Anmerkungen zur neuesten Literatur der Reaction [2. Aufl. Reprint 2019]
 9783111515861, 9783111148038

Table of contents :
I. „Die Vortrefflichkeit der konstitutionelle« Monarchie für England und die Unbrauchbarkeit der konstitutionellen Monarchie für die Länder de» europäischen Kontinents. Bon Zimmermann. Hannover 1851."
II. „Die Revision der Verfassung. Aus dem Französischen übersetzt. Mit einem deutschen Vorwort. Zweite unveränderte Auflage. Berlin 1851. Verlag der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei."

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Anmerkungen zur

neuesten

Literatur der Reaction.

Zweite Aufläge.

Berit«. Verlag von Veit und Comp.

1852.

I.

„Die Vortrefflichkeit der konstitutionelle« Monarchie für England und die Unbrauchbarkeit der konstitutionellen Monarchie für die Länder de» europäischen Contimeut». Bon Zimmermann. Hannover 1851."

Air Restaurationspartei

hat

bisher ihr Werk unter der

Firma der konstitutionellen Monarchie betrieben.

Wenn sie

ein wesentliche- konstitutionelle- Recht nach dem andern fort» revidirte und fottottroyirte, verhehlte sie doch bisher, daß die vollständige Beseitigung dieser Verfassung-form ihr letzte- Ziel sei; sie bemäntelte vielmehr ihr Treiben durch die unbestimmte Bemerkung, der französische ConstitutionaliSmuS oder englische Einrichtungen paßten nicht für deutsche Staaten, deren eigen­ thümliche Verhältnisse auch eine ganz

eigenthümliche Sötte

konstitutioneller Monarchie

machten.

erforderlich

Bettangte

man eine specielle Angabe der Verschiedenheiten, welche eine so starke Abweichung von englischen Grundsätzen erheischten, daß man in der Handhabung deutscher Verfassungen kaum noch eine Spur

von konstitutioneller Regierung erkennt: so

wurde die Antwott bisher abgelehnt oder sie bestand ebenfalls nur in

nebelhaften, ungreisbaren Hinweisungen.

Der Ver­

fasser der oben genannten Schrift versucht endlich, den bishe­ rigen vagen Behauptungen der Restauration einen materiellen Inhalt zu geben.

2 (*in dankenSwerthes Unternehmen! die unbestimmte Bemer­ kung, daß die preußischen Verhältnisse anderer Art wären alS die englischen und französischen, mußte in solcher Allgemeinheit ohne Weiteres als richtig anerkannt werden; aber cs wollte nirbt Allen einleuchten, daß die Unterschiede geeignet wären, um die Beseitigung und Verfälschung der wesentlichsten kon­ stitutionellen Grundsätze zu einem

widerlichen Zerrbildc

zu

rechtfertigen. Herr Zimmermann unternimmt eS,

durch eine Verglei­

chung der englischen Zustände mit denen des Kontinent- den Be­ weis zu fuhren, daß eine konstitutionelle Verfassung nur in England haltbar, für den Kontinent aber eine Unmöglichkeit sei.

Er giebt die Verschiedenheiten spceiell an, welche seiner

Meinung nach für die kontinentalen Staaten eine durchaus abweichende Behandlung erforderlich machen. Die Anerkennung, welche er der englischen Verfassung, ihrer Festigkeit und ihren Wirkungen für daS Wohlsein und den Glanz eineS

der Nation zollt, giebt ihm dabei den Anschein

unparteiischen,

feindlichen Urtheils. England spendet,

liberalen

Einrichtungen

nicht

absolut

Aber selbst auS dem Lobe, welches er blickt seine tiefe Abneigung gegen ein so

complicirteSVerfassungswesen hervor: er ist durch und durch Absolutist. Daß die constitutionelle RegierungSform in Eng­ land sich so lange erhallen und daß die Nation unter ihr ge­ deihen konnte, schreibt er nicht dem Werthe ihrer Principien, sondern einzig und allein „äußern, zufälligen Umstän­ den" zu, welche in solcher Weise in keinem Staate deS ContinentS zusammenträfen.

Während in England eine Theilung

der Regierungsgewalt unschädlich, ja sogar heilsam sei, müsse ihr auf dem Continent das Verderben auf dem Fuße folgen. Aber auch die republikanische Form ist für die kon­ tinentalen Staaten unbrauchbar, wie der Verfasser S. 182 nachweist; — und wenige Seiten

weiter

(S. 188) räumt

3 st sin, daß in den meisten Ländern Europa» „Gewalten ohne Schranken und Controlle zu dem Culturzustände de» Volke» nicht passen." Wie nun? wenn weder die absolute noch die constitutionelle Monarchie noch die Republik in den kontinentalen Staa­ ten anwendbar find, — ist der Verfasser dann nicht zu dem­ selben Resultate gediehen, zu welchem die ergötzlichen Reflexio­ nen Han» Jörge!» in einem diesjährigen Hefte der Grenzbo­ ten führten, — zu dem Resultate, „daß die Welt auf die Dauer doch nicht haltbar sei?" Rein! zur großen Erheiterung seiner Leser lenkt er am Schlüsse seines Buchs ein, und empfiehlt den continentalen Staaten eine beschränkte Monarchie von etwa- abson­ derlicher Configuration. Die verkrüppelte Gestalt derselben verräth, daß die Geburt dieser Idee keine ganz leichte und glückliche war, daß sie vielmehr unter argen Nöthen und in fast hoffnungsloser Verzweifelung erfolgte. CS genügt vor­ läufig, einige Punkte hervorzuheben. Die Mitwirkung eines beschränkenden OrgauS bei der Erhebung neuer Steuern und der Erhöhung der bestehenden, — die Zustimmung desselben zu Gesetzen, welche die persönliche Freiheit oder die Belastung der Unterthanen betreffen, — die Bernthung der übrigen Gesetze, — daS Recht der Vorstellung in Betreff der Ver­ wendung der Staatseinnahmen, — alle diese Comesfionrn scheinen dem Verfasser bei dem „Culturzustande de» Volk»" unerläßlich zu sein. Die Hervorhebung dieser Punkte genügt, zu zeigen, wie die Macht der Verhältnisse auch durch da» Urtheil de» „rei­ nen" Monarchisten durchschlägt. Wider seinen Willen bricht der Verfasser über sich selbst den Stab. Er nennt die Uebertragung der genannten Rechte an ein beschränkendes Organ nicht eine Concession, sondern eine Verleihung. Der Namen ändert daS Wesen der Sache l*

4 nicht. Dem Princip drr „reinen Monarchie" sind solche Ver­ leihungen fremd; eS wird durch sie gebeugt zu Gunsten un­ abänderlicher Verhältnisse, welche die vollständige Durchfüh­ rung jene- Princips nicht mehr gestatten; jede Beschränkung der reinen Monarchie, die durch die Rücksicht auf den Cultur­ zustand de- Volks herbeigeführt wird, ist und bleibt eine die­ sem Culturzustande gewährte Concession, durch welche daS Volk in mehr oder weniger erheblicher Weise zur Mitherrschaft berufen wird. Ueber dergleichen Concessionen äußert sich der Verfasser unter Berufung auf Ludwig XVI., Ludwig XVIII. und Karl X. S. 171 folgendermaßen: „daS System der Concessionen und Vergleiche, dem demokratischen Mitherrscher gegenüber, ist nicht nur feige und unehrenhaft, sondern cS rettet auch nicht daS Königthum, beschleunigt vielmehr seinen Fall, und macht den Rückgang auf eine monarchische Grundlage fast unmöglich. Wer nicht unausgesetzt nachgeben, bis zu Ende nachgeben kann und will, darf die Laufbahn der Concessionen nicht be­ ginnen u. s. f." — Und dennoch Concessionen? dennoch eine beschränkte Monarchie und keine absolute?! Wahrlich! die bestehenden Verhältnisse müssen ein unge­ heure- Gewicht haben, wenn selbst ein Mann mit solchen An­ sichten über da- Concessionssystem schließlich den Rath ertheilt, nicht nach der absoluten Monarchie zu streben, sondern sich mit der beschränkten zu begnügen. Denn eS ist augenschein­ lich: der von dem Verfasser so bitter beklagte Irrwahn, der „jeden Funken himmlischer Vernunft" in den „schwachköpsigen" Constitutionellen zerstört hat, hat leider auch seinen starken Geist nicht unversehrt gelassen. Und wenn die in dem Buche geschmähte Partei eine- Troste- bedürfte, daß ihr Scharfsinn dem ihre- gewaltigen Gegner- nicht gleichkommt: sie würde ihn darin finden, daß selbst die Worte de- Spötters wider feinen Willen zu einem Zeugniß für die von ihr vertretene

Sache werden müssen.

Es wird dann keine geringe Genug«

thuung für sie fein, daß selbst der eifrigste Anhänger der rei­ nen Monarchie schließlich eingestehen muß, eine unbeschränkte Fürstengewalt

sei mit dem Culturzustande der meisten euro­

päischen Völker unverträglich. Daß die von dem Verfasser empfohlene „beschränkte Mo­ narchie" eine schlechtere RegirrungSform ist und daS König­ thum mehr gefährdet, als eine constitutionelle Monarchie nach den Anforderungen der liberalen Partei in Deutschland, wer­ den wir unten zeigen.

Wir folgen dem Gange seines BucheS,

indem wir unS zunächst über seine Auffassung der englischen Verhältnisse einige Bemerkungen erlauben. 1. Die constitutionelle Monarchie in England. Die constitutionelle Verfassung in England, sagt unser Gegner, verdankt ihre Fortdauer und ihre heilsame Wirkun­ gen nicht ihren Principien, sondern äußern, zufälligen Um­ ständen. Wenn man auf Worte keine» besondern Werth legt, so gilt diese Bemerkung, richtig verstanden, für jede Verfassung. Denn keine Verfassung, weder eine Art der unbeschränk­ ten noch der beschränkten Monarchie, noch die Republik ist a n und für sich, absolut gut; keine trägt in sich die Bürg­ schaft eine- unanfechtbaren Bestandes.

Jeder ist ein natür­

licher Feind mitgegeben: der absoluten Monarchie in dem ungehruem Widersinn, daß daS Wohl und Wehe von Millio­ nen der Willkür eines von dm Gebrechen der Mmschennatur durchaus nicht befreiten Individuums Preis gegeben ist; — der constitutione!len Monarchie in der Theilung der RegiemngSgewalt

und

der dadurch herbeigeführten Möglichkeit

von Conflicten; — der Republik in dem Bewußtsein der großen Gefahren, die durch da» VorwärtSdrängen und die Intriguen eines unbeschränkten,

auf die Leidenschastm und

6 Schwächen der Menschennatur speeulirenden Ehrgeizes hervor­ gerufen werden, und in der nie zu beseitigenden Besorgniß vor dem im Hintergründe auf die Herrschaft lauernden Proletariat. Dennoch giebt die Geschichte Beispiele, daß jede dieser drei Regierungsformen sich eines langen Bestandes erfreut hat; die römische Republik dauerte fünf Jahrhunderte; die absolute Monarchie bestand in Frankreich fast drei Jahrhunderte, die konstitutionelle besteht in England, mit geringen Unterbrechnngcn, länger als sechs Jahrhunderte. Der Werth und die Dauerbarkeit einer Verfassung hängt also allerdings von den

„Umständen" ab, unter denen fic

wirken soll. Die Hauptbedingung für die Dauer einer Verfassung ist, daß sie dem Cultur zu stände Volkes entspricht.

und den Neigungen des

DaS Letztere hängt wesentlich davon ab,

wie sie von der Regierung gehandhabt wird. Ja, die Frage, wie regiert wird? hat sich zuweilen al­ so belangreich herausgestellt, daß sie die andere nach dem Ein­ klang der BerfassungSform mit dem Culturzustande des Volkes in den Hintergrund drängte.

ES haben Völker unter Ver­

fassungen, deren Mangelhaftigkeit sie deutlich erkannten, zu­ frieden gelebt, weil Einsicht und guter Wille der Regierenden die Mängel der Form ergänzten. ES haben andererseits Völ­ ker Verfassungen, die ihnen sehr wohl angemessen waren oder mindestens leicht auf legalem Wege mit ihrem Bildungsgrade in Uebereinstimmung gebracht werden konnten, abgeworfen, weil sie die Jneonvenienzen, die aus ihrem Mißbrauch folg­ ten, irrig der Verfassung selbst, und nicht ihrer Übeln Hand­ habung zuschrieben. So hat Preußen »och ein Vierteljahrhundert, nachdem ihm Reich-stände in Aussicht gestellt waren, ruhig und man kann sagen zufrieden gelebt, obgleich das Volk durch seine Bildung, noch mehr durch seine im Feuer bewährte sittliche

7 Kraft dem patriarchalischen Bevormundung-system entwachsen war. AIS die Provinzialstände organisirt wurden, erregte diese Einrichtung allerdings sowol bei Staatsmännern wie bei Pri­ vaten große Bedenken, weil sie einen Theil der ackerbautrei­ benden Bevölkerung in colossalem Maßstabe politisch bevor­ zugte, die gewaltige Bedeutung deS städtischen Leben- für die Eulturentwickelung ebenso verkannte, wie den Werth deS Bauernstandes, beit man nur in Redensarten als das Fun­ dament des Staate- bezeichnete. Indessen umfaßte das landeSväterliche Herz deS verstorbenen König- in der PrariS alle Unterthanen mit gleicher Liebe; man wurde im Allgemeinen gut regiert und die Besorgnisse, welche man an die neue Or­ ganisation knüpfte, führten nur zu theoretischen Erörterungen, nicht zu praktischen Anforderungen. Als aber seit 1840 Ver­ suche gemacht wurden, daS mit Ungunst aufgenommene pro­ vinzialständische Institut vurch eine noch schärfere Sonderung der Stände weiter au-zubauen, durch Bildung von Herrenbänken eine Aristokratie zu machen, und so die weitem Schritte auf dem Wege feudalistischer Restauration zu thun; als so die Bürgschaft schwand, daß der einheitliche Charakter de- Volke- und die Gleichberechtigung der Stände gewahrt, daß die thatkräftige Theilnahme an den öffentlichen Angele­ genheiten nicht in einen Kampf der Sonderintereffen aufgelöst werden würde: da sammelte und organisirte sich die Opposi­ tion, berief sich ans die alten Verheißungen, und selbst Ritter­ gutsbesitzer bekämpften auf den Landtagen die politische Bevor­ zugung ihre- Standes. Andererseits hat Frankreich die konstitutionelle Verfassung, über die schwerlich ein größerer europäischer Staat — und Frankreich sicherlich noch weniger als Deutschland — mit Glück hinausgehen wird, im I. 1848 abgeworfen, freilich mehr in täppischem Revolutioniren, als in bewußtem Handeln. Die Verfälschung deS Svstems und ihre Folgen waren allerdings

8 erschrecklich, und nicht geeignet, Sympathien zu erwecken; allein die Wenigsten waren sich diese- Umstande- bewußt;

ein un­

bestimmte- Gefühl der Unbehaglichkeit und die Bereitschaft, auf Neuerungen

einzugehen,

setzten sich in den Gemüthern fest.

„Frankreich ennuyirt sich", — so charakterisirte Lamartine in Maron die

sittliche Krankheit

der Nation.

Die Franzosen

klatschten Beifall; und doch kann e- keinen schwerern Vorwurf für eine Nation geben, als daß sie, blasirt wie ein roue, zu­ weilen ans Langerweile zum Revolutioniren,

wie

zu

einem

dummen Streich, sich aufraffe. Das also sind die Cardinalbedingungen für den Bestand einer Verfassung: daß sie dem Culturzustande deS Volks ent­ spricht und daß ihre Handhabung die Sympathien des Volkerregt. Die Einwirkung dieser beiden Momente auf den Bestand der Verfaffnngen

übersieht

der Autor der unS vorliegenden

Schrift fast gänzlich, oder stellt sie wenigsten- in den dunkeln Hintergrund.

Die Nothwendigkeit der Uebereinstimmung zwi­

schen der Verfassung und dem Culturzustande kine- Volk- be­ rührt er, wie bemerkt, nur ganz am Schluffe seiner Schrift, und diese flüchtige Erinnerung ist denn auch mächtig genug, ihn aus dem bisher innegehaltenen Geleise zu werfen und ihn zu der Anerkennung zu zwingen, daß daS Prineip der „reinen Monarchie" in den meisten europäischen Staaten durch Con­ cessionen an ein beschränkende- Organ gebrochen werden müsse. Statt diese beiden Hauptmomente in Bezug auf die engli­ sche Verfassung als Maßstab anzulegen, sucht er mühsam die Haltbarkeit der englischen Constitution durch andere Umstände zu beweisen, die er selbst — unleugbar in dem dunkeln Be­ wußtsein ihrer geringern Erheblichkeit — mit Recht als „äußere und zufällige" bezeichnet. Al- characteristisch in der englischen Verfassung hebt er fol­ gende vier Punkte hervor: I) daß die Regierungsgewalt getheilt

9 ist, 2) daß da- Parlament den großem Theil der Gewalt hat; 3) daß da- Unterhaus mächtiger ist als da- OberhauS; 4) daß der Antheil des König- an der Staatsgewalt nicht von dem Könige, sondem von den Ministem verwaltet wird.

In die­

sem System erblickt er die Quelle fortwährender Reibungen und Streitigkeiten; da sie in England factisch nicht stattfänden, muffe dort ein andere- mächtige- Band vorhanden-sein, wel­ che- die verschiedenartigen, einander widerstreitenden Elemmte zu einträchtigem Wirken zusammenhalte. Diese- Band erkennt er nicht in der tiefgewurzelten Ueber­ zeugung von der alleinigen Angemessenheit gerade dieser BerfaffungSform für England, von der Unhaltbarkeit und Gefähr­ lichkeit jeder andern; nicht in der mehrhundertjährigen Erfah­ rung, daß da- Land unter dieser Verfassung proSperirt habe und daß sie einer steten Entwickelung zum Bessern fähig sei; nicht in der Ueberzeugung, daß unter keiner andern Verfassung eine gleiche Freiheit de- Individuum- und eine so gleichmäßige Machtstellung der Nation dem Au-lande gegenüber zu erwar­ ten sei; nicht in solchen Ideen erkennt er da- Band, welchedie große Anzahl einsichtiger Vaterland-freunde zu einer mäch­ tigen Phalanx, zum Schirm der Verfass,mg gegen Leichtsinn und Unverstand zusammenschaart, — sondern — man höre — in dem aristokratischen Chatacter der Verfassung und de- Volk-! Wunderbare Behauptung!

Wa- sonst in der Welt eine

nie verstegmde Quelle der Zwietracht, ist, soll in England seine Natur so weit abgelegt haben, daß e- sogar da- Feind­ liche zu versöhnen und zusammenzuhalten im Stande ist! Wer die Natur de- Vorrecht- und seine Wirkung auf die menschliche Schwäche erwägt, wird sich unzweifelhaft dar­ über wundem, wie England trotz aristokratischer Einrichtun­ gen seit anderthalb Jahrhunderten sich friedlich entwickeln konnte; er wird nach einer Erklärung dieser seltenen Erscheinung for­ schen.

Nur die schwungvollste Phantasie könnte auf die Idee

10 kommen, daß die Eintracht zwischen König, Parlament und Volk in England gerade durch den aristokratischen Character der Verfassung und allein durch ihn möglich gemacht wäre, — eine Phantasie, welche es gänzlich übersieht, daß gerade dieser Character in England selbst Anstoß erregt und zu de» härtesten politischen Kämpfen Veranlassung giebt. Der Engländer ist so weit entfernt, in der Aristokratie, in den privilegirten Korporationen, in dem Ausschluß des Volks von der Ausübung politischer Rechte dm gesunden und wesentlichen Kern der Landesverfassung zu erkennen, daß er vielmehr feit anderthalb Jahrhunderten daran gearbeitet hat, die drückend­ sten Bevorrechtungen zu beseitigen und die politischen Rechte nach billigem Grundsätzen jh vertheilen. Seit jener Zeit ist die parlamentarische Geschichte Englands eine Geschichte sol­ cher anti-aristokratischen Bemühungen gewesen; diesen Sinn haben die wichtigsten ParlamentSacte, wie die in Bezug auf die Dissenters, Nnitarier, Katholiken, und die in Bezug auf die Wahlreform. Unser Gegner versteht unter Aristokratie nicht bloß die der Geburt; er erkennt den aristokratischen Character in jeder pri­ vilegirten Corporation, ja sogar in Gemeinschaften, deren Rechte füglich nicht als Vorrechte bezeichnet werden können. In den Klaffen, welche in England regieren, sieht er mit Trä­ ger von Privilegien, die eben deshalb ein gemeinsames Inter­ esse an der Aufrechterhaltung des Bestehenden hätten; beeinträch­ tige man fremdes Recht, so könne auch daS eigne nicht mehr für sicher erachtet werden. Deshalb respectire der König die Rechte des Parlaments, daS Parlament die des König-, und daS Volk ehre die Rechte beider. Demnach wäre der Egoismus, der das eigene Vor­ recht wahren will, in England eine einigende Kraft. Credat Judaeus Apclla! Zunächst soll der König, weil er gewisse Prärogative bc-

11 sitzt, (in Interesse haben, mit der Aristokratie Hand in Hand zu gehen. Aber Monarchie und Aristokratie sind bittere Gegensätze, insbesondere in

allen

germanischen Staaten, in denen daS

Königthum so lange in fortwährendem Kampfe mit der Ari­ stokratie lag, bis eine der streitenden Parteien unzweifelhaft Sieger blieb.

Der AuSgang dieses hartnäckigen Kampfes war

in verschiedenen Ländern verschieden; in Spanien, Frankreich, Preußen gelang eS den Fürsten, die Macht des Adel- ja bre­ chen, meist mit Hilfe de- Bürgerstandes; im deutschen Reiche wuchs die Macht der Dynasten in dem Maaße, in dem die kaiserliche abnahm; zuletzt gab der Kaiser den Kampf auf, in­ dem er den Dynasten die Souveränetät ließ; und auch die Souveränetät der jetzt regierenden deutschen Fürsten konnte nur durch das Mittel der Mediatisirung, welches der letzte Sieg der Fürstm über den Adel war, auf ihre jetzige Höhe geho, ben werden; in England endlich preßte die Aristokratie den Königen ein Recht nach dem andern ab und siegte so ent­ schieden, daß sie der jetzigen Dynastie die Bedingungen, unter denen sie zum Throne gelangte,

vorschrieb; in Polen und

Schweden verfuhr die gleichfalls siegreiche Aristokratie im vo­ rigen Jahrhundert mit solcher Feindseligkeit gegen die Krone, daß die Verfassungen jener Länder von einer monarchischen Richt- al- den Ramm hatten.

Da dieser Kampf in einer

Zeit zum AuStrag kam, in welcher die Entwickelung de- einm Lande- nicht mehr ohne weitgrrifenden Einfluß auf die de» andern war, müffm Ursachen von ganz besonderer Bedeutsam­ keit den verschiedenen AuSgang de- langwierigen Kampfe» in den verschiedmen Ländem herbeigeführt habeil.

ES würde

»mS zu weit führen, diese Ursachen in» Licht zu stellen.

Aber

um da» Verhältniß der Aristokratie zum Königthum einerseits »md zum gestimmten Volk andererseits zu characterisiren, ist evon Belang die Thatsache festzustellen, daß die in allen Län-

12 dem von der Fürstenmacht bekämpfte Aristokratie nur da siegte, wo sie, über daS Sonderinteresse sich erhebend, für Freiheiten, die der Gesammtheit zu Gute kommen sollten, in die Schran­ ken trat, und daß sie da unterlag, wo sie daS Sonderinteresse in den Vordergrund stellte. ES ist für die der Aristokratie inne wohnende Kraft bezeichnend, daß sie da siegte, wo sic ihr innerstes Wesen zu verleugnen wußte, und daß sie da unterging, wo sie hartnäckig und engherzig an ihrem exclusiven Character festhielt. Wir begnü­ gen unS, England und Preußen in dieser Beziehung inS Auge zu fassen. Die definitive Begründung der englischen Freiheit fällt in die Zeit der Restauration, welche die lehten Angriffe auf sic wagte. In derselben Zeit zeigte sich in den übrigen continentalen Staaten eine entschiedene Tendenz zur festem Begründung der monarchischen Gewalt, so in Dänemark, Frankreich, Preu­ ßen, Schweden. Auch England besaß mächtige Städte, auf welche sich daS Königthum gegm die Aristokratie hätte stützen können. Aber der englische Adel behielt die allgemeine Freiheit im Auge, und nahm dadurch den Königen daS Mit­ tel, die Kraft der Gegner zu zersplittern. Schon in der Charte König Johanns wurden die Freiheiten omnibus liberis hominibus ausbedungen; so blieb es auch in den folgenden Jahr­ hunderten. DaS gab den liberalen Bestrebungen in England Einheit und Kraft. In Preußen wurde der entscheidende Kamps gegm den Adel von dem großen Kurfürsteil unter Um­ ständen begonnen, welche der fürstlichen Gewalt höchst ungün­ stig waren; die Marken waren durch den dreißigjährigen Krieg, daS Herzogthum durch den schwedisch-polnischen verheert und verarmt; die Bildung und Erhaltung eines einigermaßen be­ trächtlichen stehenden HeerS in Folge dessen sehr schwierig; der Uebermuth der Stände des HerzogthumS hatte an Polen einen Rückhalt. Dennoch siegte der Kurfürst. Denn während die

13 ständischen Korporationen an ihren Sonderinteressen fest. hielten, trat er mit Forderungm de- Gemeinwohl- an sie heran; er wußte die kleinen Städte von den großem zu tren« nen; dann schied er durch die Forderung, die höchst lästige Kontribution, welche dm bürgerlichm Grundbesitz zu Grunde richtete, in eine allgemeine Verbrauch-steuer umzuwandeln, die Städte in ihrer Gesammtheit von dem Adel, und gewann die erstem für sich. So schuf er sich die Macht zum Kampfe gegen den letztem. Die femere Entwickelung war völlig naturgemäß: die Stände hatten e- nicht vermocht, die engherzige Rücksicht auf den Privat vortheil mit dem edlem Streben nach dem Gemeinwohl aller freien Staatsbürger zu vertauschen und in ihm einen Einigung-punkt zu finden, und sofort äußerte sich die trennende Kraft der Sonderinteressen; die Stände wur­ den einzeln besiegt. In Preußen unter dem großen Kurfürsten hat unser Geg­ ner den ganzen Apparat aristokratischer Institutionen nach sei­ nem Sinn: einm mächtigen Adel, reiche, mit ausgedehnten Rechten ausgestattete städtische Korporationen. Hat sich hier die von Herm Zimmermann al- nothwendige Folge solcher Einrichtungen hingestellte Solidarität der Interessen im Schooße der herrschenden Klaffe in irgend einer Weise gezeigt? Haben Fürst und Stände e- für nöthig erachtet, ihre gegenseitigen Rechte zu respectiren und zu schirmen? Oder haben auch nur die Stände eine Vorstellung von der Solidarität ihrer In­ teressen gehabt? So wenig, daß sich ein Stand gegen den andem brauchen ließ; so wenig, daß ein so einsichtsvoller Fürst, wie Friedrich Wilhelm, e- vielmehr für seine Hauptaufgabe hielt, ein solche- Verfassung-gebäude zu zertrümmern. Friedrich Wilhelm wußte, waS die ganze Geschichte de- Mittelalterund der neuern Zeit lehrt, daß Fürstenmacht und Aristokratie unvereinbare Gegensätze sind. Die entgegengesetzte, heut zu Tage biö zum Ekel wieder-

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holte Behauptung, daß die Aristokratie die beste -Stütze der Krone sei, ist — im Vergleich mit jener Vctyrc einer mehr als tausendjährigen Geschickte, — eine ganz moderne Erfindung. Sie datirt auS der Zeit, als der Adel, hoffnungslos befiegt, sich an die siegreichen Fürsten anschmiegte, um für die Rechte, die er ihnen hatte abtreten müssen, andere Privilegien dem dritten Stande gegenüber zu erlangen. Das auf der einen Seite verlorene Terrain wollte er so auf der entgegengesetzten wieder gewinnen, und schmeichelte dem Mächtigen. Wo das Glück ihm günstig war, schloß er sich dann der Krone an, die seine Privilegien schirmte; wo sich noch bessere Aspecten zeigten und namentlich, wo Fürsten die Bedeutung, welche der dritte Stand für daS deutsche Königthum hat, ganz vergaßen, zeigte der Adel zuweilen auch die Kralle unter der Sammetpfote, be­ gnügte sich nicht mit seinen Vorrechten gegen den dritten Stand, sondern suchte auch die Regicrungögewalt in seinen Besitz zu bekommen. Der Adel ist nur so lange ein Freund der Krone, al- sie zu seinen Gunsten andere Klassen benachtheiligt. Auch ist die historische Thatsache, daß der Adel dem Königthinn feindseliger ist als der Bürgerstand, keine zufällige. Wenn die vornehmen Familien eine ruhmvolle Existenz bis in eben so frühe Zeit zurückdatiern können, wie daS Fürstenhaus, so ist nicht zu verwundern, wenn sich daS Gefühl der Gleich, berechtignng und die Abneigung gegen die vom Glück mehr begünstigte Familie bald einstellen. Wo dieser Grund nicht mitwirkt, hat die Aristokratie, weil sie im Vergleich mit der Anzahl der Bürger eine entsetzlich winzige Minorität bildet, auS ihren Siegen über die Fürstengewalt für jedes einzelne ihrer Mitglieder einen ungleich erklecklichem Machtzuwachs zu erwarten, alö der einzelne Bürger auS einem Kampfe deS Volk- gegen das Königthum. Darin liegt ein mächtiger Sporn für den Adel, seine Kraft an den Fürsten zu versuchen. Wenn nun die Aristokratie weder ihrer Natur noch ihrer

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Geschichte nach als eine Freundin de- Königthum- betrachtet weiden kann, so hat speciell da- englische Königthum keinen Grund, auf die Aristokratie de- Lande- mit Zärtlichkeit zu blicken. Tie englischen Barone sind mit den Königen sehr übel umgegangen. Sie haben sie mit Wort und Schwert aufBitterste bekämpft, sie hart bedrängt, sie vertrieben, abgesetzt, eingekerkert und gemordet. ES kann nicht- Kläglichere- für da- Königthum geben, al- die Stellen der großen Freiheit-^ bliese, in welchen die englischen Könige für den Fall einer ungerechten Regierung ihren Unterthanen in ausführlicher Breite da- Recht zuschreiben, sie auf alle mögliche Weise in Drang­ sale zu versetzen. Wahrlich! wenn in irgend einem Lande eine Solidarität zwischen den Interessen de- Königthum- und denen de- Adel- mangelt, so ist e- in England. Wer behauptet, daß in den Königen nach einer solchen Geschichte Liebe statt Galle gegen den Adel herrscht, hat keinen Begriff von der Menschen­ natur. E- ist eben so unbegründet, zu behaupten, daß die eng­ lischen Könige die Vorrechte, welche ihnen der siegreiche Adel gelassen, nur unter der Herrschaft diese- Adel- behalten, daß sie bei einem erfolgreichen Kampf gegen die Aristokratie den schlimmen Herrn nur mit einem noch schlimmem vertauschen würben. Herr Zimmermann räumt ein, daß da- englische Volk monarchisch ist, wenngleich er über den Gmnd dieser Erschei­ nung wieder im Finstern tappt; die Thatsache gilt aber in so weitem Umfange, daß in England eine republikanische Partei überhaupt nicht existirt und sich — so weit man sehen kann — auch in Zukunft nicht bilden wird, so lange da- König­ thum seine Passivität nicht verläßt. Wenngleich nun der Bürgerstand in England nicht da- für die Krone geleistet hat, waS er in einigen Staaten de- Kontinent- für sie that, so hat er sich ihr doch nicht im Entferntesten so feindselig ge­ zeigt wie der Adel. Richt da- lange Parlament, in dem —

16 wie unser Gegner bemerkt — da- aristokratische Element durch da- demokratische verdunkelt wurde, verurtheilte Karl I. — beide Häuser hatten diese- Ansinnen abgelehnt — sondern die Sol daten sührten ihn auf- Schaffot, — Soldaten, deren Disci­ plin die Bewunderung der Welt erregte. Da-Benehmen deBürgerftandes in srüherer und jetziger Zeit, besonder- wenn man e- mit dem deS Adels vergleicht, berechtigt nicht zu der Annahme, daß die Prärogative der Krone beeinträchtigt werden würde, wenn das Hest der Regierung in bürgerliche Hände fiele. Wenn man überhaupt aus Thatsachen Schlüffe bauen kann, so würde die englische Krone von einem derartigen Wech­ sel Richt- zu sürchtcn haben. Sie hat nichtdestoweniger seit anderthalb Jahrhunderten nicht darnach gestrebt, sich der Ari­ stokratie zu entledigen. Und doch stand namentlich im vorigen Jahrhundert die monarchische Machtvollkommenheit in vielen continentalen Staaten in höchster Blüthe, und der äußere An­ reiz, gleiche Machtsülle zu erwerben, war mächtig. Die englischen Könige widerstanden den Lockungen, — sicher nicht au- besonderer Vorliebe für die herrschende Klaffe; sie mußten ihr abgeneigt sein, wie der Besiegte dem Sieger; auch nicht aus Furcht vor dem Volk, denn dazu war kein Grund vorhanden. Ein andere- Motiv muß vorhanden gewe, sen sein, die englischen Könige innerhalb ihrer Schranken zu halten; und es ist sicher kein andere-, al- die tiefe, au- einer unendlich reichen Geschichte geschöpfte Ueberzeugung, daß eine unumschränkte monarchische Gewalt in England eine Unmög­ lichkeit ist; daß selbst der erste, schwache Schritt nach einem solchen Ziele den Thron aus- Höchste gefährden würde; daß ein Beharren aus diesem Wege sicher mit dem Ruin de- Thro nes und des Lande- enden würde. Rur wahnsinnige Verblendung könnte einem englischen Könige eine entgegengesetzte .Lehre zuflüstern. Dagegen ist d augenscheinlich, daß die Krone, wenn sie ans ihrer Passivität

17 nicht heraustritt, auch in Zukunft fich ungefährdet des Glanzes erfreuen wird, der sie jetzt umürahlt. Denn die politische Ent­ wickelung deS Landes hat eine Richtung eingeschlagen, welche die Krone nicht mehr berührt. ES handelt sich nicht mehr darum, den Machtantheil deS Königs zu beschränken oder zu bestimmen; sondern darum, die Gewalt, deren der König sich entäußert hat, nach möglichst billigen Grundsätzen unter die Staatsbürger zu vertheilen, die Segnungen freier Selbstregierung in immer weitere Kreise zu verbreiten. Bei diesem politischen Kampfe, der die Gegenwart Englands bewegt und feine Zukunft noch mehr bewegen wird, steht die Krone ganz außer Gefahr; man streitet nicht um das, was die Krone be, sitzt, sondern um daS, was sie bereits feit fast zwei Jahrhun­ derten aufgegeben hat und worauf sie — Angesichts der Un­ möglichkeit eines günstigen Erfolges — auch keine Ansprüche erhebt. Hierin liegt die Sicherheit der englischen Krone, — und nicht — wie unser Gegner meint — darin, daß daS Feudal­ system die Grundlage der politischen Organisation Englandist. DaS Feudalsystem hat, als es in voller Blüthe stand, weder die englischen Könige abgehalten, die Rechte der Barone zu beeinträchtigen, noch die Barone veranlaßt, die Rechte der Krone unangetastet zu lassen. Nachdem unser Gegner sich über den aristokratischen Character der englischen Könige und die Solidarität ihrer Inter­ essen mit denen der Aristokratie ausgelassen hat, verbreitet er sich über die aristokratische Färbung deS Parlaments. In Be­ zug auf da- Oberhaus würde sie nie bezweifelt werden; im Unterhause säßen hauptsächlich Mitglieder der Gentry, die großentheilS mit dem hohen Adel durch Bande deS Blut- ver­ knüpft wären; die Parlamentsmitglieder, die nicht zu ihr ge­ hörten, müßten bei ihrem Eintritt in daS Unterhaus einet der beiden aristokratischen Parteien sich anschließen und wären so 2

18 gewissermaßen genöthigt, eine aristokratische Luft zu athme». Auch trügen die Wahlversammlungen einen corporativen d. i. aristokratischen Character; e» wären somit auch die Wähler eigentlich aristokratisch. ES liegt in dieser Deduktion viel Spielerei mit Worten. Macaulay sagt irgendwo, e- wäre in keinem Lande da- Volk aristokratischer und die Aristokratie demokratischer alS in Eng­ land.

Unser Gegner legt auf die erste Hälfte diese- Satze-

fast au-schließlich Gewicht, und doch ist sie nur deswegen wahr, weil da- Zweite stattfindet.

Ueber da- Zweite, über den de­

mokratischen d. i. populären Character der englischen Aristokratie ließe sich sicher eine eben so interessante Abhandlung schreiben, wie die unsere- Gegner- über den aristokratischen Sinn des englischen Volk- und der englischen Presse. Denn die englische Aristokratie trägt n a ch c o n t i n e n t a l e n Begriffen von einer Aristokratie wenig mehr al- den Na­ men, vornämlich weil sie den Begriff der Ebenbürtigkeit nicht kennt

und

keine abgeschlossene Kaste

ist.

Sie steigt durch

ihre jünger» Söhne in da- Volk hinab und da- Volk steigt durch seine Capazitäten in sie hinauf. nen Anstoß

erregt,

E- hat in England kei­

wenn von ausgezeichneten

Commoners

Jungfrauen geheirathet wurden, in deren Adern selbst könig­ liche- Blut floß; daß hervorragende Lord- nicht auö ihrem Stande heiratheten, ist noch viel häufiger vorgekommen; auch wird der neu mitte Peer von dem alten Adel nicht al- ein liomo novus despectirlich behandelt, während z. B. der preu­ ßische Adel, der neben dem englischen doch nur eine höchst unbedeutende Rolle spielen kann, in seinem beschränkten Kasten­ geist sich nicht enthalten konnte, noch lange nach der Thron­ besteigung Friedrich Wilhelm'- II. über die neugebackenen „Sechund achtziger" zu spötteln.

Dazu kommt, daß die Wandel­

barkeit und ununterbrochene Reorganisation der englischen Paine viel beträchtlicher ist, al- man auf dem Eontinent gewöhnlich

19 denkt. Wir sprechen nicht von dem Hinaufrücken jüngerer Linien, bereit Mitglieder im Hause der Gemeinen saßen, in die Stellen der Peers, die ohne direkte Nachkommenschaft starben: die Zahl wirklich alter Familien ist unter den englischen Lord» auffallend gering. Al» Victoria den Thron bestieg, sa­ ßen im Oberhause mit Einschluß der geistlichen Würdenträger 394 Peer»; von diesen waren, die geistlichen Herren unge­ rechnet, 272 vor dem Regierungsantritt Georg» III. (1760.) noch nicht mit dieser erblichen Würde bekleidet. Noch weniger ist die englische Aristokratie in ihrer Bil­ dung und Gesinnung mit der kontinentalen zu vergleichen. Sie hat, wie wir oben schon bemerkten, für alle freien Bürger Rechte zu erringen und diese zu schirmen gewußt, und — wie auch der Verfasser der un» vorliegenden Schrift anerkennt — den Bestrebungen de» Volk» nie einen unübersteiglichen Wider­ stand entgegengesetzt, sondern eine der herrschenden Parteien hat sie stet» zu rechter Zeit zu den ihrigen gemacht. Diese» Umstande», und nicht ihrer Privilegien wegen, genießt die eng­ lische Aristokratie auch die Achtung, auf welcher allein ihre po­ litische Stellung ruht. Die Bemerkungen unsere» Gegner» über den aristokrati­ schen Charakter de» Unterhauses unterliegen großen Einschrän, hingen. Er schlägt den Einfluß, den die Peer» auf da» Un­ terhaus durch ihre in bemfelben sitzenden Verwandten und durch ihren Einfluß auf die Wahlm ausüben, offenbar zu hoch an, namentlich seit dm letzten zwei Jahrzehnden. Wäre er so bedeutend, so wäre nicht abzusehen, warum die Lord» nicht längst den Schwerpnnkt der Regierungsthätigkeit auf le­ galem Wege au» dem Unterhause in da» Oberhaus verlegt hätten. Auch hat e» an langwierigen Meinungsdifferenzen zwischen beiden Häusern nicht gefehlt. Wenn im Hause der Gemeinen viele Mitglieder der Gentry sitzen, so ist e» doch ein großer Irrthum, sie der Mehrzahl nach für die jungem Söhne 2*

20 oder für Sprößlinge aus Seitenlinien der zur Nobili»' gchö rigen Familien zu halten. die KnightS DanneretS,

Zur Gentry zählen die BaronetS, die KnightS

Bachelors, Gelehrte,

Künstler, Offiziere der Land - und Seemacht und der Handels­ flotte,

endlich auch bedeutende Fabrikbesitzer

und Kaufleute,

»voraus hervorgeht, daß sie nicht in Bausch und Bogen als eine Abzweigung der Robilitv bezeichnet werden kan».

Auch

dürfte eS unmöglich fein, historisch nachzuweisen, daß im Ui» terhanse der niedere Adel ein llebergewicht über die eigentli­ chen Gemeinen behauptet habe.

Sicher ist cö dagegen, daß

daS Unterhaus seinen Einfluß nicht den Rittern der Graf­ schaften, sondern den Abgeordneten der Städte ver­ dankt; seine Macht datirt aus der Regierung Eduards III., dessen Kriege häufig wiederkehrende Parlamentssitzungen und häufige Geldbewilligungen nöthig machten.

Eine natürliche

Folge der letztem war die besondere Berücksichtigung der städ­ tischen Deputirten, und es ist sichtlich, daß sich diese nicht der Gentry, sondern daß sich die Gentry ihnen anschloß.

Was

ferner die Einwirkung der Robilitv auf die Wahlen betrifft, so ist unleugbar, daß sie allerdings durch ihren Reichthum und ihren Einfluß ein bedeutendes Gewicht in die Wagschaale wirft; aber auch die Industrie hat ungeheure Reichthümer aufgehäuft, die sie nöthigenfaUs in den Wahlkampf führen kann; und die letzte Wahlreform, so wie die Gesetze gegen Bestechungen ha­ ben dem Einflüsse der Nobility einen bedeutenden Stoß gege­ ben.

Daß die letztere nicht unbedingt tonangebend ist, beweist

daS llebergewicht des Unterhauses, die Korngesctzgcbnng und die Wahlreform. Der korporative auf alten Privilegien beruhende Charakter der Wahlcollegien, dem eS unser Gegner zuschreibt, daß auck> die Wahlen zum Hause der Gemeinen wesentlich aristokratisch ausfallen, ist übrigens durch die Wahlrcform mächtig erschüt tert worden.

In England verloren durch sie 56 Flecken gain

21

daS eigene Wahlrecht und wurden zu andem Bezirken geschla­ gen, 30 andere kämm mit einer Verkürzung ihrer Privilegien davon, indem sie ferner statt 2 nur einen Deputaten wählten, 42 Ortschaften erhielten daS Wahlrecht, außerdem wurden vielfach Flecken und Bezirke zusammengelegt, die früher ge­ trennt waren. Währmd früher jede Grafschaft in ihrer Ge­ sammtheit 2 Ritter für daS Unterhaus wählte, wurde jetzt Jorkshire in 3 Theile, 25 andere Grafschaften in 2 Theile zerlegt, von denen jeder 2 Ritter wählen sollte. Wenn aus diese Weise daS corporative Element der biSherigm Wahlcollegien eine durchgreifende Störung erlitt, so trug die Ausdehnung des Wahlrechts mächtig dazu bei, den Einfluß der Aristokratie zu paralysiren. Als Lord John Russell am 1. März 1831 die erste Reformbill ins Unterhaus brachte, stellte er unverholen dieses als den Zweck der Bill hin, indem er hervorhob, daß von den 513 englischen Stellen im Unterhaus« eigentlich nur 70 aus reinen Volkswahlen hervorgingen, während die übrigen durch den Einfluß der Aristokratie oder durch Beste­ chung besetzt würden. Jetzt zählen die 3 vereinigten König­ reiche über 1 Million Wähler, und zwar so, daß in England auf 19, in Schottland auf 32, in Irland auf 53 Bewohner ein Wähler kommt. Wenn man sich nun erinnert, daß in Frankreich bei der letzten Wahl unter der Juli-Dynastie (1846) nur 238250 stimmberechtigte Wähler existirten, daß also auf 148 Einwohner ein Wähler kam, so wird man sehen, was die Behauptung bedeutet, daß in England die Wahlm in den. Händen der Aristokratie sind. Dazu kommt, daß durch die Ausdehnung des Stimmrechts auf die Besitzer städtischer Grund­ stücke, die einen reinen Ertrag von 10 Pfund liefern, dem Einfluß der Aristokratie auf die Pächter ein Gegengewicht geboten ist. Behauptet man trotz dieser Thatsachen dennoch, daß in England Krone, Parlament, Wähler, da- ganze Volk, die

22 Presse u. f. f. aristokratisch find, so muß man mit diesem Worte einen ganz andem Sinn, als dm bisher üblichen verbindm. In der That würde der Ausdruck „konservativ," oder noch besser „loyal" der Wahrheit mehr mtsprechen. Der Sinn für gesetzliche Entwickelung ist das Band, welches in England die verschiedmen Stände zu einträchtigem Wirken zusammmhält. ES ist ein Widerfinn, aristokratischen Einrichtungen, mögen sie in Borrechtm deS BlutS oder in Privilegien der Corporationen bestehen, eine versöhnende Kraft belzumeffen. Solche Einrichtungen regen stets die schlimmsten Leidenschaften auf; Habsucht und Neid unter den weniger Be­ vorzugten folgen ihnen wie untrennbare Schatten, und die Unzufriedenheit, die sie nähren, ist die Mutter der Reuemng und deS AuftuhrS. Selbst bei der populären Form, in der die englische Aristokratie auftritt, fehlen diese Wirkungen nicht ganz. Allein der Engländer ist mit der bestehenden Verfassung im Ganzen und Großen zufrieden, weil sie seine indivi­ duelle Freiheit nicht mehr als nöthig ist beschränkt und weil sie der Nation einen dauemden, nicht von Zufälligkeiten abhängigm Glanz sichert. Er ist monarchisch, weil die Krone seit anderthalb Jahrhundertm die Freiheitm deö Volks nicht beeinträchtigt und die Ueberzeugung in Fleisch und Blut aufgenommm hat, daß die Herstellung absoluter Machtvollkom­ menheit in England zu den unmöglichen Dingen gehört; auch schmeichelt es seinem Nationalstolz, den Glanz und die Würde der Nation in einer Person repräsentirt und vom In- und AuSlande geehrt zu sehen. Er ist aristokratisch, weil die Aristokratie erfahrung-mäßig weder absoltitistische Gelüste ge­ fördert noch durch Kastengeist nothwendigen Fortschritten, und namentlich einer Ausdehnung politischer Rechte über weitere Kreise, unüberwindliche Hindernisse entgegengestellt hat. Er ist loyal, weil er seines Rechtes im Privatleben sicher ist, weil man in England keine.Gesetze macht, um die Staats-

23

bürg« zu chitaniren, sondern um ste zu schirmen, und weil der Engländer in Bezug auf da- politische Leben die Erfah­ rung gemacht hat, da- selbst lange beanstandete Reformen doch endlich auf legalem Wege dmchgesetzt wurden. DaS momen­ tane Mißlingen politischer Pläne bewegt ihn deshalb weder sie aufzugeben, noch zu revolutioniern. So lange der legale Weg nicht verbaut wird, werden überhaupt nur ganz ver­ derbte Naturen, die sich von allen gesellschaftlichen Banden losgelöst haben, zur Empönmg greifen. E» würde eine Berlrugnung der gesunden Bemunst sein, wenn man behaupten wollte, der Engländer wäre 4 taut prix und gewissermaßen au- Instinkt monarchisch oder aristokratisch. Die Geister der vergangenen Jahrhunderte würden über eine solche Behauptung in ein sardonisches Lächeln auSbrechen. Wenn in England neben einen schwachen König, der sich über den augenscheinlichen Charakter deS Volkes zu täuschen und die Erfahmngen der Geschichte zu vergessen im Stande wäre, ein Minister mit der Seele eines Haffenpflug gestellt würde — wir bitten jeden Engländer um Verzeihung —; wenn ein solcher Minister den Fürsten durch irgend eine Pie­ tistische und phantastische Doktrin von der göttlichen Einsetzung deS unbeschränkten Königthums so weit zu verblenden wüßte, daß der König die Rechte de- Parlament» oder de- Volkeanzutasten wagte: dann würde e- sich klar zeigen, wie weit und we-halb die Engländer monarchisch find. ES dünkt nnS, daß darüber kein Zweifel obwalten kann, sobald man sich den hohen Werth vergegenwärtigt, den die Eng­ länder auf historische Präcedenzfälle legen. In­ zwischen find bei dem Geiste, den die englischen Könige ein­ gesogen haben, solche Eventualltäten nicht zu besorgen. AlS Wilhelm IV. bei dem Kampfe über die Wahlreform, welcher sich da- Oberhaus hartnäckig widersetzte, in die von dem Whig­ ministerium verlangte Ereirung neuer PearS nicht willigte,

24 sondern daS Ministerium entließ und den Herzog von Wel­ lington an die Spitze eine- neuen stellte, hatte er auf seiner Fahrt nach St. JameS von dem entrüsteten Volk eine Be­ handlung zu erdulden,

welche auf den monarchischen Sinn

des Engländer- ein sehr üble- Licht wirft. nachher berief Wilhelm wieder die Whigs.

Wenige Tage

Wie sehr die eng­

lischen Könige davon überzeugt sind, daß es für sie höchst miß­ lich ist, mit der Nation in Zwiespalt zu treten, erhellt auch aus dem Benehmen Georgs

III.

Als Fox 1783 die Ostindische

Bill inS Unterhaus brachte, erklärte Georg

III.

die Krone

niederlegen zu wollen, falls daö Gesetz durchginge; er hielt eS für besser zu abdiciren, als sein verfassungsmäßiges Veto anzuwenden.

Von der Fortdauer dieser Achtung und Berück­

sichtigung dcS Nationalwillens bei den Inhabern der Krone, nicht aber von dem Bestände aristokratischer Privilegien, hängt die Fortexistenz deS englischen ThroneS ab. Dasselbe gilt von der Aristokratie und speciell von dem Oberhause.

Wie sehr der Engländer auch von der tiefen Re-

gierungSweiSheit der PeerS überzeugt sein mag: nie wird diese Anerkennung und die Anhänglichkeit

an diese aristokratische

Institution ihn bestimmen, dem Hause der LordS freiheitSwidrige Bestrebungen zu gestatten, oder sich demuthSvoll zu beu­ gen, wenn eS nothwendigen Reformen hartnäckig widersteht. Die Geschichte der letzten Deccnnien liefert cclatante Berveisc dafür.

Der lang anhaltende Widerstand, den daS Oberhaus

der Aufhebung der Testacte und der Emancipation der Ka­ tholiken entgegenstellte, hatte solche Erbitterung erregt, daß selbst ein Aristokrat wie Wellington endlich die Nothwendigkeit nachzugeben anerkennen mußte: als dasselbe Schauspiel sich bei der Wahlreform wiederholte, brach die Erbitterung gegen das Oberhaus an mehrere Orten, namentlich in Bristol, in offnen Aufruhr aus.

Wer Augen hat zu sehen, erkennt auS diesen

Thatsachen deutlich, welche Bcwandniß eS mit dem aristokra-

25

tischen Sinn deS Engländers hat. Er wird mit der Forterkstenz de- Oberhauses einverstanden fein, — doch nur so lange, alS eS kein Hindemiß für die VerfaffungSentwickelung ist. Er hört sofort auf aristokratisch zu sein, sobald die Aristo­ kratie aufhört, sich den demokratischen Bestrebungen zu beque­ men. Daß die Aristokratie dieses bisher noch stets erkannt hat, wenn auch oft erst in der zwölften Stunde, — das ist der einzige Grund für die Fortdauer ihrer politischen Stellung: nicht ihrem Starrsinn, sondem ihrer Nachgiebigkeit hat sie dieselbe zu danken. So schmilzt unter dem Sonnenlichte der Wahrheit der monarchische und aristokratische Sinn deö Engländers zusam­ men. Er ist monarchisch, so lange die Träger der Krone sich von den dem Hause Hannover eingeprägten Traditionm leiten lassen. Er ist aristokratisch, so lange die Aristokratie mit ihm geht. Wenn der Engländer ein Feind de- gewaltsamen Um­ stürze- ist, so stammt diese Ansicht nicht au- Gefühlen, die sein praktischer Sinn sicherlich al- nebelhafte, mystische be­ lächelt. Ihn bewegt die Erfahrung. Er weiß, daß die bestehenden Institutionen ihn an dem Genusse deS größtmöglichen Maaße- persönlicher Freiheit nicht hindem, sondern ihn darin beschirmen; er hält sie entweder an und für sich für gut; dann ist er konservativ und ein Feind der Neuerung; — oder er erkennt ihre Unebenheiten; dann lenkt ihn die Erfahrung, daß jedwede Verbesserung seit an­ derthalb Jahrhunderten in legaler Weise durchgesetzt werden konnte, auf den Weg der Reform. DaS sind die Momente, die England vor einer Revolu­ tion schirmten. Krone und Aristokratie erhielten sich, weil sie die Noth­ wendigkeit deS Nachgebens keimen. DaS ist der Kern ihrer Weisheit.

26 DaS Volk revolutionirt nicht, weil eS gut regiert wird imt> weil ihm zur Beseitigung von Nebelständen der Weg der Reform nicht versperrt wird. Deshalb erhielt sich die constitutionelle

Monarchie

in

England. Ihre Hauptstütze ist der Mittelstand.

Er hat in Par­

lamenten und auf Schlachtfeldem nicht für die Privilegien des Adels, sondern für die Rechte „jede- freien Manne-" gerun­ gen; er hat, im Bunde mit der Aristokratie, diese Rechte er­ kämpft und behauptet.

Mit derselben Zähigkeit, mit der er

sie gegen die Willkür der Könige vertheidigt hat, ist er auch bereit, sie gegen die Angriffe der Radicalen zu schirmen.

Er

hat in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, Proben dieseentschloffenen und tapfern Sinnes zu geben, und seine Hal­ tung ist wirksam genug gewesen, die der Verfassung drohende Gefahr im Keime zu ersticken.

Der Mittelstand ist die breite

Grundlage, auf welcher die Macht wie die Freiheit Englands sicher ruhen. Wer die Unhaltbarkeit der constitutionellen Monarchie auf dem Festlande behauptet, muß also nachweisen 1) daß die Fürsten de- EontinentS nicht die Fähigkeit haben, die Unmöglichkeit absoluter Regierung-weise bei dem gegenwärtigen Culturzustande der Völker zu erkennen,

oder

daß sie, fall- ihnen diese Wahrheit nicht entgeht, nicht die Redlichkeit besitzen, ihr gemäß zu handeln; 2) daß die Völker deS EontinentS werden,

auch revolutioniren

wenn sie in einer ihren Wünschen entsprechenden

Weise regiert werden, und wenn ihnen der Weg legaler Re­ form offen steht. Man müßte von einer grenzenlosen Verachtung gegen die Fürsten und Völker deS EontinentS durchdrungen sein, wenn man diesen Beweis antreten wollte.

27 2.

Die constitutionelle Monarchie auf dem Kontinent. Wir haben un- vielleicht länger bei dem aristokratischen Element in der englischen Verfassung aufgehaltm, alS es unfern Lcftm nöthig scheint. Wer dm Entwickelung-gang der europäischm Völker inS Auge faßt, überzeugt fich bald, daß ihm daStreben nach Beseitigung aristokratischer Einrichtungm seit Iahrhundetten eigenthümlich ist, daß die Aristokratie mit raschen Schritten ihrem Verfall mtgegen eilt. Diese Erscheinung ist so wenig local oder ephemer, daß man nicht umhin kann, in ihr ein nothwendige- Product der geschichtlichen Entwickelung zu erkennen. Wenn nun da- Festhalten an aristokratischen In­ stitutionen im Widerspruch steht mit dem Gange der Geschichte, der weder durch mystische Formeln noch durch fromme Wünsche beschworen werden kann, so wird man von vomherein mehr der Anficht zuneigen, daß da- hartnäckige Beharrm bei jenen mittelalterlichm Resten eine große Gefahr für die Ruhe der europäischen Staaten in fich schließt, als der wunderlichen Meinung unsere- Gegner-, welcher darin gerade den Gmnd für den ungefährdetm Bestand der englischen Verfassung erkennt. Aber selbst wenn die letztere Anficht richtig wäre, wenn in England wirklich die große Mannigfaltigkeit derSonderinteressen Regierung und Volk zu einträchtigem Wirkmvereinigte: so würde e- doch noch höchst fehlerhaft sein, au- dem Mangel aristokratischer Elemente auf dem Festlande dm Schluß zu ziehm, daß hier die constitutionelle Regierung-form unhaltbar sei. Dieser Schluß würde nur richtig sein, wenn zugleich nachgewiesen wäre, daß aristokratische Interessen da- einzige Band wären, welche- eine Staat-gesellschaft zusammenhaltm kann, und daß, wo diese- Band fehlt, die widerstrebenden Elemente der Ge­ sellschaft zu einer Fehde auf Tod und Leben gegen einander losstürmen müssen, wenn sie nicht durch eine absolute Herrscher­ gewalt mit ehernm Banden an einander geschmiedet werden.

28 Wir leugnen nicht, daß Sonderintereffen den Menschen großem Eifer erhitzen sonnen, — wenn wir auch nicht glauben,

daß diese Hitze eine die gesellschaftlichen Zustände

sichemde und fördernde ist. Aber es will und bedunken, daß das menschliche Herz noch für andere Ideen eine Wärme empfinden kann, welche schon deshalb eine größere Bürgschaft für eine gesunde und friedliche Entwickelung bietet, weil sie durch vernünftigere und sittlichere Elemente sich nährt, als der auS dem Sumpfe des Egoismus aufschießende Eifer für daS Privilegium. Wenn

sogar unser Gegner auS einer Betrachtung des

EulturzustandeS der europäischen Völker die Folgerung gezo­ gen hat, daß die reine Monarchie für. die meisten Staaten de- ContinentS nicht mehr angemessen sei, so verzweifeln wir um so weniger daran, daß sich in dieser Ueberzeugung eine ungeheure Mehrheit vereinigen wird.

Stärkt man nun mit

gleichem Eifer auf der andern Seite die Ueberzeugung, daß für die meisten kontinentalen Staaten die Republik ein Un­ glück

sein würde,

extremen Parteien

so

wird

immer

man durch eine Zersetzung der

mehr Individuen auf den Boden

führen, den sämmtliche Anhänger der beschränkten Monarchie trotz

untergeordneter

Meinungsdifferenzen

dennoch

als den

ihrigen anerkenne» werden. Die Divergenz der politischen Ansichten über daS Mehr oder Minder in der Beschränkung der monarchischen Gewalt wird wiederum in einigen sittlichen Momenten einen EinigungSpunkt

finden.

Wir rechnen dazu

besonders die nicht

genug zu pflegende Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer gesetzlichen Entwickelung. Um diese zu sichcm, wird man wiederum einige poli­ tische Cvnscquenzcn anerkennen müssen.

Man wird Bildung

und Stimmung des Volkes in Anschlag bringen und sich hü ten, Gesetze und Zustände hcnnstellen,

die so geartet sind,

29 daß die Staatsbürger an ihrer legalen Verbesserung verzwei­ feln. Man wird zu gleicher Zeit nicht umhin sönnen, dem Einzelnen zu freier Bewegung innerhalb humaner Gesetze ge­ nügenden Spielraum zu gewähren, damit ihm die Gewißheit bleibt, für die Abstellung der ihn drückenden Uebelstände Pro­ paganda machen zu können. So wird man Zustände schaf­ fen, mit denen die Mehrheit der Staatsbürger im Großen und Ganzen zufrieden ist; und diese Stimmung sichert die gesellschaftliche Ordnung mehr, als der Zwang eines Allein­ herrscher- oder die Macht eines durch Sonderinteressen zusam­ mengehaltenen Standes. Unter solchen Umständen wird es an einer starken Partei nicht fehlen, welche sich schlechtweg für die Aufrechterhaltung deS Bestehenden interessirt und diejeni­ gen zügelt, die auS den jedem Menschenwerk unvermeidlich anklebenden Mängeln die Nothwendigkeit eines radicalen Wech­ sels herleiten wollen. Daß die Theilung der Gewalten in der constitutionellen Regierung-form zu Conflicten Veranlassung giebt, liegt auf der Hand; die Grenzlinie wird nie so scharf gezogen werden, daß nicht ein strittiges Gebiet existiren sollte. Indeß haben solche Conflicte in England, wo allerdings ihre Entscheidung durch das bedeutende Gewicht deS Unterhauses stet- anticipirt wird, seit anderthalb Jahrhunderten immer eine ftiedliche Aus­ gleichung gefunden. Die reifliche Erwägung der Volksstim­ mung, de- Wohlsein- und Ruhme- der Nation, und der leb­ haft empfundene Wunsch, die Continuität ftiedlicher Entwicke­ lung zu erhalten, habeir stet- den AuSschlag gegeben. Wenn man glaubt, daß diese Momente, die in England stets eine Einigung herbeiführten, auf dem Continent keine Kraft äußern würden, so muß man von der Einsicht und dem sittlichen Werthe der Fürsten und Völker eine höchst verächt­ liche Meinung hegen.

30 DaS Ist, wenigstens in Bezug auf die letztem, bei unserm Gegner der Fall. Um unS ein recht schwarzes Bild vorführen zu können, nimmt er von der Verschiedenheit deS französischen, italieni­ schen, deutschen VolkScharakterS gar keine Notiz, sondern spricht stet- von der continentalen Demokratie im Allgemeinen. Unter Demokratie versteht er aber nicht eine politische Partei, sondem den Gegensatz der Aristokratie, und da er eine eigent­ liche Aristokratie auf dem Continent nicht findet, sondem höchstmS einzelne Aristokraten, die wie sporadische Monaden aus dem demokratischen ChaoS hervorragen, so kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man unter der Demokratie unse­ res Gegners daS gesammte Volk in den einzelnen europäi­ schen Staaten versteht. Als charakteristische Eigenthümlichkeiten deS Volkes auf dem Continent giebt unser Gegner S. 73 folgende an: „lau­ nige Aufwallungen deS Zornes und der Gunst; heftiger imb flüchtiger Enthusiasmus; Rennen von einem Extrem zum andem, je nachdem die Eindrücke deS Gefühls, der Phantasie oder Leidmschast eS eingeben; einmal den Zügel mit Hast und Gewalt erfaßt und dann wieder Ermattung; nationale Eitelkeit, aber dabei wenig NationalegoiSmuS und Patriotis­ mus, sondern mehr coSmopolitische Neigung; den Künsten der Intrigue und den Niederträchtigkeiten der Schmeichelei weit zugänglicher und unterworfen, als irgend ein Herrscher anderer Art; heftige, herausfordernde Sprache und tlngestüm im Frie­ den, aber panischer Schrecken, wo plötzliche Gefahr einbricht, und weder kalte Entschlossenheit, noch ausdauernder zäher Muth im Angesicht langwierigen Kampfes; die öffentlichen Formen mißachtend und geneigt, sie zu überspringen; die demo­ kratische Kammer ohne daS äußere Gepräge der gesellschaft­ lichen Bildung, der Würde, deS Ernstes und der weisen und tiefen Berathung, wie die hohe Stellung der gesetzgebenden

31 Gewalt sie fordert."

Al» „Haupttriebfedern" für die Reprä­

sentantenkammer giebt er S. 78 folgende an: „Eifersucht ge­ gen jede Auszeichnung; Neid gegen alle» Hochgestellte; unvertilgbare» Mißtrauen gegen Alle», wa» sich au» der Ebene erhebt und ein Vorrecht der großem Macht oder auch nur eine größere politische Tiefe hat, al» daß die allgemeine Seich, tigkeit ihr auf den Grund sehen könnte wie einer Schüssel voll Wasser." Daher sind die VolkSkammem nur ausnahmsweise monarchisch (S. 44. 52.). Im Allgemeinen werden sie von ehrgeizigen GlückSrittem geleitet (S. 58): „Die Volkskammer ist in der constitutionellen Monarchie des ContinentS die LieblingScarriere der jungen, kühnen, gewandtm, ehrgeizigen Köpfe des dritten Standes und jener Adeligen, welche, brouillirt mit der regelmäßigen Laufbahn und gestachelt von R ach such t, das Avancement auf der Hintertreppe suchen......... In der Volkskammer (namentlich im großen Staate) sammeln sich jene Leute mit bedeutendem Talente und fieberhafter Un­ ruhe, aber bedrängten Umständen; jene jungen Enthu­ siasten, tapfer wie die Löwen, aber ebm so wenig der Dis­ ciplin fähig; von Jugendfeuer und durch den Traum einer ungemeffenen Freiheit entflammt, aber ohne alle politische Erfahmng und nur durch die Aufrichtigkeit ihrer Erregtheit ge­ gen die Lächerlichkeit geschützt; täglich gelaunt, Sonne, Mond und «Sterne der Göttin Freiheit zu Ehren zu verpuffen und ihr die Erde in Gestalt einer zerstoßenen Perle im Cham­ pagnerglase zu reichn,, aber doch mitten im politischen Rausche jammemd, daß die Regiemng zwei Groschen zu viel ausgebe. Der vorwaltende Trieb dieser Kammer, jedenfalls ihrer Oppo­ sition. wird immer dahin gehen, der Masse des Volkes, der Gallerie, der Presse zu gefallen. Da nun regelmäßig vor einer Zuhörerschaft agirt wird, welche mit Leidenschaften und Vorurtheilen gefüllt, der nüchternen Berathung öffentlicher Angelegenheiten abgeneigt und allen Lehren ernster Staats-

32

klugheit unzugänglich ist; da ferner die Mehrzahl der politi­ schen Blätter und die VolkSmaffe edele und gemäßigte Grund­ sätze kalt aufnimmt, dagegen sich als enthusiastische Bewun­ derer und schallende Zujauchzcr der politischen Begeisterung, deS wilden Fluges der politischen Leidenschaft, der kühnen Griffe und Ausfälle zeigt: so verwandelt sich in der Volks­ kammer die Berathung über Staatsgeschäfte in theatralische Vorstellungen. Hier finden wir jenes Bestreben, an die Stelle der Beweisführung glänzende Declamation und metaphysische Ueberschwänglichkeit zu bringen; durch Heftigkeit zu ersetzen, waS an Wahrheit gebricht; den Zinnober der Uebertreibung zu brauchen, da die natürliche Farbe nicht bis zur Gallerie hinauf glänzt. Wir hören hier, wie unter dem Schutze der Redefreiheit der Hang nach ungebundener Volköfreiheit ent­ flammt und geliebkost wird; wir hören revolutionäre Grund­ sätze predigen, Entsetzen erregende Maximen vortragen, über­ triebene Ansprüche stellen, Beleidigungen auf Beleidigungen gegen fremde Regierungen häufen, die Grundlagen des König­ thums mit dem größten Ungestüm angreifen." Wir würden diese Sammlung wilder Znvectiven gegen die Völker des EontinentS noch vergrößern können, wenn das Angeführte nicht genügte, die Ansichten unseres Gegner- zu veranschaulichen. Traute man solchen hypochondrischen Ausbrüchen einer malkontenten Persönlichkeit, so würde man glauben müssen, sobald man den Continent beträte, in ein Narrenhaus oder in eine Spitzbubenspelunke zu gerathen, in eine Gesellschaft ganz entarteter, verwilderter Individuen, deren eherner Stirn Vernunft und Mäßigung ganz fremd wären, die keinen an­ dern Zweck hätten, als nach einen allgemeinen Umsturz der menschlichen Gesellschaft die eigne Lasterhaftigkeit aus den Thron zu sehe». ES gehört ein glücklicherweise sehr seltener Grad von

33 Menschenhai» dazu, um da- Menschengeschlecht für so gesun, ken und entartet zu halten, daß Vernunft und Mäßigung, Vaterlandsliebe und Sinn für Gesetzlichkeit, Achtung vor dem Talent, der bessern Einsicht und der Tugend, in dem boden­ losen Pfuhl der Gemeinheit völlig untergegangen wären, daß die Stimme der Wahrheit, erwärmt von dem Eifer für daallgemeine Beste, keine Stätte mehr fände bei dem verwahr­ losten Geschlecht. Wer mit unbefangenem Auge in Gegenwart und Ver­ gangenheit blickt, überzeugt sich bald, daß jene gallichten An­ schauungen größtentheil- falsch, zum andem Theil übertrieben sind, und daß da- Wahre an ihnen in England eben nicht besser ist.

Und selbst diese- Urtheil wird wesentlich modi-

fizirt, wenn man nach dem Ursprünge der vereinzelten krank­ hasten Erscheinungen forscht: da wird man nicht nur finden, daß sie bei richtiger Behandlung heilbar sind, sondem sogar, daß sie ohne die erheblichsten Fehlgriffe gar nicht hervorge­ treten wären. Wir wenden den Blick auf Deutschland, und namentlich auf Preußen, welche- un- am nächsten liegt, und stellen die Behauptung auf, daß der deutsche Volk-chararter, selbst durch seine Fehler, der constitutionellen Regierung-form eine längere Dauer in Au-ficht stellt,

als man sie in irgend einem

europäischen Lande überhaupt für die Zukunft ermatten darf. Denn man zeichnet den Charakter de- Deutschen im All, gemeinen ttchttger, wenn man da- Gegentheil der Eigen­ schaften,

welche unser Gegner schlechtweg den conttnentalen

Völkern beilegt,

als seine Eigenthümlichkeit auffaßt.

Der

Deutsche ist nicht unruhig, wankelmüthig, zu Neuerungen auf­ gelegt, geneigt an sich zu reißen wa- ihm nicht zukommt, zu Gewaltthätigkeitm leicht erregbar, voll närrischen Dünkel-, ein Hasser und Lästerer der Höherstehenden.

Im Gegentheil:

er

ist phlegmatisch und ein übertriebener Anhänger de- Gewohn-

3

34

ten, weitschichtig in feinen Reflexionen, langsam zur That, mit Bescheidenem zufrieden, voll unterthänigen Respects gegen die hohe Obrigkeit (wenn sie sich nicht gar zu lächerlich macht), mit der Theorie von dem beschränkten Unterthanenverstande einverstanden, so lange man nicht so unhöflich war, sie ihm inS Gesicht zu werfen. Er hat gezeigt, daß er auch ein gutes Quantum unmotivirten Drucks mit christlicher Fassung erträgt. Wenn ein so geartetes Volk Männer in die Kammern wählt, die mit gehässiger Geschäftigkeit Conflicte herbeizufüh­ ren oder auszudeuten beflissen sind, so müssen gewaltige Er­ eignisse e- aus feinem Geleise herausgeworfen und die Milch seiner Denkart in Galle verwandelt haben. In gewöhn­ lichen Zeitläuften sind hier Conflicte nur dann zu fürchten, wenn eine Schaar beschränkter und selbstsüchtiger Individuen dem Ohre des Fürsten das veraltete Lied von feiner unbe­ schränkten Machtvollkommenheit vorsingt, und ihn zu Schritten hinreißt, die ebenso den Gesetzen wie dem „Culturzustande des Volks" widersprechen. Daß daS preußische Volk seinen Fürsten zu nahe treten wird, ist bei dem in allen Kreisen verbreiteten monarchischen Sinn schwerlich zu besorgen. Die Macht der monarchischen Gesinnung hat sich in dem Wirrwarr des Jahres 1848 glän­ zend bewährt. Schon die bloße Nachricht, daß einige Mit­ glieder der sogenannten conftituirenden Versammlung in ihren Forderungen so weit gingen, die Rechte deS Königs für die Zeit der Dauer dieser Versammlung noch unter da- der eng­ lische Krone bewilligte Maaß herabzudrücken, verursachte einen so gewaltigen Rückschlag, daß sie vomämlich der Reaction die Bahn brach. Auch ist dieser monarchische Sin» keine krankhafte, flüch­ tige Erscheinung. Er hat sich in allen Krisen bewähtt, hat weit verbreitete Wurzeln geschlagen und ist durch die Geschichte groß gezogen worden.

35 Wodurch wird der monarchische Sinn eine- Volke- er­ schüttert?

Zunächst

und

hauptsächlich

durch

schlechte und

schrvache Fürsten mit wankelmüthigem, unzuverlässigem Cha­ rakter imd kleiner Gesinnung; dann durch den Hinblick aus historische Präcedenzfälle, nach welchen dem Volke eine schnöde Behandlung der Fürsten nicht- Reue- mehr ist. Beide- ist in Preußen nicht der Fall, und in dieser Be­ ziehung

befindet sich da- Land in einer ungleich beneiden-,

werthem Stellung al- England. Daß Preußm auf eine Regentenreihe ohne Gleichen zu­ rückblickt, ist oft genug gesagt worden; nur Schade, daß die­ jenigen, welche am häufigsten darauf hinwiesm, die unver­ meidlichen Wirkungen

diese- Segm- auf die Anhänglichkeit

de- Volk- an den Thron nicht anerkennen wollen,

sondern

fortfahren, da- Volk al- den unversöhnlichen, nur durch Zwang niederzuhaltenden Gegner der Krone darzustellm. sind

die preußischen Fürsten,

vor

un-

liegt,

fast

alle

deren

durch

In der That

Geschichte abgeschlossen

ein

hochfinnige- Stteben

und beharrliche Verfolgung großer Zwecke, einige durch eine eiserne Heldennatur au-gezeichnet gewesen.

Selbst in Friedrich

Wilhelm III., in dem ein oberflächliche- Urtheil mehr die Tu­ genden eine- Privatmanne-, al- die eine- Fürsten hat erblicken wollen, find die unerschütterliche Standhaftigkeit in furchtbarem Unglück,

da-

geräuschlose und muthige Sich-Durchkämpfen

durch unmdliche Schwierigkeiten wahrhaft heroische Züge, für derm Würdigung der schlichte Sinn de- Volke- ein sehr feineGefühl besitzt, wie e- sich seiner Zeit durch ein enge- An­ schmiegen de- Volke- an den Thron zur Bewundewng der Rachwelt

deutlich

gezeigt hat.

Und gerade darin liegt ein

unmdlicher Gewinn für Preußen, daß der Werth seiner Für­ sten nicht bloß von dem kalten Urtheil de- Historiker- oder dm isolirten Reflexionen de- Psychologen anerkannt, sondem daß er vom Volke empfunden wird.

Gewährt noch sonst

3*

36 ein Volk da» Schauspiel, daß die Geschichte eine» seiner Für­ sten so in Fleisch und Blut de» geringsten Bürger» überge­ gangen und mit solcher Liebe buchstäblich in jeder Hütte ge­ pflegt wird, wie die Geschichte de» alten Fritz in Preußen? Da» ist eine unendlich wichtige Thatsache, die, von der Weis­ heit gepflegt, eine Saat de» Segen- für die Zukunft wer­ den könnte. . . Wie ander» steht England in dieser Beziehung da! Reben Fürsten von titanischer Kraft zahlreiche Schwächlinge, launenhaft,

wankelmüthig und meineidig,

kleinmüthig im Unglück

und grausam im Glück, ein Spielwerk niederträchtiger Günst­ linge.

Wenn irgend Etwa» den geheimnißvollen Zauber zer­

stören kann, der die Krone umstrahlen soll, so ist e» die Ge, schichte de» englischen Königthum», besonder» wenn sie, wenig­ sten- in einigen hervorragenden Acten, durch den Mund eine» großartigen Dichter- dem Volke nahe gerückt ist. In wenigm Ländern ist der Aufruhr und die schnöde Behandlung der Fürsten so zur Regel geworden, wie in England zur Zeit de» Mittelalter»; in wenigen Ländem ist die Empörung so häufig von Erfolg gewesen.

Zahlreiche Könige wurden hier vertrie­

ben und abgesetzt; wie landflüchtige Verbrecher irrten sie in den Wildnissen umher und suchten hier Schutz vor dem Arm de» Mörder»; andere wurden eingekerkert und fanden ein ge­ waltsame» Ende; einige, wie Eduard II., wurden auf die scheußlichste Weise gemordet.

In dieser ganzen Periode war

selbst da» Lebm der Könige, welche sich auf dem Thron be­ haupteten,

durch Familienereigniffe und Finanznoth derartig

zerrüttet, daß von Glanz und Würde der Krone meist nicht die Rede sein konnte,

lind auch in diesem Jahrhundert sind

in England Vorfälle eingetreten, welche da» Königthum viel­ mehr zu compromittiren al» zu fördern geeignet warm. Da» Hau» Hannover hat überhaupt keine Fürsten auf den mglischen Thron geschickt,

die durch ihren persönlichen

37 Werth die Anhänglichkeit an da- monarchische Prinzip zu stärken vermochten. Dazu kommt al- höchst bedeutsame- Mornrnt, daß die jetzt herrschende Dynastie vom Volke einge­ setzt ist. An eine solche Thatsache knüpft sich unvermeidlich die Idee, daß dem Volke auch da- Recht beiwohne, dm Herrscher zu entsetzen oder mindestm- die Thronfolgeord­ nung nach eigmem Belieben abzuändem. In der That haben selbst sehr gemäßigte Staat-männer dem Parlament da- Recht vindicirt, über die Erbfolge zu bestimmen. Trotz aller dieser Thatsachen ist der Thron in England fest gegründet, — wie sollte man in Preußen für ihn fürch­ ten. Hier ist da- Königthum von bedenklichen Doctrinm, die au- historischen Präcedenzfällen hergeleitet werden, nicht be­ droht. An dem monarchischen Sinn de- Volk-, auf dem eruht, hat die Erinnerung an die Vergangenheit noch nicht wie ein schlimmer Kreb-schaden gezehrt. Nur die Partisane deAbsoluti-mu-, die gern fortfahren möchten, ihren Unwerth durch Ehren und Würden in breiter Behaglichkeit zieren zu lassen, haben die abgeschmackte Behauptung au-gesonnen, daß die Anhänglichkeit an den Thron, die sich bisher so glänzend bewährt hat, unter der konstitutionellen RegiemngSform, die da-Volk wünscht, sich plötzlich und ohne Veranlassung in ihr Gegmtheil umkehren werde. ES können kaum Maßregeln einer Regierung mit so weit verbreitetem und so starkem Unmuth aufgenommen werdm, wie die der gegmwärtigen preußischen Regiemng seit länger denn Jahresfrist. Und obgleich diese» Regiment kein parlamentari­ sche- ist, hat fich dennoch bei der letzten Reise de- König» durch die Provinzen auf die wohlthumdste Weise gezeigt, wie gern da- Volk noch immer den König von seiner Regiemng zu unterscheiden bereit ist, wie sicher der König in der Liebe de- Volke- mhen würde, wenn er Männer in seinen Rath



berieft, die

38

-

ihren Werth zu würdigen, sie zu Pflegen und zu

verbleiten wüßten. Darin zeigt sich der Character de- Volk-.

Wer solche

Eigenschaften nicht anerkennt, dem sind sie selbst ftemd. Wmn die konstitutionelle Regierung-form in Preußen un­ haltbar ist; wenn sie zu unlösbaren Conflicten zwischen Krone und Volk führt: so liegt die Schuld wahrlich nicht in dem Eharacter de- Volk-, sondern in den Derblmdeten, die, kurz­ sichtig auf die eigne Sicherheit und den eignen, nächsten Ge­ winnst bedacht, den Fürsten in den Streit der Parteien treiben. Aber dieser Geist de- Volk-, — ein kostbarere- Erbtheil von unfern Vätern al- sogenannte wohlerworbene Privilegien — will gepflegt und nicht muthwillig angetastet werden.

Einmal

ertödtet, wird er durch keinen frommen Wunsch, durch keine Reue wieder erweist. Die Existenz und die Sicherheit eine- monarchisch regier­ ten Staat- beruhen auf der Anhänglichkeit de- Volk- an die Monarchie und auf seinem Sinn für daö Gesetz.

Wenn eine

Partei mit Erfolg sich herau-nimmt, au- König-worten und König-eiden

mit jesuitischer Sophistik ihren eignen Vortheil

herau-zudeuteln; wenn sie ihr selbstische- Treiben

mit dem

Schilde de- königlichen Namen- deckt und die Person de- Kö­ nig- zum Ehef einer Partei, und noch dazu einer verhaßten, zu degradiren sucht; wenn sie von bestehenden Gesehen nur die Theile au-fiihrt, die ihr conveniren, diejenigen aber al- gar nicht existirend betrachtet, dir den Bürger in seinem Rechte schirmen, oder sie in einer Weise dreht und deutelt, welche im besten Falle eben so viel Scharfsinn wie Gewissenlosigkeit ver­ räth; wenn sie die Gesetze so handhabt, daß der ruhige Staats­ bürger in ihnen feinen Schutz, sondern nur Fußangeln erblickt, die seiner Unbefangenheit gelegt find: so ist e- ersichtlich, daß solche Maßnahmen jene Grundsäulen dcS Staats untergraben müssen; daß sie da- Volk gewöhnen müssen, den König wie

39 jeden andern vom Parteihader ergriffenen Mann zu betrachten; daß ste Haß gegen da- eine Gesetz, welche- nur auf die Ehicane de- Bürger- berechnet erscheint, und Verachtung gegen da- andere, welche- zum Schutze der persönlichen Freiheit als ohnmächtig sich erweist, erregen muffen. E- ist klar, daß auf dem Boden solcher Anfichten revolutionäre Gedanken am üp­ pigsten emporwuchem. Solchen Bestrebungen entgegen zu treten, wird in allen Monarchien die dringendste Pflicht jede- Vaterland-freundesein. Denn bei der Revolution ist nur da- Unheil sicher, welche- sie über die Mitwelt ausbreitet; sehr problematisch bleibt e- immer, ob au- ihr eine bessere Neugestaltung hervor­ gehen wird; und wenn in der That ihre Schlacken allmählich sinken und ein reiner Gewinn sich herausstellt, so erfteuen sich meist nur kommende Generationen der Frucht, die au- dem Unglück der vergangenen Geschlechter emporwuchs; auch läßt jede Revolution tiefe, entstellende Narben im Volk-character zurück. Anhänglichkeit an die Monarchie und Achtung vor dem Gesetz können in Preußen, wie die Sachen nun einmal liegen, einzig und allein durch aufrichtige Handhabung der constitu, tionellen Regierung-form gekräftigt werden. Daß die reine Monarchie dem Eulturzustande Preußen- nicht mehr angemessen ist, scheint auch Herr Zimmer­ mann einzuräumen. Ist sie schon jetzt eine der Bildung und dem Entwickelung-grade widerstrebende Form, so wird ste um so eher abgeworfen werden, al- durch den Fortschritt der Cultur die Divergenz stet- größer und fühlbarer wird. Theilt man die Ansichten unsere- Gegner-, so wird sie auch sehr leicht abgeworfen werden. Denn er sieht in der Aristokratie eine Hauptstütze de- Throne-. Wenn sich nun in England, wo nach seiner Meinung Alle- aristokratisch ist, die Absolutic nicht halten konnte, wie sollte er ihr dann in Preußen ein



40

stellen, wo ihr diese sicherer ist, daß die absolute

günstige» Prognostikon mangelt?

Roch

Neigungen de» Volk» nicht mehr entspricht.

Stütze gänzlich Monarchie den Man mag diese

Abneigung immerhin für die Ausgeburt der vollkommensten Unvemunst halten: sie ist jedenfalls so weit verbreitet, daß selbst Götter gegm sie vergeben» kämpfen dürften.

Man wird

sich also dieser Thatsache accomodiren und einsehen muffen, daß jeder Schritt zur Wiederherstellung de» Absolutismus, als dem Eulturzustande und den Neigungen des Volkes widerstrebend, die Ruhe des Landes und die Existenz der Monarchie um so mehr gefährdet, je erfolgreicher er zu sein scheint. Wer nun auf der andern Seite die eben so feste Ueber­ zeugung hegt, daß eine Republik ohne Republikaner ein Unglück ist; daß bei dem gegenwärtigen Zustande der sittlichen Cultur in einer großem, einheitlichen Republik bei Weitem nicht daS Maaß individueller Freiheit bestehen kann, wie in der konstitu­ tionellen Monarchie; wer davon überzeugt ist, daß namentlich in Preußen die Herstellung einer Republik zur Zerreißung de» Staats führen würde; wer aus einem solchen Versuch nur eine Fülle unsäglichen Unheils hervorgehen sieht: wird sich mit derselben Entschiedenheit von dem einen Extrem, wie von dem andern, von der Republik wie von dem Absolutismus abwenden. ES bleibt also nur die durch eine Verfassung beschränkte Monarchie. Da» ist ein so unvermeidliches Resultat, daß selbst unser Gegner schließlich zu ihm gelangt. Er schlägt aber für die Art der Beschränkung eine andere Form vor, und reservirt der Krone etwa die Rechte, welche sich die preußische durch da» Patent vom 3. April über die Bildung eine» Vereinigten Landtage» vorbehielt. E» bleibt unS zu zeigen, daß eine derartige Beschränkung nicht nur Nichts hilft, sondern sogar äußerst gefährlich ist. Mit welchen Schranken unser Gegner die Vollgewalt der

41 Krone umgeben will, habm wir oben bereit- hervorgehoben. Es ist nun zunächst illusorisch, dass der Krone innerhalb die­ ser Schranken „der größere Theil der Legislative und die ganze Executive" bleibt, was er doch (S. 189) als nothwmdig für eine nach seinem Sinne beschränkte Monarchie bezeichnet. Denn er räumt dem beschränkenden Organ da- Recht der Zustimmung zu allen Gesetzen ein, welche die persönliche Freiheit und die Belastung der Unterthanen betreffen, und da» Recht der Berathung in Betreff aller übrigen Gesetze. Nun find aber wenige Gesetze so angethan, daß sie nicht in einzelntn ihrer Bestimmungen entweder die persönliche Freiheit oder die Belastung der Unterthanen berühren sollten; jedenfalls aber sind die Gesetze, in welchen diese beiden Punkte in Frage kom­ men, politisch gerade die wichtigsten. Sodann macht er die Erhebung neuer Steuern und die Erhöhung 'der bestehenden von der „Mitwirkung" de» beschränkenden Organe» abhängig.

Soll der Ausdruck „Mit­

wirkung" einen bestimmten Sinn haben, so kann er nur Genehmigung bedeuten. Nun bemerkt er aber an einer andem Stelle selbst, daß da» Recht de» König», über Krieg und Frie­ den zu entscheiden, durch da» parlamentarische Recht der Geld­ bewilligung bestimmt wird.

Da nun da» laufende Budget

sicher nicht für die außerordentlichen Au-gaben einer Krieg»zeit hinreicht, so wird die nothwendige Zustimmung de» Par­ lament» zur Erhebung neuer Steuem vollkommen genügen, die königliche Executive, soweit e» sich um den Beginn oder die Fortführung eine» Krieg» handelt, in derselben Weise zu beschränken, wie e» in England bei dem unbegränzten SteuerbewllligungSrecht der Fall ist. Wenn ferner — wa» unser Gegner für sehr wohlthätig hält — dem beschränkenden Organ regelmäßig da» Einnahmeand AuSgabe-Budget vorgelegt und ihm da» Recht der „BorWellung" in Betreff desselben eingeräumt wird, so ist e» un-

42 vermeidlich, daß das beschränkende Organ sich in die DetailS der Verwaltung vertieft und durch seine „Vorstellungen" min­ destens einen indirekten Einfluß auf dieselbe auszuüben sucht. Nun ist eS auch unserm Gegner nicht entgangen, wie mißlich es mit der „vollen" Executive des König- selbst bei diesen Beschränkungen steht. Er vindicirt ihm daher daRecht, sie „im Falle des Mißbrauchs" zurückzunehmen. Wenn aber derartige Beschränkungen durch den Cultur­ zustand deS Volkes geboten waren, so verstößt der durch ihre Zurücknahme herbeigeführte Zustand gegen daS Haupterforderniß jeder politischen Einrichtung; er ist dann nämlich dem Culturzustande deS Volks nicht mehr angemessen, sondern unhaltbar. Der König wird also auf die Ausübung dieseRechts verzichten müssen, wenn er nicht durch die Macht der Verhältnisse, die ihn schon einmal zur Einführung jener Be­ schränkungen bestimmte, abermals zur Vcrzichtleistung auf sein Recht gezwungen werden will. ES widerspricht überhaupt der Idee eines civilisirten Staates, daß er seine Einrichtungen auf die Willkür, und nicht auf feste, nur unter bestimmten Normen abzuändernde Gesetze stellt. Betrachten wir nun die Folgen solcher Einrichtungen. Cxistirte irgend wo ein so leidenschaftlicher Freund deS Wech­ sels oder ein so diabolischer Mensch, daß er nach politischen Einrichtungen suchte, die am raschesten Erbitterung verbreiten und am schnellsten zusammensinken, so würden seiner Beach­ tung die Vorschläge unseres Gegners sehr zu empfehlen sein. Die nothwendigen Wirkungen einer in dieser Weise be­ schränkten Monarchie sind dem Menschenkenner nie unbekannt gewesen. Im I. 1848 wurden sie Jedem klar, der sein Auge nicht verschloß. Denn wir hatten in Preußen, waS unser Gegner empfiehlt: und wie hat eS sich bewährt! DaS Mehr von Rechten, welches Herr Zimmermann den Fürsten reservirt wissen will, ist ein wahres Danaergeschenk. CS besteht darin:

43 daß der Fürst Gesetze erlaffen darf, welche von der Volk-vertre­ tung gemißbilligt find, und daß er die Staatseinnahmen in einer Weise verwenden darf, gegen welche sich die Volksvertretung erklärt hat. Daß die Anwendung dieses Rechtes, namentlich in der letztem Beziehung, Unzufriedenheit erregt, die sich gegen den Fürsten wendet, liegt auf der Hand. Außerdem zeigt aber die Existenz diese- Rechts dem Fürsten fortwährend, daß ihm die Wege offen stehen, seine Subjektivität rücksichtslos walten zu lassen, und in Widerspruch mit dem Volk zu treten. Aber ein Recht, da-zu seiner Anwendung lockt und dessen Anwendung dennoch nie ohne Gefahr ist, hat nur einen höchst zweifelhaf­ ten Werth. Der Verständige wird eS meist unbenutzt lassen; er wird sich vielleicht auch, um die Besorgniß vor seiner An­ wendung zu heben, bewogen fühlen, förmlich darauf zu verzichten. Die Provinziallandtage traten bei unS regelmäßig zusam­ men, um ihre bescheidenen Rechte des BcirathS und der Bitte zu üben. Stets erneuerte sich daS traurige Schauspiel, daß von fünfzig Petitionen, die sie befürworteten, fünf und vierzig kurzweg zurückgewiesen wurden, zuweilen in verletzender Form, und daß man versprach, die übrigen fünf „in reifliche Erwägung zu ziehen." Je ernster die Mitglieder der Landtage ihre Auf, gäbe auffaßten, je größer die Hoffnungen waren, welche die übrigen Staatsbürger auf die Thätigkeit derselben setzten, desto schmerzlicher mußten jene daS Vergebliche ihrer Mühe empfin­ den und desto verdrießlicher wurden diese über die Ohnmacht ihrer Vertretung. Eine Volksvertretung ohne wirklichen Einfluß ist nur ein Mittel, die Differenz zwischen der Regierung und den Wünschen der Regierten den letztern stets gegenwärtig zu erhalten; sie dient nur dazu, die Bürger an daS, was ihnen fehlt, stets aufs Reue zu erinnern, die Wunde der llnzufriedenheit stets offen zu erhalten und zu beleuchten, die Erbitterung um so mehr zu nähren, je länger die Abhilfe säumt.

44

Nur ein hoher Grad von Verblendung kann sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß irgend ein civilifirte- Volk solche Einrichtungen ertragen kann. Unser Gegner fürchtet, den deutschen Kammern die ausgedehnten Rechte des englischen Parlament- beizulegen, da die erstem auch nach dm der Krone reservirten Rechten die begehrliche Hand ausstrecken würden; statt dessen empfiehlt er den Fürsten, der Volksvertretung jene Rechte nur von ferne zu zeigen, und bildet sich ein, daß sich dann keine Begehrlichkeit einstellen würde. Die Kammern sollen am Budget Ausstellungen machen dürfen, doch ohne die Bürgschaft, daß sie Berücksichtigung finden ; sie sollen Gesetze berathen dürfen, doch ohne die Bürgschaft, daß nicht daS ih­ ren Wünschen Widersprechendste als Gesetz publicirt wird; sie sollen endlich auch diese Rechte nur ausüben ohne die Bürgschaft ihrer Dauer; mit einem Wort: unser Gegner empfiehlt den Fürsten, mit den Kammern daö grausame Spiel zu spielen, welches die unsterblichen Götter über den unglück­ lichen TantaluS verhängten. ES liegt in diesem System eine Provocation der Mcnschennatur, der auf die Dauer auch ein vortrefflich geartetes Volk nicht widerstehen wird, und es kann in der That nichts Gefährlicheres geben als solche Zwitterinstitutionen. Sie reizen die Begier, ohne sie zu befriedigen. Sic zeigen dem Dürstenden den Becher, und ziehn ihn stets zurück, wenn seine Lippe nach einem Trünke lechzt. Die Summe der Thorheit liegt aber unstreitig in dem Vorschlage, daß der Fürst daS Recht behalten soll, die freiwillig gewährten Beschränkungen seiner Macht im Falle ihreS MißbrauchS d. h. nach eignem willkürlichen Ermessen wieder zurückzunehmen. Wie kann man dauerhafte, befriedigende Zustände begründen, wenn man von vornherein ihre Unsicher­ heit rechtlich feststellt! Muß eS nicht eine Quelle fort­ währender Aufregung sein, wenn jede Ausübung jener beschei­ denen Rechte dem Volke und seinen Vertretern die Möglich-

46 feit vor Augen führt, daß sie al- Mißbrauch aufgefaßt wer­ den und dm ganzen Rechtszustand in Frage stellen könnte! Die völlige Nnhaltbarkeit einer folchm Bestimmung, die den Staat in ein permanentes Fieber wirft, zeigte sich deut­ lich in der preußischen Verfassung vom 3. April, die mit die­ ser Idee behaftet zur Welt kam. Die erwähnte Verfassung gewährte dem Vereinigten Landtage allerlei Rechte; da aber die Einberufung desselben an keine bestimmte Zeit gebunden war, sondern in das Belieben des Königs gestellt blieb: so reservirte sie dem Fürsten die Befugniß, einfach durch Richt­ einberufung deS Landtags die gewährten Rechte wieder zurück, zunehmen, und raubte dadurch den letztem den besten Theil ihre- Werthe-, nämlich die Bürgschaft, daß man auch in der Lage bleiben würde, die Rechte anwenden zu können. In Folge dieser Bestimmung schwoll der Sttom der Opposition auch so mächtig an, daß ihn keine Dämme hätten einschrän­ ken können, auch wenn die Februarereignisse in Frankreich nicht eingetreten wären. Der große Widersinn, der in dieser Be, stimmung lag, vereitelte die Wirkung de- ganzen politischm AetS; er sollte befriedigen und erregte Sturm; er sollte den Dank de- Volk- dem Fürsten zuführen, und war doch durch jene Clause! dermaßen verunstaltet, daß man ernstlich erwog, ob e- nicht besser wäre, die ganze Gabe mit Protest abzulehnen. Wer sich damals nach einem Abschluß deS VerfaffungSkampfeS sehnte, schlug die Hände über dem Kopfe zusammm, da eS augenscheinlich war, daß der Kampf nun erst recht ent­ brennen müsse. Solche Mißgriffe zu erneuern, ist um so weniger an der Zeit, seitdem da- Volk größere Rechte geschmeckt hat, und seit­ dem ihm größere Rechte durch den Eid de- Königs für alle Zukunft verbürgt sind. Während eine beschränkte Monarchie, wie sie unser Geg­ ner empsiehlt, von «Ben möglichen Verfassungen für europäische

46 Staaten leicht die unhaltbarste sein dürste, trägt sie selbst bei kurzer Dauer mächtig dazu bei, das sittliche Element des Bol­ le- zu vergiften.

Wir kommen aus diesen Punkt immer wie­

der zurück, weil keine politische Institution ohne diese alleinige Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung bestehen kann, und weil die traurigen Erscheinungen de- Jahres 1848 größtentheils der Demoralisation

zugeschrieben

werden müssen,

die

eine nothwendige Folge der vormärzlichen politischen Zwitter­ zustände war. Wir soffen ur feie Ansicht kurz in dem Satze zusammen: jede V olkSvertretung ohne Einfluß nährt den Leicht­ sinn der Opposition. Im Volke werden stets eine Masse unbestimmter, unkla­ rer Wünsche sich regen; eS hält sich an einzelne Stichworte, und begnügt sich damit, ungesähr eine Vorstellung von ih­ rer Bedeutung zu haben. Verfassung, Vereidigung de- Heers und der Beamten

auf die Verfassung, Unabhängigkeit

der

Kirche vom Staat, der Schule von der Kirche, allgemeines Wahlrecht, u. s. f., da- sind die Worte, die Jedermann sehr geläufig geworden sind. Und eS ist so leicht und bequem, sich für allgemeine Begriffe zu begeistern; eS ist so schön, für sie da- große Wort zu führen, besonder- wenn man nicht in die Verlegenheit gesetzt wird, sie genauer bestimmen zu müssen; eS ist fast eben so leicht, alS e- schwer ist, sie in bestimmten Organisationen in- Leben zu führen. Sollte nun

eine Volksvertretung

ohne Einfluß

sich nicht auch strack- für solche Nebclgebilde enthusia-mircn? ES ist eine so wohlseile Arl, Popularität zu erwerben; je un­ bestimmter, umfassender der Gegenstand ist, für den man eine Lanze bricht, desto geeigneter ist er für schöne, Reden.

begeisternde

Da ist eS sehr leicht, eine liberale Petition zu ent­

werfen; und — eS ist auch ganz ungefährlich, so lange man weiß,

daß die Petition an entscheidender Stelle einfach ad

47 acia gelegt wird.

Wenn da- Volk mit Sicherheit voraus­

sieht, daß eine Petition um Wiederherstellung der Bürgerwehr keine Gewährung findet

und daß e- auch Keinem verdacht

wird, wenn er sie unterschreibt, so bringt man noch heute eine colossale Menge von Unterschriften zusammen; man wird aber nicht den zehnten Theil derselben erhalten, sobald sich die Aus­ sicht zeigt, daß eine solche Petition von dem gewünschten Er­ folge begleitet sein könnte. ES ist natürlich, nimmt.

daß der Mensch

daS Unnütze

leicht

Niemand verwendet auf eine augenscheinlich vergeb­

liche Arbeit dieselbe Sorgfalt wie auf eine andere von prakti­ scher Erheblichkeit; wer da weiß,

daß sein Rath nicht befolgt

wird, wird eS nicht für nöthig halten, ihn in besonder- reifliche Erwägung zu ziehen; eine müßige Speculation über Dingt, die in nebelhafter Feme liegen, wird ihn nie zu der Anstren­ gung seine- Geiste-, nie zu dem tiefm Eindringen anspomen, wie eine Frage, die zu praktischer Lösung an ihn unmittelbar herantritt und von deren Entscheidung sein Wohl und Wehe abhängt. Dasselbe

gilt von der politischen Opposition.

Die Ge­

wißheit ihrer Nutzlosigkeit stärkt den Leichtsinn der Opponenten, hält sie von einem ernsten Durchdringen der Verhältnisse ab, schwächt ihren Sinn für die Würdigung der praktischen Zu­ stände, und läßt sie im Unklaren über die Schwierigkeiten, die sich der Durchführung ihrer Wünsche entgegmstellen. Wer sieht nicht, daß wir der Uebung in dieser unfruchtbaren Opposition einen großen Theil der unpraktischen oder geradezu gefährlichen Anforderungen

zuschreiben müssen, die

im Jahre 1848 auftauchten? Noch

schlimmer sind

ihre Wirkungen auf daS Volk,

welches nie Gelegenheit erhält, sich an einem Beispiel

von

den praktischen Folgm der Vorschläge seiner Wortführer zu überzeugen, an einem Beispiel zu sehen, daß auch die Ideale

48 der Opposition-Helden, wenn sie ins Leben treten, an den Gebrechen menschlicher Institutionen kranken, daß säst mit je­ dem neuen Recht auch ein entsprechendes Quantum neuer Last Hand in Hand geht. So lange das Volk nicht durch solche Erfahrungen gewitzigt ist, wird die große Masse der Opposition alS solcher Beifall klatschen, ohne genauer zu prüfen, ob daS Geforderte wirklich besser ist als daS Ange­ griffene. Ein Volk mit einer einflußlosen Vertretung wird sich stets an die Verehrung des Maulheldenthums gewöhnen. So wird der Boden für die Demagogie gedüngt. Dadurch ist cö zu erkläre», daß im Jahre 1848 unbe­ deutende, früher ganz unbekannte Personen, oft herunterge­ kommene Individuen, durch die Keckheit ihres RäsonnementS rasch einen ganz unerwarteten Einfluß gewannen. Wie anders steht es dagegen mit Kammern, die eines be­ stimmenden Einflusses sich bewußt sind, besonders unter einer streng parlamentarischen Regierung. Je größer ihre Macht ist, desto vorsichtiger, desto conservativer werden sie auftreten. Sind die Kammern wirklich eine Staatsgewalt, so werden sie zunächst durch den Blick ans ihre Wähler von un­ vorsichtigen .Neuerungen fern gehalten. Sic müssen daS Wohl und Wehe ihrer Eommitteuten und die Wirkungen ihrer Maß­ regeln sorgsam erwägen; denn was sic bestimmen, bleibt nicht in den Lüsten schweben, sondern berührt mit seinem Nutzen oder Schaden unmittelbar daS Interesse deS Volks. Run wird nach dem reellen Nachtheil oder Vortheil, den die neuen Ein­ richtungen mit sich führen, den Abgeordneten Gunst rmd Un­ gunst zugemessen; daS Volk lernt allmälig den Staatsmann von dem Schwätzer unterscheiden. Dazu kommt, daß daS Volk aus den eingehenden Erör­ terungen in den Kammern manchen wesentlichen Aufschluß empfängt. Der aufbrausende Eifer für daS Neue besänftigt sich, sobald man sich der Ueberzeugung nicht verschließen kann,

49

daß seine Durchführung doch nicht von allen Uebelständen frei ist. Leidenschaftliche Wünsche verstummen, sobald sich heraus­ stellt, daß ihre Gewährung nur durch erhebliche Beeinträchti­ gung anderer Interessen möglich ist. Außerdem wirst daS System parlamentarischer Re­ gierung der Kammeropposition einen mächtigen Zügel um. Wo die Möglichkeit vorhanden ist, daß die Führer der Op­ position an daS StaatSruder gerufen werden, um ihre Ideen praktisch durchzuführen, da sind sie früh genöthigt, nicht blos daS WünschenSwerthe, sondern auch die Möglichkeit seiner Durchführung inS Auge zu fassen. ES ist eine häufig wie­ derholte und richtige Bemerkung, daß die Theilnahme an den praktischen Geschäften konservativer stimmt. Während der Theoretiker die heilsamen Wirkungen der Einrichtung, die er hergestellt zu sehen wünscht, oft nur allein und in ihrer Rein­ heit inS Auge faßt, sieht der Geschäftsmann die zahlreichen Schwierigkeiten, die sich der Durchführung entgegen stellen, und die weit greifenden Abänderungen, die durch eine Neue­ rung im StaatSorganiömuS erforderlich gemacht werden; auch ist es ihm kein Geheimniß, daß die erwarteten heilsamen Wir­ kungen jeder Einrichtung durch die nun einmal unvermeidliche Mangelhaftigkeit der Organe stets um ein Erkleckliches ver­ kümmert werden. Solche Erfahrungen machen behutsam. So lange nun keine Aussicht sich zeigt, daß an die Opposition die Anforderung ergehen könnte, ihre Pläne selbst inö Leben zu führen, wird sic nie die so wesentliche praktische Seite mit der wünschenswerthen Sorgfalt erwägen. Im andem Falle wird ihre Aufmerksamkeit sofort darauf hingelenkt; und dann gewinnt die Opposition entweder a» Fundament und sittlicher Kraft, oder es bricht sich ihr Eifer und sie »wdificirt ihre Ansichten nach den praktischen Verhältnissen. Fassen wir das Gesagte kurz zusammen. Eine absolute Monarchie ist in Preußen unhaltbar. i

50 Soli die königliche Gewalt beschränkt werden,

so darr

es nicht in einer Weise geschehen, welche der Volksvertretung nur einen trügerischen Schein von Macht, nicht wirkliche Macht verleiht.

Eine solche Maßregel stachelt die Begier zur

Leidenschaft, vergiftet die Opposition bis ins innerste Mark, demoralisirt das Volk und arbeitet für die Revolution, d. h. (wie die Verhältnisse in Preußen liegen) für die Republik. Eine beschränkte, ständische Monarchie wirkt unmora­ lischer als der Absolutismus, und kann noch weniger auf Dauer rechnen, alS der Absolutismus. Für den Bestand der Monarchie und für die ruhige Ent­ wickelung liefert unter den gegenwärtigen Verhältnissen keine Verfassung eine stärkere Bürgschaft, alS eine aufrichtige kon­ stitutionelle Regierung,

mit einer Volksvertretung,

die in

Wahrheit eine Staatsgewalt ist. Sie stellt die Krone außerhalb des Streites der Parteien und sichert dadurch ihre verfassungsmäßigen Rechte, für deren Dauer überdies der oft bewährte monarchische Sinn des Volks eine starke Bürgschaft liefert. Eine aufrichtige constitutionelle Regierung sichert ferner eine allmähliche friedliche Entwickelung.

Sie mäßigt die Op­

position und lenkt sie auf das Praktische. Sie stärkt den Sinn für Gesetzlichkeit, indem sie selbst daS Beispiel der Ehrfurcht vor den Gesetzen giebt. Für Preußen kommt noch ein mächtiges Moment hinzu. Preußen hat eine vom Könige beschworene Verfassung. Man bilde sich nicht ein, sie jit einem Trugbild machen oder sie beseitigen zu können, ohne daS Königthum auf daS Aeußerste zu compromittiren.

Ob

eine

solche Vernichtung der

Verfassung durch einen Staatsstreich oder legalster erfolgt, hat praktisch dieselben Folgen, und es würde eine ungeheure Fiction sein, die sich bitter rächen müßte, wenn man wähnen

51

wollte, daß daS Volk nicht wüßte, auf rvelchem Wege eine „legale" Vernichtung der Verfassung ermöglicht ist. Die (Existenz einer vom Könige beschworenen Verfassung läßt nur einen Weg für eine gesunde und friedliche Ent­ wickelung offen: den Weg ihrer loyalen Handhabung. Auf jedem andem sehen wir nur Verderben. Offene Gewalt, die sich der unbequemen Errungenschaft mit einem Schlage entledigen und an ihre Stelle das dem Culturzustande und den Neigungen des Volks Widerstreitende setzen möchte, könnte vielleicht eine Zeitlang triumphiren und den Bogen der Geduld kühn biegen und spannen. Endlich, wenn der Mann eS nicht mehr trägt, folgt die Revolution, auö der sich daS Volk vielleicht, nach langen Leiden und heftigen Erschütterungen, nicht ohne Einbuße an sittlichem Werth, nicht ohne den Keim zu neuen Gefahren in die Zu­ kunft hinüber zu nehmen, dennoch endlich zu neuer Entwicke­ lung emporrafft. Der andere Weg, die heimliche Entwendung und listige Fälschung deS Recht-, führt in den Sumpf moralischer Fäulniß. AuS ihm ist, soviel wir sehen und die Geschichte lehrt, keine Retttung. Auch die Griechen und Römer, die lebenskräftig­ sten Völker, welkten dem Untergänge entgegen, sobald sie von dem Pesthauch sittlicher Verderbniß angeweht waren. Frank­ reich krankt schon seit längerer Zeit an diesem chronischen Leiden. — Die Geschichte wird oft überhört, wenn sie auch mit Donnerworten ihre Lehren den Lebenden zuruft. Ihr stiller Gang wird noch weniger beachtet. Dennoch, dennoch ist eS Pflicht, auf ihn immer hinzuweisen.

52

II.

„Die Revision der Verfassung. übersetzt.

Auö dem Französischen

Mit einem deutschen Vorwort.

veränderte Auflage.

Berlin 1851.

Zweite un­

Verlag der Decker

schen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei."

V°n

dem

politischen Doktrinär

wenden wir nnS zu dem

Waffenknecht imperialistischer Gewaltherrschaft, von der irren­ den Ehrlichkeit zu einem abscheulichen Betrüge, von der Schrift eines in Hannover lebendeil Privatmanns, von dem wir Preu­ ßen wenig mehr wissen, als daß er unlängst Herrn v. Man teuffel vorgestellt ist, zu einer Schrift, die vom Elvsec inspirirt und deren llebersctzung im Berlage der Deckerschcn Geheimen Lbcr-Hofbuchdruckerci erschienen und den in Berlin anwesen den Abgeordneten inS Haus geschickt ist. Wir würden eines RäsonnemcntS, dessen politische Halt­ losigkeit und dessen sittliche Unwürdigkcit, so viel wir bemerken konnten, die allgemeinste Indignation erregt hat,

schwerlich

gedenken; allein die Bedeutung, die wir den Erzeugnissen der Teckerschen Offizin beizumesscn verpflichtet sind, nöthigt unS, auf den plumpen IlcberrumpelungSvcrsuch, der in der Schrift: „Die Revision der Berfassung" und ihrem deutschen Borwort enthalten ist, unsere Aufmerksamkeit hinzulenken. Herr Zimmermann will überzeugen; er ist in Bezug auf englische Berhältnisse und die Haltbarkeit constitutioneller Berfassungen von

einer fixen Idee besessen, die er uns in

53 mannichfachen Variationen vorpredigt.

Allein,

was

er sagt,

hält er unzweifelhaft für wahr, obgleich eS falsch ist; und waS er empfiehlt, hält er für gut, obgleich eS verderblich ist. Dagegen ist eS unS bei dem besten Willen nicht möglich unS zu überreden, daß die ftanzösifche Brochüre bona fide geschrieben sei. Mag nun Herr Gramer de Caffagnac, der die Geschichte der großen Revolution durchstöbert hat,

um daS einseitigste

Pamphlet, welches die neuere Zeit hervorgebracht hat, gegen dieselbe zu schreiben, — mag Herr Gramer de Caffagnac oder irgend ein anderer Scribent der Verfasser der oben erwähnten französischen Brochüre sein: kein einigermaßen gebildeter Fran­ zose ist in der neuesten Geschichte seines Landes so unbewan­ dert,. daß er die Verfassungen des ConsulatS und des Kaiser­ reichs für ein

wahrhaftes Repräsentativsystem, den

legislativen Körper für eine „unabhängige legislative Ge­ walt" ausgeben könnte. Nicht Unkeimtniß, sondern die dummdreiste Bosheit, die auf die Unkeimtniß speculirt, wagt eS unter hoher Protection Rechenpfenninge statt Goldmünzen auszugeben, und hofft, daß nicht nur die unwissende Gutmüthigkeit sie annehmen wird, sondern auch die feige Bequemlichkeit, die um deS lieben Frie­ dens willen dem begünstigten Betrüger nicht zu widersprechen wagt und sich mit dem Spruche tröstet: „Nehmt mit, waS kommt; die Zeiten sind jetzt schlecht." Doch, — welche Beziehung haben die widerlichen Mittel, die das Elysee für seine Zwecke anwendet, zu unsern Ver­ hältnissen? DaS Vorwort,

welches der Schrift

„die Revision

der

Verfassung" beigefügt ist, klärt uns darüber auf. Zwei Gründe sind — so hören wir — die Veranlassung gewesen, eine Uebersetzung der erwähnten Brochüre zu veran­ lassen.

Einmal soll sie zur Beurtheilung der jüngsten sranzö-

fischen Mvist6 „nicht tmtveseittliche Momente" bieten, und zwei­ tens soll Vieles, waS in ihr über Frankreich gesagt ist, für Deutschland und namentlich für Preußen noch viel treffender und richtiger feilt. So lange in Frankreich die constitutio nelle RegierungSform galt, waren der Entwickclnngsgang und die Verhältnisse Frankreichs und Preußens — wenn wir den Wortführern deS Absolutismus

trauten —

tut ent lief)

verschieden.

In

Frankreich hätten die historischen Ereignisse auch in dem Mit­ telstände politische Bildung

verbreitet-,

das Volk

hätte

sich

daran gewöhnt, selbstthätig in die Geschicke des Landes ein­ zugreifen; an der Spitze der politischen Parteien ständen her­ vorragende Talente, die entweder selbst daS Staatöruder schon in Händen gehabt oder doch unzweifelhaft fähig wären, es zu lenken; dort sei eine constitutionelle Verfassungsform und eine parlamentarische Regierung möglich; die preußischen Verhält­ nisse bedingten dagegen eine ganz andere Verfassung.

Heute

aber, wo in Frankreich Gewalt vor Recht geht, — heute zeigt sich plötzlich — wenn wir ebenfalls den Wortführern deS Ab­ solutismus trauen — in dem Entwickelungsgänge beider Län­ der und in dem, was ihnen frommt, eine erstaunliche Ana­ logie...

DaS sind die politischen Ansichten dieser Menschen.

Prüfen wir die gerühmten Vorzüge der Brochüre. Eie soll zunächst zur Beurtheilung der jüngsten franzö­ sischen Krise nicht unwesentliche Momente bieten. Aber die Brochüre bemüht sich nur, die Nothwendigkeit einer

Revision der französischen Verfassung nachzuweisen.

Daß durch diese Nothwendigkeit ein Umsturz der Verfassung durch einen Staatsstreich bedingt oder entschuldigt werde, sagt sie nicht.

Die Verfassung ist nicht unabänderlich; sie bezeichnet

selbst im Art. 111. den Weg für ihre Revision. Was der Franzose unterließ, thut der deutsche Vorredner, eifrigst beflissen, bei der Restauration deS Despotismus dem

Borkabe sich anzuschließen.

Er macht

den Advokaten und

Panegyriker deS Staatsstreichs, und bedient sich dazu des gan­ zen Apparats revolutionärer Doctrin.

Hören wir seine hoch­

trabenden Phrasen! „Auch ein Volk", sagt er, „hat ein Recht, daS mit ihm geboren ist, daS Recht zu leben und zu ejriftimi; und wenn eS nicht anders leben und existiren kann, als da­ durch, daß eine seinem Leben und seiner Existenz feindselige Verfassung beseitigt wird, so handelt derjenige, der die ihm anvertraute Gewalt hierzu benutzt, diesem Rechte und daher auch seinen ersten Pflichten gemäß."

Auch an die Worte deS

MephistopholeS erinnert er zur Rechtfertigung deS Eidbruchs und der Gewaltthat: „Dom Rechte, daS mit unS geboren ist, Von dem ist leider keine Frage!" Auf dieses Recht haben sich die Revolutionärs aller Zei­ ten und Länder berufen, und — fügen wir hinzu — selten mit so schlechtem Grunde, wie LouiS Napoleon. Die Verfassung deS Jahres 1848 war für Frankreich ein Unglück.

Aber daß die Existenz deS Volks durch dieselbe

bedroht wäre, konnte derjenige am wenigsten behaupten, der in feinen Redm und offiziellen Botschaften so viel von der Hebung der Industrie und deS Handels zu erzählen wußte. Daß sie die Kraft der Regierung schwäche, konnte derjenige am wenigsten behaupten, der bisher für alle auf die Stärkung der Regierungsautorität hinzielenden Projecte die Unterstützung einer aus Fanatikern der Ordnung bestehenden Majorität fand, der die Herstellung der Ordnung nach der Zahl der abgesetzten und suSpendirten Präfekten nnd Maire'S so trefflich zu taxiren wußte! Wenn das Volk wirklich fürchtete, in seiner Eristenz durch die Verfassring gefährdet zu sein, und wenn die gegen­ wärtige Repräsentation wirklich die Revision ablehnte, so hätte cS billig dem Volk überlassen bleiben müssen, durch die näcb-

56 ften Wahlen eine Revision zu ermögliche».

In jedem dritten

Jahre konnte verfassungsmäßig der Revisionsantrag erneuert werden. Aber die Verfassung bedrohte in der That RichlS, als den Ehrgeiz eines AbentheurerS.

Und wenn dieser Abentheurer,

um sich die Gewalt und deren Vortheile zu sichern, Ehre und Pflicht, Recht und Eid in die Schanze schlägt-,

wenn er die

Repräsentanten des Volks, Männer, die seit einer Reihe von Jahren ihrem Vaterlande ausgezeichnete Dienste geleistet haben, verhaften und wie gemeine Verbrecher in die Gefängnisse transportiren läßt: wenn er den Frieden des Landes aufs Spiel setzt, durch Füsilladc» und willkürliche Decrete die neue Ge­ waltherrschaft stützt: dann gehört die Verblendung des Wahn­ witzes und eine eherne Stirn dazu, ein so schnödes Spiel ans dem Rechte herzuleiten, das mit dem Menschen geboren ist. Glücklicherweise ist daö Urtheil aller gebildeten und gesit­ tete» Menschen über die Selbstsucht, die den Staatsstreich vom 2. December wagte, ziemlich übereinstimmend.

Wo nur eine

Spur von Scham über den schmutzigen Eigennutz, eine Spur von Respect vor Gesetz, Eid und Pflicht übrig war, hat man die That des Präsidenten vom Standpunkte deS Rechts und der Vaterlandsliebe einstimmig verurtheilt. Wir verlieren darüber kein Wort mehr.

Aber wir eon-

statiren zunächst, daß der deutsche Vorredner zu der vorliegen­ den Schrift eine Gewaltthat, selbst wo sie augenscheinlich ein AuSflllß deS verwerflichsten Ehrgeizes ist, für Recht und Psticht erklärt, und daß er diese Ansicht in höchst frivoler Weise in eine Art System zu bringen sucht.

Wenn Jeder für das Recht,

daS er für das ihm angeborene hält, zur Gewalt greift; wenn Jeder eine Verfassung, die er für tutvereinbar mit der Existenz deS Volks hält, gewaltsam über den Hausen zu werfen sucht: dann kehren die Zeiten des FaustrechlS wieder, ein Xiicg Aller gegen Alle.

Je größer die Macht, je höher die Stellung des Man-

57

neS ist, der zur Gewalt greift, desto gefährlicher und größer wird daö Verbrechen. Wenn uns der Vorredner durch eine derartige Rechtfer­ tigung der Gewalt einen Blick auf seinen sittlichen Standpunkt eröffnet, so klären uns andere Aussprüche über seine Urtheils­ fähigkeit im Allgemeinen, namentlich aber in politischen Din­ gen auf. Er stellt es (S. IX) als eine preiswürdige That dar, daß der Präsident den Muth gehabt habe, sich mit „einer gro­ ßen Wahrheit" vor Frankreich zu stellen. Welche- ist diese Wahrheit? Wir lesen S. V, „der Neffe deö Kaiser-" habe „thatsächlich den Grundsatz proklamirt, daß ein Staatsober­ haupt nicht der Unterstützung der Parteien bedarf, sondern daß die Besiegung deö Parteiunwesens die erste Bedingung einer kräftigen Regierung für Frankreich ist"-----Einen solchen Grundsatz kann nur der Aberwitz proklamiren. DaS Oberhaupt einer Republik ist durch Parteien an die Spitze der Geschäfte gehoben und wird sich auf Parteien stützen müs­ sen, so lange e- solche giebt, d. h. stets. So lange die Menschen denken, werden sie über politische Verhältnisse verschieden urtheilen; so lange sie sich äußem dürfen, werden sie sich nach ihren Meinungen scheiden; so lange sie irgend einen Einstuß auf die Geschicke des Lan­ des ausüben, und wäre eS nur indirect durch da- Gewicht der öffentlichen Meinung, werden sie sich nach der Verschieden­ heit ihrer Ansichten in politische Parteien gruppiren; und so lange eine Regierung überhaupt der Unterstützung bedarf, wird sie dieselben nur von den Parteien erhalten können, die ihr System theilen, sollten es auch die Parteien sein, welche die Gewalt aus ihr Banner geschrieben haben. Denn Allen ;u gefallen, ist nicht bloß schwer, sondern unmöglich. Eine Regierung wird nur dann der Unterstützung der Parteien entbehren können, wenn keine Parteien ei ist irrn.

58 Um dahin zu gelangen, müßte sie den Staatsbürgern das Recht zu denken und zu sprechen, und jeden Einfluß auf daS Schicksal des Landes entziehen. Das ist unmöglich. Denn selbst eine Gewaltherrschaft in aller Reinheit - man verzeihe den Ausdruck — bedarf Schergen, und diese liefert die Partei, welche aus den Anbetern der Gewalt zusammen­ gesetzt ist. Die Bildung von Parteien ist ein natürliches Erzeugniß dcS politischen Lebens. Sie ist ganz unvermeidlich in einer Zeit, welche in allen Gebieten des Lebens, auch wo eS sich um relativ untergeordnete Fragen handelt, zur Association drängt. Und vollends, — welche eigenthümliche Verschrobenheit des Geistes gehört zu der Einbildung, die französische» Parteien jetzt vernichten zu können! Die republikanischen und monarchischen Parteien sind dort ein Product der Verfassung und der Geschichte des Landes. Sie werden und müssen in Frankreich fortbestehen, bis eines der beiden großen Prinzi­ pien, das republikanische oder monarchische, hoffnungslos zu Boden geworfen ist. Der Präsident der Republik klagt über die Parteizersplit­ terung der Nationalversammlung. Mit Recht. ES ist ein großes Unglück für ein Land, wenn durch die Parteien, die durch die gerade vorliegenden politischen Fragen gebildet Wa­ ttn, sich noch eins tiefe Kluft hindurchschlängelt, die auS frü­ herer Zeit datirt und das Volk in zahllose Fraktionen zer­ splittert, welche bei verschiedenen Veranlassungen zu den ver­ schiedenartigsten, oft ganz unerwarteten Krystallisationen zusam­ men schießen. Allein welche Mittel hat der Präsident zur He­ bung dieses Uebelstandes angewendet? Die abgeschmacktesten, die man ersinnen konnte. Wen» ein Land an so tief gehenden Leiden krankt, wie Frankreich, so kaun eS nur durch große Aufopferungsfähigkeit gerettet werden. Ein kleiner Mensch, wie LouiS Bonapartc,

59 ist ihrer nicht fähig, und selbst wenn ein besserer Mann seine Stelle eingenommen hätte:

die Spaltung der monarchischen

Partei, in der ein großartiger Act der Resignation vorher­ gehen mußte, würde ihm die Entscheidung mindesten- erschwert haben.

Kleinliche Selbstsucht verhinderte den Präsidenten, sich

überhaupt den Kern der Frage ,u vergegenwärtigen.

Ihm

war die Wahl gelassen, entweder die Rolle eine- Washington oder die eine- Monk zu spielen; zu beiden fehlte ihm die Kraft der Selbstentäußerung, dort die de- Republicaner-, hier die deMonarchisten.

DaS Bild seine- Oheim- blendete sein Auge.

Statt sich dem republicanischen oder monarchischen Princip ent­ schieden anzuschließen, einer der betont Parteien entschieden zum Siege zu verhelfen und den Bruch mit der frühern Geschichte oder den neuen Bund mit ihr entschieden zu constatiren; statt einer der streitenden Parteien jede Hoffntmg de- Siege- zu nehmen, die andere zum glänzenden Tn'umph zu führen: kam er aus die absonderliche Idee — wir wissen nicht, ob zur Heilung des Leiden- — das complicirte Parteigetriebe noch durch die Bil, düng einer neuen Partei, der neu-bonapartistischen oder elyseeischen, zu vermehren, — einer Partei, die kein Fundament hat, weil sie auf der scharfen Grenzlinie zwischen Republikanem und Royalisten balanciren muß, — einer Partei, die auf die Dauer wirkungslos sein mußte, weil die Lüge ihr Princip war; bettn sie mußte zu gleicher Zeit

republikanisch und imperialistisch

schillern. Wir glauben nicht,

daß

Louis Bonaparte die Absicht

gehabt hat, Frankreich zu retten.

Aber wenn er diese Absicht

gehabt hätte; wenn er die Parteizersplitterung, da- große Un­ glück deS Lande-, hätte heilen wollen : dann war eS eine höchst — ingeniöse Idee, ganz deS feine- Kopfe-, dem sie entsprang, würdig, zu den übrigen Parteien noch eine neue, und dazu haltlose, um seine eigne kleine Person zu bilden. Aber vielleicht glaubt der Vertheidiger de- Staatsstreich-

60 vom 2. December, daß durch diesen die alten Parteien ver­ nichtet sind; daß die Legitimiften, die Orleanisten, die gemä­ ßigten und die avancirten Republikaner beseitigt sind, wenn die Herren Berryer, ThierS, Cavaignac und Michel eingeker­ kert oder exilirt werden. Wir möchten einem Manne, der sich schon durch daS, waS er sagt, hinlänglich compromittirt, nicht noch durch Vermuthungen zu nahe treten: aber eS will uns bedünken, als erblickten wir in dieser Anschauungsweise gewis­ sermaßen in nuce, aber doch vollständig, daS System einiger continentalen Regierungen, welche Principien und Ideen zu beseitigen glauben, wenn sie ihre Wortführer verfolgen und im günstigsten Falle ihre Kundgebung verhindern. Noch mehr erinnert uns der Vorredner durch seine An­ sicht von der Bedeutung deS Staatsstreichs für die übrigen europäischen Länder an die kleinliche Anschauungsweise gewis­ ser Kabinete. Der Präsident der Republik, meint er, hat am 2. December 1851 die parlamentarische Regierung auf dem europäischen (Kontinente für immer vernichtet. DaS ist das Urtheil eines jugendlichen Brausekopfs, der einem großen Ereignisse gegenüber alle Logik und historische Erfahrung verliert und da schon daS Ende sieht, wo sich mir einer Anzahl schon vorgekommener Thatsachen eine neue an­ schließt. Daß auch Systeme durch Gewaltthaten vernichtet werden können, ist eine Ansicht, die wir auf Rechnung der Gedankenlosigkeit schreiben müssen. ES sind schon häufig parlamentarische Versammlungen durch Bayonnette auseinander gesprengt worden, rmd daS par­ lamentarische System ist darum nicht zu Grunde gegangen. Roch viel häufiger sind Fürsten vertrieben worden, und die Monarchie wurde doch darum nicht auf dem europäische» (Kontinent „für immer vernichtet." Das Letztere ist außerdem meist mit besser»! Grunde ge

61 schehen, als die Sprengung parlamentarischer Versammlungen; und dennoch hat das monarchische Princip

solche Ereignisse

überdauert; sie waren „ein Stäubchen nur, des Geistes Aug' zu trüben?' ES ist überhaupt in der Welt viel Gewalt verübt wor­ den; und daS System des Rechtsstaats ist deshalb doch nicht zu Grabe getragen. Im Gegentheil: wie sich von dem dunkeln Hintergründe brutaler Gewalt die Idee deS Rechts nur als ein klareres, wünschenSwerthereS Ideal abhebt, so hat auch daS, was nach der Vertreibung der Fürsten geschah, meist nur die Sehnsucht nach der Herstellung deS monarchischen Princips um so leben­ diger gemacht; so hat auch das, was nach der Sprengung parlamentarischer Versammlungen geschah, meist nur das Be­ dürfniß ihrer Wiederherstellung fühlbarer gemacht. Wenn selbst krankhafte Ideen dadurch, daß man ihren Repräsentanten Gewalt anthat, an Ausbreitung und Stärke gewannen: wie will man Ideen von so unverwüstlicher Lebens­ kraft, wie die einer entscheidenden Mitwirkung deS Volks bei der Leitung

seiner Angelegenheiten, dadurch vernichten,

man ein Parlament sprengt!

daß

Sie hat sich in einigen Ländern

durch Blut rmd Schlachten Bahn gebrochen.

Sie wird auch

ferner aus allen Wirren siegreich hervorgehen, und wir könn­ ten ruhig feiern, wenn es uns nur um ihren endlichen Sieg zu thun wäre. Aber wir wollen ihn auf friedlichem Wege durchzuführen suchen, so lange eS noch Zeit ist. Politische Quacksalber setzen freilich auch Ideen gegen­ über ihre Hoffnung auf Gewalt, die doch nur Fleisch und Bein antasten kann.

Unfähig, daS Wesen der Krankheit zu

ergründen, operiren sie

mit unverständigem Eifer gegen die

Symptome, und so oft ihnen die Unterdrückung eines Symp­ toms gelang, jubeln sie laut, daß der Staat gerettet sei. Aber natürlich stellt sich nach solchen Maßregeln bald daS alte un-

62 ruhige Gefühl wieder ein, daß durch sie Nichts geleistet und Nichts gewonnen, die Mißstimmung vielmehr genährt ist: der so oft gerettete Staat schwebt immer wieder am Rande des AbgrundS;

da

müssen

Wahl- und Preßgesetze octroyirt und

wieder umgestoßen, dem Geist der Gesetze

durch die kühnste

Interpretation Gewalt angethan werden; aber alle Rettungen helfen Nichts, und in ihrer Unruhe und Rathlosigkeit greifen jene Geister zu Mitteln, welche die Nachwelt als eine Sahnt auf diese- erleuchtete Jahrhundert betrachten wird. Die öster­ reichische Demokratie wird nicht untergehen,

und wenn alle

Bärte erbarmungslos unter dem Scheermeffer fallen und alle Hüte des Kaiserstaats in die vorschriftsmäßige Form umge­ krempelt werden.

In solcher Weise wird man am Staate

zu retten haben — bis an ihm nichts mehr zu retten ist. Zu diesen an bad Aeußerliche sich klammernden Naturen gehört auch unser Vorredner. Parlament auseinander:

sofort

Man sprengt in Frankreich ein ist

ihm der Sieg über daS

parlamentarische System entschieden, und nicht bloß in Frank­ reich, sondem auf dem ganzen Continent. Also auch bei und.

DaS ist der Kern seines Räsonne-

ments. Nur gemach! Die Frage ist noch nicht einmal für Frank­ reich entschiede». Karl I. regierte eilf Jahre ohne Parlament, und

entging

Revolution.

ihm schließlich doch nicht, aber auch nicht der LouiS Bonaparte wird sein Spiel schwerlich eilf

Jahre treiben. Der Vorredner weist mit einer 91 it Genugthuung daraus hin, daß auch bei und die Kammern machtlos sind; daß sich keine Hand für sie erheben würde, wenn sie morgen nach Hanse geschickt würden.

Empfiehlt eS sich deshalb, sie zu beseitigen?

Ja, wenn daS, waS leicht ist, deßhalb auch heilsam wäre! Allein bad Heilsame ist meist daS Schwerste und Bitterste. Ein Volk wird sich schwerlich

sofort für ein auseinander

gesprengte- Parlament erheben, am wenigsten für ein mißlie­ biges oder ein machtloses. Ein Parlament ist ihm nicht Zweck, sondem nur Mittel, seinen Zweck, die Betheiligung an der Leitung seiner Angelegenheiten, zu erreichen. Ist daS Mittel wirkungslos, so verliert eS allerdings seinen Werth. Allein dadurch, daß man daS Mittel für eine gewiffe Zeit zer­ bricht, bewegt man ein Volk noch nicht, auf seinen Zweck zu verzichten. ES wird vielmehr darauf sinnen, die Wirksam­ keit der von ihm angewandten Mittel sicher zu stellen. Soll nun, nach den Ansichten deS Vorredners, der fran­ zösische Staatsstreich in Preußen nachgeahmt werden, weil er hier ohne sofort einen Bürgerkrieg zu erregen ausgeführt wer­ den kann? Rein! Er erklärt sich gegen einen Staatsstreich in Preußen. Aber dennoch äußert er sich S. IX, daß man sich in der That fragen müsse: „wenn Louis Napoleon, der Empor­ kömmling, fähig ist, sich mit einer großen Wahrheit vor Frank­ reich zu stellen und der Natter der parlamentarischen Regie­ rung den Kopf zu zertreten, — warum thun eS nicht die legi­ timen Monarchen?" Er meint, daß „Viele" darüber eine ge­ wiffe Scham empfänden, — Scham darüber, daß die legiti­ men Monarchen einem Abentheurer die traurige Ehre über­ ließen, in dem Umsturz des Rechts zur Herstellung der Will­ kürherrschast den Vortritt zu nehmen! Und wenn wir noch hinzufügen, daß der Vorredner dieses Gefühl der Scham ein edles nennt, so werden unsere Leser über den Standpunkt, den er dem Recht, der Pflicht und der Sittlichkeit gegenüber einnimmt, keinen Zweifel niehr hegen können. Aber gesetzt, eS wäre ihm Ernst mit dem Rath, in Preu­ ßen keinen Staatsstreich zu unternehmen, — welches sind dann die Verfassungsänderungen, die er in „legaler" Weise ausge­ führt zu sehen wünscht? Unser Gegner gehört nicht zu denen, welche zwischen einem constitutionellen und einem parlamentarischen Regiment

64 eint» Unterschied mache», wie ihn neulich daS Programm der Pattei Bethmann-Hollwcg entdeckt zu haben glaubt. (Jv spricht sich zwar nicht entschieden hierüber auS; aber wenn er von dem „halb oder ganz angenommenen parlamentarischen System" spricht, wenn er eS dahin gestellt sein läßt, „ob wirklich eine constitutionelle Verfassung nichts von der Nothwendigkeit einer parlamentarischen

Regierung

enthält,"



so

blickt

daraus

ziemlich klar seine Ansicht über die Untrcnnbarkeit beider her­ vor.

Entschiedener

Gegner

des

parlamentarischen Cvstems.

verwirft er auch daS constitutionelle; er kämpft gegen daS letzte in seinem Wesen, nicht bloß in einer seiner Aeußerungen. Es soll also die constitutionelle Verfassung seiner Meinung nach beseitigt werden. WaS will er an ihre Stelle sehen? Auch hierüber unterdrückt er klüglich jede Anmerkung. Er fordert nur die Regierung auf, „mit ihren Plänen" hervorzu­ treten, in einer Weise, alö wären ihm die Pläne bekannt: er hält eS aber für angemessen, den Rath des offenen Her­ vortreten-, den er Andern ertheilt, seinerseits nicht zu befolgen, sondern den Hauptprmkt in einem gewissen Helldunkel zu lassen. Allein wir erinnern unS seiner Bemerkung, daß in der französischen Brochürc Vieles für Preußen noch treffender sei, als für Frankreich. derselben veranlaßt.

Gerade deswegen hat er eine Uebcrsetzung Wir werden also in ihr Aufschluß suchen

müssen. Die Brochüre giebt zunächst einen Abriß über die Bil­ dung der königlichen Vollgewalt in Frankreich, geht dann über zu den nachthciligen Wirkungen dcS RepräsentativsystemS in jenem Lande innerhalb der letzten 30 Jahre, und macht schließ lick Vorschläge zu einem andern VerfassungSgebäude. Der Zweck deS ersten Theils ist, nachzuweisen, daß sich durch die französische Geschichte unverkennbar das Streben durchziehe, eine starke, königliche Eentralgewalt zu bilden. Im

65 großen Ganzen, und abgesehen von den Einzelnhetten de» Kampfe», tritt in der brandenburgisch-preußischen Geschichte derselbe Gang hervor. Der Verfasser der französischen Brochüre folgert au» jener Thatsache die Nothwendigkeit, auch jetzt in Frankreich da» entscheidmde Gewicht in die Hand einer Centralgewalt zu legen. Da» verlange die Geschichte. Der deutsche Vorredner meint nun unzweifelhaft, daß au» demsel­ ben historischen Entwickelung-gange für Preußen dieselbe Noth­ wendigkeit folge. Allein der Franzose hat bei seinem Räsonnement einen Punkt nicht in Anschlag gebracht, daß nämlich die große fran­ zösische Revolution ebenfalls zum Entwickelung-gange Frank­ reich» gehört, daß sie in demselben ein höchst bedeutende», für die Jetztzeit unleugbar da» bedeutendste Moment ist, und daß sie eine andere historische Thatsache coustatirte, die seit fast einem Jahrhundert in Frankreich allmählich herangereift war, — die Thatsache nämlich, daß eine in allen Beziehungen maß­ gebende Centralgewalt dem Geiste und den Sitten Frankreich» semerhin nicht mehr angemessen wäre. Die Ursachen, welche die große französische Revolution herbeiführten, sind so oft eingehend entwickelt worden, daß jeder Gebildete weiß, wie die Nothwendigkeit diese» großen Ereignisse» immer stärker und stärker wurde. Der Absolutis­ mus war unter Ludwig XIV. eine überreife Frucht geworden, die sich schon unter der Regierung diese» Fürsten zum Falle senkte. Die Fronde war besiegt, die Parlammte zum Schwei­ gen gebracht, die kirchliche Opposition der Protestanten meist zur Emigration genöthigt; der Absoluti-mu» hatte sein Werk vollendet. Aber er ist eine gewaltige Kraft, die nicht ruhen kann; sein eigne» Gewicht treibt ihn weiter, und nöthigt ihn an seinem eignen Ruin zu arbeiten, theil» durch krankhafte Ausschreitungen, denen die unbeschäftigte Kraft sich hingiebt, theil» durch die Führung auswärtiger Kriege, die an dem 5

66 Mark des Lande- zehren und dadurch dem Absolutismus die Mitttel rauben, in dem gewohnten Glanze mit1 in den gewöhn ten Machtverhältnissen fortzuleben.

Nun erträgt eine Nation

wohl noch die Allgewalt eines vom Glück begleiteten KriegSfürsicn; fällt die Macht aber in die Hand liederlicher Schwäch­ linge und ihrer Maitreffen, wie in Frankreich nach Ludwig XIV., dann konimt nur die Abscheulichkeit dcö Absolutismus ohne seine Größe zum Vorschein.

Die übermäßige Ausbeutung

der Mittel des Landes, zu welcher der Absolutismus genöthigt ist, erschöpft daS Land bald und nimmt ihm die materielle Grundlage; tritt er nun gar in unwürdiger Gestalt hervor, so bricht die letzte Säule, auf die er sich stützt. Diese Entwickelung ist unvermeidlich, wie die Wirkung eines Naturgesetzes.

Auch der Absolutismus hat seine Zeit.

Sic ist für Frankreich vorüber und

wird erst wiederkehren,

wenn die französische Gesellschaft, unaufhörlich von der Revo­ lution zum Staatsstreich und von diesem zu jener geworfen, in ein Ehaos sich auflöst. Tie Geschichte Frankreichs im vorigen Jahrhundert ent­ wickelt sich mit tragischer Nothwendigkeit auS sich selbst und lehrt mit überzeugender Kraft, daß ein Volk nicht ungestraft versäumt, zu seiner Zeit den Absolutismus und seine Consequenzen aus friedlichem Wege mit einer dem Enlturzustandc entsprcchendcrn RcgierungSform zu vertauschen.

Jedes Land,

in dem die absolute Herrschergewalt ihre Blüthe erreicht hat, wird dieser Lehre eingedenk sein müssen, wenn eS nicht unter der langen Leidensperiode, die durch die Ausartung des Abso­ lutismus herbeigeführt wird, seufzen und die Summe deS Un­ erträglichen und Unnatürlichen zu einer solchen Höhe anschwellen lassen will, daß eS nur durch gewaltsame Erschütterung abgeivorfcn werden kann. In Preußen

erreichte die unbeschränkte Herrschergcwalt

unter Friedrich II. ihren Höhe- und Glanzpunkt.

Unter sei-

67 nein Nachfolger begann ihre innere Krankheit.

ES ist höchst

merkwürdig, daß eines der ersten und auffallendsten Symptome derselben, ganz wie in Frankreich unter Ludwig XIV., das plötzliche Umschlagen deS rationalistischen, skeptischen, man möchte fast sagen frivolen TonS in den Pietistischen war, doch in der Weise, daß die ftömmelnde Doctrin die frivole Praxis nur verhüllte, nicht beseitigte. Daß die Macht deS Staats schnell verfiel, konnte selbst Friedrich Wilhelm III. nicht hin, dem, so lange das Unglück seine gesunde Kraft noch nicht zu durchgreifender Thätigkeit angefeuert hatte. Die sogenannte Erniedrigung Preußens setzte seiner innern Auslösung einen Damm entgegen; sie vereinigte die sittlichen Elemente. Preu­ ßen entging dem Schicksal Frankreichs, weil der absolute Kö­ nig, in der richtigen Erkenntniß, daß „eS auch bei unS an­ ders werden müsse,"*) seine Gewalt dazu benutzte, daS um absolute Throne aufschießende Unkraut abzuschneiden, und den Absolutismus dadurch selbst zu beschränken, daß er derJdce derSelbstregierung deS BolkS durch einege­ wählte Repräsentation Raum gab. Die Städteordnung verlieh dieser Idee, für einen Theil der Staatsbürger, Gestalt und Leben. Sie zeigt das Characteristische deS für die preu­ ßische Geschichte eingetretenen Wendepunkt-; sie documeutirt, in welcher Weise eS nach dem Sinne de- König- „bei uns anders werden mußte." Daß diese- Mittel rettete, lehrt die Geschichte. ES muß also wohl daS Wesen der Krankheit getroffen und geheilt haben. Nur derjenige, dem aller Sinn für historische Entwicke­ lung abgeht, kann aus dem Umstande, daß daS Königthum auch in Preußen einmal allein bestimmend war, daß der Ab­ solutismus auch für Preußen einmal seine Zeit und seine Auf-

*) Eigene Worte deS König-, nach einem Briefe der Königin Louise an ihren Baker. (1807, aus Königsberg )

68 gäbe hatte, den Schluß ziehen,

daß wir die Geschichte der

Jahre

1786—1807 vergessen, daß wir daS in

Jahre

durchbrechende,

einen

dem letzten

großen Wendepunkt markirende

Svstem verleugnen, daß wir wieder in die Wege Friedrich Wilhelms II. oder Ludwigs XV. einlenken müßten. men

unserm Gegner vollkommen darin bei,

Wir stim­

daß ein solcher

Wechsel unter den gegenwärtigen Umständen leicht und momen­ tan

ohne äußere Gefahren zu bewerkstelligen ist;

aber daö

wissen wir auch — und wir berufe» und dabei auf die unab­ änderlichen Lehren der Geschichte — daß er von den unheil­ vollsten Folgen begleitet sein wird, die früher oder später wie Pestbeulen am Körper der Gesellschaft aufbrechen müffen. Eines wagen wir nicht zu entscheiden:

Rur

ob diese Folgen für

daS Volk oder für daS Königthum verderblicher sein werden. Die Geschichte lehrt nicht, wie unser Gegner meint, daß imperialistische Gewaltherrschaft die einzige, Frankreich ange­ messene Rcgicrungsform ist.

Eie lehrt vielmehr, daß der Ab­

solutismus in jenem Lande seine Zeit gehabt hat.

Dasselbe

lehrt sie auch für Preußen. In dem zweiten,— dem schwächsten 2 heile der Drochüre bemüht sich der Verfasser die traurigen Erscheinungen zu zeich­ nen,

die in Frankreich unter der constitutioncllen Regierung

zu Tage getreten sind.

ES ist unS hier nicht immer möglich

gewesen, unter der bombastischen Phrase den Kern seiner Mei­ nung ausfindig zu machen.

WaS soll cö heißen, — um gleich

bei der ersten Seite stehen zu bleiben — daß Frankreich „keine großen traditionellen und bleibenden Interessen mehr hatte," daß seine Minister „nicht wie in England die Repräsentanten großer nationaler Interessen waren," daß

„kein Band zwi­

schen ihnen und den natürlichen, permanenten Interessen deS KöuigthumS"

bestand?

In diesem Style geht cS fort.

Wo

unser Gegner Thatsächliches berührt, leidet seine Darstellung

-

SS

-

An zwei Hauptirrthümern, von denen wenigstens der eine ein wissentlicher ist. Zunächst ist nicht alles BeklagenSwerthe, was in Frank­ reich 1815 bis 1848 geschah, eine Folge der conftitutionellen RegierungSform.

Vieles entsprang auS andern

Ursachen, wie der Verfasser selbst einmal ganz beiläufig ein­ räumt;

Andere- ist mindestens keine nothwendige,

vermeidliche

Folge

jenes

Systems.

„Persönliche

un­

Inter­

essen und egoistischer Ehrgeiz," wie das Streben einer herr­ schenden unpopulären Klasse, mindestens „die Vortheile ihrer Unpopularität zu genießen," treten bei anderer Regierungs­ form ebenfalls hervor, vielleicht noch stärker, wenn die herr­ schende Klaffe den Thron, als wenn sie die Tribüne umschwirrt. DaS rucrc in scrvitium, um persönliche Vortheile zu erha­ schen, ist viel charakteristischer für daS Cäsarenthum, wel­ ches unser Gegner so anpreist. Ei» anderer Theil der Leiden Frankreichs ist nicht dem constitutionellen meffen.

System,

sondern

seiner Fälschung

beizu-

Dieses Thema ist in neuester Zeit so häufig erörtert

worden, daß cS überflüssig ist darauf zurückzukommen. Besonders verhaßt ist unserm Gegner daS parlamentarische System.

Dieses System verlangt nur, daß die Regienmg des

Landes in Einklang mit den Ansichten der Mehrheit der VolkSrepräsentation geführt wird.

Daß

die Minister auS dieser

Majorität genommen werden, ist nur die zunächst sich dar­ bietende Combination, die außerdem den Vortheil gewährt, daß sie den Kammern von vornherein die Uebereinstimmung mit der Regierung verbürgt. regel nicht.

Nothwendig ist diese Maß­

Eben so ist eS nur gut, nicht nothwendig,

daß die Minister zugleich hervorragende Redner sind: ES trägt Verstand und rechter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor. Freilich

müssen die Minister,

um mit diese» einfachen

70 Mitteln auszukommen, die Lehre des vorhergehenden Verses befolgen, daß sie nämlich „dm redlichen Gewinn" suchen. DaS Bedürfniß rhetorischer Kunst, dialektischer Gewandtheit wird erst dann empfunden, wenn es sich darum handelt, die eignen Absichten zu verschleiem, daS Publikum irre zu leiten, die eigentlichen Motive durch Scheingründe zu ersetzen, für das Ungerechtfertigte plausible Vorwände ausfindig zu machen, den Widerspruch zwischen Wort und That, zwischen Verhei­ ßung und Ausführung zu lösen. Dann sind freilich rhetorische Kunststücke nöthig; allein dann will man auch das parlamen­ tarische System zu einem Betrüge mißbrauchen. Statt des parlamentarischen Systems empfiehlt der Ver­ fasser der französischen Brochüre „das Repräsentativsy­ stem," dessen Grundlagen in den Verfassungen von 1799, 1802 und 1804 enthalten sein sollen. Diesen Verfassungen soll (S. 23) die Lehre Montesquicu'S von der Trennung und Unabhängigkeit der EtaatSgewaltm, „daS bei allen $ eifern gültige Princip der Freiheit" (S. 24) zum Grunde liegen. (St nennt das durch sie begründete RegierungSsystcm ein „einfaches und vernunft­ gemäßes," welches „die wahren Freiheiten gewährleistet" und „eine in Wirklichkeit ebenso unabhängige gesetzgebende Ge­ walt" begründet, „als alle jene, die wir feit 36 Jahren ge­ habt haben." WaS soll man zu einer so groben Entstellung der Wahr­ heit sagen? Glaubt der Lobrcdner napoleonischer Freiheit, daß Niemand die Verfassungen von 1799, 1802 und 1804 und ihre Handhabung kennt? ES wird genügen, unsere Leser an die Grundzüge jener Verfassungen zu erinnern, um sie darauf aufmerksam zu machen, welches System unser Gegner unter dem Namen MontcS gieu'S einzuschmuggeln bemüht ist. Nach der ersten EonsulatSrerfassturg wurde in Primar-Ver

71 sammlungen der einzelnen Gemeindebezirke der zehnte Theil der Bürger gewählt, um die Eommunal-Liste zu bilden, aus der die Communalämter beseht wurden. AuS dem zehn­ ten Theil der in den Communal-Liften verzeichneten Namen wurden die Departemental-Listen gebildet, welche die Namen der zur Verwaltung der Departementsämter geeigneten Personen enthielten. Ein Senat (senat conservateur), den die Konsuln eben so willkürlich ernannten, wie Louis Bona­ parte heut zu Tage seine Consulta, stellte auS dem zehnten Theil der ungefähr 30000 in den Departemental - Listen ent­ haltenen Namen eine Rationalliste zusammen. Derselbe, auS den Creaturen der Consuln bestehende Senat ernannte auS der von ihm selbst zusammengesetzten sehr zahlreichen Na­ tionalliste die Mitglieder der „gesetzgebenden" Versammlungen: 100 für daS Tribunat, 300 für das corps legislatif. Diese Mitglieder, eigentlich Beamte des ConsulatS, erhielten, wie die StaatSräthe und Senatoren, eine jährliche Besoldung. Der Gang der Gesetzgebung war nun folgender. Die Initiative war ausschließlich bei der Regierung, d. h. bei dem ersten Consul, der sie durch die von ihm ernannten Minister ausübte. Die Gesetzentwürfe wurden zunächst in einem, eben­ falls vom ersten Consul auS der National-Liste ernannten StaatSrath geprüft, und gingen dann an daS Tribunat, welches dieselben prüfte, annahm oder ablehnte, und etwaige verfassungswidrige Anträge dem Senat zur Entscheidung vor­ legte. Hatte das Tribunat den Entwurf geprüft, so traten drei Mitglieder desselben und drei Mitglieder des StaatSrathS vor daS corps legislatif, und erörterten vor demselben daS pro und contra. DaS corps legislatif war zum Schweigen verurtheilt. Hatten die Deputirten des TribunatS und des StaatSrathS die Erörterung geschloffen, so stimmte daS corps legislatif einfach mit Ja oder Nein über den ganzen Ent­ wurf, und daS repräsentative Gaukelspiel hatte ein Ende.

72 Man sieht, die Gesetzgebung wurde hier recht eigentlich en samille betrieben.

Wenn bei dieser Verfaffung von Reprä­

sentation gesprochen wird, so kann begreiflich nicht VolkSrepräsentation gemeint sein; der erste Consul repräsentirte sich selbst in kleinern oder umfangreichern Körpern.

Zunächst in

seinen beiden Adjunctm, dem zweiten und dritten Consul, die Napoleon einfach bezeichnete und die auch nur mit einer be­ rathenden Stimme ausgestattet waren; dann in dem Ministe­ rium, das Napoleon ernannte; dann in dem Staatsrath, den er ebenfalls ernannte. telbar

durch

Dann ließ der erste Consul sich mit­

die Geschöpfe seiner unmittelbaren Creaturen

repräsentiren: durch den Senat, den seine Adjunctm, die bei­ den andern Konsuln, ernannten, und durch das Tribunal und das corps legislntif, deren Mitglieder durch den Senat be­ zeichnet wurden.

Die einzige Beschränkung, welcher der letztere

unterworfen war, bestand darin, daß er die Mitglieder der beiden

sogenannten gesetzgebenden Versammlungen auS der

National-Liste entnehmen mußte;

aber er selbst hatte dafür

auch diese National-Liste aus den c. 30000 Namen der Departemental-Liste zusammengestellt. die zahlreichste Versammlung die Möglichkeit eziftirte,

Da das corps legislalif

war und da deshalb hier doch

daß durch einen Irrthum ein ver­

kappter OppositionSmann in sie hineingelassen wurde, so lyitte man die Vorsicht gehabt, ihr die stumme Rolle zu ertheilen. Wir begreifen sehr wohl, daß unsern Absolutisten daS Herz im Leibe lacht, wenn sie von dieser prächtigen Verfas­ sung lesen.

ES ist so leicht mit ihr zu regieren, daß eS ihnen

göttlich vorkommen muß,

in

dem Eldorado eines solchen

„Repräsentativstaats" daS Steuerruder zu führen.

Die Ver­

fassung ist zwar etwas complicirt, so daß die ehrcnwerthen Junker sich mehrmals dm Schnurrbart werden streichen müssen, ehe sie ihnen ganz klar wird: aber es springt doch gleich in die Augen, daß sie überreich ist an prächtigen Sinccurcn für

73

ihre lieben Freunde und Parteigenossen. Ein Mitglied deTribunal- erhielt jährlich 15000 Fr-., ein Mitglied de- corps legislalif 10000 FrS. Rechnet man Ministerium, Senat und Staat-rath dazu, so könnte man ja die „kleine aber mächtige Partei" ganz unterbringen! Aber, wenn der Unverstand in Preußen so mächtig sein sollte, daß er, der Geschichte und der Entwickelung de- Volkzuwider, den Absolutismus wieder Herstellen wollte: jubelt nicht zu früh! Ehe wir uns auf das napoleonische Plunderwerk einlassen, gehen wir lieber auf die einfachen Grundsätze zurück, die im grauesten Alterthum der ionische Sänger für die Kind­ heit de- Menschengeschlecht- aufstellen ließ: OIx ixya&bv noXvxoiQavitj eig xotQCtvos eoiw! Elg ßaatXevg! •

Wir können den Absolutismus einfacher und billiger haben! Daß e- dem Verfasser der französischen Brochüre wirklich nur auf die absolutistische Seite der Verfassung von 1799 ankommt, geht au- einem Satz hervor, der vielen deutschen Lescm nicht ganz verständlich sein wird. Er sagt nämlich S. 29: „Selbstverständlich empfehlen wir keine-weg- die Einzelnheiten der Verfassungen de- Jahre- VIII und de- Jahre- XII, noch da-, wa- z. B. dem eigenthümlichen Geist de- Herrn Siehe- angehört, wie etwa sein verwickeltes Wahl­ system. Bei diesen großen Institutionen hat man nur auf da- zu sehen, wa- dem schöpferischen Genie Napo­ leon- angehört, nämlich mehr auf da- System selbst, auf die Organisation der Gewalten, ihre Verbindung, ihre Bezie, Hungen zu einander und auf ihren Mechani-mu-, al- auf ihren Ursprung." Wir sind unsern Lesern schuldig, sie an da- zu erinnern, was in jenem merkwürdigen Versaffung-gebäude dem eigenthümlichen Geist des Herrn Sicycs und wa- dem schöpferische» Genie Napoleon- gehört. Wir müssen die Decke ganz weg-

74 ziehen, die den Pferdefuß deS französischen Autors und seine­ deutschen UebersetzerS verhüllt. Der Entwurf der ConsulatSverfassung rührt von SieyeS her. SiepeS war ein Anhänger der Lehre von der Volks» Souveränetät, sein Werk ruhte auf dieser Grundlage; eS war eine sehr klug verclausulirte constitutionelle Verfassung, in der Gewicht und Gegenwicht höchst scharfsinnig abgewogen waren; es war daS Muster einer doctrinären Verfassung auf Grund des Repräsentativsystems. Napoleon behielt nur ihre Formen bei, denen er durch sehr geschickte Abänderungen ihre Bedeu­ tung zu nehmen wußte. Er wollte den Absolutismus, und jeder Beigeschmack eines wahren Repräsentativsystems war ihm deswegen im höchsten Grade zuwider. Nach dem Entwurf jenes gelehrten Politikers war der Senat die höchste Gewalt. Er stand über dem proclamatcur-clccleur, dem Groß-Wahlhern, der von Napoleon in den ersten Eonsul umgeändert wurde. Dieser sollte zwar auch den Senat ernennen; aber dann hörte seine Gewalt auf; der Senat konnte ihn, falls er gefährlich wurde, dadurch ab­ sehen, daß er ihn in seinen Schoost aufnahm; denn die Mit­ glieder des Senats durften kein anderes Amt bekleiden. Wäh­ rend die höchste Gewalt im Senat lag, sollten der Staatsrath und daS Ministerium die Regierung deS Landes in Händen haben: dem proclamateur- clecleur blieb nur das Recht, Beamte und Richter zu ernennen; und selbst dieses war da­ durch beschränkt, daß die Eommunallisten alle zwei Jahre, die Departementallisten alle fünf Jahre, die Nationalliste alle zehn Jahr erneuert werden mußten und daS Volk dadurch in die Lage versetzt war, verhaßte Beamte einfach entfernen zu kön­ nen, indem eS ihre Namen in den betreffenden Listen fortließ. Die Nationalliste sollte femer nicht, wie Napoleon eö umän­ derte, vom Senat, sondern durch Wahlmännercollegien aus den Departementallisten gewählt werden. Die Hauptsache

75 aber war, daß die Mitglieder des corps legislalif ebenfalls in Wahlmämier- Collegien gewählt werden sollten. Indem Napoleon sie durch den Senat emennen ließ, ertödtete er die Seele der ganzen Berfaffung. Die gewaltige Differenz zwischen dem Entwurf und der wirklich proklamirten Verfassung springt in die Augen. SieyeS wollte ein Repräsentativsystem einführen, welches dem Volk gestattete, wenn auch auf vielfach behindertem Wege, doch schließlich seinen Willen zur Geltung zu bringen. Napoleon behielt die Form der Repräsentativkörper bei, ließ aber durch sie nicht daö Volk, sondern sich selbst repräsentiren, und gewann durch sie zugleich Gelegenheit, seine Kreaturen mit einträgli­ chen Stellen zu versorgen. Hieraus erhellt, welche Theile dieser Verfassung dem „eigen­ thümlichen Geiste" des Herrn SieyeS, und welche dem schöpfe­ rischen Genie Napoleons angehören. Wenn unser Gegner die erstere perhorreScirt, und nur die letztere angenommen sehen will, so giebt er dadurch zu erkennen, daß er auch daS Repräsentativsystem verwirft, ausgenommen ein solches, welches den Willen des absoluten Herrschers repräsrntirt. Daß dieses in der That seine Ansicht ist, ergiebt sich auch daraus, daß er die Abweichungen und Abänderungen empfiehlt, welche das schöpferische Genie Napoleon- später in der Ver­ fassung eintreten ließ. Denn auch diese Konsulat-verfassung war dem absoluten Herrscher noch hinderlich. Dem Absolutismus steht überhaupt jede- Gesetz im Wege. Zu allen folgenden VerfaffungSverletzungen bot sich der Senat als ein williges Werkzeug dar. Napoleon hatte die Ernennung der Richter in Händen; dennoch ließ er nach dem Attentat mit der Höllenmaschine, ohne jede- gerichtliche Ver­ fahren, durch ein einfache-SenatSconsult 30 Demokraten, die, wie sich nachher herausstellte, ganz unschuldig waren, zur

76 Deportation verurteilen.

Da in die beiden gesetzgebenden

Körper einige Personen gelangt waren, denen man irrthümlich einen zuverlässigern ServilismuS zugetraut hatte, und da die Verhältnisse, unter denen die Ernennung stattsand, auch eine gewisse Berücksichtigung der quasi-liberalen Partei, die sich mit dem Staatsstreich des 18. Brumaire einverstanden er­ klärt hatte, erforderlich machten: so hatten einige Mitglieder in beiden Körpern eine Art Opposition gemacht.

Diese Frie­

densstörer wurden gleichfalls durch ein SenatSeonsult, völlig verfassungswidrig, anS den Versammlungen entfernt, und die Zahl der Tribunatsmitglieder auf 80 verringert.

In demsel­

ben Jahre (1802) wurde endlich die ganze Verfassung durch ein SenatSeonsult umgeändert, ohne daß die beiden gesetzge­ benden Körper befragt wurden. Durch die neue Verfassung von 1802, welche Napoleon das lebenslängliche Consulat übertrug, wurde Frankreich dem Despotismus noch näher gerückt.

Dem Senat wurden durch

sie noch ausgedehntere Befugnisse eingeräumt, als er sie sich bisher dem Willen des ConsulS gemäß widerrechtlich ange­ maßt hatte.

Recht und Gesetz wurden ihm auf Gnade und

Ungnade überliefert.

Er konnte Tribunal und corps legislatif

auflösen, die Geschwornengerichte suspendircn, die Verfassung ändern und sie für einzelne Departements geradezu aufhebe». Damit alle diese Funetionen ganz im Sinne deS Gewaltha­ bers ausgeübt würden, erhielt Napoleon die Befugniß, die Zahl der Senatoren fast auf das Doppelte zu erhöhen.

Im

klebrigen wurde daS dividc et impera durchgeführt: der StaatSrach auf 50 Mitglieder reducirt und in Sectionen zertheilt ; neben ihm noch ein geheimer Rath zur Prüfung der Gesetz­ entwürfe conftituirt, dessen Mitglieder Napoleon

ernannte;

auch daS Tribunat wurde auf 50 Mitglieder reducirt und gleichfalls in Sectionen zerlegt: eö konnte, wie bemerkt, gleich dem

corps legislatif,

vom Senat ausgelöst werden; der

- 77 — Senat ernannte dann aus der Rationalliste die Mitglieder der neuen Versammlungen. Mit dieser Versassung war noch leichter zu regieren, und doch wurde sie neuen Abänderungen unterzogen, als Napoleon sich die Kaiserkrone aufsetzte. Jede Schranke, die sich der kaiserlichen Willkür entgegenstellte, wurde weggeräumt, dem Despotismus ein unbegrenzter Spielraum gestattet. ES lohnt nicht, die Einzelnheiten der Verfassung deS Kaiserreichs an­ zugeben; sie war ein Blendwerk, und wurde von Napoleon nicht beachtet, wo es ihm convenirte gegen sie zu handeln. Nachdem die Presse schon längst der drückendsten Censur über­ liefert war, wurde dem freien Wort auch die Tribüne ge­ nommen. DaS Tribnnat verhandelte in gesonderten Sektionen und heimlich; und 1807 wurde eS ganz aufgehoben. Diese Verfassung deS Despotismus preist die französische Brochüre als die sicherste Gewährleistung wahrer Freiheit an. Die deutsche Sprache hat keinen Ausdruck zur Bezeichnung einer so schamlosen Frechheit. Und der deutsche Vorredner? Er verwirft das parlamen­ tarische und konstitutionelle System; er meint, daß in der fran­ zösischen Brochüre Vieles für Preußen noch treffender fei, alS für Frankreich; vielleicht auch die praktischen Vorschläge, in denen allerdings von dem parlamentarischen und konstitu­ tionellen System keine Spur enthalten ist? ist seiner Meinung nach eine Copie deS napoleonischen SäbelregimentS für Preu­ ßen die beste VerfaffungSform? Wohlan! wenn dieses der Fall ist, so wird er, wenn er ehrlich sein will, seine Vorschläge für Preußen etwa folgen­ dermaßen formuliren müssen: 1) In Anbetracht, daß mit einer vom Volke gewählten Vertretung schwer zu regieren ist, ernennt daS Ministerium fernerhin die Mitglieder beider Kammern. 2) In Anbetracht, daß bei dieser Ernennung Irrthümer

vorkommen können, erhält daS Ministerium das Recht, ein­ zelne Mitglieder aus dem Parlament auszuschließen, dasselbe beliebig zu reduciren,

eventualiter beide Kammern oder eine

von beiden aufzulösen und neue zusammen zu stellen. 3) In Anbetracht, daß daS Ministerium sich bei gewissen Lücken in der Gesetzgebung wohl befindet, wird ihm die aus­ schließliche Initiative bei der Gesetzgebung überwiesen. 4) In Anbetracht, daß die bestehenden Gesetze der Re­ gierung zuweilen unbequem werden, erhält daS Ministerium daS Recht,

sich von der Beobachtung derselben für gewisse

Fälle zu diSpensiren. 5)

In Anbetracht,

daß

Richtersprüche

die Regierung

zuweilen compromittiren und ihre Autorität untergraben,

er­

hält daS Ministerium daS Recht, Richtersprüche zu verhindern oder zu cassiren und sie durch Administrativmaßregeln zu ersehen. 6) Diese Bestimmungen bleiben nur so lange in Kraft, als daö Ministerium in den Händen „der kleinen, aber mäch­ tigen Partei" ist. So etwa würde der Verehrer napoleonischer Freiheit seine Vorschläge für Preußen formuliren, wenn er offen und ehrlich ftiii wollte. Will er aber durchaus mit schamlosem Betrüge zu Werke gehn; scheint eö ihm gerathener, die Herstellung

deS Des­

potismus durch jesuitische Eophistik zu bemänteln: so würde sich ihm folgende saubere Doctrin darbieten. Rach Montesquieu

beruht die wahre Freiheit auf der

Theilung der Gewalten.

Wie den Kammern ein entscheiden­

der Einfluß bei der Legislatur bleibe» muß, so gebührt die Executive ungeschmälert der Regierung, wenn Stärke besitzen soll.

sie

irgend welche

Die Kammern berathen und beschließen

daS Gesetz; seine Ausführung gehört ausschließlich der Execu­ tive, also der Regierung.

Hieraus muß auch dem Böswilli-

gen einleuchten, daß die Regierung daS volle Recht hat, Ge-

79

setze ganz unausgeführt zu lassen, oder nur die Theile der­ selben auszuführen, die ihr als heilsam erscheinen. Da- ist ausschließlich Sache der Executive. Wenn ferner die Regie­ rung eS für angemessen hält, bei ihren Administrativmaßregeln die bestehenden Gesetze unbeachtet zu lassen, so haben die Kammern augenscheinlich schon deswegen sich nicht darum zu küm­ mern, weil die GesetzeSverlctzung durch Administrativ maß­ regeln erfolgte, die nicht der Beurtheilung der Kammem un­ terliegen.. Wenn endlich das Ministerium den Staat auf ganz neuen Grundlagen reorganisiren wollte, so ist dieses begreiflich auch eine Administrativmaßregel, und zwar die wichtigste, auf die das Ministerium gerade deswegen am allerwenigsten Ver­ zicht leisten darf. Wir verlieren kein Wort über eine solche Verhöhnung der Vernunft und deö Rechts. In einer Zeit, in der die Schamlofigkeit, die Selbstsucht und der durch leicht errungene und listig erschlichene Siege bis zu wahnwitzigem Taumel gesteigerte Uebermuth sich zu Tische gesetzt haben, und Tugend, Einsicht und Vaterlandsliebe trauemd und zürnend vor der Thüre stehen: in einer solchen Zeit sind wir auf Alles gefaßt, und wir überlassen unfern Lesern die Entscheidung, ob der Rath: principiis obsta! noch angebracht ist. Wir haben die Grundzüge der Verfassungen des ConsulatS und des Kaiserreichs, in deren Wiederherstellung die fran­ zösische Brochüre daS einzige Heil Frankreichs erblickt, unfern Lesern in Erinnerung gebracht. Die neuesten Nachrichten leh­ ren, daß man sie dort in der That zu restauriren gedenkt. Wenn nun der deutsche Vorredner bemerkt (S. XI): „wenn man bisher aus Frankreich alles Unheilvolle genommen hat, so würden wir eö als eine wohlverdiente Buße betrachten, jetzt auch einem guten Beispiele Frankreichs zu fol­ gen," — so werden unsere Leser sehen, daß wir die eigent-



HO



lichen Zwecke der in der Deckerschen Geheimen Oberhofbuchdruckerei erschimenm Schrift richtig gezeichnet haben. Solchen Vorschlägen gegenüber handelt es sich nicht mehr darum, ein Mehr oder Minder von Freiheiten, diese oder jene VersassungSform zu rettm; eS handelt sich darum, ob üherhaupt daö Recht noch eine Stätte haben, oder ob die nackte Willkür proklamirt werden soll.

Und Eines hoffen wir,

nachdem die Decke ganz gefallen ist: alle gesittete Menschen, Demokraten, Constitutionelle, Absolutsten, wenn in ihnen noch ein Funken von Einsicht, eine Spur von Scham vorhanden ist, werden sich die Hände reichen, um gegen daS System des von der Lüge und

dem Betrüge umgürteten Despotismus

energisch Front zu machen.