul, Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 111-243 in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 20

78

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

für die Kirchen einen gewissen, zugegebenermaßen sehr engen, aber absolut staatsfreien Raum.

5. Der materiell staatliche Bereich

Ebenso existiert ein materiell rein staatlicher Bereich, den die Kirche trotz ihres Verständnisses des Menschen als ganzheitlichen Menschen und trotz ihres allumfassenden Öffentlichkeitsauftrags nicht betreten darf, anderenfalls eine kirchliche Kompetenzüberschreitung zu statuieren wäre. Hierzu sind die vollzugsrechtlichen Entscheidungen zu zählen, die - unabhängig von der inneren Einstellung und Überzeugung des Einzelnen - über ihn und die Modalitäten seines Vollzugs staatlicherseits getroffen werden müssen, ohne daß durch diese Entscheidungen ein rechtlich auch für die Kirchen relevanter Aspekt der individuellen Religionsfreiheit betroffen wäre 4 0 .

6. Die Bedeutung der Interessenabwägung im Schnittbereich

Zwischen diesen beiden spezifischen Bereichen gibt es einen beide Gewalten betreffenden Bereich. Dieser Bereich verdient zu Recht den Namen der "Gemeinsamen Angelegenheit". Um Verwechslungen mit dem allgemeinen Begriff der "Gemeinsamen Angelegenheit" auszuschließen, möge der Begriff der "Gemeinsamen Angelegenheit im engeren Sinne" dienen. Nicht verwendet wird in dieser Arbeit der Begriff der "res mixta", da vermieden werden soll, daß durch die Verwendung dieses Wortes, sei es im generellen, sei es im speziellen Sinn, aufgrund seiner Historie eine undefinierbare Vermischung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten ausgedrückt w i r d 4 1 . Die bloße Beteiligung beider Gewalten an einem bestimmten Sachverhalt führt noch nicht zu einem die Kompetenzen und Entscheidungszuständigkeiten verwischenden Gebiet 42 . Es mag bei den Gemeinsamen Angelegenheiten im engeren Sinne

40

Zu denken wäre hier beispielsweise an die Verlegung eines Gefangenen von einer Zelle in eine andere Zelle innerhalb einer Anstalt. 41 Ehlers, Dirk, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in: ZevKR 32 (1987) S. 158 (180) 42 von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 233

§ 3 Kirchliches Wirken im Strafvollzug als "Gemeinsame Angelegenheit"

79

schwieriger oder auch unmöglich sein, genaue Abgrenzungen definitionsmäßig zu finden. Dies ändert jedoch nichts an der auch dort im Einzelnen befindlichen Sachzuständigkeit des Staates oder der Kirche. Somit läßt sich folglich festhalten, daß im Bereich der "Gemeinsamen Angelegenheiten im engeren Sinn" keine eindeutige materielle Bereichsabgrenzung mehr stattfinden kann. Hier ist zur Ermittlung der Zuständigkeit und Entscheidungsfindung die Methode der Abwägung der jeweiligen Interessen der Beteiligten anzuwenden. In diesem Gebiet ist stets zu fragen, wie nahe am Kern des Wesens der jeweiligen Gewalt das zu klärende Problem zu situieren ist, und dieses Ergebnis dann in Relation zu setzen zur Nähe des speziellen Bereichs der anderen Gewalt. Je nach der größeren Nähe und dem Gewicht der Frage zum spezifischen Staatlichen oder zum spezifisch Kirchlichen ist dann im Rahmen der Abwägung den gewichtigeren und bedeutsameren Belangen der Vorrang zur einzuräumen. Auf dem Gebiet der "Gemeinsamen Angelegenheiten im engeren Sinn" ist eine noch größere Zusammenarbeit von Staat und Kirche zugunsten des Einzelnen, als sonst gefordert. Das jeweilige Wirken sollte an den Werten von Verständigung und Loyalität 4 3 ausgerichtet sein. Hier hilft kein Gegeneinander oder ein Anklammern an überkommenen Privilegien, ebensowenig wie die Schaffung eines unantastbaren Bereiches. Jede starre und unflexible Abgrenzung würde zwar eine Ausgrenzung der anderen, aber auch eine nicht sinnvolle Begrenzung der eigenen Kompetenz zur Folge haben. So schwer es auch sein mag, den Verführungen eines eindeutigen, eingegrenzten Bereichs zu widerstehen, so notwendig ist dies für eine anpassungsfähige Aufgabenbewältigung aller Beteiligten. Es ist weder der kirchliche Rückzug auf rein kultische Fragen, noch der staatliche Anspruch einer Omnipotenz im Strafvollzug die adäquate Lösung. Allein ein verständnisvolles Miteinander dient dem gegenseitigen Auftrag. In Wechselwirkung ihres jeweiligen Aufgaben· und Identitätsverständnisses haben Staat und Kirche im Bereich der Gemeinsamen Angelegenheiten im engeren Sinne aufkommende Probleme zu lösen. Diese praktische Konkordanz 44 ist notwendig für eine sachgerechte und vor allem dem einzelnen Menschen gerecht werdende Behandlung. Denn innerhalb des Dreiecks von Staat, Kirche und Mensch ist es im weltlichen Be43 Quaritsch, Helmut, Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatskirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, in: Der Staat 1 (1962), S. 289 (297) 44 vgl. Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof\ Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (522fy Hollerbach, Alexander, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 267 (257)

80

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

reich stets der Mensch, der Ausgangs- und Zielpunkt des Wirkens von Staat und Kirche ist. So findet die im Modell linienmäßig dargestellte Verbindung von Staat und Kirche im Strafvollzug sowohl mittelbar über den Gefangenen, als auch jeweils unmittelbar von einer Macht zur anderen, ihre inhaltliche Erklärung in der dem einzelnen Menschen gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Religionsfreiheit.

III. Zusammenfassung Es stellt sich daher die Beziehung von Staat und Kirche im Strafvollzug als ein mit vielen Faktoren zusammenhängendes Gebilde dar, das modellhaft umrissen werden kann durch ein Dreieck mit den Eckpunkten Staat, Kirche und Gefangenem. Staat und Kirche stellen dabei die Zentren von zwei sich schneidenden Wirkungskreisen dar. Die unterschiedlichen sowohl nicht kodifizierten, als auch verfassungsrechtlichen Faktoren haben im Rahmen der das Verhältnis von Staat und Kirche im Strafvollzug regelnden Bestimmungen und Vereinbarungen ihren Niederschlag gefunden, wobei zu zeigen ist, daß die vorhandenen Regelungen im Sinne des Modells aufeinander abgestimmt werden können und so Reibungsverluste zwischen staatlichem und kirchlichen Wirken im Strafvollzug, die keinem der Beteiligten dienlich wären, trotz der Vielschichtigkeit der Interessenlagen von sehr geringem Umfang sind. Entsprechend den vielschichtigen Interessen, die im Strafvollzug aufeinander treffen, stellt sich die Rechtslage dar. Diese bewegt sich nicht nur in der Ebene des Verfassungsrechts, sondern besteht aus einem Netzwerk von Regelungen. So stellt sich im folgenden die Aufgabe nach der von spezifischen rechtlichen Regelungen unabhängigen, thesenhaften und grundrißartigen Darstellung der Bereiche Staat und Kirche im Strafvollzug im Lichte des entworfenen Modells die tatsächliche Rechtslage zu erörtern und vorhandene Vorschriften und Vereinbarungen den staatskirchenrechtlichen Vorgaben entsprechend auszulegen.

§ 4 Überblick über die Rechtslage

I. Bundesrechtliche Regelungen

Die rechtlichen Regelungen, die kirchliches Wirken im staatlichen Strafvollzug betreffen, sind mannigfaltig 1 . Neben den das Handeln der Kirchen unmittelbar regelnden Bestimmungen in der bundesdeutschen Verfassung, sind die Einflüsse der individuellen Religionsfreiheitsgarantien, die ihrereits Rückwirkungen auf die Rechte der Religionsgemeinschaften entfalten, zu berücksichtigen. So ergibt sich für die Rechtslage ein Netzwerk von Bestimmungen unterschiedlichen Ranges und unterschiedlicher Regelungsreichweite. Ausgehend vom in Deutschland geltenden Primat des Verfassungsrechts ist Art. 140 GG / 141 WRV als Fundamentalnorm kirchlichen Wirkens im Strafvollzug heranzuziehen. Diese Bestimmung kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern bedarf der Ergänzung durch die Regelungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche im übrigen betreffen, da Regelungen staatlich-kirchlicher Zusammenarbeit im Strafvollzug im System des Staatskirchenrechts und dieses wiederum im System des Grundgesetzes betrachtet werden müssen2 und gerade staatskirchenrechtliche Regelungen zur vollen

1 Knapper Überblick für die Zeit bis 1975 bei: Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich. Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (702); Überblick über die Rechtslage bis 1975: Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 5 ff; Ausführliche Zusammenstellung von Rechtsquellen: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Usti , Joseph, (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987; Auszugsweise Veröffentlichung einzelner relevanter Rechtsquellen in: Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, Anhang, S. 210 ff;

2 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (229); Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, 6 Eick-Wildgans

82

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Inhaltserfassung keine isolierte Betrachtung vertragen 3. So treten zum Art. 141 WRV weitere, die Kirchen betreffenden Artikel, insbesondere das Recht der kirchlichen Selbstbestimmung gem. Art. 140 GG / 137 Abs. 3 WRV und das Verbot der Staatskirche gem. Art. 140 GG / 137 Abs. 1 WRV. Zu diesen, das Rechtsverhältnis zwischen Kirche und Staat unmittelbar regelnden grundgesetzlichen Bestimmungen ist jeweils die Garantie der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG mitzulesen4, wobei diese sowohl unmittelbar zugunsten der Kirchen wirkt, als auch, wie noch näher darzulegen sein wird (vgl. Kapitel § 7), über die Religionsfreiheit des Strafgefangenen das Wirken der Kirchen im Strafvollzug beeinflußt. Zu erwähnen ist zusätzlich das Gebot der Gleichbehandlung von Weltanschauungsgemeinschaften gem. Art. 140 GG / 137 Abs. 7 WRV, welches, wie zu zeigen sein wird, für den Menschen im Strafvollzug, der sich zu einer nicht christlichen Weltanschauung bekennt, ebensowie für Weltanschauungsgemeinschaften als solche, Wirksamkeit entfaltet. So ist bereits durch die bundesverfassungsrechtlichen Regelungen das Verhältnis von Staat und Kirche in seinen Grundzügen aufgezeigt 5 , wenngleich dem Bund aufgrund der föderalistischen Grundentscheidung eine umfassende Regelungskompetenz im Staatskirchenrecht fehlt 6 . Seelsorge im Strafvollzug ist von Art. 74 Nr. 1 GG erfaßt, also als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung zu betrachten. Der Bund hat durch den Erlaß des Strafvollzugsgesetzes in Maßen von verfassungsrechtlichen Kompetenzen Gebrauch gemacht. So sind neben den Grundsatznormen der Bundesverfassung die bundesgesetzlichen Regelungen zur Seelsorge im Strafvollzug, § § 5 3 - 5 5 StVollzG, die das Recht des Gefangenen auf Seelsorge regeln und somit Josefund Kirchhofi Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (522); von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 66 f 3 Köttgen, Arnold, Kirche im Spiegel deutscher Staatsverfassung der Nachkriegszeit, in: DVB1. 1952, 485 (486) 4

Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (216); Hollerbach, Alexander, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 57 (60); Listi , Joseph, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 23; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 46 5 Höllerbachs Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (247) 6 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (264)

§ 4 Überblick über die Rechtslage

83

Auswirkungen auf kirchliches Wirken im Strafvollzug haben, sowie §§ 155 Abs. 2, 157 StVollzG heranzuziehen, die den Seelsorger in seiner Stellung als im Vollzug Tätigen beeinflussen. Diese bundesrechtlichen Normen finden teilweise Ergänzungen oder Änderungen in den Vorschriften der Länder. Dabei ist der Grundsatz des Art. 31 GG i.V.m. Art. 142 GG zu beachten, wonach Bestimmungen der Länderverfassungen insoweit in Kraft bleiben, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 GG Grundrechte gewähren. Dabei besteht in Literatur und Rechtsprechung 7 Einigkeit darüber, daß die Bestimmung des Art. 142 GG im Hinblick auf den Sinn der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus auch auf Gewährleistungen des Grundgesetzes anzuwenden ist, die sich außerhalb der genannten Artikel befinden 8 . Zu diesen Normen ist aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs mit Art. 4 GG unter anderem auch der hier interessierende Art. 141 WRV zu zählen9. Daher verdienen auch die Vorschriften der Länder Beachtung, die sich dem Thema Staat und Kirche im Strafvollzug widmen, wobei diejenigen, die den Aussagen des Grundgesetzes nicht widersprechen, Weitergeltung beanspruchen können.

II. Chronologischer Überblick über die rechtlichen Regelungen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Justizvollzug

Die zeitliche Abfolge der Regelungen kirchlichen Wirkens veranschaulicht die folgende chronologische Kurzübersicht. Sie zeigt deutlich die verschiedenen zeitlichen Schwerpunkte, nämlich die Regelungen in den Länderverfassungen in den 40 er Jahren, die Regelungen in Verträgen in den 50 er Jahren, sowie die detaillierteren Richtlinien und Dienstordnungen in den 70 er Jahren.

7 Nachweise bei: Böckenförde, E. - W., Grawert, Rolf, Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung, in: DÖV 1971, S. 119 (120) 8 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (248) 9 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (238)

6*

84 1924 1924 1933 1946 1946 1947 1947 1947 1949 1950 1953 1955 1957 1960 1962 1965 1965 1970 1975 1976 1977 1977 1977 1977 1982 1982 1982 1984 1987 1988 1992 1992 1992

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

15. November 1924 29. März 1924 29. Juli 1933 2. Dezember 1946 11. Dezember 1946 18. Mai 1947 21. Oktober 1947 15. Dezember 1947 23. Mai 1949 28. Juni 1950 11. November 1953 19. März 1955 23. April 1957 18. Februar 1960 31. März 1962 4. März 1965 26. Februar 1965 2. Juli 1970 20. November 1975 16. März 1976 25. April 1977 19. Oktober 1977 10. November 1977 22. Juli 1977 12. Februar 1982 6. Mai 1982 6. Mai 1982 9. Mai 1984 28. Oktober 1987 30. Juni 1988 22. April 1992 27. Mai 1992 16. Juli 1992

BayKV, Art. 17 = Art. 11 B a y K V 1 0 BayK, Art. 11 Reichskonkordat, Art. 28 Art. 148 BayV Art. 54 HesV Art. 48 RhPfV Art. 62 BremV Art. 42 SaarlV Art. 140 GG Art. 20 NRWV Art. 5 BaWüV Nds.KV = Loccumer Vertrag, Art. 6 SHKV, Art. 8 HesKV, Art. 16 RhPfKV, Art. 21 NdsErgKV, Art. 3 NdsK, Art. 11 Berliner Protokoll ev. RhPfRiLi StVollzG BaWüRiLi HesVb. HesDO SaarlVbev BayVV SaarlVbkath SaarlDOkath HesSeelsorgehelferRiLi Brem ev Schreiben Berlin Art. 38 BrandenbV E. Art. 109 Abs. 4 SächsV Art. 32 Abs. 5 SaAnhV

io Es wurden folgende Abkürzungen gewählt: KV = Kirchenvertrag; Κ = Konkordat; V = Verfassung RiLi = Richtlinien; Vb. = Vereinbarung; DO = Dienstordnung; E = Entwurf BaWü = Baden-Württemberg; Bay = Bayern; Brandenb = Brandenburg; Brem = Bremen; Hes = Hessen; Nds = Niedersachsen; NRW = Nordrhein-Westfalen; RhPf = Rheinland-Pfalz; Sächs = Sachsen; SaAnh = Sachsen-Anhalt Saarl = Saarland; SH = Schleswig-Holstein;

§ 4 Überblick über die Rechtslage

85

Neben dieser zeitlichen Darstellung ist jedoch ebenfalls eine Übersicht unter Berücksichtigung des Rechtscharakters der existierenden Regelungen hilfreich:

III. Übersicht über die Regelungen staatlichen und kirchlichen Wirkens im Justizvollzug der Länder nach dem Rechtscharakter der Vorschriften Es finden sich in den Ländern Regelungen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug ebenfalls in allen rechtlichen "Schichten", d.h. sowohl im Verfassungsrecht, als auch in allgemeinen Staatskirchenverträgen, ebenso wie in Vereinbarungen oder Verwaltungsvorschriften. Um den Überblick über die rechtliche Situation in den Ländern zu erleichtern, folgt eine tabellarische Zusammenstellung, Regelungen welcher Art in den einzelnen Ländern vorhanden sind. In den fünf neuen Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist die Gesetzgebung im Fluß. Daher ist dort in den nächsten Jahren mit Vereinbarungen zu rechnen. Im Juli 1992 bestanden jedoch noch keine näheren staatlichen oder staatlich-kirchlichen Regelungen zum Dienst der Kirche im Strafvollzug. Die bereits bestehenden Verfassungen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt weisen Bestimmungen zur kirchlichen Tätigkeit im Strafvollzug auf. Der Entwurf der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern sieht die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung vor.

1. Tabellarische

Obersicht

Die folgende tabellarische Übersicht ist gegliedert nach Verfassungsbestimmungen (1), Verträgen zwischen Staat und Kirche allgemeiner Art (2), Vereinbarungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten (3), Bestimmungen über hauptamtliche Anstaltsseelsorger (4), Richtlinien für den Dienst von Anstaltsseelsorgern (5) und Bestimmungen für Vollzugs- und Seelsorgehelfer (6), sowie Vergütungsbestimmungen für Organisten in Vollzugsanstalten (7). Evangelische Vereinbarungen finden sich jeweils unter (a), katholische unter (b).

86

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Land

1

2a

2b

3a

3b

4

5a

5b

6

7

Baden-Wtt. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. NRW Rheinl.-Pf. Saarland Schlesw.-H.

X X

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X

X X

Brandenburg Meckl.-Vp. Sachsen Sachs.-Anh. Thüringen

-

7.

X

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X X

X

X

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X X X X X X

X

X

-

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X X X X

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X

X

-

X

-

-

-

-

-

-

X

-

X X X X X X X -

X -

X X

Erläuterung: χ = Regelung vorhanden 1. 2. 2.a. 2.b. 3. 3.a. 3.b. 4. 5. 5.a. 5.b. 6.

X X

- = Regelung nicht vorhanden

Verfassungsbestimmungen Verträge zwischen Staat und Kirche allgemeiner Art evangelisch katholisch Vereinbarungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten evangelisch katholisch Bestimmungen über nicht hauptamtliche Anstaltsseelsorger Staatliche Richtlinien für den Dienst von Anstaltsseelsorgern evangelisch katholisch Bestimmungen hinsichtlich Vollzugs- und Seelsorgehelfern/ ehrenamtlichen Mitarbeitern im Vollzug Vergütungsbestimmungen für Organisten in Vollzugsanstalten

§ 4 Überblick über die Rechtslage

87

2. Verfassungen der Länder

Entsprechend dem föderalistischen Aufbau der Bundesrepublik weisen also zahlreiche Länderverfassungen Bestimmungen zur kirchlichen Tätigkeit im Strafvollzug auf. So regeln Art. 5 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11.11.1953, Art. 148 der Verfassung des Freistaats Bayern vom 2.12.1946, Art. 62 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21.10.1947, Art. 54 der Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946, Art. 20 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28.6.1950, Art. 48 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18.5.1947, Art. 42 der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1949, Art. 38 der Verfassung des Landes Brandenburg vom 22.4.1992, Art. 109 Abs. 4 der Verfassung des Freistaats Sachsen vom 27.5.1992 11 und Art. 32 Abs. 4 der Verfassung von SachsenAnhalt vom 16.7.1992 die Seelsorge im Strafvollzug. Auf die Gültigkeit und die Reichweite dieser Verfassungsbestimmungen der Länder ist später 12 einzugehen.

3. Staatskirchenverträge

und Konkordate

Auch ist die Seelsorge im Strafvollzug in einigen Staatskirchenverträgen und Konkordaten zwischen den Ländern und den Kirchen, sowie im Reichskonkordat erwähnt. Zu nennen sind hier die Regelungen in den mit den evangelischen Kirchen geschlossenen Verträgen, Art. 17 BayKV, Art. 11 PfälzKV, Art. 16 HessKV, Art. 6 NiedersKV, Art. 3 Ergänzungsvertrag mit abschließendem Protokoll zum Nieders. K V , Art. 21 Rheinland-PfalzKV, Art. 8 Schleswig-HolsteinKV 13 , Abschn. V. der Berliner Vereinbarung mit der ev. Kirche von 1970. Bei Vereinbarungen mit den katholischen Kirchen sind neben dem in beschränkter Weise weitergeltenden Reichskonkordat 14

11

Der Wortlaut der verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist in Anhang I abgedruckt.

12 Vgl. dazu Kapitel § 11 13 Jeweils im Wortlaut abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kap. 2.1; Die vollständigen Verträge finden sich bei: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 14 Vgl. das sog. "Konkordatsurteil" des BVerfG, Urteil vom 26.3.1957, BVerfGE 6, 309; dazu: Müller-Giese-v.d.Heydte, Der Konkordatsprozeß, 4 Bände, 1957 - 1959; zum Zustande-

88

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Art. 28 RK, Art. 11 BayK, Art. 11 NdsK von Bedeutung für das Wirken der Kirche im Strafvollzug.

4. Spezielle Vereinbarungen zur Seelsorge im Strafvollzug

Daneben sind Verträge und Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche über die Seelsorge im Strafvollzug zu beachten, die wiederum hinsichtlich ihres länderspezifischen oder länderübergreifenden Regelungsgehalts zu differenzieren sind, wobei im Rahmen dieser Aufzählung kein Unterschied zwischen der Bezeichnung Richtlinien, Verwaltungsvereinbarung oder Dienstordnung gemacht werden soll. Für den hier interessierenden Zusammenhang sind diejenigen Bestimmungen herangezogen worden, die im Zusammenwirken von Ländern und Kirchen erarbeitet worden sind. Daher sind hier für die evangelischen Kirchen die Regelungen von Baden-Württemberg (Allgemeine Richtlinien 25.4. /1.5.1977), Bayern (Vereinbarungen 12.2.1982), Hessen (Vereinbarungen 26.8.1977; 1.9.1977), Rheinland-Pfalz (Richtlinien 20.11.1975), Saarland (Vereinbarung 22.7.1977) 15 ,zu nennen, für die katholischen Kirchen die Regelungen von Baden-Württemberg (Allgemeine Richtlinien 25.4. /1.5.1977), Bayern (Vereinbarungen 12.2.1982 für die Diözesen), Hessen (Vereinbarungen 26.8.1977, 1.9.1977), RheinlandPfalz (Richtlinien 20.11.1975) und vom Saarland (Dienstordnung 6.5.1982) 1 6 . In den fünf neuen Bundesländern Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen existierten bei Abschluß dieser Arbeit noch keine entsprechenden Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen.

kommen des Reichskonkordats: Kupper, Alfons, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Veröffentlichungen der Kommission fur Zeitgeschichte. Bei der katholischen Akademie in Bayern. In Verbindung mit Dieter Albrecht - Andreas Kraus - Rudolf Morsey. Hrsg. von Konrad Repgen. Reihe A: Quellen Band 2, Mainz 1969 15 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987; Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, Anhang S. 210 - 244; Rehborn, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J. 16

zum großen Teil a.a.O.

§ 4 Überblick über die Rechtslage

89

5. Weitere Regelungen zum Wirken der Kirche im Strafvollzug

Zahlreiche Länder haben ferner Regelungen über nicht hauptamtliche Seelsorger 17 getroffen, wobei diese schwerpunktmäßig finanzielle Regelungen enthalten. Ebenso finden sich in den meisten Ländern Vorschriften hinsichtlich Vollzugshelfern 18 , wobei eine Unterscheidung zwischen seelsorgerlich tätigen ehrenamtlichen Mitarbeitern im Strafvollzug und anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern staatlicherseits weitgehend nicht getroffen wird. Allein in Hessen finden sich spezielle Regelungen für Seelsorgehelfer 19. Soweit in diesen Regelungen Rechte und Pflichten der Genannten statuiert werden, die relevante Auswirkungen für das Verhältnis von Staat und Kirche im Strafvollzug haben, finden die einschlägigen Bestimmungen in Teil 2 dieser Arbeit Beachtung. Rein finanzielle Regelungen zwischen Staat und Kirche, beispielsweise über die Entschädigung von Organisten 20 , sollen hier nicht näher betrachtet werden. Auf innerkirchliche Bestimmungen zur Seelsorge im Strafvollzug soll im Rahmen dieser vorwiegend staatskirchenrechtlich orientierten Arbeit nur insoweit eingegangen werden, als diese unmittelbar Wirkungen gegenüber dem Staat entfalten 21 .

IV, Konsequenzen für den Aufbau der Darstellung Aufgrund der Vielzahl der vorhandenen Rechtsquellen stellt sich die Frage eines sinnvollen und problemadäquten Aufbaus dieser Darstellung. Zum einen 17 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kapitel 4.1

Bestimmungen über die Seelsorge in

18 Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kapitel 4.7 19 Rassow y Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kapitel 4.4

20 Rassow y Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kapitel 4.5 21 vgl. zu den innerkirchlichen Bestimmungen für die evangelische und katholische Seelsorge: Rassow y Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kap. 5 und 6; fiir die katholische Seelsorge: Rehborn y Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) Vorschriftensammlung -, Hamm o.J.; Kap. C.

90

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

soll die Problemlage, die allen Bundesländern gemeinsam ist, dargestellt werden. Zum anderen verdienen gerade länderspezifische Besonderheiten besondere Beachtung, da die einzelnen Vereinbarungen in den Ländern bisher noch keiner umfassenden Besprechung zugeführt wurden. Daher wurde vorliegend eine Zweiteilung der Darstellung vorgenommen. Im ersten Teil der Arbeit werden schwerpunktmäßig Probleme behandelt, die aufgrund rechtlicher Regelungen bundesweit relativ einheitlich zu handhaben sind. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Rechtslage in den einzelnen Ländern. Naturgemäß lassen sich bei diesem Aufbau gewisse Wiederholungen nicht vermeiden. Weitestgehend wird jedoch versucht, in einer Art "Allgemeinem Teil" die allen Ländern gemeinsame Problematik darzustellen, um bei der Besprechung der einzelnen Länder bei grundsätzlichen Problemen auf den ersten Teil verweisen zu können. Allen Ländern gemeinsam ist primär die Geltung der grundgesetzlichen Bestimmung des Art. 140 GG / 141 WRV als Mindestgarantie 22 , hinter deren garantierten Schutzbereich gem. Art. 31 GG auch vorkonstitutionelle Bestimmungen der Länder nicht zurückbleiben dürfen. Es müssen die jeweiligen Länderbestimmungen entsprechend weiter ausgelegt werden, sofern dies möglich ist, oder, soweit die grundrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, als nichtig angesehen werden 23 . Daher wird im folgenden mit einer Inhaltsbestimmung der grundgesetzlichen Regelung des Art. 140 GG/141 WRV begonnen, in die die übrigen grundgesetzlichen Bestimmungen, die Einfluß auf die Reichweite des Schutzbereiches für kirchliches Wirken im Strafvollzug haben, miteinbezogen werden.

22 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (249) 23 Nichtig ist, wie in Kapitel § 11 noch gezeigt wird, die Bestimmung Art. 62 BremV; So auch: Spitta , Theodor (Hrsg.), Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, Bremen 1960, Anm. zu Art. 62; Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich. Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (719)

§ 5 Leitlinien zur Inhaltsbestimmung von Art. 141 WRV

I. Historische und staatskirchenrechtliche Grundbedingungen Art. 141 W R V 1 ist die bundesweit geltende, die Seelsorge im Strafvollzug regelnde Verfassungsbestimmung. Die in dieser Regelung benutzten Begriffe sind im Grundgesetz selbst nicht definiert. Daher stellt sich fur ihre Inhaltsbestimmung die Frage, welche Kriterien hierfür heranzuziehen sind, und auf welche Weise hierbei unterschiedliche Faktoren miteinander in Beziehung treten 2 . Auslegungskriterien sind üblicherweise der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Kontext 3 einer Regelung4. Da gerade staatskirchenrechtliche Fragen im allgemeinen im Zusammenhang mit ihrer geschichtlichen Entwicklung 5 zu sehen sind, ist zunächst kurz die Entstehungsgeschichte des Art. 141 WRV darzustellen, wobei eine ausführliche Würdigung der Entstehung staatlich-kirchlicher Beziehungen im Vorfeld der Verfassung an dieser Stelle nicht erfolgen kann 6 und soll.

ι Art. 141 WRV lautet: "Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist." 2 Zur Problematik der Verfassungsinterpretation allgemein: Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl., Heidelberg 1991, § 2 Rdn. 49 ff, S. 19 ff 3 Maunz, Theodor und Zippelius, Reinhold, Deutsches Staatsrecht. Ein Studienbuch. 28. Auflage, München 1991, § 6 III, S. 43 - 47

4 Vgl. Stein, Ekkehart, Staatsrecht, 13. Aufl., Tübingen 1991, § 4 I - III, S. 20 - 25 5

von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S.l m.w.N.

6 Vgl. zu historischen Vorgaben: Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 5 - 56; Heckel, Martin, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ZevKR 12

92

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung L Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte

Oft verhilft die Entstehungsgeschichte einer rechtlichen Regelung zu weiterer Klarheit, wenn auch geschichtliche Umstände nur dann beachtlich sein können, wenn sie eine normative Aktualität besitzen7. Art. 140 GG steht in einer bestimmten geschichtlichen Kontinuität 8 , die in Zweifelsfragen zum besseren Verstehen dieser Regelung auch vom Bundesverfassungsgericht herangezogen wird 9 . Im besonderen sind bei Art. 141 WRV zwei Entstehenszeitpunkte zu differenzieren: Zum einen die erste Festlegung dieses Wortlauts in der Verfassung vom 11. August 1919 1 0 , zum anderen die Übernahme dieser Bestimmung durch die Väter und Mütter des Grundgesetzes 1949 11 . Gerade bei den staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Verfassung zeigt sich, wie der identische Wortlaut mit Hilfe zeitgemäßer Auslegung in der Lage ist, über Jahrzehnte einen Maßstab für staatliches und kirchliches Handeln bieten zu können. Allerdings kann der historische Kontext 1 2 einer Regelung immer nur Hilfestellung zur näheren Inhaltsbestimmung sein, da frühere Auslegungen zurücktreten müssen, wenn ihre Bedingungen durch die Veränderung von Lebensumständen, Rechtsetzung und Rechtsprechung, sowie von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr gegeben sind 1 3 . Es gilt also, bewußt offene Formulierungen der Verfassung den Gegebenheiten der

(1966 /67), S. 1 -39 7 Obermayer y Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 71 8 Scheuner y Ulrich, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im GG. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, Berlin 1974, S. 5 (10)

9 BVerfG, Beschluß vom 21.9.1976, BVerfGE 42, 312 (330) 10

Vgl. zur Verfassung vom 11. August 1919: AnschütZy Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Nachdruck, Bad Homburg vor der Höhe 1960, S. 618 - 657; Ebers, Godehard Josef, Religionsgesellschaften, in: Nipperdey, Hans Carl (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 - 142, Berlin 1930, S. 362 - 427 n Zum Verhältnis von Grundgesetz und Weimarer Verfassung: Schick, Walter, Bonner Grundgesetz und Weimarer Verfassung - heute; AöR 94 (1969), S. 353 - 387 12 Vgl. eingehend zur Entstehungsgeschichte: Höllerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (218 - 227)

13 Obermayer y Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 71

§ 5 Art. 141 WRV

93

Gegenwart anzupassen14, wobei der aktuelle verfassungsrechtliche und zeitpolitische Kontext von Priorität sein soll, ohne jedoch die Wurzeln dieser Bestimmungen vollkommen zu negieren. Hinsichtlich Art. 141 WRV herrscht Einigkeit, daß 1919 die staatliche Kirchenhoheit als Schutzrecht und -pflicht nicht beendet wurde 1 5 . Zwar hatte sich der Staat 1919 sehr deutlich von den Kirchen getrennt, jedoch nicht von der Religion. Zur Zeit der Geltung der Verfassung vom 11. August 1919 wurde es bei staatlicher Feststellung eines Bedürfnisses als Pflicht angesehen, Religionsgesellschaften, nicht jedoch Weltanschauungsvereinigungen, zum Strafvollzug zuzulassen, wobei Zwang auf die Anstaltsangehörigen zu unterbleiben hatte. Als religiöse Handlungen wurden nur liturgische und seelsorgerische Funktionen verstanden 16. Dieses ursprüngliche Verständnis könnte sich jedoch bereits bei der Übernahme ins Grundgesetz gewandelt haben, wobei für den hier interessierenden Zusammenhang offen bleiben kann, ob durch Art. 140 GG die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche in der Weimarer Republik vollkommen übernommen wurden, oder sich eine andere staatskirchenrechtliche Situation 17 ergeben hat 1 8 . Bei den Beratungen zum Grundgesetz 1949 wurde jedenfalls der frühere Zusammenhang19 der Religion und Religionsgesellschaften regelnden Weimarer Verfassung systemwidrig auseinandergerissen 20, da erst nach der Festlegung der Religionsfreiheit in Art. 4 GG auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der DP die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat aufgeworfen wurde 2 1 . Dabei

14 Näher zur Konkretisierung von Verfassungsnormen: Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl.,Heidelberg 1991,§ 2III,Rdn.66f,S.25 15 Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Nachdruck, Bad Homburg vor der Höhe 1960, S. 618 (656) 16 Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Nachdruck, Bad Homburg vor der Höhe 1960, S. 618 (657)

17 Vgl. BVerfG, Urteil vom 26.3.1957, BVerfGE 6, 309 (343); 18 von Münch y Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 / Rdn. 6; 19 So auch: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 Rdn. 7 20 Listi, Joseph, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 23; 21 von Doemming, Füsslein, Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR N F 1, 1951, S. 899

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

fällt auf, daß in den ersten Vorschlägen für eine grundgesetzliche Bestimmung eine Regelung der Anstaltsseelsorge nicht enthalten w a r 2 2 . Warum gerade der die Anstaltsseelsorge regelnde Art. 141 WRV doch aufgenommen wurde, läßt sich anhand der vorhandenen Diskussionsmaterialien nicht feststellen 23 . Insoweit kann nur auf die allgemeinen Ergebnisse der Aufnahme der sog. Weimarer Kirchenartikel, die Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV zurückgegriffen werden. Es ist überwiegende Meinung, daß die Aufnahme dieser Bestimmungen als Verfassungskompromiß 24 ein Verlegenheitsergebnis 25 und weniger das Resultat einer bestimmten staatlichen Kirchenpolitik w a r 2 6 . Dabei hat es sich diese Arbeit nicht zum Ziel gesetzt, die Frage aufzugreifen, ob die Kirchenartikel einem Bedeutungswandel27 unterworfen waren, der über die übliche aktualitätsbezogene Bedeutung von rechtlichen Bestimmungen hinausgeht, oder nicht 2 8 . Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Aussagen des Grundgesetzes zum kirchlichen Wirken im Strafvollzug so untersucht werden, wie sie sich im Lichte des heute herrschenden Verhältnisses von Staat und Kirche darstellen. Diese Auslegungsmöglichkeit steht offen, da eine Bindung an die den Protokollen zu entnehmende Entstehungsgeschichte29 des unreflektiert übernommenen Art. 141 WRV nicht besteht. Die Inhaltsbestimmung des Art. 141 WRV kann somit anhand der vorhandenen weiteren 22 von Doemming, Fiisslein, Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JÖR NF 1, 1951, S. 899 - 901; 23 Zur Entstehungsgeschichte allgemein: Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (218 ff); Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, Rdn. 19-29 24 Smend, Rudolf, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951), S. 4, 11; von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 1 25 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (227ff) 26 von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 45; 27 Vgl. dazu auch: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 Rdn. 10 28

Vgl. dazu die umfangreiche Darstellung bei Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 1 - 17, der sich bei ausführlicher Darstellung der Gegenpositionen gegen einen außergewöhnlichen Bedeutungswandel wendet 29 von Doemming, Fiisslein, JöR NF 1, 1951, S. 899 - 9 0 1

Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in:

§ 5 Art. 141 WRV

95

Kirchenartikel und deren Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche, sowie der Religionsfreiheitsgarantie gem. Art. 4 GG erfolgen. Sowohl die individuellen Religionsfreiheitsgarantien, als auch die institutionellen Festlegungen zum Verhältnis von Staat und Kirche müssen in ihrem jeweiligen Verhältnis zueinander interpretiert werden 30 . Es entspricht dem System des Grundgesetzes, daß einzelne Bestimmungen nicht losgelöst von ihrem Kontext ausgelegt werden dürfen, da alle Artikel in einen staatsrechtlichen Zusammenhang eingebettet sind 3 1 . Diesen Zusammenhang32 heißt es auch bei den Bestimmungen über kirchliches Wirken im Strafvollzug zu beachten 33 . Dabei sollen zunächst einige staatskirchenrechtliche Begriffe, die im Zusammenhang dieser Arbeit häufiger verwendet werden, näher dargestellt werden. Für die Anstaltsseelsorge von Bedeutung sind hierbei insbesondere die Bestimmungen des Art. 137 Abs.l und 3 WRV, die das Verbot der Staatskirche, staatliche Neutralität und die Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen festlegen, sowie Art. 137 Abs. 7 WRV, der die Gleichstellung von Weltanschauungsvereinigungen konstatiert. Diese Bestimmungen werden im folgenden herangezogen, um eine nähere Inhaltsbestimmung der in Art. 141 WRV garantierten Tätigkeit vornehmen zu können.

2. Der Grundsatz der konfessionellen Neutralität unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Strafvollzug

Der Staat hat sich im Grundgesetz zu religiöser Neutralität verpflichtet, auch wenn dieser Begriff im Grundgesetz selbst keine Verwendung gefunden

30 von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136, Rdn. 2

31 BVerfG, Beschluß vom 25.3.1980, BVerfGE 53, 366 32 Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 14.12.1965, BVerfGE 19, 206 (219,236); BVerfG, Beschluß vom 25.3.1980, BVerfGE 53, 366; 33 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 24 ff; von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 48

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

h a t 3 4 , sondern erst aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Verfassungsbestimmungen zur Religionsfreiheit und zum W i r k e n v o n Staat und K i r che zu entwickeln w a r 3 5 . Der Grundsatz der N e u t r a l i t ä t 3 6 ist eines der tragenden Elemente der staatskirchenrechtlichen Verfassungsordnung 3 7 . D e r Staat kann und darf damit kein U r t e i l über die Frage der richtigen oder falschen Religion fällen, bzw. den Glauben oder Unglauben seiner Bürger positiv oder negativ b e w e r t e n 3 8 . Diese Verpflichtung zur staatlichen Neutralität i n religiösen Angelegenheiten w i r k t sich auch i m Strafvollzug aus. So kann der Staat bei der Anerkennung gewisser Tätigkeiten als v o n A r t . 141 W R V geschützt nicht die Sicht einer Kirche absolut setzen, da es i h m aufgrund des Neutralitätsgrundsatzes verwehrt ist, sich m i t einem Bekenntnis zu identifizier e n 3 9 . Das Gebot der N i c h t i d e n t i f i k a t i o n 4 0 beinhaltet auch das Verbot für den Staat, eine Pseudo-Religion oder bestimmte, nicht i n Verbindung m i t den

34 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 / Rdn. 42; Mangoldi, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starch, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 12; Scheuner, Ulrich, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im GG. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, Berlin 1974, S. 5 (50 ff) 35 von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 Rdn. 20 3 6 Listi, Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (401 f); Heckel, Martin, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: WDStRL Heft 26, 1968, S. 5 (31) 37 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG / Rdn. 42; von Münchy Ingo, (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 5; Obermayer y Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 76 m.w.N. 3

8 von Campenhauseny Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 81; BVerfG, Beschluß vom 8.11.1960, BVerfGE 12, 1 (4); BVerfG, Beschluß vom 20.12.1960, BVerfGE 12, 45 (55f); BVerfG, Beschluß vom 16.10.1968, BVerfGE 24, 236 (247); BVerfG, Beschluß vom 11.4.1972, BVerfGE 33, 23 (30) 39 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 45; Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 78; von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 5

0

von Campenhausen Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründetvon

H

§ 5 Art. 141 WRV

97

Religionsgesellschaften gefundene staatliche Auffassungen als in religiösen Fragen verbindliche Feststellung zu postulieren.

3. Der Grundsatz der Parität im Strafvollzug

Ein neutraler Staat verhält sich allen Kirchen und Glaubensgemeinschaften entsprechend ihren Wesensunterschieden gegenüber gleich, hält sich also an den Grundsatz der Parität 41 . Dabei ist diese Gleichheit nicht auf eine formale Gleichheit festgelegt, sondern besteht in der unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Religionsgesellschaften entsprechend ihrer Wesensunterschiede 42. Dabei ist umstritten, ob im deutschen Staatskirchenrecht von einer zwei- oder einer dreistufigen 43 Parität 44 auszugehen ist. Dieser Streit ist jedoch für die vorliegende Fragestellung von geringer Bedeutung. Wesentlich ist, daß zum einen der Grundsatz der Gleichbehandlung der beiden Großkirchen, die im Strafvollzug vergleichbare Rollen einnehmen, beachtet wird, und zum anderen kleineren Religionsgemeinschaften - ohne Rücksicht auf einen öffentlichrechtlichen Status - das Recht zur Anstaltsseelsorge nicht verwehrt wird, soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 141 WRV erfüllt sind. Ein genereller Zulassungsanspruch aller Religionsgemeinschaften ist daher zunächst aus dem Gesichtspunkt der Parität zu fordern. Die einzelne Ausgestaltung der Zulassung wird in Kapitel § 7 erörtert. Der Grundsatz der Gleichbehandlung kann also als Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf das Verhältnis von Staat und Kirche behandelt werden 45 . Ebenso wie es dem Staat verwehrt ist, eine Religion als Staatsreligion seinen Bürgern aufzuzwingen, ist es ihm unmöglich, Religion völlig aus

41 von Campenhausen, Axel Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 69; 42 von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 Rdn. 29 43 Zur "gestuften Parität": von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 Rdn. 29 ff 44 Näher zur Parität: Heckel, Martin, Die religionsrechtliche Parität, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 445 (472ff) 45 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 47

7 Eick-Wildgans

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

dem Leben seiner Bürger zu verdrängen 46 . Im Leben außerhalb des Strafvollzugs äußert sich die Neutralität des Staates als eine pluralistische Offenheit allen religiösen und areligiösen Vereinigungen gegenüber. Im Strafvollzug wird staatlich eingerichtet Anstaltsseelsorge zu einer den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht widersprechenden "positiven Religionspflege" 47 . Würde außerhalb des Strafvollzugs noch eine - jedenfalls relativ - passive Haltung des Staates genügen, sofern diese sich zumindest im freien Gewährenlassen eines friedlichen Nebeneinanders aller religiösen und areligiösen Kräfte äußern würde, und ein Eingreifen des Staates erst dann gefordert wäre, wenn die Gefahr der Unterdrückung religiöser Freiheit bestünde, so ist innerhalb des Strafvollzugs der Staat zu einer aktiven Ermöglichung der Ausübung der religiösen Rechte aufgefordert. Dabei ist zu betonen, daß der Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität für den Staat nicht zu einer vollkommenen Ausklammerung jeglicher Fragen dieses Bereiches führen muß 4 8 . Im Gegensatz zur möglichen staatlichen Passivität im vorgenannten Rahmen, muß entsprechend den Aussagen des Grundgesetzes der Staat im Strafvollzug aktiv dafür sorgen, daß der Einzelne von seinem Recht auf Religionsfreiheit Gebrauch machen kann. Um diesem Recht zu genügen, ist der Staat darauf angewiesen, daß die Religionsgesellschaften sich der Religionsfreiheit des einzelnen annehmen. Aufgrund der Religionsfreiheit des einzelnen im Strafvollzug wird aus dem Charakter des in Art. 4 GG garantierten Abwehrrechts des einzelnen gegen staatliche Eingriffe, ein Leistungsrecht, dem jedoch der Staat alleine nicht genügen kann, da für die Befriedigung religiöser Bedürfhisse die Kirchen

46 Vgl. zu Versuchen radikaler Trennung der Bereiche Staat und Kirche in Frankreich, Amerika und den Ostblockstaaten: von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 224 ff m.w.N.; a.A. Fischer, Erwin, Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. Frankfurt 1984, der für eine strikte Trennung von Staat und Kirche eintritt, mit jedoch für das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland nicht zutreffender Argumentation 47 Vgl. zum Begriff: Heckel, Johannes, Kirchengut und Staatsgewalt (1952), in: Quaritsch / Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1967, S. 44 (76); Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965, S. 76; Heckel, Martin, Die Kirchen unter dein Grundgesetz, in: VVDStRL Heft 26, 1968, S. 5 (38); Für eine Zusammenarbeit auch: Scheuner, Ulrich, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im GG. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, Berlin 1974, S. 5 (66); Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 40) 48 Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140, Rdn. 79 m.w.N.

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zuständig sind. Aus dem ursprünglichen Status-negativus-Grundrecht der Religionsfreiheit entwickelt sich im Strafvollzug ein Status-positivus Effekt 4 9 . Voraussetzung für die Gewährleistung der Religionsfreiheit im Strafvollzug ist also die staatliche Zulassung der Religionsgesellschaften im Strafvollzug, ohne Rücksicht auf ihre religiösen Inhalte. Die staatliche Neutralität führt im Strafvollzug dazu, daß der Staat grundsätzlich allen Vereinigungen, die dort religiös tätig werden möchte, entsprechend ihrer Eigenart den Zutritt gestatten muß, sofern die übrigen Voraussetzungen des Art. 141 WRV, also insbesondere das Bedürfnis auf Seiten der Strafgefangenen, gegeben sind. So beinhalten Neutralitäts- und Paritätsgrundsatz die Aufgabe für den Staat, im Strafvollzug religiöse Praktiken auch neuer Kirchen zu akzeptieren, ohne daß dem Staat bezüglich der Religiosität des Wirkens der Vereinigung eine Überprüfungskompetenz aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben - das Verhältnis Staat und Kirche betreffend - zukäme 50 . Es ist nach den grundgesetzlichen Vorgaben also dem Staat verwehrt, religiöse Tätigkeit einzelner Vereinigungen allein anhand des Maßstabs bisheriger Religionsauffassungen zu verbieten. Das Gebot der Neutralität des Staates hat zur Folge, daß zunächst die Bewertung einer Handlung einer religiösen Vereinigung als religiös zu akzeptieren ist, da Religionsfreiheit auch dadurch gekennzeichnet ist, daß Gläubige und Religionsgemeinschaften ihrer Glaubensüberzeugung entsprechend ihrem "aktuellen Selbstverständnis" 51 ausdrücken, also auch zeitgemäße - für den Staat ungewöhnliche - Formen der Glaubensbetätigung wählen. Erst anschließend bei der Frage der Zulassung der Religionsgemeinschaften zu den einzelnen Gefangenen, dem Prüfungsbereich, für den der Staat verantwortlich ist, kann abgewogen werden, wie der Staat bei vergleichbaren Fragestellungen anderer Religionsgemeinschaften normalerweise handelt. Auf diese Weise ist eine staatliche Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften gewährleistet, unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Unterschieden. Entsprechend ihrer Eigenart hat der Staat folglich

49 Diskussionsbeitrag Isensee, Josef, in: Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 37 50 Inwieweit der Staat mit Rücksicht auf die Resozialisierung des Strafgefangenen neuen Religionen das Wirken im Strafvollzug verbieten kann, ist in Kapitel § 8 dargestellt.

31 von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 7

7*

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im Strafvollzug tätige Religionsgesellschaften gleich zu behandeln, sofern kein in der Sache liegender Grund zur Ungleichbehandlung besteht 52 . So erklärt sich die Ungleichbehandlung verschiedener Religionsgesellschaften allein aus ihrem unterschiedlichen Wesen, sei es die Größe, sei es die Geschichte oder die Bedeutung der Religionsgesellschaften, nicht aus staatlicher Willkür. Insofern ist es dem Staat weder aus dem Gesichtspunkt der Parität, noch aus dem der Neutralität verwehrt, für den Bereich der religiösen Betreuung im Strafvollzug mit einzelnen Religionsgemeinschaften Verträge 53 zu schließen, die das Miteinander von Staat und Kirche näher ausgestalten. Das Neutralitäts- und Paritätsgebot verlangt die Gleichbehandlung von Gleichem und die Ungleichbehandlung von Unterschiedlichem, wobei Privilegien insofern nicht ausgeschlossen sind, als sie auf sachgemäßen Erwägungen beruhen 54 . Es ergeben sich daher bei vergleichbaren Gesellschaften Parallelen sowohl im Tatbestand, als auch bei den Grenzen einer Handlung. Jedoch gibt es im Strafvollzug aufgrund seines Wesens als freiheitsbeschränkende Institution für die jeweils in ihm Befindlichen auch Grenzen religiöser Tätigkeit, die unabhängig von der jeweiligen Religionsgemeinschaft sind. Diese Grenzen werden durch zwingende organisatorische Besonderheiten und insbesondere den Zweck der Strafhaft gezogen 55 . Diese institutionell bedingten Grenzen sind staatlicherseits festzulegen, wobei der staatlichen Grenzziehung wiederum Grenzen durch verfassungsrechtliche Gebote gesetzt sind. In Deutschland hat die religiöse Betätigung des Einzelnen im Strafvollzug neben der grundgesetzlichen Garantie der Religionsfreiheit im Strafvollzugsgesetz staatliche Regelungen gefunden, die unabhängig von der Größe und Art der jeweiligen Religionsgesellschaft sind. Die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit, insbesondere des Einklangs mit dem Neutralitätsgebot, staatlicher Grenzziehung religiöser Betätigung im Strafvollzug für religiöse Vereinigungen soll an dieser Stelle, da nur die Einhaltung des staatlichen Neutralitätsgebotes geprüft wird, genügen. Eine genauere Untersuchung, ob auch hin-

5 2 MaunZy Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 / Rdn. 49

53

Näher zur Zulässigkeit und dem Abschluß von Verträgen: unten Kapitel § 12

54

Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 49 von Campenhasen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründetvon

H

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sichtlich der Religionsfreiheit des Einzelnen im Strafvollzug die verfassungsrechtlichen Vorgaben staatlicherseits eingehalten wurden, erfolgt im Rahmen der Erörterung der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes 56. Festzuhalten bleibt, daß staatliche Neutralität im Strafvollzug zwar zur Vergleichung unterschiedlicher Religionen fuhrt, sowohl auf ihre konkrete Gestaltungsformen, als auch auf die Grenzen, die der Strafvollzug ihnen setzen muß, ohne das System der Sicherheit und Ordnung zu gefährden. Gleichzeitig ist in der staatlichen Entscheidung über die Zulassung zum Strafvollzug keine Kompetenzüberschreitung des religiös- und weltanschaulich neutralen Staates zu sehen, über religiöse Angelegenheiten als "richtig oder falsch" zu entscheiden. Diese Entscheidung wäre dem Staat verwehrt. Es gebietet ihm der Grundsatz der Neutralität, allen als religiös bezeichneten Tätigkeiten und Handlungen offen gegenüber zu stehen, ohne sich von subjektiven Einstellungen vereinnahmen zu lassen 57 . Auch durch das Verbot der Staatskirche 58 , Art. 137 Abs. 1 WRV, hat der Staat sich zur Respektierung aller Kirchen verpflichtet, ohne seine Organe jemals mit denen einer Kirche identisch werden zu lassen 59 . Es ist ihm auch und gerade im Strafvollzug verwehrt, sich einer Kirche voll anzuschließen und so andere zu benachteiligen.

4. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht

Ein weiterer Gesichtspunkt, der staatlicherseits bei der Zulassung von Religionsgesellschaften zum Strafvollzug zu beachten ist, ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gem. Art. 137 Abs. 3 W R V 6 0 . Dabei ist diese 56 unten Kapitel § 7 57 Ebenfalls gegen eine "subjektives Erfindungsrecht" spricht sich aus: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 Rdn. 7 58 Listi , Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (401 f) 59 Näher dazu: Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 137 WRV, Rdn. 3 ff. 60 Vgl: Ebers y Godehard Josef, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 253ff; Hesse, Konrad, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 409 - 444; Mikat, Paul, Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 111-243 in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheu-

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Vorschrift als eine das Verhältnis von Staat und Kirche in großem Maße bestimmende Regelung von überragender Bedeutung 61 . Trotz des umfassenden Schutzbereichs des Art. 4 G G 6 2 , gewährleistet nämlich die Selbstverwaltungsgarantie bestimmte Tätigkeiten der Kirche, wie Organisation und Verwaltung der Angelegenheiten, die nicht von Art. 4 GG geschützt werden würden 6 3 . So wird die umfassende Garantie des Art. 4 GG durch die Bestimmung des Art. 137 Abs. 3 WRV sinnvoll ergänzt 64 . Diese Selbstverwaltungsgarantie beinhaltet u.a. auch Selbstverwaltung der Angelegenheiten, die innerhalb des Strafvollzugs als ebenso innerkirchlich betrachtet werden müssen, wie die außerhalb des Strafvollzugs. So ist es dem Staat verwehrt, auf innerkirchliche Vorgänge, mögen sie auch innerhalb des Strafvollzugs stattfinden, Einfluß auszuüben. Dabei wird generell zu den eigenen Angelegenheiten, die die Kirchen selbständig regeln können, alles gezählt, was zum kirchlichen Auftrag gehört und zur Erfüllung dieses Auftrags unverzichtbar ist 6 5 . So zählen hierzu u.a. Lehre und Kultus, die gleichzeitig auch durch Art. 4 GG geschützt werden, Fragen der Kirchenverfassung und Organisation, sowie Rechte und Pflichten der Mitglieder 6 6 . Jedoch kann es im Strafvollzug geschehen, daß Handlungen, die grundsätzlich zu den eigenen Angelegenheiten gezählt werden, Wirkungen auf den Strafvollzug entfalten, und insofern möglicherweise den Staat zu einem regelnden Eingreifen veranlassen könnten. ner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 111 (171ff) 61

Dies wird als "lex regia" des Staatskirchenrechts bezeichnet: Heckel, Martin, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ZevKR 12 (1966 / 67), S. 1 - (34 f); von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 78 62 Vgl. unten, Kapitel § 6 63 von Campenhausen y Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 77 ff; Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof \ Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, Rdn. 114-123 64 Vgl. zur Selbstbestimmung und Selbstverwaltung: Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 137 WRV Rdn. 18 ff; Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 145 ff; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 78 ff;

65 von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 81 66 Vgl. von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 81 ff mit einer Aufzählung der eigenen Angelegenheiten

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So gilt der Grundsatz, daß die Angelegenheiten, die den Rechtsverkehr der Religionsgemeinschaften im weltlichen Bereich betreffen, vom Staat als "Herrn der weltlichen Rechtsordnung" geregelt werden dürfen, wobei diese Regelung keinen unstatthaften Eingriff in kirchliche Dinge darstellt 67 . Welche Besonderheiten sich diesbezüglich im Strafvollzug ergeben, sei wegen der Abhängigkeit dieser institutionellen Garantie von den individuellen Verhältnissen im Strafvollzug bei den Rechten des Strafgefangenen dargestellt 68 .

II. Die Aussage des Art· 141 WRV

Nachdem die Begriffe Neutralität, Parität, Gleichbehandlung und Selbstbestimmungsrecht, soweit sie für das vorliegende Thema für relevant erachtet werden, dargelegt worden sind, stellt sich die Aufgabe, unter Berücksichtigung des zuvor Erarbeiteten gemäß dem Prinzip der Einheit der Verfassung 69 den Inhalt des Art. 141 WRV näher zu bestimmen. So legt das Grundgesetz durch die Übernahme des Art. 141 WRV, der trotz bzw. wegen seiner Inkorporierung in das Grundgesetz als vollgültiges Verfassungsrecht anzusehen i s t 7 0 , fest, daß Religionsgesellschaften für die Abhaltung von Gottesdiensten und für seelsorgerische Maßnahmen im Strafvollzug zuständig sind. Es stellt sich die Frage nach dem exakten Inhalt des Art. 141 WRV. Bevor diese Frage jedoch sachlich beantwortet werden kann, ist zunächst festzustellen, wer - in welchen Grenzen - den Inhalt des Art. 141 WRV überhaupt festlegen kann.

67

von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 82

68 vgl. Kapitel § 8 69 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl., Heidelberg 1991, § 2 III 2. Rdn. 71, S. 27 7 0 BVerfG, Urteil vom 14.12.1965, BVerfGE 19, 206 (219); Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 66; Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 2; von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 7

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1. Die Definitionskompetenz

a. Der Staat als Entscheidungsträger Begrenzt wird das Zulassungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Art. 141 WRV durch zwei Faktoren: Zum einen müssen es "religiöse" Handlungen 71 sein, die von der entsprechenden Gesellschaft dort vorgenommen werden, zum anderen wird dieses Recht eingeschränkt durch das Erfordernis eines "Bedürfnisses". So drängt sich die Frage nach dem Entscheidungsträger auf, der feststellt, was religiöse Handlungen sind, bzw. wann ein Bedürfnis entsteht. Nach dem oben entwickelten Modell (Kapitel § 3) ist es formal der Staat, der sämtliche im Strafvollzug anfallenden Entscheidungen trifft. Materiell ist jedoch der Staat auf Entscheidungskriterien angewiesen, um diese Entscheidungen seinen Grundprinzipien entsprechend treffen zu können. Nachdem Grundprinzip staatlichen Handelns, wie dargelegt, auch im Strafvollzug die Grundsätze von Neutralität und Parität sind, bedarf die Frage nach den Grenzen der staatlichen Entscheidungsfindung einer Antwort.

b. Die Grenzen der staatlichen Entscheidungsgewalt Es fließen in die Entscheidung über den Inhalt einer Handlung als "religiös", ebenso wie über die Feststellung eines Bedürfnisses nach Seelsorge und Gottesdienst, unterschiedliche Faktoren ein, sodaß es sich bei der staatlichen Entscheidung um eine multikausale Entscheidungsfindung handelt. Grundsätzlich ist der Staat auch bei Entscheidungen über die Reichweite religiöser Freiheit im Strafvollzug an die im Grundgesetz in den der Weimarer Reichsverfassung entliehenen Kirchenartikeln niedergelegten Prinzipien wie Neutralität, Gleichbehandlung und konfessionelle Pluralität gebunden, da Verfassungsinterpretation stets innerhalb der Grenzen der Verfassung zu erfolgen hat 7 2 . Auf dem Bereich religiöser Entscheidungen hat der Staat zusätzlich zum einen die Garantie der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG sowohl für die Religionsgesellschaften als auch für den Einzelnen, zum anderen die übrigen in den Kirchenartikeln gem. Art. 140 GG / 136 ff WRV niedergelegten

71 Für eine weite Auslegung: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 7 72 Vgl. Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl., Heidelberg 1991, § 2 III 2. Rdn. 77, S. 29

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Grundsätze, insbesondere das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen, zu beachten. Daher fließt möglicherweise in die Entscheidung des Staates über den Inhalt einer religiösen Handlung, ebenso wie über das Vorliegen eines Bedürfnisses die subjektive Sicht der Grundrechtsträger bzw. deijenigen, denen das Grundgesetz ein Recht zuspricht, ein 7 3 . Allerdings ist diese subjektive Komponente durch eine, wenn auch indirekte Beteiligung der Grundrechtsträger durch das Gebot der Gleichbehandlung, der Parität und der Neutralität des Staates wiederum objektiv beschränkt. Daher ist es die grundgesetzlich vorgegebene Aufgabe des Staates bei religionsbezogenen Entscheidungen im Strafvollzug über subjektive Glaubensauffassungen objektivierend 74 Stellung zu nehmen, ohne sich zum Richter über richtig oder falsch in religiösen Angelegenheiten zu machen. Es ist ihm nicht erlaubt, seinen Staatsangehörigen Vorschriften hinsichtlich religiösem oder weltanschaulichem Denken zu machen, oder Mittel einzusetzen, die sie auf eine gewisse religiöse Anschauung hin prägen 75 . Ein Staat, der sich in seiner Verfassung zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit verpflichtet hat, kann sich in religiösen Fragen nur neutral verhalten, wobei sich diese Neutralität in weitestgehender Toleranz 76 niederschlagen muß 7 7 . Dabei gebietet diese staatliche Toleranz keine Indifferenz des Staates78, oder eine "ekklesiologische Farbenblindheit". Gerade in Situationen, da der Staat notwendigerweise auch auf religiösem Gebiet Entscheidungen treffen muß, wie gerade bei der Frage der Zulassung von Glaubensgemeinschaften im Strafvollzug, ist der Staat zu einer schwierigen Aufgabenlösung gezwungen: Hier darf er weder die Entscheidungsfindung den Religionsgesellschaften selbst überlassen, noch darf er deren Rechte verletzen, indem er einzelnen An-

73

Vgl. zur Bedeutung und Gefahr subjektivierender Auslegung von Grundrechten: Isensee, Josef, Wer definiert die Freiheitsrechte?: Selbstverständnis der Grundrechtsträger und Grundrechtsauslegung des Staates, Karlsruhe 1980 74 Für objektivierbare Grundrechtsausübung: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hennann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 7 7 5 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 70 76

Mangoldt y Hennann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 17 77

Herzogy Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 20 78

Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 21

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

staltsinsassen gegenüber unzutreffende Maßstäbe anlegt und so unmittelbar deren religiöse Rechte, und mittelbar grundgesetzliche Garantien der Religionsgesellschaften verletzt. Insofern ergibt sich für die Auslegung des Art. 141 WRV folgendes: Prinzipiell sind zwei Ebenen, die staatliche und die kirchliche zu unterscheiden. Innerhalb der kirchlichen Ebene 79 hat der Staat keinerlei Einwirkungsrechte. Sobald jedoch eine Frage den Strafvollzug als staatliche Institution berührt, und der Rechtsverkehr der Religionsgemeinschaft im weltlichen Bereich 8 0 betroffen ist, endet die umfassende, aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen resultierende Alleinkompetenz der Kirchen. Der Staat ist als Herr der weltlichen Rechtsordnung zu Entscheidungen aufgerufen, sobald eine Frage den internen kirchlichen Bereich verläßt. Daher hat zwar grundsätzlich der Staat jede Religionsgesellschaft und jede Weltanschauungsvereinigung für den Strafvollzug zuzulassen. Bei der staatlichen Entscheidung, was eine religiöse Handlung ist, ist der Staat an die Auffassung der jeweiligen Gesellschaft, die die Handlung vornehmen möchte, solange gebunden, als diese Entscheidung keinen Einfluß auf den Strafvollzug nimmt. Diese Bindung an die subjektive Auffassung der jeweiligen Gesellschaft resultiert aus dem hier mitzulesendem Art. 4 GG, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit auch Religionsgesellschaften ohne konkret genannte Schranken garantiert. So kann sich die jeweilige Gesellschaft stets auf die ihr garantierte Religionsfreiheit berufen, wenn sie eine Handlung als religiös qualifiziert. Diese Wertung hat der Staat solange zu akzeptieren, wie sich die subjektive Wertung der Religionsgesellschaft nicht auf den Strafvollzug auswirkt, solange also diese Entscheidung den Wirkungskreis der Religionsgemeinschaft nicht überschreitet. Erst bei konkreten Auswirkungen auf den Strafvollzug ist der Staat zu Entscheidungen berechtigt und verpflichtet. Seine Einwirkungsmöglichkeit und Entscheidungskompetenz beginnt verfassungsrechtlich bei der Frage der individuellen Zulassung des Gefangenen. Hier hat das Grundgesetz dem Staat die Möglichkeit gegeben, und auch die Aufgabe gestellt, in Kenntnis der Meinung der Religionsgesellschaft objektiv-wertend tätig zu werden, um den einzelnen Gefangenen sein Recht auf Religionsfreiheit zu ermöglichen. Reli-

79 Vgl. zu den "eigenen Angelegenheiten": von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 137 WRV Rdn. 30 80 So auch: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 137 WRV Rdn. 31

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gionsfreiheit und der von ihr geschützte Tätigkeitsbereich bleibt auch und gerade im Strafvollzug ein Element der weltlichen Rechtsordnung, das objektiv bestimmbar sein muß 8 1 . Die Einbeziehung des Gefangenen über die Entscheidung hinsichtlich der Zulassung des Individuums ermöglicht dem Staat eine Grenzziehung religiöser Tätigkeit im Strafvollzug. Bei dieser objektiven Wertung hat der Staat neben der subjektiven Rangstellung, die die betroffene Religionsgesellschaft der konkreten Handlung in ihrem Glauben einräumt, die Haltung des einzelnen Gefangenen ebenso zu berücksichtigen, wie die Praxis des Staates bei anderen religionsbezogenen Entscheidungen. Es ist also der Staat Entscheidungsträger bei der Inhaltsfindung der religiösen Rechte im Strafvollzug, wobei er gegenüber Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften weitgehend an deren Auffassungen gebunden ist. Seine Entscheidungsgewalt beginnt erst an dem Punkt, an dem die konkrete Fragestellung Konsequenzen für den Strafvollzug mit sich bringt, wo es also um die auf die Strafgefangenen bezogene Entscheidung geht, bei der Grundsätze wie beispielsweise Gleichbehandlung der Gefangenen Berücksichtigung finden müssen.

2. Die inhaltliche Aussage des Art. 141 WRV a. Der Kreis der Berechtigten Allgemein können Religionsgesellschaften als Vereinigungen angesehen werden, die sämtliche Angehörige eines religiösen Glaubensbekenntnisses erfassen, die sich innerhalb eines gewissen Bereiches zur umfassenden Erfüllung der Pflichten, die sich aufgrund des verbindenden Bekenntnisses ergeben, verbunden haben 82 . Hierunter sind sowohl die "großen" Religionsgesellschaften, als auch kleinere Gruppierungen zu verstehen, da eine Unterscheidung von Art. 141 WRV nicht gemacht wird, und somit Religionsgesellschaften als Oberbegriff angesehen werden kann, sowohl für die Kirchen mit ihren gesellschaftlich bedeutsamen Großkirchen als auch für andere Religionsgesellschaften, mit oder ohne Kennzeichen von Körperschaften 83 des öffentlichen Rechts 84 . Es gilt der in Art. 137 Abs. 4 und 5

81

Vgl. auch: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 7 8

2 Seifert / Hömig, Art. 140 Rdn. 7;

83 Vgl. zu Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von

108

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

WRV dargestellte Begriff der Religionsgesellschaften, wobei im hier interessierenden Zusammenhang eine Unterscheidung von Religionsgesellschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechtes oder andere nicht eingegangen werden muß, da aus dieser Unterscheidung keine Konsequenzen für die Zulassung einer Religionsgemeinschaft zum Strafvollzug gezogen werden können 85 . Zu diskutieren ist, ob auch für den Bereich der Seelsorge im Strafvollzug der Grundsatz der Gleichstellung der Weltanschauungsgemeinschaften, als Gemeinschaften, die die Kennzeichen eines aufgrund eines nach außen zu offenbarenden Konsenses über Sinn und Bedeutung menschlicher Existenz erfolgten Zusammenschlusses86 tragen, gem. Art. 137 Abs. 7 WRV hier mit zu lesen sind oder nicht 8 7 . Prinzipiell hat aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes jede Religionsgesellschaft und auch jede Weltanschauungsvereinigung, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe gemacht hat 8 8 das Recht, im Strafvollzug tätig zu werden. Zwar sind in Art. 141 WRV Weltanschauungsgemeinschaften nicht explizit erwähnt. Jedoch ist zu fragen, was Art. 140 GG / 141 WRV bezwecken sollte, und aus welcher Notwendigkeit heraus er entstanden ist. Es geht bei der Sicherstellung der "religiösen" Versorgung in Anstalten nicht um die Erhaltung eines Privilegs von Kirchen und Religionsgesellschaften, sondern um die Aufrechterhaltung einer religiös-weltanschaulichen Versorgung des Gefangenen. Der Anspruch auf seelsorgerische Betreuung resultiert, wie später näher dargelegt werden wird, auch aus dem indiviMangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140/ 137 Rdn. 145 ff 84 Vgl. Zur Einteilung: Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 18 85

Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 4 (8) 86

Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 39 ff 87 Näher zu Definitionen von Weltanschauungsvereinigungen und weiteren Differenzierungen: Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 19 ff; Obetmayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 36 ff; 88

a.A.: von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 140 Rdn. 44, der Weltanschauungsvereinigungen dieses Recht abspricht, da in Art. 141 WRV eine Gleichstellung wie in Art. 137 VD nicht erfolgt ist und diese auch nicht aus Art. 137 VII entnommen werden könnte

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duellen Recht des Art. 4 GG. Art. 4 GG schützt nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses. Daher sind auch Weltanschauungsgemeinschaften 89 mit bekennendem Charakter zur Betreuung im Strafvollzug zuzulassen90, sofern es zu dem Charakter der Weltanschauungsgemeinschaft gehört, individuelle Betreuung ihrer Mitglieder durchzuführen. So ist fur den Bereich der Anstaltsseelsorge von einer Geltung des Gleichstellungsanspruchs gem. Art. 137 Abs. 7 WRV auszugehen, da diese Auffassung den Geboten des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. Art. 3 Abs. 3 GG und der umfassenden Freiheitsgarantie, die gem. Art. 4 GG nicht nur Religions-, sondern auch die weltanschauliche Bekenntnisfreiheit beinhaltet dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates eher gerecht w i r d 9 1 . Dabei soll durch die hier vertretene Auffassung nicht in den generellen Meinungsstreit, ob Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV bei sämtlichen 9 2 sogenannten "Kirchenartikeln" 93 mitzulesen sei 9 4 , oder allein bei Art. 137 WRV, nicht eingegriffen werden. Allerdings sei betont, daß aufgrund des Kontextes, in dem Art. 141 WRV zu lesen ist, jedenfalls für die Seelsorge in Anstalten ein Zulassungsanspruch auch der Weltanschauungsgemeinschaften 95 besteht, sofern die übrigen Voraussetzungen des Art. 141 WRV im konkreten Fall zu bejahen sind. In diesem Sinne werden künftig für die hier interessierende Frage die Begriffe Kirchen, Religionsgemeinschaften und Religionsgesellschaften, ebenso wie Weltanschauungsvereinigungen und Weltanschauungsgemeinschaften gleichrangig verwendet, sofern keine ausdrückliche Differenzierung vorgenommen wird.

89 Im Ergebnis auch: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991; Art. 140 / 141 Rdn. 11

90 Vgl. zur Problematik auch die Diskussion zu § 55 StVollzG, Kapitel § 8 Abschnitt VI 91 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 / 137 Rdn. 54; Seifert / Hornig, Art.140 Rdn. 13; 92 So: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 137 WRV Rdn. 219 93 Zur Problematik dieses Begriffs: Obermayer, Klaus in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Loseblatt-Kommentar, Art. 140 Rdn. 68 94 Maunz, Theodor, Erläuterungen zu Art. 140 GG; in: Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140/ 137 Rdn. 54 95 Ebenso: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 137 Rdn. 223

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

b. Die Feststellung des "Bedürfnisses" Im grundsätzlichen stellt sich jedoch bei Betrachtung des Art. 141 WRV weiterhin die Frage, auf wessen Bedürfnis es gem. Art. 141 WRV ankommt 9 6 . Aufgrund des Wortlauts beschränkt sich die Feststellung eines Bedürfnisses auf das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge. Unklar ist, wessen Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen i s t 9 7 . Aus dem Zusammenhang des Art. 141 WRV, der im Kontext institutioneller Garantien steht, könnte gefolgert werden, daß es allein auf das Bedürfnis der Religionsgesellschaften ankommt, da mit den Art. 137 ff WRV Rechte der Religionsgesellschaften niedergelegt wurden. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Hier ist das Bedürfnis des einzelnen Anstaltsinsassen zu sehen, denn sein Recht auf religiöse Betreuung, die ihm der Staat nicht geben kann, ist ein Faktor des Zugangsrechts von religiösen Vereinigungen zum Strafvollzug. Die grundgesetzliche Garantie der Befriedigung eines Bedürfnisses ist nur dann staatliche Aufgabe, wenn der Bedürftige ohne staatliche Unterstützung dieses für das menschliche Dasein als notwendig erachtete Ziel nicht alleine erreichen könnte. Es ist dem Insassen einer Anstalt staatlicherseits die freie Bewegungsmöglichkeit - rechtlich oder physisch - genommen, sodaß er zur Befriedigung seines Bedürfnisses auf Gottesdienst oder Seelsorge auf die vermittelnde Tätigkeit des Staates angewiesen ist 9 8 . So ist das in Art. 141 WRV genannte Bedürfnis nach den Insassen zu bestimmen, nicht allein nach den Gemeinschaften, die im Strafvollzug tätig werden wollen. Eine Religionsgesellschaft ist in ihrer Tätigkeit an sich ausreichend durch Art. 4 GG geschützt. Für ihre Betätigungsmöglichkeit im Strafvollzug wäre der Begriff "Bedürfnis" zu hoch gegriffen, auch wenn sie es als ihren Auftrag versteht, für Gefangene tätig zu werden. Mag sie dies auch als Bedürfnis sehen, die Verfassung wollte primär dem Bedürfnis desjenigen Geltung verschaffen, der ohne fremde Hilfe keine Möglichkeit zur Religionsausübung hätte. So ist "Bedürfnis" schwerpunktmäßig auf den einzelnen Gefangenen anzuwenden, wobei allerdings bei der Prüfung des Bedürfnisses des einzelnen Gefangenen wiederum die Auffassungen der betroffenen Religionsgemein-

96 Sehr ausführlich zu den verschiedenen Auslegungen des Begriffs "Bedürfnis" in Literatur und Rechtsprechung: Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 70-111 97 Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 4 (12) 98 Vgl. zum "status positivus" - Aspekt der Religionsfreiheit im Strafvollzug: Isensee, Josef, Diskussionsbeitrag, in: Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 36 ff

§ 5 Art. 141 WRV

111

Schäften Berücksichtigung finden, wann ein Gläubiger ihrer Gemeinschaft in religiösem Sinne bedürftig ist. Daher ist die individuelle Bedürfhisfeststellung sowohl von der Religionsgesellschaft abhängig, als auch kommt das Bedürfnis des Einzelnen der Religionsgesellschaft zugute, indem sie dank seines Bedürfnisses im Strafvollzug wirken kann. Dabei muß das individuelle Bedürfnis nicht laut geäußert werden. Der ausdrückliche Wunsch eines Gefangenen nach seelsorgerlicher Betreuung darf staatlicherseits nicht gefordert werden". Es genügt, daß ein Angehöriger des entsprechenden Bekenntnisses sich in der Anstalt befindet, der nicht ausdrücklich auf religiöse Betreuung verzichtet h a t 1 0 0 . Die ausdrückliche Ablehnung religiöser Betreuung ist jedoch staatlicherseits zu respektieren 101 . Für die Feststellung eines Bedürfnisses genügt die bloße Anwesenheit von Konfessionsangehörigen bzw. die Anwesenheit von anderen Personen, die sich möglicherweise der entsprechenden, den Zutritt begehrenden Religionsgemeinschaft zuwenden möchten.

c. Der Begriff "Gottesdienst" Der Begriff des "Gottesdienstes" definiert sich über die jeweilige Religionsgesellschaft, da es dem Staat verwehrt ist, zu beurteilen, was Gottesdienst ist. Hier ist das staatliche Recht auf die Akzeptanz kirchlicher Bestimmungen verwiesen, wobei diesbezüglich aufgrund eines gewissen historisch gewachsenen Grundkonsenses selten divergierende Auffassungen zwischen Kirche und Staat entstehen werden 1 0 2 . Aufgrund geschichtlicher Erfahrungen ist es weitgehend gelungen, einen Vorgang auch für die Zwecke der säkularen Rechtsanwendung als Gottesdienst zu bezeichnen, sodaß das kirchliche Verständnis weitgehend ein

99 von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 Rdn. 8 100 Albrecht, 1975, S. 108

Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn

101 Insoweit a.A.: von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 8, der auch bei bekundetem Desinteresse der Anstaltsangehörigen nicht ausschließen möchte, daß ein Bedürfnis besteht.

102 Vgl. zur in anderen Angelegenheiten bisweilen problematischen Verweisung staatlichen Rechts auf Kirchenrecht: Pirson, Dietrich, Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung, in: Festschrift für Erich Ruppel, H. Brunotte, K. Müller, R. Smend (Hrsg.), Hannover, Berlin, Hamburg 1968, S. 277 ff

112

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Gegenstück im staatlichen Recht gefunden hat. So kann der Staat hier die Auffassungen der Religionsgemeinschaften übernehmen, ohne um die Sicherheit und Ordnung im Strafvollzug fürchten zu müssen, zumal die Entscheidung über die Zulassung des einzelnen Gefangenen zum Gottesdienst wiederum vom Staat zu verantworten ist. So bleibt festzuhalten, daß entsprechend dem Grundsatz staatlicher Neutralität der Staat an das kirchliche Verständnis vom "Gottesdienst" gem. Art. 141 WRV gebunden ist, er gleichzeitig aber die Entscheidungskompetenz über die Zulassung des einzelnen Gefangenen im Rahmen des Art. 141 WRV behält.

d. Der Begriff der "Seelsorge" Weitaus problematischer ist die Behandlung des Begriffs "Seelsorge" 103 im Strafvollzug. Anders, als beim Gottesdienst, bei dem bestimmte rituelle Gepflogenheiten und historische Entwicklungen bei den Religionsgemeinschaften bzw. auch nach außen erkennbare Fixierungen einer Veranstaltung als Gottesdienst, zu einem weitgehend parallel laufenden staatlichen Verständnis von "Gottesdienst" geführt haben, und der daher weithin als solcher eindeutig erkennbar ist, vollziehen sich beim Begriff der "Seelsorge" in den Religionsgemeinschaften modale Wandlungen 104 , deren säkulares Verständnis staatlicherseits nicht stets nachvollzogen werden kann und aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch nicht unkritisch übernommen werden könnte. Dazu kommt die stete Suche der Kirche iin Strafvollzug, wie die Seelsorge inhaltlich zu füllen i s t 1 0 5 . In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, daß es aufgrund der grundgesetzlichen Verpflichtung zur staatlichen Neutralität dem Staat verwehrt ist, zu entscheiden, was er in der allgemeinen Praxis der Religionsgemeinschaften als "Seelsorge" anerkennt, und welche Tätigkeiten nicht darunter fallen. Es ist alleine die Entscheidung der Kirchen, welche Tätigkeit sie als "Seelsorge" verstehen. Jedoch ist in Gebieten, in denen Seelsorgetätigkeit

103 Vgl. zur praktischen Seelsorge im Strafvollzug: Kapitel § 9 Abschnitt VI. 2. und 3. 104 Vgl. für die evangelische Kirche: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 253 ff 105 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (33f)

§ 5 Art. 141 WRV

113

im staatlichen Bereich Wirkungen von gewissem Ausmaß entfaltet, der Staat zur Entwicklung eines Seelsorgeverständnisses gefordert, das nicht mit dem der Religionsgemeinschaften übereinstimmen muß. Die Reichweite des kirchenrechtlichen Verständnisses von "Seelsorge" ist der staatlichen Beurteilung dabei verschlossen. Sofern eine Religionsgesellschaft außerhalb des Strafvollzugs eine Tätigkeit als "Seelsorge" qualifiziert, hat der Staat dies zu akzeptieren. Der Staat darf erst bei Einwirkung auf den Strafvollzug, also bei der konkreten Frage der Zulassung des einzelnen Gefangenen, objektiv urteilen, ob bei dem individuellen Gefangenen ein vom Staat durch Zulassung der Religionsgesellschaften zu befriedigendes Bedürfnis nach Seelsorge besteht. Aber auch bei der Zulassungsprüfung für den Einzelnen ist der Staat gefordert, ein gewisses quasi staatliches Seelsorgeverständnis zu entwickeln, um über den Zugang des Einzelnen entscheiden zu können. Dabei ist "Seelsorgetätigkeit" durch die Person des Tätigen, seine subjektive Motivation und seine Tätigkeit gekennzeichnet. Für den Staat muß zunächst die Person des Seelsorgers Kriterium sein, sodaß nur die Tätigkeit, die von einem anerkannten Seelsorger bzw. Seelsorgehelfer vorgenommen wird, Seelsorge sein kann. Dabei erfolgt die Anerkennung als Seelsorger allein durch eine Glaubensgemeinschaft, nicht durch den Staat. Zum zweiten muß der Seelsorger subjektiv seelsorgerlich tätig werden. Sofern er seine Tätigkeit beispielsweise als karitativ klassifiziert, ist eine einseitige staatliche Betrachtung dieser Tätigkeit als "Seelsorge" aus Gründen der Anerkennung der kirchlichen Eigenständigkeit verwehrt. Zum dritten muß deutlich werden, daß der Gefangene in seiner Person bedingungslos angenommen wird, also kirchlicherseits keine Voraussetzungen für seine Teilnahme an der entsprechenden Veranstaltung aufgestellt werden. Dieses Kriterium stellt eine Abgrenzung zu therapeutischen Maßnahmen dar, die nur mit bestimmten Gefangenen durchgeführt werden können. Seelsorge im Strafvollzug läßt sich daher staatlicherseits annähernd definieren durch den religiös motivierten Versuch des Seelsorgers, dem Gefangenen "theologisch verantwortetete Hilfe zur Schuldüberwindung und Identitätsfindung" 106 mithilfe der Versöhnungsbotschaft zu bringen. Dabei ist eine staatliche Reduzierung des im Strafvollzugsgesetz gewählten Begriffs der "religiösen Veranstaltung" auf den Bezug zum Gottesbekenntnis

106 Brandt, Peter, Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, hrsg. von Bloth, Peter C., Daiber, Karl-Fritz u.a., Gütersloh 1987, S. 435 (437)

8 Eick-Wildgans

114

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

oder zur Hinwendung zu G o t t 1 0 7 in keiner Weise gerechtfertigt 108 . Zwar muß auch Seelsorge objektiv beurteilbar 109 bleiben. Diese Beurteilungsfähigkeit muß jedoch stets die Reichweite von Art. 4 GG berücksichtigen. Daher ist die Verwendung einer approximativen Definition von Seelsorge im oben genannten Sinn der Problematik angemessen. Sie gewährleistet zum einen die Möglichkeit einer dynamischen Auslegung, gleichzeitig gibt sie dem schillernden Begriff der Seelsorge die rechtlich gebotenen, nachvollziehbaren Konturen. Die Frage der Teilnahme des Einzelnen an seelsorgerlichen Veranstaltungen stellt somit das Einfallstor staatlicher Entscheidungskompetenz im Bereich der religiösen Handlungen 110 im Strafvollzug 111 dar. Bei der Entscheidung, ob insoweit ein Bedürfnis besteht, ist der Staat wiederum an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gehalten, insbesondere die Gewährleistung der Religionsfreiheit des Einzelnen, weswegen die Reichweite der Religionsfreiheit des Einzelnen im folgenden Kapitel, § 7, näher zu erörtern ist. Ein Problem sei jedoch bereits an dieser Stelle kurz erwähnt. Bei nichtchristlichen Religionen, wie beispielsweise dem Islam, fehlt eine Betreuung durch einen Seelsorger, wie es in den christlichen Religionen üblich ist. Bei Moslems gibt es keine individuelle Person, die quasi "von Amts wegen" Gläubige umsorgt, da diese Aufgabe nach islamischen Verständnis jedem Moslem aufgetragen i s t 1 1 2 . In einzelnen Anstalten besuchen Mullas Angehörige des Islam 1 1 3 . Gelegentlich werden die Angehörigen anderer Glaubensrichtungen von den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern mitbetreut, was sowohl staatlicher- als auch kirchlicherseits als "Seelsorge" verstanden wird. 107 Vgl. die Entscheidung des OLG Koblenz vom 28.9.1987 in: ZevKR 33 (1988), 464 f 108 Vgl. die zu Recht kritische Besprechung dieses Urteils: Stein, Albert, Glaubensfreiheit im Strafvollzug, in: ZevKR 33, 446 - 449 109 von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt y fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 7

HO Näher zum strafvollzugsrechtlichen Begriff der "religiösen Betreuung": Kapitel § 8 Abschnitt II 111 Zur unterschiedlichen Gewichtung von Einzel- und Gruppenseelsorge vgl. Kapitel § 9 Abschnitt VI Nr. 2, 3 112 Kuchta y U., Situation der Moslems in der Bundesrepublik, in: Wanzura, Werner (Hrsg.), Moslems im Strafvollzug, Altenberge 1982, S. 12 (20) 113 Neu, Guido, Nichtdeutsche im bundesdeutschen Strafvollzug, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 329 (333)

115

§ 5 Art. 141 WRV

Festzuhalten ist hier, daß eine Seelsorge im Sinne von Pastoralarbeit dem Islam unbekannt und demzufolge Grund für zahlreiche Schwierigkeiten der religiösen Betreuung von Moslems 1 1 4 darstellen kann.

e. Das Zwangsanwendungsverbot Weiterhin ist in Art. 141 WRV das Verbot des Zwangs zu religiösen Handlungen niedergelegt. Dieses Zwangsanwendungsverbot ist wiederum als Ausfluß der staatlichen Neutralität anzusehen. Einem religiös und weltanschaulich neutralen Staat ist es verwehrt, auf religiöse Einstellung der Insassen seiner Strafanstalten Einfluß zu nehmen, was selbstverständlich auch Zwangsanwendung 115 ausschließt. Aufgrund der in Art. 4 GG garantierten Religionsfreiheit wäre die ausdrückliche Nennung des Zwangsanwendungsverbots in Art. 141 WRV verzichtbar 116 .

f. Die Tragweite des Begriffs "Zulassung" Nach dem Wortlaut des Art. 141 WRV beschränkt sich die staatliche Pflicht auf die reine "Zulassung" von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Strafvollzug. Dabei wird vereinzelt der Begriff der Zulassung dahingehend verstanden, daß der Staat den Kirchen nur den Zutritt zum Strafvollzug gewähren darf. Alle darüber hinaus gehenden Leistungen des Staates, sei es die spezielle staatliche Sorge für religiöse Bedürfnisse, sei es die staatliche Einrichtung einer institutionalisierten Anstaltsseelsorge, oder die Übernahme finanzieller Lasten der Anstaltsseelsorge werden nach dieser Meinung als verfassungswidrig angesehen 117 . Dem ist entgegenzuhalten 118 , daß der Staat sich nicht zur religiösen Abstinenz verpflichtet hat, sondern zur

114

Vgl. zu den Problemen insbesondere die Darstellung bei: Hovens , Α., Moslems in der StrafVollzugsanstalt, in: Wanzura, Werner (Hrsg.), Moslems im Strafvollzug, Altenberge 1982, S. 28 - 34 1,5 von Campenhausen y Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründet von Hermann von Mangoldt y fortgeführt von Friedrich Klein. 3. Aufl., Band 14: Artikel 136 bis 146, München 1991, Art. 140 / 141 WRV Rdn. 5

So auch: von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3 (Art. 70 bis Artikel 146 und Gesamtregister), 2. Aufl., München 1983, Art. 141 WRV Rdn. 45 117 Vgl. Fischer, Erwin, Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. Frankfurt 1984, S. 250 f 118 Vgl. die überzeugende Argumentation von Albrecht, der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 31 ff

Karl, Staatsrechtliche Grundfragen

116

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

staatlichen Toleranz, die die Förderung religiöser Angelegenheiten insoweit gestattet, als die Grundsätze der Neutralität und Parität eingehalten werden. Trotz gelegentlicher feindlicher Auseinandersetzungen von Staat und Kirche stehen sich diese beiden Kräfte heutzutage nicht mehr als Gegner gegenüber, sondern sehen ihre Tätigkeit in mancher Hinsicht als "wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation" 1 1 9 . Zulassung w i l l in diesem Zusammenhang allein klar stellen, daß es weitgehend von der Kirche abhängt, in welchem Maße sie von der Ausübung ihrer Tätigkeit im Strafvollzug Gebrauch machen möchte 1 2 0 .

III. Zusammenfassung Es ist durch Art. 141 WRV eine gewisse Grundlinie staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug festgelegt, nämlich die Pflicht des Staates zur Zulassung religiöser Handlungen von Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften unter Berücksichtigung der in den übrigen Kirchenartikeln enthaltenen Gebote. Für die Auslegung des Art. 141 WRV ergibt sich in Zusammenschau mit den übrigen Kirchenartikeln, daß der Staat aufgrund des Neutralitäts- und Paritätsgebotes, sowie der Selbstverwaltungsgarantie grundsätzlich verpflichtet ist, alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zur Seelsorge im Strafvollzug zuzulassen, ohne sich zunächst ein Urteil über die Glaubensinhalte der einzelnen Gesellschaften bilden zu dürfen. Die Grenzziehungsbefugnis des Staates für Aktivitäten religiöser Gemeinschaften beginnt dort, wo ohne staatliches Eingreifen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sowohl des einzelnen Gläubigen, als auch der jeweiligen Religionsgemeinschaft die Folge wäre. Die Begegnung kirchlicher Begriffe mit der staatlichen Ordnung machen die Entwicklung einer staatlichen, objektivierbaren und nachvollziehbaren Definition der verfassungsmäßig geschützten Tätigkeit der Kirche im Strafvollzug notwendig. Hierbei sind der staatlichen Grenzziehung wiederum durch die Verpflichtung zur Respektierung der Religionsfreiheit und des 119 BVerfG, Beschluß vom 21.9.1976, BVerfGE 42, 312 (330) 0

von Campenhausen, Axel, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, begründetvon

H

§ 5 Art. 141 WRV

117

Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Die auch im Strafvollzug zu beachtende Reichweite der Religionsfreiheit des Einzelnen und der Religionsgesellschaft richtet sich nach Art. 4 GG. Weitere Inhaltsbestimmungen kirchlichen und staatlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug müssen daher unter Berücksichtigung des Aussagegehalts des Art. 4 GG getroffen werden.

§ 6 Die Aussagen des Art. 4 GG in ihrer Bedeutung für den Strafvollzug

Der Inhalt des Art. 141 WRV ist im Zusammenhang mit der Aussage des Art. 4 GG zu interpretieren, da beide Artikel nicht unabhängig voneinander verstanden werden können1 und die Aussagen des Grundgesetzes in ihrer Einheit gesehen werden müssen2. Die aufgeworfene Fragestellung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Strafvollzug kann nicht ohne Diskussion der Reichweite der Religionsfreiheit des Strafgefangenen erfaßt werden, da der enge Zusammenhang3 dieser Freiheit mit dem staatskirchenrechtlichen System als solchem zu erkennen ist 4 . So gilt es, die von Art. 4 GG geschützten Rechte zu skizzieren, um sie im folgenden in Verbindung mit den gerade im Strafvollzug auftretenden Fragestellungen näher darzustellen. Dabei seien zuerst die von Art. 4 GG genannten Freiheiten erörtert, an die sich die Frage anschließt, wer sich auf welche Freiheiten in welchem Ausmaß berufen kann, d.h. welche Grenzen der Religionsfreiheit im jeweiligen Fall für welchen Grundrechtsträger gesetzt werden dürfen. Der Inhalt des Art. 4 GG war und ist Gegenstand zahlreicher Abhand-

1

von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 2; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S.46; Hollerbach, Alexander, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL Heft 26, 1968, S. 57; Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (216) 2 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 2, 78; Jarass, Hans und Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar. 2. Aufl., München 1992, Art. 4 Rdn. 2; 3 von Campenhausen y Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 S. 370 4 Scheuner, Ulrich, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: Ges. Aufsätze, Joseph Listi (Hrsg.), Berlin 1973, S. 33 (37);

§ 6 Art. 4 GG und seine Bedeutung im Strafvollzug

119

lungen5 und Darstellungen 6, die in ihrer Komplexität hier nicht näher dargelegt werden sollen. Schwerpunkt dieser Arbeit sind die Aussagen des Art. 4 GG, die Wirkungen fur das Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug entfalten. Dem Wortlaut nach schützt Art. 4 Abs. 1 GG die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sowie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, während Art.4 Abs. 2 GG die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Auf den Aussagegehalt des Art. 4 Abs. 3 GG ist im hier interessierenden Zusammenhang nicht einzugehen7. Nach der Aufzählung der unterschiedlich anmutenden religiösen und weltanschaulichen Rechte der Absätze 1 und 2 fragt sich, was unter den einzelnen Freiheiten zu verstehen ist, und inwieweit sie sich überschneiden bzw. wie sie sich zueinander verhalten.

I. Die Glaubensfreiheit Glaubensfreiheit im engeren Sinn könnte sich zum einen auf die rein religiös-theologische Komponente menschlichen Daseins, zum anderen auf die Innerlichkeit allgemein menschlicher Uberzeugungen beziehen. Diese beiden Eingrenzungen auf die religiöse und die innerliche Komponente der Glaubensfreiheit lassen sich bereits aufgrund des Wortlauts des Art. 4 GG machen, da nicht religiöse Überzeugungen durch die ebenfalls in Art. 4 Abs. 1 GG genannte "Weltanschauungsfreiheit" erfaßt werden, und alle Außenwirkung

5 Abhandlungen zum Aussagegehalt von Art. 4 GG insgesamt: vgl. Usti , Joseph, Glaubens·, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 - 406; Hamely Walter, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 37 - 110; neuere Darstellung: von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 (S. 369 - 434); 6 Vgl. die Kommentierungen: Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985; Jarassy Hans und Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar. 2. Aufl., München 1992; Schmidt-Bleibtreu, Bruno, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Neuwied 1990; Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985; 7 Übersichtlich: Bäumlin, Richard, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: W D S t R L 28 (1970), S. 3 - 3 2

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

glaubensbedingten Verhaltens durch die "Bekenntnisfreiheit" in ausreichendem Maße geschützt wird 8 . So herrscht weitgehend Übereinstimmung darin, daß durch die Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 I.Alt. GG allein das "forum internum" 9 des Menschen geschützt w i r d 1 0 , während glaubensbedingtes Verhalten, das nach außen dringt, in der Bekenntnisfreiheit seine grundrechtliche Heimstatt findet. Die Glaubensfreiheit stellt dabei das Zentrum der grundgesetzlichen Religionsfreiheit dar 1 1 . In diesem Bereich ist es dem Staat verboten, Einfluß auf den individuellen Glauben zu nehmen, sei es die Art des Einzelnen, seinen Glauben zu finden, sei es seine Wahl, den Glauben zu wechseln 12 , oder auch seine Entscheidung, nicht zu glauben. Diese Freiheit gilt für jeden Menschen an jedem Ort, auch in der Strafhaft 13 . Dieser umfassende Schutz kann jedoch sinnvoll nur gewährleistet werden, wenn nicht jede beliebige als "Glauben" titulierte Meinung eines Einzelnen auch im rechtlichen Sinn als Glauben respektiert werden muß, da anderenfalls aufgrund des Fehlens einer in Art. 4 GG fixierten Schranke ein Übergrundrecht existieren könnte, das alle anderen Grundrechte quasi entwertete und ein Funktionieren der grundgesetzlichen Gesamtordnung unmöglich machte. So stellt sich die Aufgabe einer Eingrenzung des Glaubensbegriffs im Sinne von Art. 4 Abs. 1 GG. Diese Eingrenzung hat im geschichtlichen Kontext grundrechtlicher Freiheiten zu geschehen, soweit dieser Zusammenhang noch Relevanz für die Gegenwart besitzt. Es ist daher sachgerecht, unter den Begriff der Glaubensfreiheit nur die Überzeugungen zu ziehen, die "die Annehmung der Grundsätze einer Religion" 1 4 aufweisen. In diesem Sinne soll als ver-

8 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 65 ff 9 Hamel, Walter, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 37 (58) 10 von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 41; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 52; Usti, Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (382) 11 von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 41

12 Usti, Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (382) 13 OLG Saarbrücken, Beschluß vom 18.11.1965, NJW 1966, S. 1088 14 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz,

§ 6 Art. 4 GG und seine Bedeutung im Strafvollzug

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fassungsrechtlich mittels Art. 4 Abs. 1 GG geschützter Glaube nur deijenige begriffen werden, der um einen theistischen Mittelpunkt herum aufgebaut ist, von dem aus das Weltganze erfaßt w i r d 1 5 . Demzufolge kann nicht jede individuelle Meinung rechtlich als "Glauben" den besonderen Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG beanspruchen. Festzuhalten bleibt aber, daß durch die Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 1. Alt. GG die innere Überzeugung eines Grundrechtsträgers von der Göttlichkeit der Weltordnung geschützt wird. Das sogenannte "forum internum" des Einzelnen wird hier noch nicht verlassen. Dieses Verbleiben im Innerlichen hat Folgen für die zu fordernde Grundrechtsträgereigenschaft. Im allgemeinen sind nämlich zwar sowohl natürliche, als auch - in beschränktem Umfang - gem. Art. 19 Abs. 3 GG juristische Personen grundrechtsfähig 16. Da innere Überzeugungen jedoch nur von natürlichen Personen gebildet werden können, ist die so verstandene Glaubensfreiheit im engeren Sinn nur auf natürliche Personen anwendbar. Auf juristische Personen kann dieser enge Glaubensbegriff "der Natur der Sache nach" keine Anwendung finden mangels innerer Überzeugungen von juristischen Personen. Demzufolge können Kirchen und Religionsgemeinschaften sich nicht auf diese enge Glaubensfreiheit berufen 17 . Der einzelne Mensch dagegen, und gerade auch der Mensch im Strafvollzug, hat ein Recht auf Respektierung seiner inneren Glaubensfreiheit. Es umfaßt hier der Begriff der Glaubensfreiheit, die Freiheit, einen Glauben zu haben, ihn nicht zu haben und sich auch einem neuen Glauben suchend zuzuwenden 18 . Für den Gefangenen im Strafvollzug hat diese Glaubensfreiheit zur Folge, daß nicht nur seine inneren religiösen Überzeugungen grundrechtlich geschützt sind, sondern auch sein Wunsch, sich anderen

Kommentar, Art. 4 Rdn. 66 nennt: Zippelius, Art. 4 Rdn.29 15 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Rdn. 3; Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 66; 16 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 32 17

Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 35; a.A. Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 10; keine Differenzierung: Schmidt-Bleibtreu, Bruno, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Neuwied 1990, Art. 4 Rdn. 10 18 Listi , Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (382)

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Glaubensrichtungen suchend zuzuwenden 19 . Dabei ist die Suche nach einer anderen Glaubensrichtung unter den Begriff der Glaubensfreiheit zu ziehen, da Aktivitäten, die diesbezüglich entwickelt werden, noch keinen bekennenden Charakter haben, sondern sich erst in einem Vorstadium des Bekennens befinden, da Bekennen bereits eine gewisse Überzeugung voraussetzt. Diese Überzeugung ist bei einem Suchenden jedoch noch nicht vorhanden, weswegen die suchende Hinwendung zu einer anderen Glaubensrichtung allein den Schutz der Glaubensfreiheit, nicht den der Bekenntnisfreiheit in Anspruch nehmen kann.

II. Die Gewissensfreiheit Vom "forum internum" erfaßt wird auch die Gewissensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG. Dabei soll im Rahmen dieser Arbeit, die sich der Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Kirche verschrieben hat, nicht näher auf die Problematik dieses Begriffs eingegangen werden 20 . Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen ist im Strafvollzug von Auswirkungen des Art. 4 GG nur insoweit betroffen, als es sich um religiös-weltanschauliche Freiheiten handelt, sei es des Einzelnen, sei es als korporatives Grundrecht. Eine Behandlung der Thematik aller in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genannten glaubensbzw. weltanschauungsbezogenen Rechte unter dem Begriff der Gewissensfreiheit als Oberbegriff ist dem Thema nicht angemessen21. Aufgrund der historischen Entwicklungen, die mit der Glaubens- und Religionsfreiheit verbunden sind, scheint es problematisch, religionsbezogene Angelegenheiten unter dem Sammelbegriff der Gewissensfreiheit behandeln zu wollen 2 2 . Festzu-

19 Vgl. OLG Saarbrücken, Beschluß vom 18.11.1965, NJW 1966, S. 1088 20 Vgl. dazu: Bäumlin, Richard, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: WDStRL 28 (1970), S. 3 - 32 21 Interessant, aber im Rahmen dieser Arbeit nicht näher darstellbar: Podlech, Adalbert, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 92, Berlin 1969, S. 40f, der zugunsten einer befriedigenden Dogmatik des Art. 4 GG meint, daß "die Ausübung aller in Art. 4 GG genannten Rechte in Ausübung der Gewissensfreiheit geschehen kann" 22

Podlech, Adalbert, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 92, Berlin 1969, S. 20 - 43 geht auf die historische Komponente, also die Geschichtlichkeit der Glaubensfreiheit im Gegensatz zur Gewissensfreiheit nicht ein

§ 6 Art. 4 GG und seine Bedeutung im Strafvollzug

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halten ist daher, daß es sich nach der allgemeinen Anschauung in Literatur und Rechtsprechung 23 bei der Gewissensfreiheit um ein selbständiges und sachlich unabhängiges Grundrecht handelt 24 , dessen Inhalt dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend zu bestimmen ist 2 5 . Im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frage staatlichen und kirchlichen Wirkens im Strafvollzug spielt die individuelle Gewissensfreiheit des Strafgefangenen insofern also keine Rolle, als mit dem allgemeinen Verständnis der Religionsfreiheit sachnäher gearbeitet werden kann 2 6 , sodaß die Gewissensfreiheit nach der hier vertretenen Auffassung von der adäquateren Beziehung der aufgeworfenen Fragen zur Glaubensfreiheit keiner näheren Erörterung bedarf 27 .

III. Die Bekenntnisfreiheit Von überragender Bedeutung sowohl für den Einzelnen, als auch für die Kirche im Strafvollzug ist der Schutz der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG. Diese Freiheit ist vom Bundesverfassungsgericht zu einem umfassenden Grundrecht entwickelt worden 2 8 . In der Bekenntnisfreiheit ist die Freiheit des entsprechenden Redens und Verkündens 29 geschützt, welche erst einen Glauben bzw. eine Welt-

23 Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), in: JuS 1982, 157 (161)

24 Böckenförde, (1970), S. 33 (51)

Ernst-Wolfgang, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: WdStRL 28

25 BVerfG, Beschluß vom 20.12.1960, BVerfGE 12, 45 (54) 26 Podlech, Adalbert, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 92, Berlin 1969, S. 140 - 144 behandelt glaubensmäßige und seelsorgerliche Fragen im Strafvollzug unter dem Stichwort Gewissensfreiheit 27 Literaturangaben bei : Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Schrifttum 28 Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), in: JuS 1982, 157 (158) 29 von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 52;

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

anschauung nach außen in Erscheinung treten läßt. Zu fragen ist daher nach der Reichweite der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit. Die Freiheit des Bekenntnisses umfaßt als Gegenstand den Bereich, den die Glaubensfreiheit als innere Freiheit des einzelnen darstellt 30. Dabei wird im Bereich der Bekenntnisfreiheit das "forum internum" der Glaubensfreiheit verlassen. Bekenntnis bedeutet die Bezeugung eines Glaubens31, das äußerliche Einstehen für eine gewisse Glaubensüberzeugung. Diese nach außen deutliche Betätigung, sei es durch Worte oder Gesten, bedarf des staatlichen Schutzes, gerade auch im Strafvollzug. Dabei wird die Bekenntnisfreiheit vom Bundesverfassungsgericht umfassend ausgelegt32. Bekenntnisfreiheit umschließt danach nicht nur die Freiheit zu kultischem Handeln, sondern generell die "äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten" 33. Art. 4 GG schützt somit das Recht, das gesamte Verhalten an den Lehren des individuellen Glaubens auszurichten und der jeweiligen inneren Glaubensüberzeugung entsprechend zu handeln34. Darin ist das Recht enthalten, in bestimmten Lebenssituationen, in denen generell eine religiös motivierte Reaktion denkbar, aber nicht zwingend ist, seinen religiösen Überzeugungen entsprechend zu leben 35 . Dieser Auffassung entsprechend wäre eine volle Entfaltung der Glaubensfreiheit in Gestalt der Bekenntnisfreiheit auch im Strafvollzug gewährleistet. Ein derart umfassendes Verständnis der Bekenntnisfreiheit hat die Frage zur Folge, wie die Freiheit der Religionsausübung gem. Art. 4 Abs. 2 GG zu verstehen ist, insbesondere, ob durch die Religionsausübungsgewährleistung noch mehr umfaßt werden könnte als durch die Bekenntnisfreiheit.

30 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 81

31 Hornel, Walter, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 37 (39) 32 Vgl. BVerfG, Beschluß vom 8.11.1960, BVerfGE 12,1 (3); BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (106); BVerfG, Beschluß vom 16.10.1979, BVerfGE 52, 223 (240) 33 BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (106) 34 BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (106) 35 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 21

§ 6 Art. 4 GG und seine Bedeutung im Strafvollzug

125

IV. Die Freiheit der Religionsausübung Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung gem. Art. 4 Abs. 2 GG kein zusätzliches Recht dar, sondern nur eine besondere Ausprägung des Schutzes der Bekenntnisfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 G G 3 6 , welches historisch bedingt i s t 3 7 . Art. 4 Abs. 2 GG garantiert als eine "letzte Stufe" der Religionsfreiheit, die Freiheit der Religionsausübung 38 , wobei umstritten ist, ob diese Freiheit im Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ohnehin enthalten i s t 3 9 und somit Art. 4 Abs. 2 GG rein deklaratorischen Charakter hat, oder ob aufgrund der Existenz der zusätzlichen Formulierung in Art. 4 Abs. 2 GG die Religionsausübungsfreiheit eigens geschützt wird40. Bei solchen Meinungsverschiedenheiten über den unterschiedlichen Aussagegehalt von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG darf dabei die historische Dimension dieses Artikels nicht außer Acht gelassen werden. Die komplizierte Formulierung ist unter anderem auf die geschichtlichen Erfahrungen im Nationalsozialismus mit einer formalen Anerkennung der Religionsfreiheit unter gleichzeitiger Aushöhlung der konkreten religiösen Betätigungsmöglichkeiten zurückzuführen 41 . Dabei ist der wohl eher theoretische Streit hier nicht zu entscheiden, da im Ergebnis beide Ansichten zu dem Ergebnis einer Schutzwirkung durch Art. 4 Abs. 1 / Abs. 2 GG führen 42 und die komplizierte Schrankenproblematik sich bei beiden Lösungsansätzen gleicht. So kann diese rein dogmatische Frage hier offen gelassen werden 43 , da es für den

36 BVerfG, Beschluß vom 16.10.1968, BVerfGE 24, 236 (245) 37 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 33 38 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 99 39 So BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (106); BVerfG, Beschluß vom 17.12.1975, BVerfGE 41, 29 (49) 40 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 99) 41

Vgl. von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 (S. 369 - 434) Rdn. 36 42 So auch Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 99 4

3 In diesem Sinne auch von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Strafvollzug nicht von Bedeutung ist, ob eine religiöse Betätigung unter den weit verstandenen Schutzbereich der Bekenntnisfreiheit zu ziehen ist, oder unter den expliziten Schutz der Religionsausübungsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 2 GG. Wichtig ist für den Strafgefangenen, ebenso wie für die Kirchen, daß grundrechtlicher Schutz aus Art. 4 Abs. 1 / 2 GG gewährt wird. Schwieriger und im Gegensatz zum vorherigen Problem von großer Bedeutung gestaltet sich die Erfassung des Begriffs des "weltanschaulichen Bekenntnisses". Es stellt sich die Frage, welche Überzeugungen hier noch miterfaßt werden sollen, und welche nicht mehr.

V. Das weltanschauliche Bekenntnis Im Rahmen der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses sollen in dieser Arbeit die metaphysischen Gedankensysteme erfaßt werden, die eine gewisse systematische Geschlossenheit und Breite aufweisen, die mit den im abendländischen Kulturkreis bekannten Religionen zumindest vergleichbar ist, ohne daß ein Gottesbezug der Weltanschauung zu fordern i s t 4 4 . Die Vergleichbarkeit mit dem Aufbau und Umfang der im abendländischen Kulturkreis bekannten Religionen 45 bzw. eine "Sinndeutung der Welt im Ganzen" 4 6 ist zu fordern, da anderenfalls jede weltanschauliche Überzeugung auch hinsichtlich einzelner Dinge, die eine gewisse Systematik aufweist, den Schutz von Art. 4 GG genießen würde. Aufgrund der Besonderheit des Art. 4 GG, der dem Wortlaut nach keine Grenzen setzt, und dem Gesamtgefüge der Grundrechte, die in ihrem Zusammenwirken ein friedliches Zusammenleben

Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 36, der eine "begriffliche Abgrenzung" für ein "Betätigungsfeld für im wesentlichen folgenlosen Scharfsinn" bezeichnet, da auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine die Begriffe verwischende Terminologie zeigen, vgl. BVerfG, Beschluß vom 8.11.1960, BVerfGE 12, 1 (4); BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (106); BVerfG, Beschluß vom 16.10.1968, BVerfGE 24, 236 (245) 44 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 67; Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 18; ; 45 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 67 46 Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 35

§ 6 Art. 4 GG und seine Bedeutung im Strafvollzug

127

unter jeweiliger Beachtung der Rechte des Mitmenschen bezwecken, ist eine Interpretation die zu einem uferlosen Begriff der Weltanschauung führen würde, nicht tolerabel. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten mit der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses kein "Übergrundrecht" schaffen, sondern den Uberzeugungen des Menschen Schutz gewähren, die als Bestandteil der menschlichen Würde in der geistigen Freiheit des Menschen und seiner individuellen Selbstverantwortlichkeit 47 als schützenswert erachtet wurden. Zwar ist klarzustellen, daß Art. 4 GG kein Vorrecht für abendländische Überzeugungen darstellt 48 . Allerdings will das Grundgesetz nicht jede wie auch immer geartete freie weltanschaulich begründete Betätigung schützen, sondern die, die aufgrund einer gewissen geschichtlichen Entwicklung im Zusammenspiel sittlicher Grundanschauungen entstanden i s t 4 9 . Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Schutz gerade nicht der bloßen Weltanschauung, sondern der des weltanschaulichen Bekenntnisses. Daraus läßt sich folgern, daß Weltanschauungen, die keinen bekenntnisartigen Charakter aufweisen, nicht den Schutz von Art. 4 Abs. 1, 2 GG beanspruchen können. Allerdings sind Weltanschauungen wie die Existenzphilsophie und der theoretische Marxismus aufgrund ihres bekennenden Charakters vom Schutzbereich des Art. 4 GG erfaßt 50 . Somit ist es möglich, unter dem Begriff der Bekenntnisfreiheit sämtliche Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens zu verstehen, die einer inneren menschlichen Überzeugung von gewissem Umfang und Bedeutung entspringen. Aufgrund dieses umfassenden Verständnisses der Bekenntnisfreiheit ist es auch verständlich, warum die Rechtsprechung global von Glaubens- / Bekenntnis- / Religionsfreiheit zu sprechen vermag, ohne auf die zuvor skizzierten Unterschiede einzugehen. Letztendlich ist der Bereich der Religionsfreiheit sehr weit zu fassen, ohne daß es zu gravierenden Differenzen kommt, ob dem Einzelnen ein religiöses oder weltanschauliches Recht aufgrund der Garantie des Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 2 GG zugestanden wird. Im Sinne einer klareren Terminologie wäre allerdings die Abgrenzung von Glaubensfreiheit im engeren Sinn gem. Art. 4 Abs. 1 GG als Schutz des "forum internum" zu der umfassenden Bekenntnisfreiheit als äußerem 47 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 1 48 4

von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 55

9 BVerfG, Beschluß vom 8.11.1960, BVerfGE 12, 1 (4)

50 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 4 Rdn. 67

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Wirkungskreis der Religionsfreiheit begrüßenswert. Für dogmatische Spitzfindigkeiten auf diesem Gebiet soll diese Arbeit jedoch kein Forum sein. Wesentlich ist für den Zusammenhang von Staat und Kirche im Strafvollzug, daß auch weltanschauliche Bekenntnisse geschützt sind. Auf die Folgen dieses Schutzes wird in Kapitel § 8 eingegangen.

§ 7 Die Religionsfreiheit im Strafvollzug unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Grundrechtsträger

I. Grundrecht und Grundrechtsträger 1. Die Grundrechtsträger

Nach der skizzenhaften Darstellung von Glaubens-, Weltanschauungs- und Bekenntnisfreiheit in Kapitel § 6 stellt sich die Frage, wer sich in welchem Umfang auf diese Grundrechte berufen kann. Oben in Kapitel § 6 wurde bereits festgestellt, daß sich auf die Glaubensfreiheit im engeren Sinn, sofern damit allein die inneren Überzeugungen einer Person bzw. die bloße Denkfreiheit gemeint ist 1 , juristische Personen mangels innerer Überzeugungen nicht berufen können. Dies differiert allerdings im Bereich der Bekenntnisund Religionsausübungsfreiheit. Religions- und weltanschauungsbezogene Rede und Kultus gem. Art. 4 Abs. 1, 2. Hs., Abs. 2 GG stellen Tätigkeiten dar, die auch von juristischen Personen ausgeübt werden können 2 . Somit sind in diesem Bereich neben den natürlichen Personen, die sämtlich als Grundrechtträger anzusehen sind 3 , auch juristische Personen schutzbedürftig. Dabei ist innerhalb der juristischen Personen nochmals zu unterscheiden, zwischen den Körperschaften des Öffentlichen Rechts und anderen Ver-

1

Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starch, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 40; Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 35 2 Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 8 ff 3 Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 39;

9 Eick-Wildgans

130

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

einigungen. Im allgemeinen ist es zwar Körperschaften des Öffentlichen Rechts verwehrt, sich auf Grundrechte zu berufen, sodaß die Religionsgemeinschaften, die einen öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus genießen, möglicherweise keine Rechte aus Art. 4 GG zustehen könnten, da Grundrechte generell gerade den Einzelnen vor der Öffentlichen Gewalt schützen sollen 4 und nicht die Öffentliche Gewalt selbst. Allerdings kann die Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Körperschaften dann bejaht werden, wenn besondere Umstände vorliegen, d.h. dann, wenn die Körperschaft des Öffentlichen Rechts nicht in ihrer Eigenschaft als Träger von Hoheitsrechten einem anderen Hoheitsträger gegenübertritt 5. Grundsätzlich wird die Berufung auf die Rechte aus Art. 4 Abs. 1, 2. Hs., Abs. 2 GG den Kirchen zuerkannt 6, weil Art. 140 GG nicht als - die Anwendung des Art. 4 GG ausschließendes - lex specialis fur Kirchen und Religionsgemeinschaften angesehen werden kann 7 . Art. 140 GG bezweckt nicht die Schlechterstellung der Kirchen, die eine derartige Argumentation zur Folge hätte, da den Kirchen in diesem Falle eine auf Art. 4 GG gestützte Verfassungsbeschwerde verwehrt bliebe, und Rechte gem. Art. 140 GG nicht mittels Verfassungsbeschwerde 8 geltend gemacht werden können 9 . Wenn nämlich dem einzelnen als Mitglied der Kirche unbestritten die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 4 GG zusteht, und auch den Kirchen dieses Recht zustünde, sofern sie nicht Körperschaften des Öffentlichen Rechts wären, und zusätzlich in Betracht gezogen wird, daß gleichzeitig der einzelne Gläubige und seine Kirche im Falle einer Interessenidentität zwischen ihm und seiner Kirche in ihrer Religionsfreiheit verletzt werden können, so ist es rechtens,

4 BVerfG, Urteil vom 15.1.1958, BVerfGE 7, 198 (204 f); BVerfG, Beschluß vom 2.5.1967, BVerfGE 21, 362 (369) 5

Seifert, Karl-Heinz und Dieter Hömi g (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Baden-Baden 1988, Art. 19 Rdn. 13 6 H.M. vgl. Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 42; Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 13; Schmidt-Bleibtreu, Bruno, Kommentar zum Grundgesetz fiir die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Neuwied 1990, Art. 4 Rdn. 10; 7 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 39, 40 8 Vgl. dazu die Darstellung von: Weber, Hermann, Der Rechtsschutz der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch die staatlichen Gerichte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 729 (749 ff)

9 BVerfG, Beschluß vom 4.10.1965, BVerfGE 19, 129 (135)

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

131

die Kirchen trotz ihres Status als Körperschaft des Öffentlichen Rechts in den Schutz des Art. 4 GG mit einzubeziehen10. Bei der Begegnung von Kirche und Staat auf dem Gebiet der Seelsorge im Strafvollzug handelt es sich um ein Treffen, bei dem die Kirche gerade nicht in ihrer spezifischen Eigenschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts auftritt und mittels eines Über-Unterordnungsverhältnisses gegenüber dem einzelnen tätig wird, sondern hier steht die Kirche selbst in einem ÜberUnterordnungsverhältnis zum Staat, dem sie sich in gewissem Maß beugen muß. Sie handelt dort nicht kraft hoheitlicher Gewalt gegenüber dem Einzelnen, sondern - jedenfalls teilweise - in ihrer Eigenschaft als Zusammenschluß und Hort aller Gläubigen im Strafvollzug. Es kommt also bei einer Meinungsverschiedenheit auf diesem Gebiet zwischen Staat und Kirche nicht zu einem quasi In-sich-Prozeß einer staatlichen Körperschaft gegen eine andere staatliche Körperschaft, sondern zu einer Begegnung von einem übergeordneten Staat und einer rechtlich untergeordneten Kirche, sei es als Interessenvertretung einzelner Gläubiger oder als in eigenen Rechten verletzte juristische Person. So kann sich die Kirche gerade bei Meinungsverschiedenheiten, die Fragen der Religion betreffen, im Strafvollzug auf ihr Grundrecht aus Art. 4 GG berufen und gegebenenfalls die Verletzung des Art. 140 GG / 141 WRV geltend machen 11 . Sie ist in diesem Zusammenhang auch als Körperschaft des Öffentlichen Rechts Trägerin des Grundrechts aus Art. 4 GG, soweit es dem Wesen nach auf sie Anwendung findet, d.h. also im Bereich der Bekenntnisund der Kultusfreiheit.

2. Die Beziehung von Grundrecht und Grundrechtsträger

Dabei kann jedoch nicht jegliche Tätigkeit von Religionsgemeinschaften den Schutz des Art. 4 GG beanspruchen 12, allein aufgrund einer kirchlichen Urheberschaft der in Frage stehenden Tätigkeit. Es stellt sich somit die Frage nach der Reichweite des Schutzes durch Art. 4 Abs. 1 / Abs. 2 GG, ins10 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Lose-blatt-ausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 41

n Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 44; BVerfG, Beschluß vom 25.3.1980, BVerfGE 53, 366 (390f); 12 Vgl.: Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, Π GG), in: JuS 1982, 157 (159; Fn.43 m.w.N.)

9*

132

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

besondere im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Trägern dieses Grundrechts. Nachdem Träger des Grundrechts des Art. 4 GG sowohl Einzelpersonen, als auch Religionsgemeinschaften sein können, fragt es sich, ob aus der unterschiedlichen Trägereigenschaft auch eine unterschiedliche Tragweite dieses Grundrechts im Strafvollzug resultiert. Kirchen und Religionsgemeinschaften werden kraft ihrer Eigenschaft wesentlich öfter und intensiver aus einer Glaubensüberzeugung heraus tätig, als ein "normaler" Staatsbürger. Daraus könnte bei ihnen ein weiterer Schutzbereich resultieren. Um den Schutzbereich eines Grundrechts festzulegen, bietet sich die Möglichkeit der Definition über den Tatbestand an, oder über die Grenzen eines Grundrechts. Es stellt sich daher für die vorliegende Arbeit die Frage, wie eine den Anforderungen des Strafvollzugs gemäße Eingrenzung der Religionsfreiheit der Kirchen gefunden werden kann, die einerseits im Einklang mit dem weiten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts vom Schutzbereich des Art. 4 GG steht, und andererseits die Gefahr einer einseitig kirchlichen Bestimmung von der Reichweite der Religionsfreiheit im Strafvollzug ausschließt. Dabei ist zwischen Tatbestand und Schrankenziehung zu unterscheiden: Möglich wäre ein sehr weitreichender Tatbestand, bei dem erst die Grenzen zu Einschränkungen fuhren, oder ein enger Tatbestand, bei dem gewisse Verhaltensmodalitäten bereits nicht einmal tatbestandsmäßig unter den Schutzbereich der Religionsfreiheit fallen 13 . Bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG ist die generelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 4 GG zu berücksichtigen, die den Tatbestand des Art. 4 GG sehr weit faßt. Danach ist nicht nur kultisches Handeln, sondern quasi jedes Handeln, das glaubensmäßig motiviert ist, vom Tatbestand des Art. 4 GG erfaßt 14 . Schließt man sich dieser Auffassung vom umfassenden Tatbestand an, so können Einschränkungen der Religionsfreiheit im Strafvollzug nur über die Schranken des Art. 4 GG gemacht werden. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem, daß Art. 4 GG ein Grundrecht ist, welches dem Wortlaut nach keine ausdrücklichen

13 Vgl. Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, Diskussionsbeitrag, S. 43, der beim "apriorischen Entzug in bestimmten Situationen ..." von einer - ehrlicherweise anzuerkennenden - "Minderung des Tatbestandes" spricht, ohne sich jedoch für eine punktuelle Beschränkung der Tatbestandsmäßigkeit auszusprechen.

14 Vgl. BVerfG, Beschluß vom 16.10.1968, BVerfGE 24, 236 ff "Aktion Rumpelkammer" und die Besprechung von: Häberle y Peter, Grenzen aktiver Glaubensfreiheit, in: DÖV 1969, 385 - 389

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

133

Einschränkungen erfährt 15 . Zwar ist Art. 4 GG so dem Wortlaut nach ein unbegrenztes Grundrecht, jedoch ist anerkannt, daß auch Grundrechte, die im Wortlaut keine Schranken aufweisen, nicht unbegrenzt Freiraum für ihre "Träger" beanspruchen können 16 , sondern sich die Frage nach Art und Ausmaß "ungeschriebener Grundrechtsschranken" stellt 1 7 . Auch das Recht der Religionsfreiheit ist trotz seines aus dem fehlendem Gesetzesvorbehalt resultierendem hohen Rangs in der Rechtsordnung ein Grundrecht, welches mit den mit ihm zusammentreffenden Rechten und Angelegenheiten anderer in gewisser Weise koordiniert werden muß 1 8 . Es darf auch hier nicht zu einem "Ubergrundrecht" kommen, das den von den Grundrechten in ihrer Gesamtheit bezweckten Schutzbereich entwerten würde.

II· Die Kirche im Strafvollzug als Grundrechtsträger Der Schutzbereich des Art. 4 GG umfaßt somit grundsätzlich auch im Strafvollzug jede Art der kollektiven Religionsausübung. Allerdings wirft das weitreichende Verständnis von Glaubensfreiheit die Frage nach den Schranken religiöser Tätigkeit der Kirchen im Strafvollzug auf.

1. Schranken für kirchliches

Wirken

im Strafvollzug

Es gilt also, für das Grundrecht der Religionsfreiheit der Kirchen im Strafvollzug der Rechtsordnung entsprechende und praktikable Grenzen zu finden. Hierzu ist jedoch die im Strafvollzug anzutreffende Besonderheit zu beachten,

15 Mangoldt y Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starcky Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 45ff; Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Ari. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 53 ff; Listi, Joseph, Glaubens-, Gewissens, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit; in: HdbStKirchR, Bd. I, Berlin 1974, S. 363 (392ff); Campenhausen, Axel, von, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 S. 369 (418 ff) 16 Mangoldty Hermann, von,; Klein y Friedrich; Starcky Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 45; 17 Herzogy Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 3 18 Steinery Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), in: JuS 1982, 157 (162)

134

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

daß die Kirche die Ausübung ihrer religiösen Rechte nach zwei Seiten hin abzugrenzen verpflichtet ist, zum einzelnen Gefangenen und zum Staat, wobei nach beiden Seiten die Gefahr der Überdehnung der religiösen Rechte der Kirchen, ebenso wie die ungerechtfertigte Beeinträchtigung der religiösen Rechte der Kirchen vermieden werden muß. Die allgemeinen Schranken zu Art. 4 GG sind daher zunächst kurz zu skizzieren, um anschließend Folgerungen für den Strafvollzug zu treffen. So stellt sich bei der Analyse allgemeiner Schranken des Art. 4 GG zunächst die Frage, ob in anderen Grundrechten genannte Grenzen Anwendung finden dürfen, also beispielsweise Schrankenbestimmungen nach Art. 5 Abs. 2 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG. Diese Frage ist mit dem Bundesverfassungsgericht zu verneinen 19 . Es war eine bewußte Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes, bestimmte Grundrechte mit eigenen Schranken auszustatten, andere wiederum nicht. Art. 4 GG muß in diesem Zusammenhang als lex specialis bzw. aliud 2 0 zur allgemeinen Handlungs- und Meinungsfreiheit gesehen werden, sodaß deren Schranken keine parallele Anwendung finden können, auch wenn die Anwendung dieser von vornherein als Schrankenbestimmungen entworfenen Bestimmungen zugegebenermaßen von Vorteil sein könnte 21 . Aber aufgrund der generell geltenden Regel der Verdrängung einer lex generalis durch eine lex specialis, und mangelnden Ansatzpunkten für eine hier vorliegende Ausnahme von diesem Grundsatz, können die Schrankenbestimmungen anderer Grundrechte für Art. 4 GG nicht herangezogen werden 22 .

19 Vgl. BVerfG, Beschluß vom 19.10.1971, BVerfGE 32, 98 (107); Mangoldt, Hermann, von,; Klein, Friedrich; Starck, Christian; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Bd. 1: Präambel, Artikel 1 - 5; 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 45; Münch, Ingo, von, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 53; Jarass, Hans und Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar. 2. Aufl., München 1992, Art. 4 Rdn. 17; 20

Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), in: JuS 1982, 157 (162) 21

Dafür spricht sich - vorsichtig - aus: Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 114 22 Vgl. Hornel, Walter, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 37 (68 f); Scheuner, Ulrich, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: Ges. Aufsätze, Joseph Listi (Hrsg.), Berlin 1973, S. 33 (46); von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 81

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

135

Da Grenzen anderer Grundrechte nicht fur Art. 4 GG übernommen werden können, heißt es also, eigene Grenzen für Art. 4 GG zu finden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit seine Schranken bereits in sich selbst trägt 2 3 . Allen Grundrechten ist der grundrechtsspezifische Schutz individueller Freiheit gemeinsam. So gilt es, die jeweiligen Rechte und Pflichten auch gegenüber den Mitmenschen gegeneinander abzugrenzen, um ein in sich stimmiges Konzept vom Grundrechtsschutz für alle zu erhalten. Grundrechtsschutz für jeden bedeutet Begrenzung einzelner Rechte zugunsten anderer und der Gemeinschaft. Daher liegen auch für die dem Wortlaut der Verfassung nach unbegrenzte Religionsfreiheit Grenzen dort, wo die Verfassung selbst gewisse Rechtsgüter als für geschützt erklärt hat 2 4 , also zum einen dort, wo die Grundrechte anderer beginnen, und zum zweiten bei den mit Verfassungsrang ausgestatteten Gemeinschaftswerten 25. Bei der Erörterung der die Religionsfreiheit einschränkenden Grundrechte ist zwischen dem Grundrecht der Religionsfreiheit anderer und anderen Grundrechten anderer zu unterscheiden. Dabei ist bei der Religionsfreiheit anderer wiederum zwischen der positiven und der negativen Religionsfreiheit zu differenzieren.

a. Die Religionsfreiheit anderer als Grenze Wenn folglich die Beanspruchung des Grundrechts der Religionsfreiheit durch die Kirchen im Strafvollzug die Religionsfreiheit von Einzelnen verletzen würde, so wäre eine Grenze dieses Grundrechts erreicht. Ebenso verhält es sich mit der Grenze, die durch die negative Religionsfreiheit von Mitgefangenen gezogen wird, d.h. diese Bürger dürfen im Strafvollzug in ihrem Recht, nichts zu glauben nicht durch religiöse Aktivitäten der Kirchen im Strafvollzug verletzt werden.

23 Scheuner, Ulrich, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im GG. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, Berlin 1974, S. 5 (57); von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Joseph, Paul Kirchhof (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 136 Rdn. 79; von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 56 24 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 112 25 Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, Π GG), in: JuS 1982, 157 (162)

136

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

b. Das Zwangsanwendungsverbot Die Grenzen kirchlicher Betätigung im Strafvollzug werden ferner nicht nur durch die allgemein bei Art. 4 GG zu beachtenden Grenzen festgelegt, sondern zusätzlich durch das Gebot des Art. 140 GG / 141 WRV, jeglichen Zwang bezüglich Religionsausübung im Strafvollzug fernzuhalten. Somit ist Zwangsanwendung im Bereich der Religionsfreiheit im Strafvollzug eine absolute Grenze kirchlicher Betätigung. Daher ist Grundvoraussetzung kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug die völlige Freiwilligkeit der betreuten Gefangenen 26 . Diese globale Feststellung kann sich jedoch nicht in einer abstrakten Abgrenzung erschöpfen, sondern bedarf der Konkretisierung. Sobald also die Ausübung des Grundrechts der positiven Religionsfreiheit den Nächsten in seinem Recht auf negative Religionsfreiheit verletzt, ist die Grenze der Religionsfreiheit erreicht. Diese Grenzen der Religionsfreiheit durch die Religionsfreiheit anderer genügen jedoch auch noch nicht für eine angemessene Festlegung des Schutzbereiches der Religionsfreiheit im Strafvollzug und bedürfen daher der weiteren Ergänzung.

c. Das Abwägungserfordernis bei der Begrenzung durch andere Grundrechte Anerkennung müssen bei der Schrankenziehung auch andere kollidierende Grundrechte finden, da Grundrechtschutz nicht nur über Art. 4 GG definiert werden kann, sondern die Grundrechte in ihrer Gesamtheit zu sehen sind. Wenn den Grundrechten Dritter überragendere Bedeutung, als der Religionsfreiheit der Kirche zukommt, so gehen diese vor. Bei der Kollision verschiedener Grundrechte ist daher im Wege der Abwägung und Prüfung der Gewichtigkeit der in Frage stehenden Belange vorzugehen, um adäqute Grenzen für Art. 4 GG zu finden. Allerdings ist bei der Prüfung des Gewichts der Religionsfreiheit von Religionsgesellschaften stets die besondere Bedeutung der Religionsfreiheit für die Religionsgesellschaften zu berücksichtigen. Es fragt sich, ob und wenn ja warum die Schranke bei der Religionsausübung einer Religionsgemeinschaft weiter zu ziehen ist, als bei einem Einzelnen. Die Antwort dazu findet sich in Art. 137 Abs. 3 WRV. Wenn den Kirchen ihr Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich garantiert wird, so ist der Staat diesen gegenüber verpflichtet, im Bereich des Art. 4 GG dies zu berücksichtigen. Er

26 So ist die frühere Praxis, Geistliche auf den Gängen der Anstalten bei geöffneten Zellentüren zur geistlichen Erbauung der Gefangenen laut Bibelstellen lesen zu lassen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

137

kann also nur solange Schranken ziehen, wie nicht die Schrankenschranke des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ihm wiederum eine darüber hinausgehende Grenzziehung verbietet. So entfaltet also die Wechselwirkung des Art. 137 Abs. 3 WRV ihre Wirkung auch bei Art. 4 GG. Es ist dem Staat daher verwehrt, die Kirchen bei einer Tätigkeit nach Art. 4 GG in einem Maße zu beschränken, bei dem die Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung gem. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt werden würde. Es macht gerade das Wesen der Kirche aus, bestimmte, der Religionsfreiheit unterfallende Tätigkeiten auszuüben. Würden sie hier zu stark eingeschränkt, könnte das bei ihnen gravierendere Auswirkungen haben, als bei Privatpersonen. Anders als bei individuellen Grundrechtsträgern werden Religionsgesellschaften in ihrem Wesen berührt, sofern ihnen bei gewissen Betätigungen das Recht zur Betätigung aus Art. 4 GG abgesprochen wird. Andererseits ist es auch den Kirchen im Strafvollzug verwehrt, zu beanspruchen, daß gerade ihre Überzeugung als Maßstab verwendet w i r d 2 7 . So hat bei der Abwägung Religionsfreiheit der Religionsgesellschaft im Strafvollzug zwar stets ein sehr starkes Gewicht, kann jedoch keinen absoluten Geltungsanspruch einnehmen. Eine weitergehende, im Grundsätzlichen bleibende Aussage läßt sich zur Reichweite der Religionsfreiheit der Kirchen im Strafvollzug in Abgrenzung zu der individuellen Religionsfreiheit der Gefangenen nicht treffen. Einzelbeispiele werden im Kapitel § 8 näher erläutert.

d. Sicherheit und Ordnung als Schranke kirchlichen Wirkens Desweiteren können andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte im Streitfall Schranken für Art. 4 GG ziehen, sofern ihnen in der konkreten Situation höheres Gewicht zukommt. Auch im Strafvollzug ist daher im Wege der Abwägung zu prüfen, welchem grundrechtlichen Belang in der konkreten Situation der Vorrang einzuräumen ist. Diese Methode der Abwägung unter Einbeziehung der Bedeutung der Ausübung des jeweiligen Grundrechts für den Grundrechtsträger ist zwar relativ unscharf, kann jedoch nicht näher festgeschrieben werden, da eine allgemeingültige Aussage über den jeweils zu beachtenden Vorrang bei kollidierenden Grundrechten zu Unbilligkeiten führen muß, sei es eine einseitige Bevorzugung der Religionsgemeinschaften, sei es eine einseitige Bevorzugung des einzelnen Gefangenen, der sich durch die Tätigkeit der Kirchen gestört fühlt.

27 BVerfG, Beschluß vom 18.4.1984, BVerfGE 67, 26 (37); Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 113

138

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Im Gegensatz zu den bisher durch die Individualrechte der Gefangenen im Strafvollzug gezogenen Grenzen, könnten bestimmte andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte auch vom Staat in Anspruch genommen werden, um die Tätigkeit der Kirchen im Strafvollzug einzuschränken. So könnte es als eine staatliche Einschränkung der Tätigkeit der Kirchen im Strafvollzug angesehen werden, wenn § 54 Abs. 3 StVollzG den Ausschluß von Gefangenen von der Teilnahme am Gottesdienst bei überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung vorsieht. Diese Bestimmung ist jedoch nicht unmittelbar gegen das Wirken der Kirche im Strafvollzug gerichtet, da nicht der Gottesdienst als solcher verboten wird, sondern sie soll eine Sanktion bei Fehlverhalten von Gefangenen sein. Da die Kirche im Strafvollzug zwar das Recht zur religiösen Betätigung hat, zu dem notwendigerweise auch Menschen gehören, an denen die religiöse Tätigkeit ausgeführt wird, jedoch keinen Anspruch auf bestimmte Teilnehmer an ihren Gottesdiensten, kann zunächst aus den hier aufgeworfenen Gesichtspunkten § 54 Abs. 3 StVollzG nicht als eine verfassungswidrige Grenze kirchlichen Wirkens im Strafvollzug angesehen werden. Die Wirkung dieser Bestimmung wird jedoch im Zusammenhang mit den Grundrechten des einzelnen Gefangenen im folgenden Kapitel § 8 näher zu erörtern sein.

e. Verfassungsmäßigkeit der durch das Strafvollzugsgesetz gezogenen Grenze des § 154 Abs. 1 StVollzG Eine durch das Strafvollzugsgesetz gezogene Grenze kirchlicher Tätigkeit kann in § 154 Abs. 1 StVollzG gesehen werden, der bestimmt, daß alle im Vollzug Tätigen, zu denen auch der Anstaltsseelsorger zählt, zusammenarbeiten und an der Erfüllung der Vollzugsaufgaben mitwirken. Durch diese Bestimmung ist zunächst zwar eine Pflichtaufgabe der Vollzugsbehörde statuiert 2 8 , die jedoch gleichzeitig auch als Pflicht der im Vollzug Tätigen, also auch des Anstaltsseelsorgers, anzusehen ist. Die Pflicht zur Zusammenarbeit ist daher eine gewisse Grenze kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug. In einzelnen Vereinbarungen zwischen Ländern und Kirchen finden sich weitere derartige Grenzbestimmungen, vgl. § 4 Abs. 2 S. 3 BaWüRiLi (25.4.1977), § 3 HessDO (1.9.1977), 3 I RhPfRiLi (20.11.1975), wobei, wie später noch darzulegen sein wird, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen nicht unter

28 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 154 Rdn. 4

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

139

dem Aspekt einer unzulässigen Einschränkung der kirchlichen Freiheit zu sehen ist, da den Kirchen unbenommen ist, ihre religiöse Freiheit vertraglich durch gewisse Grenzen zu prägen. Bei der einseitig staatlichen Vorgabe durch das Strafvollzugsgesetz können jedoch Bedenken kommen, durch welche mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerte eine derartige Einschränkung der Religionsfreiheit der Kirchen gerechtfertigt ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß die Religionsfreiheit der Kirchen im Strafvollzug durch diese Bestimmung beeinträchtigt wird. Das Zusammenarbeitsgebot richtet sich nicht spezifisch gegen religiöse Betätigungen der Kirche, sondern kann nur im Einzel fall, bei kollidierenden Interessen von Staat und Kirche im Strafvollzug zu Problemen führen. Somit ist gegen das generelle Zusammenarbeitsgebot im Strafvollzug aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts einzuwenden 29 , da es sich lediglich um eine Fixierung staatlicher Interessen handelt, die keinen religionsspezifischen Eingriff darstellt und Art. 4 GG nicht unzulässig einschränkt.

2. Zusammenfassung zu den religiösen Rechten der Kirche im Strafvollzug gem. Art. 4 GG

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß auch die Kirchen sich im Strafvollzug auf ihr Recht aus Art. 4 GG berufen können. Nicht nur kultisches Handeln, sondern jegliche religiös motivierte Tätigkeit der Kirchen im Strafvollzug fallt unter den Tatbestand des Art. 4 GG. Schranken kirchlichen Wirkens bilden kollidierende Grundrechte Dritter, sowie mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte. Die konkrete Schrankenziehung kann nur unter Abwägung der jeweils in Frage stehenden Interessenlage vorgenommen werden. Bei der Beurteilung, welchem Grundrecht Vorrang eingeräumt wird, kommt es zu einer Abwägung des Wertes der jeweiligen Tätigkeit in ihrer Bedeutung für den jeweiligen Grundrechtsträger. Dabei fallt bei Religionsgemeinschaften besonders ins Gewicht, daß sie bei einer Beschränkung der Religionsfreiheit meist in ihrem Wesen betroffen werden, sodaß in der überwiegenden Zahl von Kollisionsfällen dem Grundrecht der Religionsfreiheit der Kirchen Vorrang einzuräumen ist. Der staatlichen Schrankenziehung ist durch die Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen gem. Art. 137 Abs. 3 WRV eine Schranke gesetzt. Die einfachgesetzlichen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes sind, soweit sie die Stellung des Seelsorgers regeln, verfassungsgemäß.

29 Zu tatsächlichen Schwierigkeiten des Zusammenarbeitsgebots vgl. Kapitel § 9

140

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

III. Die Wechselwirkung korporativer und individueller Religionsfreiheit im Strafvollzug Der Schutzbereich der Religionsfreiheit für Religionsgesellschaften im Strafvollzug differiert von dem des einzelnen Gefangenen. Wie oben gezeigt, ist das Recht zur religiösen Betätigung von Religionsgesellschaften staatlicherseits beschränkt eingrenzbar, nämlich aus institutionellen Gründen. Als zweite Komponente kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug ist zusätzlich die Reichweite der Religionsfreiheit des Gefangenen zu berücksichtigen. Es kann nämlich das Recht zum religiösen Wirken nicht allein anhand der Religionsgesellschaften beurteilt werden, da deren religiöse Tätigkeit im Grundsatz am Menschen stattfindet, und so das Ausmaß der dem Gefangenen gewährten Religionsfreiheit zumindest mittelbar die Möglichkeiten der Kirche im Strafvollzug beeinflußt. So wird das Recht zur religiösen Betätigung im Strafvollzug nicht nur über die im allgemeinen aufgrund der institutionellen Gegebenheiten gezogenen Grenzen beschränkt, sondern auch durch die individuelle Reichweite des Grundrechtsschutzes für den Gefangenen. Zwar ist es, wie gezeigt, Religionsgesellschaften grundsätzlich möglich, im Strafvollzug ihren religiösen Vorstellungen gemäß zu wirken. Sobald sie aber an und mit den gefangenen Menschen arbeiten, sind sie in der Praxis in gewisser Weise an die Grenzen gebunden, die dem Einzelnen gesetzt werden. So definiert sich das kirchliche Wirken im Strafvollzug nicht nur über die Kirche direkt, sondern auch - mittelbar - über den Gefangenen und dessen Recht auf Religionsfreiheit. Zum Verhältnis von Art. 4 GG und Art. 141 WRV bleibt festzuhalten, daß Art. 4 GG alleine den Kirchen nicht das Recht zur Betätigung in nicht-öffentlichen Räumen geben würde. Hierzu bedürfen sie des Schutzes durch Art. 141 WRV. Art. 141 WRV seinerseits führt nicht zu einem vom Gefangenen geltend zu machenden subjektiven Recht. Der Gefangene kann einen Anspruch auf religiöse Betreuung allein aus Art. 4 GG geltend machen. Es gilt daher, die Reichweite der Religionsfreiheit des Strafgefangenen darzustellen.

IV· Der Strafgefangene als Grundrechtsträger 1. Tatbestandsmäßigkeit

und Schrankenproblematik beim Strafgefangenen

der Religionsfreiheit

Dabei kann die Unterscheidung nicht im Tatbestand der Religionsfreiheit liegen, da dieser von der Rechtsprechung sehr weit gefaßt wird, und Handeln,

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

141

das außerhalb des Strafvollzugs als religiöses Handeln respektiert wird, nicht innerhalb des Strafvollzugs seinen religiösen Charakter verliert. Eine Tätigkeit, die im freien Leben tatbestandsmäßig in den Bereich der Bekenntnisfreiheit gezogen wird, ist auch im Strafvollzug tatbestandsmäßig vom Grundrecht der Religionsfreiheit erfaßt. Für eine Differenzierung bereits im Tatbestand in der Art, daß bestimmtem religiös motiviertem Verhalten im Strafvollzug bereits die Tatbestandsmäßigkeit abgesprochen wird, spräche zwar eine "Ehrlichkeit" 3 0 , aber die Gefahr einer punktuellen Beschränkung der Tatbestandsmäßigkeit wäre bei dieser Auffassung zu groß. Zudem wird im Rahmen dieser praxisorientierten Arbeit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit seiner historisch gewachsenen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung über den weiten Tatbestand der Religionsfreiheit gefolgt, um den Boden der Rechtsprechungspraxis nicht zu verlassen. So ist der Unterschied zwischen religiös motivierter Tätigkeit in Freiheit und der im Strafvollzug in der unterschiedlichen Schrankenziehung zu suchen, also einer staatlichen Entscheidung, die dem Wortlaut nach keinen Anhaltspunkt im Grundgesetz findet. Es stellt sich auch beim Gefangenen jedes religiös motivierte Handeln im oben dargestellten Sinne als tatbestandsmäßige Ausübung der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG dar. Allerdings gibt es fur ihn aufgrund der besonderen Situation, in der er sich befindet, ein gravierendes Problem:

2. Überblick über faktische Probleme im Strafvollzug "besonderen Gewaltverhältnis "

als einem

Es ergibt sich im Strafvollzug als früher so bezeichneten "besonderen Gewaltverhältnis" 31 die Schwierigkeit, daß der Gefangene aufgrund des

30 Pirsotty Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 43 Diskussionsbeitrag 31 Vgl. Ronellenfitsch, Michael, Entwicklungstendenzen im besonderen Gewaltverhältnis, in: VerwArch 73 (1982), S. 245 Fn: 1 m.w.N.; zum Begriff: Erichsen, Hans-Uwe, Grundrechtseingriffe im besonderen Gewaltverhältnis, in: VerwArch 1972 (Bd. 63), 441 - 446; Ronellenfitsch, Michael, Das besondere Gewaltverhältnis - ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut, in: DÖV 1981, 933 - 941; Podlech, Adalbert, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 92, Berlin 1969, S. 44 ff; Loschelder, Wolfgang, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen

142

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Freiheitsentzugs nicht in der Lage ist, ohne Hilfe, seinem Recht auf Religionsfreiheit nachgehen zu können, abgesehen von religiösem Handeln, das von äußeren Umständen unabhängig ist, wie beispielsweise dem stillen Gebet, das an jedem Ort zu jeder Zeit, also auch unter den Bedingungen des Strafvollzugs, möglich ist. Sofern aber beim Gefangenen das Bedürfnis nach einer religiösen Beschäftigung besteht, zu der es bestimmter äußerer Umstände bedarf, ist der Mensch im Strafvollzug gehindert, von seiner Religionsfreiheit entsprechend Gebrauch zu machen. Diese äußeren Umstände können in der bloßen Benötigung religiöser Literatur liegen, sie können aber auch in dem Bedürfnis nach Religionsausübung mit einem Seelsorger oder nach gemeinschaftlicher Religionsausübung mit anderen Gläubigen bestehen. Wann immer also im Strafvollzug "nach außen" angelegte Religionsausübung stattfinden soll, ist der Gefangene auf Hilfe angewiesen. Diese Hilfe, also die Befriedigung des individuellen religiösen Bedürfnisses, ist von demjenigen zu bewirken, der diese Mangellage herbeigeführt hat. Da der Staat die Situation der Gefangenschaft 32 aufgrund seines Strafanspruchs entsprechend den Grundsätzen des Art. 104 GG geschaffen hat, ist er zur entsprechenden Bedürfnisbefriedigung verpflichtet. Nachdem die ältere Vorstellung vom besonderen Gewaltverhältnis seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.3.1972 33 weitgehend 34 überwunden ist, nach der im Strafvollzug Grundrechte nahezu keine Geltung besaßen 35 , ist heutzutage auch im Strafvollzug von der grundsätzlichen Geltung der Grundrechte auszugehen36. Dabei sei betont, daß eine beliebige oder rein ermessensmäßige Einschränkung nicht mehr möglich ist, wohl aber eine Einschränkung denkbar ist, die "zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht" 37 . Sonderbindung. Zur Institutionalisierung der engeren Staat / Bürger- Beziehungen, Köln, Berlin, Bonn, München 1982 32

Albrecht, 1975, S. 138

Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn

33 BVerfG, Beschluß vom 14.3.1972, BVerfGE 33, 1 34 Zur Reichweite der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung: Ronellenfitsch y Michael, Das besondere Gewaltverhältnis - ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut, in: DÖV 1981, 933 (937 ff) 35 Vgl. als Literatur zur früheren Situation: von Münch, Ingo, Die Grundrechte des Strafgefangenen, in: JZ 1958, 73 Fn: 1; 36 Müller-Dietz,

Heinz, Probleme des modernen Strafvollzuges, in: JZ 1974, 353

37 BVerfG, Beschluß vom 14.3.1972, BVerfGE 33, 1 (11)

§ 7 Religionsfreiheit im Strafvollzug

143

Es können also durch oder aufgrund eines Gesetzes Grundrechte des Strafgefangenen im Prinzip eingeschränkt werden. Daher ist eine durch das Wesen des Strafvollzugs notwendige Beschränkung der Religionsfreiheit des Strafgefangenen 38 in der Weise, daß er nicht mehr ohne fremde Mitwirkung religiös handeln kann, verfassungsrechtlich zulässig, sofern dies nicht zur totalen Unmöglichkeit der Grundrechtsausübung führt.

3. Die Religionsfreiheit

im Strafvollzug

als Leistungsgrundrecht

Es führt die durch den staatlichen Strafvollzug bedingte Unfähigkeit des einzelnen Gefangenen, sich in Freiheit religiös mit Außenwirkung zu betätigen, d.h. mit Kontakt zum Seelsorger oder zur Gemeinschaft der Gläubigen, zu einer staatlichen Kompensationspflicht: Der Staat muß die Grundrechtsverwirklichung im Rahmen der vom Grundgesetz vorgesehenen Bestimmungen und den daraufhin auszurichtenden Verhältnissen im Strafvollzug ermöglichen 3 9 . Somit wird im staatlichen Strafvollzug aus der Religionsfreiheit als urprünglichem bloßem Abwehrrecht des Einzelnen gegen Eingriffe seitens des Staates, die Verpflichtung für den Staat, aktiv für die Ermöglichung der Religionsfreiheit tätig zu werden 40 . Es wird im Strafvollzug das Recht des Gefangenen aus Art. 4 GG zum Leistungsgrundrecht 41 , also zu einem individuellen Anspruch gegen den Staat. Dabei umfaßt dieser Anspruch nicht jede denkbare Art der Glaubensbetätigung, sondern nur diejenige Glaubensausübung, die dem Betroffenen aufgrund seiner Lebensumstande möglich i s t 4 2 . Fraglich ist, wie bei Art. 4 GG als Leistungsgrundrecht im Strafvollzug Schranken zu ziehen sind, bzw. gezogen werden können. Eine gewisse gesetzgeberische Schrankenziehung wurde durch das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 versucht.

38 von Campenhausen, Axel, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, J., Kirchhof, P. (Hrsg.),Heidelberg 1989,Band VI,§ 136 S. 423 39 Isensee, Josef, Diskussionsbeitrag, in: Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 36 (37) 40 Steiner, Udo, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), in: JuS 1982, 157 (1631) 41 von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 4; 42 Pirson, Dietrich, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche, Münster 1989, Band 23, S. 25

144

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

4. Die Bedeutung des Strafvollzugsgesetzes

Dabei ist zunächst festzuhalten, daß sich im Strafvollzugsgesetz zwar der Staat formell für eine religiöse Bedürfnisbefriedigung des Gefangenen verantwortlich fühlt, er aber materiell aufgrund seines grundgesetzlichen Auftrags und der dort verankerten Neutralität keine religiösen Ansprüche erfüllen kann 4 3 . Die religiöse Bedürfnisbefriedigung in materieller Hinsicht kann allein durch die Kirchen erfolgen, nicht durch den Staat. Daher besteht die Pflicht des Staates darin, den religiösen Bedürfhissen der Gefangenen in Gestalt organisatorischer Ermöglichung kirchlicher Tätigkeit Rechnung zu tragen. Der Staat ist also auf die Vermittlung des kirchlichen Angebots verwiesen. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen: Zum einen ist zu klären, ob, und wenn ja, nach welchen Auswahlkriterien der Staat das kirchliche Angebot für die einzelnen Gefangenen "filtern" darf. Zum anderen fragt sich, wie weit der Staat verpflichtet ist, Kirchen zur Tätigkeit im Strafvollzug zu motivieren. Eine Auswahl aus dem kirchlichen Angebot zu treffen, ist dem Staat nur unter dem individuellen Aspekt des Vollzugsplans des einzelnen Gefangenen gestattet. Wie oben gezeigt, hat er aufgrund der Aussagen des Grundgesetzes, soweit es die Rechtsstellung der Kirchen regelt, kein Recht zur Intervention in kirchliche Veranstaltungen. Allein die Frage der Teilnahme von einzelnen Gefangenen vermag eine staatliche Entscheidungsmöglichkeit herbeizuführen. Ein Rahmen für diese Entscheidung wurde durch die Aussagen des Strafvollzugsgesetzes zu den individuellen Rechten des Gefangenen auf religiöse Betreuung gesetzt. Daher sind diese im folgenden näher darzustellen und auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

43 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 1

§ 8 Die religionsbezogenen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes im Lichte des Verfassungsrechts

I. Überblick über individuelle und generelle religionsbezogene Regelungen im Strafvollzugsgesetz Nach der Darstellung der verfassungsrechtlichen Ausgangslage kirchlichen Wirkens im Strafvollzug sind im folgenden die Aussagen des Strafvollzugsgesetzes zu religiösen Angelegenheiten näher zu betrachten und im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug kritisch zu würdigen. Bei jeder Anwendung religionsbezogener Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes ist, wie bereits angedeutet, die verfassungsrechtliche Bedeutung der Religionsfreiheit mit zu berücksichtigen 1 , welche von überragender Bedeutung ist 2 . Dabei ist innerhalb des Strafvollzugsgesetzes zu unterscheiden zwischen den dem Gefangenen gewährten individuellen religiösen Rechten und den Bestimmungen hinsichtlich des allgemeinen Wirkens von Religionsgemeinschaften, also generellen Regelungen. Das Individualrecht des Gefangenen korrespondiert hier in gewisser Weise mit den Rechten der Kirche im Strafvollzug 3 , ohne jedoch ausdrücklich darauf abgestimmt worden zu sein. Grundsätzlich sind daher das kirchliche Angebot und die individuelle Inanspruchnahme durch den Gefangenen als gewisse Einheit zu betrachten 4. So finden sich Regelungen zu religiösen Rechten des Gefangenen im sechsten Titel des Strafvollzugsgesetzes unter der Überschrift "Religionsausübung" in den Bestimmungen §§ 53 - 55 StVollzG. Dabei sollen diese Vorschriften die tatsächlichen Nebenwirkungen der

1 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 1 2 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, vor § 53 Rdn. 1

3 Calliess y Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 1; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, u.a., 1982, § 53 Rdn. 2 4 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl. Berlin, New York 1991, vor § 53 Rdn. 4

10 Eick-Wildgans

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Beschränkungen durch den Strafvollzug so minimieren, daß die religiöse Grundrechtsausübung am wenigsten beeinträchtigt wird 5 . Es besteht in der strafvollzugsrechtlichen Literatur weitgehend Ubereinstimmung in der Auffassung, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit zu den Grundrechten zählt, die im Strafvollzug nicht beschränkbar sind 6 , wobei jedoch die Problematik der faktischen Beschränkung nicht diskutiert wird. Im dritten Titel, "Unterbringung und Ernährung des Gefangenen" befindet sich in § 21 S. 3 StVollzG eine Vorschrift über die Ermöglichung der Einhaltung religiös bedingter Speisevorschriften. Regelungen hinsichtlich der Stellung des Anstaltsgeistlichen im Gefüge der Anstalt sind in den §§ 154, 155 Abs. 2 und 157 StVollzG enthalten. Dabei sind diese gesetzlichen Vorgaben in ihrer Gesamtheit vor dem bisher erarbeiteten verfassungsrechtlichen Hintergrund näher zu erläutern. In der Literatur besteht grundsätzlich Übereinstimmung, daß diese Regelungen in staatskirchenrechtlichen und theologischen Zusammenhängen stehen7, wobei die staatskirchenrechtlichen Leitlinien für die Auslegung des Strafvollzugsgesetzes die ihrer Bedeutung entsprechende Beachtung finden müssen8. Um den Aussagegehalt des Strafvollzugsgesetzes systematisch zu erfassen, wird im folgenden zunächst auf die Bestimmungen eingegangen, die die religiösen Rechte des Strafgefangenen regeln.

II. Religiöse Betreuung 1. Die Organisation religiöser Betreuung als staatliche Auf gäbe § 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG berechtigt den Strafgefangenen, von einem Seelsorger seines Bekenntnisses betreut zu werden 9 . Dabei ist zu betonen, daß der 5 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 171 6 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 171; Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 4 Rdn. 18; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 4 Rdn. 15 7 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, vor §§ 53 ff, Rdn. 1 8 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, vor § 53 Rdn. 1 9 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 1; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 27; Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Dannstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 7

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

147

konkrete Anspruch auf religiöse Betreuung nicht gegenüber der staatlichen Behörde geltend gemacht werden kann, da Seelsorge und religiöse Betreuung keine staatlichen Aufgaben sein können 10 . Allerdings hat der Strafgefangene gegenüber der staatlichen Behörde einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung, die die Ausübung seines Grundrechts auf Religionsfreiheit ermöglicht, sofern die zuständige Religionsgemeinschaft zu der gewünschten Betreuung fähig und willens ist, da die Vorschriften des sechsten Titels gerade der Reichweite des in Art. 4 GG garantierten Grundrechts Rechnung tragen sollen 11 . Insofern ist die den Anstalten obliegende Ermessensentscheidung über die "Organisation religiöser Betreuung" 12 der Bedeutung der Religionsfreiheit als unbeschränktes Grundrecht gemäß zu treffen. Dies bedeutet eine weitgehende Ermöglichung religiöser Rechte und gebietet großzügige Toleranz der Vollzugsanstalt in religiösen Angelegenheiten 13 . Der Gesetzgeber wollte bei Abfassung des Strafvollzugsgesetzes sowohl die Eigenständigkeit der Kirche, als auch das religiöse Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen respektieren, und hat so die konkrete Art und Weise der religiösen Begegnung, wie auch die diesbezügliche Initiative dem jeweiligen Seelsorger und Gefangenen überlassen 14. Klar gestellt ist durch § 53 Abs. 1 S. 2 StVollzG jedoch die Verpflichtung der Anstalt, dem Gefangenen zu helfen, mit einem Seelsorger Kontakt aufnehmen zu können. Er hat der Anstalt gegenüber gem. § 53 Abs. 1 S. 2 StVollzG einen - notfalls auch gerichtlich gem. §§ 109, 115 Abs. 4 StVollzG durchsetzbaren - Anspruch 15 auf Hilfe zur Kontaktaufhahme mit einem Seelsorger 16. Dieser Anspruch des Gefangenen ist ein wesentlicher Faktor zur Bestimmung der Grenzen und Möglichkeiten staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens, da hier über 10 Vgl. BT - Dr. 7 / 918, 71f; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 8; Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 171 h So BT - Dr. 7 / 918, 71; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, vor § 53 Rdn. 1 12 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 53 Rdn. 1;

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

13 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, München 1982, vor § 53 Rdn. 2 14 BT-Dr. 7/918, 71 15 Feest /Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 11 1 6 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 171

10*

148

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

den individuellen Anspruch des einzelnen auch der Kirche staatlicherseits ein Recht auf Tätigkeit zugestanden wird.

2. Die Konfessionsbezogenheit

religiöser Betreuung

Dabei spricht der Gesetzestext zwar nur von "seiner Religionsgemeinschaft". Aufgrund des von Art. 4 GG umfaßten Rechts des Gefangenen, sich auch einer neuen Glaubensgemeinschaft zuzuwenden, ist dies jedoch als "eine" Religionsgemeinschaft zu verstehen 17 . Dabei umfassen die Aussagen des Strafvollzugsgesetzes sowohl die Möglichkeit, sich dem Anstaltsseelsorger der anderen, in der Justizvollzugsanstalt vertretenen Konfession zuzuwenden, als auch Kontakt mit nicht in der Anstalt vertretenen Konfessionen aufzunehmen 18. Wie oben dargelegt, entspricht dies der Garantie der Glaubensfreiheit, die auch die Suche nach einem anderen Bekenntnis schützt. Daher gehört die Möglichkeit, mit einem nicht in der Anstalt präsenten Seelsorger Kontakt aufzunehmen zu den religiösen Rechten des Strafgefangenen. Auch entspricht es der Praxis, daß gerade in kleineren Justizvollzugsanstalten der anwesende Seelsorger einer anderen Konfession bei entsprechendem Bedürfnis die Betreuung übernimmt, was aus praktischen Gründen bei ausländischen Gefangenen gelegentlich geschieht 19 , wobei jedoch die Kontaktaufhahme nicht zu einer Werbung für die eigene Kirche benutzt werden darf 2 0 . Sofern bei einem Gefangenen das Bedürfnis nach religiöser Betreuung durch einen Seelsorger besteht, ist die Anstalt zur entsprechenden

Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 7; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 27; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 13 ; Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 53 Rdn. 4 i* Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 1982, § 6 Rdn. 124 19 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 8; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 53 Rdn. 12 20 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 14

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

149

Kontaktermöglichung verpflichtet 21 , will sie dem grundgesetzlichen Auftrag und der Aussage des Strafvollzugsgesetzes Genüge leisten. Dabei ist die Anstalt jedoch nicht berechtigt, in einer Art "Regelanfrage" zu klären, ob Gesprächsbereitschaft mit dem Seelsorger besteht, da dies einen Eingriff in das Recht der Religionsgemeinschaften auf Mission darstellen würde 2 2 . Dem Seelsorger ist in Auslegung von Art. 141 WRV bei entsprechendem Bedürfnis des Gefangenen der Zutritt zur Anstalt zu gewähren. So korrespondiert bereits der Wunsch des Gefangenen, von seiner Religionsfreiheit i m Sinne einer Betreuung durch einen Geistlichen Gebrauch zu machen, mit dem Zutrittsrecht der Religionsgemeinschaften. Zu betonen ist, daß auch Besuche von Seelsorgern, die nicht kontinuierlich als Anstaltsseelsorger tätig sind, unter das Recht des § 53 StVollzG zu zählen sind 2 3 . Derartige Besuche unter die allgemeine Besuchsregelung gem. §§23 ff StVollzG fassen zu wollen, widerspräche der grundrechtlich geschützten religiösen Betreuung im Strafvollzug 24 .

3. Der Umfang "religiöser

Betreuung "

Der Begriff "religiöse Betreuung" gem. § 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG ist im Strafvollzugsgesetz ebensowenig definiert 25 , wie "Seelsorge" in Art. 141 WRV oder "Glaubensfreiheit" in Art. 4 GG, da der Staat nicht berechtigt ist, den Begriff der Seelsorge ohne Rücksicht auf das kirchliche Verständnis fest-

21 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 53 Rdn. 12 22 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 12 23 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 1982, § 6 Rdn. 124; 24 So auch: Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 55 Rdn. 3 25 Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 5 spricht von "schillernd", während Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982 vor § 53 Rdn. 2 noch weiter geht, in dem er die gewählte Bezeichnung für kirchliches Handeln im Strafvollzug als "sachfremd und unangemessen" beurteilt

150

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

zulegen 26 . Daher gilt es, seinen Inhalt im Wege verfassungskonformer Auslegung zu ermitteln, wobei im vorliegenden Rahmen zum großen Teil auf die zuvor erarbeiteten Ergebnisse zurückgegriffen werden kann. Bei dem Verständnis von "Seelsorge" und "religiöser Betreuung" sind prinzipiell zwei Ansichten denkbar, zum einen die, die nur den engen Bezirk kultischen Handelns unter "religiöse Betreuung" fassen will, zum anderen die, die auch karitatives und diakonisches Handeln hierunter versteht 27 . Aufgrund der grundgesetzlich garantierten umfassenden Religionsfreiheit, die dem Einzelnen, ebenso wie den Kirchen zusteht, wäre ein allein auf kultisches Handeln ausgerichtetes Verständnis eine den Vorgaben der Verfassung widersprechende Verengung des geschützten religiösen Bereiches. Die individuelle Komponente des Art. 4 GG beinhaltet einen über das kultische Handeln hinausgehenden Schutzbereich, da der Glaubensbereich des einzelnen Menschen mehr umfaßt, als Gottesdienst und Sakramente. Darüberhinaus vermag auch die kollektive Komponente des Art. 4 GG eine Verengung nicht zu rechtfertigen. Die Kirchen sehen den Menschen in seiner Ganzheit und verstehen ihren Auftrag an ihm in seiner durch alle äußeren und inneren Umstände geprägten Situation 28 . So zählt die Anstaltsseelsorge alle Aufgaben zu den ihrigen, die sie auch sonst in christlichen Gemeinden wahrnimmt 2 9 . Dieses ganzheitliche Menschenbild zeigt sich an den Aktivitäten der Kirchen im sozial-karitativen Bereich außerhalb des Vollzugs 3 0 . Die Aufgaben, die außerhalb des Strafvollzugs christliche Gemeindearbeit ausmachen, sind daher auch innerhalb der Anstalt dem Einzelnen und dem Seelsorger staatlicherseits zuzubilligen 31 , wobei auf die besonderen Bedingungen des Vollzugs kirchlicherseits Rücksicht zu nehmen ist, ohne dadurch das Wesen

26 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, vor § 53 Rdn. 2 27 Calliess, Rolf-Peter, Heinz. Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 2, der sich für die zweite Alternative ausspricht 28

Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 9 29

Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 3 30 Brandt/Huchting:

In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 6 ff

31 Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 10

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

151

der kirchlichen T ä t i g k e i t 3 2 aufzugeben. Demzufolge wäre die Beschränkung kirchlichen Wirkens i m Strafvollzug auf allein kultisches Handeln weder dem Selbstverständnis der Kirche v o n ihrem Auftrag, noch der Auffassung der Allgemeinheit v o n kirchlicher A r b e i t 3 3 entsprechend.

4. Die Reichweite karitativer

Tätigkeit

So zählen fursorgerische Arbeit und konfessionelle Erwachsenenbildung zu "religiöser Betreuung" i m Sinne v o n § 53 Abs. 1 S . l StVollzG. Seelsorgerliches, karitatives und diakonisches Handeln kann als untrennbar miteinander verbunden angesehen w e r d e n 3 4 . Allerdings ist innerhalb des theologischen Rollenverständnisses v o m A m t des Anstaltsseelsorgers umstritten, ob der Anstaltsseelsorger sich eine quasi geliehene Identität als Sozialarbeiter 3 5 verschaffen d a r f 3 6 , oder ob er sich allein auf seine durch einen enger verstandenen christlichen Auftrag vorgegebenen Aufgaben konzentrieren sollte. Eine Lösung, die sich sowohl aus getroffenen Vereinbarungen zwischen Staat und K i r c h e 3 7 als auch i n der P r a x i s 3 8 als adäquat gezeigt hat, ist ein Aufga-

32 Zum Wesen der kirchlichen Tätigkeit im staatlichen Vollzug: Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 - 38; Heusely Hans Martin, Freiheit für den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 - 55; 33 Brandt/Huchting:

In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 6 ff

34 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 10 sieht die karitative Betreuung als Bestandteil der religiösen Betreuung 35 Auf diese Gefahr macht auch aufmerksam: Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 44 36 Kritisch dazu: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978, S.222, 237f; Goudsmit, W., Der Gefängnis-Seelsorger im Team der anderen Mitarbeiter, in: WzM (28) 1976, S. 69 (71 ff) 37 Vgl. die Aufgabenbeschreibungen in: § 4 Abs. 1 Nr. 10 BaWü 25.4.77; § 6 Abs. 1 Nr. 7 Bay 12.2.82; Art. 1 Nr. 1 Hes 26.8.77; Nr. 4 j HesDO 1.9.77; Art. 1 Nr. 1 Saarl 6.5.1982; Nr. 4 j SaarlDO 6.5.82

152

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

benverständnis des Seelsorgers von einer gewissen Mitarbeit bei Sozialarbeit, bei der sich der Anstaltsseelsorger, sofern möglich, auf eine Zusammenarbeit mit den vorhandenen Sozialarbeitern konzentrieren sollte. Die Grenze hierbei ist im konkreten Fall allerdings das transparent zu machende39 Verständnis des Anstaltsseelsorgers von seiner Tätigkeit und seiner Aufgabe, sowie seine Leistungsfähigkeit, wie überhaupt die Person der Seelsorgers 40 sein Wirken im Vollzug bestimmt. Grenzen und Möglichkeiten staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens richten sich daher in der Praxis nach dem Engagement des Anstaltsseelsorgers auf der einen Seite, und dem Verständnis des Anstaltsleiters für religiöse Angelegenheiten auf der anderen Seite. Dabei hat der Anstaltsleiter die staatlichen, verfassungs- und strafvollzugsrechtlichen Vorgaben jedoch stets zu berücksichtigen. Der einzelne Gefangene hat keinen Anspruch gegenüber der Kirche auf bestimmte soziale Aufgaben, die der Pfarrer ihm gegenüber erfüllen sollte. Der Staat kann dem Gefangenen im Rahmen einer den grundgesetzlichen Vorgaben entsprechenden Organisation religiöser Betreuung nicht mehr anbieten, als von der Kirche, bzw. dem einzelnen Seelsorger dargebracht wird. Wird jedoch vom Seelsorger sozial-karitatives Handeln als religiöse Betreuung angeboten, so ist der Staat auf der kollektiven Ebene an das kirchliche Verständnis dieser Tätigkeit als "religiöse Betreuung" gebunden. Wie dargelegt, bleibt die Frage, was "Seelsorge" ist, eine theologische Frage, deren Beantwortung der Staat den Religionsgemeinschaften insoweit überlassen muß 4 1 . Die Anstaltsleitung darf der "religiösen Betreung" des Seelsorgers den religiösen Charakter nicht absprechen. Sie muß allerdings bei der Entscheidung, ob der einzelne Gefangene zu dieser Betreuung zugelassen wird, ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben. Dabei muß die Bedeutung der Religionsfreiheit in die Ermessensentscheidung ihrem Gewicht entsprechend einfließen. Zu betonen ist, daß im Rahmen der Einzelfallentscheidung der Staat nicht an die Auffassung der Kirche gebunden ist, da der Staat noch weitere Gesichtspunkte, wie

38

vgl. zur praktischen Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers Kapitel 9

39 Diese Forderung stellt Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 18 auf, um unnötige Konflikte innerhalb des Vollzugs zu vermeiden 40 Von einer Identität von Amt und Person spricht: Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diesici Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (35)

Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn.

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

153

beispielsweise den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gefangenen, zu beachten hat.

5. Das Zwangsanwendungsverbot

Im Strafvollzugsgesetz wörtlich nicht enthalten ist das in der Verfassung niedergelegte Zwangsanwendungsverbot gem. Art. 141 WRV. Dieses ist jedoch auch ohne Nennung im Gesetzestext im Strafvollzug zu beachten 42 . Auf den einzelnen Anstaltsinsassen darf kein Druck ausgeübt werden, gewisse religiöse Veranstaltungen zu besuchen, oder nicht zu besuchen 43 . Diesem Zwangsanwendungsverbot wird auch insoweit Rechnung getragen, als die Beantwortung der Frage nach der Konfessionszugehörigkeit frei gestellt w i r d 4 4 . Auch dürfen seitens der Anstalt keine Vor- oder Nachteile mit dem Gottesdienstbesuch verbunden werden. Der Grundsatz des Zwangsanwendungsverbots ist von der Anstalt in jedem Fall zu respektieren.

6. Die Rechtsdurchsetzung

Der Gefangene kann seine religionsbezogenen Ansprüche gem. §§ 109, 115 Abs. 4 StVollzG durchsetzen, wobei die Auslegung der Begriffe wie "Gottesdienst" oder "religiöse Veranstaltung" 45 gerichtlich nachprüfbar sind 4 6 , ebenso wie die Ausschlußgründe. Dabei sind die Gerichte jedoch an

42 Rassow y Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 12 43 von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 247 44 Vgl. Rassow y Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 12 4 5 OLG Koblenz vom 28.9.1987, ZevKR 33, 464 (465 und 467), allerdings ohne ausreichende Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses; Der Beschluß des OLG Koblenz vom 30.3.1987 ist mit ausfuhrlichen Besprechungen von Müller-Dietz und Sperling abgedruckt in NStZ 1987, 525 ff

46 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 11; § 54 Rdn. 8; § 55 Rdn. 3

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Verhältnis von Staat und Kirche, sowie die Reichweite der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG gebunden. Religionsgemeinschaften oder Anstaltsseelsorger, an deren Veranstaltungen einzelne Gefangene nicht teilnehmen dürfen, haben kein Recht zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 109 StVollzG, da sie nicht geltend machen können, durch das Teilnahmeverbot für einzelne Gefangene in ihren Rechten verletzt zu sein, § 109 Abs. 2 StVollzG 4 7 . Es steht ihnen frei, ihre Veranstaltung durchzuführen, auch wenn einzelne Gefangene an dieser nicht teilnehmen können. Die Kirchen sind erst dann in eigenen Rechten verletzt, falls ihnen durch das Verhalten der Anstalt religiöse Betreuung in toto unmöglich gemacht w i r d 4 8 .

III. Religionsausübung gem. §§ 53 und 54 StVollzG 1. Abgrenzung von § 53 StVollzG und § 54 StVollzG

a. Religiöse Veranstaltungen § 54 Abs. 1 StVollzG gewährt dem Gefangenen ein Teilnahmerecht am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses. Der Anspruch auf organisatorische Ermöglichung der Teilnahme richtet sich dabei gegen die Anstalt 4 9 , während sich der Anspruch auf Seelsorge nur aufgrund kirchlicher Mitgliedschaftsrechte gegen die Kirche richten kann 5 0 . Religiöse Veranstaltungen sind hierbei zunächst alle vom Anstaltsseelsorger

47 OLG Koblenz vom 28.9.1987, ZevKR 33, 464 (467) lehnt wegen der fehlenden Betroffenheit die Beiladung der katholischen Kirche ab 48 Vgl. unten, Kapitel 8 Abschnitt V 49 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 1; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn. 9 50 Calliess / Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 1; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 54 Rdn. 1

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

155

durchgeführten Maßnahmen 51 und Gemeinschaftsveranstaltungen 52, die kirchlicherseits als "religiös" verstanden werden. Dies sind nicht nur die als "klassische" Aufgaben zu klassifizierenden Tätigkeiten, wie Gottesdienste, Andachten, Kasualien, sondern auch die sonstige von ihm getragene Einzelund Gruppenarbeit, wie sie exemplarisch aus den Aufgabenkatalogen der länderspezifischen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche ersichtlich i s t 5 3 und im zweiten Teil dieser Arbeit ausführlich erörtert werden.

b. Konfessionsfremde Veranstaltungen Auch auf die Ermöglichung des Besuchs konfessionsfremder Veranstaltungen hat der Gefangene Anspruch, sofern der andere Seelsorger zustimmt, § 54 Abs. 2 StVollzG 5 4 , da - wie dargelegt - Religionsfreiheit auch das Recht umfaßt, sich anderen Bekenntnissen zuzuwenden. Es ist daher zwar unter praktischen Gesichtspunkten verständlich, wenn neuerdings versucht wird, konfessionsübergreifenden Veranstaltungen ohne Rücksicht auf ihre religiösen Inhalte als allgemeine Freizeit- oder Bildungsveranstaltungen zu klassifizieren 5 5 , der Reichweite religiöser Betätigung gem. Art. 4 GG wird diese Auffassung jedoch nicht gerecht. Eine Abgrenzung "religiöser Veranstaltungen" rein nach formalen Kriterien genügt den Anforderungen der Verfassung nicht. Art. 4 GG beinhaltet gerade das Recht, sich suchend auch anderen Religionsgemeinschaften zuzuwenden, ebenso wie das Recht der Religionsgemeinschaften zu Mission und - was in der Praxis des Strafvollzugs sehr häufig geschieht - die Praktizierung ökumenischen Miteinanders. Daher ist die Konfessionsbezogenheit kein Kriterium zur Abgrenzung religiöser Veranstaltungen von anderen. Die Überforderung von Vollzugsbehörden und Ge-

51 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 4; Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 54 Rdn. 2 52 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn. 1 53 Vgl. § 4 BaWü 25.4.77; § 6 Bay 12.2.82; Nr. 4 HessDO; Art. 3 RhPf 20.11.75; Nr. 4 SaarlDO 6.5.82 54 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 5; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, StrafVollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 54 Rdn. 1; Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 1982, § 6 Rdn. 124 55 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 54 Rdn. 2

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

156

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

richten bei der Klassifizierung von religiösen Veranstaltungen 56 ist kein Argument fur eine Verkürzung religiöser Rechte des Gefangenen und der Kirchen im Strafvollzug. Jede Veranstaltung, die darauf abzielt, Gefangenen gelebten Glauben zu vermitteln und Elemente religiöser - auch ökumenischer Erfahrung 57 zuteil werden zu lassen, ist eine religiöse Veranstaltung.

c. Das Recht auf Einzelseelsorge gem. § 53 Abs. 1 StVollzG Zu unterscheiden ist bei den vorliegenden Bestimmungen zwischen dem gesetzlichen Verbot "religiöse Betreuung" zu versagen, gem. § 53 Abs. 1 StVollzG und das "Recht" auf Teilnahme zu "religiösen Veranstaltungen" gem. § 54 StVollzG. Der unterschiedliche Aussagegehalt dieser Vorschriften ist in der Kommentarliteratur bislang nicht deutlich herausgearbeitet worden. Wenn ein Gefangener den Wunsch nach religiöser Einzelbetreuung äußert, so ist die Vollzugsbehörde gem. § 53 StVollzG verpflichtet, religiöse Betreuung zu vermitteln, ohne daß in § 53 StVollzG Grenzen aufgezeigt wären. Eine Beschränkung im Titel "Religionsausübung" zeigt nur § 54 Abs. 3 StVollzG. So stellt sich die Frage, ob die dort genannten Gründe nur auf die Bestimmungen des § 54 StVollzG anzuwenden sind, oder auch auf § 53 StVollzG. Aus den Erläuterungen des Regierungsentwurfs ergibt sich, daß eine Trennung von Einzelseelsorge gem. § 53 StVollzG und der Teilnahme an religiösen Veranstaltungen gem. § 54 StVollzG beabsichtigt w a r 5 8 . Daraus könnte gefolgert werden, daß die Beschränkung aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung nur auf religiöse Veranstaltungen Anwendung findet. Daher schließt sich die Frage an, welche Maßstäbe an Gründe zu einer Beschränkung der Rechte auf Einzelseelsorge gem. § 53 StVollzG angelegt werden müßten, da die in § 54 Abs. 3 StVollzG genannten Grenzen dem Wortlaut nach keine Anwendung finden könnten. Jedoch ist auch Einzelseelsorge in gewisser Weise eine religiöse Veranstaltung. So böte sich auch aufgrund der grundrechtlichen Bedeutung der Religionsfreiheit zur Beschränkung von einzelseelsorgerlichen Maßnahmen an, eine zweistufige Prüfung durchzuführen: In Zusammenschau mit den übrigen Bestimmungen könnte folgende gesteigerte Prüfungsreihenfolge der

So: Calliess, 1991, §54 Rdn. 2

Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz,

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München

57 Rassow y Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn. 14

58 BT - Dr 7 / 918 S. 71

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

157

Anstalt gefordert werden: Zum einen muß die Anstalt das Kriterium des § 54 Abs. 3 StVollzG anwenden, nachdem ein Ausschluß von religiösen Veranstaltungen, zu denen in diesem Zusammenhang auch die Einzelseelsorge zu zählen ist, nur bei überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist. Danach obliegt ihr die weitere Prüfung, ob eine Beschränkung der Einzelseelsorge zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt gem. § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG unerläßlich ist. Erst nach Vorliegen beider Kriterien wäre eine Beschränkung der Einzelseelsorge zulässig. Diese Auffassung widerspräche jedoch dem System des Strafvollzugsgesetzes. Nachdem bei religiösen Veranstaltungen vom Gesetzgeber an eine Beschränkung aus überwiegenden Gründen von Sicherheit und Ordnung gedacht worden ist, eine derartige Beschränkung für seelsorgerliche Einzelbetreuung als religiöse Betreuung gem. § 53 Abs. 1 StVollzG jedoch nicht aufgenommen wurde, ist der Wille des Gesetzgebers zu akzeptieren, daß einzelseelsorgerliche Betreuung keine Beschränkung erfahren darf. Das Grundrecht der Religionsfreiheit, das zu seinem für den Staat unanantastbaren Kernbereich jedenfalls die einzelseelsorgerliche Betreuung zählt, ist im Strafvollzug dahingehend aufrechtzuerhalten, daß es insoweit nicht beeinträchtigt werden darf. Es ist weder eine ein-, noch eine zweistufige Prüfung beim Recht gem. § 53 StVollzG zu rechtfertigen. Die Schranke des § 54 Abs. 3 StVollzG ist für Einzelseelsorge gem. § 53 StVollzG unanwendbar. Das Recht auf Einzelseelsorge gem. § 53 Abs. 1 StVollzG ist wegen der überwältigenden Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit, das in der Einzelseelsorge seine stärkste Ausprägung findet, im Strafvollzug staatlicherseits nicht gem. § 54 Abs. 3 StVollzG beschränkbar. Staat und Kirche haben in Angelegenheiten der Einzelseelsorge dahingehend zusammenzuwirken, daß die seelsorgerliche Betreuung, sofern sie von der Kirche erbracht werden kann, für den einzelnen Gefangenen jederzeit möglich ist.

2. Das Problem von "Sicherheit und Ordnung "

Trotz des obigen Ergebnisses hinsichtlich der überragenden Rolle der Einzelseelsorge steht auch das Recht auf religiöse Betreuung gem. § 53 Abs. 1 StVollzG unter der Prämisse des § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG, der Beschränkungen vorsieht, sofern diese zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sind.

158

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Sollte daher der Besuch eines Seelsorgers den dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Störung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt ergeben, die das Interesse des Gefangenen an seelsorgerlichen Betreuung überwiegt, so ist die Anstalt aufgrund § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG zu einer Beschränkung der Rechte des Gefangenen ermächtigt. Diese Beschränkung der Rechte des Gefangenen hat notwendigerweise auch die Beschränkung des Betätigungsrechts der entsprechenden Religionsgemeinschaft im konkreten Fall zur Folge. Allerdings stellt diese Limitierung religiöser Betreuungsrechte durch Religionsgemeinschafen eine nur mittelbare Einschränkung der Tätigkeit der Gemeinschaft dar, da diese kein Recht auf Betreuung bestimmter Gefangener in Anspruch nehmen kann. Dennoch ist zu fordern, daß die im Rahmen der durch den Strafvollzug notwendigen Grundrechtsbeschränkungen tolerabel sein müssen. Dabei gebieten die individuelle und die kollektive Komponente des Art. 4 GG die weitestgehende Ermöglichung des Kontakts von Seelsorger und Gefangenem. Im Extremfall wird dies möglicherweise gewisse Beschränkungen des Besuchs, beispielsweise in Form einer optischen Kontrolle des Besuchs des Geistlichen zur Folge haben, nicht jedoch das völlige Besuchsverbot eines Geistlichen. Aufgrund des zu berücksichtigenden Beichtgeheimnisses und des Rechts des Gefangenen auf ungestörte seelsorgerliche Aussprache mit dem Geistlichen, muß eine akustische Überwachung des Besuchs als nicht dem Gebot des Art. 4 GG entsprechend abgelehnt werden 59 . Dies gilt es, bei der Organisation religiöser Betreuung seitens des Staates zu beachten. Es ist das aus einem Wunsch des Gefangenen resultierende Einzelgespräch mit einem Seelsorger stärker zu schützen, als Gottesdienst und religiöse Veranstaltungen, die seitens der Kirche für mehrere Anstaltsinsassen angeboten werden. Wenn daher im Anschluß an einen Gottesdienst seitens eines Gefangenen der Wunsch geäußert wird, allein mit dem Seelsorger zu sprechen, so ist es im Rahmen des organisatorisch Möglichen Aufgabe der Anstalt, den Kontakt zu dem Seelsorger herzustellen, der den Gottesdienst gehalten hat 6 0 . Eine Verschiebung der religiösen Betreuung auf einen anderen Termin bei einem anderen Seelsorger ist bei einer entsprechenden Konstellation organisatorischer Gegebenheiten vom Grundrecht der Religionsfreiheit nicht gedeckt, da Religionsfreiheit hier im Zusammenhang mit dem Gottesdienst zu verstehen

59 So auch: Rassow, Peter in: Schwitui, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 9 60 Vgl. OLG Saarbrücken, ZfStrVo 1983, 60; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, §53 Rdn. 9;

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

159

ist. Wenn auch in gewissen organisatorisch bedingten Notfällen dem Anspruch eines Gefangenen auf einen bestimmten Seelsorger nicht nachgekommen werden kann, so muß in einem derart gelagerten Fall Rücksicht auf die religiösen Zusammenhänge, hier also die Verbindung von Gottesdienst und Gesprächswunsch genommen werden 61 . Zusammenfassend läßt sich daher feststellen, daß religiöse Betreuung, die der individuellen Initiative des Gefangenen, also dem persönlichen Wunsch nach Betätigung seiner Religionsfreiheit entspringt, ein größerer Schutz zuteil werden muß, als Veranstaltungen, die eher der kirchlichen Initiative zuzurechnen sind. An dieser Stelle zeigt sich, daß zumindest teilweise die Sonderstellung der Kirchen im Strafvollzug letztendlich aus der Religionsfreiheit des einzelnen resultiert. Ohne deren grundrechtliche Gewährleistung wäre ein Recht der Kirchen zur Betätigung im Strafvollzug zwar noch historisch erklärbar. Allerdings würde sich dann die Frage nach der heutigen Berechtigung einer derartigen kirchlichen Sonderstellung im Strafvollzug aufdrängen. Dank der Gewährleistung der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG jedoch sind die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes sowohl in ihrer individualrechtlichen Komponente, als auch in ihrer kollektiven Komponente, als verfassungsgemäß anzusehen.

3. Religiöse Schriften,

§ 53 Abs. 2 StVollzG

§ 53 Abs. 2 StVollzG gewährt dem Gefangenen ausdrücklich das Recht zum Besitz religiöser Schriften und Gegenstände, obgleich sich dies bereits aus dem Schutzbereich von Art. 4 GG ergeben würde 6 2 . Strittig ist hierbei, ob unter "grundlegende religiöse Schriften" Altes und Neues Testament und vergleichbar grundlegende Darstellungen einer Glaubensrichtung, ohne Spezialliteratur und Zeitschriften 63 fallen, oder ob dies weitreichender zu verstehen ist, gemäß der kirchlichen ganzheitlichen Sicht des Menschen, und also

61 vgl. OLG Saarbrücken, ZfStrVo 83, 60 62 Feest /Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 9 63 so Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Dannstadt 1982 und Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 9. Allerdings vertritt Grünau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 53 Rdn. 6 die Ansicht, daß eine Reduzierung auf Bibel und Katechismus seinerseits nicht gemeint war. Er lehnt jedoch die Ausdehnung dieser Vorschrift auf Spezialliteratur und Zeitschriften ab.

160

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

auch Literatur, die sich mit sozial-karitativen Angelegenheiten der Kirchen beschäftigt, hierunter zu zählen ist 6 4 . Nachdem die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes im Lichte der Aussagen des Grundgesetzes auszulegen sind, und dieses Religionsfreiheit nicht nur in einem gewissen Kernbereich, sondern umfassend schützt, wäre eine Begrenzung auf Schriften mit bloßen Grundaussagen zu einem Glauben, gem. Art. 4 GG nicht gerechtfertigt 65 . Gleichzeitig ist aber die Wahl gem. § 53 Abs. 2 StVollzG auf "grundlegende Schriften" zu beschränken. So kann nicht jede Zeitschrift, die sich mit sozialkaritativen Fragen beschäftigt, hierunter verstanden werden. Allerdings ist auch eine Beschränkung auf Altes und Neues Testament 66 , sowie ein Erwachsenenkatechismus, nicht gerechtfertigt. Zu folgen ist der Ansicht, daß wichtige theologische und sozialethische Literatur, zu der gegebenfalls auch Zeitschriften gerechnet werden können, unter den Schutzbereich des § 53 Abs. 2 StVollzG zu zählen ist 6 7 . Dabei dürfen auch Schriften eines Bekenntnisses bezogen werden, dem der Gefangene nicht angehört 68 . So können nicht nur fundamentale Offenbarungsquellen mit konstitutiver Geltung 6 9 , sondern auch Zeitschriften mit religiösem Inhalt gem. § 53 Abs. 2 StVollzG bezogen werden. Ein Entzug ist nur bei grobem Mißbrauch gestattet, § 53 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Dabei müssen an die Bejahung des Merkmals "grober Mißbrauch" hohe Anforderungen gestellt werden. Je näher am Kernbereich eines Glaubens das betreffende Schriftstück einzuordnen ist, desto eher verbietet das Grundrecht der Religionsfreiheit einen Entzug. In einer diesbezüglichen Entscheidung der Strafvollzugsbehörden muß grundsätzlich die Bedeutung der Religionsfreiheit Berücksichtigung finden. Diese Beschränkung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten im Bereich religiöser Schriften ist mithin Ausfluß des

64 So Feest /Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Dannstadt, 3. Aufl. 1990, § 53 Rdn. 9 65 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 15 66 So die frühere Praxis, vgl. Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 15 67 Calliess, Rolf-Peter, Weira. Müller-Dietz, 53 Rdn. 3

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

68 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 15; Stellungnahme des Bundesrats: BT - Dr. 7 / 918 S. 117 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1 9 , § 53 Rdn. 1

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

161

Grundrechts der Religionsfreiheit 70 . Dabei empfiehlt sich vor dem Entzug einer in Frage stehenden Schrift die Kontaktaufhahme mit dem Anstaltsseelsorger, § 54 Abs. 3 StVollzG analog 71 . Periodisch erscheinende Literatur, die nicht mehr unter den Begriff der religiösen Schriften gezählt werden kann, ist gemäß § 68 StVollzG, also durch Vermittlung der Anstalt zu beziehen, wobei hier das Grundrecht des Art. 5 GG Beachtung verdient 72 .

4. Gegenstände des religiösen Gebrauchs, § 53 Abs. 3 StVollzG

Gegenstände des religiösen Gebrauchs gem. § 53 Abs. 3 StVollzG sind in diesem Zusammenhang die Dinge, die für religiöse Handlungen von Bedeutung sind, also beispielsweise Kreuze, Kerzen 73 oder Rosenkranz, ebenso wie Gebetsteppiche oder Wandbilder 74 , wobei infolge der Regelung des § 53 Abs. 2 StVollzG klar gestellt ist, daß religiöse Schriften nicht hierunter zu zählen sind 7 5 . Dabei ist "angemessener Umfang" im Sinne des § 53 Abs. 3 StVollzG ein unbestimmter Rechtsbegriff 76 , der den Vorgaben des Art. 4 GG entsprechend auszulegen ist, was im Einzelfall eine Abwägung der religiösen Bedeutung des Gegenstands im Verhältnis zu den Anfordernissen des Vollzugs zur Folge hat 7 7 . Dabei ist der Bedeutung der Religionsfreiheit angemes70 Vgl. Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 53 Rdn. 14 71

Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 16 72

Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 68 Rdn. 1,3; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 68 Rdn. 1; Huchting/Lesting in AKStVollzG § 68 Rdn. 1-4; ™ LG Zweibrücken NStZ 85, 142 = ZfStrVo 1985, 186 ff 74 Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 30; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 3 7 5 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 53 Rdn.6

1* Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 53 Rdn. 3

StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

77 Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Dannstadt 1982, § 53 Rdn. 30; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 3

11 Eick-Wildgans

162

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

sener Raum einzuräumen, wobei staatlicherseits als Entscheidungshilfe die Anhörung eines Seelsorgers dienen kann 7 8 . Allein, wenn die sichere und geordnete Unterbringung nicht mehr gewährleistet ist, wäre ein Entzug religiöser Gegenstände gerechtfertigt 79 . Zu weitgehend ist jedoch die Auffassung, daß auch eine Kochplatte zum Gegenstand religiösen Gebrauchs gerechnet werden kann, sofern diese im Rahmen der Selbstverpflegung entsprechend religiösen Vorschriften verwendet w i r d 8 0 . Hier wird das Grundrecht der Religionsfreiheit überdehnt. Geschützt werden soll der Besitz von Gegenständen, die ihrer Natur nach zur religiösen Erbauung des Gläubigen zu dienen bestimmt sind, die also kontinuierlich einer religiösen Aufgabe gewidmet sind, ohne daß die jederzeitige Möglichkeit eines bestimmungsfremden Gebrauchs gegeben ist. Daher sind Kruzifix, Heiligenbild, Rosenkranz, Gebetsteppich, Buddhafigur, Gebetsriemen u.ä. als religiöse Gegenstände gem. § 53 Abs. 3 StVollzG zuzulassen, nicht jedoch eine Kochplatte.

IV. Religiöse Speisevorschriften, § 21 S. 3 StVollzG Im Zusammenhang mit Gegenständen des religiösen Gebrauchs ist auf eine weitere Bestimmung im Strafvollzugsgesetz aufmerksam zu machen, die ebenfalls Ausfluß einer umfassend verstandenen Religionsfreiheit ist 8 1 . Gem. § 21 S. 3 StVollzG ist es dem Gefangenen zu ermöglichen, Speisevorschriften seiner Religionsgemeinschaft zu befolgen. Sollte die Zubereitung dieser Speisen durch die Anstalt nicht möglich sein, so ist organisatorisch zu gewährleisten, daß der Gefangene die Speisevorschriften einhalten kann, sei es, daß sein Essen separat geliefert wird, sei es, daß er sich sein Essen selbst zubereitet 82 . 78 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 53 Rdn. 16 79

Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 18 80 So, zwar vorsichtig, aber ohne nähere Begründung: Rassow, Peter in: Schwind, HansDieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, §53 Rdn. 17

81 Pecic/Feest in AKStVollzG § 21 Rdn. 4; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, vollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, § 21 Rdn. 5 82

Straf-

In der Praxis wird religiösen Speisevorschriften durch die Bereitstellung von Austauschkost entgegengekommen, vgl. Neu, Guido, Nichtdeutsche im bundesdeutschen Strafvollzug, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 329 (334)

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

163

Der Gefangene hat in derartig gelagerten Fällen ein Recht auf Selbstverpflegung 8 3 . In diesem Fall wurde, wie oben dargelegt, vereinzelt die Meinung vertreten, daß die dafür notwendigen Kochgelegenheiten als "Gegenstände des religiösen Gebrauchs" im Sinne von § 53 Abs. 3 StVollzG anzusehen sind 8 4 . Sinn des § 53 Abs. 3 StVollzG ist jedoch die Ermöglichung der Religionsausübung. Wenn auch die Einhaltung von Speisenvorschriften zur Religionsausübung zählt, so kann jedoch nicht die für die Zubereitung notwendige Kochplatte als Gegenstand des religiösen Gebrauchs angesehen werden. Eine derartige Überdehnung des Grundrechts der Religionsfreiheit ist aus den o.a. Gründen 85 nicht angebracht. Einzelne Haftanstalten haben bereits für mögliche Abhilfe gesorgt, ohne diese Frage rechtlich zu klären. So besteht die Möglichkeit der Einrichtung einer Kantine mit mehreren Essensangeboten oder das Angebot von nicht zubereiteten Nahrungsmitteln 86 . Die Selbstzubereitung der Speisen entsprechend den jeweiligen religiösen Vorschriften macht den Kocher oder die dafür benötigten Gegenstände (Hobel, Messer u. dgl.) nicht zu religiösen Gegenständen gem. § 53 Abs. 3 StVollzG. Diese fallen vielmehr unter die Vorschrift über die Ausstattung des Haftraums gem. § 19 StVollzG mit der Einschränkung des § 19 Abs. 2 StVollzG.

V· Der Mißbrauch als Grenze von Religionsfreiheit Wechselwirkung von individuellen und generellen Faktoren Die Grenze der Geltendmachung religiöser Rechte im Strafvollzug ist beim Mißbrauch des Grundrechts auf Religionsfreiheit erreicht, da der Mißbrauch von Grundrechten nicht mehr verfassungsrechtlich geschützt werden soll 8 7 . Ist also offensichtlich der Wunsch eines Gefangenen, eine religiöse Veranstaltung besuchen zu wollen, nicht glaubensmäßig getragen, sondern aus

83 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 21 Rdn. 5; Pecic/Feest in: AKStVollzG § 21 Rdn. 4

Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, §

84 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 53 Rdn. 15 unter Verweis auf Brandt/Huchting in: AKStVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 30

85 Vgl. Kapitel 8 Abschnitt III Nr. 4 w Vgl. dazu Pecic/Feest

in AKStVollzG § 21 Rdn. 5

87 Vgl. Listi, Joseph, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 67f; BVerfGE 12, 4;

11*

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

anderen Motiven resultierend 88 , so ist die Anstalt nicht verpflichtet, diesem Anspruch nachzukommen. Bei dem Verbot des Besuchs einer religiösen Veranstaltung für einzelne Gefangene sind jedoch unterschiedliche Fallkonstellationen zu differenzieren, wobei je nach Interessenlage auf der Seite des Gefangenen, auf der Seite der Kirche und auf der der Anstalt abweichende Lösungen denkbar sind.

1. Das Teilnahmeverbot für einzelne Gefangene aus überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung, § 54 Abs. 3 StVollzG

a. Sicherheit und Ordnung Aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung kann ein Gefangener von religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wobei zuvor der Seelsorger gehört werden soll, § 54 Abs. 3 StVollzG. "Sicherheit" definiert sich im Strafvollzugsgesetz sowohl über den institutionellen Aspekt der Anstalt als zu schützender Einheit von Sachgegenständen und Personenintegrität, als auch über die Komponente des Entfernungsverbots von Gefangenen 89. Unter "Ordnung" ist im Strafvollzugsgesetz der Inbegriff der strukturbedingten und interaktiven Bedingungen und Voraussetzungen des Anstaltslebens 90 zu verstehen. Diese Sicherheits und Ordnungsgründe müssen "überwiegen", d.h. nach einer Abwägung in ihrer Gesamtheit das Grundrecht der Glaubensfreiheit zurückstehen lassen. Ein derartiger Ausschluß darf wegen der überragenden verfassungsrechtlichen Bedeutung der Religionsfreiheit, wie dargestellt, nur in ganz schwerwiegenden Fällen 91 ausgesprochen werden. Es ist hier größte Zurückhaltung und Toleranz 92 seitens der Vollzugsbehörden zu üben. Eine genaue Überprüfung des "Überwiegens" der Sicherheitsinteressen der Anstalt ist im Hinblick auf die Vorrangigkeit der Religionsfreiheit zu 88 Früher stellte der Gottesdienst die einzige Möglichkeit fiir die Gefangenen dar, einander zu begegnen und Tauschgeschäfte oder andere verbotene Geschäfte durchzuführen. 89 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 4 Rdn. 16

90 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 4 Rdn. 17

StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

91 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 6 92 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, vor § 53 Rdn. 2

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

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fordern, wenngleich auch im Hinblick auf das Funktionieren der Anstalt kein absoluter Vorrang der Religionsfreiheit des Einzelnen postuliert werden kann 9 3 . b. Die Kirche als Betroffene In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß bei einem Teilnahmeverbot eines einzelnen Gefangenen nicht die kollektive Grundrechtsausübung der Kirche berührt wird, da es ihr unbenommen ist, die geplante Veranstaltung stattfinden zu lassen. Insofern stellt es keinen Eingriff in die Religionsfreiheit der Kirchen dar, wenn gewissen Gefangenen in Einzelfallen die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen verboten wird. Die Kirche hat kein Recht auf bestimmte Teilnehmer an ihren Veranstaltungen, weder außerhalb, noch innerhalb des Strafvollzugs. Solange ihr nicht die Veranstaltung als solche verboten wird, ist sie in ihrem Grundrecht nicht verletzt 94 . Viel schwieriger ist die - wohl theoretische - Frage zu beantworten, ob es der Vollzugsbehörde gestattet wäre, allen Gefangenen den Besuch einer religiösen Veranstaltung zu verbieten, sodaß der Seelsorger eine Veranstaltung ohne Teilnehmer hätte, also letztendlich an diesem Punkt, doch in seinem Recht auf Religionsfreiheit verletzt wäre, sofern Gläubige vorhanden wären, die in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit an seiner Veranstaltung teilnehmen wollten. Denknotwendigerweise gehört ein gewisser Teilnehmerkreis zu einer religiösen Veranstaltung, da die Kirche ihren Auftrag am Menschen versteht - und ihrem Auftrag ohne Menschen nicht nachkommen kann. So läßt sich festhalten, daß die Vollzugsbehörde zwar einzelnen Gefangenen den Besuch gewisser religiöser Veranstaltungen aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung verbieten kann, die Grenze dieser individuell begründeten Verbote jedoch dann erreicht ist, wenn durch diese Verbote die verfassungsrechtlich geschützte Arbeit der Kirche generell unmöglich gemacht würde. Die individuell begründeten Verbote finden daher im kollektiven Element kirchlichen Wirkens wiederum ihre Grenze. Dabei ist stets der grundrechtliche Schutzbereich der Religionsfreiheit zu betonen, der nur ernsthafte Religionsausübung schützt, nicht jedoch mißbräuchlich vorge-

93 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn. 19 94 Die Entscheidung OLG Koblenz vom 28.9.1987, ZevKR 33, 464 (467), bei der es um die Rechtmäßigkeit eines Teilnahmeverbots eines im gelockerten Vollzug untergebrachten Gefangenen an Veranstaltungen des Anstaltsseelsorgers für die im geschlossenen Vollzug untergebrachten Strafgefangenen ging, spricht - in dem betreffenden Fall zu Recht - von einer Berührung der Befugnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Seelsorge innerhalb von Vollzugsanstalten "in keiner Weise".

166

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

schobene. Die Einschränkung echter Religionsfreiheitsrechte einzelner darf also nicht zur Unmöglichkeit des Gebrauchs der Religionsfreiheitsrechte der Kirche im Strafvollzug fuhren. Dabei zählt zum Religionsfreiheitsrecht der Kirche, unter anderem, Gottesdienst mit Gläubigen abzuhalten, die aufrichtig willens zum Gottesdienstbesuch sind. Falls der Fall eintreten sollte, daß alle Gefangenen, die eine religiöse Veranstaltung besuchen wollen, ihr Grundrecht mißbrauchen wollen, so wird auch die Kirche, trotz der Tatsache, daß ihre Veranstaltung nur ohne Teilnehmer stattfinden kann, nicht in ihren Rechten verletzt.

2. Abwägungsgesichtspunkte bei der Entscheidung über die Teilnahme einzelner Gefangener an religiösen Veranstaltungen

Dem einzelnen Gefangenen kann strafvollzugsrechtlich die Teilnahme aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung versagt werden, da § 54 Abs. 3 StVollzG diesen Ausschluß vorsieht. Es stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung verfassungsgemäß i s t 9 5 , bzw. wie sie verfassungskonform auszulegen ist. Es handelt sich bei dem Ausschluß von religiösen Veranstaltungen um eine Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde, wie der Formulierung "kann...ausgeschlossen werden" zu entnehmen i s t 9 6 . Dabei hat der Gefangene Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung 97 . In diese Ermessensentscheidung haben verschiedene Faktoren einzufließen, wobei individuelle Gesichtspunkte ebenso zu berücksichtigen sind, wie kollektive. Gegeneinander abzuwägen sind hier das Grundrecht der Religionsfreiheit des Einzelnen, wie es sich auch aus dem Religionsverständnis seiner Glaubensgemeinschaft ergibt, und Gründe der Sicherheit und Ordnung, die sich wiederum nach der Situation des Einzelnen und der Situation in der Anstalt aufgliedern. Da es für die Anstalt unmöglich und rechtlich auch nicht geboten ist, die religiöse Bedeutung der Veranstaltung für den Einzelnen ein-

95 Die Auffassung, es handele sich bei der früheren Bestimmung Nr. 135 Abs. 2 DVollzO, wonach der Anstaltsleiter "aus Gründen der Sicherheit und Ordnung" einen Gefangenen von Veranstaltungen der Seelsorge ausschließen konnte, um eine verfassungswidrige Bestimmung, vertrat früher Müller-Dietz, Heinz, Seelsorge im Strafvollzug, in: ZfStrVo 19 (1970), 136/137; Mittlerweile ist durch die Formulierung des § 54 Abs. 3 StVollzG eine verfassungskonforme Fassung gefunden. 96 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 115 Rdn. 15 97 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 115 Rdn. 15

StrafVollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, §

StrafVollzugsgesetz, 4. Aufl., München 1986, §

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

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zuschätzen, ist sie auf das Verständnis der Religionsgemeinschaft von der Bedeutung der betreffenden Veranstaltung angewiesen. Dabei ist die Art der religiösen Veranstaltung und ihre Nähe zum Kern der Religionsfreiheit zu berücksichtigen. So wäre etwa beispielsweise das Besuchsverbot eines Gottesdienstes, der von einer Religionsgemeinschaft als Schwerpunkt ihres religiösen Wirkens angesehen wird, nur aus schwerwiegenderen Gründen der Sicherheit und Ordnung abzulehnen, als das Besuchsverbot eines Diavortrags über das Heilige Land mit anschließender Diskussion. Es gilt also für die Vollzugsbehörde, das Gewicht der Veranstaltung zu taxieren, um dies im Anschluß daran mit den Interessen der Sicherheit und Ordnung und Grundsätzen der Gleichbehandlung aller Gefangenen abwägen zu können. Dabei ist aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben das Selbstverständnis der Gemeinschaft von der religiösen Bedeutung der in Frage stehenden Veranstaltung ebenso als Abwägungspunkt heranzuziehen, wie die übliche Handlungsweise der Vollzugsbehörde bei vergleichbaren Veranstaltungen. Zusätzlich fließt in diese Überlegung der individuelle Aspekt des sonstigen Verhaltens des Gefangenen mit ein, da jede Gestaltung des Vollzugs an den konkreten Verhältnissen des Gefangenen auszurichten ist. Durch die hier vertretene Auffassung ist sichergestellt, daß die Vollzugsbehörde die Auffassung der betroffenen Religionsgemeinschaft über die Bedeutung einer religiösen Veranstaltung in ihre Entscheidung miteinbezieht, ohne jedoch die Entscheidungskompetenz vom staatlichen Bereich in den kirchlichen Bereich hinein zu verlagern. Der Einzelne hat im Strafvollzug nicht das Recht, daß seine Glaubensauffassung als alleiniger Maßstab bei Vollzugsentscheidungen über religiöse Angelegenheiten gesetzt wird. Ebensowenig kann die Glaubensgemeinschaft diese Kompetenz beanspruchen. Allerdings haben beide das Recht, daß ihre Auffassung in die Ermessensentscheidung der Behörde miteinbezogen wird. Da die Behörde jedoch mehrere Faktoren zu berücksichtigen hat, muß sie auch beurteilen, wie sie in vergleichbaren Fällen handelt, und ob durch ihre Entscheidung ein den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechendes Ergebnis erreicht werden kann. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß bei - die religiösen Interessen des Einzelnen und seiner Glaubensgemeinschaft - überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Gefangene von religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden kann. Die Bestimmung des § 54 Abs. 3 StVollzG ist also verfassungskonform auslegbar und gültig. Zu betonen ist jedoch die der Vollzugsbehörde gestellte Aufgabe, religiöse Rechte ihrer überragenden Bedeutung entsprechend in das Vollzugsgeschehen einzuordnen. Insofern ist der Ansicht zuzustimmen, daß die Übung, Transportgefangene nicht am

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen teilnehmen zu lassen, in der Regel rechtswidrig ist 9 8 .

3. Die Anhörung des Seelsorgers

Die Schwierigkeit der Aufgabe einer interessengerechten Abwägung war offensichtlich auch dem Gesetzgeber bewußt, als er die vorherige Anhörung des Seelsorgers gem. § 54 Abs. 3 2. Hs. StVollzG bei derartigen Entscheidungen anordnete. Die vorherige Anhörung des Geistlichen war aus seelsorgerlichen Gründen in das Gesetz aufgenommen worden 9 9 . Dies spricht für die hier dargelegte Auslegung, die eine Berücksichtigung der Religionsfreiheit, wie sie sich auch aus der Sicht der betroffenen Glaubensgemeinschaft ergibt, sicherstellt. Problematisch ist die Formulierung als "Soll"-Vorschrift, da nicht ganz klar ist, ob es sich um eine verborgene "Muß"-Vorschrift hand e l t 1 0 0 . Wegen der aufgezeigten, weittragenden grundrechtlich-religiösen Bedeutung einer derartigen Entscheidung der Vollzugsbehörde ist jedenfalls bei der Anhörung des Seelsorgers von einer besonders zu beachtenden Vorschrift auszugehen, um eine Entwertung dieser Regelung durch erst nachträgliche Anhörung zu vermeiden 101 . Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Seelsorger bei einer von ihm durchgeführten Veranstaltung auch kurzfristig, noch vor Beginn der Veranstaltung, um seine Stellungnahme gebeten werden kann, sodaß mögliche organisatorische Probleme innerhalb der Anstalt jedenfalls unter der Schwelle der religiösen Bedeutung dieser Angelegenheit bleiben 1 0 2 . So ist festzuhalten, daß eine dennoch unterlassene vorherige Anhörung zur Rechtswidrigkeit des Ausschlusses führt 1 0 3 .

98 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 6; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn. 20 99 BT Dr. 7/918 S. 72 100 Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 54 Rdn. 7; Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 7 geht von einem Muß aus, welches nur ausnahmsweise, in begründeten Fällen fallen gelassen werden darf; Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 54 Rdn. 3 spricht von einer Annäherung an eine Mußvorschrift ιοί Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 54 Rdn.22 102 Feest /Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 7 103 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 54 Rdn. 7

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

169

VI· Die Aussage des § 55 StVollzG Die Bestimmung des § 55 StVollzG statuiert eine entsprechende Geltung des §§53 und 54 StVollzG für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse. Dabei ist allerdings die Tragweite dieser Bestimmung auslegungsbedürftig, da strittig i s t 1 0 4 , ob alle Weltanschauungsgemeinschaften, ohne Rücksicht auf ihren bekennenden Charakter 105 , oder jedenfalls nicht die Weltanschauungsgemeinschaften, deren Hauptziel auf eine politische Tätigkeit gerichtet ist, Anspruch auf Tätigkeit im Strafvollzug haben 1 0 6 .

1. Weltanschauungsgemeinschaften

Die Bestimmung des § 55 StVollzG geht auf einen Änderungsvorschlag des Bundesrates zurück, der im Hinblick auf die Bestimmungen des Grundgesetzes, Art. 140 GG / 137 WRV eine entsprechende Ergänzung vorschlug 1 0 7 . Diese Anregung wurde aufgenommen und führte schließlich zur bewußten Wahl der Worte des "weltanschaulichen Bekenntnisses" 108 , da in Anknüpfung an die Bestimmungen des Art. 4 GG eine bewußte Abgrenzung geschaffen werden sollte, um eine Einbeziehung von Weltanschauungen, wie beispielsweise des dialektischen Materialismus, auszuschließen 109 . Ob dieses Ziel erreichbar wäre, und den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen würde, ist im folgenden darzulegen. Zur Klärung dieser Frage, sind nochmals in Kürze die unterschiedlichen Ansatzpunkte und Ebenen des Schutzes religiöser Rechte im Strafvollzug heranzuziehen: Art. 141 WRV regelt nur die Zulassung von Religionsgesellschaften. Ihm ist also hinsichtlich Weltanschauungsgemeinschaften nichts zu entnehmen. In Art. 141 WRV sind jedoch die Aussagen des übrigen Grundgesetzes mit hin104 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 55

105 So Feest /Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 55 Rdn.l 106 Calliess / Müller-Dietz, 3998 S. 25 107 BT-Dr. 7/918 S. 117 108 BT - Dr. 7 / 3998 S. 25 109 BT - Dr. 7 / 3998 S. 25

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl.. München 1991, § 55; BT - Dr. 7 /

170

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

einzulösen, insbesondere die "Kirchenartikel". Von diesen ist für die hier interessierende Frage hinsichtlich Weltanschauungsgemeinschaften Art. 137 Abs. 7 WRV heranzuziehen. Das Gleichstellungsgebot des Art. 137 Abs. 7 WRV, das, wie dargelegt, sämtliche Weltanschauungsgemeinschaften, ohne Rücksicht auf ihren bekennenden Charakter, erfaßt, würde zu einem Zutrittsrecht aller religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen zum Strafvollzug führen. Allerdings ist die Zulassung jeglicher Vereinigungen, seien es religiöse oder weltanschauliche, in Art. 141 WRV durch die Feststellung eines "Bedürfnisses" der Gefangenen bedingt. Der Umfang dieses individuellen Bedürfnisses wird bestimmt durch die Reichweite des Art. 4 GG. Dieser schützt ausdrücklich die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen "Bekenntnisses". Daher fallen unter den individualrechtlichen Schutz des Art. 4 GG die weltanschaulichen Äußerungen, die einem Bekenntnis entsprechen, also der Kundgabe oder dem Verschweigen einer Glaubens- und Gewissensüberzeugung 110 . Dabei sind im Rahmen des Art. 4 GG auch Weltanschauungen, wie die Existenzphilosophie oder der theoretische Marxismus, geschützt1 1 1 . So bewirkt die Reichweite des Art. 4 GG zwar die Beschränkung des Zutrittsrechts von religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen auf solche Vereinigungen, die der Pflege eines Bekenntnisses dienen. Nachdem aber auch beispielsweise der dialektische Materialismus als "Glaube" 1 1 2 im Sinne des Grundgesetzes anzusehen ist, dessen Bekenntnis auch im Strafvollzug schutzbedürftig ist, wurde mit der bewußten Anknüpfung an Art. 4 GG die gesetzgeberisch gewollte Abgrenzung 113 zu Weltanschauungen, wie dem dialektischen Materialismus, nicht erreicht. Hingegen ist zu betonen, daß bloße politische Vereinigungen, die nicht das Weltgeschehen als Ganzes erklären und auf einen, wie auch immer gearteten, Urgrund zurückführen wollen, also keinen bekennenden Charakter beanspruchen, gem. Art. 141 WRV, 137 Abs. 7 WRV, Art. 4 GG keinen Anspruch auf Zulassung zum Strafvollzug haben. Das Zutrittsrecht von religiös-weltanschaulichen Vereinigungen hängt von der Garantie des Art. 4 GG ab, der politische Überzeugungen des Einzelnen gerade nicht unter seinen besonderen Schutz stellt. So ergibt sich

110 von Münch, Ingo, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1 (Präambel bis Art. 20), 3. Aufl., München 1985, Art. 4 Rdn. 12 111 Herzog, Roman, Erläuterungen zu Art. 4 GG; in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, München, Stand: Nov. 1988, Art. 4 Rdn. 67 112 Bochenski, Joseph M . , Marxismus - Leninismus. Wissenschaft oder Glaube, München 1974, S. 136

Π3 B T - D r . 7 / 3998 S. 25

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

171

für die Auslegung des § 55 StVollzG, daß zwar Angehörige von Weltanschauungsgemeinschaften mit bekennendem Charakter Anspruch auf entsprechende Betreuung im Strafvollzug gem. §§ 55, 53, 54 StVollzG haben114. Es ist daher zwar der Auffassung zuzustimmen, daß der Strafvollzug durchdrungen von Grundsatz der Angleichung gem. § 3 Abs. 1 StvollzG an die allgemeinen Lebensverhältnisse ist, und es somit auch im Strafvollzug Gefangenen unbenommen sein müßte, sich mit Weltanschauungen auch ohne bekennenden Charakter auseinander zu setzen 115 . Allerdings übersieht diese Meinung, daß Ausgangspunkt der religiösen und weltanschaulichen Rechte im Strafvollzug gem. §§53 ff StVollzG die grundgesetzliche Regelung des Art. 4 GG ist, dessen besonderer Schutz gerade dem weltanschaulichen Bekenntnis gewidmet ist. Es ist dem Gefangenen unbenommen, sich mit nicht bekennenden Weltanschauungen zu beschäftigen, entsprechenden Schriftwechsel zu führen, Besuche zu empfangen oder für derartige Zwecke Ausgang zu beantragen. Allerdings muß er dies dann im Rahmen der üblichen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes geschehen lassen und kann sich nicht auf die Sonderregelungen der §§53 ff StVollzG berufen. Diese wollen einen dem Art. 4 GG korrespondierenden Schutzbereich im Strafvollzug bewirken. So ist die Auffassung, die Angehörigen aller Weltanschauungsgemeinschaften würden von § 55 StVollzG erfaßt 1 1 6 , zu weit. Sofern allerdings Weltanschauungsgemeinschaften die vorgenannte Bedingung erfüllen, und bekennenden Charakter aufweisen, haben ihre im Vollzug befindlichen Angehörigen Anspruch auf entsprechende Anwendung der Vorschriften §§ 53, 54 StVollzG, d.h. auf Betreuung und Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen. Allerdings ist an diesem Punkt wieder zu berücksichtigen, wie weit Betreuung durch eine der Position des Seelsorgers in christlichen Bekenntnissen vergleichbare Person bei bekennenden Weltanschauungsgemeinschaften Bestandteil des jeweiligen Bekenntnisses ist. 114 Auf die Schwierigkeit der Abgrenzung von Weltanschauung und Religion macht aufmerksam: Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 55; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 55, der betont, daß jedenfalls Angehörige von Gemeinschaften mit hauptsächlich politischen Anliegen nicht den Schutz von § 55 StVollzG beanspruchen können; Allerdings verweist er diesbezüglich auf die Intention des Gesetzgebers, ohne dessen zweifelhafte Auffassung vom Schutzgehalt des Art. 4 GG deutlich zu kritisieren

115 So: Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 55 Rdn. 1 und Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Dannstadt, 3. Aufl. 1990, § 55 Rdn. 1 unter Verweis auf den Angleichungsgrundsatz 116 Brandt/Huchting:

In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Dannstadt 1982, § 55 Rdn. 1

172

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Die christlichen Religionen sind weithin durch religiöses Gemeinschaftsleben 1 1 7 und individuelle religiöse Betreuung durch einen Seelsorger im persönlichen Gespräch 118 gekennzeichnet. Bei Weltanschauungsgemeinschaften ist dies nicht immer gegeben, da sie mitunter weder ein vergleichbares Gemeinschaftsgefiige aufweisen, noch den Stellenwert der Betreuung durch eine dem Seelsorger vergleichbare Person 119 in ihrer Weltanschauung kennen. So muß es dem Einzelfall überlassen bleiben, inwieweit Raum für eine entsprechende Anwendung der §§ 53, 54 StVollzG für Angehörige einer bekennenden Weltanschauung bleibt.

2. Die Problematik

"neuer Religionen " im Strafvollzug

Problematisch ist im Zusammenhang mit religiöser Betreuung im Strafvollzug die Frage nach neuen Religionen 1 2 0 , und deren Betätigungsmöglichkeiten im Strafvollzug. Sofern bei einem Gefangenen das Bedürfnis nach Betreuung durch eine neue Religionsgemeinschaft besteht, ist diesem nach dem oben Dargelegten seitens der Vollzugsbehörde nachzukommen. Dabei ist jedoch auch eine möglicherweise mißbräuchliche Berufung auf religiöse Rechte in Betracht zu ziehen. Die Überprüfungskompetenz hinsichtlich einer mißbräuchlichen Berufung auf die Religionsfreiheit des einzelnen Gefangenen steht der Vollzugsbehörde zu, da sie verfassungsrechtlich nur gehalten ist, dem ernsthaft geäußerten Wunsch nach Religionsfreiheit nachzukommen. Problematischer ist die Frage bei einem ernsthaften und seiner Überzeugung entspringenden Wunsch des Gefangenen nach Betreuung durch eine bestimmte religiöse Gruppe, deren Ziele nicht notwendigerweise im Einklang mit den sonstigen Zielen des Strafvollzugs stehen. Hier stellt sich die Frage, ob die Vollzugsbehörde die Möglichkeit hat, diesen Wunsch des Gefangenen abschlägig zu verbescheiden. In der Praxis bietet sich die Möglichkeit an, 117 Scheuner, Ulrich, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: Ges. Aufsätze, Joseph Listi (Hrsg.), Berlin 1973, S. 33 (44) 118 Grunau, Theodor / Tiesler, Eberhard, StrafVollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982, § 53 Rdn. 1

Π9 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 55 Rdn. 2 120 Neuere Darstellungen der Problematik "neuer Religionen" bei: Hummel, Reinhart, Die sogenannten Jugendreligionen als religiöse und gesellschaftliche Phänomene, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 19, Münster 1985, S. 64 - 85 und: Milller-Volbehr, Die sogenannten Jugendreligionen und die Grenzen der Religionsfreiheit, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 19, Münster 1985, S. 111 - 140

§ 8 Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

173

derartige Gruppen, die beispielsweise zum Ziel haben, Gruppenmitglieder unter Aufgabe ihrer Persönlichkeit an einen Sektenführer zu binden, um für diesen Gewinn zu erwirtschaften, nicht als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zu behandeln 121 . Verfassungsrechtlich ist die Anerkennung einer staatlichen Bewertung religiöser und weltanschaulicher Ziele einer Gemeinschaft jedoch als sehr bedenklich einzustufen. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Neutralität des Staates verbietet, wie dargelegt, eine generelle Beurteilung von Glaubensgemeinschaften als gut oder schlecht. Im Strafvollzug müßte man sich rechtlich damit behelfen, § 2 StVollzG als übergeordnetes Prinzip und ranghöchste Aufgabe 1 2 2 innerhalb des Strafvollzugs in die rechtliche Beurteilung eines Kontaktbegehrens eines Gefangenen miteinzubeziehen. Könnte argumentiert werden, daß eine nähere Kontaktaufhahme zu der in Frage stehenden Gruppe die Resozialisierung des Gefangenen gefährden würde, so wäre dies möglicherweise ein strafvollzugsrechtlich gangbarer Weg. Nachdem der gesamte Vollzug auf das Vollzugsziel auszurichten ist, welches in der Befähigung des Gefangenen besteht, künftig ein Leben ohne Straftaten zu fuhren, wäre die Kontaktermöglichung zu einer Gruppe, die ihn möglicherweise in seiner späteren Lebensführung quasi entmündigt, nicht mit dem Vollzugsziel übereinstimmend. So könnte im Strafvollzug der Kontakt zu Religionsgemeinschaften, die den konkreten Verdacht rechtfertigen, daß der Gefangene in ihrem Einflußbereich künftig kein Leben in sozialer Verantwortung führen würde, unter Hinweis auf § 2 StVollzG unterbunden werden.

VII. Zusammenfassung

Zusammmenfassend läßt sich zu den Aussagen des Strafvollzugsgesetzes in religiösen Angelegenheiten feststellen, daß zwischen den religiösen Rechten des Gefangenen und den Regelungen, die den Anstaltsseelsorger betreffen, unterschieden werden muß. Bei den religiösen Rechten des Gefangenen hat eine Auslegung der vorhandenen Vorschriften entsprechend den individuellrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zu erfolgen. Dabei ist Ausgangs-

121 Feest / Huchting in: AK StVollzG, Neuwied, Darmstadt, 3. Aufl. 1990, § 55 Rdn. 2 122 Feest in AK: § 2 Rdn. 5; Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 4. Aufl., München 1986, § 2 Rdn. 1

Strafvollzugsgesetz,

174

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

punkt jeder rechtlichen Argumentation die Religionsfreiheit des Gefangenen, wie sie sich aufgrund des Selbstverständnisses der betroffenen Bekenntnisgemeinschaft ergibt. Dies hat zur Folge, daß dem Wunsch nach religiöser Betreuung durch einen Seelsorger, dessen Bekenntnisgemeinschaft der Gefangene entweder angehört, oder der er sich zuwenden möchte, Folge zu leisten ist. Staatliche Beschränkungen können hier nur modal erfolgen, nicht jedoch in einer Art und Weise, die entweder das Beicht- und Seelsorgegeheimnis nicht wahrt, oder die religiöse Betreuung unmöglich macht. Entsprechend der Auffassung der Religionsgemeinschaft und der staatlichen Handhabung vergleichbarer Fälle hat der Gefangene Anspruch auf Ausübung seines religiösen Freiheitsrechts. Es ist der Gefangene zum Besitz von Schriften berechtigt, die grundlegenden religiösen Inhalt haben, ebenso wie zum Besitz von Gegenständen, die zu religiösen Kultzwecken dienen. Das Recht des Gefangenen, Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen zu besuchen, kann nur bei in der Person des Gefangenen begründeten, überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung eingeschränkt werden, wobei in die Ermessensentscheidung der Anstalt jeweils das gewichtige religiöse Grundrecht des Gefangenen, sowie die Auffassung der Religionsgemeinschaft von der religiösen Bedeutung der in Frage stehenden Veranstaltung einfließen muß, in Abwägung zu Fragen der individuellen und kollektiven Vollzugsgestaltung unter Berücksichtigung von Vollzugsziel und Gleichbehandlungsgrundsatz. Angehörige von Weltanschauungsgemeinschaften haben in vergleichbaren Situationen entsprechende Ansprüche, sofern die betroffene Weltanschauungsgemeinschaft bekennenden Charakter hat und vergleichbare Bedürfhisse, wie beispielsweise die Betreuung durch einen besondere Person, kennt. Einschränkungen im Bezug auf Kontakte zu "neuen Religionen" seitens der Vollzugsbehörden können, sofern sich das religiöse Begehren des Gefangenen nicht als rechtmißbräulich darstellt, nur unter Hinweis auf eine Gefährdung der Resozialisierung des Gefangenen gemacht werden. Der Rechtsweg steht dem Gefangenen in allen religiösen Fragen gem. §§ 109, 115 StVollzG offen, den Kirchen dagegen nur, wenn sie in ihrem Recht auf Betätigung, zu dem nicht die Teilnahme bestimmter Gefangener zählt, betroffen sind. Unter Beachtung der hier aufgezeigten Kriterien ist die im StrafVollzugsgesetz getroffene Regelung hinsichtlich der religiösen Rechte des Strafgefangenen als verfassungsgemäß anzusehen. Möglichkeiten und Grenzen staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens sind daher durch das Strafvollzugsgesetz in verfassungsgemäßer Weise geregelt.

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

I. Die Problemkreise Der Anstaltsseelsorger ist die Person, in der die unterschiedlichen Wirkungskreise von Staat und Kirche, sowie die jeweiligen Erwartungen der Beteiligten unmittelbar aufeinandertreffen. Er steht in einem Spannungsfeld 1 zwischen staatlichen und kirchlichen Ansprüchen, Pflichten und Aufgaben. Gleichzeitig ist er derjenige, der dem Gefangenen gegenübertritt und mit den übrigen Mitarbeitern im Vollzug zusammenarbeiten muß. An seiner Person und seinem Amt werden die zuvor dargelegten Ideen und Grundsätze von Staat und Kirche konkret auf die Bewährungsprobe gestellt. Daher kann in diesem Kapitel zwar auf die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Grundlinien zurückgegriffen werden. Allerdings zeigen die Berichte aus der Praxis, daß zwischen rechtlichen Grundlagen und tatsächlicher Handhabung bisweilen erhebliche Unterschiede bestehen. Für eine theologische oder psychologische Aufarbeitung von Einzelfragen ist hier jedoch kein Raum 2 . Als juristisch ausgerichtete Darstellung sollen im folgenden den konkreten rechtlichen Regelungen zur Stellung der Anstaltsseelsorger Aufmerksamkeit geschenkt werden, mit Hinweisen auf die tatsächliche Handhabung aufgezeigter Probleme. Eine übersichtliche Darstellung wird dadurch erschwert, daß sich zum Anstaltsseelsorger sowohl im StrafVollzugsgesetz, als auch in einzelnen Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen Regelungen finden. So sol-

1

Dieses Spannungsfeld ist grundsätzlich vorhanden. Durch einzelne Vorkommnisse treten jedoch Spannungen stärker hervor, vgl. Rassow, Peter, (Hrsg.), Der Dienst des Anstaltspfarrers im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, Celle 1975, S. 3 und S. 39 2 Vgl. zur theologischen Theoriebildung der Gefangenenseelsorge heute: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978, S. 191 ff; Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 253 ff

176

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

len zunächst die bundesweit geltenden, im StrafVollzugsgesetz niedergelegten, auf den Anstaltsseelsorger anzuwendenden Vorschriften vorgestellt werden, um im folgenden auf die genauere Ausgestaltung der seelsorgerlichen Tätigkeit und Stellung im Vollzug in den Vereinbarungen zwischen Ländern und Kirchen einzugehen. Dabei wird in diesem Kapitel problemorientiert, die Tätigkeit des Seelsorgers im allgemeinen dargestellt. Länderspezifische Besonderheiten und detaillierte Aufgabenkataloge, die sich in einzelnen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche finden, werden bei den betreffenden Ländern in den folgenden Kapiteln 3 erläutert. Zunächst soll ein zahlenmäßiger Überblick die Situation der Anstaltsseelsorge in den einzelnen Ländern erhellen.Im Anschluß daran folgt ein Überblick über die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes, die den Seelsorger mittelbar oder unmittelbar betreffen.Bei der Erörterung seiner Stellung im Vollzug scheint es angezeigt, auf die dienstrechtlichen Verhältnisse der Seelsorger in den einzelnen Bundesländern einzugehen. Dabei stellt sich neben der dienstrechtlichen Einordnung des Anstaltsseelsorgers in den Anstaltsbetrieb und Fragen der Aufsicht insbesondere die Frage, wie der Anstaltsseelsorger sich selbst und seine Rolle definiert, und wie - im Gegensatz oder in Ergänzung dazu - der Gesetzgeber und die Kirchen seine Rolle verstehen und ihm die entsprechenden Aufgaben zuweisen. Häufig wird in diesem Zusammenhang die Frage laut, ob der Anstaltsseelsorger Konterpart oder Handlanger 4 des Staates ist, bzw. welche Möglichkeiten ihm offen stehen, seine Identität als Mann der Kirche und Träger der kirchlichen Belange auch im staatlichen Strafvollzug zu wahren. Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, daß die Anstaltspfarrer sich weitgehend von der Aufgabe einer religiösen Einflußnahme gelöst hätten, und sich als Gegenkraft zu den negativen Wirkungen des Anstaltslebens verstehen 5. Eine Darstellung seiner Tätigkeit, aufgefächert nach einzelnen Tätigkeitsbereichen, und der gebotenen Aus- und Fortbildung markiert anschließend das Arbeitsfeld des Anstaltsseelsorgers.Die Chancen und Risiken des seelsorgerlichen Schweigerechts runden die hier gewählte Darstellung der Problemkreise des Anstaltsseelsorgers ab.

3 Kapitel §§ 13 - 24 4 Zu den Problemen in den 70 er Jahren: vgl. Kleinen, Ulfrid, 3 Thesen zur Funktion des Pfarrers und der Kirche im Strafvollzug, in: Kleinen, Ulfrid (Hrsg.), Strafvollzug, Analysen und Alternativen, München 1972, S. 124 - 127 5 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 368;

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

177

II. Statistische Angaben zur Anstaltsseelsorge Eine exakte zahlenmäßige Erfassung der Zahl der Anstaltsseelsorger gestaltet sich schwierig, da die einzelnen Ländern unterschiedliche Erfassungsmethoden haben. So wird staatlicherseits bei einigen Ländern die Zahl der Seelsorger in den Justizvollzugsanstalten statistisch nicht erfaßt. Andere erfassen nur die hauptamtlichen Seelsorger. Daher kann der Umfang der religiösen Betreuung durch nebenamtliche Pfarrer nur ungefähr angegeben werden. Für einen Überblick ist die folgende Statistik eingefügt. Die genaue Darstellung der jeweiligen Ermittlungsmethode erfolgt bei der Besprechung kirchlichen Wirkens in dem jeweiligen Bundesland (Kapitel §§ 13 - 24). Eine Umfrage der Verfasserin bei den Justizministerien aller Länder in der Bundesrepublik Deutschland im Frühjahr 1991 erbrachte folgende Statistik^: Land

JVA

Gef

20 38 7 5 8 14 24 38 10 3 6 11

4752 6288 2357 512 1737 3124 4195 11055 2121 609 1357 250

Ba-Wü Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. NRW Rhld-Pf. Saarland Schl.Hst Me-.Vo.

ev

ka

and

oA

Ha ev kaNa ev ka

1928 2004 1863 3550 1185 449 299 88 842 254 1456 1066 2656 823 4301 5121

403 441 230 28 224 270 193 655

417 434 493 97 417 332 523 978

22 11 11 45 21 23 28

33

22

157

397

3 11 16 22 59 9 2 5

2 1 1 1 8 3 1 1 11 5 16 7 9 32 4 1 3

27 56 5 9 1 1 2 3 12

29 27 4 5 1 3 11 1

Anmerkung: Von den Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren zur Zeit der Anfrage keine Zahlen zu erhalten.

6 Erläuterungen: JVA = Anzahl der Justizvollzugsanstalten ev = davon evangelisch and = davon anderen Bekenntnisses Ha = Hauptamtliche Anstaltsseelsorger

12 Eick-Wildgans

Gef =

Anzahl der Gefangenen (Gesamt) ka = davon katholisch oA = davon ohne Angaben Na = Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

178

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Unter dem Begriff der Bestellung im "Hauptamt" gem. § 157 Abs. 1 StVollzG ist die Vollzeitbeschäftigung eines Pfarrers als Anstaltsseelsorger zu verstehen 7, wobei es vom Bundesgesetzgeber den Ländern und den dort vertretenen Kirchen überlassen wird, ob die Anstaltspfarrer als Staatsbeamte, als Kirchenbeamte mit staatlichem Gestellungsvertrag oder als Geistliche mit privatem Dienstvertrag 8 im Vollzug tätig werden. Die Ausgestaltung der konkreten Dienstverhältnisse ist daher bei der Erörterung der Verhältnisse in den Ländern 9 dargestellt.

III· Überblick über die den Anstaltsseelsorger betreffenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes Unter der Überschrift "Seelsorge" im dritten Titel des vierten Abschnitts des Strafvollzugsgesetzes findet sich mit § 157 StVollzG eine Vorschrift über das Wirken der Seelsorger, wobei diese in drei Absätzen die Anstellung von Seelsorgern, deren sonstige Zulassung und die Zuziehung weiterer Seelsorgehelfer und Seelsorger anspricht. Zusätzlich ist bei der Tätigkeit des Anstaltsgeistlichen noch die Vorschrift über die Zusammenarbeit aller im Vollzug Tätigen gem. § 154 Abs. 1 StVollzG zu berücksichtigen. Erwähnt werden im Strafvollzugsgesetz die Seelsorger ferner bei der Aufzählung der im Strafvollzug tätigen Berufsgruppen gem. § 155 Abs. 2 StVollzG.

1. Die Bestellung oder Verpflichtung,

§ 157 Abs. 1 StVollzG

Die Vorschrift des § 157 StVollzG korrespondiert mit den Vorgaben des Art. 141 WRV und stellt die notwendige vollzugsorganisatorische Ergänzung

7 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 157 Rdn. 4

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

8 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 157 Rdn. 4; Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 1; Brandt/Huchting: In: AK StVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 53 Rdn. 3; 9 Kapitel 1 3 - 2 4

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

179

und Grundlage 10 von Art. 4 GG und §§ 53 ff StVollzG dar 1 1 . Festgelegt wird durch diese bundesrechtliche Rahmenbestimmung12 lediglich ein Handeln des Staates im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft, welches die religiöse Versorgung der Strafgefangenen sicherstellt. Dabei läßt das Strafvollzugsgesetz bewußt offen 1 3 , wie die Anstellung der Seelsorger im Einzelnen erfolgen soll, da es sowohl die Bestellung im Hauptamt, mit der Folge, daß der Anstaltsgeistliche Beamte w i r d 1 4 , als auch die vertragliche Verpflichtung der Seelsorger gem. § 157 Abs. 1 StVollzG nennt, mit der Folge, daß die Kirchen Anstellungsträger bleiben. Falls die Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Bestellung oder Verpflichtung nicht rechtfertigen sollte, sieht das Strafvollzugsgesetz die Zulassung seelsorgerischer Betreuung auf andere Weise vor, § 157 Abs. 2 StVollzG. Dabei impliziert diese Vorschrift zusammen mit der erwähnten Vorschrift des § 155 Abs. 2 StVollzG über die Vollzugsbediensteten die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, den Erfordernissen der Anstalt entsprechend für die erforderliche Anzahl von Seelsorgern zu sorgen 15 . Bei welcher Anzahl von Gefangenen jedoch an eine Bestellung oder Verpflichtung eines Seelsorgers zu denken ist, wird bundesrechtlich nicht festgelegt. Vertreten werden hierzu unterschiedliche Ansichten. So wird vorgeschlagen bei je 250 Inhaftierten einen hauptamtlichen Seelsorger 16 vorzusehen. In der Praxis können diese Zahlen aufgrund gewisser Personalschwierigkeiten bei den Kirchen nicht immer erreicht werden. Faßt man Seelsorger und kirchliche Mitarbeiter ohne Differenzierung von haupt- und nebenamtlichen Mitarbeitern zusammen und 10 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 157 Rdn. 1;

u Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 157 Rdn. 1;

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

12 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 157 Rdn. 1

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

13 BT-Dr. 7/918 S. 97 14 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 368 15 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 4 16 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 4 unter Berufung auf die Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e.V. zur inneren Reform des Strafvollzuges, 1970 12*

180

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

versucht einen Durchschnitt anzugeben, so kann von einem Mittel von 1 Seelsorger fur 314 Gefangene, im günstigsten Fall für 203 Gefangene ausgegangen werden 17 . Der Bestimmung des Strafvollzugsgesetzes hinsichtlich der religiösen Versorgung der Gefangenen wird dahingehend Rechnung getragen, daß dort, wo keine hauptamtlichen Anstaltsseelsorger zur Verfügung stehen, über den Weg der nebenamtlichen Anstellung örtlicher Pfarrer die religiöse Versorgung der Gefangenen gewährleistet wird. Speziell kleinere Haftanstalten werden durch nebenamtliche Seelsorger betreut 18 .

2. Seelsorgerliche Betreuung auf andere Weise, § 157 Abs. 2 StVollzG

Gem. § 157 Abs. 2 StVollzG ist auch eine seelsorgerliche Betreuung auf andere Weise zuzulassen, sofern sich aufgrund der zahlenmäßigen Verhältnisse in einer Anstalt weder die haupt-, noch die nebenamtliche Beschäftigung eines Seelsorgers rechtfertigt. Zu denken ist hierbei an ehrenamtliche, persönliche, telefonische und schriftliche Betreuung 19 . Einige Länder haben hinsichtlich der ehrenamtlichen Betreuung von Strafgefangenen eigene Regelungen erlassen, die jeweils bei der Darstellung der Länder im Rahmen dieser Arbeit in den Kapiteln §§13 -24 Erwähnung finden.

3. Seelsorger von außen und Seelsorgehelfer,

§ 157 Abs. 3 StVollzG

Gem. § 157 Abs. 3 StVollzG können Anstaltsseelsorger freie Seelsorgehelfer heranziehen, und für Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen Seelsorger von außen beteiligen. Dabei erfolgt die Berufung

17 Vgl. die Statistik: Personalschlüssel im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland 1989 / 1990 in: Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einfuhrung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 278 18 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 8 19 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 157 Rdn. 7; Calliess, Rolf-Peter, Heinz MüllerDietz y StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, § 157 Rdn. 5

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

181

eines Seelsorgehelfers durch die Kirche auf Vorschlag des Anstaltsseelsorgers mit der Zustimmung des Anstaltsleiters 20 . Es handelt sich bei dieser Bestimmung um eine ausdrückliche Klarstellung 21 eines Rechts der Anstaltsseelsorger, von dem jedoch hinsichtlich der einzelnen Person des Seelsorgehelfers nur mit Zustimmung der Anstaltsleitung Gebrauch gemacht werden kann 2 2 . Diese Möglichkeit ist weitgehend zu nutzen, da bisweilen Anstaltsseelsorger Jahre an einer Anstalt arbeiten und den Gefangenen auch dort die Möglichkeit gegeben werden muß, andere Seelsorger zu kontaktieren. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, daß der Gefangene im Rahmen seiner grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit keinen Anspruch auf einen bestimmten Seelsorger hat. Zugestanden werden muß ihm jedoch gerade im Rahmen seiner Religionsfreiheit die Möglichkeit, gelegentlich auch mit anderen Pfarrern Kontakt aufzunehmen. So korrespondiert das Recht des Gefangenen, auch von anderen Seelsorgern betreut zu werden, mit dem Recht des Anstaltsseelsorgers, Geistliche von außen zum Gottesdienst oder zu anderen religiösen Veranstaltungen hinzuziehen, § 157 Abs. 3 StVollzG. Desweiteren hilft diese Vorschrift, eine gewisse Isolierung der Gefängnisseelsorge zu überwinden und die Verbindung zur "Außenwelt" zumindest von Zeit zu Zeit herzustellen. Die Durchbrechung der Isolation ist für den Anstaltsseelsorger notwendig 23 . Eine weitere Hilfe zur Seelsorge, die einer Seelsorge außerhalb des Vollzugs in vergleichbarer Weise angeglichen ist, besteht in der Möglichkeit der Heranziehung von freien Seelsorgehelfern. Dabei zeigt die Wortwahl "freie" Seelsorgehelfer, daß hier Hilfspersonen von außen gemeint sind, die nicht in einem Dienstverhältnis zum Staat stehen 24 . Diese freien Seelsorgehelfer können qualifizierte Mitarbeiter des Anstaltsseelsorgers sein, die bestimmte Schwerpunkte in ihrer religiös-karitativen Arbeit setzen. Dabei

20 Heusei, Hans Martin, Freie Seelsorge. Zum Verständnis von § 157 Abs. 3 Strafvollzugsgesetz, in: ZfStrVo (30) 1981, S. 364 (365)

21 BT-Dr. 7/918 S. 97 22 Vgl. ausfuhrlich zu § 157 Abs. 3 StVollzG: Heusei, Hans Martin, Freie Seelsorge. Zum Verständnis von § 157 Abs. 3 Strafvollzugsgesetz, in: ZfStrVo (30) 1981, S. 364 - 365 23 Stubbe, Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (171) 24 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 10

182

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

sollte die Berufung durch den Anstaltsseelsorger mit Zustimmung der Anstaltsleitung erfolgen 25 . Diesbezüglich haben jedoch nur wenige Länder Vereinbarungen mit den Kirchen getroffen. Meist werden hier die Grundsätze und Verträge für die allgemeinen ehrenamtlichen Mitarbeiter 26 angewandt, um die sicherheitsrechtlichen Anforderungen des Vollzugsdienst ebenso sicher-zustellen, wie eine auch im Sinne der Gefangenen zu fordernden Kontinuität der ehrenamtlichen Arbeit im Vollzug 2 7 .

4. Das Zusammenarbeitsgebot

t

§ 154 StVollzG

Im weiteren steht die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers unter dem Gebot der Zusammenarbeit gem. § 154 Abs. 1 StVollzG. Der Seelsorger ist Kollege der übrigen Mitarbeiter im Strafvollzug 28 . Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit 29 hat zur Folge, daß der Geistliche nicht nur beratend und vorbereitend, sondern aktiv, gemeinsam mit der Anstaltsleitung auch in die Entscheidung einbezogen w i r d 3 0 . Allerdings kann diese Pflicht zur Mitarbeit auch bei Entscheidungen kirchlicherseits nur soweit akzeptiert werden, als diese Mitverantwortung nicht dem seelsorgerlichen Auftrag widerspricht. Zwar ist der Ansicht zuzustimmen, daß die einzelnen Fachbereiche nicht koordinationslos nebeneinanderher arbeiten dürfen 31 . Auch ist eine gewisse Unterordnung der Fachdienste unter die Aufgaben des Vollzugs anzuerkennen und eine

25

Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 157 Rdn. 10 26 vgl. dazu: Busch, Max, Ehren- und nebenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug. In: Schwind/Blau 1976, S. 374 - 383 27 Heusei, Hans Martin, Freie Seelsorge. Zum Verständnis von § 157 Abs. 3 StrafVollzugsgesetz, in: ZfStrVo (30) 1981, S. 364 - 365 28 Rassow, Peter, Der Gefängnisseelsorger in der Sicht der Vollzugsbediensteten. Erfahrungen und Erwartungen, in: WzM Bd. 36, 1984, S. 71 29 Diese Pflicht betont: Rotthaus, Karl-Peter, in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 154 Rdn. 1

30 Hoffmann, 31 Hoffmann,

Ehrhard, in: AKStVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 154 Rdn. 1 Ehrhard, in: AKStVollzG, 2. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1982, § 154 Rdn. 2

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

183

Einordnung in das Team 3 2 wünschenswert. Jedoch muß bei aller Integration des Anstaltsseelsorgers in den Vollzug stets seine theologische Position 33 deutlich sein. Er nimmt eine Sonderstellung ein, im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit der Gefangenen und auf die grundrechtlich geschützte eigenständige Tätigkeit der Kirchen, denen die Freiheit ihres Wirkens auch im Strafvollzug garantiert ist. Es handelt sich bei der Betreuung durch einen Seelsorger nicht um eine Tätigkeit, wie die der anderen Mitarbeiter im Vollzug. Hier geht es um die Glaubens- und Religionsfreiheit des einzelnen Gefangenen und der Kirche, für die und in derem Schutzbereich der einzelne Seelsorger tätig wird. Er steht zwar mit den übrigen Disziplinen in enger Verbindung, manchmal scheinen sich seine Tätigkeiten mit denen anderer Fachdienste zu überschneiden - allerdings hat Seelsorge eine eigene Identität, der sie sich auch stets bewußt sein sollte 3 4 , die den Rückgriff auf andere Fachbereiche nicht nötig macht 35 .

IV· Die dienstrechtliche Stellung der Anstaltsseelsorger 1. Die grundsätzliche Ausgangsfrage

In der Vergangenheit ist die Diskussion um die Unabhängigkeit der Anstaltsseelsorger häufig exemplarisch an der Frage festgemacht worden, ob der Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten bleiben soll, oder ob ihm auch eine befristete Verbeamtung für die Dauer seiner Tätigkeit im Justizvollzug möglich sein sollte 3 6 . Die Länder haben mit den in ihnen vertretenen Kirchen 32 Goudsmit, Walter, Der Gefängnis-Seelsorger im Team der anderen Mitarbeiter (überarbeitete Fassung), in: Goudsmit, Walter (Hrsg.), Delinquenz und Gesellschaft: Wege zum Verständnis und zur Therapie von Straftätern, Göttingen 1986, S. 202 (205) 33 Rassow, Peter, Der Geföngnisseelsorger in der Sicht der Vollzugsbediensteten. Erfahrungen und Erwartungen, in: WzM Bd. 36, 1984, S. 71 (72) 34 Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis Π, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 122 (128) 35 Goudsmit, Walter, Der Gefängnis-Seelsorger im Team der anderen Mitarbeiter (überarbeitete Fassung), in: Goudsmit, Walter (Hrsg.), Delinquenz und Gesellschaft: Wege zum Verständnis und zur Therapie von Straftätern, Göttingen 1986, S. 202 (204) 36 so auch: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 295 ff

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

unterschiedliche Regelungen gefunden, die, sofern sie näher betrachtet werden, eine gewisse Annäherung des vertraglich angestellten und des verbeamteten Anstaltsseelsorgers erreichen, da grundsätzlich die Freiheit des Anstaltsseelsorgers in innerkirchlichen Angelegenheiten garantiert wird. Dennoch bleibt die Frage nach Grenzen und Möglichkeiten der staatlichen Mitwirkung bei dem kirchlichen Amt des Anstaltsseelsorgers offen. Hinsichtlich der Stellung des Anstaltsseelsorgers wird es der Entscheidung der Länder und der in ihnen vertretenen Kirchen überlassen, wie sie sein Anstellungsverhältnis, seine Rechte und Pflichten, regeln. Von dieser Möglichkeit haben die Länder Gebrauch gemacht, wobei grundsätzlich zwei Denkansätze zu unterscheiden sind: Zum einen gibt es Länder, in denen die Unabhängigkeit der Anstaltsseelsorger vom Staat betont w i r d 3 7 . Dementsprechend werden die Anstaltsseelsorger in Diensten der Kirche belassen und dem Staat für eine begrenzte Zeit bis zu ihrer Abberufung zur Verfügung gestellt. So befinden sich in diesen Ländern die Anstaltsseelsorger zum Staat in einem Rechtsverhältnis eigener Art. Andererseits werden in einigen Ländern die Anstaltsseelsorger in den Öffentlichen Dienst, sei es in das Beamtenverhältnis, sei es als Angestellter des Öffentlichen Dienstes, übernommen. In diesen Ländern kommt es zu sogenannten "doppelten Dienstverhältnissen" 38 , also Dienstverhältnissen, in denen der kirchliche Amtsträger aufgrund besonderer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche staatlich anerkannte Aufgaben wahrnimmt und für diese Zeit hauptberuflich in eine staatliches Dienstverhältnis 39 eingeordnet wird. Am häufigsten in der Praxis ist in den einzelnen Ländern ein unreflektiertes Nebeneinander der verschiedenen Verpflichtungsarten.

a. Die umfassende Pflichtenstellung von Beamten Die Aufnahme einer Person in das Beamtenverhältnis hat weitreichende Konsequenzen. Dies beginnt bei der umfassenden Pflichtenstellung eines

37

So in Hessen

38 Vgl. zum "Doppelten Dienstverhältnis" Frank, HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 669 (714ff)

Johann, Dienst- und Arbeitsrecht, in:

39 Vgl. fiir den Bereich der Militärseelsorge das staatlich gebundene Kirchenamt bzw. das kirchlich gebundene Staatsamt: von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 115

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

185

Beamten, die sich aus dem besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis 40 ergibt und erstreckt sich über die "volle Hingabe" des Beamten 41 an seinen Dienstherrn bis hin zum achtungswürdigen Verhalten eines Beamten auch in außerdienstlichen Angelegenheiten 42 . Der Beamte ist u.a. zu Neutralität 43 , zu Gehorsam 44 und Uneigennützigkeit 45 verpflichtet. Diese Pflichten vermag ein kirchlicher Amtsträger nur bedingt zu erfüllen, da er sich einem anderen Auftrag, als dem staatlichen verpflichtet weiß. Der Inhalt seines Amtes, sowohl des Predigt-, als auch der Pfarramtes und seine anderen Pflichten 46 bestimmt sich nach dem kirchlichen Auftrag 4 7 und ist an Schrift und Bekenntnis gebunden 48 .

b. Die Eigenständigkeit des kirchlichen Arbeitsrechts Zwar sind die Rechtsbeziehungen zwischen der Kirche und den in ihr tätigen Personen - historisch bedingt - zum großen Teil nach dem Vorbild des staatlichen Beamtenrechts gestaltet 49 , jedoch finden auf Kirchenbeamte im allgemeinen die Normen des staatlichen Beamtenrechts nur eingeschränkt

40 Vgl. Lecheler, Helmut, Der öffentliche Dienst, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1988, Band III, § 72, S. 717 (736ff), Rdn. 49 ff

41 Vgl. Lecheler, Helmut, Der öffentliche Dienst, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1988, Band III, § 72, S. 717 (737), Rdn. 53 42 Hilg

y

Günter, Beamtenrecht. 3. Aufl., München 1990, S. 342 ff, § 28

43 Vgl. Rilg, Günter, Beamtenrecht. 3. Aufl., München 1990, S. 320 ff, § 26 44 Kopp, Klaus, Öffentliches Dienstrecht, in: Steiner, Udo (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht. Ein Uhrbuch. 3. Aufl., Heidelberg 1988, Kap. III, S. 410 f, Rdn. 115 45 Vgl. Hilg, Günter, Beamtenrecht. 3. Aufl., München 1990, S. 330 ff, § 27 46 Vgl. zu Predigtamt, Pfarramt und anderen Pflichten: Wolf Erik, Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis. Frankfurt 1961, S. 614 f

47 Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177 (178) 48 Weber, Hermann, Die Rechtsstellung des Pfarrers, insbesondere des Gemeindepfarrers Grundprobleme einer Reform der Kirchenverfassung und des Pfarrdienstrechts in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), in: ZevKR 28 (1983), S. 1 (10) 49 Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177

186

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Anwendung 50 . Aus der Anerkennung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 137 I I I WRV i.V.m. Art. 140 GG, also dem Grundsatz, daß kirchliches Wirken dem Zugriff des staatlichen Rechts insoweit entzogen ist, als jedenfalls der geistliche Auftrag der Kirche, die Lehre oder die Pflichten des Pfarrers betroffen sind 5 1 , folgt als weitere Konsequenz die Befugnis der Kirchen, eigene kirchliche Dienstverhältnisse zu schaffen, die gerade den kirchlichen Bedürfhissen Rechnung tragen. Diese staatliche Anerkennung der kirchlichen Autonomie in Fragen des Arbeitsrechts führt bisweilen zu bedenklichen Rechtsschutzverkürzungen 52 kirchlicher Arbeitnehmer und kirchlicher Angestellter 53 , sichert jedoch - sofern sie korrekt gehandhabt wird - die Beachtung der kirchlichen Eigenständigkeit und die Anerkennung der durch die Bindung an Schrift und Bekenntnis 54 vorgegebene - Andersartigkeit der Kirche.

c. Das Treueverhältnis zum Staat bzw. zur Kirche Der Anstaltsseelsorger ist auch und gerade im Strafvollzug seinem kirchlichen Auftrag verpflichtet. Eine - wenn auch befristete - Verbeamtung stellt ihn in ein obligatorisches Treueverhältnis zum Staat, welches mit seinem Amt nur schwerlich in Einklang zu bringen ist. Zwar sind dem kirchlichen Amtsträger und dem Beamten zahlreiche Bedingungen ihres Verhältnisses zu ihrem Dienstherrn gleich, wie beispielsweise die lebenslange Verpflichtung 55 und die Wahrnehmung eines Amtes, dessen Inhalt von außen vorgegeben ist.

50 Vgl. zum Beamtenrecht in der Kirche: Erler, Adalbert, Kirchenrecht, 5. Aufl., München 1983, Kap. 61, S. 186 ff

51 Vgl. Weber, Hermann, Die Rechtsstellung des Pfarrers, insbesondere des Gemeindepfarrers - Grundprobleme einer Reform der Kirchenverfassung und des Pfarrdienstrechts in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), in: ZevKR 28 (1983), S. 1 (13) 52 Vgl. dazu den - zu Recht - kritischen Beitrag: Steiner, Udo, Rechtsschutzbeschränkung bei Ausübung kirchlicher Personalgewalt? in: JuS 1980, 342 und: Steiner, Udo, Nichts Neues zum Rechtsweg für Klagen von Geistlichen und Kirchenbeamten aus ihrem Amtsverhältnis, in:

NJW 1983, 2560 53 Vgl. Wölbing, Werner, Pfarrer im Angestelltenverhältnis und die Problematik ihres Rechtsschutzes, in: ZevKR 28 (1983), S. 62 - 83 und Schilberg, Arno, Rechtsschutz bei Pfarrern im Angestelltenverhältnis, in: ZevKR 36 (1991), S. 42 - 52 54 Weber, Hermann, Die Rechtsstellung des Pfarrers, insbesondere des Gemeindepfarrers Grundprobleme einer Reform der Kirchenverfassung und des Pfarrdienstrechts in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), in: ZevKR 28 (1983), S. 1 (lOf) Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177 (178)

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

187

Dennoch besteht der Unterschied zwischen den beiden Amtsträgern gerade im Wesen ihres jeweiligen Dienstherrn und dessen Verständnis von seiner Aufgabe in dieser Welt. Es kann weder der eine Dienstherr gegen den anderen ausgetauscht werden, noch der eine gleichwertig neben den anderen gestellt werden. Eine doppelte Loyalität zum Staat und zur Kirche aufrecht zu erhalten, kann auch von einem Anstaltsseelsorger nicht verlangt werden.

d. Der kirchliche Auftrag und das Beamtenrecht Wenn der Gemeinzweck des Beamtenverhältnisses gerade in der Sicherung einer stabilen Verwaltung und der Bildung eines ausgleichenden Faktors 56 gegenüber den das Staatsleben formenden politischen Kräften zu sehen ist, so ist erscheint eine Verbeamtung von Anstaltsseelsorgern unpassend. Diese sollen und können im Strafvollzug keine die Verwaltung sichernden Faktoren sein. Sie können ihrem Amt auch nicht unpolitisch im Sinne einer völligen Neutralität nachgehen. Es ist gerade ihr glaubensmäßig vorgegebener Auftrag, die Botschaft Jesu Christi zu verkünden und speziell für Menschen in Not einzutreten. Eine beamtenrechtliche Verpflichtung ist daher für Anstaltsseelsorger nicht zu befürworten. Eine Verbeamtung im Sinne des staatlichen Rechts würde die Auslieferung 57 des kirchlichen Dienstes an sachfremde Gesichtspunkte darstellen und zu einer Verfälschung des kirchlichen Auftrags führen.

e. Möglichkeiten einer Modifizierung des Beamtenrechts Wenn somit eine unmodifizierte Verbeamtung nicht geboten ist, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer geeigneten Modifizierung des Beamtenrechts für Inhaber eines geistlichen Amts. Diese Modifizierung wird auf dem Gebiet der Anstaltsseelsorge weitgehend dahin versucht, daß hinsichtlich aufsichtlicher Regelungen 58 der Seelsorger bei der Wahrnehmung seelsorgerlicher Aufgaben der Aufsicht seiner Kirche untersteht, und nur in Angelegenheiten der Dienstaufsicht staatlichen Stellen unterliegt. Durch diese Regelungen wurde versucht, der Problematik des Auseinanderklaffens von geistlichem

56

Lecheler, Helmut, Der öffentliche Dienst, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josefund Kirchhof\ Paul (Hrsg.), Heidelberg 1988, Band ΠΙ, § 72, S. 717 (749), Rdn. 85 57 Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177 (178)

58 Vgl. dieses Kapitel § 9 I V Abschnitt 3 "Aufsicht"

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Auftrag und weltlichem Dienstverhältnis Herr zu werden. Dabei zeigt jedoch bereits dieser Ansatz ein fehlendes Verständnis für die Andersartigkeit des kirchlichen Wesens. Der kirchliche Amtsträger ist im Rahmen der Verkündigung an keine fachlichen Weisungen gebunden 59 . Es gibt zwar auch in der Kirche aufsichtliches Vorgehen, insbesondere die Visitation. Diese wird jedoch primär nicht als administrative Aufsicht verstanden, sondern als geistliche Begleitung, Fürsorge und Anregung 60 . Eine für den einzelnen verbindliche Weisung 6 1 , wie sie das Beamtenrecht kennt, ist bei der Amtsaufgabe der Verkündigung dem kirchlichen Amtsträger unbekannt 62 . Daher ist sowohl der theoretische Ansatz dieser Trennung, als auch seine praktische Durchführung sehr kritisch zu bewerten.

f. Das Rechtsverhältnis eigener Art Im Ergebnis läßt sich also festhalten, daß eine Verbeamtung von Anstaltsseelsorgern der besonderen Problematik dieses Amtes nicht gerecht werden kann. Sofern das Besondere des kirchlichen Wesens und des kirchlichen Auftrags respektiert wird, findet eine innerliche Aushöhlung des Beamtenrechts statt. Wenn andererseits die Verbeamtung ohne Rücksicht auf das kirchliche Amt durchgeführt wird, ist der kirchliche Auftrag nicht genügend berücksichtigt. Daher ist es eine ehrlichere und rechtlich einwandfreie Lösung, die Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten zu belassen und ihr Rechtsverhältnis zum Staat als eine Rechtsverhältnis eigener Art zu qualifizieren. Dieses Rechtsverhältnis kann dann unter Berücksichtigung der spezifisch kirchlichen und der spezifisch staatlichen Belange einvernehmlich geregelt werden. Im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses lassen sich auch Fragen der Loyalität u.ä. interessengerecht regeln. Eine derartige Lösung ist ein Beitrag zur schärferen Konturierung von Grenzen und Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug.

59 Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177 (178) 60 Weber, Hennann, Die Rechtsstellung des Pfarrers, insbesondere des Gemeindepfarrers Grundprobleme einer Reform der Kirchenverfassung und des Pfarrdienstrechts in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), in: ZevKR 28 (1983), S. 1 (56) 61 Köpp, Klaus, Öffentliches Dienstrecht, in: Steiner, Udo (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht. Ein Lehrbuch. 3. Aufl., Heidelberg 1988, Kap. III, S. 341 (376) Rdn. 51

62 Pirson, Dietrich, Beamtenrecht in der Kirche, in: EvStL, 3. Aufl., Band 1, Stuttgart 1987, Sp. 177 (178)

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

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2. Die Bestellung, Anstellung und Finanzierung a. Die Bestellung Bereits bei der Frage der "Bestellung" weisen die Vereinbarungen Unterschiede auf, da es einige Länder gibt, in denen die Bestellung durch das Land erfolgt, andere, in denen die Bestellung durch die Kirchen erfolgt und dritte, in denen diese Frage offen gelassen wurde. So erfolgt in Bayern 63 , Niedersachsen 64 und Schleswig-Holstein 65 die Bestellung durch das Land im Einvernehmen mit der Kirche. Offen gelassen66 wurde die Frage der Bestellung in den Staatskirchenverträgen von Hessen 67 und Rheinland-Pfalz 68 . Dabei hat Hessen durch eine zusätzliche Vereinbarung 17 Jahre später bestimmt, daß die Anstaltsseelsorger von den Kirchen im Einvernehmen mit den Justizministerium berufen werden 69 . In den Ländern, in denen mangels neuerer Vereinbarungen mit der katholischen Kirche das Reichskonkordat vom 20.7.1933 weiter Geltung beansprucht, geschieht die Einstellung von Geistlichen staatlicherseits im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde 70. b. Rechtsvorschriften und statistische Angaben zur Anstellung in den einzelnen Ländern Zur Verbeamtung bzw. vertraglichen Anstellung haben die Länder folgende Regelungen getroffen und ergeben sich in der Praxis die folgenden Zahlen:

« Art. 17 Abs. 1 S. 2 BayKV vom 15.11.1924; Art. 11 Abs. 1 S. 2 BayKV vom 15.11.1924; Art. 11 S. 2 BayK vom 29.3.1924 « Art. 6 S. 2 NdsKV vom 19.3.1955; Art. 11 Abs. 1 S. 2 NdsK vom 21.5.1973 65 Art. 8 Abs. 2 S. 1 SHKV vom 23.4.1957 « Frank, Johann, Dienst- und Arbeitsrecht, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 669 (715) sieht dies als neuere Entwicklung im Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Strafvollzug 67 Art. 16 Abs. 1 S. 2 HesKV vom 18.2.1960 68 Art. 21 Abs. 1 S. 1 RhPfKV vom 31.3.1962 69 Art. 4 Abs. 1 HesVb vom 19.10.1977 70 Art. 28 S. 2 RK vom 20.7.1933

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1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

In Baden-Württemberg werden die hauptamtlichen Anstaltsseelsorger vom Land auf Vorschlag der Kirchen nach den Bestimmungen des Landesbeamtenrechts in das Beamtenverhältnis berufen oder durch Dienstvertrag angestellt, § 1 Abs. 3 BaWüRiLi vom 25.4.1977. Dabei sind alle 22 hauptamtlichen Seelsorger ins Beamtenverhältnis übernommen worden, während die nebenamtlichen Seelsorger zum Teil kraft Anstellungsvertrag, zum Teil in in kirchlichen Diensten sind 7 1 . In Bayern werden die hauptamtlichen Seelsorger durch das Staatsministerium der Justiz im Einvernehmen mit den Kirchen nach den Vorschriften des bayerischen Beamtenrechts zu Beamten ernannt oder nach den Bestimmungen des Tarifrechts durch Dienstvertrag angestellt, § 2 Abs. 1 S. 1 BayVV vom 12.2.1982. Von den 28 hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern sind 21 Beamte und 7 kraft Gestellungsvertrag tätig 7 2 . Die in Berlin tätigen haupt- und nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind ausschließlich in Diensten der Kirche 7 3 . Von den drei hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern in Bremen ist einer in das Beamtenverhältnis übernommen worden, während die zwei weiteren hauptamtlichen, sowie der nebenamtliche Seelsorger im Dienst der Kirche stehen 74 . In Hamburg sind die 11 hauptamtlichen Anstaltsseelsorger in Diensten der Kirche, während der nebenamtliche Seelsorger kraft Anstellungsvertrag verpflichtet i s t 7 5 . In Hessen stehen die Anstaltspfarrer im Dienst des Bistums und zum Land in einem Rechtsverhältnis besonder Art, Art. 2 Nr. 1 S. 1, 2 HesVb vom 19.10.1977. Daher sind alle 16 haupt- und 16 nebenamtliche Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten.

71 Quelle: Schreiben des Ministeriums für Justiz Baden-Württemberg an die Verfasserin vom 14.2.1991, Az: 2412 I - IV / 94 72

Information des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für die Verfasserin vom 25.1.1991 73

Schreiben der Senatsverwaltung fiir Justiz - Berlin an die Verfasserin vom 15.2.1991, Gz: 4557 E-V/2.91 74 Schreiben des Senators für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen an die Verfasserin vom 4.4.1991, Gz: 4561

Schreiben der ordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche - Nordeibisches Kirchenamt an die Verfasserin vom 10.3.1992, Az: 5060 - W I I

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

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In Mecklenburg-Vorpommern sind alle 12 nebenamtlich tätigen Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten 76 . In Niedersachsen sind 22 Personalstellen im Haushalt für hauptamtliche Anstaltsseelsorger vorhanden 77 . In Nordrhein-Westfalen gibt es 58,75 hauptamtliche und 56 nebenamtliche Stellen für Anstaltsseelsorger, wobei von den hauptamtlichen 27 in Beamtenverhältnis übernommen wurden, 9,5 als Angestellte des Öffentlichen Dienstes sind und 22,25 im Wege des Gestellungsvertrages in kirchlichen Diensten sind. Die 56 nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind alle in kirchlichen Diensten 78 . In Rheinland-Pfalz sind 9 hauptamtliche Anstaltsseelsorger tätig, von denen einer ins Beamtenverhältnis übernommen wurde und 8 in Diensten der Kirche stehen. Die 9 nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind alle kraft Anstellungsvertrag verpflichtet 79 . Auch im Saarland wird der Anstaltspfarrer von der Kirche gestellt und steht zum Land in einem Beschäftigungsverhältnis besonderer Art , § 2 Abs. I S . 1, 2 SaarlVbev vom 22.7.1977, Art. 2 Abs. I S . 1 , 2 SaarlVbkath vom 6.5.1982. Die zwei hauptamtlichen Seelsorger stehen im Dienst der Kirche 8 0 . In Schleswig-Holstein sind 5 hauptamtliche Seelsorger tätig, von denen 2 ins Beamtenverhältnis übernommen wurden, während 3 in Diensten der Kirche stehen 81 . Die 3 nebenamtlichen Seelsorger sind im kirchlichen Dienst 8 2 .

76 Schreiben des Ministers für Justiz, Bundes- u. Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 10.4.1991 an die Verfasserin 77 Schreiben des niedersächsischen Justizministeriums vom 12.2.1991, Gz: 4561 I - 401.40, ohne nähere Angaben 78

Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an die Verfasserin vom 11.6.1991, Gz: 4561 Ε - IV A. 228 79

Schreiben des Ministeriums der Justiz - Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991, Gz: 4407E-5-1/91 80 Schreiben des Ministeriums der Justiz - Saarland an die Verfasserin vom 8.2.1991, Gz: 3003 - 81 81 Schreiben des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein an die Verfasserin vom 14.2.1991, Gz: Vb 230 b/4561 - 20

192

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

c. Anstellung und Finanzierung Es fällt auf, daß in den meisten Ländern ein Nebeneinander der verschiedenen Anknüpfungen seelsorgerlicher Tätigkeit besteht. Dies verwundert angesichts der jeweils identischen Vertragspartner innerhalb eines Landes und der ebenfalls identischen Aufgabenstellung an jeder Justizvollzugsanstalt. In den meisten Fällen sind die Erscheinungen der Praxis jedoch historisch oder finanziell bedingt, da Staat und Kirche jeweils die Finanzierung der Anstaltsseelsorge miteinander regeln müssen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß weder aus der Verfassung, noch aus bundesweiten Regelungen Verpflichtungen des Staates zur Finanzierung der kirchlichen Tätigkeit im Strafvollzug abzuleiten sind. Es spricht die Verfassung von einem bloßen Zulassungsanspruch der Kirchen. Auch das Strafvollzugsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage für finanziellen Verpflichtungen des Staates gegenüber der Kirche im Strafvollzug. Derartige Regelungen könnten bereits aus Kompetenzgründen nicht vom Bund getroffen werden, da Regelungen zur Finanzierung der Anstaltsseelsorge Angelegenheit der jeweiligen Länder und der betroffenen Kirchen ist. Auch eine Annexkompetenz des Bundes wegen der Zusammenhangs dieser Frage mit dem Strafvollzug kann nicht festgestellt werden. Seelsorge im Strafvollzug wird zwar von Art. 74 Nr. 1 GG erfaßt 83 ist also Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Finanzielle Regelungen der Länder mit den Kirchen über die Anstaltsseelsorge sind jedoch reine Ländersache. Sofern einzelne Länder sich zur Finanzierung verpflichtet haben, sind dies im Wege einzelner Vereinbarungen getroffene Sonderregelungen, die für andere Länder keine Verbindlichkeit haben. Verfassungswidrig sind derartige staatliche Finanzierungen der Kirchen nicht, da es den Ländern in Deutschland unbenommen ist, die Kirchen finanziell zu unterstützen, sofern sie die oben dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben, also insbesondere den Paritätsgrundsatz, beachten. Bei der Finanzierung der Anstaltsseelsorge durch den Staat kommt ein weiterer Faktor, der in beschränktem Maße für die staatliche Finanzierung spricht, hinzu. Die Kirchen übernehmen hier Aufgaben, die auch dem Konzept der Strafvollzugs als Behandlungsvollzug entsprechen. Sie fördern durch ihre Tätigkeit den Resozialisierungsprozeß der

82 Schreiben der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche - Nordeibisches Kirchenamt an die Verfasserin vom 10.3.1992, Az: 5060-WII

83 Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (530)

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

193

Gefangenen. Daher erbringen sie auch eine Leistung für den Staat, dem es demzufolge frei steht, die Leistungen der Kirche finanziell zu vergüten.

3. Aufsicht

Hinsichtlich aufsichtlicher Maßnahmen gegenüber dem Anstaltsseelsorger finden sich in den Ländern folgende Bestimmungen: In Baden-Württemberg übt gem. § 3 Abs. 1 BaWüRiLi vom 25.4.1977 die zuständige Kirche in geistlichen Angelegenheiten die Aufsicht aus, während im übrigen die Vorschriften über die Dienstaufsicht bei den Vollzugsanstalten unberührt bleiben, § 3 Abs. 2 BaWüRiLi vom 25.4.1977. In Bayern übt die Aufsicht über die Anstaltsseelsorger in kirchlichen Angelegenheiten der zuständige Bischof 84 , bzw. der Landeskirchenrat 85 aus, wobei die Dienstaufsicht des jeweiligen Anstaltsleiter und des Staatsministeriums der Justiz unberührt bleibt 8 6 . In Hamburg liegen Fach- und Dienstaufsicht Seelsorger beim Nordelbischen Kirchenamt 87 .

für die evangelischen

Art. 2 Abs. 2 S. 1 HessVb vom 19.10.1977 statuiert die Dienstaufsicht der jeweiligen Kirche über die Seelsorger an Hessischen Justizvollzugsanstalten, wobei Art. 2 Abs. 2 S. 2 HessVb vom 19.10.1977, ebenso wie Nr. 3 S. 2 HessDO vom 10.11.1977, die Verpflichtung der Seelsorger zur Beachtung der sie betreffenden Bestimmungen des Justizvollzugs und der Untersuchungshaft festhält. In Nordrhein-Westfalen unterliegen Wahrnehmung der seelsorgerlichen

die Anstaltsseelsorger bei der Aufgaben entsprechend den

84 § 7 Abs. 1 BayWkath vom 12.2.1982 85 § 7 Abs. 1 BayWev vom 12.2.1982 86 §7 Abs. 2 BayW vom 12.2.1982 87 Schreiben der Nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche - Nordeibisches Kirchenamt an die Verfasserin vom 10.3.1992, Az: 5060 - W I I

13 Eick-Wildgans

194

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

kirchenrechtlichen Bestimmungen der kirchlichen Aufsicht. Die Vorschriften über die Dienstaufsicht der Vollzugsbehörden bleiben unberührt 88 . In Rheinland-Pfalz ist ebenfalls festgelegt, daß die Aufsicht in seelsorglichen Angelegenheiten die zuständige Kirche ausübt 89 , während i m übrigen die Vorschriften über die Dienstaufsicht bei den Justizvollzugsanstalten unberührt bleiben 90 . Im Saarland untersteht der Anstaltspfarrer der Dienstaufsicht der Kirche 9 1 . Eine Besonderheit findet sich hier durch die Formulierung, daß der Anstaltspfarrer in Fragen der Ordnung der Justizvollzugsanstalten den Anstaltsleitern untersteht 92 . Die Vereinbarung mit der katholischen Kirche, ebenso wie die für die katholischen Anstaltspfarrer geltende Dienstordnung enthält keine derartige Formulierung. Hier ist allein festgelegt, daß der Geistliche zur Beachtung der ihn betreffenden Vorschriften des Justizvollzugs und der Untersuchungshaft verpflichtet i s t 9 3 . In Schleswig-Holstein ist für die beiden Landesbeamten der jeweilige Anstaltsleiter der formale Vorgesetzte. Der geistliche Vorgesetzte ist der Sprengelbischof in Lübeck. Eine zusätzliche kirchliche Fachaufsicht wird vom Nordelbischen Kirchenamt wahrgenommen. Die in kirchlichen Diensten stehenden Anstaltsseelsorger werden fachaufsichtlich unmittelbar vom Nordelbischen Kirchenamt Kiel betreut. Die Dienstaufsicht liegt beim Probst des Kirchenkreises 94 . Es fällt auf, daß zwar die meisten Bestimmungen zwischen der Aufsicht in kirchlichen Angelegenheiten und der Aufsicht im übrigen differenzieren. Eine genaue Abgrenzung, was als kirchliche Angelegenheit und in wieweit die Aufsicht im übrigen betroffen ist, wurde weitgehend nicht getroffen. Ansatz-

88

Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an die Verfasserin vom 11.6.1991, Az: 4561 E - IV A. 228 § 3 Abs. 1 S. 1 RhPfRiLi vom 20.11.1975 »

§ 3 Abs. 2 S. 1 RhPfRiLi vom 20.11.1975

91 § 4 Abs. 1 S. 1 SaarVbev vom 22.7.1977, Art. 2 Abs. 2 S. 1 SaarVbkath vom 6.5.1982 92 § 4 Abs. 2 S. 1 SaarVbev vom 22.7.1977 93 Art. 2 Abs. 2 S. 2 SaarVbkath vom 6.5.1982, Nr. 3 S. 2 SaarDO vom 6.5.1982 94 Schreiben der Nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche - Nordeibisches Kirchenamt an die Verfasserin vom 10.3.1992, Az: 5060 - W I I

195

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

weise verwirklicht die saarländische Vereinbarung mit der evangelischen Kirche eine, Sinn und Zweck aufsichtlicher Maßnahmen und kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug gerechtwerdende Unterscheidung, in dem sie ausdrücklich festlegt, daß der Anstaltsseelsorger in Fragen der Ordnung der Anstalt staatlicher Aufsicht unterliegt. Auf die Problematik, daß Seelsorger bei der Verkündigung im allgemeinen nicht weisungsunterworfen sind, geht keine Vereinbarung ein. Da der Anstaltsseelsorger in innerkirchlichen Angelegenheiten wie ein "normaler" kirchlicher Amtsträger behandelt werden sollte, ist die in den Vereinbarungen insoweit getroffene Regelung zum großen Teil mißverständlich.

V· Das Problem der "pastoralen Identität" 1. Der Zusammenhang mit den Entwicklungen

im Strafvollzug

Die religiöse Unterweisung durch den Seelsorger war seit dem Beginn des Strafvollzugs Bestandteil des staatlichen Besserungskonzepts 95. Es war in Deutschland noch Anfang der fünfziger Jahre - in der Phase der staatlichen Re-Humanisierung 96 des Strafvollzugs nach dem nationalsozialistischen Vergeltungsvollzug - eine Parallelität 97 seelsorgerlichen und staatlichen Handelns 98 offensichtlich, insbesondere hinsichtlich der Aufgabe der Seelsorge an

95 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 366 96 Blau, Günter, Die Entwicklung des Strafvollzuges seit 1945 - Tendenzen und Gegentendenzen, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 17 (19) 97 Keinerlei Differenzierung zwischen staatlichen und kirchlichen Zielen bei: Kiesel, Emil, Erfahrungen als Gefängnispfarrer mit Jugendlichen, in: Bitter, Wilhelm (Hrsg), Heilen statt Strafen. Göttingen 1957, S. 340 - 346 98 Es gab auch damals die Erkenntnis, daß Ausgangspunkt staatlicher und kirchlicher Arbeit ganz verschieden seien, und kirchliche Arbeit in den Gefängnissen nicht als staatlicher Dienst zu verstehen sei. Dennoch wurde die Frage gestellt, ob die Seelsorge nicht auch dem Volk einen unschätzbaren Dienst leistet, wenn es ihr durch ihr Wirken gelingt, Menschen zum rechten Gebrauch ihrer Freiheit anzuleiten. Vgl. Röhrig, Seelische und seelsorgerliche Fragen bei Gefangenen, in: Der Weg zur Seele 4 (1952), 193 (200f)

1*

196

1. Teil: Lnderübergreifende Darstellung

der Sinnerfüllung der Strafe m i t z u w i r k e n " . Diese einstmalige Ubereinstimmung zwischen Staat und Anstaltsseelsorgern w i c h einer zunehmend distanzierten, kritischen H a l t u n g 1 0 0 seitens der Anstaltsseelsorger. Abgesehen v o n der i n allen Lebensbereichen zu beobachtenden Säkularisierung 1 0 1 und einem sozialen W a n d e l 1 0 2 i n den sechziger Jahren, führten die mangelnden Erfolge unterschiedlicher Reformbestrebungen auf dem Gebiet des Strafvollzugs zu einer gewissen Ernüchterung und R e s i g n a t i o n 1 0 3 der i m Strafvollzug Engagierten. D u r c h das Strafvollzugsgesetz, das am 1.1.1977 i n Kraft trat, wurde der Wandel des Strafvollzugs v o m Verwahrvollzug z u m Behandlungsvollzug rechtlich fixiert. Dabei wurde der B e g r i f f der Behandlung jedoch nicht defin i e r t 1 0 4 . Resozialisierung wurde zum wichtigsten V o l l z u g s z i e l 1 0 5 . Unbestritten ist die Rechtsstaatlichkeit und der europäische V o r b i l d c h a r a k t e r 1 0 6 des deutschen Strafvollzugsgesetzes 1 0 7 . M i t dem Wandel des staatlichen Ver-

99 Darstellung bei: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S.275 f

100 Heusei, Hans Martin, Freiheit für den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 (38f) ιοί a.a.O. S. 40 102 Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 367 103 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 104 Schiller-Springorum, Horst, Das Strafvollzugsgesetz: nicht Schlußpunkt, sondern Beginn eines justiz- und gesellschaftspolitischen Prozesses, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 39 (40f) 105 Näher zur Resozialisierung: Kaiser, Günther / Kerner, Hans-Jürgen / Schöch, Heinz, Strafvollzug. Eine Einführung in die Grundlagen, 4. Aufl., Heidelberg 1991, S. 21 ff 106 Blau, Günter, Die Entwicklung des Strafvollzuges seit 1945 - Tendenzen und Gegentendenzen, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 17 (25). 107 Dieser Vorbildcharakter wird auch deutlich bei einem Vergleich des StVollzG vom 1.1.1977 und der Mindestgrundsätze des Ministerkomitees des Europarats über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze vom 12.2.1987, abgedruckt in: Europäische Strafvollzugsgrundsätze. Überarbeitete europäische Fassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen. Heidelberg 1988, Nr. 46: "Soweit praktisch durchführbar, ist jedem Gefangenen zu gestatten, den Bedürfnissen seines religiösen, geistlichen und sittlichen Lebens durch Besuch der Gottesdienste oder Zusam-

197

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

ständnisses v o m V o l l z u g ging die Einfuhrung zahlreicher spezifischer Fachdienste i m Strafvollzug einher, die die "Monopolstellung" des Seelsorgers als Ansprechpartner beendete und gleichzeitig neben der Z u s a m m e n a r b e i t 1 0 8 eine neue Identitätsfindung des Anstaltsseelsorgers forderte. Es geht jetzt nicht nur u m eine Verhältnisbestimmung z u m staatlichen V o l l z u g , sondern auch u m ein Miteinander m i t den anderen i m V o l l z u g vertretenen D i s z i p l i n e n 1 0 9 .

2. Die Empfehlungen

der evangelischen

Kirche

Eine endgültige A n t w o r t für die Suche der Anstaltsseelsorger nach ihrer pastoralen Identität kann es nicht geben. Dennoch hat die evangelische Kirche versucht, den Standpunkt der Kirche i m Strafvollzug deutlich zu m a c h e n 1 1 0 , und somit dem Seelsorger eine Hilfestellung zu geben. Jeder einzelne Seelsorger bleibt gefordert, den Auftrag der Kirche zu erfüllen, nämlich die Verkündung der "guten Botschaft v o m Anbruch der Herrschaft Gottes i n dieser W e l t , v o n Gericht und Gnade, v o n der Vergebung der Sünden und der Erneuerung

menkünfte in der Anstalt und durch den Besitz aller erforderlichen Bücher und sonstiger Literatur zu entsprechen. Nr. 47.1. Wenn sich in der Anstalt eine ausreichende Anzahl von Gefangenen derselben Religionsgemeinschaft befindet, ist ein anerkannter Vertreter dieser Religionsgemeinschaft zu bestellen oder zuzulassen. Wenn die Zahl der Gefangenen es rechtfertigt und die Umstände es gestatten, soll er hauptamtlich bestellt werden. 2. Dem nach Absatz 1 bestellten oder zugelassenen Vertreter einer Religionsgemeinschaft ist zu gestatten, regelmäßig Gottesdienste und Veranstaltungen durchzuführen und zu geeigneten Zeiten seelsorgerische Einzelbesuche bei den Gefangenen seiner Religionsgemeinschaft zu machen. 3. Es darf keinem Gefangenen verweigert werden, sich an einen anerkannten Vertreter einer Religionsgemeinschaft zu wenden. Hat ein Gefangener Einwände gegen den Besuch eines solchen Vertreters, steht es ihm frei, den Besuch abzulehnen. 108 Rassow, Peter, Der Gefängnisseelsorger in der Sicht der Vollzugsbediensteten, in: WzM (36) 1984, 71 109 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (31) 110 Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 9 - 14; vgl. die Besprechung von Heusei, Hans Martin, Freiheit fur den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 - 55

198

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

zur L i e b e " 1 1 1 . A u c h die Seelsorge i m Strafvollzug ist T e i l des seelsorgerlichen Auftrags des Kirche an der W e l t 1 1 2 . Es ist seelsorgerliche Aufgabe, i m Gefängnis einen Raum der Bewahrung zu schaffen und die Einsamkeit des Gefangenen zu ü b e r w i n d e n 1 1 3 , zu i n t e g r i e r e n 1 1 4 . Eindeutig

nimmt

die

evangelische

Kirche

Stellung

zur

Frage

der

Identifikation m i t dem staatlichen Strafvollzug, i n dem sie klar ausspricht, daß die Kirche sich nicht m i t dem Strafvollzug identifizieren d a r f 1 1 5 , w o h l aber h i l f t , das Erlebnis des Strafvollzugs zu verarbeiten. einzelnen

Anstaltsseelsorger,

sein

Wirken

dem

So bleibt dem

staatlichen

Strafvollzug

zuzuordnen, ohne i n diesem a u f z u g e h e n 1 1 6 . Anstaltsseelsorger nehmen das Wesen der Anstalt als notwendige Instanz hin, bleiben i n dieser Hinnahme aber k r i t i s c h - d i s t a n z i e r t 1 1 7 . Dies ist m i t dem Auftrag der Kirche und grundgesetzlichen Aussagen v o l l k o m m e n zu vereinbaren. Dabei besteht zugunsten der betreuten Menschen mehr als ein bloßes O b s t r u k t i o n s v e r b o t 1 1 8 kirchlichen Handelns i m staat-

111 Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 9 112 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (35)

•13 Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 10 f 114 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (3Iff) 115

Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 12 "6 a.a.O., S. 14 1,7 Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis D, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 122 (126) 118 Heusei, Hans Martin, Freiheit fiir den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S. 37 (52)

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

199

liehen Strafvollzug. Es besteht ejn seelsorglicher Auftrag zur Bewahrung der menschlichen Identität in einer totalen Institution 1 1 9 . Diese Standortbestimmung kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug ist im Jahre 1990 erweitert worden, ohne daß die Empfehlungen Gültigkeit verloren hätten 1 2 0 . Es bleibt die staatlich zu akzeptierende Aufgabe des Seelsorgers, die Botschaft des Evangeliums auch im Gefängnis zu verkünden, ohne eine - einfachere, da abgrenzbare - fremde Identität anzunehmen 121 . Kirchliches Wirken im Strafvollzug trägt zu seiner Humanisierung b e i 1 2 2 . In dieser Richtung ist auch die kirchliche Propagierung des Täter-OpferAusgleichs anstatt oder in Ergänzung zur Haftstrafe zu sehen 123 . Der einzelne Anstaltsseelsorger bleibt aufgerufen, als Christ in seiner Umgebung die christliche Botschaft zu vermitteln und sie in seiner Person "vor zu leben".

VI· Das Arbeitsfeld des Anstaltsseelsorgers Der Tätigkeitsbereich des Anstaltsseelsorgers ist im Strafvollzugsgesetz nicht näher dargestellt. Dies würde sich auch einer rein staatlichen Regelung entziehen, da die Ausfüllung des Begriffs seelsorgerlicher Arbeit Sache der Kirchen und Religionsgemeinschaften i s t 1 2 4 . Über die Reichweite kirchlicher Tätigkeit sind Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen geschlossen worden, die in den folgenden Kapiteln erläutert werden. Dabei ist

119 Schäfer, Otto, Seelsorger im Justizvollzug. Bilanz und Ausblick, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 26 (35) 120 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 41 121 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 44 122

Schramm, Otto, Veränderungen im Strafvollzug, in: Herder Korrespondenz 1991, S. 257

12 3 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 57 ff und S. 76 ff 124 Rassow in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, Großkommentar, Berlin, New York 1983, § 157 Rdn. 12

200

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

bereits an dieser Stelle anzudeuten, daß aufgrund der nicht eindeutig definierten und wohl auch nicht definierbaren Rolle des Anstaltsseelsorgers im Vollzug trotz Vereinbarungen Konflikte auftauchen 125 . Dies ist zum größten Teil auf die Unsicherheit hinsichtlich Umfang und Tragweite des Begriffs "Seelsorge" 126 zurückzuführen. Da, wie dargelegt 127 , auch der Staat für die normativ relevanten Bereiche der Seelsorge ein gewisses Begriffsverständnis entwickeln muß, sei hier folgendes annäherungsweise als "Seelsorge" qualifiziert: die religiös motivierte Hinwendung eines von einer Religionsgemeinschaft aufgrund seiner besonderen Qualifikation anerkannten Amtsträgers zum Mitmenschen, die diesen in seiner Person bedingungslos annimmt, und ihm durch die Versöhnungsbotschaft theologisch verantwortete Hilfen zur Schuldüberwindung und Identitätsfindung 128 zu vermitteln versucht. M i t dieser approximativen Definition ist klar gestellt, daß ein anerkannter Seelsorger tätig werden muß - wobei eine Festlegung auf die Konfession des Gefangenen staatlicherseits nicht erfolgen darf. Zudem muß der Seelsorger subjektiv seine Tätigkeit als Seelsorge verstehen. Daneben soll durch sein Wirken dem Gefangenen ein Weg zur Schuldüberwindung aufgezeigt werden. Der Tätigkeitsbereich der Anstaltsseelsorger ist äußerst umfangreich und beschränkt sich nicht mehr auf das Abhalten von Gottesdiensten und Einzelseelsorge im engeren S i n n 1 2 9 . Heutzutage beschreiten die Anstaltsseelsorger immer neue Wege, um den Gedanken des christlichen Miteinander, der Tröstung und der Hoffnung Gefangenen nahe zu bringen. Eine detaillierte Darstellung aller Tätigkeiten der Anstaltsseelsorger würde den Rahmen dieser

125 Calliess, Rolf-Peter, Heinz Müller-Dietz, 157 Rdn. 2

Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., München 1991, §

126 Vgl. zur Problematik des Begriffs "Seelsorge" auch die Ausführungen in Kapitel § 5 Abschnitt Π 2. d. 127 Vgl. Kapitel § 5 Abschnitt II 128 Brandt, Peter, Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, hrsg. von Bloth, Peter C., Daiber, Karl-Fritz u.a., Gütersloh 1987, S. 435 sieht in dem Geben der "theologisch verantworteten Hilfe zur Schuldüberwindung und Identitätsfindung" die Motivation der Anstaltsseelsorger 129 Vgl. zur kirchlichen Arbeit an Menschen im Justizvollzug: Brandt, Peter, Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, hrsg. von Bloth, Peter C., Daiber, KarlFritz u.a., Gütersloh 1987, S. 435 - 444

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

201

Arbeit sprengen 130 . Allerdings sollen einige Veranstaltungsarten, die jeweilige Motivation der Anstaltsseelsorger und die Probleme aufgezeigt werden. Für den normativ relevanten Bereich der Tätigkeit des Seelsorgers müssen auch Juristen eine Vorstellung der religiösen Implikation der Tätigkeiten des Anstaltsseelsorgers entwickeln, um gegebenfalls entscheiden zu können, ob der Zulassungsanspruch des Gefangenen durch das religiöse Gewicht der Veranstaltung unbedingt zu respektieren ist.

1. Gottesdienste

Das Abhalten von Gottesdiensten 131 war seit altersher klassische Aufgabe der Anstaltsseelsorger 132 und ist heute, wie damals unbestrittenes Recht und auch Pflicht der Anstaltsseelsorger 133 . Der Gottesdienst in einer Strafanstalt 134 ist anders als in der normalen Gemeinde. Er findet in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anstaltsbetrieb, in dessen optischer, akustischer und atmosphärischer Nähe statt 1 3 5 . Es ist der Anstaltsseelsorger auch in diesem ihm ureigensten Bereich nicht Herr über den Gottesdienst. Sofern versucht wird, den Gottesdienst gemeinsam mit Personen außerhalb der Anstalt zu feiern, müssen beträchtliche organisatorische Vorkehrungen

!3° vgl. zur praktischen Tätigkeit von Anstaltsseelsorgern die Reihe: Praxis Gefängnisseelsorge, herausgegeben von Peter Rassow in Verbindung mit der Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten, Hannover, Bd. 1, 1984; Bd. 2 1985; Bd. 3 1986; Bd. 4 1989; Rassow, Peter (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur kirchlichen Arbeit im Gefängnis. Stuttgart 1987 mit weiteren Literaturangaben zur Praxis im Strafvollzug S. 181 f; Diestel Gudrun, Peter Rassow, Otto Schäfer, Ellen Stubbe (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980 131 Vgl. Brandt y Peter, Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, hrsg. von Blothy Peter C., Daiber, Karl-Fritz u.a., Gütersloh 1987, S. 435 (441) 132 vgl. zur historischen Entwicklung: Brajidty Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 56 ff 133 vgl. die in Kapitel 1 3 - 2 3 dargestellten Aufgabenfelder der Anstaltsseelsorger in den Ländern

134 vgl. dazu Rassow y Peter (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur kirchlichen Arbeit im Gefängnis. Stuttgart 1987, S. 33 - 47 135 Dräger, Peter, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten - Überlegungen aus der Praxis, in: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 43

202

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

getroffen werden 1 3 6 . Auch die Feier des Gottesdienstes ohne externe Teilnehmer kann jeden Sonntag unterschiedlich ablaufen, je nach den Vorkommnissen in der Anstalt in den Tagen zuvor 1 3 7 . Auch wenn die Untersuchungshaft nicht Gegenstand dieser Darstellung ist, sei erwähnt, daß es bei Untersuchungshäftlingen vorkommt, daß Gefangene aus dem Gottesdienst entfernt werden, wenn während des Gottesdienstes festgestellt wird, daß zwei Untersuchungsgefangene den gleichen Gottesdienst besuchen, gegen die der Verdacht der Mittäterschaft besteht 138 . Von Anstaltseelsorgern wird das Gefühl der Ohnmacht als erschreckend empfunden, wenn aus dem Gottesdienst heraus ein Gefangener entfernt wird. In verfassungsrechtlicher Hinsicht stellt dies eine schwere Beeinträchtigung der religiösen Rechte des Strafgefangenen dar. Wie bereits dargelegt wurde, hat jedoch der einzelne Seelsorger keinen Anspruch aus Teilnahme bestimmter Gefangener an seinem Gottesdienst. Insofern mag diese Praxis zwar im Einzelfall eine Störung des Gottesdienstes bewirken. Eine Verletzung des Art. 4 GG für den Anstaltsseelsorger kann jedoch, wie oben gezeigt, nicht in der Entfernung eines Gefangenen liegen, da das Grundrecht des Art. 4 GG für die Kirche 1 3 9 bei ihren Veranstaltungen nicht das Recht auf bestimmte Teilnehmer beinhaltet 140 . 2. Gruppenseelsorge

Gerade im Bereich der Gruppenseelsorge 141 bzw. ihrer Erweiterung in

136

S. 95 ff

Vgl. dazu Seesemann, Otto, Familiengottesdienst in der Justizvollzugsanstalt Butzbach,

137 Dräger, Peter, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten - Überlegungen aus der Praxis, in: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 43 (44) 138 Rechtsgrundlage hierfür: Nr. 47 Abs. 1 UVollzO, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die hier ausgesprochene Beeinträchtigung der Religionsfreiheit die größten Bedenken angemeldet werden müssen 139 Eine Verletzung der religiösen Rechte der Kirche ist erst dann gegeben, wenn ihr das Wirken unmöglich gemacht wird.

140 Vgl. dazu die Aussagen und Ergebnisse in Kapitel 8 Abschnitt V 141 Vgl. Brandt, Peter, Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, hrsg. von Bloth, Peter C., Daiber, Karl-Fritz u.a., Gütersloh 1987, S. 435 (440)

203

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

F o r m der kirchlichen E r w a c h s e n e n b i l d u n g 1 4 2

werden v o n den Anstalts-

seelsorgern Möglichkeiten gesucht und gefunden, Gefangenen einen Zugang zum Leben i n Gemeinschaft zu vermitteln.

Dabei treten zu den reinen

Gesprächskreisen aufgrund der verbreiteten sozialisationsbedingten verbalen Kommunikationsschwierigkeiten143 zunehmend Einzelfällen

praktisch

Hochgebirgstouren

Anstalsseeelsorgern

der Insassen einer

ausgerichtete

abgehalten

144

Veranstaltungen. ebenso

werden,

zu wie

Justizvollzugsanstalt So

gehören

Veranstaltungen,

die

Sportnachmittage 1 4 5

Tischtennis, Jogging, Fuß- und V o l l e y b a l l 1 4 6 , ebenso w i e

in von mit

Yogakurse147.

A u c h T ö p f e r - 1 4 8 und K o c h k u r s e 1 4 9 werden vereinzelt von Anstaltsseelsorgern angeboten. Dabei ist zu betonen, daß derartige Angebote der Initiative und Neigung der einzelnen Pfarrer überlassen bleiben, und allein die Person der Durchführenden noch keine Aussage zum religiösen Charakter der

Ver-

a n s t a l t u n g 1 5 0 zuläßt.

142 Rassow, Peter in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 10 143 Koch, Herbert, "Gehst du da jetzt beten?" - Kirchliche Gruppenarbeit im Gefängnis, in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 22 (27) 144 vgl. Sperle y Fritz, Klettern als "religiöse Veranstaltung" - Hochgebirgstour mit Gefangenen; in: Nicht sitzenlassen. Gefängnisseelsorge in der Gruppe. Herausgegeben von Peter Diekmann e.a., Hannover 1989, S. 15 - 21 145 vgl. Seesemann, Otto, "Wann laufen wir das nächste Mal?" - Gefängnisseelsorge sportlich. in: Nicht sitzenlassen. Gefängnisseelsorge in der Gruppe. Herausgegeben von Peter Diekmann e.a., Hannover 1989, S. 93 - 101 146

Seesemanny Otto, Jugendvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 97, der in Sportveranstaltungen eine Chance zur Überwindung der Isolation der Gefangenen sieht w Huber y Anton, Der Geistliche. Katholische Seelsorge, in: Schwind y Hans-Dieter und Günter Blau, Strafvollzug in der Praxis, Berlin, New York 1976, S. 205 (207) 148

vgl. Salzmanny Jutta, Ein kleines Loch in der Mauer - Töpfergruppe der Familien-Bildungsstätte in der Justizvollzugsanstalt, in: Nicht sitzenlassen. Gefängnisseelsorge in der Gruppe. Herausgegeben von Peter Diekmann e.a., Hannover 1989, S. 102 - 104 149 vgl. Jaborgy Anne, "Schnell, billig, gut" - Ein Kochkurs im Rahmen der Seelsorgearbeit; in: Nicht sitzenlassen. Gefängnisseelsorge in der Gruppe. Herausgegeben von Peter Diekmann e.a., Hannover 1989, S. 105

150 vgl. zur Diskussion, die das Urteil des OLG Koblenz, abgedruckt in: NStZ 1987, 525 über den religiösen Charakter eines vom Anstaltspfarrer veranstalteten Gesprächskreises, ausgelöst hat: Stein, Albert: Glaubensfreiheit im Strafvollzug, in: ZevKR 33, 446 - 450

204

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Eine vom Pfarrer durchgeführte Veranstaltung wird dann zu einer religiösen Veranstaltung, wenn durch sie die Sinnhaftigkeit des Lebens vermittelt wird, und wenn sie den Gefangenen in der Auseinandersetzung mit dem Evangelium Jesu Christi in der konkreten Lebenssituation 151 zum Menschsein verhilft. So können Sportveranstaltungen des Seelsorgers die hoffnungslose Ausgangssituation des einzelnen Gefangenen durch das Erlebnis in der Gruppe, durch eigene Erfolgserlebnisse im Sport, durch das Gefühl des "Gebraucht werdens" 1 5 2 ein neues Wertgefühl des Gefangenen schaffen. In Einzelfallen wird sich dies vor der Veranstaltung eines Seelsorgers staatlicherseits nicht eindeutig feststellen lassen. Es ist der Anstaltsseelsorger vor dem Beschluß der Anstalt, einzelne Gefangene nicht teilnehmen zu lassen, in Anwendung des § 54 Abs. 3 StVollzG vorher anzuhören. In Zweifelsfallen gebietet das Grundrecht der Religionsfreiheit die Akzeptanz der kirchlichen Einordnung als religiöse Veranstaltung. Erst bei der Zulassung des einzelnen Gefangenen steht der Vollzugsbehörde die Entscheidung zu, ob der Ausschluß des Gefangenen aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist. Dabei sollte der Anstaltsseelsorger seine Stellungnahme jeweils sehr deutlich machen, da er es in der Hand hat, seine Veranstaltung "neutral" oder mit christlichem Schwerpunkt durchzuführen 153 . Eine Unidentifizierbarkeit seelsorgerlicher Veranstaltungen sollte vermieden werden 1 5 4 .

Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug - Zwischenbilanz heutiger Praxis Π, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche fur Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 122 (130) 152 vgl. die Schaubilder zu den Wirkungen seelsorgerlicher Sportveranstaltungen: Seesemann, Otto, "Wann laufen wir das nächste Mal?" - Gefängnisseelsorge sportlich, in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 93

(990

153 vgl. dazu Dräger, Peter, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten - Überlegungen aus der Praxis, in: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 43 (52 ff) 154 Koch, Herbert, "Gehst du da jetzt beten?" - Kirchliche Gruppenarbeit im Gefängnis, in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 22 (28)

205

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

3. Einzelseelsorge

Das seelsorgerliche Einzelgespräch 1 5 5 ist von grundlegender B e d e u t u n g 1 5 6 . Dabei w i r d speziell i n Glaubens- und L e b e n s f r a g e n 1 5 7 das Einzelgespräch m i t dem Seelsorger gesucht. H i e r ist besonders darauf zu achten, daß kirchliches W i r k e n einen Raum der Bewahrung schafft, der dem Gefangenen die Öffnung erleichtert. Dieser Raum der Bewahrung, des " A s y l s " ist am deutlichsten gegeben,

wenn

dem

Anstaltsseelsorger

ein Dienstzimmer

zur

Verfugung

s t e h t 1 5 8 , welches allen Beteiligten die Bedeutung kirchlichen Wirkens

im

staatlichen Strafvollzug vor Augen führt. A u f die besonderen Zugangsformen des Anstaltsseelsorgers - z.B. kleine Aufmerksamkeiten zu Beginn des Ges p r ä c h s 1 5 9 muß staatlicherseits Rücksicht genommen werden, wenn auch die Seelsorger von ihren weitreichenden Möglichkeiten nicht ohne Beachtung der sonstigen Gepflogenheiten i n der Anstalt Gebrauch machen s o l l t e n 1 6 0 . Diesbezügliche Differenzen i n einzelnen Bundesländern sollten i m Wege von A b sprachen geklärt w e r d e n 1 6 1 .

155 Vgl. dazu: Helm, Lothar und Jutta Jürges, Der Geistliche. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau, Strafvollzug in der Praxis, Berlin, New York 1976, S. 197 (201); Huber, Anton, Der Geistliche. Katholische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau, Strafvollzug in der Praxis, Berlin, New York 1976, S. 205 (206) '56 Koch, Herbert, Der Seelsorger. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 209 (212f); Raming, August, Der Seelsorger. Katholische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 214 (215f) 157 Raming, August, Der Seelsorger. Katholische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 214 (215f) 158 Oräger, Peter, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten - Überlegungen aus der Praxis, in: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 43 (47) 159 Vgl. die Eröffnungsmöglichkeiten in: Helm, Lothar und Jutta Jürges, Der Geistliche. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau, Strafvollzug in der Praxis, Berlin, New York 1976, S. 197 (201) 160 Zur Zurückhaltung mahnt: Dräger, Peter, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten - Überlegungen aus der Praxis, in: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 43 (52) 161 Vgl. Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz - Berlin Az: 4561 - V/1 vom 30.6.1988 Abschnitt 2. Aushändigung von Gegenständen, wo eine ausdrückliche Anerkennung kleinerer Geschenke als "Zugangsmedium" erfolgt

206

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Festzuhalten bleibt hinsichtlich des Einzelgesprächs, daß es unmittelbarer Ausfluß der Religionsfreiheit ist, auch im Strafvollzug ein ungestörtes Gespräch mit dem Seelsorger führen zu können.

4. Sonstige Tätigkeiten

Häufig ist zu beobachten, daß Anstaltsseelsorger sich verstärkt karitativen Tätigkeiten zuwenden. Der Anstaltsseelsorger ist aber kein Sozialarbeiter, kein "Mädchen für alles" 1 6 2 mag er auch oft in hoffnungslosen Situationen helfen können 1 6 3 . Sollte sich der einzelne Anstaltsseelsorger aus seelsorgerlichen Gründen zu gewissen Hilfestellungen bereit erklären, ist dies eine nicht zu beanstandende Hinwendung zum Gefangenen. Diese Hinwendung darf aber weder staatlicherseits ausgenutzt werden, indem der Staat sämtliche Arbeiten zur Vorbereitung der Entlassung dem Anstaltsseelsorger überläßt, noch darf sie zu einem Verlust der pastoralen Identität, dem kirchlichen Proprium führen. So sehr zu begrüßen ist, daß der Seelsorger Kontakt zu den Familien h ä l t 1 6 4 , so bedauernswert ist es, daß die in der Praxis Tätigen diese Möglichkeit oft allein beim Anstaltsseelsorger und nicht bei anderen Fachdiensten sehen. Seelsorge darf nicht lediglich zu einer Funktion des Behandlungsvollzugs werden 1 6 5 . Auch ist Seelsorge nicht mit therapeutischen Maßnahmen zu verwechseln, da sie eben kein vorher definiertes Ziel h a t 1 6 6 und sich an jeden Gefangenen, auch und gerade die "hoffnungslosen" Kandidaten wenden darf.

162 Dagegen spricht sich zu Recht aus: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978, S. 222 f 163

Koch y Herbert, Der Seelsorger. Evangelische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 209 (210) 164 Raming, August, Der Seelsorger. Katholische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 214 (216) 165 Heusei y Hans Martin, Freiheit für den Dienst am Menschen - Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten, in: Schäfer, Karl Heinrich, Sieveting, Ulrich O. (Hrsg.), Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt am Main 1989; Reihe: Arnoldshainer Texte, hrsg. von Jens Harms, Doron Kiesel, u.a.; Band 56, S.37 (41) 166 Stubbe y Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (165)

207

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

Die Chance eines gewissen rechtlichen Freiraums ermöglicht es dem Anstaltsseelsorger, Angelegenheiten im Gegensatz zu anderen Vollzugsbediensteten unbürokratisch zugunsten der Menschen zu erledigen 167 .

5. Mitarbeit in der Straffälligenhilfe

Ein weiteres Gebiet, in dem Staat und Kirche zusammenwirken, eröffnet sich auf dem Gebiet der Straffälligenhilfe, also der Unterstützung von ehemaligen Strafgefangenen im Anschluß an ihre Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß in diesem Bereich ehrenamtliche Mitarbeiter und hauptamtliche, soziale Fachkräfte besonders intensiv zusammenwirken müssen 168 und gerade die Straffälligenhilfe eine Aufgabe auch für die Allgemeinheit i s t 1 6 9 . Dabei ist hervorzuheben, daß aus historischen Gründen zunächst mit Hilfe der Anstaltsseelsorger christliche Entlassenenhilfe von kirchlichen Organisationen außerhalb des Strafvollzugs praktiziert wurde 1 7 0 . Heute existieren neben den staatlich institutionalisierten Gerichtshelfern, Jugendgerichtshelfern, Sozialarbeitern und Bewährungshelfern mehr als 2500 Organisationen, die sich der freiwilligen Straffälligenhilfe verschrieben haben 1 7 1 . Angesichts der Zersplitterung dieser Kräfte ist es wünschenswert, wenn der Anstaltsseelsorger bei der Straffälligenhilfe in der Weise mitwirkt, daß er den zur Entlassung anstehenden Gefangenen auf deren Anfrage entsprechende Hilfestellungen gibt. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß es primär staatliche Aufgabe ist, den Gefangenen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft

167 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 43 168 Bundeszusammenschluß fiir Straffälligenhilfe Bonn 1972, S. 90

(Hrsg.), Straffälligenhilfe im Umbruch,

169

Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 98 170 Busch, Max, Ehren- und nebenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug, in: Schwind, HansDieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 221 (222) 171 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 49

208

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

zu helfen. Insofern sollte sich die Kirche diese Aufgabe nicht als Pflichtaufgabe vom Staat übertragen lassen, sondern immer wieder die staatliche Verantwortung auf diesem Bereich betonen, ohne daß jedoch unter dieser klaren Aufgabenabgrenzung der Einzelne zu leiden hätte. Es gilt, eine "ganzheitliche Konzeption" 1 7 2 zu entwickeln, die von allen Kräften der Gesellschaft mitgetragen wird. Wenn der Anstaltsseelsorger hier im Sinne eines Vermittlers tätig werden kann, ist dies eine große Chance für alle Beteiligten.

6. Betreuung der Bediensteten

Fraglich ist, ob und inwieweit der Anstaltsseelsorger auch Seelsorger für die Bediensteten sein kann und darf. Rechtlich ist dazu festzustellen, daß die Vorgaben des Grundgesetzes, wie auch des Strafvollzugsgesetzes das Institut der Anstaltsseelsorge kennen, um demjenigen, der seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, eine religiöse Betreuung zu ermöglichen. Es besteht also keine Pflicht des Anstaltsseelsorgers zur religiösen Betreuung auch der Anstaltsbediensteten. In der Praxis erleben jedoch die Bediensteten in der totalen Institution deren spezifische Probleme unmittelbar. Gerade der mittlere Vollzugsdienst 173 steht unter dem Druck von Betreuungs-, Aufsichts- und Versorgungstätigkeiten. Oft tragen sie die Anstaltsatmosphäre in ihre Familien 1 7 4 . Sofern ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, mit dem Anstaltsseelsorger über die besonderen Schwierigkeiten ihres Dienstes sprechen zu können, ist ein weiterer Schritt zu einer Verbesserung des Lebens in der Anstalt getan. Daher sind zugunsten der am Vollzug Beteiligten sämtliche Versuche, zu einem besseren Miteinander von Anstaltsseelsorgern und Bediensteten zu kommen, zwar zu begrüßen. Zu betonen ist jedoch gleichzeitig, daß aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Religionsfreiheit, sowohl des Einzelnen als auch der Kirche, keine Verpflichtung zu einer derartigen Tätigkeit gefolgert werden kann.

17

2 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 103 173 Vgl. die Darstellung: Henze y Horst, Der allgemeine (mittlere) Vollzugsdienst, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 154 - 162

1 74 Janowski, Gudrun, Mann ohne Gesicht mit Pistole ...Zur Notwendigkeit von Familienseminaren auch für Bedienstete, in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 155 - 159

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

209

7. Aus- und Fortbildung

Die spezifischen Anforderungen des Strafvollzugs an den Anstaltsseelsorger machen eine auf die Tätigkeit im Vollzug gerichtete Aus- und Fortbildung 1 7 5 notwendig 1 7 6 . Der Anstaltsseelsorger steht bei seiner Tätigkeit unter einem erhöhten psychischen D r u c k 1 7 7 . Er muß sich immer wieder seiner seelsorgerlichen Identität bewußt werden 1 7 8 . Es sollen spezielle Fortbildungsveranstaltungen 179 der individuellen Distanz, dem Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Unterstützung und Bestätigung 180 dienen. Diese Fortbildung wird gewährleistet durch Tagungen und Seminare 181 der jeweiligen Kirchen auf Länder- und Bundesebene 182 . Die zwischen Staat und Kirche getroffenen Vereinbarungen installieren zumeist diese Konferenzen als regelmäßige Einrichtungen und regeln das Teilnahmerecht des Anstaltsseelsorgers an diesen Konferenzen. In den meisten Ländern handelt es sich hierbei um kirchliche Veranstaltungen, die staatliche Unterstützung von unterschiedlichem Ausmaß genießen. Dabei geschieht die teilweise anzutreffende finanzielle Unterstützung durch den Staat insofern zu Recht, als diese Veranstaltungen auch der gegenseitigen Information und besseren Ver175 Sehr informativ dazu: Brandt, Peter, Die evangelische Strafgefangenenseelsorge, Geschichte - Theorie - Praxis; Göttingen 1985, S. 303 ff 176 Stubbe, Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (168ff)

1 77 Stubbe, Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (169) 178

Stubbe, Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (170) 179 Vgl. zur Forderung nach spezieller Fortbildung: Stubbe, Ellen, Seelsorge im Strafvollzug. Historische, psychoanalytische und theologische Ansätze zu einer Theoriebildung, Göttingen 1978, S. 240f 180 Stubbe, Ellen, Chancen und Perspektiven der Seelsorge im Strafvollzug, in: Diestel Gudrun, et al. (Hrsg.), Kirche für Gefangene, Erfahrungen und Hoffnungen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug. München 1980, S. 163 (171) 181 Zum Rahmenkonzept spezieller Fortbildungskurse: Kirchenkanzlei (Hrsg.) im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten: Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979, S. 26 ff 182 Raming, August, Der Seelsorger. Katholische Seelsorge, in: Schwind, Hans-Dieter und Günter Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin, New York 1988, S. 214 (219)

14 Eick-Wildgans

210

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

ständigung zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiet des kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug dienen.

VII· Das Schweigerecht Für die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers 183 ist die Garantie seines Rechts zu schweigen unverzichtbar. Zwar ist diese Garantie nicht im Grundgesetz enthalten. Dennoch schützt § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO das Zeugnisverweigerungsrecht des Seelsorgers 184 . Danach werden auch die Anstaltsseelsorger in ihrer Funktion als Geistliche gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Rücksicht auf das Vertrauensverhältnis 185 , welches zwischen ihnen und den Gefangenen besteht, aus der Zwangslage eines Pflichtenwiderstreits befreit. Dieses Recht zu schweigen bezieht sich aber nur auf die Tatsachen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut wurden 1 8 6 oder ihnen im Rahmen seelsorgerlicher Tätigkeit bekannt wurden 1 8 7 und nicht die Tatsachen, die sie bei karitativer oder verwaltender Tätigkeit erfahren haben 1 8 8 . Dabei ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen, ob der Geistliche seelsorgerlich tätig geworden i s t 1 8 9 , wobei jedoch in Zwei fei stallen zugunsten der

183 Auf die Problematik des Schweigerechts für Seelsorgehelfer kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu Stein, Albert, Das strafprozessuale Schweigerecht von Seelsorgehelfern, in: ZevKR 21, 418 - 422 m.w.N. 184 Vgl. dazu: Kleinknecht, Theodor / Meyer, Karlheinz / Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 40. Aufl., München 1991, § 53; Dahs, Hans, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, Bd. 1, 24. Aufl., Berlin 1987, § 53; Pelchen, Georg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz, hrsg. von Gerd Pfeiffer, 2. Aufl., München 1987, § 53

185 Dahs, Hans, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, Bd. 1, 24. Aufl., Berlin 1987, § 53 Rdn. 1 186 Pelchen, Georg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz, hrsg. von Gerd Pfeiffer, 2. Aufl., München 1987, § 53 Rdn. 1 187 Vgl. z u anvertrauten Tatsachen: Dahs, Hans, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, Bd. 1, 24. Aufl., Berlin 1987, § 53 Rdn. 13 f; zu bekanntgewordenen Tatsachen: a.a.O. Rdn. 15 188 Kleinknecht, Theodor / Meyer y Karlheinz / Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 40. Aufl., München 1991, §53 Rdn. 12 189 Kleinknecht,

Theodor / Meyer, Karlheinz / Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozeßordnung,

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

211

Religionsfreiheit des vom Seelsorger Betreuten und zugunsten der Religionsfreiheit der Kirche einem weiten Seelsorgebegriff zu folgen, und die subjektive Auffassung des Geistlichen zu respektieren i s t 1 9 0 . Neben dieser allgemeinen staatlichen Regelung der Strafprozeßordnung enthalten zahlreiche Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche die Garantie des seelsorgerlichen Schweigerechts. In Baden-Württemberg sehen die allgemeinen Richtlinien vom 25.4.1977 in § 7 die Pflicht des Seelsorgers vor, das Beicht- und Seelsorgegeheimnis streng zu wahren, woraus auch eine staatliche Anerkennung des Schweigerechts der Anstaltsseelsorger zu folgern ist. Auch in Hessen beinhalten die mit den Kirchen getroffenen Vereinbarungen über die Anstaltsseelsorge vom 19.10.1977 in Art. 1 Abs. 2 die Wahrung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses als Verpflichtung fur Staat und Kirche. Im Lande Rheinland-Pfalz legen die Richtlinien für den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger vom 20.11.1975 in Art. 5 die für Staat und Kirche obligatorische Beachtung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses fest. Auch im Saarland beinhaltet die Vereinbarung zwischen Staat und katholischer Kirche über die Seelsorge an den Justizvollzugsanstalten vom 6.5.1982 in Art. 1 Abs. 2 die Verpflichtung zur Wahrung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses. In den Ländern, in denen keine neueren Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche getroffen worden sind, ist von der Weitergeltung des Reichskonkordats vom 20.7.1933, Art. 9 auszugehen, der das Schweigerecht der Geistlichen garantiert.

189

Kleinknecht y Theodor / Meyer, Karlheinz / Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 40. Aufl., München 1991, §53 Rdn. 12 190 Dahs, Hans, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, Bd. 1, 24. Aufl., Berlin 1987, § 53 Rdn. 23; Kleinknecht, Theodor / Meyer, Karlheinz / Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 40. Aufl., München 1991, § 53 Rdn. 12; für pflichtgemäße Prüfung und Entscheidung durch den Zeugen: Pelchen, Georg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz, hrsg. von Gerd Pfeiffer, 2. Aufl., München 1987, § 53 Rdn. 12 14*

212

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Mit der Ordination hat der Pfarrer eine Pflicht zu Verschwiegenheit 191 übernommen, die neben ihrer innerkirchlichen Relevanz auch und gerade im Strafvollzug von großer Bedeutung ist. Zwar kann das Recht zu schweigen, gelegentlich mit gewissen Mitwirkungspflichten innerhalb des Vollzugs kollidieren 1 9 2 . Besonders problematisch sind daher vertragliche Vereinbarungen in denen die Seelsorger zur Mitwirkung an der Persönlichkeitserforschung 193 verpflichtet werden. Sofern ihnen allerdings freigestellt wird, mitzuwirken, ist dies rechtlich unbedenklich. In allen Fällen, in denen der Anstaltspfarrer in seiner Funktion als Seelsorger etwas erfahren hat, ist er mit Rücksicht auf das seelsorgerliche Schweigerecht zu keinerlei Offenbarungen verpflichtet. Es ist Bestandteil der Religionsfreiheit des Strafgefangenen, zu wissen, daß das dem Seelsorger Anvertraute vertraulich bleibt. Allein eine Befreiung durch den Gefangenen könnte den Seelsorger von seiner Schweigepflicht entbinden. Doch bleibt es auch nach einer Befreiung durch den Gefangenen stets dem Seelsorger überlassen, ob er ihm Anvertrautes weitergeben möchte, da die seelsorgerliche Verschwiegenheit ein Fundament kirchlichen Wirkens ist, welches auch dem Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug klare Grenzen setzt.

VIIL· Zusammenfassung

Die zum Wirken des Anstaltsseelsorgers im Strafvollzugsgesetz getroffenen Regelungen sind nicht sehr aussagekräftig. Das Ausmaß der Integration seelsorgerlichen Handelns in den Behandlungvollzug ist nicht geklärt. Im Wege von Vereinbarungen zwischen den Ländern und den in ihnen vertretenen

191

Koch, Herbert, "Gehst du da jetzt beten?" - Kirchliche Gruppenarbeit im Gefängnis, in: Diekmann et al. (Hrsg.), Nicht sitzenlassen - Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989, S. 22 (23) 192 Vgl. dazu die Darstellung der Verhältnisse in den Ländern Kapitel § 13 III 5 b (BadenWürttemberg); § 14 ID 5 b (Bayern); § 18 III 3 b (Hessen); § 21 III 6 b (Rheinland-Pfalz) 193 Vgl. § 4 I Nr. 8 "... Mitwirkung an der Persönlichkeitserforschung..." BaWüRiLi vom 25.4.1977; 4 η "... Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung ..." HessDO vom 10.11.1977; 3 Abs. 2 Nr. 5 "... Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung..." RhPfRiLi vom 20.11.1975

§ 9 Der Anstaltsseelsorger

213

Großkirchen wird zum Teil versucht, den vom Strafvollzugsgesetz gesetzten Rahmen zu füllen. Dabei finden sich in fast allen Bundesländern hinsichtlich der dienstrechtlichen Stellung des Anstaltsseelsorgers ein Nebeneinander von verbeamteten, angestellten und vertraglich verpflichteten Seelsorgern. Der Rückgriff auf das staatliche Beamtenrecht ist jedoch für die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers als unpassend zu bewerten. Der Auftrag der Kirche differiert vom Auftrag des Staates. Daher kann eine Einordnung in die Pflichtenstellung eines staatlichen Beamten dem Sepcificum des kirchlichen Amtsträgers im Strafvollzug nicht gerecht werden. Inwieweit die Länder Kosten der Anstaltsseelsorge übernehmen, bleibt den länderspezifischen Vereinbarungen überlassen. Eine Finanzierungspflicht kann aus bundesrechtlichen Rechtsgrundlagen nicht abgeleitet werden. Im Wege von staatlich-kirchlichen Vereinbarungen wird versucht, Klarheit hinsichtlich kirchlicher und staatlicher Aufsicht zu schaffen. Eine diesbezügliche Unschärfe bleibt jedoch in allen Ländern. Aufgrund zahlreicher Vorfälle in den siebziger Jahren versuchte die evangelische Kirche mit Empfehlungen eine Standortbestimmung der Seelsorge im Strafvollzug. Diese Empfehlungen, wie auch die Denkschrift aus dem Jahr 1990 "Strafe - Tor zur Versöhnung" machen deutlich, daß vornehmste Aufgabe der Seelsorge im Strafvollzug ist, die pastorale Identität zu wahren und im Bewußtsein der Andersartigkeit göttlicher Gerechtigkeit als Bewahrer der menschlichen Würde auch im Strafvollzug aufzutreten. Die Zukunft der Strafe liegt in einer verstärkten Hinwendung zum Menschen, sowohl dem Täter, als auch dem Opfer. Hinsichtlich des Arbeitsfelds des Seelsorgers ist eine starke Tendenz zur Überdehnung kirchlichen Wirkens zu bemerken. Neben den klassischen kirchlichen Tätigkeiten wird häufig ein dem urspünglich pastoralen Auftrag fremdes Gebiet aufgebaut, was teilweise staatlich insoweit unterstützt wird, als die Fachdienste, die eigentlich für derartige Tätigkeiten zuständig wären, nicht zur Verfügung stehen. Soweit in "neuen" seelsorgerlichen Aktivitäten von den Anstaltsseelsorgern ein religiös orientierter Zugang zum Gefangenen gesucht wird, ist die Charakterisierung als religiöse Veranstaltung staatlicherseits zu akzeptieren. Eine Betreuung der Bediensteten kann den Seelsorgern nicht zur Pflicht gemacht werden. Sofern sie dies jedoch freiwillig übernehmen, tragen sie damit zur Verbesserung des Anstaltsklimas bei. Die mannigfaltigen psychischen Belastungen der Seelsorger lassen eine spezifische Aus- und Fortbil-

214

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

dung als unabdingbar erscheinen. Es ist daher nur zu unterstützen, wenn in staatlich-kirchlichen Vereinbarungen derartige Maßnahmen als feste Institutionen, die auch der gegenseitigen Verständigung von Staat und Kirche dienen, installiert werden. Ein Specificum kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug ist das staatlicherseits zu beachtende Schweigerecht des Seelsorgers. Es ist Garant des Vertrauensverhältnisses zwischen Gefangenen und Seelsorger. Der Seelsorger sollte sich weder von Gefangenen, noch von staatlicher Seite zu einer Mitwirkung an der Persönlichkeitserforschung bewegen lassen, sofern er dabei Angelegenheiten preisgeben müßte, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind.

§ 10 Zusammenfassung des ersten Teils

Die Ausführungen im ersten Teil dieser Arbeit haben gezeigt, daß sich staatliches und kirchliches Handeln im Strafvollzug grundsätzlich unterscheiden. Staat und Kirche verwenden zwar im Bereich des Rechts - historisch bedingt - teilweise gleiche Begriffe 1 , aufgrund ihrer Wesensverschiedenheit, sehen sie sich, ihre Rolle und Aufgabe im Strafvollzug jedoch voneinander abweichend. Bereits das unterschiedliche Ordnungsverständnis 2 von Staat und Kirche fuhren zu differierenden Haltungen im Strafvollzug. Die Kirche ist sich der Sündhaftigkeit 3 jedes Menschen bewußt und kann so dem Menschen im Strafvollzug wesentlich größeres Verständnis entgegenbringen, als der Staat. Die Kirche arbeitet auch und gerade in dieser Welt im Bewußtsein der Transzendenz 4. Sie hat ein anderes Schuldverständnis 5 als der Staat. Der Staat muß versuchen, durch seinen Strafvollzug Gerechtigkeit 6 zu schaffen, wobei das Wesen der Gerechtigkeit nie endgültig definiert zu werden vermag. Im Laufe der Existenz des Rechts haben sich unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien 7 entwickelt, die sich heute noch in den verschiedenen Phasen der Strafe 8, Strafandrohung, Strafprozeß und Strafvollzug zeigen. Für das heutige Strafvollzugsgesetz steht das zukünftige Leben ohne Straftaten im

1

Vgl. § 11.1

2 Vgl. § 1 1 . 2 3 Vgl. § 1 I. 3 4 Vgl. §11. 4 5 Vgl. §11.5 6 vgl. § ι η . ι

7 Vgl. § 1 Π. 1. a 8 vgl. § ι η . ι . b

216

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Vordergrund. Der Strafvollzug orientiert sich am Vollzugsziel der Wiedereingliederung des Straffälligen 9. Die Kirche dagegen will ihren Auftrag, den sie am Menschen außerhalb des Strafvollzugs erfüllt, auch im Strafvollzug erfüllen können. Sie w i l l dort ihre Botschaft zu den Menschen bringen, wie sie es auch in "Freiheit" zu tun vermag. Ihr Auftrag besteht in der Heilsverkündung und in der Botschaft der Versöhnung, die sie auch an einem relativ versöhnungsfeindlichen Ort wie dem Strafvollzug den Menschen nahe bringt. Ihre Botschaft vermittelt sie zwar im Strafvollzug. Dabei ist jedoch die Identifikation mit dem staatlichen Strafauftrag ebenso ausgeschlossen, wie die totale Konfrontation mit dem staatlichen System. Menschliches Strafverständnis, wie es im Strafvollzug zu Tage tritt, weicht von dem kirchlichen Strafverständnis ab. Im Bewußtsein der Andersartigkeit des kirchlichen Strafverständnisses ist es die schwierige Aufgabe der Anstaltsseelsorger, eine Gratwanderung zwischen Funktion und Dysfunktion 10 im staatlichen Strafvollzug vorzunehmen. Es bemühen sich im Strafvollzug sowohl die Kirche, als auch der Staat um die Vermittlung von Werten 1 1 , die dem Gefangenen den Weg zu einem neuen Leben erleichtern sollen. Beide wissen sich dem Gedanken der menschlichen Würde 1 2 und dem Streben nach Gerechtigkeit 13 verpflichtet, sehen ihr Wirken als friedensstiftend 14 und am Gedanken der Freiheit 15 ausgerichtet. Kirche und Staat begegnen sich im Strafvollzug am gleichen Menschen. Staat, Kirche und Mensch bilden somit im Strafvollzug die Eckpunkte eines Dreiecks 16 , die auf unterschiedliche Weise miteinander kommunizieren, sowohl direkt und unmittelbar, als auch über den jeweils anderen Eckpunkt, also indirekt und mittelbar. So entwickeln sich zwischen den drei Beteiligten

9 Vgl. {\ l Π. 3 10 Vgl. \\ 1 in. 11 Vgl. {S 21. 12 Vgl. \>21.2 13 Vgl. i>21. 3. 14 Vgl.i>21. 1. 15 Vgl.«$21. 4. 16 Vgl.{ >2Π. 1

§ 10 Zusammenfassung des ersten Teils

217

Wirkungsfelder 17 , die je nach der subjektiven Haltung, dem Selbstverständnis 18 der Betroffenen und der objektiven Fragestellung unterschiedliche Kräfte entfalten. Der Kirche werden in ihrem Wirken im Strafvollzug Grenzen gesetzt, da sie in einem öffentlich-rechtlich geregelten Bereich tätig w i r d 1 9 . Ihr Wirken, das gekennzeichnet ist durch ihr Auftreten und ihre Stellungnahme in der Öffentlichkeit 20 , findet Schranken in staatlichen Gesetzen21. Dabei ist die staatliche Gesetzgebung ihrerseits an die Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere an die dort garantierte Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gebunden. Anstaltsseelsorge im Strafvollzug ist eine Gemeinsame Angelegenheit 22 zwischen Staat und Kirche, bei der es spezifisch kirchliche 23 , ebenso wie spezifisch staatliche 24 Entscheidungsfelder gibt, und auch Bereiche, bei denen sich der Strafgefangene im Schnittbereich 25 von dem staatlichen und dem kirchlichem Wirkungskreis befindet, in dem eine sachgerechte Problemlösung jeweils im Wege der Abwägung gefunden werden muß. Spannungen zwischen menschlichen Erwartungen und staatlichem Vollzug vermag die Kirche aufzudecken und gelegentlich zu mindern. Ihre Tätigkeit stellt sich als Gratwanderung zwischen Identifikation und Obstruktion dar, wobei ihr jedoch stets bewußt ist, daß sie in einem öffentlich-rechtlich geregelten Gebiet tätig ist, in dem der Staat eine rechtliche Letztentscheidungskompetenz beanspruchen darf, soweit der einzelne Gefangene betroffen ist, und fundamentale verfassungsrechtliche Grundsätze durch staatliches Verhalten nicht verletzt werden.

17 Vgl. § 2 II. 2. 18 Vgl. § 2 Π. 3. 19 Vgl. § 3 I. 1 20 Vgl. § 3 I. 2 21 Vgl. § 3 I. 3 22 Vgl. §3 II. 1. 23 Vgl. § 3 II. 4. 24 Vgl. § 3 Π. 5. 25 Vgl. § 3 Π. 6.

218

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

Die Rechtslage26 ist - historisch bedingt - sehr vielschichtig und weist Regelungen im Grundgesetz, in den Länderverfassungen, im Strafvollzugsgesetz, in Staatskirchenverträgen und Konkordaten, sowie in einzelnen Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen auf. Dabei stehen sämtliche Regelungen unter dem Primat der Verfassung. Der Inhalt des Art. 141 W R V 2 7 ist im Hinblick auf die übrigen staatskirchenrechtlichen Aussagen der Verfassung, sowie die Garantie der Religionsfreiheit zu bestimmen. Dabei liegt die Entscheidungsgewalt über die Reichweite des Art. 141 WRV zwar formal beim Staat. Dessen Kompetenz sind jedoch durch die in der Verfassung niedergelegten Garantien für Religionsgemeinschaften, insbesondere das Selbstbestimmungsrecht 28, den Grundsatz der Neutralität 29 und den Grundsatz der Parität 30 Grenzen bei der Inhaltsbestimmung des Art. 141 WRV gesetzt. Eine Definition 31 des Begriffs "Seelsorge" 3 2 ohne Berücksichtigung der kirchlichen Auffassung ist dem Staat ebenso verwehrt, wie die blinde Übernahme einzelner kirchlicher Auffassungen. Der Inhalt des Art. 141 WRV ist vielmehr im Hinblick auf die Reichweite der Religionsfreiheit gem. Art. 4 G G 3 3 festzulegen, wobei entsprechend der jeweiligen Grundrechtsträgereigenschaft 34 jeweils in Wechselwirkung 35 sowohl die individuelle 36 Komponente der Religionsfreiheit des Gefangenen

26 Vgl. § 4 27 Vgl. § 5 28 Vgl. § 5 I. 4. 29 Vgl. § 5 I. 2.

30 Vgl. §5 1.3. 31 Vgl. § 5 II. 1. 32 Vgl. § 5 II. 2. 33

Vgl. §6

34

Vgl. § 7 I.

35 Vgl. § 7 III. 6

Vgl. §

I .

§ 10 Zusammenfassung des ersten Teils

219

als auch die die Kirchen betreffende 37 Komponente der Religionsfreiheit in die Beurteilung Eingang finden müssen. Die religionsbezogenen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes können alle im Einklang mit den Vorgaben des Grundgesetzes ausgelegt werden, sowohl die Vorschriften, die die religiösen und weltanschaulichen Rechte des Strafgefangenen regeln (§§ 53 - 55; § 21 S. 3 StVollzG), als auch die Vorschriften, die den Rahmen für die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers bilden (§§ 53- 55; § 157; § 154 StVollzG) 3 8 . Dabei beschränkt sich die staatliche Aufgabe hinsichtlich der religiösen Betreuung von Strafgefangenen auf die organisatorische Ermöglichung religiöser Betreuung 39 . Grundsätzlich sollte religiöse Betreuung zwar konfessionsbezogen erfolgen, eine Hinwendung zu einer anderen Konfession darf staatlicherseits jedoch nicht verhindert werden 4 0 . Religiöse Betreuung ist im Strafvollzug sehr weitgehend und umschließt oft karitative Tätigkeit 4 1 . Verfassungsrechtlich ist Staat und Kirche vorgegeben, jegliche Zwangsanwendung in religiösen und weltanschaulichen Fragen zu unterlassen 42. Sofern ein Strafgefangener in seinen religiösen Rechten verletzt wird, steht ihm der Rechtsweg offen 4 3 . Dabei ist der Grundgedanke der Religionsfreiheit im Strafvollzug dahingehend zu berücksichtigen, daß die Schwelle der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung, die eine Verhinderung des Besuchs religiöser Veranstaltungen gestattet, sehr hoch angesetzt wird. Noch strikter ist das Gebot, staatlicherseits Religionsausübung zu behindern, sofern einzelseelsorgerliche Maßnahmen betroffen werden 44 . Dem Gefangenen ist es gestattet, religiöse Schriften und Gegenstände religiösen Gebrauchs zu besitzen, sowie die Speisevorschriften seiner Religionsgemeinschaft einzuhalten. Dabei macht jedoch die Verwendung eines Gegenstands als Hilfsmittel zur Befolgung religiöser Gebote den Gegenstand erst durch eine ausschließliche Widmung zu religiösen Zwecken zu einem Gegen-

37 Vgl. § 7 II. 38 Vgl. §8 1. 39 Vgl. § 8 Π. 1. 40 Vgl. § 8 II. 2.

41 Vgl. §8 11. 3. und 4. 42 Vgl. § 8 II. 5. 43 Vgl. § 8 II. 6. 44 Vgl. § 8 III. 1. und 2.

220

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

stand religiösen Gebrauchs 45 . Sofern religiöse Veranstaltungen zu anderen Zwecken mißbraucht werden, besteht kein religiös begründetes Recht des Gefangenen auf Teilnahme 46 . Die kollektive Ausschließung von Gefangenen bedarf jeweils besonderer, individueller Begründungen 47 , wobei vor jedem Ausschluß eine Anhörung des Seelsorgers staatliche Obliegenheit i s t 4 8 . Grundsätzlich steht dem Staat keine Entscheidung über die Güte einer Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft zu. Sofern jedoch die Resozialisierung eines Gefangenen durch die Verbindung mit einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft gefährdet wird, kann der Staat dies im Hinblick auf das Vollzugsziel unterbinden 49 . Die Rahmenvorschriften des Strafvollzugsgesetzes über das Wirken des Anstaltsseelsorgers 50 sind von zahlreichen Ländern durch Vereinbarungen mit den Kirchen über das kirchliche Wirken im Strafvollzug angereichert worden. Das StrafVollzugsgesetz sieht die Beschäftigung von Anstaltsseelsorgern vor, wobei es offen läßt, ob diese im Hauptamt bestellt, also verbeamtet werden, oder im Wege von Verträgen verpflichtet werden 51 . Auch nebenamtliche Betreuung, die Zuziehung von Seelsorgern von außen und die Verpflichtung von Seelsorgehelfern nennt das StrafVollzugsgesetz 52. Dabei stehen alle Seelsorger unter dem verfassungsmäßigen Zusammenarbeitsgebot 53. Diese sehr offene Formulierung des Strafvollzugsgesetzes ist durch Einigung von Ländern und Kirchen über die Bestellung von Anstaltsseelsorgern konkretisiert worden 5 4 . Dabei wurde der Problematik der dienstrechtlichen Stellung der Anstaltsseelsorger bislang nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt. Die Aufnahme des Anstaltsseelsorgers in das Beamtenverhältnis stellt eine sehr problematische staatliche Verpflichtung kirchlicher Amtsträger dar, die

45 Vgl. § 8 ΠΙ. 4. und IV.

46 Vgl. § 8 V . 47 Vgl. § 8 V . 48

Vgl. §8 V. 3.

49 Vgl. § 8 VI. 50

Vgl. § 9

51 Vgl. § 9 m. 1.

52 Vgl. § 9 ΠΙ. 2. und 3. 53 Vgl. §9 ΙΠ. 4. Vgl. § 9 I .

§ 10 Zusammenfassung des ersten Teils

221

wegen der Wesensverschiedenheit von Staat und Kirche und der Andersartigkeit des jeweiligen Auftrags von Staat und Kirche zukünftig unterlassen werden sollte 5 5 . Ein Rechtsverhältnis eigener Art wäre die der Sonderstellung des Anstaltsseelsorgers adäquate dienstrechtliche Stellung 56 . Es wurde von den Ländern und den in ihnen vertretenen Kirchen versucht, der kirchlichen Eigenständigkeit auch im Strafvollzug insoweit entgegenzukommen, als in zahlreichen Ländern spezielle Regelungen hinsichtlich kirchlicher und staatlicher Aufsicht über die Tätigkeit der Anstaltsseelsorger getroffen wurden 5 7 . Dabei stellte sich gerade in der Anstaltsseelsorge der siebziger Jahre eine zunehmende Distanzierung der Kirche vom Staat 58 heraus, der kirchlicherseits im Wege von Empfehlungen 59 für kirchliches Handeln im Strafvollzug begegnet wurde, um Anhaltspunkte für die pastorale Identität im Strafvollzug zu schaffen. Das Arbeitsfeld der Anstaltsseelsorger ist gekennzeichnet durch den kirchlichen Auftrag am Menschen in seiner Ganzheit. Neben den "klassischen" kirchlichen Tätigkeiten, wie Gottesdienst 60 und Einzelseelsorge 61 wird kirchlicherseits versucht, den Menschen im Strafvollzug auf neuen Wegen religiöse Inhalte nahe zu bringen. Dabei fällt besonders die teilweise außergewöhnliche Gestaltung der Gruppenseelsorge auf 6 2 . Häufig übernimmt der Anstaltsseelsorger karitative und extramurale Tätigkeiten, die anderen Bediensteten nicht möglich sind 6 3 . Auch besteht ein erhebliches Bedürfnis, die zahlreichen Aktivitäten von Staat, Kirche und Gesellschaft auf dem Bereich der Straffälligenhilfe zugunsten der betroffenen Menschen besser zu koordinieren 6 4 . Eine Verpflichtung zur seelsorgerlichen Betreuung der Anstaltsbe-

« Vgl. § 9 IV. 1 56 Vgl. § 9 IV. 1. f

57 Vgl. §9 IV. 3. 58 Vgl. §9 V. 1. 59 Vgl. § 9 V. 2. 60 Vgl. § 9 VI. 1. 61

Vgl. §9 VI. 3.

62

Vgl. § 9 VI. 2.

63

Vgl. § 9 VI. 4.

64 Vgl. § 9 V I . 5.

222

1. Teil: Länderübergreifende Darstellung

diensteten besteht verfassungsrechtlich nicht 6 5 . Gelegentlich stehen die Anstaltsseelsorger jedoch den übrigen Mitarbeitern freiwillig als Berater zur Seite. Das besondere Arbeitsfeld, das durch die Spannungen und Erwartungshaltung der verschiedenen Ansprechpartner des Seelsorgers im Strafvollzug gekennzeichnet ist, macht eine, auch staatlich anerkannte und geförderte Ausund Fortbildung der Anstaltsseelsorger notwendig 66 . Von besonderer Bedeutung für die Rolle des Seelsorgers ist die Garantie und Beachtung seines Schweigerechts 67 in seelsorgerlichen Angelegenheiten. Sie läßt das Vertrauensverhältnis entstehen, das für echte Seelsorge unverzichtbar ist. Die relativ freie Stellung des Anstaltsseelsorgers ist somit sowohl als Last, als auch als große Chance für die Verwirklichung der Religionsfreiheit des Strafgefangenen zu bewerten.

65

Vgl. § 9 VI. 6.

66

Vgl. § 9 VI. 7.

67

Vgl. § 9 V I I .

TEIL 2 § 1 1 Regelungsreichweite und Aussagen der Länderverfassungen

I. Das Verhältnis von bundesverfassungsrechtlichen und länderverfassungsrechtlichen Regelungen Regelungen zum kirchlichen Wirken im Strafvollzug finden sich in zehn Länderverfassungen der Bundesrepublik Deutschland1. So enthalten die Verfassungen von Baden-Württemberg (Art. 5), Bayern (Art. 148 BV), Brandenburg (Art. 38), Bremen (Art. 62 BremV), Hessen (Art. 54 HesV), Nordrhein-Westfalen (Art. 20 NWFV), Rheinland-Pfalz (Art. 48 RhPfV), des Saarlands (Art. 42 SaarlV), des Freistaats Sachsen (Art. 109) und des Landes Sachsen-Anhalt (Art. 32) Bestimmungen zur Tätigkeit der Kirche im Strafvollzug. Dabei statuieren die Verfassungen der Länder Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Geltung der Artikel 136 - 139 und 141 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Sie beschränken sich also nur auf die Bekräftigung der Geltung der entsprechenden Aussage von Art. 140 GG. Für die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aussagen der Länderverfassungen bleiben diese transformatorischen Regelungen in diesem Kapitel daher außer Betracht. Für diese Länder gilt das zu Art. 141 WRV Erarbeitete 2. An dieser Stelle ist zunächst zu klären, inwieweit die anderen Länderverfassungsbestimmungen im Verhältnis zur bundesrechtlichen Regelung noch Geltung beanspruchen können. Zu unterscheiden 3 sind die vor-

1

Stand der Bearbeitung: Juli 1992. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verfassungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt in Kraft getreten. Die Verfassung von Mecklenburg·Vorpommern befand sich im Entwurfsstadium. Vgl. die entsprechenden Texte der Verfassungen, sowie des Verfassungsentwurfs in Anhang I dieser Arbeit. 2

Vgl. Kapitel § 5

3 Näher dazu: Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (489)

224

2. Teil: Die Rechtslage in den Landern

konstitutionellen Landerverfassungen von Bayern (2.12.1946), Hessen (11.12.1946), Rheinland-Pfalz (18.5.1947), Bremen (21.10.1947) und dem Saarland (15.12.1947), sowie die nachkonstitutionellen Verfassungen, von denen Nordrhein-Westfalen (28.6.1950) neben einer Verweisung auf die Geltung von Art. 140 GG (Art. 22 NRW Verf) eine eigenständige Erwähnung der Anstaltsseelsorge aufweist (Art. 20 NRW Verf.) 4 , ebenso wie Art. 38 der Verfassung von Brandenburg (22.4.1992). Wesentliche Aussagen zur Geltung von Landesrecht im Verhältnis zu Bundesrecht treffen Art. 31 GG und Art. 142 GG 5 . Da Art. 142 GG als speziellere Regelung hinsichtlich Grundrechtsbestimmungen 6 anzusehen ist, ist dessen Aussage zuerst zu überprüfen. Er legt fest, daß Bestimmungen der Länderverfassungen in dem Maße in Kraft bleiben, "als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten". Für die Anstaltsseelsorge ergibt sich das Problem, daß diesbezügliche Regelungen nicht als Grundrechte einzelner firmieren, sondern in den Bereich der institutionellen Garantien einzuordnen sind. Eine allein dem Wortlaut folgende Auslegung des Art. 142 GG ergäbe dann die Nichteinbeziehung der Regelungen zur Anstaltsseelsorge gem. Art. 141 WRV. Jedoch sind Sinn und Zweck des Art. 142 GG in eine Auslegung miteinzubeziehen. Danach umfaßt Art. 142 GG auch die institutionellen Garantien, die eng mit Grundrechten verknüpft sind 7 , da in diesem Zusammenhang ein materielles Grundrechtsverstandnis maßgeblich ist 8 . So ergibt sich, daß auch die Regelung der Anstaltsseelsorge gem. Art. 141 WRV, die zwar außerhalb des genannten Katalogs geregelt ist, aber einerseits quasi grundrechtliche Gewährleistungen für die Kirchen entfaltet, und andererseits untrennbar mit dem Grundrecht der Glaubensfreiheit der Strafgefangenen ver-

4 Vgl. als Übersicht zum Verhältnis von Staat und Kirche in den Länderverfassungen: Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (230 f) 5 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (247)

6 Präzise Darstellung bei: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Grawert, Rolf, Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung, in: DÖV 1971, S. 119-127 7 Böckenförde y Ernst-Wolfgang, Grawert, Rolf, Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung, in: DÖV 1971, S. 119 (120) 8 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (247)

§ 11 Die Länderverfassungen

225

bunden ist, hierzu gerechnet werden muß 9 . Es kann die Anstaltsseelsorge nicht losgelöst vom Grundrecht der Religionsfreiheit gesehen werden. Damit ist von einer Einbeziehung der ursprünglich institutionellen Garantie des Art. 141 WRV in den Wirkungsbereich des Art. 142 GG auszugehen10. Es gelten somit sämtliche länderverfassungsrechtlichen Regelungen der Anstaltsseelsorge neben dem Grundgesetz weiter, sofern sie Art. 141 WRV nicht widersprechen. So ist eine kurze Analyse der verfassungsrechtlichen Aussagen zur Anstaltsseelsorge in den Ländern im Hinblick auf Widersprüche, Verengungen oder Erweiterungen des grundgesetzlichen Regelungsbereiches des Art. 141 WRV adäquat. Der Aussagegehalt der verschiedenen Länderverfassungen ist grundsätzlich vergleichbar. Dabei fallen trotz der gemeinsamen Grundaussage, den Kirchen die Tätigkeit in Anstalten zu ermöglichen, deren Insassen aufgrund rechtlicher und physischer Einschränkungen der Gottesdienstbesuch und sonstige religiöse Betätigung außerhalb der Anstalt unmöglich ist, gewisse Modifikationen 11 und Unterschiede auf 1 2 . Es können jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich die bei der Darstellung inhaltlicher Aussagen bedeutsamen unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten der einzelnen Länderverfassungen 13 dargestellt werden 14 . So beschränkt sich der folgende

9 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (248) 10 h.M.: Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (702 Fn. 6); Hollerbach, Alexander. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I. Berlin 1974, S. 215 (248); Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Grawert, Rolf, Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung, in: DÖV 1971, S. 119 (120, 122) 11 Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (491 f) 12 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (235) 13 vgl. zur Entstehungsgeschichte der jeweiligen Länderverfassungen: Thieme, Werner, Die Entwicklung des Verfassungsrechts im Saarland von 1945 bis 1958, in: JöR NF 9 (1960) S. 423 - 473: Gross, Rolf, Die Entwicklung des Hessischen Verfassungsrechts, in: JöR NF 21 (1972), S. 309 - 359; Schunck. Egon, Die Verfassung fiir Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947, in: JöR NF 5 (1956), S. 159 - 193; Schiaich, Klaus, Staatskirchenrecht. in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 - 747; 14

vgl. für Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nord-

15 Eick-Wildgans

226

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Abschnitt auf die allein mit den konkreten Verfassungsbestimmungen der Länder zur Anstaltsseelsorge zusammenhängenden Fragen.

II. Darstellung der Aussagen der Verfassungen von Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und dem Saarland nach thematischen Gesichtspunkten 1. Zur Frage des "Bedürfnisses"

In Bayern und Hessen ist - nahezu gleichlautend mit Art. 141 WRV - die Zulassung der Religionsgemeinschaften von der Feststellung eines Bedürfnisses 15 nach Gottesdienst und Seelsorge abhängig. Demzufolge kann auf das im Zusammenhang mit Art. 141 WRV erarbeitete Ergebnis verwiesen werden, nach dem das Vorliegen eines Bedürfnisses objektiv bestimmt wird, also allein aufgrund der Anwesenheit von Gläubigen des entsprechenden Bekenntnisses16, welche die Tätigkeit der Religionsgemeinschaften im Strafvollzug rechtfertigt. Auch die Verfassung des Landes Brandenburg garantiert in Art. 38 BrandenbVerf Kirchen und Religionsgemeinschaften den Zugang zu Strafanstalten "nach Maßgabe der bestehenden Bedürfnisse", und bleibt so in dem vom Grundgesetz gesetzten Rahmen. In der Tendenz strikter 17 und insofern der Tendenz des Landes, die Abgrenzung zwischen Staat und Kirche 18 zu betonen, als die Formulierung des rhein-Westfalen: Beutler, Bengt, Das Staatsbild in den Länderverfassungen nach 1945, Berlin 1973, Schriften zum Öffentlichen Recht Band 221, S. 57 ff, 80 ff, 94 ff, 108 ff, 122 ff, 141 ff, 159 ff, 173 ff,190 ff; ι 5 vgl. zur "Bedürfnisklausel" gem. Art. 148 BV: von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 252 ff 16 Albrechty Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (712 m.w.N.); von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978. S. 253 17 Höllerbach. Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Slaatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I. Berlin 1974. S. 215 (236) 18

Höllerbach, Alexander. Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staats-

§ 11 Die Länderverfassungen

227

Art. 141 WRV ist die bremische Bestimmung, die die "Äußerung" eines entsprechenden "Wunsches" fordert. Durch diese Formulierung ist zwar klar gestellt, daß es sich bei der zu beachtenden Bedürfhislage um ein Bedürfnis seitens der Anstaltsinsassen handelt 19 , allerdings ist die Forderung nach der Äußerung eines Wunsches wohl insoweit zu weitgehend, als anstelle des objektiven Kriteriums 2 0 , nämlich der Tatsache, daß sich Personen eines gewissen Bekenntnisses in der Anstalt aufhalten, die "Äußerung" gefordert wird. An dieser Stelle ist auf die Verfassungswidrigkeit 21 der bremischen Formulierung hinzuweisen, die auf die Äußerung eines entsprechenden Wunsches abstellt. In den Ausführungen zur grundgesetzlichen Bestimmung des Art. 141 W R V 2 2 ist dargelegt worden, daß ein Bedürfnis nicht nur dann angenommen werden darf, wenn der Wunsch nach religiöser Betreuung geäußert wird, sondern bereits dann anzunehmen ist, wenn Angehörige des entsprechenden Bekenntnisses sich in der Anstalt aufhalten, die eine religiöse Betreuung nicht ausdrücklich ablehnen. Dies beruht auf der Erkenntnis, das Menschen auch das Bedürfnis zu seelsorgerischer Betreuung haben können, ohne diesen Wunsch vernehmlich zu äußern. Um eine umfassende religiöse Betreuung in jeder Situation gewährleisten zu können, ist daher die bremische Verfassungsbestimmung als durch die Regelung des Art. 141 WRV ersetzt anzusehen23. Art. 62 BremVerf in dem Sinne zu verstehen, daß bereits die Anwesenheit eines Angehörigen einer Religionsgemeinschaft genügt, um ein Bedürfnis nach Seelsorge und somit ein Betreuungsrecht für die Religionsgesellschaften zu konstatieren, ist eine Interpretation, die vom Wortlaut der bremischen rechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof berg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (491)

Paul (Hrsg.), Heidel-

19 Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (712) 20

Zum "objektiven Kriterium": Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 101 ff; Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (712) 21 Spitta , Theodor (Hrsg.), Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, Bremen 1960, Art. 62 BremVerf:"Der bremische Artikel ist durch den Art. 141 WRV ersetzt." 22 Vgl. oben Kapitel 5 Abschnitt Π. 2. b. 23 Spitta , Theodor (Hrsg.), Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, Bremen 1960, Art. 62 BremVerf;

15*

228

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Verfassungsbestimmung nicht mehr getragen werden kann. Daher ist Art. 62 BremVerf grundgesetzwidrig und nichtig 24 . Art. 48 Rheinl.-PfalzVerf., Art. 42 SaarVerf. und Art. 20 NRWVerf. verzichten bei der Anstaltsseelsorge auf die Erwähnung eines "Bedürfnisses". Mit dieser Auslassung ist in der nachkonstitutionellen Verfassung von Nordrhein-Westfalen bewußt der starken Stellung des Grundrechts der Religionsfreiheit, sowohl in individueller, als auch in korporativer Hinsicht Rechnung getragen worden 25 . In praktischer Hinsicht entfaltetet diese doppelte Sicherung wegen des Fehlens einer eigenen Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen keine größeren Wirkungen 26 . Da Art. 141 WRV nur eine Mindestgarantie darstellt 27, die seitens der Länder auch erweitert werden kann, ist gegen die genannten Bestimmungen der Länderverfassungen kein Einwand zu erheben.

2. Der Fragenkreis

der Zulassung

Wenn auch die bayerische und die hessische Verfassung gemeinsam in grundgesetzmäßiger Weise auf das Vorliegen eines Bedürfnisses abstellen, so ist dennoch ein Unterschied zwischen diesen beiden Formulierungen festzustellen, da der bayerische, ebenso wie der bremische Wortlaut insoweit in Übereinstimmung mit der grundgesetzlichen Formulierung die Pflicht zur Zulassung betont ("...sind...zuzulassen"), während die hessische Verfassung vom Faktum der Zulassung ausgeht ("...sind...zugelassen"). Materiell ist jedoch von einer identischen Aussage28 der Verfassungs-

24 So auch die h.M., vgl. Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 109; Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (719) 25 Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 a

26 Schiaich, Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfalisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 (709) 27 Hollerbach, Alexander, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 215 (249) 28 Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 110

§ 11 Die Länderverfassungen

229

bestimmungen auszugehen, da zwischen der Garantie einer indikativischen und einer imperativen Zulassung kein rechtlich relevanter Unterschied besteht. Auch die Formulierung der nordrhein-westfälischen Verfassung, nach der die Kirchen und Religionsgemeinschaften "das Recht haben ..." im Strafvollzug tätig zu werden, drückt aus, daß es sich nicht um eine Ermessensentscheidung des Staates handelt, ob die Kirchen wirken dürfen, sondern, daß allein bei Anwesenheit von Personen, die religiöse Betreuung nicht ablehnen, eine entsprechende Berechtigung der Kirchen existiert 29. Hier ist das Recht der Kirchen zum Wirken im Strafvollzug besonders betont. Die Verfassung des Landes Brandenburg spricht nicht von Zulassung, sondern von der Pflicht des Staates, den Kirchen die entsprechenden Tätigkeiten zu "ermöglichen". Offener gestalten die rheinland-pfälzische und die saarländische Verfassung die Frage der Zulassung, da sie davon sprechen, den Kirchen "Gelegenheit ...zu geben...". Durch diese Formulierung wird deutlich, daß die Initiative zur Seelsorge im Strafvollzug von den Kirchen ausgehen muß. Wenn diese allerdings den Wunsch nach entsprechender Tätigkeit äußern, so ist diesem staatlicherseits Folge zu leisten. Sämtliche landesverfassungsrechtlichen Regelungen lassen jedoch eine Auslegung im Sinne des Art. 141 WRV zu, sodaß diesbezüglich keinerlei Gültigkeitsvorbehalte zu machen sind.

3. Der Kreis der Berechtigten

Auch der Kreis der Berechtigten ist in den Verfassungen unterschiedlich formuliert. So läßt die bayerische Verfassung dem Wortlaut nach allein "Religionsgemeinschaften" zu, wohingegen die hessische und die bremische Verfassung zwischen "Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften" differenzieren, während die nordrhein-westfälische, die rheinlandpfälzische, die brandenburgische und die saarländische Verfassung von "Kirchen und Religionsgemeinschaften" sprechen. Entsprechend den Aussagen des Grundgesetzes, das zwar dem Wortlaut nach Religionsgesell-

29 Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 a

230

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Schäften gem. Art. 141 WRV, aber wegen der Bedeutung des Art. 4 GG entsprechend der hier dargelegten Geltung des Art. 137 Abs. 7 WRV sinngemäß auch Weltanschauungsgemeinschaften erfaßt, ist der Kreis der Berechtigten auch in den Ländern weiter zu fassen, die im Wortlaut hinter dem Garantiebereich des durch Art. 141 WRV / 137 Abs. 7 WRV und Art. 4 GG bezeichneten Kreis der Berechtigten zurückbleiben 30. Aus dem historischen Kontext der einzelnen Verfassungen ist erklärlich, daß die Weltanschauungsgemeinschaften mit Ausnahme von den Ländern Bremen und Hessen31 nicht in die verfassungsrechtlichen Garantien mit einbezogen wurden. Allerdings ist heute aufgrund des Zusammenhangs von individueller Weltanschauungsfreiheit des Strafgefangenen und den entsprechenden institutionellen Garantien ein Ausschluß der Weltanschauungsgemeinschaften nicht mehr gerechtfertigt, weder in Bayern 32 , noch in den übrigen Bundesländern33. So ist die Meinung, nur Religionsgemeinschaften seien berechtigt 34, aufgrund der Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität nicht mehr geboten. Zuzustimmen ist der Ansicht 35 , daß seit der verfassungsrechtlichen Regelung des Grundgesetzes keine andere Auslegung der Länderverfassungsbestimmungen mehr verfassungskonform ist, als die der Mit-

3° Albrecht, Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn 1975, S. 24 ff stellt die Hinzuziehung von Art. 137 Abs. 7 WRV als wenig hilfreich dar, bejaht aber aufgrund der mittelbaren Wirkung des Art. 4 GG einen Zulassungsanspruch von Weltanschauungsgemeinschaften 31 Vgl. zum eher laizistischen Staatsbild in Hessen und Bremen, Beutler, Bengt, Das Staatsbild in den Länderverfassungen nach 1945, Berlin 1973, Schriften zum Öffentlichen Recht Band 221, S. 154, 171f 32 Ebenfalls fur eine Berechtigung der Weltanschauungsgemeinschaften auch in Bayern: von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 237 f; 33 Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (704) 34 Meder, Theodor, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Handkommentar, 3. Aufl. Stuttgart, München, Hannover 1985, Art. 148 Rdn. 1 35 Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 Rdn. 8

§ 11 Die Lnderverfassungen

231

berechtigung von Weltanschauungsgemeinschaften 36. Somit sind auch in den Ländern entsprechend dem grundgesetzlichen Gleichstellungsgebot Weltanschauungsgemeinschaften im Strafvollzug betätigungsberechtigt.

4. Die geschützte Tätigkeit

Übereinstimmend umschreiben die bayerische und die hessische Verfassung die geschützte Tätigkeit mit "religiösen Handlungen". Differenzierter regeln dies die Verfassungen anderer Bundesländer. So enthalten die Verfassungen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland Formulierungen, nach denen die Kirchen und Religionsgemeinschaften zu gottesdienstlichen Handlungen und der Ausübung einer "geordneten Seelsorge" ermächtigt werden. Dabei bleibt der Begriff der "geordneten" Seelsorge unerklärt. Es ist jedoch hier implizit eine gewisse Beschränkung der Seelsorge durch die Notwendigkeiten des Anstaltsbetriebes gemeint, durch den Seelsorge im Strafvollzug aufgrund des Charakters der Institution an gewisse Ausübungsmodalitäten gebunden ist 3 7 und somit eine gewisse Ordnung der Seelsorge zu fordern ist. Eine zeitlich wesentlich jüngere Verfassung - nämlich die des Landes Brandenburg aus dem Jahre 1992 - umschreibt die geschützte Tätigkeit mit "Gottesdienste, Seelsorge und andere religiöse Handlungen" und stellt somit bereits durch die Wortwahl klar, daß sowohl die klassischen kirchlichen Tätigkeiten vom Schutzbereich der Verfassung erfaßt sind als auch Seelsorge in jeder Form unter ausdrücklicher Nennung, jedoch ohne weitergehende Spezifizierung anderer religiöser Handlungen.

36 h.M. Albrecht, Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (703 f); fiir Bayern: Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 Rdn. 8; fiir NRW: Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 2; 37 Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 d; Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 Rdn. 4;

232

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

5. Das Zwangsanwendungsverbot

Gemeinsam ist den vorgenannten Verfassungen die Verpflichtung, jeglichen Zwang zu religiöser Betätigung fernzuhalten, wobei dies wiederum in der bayerischen38 und nordrhein-westfälischen Verfassung als Aufgabe formuliert ist ("...fernzuhalten ist."), während die hessische Verfassung etwas unpersönlicher vom Unterbleiben des Zwangs spricht ("...hat...zu unterbleiben."). Die bremische Verfassung sagt ausdrücklich, daß "jede Art von Nötigung zur Teilnahme zu unterbleiben" hat, womit die Tendenz deutlich wird, die Ausübung von Zwang zu einer religiösen Handlung strenger zu unterbinden, als das zwangsweise Fernhalten von religiösen Handlungen. Die Verfassung des Landes Brandenburg betont das Zwangsanwendungsverbot durch den Verweis auf die Geltung des Art. 13 Abs. 3 BrandenbVerf 39. Die übrigen Verfassungen äußern sich zu Freiwilligkeit oder Zwang bezüglich religiöser Handlungen nicht. Bei den Verfassungen, die das Zwangsanwendungsverbot nicht (Rheinland-Pfalz, Saarland) oder nur zum Teil (Bremen) enthalten ist zum einen das grundgesetzliche Gebot des Art. 141 WRV mitzulesen, gegen dessen Berücksichtigung sich keine landesverfassungsrechtlich bedingten Argumente finden lassen. Zudem ergäbe sich das Zwangsanwendungsverbot in religiösen Angelegenheiten bereits aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit 40, das sowohl die positive, als auch die negative Religionsfreiheit schützt41. Es bleibt auch in diesem Zusammenhang zu betonen, daß Anstaltsinsassen kein Recht zur Verhinderung von Religionsausübung anderer Anstaltsinsassen haben, sofern es ihnen möglich und zumutbar ist, sich solchen religiösen Betätigungen anderer zu entziehen42.

38

Vgl. zum Zwangsanwendungsverbot: von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 247 f 39

Art. 13 Abs. 3 BrandenbVerf lautet: Niemand darf zur Teilnahme an einer religiösen oder weltanschaulichen Handlung oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. 40

Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 b 41 Vgl. Kapitel 6 42 Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 Rdn. 11 m.w.N.

233

§ 11 Die Länderverfassungen

6. Der Umfang staatlicher Mitwirkung und personeller Hinsicht

in sachlicher

Strittig ist, ob und in welchem Maße der Staat Hilfestellungen in sachlicher oder personeller Hinsicht geben kann, d.h. inwieweit er Kosten für die Ausgestaltung der religiösen Betreuung übernimmt. In diesem Bereich zeigt sich eine kirchenfreundliche oder eine distanziertere Einstellung der jeweiligen Länder am deutlichsten. Bemerkenswert ist hier die Aufnahme in Art. 48 RheinPfVerf, die ausdrücklich festlegt, daß "für die entsprechenden Voraussetzungen Sorge zu tragen" ist. Die anderen Verfassungen äußern sich dazu nicht. Allerdings ist klar gestellt, daß Seelsorge und Gottesdienst gewisse Minima staatlichen Entgegenkommens erfordern, wie beispielsweise die Bereitstellung eines Raumes für die Abhaltung von Gottesdienst43, ebenso wie das Zutrittsrecht für Seelsorger zu den Gefangenen. Alle darüberhinausgehenden organisatorischen Bereitstellungen seitens der Länder bleiben verfassungsrechtlich unentschieden44. Aus den bundes- und landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen ist weder ein Verbot 45 , noch eine Pflicht zur Kostentragung oder zur Anstellung von Seelsorgern durch den Staat für die Seelsorge im Strafvollzug zu folgern 46. So steht es den Ländern frei, im Benehmen mit den Kirchen Geistliche zu berufen und anzustellen, oder dies allein den Kirchen zu überlassen. Wenn sie sich für die staatliche Organisation der Anstaltsseelsorge entscheiden, so ist dies als eine Gestaltung verfassungsmäßiger positiver Religionspflege anzusehen47.

43 Alertz, Ewald, Die Strafanstaltsseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Köln 1961, S. 138 44 Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 e 45 So aber gegen die ganz h.M. in der Staatskirchenrechtlichen Literatur: Fischer, Erwin, Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. Frankfurt 1984, 3.Aufl., S. 250, der derartige staatliche Förderungsmaßnahmen als verbotene staatskirchliche Betätigung ansieht

Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 BV / Rdn. 12 Fn. 55 m.w.N.; Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 Nr. 3 e 47

h.M.: Albrechty Karl, Anstaltsseelsorge, in: Friesenhahn, Ernst, Ulrich Scheuner, Joseph Listi (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, Berlin 1975, S. 701 (707); Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 1976, Lfg. Januar 1989, Art. 148 BV / Rdn. 12; Mi-

234

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

III. Zusammenfassung zu den Aussagen der Länderverfassungen Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Verfassungen der Länder, die eine Regelung über die Anstaltsseelsorge aufgenommen haben, mit Ausnahme der Verfassung von Bremen, in Übereinstimmung mit der Garantie des Grundgesetzes gem. Art. 141 WRV ausgelegt werden können und nur leichte Modifikationen gefunden werden 48 . Die Verfassungen von Bayern, Brandenburg, Hessen49, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und vom Saarland regeln sowohl die Zulassung, als auch den Kreis der Berechtigten, wie auch die Art der geschützten Tätigkeit in grundgesetzkonformer Weise, wobei die Garantien, die im Wortlaut hinter der Aussage des Grundgesetzes zurückbleiben, Raum für eine entsprechende, erweiternde Auslegung im Sinne von Art. 141 WRV lassen, und die Garantien, die über die Reichweite des Art. 141 WRV hinausgehen, verfassungsgemäß sind, da Art. 141 WRV eine bloße Mindestgarantie darstellt, die von den Ländern eigenständig erweitert werden darf. Derartige Erweiterungen halten sich im Rahmen des Grundsatzes staatlicher Neutralität und Parität. Es ist den Ländern unbenommen, zur adäquten Anpassung der Verhältnisse 50 an den Wandel der Zeit mit den Kirchen weitergehende Vereinbarungen über die Ausgestaltung kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug zu schließen.

kat, Paul, Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 111-243 in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Vierter Band, Erster Halbband, Berlin 1960; 2. Aufl., 1972, S. 195f; Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965, S. 123, 138 48 Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof\ Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (491 0 49 Nach der hier dargelegten Auffassung, nach der auch die Formulierungen der hessischen Verfassung entsprechend dem Grundgesetz ausgelegt werden können, kann daher der Meinung Zinn, Georg August, Stein, Erwin, Die Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, Bad Homburg vor der Höhe, Berlin 1954, Art. 54 Rdn. 1 "Seit dem 24.5.1949 gilt nur noch Art. 141 WV (140 GG)." nicht gefolgt werden. 50 Vgl. auch: Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (503)

§ 12 Zulässigkeit und Bedeutung vertraglicher Regelungen kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug I. Die Zulässigkeit von Vereinbarungen über religiöses und weltanschauliches Wirken im Strafvollzug Neben der grundsätzlichen Garantie der Ermöglichung der Anstaltsseelsorge im Rahmen von Verträgen zwischen Staat und Kirche, die das allgemeine Verhältnis von Staat und Kirche regeln 1, bestehen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland spezielle Vereinbarungen über den Umfang und die nähere Ausgestaltung kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug. Hierbei stellt sich zum einen die Frage, ob der Staat derartige Vereinbarungen schließen darf 2, ohne gegen grundgesetzliche Gebote zu verstoßen, zum anderen, ob die Kirche im Hinblick auf ihre unabhängige Stellung vom Staat derartige Verträge, die gewisse Loyalitätspflichten 3 beinhalten, abschließen soll und darf 4.

1. Aspekte des Staates

Es ist dem Staat - trotz des verfassungsrechtlichen Gebots der Neutralität

ι Vgl. Art. 17 BayKV 15.11.1924; Art. 11 BayKV 15.11.1924; Art. 16 HesKV 18.2.1960; Art. 6 Nds.KV 19.3.1955; Art. 21 RhPfKV 31.3.1962; Art. 8 SHKV 23.4.1957 2 Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof' Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (503) 3 Pirson, Dietrich, Vertragsstaatskirchenrecht, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3814 (3826) 4 Allgemein zum Vertragsstaatskirchenrecht: Hollerbach, Alexander, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1965; Hollerbach, Alexander, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR Band I, Berlin 1974, S. 267 - 296; Pirson, Dietrich, Vertragsstaatskirchenrecht, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3814 - 3827;

236

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

und Parität - nicht verwehrt, mit einzelnen Kirchen derartige Vereinbarungen zu schließen. Verträge zwischen Staat und Kirche sind aufgrund der jeweiligen Stellung des anderen Partners heute eine passende Form 5 der Regelung von Angelegenheiten beiderseitigen Interesses. Dies stellt keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes6 dar, da andere Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen, die großen- oder interessenmäßig mit den Großkirchen vergleichbar sind, den gleichen Anspruch auf einen Vertragsabschluß mit dem Staat über die Seelsorge im Strafvollzug hätten, wie die Großkirchen. Denn es muß stets der Grund des Vertragsabschlusses im Auge behalten werden: Es ist nicht eine nur historisch begründete privilegierte Stellung der Kirchen als Institution, die durch derartige Verträge geschützt werden soll, sondern Ausgangspunkt derartiger Vereinbarungen ist - wie oben gezeigt - grundsätzlich die Religionsfreiheit des Einzelnen, die das Wirken der Kirchen im Strafvollzug letztendlich rechtfertigt. Ebensowenig, wie eine Kirche in einer Strafvollzugsanstalt ohne Gefangene einen Anspruch auf Tätigkeit hätte, weil das Bedürfnis für Seelsorge fehlen würde, kann eine neue Religion oder Weltanschauungsgemeinschaft in Anspruch nehmen, eine vertragliche Vereinbarung mit dem Staat über ihre Tätigkeit im im Strafvollzug zu schließen. Zwar muß, wie gezeigt, auch neuen Religionsgemeinschaften die Möglichkeit eröffnet werden, den religiösen Bedürfhissen der Gefangenen Genüge tun zu können. Allerdings rechtfertigen gelegentliche Besuche bei einzelnen Gefangenen keinen Anspruch auf vertragliche Absicherung dieser Tätigkeit. Das Recht auf Vereinbarungen im Rahmen einer Gleichstellung zu den beiden Großkirchen ist erst bei einem vergleichbaren Umfang der religiösen Betreuung zu bejahen oder bei einer besonderen Interessenkonstellation7. Festzuhalten ist, daß jede Glaubensgemeinschaft ein Recht zur Seelsorge hat, das der Staat nicht grundsätzlich absprechen darf. Die vertragliche Installierung einer regelmäßigen Anstaltsseelsorge ist jedoch erst bei einer längeren Tätigkeit von gewissem Ausmaß gerechtfertigt. So bleibt festzuhalten, daß neue Glaubensgemeinschaften zwar auch das Recht zur Tätigkeit im Strafvollzug haben, sofern ein Bedürfnis der Gefangenen danach besteht; Eine vertraglich gesicherte Rechtsposition können neue Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften jedoch erst bei 5 von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 106 6 Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josef und Kirchhof, Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (505) 7 vgl. zu Vereinbarungen mit kleineren Gemeinschaften: Hollerbach, Alexander, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Isensee, Josefund Kirchhof, Paul (Hrsg.), Heidelberg 1989, Band VI, § 138, S. 471 (502)

§ 1 2 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

237

einer den Großkirchen vergleichbaren Interessenlage im Strafvollzug beanspruchen. Der Staat verhält sich dem Auftrag des Grundgesetzes gemäß, wenn er mit Religions- und vergleichbaren Weltanschauungsgemeinschaften Vereinbarungen über deren Wirken im Strafvollzug schließt. In Verträgen zur Sicherstellung der religiösen Versorgung von Strafgefangenen kann ein Widerspruch zum staatlichen Neutralitätsgebot kann nicht gesehen werden 8.

2. Aspekte der Kirche

Auf der anderen Seite stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Kirchen überhaupt derartige Verträge abschließen sollen. Es könnte durch solche Vereinbarungen ihre Selbständigkeit gefährdet sein. Sie geht durch Abmachungen mit dem Staat eine Verbindung mit dem Staat ein, die zwar einerseits, sofern man Rechtsklarheit als erstrebenswert ansieht, zu begrüßen ist, andererseits aber auch zu einer Einschnürung der kirchlichen Freiheit fuhren kann. Es war und ist gerade die Chance der Kirche, innerhalb des Strafvollzugs in einem Freiraum zu arbeiten, der vom Staat nicht beherrscht werden kann, weil ihm dazu Auftrag und Instrumente fehlen. Die Sorge um die Seele des Gefangenen ist eine Aufgabe, die allein von den Kirchen erfüllt werden kann. Es ist der Auftrag der Kirche, sich um Menschen in Grenzsituationen zu kümmern 9. Dabei stellt sich die Aufgabe, ihre Tätigkeit zugunsten des Gefangenen institutionell abzusichern, sofern zu befürchten ist, daß die verfassungsrechtlichen Garantien für eine erfolgreiche und kontinuierliche Arbeit nicht genügen könnten. Auch sind Vereinbarungen angezeigt zur Erzielung von Rechtsklarheit. Vereinbarungen schaffen eindeutige und nachvollziehbare Regelungen auf einem bisher relativ rechtsfreien Raum. Auf der anderen Seite muß die Kirche sich vor der Verführung hüten, sich bestimmte Rechtspositionen sichern zu lassen - um den Preis einer Unbeweglichkeit in anderen, neu auftretenden Fragen 10 . So ist auch im Bereich der Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiet religiöser Tätigkeit im Strafvollzug eine gewisse Gratwanderung vonnöten, Sicherheit zur Betätigung zu erhalten, ohne

8 a.A. Fischer, Erwin, Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. Frankfurt 1984, S. 250 f 9 Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug. Gütersloh 1990, S. 91 10 Auf diese Gefahr macht auch aufmerksam: von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 109

238

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Freiheit 11 aufzugeben. Wo und wie weit dies gelungen ist, soll nach der Analyse der bestehenden Vereinbarungen diskutiert werden.

II. Arten und Bezeichnungen der Vereinbarungen Bei den zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs existierenden Vorschriften fallt auf, daß die Lander unterschiedliche Arten der Regelung gewählt haben, nämlich teils Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, und teils Erlasse von Landesjustizverwaltungen. So ist das kirchliche Wirken im Strafvollzug in Baden-Württemberg 12 mittels einer " Allgemeinverfügung" des Justizministers und in Rheinland-Pfalz 13 mittels "Richtlinien des Justizministeriums" geregelt, dagegen in Bayern 14 mittels einer "Verwaltungsvereinbarung 11 zwischen Justizministerium und beiden Großkirchen, in Hessen15 mittels "Vereinbarungen" zwischen dem Justizministerium und den beiden Großkirchen und im Saarland 16 mittels "Vereinbarung" zwischen dem Land und den Bistümern geregelt. Zusätzlich zu diesen Vereinbarungen bestehen in Hessen17 und im Saarland 18 Dienstordnungen, die die dienstliche Stellung des Seelsorgers spezifizieren, wobei diese beiden Dienstordnungen wörtlich übereinstimmen. Allerdings gilt die Hessische Dienstordnung fur die katholischen und evangelischen Geistlichen, während die saarländische Dienstordnung nur im Einvernehmen mit der katholischen Kirche geschlossen wurde und zunächst nur fur katholische Geistliche Geltung beansprucht. Die unterschiedlichen Regelungsarten zeigen trotz ihrer

11 In den bestehenden Konkordaten und Kirchenverträgen ist keine Unterwerfung der Kirchen unter den Staat oder Gefahrdung ihrer Freiheit feszustellen, vgl. Pirson, Dietrich, Vertragsstaatskirchenrecht, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3814 (3826)

12 Die Verfügung wird näher dargestellt in Kapitel § 13. 13 Die Richtlinien werden in Kapitel § 21 besprochen. 14

Die Vereinbarung wird in Kapitel § 14 ausfuhrlich erörtert.

5

1 Detailliert werden die Vereinbarungen zwischen Staat und Kirchen in Hessen im Kapitel § 18 dargelegt. 16 Die saarländische Vereinbarung wird in Kapitel § 22 besprochen. 17 Dazu näher: Besprechung der Hessischen Dienstordnung vom 1.9.1977 in Kapitel § 18 18 Dazu näher: Kapitel § 22 Abschnitt V: Saarländische Dienstordnung vom 6.5.1982

§12 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

239

Verschiedenheit deutlich den Charakter des kirchlichen Wirkens im Strafvollzug als Gemeinsame Angelegenheit im Sinne des entwickelten Modells: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird auf die Sockel funktion des staatlichen Rechts abgestellt, die eine äußerlich rein staatliche Regelung rechtfertigt. In den anderen Ländern wird das Zusammentreffen von zwei unabhängigen Wirkungskreisen betont, die eine auch nach außen von beiden getroffene, und vom Staat bekanntgegebene Vereinbarung zuläßt. Auch wenn Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz formal rein staatliche Regelungen über die Anstaltsseelsorge treffen, so geht aus dem Inhalt der Regelungen hervor, daß sie im Zusammenwirken und im Einverständnis mit den entsprechenden Kirchen zustandegekommen sind 19 . So geht aus den einschlägigen Regelungen hervor, daß die Länder die Kirchen als gleichwertige Partner hinsichtlich religiösen Wirkens im Strafvollzug anerkannt haben, mögen auch die jeweiligen Regelungen formal unterschiedlichen Charakter aufweisen. Gemeinsam ist ihnen der auf einem Zusammenwirken von Staat und Kirche beruhende Ursprung.

III. Die Bedeutung des Reichskonkordats für das kirchliche Wirken im Strafvollzug Im Zusammenhang mit der Erörterung von Zulässigkeit und Bedeutung vertraglicher Regelungen ist auch auf die Geltung und Reichweite des Reichskonkordats 20 einzugehen:

1. Geltungsbereich

In allen Bundesländern, die keine eigene Vereinbarung des Landes mit der katholischen Kirche geschlossen haben, ist entsprechend der Rechtssprechung

19 Vgl. AV BaWü 25.4.1977 "Im Einvernehmen mit ... n und RL RhPf 20.11.1975 "Mit Zustimmung der ..." 20 Zu Abschluß und Fortgeltung des Reichskonkordats: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. 1, S. 27 ff; Literaturangaben: a.a.O. S. 31 f

240

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

des Bundesverfassungsgerichts 21 von einer begrenzten Weitergeltung 22 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 auszugehen23. Hinsichtlich der Regelungen zum kirchlichen Wirken im Strafvollzug gilt Art. 28 RK in den Ländern, in denen keine Länderkonkordate, die diese Materie regeln, abgeschlossen worden sind 24 . Die Länder Bayern und Niedersachsen haben eigene Konkordate mit Regelungen zur Anstaltsseelsorge mit der katholischen Kirche geschlossen, sodaß in diesen beiden Ländern die Regelungen des Reichskonkordats nur subsidiär Geltung beanspruchen können. In den übrigen Ländern gilt die Aussage des Reichskonkordats zur Anstaltsseelsorge gem. Artikel 28: "In Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand wird die Kirche im Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vornahme seelsorgerlicher Besuche und gottesdienstlicher Handlungen zugelassen. Wird in solchen Anstalten eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet und müssen hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt werden, so geschieht dies im Einveraehmen mit der kirchlichen Oberbehörde. " 2 5 Eine Ergänzung erfuhr dieser Artikel auf Bitten der Kirche 26 durch das Schlußprotokoll, in dem festgelegt wurde, daß in dringenden Fällen der Zutritt dem Geistlichen jederzeit zu gewähren sei.

2. Materielle Aussagekraft

Inhaltlich ist das Reichskonkordat folgendermaßen auszulegen: Entsprechend der verfassungsrechtlichen Bestimmung wird die Kirche "zugelassen",

21 Vgl. BVerfG Urteil vom 26.3.1957, BVerfGE 3, 309 - 367 22 Erler, Adalbert, Kirchenrecht, 5. Aufl., München 1983, S. 120 f 23 Vgl. Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, S. 30 f m.w.N. 24 Albrecht, 1975, S. 11

Karl, Staatsrechtliche Grundfragen der Anstaltsseelsorge, Jur. Diss., Bonn

25 Vgl. zur Entwicklung der Formulierungen im Reichskonkordat: Kupper, Alfons, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Veröffentlichungen der Kommission fur Zeitgeschichte. Bei der katholischen Akademie in Bayern. In Verbindung mit Dieter Albrecht - Andreas Kraus - Rudolf Morsey. Hrsg. von Konrad Repgen. Reihe A: Quellen Band 2, Mainz 1969, S. 446, 454, 456, 464, 472, 478 26 Kupper, Alfons, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Bei der katholischen Akademie in Bayern. In Verbindung mit Dieter Albrecht - Andreas Kraus - Rudolf Morsey. Hrsg. von Konrad Repgen. Reihe A: Quellen Band 2, Mainz 1969, S. 181

§ 12 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

241

d.h. die Initiative zur Seelsorge hat von der Kirche auszugehen. Dabei garantiert das Reichskonkordat nur einen Bruchteil der religiösen Tätigkeiten, die unter den Aussagegehalt des Art. 4 GG / 141 WRV fallen, da es nur zu seelsorgerlichen Besuchen und gottesdienstlichen Handlungen zuläßt. Damit wären Gemeinschaftsveranstaltungen, die keinen gottesdienstahnlichen Charakter aulweisen, nicht vom Schutz des Reichskonkordats erfaßt. Zudem stellt es jegliches religiös motivierte Handeln unter den Geltungsanspruch der allgemeinen Hausordnung. Diese Einschränkung durch die die "allgemeine Hausordnung" wurde im Rahmen der Verhandlungen zwischen Staat und Kirche über das Reichskonkordat erst auf staatliche Intervention hin, nämlich das Verlangen des staatlichen Verhandlungsführers eingefügt 27. Dabei fürchtete die katholische Kirche damals, daß in einer Hausordnung der Zutritt in drängenden Fällen verboten werden würde und der geistliche Beistand auf die üblichen Besuchsstunden beschränkt werden könnte 28 . Um sicherzustellen, daß Geistlichen der Zutritt in dringenden Fällen gewährt würde, wurde in das Schlußprotokoll die Zutrittsgarantie aufgenommen 29. Die im Reichskonkordat niedergelegte Beschränkung "im Rahmen der allgemeinen Hausordnung" ist nach dem oben zu den Aussagen der Verfassung Erarbeiteten, heute nicht mehr zu tolerieren. Es ist spätestens seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mit seiner umfassenden Garantie der Religionsfreiheit, welche auch im Strafvollzug Geltung beanspruchen darf, verfassungsrechtlich nicht tragbar, religiöse Freiheiten generell durch die Aussagen einer Hausordnung einzuschränken. Auffallig ist allerdings, daß bereits damals im Reichskonkordat die Formulierung der Weimarer Reichsverfassung, die die Tätigkeit der Kirchen auf die Reichweite eines Bedürfnisses einschränkt, nicht übernommen wurde. Explizit wird nicht auf die religiösen Rechte der einzelnen Gefangenen eingegangen, sondern den Kirchen ohne die Notwendigkeit eines nachzuweisenden Bedürfnisses die Möglichkeit seelsorgerlicher Arbeit gewährt. Deutlich wird hierdurch der Charakter des Konkordats als einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche, die von den einzelnen Bedürfhissen der betroffenen Menschen relativ unabhängig gestaltet ist. Betont wird der

2? Kupper y Alfons, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Bei der katholischen Akademie in Bayern. In Verbindung mit Dieter Albrecht - Andreas Kraus - Rudolf Morsey. Hrsg. von Konrad Repgen. Reihe A: Quellen Band 2, Mainz 1969, S. 181 28 Kupper, a.a.O., S. 182 » Küpper, a.a.O., S. 181 16 Eick-Wildgans

242

2. Teil: Die Rechtslage in den Landern

korporative Charakter der Anstaltsseelsorge ohne Reflexion der Bedeutung der individuellen Komponente der Anstaltsseelsorge. Ordnungsgemäß ist die Aussage des Art. 28 S. 2 RK, nach der eine staatliche Einstellung von Seelsorgern als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte im Einvernehmen mit der Kirche geschieht. Auf diese Weise ist gewährleistet, daß nur solche Repräsentanten der Kirche im Strafvollzug tatig werden, mit denen seitens der Kirche Einverständnis herrscht. Auch ist die Formulierung so glücklich gewählt, daß Raum für andere Einstellungsmöglichkeiten bleibt, also die Verbeamtung nicht obligatorisch vorgeschrieben wird. Wesentlich ist die Formulierung des Schlußprotokolls, da diese ein Recht statuiert, das in dieser Klarheit sonst an keiner Stelle hervortritt und somit Bedeutung für die Praxis gewinnen kann. Das jederzeitige Zutrittsrecht in dringenden Fällen ist eine Garantie, die aus der Religionsfreiheit und der Bedeutung religiöser Anliegen des Einzelnen zwar zu folgern ist. Angesichts der relativ komplizierten rechtlichen Herleitung über eine Auslegung des Art. 4 GG ist jedoch die so eindeutige Formulierung sehr begrüßenswert. So ist klargestellt, daß dem Wunsch nach religiöser Betreuung in dringenden Fällen staatlicherseits jederzeit nachzukommen ist. Eine Berufung auf die Hausordnung, oder auch auf Belange von Sicherheit und Ordnung der Anstalt ist nicht möglich. Insoweit geht die Geltung des Reichskonkordats einseitigen staatlichen Bestimmungen im Strafvollzugsgesetz vor. Selbstverständlich kann strittig sein, ob und wann ein dringender Fall zu bejahen ist. Ist ein solcher allerdings gegeben, kann dem Geistlichen der Zutritt nicht verwehrt werden.

3. Auswirkungen für die evangelische Kirche

Die Geltung gerade dieser Bestimmung kommt wegen des Paritätsgrundsatzes auch evangelischen Anstaltsseelsorgern zugute 30 . Es ist also auch evangelischen Anstaltsseelsorgern der Zutritt in dringenden Fällen jederzeit zu gewähren 31.

30 Rassow, Peter in: Schwind, Hans-Dieter / Böhm, Alexander (Hrsg.), StrafVollzugsgesetz, Großkommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, § 53 Rdn. 11

31 a.a.O., §53 Rdn. 11

§ 12 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

243

4. Zusammenfassung zur Bedeutung des Reichskonkordats

Zusammenfassend läßt sich daher festhalten, daß die Vereinbarung des Reichskonkordats über die Anstaltsseelsorge heute durch ein erweitertes Grundrechtsverständnis hinsichtlich der Reichweite der Religionsfreiheit weitgehend überholt ist. Infolge der großzügigen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von der Religionsfreiheit des Einzelnen, welche die dargestellten Auswirkungen für die im Strafvollzug tätigen Religionsgemeinschaften hat, ist im Streitfall ein Rückgriff auf die reichskonkordatäre Vereinbarung wohl nicht mehr zwingend. Von Bedeutung ist allerdings heute noch die Garantie des jederzeitigen Zutrittsrechts für die Kirche in dringenden Fällen. Beachtenswert ist, daß Regelungen, die in ihrem Aussagegehalt über das Reichskonkordat hinausgehen, einen größeren Schutz religiösen Wirkens im Strafvollzug bieten. So gilt es, die Aussagen der Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen darzustellen und zu bewerten, sei es, daß es sich um Vereinbarungen mit der katholischen, sei es, daß es sich um Vereinbarungen mit der evangelischen Kirche handelt. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der auf die beiden, in Deutschland vertretenen Großkirchen anzuwenden ist, entfaltet daher eine Vereinbarung zwischen Staat und einer Kirche zum großen Teil Schutzwirkungen auch für die andere Kirche. Daher seien die die Seelsorge im Strafvollzug regelnden Konkordate und Kirchenverträge im folgenden näher dargestellt.

IV. Systematische Erfassung vertraglicher Vereinbarungen zur Anstaltsseelsorge 1. Das Wesen der Gegenseitigkeit

Aus der Tatsache, daß die Länder mit den jeweiligen Kirchen im Wege eines Miteinanders Fragen der Anstaltsseelsorge klären, läßt sich grundsätzlich schließen, daß beide, Staat und Kirche, den jeweils anderen Vertragspartner als "handlungsfähige Größen" 32 und als für sein Gebiet kompetent akzeptieren

32 Pirson, Dietrich, Vertragsstaatskirchenrecht, in: EvStL, 3. Aufl., Band 2, Stuttgart 1987, Sp. 3814 (3815)

16*

244

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

und versuchen, eventuell strittige Fragen gemeinsam zu lösen. Voraussetzung einer effizienten vertraglichen Regelung ist die Anerkennung des Vertragspartners, sowie der Wille, sich an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten. Von einer derartigen Vertragstreue kann angesichts der heutigen Situation zwischen Staat und Kirche in Deutschland ausgegangen werden. Inhaltlich differieren die einzelnen Verträge naturgemäß, weisen jedoch in zahlreichen Punkten auch Parallelen auf. So gilt es im folgenden, die allen Vereinbarungen gemeinsamen Inhalte und eine sinnvolle Struktur herauszuarbeiten, um dann auf länderspezifische Besonderheiten einzugehen.

2. Der Aufbau der Darstellung

Es wird in diesem Rahmen bei den Ländern, in denen die Vielfalt der rechtlichen Regelungen ein systematisches Vorgehen erforderlich macht, folgender Aufbau gewählt:

a. Statistik, Rechtsquellen und statusbezogene Regelungen Nach einer kurzen statistischen Übersicht über die Anzahl der Gefangenen und die betreuenden Geistlichen, die jeweils zur Orientierung über die quantitative Bedeutung kirchlicher Tätigkeit im Strafvollzug dienen soll, erfolgt eine kurze Darstellung der in dem jeweiligen Land vorhandenen relevanten Rechtsquellen. Sofern ausfuhrlichere Richtlinien existieren, werden diese in der Folge dargestellt, wobei grundsätzlich mit der fundamentalen Aussage zur Stellung der Seelsorge begonnen wird. Im Anschluß daran werden statusbezogene Regelungen erläutert, also die Regelungen, die die Stellung des Anstaltsseelsorgers im Gefüge des Vollzugsdienstes festhalten, ebenso wie seiner Einbindung in den kirchlichen Dienst. Hierzu zählen disziplinarische Vorschriften ebenso, wie Urlaubs- oder andere Absenzenregelungen. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten finden in einigen Vereinbarungen ausführliche Regelungen, sodaß diese in der Folge dargestellt werden. Daran schließt sich eine Zusammenstellung der Tätigkeiten des Anstaltsseelsorgers an, insbesondere Zuständigkeitsabgrenzungen und einzelne Aufgaben. Am Aufgabenkatalog des Anstaltsseelsorgers ist häufig bereits erkennbar, wo die Kirchen und der Staat das jeweilige kirchliche Betätigungsfeld abstecken.

§ 12 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

245

b. Der Aufgabenkatalog Die Länder, die Regelungen über die Seelsorge im Strafvollzug getroffen haben, haben jeweils einen Katalog von Aufgaben aufgestellt, der das Tätigkeitsfeld des Anstaltsseelsorgers skizziert 33 . Diese Aufzählung enthält neben der Aufgabe, regelmäßig Gottesdienste abzuhalten 34 , die Aufgabe, die Beichte abzunehmen und Sakramente zu spenden 35 . Zudem nennen alle Vereinbarungen die Einzelseelsorge als kirchliche Aufgabe 36 . Wenn auch die Gruppenseelsorge nicht in allen Ländern als Aufgabe genannt ist, so findet doch die Krankenseelsorge wieder in allen Regelungen ihren Platz 3 7 . Es läßt sich also festhalten, daß Gottesdienst, Einzelseelsorge, Krankenseelsorge, Beichte und Sakramente in allen Ländern, die mit den Kirchen Vereinbarungen geschlossen haben, zum Kernbestand kirchlich-staatlicher Vereinbarungen im Strafvollzug gezählt werden.

c. Der Begriff der "Seelsorge" in den Verträgen Die Vertragspartner haben es stets vermieden, den Begriff "Seelsorge" zu definieren. Dies steht im Einklang mit der grundgesetzlichen und den einschlägigen ländergesetzlichen Bestimmungen, die ebenfalls keine Definition dieses Begriffs aufweisen. Es muß daher jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob die möglicherweise im Streit befindliche Tätigkeit des Anstaltsgeistlichen unter den Begriff "Seelsorge" gerechnet werden kann, oder nicht. Hierbei verbietet sich eine schematische Lösung. Ebensowenig, wie es genügen würden, jegliche Tätigkeit des Anstaltsgeistlichen einfach urheberbezogen als "Seelsorge" zu qualifizieren, ist es dem Staat gestattet, nur Tätigkeiten, die er ohne Rücksicht auf kirchliche Ansichten, als "Seelsorge" betrachtet, als solche zu qualifizieren. Auch Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche können

33 Vgl. dazu: § 4 I Nr. 1 - 14 BaWüRiLi; § 6 I Nr. 1 - 9 BayW; Art. 1,1 - 3,3 HesVb; 4 a - q HessDO; Art. 3 Π Nr. 1 - 7 RhPfRiLi; Art. 1 I - 2 ΠΙ SaarlVb; 4 a - q SaarlDO 34 So in: § 4 I Nr. 1 BaWüRiLi; § 6 I Nr. 1 BayW; Art. 1,1 HesVb; 4a HessDO; Art. 3 (2) l.a RhPfRiLi; Art. 1 I SaarlVb; 4a SaarlDO 35 Genannt in: § 4 I Nr. 3 BaWüRiLi; § 6 I Nr. 2 BayW; Art. 1,1 HesVb; 4 b HessDO; Art. 3 Π Nr. 1 b RhPfRiLi; Art. 1 I SaarlVb; 4 b SaarlDO 36 Siehe: § 4 I Nr. 2 BaWüRiLi; § 6 I Nr. 3 BayW; Art. 1,1 HesVb; Art. 3 Π Nr. 2 a RhPfRiLi; Art. 1 I SaarlVb. 37 Vgl.: § 4 I Nr. 7 BaWüRiLi; § 6 I Nr. 3 BayW; 4 f HessDO; Art. 3 Π Nr. 2 b RhPfRiLi; 4 f SaarlDO

246

2. Teil: Die Rechtslage in den Lndern

die Abwägung im Einzelfall, ob der Schutzbereich des Art. 141 WRV verletzt ist, nicht überflüssig machen. Es gilt in Wechselwirkung zwischen staatlichem und kirchlichem Denken herauszufinden, wo sich die in Frage stehende Tätigkeit im Verhältnis zur Interessenlage von Staat, Kirche und Gefangenem befindet, und welchen Schutz sie aufgrund dieser Stellung in Anspruch nehmen darf. Hilfestellungen können bei dieser Abwägung die konkreten Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche sein. Bei der Abwägung darf jedoch nie unberücksichtigt bleiben, um wessen Recht es im konkreten Fall geht. Dabei bleibt es allerdings bei dem Grundsatz, daß es dem Staat grundsätzlich verwehrt ist, kirchliche Tätigkeit im Strafvollzug als solche zu untersagen, da ihm die Entscheidungskompetenz nur hinsichtlich der Teilnahme der Gefangenen zusteht. Wie oben bereits dargelegt, ist es ihm gestattet, einzelnen Gefangenen Verhaltensge- und verböte aufzuerlegen. Als weiterer Faktor in den Beziehungen zwischen Staat, Kirche und Gefangenem kommt hinzu, daß staatliche Verbote gegenüber dem Gefangenen Auswirkungen auf die kirchliche Tätigkeit haben, die in ihrer Wirkung nicht die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreiten dürfen, also weder das Grundrecht des Gefangenen auf Religionsfreiheit, noch das der Kirchen verletzen darf. Die Frage, welche Tätigkeit des Anstaltspfarrers noch unter den Begriff der Seelsorge subsumiert werden kann, und welche nicht mehr in diesem grundrechtlich und teilweise vertraglich geschützten Bereich anzusiedeln ist, ist somit unter Abwägung der vorgenannten Faktoren zu beantworten. Eine stets passende Lösung kann nicht vorgestellt werden. In Ländern mit Verträgen kann jedoch durch die Aufzählung weiterer, den Kirchen unterliegenden Aufgaben im Strafvollzug geprüft werden, ob die in Frage stehende Tätigkeit aufgrund des Vertrags den Kirchen zusteht. Allerdings ist zu beachten, daß die bloße Aufgabennennung in einem Vertrag zwar in diesem Land den jeweiligen Vertragspartner bindet. Diese Aufzählung läßt jedoch kein globalisierendes Fazit im Sinne einer grundsätzlich kirchlichen oder grundsätzlich staatlichen Angelegenheit zu. Die vertragliche Vereinbarung zeigt bloß, daß sich über diesen Punkt das jeweilige Land und die jeweilige Kirche im Wege gegenseitigen Nachgebens geeinigt haben. Wer von den beiden Vertragspartnern eine sonst eigene Angelegenheit zugunsten des anderen aufgegeben hat, kann daraus nicht gefolgert werden. Darüberhinaus können aus einzelnen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche in einem Land keine zwingenden Schlüsse für andere Länder gezogen werden. Insofern ist es von Bedeutung, die einzelnen Vereinbarungen getrennt voneinander darzustellen.

§ 1 2 Die Bedeutung vertraglicher Regelungen

247

d. Weitere Gliederungspunkte I m Anschluß an die meist sehr ausfuhrlichen Tätigkeitsdarstellungen der Vereinbarungen werden Organisationsfragen erläutert, die ebenso wie Regelungen zu nicht hauptamtlichen Seelsorgern, freiwilligen Mitarbeitern und Seelsorgehelfern in einigen Vereinbarungen Eingang gefunden haben. Den Abschluß der jeweiligen Darstellung der Situation kirchlicher Tätigkeit im staatlichen Strafvollzug in dem betreffenden Land bildet eine wertende Zusammenfassung unter Herausstellung besonders gelungener Vereinbarungsinhalte.

§ 13 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Baden-Württemberg

I. Statistische Daten In den 20 Justizvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg 1 befanden sich zum Stichtag 31.März 1989 2032 evangelische und 2113 katholische Strafgefangene, sowie 364 Angehörige einer sonstigen Religion und 398 Strafgefangene ohne Bekenntnis oder ohne Angaben. Zum Stichtag 31. März 1990 betrug die Zahl der evangelischen Strafgefangenen 1928, die der katholischen 2004, während 403 Angehörige einer sonstigen Religion und 417 Strafgefangene ohne Bekenntnis oder ohne Angaben waren 2 . Ges. 1989 4907 1990 4752

ev.

%

kath.

%

sonst. %

o. Bek. %

2032

41,4

2113

43,1

364

7,4

398

8,1

1928

40,6

2004

42,2

403

8,5

417

8,8

Diese Gefangenen werden von 22 hauptamtlichen, nämlich 11 katholischen und 11 evangelischen Anstaltsseelsorgern, betreut, die ins Beamtenverhältnis übernommen wurden. Dazu sind an den Justizvollzugsanstalten ca. 45 nebenamtliche Anstaltsseelsorger tätig, von denen 23 katholischen Bekenntnisses und 21 evangelischen Bekenntnisses sind. Die nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind teils kraft Vertrag angestellt, teils in kirchlichen Diensten. In Baden-Württemberg sind 2 Pfarrstellen an Justizvollzugs-

1 Mein Dank gilt an dieser Stelle Herrn Dr. Kofier vom Ministerium der Justiz BadenWürttemberg für die umfangreichen statistischen Informationen, die er für diese Arbeit zur Verfügung gestellt hat. 2 Angaben gem. Erhebungen des Justizministeriums von Baden-Württemberg zu den Stichtagen 31.3.1989 und 31.3.1990

§13 Baden-Württemberg

249

anstalten nicht besetzt3. Allein durch die hauptamtlichen Anstaltsseelsorger ist ein statistisches Mittel von 250 Gefangenen pro Anstaltsseelsorger in BadenWürttemberg gewährleistet.

II. Überblick über die Rechtslage in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg gibt es keinen generellen Staatskirchen vertrag, der zum Verhältnis von Staat und Kirche 4 im Strafvollzug Stellung nimmt. Art. 5 der baden-württembergischen Verfassung verweist auf Art. 140 GG, sodaß der dort aufgenommene Art. 141 WRV als Bestandteil der Landesverfassung zu lesen ist 5 . Dabei entfaltet Art. 5 der baden-württembergischen Verfassung im Hinblick auf die Eigenständigkeit der Landesverfassung konstitutive Wirkung 6 . Die Formulierung "Für das Verhältnis des Staates zu den Kirchen" stellt keine Minderung der Aussage des Grundgesetzes dar, wie auch die übrige Aussagen verfassungskonform ausgelegt werden können 7 . Eine Differenzierung nach öffentlich-rechtlichen und anderen Religionsgemeinschaften ist durch die Wortwahl "anerkannt" 8 nicht gerechtfertigt 9. Allgemein läßt sich das Verhältnis von Staat und Kirche in Baden-Württemberg treffend als "freundliche Anerkennung der religiösen Gemeinschaften als Stützen der sittlichen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens"10 charakterisieren.

3

Die Angaben über die Anzahl der Seelsorger beruhen auf einem Schreiben des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 14.2.1991 - Az: 2412 I - IV / 94 an die Verfasserin. 4

Vgl. dazu allgemein: Feuchte, Paul, Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 66 ff 5

Maurer, Volkhard, Verfassung des Landes, in: Bretzinger, Otto N. (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht fur Baden-Württemberg, Baden-Baden 1991, S. 19 (85) 6 Braun, Klaus, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart, München, Hannover 1984, Art. 5 Rdn. 1 7 Braun, Klaus, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart, München, Hannover 1984, Art. 5 Rdn. 1

8 Noch für eine Differenzierung: Spreng, Rudolf, Willi Birn, Paul Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart, Köln 1954, Art. 5 Nr. 3 9 Vgl. die überzeugende Darstellung: Braun, Klaus, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart, München, Hannover 1984, Art. 5 Rdn. 2 ff

10 Feuchte, Paul, Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 187

250

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Für den Bereich kirchlichen Wirkens i m Strafvollzug wurden 1977 Regelungen getroffen. So sind durch eine Allgemeinverfügung des Justizministers v o m 25. A p r i l 1 9 7 7 1 1 i m Einvernehmen m i t den beiden Kirchen allgemeine Richtlinien für den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger i n den Vollzugsanstalten des Landes erlassen worden, die neben den i n allen Ländern m i t Vereinbarungen geregelten Angelegenheiten, w i e Gottesdienst, Einzelseelsorge, Beichte, Sakramente und Krankenseelsorge die i m folgenden dargestellten weiteren Bestimmungen enthält. Daneben finden sich i n Baden-Württemberg Regelungen bezüglich der Anstellung nicht hauptamtlicher Seelsorger 1 2 , sowie Vorschriften für ehrenamtliche Betreuer 1 3 und M i t arbeiter 14.

III. Darstellung der Richtlinien L Stellung der Seelsorge

Betont w i r d in § 1 Abs. 1 A V B a W ü 1 5 die Stellung der Anstaltsseelsorge als T e i l der allgemeinen, den Kirchen obliegende Seelsorge. Dadurch w i r d

11 Allgemeine Richtlinien für den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg. Allgemeinverfugung des Justizministers vom 25.4.1977 ; Die Justiz - Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg - 26 (1977), S. 221; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Rehborn, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J.; Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. I, S. 206, 277

12 Vertragsverhältnisse der nicht hauptamtlichen Seelsorger bei den Vollzugsanstalten. AV vom 30.6.1978; Die Justiz, S. 304; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Rehborn, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) Vorschriftensammlung -, Hamm o.J. 13 Ehrenamtliche Betreuer in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg. AV vom 22.3.1979; Die Justiz, S. 145; abgedruckt: a.a.O. 14 Ehrenamtliche Mitarbeiter in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg. AV vom 22.3.1979; Die Justiz, S. 147; abgedruckt: a.a.O. 15 In diesem Kapitel steht die Abkürzung AV BaWü fur: Allgemeine Richtlinien für den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg. Allgemeinverfugung des Justizministers vom 25.4.1977 ; Die Justiz Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg - 26 (1977), S. 221

§ 13 Baden-Württemberg

251

deutlich, daß die Seelsorge im Sonderstatusverhältnis eine kirchliche Angelegenheit bleibt, auch wenn der Staat sich auf gewisse Weise der Seelsorge im Strafvollzug annimmt. In Baden-Württemberg ist staatlicherseits Seelsorge im Strafvollzug nicht nur zugelassen, sondern wird als notwendig angesehen16. Dabei wird betont, daß kirchlicher Dienst im Strafvollzug nicht allein auf eine Befriedigung religiöser Bedürfhisse angelegt ist, sondern zudem ein "sachgerechtes und situationsbezogenes Engagement" 17 darstellt. Die Rolle der Seelsorge im Strafvollzug wird als ein Angebot an den Gefangenen verstanden, eine christliche Stütze zu finden, um selbst mit Hilfe anderer im und durch den Vollzug das Vollzugsziel zu erreichen. Auf dem Hintergrund dieses staatlichen Verständnisses kirchlicher Seelsorgetätigkeit werden die vielfaltigen Mitwirkungsmöglichkeiten des Seelsorgers im Vollzug zu einem kooperativen Miteinander von Staat und Kirche verknüpft. Der Gedanke der positiven Wirkung christlichen Gedankenguts vermag das staatliche Engagement zur Unterstützung kirchlicher Seelsorge ebenso zu erklären, wie die staatliche Erwartung einer Kooperation des Seelsorgers zugunsten des Gefangenen.

2. Statusbezogene Regelungen

a. Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter In § 1 Abs. 1 S. 2 A V BaWü wird darauf hingewiesen, daß sich die Gestaltung des Dienstverhältnisses hauptamtlicher Anstaltsseelsorger im Rahmen des § 157 StVollzG bewegt. Diese Rahmenbedingungen werden im folgenden näher beschrieben. Dabei fällt die Bevorzugung der Verbeamtung von hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern in Baden-Württemberg 18 auf, die aus der Grundidee eines Miteinanders von Staat und Kirche zugunsten des Gefangenen, verbunden mit erheblichen sicherheitsbezogenen Erwägungen resultiert. Zwar nennt § 1 Abs. 3 A V BaWü sowohl die Möglichkeit der Verbeamtung, als auch die Anstellung durch Dienstvertrag, jedoch geht aus den Überlegungen des Justizministeriums aus dem Jahre 1975 hervor, daß ein haupt-

16 Vermerk des Justizministeriums Baden-Württemberg, Az: 2412 I - VI/94 vom 2. Mai 1975, die "Stellung der Geistlichen im Strafvollzug" betreffend, S. 5

17 a.a.O., S. 5 18 a.a.O., S. 6

252

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

amtliches Beschäftigungsverhältnis im Beamtenstatus zu bevorzugen i s t 1 9 , sofern die Größe der Anstalt dies rechtfertigt. Erst in der hauptamtlichen Wahrnehmung seelsorgerlicher Aufgaben sei eine volle Integration des Pfarrers in das Anstaltsgefuge möglich. Dies geschehe sowohl zugunsten der Seelsorgers, der als "vollwertiges Mitglied des Behandlungsteams" gelten solle, als auch im Hinblick auf die adäquateren disziplinarischen Möglichkeiten des Beamtenrechts, das im Falle von Dienstpflichtverletzungen abgestufte dienstaufsichtliche Maßnahmen vorsieht. Dagegen könnte keine Beurteilung unter disziplinarrechtlichen Aspekten erfolgen, wenn ein Anstaltsseelsorger auf vertraglicher Basis angestellt wäre 2 0 . Die Möglichkeit dienstaufsichtlicher Maßnahmen sieht § 3 Abs. 2 S. 1 A V BaWü ohne Unterscheidung von haupt- und nebenamtlichen Anstaltsseelsorgern vor, wobei die besondere Stellung des Anstaltsseelsorgers in § 3 Abs. 2 S. 2 A V BaWü deutlich wird, in der sich das Justizministerium zur Information der betreffenden Kirche verpflichtet, fall Beanstandungen auftreten oder disziplinarische Maßnahmen gegen den Anstaltsseelsorger intendiert sind. Eine Zusammenarbeit von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs ist auch deutlich in den Regelungen zu Beförderung und Versetzung eines Seelsorgers zu erkennen, welche gem. § 1 Abs. 3 S. 2 A V BaWü im Benehmen mit der betreffenden Kirche erfolgen, nach Anhörung des für die Anstaltsseelsorge zuständigen Dekans gem. § 1 Abs. 2 A V BaWü.

b. Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht Trotz der Übernahme in das Beamtenverhältnis bleiben die Beziehungen des Anstaltsseelsorgers zu seinen kirchlichen Dienst- und sonstigen Pflichten bestehen. Dies hat auch in den Richtlinien fur den Dienst der Anstaltsseelsorger Eingang gefunden. So ist vereinbart, daß die hauptamtlichen Anstaltsseelsorger nach ihrer Bestellung durch das Land bzw. nach einer Versetzung, durch den zuständigen Dekan eingeführt werden, § 2 A V BaWü. Der Dekan oder von der Kirchenleitung Beauftragte sind zu Visitationen berechtigt, ebenso wie fixiert ist, daß die Aufsicht über den Anstaltsseelsorger in geistlichen Angelegenheiten bei den Kirchen verbleibt, § 3 Abs. 1 A V BaWü. Zusätzlich ist festgehalten, daß die Gottesdienstordnungen, Agenden, Ordnungen

19 a.a.O., S. 6 20 a.a.O., S. 6

§ 13 Baden-Württemberg

253

und Bestimmungen der zustandigen Kirche auch für die Anstaltsseelsorger in Kraft bleiben, § 6 Abs. 1 A V BaWü. In Ergänzung hierzu schreibt § 12 A V BaWü die entsprechende Geltung der allgemeinen Dienstanweisungen der Kirchen vor. So geht aus der Vereinbarung bereits die statusmäßige Doppelbelastung eines Seelsorgers im Strafvollzug hervor: Neben den allgemein geltenden kirchlichen Vorschriften ist er zusätzlich den staatlichen Dienstregelungen unterworfen.

3. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

Auffällig ist, daß eine Regelung hinsichtlich Beschwerden über den Anstaltsseelsorger nur im Hinblick auf Beschwerden in geistlichen Angelegenheiten in die Vereinbarung eingeführt wurde. § 8 A V BaWü legt fest, daß diesbezügliche Beschwerden von Gefangenen an die zuständige Kirche weiterzuleiten sind, die den Seelsorger und den Dekan dazu anhört, sowie - nötigenfalls - den Anstaltsleiter. Das Fehlen einer Regelung von Beschwerden in nicht-geistlichen Angelegenheiten ist wohl mit einem Verweis auf die einschlägigen Vorschriften des StVollzG (§§ 108 ff StVollzG) zu erklären.

4. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

Regelungen zur Absenz des Anstaltsseelsorgers finden sich in § 9 Abs. 2 und 3, §§ 10, 11 A V BaWü, wobei die Vertretungsregelung in Urlaubs- und Krankheitszeiten, sowie die Einzelheiten bzgl. eines dienstfreien Tages des Seelsorgers als Ausgleich für seine Sonn- und Feiertagsdienste der Absprache zwischen der Anstaltsleitung und dem Seelsorger überlassen bleiben. Das Recht des Seelsorgers auf Fort- und Weiterbildung, sowie die Teilnahme an Fachkonferenzen ist in § 9 Abs. 2 und 3 A V BaWü niedergelegt. Gerade durch die Teilnahme an Fachkonferenzen ist eine spezifische Behandlung der vollzugsbedingten Themen gewährleistet.

254

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

5. Tätigkeitsfeld

des Anstaltsseelsorgers

a. Zuständigkeit Trotz des Grundsatzes, daß der Seelsorger prinzipiell fur die Gefangenen seiner Konfession zuständig ist, sieht § 6 Abs. 2 A V BaWü in Einzelfallen die Betreuung konfessionsfremder Gefangener vor, sofern diese es wünschen. Dabei wird jedoch nach Möglichkeit die vorherige Kontaktaufhahme mit dem zuständigen Seelsorger als wünschenswert angesehen.

b. Aufgaben Neben den Aufgaben, die in allen Ländervereinbarungen enthalten sind, wie Gottesdienst (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 A V BaWü), Einzelseelsorge (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 A V BaWü), Abnahme der Beichte und Spendung der Sakramente (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 A V BaWü), sowie der Krankenseelsorge (§ 4 Abs. 1 Nr. 7 A V BaWü) fallt die detaillierte Darstellung zahlreicher weiterer Aufgaben auf. So finden bei der Einzelseelsorge gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 A V BaWü die Zellenbesuche und die Aussprache mit einzelnen Gefangenen extra Erwähnung. Auch ist die Vornahme kirchlicher Trauerfeiern und anderer Kasualhandlungen ausdrücklich genannt, § 4 Abs. 1 Nr. 4 A V BaWü. Eine bemerkenswerte Erweiterung der "klassischen" seelsorgerischen Aufgaben erfolgt durch § 4 Abs. 1 Nr. 5 A V BaWü, der zwar Gruppenarbeit, Kurse und Unterweisungsstunden ohne Beschränkung auf religiöse Veranstaltungen als Aufgaben des Seelsorgers nennt, gleichzeitig jedoch diese Veranstaltungen als Angebot entsprechend dem Bekenntnis der Gefangenen verstanden wissen will. So ist zwar einerseits keine religiöse Veranstaltung gefordert, andererseits soll durch den Verweis auf die Bekenntniszugehörigkeit der Gefangenen ein Ausufern seelsorgerlicher Tätigkeit vermieden werden. Durch die Richtlinie erhalten die Kirchen das Recht, derartige Veranstaltungen abzuhalten, was allein nach grundgesetzlichen und strafvollzugsgesetzlichen Vorgaben nicht selbstverständlich wäre. § 4 Abs. 1 Nr. 6 AV BaWü nennt als Aufgabe des Anstaltsseelsorgers die Abhaltung von Besuchen und Beteiligung an Ausführungen von Gefangenen in seelsorglich begründeten Fällen. Dies impliziert eine staatliche Anerkennung eines seelsorgerischen Anspruchs der Kirchen auf diesem Gebiet, ebenso wie einen Begründungszwang der Kirchen in derartigen Fällen, um von diesem Recht Gebrauch zu machen. So bleibt nicht die Entscheidung, ob der Fall seelsorglich ausreichend begründet ist, beim Staat, sondern allein aus über-

§ 13 Baden-Württemberg

255

wiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung kann der Staat derartige Ausführungen im Anschluß an die Stellungnahme des Seelsorgers ablehnen. Hier ist der Staat der Kirche relativ weit entgegengekommen. Bemerkenswert ist, daß in Fällen der Ausführung in seelsorgerlich begründeten Fällen die Zustimmung des Anstaltsleiters ausdrücklich gefordert wird, § 4 Abs.2 S. 2 A V BaWü. Diese Bestimmung impliziert, daß bei allen übrigen Aufgaben gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 - 1 4 A V BaWü die Zustimmung des Anstaltsleiters nicht gefordert ist. Allerdings legt § 4 Abs.2 S. 3 A V BaWü fest, daß der Seelsorger mit den anderen im Vollzug Tätigen zusammenarbeitet. Dieses Zusammenarbeitsgebot ist im Sinne einer reibungslosen Kooperation im Vollzug dahingehend zu verstehen, daß sämtliche Aufgaben, die dem Seelsorger auferlegt sind und von ihm wahrgenommen werden, in gewisser Abstimmung mit der Anstaltsleitung erfolgen. Dabei ist wiederum das Gleichgewicht zwischen seelsorgerischer Freiheit und vollzugsbedingten Notwendigkeiten zu beachten. Zu diesem Gleichgewicht finden sich außer der Aussage zum Zusammenarbeitsgebot des Seelsorgers mit dem übrigen Vollzugspersonal gem. § 4 Abs. 2 S. 3 A V BaWü, sowie der Unterstützung der Seelsorgers durch den Anstaltsleiter, § 4 I I S. 1 A V keine näheren Angaben in der Vereinbarung. Demzufolge ist der Seelsorger bei der Erfüllung der Aufgaben insoweit ungebunden, wie die Erreichung der Vollzugsziele durch seine Tätigkeit nicht behindert wird. Er steht auch mit dieser zwischen Staat und Kirche getroffenen Vereinbarung im Spannungsfeld 21 zwischen staatlichen Sicherheits- und Ordnungsanforderungen und seinem seelsorgerlichen Auftrag zum Handeln. Dieses Spannungsfeld der Seelsorge im Strafvollzug muß nicht als Konfliktpotential zu sehen sein, sondern kann vom Seelsorger auch als Chance ergriffen werden, nämlich von seinen seelsorgerlichen Möglichkeiten so umfangreich wie möglich zugunsten des Gefangenen Gebrauch zu machen, ohne sich über Sicherheits- und Ordnungsinteressen der Anstalt hinwegzusetzen. Diese Gratwanderung kann nur in einem Miteinander aller Beteiligten gelingen. So beinhaltet das Zusammenarbeitsgebot die stete Notwendigkeit von gemeinsamen Gesprächen, um Probleme oder Meinungsunterschiede zu verhindern, bzw. zu klären. Demzufolge ist es sehr sinnvoll, wenn § 4 Abs. 1 Nr. 8 A V BaWü die Teilnahme des Seelsorgers an Dienstbesprechungen vorschreibt. Dadurch ist ein Informationsfluß der verschiedenen Anstaltsdienste gewährleistet. Die Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung, die ebenfalls in § 4 Abs. 1 Nr. 8 A V BaWü als Aufgabe genannt ist, findet nach den oben ent1 a . a . O . , S.

256

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

wickelten Grundsätzen für den Seelsorger allerdings dort seine von allen Beteiligten zu akzeptierenden Grenzen, wo sein Beicht- und Seelsorgegeheimnis beginnt. Das Beicht- und Seelsorgegeheimnis ist in § 7 A V BaWü nochmals betont. Die Akzeptanz der seelsorgerischen Verschwiegenheit wird im Rahmen der Vereinbarung durch mehrere Bestimmungen herausgestellt. Zum einen ist gem. § 4 Abs. 4 A V BaWü der Seelsorger zu schriftlichen Äußerungen in Gnadensachen und Verfahren nach § 57 StGB und § 88 JGG nicht verpflichtet, ebensowenig wie zur Mitwirkung an der Zensur von Gefangenenbriefen, § 5 A V BaWü. So ist die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers hinreichend gegen Einwirkungen von außen gesichert, die eine Beeinträchtigung des seelsorgerischen Wirkens zur Folge haben könnten. Die Gefangenen können sicher sein, daß das dem Seelsorger Anvertraute nur bei ihm bleibt und nicht anderen Personen zur Kenntnis gebracht werden muß. Im übrigen finden auch im Strafvollzug von Baden-Württemberg die Vorschriften der § 139 Abs. 2 StGB, § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO Anwendung, die die Verschwiegenheit des Seelsorgers sicherstellen. Sehr effektiv ist die Beteiligung des Seelsorgers bei der Durchführung des Vollzugsplans und der Freizeitgestaltung, § 4 Abs. 1 Nr. 8 A V BaWü, wobei jedoch hier die Gefahr besteht, daß die seelsorgerliche Tätigkeit in eine Freizeitveranstaltung, wie andere auch, hinabsinkt. Seelsorge umfaßt zwar den Auftrag am ganzen Menschen, darf sich aber nicht mit einer äußerlichen Sorge, ohne Bezug zur Innerlichkeit des Menschen erschöpfen. Die Betonung des seelsorgerlichen Charakters ist daher in der Formulierung des § 4 Abs. 1 Nr. 9 A V BaWü hervorzuheben, bei dem der Seelsorger in Partnerschafts-, Ehe- und Familienangelegenheiten seelsorgerischen Beistand leistet. Durch diese Formulierung ist eine Verwechslung mit rein sozialpflegerischer Tätigkeit vermieden worden. Hier zeigt sich, daß der Staat sich weitgehend von seelsorgerischen Aufgaben zurückzieht und diese der Kirche überläßt. Gleichzeitig überläßt er auch fürsorgerische Aufgaben der Kirche, § 4 Abs. 1 Nr. 10 A V BaWü. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Staat sich nicht einer Verantwortung entzieht, die er tragen müßte. Zwar ist Fürsorge seit alters her ein spezifisch kirchliches Anliegen. Die Übernahme als Aufgabe jedoch stellt möglicherweise eine Beschränkung der kirchlichen Freiheit dar. Allerdings gilt hier, daß es die freie Entscheidung der Kirchen war, diese Aufgabe zu übernehmen. Zudem ist durch die Wortwahl der Vereinbarung deutlich gemacht, daß es nicht um jegliche Fürsorgemaßnahme geht, sondern um Fürsorgemaßnahmen, die, wenn auch im weitesten Sinne, in irgendeiner Art

§ 13 Baden-Württemberg

257

und Weise mit dem Bekenntnis des Gefangenen zusammenhängen. Außerdem hat sich die Kirche nur zur "Mitwirkung" bei der Fürsorge verpflichtet. Dies hat zur Folge, daß andere Stellen die Hauptlast der Fürsorge tragen sollten, mit denen der Anstaltsseelsorger in mitwirkender Weise zusammenarbeitet. So konnten die Kirchen diese Aufgaben übernehmen, ohne ihren Auftrag oder ihre Freiheit zu verlieren. Der Aufgabenkatalog nennt desweiteren die beratende Mitwirkung bei der Anschaffung von weltlichen Büchern fur die Gefangenenbücherei, sowie die einverständliche Mitwirkung bei der Anschaffung und Ausgabe religiöser Druckwerke, § 4 Abs. 1 Nr. 11 A V BaWü. Auch der Kontakt zu den Gemeindepfarrern der Gefangenen ist als Aufgabe festgelegt, § 4 Abs. 1 Nr. 12 A V BaWü. Dies ist im Rahmen einer umfassenden religiösen Betreuung zwar gut geplant, angesichts der arbeitsmäßigen Überlastung von Anstaltspfarrern in der Praxis selten möglich. Auch haben die Kirchen die Aufgabe übernommen, bei Veranstaltungen außerhalb des Vollzugs informatorisch mitzuwirken, sofern dies mit den übrigen Dienstverpflichtungen vereinbart werden kann, § 4 Abs. 1 Nr. 13 A V BaWü. Bei dieser Aufgabe wird wieder die Zwischenstellung der Kirche zwischen Vollzug und Freiheit betont, da ihr quasi eine Mittlerfunktion nicht nur innerhalb des Vollzugs zukommt, sondern sie auch außerhalb über Probleme des kirchlichen Dienstes im Vollzug informieren kann und soll. Zwar kommt den Kirchen nicht die Aufgabe eines Reformators des Strafvollzugs zu, jedoch haben die Kirchen bisher oft für Verbesserungen innerhalb des Vollzugs gesorgt, weil sie die Zustände innerhalb kannten und außerhalb für Hilfe zu sorgen pflegten. § 4 Abs. 1 Nr. 14 A V BaWü nennt als weitere Aufgabe die Mitwirkung bei der Ausbildung und Fortbildung der Anstaltsbediensteten. Hier fällt auf, daß im Gegensatz zu Vereinbarungen anderer Länder nicht die Seelsorge an Bediensteten als Aufgabe genannt ist. Allerdings ist für den gesamten Aufgabenkatalog zu beachten, daß er nur die Aufgaben "im wesentlichen" (§ 4 Abs. 1 S. 1 A V BaWü) nennt. So ist es also den Beteiligten unbenommen, diese Aufgaben zu ergänzen. Insofern kann der Anstaltsseelsorger sich auch um die seelsorgerischen Belange des Anstaltspersonals kümmern. Jedoch besteht fur ihn dazu keine Verpflichtung kraft Vereinbarung. So ist sichergestellt, daß er sich möglichen Gewissenskonflikten, die durch eine gleichzeitige seelsorgerliche Betreuung von Gefangenen und Personal entstehen könnten, entziehen kann. Der grundgesetzliche Auftrag zur Seelsorge im Strafvollzug umfaßt allein die seelsorgerlichen Bedürfhisse der

17 Eick-Wildgans

258

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Anstaltsinsassen, nicht des Anstaltspersonals. Insoweit ist die Grundgesetzmäßigkeit dieser Vereinbarung nicht in Frage zu stellen.

6. Organisationsfragen

Die äußere Organisation der Anstaltsseelsorge wird vom Anstaltsleiter im Benehmen mit dem Seelsorger geregelt, § 6 Abs. 3 A V BaWü, wobei bei der Gestaltung der Gottesdiensträume einer Anstalt die kirchlichen Vorgesetzten des Anstaltsgeistlichen zu informieren sind, § 6 Abs. 4 A V BaWü.

7. Nebenamtliche Anstaltsseeborger

Regelungen zu den nebenamtlichen Anstaltsseelsorgern finden sich in der Allgemeinverfügung für den Dienst der Anstaltsseelsorger in § 2 Abs. 2 A V BaWü zur Investitur nebenamtlicher Anstaltsseelsorger, sowie § 4 Abs. 5 A V BaWü, der festlegt, daß für den Dienst der nebenamtlichen Seelsorger der Aufgabenkatalog des § 4 A V BaWü sinngemäß Anwendung findet, und § 10 Abs. 2 A V BaWü, der Vertretungsregelungen für nebenamtliche Seelsorger der Absprache im Einzelfall überläßt. Daneben besteht in Baden-Württemberg eine Allgemeinverfügung bzgl. nicht hauptamtlichen Seelsorgern 22, die jedoch nur finanzielle Regelungen enthält. Das für nebenamtliche Seelsorger zu verwendende Vertragsformular sieht in § 2 die entsprechende Anwendung der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug vor. Zudem bezieht es sich in seiner Tätigkeitsbeschreibung auf die vorbesprochenen Richtlinien, § 2 Abs. 2 des Vertrages.

8. Freiwillige

Mitarbeiter

und Seelsorgehelfer

§ 4 Abs. 3 A V BaWü nennt die Möglichkeit für den Anstaltsseelsorger, mit Zustimmung des Anstaltsleiters, freiwillige Helfer und kirchliche Grup-

22 Vertragsverhältnisse der nicht hauptamtlichen Seelsorger bei den Vollzugsanstalten, AV vom 30.6.1978, Die Justiz, S. 304

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259

pen in seine Arbeit mit einzubeziehen. Diese Vereinbarung steht im Einklang mit § 157 Abs. 3 StVollzG, der Anstaltsseelsorgern die Zuziehung von freien Seelsorgehelfern gestattet. Zu betonen ist bei § 4 Abs. 3 A V BaWü die "kirchliche" Gruppe. Dies hat zur Folge, daß nicht jede Gruppe, die dem Seelsorger ihre Unterstützung anbietet, angenommen werden kann. Es muß sich um eine kirchliche Gruppe handeln. Anderenfalls kann sie nicht gem. § 4 Abs. 3 A V BaWü im Vollzug tätig werden. Nähere Voraussetzungen, die allgemein ehrenamtliche Betreuer und Mitarbeiter im Strafvollzug erfüllen müssen, enthalten zwei Allgemeinverfügungen 23 .

9. Konferenz und Dekan

Zur Verbesserung der Kooperation und als Ansprechpartner zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs ist die Stelle eines Dekans für jede Konfession gem. § 1 Abs. 2 A V BaWü institutionalisiert worden. Ihm obliegt sowohl die Beratung und Aufsicht der Anstaltsseelsorger in geistlicher Hinsicht, als auch die Förderung der Zusammenarbeit von Strafvollzugs- und Kirchenbehörden. In der Vereinbarung ist ferner festgeschrieben, daß das Justizministerium die evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorger im jährlichen Wechsel zu Fortbildungsmaßnahmen einlädt, deren Organisation und Durchführung dem Dekan obliegen nach Absprache mit dem Justizministerium, § 9 Abs. 1 A V BaWü, wobei diese Veranstaltungen Weiterbildung, Erfahrungsaustausch und eine Ausrichtung des Dienstes ermöglichen sollen. So ist der Notwendigkeit der Fortbildung Genüge geleistet worden.

IV. Zusammenfassende Beurteilung Die Vereinbarung des Landes Baden-Württemberg mit der katholischen und der evangelischen Kirche fallt durch eine besonders sorgfaltige Aufgabennennung, sowie eine umfassende Regelung des gesamten Komplexes Seelsorge im Strafvollzug einschließlich der dienstrechtlichen Stellung des Seelsorgers auf. Allerdings fehlt eine Bestimmung über das Vorgehen bei Mei23 AV 22.3.1979 Die Justiz, S. 145; AV 22.3.1979 S. 147 17»

260

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

nungsverschiedenheiten. Auch ist der Aufbau der Vereinbarung nicht in sich schlüssig. Doch abgesehen von der fehlenden Regelung hinsichtlich des Vorgehens bei Meinungsverschiedenheiten kann der Regelung in Baden-Württemberg ein gewisser Vorbildcharakter nicht abgesprochen werden. Es werden hier die Möglichkeiten staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Strafvollzug extensiv zugunsten der Gefangenen genutzt. Eine Grenzziehung im Sinne einer Zurückdrängung einer der Beteiligten ist nicht erfolgt. Zu beobachten ist vielmehr eine starke Annäherung staatlicher und kirchlicher Positionen.

§ 14 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Bayern

I. Statistische Daten In den 38 Justizvollzugsanstalten des Freistaats Bayern befanden sich zum Stichtag 31. März 1990 insgesamt 6288 Strafgefangene, von denen 1863 (29,6 %) Strafgefangene evangelischen und 3550 (56,5 %) katholischen Bekenntnisses waren. Einer sonstigen Religion gehörten 441 (7,0 %) Gefangene an, während 434 (6,9 %) ohne Bekenntnis oder ohne Angaben waren 1 .

Ges.

ev.

%

kath.

%

son.

1990 6288

1863

29,6

3550

56,5

441

%

7,0

o.B.

434

%

6,9

Dieser Anzahl von Gefangenen standen 28 hauptamtliche Anstaltsseelsorger bzw. kirchliche Mitarbeiter gegenüber, von denen 21 ins Beamtenverhältnis übernommen worden sind, und 7 auf der Grundlage von Gestellungsverträgen tatig sind 2 . Ohne zentrale zahlenmäßige Erfassung bleibt die Anzahl der nebenamtlich tätigen Geistlichen, die als Ortspfarrer der zuständigen Gemeinde kleinere Justizvollzugsanstalten mit betreuen 3.

1 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, St. 4: Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in Bayern 1990 nach Art des Vollzugs und Alter sowie nach Religionszugehörigkeit etc.

2 Angabe des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 25.1.1991 3 Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Gemahlich im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, für die großzügig gegebenen Informationen über die praktische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche in Bayern; Gesprächsmitschrift: 7.2.1991

262

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

II. Überblick über die Rechtslage in Bayern Neben der bereits in Kapitel § 11 dargestellten verfassungsrechtlichen Regelung des Art. 148 B V 4 , gibt es als rein staatliche Regelung zur Thematik "Kirchliches Wirken im Strafvollzug" bayerische Verwaltungsvorschriften zum StrafVollzugsgesetz 5. In BayVV zu § 157 StVollzG 6 ist niedergelegt, daß den Seelsorgern die religiöse Betreuung der Gefangenen obliegt, und sie bei Behandlungsuntersuchung, Vollzugsplan und Freizeitgestaltung mitwirken, ebenso wie bei der sozialen Hilfe fur die Gefangenen und der Aus- und Fortbildung für das Vollzugspersonal. Da diese Tätigkeiten auch in spezifisch staatlich-kirchlichen Vereinbarungen enthalten sind, werden sie dort erläutert.

1. Aussagen im Bayerischen Konkordat und in den Kirchenverträgen

Staatlich-kirchliche Übereinkünfte zur Anstaltsseelsorge finden sich in Bayern sowohl in themenübergreifenden Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, als auch in speziellen Vereinbarungen zur Anstaltsseelsorge. So erwähnt das bayerische Konkordat vom 29.3.1924 7 in Art. I I 8 die Anstaltsseelsorge. Es verpflichtet sich hier der Bayerische Staat, durch Anstellung eigener Geistlicher oder auf andere zweckmäßige Weise eine Seelsorge

4 Vgl. umfassend zu Art. 148 BV von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 221 - 254 5 Bayerische Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz, BayVVStVollzG, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz Gz. 4430 - VII a - 1594 / 79 vom 8. Februar 1979; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 6 Bayerische Verwaltungsvorschrift zu § 157 StVollzG (Seelsorger). Bek. vom 8.2.1979 (JMB1. S. 38) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 7 Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und den Staate Bayern vom 29. März 1924; GVB1. fur den Freistaat Bayern 1925, S. 53; abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. 1, S. 289 ff 8 Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und den Staate Bayern vom 29. März 1924; GVB1. fur den Freistaat Bayern 1925, S. 53; Art. 11; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 299

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in Strafanstalten auf seine Kosten einzurichten, wobei die Seelsorger im Benehmen mit der Kirche eingestellt werden. Die Formulierung des bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 ist die älteste noch gültige Vereinbarung eines Landes mit einer Kirche über das Wirken der Kirche im Strafvollzug. Insofern ist die Leistung der damaligen Vertragspartner, eine Regelung gefunden zu haben, die bis heute Gültigkeit besitzt, besonders hervorzuheben. Das gegenseitige Entgegenkommen von Staat und Kirche durch die Alternative der "Anstellung eigener Geistlicher" oder "auf andere Weise" ist dabei von einer Offenheit, die in anderen Ländern erst 40 Jahre später erreicht wurde. Auch hat die Vereinbarung, daß die Seelsorger im Benehmen mit der Kirche aufgestellt werden, weitestgehend Nachahmung in den übrigen Ländern gefunden. Dabei geht mit dieser konkordatären Vereinbarung der Bayerische Staat weit über die grundrechtliche und die Garantie der bayerischen Verfassung hinaus. Da jedoch die grundgesetzliche Formulierung - wie gezeigt - nur einen Mindeststandard 9 an Rechten sicher stellen soll, war es dem Freistaat Bayern unbenommen, derartige Vereinbarungen mit der Kirche zu schließen 10 . Die über den grundgesetzlichen Schutzgehalt hinausgehenden Garantie des Art. 11 BayK war der bayerischen Staatsregierung bewußt und geschah in Fortführung einer bewährten Tradition 1 1 , wie sich der Regierungsbegründung zum Konkordat entnehmen läßt. Es widerspricht nicht den in Kapitel § 5 dargelegten Grundsätzen staatlichen Handelns. Auch dem Paritätsgebot ist Genüge geleistet, da seitens des bayerischen Staats mit der evangelischen Kirche mit den Verträgen vom 15.11.1924, nämlich Art. 17 1 2 des Vertrags zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts 13 des Rheins 14 und Art. 11 des Vertrags zwischen

9

So auch von Busse, Franz-Georg, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 249 10 A.A. Fischer, Erwin, Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. Frankfurt 1984, S. 250, der in Art. 11 BayK eine Mißachtung der Verfassung sieht 11 Regierungsbegründung zum Konkordat und zu den Kirchenverträgen (Beilage 611 zu den Sitzungen des bayerischen Landtags, Π. Tagung 1924 / 25, S. 14 ff; abgedruckt in: Usti, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 309 12

Abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. 1, S. 512 13

Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924; GVB1. fur den Freistaat Bayern 1925, S. 61 ff, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd.l, S. 512 ff;

264

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelischchristlichen Kirche der Pfalz 15 (Pfalzische Landeskirche) 16 , übereinstimmende Vereinbarungen geschlossen wurden, wobei in der Regierungsbegründung auf die Vereinbarung im Konkordat, Art. 11 verwiesen w i r d 1 7 . So ist in Bayern aufgrund konkordatärer und kirchenvertraglicher Vereinbarung bereits das Wirken der Kirchen in den Strafanstalten sichergestellt, zusammen mit finanziellen Regelungen, gemäß denen sich der bayerische Staat zur Finanzierung der Anstaltsseelsorge verpflichtet. Dabei überwiegt in den konkordatären und kirchenvertraglichen Vereinbarungen nicht so sehr der Aspekt einer institutionellen Sicherstellung der Anstaltsseelsorge, sondern die vermögensrechtliche 18 Seite der Regelungen.

2. Weitere Regelungen

Einzelfragen, die sich aus den Verträgen ergaben, konnten auch durch die bayerische Verfassung nicht näher dargestellt werden 19 . So erfolgte eine nähere inhaltliche Darstellung von Angelegenheiten beiderseitigen Interesses in späteren Vereinbarungen oder Schriftwechseln 20 . Für den Bereich kirchlichen

14

Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte des bayerischen Kirchenvertrages mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924: Maser, Hugo, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 27 - 158 15 Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelischchristlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) vom 15. November 1924; GVB1. für den Freistaat Bayern 1925, S. 65; abgedruckt in: Usti, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. 1, S. 517 ff 16 abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 519 17 Vgl. Usti y Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 317 18 Vgl. Regierungsbegründung des Bayerischen Landtags, abgedruckt in: Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 305 zum Konkordat; S.313 zu den Kirchenverträgen 19 Maser, Hugo, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 172 20 Maser, Hugo, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 172

§ 14 Bayern

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Wirkens im Strafvollzug 21 wurden Verwaltungsvereinbarungen über die katholische und die evangelische Seelsorge 22 getroffen, die Gegenstand der folgenden Darstellung sein werden. Die Initiative zu dieser Vereinbarung ging von der evangelischen Kirche aus 2 3 , die dem Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug eine formale Gestaltung geben wollte, wobei im Rahmen der Ausarbeitung der Vereinbarung die katholische Kirche mit in die Beratungen eingezogen wurde. So sind beide Vereinbarungen bis auf wenige, konfessionsabhängige Bestimmungen 24 wortgleich, sodaß eine einheitliche Betrachtung der Rechtslage erfolgen kann. Regelungen hinsichtlich nicht hauptamtlicher Anstaltsseelsorger sind darüber hinaus in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 16. Dezember 1987 enthalten 25 . Die Tätigkeit ehrenamtlicher Mitarbeiter hat eine nähere Regelung durch B a y W zu § 154 StVollzG 2 6 erfahren. Dort werden jedoch für seelsorgerlich tätige ehrenamtliche Mitarbeiter keine Sonderregelungen getroffen, sodaß sich eine Darstellung im Rahmen dieser Arbeit erübrigt.

21 Maser, Hugo, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 179 22

Verwaltungsvereinbarungen über die katholische und die evangelische Seelsorge in den bayerischen Justizvollzugsanstalten vom 12.2.1982. Bek. vom 17.2.1982 (JMB1. S. 39) Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. 1,S. 470 ff, 593 ff 23

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

24 z.B. § 1 I Wkath. "vom Freistaat Bayern gem. Art. 11 BayKonk eingerichtete Seelsorge"; § 2 Π S. 3 Wev. fehlt in der katholischen Vereinbarung; § 2 IV Wkath. fehlt in der evangelischen Vereinbarung; 25 Mit der Bekanntmachung des Bayer. Staatsministeriums der Justiz Gz. 2419 - Vila - 2311 / 87 vom 16. Dezember 1987 "Bestellung und Entschädigung nicht hauptamtlich beschäftigter Fachkräfte bei den Justizvollzugsanstalten" ist außer Kraft getreten: "Bestellung und Entschädigung der Geistlichen bei den Justizvollzugsanstalten, Bek. vom 21.11.1965 (JMB1. S. 348) i.d.F. der Bek. vom 13.4.1977 (JMB1. S. 169)" abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

26 BayW zu § 154 StVollzG; Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz Gz. 4430 - VII a - 1549 / 79; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

266

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

III. Darstellung der Verwaltungsvereinbarungen über die katholische und die evangelische Seelsorge 1. Stellung der Seelsorge

Auch in der bayerischen Verwaltungsvereinbarung wird, wie bei der baden-württembergischen Regelung, in § 1 I B a y V V 2 7 die grundlegende Aussage getroffen, daß die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten Teil der allgemeinen, kirchlichen Seelsorge ist, wobei diese Formulierung bewußt und im gegenseitigen Einverständnis von Staat und Kirche gewählt wurde 2 8 . Auch wenn der Staat gewisse finanzielle Belastungen der Kirche übernimmt, so ist doch klargestellt, daß Anstaltsseelsorge kirchliche Seelsorge ist und trotz des staatlichen Sonderstatus, in dem sie wirkt, vom kirchlichen Selbstverständnis nicht getrennt gesehen werden kann. Dies sollte an exponierter Stelle, also am Anfang der Vereinbarung, herausgestellt werden.

2. Statusbezogene Regelungen

a. Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter In den Bestimmungen § 1 II, III, 2, 3, 4 und 7 BayVV werden Regelungen hinsichtlich der dienstrechtlichen Stellung der haupt- und nebenamtlichen Anstaltsseelsorger getroffen. Entsprechend den Vorgaben des § 157 Abs. 2 StVollzG ist festgelegt, daß die Anstaltsseelsorger entweder im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet werden, wobei entweder eine Ernennung nach bayerischem Beamtenrecht erfolgt, oder eine Anstellung qua Gestellungsvertrag erfolgt, sofern seitens der Kirche der Wunsch geäußert wird, keine Verbeamtung des jeweiligen Anstaltsgeistlichen vornehmen zu lassen, was besonders häufig bei Ordensgeistlichen vorkommt 2 9 .

27 BayVV dient als Abkürzung für die bayerische Verwaltungsvereinbarung vom 12. Februar 1982, soweit die Vereinbarungen keine konfessionellen Unterschiede aufweisen. Sonst steht BayVV kath. für die Vereinbarung mit der katholischen Kirche, und BayVV ev. für die Vereinbarung mit der evangelischen Kirche. 28

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

§ 14 Bayern

267

Eine hauptamtliche Bestellung erfolgt, sofern die Zahl der Gefangenen dies rechtfertigt 30 , wobei hierfür in Bayern keine Schlüsselzahl existiert. Aufgrund einer zu beobachtenden Personalknappheit der Kirchen im Bereich der Anstaltsseelsorge sind in den 38 Justizvollzugsanstalten nur 21 verbeamtete hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter und 7 hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter im Wege des Gestellungsvertrages tatig. Die kleineren Justizvollzugsanstalten werden durch nebenamtliche Geistliche betreut, deren genaue Zahl aufgrund der standigen Schwankungen und der dezentralen Anstellung der nebenamtlichen kirchlichen Mitarbeiter vom Staatsministerium der Justiz nicht statistisch ermittelt wird. Jedoch wird seitens des bayerischen Staatsministeriums der Justiz darauf geachtet, daß alle bayerischen Justizvollzugsanstalten seelsorgerisch versorgt werden, wenngleich sich kurzfristige Vakanzen aufgrund kirchlicher Personalknappheit nicht immer vermeiden lassen 31 . Ebenfalls wegen der großen Zahl der benötigten Anstaltsgeistlichen ist es Praxis, auch solche kirchlichen Mitarbeiter zum Dienst in den Justizvollzugsanstalten zuzulassen, die im Range von Diakonen bzw. Pastoralassistenten stehen und nicht die Priesterweihe empfangen haben. Diese Möglichkeit sieht bereits § 2 Abs. 3 B a y W vor, und wird häufig angewandt. In derartigen Fällen werden kirchliche Handlungen, die nur von einem Priester bzw. Pfarrer durchgeführt werden dürfen, im Bedarfsfall von nebenamtlich tätigen Ortsgeistlichen vollzogen. Die Bestellung eines hauptamtlichen Seelsorgers oder kirchlichen Mitarbeiters erfolgt durch das Staatsministerium der Justiz im Einvernehmen mit der zuständigen Diözese bzw. Landeskirchenrat, § 1 I I S.l B a y W , § 2 I S. 1 B a y W . Die Bestellung nebenamtlicher Anstaltsseelsorger erfolgt gem. § 2 I I S. 1 B a y W vom Anstaltsleiter im Einvernehmen mit dem zuständigen Ordinariat bzw. dem zuständigen Dekanat. Dabei informieren im allgemeinen in der Praxis nach Bekanntwerden einer Vakanz staatliche Stellen die Kirchen, die ihrerseits zumeist die Stelle ausschreiben. Bei mehreren Bewerbern werden - häufig unter Nennung eines kirchlichen Votums - die Bewerber den staatlichen Stellen gemeldet, welche unter Berücksichtigung des kirchlichen Votums den Bewerber entsprechend anstellen 32 . Der Anstaltsseelsorger zählt zum Team der Vollzugsbediensteten, nimmt jedoch eine gewisse Sonderstellung ein. Jedenfalls stehen ihm die gleichen Rechte, wie dem übrigen Vollzugspersonal zu. Die Besonderheit seiner Stel30 § 1 m s. 1 BayW 31 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

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2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

lung ergibt sich aus einer größeren Freiheit in der Gestaltung seiner Tätigkeit, sofern dies seelsorgerlich bedingt ist. So wiederholt § 6 I Nr. 8 BayVV das Recht des Anstaltsseelsorgers als Vollzugsbediensteter auf Teilnahme an Dienstbesprechungen und Konferenzen, wie sich dies bei folgerichtiger Anwendung bereits aus § 155 Abs. 2 StVollzG ergeben würde. Diese Erwähnung geschieht nicht nur als Statuierung kirchlicher Rechte, sondern auch zur Kenntlichmachung kirchlicher Pflichten 33 . Der Seelsorger ist staatlicherseits ein Fachdienst, der zwar gewisse Sonderrechte genießt, jedoch auch auf die dienstliche Zusammenarbeit verwiesen ist. b. Darstellung des Gestellungsvertrages Der Gestellungsvertrag wird zwischen der jeweiligen Kirche und dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz geschlossen, wobei § 1 des Gestellungsvertrages festlegt, daß die Kirche "für den seelsorgerlichen Dienst bei der (entsprechenden) Justizvollzugsanstalt einen kirchlichen Mitarbeiter zur Verfugung stellt." Dabei erfolgt zuerst eine Benennung seitens der Kirche, gegebenenfalls unter Bereitstellung von Personalakten, dem sich die Einverständniserklärung des Bayerischen Staatsministerium der Justiz gegenüber dem Bewerber anschließt 34 . Bemerkenswert ist hierbei, daß zwischen der Justiz und dem kirchlichen Mitarbeiter kein gesonderter Dienstvertrag abgeschlossen w i r d 3 5 , es sich bei den Beziehungen zwischen dem Mitarbeiter, der Kirche und dem Staat um eine Dreiecksbeziehung handelt, bei der vertraglich nur die Kirche und der Staat gegenseitig verpflichtet sind, während der Mitarbeiter keiner direkten vertraglichen Bindung mit dem Staat unterliegt. Allerdings ist festgelegt, daß er während seiner Tätigkeit der Dienstaufsicht des Anstaltsleiters untersteht, § 3 S. 2 des Gestellungsvertrages, und sich seine Aufgaben nach einer Dienstanweisung richten, die im Einvernehmen zwischen Anstaltsgeistlichem und Anstaltsleiter erstellt w i r d 3 6 . Zudem hat der Mitarbeiter die Verpflichtungserklärungen 37 , wie sie auch für die übrigen, im

33

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

34

§ 2 S. 1 - 3 des Gestellungsvertrages

35

§ 3 S. 1 des Gestellungsvertrages

36

§ 4 des Gestellungsvertrages

37

Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 574), zuletzt geändert druch Gesetz vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942), vgl. "Bestellung und Entschädigung nicht hauptamtlich beschäftigter Fachkräfte bei den Justizvollzugsanstalten", Bek. des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 16. Dezember 1987, Nr. 3.2

§ 14 Bayern

269

Vollzug tätigen Personen üblich sind, vor Dienstantritt auszufüllen 38 . Im übrigen wird auf die Bestimmungen des BAT verwiesen 39 . Sonst enthält der Gestellungsvertrag noch finanzielle, Urlaubs- und seine Geltungsdauer betreffende Regelungen. Auffällig ist hierbei, daß kein Verweis auf die Vereinbarungen über die katholische und die evangelische Seelsorge in den bayerischen Justizvollzugsanstalten erfolgt. Ein Grund für diesen fehlenden Verweis ist nicht ersichtlich. c. Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht Nach ihrer Bestellung, ebenso wie nach einer Versetzung zum hauptamtlichen Anstaltsselsorger, werden diese kirchlich in ihr Amt eingeführt, wobei für nebenamtliche Anstaltsseelsorger dieses Vorgehen fakultativ ist, § 4 BayW. § 7 B a y W bestimmt, daß die Aufsicht in kirchlichen Angelegenheiten der zuständige Bischof bzw. Landeskirchenrat ausübt. So ist sichergestellt, daß der Staat keine Aufsichtskompetenz in kirchlichen Angelegenheiten beansprucht. Allerdings ist es schwierig, zu differenzieren, wann eine kritische Tätigkeit des Seelsorgers in den Bereich der kirchlichen Angelegenheiten, und wann sie in den Bereich der staatlichen Aufsicht fällt. In diesem Bereich übt der bayerische Staat so weit als möglich Zurückhaltung 40 . Im Rahmen der kirchlichen Aufsicht ist der Bischof, § 7 I S. 1 W k a t h . , bzw. der Landeskirchenrat, § 7 I S. 1 W e v . auch zu Visitationen berechtigt, die im Benehmen mit dem Anstaltsleiter durchzuführen sind. In der Praxis gibt es zwar kirchliche Veranstaltungen, die mitunter von Angehörigen der jeweiligen Kirchenleitung besucht werden. Konkrete Absprachen hinsichtlich Visitationen sind jedoch dem bayerischen Staatsministerium der Justiz bisher nicht bekannt geworden 41 . d. Besonderheiten zur Stellung katholischer Seelsorger Betont wird in § 1 I I S. 2 W k a t h die Notwendigkeit einer kirchenamtlichen Sendung durch das zuständige Ordinariat, das neben einer staatlichen Bestellung oder Verpflichtung gegeben sein muß. Zudem enthält die

38

§ 5 des Gestellungsvertrages

39

§ 8 des Gestellungsvertrages

40

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

270

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

katholische Vereinbarung in § 2 IV BayVV die Bestimmung, daß bei Abberufung eines Anstaltsseelsorgers gem. Art. 7 S. 2 Reichskonkordat Kirche und Staat für entsprechenden Ersatz sorgen. Eine äquivalente Bestimmung fehlt bei der Vereinbarung mit der evangelischen Kirche. e. Dienstaufsicht § 7 I I BayVV betont, daß die Dienstaufsicht des jeweiligen Anstaltsleiters und des Staatsministeriums der Justiz unberührt bleibt. Hier ist zu ergänzen, daß konkrete dienstaufsichtliche Maßnahmen in der Regel nicht gegenüber Anstaltsgeistlichen durchgeführt werden, da bereits im Vorfeld möglicher Differenzen zwischen Anstaltsgeistlichem und Anstaltsleiter die gegenseitige Kontaktaufhahme und gütliche Beilegung bayerisches Regelungsprinzip ist. Weder seitens des Staates, noch seitens der Kirche werden in dienstaufsichtlichen Maßnahmen Lösungen für Meinungsverschiedenheiten zwischen Seelsorger und Anstaltsleitung gesehen. Der Gedanke der praktischen Konkordanz im Sinne gütlicher Schlichtung von Problemen ist das Leitmotiv des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im bayerischen Strafvollzug.

5. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

Weitere Regelungen zum Status des Anstaltsseelsorgers, seine Abwesenheit und seine Fortbildungsmöglichkeiten betreffend, finden sich in §§ 3, 10 BayVV. Im Falle seiner Verhinderung sorgt der Anstaltsseelsorger im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter für seine Vertretung 42 , wobei in Bayern nicht zwischen Urlaubs- und Krankheitsvertretung differenziert wird. Etwas systemwidrig findet sich als letzte Bestimmung in § 10 BayVV die Regelung der Fortbildung der Anstaltsseelsorger. Hauptamtlichen Seelsorgern wird gem. § 10 BayVV die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und konferenzen, sowie weiteren, dem Dienst förderlichen Veranstaltungen gemäß den für den öffentlichen Dienst geltenden Vorschriften ermöglicht. Diese Bestimmung hätte sich aufbaumäßig besser in die Regelungen über die Beschäftigungsmodalitäten eingefügt.

Bay

§ 14 Bayern

271

4. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

In der bayerischen Vereinbarung ist die Vorgehensweise bei Zweifels- und Streitfragen in § 8 B a y W genau festgelegt. Dieser bestimmt, daß derartige Fragen zunächst zwischen Anstaltsleiter und Anstaltsseelsorger einigungsorientiert zu erörtern seien. Falls eine Einigung zwischen diesen beiden nicht zustande kommt, kann die Frage dem Staatsministerium der Justiz vorgelegt werden, welches gegebenenfalls nach Anhörung des zuständigen Ordinariats bzw. Landeskirchenrates entscheidet. Falls einer der Beteiligten es verlangt, wird der Vorsitzende der Konferenz der bayerischen Anstaltsseelsorger zu der konkreten Streitfrage gehört, § 8 S. 3 B a y W . Diese detaillierte Regelung kommt in der Praxis jedoch höchst selten zur Anwendung, da alle Beteiligten sich ihrer Aufgabe und der Zielrichtung ihrer Tätigkeit bewußt sind. Es geht im Strafvollzug um das Wohl der Gefangenen, denen bei Problemfällen weder durch eine starre Haltung der Kirche, noch durch eine unflexible Position des Staates geholfen ist. Zudem trägt der Gedanke der Zusammenarbeit aller im Vollzug Tätigen, wie er in § 154 Abs. 1 StVollzG niedergelegt ist, häufig zur einvernehmlichen Lösung im Wege gegenseitigen Nachgebens bei. Bis zu einer förmlichen Entscheidung des Staatsministeriums der Justiz gem. § 8 B a y W ist es bisher bei Zweifels- oder Streitfragen nicht gekommen 43 . Bereits im Vorfeld möglicher Streitigkeiten wird versucht, dem Partner seinen Interessen entsprechend entgegenzukommen, um eine gedeihliche Zusammenarbeit von Staat und Kirche im Strafvollzug Raum greifen zu lassen.

5. Tätigkeitsfeld

des Anstaltsseelsorgers

a. Zuständigkeit § 6 B a y W enthält eine Aufzählung der Tätigkeiten, die als zum Dienstfeld des Anstaltsseelsorgers gehörig angesehen werden, wobei betont wird, daß der Anstaltsseelsorger seinen Dienst grundsätzlich den Gefangenen seines Bekenntnisses erweist, § 6 I S. 1 B a y W , sofern nicht die gem. § 54 Abs. 2 StVollzG vorgesehene ausnahmsweise Zulassung bei Zustimmung des Seelsorgers ein anderes Vorgehen rechtfertigt. Die Stellung der Zuständigkeitsregelung zu Beginn des Aufgabenkatalogs ist besser gelungen, als in der baden-württembergischen Regelung, da Bekenntnisbezogenheit doch überwiegend ein Merkmal kirchlichen Wirkens im Strafvollzug darstellt. Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

272

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

b. Aufgaben Die sodann folgende Aufzählung ist nur beispielhaft, sie nennt die Aufgaben "insbesondere", um neuen Wegen in der kirchlichen Arbeit im Strafvollzug nicht durch zu strikte Bestimmungen Fesseln anzulegen. Neben den "klassischen" Aufgaben von Gottesdienst, Abnahme der Beichte, Spendung der Sakramente, Einzel- und Krankenseelsorge 44, finden sich zwar nicht die in anderen Vereinbarungen genannten sonstigen Kasualhandlungen. Diese wurden bei der Vereinbarung als selbstverständlich angesehen45, sodaß auf eine explizite Aufzählung verzichtet werden konnte. Auch wurden Zellenbesuche als notwendig für eine sinnvolle und umfassende Gestaltung der Einzelseelsorge betrachtet, sodaß aus dem Fehlen der Aufgabe von Zellenbesuchen nur auf deren Selbstverständlichkeit geschlossen werden kann, nicht auf deren Entbehrlichkeit. § 6 I Nr. 4 BayVV nennt als Aufgabe die Gruppenseelsorge. Auch hier wird auf eine Definition des Begriffs "Seelsorge" bewußt verzichtet, wobei in der Praxis die Definitionskompetenz von "Seelsorge" dem Geistlichen überlassen bleibt. Erst bei der konkreten Frage der Teilnahme einzelner Gefangenen an Veranstaltungen, die zu Sicherheitsproblemen in der Anstalt führen könnten, macht der Staat von seinem Letztentscheidungsrecht Gebrauch. Dabei bilden diese Sicherheitsvorstellungen insoweit die Grenze kirchlicher Freiheit, als von ihnen die Zulassung einzelner Gefangener abhängt. Zwar ist in der Vereinbarung nur die Gruppenseelsorge erwähnt, ohne auf eine Unterscheidung in Kurse, Unterweisungen, Gruppenstunden o.ä., wie sie in anderen Ländern anzutreffen ist, einzugehen. Es wird dabei jedoch nahezu jede Veranstaltung des Seelsorgers aufgrund der Urheberschaft des Seelsorgers als Veranstalter mit großem Respekt vor der kirchlichen Eigenständigkeit und der Besonderheit seelsorgerlichen Wirkens staatlicherseits gesehen. Bayern ist sich der Sonderstellung der Geistlichen im Strafvollzug bewußt und bemüht sich auch, im regelmäßigen Ablauf des Justizvollzugsdienstes die Religionsfreiheit der Gefangenen und der Kirche, somit auch der kirchlichen Besonderheiten zu respektieren 46 . Die Abhaltung von Besuchen und die Beteiligung an der Ausführung von Gefangenen in seelsorgerisch begründeten Fällen wird zum Dienst des Anstaltsseelsorgers gezählt, § 6 I Nr. 5 BayVV, wobei durch die Wortwahl 44 § 6 I Nr. 1 - 3 BayW 45 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

§ 14 Bayern

273

"Beteiligung" klargestellt ist, daß die Entscheidung über die Ausführung beim Staat liegt, und der Seelsorger sich nur im Rahmen der Kooperation in eine Ausführung einschalten kann. Allerdings wird im allgemeinen das Votum des Seelsorgers respektiert, daß bei einzelnen Gefangenen aus seelsorgerischen Gründen ein Besuch notwendig ist, der nicht im Rahmen der üblichen Besuchsbedingungen stattfindet, sondern außerhalb der regulären Besuchszeit und ohne Aufsicht durch Vollzugspersonal. In derartigen Fällen wird jedoch auf die Verantwortung des Seelsorgers, insbesondere für die Einhaltung der Vollzugsvorschriften, deutlich hingewiesen. Auch die Mitwirkung bei der Behandlungsuntersuchung der Gefangenen, bei der Aufstellung, Durchführung und Änderung des Vollzugsplanes, ebensowie bei der Freizeitgestaltung gehört zu den Diensten des Anstaltsgeistlichen47. In größeren bayerischen Justizvollzugsanstalten findet bei Zugang eines neuen Gefangenen eine Zugangskonferenz unter Teilnahme aller Fachdienste, einschließlich des Seelsorgers statt, wobei die Fachdienste zuvor bereits Gelegenheit hatten, in die Akten des jeweiligen Kandidaten Einsicht zu nehmen, um die sie betreffenden Informationen abrufen zu können. So ist sichergestellt, daß die Fachdienste von neuen Gefangenen in hinreichender Weise informiert werden, und gegebenenfalls entsprechende fachspezifische Behandlungen in die Wege leiten können. Dabei wird in § 6 I I I B a y W festgelegt, daß der Anstaltsgeistliche nicht verpflichtet ist, an Verfahren zur Aussetzung von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung zur Bewährung, sowie in Gnadenverfahren mitzuwirken. Auch zur Überwachung des Schriftwechsels ist der Anstaltsseelsorger nicht verpflichtet 48. Jedoch wird ausdrücklich betont, daß der Anstaltsseelsorger zur Beachtung der für den Vollzug geltenden Vorschriften und Anordnungen verpflichtet ist, § 6 I I B a y W . Diese Beachtung der Vorschriften hat zur Folge, daß der Seelsorger nicht zur Umgehung der Vorschriften ausgenutzt wird. Wenn daher Bitten an ihn herangetragen werden, die den gesetzlichen Regelungen nicht entsprechen, so ist er der Vereinbarung nach zum vorschriftsmäßigen Handeln entsprechend der Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes und den dazu ergangenen Vorschriften verpflichtet. Wie weit diese Pflicht geht, und wo die seelsorgerische Freiheit beginnt, ist in der Verwaltungsvereinbarung nicht geregelt. Diese Entscheidung läßt sich auch nicht im Wege einer Vereinbarung

47 § 6 1 Nr. 6 BayW 48 § 6 f f l B a y W i c i n s

274

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

treffen. Es bleibt für den Seelsorger jeweils die eigene, vor Gott und seinem Gewissen zu entscheidende Frage, wie er ihm bekanntgewordene mögliche Vorschriftswidrigkeiten behandeln möchte49. In diesem Zusammenhang fallt an der bayerischen Vereinbarung auf, daß eine spezielle Bestimmung hinsichtlicher der Beachtung des seelsorgerischen Beichtgeheimnisses nicht getroffen wurde. Eine Betonung der Wahrung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses wurde von den Vertragsschließenden nicht für nötig gehalten, da dies selbstverständlich ist und von beiden Seiten als unumstößlich erachtet wird 5 0 . Der Aufgabenkatalog sieht ferner in § 6 Nr. 7 BayVV die Mitwirkung des Anstaltsgeistlichen bei der soziale Hilfe für Gefangene fest, wobei fürsorgerische Maßnahmen hierin enthalten sind. Aus dem Wort "Mitwirkung" ergibt sich, daß Fürsorge und soziale Hilfe anderen Trägern obliegen, sodaß der Anstaltsseelsorger sich beteiligen kann, sich jedoch nicht entsprechend engagieren muß. Auffällig ist im Verhältnis zu den übrigen Vollzugsbediensteten, daß hinsichtlich der Bediensteten der Seelsorger zwar zur Mitwirkung bei deren Ausund Fortbildung herangezogen wird, § 6 Nr. 9 BayVV, sich aber keine Bestimmung zur Seelsorge auch an den Vollzugsbediensteten findet. Diese Auslassung seelsorgerischer Tätigkeit an Vollzugsbediensteten geschieht eingedenk des Verfassungsauftrags, der sich an den Bedürfnissen der Gefangenen, und nicht an den der Vollzugsbediensteten orientiert, bewußt, wobei es dem einzelnen Bediensteten, wie auch dem einzelnen Seelsorger unbenommen ist, in einer entsprechenden Situation miteinander Kontakt aufzunehmen, der auch seelsorgerliche Züge aufweisen kann. Fest steht allerdings, daß seelsorgerische Betreuung der Anstaltsbediensteten keine Rechtspflicht des Anstaltsgeistlichen ist, weder nach dem Verfassungsauftrag, noch nach einer staatlichkirchlichen Vereinbarung. In der Praxis finden teilweise von kirchlichen Mitarbeitern geleitete Veranstaltungen mit den Vollzugsbediensteten statt, in denen gerade der Umgang mit Menschen in der besonderen Situation des Strafvollzugs näher dargelegt werden 51 . In diesem Zusammenhang ist an den einleitenden Satz der Aufgabennennung gem. § 6 I S. 1 BayVV zu erinnern, der die im folgenden genannten 49

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

50

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

51

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

§ 14 Bayern

275

Tätigkeiten als "insbesondere" erwähnt. Somit bleibt also jederzeit Raum zur Ergänzung von weiteren Aufgaben. Dem Anstaltsseelsorger ist es unbenommen, seinen seelsorgerischen Auftrag auch auf Aufgaben auszudehnen, die in § 6 I Nr. 1 - 9 B a y W nicht explizit genannt sind. So ist beispielsweise der in staatlich-kirchlichen Vereinbarungen anderer Länder genannte Kontakt mit Gemeindepfarrern bzw. Gemeinden außerhalb auch ohne Nennung bei entsprechender Initiative des Anstaltsseelsorgers gewährleistet. In den Fällen nicht-hauptamtlicher Betreuung durch den zuständigen Gemeindepfarrer ist der Kontakt zur Gemeinde in der Person der Pfarrers selbst gegeben.

6. Organisationsfragen

§ 9 I B a y W regelt die mit der äußeren Organisation der Anstaltsseelsorge (Räume, Schlüssel usw.) zusammenhängenden Fragen, wobei dies im einzelnen der Vereinbarung des Seelsorgers mit dem Anstaltsleiter überlassen bleibt unter Beachtung der bestehenden Vollzugsvorschriften. Diese bewußt offene Formulierung, die abgesehen von der Rahmenbestimmung die Details der örtlichen Ebene überläßt, ist bewußt gewählt, da auf die Besonderheiten der jeweiligen Anstalt eingegangen werden soll und keine zentrale Bevormundung von Anstaltsseelsorger und Anstaltsleitung erfolgen sollte. Daher erschienen konkretere Regelungen verzichtbar 52.

7. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

Die Kosten für nebenamtliche evangelische Anstaltsseelsorger richten sich nach der Bekanntmachung über die Bestellung und Entschädigung der Geistlichen bei den Justizvollzugsanstalten vom 21.11.1956 in der jeweils geltenden Fassung, § 2 I I S.2 B a y W . Mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 16. Dezember 1987, Nr. 8.2.1 wurde jedoch die genannte Bekanntmachung hinsichtlich Geistlicher bei den Justizvollzugsanstalten ersetzt. Jetzt sind für alle nicht hauptamtlich beschäftigten Fachkräfte, also Seelsorger, Ärzte, Psychologen, Lehrer, Sozialpädagogen und Organisten bei den Justizvollzugsanstalten einheitliche Regelungen getroffen. Diese einheitliche Regelung nimmt naturgemäß auf die Besonderheit des 52 Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

18'

276

2. Teil: Die Rechtslage in den Lndern

kirchlichen Dienstes keine Rücksicht und verpflichtet die Tätigen auf die Dienstpflichten des StVollzG und den dazu ergangenen landes- und bundesrechtlichen Verwaltungsvorschriften, sowie die Dienstanweisungen des Anstaltsleiters. Im Gegensatz zu der früheren Bekanntmachung, die allein finanzielle Regelungen beinhaltete und sich einer Pflichtenumschreibung der Geistlichen enthielt 53 , werden jetzt Aufgaben und Pflichten einseitig staatlich fixiert 54. Da die Vereinbarung mit der katholischen und der evangelischen Kirche in § 2 I I S. 2 auf die Geltung der Bekanntmachung vom 21.11.1956 nur im Hinblick auf die "Vergütung" verweist, kann somit eine Pflicht der Kirchen zur künftigen Anerkennung des in der neuen Bekanntmachung vom 16. Dezember 1987 fixierten Aufgaben- und Pflichtenkreises nicht konstatiert werden. Hinsichtlich der nicht hauptamtlichen Bestellung von Seelsorgern fur den bayerischen Strafvollzug ist daher nicht auf das ansonsten verpflichtend vorgeschriebene Vertragsformular gem. Ani. 1 der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1987 obligatorisch zurückzugreifen. Sofern Seelsorger, bzw. die Kirchen Wert darauf legen, daß den Besonderheiten des kirchlichen Dienstes im Strafvollzug Rechnung zu tragen ist, ist eine Abweichung von dem in der Bekanntmachung angelegten Vertrag zu empfehlen. Eine derartige Abweichung ist gem. Nr. 7.2 der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1987 bei besonderen Umständen vorgesehen, sofern dies aus dringenden Gründen geboten ist, und das bayerische Staatsministerium der Justiz eingewilligt hat. Das Wesen kirchlichen Wirkens ließe eine Abweichung von dem vorgesehenen Vertragsformular dahingehend empfehlen, bzgl. Rechten und Pflichten der Anstaltsseelsorger eine Verweisung auf die Verwaltungsvereinbarung über die katholische und die evangelische Seelsorge in den bayerischen Justizvollzugsanstalten vom 17. Februar 1982 einzufügen. So wäre den Interessen des Staates, ebenso wie den kirchlichen Interessen Genüge getan. Der Verweis auf die Vereinbarung hätte den Vorteil, daß die Vereinbarung im gegenseitigen Einverständnis der Kirchen und des Staates gefunden wurde, eine einseitige Bevormundung eines Beteiligten also vermieden würde.

53 ι. s. 2 der Bekanntmachung vom 21.11.1956 / zuletzt geändert am 13.4.1977 (abgedruckt in Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 fi), enthielt nur die Formulierung:"Der Aufgabenkreis des Geistlichen ergibt sich aus der Strafvollzugsordnung, den sonstigen Anordnungen und den Dienstanweisungen. " 5

er B e a n t m

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19

§ 14 Bayern

8. Freiwillige

Mitarbeiter

277

und Seelsorgehelfer

§ 2 ΠΙ S. 2 B a y W sieht vor, daß § 157 Abs. 3 StVollzG, der die Hinzuziehung von freien Seelsorgehelfern regelt, unberührt bleibt. Eine detaillierte Regelung zu Anforderungen an ehrenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug gibt B a y W zu § 154 vom 8. Februar 1979 5 5 . Dabei findet jedoch die Besonderheit seelsorgerlicher Arbeit freiwilliger Mitarbeiter keine besondere Berücksichtigung, sodaß sich eine nähere Erörterung dieser Vorschrift im Rahmen dieser Arbeit erübrigt.

9. Konferenz und Dekan

Dem besseren gegenseitigen Verständnis, sowohl der Anstaltsgeistlichen untereinander, als auch im Verhältnis zwischen Justiz und Kirche dient die Einrichtung einer Konferenz der Anstaltsgeistlichen. § 5 B a y W sieht die Einrichtung einer jeweils konfessionsbezogenen Konferenz aller bayerischen Anstaltsseelsorger vor, die der theologischen und beruflichen Fortbildung, sowie dem entsprechenden Erfahrungsaustausch der Anstaltsseelsorger dienen soll, § 5 Π B a y W . Meist sind bei diesen Konferenzen zeitweise Vertreter des Staates anwesend, sodaß diese vom Justizministerium jeweils fur eine Woche organisierten Konferenzen dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch zwischen Staat und Kirche dienen können 56 . Dabei ist gem. § 5 Abs. 1 B a y W festgelegt, daß aus der Mitte der Konferenz alle drei Jahre ein Vorsitzender mit der Möglichkeit der Wiederwahl gewählt wird, dem die Vertretung der Konferenzmitglieder gegenüber kirchlichen und staatlichen Stellen obliegt, ebenso wie die Förderung der Zusammenarbeit und die Beratung des Justizministeriums in seelsorgerischen Angelegenheiten, § 5 ΠΙ B a y W . Der Vorsitzende stellt während des Jahres den Ansprechpartner des Justizministeriums dar. Dabei muß der Vorsitzende mindestens 4 Jahre im Justizvollzugsdienst tätig gewesen sein. Durch die Einrichtung einer Konferenz der Anstaltsseelsorger unter Leitung eines erfahre-

55

abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 56

Gesprächsmitschrift, Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 7.2.1991

278

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

nen Vorsitzenden ist sowohl der Erfahrungsaustausch der Seelsorger untereinander, als auch deren kompetente Vertretung gegenüber staatlichen Stellen gewährleistet. Sie dient somit der gegenseitigen Verständigung von Staat und Kirche.

IV. Zusammenfassende Beurteilung Insgesamt fallt die bayerische Regelung durch ihre sorgfältige und in sich schlüssige inhaltliche Gestaltung auf. Es fehlen zwar detailliertere Bestimmungen über Gruppenarbeit, Unterrichte, Kontakt mit Gemeindepfarrern und Informationsveranstaltungen außerhalb des Vollzugs. Die Praxis zeigt jedoch, daß aufgrund eines Grundkonsenses von Kirche und Staat diese Aufgaben bei entsprechendem Engagement des Anstaltsseelsorgers durchaus von ihm übernommen werden können. So besticht diese Vereinbarung durch ihre durchdachte Konzeption und die bewußt offene Gestaltung, die eine jederzeitige Anpassung an neue Anforderungen kirchlicher Tätigkeit im Vollzug im gegenseitigen Einvernehmen ermöglicht. Gleichzeitig gibt sie den im Vollzug Tätigen eine hilfreiche Darstellung der jeweiligen Pflichten und Rechte. Es ist hier eine adaptionsfähige Regelung geschaffen worden, die der Aufgabenstellung, das Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug im Sinne aller Beteiligten generell zu regeln, gerecht wird, in dem sie einen Orientierungsrahmen setzt, und gleichzeitig Raum für praktische Konkordanz läßt. Dabei ist zu betonen, daß der Raum, den die Vereinbarung läßt, von den Beteiligten je nach Engagement und Einstellung zu füllen ist.

§ 15 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Berlin I. Statistische Daten In den 6, bzw. 7 Justizvollzugsanstalten1 des Landes Berlin 2 befanden sich zum Stichtag 31. März 1989 insgesamt 2588 Strafgefangene, von denen 1332 (51,5 %) evangelischen Bekenntnisses, und 475 (18,4 %) katholischen Bekenntnisses waren. 264 (10,2 %) Strafgefangene gehörten anderen Bekenntnissen an, die statistisch nicht ausgewiesen werden, während 517 (20,0 %) keine Angaben machten. Zum Stichtag 31. März 1990 hielten sich 2357 Strafgefangene in den Justizvollzugsanstalten auf, von denen 1185 (50,3 %) evangelischen, und 449 (19,0 %) katholischen Bekenntnisses waren. Es gab 230 (9,8 %) Strafgefangene anderen Bekenntnisses und 433 (18,4 %) ohne Angaben3. Ges. 1989 2588 1990 2357

ev.

%

kath.

%

sonst. %

o.Bek. %

1332

51,5

475

18,4

264

10,2

517

20,0

1185

50,3

449

19,0

230

9,8

433

18,4

Eine Statistik hinsichtlich der Anzahl der Anstaltsgeistlichen wird staatlicherseits in Berlin nicht geführt. Dies ist unter anderem darauf zurück-

1

seit 1. Januar 1991 gibt es in Berlin 7 Justizvollzugsanstalten und 1 Jugendarrestanstalt

2 An dieser Stelle sei Herrn Dr. Matzke von der Senatsverwaltung für Justiz für die gegebenen Auskünfte herzlich gedankt. 3 Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz an die Verfasserin vom 15. Februar 1991, Az: 4557 Ε - V / 2.91

280

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

zuführen, daß sowohl die haupt- als auch die nebenamtlichen Anstaltsseelsorger ausschließlich in Diensten der Kirche 4 sind.

IL Rechtliche Gestaltung kirchlichen Wirkens im Strafvollzug von Berlin In Berlin gibt es keine Verfassungsbestimmung und keine formelle vertragliche Vereinbarung, die das Wirken der Kirche im Strafvollzug regelt 5. Es existiert ein "Protokoll über Besprechungen zwischen Vertretern des Evangelischen Konsistoriums in Berlin (West) der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg und des Senats von Berlin über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen"6 vom 2.7.1970 7 . Mit diesem Protokoll wurde zum großen Teil der vertragslose Zustand im Bereich des Staatskirchenrechts in Berlin zu einem gewissen Ende gebracht8. Im fünften Abschnitt dieses Protokolls ist festgehalten, daß der Senator für Justiz ein Schreiben an das Evangelische Konsistorium in Berlin (West) richten wird, welches im Hinblick auf die Anstaltsseelsorge eine von der Kirche gewünschte Regelung trifft, nämlich die Erklärung, daß das Land Berlin einen geeigneten Versammlungsraum nach Möglichkeit zur Verfügung stellen wird, wenn in einer Justizvollzugsanstalt von einem hauptamtlichen Geistlichen regelmäßig Seelsorge betrieben wird. Das Pendant auf katholischer Seite, das "Abschließende Protokoll über Besprechungen zwischen Vertretern des Bischöflichen Ordinariats Berlin und des

4 Schreiben der Senatsverwaltung fur Justiz vom 15. Februar 1991, Az: 4557 Ε - V / 2.91 an die Verfasserin 5 Vgl. zu den möglichen Gründen eines Verzichts auf einenförmlichen Staatskirchenvertrag: Henog, Roman, Die Berliner Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen, in: ZevKR 16 (1971), S. 268 (276 ff) 6 Das gesamte Protokoll ist abgedruckt in: Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. 1, S. 676 ff 7 Das "Protokoll über Besprechungen zwischen Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche sowie dem Senat von Berlin vom 2. Juli 1970", das in Rassow, 1976, abgedruckt ist, ist inhaltlich korrekt wieder gegeben. Allerdings haben an dieser Besprechung keine Vertreter der katholischen Kirche teilgenommen, (Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 15. Februar 1991, Az: 4557 E - V / 2.91) sodaß die gewählte Bezeichnung nicht zutreffend ist. 8 Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Herzog, Roman, Die Berliner Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen, in: ZevKR 16 (1971), S. 268 - 286, S. 268 ff

§15 Berlin

281

Senats von Berlin über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen" 9 vom 2. Juli 1970 enthält zwar ebenfalls einen mit "Anstaltsseelsorge" überschriebenen Abschnitt10. Dieser bezieht sich jedoch nur auf die Seelsorge in Krankenhäusern und Altenheimen, sowie in Schulen und Jugendheimen, für deren Bereiche sich die jeweiligen Senatoren zu einem Verhalten entsprechend der Rechtslage verpflichten. Eine Beteiligung des Justizministers, in dessen Ressort die Seelsorge an den Justizvollzugsanstalten fallen würde, fand nicht statt. Insofern ist für die katholische Seelsorge in Berlins Justizvollzugsanstalten von der Weitergeltung des Art. 28 R K 1 1 , sowie des Schlußprotokolls zu Art. 28 R K 1 2 auszugehen. Eine genauere Kompetenzumschreibung der Rechte und Pflichten der Anstaltsseelsorger ist im Einvernehmen mit der evangelischen und der katholischen Kirche mit Schreiben vom 30. Juni 1988 (4561 - V/1) erfolgt 13 . Dieses Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz regelt drei Themenkomplexe, nämlich der Sondersprechstunden von Geistlichen, der Aushändigung von Gegenständen und des Fotografierens von Gefangenen. Hinsichtlich freiwilliger Mitarbeiter im Vollzug existiert eine Allgemeine Verfügung des Landes Berlin zu § 154 StVollzG vom 3. August 1990 14 .

1. Sondersprechstunden

Das Schreiben vom 30. Juni 1980 legt fest, daß unter Aufsicht des Anstaltspfarrers Sprechstunden und Telefonate der Gefangenen durchgeführt werden dürfen, soweit die Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes, insbesondere

9 abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 625 ff

Text: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 632 11 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. I, S. 51 12

abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. I, S. 59 13 Schreiben der Senatsverwaltung för Justiz vom 15. Februar 1991, Az: 4557 E - V / 2.91 an die Verfasserin

1

t s l t für

in 1 9 , S.

282

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

§ 24 Abs. 2 und 3 (Recht auf Besuch), §§ 25 (Besuchsverbot), 27 Abs. 1 (Überwachung der Besuche) und § 32 (Ferngespräche und Telegramme) StVollzG, sowie der Grundsatz von Sicherheit und Ordnung berücksichtigt werden 15 . § 24 Abs. 2 StVollzG sieht die zusätzliche Zulassung von Besuchen außerhalb der regulären Besuchsregelung gem. § 24 Abs. 1 StVollzG vor, wenn sie für die Behandlung oder Wiedereingliederung des Gefangenen dienlich sind, oder zur Erledigung von Angelegenheiten dienen, die nicht auf andere Weise zum Abschluß gebracht werden können. Der Hinweis auf die Geltung des § 24 Abs. 3 StVollzG beinhaltet demzufolge die Kompetenz der Anstalt, derartige Besuche von einer Durchsuchung des Besuchers abhängig zu machen. Bei Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung, oder der Gefahr eines schädlichen Einflusses auf die Gefangenen durch die Besucher können gem. dem Schreiben der Senatsverwaltung vom 30. Juni 1988 i.V.m. § 25 StVollzG auch vom Anstaltspfarrer beaufsichtigte Besuche vom Anstaltsleiter untersagt werden. Ebenso können Besuche gem. § 27 Abs. 1 StVollzG überwacht werden, wobei auffällig ist, daß in dem Schreiben der Senatsverwaltung auf die Möglichkeit des Abbruchs des Besuchs trotz vorheriger Abmahnung gem. § 27 Abs. 2 StVollzG nicht hingewiesen wird. Derartige gesetzmäßige Einschränkungen der sogenannten "Pfarrersprechstunden" widersprechen nicht dem Gebot der Freiheit kirchlichen Wirkens, da einerseits das kirchliche Wirken sich an die Grenzen des Sonderstatus "Strafvollzug" halten muß, und andererseits die Organisation von Besuchen durch den Anstaltsseelsorger weder zum unantastbaren Bereich der Religionsfreiheit des einzelnen Gefangenen, noch zum absolut geschützten Kernbereich kirchlichen Wirkens gezählt werden können. Daher verletzt die einvernehmlich getroffene Regelung keine grundrechtlich geschützten Positionen.

2. Gegenstände

Desweiteren gestattet das Schreiben der Senatsverwaltung vom 30. Juni 1988 16 unter Verweis auf § 53 Abs. 3 StVollzG die Aushändigung von Gegenständen des religiösen Gebrauchs, die nicht der Zustimmung des Anstaltsleiters bedarf, unter der Einschränkung, daß ein "angemessener Umfang"

15 1

Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 30. Juni 1988, S. 1 z

1

§ 15 Berlin

283

nicht überschritten wird 1 7 . In diesem Sinne wird die Weitergabe von Lebensund Genußmitteln im Rahmen hoher Kirchenfeste als christliche Liebestätigkeit verstanden, die ihren Platz sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Vollzugs hat. Diesbezüglich wird auf § 33 StVollzG hingewiesen, der den Empfang von Paketen regelt. Bemerkenswert ist die Gestattung von derartigen Geschenken außerhalb von Kirchenfesten, in besonderen Situationen des Gefangenen, sei es sein Eintritt in den Strafvollzug, sei es zur Erleichterung der Begegnung mit dem Seelsorger. Diese Gaben werden auch staatlicherseits als "vom seelsorgerischen Auftrag im weiteren Sinne erfaßt" 18 angesehen. Das Land Berlin erkennt in diesen vom Seelsorger erbrachten kleineren Zuwendungen, wie Tabak, Schokolade oder Wolle, ein "wichtiges Hilfsmittel für den Seelsorger" 19 , der im Anschluß an diesen Beginn eines Vertrauensverhältnisses "Seelsorge im engeren Sinn" 20 betreiben kann. Dagegen ist in dem Schreiben klar gestellt, daß die bloße Ausnutzung des Seelsorgers als "Bote" für größere Geschenke - etwa auf Bestellung des Gefangenen oder aufgrund einer Bezahlung durch Angehörige - oder durch "Leihgaben" (z.B. Radio, Fernseher) zur Umgehung von Vorschriften nicht mehr in den seelsorgerlich geschützten Bereich fällt. Derartige Maßnahmen erfordern die Zustimmung des Anstaltsleiters 21 . Sehr konkret ist mit dieser Vereinbarung das Zusammentreffen von seelsorgerischer Aufgabe und staatlichem Vollzugsverständnis aufgezeigt worden. Dabei zeigt sich ein Entgegenkommen von beiden Seiten. So läßt der Staat der Kirche Raum für seelsorgerlich bedingte Liebesgaben, zieht aber ab einem gewissen Umfang Grenzen. Diese Regelung steht im Einklang mit den grundgesetzlichen Vorgaben, da das Grundrecht auf Religionsfreiheit die Akzeptierung christlicher Gebräuche, zu denen Liebesgaben zählen, enthält. Darüberhinausgehende Geschenke sind weder vom Grundrecht der Religionsfreiheit, noch dem Recht der Kirchen zu eigenständigem Wirken gerechtfertigt. Insofern ist dies eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Regelung.

i? Schreiben der Senatsverwaltung fiir Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 2 18 Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 2 19 Schreiben der Senatsverwaltung fur Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 3 20 Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 3 21 Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 3

284

2. Teil: Die Rechtslage in den Landern

3. Fotografieren

Im dritten Abschnitt des Schreibens der Senatsverwaltung fur Justiz vom 30. Juni 1988 2 2 wird das Verbot des Fotografierens von Gefangenen durch den Anstaltsseelsorger fixiert 23, wobei im Einzelfall Ausnahmen durch den Anstaltsleiter gestattet werden können. Es ist nicht ersichtlich, in welchem Maße das Fotografieren von Gefangenen in eine seelsorgerische Tätigkeit des Anstaltsgeistlichen eingeordnet werden könnte. Daher verletzt dieses Verbot weder kirchliche, noch individuelle religiöse Rechte und ist verfassungsgemäß, wenngleich diese Vereinbarung auch etwas seltsam anmutet und den Verdacht nahe legt, daß aufgrund eines Einzelfalls eine generelle Regelung getroffen wurde.

III. Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer Regelungen zu freiwilligen Mitarbeitern im Vollzug sind in der Allgemeinen Verfugung des Landes Berlin zu § 154 StVollzG vom 3. August 1990 2 4 enthalten. Für in der Seelsorge tätige Personen enthält sie keine Besonderheiten, sodaß sich eine Erörterung im Rahmen dieser Arbeit erübrigt.

IV. Zusammenfassende Würdigung Die Rechtslage kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug des Landes Berlin ist schwerpunktmäßig durch die bundesrechtlichen Vorgaben geprägt. Einige wenige Einzelheiten zur Tätigkeit des Seelsorgers sind landesrechtlich einvernehmlich mit den Kirchen geregelt worden. Diese Regelungen halten sich an die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Im übrigen würde sich eine umfassendere Regelung des kirchlichen Wirkens im Strafvollzug im Sinne größerer Rechts- und Verfahrensklarheit empfehlen. Die gefundenen Regelungen lassen eher den Eindruck eines Nebeneinanders von Staat und Kirche, denn 22 Az: 4561 - V / 1 23 Schreiben der Senatsverwaltung für Justiz vom 30. Juni 1988, Az: 4561 V / 1, S. 3 24 Amtsblatt für Berlin, 1990, S. 1589

§ 15 Berlin

285

den eines Miteinander von Staat und Kirche entstehen. Zudem vermitteln sie den Eindruck einer aufgrund konkreter Probleme gefundenen Einigung einzelner Fragestellungen. Es besteht keine systematische Erfassung des kirchlichen Auftrags und der staatlichen Aufgabe. Zugunsten der Strafgefangenen, der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, wäre eine genauere rechtliche Fixation der Grenzen und Möglichkeiten des staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens wünschenswert.

§ 16 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Freien Hansestadt Bremen

I. Statistische Daten In den 5 Justizvollzugsanstalten der Freien Hansestadt Bremen1 befanden sich zum Stichtag 31. März 1989 insgesamt 605 Strafgefangene, von denen 358 (59,2 %) evangelischen Bekenntnisses, und 98 (16,2 %) katholischen Bekenntnisses waren. 29 (4,8 %) Strafgefangene gehörten anderen Bekenntnissen an, die statistisch nicht ausgewiesen werden, während 120 (19,8 %) keine Angaben machten, oder ohne Bekenntnis waren 2. Zum Stichtag 31. März 1990 hielten sich 512 Strafgefangene in den Justizvollzugsanstalten auf, von denen 299 (58,4 %) evangelischen, und 88 (17,2 %) katholischen Bekenntnisses waren. Es gab 28 (5,5 %) Strafgefangene anderen Bekenntnisses und 97 (19,0 %) ohne Bekenntnis oder ohne Angaben3. Ges. 1989 605 1990 512

ev.

%

kath.

%

son-

%

o.Bek. %

358

59,2

98

16,2

29

4,8

120

19,8

299

58,4

88

17,2

28

5,5

97

19,0

1 Mein Dank gilt an dieser Stelle Herrn Renken von der Freien Hansestadt Bremen, Senator fiir Justiz und Verfassung, für die wertvollen Informationen, die er im Rahmen dieser Arbeit gegeben hat. 2 Schreiben der Freien Hansestadt Bremen, Senator fiir Justiz und Verfassung, vom 4.4.1991, Gz: 4561, an die Verfasserin, S. 2 3 Schreiben der Freien Hansestadt Bremen, Senator fiir Justiz und Verfassung, vom 4.4.1991, Gz: 4561, an die Verfasserin, S. 3

§ 16 Bremen

287

Diese Strafgefangenen werden von 3 hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern betreut, nämlich zwei evangelischen und einem katholischen Pfarrer, sowie einem nebenamtlichen evangelischen Anstaltsseelsorger. Von den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern ist einer ins Beamtenverhältnis übernommen worden, während die beiden anderen hauptamtlichen, sowie der nebenamtliche Seelsorger in Diensten der Kirche stehen4. Dabei besteht die staatliche Beamtenstelle für einen Gefangnispfarrer seit dem Jahr I960 5 , wobei zwischen Staat und Kirche Einvernehmen darüber herrscht, daß diese Stelle nur von einem ordinierten Theologen und in Absprache mit der Bremischen Evangelischen Kirche besetzt wird. Die weitere, von der evangelischen Kirche eingerichtete Pfarrstelle, wurde 1974 aufgrund eines gestiegenen Bedarfs an religiöser Versorgung etabliert, wobei diese von der Kirche im Benehmen mit dem Senator besetzt wird 6 .

II* Überblick über die Rechtslage in Bremen Die bremische Verfassung enthält in Art. 62 BremV eine Regelung7 hinsichtlich kirchlichen Wirkens im Strafvollzug, die mit Inkrafttreten des Grundgesetzes durch die Regelung des Art. 140 GG / 141 WRV ersetzt worden ist 8 . Seit dem 28. Oktober 1987 gibt es eine Vereinbarung zwischen der Freien Hansestadt Bremen - Senator für Justiz und Verfassung - und der Bremischen Evangelischen Kirche - Kirchenausschuß9.

4 Schreiben der Freien Hansestadt Bremen, Senator fiir Justiz und Verfassung, vom 4.4.1991, Gz: 4561, an die Verfasserin, S. 4 5 Schreiben der Bremischen Evangelischen Kirche - Kirchenkanzlei - an die Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin-West vom 18.8.1975; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 6 Schreiben der Bremischen Evangelischen Kirche - Kirchenkanzlei - an die Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin-West vom 18.8.1975; abgedruckt in: Rassow, 1976 7 vgl. Kapitel § 11 Abschnitt Π 8 Spitta , Theodor (Hrsg.), Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, Bremen 1960, Anm. zu Art. 62 9 Schreiben der Freien Hansestadt Bremen, Senator fur Justiz und Verfassung, vom 4.4.1991, Gz: 4561 an die Verfasserin, S. 5 f

288

2. Teil: Die Rechtslage in den Lndern

I I I . Darstellung der Vereinbarung über die evangelische Seelsorge vom 28. Oktober 1987 Die Vereinbarung regelt in 3 Paragraphen äußere Rahmenbedingungen der Anstaltsseelsorge in Bremen. § 1 Abs. 1 der Vereinbarung hält fest, daß eine staatliche und eine kirchliche Stelle fur die Seelsorge im Justizvollzugsdienst zur Verfugung steht, wobei § 1 Abs. 2 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987 fixiert, daß die Besetzung der Stellen im gegenseitigen Einvernehmen von Staat und Kirche erfolgt.

1. Dienstaufsicht

Aufsichtliche Regelungen hinsichtlich des vom Staat angestellten Pfarrers werden in § 1 Abs. 3 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987 getroffen, wobei die gewählte Regelung der Wortwahl des Art. 8 Abs. 3 S. 1 SHKV, Art. 21 Abs. 3 S. 1 RhPFKV, Art. 16 Abs. 3 S. 1 HesKV entspricht. Danach untersteht der staatliche angestellte Seelsorger - unbeschadet der Disziplinargewalt des Staates - fur den Bereich der durch Ordination erworbenen Rechte - der geistlichen und disziplinarischen Aufsicht der Kirche. Das Gegenstück findet sich in § 1 Abs. 4 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987, demgemäß der kirchlich angestellte Pfarrer in Fragen der Ordnung der Anstalt dem zuständigen Anstaltsleiter untersteht. Gleichzeitig wird festgehalten, daß die für Fragen der Sicherheit und Ordnung erlassenen Bestimmungen fur ihn entsprechend gelten 10 . § 1 Abs. 5 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987 garantiert der Kirche das Recht zu Visitationen im Hinblick auf die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten.

2. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

Besonders zu erwähnen ist die Regelung des § 2 Abs. 1 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987, nach der die beiden Vertragspartner sich verpflichten, in sämtlichen, zur Entscheidung anstehenden Fragen einvernehmliche Lösungen zu suchen. Hier wird zwar keine konkrete Regelung eines Vorgehens bei Beschwerden oder Meinungsverschiedenheiten getroffen. 1

e r e i n r u

er 19

§ 1 6 Bremen

289

Allerdings ist die Absichtserklärung beider Seiten, einvernehmlich Lösungen zu suchen, eine Neuheit im Bereich kirchlichen Wirkens im staatlichen Justizvollzug von Bremen. Dabei soll nur das Problem einer Regelung zugeführt werden, das aus einer aktuellen Situation heraus als regelungsbedürftig erscheint 11. Hier wird betont, daß keine generelle Regelung der Situation kirchlichen Wirkens im staatlichen Justizvollzug angestrebt wird, sondern allein eine Rahmenvereinbarung, die Raum für entsprechende, bedürfhisgerechte weitere Regelungen läßt.

3. Zuständigkeitsvereinbarungen

§ 2 Abs. 2 Nr. 1 - 3 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987 legt eine personen- und anstaltsbezogene Aufteilung der örtlichen Zuständigkeit der namentlich genannten Anstaltsseelsorger fest. Dabei fällt auf, daß eine Aufteilung der örtlichen Zuständigkeiten der Anstaltsseelsorger nicht der Kirche überlassen bleibt, sondern im Einvernehmen zwischen Staat und Kirche geregelt wird. Auffallig ist § 2 Abs. 2 Nr. 4 S. 2 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987, der festlegt, daß der Besuch eines namentlich bezeichneten Anstaltsseelsorgers bei Untersuchungsgefangenen, deren Betreuung er in einer Anstalt begonnen hat, fur die er seit der örtlichen Zuständigkeitssänderung nicht mehr zuständig ist, im Besucherpavillon oder in einem Besucherhaftraum stattfindet, wobei diese Besuche nicht auf die Regel-Besuchszeit angerechnet werden. Es verwundert, daß dem Anstaltsseelsorger jedenfalls nicht in dieser Vereinbarung das Recht zugestanden wird, die Gefangenen auf der Zelle zu besuchen. Diese Regelung ist auf die Personenbezogenheit der Vereinbarung zurückzuführen, die in § 2 Abs. 3 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987 deutlich wird, nach der die Zuständigkeitsregelung überprüft wird, wenn ein Wechsel in der Person der Anstaltspfarrer eintritt.

IV. Freiwillige Mitarbeiter und Seelsorgehelfer Regelungen zu ehrenamtlichen Vollzugshelfern im Justizvollzug von Bremen finden sich in der "Allgemeinen Verfügung des Senators für Justiz 11 § 2 Abs. 1 s. 2 der Vereinbarung vom 28. Oktober 1987

19 Eick-Wildgans

290

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

und Verfassung betreffend ehrenamtliche Vollzugshelfer in den Justizvollzugsanstalten des Landes Bremen vom 28. März 1990" 1 2 , die jedoch keine Besonderheiten für Seelsorgehelfer aufweisen und daher im Rahmen dieser Arbeit keiner näheren Erläuterung bedürfen.

V. Zusammenfassende Beurteilung Die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Freien Hansestadt Bremen vom 28. Oktober 1987 enthält keinerlei grundlegenden Feststellungen zur Stellung der Seelsorge, oder nähere Bestimmungen zur Tätigkeit der Seelsorger, ebensowenig wie zu organisatorischen Fragen. Es findet sich keine Verweisung auf das Strafvollzugsgesetz oder verfassungsrechtliche Vorgaben. So trägt die Vereinbarung deutlich den Charakter einer Minimalvereinbarung zu den notwendigsten Punkten staatlichen und kirchlichen Interesses im Bereich des Strafvollzugs, wie aufsichtlichen Fragen und Fragen der Zuständigkeit, läßt jedoch inhaltliche Regelungen beiseite. Allerdings hält sie den Weg für weitere Vereinbarungen offen und betont das Streben von Staat und Kirche nach einvernehmlichen Lösungen. So ist sie als ein Schritt in eine Formalisierung der Beziehungen von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Freien Hansestadt Bremen zu werten, dem noch weitere folgen könnten.

1

2

§ 17 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Freien und Hansestadt Hamburg

I. Statistische Daten zur Anstaltsseelsorge In der Freien und Hansestadt Hamburg werden bei der Aufnahme von Gefangenen in den einzelnen Anstalten konfessionsbezogene Daten erhoben und an das Statistische Landesamt abgegeben. Dort werden auch die konfessionsbezogenen Daten ausgewertet1. Zum Stichtag 31.3.1990 befanden sich 1.737 Strafgefangene in den 8 Justizvollzugsanstalten, wobei 842 Gefangene (48,5 %) evangelischen Bekenntnisses, 254 (14,6 %) katholischen Bekenntnisses und 224 Gefangene (12,9 %) anderen Bekenntnisses sind. 417 Gefangene (24,0 %) sind ohne Bekenntnis.

Ges. 1990 1737

ev.

842

%

48,5

kath.

254

%

son.

%

o.B.

%

14,6

224

12,9

417

24,0

Die Häftlinge in den Hamburger Justizvollzugsanstalten werden von 11 hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern betreut, von denen 3 katholischen und 8 evangelischen Bekenntnisses sind2. Dazu ist im Strafvollzug von Hamburg ein nebenamtlicher, katholischer Anstaltsseelsorger tätig3. 1 Schreiben der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22.4.1993 - Az: 4407 - 10.9 an die Verfasserin 2 Mein Dank gilt insbesondere Herrn Dr. Hach von der nordelbisch evangelisch-lutherischen Kirche für die wertvolle Hilfe, die er mit seinem Schreiben vom 10.3.1992 Az: 5060 WII der Verfasserin gegeben hat, sowie dem Bischofsvikar für Hamburg und Schleswig-Holstein für die im Schreiben vom 11.13.1992 gegebenen Informationen. 3

19*

Schreiben der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche vom 10.3.92 Az:5060-WD

292

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Die hauptamtlichen Anstaltsseelsorger sind sämtlich in Diensten der Kirche. Für die evangelischen Anstaltsseelsorger liegen die Fach- und Dienstaufsicht beim Nordelbischen Kirchenamt Kiel 4 .

II, Rechtslage der Anstaltsseelsorge in Hamburg Die Hamburger Verfassung enthält keine Regelungen zum Wirken der Kirche im Strafvollzug, da sie sich sämtlicher Regelungen zum Staatskirchenrecht enthält, so daß dieses allein durch Art. 140 GG geregelt wird 5 . Bei der Verfassungsgebung wurde einer nochmaligen landesrechtlichen Garantie von bundesverfassungsrechtlich niedergelegten Grundrechten keine Bedeutung beigemessen6. Auch die übrige Rechtslage in Hamburg weist keinerlei Regelungen oder Vereinbarungen zum kirchlichen Wirken im Strafvollzug auf. Es gibt für die Anstaltsseelsorger keine näheren Vereinbarungen hinsichtlich ihrer Tätigkeit im Strafvollzug. So bleibt es in Hamburg bei den bundesrechtlichen Vorgaben gem. Art. 140 GG / 141 W R V 7 und Art. 4 GG 8 , sowie den entsprechenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes 9. Daneben gilt für die katholische Kirche direkt der Zulassungsanspruch gem. Art. 28 R K 1 0 , auf den sich die evangelische Kirche wegen des oben dargelegten Gleichstellungsanspruchs11 ebenso berufen kann. Darüberhinausgehende Verpflichtungen sind weder der Staat noch die Kirche eingegangen.

4

Schreiben der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche vom 10.3.92 Az:5060-WII

5

Schwabe, Jürgen, Verfassungsrecht, in: Hoffmann-Riem, Wolfgang und Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1988, S. 32 (34) 6 Schwabe, Jürgen, Verfassungsrecht, in: Hoffmann-Riem, Wolfgang und Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1988, S. 32 (34)

7

Vgl. Kapitel § 5

8

Vgl. Kapitel § 6

9

Vgl. Kapitel § 7 - 9

10

Vgl. Kapitel § 12 Abschnitt III.

π

Vgl. Kapitel § 12 Abschnitt III 3

§ 17 Hamburg

293

Auch fur ehrenamtliche Mitarbeiter existiert keine eigene staatliche Verfügung. Ehrenamtliche Helfer geben im Einzelfall eine Verpflichtungserklärung ab 1 2 .

III. Würdigung Angesichts des Umfangs des hamburgischen Strafvollzugs verwundert die spärliche Regelungspraxis kirchlichen Wirkens im Strafvollzug. Der Staat ist an einem rechtlich geregelten Zusammenwirken mit den Kirchen offensichtlich nicht interessiert. Es drängt sich hier die Frage auf, ob nicht der Gedanke der staatlichen Neutralität überbetont wird und zukünftig nicht Vereinbarungen ins Auge gefaßt werden sollten, die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen könnten.

12

Schreiben der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche vom 10.3.92 Az:5060-Wü

§ 18 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Hessen I. Statistische Daten In den 14 Justizvollzugsanstalten und 5 Zweiganstalten von Hessen1 befanden sich zum Stichtag 31.März 1989 insgesamt 3169 Strafgefangene, davon 1515 (47,8 %) evangelische und 1067 (33,7 %) katholische Strafgefangene, sowie 297 (9,4 %) Angehörige einer sonstigen Religion und 290 (9,2 %) Strafgefangene ohne Bekenntnis oder ohne Angaben 2 . Zum Stichtag 31.März 1990 betrug bei insgesamt 3124 Strafgefangenen die Zahl der evangelischen Strafgefangenen 1456 (46,6 %), die der katholischen 1066 (34,1 %), während 270 (8,6 %) Angehörige einer sonstigen Religion und 332 (10,6 %) Strafgefangene ohne Bekenntnis oder ohne Angaben waren 3 . Ges. 1989 3169 1990 3124

%

kath.

%

son.

%

o.Bek. %

1515

47,8

1067

33,7

297

9,4

290

9,2

1456

46,6

1066

34,1

270

8,6

332

10,6

ev.

1 An dieser Stelle sei Herrn Dr. Schäfer vom Hessischen Ministerium der Justiz fiir die Ubersendung der im folgenden benutzten Daten und Informationen herzlich gedankt. 2 Quelle: Statistische Berichte; Hessisches statistisches Landesamt Β VI 6 - j / 89: Der Strafvollzug in Hessen 1989, Teil 1: Strafgefangene und Verwahrte in den Justizvollzugsanstalten, S. 24 3 Quelle: Statistische Berichte; Hessisches statistisches Landesamt Β VI 6 - j / 90: Der Strafvollzug in Hessen 1990, Teil 1: Strafgefangene und Verwahrte in den Justizvollzugsanstalten, S. 24

§ 1 8 Hessen

295

Diese Strafgefangenen werden von 16 hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern betreut, von denen 5 katholischer und 11 evangelischer Konfession sind. Zusätzlich sind 9 katholische und 7 evangelische, also insgesamt 16 nebenamtliche Anstaltsseelsorger tätig, die von weiteren 8 katholischen Seelsorgehelfern bzw. pastoralen Mitarbeitern, sowie 1 evangelischen Seelsorgehelferin unterstützt werden. Eine halbe hauptamtliche Pfarrstelle ist nicht besetzt4. Allein mit der Zahl der hauptamtlichen Anstaltsseelsorger werden somit durchschnittlich 200 Gefangene von je einem Anstaltsseelsorger betreut. Berücksichtigt man darüber hinaus die Zahl der nebenamtlichen Anstaltsseelsorger, so kann im Vergleich mit den übrigen Bundesländern von einer guten seelsorgerlichen Versorgung der hessischen Justizvollzugsanstalten gesprochen werden.

II. Überblick über die Rechtslage in Hessen Das Zusammenwirken von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Hessen fällt auf durch sehr umfangreiche Regelungen. Neben der verfassungsrechtlichen Garantie der Anstaltsseelsorge gem. Art. 54 HessVerf 5 gibt es eine weitere Garantie der Anstaltsseelsorge in Art. 16 des Staatskirchenvertrags zwischen dem Land Hessen und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen6 vom 18.2. I960 7 , der das Recht der Religionsgesellschaften auf Zulassung zu religiösen Handlungen im Strafvollzug näher ausgestaltet8. Das Angebot zu vertraglichen Vereinbarungen ging von der hessischen Landesregierung aus, wobei diese sowohl mit der evangelischen, als

4

Schreiben des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 18. März 1991

5 Vgl. dazu Kapitel § 11 6 Näher zu den Einzelheiten des Vertrags: Klose, Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966 7 Vertrag der Evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Lande Hessen vom 18. Februar 1960 (GVB1. Hessen S. 54) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 809, 823 8 So das Schlußprotokoll zum o.a. Vertrag, abgedruckt in Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 823

296

2. Teil: Die Rechtslage in den Lndern

auch mit der katholischen Kirche 9 ursprünglich Fragen vornehmlich finanzieller Art vertraglich klären wollte 1 0 . Nachdem die katholischen Diözesen jedoch zu Vertragsverhandlungen nicht legitimiert 11 und an dem ursprünglich geplanten Vereinbarungsinhalt nicht interessiert waren 1 2 , kam der einen Rahmen setzende Kirchenvertrag allein mit der evangelischen Kirche zustande13 und trug somit zu einer Entfaltung der Verhältnisse von Staat und Kirche in Hessen maßgeblich bei 1 4 . Darin verpflichtet sich der hessische Staat zur Zulassung der Kirchen in Strafanstalten zum Zwecke der Vornahme seelsorgerischer Besuche und kirchlicher Handlungen 15 . Er geht insofern über die Garantie des Art. 140 GG / 141 WRV hinaus, als er ohne Bedürfhisprüfirag die Seelsorge in allen öffentlichen Anstalten des Landes garantiert, in denen seelsorgerliche Betreuung üblich i s t 1 6 . Dabei ist es weder der alleinigen Entscheidung des Staats, noch der alleinigen Entscheidung der Kirche überlassen, ob diese Voraussetzung gegeben ist, vielmehr ist im gegenseitigen Einvernehmen festzustellen, ob die Bedingungen für eine Anstaltsgemeinde vorhanden sind 1 7 . In Art. 16 Abs. 1 S. 2 des Vertrages vom 18. Februar 1960 ist

9

vgl. zu den Verhältnissen zwischen Staat und der katholischen Kirche in Hessen: Lenz, Gisela, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Land Hessen und der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Bistumsverträge vom 9. März 1963 und 29. März 1974, Frankfurt, Bern, New York 1987 10 Zur Entstehungsgeschichte: Jung, Wilhelm, Der Hessische Kirchenvertrag vom 18. Februar 1960, in: ZevKR 7 (1959/60), S. 289 f 11 May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (75) 12 Jung y Wilhelm, Der Hessische Kirchenvertrag vom 18. Februar 1960, in: ZevKR 7 (1959/60), S. 289 13

Zur Entstehungsgeschichte: Klose, Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966, S. 4 - 84 14 vgl. zu den neueren Entwicklungen: Weispfenningy Walter, Neuere Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Hessen, in: ZevKR 24 (1979), S. 315 - 339 15 Art. 16 Abs. 1 S. 1 des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Lande Hessen vom 18. Februar 1960 16 Klose y Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966, S. 129 17 Klose y Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages

§ 18 Hessen

297

ferner festgehalten, daß bei regelmäßiger Seelsorge und hauptamtlicher Anstellung eines Seelsorgers in Strafanstalten die Bestellung im Einvernehmen zwischen Kirche und Anstaltsträger erfolgt, wobei - im Gegensatz zu Art. 6 S. 2 NdsKV und Art. 8 Abs. 2 SHKV, die nur die staatlich bestellten Anstaltsseelsorger vorsehen 18 - im Vertrag noch offen gelassen wurde, ob die Bestellung durch den Anstaltsträger oder die Kirche erfolgt. Diese Gleichbewertung staatlichen und kirchlichen Dienstes kann als ein Indiz für die im Vertrag fixierte partnerschaftliche Haltung von Staat und Kirche gesehen werden 1 9 . 17 Jahre später fiel mit der Verwaltungsvereinbarung vom 26. August 1977 die Entscheidung hinsichtlich der Anstellungsverhältnisse für Anstaltsseelsorger zugunsten des kirchlichen Dienstes, um das teilweise als nicht unbedenklich qualifizierte doppelte Dienstverhältnis der Anstaltsseelsorger als staatliche Amtsträger im Auftrag der Kirche zu vermeiden 20 . Wesentlich ist Art. 16 Abs. 3 des Vertrages vom 18. Februar 1960, der in dieser grundlegenden Vereinbarung zur Klärung staatlicher und kirchlicher Kompetenzen festschreibt, daß auch die vom Land bestellten Seelsorger in Fragen der durch Ordination erworbenen Rechte der geistlichen und disziplinarischen Aufsicht der zuständigen Kirche unterstehen. Somit erkennt der Staat die Eigenständigkeit der Kirchen an 2 1 . Davon bleibt allerdings die Disziplinargewalt des Landes unberührt. Ebenso ist hier festgehalten, daß das Land einen Geistlichen, der seiner durch Ordination erworbenen Rechte verlustig wird, nicht zu staatlichen Einrichtungen zulassen w i r d 2 2 . Diese Rahmenbedingungen zum kirchlichen Wirken im Justizvollzug werden in weiteren Vereinbarungen zwischen dem Land Hessen und den Kirchen vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966, S. 129 18

Jung, Wilhelm, Der Hessische Kirchenvertrag vom 18. Februar 1960, in: ZevKR 7 (1959/60), S. 293 19 Klose, Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966, S. 130 20 Lenz, Gisela, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Land Hessen und der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Bistumsverträge vom 9. März 1963 und 29 März 1974, Frankfurt, Bern, New York 1987, S. 13 21 Klose, Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, in: Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 42, Berlin 1966, S. 131 22

Art. 16 Abs. 3 S. 2 des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Lande Hessen vom 18. Februar 1960

298

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

näher ausgestaltet, wobei es i n den Detailvereinbarungen zur Anstaltsseelsorge gelungen ist, fur beide Kirchen nahezu übereinstimmende Regelungen zu erreichen. So finden sich i n Hessen z u m einen Vereinbarungen über die evangelische u n d katholische Seelsorge an Justizvollzugsanstalten 2 3 ,

sowie

eine Dienstordnung fiir die evangelischen und katholischen Anstaltspfarrer 2 4 . I n Ergänzung hierzu bestehen Richtlinien fiir die Bestellung v o n Seelsorgehelf e r n 2 5 und die Beschäftigung v o n ehrenamtlichen Mitarbeitern i m Justiz- und Arrestvollzug 26.

Ferner

ist die Annahme und Entschädigung der

hauptamtlichen Geistlichen an den Justizvollzugsanstalten 2 7 fur

nicht-

öffentlich-

rechtliche Religionsgemeinschaften geregelt. M i t den evangelischen Kirchen Hessens ist weiterhin eine Vereinbarung über

die

Errichtung

einer

gemeinsamen

Schlichtungsstelle

getroffen

worden28.

23 Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge an hessischen Justizvollzugsanstalten vom 26. August 1977, Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 19. Oktober 1977 (JMB1. für Hessen, S. 709 ff), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 788 ff, 844 24 Dienstordnung für die evangelischen und katholischen Anstaltspfarrer in den Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen, in Kraft getreten am 1. September 1977 (JMB1. für Hessen S. 719), Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 10. November 1977, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff; Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 792 ff, 849 25 Richtlinien für die Bestellung von Seelsorgehelfern an hessischen Justizvollzugsanstalten, Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 9. Mai 1984, JMB1. für Hessen, S. 361, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 796 ff, 851 26 Richtlinien für die Beschäftigung von ehrenamtlichen Mitarbeitern im Justiz- und Arrestvollzug, RdErl. 6. Dezember 1978; JMB1. für Hessen S. 73; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 27 Annahme und Entschädigung der nichthauptamtlichen Geistlichen bei den Vollzugsanstalten des Landes Hessen, Rd.Erl. 21. Dezember 1984; JMB1. für Hessen S. 73; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 28

Vereinbarung zwischen dem Land Hessen und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle im Anschluß an die Vereinbarung über die Seelsorge an den hessischen Justizvollzugsanstalten vom 26. August 1977, insbesondere deren Artikel 13 vom 9. April / 15. Juni 1979 (ABl. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau S. 135), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in

299

§ 18 Hessen

I I I . Darstellung der Regelungen über die katholische und die evangelische Seelsorge D i e grundlegenden Vereinbarungen zwischen dem hessischen Staat und der katholischen, sowie der evangelischen Kirche, nämlich die Vereinbarung über die Seelsorge an den hessischen Justizvollzugsanstalten v o m 26. 1977

29

August

, sind weitgehend inhaltsgleich, sodaß eine fur beide Kirchen einheit-

liche Besprechung erfolgen kann, bei gelegentlichen Hinweisen auf konfessionsbezogene Unterschiede. Diese Vereinbarung w i r d hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Anstaltsseelsorger näher ausgeführt i n der Dienstordnung v o m 1. September 1 9 7 7 3 0 . Dabei weist die Dienstordnung gewisse Anlehnungen an die zeitlich vorangehenden rheinland-pfälzischen

Dienstrichtlinien31

auf, was u.a. auf die Beteiligung der Evangelischen Kirchen v o n Hessen u n d Nassau sowohl i m L a n d Hessen, als auch i m Rheinland zurückzuführen ist. D i e Vereinbarung und die sie weiter erläuternden Bestimmungen der Dienstordnungen werden daher i m folgenden - nach thematischen Gesichtspunkten gestaffelt - gemeinsam dargestellt.

1. Stellung der Seelsorge Hinsichtlich der allgemeinen Stellung der Anstaltsseelsorge ist i n N r .

1

Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 849 f 29 Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge an hessischen Justizvollzugsanstalten vom 26. August 1977, Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 19. Oktober 1977 (JMB1. fur Hessen, S. 709 ff), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. I, S. 788 ff, 844; in diesem Kapitel im folgenden "Vb" abgekürzt; 30 Dienstordnung für die evangelischen und katholischen Anstaltspfarrer in den Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen, in Kraft getreten am 1. September 1977 (JMB1. fur Hessen S. 719), Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 10. November 1977, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 792 ff, 849; in diesem Kapitel im folgenden "DO" abgekürzt; 31 Richtlinien fur den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsselsorge in den Justizvollzugsanstalten des Landes Rheinland-Pfalz. Allgemeine Verfügung vom 20. November 1975 (Justizblatt Rheinland-Pfalz - Amtsblatt des Ministeriums der Justiz 1976, S. 1) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. Π, S. 474 ff; S. 548

300

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

D O 3 2 festgestellt, daß die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen Seelsorge ist. Somit wird auch hier deutlich, daß auch die Anstaltsseelsorge im Justizvollzugsdienst kirchliche Aufgabe ist, und in ihren religiösen Aspekten keine andere Behandlung erfahrt, als die Seelsorge außerhalb des Vollzugs. Allerdings verwundert es, daß diese Feststellung in einer Dienstordnung, und nicht in der grundlegenderen allgemeinen Vereinbarung über die Seelsorge niedergelegt ist. In der Vereinbarung findet sich zu Beginn zwar die Feststellung, daß die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten durch Pfarrer im Haupt- und Nebenamt wahrgenommen w i r d 3 3 . Die gewählte Formulierung läßt jedoch eher die Legaldefinition für den Begriff der "Anstaltspfarrer" in den Vordergrund treten, als die inhaltliche Aussage, daß Seelsorge auch im Justizvollzug kirchliche Seelsorge darstellt. Die Formulierung der Seelsorge im Justizvollzug als Teil der allgemeinen Seelsorge ist eine der Grundbedingungen staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens auf diesem Gebiet. Daher hätte diese Basis staatlichkirchlichen Zusammenwirkens eher in die Vereinbarung, denn in eine Dienstordnung gehört. Eine derartige Feststellung in einer Dienstordnung zu fixieren, die sich zum Ziel gesetzt hat, "Rechte, Pflichten und Aufgaben", sowie "organisatorische Voraussetzungen" fur die Anstaltsseelsorge zu regeln 34 , kann nicht als systematisch gelungen bezeichnet werden.

2. Statusbezogene Regelungen

a. Der Anstaltsseelsorger als Vollzugsbediensteter Regelungen hinsichtlich des Anstaltsseelsorgers als Vollzugsbediensteter finden sich in Art. 2 Abs. 1, 3; Art. 4 - 7 V b 3 5 . , sowie in Nr. 3, 10 und 11 DO. Art. 2 Abs. 1 Vb. legt fest, daß die Anstaltspfarrer im Dienst des

32

DO steht in diesem Kapitel fur: Dienstordnung für die evangelischen und katholischen Anstaltspfarrer in den Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen, in Kraft getreten am 1. September 1977 (JMB1. für Hessen S. 719), Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 10. November 1977 33

Art. 1 Abs. 1 S. 1 Vb.

34

Art. 3 Abs. 4 Vb.

35 Vb. steht in diesem Kapitel für: Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge an hessischen Justizvollzugsanstalten vom 26. August 1977, Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 19. Oktober 1977 (JMB1. für Hessen, S. 709 ff)

§ 18 Hessen

301

Bistums bzw. der jeweiligen Kirche 3 6 stehen und zum "Land Hessen in einem Rechtsverhältnis besonderer Art". Dieses besondere Rechtsverhältnis zum Land wird an einzelnen Punkten der Vereinbarung und der Dienstordnung näher ausgeführt. So ist auch fur die Seelsorger die Beachtung der sie betreffenden staatlichen Bestimmungen über den Justizvollzug obligatorisch 37 . I m Falle schwerwiegender Gefährdung der Sicherheit kann der Justizminister dem Anstaltspfarrer die Tätigkeit in der Anstalt vorübergehend verbieten, entweder bis zur Klärung der Angelegenheit, oder bis zum staatlichen Antrag auf Versetzung des Seelsorgers 38. Dabei verpflichtet sich der Justizminister zur umfassenden Information der Kirche und stellt einen Antrag auf Versetzung, sofern die Wiedergestattung der Dienstausübung nicht möglich i s t 3 9 .

b. Berufung und Versetzung Die Berufung der Anstaltsseelsorger ist detailliert geregelt, wobei diese nur im Zusammenwirken von Staat und Kirche möglich ist. Zwar geschieht die Berufung durch das Bistum bzw. die jeweilige Kirche 4 0 . Allerdings können die Kirchen dies nur im Benehmen mit dem Justizminister veranlassen 41. Vertragsmuster für die hauptamtlichen Anstaltsseelsorger existieren nicht, da die Berufung einvernehmlich zwischen dem Hessischen Justizministerium und den Kirchen auf der Grundlage der Vereinbarung erfolgt 4 2 . Die ersten sechs Monate gelten für den Anstaltspfarrer als Probezeit 43 . Wenn seitens des Staates nicht vor Ablauf der Probezeit die Abberufung schriftlich verlangt wird, gilt der Anstaltsseelsorger als bis auf weiteres zur Verfügung gestellt 44 . Die Kirchen können nach der Probezeit den Anstaltsseelsorger nach einer Stel-

3* Art. 2 Abs. 1 S. 1 Vbev 37 Art. 2 Abs. 2 S. 2 Vb. und Nr. 3 S. 2 DO (gleichlautend) 38 Art. 4 Abs. 6 S. 1 und 3 Vb. 39 Art. 4 Abs. 6 S. 2 Vb. 40 Art. 4 Abs. 1 Vb. 41 Art. 4 Abs. 1 Vb. 42 Schreiben des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 18. März 1991, S. 4 43

Art. 4 Abs. 2 Vb.

44 Art. 4 Abs. 3 Vb.

302

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

lungnahme seitens des Justizministeriums abberufen und versetzen 45 , wobei zwischen Staat und Kirche Einigkeit herrscht, daß jeweils innerhalb von 3 Monaten vakante Stellen wieder besetzt werden sollen 46 .

c. Verhältnis zu den anderen Vollzugsbediensteten und Zusammenarbeitsgebot Ohne Hinweis auf die Feststellung der §§155 Abs. 2, 154 StVollzG, nach denen auch die Anstaltsseelsorger zu den Vollzugsbediensteten gehören, die als im Vollzug Tätige zusammenarbeiten, schreibt Art. 2 Abs. 3 Vb. fest, daß der Anstaltspfarrer - im Rahmen seines Amtes - zu den maßgeblich an der Behandlung im Vollzug Beteiligten gehört, und als solcher die gleichen Rechte wie die Vollzugsbediensteten hat, also insbesondere die Teilnahme an den Dienstbesprechungen und allgemeinen Beamtenkonferenzen. Explizit fixiert Nr. 3 DO die Zusammenarbeit des Anstaltspfarrers mit den anderen im Vollzug Tätigen. Es schränkt die Verpflichtung zur Mitarbeit zur Erreichung des Vollzugsziels auf die Tätigkeit ein, die sich im Rahmen der seelsorgerischen Verpflichtung hält 4 7 . Dies ist eine sinnvolle Festlegung staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens, da hier Rücksicht auf die seelsorgerlichen Besonderheiten genommen wird, um diese gleichzeitig zugunsten des Gefangenen in den Vollzug zu integrieren.

d. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten In Hessen fällt die detaillierte Regelung von Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten im Bereich der Seelsorge im Strafvollzug auf. So hat der Anstaltspfarrer ein Beschwerderecht zum Justizminister bei nicht anders behebbaren Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Anstaltsleitung 48 , wobei sich das Justizministerium vor einer Entscheidung zur Information und Anhörung der Kirche verpfliehtet hat 4 9 . Auf der anderen Seite leitet das Justizministerium Beschwerden der Anstaltsleitung über die Anstaltsseelsorge an

45 Art. 4 Abs. 4 Vb. Art. 4 Abs. 5 Vb. 47 Nr. 3 S. 1 DO 48 Art. 11 Abs. 1 Vb. rt

s

.

§ 18 Hessen

303

die Kirche weiter 5 0 , wobei sich die Kirche im Gespräch mit dem Anstalsseelsorger in Anwesenheit eines Vertreters des Justizministeriums um Klärung bemüht 51 . Das Ergebnis wird in einem Protokoll festgehalten, Art. 12 Abs. 2 S. 2 Vb. Ergänzend hierzu sieht die Dienstordnung vor, daß sich bei unklärbaren Schwierigkeiten zwischen Anstaltsleitung und Anstaltsseelsorger Justizminister und Kirchen unverzüglich informieren und sich um einvernehmliche Klärung bemühen werden, Nr. 13 DO. Auffallend neben dieser ausführlichen und wiederholten Festlegung des Vorgehens bei Meinungsverschiedenheiten ist die Freundschaftsklausel in Art. 13 Vb., wonach sich die Vertragsschließenden bemühen werden, Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Vereinbarung auf freundschaftliche Weise zu beseitigen. Dies entspricht der Freundschaftsklausel des Art. 23 Hessischer Staatskirchenvertrag vom 18.2.1960, wobei damals heftig diskutiert wurde, ob eine Schiedsstelle eingerichtet werden sollte, die in Streitfallen unverbindliche Vorschläge machen sollte 5 2 . Im Jahr 1960 entschied man sich noch gegen die Einrichtung einer Schiedsstelle, da sich Staat und Kirche gem. Art. 2 und Art. 23 des Vertrages vom 18.2.1960 verpflichtet hatten, in strittigen Fällen miteinander Lösungen zu suchen 53 . Im Jahr 1979 wurde dann die Einrichtung einer staatlich-kirchlich besetzten Schlichtungsstelle beschlossen54. Staat und Kirchen in Hessen nehmen derartige Freundschaftsklauseln häufiger in staatlich-kirchliche Vereinbarungen auf 5 5 , wobei sich dies historisch begründbar auf Art. 12 des preußischen Kirchen Vertrages zurückführen läßt 5 6 .

50 An. 12 Abs. 1 Vb. 51 Art. 12 Abs. 2 S. 1 Vb. 52

So: Weispfenning, Walter, Neuere Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Hessen, in: ZevKR 24 (1979), S. 315 (330) 53 Weispfenningy Walter, Neuere Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Hessen, in: ZevKR 24 (1979), S. 315 (330) 54 Vgl. dazu unten Kapitel § 18 Abschnitt III 9. 55 Vgl. die bei Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I S. 743 ff abgedruckten Vereinbarungen: Art. VII des Vertrages vom 9. März 1963 (S. 747); § 6 der Vereinbarung vom 8. Januar / 2. / 5. / 10. / 16. April 1973 betr. Nebenberufliche Erteilung kath. Religionsunterrichts)(S. 762); Art. 12 Ergänzungsvertrag vom 29. März 1974 (S. 771); § 9 Vereinbarung vom 14 Juni 1984 betr. katholische Seelsorge in der Vollzugspolizei (S.800); Art. 23 Vertrag vom 18. Februar 1960 (S. 811); § 6 der Vereinbarung vom 8. / 15. Januar / 13. März / 10. Mai 1973 betr. Nebenberufliche Erteilung evangelischen Religionsunterrichts (S. 835); § 9 der Vereinbarung vom 18. / 21. / 30. Mai / 14. Juni 1984 betr. Evangelische Seelsorge in der Vollzugspolizei (S. 857) 56 Vgl. die Regierungsbegründung zum Vertrag des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen vom 18. Februar 1960; abgedruckt in Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 825

304

2. Teil: Die Rechtslage in den Lndern

e. Der Anstaltsseelsorger in kirchendienstlicher Hinsicht Trotz der Besonderheit der Stellung des Anstaltspfarrers im Rahmen des staatlichen Anstaltsgefüges gelten fur ihn die kirchenrechtlichen Vorschriften uneingeschränkt 57 . Übereinstimmend legen Vereinbarung und Dienstordnung fest, daß der Anstaltspfarrer im Dienst der jeweiligen Kirche steht und somit für seine Tätigkeit die Gottesdienst- und anderen Ordnungen der zuständigen Kirche Geltung beanspruchen 58. f. Dienstaufsicht und Visitationen Klar stellt Art. 2 Abs.2 Vb. die besondere Stellung des Anstaltsgeistlichen heraus, der betont, daß der Geistliche der Dienstaufsicht des Bischofs bzw. der Kirche untersteht 59 . Aufsichtliche Maßnahmen seitens des Staates sind nicht möglich, es sei denn, daß ein Fall schwerwiegender Gefahrdung der Sicherheit vorliegt, der ein Vorgehen gem. Art. 4 Abs. 6 Vb., also eine staatliche Untersagung jeglicher Tätigkeit rechtfertigen würde. Unterhalb dieser Gefährdungsschwelle sind staatliche Sanktionsmaßnahmen gegen den Geistlichen nicht möglich. Art. 9 Vb. berechtigt die Kirchen fur den Bereich zur Seelsorge zu Visitationen in den Justizvollzugsanstalten. g. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung Die übrigen dienstrechtlichen Regelungen hinsichtlich des Anstaltspfarrers, Urlaub, Fortbildung und Vertretung betreffend, finden sich in Art. 5 Abs. 1, 2, 3 Vb. und Nr. 9, 11 DO, wobei sich Urlaub und Dienstbefreiung nach den für Pfarrer allgemein geltenden Vorschriften richten60. Detailliert geregelt sind die Vertretungsvorschriften im Urlaubs- und Krankheitsfall, die im Zusammenwirken der Beteiligten unter Einbeziehung der Kirchenbehörde erfolgt 6 1 . Die Arbeitszeit des Anstaltspfarrers wird von ihm im Benehmen mit dem Anstaltsleiter gemäß den für den öffentlichen Dienst geltenden Vorschriften festgelegt 62 .

57 Art. 2 Abs. 1 S. 3 Vb. 58 Art. 2 Abs. 1 S. 1 Vb.; Nr. 2 DO 59 Art. 2 Abs. 2 S. 1 Vb 60 Art. 5 Abs. 1 Vb.; Nr. 11 S. 1 DO 61 Art. 5 Abs. 3 Vb.; Nr. 11 S. 3 DO « Nr. 10 S. 1 DO

§ 18 Hessen 3. Tätigkeitsfeld

305

des Anstaltsseelsorgers

a. Zuständigkeit Eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung, nach der der Anstaltsseelsorger seinen Dienst den Angehörigen seines Bekenntnisses erweist, ist in den Vereinbarungen nicht enthalten. Allerdings sieht Nr. 7 DO vor, daß der Anstaltspfarrer auf Wunsch der Gefangenen auch solche betreuen kann, die nicht seiner Konfession angehören. Dem ist zu entnehmen, daß im Normal fall die Gefangenen des entsprechenden Bekenntnisses betreut werden sollen.

b. Aufgaben Neben den in allen Ländern mit vertraglichen Vereinbarungen getroffenen Regelungen bzgl. Gottesdienst 63 , Einzelseelsorge 64, Beichte 65 , Sakramente 66 und Krankenseelsorge 67 werden hier als weitere Aufgaben des Anstaltsseelsorgers die Gruppenseelsorge einschließlich der Zellenbesuche68 genannt, wobei bei den seelsorgerischen Gesprächen des Anstaltsgeistlichen ausdrücklich zwischen seelsorgerischen Gesprächen mit einzelnen Gefangenen in deren Zellen und derartigen Gesprächen mit einzelnen oder Gruppen in Dienst- und Freizeiträumen differenziert w i r d 6 9 und auch der seelsorgerliche Beistand in Partnerschaftsangelegenheiten für die Gefangenen und ihre Angehörige zusätzlich erwähnt w i r d 7 0 . Zu den Aufgaben des Geistlichen wird ebenfalls die Erteilung von Unterricht gezählt 71 , der als religiöse Unterweisung oder als sonstige Hilfe zur Per« Art. 1 S. 2 Vb.; Nr. 4 a DO w Art. IS. 2Vb.;Nr. 4 d DO 65 Art. 1 S. 2 Vb.; Nr. 4 b DO 66 Art. 1 S. 2 Vb.; Nr. 4 b DO 67 Nr. 4 f DO 68 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Vb.; Nr. 4 d,e DO 69 Nr. 4d 1., 2. DO 70 Nr. 4 e DO 71 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Vb

20 Eick-Wildgans

306

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

sönlichkeitsbildung, in Gestalt von Gruppenarbeit, Kursen oder anderer Mitwirkung bei der Freizeitgestaltung erfolgen kann 7 2 . Auch sozial-caritatives Handeln, einschließlich der Mitwirkung bei der sozialen Hilfe, zählt zu den Aufgaben des Anstaltsseelsorgers 73. Die Wortwahl "Mitwirkung" bei der sozialen Hilfe zeigt, daß auch in Hessen die Kirchen zwar die soziale Dimension ihrer seelsorgerischen Tätigkeit vom Staat akzeptiert wissen wollen, gleichzeitig aber einer Rollenverschiebung des Seelsorgers zum Sozialarbeiter keinen Vorschub leisten wollen. Somit ist klargestellt, daß es ihnen unbenommen ist, in diesem Bereich mitzuwirken. Ein alleiniges Tätigwerden der Kirchen auf diesem Gebiet und ein staatlicher Rückzug werden von dieser Vereinbarung jedoch nicht gedeckt. Als weitere Aufgaben nennt die Dienstordnung die Vornahme sonstiger Amtshandlungen 74 , und ergänzt den seelsorgerischen Beistand fiir Gefangene und Anhörige durch die Kontaktaufhahme des Anstaltspfarrers zu den Kirchengemeinden der Gefangenen und deren Angehörigen 75 . Allerdings stellt sich bei einer so weitreichenden Aufgabe die Frage, ob der Anstaltspfarrer durch diese Erweiterungen nicht in zu starkem Maße belastet wird. Auch wird die Abhaltung von Besuchen aus besonderem seelsorgerischem Anlaß bei Zustimmung der Anstaltsleitung explizit gestattet, wobei die Zustimmung nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung verweigert werden darf 7 6 . Diese Bestimmung verdient besondere Betrachtung, da Gründe der Sicherheit und Ordnung normalerweise die Einschränkung auch der religiösen Rechte des Gefangenen rechtfertigen. Aus der besonderen Nennung an dieser Stelle kann gefolgert werden, daß bei allen übrigen Aufgaben, die der Seelsorger im Vollzug an den Gefangenen erfüllt, die Zustimmung der Anstaltsleitung nicht ausdrücklich erforderlich ist. So ist bei aller Einbindung kirchlicher Tätigkeit in den staatlichen Vollzugsdienst die Freiheit kirchlichen Wirkens zum großen Teil gewährleistet. Der Anstaltsseelsorger hat ferner ein Beratungs- und Mitwirkungsrecht bei der Anschaffung von Büchern für die Gefangenenbücherei 77, wobei sich die

72 N r .

4i

DO

73 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Vb; Nr. 4 j DO 74 Nr. 4 c DO 75 Nr. 4 g DO 76 Nr. 4 h DO r

,

§ 18 Hessen

307

Frage stellt, ob nicht die Gestattung der Mitwirkung genügt hätte, da diese auch die Beratung beinhaltet. Auch ist hier zu bezweifeln, ob diese Tätigkeit originär noch in den kirchlichen Zuständigkeitsbereich zu zählen ist. Ferner hat der Anstaltspfarrer ein Mitwirkungsrecht bei der Persönlichkeitserforschung des Gefangenen, Durchführung des Vollzugsplanes und der Freizeitgestaltung 78 , wobei er die Mitwirkung an der Persönlichkeitserforschung, ebensowie Äußerungen in Gnadensachen und Verfahren nach § 57 StGB in Einzelfällen ablehnen kann 7 9 . Die Formulierung, daß der Anstaltspfarrer diese Mitwirkung nur in Einzelfällen ablehnen kann, ist bedenklich, da somit auch aus dem Schweigen des Anstaltspfarrers Schlüsse gezogen werden könnten. Hier sollte generell die Freiheit des Anstaltspfarrers akzeptiert werden. Die Gewährleistung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses ist in Art. 1 Abs. 2 Vb ausdrücklich niedergelegt. Hinsichtlich der übrigen Anstaltsbediensteten zählt die Mitwirkung bei deren Aus-, Fort- und Weiterbildung zu den Aufgaben des Seelsorgers 80, wobei er zur Seelsorge an den Mitarbeitern bereit sein soll 8 1 . Sowohl in der Vereinbarung, als auch in der Dienstordnung ist die Bereitschaft zur Seelsorge an Bediensteten als "soll" festgehalten, was den Seelsorgern die Möglichkeit zur Ablehnung offen läßt. Hier sind Staat und Kirchen über die Vorgaben des Grundgesetzes hinausgegangen. Eigentlich wäre es Vollzugsbediensteten möglich, sich von ihrem Heimatpfarrer seelsorgerlich betreuen zu lassen. Somit ist bei ihnen nicht die staatliche Aufgabe zur Ermöglichung des Art. 4 GG gegeben. Allerdings stellt der Justizvollzug mit seinen Besonderheiten und Problemen auch die Bediensteten vor Schwierigkeiten, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn der Anstaltsseelsorger für die Bediensteten ein offenes Ohr hat. Soweit ihn dies nicht in seiner sonstigen Tätigkeit behindert, ist gegen eine vertraglich fixierte Bereitschaft zur Seelsorge an den Bediensteten nichts einzuwenden. Etwas verwunderlich ist Nr. 4 q DO, der als weitere Aufgabe des Anstaltsseelsorgers die Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit nennt. Hier ist offensichtlich nicht mehr Art. 4 GG Motiv einer staatlich-kirchlichen Vereinbarung. Selbstverständlich ist es Staat und Kirchen unbenommen, über einen

78 Art. 2 Abs. 3 S. 3 Vb; Nr. 4 η DO 79 Nr.5 DO 80 Nr. 4 ρ DO si Art. 3 Abs. 3 Vb.; Nr. 4 ο DO

20*

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2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Mindeststandard hinaus Aufgaben zu übernehmen, bzw. Rechte zu verleihen. Allerdings verleiten derartige Erweiterungen des kirchlichen Auftrags zu einer gewissen Konturlosigkeit kirchlichen Wirkens. Kirche und Staat sollten sich ihrer jeweiligen Stellung bewußt sein, und dem jeweils anderen nicht das eigene Rollenverständnis aufdrängen, oder sich in eine Rolle drängen lassen, die ihrem ursprünglichen Auftrag nicht mehr entspricht.

4. Organisationsfragen

Organisatorische Fragen wurden in der Vereinbarung bewußt ausgeklammert. Hier ist nur erwähnt, daß zu den Rechten des Anstaltspfarrers die Inanspruchnahme aller Einrichtungen zählt, die für seine Aufgabenerfüllung geeignet und erforderlich sind 8 2 . Entsprechend seiner Aufgaben hat er das Recht auf organisatorische Berücksichtigung im Vollzug. Die organisatorischen Einzelheiten sollten der Dienstordnung überlassen bleiben 83 . So regelt Nr. 6 lit. a - k DO detailliert die organisatorischen Voraussetzungen der Anstaltsseelsorge. Hier ist eine Anlehnung an die zeitlich vorausgehenden Dienstrichtlinien des Landes Rheinland-Pfalz unübersehbar 84. Es finden sich genaue Bestimmungen hinsichtlich der Weitergabe von persönlichen Daten der Gefangenen 85 , Aushändigung des Anstaltsschlüssels86, Kontakt im Dienstzimmer, in Zellen und in Gruppenräumen 87 , sowie der unverzüglichen Information des Anstaltsseelsorgers bei außergewöhnlichen Ereignissen 88 , wie Suizidversuchen, Todesfällen, Einlieferungen in Beruhigungszellen u.ä.. Im Vergleich zur rheinland-pfälzischen Dienstrichtlinie fällt die besondere Erwähnung der Aushändigung eines Anstaltsschlüssels zwecks selbständigen

82 Art. 3 Abs. 1 S. 1 Vb. 83 Art. 3 Abs. 4 Vb. 84 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 1 - 1 1 RhPfRiLi 85 Nr. 6 a DO 86 Nr. 6 b DO 87 Nr. 6 c DO r

d

§ 18 Hessen

309

Zugangs zu den Gefangenen auf 8 9 . Ebenfalls auffällig ist die Erweiterung der besonderen Vorkommnisse, über die der Anstaltsseelsorger zu informieren ist um den Punkt der "Einlieferung in die Beruhigungs- bzw. Arrestzelle" 90 . An diesem Punkt zeigt sich deutlich, daß sich die Tätigkeit der Kirchen als Tätigkeit für den Menschen, inbesondere den Menschen in besonderen Notsituationen versteht. Dabei sind in Notsituationen nicht mehr nur die nahezu "klassischen" Situationen wie Krankheit und Tod erfaßt, in denen der Mensch seelsorgerlichen Beistands bedarf. Die Kirche will auch den besonderen Verhältnissen im Justizvollzug gerecht werden und möchte daher auch o.a. vollzugsspezifische Situationen in ihren Verantwortungsbereich überstellt wissen. Bei den organisatorischen Fragen ist ferner geregelt, daß Gottesdienste und Veranstaltungen der Anstaltspfarrer im Rahmen der übrigen Veranstaltungen des Justizvollzugs berücksichtigt werden 91 . Bemerkenswert ist Nr. 6 e DO, der gegenüber den Kirchen die staatliche Verpflichtung der Zulassung der Gefangenen zur Teilnahme festlegt. Allerdings ist diese Verpflichtung "im Rahmen der geltenden Bestimmungen" 92 zu sehen. Somit hat auch in Hessen die Kirche nicht das Recht auf Teilnahme bestimmter Gefangener an ihren Veranstaltungen. Sie kann nur generell beanspruchen, daß Gefangene, die das Bedürfnis nach Kontakt mit der Kirche haben, bei denen keine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung besteht, zu kirchlichen Veranstaltungen zugelassen werden. Dieses Recht steht den Kirchen allerdings nach der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 54 HesV und Art. 141 WRV auch ohne zusätzliche Vereinbarung zu. In Ergänzung zu Art. 3 Abs. 1 S. 2, der generell den Anspruch des Anstaltspfarrers auf einen gottesdienstlichen Raum und ein Amtszimmer festlegt, regelt Nr. 6 f DO die Zuteilung geeigneter Räume für die Anstaltsseelsorge, wobei gleichzeitig ein Mitbestimmungsrecht des Anstaltspfarrers bei eventuellen Nutzungsänderungen festgeschrieben wird. Dabei erfolgt die Planung, Gestaltung und Einrichtung von Räumen für den Gottesdienst in Justizvoll-

89 Nr. 6 b DO 90 Nr. 6 d DO 91 Nr. 6 e DO r.

.

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2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

zugsanstalten in Hessen durch das Land im Einvernehmen mit den Kirchen 9 3 . Regelungen zu Räumlichkeiten enthält auch Nr. 6 g DO, in dem der Anspruch des Anstaltspfarrers auf ein eigenes Dienstzimmer mit Telefon, sowie ungehinderten Telefonaten gem. Nr. 6 h DO, niedergelegt ist. Hilfspersonal für Verwaltungs- und sonstige Arbeiten wird dem Anstaltsseelsorger in Nr. 6 i und j DO garantiert, ebenso wie die Bereitstellung ausreichender Mittel für den Sachbedarf 94. M i t Nr. 6 DO besteht eine umfangreiche Fixierung organisatorischer Einzelheiten, die in den meisten übrigen Ländern im Wege der einvernehmliche Absprache zwischen Anstaltsleitung und Anstaltspfarrer geregelt werden. Im Sinne einer organisatorischen Klarstellung ist der hessische Ansatz zwar zu begrüßen. Allerdings fragt sich, ob es mit Hilfe einer Generalklausel, die die Regelungsgegenstände nur andeutet und somit Raum für individuelle Regelungen läßt, nicht zu einer ebenso effektiven Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche kommen kann.

5. Finanzielle Regelungen

Finanzielle Regelungen treffen Art. 6 und 7 Vb., die bestimmen, daß das Land der Kirche die nach dem jeweiligen kirchlichen Bestimmungen zustehende Besoldung monatlich im voraus erstattet 95 . Dazu gewährt Hessen den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern die beamtenrechtlichen Beihilfen, Trennungsgeld, Reise- und Umzugskosten, sowie Vertretungskosten 96. Die Kirchen tragen die Versorgungslast für die Anstaltspfarrer 97 , wobei sich das Land Hessen anteilig in Höhe von 25 % daran beteiligt, sofern der Anstaltspfarrer länger als ein Jahr zur Anstaltsseelsorge zur Verfügung gestellt worden i s t 9 8 . Für nebenamtliche Anstaltspfarrer unterliegt die Entschädigung einer besonderen Regelung 99 .

93 Art. 3 Abs. 1 S. 3 Vb. 94 Nr. 6 k DO 95 Art. 6 Abs. 1 Vb. 96 Art. 6 Abs. 2 Vb. 97 Art. 7 Abs. 1 Vb. 98 Art. 7 Abs. 2 Vb. rt

s

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6. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

Nebenamtliche Anstaltsseelsorger finden in der Vereinbarung in Art. 1 Abs. 1 S. 1 und Art. 8 besondere Erwähnung. Ihre Rechtsstellung richtet sich gem. Art. 8 Abs. 1 Vb. nach einem eigenen Vertrag, auf den die Vorschriften der Vereinbarung entsprechend angewandt werden. Dieser Vertrag legt in § 2 des Vertrages fest, daß sich Rechte und Pflichten fiir den nebenamtlichen Anstaltsseelsorger aus der Vereinbarung vom 26.8.1977 und der Dienstordnung vom 1.9.1977, sowie dem Runderlaß des Minsiters der Justiz vom 30.9.1974 (JMB1. S. 441), neu in Kraft gesetzt durch den Runderlaß des Ministers ergeben. Somit ist das oben Dargestellte sinngemäß auf nebenamtliche Anstaltsseelsorger anzuwenden. § 3 des Vertrages überläßt die Zeiten des Gottesdienstes und der religiösen Unterweisung der Vereinbarung zwischen dem Anstaltsseelsorger und dem Anstaltsleiter. § § 4 und 5 des Vertrages enthalten finanzielle Regelungen, wobei für die Kultusbedürfhisse von Amts wegen gesorgt wird, und sich die Entschädigung des Seelsorgers nach Abschnitt I I des Runderlasses vom 30.9.1974, neu in Kraft gesetzt durch Runderlaß vom 21.12.1984, richtet. § 6 des Vertrages sieht die Beschäftigung von Gefangenen für den Geistlichen vor. § 7 des Vertrages legt die Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende fest, während § 8 des Vertrages Raum für Nebenabreden läßt.

7. Freiwillige

Mitarbeiter

und Seelsorgehelfer

Ehrenamtliche Mitarbeiter kann der Anstaltspfarrer gem. Art. 3 Abs. 2 Vb., Nr. 8 DO mit Zustimmung des Anstaltsleiters zu seiner Unterstützung mit heranziehen. Über die Art und Weise der Auswahl von Seelsorgehelfern ist eine spezielle Regelung getroffen worden, die "Richtlinien für die Bestellung von Seelsorgehelfern an hessischen Justizvollzugsanstalten vom 5. Mai 1984« 100 D i e s e legen fest, daß auf Vorschlag des Anstaltspfarrers im Benehmen mit dem Justizminister haupt-, neben- und ehrenamtliche Mitarbeiter berufen werden können, die im Strafvollzugsgesetz gem. § 157 Abs. 3 100 Richtlinien für die Bestellung von Seelsorgehelfern an hessischen Justizvollzugsanstalten, Bekanntmachung des Hessischen Ministers der Justiz vom 9. Mai 1984, JMB1. für Hessen, S. 361, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.)» Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987 Bd. I, S. 796 ff, 851 - im folgenden abgekürzt: RiLi

312

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

StVollzG als freie Seelsorgehelfer vorgesehen sind. Dabei wird die Vereinbarung, die eine dauerhafte Tätigkeit des Helfers sichern soll, der Kirche überlassen 101 . Ebenfalls in den Richtlinien festgelegt ist die Tätigkeit des Seelsorgehelfers zum Zweck der Seelsorge, wobei Schwerpunkte in Absprache mit dem Anstaltspfarrer gebildet werden können. Der Seelsorgehelfer gilt als Gehilfe des Pfarrers, sodaß ihm die Rechte gem. § 53 a StPO und ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen, wie Nr. 4 RiLi festschreibt. Nr. 5 RiLi verweist auf die entsprechende Geltung der Dienstordnung auch fur die Helfer. Die Kirche kann bei entsprechender Anzeige an das Justizministerium die Helfer abberufen 102 . Im übrigen gelten die Abberufungsmöglichkeiten gem. Art. 4 Abs. 6 Vb. Unklar ist die Regelung Nr. 7 RiLi, wobei die Möglichkeit der Hinzuziehung von freiwilligen Helfern und unterstützenden Gruppen sowie Seelsorgern von außen gem. Art. 3 Abs. 2 Vb. unberührt bleibt. Offensichtlich wird ein Unterschied gemacht zwischen Seelsorgehelfern, auf die die Richtlinien Anwendung finden, und freiwilligen Helfern, die nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinien fallen. Dies hätte zur Folge, daß der Anstaltsseelsorger bei freiwilligen Helfern teilweise freier wäre, als bei Seelsorgehelfern.

8. Konferenz

Eine Konferenz sowohl der evangelischen, als auch der katholischen Pfarrer an den hessischen Justizvollzugsanstalten wird zusammen mit Vertretern der Kirche und des hessischen Justizministers alljährlich von der Kirche einberufen 1 0 3 , um dort fachspezifische Fragen der Anstaltsseelsorge und des Justizvollzugs zu beraten.

101 Nr. 2 RiLi 102 Nr. 6 RiLi 1

rt

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313

9. Funktion und Arbeitsweise der Schlichtungsstelle

Eine Besonderheit im Land Hessen stellt die Einrichtung einer Schlichtungsstelle zwischen dem Staat und der evangelischen Kirche dar, welche in Erweiterung der Freundschaftsklausel gem. Art. 13 Vb., eingeführt wurde. In der "Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau" vom 9. April / 15. Juni 1979 1 0 4 ist festgehalten, daß die Kirchenleitung und der hessische Justizminister eine Schlichtungsstelle 105 einrichten, welche aus einem einvernehmlich von Kirche und Staat berufenen - ehrenamtlich tatigen 1 0 6 - Vorsitzendem mit der Befähigung zum Richteramt und jeweils zwei Vertretern der hessischen Kirchen und des Justizministeriums besteht 107 . Zuständig ist diese Schlichtungsstelle in Fragen der Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers, soweit sie zu Problemen über die Anwendung von Bestimmungen über den Justizvollzug führt, die nicht anders geklärt werden können 1 0 8 . Dabei sind sowohl Fragen, die allein die durch Ordination erworbenen Rechte betreffen, als auch Fragen der Gefahrdung der Sicherheit und Ordnung von dem Zuständigkeitsbereich der Schlichtungsstelle ausgeschlossen109. Dies ist eine folgerichtige Zuständigkeitsbegrenzung, da bereits in der Vereinbarung vom 26. August 1977 die kirchenrechtlichen Vorschriften als auch für Anstaltsseelsorger unberührt

104 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. I, S. 849 f

105 § ι der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979 106 § 7 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979 107 § 2 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979

108 § 3 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979 109 § 4 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979

314

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

weiter geltend deklariert worden s i n d 1 1 0 , ebenso wie der hessische Minister der Justiz sich bei Gefährdung der Sicherheit und Ordnung ein alleiniges Recht zur sofortigen Beendigung der Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers vorbehalten h a t 1 1 1 . Festgeschrieben ist in der Vereinbarung über die Schlichtungsstelle weiterhin, daß sie auf Verlangen der Kirchenleitung oder des Hessischen Ministers der Justiz tätig w i r d 1 1 2 , wobei sich der Vorsitzende zunächst um eine gütliche Beilegung bemüht und im Anschluß hieran einen Vermittlungsvorschlag macht 1 1 3 . Die Einrichtung einer derartigen Schlichtungsstelle ist im Sinne einer verfahrensmäßigen Klarheit bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und Kirche im Strafvollzug zu begrüßen. Auch ist durch die paritätische Besetzung die Wahrung der Interessen beider Seiten gewährleistet. Zudem ist eine sachgemäße Zuständigkeitsabgrenzung erfolgt. Rein kirchliche und rein staatliche Belange verbleiben bei den originären Institutionen. Allerdings stellt sich die Frage, ob solche prozeduralen Vorschriften bei einer grundsätzlich freundschaftlichen Haltung von Staat und Kirche in gemeinsam interessierenden Fragen notwendig sind. Zur Sicherstellung der gemeinsamen Klärung von Fragen, die sowohl die Kirche, als auch den Staat betreffen, ist die Einrichtung einer derartigen Schlichtungsstelle dennoch nicht abzulehnen und gegebenenfalls durchaus anderen Ländern zur Nachahmung zu empfehlen.

IV. Zusammenfassende Betrachtung Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das Zusammenwirken von Staat und Kirche im hessischen Justizvollzug in detaillierten Vereinbarungen geregelt worden ist. Kein anderes Land hat derart umfangreiche Vorschriften über

no Art. 22 Abs. 1 S. 3 Vb. i" Art. 4 Abs. 6 S. 1 Vb. 112 § 5 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979

113 § 6 der Vereinbarung über die Errichtung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle zwischen dem Hessischen Minister der Justiz und der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 9. April / 15. Juni 1979

§ 18 Hessen

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die Anstaltsseelsorge erlassen. Dennoch ist auch hier - vernünftigerweise keine Definition von Seelsorge versucht worden. Der Staat hat den Kirchen weiten Raum fur ihr Wirken im Strafvollzug geschaffen, ihnen gleichzeitig aber auch einen festen Rahmen vorgegeben, den sie nicht mehr überschreiten können. So kann das Wirken der Kirchen im hessischen Strafvollzug als ein gewisses Miteinander von Staat und Kirche angesehen werden, das jedoch das Prinzip der strikten Trennung von Staat und Kirche anhand von Vereinbarungen mit Zuständigkeitsabgrenzungen deutlich machen möchte. Die Kirche betont ihre Unabhängigkeit vom Staat, erkennt jedoch gleichzeitig die staatliche Autorität im Strafvollzug an. Sofern die Gefahr besteht, daß verfassungsrechtliche Vorgaben einseitig nicht akzeptiert werden, sind daher derart detailgetreue Vereinbarungen fur Staat und Kirche zu begrüßen. In Ländern, in denen sich beide Partner grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehen, und keiner um seine Stellung und seine Rechte fürchten muß, scheinen derartige Vereinbarungen, die alle Einzelheiten regeln, verzichtbar. Zur Vermeidung größerer Probleme und Rechtsunsicherheiten zwischen Staat und Kirche, die sich negativ auf das Recht der Glaubensfreiheit der Gefangenen und der Kirchen auswirken könnten, scheinen jedoch Vereinbarungen nach hessischen Vorbild nicht unangebracht. Auf diese Weise werden jedenfalls die Grenzen und Möglichkeiten staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens transparent gemacht.

§ 19 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Niedersachsen

I. Statistische Daten In den 24 Justizvollzugsanstalten mit 20 weiteren auswärtigen Abteilungen des Landes Niedersachsen befanden sich zum Stichtag 31. März 1990 insgesamt 4195 Strafgefangene, von denen 2656 (66,4 %) evangelischen und 823 (19,6 %) katholischen Bekenntnisses waren. 193 (4,6 %) Strafgefangene gehörten einem anderen Bekenntnis an, während 523 (12,5 %) keine Angaben machten1.

Ges.

ev.

%

kath.

%

son.

2656

66,4

823

19,6

193

%

o.Bek. %

1990 4195

4,6

523

12,5

Im Jahr 1989 waren 21, im Jahr 1990 22 Personalstellen für den seelsorgerischen Dienst im Justizvollzugsdienst im Haushaltsplan des Landes Niedersachsen ausgewiesen, was einer durchschnittlichen Zahl von 235 Strafgefangenen pro seelsorgerlichem Mitarbeiter entspricht. Darüberhinaus sind im seelsorgerischen Dienst zahlenmäßig nicht näher erfaßte weitere nebenamtliche bzw. nebenberufliche Mitarbeiter tatig 2 .

1 Die Angaben über die Konfessionszugehörigkeit der Strafgefangenen beruhen auf einem Schreiben des Justizministeriums von Niedersachsen vom 12.2.1991 an die Verfasserin, Gz: 4561 1-401. 40 2 Quelle: "Justizvollzug in Niedersachsen - Auszug aus den Statistiken, 15. Januar 1991, Tabelle 17

§ 19 Niedersachsen

317

II. Überblick über die Rechtslage in Niedersachsen D i e niedersächsische Verfassung enthält keine Erwähnung kirchlichen W i r kens i m staatlichen Strafvollzug 3 , was sich damit erklärt, daß es sich u m eine nachkonstitutionelle Verfassung handelt, die i n staatskirchenrechtlicher H i n sicht die Regelung des A r t . 140 G G übernommen h a t 4 . Aufgrund des gewachsenen Selbstbewußtseins der Kirchen nach 1945 k a m es zum Abschluß des vorbildhaften Loccumer Vertrages v o m 19. M ä r z 1955, der 1965 ergänzt w u r d e 5 . Regelungen zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Kirchen zum kirchlichen W i r k e n i m Justizvollzugsdienst finden sich daher in A r t . 6 des Loccumer Vertrags v o m 19. M ä r z 1955 6 , sow i e i n A r t . 3 des Ergänzungsvertrags zum Loccumer Vertrag 7 . M i t der katholischen Kirche kam 10 Jahre später eine Regelung zustande. So ist die Anstaltsseelsorge i n A r t . 11 des Konkordats v o m 26. Februar 1965 8 geregelt. Für nicht hauptamtliche Anstaltsseelsorger finden sich ferner finanzielle Regelungen i n der Allgemeinverfugung des Niedersächsischen Justiz-

3 Auch andere Fragen des Staatskirchenrechts sind in der Verfassung - abgesehen von Art. 56 nicht geregelt, vgl. Neumann, Heinzgeorg, Die Vorläufige Niedersächsische Verfassung. Handkommentar, 2. Aufl., Stuttgart, München, Hannover 1987, Art. 26 Rdn. 10 4 Sperling, Eberhard, Das Staatskirchenrecht, in: Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, Körte, Heinrich, Bernd Rebe u.a., 2. Aufl., Göttingen 1986, S. 706 5 Vgl. die Darstellung bei: Sperling, Eberhard, Das Staatskirchenrecht, in: Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, Körte, Heinrich, Bernd Rebe u.a., 2. Aufl., Göttingen 1986, S. 706 (717ff). 6 Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen (Loccumer Vertrag) vom 19. März 1955 (GVB1. S. 159) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 108 ff. 7 Ergänzungsvertrag vom 4. März 1965 zum Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955 (Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag) (GVB1. 1966, S. 3) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 138 ff. 8

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Lande Niedersachsen vom 26. Februar 1965 (GVB1. S. 192); abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 3 ff

318

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

ministeriums vom 21. Februar 1950 und 2. August 1971 9 . Für Seelsorgehelfer bzw. ehrenamtliche Mitarbeiter besteht eine staatliche Allgemeinverfugung 1 0 , die jedoch keine Besonderheiten für Mitarbeiter im seelsorgerischen Bereich aufweist, sodaß sie an dieser Stelle keiner näheren Erörterung bedarf.

III. Darstellung der rechtlichen Gestaltung der Anstaltsseelsorge 1. Kirchenvertragliche

Vereinbarungen

Der niedersächsische Kirchenvertrag von Kloster Loccum war nicht nur der zeitlich erste, sondern auch seinem Inhalt nach vorbildlich fur die Gestaltung eines partnerschaftlichen Verhältnisses von Staat und Kirche 1 1 . Es ging im Loccumer Vertrag um die Darstellung einer Gesamtkonzeption des Verhältnisses von Staat und Kirche 1 2 , in der dem Öffentlichkeitsauftrag der Kirche der ihm gebührende Platz eingeräumt wurde 1 3 . Im hier interessierenden Zusammenhang verdient Art. 6 Nds.KV eine nähere Erörterung. Eine Betrachtung der im Kirchenvertrag nebst Ergänzungsvertrag und der im Konkordat gefundenen Regelungen 14 , Art. 6 Nds.KV, Art. 3 ErgNdsKV und Art. 11 Nds.K zeigt weitgehende Übereinstimmung. In diesen Regelungswerken haben Staat und Kirchen sowohl die Einordnung der Anstalts9 Annahme und Entschädigung der Geistlichen bei den Justizvollzugsanstalten. AV vom 12. Februar 1950 (Nds. Rpfl. S. 33) i.d.F. d. AV vom 2. August 1971 (Nds. Rpfl. S. 196) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 10 Ehrenamtliche Mitarbeiter in Justizvollzugsanstalten. AV vom 15. August 1979 (Nds. RPfl. S. 215) i.d.F. d. AV vom 13. April 1984 (Nds. RPfl. S. 114) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 11 vgl. zum Loccumer Vertrag: Scheuner, Ulrich, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zum Staatsgesetz. Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58), 1 (12 ff) 12

May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (69) 13 Smendy Rudolf, Der niedersächsische Kirchenvertrag und das heutige Staatskirchenrecht, in: JZ 11 (1956), 51 f 14 vgl. die Darstellung: Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 - 282

§ 19 Niedersachsen

319

seelsorge in dienstrechtlicher Hinsicht als auch finanzielle Regelungen getroffen. Dabei lehnt sich Art. 11 NdsK zunächst an die Regelung des Art. 6 Nds.KV an 1 5 . In diesen Vereinbarungen verpflichtet sich das Land in näherer Ausgestaltung des Art. 140 GG / 141 W R V 1 6 zur Zulassung der örtlich zuständigen Pfarrer zu seelsorgerlichen Besuchen und kirchlichen Handlungen 17 . Hier wird bei entsprechender Bediirfhislage nach hauptamtlichen Seelsorgern die Bestellung der Anstaltsseelsorger durch das Land im Einvernehmen mit den Kirchen 18 vorgenommen. Auffällig ist die Bestellung der Anstaltsseelsorger allein durch das Land. Diese Regelung, die in der Vereinbarungen anderer Länder in den Jahren ab 1960 dahingehend erweitert wurde, daß Anstaltsseelsorger sowohl vom Land, als auch von der Kirche bestellt werden können 19 , zeigt die Stellung des niedersächsischen Kirchenvertrags als zeitlich erste Vereinbarung. Dabei hat sich in Niedersachsen die evangelische Kirche zur Einrichtung einer Anstaltsgemeinde verpfliehtet 20 . Das Konkordat aus dem Jahr 1973 hat ausdrücklich finanzielle Regelungen aufgenommen, wobei sich das Land zur vollständigen Kostenübernahme der hauptamtlichen Anstaltsseelsorge verpflichtet 21 . Hinsichtlich der nicht hauptamtlichen Anstaltsseelsorge wurde eine angemessene Beteiligung des Landes vereinbart, soweit durch die Übernahme der Anstaltseelsorge durch örtliche Pfarrer eine außerordentliche Belastung eintritt 2 2 . Diese - im Vergleich zum Kirchenvertrag mit der evangelischen Kirche von 1955 - neue Regelung entstand aufgrund eines Erfahrungsaustausches mit der evangelischen Kirche 2 3 . Dem verfassungsrechtlichen Paritätsgrundsatz 24 15 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (235) 16 Regierungsbegründung des Nds. Landtags, Dr. Nr. 1906, S. 4415, abgedruckt in Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 122

17 Art. 6 S. 1 Nds.KV; Art. 11 Abs. 1 S. 1 Nds.K. 18 Art. 6 S. 2 Nds.KV; Art. 11 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. Nds.K. vgl. Art. 16 HesKV; Art. 21 RhPFKV; 20 Art. 6 S. 3 Nds.KV 21 Art. 11 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. Nds.K. 22 Art. 11 Abs. 1 S. 3 Nds.K. 23 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (235)

320

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

entsprechend, hatte die Regelung im Konkordat mit der katholischen Kirche eine Ergänzung der Vereinbarung mit der evangelischen Kirche zur Folge 2 5 . So wurde im Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag vom 4. März 1965 in der Folge des Konkordats auch mit der evangelischen Kirche die staatliche Kostenübernahme im Rahmen der hauptamtlichen Seelsorge fur personelle und sachliche Aufwendungen vertraglich fixiert 2 6 . Daneben wurde die finanzielle Regelung der nichthauptamtlichen Anstaltsseelsorge mit der katholischen Kirche wörtlich in den evangelischen Ergänzungsvertrag übernommen 2 7 . Eine Erweiterung 28 fand in der Folge im Protokoll zum Ergänzungsvertrag statt, in dem niedergelegt wurde, daß bei der Planung von Anstaltsneubauten ein gottesdienstlicher Raum vorgesehen werden soll 2 9 . Ohne Übernahme blieb die Aussage in der katholischen Vereinbarung, daß die vom Land angestellten Anstaltsgeistlichen im Hinblick auf ihre seelsorgerliche Funktionen der Disziplinargewalt des Diözesanbischofs unterstehen - unbeschadet der Disziplinargewalt des Landes 30 .

2. Weitere Regelungen zu religionsbezogenen Rechten im Strafvollzug

31

Die Teilnahme von Gefangenen an religiösen Veranstaltungen war Gegenstand eines Rundschreibens des Justizministeriums vom 6. Juni 1986 an die

24 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (271) 25 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (236)

26 Art. 3 Abs. 1 ErgNdsKV 27 Art. 3 Abs. 2 ErgNdsKV 28 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (236) 29 Abschließendes Protokoll (Anlage zum Protokoll über die Verhandlung am 4.3.1965) vom 4. März 1965, 3. zu Artikel 3; abgedruckt in Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. Π, S. 146 30 Art. 11 Abs. 2NdsK 31 Mein besonderer Dank gilt Herrn Henze vom niedersächsischen Justizministerium fur die Bereitstellung der im folgenden besprochenen Materialien zur Anstaltsseelsorge.

§ 19 Niedersachsen

321

Justizvollzugsanstalten des Landes Niedersachsen 32. Im Rahmen einer Anstaltsleiterkonferenz 1990 wurden weitere Gesichtspunkte kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug erörtert 33 . Dabei beschränkten sich diese Ergebnisse schwerpunktmäßig auf die den Gefangenen direkt betreffenden religionsbezogenen Fragen. Es wurde klargestellt, daß das in § 54 Abs. 1 StVollzG niedergelegte Recht des Gefangenen auf den Besuch religiöser Veranstaltungen Ausfluß des Grundrechts der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG i s t 3 4 , und nur unter den eng begrenzten Voraussetzungen des § 54 Abs. 3 StVollzG aus in der Person des Gefangenen liegenden Gründen eingeschränkt werden darf 3 5 . Zwar wurden 1986 unter religiösen Veranstaltungen gem. § 54 StVollzG Bibelstunden, Sakramentsfeiern, Andachten und Evangelisationsfeiern verstanden 36 , jedoch ist dieses Verständnis zugunsten einer weiteren Auffassung im Jahr 1990 aufgegeben worden, sodaß jetzt - im Gegensatz zur Auffassung des OLG Koblenz, NStZ 88, 525 - auch von Seelsorgern geleitete Gesprächskreise in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten unter den Begriff der religiösen Veranstaltung gezogen werden 37 . Dieses Verständnis beruht auf der Haltung des Staates, daß religiöse Veranstaltungen auch solche sind, die den Gefangenen Gemeinschaftserlebnisse mit "Elementen religiöser Erfahrung erlebbar" machen 38 . In diesem Zusammenhang wird betont, daß allein bei überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung, § 54 Abs. 3 StVollzG, Gefangene von religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden dürfen 39 . Der überragende Rang der verfassungs-

32 Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35 33 Auszug eines Ergebnisprotokolls einer Anstaltsleiterkonferenz in Niedersachsen vom April 1990 34 Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 1 Nr. 1 35 Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 1 Nr. 2 36

Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 1 Nr. 3 37 Auszug eines Ergebnisprotokolls einer Anstaltsleiterkonferenz in Niedersachsen vom April 1990 38 Auszug eines Ergebnisprotokolls einer Anstaltsleiterkonferenz in Niedersachsen vom April 1990 39 Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 2; Auszug eines Ergebnisprotokolls einer Anstaltsleiterkonferenz in Niedersachsen 21 Eick-Wildgans

322

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

rechtlichen Bedeutung der Religionsfreiheit soll auch und gerade im Justizvollzug Berücksichtigung finden 40 . Dem entspricht auch die Anweisung, daß die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen auch dann gewährleistet werden soll, wenn diese außerhalb der üblichen sonntäglichen Vormittagszeiten stattfinden 41 . Hinsichtlich Angehörigen nichtchristlicher Religionen soll im niedersächsischen Strafvollzug der Regelung des § 54 Abs. 2 StVollzG Rechnung getragen werden, nach der Gefangene - ohne spezielle Genehmigung des Anstaltsleiters - an Veranstaltungen eines Bekenntnisses teilnehmen können, auch wenn sie nicht diesem Bekenntnis angehören, sofern der betroffene Seelsorger zustimmt 42 .

IV. Zusammenfassende Betrachtung Das Verhältnis von Staat und Kirche im Justizvollzug des Landes Niedersachsen ist geprägt von einem einvernehmlichen Miteinander zugunsten der Gewährleistung der religiösen Rechte des Strafgefangenen. Die Gefängnisseelsorge wird staatlicherseits als unverzichtbar angesehen, wobei klar erkannt, wird, daß die Kirche den Gefangenen Hilfe gibt, zu sich selbst zu finden 4 3 . Ohne detaillierte Vereinbarungen, sondern allein aufgrund der Rahmenbedingungen, die durch den Kirchenvertrag nebst Ergänzungsvertrag mit der evangelischen Kirche, und durch das Konkordat mit der katholischen Kirche geschaffen wurden, in Verbindung mit der Respektierung der verfassungsrechtlichen Aussagen ist es in diesem Land gelungen, eine den Aussagen des Grundgesetzes gemäße kirchliche Tätigkeit im Justizvollzug zu garantieren. Staat und Kirche verstehen hier ihr Verhältnis im Sinne einer

vom April 1990 40

Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 3 41

Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 1 403. 35, S. 3 Nr. 4 42 Rundschreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 6. Juni 1986 4561 I 403. 35, S. 3 Nr. 5 43 Vgl. die Darstellung der niedersächsischen Justizministerin Alm-Merk vom 4.3.1992, abgedruckt in: SZ Nr. 53 4.3.1992, S. 6

§ 19 Niedersachsen

323

"freiheitlichen Ordnung" 44 . Beide Partner berücksichtigen die Interessensphäre des anderen, um dessen Belange im Justizvollzug sinnvoll zugunsten des Strafgefangenen in den Behandlungsvollzug zu kombinieren. Das Land Niedersachsen erkennt den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen auch und gerade im Strafvollzug an 4 5 . Dabei finden staatlicherseits sowohl die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes, als auch die individuellen religionsbezogenen Rechte adäquate Berücksichtigung. Ein derartiges Zusammenwirken von Staat und Kirche ohne konkretere Regelungen läßt den Rückschluß auf ein erfolgreiches Bemühen um Verständigung auf beiden Seiten zu. Diese bewußte Offenheit stößt erst dann an die Grenzen der Praktikabilität, wenn ein Partner den bisher gezeigten Respekt vor der Eigenständigkeit des anderen verlieren sollte, was jedoch in Niedersachsen nicht zu befürchten ist.

44 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (280) 45 Mahrenholz, Ernst Gottfried, Das niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67), S. 217 (281)

21

§ 20 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Nordrhein-Westfalen

I. Statistische Daten In den 38 Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen befanden sich zum Stichtag 31.3.1989 11.206 Strafgefangene 1, von denen 4.484 (40,01 %) evangelischen und 5.243 (46,79 %) katholischen Bekenntnisses waren 2 . 607 (5,41 %) Strafgefangene waren anderen Bekenntnisses, wobei diese Bekenntnisse statistisch nicht erfaßt werden, und 872 (7,78 %) Strafgefangene keine Angaben machten bzw. ohne Bekenntnis waren. Zum 31.3.1990 befanden sich 11.055 Strafgefangene im nord rhein-westfali sehen Strafvollzug, von denen 4.301 (38,91 %) evangelischen, 5.121 (46,32 %) katholischen und 655 (5,92 %) anderen Bekenntnisses waren. 978 (8,85 %) Strafgefangene waren ohne Angaben bzw. ohne Bekenntnis3. Es handelt sich hierbei um die Strafgefangenen ohne die ca. 3600 Untersuchungsgefangenen und sonstigen Gefangenen (Zivil- oder Abschiebehaft). Ges.

ev.

1989 11206 4484 1990 11055 4301

%

kath.

%

son.

%

o.Bek. %

40,1

5243

46,8

607

5,4

872

7,8

38,9

5121

46,3

655

5,9

978

8,9

1 An dieser Stelle sei dem Justizministerium von Nordrhein-Westfalen, insbesondere Herrn Springer, aufrichtigen Dank gesagt fiir die umfangreichen und arbeitsintensiven Informationen, die der Verfasserin fiir diese Arbeit zur Verfugung gestellt wurden.

2 Quelle: Schreiben des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, Az: 4561 E - IV Α. 228 3 Quelle: Schreiben des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin

§ 20 Nordrhein-Westfalen

325

Diesen Strafgefangenen steht eine Stellenanzahl von 58,75 hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern gegenüber. Diese 58,75 Stellen teilen sich auf in 27,25 Stellen für die katholische und 31,50 Stellen für die evangelische Kirche. Zu den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern in Nordrhein-Westfalen zählen alle für den Dienst im Vollzug abgestellten Seelsorger, sowohl die als Landesbeamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes Beschäftigten, als auch die im Wege des Gestellungsvertrages verpflichteten Seelsorger. Zu den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern treten 56 nebenamtliche Anstaltsseelsorger, wobei hier 27 katholische und 29 evangelische Seelsorger den Dienst versehen. Zwei Stellen für hauptamtliche Anstaltsseelsorger waren zur Zeit der Erhebung nicht besetzt. Interessant ist die Aufteilung der hauptamtlichen Seelsorger, von denen 27 ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit / auf Probe übernommen worden sind, während 9,5 Stellen von Angestellten des Öffentlichen Dienstes wahrgenommen werden. 22,25 Anstaltsseelsorger sind in Diensten der Kirche verblieben und im Wege des Gestellungsvertrages als Anstaltsseelsorger tätig 4 . Die nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind alle in kirchlichen Diensten.

II· Überblick über die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen 1. Verfassungsrechtliche

Regelungen

Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 19505 enthält in Art. 20 N R W V 6 eine Regelung zum Wirken der Kirchen im Justizvollzug. Hinsichtlich der allgemeinen staatskirchenrechtlichen Lage 7 in Nordrhein-

4

Quelle: a.a.O., S. 6

5

Zur Entstehungsgeschichte: Bauer, Joachim, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Land Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Münster 1968, S. 80 ff 6 Abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

Bestimmungen über die Seelsorge in

7 Vgl. als ältere Darstellung hierzu: Mikat, Paul, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/Opladen 1966

326

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Westfalen 8 ist auffallig, daß die Landesverfassung 9 die Grundrechte des Grundgesetzes, wie auch Art. 140 GG - somit auch Art. 141 WRV - zu unmittelbar geltendem Landesrecht erklärt 1 0 , und parallel dazu eine eigene Garantie der Anstaltsseelsorge in Art. 20 NRWV landesverfassungsrechtlich fixiert wird. M i t dieser Art der Regelung wird einerseits deutlich, daß das Grundgesetz lediglich einen gewissen Rahmen 11 für die Regelungen der Länder mit den Kirchen schafft 12 , andererseits betont 13 das Land NordrheinWestfalen, von der gegebenen Kompetenz auch Gebrauch machen zu wollen, indem es staatskirchenrechtliche Normen in seine Verfassung aufnimmt. Ferner fixiert Art. 22 NRWV die Geltung des Art. 140 GG, obwohl dieser als Bundesrecht auch ohne ausdrückliche Nennung für Nordrhein-Westfalen verbindlich wäre 1 4 . Dabei ist die doppelte Sicherung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse im Land Nordrhein-Westfalen hinsichtlich möglicher Verfassungsbeschwerden zum Landesverfassungsgericht zwecklos, da diese hier nicht vorgesehen sind 1 5 . Im Falle einer abstrakten, und auch einer konkreten Normenkontrolle jedoch wäre die Anrufung des nordrhein-westfälisehen Verfassungsgerichtshofs möglich 1 6 . 8

Neuere Darstellung bei: Schiaich, Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 - 745 9 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Verfassung von Nordrhein-Westfalen: Bauer, Joachim, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Land Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Münster 1968, S. 80 ff

10 Schiaich, Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 (709) 11

Mikat y Paul, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/Opladen 1966, S. 11 12

Ausführlich zum Verhältnis zwischen den staatskirchenrechtlichen Artikeln der WRV und NRWV: Bauer, Joachim, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Land Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Münster 1968, S. 104 ff 13 Mikat, Paul, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/Opladen 1966, S. 12

14 Vgl. Vogels y Alois, Die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. Handkommentar, Stuttgart, Köln 1951, Art. 22 Nr. 2 Schlaichy Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 (709) 16 Schlaichy Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 (710)

§ 20 Nordrhein-Westfalen

327

Über Art. 140 GG / 141 WRV hinaus wird Kirchen und Religionsgemeinschaften in Art. 20 der Verfassung 17 von Nordrhein-Westfalen das Recht zur Seelsorge und zu Gottesdiensten in Strafanstalten zugestanden18, ohne gemäß der grundgesetzlichen Regelung die Voraussetzung einer Bedürfhislage in der Verfassung zu fixieren 19 . Es geht also die landesverfassungsrechtliche Bestimmung über die grundgesetzliche Garantie hinaus, indem sie auf eine spezielle Bedürfhisprüfung verzichtet.

2. Verträge

und Vereinbarungen

Zwar gelten in Nordrhein-Westfalen gem. Art. 23 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen das Preußische Konkordat vom 14. Juni 1929 20 und der Preußische Staatskirchenvertrag vom 29. Juni 1931 21 noch fort. Diese enthalten jedoch keinerlei Regelungen zur Anstaltsseelsorge. Neuere staatskirchenvertragliche Regelungen 22 über die Anstaltsseelsorge wurden weder mit der katholischen, noch mit den evangelischen Kirchen getroffen, sodaß hinsichtlich kirchlichen Wirkens im Strafvollzug nur von der Fortgeltung des Art. 28 RK auszugehen ist. Es kann hier nicht auf konkrete staatlich-kirchliche Vereinbarungen zurückgegriffen werden, wie sie in Ländern mit neueren Vereinbarungen bestehen23. Allerdings wurde im Benehmen mit dem Justizministerium für die evangelischen Strafanstaltspfarrer im Jahr

>7 Vgl. auch Kapitel § 11 Abschnitt II. 18

Beutler, Bengt, Das Staatsbild in den Länderverfassungen nach 1945, Berlin 1973, Schriften zum Öffentlichen Recht Band 221, S. 173 Geller / Kleinrahm, Kurt, Fleck, Hans-Joachim, Die Verfassung des Landes NordrheinWestfalen, Kommentar, 2. Aufl., Göttingen 1963, Art. 20 / 3 a 20 Abgedruck in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 707 ff

21 Abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 759 ff 22 Vgl. die Darstellung zum Vertragsstaatskirchenrecht in Nordrhein-Westfalen bei: Bauer, Joachim, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Land Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Münster 1968, S. 156 ff 23 Schiaich, Klaus, Staatskirchenrecht, in: Grimm, Dieter, Papier, Hans-Jürgen, (Hrsg), Nordrhein-westfalisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986, S. 704 (712)

328

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

1963 eine kirchlichen Dienstordnung 24 in Kraft gesetzt, die die allgemeine Dienstfiihrung, Aufgaben wie Gottesdienst, Veranstaltungen, Seelsorge, Fürsorge und Visitation regelt. Für die katholische Kirche gilt noch die im Einvernehmen mit dem Staat erlassene Pastoralinstruktion für katholischen Geistliche an den Gefangenenanstalten der Justizverwaltung in Preußen 25 aus dem Jahr 19?5, die sich ebenfalls zum Verhältnis von Kirche und Staat im Strafvollzug äußert.

3. Regelungen für nicht hauptamtliche Seelsorger und Seelsorgehelfer

Daneben existiert für die nicht hauptamtlichen Anstaltsseelsorger eine RV der Justizministeriums vom 30. Dezember 1976 26 . Zudem wird die Seelsorge durch Seelsorger, die aus besonderem Anlaß hinzugezogen werden können durch die RV des Justizministeriums vom 25. Juli 1986 besonders geregelt 27 . Für ehrenamtliche Mitarbeiter bestimmt die AV des Justizministeriums vom 2. Dezember 1977 28 deren Tätigkeit. Dabei finden sich jedoch keine Besonderheiten für die seelsorgerlich tätigen ehrenamtlichen Helfer, sodaß diese Regelung hier nicht näher vorgestellt wird.

24 AV d. JM vom 22. Februar 1963, Az: 4561 - III C. 9 - JMB1. NRW S. 65, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kap. 4. NRW 2 bzw. 5. NRW 2 c 25 JMB1. vom 14. September 1925, S. 353, abgedruckt in: Rehbom, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J., Kapitel C XXIII, 1 26 Az: 4561 . IV B. 6, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 26 Abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 21 Az: 4561 - IV B. 7, abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

28 Az: 4450 - IV B. 56 - Vgl. JMB1. NW 1978 S. 5; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

§ 2 0 Nordrhein-Westfalen

329

III. Darstellung der Regelungen kirchlichen Wirkens im Strafvollzug 1. Überblick über die Inhalte des Gestellungsvertrages, und der Pastoralinstruktion

der Dienstordnung

Für die Anstaltsseelsorger gelten demnach neben den verfassungsrechtlichen und strafvollzugsrechtlichen Vorgaben die Regelungen ihrer Kirchen, die jeweils im Einvernehmen mit dem Staat erlassen wurden, also die kirchliche Dienstordnung für die evangelischen Strafanstaltspfarrer aus dem Jahr 1962 / 6 3 2 9 und die Pastoralinstruktion für die katholischen Geistlichen an den Gefangenenanstalten der Justizverwaltung in Preußen aus dem Jahr 1925 30 . Ein Dokument der neueren Zeit, welches im Zusammenwirken von Staat und Kirche entstanden ist, stellt der Gestellungsvertrag dar, der Verwendung findet, wenn der Geistliche im staatlichen Strafvollzug arbeiten, aber in kirchlichen Diensten verbleiben soll. Daher wird anhand des Gestellungsvertrages die Rechtsstellung der Anstaltsseelsorger erörtert, jeweils unter Hinweis auf die entsprechenden Formulierungen in der Dienstordnung und der Pastoralinstruktion. Der Gestellungsvertrag 31 regelt in 9 Paragraphen Entsendung, Aufgaben, anzuwendende Rechtsvorschriften, Fragen der Aufsicht und des Dienstverhältnisses einschließlich Urlaub und Kündigung, und finanzielle Fragen. Darüberhinaus beinhaltet er eine Freundschaftsklausel. Die evangelische Dienstordnung enthält Regelungen zur allgemeinen Dienstführung, zur dienstrechtlichen Stellung, zu den geistlichen, seelsorgerlichen und fürsorgerischen Aufgaben des Anstaltsseelsorgers, zur Amtsverschwiegenheit und zu Visitationen.

29

Abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff, Kap. 4. NRW - 2 und 5. NRW - 2 b, c 30 Abgedruckt in: Rehborn, Günter (Hrsg.), Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) - Vorschriftensammlung -, Hamm o.J., Kapitel C XXIII,1

31 Künftig GV abgekürzt

330

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Die Pastoralinstruktion ist eine umfangreiche Darstellung des kirchlichen Auftrags im staatlichen Strafvollzug, wobei sie sich sowohl mit der Seelsorgsgemeinde und dem Seelsorger als auch mit der Gefangenenseelsorge, ihren Aufgaben und ihren Mitteln detailliert auseinandersetzt.

2. Stellung der Seelsorge

Die allgemeine Situation der Anstaltsseelsorge in Nordrhein-Westfalen ist geprägt von der Anerkennung des Grundsatzes der religiösen Neutralität des Staates32, ohne daß diese Feststellung jedoch konkret in den Gestellungsvertrag aufgenommen worden wäre. Allerdings erwähnt § 2 Abs. 2 des GV Art. 140 GG, sowie Art. 20 der Landesverfassung, als die Vorschriften, innerhalb der sich der Dienst des Anstaltspfarrers vollzieht. Somit sind die staatskirchenrechtlichen Grundsätze in den GV mit einbezogen worden, ohne ausdrücklich die Seelsorge als kirchliche Aufgabe zu betonen. Die Dienstordnung stellt gleich zu Beginn fest, daß die Kirche im Strafvollzug den von Gott gegebenen Auftrag zur Bezeugung seines Reiches und seiner Herrschaft zu verkünden hat 3 3 , ohne sich jedoch zum Verhältnis zum Staat näher zu äußern. Dagegen widmet die Pastoralinstruktion drei längere Passagen dem Verhältnis von Staat und Kirche, wobei die Besserung des Gefangenen als gemeinsame Aufgabe von Kirche und Staat angesehen wird. Die Pastoralinstruktion spricht vom gleicherweise anerkannten Strafzweck der Besserung, den die beiden Kräfte Staat und Kirche nur auf den ihnen eigentümlichen Wegen, also natürlich und humanitär bzw. mit religiösen und übernatürlichen Mitteln erreichen wollen 3 4 . Es erfolgt keine Abgrenzung zum Staat, sondern eine fast als bedingungslose Einordnung kirchlichen Wirkens in den Strafvollzug zu bezeichnende Vereinigung staatlichen und kirchlichen Handelns. Die Formulierung zeigt deutlich die im Jahr 1925 noch zu beobachtende Parallelität, bisweilen Identifikation staatlichen und kirchlichen Handelns.

32 Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 3 33

DO Abschnitt I.

54 Pastoralinstruktion Nr. 1., 2. und 3.

§ 20 Nordrhein-Westfalen

331

3. Statusbezogene Regelungen

In § 2 Abs. 2 des Gestellungsvertrages wird auf die Geltung der kirchlichen Dienstordnung für den evangelischen Anstaltspfarrer hingewiesen, ebenso wie auf die staatlichen Regelungen des Art. 4, 140 GG, Art. 20 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und §§ 53, 54 StVollzG. Gleichzeitig wird der Anstaltspfarrer zur Einhaltung der für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt erlassenen Regelungen verpflichtet 35 . Daneben verpflichtet sich in § 1 des Gestellungsvertrages der vertragsschließende Kirchenkreis, den jeweiligen Anstaltsseelsorger mit seiner vollen Arbeitskraft zur Ausübung der Aufgaben eines Anstaltsseelsorgers zu entsenden. Es wird betont, daß der Pfarrer in kein Dienstverhältnis zum Land Nordrhein-Westfalen tritt, § 4 Abs. 1 des Gestellungsvertrages, sondern zum Land in einem Beschäftigungsverhältnis besonderer Art steht, § 4 Abs. 1 S. 2 des Gestellungsvertrages. Für dieses Vertragsverhältnis sui generis gelten die Bestimmungen des Pfarrerdienstgesetzes der Evangelischen Kirche im Rheinland und die Kirchenordnung entsprechend. Festgeschrieben wird die Nichtbegründung eines Übernahmeanspruchs in den Landesdienst durch die Tätigkeit als Anstaltspfarrer in der Justizvollzugsanstalt, § 4 Abs. 2 GV. So üben die Geistlichen ihre Tätigkeit entsprechend dem jeweiligen kirchlichen Auftrag aus, wobei sich die näheren Regelungen aus der Dienstordnung bzw. der Pastoralinstruktion ergeben. Zur dienstrechtlichen Stellung enthält die Dienstordnung nur die Vorschrift, daß der Pfarrer seinen Dienst gemäß dem Ordinationsgelübde, der Dienstordnung der Kirche und der Dienstordnung ausübt, gleichzeitig die gesetzlichen Vorschriften und Anordnungen zu beachten hat 3 6 . Entsprechend der Pastoralinstruktion hat der Anstaltsseelsorger die Bestimmungen der Dienst- und Vollzugsordnung, der Hausordnung und die Anordnungen des Anstaltsleiters zu befolgen 37 . Es wird deutlich hervorgehoben, daß der Anstaltsleiter nicht befugt ist, in rein kirchliche Maßnahmen einzugreifen 38 .

35

§ 2 Abs. 2 S. 2 des Gestellungsvertrages

36 DO Abschnitt I. Nr. 1 37 Pastoralinstruktion Nr. 11 38 Pastoralinstruktion Nr. 11

332

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

a. Berufung und Versetzung Kündigungsregelungen finden sich in § 8 Abs. 1 des Gestellungsvertrages, der die schriftliche Kündigung von jedem der beiden Vertragspartner mit einer Frist von 3 Monaten zum Schluß des Kalenderjahres vorsieht. Die Pastoralinstruktion schlägt in Nr. 8 vor, daß der Gefangenenseelsorger entweder als Beamter hauptamtlich angestellt, oder durch Vertrag angenommen und zugelassen wird und regelt detailliert das Bewerbungsverfahren, einschließlich der Vereidigung des Seelsorgers 39. Für die verbeamteten Seelsorger gelten die einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften, während für die angestellten Anstaltspfarrer des Öffentlichen Dienstes der übliche Mustervertrag gem. Anhang 2 zu § 4 BAT Verwendung findet.

b. Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern / Zusammenarbeitsgebot Der GV enthält keine Regelung, die das Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern näher erläutert. Von der Geltung des Zusammenarbeitsgebots gem. § 154 Abs. 1 StVollzG wird staatlicherseits ausgegangen40, auch wenn ein ausdrücklicher Verweis auf die Geltung dieser Vorschrift in § 2 Abs. 2 GV unterblieben ist. Eine Zusammenarbeit mit den Vollzugsbehörden im Bereich der Organisation ist Voraussetzung einer sinnvollen kirchlichen Arbeit im Strafvollzug. Speziell bei Tätigkeiten, die die Arbeitsbereiche anderer Dienste berühren, wird eine enge Zusammenarbeit erwartet 41 . Es sieht die Dienstordnung vor, daß der evangelische Pfarrer zur Mitarbeit an der Ausbildung der Vollzugsbediensteten bereit ist, und diese auch seelsorgerlich betreut. Er ist berechtigt, an den Vollzugskonferenzen teilzunehmen und weiß sich der guten Atmosphäre in der Anstalt verpflichtet 42 . Die Pastoralinstruktion betont die Verpflichtung des Seelsorgers, ein gutes Verhältnis mit den anderen Bediensteten und dem Anstaltsleiter zu pflegen. Daneben sollte er an der Ausbildung der Bediensteten mitwirken 4 3 .

39 Vgl. Pastoralinstruktion Nr. 9 40 Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 4 41 Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 4

42 Vgl. DO Abschnitt II Nr. 5 4Pastoralinstruktion Nr.

§ 2 0 Nordrhein-Westfalen

333

c. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten Sofern Konfliktfälle auftreten, sind sowohl die staatlichen, als auch die kirchlichen Stellen bemüht, diese im Gesprächswege zu klären. So finden Gesprächsrunden der jeweiligen Aufsichtsbehörden, also Justizvollzugsämtern und Justizministerium einerseits und Vertreter der Kirchen andererseits zur Vermeidung und Lösung von Konflikten statt 44 . Der Gestellungsvertrag sieht in § 8 die fristlose Aufhebung der Entsendung des Anstaltspfarrers vor, wenn er seinen Verpflichtungen in schwerwiegender Weise oder mehrfach zuwidergehandelt hat. Dabei sollen die entsprechenden Untersuchungen von Kirchenkreis und Anstaltsleiter gemeinsam durchgeführt werden, § 8 Abs. 2 S. 2 GV. Die Pastoralinstruktion stellt klar fest, daß der Anstaltsleiter nicht befugt ist, in rein kirchliche Maßnahmen einzugreifen 45 . Kommt es dennoch zu Meinungsverschiedenheiten, hat der Anstaltsleiter "geeignete Vorstellungen" 4 6 zu machen, die bei Erfolglosigkeit der Aufsichtsbehörde zu berichten sind. Bis zur endgültigen Klärung ist den Anweisungen des Anstaltsleiters Folge zu leisten 47 . In der Praxis kommt in Ausnahmefällen eine fristlose Entlassung auch bei angestellten Anstaltsseelsorgern vor, sofern seitens des Justizministeriums schwerwiegende Verdachtsgründe bestehen48.

d. Dienstaufsicht und Visitationen Es wird in Nordrhein-Westfalen wie auch in den anderen Bundesländern gehandhabt, daß die Anstaltsgeistlichen bei der Wahrnehmung ihrer seelsorgerlichen Aufgaben der kirchlichen Aufsicht nach Maßgabe der kirchenrechtlichen Bestimmungen unterliegen. Daneben bleiben die dienstaufsichtlichen Vorschriften der Vollzugsbehörden unberührt. Eine schärfere Abgrenzung ist nicht getroffen worden. Dienstaufsichtliche Regelungen finden sich in § 3 Abs. 1 des Gestellungsvertrages, der den Anstaltspfarrer der Aufsicht des Superintendenten des Kir-

44 Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 4

Pastoralinstruktion Nr. 11 46 A.a.O. Nr. 11 4

? A.a.O. Nr. 11

48 Vgl. den Bericht über die heftig kritisierte Entlassung eines katholischen Anstaltsseelsorgers des Gefängnisses in Köln, Südkurier vom 10.8.1991

334

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

chenkreises gem. Art. 163 Abs. 3 der Kirchenordnung der evangelischen Kirche im Rheinland unterstellt. Auch die Dienstordnung nennt die Visitation 4 9 , ebenso wie die Pastoralinstruktion 50 , wobei in der Pastoralinstruktion ausführlich zwischen kirchlicher Aufsicht in religiöser und kirchenrechtlicher Beziehung 51 und staatlicher Aufsicht unterschieden wird. Hier wird festgelegt, daß die staatliche Beaufsichtigung nicht berührt wird, und der Anstaltsseelsorger sich strikt an die Hausordnung und die Anordnungen des Anstalsleiters hinsichtlich Sicherheit und Ordnung zu halten hat 5 2 .

e. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung Hinsichtlich Urlaubsregelungen für den Anstaltspfarrer verweist § 7 Abs. 1 des Gestellungsvertrages auf die einschlägigen kirchlichen Bestimmungen, wobei als Besonderheit der Superintendent im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt den Urlaub bewilligt. Dies ist im Hinblick auf einen reibungslosen organisatorischen Ablauf innerhalb der JVA eine verständliche Regelung. Der Kirchenkreis verpflichtet sich, im Falle der Abwesenheit des Anstaltsseelsorgers für entsprechenden Ersatz bei den sonntäglichen Gottesdiensten zu sorgen, § 7 Abs. 2 S. 1 des Gestellungsvertrages. Auffällig ist die Beschränkung der Verpflichtung auf den sonntäglichen Gottesdienst. Diese Beschränkung auf die Gottesdienste findet ihre Erklärung in der folgenden Regelung, die festschreibt, daß der Kirchenkreis sich im Verhinderungsfall der Anstaltsseelsorgers bemühen wird, auch die Seelsorge im übrigen sicherzustellen, § 7 Abs. 2 S. 2 GV. Hier wird klar differenziert zwischen Gottesdienst und Seelsorge, und die Priorität des Gottesdienstes deutlich herausgestellt. Die Dienstordnung verlangt in Fragen der Urlaubsvertretung lediglich das Einvernehmen zwischen Pfarrer und Anstaltsleiter, gegebenenfalls des Superintendenten 53 . Vertretungsregelungen finden sich in der Pastoralinstruktion insoweit, als hauptamtliche Geistliche sich gegenseitig vertreten bzw. die Justizverwaltung 49 DO, Abschnitt V. 50

Pastoralinstruktion, Nr. 10

51

Pastoralinstruktion, Nr. 10

52

Pastoralinstruktion, Nr. 11

53 DO Abschnitt I. Nr. 7

§ 20 Nordrhein-Westfalen

335

für eine Vertretung sorgt. Hinsichtlich vertraglich angestellter Geistlicher regelt der Vertrag die Einzelheiten der Vertretung 54 . Daneben hat sich die Kirche verpflichtet, bei Unterbrechung der Seelsorge notwendige Maßnahmen so schnell wie möglich zu treffen 55 . Der evangelische Anstaltspfarrer wird verpflichtet, an den Pfarrkonventen des Kirchenkreises und den Pfarrkonventen der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen teilzunehmen, § 3 Abs. 2 des Gestellungsvertrages. Daneben wird statuiert, daß der Anstaltsgeistliche stimmberechtigtes Mitglied der Kreissynode ist, an der er teilzunehmen verpflichtet ist, § 3 Abs. 3 GV. Die Pastoralinstruktion sieht die Pflege des konfraternellen Verkehrs, sowie die Teilnahme an den offiziellen Dekanats- und Archipresbyterats, sowie Spezialkonferenzen zur Anstaltsseelsorge v o r 5 6 , die jedoch nicht zu Lasten der Kasse der Justizverwaltung abgehalten werden sollten.

4. Tätigkeitsfeld

des Anstaltsseelsorgers

Die Geistlichen wirken im Rahmen des kirchlichen Auftrags auch bei der Behandlung und Betreuung der Inhaftierten mit. So beschränken sie sich in Nordrhein-Westfalen nicht nur auf den rein religiösen Bereich, sondern beteiligen sich an der Ausgestaltung der Freizeit der Gefangenen, an der Förderung familiärer 57 und sonstiger sozialer Kontakte, sowie an der Leistung sozialer Hilfen 5 8 für die Gefangenen und ihre Angehörigen 59 . Neben dieser unmittelbaren Tätigkeit im Strafvollzug halten die Anstaltsseelsorger Kontakt zu den Gemeindepfarrern und umliegenden Pastoralinstruktion Nr. 13 55

Pastoralinstruktion Nr. 9

56

Pastoralinstruktion Nr. 14

57 Vgl. DO Abschnitt III. B. 1. 58 Vgl. DO Abschnitt IV. 1. Beteiligung an der Fürsorge Pastoralinstruktion Nr. 59, die in der Einzelfursorge ein "überreiches Arbeitsfeld" des Anstaltsseelsorgers sieht 59 Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 3

336

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Kirchengemeinden. Sie stehen in Verbindung mit kirchlichen und sozialen freien Verbänden, die den Gefangenen nach ihrer Entlassung weiter helfen 60 . Grenzen der Tätigkeit der Anstaltsgeistlichen bestimmen sich nach den bindenden staatlichen Vorschriften und institutionellen Regelungen. So sind auch die verbindlichen beamtenrechtlichen Vorschriften bei den als Landesbeamte eingestellten Geistlichen zu beachten 61 . Als Aufgaben des Anstaltspfarrers werden in § 2 des Gestellungsvertrages die Wortverkündigung, die Sakramentsverwaltung, die Seelsorge und die konfessionelle Unterweisung der Gefangenen genannt. Wesentlich detaillierter regeln naturgemäß sowohl die Dienstordnung Gottesdienst 62 und Kasualhandlungen 63 des Anstaltsseelsorgers, als auch die Pastoralinstruktion 64 . Auch zur Seelsorge äußern sich die Dienstordnung 65 und die Pastoralinstruktion 66 eingehender. Die evangelische Dienstordnung nennt als Aufgaben Gottesdienste 67 , Taufen 6 8 , Konfirmation 69 , Beteiligung an Besuchen 70 , sofern der seelsorgerliche Aufgabenkreis berührt wird. Daneben steht die Seelsorge an den Gefange-

60 Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 4; DO Abschnitt IV. Nr. 2; Pastoralinstruktion Nr. 60. - 62., wo diese Tätigkeit den Anstaltsseelsorger als "Sozialbeamten im besten Sinn" klassifiziert wissen möchte 61

Quelle: Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1991 an die Verfasserin, S. 4 62 DO Abschnitt II. 1. 63

DO Abschnitt II 2. und 3. hinsichtlich Taufe und Konfirmation

64

Pastoralinstruktion, Abschnitt B. a. und b. Gottesdienst und Predigt, d. Sakramentsspendung, e. Sakramentalien 65 DO Abschnitt III. 66 Pastoralinstruktion Nr. 16-20. Einzelseelsorge 67 DO Abschnitt II Nr. 1 68 DO Abschnitt II Nr. 2 69 DO Abschnitt II Nr. 3 DO Abschnitt I Nr.

§ 20 Nordrhein-Westfalen

337

nen 7 1 , seien es die neu Aufgenommenen, die Kranken, die Gesprächssuchenden, ebenso wie Fürsorge während und nach des Anstaltsaufenthalts für den Gefangenen und seine Familie 7 2 , und Vorschläge fiir die Anstaltsbibliothek 73 . Die Pastoralinstruktion weist einen breiten Katalog von "staatlich auferlegten Amtspflichten" auf 7 4 , der von Gottesdienst 75 , Andachten, Taufen 76 und Leichenfeiern über Einzelseelsorge 77, Religionsunterricht 78 , Fürsorgetätigkeit 7 9 und besonderen Sprechstunden bis hin zur Durchsicht der Gefangenenpost 80 (bei Einverständnis des Gefangenen), Besorgung der Bücher e i 8 1 , Teilnahme an Beamtenbesprechungen und die Mitwirkung bei der Ausbildung der Dienstanfanger 82 nennt. Die Seelsorgs-Akte und Mittel werden ausführlich dargelegt 83 . Auffällig am Gestellungsvertrag ist die Mitwirkung des Anstaltsgeistlichen bei der Persönlichkeitserforschung des Gefangenen, die zusammen mit der Mitarbeit bei der Durchführung des Vollzugsplans sowie der Freizeitgestaltung und bei Fürsorgemaßnahmen für Gefangene in § 2 Abs. 1 S. 2 GV vorgesehen wird. Eine Freistellung von dieser Mitwirkungspflicht ist im GV nicht vorgesehen. Hier nimmt der Staat die Kirche mit Tätigkeiten in die Pflicht, die sie zwar als Bestandteil ihres Auftrags erkennen mag. Eine Verpflichtung dieser Art ohne Befreiungsmöglichkeit ist jedoch als bedenklich im Hinblick auf die kirchliche Freiheit einzustufen. 71 DO Abschnitt III A. Nr. 1. -4. 72 DO Abschnitt IV 73 DO Abschnitt III C. 74 Pastoralinstruktion Nr. 15. a - h 75 Pastoralinstruktion Nr. 21 - 35 76 Pastoralinstruktion Nr. 38 77 Pastoralinstruktion Nr. 49 - 55 78 Pastoralinstruktion Nr. 36 79 Pastoralinstruktion Nr. 59 - 62 80

Pastoralinstruktion Nr. 56

81 Pastoralinstruktion Nr. 57 82 Pastoralinstruktion Nr. 58 83 Vgl. Pastoralinstruktion Nr. 21 - 62

22 Eick-Wildgans

338

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

5. Amtsverschwiegenheit

Regelungen zur Amtsverschwiegenheit enthält der Gestellungsvertrag wohl im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Garantien nicht. Dagegen ordnet die Dienstordnung die Verpflichtung des Anstaltsseelsorgers zur Wahrung des Beichtgeheimnisses und zur Amtsverschwiegenheit a n 8 4 und sieht eine Stellungnahme zu Begnadigungen u.ä. nur als bedingt opportun an 8 5 . Die Pastoralinstruktion befürwortet die Mitwirkung des Geistlichen bei Beurteilungen des Gefangenen, soweit hierbei nicht Erklärungen gemacht werden müssen, die unter die seelsorgerliche Verschwiegenheit fallen 86 .

6, Finanzielle Regelungen

Finanzielle Regelungen trifft § 5 des Gestellungsvertrages, der in § 5 Abs. 1 festlegt, daß der Kirchenkreis die Besoldung und Versorgungskassenbeiträge für den Anstaltsseelsorger trägt, ebenso wie er für die Gewährung von Beihilfen, Unterstützungen, Umzugskosten und ähnlichem, § 5 Abs. 2 des Gestellungsvertrages verantwortlich ist. Demgegenüber verpflichtet sich das Land Nordrhein-Westfalen, dem Pfarrer eine Wohnung entgeltlich zur Verfügung zu stellen, § 5 Abs. 3 des Gestellungsvertrages. Detaillierte finanzielle Regelungen enthält § 6 des Gestellungsvertrages, wonach das Land die gewährte Besoldung, begrenzt durch einen an A 14 orientierten Höchstbetrag dem Kirchenkreis erstattet, ebenso wie die Versorgungskassenbeiträge, sonstige Zulagen. In der Folge enthält § 6 nähere Abrechnungsmodalitäten. Sofern eine Dienstverhinderung länger als 6 Wochen andauert, entfällt die Zahlung des Landes an den Kirchenkreis, § 7 Abs. 3 des Gestellungsvertrages. Die Dienstordnung, ebenso wie die Pastoralinstruktion enthalten naturgemäß keine finanziellen Regelungen. 84 DO Abschnitt III E. 85 DO Abschnitt III. D. 86 Pastoralinstruktion Nr. 12

§ 2 0 Nordrhein-Westfalen

339

IV. Zusammenfassende Betrachtung Die rechtlichen Regelungen kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen sind durch ein Nebeneinander verschiedener ursprünglich kirchlicher Rechtsvorschriften unterschiedlichen Alters und abweichender Regelungsinhalte gekennzeichnet. Dies erschwert die Übersichtlichkeit und Rechtsklarheit in Fragen des kirchlichen Wirkens im Strafvollzug sehr. Angesichts der Bevölkerungsdichte Nordrhein-Westfalens und der Anzahl der Justizvollzugsanstalten und Häftlinge, wäre zugunsten größerer Rechtsklarheit und einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Behandlung der religiösen Bedürfhisse von Gefangenen und Anstaltsseelsorgern neuere, weitgehende einheitliche Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche wünschenswert. Daher können Verhandlungen auf diesem Gebiet zwischen Staat und Kirche nur begrüßt werden. Solange keine vertraglichen Vereinbarungen bestehen, ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche weitgehend auf gegenseitiges Vertrauen und Loyalität 8 7 angewiesen. Der Respekt vor dem Zuständigkeitsbereich des Partners 88 hat bisher Staat und Kirche im Strafvollzug von Nordrhein-Westfalen zum großen Teil einvernehmlich wirken lassen.

87 Bauer, Joachim, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Land Nordrhein-Westfalen, Jur. Diss., Münster 1968, S. 191 88 Mikat, Paul, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/Opladen 1966, S. 44

22»

§ 21 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Rheinland-Pfalz

I. Statistische Daten Im Land Rheinland-Pfalz werden Angaben über die Bekenntniszugehörigkeit der Strafgefangenen in den Justizvollzugsanstalten nicht mehr statistisch erfaßt 1. Im Strafvollzug des Landes befanden sich 1989 insgesamt 2257 Strafgefangene und im Jahr 1990 insgesamt 2121 Strafgefangene 2. Dieser Zahl von Strafgefangenen standen 9 hauptamtliche Anstaltsseelsorger gegenüber, von denen 5 katholischen und 4 evangelischen Bekenntnisses waren. Dazu waren 9 nebenamtliche Pfarrer als Anstaltsseelsorger tätig, von denen 5 der katholischen Konfession und 4 der evangelischen Konfession zugehörig waren 3 . Von den hauptamtlichen Anstaltsseelsorgern ist einer ins Beamtenverhältnis übernommen worden, während 8 in Diensten der Kirche stehen, wobei für die Anstellungsverträge kein Mustervertrag existiert, sondern jeweils Individualverträge geschlossen werden 4 . Alle 9 nebenamtlichen Seelsorger sind in kirchlichen Diensten 5 .

1

Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991 Az: 4407 E - 5 - 1/91, S. 1 2 Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991 Az: 4407 E - 5 - 1/91, S. 2 3 Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991 Az: 4407 E - 5 - 1/91, S. 3 4 Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991 Az: 4407 E - 5 - 1/91, S. 3 5 Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz an die Verfasserin vom 22.2.1991 Az: 4407 E - 5 - 1/91, S. 3

§ 21 Rheinland-Pfalz

341

II. Überblick über die Rechtslage im Land Rheinland-Pfalz Art. 48 der rheinland-pfälzischen Verfassung 6 enthält eine Regelung der Anstaltsseelsorge, die sich insofern von der bundesrechtlichen Regelung abhebt, als sie bereits dem Wortlaut nach explizit den Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht zur Vornahme von Gottesdienst und geordneter Seelsorge zuspricht 7 und die Verpflichtung des Staates klar stellt, für die entsprechenden Voraussetzungen zu sorgen 8. Entsprechend den staatlichen und kirchlichen Entwicklungen im jeweiligen Selbstverständnis, insbesondere einer gewissen Emanzipation der Kirchen 9 und der Entwicklung eines Öffentlichkeitsanspruchs, ebenso wie in der Haltung zum anderen Partner, erwuchs 10 aus dem Wunsch nach einer Fixierung und Förderung der Freundschaft zwischen Staat und Kirche 1 1 der rheinlandpfälzische Kirchenvertrag vom 31. März 1962 12 . Dabei ist eine gewisse Nähe zum hessischen Kirchenvertrag nicht übersehbar, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, sowie die Evangelische Kirche im Rheinland, bereits am hessischen Kirchenvertrag beteiligt waren und zusätzlich von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden konnte 13 . So garantiert Art. 21 des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz

6 Vgl. allgemein zu Entstehungsgeschichte und Inhalt: Schutxck, Egon, Die Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947, in: JöR NF 5 (1956), S. 159 - 193

7 Vgl. Kapitel § 11 Abschnitt II 8 Art. 48 S. 2 RhPfV 9 May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (62) 10 vgl. zur Entstehung: May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 - 77

u Grauheding, Erich, Der Mainzer Staatsvertrag, in: ZevKR 10 (1963/64), S. 143 (147) 12 Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in RheinlandPfalz vom 31. März 1962, abgedruckt in: Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 484 ff; 13 May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (77)

342

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

mit dem Lande Rheinland-Pfalz vom 31. März 1962 14 - in Ausgestaltung der Verfassungsgarantie gem. Art. 48 RhPfV 1 5 - den Kirchen die Zulassung zu seelsorgerischen Besuchen und kirchlichen Handlungen. Dabei unterbleibt hier sowohl die Feststellung eines Bedürfnisses 16 gem. Art. 140 GG / 141 WRV, als auch die Beschränkung auf Seelsorgetätigkeit in Anstalten, in denen derartiges "üblich" i s t 1 7 . Die Regierungsbegründung des rheinlandpfälzischen Landtags vermerkt dazu, daß Art. 21 RhPfKV der Sicherstellung der religiösen Versorgung der in Anstalten lebenden Christen dient 1 8 . Art. 21 Abs. 1 S. 2 RhPfKV sieht die Möglichkeit vor, daß bei hauptamtlicher Einstellung des Anstaltsseelsorgers die Berufung entweder durch den Träger der Anstalt, oder durch die Kirche, jedenfalls stets im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt. Es werden also Staat und Kirche bei der Anstellung der Anstaltsgeistlichen gemeinsam tätig 1 9 . Durch diese Regelung sollte den Kirchen die Möglichkeit gegeben werden, auch Anstaltsgeistliche in kirchlichen Diensten zu belassen20. Hier ist das Vorbild des nahezu gleichlautenden Art. 16 Abs. 1 S. 2 des hessischen Staatskirchenvertrages deutl i c h 2 1 . Das Rechtsverhältnis der Anstaltsgeistlichen wird durch Art. 21 Abs. 3 RhPfKV klargestellt 22 . Es wird die Disziplinargewalt des Landes aufrechterhalten, wobei gleichzeitig deutlich gesagt wird, daß der Anstaltspfarrer 14

Abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 494 15

Regierungsbegründung des rheinland-pfälzischen Landtags zu Art. 21 RhPfKV, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 513 16 May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 - 109 und S. 434 (462)

17 Art. 16 Abs. 1 S. 1 HesKV 18 Regierungsbegründung des rheinland-pfälzischen Landtags zu Art. 21 RhPfKV, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 514

19 Grauheding, Erich, Der Mainzer Staatsvertrag, in: ZevKR 10 (1963/64), S. 143 (152) 20 Regierungsbegründung des rheinland-pfälzischen Landtags zu Art. 21 RhPfKV, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 513

21 May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 - 109 und S. 434 (463) 22 Regierungsbegründung des rheinland-pfälzischen Landtags zu Art. 21 RhPfKV, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 514

343

§ 2 1 Rheinland-Pfalz

i n Fragen der durch die Ordination erworbenen Rechte weiterhin der Aufsicht der Kirche untersteht 2 3 . M i t A r t . 16 Abs. 3 S. 2 R h P f K V verpflichtet sich das Land, einen Geistlichen, der seine durch Ordination erworbenen Rechte verloren hat, nicht mehr zu beschäftigen 2 4 . Daneben bestimmt sich die Tätigkeit der Anstaltsgeistlichen i n den rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalten 2 5 nach einer Dienstordnung v o m 20. Novemver 1 9 7 6 2 6 . Diese w i r d i m folgenden Abschnitt detailliert dargestellt. Finanzielle Regelungen hinsichtlich nebenamtlicher Anstaltsseelsorger finden sich i n einer Verwaltungsvorschrift des rheinland-pfälzischen

Justizministeriums

v o m 23. A p r i l

198527.

Für

ehrenamtliche Vollzugshelfer gibt es Regelungen v o m 15. M ä r z 1 9 8 5 2 8 . die jedoch

keine

Besonderheiten

hinsichtlich

seelsorgerlich

tätigen

Helfern

aufweisen, sodaß sie i m Rahmen dieser Arbeit nicht näher erläutert werden.

III· Darstellung der rheinland-pfälzischen Dienstordnung zur Anstaltsseelsorge D i e "Richtlinien für den Dienst der evangelischen und katholischen A n staltsseelsorge i n den Justizvollzugsanstalten des Landes R h e i n l a n d - P f a l z " 2 9

23 So auch: May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 - 109 und S. 434 (463) 24 Regierungsbegründung des rheinland-pfälzischen Landtags zu Art. 21 RhPfKV, abgedruckt in: Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 514 25 Eine Vereinbarung über die evangelische und katholische Seelsorge an den rheinlandpfälzischen Justizvollzugsanstalten war bei Abschluß dieser Arbeit im Entwurfsstadium. 26 Richtlinien fur den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorge in den Justizvollzugsanstalten des Landes Rheinland-Pfalz. VV vom 20. November 1975 (Justizblatt Rheinland-Pfalz - Amtsblatt des Ministeriums der Justiz 1976, S. 1); und JB1. 1986 S. 269; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 474 ff; S. 548 27 Entschädigung der nicht hauptamtlichen Seelsorger bei den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten; Verwaltungsvorschrift vom 23. April 1985 (JB1. S. 101) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten,Celle 1976 28 Ehrenamtliche Vollzugshelfer in den Justizvollzugsanstalten. Verwaltungsvorschrift vom 15. März 1985 (JB1. S. 84) abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten,Celle 1976 29 Richtlinien fur den Dienst der evangelischen und katholischen Anstaltsseelsorge in den Justizvollzugsanstalten des Landes Rheinland-Pfalz. VV vom 20. November 1975 (Justizblatt

344

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

regeln in 14 Nummern das Wirken der Anstaltsseelsorger im Justizvollzug, wobei sie allgemeine Aussagen zur Seelsorge ebenso enthalten, wie dienstrechtliche Bestimmungen, Fragen zur Organisation und einen Aufgabenkatalog. Das Zusammenwirken von Staat und Kirche auf dem Gebiet der Seelsorge im Strafvollzug ist hier im Wege einer staatlichen Richtlinie geregelt worden, die mit Zustimmung der beteiligten Kirche erlassen worden i s t 3 0 .

7. Stellung der Seelsorge

Die Richtlinie beginnt mit der Feststellung, daß die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten einen Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen Seelsorge bildet und von Anstaltsseelsorgern ausgeübt w i r d 3 1 . Diese primäre Aussage ist sowohl von ihrer Stellung am Beginn der Richtlinie, als auch in ihrer Tragweite hinsichtlich der Abgrenzung staatlicher und kirchlicher Kompetenzen richtig gesetzt und vorbildlich formuliert. Hier wird klargestellt, daß die Seelsorge auch im Strafvollzug eine kirchliche Aufgabe ist, bei deren Erfüllung durch die Kirchen der Staat die kirchliche Eigenständigkeit respektiert.

2. Statusbezogene Regelungen

Regelungen im Zusammenhang mit der Stellung des Anstaltsseelsorgers als Vollzugsbediensteter finden sich in Nr. 2 Abs. 2 RiLi und Nr. 3 Abs. 1 RiLi. Hier ist festgehalten, daß die Vorschriften über die Dienstaufsicht bei den Justizvollzugsanstalten auch für die Anstaltsseelsorger gelten 32 , sofern die allgemeinen Voraussetzungen gegeben sind, und nicht Fragen in rein seelsorgerlichen Angelegenheiten berührt sind. In diesen Angelegenheiten bleibt es bei

Rheinland-Pfalz - Amtsblatt des Ministeriums der Justiz 1976, S. 1); und JB1. 1986 S. 269; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 474 ff; S. 548. In diesem Kapitel abgekürzt: RiLi 30

Präambel der Richtlinien vom 20. November 1975

31 Nr. 1 S. 1 und 2 RiLi 32 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 RiLi

§ 2 1 Rheinland-Pfalz

345

der Aufsicht der zuständigen Kirche 3 3 . Das in §§ 154, 155 StVollzG enthaltene Zusammenarbeitsgebot aller Vollzugsbediensteten wurde bereits vor in Kraft treten des Strafvollzugsgesetzes für die Anstaltsseelsorger in den rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalten in Nr. 3 Abs. 1 RiLi förmlich niedergelegt. Dieses Zusammenarbeitsgebot dient der Integration des Anstaltsseelsorgers. Dieser Integration dient ebenfalls die Garantie der Teilnahme des Anstaltsseelsorgers an den Dienstbesprechungen gem. Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 5 RiLi. Nähere Regelungen zu Berufung und Versetzung von Anstaltsseelsorgern enthält die Richtlinie nicht. Es bleibt der offenen Form der Bestimmung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 RhPfKV vom 13. März 1962, nach dem sowohl die Berufung durch das Land als auch durch die Kirche erfolgen kann.

5. Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten

Nr. 6 RiLi bestimmt, daß Beschwerden über einen Anstaltsseelsorger unverzüglich der zuständigen Kirche mitzuteilen sind. Diese Regelung zeigt deutlich, daß der Staat den Verantwortungsbereich der Kirche für ihre Anstaltsseelsorger anerkennt. Allerdings fehlt eine Regelung des weiteren Vorgehens in derartigen Fällen. Es sieht Nr. 2 Abs. 2 S. 2 RiLi die Benachrichtigung der Kirche vor, sofern ein förmliches Dienstordnungsverfahren, oder der Erlaß einer Dienstordnungsverfügung gegen einen Anstaltsseelsorger beabsichtigt ist. Somit wird der jederzeitige Informationsfluß im Falle einer Beschwerde zwischen Staat und Kirche gewährleistet. Bereits vor dem Bestehen ernsthafter Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich kirchlichen Wirkens im Justizvollzug will die Freundschaftsklausel gem. Nr. 12 RiLi friedensstiftend wirken. Sie verpflichtet Staat und Kirche zu unverzüglicher gegenseitiger Information über Schwierigkeiten im Rahmen der durch die Richtlinien festgelegten Zusammenarbeit von Staat und Kirche. Es wird dabei angestrebt, Probleme einvernehmlich zu lösen 34 . Das Bemühen, Schwierigkeiten kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug einvernehmlich zu lösen, wird der Materie der Anstaltsseelsorge als "Gemeinsamer Angelegenheit" eher gerecht als ein einseitiges Entscheidungsmonopol.

33 Nr. 2 Abs. 1 S. 1 RiLi 34 Nr. 12 S. 1 , 2 . Hs. RiLi

346

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

4. Der Anstaltsseelsorger

in kirchendienstlicher

Hinsicht

Zur Stellung des Seelsorgers als Diener seiner Kirche finden sich in den Richtlinien insbesondere Regelungen zur Weitergeltung des kirchlichen Aufsichtsrechts und der kirchlichen Visitation. In Rheinland-Pfalz übt die Kirche die Aufsicht über den Anstaltsseelsorger in seelsorglichen Angelegenheiten aus 3 5 . Im Rahmen dieser Aufsicht ist sie zu Visitationen berechtigt. Dabei bedürfen diese Visitationen gemäß den Richtlinien keiner Anmeldung bei der Anstaltsleitung, wie dies in anderen Ländern vertraglich fixiert ist. Ferner gelten auch für den Anstaltsseelsorger trotz seiner Sonderstellung in einer staatlichen Anstalt die Gottesdienstordnungen, Agenden, Ordnungen und kirchlichen Bestimmungen 36 . Diese Bestimmung greift nochmals Nr. 11 RiLi auf, und legt fest, daß ergänzend zu der vorliegenden Dienstordnung die allgemeinen kirchlichen Dienstanweisungen für alle Seelsorger für die Anstaltsseelsorger in den Justizvollzugsanstalten entsprechend gelten. Hier fragt sich, ob die spezielle Erwähnung der allgemeinen kirchlichen Dienstanweisungen in Nr. 11 RiLi neben der Regelung der Nr. 4 Abs. 1 RiLi notwendig gewesen wäre. Es ist jedoch ein Unterschied zwischen der direkten Geltung von Gottesdienstordnungen, Agenden und Kirchenordnungen und der bloß entsprechenden Geltung von allgemeinen kirchlichen Dienstvorschriften. Es wird deutlich, daß der Staat im Strafvollzug nicht in die Geltung innerkirchlichen Rechts eingreift und dieses unangetastet läßt. Soweit jedoch staatliche Belange berührt werden, wie dies bei der dienstrechtlichen Stellung des Anstaltsseelsorger gegeben ist, macht der Staat ein adäquates Recht auf Berücksichtigung der besonderen Umstände des Justizvollzugs geltend. Daher ist im Zusammenhang mit Dienstanweisungen die Regelung einer bloß "entsprechenden" Geltung gem. Nr. 11 RiLi interessengerecht.

5. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

Nr. 8 RiLi überläßt die Regelung hinsichtlich Urlaubs- und Krankheitsvertretung dem einvernehmlichen Zusammenwirken von kirchlicher Behörde und Anstaltsleitung. Ebenfalls in Abstimmung mit der Anstaltsleitung erfolgt die

35 Nr. 2 Abs. 1 S: 1 RiLi Nr. 4 Abs.

RiLi

§ 2 1 Rheinland-Pfalz

347

Festsetzung der Arbeitszeit des Anstaltsseelsorgers, wobei diese sich im Rahmen der Arbeitszeit des öffentlichen Dienstes bewegt. Zu Fortbildungszwecken ist den Anstaltspfarrern Dienstbefreiung zu. erteilen 37 .

6. Tätigkeitsfeld

des Anstaltsseelsorgers

a. Zuständigkeit Eine Beschränkung auf die seelsorgerliche Arbeit allein mit Gefangenen des eigenen Bekenntnisses, ist in den Richtlinien nicht enthalten. Es ist hier der Grundsatz des § 54 Abs. 2 StVollzG anzuwenden.

b. Aufgaben Die Aufgabenaufzählung der Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 1 - 7 RiLi, die die Aufgaben "im wesentlichen" 38 nennt, beinhaltet neben den gut unter einer Gliederungsziffer zusammengefaßten "klassischen" kirchlichen Aufgaben, wie Gottesdienst 39 , Beichte 40 und Spendung der Sakramente 41, Kasualien 42 , Einzelseelsorge 43, bei der Zellenbesuche und Aussprache mit den Gefangenen als darin eingeschlossen extra erwähnt werden, und die Krankenseelsorge 44. Aus der Art der Aufzählung ergibt sich, daß Zellenbesuche und Aussprache mit den Gefangenen nicht notwendigerweise jederzeit Seelsorge sein müssen, daß der Pfarrer aber jedenfalls stets das Recht zu Zellenbesuchen hat. Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 2 c RiLi nennt als weitere Aufgabe die Fühlungnahme

37 Nr. 7 Abs. 2 RiLi 38 Nr. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi 39 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 1 a RiLi 40 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 1 b RiLi 41 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 1 b RiLi 42 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 1 c RiLi 43 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 2 a RiLi 44 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 2 b RiLi

348

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

mit den Kirchengemeinden der Gefangenen und deren Angehörigen. Es fragt sich, warum diese Aufgabe im Katalog der schwerpunktmäßig seelsorgerischen Aufgaben aufgezählt ist. Doch bei einer Durchsicht der im weiteren genannten Aufgaben, kann die Einordnung an dieser Stelle als systementsprechend gewertet werden. Als außerordentlich gelungen ist die Darstellung der Aufgabe in Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 3 a RiLi zu bezeichnen, nach der die religiöse Unterweisung und Hilfe zur Persönlichkeitsbildung zu den Aufgaben des Anstaltspfarrers zählt. Im Gegensatz zu Vereinbarungen anderer Länder, die die Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung als Aufgabe nennen, was den Seelsorger als "Handlanger" des Staates erscheinen läßt, ist gegen die Hilfe zur Persönlichkeitsbildung nichts einzuwenden. Dies ist nämlich ein Aspekt kirchlicher Tätigkeit, den die Kirche problemlos auch mit ihrem Verständnis vom Menschen im Strafvollzug vereinbaren kann. Den Weg zum Menschen über den Glauben zu finden, ist ein Aspekt kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug, bei dem sich kirchlicher Auftrag und eine gewisse staatliche Erwartungshaltung treffen. Die Beratung bei der Anschaffung von weltlichen Büchern, sowie die Mitwirkung bei der Anschaffung religiöser Bücher, Art. 3 Abs. 2 Nr. 3 b RiLi ist eine auch in anderen Vereinbarungen zu findende Tätigkeit. Die Mitwirkung bei der Anschaffung religiöser Bücher ist dabei durchaus eine dem Anstaltsseelsorger zugehörige Aufgabe. Allerdings kann die Beratung bei der Anschaffung von weltlichen Büchern eine Überstrapazierung des Arbeitspensums des Anstaltspfarrers darstellen. Von einer Ausstrahlungswirkung des Art. 4 GG ist diese Aufgabe jedenfalls nicht mehr erfaßt. Ungeschickt ist die Formulierung der Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 4 RiLi, nach der die "Überwachung von Besuchen aus besonderem seelsorglichem Anlaß" zu den Aufgaben des Anstaltspfarrers zählt. Hier stellt sich die Frage, ob der Geistliche sich tatsächlich zu einer Überwachung bereit erklären sollte. Der Gedanke von zusätzlichen Besuchen des Strafgefangenen durch Angehörige oder Freunde, die aus seelsorgerlichen Gründen zu befürworten sind, ist sowohl mit dem staatlichen Prinzip der Resozialisierung und Wiedereingliederung, als auch mit dem Menschenbild und dem Auftrag der Kirche grundsätzlich zu begrüßen. Die Rolle des Seelsorgers als "Überwacher" jedoch derart in den Vordergrund zu stellen, ist unverständlich und so nicht nachvollziehbar. Problematisch ist Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 5 RiLi, der die Mitwirkung des Anstaltspfarrers bei der Persönlichkeitserforschung, ebenso wie bei der Durch-

§ 2 1 Rheinland-Pfalz

349

führung des Vollzugsplanes nennt. Hier wird der Seelsorger in staatliche Dienste eingebunden, deren Vereinbarkeit mit dem kirchlichen Auftrag in Zweifel gestellt werden darf. Insofern ist es nur konsequent, daß die Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung, ebenso wie Äußerungen in Gnadensachen und Verfahren nach § 57 StGB vom Anstaltsseelsorger abgelehnt werden darf, Nr. 3 Abs. 4 RiLi. Bedenklich ist jedoch, daß diese Ablehnung nur in Einzelfällen gestattet ist. Allein aus der Ablehnung der Mitwirkung könnten Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Gefangenen gezogen werden. Hier sollte die Kirche auf die Freiheit des Seelsorgers größeren Wert legen, und es immer seiner Entscheidung überlassen, ob und in welchem Maße er sich an der Persönlichkeitserforschung beteiligen möchte. In diesem Zusammenhang darf auf die Sicherstellung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses gem. Nr. 5 RiLi hingewiesen werden. Sobald der Seelsorger diesem Geheimnis unterfallende Verhältnisse des Gefangenen erklären sollte, ist ihm der Verweis auf sein Beicht- und Seelsorgegeheimnis garantiert. Neben der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Anstaltsbediensteten45, nennt Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 6 die Bereitschaft zur Seelsorge an Mitarbeitern des Strafvollzugs 46 . An diesem Punkt geht die Vereinbarung weit über die grundgesetzlichen Vorgaben zur Anstaltsseelsorge hinaus. Die Anstaltsbediensteten sind keine Anstaltsinsassen im Sinne des Verfassungsrechts, bei denen die seelsorgerliche Betreuung außerhalb der Anstalt unmöglich wäre. Allerdings stellt der Justizvollzug seine Bediensteten vor Belastungen, die eine entsprechende seelsorgerliche Betreuung für den einzelnen Betroffenen durch einen mit dem Anstaltsleben vertrauten Geistlichen als passend erscheinen lassen. Insofern ist die Bereitschaft der Anstaltsseelsorger hierzu ein begrüßenswertes Entgegenkommen von Staat und Kirche im Justizvollzug. Die Seelsorge an Bediensteten kann aber jedenfalls dann von Seelsorger abgelehnt werden, wenn dies seinem Rollenverständnis individuell widerspräche. Daher ist die Wortwahl der "Bereitschaft" gem. Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 6 b RiLi, die keinen obligatorischen Charakter aufweist, zu befürworten. Bei Aus-, Fortund Weiterbildung der Anstaltsbediensteten47 stellt sich die Frage, ob dies mit den Grundsätzen der Verfassung zu staatlicher Neutralität noch in Einklang gebracht werden kann, da die Begründung für eine konfesionelle Ausbildung gerade der Mitarbeiter im Vollzug nicht gegeben wird. Sofern diese

45 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 6 a RiLi 46 Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 6 b RiLi 4

Nr. 3 Abs. 2 Ziff.

RiLi

350

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Aus-, Fort- und Weiterbildung allgemeinkundliche Züge aufweist, ist die Gefahr einer Verschiebung der Rolle des Anstaltsseelsorgers nicht von der Hand zu weisen. Als weitere Aufgabe zählt Nr. 3 Abs. 2 Ziff. 7 RiLi die Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit in Gesellschaft und Kirche auf. Bloße Mitwirkung ist sowohl mit dem staatlichen als auch mit dem kirchlichen Verständnis vom Dienst des Anstaltsseelsorgers noch in Einklang zu bringen. Hier wird dem Anstaltsseelsorger Freiheit in seinen Äußerungen gelassen und nicht auf die Vereinbarkeit mit übrigen Dienstobliegenheiten verwiesen, was in anderen Ländern nicht stets der Fall ist 4 8 .

7. Organisationsfragen

In Nr. 4 Abs. 2 RiLi werden in 11 Unterpunkten detailliert organisatorische Voraussetzungen für das Wirken der Kirche im Justizvollzug aufgezählt. Dabei zeigt sich ein gewisser Vorbildcharakter der rheinland-pfälzischen Dienstrichtlinien für die hessische Dienstordnung 49 . Allerdings ist - im Gegensatz zur insoweit uneingeschränkten hessischen Vereinbarung - auf die staatliche Einschränkung bei der Schaffung der nötigen Voraussetzungen für die Anstaltsseelsorge hinzuweisen, die die Beschränkung auf den "Rahmen der geltenden Bestimmungen und gegebenen Möglichkeiten" 50 beinhaltet. Die Aufzählung organisatorischer Regelungen hat jedoch keinen abschließenden Charakter, da die genannten Voraussetzungen nur als "dazugehörig" behandelt werden. Vollzugsbedingte Erweiterungen sind somit gegebenenfalls noch möglich. So verpflichtet sich das Land Rheinland-Pfalz zur Mitteilung der Personalien und Einsichtsüberlassung in die Personalakten der Gefangenen 51 ebenso wie zum Zugang zu den Gefangenen 52, ohne jedoch in den Richtlinien näher zu klären, inwieweit dem Anstaltsseelsorger ein Anstaltsschlüssel ausvgl. § 4 Abs. 1 Nr. 13 BaWüVb. 49 vgl. Nr. 6 lit. a - k HessDO 50 Nr. 4 Abs. 2 S. 2 RiLi 51 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 1 RiLi 52 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 2 RiLi

§21 Rheinland-Pfalz

351

gehändigt wird. Das Land verpflichtet sich entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Ermöglichung des Kontakts zwischen Seelsorger und Gefangenen und von Besuchen im Dienstzimmer des Anstaltspfarrers 53 . Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 4 RiLi legt die Information des Pfarrers bei außergewöhnlichen Vorkommnissen fest, wobei der Kreis der außergewöhnlichen Ereignisse sich im Rahmen von Erkrankungen, Suizid versuchen und Todesfällen hält und vollzugsspezifische Besonderheiten, wie die Einlieferung in Arrestzellen o.ä. noch nicht vorsieht 54 . Die Regelung des § 54 StVollzG, nach der der Gefangene das Recht auf Teilnahme an religiösen Veranstaltungen besitzt, findet in Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 5 RiLi ihre korrespondierende Norm für die Kirchen, zu deren Veranstaltungen die Gefangenen zugelassen werden. Darüberhinaus wird sichergestellt, daß die Gottesdienste im Programm der Anstalt berückichtigt werden 55 . Dem Anstaltsseelsorger werden geeignete Räume für Veranstaltungen 56 und als Dienstzimmer 57 zur Verfügung gestellt. Dabei sieht Nr. 4 Abs. 3 RiLi die Anhörung der kirchlichen Behörden vor, wenn Gottesdiensträume in einer Justizvollzugsanstalt geplant, gestaltet oder eingerichtet werden. Dem Anstaltsseelsorger sind ferner ungestörte telefonische Dienstgespräche garantiert 58 , sowie die Erledigung von Schreibarbeiten durch die Verwaltung 59 und Helfer aus dem Kreis der Gefangenen 60 . Organisatorisch ist das Land Rheinland-Pfalz der Kirche weit entgegengekommen und leistet so einen großen Beitrag zur Sicherstellung der religiösen Versorgung.

53 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 3 RiLi 54 Die später vereinbarte Dienstordnung Hessens hat dies in Nr. 6 d DO mitaufgenommen. Vgl. Kapitel § 18 55 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 5 RiLi 56 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 6 RiLi 57 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 7 RiLi 58 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 8 RiLi 59 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 9 RiLi Nr.

Abs. 2 Ziff.

RiLi

352

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

8. Finanzielle Regelungen

Für den angemessenen Sachbedarf des Anstaltsseelsorgers kommt das Land Rheinland-Pfalz auf 6 1 . Eine nähere Erläuterung des Begriffs des "angemessenen Sachbedarfs" erfolgt an dieser Stelle nicht.

9. Nebenamtliche Anstaltsseelsorger

Hinsichtlich nebenamtlicher Anstaltsseelsorger sind in den Dienstrichtlinien keine Besonderheiten festgehalten. Allein bei der Festlegung der Arbeitszeit ist fixiert, daß dies im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter geschieht 62 . Die übrigen Bestimmungen der Dienstrichtlinien gelten einheitlich für haupt- und nebenamtliche Anstaltspfarrer. Finanzielle Regelungen für die nebenamtlichen Anstaltsseelsorger sind in der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Justiz vom 23. April 1985 (2419 - 5 - 1 / 85) 6 3 niedergelegt.

10. Konferenz

Nr. 7 RiLi sieht die Einrichtung einer Konferenz aller Anstaltsseelsorger vor. Diese soll sowohl dem Erfahrungsaustausch der Anstaltsseelsorger untereinander, als auch mit Vertretern des Justizministeriums dienen. So werden regelmäßig Konferenzen der Anstaltsseelsorger mit Vertretern des Justizministeriums und der Kirchenleitungen durchgeführt.

61 Nr. 4 Abs. 2 Ziff. 11 RiLi « Nr. 9 Abs. 2 RiLi 63 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

§ 21 Rheinland-Pfalz

353

IV. Zusammenfassende Beurteilung Die rheinland-pfälzischen Regelungen zum kirchlichen Wirken im staatlichen Justizvollzug stellen eine sinnvolle Ausfüllung der durch die Verfassung gegebenen Rahmenbedingungen dar. Dabei können die Dienstrichtlinien als inhaltlich gelungen bezeichnet werden. Dies ist umso bemerkenswerter, als diese Richtlinien die ersten ihrer Art in Deutschland darstellten, und bei ihrer Erstellung auf kein Vorbild zurückgegriffen werden konnte. Aufbaumäßig sind sie teilweise als ausgezeichnet zu bewerten, besonders bei der systematischen Einteilung des Aufgabenfeldes der Anstaltspfarrer. Es läßt sich feststellen, daß Staat und Kirche im Land Rheinland-Pfalz sich ihrer Verantwortung dem Gefangenen gegenüber bewußt sind. Zu seinen Gunsten bemühen sie sich, ihren jeweiligen Auftrag und die Selbständigkeit des Partners zu respektieren und den anderen in seiner Tätigkeit, soweit als möglich, zu unterstützen. Hier ist eine effektive Kooperation von Staat und Kirche entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben gegeben.

23 Eick-Wildgans

§ 22 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs im Saarland

I. Statistische Daten In den 3 Justizvollzugsanstalten des Saarlands1 befanden sich zum Stichtag 31. März 1989 insgesamt 661 Strafgefangene, von denen 156 (23,6 %) evangelischen Bekenntnisses, und 444 (67,2 %) katholischen Bekenntnisses waren. 23 (3,5 %) Strafgefangene gehörten anderen Bekenntnissen an, während 38 (5,8 %) keine Angaben machten2. Zum Stichtag 31. März 1990 hielten sich 609 Strafgefangene in den Justizvollzugsanstalten auf, von denen 157 (25,8 %) evangelischen, und 397 (65,2 %) katholischen Bekenntnisses waren. Es gab 33 (5,4 %) Strafgefangene anderen Bekenntnisses und 22 (3,6 %) ohne Angaben3.

Ges. 1989 661 1990 609

ev.

%

kath.

%

156

23,6

444

157

25,8

397

son.

%

o.Bek. %

67,2

23

3,5

38

5,8

65,2

33

5,4

22

3,6

1 Für die im folgenden benutzten Informationen sei Herrn Molz vom Ministerium der Justiz - Saarland herzlichen Dank gesagt. 2 Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz - Saarland - vom 8. Februar 1991, Az: 3003 - 81 an die Verfasserin, S. 2 3 Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz - Saarland - vom 8. Februar 1991, Az: 3003 - 81 an die Verfasserin, S. 2

§ 22 Saarland

355

I n den Justizvollzugsanstalten sind j e ein evangelischer und ein katholischer hauptamtlicher Anstaltsseelsorger tätig, zusätzlich zu einem katholischen Pastoralreferenten. D i e Seelsorger sind in Diensten der Kirche. Eine halbe evangelische Pfarrstelle ist nicht besetzt 4 .

II. Überblick über die Rechtslage im Saarland A r t . 42 der vorkonstitutionellen saarländischen Verfassung garantiert den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in Strafanstalten Gottesdienste abzuhalten und eine geordnete Seelsorge zu üben 5 . Eine vertraglich gleichlautende Vereinbarung mit der katholischen und der evangelischen Kirche i m Saarland gibt es nicht. Allerdings existiert für die evangelische Kirche eine Vereinbarung v o m 22. Juli 1977 6 , und für die katholische Kirche eine Vereinbarung v o m 6. M a i 1982 7 , sowie eine staatliche Dienstordnung 8 für die katholischen Anstaltspfarrer v o m gleichen Datum. I m übrigen besteht weitgehend Einigkeit dahingehend, daß das Reichskonkordat

4

Quelle: Schreiben des Ministeriums der Justiz - Saarland - vom 8. Februar 1991, Az: 3003 - 81 an die Verfasserin, S. 2 5

Art. 42 Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 (Amtsblatt S. 1077), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 6

Vereinbarung zwischen dem Saarland und den Kirchenkreis Saarbrücken fur die Kirchenkreise Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen über die Sicherstellung der evangelischen Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten des Saarlandes vom 22. Juli 1977, abgedruckt in: Rassow,, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 641 f 7

Vereinbarung bom 6. Mai 1982 über die katholische Seelsorge an den saarländischen Justizvollzugsanstalten (GMB1. Saarland S. 184), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 610 ff 8 Dienstordnung für die katholischen Anstaltspfarrer in den Justizvollzugsanstalten des Saarlandes vom 6. Mai 1982 - Allgemeine Verfügung des Ministers für Rechtspflege Nr. 10 / 1982; Gz: 4561 - 5; abgedruckt in Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 614 ff

23*

356

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Weitergeltung 9 im Saarland 10 beanspruchen kann. Regelungen fiir nicht hauptamtlich tätige Seelsorger finden sich in der Allgemeinen Verfügung vom 18. März 1966 11 . Hinsichtlich ehrenamtlicher Mitarbeiter in den Vollzugsanstalten gilt die Allgemeine Verfügung vom 15. Juli 1981 12 . Diese enthält in Ausführung der Bestimmung des § 154 Abs. 2 StVollzG 1 3 jedoch keine besonderen Bestimmungen für seelsorglich tätige Vollzugshelfer, sodaß eine Erörterung hier unterbleiben kann.

III. Darstellung der Rechtslage zwischen dem Saarland und der evangelischen Kirche 1. Tätigkeitsbereich

des evangelischen Anstaltsseelsorgers

a. Zuständigkeit Der evangelische Anstaltspfarrer ist für die Betreuung der evangelischen Strafgefangenen zuständig 14 . b. Aufgaben § 1 der Vereinbarung zwischen dem Saarland und den evangelischen Kirchen im Saarland vom 22. Juli 1977 umreißt den Aufgabenkatalog des haupt-

9 Zur Geltungsgeschichte von Konkordaten und Kirchenverträgen im Saarland: Orywall, Klaus, Die Geltung der neueren Konkordate und Kirchenverträge im Saarland, Jur. Diss., Köln 1969

10 Orywall, Klaus, Die Geltung der neueren Konkordate und Kirchenverträge im Saarland, Jur. Diss., Köln 1969, S. 99 11 Bestellung und Entschädigung der nicht hauptamtlichen Seelsorger bei den Justizvollzugsanstalten und der Jugendarrestanstalt des Saarlandes. AV vom 18. März 1966 (JB1. S. 70), geänd. d. AV vom 1. Februar 1985; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 12 Ehrenamtliche Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten und Jugendarrestanstalten (Vollzugshelfer) - AV des MfR Nr. 15/1981 vom 15. Juli 1981, zuletzt geändert durch AV des MfR Nr. 25 / 1984 vom 19. Oktober 1984 (4439 - 1)

•3 Art. 1 der AV vom 15. Juli 1981 1

.

SaarlVb

§ 22 Saarland

357

amtlichen Anstaltspfarrers in groben Zügen. So wird hier in § 1 S.l SaarlVb die Pflicht und das Recht des Anstaltspfarrers zur Seelsorge, Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung niedergelegt. Es ist somit bereits zu Beginn der Vereinbarung klar gestellt, daß diese klassischen kirchlichen Aufgaben auch im staatlichen Strafvollzug im kirchlichen Bereich verbleiben, der vom Staat insoweit respektiert wird. Im Anschluß daran wird die Mitwirkung des Anstaltspfarrers an der Persönlichkeitserforschung, an der Durchführung des Vollzugsplanes, an der Freizeitgestaltung und an der Fürsorge festgelegt 15. Zu bemängeln ist, daß keine Entbindungsmöglichkeit von der Pflicht zur Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung gegeben ist. Positiv ist dagegen die Verweisung auf das Strafvollzugsgesetz 16, wenngleich dieser allgemeine Hinweis auch zu Schwierigkeiten über die Anwendbarkeit gewisser Bestimmungen führen kann. Es wird nämlich ohne Erläuterung näherer Einzelheiten auf den durch das Strafvollzugsgesetz festgelegten Rahmen der Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers verwiesen.

2. Freundschaftsklausel

Sehr versteckt in § 3 Abs. 3 S. 2 SaarlVb. findet sich eine "Freundschaftsklausel M, nach der sich das Saarland und die evangelischen Kirchen verpflichten, Meinungsverschiedenheiten auf freundschaftliche Art und Weise zu beseitigen. Hier zeigt sich deutlich der Wille zur Kooperation zwischen Staat und Kirche im saarländischen Justizvollzug.

3. Berufung und Stellung des Anstaltspfarrers

Der Anstaltsseelsorger wird im Einvernehmen mit dem Land vom Kirchenkreis Saarbrücken berufen 17. Er bleibt also trotz seiner Tätigkeit im staatlichen Justizvollzug in den Diensten der Kirche 18 . Dies betont nochmals § 2

15 § 1 S. 2 SaarlVb 16 § 1 S. 2 SaarlVb 17 § 3 Abs. 1 S. 1 SaarlVb 18 § 2 Abs. 1 S. 1 SaarlVb

358

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Abs. 2 SaarlVb, der festlegt, daß durch die Dienstausübung im Justizvollzug kein Anspruch auf eine Übernahme in den Landesdienst begründet wird. Um den besonderen Anforderungen des Justizvollzugsdienstes gerecht zu werden, ist daher in § 2 Abs. 1 S. 2 SaarlVb fixiert, daß er zum Land in einem Beschäftigungsverhältnis besonderer Art steht. Dabei gelten vereinbarungsgemäß für dieses Beschäftigungsverhältnis die Bestimmungen des Pfarrerdienstgesetzes 19 , die Art. 68 - 81 der Kirchenordnung der Ev. Kirche im Rheinland, und die §§ 3 - 6 der vorliegenden Vereinbarung. Hier ist eine in Deutschland einmalige Regelung in einer staatlich-kirchlichen Vereinbarung getroffen worden. Zwar erkennt der Staat an, daß der Pfarrer in Diensten der Kirche bleibt. Gleichzeitig wird fixiert, welche kirchendienstrechtlichen Bestimmungen auf sein Beschäftigungsverhältnis Anwendung finden. Es handelt sich hier um ein echtes Zusammenwirken von Staat und Kirche, bei dem sowohl der Staat der Kirche entgegengekommen ist, indem er den Anstaltsgeistlichen in kirchlichen Diensten läßt. Gleichzeitig ist hat die Kirche einer Einschränkung der anzuwendenden kirchendienstrechtlichen Vorschriften zugestimmt. Die Verweisung auf die Geltung der § § 3 - 6 der vorliegenden Vereinbarung verwundert, da in diesen Vorschriften kein Aufgabenkatalog für die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers enthalten ist. Allerdings ist in § 3 Abs. 3 S. 1 SaarlVb bestimmt, daß der einzelne Anstaltsseelsorger über die Rechte und Pflichten, die sich aus der vorliegenden Vereinbarung ergeben, zu informieren ist. Insofern wird doch das gesamte, durch die Vereinbarung abgedeckte Spektrum, also auch die Aufzählung des § 1 SaarlVb in die Tätigkeit des Anstaltsseelsorger miteinbezogen.

4. Abberufung

Eine Abberufung des Anstaltspfarrers erfolgt erst auf schriftliches Verlangen des Landes gegenüber dem Kirchenkreis Saarbrücken 20. Dabei ist Voraussetzung für eine Abberufung seitens des Staates das Vorliegen von Tatsachen, die schwerwiegende Bedenken gegen die Person oder deren Tätigkeit rechtfertigen 21, wobei dem Anstaltsseelsorger das Recht auf vorherige Anhörung durch den Minister für Rechtspflege und die Kirchenleitung garantiert

19 Kirchengesetz über die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pfarrer in der Ev. Kirche der Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. März 1975

20 § 3 Abs. 2 SaarlVb Abs.

S. 1 SaarlVb

§ 22 Saarland

359

wird 2 2 . Kirchlicherseits darf eine Abberufung des Anstaltspfarrers durch den Kreissynodalvorstand nur in Abstimmung mit dem Land bei der Evangelischen Kirche im Rheinland beantragt werden 23 . Bei Vakanz einer Pfarrstelle im Justizvollzug soll innerhalb von 3 Monaten eine Neubesetzung erfolgen 24. Da es sich hier um eine "Soll"-Bestimmung handelt, macht sich die Kirche bei fehlenden Bewerbern und daraus resultierender Unmöglichkeit der Besetzung nicht vertragsbrüchig.

5. Der Anstaltsseelsorger

als Vollzugsbediensteter

Auch wenn der Anstaltsseelsorger nicht in staatlichen Diensten steht, so finden dennoch gewisse vollzugsbedingte Regelungen seiner Tätigkeit statt. So untersteht er in Fragen der Ordnung der Justizvollzugsanstalt der Anstaltsleitung25, ebenso wie Bestimmungen, die aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt erlassen wurden, entsprechende Geltung fiir den Anstaltsseelsorger besitzen26. Er unterliegt jedoch nicht nur in seiner Pflichtenstellung den strafvollzugsbedingten Vorgaben, sondern kann als Mitarbeiter im Vollzug auch die Rechte der übrigen Vollzugsbediensteten geltend machen 27 . Besonders wird dabei in § 4 Abs. 3 SaarlVb das Recht des Anstaltsgeistlichen auf die Teilnahme an den allgemeinen Beamtenkonferenzen betont.

6. Der Anstaltsseelsorger

in kirchlichen Diensten

Die Dienstaufsicht über den Anstaltsseelsorger übt allein der Superintendent des Kirchenkreises Saarbrücken aus 28 . Da der Anstaltsseelsorger als Pfarrer des Kirchenkreises Saarbrücken anzusehen ist, ist er verpflichtet, an

22 § 3 Abs. 5 S. 2 SaarlVb 23 § 3 Abs. 4 SaarlVb 24 § 3 Abs. 6 SaarlVb 25 § 4 Abs. 2 S. 1 SaarlVb 26 § 4 Abs. 2 S. 2 SaarlVb 27 § 4 Abs. 3 SaarlVb 28 § 4 Abs. 1 SaarlVb unter Verweis auf Art. 163 Abs. 3 Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland

360

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

den monatlich regelmäßigen Pfarrkonventen des Kirchenkreises teilzunehmen 29 . Gleichzeitig ist in der Vereinbarung festgelegt, daß der Anstaltspfarrer teilnahmeverpflichtetes und stimmberechtigtes Mitglied der Kreissynode ist 30 . Diese detaillierten innerkirchlichen Regelungen in einer staatlich-kirchlichen Vereinbarung sind ohne Nachahmung in den anderen deutschen Ländern geblieben. Es fragt sich, ob derartige Bestimmungen in eine Vereinbarung passen, die zwischen Staat und Kirche über die Anstaltsseelsorge geschlossen werden.

7. Absenzenregelungen / Urlaub / Fortbildung

§ 5 SaarlVb regelt sämtliche den Anstaltsseelsorger betreffenden Fragen bzgl. Urlaub und Fortbildung. Dabei wird auf die einschlägigen Regelungen des Pfarrerdienstgesetzes verwiesen. Bemerkenswert ist die Festlegung von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen auf der Ebene von Land und Kirchenkreis 31 . 8. Finanzielle Regelungen

Die Bestimmungen der § § 6 - 1 1 SaarlVb enthalten detaillierte finanzielle Regelungen. Danach stehen dem Anstaltsseelsorger Reisekosten nach beamtenrechtlichen Vorschriften zu, § 6 Abs. 1 SaarlVb, wobei für Fahrten vom Dienstsitz in Saarbrücken zu den Justizvollzugsanstalten keine Entschädigung des Landes gewährt wird, § 6 Abs. 2 SaarlVb. § 7 SaarlVb bestimmt, daß der Pfarrer seine Besoldung von der Kirche erhält, welche den - den einschlägigen Bestimmungen des Besoldungsgesetzes entsprechenden - Besoldungsaufwand gem. § 7 Abs. 2 SaarlVb vom Land erstattet bekommt, zuzüglich einem näher geregelten Beitrag zum Versorgungsaufwand, § 8 Abs. 1 SaarlVb. Bei Ausscheiden des Pfarers vor Ablauf eines Dienstjahres an Justizvollzugsanstalten, sind Beiträge zu Versorgungslasten von der Kirche dem Land zurückzuerstatten. In § 9 SaarlVb verpflichtet sich das Land zur Beteiligung an weiteren finanziellen Nebenleistungen. § 10 SaarlVb klärt die finanziellen Leistungen des Landes an die Kirche im Falle der Unmöglichkeit der Anstaltsseelsorge. Weitere Zahlungsmodalitäten legt § 11 SaarlVb fest.

29 § 4 Abs. 1 S. 2 SaarlVb 30 § 4 Abs. 1 S. 3 SaarlVb 31 § 5 Abs. 3 SaarlVb

§ 2 2 Saarland

361

IV. Zusammenfassende Bewertung zur Vereinbarung mit der evangelischen Kirche Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die saarländische Vereinbarung schwerpunktmäßig finanzielle und statusmäßige Regelungen zur Anstaltsseelsorge trifft. Dabei ist im Bereich der finanziellen Abmachungen eine sinnvolle Zusammenstellung gelungen. Die anderen Regelungen müssen als relativ unsystematisch klassifiziert werden. So sind die Bereiche von Staat und Kirche nicht klar getrennt worden. Innerhalb der gleichen Paragraphen finden sich unterschiedlichste Regelungsgegenstände. Ein Versuch, die jeweiligen Paragraphen unter Überschriften zusammenzufassen, wäre bei dieser Vereinbarung unmöglich. Bei der Beschreibung eines Aufgabenkatalogs für den Anstaltsseelsorger hält sich die Vereinbarung sehr zurück. Auch sind die Verweisungen auf kirchliche Gesetze in einer staatlich-kirchlichen Vereinbarung unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht unbedenklich.

V. Darstellung der rechtlichen Regelungen hinsichtlich des Wirkens der katholischen Kirche Am 6. Mai 1982 wurde zwischen dem Saarland und der katholischen Kirche eine Vereinbarung über die katholische Seelsorge32 an den saarländischen Justizvollzugsanstalten geschlossen, und eine Dienstordnung33 für die katholischen Seelsorger in Kraft gesetzt. Diese beiden Regelungswerke stimmen bis auf wenige Unterschiede wörtlich mit den hessischen Regelungen überein, sodaß im folgenden nur Abweichungen von der hessischen Vereinbarung dargestellt werden 34 .

32 Vereinbarung boni 6. Mai 1982 über die katholische Seelsorge an den saarländischen Justizvollzugsanstalten (GMB1. Saarland S. 184), abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi* Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 610 ff 33 Dienstordnung für die katholischen Anstaltspfarrer in den Justizvollzugsanstalten des Saarlandes vom 6. Mai 1982 - Allgemeine Verfügung des Ministers fur Rechtspflege Nr. 10 / 1982; Gz: 4561 - 5; abgedruckt in Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 614 ff 34 vgl. Kapitel § 18

362

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

L Stellung der Seelsorge

Ebenso wie die hessische Dienstordnung, stellt auch die saarländische Dienstordnung in Nr. 1 S. 1 SaarlDO klar, daß auch die Anstaltsseelsorge einen Teil der allgemeinen kirchlichen Seelsorge bildet. Die bereits in der Besprechung der hessischen Rechtslage geäußerte Kritik, daß eine so grundlegende Aussage besser in die Vereinbarung, als in eine Dienstordnung gepaßt hätte 35 , gilt auch hier. Diese Betonung der kirchlichen Eigenständigkeit auch im staatlichen Justizvollzug wird in der saarländischen Dienstordnung dahingehend erweitert, daß die Anstaltsseelsorge von Anstaltspfarrern 36 ausgeübt wird. Hier wird klargestellt, daß keine anderen Vollzugsbediensteten diese Aufgabe wahrnehmen können. Zugleich ist somit die Institution der "Anstaltspfarrer" erklärt.

2. Das Dienstverhältnis

der Anstaltspfarrer

Unterschiede bestehen in der Wortwahl des Art. 2 Abs. 1 SaarlVb., der festlegt, daß der Anstaltspfarrer im Dienst des örtlich zuständigen Bistums, und zum Saarland in einem "Beschäftigungsverhältnis" besonderer Art steht, wohingegen die hessische Vereinbarung von einem "Rechtsverhältnis"37 besonderer Art spricht. Betont wird im Saarland folglich nicht die Besonderheit der gesamten Rechts- und Pflichtenstellung des Anstaltsgeistlichen, sondern nur die dienstrechtliche Besonderheit seiner Tätigkeit. Ein weiterer Unterschied findet sich in der Regelung über Urlaub und Dienstbefreiung 38. Im Saarland steht den Anstaltsseelsorgern Urlaub und Dienstbefreiung "nach den für die Beamten des Landes geltenden Vorschriften" 39 zu, während sich dies in Hessen "nach den für Pfarrer geltenden

35 vgl. Kapitel § 18 36 Nr. 1 S. 2 SaarlDO 37 Art. 2 Abs. 1 S. 2 HesVb 38 Art. 5 Abs. 1 S. 1 SaarlVb und Art. 5 Abs. 1 S. 1 HesVb 39 Art. 5 Abs. 1 S. 1 SaarlVb

§ 22 Saarland

363

Vorschriften" 40 richtet. Diese Unterscheidung wird auch in den jeweiligen Dienstordnungen aufgegriffen, nach denen die saarländischen Anstaltsseelsorger "Anspruch auf Urlaub und Dienstbefreiung nach den für Beamte ... geltenden Vorschriften" 41 haben, während sich dies in Hessen "nach den für Pfarrer allgemein geltenden Vorschriften" 42 richtet. Es ist somit im Saarland für die Anstaltsseelsorger eine etwas engere Anlehnung an den Beamtenstatus zu konstatieren, als in Hessen. Exerzitien und Fortbildungsmaßnahmen kann der saarländische Anstaltspfarrer entsprechend der Vereinbarung "in angemessenem Umfang" 43 wahrnehmen, wohingegen diese Beschränkung in Hessen durch die Notwendigkeit der Förderlichkeit für den Dienst 44 ersetzt ist. Inkonsequent ist die saarländische Formulierung hinsichtlich Exerzitien und Fortbildung in der Dienstordnung, die in einer bloßen Wiederholung der hessischen Dienstordnung45 den noch in der Vereinbarung gemachten Unterschied des "angemessenen Umfangs" nicht mehr erwähnt. Somit widersprechen sich in diesem Punkt die saarländische Vereinbarung und die saarländische Dienstordnung, was wohl mit einer etwas unreflektierten Übernahme der hessischen Dienstordnung zu erklären ist.

3. Finanzielle Regelungen

Im Rahmen der finanziellen Regelungen ist der Katalog der vom Land der Kirche zu erstattenden Nebenleistungen von Beihilfe, Reise- und Umzugskosten, sowie Trennungsgeld46 um die Positionen von "Abfindungen, Übergangsgelder, Unterstützung, Unfallfürsorge" 47 erweitert worden. Die anteilige Beteiligung des Landes an der Versorgungslast für den Anstaltspfarrer

40 Art. 5 Abs. 1 S. 1 HesVb 41 Nr. 11 S. 1 SaarlDO 42 Nr. 11 S. 1 HesDO 43 Art. 5 Abs. 2 SaarlVb 44 Art. 5 Abs. 2 HesVb 45 Nr. 11 S. 2 SaarlDO 46 Art. 6 Abs. 2 S. 1 HesVb 47 Art. 6 Abs. 2 S. 1 SaarlVb

364

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

beträgt im Saarland, ebenso wie in Hessen 25 % der zu erstattenden Dienstbezüge 48 . Allerdings ist die hessische Bedingung, daß der Anstaltspfarrer kontinuierlich länger als ein Jahr als Anstaltspfarrer tätig gewesen sein muß 49 , nicht in die saarländische Vereinbarung aufgenommen. Die Bestimmung, daß die Zahlungen des staatlichen Versorgungslastanteils monatlich im voraus zu zahlen ist, ist nur in der saarländischen Vereinbarung enthalten50.

4. Konferenz

Während Art. 10 HesVb die Einberufung von Konferenzen über Fragen der Anstaltsseelsorge und des Justizvollzugs durch die Bistümer vorsieht, läßt die saarländische Vereinbarung offen, wer - ob der Staat oder die Kirche - die Konferenzen einberuft 51. Sie weist allerdings auf die Motivation für diese Konferenzen hin, indem sie das "Interesse an einer einheitlichen Ausrichtung des Dienstes und des Erfahrungsaustausche der Anstaltspfarrer" 52 nennt. Weitere Unterschiede bestehen zwischen der saarländischen und der hessischen Vereinbarung nicht, sodaß für die übrigen Fragen, wie Stellung des Anstaltspfarrers im Vollzug, Berufung, Aufsicht u.a. die Darstellung in Kapitel § 18 Abschnitt III herangezogen werden kann.

VI. Zusammenfassende Bewertung zur Regelung des Wirkens der katholischen Kirche im saarländischen Justizvollzug Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß im Saarland für den Bereich der katholischen Kirche die hessischen Vereinbarungen zum großen Teil übernommen worden sind. Dabei ist jedoch bei der Ausgestaltung des Dienstverhältnisses der Anstaltsseelsorger eine Annäherung an die beamten48 Art. 7 Abs. 2 SaarlVb; Art. 7 Abs. 2 HesVb 49 Art. 7 Abs. 2 S. 1 HesVb 50 Art. 7 Abs. 2 S. 3 SaarlVb 51 Art. 10 S. 1 SaarlVb 52 Art. 10 S. 1 SaarlVb

§ 22 Saarland

365

rechtlichen Regelungen erfolgt. Trotz dieser Anlehnung ist auch im Saarland die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des kirchlichen Dienstes im staatlichen Justizvollzug gewährleistet. Die detaillierten Regelungen der Dienstordnung vermögen Klarheit in die Rechte und Pflichten der Anstaltsseelsorger zu bringen. Es fragt sich allerdings, ob derartig detaillierte Kataloge nicht die Gefahr in sich bergen, daß sich sowohl der Staat, als auch die Kirche, auf bewährte und gesicherte Rechtspositionen zurückziehen, und Entwicklungen und neue Anforderungen an ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich übersehen. Da jedoch die gewählten Formulierungen genügend Offenheit für künftige Entwicklungen bieten, sind die getroffenen Regelungen im Hinblick auf die geschaffene Transparenz staatlichen und kirchlichen Wirkens zu begrüßen.

§ 23 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Schleswig-Holstein

I. Statistische Daten In Schleswig-Holstein werden konfessionsbezogene Daten für die Strafgefangenen an den 6 Justizvollzugsanstalten nicht erhoben1. Die insgesamt 1357 Gefangenen 2 werden von 5 hauptamtlichen, nämlich 2 katholischen und 3 evangelischen Anstaltsseelsorgern betreut. Dazu sind 3 nebenamtliche, evangelische Anstaltsseelsorger tätig3. Von den 5 hauptamtlichen Seelsorgern sind 2 ins Beamtenverhältnis übernommen worden und 3 in Diensten der Kirche, wobei hier ein evangelischer und 2 katholische Seelsorger in den Diensten der Kirche verblieben sind. Die nebenamtlichen Seelsorger sind beide in kirchlichen Diensten4.

II. Überblick über die Rechtslage in Schleswig-Holstein In Schleswig-Holstein garantiert Art. 8 des Vertrages zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Hol-

1 Schreiben des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14.2.1991, Az: V 230 b / 4561 - 20, an die Verfasserin, S. 2

2

Stichtag: 31.10.1989

3 Schreiben der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche vom 10.3.1992, Az: 5060- WD an die Verfasserin 4

Schreiben des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14.2.1991, Az: V 230 b / 4561 - 20, an die Verfasserin, S. 3

§ 23 Schleswig-Holstein

367

stein vom 23. April 19575 den evangelischen Kirchen die Zulassung zu seelsorgerischen Besuchen und kirchlichen Handlungen im Strafvollzug. Weitere Vereinbarungen fur hauptamtliche Anstaltsseelsorger sind nicht getroffen 6. Für nicht hauptamtliche Anstaltsseelsorger regelt eine Allgemeinverfugung des Justizministers vom 15. Oktober 1962 / 10. April 1967 i.d.F. vom 18. Oktober 1971 7 finanzielle Fragen. Die Tätigkeit freiwilliger Helfer im Justizvollzug wird durch einen Erlaß des Justizministers vom 24. Mai 1974 8 geregelt, wobei diese Vorschrift keine Besonderheiten für seelsorglich tätige Helfer beinhaltet, sodaß eine nähere Darstellung im Rahmen dieser Arbeit unterbleiben kann9. Der schleswig-holsteinische Kirchenvertrag vom 29. Juni 1957 stellt den zweiten zwischen Staat und evangelischer Kirche geschlossenen Vertrag seit dem zweiten Weltkrieg dar und lehnt sich zum großen Teil an den niedersächsischen Vertrag vom 23. April 1955 an 1 0 . Mit diesem Vertrag sollte das neue Verständnis der Beziehungen von Staat und Kirche im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft, welches sich seit 1945 in ganz Deutschland entwickelt hatte, auch für Schleswig-Holstein dokumentiert werden 11 . Die Regierungsbegründung des schleswig-holsteinischen Landtags zum Kirchenvertrag sieht in Art. 8 SHKV eine nähere Ausgestaltung des durch Art. 141 WRV garantierten Rechts der Kirchen zur Zulassung in Strafanstalten 12.

5 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff und Listi , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. Π, S. 665 ff

6

Schreiben des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14.2.1991

7 abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 8

Betreuung von Gefangenen durch freiwillige Helfer - Erl. JM Schleswig-Holstein, vom 24. Mai 1974 (V 43 / 4400 - 138); abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 9 Eine Änderung dieses Erlasses ist gem. Schreiben des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14.2.1991 in Vorbereitung 10

May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (74) u Regierungsbegründung des schleswig-holsteinischen Landtags, 3. Wahlperiode 1954, Drucksache Nr. 650, S. 22 ff; abgedruckt in: Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. Π, S. 682 ff 12 Regierungsbegründung des schleswig-holsteinischen Landtags, 3. Wahlperiode 1954, Drucksache Nr. 650, S. 22 ff; abgedruckt in: Usti , Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, Bd. II, S. 686

368

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

III. Darstellung der Aussage des schleswig-holsteinischen Kirchenvertrages zur Anstaltsseelsorge Die Formulierung des die Anstaltsseelsorge regelnden Art. 8 SHKV lehnt sich einerseits zum Teil an die niedersächische Regelung des Art. 6 NdsKV an, hat aber andererseits auch in ihren Abweichungen vom niedersächischen Kirchenvertrag Nachahmung gefunden in Art. 21 des rheinland-pfälzischen Kirchenvertrags vom 31. März 1962 13 . So sieht Art. 28 Abs. 1 S. 1 SHKV die Zulassung der Kirchen zu seelsorgerlichen Besuchen und kirchlichen Handlungen vor, wobei die Einschränkung auf den "Rahmen der allgemeinen Hausordnung", die noch in Art. 6 NdsKV enthalten war, hier in Fortfall gekommen ist. Auffallig ist zudem, daß der Vertrag, obwohl er nur mit den evangelischen Kirchen in Schleswig-Holstein geschlossen wurde, nicht von der Zulassung der "evangelischen" Pfarrer 1 4 spricht, sondern - offener - von der Zulassung der Kirchen. Art. 8 Abs. 2 S.l SHKV legt die im Falle hauptoder nebenamtlicher Anstellung eines Anstaltsgeistlichen die Bestellung des Geistlichen durch das Land im Einvernehmen mit der Kirche fest, ohne eine kirchliche Bestellung vorzusehen. Trotz des Dienstverhältnisses mit dem Land verpflichtet sich die Kirche in Art. 8 Abs. 2 S. 2 SHKV, dem Anstaltsgeistlichen die pfarramtlichen Aufgaben zu übertragen. Die noch im niedersächsischen Vertrag geforderte "Notwendigkeit", wurde im schleswig-holsteinischen Kirchenvertrag beiseite gelassen. Sehr deutlich wird die Betonung der Eigenständigkeit der Kirchen auch im staatlichen Justizvollzug durch die Herausstellung der geistlichen und disziplinarischen Aufsicht der Kirche in Angelegenheiten der durch die Ordination erworbenen Rechte 15 . Dabei bleibt jedoch die Disziplinargewalt des Landes hiervon unberührt, Art. 8 Abs. 3 S. 1 SHKV. Die Aufnahme aufsichtlicher Regelungen in staatlich-kirchliche Vereinbarungen stellte im Jahr 1957 eine Neuheit dar, fand jedoch in der Folge sowohl in der evangelischen16, als auch in der katholischen Kirche 17 weitgehend Nachahmung. Insbesondere in den nachfolgenden Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Ländern und den

13

May, Georg, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, in: ArchKathKR 132 (1963), S. 61 - 109 und S. 434 (463) 14

so aber: Art. 6 S. 1 NdsKV

15

Art. 8 Abs. 3 S. 1 SHKV

16

vgl. Art. 21 RhPfKV

17

vgl. Art. 11 NdsK

§ 23 Schleswig-Holstein

369

Kirchen wurde dieses Modell übernommen18. Die Respektierung der kirchlichen Eigenständigkeit und der kirchlichen Unabhängigkeit wird auch in der Regelung des Art. 8 Abs. 3 S. 2 SHKV deutlich, in dem sich das Land verpflichtet, einen Geistlichen, der die durch Ordination erworbenen Rechte verloren hat, nicht mehr zu beschäftigen.

IV. Nichthauptamtliche Anstaltsseelsorger Die Allgemeinverfügung des Justizministers des Landes SchleswigHolstein für nicht hauptamtliche Anstaltsseelsorger 19, die sowohl für evangelische, als auch für katholische Anstaltsseelsorger, ebenso wie für andere Glaubensangehörige gilt 2 0 , enthält hinsichtlich des Aufgabenkreises der Anstaltsgeistlichen nur den Hinweis auf die geltenden Vollzugsordnungen, sonstigen Anordnungen des Justizministers und Dienstanweisungen21. Im übrigen werden in dieser Allgemeinverfügung nur finanzielle Regelungen getroffen. Daher wird sie im Rahmen dieser Darstellung nicht näher erläutert.

V. Zusammenfassende Bewertung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in Schleswig-Holstein, abgesehen von der Rahmenbestimmung des Art. 8 SHKV und der Geltung des Art. 28 RK nebst Schlußprotokoll, keine näheren formalen Regelungen hinsichtlich des staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Justizvollzug beste-

18

vgl. bei den Einzeldarstellungen zu den Verhältnissen in den Ländern jeweils unter der Überschrift "Aufsicht" 19

Allgemeinverfugung des Justizministers vom 15. Oktober 1962 / 10. April 1967 i.d.F. vom 18. Oktober 1971 - V / 40 / 2412 - 7 -; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 20 vgl. Teil A. Evangelische und katholische Seelsorge; und Teil B. Seelsorge anderen Bekenntnisses der Allgemeinverfugung des Justizministers vom 15. Oktober 1962 / 10. April 1967 i.d.F. vom 18. Oktober 1971 - V / 40 / 2412 - 7 -; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff 21 I. S. 2 AV 15. Oktober 1962 i.d.F. vom 18. Oktober 1971; abgedruckt in: Rassow, Peter (Hrsg.), Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Celle 1976 ff

24 Eick-Wildgans

370

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

hen. Angesichts der Anzahl der schleswig-holsteinischen Justizvollzugsanstalten und der Gefahr einer Ungleichbehandlung der Gefangenen und der Anstaltsseelsorger in Fragen der Religionsfreiheit scheint im Sinne größerer Klarheit, sowohl in formaler, als auch in inhaltlicher Hinsicht, eine detailliertere Vereinbarung staatlichen und kirchlichen Wirkens im Justizvollzug nach dem Vorbild anderer Länder wünschenswert.

§ 24 Das Verhältnis von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Strafvollzugs in den Ländern auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

Mit dem Beitritt der Länder der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 entfaltet gem. Art. 3 des Einigungsvertrags auch Art. 140 GG / Art. 141 WRV für den Justizvollzug in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen Wirkung. Das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes gilt somit als säkulare Rahmenordnung1 auch dort. Eine Ausfüllung mit vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen ist bis zum Mai 1992 dort nicht erfolgt. Somit gelten hier die für das Bundesgebiet erarbeiteten Grundsätze, insbesondere Art. 140 GG / 141 WRV und die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes als einseitig staatliche Regelungen auch für die Länder auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Entsprechend der Auffassung, daß das Reichskonkordat ein völkerrechtlicher Vertrag ist, dem die Bundesrepublik als Vertragspartner angehört, gilt es seit dem Beitritt der neuen Länder gem. Art. 11 Einigungsvertrag auch für das Gebiet der ehemaligen DDR. Da der Heilige Stuhl dem Einigungsvertrag nicht widersprochen hat, kann somit von einer Geltung des Reichskonkordats auch für die neuen Länder ausgegangen werden2. Für das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und den neuen Bundesländern im Strafvollzug gilt daher Art. 28 RK nebst Schlußprotokoll. Aufgrund des Paritätsgrundsatzes kann sich auf diese Regelungen auch die evangelische Kirche berufen 3.

1 Heckel, Martin, Die Vereinigung der evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Jus ecclesiasticum; Bd. 40, Tübingen 1990, S. 132 2 Vgl. Puza, Richard, Die Kirchen und die deutsche Einheit. Kirchen- und staaatskirchenrechtliche Probleme um das deutsch-deutsche Zusammenwachsen, in: Theologische Quartalsschrift, 171. Jahrgang, 1991, S. 188 (197)

3 Vgl. Kapitel § 12 Abschnitt III.

2A*

372

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Teilweise sind in den fünf neuen Bundesländern Vereinbarungen mit der Kirche beabsichtigt4, teilweise regeln die Verfassungen der Länder5 das staatliche und kirchliche Zusammenwirken im Strafvollzug.

I. Brandenburg In Brandenburg existierten bei Abschluß dieser Arbeit keine Absprachen mit den Kirchen. Nähere Informationen konnten wegen der Reorganisation des Strafvollzugs seitens des Justizministeriums nicht gegeben werden 6. Es bleibt daher bei der Bestimmung der brandenburgischen Verfassung vom 22.4.1992, Art. 38, die in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Grundgesetzes die Seelsorge in Strafanstalten regelt 7, indem sie die Pflicht des Staates festhält, den Kirchen und Religionsgemeinschaften Gottesdienste, Seelsorge und andere religiöse Handlungen in Strafanstalten nach Maßgabe der bestehenden Bedürfhisse zu ermöglichen.

II. Mecklenburg-Vorpommern In den 11 Justizvollzugsanstalten des Landes Mecklenburg-Vorpommern befanden sich zum Stichtag 1. April 1991 250 Strafgefangene überwiegend evangelischen Bekenntnisses, wobei diese Angabe anhaltsmäßigen Charakter hat, da konfessionsbezogene Daten bisher nicht erhoben wurden 8. Diese Strafgefangene werden von 12 nebenamtlichen Anstaltsseelsorgern betreut, von denen 11 evangelischen Bekenntnisses und einer katholischen Bekennt-

4 Zum Abschluß dieser Arbeit Juli 1992 waren der Verfasserin jedoch noch keine Vereinbarungen bekannt. 5 Vgl. die in Anhang I abgedruckten Verfassungstexte der Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, sowie des Verfassungsentwurfs von Mecklenburg-Vorpommern. 6 Schreiben des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg an die Verfasserin, 22.5.1991, Az: 4407 Ε - IV - 1 7 Vgl. dazu die vergleichende Darstellung der Aussagen der Ländernverfassungen in Kapitel 11 8 Herzlichen Dank sei an dieser Stelle Herrn Dr. Kühling vom Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die im folgenden verwerteten Informationen gesagt.

§ 24 Die Länder in der ehemaligen DDR

373

nisses ist. Sie stehen alle in kirchlichen Diensten 9 . Die Aufsicht über die evangelischen Seelsorger üben die evangelisch-lutherische Kirche Mecklenburg und die Pommersche evangelische Kirche aus. Der katholische Seelsorger untersteht der Aufsicht des katholischen Bischofs 10 . Abgesehen von den staatlichen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes sind hier entsprechende Vereinbarungen mit den Kirchen in Vorbereitung 11 . Der Verfassungsentwurf des Landes Mecklenburg-Vorpommern sieht den Verweis auf die Geltung der Artikel 136 bis 139 und 141 WRV vor. Besonders hervorzuheben ist die Gewährleistung seelsorgerlicher Betreuung an jeder Justizvollzugsanstalt12 bereits im April 1991. Mecklenburg-Vorpommern stellte das einzige Land auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik dar, das sich der religiösen Belange der Strafgefangenen bereits zu diesem Zeitpunkt in einer gewissen organisierten Form angenommen hatte.

III. Sachsen Für die 15 Justizvollzugsanstalten des Freistaates Sachsen wurden zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit noch keine Daten hinsichtlich Strafgefangener zentral erfaßt 13 . Zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluß der Aufbauphase werden Informationen zu Staat und Kirche im Strafvollzug erhältlich sein 1 4 . Die Verfassung des Landes Sachsen fixiert in Art. 109 Abs. 4 u.a. die Geltung des Art. 141 WRV, sodaß auf die Ausführungen in Kapitel § 5 verwiesen werden kann.

9 Schreiben des Ministeriums fur Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 10.4.1991, S. 2 10 Schreiben des Ministeriums für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 10.4.1991, S. 3 11 Schreiben des Ministeriums für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 10.4.1991, S. 3

12 Vgl. Nordkurier, 23. Januar 1991, S. 2 13 Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz vom 26.2.1991 Az: sch-gf IV. 1 -52/91 14 Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz vom 8.3.1991 Az: we-schoe IV. 3 -466 / 91

374

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

IV· Sachsen-Anhalt Das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt sieht im Aufbau eines den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Justizvollzugs eine wesentliche Aufgabe 15 . Über das Zusammenwirken von Staat und Kirche im Strafvollzug sind über die bundesgesetzlichen Vorgaben hinaus keine Vereinbarungen getroffen worden 1 6 . Die neue Verfassung des Landes SachsenAnhalt vom 16.7.1992 enthält im Hinblick auf das kirchliche Wirken im Strafvollzug in Art. 32 Abs. 4 zum Verhältnis von Kirche und Staat den Verweis auf die Geltung von Art. 141 WRV.

V. Thüringen In Thüringen wird ein den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes entsprechender Justizvollzug aufgebaut 17 . Daten über die Konfessionszugehörigkeit der Gefangenen wurden im Frühjahr 1991 noch nicht systematisch erhoben 18 . Landesrechtliche Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche bestehen noch nicht. Allerdings sind teilweise bereits einige Anstaltsseelsorger auf ehrenamtlicher Basis in den Vollzugsanstalten tätig 1 9 . Dabei ist ein Diskussionsprozeß über die Regelung der Anstellungsverhältnisse im Gange. Aufgrund der unklaren Haushaltslage gibt es jedoch noch keine diesbezüglichen Fixierungen 20 .

15

Schreiben des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt vom 4.3.1991 Az: 4407-43.2, S. 1 16 Schreiben des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt vom 4.3.1991 Az: 4407 -43.2, S. 2 17 Mein Dank gilt an dieser Stelle Herrn Dargel vom Thüringer Justizministerium für die im folgenden verwerteten Informationen

18 Schreiben des Thüringer Justizministeriums vom 4.3.1991 Az: 4400 E - 4 - 7 / 91, S. 2 19 Schreiben des Thüringer Justizministeriums vom 4.3.1991 Az: 4400 E - 4 - 7 / 91, S. 2 20 Schreiben des Thüringer Justizministeriums vom 4.3.1991 Az: 4400 E - 4 - 7 / 91, S. 2

§ 25 Musterentwurf einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche über kirchliches Wirken im Strafvollzug

I. Textentwurf

Artikel 1:

Stellung der Seelsorge

Die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten ist Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen kirchlichen Seelsorge.

Artikel 2: I.

II.

Aufgaben

Der Anstaltsseelsorger erweist den seelsorgerlichen Dienst grundsätzlich den Angehörigen seines Bekenntnisses. § 54 Abs. 2 StVollzG bleibt unberührt. Zu den Aufgaben des Anstaltsseelsorgers zählen insbesondere: 1. Abhaltung von Gottesdiensten 2. Abnahme der Beichte und Spendung der Sakramente 3. Vornahme sonstiger Amtshandlungen 4. Einzelseelsorge einschließlich Krankenseelsorge 5. Gruppenseelsorge 6. Abhaltung von Besuchen und Beteiligung an Ausführungen von Gefangenen in seelsorgerlich begründeten Fällen 7. Seelsorgerlicher Beistand fur die Gefangenen und deren Angehörigen in Partnerschafts-, Ehe- und Familienangelegenheiten 8. Mitwirkung bei der sozialen Hilfe und Fürsorge für die Gefangenen und deren Angehörige 9. Einverständliche Mitwirkung bei der Anschaffung und Ausgabe religiöser Bücher und Schriften, beratende Mitwirkung bei der Anschaffung anderer Bücher für die Gefangenenbücherei 10. Bereitschaft zur Seelsorge an den Vollzugsbediensteten 11. Teilnahme an Dienstbesprechungen und Konferenzen.

376

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Zur Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung, sowie zu Äußerungen in Gnadensachen und Verfahren zur Aussetzung von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, ebenso wie zur Überwachung oder Zensur des Schriftwechsels ist der Anstaltspfarrer nicht verpflichtet.

Artikel 3:

Amtsverschwiegenheit

Die Freiheit der Verkündigung, das Beicht- und Seelsorgegeheimnis, sowie die Amtsverschwiegenheit werden gewahrt.

Artikel 4: I.

II.

Artikel 5: I.

II. III.

IV.

Stellung des Anstaltsseelsorgers im Vollzug

Der Anstaltsseelsorger gehört im Rahmen seines Amtes zu den maßgeblich an der Behandlung der Gefangenen im Vollzug Beteiligten. Er hat für die Dauer seiner Tätigkeit innerhalb der Vollzugsanstalt die gleichen Rechte wie die übrigen Vollzugsbediensteten. Er ist verpflichtet, die für den Vollzug geltenden Vorschriften und Anordnungen zu beachten. Darüberhinaus hat er besondere, durch seelsorgerisches Handeln bedingte Rechte, insbesondere ein jederzeitiges Zutrittsrecht zu den Gefangenen, soweit dies aus seelsorgerlichen Gründen geboten ist. Für den Dienst des Seelsorgers gelten die Gottesdienstordnungen, Agenden, Dienstordnungen und sonstigen allgemeinen Bestimmungen der für ihn zuständigen Kirche.

Anstellung, Versetzung, Abberufung

Seelsorger in Justizvollzugsanstalten werden von den Kirchen im Einveraehmen mit dem Justizministerium (die für die Angelegenheiten des Strafvollzuges zuständige oberste Landesbehörde) berufen. Sie bleiben im Dienst der Kirche und stehen zum Land in einem Rechtsverhältnis besonderer Art nach Maßgabe dieser Vereinbarung. Die berufenen Seelsorger gelten als Anstaltsseelsorger bis auf weiteres zur Verfügung gestellt. Eine Abberufung erfolgt durch die Kirche nach einer Stellungnahme des Justizministeriums. Im Falle schwerwiegender Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann das Justizministerium die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers unter gleichzeitiger Mitteilung der Gründe an die betreffende Landeskirche fristlos untersagen. Falls eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Anstaltsseelsorger nicht mehr möglich ist, ist die Kirche zur Abberufung verpflichtet. Im Fall der Vakanz soll die Stelle des Anstaltsseelsorgers innerhalb von drei Monaten wieder besetzt werden.

§ 25 Musterentwurf

Artikel 6: I.

II.

III.

II.

II. III.

Aufsicht und Visitation

Die Aufsicht über die Seelsorger in geistlichen Angelegenheiten übt die zuständige Kirche aus. Im Rahmen dieser Aufsicht ist die Kirche berechtigt, bei ihren Seelsorgern Visitationen im Benehmen mit der Anstaltsleitung durchzuführen. Wird durch eine aufsichtliche Maßnahme der Kirche die Stellung des Anstaltsgeistlichen als Vollzugsbediensteter betroffen, so ist das Justizministerium zuvor zu informieren. In Fragen der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt untersteht der Anstaltsseelsorger der Aufsicht des Anstaltsleiters, bzw. des Justizministeriums. Greift eine aufsichtliche Maßnahme des Staates in den seelsorgerischen Wirkungskreis ein, so ist das Einverständnis der Kirche zu dieser Maßnahme einzuholen.

Artikel 8: I.

Zweifels- oder Streitfragen und Beschwerden

Zweifels- oder Streitfragen, sowie Beschwerden des Anstaltsseelsorgers über die Anstaltsleitung und der Anstaltsleitung oder der Gefangenen über die Anstaltsseelsorge, sind zunächst zwischen dem Anstaltsleiter und dem Anstaltsseelsorger mit dem Ziel einer einvernehmlichen Klärung zu erörtern. Kommt eine Einigung nicht zustande, so ist die Angelegenheit gleichzeitig dem Justizministerium und der Kirche vorzulegen. Diese bemühen sich, nach Anhörung der Beteiligten und des Vorsitzenden der Konferenz, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Kommt diese nicht zustande, so trifft im Falle der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt das Justizministerium die Entscheidung unter wohlwollender Berücksichtigung des kirchlichen Standpunkts. Die Entscheidung ist mit Gründen zu versehen und unverzüglich dem betroffenen Anstaltsseelsorger, seiner Kirche und dem Anstaltsleiter zu übermitteln.

Artikel 7: I.

377

Fortbildung, Urlaub, Vertretung und Arbeitszeit

Der Anstaltsseelsorger hat Anspruch auf Teilnahme an den Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen seiner Kirche, sowie an anderen kirchlichen Veranstaltungen, die für seinen Dienst förderlich sind, entsprechend der für seine Kirche geltenden Vorschriften. Für seinen Anspruch auf Urlaub und Dienstbefreiung gelten die Vorschriften seiner Kirche. Die Vertretung in Abwesenheitszeiten regeln der Anstaltsseelsorger und die Anstaltsleitung einvernehmlich.

378 IV.

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Der Anstaltsseelsorger setzt im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für den öffentlichen Dienst seine Dienstzeit im Benehmen mit der Anstaltsleitung fest.

Artikel 9: I.

II.

Artikel 10: I.

II.

III.

Organisatorische Voraussetzungen

Der Anstaltsseelsorger hat das Recht zur Inanspruchnahme aller Einrichtungen und zur Veranlassung organisatorischer Maßnahmen, die zur Erfüllung seiner Aufgaben gem. Art. 2 geeignet und erforderlich sind, soweit diese mit den bestehenden Vollzugsvorschriften und den örtlichen Verhältnissen in Einklang gebracht werden können. Er hat insbesondere Anspruch auf Bereitstellung eines Gottesdienstraumes, eines zweckdienlich ausgestatteten Dienstzimmers, sowie von Hilfspersonal und von Dienstschlüsseln. Organisatorische Angelegenheiten werden zwischen Anstaltsseelsorger und Anstaltsleitung einvernehmlich geregelt.

Konferenz

Die Seelsorger an den Justizvollzugsanstalten bilden eine Konferenz, die jährlich einmal zum Zwecke der gegenseitigen Information, des Erfahrungsaustausches, sowie der Aus- und Fortbildung von der Kirche einberufen wird. Soweit Fragen der staatlich-kirchlichen Zusammenarbeit berührt werden, sind Vertreter des Justizministeriums zur Teilnahme zuzulassen. Zum Vorsitzenden der Konferenz kann nur ein Anstaltsseelsorger gewählt werden, der mindestens seit vier Jahren im Justizvollzugsdienst tätig ist. Die Amtszeit des Vorsitzenden beträgt 3 Jahre; Wiederwahl ist zulässig. Dem Vorsitzenden der Konferenz obliegt insbesondere die Vertretung der Mitglieder der Konferenz gegenüber kirchlichen und staatlichen Stellen, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Vollzugs- und Kirchenbehörden, sowie die Beratung von Anstaltsseelsorgern und Justizministerium in seelsorgerlichen Angelegenheiten.

Artikel 11:

Nebenamtliche Seelsorger

Für nebenamtliche Anstaltsseelsorger finden diese Vorschriften entsprechend Anwendung.

§ 25 Musterentwurf

Artikel 12:

379

Dienstordnung

Die vertragsschließenden Parteien behalten sich vor, gegebenenfalls im gegenseitigen Einvernehmen eine Dienstordnung für Anstaltsseelsorger zu erlassen.

Artikel 13: -

Finanzielle Regelungen

Erstattung der Besoldung Gewährung von Zuschlägen (Trennungsgeld, Umzugs-, Reisekosten etc) Versorgungslast Sozialversicherung Schadensersatzansprüche

-jeweils Beginn, Umstände und Ende der Verpflichtung

Artikel 14:

Freundschaftsklausel

Die Vertragschließenden werden eine etwa in Zukunft auftretende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieser Vereinbarung auf freundschaftliche Weise beseitigen.

Artikel 15:

Inkrafttreten und Geltungsdauer

Diese Vereinbarung tritt am ... in Kraft und bleibt 10 Jahre gültig. Ihre Gültigkeit verlängert sich jeweils um weitere 5 Jahre, wenn nicht spätestens ein Jahr vor Ablauf des Gültigkeitszeitraums eine Kündigungserklärung zugestellt wird.

II. Erläuterungen

1. Erläuterung zu "Stellung der Seelsorge"

Die Situierung der Anstaltsseelsorge als Teil der allgemeinen Seelsorge ist eine grundlegende Aussage zum Verhältnis von Staat und Kirche im Strafvollzug. Auch wenn sich die Seelsorge innerhalb der Anstalt in einem "besonderen Gewaltverhältnis" befindet, und demzufolge Beschränkungen und Sonderregelungen unterliegen muß, so ändert dies nichts an ihrem Charakter als Seelsorge im Sinne von christlich geprägter Sorge für den ganzen Menschen. Diese Auffassung deckt sich weitgehend mit den Vereinbarungen der Länder, die entsprechende Formulierungen in ihre staatlich-kirchlichen

380

2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Übereinkommen aufgenommen haben. Diese Feststellung gehört jedoch nicht in eine Dienstordnung, sondern ist als Fundament jeglicher diesbezüglicher Vereinbarung an die Spitze einer derartigen Vereinbarung zu setzen.

2. Erläuterung zu "Aufgaben "

Ebenfalls grundlegend vor der Aufzählung einzelner Aufgaben ist die Feststellung, daß der Seelsorger grundsätzlich die Gefangenen seines Bekentnisses betreut, ungeachtet der im Strafvollzugsgesetz § 54 Abs. 2 StVollzG vorgesehenen Möglichkeit, Gefangene auch zu Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft zuzulassen, sofern der jeweils veranstaltende Seelsorger zustimmt. Eine Plazierung dieser Aussage getrennt von der Aufgabennennung wäre systemwidrig, da die Aufgaben eines Seelsorgers im Zusammenhang mit denjenigen zu sehen sind, für die er diese Aufgaben erfüllt. Insofern ist das Auseinanderreißen von Aufgaben- und Adressatennennung nicht sachgemäß. Die folgende Aufgabenaufzählung kann und soll nicht abschließend sein, weswegen auf das "insbesondere" nicht verzichtet werden konnte. Die Tätigkeit des Anstaltsseelsorgers ist jeweils an den religiösen Bedürfhissen der Gefangenen zu orientieren. Diese lassen sich nicht einmal für längere Zeiträume festschreiben, sondern bedürfen stets neuer Überprüfung. So versteht sich diese Aufzählung nur als beispielhaft und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insofern werden bewußt Oberbegriffe verwendet, die einer ausweitenden Auslegung zugänglich bleiben. Zu betonen ist die Reihenfolge der Aufgaben, die bei den klassisch kirchlichen Aufgaben beginnt. So erklärt sich die Nennung des Gottesdienstes, der Spendung der Sakramente und sonstigen Amtshandlungen an vorderer Stelle. Dies sind Aufgaben des Seelsorgers, die seit alters her den Kirchen als einzigen Trägern dieser Aufgaben zufielen. Hier kann keine andere Institution als die Kirche handeln. Das Bewußtsein, daß diese Aufgaben speziell den Kirchen zustehen, läßt sich aus allen existierenden Vereinbarungen ablesen. Alle nennen diese an erster Stelle. Schwierig wird es bei der Nennung der Einzel seelsorge als Aufgabe. Wenn auch unbestritten Einzelseelsorge kirchliche Aufgabe ist, so finden sich in den unterschiedlichen Vereinbarungen diverse Schattierungen dieser Aufgabe. Am differenziertesten behandelt Hessen dieses Thema, das zwischen Einzelseelsorge am Gefangenen in seiner Zelle sowie in den Diensträumen des Pfarrers

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unterscheidet. Eine derartig detaillierte Unterscheidung ist jedoch nicht empfehlenswert, da angesichts einer so ins Einzelne gehenden Regelung kaum Freiraum bleibt für zukünftige Entwicklungen bzw. Anpassungen. Auf eine Definition des Begriffs der Seelsorge wurde auch im Musterentwurf verzichtet. Eine abstrakte und generelle Definition dieses Begriffs wäre wenig aussagekräftig. Diesen Begriff zu definieren ist keine Aufgabe des Staates. Aber auch die Kirchen können im Strafvollzug nicht generell die Anerkennung jeder Tätigkeit ihrer Pfarrer als "Seelsorge" beanspruchen, da weder die Person dessen, der eine Tätigkeit durchfuhrt, noch sein persönliches Verständnis seines Tuns als "Seelsorge" als allgemein gültiger Maßstab genommen werden kann. Unabhängig von der Ablehnung einer staatlichen Pflicht zur Anerkennung jeglichen kirchlichen Handelns im Strafvollzug als geschütztes Handeln, bleibt die Kirche gefordert, immer neu ihren Auftrag und ihr Verständnis von Seelsorge zu definieren. Nur durch stete Arbeit am kirchlichen Begriff von "Seelsorge" ist staatliche und gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Es bleibt die Aufgabe der Kirche, sich am Wohl der Menschen im Strafvollzug zu orientieren und im Rahmen ihrer kirchlichen Identität dort Seelsorge zu üben. Dabei sind die Kirchen gefordert, weder in einen Bereich bloßer Fürsorge oder Sozialarbeit zu "versinken", noch sich auf den Bereich des rein kultischen zurückzuziehen. So ist eine positive Definition dessen, was Staat und Kirche gemeinsam als "Seelsorge" im Strafvollzug verstehen nicht möglich und nicht geboten. Eindeutig kann nur festgestellt werden, daß eine Maßnahme, die vom Seelsorger zwar durchgeführt wird, von ihm selbst und von der Kirche jedoch nicht als Seelsorge betrachtet wird, nicht vom Staat gegen den Willen der Kirche als "Seelsorge" behandelt werden darf. So ist der Staat aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirche an die negative Abgrenzung durch die Kirche gebunden. Falls ein Seelsorger aber ein Gespräch als "Seelsorge" behandelt wissen möchte, so ist er für diesen Tatbestand darlegungspflichtig. Die letztendliche Entscheidung, ob auch der Staat diese Maßnahme dem besonderen Schutz seelsorgerlicher Tätigkeit unterstellen möchte, liegt beim Staat, wobei dieser die Auffassung der Kirche entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen hat. Bewußt wurde in den Aufgabenkatalog die Bereitschaft zur Seelsorge an Bediensteten des Strafvollzugs mit aufgenommen, dagegen die Aus- und Fortbildung der Bediensteten, die in anderen Vereinbarungen genannt ist, fortgelassen. Zwar befinden sich die Bediensteten nicht in einer Situation, in der sie von ihrer Religionsfreiheit nicht Gebrauch machen könnten, da sie in ihrer Freizeit die Möglichkeit haben, sich an ihren Gemeindepfarrer zu wenden. Allerdings ist es wünschenswert, Gräben und Klüfte zwischen dem übrigen Personal und dem Seelsorger nicht noch künstlich zu vergrößern. Wenn also

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2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

ein Anstaltsbediensteter des seelsorgerischen Zuspruchs eines Geistlichen bedarf, so sollte der Seelsorger dies auch als seine Aufgabe betrachten. Anderenfalls steht der Seelsorger aus der Sicht der Bediensteten nur auf der Seite der Gefangenen und hat kein offenes Ohr fur die Nöte und Anliegen der übrigen Bediensteten. Es ist bewußt das Wort "Bereitschaft" gewählt worden, um zu zeigen, daß vom Seelsorger zwar diese Tätigkeit erwartet wird, er jedoch nicht gegen seine Überzeugung handeln muß. Die Teilnahme an Dienstbesprechungen und Konferenzen ist als Aufgabe statuiert worden, um sowohl dem Staat, als auch der Kirche zu verdeutlichen, daß der Anstaltsseelsorger im Hinblick auf Vollzugsbesprechungen gleichrangiger Mitarbeiter ist. Eine Besonderheit dieses Entwurfs liegt darin, den Seelsorger nicht zur Mitwirkung bei der Persönlichkeitserforschung zu verpflichten. Diese Verpflichtung sprechen die meisten bisher existierenden Vereinbarungen aus, wenn auch oft mit der Möglichkeit, diese Mitwirkung in Einzelfällen abzulehnen. Diese Regelung ist jedoch nicht sinnvoll. Es sollte allein der Entscheidung des Anstaltsseelsorgers überlassen bleiben, ob er an dieser Aufgabe mitwirken möchte, oder nicht. Bereits die Ablehnung in Einzelfällen könnte negative Auswirkungen auf die Tätigkeit des Seelsorgers und des unverzichtbaren Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und den Anstaltsinsassen haben.

3. Erläuterung zu "Amtsverschwiegenheit"

Die Respektierung des Seelsorgegeheimnisses ist eine unabdingbare Bedingung kirchlichen Wirkens im staatlichen Strafvollzug. Wegen der überragenden Bedeutung der Amtsverschwiegenheit, sowohl als Aufgabe für den Seelsorger als auch als Pflicht des Staates, wird sie in den Musterentwurf aufgenommen.

4. Erläuterung zu "Stellung des Anstaltsseelsorgers

im Vollzug "

Wesentlich ist hinsichtlich der Stellung des Anstaltsseelsorgers im Vollzug die Feststellung, daß er zu den maßgeblich an der Behandlung der Gefangenen im Vollzug Beteiligten gehört. Bewußt wurde hier diese

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Formulierung gewählt, da sich aus dieser Formulierung klar ergibt, daß bei Konferenzen gem. § 159 StVollzG, zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplanes, sowie zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen im Vollzug der Anstaltsseelsorger ein Recht auf Teilnahme hat. Die auch ansonsten den Rechten der übrigen Anstaltsbediensteten entsprechende Stellung wird im Musterentwurf nochmals ausdrücklich aufgenommen. Selbstverständlich unterliegt der Anstaltsseelsorger den allgemein für den Vollzug geltenden Vorschriften. Diese sind trotz seiner Sonderstellung bindend. Die Sonderstellung des Seelsorgers macht allerdings die folgende Bestimmung deutlich. Zwar ist der Seelsorger Vollzugsbediensteter, dennoch hat er darüberhinausgehend besondere Rechte, die sich aus seinem besonderen Auftrag ergeben. Dieser besondere Auftrag resultiert aus der Religionsfreiheit des einzelnen Gefangenen, die aufgrund des grundgesetzlichen Gebots jederzeit gewährleistet sein muß. So ergibt sich als Grundgebot das jederzeitige Zutrittsrecht zu den Gefangenen, sobald dies aus seelsorgerischen Gründen notwendig ist. Dabei steht jedes Handeln des Seelsorgers unter den Vorgaben der jeweils für ihn geltenden kirchlichen Bestimmungen.

5. Erläuterung zu "Anstellung, Versetzung, Abberufung "

Grundsätzlich sind drei Möglichkeiten der Verpflichtung von Anstaltsseelsorgern denkbar, die Verbeamtung, die Aufnahme als Angestellter in den Öffentlichen Dienst, die Belassung in kirchlichen Diensten unter Verwendung eines Gestellungsvertrages zwischen Staat und Kirche. Dieser Entwurf spricht sich für die letzte Alternative aus, da Verbeamtung und Öffentlicher Dienst zahlreiche Verpflichtungen aufweisen, die den Seelsorger bei seiner Tätigkeit in besondere Konflikte bringen könnte, bzw. im Falle einer Suspendierung von den entsprechenden Pflichten die Verbeamtung eine leere Hülse darstellen würde, der - entgegen ihrem Inhalt - ein staatliches Etikett anhaftet. Insofern dient es der Rechtsklarheit, die Pflichten eines Anstaltsseelsorgers vertraglich zu fixieren, ohne in das Netzwerk von Beamten- und Öffentlichem Dienstrecht eindringen zu müssen. Daher ist die Wahl eines Gestellungsvertrages, bei dem der Seelsorger in Diensten seiner Kirche bleibt und zum Staat in einem Rechtsverhältnis besonderer Art steht, die rechtlich deutlichste Lösung. Auch wenn die Freiheit kirchlichen Wirkens staatlicherseits zu respektieren ist, stellt eine schwerwiegende Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der

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2. Teil: Die Rechtslage in den Ländern

Anstalt einen Grund fur die sofortige Tätigkeitsuntersagung durch das Justizministerium dar. Dabei ist im Musterentwurf die gleichzeitige Mitteilung der Gründe an die betreffende Kirche vorgeschrieben. Dies dient sowohl der staatlichen Behörde dazu, ihre Gründe darlegen zu müssen, sodaß eine unüberlegte Untersagung auszuschließen ist. Gleichzeitig wird die Kirche sofort informiert und kann gegebenenfalls umgehend Stellung nehmen. Da Basis einer Tätigkeit im Strafvollzug auch das Vertrauensverhältnis zwischen Seelsorger und staatlicher Behörde ist, sieht der Musterentwurf die Abberufung vor, soweit sich dieses nicht mehr herstellen läßt.

6. Erläuterung zu "Zweifels-

oder Streitfragen

und Beschwerden "

Die Praxis zeigt, daß es immer wieder zu Zweifels- oder Streitfragen bzw. Beschwerden der jeweils Beteiligten kommt. Es empfiehlt sich, Zweifels- und Streitfragen, sowie Beschwerden in gleicher Weise zu behandeln, da es anderenfalls zu Unklarheiten und auch Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich des weiteren Vorgehens kommen kann, je nachdem, wie eine Unklarheit bezeichnet wird. So werden diese Punkte hier einheitlich geregelt. Dabei steht an erster Stelle die Klärung zwischen den Beteiligten, ohne Einschaltung von Dritten. Dies ist sachgerecht und führt zu schnellen Lösungen, sofern eine Einigung erzielt werden kann. Es geht primär um ein Miteinander in der jeweiligen Anstalt. Falls auf dieser Ebene keine Einigung erzielt werden kann, ist es sinnvoll, gleichzeitig Kirche und Justizministerium zu informieren, die sich nach Anhörung des Vorsitzenden der Konferenz, der eine fachkundige Stellungnahme abgeben kann und soll, um eine einvernehmliche Lösung bemühen. Auch hier gilt wieder die Letztentscheidungskompetenz des Staates, sofern es sich um eine Frage der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt handelt. Diese Beschränkung ist bewußt gemacht, um eine Ausweitung staatlicher Einmischung in seelsorgerliches Handeln, das Fragen der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt nicht berührt, zu vermeiden. Auch hier soll die Begründungspflicht der Entscheidung allen Beteiligten die Reichweite des in Frage stehenden Komplexes vor Augen führen. Nur deutlich begründete Entscheidungen vermögen gleichgelagerte Zweifelsfragen in der Zukunft auszuschließen.

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§ 25 Musterentwurf

7. Erläuterung zu "Aufsicht und Visitation "

Die kirchliche Aufsicht über die Anstaltsseelsorger unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der über die übrigen Seelsorger. Auch im Strafvollzug steht der Kirche das Recht zur Visitation zu. Allerdings erfordert die besondere Einbindung des Anstaltsseelsorgers in das staatliche Personal eine vorherige Information des Justizministeriums, sofern eine aufsichtliche Maßnahme Wirkungen für den Strafvollzug entfaltet. Andererseits unterliegt der Anstaltsseelsorger in Fragen der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt der staatlichen Aufsicht. Auch hier ist jedoch vor eingreifenden Maßnahmen das Einverständnis der Kirche einzuholen.