Anarchie und Weltrecht: Das Deutsche Reich und die Institutionen der Weltwirtschaft 1890-1930 9783666370069, 9783647370064, 9783525370063

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Anarchie und Weltrecht: Das Deutsche Reich und die Institutionen der Weltwirtschaft 1890-1930
 9783666370069, 9783647370064, 9783525370063

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jrgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler Band 183

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Niels P. Petersson

Anarchie und Weltrecht Das Deutsche Reich und die Institutionen der Weltwirtschaft 1890 – 1930

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber abrufbar. ISBN 978-3-525-37006-3

Gedruckt mit Untersttzung des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universitt Konstanz Umschlagabbildung: Sandtorhafen, Hamburg, ca. 1888  www.bildarchiv-hamburg.de/AGB

 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I Teil: Privates Geld und staatliche Macht. Staatsbankrott und Staatssouvernitt als Probleme fr Politik, Anleger, Banken und die Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.) Problemstellung und Strukturbedingungen . . . . . . . . . . . . 25 2.) Griechenland und Venezuela: Diplomatische und militrische Intervention des Deutschen Reiches gegen sumige Zahler . . . 33 3.) Anlegerschutz durch Gesetz und Vertragsklauseln . . . . . . . . 67 4.) Der Schutz der Glubiger und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.) Reparationen, Whrungspolitik und die deutschen Auslandsschulden zwischen Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise 109 II Teil: Vertragsschluß und Vertragsbruch. Vertrge und grenzberschreitendes privatwirtschaftliches Handeln . . 1.) Problemstellung und Strukturbedingungen . . . . . . 2.) Mçglichkeiten und Grenzen internationaler Rechtsvereinheitlichung: Das Deutsche Reich und das „Weltwechselrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.) Private Rechtssetzung und staatliche Macht: . . . . . Verbandsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . 4.) Zahlungs- und Kreditsicherung im Außenhandel . .

. . . . . . 151 . . . . . . 151

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Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1.) Territorialittsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2.) Muster der Ordnungsstiftung auf berstaatlichen Mrkten . . . 345 Abkrzungen und Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 1.) Unverçffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2.) Literatur und verçffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . 359 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Januar 2008 von der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Universitt Konstanz als Habilitationsschrift angenommen. Fr den Druck habe ich das Manuskript leicht gekrzt. Mein besonderer Dank gilt Jrgen Osterhammel, an dessen Konstanzer Lehrstuhl ich in einer von Anregung, Freiheit und Vielfalt geprgten Atmosphre arbeiten konnte und von dem ich mehr gelernt habe, als sich an dieser Stelle aufzhlen ließe. Ebenso herzlich danke ich meinen dortigen Kollegen Boris Barth und Bernd-Stefan Grewe, die mir durch ihre wertvollen Hinweise und Aufmunterungen stets eine große Hilfe waren. Eckart Conze und Wolfgang Seibel haben dankenswerterweise das auswrtige bzw. fachfremde Gutachten bernommen. David Bruder danke ich fr die sorgfltige und effiziente Korrektur des Manuskripts. Die Volkswagen-Stiftung hat die Forschungen fr diese Arbeit maßgeblich durch ein Stipendium untersttzt. Der Konstanzer Exzellenzcluster EXC16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“ hat die Drucklegung finanziell gefçrdert. Niels P. Petersson Sheffield, Januar 2009

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Einleitung Im Zuge des Globalisierungsschubes in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts entstanden zunehmend enger integrierte Weltmrkte fr zahlreiche Gter und fr Kapital. Das Ausmaß weltwirtschaftlicher Integration zu dieser Zeit ist durch die quantifizierende Untersuchung von Korrelationen und Preiskonvergenzen hervorgehoben worden.1 Was die Mechanismen dieser Integration angeht, wurde zunchst auf Innovationen im Bereich Transport und Kommunikation verwiesen.2 Doch Mrkte – seien es nun lokale oder globale – sind nicht nur materielle Netzwerke, sondern zugleich auch soziale Interaktionszusammenhnge. Als solche sind sie wie jeder andere soziale Zusammenhang auch auf Institutionen, Normen und Regeln gegrndet. Diese geben der sozialen Interaktion – hier den Transaktionen – eine Form und sichern Verlßlichkeit.3 Daher stellt sich die Frage nach den institutionellen Grundlagen globaler Vernetzung, nach den Entstehungsbedingungen und Entwicklungsmçglichkeiten solcher Institutionen und nach der Mçglichkeit der Regulierung und Steuerung sozioçkonomischer Zusammenhnge von globaler Reichweite. In dieser Arbeit soll am Beispiel des Deutschen Reiches in historischer Perspektive untersucht werden, welche Mechanismen, Akteure und Probleme bei der Globalisierung wirtschaftlicher und wirtschaftsrechtlicher Normen eine Rolle spielten und welche Mçglichkeiten der Institutionalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen es gab. Der Untersuchungszeitraum, die Jahre von etwa 1890 bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise, umfaßt Aufstieg und Niedergang einer großen Welle çkonomischer Globalisierung.4 In die gleiche Zeit fllt der Aufstieg des Interventionsstaates, der von Anfang an nicht nur gestaltend in die Gesellschaft hineinzuwirken, sondern auch deren Außenbeziehungen mitzuformen suchte. Angesichts von Globalisierung und Interventionsstaatlichkeit stellte sich die Frage der Gestaltung der außen1 Vgl. Bordo u. a.; O’Rourke u. Williamson, When?; O’Rourke u. Williamson, Globalization and History ; vgl. auch Hirst u. Thompson, S. 20 ff., 35 – 42. 2 Pollard; Headrick, Tools; Headrick, Tentacles, aber auch schon Hobsbawm, Kap. 3. Vergleiche auch hierfr die zahlreichen Arbeiten von O’Rourke und Williamson sowie Persson. 3 North; Erlei u. a. 4 Die Konjunkturen politischer, kultureller und sozialer Vernetzung der Welt sind andere: Das Zeitalter des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft und autarkieorientierter Wirtschaftspolitik war zugleich eines intensiver, in einem globalen Horizont ausgetragener kultureller und ideologischer Konflikte und mndete schließlich in einen Weltkrieg. Vgl. zum Hintergrund Osterhammel u. Petersson. Ein Beispiel fr auch in Segmenten der Wirtschaft fortschreitende Globalisierung in der Zwischenkriegszeit ist nach Borscheid, Backlash, das Versicherungswesen.

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wirtschaftlichen Beziehungen in neuer Form: Wie sollen sich interdependente Interventionsstaaten in den internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zueinander verhalten? Auf diese Frage ist in der untersuchten Zeit keine Antwort gefunden worden. Erst nach 1945 entstand – geographisch begrenzt auf die entwickelte westliche Welt – das Regime des „embedded liberalism“ (John Ruggie) einer Koordination offener Wohlfahrtsstaaten. Die diesem Regime zugrunde liegenden Kompromisse und Strukturbedingungen waren jedoch nicht von Dauer.5 Seit dem Ende des Kalten Krieges stellen sich zahlreiche der Fragen, fr die in den Jahrzehnten um den Ersten Weltkrieg erstmals nach Lçsungen gesucht worden war, erneut. Damals entwickelte Formen der Ordnungsstiftung werden wieder aufgegriffen, alte Konflikte treten in neuer Form abermals zu Tage. Eine solche Fragestellung berhrt Anliegen und Interessen verschiedenster Disziplinen und Diskussionszusammenhnge. Zunchst geht es um das Problem der Ordnung auf (Welt-)Mrkten, das fr sich genommen Relevanz beanspruchen kann: „The regulation of the global economy is intrinsically important. Markets rely on rules, customs and institutions to work efficiently. Global Markets need global rules and institutions to work efficiently.“6 Da die Ordnungsstiftung auf globalen Mrkten eine ganze Reihe von Akteuren auf den Plan ruft und dabei eine Vielzahl unterschiedlichster Mittel zum Einsatz kommen kçnnen, erfordert die Untersuchung nahezu zwingend die Einbeziehung von Fragestellungen und Theorieangeboten aus benachbarten Disziplinen wie der Wirtschafts-, Rechts-, und Politikwissenschaft. Die zu behandelnden Fragen sind von Bedeutung fr die Geschichte der internationalen Beziehungen, die Rechtsgeschichte, die Geschichte der Staatsgewalt und die Geschichte der Globalisierung. Schon vor mehr als hundert Jahren war die Auffassung Gemeingut, daß nunmehr die Weltwirtschaft dem Deutschen Reich die Rahmenbedingungen seiner politischen und wirtschaftlichen Optionen und Ambitionen setze.7 Seitdem sind die Bedeutung des Deutschen Reiches fr die weltwirtschaftliche Verflechtung und diejenige der Weltwirtschaft fr das Deutsche Reich unausweichliche und heftig diskutierte Fragen der Wirtschafts-, Rechts-, Sozialund Politikgeschichte Deutschlands.8 Dabei leisteten Regierung und Reichstag, deutsche Gerichte, die deutsche Industrie, deutsche Banken und Kaufleute, Juristen und Interessenverbnde einen wesentlichen, ja strukturbildenden Beitrag zur Entwicklung der Weltwirtschaft in den Jahrzehnten um den Ersten Weltkrieg. Diese strukturbildende Wirkung entsprang nicht nur der Bedeutung Deutschlands als großer Industrie- und Handelsmacht, son5 6 7 8

Eichengreen, European Economy. Drezner, S. 6. Vgl. z. B. Arndt; Huber ; Dehn, Neubildungen. Zum berblick immer noch Gollwitzer. Vgl. dazu Conrad u. Osterhammel (darin insbesondere Petersson, Kaiserreich); Conrad; Pierenkemper.

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dern auch der besonderen politischen Brisanz der Frage, wie sich das Reich in Weltpolitik und Weltwirtschaft integrieren sollte. Deutschland wurde in den Jahren nach der Reichsgrndung endgltig zum Industriestaat, wandelte sich vom Kapitalimporteur zum Kapitalexporteur und (damals schon) vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland. Ein hnlich rasches wirtschaftliches Wachstum erlebten unter den grçßeren Staaten allein die USA, deren Industrialisierung sich jedoch mehr als diejenige Deutschlands auf den Binnenmarkt ausrichtete. Das Kaiserreich war die dynamischste und bald auch auf vielen Mrkten die bedeutendste Exportmacht der Jahrzehnte vor 1914.9 Auf den internationalen Finanzmrkten etablierten sich die deutschen Großbanken, und deutsche Investoren begannen, ihr Kapital im Ausland anzulegen. Auch nach dem verlorenen Weltkrieg war Deutschland weiterhin eine der fhrenden Wirtschaftsmchte mit weltweiten Interessen. Allerdings berwog nun das krisenhafte Moment. Die Grnde hierfr sind bekannt: die Zerrttung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung und des internationalen Whrungssystems, unter der alle Nationen gleichermaßen zu leiden hatten; die einseitigen Restriktionen, denen der deutsche Handel durch den Versailler Vertrag unterworfen war ; der Verlust der Handelsflotte; die Kapitalknappheit von Industrie und Handel, die Investitionen und Kreditgewhrung an potentielle Kunden erschwerte; die allgemein angespannte politische Lage und die erheblichen Imageprobleme des vielerorts weiterhin als Feindstaat wahrgenommenen Landes. Whrend Deutschland ein bedeutender Warenexporteur blieb, war es zum Kapitalexport nicht lnger in der Lage, sondern mußte in großem Stil Kapital importieren. Dadurch verringerte sich seine weltwirtschaftliche Bedeutung jedoch keineswegs. Vielmehr hatten nun alle großen Probleme der internationalen Kapitalmrkte letztlich mit dem Deutschen Reich zu tun: Die Reparationsverpflichtungen in zunchst ungeklrter Hçhe, die Kommerzialisierungsplne, Dawes- und Youngplan, schließlich die deutsche Zahlungseinstellung waren die entscheidenden Faktoren der Kapitalmarktentwicklung. Die internationalen Kapitalbeziehungen der Weimarer Republik spiegelten globale Trends nicht nur wider, sondern waren bestimmend fr globale Entwicklungstendenzen. Umgekehrt war das Deutsche Reich von der Kapitalmarktentwicklung abhngig, wie die Konjunkturen der Inflation, die auf amerikanisches Kapital gesttzte Stabilisierung und schließlich die Banken- und Whrungskrise ab 1931 zeigen.10 Seit den 1870er Jahren lassen sich zwei nur scheinbar widersprchliche Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft beobachten, an denen das Deutsche Reich jeweils einen wichtigen Anteil hatte: Multilateralisierung und Nationalisierung.11 Durch Ausfuhren, die Entwicklung und den Transfer neuer 9 Einen berblick nach eigenen Berechnungen gibt jetzt Torp, Kap. 2. 10 Balderston, Economics; Ritschl. 11 Zur Wechselwirkung von Weltwirtschaft und Weltpolitik s.a. Schmidt, Nationalstaat.

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Technologien und den gestiegenen Konsum von eingefhrten Industrie- und Agrarprodukten wurde Deutschland bereits vor 1914 Teil multilateraler wirtschaftlicher Netze, deren Bestand, wie sich bei einem Blick auf die Weltwirtschaftskrise nach 1929 zeigt, vom relativ freien Waren- und Kapitalverkehr in allen wichtigen beteiligten Regionen abhngig war.12 Das Deutsche Reich war eine import- wie exportabhngige Volkswirtschaft, die Form und Ausmaß ihrer weltwirtschaftlichen Einbindung politisch regeln, sich aber nicht in die Autarkie zurckziehen konnte. Globalisierung wurde zum Politikum, seit die Auswirkungen weltwirtschaftlicher Verflechtung fr einen grçßeren Personenkreis zu spren waren. Ab etwa 1880 befanden sich die Prinzipien des Freihandels und der Arbeitsteilung auf dem Rckzug; eine Welt konkurrierender Volkswirtschaften entstand. Mit dem bergang zum Schutzzoll und der wilhelminischen Weltpolitik leistet das Kaiserreich einen erheblichen Beitrag zur Politisierung des Globalisierungsprozesses und zu seiner nationalistisch-machtstaatlichen Aufladung. Ohnehin wurde çkonomische Globalisierung in Deutschland stets in enger Wechselwirkung mit innen- und weltpolitischen Machtfragen gesehen. Weltwirtschaftliche Integration wurde immer auch als Instrument nationaler Grçße verstanden, und wirtschaftliche Interessengegenstze zwischen den Nationen galten als unausweichliche Konsequenzen des Kampfes ums Dasein.13 Auch nach 1918 war die Frage, welche Rolle das Deutsche Reich in der Weltwirtschaft anstrebte und welcher Mittel es sich dabei bedienen sollte, von entscheidender Bedeutung ebenso fr die Entwicklung Europas und der Weltwirtschaft wie fr die innen- und außenpolitische Grundorientierung der Weimarer Republik.14 Nur whrend der Jahre Stresemanns herrschte eine kooperative Orientierung vor. Die Wirtschaftskraft war nunmehr angesichts der militrischen Beschrnkungen des Friedensvertrages und der diplomatischen Isolierung die wichtigste und einzig verbliebene Machtressource Deutschlands. Inwieweit diese allerdings politisch gepflegt werden mußte und ob wegen des Verlusts diplomatischer und militrischer Macht auch eine grundstzliche Neuausrichtung der deutschen Außen- und Außenwirtschaftspolitik erfolgen msse, war umstritten. Letztlich konnte sich eine die Außenpolitik der Bundesrepublik vorwegnehmende, kooperative Linie nicht durchsetzen.15 Die Geschichte von Kaiserreich und Weimarer Republik zeigt, daß die partielle Unterordnung weltwirtschaftlicher Netze unter politische Gestaltungsansprche nicht erst eine Forderung der Globalisierungskritik seit dem Ende des Kalten Krieges ist. Das Wechselspiel von Nationalstaat und Globalisierung kennzeichnet die Geschichte des Deutschen Reiches im Untersuchungszeitraum. Bereits vor 1914 spielte sich wirtschaftliche Globalisierung 12 13 14 15

James, End. Boch, S. 104; Etges; James, Identity ; Gollwitzer, S. 35 – 38. Vgl. Krger, Außenpolitik; Zahlen bei Holtfrerich; wichtig auch Feldman, Disorder ; Ferguson. Krger, Außenpolitik; Graml.

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innerhalb interventionsstaatlich gesetzter Rahmenbedingungen ab und zeigte sich die fr moderne Gesellschaften charakteristische Spannung zwischen weltwirtschaftlicher Einbindung und gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch. Mit der raschen çkonomischen Expansion vor 1914, der krisenhaft erfahrenen Abhngigkeit von der Weltwirtschaft in den 20er Jahren und der starken Bereitschaft zur Politisierung weltwirtschaftlicher Zusammenhnge verkçrperten Kaiserreich und Weimarer Republik nicht nur paradigmatisch bestimmende Tendenzen der Jahrzehnte um den Ersten Weltkrieg. Durch sein weltwirtschaftliches und weltpolitisches Gewicht trieb Deutschland diese Tendenzen voran und bestimmte maßgeblich die Form çkonomischer und politischer Globalisierungsprozesse mit. Anders jedoch als Großbritannien vor 1914 oder die USA nach 1945, die Strukturen einer politischen und wirtschaftlichen Weltordnung aufbauten und prgten, nahm es dabei hufig die Rolle eines Herausforderers ein, fr den die Integration in ein wirtschaftlich profitables, arbeitsteiliges, aber nicht von Deutschland aus zu kontrollierendes System nur eine der mçglichen Optionen darstellte. Stets zeigte sich auch die Neigung, sich an die Spitze des Widerstandes gegen die çkonomischen Vormchte, den Freihandel und die marktwirtschaftliche Organisation des Welthandels zu setzen.16 Es ist diese fr die Optionen wirtschaftlich bedeutender, aber nicht hegemonialer Mchte charakteristische Spannung zwischen Integration und Opposition, die den deutschen Fall interessant und auch ber Deutschland hinaus fr die Geschichte von Globalisierungsprozessen aufschlußreich macht. In dieser Arbeit geht es um die Herstellung von Ordnung auf Mrkten. Der Begriff des Marktes beschreibt zunchst einen Mechanismus des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage, der in bestimmten sozialen Zusammenhngen wirksam wird. „Der Markt“ an sich ist eine reine Lehrbuchabstraktion, die in der Wirklichkeit nicht aufzufinden ist. Konkrete Mrkte werden immer durch Regeln eingegrenzt, die festlegen, was die Subjekte, Objekte und Formen von Markttransaktionen sein kçnnen. Im Europa der Frhen Neuzeit beispielsweise waren stark regulierte, fr bestimmte Personengruppen reservierte Teilmrkte die Regel, auf denen auch nur ganz bestimmte Transaktionen zugelassen waren, whrend man gleichzeitig nichts dagegen hatte, daß unter bestimmten Umstnden auch Menschen zu Objekten des Kaufs und Verkaufs wurden (nmlich im Sklavenhandel). Wenn man heute vom Markt, vom freien Markt oder von der Marktwirtschaft spricht, meint man dagegen eine Einrichtung der brgerlichen Gesellschaft, an der freie, gleichberechtigte Brger teilnehmen und auf der Grundlage bestimmter Regeln (zumindest derjenigen der Vertragstreue) Gter und Leistungen zu frei vereinbarten Preisen austauschen.17

16 Zu den USA vgl. Eckes u. Zeiler. 17 Vgl. z. B. Searle; Atiyah; Petersson, Zivilisierungsmission und jngst Berend, Markt.

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Ordnung ist kein Wert an sich, sondern muß immer im Hinblick auf das Ziel betrachtet werden, dem sie dient. Eine marktkonforme Regulierung mit dem Ziel, das Funktionieren des Marktes zu verbessern, ist nur eine denkbare Form der Ordnungsstiftung. Insbesondere, wenn man den Markt als einen Mechanismus zur Herstellung spontaner Ordnung betrachtet, erscheint das Bemhen, den Markt zu ordnen, leicht als gleichbedeutend mit seiner Ausschaltung. Die Frage nach der Ordnungsstiftung auf Mrkten verweist also auf ein Dilemma: Begriffsgemß ist ein Markt ein sozialer Interaktionszusammenhang, in dem Ordnungsmuster und Strukturen „von unten“ entstehen, durch wiederholte Transaktionen und trial and error. Andererseits aber bedarf diese Strukturbildung von unten offenbar der Ordnungsstiftung durch dem Markt ußerliche Instanzen: „Spontaneous evolution is the main driver of markets. To reach their full potential, however, markets need help from the government.“18 Wenn dies schon auf theoretischer Ebene gilt, dann erst recht fr konkrete, in soziale, kulturelle und politische Strukturen eingebundene Mrkte.19 In einer besonderen Form stellt sich das Problem, wenn diese Mrkte jenseits der geographischen Reichweite derjenigen Organisationseinheiten liegen, die zur Ordnungsstiftung legitimiert und in der Lage sind – also in der Regel der Staaten. Dennoch spielte die formelle Setzung und Durchsetzung von Regeln durch dazu berufene oder gewohnheitsmßig akzeptierte Organisationen bei der Ordnung der Weltmrkte eine wichtige Rolle. Sartorius von Waltershausen betonte schon 1931 die Rolle staatlich gesetzten Rechts – des Privat- wie des Vçlkerrechts – fr die „Entstehung der Weltwirtschaft“.20 In der Tat lßt sich im 19. Jahrhundert so etwas wie die Globalisierung des (westlichen) Rechts beobachten. Die „kommerzielle ffnung“ außereuropischer Gebiete (und erst recht die koloniale Inbesitznahme) implizierte immer auch die bertragung grundlegender Regeln ber die Rechte und Pflichten von Staaten und Individuen gegeneinander und oftmals auch den Export europischer Rechtsordnungen.21 Diese Globalisierung des Rechts schuf jedoch noch lange keinen globalen Ordnungsrahmen fr wirtschaftliche Transaktionen, sondern bewirkte hçchstens, daß sich das Problem der Institutionalisierung grenzberschreitender Wirtschaftsbeziehungen berall auf der Welt in hnlicher Weise stellte.22 Zumindest theoretisch war jede Transaktion nun territorial verankert und einer Rechtsordnung unterworfen. Doch jeder Staat konnte nur auf seinem Gebiet verbindliche Regelungen treffen, und zwischen den verschiedenen nationalen Gesetzgebungen bestanden und bestehen erhebliche Unterschiede. Schließlich konnte auch die Entwicklung des Rechts mit den 18 19 20 21

McMillan, S. x. Vgl. z. B. Abelshauser. Vgl. z. B. Sartorius von Waltershausen, Entstehung, S. 4 ff., 470 – 490. Fischer, Ordnung; Fischer, Ausbreitung; Gong; Osterhammel, Symbolpolitik; Robinson u. Gallagher. 22 Vgl. dazu ausfhrlich unten in II.1.

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Erfordernissen der rasanten wirtschaftlichen Vernderungen nicht Schritt halten.23 Vor diesem Hintergrund wird verstndlich, warum die zahlreichen, zum Teil unten zu behandelnden Initiativen zur Schaffung eines international vereinheitlichten Wirtschaftsrechts in Angriff genommen wurden. Aber auch ohne das immer wieder vehement geforderte „Weltwirtschaftsrecht“ wurden internationale Transaktionen in der Regel problemlos abgewickelt, wurden auch außerhalb vertrauensbasierter dauerhafter Geschftsbeziehungen stets Einzelgeschfte abgeschlossen. Erleichtert wurde dies gerade in der Phase intensivierten weltwirtschaftlichen Austausches in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg durch zahlreiche zeitgleich entstandene internationale Organisationen und Infrastrukturen. Das ganze Potential von Telegraphie, Postwesen und Eisenbahnen entfaltete sich erst, nachdem sich die Nationalstaaten auf Regeln fr die grenzberschreitende Kommunikation hatten einigen kçnnen.24 1873 wurde eine multilaterale Patentrechtskonvention abgeschlossen.25 Mit dem Goldstandard entstand ein internationales Whrungssystem, das den Zahlungsverkehr erleichterte und Whrungsrisiken verminderte.26 Der Goldstandard war ebenso wie die anderen Institutionen dieser frhen Globalisierung von Nationalstaaten geschaffen und gestaltet worden.27 Solche Infrastrukturen vereinfachten den internationalen Handel und Kapitalverkehr und schalteten Risiken und Mißverstndnisse aus, d. h. sie erhçhten sowohl die Effizienz als auch die Sicherheit internationaler Transaktionen. Trotzdem gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen Geschftspartnern, in denen rasch deutlich wurde, wie schwach die Institutionen rund um diesen Geschftsverkehr waren. Ausmaß und Bedeutung der Rechtsunsicherheit in der internationalen Wirtschaft kçnnen also nicht vernachlssigt werden. Bei dem Bemhen, solchen Problemen abzuhelfen, zeigt sich die Konkurrenz verschiedener Regulierungsvorhaben und -instanzen: Regierungen und Parlamente, nationale Gerichte, nationale und bernationale Verbnde und Interessengruppen, internationale Expertennetzwerke und die Vertragspartner (Anleger, Kaufleute, Industrielle, Versicherer, Reeder) selbst waren beteiligt und brachten ihre unterschiedlichen Vorstellungen davon zur Geltung, was, wie und von wem zu regeln sei, wobei die gesuchte institutionelle Grundlage weltwirtschaftlicher Vernetzung nicht notwendig eine rechtliche zu sein brauchte. Die Untersuchung muß also davon ausgehen, daß sich Institutionen und Regeln der internationalen Wirtschaft in komplexen, je nach Sektor und Problemstellung unterschiedlich verlaufenden Aushandlungsprozessen zwischen staatlichen und privaten Akteuren entwickelten. Regeln 23 24 25 26 27

Vgl. hierzu ausfhrlich Petersson, Eine Welt. Geyer u. Paulmann, Mechanics; Lyons. Braithwaite u. Drahos; Vec; Seckelmann. Thiemeyer, Entstehung; Thiemeyer, Internationalisierung. Hopkins; Herren.

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des Vçlkerrechts, Regeln des nationalen Rechts, Gewohnheitsrecht, private Vertrge, privates Verbandsrecht, Gewohnheiten und Handelsbruche sind mçgliche, hufig konkurrierende, potentiell durchaus funktional quivalente Problemlçsungen. Hier entsteht eine Spannung zwischen der von der Systemtheorie betonten Tendenz der „Funktionssysteme“ zur Selbstorganisation28 einerseits und dem Anspruch von Staaten und internationalen Organisationen auf Zustndigkeit fr allgemeinverbindliche Normsetzung, Normdurchsetzung und Normentwicklung andererseits. Dabei waren schon die Problemdefinitionen und der Status der beteiligten Akteure Ergebnisse eines Aushandlungsprozesses. Weltwirtschaftliche Institutionalisierung fand und findet, anders als die Rechtssetzung im Staat, nicht auf der Grundlage verfassungsmßig vorgegebener Kompetenzen und Entscheidungsregeln statt. Vielmehr stehen die Grundlagen der Interaktion selbst zur Disposition: Wer als „Betroffener“ gilt und wer eine Stimme haben soll, wie verschiedene Handlungssphren (Recht und Wirtschaft; „politische“ und „technische“ Fragen) definiert und gegeneinander abgegrenzt werden, welche Prinzipien den in diesen Sphren geltenden Regeln zugrunde liegen, wer berechtigt ist, abweichendes Verhalten zu bestimmen und zu sanktionieren: alles muß stets mit ausgehandelt werden. Daher mssen solche Entscheidungsprozesse letztlich aus einer konstruktivistischen Perspektive beschrieben werden.29 Theoretische Anregungen und empirisches Material dafr bieten zunchst bereits im Untersuchungszeitraum selbst entstandene Beitrge aus dem Bereich der Volkswirtschaft,30 Betriebswirtschaft31 und Rechtswissenschaft.32 Ein wichtiger theoretischer Bezugspunkt ist die moderne Institutionençkonomik. Institutionen lassen sich im Anschluß an Douglass North als relativ stabile Spielregeln bzw. „Beschrnkungen menschlicher Interaktion“ definieren.33 Solche Institutionen kçnnen kulturelle Selbstverstndlichkeiten, moralische und rechtliche Normen oder auch schlicht aus praktischen Grnden vereinbarte Standards sein. Manche Institutionen bleiben „informell“, trotz des Fehlens von Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen. Andere werden von straffen Organisationen administriert. Staatliches Recht schafft also nicht automatisch Institutionen, sondern nur dann, wenn es

28 Stichweh; Luhmann, Aufklrung; Luhmann, Gesellschaft, S. 145 – 171. 29 Vgl. dazu Wendt; Hopf; Ruggie. 30 Z.B. Harms, Weltwirtschaft; Sartorius von Waltershausen, Entstehung; Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage. 31 Z.B. Sonndorfer ; Hellauer ; Schck. 32 Z.B. Nußbaum, Geld; Nußbaum, Wirtschaftsrecht; Meili, Staatsbankerott; Großmann-Doerth, Recht; Schnitzer. 33 Zitat: North, S. 3. Vgl. zur Einfhrung Erlei u. a. und zur Einordnung Wischermann, PropertyRights-Ansatz.

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Verhalten dauerhaft beeinflußt; umgekehrt kommen viele Institutionen auch ohne zwangsweise Durchsetzung aus.34 Die Institutionençkonomik legt besonderen Wert auf zwei Konzepte: Eigentumsrechte und Transaktionskosten. Als Gegenstnde wirtschaftlicher Transaktionen und gesellschaftlicher Ordnungen gelten in dieser Perspektive nicht privates „Eigentum“ (property), sondern Bndel von Eigentumsrechten (property rights) an Dingen und Leistungen. Solche Eigentumsrechte sind nicht einfach gegeben, sondern es handelt sich dabei um soziale bzw. rechtliche Tatsachen,35 die nur existieren, weil sie in der sozialen Praxis oder durch die Rechtsordnung36 als solche anerkannt werden. An einen Gegenstand kçnnen sich demnach gleichzeitig ganz unterschiedliche Eigentumsrechte knpfen. Diese Rechte unterliegen potentiell der Modifikation durch den Gesetzgeber. In der sozialen Praxis der Mrkte kçnnen neue Rechte geschaffen oder alte in neuer Weise kombiniert werden. Transaktionskosten sind diejenigen Kosten, die bei der bertragung von Eigentumsrechten entstehen. Angebot und Nachfrage kommen auf den Mrkten der Institutionençkonomik nicht „von selbst“ zum Ausgleich. Kufer und Verkufer mssen Ressourcen aufwenden, um Geschftspartner zu finden, Geschfte abzuwickeln und sich gegen Betrug zu sichern. Institutionen der Wirtschaft sind dann diejenigen Arrangements, die Eigentumsrechte festlegen und den Transfer von Eigentumsrechten ermçglichen. Solche Institutionen kçnnen sich auf Vertrauen in Personen oder in allgemein akzeptierte Regeln grnden, oder auf Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen. Institutioneller Wandel kann Transaktionskosten vergrçßern oder verringern; damit sinkt oder steigt das Potential das Marktes, Ressourcen ihrer jeweils effizientesten Verwendung zuzufhren. Mit ganz hnlichen Begriffen und Denkfiguren operiert auch die – allerdings hierzulande wenig rezipierte – Forschungsrichtung „Law and Economics“.37 Sowohl bei Law and Economics als auch bei der Institutionençkonomik bleibt allerdings oft unklar, ob Institutionen als Explanans oder als Explanandum betrachtet werden, was in der historischen Anwendung hufig zu einer „Rckspiegelung heutiger Markttheorien“ in die Vergangenheit fhrt.38 34 Vgl. hierzu v. a. Greif. 35 Soziale Tatsachen: Durkheim, S. 50 – 59. 36 Die in Deutschland maßgebliche „Legaltheorie“ des Eigentums und die „staatliche Theorie des Geldes“ (vgl. Knapp) vernachlssigen, daß letztlich nicht der Staat, sondern die soziale Praxis darber entscheidet, was unter „Eigentum“ oder „Geld“ zu verstehen ist. Nußbaum, Geld, S. 14, schließt jedenfalls aus einer Analyse der Geldverhltnisse whrend der Inflation 1919 – 23: „Die Uebung des Rechtsverkehrs ist es, die nach unserer Auffassung einer Sache ,die Seele des Geldes‘ einhaucht“, nicht schon der staatliche Wille, daß etwas Geld sei. 37 Eine sehr gut lesbare Einfhrung in Geschichte und Forschungsthemen gibt Friedman. Zum Verhltnis von Institutionençkonomik und Law and Economics vgl. Harris. 38 Friedman, Kap. 19; Zimmermann, S. 123 f.; Zitat: Wischermann, Property-Rights-Ansatz, S. 249. Fr den Historiker, der ein Instrument sucht, mit dem in einem prinzipiell unbegrenzten Forschungsfeld relevante Elemente und Zusammenhnge aufgefunden werden kçnnen, haben

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Die Institutionençkonomik ist seit lngerem der unter Historikern am meisten geschtzte Theorieimport aus den Wirtschaftswissenschaften.39 Die Frage nach Institutionen, Rechten und Transaktionskosten erlaubt es in der Tat, die Entwicklung von Wirtschaftssystemen im Zusammenhang mit gesellschaftlichem, kulturellem und politischem Wandel in den Blick zu nehmen und bietet eine Mçglichkeit, individuelles Handeln mit Strukturbedingungen in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise lßt sich auch der Zusammenhang zwischen spontaner Koordination und bewußter Ordnungsstiftung auf Mrkten untersuchen. Da die Frage nach der Entstehung und Vernderung von Eigentumsrechten explizit gestellt wird, ist es mçglich, ein konstruktivistisches Element in die Untersuchung einzuziehen.40 Der Institutionenbegriff im Sinne Norths und seiner Anhnger hat berdies den Vorteil, daß er mit einem Begriff die verschiedensten, funktional quivalenten Mittel der Ordnungsstiftung erfassen kann, also smtliche Verhaltenserwartungen und Verhaltensrestriktionen einschließt, die von unterschiedlichsten Akteuren auf unterschiedlichstem Wege geschaffen werden, aber immer mit demselben Ziel grçßerer Verlßlichkeit im Wirtschaftsleben.41 Trennschrfere Begriffe der Juristen und Politologen lassen hingegen stets einen wichtigen Teil des Untersuchungsfeldes unbeleuchtet.42 Dies gilt auch fr die politologische Forschung zu internationalen „Regimen“, die sich auf jenen kleinen Teil besonders verfestigter institutioneller Arrangements konzentriert, die seit 1945 entstanden sind (und einen erheblichen Teil ihrer Energien auf rein theoretische Debatten verwendet, insbesondere mit den „Realisten“, fr die sich alle Vorgnge auf berstaatlicher Ebene durch die Regeln der Machtpolitik erklren lassen).43 Allgemeiner verwendbar und von vornherein auf die Analyse konkreter Konfigurationen politischer und çkonomischer Macht zuge-

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die systematischen sozialwissenschaftlichen Theorien ohnehin alle denselben Nachteil: Es handelt sich um festgefgte Gedankengebude, die nach den Prinzipien der Sparsamkeit und Falsifizierbarkeit konstruiert sind. Sie sollen unter ceteris paribus-Bedingungen eine mçglichst einfache und eindeutig widerlegbare Erklrung fr bestimmte Sachverhalte anbieten. Die bertragung auf historische Zusammenhnge ist weder beabsichtigt noch einfach mçglich – vgl. dazu Lorenz; Ragin; aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive Lohmann, S. 394 ff. Wischermann, „Natur“. Fr die Anwendung auf die deutsche Wirtschaftsgeschichte vgl. Wischermann u. Nieberding. Dementsprechend wird die Institutionençkonomik auch als Ausgangspunkt einer „Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte“ gesehen, die wirtschaftliches Handeln mit Kulturwissenschaftlern vertrauten Konzepten erklrt: Berghoff u. Vogel. Ein Nachteil des Begriffs „Institution“ ist, daß darunter umgangssprachlich in der Regel „Organisationen“ verstanden werden. Von privaten Akteuren gesetzte Regeln interessieren beispielsweise den Juristen nicht, weil sie seiner Definition von „Recht“ nicht gengen. Besonders bemerkbar macht sich dies auf der ber- und zwischenstaatlichen Ebene, wo traditionell berhaupt nur Staaten als Subjekte des Rechts anerkannt waren. Vgl. hierzu Teubner, Bukowina; Cutler. Krasner, Regimes; Rittberger u. Mayer; Hasenclever u. a. Zum Verhltnis von Institutionen und Regimen in verschiedenen theoretischen Kontexten vgl. auch Buzan; Mattli, S. 923 f.

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schnitten ist die International Political Economy in der von Susan Strange reprsentierten Variante.44 Auch die Institutionençkonomik hat ihr Potential allerdings gerade fr die internationalen Transaktionen noch lange nicht ausgeschçpft. Die Neue Institutionençkonomik Internationaler Transaktionen (NIIT) versteht sich eher als theoretische Wissenschaft, wenn auch aus dieser Richtung inzwischen gelegentlich Forderungen nach historisch-empirischer Unterftterung erhoben werden.45 Die Frage nach institutionellen Rahmenbedingungen, nach Eigentumsrechten und Transaktionskosten hat jedoch eine ganze Reihe wirtschaftshistorischer Forschungen angestoßen, von denen sich einige auch auf internationales Gebiet vorwagen.46 Sie ergnzen die lteren Forschungen aus dem Bereich der Geschichte des Internationalismus, das zeitgençssische Schrifttum und einige Klassiker der Wirtschaftsgeschichte, auf die sich noch immer die meisten Verweise in der historisch orientierten Literatur zurckfhren lassen. Auch in der Rechtsgeschichte wird internationale Wirtschaftsregulierung langsam als Thema wiederentdeckt. Die entsprechenden Arbeiten – etwa auf dem Gebiet des Patentrechts, der Normierung oder des Versicherungsrechts – thematisieren bereits Fragen nach dem Verhltnis von internationaler Normsetzung, Nationalstaaten und privater Wirtschaftsttigkeit.47 Die quantitativ orientierte Wirtschaftsgeschichte und Globalisierungsforschung hat zwar in letzter Zeit die Bedeutung von Politik, Institutionen und Institutionalisierungsprozessen durchaus anerkannt, sich dabei aber auf die Rezeption eines noch lckenhaften Forschungsstandes beschrnkt.48 Bereits bevor sich Historiker mit dem Thema zu befassen begannen, ergaben durch das Nachdenken ber „Globalisierung“ angestoßene Forschungen, daß man nicht einfach von einer ber die Jahrhunderte unvernderten, erst durch Globalisierungsprozesse in den 1990er Jahren plçtzlich in Frage gestellten Natur des westlichen Nationalstaats ausgehen kann.49 Auch in der Geschichtswissenschaft ist inzwischen das Bestreben zu spren, „Staat und Politik als historisch-dynamische, nicht als statische Grçßen zu betrachten“ und eine „Analyse des permanenten Gestaltwandels oder der dauernden Transformation von Staat und Staatlichkeit, von Politik oder des Politischen“ zu betreiben.50 Gemeinsam ist Strçmungen wie „internationaler“ und „transnationaler“, „Verflechtungs-“ und „Globalgeschichte“ der Ausgangs-

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Strange. Bernholz, S. 45. Berghoff; Flandreau; Ambrosius, Konvergenz. Rçder ; Seckelmann; Vec. Vgl. v. a. Bordo u. a.; O’Rourke u. Williamson, Globalization and History ; O’Rourke u. Williamson, When? und zahlreiche andere Arbeiten derselben Autoren. 49 Vgl. v. a. Hirst u. Thompson; Held u. a. 50 Conze, S. 26.

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punkt, daß es einer „Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats“51 bedrfe, gerade um Bedeutung und Formenwandel von Staaten und anderen Akteuren in den grenzberschreitenden Interaktionszusammenhngen einschtzen zu kçnnen, die schon seit Jahrhunderten den Normalfall darstellen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann allgemeinere Aussagen ber epochenspezifische „Territorialittsregime“ machen.52 Das begegnet sich mit Forschungsinteressen aus anderen Bereichen und mit gegenwartsbezogenen politischen Anliegen. Die Politikwissenschaft befaßt sich intensiv mit Vernderungen im Staatensystem und „Staatlichkeit im Wandel“.53 Hier wird nicht mehr gefragt, ob es in bestimmten Epochen „mehr“ oder „weniger“ Staat gegeben hat, sondern welche Herrschaftsbefugnisse und Herrschaftsansprche Staaten jeweils hatten, mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck sie ausgebt wurden, und inwieweit Staaten auch die freiwillige Selbstorganisation der Brger als Ordnungsinstrument einsetzten. Der Staat der Gegenwart wird als „Herrschaftsmanager“ gesehen, der durch Privatisierung und Internationalisierung nicht machtlos geworden ist, sondern seine Form verndert hat und viele der Leistungen, die von ihm erwartet werden, nur durch die bertragung von Aufgaben auf internationale Organisationen und private Akteure erbringen kann.54 Daraus ergibt sich die Frage, ob diese Diagnose nicht auch schon fr frhere Epochen zutrifft und ob das Leitbild des „totalen Staates“55 im frhen 20. Jahrhundert nicht eher eine (gefhrliche) Fiktion als eine Beschreibung tatschlich auffindbarer Ordnungsmuster war. Die Spannung zwischen einer als „zerfasert“ beschreibbaren Realitt von Staatlichkeit einerseits und macht- oder interventionsstaatlichen Ansprchen auf unbeschrnkte Souvernitt andererseits zeigt sich jedenfalls schon, in je unterschiedlicher Ausprgung, im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.56 Als zentrale Dimensionen des Formenwandels von Staatlichkeit kçnnen Privatisierung und Internationalisierung von Befugnissen und Verantwortlichkeiten bzw. die Verortung und Reichweite staatlicher Kompetenzen zwischen (privater) Gesellschaft einerseits und internationalen Organisationen und vçlkerrechtlichen Vertrgen andererseits betrachtet werden. Dies sind auch zentrale Themen der folgenden Untersuchung. Dabei ist nicht nur der Formenwandel von Staatlichkeit, sondern stets auch die Bedeutung sich wandelnder Staatlichkeit fr die Mçglichkeit internationaler Ordnungsstiftung und „Governance“ zu bercksichtigen. Hier gilt, daß Staaten zur Durchsetzung und Legitimation von Entscheidungen, die auf internationaler Ebene getroffen werden und damit fr die Herstellung von Ordnung unab51 52 53 54 55 56

Osterhammel, Geschichtswissenschaft. Maier, Twentieth Century ; Maier, Transformations; Middell. SFB 597 „Staatlichkeit im Wandel“ (www.sfb597.uni-bremen.de). Vgl. v. a. Genschel u. Zangl; Genschel u. a.; Zrn u. Leibfried. Reinhard. Petersson u. Schrçder.

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dingbar bleiben, daß die mit Staatlichkeit verbundenen Ansprche aber dieser Herstellung von Ordnung auch hufig genug im Wege stehen. Die Ordnung der Staatenwelt, so Hedley Bull, kann aber nur dann Legitimitt beanspruchen, wenn sie den Zielen von Individuen und nicht bloß denen der Staaten dient.57 Die von der Wahrnehmung aktueller Globalisierungsprozesse angestoßene Historisierung der Begriffe von Staat und Staatlichkeit in der Politikgeschichte findet ihre Entsprechung in der Rechts- und in der Wirtschaftsgeschichte. Eine Analyse sich wandelnder „Strukturen der Normsetzung“ (Milosˇ Vec) in der Industriegesellschaft zeigt nicht nur den bereits bekannten Formenwandel innerhalb des staatlichen Rechts auf dem Weg zum Interventionsstaat. Zugleich wird deutlich, daß staatliches Recht nur eines unter vielen, auf nationalstaatlicher wie berstaatlicher Ebene verfgbaren Instrumenten der Normsetzung ist. Auch der sich wandelnde Wirkungsbereich des staatlichen Rechts lßt sich in den Dimensionen der Privatisierung und Internationalisierung beschreiben, wobei staatliches Recht zugleich immer jenes Instrument ist, mit dem legitimierte Privatisierung und Internationalisierung umgesetzt wird. Das staatliche Recht kann also im Prozeß des Wandels von Staatlichkeit ganz unterschiedliche Funktionen bernehmen: als Sammlung von Koordinationsregeln der „brgerlichen Gesellschaft“,58 als interventionsstaatliches Instrument der Gesellschaftsgestaltung im „totalen Staat“59 und schließlich als Mittel der Aufgabenbertragung an verschiedene private wie çffentliche, nationale wie internationale Akteure im „offenen Nationalstaat“, der in internationale Regulierungsnetzwerke eingebunden ist.60 Daß die Institutionençkonomik es nahelegt, Eigentumsrechte, Marktprozesse und damit den gesamten Bereich der privaten Wirtschaft als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und staatlicher Definitionsmacht zu verstehen, ist bereits dargelegt geworden. Hier wird die Spannung zwischen dem potentiell globalen Wirtschaftsraum, in dem sich die Akteure der Privatwirtschaft bewegen, und der nationalstaatlich begrenzten staatlichen Politik sowie der Kontrolle der Außenbeziehungen der Gesellschaft als Instrument politischer Gestaltung besonders deutlich. Gerade die Untersuchung der Wechselwirkung von Wirtschaft, Politik und Recht sollte es daher erlauben, die „Bedingungen, unter denen eine mehr oder weniger weit reichende staatliche Autonomie mçglich und sinnvoll ist“, genauer zu beschreiben und historisch zu spezifizieren.61 In der Politik-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte geht es in jngster Zeit um eine – teilweise von der „kulturgeschichtlichen Wende“, teilweise von der 57 58 59 60

Bull, S. 22. Grimm, Brgerlichkeit. Reinhard. Hobe, Der offene Verfassungsstaat; Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat; Petersson u. Schrçder ; Slaughter. 61 Zimmermann 114.

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Beobachtung von Globalisierungsprozessen angestoßene – Dynamisierung und Historisierung zentraler Begrifflichkeiten, die in ihrer hergebrachten Form zur Beschreibung einer sich verndernden Welt zu starr erscheinen. Markt, Recht, Staat, Politik, Wirtschaft erscheinen als in Kommunikation und (nicht unbedingt friedlicher) Interaktion entstandene wandelbare soziale Tatsachen. Weltwirtschaftliche Institutionen und Normen werden also in verschiedenen disziplinren Kontexten allmhlich als wichtiger Bestandteil einer „transnationalen Geschichte“62 erkannt und von unterschiedlichen Forschungsanstzen und Ansatzpunkten ausgehend bearbeitet. Die vorliegende Arbeit ordnet sich in dieses entstehende Feld ein. Sie unternimmt die exemplarische Untersuchung zentraler Probleme und Problemlçsungen aus der Sicht des Deutschen Reiches. Dabei legt sie insbesondere Wert auf die Frage nach der Rolle und dem Formenwandel çffentlicher Gewalten. Ziel der Arbeit ist es, durch empirische, an aktuellen wissenschaftlichen und politischen Problemstellungen orientierte Forschung die Geschichte bestimmter Probleme und Problemlçsungen der Ordnungsstiftung auf Weltmrkten zu erhellen und dadurch auch einen auf andere weltwirtschaftliche Institutionalisierungsprozesse anwendbaren Fragehorizont zu entwerfen. Darber hinaus wirft die Untersuchung Licht auf den Formenwandel solch grundlegender Kategorien wie Staatlichkeit, Politik, Wirtschaft und Recht. Die Auswahl der Untersuchungsfelder orientiert sich an drei Kriterien: den Akteuren, den Formen der Problemlçsung und der weltwirtschaftlichen Relevanz. Aus dem Status der Akteure ergibt sich die Einteilung in zwei große Blçcke, die weltwirtschaftliche Abmachungen zwischen Staaten und Privatleuten einerseits und grenzberschreitende Transaktionen zwischen privaten Partnern andererseits behandeln. Innerhalb der beiden Hauptteile wiederum wurden jeweils Problemlçsungen unterschiedlicher Komplexitt und auf unterschiedlicher Ebene ausgewhlt, von Vorsicht und Informationsgewinnung durch einzelne Anleger und Kaufleute bis hin zur Schaffung internationaler Organisationen mit Zwangsgewalt. Damit wird das gesamte denkbare Spektrum von individueller Anpassung an die Risiken weltwirtschaftlicher Transaktionen bis hin zur kompletten Neuschçpfung von Rechten, Akteuren und Transaktionsformen durch private und zwischenstaatliche Abmachungen erfaßt. Fr den Bereich des Staatsbankrotts werden zunchst die diplomatische und militrische Intervention gegen Griechenland und Venezuela untersucht, um an diesen beiden Beispielen fr ein nachtrgliches Eingreifen des Deutschen Reiches zugunsten beim Staatsbankrott geschdigter Glubiger die Grenzen und Erfolgsbedingungen derartiger Aktionen zu analysieren. Als nchstes werden mit dem Bçrsengesetz von 1896 und den Verhandlungen ber Chinas Eisenbahnanleihen Versuche betrachtet, durch die einzelstaatliche Gesetzgebung bzw. durch die Ausgestaltung privater Anleihevertrge vorab das Risiko zu mindern, daß riskante Papiere auf den Markt kommen. In einem 62 Zu dieser Diskussion vgl. Budde u. a.

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dritten Schritt geht es um vçlkerrechtliche Neuerungen, die den rechtlichen Statusunterschied zwischen privatem Glubiger und staatlichem Schuldner berwinden und die Verpflichtungen des staatlichen Schuldners mit einer klar definierten (aber auch begrenzten) rechtlichen Bindungswirkung versehen wollten. Abschließend wird die Frage von Zahlungswillen, Zahlungsfhigkeit und Bereitschaft zur Mitwirkung an internationaler Institutionalisierung aus der Schuldnerperspektive untersucht – derjenigen nmlich des Deutschen Reiches in der Zwischenkriegszeit. Auch auf dem Feld der Institutionen zur Verringerung der Transaktionskosten im Verkehr zwischen privaten Vertragspartnern liegt der Auswahl der Beispiele eine derartige Abstufung zugrunde. Ausgangspunkt sind die im spten 19. Jahrhundert regelmßig in Extrapolation der großen Werke nationaler Rechtserneuerung und Rechtseinigung erhobenen Forderungen nach einem einheitlichen Weltrecht fr die entstehende Weltwirtschaft. Diese Plne gewannen in der Sache des „Weltwechselrechts“ nicht nur ihre konkreteste Gestalt, sondern betrafen auch das wichtigste Zahlungsmittel im Welthandel und damit praktisch jede einzelne Transaktion. Anschließend werden Strategien der Verrechtlichung ausgehend von Handelsbruchen und privaten Organisationen behandelt, die sich in Konkurrenz zu, aber auch in Abhngigkeit von staatlicher Rechtssetzung entwickelten. Schließlich geht es um Strategien der Erhçhung von Sicherheit und Effizienz, die ganz ohne die Bildung von Regeln oder Organisationen auskommen, denen sich die Vertragspartner zu unterwerfen haben: das Sammeln von Informationen oder die Einschaltung vertrauenswrdiger Dritter. Dabei steht im Hintergrund immer der Staat, der zulßt, vorschreibt, mitgestaltet oder verbietet. Whrend im Untersuchungszeitraum zumeist eine marktkonforme, teils eine marktbeschrnkende Regulierung zu beobachten war und teilweise sogar diskutiert wurde, die (private) Weltwirtschaft ganz von den zwischenstaatlichen Beziehungen und sogar Kriegen unabhngig zu machen, bildeten sich im Ersten Weltkrieg und in der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre bereits Formen der staatlichen Lenkung von Transaktionen heraus, wie besonders deutlich am Beispiel der Devisenbewirtschaftung gezeigt werden kann. In diesen Fragen geht es weder um die rein „technischen“ Facetten des Internationalismus wie etwa die Normung, noch um die „Große Politik“ der internationalen Wirtschaft wie etwa bei der Aushandlung von bilateralen Handelsvertrgen, sondern um die Regulierung von Mrkten, bei der sich die Politik nicht hat ausschalten lassen, wo also die Herstellung einer internationalen Verkehrswirtschaft politisch thematisiert werden mußte, nicht bloß administrativ vollzogen werden konnte. So soll – hnlich wie bei lokalhistorischen Studien, die sich fr den „Staat im Dorf“ interessieren63 – der Staat unter anderen Akteuren im Alltag der internationalen Wirtschaft untersucht werden. Da bei der Ordnungsstiftung auf berstaatlichen Mrkten bereits die 63 Raphael.

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elementaren Grundlagen der Interaktion wie Problemdefinitionen und Status der beteiligten Akteure mit ausgehandelt werden mußten und mssen, eignet sich die Thematik als Indikator fr umfassendere Vernderungen in der Staatenwelt: den Wandel in Form und Ausmaß staatlicher Macht, die sich verndernde Stellung von Individuen gegenber Staaten auf internationaler Ebene, Verschiebungen in der jeweils fr maßgeblich erachteten Definition der Sphren von Politik, Wirtschaft und Recht. Diesen Konstruktionscharakter zu betonen ist die Vorbedingung handlungsleitender Analyse vergangener und gegenwrtiger Verhltnisse und Entwicklungen. Ein solcher milder Sozialkonstruktivismus betont die Abhngigkeit sozialer Tatsachen und Strukturen von ihrer bestndigen (bewußten oder beilufigen) Reproduktion in Kommunikation und Interaktion und kann so Einflußfaktoren und Gestaltungsmçglichkeiten offenlegen helfen.

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I. Teil: Privates Geld und staatliche Macht. Staatsbankrott und Staatssouvernitt als Probleme fr Politik, Anleger, Banken und die Wissenschaft 1.) Problemstellung und Strukturbedingungen Dieses Kapitel behandelt die Frage, auf welche Weise das Deutsche Reich, deutsche Anleger, Banken, Juristen und konomen vom Phnomen des Staatsbankrotts betroffen waren und welche Lçsungen sie fr die dadurch aufgeworfenen Probleme vorschlugen und umzusetzen versuchten. Seit dem spten 19. Jahrhundert waren Staatsbankrotte Ereignisse, die breite Schichten der Bevçlkerung in verschiedensten Staaten betrafen.1 Sie zerrissen das Netz globaler Kapitalbeziehungen, das zwischen Staaten und Privaten, Europa und Außereuropa, dem gegenwrtigen Besitz der einen und den erhofften zuknftigen Einnahmen der anderen, zwischen Kapitalberfluß und Kapitalknappheit geknpft war. Das stellte nicht nur die betroffenen Anleger und Staaten vor die immer mit plçtzlich eintretendem Geldmangel zusammenhngenden Probleme, sondern warf darber hinaus eine Reihe komplizierter rechtlicher und politischer Fragen auf, bei denen es letztlich um die rechtliche und politische Stellung von Staaten und Privatleuten und ihr Verhltnis zueinander ging, zunchst im nationalen, vor allem aber im bernationalen Rahmen. Strittig war bereits die Rechtsnatur staatlicher Schulden: Begrndeten diese berhaupt eine Zahlungsverpflichtung? Bestand diesbezglich ein Unterschied zwischen den eigenen Brgern und den Brgern fremder Staaten? Welchen Schutz schuldete ein Staat seinen durch einen fremden Staatsbankrott geschdigten Brgern? Welche Sanktionsmçglichkeiten standen Einzelnen wie Staaten gegenber dem zahlungsunfhigen Staat zur Verfgung, bzw. welche sollten geschaffen werden? Eine Analyse der Antworten auf diese Fragen erlaubt einen Ausblick in sich wandelnde Auffassungen, Rechtslagen und Beziehungsverhltnisse zwischen Staat und Einzelnem, im Vçlkerrecht zwischen Staaten, der Stellung des Staates in seiner Umwelt, ja, der Natur des Staates selbst. Schon der Vçlkerrechtler Friedrich Meili hatte in einem als Problemaufriß aus juristischer Sicht konzipierten Aufsatz festgestellt, Fragen des Staatsbankrotts betrfen „die Wurzeln des Rechts und zwar des Privat-, Staats- und Vçlkerrechts, sowie der 1 Fr einen umfassenden berblick ber Staatsbankrotte des 19. und frhen 20. Jahrhunderts vgl. Borchard u. Wynne. Theoretische Perspektiven diskutiert Tomz. Eher impressionistisch: Born; Lingelbach, Staatsfinanzen.

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Nationalçkonomie.“2 Die Zahlungsunfhigkeit von Staaten gegenber auswrtigen privaten Glubigern und ihre Abwicklung ist berdies ein Problem, das seit der Liberalisierung der Kapitalmrkte am Ende des 20. Jahrhunderts wieder aktuell geworden ist. Die gegenwrtig durchgefhrte Entschuldungsinitiative fr hochverschuldete arme Lnder („Highly Indebted Poor Countries“, HIPC) betrifft zwar fast ausschließlich Schulden bei çffentlichen Geldgebern. Doch in den Schwellenlndern wird, vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges und der Liberalisierung der Kapitalmrkte, mehr und mehr privates Kapital angelegt, und die Beispiele Argentiniens (2001/2002) und Rußlands (1998) zeigen, daß der Staatsbankrott genau wie der Zusammenbruch einzelner Aktiengesellschaften oder der Einbruch an der Bçrse eine Eventualitt ist, mit der Anleger zu rechnen haben. Im Jahrzehnt 1992 – 2002 lag nach Angaben der Rating-Agentur Standard & Poors der Anteil der staatlichen Schuldner, die in irgendeiner Weise ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, mit 19 % auf dem gleichen Niveau wie whrend der Schuldenkrise der 1980er und der Großen Depression der 1930er Jahre.3 Hier wie auch in den Staatsbankrotten des 19. und frhen 20. Jahrhunderts ist mit der staatlichen Zahlungsunfhigkeit eine „erhebliche Verschwendung wirtschaftlicher Ressourcen“4 verbunden gewesen. Aus entwicklungspolitischer Sicht wird berdies das Ausfallrisiko bei Anleihen von Staaten der Dritten Welt und Schwellenlndern maßgeblich mitverantwortlich dafr gemacht, daß weniger Kapital in diese Lnder fließt, als nach ihrem Kapitalbedarf und den dort vorhandenen Investitionsmçglichkeiten eigentlich zu erwarten wre.5 Aus diesen Grnden wird bis heute diskutiert, ob – etwa unter der Aufsicht internationaler Organisationen oder durch internationale Vertragswerke – Vorkehrungen fr eine Vermeidung und gegebenenfalls zumindest geordnete Abwicklung einer Zahlungsunfhigkeit von Staaten gegenber auslndischen Glubigern getroffen werden kçnnen oder sollen.6 Die Befrworter solcher Regeln betrachten sie als eine Mçglichkeit, das Risiko von Anlagen in den Staatspapieren von Risiko- und Schwellenlndern zu verringern und diesen Lndern so den Zugang zu mehr und zinsgnstigerem Kapital zu erçffnen. Skeptiker hingegen sehen im wiederholten Staatsbankrott („serial default“) ein Signal dafr, daß die Institutionen eines Landes nicht in der Lage sind, eine hohe Verschuldung zu tragen, und betrachten es als einen durchaus erwnschten Effekt wiederholter Bankrotte, daß Anleger die betreffenden Staaten meiden oder ihr Kapital nicht in Staatspapiere, sondern ber Direkt2 Meili, Staatsbankerott, S. 86. 3 Standard & Poors, S. 95. Da die grçßten Schuldner in der Regel die kapitalkrftigen Staaten der entwickelten Welt sind, ist der Anteil des von Zahlungsausfllen betroffenen Kapitals dagegen wesentlich geringer. 4 Borchard u. Wynne, Bd. 1, S. xxv. 5 Vgl. im berblick Reinhart u. Rogoff; jetzt auch Helleiner und umfassend Schularick. 6 Vgl. die Plne des Internationalen Whrungsfonds zu einem „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ (1998 – 2001) sowie Paulus; Dabrowski u. a.

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oder Portfolioinvestitionen in den privaten Sektor lenken. Die von wirtschaftswissenschaftlicher und juristischer Seite vorgebrachten Vorschlge fr eine allgemeinverbindliche Regelung standen und stehen allerdings immer in Konkurrenz zu politisch motivierten Maßnahmen und den Aktivitten von Interessengruppen. Die Notwendigkeit, Ad-hoc-Lçsungen fr eine Reihe komplizierter Flle mit je eigener Problemlage zu finden, konkurrierte dabei mit Bestrebungen, dauerhafte Regelungen zu entwerfen. Unter dem Staatsbankrott versteht man heute wie vor hundert Jahren den Zustand, in dem ein Staat die seinen Glubigern gegenber bernommenen Zahlungsverpflichtungen nicht erfllt.7 Die Bezeichnung „Bankrott“, die im brgerlichen Recht fr einen Konkurs steht, bei dem der Schuldner den Glubiger durch sorgfaltswidriges oder betrgerisches Verhalten zustzlich schdigt, hat sich im Falle des Staatsbankrotts fr alle Flle der Nichterfllung staatlicher Zahlungsverpflichtungen eingebrgert.8 Dabei ist auch unerheblich, ob der Grund fr das Nichtzahlen im Nichtzahlenwollen oder im Nichtzahlenkçnnen liegt. Beim Staatsbankrott ist diese Unterscheidung bedeutungslos, und der zahlungspflichtige Staat bestimmt – anders als ein der jeweiligen Konkursgesetzgebung unterworfener Privatmann – selbst, wann die Grenze seiner Zahlungsfhigkeit erreicht ist. Dabei geht es dann um die Abwgung zwischen Handlungsfhigkeit des Staates und Belastbarkeit der Steuerzahler einerseits, den politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Vertragsbruchs andererseits. Whrend beim privaten Konkurs Eigentumsrechte durch ein gerichtliches Verfahren neu geordnet werden, hat man es beim Staatsbankrott mit einem politischen Phnomen zu tun; manche Autoren bevorzugen daher auch den von Roscher geprgten Begriff der „Finanzrevolution“.9 Wo eine Zahlungseinstellung auf einer Skala des Verhaltens einzuordnen ist, die von der frivolen und ungerechtfertigten Verletzung vertraglicher Verpflichtungen bis hin zu Notmaßnahmen zur Rettung der staatlichen Existenz reicht, ist hufig nur schwer zu entscheiden, und es existiert bis heute keine Instanz, die eine solche Entscheidung treffen kçnnte. Abgesehen von abweichenden sachlichen Beurteilungen konkreter Flle finden sich in der Literatur darber hinaus unterschiedliche grundstzliche Beurteilungen des Phnomens, die sich teils auf die Interessen von Glubigern und Schuldnern, teils auf bestimmte Auffassungen von der Beziehung von Staat und Einzelnem oder vom moralischen Rang der Schuldverpflichtung zurckfhren lassen. Daß sich in solchen Fragen naturgemß keine Einigung erzielen lßt, verminderte jedoch die praktische wirtschaftliche und politische Bedeutung von 7 Zu den Nuancen der Begriffsbestimmung Isensee; Fischer, Staatsbankrott; Collas; Fischer, Staatsbankrott; Pflug; Kçrner; Meili, Staatsbankerott; Freund, Schutz; Borchard u. Wynne; Freund, Rechtsverhltnisse. 8 Fischer, Staatsbankrott, S. 97. 9 Fischer, Staatsbankrott, S. 100, 113 ff. Zum privaten Konkurs vgl. Sgard, S. 393 ff., zu den politischen Determinanten des Zahlungswillens Tomz, Kap. 2.

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Staatsbankrotten fr die betroffenen Staaten, Anleger und Banken, aber auch fr das Vçlkerrecht, keineswegs, so daß die Frage, wie Staatsbankrotten vorzubeugen oder zumindest ihre geordnete Abwicklung sicherzustellen sei, seit dem 19. Jahrhundert immer wieder diskutiert worden ist. Das entscheidende Problem in allen diesen Diskussionen ist immer gewesen, daß es sich beim Staatsbankrott um das Auseinanderbrechen einer Abmachung zwischen Akteuren von unterschiedlichem Status handelt: einerseits souvernen Staaten und andererseits Privatpersonen. Als politçkonomisches Phnomen hat der Staatsbankrott eine lange Geschichte, die im Grunde weiter zurckreicht als die Geschichte im heutigen Sinne bestimmter Staatlichkeit. Noch absolutistische Herrscher schttelten mit großer Selbstverstndlichkeit regelmßig ihre Schulden ab und betrachteten das Recht zu einem solchen Vorgehen geradezu als Attribut ihrer souvernen Stellung.10 Auch die wesentlichen Formen des Staatsbankrotts sind seit langem bekannt. Manes konstatiert im Rckblick, daß die Bankrottechnik, die Kunst der Schuldabstoßung unter Vergewaltigung der Glubiger, im Lauf der Jahrhunderte sehr wenig Fortschritte gemacht hat. Ein Staat in angeblicher oder tatschlicher Not war, ist und bleibt rcksichtslos brutal und beutet eigene wie fremde Brger fr den vermeintlichen oder wirklichen Staatszweck aus, soweit er es vermag.11

Als Formen des Staatsbankrotts zhlen alle einseitigen Verkrzungen der im Anleihevertrag den Glubigern gemachten Zusagen bezglich der Verzinsung und Rckzahlung des Kapitals, insbesondere die vçllige Zahlungseinstellung und die Herabsetzung von Zins und / oder Kapital. Die Rckzahlung in entwerteter Mnze und die Besteuerung der Coupons werden unter bestimmten Umstnden ebenfalls als Bankrott angesehen.12 Charakter und Auswirkungen staatlicher Zahlungseinstellungen nderten sich grundlegend im Verlaufe des 19. Jahrhunderts. Der Grund hierfr liegt in der Entstehung von Kapitalmrkten, die fr immer mehr Wirtschaftszweige und immer breitere Personenkreise von Bedeutung waren und allmhlich eine globale Reichweite annahmen.13 Auch die Verschuldung der Staaten bei privaten Anlegern nahm zu. Bald wurde diskutiert, ob ein Abtragen der Staats-

10 Vgl. als historischen berblick zum Thema Staatsbankrott v. a. Manes, 1. Aufl.; zur Entwicklung von Staatlichkeit Reinhard. 11 Manes, 1. Aufl., S. 38. 12 So geht die allgemeine Auffassung dahin, daß Inlandsglubiger und solche, deren Anleihepapier nicht die Zahlung in einer bestimmten Mnze oder im Goldwert verbrieft, sich mit gesetzlichen Zahlungsmitteln zufrieden geben mssen, auch wenn diese entwertet sind: vgl. v. a. Nußbaum, Geld. Inlandsglubiger haben sich zudem auch der Besteuerung ihrer Zinsgewinne zu unterwerfen – vgl. unten, S. 99. Zu den Formen des Bankrotts und ihrer Bewertung v. a. Collas, S. 11 – 29. 13 Obstfeld u. Taylor, Capital Markets 19 – 24.

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schuld berhaupt noch praktikabel sei.14 Zugleich war nun nicht mehr der Krieg, sondern die Ausweitung der Staatsaufgaben die Hauptursache steigender Verschuldung: Das Zeitalter „produktiver“ Staatsschuld brach an, als Staaten in Infrastruktur (Eisenbahnen, Straßen, Kanle und Hafenanlagen) investierten.15 Aus der Sicht der privaten Glubiger betrachtet wurden Staatsanleihen fr breite Schichten das bevorzugte Mittel der Kapitalanlage zu Zwecken, die, je nach sozialer Lage, von der Sicherung eines hçchst bescheidenen Lebensstandards im Alter bis zum Aufbau eines Vermçgens reichen konnten. Die Anleihen stabiler Staatswesen – in Westeuropa primr die des eigenen Staates – konnten im 19. Jahrhundert als sichere Anlagen gelten. Die Staatsfinanzen waren nun von den persçnlichen Finanzen des Herrschers getrennt, unterlagen parlamentarischer Kontrolle, befanden sich durch die sparsame Haushaltspolitik der „Nachtwchterstaaten“ zumeist in relativer Ordnung und profitierten schließlich auch vom Wachstum von Wirtschaft und Handel, sprich: von einer sich verbreiternden Steuer- und Zollbasis. Mit den Wertpapierbçrsen und Großbanken standen effiziente Vermittler zur Verfgung, ber die Staatspapiere jederzeit erworben und wieder abgestoßen werden konnten.16 Schließlich waren alternative Anlagemçglichkeiten noch selten. Insbesondere Unternehmensaktien hatten sich – in Deutschland vor allem in der „Grnderkrise“ ab 1873 – als spekulative und oftmals gar bewußt mit dem Ziel einer bervorteilung des Publikums geschaffene Werte entpuppt. Somit wurde die Verschuldung des Staates gegenber einem breiten Anlegerpublikum, das auch die untere Mittelschicht einschloß, nun zur Regel. Allerdings erlaubte es die große Nachfrage nach sicheren festverzinslichen Anlagen den besten Schuldnern wie Preußen / Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Anleihen zu niedrigen Zinsstzen auf den Markt zu bringen und ltere Anleihen in niedriger verzinsliche zu konvertieren,17 was gerade kleinere Anleger dazu bewog, die Anlage in gnstiger verzinsten Papieren fremder Staaten in Betracht zu ziehen: „Viele Menschen wollen lieber besser essen, als ruhiger schlafen, d. h. sie suchen hçhere Zinsen zu erhalten, auch wenn sie dabei ein grçßeres Wagniß eingehen.“18 Hinzu kam speziell im Falle Deutschlands, daß sich wegen des gegenber Großbritannien und Frankreich 14 Fr einen berblick ber wissenschaftliche Stellungnahmen zu Staatsverschuldung und Staatsbankrott Manes, 1. Aufl., S. 101 – 171. Als Alternative zur Rckzahlung wurde allerdings in der Regel die Umwandlung der Anleihepapiere in nicht rckzahlbare ewige Renten nach dem Vorbild der englischen „Consols“ angesehen, nicht die Streichung der Schulden oder ihre Beseitigung durch Geldentwertung. Vgl. auch Kçrner. 15 Zu derartigen Projekten vgl. van Laak. 16 Freund, Rechtsverhltnisse, S. 20. 17 Großbritannien konvertierte 1888 die 3 %igen „Consols“ (consolidated three percent annuities) in 2,75 %ige, mit einer automatischen weiteren Reduktion auf 2,5 % im Jahre 1903, und das Deutsche Reich und Preußen tauschten 1896/97 ihre 4 %igen Schuldverschreibungen in 3,5 %ige um (Freund, Rechtsverhltnisse, S. 227 – 232; Kimmich). 18 Dehn, Moderne Staatsbankrotte.

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generell hçheren Zinsniveaus vor allem die unsolideren Schuldner an den deutschen Kapitalmarkt wandten, deren Bonitt nicht ausreichte, um in Frankreich und Großbritannien Geld zu leihen, wo gnstigere Konditionen herrschten.19 Gegen Ende des 19. Jahrhundert war ein großer Teil der Schuldverhltnisse zwischen Staaten und Privatleuten grenzberschreitender Natur. Aus den Staaten Nordwesteuropas floß privates Anlagekapital in bedeutendem Umfang an die Peripherie Europas, nach Nord- und Sdamerika, Indien und Sdafrika. Die Kapitalexporte Großbritanniens etwa machten in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg jedes Jahr 4 – 5% des Volkseinkommens aus.20 Umgekehrt bestand ein erheblicher Teil der Verschuldung der Staaten außerhalb Europas gegenber im Ausland ansssigen Privatpersonen. Ein Staatswesen, das im Inland aus Kapitalmangel oder wegen des Mißtrauens der Brger seinen Bedarf nicht decken konnte, mußte sich an auslndische Privatglubiger wenden, da es keine internationalen çffentlichen Finanzinstitutionen gab und auch die großen Banken Anleihen nur auf dem Markt plazieren, selbst aber keine Kredite in dem gewnschten Umfange vergeben konnten.21 Bei den Zahlen fr den privaten Kapitalexport handelt es sich zumeist um vage Schtzungen, die berdies durch politisch-ideologische Annahmen und Interessen beeinflußt sind.22 Diese deuten fr das Deutsche Reich auf ein Auslandsvermçgen von etwa 10 Mrd. Mark Mitte der 1890er Jahre, 16 Mrd. um 1904 und an die 20 Mrd. 1914.23 Im Ersten Weltkrieg wurden diese Werte teils liquidiert, teils vom Reich beschlagnahmt und fr die Kriegsfinanzierung verwendet. Art. 297 des Versailler Vertrages bertrug die noch vorhandenen deutschen Auslandsforderungen an die Siegermchte und verpflichtete die Reichsregierung, die deutschen Eigentmer zu entschdigen. 1923 waren nur noch uneinbringbare Forderungen an osteuropische Schuldner in deutscher Hand. In den 1920er Jahren war das Deutsche Reich ein Schuldnerstaat, der unter Kapitalmangel und hohen Zinsen zu leiden hatte. Seit dem 19. Jahrhundert lassen sich mehrere Wellen von Staatsbankrotten unterscheiden. Die erste in den 1820er und 1830er Jahren war eine Folge der Unabhngigkeit lateinamerikanischer Staaten und Griechenlands, die zur Finanzierung der Unabhngigkeitskmpfe und des Aufbaus staatlicher Ein19 Schaefer, S. 562; Schularick. Zeitgençssische Zahlenangaben ber Emissionen und Kapitalexport auch bei Riesser, S. 296 – 301, 323 ff. 20 Kenwood u. Lougheed, S. 28; ausfhrlicher v. a. Edelstein. 21 Internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Whrungsfonds, die Weltbank und die zahlreichen regionalen Entwicklungsbanken existierten damals nicht. Die erste çffentliche Entwicklungsbank ist die 1930 gegrndete Bank fr Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): Schwarzenberger, Banken. 22 Zur Interpretation der vorliegenden Zahlen v. a. Barth, Kapitalexport; zum Kapitalexport aus Deutschland zeitgençssisch Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage; aus der neueren Forschung mit Hinweisen auf weitere Literatur Schaefer ; Barth, Hochfinanz; Barth, Auslandsengagements; Obstfeld u. Taylor, Capital Markets; Schularick. 23 Schaefer, S. 100 – 106.

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richtungen Anleihen zu teils wucherischen Bedingungen aufgenommen hatten, zu deren Bedienung sie von vornherein kaum in der Lage waren. In den 1870er Jahren erfaßte eine zweite Welle der Staatsbankrotte erneut Lateinamerika sowie gypten und das Osmanische Reich, bevor dann Anfang der 1890er Jahre Argentinien, Portugal, Griechenland und Serbien die Zahlungen einstellten. Da das Deutsche Reich auf dem Gebiet des Kapitalexports relativ spt zu einem bedeutenden Akteur wurde, ließen die ersten Bankrottwellen deutsche Investoren im wesentlichen unberhrt. Auch im Fall des osmanischen und gyptischen Bankrotts der 1870er Jahre war das Deutsche Reich nicht in erster Linie betroffen und nicht federfhrend an der Lçsung beteiligt (allerdings bernahm Deutschland 1885 aus politischen Grnden einen Teil der Garantie der gyptischen Staatsschuld).24 Mit einer portugiesischen Anleihe begann dann 1885 das rasch wachsende Geschft mit „exotischen“ Papieren in Deutschland, und bis 1893 wurden solche Papiere im Wert von ca. 1,3 Mrd. Mark ausgegeben.25 Die Welle von Staatsbankrotten und anderen Zahlungseinstellungen auslndischer Schuldner Anfang der 1890er Jahre erfaßte daher auch deutsche Anleger. Nach der Schtzung Schmollers waren gut 10 % der deutschen Auslandsanlagen betroffen.26 Durch den Ersten Weltkrieg gerieten dann die bisherigen Kapitalexporteure selbst in Zahlungsschwierigkeiten. Das Deutsche Reich wurde Reparationsschuldner der Siegermchte, konnte aber unter dem Dawes- und dem Young-Plan privates (vor allem amerikanisches) Kapital aufnehmen, um seine Reparationsschuld zu bedienen und seine Wirtschaft wiederaufzubauen. In der „Großen Depression“ ab 1931 stellte Deutschland, wie viele andere Staaten auch, erneut die Zahlungen ein – diesmal durch den Mechanismus der Devisenkontrolle selektiv und staatlich gesteuert. Regeln fr den Umgang mit Staatsbankrotten gab es im 19. Jahrhundert nicht. Der schweizerische Jurist Friedrich Meili erblickte darin geradezu eine Bankrotterklrung seiner Disziplin, zhlte er das Problem doch noch 1895 zu den „fast gnzlich unbezahlt gebliebenen Schulden der Rechtswissenschaft“.27 Geschdigte Anleger konnten versuchen, in Verhandlungen mit dem Schuldner einen Vergleich zu erreichen, oder sich um diplomatische oder gar militrische Intervention ihrer jeweiligen Regierung bemhen. Verhandlungen boten in der Regel nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie von Druckmitteln begleitet waren, die auch dem Schuldner ein gewisses Interesse an einem einvernehmlichen Arrangement gaben. Insbesondere die Regelung der Londoner Bçrsenordnung, nach der Anleihen von Staaten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkamen und sich nicht mit ihren Glubigern einver24 25 26 27

Kaufmann; Krçger. Dehn, Neubildungen, S. 39 f. Vgl. Schmollers Einleitung in Bçrsen-EnquÞte-Kommission, Anlagen sowie Schaefer, S. 100 ff. Meili, Staatsbankerott, unpaginiertes Vorwort. Fr eine modernere Zusammenfassung des Rechts internationaler Anleihen vgl. Horn.

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nehmlich verstndigt hatten, nicht zum Bçrsenhandel zugelassen werden konnten, war ein solches Druckmittel. Ein weiteres bestand im Zusammenschluß von Anlegern zu Interessenvertretungen. In Großbritannien gab es mit dem Council of Foreign Bondholders (gegr. 1873) eine wirksame stndige Interessenvertretung der Auslandsglubiger ; in anderen Staaten fanden sich geschdigte Anleger ad hoc zu weitaus weniger effektiven Gruppierungen der Glubiger einzelner bankrotter Staaten zusammen. Diese standen dann oft in enger Verbindung mit den Emissionsbanken, welche die auswrtigen Anleihen an das Publikum vermittelt hatten. Die Banken erkannten so zwar eine gewisse Verantwortung fr die von ihnen vertriebenen Papiere an, ihre Interessen waren aber auch davon bestimmt, daß sie weitere Geschfte mit den Schuldnern machen wollten und selbst keine nennenswerten Bestnde der notleidenden Papiere mehr besaßen.28 Was schließlich die politische Intervention angeht, hatte insbesondere in Großbritannien die Regierung wiederholt und çffentlich klargestellt, daß sie sich zum Eingreifen zugunsten geschdigter Auslandsglubiger nicht verpflichtet sah. Eine solche Intervention, schrieb Außenminister Lord Palmerston 1848 in einem in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten Zirkular, wrde allerhçchstens dann in Betracht gezogen, wenn es den allgemeinen politischen Interessen Großbritanniens entspreche, ansonsten aber mßten die Auslandsanleger, die freiwillig auf der Suche nach hçheren Renditen ihr Kapital ins Ausland brachten, das damit einhergehende hçhere Risiko selbst tragen.29 Auch ein Parlamentsausschuß, der nach der zweiten Welle lateinamerikanischer Bankrotte in den 1870er Jahren eingesetzt worden war, empfahl lediglich eine bessere Information und Aufklrung des Publikums ber die Risiken bestimmter Anlageformen.30

28 Dieser Absatz sttzt sich v. a. auf Borchard u. Wynne, Bd. 1, sowie auf das unten in Abschnitt I.3b ausgewertete zeitgençssische Schrifttum. 29 Vgl. hierzu immer noch Platt. Palmerstones Zirkular: „It is therefore simply a question of discretion with the British Government whether this matter should or should not be taken up by diplomatic negotiation, and the decision of that question of discretion turns entirely on British and domestic considerations. … The British Government has considered that the losses of imprudent men who have placed mistaken confidence in the good faith of foreign governments would prove a salutary warning to others, and would prevent any foreign loans being raised in Great Britain, except by governments of known good faith and ascertained solvency.“ Hier zit. n. Borchard u. Wynne, S. 234. 30 Borchard u. Wynne, Bd. 1, S. 239.

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2.) Griechenland und Venezuela: Diplomatische und militrische Intervention des Deutschen Reiches gegen sumige Zahler In den 1890er Jahren wurden Staatsbankrotte auch fr das Deutsche Reich, deutsche Banken und Anleger zu einem akuten Problem. Die Zahlungseinstellungen Argentiniens (1890), Portugals (1892) und Griechenlands (1893) schdigten erstmals deutsche Anleger in grçßerem Umfang.1 Zur Analyse der Verzahnung wirtschaftlicher und politischer Erwgungen, privater und çffentlicher Einflußnahme sollen hier die beiden Flle des griechischen Bankrotts 1893 – 98 und der langanhaltenden venezolanischen Zahlungsunfhigkeit herangezogen werden, bei deren Auflçsung das Deutsche Reich jeweils eine entscheidende Rolle bernahm. Bei zwei anderen Bankrotten derselben Periode, dem argentinischen und dem portugiesischen, wurden unter der Federfhrung Großbritanniens bzw. Frankreichs Vergleiche erreicht, von denen auch die deutschen Anleger profitierten. In den beiden hier untersuchten Fllen jedoch sah sich das Deutsche Reich durch den lebhaften Protest deutscher Glubiger, den großen Anteil der Schuld der betreffenden Staaten, der in Deutschland gehalten wurde, und die politischen Umstnde in eine fhrende Rolle gedrngt. Wie sich zeigen sollte, war diese nur schwer auszufllen und fhrte das ganze Ausmaß der mit der Abwicklung von Staatsbankrotten verbundenen Probleme vor Augen.

(a) Griechenland Die Staatsfinanzen Griechenlands Griechenland war schon bei der Staatsgrndung 1830 hoch verschuldet, denn der Freiheitskampf war mit in London aufgenommenen Anleihen finanziert worden. Zum Aufbau einer staatlichen Ordnung erhielt das Land dann 1832 eine von den Mchten garantierte Anleihe ber 60 Mio. Frs. Schon bald geriet Griechenland in Zahlungsschwierigkeiten, und in den 1840er und 1850er Jahren drohte mehrfach die Einrichtung einer internationalen Zwangsverwaltung der griechischen Finanzen. Angesichts der geringen Staatseinnahmen ließen sich die Mchte allerdings mehrfach zu einer Reduzierung der Schuldenlast Griechenlands bewegen, so daß das Land in den 1870er Jahren nur noch die moderate Summe von 3 Mio. Drachmen, etwa 1/15 des Staatshaushaltes, fr Zins und Tilgung aufwenden mußte.2 1 Zahlen bei Schaefer. 2 Zur Frhgeschichte der griechischen Staatsfinanzen vgl. Levandis, Kap. 1 – 2. Die griechische Drachme war im Verhltnis 1:1 an den franzçsischen Goldfranc gebunden. 60 Millionen Francs entsprachen 2,4 Millionen Pfund Sterling.

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1879 wandte sich Griechenland zum ersten Mal seit 1832 wieder an die europischen Kapitalmrkte. In den Jahren 1879 – 91 nahm es im Ausland Anleihen im Wert von insgesamt 630 Mio. Frs auf, wovon nach Abzug von Abschlgen und Unkosten ein Nettobetrag von 459 Mio. brig blieb. Die meisten dieser Anleihen waren durch die Verpfndung bestimmter Staatseinnahmen, etwa der Tabaksteuer und der Einnahmen der Staatsdomnen, gesichert. Besondere Sicherheiten existierten fr die Anleihe zum Bau der Eisenbahn Pirus-Larissa in Gestalt einer Hypothek auf die Bahnlinie (die allerdings wegen der Verwendung der Anleihemittel fr allgemeine Staatsausgaben nie gebaut wurde) und fr die „Monopol-Anleihe“ von 1887, zu deren Sicherung eine Reihe von Steuern und Abgaben der Verwaltung einer von den Glubigern kontrollierten Gesellschaft griechischen Rechts unterstellt worden waren. Die Monopolgesellschaft verwaltete die Einnahmen aus den Monopolen auf Salz, Petroleum, Spielkarten, Zndhçlzer, Zigarettenpapier und Naxos-Schmirgel. Den auswrtigen Glubigern kamen somit die Einnahmen aus dem Verkauf der wesentlichen Artikel des tglichen Bedarfs der einfachen Bevçlkerung sowie der einzigen bedeutsamen Bodenschtze des Landes zugute.3 Die Neuverschuldung erhçhte die Zins- und Tilgungslast bald auf ein Drittel des gesamten Staatshaushalts, und Griechenland zahlte in jenen Jahren 470 Mio. Frs an seine Glubiger, ohne dadurch seine Schulden auch nur im geringsten zu vermindern – weniger ein Beleg kapitalistischer Ausbeutung als die natrliche Konsequenz der Tatsache, daß alte Schulden mit neuen „abgetragen“ wurden. Da Anleihen auf dem europischen Kapitalmarkt nur in Goldwhrung zu bekommen waren, blieb Griechenland auch der Ausweg der Inflation verschlossen; im Gegenteil, je mehr die Regierung sich durch die Ausgabe von Papiergeld wenigstens in ihren im Binnenland zu ttigenden Ausgaben zu entlasten suchte, desto tiefer sank der Außenwert der griechischen Drachme und damit der Goldwert der Einnahmen, welche die Regierung aus Steuern und Abgaben erzielte. Da die griechische Landwirtschaft wenig produktiv war und eine nennenswerte Industrie nicht existierte, fielen die Steuereinnahmen ohnehin niedrig aus.4 Zugleich sah sich die griechische Regierung durch ihr Ziel einer territorialen Ausbreitung in Gebiete, die von Griechen bewohnt waren, sowie durch die unsichere internationale Lage in der Region zum Aufbau einer starken Armee und Flotte veranlaßt. Die stetig anwachsenden Militrausgaben schlugen sich in immer grçßeren Haushaltsdefiziten nieder, die teils nur durch die Ausgabe von Papiergeld gedeckt werden konnten. An Finanzmittel in harter Goldwhrung konnte die Staatsfhrung angesichts einer negativen 3 Levandis, S. 62 – 75; Borchard u. Wynne, S. 297 – 306; Aufz. AA, 20. 12. 1893, AA-PA R 7365. 4 Levandis, S. 62 – 75. Einen zeitgençssischen berblick ber die Staatsfinanzen Griechenlands bietet der Bericht des britischen Sachverstndigen: Law. Zur Situation peripherer Staaten unter dem Goldstandard Eichengreen, Fetters, S. 58 ff.

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Handels- und Zahlungsbilanz, der stagnierenden Wirtschaftsentwicklung und einer zu vernachlssigenden Industrieproduktion nur ber auslndische Anleihen herankommen. Eben diese Faktoren machten es jedoch von vornherein aussichtslos, die aufgenommenen Anleihen zurckzuzahlen, es sei denn, die Anleihemittel wrden in die Entwicklung einer exportfhigen Industrie und Landwirtschaft gesteckt, um auf diese Weise Griechenland Einnahmen in Gold zu verschaffen. Sie wurden jedoch nicht fr diesen Zweck aufgenommen, sondern um außenpolitische Ambitionen, den Erhalt eines fr die stdtischen Mittel- und Oberschichten wichtigen Staatsapparates und die Importe der von diesen Schichten sowie dem Militr konsumierten Industriegter und Waffen zu finanzieren. Kurz, die Politik der griechischen Staatsfhrung lief darauf hinaus, zugunsten nationalistischer Ziele und der Anliegen ihrer Klientel kurzfristig große Summen geliehenen Geldes auszugeben und die Problematik der Rckzahlung anderen zu berlassen – den einheimischen Steuerzahlern, den zuknftigen Regierungen oder den auslndischen Glubigern. Eine solche Politik wurde erleichtert durch die Lage an den europischen Kapitalmrkten. Nach der Grnderkrise und dem Zusammenbruch zahlreicher neu gegrndeter Aktiengesellschaften wuchs die Nachfrage nach Staatsanleihen als einer vermeintlich sichereren Anlageform. Zugleich reduzierten die wichtigeren europischen Staaten angesichts des hohen Kapitalangebots ihre Zinsstze. Dementsprechend wandten sich viele Anleger sogenannten „exotischen“ Werten zu, die eine hçhere Rendite versprachen. Fr eine Reihe von Kleinanlegern bedeutete der Unterschied zwischen einer vierund einer dreiprozentigen Verzinsung offenbar eine erhebliche Einschrnkung ihres ohnehin bescheidenen Lebensstandards.5 Ende der 1880er Jahre wurden daher griechische Anleihen auch in Deutschland auf den Markt gebracht, zum Teil auch solche Papiere, die in London und Paris nicht mehr abzusetzen waren.6 Eine besondere Attraktivitt bekamen diese Werte offenbar durch die Verheiratung einer Schwester des damaligen Kronprinzen und spteren Kaisers Wilhelm, Sophie, mit dem griechischen Kronprinzen im Jahre 1889. Diese lçste eine vom Bankhaus Bleichrçder geschrte Griechenlandeuphorie unter deutschen Anlegern aus, welche die Investition in griechische Staatspapiere teils als patriotische Tat verstanden, teils in der Prinzenhochzeit eine Art indirekter politischer Garantie des deutschen Reiches fr die Soliditt Griechenlands erblickten – zumindest wurde dies nach dem Eintritt des Bankrotts oftmals so dargestellt.7 Dabei brachte Bleichrçder neben im Ausland aufgekauften durch Pfnder gesicherten Werten auch die mit 5 Diesen Eindruck vermitteln zumindest eine Reihe der Eingaben, die Privatleute, insbesondere Witwen und kleine Beamte, nach dem griechischen Staatsbankrott 1893 an das Auswrtige Amt richteten (vgl. AA-PA Bde. R 7364-R 7387). 6 Schaefer, S. 322. Hier auch eine Zusammenstellung aller von deutschen Banken in Deutschland eingefhrten griechischen Werte. 7 Vgl. wiederum die Eingaben von Privatleuten an das Auswrtige Amt.

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keiner zustzlichen Sicherheit ausgestatteten Papiere einer 1889 aufgelegten Anleihe auf den deutschen Markt.

Der Bankrott Anfang der 1890er Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche und finanzielle Lage Griechenlands weiter. Frankreich verhngte Schutzzçlle gegen den Import von Korinthen, Griechenlands wichtigsten Ausfuhrartikel. Durch das Ausbleiben von Goldzuflssen und die Ausgabe von Papiergeld sank der Kurs der Drachme auf 40 % ihres nominellen (Gold-)Wertes, so daß die weiterhin in Gold zu entrichtenden Zins- und Tilgungslasten 1893 schon 50 % der Staatsausgaben ausmachten. Mehrfach ging Griechenland die bereits im Lande engagierten Banken um weitere Anleihen und Vorschsse an, diese verlangten zuvor jedoch genaueren Aufschluß ber die Finanzlage des Landes. Daher wurden 1892 ein britischer und ein franzçsischer Experte mit der Prfung der griechischen Finanzen beauftragt. Die deutsche Finanzpresse begann schon ab 1890, ber die Schwierigkeiten der griechischen Staatsfinanzen zu berichten, und viele Anleger trennten sich von ihren griechischen Papieren. Die Kurse befanden sich seitdem im freien Fall.8 So werden wohl vor allem die weniger versierten Anleger noch im Besitz griechischer Werte gewesen sein, als diese notleidend wurden. Demgegenber berichteten die deutschen diplomatischen Vertreter in Athen mit erstaunlichem Gleichmut ber die griechische Finanzlage. Zwar war der Gesandtschaft schon Mitte der 1880er Jahre klar, „daß der Staatsbankrott durchaus nicht als außerhalb des Bereichs der Mçglichkeit liegend erachtet werden muß.“ Nach Abzug von Schuldendienst und Militrausgaben bleibe im Haushalt so wenig brig, daß eine „geordnete Verwaltung des Landes … berhaupt nicht mehr denkbar“ erscheine. Die Bemhungen der Regierung Charilaos Trikupis, mit Hilfe neuer Anleihen die alten zu bedienen und sich so das Vertrauen der Finanzmrkte zu erhalten, sah man als wenig aussichtsreich an.9 Aus den berichteten Fakten entsteht zwar das Bild einer vollkommen aussichtlosen Finanzlage, doch die immer neuen Notmaßnahmen, mit denen die Regierung sich von Quartal zu Quartal Geld zu beschaffen suchte, wurden in fast teilnahmsloser Weise geschildert, ohne die sonst blichen Begriffe moralischer Abwertung zu bemhen.10 Erst als der Generalkonsul whrend der Abwesenheit des ansonsten von Angelegenheiten der hohen Politik absorbierten Gesandten die Berichterstattung bernahm, war das vernichtende Urteil zu lesen: 8 Schaefer, S. 324 u. Abb. 24. 9 Brincken an Bismarck, 12. 6. 1885; Graf Leyden an Bismarck, 31. 10. 1886, AA-PA R 7361. 10 Vgl. die Berichterstattung in AA-PA R 7361-R 7363.

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Die Hauptfrage wird aber immer sein, ob es berhaupt mçglich sein wird, hier zu Lande in das Chaos der ganzen Verwaltung, von der die der Finanzen doch nur ein Theil ist, einige Ordnung zu bringen. Die Schden liegen eben sehr tief und sind weit ausgedehnt; es fehlt eben den leitenden … Persçnlichkeiten … an Kopf und Herz, da mit fester Hand einzugreifen, wo zielbewußter Fleiß und Ordnungsliebe, getragen von Pflicht- und Rechtsgefhl, vor allem Noth thun.11

Erst jetzt, als Griechenland einen Teil seiner Schulden nur noch mit Anteilsscheinen einer neuen Anleihe statt in bar bediente, zog das Auswrtige Amt auch Reichsbank und Reichsschatzamt hinzu, und man begann, sich einen berblick ber die betroffenen deutschen Interessen und etwaige Handlungsmçglichkeiten zu verschaffen. Dabei konnte zwar ermittelt werden, wie viele griechische Werte insgesamt in Deutschland eingefhrt worden waren (insgesamt ergab sich ein Gegenwert von 484 Mio. Mark), den aktuellen Bestand konnte man jedoch nicht feststellen und wollte es „wegen des damit verbundenen Aufsehens“ auch nicht.12 Gleichzeitig trat das Bankhaus Bleichrçder an das Auswrtige Amt heran und fragte an, wie sich die Regierung zu einer Beteiligung Bleichrçders an einer neuen, deutsch-franzçsisch-britischen Anleihe stellen wrde. Diese sei zur Bezahlung des April-Coupons der (ebenfalls von Bleichrçder auf den deutschen Markt gebrachten) lteren Anleihen unabdingbar. Das Auswrtige Amt zeigte sich jedoch zurckhaltend. Kiderlen-Wchter betonte, daß die Regierung an der Einfhrung der frheren griechischen Anleihen nicht beteiligt gewesen sei; alle Verantwortung fr Verluste „msse daher den einfhrenden Bankhusern berlassen bleiben“. Fr den Fall, daß in der geplanten neuen Anleihe eine Aufsicht der Glubiger ber als Sicherheit verpfndete griechische Staatseinnahmen vereinbart werde, sagte Kiderlen allerdings zu, die Entsendung eines offiziellen deutschen Delegierten in eine Kontrollkommission „wohlwollend prfen“ zu wollen.13 Einem solchen Vorgehen stellte sich aber das Reichsschatzamt entgegen, das auf einer grçßeren Distanz zu den Banken bestand: Beteilige sich die Regierung an der Auswahl eines Glubigervertreters, wrde dies „den Anschein erwecken, als ob die Kaiserliche Regierung eine – wenn auch nur moralische – Garantie fr die Bonitt der zu emittierenden Anleihe bernhme“. Das wrde sicherlich von den Banken „nach Krften fruktifiziert werden“ und den Absatz weiterer griechischer Werte in Deutschland fçrdern – ein fr das Schatzamt unerwnschtes Ergebnis, wrde es doch den absehbaren Staatsbankrott lediglich ein wenig hinauszçgern und die Zahl der dabei geschdigten Deutschen vergrçßern. Auch frchtete man, daß die Konkurrenz „derartiger unsolider, aber hoch verzinslicher Papiere“ dem Absatz deutscher Staatsanleihen schaden wrde. Schatzamt und Reichsbank sprachen sich 11 Lders an Caprivi, 7. 2. 1893, AA-PA R 7363. 12 RSA an AA, 7. 3. 1893, RB an RSA, 27. 2. 1892, AA-PA R 7363. 13 Aufz. Kiderlen, 9. 3. 1893, AA-PA R 7363.

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daher dafr aus, der Unterbringung griechischer Papiere in Deutschland so weit wie mçglich „entgegenzuwirken“. Seitens des Schatzamtes legte man dem Fall eine „große grundstzliche Bedeutung“ bei und verlangte, von nun an bei allen die Plazierung fremder Anleihen in Deutschland betreffenden Fragen hinzugezogen zu werden.14 Politische deutsche Interessen sah man im Auswrtigen Amt nicht berhrt. Daher konnte man es sich leisten, die Rolle Bleichrçders sehr kritisch zu beurteilen: Dieses Haus habe eine Anleihe ohne jegliche besondere Sicherheit „dem deutschen Publikum unter Ausnutzung des Hochzeitstaumels angeschmiert.“ Jetzt versuche sich die Bank durch Verweis auf offizielle Weisungen abzusichern: Schwabach, der Vertreter Bleichrçders, „will unseren Consens zur neuen Anleihe, um sagen zu kçnnen, er htte ein patriotisches Opfer gebracht etc. Als ich eine Billigung verweigerte, wollte er unser Veto, um sagen zu kçnnen, wir htten die Anleihe verhindert“. Kiderlen paßte dieses Vorgehen ganz und gar nicht. Schließlich htten die Banken die vorbergehende pro-griechische „Stimmung beim Publikum ausgebeutet“, obwohl sie wußten, daß „die Prinzeß den griechischen Staatsfinanzen nicht aufhelfen wrde“. Die Banken allein trgen die Verantwortung, und es sei „eine Unverschmtheit, das auf die Regierung abwlzen zu wollen, die man sich wohl gehtet hat, bei Begebung der ersten Anleihe zu befragen.“ Ein Urteil darber, „ob ihre von ihnen hineingelegten Clienten mit oder ohne neue Anleihe besser fahren“, mßten sich denn auch die Banken selbst bilden. Schwabach und andere Vertreter des Hauses Bleichrçder bedrngten Kiderlen jedoch weiter, irgendeine Erklrung zu der geplanten Anleihe abzugeben, ansonsten trge die Regierung die Verantwortung fr das Scheitern einer Operation, die ohne offizielles Wohlwollen nicht gelingen kçnne. Vertreter Bleichrçders streuten im Laufe der komplizierten Anleiheverhandlungen in London und in Athen Gerchte ber die Haltung der deutschen Regierung aus. Kiderlen drohte Schwabach daher an, nçtigenfalls „die Verantwortlichkeiten çffentlich richtig zu stellen“, was die Absatzchancen fr von Bleichrçder angebotene griechische Papiere zerstçrt htte.15 Letztlich scheiterten die Anleiheverhandlungen aber daran, daß sich Griechenland und die Banken ber die Kontrolle der als Sicherheiten zu verpfndenden Staatseinnahmen nicht einigen konnten. Whrenddessen schickte die Nationalbank fr Deutschland, die ebenfalls in grçßerem Ausmaß griechische Anleihepapiere an deutsche Kunden verkauft hatte, einen Vertreter nach Athen und bat um offizielle Untersttzung seiner Demarchen. Diese gewhrte das Auswrtige Amt „in formeller Beziehung“, wies den Gesandten in Athen aber zugleich an, den Anschein, „wir nhmen uns der Sache der deutschen Glubiger amtlich an“, zu vermeiden.

14 RSA an AA, 25. 3. 1893, AA-PA R 7363. 15 Randbemerkungen Kiderlens zu Wesdehlen an Caprivi, 10. 4. 1893; Caprivi an Wesdehlen, 28. 4. 1893, PA-AA R 7363.

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Erste Bitten von Privatleuten an das Auswrtige Amt um Vorstellungen bei der griechischen Regierung blieben unbeantwortet.16 Griechenland gelang es im Juli 1893 ein letztes Mal, bei der britischen Bank Hambro Geld fr die anstehende Zinszahlung zu finden, indem die Regierung versprach, bestimmte Ausfuhrzçlle in Gold zu erheben und zur Sicherung der Anleihe den Bankiers zu berschreiben. Die Zinsen fr die meisten griechischen Anleihen wurden nun nicht in bar, sondern in Bonds dieser neuen Anleihe entrichtet. Lediglich die Monopolanleihe wurde noch aus den Einnahmen der Monopolgesellschaft in bar bedient. Doch im November ließ der an die Regierung zurckgekehrte Trikupis die Zollerhebung in Gold wieder einstellen, und im Dezember setzte er die Zinsen auf 30 % der vereinbarten Zahlungen herab und stellte die Tilgung ganz ein. Zugleich wurden alle fr die Bedienung der Anleihen verpfndeten, von der Monopolgesellschaft verwalteten Einnahmen zugunsten der Staatskasse eingezogen. Damit war die Zahlungsunfhigkeit Griechenlands offenkundig.

Die Reaktionen in Deutschland Schon im Sommer 1893 hatten sich deutsche Glubiger Griechenlands zu einer Interessenvertretung zusammengeschlossen, der Freien Vereinigung der Inhaber griechischer Werthpapiere. Sie verlangten, das Deutsche Reich mçge dahin wirken, daß „eine Finanzkommission eingesetzt werde, deren Aufgabe es ist, die griechischen Finanzen derartig zu ordnen und zu berwachen, daß die Glubiger Griechenlands sicher und dauernd befriedigt werden.“17 Es ging also um eine auslndische Zwangsverwaltung der griechischen Staatsfinanzen nach dem Vorbild der Verwaltung der gyptischen oder osmanischen Staatsschuld. Das Auswrtige Amt lehnte die Idee einer Finanzkontrolle zu diesem Zeitpunkt noch ab, denn zum einen lasse die çffentliche Meinung in Griechenland eine solche Maßnahme nicht zu, zum anderen wrde sie den „unausbleiblichen“ Bankrott auch nicht mehr verhindern kçnnen.18 Vor allem aber frchtete man das, was in der Wirtschaftswissenschaft heutzutage „moral hazard“ genannt wird: Diplomatisches Einschreiten und die Aufrichtung einer Finanzkontrolle wrden die Anleger dazu verleiten, im Vertrauen auf Rettung durch den Staat riskante Anlagen zu ttigen; so wrden dann „Pr-

16 Nationalbank fr Deutschland an AA, 8. 6. 1893, Caprivi an Wesdehlen, 13. 6. 1893, PAAA R 7364. 17 Ausschuß der Freien Vereinigung der Inhaber griechischer Werthpapiere an AA, 19. 10. 1893, AA-PA R 7365. 18 Aufz. AA, 16. 8. 1893, AA-PA R 7365.

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cedenzflle geschaffen, die immer u. immer wieder ein Eingreifen des Ausw. Amtes erfordern wrden.“19 Dennoch machte man sich im Auswrtigen Amt Gedanken ber diplomatische Schritte in Athen. Wie der britische und der franzçsische Gesandte in Athen protestierte auch der deutsche bei der griechischen Regierung gegen die Einziehung der den Glubigern verpfndeten Staatseinnahmen. Zugleich versuchte man, die Franzosen zu weitergehenden gemeinsamen Schritten zu veranlassen wie etwa gemeinschaftlichen Protesten, der Abberufung der Gesandten und Sanktionen. Dabei ging man von folgenden berlegungen aus: Auch wenn Griechenland seine Glubiger aus den verfgbaren Staatseinnahmen nicht befriedigen konnte und daher seine Zahlungen einstellen mußte, war es keineswegs berechtigt, die den Glubigern verpfndeten Einnahmen anzutasten oder gar die Einnahmen der Monopolgesellschaft einzuziehen. Das bedeute – anders als die bloße Zahlungseinstellung – einen offenen „Rechtsbruch“. „Wrde es sich um einen Privatmann handeln, so wrde wohl die Bezeichnung ,betrgerischer Bankrott‘ nicht zu stark sein fr ein derartiges Vorgehen.“ Dementsprechend solle das Auswrtige Amt im weiteren Verlauf Griechenland gegenber die Forderung vertreten, „daß die laufenden Einnahmen aus den Pfandobjekten gesondert deponirt und fr die Glubiger aus den bevorzugten [d.h., durch Pfnder gesicherten] Anleihen reservirt wrden.“20 Die Aussichten, Großbritannien und Frankreich fr gemeinsame Sanktionen zu gewinnen, schtzte man allerdings gering ein.21 Die Vertretung der deutschen Glubiger nahm derweil, der Empfehlung Kiderlens folgend, Kontakt mit dem britischen Council of Foreign Bondholders und mit franzçsischen Glubigern auf, um ein gemeinsames Vorgehen zu organisieren. Neben der „Freien Vereinigung“ entstand bald eine weitere, von den Emissionsbanken (Bleichrçder, Erlanger, Nationalbank fr Deutschland) finanzierte Organisation, das Deutsche Schutzcomit von Besitzern griechischer Staatspapiere, die ebenfalls offizielle Stellen um Untersttzung ersuchte. Die Freie Vereinigung entschloß sich zur Kooperation mit dem Schutzcomit, auch wenn sie frchtete, daß dort die Interessen der Banken und nicht die der Anleger im Mittelpunkt stehen wrden. Anschließend trafen sich Vertreter der britischen, franzçsischen und deutschen Glubiger in Paris und legten die Grundlinien eines gemeinsamen Vorgehens fest: Die beteiligten Banken wrden so lange keine neuen Geschfte mit Griechenland ttigen, wie kein Arrangement mit den geschdigten Glubigern getroffen war ; die Erfllung der aus einem solchen Arrangement den Glubigern zustehenden Ansprche msse durch die „Einrichtung einer von der griechischen Regierung unab19 Protokoll der Besprechung zwischen Kiderlen-Wchter und dem Vertreter der Freien Vereinigung der Inhaber griechischer Werthpapiere, Lehmann, am 11. 11. 1893, Anl. zu Lehmann an Caprivi, 17. 11. 1893, AA-PA R 7365. 20 Wesdehlen an AA, 17. 12. 1893, AA an Wesdehlen, 17. 12. 1893, Aufz. Kiderlen, 18. 12. 1893, Aufz. AA, 20. 12. 1893, AA-PA R 7365. 21 AA an Botschaft London, 6. 1. 1894 sowie die Antwort vom 10. 1. 1894, AA-PA R 7368.

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hngigen berwachung“ sichergestellt werden. Im Gegenzug wollten die Glubiger eine Krzung der Zinsen hinnehmen, allerdings auch an einer etwaigen spteren Besserung der Finanzlage Griechenlands durch steigende Zinsen beteiligt werden.22 Die Vorschlge der Glubiger stießen im Auswrtigen Amt auf Zustimmung, boten sie doch Griechenland eine Gelegenheit, seine Schuldenlast zu verringern und „sich von dem Odium flagranter Rechtsverletzung“ zu befreien. Die deutsche Gesandtschaft in Athen wurde angewiesen, gegenber der dortigen Regierung zu betonen, „daß wir nur in solchen ernstgemeinten Verhandlungen mit den Glubigern eine Sanierung des begangenen Rechtsbruchs erkennen kçnnten.“ Eine hnliche Haltung nahm auch die franzçsische Regierung ein. Die beiden Hauptforderungen der Glubiger, nmlich die Teilhabe an etwaigen spteren Verbesserungen der griechischen Staatseinnahmen und die Sicherung eines Kompromisses durch Kontrollinstitutionen, waren jedoch gerade diejenigen Punkte, in denen der griechischen Regierung kein Kompromiß mçglich schien. Diese sah es – insgesamt wohl zu recht – als vçllig ausgeschlossen an, jemals die volle Last der von ihr aufgenommenen Staatsschuld tragen zu kçnnen und erblickte in jeder auch nur ansatzweise wirksamen Kontrolle ber die Einnahmen, die zur Sicherung der in einem Kompromiß vereinbarten herabgesetzten Zinszahlungen vorgesehen waren, eine inakzeptable Einschrnkung ihrer Souvernitt: „ber eine Einschrnkung der vollen Autonomie des hellenischen Staats sei jede Discussion ausgeschlossen.“23 Als im Mai 1894 die franzçsische Regierung ein gemeinsames Vorgehen Deutschlands und Frankreichs anregte, wurden die Grundlinien der deutschen Position festgelegt. Dabei ging man davon aus, daß sich offizielle Stellen nicht in die Formulierung der Forderungen an Griechenland einmischen, sondern diese allein den Glubigern bzw. ihren Delegierten berlassen sollten. Allerdings wollte man, wenn mçglich gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien, „im Sinne der berechtigten Forderungen der Glubiger“ auf die griechische Regierung einwirken. Die Erfolgsaussichten einer solchen Einwirkung hielt man jedoch fr gering und suchte daher von Anfang an die Verstndigung mit Frankreich ber weitergehende Sanktionen, etwa gegen den griechischen Handel.24 Dabei ging man grundstzlich von einer Analogie zwischen der Kreditvergabe Deutscher an auswrtige Staaten mit derjenigen an auswrtige Privatleute aus – in beiden Fllen handle der Kreditgeber „auf eigene Gefahr“. Fr den Fall, daß zustzliche, die Zahlungsverpflichtung absichernde Versprechen 22 Schutzcomit an Caprivi, 4. 1. 1894, AA-PA R 7368, 15. 2. 1894, AA-PA R 7369; Freie Vereinigung, Bericht des Ausschusses ber seine Thtigkeit in den ersten vier Monaten des Bestehens der Freinen Vereinigung, Berlin 1894. 23 AA an Wesdehlen, 21. 2. 1894, Wesdehlen an Caprivi, 22. 2. 1894, 28. 2. 1894, 26. 4. 1894, Schutzcomit an Caprivi, 18. 4. 1894, AA-PA R 7369. 24 Caprivi an Mnster (Paris), 8. 5. 1894,AA-PA R 7369.

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gebrochen wrden, trage diese Analogie jedoch nicht: „Die Sachlage verndert sich aber in dem Falle Griechenlands, in welchem den Glubigern bestimmte Einnahmen verpfndet sind, die nachher den Glubigern rechtswidrig entzogen wurden.“ Einem Privatmann gegenber kçnne der deutsche Glubiger in einem solchen Falle die auswrtigen Gerichte anrufen; verweigerten diese ihm sein Recht, so „lge ein gerechter Grund zu diplomatischer Reklamation wegen denegata justitia vor.“ Da die griechische Regierung die Pfnder eingezogen und ihren „flagrante[n] Rechtsbruch“ auf gesetzlichem Wege sanktioniert habe, sei gerichtliche Hilfe fr die deutschen Glubiger nicht mehr zu erlangen. Ein diplomatisches Eingreifen sei daher im Einzelfall gerechtfertigt und grundstzlich auch im allgemeinen Interesse des internationalen Handels u. Wandels … dringend geboten. … Eine gnstige Lçsung der griechischen Schuldenfrage mßte auch von gnstigem Einfluß auf die zunehmende Lust anderer Staaten zweiten und dritten Ranges sein, mit den Geldern, die sie fremden Unterthanen durch bindende Versprechungen entlockt haben, in frivoler Weise umzugehen.25

Was das praktische Vorgehen anbetraf, wollte man den Glubigern empfehlen, Delegierte nach Athen zu schicken, um direkten Kontakt mit der dortigen Regierung aufzunehmen und zu verhindern, daß diese die Glubiger durch parallele Verhandlungen in den drei Hauptstdten gegeneinander ausspielte. Dem Delegierten der deutschen Glubiger wurde im Auswrtigen Amt Einsicht in die Berichterstattung aus Athen gewhrt. Schließlich sollten sich Deutschland und Frankreich auf die berreichung gemeinsamer Protestnoten, nçtigenfalls den gemeinsamen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Athen und weitergehende Sanktionen verstndigen.26 Die deutsche Regierung sah also nicht den griechischen Staatsbankrott selbst als Anlaß zum Eingreifen an. Zumindest dort, wo „politische“ Interessen nicht involviert waren, wollte sie berhaupt mçglichst wenig in die Geschfte zwischen Banken, auswrtigen Staaten und deutschen Anlegern eingreifen, um einer, wenn auch nur moralischen Verantwortung fr die Sicherheit auf diese Weise zustande gekommener Anlagen aus dem Wege zu gehen. Als Pflichten der bankrotten Regierung, deren Mißachtung auch ein diplomatisches Eingreifen des Reiches rechtfertigte, sah man es hingegen an, die eingegangen Zahlungsverpflichtungen grundstzlich anzuerkennen, die den Glubigern bertragenen Pfnder nicht anzutasten, und einen Ausgleich mit den Vertretungen der Glubiger zu suchen. Auf dieser Linie bewegte sich das Handeln der Regierung und der Glubiger, ohne daß jedoch ein Erfolg erzielt werden konnte. Alle Gesprche zwischen der griechischen Regierung und den Glubigern scheiterten an zwei Fragen: zum einen der Kontrolle ber die fr den Anleihedienst vorgesehenen griechischen Staatseinnahmen, zum 25 Caprivi an Mnster (Paris), 8. 5. 1894, AA-PA R 7369. 26 Ebd.

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anderen der Aufteilung der „plus values“, d. h. desjenigen Betrages, der von diesen Einnahmen nach Zahlung der auf 32 % des ursprnglich vereinbarten Satzes reduzierten Zinsen brig blieb. Die Glubiger sahen es als die Pflicht Griechenlands an, den vollen Schuldendienst wieder aufzunehmen, und dafr alles aufzuwenden, „was die Bedrfnisse des Staates nicht unbedingt erfordern.“ Die griechische Regierung dagegen wnschte eventuelle Mehreinnahmen vor allem fr die eigene Staatskasse sowie zum Rckkauf von Anleihetiteln auf dem freien Markt zu verwenden, nicht zur Aufbesserung der Zinsen. Griechenland htte also durch seine Zahlungseinstellung zunchst den Kurs der Papiere herabgedrckt und diese anschließend zu diesem gnstigen Kurs aufgekauft: „Es zeigt sich demnach, dass die griechische Regierung die Staatsschuld ußerst rasch abstossen und die dazu nçthigen Gelder aus den Taschen der Glubiger nehmen will“, kritisierten letztere.27 Die Glubiger bemhten sich auch auf anderen Wegen als in Verhandlungen mit der griechischen Regierung um Fortschritte. Zahlreiche Eingaben mit konkreten oder allgemein gehaltenen Bitten um Untersttzung wurden teils von Privatleuten, teils von neben dem Schutzcomit entstehenden selbstndigen Glubigergruppierungen an das Auswrtige Amt und an den Reichskanzler gerichtet. Die berzeugungskraft der darin vorgebrachten Argumente schwankte, gemeinsam war ihnen die Forderung nach einem energischen, vorzugsweise militrischen Eingreifen des Reiches und die Unzufriedenheit mit der Arbeit des Schutzcomits, das ja grundstzlich eine Reduktion der griechischen Zinsen auf ein knappes Drittel hinzunehmen bereit war. Die Freie Vereinigung der Inhaber griechischer Werthpapiere trennte sich deshalb wieder vom Schutzcomit, das sie als von Spekulanten beherrscht ansah, whrend sie gerade denjenigen Anleger zu vertreten beanspruchte, der „fern von jeder Spekulation nur seine Spargroschen im Vertrauen auf die von den Emissionshusern verçffentlichen erotischen Berichte … ber Griechenlands Zukunft in griechischen Werthen angelegt“ habe und so „an den Bettelstab gebracht“ worden sei. Die Freie Vereinigung entfaltete eine rege Sitzungs- und Propagandattigkeit, durch die die Mitglieder bestndig in Anspruch genommen waren: selbst aus Bdern und der Sommerfrische kamen sie zu den Sitzungen herbeigeeilt. Gilt es doch fest und stark dem Diebsgesindel die Stirn zu bieten und zu zeigen, dass

27 Wachler (Schutzcomit) an Caprivi, 4. 6. 1894, Wesdehlen an Caprivi, 10. 6. 1894, AA-PA R 7370, Wachler (Schutzcomit) an Caprivi, 4. 8. 1894, AA-PA R 7373. Zu den Details vgl. den Schriftwechsel in AA-PA R 7370 ff. Die Pariser Vorschlge der Glubiger finden sich in Wachler an AA, 18. 6. 1896, AA-PA R 7384. Zum berblick ber die Glubigerverhandlungen vgl. auch Borchard u. Wynne, S. 307 – 312; Levandis, S. 78 – 87.

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je lnger die faulen Griechen die Verhandlungen unter nichtigen Vorwnden hinschleppen, je fleissiger wir werden.28

Ergebnis dieser Ttigkeit war allerdings lediglich eine Eingabe an den Kaiser, daß dieser „Griechenland die Macht Deutschlands fhlen lassen mçge.“ Spter erließ die Freie Vereinigung sogar einen çffentlichen „Aufruf zur Sammlung fr verarmte Glubiger Griechenlands“, in dem es hieß: Wittwen, Waisen, kleine Pensionre, Invaliden und viele andere erwerbsunfhige Personen haben ihre Spargroschen nur im Vertrauen auf die Heirath einer preussischen Prinzessin mit dem griechischen Kronprinzen seiner Zeit in griechischen Werthen angelegt, sind derselben jetzt beraubt, an den Bettelstab gebracht und dem Hunger preisgegeben.29

Als Unterzeichner traten allerdings rzte, Bankiers, Fabrikanten, Kaufleute und Handwerksmeister auf sowie ein „Hauptmann a.D., z. Z. Nizza“. Immer wieder wurde auch die grundstzliche, aber durch die zçgerliche Haltung des Reiches gefhrdete Staatstreue der Petitenten betont. Auch der Verweis auf den generellen Ansehensverlust aller Staaten durch Staatsbankrotte in einer Zeit, in der sie ohnehin durch allerhand „staatsfeindliche“ Bestrebungen gefhrdet seien, kehrte in verschiedenen Eingaben wieder.30 Der Heidelberger Rechtsanwalt Morgenstern wiederum grndete eine eigenstndige Interessenvertretung der Glubiger der griechischen Monopolanleihe, um fr diese besser abgesicherte Anleihe auch bessere Bedingungen durchzusetzen, was letztlich gelang.31 Weniger konstruktiv war seine gegen den griechischen Kçnig gerichtete Imagekampagne: Wenn sich dieser auf Reisen begab, sende Morgenstern „auf offenen Postkarten, damit Jedermann es lesen kçnne, alle mçglichen Schimpfworte, wie ,Lump‘ und dergleichen, an Seine Adresse“, beschwerte sich der Kçnig beim deutschen Gesandten.32 Spter bemhte sich Morgenstern, eine von den Emissionsbanken unabhngige Vertretung der deutschen Auslandsglubiger nach dem Vorbild des britischen Council of Foreign Bondholders zu grnden.33 Die deutschen Banken agierten vor allem ber die Glubigervertretungen, whrend franzçsische Finanziers teils in Beziehung zur griechischen Opposition zu treten suchten, teils die griechische Regierung mit Details aus den Beratungen der Glubigerkomitees versorgten, und britische offenbar nach 28 Freie Vereinigung an Wilhelm II., 12. 10. 1894, AA-PA R 7376 (1. Zitat); Bericht des Ausschusses der Freien Vereinigung der Inhaber griechischer Werthpapiere fr Sommer 1896, Berlin, 24. 9. 1896 (2. Zitat); vgl. auch Berliner Bçrsen-Courier, 15.1.1895. 29 Freie Vereinigung, Aufruf zur Sammlung fr verarmte Glubiger Griechenlands, 1897, AA-PA R 7386. 30 Kffner an AA, 13. 12. 1893, AA-PA R 7365. 31 Vgl. AA-PA R 7381 f. 32 Gesandtschaft Athen an Hohenlohe, 2. 12. 1896, AA-PA R 7385. 33 BAL R 901/81269: Die Grndung einer „Schutzgesellschaft fr fremdlndische Werthpapiere zu Berlin“, 1891 – 1902.

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einem Separatabkommen strebten. Nachdem es im Sommer 1894 zu einem vorbergehenden Zerwrfnis zwischen den Glubigergruppen gekommen war, bestand im Oktober wieder Eintracht.34 Auch das Auswrtige Amt war mit seinen Bemhungen nicht erfolgreicher. Es hielt sich weiterhin strikt daran, den Inhalt der zwischen Griechenland und den Glubigern besprochenen Maßregeln nicht zu kommentieren, um keinerlei Verantwortung auf sich zu laden. Die offizielle Untersttzung der Arbeit des Schutzcomits lief dennoch auf eine Parteinahme hinaus, wollte man doch die Verhandlungen in der Hand einer von den Banken finanzierten, mit den britischen und franzçsischen Glubigern kooperierenden Vereinigung mit relativ gemßigten Anliegen halten. Die rivalisierenden Glubigervertretungen htten mit ihrer Forderung nach Wiederaufnahme des vollen Schuldendienstes „die Fortfhrung der Verhandlungen aussichtslos erscheinen lassen“. Die Berliner Beamten bemhten sich dennoch um ein „energisches Vorgehen“ gegen Griechenland. Als Caprivi in einer Randbemerkung den Wunsch ußerte, „statt dieser allgemeinen Redensart zu erfahren, wie sich der Herr Verfasser das denkt“, hatten detaillierte Planungen fr Wirtschaftssanktionen bereits begonnen.35 Auch angesichts der zunehmend scharfen Presseberichterstattung ber „Griechenlands betrgerische[n] Bankrott“36 erwog man im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen der Glubiger in Athen eine einseitige Aufhebung des Handelsvertrags mit Griechenland, begleitet von Sonderzçllen auf Wein und Korinthen. Die Belastung fr die deutschen Exporteure und Konsumenten durch einen Handelskrieg schtzte das Auswrtige Amt gering ein; Caprivi jedoch hatte Angst vor der Reaktion der „deutschen Hausfrau“ auf hçhere Korinthenpreise („sie wird schreien“) und warnte davor, den deutschen Export nach Griechenland „so geringschtzig“ zu bewerten, selbst wenn es sich nur um einen Gegenwert von 4 – 5 Mio. Mark im Jahr handele.37 Vom vçlkerrechtlichen Standpunkt aus sah das Auswrtige Amt das Deutsche Reich zu Repressalien berechtigt, ja, aus Grnden des Schutzes fr die Reichsuntertanen sogar verpflichtet an. Przedenzflle fr die Aufhebung eines Handelsvertrages als Repressalie konnten allerdings nicht ermittelt werden. Hinzu kamen verfassungsrechtliche Schwierigkeiten: Zumindest einige Staatsrechtler vertraten die Auffassung, daß zur Aufhebung eines Handelsvertrages die Zustimmung des Reichstages erforderlich sei, der sich allerdings in den Parlamentsferien befand. Diese Nachteile eines solchen Vorgehens fr den deutschen Handel und fr die Beziehungen zwischen Regie34 Diese Vorgnge sind dokumentiert in AA-PA R 7373-R7376; vgl. u. a. Aufz. Mumm, 8. 10. 1894, AA-PA R 7376. 35 Hohenlohe an Mnster, 23. 1. 1895, AA-PA 7380; Aufz. Mumm, 25. 7. 1894 (mit Randbem. Caprivis), AA-PA R 7371. 36 Vossische Zeitung, Griechenlands betrgerischer Bankrott, 27.1.1894. 37 AA an Gesandtschaft Athen, 27. 7. 1894; Aufz. Mumm, „Unsere Handelsbeziehungen mit Griechenland,“ 28. 7. 1894 (mit Randbem. Caprivis), AA-PA R 7371.

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rung und Parlament waren abzuwgen gegen die Schwere der „Agitation“ der Glubiger gegen die Regierung, die eine weitere Verzçgerung auslçsen konnte.38 Ein Gradmesser der „Wichtigkeit der Frage vom volkswirthschaftlichen und politischen Standpunkte“ ist, daß der deutsche Botschafter in Paris, Graf Mnster, angewiesen wurde, seinen Urlaub zu unterbrechen, nach Paris zurckzukehren und ber seine guten persçnlichen Beziehungen zu Prsident Casimir-Prier Frankreich zu einer gemeinsamen Aktion zu berreden. Deutschland sei angesichts der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Summen gezwungen, sich der „geschdigten Interessen energisch anzunehmen“, zumal die Inhaber der griechischen Papiere „leider meist kleine Leute“ seien.39 Wie erwartet hielten sich die Franzosen aber weiter zurck. Mnster hoffte dennoch auf eine allmhliche Wendung, denn die franzçsische Regierung sei innenpolitisch in derselben Lage wie die deutsche und kçnne sich die vornehme Zurckhaltung der britischen Regierung in Finanzfragen nicht leisten: Das junge Deutsche Reich msse genau wie die junge Franzçsische Republik den „Unterthanen“ beweisen, daß es berall fr ihre Interessen eintrete.40 Kurz darauf meldete Mnster allerdings, die Franzosen wrden zwar „bellen, aber nicht beißen wollen“ und zunchst die Hinzuziehung der Briten anregen – ein durch Rcksicht auf den Verbndeten Rußland und die Stimmung im Parlament bedingtes „recht klgliches und energieloses“ Verhalten.41 Schließlich einigte man sich darauf, daß die Botschafter beider Lnder in London zusammen mit der britischen Regierung eine gemeinsame Note ausarbeiten sollten. Der Text, der die griechische Regierung aufforderte, auf der Grundlage der „gemßigten und versçhnlichen“ Forderungen der Glubiger wieder in Verhandlungen einzutreten, wurde in Athen am 24. 12. 1894 berreicht. Griechenland beharrte jedoch auf seinem Angebot, das keine Kontrolle und keine knftige Aufbesserung des Zinssatzes vorsah.42 Angesichts des zunehmenden Drucks im Reichstag43 wollte das Auswrtige Amt es dabei nicht bewenden lassen, doch Frankreich nutzte weiter jede Gelegenheit, Abwarten zu empfehlen, und whrend der Regierungskrise in Athen von 1895 ruhte die Angelegenheit. 38 Aufz. AA, 28. 7. 1894, AA-PA R 7371. 39 Caprivi an Mnster, 29. 7. 1894 und „Promemoria in Sachen der griechischen Staatsglubiger“, 29. 7. 1894, AA-PA R 7372. 40 Mnster an Caprivi, 5. 8. 1894, AA-PA R 7374 (Anm. Willhelm II.: „richtig!“). 41 Mnster an Caprivi, 8. 6. 1894, AA-PA R 7374, Hohenlohe an Mnster, 1. 11. 1894, AA-PA R 7376, Aufz. Mumm, 12. 11. 1894, AA an Mnster, 18. 11. 1894, AA-PA R 7377, und weiterer Schriftwechsel zwischen Berlin und Paris im selben Bd. 42 Zur Ausarbeitung des Texts AA-PA R 7378 f., die Note selbst ist wiedergegeben in Hatzfeld an Hohenlohe, 19. 12. 1894, AA-PA R 7379, zur griechischen Antwort ebd. Plessen an Hohenlohe, 2.1.1895. 43 Reichstagsdebatten ber die Finanzen Griechenlands, 16. 3. 1895, RT 9/3/2 (Bd. 139).

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Die Einrichtung der Finanzkontrolle Schließlich kam die Frage durch Entwicklungen in der „Großen Politik“ erneut in Bewegung. 1896 erhoben sich die griechischen Einwohner Kretas gegen die osmanische Herrschaft auf der Insel. Fr die deutsche Diplomatie stellte die Abtretung Kretas an Griechenland eine der mçglichen Lçsungen der dadurch entstanden Krise dar, exponieren konnte man sich in der Sache jedoch nicht, nicht zuletzt wegen des griechischen Bankrotts. Die Glubiger Griechenlands wrden „ein gewaltiges Geschrei in der Presse erheben“, wenn Deutschland Griechenland territoriale Gewinne ermçgliche, ohne zugleich etwas fr die Glubiger zu tun.44 Anfang 1897 landete Griechenland jedoch Truppen auf Kreta und verwickelte sich in einen Krieg mit dem Osmanischen Reich, der binnen kurzem mit einer kompletten Niederlage und dem Einmarsch trkischer Truppen im nordgriechischen Thessalien endete. Das Schutzcomit wandte sich im April 1897 mit der Forderung an das Auswrtige Amt, daß im Falle einer durch die Großmchte vermittelten Friedensregelung auch eine „zuverlssige internationale Controle“ ber die griechischen Finanzen etabliert werde. Im Auswrtigen Amt dachte man in eine hnliche Richtung. Als absehbar wurde, daß die Trkei vor der Evakuierung Thessaliens von Griechenland eine Kriegsentschdigung verlangen wrde, erkannte man hier sofort den lange gesuchten Hebel zur Durchsetzung der Glubigerforderungen. Griechenland wrde sich das Geld fr die Kriegsentschdigung nur durch eine auswrtige Anleihe besorgen kçnnen; diese wrden die Kapitalmrkte aber nur zur Verfgung stellen, wenn Griechenland in „eine Art internationaler Kontrolle“ seiner Finanzen einwillige. Der Botschafter in Paris wurde umgehend telegraphisch angewiesen, ein gemeinsames deutsch-franzçsisches Vorgehen in dieser Frage anzuregen. Man hoffte auch auf die Zustimmung der Russen und Briten, da diesen aus dynastischen bzw. humanitren Grnden an der raschen Evakuierung Thessaliens gelegen sein mußte. Eine Finanzkontrolle sollte verhindern, daß angesichts der zustzlichen Entschdigungslasten die Interessen der lteren Glubiger Griechenlands gnzlich unbercksichtigt blieben: Wird der gegenwrtige Augenblick versumt, so liegt die Gefahr nahe, daß Griechenland wie es den jetzigen Krieg grçßtentheils mit den unrechtmßiger Weise den Staatsglubigern vorenthaltenen Geldern gefhrt hat, so jetzt die Kriegsentschdigung auf Kosten der Glubiger zu decken versuchen wird, indem es jede Zinszahlung an dieselben einstellt und die dafr verpfndeten Einnahmen unter Berufung auf vis major der trkischen Regierung berweist.45 44 Aufz. Mumm, 6. 8. 1896, AA-PA R 7384. In der Tat wurden die entsprechenden Argumente im Reichstag vorgebracht: Sitzung v. 22. 2. 1997, RT 9/4/7 (Bd. 149). 45 AA an Mnster, 11. 5. 1897, AA-PA R 7386.

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Dem geschlagenen Griechenland blieb nichts anderes brig, als die Vertretung seiner Interessen den Mchten anzuvertrauen. Eine Konferenz der Botschafter der Großmchte bei der Hohen Pforte begann daraufhin damit, mit dem Osmanischen Reich eine Friedensregelung auszuhandeln. Zentrale Fragen waren die Kriegsentschdigung und der trkische Abzug aus Thessalien. Whrend sich Großbritannien aus humanitren Grnden dafr einsetzte, den sofortigen Abzug der trkischen Truppen zu vereinbaren, untersttzte Deutschland die trkische Position, nach der ein Abzug erst nach Zahlung der Kriegsentschdigung erfolgen sollte. Dadurch waren die Briten unter Druck gesetzt, der Finanzkontrolle zuzustimmen, die sie eigentlich ablehnten, denn die Regierung konnte es sich innenpolitisch nicht leisten, die Unterstellung einer christlichen Bevçlkerung unter ein muslimisches Besatzungsheer zu akzeptieren.46 Da die Berliner Regierung durch ihre Blockadehaltung und ihre Drohung mit einem Rckzug von den Friedensgesprchen eine allen Mchten unangenehme internationale und humanitre Krise nach Belieben in die Lnge ziehen konnte, war sie nun in einer starken Verhandlungsposition, die sie auszunutzen gedachte, „thunlichst viel bezglich der Controle griechischer Finanzen im Interesse der Glubiger zu erreichen.“ Dazu gehçrte die Einrichtung einer von offiziellen Vertretern der Mchte, nicht von privaten Glubigervertretern besetzten Kontrollkommission und die Aufnahme der Finanzkontrolle in den offiziellen, von allen Mchten zu unterzeichnenden Friedensvertrag. Auch sollten Delegierte der Mchte und nicht etwa Griechenland selbst darber entscheiden, welche Einnahmen Griechenland fr die Bedienung seiner Staatsschuld zur Verfgung zu stellen hatte.47 So konnte das Deutsche Reich schließlich durch die Verknpfung der Evakuierungs- mit der Kontrollfrage die Zustimmung der Mchte zu einer internationalen Finanzkontrolle ber Griechenland erzwingen: Indem es die Aufnahme dieser Klausel als condition [sic] sine qua non unserer ferneren Betheiligung an den Friedensverhandlungen hinstellte, gelang es, wenngleich unter großen Schwierigkeiten, den Widerstand der brigen Großmchte zu berwinden und die Finanzcontrolle durchzusetzen.48

So gelang es dem Deutschen Reich letztlich, „die Gunst des Augenblicks fr die Interessen und Rechte unserer Staatsangehçrigen zu nutzen und den griechischen Rechtsbruch zu shnen“ (Blow).49 Die deutsche Regierung konnte 46 Levandis, S. 88 – 102; Borchard u. Wynne, S. 313 – 316. 47 Kiderlen im Auftrage Wilhelms II. an Mnster, 30. 6. 1897, AA-PA R 7386. Zum Gang der Verhandlungen in diesen Punkten AA-PA R 12284. Zur deutschen Verhandlungsposition vgl. AA an Botschaft Petersburg, 22. 8. 1897, AA-PA R 12286, 25. 8. 1897, AA-PA R 12288; Blow an AA, 6. 9. 1897, AA-PA R 12289. 48 Aufz. Mumm, „Einleitung und Fortgang der Friedensverhandlungen in Konstantinopel“, 16.8.1897. 49 Blow an Plessen, 6. 9. 1897, AA-PA R 12889.

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ihre Position in dem am 16. 9. 1897 unterzeichneten Prliminar-Friedensvertrag vollstndig durchsetzen. Griechenland blieb angesichts seiner militrischen Niederlage und der Verknpfung des Friedensvertrages mit der Finanzkontrolle nichts anderes brig, als die Verabschiedung eines von den Mchten vorzuschreibenden „Kontrollgesetzes“ zuzusagen. Der Inhalt dieses Gesetzes und die Organisation der Finanzkontrolle wurden von einer ab Oktober 1897 in Athen tagenden Kommission ausgehandelt, die aus Vertretern der Mchte und aus Kreisen der Glubiger stammenden Sachverstndigen zusammengesetzt war. Danach bekam die Kommission die alleinige Verfgung ber die Staatsmonopole, die Tabak- und Stempelsteuer sowie die Zolleinnahmen von Pirus. Sollten diese fr den Schuldendienst nicht ausreichen, war Griechenland verpflichtet, weitere Finanzmittel bereitzustellen.50 Diese Einnahmen sollten dann ausreichen, eine Anleihe zur Begleichung der Kriegsentschdigung aufzunehmen und die Ansprche der alten Glubiger zu befriedigen. Großbritannien, Frankreich und Rußland stellten eine Garantie fr die Entschdigungsanleihe, whrend das Deutsche Reich abseits blieb, nachdem es die Finanzkontrolle und die Bercksichtigung der Ansprche der Altglubiger durchgesetzt hatte.51 Im Frhjahr 1898 war der griechische Bankrott mit der Verabschiedung des griechischen Kontrollgesetzes und dem Garantieabkommen der Mchte fr eine neue Anleihe abgewickelt. Die Pariser Forderungen der Glubiger von 1896, d. h. ein auf 32 % (fr die Monopolanleihe: 43 %) herabgesetzter Zins und die Beteiligung der Glubiger an einer eventuellen Aufbesserung der griechischen Finanzlage durch Zinserhçhungen, waren im wesentlichen durchgesetzt. Das Schutzcomit lçste sich am 21. 3. 1898 auf. Die Neuregelung der griechischen Staatsschuld wurde im internationalen Recht durch den Friedensvertrag und im griechischen Recht durch das Kontrollgesetz verankert. Bei Streitigkeiten zwischen der Kontrollkommission und Griechenland sollte ein Schiedsgericht angerufen werden. Griechenlands Bankrott war im Grunde lange absehbar gewesen, und schon zu der Zeit, als deutsche Banken griechische Anleihen auf dem deutschen Markt einfhrten, konnte das Land eigentlich nicht mehr als kreditwrdig gelten.52 Nicht erst der Bankrott, sondern bereits der reißende Absatz der griechischen Anleihen auf dem deutschen Kapitalmarkt deuten daher auf institutionelle Defizite hin, die sowohl bei den beteiligten Banken als auch beim Informationsstand der Anleger und bei der Kapitalmarktregulierung zu finden sind. Whrend der griechischen Zahlungsunfhigkeit wurde deutlich, daß geschdigten Glubigern kaum Mittel zu Gebote standen, um ihre Ansprche durchzusetzen, solange der sumige Schuldner sich nicht wieder an 50 Das griechische Finanzgesetz ist abgedruck in H.M. Stationery Office, Despatch. 51 Zur Organisation der griechischen Finanzkontrolle vgl. Levandis, S. 103 – 107 und Borchard u. Wynne, S. 321 – 333. 52 So Schaefer, S. 321.

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die Kapitalmrkte wenden mußte. Daß eine Finanzkrise sich in einem solchen Fall dann fr einen kleinen Staat sogar existenzbedrohend auswirken konnte, zeigt der Fall der trkischen Entschdigungsforderungen, die ohne das Eingreifen der Mchte zur Zerstckelung Griechenlands gefhrt htten. Genau wie die Banken und die wohlinformierten Anleger, die ihre griechischen Papiere nur kurz gehalten hatten, vertrauten wohl auch die Regierenden in Griechenland darauf, in der Gegenwart den Gewinn aus einem unsicheren Geschft einstreichen und die zuknftigen Risiken ihren Nachfolgern berlassen zu kçnnen; im letzteren Falle ging diese Hoffnung aber nicht in Erfllung. Das Deutsche Reich spielte bei der Abwicklung des griechischen Staatsbankrotts eine entscheidende Rolle, ohne die die Ansprche der Altglubiger bei der Friedensregelung von 1897 kaum Bercksichtigung gefunden htten. Die Berliner Regierung sah sich einem starken innenpolitischen Druck ausgesetzt, in der Frage der geschdigten Glubiger Griechenlands etwas zu unternehmen. Ihre Handlungsmçglichkeiten waren so lange beschrnkt, wie sich kein Druckmittel finden ließ, das Deutschland allein zum Einsatz bringen konnte, und die anderen Mchte aus Grnden der hohen Politik an einer Kooperation nicht interessiert waren. Das nderte sich nach der griechischen Kriegsniederlage. Fr die Deutschen war es nun ein Vorteil, daß sie keine politischen Interessen an Griechenland hatten. Anders als die Russen kmmerte sich die Reichsregierung nicht um die dynastischen Verbindungen zu Griechenland, anders als die Briten maß sie humanitren Erwgungen keine Bedeutung bei und anders als Frankreich hatte sie keinen Verbndeten mit strkerem Interesse an der Frage. So konnte sie es sich leisten, die Frage der Finanzkontrolle ins Zentrum der deutschen Anliegen bei der Friedenskonferenz zu stellen und deswegen sogar mit „unserem Austritt aus dem europischen Concert“ zu drohen, zugleich aber zu betonen, daß man in allen anderen Fragen „coulant sein [kçnne], wenn wir nur mit der Finanzcontrole Erfolg erringen.“53 Darin ist dann weniger ein Beitrag zur Institutionalisierung der Weltwirtschaft zu erblicken als die Lçsung innenpolitischer Schwierigkeiten durch den kraftvollen Einsatz des außenpolitischen „nuisance value“ einer Großmacht. Langfristig hatten die Glubiger Griechenlands durch das Eingreifen Deutschlands trotz des Bankrotts und der dadurch erzwungenen Zinsreduktion eine bessere Anlage in der Hand als diejenigen, die auf die vermeintlich sicheren Anleihen des Reiches vertraut hatten. Whrend letzteres sich seiner Schulden durch den Whrungsschnitt von 1923 entledigte und auch Großbritannien (zeitweise) und Frankreich ihre Whrungen abwerteten, bediente Griechenland seine Verpflichtungen bis 1932 in Gold und zahlte bis zum deutschen Einmarsch 1941 weiter Zinsen.54 53 Blow an AA, 6. 9. 1897, AA-PA R 12289, 11. 9. 1897, AA-PA R 12291. 54 Levandis, S. 112 ff., Borchard u. Wynne, S. 335.

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(b) Venezuela In Venezuela nahmen deutsches Kapital und deutsche Handelshuser nicht die Rolle von „Juniorpartnern“ britischer und amerikanischer Interessen ein, sondern spielten eine herausragende Rolle im Wirtschaftsleben des Landes. Der Venezuela-Konflikt situierte sich nach R. Fiebig-von Hase auf drei Ebenen:55 (a) die konkreten Ansprche europischer Mchte gegen Venezuela; (b) allgemeine Schwierigkeiten im Verhltnis zwischen den Staaten Europas und Lateinamerikas; (c) die Beziehungen zwischen den USA und den europischen Großmchten im Zeichen der Monroe-Doktrin. Von diesen sind hier vor allem die ersten beiden von Interesse.

Die Staatsfinanzen Venezuelas und die „deutschen Interessen“ Wie Griechenland hatte auch Venezuela Ende des 19. Jahrhunderts bereits eine lange Geschichte von Finanzkalamitten hinter sich. Es steht exemplarisch fr die Finanzgeschichte zahlreicher lateinamerikanischer Staaten, die durch wiederholte Revolutionen, Brgerkriege und die damit einhergehende Zerrttung von Wirtschaftsleben und Staatsfinanzen gekennzeichnet ist.56 Da dies Venezuela lange von den Kapitalmrkten ferngehalten hatte, hielten sich die Auslandsschulden des Landes gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Grenzen. 1881 war in Großbritannien eine Anleihe von 2,9 Mio. Pfund aufgenommen worden. 1889 hatte die Regierung von einer der drei großen deutschen Banken, der Disconto-Gesellschaft, Kapital fr den Bau der Bahnlinie Caracas-Valencia geliehen und der Disconto-Gesellschaft dafr 7 % Zinsen im Jahr garantiert. Hinzu kamen einige kleinere Infrastrukturprojekte wie etwa der ebenfalls bei einer deutschen Firma in Auftrag gegebene Bau eines Schlachthofs in Caracas.57 Trotz der recht geringen Verschuldung befand sich Venezuela seit Beginn der 1890er Jahre in bestndigen Zahlungsschwierigkeiten. Die Grnde dafr waren zum Teil çkonomischer Art: Die teure Eisenbahnlinie warf keinen Gewinn ab und die Zinsgarantie belastete den Staatshaushalt; die Weltmarktpreise fr Venezuelas wichtigsten Exportartikel, Kaffee, verfielen aufgrund einer weltweiten berproduktion. Hinzu kamen politische Grnde: das politische System Venezuelas wurde von caudillos 55 Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte, S. 530. 56 Herwig, S. 81. 57 Vgl. Zur wirtschaftlichen Lage in Venezuela und den deutschen Interessen dort Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte; Fiebig-von Hase, Lateinamerika; Herwig. Diesen umfassenden Analysen kann hier nichts hinzugefgt werden; es soll aber auf der Grundlage der archivalischen Materialien deutlich gemacht werden, welche Handlungsmçglichkeiten gegenber dem venezolanischen Staatsbankrott deutscherseits gesehen wurden und wie der Begrndungs- und Legitimationskontext aussah.

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beherrscht, die politische Macht anstrebten, um die Einnahmen des Staates in die eigene Tasche leiten und sich wirtschaftliche Vorteile sichern zu kçnnen. Die Eliten des Landes machten sich die Herrschaft in bestndigen Revolutionen streitig. Dabei wurden die Ressourcen des Landes aufgebraucht, Entwicklung fand nicht stand, und immer hçhere Entschdigungsforderungen fr die Sequestrierung oder Zerstçrung auslndischen Eigentums liefen auf.58 Am Engagement der Disconto-Gesellschaft in Venezuela lassen sich nach R. Fiebig-von Hase exemplarisch Motive und Charakteristika des deutschen Kapitalexports verdeutlichen. Die Bahnkonzession war ursprnglich von der Firma Krupp erworben worden. Die Disconto-Gesellschaft bernahm die Konzession, um der von ihr gesttzten Eisenfirma Dortmunder Union durch neue Auftrge aus einer schweren Krise zu helfen. Die Titel der Eisenbahnanleihe hoffte sie an den Bçrsen in Deutschland unterbringen zu kçnnen. Das deutsche Finanzinstitut htte damit das Risiko, das die schwierige Finanzlage der Dortmunder Union fr die eigene Bilanz bedeutete, in ein Risiko der Zahlungsunfhigkeit Venezuelas transformiert, das private Anleger zu tragen gehabt htten. Hier zeigt sich der Einfluß der engen Verflechtung zwischen Finanz und Industrie in Deutschland: Der Disconto-Gesellschaft ging es hier nicht primr um den Kapitalexport, also um den beim Bahnbau oder der Vermittlung des dafr nçtigen Kapitals zu erzielenden Profit, sondern um die Lçsung von Problemen, die ihr aus ihrem Industrieengagement in Deutschland entstanden waren. Ihre Hoffnungen erfllten sich allerdings nicht. Venezuela hielt die 7 %ige Zinsgarantie nicht ein, und der in Unkenntnis der venezolanischen Verhltnisse in Angriff genommene Bahnbau wurde deutlich teurer als geplant. Die Disconto-Gesellschaft geriet selbst in Schwierigkeiten, da die notleidenden Eisenbahnpapiere sich natrlich nicht an der Bçrse absetzen ließen, so daß ein großer Teil des Betriebskapitals der Bank in Venezuela unproduktiv gebunden war. 1896 bertrug Venezuela der DiscontoGesellschaft statt der Zinszahlungen Anteile einer neuen im Ausland aufgenommenen Anleihe, die sich insgesamt auf 2,3 Mio. Pfund belief.59 Doch auch diese Titel ließen sich nicht an die Bçrse bringen. Die Finanzpresse warnte vor den Papieren, nach dem Bçrsengesetz von 1896 war ihre Bçrsenzulassung fraglich, und schon bald bediente Venezuela auch diese Schulden nicht mehr.60

58 Prsident Castro etwa verfgte nicht nur ber den Zugriff auf die Staatskasse, sondern sicherte sich und seiner Familie auch das Monopol auf Salz, Mehl, Zigaretten, Zigarettenpapier, Tabak, Zndhçlzer, Branntwein, Perlen, Waffen, Dynamit, und den Viehexport: Herwig, S. 33. 59 Aktennotiz betr. Venezolanische Anleihen, 28. 4. 1902, AA-PA R 17060; Aufz. Mhlberg, 17. 7. 1902, AA-PA R 17061. 60 All dies ist ausfhrlich geschildert bei Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 98 – 128.

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Die Entscheidung zur bewaffneten Intervention in Venezuela Venezuelas Zahlungsschwierigkeiten betrafen anders als diejenigen Griechenlands kein breites Anlegerpublikum, sondern eine einzige, allerdings große und einflußreiche, Bank. Diese stellte keineswegs das einzige wichtige in Venezuela vertretene deutsche Interesse dar. Deutsche Handelshuser nahmen im venezolanischen Außenhandel eine beherrschende Stellung ein. Sie sttzten sich primr auf privilegierte Beziehungen zu regional oder landesweit einflußreichen caudillos. Ihre Interessen waren darauf gerichtet, ein gutes Verhltnis zu den venezolanischen Machthabern zu wahren und das Wirtschaftsleben des Landes in Schwung zu halten. Die Disconto-Gesellschaft hingegen suchte primr ihr in Venezuela gebundenes Kapital zu sichern, auch wenn dies den Interessen von Handel und Entwicklung zuwiderlaufende Strukturentscheidungen bedeutete: hohe Steuern, Vorrang des Schuldendienstes vor der Infrastrukturentwicklung, hohe Eisenbahntarife zu Lasten der Exporteure. Dies versuchte die Disconto-Gesellschaft mit Hilfe der politischen Untersttzung des Reiches zu erreichen, weshalb es zwischen der Bank und den hanseatischen Handelsinteressen mehrfach zu Konflikten ber die Ratsamkeit diplomatischen Druckes auf Venezuela kam. Das Arrangement von 1896, wodurch Venezuela eine neue Anleihe aufnahm und deren Papiere zur Ablçsung der Zinsgarantie fr die Eisenbahngesellschaft der DiscontoGesellschaft bergab, war unter Beteiligung der deutschen Diplomatie und nach dem Besuch deutscher Kriegsschiffe zustande gekommen. Als Venezuela auch die Bedienung der neuen Anleihe schuldig blieb und ein erneuter Marinebesuch nicht die gewnschte Wirkung zeigte, verlangte die DiscontoGesellschaft vom Auswrtigen Amt ein entschiedeneres Eingreifen, wurde aber abgewiesen.61 Der deutsche Handel mißbilligte zunchst ein diplomatisches Eingreifen, weil die Handelsinteressen denen der Glubiger entgegengesetzt waren und man sich nicht das Geschftsklima durch Spannungen zwischen dem Reich und Venezuela verderben lassen wollte. Doch auch die Bedingungen fr die Aktivitt der Kaufleute im Lande verschlechterten sich durch Kampfhandlungen, Verwstungen, Beschlagnahme und die immer hufigeren Zwangsanleihen an die Behçrden. Nicht nur die Eisenbahnlinie, sondern auch von deutschen Firmen im Auftrag des venezolanischen Staates unternommene Bauvorhaben wie der Schlachthof von Caracas blieben unbezahlt. Mehr und mehr wuchs auch bei den Handelsinteressen die Bereitschaft, um die Untersttzung des Reiches nachzusuchen.62 Allein das grçßte der in Venezuela vertretenen deutschen Huser, Blohm, lehnte offizielle Einmischungen strikt 61 Fiebig-von Hase, Lateinamerika; Herwig, Knoop an Disconto-Gesellschaft, 26. 11. 1900, AA-PA R 17057. 62 Vgl. z. B. Eingabe der Handelskammer Hamburg, 1. 12. 1899, AA-PA R 17056.

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ab. Blohm vertraute auf seine engen Beziehungen zu den Machthabern und setzte darauf, daß Wirren und politische Spannungen seine Konkurrenten aus dem Markt drngen wrden. In der Tat waren britische Huser durch die von Venezuela aus politischen Grnden gegen Importe von den britischen Antillen verhngten Zusatzzçlle schwer geschdigt worden.63 Die deutschen Vertreter in Caracas sahen einen immer weiter voranschreitenden Staatszerfall, dem die Regierung Castros offenbar nicht entgegentreten wollte: Nicht eine einzige Maßregel ist whrend seiner bald halbjhrigen Regierung getroffen worden die beweise, daß er Verstndniß fr die verzweifelte wirthschaftliche Lage des Landes und die Absicht sie zu bessern hat. Hçchst anrchige Persçnlichkeiten behaupten sich als Minister und in den hçchsten Stellungen. Willkrliche Steuern werden von Privatpersonen … erhoben. Widerspenstigen droht die Einsperrung.

Die Staatseinnahmen wrden „zu unbekanntem Zweck bei Seite gelegt“, Gehlter nicht gezahlt, der Kongreß nicht einberufen, die Regierung untersttze revolutionre Bestrebungen im benachbarten Kolumbien. Bewaffnete Banden durchstreiften das Land, auf den Plantagen fehle es an Arbeitern. Der deutsche Ministerresident Schmidt-Leda hielt es auch nach dem Abflauen der Kmpfe im Sommer 1900 generell fr unwahrscheinlich, daß sich diese Zustnde irgendwann einmal ndern wrden: [E]s wre vergeblich zu versuchen, dieses Volk zu geregelter Arbeit und Thtigkeit zu erziehen. Nach einer Periode der Ruhe wird stets wieder der Hang entstehen, durch Umwlzung des Bestehenden in das einfçrmige, durch keinerlei geistige Interessen belebte Dasein eine unterhaltende und fr die Trgen im Lande aussichtsreiche Abwechslung zu bringen.

Wie die Entschdigungsforderungen von Auslndern in dieser Lage jemals befriedigt werden sollten, war daher „nicht abzusehen“. Deutsche, britische und amerikanische Diplomaten und die Vertreter der deutschen Eisenbahngesellschaften hielten eine internationale Finanzkontrolle fr unausweichlich, fanden damit aber in den jeweiligen Hauptstdten kein Gehçr.64 Durch Kriegs- und Revolutionsschden und die sich daraus ergebenden Entschdigungsforderungen wurden Deutsche nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen zu Glubigern einer auswrtigen Macht. Rechtswissenschaft und Diplomatie haben solche Forderungen stets als dringender und besser begrndet betrachtet als solche, die durch die freiwillige Hergabe von Kapital im Bewußtsein des damit verbundenen Risikos entstanden waren.65 63 Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 84 ff.; Herwig, S. 83 – 91, 99 ff. 64 Schmidt-Leda an RK, 29. 11. 1899, 24. 1. 1900, AA-PA R 17056; 28. 3. 1900, 31. 7. 1900; Knoop (Große Venezuela-Eisenbahngesellschaft) an Disconto-Gesellschaft, 26. 11. 1900, AA-PA R 17057. 65 V. Liszt, 4. Aufl., S. 190 – 197.

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Dementsprechend negativ aufgenommen wurde ein Dekret der Regierung Castro vom 24. 1. 1901, das ein neues Verfahren zum Umgang mit auslndischen Reklamationen etablierte. Darin wurden zunchst alle vor dem Regierungsantritt Castros 1899 entstandenen Ansprche ganz zurckgewiesen und Reklamationsfragen zu rein inneren Angelegenheiten Venezuelas erklrt. Eine ausschließlich mit Venezolanern besetzte Kommission sollte die Erledigung dieser auslndischen Ansprche in Angriff nehmen, wobei Zahlungen nur in Anteilsscheinen einer noch aufzunehmenden Anleihe erfolgen durften. Formal verbat sich die venezolanische Regierung damit lediglich die Einmischung der auswrtigen Diplomaten in die venezolanische Verwaltung und Rechtsprechung. Praktisch hingegen konnte von einem irgendwie geordneten Verfahren der Beurteilung auslndischer Ansprche nicht ausgegangen werden, und auch mit Zinszahlungen auf die versprochenen Staatspapiere war nicht ernsthaft zu rechnen. Die Doktrin, daß der souverne Staat mit Rechten und Eigentum der auf seinem Territorium befindlichen Auslnder umspringen konnte wie er mochte, entsprach aber durchaus nicht der Vçlkerrechtslehre des 19. Jahrhunderts, nach der Souvernitt auch die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindeststandards, eines „standard of civilization“, implizierte.66 Dementsprechend wurde das venezolanische Vorgehen im Ausland allgemein als Rechtsverweigerung interpretiert und lçste diplomatische Proteste seitens der in Caracas vertretenen Mchte aus, die allerdings erfolglos blieben. Im Sommer 1901 kamen die Dinge dann erneut in Bewegung. Die „Geldnoth“ der Regierung, deren Plne zur Aufnahme einer neuen Anleihe in den USA nicht vorankamen, verschrfte sich, so daß sie die Kassen der Nationalbank ausplndern und die Kaufleute um Geld angehen mußte, whrend Castro zugleich seine kostspieligen Plne einer militrischen Intervention in Kolumbien weiterverfolgte. Die Disconto-Gesellschaft wies erneut auf die unhaltbaren Zustnde im Lande und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit Castros hin. In Caracas trat der amerikanische Geschftstrger inzwischen fr von den Mchten gemeinsam durchzufhrende Zwangsmaßnahmen gegen Venezuela ein, da „eine Regierung, welche wie die hiesige so auf die Volkssouvernitt poche, sich anstndig benehmen msse, wenn sie erwarte, daß man diese Souvernitt respektire.“ Die Monroe-Doktrin habe nicht den Zweck, als „Schutz fr Schufte“ zu dienen.67 Der nun die Geschfte der deutschen Ministerresidentur fhrende Graf Pilgrim-Baltazzi war von der Notwendigkeit eines Eingreifens berzeugt und versuchte, die Berliner Regierung in diesem Sinne zu beeinflussen. Er berichtete, daß sich auch unter „anstndigen Elementen der einheimischen Bevçlkerung“ die Ansicht verbreite, „daß nur durch einen Anstoß von Außen eine Besserung der Verhltnisse zu erwarten“ sei. Auswrtige Diplomaten 66 Gong. 67 Pilgrim-Baltazzi an Blow, 24. 7. 1901, 25. 7. 1901, 26. 7. 1901, AA-PA R 17058.

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wrde man „geradezu zur Herbeifhrung einer fremden Einmischung drngen.“ Pilgrim-Baltazzi verhielt sich gegenber solchen Sondierungen zurckhaltend, sprach von den diplomatischen Komplikationen, die eine solche Einmischung bedeuten wrde, und betonte, daß man sich Illusionen hingebe, wenn man von der am hufigsten reklamirten Finanzkontrolle, … eine Sanirung der inneren politischen Verhltnisse erhoffe, da eine derartige Kontrolle lediglich die Sicherung des Zinsendienstes der ußeren Schuld bezweckt. Eine wirksame Reform wrde aber etwa nach dem Vorbild von Egypten zu erfolgen haben, was einer Annexion gleichkme und daher unmçglich wre.68

Gleichzeitig betrieb der Ministerresident aber das Projekt einer Intervention weiter. Mit seinem Bericht reichte er Stellungnahmen des Handelshauses Blohm und des Honorarkonsuls Lenz ein, in denen ebenfalls ein Eingreifen des Reiches gefordert wurde. Diese liefen darauf hinaus, daß der Verfall des Landes den Verlust der deutschen wirtschaftlichen Interessen dort bedeuten mußte, und daß die deutsche Stellung im Lande dann „gegen die jetzt schon stark aufstrebende nordamerikanische Konkurrenz“ nie mehr wrde wiederhergestellt werden kçnnen – ein Argument, das auch in der deutschen Presse zu finden war.69 Auch Blohm sprach sich nun, wie schon lnger die Eisenbahngesellschaft, fr eine Kontrolle der Zollhuser durch die auswrtigen Mchte aus. Diese drfe sich aber nicht auf die Abschçpfung von Finanzmitteln zur Bedienung venezolanischer Verpflichtungen beschrnken, sondern msse eine Sanierung der Finanzverwaltung bewirken – hier zeigt sich noch einmal der Interessengegensatz zwischen den allein an Zahlung interessierten Glubigern und den im Lande ttigen Kaufleuten, die die Stabilisierung des Geschftsklimas anstrebten.70 Pilgrim ging davon aus, daß Venezuela „sich als gnzlich unfhig erwiesen hat sich selbst zu regieren und … das Recht auf die ganz selbststndige [sic] Leitung des eigenen Geschickes verwirkt hat“. Die USA warteten mit einer Einmischung nur noch darauf, daß die europischen Interessen im Lande ganz und gar zugrunde gerichtet seien, um dann deren Stelle einnehmen zu kçnnen. Dem kçnne man nur entgegentreten, indem man rasch ein gemeinsames Einschreiten der Europer und Amerikaner organisiere.71 Auch die anderen Diplomaten in Caracas trten fr Zwangsmaßnahmen ein. Der britische Ministerresident habe etwa seiner Regierung eine Besetzung der Zollstationen empfohlen: Da die „eigene Bereicherung“ die wichtigste Motivation venezolanischer Politiker bilde und die Zçlle die wichtigste Einnahmequelle des Staates seien, wrde eine auslndische Kontrolle ber diese Zçlle „Revo68 69 70 71

Pilgrim-Baltazzi an Blow, 29. 9. 1901, AA-PA R 17058. Ebd. und Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 854. Aufz. Blohm und Aufz. Lenz, Anlagen zu Pilgrim-Baltazzi an Blow, 29. 9. 1901, AA-PA R 17058. Ebd.

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lutionen ihres Hauptanreizes berauben“, so die „Wiederherstellung eines dauernden Friedens“ ermçglichen und „die Hauptursache des wirthschaftlichen Niedergangs“ beseitigen.72 Zu diesem Zeitpunkt hatte das Auswrtige Amt schon den Admiralstab gebeten, militrische Maßnahmen gegen Venezuela zu planen.73 Bald darauf wurde in Washington sondiert, unter welchen Voraussetzungen die USA bereit wren, ein deutsches Eingreifen in Venezuela zu akzeptieren. Botschafter Holleben erhielt zwar die formal gnstige Antwort, daß man „gegen eine energische Vertretung unserer Interessen in Venezuela nichts einzuwenden“ habe. Auch Roosevelts Jahresbotschaft an den Kongreß, in der er lateinamerikanische Staaten davor warnte, die Monroe-Doktrin als Schutz gegen die berechtigten Forderungen europischer Mchte zu mißbrauchen, wurde in Berlin in diesem Sinne interpretiert. Die deutsche Auffassung, daß eine Intervention auf dem amerikanischen Kontinent nicht als Verletzung der Monroe-Doktrin angesehen wrde, wenn sich damit kein dauerhafter Gebietserwerb verbinde, schien besttigt. Dennoch warnte Holleben, daß die politische Stimmung in Washington durchaus nicht uneingeschrnkt gnstig und schon gar nicht stabil sei, und in der Tat bereitete man sich in Washington darauf vor, das Deutsche Reich wenn nçtig militrisch von einem Eingreifen abzuschrecken.74 Pilgrim-Baltazzi erwartete, daß Castro schon bald von der sich ausbreitenden Revolutionsbewegung gestrzt werden wrde, und trat dafr ein, rasch eine Liste mit deutschen Reklamationsforderungen vorzulegen, um dadurch auch die Nachfolgeregierung zu binden.75 Ende Dezember 1901 bemhte sich Reichskanzler Blow, die Zustimmung Wilhelms II. zu einer Aktion gegen Venezuela zu erlangen. Dabei sollten zunchst einmal nur die deutschen Reklamationen aus Kriegs- und Revolutionsschden vorgebracht werden, deren Regulierung die venezolanische Regierung auf der Grundlage des Dekrets vom 24. 1. 1901 verweigerte. „Das Verhalten der Venezolanischen Regierung muß hierauf als ein frivoler Versuch, sich ihren rechtlichen Verpflichtungen zu entziehen, bezeichnet werden.“ Sollten deswegen Zwangsmittel zum Einsatz kommen, so wre zu berlegen, „ob bei dieser Gelegenheit auch fr die Erfllung der … Ansprche der Disconto-Gesellschaft eine grçßere Sicherheit verlangt werden soll.“ Als Ansatzpunkt fr ein Eingreifen eigneten sich diese Ansprche jedoch nicht, „da die Venezolanische Regierung ihre Verpflichtung

72 Pilgrim-Baltazzi an Blow, 29. 9. 1901, AA-PA R 1705. 73 Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 858. 74 Ausfhrlich Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 858 – 900; Holleben an AA, 30. 11. 1901, 2. 12. 1901, 26. 12. 1901, AA-PA R 17058, 24. 12. 1901, AA-PA R 7059. 75 Pilgrim-Baltazzi an AA, 16. 12. 1901, 24. 12. 1901, 28. 12. 1901; AA an Pilgrim, 27. 12. 1901, 29. 12. 1901, AA-PA R 17058.

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nicht bestreitet, sondern nur deren augenblickliche Erfllung mit Rcksicht auf die schlechte Finanzlage des Staates fr unmçglich erklrt.“76 Als Aktionsmittel waren zunchst eine Blockade, dann auch die Besetzung von Hfen und Beschlagnahme der Zolleinnahmen vorgesehen. Die Begrndung Blows fr die geplante Aktion rckte Beweggrnde, die ber den venezolanischen Fall hinauswiesen, in den Mittelpunkt: Eine energische Durchfhrung unserer Reklamationen gegen Venezuela drfte an sich erwnscht sein, zumal da in fast allen zentral- und sdamerikanischen Staaten das Bestreben besteht, sich den von fremden Mchten vertretenen Reklamationen, auch wenn sie begrndet sind, soweit irgend angngig zu entziehen.77

Angesichts der geringen Bedeutung der praktisch verwertbaren deutschen Forderungen – es sollten ja nur die Reklamationen zur Rechtfertigung herangezogen werden – war der Verweis auf allgemeine deutsche Interessen und Probleme im europisch-lateinamerikanischen Verhltnis sicherlich angebracht. Staatssekretr Richthofen blieb dennoch skeptisch; seiner Ansicht nach hatte Venezuela schlicht kein Geld, und die Kosten einer Intervention berstiegen den mçglichen materiellen Nutzen bei weitem.78 Venezuela reagierte auf die Vorlage der deutschen Reklamationen mit einer Verzçgerungstaktik.79 Aber nicht das taktische Geschick der Regierung Castro, sondern eine Reihe anderer Faktoren waren dafr verantwortlich, daß Berlin die eigentlich beschlossene Intervention erst einmal auf die lange Bank schob. Wilhelm II. war die Verbesserung des Verhltnisses zu den USA durch die Amerikareise des Prinzen Heinrich zunchst wichtiger als Venezuela. Die Marine sah keine Mçglichkeit, im Falle einer bewaffneten Intervention die deutschen Handelsinteressen zu schtzen, und befrchtete eine Auseinandersetzung mit den USA. In Venezuela selbst gewann die von reichen Venezolanern im Ausland untersttzte Revolutionsbewegung gegen Castro an Macht, und vielerorts erhoffte man sich von Castros Gegner Matos, der enge Beziehungen zur internationalen Finanzwelt hatte, eine bessere Behandlung der auslndischen Interessen. Whrenddessen machte die Marine geltend, daß eine Blockade vor Ende Oktober aus klimatischen Grnden schwer durchfhrbar und auch zwecklos sei – nach dem Ende der Kaffeeernte im Mrz komme der venezolanische Außenhandel ohnehin zum Erliegen.80

76 Blow an Wilhelm II., 30. 12. 1901, AA-PA R 17058; auf der Basis des selben Entwurfes auch Aufz. AA, „Deutsche Reklamationen und deutsche Interessen in Venezuela“, 19. 1. 1902, AA-PA R 17059. 77 Ebd. 78 Herwig, S. 94 – 97. 79 Pilgrim-Baltazzi an AA, 9. 1. 1902, AA-PA R 17059. 80 AA-PA R 17059, R 17060. Die allgemein eher zçgerliche Haltung der deutschen Regierung hebt auch hervor: Mitchell, S. 65 – 70.

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An der Grundproblematik nderte sich dadurch nichts. Beide Seiten beharrten auf ihren Positionen. Venezuela verwahrte sich gegen auswrtige Einmischung, die deutsche Seite erblickte darin einen Rechtsbruch: Wenn die venezolanische Regierung darauf hinweist, daß mit Rcksicht auf ihre landesrechtlichen Vorschriften eine Regelung unserer Kriegsreklamationen auf dem diplomatischen Wege ausgeschlossen sei, so stellt sie damit den mit dem Vçlkerrechte nicht im Einklange stehenden Satz auf, daß jede diplomatische Einmischung durch die Landesgesetzgebung ausgeschlossen werden kçnne.

Der Schriftwechsel mit der Regierung Castro wurde daher im Juni 1902 abgebrochen bis zu dem Zeitpunkt, „wenn wir in der Lage sind, eine fernere Weigerung Venezuelas mit einem Ultimatum zu beantworten.“81 Kurz darauf machte der offenbar bevorstehende Sturz Castros eine neue Positionsbestimmung erforderlich. Weiterhin stand fest, „dass ein scharfes Vorgehen gegen Venezuela schon im Hinblick auf unser Ansehen in Zentral- und Sdamerika sowie auf die zu erwartenden Interpellationen im Reichstage dringend erwnscht erscheint.“ Ein Zusammengehen mit Großbritannien, dem man zuvor skeptisch gegenbergestanden hatte, erschien nun wegen der Schwche der verfgbaren deutschen Marinekrfte wnschenswert. Daher sollte nun auf die wiederholten britischen Anfragen bezglich eines gemeinsamen Vorgehens eingegangen werden.82 Nachdem Großbritannien auf die deutschen Sondierungen positiv reagiert hatte, begannen im Herbst 1902 ernsthafte Vorbereitungen fr eine Blockade.83 Am 7.12. berreichten Pilgrim-Baltazzi und sein britischer Kollege in Caracas gleichlautende Ultimaten, in denen die Anerkennung aller offenen Forderungen binnen 24 Stunden verlangt wurde. Bundesrat und Reichstag gegenber wurde das Vorgehen auf der Grundlage der bereits Ende 1901 ausgearbeiteten Denkschriften gerechtfertigt: Venezuela sei bestrebt, „den fremden Reklamationen die ihnen vçlkerrechtlich gebhrende Regelung zu versagen.“ Nachdem die verbndeten Marinekrfte venezolanische Schiffe erobert und Venezuela deutsche und britische Privatleute gefangengesetzt hatte, erbat die Reichsregierung am 13.12. die Zustimmung des Bundesrates zur Erklrung des Kriegszustandes mit Venezuela, was die Voraussetzung fr eine Blockade des Landes darstellte.84

81 AA an Pilgrim-Baltazzi, 26. 6. 1902, AA-PA 17060. 82 Aufz. Mhlberg, 17. 7. 1902, AA-PA R 17061. Britische Sondierungen: Eckardstein an AA, 2. 1. 1902, brit. Note, 26. 1. 1902, AA-PA R 17059. 83 Botschaft London an Blow, 24. 7. 1902, 7. 8. 1902; Aufz. fr den Immediatbericht, 1. 9. 1902, AAPA R 17061; Botschaft London an AA, Wilhelm II. an Blow, 12. 11. 1902, 17. 11. 1902, Aufz. AA, 18. 11. 1902, AA-PA R 17062. 84 Denkschrift der Reichsregierung ber die Reklamationen Deutschlands gegen die Vereinigten Staaten von Venezuela, 8.12.1902.

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Die Intervention und ihr Ergebnis Mit dem militrischen Eingreifen Großbritanniens und Deutschlands wurde der Venezuela-Konflikt zu einem Thema der „Großen Politik“ und ließ sich nicht mehr lokal lçsen. Im Zentrum stand nun das Verhltnis der europischen Mchte zu den USA und deren Ordnungsanspruch auf dem amerikanischen Kontinent. Venezuela hatte schon am 12.12. ber Washington einen Vorschlag zur schiedsrichterlichen Erledigung der Streitigkeit an die Interventionsmchte geleitet, den die britische Regierung, berrascht ber die heftige çffentliche Kritik an ihrem Zusammengehen mit Deutschland, unbedingt annehmen wollte. Berlin willigte am 18.12. ein, allerdings unter der Bedingung, daß Venezuela die Reklamationen aus Kriegs- und Revolutionsschden anzuerkennen und sofort zu erledigen habe. Als Grund fr dieses Einlenken ist zum einen der Druck der USA genannt worden, die bereits ihre Flotte in der Karibik zusammengezogen hatten und kurz davor standen, die volle Gefechtsbereitschaft anzuordnen, zum anderen das Erschrecken in Berlin ob der sehr negativen Reaktion der britischen Presse und ffentlichkeit.85 Erst nach dem Eingehen Deutschlands auf das Schiedsverfahren waren die USA bereit, sich auch fr eine Beilegung des Konflikts mit Venezuela einzusetzen. Whrenddessen drngte der argentinische Außenminister Luis Drago die USA dazu, im Namen der Monroe-Doktrin gegen derartige Interventionen einzuschreiten.86 Venezuela betraute den amerikanischen Gesandten in Caracas, Bowen, mit der Wahrnehmung seiner Interessen (seine Reisespesen wurden vom deutschen Handelshaus Blohm vorfinanziert), und in Washington wurden Gesprche zwischen Bowen und den diplomatischen Vertretern Großbritanniens, Deutschlands und Italiens (das sich ebenfalls der Intervention angeschlossen hatte) zur Vorbereitung auf das vereinbarte Schiedsverfahren aufgenommen.87 Die Blockade dauerte whrenddessen an. Dies brachte die Interventionsmchte in grçßere Verlegenheit als Venezuela, da vor allem auswrtige wirtschaftliche Interessen darunter litten und sich auch die çffentliche Meinung in Großbritannien und den USA scharf gegen die Aktion zu wenden begann, nachdem deutsche Kriegsschiffe das venezolanische Fort San Carlos zerstçrt hatte. Ebenfalls nicht zugunsten der deutsch-britischen Verhandlungsposition wirkte sich die indirekte Beteiligung der USA an den Gesprchen durch Bowen aus.88

85 Hierzu mit unterschiedlichem Schwerpunkt Mitchell; Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte. 86 Vgl. dazu unten, I.4a. 87 Auch hierzu wieder Fiebig-von Hase, Lateinamerika; Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte; Herwig. 88 Zur Atmosphre der Verhandlungen vgl. Speck zu Sternburg an Blow, 22. 2. 1903, AA-PA R 17065.

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In den Gesprchen in Washington wurde der Konflikt zwischen Venezuela und den Interventionsmchten auf dem Wege klassischer zwischenstaatlicher Verhandlungen beigelegt. Venezuela verpflichtete sich, die deutschen Reklamationen aus Kriegs- und Revolutionsschden binnen Jahresfrist mit Wechseln zu bezahlen und im Verzugsfalle die Zçlle in den Hfen La Guaira und Puerto Cabello durch belgische Zollbeamte zugunsten des Deutschen Reiches erheben zu lassen. Eine Bercksichtigung der Forderungen der DiscontoGesellschaft ließ sich nicht durchsetzen, da Großbritannien die Untersttzung hierfr verweigerte. Venezuela verpflichtete sich nur recht unverbindlich, seine auswrtigen Schulden „in befriedigender Weise neu zu regeln“.89 Wirtschaftlich brachte die Venezuela-Aktion daher keinen großen Erfolg. Die Papiere der Disconto-Gesellschaft wurden weiterhin nicht bedient. Erst 1906 verglich sich die Venezuela-Eisenbahngesellschaft mit der Regierung dahin, daß sie fr ihre alten Anleihetitel neue, in Gold zu verzinsende erhielt, die dann auch tatschlich bis Kriegsausbruch bedient wurden.90 Die Einnahmen fr die Bezahlung der deutschen Ansprche brachte die Regierung aber durch hçhere Zçlle auf Kaffee und Importe auf, d. h. zu Lasten des deutschen Handels.91 Auch die Hoffnungen auf eine grundlegende Neuordnung, die deutsche Kaufleute und Diplomaten in Venezuela an das bewaffnete Eingreifen geknpft hatten, erfllten sich nicht. Die telegraphischen Mahnungen PilgrimBaltazzis whrend der Verhandlungen blieben ungehçrt: Alle anstndigen besitzenden Klassen in Venezuela, Fremde wie Einheimische, erhoffen von gegenwrtiger Aktion Sanirung der wirthschaftlichen und dadurch der politischen Verhltnisse und wren sehr enttuscht, wenn Ergebniß sich auf Regelung schwebender Reklamationen beschrnkt.92

Insbesondere der Handel leide schwer unter der Blockade und sei nur durch eine „Besserung der Verhltnisse“ mit dem militrischen Eingreifen zu versçhnen – „Bleibt diese aus, große Mißstimmung zu gewrtigen.“ Doch fr alle Beteiligten ging es nun darum, die durch die Intervention entstandene politisch-diplomatische Krise ohne Gesichtsverlust zu beenden. Nach der diplomatischen Klrung der materiellen Fragen blieb fr das Haager Schiedsgericht nur noch ein Problem brig: Da die Staatseinnahmen Venezuelas kaum ausreichten, die zugesagten Zahlungen zu leisten (selbst ohne Bercksichtigung der Ansprche der Disconto-Gesellschaft), verlangten die Interventionsmchte eine Prferenz fr ihre Ansprche gegenber denjenigen dritter Mchte. Bowen und Roosevelt, die darin eine Prmierung ge89 Der Text des Washingtoner Protokolls vom 13. 2. 1903 ist abgedruckt im Reichs- und StaatsAnzeiger, 16.2.1903. 90 Schaefer, S. 492, Pohl, S. 97. 91 Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 1073. 92 Pilgrim-Baltazzi an AA, 6. 1. 1903, AA-PA R 17064. Vgl. auch die in der Tglichen Rundschau v. 19. 4. 1903 verçffentlichte Korrespondenz eines deutschen Kaufmanns aus Maracaibo.

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waltttigen Vorgehens erblickten, waren strikt dagegen. Im Jahre 1904 entschied das Haager Gericht zugunsten der Interventionsmchte. Vor dem Reichstag rckte Blow erneut allgemeinere, auf das wirtschaftliche Verhltnis des Deutschen Reiches zu den Staaten Lateinamerikas bezogene Beweggrnde fr die Intervention in den Mittelpunkt. Trotz aller Nachteile der Aktion habe man keine Wahl gehabt als zum „Zwangsverfahren“ zu schreiten: Eine Methode, den Pelz zu waschen, ohne ihn naß zu machen, ist bisher noch nicht entdeckt worden. Bei derartigen Unternehmungen handelt es sich eben nicht allein um den gerade schwebenden Fall, sondern auch um eine in die Zukunft reichende Warnung. … Diese Regelung wird ihre Geltung behalten mssen, solange es Regierungen gibt, welche die kommerzielle bona fides hinter andere, mehr egoistische Rcksichten zurcktreten lassen. Wenn wir solche Angelegenheiten lediglich vom Geldstandpunkt aus behandeln wollten, so hieße das so viel, als daß wir uns jede, auch die frivolste Rechtsverletzung gefallen lassen; dann brauchten wir in der Tat weder Schiffe noch Kanonen. Ich mçchte aber keinen Zweifel darber lassen, daß es sich bei diesem unserem Vorgehen nur um einen seltenen Ausnahmefall handelt. Ich denke nicht daran, die Ansicht zu vertreten, daß wir fr jedes gewagte, fr jedes aleatorische Geschft, welches irgendwo in der Welt ein Deutscher unternimmt, den Exekutor zu spielen htten.93

Ein Kriterium dafr, wann ein politisches Eingreifen gerechtfertigt oder geboten war, lßt sich aus dieser Argumentation nicht ablesen – ging es nun um ein langfristig wirksames, strukturbildendes Auftreten gegen eine bestimmte Art von Rechtsverletzungen seitens lateinamerikanischer Staaten, oder handelte es sich um einen Ausnahmefall? Allerdings weiß man ohnehin, daß die çffentlichen Bekundungen der Regierung in Außenwirtschaftsfragen primr das Ziel hatten, zwischen den Positionen der einander feindlich gegenberstehenden Interessengruppen hindurchzulavieren.94 So ging es auch hier erst einmal darum, die Regierung durch Argumente fr die Intervention im konkreten Fall zu entlasten. Darber hinaus mußte versucht werden, gleichzeitig den von wirtschaftlichem Interesse oder nationalem Gefhl bewegten Verfechtern eines machtvollen Auftretens entgegenzukommen und den rechten wie linken Gegnern kostspieliger berseeabenteuer die Versicherung zu geben, daß es sich um einen isolierten Einzelfall handelte. Zur Begrndung dafr, daß es in Venezuela nicht um die privaten Interessen geschdigter Staatsglubiger gegangen war, verwies Blow auch auf die Beteiligung der Briten trotz ihrer „alten Tradition“ der Nichtintervention in Finanzfragen. In der Tat verteidigte Außenminister Lansdowne seine Politik mit hnlichen Argumenten, wie auch Blow sie gebrauchte – es sei nicht um das Geld der 93 Reichstagssitzung v. 19. 3. 1903, RT 10/2/10 (Bd. 188). 94 Torp, S. 268.

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Anleger gegangen, sondern um die Reklamationen mißhandelter oder ausgeplnderter Briten: British trade would be ousted from foreign countries with a vengeance if His Majesty’s Government were to proclaim their indifference to the ill-treatment of the King’s subjects. The bondholders’ claims had throughout been placed on a different level.95

Langfristige Wirkungen entfaltete die Intervention vor allem in machtpolitischer Hinsicht. Es zeigte sich, daß die USA ber die Mittel verfgten, ihren Exklusivanspruch auf dem amerikanischen Kontinent durchzusetzen. Mit der „Roosevelt Corollary“ wurde der amerikanische Ordnungsanspruch dann durch eine bis dahin abgelehnte Verantwortung fr das Wohlverhalten der lateinamerikanischen Staaten ergnzt.96 Eine heilsam abschreckende Wirkung auf lateinamerikanische Schuldnerstaaten, die deutsche Diplomaten zuerst beobachtet hatten, mußte so bedeutungslos bleiben.97 In der Forschung ist die Politik des Deutschen Reiches gegenber Venezuela widersprchlich gedeutet worden. Fiebig-von Hase nennt eine ganze Reihe von Grnden fr die Intervention, sieht aber letztlich die Zahlungsverweigerung gegenber der Disconto-Gesellschaft als ausschlaggebend an, whrend Herwig eine vor allem an Prestigegesichtspunkten orientierte Großmachtpolitik beschreibt.98 Aus dem vorhandenen, lckenhaften, Quellenmaterial lßt sich nicht genau ersehen, wann und warum die Entscheidung zur Intervention letztlich getroffen wurde. Dies geschah nicht auf die wiederholten Vorstellungen der Disconto-Gesellschaft hin, und auch nicht als Reaktion auf das Castro-Dekret vom 24.1.1901. Das Auswrtige Amt begann im Sommer 1901, sich ernsthaft mit der Eventualitt einer Intervention auseinanderzusetzen, als man keinerlei Aussichten mehr sah, zu einer Einigung mit der Regierung Castro zu kommen, und von nun an bestimmten Erwgungen der „Großen Politik“ ber den genauen Zeitpunkt. Auch kommen fr unterschiedliche Akteure unterschiedliche Beweggrnde in Betracht: Whrend die Marineoffiziere vor Ort und Wilhelm II. stets geneigt waren, auf konkrete Vorflle mit der Forderung nach scharfem militrischem Vorgehen zu reagieren,99 war die Marinefhrung in Berlin zurckhaltender, da sie 95 Zit. n. The Times, Venezuela, 3.3.1903. 96 Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte, S. 555. 97 Aus Buenos Aires wurde etwa gemeldet, es lasse „sich nicht verkennen, daß der heilsame Schreck, welcher den Leuten hier in die Glieder gefahren ist, bereits seine Frchte zu tragen beginnt.“ Der argentinische Kongreß etwa verabschiedete eine neue, den Interessen von Glubigern gnstigere Konkursordnung, und „in der Behandlung diplomatischer Reklamationen macht sich auf dem Ministerium der auswrtigen Angelegenheiten neuestens unwillkrlich eine Neigung zu etwas grçßerem Entgegenkommen bemerkbar“ (Gesandtschaft La Plata an AA, 24. 12. 1902, AA-PA R 17064). 98 Fiebig-von Hase, Lateinamerika; Herwig. 99 Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 864; Herwig, S. 242; vgl. auch den Telegrammwechsel zwischen dem AA und Wilhelm II. am 18./19. 7. 1902, AA-PA R 17061.

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glaubte, nicht ber gengend Schiffe zu verfgen und einen Konflikt mit den USA scheute. Blow hingegen trat fr eine Intervention ein, um der çffentlichen Meinung Genge zu tun und weil er ein grundstzliches deutsches Interesse daran sah, daß die Rechte und das Eigentum deutscher Firmen und Privatleute im Ausland geschtzt und die in solchen Angelegenheiten ber die Diplomatie des Reiches vorgebrachten Anliegen entsprechend gewrdigt wrden. Festzuhalten ist in jedem Fall, daß Venezuelas Zahlungsunwilligkeit allein nicht als eine tragfhige Legitimation fr ein Eingreifen angesehen wurde. Ein solches mußte sich, wie im Falle Griechenlands, auf eine manifeste Rechtsverweigerung sttzen. Venezuela hatte mit seiner prinzipiellen Weigerung, eine Verantwortung fr auf seinem Staatsgebiet verbte Schdigungen auswrtigen privaten Eigentums anzuerkennen, elementaren vçlkerrechtlichen Auffassungen ber die Rechte und Pflichten von Staaten nicht nur zuwidergehandelt, sondern ihnen offen widersprochen. An diesem Punkt kommt eine dritte, von Fiebig-von Hase in einer spteren Arbeit angedeutete Interpretation des Eingreifens ins Spiel: Nicht der direkte Einfluß wirtschaftlicher Interessen auf die deutsche Politik, sondern die Sorge um die Wirkung, die von wiederholten Rechtsbrchen gegenber deutschen Firmen auf Venezuela und auf andere lateinamerikanische Staaten ausgehen mußte, war maßgeblich fr die Intervention. Diese konnte erst stattfinden, als mit den vçlkerrechtlichen Reklamationen ein Anlaß und mit Großbritannien ein Partner gefunden war – d. h., sowohl Großmachtpolitik als auch Vçlkerrecht setzten die Rahmenbedingungen der Intervention.100 Venezuela hatte trotz des fortschreitenden Staatszerfalls hinter der Monroe-Doktrin und dem Vçlkerrecht solange Schutz gefunden, wie es sich nicht zu offenkundigen und allseits als solchen wahrgenommenen Rechtsbrchen hinreißen ließ. Zur Eintreibung der venezolanischen Staatsschuld mit gewaltsamen Mitteln sah man in Berlin weder Anlaß noch Rechtfertigung. Erst als Venezuela die Regelung von Reklamationen aus Brgerkriegsschden grundstzlich verweigerte und sich mit der These, „daß jede diplomatische Einmischung durch die Landesgesetzgebung ausgeschlossen werden kçnne“,101 außerhalb der Grundstze des Vçlkerrechts stellte, fiel die Entscheidung zur bewaffneten Intervention, und nun konnte Venezuela sich auch der Forderung nach einer „befriedigende[n] Erklrung“102 bezglich seiner Auslandsschulden nicht mehr entziehen. Insofern Prestigeerwgungen eine Rolle spielten, waren sie durchaus funktional begrndet, da die Berliner Regierung eine Notwendigkeit sah, ihre Bereitschaft 100 Fiebig-von Hase, Großmachtkonflikte, S. 530 nennt diesen Faktor, hlt aber weiterhin „letztlich die Finanzfragen [fr] ausschlaggebend“. Das lßt sich mangels eindeutiger Belege nicht klren; fr unsere Zwecke von Bedeutung ist, daß die „Finanzfragen“ ein Eingreifen fr das AAvielleicht wnschenswert, nicht aber vçlkerrechtlich mçglich machten. 101 AA an Pilgrim-Baltazzi, 26. 6. 1902, AA-PA R 17060. 102 Denkschrift der Reichsregierung ber die Reklamationen Deutschlands gegen die Vereinigten Staaten von Venezuela, Bundesrat 8.12.1902.

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zum Schutz deutscher Interessen im Ausland unmißverstndlich deutlich zu machen. (c) Staatsbankrott und politisch-militrische Intervention Der Ruf nach staatlicher Untersttzung in diplomatischer oder militrischer Form gehçrte zu den Begleiterscheinungen eines jeden Staatsbankrotts vor 1914. Die Handlungsmçglichkeiten und Erfolgsaussichten in dieser Hinsicht waren jedoch eng umgrenzt. Die Venezuela-Intervention zeigt, daß ein bewaffnetes Eingreifen zwar einen sumigen Schuldner in die Knie zwingen, aber wenig Positives bewirken konnte: Die Intervention „deckte die Grenzen der Kanonenbootdiplomatie auf“.103 Am Beispiel Griechenlands lßt sich deutlich machen, daß in einem von Erwgungen der „Großen Politik“ mitbestimmten Handlungsfeld eine politisch-diplomatische Einflußnahme zugunsten geschdigter Glubiger nur unter ganz ungewçhnlichen Umstnden zum Erfolg fhren konnte. Politisch-diplomatische oder gar militrische Intervention war also in der Regel kein Mittel, mit dem sich die durch Staatsbankrotte aufgeworfenen Probleme bewltigen ließen. Gegenber Griechenland wurde nicht der Bankrott an sich als Anlaß zum Eingreifen angesehen, sondern seine Verbindung mit der Verletzung weiterer Rechte der Glubiger. Auch gegenber Venezuela gab erst die Weigerung des bankrotten Staates, fr Rechtsbrche und Brgerkriegsschden Wiedergutmachungsverpflichtungen anzuerkennen, den Anlaß zu militrischen Bemhungen. In beiden Fllen spielte die Erwgung, daß man solche Rechtsbrche auch im Hinblick auf zuknftige, hnlich gelagerte Flle nicht einfach hinnehmen durfte, eine wichtige Rolle bei der Entscheidung zum Eingreifen. Jedoch war eine politische oder gar militrische Intervention stark von der jeweiligen politisch-diplomatischen Konjunktur und den internationalen Machtverhltnissen abhngig: konkret dem Ordnungsanspruch der USA auf dem amerikanischen Kontinent oder den Strukturen des europischen Mchtesystems. berdies brachte die kriegerische Selbsthilfe als Mittel der Durchsetzung von Ansprchen zwischen Staaten erhebliche Risiken und Kosten mit sich. Fand eine Intervention statt, endete sie mit einem Diktat, das die berlegene Seite der unterlegenen aufzwang, nicht mit einem Interessenausgleich. Der Nutzen fr die diktierende Macht blieb allerdings begrenzt, weil aus dem bankrotten Land nicht viel herauszuholen war und sich fast zwangslufig ein Interessengegensatz entwickelte zwischen den Glubigern, die auf der Einhaltung alter Zahlungsverpflichtungen um jeden Preis bestanden, auf der einen Seite, und denjenigen, die ber Handel und Export an der zuknftigen Entwicklung des Schuldners interessiert waren, auf der anderen. Politische oder militrische Interventionen warfen auch die extrem komplizierte Frage auf, ob denn Interventionsmchte als Preis fr ihre Mhe 103 Herwig, S. 244.

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eine bevorzugte Behandlung ihrer Ansprche verlangen konnten. Insgesamt erwiesen sich Diplomatie und Militr jedenfalls als wenig geeignete Instrumente, eine befriedigende Abwicklung von Staatsbankrotten zu erreichen. Dementsprechend wichtig mußten sowohl vorbeugende Maßnahmen gegen die Schdigung deutscher Glubiger sein als auch ein weniger gewaltsames und regulreres Verfahren des Interessenausgleichs im Fall eines Bankrotts.

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3.) Anlegerschutz durch Gesetz und Vertragsklauseln Da repressive Maßnahmen im Falle eines Staatsbankrotts wenig erfolgversprechend waren, wurde schon frh ber prventive Maßregeln nachgedacht. In diesem Zusammenhang interessiert einerseits der Weg der einzelstaatlichen Gesetzgebung, wie er mit dem deutschen Bçrsengesetz von 1896 auch als Reaktion auf die Welle von Staatsbankrotten Anfang der 1890er Jahre beschritten wurde, andererseits der Weg der Ausgestaltung von Anleihevertrgen, die die Banken oft unter Beteiligung der Diplomatie mit den kapitalsuchenden Staaten aushandelten, was hier am Beispiel der China-Anleihen vor dem Ersten Weltkrieg untersucht werden soll.

(a) Anlegerschutz durch einzelstaatliche Kapitalmarktregulierung: Die Bçrsen-EnquÞte und die Reform des Bçrsengesetzes Ursprnge der Bçrsengesetzgebung August Sartorius v. Waltershausen nennt in seiner 1907 erschienenen Studie ber Kapitalanlagen im Ausland drei Mçglichkeiten zum Schutz des Auslandskapitals: (1) das nachtrgliche Einschreiten gegen Verletzungen der Glubigerrechte; (2) prophylaktische Maßnahmen und (3) die Einbindung des Kapitalexports in die allgemeine „Macht- und Wirtschaftspolitik“.1 Sartorius konstatiert zunchst die begrenzten Erfolgsaussichten politisch-diplomatischer Intervention, erfolge sie nun unilateral oder multilateral, und weist darauf hin, daß gegen bankrotte Großmchte oder im Falle wirklicher Zahlungsunfhigkeit schlicht keine Mittel vorhanden seien, den geschdigten Anlegern zu ihrem Recht zu verhelfen. Charakteristisch fr eine ganze Richtung in Politik und Gesetzgebung ist die weitere Argumentation Sartorius’: Aus der begrenzten Wirksamkeit nachtrglicher Repression wird auf die Notwendigkeit prventiver einzelstaatlicher Gesetzgebung geschlossen. Zentraler Gesichtspunkt dieser Gesetzgebung wird dann aber die an der gesamtstaatlichen Politik ausgerichtete Lenkung des Kapitalexports und nicht etwa die Lçsung des ursprnglich gestellten Problems, die Sicherung des im Ausland angelegten Kapitals also. Genau dieses Bestreben zeigt sich auch bei den Debatten um das deutsche Bçrsengesetz von 1896, der wichtigsten Kapitalmarktregulierungsmaßnahme in Deutschland, konnte sich dabei allerdings nicht durchsetzen. Ursprnglich hatte die deutsche Bçrsengesetzgebung mit dem Schutz der Auslandsanleger nichts zu tun. Ausgangspunkte der Bestrebungen zur Bçrsenreform waren zum einen die Zunahme der Spekulation auf den Termin1 Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 283 f.

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mrkten fr Getreide und andere Rohstoffe, aber auch fr Wertpapiere, zum anderen die Veruntreuung von Kundengeldern, die 1891 beim Zusammenbruch einiger kleinerer Berliner Bankhuser ans Licht gekommen war. Schließlich wurde auch bekannt, daß anlßlich von Emissionen regelmßig Bestechungsgelder an die Presse flossen, um die Stimmung gnstig zu gestalten.2 Nußbaum unterscheidet eine „rechtspolizeiliche“ und eine „agrarpolitische“ Motivation zur Bçrsenreform: Einerseits sollte das „Publikum“ von der Bçrse ferngehalten und so vor den Gefahren der Spekulation, des „Bçrsenspiels“, geschtzt werden. Andererseits setzten sich die starken agrarischen Interessen fr eine Eindmmung oder Unterbindung des Terminhandels in Getreide ein, den sie fr fallende Getreidepreise mitverantwortlich machten.3 Als 1892 die auf Verlangen des Reichstags berufene Bçrsen-EnquÞte-Kommission ihre Arbeit aufnahm, war angesichts der Verluste deutscher Kleinanleger aus notleidenden argentinischen, portugiesischen und griechischen Papieren auch die Frage des Schutzes der Besitzer auswrtiger Papiere und der Abwehr zweifelhafter Emissionen in den Untersuchungsauftrag aufgenommen worden. berdies hatte sich inzwischen aufgrund der genannten Ereignisse eine allgemein bçrsenkritische Stimmung entwickelt. Die Bçrsen-EnquÞte und die Ausarbeitung des Bçrsengesetzes fanden so in einer politisch aufgeladenen Atmosphre statt. Gegenber dem Ziel der Informationsgewinnung trat rasch die nachdrckliche Vertretung der verschiedenen betroffenen Interessen in den Vordergrund, wobei sich insbesondere der wachsenden Einfluß der Agrarier bemerkbar machte, die Weltmarkt, Handel und Marktwirtschaft feindlich gegenberstanden. Die Bçrsen-EnquÞte-Kommission war aus Beamten des Reiches und der Lnder, der Reichsbank und des Reichsgerichts, Wissenschaftlern, Parlamentariern, und Vertretern von Landwirtschaft und Handelskammern zusammengesetzt. Sie tagte von April 1892 bis November 1893 und vernahm insgesamt 115 Experten aus Handel, Landwirtschaft, Presse und Bank- und Bçrsenkreisen; die Interessen der Kufer von Wertpapieren waren dagegen nicht vertreten.4 In ihrem Bericht ging die Kommission davon aus, daß die Bçrsen zu einem „wichtigen Factor der Volks- und Staatswirthschaft geworden“ waren und deshalb nicht mehr als vollstndig selbstregulierte Einrichtungen der Kaufmannschaft funktionieren sollten, sondern eine begrenzte staatliche Aufsicht die Interessen der Gesamtheit wahren mußte.5 Im einzelnen sahen die Vorschlge der EnquÞte-Kommission etwa vor, Wertpapiere vor der Zulassung zum Bçrsenhandel von Zulassungsstellen prfen zu lassen. Die 2 Zur Geschichte des Bçrsengesetzes vgl. Schulz; Meier ; Wetzel; Gçmmel. An dieser Stelle wird nur auf die im Zusammenhang mit dem Schutz der Anleger vor dem Bankrott auswrtiger Staaten relevanten Aspekte der Bçrsengesetzgebung eingegangen, d. h., konkret auf die Prospekthaftung und die Zulassungsstellen. 3 Nußbaum, Bçrsengesetz, S. xvi f. 4 Zu Zusammensetzung und Arbeit der Bçrsen-EnquÞte-Kommission vgl. Schulz, S. 72 – 87. 5 Bçrsen-EnquÞte-Kommission, Bericht und Beschlsse, S. 31 f.

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Zulassung sollte nur auf der Grundlage eines Prospekts erfolgen, fr dessen Richtigkeit und Vollstndigkeit die emittierende Bank haftete. Rechtsverbindliche Bçrsentermingeschfte sollten nur Personen bzw. Firmen abschließen kçnnen, die sich in ein eigens fr diesen Zweck geschaffenes Register eintragen ließen. Der Bericht der EnquÞte-Kommission wurde von Interessengruppen und Juristen ausfhrlich diskutiert, wobei ein breites Spektrum von Meinungen erkennbar war : Handelskammern beklagten eine generell handels- und bçrsenfeindliche Tendenz im Bericht, Senat und Kaufmannschaft der Hansestdte erklrten die Bçrsenreform berhaupt fr einen berflssigen und schdlichen Eingriff in die Wirtschaft, agrarische Kreise verlangten eine umfassendere staatliche Kontrolle des Bçrsengeschehens und ein Verbot von Termingeschften. Angesichts der widerstreitenden Interessen zçgerte die Regierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Erst nach dem Amtsantritt von Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfrst wurde ein solcher ausgearbeitet. Hohenlohe hatte eine strkere Bercksichtigung agrarischer Interessen versprochen und wollte nun, da die Caprivischen Handelsvertrge ihm auf dem Gebiete des Außenhandels die Hnde banden, zumindest die von den Agrariern verlangte Bçrsengesetzgebung auf den Weg bringen.6 Der Regierungsentwurf7 hielt sich eng an die Vorschlge der Bçrsen-EnquÞte-Kommission. Die Agrarier, denen das nicht weit genug ging, konnten im Laufe des Gesetzgebungsprozesses einige Verschrfungen durchsetzen, unter anderem das Verbot des Terminhandels in Getreide, Mhlenprodukten und den Wertpapieren von Industrie- und Bergwerksbetrieben.8 Im Bereich des Anlegerschutzes konnten sich die agrarischen Zusatzantrge dagegen nicht durchsetzen. Das Bçrsengesetz wurde mit den Stimmen der Konservativen, Nationalliberalen und des Zentrums angenommen, dagegen stimmten die Linksliberalen sowie die SPD. Diese trat zwar fr eine verschrfte Kontrolle der Bçrse ein, war jedoch nicht bereit, das Verbot des Getreideterminhandels mitzutragen, von dem eine Verteuerung der Lebenshaltung erwartet wurde. Im Bundesrat wurde das Bçrsengesetz gegen die Stimmen der hanseatischen Stdte angenommen.9

6 Schulz, S. 115 – 139. Einer der umfassendsten zeitgençssischen Diskussionsbeitrge: Weber, Bçrsenenquete. 7 RT Bd. 151 Nr. 14. 8 Vgl. v. a. den Bericht der mit der Regierungsvorlage befaßten IX. Kommission des Reichstags (RT Bd. 152 Nr. 246). 9 Schulz, S. 144 – 183.

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Die Diskussion um den Anlegerschutz im Umfeld der Bçrsengesetzgebung Die Vorschlge der Bçrsen-EnquÞte-Kommission zum Schutze der Auslandsanleger lassen sich drei Gruppen zuordnen: (1) eine verstrkte staatliche Aufsicht ber die Zulassung von (insbesondere auslndischen) Wertpapieren an der Bçrse; (2) sollten die Banken, die eine Anleihe an der Bçrse einfhrten, nun verpflichtet sein, Angaben zur finanziellen Lage des Schuldners zu machen, und fr die Richtigkeit und Vollstndigkeit dieser Angaben haften; (3) sollte die Beeinflussung der Finanzpresse im Zusammenhang mit der Emission von Wertpapieren unter Strafe gestellt werden. Die Zulassung von Papieren zum Bçrsenhandel erfolgte an der wichtigsten deutschen Bçrse, in Berlin, schon seit 1881 erst nach einer Prfung durch den Bçrsenvorstand. Die Berliner Kaufmannschaft, die Trgerin der Bçrse, erließ 1884 die „Leitenden Gesichtspunkte“ zur Standardisierung dieser Prfung, die 1885 auch in Frankfurt bernommen wurden. Danach hatten Banken, die ein Wertpapier an der Bçrse einfhren wollten, einen Prospekt mit konkreten und wahrheitsgemßen Angaben einzureichen, so daß es potentiellen Kufern mçglich war, sich ein Urteil ber das Papier zu bilden. Die Bçrse prfte vor der Zulassung den Prospekt, ohne dabei freilich die Richtigkeit einzelner Angaben kontrollieren zu kçnnen. Nach den Vorstellungen der Bçrsen-EnquÞte-Kommission sollte diese Regelung nun fr alle deutschen Bçrsen verpflichtend vorgeschrieben werden. Außerdem sollten in den Zulassungsstellen auch Personen vertreten sein, die nicht beruflich mit dem Bçrsenhandel befaßt waren. Hier hatte man offenbar insbesondere an Nationalçkonomen als unabhngige Sachverstndige gedacht. Damit gingen der Kommissionsbericht und der darauf aufbauende Regierungsentwurf nur unwesentlich ber die bestehenden Verhltnisse hinaus. Man strebte damit an, einen Mittelweg zwischen vçlliger Freiheit der Bçrsen und staatlicher Kontrolle ber die Zulassung von Wertpapieren zu steuern mit dem Ziel, „nur die nicht ausreichend fundirten, den Wohlstand der inlndischen Erwerbskreise gefhrdenden Emissionen“ fernzuhalten.10 In den Beratungen der Bçrsen-EnquÞte-Kommission und in den umfassenden Reichstagsdebatten ber das Bçrsengesetz wurde von agrarisch-konservativer Seite immer wieder eine strkere staatliche Aufsicht ber die Emission von Wertpapieren gefordert. Zu diesem Zweck sollte eine zentrale, durch den Bundesrat bestellte Zulassungsstelle fr Wertpapiere eingerichtet werden und damit ein staatliches Organ die bisher und auch nach dem Regierungsentwurf zum Bçrsengesetz von einem Bçrsenorgan ausgebte Funktion bernehmen.11 10 So die Begrndung zum Regierungsentwurf: RT 9/4, 1. Anlageband (Bd. 151), Nr. 14, S. 22. 11 RT 9/4, 1. Anlageband (Bd. 151), Nr. 14, Nr. 246; Bçrsen-EnquÞte-Kommission, Stenographische Berichte; vgl. auch die im Anschluß zitierten Debatten im Reichstag.

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Fr diese Forderung wurden zwei durchaus unterschiedliche Argumente vorgebracht: Zum einen hieß es, insbesondere kleine Anleger mßten davor geschtzt werden, ihre Ersparnisse hçherer Zinsen wegen in riskanten Auslandsanlagen aufs Spiel zu setzen. Graf Kanitz, der Wortfhrer der Agrarier, erklrte daher das Zulassungswesen zu einem der „bedeutendsten Abschnitte des Entwurfs“. Er verwies gleich zu Beginn seiner Stellungnahme zum Bçrsengesetz auf die „großen Verluste, welche das deutsche Kapital in auslndischen Werthen erlitten hat“, und legte dar, daß kaum jemals einer auswrtigen Anleihe die Zulassung versagt worden sei. Offenbar habe die Bçrse der Zulassung „auslndischer Papiere von zweifelhaftem Werthe“ keine Hindernisse in den Weg gelegt und sei somit selbst nicht in der Lage, die Kontrolle ber die Zulassung effektiv zu handhaben.12 Die zweite Argumentation zugunsten einer Reichsemissionsstelle verfocht zwar gleichfalls die Fernhaltung unsicherer Werte von der Bçrse und den Schutz der „Interessen des Publikums gegenber der Bçrse“. Dem Publikum sollte eine „neutrale Stelle fr Ausknfte ber Werthpapiere“ zur Verfgung stehen. Im Grunde wurde hier jedoch etwas anderes angestrebt als der Anlegerschutz, nmlich die Schaffung eines Instrumentes, mit dessen Hilfe der Staat eine umfassende Kontrolle ber alle auswrtigen Finanzbeziehungen seiner Untertanen wrde ausben kçnnen. Eine zentrale Zulassungsstelle sollte bei Auslandsanleihen mehr „Rcksichtnahme auf die großen nationalen Interessen“ durchsetzen – mit deutschem Kapital gebaute Eisenbahnen sollten kein auslndisches Material kaufen; deutsches Kapital sollte nicht dazu verwendet werden, im Ausland Betriebe zu etablieren, die dann der deutschen Industrie Konkurrenz machten; Staaten, die Deutschland feindlich gegenberstanden, sollten keine Anleihen mehr auf dem deutschen Markt unterbringen drfen.13 Nicht mehr der Schutz der Anleger, sondern der freie Kapitalexport an sich stand damit zur Debatte. Hier wie auch bei der bereits zitierten Argumentation Sartorius v. Waltershausens diente der Anlegerschutz als Argument fr die Eingliederung des Kapitalexports in eine wie auch immer bestimmte „nationale“ Wirtschaftspolitik. Zumindest sollte diese sicherstellen, daß die Brger ihr volkswirtschaftlich wichtiges Kapital nicht unnçtigen Risiken aussetzten – daß der Kapitalexport „nicht dem individuellen Gutbefinden berlassen werden darf, wenn volkswirtschaftliche Schden vermieden werden sollen.“14 Darber hinaus hatte sie aber in den Augen ihrer Verfechter Rcksichtnahme auf die politischen Interessen des Reiches und die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Industrie und Landwirtschaft zu ben. So wurde aus einer mit dem Argument des Anlegerschutzes gerechtfertigten Regulierung ein Instrument, mit dem Anlegerinteressen denjenigen anderer Sektoren untergeordnet wer12 RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 206 – 210; 9/4/3 (Bd. 145), S. 2016 f. 13 RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 261 – 265 (Hahn). 14 Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 281.

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den sollten. Nicht mehr Rendite und Sicherheit, sondern außen- oder industriepolitische Erwgungen sollten den Ausschlag geben. Anlageentscheidungen, die „ganz individualistisch“ getroffen wurden, erschienen in einer Zeit zunehmender Regulierung als anachronistisch: Ist eine solche Beschrnkung, um nicht zu sagen Beschrnktheit, logisch, oder nur irgendwie zu verteidigen in einer Zeit, in welcher der ußerste Scharfsinn auf den glcklichen Abschluß eines Handelsvertrages verwandt wird, und Spezialabmachungen ber Bahnanschlsse, ber Arbeiterwanderung, Schiffahrtsabgaben, Seefischerei, geistiges Eigentum und manches andere uns fortgesetzt beschftigen?15

Insgesamt konnten sich die agrarisch-konservativen oder wirtschaftsnationalistischen16 Verfechter einer zentralen Zulassungsstelle in den Debatten ber das Bçrsengesetz nicht durchsetzen. Das lag allerdings nicht daran, daß es den Gegnern der Zulassungsstelle gelungen wre, in der Debatte ber das Fr und Wider des Kapitalexports Boden gutzumachen. Auch vermochten sie nicht, die bei auslndischen Staatsbankrotten entstandenen Verluste unter Verweis auf die ebenfalls mit auslndischen Anleihen erzielten Gewinne als gnzlich marginal darzustellen.17 Nicht viele Anhnger fand auch die Position Max Webers, der zwar ebenfalls eine Bçrsenpolitik im nationalen Interesse verlangte, ihr Ziel aber vor allem darin sah, eine effiziente Preisbildung zu ermçglichen und die internationale Stellung der deutschen Bçrsen zu strken. Den Schutz des Publikums vor den Gefahren der Spekulation und riskanter Anlagen hielt er fr durchaus entbehrlich.18 Das entscheidende Gegenargument, das vor allem die Regierung dazu brachte, hier anders als in der Frage des Terminhandels eindeutig Stellung zu beziehen, war vielmehr, daß das Reich durch seine Mitwirkung an der Zulassung von Wertpapieren eine politische und wirtschaftliche Verantwortung auf sich laden wrde, die es nicht tragen kçnne. Regierung, Reichsbank, National- wie Linksliberale und Sozialdemokraten brachten zahllose Varianten dieses Arguments vor. Gegenber den Anlegern wrde eine offizielle Zulassungsstelle letztlich wie eine Reichsgarantie fr die Gte der zugelassenen Papiere wirken, und selbst wenn daraus keine Haftung fr das Reich abgeleitet werden konnte, befrchtete man dennoch, daß es die Anleger an selbststndiger Prfung fehlen lassen wrden: Es wird das Publikum, welches schon jetzt viel zu leichtsinnig ist beim Erwerbe auslndischer Papiere, ohne jede Prfung lediglich aus blindem Vertrauen sich solche Papiere anschaffen, welche die Hauptzulassungsbehçrde hat passiren lassen … Das Publikum sollte beim Erwerb auslndischer Papiere immer ins Auge fassen, daß 15 16 17 18

Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 313. Zum Begriff vgl. Etges. Vgl. dazu v. a. RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 238 – 242 (Fischbeck). Weber, Bçrsenwesen, S. 252.

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mit dem hçheren Zins ein weit grçßeres Risiko verbunden ist. Dieser Gedanke wird verwischt durch die Existenz einer quasi-staatlichen Zentralzulassungsstelle.19

Was die politische Dimension der staatlichen Zulassung von Wertpapieren anging, wurde vor allem auf die diplomatischen Unannehmlichkeiten verwiesen, welche die Ablehnung einer Anleihe befreundeter Staaten mit sich bringen wrde, sowie auf die Gefahr, daß aus politischen Rcksichten auch weniger gute Anleihen zugelassen wrden: „Die Erfahrung lehrt auch, daß politische Interessen zuweilen die Zulassung eines Papiers wnschenswerth erscheinen lassen, dessen Erwerb in Deutschland im finanziellen Interesse des Publikums vielleicht besser unterbliebe.“ Hier werde das Publikum durch „rein private Zulassungsstellen“ besser geschtzt.20 Ein ebenfalls zugkrftiges Argument gegen eine zentrale Zulassungsstelle war schließlich, daß diese eine weitere Zentralisierung des Bçrsengeschehens in Berlin bewirken, einen großen hauptamtlichen Apparat erfordern und den lokalen grenzberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen etwa zwischen Bayern und sterreich oder Skandinavien und Hamburg schaden wrde.21 Am Ende brachte das Bçrsengesetz daher keine grundstzlichen nderungen bei den Regeln fr die Zulassung von Papieren zum Bçrsenhandel. Die bereits in Berlin von den Bçrsenorganen selbst entwickelten Regeln, nach denen es an jeder Bçrse eine Zulassungsstelle geben mußte und die Zulassung nur auf der Grundlage aussagekrftiger Prospekte erfolgen konnte, wurden per Gesetz reichsweit verbindlich gemacht. Erst im Zusammenhang mit einer zweiten Neuerung, der Prospekthaftung, vernderten die Zulassungsregeln die Grundlagen des Emissionsgeschfts in Deutschland. Kritik an den Banken, die Anleihen und Aktien an der Bçrse unterbrachten, ohne sich um die langfristige Soliditt dieser Papiere zu kmmern, wurde erstmals nach der Grnderkrise und dann erneut im Zusammenhang mit den Staatsbankrotten der frhen 1890er Jahre laut: Maßgebend fr den Kredit eines fremden Staates sind die Zwischenhnde in Gestalt der Banken und Bçrsen geworden, die bei jedem neuen Papier zunchst nach ihrem Gewinn fragen und erst in zweiter Reihe den inneren Wert des Papiers und nur unter dem Gesichtspunkte seiner Absatzfhigkeit prfen. … Bei derartigen Geschften sollten die Banken nur solche Werte vertreiben, die sie selbst fr eigene Rechnung ruhig behalten kçnnen und das Geschft nicht, wie einmal ein ehrlicher Finanzmann ußerte, ansehen wie ein kaltes Bad: schnell hinein und ebenso schnell wieder hinaus.22 19 Zitat: RT 9/4/3 (Bd. 145), S. 2017 (Reichsbankprsident Koch); vgl. auch RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 221 (Meyer), S. 221 (Koch). 20 RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 238 – 242 (Fischbeck); RT 9/4/3 (Bd. 145), S. 2018 (Reichsbankprsident Koch). 21 Vgl. die Beratungen der IX. Reichstagskommission, RT 9/4, 2. Anlageband (Bd. 152), Nr. 246. 22 Dehn, Neubildungen, S. 68 f.

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Dementsprechend wurde teilweise verlangt, die Banken sollten einen Teil der Emissionen selbst behalten mssen, um sie an der Soliditt der von ihnen auf den Markt gebrachten Werte zu interessieren.23 Das htte jedoch einen großen Teil des Kapitals der Banken gebunden und so deren Ttigkeit stark eingeschrnkt. Statt dessen wurde nun der Vorschlag der Prospekthaftung aufgegriffen. Nach „allgemeinen Rechtsgrundstzen“ war es kaum mçglich, die Emissionshuser fr ein schuldhaftes Verhalten bei der Emission haftbar zu machen, schließlich traten sie lediglich als Vermittler zwischen dem Erwerber des Papiers und dem Schuldner auf. Die Aufnahme von Prospektzwang und Prospekthaftung in das Bçrsengesetz sollte das ndern: Die direkt oder indirekt an einer Emission beteiligten Banken sollten fr die Angaben in dem Prospekt haften, der zur Zulassung des Wertpapiers an der Bçrse eingereicht wurde.24 Die Berliner „Leitenden Gesichtspunkte“ und das Bçrsengesetz schrieben bereinstimmend vor, welche Angaben ein Prospekt zu enthalten hatte. Bei auswrtigen Staatsanleihen waren das insbesondere die letzten beiden Haushaltsabschlsse des Schuldnerstaates, das Budget des laufenden Jahres, der Schuldenstand und Informationen ber eventuelle Zahlungseinstellungen in den letzten zehn Jahren.25 Deutsche Staats- und Reichsanleihen genossen allerdings eine privilegierte Stellung; ihre Bçrsenzulassung durfte nicht verweigert werden, und sie waren auch vom Prospektzwang befreit, da „ihre unzweifelhafte Sicherheit es auch unnçthig macht, das Publikum besonders aufzuklren.“26 Strittig war von vornherein das Ausmaß der Haftung der Emissionsbanken. Einige konservative Bçrsenkritiker wollten so weit gehen, den Banken eine generelle Ersatzpflicht bei Kursverlusten aufzuerlegen. Derartige Vorstellungen sahen sich allerdings stets mit dem Gegenargument konfrontiert, daß eine scharfe Kontrolle das Emissionsgeschft lediglich in schwer kontrollierbare Kanle abdrngen und daher letztlich den Interessen des Publikums zuwiderlaufen wrde. Solche Befrchtungen richteten sich einmal darauf, daß sich die großen und soliden Bankhuser aus dem Emissionsgeschft ganz zurckziehen und die Vermittlung von Wertpapieren kurzlebigen, mit geringem Kapital operierenden kleinen Husern berlassen wrden. Daneben sah man auch eine Abwanderung des Geschfts an auslndische Bçrsen voraus. Das kaufwillige Publikum htte in Deutschland nicht zugelassene Papiere dann eben im Ausland gekauft, ganz ohne den Schutz des deutschen Emissionsrechts, deutschen Banken wre das Emissionsgeschft verlorengegangen, und auch sichere und profitable auslndische Papiere htten ihren Weg kaum noch

23 24 25 26

Vgl. z. B. Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 305 – 310. Bçrsen-EnquÞte-Kommission, Bericht, S. 100 ff.; Nußbaum, Bçrsengesetz, S. 190 f. Freund, Rechtsverhltnisse, S. 109 ff.; Nußbaum, Bçrsengesetz. Vgl. die Begrndung zum Bçrsengesetz, RT 9/4, 1. Anlageband (Bd. 151) Nr. 14, S. 24.

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an die deutschen Bçrsen gefunden.27 Unter den Bedingungen eines freien Kapitalverkehrs und stabiler Whrungen waren die Mçglichkeiten einer einzelstaatlichen gesetzlichen Regulierung der Finanzmrkte daher begrenzt, da sich Angebot und Nachfrage jederzeit in ein gnstigeres regulatives Umfeld zurckziehen und Regulierung so ins Leere laufen lassen konnten. Nußbaum stellt deswegen fest: Im einzelnen sind die Bestimmungen ber die Prospekthaftung sehr knstlich geraten, teils wegen der großen in der Sache selbst liegenden juristischen Schwierigkeiten, teils wegen der gebotenen Rcksichten, die auf die Erhaltung des deutschen Emissionsgeschfts zu nehmen waren und die eine scharfe Durchfhrung der Haftungsgrundstze nicht zuließen.28

Immerhin ist die Prospekthaftung als eine bedeutende Neuerung im Emissionsgeschft anzusehen. Alle an einer Emission Beteiligten hafteten nun demjenigen, der in Deutschland ein aufgrund eines Prospektes an der Bçrse eingefhrtes Papier erworben hatte, fnf Jahre lang fr Verluste, die er erlitt, wenn diese Verluste auf falsche oder unvollstndige Angaben im Prospekt zurckzufhren waren. Eine Haftung war ausgeschlossen, wenn der Erwerber die Unvollstndigkeit bzw. Inkorrektheit dieser Angaben kannte oder kennen mußte, wodurch eine bervorteilung der Banken durch versierte Spekulanten und gegenseitige Schadensersatzansprche unter Banken und Bçrsenhndlern verhindert werden sollten. Es wurde aber nicht vom Erwerber verlangt, auf die Erlangung solcher Kenntnis die im Geschftsleben bliche Sorgfalt zu verwenden. Zum Schutze der „weniger geschftsgewandten Bevçlkerungsklassen“ wurde bestimmt, daß lediglich diejenige Sorgfalt vom Erwerber verlangt werden durfte, die er auch sonst in seinen Angelegenheiten zu beobachten gewohnt war. Weitere Ausnahmen von der Prospekthaftung betrafen Papiere, die nicht erworben, sondern durch Schenkung oder Erbe weitergegeben und solche, die im Ausland gekauft worden waren. Schließlich wurde bestimmt, daß bei von einem internationalen Bankenkonsortium emittierten Anleihen die deutschen Emissionsbanken durch Angabe der Nummern der Stcke ihrer Tranche im Prospekt ihre Haftung auf die von ihnen auf dem deutschen Markt eingefhrten Papiere beschrnken konnten.29 Die Prfung der Prospekte war die wichtigste Aufgabe der an den einzelnen Bçrsen bestehenden Zulassungsstellen. Sie bernahmen damit keine Garantie fr die Gte der zugelassenen Papiere, sondern sollten lediglich sicherstellen, „daß das Publikum ber alle zur Beurteilung der zu emittierenden Wertpa27 Vgl. die Begrndung zum Bçrsengesetz, RT 9/4, 1. Anlageband (Bd. 151) Nr. 14, 23, sowie die Beratungen der IX. Reichstagskommission, RT 9/4, 2. Anlageband (Bd. 152), Nr. 246, S. 1469 und Schulz, S. 386 f., 392 – 396. 28 Nußbaum, Bçrsengesetz, S. 190 f.; vgl. zum Hintergrund Bçrsen-EnquÞte-Kommission, Bericht, S. 101 f. 29 Dazu wieder die Beratungen der IX. Reichstagskommission, RT 9/4, 2. Anlageband (Bd. 152), Nr. 246 und Nußbaum, Bçrsengesetz.

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piere notwendigen tatschlichen und rechtlichen Verhltnisse soweit als mçglich informiert wird“.30 Die Zulassungsstellen konnten zwar, insbesondere bei auswrtigen Staatsanleihen, die zumeist vom Schuldner bereitgestellten Angaben nicht im Detail nachprfen, durften sich aber auch nicht auf eine rein formale Sichtung des Prospektes beschrnken. Im Prinzip ber den Gedanken einer berwachung der Richtigkeit der Prospekte hinaus ging die der Zulassungsstelle erst von der Reichstagskommission verliehene Befugnis, eine Zulassung zu verweigern, wenn çffentliche Interessen derselben entgegenstanden oder die Gefahr einer „bervortheilung des Publikums“ bestand. Regierung und Kaufmannschaft hatten sich gegen eine derartige Erweiterung des Zulassungsverfahrens ausgesprochen.31 Die Prospekthaftung stellte also eine bedeutende Neuerung dar, die dem Erwerber eines Wertpapiers unter bestimmten Umstnden einen Schadensersatzanspruch gegen den deutschen Emittenten eines auslndischen Wertpapiers verschaffte, wenn dessen Aussteller sich nicht mehr in der Lage sah, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Da diese Regelung an die Pflicht zur vollstndigen Information des kaufenden Publikums geknpft war, wurde hier ein Weg gefunden, die freie Entscheidung des Anlegers zu betonen und zugleich, durch die Schaffung eines Anspruchs auf Schadensersatz bei Irrefhrung, die Emissionsbanken zur Bereitstellung einer brauchbaren Entscheidungsgrundlage zu verpflichten und von Emissionen abzusehen, deren zweifelhafter Charakter sich nicht verschleiern ließ.32 In die gleiche Richtung zielten die Bestimmungen des neuen Gesetzes, welche die Bezahlung fr die Verbreitung oder Unterdrckung von Informationen ber anstehende Emissionen im redaktionellen Teil von Zeitungen und Zeitschriften unter Strafe stellten. Es hatte sich herausgestellt, daß zahlreiche Pressevertreter regelmßige Zuwendungen von den am Emissionsgeschft teilnehmenden Banken erhielten und bei wichtigen Emissionen eine „Beteiligung“ ausbezahlt bekamen. Ebenso kam es vor, daß Journalisten Banken im Vorfeld einer bedeutenden Emission mit der Drohung erpreßten, erfundene Negativnachrichten zu verbreiten. Solche Praktiken unter Strafe zu stellen, ohne zugleich die Verbreitung wahrheitsgemßer Finanzinformationen zu behindern, erwies sich allerdings als schwierig. Hier konnten sich noch einmal die bçrsenfeindlichen Krfte durchsetzen. Gegen den Widerstand der Regierung wurden umfassende und unbestimmte Straftatbestnde in das Gesetz mit aufgenommen, die leicht auch zur Aufklrung des Publikums gedachte Finanzinformationen treffen konnten, andererseits aber Schlupflçcher fr Bestechung offenließen – so war es zwar strafbar, gegen „unverhltnis30 Bçrsengesetz § 36. 31 Nußbaum, Bçrsengesetz, S. 159; RT 9/4/3 (Bd. 145), S. 2027 f.; Schulz, S. 396 – 399. 32 Nußbaum verweist allerdings auf zahlreiche handwerkliche Mngel und Lcken im Gesetz: beispielsweise sei es mçglich und auch blich gewesen, neben dem nur eingeschrnkt verbreiteten Prospekt Werbebroschren geschçnten Inhalts in großem Maßstab zu verteilen: Nußbaum, Bçrsengesetz, S. 158, 170, 194.

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mßiges“ Honorar auch wahre Finanzinformationen zu verbreiten, hingegen blieb es den Banken unbenommen, die Presse durch die Schaltung teurer Annoncen fr eine gnstige Berichterstattung zu entlohnen.33

Das Ergebnis der Bçrsengesetzgebung Insgesamt wurde die Debatte ber das Bçrsengesetz als Debatte ber die wirtschaftliche Funktion und den tatschlichen Zustand der Bçrsen sowie ihr Verhltnis zur Gesellschaft gefhrt. Vom konservativen Standpunkt aus waren die Bçrsen Einrichtungen, die das Publikum manipulierten, Hndlern ungerechtfertigte Gewinne auf Kosten von Produzenten und Konsumenten ermçglichten und die Gesellschaft korrumpierten. Hinzu kam, daß die Bçrsen als Speerspitze des (auch international) mobilen Kapitals und als Manifestation der Weltmrkte auf deutschem Boden angesehen wurden. Aus diesen Grnden sollte der Einfluß der Bçrsen auf Wirtschaft und Gesellschaft begrenzt und ihr Wirken nach dem gelenkt werden, „was dem Interesse der gesammten Nation zutrglich ist, und was nicht.“34 Regulierung hatte nicht der Ermçglichung und Absicherung internationaler Austauschbeziehungen zu dienen, sondern sollte diese unterbinden bzw. beschrnken. Liberale und Handelskreise hingegen erblickten in den Bçrsen einen in einer modernen Gesellschaft notwendigen Mechanismus des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage; Spekulation und der Verkauf unsolider Papiere wurden nicht geleugnet, aber als Ergebnis der Nachfrage des Publikums betrachtet. Staatliche Regulierung wurde nur dort fr nçtig gehalten, wo die Selbstregulierung der „beteiligten Verkehrskreise“ versagte oder skrupellose Mitbewerber das so wichtige Vertrauen des Publikums in die Mrkte zu erschttern drohten. Bei der Regierung und bei den Sozialdemokraten fanden sich Elemente beider unterschiedlicher Auffassungen. Die Bçrsengesetzgebung trgt so den Stempel der gesellschaftlichen Kmpfe um die innere Modernitt und weltwirtschaftliche Integration des Kaiserreiches, die in den 1890er Jahren mit großer Heftigkeit und auf allen mçglichen Gebieten der Wirtschaftspolitik ausgefochten wurden. Geschdigte Anleger, die Gegner der Bçrse und konservative wie sozialdemokratische Kritiker freier Mrkte verlangten, daß etwas getan werde, um die Bçrse zu zgeln oder konkrete Mißstnde abzustellen, und „wenn man einmal in dieser Stimmung ist, wo man sagt: geschehen muß irgend etwas –, dann thut man lieber etwas unzweckmßiges, als daß man gar nichts thut.“35 Dadurch çffnete sich dann ein Einfallstor fr die Beeinflussung der Gesetzgebung durch gut 33 Hierzu Nußbaum, Bçrsengesetz, S. 344 – 349. 34 RT 9/4/3 (Bd. 145), S. 2021 – 2024 (Hahn). 35 RT 9/4/1 (Bd. 143), S. 214. Eine hnliche Entwicklung in der Elektrizittsgesetzgebung analysiert Vec, S. 233 f.

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organisierte und effizient vertretene Interessen und Meinungen. Das von den Befrwortern der Bçrsengesetzgebung stets an prominenter Stelle genannte Ziel, die Kleinanleger zu schtzen, trat in der Praxis rasch zurck hinter die Austarierung der Marktmacht einzelner wirtschaftlicher Gruppen mittels gesetzgeberischer Regulierung. Das zeigt sich am deutlichsten beim Verbot des Terminhandels in Waren und Wertpapieren und bei symbolkrftigen Themen wie der Aufnahme bçrsenfremder Personen in die Zulassungsstellen und der Bestrafung wirklicher oder vermeintlicher Bestechung und Marktmanipulationen. Die Regelungen ber die Bçrsenzulassung und die Prospekthaftung im neuen Bçrsengesetz fielen dagegen im wesentlichen im Sinne marktkonformer Regulierung aus; die bçrsenfeindliche Richtung konnte die angestrebte amtliche Kontrolle und Lenkung des Marktes nicht durchsetzen. Das Ergebnis entsprach durchaus dem Interesse der großen Banken, die bereit waren, ein berschaubares Maß an Haftung zu tragen, wenn dadurch das Publikum wieder Vertrauen in die auf den Markt gebrachten Emissionen fassen wrde. Marktkonforme Regulierung setzte sich zum Teil deswegen durch, weil die Ausschaltung des Marktes auf Schwierigkeiten gestoßen wre – die Abwanderung des Geschfts in den Untergrund oder ins Ausland wre die Folge gewesen. Dieser Einsicht konnten sich auch die Agrarier nicht verschließen. Hinzu kam, daß die Reform des Wertpapierhandels fr diese ohnehin zunchst ein ideologisches, kein wirtschaftliches Interesse darstellte.36 Die Regierung jedoch wollte in diesem Punkt unbedingt der innenpolitischen Verantwortung und den außenpolitischen Risiken aus dem Wege gehen, die mit der Verwirklichung der agrarischen Vorschlge verbunden gewesen wren. In der Frage des Terminhandels in Waren und Wertpapieren, den die Agrarier und auch viele nationalliberale Industrielle als Bedrohung ihrer materiellen Interessen ansahen, gab die Regierung hingegen dem Willen der Volksvertretung nach, wenngleich, wie der sozialdemokratische Abgeordnete Singer anmerkte, „fr solch konstitutionelle Regungen der Regierungsseele … wrdigere Objekte“ denkbar schienen.37 Quantitativ lßt sich ein Einfluß der neuen Zulassungsbestimmungen auf die Emission auslndischer Staatsanleihen an den deutschen Bçrsen nicht nachweisen. Das kann allerdings auch nicht verwundern, da solche Emissionen stets einzelne grçßere Geschfte darstellten, die vor allem von der Situation des kapitalsuchenden Schuldnerstaates abhingen und sich deshalb fr

36 Ein wirtschaftliches Interesse hatten die Agrarier und der Mittelstand in Deutschland daran, daß wenig Kapital exportiert wurde und die Zinsen in Deutschland durch ein berangebot an Kapital niedrig blieben. In dieser Beziehung hatten sie allerdings bereits mit dem Stempelsteuergesetz von 1894, das auslndische Werte besonders traf, einen Erfolg erzielt. 37 RT 9/4/4 (Bd. 146), S. 2420.

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eine statistische Reihenbildung nicht eigneten.38 Unsichere Schuldner wie Griechenland, Portugal oder Argentinien wandten sich nach 1890 nicht mehr direkt an den deutschen Kapitalmarkt, was zumindest zum Teil auf die strengeren Zulassungsvorschriften zurckzufhren sein drfte, teils aber auch auf die ungnstige Aufnahme, die fr solche Papiere beim deutschen Publikum zu erwarten gewesen wre. Weiterhin floß deutsches Kapital mehr als dasjenige britischer oder franzçsischer kleiner Anleger in einheimische Papiere, insbesondere in sichere Pfandbriefe und Hypotheken.39 Die Nachfrage nach riskanten, hçher verzinsten Papieren konnte das Bçrsengesetz nicht austrocknen. Diese wurden nun teils im Ausland erworben, daneben bildete sich auch ein reger außerbçrslicher Handel in nicht zugelassenen Wertpapieren. Das wurde durch die Konzentration im Bankwesen – teilweise selbst eine Folge des neuen Bçrsengesetzes40 – begnstigt, da die großen Banken in der Lage waren, ohne Vermittlung der Bçrse den Wertpapierhandel unter und mit ihren Kunden zu organisieren. Auch auswrtige Anleihen etwa aus Chile und Argentinien wurden auf diesem Wege in Deutschland untergebracht. Teilweise wurde deshalb eine Ausdehnung von Prospektpflicht und Prospekthaftung auf alle, nicht nur die bçrsennotierten, Emissionen gefordert.41 Die Strenge der Prospektprfung ließ in der Praxis teils zu wnschen brig, da die Großbanken einen maßgeblichen Einfluß auf die Zulassungsstellen hatten. Auch das Interesse des kaufenden Publikums an den Prospekten war begrenzt; Riesser bemerkte, daß diese „freilich meist hinterher und nur dann gelesen werden, wenn spter etwas ungnstiges eingetreten ist“. Die wichtigste Funktion der Zulassungsstellen war es dementsprechend, gewisse Mindeststandards der Lauterkeit durchzusetzen, durch Nichtzulassung riskanter Effekten im voraus Schadenersatzklagen gegen unsolide Emittenten zu verhindern und so das Image der großen Banken und des Bçrsenhandels zu pflegen. Hinzu kam ihre Befugnis, riskant gewordenen Papieren gegebenenfalls die Zulassung nachtrglich zu entziehen.42 Die Grenzen der Gesetzgebung auf einzelstaatlicher Ebene waren brigens allen Seiten in den Debatten um das Bçrsengesetz bewußt. Die Agrarier um Kanitz brachten einen Antrag durch den Reichstag, der die Regierung aufforderte, sich international fr ein Verbot des Terminhandels in Getreide und in Kammzug einzusetzen. Juristen und Nationalçkonomen traten fr eine internationale Kooperation der Glubigerstaaten zum besseren Schutz der 38 Dagegen zeigt sich, daß die inlndischen Aktiengesellschaften, deren Papiere auf den Markt kamen, durch die Bestimmungen des Gesetzes im Durchschnitt reifer und solider waren als die Grndungen, die vor dem Bçrsengesetz an die Bçrse gebracht wurden. Dazu Wetzel, Kap. 5. 39 Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 305; Fiebig-von Hase, Lateinamerika, S. 305 – 310. 40 Dazu Wetzel, S. 240 – 263. 41 Freund, Rechtsverhltnisse, S. 106 f.; Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage, S. 301 ff. 42 Riesser, S. 295; Schaefer, S. 78 f.

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Auslandsanleger ein und wollten auch die Banken verpflichten, schon im Zuge der Anleiheverhandlungen mit auswrtigen Staaten fr eine bessere Absicherung der Glubiger zu sorgen.43

(b) Der Schutz der Anleger durch Klauseln in den Anleihevertrgen: Das Beispiel der chinesischen Eisenbahnanleihen44 Gesicherte Anleihen Beim Arrangement internationaler Kapitalbewegungen und der Vermarktung von Beteiligungen und Anleihen spielten Banken eine zentrale Rolle,45 ganz abgesehen davon, daß sie die Mechanismen dafr bereitstellten, daß berhaupt Zahlungen und Zahlungsversprechen ber große Entfernungen hinweg mçglich waren. Eine Bank, die eine große Eisenbahn- oder Staatsanleihe vorbereitete, mußte die Interessen von Schuldnern und Kapitalgebern in konkrete Bestimmungen ber Preise, Rechte und Pflichten bndeln und in einem Finanzprodukt zusammenfassen. Bildete sich auf diesem Gebiet eine bestimmte bung heraus, kann von einem Beitrag zur Gestaltung der Institutionen des Weltmarkts gesprochen werden. Eine Reihe der um 1900 kursierenden Vorschlge zur Verbesserung des Anlegerschutzes setzten bei der Aufnahme von Bestimmungen zum Schutz der Anleger in die zwischen Banken und kapitalsuchenden Staaten auszuhandelnden Anleihevertrge an, teils flankiert durch zwischenstaatliche Abmachungen.46 Ein Staat, der eine Anleihe aufnimmt, ist im Grunde verpflichtet, mit allen seinen Einnahmen und allem seinem Vermçgen fr die Schuld einzustehen. Daß sich das nicht immer von außen erzwingen lßt, ist bereits geschildert worden; hinzu kommt, daß insbesondere der durch eine kritische Finanzlage geschwchte Staat nicht gegen den Widerstand der Bevçlkerung Mittel fr den Schuldendienst im Lande mobilisieren kann. Schließlich gilt nach der Meinung vieler Vçlkerrechtler, daß die Zahlungsverpflichtung des Staates ihre Grenze an der staatlichen Selbsterhaltung und der Erhaltung der fr çffentliche Aufgaben vorgesehenen Einrichtungen hat.47 Daher enthielten zahlreiche Anleihen an außereuropische Staaten Klauseln, in denen als zustzliche Sicherheit die Verpfndung von Staatsbesitz oder bestimmten Staatseinnahmen fr den Schuldendienst vereinbart wurde. Zum Teil erhielten die Glubiger auch die Kontrolle ber verpfndete Einnahmen. Verbrauchssteuern auf Gter 43 Schulz, S. 549 – 554; Freund, Rechtsverhltnisse; Meili, Staatsbankerott; Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage. 44 Zum Kontext und fr weitere Literatur vgl. Petersson, Imperialismus; Petersson, Imperialism. Aus der Forschungsliteratur wichtig sind Barth, Hochfinanz; King; Edwards. 45 Zum Emissionsgeschft der Banken Barth, Hochfinanz; Lotz; Riesser, S. 287 – 334; Schaefer. 46 Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage; Freund, Schutz; Freund, Rechtsverhltnisse. 47 Isensee, S. 688 – 693; Borchard u. Wynne, S. 121.

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des tglichen Bedarfs, staatliche Tabakmonopole oder Außenzçlle, also konjunkturunabhngig anfallende oder besonders leicht zu erhebende Einnahmen, boten sich hierfr an. Wurde das geliehene Kapital fr gewinnbringende Unternehmungen verwendet wie z. B. eine Eisenbahnlinie, war es blich, den Glubigern die Betriebseinnahmen zu verpfnden, ihnen eine Hypothek auf die Strecke zu geben oder sie an der geschftlichen Leitung des Unternehmens zu beteiligen. Solche Kontrollvereinbarungen griffen tief in die politische Handlungsfreiheit der betroffenen Staaten ein und wurden vielfach als Hebel fr eine politische Einflußnahme angesehen und auch benutzt. Aus der Sicht der Glubiger konnte eine derartige Kontrolle verhindern, daß die fr den Schuldendienst vorgesehenen Gelder im allgemeinen Staatshaushalt versickerten, und es Vertretern der Glubiger ermçglichen, auf die Steigerung dieser Einnahmen hinzuarbeiten. Sie diente also in erster Linie der faktischen, nicht der rechtlichen Sicherung.48 Der Bruch einer solchen Pfandvereinbarung durch einen zahlungsunfhigen oder zahlungsunwilligen Staat, wie etwa im Falle Griechenlands 1893, war jederzeit mçglich, wenn auch fr den Schuldner mit zustzlichen politischen und vçlkerrechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Immerhin konnten die auf solche Weise besonderes gesicherten Anleihen im Falle des Bankrotts eine bevorzugte Behandlung gegenber der brigen Schuld beanspruchen – und je kritischer die Finanzlage des Schuldners, desto grçßer mußte die Konkurrenz unter den Glubigern ausfallen. Die bevorzugte Behandlung der Monopol-Anleihe beim griechischen Staatsbankrott und der Ansprche der Interventionsmchte im Falle Venezuela belegen das.

Die chinesischen Eisenbahnanleihen China mußte gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Kapital an den internationalen Finanzmrkten aufnehmen. Grund waren zuerst die Entschdigungszahlungen, die dem Lande nach dem verlorenen Krieg gegen Japan 1895 und der kollektiven Intervention der Mchte gegen die Boxerbewegung im Jahre 1900 auferlegt worden waren. Nach der Jahrhundertwende wurde dann Kapital fr produktive Investitionen gebraucht, vor allem fr den Eisenbahnbau. Eisenbahnen waren im Prinzip fr europische Anleger eine attraktive Investition, denn ob eine Bahnlinie existierte und Zge verkehrten war vergleichsweise leicht zu verifizieren, was die Mçglichkeiten findiger „Company Promoters“, Anteile an nur auf dem Papier existierenden Firmen auf den Markt zu bringen,49 zumindest etwas einschrnkte. Dennoch mochten Anleger ihr Kapital nicht ohne jegliche Sicherheit fr die Rckzahlung hergeben. Die ersten chinesischen Staatsanleihen wurden durch Verpfndung der 48 Borchard u. Wynne, S. 81 – 100. 49 Zahlreiche Beispiele bei Kynaston.

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Zolleinnahmen abgesichert, die seit 1855 von europischen Beamten in chinesischen Diensten zugunsten des chinesischen Staatshaushalts kassiert wurden. Die Gelder wurden direkt, ohne den Umweg ber die Staatskasse, an die Glubiger weitergeleitet.50 Um 1900 war diese Quelle sicherer und leicht zu kontrollierender Einnahmen jedoch ausgeschçpft. Als nach der Jahrhundertwende Bahnen gebaut werden sollten, standen sie als Sicherheiten nicht mehr zur Verfgung. China hatte im „scramble for concessions“ 1898 den europischen Mchten zahlreiche Eisenbahnkonzessionen bertragen mssen. Einige davon trugen einen quasi-kolonialen Charakter und gaben auswrtigen Staaten das Recht, auf eigene Rechnung Bahnen in China zu bauen und zu betreiben. Die meisten sahen jedoch vor, daß europischen Firmen Finanzierung, Bau und Betrieb fr die Rechnung Chinas bertragen werden sollten und die Rechte an der Bahn nach einigen Jahren an den chinesischen Staat fielen. In der geschftlichen Leitung der Bahnlinien durch Europer erblickten europische Anleger (nicht immer zu Recht, wie etwa die mit bertriebenem technischem Aufwand gebauten deutschen Bahnen in Shandong oder in Venezuela zeigten) eine Garantie fr eine ordnungsgemße und zweckentsprechende Verwendung der Anleihemittel. Auf europischer Seite waren sich alle Beteiligten einig in ihrem Mißtrauen gegenber der Fhigkeit Chinas, in eigener Regie Bahnen zu bauen und zu betreiben, nicht zuletzt, weil eine allgegenwrtige Korruption vorausgesetzt wurde. China war zwar ein hçchst gewissenhafter Schuldner, aber die Fhigkeit des allgemeinen Staatshaushalts, eine weitere Verschuldung zu tragen, war zweifelhaft. Daher sollten konkrete Garantien und die Bindung bertragener Finanzmittel an einen bestimmten Verwendungszweck sicherstellen, daß die chinesischen Bahnen die zur Verzinsung nçtigen Gewinne abwarfen. Der Geschftspraxis und der Lageeinschtzung der Bankenvertreter kam bei der Formulierung entsprechender Vertragsbedingungen die Schlsselrolle zu. Ihr Ziel blieb eine mçglichst weitgehende europische Beteiligung an der Geschftsfhrung. Das Modell der auslndischen Konzessionsgesellschaft ließ sich jedoch nicht mehr realisieren, da es fr Chinas Zentralregierung, die Provinzgouverneure und die entstehende politische ffentlichkeit zunehmend inakzeptabel war.51 Ab 1900 trieb die Zentralregierung in Beijing, untersttzt von mchtigen Provinzgouverneuren, Reformpolitik und wollte in eigener Regie Bahnen bauen. Insbesondere seit dem russisch-japanischen Krieg von 1904/05 und dem japanischen Sieg nahm die chinesische Nationalbewegung einen Aufschwung. Sie verlangte eine Modernisierung unter chinesischer Kontrolle. Je mehr aber China danach strebte, seine Bahnen selbst zu kontrollieren, auch 50 Die chinesische Seezollverwaltung (Imperial Maritime Customs) war keine Organisation der westlichen Finanzkontrolle, sondern ein von der Regierung in Peking geschaffenes Organ des chinesischen Staates. Vgl. hierzu v. a. Osterhammel, China, S. 163 ff. und Wright, Hart. 51 Vgl. dazu neben der bereits zitierten Literatur Lee.

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wenn es auf auslndisches Kapital angewiesen war, desto wichtiger wurde es, europische Privatanleger davon zu berzeugen, daß chinesische Eisenbahnanleihen trotzdem eine sichere Investition darstellten. „The problem before us is how to reconcile the conflicting claims of China for the Chinese and foreign control for foreign capital“, schrieb der britische Bankier Charles Addis.52 Mechanismen zur Sicherung korrekten Finanzgebarens und gegen Korruption, Verschwendung und Inkompetenz der Anleihenehmer mußten also innerhalb einer chinesischen Bahngesellschaft verankert werden. Es ging darum, chinesische Bahngesellschaften auf europische Geschftsstandards festzulegen, um den Export europischer Modelle der Unternehmensfhrung. Ein den Glubigern verantwortliches Management, die Beschftigung weisungsbefugter, den Glubigern verantwortlicher europischer Ingenieure und Buchhalter, Hypotheken auf die Bahnlinie und ihr Kapital sollten aus diesem Grunde Bestandteile der Anleihevertrge werden. Um diese Themen kreisten die zwischen Verkehrs- und Außenministerium in Beijing, europischen Firmen und Banken und europischen Gesandtschaften gefhrten Eisenbahnverhandlungen der Jahre 1903 – 1910. Aus dieser Aufzhlung der Beteiligten lßt sich bereits ersehen, daß es sich um Geschfte handelte, die nicht nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten behandelt wurden, sondern eine starke politische Komponente hatten. Whrend sich die Diplomaten um die politische Seite des Geschfts kmmerten, hatten die Banken aber weitgehende Handlungsfreiheit, was die Anleihebedingungen anging: „[S]o long as the terms are such as to satisfy the financial world at home“ wrden ihnen Diplomaten und Regierungen nicht hineinreden.53 Zu bestimmen, was die Finanzwelt zufriedenstellen wrde, oblag den Banken. Sie mußten Bedingungen aushandeln, zu denen sich die Anleihepapiere an private Investoren verkaufen ließen, waren aber selbst nicht unmittelbar an der langfristigen Soliditt dieser Anlagen interessiert. Sie mußten auch auf die Wnsche der Regierungen eingehen, um hinterher im Prospekt vermerken zu kçnnen, daß diese von der Anleihe Kenntnis genommen hatten und sich ihr nicht widersetzten, und um gegebenenfalls deren diplomatische Untersttzung in Anspruch nehmen zu kçnnen.54 Trotz ihrer vermeintlich starken Machtposition, die sich auf militrische berlegenheit, auf den Besitz des fr den Bahnbau unabdingbaren Kapitals und auf die im „scramble for concessions“ errungenen Vorvertrge sttzte, mußten die Europer bei diesen Verhandlungen zahlreiche Zugestndnisse machen. Dabei fllt insbesondere die Kompromißbereitschaft der deutschen Banken ins Auge, die in China durch eine gemeinsame Tochtergesellschaft, die 52 Zit. n. Dayer, S. 53. 53 Das Zitat stammt vom britischen Gesandten in China, Sir John Jordan (Jordan an Campball, 19. 9. 1907, PRO-FO 350/4). 54 King, S. 341, 395; Schaefer, S. 560 ff.

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Deutsch-Asiatische Bank (DAB), vertreten waren. Das 1903 zwischen China und dem britischen Konsortium British & Chinese Corporation geschlossene Abkommen ber die Shanghai-Nanjing-Bahn entsprach noch ganz den Wnschen der europischen Firma, der die Zustndigkeit fr Finanzierung, Bau, Materialbeschaffung und Betrieb der Bahn bertragen wurde. Die einzige deutsche Konzession, ber die verhandelt wurde, war die nçrdliche Hlfte der Bahn Tianjin-Pukou (die sdliche Teilstrecke war an britische Interessenten vergeben).55 Hier willigte die DAB ein, die Finanzierung des Bahnbaus durch eine chinesische Gesellschaft zu bernehmen. Der Vertrag sah die Beschftigung europischer Ingenieure vor, die aber einer chinesischen Direktion unterstellt sein sollten, welche auch allein ber die Anleihegelder verfgen konnte. Drei Grnde lassen sich dafr angeben, daß die Deutsch-Asiatische Bank strker als britische und franzçsische Firmen bereit war, auf die chinesischen Forderungen einzugehen: (1) Die Deutsch-Asiatische Bank war ein reiner Finanzkonzern und hatte deshalb keine Rcksicht auf an Bauausfhrung und Materiallieferung interessierte Partnerfirmen zu nehmen. (2) Es entsprach der Grundlinie der deutschen Chinapolitik nach dem Boxeraufstand und verstrkt nach dem russisch-japanischen Krieg, sich als ein machtpolitischer Bestrebungen unverdchtiger privilegierter Partner bei Chinas Modernisierung anzubieten. (3) Die Verhandlungsfhrer der DAB erkannten, daß Zugestndnisse an den wachsenden chinesischen Nationalismus nçtig waren, wenn Geschfte berhaupt zum Abschluß kommen sollten. Somit stellte die DAB als erste die bisher von allen europischen Firmen in China verfolgten Grundlinien in Frage und sorgte dafr, daß der Bahnbau in China mehr und mehr zu einem reinen Finanzgeschft wurde. 1908 gelang es China sogar, von der Banque de l’Indochine und der HSBC eine Anleihe zum Rckkauf der von belgisch-amerikanischen Interessenten gebauten und betriebenen Bahnlinie Beijing-Hankou zu erlangen, mit der berhaupt keine Auflagen bezglich einer europischen Beteiligung an der Geschftsleitung mehr verbunden waren. Allerdings handelte es sich hier auch um eine bereits fertiggestellte, mit Gewinn betriebene Bahn. Auf britischer und franzçsischer Seite machten sich hnliche Entwicklungen bemerkbar. Da Deutschland, Frankreich und Großbritannien in China zunehmend eine hnliche Politik auf der Grundlage der „open door“ verfochten und sich zugleich die Interessen der deutschen, franzçsischen und britischen Banken in verschiedenen binationalen Bahnanleihen immer mehr miteinander verflochten, kam es schließlich im Jahre 1908 zur Grndung eines multinationalen Konsortiums aus der DAB, der Banque de l’Indochine und der HSBC, das sich um die Finanzierung der knftigen großen Bahnprojekte 55 Daneben besaß Deutschland noch die Shandong-Bahn, ein vollstndig in deutschem Besitz befindliches Unternehmen, das der Erschließung des Hinterlandes des Pachtgebietes Jiaozhou diente. Vgl. dazu Schmidt, Eisenbahnpolitik.

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in China, insbesondere der Linien Guangzhou-Hankou und Hankou-Chengdu (Huguang-Bahnen) bewerben wollte. Grundlage der Kooperation war auch die Absprache, zum Schutze der Anleger gemeinsam die Beschftigung weisungsbefugter europischer Ingenieure und Buchhalter durchzusetzen, sich gegenseitig keine Konkurrenz zu machen und an chinesische Provinzregierungen ohne die Garantie der Zentralregierung keine Anleihen zu vergeben. Die Kooperation verlief jedoch keineswegs konfliktfrei. Die DAB hatte sich nur durch die Drohung mit einem gnstigeren Angebot berhaupt einen Platz in dem Konsortium gesichert, und als deutlich wurde, daß die chinesische Seite die verlangten Kontrollbestimmungen nicht akzeptieren wrde, tat sich die DAB durch ein Separatangebot fr den Bau der Huguang-Bahnen zu den gleichen Bedingungen wie bei der Linie Tianjin-Pukou hervor.56 Allerdings war sie allein gar nicht in der Lage, das Geschft durchzufhren, und die Einigkeit unter den drei Banken wurde um den Preis des Verzichts auf alle Kontrollbestimmungen mit der Ausnahme derjenigen wiederhergestellt, daß Anleihegelder nur mit Genehmigung eines europischen Chefbuchhalters abgerufen werden konnten. Erneut verschoben sich also die Grundlagen des Anleihegeschfts aufgrund der Kompromißbereitschaft der DAB, diesmal sogar unter Bruch der Absprachen mit den Konsortiumspartnern. 1910 kam dann doch noch das gewnschte finanziell stabile und politisch abgesicherte Konsortium zustande, in das auch noch das amerikanische Haus Morgan aufgenommen wurde. Die Vierbankengruppe erfreute sich der faktisch exklusiven diplomatischen Untersttzung ihrer Regierungen und genoß damit Schutz vor einer kompromißbereiteren Konkurrenz. Dafr erwarteten die Regierungen, daß Mindestgarantien fr eine bestimmungsgemße Verwendung geliehener Kapitalien durchgesetzt wrden, was letztlich dem Kredit Chinas ebenso wie den Interessen der Anleger entgegenkommen sollte. Die Chinesen sahen sich nun „einem nach außen einigen Block von Regierungen und Banken gegenber“.57 Hinter dem Bankenkonsortium stand das insbesondere von britischen Bankiers und Diplomaten verfolgte Projekt, Rahmenbedingungen fr eine Finanzierung von Chinas Modernisierung unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen und damit unter Ausschaltung aggressiverer Imperialbestrebungen anderer Mchte zu schaffen.58 Aus der Sicht etwa von Charles Addis von der HSBC umfaßte dieses Konzept drei Komponenten: Eisenbahnanleihen mußten fr Anleger mit rein wirtschaftlichem Interesse attraktiv sein, um China nicht in die Arme von Geldgebern mit „politischen“ (d. h. von den britischen abweichenden) Interessen zu treiben. Zugleich mußten sie aber fr China politisch und wirtschaftlich akzeptabel sein. Schließlich gehçrte auch die Absicherung der langfristigen Kreditwrdigkeit Chinas in dieses Konzept 56 Barth, Hochfinanz, S. 290; Edwards, S. 127 – 137. 57 Barth, Hochfinanz, S. 297. 58 Petersson, Imperialism.

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hinein – eine Frage nicht nur der Schuldenhçhe, sondern auch des chinesischen „Images“. Aus allen diesen Grnden mußten Anleihevertrge ausgehandelt werden, die eine formale Benachteiligung des Schuldners nicht erkennen ließen und reine Finanzgeschfte ohne „imperialistische“ Elemente darstellten, zugleich aber weitgehende Sicherungsbestimmungen enthielten. Auf dieser Grundlage sollten Eisenbahnangelegenheiten entpolitisiert und der Status quo in China gegen aggressivere Imperialismen geschtzt werden, wie sie etwa in den Bestrebungen Rußlands und Japans zur Schaffung exklusiver Einflußsphren zum Ausdruck kamen. Das Deutsche Reich und die DAB standen zu dieser britischen Strategie in einem gleichermaßen von Konkurrenz- wie von Kooperationselementen geprgten Verhltnis. Gemeinsam mit den Briten lehnte man die Aufteilung und politische Beherrschung Chinas ab und strebte im Vertrauen auf die eigene industrielle Strke danach, das Land fr die freie wirtschaftliche Bettigung offenzuhalten. Andererseits sahen deutsche Diplomaten und Finanziers die Chance, durch den demonstrativen Verzicht auf politische Einflußnahme und ostentatives Entgegenkommen gegenber China ihre Position innerhalb der westlichen Gruppierung zu strken. Daraus ergab sich zuweilen ein am kurzfristigen Gewinn orientierter Opportunismus, der allerdings in der strategischen Planung der Gesandtschaft strker ausgeprgt war als in der Praxis der deutschen Finanz in China.59 In der Praxis der Eisenbahnverhandlungen waren die Regierungen trotz ihres ursprnglichen Bestehens auf Kontrollbestimmungen immer wieder geneigt, die Banken zu einer strkeren Kompromißbereitschaft zu drngen, denn sie interessierten sich fr den Bahnbau nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Erschließung Chinas und der militrischen Strkung der Zentralregierung in Beijing gegen rebellische Provinzen. Unter politischem Druck traten die Banken daher nicht nur das Recht zum Bau von Zweigstrecken an chinesische Gesellschaften ab, sondern akzeptierten sogar die Hinterlegung der Anleihesumme bei chinesischen Banken, obwohl das die fast vollstndige Preisgabe der Kontrolle ber das verliehene Kapital bedeutete.60 Das geschah nicht zuletzt deshalb, weil die Bankvertreter in China die Lageeinschtzung der Diplomaten teilten und letztlich die Zentralen in den europischen Hauptstdten mitzogen. Die Vertreter von HSBC und DAB, Hillier und Cordes, waren sogar berzeugt, daß es den vier Mchten ber die mit ihnen verbndeten progressiven Krfte in Beijing mçglich sein werde, „to direct to a large degree the material progress on which China now shows her readiness to enter.“ Das beruhte jedoch auf einer krassen Fehleinschtzung der chinesischen Verhltnisse: Die Eisenbahnpolitik der Zentralregierung 59 Knipping an Bethmann Hollweg, 15. 11. 1910; Rex an Bethmann Hollweg, 28. 11. 1910, AA-PA China 1/74; v. Dernburg; Barth, Hochfinanz, S. 300, 405 – 408. 60 Jordan an Grey, 10. 3. 1911, 13. 4. 1911, 20. 4. 1911; Addis an FO, 19. 4. 1911; Addis an Grey, 19. 4. 1911, PRO-FO 371/1080.

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wurde zum Kristallisationspunkt aller mit Beijing unzufriedenen Krfte und war entscheidend dafr verantwortlich, daß 1911 aus einer lokalen Militrrevolte in Hankou eine landesweite und erfolgreiche Revolution werden konnte.61 Nach der Revolution wurden die Bahnanleihen zunchst aus Vorschssen und Ertrgen neuer Anleihen bedient, da der Bahnbau stockte. Zur Absicherung dieser neuen Anleihen, vor allem der Reorganisationsanleihe von 1913, mußte China sich wieder traditionellen Sicherungsmaßnahmen unterwerfen, denen es sich beim Bahnbau erfolgreich hatte entziehen kçnnen: Die Reorganisationsanleihe wurde durch die Verpfndung der Salzsteuereinnahmen gesichert, welche durch eine unter europischer Leitung zu modernisierende Verwaltung erhoben werden sollten. Die Bahnanleihen gerieten in der Zeit der politischen Wirren nach 1916 fast smtlich in Zahlungsverzug. In deutschem Besitz befindliche Anteile an çffentlichen Unternehmungen oder Konzessionen in China mußten schließlich nach dem Versailler Friedensvertrag an die Reparationskommission abgetreten werden und wurden auf Deutschlands Reparationszahlungen angerechnet.62

Politische Garantien vs. institutionelle Mechanismen Letztlich entschieden sich alle wesentlichen Akteure, d. h. sowohl die Banken als auch die Regierungsvertreter auf chinesischer wie auf europischer Seite gegen eine Institutionalisierung, also gegen die Schaffung von organisatorischen und rechtlichen Strukturen, die einen bestimmungsgemßen und sparsamen Gebrauch des geliehenen Kapitals sicherstellen sollten. Die Banken hatten die Interessen von Schuldnern und Kapitalgebern in Bestimmungen ber Preis und Kontrollrechte umzusetzen und zu einem Finanzprodukt zusammenzufassen. Dieses Produkt sollte zwar nach den Vorstellungen der Chinabankiers eine institutionelle Verwestlichung Chinas im konkreten Einflußbereich der jeweiligen Eisenbahnanleihe mit einschließen. Doch neben dieses Ziel traten andere, zumindest ebenso wichtige: Den Widerstand der politischen ffentlichkeit in China (heute wrde man von der „Zivilgesellschaft“ sprechen) gegen auswrtige Anleihen glaubte man nur berwinden zu kçnnen, indem man sich bei den Kontrollrechten fr die Anleger, die als imperialistische Eingriffsmçglichkeiten fr die westlichen Mchte interpretiert wurden, kompromißbereit zeigte. Hinzu kam die Konkurrenz zwischen den einzelnen Konsortiumsbanken. Gerade die Deutsch-Asiatische Bank war bereit, die Absprachen mit ihren Partnern zu brechen und China ein Geschft 61 Aufz. Cordes / Hillier, 22. 6. 1911, Anl. zu Addis an FO, 6. 7. 1911, PRO-FO 371/1091; Barth, Hochfinanz, S. 302; Buri an Bethmann Hollweg, 4. 12. 1911, AA-PA China 4/28; Jordan an Grey, 31. 8. 1911, PRO-FO 371/1081. 62 Adshead; Chan; Goldschmidt u. Zander, S. 6; Osterhammel, China, S. 223.

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zu gnstigeren Bedingungen als vereinbart anzubieten; die anderen Banken mußten dann nachziehen.63 Auch sahen sich alle Banken langfristig in China engagiert; ihnen war es daher zumindest ebenso wichtig, ein gnstiges Klima fr zuknftige Geschfte zu erhalten, wie strikte Kontrollbedingungen in der Gegenwart durchzusetzen, zumal sie die Anleihepapiere ja ohnehin rasch an das Publikum weiterzugeben gedachten.64 Schließlich waren die Banken von der diplomatischen Untersttzung ihrer Regierungen abhngig und mußten deren Wnschen gelegentlich entgegenkommen. Die Regierungen hatten den politischen Einfluß und die Exportgeschfte im Auge, die der Bahnbau versprach. Mit den Anleiheprojekten verband sich also eine umfassende Vision der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, der gegenber die Sorge um lngerfristige Interessen von Anlegern, die ja nicht gezwungen waren, die Papiere zu kaufen, zurcktrat. Banken und Regierungsvertreter waren daher geneigt, im Zweifel auf Kontrollbestimmungen zu verzichten und sich mit einer Rckzahlungsgarantie der chinesischen Regierung zu begngen; China erhielt eine weitgehende, bisweilen vollkommen freie Verfgung ber das geliehene Kapital. Die Verbreitung europischer Institutionen und Geschftspraktiken auf dem Wege des Anleihevertrages wurde in China als Instrument imperialistischer Kontrolle empfunden und ließ sich nicht mehr durchsetzen. An ihre Stelle traten klassische Regierungsgarantien, die mit Chinas Streben nach politischer Gleichberechtigung eher in Einklang zu stehen schienen als die als institutionalisiertes Mißtrauen verstandenen Sicherungsmechanismen. Die Bankenvertreter hatten mit ihrer Kompromißbereitschaft bei den Kontrollbestimmungen der Erkenntnis Rechnung getragen, daß solche Bestimmungen in der Praxis schwierig umzusetzen und daher im Grunde fiktiv bzw. auf die Mçglichkeit politischen Drucks seitens der europischen Regierungen gegrndet waren. Zugleich nahmen sie dem Anlagepublikum gegenber eine Verantwortung auf sich, die mit ihren Einflußmçglichkeiten nicht kompatibel war.65 Vertragspraxis als Quelle weltwirtschaftlicher Institutionalisierung muß von vornherein in einem Spannungsfeld von Geschftsinteressen, politischen Einflssen und gegebenenfalls imperialistisch berformten zwischenstaatlichen Beziehungen gedacht werden. Die Banken waren in einer fundamental politisierten Umgebung ttig. Ihre aktive Mitgestaltung einer langfristigen Beziehung konnte Vorteile bringen – etwa Absicherung der Kreditwrdigkeit des Schuldners, wovon alle Seiten langfristig profitierten – aber auch Nachteile. Zu letzteren zhlt zunchst die Vermischung langfristig-strategischer Hoffnungen der Banken mit konkret anstehenden Geschften, d. h. die Versuchung, dem Glubiger Kosten fr die politische Landschaftspflege aufzu63 Hierzu im Detail Barth, Hochfinanz, S. 290. 64 King, S. 482 f. 65 Hierzu v. a. King, Bd. 2.

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brden, von der die Bank und sptere Glubiger, aber nicht er selbst, profitieren wrden. Darber hinaus lßt sich eine Tendenz zur Aufweichung konkreter Kontrollmechanismen durch unspezifische und nicht einklagbare politische Garantien beobachten. berhaupt fhrte die Kooperation mit der Politik zur Bercksichtigung nichtçkonomischer Interessen und zum Ausschluß der Konkurrenz zwischen den Banken, die im Austausch gegen ihre Einbindung in außenpolitische Strategien ein exklusives Bettigungsfeld berantwortet bekamen. Problematisch war dabei insbesondere, daß der Einfluß imperialistischer Erwgungen, entwicklungspaternalistischer Konzepte und langfristiger Geschftspolitik der einzelnen Bankhuser sich in den Anleihebedingungen ebenso niederschlagen mußte wie die den Erwerber des Papiers primr interessierenden Aspekte Risiko und Rendite. Auseinanderrechnen lßt sich das nicht, so daß die Anleger nicht wußten, ob in Zins- und bernahmepreiskalkulation nicht Kosten eingeflossen waren, die nicht ihm, sondern Dritten zugute kamen.

(c) Grenzen des Anlegerschutzes durch Gesetz und Vertragsklausel Auch dem Schutz der Anleger auf dem Wege einzelstaatlicher Regulierung oder der Ausgestaltung der Anleihevertrge waren also Grenzen gesetzt. Politische Aktivitt richtete sich, einmal in Gang gekommen, rasch auf andere Zielsetzungen als auf den Anlegerschutz. Fr die deutsche Politik hatte der Kapitalexport drei Zielen zu dienen: außenpolitischen Interessen, der Fçrderung des Handels, insbesondere des Waffenexports und der Schaffung einer Kapitalreserve in schnell realisierbaren Forderungen.66 Fr die Entscheidungen privater Anleger mußten jedoch çkonomische Erwgungen, vor allem Risiko und Rendite, den Ausschlag geben. Einer staatlichen Regulierung der Anlagebedingungen stand entgegen, daß die Anleger sich grundstzlich staatlicher Lenkung zu entziehen suchten und Angebot und Nachfrage sich im Ausland, also außerhalb des Regulierungsgebiets, zu wirklich oder vermeintlich vorteilhafteren Bedingungen treffen konnten als auf dem regulierten Heimatmarkt. Schließlich genossen in einer Zeit, in der man den Kapitalexport als politisches Einflußmittel, die Erschließung neuer Mrkte als wirtschaftliche Notwendigkeit und die Renditen in Europa als viel zu niedrig ansah, die Schuldner eine erhebliche Marktmacht und konnten die miteinander konkurrierenden Banken und Regierungen gegeneinander ausspielen. Nationale Marktregulierung oder eine bestimmte Kapitalexportpolitik ließen sich daher nur schwer durchsetzen – ganz zu schweigen von der Integration der Auslandsanlagen in eine „Wirtschaftspolitik im nationalen Interesse“, die zu definieren bislang noch niemandem gelungen ist. Daher wurden zunehmend multilaterale und vçlkerrechtliche Mittel der Absicherung von Anle66 Schaefer, S. 560 f.

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gerinteressen diskutiert, die das Problem der Unterordnung der Anlegerinteressen unter die Außen- und Wirtschaftspolitik einzelner Staaten und der begrenzten Reichweite nationalstaatlicher Regulierungsbemhungen zu umgehen versprachen.

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4.) Der Schutz der Glubiger und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit Im Umfeld der zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 zeigten sich fr die hier interessierende Problematik wichtige Konsequenzen der VenezuelaIntervention. Zwei Entwicklungslinien sind zu betrachten: zum einen diejenige von der „Drago-Note“, in der der argentinische Außenminister Luis Drago zum Problem der bewaffneten Intervention gegen sumige Schuldnerstaaten Stellung nahm, bis zum „Abkommen betreffend die Beschrnkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden“, das einen Teil der Haager Abmachungen bildete; zum zweiten die im Anschluß an dieses Abkommen einsetzenden Bemhungen um die Schaffung eines internationalen Schiedsgerichtshofes fr Streitigkeiten zwischen Staaten und Privatleuten. In beiden Fllen spielt die internationale (vçlkerrechtliche) Schiedsgerichtsbarkeit1 eine zentrale Rolle.

(a) Die Haager Konferenz 1907: Von der „Drago-Doktrin“ zum internationalen Abkommen betreffend die Beschrnkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden Die Staaten Amerikas schlossen auf der zweiten interamerikanischen Konferenz in Mexico City im Jahre 1902, kurz vor der Venezuela-Intervention, einen auf fnf Jahre befristeten Vertrag ber eine obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit in Finanzsachen, um diese immer wieder fr Streitigkeiten sorgende Materie knftig auf geordnete Weise ohne politische oder gar militrische Auseinandersetzungen regeln zu kçnnen.2 In der Note des argentinischen Außenministers Drago an die US-Regierung vom 29. 12. 1902 aus Anlaß der deutsch-britischen Intervention in Venezuela war von Schiedsgerichtsbarkeit oder berhaupt von der Verrechtlichung internationaler Beziehungen hingegen nicht die Rede.3 Vielmehr argumentierte Drago gerade mit der Handlungsfreiheit des souvernen Staates, die auch die freie Entscheidung ber die Art und Weise der Bedienung (oder eben Nichtbedienung) eingegangener Schuldverpflichtungen umfassen msse. Alles andere sei mit der Wrde eines souvernen Staates und den „hohen Zielen, die die Existenz und Freiheit der 1 Im Unterschied zur privaten, verbandsrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit – dazu vgl. unten II.3. 2 Zur Vorgeschichte Dlffer, Regeln, S. 227 – 247. Der deutsche Gesandte Heyking hatte sich damals sarkastisch ber die in den Beschlssen von Mexico City beschworenen friedlichen Prinzipien geußert: „Fr den Minister eines Staates, in welchem in politischen Ansichten mit dem Prsidenten Diaz nicht bereinstimmende Landesangehçrige ohne viel Aufhebens erschossen werden, ist die erreichte Hçhe der friedliebenden Abstraction recht bemerkenswerth“ (Heyking an Blow, 4. 2. 1902, AA-PA R 17402). 3 FRUS 1903, 1 – 5.

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Nationen bestimmen“, nicht vereinbar. Die deutsch-britische Intervention widerspreche den Prinzipien der Gleichheit und Souvernitt der Staaten und sei daher vçlkerrechtswidrig. Drago konzentrierte sich in seiner Argumentation auf die Frage, ob nichtbezahlte Schulden aus internationalen Anleihen eine Intervention rechtfertigen kçnnten, also auf einen Punkt, der fr die Intervention in Venezuela gerade keine entscheidende Rolle gespielt hatte. Offenbar rechnete er darauf, daß diese Frage fr zahlreiche lateinamerikanische Staaten eine hinreichende Bedeutung hatte, um einen Ansatzpunkt fr Fhrungsansprche Argentiniens im sdlichen Amerika zu bieten. Hierauf zielte seine Forderung, finanzielle Schwierigkeiten einzelner Staaten drften nicht dazu fhren, deren Unabhngigkeit auszulçschen oder ihre Bevçlkerung zu unterdrcken. Die Gleichsetzung der bewaffneten Intervention mit Projekten territorialer Expansion und die Anrufung der Monroe-Doktrin andererseits bedeuteten zusammengenommen eine Aufforderung an die USA, gegen die britisch-deutsche Intervention in Venezuela einzuschreiten. Die Regierung in Washington betonte in einer eher zurckhaltenden Antwort auf die argentinische Note hingegen den bindenden Charakter von Anleiheverpflichtungen. Die USA, hieß es weiter, wrden sich zwar territorialen Eroberungen der Europer auf dem amerikanischen Kontinent widersetzen, shen aber ansonsten keine Notwendigkeit, lateinamerikanische Staaten gegen die Konsequenzen ihres eigenen Fehlverhaltens zu schtzen. Schließlich bezeichnete die amerikanische Antwortnote eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit als dasjenige Mittel zur Lçsung von Konflikten ber Ansprche aus Schden oder vertraglichen Verpflichtungen gegen Staaten, das am Besten mit dem Prinzip der Gleichheit der Staaten und des internationalen Rechts zu vereinbaren war.4 Damit war der von Drago erhobene absolute Souvernittsanspruch zurckgewiesen und die Alternative einer verrechtlichten, durch gegenseitige bindende Verpflichtungen und Institutionen zur geregelten Konfliktbeilegung geordneten Staatengemeinschaft unter amerikanischer Fhrung und amerikanischem Schutz aufgezeigt. Wie gesehen, spielte die Schiedsgerichtsbarkeit dann bei der Beilegung der Venezuela-Krise in der Tat eine gewisse Rolle. Die wesentlichen Fragen zwischen den Hauptbeteiligten wurden allerdings in konventionellen diplomatischen Verhandlungen geklrt, die nur formell der Vorbereitung eines Schiedsverfahrens dienten. Die einzige Frage, die auf dem Schiedswege zur Entscheidung kam, war die der Prioritt der Ansprche der Interventionsmchte gegenber denjenigen weiterer Glubiger Venezuelas. Das Haager Schiedsgericht entschied hier zugunsten der Interventionsmchte und beauftragte die USA mit der Vollstreckung des Urteils. Damit erkannte es sowohl die prinzipielle Berechtigung eines gewaltsamen Vorgehens gegen bçswillige

4 Hay an Garc a Mrou, 17. 2. 1903, FRUS 1902, S. 5 f.

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Schuldner als auch die Vormachtstellung der USA auf dem amerikanischen Kontinent an.5 Bei der dritten panamerikanischen Konferenz 1906 brachten Argentinien und andere lateinamerikanische Staaten erneut das Thema eines internationalen Verbots von Interventionen in Finanzfragen auf die Tagesordnung. Die USA verhinderten jedoch, daß ber diese, nicht zuletzt die europischen Glubigerstaaten betreffende Frage auf einem Forum beschlossen wurde, auf dem die lateinamerikanischen Schuldnerstaaten in der Mehrheit waren. Die USA waren durchaus an friedlicher Streitbeilegung durch Schiedsgerichte interessiert, insbesondere, wenn sich dies mit einer Bekrftigung der MonroeDoktrin und dem Anspruch Washingtons auf eine Art Polizeigewalt auf dem amerikanischen Kontinent verknpfen ließ. So verband sich die eigene berzeugung, eine Alternative zum europischen System der Machtpolitik sei mçglich, mit einem regionalen Fhrungsanspruch. Deshalb wollten die USA das Projekt nicht dadurch diskreditieren, daß es als Werk einer „Koalition der Zahlungsunwilligen“ (Dlffer) erschien. So wurde der Beschluß gefaßt, die Frage auf der Haager Friedenskonferenz zur Sprache zu bringen, und die USA setzten sich in der Folgezeit dafr ein, daß sie auf das Haager Programm kam.6 ber die Drago-Note und das Thema der Schiedsgerichtsbarkeit in Finanzfragen wurde somit die Venezuela-Intervention zum Ausgangspunkt des Bemhens um eine Verrechtlichung der internationalen Staatsverschuldung, obwohl sie letztlich nur am Rande mit der Weigerung des venezolanischen Staates zu tun hatte, seine Anleiheschulden zu begleichen. Da die zweite Haager Konferenz mehrfach verschoben wurde, hatte man in allen Hauptstdten gengend Zeit, sich ausgiebig auf die Verhandlungen vorzubereiten. Auch wenn ein großer Teil der Energien darauf verwendet wurde, eine Diskussion der Abrstungsfrage aus dem Konferenzprogramm herauszuhalten,7 wurde dabei auch die Frage der Intervention in Finanzfragen ausfhrlich beleuchtet. Im Grunde herrschten hier bei allen Großmchten hnliche, nur im Detail verschieden ausformulierte Vorstellungen, die ihre Interessen als Glubigerlnder widerspiegelten. So hieß es in Frankreich, zwar sei eine gewaltsame Intervention in vielen Fllen nicht gerechtfertigt, in Fllen bçswilliger Zahlungsverweigerung drfe sie aber nicht ausgeschlossen bleiben. Großbritannien sprach sich prinzipiell fr ein Gewaltverbot aus, wollte aber Ausnahmen fr Flle von Betrug, Ungerechtigkeit oder Vertragsverletzungen – d. h. alle klassischen Interventionsgrnde – machen. In Deutschland nahm man eine vordergrndig negative Haltung ein: Ein Runderlaß an die Botschafter erklrte die Drago-Theorie fr 5 Dlffer, Regeln, S. 224 f. 6 Vgl. wiederum Dlffer, Regeln, S. 242 ff.; Runderlaß AA, 4. 2. 1907, AA-PA R 164 sowie die Abschriften aus den Protokollen der Panamerikanischen Konferenz, Anl. zu AA an deutsche Delegation im Haag, 1. 7. 1907, BAL R 901/36351. 7 Hierzu wieder Dlffer, Regeln, S. 279 – 297.

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unannehmbar, da sie uns bei Reklamationen vermçgensrechtlicher Natur nahezu jedes Druckmittels berauben wrde, und wir gewissen Staaten gegenber bei der Geltendmachung von Entschdigungsansprchen oder kontraktlichen Forderungen unserer Angehçrigen auf ein wirksames Mittel zur Untersttzung solcher Reklamationen nicht verzichten kçnnen. Die Befassung der Konferenz mit diesem Gegenstande wre daher gleichfalls unerwnscht und bedenklich.8

Trotzdem war Berlin aus taktischen Grnden bereit, sich zur Not auf das Thema einzulassen. Dabei sollte das Reich aber keine weitergehende Verpflichtung bernehmen als diejenige, „vor der Anwendung von Gewalt das Haager Schiedsgericht anzurufen.“9 Einen hnlichen Vorschlag machten die USA, und der auf der Konferenz vom amerikanischen Delegierten Porter eingebrachte Antrag wurde in langen Verhandlungen zwischen der deutschen und der amerikanischen Delegation ausgearbeitet. Den Deutschen ging es dabei vor allem darum, den „diplomatischen Weg offen [zu] halten, den sdamerikanische Staaten in jeder Weise zu versperren bestrebt sind“.10 Tendenziell war darin aus Dragos Projekt eines Gewaltverbots eine Ermchtigung zu vçlkerrechtlich sanktionierter Gewaltausbung geworden. Durch seinen Zusammenhang mit der Schiedsgerichtsfrage berhrte das Problem eines Verbots von Interventionen in Finanzsachen den entscheidenden Streitpunkt der Haager Konferenz, bei dem die deutsche Delegation isoliert war : das Projekt einer – allerdings außer in Fllen, welche die Unabhngigkeit, die Lebensinteressen oder die Ehre eines Staates berhren – „obligatorischen“ Schiedsgerichtsbarkeit zwischen allen Staaten.11 In der allgemeinen Schiedsgerichtsfrage war ebenso wie in ihrer konkreten Anwendung auf Finanzstreitigkeiten die Frage nach dem Wesen staatlicher Souvernitt gestellt, wurde aber ganz unterschiedlich beantwortet. Whrend die Schuldnerstaaten vçlkerrechtlich bindende Regeln gegen den Einsatz von Gewalt in Finanzstreitigkeiten verlangten, beanspruchten sie zugleich die Freiheit von rechtlichen Bindungen fr ihr Finanzgebaren. Der deutsche Delegierte Marschall faßte diese Position dahingehend zusammen, „dass es ein unverusserliches Attribut der Staatssouvernitt sei, seine Schulden nicht zu bezahlen und dass es ein Akt vçlkerrechtswidriger Barbarei sei, wenn europische Staaten gewaltsam zu Gunsten der Beitreibung solcher Schulden intervenirten.“ Insofern ist es nicht ganz korrekt, die Drago-Lehre als auf einem „fast absolut gesetzte[n] Begriff nationaler Souvernitt“ aufbauend zu prsentieren, da sie ja auch die Forderung nach einem souvernittsbeschrnkenden 8 Runderlaß, 4. 2. 1907, AA-PA R 165. 9 Gesichtspunkte fr die Verhandlungen mit der sterreichisch-Ungarischen Regierung ber die zweite Haager Friedenskonferenz, Anl. zu Aufz. Kriege, 28. 2. 2007, BAL R 901/36313; Instruktionen fr den deutschen Delegierten Marschall v. Bieberstein, 14. 7. 1907, BAL R 901/36318. 10 Marschall an Blow, 6. 7. 1907, 8. 7. 1907 (Zitat), BAL R 901/36320; 27. 7. 1907, BAL R 901/36321; vgl. auch Marschall an Blow, 20. 8. 1907 und Blow an Marshall, 21. 8. 1907, BAL R 901/36322. 11 Zu der umfassenden Forschung zu diesem Thema vgl. nur Dlffer, Regeln.

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Gewaltverbot impliziert.12 Die Vertreter der Glubigerstaaten sahen es genau umgekehrt: Sie hielten internationale Schuldvertrge fr auch souverne Staaten bindend und beanspruchten daher (unter den oben am venezolanischen Beispiel erluterten Voraussetzungen) die Freiheit zur gewaltsamen Intervention. Whrend die anderen europischen Mchte mit dem deutsch-amerikanischen Entwurf im Grundsatz einverstanden waren und in die Frage keine weiteren Energien investierten, gab es heftigen Widerstand lateinamerikanischer Staaten, sowohl hinter den Kulissen als auch in den Konferenzberatungen. Drago, nicht lnger Außenminister, aber als einer der argentinischen Delegierten an der Konferenz beteiligt, setzte sich weiterhin fr ein vollstndiges Interventionsverbot bei Anleiheschulden (nicht aber bei Kompensationen fr Schden aus illegalen Handlungen) ein. Die Vertreter anderer Staaten verlangten ein generelles Verbot der gewaltsamen Eintreibung von Forderungen jedweder Art. Der amerikanische Delegierte Porter brachte einen erheblichen Teil seiner Zeit in Den Haag damit zu, eine Mehrheit fr seinen Entwurf zusammenzusuchen, was ihm am Ende gelang. Das schließlich zustande gekommene Abkommen enthielt zunchst die bereinkunft, „bei der Eintreibung von Vertragsschulden, die bei der Regierung eines Landes von der Regierung eines anderen Landes fr deren Angehçrige eingefordert werden, nicht zur Waffengewalt zu schreiten.“ Im folgenden Satz allerdings heißt es dann aber : „Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn der Schuldnerstaat ein Anerbieten schiedsrichterlicher Erledigung ablehnt oder … nach dem Schiedsverfahren dem Schiedsspruche nicht nachkommt.“13 34 der 44 Teilnehmerstaaten der Haager Konferenz unterzeichneten das Abkommen, viele allerdings nur unter einem ausdrcklichen Vorbehalt gegen die zuletzt zitierte Passage.14 Die Großmchte hatten sich mit der Frage nur aus unterschiedlichen konferenztaktischen Grnden berhaupt befaßt, und es war ihnen bereits bei der Ausarbeitung des Entwurfs gelungen, ein absolutes Gewaltverbot zu verhindern. Von den eigentlichen Adressaten, den Schuldnerstaaten, wurde das Abkommen hingegen nur unter sinnentleerenden Vorbehalten gezeichnet. Immerhin stellte die sogenannte „Porter-Konvention“ „die einzige friedensrechtliche Abmachung dar, die … ein Obligatorium fr alle Staaten zur Schiedssprechung formulierte“ und damit Glubiger- wie Schuldnerstaaten bestimmten bindenden Verhaltensregeln im Umgang miteinander unter12 Zitate: Marschall an Blow, 28. 7. 1907, BAL R 901/36351; Dlffer, Regeln, S. 239. 13 Hier zit. n. Wehberg, Abkommen, S. 87 f. 14 Whrend bei einem bilateralen vçlkerrechtlichen Vertrag jede Partei an den gesamten Text gebunden ist, solange die andere Partei sich ebenfalls an den Vertrag hlt, kçnnen Staaten einer multinationalen Konvention unter Vorbehalten beitreten und sind dann nur an die ausdrcklich von ihnen bernommenen Verpflichtungen gebunden – dies aber unabhngig davon, ob sich andere Staaten ihrerseits an die Konvention halten. Vgl. z. B. Krasner, Sovereignty, S. 25 f. und zeitgençssisch Triepel, S. 35 – 70, 88 ff.

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warf.15 Gerade das der vçlkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit aus prinzipiellen Grnden abgeneigte Deutsche Reich ging mit seinen Vorschlgen in einem entscheidenden Punkt sogar ber die Vorstellungen der anderen europischen Mchte hinaus: Es war Deutschland, das eine alle Streitparteien bindende Schiedsgerichtsbarkeit ins Gesprch gebracht hatte. Dlffer erklrt diese Haltung damit, daß Deutschland als Glubigerland ohnehin nicht damit rechnen mußte, wegen Finanzstreitigkeiten vor ein Schiedsgericht gezogen zu werden, weshalb es nicht die eigene, sondern nur eine fremde Souvernitt beschrnkt sah. Doch auch im Verzicht auf militrische Handlungsmçglichkeiten und in der Unterwerfung unter eine unabhngige Schiedsgerichtsbarkeit liegt eine erklrungsbedrftige Souvernittsbeschrnkung. Hier drfte die Erfahrungen der Venezuela-Intervention eine Rolle gespielt haben, die gezeigt hatte, daß die Freiheit zu einer eigenstndigen Kanonenbootpolitik in Finanzfragen von begrenztem Nutzen war, whrend das Haager Schiedsverfahren einen insgesamt gnstigen Ausweg aus einer verfahrenen Situation ermçglicht hatte. Zumindest der Bonner Rechtsprofessor Zorn, der als Mitglied der deutschen Delegation an beiden Haager Konferenzen teilgenommen hatte, war dieser Auffassung.16 Und auch gegenber dem Reichstag bemhte sich die Regierung, die erreichte Vereinbarung als „billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Schuldnerstaaten und der Glubigerstaaten“ in ein positives Licht zu setzen: Denn einerseits wird durch das Abkommen der Anwendung von Waffengewalt zur Durchfhrung unberechtigter Forderungen in wirksamer Weise vorgebeugt; andererseits lßt das Abkommen volle Freiheit des Handelns gegenber dem bçswilligen Schuldnerstaate, der eine friedliche Erledigung auf dem Wege der Schiedssprechung verweigert oder vereitelt.17

Im Rckblick auf die Haager Verhandlungen ist die Frage gestellt worden, ob die „Drago-Konvention“ letztlich das Gegenteil des Beabsichtigten erreichte oder schlicht berhaupt nichts. Immerhin war aus dem Vorhaben, die gewaltsame Intervention in Finanzfragen grundstzlich zu verbieten, ein Abkommen geworden, das eine solche Intervention unter bestimmten Voraussetzungen – wenn nmlich der Schuldner sich einem Schiedsverfahren oder der Ausfhrung eines Schiedsspruches verweigerte – fr rechtens erklrte. Die Wirkungsgeschichte des Abkommens spricht jedoch fr die Ansicht, es habe sich bei der ganzen Frage um einen fr die Staatenpraxis irrelevanten Sturm im Wasserglas gehandelt: Die Konvention lçste kein praktisches Problem, und das in ihr vorgesehene Verfahren wurde in keinem einzigen Fall tatschlich angewendet.18 15 16 17 18

Dlffer, Regeln, S. 326. Dlffer, Regeln, S. 322; Zorn, Schiedsgerichtsbarkeit, S. 1552. Auswrtiges Amt, Friedenskonferenz, S. 5. So Borchard u. Wynne, S. 272 f.

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(b) Ein Schiedsgerichtshof fr Streitigkeiten zwischen Staaten und Privatleuten? Aus der Sicht der neben dem Schuldnerstaat Hauptbetroffenen des Staatsbankrotts, der privaten Glubiger, hatte sich durch das Haager Abkommen nicht viel gendert; vielmehr nahm die in dieser Beziehung bestehende Unsicherheit zunchst sogar noch zu. Im Umfeld der Haager Konferenz wurde in Deutschland eine in den 1890er Jahren entfachte Polemik ber die Rechte und Handlungsmçglichkeiten geschdigter Staatsglubiger neu belebt. Ausgangspunkt der Debatten war die immer grçßere Bedeutung des Kapitalexports fr private Anleger, fr çffentliche Investitionen in aufstrebenden Staaten, fr die Exportindustrie und nicht zuletzt fr die politischen Einflußmçglichkeiten der kapitalexportierenden Staaten.19 Diesen expandierenden „Weltverkehr“ institutionell abzusichern war das Bestreben der juristischen Beitrge aus verschiedenen Richtungen. Dabei ging es zunchst um die adquate Beschreibung der politischen und rechtlichen Aspekte internationaler Staatsschulden und Staatsbankrotte vor und nach der „Porter-Konvention“, dann aber relativ schnell auch um die Mçglichkeit und Wnschbarkeit einer entsprechenden Neugestaltung des Vçlkerrechts. Neben der Reform der einzelstaatlichen Gesetzgebung erschien dabei insbesondere die Einrichtung einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit in Finanzsachen als ein Anknpfungspunkt fr die Strkung der Glubigerrechte. Damit war zugleich die Frage nach der Stellung von Individuen im Vçlkerrecht aufgeworfen, d. h. nach den Rechten Einzelner in einer Ordnung, die nur Staaten als Trger von Rechten und Pflichten kannte. An den Antworten lassen sich exemplarisch verschiedene Auffassungen ber die Mçglichkeiten deutlich machen, das internationale Leben zu ordnen. Recht einfach stellte sich die Sache aus der Sicht von Theoretikern dar, die hnlich wie Drago vom Standpunkt der Schuldnerinteressen aus argumentierten.20 Hier herrschte die Auffassung, es bleibe einem souvernen Staat vorbehalten, selbst zu entscheiden, ob er seine Schulden bedienen wolle oder nicht. Internationale Anleihevertrge seien nicht nach Privatrecht zu beurteilen, seien im Grunde berhaupt keine Vertrge, sondern einseitige, jederzeit revidierbare Erklrungen des Schuldners. Die Souvernitt des Schuldnerstaates schloß es in dieser Perspektive grundstzlich aus, daß Einzelnen andere Rechte zukamen als diejenigen, die der Souvern, zu dem sie in Beziehung traten, ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu gewhren bereit war. Vor allem aber wurden die faktischen Schwierigkeiten, Staatsbankrotte in irgendeiner rechtlich geordneten Weise abzuwickeln, als Argument fr die 19 Die umfassendste zeitgençssische Stellungnahme zu den Formen und Auswirkungen des Kapitalexports ist Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage. 20 Drago; Politis; Kebedgy ; Milovanowitsch.

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vçllige Ableugnung einer Zahlungspflicht herangezogen – eine Argumentationsfigur, die aus der vçlkerrechtsskeptischen Literatur bekannt ist, auch in diesem Kontext aber als wenig subtil gilt.21 In dieser radikalen Form wurden solche Argumente vor allem von Juristen aus Schuldnerstaaten vertreten, und eher anlßlich von Bankrotten als anlßlich der Aufnahme von Anleihen.22 Doch nicht nur patriotische Parteinahme, sondern auch prinzipielle Erwgungen, die auf die Natur staatlicher Souvernitt und das Verhltnis der richterlichen zur gesetzgebenden Gewalt im Staate bezogen waren, konnten dazu fhren, einen Vorrang der Rechte des staatlichen Schuldners vor denjenigen des privaten Glubigers zu vertreten. Der Privatrechtler Ludwig v. Bar etwa sah die Rechte der Glubiger unter den Vorbehalt der Gesetzgebung gestellt, die stets souvern bleiben msse.23 Die Rechtsprechung in allen grçßeren Staaten ging von der Unmçglichkeit aus, den eigenen Staat wegen seiner Schulden vor Gericht zu ziehen. Obrigkeitsstaatlich orientierte Juristen und konomen wnschten, daß die nationalen deutschen Interessen und nicht die Vermçgensinteressen der Anleger im Vordergrund standen.24 Vçlkerrechtler wie Philipp Zorn und Heinrich Triepel sahen das Vçlkerrecht dezidiert als Ordnung der Staatenwelt, in der als Rechtssubjekte allein Staaten auftreten konnten und sollten. Alle diese Auffassungen implizierten, daß Staatsbankrotte als zwischenstaatliche Probleme angesehen wurden und zwischenstaatlich zu lçsen waren. Zorn argumentierte etwa, Auslandsglubiger htten wie jeder Staatsbrger an ihren eigenen Staat einen Anspruch auf Schutz gegenber dem Ausland. So wrden Staatsbankrotte „zu rein vçlkerrechtlichen Streitigkeiten von Staat zu Staat“. Diese sollten aber nicht gewaltsam, sondern auf dem Wege der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit – fr deren Strkung Zorn eintrat – friedlich beigelegt werden, denn „die furchtbaren Eventualitten des Krieges stehen hier an sich nicht im Verhltnis zu dem, was erzwungen werden soll.“25 Damit stand Zorn allerdings in seinem Lager relativ allein, verband sich doch mit der diplomatisch-staatszentrierten Auffassung in der Regel die –mit Genugtuung ber den Sachverhalt vorgetragene – Diagnose, in den internationalen Beziehungen dominiere die machtstaatliche Interessenpolitik, die einer Verrechtlichung unzugnglich sei. Die Glubigerstaaten seien ihren nationalen Interessen verpflichtet, nicht den wirtschaftlichen Interessen ihrer Brger und auch nicht der eventuell durch eine Einheitsfront der Glubiger21 Vgl. dazu Bull, S. 127 – 136 und Triepel, S. 104 – 110. 22 Freund, Schutz, S. 13, zitiert den serbischen Autor Milovanowitsch, S. 399: „Les Etats souverains ne rel vent que de Dieu et de leur pe; ils sont leurs propres juges et dcident seuls, jusqu’ quel point leurs intrÞts et leur honneur exigent l’excution des engagements signs“, und bemerkt dazu: „Ein Satz, den man gewiß nicht in den Prospekt einer im Ausland aufzulegenden serbischen Anleihe aufnehmen drfte“. 23 V. Bar, Bd. II, S. 663 f.; Triepel, S. 261 ff. 24 Vgl. z. B. Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage; Hatschek. 25 Triepel; Zorn, Rechtsschutz; allgemein Koskenniemi, S. 211 f.

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staaten zu erreichenden Institutionalisierung des internationalen Anleihewesens: [D]ie Unmçglichkeit, eine solche Interessensolidaritt auf diesem scheinbar wirtschaftlichen, in Wirklichkeit aber eminent politischen Gebiet herbeizufhren, lsst alle Versuche, durch internationale Schiedsgerichte jene Streitigkeiten entscheiden zu lassen, verfehlt erscheinen.26

Eine zweite Schule betonte den bindenden Charakter der vom staatlichen Schuldner eingegangenen Verpflichtungen – genau wie ihre Gegnerin in der Regel in Form eines nicht nher zu begrndenden Glaubenssatzes. Diese Verpflichtungen unterstnden dem Privatrecht des Schuldnerstaates,27 wie es zur Zeit der Ausgabe der Anleihe bestanden habe, und kçnnten auch nicht durch nachtrgliche Gesetzesnderung modifiziert werden. Einige Autoren sahen den Schuldnerstaat nur gegenber dem auslndischen Glubiger derart gebunden, whrend er den seiner Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit unterstehenden inlndischen Glubigern durch Besteuerung oder Gesetzgebung das Versprochene jederzeit wieder entziehen kçnne.28 Eine solche Auffassung kam naturgemß eher den Interessen insbesondere auswrtiger Glubiger entgegen und wurde von einigen Autoren auch ganz auf dieser Linie entfaltet. Als Ideallçsungen finden sich hufig die dem Osmanischen Reich, gypten oder Griechenland unter politischem Druck aufgezwungenen Finanzkontrollregime angepriesen.29 Dennoch steckten auch in dieser Auffassung wichtige vçlkerrechtliche und institutionelle Implikationen. Wenn der Staat bei der Aufnahme einer Anleihe „wie ein Privatmann Vertrge schließt“, steht der auswrtige Glubiger ihm als „vçllig gleichberechtigter und gleichgestellter Kontrahent gegenber“.30 Betrachtet man Staaten und Privatleute als gleichberechtigte Vertragspartner und die Achtung ihrer jeweiligen Verpflichtungen und Interessen als Bestandteil einer verrechtlichten internationalen Ordnung, dann wurde es nçtig, einen durch Verfahren geordneten Ausgleich zwischen beiden Seiten zu ermçglichen.31 Die Vertreter solcher Ansichten verkannten nicht die Schwierigkeiten der Durchsetzung von Glubigerrechten. Auch waren sie in der Regel durchaus skeptisch gegenber außerrechtlichen Hilfsmitteln, die der Sache 26 Hatschek, S. 163. 27 Die ansonsten bei internationalen Vertrgen so komplexe Frage, welcher einzelstaatlichen Rechtsordnung diese unterstehen, wurde hier fr weniger bedeutsam gehalten, da man davon ausging, daß kein Staat sich einer fremden Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit unterwerfen wolle, es sei denn, das wre im Anleihepapier ausdrcklich erklrt. 28 Vgl. hierzu v. a. Freund, Schutz; Kaufmann; Pflug; Freund, Rechtsverhltnisse. 29 Vgl. z. B. Kaufmann; Pflug. 30 Freund, Rechtsverhltnisse, S. 57 – 61. 31 Meili sah durch das internationale Anleihewesen, das ohne den Grundsatz pacta sunt servanda nicht zu erklren sei, „die reale Existenz einer ber dem nationalen Staate stehenden universellen Rechtsgemeinschaft bekundet.“ Meili, Staatsbankerott, S. 3.

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geregelter internationaler Beziehungen mehr schaden als nutzen wrden: Repressalien gegen den Schuldnerstaat und seine Angehçrigen wrden wesentlichen Errungenschaften der Moderne, der individuellen Bewegungsfreiheit und der Handelsfreiheit, die Grundlage entziehen, „und es kann leicht eine Art juristischer Wildnis entstehen in der Auffassung und Behandlung alles Dessen, was fremd ist.“ Zwangsmaßnahmen wrden berdies darauf hinauslaufen, „daß der betreffende Staat aus der Ebenbrtigkeit des internationalen Rechtsverbandes ausgestoßen sei.“32 Eine auswrtige Finanzkontrolle erschien als rechtlich stets bedenkliches Mittel, das allenfalls in Ausnahmefllen und dann auch nur schwachen außereuropischen Staaten gegenber einsetzbar war. Schließlich erkannten auch die Verfechter der privatrechtlichen Sichtweise an, daß ein Staatskonkurs, der letztlich die „Staatsauflçsung“ bedeuten wrde, nicht vorstellbar war und „das wirtschaftliche Interesse einzelner den hçheren Interessen der Gesamtheit nachstehen“ msse.33 Kernargument dieser Schule war, daß die Verpflichtung des Schuldnerstaates zur Zahlung außer Frage stehe und keineswegs durch Hinweis auf die staatliche Souvernitt geleugnet werden kçnne. Zugleich bestehe jedoch ein institutionelles Defizit: Es gab keinerlei mit der Souvernitt des Schuldnerstaates zu vereinbarendes Verfahren zur Geltendmachung der Glubigerrechte oder zur geordneten Abwicklung von Staatsbankrotten. Man msse daher „Institutionen zur Sicherung des Friedens internationaler Mrkte“ schaffen. Und da einzelstaatliches Recht hier versage, gelte es, „diese Materie als einen Teil des modernen Weltverkehrsrechts … auf internationalem Wege zu regeln.“34 Fr Meili bestand die Aufgabe darin, erstens „Normen zu finden, welche auf dem Boden des Weltverkehrs eine korrekte Lçsung der Streitfragen gewhren“, zweitens ein Verfahren zu ihrer Anwendung zu etablieren und drittens eine Mçglichkeit der Durchsetzung der Entscheidungen zu schaffen.35 Meili schlug bereits 1895 vor, eine unabhngige internationale Kommission einzurichten, welche die çkonomische Lage zahlungsunfhiger Schuldner prfen, einen Termin zur Wiederaufnahme der Zahlungen anordnen, eine vorbergehende Finanzaufsicht ausben, rechtswidrige Anordnungen aufheben, die Einfhrung neuer Abgaben anregen und schließlich die Ausstellung von „Glcksscheinen“ anordnen kçnne, ber die die Glubiger an einer wirtschaftlichen Gesundung des Schuldnerstaates zu beteiligen wren. Vçlkerrechtliche Grundlage mßte die mçglichst bereits bei der Aufnahme einer Anleihe zu erklrende Bereitschaft des Schuldners sein, sich gegebenenfalls einem solchen Verfahren zu unterwerfen.36 32 33 34 35

Meili, Staatsbankerott, S. 62, 38. Freund, Rechtsverhltnisse, S. 251. Zitate aus Freund, Schutz, S. 7 f. Meili beschrieb dies als eine Konkretisierung des Grundproblems des internationalen Rechts berhaupt, „how to find international equivalents for the factors known to national law as legislation, jurisdiction and execution.“ (Lorimer, Bd. 2, S. 186); Meili, Staatsbankerott, S. 58. 36 Meili, Staatsbankerott, S. 50 f.

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In eine hnliche Richtung gehen die berlegungen Freunds, der sich fr eine Mischung aus prophylaktischen und repressiven Maßnahmen aussprach: Er schlug eine internationale Konvention vor, in der sich die wichtigsten Glubigerstaaten verpflichten sollten, die Zulassung von Anleihen zum Bçrsenhandel davon abhngig zu machen, daß sich der Schuldnerstaat „Bestimmungen im Interesse der auswrtigen Glubiger“ unterwarf, insbesondere Haftung fr die im Prospekt gemachten Angaben, eine Regelung fr die Handlungsfhigkeit einer Glubigervertretung als Zwangsgemeinschaft, Stellung von Sicherheiten und Einwilligung des Schuldners in ein Schiedsverfahren fr den Fall des Bankrotts. Die Vertragsstaaten sollten keine Anleihen von Staaten zulassen, die ihren Verpflichtungen frher nicht nachgekommen waren und auch keine Einigung mit ihren Glubigern erreicht hatten. Zu den repressiven Maßnahmen zhlte Freund in erster Linie die bertragung der Zustndigkeit fr Bankrottangelegenheiten an das Haager Schiedsgericht. Dieses sollte die Macht bekommen, vom Schuldner whrend des Verfahrens die Hinterlegung der Streitsumme zu verlangen und dem Schuldner per einstweiliger Anordnung die Entfernung von Vermçgenswerten zu untersagen. Auch Freund sah die Notwendigkeit, dem Gericht die Befugnis zur Prfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und gegebenenfalls zur Krzung der Glubigerrechte einzurumen. Das Schiedsgericht mßte beim Schiedsgerichtshof im Haag angesiedelt sein. Bei Widersetzung gegen den Schiedsspruch mßten Repressalien greifen wie zunchst Aussetzung smtlicher Anleihen des betreffenden Staates vom Bçrsenhandel, Einsatz politischer Machtmittel (Flottendemonstration, Blockade, Suspendierung der Handelsvertrge, Finanzkontrolle). Diese mßten fr alle Vertragsstaaten gemeinsam bindend sein, so daß der widerspenstige Schuldner einem „allgemeinen Boykott“ gegenbersteht.37 Die Haager Abmachungen von 1907 entsprachen dem Vçlkerrechtsverstndnis dieser Schule, insofern Zwangsmaßnahmen gegen souverne Schuldnerstaaten hier in der Zustimmung der Schuldner zu einem bestimmten Verfahren eine Basis finden. Was das Verfahren selbst betrifft, wurde das Haager Abkommen den Forderungen nicht gerecht, da es nur einen Einzelaspekt betraf. Die Frage nach der Rechtsnatur privater Ansprche gegen auswrtige Staaten und nach Mitteln zu ihrer Durchsetzung blieb sowohl als fachjuristisches Thema als auch wegen konkreter Streitflle aktuell und lçste schließlich eine organisierte Kampagne der einflußreichsten deutschen Handelskammer, der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin, aus, in deren Verlauf die Frage breit in der Fach- und Tagespresse diskutiert und schließlich eine Eingabe an den Reichskanzler gerichtet wurde. Anknpfungspunkt war neben den Haager Abkommen der Fall des deutschen Hauptmanns Hellfeld, der sich whrend des russisch-japanischen Krieges in Ostasien aufgehalten hatte und wegen dort erlittener Vermçgensschden vor deutschen Gerichten 37 Freund, Rechtsverhltnisse, Kap. XXIII; Frankfurter Zeitung, Staatsglubiger, 30.8.1907.

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erfolglos Schadensersatz gegen den russischen Fiskus durchzusetzen suchte. Dabei erhielt die lange umstrittene Frage neue Aktualitt, ob ein auswrtiger Staat, insofern er privatwirtschaftlich handelte, in seiner Eigenschaft als „Þtre civil“ einer auswrtigen Gerichtsbarkeit unterworfen sein konnte, oder ob ein Staat in jedem Falle als „Þtre politique“ und gleichberechtigtes Mitglied der Staatengemeinschaft zu behandeln sei und deshalb einer auswrtigen Gerichtsbarkeit nicht unterstellt sein kçnne. Rechtsprechung und juristische Lehre liefen darauf hinaus, daß Staaten nicht vor auswrtigen Gerichten verklagt werden konnten, was die Suche nach alternativen Mçglichkeiten neu belebte, privaten Ansprchen gegen auswrtige Staaten Geltung zu verschaffen.38 Trotz dieses inhaltlichen Berhrungspunktes fllt auf, daß von allen Beteiligten dieser recht einzigartig gelagerte Fall benutzt wurde, um ausgiebig ber die damit nicht unbedingt zusammenhngenden Rechte der Auslandsglubiger im Falle des Staatsbankrotts zu diskutieren. Vor allem wurde die Frage der Nutzbarmachung des Haager Abkommens fr die Entscheidung von Vermçgensstreitigkeiten zwischen Staaten und Privatleuten aufgeworfen. Nach der Haager Konferenz argumentierte Freund, daß mit dem Schiedsverfahren des Haager Abkommens Glubiger die Mçglichkeit bekommen htten, sumige Schuldnerstaaten durch Anrufung des Haager Schiedsgerichtshofes zur Zahlung anzuhalten.39 Er leitete aus der Gleichrangigkeit der Rechte von Glubiger und Schuldner die These ab, daß es sich bei internationalen Anleihevertrgen um Abmachungen handelte, die zwar nicht vçlkerrechtlicher Natur seien, aber doch „vçlkerrechtshnlichen“ Charakter trgen. Daher lge es nahe, daß auch Privatleute das Klagerecht vor dem Haager Schiedsgericht htten. Diese Auffassung sttzte Freund allerdings vor allem darauf, daß die Haager Konferenzen dem Juristen „nicht allein einen Torso, sondern einen Wirrwarr schwerer, fast unlçsbarer juristischer Streitigkeiten“ beschert htten, was eine besonders kreative Auslegung erforderlich mache.40 Von dieser Auffassung ließ Freund sich allerdings rasch wieder abbringen; er mußte akzeptieren, daß das Haager Gericht eine vçlkerrechtliche Einrichtung war, vor der nur Staaten auftreten konnten.41 Daher unterbreitete er eine Reihe von Vorschlgen zur Fortentwicklung der Haager Institutionen, um sie in die erstrebte „internationale Instanz zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aller Art zwischen Privatglubigern und Schuldnerstaaten“ fortzuentwickeln. Ihre Urteile mßten in allen Vertragsstaaten sofort vollstreckbar sein. Schuldnerstaaten mßten gegebenenfalls dazu verurteilt werden kçnnen, den Glubigern Einfluß auf die Finanzverwaltung zu geben.42 38 Fleischmann; Freund, Gerichtsbarkeit; Freund, Hellfeld; Hatschek; Meili, Zwangsvollstreckung; Wehberg, Hellfeld. 39 Freund, Haager Konferenz; Freund, Gerichtsbarkeit. 40 Freund, Hellfeld. 41 Wehberg, Klagerecht; Wehberg, Hellfeld. 42 Freund, Schutz, S. 52 f.

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Diese Vorschlge wurden schließlich von den Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft aufgegriffen. Sie forderten den Reichskanzler in einer Eingabe auf, sich fr den Abschluß einer internationalen Konvention, wie Freund sie vorgeschlagen hatte, einzusetzen, und brachten das Thema auf die Tagesordnung der internationalen Handelskammerkongresse. In der Eingabe wurden noch einmal die Mittel aufgezhlt, die dem geschdigten Auslandsglubiger bislang zur Verfgung standen: der in der Regel fruchtlose Gerichtsweg im Schuldnerstaat, die vom Gutdnken des Glubigerstaates abhngige und in der Regel wirkungslose diplomatische Intervention, die in Deutschland immer noch nicht gelungene Bildung effektiver Schutzvereinigungen. Der sich daraus ergebende Zustand sei durchaus unbefriedigend – „irgendeine Gewhr fr den inlndischen Privatmann bei Ansprchen gegenber dem auslndischen Staat ist nicht gegeben.“ Abschließend gaben die Berliner Aeltesten der berzeugung Ausdruck, „daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, durch Schaffung eines internationalen Schiedsgerichts fr Streitigkeiten zwischen Privatpersonen und auslndischen Staaten das Weltverkehrsrecht auszubauen“. Sie forderten den Reichskanzler auf, „hochgeneigtest im Sinne der vorstehenden Ausfhrungen bei den einzelnen Kulturstaaten anregen zu wollen, daß dieselben sich einer derartigen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen.“43 Auch der Handelsvertragsverein, die im Jahre 1900 gegrndete Interessenorganisation der am freien Handel interessierten Wirtschaftszweige, schloß sich der Berliner Eingabe mit einer eigenen, vom Vçlkerrechtler Hans Wehberg verfaßten Denkschrift an.44 Hier wurden auch die Erfolgsaussichten einer solchen Initiative analysiert und insgesamt positiv beurteilt: Sehe man von den „Klein- und Mittelstaaten“ ab, „die ja als unsichere Schuldnerstaaten hauptschlich in Betracht kommen“ und deren Einwnde man „nicht allzu ernst zu nehmen“ brauche, seien Fachleute und Politiker zumeist gnstig gestimmt. Und auch die kleineren Staaten Lateinamerikas begnnen bereits die Vorteile einer Schiedsgerichtsbarkeit zu erkennen, vor der sich ihre Sache immerhin besser vertreten lasse als gegenber einer bewaffneten Blockademacht. Wehberg griff in seiner Denkschrift auch seine alte Forderung auf, Fragen des internationalen Privatrechts der Haager Schiedsgerichtsbarkeit statt den hier wenig kompetenten nationalen Gerichten zu bertragen. Zugleich sollte das Haager Gericht zu einem stndigen werden, das mit fest angestellten Richtern und stndig anwesenden Anwlten eine feste Rechtsprechung und Rechtspflege an die Stelle unzusammenhngender, ad hoc gefllter Einzelsprche setzen kçnnte.45 Der Haager Schiedsgerichtshof wrde 43 Eingabe der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 30. 9. 1910 und Rundschreiben der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an die Reichsministerien, 3. 10. 1910, BAL R 3001/7655. 44 Handelsvertragsverein an Reichsjustizamt, 19. 7. 1911, BAL R 3001/7655; Wehberg, Privatklagen. 45 Hiergegen hatte sich die deutsche Delegation bei den Haager Konferenzen heftig gewehrt.

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dann drei Abteilungen umfassen: eine fr Streitigkeiten zwischen Staaten, eine fr Streitigkeiten zwischen Privaten und eine fr Streitigkeiten zwischen Staaten und Privaten. Es wrde ein „internationales Gerichtsverfassungsgesetz“ geben und „eine immer grçßere Anzahl internationaler Gesetzbcher“, schließlich auch eine „internationale Vçlkerrechtshochschule“. „So tut sich vor unseren Augen eine schçne Perspektive auf, und es hngt in letzter Linie nur von dem guten Willen der Staaten ab, ob sie dem Wunsche des internationalen Handels Rechnung tragen wollen.“46 Mit diesem Willen war allerdings vorerst nicht zu rechnen. Freund hatte optimistisch vorhergesagt: die Gemeinsamkeit der Kulturinteressen unter den zivilisierten Staaten drngt mit Entschiedenheit dazu, Dinge von internationalem Interesse, die in das Rechtsleben der verschiedenen Vçlker in gleicher Weise eingreifen, international zu regeln. … Von einem solchen Rechtsfortschritte, wie ihn die erhçhte Rechtssicherheit im internationalen Verkehre bietet, ziehen alle am Weltverkehr beteiligten Kulturnationen so grosse Vorteile, dass es frevelhaft wre, um gewisser egoistischer Privatinteressen halber die Segnungen einer internationalen Rechtsgemeinschaft kleinlich preiszugeben.47

Doch waren der Politik die machtpolitischen und exportwirtschaftlichen Implikationen einer auswrtigen Anleihe in der Regel wichtiger als die Schaffung einer internationalen Rechtsordnung fr das Anleihewesen, die ihre Handlungsfhigkeit beschrnkt htte. Ohnehin setzten sich Verfechter einer national orientierten Wirtschaftspolitik dafr ein, Kapitalexporte noch strker in den Dienst von Außenpolitik und Industrie zu stellen, durchaus auch zu Lasten der Sicherheit und Rentabilitt der Auslandsanlagen.48 Ein unmittelbarer Erfolg war den beiden Eingaben somit nicht vergçnnt, doch die Berliner ltesten sahen die Frage offenbar als fr die Interessen von Handel und Anlegern so wichtig an, daß sie unter deutschen Unternehmen und Handelshusern eine Umfrage ber das Projekt veranstalteten, es auf die Tagesordnung des internationalen Handelskammerkongresses in Boston 1912 setzen ließen und sich erneut an die Reichsregierung wandten.49 Die Umfrage ergab, daß die meisten der befragten Unternehmen das vorgeschlagene Schiedsgericht fr „dringend erwnscht“ hielten. Inzwischen 46 Wehberg, Privatklagen, S. 34. 47 Freund, Gerichtsbarkeit, S. 263. 48 Diese Position vertritt Sartorius von Waltershausen, Kapitalanlage. Zur Kritik aus Finanzkreisen daran vgl. Kaemmerer; Riesser, S. 320 ff. Die ansonsten die Auswirkungen von Kapitalexporten auf alle betroffenen Kreise sorgfltig analysierende Arbeit Sartorius v. Waltershausens ignoriert an dieser Stelle die wirtschaftlichen Auswirkungen von Anlageentscheidungen, bei denen Renditeerwartungen und Risikoeinschtzungen von patriotischen Motiven berdeckt werden. 49 Eingabe der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 20. 5. 1912, BAL R 3001/7655. Vgl. auch Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstags vom 24. und 25. Juni 1912 in Kçln, Berlin, 24. 8. 1912, BAL R 901/2378.

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waren allerdings gegenber den Interessen der Besitzer notleidender auswrtiger Staatspapiere diejenigen der deutschen Kaufleute und Industriellen in den Vordergrund gerckt, die an das Ausland lieferten und regelmßig mit unbegrndeten Reklamationen, schlechter Zahlungsmoral und der Benachteiligung von Auslndern vor Gericht zu kmpfen hatten. Die Verbindung des Projektes einer schiedsgerichtlichen Ordnung fr die internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit der Frage des Staatsbankrotts lçste sich dadurch wieder auf. Die Argumentationslinie, nach der sich die Staaten im internationalen Wirtschaftsverkehr wie Privatleute auch einem unbedingt geltenden Recht zu unterwerfen htten, blieb dabei aber erhalten: Unserem modernen Rechtsbewusstsein widerspricht es, dass ein Staat, der in privatrechtliche Beziehungen tritt, anders behandelt werden soll als ein Privatmann, und dass in einem solchen Falle dem Privatglubiger kein direktes Klagerecht gegen den auslndischen Staat zusteht.50

Zahlreiche Handelskammern und der Deutsche Industrie- und Handelstag untersttzten die Eingabe, die dann auch auf dem internationalen Handelskammerkongreß in Boston auf umfassende Zustimmung stieß.51 Auch im Auswrtigen Amt fand der Gedanke einer privatrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit im Haag einigen Anklang, whrend das Reichsjustizamt schwere Bedenken geltend machte und sich auch gegen die Behandlung des Themas auf der damals fr 1915 geplanten dritten Haager Friedenskonferenz aussprach.52 Der Krieg verhinderte eine weitere Verfolgung des Projekts. 1922 wurde es von der Berliner Handelskammer wieder aufgegriffen, nun eindeutig konzentriert auf die Interessen des Handels in einer Welt, in der die Bedeutung von Staaten, die vor Gerichten nicht belangt werden konnten, als Geschftspartner immer grçßer wurde.53 Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Plne zu einer dichteren wirtschaftlichen Institutionalisierung in Deutschland nur kurzfristig wiederbelebt, dann aber rasch durch die allgemeine Ablehnung der Versailler Friedensordnung und des Vçlkerbundes diskreditiert. Hinzu kam, daß man in Deutschland 50 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstags vom 24. und 25. Juni 1912 in Kçln, BAL R 901/2378. 51 Vgl. z. B. Handelskammer Augsburg an RJA, 8. 7. 1912 und DIHT an RJA, 5. 9. 1912; Verhandlungen des Internationalen Handelskammer-Kongresses zu Boston, September 1912, ber die Errichtung eines internationalen Schiedsgerichtshofs fr Streitigkeiten zwischen Privatpersonen und auslndischen Staaten und ber die Vereinheitlichung der Scheckrechte (Anl. zur Correspondenz der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin, Jg. 1913, Nr. 1); 38. Vollversammlung des Deutschen Handelstages in Berlin am 19. und 20. Februar 1913. Stenographischer Bericht, Berlin 1913, BAL R 901/2379. 52 RJA an AA, 9. 5. 1914, BAL R 3001/7652. 53 Handelskammer Berlin an AA, 24. 2. 1922, BAL R 3001/7655. Nicht nur der gesamte Rußlandhandel war nun Staatshandel, sondern auch die Schiffahrt der USA war in staatlicher Hand, was die Rechtsstellung des Besitzers auf amerikanischen Schiffen transportierter Waren entscheidend vernderte.

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nunmehr die Frage von Staatsbankrotten aus der Sicht eines Schuldners betrachtete, dessen Verbindlichkeiten zum großen Teil aus als ungerecht empfundenen politischen Schulden bestanden, den Reparationen. So war das Deutsche Reich zurckhaltender als vor dem Krieg gegenber weiteren Institutionalisierungsbemhungen. An den Verhandlungen im Rahmen der Vçlkerbundskonferenzen ber die Rechte und Pflichten der Staaten beteiligte man sich nur halbherzig.54

(c) Glubigerschutz durch Schiedsgerichtsbarkeit? An der Diskussion um eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel zur Abwicklung von Staatsbankrotten lassen sich einige Grundprobleme internationaler Ordnungsstiftung deutlich machen. Sie rhren einmal aus den Rechtsverhltnissen von Transaktionen her, die Individuen und Staaten, internationales und Landesrecht berhren. Zum zweiten waren Art, Weise, Ziel und grundstzliche Wnschbarkeit von internationalen Regeln umstritten. Juristen wie Freund und Meili und Glubigervertreter strebten eine Institutionalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen an, die sie als Gegenbild zu einer machtpolitisch berformten Lenkung von Auslandsinvestitionen im Sinne von Sartorius von Waltershausen ausmalten. Wehberg sah dabei insbesondere kleine Produzenten und Anleger als eines solchen Schutzes bedrftig an, whrend der „große Weltfabrikant“ ohnehin „wegen der Bedeutung seiner Firma fr die nationale Produktion von seiner Regierung einen wirksamen Schutz“ erwarten kçnne. Auch die zweite Eingabe der Berliner ltesten argumentierte mit der Verringerung von Transaktionskosten und der Entlastung der Diplomatie von Kleinigkeiten.55 Daraus folgte dann, daß Mechanismen nicht nur der Durchsetzung von Glubigeransprchen, sondern auch des Interessenausgleichs zwischen den Betroffenen gefunden werden mußten. In einer Welt souverner Staaten setzte das die explizite Einwilligung der betroffenen Staaten und ihre freiwillige Unterwerfung unter die Bedingungen des zu findenden Kompromisses voraus. Auch mußten die untereinander nicht verbundenen, dem bankrotten Staat als individuelle Vertragspartner gegenberstehenden Glubiger zu einer beschlußfhigen Zwangsgemeinschaft zusammengeschlossen werden, die mit Mehrheitsvotum ihre alle Glubiger bindende Zustimmung zu einer abschließenden Regelung geben konnte. Schließlich stellte sich die Frage, wie eine solche Regelung berhaupt ins Leben treten sollte. Als Bestandteil einzelner Anleihevertrge war eine internationale Konkursregelung offenbar nicht durchzusetzen, solange Kapital auch zu gnstigeren Bedingungen zu 54 League of Nations, Treatment; League of Nations, Codification. 55 Eingabe der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 20. 5. 1912, BAL R 3001/7655; Wehberg, Privatklagen, S. 11.

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haben war. Eine multinationale Konvention, in der sich die wesentlichen Glubigerstaaten verpflichtet htten, ihren Finanzinstituten bestimmte Bedingungen zum Schutz der Anleger und zur Abwicklung von Problemen aus Anleihevertrgen vorzuschreiben, hatte keine Chance, weil alle Staaten ihre Handlungsfreiheit bewahren wollten. Bei der Bewertung dieses Scheiterns internationaler Ordnungsstiftung sind die Kosten rechtlicher Unsicherheit fr Schuldner und Glubiger aufzurechnen gegen die Nachteile einer internationalen Regelung, die in der Praxis wohl zumeist als ein Glubigerkartell funktioniert und einen ernsten Test vermutlich nicht berstanden htte. Der Grundton der çffentlichen Debatten wie der Expertenußerungen war vor dem Ersten Weltkrieg mehrheitlich von Glubigerinteressen geprgt, daneben stand auch das Bemhen um friedliche Konfliktbeilegung statt gewaltsamer Schuldeneintreibung im Vordergrund. Schulden nicht zu bezahlen galt als moralisch anrchig und eines zivilisierten Staates unwrdig; eine berschuldung des Staates wurde auf Verschwendung, Mißwirtschaft, Korruption und andere „exotischen“ Staatswesen gern zugeschriebene Eigenschaften zurckgefhrt. Die moralische Identifikation mit dem Glubigerstandpunkt unterscheidet die damaligen Lçsungsvorschlge jedoch strker von den heutigen als ihr institutioneller Gehalt. In entscheidenden Punkten gehen heutige Anstze zur Verrechtlichung der Abwicklung von Staatsbankrotten nicht wesentlich ber die bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwickelten Perspektiven hinaus. Ein geregeltes Verfahren, das die mçglichst schon bei Abschluß eines Anleihevertrages einzuholende Einwilligung des Schuldnerstaates voraussetzt, von einer neutralen Instanz durchgefhrt wird und eine gleichrangige Vertretung des staatlichen Schuldners und der privaten Glubiger ermçglicht, erscheint nach wie vor als die in einer Welt souverner Staaten angemessene Lçsung.56

56 Vgl. nur Paulus.

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5.) Reparationen, Whrungspolitik und die deutschen Auslandsschulden zwischen Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise Fragen von Verschuldung, Zahlungsfhigkeit und Zahlungswillen rckten als Folge des Ersten Weltkrieges ins Zentrum internationaler wirtschaftlicher und politischer Beziehungen. Entscheidend dafr waren zunchst die finanziellen Lasten des Krieges. Wirtschaftlich betrachtet stellte dieser eine unter Mobilisierung aller Krfte der produktivsten Volkswirtschaften der Erde betriebene Ressourcenvernichtung dar.1 Die Kriegskosten wurden grçßtenteils durch Anleihen oder durch die Notenpresse aufgebracht. Bei Kriegsende waren die Vormchte des Kapitalexports der Vorkriegszeit smtlich hoch verschuldet, und ihre Whrungen waren entwertet. Damit stellte sich die Frage der Verteilung der durch Anleihen und Geldschçpfung scheinbar in die Zukunft verschobenen Kriegskosten auf die verschiedenen Staaten, Gesellschaftsschichten und volkswirtschaftlichen Sektoren.2 Daraus ergaben sich zwei neue strukturelle Probleme, denen sich nun alle kapitalsuchenden Staaten und alle privaten Staatsglubiger ausgesetzt sahen: (1) Neben der privaten Auslandsverschuldung existierten nun in großem Umfang politische Schulden, d. h. die deutschen Reparationsschuld und die interalliierten Kriegsschulden. (2) Die Frage der Whrungsstabilitt, die whrend der Goldstandard-Zeit vor 1914 Anleger kaum interessiert hatte, bekam nun ein großes Gewicht. Beide Probleme verstrkten die immer strkere gegenseitige Durchdringung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und die staatliche Regulierung immer weiterer Lebensbereiche. Auf dem Feld der internationalen Finanzbeziehungen ußerte sich das vor allem dadurch, daß private und staatliche Zahlungsfhigkeit nunmehr miteinander konkurrierten: Fr private Zahlungen an das Ausland mußten ebenso wie fr die Bedienung der auswrtigen Staatsschuld knappe Devisen beschafft werden, und bestndig wurde diskutiert, ob angesichts der prekren Leistungsfhigkeit ganzer Volkswirtschaften politische Schulden erlassen werden sollten, um der privaten Wirtschaft Raum zu geben, oder ob nicht im Gegenteil der Vorrang der in internationalen Vertrgen festgelegten Schuldverpflichtungen bekrftigt werden sollte. Im deutschen Fall war der Bruch gegenber der Vorkriegszeit allerdings besonders scharf ausgeprgt. Als einziger wirtschaftlich bedeutender Staat erlebte Deutschland den vçlligen Zusammenbruch seiner Whrung, und war nun ausschließlich Schuldnerstaat. Aus dieser Situation ergibt sich eine Verschiebung des Fragehorizonts von den Institutionen, die deutsche Anleger vor den Folgen von auswrtigen Staatsbankrotten schtzen konnten, hin zur 1 Zu den wirtschaftlichen Folgen des Krieges vgl. Broadberry u. Harrison; Mommsen; Feldman, Disorder. 2 Kent; Ritschl; Eichengreen, Fetters.

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Rolle, die die Bedienung der deutschen Staatsschuld im politisch-wirtschaftlichen Kalkl deutscher Entscheidungstrger spielte. Von ber Deutschland hinausweisender Bedeutung bleibt die Untersuchung dennoch, weil Deutschland in den 1920er Jahren einer der wichtigsten Kapitalimporteure der Welt war. Am Auf und Ab der Kapitalstrçme nach Deutschland, an den dafr jeweils ausgehandelten Anleihebedingungen und am Schicksal in Deutschland angelegter Kapitalien lassen sich das Klima auf den globalen Kapitalmrkten und die Probleme, denen sich auswrtige Staatsglubiger in der Zwischenkriegszeit gegenbersahen, ablesen. Alfred Manes traf noch vor Kriegsende 1918 in einer durch den russischen Bankrott von 1917 angeregten Studie die Feststellung: Durch Staatsbankrotte sind Deutsche seit ber hundert Jahren lediglich als Auslandsglubiger betroffen worden und es liegt kein Anlaß zu der Vermutung vor, daß dieser fr die weitaus berwiegende Mehrzahl aller Deutschen befriedigende Zustand sich ndert.3

Diese (ohnehin nicht zuletzt durch Rcksichtnahme auf die Zensur bedingte) Prognose erwies sich rasch als verfehlt. In der angesichts der Aktualitt des Themas bald nçtig gewordenen dritten Auflage seines Werkes konstatierte Manes 1922 den Zustand des „Papiergeldbankrotts“ fr Deutschland und sah die Notwendigkeit, den Begriff des „Erdteilbankrotts“ fr eine Zahlungsunfhigkeit kontinentalen Ausmaßes einzufhren. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen seine Bemerkungen ber den Staatsbankrott als „Notrecht des Staates“, durch das letztlich die staatliche Existenz gesichert und ber die Belange der Glubiger gestellt wird, an Bedeutung. Der Bankrott des Deutschen Reiches war damit in das Spektrum realistischer Handlungsoptionen aufgenommen; Bankrott erschien nicht lnger als Ausweis unzivilisierter Staatsfhrung, sondern als eine Notstandsmaßnahme. Er wurde auf der Linken (USPD, KPD) als Mittel der wirtschaftlichen Gesundung und gesellschaftlichen Umverteilung verfochten, whrend sich auf der extremen Rechten das Programm der „Brechung der Zinsknechtschaft“ verbreitete; es hieß jetzt: „Der Staatsbankrott – die Rettung.“4 Die Geschichte des Verfalls der deutschen Staatsfinanzen zwischen dem Kriegsausbruch 1914 und der Stabilisierung der Mark 1923 ist vielfach dargestellt worden.5 Die Kosten des Krieges wurden vor allem durch im Inland 3 Manes, 1. Aufl., S. 175. 4 Manes, 3. Aufl. Die erste Auflage konnte unter dem Einfluß der Zensur manche offenkundigen Tatsachen nicht ansprechen, da es „verpçnt [war], dem deutschen Leser auch nur das Wort Staatsbankrott vor Augen zu fhren“ (ebd. S. 4). Zur USPD und KPD wiederum ebd. S. 246 ff.; „Rettung“: Feder, S. 79 – 96. 5 Knappe Zusammenfassungen und Zahlenangaben bei Balderston, Economics, S. 37 ff.; Chickering, S. 127 – 133; Kent, S. 45 – 54; Wrigley, S. 14 – 22; umfassend Holtfrerich; Feldman, Disorder, S. 25 – 51; Strachan, S. 815 – 992; zu den einzelnen gesetzlichen Vorschriften Nußbaum, Wirtschaftsrecht, S. 12 ff., 87 – 91.

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ausgegebene Kriegsanleihen und durch Geldvermehrung aufgebracht. Die vorhandenen deutschen Aktiva im Ausland wurden verkauft oder von den Alliierten beschlagnahmt. Mit der Niederlage 1918 mußte die Hoffnung aufgegeben werden, die geschlagenen Gegner fr die Kriegskosten bezahlen zu lassen, und der Friedensvertrag von Versailles belastete Deutschland seinerseits mit einer noch nicht festgelegten Reparationssumme. Angesichts von Inflation und Kriegsschulden stand das Deutsche Reich bei Kriegsende vor einer Whrungs- und Haushaltskrise. Eine Rckkehr zum Goldstandard der Vorkriegszeit, wie sie etwa in Großbritannien angestrebt wurde, war in der Praxis wegen der damit verbundenen unvorstellbar scharfen Deflation nicht umzusetzen. Auch der Versuch, die Whrung auf ihrem seinerzeitigen, niedrigeren Stand zu stabilisieren, htte zumindest den Ausgleich des Haushalts durch neue Steuern und Ausgabenkrzungen erfordert. Die Regierung schreckte vor diesen Maßnahmen zurck, und die stetig wachsenden Haushaltsdefizite wurden primr mit Hilfe der Notenpresse gedeckt. Diese reichliche Geldschçpfung ruinierte die Whrung, aber sie erlaubte es, sowohl einen offenen Bankrott wie eine Anpassungskrise zu vermeiden, und durch die sich verschrfende Inflation sank der Realwert der Reichsschuld schließlich auf Null.6 Am Ende der Inflationsperiode 1923, als der Wert der Mark bei $1 = 4,2 Billionen stabilisiert wurde, verfgte das Reich zwar (weiterhin) ber keinerlei Kredit und es standen der deutschen Volkswirtschaft nicht mehr als die 3,2 Mrd. der neu geschaffenen Rentenmark-Whrung zur Verfgung, aber der Staat war schuldenfrei.

(a) Die Reparationsfrage und die Verflechtung privater und staatlicher Schulden in der deutschen Revisionspolitik Reparationen 1919 – 1923 Im folgenden soll untersucht werden, welche Rolle die Bedienung der deutschen Staatsschuld im politisch-wirtschaftlichen Kalkl deutscher Entscheidungstrger spielte. Zentraler Bezugspunkt dafr war whrend der gesamten Weimarer Zeit die Belastung des Deutschen Reiches mit einer Reparationsverpflichtung in zunchst unbestimmter Hçhe.7 Die Alliierten und die USA gingen in Versailles einer Entscheidung ber die Verteilung der Kriegsfolgekosten dadurch aus dem Wege, daß sie die Illusion pflegten, Deutschland wrde fr den Wiederaufbau Frankreichs und Belgiens und die Schulden der 6 Vgl. v. a. Holtfrerich, S. 122 – 134; Feldman, Disorder, S. 211 – 254; Wehler, S. 243 – 247. 7 Zum berblick in der Reparationsfrage Kent und knapp Balderston, Economics; zum außenpolitischen Kontext Krger, Versailles; Steiner. Auch die verçffentlichten Aktensammlungen (ADAP, Documents Diplomatiques FranÅais, FRUS und AdR) enthalten reichhaltiges Material.

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Alliierten in den USA aufkommen kçnnen. Der 1921 aufgestellte Londoner Zahlungsplan sah vor, daß Deutschland zu diesem Zweck insgesamt 132 Mrd. Goldmark, faktisch aber nur 50 Mrd., in 42 Jahresraten zu zahlen hatte. Frankreich hatte zudem gefordert, den Alliierten zur Sicherung dieser Zahlungen die Aufsicht ber die Zçlle und bestimmte Steuern in Deutschland zu bertragen, sich aber gegen den Widerstand der Briten nicht durchsetzen kçnnen, die darin den Anfang einer quasi-imperialistischen Finanzkontrolle erblickten – „the Ottomanization of Germany.“8 Die Reparationsfrage war ab etwa Mitte 1920 der Dreh- und Angelpunkt der gesamten deutschen Außen- und Außenwirtschaftspolitik; periodisch rckte sie immer wieder auch ins Zentrum der Innen- und Tagespolitik. Die deutsche Außenpolitik versuchte, die innenpolitische Basis der Glubigerregierungen gegen die Reparationen zu mobilisieren, die Diskussion vom Terrain der Politik auf das der technokratischen wirtschaftlichen Vernunft zu verlagern und neue Akteure, nmlich amerikanische Privatglubiger und mittelbar die amerikanische Regierung, zur Strkung der deutschen Position auf das Spielfeld zu bringen.9 Im Anschluß an die bereits 1919 von John Maynard Keynes vorgebrachte Kritik verwies man darauf, daß die fr Reparationszahlungen notwendigen Devisen nur aus einem Handelsbilanzberschuß zu erwirtschaften waren.10 Die frhe deutsche „Erfllungspolitik“ verfolgte das Ziel, den Alliierten vor Augen zu fhren, daß die Reparationen nur durch eine Exportoffensive, also auf Kosten der Industrie und Arbeitspltze in den Glubigerstaaten, bezahlt werden konnten. Deutschland verlangte außerdem eine Prfung seiner Leistungsfhigkeit durch unabhngige Sachverstndige. Reparationszahlungen sollten nicht allein nach den unter innenpolitischem Druck formulierten Ansprchen der alliierten Regierungen bemessen werden, sondern nach dem, was Deutschland tatschlich aufbringen konnte. Man ging davon aus, daß die Sachverstndigen Deutschland eine Atempause zugestehen wrden, in der es seine Produktionskapazitt und damit seine Fhigkeit, Reparationen aufzubringen, wiederherstellen konnte. Schließlich argumentierte man, daß die Stabilisierung der Whrung, der Ausgleich des Haushalts und der Wiederaufbau der Industrie eine internationale Anleihe erforderlich machten, fr die man bereit war, bestimme Sicherheiten zu verpfnden. Mit dem Anleihewunsch verband sich die Erwgung, daß Privatglubiger Deutschland ihr Geld nur anvertrauen wrden, wenn die Gesamtlast der Reparationen bekannt war und tragbar erschien und wenn Sicherheit vor militrischen Sanktionen Frankreichs bestand. Kurz, eine Anleihe setzte voraus, daß die Zahlungsfhigkeit Deutsch-

8 So der britische Vertreter in der Reparationskommission, Bradbury, zit. n. Kent, S. 136. 9 Krger, Außenpolitik, S. 128 f. 10 Keynes; vgl. auch Eichengreen, Fetters, S. 131 ff.

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lands gegenber seinen auswrtigen Privatglubigern nicht durch die politischen Schulden gefhrdet wrde.11 Solange sich Frankreich gegen eine Lçsung unter dem Diktat der Finanziers sperrte, mußte die Frage nach dem Ausmaß der eigenen Zahlungsbereitschaft in Deutschland nicht konkret beantwortet werden.12 Allerdings war die Bereitschaft, sich durch bernahme neuer, sei es politischer, sei es wirtschaftlicher Bindungen in eine Nachkriegsordnung einbinden zu lassen, auf deutscher Seite ohnehin gering ausgeprgt. Vçlkerbundsideen und Plne zu einer dichteren, auch wirtschaftlichen Institutionalisierung hatten angesichts der Zerstçrungen, die der Weltkrieg in Wirtschaft und Gesellschaft angerichtet hatte, zunchst auch in Deutschland neue Untersttzer gefunden. Den Staatsbankrott betreffend, schlug etwa Walter Schcking vor, dem Haager Schiedsgericht die Vollmacht zur Verhngung einer Kreditsperre ber sumige Schuldner zu geben – auch auf Antrag privater Glubiger.13 Das Klima wandelte sich jedoch nach dem Versailler Vertrag. Die Friedensregelung ließ wenig Raum fr Hoffnung auf eine rasche gleichberechtigte Integration Deutschlands in Weltwirtschaft und Weltpolitik, und der „nationale Anspruch“ (Krger) und das Machtstaatsideal wurden rasch wieder bestimmend. Alle politischen Krfte in Deutschland lehnten das „Versailler System“ ab, whrend Frankreich strikt darauf bestand, daß keine internationalen Abkommen geschlossen wurden, die in irgendeiner Form als Przedenzflle fr die Mçglichkeit einer Revision des Versailler Vertrages gedeutet werden konnten. Frankreich verhinderte auch, daß die Reparationsfrage auf den Wirtschafts- und Finanzkonferenzen von Brssel und Genua (1920, 1922) diskutiert wurde, um so die Prfung der wirtschaftlichen Rationalitt der Reparationen zu unterbinden. Dementsprechend leicht waren deutsche Entscheidungstrger davon zu berzeugen, daß neue Bindungen vor allem der Stabilisierung einer insgesamt als diskriminierend empfundenen internationalen Ordnung dienen mußten.14 Schließlich fehlte es auch an einer innenpolitischen Basis fr eine ernsthafte Erfllungspolitik. Ausgabenkrzungen htten sich nur mit diktatorischen Mitteln durchsetzen lassen und den Bestand der Republik aufs Spiel gesetzt; Steuererhçhungen widersetzten sich neben der Industrie auch die brgerlichen und rechten Parteien;15 in einer nationalistisch aufgeheizten Atmosphre 11 12 13 14

Vgl. z. B. die Rede von Reichskanzler Cuno in Hamburg: AdR Cuno Nr. 32 (31. 12. 1922). Link, S. 130 – 135; Rathenau: AdR Wirth I & II Nr. 278, 22.5.1922. Schcking, S. 104 – 107. Zu dieser Grundhaltung v. a. Krger, Versailles; Krger, Außenpolitik; dazu Barth, Dolchstoßlegenden, S. 447 – 453. Zu denjenigen, die durch den Krieg von Skeptikern zu Befrwortern eines Vçlkerbundes und eines neuen internationalen Finanzrechts in Fortschreibung der Ergebnisse der Haager Konferenzen wurden, gehçren etwa Manes und Zorn: Vgl. Manes, 3. Aufl., S. 214 – 217, 279 f. 15 So wurde u. a. der „Steuerstreik“ gefordert mit der Begrndung, „daß die ungeheuerliche steuerliche Bedrckung einzig und allein der Zinszahlung an das Weltkapital dient“ und mit

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wren die fr ein realistisches Reparationsangebot nçtigen Zugestndnisse „von einem großen Teil der Bevçlkerung als zu weitgehend betrachtet“ worden, wie Finanzminister Hermes beklagte. Daraus entstand die berzeugung, Reparationszahlungen seien berhaupt erst nach einer Atempause zur Stabilisierung der Whrung und Sanierung des Haushalts mçglich. Dementsprechend war die deutsche Haltung in jener Zeit von Taktieren geprgt; realistische oder auch nur halbwegs konkrete Zielvorstellungen wurden nicht entwickelt.16 So setzte sich zunchst das Bestreben Frankreichs durch, Deutschland durch Sanktionen und Kontrollen zum Zahlen zu zwingen. Die franzçsische Erzwingungspolitik mndete schließlich in der Besetzung des Ruhrgebiets und der direkten Heranziehung der Ruhrindustrie zu Reparationsleistungen unter franzçsischer Verwaltung.

Der Dawes-Plan Die Ruhrbesetzung isolierte Frankreich, da die anderen Alliierten militrische Sanktionen als dem wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas beraus schdlich ablehnten. Darber hinaus zeigte der deutsche passive Widerstand, daß sich Zahlungen an das Ausland selbst mit militrischer Gewalt und durch bernahme der Kontrolle ber die Produktionskapazitt des Schuldners nicht effizient durchsetzen ließen. Am 24. 10. 1923 bat die deutsche Regierung die Reparationskommission um die Prfung der deutschen Leistungsfhigkeit durch ein unabhngiges Sachverstndigenkomitee. Mit der Zustimmung Frankreichs zu einer solchen Prfung, die sich ohne sachliche Begrenzung auf alle Aspekte der deutschen Wirtschaft erstrecken sollte, begann eine neue Phase der Reparationspolitik. Nun bestimmten privatwirtschaftliche Interessen und die Logik der Finanzmrkte vorbergehend die Politik und nahmen einen zentralen Platz in den Kalkulationen deutscher Entscheidungstrger ein. Dadurch bekam die deutsche Regierung die Mçglichkeit, „aus der reinen Objektsituation herauszutreten und als gleichberechtigtes Subjekt in dem allerdings vorgegebenen Rahmen einer neuen Ordnung einen gewissen Handlungsspielraum zu erhalten.“17 In den amerikanischen Vorberlegungen zur Arbeit des Sachverstndigenkomitees fanden sich die von Wissenschaft, Finanz und vom Deutschen Reich bereits seit lngerem vorgebrachten Erwgungen wieder : Um Deutschland zahlungsfhig zu machen, bedrfe es der Wiederherstellung seiner wirtschaftlichen Einheit (also der Rumung der Ruhr), der Stabilisiedem Ziel, einen „Angriff auf die Funktion des Staates als Steuereintreiber und Scherge des Feindes“ zu fhren: Feder, S. 116, 118. 16 Link, S. 148 – 156; Kent, Kap. 5; Krger, Außenpolitik, S. 131 f. Hermes zit. n. Link, S. 160. 17 Link, S. 244. Zur Bedeutung der franzçsischen Zustimmung auch Schuker, Predominance, S. 172.

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rung der Whrung, des Ausgleichs des Haushalts, einer Finanzreform und einer auslndischen Anleihe. Fr die Reparationen sollte zunchst nur eine Zwischenlçsung durch die Festsetzung von Annuitten gefunden werden, da die Leistungsfhigkeit Deutschlands angesichts des wirtschaftlichen Chaos nach Inflation und Ruhrbesetzung kaum einzuschtzen war.18 An den Beratungen der Sachverstndigen aus den alliierten Staaten und den USA vom 14.1.–9.4.1924 waren zwar Deutsche nicht direkt beteiligt, doch konnten sie in zahlreichen Befragungen ihre Ansichten einbringen. Darber hinaus untersttzte die deutsche Regierung die Sachverstndigen mit großer Beflissenheit bei der Sammlung von Informationen.19 Das als „Dawes-Plan“ bekannte Sachverstndigengutachten war ein Kompromiß zwischen der Auffassung Frankreichs, daß mçglichst hohe Reparationsleistungen und konkrete Sanktionsmçglichkeiten zu sichern waren, und der Ansicht der Briten und der amerikanischen Finanziers, daß im Interesse des europischen Wiederaufbaus und der zuknftigen Privatglubiger Deutschlands die Reparationen gekrzt werden sollten. Deutschland wurde zunchst ein Teilmoratorium gewhrt, bevor es dann Reparationen in Jahresraten leisten sollte, die von 1 Mrd. Mark im Jahre 1925 bis 1929 auf ihre volle Hçhe von 2,5 Mrd. Mark steigen wrden. Unmittelbar nach Annahme des Plans sollte es eine Anleihe erhalten, die ein Konsortium unter Fhrung J.P. Morgans auf dem Markt unterbringen wrde.20 Diese von privaten Glubigern erbetene Anleihe war der politisch entscheidende Teil des Gutachtens. Da die Sachverstndigen davon ausgingen, daß Deutschland ohne eine internationale Anleihe nicht wieder zahlungsfhig werden wrde, spielten die Bedingungen, unter denen amerikanische Anleger bereit sein wrden, deutsche Bonds zu kaufen, nun eine entscheidende Rolle. Daraus ergaben sich fast zwangslufig die Einschrnkung der im Versailler Vertrag vorgesehenen Sanktionsmçglichkeiten, die absolute Prioritt des Schuldendienstes fr die neue Anleihe vor den Reparationsschulden sowie die „wirtschaftliche Rumung“ des Ruhrgebiets. Fr eine erfolgreiche Anleihe schien es erforderlich, nicht nur Deutschlands Whrung und Wirtschaft, sondern letztlich seinen Kredit und seinen Status als Mitglied der internationalen Gemeinschaft wiederherzustellen.21 Das Gutachten sah weitreichende Sicherungsbestimmungen vor, um die Zahlung der Reparationen sowie die Bedienung der geplanten Anleihe sicherzustellen, auch wenn Deutschland dadurch keiner Finanzkontrolle nach dem Muster gyptens oder Griechenlands unterstellt wurde. Die (dank der Inflation gnzlich schuldenfreie) Reichsbahn sollte in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt werden und nach drastischen Sparmaß18 19 20 21

Link, S. 211 ff. Vgl. dazu AdR Marx I & II. Auswrtiges Amt, Sachverstndigen-Gutachten. Dawes, S. 128 ff., Link, S. 288, Schuker, Predominance, S. 277 f.

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nahmen Gewinne fr das Reparationskonto erwirtschaften. In ihrem Verwaltungsrat wrden die Reparationsglubiger vertreten sein, und ein alliierter Kommissar sollte Aufsichtsrechte ber die Bahn ausben. Eine Aufsicht sollte auch ber die Zçlle und Verbrauchssteuern errichtet werden, die als Pfnder dienen sollten. Die Reichsbank sollte vçllig unabhngig von der Reichsregierung sein und ihr nur in streng begrenztem Umfang Kredite geben kçnnen; im Reichsbankrat nahmen neun auslndische Vertreter an der Seite neun deutscher Platz.22 So sollte die Reichsbank ganz auf die Stabilitt der neu geschaffenen, in Gold konvertierbaren Reichsmark und deren hinreichende Deckung durch Noten und Goldreserven verpflichtet und der deutschen Regierung der Weg in eine erneute Inflation versperrt werden. Die Reichsbank sollte institutionell so stark sein, daß sie „selbst bei einem Zusammenbruch der Regierung“ arbeitsfhig blieb.23 Ebenfalls dem Schutz der Auslandsglubiger und der deutschen Whrung diente der sogenannte „Transferschutz“: Die Verpflichtungen Deutschlands aus dem Dawes-Plan waren erfllt, sobald die Reichsregierung dem Reparationsagenten die vereinbarten Jahresraten in deutscher Whrung bergeben hatte. Der Reparationsagent hatte dann zu entscheiden, ob die bertragung dieses Betrages in auslndischer Whrung ohne Gefhrdung der Stabilitt der Reichsmark mçglich war. Das schtzte die privaten Anleiheglubiger, denen gegenber das Deutsche Reich nicht nur zur Aufbringung in Reichsmark, sondern auch zur Zahlung in Devisen verpflichtet sein wrde. Der Reparationsagent – von vornherein stand fest, daß es sich um einen Amerikaner handeln wrde – verfgte ber zahlreiche Vollmachten, „um nachhaltig in den deutschen Wirtschaftsprozeß einzugreifen“; bei Morgan hieß es, er habe „power of life and death over Germany“.24 Die auswrtigen Mitspracherechte bei Reichsbahn, Reichsbank und in der allgemeinen Wirtschafts- und Whrungspolitik liefen, so Finanzminister Luther, auf eine „systematische Schwchung der Reichsgewalt“ hinaus. Dennoch sah das Kabinett aus politischen wie wirtschaftlichen Grnden keine Alternative zu einer bedingungslosen Annahme des Gutachtens.25 Die deutsche Wirtschaft und die deutschen Banken kçnnten ohne auslndische Kredite die nchsten Monate nicht berstehen, wrden diese aber nur erhalten, wenn durch Annahme des Dawes-Plans die Gefahr neuer internationaler Konflikte und franzçsischer Sanktionen abgewendet wrde. Außenminister Stresemann betonte, daß der provisorische Charakter und der Transferschutz 22 „Nach außen erscheint die Reichsbank des Dawes-Plans als deutsche Bank. Organisatorisch ist jedoch der Auslandseinfluß so stark festgelegt, daß man von einem nationalen Institut nicht reden kann. Mit ihrer Grndung ist zum ersten Mal der Gedanke einer internationalen Bank in Wirklichkeit umgesetzt“: Schwarzenberger, Banken, S. 6. 23 Dawes, v. a. S. 49 (Zitat); zur Reichsbahn S. 174 – 179. 24 Diese wichtige Stellung wurde in D klar erkannt: Eucken, Whrungspolitik; Solmssen. Zitate aus Link, S. 257. 25 AdR Marx I & II, Nr. 174 (Zitat), 175.

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auch Chancen auf eine weitere Revision erçffneten: Scheiterte der Transfer von Deutschland aufgebrachter Reparationen, wre die Untragbarkeit der Reparationslasten erwiesen, ohne daß Deutschland der Vorwurf der Nichterfllung seiner Verpflichtungen gemacht werden kçnne, und es kçnne eine endgltige Regelung mit nochmals verminderten Belastungen erreicht werden.26 Dennoch gab es heftigen Widerstand gegen den Dawes-Plan. Vielen erschienen die Lasten zu hoch, und der Industrieflgel der DNVP konnte nur durch amerikanische Lobbyarbeit dazu gebracht werden, im Reichstag fr das neue Reichsbahngesetz zu stimmen, das Teil der Ausfhrungsgesetze zum Dawes-Plan war und wegen seiner verfassungsndernden Wirkung eine Zweidrittelmehrheit bençtigte.27 Unter politischen Gesichtspunkten wurde beklagt, daß der Plan „dem deutschen Volke eine dauernde politische und wirtschaftliche Versklavung“ bringe, ja, „die Vollendung der vçlligen politischen Entrechtung und der wirtschaftlichen Ausplnderung Deutschlands“ darstelle. In der Tat entzog der Dawes-Plan dem Deutschen Reich auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik wesentliche Entscheidungsbefugnisse, legte es auf den Goldstandard und auf eine Politik ausgeglichener Haushalte fest, verpflichtete es zur Erhebung bestimmter Steuern und Zçlle und war natrlich ein Mittel, die Zahlung der Reparationen sicherzustellen. Wenn auch Deutschland damit nicht zu einer „Sklavenkolonie“ wurde, verzichtete es doch auf weite Teile seiner souvernen Handlungsfreiheit.28 Das war einerseits Voraussetzung der politischen Einbindung Deutschlands und der Locarno-Politik, zugleich wurde der Dawes-Plan so aber zu einer rigiden weltwirtschaftlichen Ordnungsstruktur, zu einem Teil der „Goldenen Fesseln“, die Wirtschaftshistoriker fr die Schwere der Depression ab 1929 verantwortlich machen.29 Aus der Sicht der Reichsregierung war zunchst wichtiger, daß der DawesPlan einen reparations- und wirtschaftspolitischen Regimewechsel darstellte. Auf der Londoner Konferenz im August 1924 konnte Deutschland als gleichberechtigter Verhandlungspartner auftreten, nachdem sich zunchst die Alliierten in zhen Verhandlungen untereinander auf die Annahme des Gutachtens geeinigt hatten. Dieser Regimewechsel wurde letztlich durch finanztechnische Erfordernisse herbeigezwungen: Insbesondere der hinter den Kulissen immer wieder geltend gemachte Druck der Bankiers und der bestndige Hinweis, daß eine Anleihe nur am Markt unterzubringen sei, wenn das Reparationsregime umgestaltet und Deutschland die Mçglichkeit zu wirtschaftlicher Gesundung sowie ein Interesse an Kooperation gegeben 26 AdR Marx I & II, Nr. 243. 27 Link, S. 272 ff., 306 – 314. 28 Der Ministerprsident Mecklenburgs, Graf Schwerin (AdR Marx I & II Nr. 175) war sich hier einig mit dem Nationalsozialisten Feder (Feder, S. 174, 192). 29 Eichengreen, Fetters; Eichengreen, Still Fettered.

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werde, wirkten sich hier aus.30 So erreichten es die Bankiers, daß die deutsche Volkswirtschaft (und das dort investierte auslndische Kapital) faktisch vor Sanktionen der Reparationsglubiger geschtzt waren. Ganz zufriedengestellt wurden die Bankiers jedoch nicht. Sie sollten eine Anleihe mit 25 Jahren Laufzeit auf den Markt bringen, whrend der DawesPlan eindeutig nur als bergangslçsung fr einige wenige Jahre konzipiert war und in Frankreich die Hoffnung auf bedeutende Zahlungen, in Deutschland dagegen die Erwartung baldiger Milderung weckte. Zwar hatte das Deutsche Reich in umfassende Garantien eingewilligt, so daß der Gouverneur der Bank of England, Sir Montagu Norman, feststellen konnte: [O]ur loan will be a first charge on everything the country has and the country is subjected to foreign control to an extent that has never been accomplished in dealing with any nation; in fact, … there is no foreign loan at present in existence which offers as good security as this one.31

Doch die amerikanischen Bankiers beurteilten den Wert solcher formaler Sicherheiten skeptisch, solange nicht klar war, daß die Deutschen wirklich hinter der neuen Regelung standen, und das erfordere „a complete change of atmosphere“, wie Thomas Lamont von J.P. Morgan schrieb.32 Die Bankiers berwanden jedoch ihre Skepsis, da ohne den Dawes-Plan und die DawesAnleihe der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas scheitern mußte, den sie als zentrales Interesse der Staaten, Unternehmen und Privatleute auf beiden Seiten des Atlantiks ansahen.33 Die Dawes-Anleihe wurde ein voller Erfolg beim amerikanischen Anlegerpublikum. Damit waren nun 300.000 private amerikanische Anleger direkt am wirtschaftlichen Schicksal Deutschlands interessiert, und viele weitere stellten in den kommenden Jahren deutschen Gemeinden und Unternehmen ihr Geld zur Verfgung.

Revisionspolitik unter dem Dawes-Plan Deutschland hatte sich der vergleichsweise klaren Disziplin der Finanzmrkte unterworfen, um der unberechenbaren politischen Disziplinierung durch die Sanktionsinstrumente des Versailler Vertrages zu entkommen. Der DawesPlan schuf ein neues institutionelles Umfeld, in dem fr einige Jahre auf der Grundlage der Entpolitisierung der internationalen Schulden und des 30 Zur Londoner Konferenz Link, S. 287 – 320, Kent, S. 250 – 261, Krger, Außenpolitik, S. 239 – 245, Schuker, Predominance, Kap. 7 u. 8. 31 Zit. n. Link, S. 378. 32 Link; Schuker, Predominance, S. 305 ff., 317 (Zitat). 33 Diese allgemeinen Erwgungen waren wichtiger als konkrete Geschftsinteressen – J.P. Morgan beteiligte sich nicht an der Kreditvergabe nach Deutschland 1925 – 29, sondern lediglich an den zur Absicherung der Reparationsregelungen nçtigen Dawes- und Young-Anleihen von 1924 und 1930: MacNeil, S. 82.

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deutsch-franzçsischen Ausgleichs (Locarno) der Aufbau einer kooperativen politischen und wirtschaftlichen Weltordnung mçglich schien. Das bedeutete selbstverstndlich nicht das Ende aller Interessenkonflikte, wirtschaftlicher Konkurrenz oder der deutschen Revisionsziele. Die Frage ist jedoch, ob deutsche Revisionspolitik sich in diesem neuen Rahmen hielt und die Strkung weltwirtschaftlicher Institutionen als an sich wnschenswert ansah, oder ob sie diese lediglich taktisch auszunutzen trachtete, um auf Kosten anderer Vorteile zu erzielen.34 Peter Krger hat die These formuliert, daß sich die Weimarer Außenpolitik whrend der Amtszeit Stresemanns aus Einsicht in die Vorteile internationaler Einbindung und Interdependenz auf friedliche und kooperative Mittel festlegte, wodurch die deutsche Revisionspolitik faktisch auch auf die jeweils mit diesen Mitteln erreichbaren Ziele begrenzt wurde. Die Mittel revisionistischer Politik sind in dieser Lesart wichtiger als ihre Ziele, da sie „eine bestimmte Form des internationalen Systems als Interaktionsfeld akzeptieren und seine Bewahrung zum Ziel machen.“35 In gleicher Weise kann auch die Rolle, die den weltwirtschaftlichen Spielregeln und den Rechten auswrtiger Glubiger in den verschiedenen revisionspolitischen Konzeptionen zugedacht war, einen wesentlichen Aufschluß ber deren Charakter geben. Die neuen Institutionen des Dawes-Plans sicherten nicht nur die Reparationszahlungen und die Dawes-Anleihe. Einige von ihnen stellten zugleich Versprechungen gegenber allen zuknftigen Glubigern Deutschlands dar und brachten sie dazu, auf die Stabilitt der nach der Inflation neu geschaffenen Reichsmark und der deutschen Volkswirtschaft zu vertrauen.36 Das gilt vor allem fr die auf die Whrungsstabilitt verpflichtete, unabhngige, unter auslndischer Mitwirkung verwaltete Reichsbank37 und fr den Transfer34 Die deutsche Revisions- und Reparationspolitik ist bereits aus den verschiedensten Perspektiven untersucht worden. Ritschl stellt die Konkurrenz zwischen privater und Reparationsverschuldung in den Mittelpunkt seiner Analyse, zum Teil an Link anschließend. Schuker, „Reparations“, spricht von „American Reparations to Germany“ und sieht die deutsche Wirtschaftsund Sozialpolitik als bewußten Versuch an, durch bersteigerte Kreditaufnahme und alsbaldige Zahlungseinstellung auf Kosten gutglubiger internationaler Anleger zu leben. MacNeil erklrt dieses Ergebnis dagegen aus tieferliegenden politischen und sozialen Konflikten, die die Kreditaufnahme zur kurzfristig einfachsten Lçsung gemacht htten. Wie Ritschl weist er auf die bereits mittelfristig extrem schdlichen Auswirkungen der bermßigen Kreditaufnahme hin. Link und MacNeil analysieren die Rolle, die den USA in der deutschen Reparationspolitik zugedacht war. Krger erlutert die Grundtendenzen der Weimarer Außenpolitik im Spannungsfeld von Integration und Revision: Krger, Außenpolitik; Krger, Versailles. 35 Krger, Außenpolitik, S. 521. Der britische Außenminister Chamberlain beschrieb diese Entwicklung mit den Worten, „it was by degrees as it were, that Stresemann became a convert to his own policy and accepted its consequences“ (zit. n. Wright, Stresemann, S. 506). 36 Balderston, Economics, S. 63 f. 37 Zwar wurde die deutsche Auslandsschuld in auslndischer Whrung, nicht in Reichsmark, aufgenommen. Doch mußte dem auslndischen Glubiger klar sein, daß deutsche Schuldner bei einem Verfall der deutschen Whrung wie in den Jahren bis 1923 nicht in der Lage sein wrden, ihre Auslandsschulden zu bedienen, wenn ihre Einnahmen in Mark anfielen – was fr den Staat,

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schutz, der bewirkte, daß bei Devisenknappheit der Transfer von Leistungen an private Auslandsglubiger dem Reparationstransfer vorging.38 Diese Einrichtungen verfhrten dazu, den großen Geldbedarf, der in Deutschland durch die seit der Whrungsstabilisierung begrenzte Geldmenge herrschte, auf dem Anleihewege zu befriedigen. ffentliche wie private Kreditnehmer – von der Reichsregierung ber die Lnder, die Stdte und Gemeinden, die Banken, die Industrie bis hin zu Kleinbetrieben, Hausbesitzern und der Landwirtschaft39 – waren aufgrund ihres Mangels an Investitions- und Betriebskapitel bereit, hohe Zinsen zu zahlen, was den Kapitalexport nach Deutschland attraktiv machte. Binnen weniger Jahre baute die deutsche Volkswirtschaft eine enorme Auslandsverschuldung auf, vor allem gegenber den USA. Die gesamte deutsche Wirtschaft lebte im Rhythmus der Konjunkturen des Anleihemarkts. Bald hatte die deutsche Volkswirtschaft neben den Reparationsverpflichtungen in Hçhe von ca. 50 % des BSP kommerzielle Auslandsschulden in fast derselben Hçhe zu tragen, die fast ausschließlich in auslndischer Whrung zu bedienen waren.40 Damit stellte sich die Frage, ob die Devisenvorrte der Reichsbank fr den Transfer dieser Verpflichtungen ausreichten, und es wurde klar, daß die Reparationen, die Auslandsschulden des Staates und diejenigen des privaten Sektors um dieselben knappen Devisenbestnde konkurrierten. Auch wer Geld an die deutsche Industrie und nicht an den Staat ausgeliehen hatte, war damit zum Gefangenen der deutschen Reparations- und Devisenpolitik geworden. Zwischenzeitlich gab es Plne, durch eine „Kommerzialisierung“ der Reparationen, also durch den Verkauf der deutschen Verpflichtungen an private Anleger und bertragung des Erlçses an die Reparationsglubiger, die politische Reparationsschuld gnzlich in eine private Anleiheschuld umzuwandeln. Anfnglich hatte Frankreich ein großes Interesse an einer solchen Regelung, da die franzçsische Regierung vor Haushalts- und Whrungsproblemen stand und gern einen Teil der Reparationsannuitten gegen einen bedeutenden, sofort verfgbaren Betrag eingetauscht htte.41 Die Kommerzialisierung der Reichsbahnobligationen und der Rckkauf der Saargruben durch Deutschland bildeten einen wichtigen Gegenstand der Gesprche von

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die Lnder und Gemeinden ebenso wie fr die das Kapital innerhalb Deutschlands weiterverleihenden Banken und die fr den Inlandsmarkt produzierende Industrie der Fall war. Allerdings war ungeklrt geblieben, ob der Transfer çffentlicher Schulden – mit Ausnahme der eindeutig privilegierten Dawes-Anleihe – wirklich dem Transfer der Reparationen vorging. Privatleute und Kleinbetriebe nahmen natrlich nicht selbst Anleihen im Ausland auf, doch stammte ein erheblicher Teil des von Banken und Sparkassen sowie im Rahmen lokaler Wirtschaftsfçrderung weiterverliehenen Kapitals letztlich aus dem Ausland: MacNeil, S. 197 ff., 208 – 211, Link, S. 410 f. Ritschl, S. 18 f. Vgl. z. B. den Plan zum Verkauf der Obligationen, mit denen der Dawes-Plan die Reichsbahn belastet hatte. Dem stand allerdings entgegen, daß diese Obligationen dem Transferschutz unterstanden und in dieser Form nicht vermarktbar waren: ADAPA XIII Nr. 209, B I Nr. 24, 116.

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Thoiry ber eine Generalbereinigung des deutsch-franzçsischen Verhltnisses (17. 9. 1926). Letztlich scheiterte Thoiry, unter anderem weil Poincar eben das vermeiden wollte, was die Regelung fr Deutschland attraktiv machte: einen Przedenzfall fr die Revision territorialer Bestimmungen des Versailler Vertrages. Aber es gab auch kreditpolitische Grnde fr das Scheitern des deutsch-franzçsischen Ausgleichs. Reichskanzler Marx befrchtete, daß durch die Diskussion von Kommerzialisierungsplnen „ein zu großer Optimismus ber die Zahlungsfhigkeit Deutschlands in der Welt Platz greifen“ kçnne, und Wirtschaftsminister Curtius wies auf den ohnehin schon „erschreckend großen Geldbedarf Deutschlands gegenber dem Auslande“ hin.42 Aus der Sicht des Auswrtigen Amtes liefen die Thoiry-Plne darauf hinaus, im Bndnis mit Frankreich und unter Abkehr von den USA den Dawes-Plan zu liquidieren. Damit wrde man auf „alle Mçglichkeiten, die der Dawesplan … hinsichtlich einer spteren Nachprfung der deutschen Zahlungsfhigkeit, einer Ermßigung und vorbergehender Einstellung der Zahlungen“ vorsah, verzichten. Deutschlands Interesse an einer weiteren Herabsetzung der deutschen Zahlungen sprach daher fr eine weitere enge Anlehnung an „Amerika, unter dessen Glubigerinteresse wir uns nach den Vorgngen in der Ruhr bewußt durch Annahme des Dawesplans geflchtet haben.“ Die USA htten durch die in Deutschland investierten Gelder „ein tatschliches Interesse am Florieren Deutschlands und an einer mçglichst weitgehenden Reduktion der auf uns ruhenden Reparationslast gewonnen“. Außerdem sei die gesamte deutsche Wirtschaft auf absehbare Zeit „vom amerikanischen Kredit abhngig“, und jede Neuordnung der Reparationen erfordere die Inanspruchnahme der amerikanischen Geldmrkte. Die Schlußfolgerung des Auswrtigen Amtes und der Reichsregierung lautete daher, daß die Revisionspolitik nur mit den USA betrieben werden konnte und ein Zusammengehen mit Frankreich nur mçglich war, soweit es die Beziehungen zu den USA nicht gefhrdete.43 Die Regierung sah das in Deutschland investierte amerikanische Kapital als Grundlage einer revisionspolitischen Interessengemeinschaft mit den USA an, aber auch als ein handfestes Druckmittel gegenber allen Glubigern Deutschlands. Die beste Revisionspolitik sei es, mçglichst viel amerikanisches Kapital anzulocken und mçglichst wenig ber die Reparationen zu reden, was potentielle Anleger nur verschrecken kçnne. Letztlich mßten die USA zur Sicherung der Interessen des amerikanischen Finanzsektors und der privaten Anleger nicht nur Druck auf die Reparationsglubiger ausben, einer Reduktion ihrer Ansprche zuzustimmen, sondern auch noch durch einen

42 ADAP B I,2 Nr. 105. Zu Thoiry allgemein Krger, Außenpolitik, S. 356 – 360. 43 ADAP B 1,2 Nr. 115, 120, 130, 137, 145, 193 (Aufz. Simon, „Empfiehlt sich ein Zusammengehen mit Frankreich in der Reparationspolitik bzw. in der Politik zur Liquidierung des DawesPlanes?“, 12. 11. 1926).

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Teilerlaß der alliierten Kriegsschulden selbst einen Teil der Kosten einer solchen endgltigen Reparationslçsung bernehmen.44 Ansatzpunkt fr die revisionspolitische Instrumentalisierung der deutschen Auslandsverschuldung, wie sie sich das Auswrtige Amt vorstellte, war der Transferschutz. Allen Beteiligten war bewußt, daß der Transfer von Reparationen momentan nur wegen der Kreditaufnahme im Ausland funktionierte: Das Auslandskapital, das die Anleihenehmer zur Verwendung im Inland sogleich bei der Reichsbank in Reichsmark tauschten, sorgte dafr, daß dem Reparationsagenten stets gengend Devisen zur Verfgung standen. So entstand der aus deutscher Sicht unerwnschte Eindruck, Deutschland kçnne die Reparationen ohne Schwierigkeiten tragen. Andererseits jedoch erblickte man in der Belegung der Transferkapazitt mit privaten Schuld- statt mit Reparationszahlungen auch einen Vorteil: „Je grçßer unsere private Verschuldung, um so kleiner unsere Reparationsleistungen.“ Die Schlußfolgerung lautete, daß Deutschland versuchen sollte, seine Transferkapazitt mçglichst vollstndig mit Zins- und Tilgungszahlungen auf private Auslandsschulden zu belegen und mit dem hereingenommenen Kapital seine Volkswirtschaft zu strken, um dann (ungefhr im Jahre 1928) „durch Regierungsmaßnahmen der auslndischen Kreditaufnahme Einhalt zu tun“ und den „knstlichen“ Transfer aus Anleihemitteln zu stoppen – d. h., aus einer Position wiedergewonnener wirtschaftlicher Strke heraus Reparations- und Privatglubiger gegeneinander auszuspielen.45 Eine solche Strategie stellte explizit den Lebensstandard und die soziale Stabilitt, die Finanzinteressen und die Machtposition Deutschlands ber die deutschen Auslandsverpflichtungen. In der einseitig deutschen Interessen verpflichten Interpretation des Dawes-Plans, die nicht nur im Auswrtigen Amt gepflegt wurde, sollte der Plan Deutschland davor schtzen, Reparationen „aus der Substanz“ oder auf Kosten des Lebensstandards der deutschen Bevçlkerung zu leisten.46 Allerdings entstanden Zweifel daran, ob der Transferschutz das berhaupt erreichen konnte. W. Eucken warnte vor der Gefahr eines „automatischen Transfers“ deutschen Volksvermçgens an die Reparationsglubiger : Durch die Aufbringung der Reparationssummen auf dem Wege innerer Anleihen oder Steuern schçpfte die Regierung Kaufkraft bei der Bevçlkerung ab, so daß der Lebensstandard und damit die Nachfrage nach importierten Fertigwaren und Rohstoffen in Deutschland entsprechend zurckgehen mußten. Durch diese Verminderung der Einfuhr wrde automatisch ein Ausfuhr- und Devisenberschuß entstehen und so der Reparati44 Deutlich bei Kiep (Washington) an Marx, 23. 7. 1927, AdR Marx III & IV, Nr. 280. Vgl. auch Link. 45 Vgl. die umfassende Aufz. Simons vom 10. 1. 1927 (ADAP B IV Nr. 18). Die hier geußerten Erwgungen zu den Vor- und Nachteilen der deutschen auswrtigen Verschuldung hatten auch spter noch Bestand: ADAP B VII Nr. 10 (5. 10. 1927). 46 Nach der Auffassung der Alliierten handelte es sich hingegen um einen reinen Whrungsschutz, der lediglich den Goldwert der Mark bewahren sollte. Die Bedeutung des Transferschutzes wird breit erçrtert in Salin, Reparationsproblem.

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onstransfer ermçglicht, „nicht aus der Leistung, sondern aus dem Kapital der deutschen Volkswirtschaft“.47 Der Transferschutz erschien also als Mittel zur Begrenzung der Reparationslast fragwrdig, allerhçchstens ließ er sich strategisch instrumentalisieren, um Anleihe- und Reparationsglubiger gegeneinander auszuspielen. Immer wieder ist einzelnen Akteuren in Deutschland unterstellt worden, sie wollten eine Herabsetzung der Reparationen durch mutwilliges Auslçsen einer „Transferkrise“ erzwingen. Zu einer solchen wre es gekommen, wenn die Devisenreserven der Reichsbank smtlich durch die Bedienung privater Schulden in Anspruch genommen worden wren und die Reparationen nicht mehr ohne Gefhrdung der deutschen Whrung in Devisen htten umgetauscht werden kçnnen. Das htte den zunchst nur potentiellen Interessengegensatz zwischen den Privatglubigern Deutschlands und den Reparationsglubigern akut werden lassen. Es ging also darum, mit dem Bankrott der ganzen deutschen Volkswirtschaft zu drohen, um eine Ermßigung der Reparationen zu erzwingen, d. h. auch die an Industrie und Banken ausgeliehenen Gelder gewissermaßen in Geiselhaft zu nehmen. Reparations- und Kreditpolitik konnte nicht losgelçst von gesamtgesellschaftlichen Zielvorstellungen und damit von allgemeinpolitischen Interessengegenstzen betrachtet werden. Besonders deutlich zeigte sich dies in den heftigen Konflikten, die ab 1927 zwischen der Reichsregierung, der Industrie, Schacht, dem Reparationsagenten Gilbert und den Lndern und Gemeinden ausbrachen. Anlaß der Auseinandersetzungen waren die seit 1926 zunehmenden Defizite des Reichs, der Lnder und Gemeinden, die mehr und mehr durch Kredite aus dem Ausland gedeckt wurden.48 Reichsbankprsident Schacht war einer der heftigsten Kritiker dieser Kreditaufnahme im Ausland.49 Schon seit 1924 hatten er und der damalige Finanzminister Luther sich dagegen gewehrt, daß Lnder und Kommunen im Ausland Anleihen aufnahmen. Ihrer Ansicht nach sollten auswrtige Anleihen allein dem Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zugute kommen. Hinter dem Kampf gegen die „Kreditwut der çffentlichen Verbnde“ steckte auch eine revisionsstrategische berlegung, „nmlich das Ausland unmittelbar am Gedeihen der deutschen Wirtschaft, am Gedeihen des einzelnen Wirtschaftsbetriebes zu interessieren“ und so wie beschrieben die USA zur Untersttzung deutscher Revisionsanliegen zu zwingen.50 Zu diesem Zweck wurde die „Beratungsstelle fr Auslandskredite“ geschaffen, die Anleihegesuche von Stdten, Gemeinden und Lndern zu prfen hatte. Der Grundsatz dieser Prfung war, daß Anleihen nur fr „produktive 47 Ebd. Zum „automatischen Transfer“ vgl. Eucken, Zusammenhang; Prion, v. a. S. 234; MacNeil, S. 100. 48 Vgl. MacNeil, S. 114 – 133; umfassend zu den çffentlichen Finanzen in Deutschland: Balderston, Origins. 49 Zu Schacht und seiner Rolle in den im folgenden behandelten Fragen vgl. auch Kopper. 50 So Luther in AdR Marx III & IV, Nr. 347; MacNeil, S. 56 – 60; James, Reichsbank, S. 45 – 54.

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Zwecke“ gegeben werden sollten. Diese Vorschrift ließ sich zwar auf vielfltige Weise umgehen, doch gelang es der Beratungsstelle, den Anteil der çffentlichen Hand an den Auslandskrediten von 94 % (1924) auf 36 % (1926) zu senken. Der Anteil der çffentlichen Anleihen an der Gesamtsumme der deutschen Auslandsschulden lag damit 1927 aber immer noch bei 50 % (ohne die Dawes-Anleihe: 36 %).51 In den USA drngten State Department und Handelsministerium darauf, zum Schutz der Anleger die Kreditvergabe an Deutschland zu steuern und zu beschrnken. Treasury und Federal Reserve Bank lehnten dieses Vorgehen allerdings ab, da die Regierung durch die Zulassung bestimmter Anleihen eine gewisse Mitverantwortung fr deren Bonitt bernehmen wrde, und bevorzugten eine Regulierung der Kreditgesuche von Deutschland aus. Eine daraufhin unternommene Neudefinition des Begriffs „produktiver“ Anleihen hatte jedoch keine sichtbaren Auswirkungen.52 Da die Auslandsverschuldung der Kommunen und Lnder 1927 wieder zuzunehmen drohte, forderte Schacht eine Verschrfung der Genehmigungspraxis der Beratungsstelle und ein Vetorecht fr die Reichsbank innerhalb dieses Gremiums. Wegen der Blockadehaltung der Reichsbank konnten im Herbst 1927 gar keine çffentlichen Auslandskredite mehr aufgenommen werden. Whrend die Stdte Zugang zu Auslandskrediten auch fr nicht „produktive“ Zwecke forderten, warf Schacht ihnen eine Finanzpolitik vor, die an betrgerischen Bankrott grenze. Die Oberbrgermeister warnten vor „blutigen Zusammenstçßen bei zunehmender Arbeitslosigkeit in den Großstdten“, whrend Schacht erklrte, „es spiele keine Rolle, ob jetzt oder spter Blut vergossen wrde.“53 Durchsetzen konnte sich Schacht nicht.54 Schachts Argumentation gegen die Auslandsschulden setzte auf verschiedenen Ebenen an. In konjunkturpolitischer Hinsicht verwies er auf die Gefahren, die bei einem Abzug kurzfristiger auslndischer Kredite drohten: Die Reichsbank mßte dann Devisen fr die Rckbertragung in auslndische Whrung hergeben und, da sie verpflichtet war, 40 % des Notenumlaufs durch Gold oder Devisen zu decken, Reichsmark-Noten aus dem Verkehr ziehen und so die ganze deutsche Wirtschaft in eine Deflationskrise strzen.55 Wirtschaftspolitisch war Schacht der „Verbrauch großen Stils auf geborgter Grundlage“ ein Dorn im Auge; zu konsumtiven Zwecken importiertes Kapital mußte Preise und Lçhne steigen lassen, die Wettbewerbsfhigkeit vermindern und wrde keinerlei Beitrag dazu leisten, die aufgehuften Schulden irgend51 AdR Marx I & II Nr. 381; Zahlen: Nr. 260. Vgl. auch die Diskussionen in Salin, Reparationsproblem II; MacNeil, S. 65 f. 52 Auch frchteten die Amerikaner, durch offizielles Einschreiten den Kurs der bereits in Umlauf befindlichen deutschen Bonds zu drcken. Zur amerikanischen Seite MacNeil, S. 85 – 94; Link, S. 390 – 395, 408 – 411; Schuker, „Reparations“, S. 38 ff. 53 AdR Marx III & IV, Nr. 286, 301, 310, 312 (Zitate). 54 Vgl. MacNeil, S. 180 ff.; AdR Marx III & IV, Nr. 313; ADAP B VII Nr. 10. 55 AdR Marx III & IV, Nr. 286. Zum Kontext MacNeil, S. 136 – 142.

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wann einmal wieder abzubauen. Revisionspolitisch schließlich argumentierte Schacht, daß Deutschland sich durch die Annahme des Dawes-Plans verpflichtet habe, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die den Reparationstransfer erleichtere, statt ihn durch die Anhufung weiterer Transferverpflichtungen zu beeintrchtigen. Das war jedoch ein rein taktisches Argument; im Grunde ging es Schacht darum, eine Transferkrise „mçglichst dann eintreten zu lassen, wenn die politische und wirtschaftliche Situation fr uns einigermaßen vorteilhaft liegt“.56 Schachts wirtschaftspolitische Argumentation berschnitt sich mit derjenigen der deutschen Industrie. Beide strebten die Zurckdrngung des Sozialund Interventionsstaats an, der sich im Krieg und nach der Revolution entwickelt hatte. Auslandskredite sollten primr der Strkung der Privatwirtschaft dienen. Die Industrie befrchtete, daß die „Ausgabenwirtschaft der çffentlichen Hand“ auf die Dauer zu einer „Vertrauenskrise“ und damit zu einer „Erschtterung des industriellen Kredites im Auslande“ fhren wrde. Darber hinaus widersetzte man sich der mit Auslandskrediten finanzierten Bettigung der Stdte und Gemeinden auf Gebieten wie der Infrastruktur, die man der privaten Industrie berlassen sehen wollte.57 Wirtschaftsminister Curtius teilte diese wirtschaftspolitische Sichtweise. Revisionspolitisch dagegen standen Wirtschaftsministerium und Industrie der von Schacht und dem Auswrtigen Amt erwogenen taktischen Instrumentalisierung einer Transferkrise kritisch gegenber. Curtius etwa betonte, wie sehr die deutsche Wirtschaft zur Finanzierung ihrer laufenden Geschfte auf auslndische Kredite angewiesen war, weshalb eine Transferkrise eine schwere Wirtschaftskrise auslçsen msse. Diese wrde dann wahrscheinlich eine derartige Einschrnkung von Lebensstandard und Importen bewirken, daß ein Devisenberschuß anfiel und der Mechanismus des „automatischen Transfers“ zu greifen begann. Taktisch gesehen befand sich die Reichsregierung daher in einer schwierigen Situation. Solange es der deutschen Volkswirtschaft gut ging, war es schwierig zu behaupten, man kçnne nicht zahlen, und wenn eine Krise eintrat, wrde diese den Transfer eher erleichtern als erschweren.58 Auch der Reichsverband der Deutschen Industrie trat dafr ein, durch große (ohnehin im Interesse der Industrie liegende) Sparsamkeit der çffentlichen Haushalte zu zeigen, „daß wir bestrebt sind, uns so einzurichten, daß die Erfllung mçglich ist“, und auf die Dauer auszunutzen, daß der Dawes-Plan ja bereits „Vernderungsmçglichkeiten entsprechend unserer Leistungsfhigkeit“ vorsah.59

56 ADAP B VI Nr. 151. 57 Zur Haltung der Industrie ausfhrlich MacNeil, S. 54 f.; AdR Marx III und IV, Nr. 350. 58 Zur Auseinandersetzung zwischen Schacht und Curtius vgl. MacNeil, S. 52 ff., 109; AdR Marx III & IV, Nr. 399. Auch das Finanzministerium sah eine Krisenstrategie als gefhrlich an, sowohl fr die deutsche Wirtschaftslage als auch fr die internationalen Beziehungen. 59 AdR Marx III und IV, Nr. 350. Vgl. zum RDI jetzt auch Plumpe.

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Die Revisionstaktik und die Frage der Behandlung einmal eingegangener politischer wie wirtschaftlicher Verpflichtungen waren also strittig. Das Wirtschaftsministerium und diejenigen Teile der Industrie, die nicht dem Programm der extremen Rechten folgten, gingen davon aus, daß Deutschland als komplexe und international eingebundene Industriegesellschaft ein Interesse daran habe, seine privaten Schulden und internationalen Verpflichtungen zu respektieren. Darber hinaus sah man in den Zwngen eines Systems fester Wechselkurse und des Golddevisenstandards eine durchaus ntzliche Untersttzung fr die eigenen wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen in den innerdeutschen politischen Auseinandersetzungen und Verteilungskmpfen. Schacht hingegen drohte offen mit einer Kampagne, die den deutschen Auslandskredit ruinieren wrde: Man solle amerikanischen Geldgebern erklren, daß es „gefhrlich sei, nach Deutschland zu geben“, und ob sie „jemals die an Deutschland gegebenen Anleihen wiedersehen wrden, sei ihm sehr fraglich“. Der zu erwartende wirtschaftliche „große Rckschlag“ wrde dann die Untragbarkeit der Reparationslasten erweisen und die Revision ermçglichen.60 Zwar wollte Schacht mit solchen Drohungen zunchst einmal seine innenpolitischen Vorstellungen durchsetzen. Letztendlich ging es ihm aber darum, Deutschland Handlungsfreiheit fr eine autarke Großmachtpolitik zu verschaffen. Sein Ziel war eine baldige Revision, die eine deutliche Herabsetzung und dann die Kommerzialisierung der Reparationen umfassen sollte. Um diese Kommerzialisierung zu ermçglichen, durfte Deutschland zum Zeitpunkt der Revision noch nicht zu hoch verschuldet sein. Zentral war fr ihn die Beseitigung aller Kontrollrechte der Alliierten, von denen Schacht befrchtete, sie kçnnten im Falle von Zahlungsschwierigkeiten zu einer alliierten Finanzkontrolle ausgebaut werden. Auf diese Weise wrde die Revision die „Wiedererlangung unserer vollen außenpolitischen Freiheit [bedeuten]. Jeder Rest von Bindungen, Kontrollen und offenbleibenden Fragen muß verschwinden“, schrieb er an Stresemann.61 Die Revisionstaktiker im Auswrtigen Amt hingegen schreckten im entscheidenden Moment vor dem Bruch und vor einer Katastrophenpolitik zurck. Nach dem Scheitern des Versuchs, eine Anleihe auf dem heimischen Markt unterzubringen und angesichts eines Defizits im laufenden Etat von 1 Mrd. Mark wurde 1927 allmhlich nicht nur der Transfer, sondern bereits die Aufbringung der Reparationssummen fraglich. Die auslndische Presse beschuldigte Deutschland, durch seine Anleihepolitik bewußt seinen Reparationsverpflichtungen auszuweichen. Auch Reparationsagent Gilbert erinnerte die Regierung mehrfach çffentlich an ihre unter dem Dawes-Plan bestehende Verpflichtung, an der Erleichterung des Transfers mitzuwirken und den Haushalt und die Whrung stabil zu halten. Insbesondere die wachsende 60 AdR Marx III & IV Nr. 195, ADAP B V Nr. 177. 61 AdR Marx III & IV, Nr. 399, 457. Zitat: Link, S. 431 f.

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Verschuldung und die unklaren Verhltnisse im Finanzausgleich zwischen Reich und Lndern prangerte der Reparationsagent an.62 Er fand jedoch bei der Reichsregierung kein Gehçr. Reichskanzler Marx erklrte gegenber Vertretern des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, die eine Sparpolitik und Kreditbeschrnkungen forderten, die Regierung teile zwar diese Ziele, kçnne aber angesichts der „Unfhigkeit des Volkes als Ganzem, sich mit der jetzigen Lage abzufinden“, wenig tun.63 In den USA und beim Reparationsagenten Gilbert weckte die Frage, ob die deutschen Privatschulden Prioritt vor den Reparationen genossen, zunehmend Beunruhigung. Das State Department hatte bereits erzwungen, daß eine Anleihe Preußens mit dem Hinweis vermarktet wurde, daß nach dem Versailler Vertrag die Schulden des Reiches und der Lnder eindeutig den Reparationsverpflichtungen nachgeordnet waren. Bezglich der Privatanleihen mit Ausnahme der eindeutig privilegierten Dawes-Anleihe war die Rechtslage allerdings ungeklrt, was die amerikanischen Finanzmrkte bereits 1927 zu deutlicher Zurckhaltung bei Anleihen nach Deutschland brachte. Ohnehin wurde bereits in der Presse diskutiert, ob die private und politische Verschuldung Deutschlands sich mçglicherweise bereits der Grenze der deutschen Transferfhigkeit genhert hatte.64 Außerdem konnten die wachsende Verschuldung Deutschlands und die taktischen Mançver Schachts auch als Anzeichen einer selbstzerstçrerischen Obstruktionspolitik gedeutet werden – „failing to do what is the best thing for Germany for fear that it may in some way help the carrying out of the Dawes Plan“, wie Pierre Jay, ein Mitglied des Transferkomitees, es ausdrckte.65 Unter diesen Umstnden sah sich Gilbert gezwungen, frher als geplant – nmlich vor Ende des Jahres 1928 mit der ersten „Normalannuitt“ des DawesPlans – eine Revision der Reparationsregelung anzuregen, bevor der Kredit Deutschlands zusammenbrach oder die Zurckhaltung der amerikanischen Geldgeber das Land in eine Wirtschaftskrise strzte. In seinem Ttigkeitsbericht fr 1927 regte Gilbert an, daß Deutschland die endgltige Gesamtsumme der Verpflichtungen genannt werden msse, die es dann „on her own responsibility, without foreign supervision and without transfer protection“ zu erfllen habe. Es sollte eine abschließende Lçsung gefunden werden, solange der Kredit Deutschlands noch eine Kommerzialisierung grçßerer Betrge zulasse, die nçtig sei, um insbesondere Frankreich die Zustimmung zu einer nochmaligen Reduktion der deutschen Verpflichtungen zu erleichtern. Gegenber der Reparationskommission argumentierte Gilbert, Deutschland msse durch den Wegfall des Transferschutzes dazu gezwungen werden, den Tatsachen ins Auge zu blicken und eine angemessene Finanzpolitik zu be62 63 64 65

ADAP B VI Nr. 224; B VII Nr. 47, 48, 63, 100; Gilbert. AdR Marx III & IV, Nr. 351. Kent, S. 273 ff. MacNeil, S. 151. Zur Bewertung in Deutschland ADAP B VII Nr. 169, 205, 214, 215.

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treiben: „The very existence of transfer protection … tends to save the German public authorities from some of the consequences of their own actions.“66 Im September 1928 fiel in Genf die Entscheidung, eine neue Sachverstndigenkommission mit der Ausarbeitung einer endgltigen Lçsung zu beauftragen. Letztlich gaben nicht die taktischen oder strategischen Erwgungen der deutschen Auslandsschuldenpolitik den Ausschlag fr den Gang der Ereignisse, sondern die aus der innenpolitischen und wirtschaftlichen Schwche der Weimarer Republik resultierende Dynamik unkontrollierbarer Verschuldung. Die çffentlichen Schulden wuchsen letztlich nicht als Ergebnis einer bewußten Politik der Belegung der deutschen Transferkapazitt mit Privatschulden, sondern schlicht, weil keine der politischen Krfte bereit war, die theoretisch fr richtig erklrte Politik der ausgeglichenen Haushalte auch praktisch durchzufhren. Den deutschen Regierungen gelang es nicht, durch Besteuerung und die Beschrnkung anderer Staatsausgaben die Mittel zur Abtragung ihrer Reparations- und Anleiheschuld aufzubringen. Damit waren aber die in Deutschland zu schaffenden finanz- und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen fr die çkonomische und politische Stabilisierung, die der Dawes-Plan ermçglichen sollte, nicht erfllt.67

Vom Young-Plan zur Weltwirtschaftskrise Mit dem von den USA ausgehenden Anstoß zu einer erneuten Revision der Reparationen war die Reparationsfrage, die das Auswrtige Amt seit 1924 „aus der innen- und außenpolitischen Diskussion mçglichst verschwinden“ lassen wollte, wieder ins Zentrum der Politik gerckt. Man hoffte nun, daß amerikanischer Einfluß erneut dafr sorgen wrde, daß die Logik der Finanzmrkte zu Erleichterungen fr Deutschland fhren wrde. Schließlich hatte Gilbert eine umfassende Kommerzialisierung deutscher Reparationsverpflichtungen verlangt, weshalb die Belastung Deutschlands auf ein Maß reduziert werden mußte, das eine Reparationsanleihe als eine absolut sichere Geldanlage erscheinen ließ, die Deutschland auf jeden Fall langfristig bedienen konnte.68 ber die Chancen und Risiken einer Kommerzialisierung hatten sich Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vor den Sachverstndigenberatungen auf einer eilig einberufenen Tagung der Friedrich List-Gesellschaft ausfhrlich Gedanken gemacht.69 Aus der Sicht der Fachleute sprach dabei wenig fr die Umwandlung „politischer“ in „kommerzielle“ Schulden. Politische Schulden seien wesentlich leichter revidierbar als beim Privatpublikum 66 67 68 69

Zit. n. MacNeil, S. 191 f. Balderston, Origins, S. 406 – 412; Clavin, Depression, S. 88 – 95. ADAP B VII Nr. 237; B VIII Nr. 52, B IX Nr. 251. Salin, Reparationsproblem II.

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gehaltene, wenn man nicht eine Reparationsanleihe von vornherein in der Absicht ausgeben wollte, nicht zu zahlen. Das htte allerdings den Entschluß zum politischen wie wirtschaftlichen Rckzug aus der internationalen Gemeinschaft bedeutet, den Abzug aller privaten Auslandskredite und den vçlligen politischen Vertrauens- und Ansehensverlust, fr die Mehrheit noch eine unertrgliche Perspektive. Gegen eine Kommerzialisierung sprach auch, daß selbst bei einem fr Deutschland gnstigen Ergebnis der Verhandlungen mit Summen zu rechnen war, die sich kaum am Kapitalmarkt unterbringen ließen.70 Fr die politischen Entscheidungstrger waren nicht grundstzliche berlegungen maßgeblich, sondern taktische Erwgungen, nach denen derjenige Weg zu bevorzugen war, auf dem mçglichst viele Sachzwnge zur Herabsetzung der deutschen Verpflichtungen drngten. Das schien fr eine Kommerzialisierung zu sprechen, doch die darin gesetzten Hoffnungen erfllten sich nicht. Zum einen weigerte sich die amerikanische Regierung mit Rcksicht auf die Steuerzahler, einen Nachlaß bei den interalliierten Schulden in Erwgung zu ziehen, so daß die deutschen Zahlungen zumindest die britischen und franzçsischen Verpflichtungen gegenber den USA abdecken mußten, zuzglich einer Summe fr den Wiederaufbau der zerstçrten Gebiete in Frankreich.71 Zum anderen erwies sich auch die deutsche Taktik, Reparations- und Anleiheglubiger mit der Drohung einer Transferkrise gegeneinander auszuspielen, als kontraproduktiv. Amerikanische Investoren reagierten, nachdem sie einmal auf diesen Interessengegensatz aufmerksam geworden waren, mit Panik. Sie sahen sich als potentielle Geiseln der deutschen Revisionspolitik, weshalb ihnen die Mçglichkeit einer politisch herbeigefhrten Reparationskrise grçßere Sorgen bereitete als ihr Konkurrenzverhltnis zu den Reparationsglubigern: „[W]hat seemed to frighten investors in Germany most was not the prospect of reparations being paid, but ominous signs that they might not be paid.“ Diese Befrchtungen amerikanischer Kapitalgeber fhrten zu einer merklichen Abnahme der Kreditvergabe nach Deutschland. Nimmt man noch den in den USA bestehenden Geldbedarf fr Aktienspekulationen hinzu, ist nicht erstaunlich, daß die Lage des amerikanischen Finanzmarktes eine Kommerzialisierung nunmehr aussichtslos erscheinen ließ.72 Auch in der deutschen Finanzwelt und im Auswrtigen Amt erkannte man, daß die Anleger „das Risiko lnderweise gruppieren“ und die Kreditwrdigkeit privater Schuldner nicht unabhngig von der einer Volkswirtschaft als ganzer beurteilten.73

70 Bonn, S. 20 f.; Hahn, Emissionsbedingungen; Loeb; Palyi. 71 James, Reichsbank, S. 65 – 69; ADAP B IX Nr. 251; Link. Balderston, Economics, S. 25: „The US government had supported the US taxpayer at the expense of the US bondholder, and Germany’s wager on US benignity had flopped.“ 72 Balderston, Economics, S. 84 f.; ADAP B XI Nr. 18, 27. 73 Loeb.

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Schon vor den Sachverstndigenberatungen, die vom 11.2.–7.6.1929 in Paris stattfanden, war also eine Entscheidung fr Annuitten gefallen, die bis an die Grenze der deutschen Zahlungsfhigkeit gehen wrden. Deutsche konomen und das Auswrtige Amt waren sich der zu erwartenden Forderungen bewußt.74 Schacht jedoch, der die deutsche Delegation bei den Beratungen leitete, verlangte erhebliche Zugestndnisse: „Man msse der anderen Seite sagen, daß man berhaupt nicht zahlen kçnne, wenn sich die Weltlage nicht gnzlich verndere“, sagte er Stresemann.75 Schacht konfrontierte die Verhandlungspartner mit der Auffassung, Deutschland brauche rohstoffreiche Kolonien und den polnischen Korridor, um die geforderten Reparationsleistungen ohne Gefhrdung seiner Whrung aufbringen zu kçnnen.76 Obwohl die Verhandlungspositionen in der Frage der Annuitten am Ende nur geringfgig auseinander lagen, trat er dafr ein, die Beratungen scheitern zu lassen und eine Transferkrise zu riskieren. Diese wrde die Alliierten zu strkerem Entgegenkommen bewegen und Deutschland zwingen, endlich die ohnehin schon von Schacht seit langem geforderte Wirtschaftspolitik zu betreiben: Lohnsenkungen, Exportdumping, lngere Arbeitszeiten, Ausgabenkrzungen, ein Ende der Kreditaufnahme.77 Das Auswrtige Amt und die Regierung konnten Schacht nur mit Mhe bewegen, von seinen politischen Forderungen abzugehen und den am 7. 6. 1929 vorgelegten Sachverstndigenbericht zu unterzeichnen. Im Falle eines Scheiterns der Pariser Beratungen befrchtete man, daß „die Auslandskredite abgestoppt und die bereits gewhrten Kredite zurckgerufen wrden.“ Die von Schacht geforderten wirtschaftspolitischen Maßnahmen ließen sich, so die einhellige Meinung im Kabinett, ohnehin nur von einer Diktatur durchsetzen. Die Regierung sah letztlich keine Alternative dazu, den Young-Plan anzunehmen, auch wenn die deutsche Verhandlungstaktik nicht aufgegangen war. Die Katastrophenpolitik Schachts sei ein „uferloses Abenteuer“, wrde wesentlich mehr Schaden anrichten als etwas zu hoch bemessene Annuitten (Hilferding) und kçnne leicht in einen politischen Umsturz hineinfhren (Stresemann). Die gleichen Grnde bewogen auch den grçßeren Teil der Industrie dazu, den Young-Plan zu untersttzen. Ausschlaggebend fr die Annahme des Young-Plans war weiter, daß dieser gegenber dem Dawes-Plan 74 Zu den Beratungen James, Reichsbank, S. 69 – 84; Kent, Kap. 8; Krger, Außenpolitik, S. 485 f.; Link, S. 453 – 475; Pfleiderer; zur Lagebeurteilung in Deutschland ADAP B XI Nr. 173; Harms, Endsumme, v. a. S. 202 f.; Harms, Schlußwort, v. a. S. 345 ff. 75 ADAP B XI Nr. 14. 76 Link, S. 304; ADAP B XI Nr. 75. Dahinter stand die Erwgung, daß die Erzeugung von Getreide und Rohstoffen innerhalb des deutschen Whrungsgebietes die Verwendung von Devisen fr die Einfuhr dieser Produkte erbrigen und so fr Reparationstransfers freimachen wrde. Die Sorge um die Devisenreserven ist auch eine wichtige Erklrung dafr, warum die europischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg die heimische Produktion auf dem Weltmarkt reichhaltig verfgbarer landwirtschaftlicher Erzeugnisse subventionierten: Thiemeyer, „Pool Vert“. 77 AdR Mller II, Nr. 175, 177, 190, 191.

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erhebliche Erleichterungen vorsah: Eine Herabsetzung der Annuitten von 2,5 Mrd. auf unter 2 Mrd. Mark, die Beibehaltung eines „ungeschtzten“ Teils zunchst nicht kommerzialisierter Zahlungen, den Wegfall der Reparationskommission und die Befugnis fr Deutschland, auf die nicht geschtzten Zahlungen eigenstndig ein Moratorium zu erklren. Schließlich war die „unmittelbar“ bevorstehende „Zahlungsunfhigkeit des Reiches“ (Hilferding) ein wesentlicher Grund dafr, dem Young-Plan zuzustimmen, der eine unmittelbare Entlastung von 800 Mrd. Mark brachte und Deutschland die Mçglichkeit erçffnete, einen Anteil an der ersten Young-Anleihe fr eigene Zwecke zu behalten.78 Ansonsten wirkte sich die neue Reparationsregelung aber keineswegs gnstig fr die deutsche Finanzlage aus, da sie der Regierung den Zugang zu weiteren Auslandsanleihen anders als erwartet praktisch versperrte. Frankreich verlangte einen Verzicht auf neue Kredite, bis die Young-Anleihe erfolgreich auf den Markt gebracht war.79 Ohnehin war der deutsche Kredit mit dem faktischen Wegfall des Transferschutzes fr die Reparationsschulden und der Ankndigung einer neuen Reparationsanleihe im Volumen von 300 Millionen Dollar praktisch erschçpft. Nach der Erfahrung der Inflation und der lockeren Haushaltspolitik der zweiten Hlfte der 20er Jahre trauten weder deutsche noch auslndische Geldgeber der Regierung zu, ihre Defizite kontrollieren zu kçnnen. Seit 1929 stand Deutschland fast stndig am Rande der Zahlungsunfhigkeit und einer Whrungskrise, und „the attitude of foreign finance became critical to the political stability of Germany and to the survival of the German government.“80 Angesichts der katastrophalen Finanzlage kann es nicht verwundern, daß der Young-Plan von vielen als eine untragbare Belastung abgelehnt wurde. In der Kampagne zum Volksbegehren gegen den Young-Plan fand sich die „nationale Opposition“ unter Einschluß Schachts zusammen. Selbst von vielen seiner Befrworter wurde der Young-Plan nicht in der Absicht akzeptiert, ihn zu erfllen. Hilferding und Curtius gingen davon aus, daß bei einer gnstigen Entwicklung der „internationalen Verhltnisse“ eine Revision zu erreichen sei. Brning erklrte den Young-Plan im Reichstag fr unerfllbar und fr ein „Diktat“, dem man sich allein mangels Alternativen fge.81 Schon vor dem Inkrafttreten des Plans wurde ber seine Revision diskutiert. Die Regierung Brnings bemhte sich gar nicht erst, mit dem Young-Plan zu arbeiten. Dahinter stand eine zunehmende Skepsis gegenber der Politik der Integration in die Weltwirtschaft und der glaubwrdigen Selbstbindungen. Nicht mehr nur die Reparationen, sondern die lngerfristige Auslandsverschuldung an 78 ADAP B XI Nr. 107, 123, 134, 173, 181, 202, 213, 214; AdR Mller II, Nr. 161, 175, 177, 190, 191, 192, 193, 205, 311; Link; Krger, Außenpolitik; Pfleiderer. 79 Vgl. u. a. ADAP B XIII Nr. 203, 208; AdR Mller II Nr. 392, 419. Ausfhrlich Knipping, S. 105 – 112. 80 Ritschl; Balderston, Economics; Zitat: James, Reichsbank, S. 120. 81 AdR Mller II Nr. 192, 311; ADAP B XI Nr. 123; RT IV (427), S. 4370 f.

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sich erschien nun als eine inakzeptable Beschrnkung derjenigen unbegrenzten nationalen Handlungsfreiheit, die mehr und mehr zum obersten Ziel der deutschen Politik wurde.82 Was die Lage so schwierig machte, war weniger die absolute Hçhe der Reparationszahlungen als das zeitliche Zusammentreffen mehrerer Belastungen.83 Dazu zhlen zunchst die seit 1924 angehuften Schulden, die einen erheblichen Teil des Haushalts und der Devisenreserven beanspruchten und zu strukturellen Fehlentwicklungen der deutschen Volkswirtschaft zumindest beigetragen haben. Hier ist die Kritik Schachts, Gilberts und der Industrie berechtigt, auch wenn sie die politischen Kosten einer Ausgabenbeschrnkung außer Acht ließ und sich mit einem Programm verband, das die wirtschaftlichen Lasten allein auf die unteren Bevçlkerungsschichten abwlzen wollte.84 Zweitens konnte das System der Bedienung konsumtiv verwendeter Schulden mit immer neuen Schulden nur kurzfristig funktionieren. Sobald der Kreditzustrom nachließ, mußte Deutschland anfangen, Ressourcen an das Ausland zu transferieren, nachdem es jahrelang Ressourcen aus dem Ausland aufgesogen hatte. Daß ein solcher Transfer deflationre Wirkungen entfalten mußte, war allen Beteiligten bewußt, und aus diesem Grunde war er auch mit allen Mitteln hinausgezçgert worden. Nun setzte er – drittens – genau zu dem Zeitpunkt ein, wo Deutschland von der Weltwirtschaftskrise erfaßt wurde. Wie Ritschl und MacNeil argumentieren, sind die wirtschaftspolitischen Spielrume der deutschen Regierungen in erheblichem Maße durch die teils aus innenpolitischer Schwche, teils aus revisionspolitischem Kalkl aufgehuften Auslandsschulden verengt worden, so daß schon vor dem Amtsantritt Brnings keine Alternative zur Deflationspolitik mehr blieb. Nach Ritschl waren nicht die Reparationen fr das Schicksal der deutschen Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit bestimmend, „sondern der verhngnisvolle deutsche Versuch, die Reparationen mit immer neuen Mançvern zu verweigern, zu unterlaufen und abzuschtteln“. Deutschland fiel „in die Grube, die es anderen gegraben hatte“.85 Schließlich war auch die innenpolitische Lage in Deutschland ein zentrales Hindernis fr eine weitere Kreditaufnahme, ganz unabhngig von den Reparationen. Je mehr die Machtbernahme politischer Krfte wahrscheinlich wurde, die fr die Abschttelung von Staatsschulden eintraten, desto weniger ratsam konnte eine Kreditvergabe nach Deutschland erscheinen. Haushalts82 Krger, Versailles, S. 155, 159 – 162. 83 Die deutsche Volkswirtschaft war vermutlich durchaus im Stande, die jhrliche Belastung von 2 Mrd. Mark zu tragen. Gilbert hielt Deutschland fr finanziell im Grunde gesund, allerdings schlecht regiert, und B. Harms verwies darauf, daß die Deutschen jhrlich 8 Mrd. Mark fr Tabak und Alkohol ausgeben konnten und sich deutsche Kommunen weitaus hçhere Ausgaben leisteten als die englischen und franzçsischen (AdR Mller II Nr. 391; Harms, Schlußwort, S. 348). 84 Vgl. hierzu auch Feldman, Disorder, S. 847 ff. 85 Ritschl, S. 240.

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krisen, der erzwungene Rcktritt von Finanzminister Hilferding, das Auseinanderbrechen der Großen Koalition und die Wahlerfolge fr die NSDAP ließen die Kurse deutscher Anleihen abstrzen und Aussichten auf eine Wiederherstellung des deutschen Kredits schwinden.86

(b) Whrungssystem und Auslandschulden Das internationale Whrungssystem und die besondere Art der Einbindung Deutschlands in dieses stellten entscheidende Rahmenbedingungen der deutschen Kreditkrise dar. Daraus entstand die Verknpfung staatlicher und privater Zahlungsfhigkeit. Auch um zu erklren, wie Deutschlands Zahlungsunfhigkeit nunmehr in eine vçllige Neuorganisation der außenwirtschaftlichen Beziehungen mndete, ist eine Betrachtung des Whrungssystems notwendig. Vorkriegszeit Der Frage der Whrungsstabilitt bei Auslandsanlagen wurde in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg kaum Beachtung geschenkt. Zwischen 1870 und 1914 hatten die wichtigsten europischen Staaten ihre Whrungen fest an den Goldwert gebunden.87 Die Stabilitt dieser Whrungen stand bis zum Kriegsausbruch 1914 außer Zweifel. Nach Eichengreen88 beruhte der internationale Goldstandard in jener Zeit auf einer Kombination aus „commitment“ und „cooperation“: Zum einen waren die Finanzmrkte berzeugt, daß in der Whrungs- und Wirtschaftspolitik der europischen Regierungen und Zentralbanken der Bewahrung der Goldbindung Vorrang gegenber anderen Anliegen gegeben wrde, so daß Goldabflsse leicht durch Zinserhçhungen gestoppt werden konnten. Zum anderen arbeiteten die europischen Zentralbanken zusammen und untersttzten einander, wenn eine von ihnen vorbergehend ber zu geringe Reserven verfgte. Im Laufe der Zeit vernderte sich die Bedeutung des Whrungssystems fr die Staatsverschuldung. Der Goldstandard brachte Beschrnkungen der wirtschaftspolitischen Handlungsfreiheit mit sich, die Wirtschaftswissenschaftler als ein „Trilemma“ beschreiben:89 Die drei Zielsetzungen fester Wechselkurse, eines freien Kapitalverkehrs und wirtschafts- und whrungspolitischer Handlungsfreiheit seien nie gleichzeitig zu verwirklichen. Unter 86 AdR Brning I & II Nr. 116, 117, 135. 87 Vgl. zur Entstehung des Goldstandards Eichengreen, Globalizing Capital; Thiemeyer, Entstehung; Thiemeyer, Internationalisierung. 88 Eichengreen, Fetters. Eichengreen skizziert seine Argumentation im 1. Kapitel seines Werkes und fhrt sie im weiteren Verlauf systematisch aus, so daß hier auf detaillierte Verweise verzichtet werden kann. 89 Vgl. dazu ausfhrlich Obstfeld u. Taylor, Capital Markets.

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dem Goldstandard vor 1914 bestanden feste Wechselkurse und war der Kapitalverkehr weitgehend freigegeben; daher gab es kaum Spielraum, etwa durch Zinssenkungen oder Geldschçpfung fr die Finanzierung çffentlicher oder privatwirtschaftlicher Investitionen die Konjunktur oder die Beschftigungsquote zu beeinflussen.90 Staaten, die in Berlin, Paris oder London Anleihen aufnehmen wollten, waren praktisch gezwungen, die Bonds in der Whrung des Glubigerstaates auszustellen. Nach der deutschen Bçrsengesetzgebung war die Ausstellung in deutscher Whrung sogar die Voraussetzung fr die Zulassung eines Papiers zum Bçrsenhandel. Somit lautete der grçßte Teil der im Ausland ausgegebenen Staatsanleihen ebenso wie die Anleihen der finanzkrftigen europischen Staaten auf fest an das Gold gebundene Whrungen. Fr die Staaten der Peripherie bedeutete dies, daß sie dem Anleger das Wechselkursrisiko abnehmen mußten, wenn sie berhaupt Geld leihen wollten.91 Staaten mit einer Silber- oder Papierwhrung mußten sich durch den Verkauf von Waren oder Silber oder etwa durch die Erhebung von Einfuhrzçllen in Goldwhrung die bençtigten Devisen beschaffen, um Anleihen in Gold bedienen zu kçnnen. Auch fr sie wurde so das whrungspolitische „Trilemma“ wirksam. Der Anleger tauschte damit allerdings lediglich das Kursrisiko gegen ein Ausfallrisiko ein – blieben erhoffte Exporteinnahmen lngere Zeit aus oder fiel der Wechselkurs einer Papierwhrung gegen das Gold stetig, mußten die Schuldnerstaaten die Zahlungen ganz einstellen, wie es etwa Argentinien und Griechenland 1890 bzw. 1893 taten. Geld- und wechselkursrechtliche Fragen spielten unter dem Goldstandard keine wichtige Rolle. Das im Jahre 1900 in Kraft getretene Brgerliche Gesetzbuch ging implizit davon aus, daß eine scharfe Geldentwertung ausgeschlossen war.92 In Deutschland waren solche Probleme zuletzt akut geworden, als sterreich sich weigerte, nach dem bergang des Deutschen Reiches zur Goldwhrung staatlich garantierte, auf çsterreichische, wrttembergische oder preußische Whrung lautende Eisenbahnobligationen in Gold zu bezahlen. Seit den sogenannten „çsterreichischen Kuponprozessen“ stand fest, daß der auswrtige Schuldner, der Zahlung in deutscher Whrung versprach, in deutscher Whrung zu zahlen hatte, unabhngig davon, wie sich deren Kurs im Verhltnis zu seiner eigenen vernderte.93

90 Zu Bedeutung der Kontrolle ber die Geldpolitik fr die Handlungsautonomie von Regierungen vgl. auch Cohen, Geography. 91 Dies schloß nicht aus, daß auch „interne Anleihen“ auswrtiger Staaten ihren Weg auf die europischen Mrkte fanden; große Emissionen, die das breite Anlegerpublikum erreichen sollten, mußten jedoch in europischer Whrung ausgestellt sein: Flandreau u. Sussman; Bordo u. James. Allgemein zur konomie internationaler Anleihen vor 1914: Schularick. 92 Nußbaum, Geld, S. iii, 84 f. (zu § 245 BGB). 93 Nußbaum, Geld, S. 158 ff. (Zitat), 203 ff.

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Krieg und Inflation Die so geschaffene (scheinbare) Sicherheit wurde durch den Kriegsausbruch zunichte gemacht. Seit 1914 standen auch die westeuropischen Großmchte vor Zahlungsbilanz- und Devisenproblemen, wie sie zuvor nur an der Peripherie des Goldstandardsystems bekannt gewesen waren. Das Deutsche Reich konnte seit Kriegsbeginn aus laufenden Einnahmen weder seine inneren Schulden bedienen noch seine laufenden Ausgaben bestreiten. Der offenen Zahlungseinstellung suchte es durch Notbehelfe zu entgehen: einerseits durch die Vergrçßerung der Schuld bei der Reichsbank, also die Notenpresse, andererseits durch eine scharfe Devisenbewirtschaftung. Um die Fiktion des Goldstandards und einer stabilen Mark aufrechtzuerhalten, wurden nach und nach alle Mçglichkeiten zur Flucht aus der deutschen Whrung in Edelmetalle oder fremde Whrungen durch einen nicht abreißenden Strom von z. T. mit hohen Strafen bewehrten Notverordnungen verschlossen. Nach dem Krieg bestanden auch die Alliierten darauf, daß Deutschland der Flucht aus der Mark und vor dem Fiskus Einhalt gebiete und Devisen mçglichst nur fr die Einfuhr notwendiger Nahrungsmittel und Rohstoffe sowie fr den Transfer von Reparationszahlungen einsetzte. Die Geldentwertung warf fr alle, die mit lngerfristigen Zahlungsversprechen umzugehen hatten, das jahrzehntelang unbeachtet gebliebene Problem heftiger Whrungsschwankungen auf. Plçtzlich gewannen subtile Unterschiede in der Formulierung der Bonds an Bedeutung: Je nach dem, ob diese auf eine vor 1914 stabile, nun aber entwertete Whrung wie die Mark lauteten, alternativ auf mehrere Whrungen, von denen einige ihren Wert behalten hatten, auf Goldmnzen oder auf die einer bestimmten Menge Goldes entsprechende Menge an Geldzeichen, waren sie plçtzlich wertlos oder behielten den grçßten Teil ihres Wertes. Vor 1914 als spekulativ eingeschtzte Silberanleihen waren plçtzlich wesentlich wertstabiler als solche, die auf eine vermeintlich stabile Goldwhrung wie die Mark lauteten. Zur Absicherung gegen Inflation und Whrungsschwankungen eigneten sich vor allem Edelmetallklauseln, insbesondere die Goldklausel, d. h. die Bestimmung, daß die Schuld in Gold oder in einer einer bestimmten Goldmenge entsprechenden Geldmenge zurckzuzahlen sei.94 Allerdings konnten Staaten anders als private Schuldner die Goldklausel generell oder fr die eigenen Banknoten und Staatsschulden außer Kraft setzen und taten dies auch „gerade dann, wenn die Klausel interessant wird.“95 Vor 1914 wurde das Angebot, auslndische Glubiger in entwerteter Papierwhrung zu befriedigen, ohne Umschweife als Bankrott qualifiziert, zu94 Borchard u. Wynne, S. 28 – 33, 136 – 139; Nußbaum, Geld, S. 166. 95 Schnitzer, S. 290. Zum Einfluß von Whrungsvernderungen auf Abmachungen zwischen Privatleuten s.u. Kapitel II.4d.

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mindest wenn es um auswrtige Staaten ging (daß die europischen Großmchte gezwungen sein kçnnten, zu solchen Mitteln zu greifen, wurde allgemein fr vçllig ausgeschlossen gehalten). Daß der Staat als Garant der Rechtsordnung ein fundamentales Recht wie das Eigentumsrecht verletzen kçnnte, schien die Infragestellung der gesamten Gesellschaftsordnung zu bedeuten.96 Auf der Grundlage dieser Anschauung erschien die europaweite Geldentwertung im Krieg als gigantischer „Erdteilbankrott“, der sich von einer offenen Zahlungseinstellung nur dadurch unterschied, daß er graduell vonstatten ging.97 Danach herrschte eine grundstzlich neue Haltung des Staates zum Gehalt privater wie çffentlicher Zahlungsversprechen. In seiner whrungs- und finanzpolitischen Notlage behielt sich der Staat das Recht vor zu bestimmen, wer in welcher Whrung zahlen bzw. bezahlt werden konnte und durfte, unabhngig davon, was in Vertrgen bestimmt war. Grundstzlich waren damit alle Auslandszahlungen den Erfordernissen der staatlichen Zahlungsverpflichtungen und Whrungspolitik untergeordnet worden. So versteht sich auch der Satz, daß es in einem bankrotten Staat keine zahlungsfhigen (Privat-)Schuldner geben kann,98 der unter dem System des Vorkriegs-Goldstandards unverstndlich gewesen wre. Zwar wurden alle diese Einschrnkungen des freien Kapitalverkehrs als vorbergehende Notmaßnahmen bezeichnet, doch konnte die Notsituation aus deutscher Sicht erst dann als berwunden angesehen werden, wenn die Goldwhrung wiederhergestellt, die Haushalte ausgeglichen und eine endgltige Regelung der Reparationsfrage gefunden war.99 Die Inflation kann als Folge eines Systems umgangener whrungs- und haushaltspolitischer Entscheidungen angesehen werden: Weder fr einen Neuanfang durch die offene Zahlungseinstellung auf die Reichs- und Kriegsanleihen noch fr die Erhebung die Ausgaben deckender Steuern, weder fr eine Ausgabenkrzung noch fr eine Einnahmenerhçhung ließ sich ausreichende politische Untersttzung mobilisieren, zumal jede Abgabenerhçhung durch die Verwendung der Mittel fr Reparationszahlungen in den Augen der Steuerpflichtigen zustzlich delegitimiert war. Ein zeitweiliger politischer Konsens ber die Stabilisierung von Haushalt und Whrung kam erst zustande, als sich gezeigt hatte, daß die Whrungszerrttung die Existenz des Staates selbst zu gefhrden begann und fr alle beteiligten Interessengruppen auch kurzfristig kostspieliger war als die Stabilisierung.100 Whrend der gesamten Inflationszeit galt fr die Rechtsprechung und fr die Schulden des Reiches der Grundsatz „Mark = Mark“, der dem Schuldner 96 97 98 99

Borchard u. Wynne, S. 117 f. Manes, 3. Aufl., S. 241. Schuker, „Reparations“, S. 74; vgl. auch Schularick, S. 108 ff. Holtfrerich, S. 162 – 178, und umfassende interne Aufzeichnungen der Reichsbank, z. B. „Zur Frage der Aufhebung der bestehenden, den wirtschaftlichen Verkehr beschrnkenden gesetzlichen Vorschriften“, 18. 9. 1923, BAL R 2501/6435/21b.34. 100 Vgl. fr diese Analyse v. a. Eichengreen, Fetters; Feldman, Disorder ; Holtfrerich.

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die Ablçsung von Hypotheken und Anleihen in wertlosem Papiergeld ermçglichte. Erst nach der Stabilisierung der Whrung wurde die Frage der Aufwertung durch die Inflation vernichteter Forderungen ernsthaft diskutiert.101 Ausgangspunkt der maßgeblichen berlegungen war dabei das Bemhen, eine Aufwertung der Reichsschuld zu vermeiden. Das Auswrtige Amt befrchtete allerdings, daß die Nichtaufwertung privater Schulden den deutschen Unternehmen den dringend bençtigten Auslandskredit abschneiden wrde und verbitterte auslndische Glubiger die Beschlagnahme deutschen Privatvermçgens im Ausland erwirken kçnnten. Man werde im Ausland behaupten, „daß Deutschland willkrlich in anerkannte Privatrechte eingegriffen habe“ und „daß es deshalb nicht mehr als Rechtsstaat gelten kçnne“. Als Ausweg erschien ein Verzicht auf die Aufwertung der çffentlichen Schulden unter Verweis auf die Reparationslasten, whrend mit Rcksicht auf die internationalen Verbindungen der deutschen Wirtschaft eine Aufwertung von auslndischen Forderungen an deutsche Privatleute stattfinden kçnne. Die Aufwertung çffentlicher Schulden wurde bis auf die Zeit nach Abtragung der Reparationen verschoben und hat nie stattgefunden.102

Rckkehr zum Goldstandard, 1925 – 31 Durch die Whrungsstabilisierung und den Dawes-Plan kam Deutschland wieder zu einer Goldwhrung auf dem Vorkriegskurs. Auch die Einschrnkungen des Kapitalverkehrs aus der Kriegs- und Inflationszeit wurden abgebaut. Damit war die deutsche Haushalts- und Whrungspolitik wieder den unter dem „Trilemma“ gltigen Beschrnkungen unterworfen.103 Diese machten sich nach dem Weltkrieg allerdings aus mehreren Grnden strker bemerkbar als zuvor. Die Glaubwrdigkeit der Verpflichtung von Regierungen und Zentralbanken auf Goldstandard und Whrungsstabilitt war nach den Erfahrungen von Krieg und Inflation erschttert: Die Anforderungen an die çffentlichen Haushalte und das politische Gewicht der Interessengruppen, die Forderungen an den Staat stellten, waren gewachsen, whrend das Programm einer stabilen Whrung zwar abstrakt Befrworter fand, aber nur wenig politische Untersttzung, wenn es darum ging, Ausgabenkrzungen oder Steuererhçhungen zu beschließen. Anders als vor dem Krieg reichte daher oftmals eine moderate Zinserhçhung nicht mehr aus, um auswrtiges Kapital anzulocken und einen Goldabfluß zu stoppen. Vielmehr drohte jetzt bestndig eine Devisenpanik, d. h. der Abzug von in- oder auslndischem Kapital, dessen 101 Vgl. hierzu Nußbaum, Geld; Eckert; Lingelbach, Inflation. 102 AdR Marx I & II, Nr. 30, 68; Stresemann an Marx, 6. 1. 1924, 7. 1. 1924, BAL R 901/47928 und weitere Schriftstcke im selben Band, v. a. die zusammenfassende „Aufzeichnung ber die Entwicklung der Aufwertungsfrage“, 3.10.1924. 103 Auf die Tatsache, daß vermehrt Devisen an Stelle von Gold als Reserven gehalten wurden, braucht hier nur kurz hingewiesen zu werden. Eichengreen, Fetters, passim; Simmons.

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Besitzer die Bindung einer Whrung an das Gold nicht mehr fr glaubwrdig hielten. Auch die internationalen finanziellen Konflikte, die sich aus den Reparationen und interalliierten Schulden ergaben und einer wirksamen Kooperation der Zentralbanken im Wege standen, gefhrdeten das Whrungssystem des Golddevisenstandards, und die Zentralbanken konkurrierten um die knappen Goldreserven. Trotzdem blieb, so Eichengreen, die Bindung an die Goldwhrung gerade in denjenigen Staaten besonders hoch, die wie Deutschland und Frankreich die Whrungsstabilisierung erst nach harten innenpolitischen Auseinandersetzungen erreicht hatten. Die Goldwhrung habe hier den mhsam erreichen Kompromiß ber die Staatsausgaben und deren Finanzierung symbolisiert, dessen Fehlen fr die Whrungszerrttung der frhen 20er Jahre verantwortlich gewesen sei. Der deutsche Fall weist einige Besonderheiten auf: Deutschland verpflichtete sich in internationalen Vertrgen, die Bindung seiner Whrung an das Gold zu erhalten und eine entsprechende Haushalts- und Geldpolitik zu betreiben. Solange der Dawes- und spter der Young-Plan in Kraft waren, blieb die Reichsbank verpflichtet, den Notenumlauf zu 40 % durch Gold und Devisen zu decken. Sogar Bankpraktiker glaubten: „Whrungsschwierigkeiten im Sinne einer Stçrung der Paritt kçnnen bei der Konstruktion unserer Reichsbank gar nicht eintreten.“ Beim Absinken ihrer Reserven msse die Reichsbank eben entsprechende Mengen an Noten einziehen, ungeachtet der Konsequenzen einer derartigen Geldverknappung fr die deutsche Volkswirtschaft.104 Im politischen Alltag zeigte sich aber, daß die Reichsbank keine hinreichende Handhabe besaß, das Ziel der Geldwertstabilitt gegen die von anderen Prioritten ausgehende Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung durchzusetzen. Die unabhngige Reichsbank war kein zureichendes Instrument, die Whrung gegen das neue politisch-soziale Umfeld abzuschirmen, auch wenn sogar Finanzkreise das glaubten.105 Auch der Transferschutz des Dawes-Plans sollte Deutschlands Bindung an den Goldstandard absichern, indem er die Whrung gegen die Auswirkungen des Reparationstransfers abschirmte. Auch er war ein Mechanismus, der die Goldwhrung vor den Einflssen aus dem gewandelten Umfeld der Nachkriegszeit – hier der politischen Verschuldung – abschirmen sollte, der durch die Illusion von Stabilitt, die er erzeugte, jedoch zu langfristiger Instabilitt beitrug. Dabei war durchaus umstritten, was der Transferschutz rechtlich bedeutete und ob er fr Deutschland berhaupt praktische Auswirkungen habe. Handelte es sich um einen reinen Whrungsschutz, der lediglich den Goldwert der Mark bewahren sollte? Oder sollte er Deutschland davor schtzen, daß die Reparationszahlungen den Lebensstandard der Bevçlkerung gefhrden und die Wirtschaft in eine Krise strzen wrden? Konnte der 104 Hahn, Whrungsproblem, S. 179; Loeb ebd. 180. 105 James, Reichsbank; Petersson u. Ullrich.

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Transferschutz den Kredit Deutschlands und deutscher Unternehmen bei auslndischen Privatglubigern erhalten, wenn es Schwierigkeiten mit den Reparationszahlungen gab, oder wrde seine Inanspruchnahme auch fr die Privatglubiger ein Signal zum Rckzug sein? Vor den Young-Plan-Beratungen entstand die Befrchtung, daß Deutschland im Gegenzug fr die Beibehaltung des Transferschutzes wirtschaftspolitische Auflagen bis hin zur Einrichtung einer wirklichen Finanzkontrolle gemacht werden kçnnten.106 Doch die Stabilitt der Whrung konnte letztlich nur durch eine glaubwrdige Selbstbindung der Regierung an den Goldstandard und einen gesamtgesellschaftlichen Konsens ber eine dieser Bindung entsprechende Wirtschaftspolitik aufrechterhalten werden. Die wirtschafts- und whrungspolitischen Diskussionen und Maßnahmen der Weimarer Regierungen zeigen, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben waren und daß die Reparationsschuld einen wesentlichen Grund fr diese Haltung darstellte. Solange die Reparationsschuld bestand, hielt man es vielerorts fr die Aufgabe der Alliierten und des Transferagenten, die deutsche Reparationslast so weit zu reduzieren, daß der Transfer weder Konsumeinschrnkungen mit sich brachte, noch der Bedienung der von Staat und Wirtschaft fr die eigenen Bedrfnisse fr nçtig erachteten auslndischen Privatkredite im Wege stand. Empçrung ber die çffentlichen Stellungnahmen des Transferagenten zur Haushaltspolitik der Regierung ersetzte Reflexion ber die Vereinbarkeit dieser Politik mit dem Ziel der Whrungsstabilitt. Die Kapitalzustrçme aus dem Ausland ermçglichten es Deutschland vorbergehend, sich dem „Trilemma“ und der zur Erhaltung des Goldstandards eigentlich notwendigen Stabilittspolitik zu entziehen. Das war von den Verfechtern der Erfllungspolitik ebenso wie von den Autoren des DawesPlans als fr eine bergangsphase notwendig angesehen worden, damit Deutschland seine Volkswirtschaft und damit seine Zahlungsfhigkeit wiederherstellen konnte. Goldstandard und Transferschutz bewirkten zusammengenommen allerdings, daß immer weitere Kredite nach Deutschland flossen, da ein Wechselkursrisiko ebenso ausgeschlossen schien wie eine Transferkrise. So konnte die deutsche Politik einer Entscheidung ber die Finanzierung der Staatsausgaben ausweichen. Eichengreen geht daher zu weit, wenn er die Goldwhrung als Symbol eines Kompromisses ber die Staatsaufgaben und Staatsausgaben in Deutschland darstellt. Dieser Kompromiß war entbehrlich, solange die Auslandskredite flossen. Der Zeitpunkt, zu dem entweder die Zahlungsunfhigkeit erklrt oder zur Rckzahlung der deutschen Schuld ein Nettotransfer von Ressourcen an das Ausland einsetzen mußte, ließ sich aber nicht endlos hinausschieben. Der Golddevisenstandard der 1920er Jahre suggerierte mit institutionellen Zwngen wie der unabhngigen Reichsbank und Schutzmechanismen wie dem Transferschutz eine Stabilitt, die durch die tatschlichen Verhltnisse, 106 Diese Diskussion nimmt einen breiten Raum ein in Salin, Reparationsproblem.

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durch Zahlungsbilanz- und Haushaltsdaten, nicht gerechtfertigt wurde. Das fhrte zunchst zu einer bersteigerten Kreditvergabe, die durch keinerlei Befrchtungen ber Kursrisiken gebremst wurde, und verschrfte dann die Anpassungskrisen, die eintreten mußten, sobald die Schulden zurckgezahlt wurden. Wirtschaftswissenschaftler unterscheiden metaphorisch eine klassische („newtonsche“) und eine relativistische („einsteinsche“) Auffassung des internationalen Whrungssystems. In der klassischen Auffassung dient die Whrung als Wertmesser, Austausch- und Aufbewahrungsmittel, weshalb eine weltweit einheitliche, wertstabile Whrungseinheit als optimal erachtet wird.107 Die relativistische Auffassung hingegen geht davon aus, daß eine flexible Anpassung von Lçhnen und Preisen an konjunkturelle Schwankungen und Preisvernderungen auf den Weltmrkten praktisch unmçglich ist, insbesondere Lohn- und Preissenkungen schwer zu erreichen und wegen ihrer konjunkturdmpfenden Wirkung auch unerwnscht sind. Wechselkursschwankungen kommt in dieser Sichtweise die Funktion des Ausgleichs unterschiedlicher Konjunkturverlufe und Preisentwicklungen in der Weltwirtschaft zu: ber das relative Fallen und Steigen der Wechselkurse gegeneinander kommen Preisanpassungen ohne die Notwendigkeit zur Neuverhandlung etwa von Liefer- und Tarifvertrgen innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften zustande.108 Deutschlands Wirtschaftsgeschichte unter dem Goldstandard der Zwischenkriegszeit illustriert, wie schwer volkswirtschaftliche Anpassung unter einem „newtonschen“ System fllt.

Devisenbewirtschaftung und „Bankruptcy in Watertight Compartments“ Fr die Beurteilung der Wirtschaftspolitik der Regierung Brning in der Weltwirtschaftskrise hat immer schon die Frage der Zahlungsfhigkeit der çffentlichen Haushalte eine entscheidende Rolle gespielt.109 In der Tat waren die faktische Zahlungsunfhigkeit des Reiches und das Whrungssystem des Golddevisenstandards strukturelle Gegebenheiten, die den Handlungsspielraum der deutschen Wirtschaftspolitik beschrnkten. Sie bestimmten die kurzfristige Politik und die zur Krisenbewltigung ad hoc ergriffenen Maßnahmen. Allerdings entwickelte sich aus kurzfristigen Maßnahmen zur Krisenbewltigung ein umfassender weltwirtschaftlicher Regimewechsel hin zu einer politischen Lenkung außenwirtschaftlicher Beziehungen und zum Export sozio-çkonomischer Probleme. In der Haushaltspolitik gelang Ende 1930 zunchst noch einmal ein „Sanierungskonsens“ zwischen Brning und den Sozialdemokraten, der auf der 107 Zu dieser Auffassung vom Whrungssystem vgl. auch Geyer. 108 Zu dieser Unterscheidung Bordo u. James. 109 Balderston, Economics, S. 91 – 98; Clavin, Depression, S. 117 ff.; Borchardt, Zwangslagen; Ritschl, S. 21 f., 136 ff.; Gegenargumente bei Wehler, S. 516 – 530.

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Erkenntnis fußte, daß die Reparationen nicht die Wurzel allen bels waren und Sparmaßnahmen sich auch ganz unabhngig von der Reparationsbelastung nicht vermeiden ließen.110 Alternativen zu Ausgabenkrzungen boten sich kurzfristig nicht: Neue Anleihen waren nicht zu bekommen, und unter dem Young-Plan hatte sich Deutschland noch einmal verpflichtet, die Bindung der Mark an das Gold zu erhalten. Deutschland war also nicht in der Lage, sich, wie Großbritannien es 1931 tat, „kraft souverner Entscheidung“ von den Zwngen des Goldstandards zu befreien.111 Was kurzfristige Handlungsmçglichkeiten anging, zeigen die Kabinettsberatungen Ratlosigkeit; es wurde eine Politik des Durchhaltens mangels erkennbarer Initiativen verfolgt. Ausgabenkrzungen dienten vor allem der Abwendung der von Tag zu Tag drohenden Zahlungsunfhigkeit, auch wenn es hieß, sie sollten Deutschlands Souvernitt und Handlungsfreiheit strken, indem sie es von kurzfristigen Auslandskrediten unabhngig machten. Solange der Goldstandard nicht in Frage gestellt werden konnte, blieb nur die Hoffnung auf neue langfristige Auslandsanleihen und Reparationserleichterungen, was praktisch bedeutete, daß fr einige Jahre keine Aussicht auf Besserung bestand. Bis dahin wollte Brning die Defizite verringern und die Schuldenstruktur verbessern, insbesondere durch die Umwandlung kurzfristiger Schulden in langfristige, die nicht im Falle einer politischen oder wirtschaftlichen Krise zurckgezogen werden konnten. Weitergehenden Plnen stand die Furcht vor dem stets drohenden Abzug der auslndischen kurzfristigen Kredite im Wege.112 Elemente einer umfassenderen Neuorientierung in einem rechtsnationalen Sinne waren schon erkennbar, lange bevor die Bankenkrise im Juli 1931 die Depression ihrem Tiefpunkt zutrieb: Rechtsruck, Auflçsung des Parlamentarismus im Regime der Notverordnungen, Abkehr von der Stresemannschen Politik der Verstndigung mit Frankreich. Die außenpolitischen Zielsetzungen Brnings standen positiven Maßnahmen der Krisenbewltigung entgegen. Franzçsische Investitionen in Deutschland, welche die wirtschaftliche Lage htten bessern kçnnen, scheiterten, da die deutsche Regierung nicht bereit war, die Verstndigungspolitik fortzusetzen und auf Projekte wie den Panzerkreuzerbau und die Zollunion mit sterreich zu verzichten. Statt dessen versuchte Brning mit seinem „Tributaufruf“ vom 6. 6. 1931 wiederum, Erleichterungen bei den Reparationen zur Voraussetzung der innenpolitischen Durchsetzbarkeit von Sparmaßnahmen zu machen.113 Nun war es Frankreich, das gegen Deutschland mit der Logik der Kapitalmrkte argumentieren und

110 Winkler, Weimar, S. 13. 111 Schwarzenberger, Banken, S. 21 f. 112 AdR Brning I & II Nr. 291; Balderston, Economics, S. 84 f. Knipping (S. 162 – 168, 193 f.) betont demgegenber strker das Bemhen, Revisionsmçglichkeiten offenzuhalten. 113 Knipping, S. 196 ff., 203 ff.

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einen Verzicht auf politischen Revisionismus als Voraussetzung wirtschaftlicher Gesundung und neuer Investitionen hinstellen konnte: Cette entr’aide financi re a pour condition essentielle, naturellement, qu’une atmosph re de confiance et de paix s’tablisse en Europe et que les capitaux … soient assurs que la situation conomique des diffrents pays se rafferm t et qu’ils n’ont plus redouter la perspective de troubles politiques ou sociaux chez leurs voisins.114

Brning lehnte es aber ab, im Geiste Stresemanns durch eine Zwischenlçsung eine eigentlich ausweglose Lage vorbergehend zu stabilisieren; er strebte eine endgltige Lçsung der Reparationsfrage an und wies franzçsische Hilfe zurck, da sie eine neuerliche Revision hinauszçgern wrde.115 Der Vorschlag des amerikanischen Prsidenten Hoover, die Bedienung aller politischer Schulden (also der Reparationen und der interalliierten Schulden, nicht aber der beim Privatpublikum gehaltenen Dawes- und Young-Anleihen) fr ein Jahr auszusetzen, stellte die Reparationsfrage zunchst still. Hier wirkte sich noch einmal das amerikanische Interesse an der Milderung politischer Schulden zur Sicherung privater aus. Doch neue Anleihen flossen auch nach dem Hoover-Moratorium nicht, denn das Moratorium fhrte vor allem vor Augen, daß Deutschland zahlungsunfhig war, obwohl man im Auswrtigen Amt gehofft hatte, daß „manche auslndischen Glubiger Deutschland gerade deshalb, weil es vorlufig keine Reparationszahlungen leistet, fr den nchsten Zeitabschnitt fr einen besseren Privatschuldner halten [wrden] als vorher.“116 Mit dem Konkurs des Nordwolle-Konzerns im Juli 1931 erreichte die Depression in Deutschland einen neuen Tiefpunkt. Er zeigte, daß deutsche Unternehmen bei anleihefinanzierten Investitionen genausowenig wie die Kommunen und Lnder vorsichtig und effizient gewesen waren und lçste einen immensen Vertrauensverlust in den Kredit deutscher Unternehmen aus. Darber hinaus fhrte er zur Zahlungsunfhigkeit der Danat-Bank, einer der großen „D-Banken“, was wiederum einen Run auf die Banken auslçste, den diese nicht bewltigen konnten. Die Reichsbank sah sich außerstande, das Bankensystem zu stabilisieren, weil sie durch den Young-Plan auf die Goldwhrung und die 40 %-Deckung festgelegt war. Die Regierung konnte die Banken nicht sttzen, weil sie selbst sich am Rande der Zahlungsunfhigkeit befand und sie keinen Kredit bei der Reichsbank in Anspruch nehmen durfte. 114 Knipping, S. 217; ADAP B XVII Nr. 126. 115 Winkler, Weimar, S. 405. Dennoch geht Winkler zu weit, wenn er meint (ebd. S. 443), Brning habe nicht aus Grnden ußeren Zwangs, sondern ausschließlich aus freier Wahl und mit dem Ziel der Reparationsrevision den Kurs der Depressionspolitik durchgehalten – Wahlfreiheit gab es bei kurzfristigen und taktischen Entscheidungen, doch die stets drohende Zahlungsunfhigkeit des Reiches und der deutschen Volkswirtschaft ließen sich dadurch nicht aus der Welt schaffen, und der Spielraum fr weitere Kompromiß- und Zwischenlçsungen wurde immer enger. 116 ADAP B XIX Nr. 152.

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Eine zeitweilig diskutierte Regierungsgarantie zur Stabilisierung gefhrdeter Banken konnte daher keinen Wert haben. Hinzu kam das Ausmaß der kurzfristigen auswrtigen Verschuldung von Kommunen, Banken und Unternehmen in Deutschland.117 Zwar versteckte sich dahinter zum Teil ber die Schweiz oder die Niederlande wieder nach Deutschland zurckgebrachtes deutsches „Fluchtkapital“, doch entscheidend war, daß dieses Kapital kurzfristig zurckgezogen werden konnte, wenn das Vertrauen in den deutschen Staat, die deutsche Whrung oder die Bonitt einzelner deutscher Schuldner schwand. Dann mußte zur Haushalts- und Bankenkrise noch eine Whrungskrise hinzukommen.118 Vor der zunchst diskutierten Einstellung aller Auslandszahlungen schreckte die Regierung zurck, um nicht durch einen einseitigen Schritt jegliche Aussicht auf Neuverhandlungen ber die Reparationslast und Einigung mit den Glubigern zunichte zu machen. Statt dessen wurde in Abstimmung mit den Alliierten und privaten Glubigern die Devisenbewirtschaftung wieder eingefhrt. Devisenbestnde mußten angemeldet und an die Reichsbank abgegeben werden; Devisenzuteilungen fr Zahlungen an das Ausland waren bei der Reichsbank zu beantragen und wurden nur fr „lebenswichtige“ oder zumindest „notwendige“ Einfuhren genehmigt. Die Zahlungsunfhigkeit des Reiches und der Banken und das Dahinschwinden der Devisenreserven bewirkten also die Verhngung von Zahlungsverboten fr die privaten deutschen Auslandsschulden, nicht aber fr diejenigen des Reiches. Die Devisenbewirtschaftung flankierte die mit den Glubigern der kurzfristigen Kredite ausgehandelten „Stillhalteabkommen“, denen die Zahlungen auf die kurzfristigen auslndischen Kredite an deutsche Unternehmen und Kommunen unterworfen wurden.119 Die Stillhalteabkommen kamen zustande, weil auch den Glubigern nicht an massiven Devisenabflssen gelegen war, die dieWirtschaft zum Zusammenbruch gebracht und den Goldwert der deutschen Whrung in Frage gestellt htten. Auch vermied die Stillhaltung einen massenhaften Konkurs deutscher Schuldner, der seinerseits zum Zusammenbruch auslndischer Banken gefhrt htte. Ohne die in den Stillhalteabkommen ausgedrckte Zustimmung der Glubiger wre die Devisenbewirtschaftung nichts anderes als eine willkrliche und einseitige Zahlungseinstellung gewesen. Hier aber verlangten die privaten Stillhalteglubiger nach staatlichen Maßnahmen, die verhinderten, daß Glubiger, die an der Stillhaltung nicht teilnahmen, zwischenzeitlich ihr Kapital in Sicherheit brachten – Maßnahmen, die nach Ansicht von Praktikern

117 Zahlen bei James, Reichsbank, S. 227; James, Slump, S. 294: Im Juli 1931 war die deutsche Volkswirtschaft mit 13,1 Mrd. Mark kurzfristig im Ausland verschuldet, davon entfielen allein 5,9 Mrd. auf die Banken. 118 James, Reichsbank; James, Slump; James, End; Feldman, Deutsche Bank. 119 Vgl. hierzu Wegerhoff.

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die „planwirtschaftliche Okkupation“ des Finanzwesens bedeuteten.120 Regierung und Reichsbank hatten zunchst geplant, die Lçsung dieser Fragen den unmittelbar Beteiligten zu berlassen. Doch rasch erschien ein staatliches Eingreifen nçtig, um den panikartigen Abzug aller Auslandskredite zu verhindern und den Eindruck des einseitigen deutschen Bankrotts zu vermeiden. Die Stillhalteabkommen waren zwar formal Abmachungen zwischen Schuldnern und Glubigern, praktisch aber transformierten sie die private Auslandsschuld Deutscher in eine politischen Entscheidungen unterworfene Zahlungsverpflichtung, da nur diejenigen Banken, die sich an den Stillhalteabkommen beteiligten, damit rechnen konnten, daß ihren Schuldnern Devisen fr Zinszahlungen bewilligt wrden.121 Die grundstzliche Einigung auf die Aushandlung solcher Abkommen durch ein Sachverstndigenkomitee wurde auf der Londoner Konferenz (20.–23. 7. 1931) erreicht, die außerdem die Verlngerung eines internationalen Rediskontkredits fr die Reichsbank beschloß. Hingegen scheiterten erneut Verhandlungen mit Frankreich ber franzçsische Kredithilfe, da die Franzosen ein „Revisionsmoratorium“ und Garantien fr die bestimmungsgemße und effiziente Verwendung der Anleihemittel in der deutschen Wirtschaft verlangten, whrend die Deutschen glaubten, sich aus innenpolitischen Grnden keinerlei politische Zugestndnisse leisten zu kçnnen und ihnen eine Anleihe an das Reich vorschwebte.122 Stillhalteabkommen und Devisenbewirtschaftung gaben der deutschen Politik Mittel an die Hand, die zum kurzfristigen Krisenmanagement ebenso taugten wie zur langfristigen Neuausrichtung der deutschen Außenwirtschaftspolitik. Kurzfristig nutzte die Reichsbank ihre neuen Spielrume, um der Wirtschaft Kredite und versteckte Exportsubventionen zur Verfgung zu stellen, ohne dadurch den Außenwert der Whrung zu gefhrden. Formal behielt Deutschland den Goldstandard bei, praktisch verschob es innerhalb des „Trilemmas“ die Prioritten, indem es sich kreditpolitische Handlungsfreiheit durch Abschaffung des freien Kapitalverkehrs sicherte. Schacht, der mittlerweile ohne politisches Amt war, hatte schon whrend der Bankenkrise vorgeschlagen, auf dieser Grundlage einen dauerhaften Kurswechsel vorzunehmen: Deutschland solle sich vom Ausland abkoppeln und Handel und Schuldendienst mittels Devisenzuteilungen steuern. Von Anfang an wurden die stillgestellten Forderungen als politisches Druckmittel begriffen und genutzt: Die Auslandsglubiger (nicht nur die des Staates, sondern auch die der Stillhaltekredite) mußten sich entgegenkommend verhalten, um ihr in Deutschland festliegendes Kapital nicht zu gefhrden. Das Sachverstndi120 James, Reichsbank, S. 218; Eisemann, Kreditverkehr, S. 52. Die Erwartung, daß auslndisches Kapital sich Stillhalteabmachungen zu entziehen suchen wrde, war begrndet: Feldman, Deutsche Bank, S. 274 ff. Zitat: Kalveram, S. 374. 121 AdR Brning I & II, Nr. 414. 122 AdR Brning I & II, Nr. 398, 408.

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genkomitee, das die Stillhalteabkommen aushandelte, empfahl zugleich eine Beseitigung oder zumindest deutliche Reduktion der Reparationslast. Auch lßt sich leicht nachweisen, daß man in der Reichsregierung davon ausging, „daß die katastrophale Weltwirtschaftskrise reparationspolitisch fr uns auch ihr Gutes habe“, ja, „reparationspolitische Trmpfe berge“, weil sie der ganzen Welt zeige, „daß der Zeitabschnitt der Reparationen abgelaufen“ sei.123 „In between 1931 and 1933 Germany went about turning herself from an unhappy bad debtor into a laughing one.“124 Nachdem deutlich geworden war, daß die meisten Stillhaltekredite nicht fr Handelsgeschfte, sondern fr langfristige Investitionen und den Aufbau von Lagerbestnden verwendet worden waren und auf absehbare Zeit nicht liquidiert werden konnten, wurden die Stillhalteabkommen zunchst bis 1933 verlngert. Das erleichterte insbesondere die deutsche Reparationspolitik, da die mit der Verlngerung befaßten Sachverstndigen erneut Reparationserleichterungen verlangten und die Sorge um die in Deutschland festliegenden Kredite spter maßgeblich die britische Position auf der Lausanner Konferenz (16.6.–9.7.1932) bestimmte, die das Ende der Reparationszahlungen beschloß. Nur so schien die Reintegration Deutschlands in die Weltwirtschaft und die internationalen Kapitalmrkte noch erreichbar. Manche rechneten ansonsten bereits mit der einseitigen Zahlungseinstellung und der Einrichtung einer Planwirtschaft mit Schacht als „Wirtschaftsdiktator“. Derweil verschwammen die Grenzen zwischen kommerzieller und politischer, privatwirtschaftlicher und staatlicher Auslandsschuld immer weiter. Deutschland argumentierte nun, auch die deutsche kommerzielle Staatsschuld und die Auslandsverschuldung der Wirtschaft stellten Folgen der Reparationslasten dar, was den Alliierten eine Mitverantwortung auferlege, den Schutz privater Glubiger durch Streichung der Reparationen zu verbessern. Zugleich plante man aber bereits, auch nach der Streichung der Reparationen den Schuldendienst staatlich zu kontrollieren, sprich zu begrenzen. Vor der Lausanner Konferenz erklrte Reichskanzler v. Papen: Er neige sehr dazu, daß die Reichsregierung sich aktiv um das Verhltnis der Schuldner zu den Auslandsglubigern kmmere, da ja mit grçßter Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, daß in absehbarer Zeit ein geordneter Zinsen- und Amortisationsdienst nicht mehr gewhrleistet sei.125

Das Ende der Reparationen bewirkte nicht die Rckkehr Deutschlands in die alten Strukturen der Weltwirtschaft. Whrend des Jahres 1932 war klar geworden, daß eine Rckkehr unter die Zwnge des Goldstandards und die Rckzahlung der in den 20er Jahren aufgenommenen Auslandsschulden die innen- wie außenpolitischen Handlungsspielrume der Exekutive in 123 AdR Brning I & II Nr. 153; ADAP B XIX Nr. 167. 124 ADAP B XVII Nr. 163 (Zitat: James, Reichsbank, S. 215). 125 ADAP B XX Nr. 97, 133 (Zitat).

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Deutschland auch nach dem Wegfall der Reparationen dauerhaft beschrnken wrden. Die Last der kommerziellen Auslandsschuld blieb erdrckend; zu ihrer Bedienung htten jhrlich 1 Mrd. Goldmark transferiert werden mssen. Es bestand keine Aussicht auf neue Auslandsanleihen, solange die alten nicht pnktlich bedient wurden. Der ehemalige Transferagent Gilbert etwa kritisierte die deutsche Politik unter den Stillhalteabkommen und dem HooverMoratorium: Deutschland glaube, „she could go bankrupt in water-tight compartments and keep her general credit while advertising her inability to perform her international obligations under the Young Plan.“126 Immer strker wurde daher ein Ende der Reparationen nicht primr als finanzielle Erleichterung erstrebt, sondern als Wiederherstellung machtstaatlicher Autonomie: Mit dem Ende der Reparationen wre man nicht lnger gezwungen, Rcksicht auf Frankreich zu nehmen, und die Unabhngigkeit der Reichsbank, die „einer unabhngigen Diskontpolitik im Interesse unserer Wirtschaft“ im Wege stand, wre nicht lnger international garantiert.127 Devisenbewirtschaftung und Stillhaltung bedeuteten nicht nur die Befreiung von den Zwngen des Goldstandards, fr die es gute wirtschaftliche Grnde gab und die Großbritannien bereits am 20. 9. 1931 vollzogen hatte, sondern einen außenwirtschaftlichen Regimewechsel. In der Vorbereitung auf die Londoner Weltwirtschaftskonferenz von 1933 zeigte die deutsche Regierung kein Interesse mehr an einer Rckkehr zur multilateralen, offenen Weltwirtschaft.128 Deutschland stellte sich – auch angesichts des um sich greifenden Protektionismus in den potentiellen Exportmrkten – auf das Wirtschaften mit minimalen Deviseneingngen und politisch strikt kontrollierten Einfuhren ein. Die Devisenbewirtschaftung wurde bald als Eckstck einer planwirtschaftlichen Handelspolitik verstanden, die es dem Staat erlaubte, durch Devisenzuteilungen Rohstoffeinfuhren in bestimmte Sektoren der Volkswirtschaft zu lenken, andere Sektoren durch den Ausschluß von Importen zu schtzen und nur diejenigen Auslandsschulden selektiv zu bedienen, bei denen dies opportun erschien. Die Stillhalteschulden betrachtete man nun als eine „Zwangsanleihe des Auslands“; ihre Bedienung wurden durch das Gesetz ber Zahlungsverbindlichkeiten gegenber dem Ausland vom 9. 6. 1933 noch einmal willkrlich herabgesetzt, jedoch nicht ganz eingestellt, da man auf die Geschftsbeziehungen zu auslndischen Banken fr die Abwicklung des Außenhandels nicht verzichten zu kçnnen glaubte. Die Rckzahlung von Stillhalteschulden aber und erst recht die Bedienung der langfristigen Auslandsanleihen, die vom machtlosen Privatpublikum gehalten wurden, erschienen angesichts der angespannten Devisenlage nicht wnschenswert. Die Reichsbank sah zudem eine bessere Verwendungsmçglichkeit fr ihre Devisenvorrte: Diese sollten dazu genutzt werden, auf den Welt126 Zit. n. Schuker, „Reparations“, S. 60. 127 ADAP B XIX Nr. 192. 128 Clavin, Failure; Tooze, S. 28.

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mrkten Rohstoffe zusammenzukaufen, solange diese durch die Wirtschaftskrise besonders billig waren.129 Nach und nach stellte das Reich auch die Bedienung seiner eigenen Auslandsschulden einschließlich der Dawes- und Young-Anleihen ein. Auch die USA zeigten unter Roosevelt zunehmend weniger Interesse an der Rckzahlung, weil klar war, daß eine solche ohne deutsche Exporte in die USA nicht mçglich gewesen wre.130 Ein Interesse an kooperativer Krisenbewltigung lßt sich in Deutschland nach dem Ende der Reparationen, das ohne eine internationale Konferenz nicht zu haben war, nicht mehr feststellen. Deutschland trat 1933 aus dem Vçlkerbund aus und beteiligte sich folglich auch nicht mehr an den Arbeiten einer 1936 gebildeten Vçlkerbundskommission, welche die Frage des Anlegerschutzes und der Staatsbankrotte im Lichte der Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise neu betrachten sollte.131 Die Institutionalisierung weltwirtschaftlicher Zusammenhnge, die whrend der ra Stresemann ein wichtiges Ziel deutscher Außenwirtschaftspolitik dargestellt hatte, war damit endgltig aufgegeben worden. Die deutsche Politik hatte durch die Prioritt, die sie der Reparationsfrage gab und die taktische Instrumentalisierung ihrer Auslandsverschuldung erheblich zur Erosion weltwirtschaftlicher Institutionen beigetragen. Der Begriff des „Staatsbankrotts“ verlor seinen Sinn, wo der Staat frei entschied, wann die Bedienung seiner eigenen Zahlungsverpflichtungen ebenso wie derjenigen inlndischer Privatleute noch opportun erschien und wann andere Zielsetzungen dringlicher waren. Aus den Notmaßnahmen der ra Brning waren die Instrumente totalitrer Wirtschaftskontrolle hervorgegangen.132 Dies geschah, wie unten noch zu zeigen ist, zum großen Teil schleichend, zunchst ohne daß eine umfassende und dauerhafte Wirtschaftslenkung angestrebt wurde, durch die Verstetigung von Instrumenten des Krisenmanagements, die allerdings zusammengenommen den Weg zurck in eine freie Weltwirtschaft immer mehr verschlossen.

(c) Die deutschen Auslandsschulden nach 1918 Die internationalen Finanzbeziehungen nach 1918 standen im Zeichen der Notwendigkeit, die zum großen Teil auf dem Wege der Verschuldung und Geldschçpfung aufgebrachten Kosten und Folgekosten des Krieges zu be129 Aufz. „Zu der Frage eines Transfermoratoriums (Teilmoratorium fr den Kapitaldienst der mittel- und langfristigen Auslandsverpflichtungen Deutschlands)“, 10. 3. 1932, BAL R 2501/ 6437/21b.78; Aufz. „Zur Devisenlage“, 4. 6. 1932, BAL R 2501/6437/21b.81; Schacht an Hitler, 11. 4. 1933; Aufz. „Darstellung der Rechtslage im Auslandszahlungsverkehr bei Beginn der Transferverhandlungen“, 23. 5. 1933, BAL R 2501/6440/21b.117. Vgl. auch Tooze, S. 53 f. 130 AdR Brning I & II Nr. 502, 503, 523; Ritschl; Link. 131 League of Nations, Loan Contracts. 132 James, Reichsbank, S. 17.

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wltigen. Deutschland wurde durch den Krieg vom Glubiger- zum Schuldnerstaat und durch den Versailler Vertrag mit der als illegitim empfundenen Reparationsschuld belastet. Der Staatsbankrott war whrend der Weimarer Zeit nie weit entfernt. Die deutsche Schuldenpolitik war in dieser Zeit vom Schwanken zwischen der Zurckweisung der Nachkriegsordnung und dem Streben nach – insbesondere wirtschaftlicher – Reintegration geprgt. Whrend der Jahre der Stabilisierung 1924 – 1929 wurde eine Revisionspolitik verfolgt, die zwar die Vernderung der Versailler Ordnung und des Reparationsregimes anstrebte, sich dabei jedoch innerhalb dieser Ordnung legitimer Mittel bediente. In den wirtschaftlich schwierigen Jahren ab 1930 nderte sich das. Das in Deutschland ebenso wie in vielen Staaten Mittel- und Osteuropas eingefhrte Instrument der Kapitalkontrollen und Devisenbewirtschaftung zeigt exemplarisch, wie sich aus Notmaßnahmen zur Abwehr einer Krise rasch ein alternativer Organisationsmodus internationaler wirtschaftlicher Beziehungen entwickelte, der nationalstaatlicher Politik ein Maximum an Handlungsspielraum sicherte und sich von der Idee berstaatlicher Regeln und Institutionen ganz abwandte.133 Die Revisionspolitik in der zweiten Hlfte der 1920er Jahre lief darauf hinaus, Deutschlands Verpflichtungen mçglichst den von den Interessen der Kapitalanleger bestimmten Regeln der Finanzmrkte zu unterwerfen und nicht den von Frankreich formulierten Regeln der Versailler Ordnung. Die Grundprinzipien hinter dem Dawes-Plan waren Entpolitisierung der Fragen der wirtschaftlichen Kriegsfolgen, außenpolitische Zurckhaltung, stabile Whrungen, ausgeglichene Haushalte, das alles im Kontext einer sich wiederbelebenden, wie vor dem Krieg arbeitsteilig organisierten Weltwirtschaft. Damit verbanden sich ganz erhebliche Einschrnkungen der politischen Autonomie aller Staaten. Die Autoren des Dawes-Plans gingen nicht davon aus, daß diese Beschrnkungen im politischen Tagesgeschft in Deutschland freiwillig akzeptiert wrden. Daher schufen sie institutionelle Sicherungsmechanismen wie die Reichsbank, deren Unabhngigkeit vçlkerrechtlich verankert war, die der Regierung nur in geringem Umfang Kredit geben durfte und allein auf die Whrungsstabilitt verpflichtet war. Die mit der Annahme des Dawes-Plans akzeptierten wirtschaftspolitischen Grundstze konnten als Elemente einer langfristig anzustrebenden weltwirtschaftlichen Ordnung angesehen, aber ebensogut bloß kurzfristig-taktisch ausgenutzt werden. Die immer wieder, auch im Auswrtigen Amt, angestellten berlegungen, durch die Provokation einer Transferkrise Reparations- und Privatglubiger gegeneinander auszuspielen, zeugen von der Bereitschaft, das Revisionsverlangen ber das Streben nach Reintegration in eine freie Weltwirtschaft zu stellen. Stresemann hingegen war von den Vorteilen institutio133 Vgl. dafr nur die Aufz. der Reichsbank „Clearingvertrge als Surrogate des internationalen Zahlungsausgleichs“, 26. 9. 1932, BAL R2501/6437/21b.89a; allgemeiner Obstfeld u. Taylor, Capital Mobility, S. 374 – 381 und zeitgençssisch Einzig.

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neller Selbstbindung in einem System interdependenter Staaten und Volkswirtschaften berzeugt und verfolgte eine Politik der kleinen Revisionsschritte im Einklang mit bestehenden Vereinbarungen. Doch die wirtschaftliche Dimension dieser Politik, die Eingliederung in Golddevisenstandard und Weltwirtschaft, erforderte eine Vielzahl von Einzelentscheidungen in allen Bereichen der Ausgabenpolitik und hatte tiefe strukturelle Konsequenzen fr die gesamte Gesellschaft. Da es in der Weimarer Republik nicht gelang, einen Kompromiß ber die Aufgaben und Ausgaben des Staates zu finden, wurde der scheinbare Ausweg der Auslandsverschuldung beschritten, und zwar in einer Weise, die schon nach wenigen Jahren Zweifel an der Glaubwrdigkeit Deutschlands als Schuldner weckte und die Kreditstrçme wieder zum Versiegen brachte. Letztlich bestimmten so die Schwche von Gesellschaft und politischem System in der Weimarer Republik und die daraus resultierende berschuldung der çffentlichen Hand den Gang der Ereignisse, nicht die revisionspolitischen berlegungen. Das Stresemannsche Projekt der Reintegration und Verstndigung ließ sich innenpolitisch nur absichern, solange Kreditzustrçme es erlaubten, den Anschein von Prosperitt zu wahren. Die sparsame Haushaltspolitik, die nçtig gewesen wre, um die weltwirtschaftliche Integration abzusttzen, wurde hauptschlich von Krften verfochten, die damit etwas ganz anderes im Sinn hatten: die Rckgewinnung machtstaatlicher Autonomie notfalls um den Preis einer Krise und die Zurckdrngung der Ansprche der unteren Einkommensschichten. Eine Wirtschaftspolitik, die der Weimarer Republik eine stabile çkonomische Basis verschafft htte, wurde vor allem von Krften betrieben, die an einer politischen Stabilisierung Weimars gar nicht interessiert waren. Die Reichsbank, als Sttze des Goldstandards und der Einbindung Deutschlands in die internationale Whrungs-, Wirtschafts- Staatenordnung gedacht, wurde unter Schacht zu einem Zentrum aggressiv revisionistischer Privatinitiativen und organisierte spter die selektive Abschottung Deutschlands von der Weltwirtschaft.134 Die internationale Ordnung des Dawes-Plans war von vornherein als eine Zwischenlçsung konzipiert, in der Hoffnung, daß nach einigen Jahren der Entspannung eine fr alle Seiten tragbare dauerhafte Lçsung gefunden werden kçnne. Ein weltwirtschaftliches Regime, so wußten die Sachverstndigen, war nicht in der Lage, eine stabile Staatenordnung hervorzubringen, sondern seinerseits auf eine solche Ordnung angewiesen. Diese jedoch entwickelte sich nicht. Neben den politischen Spannungen, die sich insbesondere im Konflikt zwischen deutschem Revisions- und franzçsischem Sicherheitsverlangen zeigten, war hierfr auch das Scheitern der finanziellen Stabilisierung verantwortlich. Hierfr waren insbesondere zwei Aspekte bedeutsam: (1) Die Diskreditierung weltwirtschaftlicher Ordnungsstiftung hat nicht nur mit der Ablehnung von „Versailles“ zu tun, sondern auch mit einer gewandelten 134 Feldman, Disorder, S. 852 f.; zur Reichsbank James, Reichsbank.

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Einstellung gegenber dem Staatsbankrott. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach dem Krieg gewann dieser, vor 1914 noch als Vertragsbruch und Anzeichen unzivilisierter Finanzwirtschaft wahrgenommen, an Legitimitt als ein „Notrecht des Staates“ (Manes), mit dem dieser gesamtgesellschaftliche Notlagen bewltigen und Verteilungskonflikte lçsen konnte, fr die sich keine politische Lçsung finden ließ. Daß der Staat letztlich Herr ber das Geld, das Leben und das Vermçgen der Brger war, war im Krieg deutlich geworden. Inflation, Devisenbewirtschaftung und Bankrott wurden nun zu Werkzeugen der Wirtschaftspolitik. Dabei ließen sich die letzteren beiden um so leichter anwenden, als sie sich primr gegen auslndische Glubiger richteten. Die Devisenbewirtschaftung unterwarf die Bedienung von Schulden (sei es privater oder staatlicher) der politischen Entscheidung und kannte berhaupt keine verbindlichen Zahlungsversprechen mehr. (2) Ein Grund fr das Scheitern der finanziellen Stabilisierung in der Zwischenkriegszeit liegt darin, daß Institutionen wie dem Finanzmarkt, dem Goldstandard oder den Zentralbanken zugemutet wurde, die Probleme innergesellschaftlicher und internationaler Lastenverteilung zu lçsen. Dafr waren sie nicht geschaffen. Es handelte sich vielmehr um Einrichtungen, die voraussetzten, daß zwischen den Staaten vergleichsweise friedliche und kooperative Beziehungen bestanden und daß innergesellschaftliche Verteilungskonflikte mit einem wachsenden Sozialprodukt abgefedert werden konnten. Zentralbanken und brgerliche Politiker suchten dennoch ihr Heil in der Konstruktion formaler Beschrnkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit. Diese wirkten letztlich kontraproduktiv, denn sie schalteten wichtige Anpassungsmechanismen aus und fhrten in die berschuldung und den durch die Devisenbewirtschaftung verschleierten Bankrott hinein, indem sie durch die vermeintliche Ausschaltung des Whrungsrisikos Privatanleger zu einer bermßigen Kreditvergabe an Deutschland ermutigten.

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II. Teil: Vertragsschluß und Vertragsbruch. Vertrge und grenzberschreitendes privatwirtschaftliches Handeln

Dieses Kapitel behandelt Institutionen, die grenzberschreitende Abmachungen zwischen Privatleuten stabilisieren konnten. Dabei spielt das Recht eine wichtigere Rolle als in der Frage des Staatsbankrotts, wo das Prinzip staatlicher Souvernitt und die doppelte Verpflichtung des staatlichen Schuldners nicht nur gegenber dem Glubiger, sondern auch gegenber der eigenen Bevçlkerung die Mçglichkeiten der Schaffung und vor allem Durchsetzung von Rechtsstzen begrenzen. Doch auch die Verrechtlichung grenzberschreitender Beziehungen zwischen Privatleuten ist nicht ganz einfach, da diese stets mehrere Rechtsordnungen berhren. Es geht nicht nur um Privatrecht, sondern immer auch um das Internationale Privatrecht, d. h. um diejenigen Regeln, die darber entscheiden, auf welche internationalen Tatbestnde welche nationale Rechtsordnung anzuwenden ist. Auch fr scheinbar unproblematische internationale Handelsbeziehungen ergeben sich daraus oft erhebliche Schwierigkeiten. Diese fhrten hufig dazu, daß die am internationalen Handel Beteiligten versuchten, die Berhrung mit dem staatlichen Rechtssystem berhaupt zu vermeiden. Dies konnte durch die private Organisation von Rechtssetzung und Rechtsprechung in nationalen oder internationalen Wirtschaftsverbnden geschehen, durch die Hinzuziehung von Geschftspartnern, zwischen denen ein enges Vertrauensverhltnis bestand oder durch die Vermeidung von Geschften mit nicht vertrauenswrdigen Partnern. Ausgangspunkt ist die Frage nach Vertrgen, ihrem Status und ihrer Durchsetzung. Zu untersuchen sind insbesondere der Spielraum fr private Organisation und die sich verndernde Rolle von Staaten und Staatlichkeit in der internationalen Wirtschaft.

1.) Problemstellung und Strukturbedingungen (a) Rahmenbedingungen Aus einer Makroperspektive ist bedeutsam, daß zwischen 1800 und 1913 der Welthandel jedes Jahrzehnt durchschnittlich um ein Drittel zunahm, whrend die weltweite Produktion von Gtern und Dienstleistungen alle zehn Jahre im Durchschnitt um 7,3 % wuchs. 1913 war das Welthandelsvolumen 25 mal so 151

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groß wie 1800, das Produktionsniveau (jeweils pro Kopf) 2,2 mal so groß. Die wirtschaftliche Bedeutung grenzberschreitenden Warenaustausches war erheblich (nmlich um das 11-fache) angewachsen und die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Staaten nur mehr unter weltwirtschaftlichem Gesichtspunkt verstndlich.1 Ein wichtiges Strukturmerkmal der Handelsbeziehungen vor 1914 war deren Multilateralitt. Diese zeigt sich in volkswirtschaftlicher Perspektive darin, daß der Zahlungsausgleich zwischen den einzelnen Staaten nicht bilateral erfolgte, sondern die Einfuhren eines Staates in der Regel durch Ausfuhren in einen dritten oder durch den Ertrag weltwirtschaftlicher Dienstleistungen wie Schiffahrt und Versicherung gedeckt wurden. Aus betriebswirtschaftlicher – oder, wie man zeitgençssisch sagte, „einzelwirtschaftlicher“ – Sicht2 wird darber hinaus deutlich, daß die volkswirtschaftliche Perspektive, die Betrachtung nmlich des Zahlungsausgleichs zwischen Volkswirtschaften, die Realitt der multilateralen Wirtschaftsbeziehungen vor dem Ersten Weltkrieg nur eingeschrnkt erfassen kann: An jedem einzelnen Handelsgeschft waren nmlich – als Hndler, Produzenten, Vermittler, Transporteure, Versicherer, Kreditgeber usw. – Personen und Firmen aus den unterschiedlichsten Lndern beteiligt, so daß das Bild grenzberschreitender Vernetzungen teils stabiler, teils ephemerer Art entsteht, deren Aufteilung in nationale, dem Sozialprodukt der einzelnen Staaten zugeschlagene Komponenten etwas durchaus Willkrliches hat. Praktisch bedeutsam an der Multilateralitt der internationalen Wirtschaftsbeziehungen war die Tatsache, daß Außenhandel, Investitionen und Volkswirtschaften wesentlich langsamer gewachsen und hufigeren Whrungskrisen ausgesetzt gewesen wren, wenn der Zahlungsausgleich bilateral htte erfolgen mssen und der Warenverkehr auf Finanzierung, Transport- und Vermittlungsdienstleistungen aus dem Herkunftsland der jeweiligen Waren angewiesen gewesen wren.3 Als Folge des Ersten Weltkrieges vernderten sich Umfang, Richtung und Rahmenbedingungen internationaler Handelsbeziehungen. Fr Deutschland fiel der Anteil des Exports am Sozialprodukt von 22,1 % (1913) auf 16,3 % (1928), schon bevor sich der Trend zu weltwirtschaftlicher Desintegration in der Weltwirtschaftskrise dramatisch verschrfte.4 Nach der Friedensregelung gab es in Europa 38 statt zuvor 24 Staaten und an die 20.000 km neuer Zollgrenzen. Whrungs-, Zoll- und Wirtschaftspolitik standen im Zeichen unilateraler Bekmpfung der Kriegsfolgen und Wirtschaftskrisen und orientierten sich an Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus. Dadurch vern-

1 Kenwood u. Lougheed, S. 78 f.; zum Deutschen Reich Petersson, Kaiserreich; Torp. 2 Vgl. Harms, Weltwirtschaft, S. 322 ff. und 348 – 356, wo postuliert wird, „daß die Privatwirtschaft jene Zelle der Volks- und der Weltwirtschaft ist, aus der letzten Endes auch alle verkehrswirtschaftlichen Erscheinungen und Probleme sich ableiten“ (Hervorhebung i.O.). 3 Dies ist die These von Kenwood u. Lougheed. 4 Pierenkemper, S. 97.

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derte sich die Bedeutung der Zollgrenzen.5 Staatliche Wirtschaftspolitik diente nun dem Schutz der Whrung und der Volkswirtschaft vor den Folgen whrungspolitischer Verwerfungen und struktureller Preisvernderungen auf dem Weltmarkt. Zu diesem Zweck operierte sie vermehrt mit Mitteln der direkten Handelslenkung wie Außenhandelskontrollen und Genehmigungspflichten. Diese griffen wesentlich strker als Zçlle, die ja lediglich ein Preissignal darstellen, in die Abwicklung einzelner Handelsgeschfte ein und trugen erhebliche Unsicherheit in das Geschftsleben hinein.6 Kaufleute und Anleger sahen, wenn sie ber die Grenzen blickten, dort nicht nur den Geschftspartner, sondern vor allem den Angehçrigen des ehemaligen Feindstaates, der Eigentum konfisziert und Annexionsplne geschmiedet hatte. Obwohl internationale Transaktionen grçßere und teils ganz neue Probleme aufwarfen, blieb es aber bis zum Beginn der 1930er Jahre bei einem multilateralen und weitgehend privatwirtschaftlich organisierten Handels- und Finanzsystem. Auch aus mikroçkonomischer Sicht ist ein stndiger Strukturwandel der Rahmenbedingungen des internationalen Handels mit dem Ersten Weltkrieg als tiefem Einschnitt zu konstatieren. Schon seit dem spten 19. Jahrhundert verschwand der „allgemeine“ Außenhandel, und die meisten Handelshuser spezialisierten sich auf bestimmte Geschftszweige mit ihren je eigenen Techniken und Verfahren. Besonders standardisiert und formalisiert war der Handel mit fast uneingeschrnkt „vertretbaren“ Stapel- und Massengtern, die in der Regel auf Termin gehandelt wurden. Auch bei anderen Rohprodukten wie Holz, Tee und Huten hatte sich eine solche Standardisierung zum Teil durchsetzen kçnnen. Beim Handel mit Industrieerzeugnissen hingegen behielt jeder einzelne Geschftsabschluß seine Besonderheit.7 Unter den Bedingungen der Zeit vor der Entstehung bedeutender Exportindustrien in den nichtwestlichen Lndern bedeutete dies zugleich, daß im europischen Einfuhrhandel Standardisierung, im Ausfuhrhandel individuell ausgehandelte Geschfte dominierten. Die Standardisierung des Geschfts erlaubte es auch kleineren europischen Abnehmern, direkt in bersee einzukaufen. Innerhalb Europas stellte der direkte Export durch den Fabrikanten oder durch den Großhndler, der den Inlands- wie den Auslandsmarkt bearbeitete, eine zunehmend wichtige Konkurrenz fr die spezialisierten Außenhandelshuser dar. Die neu auf den Markt drngenden Exporteure wurden dadurch allerdings mit Problemen der Exportfinanzierung und -abwicklung konfrontiert, um die sie sich vorher nicht zu kmmern brauchten. Nur im Exporthandel mit bersee, wo es oft mehr auf Orts- als auf Warenkenntnis ankam, gab es auch nach dem Ersten Weltkrieg noch die Generalisten, die „vom Hosenknopf bis zur Kanone“ alles 5 Wrigley, S. 11. 6 Kenwood u. Lougheed, S. 179; Marrison, S. 145; praktische Beispiele bei d’Oleire. 7 Großmann-Doerth, Recht, S. 10 f.

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vertrieben. Hier waren die Fabrikanten noch weniger direkt involviert, und die Exporthuser expandierten auf Kosten des zurckgehenden Kommissionshandels. Doch auch der berseehandel verlor allmhlich den „Charakter des Abenteuers, das man lieber dem Eingeweihten berlßt“. In Deutschland ging jedoch durch den Krieg und die Inflationszeit Fachwissen der Exportwirtschaft verloren, etablierte Huser mußten schließen, und es wuchs in den Kriegs- und Inflationsjahren kein in der Bearbeitung auslndischer Mrkte erfahrenes Personal nach.8 Multilateralisierung und Standardisierung im Handel erreichten ihren Hçhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg. Danach erschwerten politische Feindseligkeiten, wirtschaftspolitische Abschottung und Whrungsprobleme den Handel. Aus der Sicht des internationalen Handels erschien die Zeit vor dem Krieg als ein verlorenes „goldenes Zeitalter“, dessen einstmals fr selbstverstndlich genommene Strukturbedingungen erst deutlich erkennbar wurden, als sich ihr Wegfall schmerzlich bemerkbar machte: Von einer Solidaritt des Großhandels war jetzt keine Rede mehr ; einmal standen sich die ehemaligen Kriegsgegner nun als unversçhnliche Handelsgegner gegenber ; eine zweite Front entstand im Kampf der Lnder mit relativ stabiler gegen die Lnder mit entwerteter Whrung; ferner arbeiteten die Vereinigten Staaten von Nordamerika rcksichtslos am Ausbau ihrer whrend des Weltkriegs errungenen Handelspositionen; schließlich waren berall in der Welt Nationalindustrien entstanden, deren Fortentwicklung durch immer hçhere Schutzzçlle gefçrdert wurde. An die Stelle der Solidaritt trat ein dreifacher erbitterter Konkurrenzkampf jeder einzelnen Firma auf jedem einzelnen Markte: gegen die brigen Industrielnder, gegen die Nationalindustrie des belieferten Landes, schließlich gegen die die gleiche Ware herstellenden Unternehmen des eigenen Landes.9

Dafr rckten Industrie, Handel und Banken innerhalb der einzelnen Staaten enger zusammen. Die Turbulenzen, personellen und strukturellen Umwlzungen der Kriegs- und Inflationszeit vernderten noch auf andere Weise das Geschftsklima: Kreditgewhrung auf offene Rechnung, vor 1914 blich sowohl zwischen Exporteur und Kufer als auch zwischen Exportbank und Exporteur, verschwand fast ganz. Kundenwechsel wurden nur noch im Europageschft diskontiert. Kapitalknappheit bedeutete, daß deutsche Exporteure fr Kredite an Kunden mit Zinsen von 6 – 10 % rechnen mußten, gegenber 4 – 6% vor dem Krieg. Daher besorgten sich deutsche Exporteure wenn mçglich Wechselkredit im Ausland, was wegen des fr die dortigen Banken damit verbundenen Risikos aber nur erstklassigen Husern mçglich war. Auch die Sicherung gegen Kursschwankungen durch sofortigen Weiter-

8 Großmann-Doerth, Recht, S. 4 (2. Zitat), 9; Hellauer, S. 198 – 203; auf der Nçllenburg, S. 4, 8; Ottel, S. 171 (1. Zitat); Schck, S. v f. 9 Schck, S. 112 f.

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verkauf der erwarteten Zahlungseingnge (an Banken und an Rohstoff-Importeure) ist eine Neuerung der Nachkriegszeit.10 Der Strukturwandel außerhalb Europas, wo whrend des Krieges eigene Industrien aufgebaut worden waren, fhrte zu einer Differenzierung der Nachfrage nach europischen Exporten, da nun vermehrt Maschinen, Zwischenprodukte und hçherwertige Konsumgter nachgefragt wurden. Das stellte den auf den Export einfacher, uniformer Gter eingerichteten europischen Exporthandel vor neue Schwierigkeiten: Es konnten nicht mehr fr alle Produkte Muster vorgehalten werden, und die Vertreter waren nicht mehr fr alle vertretenen Waren sachkundig. Die Angebotserstellung blieb daher den Fabrikanten berlassen, die ohnehin bestrebt waren, den Zwischenhandel auszuschalten. Bisweilen trat der Exporthandel nur noch als Vermittler auf, der dem Fabrikanten weder die Finanzierung noch die Bearbeitung des Marktes abnahm. Insbesondere kleine und mittlere Fabrikanten hatten daher Schwierigkeiten, berhaupt einen im richtigen Markt aktiven Exporthndler zu finden.11 Jedenfalls war auch im berseegeschfte vielfach an die Stelle des starren Festhaltens an berlieferten Gebruchen eine Anpassung des einzelnen Geschftsfalles an die jeweiligen Erfordernisse und Bedrfnisse getreten, die den Verkehr in eine Reihe von Spielarten auflçst und die Formen des typischen Geschftsfalles immer mehr verwischt.12

Unabhngig von dieser Wandlung und Differenzierung des Geschfts bleiben jedoch einige grundlegende Bedingungen konstant. Hierzu zhlt insbesondere das Problem, Sicherheit und Effizienz gegeneinander abzuwgen. Ein effizienter Einsatz von Kapital und Personal kann auf elementarer Ebene schlicht durch hausvterliche Sparsamkeit bewirkt werden. Grçßere Effizienzgewinne ließen sich durch den Einsatz zeit- und kostensparender Technologien und Verfahren erzielen. Mit Recht kommt keine wirtschaftshistorische Untersuchung ber das 19. Jahrhundert ohne prominente Hinweise auf den durch Eisenbahn und Dampfschiffahrt rascheren und billigeren Transport von Gtern und auf die Beschleunigung der Informationsbermittlung durch den Telegrafen aus. Krne, Saug- und Becheranlagen zur Entladung losen Getreides und hnliche Einrichtungen beschleunigten das Be- und Entladen von Schiffen und verkrzten so unproduktive Liegezeiten. Aber nicht nur neue Techniken, sondern auch einfache organisatorische Neuerungen konnten die Geschftsabwicklung erheblich beschleunigen, etwa wenn es europischen Reedereien gelang, die traditionelle Methode der Beladung eines ganzen Salpeterseglers durch einen einzigen Stauer durch die Arbeit in Gruppen zu ersetzen. Diese effizienzsteigernden Maßnahmen wirkten in der Regel nicht durch die damit verbundene Kostenersparnis, sondern dadurch, daß sie den 10 Schck, S. 112 f., 154, 173, 184 f., 200. 11 Schck, S. 290 – 295. 12 Ottel, S. 190 f.

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Umsatz von Kapital und Waren beschleunigten, durch den Betriebe ihren Profit erzielen.13 Diese tunliche Beschleunigung und Vergrçßerung des Umsatzes bei gegebenem Kapitalstock war das wichtigste handelstechnische Mittel der Effizienzsteigerung. Allerdings kamen an diesem Punkt dann, anders als bei der Technisierung von Transport und Kommunikation, die hufig mit Sicherheitsgewinnen und grçßerer Verlßlichkeit einhergingen, neue Risiken ins Spiel, die durch neue institutionelle oder organisatorische Lçsungen eingehegt werden mußten. Denn die Beschleunigung und Vergrçßerung des Umsatzes ließ sich insbesondere dadurch erreichen, daß Ware auf Kredit gekauft und bereits vor ihrem Eintreffen weiterverußert wurde. Damit entstand ein Ausfallrisiko fr den Kreditgeber, whrend der Kreditnehmer sich dem Risiko aussetzte, den Kredit auch dann zurckzahlen zu mssen, wenn die Ware verlorenging oder nicht mit dem kalkulierten Profit abzusetzen war. Andererseits konnte er die Transaktion durch Weiterverkauf der schwimmenden Ware wirtschaftlich bereits vor der realen Abwicklung zum Abschluß bringen. Damit trug dann der nchste Kufer der Ware das Risiko, daß die Transaktion nicht wie geplant abgewickelt werden konnte. Drei Aspekte sind hier bedeutsam: (1) An jedem Geschft sind nicht nur Kufer und Verkufer beteiligt, die Zug um Zug die Ware gegen Geld tauschen, sondern darber hinaus Lieferanten, Vermittler, Transporteure, Banken, Versicherungen. Auf diese Weise entsteht ein Netzwerk einander vertraglich verpflichteter Parteien, durch das sich Stçrungen wie bei einer Kettenreaktion verbreiten kçnnen. (2) Die Beschleunigung des Waren- und Kapitalumsatzes erforderte eine weitgehende Vertretbarkeit der Ware und des eingesetzten Geldes durch Waren- und Kreditpapiere.14 Die erfolgreiche Transaktion und die erwarteten Gewinne sind in den Beziehungen zwischen den Beteiligten gleichsam vorweggenommen; tritt eine Stçrung ein, sind die erwarteten Einnahmen lngst anderweitig gebunden. Da der Kredit „the lifeblood of a developed economy“15 ist, sind Zirkulationsstçrungen von weitreichender Bedeutung. (3) Um Informations- und Transaktionskosten zu sparen, wurden soweit mçglich nicht mehr bestimmte, vom Kaufmann besichtigte Waren bestimmten, ihm persçnlich bekannten Geschftspartnern angeboten. Vielmehr wurde, etwa an den Warenbçrsen, beliebige Ware vorab festgelegter Standardqualitten gehandelt. Die die Ware reprsentierenden Dokumente gingen an der Bçrse von Hand zu Hand, erst am Ende des Handelstages erfolgte im Wege des Clearing der Wertausgleich zwischen den Beteiligten. Auf diese Weise nahmen die Geschftspartner letztlich dieselbe abstrakte Qualitt 13 Zur relativen Bedeutung von Transport- und Informationskosten Persson; allgemein zur Betriebswirtschaft des Getreidehandels Jçhlinger, Getreidegeschft; Jçhlinger u. Hirschstein; zur Beschleunigung im Handelsgeschft Borscheid, Tempo-Virus, Kap. 2, 6, 7. 14 Vgl. hierzu unten Abschnitt II.2. 15 Strange, S. 89.

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an wie die nur noch durch Papiere reprsentierte Ware: Der Handel braucht „Bewegungsfreiheit“, die sich erst einstellt, „wenn die geschftlichen Qualitten des einzelnen Kontrahenten fr die Sicherheit des Kontraktes keine grçßere Rolle spielen. Wie die Ware mssen auch die Kontrahenten in gewissem Sinne vertretbar sein.“16 Zumindest im Rohproduktenhandel, wo diese Standardisierung am weitesten fortgeschritten war,17 ließen sich durch diese Standardisierung Transaktions- und Informationskosten einsparen, allerdings unter der impliziten Voraussetzung der stçrungsfreien Geschftsabwicklung. Jede dieser effizienzsteigernden Maßnahmen implizierte ein Sicherheitsrisiko. Kleinste Stçrungen – Lieferverzçgerung durch schlechtes Wetter, eine nicht der vereinbarten Qualitt entsprechende Lieferung, der Konkurs eines Lieferanten oder Abnehmers – konnten dann leicht das ganze eingesetzte Kapital in Gefahr bringen. Es mußten daher organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, um diese Risiken mçglichst einzugrenzen, etwa durch die Einschaltung von Versicherungen. Auch ist leicht einzusehen, daß klare Regeln fr den Fall des Eintretens solcher Stçrungen nçtig waren, damit dann nicht auch noch zeitraubender Streit hinzukam. Die institutionelle Ausgestaltung des Export- und Importhandels wurde bereits von den Zeitgenossen in Begriffen beschrieben, die der heutigen Institutionençkonomik entlehnt sein kçnnten: Transaktions- und Informationskosten oder die Mçglichkeiten direkter Kontrolle bestimmen, in welchen Formen sich das Geschft abwickelt und ob die Beteiligten einander als Vertragspartner fr einzelne Transaktionen, als lngerfristig (etwa durch Kommissionsvertrge oder Vertretung) Verpflichtete oder als Mitglieder einer hierarchischen Organisation begegnen. Der Wandel technischer und çkonomischer Rahmenbedingungen wurde als Erklrung fr einen Wandel der Transaktionsformen und Geschftsorganisation angefhrt.18

(b) Vertrge, Vertragsfreiheit und Vertragstreue Das Netzwerk der in internationale Transaktionen einbezogenen Akteure wurde durch vertragliche Beziehungen zusammengehalten, in denen die Rechte und Pflichten der Beteiligten bestimmt waren. Vertrge sind freiwillige, bindende Vereinbarungen zwischen Individuen. Ein Vertrag beruht damit 16 Hellauer, S. 440. 17 Im Handel mit Fertigwaren oder gar komplexen Maschinen ließ sich die Standardisierung der Geschftsbeziehungen nicht so weit treiben; engere und direkte Beziehungen zwischen Kufer und Verkufer und die Anpassung der Ware an die Kundenwnsche waren hier nçtig. Die Punkte (1) und (2) gelten aber dennoch. 18 Diese Sichtweise ist besonders deutlich ausgeprgt bei Hellauer (1. Aufl. 1910); hnliche Anlage auch bei Harms, Weltwirtschaft, aus juristischer Sicht bei Großmann-Doerth, Recht und aus betriebswirtschaftlicher bei Schck.

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vereinfacht gesagt auf dem Willen der Parteien, genauer aber darauf, „daß die Parteien auf Dauer an demjenigen Willen festgehalten werden kçnnen, den sie zur Zeit des Vertragsschlusses hatten.“19 Daß Vertrge die Parteien auf diese Weise binden, ist nicht selbstverstndlich, sondern das Ergebnis einer lngeren historischen Entwicklung. Erst im „Zeitalter der Vertragsfreiheit“ und der brgerlichen Gesellschaft bekamen der Vertrag und seine bindende Kraft eine zentrale Rolle im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben zugewiesen. Die Prinzipien von Vertragsfreiheit und Vertragstreue verleihen der Auffassung Wirksamkeit, daß gesellschaftliche Selbststeuerung durch frei vereinbarte Kooperation zwischen freien und gleichen Individuen die am ehesten mit der Wrde des Menschen zu vereinbarende und zugleich die wirtschaftlich effizienteste Form der Vergesellschaftung ist. In diesem Sinne ist Vertragsfreiheit die rechtliche Seite der liberalen, individualistischen, freihndlerischen Gesellschaftsordnung, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts prgendes Leitbild fr zahlreiche Reformen war, bevor dann langsam die Einschrnkung der Vertragsfreiheit durch interventionsstaatliche Regulierung mit sozialpolitischen oder wirtschaftsnationalistischen Zielen einsetzte.20 Vertrge setzen einen Raum voraus, der den Individuen oder privaten Vereinigungen zur autonomen Gestaltung berlassen ist. In der weitgehend auf der Vertragsfreiheit beruhenden „Privatrechtsgesellschaft“ ist Privatrecht „dispositives“ Recht, d. h. es stellt Formen und Muster zur Verfgung, derer sich die Individuen bedienen kçnnen, um ihre Beziehungen untereinander zu regeln, die aber durch explizite Abmachungen jederzeit modifiziert oder ersetzt werden kçnnen. Unter Juristen heftig diskutiert wird die Frage, ob rechtlich vçllig voraussetzungslose Vertrge denkbar sind. Die Gegner dieser Auffassung argumentieren, daß jeder Vertrag der Verankerung in einer staatlichen Rechtsordnung bedrfe, die dann auch seine Grenzen, Gltigkeitsbedingungen u. a.m. bestimme, weil das Konstrukt „Vertrag“ erst durch das Gesetz geschaffen und verbindlich gemacht werde. Eine Reihe von Juristen, die sich mit dem Recht der internationalen Wirtschaft befaßt haben, sehen hingegen das Gewohnheitsrecht der Kaufleute, die lex mercatoria, als Beispiel fr eine eigenstndig jenseits staatlicher Organisationen entstandene transnationale Rechtsordnung, die außer dem Prinzip „pacta sunt servanda“ keinerlei konstitutionelle Voraussetzungen bençtige. In der Praxis sei die theoretisch paradoxe „Selbstvalidierung des Vertrags“ etwas Alltgliches; auf dieser Grundlage entwickle sich in der „kontinuierlichen Selbstreproduktion“ çkonomischer Netzwerke „die transnationale Rechtsordnung der Weltmrkte“ als „Fall eines ,Weltrechts‘ jenseits der inter-nationalen politischen Ord-

19 Braun, S. 161. 20 Vgl. Atiyah; Grimm, Recht und Staat; Stolleis, Interventionsstaat; Wischermann u. Nieberding; Sugarman; David.

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nung“, als „Weltrecht ohne Staat“.21 hnlich sah bereits die „germanistische“ Rechtslehre des 19. Jahrhunderts die Entstehung des Handelsrechts: Im wiederholten Geschftsverkehr entstand „ein fester, sich allmhlich zur Rechtsgewohnheit verdichtender Brauch“, der mit der Zeit „zur nothwendig gewollten Regel“ wurde.22 Ob rechtlich voraussetzungslos oder erst durch die Rechtsordnung geschaffen, in jedem Falle sind Vertrge nicht nur auf einen Freiraum angewiesen, sondern auch auf Institutionen und Verfahrensweisen, die Vertragstreue sichern und ermçglichen. Vertrge mssen bisweilen durchgesetzt werden, und regelmßig ist es nçtig, sie zu interpretieren, um festzustellen, worin denn unter nicht vorhergesehenen Umstnden Vertragstreue bestehen kann. Die gebruchlichsten Mechanismen der Durchsetzung und Interpretation von Vertrgen stellt das staatliche Rechtswesen bereit, insbesondere, seit die Vertrags- und Gewerbefreiheit in den Rechtsordnungen der großen Staaten verankert und der Vertrag als zentrales Instrument der Ordnung sozialer Beziehungen anerkannt war. Mechanismen der Durchsetzung sind fr den Fall erforderlich, daß eine Partei den Vertrag fr nicht mehr in ihrem Interesse liegend ansieht, nachdem die andere bereits ihre Leistung erbracht oder zur Vorbereitung darauf Ausgaben gettigt hat. An Zwangsmitteln kommen hier unter den Bedingungen des staatlichen Gewaltmonopols allein die gerichtliche Anordnung und polizeiliche Durchsetzung in Frage. Druckmittel und Repressalien hingegen stehen auch den Vertragsparteien untereinander zur Verfgung, etwa wenn die sumige Partei darauf angewiesen ist, daß andere auch zuknftig freiwillig in wirtschaftlichen Verkehr zu ihr treten. Eine Interpretation des Vertrages wird auch bei gutem Willen der Parteien vielfach nçtig werden, wenn Umstnde eintreten, fr die der Vertrag keine expliziten Bestimmungen getroffen hat, und kein Vertrag kann vollstndig sein in dem Sinne, daß er fr alle Eventualitten Vorkehrungen trifft. Je vollstndiger ein Vertrag ist, desto weniger ist er interpretationsbedrftig. Darber hinaus kann er auch Abreden ber Verfahren zur Vertragsergnzung und zur Beilegung von Streitigkeiten umfassen und sich auf diese Weise von außerhalb des Vertrags stehenden Institutionen weitgehend unabhngig machen.23 In der Tat war die Konfliktvermeidung durch die Aufstellung mçglichst vollstndiger Vertrge und durch die Bereitstellung von Schiedsgerichten zur Behandlung von Mngelrgen und Interpretationsfragen ein zentrales Arbeitsfeld wirtschaftlicher Verbnde. War das Recht, insbesondere das Vertragsrecht, auch auf internationaler Ebene die wesentliche Institution, die den Abschluß und die Durchsetzung von Vertrgen ermçglichte? Der Pionier des internationalen Wirtschaftsrechts, Georg Erler, weist auf einen entscheidenden Unterschied zwischen 21 Teubner, Bukowina. Zur Theorie- und Ideologiegeschichte der lex mercatoria Basile u. a. 22 Goldschmidt, Bd. A, S. 34. 23 Teubner, Bukowina, S. 275 f.

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binnenstaatlichen und grenzberschreitenden Institutionen hin: Im Inland konnte Vertragsfreiheit „negativ durch die Aufhebung bisheriger staatlicher Bindungen und Verbotsgesetze … erreicht werden“; in der Außenwirtschaft aber mußten Vertragsfreiheit und Vertragstreue „zwischenstaatlich organisiert werden.“24 Vor 1914 sahen viele Juristen das Handelsrecht in einer Pionierrolle bei der Schaffung großer, freiheitlich verfaßter Rechtsrume. Im Rckblick auf die Rechtsentwicklung der letzten 50 Jahre betonte etwa Karl Lehmann 1902 die Rolle des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches fr die Einigung des deutschen Reiches und fr die Verbreitung spter in das BGB bernommener freiheitlicher Grundstze. Diese Aufgaben des Handelsrechts sah er mit dem Inkrafttreten des BGB als im nationalstaatlichen Rahmen erfllt an (sein Kollege Nußbaum sprach sogar davon, „daß das Handelsrecht der Sache nach im brgerlichen Recht aufgegangen ist“). Nunmehr sei das Handelsrecht daher berufen und durch seine naturgemß „nach außen drngende universale Richtung“ auch besonders befhigt, die gleiche Rolle auf internationaler Ebene zu spielen: „Die Richtung auf ein Weltverkehrsrecht aber wird unzweifelhaft in steigendem Maße dem Handelsrecht des 20. Jahrhunderts die Signatur aufdrcken.“25 Der konom Bernhard Harms sah kurz vor dem Ersten Weltkrieg bereits das Zeitalter einer derart rechtlich geordneten „Weltverkehrsgesellschaft“ heraufziehen. Nach einer Analyse der umfassenden Regelung wirtschaftlicher Materien in internationalen Handelsvertrgen, grenzberschreitenden Kartellabkommen, internationalen Organisationen und internationalen Industrienormen kam er zu dem Schluß: „Wo frher mehr oder weniger Willkr, ja oftmals Anarchie herrschte, da ist heute Ordnung und Norm.“26 Auch Wirtschaftshistoriker konstatieren, daß in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine „negative Politikintegration“ stattfand und im „Glauben an den Sinn liberaler Wirtschaftsbeziehungen … Regeln fr den internationalen Verkehr von Produkten und Produktionsfaktoren geschaffen“ wurden.27 So sei ein „rechtliches Rahmenwerk“ entstanden, das „den Handels-, Verkehrs- und Kreditpartnern Rechtssicherheit und -stetigkeit nach bekannten und weithin akzeptierten Normen sicherte.“28 Auch moderne Juristen haben aus der Tatsache grenzberschreitenden wirtschaftlichen Austauschs auf die Existenz globaler Rechtsregeln geschlossen, denn die „Globalisierung des wirtschaftlichen Transaktionszusammenhangs“ sei „ohne eine entsprechende Globalisierung rechtlicher Institutionen nicht mçglich.“ Dem ist jedoch zu Recht entgegengehalten worden, daß wirtschaftliche Globalisierung auch auf der 24 25 26 27 28

Erler, S. 132; vgl. auch ebd. S. 82. Lehmann, S. 29; Nußbaum, Auflçsung, S. 332 f. Harms, Weltwirtschaft, S. 315. Ambrosius, Wettbewerb, S. 558 f. Fischer, Ordnung, S. 295. Erler, S. 132 ff., erkennt gar eine „vçlkerrechtliche wirtschaftliche Grundverfassung“, eine „,bill of rights‘ des Fernhandels“, die die Markt- und Vertragsfreiheit sichert.

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Grundlage nichtrechtlicher Institutionen erfolge und in der Praxis von einer funktionsfhigen Rechtsordnung fr die internationale Wirtschaft nur sehr eingeschrnkt die Rede sein kçnne.29 In der Tat lassen sich die von Harms beschriebenen Ordnungsleistungen noch nicht mit einem halbwegs kohrenten Rechtssystem vergleichen, und der von ihm konstatierte Trend wurde durch im Weltkrieg angestoßene Transformationen von Recht, Staat und Gesellschaft bald teils umgekehrt, teils abgelenkt. In den 1920er Jahren erschien der Welthandel nach den Verwerfungen des Weltkriegs dem juristischen Betrachter als eine Sphre hçchstens notdrftig gebndigter „Anarchie“ und „Rechtlosigkeit“.30 Es waren vor allem drei Grnde, die bewirkten, daß das Recht in vielen Fllen nicht in der Lage war, grenzberschreitende Transaktionen auf die gleiche Weise zu sttzen wie binnenstaatliche: (1) die zunchst stets schwankende Beurteilung von neuen Geschftspraktiken in Rechtsprechung und Gesetzgebung; (2) die Zunahme von Rechtsunterschieden durch im nationalen Rahmen stattfindende Rechtsmodernisierung und die Herausbildung interventionsstaatlicher Steuerung; (3) Probleme des Kollisionsrechts / Internationalen Privatrechts. (1) Das 19. Jahrhundert war eine Zeit, in der – nicht zuletzt unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit – eine Vielzahl neuer Organisations- und Verfahrensformen entstanden, so daß Wirtschaftshistoriker inzwischen von einer „institutionellen Revolution“ sprechen.31 Die Geschftswelt entwickelte im Bemhen um Effizienz und Geschwindigkeit immer neue Formen der Geschftsabwicklung, insbesondere mit dem Ziel eines beschleunigten Kapitalumlaufs. Der rechtliche Status solcher Innovationen wurde von den Gerichten und dem Gesetzgeber jedoch lange unterschiedlich und in unvorhersehbarer Weise beurteilt. Da niemand auf diese Innovationen verzichten wollte, fand bereits im nationalen Rahmen immer ein gewisser Teil der kommerziellen Transaktionen in einem rechtlichen Niemandslande statt.32 (2) Alle Staaten bemhten sich um die Anpassung ihrer Gesetze an die sich rasch wandelnden wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten. Handelsgesetzbcher, Wechselgesetze, Gesetze ber Patentschutz, ber die berwachung technischer Anlagen, ber die Organisation der Aktiengesellschaften wurden erlassen.33 Das alles war jedoch das Werk einzelstaatlicher Gesetzgeber, die auf im nationalstaatlichen Rahmen wahrgenommene Probleme reagierten und nationalspezifische gesetzliche Neuregelungen schufen. Je moderner die Gesetzessysteme wurden, desto nationaler wurden sie daher. Trotz allen Rechtstransfers nahmen die Unterschiede zwischen Rechtssystemen immer mehr zu.34 So trat im Deutschen Reich im Jahre 1900 im Zu29 30 31 32 33 34

Behrens, S. 12; Bernholz; Schmidt-Trenz. Großmann-Doerth, Recht, S. 46 ff. Wischermann u. Nieberding. Vgl. dazu unten II.4a. Zum berblick wiederum Wischermann u. Nieberding. Vgl. Berman, Lex Mercatoria, S. 241 ff.; Cutler, S. 162 – 179; David, S. 7 – 15.

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sammenhang mit der Einfhrung des Brgerlichen Gesetzbuches ein neues, rein nationales Handelsrecht in Kraft, das das 1862 – 1864 in den Staaten des Deutschen Bundes eingefhrte und in sterreich auch weiterhin gltige Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch ersetzte. Gleichzeitig wurden im Zuge der Entstehung des Interventionsstaates immer neue Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gesetzlicher Regelung unterworfen. Zwingende Gesetzgebung schrnkte den Spielraum des Privatrechts und der Vertragsfreiheit zunehmend ein, insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg.35 Man kann also von Nationalisierung und Verstaatlichung sowohl des Handelsrechts als auch im Handelsrecht sprechen. Je grçßer die Regulierungsdichte, desto grçßer wurde auch die Bedeutung der Abweichungen zwischen den nationalen Rechtssystemen, denn jede einzelstaatliche wirtschaftslenkende Gesetzgebung hat „unmittelbare internationale Rechtswirkungen“, indem sie „gewissen durch die internationale Wirtschaft vorausgesetzten Rechtsinstituten“, insbesondere der Vertragsfreiheit, „die notwendige Mitwirkung durch die Landesgesetzgebung versagt“.36 (3) Es gibt zwar in jedem Rechtssystem Regeln dafr, welches Recht auf einen Tatbestand anzuwenden ist, das sogenannte „Internationale Privatrecht“ oder „Kollisionsrecht“ (englisch treffend: „conflict of laws“). Theoretisch kçnnte dadurch eine eindeutige Unterstellung eines jeden Tatbestands unter eine jeweils zustndige Rechtsordnung erfolgen und damit ein lckenloses Gesamtsystem entstehen: „Die reziproke Durchsetzung privater Eigentumsrechte mit Hilfe der territorialstaatlichen Gewaltmonopole sichert die Existenz einer globalen Privatrechtsordnung.“37 Doch besaß jeder Staat sein eigenes „Internationales Privatrecht“, das berdies die Anerkennung auswrtiger Rechtsstze von bestimmten Bedingungen wie etwa der Gegenseitigkeit und der Vereinbarkeit mit dem „Ordre Public“ und dem heimischen zwingenden Recht abhngig machte. Auch zeichnete sich keines dieser Systeme von Kollisionsregeln durch besondere Praktikabilitt aus. berdies war die Entwicklung des Internationalen Privatrechts im Fluß. Unter anderem aus diesem Grunde kam das zunchst geplante VI. Buch des BGB ber die Anwendung auslndischer Gesetze nicht zustande. Damit war der Rechtsentwicklung durch Wissenschaft und Rechtsprechung ein breiter Raum gegeben, der durch allerhand von einander ausschließenden Grundstzen ausgehende Urteile ausgefllt wurde.38 Die erste Frage im Internationalen Privatrecht ist stets die nach dem „Anknpfungspunkt“: Welcher Sachverhalt verankert einen Tatbestand in einer bestimmten nationalen Rechtsordnung, nach deren Vorschriften er 35 36 37 38

Mit zahlreichen Beispielen Nußbaum, Wirtschaftsrecht. Erler, S. 12. Behrens, S. 19. Beispiele: Hanseatische Gerichtszeitung 30 (1909), Nr. 76; 31 (1910), Nr. 5, Nr. 83. Vgl. auch Calliess, Handelsvertragsrecht.

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dann rechtlich zu beurteilen ist? Der schweizerische Privatrechtler Schnitzer erluterte die dabei entstehenden Probleme wie folgt: Weil die Tatbestnde des internationalen Handels sich oft nicht innerhalb der Landesgrenzen abspielen und oft Angehçrige verschiedener Nationen beteiligt sind, auch der Ort des Vertragsabschlusses und der Wohnsitz der Parteien leicht in verschiedenen Lndern liegen kçnnen, ist keine Phantasie nçtig, um Tatbestnde auszudenken, die die verschiedensten Anknpfungspunkte aufweisen. So etwa, wenn ein Schweizer einem Deutschen in Amsterdam eine Ware indischer Herkunft, lagernd im Hafen Marseille gegen Zahlung in englischen Pfunden verkauft. Hier wird gefragt: Welches Recht regiert die Kapazitt der Parteien, welches die Form des Vertrages, welches die Essentialia des Vertrages, welches die Lieferungsfrist des Verkufers, die Mngelrge des Kufers, die Zahlungspflicht des Kufers? Soll man hier sechs verschiedene Rechte auf sechs verschiedene Teile des Vertrages anwenden oder ein einheitliches Recht und nach welchem Gesichtspunkt soll man das einheitliche Recht auswhlen?39

Dabei handelt es sich keineswegs um ein abstrakt konstruiertes Beispiel, sondern schlicht um die rechtlichen Folgen des gewçhnlichen und nicht weiter bemerkenswerten Zusammenwirkens von Wirtschaftssubjekten aus unterschiedlichen Lndern im internationalen Handel. Problematisch wurde dieses Zusammenwirken erst dann, wenn unvorhergesehene Umstnde die Klrung der Frage erforderlich machten, nach welcher Rechtsordnung denn die Rechte und Pflichten der an einem Geschft Beteiligten zu beurteilen waren. Ein Beispiel aus der hanseatischen Rechtspraxis kann das illustrieren: Ein hamburgischer Kaufmann charterte im August 1903 in London bei einem englischen Reeder ein Schiff, um damit Erz von Huelva in Spanien nach Dnkirchen zu transportieren. Bei glcklichem Verlauf der Reise wren sich alle Beteiligten ber ihre Rechte und Pflichten im Klaren gewesen, doch unglcklicherweise sank das Schiff bei einem Zwischenhalt im Hafen von Granville. Die Ladung konnte zwar geborgen werden, war aber wertlos. Daraufhin weigerte sich der Kaufmann, die Ware abzunehmen und die Fracht zu bezahlen. Der Reeder verklagte ihn auf Zahlung der Fracht bis Granville. Das Landgericht Hamburg wandte auf den Fall franzçsisches Recht an, weil es um in Frankreich zu erfllende Ansprche ging, und erklrte den Frachtanspruch fr berechtigt, da fr beschdigte, aber nicht verlorene Gter nach dem Code de Commerce Fracht zu zahlen war. In der Berufungsverhandlung stellte sich das Oberlandesgericht dann allerdings auf den Standpunkt, daß man den Vertrag in mehrere Teile zerlegen und die Vertragswirkungen fr jede Partei deren eigenem Recht unterstellen kçnne. Daher sei die Verpflichtung des Schuldners nach deutschem Recht zu beurteilen; das franzçsische Recht zu whlen, das fr keine der Parteien Heimatrecht sei und vom deutschen und englischen stark abweiche, sei falsch. Da deutsches Recht dem Schiffer bei 39 Schnitzer, S. 190 f.

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vorzeitigem Abbruch der Reise keine anteilige Fracht zuerkannte, wurde die Klage des Reeders abgewiesen.40 In der Revisionsverhandlung besttigte das Reichsgericht schließlich zwar den Spruch des Oberlandesgerichts, verwarf aber dessen Begrndung: Der Vertrag sei einem einheitlichen Recht zu unterstellen, da nur so sicherzustellen sei, daß Rechte und Pflichten der Vertragsparteien einander genau entsprchen. Das Reichsgericht sah den Vertragsabschluß durch Zwischenschaltung zweier englische Schiffsmakler in London, auf einem englischen Standardvertragsformular mit typisch englischen Ausdrcken, als hinreichendes Indiz an, daß die Parteien ihr Vertragsverhltnis englischem Recht unterstellen wollten. Da auch das englische Recht keine Distanzfracht fr verlorene Ware kannte, wurde die Klage des Reeders erneut abgewiesen. berdies sei auch die Interpretation des franzçsischen Rechts, die das Landgericht vorgenommen habe, fehlerhaft, da die Ware nicht als beschdigt, sondern als verloren zu bewerten sei und auch franzçsisches Recht fr diesen Fall keine Distanzfracht kenne.41 Ganz abgesehen davon kamen hier also drei Instanzen zu drei verschiedenen Beurteilungen der Frage, welches Recht berhaupt auf den Fall anzuwenden war. Bereits die Berechtigung einer auslndischen Gesellschaft, berhaupt vor Gericht aufzutreten, konnte in Zweifel gezogen werden, wenn Gerichte auf den Gedanken kamen, daß die Prozeßfhigkeit von Gesellschaften stets nach deutschem Recht zu beurteilen war.42 Der „Wirrwarr“ im Internationalen Privatrecht, verallgemeinert Schnitzer, ging regelmßig so weit, „daß verschiedene Senate desselben obersten Gerichtshofs eine verschiedene Praxis befolgten.“ Daher sei es leicht verstndlich, warum man dazu gekommen ist, „das IPR komisch-tragisch mit einem ungeregelten Kampf zwischen Negern im Dunkeln zu vergleichen.“43 Nicht fraglich war brigens fr alle Instanzen, daß die Vertragsfreiheit sich auch auf die freie Rechtswahl erstreckte und daher „der vernnftige Wille der Parteien bezglich des maßgebenden Rechtes zu erforschen sei“, was allerdings regelmßig dadurch verkompliziert wurde, daß es sich in Ermangelung einer Vertragsbestimmung nicht sowohl um die Feststellung des konkreten Willens der Parteien, als um die Ermittelung dessen handelt, was die Parteien bei vernnftiger und billiger Bercksichtigung aller Umstnde, wre ihnen die Frage entgegengetreten, mutmaßlich ber das anzuwendende Recht bestimmt haben wrden.44

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Hanseatische Gerichtszeitung 27 (1906), Nr. 61. Hanseatische Gerichtszeitung 29 (1908), Nr. 128. Hanseatische Gerichtszeitung 24 (1903), Nr. 110, Nr. 138; 25 (1904), Nr. 90. Schnitzer, S. 190, 217 f. Hanseatische Gerichtszeitung 29 (1908), Nr. 128. Zur Rechtswahl und zur Kritik an derartigen Extrapolationen des Parteiwillens Schnitzer, S. 190 – 200.

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Die juristische Literatur in Deutschland und in Frankreich stand dieser Rechtsprechung kritisch gegenber („la loi s’impose, elle n’est pas choisie“, lautete die diesbezgliche franzçsische Doktrin), erlangte jedoch keinen Einfluß auf die Gerichtspraxis.45 Die handelspraktische Literatur empfahl den Parteien, das anzuwendende Recht im Vertrag ausdrcklich zu vereinbaren, um die aus dem Internationalen Privatrecht erwachsende Unsicherheit von vornherein auszuschließen. Dabei mußte der Kaufmann zum einen darauf achten, den Vertrag einem Recht zu unterstellen, mit dem er sich auskannte und das nicht Teile des Vertrages ungltig machte; wie spter noch zu diskutieren sein wird, erkannte z. B. das franzçsische Recht eine Schiedsklausel nicht an. Zum anderen aber war darauf zu achten, daß ein eventuell nçtiges Gerichtsurteil auch mit Aussicht auf Erfolg vollstreckt werden konnte, denn ein deutsches Urteil gegen einen sumigen Kunden aus bersee war bei halbwegs klarer Rechtslage zwar leicht zu erlangen, aber nur dann zu vollstrecken, wenn der Schuldner Vermçgenswerte in Deutschland besaß. Aber auch die vertragliche Rechtswahl nderte nichts an dem ehernen Grundsatz: „An den Eingang jeder Darstellung der Mçglichkeiten der Rechtsverfolgung vor auslndischen Gerichten muß die, brigens auch im Inlandsgeschft nicht unberechtigte, Warnung gestellt werden, die Gerichte ohne Not in Anspruch zu nehmen.“46 Es herrschte also bei grenzberschreitenden wirtschaftlichen Tatbestnden bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraums eine fundamentale Rechtsunsicherheit. Daraus entstehe, so der bereits zitierte Schnitzer, „fr den Nichtjuristen eine vçllige Unmçglichkeit der Voraussehbarkeit der Beurteilung“; „fr den Liebhaber juristischer Konstruktionen ergeben sich die schçnsten Perspektiven, welches Recht er heranziehen kçnnte“. Selbst in Staubs Kommentar zum deutschen Handelgesetzbuch werde „zugegeben, daß … eigentlich nicht abzusehen sei, wie der Vertrag berhaupt zum Vollzuge gelangen sollte.“47 Man hatte es also in der internationalen Wirtschaft nicht mit einem voll ausgebildeten, problemlos und konfliktfrei funktionierenden Rechtssystem zu tun, sondern mit einem, das im Konflikt zwischen dem entstehenden Interventionsstaat und der sich internationalisierenden Wirtschaft – also angesichts gleichzeitiger Territorialisierung und Globalisierung – zunehmend selbst Problem, nicht Problemlçsung war. Wenn es dem Juristen unverstndlich erscheint, wie unter diesen Umstnden berhaupt Vertrge zustande kommen, andererseits aber rege, fr die Beteiligten profitable internationale Handelsbeziehungen und multilaterale Geschftsbeziehungen bestanden haben, kann das nationalstaatlich gesetzte Recht nicht der einzige verfgbare Mechanismus zur Absicherung von Vertrgen gewesen sein. Eine denkbare Alternative war die internationale 45 Lando unter Verweis auf v. Bar, Bd. 2, S. 4 f. und Pillet, S. 429. 46 Hellauer, S. 383 f.; Schck, S. 42 – 46, 56 (Zitat). 47 Schnitzer, S. 241 ff.

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Rechtsvereinheitlichung. Initiativen dazu zeigten sich auf dem Gebiet des Wechselrechts schon Ende des 19. Jahrhunderts; 1930 wurde ein Teilerfolg erreicht. Doch internationale Rechtsvereinheitlichung fand nur auf einigen wenigen zweitrangigen Gebieten statt. In zahlreichen anderen Feldern des internationalen Handelsrechts fhrten entsprechende Initiativen lediglich zur Feststellung der Rechtsunterschiede, nicht zu praktikablen Lçsungen, so z. B. im Kaufrecht.48 Daher blieben Mechanismen der nichtrechtlichen Absicherung vertraglicher Beziehungen wichtig. Eine Alternative zur internationalen Rechtsvereinheitlichung fand sich schließlich im nichtstaatlichen Verbandsrecht der kaufmnnischen Korporationen und der Waren- und Wertpapierbçrsen.49 So ergeben sich die in diesem Kapitel zu behandelnden Gegenstnde. Zunchst geht es um die Mçglichkeiten und Grenzen internationaler Rechtsvereinheitlichung durch zwischenstaatliche Vereinbarungen. Anschließend wird die Mçglichkeit einer privaten transnationalen Rechtssetzung als Ergnzung oder gar Alternative zum staatlichen Recht erçrtert. Schließlich werden Modalitten der Geschftsabwicklung, Zahlungs- und Kreditsicherung untersucht, die ohne Anwendung oder Abnderung des Rechts auskamen und von Kaufleuten selbst, durch Heranziehung Dritter wie etwa der Banken oder durch staatliche Untersttzung wirksam wurden.

48 Schnitzer, S. 240 f. 49 Zum nichtstaatlichen Verbandsrecht ausfhrlich Großmann-Doerth, Recht.

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2.) Mçglichkeiten und Grenzen internationaler Rechtsvereinheitlichung: Das Deutsche Reich und das „Weltwechselrecht“ Bestrebungen zur internationalen Rechtsvereinheitlichung gab es seit den 1870er Jahren auf dem Gebiet des Patent- und Urheberrechts sowie des Frachtrechts; spter kamen Abmachungen ber Grundzge des Internationalen Privatrechts hinzu.1 Nur in einem einzigen Bereich allerdings, dem des Wechselrechts, wurde tatschlich versucht, „Weltrechtseinheit“ zu erzielen. Die Haager Wechselrechtskonferenzen von 1910 und 1912 fhrten zu einem internationalen Abkommen ber ein einheitliches Wechselrecht und stellten damit einen „Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Vereinbarungen“ dar.2 Allerdings konnte dieses Abkommen unter anderem wegen des Kriegsausbruchs nicht in Kraft treten; in Genf wurde 1930 ein neues Abkommen geschlossen. In diesem Abschnitt werden die Bestrebungen zur Schaffung eines Weltwechselrechts als Beispiel fr die Mçglichkeiten und Grenzen internationaler Rechtsvereinheitlichung untersucht. Daneben kommt auch die Frage nach der rechtlichen Behandlung von Innovationen des Geschftslebens in den Blick.

(a) Wechsel und Wechselverkehr Vor dem Ersten Weltkrieg waren Wechsel das Hauptzahlungsmittel im internationalen Handel und das wichtigste Instrument zum Ausgleich der Zahlungsbilanzen. Fr internationale Zahlungen behielten Wechsel auch nach dem Krieg ihre Bedeutung, als binnenstaatliche Zahlungen bereits weitgehend durch den Scheck- und Giroverkehr abgewickelt wurden. Ein Wechsel gibt die Mçglichkeit, „einen Anspruch auf einen bestimmten Geldbetrag von Hand zu Hand gehen zu lassen“ und ist so zugleich Zahlungsmittel und Kreditinstrument.3 Wolfram Fischer weist darauf hin, daß der Goldstandard des ausge1 Vgl. zum berblick David; an neueren Arbeiten Braithwaite u. Drahos, S. 56 – 65; Seckelmann; zum IPR unten Anm. 67. 2 Vgl. Wieland, Wechselkonferenz, S. 347 f.; Wieland, Aussichten, S. 157 f.: Die Vertrge ber das IPR betrafen nicht die Schaffung eines Weltrechts, sondern entweder Kollisionsnormen, die Gleichstellung von Auslndern mit Inlndern wie im Falle der Urheberrechtsabkommen, oder waren nur auf Auslnder anwendbar wie die Frachtrechtsabkommen. Allein die Haager Wechselordnung sollte auch Vorgnge regeln, an denen nur Inlnder beteiligt sind. Zitat: Wieland, Wechselrechtsbereinkommen, S. 3. 3 Allgemein zu Bedeutung, Recht und Gebrauch des Wechsels vgl. Biedermann, S. 22 – 28; Hellauer, S. 372 – 381; auf der Nçllenburg, S. 111 – 130; Ottel, S. 46 – 49; Schnitzer, S. 361 – 417 (Zitat 361); Sonndorfer, S. 297 – 312; Sthler, S. 110; v. Westphalen, S. 82 – 95; Wechselkredit und Banken: Riesser, S. 232 – 257. Zur Geschichte des Wechsels Braithwaite u. Drahos, S. 47 – 52.

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henden 19. Jahrhunderts die Weltwirtschaft nur deswegen nicht in ein deflationres Korsett zwngte, weil sich auch unter diesem Whrungssystem erhebliche Mçglichkeiten zur Kreditschçpfung boten. Kurzfristiger Kredit war zu jener Zeit fast ausschließlich Wechselkredit. Nach dem Ersten Weltkrieg sorgte dann die Kapitalknappheit in Deutschland dafr, daß Banken und Außenhandel in großem Maße auf Wechselkredit insbesondere aus Großbritannien zurckgriffen, um ihre Geschfte zu finanzieren.4 Durch seine Eigenschaft als Kreditpapier bot der Wechsel dem Verkufer einer Ware die Mçglichkeit, dem Kufer Kredit einzurumen, sich selbst aber dennoch durch die Einreichung des Wechsels zur Diskontierung bei einer Bank – gegen Zinsabzug – sofort Zahlung zu verschaffen, um weitere Geschfte vorzufinanzieren oder Rohstoffe einzukaufen. Der Wechsel konnte direkt als Zahlungsmittel verwendet werden, indem z. B. der Kufer in Deutschland dem Verkufer in Großbritannien gestattete, auf ihn einen Wechsel mit zuvor vereinbarter Zahlungsfrist, z. B. drei Monate, zu „ziehen“. Ließ der Verkufer dann den Wechsel bei einer Londoner Bank diskontieren, konnte diese den Wechsel an andere Kaufleute oder Banken weiterverkaufen, die Zahlungen in Deutschland zu leisten hatten. Hier wurde der von einem Dritten ausgestellte Wechsel somit indirekt als Zahlungsmittel gebraucht. Schließlich brgerte es sich mehr und mehr ein, daß Großhandel und Großindustrie Wechsel auf ihre Hausbanken zogen, bei denen sie „Akzeptkredit“ genossen, bzw. ihren Kunden gestatteten, auf diese Banken zu ziehen, wodurch ein von einem soliden und bekannten Haus akzeptierter, leicht handelbarer Wechsel entstand.5 Am Wechselverkehr beteiligt sind: (1) der Aussteller, in der Regel der Verkufer einer Ware, der auf den Kufer einen Wechsel „zieht“ (trassiert); (2) der Bezogene, der durch sein Akzept die Verpflichtung bernimmt, am Ende der Laufzeit des Wechsels dem Inhaber Zahlung zu leisten (im Falle eines eigenen bzw. Solawechsels sind Aussteller und Bezogener identisch); (3) der Wechselnehmer, an den der Bezogene Zahlung zu leisten hat (oftmals sind Wechselnehmer und Aussteller identisch); (4) die Wechselinhaber, die den Wechsel wie eine Banknote als Zahlungsmittel entgegennehmen und weitergeben und ihre Inhaberschaft auf dem Wechsel schriftlich durch ihr Indossament dokumentieren; (5) Banken, die Wechsel gegen den Abzug von Zinsen in Zahlung nehmen (diskontieren) und mit Wechseln (die etwa als Auslandszahlungsmittel gebraucht werden) handeln. In der Regel ist der letzte Inhaber eines Wechsels, der diesen dem Bezogenen zur Zahlung (Inkasso) vorlegt, eine Bank. Wechsel unterliegen einer Wechselsteuer, deren Entrichtung der – in den meisten Staaten fr die Gltigkeit des Wechsels erforderliche – Wechselstempel dokumentiert. 4 Fischer, Dimension, S. 47 f.; zu den Kreditmçglichkeiten Riesser, S. 232 ff.; zu den Verhltnissen in den 1920er Jahren Schck, S. 184 ff., 199 f. 5 Riesser, S. 233 ff., 349.

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Entscheidendes Charakteristikum des Wechsels war (und ist, trotz der inzwischen geringen Bedeutung dieses Instruments) die Eigenstndigkeit und Unbedingtheit der Wechselverpflichtung. Erst durch diese „Wechselstrenge“ konnte er als Zahlungsmittel wie eine Banknote umlaufen. Wer einen Wechsel ausstellte oder einen von einem Dritten ausgestellten Wechsel akzeptierte, war dadurch unbedingt, d. h. unabhngig vom zugrundeliegenden Geschft, zur Zahlung verpflichtet. Der Zahlungsanspruch aus dem Wechsel bestand also auch dann fort, wenn der Wechsel beispielsweise wegen (rechtlich stets nichtiger) Spielschulden oder zur Bezahlung eines spter etwa wegen mangelhafter Lieferung angefochtenen Handelsgeschfts ausgestellt worden war. Wenn der Inhaber vom Bezogenen keine Zahlung erhalten konnte oder wenn letzterer bereits das Akzept verweigerte, mußte er Protest erheben. Aufgrund eines Wechselprotests, der amtlichen oder notariellen Feststellung der Nichtzahlung, verfgten die Gerichte ohne weiteres die Zwangsvollstreckung. Zugleich gab der Protest dem Inhaber eines notleidenden Wechsels einen Regreßanspruch gegen die vorherigen Inhaber bis zurck zum Aussteller. Somit nahm die Qualitt eines Wechsels durch seine Weitergabe zu, denn je mehr Unterschriften er trug, desto mehr Personen hafteten dafr, daß der Inhaber auch tatschlich Zahlung erhielt. Durch diese Eigenschaften des Wechsels erklrt sich die Aussage, der Wechsel sei „das Papiergeld der Kaufleute“ bzw. „kaufmnnisches Geld“.6 Diese Eigenschaften des Wechsels lassen sich weltweit berall dort finden, wo Europer und Amerikaner am Handel beteiligt waren.7 Trotzdem bestimmten die verschiedenen Rechtssysteme die genaue rechtliche Natur des Wechsels in durchaus unterschiedlicher Weise. Man kann drei große Wechselrechtssysteme unterscheiden, das franzçsische des Code de commerce, das auf kaufmnnischem Gewohnheitsrecht fußende angloamerikanische und das deutsch-çsterreichische der deutschen Wechselordnung von 1847. Allerdings entwickelten sich auch zwischen den Staaten desselben Systems durch die Rechtsprechung, die verschiedenen Entwicklungen im brgerlichen Recht, in Wirtschaft und Gesellschaft zahlreiche Rechtsunterschiede.8 Diese betrafen beispielsweise die Regeln fr Protest und Regreß9, die fr die ber die Gl6 Einert (zit. n. Schnitzer, S. 362); Ottel, S. 15 (Zitat), 46 – 49. 7 In nichteuropischen Staaten gab es hingegen oftmals kein Wechselrecht, was den Umgang mit einheimischen Wechselschuldnern erschwerte. So berichtete der deutsche Gesandte aus Tanger, die einheimische Gerichtsbarkeit kçnne mit dem Konzept des Wechsels nichts anfangen und lasse zahlreiche, der Wechselstrenge widersprechende Einreden zu. Dies werde aber in gewissem Maße kompensiert durch ihre insgesamt glubigerfreundliche Rechtsprechung – „sie zçgert meist nicht, den Schuldner in das Gefngnis zu setzen, bis er zahlt, eine Art der Rechtsprechung, die immerhin einen gewissen Ersatz fr den Mangel eines Wechselrechts bietet.“ (Aufz. Gesandtschaft Tanger, 8. 11. 1909, BAL R 901/26903.) 8 Zum berblick ber diese Systeme, Geschichte und Inhalt des Wechselrechts in den einzelnen Staaten Meyer, Weltwechselrecht, Bd. 1. 9 Z.B. bezglich der Fristen, innerhalb derer Protest erhoben werden mußte, bezglich der Frage, ob Protest erhoben werden mußte, wenn der Bezogene vor Ablauf des Wechsels zahlungsunfhig

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tigkeit des Wechsels entscheidenden Formerfordernisse10 und die „Wechselfhigkeit“11. Dadurch entstanden vor allem im internationalen Verkehr eine Reihe praktischer Probleme: Eine Bank, die einen Wechsel hereinnahm, mußte prfen, welchem Recht das Papier und die darauf befindlichen – unter Umstnden in verschiedenen Lndern geleisteten – Unterschriften unterstanden, und ob der Wechsel den Formerfordernissen dieser Rechtsordnungen gengte. In der Praxis war das kaum mçglich, so daß die Banken stndig Gefahr liefen, ungltige Wechsel in die Hand zu bekommen oder versehentlich Fristen zu mißachten.12 Aus diesem Grunde beruhte der internationale Wechselverkehr wesentlich darauf, daß Rechtsunterschiede und die Mißachtung extrem detaillierter, den meisten Beteiligten unbekannter Formvorschriften nicht bçswillig ausgenutzt, sondern aus Reziprozittserwgungen stillschweigend ignoriert wurden: Der Wechselverkehr funktionierte vor allem, weil sich die internationalen Handelsbruche viel nher stehen als die Gesetze, [und] der den Verkehr beherrschende gute Glaube, die Ehrenhaftigkeit des Kaufmanns, die Rcksichtnahme auf die Wahrung seines Kredits, die Sorge vor dem ungewissen Ausfall und den Kosten eines Rechtsstreits im Auslande ber alle Fhrlichkeiten mçglichst hinweghalfen.13

Nicht fr die Nutzer des Wechsels, sondern nur fr die Geldpolitik der Zentralbank bedeutsam war die zeitgençssische Unterscheidung von Handelsund Finanzwechseln. Aus einem Handelsgeschft entstandene Wechsel galten als Anzeichen „realer“ wirtschaftlicher Aktivitt, weshalb die Zentralbanken sie diskontierten. Reine Finanzwechsel wurden von den Zentralbanken nicht in Zahlung genommen. Sie galten bestenfalls als Mittel knstlicher Kreditschçpfung („Geldmacherei“), und oft bestand zustzlich der Verdacht des Mißbrauchs der Wechselverpflichtung durch „Wechselreiterei“ (Kreditschçpfung durch gegenseitiges Trassieren) und „Kellerwechsel“ (Wechsel mit geflschter Unterschrift des angeblich Bezogenen, die der Aussteller vor Flligkeit selbst zurckkaufte, um die Aufdeckung seiner List zu verhindern).14

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wurde, und bezglich der Folgen des Protestes fr die Indossanten, die mal zur Stellung einer Sicherheit, mal direkt zur Zahlung verpflichtet waren. In Deutschland mußte ein Wechsel, um gltig zu sein, das Wort „Wechsel“ tragen, in Großbritannien war ein offizieller Stempel erforderlich. In Deutschland galt eine Zinsklausel auf dem Wechsel als nicht geschrieben, in sterreich machte sie den Wechsel ungltig, in Großbritannien war sie wirksam. In Deutschland waren Inhaberwechsel nicht gestattet usw. Eine auf den Wechsel gesetzte Unterschrift bewirkte Verpflichtungen, die sich nach dem Recht am Orte der Unterzeichnung ergaben und durchaus unterschiedlich sein konnten. Frauen und Offiziere genossen nicht berall die volle Wechselfhigkeit, die Volljhrigkeit war zwar berall Voraussetzung der Wechselfhigkeit, trat aber in verschiedenen Staaten mit unterschiedlichem Lebensalter ein, usw. Vgl. Freund, Das neue Wechselrecht. Meyer, Weltwechselrecht, Bd. II, S. 16. Zu den Mißbrauchsmçglichkeiten Ottel, S. 48, Riesser, S. 183 ff., 235 ff.

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(b) Anfnge der internationalen Vereinheitlichung des Wechselrechts Eine Vereinheitlichung des Wechselrechts in Europa wurde bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts gefordert. Das erste praktische Ergebnis auf diesem Gebiet stellte die Wechselordnung des Deutschen Zollvereins dar, die 1847 an die Stelle von nicht weniger als 56 partikularen Wechselordnungen trat. Eine internationale Vereinheitlichung des Wechselrechts wurde dann erneut kurz nach der Reichsgrndung gefordert.15 Grund war eine Erfahrung aus dem Deutsch-Franzçsischen Krieg von 1870/71: Die franzçsische Regierung hatte fr franzçsische Wechselschuldner ein Moratorium erklrt. Dieses wurde von den Gerichten in den der franzçsischen und angelschsischen Rechtstradition verpflichteten Lndern akzeptiert, von den deutschen jedoch nicht. Dadurch wurden in Deutschland die Inhaber franzçsischer Wechsel geschdigt sowie auch diejenigen, die solche Wechsel bereits weitergegeben hatten und nun in Regreß genommen wurden, sich selbst aber nicht an die im Ausland lebenden Vormnner halten konnten, fr die das Moratorium galt. Aus diesem Grunde sprach sich der deutsche Juristentag 1872 fr ein gemeinsames Wechselrecht fr Europa und Nordamerika aus.16 Bald darauf machten etwa das Institut de Droit International und die International Law Association (ILA) die Frage zu ihrem Anliegen. Letztere verabschiedete auf ihrer Bremer Tagung 1876 die „Bremer Regeln“ als Grundstze fr ein einheitliches Wechselrecht. 1877 richtete im Namen der ILA der Jurist S. Borchardt eine Eingabe an das Auswrtige Amt, in der er um die Mitwirkung des Deutschen Reiches bei diesen Bestrebungen bat, da „doch nur eine staatliche Untersttzung und Theilname den praktischen Erfolg, die gesetzliche Geltung“ international vereinheitlichter Rechtsstze bewirken kçnne. Die Erfahrungen der Reichseinigung in Deutschland htten „das Bedrfnis und die Nothwendigkeit gleicher Gesetze“ fr den Wirtschaftsverkehr deutlich gemacht, und das sei nun auch international anzustreben. Dafr eigne sich das Wechselrecht in besonderem Maße, da der Wechsel zugleich die wichtigste, aber auch die am einfachsten international zu regelnde Rechtsfrage des internationalen Handels sei, „sowohl durch seine cosmopolitische Natur als durch seine Unabhngigkeit von allen territorialen Verhltnissen und Gesetzen.“ Mit seiner modernen Wechselordnung, die auch als Vorbild fr eine internationale Wechselordnung dienen kçnne, sei das Deutsche Reich

15 Zum berblick ber die Geschichte der Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Wechselrechts Meyer, Weltwechselrecht, Bd. 2, S. 1 – 13; die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 4. 12. 1906; RJA, Aufzeichnung ber die Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Wechselrechts, o.D. (Februar / Mrz 1907), BAL R 3001/3296. 16 Die Diskussion ber den rechtlichen Umgang mit staatlicherseits verkndeten Moratorien ist zusammengefaßt bei Meyer, Weltwechselrecht, Bd. II, S. 47 – 56.

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zudem besonders berufen, eine Vorreiterrolle zu bernehmen.17 Diese Argumente wurden in den folgenden Jahrzehnten immer wieder vorgebracht, um eine regierungsseitige Beteiligung Deutschlands an der Vereinheitlichung des Wechselrechts zu erreichen. Das Reichsjustizamt untersttzte den Gedanken eines einheitlichen Rechts fr die international umlaufenden Wechsel, verwies aber zugleich darauf, daß bisher noch kein einziger Versuch der „internationalen Regelung einer privatrechtlichen Materie … unternommen oder gelungen“ war.18 Immerhin bçten sich hierfr auf dem Gebiet des Wechselrechts in der Tat „die verhltnißmßig geringsten Schwierigkeiten“, da dieses in allen Staaten vom allgemeinen brgerlichen Recht abgesondert dastehe und Deutschland ber ein Recht von Vorbildcharakter verfge. In anderen Staaten glten hingegen teils veraltete, von Praxis und Rechtsprechung gleichermaßen ignorierte Regelungen. Daher konnte das Reichsjustizamt eine Untersttzung des Borchardtschen Vorschlags „aus aller berzeugung empfehlen“.19 Die ILA trat durch ihre Mitglieder in den anderen europischen Staaten auch an die dortigen Regierungen heran und stieß ebenfalls auf vorsichtige Zustimmung. Das Auswrtige Amt wandte sich nunmehr seinerseits, in enger Abstimmung mit sterreich-Ungarn, an andere Regierungen, wobei der franzçsische Rechtskreis aus diplomatischen Grnden zunchst ausgespart blieb. Aus den USA traf bald eine Absage ein, da sich die dortige Regierung nicht sicher war, ob sie berhaupt die Befugnis hatte, ein in Rechte der Einzelstaaten eingreifendes internationales Abkommen zu schließen, und auch innerhalb der USA weder ein einheitliches Wechselrecht noch ein Bedrfnis nach einem solchen bestand. Dem Reichsjustizamt erschienen die diplomatischen Sondierungen inzwischen als bereilt, da die deutsche Gesetzgebung und Justizverwaltung „eine große Anzahl dringenderer Aufgaben zu erfllen“ htten – schließlich steckte man mitten in den Vorarbeiten zum Brgerlichen Gesetzbuch und zum neuen Handelsgesetzbuch. Eine ablehnende Antwort aus London brachte das Projekt dann zunchst zum Stillstand. Die dortige Regierung erklrte, sie wolle an dem Grundsatz festhalten „to abstain from original proposals respecting the machinery by which the operation of the 17 Borchardt an AA, 22. 3. 1877; AA an RJA, 3. 4. 1877, BAL R 3001/3295; Association for the Reform and Codification of the Law of Nations. 18 RJA an AA, 9. 5. 1877, BAL R 3001/3295. Die erste internationale (noch nicht verbindliche) Einigung ber einzelne Grundstze des Privatrechts wurde auf zwei Konferenzen 1893 und 1894 in Den Haag erzielt: Niemeyer, Haager Konferenzen. Hier ging es vor allem um Fragen des Familien- und Personenrechts. Zur Vorgeschichte auch Neubauer. Prozeßrechtliche Fragen regelten die internationale Abkommen vom 14. 11. 1896 – abgedruckt in ZHR 49 (1900) S. 228 – 234 – und vom 17. 7. 1905, familienrechtliche dasjenige vom 12.6.1902. Zum berblick: v. Liszt, 4. Aufl., S. 255 – 260; v. Liszt, 6. Aufl., S. 235 – 240. Eine Zusammenstellung aller Kollektivabkommen ber internationale privatrechtrechtliche Beziehungen gibt – „was merkwrdigerweise bisher noch niemals geschehen zu sein scheint“ – Rabel, Kollektivabkommen (Zitat ebd., S. 249). Vgl. auch David, S. 141 – 150. 19 RJA an AA, 9. 5. 1877, BAL R 3001/3295.

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Commerce of this Country may be best conducted.“20 Allerdings setzte Großbritannien bald darauf (1882) ein eigenes neues Wechselrecht in Kraft, welches das noch aus dem 17. Jahrhundert stammende Gesetze ablçste. Wahrscheinlich hat bei der britischen Ablehnung die Erwgung eine Rolle gespielt, an der sich auch das RJA orientierte, als es die Nichtteilnahme Deutschlands an einem internationalen handelsrechtlichen Kongreß empfahl, zu dem der belgische Kçnig Leopold II. 1885 nach Antwerpen eingeladen hatte: Mit „Rcksicht auf die bevorstehende allgemeine Revision des deutschen Handelsgesetzbuches“ sei es nicht angezeigt, „einzelne Theile des Handelsrechtes einer Neuregelung im Wege des internationalen Vertrages zu unterziehen“. Da auch Bismarck die Beteiligung an dem Kongreß ablehnte, schickte Deutschland keine offizielle Delegation. Vertreter von Wirtschaftsverbnden, Wissenschaft und ein Reprsentant der hanseatischen Justiz nahmen jedoch an der Antwerpener Tagung und an einer Folgekonferenz in Brssel 1888 teil, die Vorschlge zur Reform des See- und Wechselrechts vorlegte und die belgische Regierung aufforderte, fr die Annahme dieser Vorschlge durch eine offizielle diplomatische Konferenz zu werben.21 Erst allmhlich nderte sich die deutsche Haltung zu den internationalen handelsrechtlichen Kongressen. Das Auswrtige Amt begrßte in den 1890er Jahren die Tendenz, auf solchen Kongressen statt allgemeiner Ziele konkrete Regelungen in begrenzten Rechtsgebieten anzustreben, und hielt ein strkeres deutsches Engagement auch deshalb fr „erwnscht, damit nicht wieder, wie auf den frheren Tagungen, Beschlsse gefaßt werden, die mit unsern Rechtsanschauungen im Widerspruch stehen und spter nur mit Mhe abzundern sein wrden.22 Whrenddessen setzten die skandinavischen Staaten (1880), die Schweiz (1881), Italien (1882), die USA (1895) und Rußland (1902) eigene Wechselordnungen in Kraft, ohne sich international zu binden. Das Wechselrecht illustriert hier noch einmal, daß die Modernisierung des Wirtschaftsrechts in den großen europischen Staaten im nationalen Rahmen betrieben wurde. Selbst dort, wo das Recht der Nachbarstaaten bekannt war und als Vorbild in den Gesetzgebungsprozeß einbezogen wurde, erschienen internationale Vereinheitlichungsbemhungen als Stçrungen des Gesetzgebungsprozesses. So traten an die Stelle europaweit einigermaßen einheitlicher gewohnheitsrechtlicher Praktiken zwar den vernderten Verkehrsverhltnissen besser angepaßte, aber national spezifische Regelungen. 20 AA an RJA, 13. 7. 1877, 4. 3. 1878, 27. 4. 1878, 12. 8. 1878, 18. 7. 1877, 16. 3. 1878, 6. 9. 1878, 21. 2. 1879, 24. 1. 1880; engl. Note, 8. 11. 1878, BAL R 3001/3295. 21 AA an RJA, 9. 7. 1885, 17. 9. 1891, 5. 12. 1899; RJA an AA, 13. 7. 1885, 29. 9. 1891, 28. 12. 1899, BAL R 3001/3296; Mecke; Pappenheim; Speiser, Verhandlungen 1885; Speiser, Verhandlungen 1888; Meili, Privatrecht. 22 AA an RAI und RJA, 20. 12. 1896, BAL R 901/27030. Allgemein zur deutschen Haltung gegenber den handelsrechtlichen Kongressen BAL R 901/27030: Das internationale Handelsrecht, 1891 – 1926.

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Erst nach der Jahrhundertwende lebte die Bewegung zur Vereinheitlichung des Wechselrechts wieder auf. Handelskammern aus Italien und die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin brachten die Frage auf die Tagesordnungen der internationalen Handelskammerkongresse in Lttich 1905 und Mailand 1906. Auch die ILA nahm ihre Arbeit an Entwrfen fr ein internationales Wechselrecht wieder auf. Der Deutsche Handelstag untersttzte die Bewegung, und die Berliner Aeltesten beauftragten den Juristen Felix Meyer mit der Ausarbeitung des Entwurfs fr ein „Weltwechselrecht“. Handelstag und Handelskammern setzten sich in der Presse und in Eingaben an die Reichsregierung fr das Projekt ein. In der Eingabe des Handelstags an den Reichskanzler sind detailliert die Punkte aufgelistet, an denen Rechtsunterschiede zu finanziellen Verlusten fr die Inhaber auslndischer Wechsel fhren konnten, und jeweils Lçsungsvorschlge gemacht. Die Forderungen liefen insbesondere darauf hinaus, die scharfen formalen Anforderungen, die das deutsche Recht an den Wechsel stellte, durch Anpassung an angloamerikanische Regeln abzumildern.23 So setzte sich der Handelstag dafr ein, die Bestimmung zu streichen, nach der im Text des Wechsels das Wort „Wechsel“ sowie die Angabe von Ausstellungsort und -datum stehen mußten, andernfalls er ungltig war. Als unpraktisch wurde auch angesehen, daß ein Wechsel ohne die Angabe einer Zahlungszeit in Deutschland ungltig war, whrend er in anderen Lndern als ein (bei Vorlage sofort flliger) Sichtwechsel behandelt wurde. Daß in Deutschland bei Nichtzahlung der Protest sofort, statt wie etwa in Großbritannien binnen drei Tagen, erhoben werden mußte, empfand die Interessenvertretung des Handels ebenfalls als unnçtige Belastung. Schließlich verlangte der Handelstag, „nicht akzeptable“ Wechsel zuzulassen. In den meisten Staaten war es mçglich, daß Kufer und Verkufer den Ausschluß der Vorlage des Wechsels zum Akzept vereinbarten; dieser diente dann nicht als Zahlungsmittel, sondern allein dazu, dem Verkufer die Vorfinanzierung des Geschfts durch die Diskontierung des Wechsels bei einer Bank zu ermçglichen. Diese Finanzierungsform fand „auch in Deutschland trotz des Verbotes“ und der daraus sich ergebenden rechtlichen Unsicherheit vielfach Verwendung, und sowohl Bankiers als auch Hndler erstrebten eine Legalisierung der als effizient und legitim empfundenen Praxis.24 Die Kaufleute hielten das Wechselrecht fr eine der Vereinheitlichung leicht zugngliche Materie, weil es sich um einen technischen Stoff zu handeln schien, so daß die Mitwirkung der Regierungen und der Gesetzgeber zwar erforderlich war, politische Fragen dabei aber nicht aufgeworfen wurden: Es 23 Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an RJA, 19. 9. 1906; die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 4. 12. 1906, BAL R 3001/3296; Meyer, Weltwechselrecht; Deutscher Handelstag. 24 Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an den Reichskanzler, 4. 12. 1906, BAL R 3001/3296 (Zitat); Ottel, S. 47 f.

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„tritt die Politik gnzlich in den Hintergrund, und es ist lediglich die Frage des praktischen Interesses, die Frage der Sicherheit unseres internationalen Handels, die hierbei in Betracht kommt“. Dafr, daß diese Auffassung allgemein geteilt wurde, spricht die Tatsache, daß der Wunsch nach amtlicher Untersttzung fr die internationale Vereinheitlichung des Wechselrechts die Zustimmung aller Fraktionen des Reichstags fand.25 Das Reichsjustizamt hielt die Anliegen des Handelstags angesichts „der internationalen Bedeutung des Wechselverkehrs“ fr im Kern berechtigt, sah aber kaum Aussichten dafr, die Staaten des englischen und des franzçsischen Rechtskreises berzeugen zu kçnnen. Fr die Berliner Beamten kam eine Preisgabe der Grundstze des deutschen Rechts allerhçchstens dann in Betracht, „wenn mindestens mit den wichtigsten Handelsstaaten Europas, namentlich auch mit England, ein einheitliches Recht erzielt wird.“ Solange das aber „hçchst zweifelhaft“ bleibe, solle Deutschland in der Frage keinesfalls eine fhrende Rolle bernehmen, sondern allerhçchstens dem Handelstag zuliebe seine Bereitschaft zur Teilnahme an einer eventuellen Wechselrechtskonferenz erklren. Immerhin untersttzte das Reich die juristischen Vorarbeiten fr den Entwurf eines Weltwechselrechts durch die Beurlaubung (unter Belassung der Bezge) des Kammergerichtsrats Felix Meyer. Das Auswrtige Amt unternahm Sondierungen bei der niederlndischen Regierung, die bisher bei den Konferenzen ber die Vereinheitlichung des Privatrechts die fhrende Rolle gespielt hatte, wollte jedoch erst Position beziehen, wenn klar war, welche Haltung die Briten einnehmen wrden. Als allerdings Italien mit einer eigenstndigen Initiative hervorzutreten drohte, wollte sich die deutsche Diplomatie nicht berholen lassen, und in Verhandlungen mit Italien wurde erreicht, daß eine „gemeinsame Initiative Deutschlands und Italiens“ zustande kam, die Niederlande zur Behandlung des Wechselrechts auf der nchsten Privatrechtskonferenz oder in einem anderen Rahmen zu bewegen.26 Am 2. 9. 1908 luden die Niederlande alle Teilnehmerstaaten der letzten Haager Friedenskonferenz zu einer Wechselrechtskonferenz nach Den Haag ein. Im Einladungsschreiben wurde das Programm wie folgt begrndet: La lettre de change internationale circule souvent dans un grand nombre d’tats [sic] avant de parvenir sa destination; souvent chacune des signatures poses sur un tel papier fait na tre des obligations rgies par une loi diffrente et cette diversit de lgislations applicables au mÞme effet de commerce peut Þtre la source de complications qu’il serait tr s utile de faire dispara tre au moyen d’une lgislation uniforme. 25 Debatte am 1. 5. 1907 im Reichstag: RT 12/1/2 (Bd. 228). Das Zitat (ebd. S. 1297 f.) stammt vom Abgeordneten Kaempff, der zugleich Vorsitzender der Berliner Aeltesten war. 26 RJA an AA, 6. 3. 1907; Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an RJA, 6. 6. 1907, 13. 2. 1908; AA an RJA, 5. 5. 1908, 22. 5. 1908, 19. 8. 1098, BAL R 3001/3296. Zur Bedeutung internationaler Rechts-, Wissenschafts- und Wirtschaftskonferenz fr die Außenpolitik kleiner Staaten vgl. Herren.

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Darber hinaus wurde die Hoffnung ausgedrckt, daß eine Einigung um so leichter fallen werde, als es sich beim Wechsel um „un papier cosmopolite“ handele und die zu berwindenden Schwierigkeiten lediglich auf den „doctrines diffrentes professes par les jurisconsultes ou sanctionnes par les tribunaux“ beruhten.27 Die berwindung der so optimistisch geringgeschtzten Schwierigkeiten fiel jedoch wesentlich schwerer als geplant. Ihre Analyse zeigt allgemeine Probleme internationaler Rechtsvereinheitlichung.

(c) Die 1. und 2. Haager Wechselrechtskonferenz (23.6.–25. 7. 1910 und 15.6.–23. 7. 1912) Vorarbeiten Bei den bisherigen Wechselrechtskonferenzen und zahlreichen anderen internationalen Zusammenknften zu Aspekten eines modernisierungsorientierten Internationalismus hatte es sich um Veranstaltungen gehandelt, auf denen primr Vertreter nichtstaatlicher und substaatlicher Organisationen miteinander beratschlagten: Interessenverbnde, Handelskammern, nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen wie die ILA, die hamburgische Justiz beispielsweise. Das Ziel dieser Konferenzen war es, Grundlagen fr internationale Kooperation auszuloten, Vertragsentwrfe oder Mustergesetze („lois types“) auszuarbeiten und auf diese Weise eine Dynamik in Gang zu setzen, der sich dann staatliche Stellen nicht mehr entziehen konnten. In einem zweiten Schritt mußte dann eine Diplomatenkonferenz der kooperationswilligen Staaten die vereinbarten Projekte fçrmlich annehmen.28 Die Haager Wechselrechtskonferenzen hingegen waren Regierungskonferenzen, auf denen zum Abschluß vçlkerrechtlicher Vertrge bevollmchtigte staatliche Delegierte vertreten waren. Sie fgen sich damit in das Gesamtbild der Entwicklung des Internationalismus ab 1900 ein, das Madeleine Herren als durch den zunehmenden Einfluß der Großmchte und einzelner Interessenverbnde geprgt ansieht, whrend die Initiativen kleinerer Staaten und wissenschaftlicher Fachverbnde zurcktraten: „[D]ie Frage wirtschaftlicher Vernetzung [war] in hçchstem Grade zu einem politisch relevanten, von staatlicher Einflußnahme umkmpften Punkt geworden“.29 Das bedeutete auch, daß nicht mehr wie etwa auf den Kongressen der ILA und der Handelskammern Zufallsmehrheiten aufgrund einer je strkeren oder schwcheren Reprsentation der einzelnen Staaten zustande kommen 27 Niederlndische Note, 5. 9. 1908, BAL R 3001/3296. 28 Zum Konferenzwesen allgemein Herren; Geyer u. Paulmann, Introduction; Lyons; Vec, S. 75 – 103. 29 Herren, S. 300, 314 – 317 (Zitat 317). Zum Konferenzwesen im Vçlkerrecht vgl. Vec, S. 75 – 103.

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konnten, sondern alle auf der Konferenz vertretenen souvernen Staaten genau eine Stimme hatten. Im diplomatischen Charakter der Konferenz spiegelte sich der Wille der deutschen Reichsregierung, die internationale Vereinheitlichung des Wechselrechts als eigenes Projekt zu reklamieren und auch die inhaltlichen Vorarbeiten zu bestimmen. Daß sich auf diese Weise ausnahmsweise einmal die Anliegen der Verbnde von Handel und Exportindustrie bercksichtigen ließen, ohne dadurch mit den Interessen der Agrarier in Konflikt zu geraten,30 mußte als zustzlicher Pluspunkt gelten. Die Vorbereitung der fr 1909 einberufenen Haager Konferenz ging das Reichsjustizamt dennoch gemchlich an. Eine çsterreichische Anfrage, ob es nicht mçglich sei, vorab gemeinsame Positionen festzulegen, mußte abgelehnt werden, da keine Arbeitskraft fr die Konferenzvorbereitung frei war und man erst einmal das Erscheinen des Werkes von Felix Meyer abwarten wollte, das schließlich 1909 vorlag. Erst im Frhjahr 1909 wurde damit begonnen, Sachverstndige zu eingehenden Beratungen einzuladen. Andere Staaten legten keine grçßere Eile an den Tag, so daß die Konferenz schließlich mangels Vorbereitung um ein Jahr auf 1910 verschoben werden mußte.31 Nun wurden die Vorarbeiten fr die Wechselrechtskonferenz in Deutschland mit großer Grndlichkeit aufgenommen. Das Reichsjustizamt berief eine einwçchige Expertenkonferenz ein, zu der neben Ministerialbeamten verschiedener Ressorts und der Reichsbank Bankiers, Kaufleute, Vertreter des Handelstages und der landwirtschaftlichen Genossenschaften sowie Juristen eingeladen wurden. Der Handelstag veranstaltete eine eigene dreittige Konferenz, an der z. T. dieselben Personen beteiligt waren, und die Ergebnisse der Sachverstndigenberatungen wurden in mehreren Ressortbesprechungen ausgewertet, bevor schließlich gemeinsame Besprechungen mit sterreich und Italien folgten. Die endgltige Festlegung der deutschen Verhandlungsposition erfolgte ohne Beteiligung der Interessengruppen, von denen allein die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin auf Nachfragen hin Einblick in die Beratungsergebnisse erhielten.32 Bezglich des Vorgehens bei der Rechtsvereinheitlichung standen sich drei Auffassungen gegenber. Nur noch wenig Untersttzung fand in Deutschland der Gedanke eines unverbindlichen Mustergesetzes, da ein solches bereits mit den Bremer Regeln von 1876 geschaffen worden war, aber die erhoffte Vorbildwirkung nicht entfaltet hatte. Einflußreicher waren die Verfechter einer von der ILA 1908 vorgeschlagenen Minimallçsung, die sich auf die international einheitliche Regelung bestimmter zentraler Aspekte des Wechselrechts, 30 Zu den innenpolitischen Problemen der deutschen Außenwirtschaftspolitik vgl. zuletzt Torp. 31 sterreich-ungarisches Justizministerium an RJA, 19. 1. 1909, RJA an çsterreichisch-ungarisches Justizministerium, 23. 1. 1909, Aufz. RJA, 4. 3. 1909, RJA an AA, 4. 3. 1909, 7. 5. 1909, niederlndische Note, 17. 5. 1909, BAL R 3001/3297. 32 Aufz. RJA, 4. 3. 1909; RJA an AA, 7. 5. 1909, Mayer (çsterr.-ung. Justizministerium) an RJA, 14. 5. 1909, BAL R 3001/3297; Handelstag an RJA, 2. 2. 1910; RJA an AA, 27. 2. 1910, Aufz. RJA, 5. 3. 1910; die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin an RJA, 10. 6. 1910, BAL R 3001/3298.

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insbesondere der Formerfordernisse und Fristen, beschrnkte, sowie die hinter dem Projekt Felix Meyers versammelten Anhnger eines vollstndigen international einheitlichen Wechselgesetzes. Ausgangspunkt der deutschen Sachverstndigenberatungen sollte bei jeder einzelnen Bestimmung die Frage sein, „ob der internationale Verkehr eine einheitliche Regelung verlange“ oder ob eine solche entbehrlich sei. Trotz dieser eher skeptischen Grundtendenz legten am Ende Deutschland und sterreich als einzige Staaten im Haag nicht nur Antworten auf den von der niederlndischen Regierung vorab versandten Fragebogen zum Stand des Wechselrechts in den einzelnen Staaten vor, sondern brachten gleich einen gemeinsamen Entwurf fr ein internationales Wechselgesetz mit.33 In den Sachverstndigenberatungen traten die unterschiedlichen Auffassungen ber die richtige Art und Weise der internationalen Vereinheitlichung bald in den Hintergrund, und es wurden hauptschlich divergierende Ansichten ber den anzustrebenden Inhalt eines internationalen Abkommens diskutiert. Internationale Rechtsvereinheitlichung wurde hier von den einen als Bedrohung wohlgeordneter Rechtszustnde, von den anderen als Mittel zur Durchsetzung langgehegter Reformwnsche betrachtet. An zahlreichen Details wurde deutlich, daß die Interessen, Erfordernisse und Gepflogenheiten des internationalen und berseehandels andere waren als diejenigen des „Kleinverkehrs“. Großbanken und Außenhandel waren daran gewçhnt, mit nach deutschem Recht streng genommen ungltigen Wechseln zu arbeiten. Dies galt beispielsweise fr Wechsel, auf denen sich nicht das Wort „Wechsel“ fand. Auch war im berseehandel die nach deutschem Recht nichtige Zinsklausel auf Wechseln unentbehrlich, weil das Lieferdatum und damit der Beginn der Zahlungsfrist sich nicht schon bei Auftragserteilung festlegen ließ. Bestimmungen, die im Binnenverkehr zweifelhafte Geschfte unterbinden sollten, wie etwa die Beschrnkung der Regreßansprche der Inhaber von Wechseln, bei denen der Bezogene bei der Ausstellung bereits in Zahlungsschwierigkeiten war, mußten im berseehandel zustzliche Unsicherheit in das Geschft hineintragen. Hier kam es aufgrund der langen Kommunikationswege nmlich immer wieder vor, daß in gutem Glauben Wechsel auf Personen gezogen wurden, die sich bereits im Konkurs befanden. Schließlich legten Vertreter des berseehandels darauf Wert, zur Sicherung gegen Whrungsschwankungen Wechsel auf den zum Tageskurs errechneten Gegenwert z. B. britischer Pfunde auszustellen („at exchange per endorsement“), und es berraschte sie sehr zu erfahren, daß das RJA solche Wechsel fr ungltig ansah, da darauf keine „bestimmte“ Wechselsumme angegeben sei. Whrend Außen- und berseehandel also darauf angewiesen waren, den Wechsel flexibel mit zustzlichen Eigenschaften ausstatten und ihn zugleich mçglichst einfach halten zu kçnnen, legten Juristen und auch der Kleinhandel vor allem 33 Protokoll der Sachverstndigenberatungen betreffend die Vereinheitlichung des Wechselrechts, Berlin, 17.1.–21. 1. 1910, BAL R 3001/3297.

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Wert darauf, daß die Wechselklausel und berhaupt die besondere „Formenstrenge“ des deutschen Rechts auf keinen Fall durch internationale Regelungen eingeschrnkt wrden, denn diese dienten nicht zuletzt dem Schutz Unkundiger vor einer unabsichtlichen Wechselverpflichtung.34 Das mußte allerdings den Gegensatz zum angloamerikanischen Recht akzentuieren, das sich an den tatschlichen Gepflogenheiten des Handels orientierte. Grund fr diese Interessengegenstze war letztlich der Widerstreit zwischen Sicherheit und Effizienz im Wirtschaftsleben: Der Wechsel hat eben die Eigenart, zwei eigentlich einander widersprechende Elemente in sich zu vereinen, die Wechselstrenge einerseits, welche die Innehaltung gewisser Formen und Fristen erfordert, andererseits das Bedrfnis einer weitgehenden, kaufmnnischen Bequemlichkeit in der Verwendung, die das bloße Hinkritzeln eines Namens als ausreichende Erklrung bewertet.35

Immer wieder wurde deshalb die grundstzliche Frage diskutiert, ob es das Ziel des Wechselrechts sein sollte, einfach zu handhabende, effiziente Formen der Zahlung und Mobilisierung von Kredit bereitzustellen, oder ob es vor allem den am Wechselverkehr Beteiligten durch strenge Formvorschriften Sicherheit ber die Natur der zirkulierenden Papiere und ber ihre Rechte und Pflichten verschaffen sollte. Das zeigt sich z. B. an Auseinandersetzungen darber, ob mçglichst viele gltige oder mçglichst viele gute, d. h. zirkulationsfhige Wechsel das Ziel der gesetzlichen Regelung sein sollten. Je geringer die Formanforderungen, desto geringer das Risiko, daß ein Wechsel aus formalen Grnden ungltig war, was insbesondere den Interessen des internationalen Verkehrs entsprach. Jedoch mußten bei geringen Formanforderungen vermehrt Papiere unklaren Inhalts zirkulieren, die dann aus Angst vor „Schikane des Regreßpflichtigen“ nur noch ungern angenommen wrden. Darin spiegelte sich nicht nur die Angst des „Kleinverkehrs“ vor unbeabsichtigter Wechselverpflichtung, sondern auch das Bestreben der Großbanken, ihren einheimischen Kunden aus Kleinhandel, Handwerk usw. keine Auswege aus der Wechselstrenge zu erçffnen.36 Sowohl Juristen als auch Vertreter der Banken suchten einen Kompromiß dadurch zu finden, daß gewisse fr den berseehandel vielleicht unentbehrliche Instrumente wie der Wechsel mit Zinsklausel aus dem „Kleinverkehr“ herausgehalten wurden. Der verschiedentlich vorgebrachte Vorschlag, einen eigenstndigen „internationalen Wechsel“ zu schaffen, konnte sich nicht durchsetzen, da es bei der Ausstellung des Wechsels schlicht nicht absehbar war, an wen und wohin er weitergegeben werden wrde, und die Beschrnkung der Umlauffhigkeit von Wechseln auf das Inland ihren Nutzen als 34 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 17. 1. 1910, BAL R 3001/3297; Handelstag an RJA, 2. 2. 1910, BAL R 3001/3298. 35 Schnitzer, S. 374. 36 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 17. 1. 1910, BAL R 3001/3297.

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Zahlungs- und Kreditbeschaffungsinstrument stark eingeschrnkt htte.37 In der Regel setzte sich die im Hinblick auf den Kleinverkehr und das inlndische Geschft der Großbanken zu bevorzugende Auffassung durch, nach der strenge Formvorschriften fr den Wechsel mit gutem Grund bestanden. Nur eine einzige Formvorschrift wurde allgemein fr schdlich gehalten: Alle Sachverstndigen setzten sich dafr ein, daß der fehlende oder falsche Steuerstempel den Wechsel nicht ungltig machen durfte, was insbesondere bei russischen Wechseln aufgrund der Undurchschaubarkeit der dortigen Stempelgesetze immer wieder zu Problemen fhrte.38 Der Stempel allerdings war das einzige unbedingte Formerfordernis, das das englische Wechselrecht kannte. Letztlich ging es bei der Frage nach Sicherheit oder Effizienz als leitendem Gesichtspunkt des Wechselrechts darum, inwieweit der Staat zum Schutze Schwacher oder aus wirtschaftspolitischen Motiven die Privatautonomie der am Wechselverkehr Beteiligten einschrnken sollte. Ratenwechsel wurden beispielsweise abgelehnt, weil dadurch unerwnschte Abzahlungsgeschfte gefçrdert wurden. Gegen die Einfhrung des nicht akzeptablen Wechsels wurde eingewandt, daß sie zu einer berspannten Kreditschçpfung und damit zu unsolider Geschftsfhrung verleite. Andererseits aber beschleunigte die sofortige Mobilisierung von Forderungen auf dem Wege des Wechseldiskonts den Kapitalumlauf und regte so die wirtschaftliche Ttigkeit an, weshalb beispielsweise die çsterreichischen Sachverstndigen sich fr dieses Instrument aussprachen. Seine Ablehnung durch die deutschen Sachverstndigen lief hingegen darauf hinaus, gesetzliche Vorgaben an die Stelle unternehmerischer Entscheidungen zu setzen.39 Ebenfalls wirtschaftspolitisch motiviert war die ablehnende Stellungnahme von Juristen und Reichsbank zu der von Handel und Banken geforderten Zulassung von Inhaberwechseln.40 Diese waren im deutschen Rechtskreis verboten, da sie in Konkurrenz zum Papiergeld treten konnten und so „jeder Private geradezu Banknoten ausgeben kçnnte“.41 Dennoch setzten sich Reichsjustizamt und Auswrtiges Amt fr die Zulassung der Inhaberwechsel ein, da diese in Großbritannien und den USA,

37 Vgl. dazu auch Wieland, Wechselkonferenz, S. 348. 38 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 21. 1. 1910, BAL R 3001/3297; Handelstag an RJA, 2. 2. 1910, BAL R 3001/3298. Zu Problemen mit russischen Wechseln Mitteilungen des Handelsvertragsvereins, 20. 1. 1912, und Konsulat Moskau an Bethmann-Hollweg, 7. 10. 1912, BAL R 901/26903. 39 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 18. 1. 1910; Protokoll der çsterreichischen Sachverstndigenberatungen von 1909, Anlage zu Mayer an Reichsjustizamt, 14. 5. 1909 BAL R 3001/ 3297; Protokoll der çsterreichischen Sachverstndigenberatungen vom 10.–13. 1. 1911, o.D., BAL R 3001/3299. 40 Ein Inhaberwechsel lautet wie eine Banknote auf den Inhaber, nicht auf eine im Indossament namentlich bezeichnete Person oder Firma; der eigene Inhaberwechsel stellt ein banknotenhnliches Zahlungsversprechen des Ausstellers selbst an den jeweiligen Inhaber des Papiers dar. 41 Freund, Das internationale Wechselrecht.

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„auf deren Beitritt zu dem einheitlichen Rechte entscheidender Wert zu legen ist“, gngig waren.42 Vçlkerrechtlich bedeutsam waren schließlich die Bestimmungen einer internationalen Wechselordnung, die Whrungsfragen und Moratorien betrafen. Ein juristischer Sachverstndiger wollte festschreiben, daß Wechsel grundstzlich in Gold zu zahlen seien, da man andernfalls „die Befugnis der Vertragsstaaten, Noten mit Zwangskurs auszustatten“, anerkenne; doch die Diskussion ergab: „Kein Land kçnne sich darauf einlassen, seine Finanzhoheit in solcher Weise international zu beschrnken.“ Einem Bankier, der auf die Mçglichkeit verwies, die Goldklausel in den Wechsel mit aufzunehmen und sich so gegen Whrungsverfall zu schtzen, wurde entgegnet, „daß sich Deutschland nicht durch internationale Anerkennung der Goldklausel in seinen Whrungsvorschriften binden kçnne.“43 Einigkeit konnte whrend der Sachverstndigenberatungen nicht erzielt werden, und erst nach weiteren Konsultationen mit Regierungsstellen und der Reichsbank entschied sich die Regierung, daß man „sich in bezug auf die Regelung der eigenen Whrung [vçlkerrechtlich] nicht binden drfe“. Ein zuknftiges einheitliches Wechselrecht msse sich ber diesen Punkt ausschweigen, da man die Goldklausel auf Wechseln auch nicht verbieten wolle. Gegen die Zulassung der Effektivklausel hatte die Reichsbank erstaunlicherweise keine Bedenken, obwohl diese ebenfalls den Bezogenen zwingen wrde, sich auslndische Zahlungsmittel „mittels Ausfuhr deutschen Goldes zu beschaffen.“ Die Beratungen waren in diesem Punkt konfus, und nicht alle Beteiligten konnten den vorgetragenen Argumenten folgen.44 Erstaunlich ist jedenfalls, wie selbstverstndlich der Gedanke diskutiert wurde, in einem internationalen Abkommen minderer Bedeutung geldpolitische Souvernitt aufzugeben. Offenbar rechnete außerhalb der Reichsbank, die sich bereits mit Planungen fr geldpolitische Reaktionen auf einen Krieg der Großmchte befaßte, kaum jemand ernstlich mit einer Gefhrdung des Goldstandards in den wichtigen Handelsstaaten,45 und die Frage wurde vor allem als ein Problem berseeischer Staaten ohnehin zweifelhafter wirtschaftlicher Reputation angesehen. Vçlkerrechtlich bedeutsam war auch die Frage der wechselrechtlichen Wirkung von Moratorien. Alle Wechselgesetze schtzten den Inhaber von 42 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 17. 1. 1910, BAL R 3001/3297; RJA und AA an Schatzamt, Reichsbank und preußisches Finanzministerium; Aufz. RJA, 5. 3. 1910, 28. 2. 1910, BAL R 3001/3298. 43 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 17. 1. 1910, 19. 1. 1910, BAL R 3001/3297. 44 Aufz. RJA, „Besprechung mit Vertretern des AA ber die Antwort auf den niederlndischen Fragebogen zum Wechselrecht“, 29. 1. 1910; RJA und AA an Schatzamt, Reichsbank und preußisches Finanzministerium, 28. 2. 1910; Zitat: Aufz. RJA, 5. 3. 1910, BAL R 3001/3298. Im deutschen Entwurf heißt es: „Der Aussteller kann … im Wechsel bestimmen, dasz die Zahlung in der von ihm bezeichneten Whrung zu erfolgen hat“ (Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1910, Confrence de La Haye, Bd. 2, S. 60). 45 Vgl. Strachan, S. 835 –839, 890 f.; Barth, Hochfinanz, Kap. IV.4.

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Wechseln vor dem Verlust seiner Rechte, wenn er durch hçhere Gewalt daran gehindert wurde, fristgemß den Wechsel vorzulegen oder Protest zu erheben. Die strittige Frage war, ob neben Naturkatastrophen, revolutionren Unruhen und dergleichen auch von Staaten verhngte Moratorien als hçhere Gewalt im Sinne des Wechselrechts angesehen werden sollten. Die Mehrheit der Sachverstndigen hielt eine international einheitliche Regelung dieser Frage, die ja 1870/71 den Ausgangspunkt fr die Vereinheitlichungsbestrebungen gebildet hatten, fr unabdingbar. Auch hier ging es darum, durch eine internationale Abmachung den mittlerweile allgemein fr unhaltbar angesehenen Standpunkt der deutschen Rechtssprechung zu berwinden, die auslndische Moratorien grundstzlich nicht anerkannte. Vertreter des Exporthandels forderten, alle Hindernisse natrlicher oder çffentlich-rechtlicher Natur, die die rechtzeitige Prsentation oder Protesterhebung verhinderten, als hçhere Gewalt anzuerkennen. Die Mehrheit war jedoch fr nur leichte Einschrnkungen der bisherigen Praxis. Nur eine Minderheit – der allerdings auch das Auswrtige Amt angehçrte – glaubte, Deutschland „drfe sich nicht von vornherein durch Anerkennung der Rechte fremder Staaten auf Erlaß von Moratorien binden.“ Hier setzte sich eindeutig eine souvernittsbewußte Auffassung durch: Deutschland sollte eine Regelung anstreben, nach der jeder Staat zum Erlaß von Moratorien ebenso wie zur freien Entscheidung ber die Anerkennung auslndischer Moratorien berechtigt war. Dadurch htte sich allerdings fr die Flle, die 1870/71 den Reformbedarf deutlich gemacht hatten, nichts gendert.46 Trotz des spten Beginns der deutschen Vorarbeiten fielen diese umfassend aus, ohne allerdings alle Aspekte vollstndig behandeln zu kçnnen. In den Beratungen betrachteten die Beteiligten die internationale Vereinheitlichung des Wechselrechts als Chance, ihre eigenen Reformanliegen voranzubringen, achteten aber zugleich darauf, daß die Vereinheitlichung nicht auf Kosten positiv eingeschtzter Regelungen des deutschen Wechselrechts ging. Dabei strebten Außen- und berseehandel vor allem eine rechtliche Anerkennung bereits eingebrgerter, aber formal ungltiger Formen der Wechselverpflichtung an, die sich zum Zweck rascheren Kapitalumlaufs und unkomplizierterer Geschftsabwicklung herausgebildet hatten. Diese Anliegen wurden im deutschen Entwurf einer internationalen Wechselordnung jedoch nur teilweise aufgenommen (so durch Zulassung der Zinsklausel, die Gltigkeit falsch oder gar nicht verstempelter Wechsel, die Anerkennung zumindest einiger Flle hçherer Gewalt). Ebenso hufig aber setzten sich Bedenken durch, die teils wirtschaftspolitischer Art waren, teils das Bestreben verraten, im Kleinverkehr nicht dieselbe Flexibilitt zuzulassen wie im Außenhandel. Ein wesentlicher Grund dafr war, daß die Interessenverbnde wie der Han46 Protokoll der Sachverstndigenberatungen, 20. 1. 1910, BAL R 3001/3297; Aufz. RJA, „Besprechung mit Vertretern des AA ber die Antwort auf den niederlndischen Fragebogen zum Wechselrecht“, 29. 1. 1910, BAL R 3001/3298.

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delstag selbst nicht zu einer einheitlichen Position finden konnten, da sie unterschiedlichste Interessen vom Einzelhandel bis zur Großindustrie zu vertreten hatten, whrend die Verbnde der am internationalen Wechselverkehr primr beteiligten Kreise zu schwach waren, um ihre Beteiligung an den Beratungen durchzusetzen. Staatliche Stellen schließlich legten Wert auf den Erhalt souverner Handlungsfhigkeit, wenn auch nur in ihrem jeweiligen Geschftsbereich. So wollten das Auswrtige Amt und Justizamt keine Bindung bezglich auswrtiger Moratorien hinnehmen, waren aber durchaus bereit, die von der Reichsbank aus whrungspolitischen Grnden abgelehnten Inhaberwechsel als Preis einer internationalen Vereinheitlichung hinzunehmen. Der deutsche Entwurf orientierte sich stark am bestehenden deutschen Wechselrecht und ließ viele der von Meyer vorgeschlagenen nderungen unbercksichtigt.

Diskussionen und Ergebnisse der beiden Haager Konferenzen von 1910 / 191247 Auf der ersten Haager Wechselrechtskonferenz vom 23.6.–25. 7. 1910 waren 32 Staaten vertreten. Fr das Deutsche Reich nahmen drei Beamte teil, davon zwei des Auswrtigen Amtes und einer des Reichsjustizamtes, sowie ein „technischer Delegierter“, der Bankier Fischel (Mendelssohn & Co.). Dem Vorschlag der niederlndischen Gastgeber folgend wurde in kleinen Sektionen beraten, in denen jeweils Vertreter der verschiedenen Wechselrechtstraditionen vertreten waren. Die Sektionen faßten ihre Beschlsse ohne festgelegtes Verfahren teils durch Kompromiß, teils einstimmig, teils „im Wege der Abstimmung mit oft sehr zweifelhaften Mehrheiten“. Anschließend kamen die Berichterstatter und Prsidenten der einzelnen Sektionen als Zentralkommission zu gesonderten Beratungen zusammen.48 Die erste Konferenz endete mit der Einigung auf einen Vorentwurf fr ein international einheitliches Wechselgesetz. Dieser Entwurf wurde im Laufe des Jahres 1911 erneut von Interessengruppen, Sachverstndigen und Regierungskreisen in den beteiligten Staaten beraten. Darauf folgten wiederum deutsch-çsterreichisch-italienische Konsultationen sowie eine enge Abstimmung der deutschen und franzçsischen Verhandlungsdelegationen bei einer Besprechung in Paris. So wurden alle strittigen Fragen vor Beginn der Konferenz geklrt und im Haag nur noch Detail- und Redaktionsfragen beraten.49 Die zweite Haager Wechselrechtskonferenz arbeitete im Plenum, bevor die endgltige Feststellung der 47 Die Protokolle der beiden Konferenzen sind publiziert als Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1910; Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1912. 48 Wieland, Wechselkonferenz. Zitat: Sichermann. 49 Aufz. RJA, o.D., „Ergebnisse der Beratungen der deutschen, çsterreichischen, italienischen und ungarischen Vertreter ber das Wechselrecht, 27.3.–1.4.1911“; Aufz. RJA, o.D., „Vorbesprechung der deutschen und franzçsischen Delegationen in Paris“, 31.5.–3.6.1912, BAL R 3001/ 3300.

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Vertragstexte einem kleinen Redaktionskomitee bertragen wurde. Am 23. 7. 1912 wurde das internationale Wechselrechtsbereinkommen (bestehend aus einem „Abkommen ber die Vereinheitlichung des Wechselrechts“ und einer „einheitlichen Wechselordnung“) unterzeichnet.50 Beide Konferenzen wurden in Deutschland von Kampagnen in der Verbands-, Fach- und Tagespresse begleitet, in denen die Wnschbarkeit einer internationalen Vereinheitlichung betont und Vorschlge fr die konkrete Ausgestaltung gemacht wurden.51 Die wichtigste Vorentscheidung ber den Verlauf der Konferenz war sicherlich die Stellungnahme der britischen Verhandlungsdelegation. Der britische Außenminister Grey hatte bereits vor der Konferenz Zweifel am Verfahren geußert und vorgeschlagen, doch erst einmal zu untersuchen, welche Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Wechselrechten denn berhaupt zu Unzutrglichkeiten fhrten, anstatt gleich ein internationales Gesetzeswerk auszuarbeiten.52 Aus der britischen Antwort auf den niederlndischen Fragebogen53 sind drei Aspekte hervorzuheben: (1) stand das britische Recht auf dem Standpunkt, „that the substance and not the form of an instrument should be considered“ und die zahlreichen Formvorschriften der kontinentalen Rechtssysteme daher nicht akzeptiert werden konnten. (2) fehlten dem britischen Wechselrecht zahlreiche auf dem Kontinent bekannte Detailbestimmungen, die aus wirtschaftspolitischen oder Gemeinwohlgrnden die Privatautonomie beschrnkten, „and the parties are left to make their own arrangements … without any interference on the part of the law.“ (3) ergab sich daraus die extensive Verwendung von „probably“, „it seems“ und hnlichen Formulierungen in der Antwort auf Detailfragen, ber die sich das britische Wechselrecht ausschwieg. So kann es nicht verwundern, daß die britische Regierung zu dem ganzen Haager Projekt eine skeptische Haltung einnahm. Die britischen Delegierten machten gleich zu Beginn der Konferenz klar, daß sie ein Einheitsgesetz fr unerreichbar hielten und nicht autorisiert waren, wesentliche nderungen des britischen Wechselrechts in Aussicht zu stellen. Dennoch beteiligten sie sich konstruktiv an den Beratungen, wenn auch nicht an kritischen Abstimmungen, denn sie hielten es im britischen Interesse fr wichtig, „that the law should not contain provisions which are inimical to international commerce“ und fr vorteilhaft „to have only one Continental system to deal with, instead

50 Unterzeichnerstaaten waren Belgien, Brasilien, Dnemark, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Mexiko, Montenegro, Norwegen, sterreich, Ungarn, Paraguay, die Niederlande, Rußland, Schweden, die Schweiz und die Trkei; Argentinien, Italien, Salvador und Serbien zeichneten nachtrglich: Wieland, Wechselrechtsbereinkommen, S. 5 f. 51 Zahlreiche Presseartikel sind gesammelt in den Akten des RJA: BAL R 3001/3298 – 3300. 52 Grey an den niederlndischen Gesandten in London, Gericke, 5. 7. 1909, 22. 3. 1910, in H.M. Stationery Office, Correspondence 1910. 53 Grey an Gericke, 22. 3. 1910, in H.M. Stationery Office, Correspondence 1910.

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of the present multiplicity of divergent laws.“54 An den britischen Vorbehalten nderte der Konferenzverlauf aber nichts. In ihrer Abschlußrede erluterten die britischen Delegierten nochmals die Grnde dafr. Gegen eine britische Beteiligung spreche zunchst, daß das bestehende britische Wechselrecht bereits fr ber 120 Millionen Menschen im Vereinigten Kçnigreich, in den britischen Kolonien und Dominions, in Indien und in den meisten Staaten der USA glte und nicht ohne weiteres gendert werden kçnne, „without disturbing long-settled commercial relations and without creating divergencies in legislation among the members of the Anglo-Saxon family.“ Außerdem machten die britischen Delegierten inhaltliche Bedenken geltend, weshalb auch die „necessity of safeguarding the interests of our mercantile community“ gegen eine britische Beteiligung spreche. Englisches Recht, so argumentierten sie, does but incorporate the usage of our commerce. It is not an arbitrary law imposed by the Legislature on the commercial community ; the Legislature has but given the sanction of law to the usages of our commerce and trade, and in modifying that law we should upset long established customs.55

Daraus ergab sich ein grundstzlicher Gegensatz zu den Prinzipien des kontinentalen Wechselrechts, das deutlich strker von wirtschafts- und allgemeinpolitischen Erwgungen geprgt war. Hinzu kamen die zahlreichen Unterschiede im Rechtsdenken, die eine Annherung erschwerten. So gab es in Großbritannien keine Trennung von brgerlichem und Handelsrecht oder von Kaufleuten und Nichtkaufleuten, kein spezielles Wechselrecht und keine Handelsgerichte.56 Auch an der zweiten Konferenz 1912 nahmen die Briten teil, ohne aus ihrer reservierten Haltung herauszutreten, wie sie bereits vorab in einer Note an die anderen Konferenzteilnehmer deutlich machten. Erneut wurde hier kritisiert: la loi uniforme est trop rigoureuse … elle met des r gles sur des points qu’il serait prfrable de laisser la discrtion des parties intresses. Les banquiers et les ngociants connaissent mieux leurs propres affaires que ne peut le faire aucun corps lgislatif et les intrÞts du commerce sont mieux servis en les laissant libres autant que possible de leurs propres ngociations et arrangements.57

Mit der Nichtbeteiligung der Briten und Amerikaner war fr die deutsche Seite ein wesentlicher Grund weggefallen, Kompromißbereitschaft zu zeigen. Andererseits war sichergestellt, daß der Konflikt zwischen angelschsischem und kontinentalem Recht nicht aufbrechen und es auf der Konferenz allein um die 54 Aufz. der britischen Delegierten M.D. Chalmers und F.H. Jackson, o.D., H.M. Stationery Office, Correspondence 1910. 55 Chalmers und Jackson an Grey, 8. 8. 1910, H.M. Stationery Office, Correspondence 1910. 56 Vgl. auch Schuster. 57 Britische Note, o.D., BAL R 3001/3300. Zur britischen Teilnahme an der zweiten Haager Konferenz H.M. Stationery Office, Correspondence 1912.

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Annherung der kontinentalen Rechtssysteme gehen wrde. Und es blieb, wie es der deutsche Delegationsleiter Simons formulierte, „die Aussicht, daß selbst auf die angelschsische Welt das Schwergewicht eines gleichen Rechts der brigen Welt allmhlich Eindruck machen werde.“58 Die Verhandlungen auf den beiden Haager Konferenzen kreisten um drei Gruppen von Problemen.59 Zunchst wurden die bereits referierten Erwgungen zur Reform des Wechselrechts zur Sprache gebracht, die im wesentlichen auf den in allen Staaten hnlichen Interessenkonflikten von Handel, Banken, Kleinverkehr und staatlichen Stellen beruhten. Zweitens ging es um grundstzliche Unterschiede der einzelstaatlichen Rechtsordnungen, angesichts der Nichtbeteiligung der Briten vor allem des deutschen und franzçsischen Wechselrechts. Drittens schließlich stellten sich Fragen des Vçlkerrechts und der nationalen Souvernitt. (1) Anders als in den Vorberatungen waren jetzt nur noch Juristen und Diplomaten (dazu auf der ersten Konferenz untergeordnete „technische Delegierte“) an den Beratungen beteiligt. Deren wichtigste Arbeitsgrundlage war der als Ergebnis der deutschen Vorberatungen und deutsch-çsterreichischitalienischen Konsultationen aufgestellte Vorentwurf einer internationalen Wechselordnung. Nachdem auf das den Interessen des Handels und der Privatautonomie verpflichtete britische Recht keine Rcksicht mehr genommen werden mußte, stellten die Haager Konferenzen kein Forum mehr fr ber den deutschen Vorentwurf hinausgehende Reformanliegen dar. Dementsprechend wurde von den Zielen des Handels das verwirklicht, was auch schon im deutschen Entwurf zu finden war : die Zulassung des Zinswechsels und des nicht akzeptablen Wechsels und die Gltigkeit des nicht verstempelten Wechsels. (2) Inhaltlich beruhten die international einheitlichen Normen wesentlich auf der deutschen Wechselordnung. Die Beschlsse der Zentralkommission wurden in der Regel einstimmig gefaßt, weil die franzçsischen Vertreter die internationale Vereinheitlichung zur Modernisierung ihres inzwischen veralteten Wechselrechts nutzen wollten. Insbesondere aus den deutsch-franzçsischen Vorbesprechungen gewinnt man zudem den Eindruck, daß vor allem der deutschen Delegation an einem Vertragsabschluß und an bestimmten konkreten Regelungen (Stempel, Goldklausel) gelegen war, whrend die franzçsischen Vertreter eher geneigt waren, auf einzelne Regelungen zu verzichten oder Ausnahmen zuzulassen.60 In der Frage des Wechselstempels gab Frankreich am Ende der Konferenz schließlich nach und akzeptierte auch nicht verstempelte Wechsel als gltig, weil die deutsche Delegation bereit war, deswegen heftigste Auseinandersetzungen und sogar das Scheitern der Kon58 Simons. 59 Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1910, Confrence. 60 Ministre des Affaires Etrangres, Documents Diplomatiques; Aufz. RJA, o.D., „Vorbesprechung der deutschen und franzçsischen Delegationen in Paris, 31.5.–3.6.1912“, BAL R 3001/3300.

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ferenz zu riskieren. In vielen anderen wichtigen Fragen hingegen entschieden sich die Delegationen der großen Staaten in ihren Vorberatungen, den nationalen Gegenstzen von vornherein durch die Schaffung nationaler Vorbehaltsrechte aus dem Wege zu gehen.61 (3) Wichtigstes Charakteristikum der schließlich im Wechselrechtsbereinkommen festgehaltenen Regelungen war daher, daß in vielen Bereichen anstelle einer tatschlichen Vereinheitlichung nur scheinbar verbindliche Bestimmungen geschaffen wurden und die einzelnen Staaten das Recht zu abweichender einzelstaatlicher Gesetzgebung behielten.62 Auf diese Weise sicherten sich die Vertragsmchte die Mçglichkeit, wirtschaftspolitische und Gemeinwohlerwgungen im Wechselrecht zur Geltung zu bringen und im nationalen Wirtschaftsleben eingebrgerte Formen des Wechsels zu erhalten. Immerhin wurde genau bestimmt, in welchen Bereichen nationale Vorbehalte geltend gemacht werden konnten und in welchen nicht. Ein derartiger Vorbehalt betraf beispielsweise die Wechselklausel, die fr die Gltigkeit in Deutschland ausgestellter Wechsel erforderlich blieb, in Frankreich aber durch die eingebrgerte Formulierung „ ordre“ ersetzt werden konnte. Der Zulassung von Inhaberwechseln wollte sich das Deutsche Reich zunchst durch einen Vorbehalt verweigern; schließlich tauchte dieses Instrument in der einheitlichen Wechselordnung gar nicht mehr auf, und Staaten, die es zulassen wollten, wurde durch einen Vorbehalt das Recht dazu gegeben.63 Ganz der Regelung durch die nationale Gesetzgebung berlassen wurde etwa die Wechselfhigkeit, wo kein Staat gezwungen werden konnte, die im Ausland eingegangene Wechselverpflichtung eines nach heimischem Recht nicht Wechselfhigen anzuerkennen.64 Auch die Formalitten und Fristen des Wechselprotests, deren Vereinheitlichung ein wesentliches Anliegen insbesondere der Finanzwelt gewesen war, blieben der nationalen Gesetzgebung berlassen. Hier ging es um Fragen, die das allgemeine brgerliche Recht (Personenstatus, Geschftsfhigkeit) bzw. das Prozeßrecht der einzelnen Staaten berhrten, weshalb sie nicht in einem international einheitlichen Spezialgesetz geregelt werden konnten.

61 Zur deutschen Bereitschaft, die Konferenz an der Stempelfrage scheitern zu lassen Aufz. RJM, 18. 4. 1923, BAL R 3001/3308; zu den heftigen Streitigkeiten ber diesen Punkt Wieland, Wechselmoratorien, S. 196. 62 Eine bersicht ber die Vorbehalte bei Wieland, Wechselkonferenz und Hupka, S. 207 f. 63 Wieland, Wechselkonferenz, S. 364 f.; Wieland, Wechselrechtsbereinkommen, S. 27; Aufz. RJA, o.D., „Die Ergebnisse der Beratungen der deutschen, çsterreichischen, italienischen und ungarischen Vertreter ber das Wechselrecht, 27.3.–1.4.1911“, Aufz. RJA, o.D., „Vorbesprechung der deutschen und franzçsischen Delegationen in Paris, 31.5.–3.6.1912“, BAL R 3001/ 3300. 64 So konnten sich weiterhin in Frankreich Ehefrauen, in sterreich Soldaten und in Rußland Geistliche nicht wechselrechtlich verpflichten; die Wechselverpflichtung, die ein nach franzçsischem Recht Minderjhriger in der Schweiz eingegangen war (wo die Volljhrigkeit frher erreicht wurde), brauchten franzçsische Gerichte nicht anzuerkennen.

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Ganz ausgespart wurde schließlich die Frage der Moratorien, die ursprnglich den Anlaß fr die Vereinheitlichungsbestrebungen gebildet hatte. Zwar gelang der Konferenz eine Einigung ber die Frage des Umgangs mit hçherer Gewalt im klassischen Sinne, also Katastrophen, Kriegen und Unruhen, die tatschliche Hindernisse fr die Vornahme wechselrechtlich notwendiger Handlungen (konkret: Vorlage und Protest) bildeten. Hier standen sich verschiedene nationale Traditionen und verschiedene Interessenstandpunkte gegenber. Im englischen, amerikanischen und franzçsischen Recht verlngerten sich die Protest- und Vorlagefristen bei hçherer Gewalt automatisch bis zum Fortfall des Hindernisses. In Italien und sterreich hingegen ersetzte der Eintritt hçherer Gewalt den Protest und erçffnete damit dem Inhaber des Wechsels den sofortigen Regreß gegen seine Vormnner. Solche, den Inhaber absichernde Regeln konnten als den Interessen der Banken entsprechend gelten, waren sie es doch, bei denen der grçßte Teil der Wechsel frher oder spter zum Diskont oder Inkasso eingereicht wurde. Aber auch die Kaufleute in Deutschland bevorzugten eine solche Regelung, weil „doch das Hauptgewicht auf eine schleunige Abwicklung des Wechselgeschfts und auf die Sicherheit des Inhabers gelegt werden muß, damit die Umlaufsfhigkeit des Papiers erleichtert wird.“65 Die englisch-franzçsische Regelung hingegen schtzte die Vormnner und Aussteller – also letztlich den Exporthandel und die Industrie – davor, im Falle eines Krieges oder einer Naturkatastrophe zustzlich zur allgemeinen Beeintrchtigung ihres Geschfts mit einer Flut von Regreßansprchen konfrontiert zu werden. Im Haag vertrat auch die deutsche Delegation dieses Prinzip. Der deutsche „technische Delegierte“ Fischer erluterte, daß der sofortige Regreß die durch die hçhere Gewalt ausgelçsten wirtschaftlichen Stçrungen multiplizieren msse: „[V]ous allez faire une perturbation tr s grande, en mettant en mouvement toutes les lettres de change qu’on ne peut pas prsenter. … De nombreuses faillites en rsulteront ncessairement.“ Verleihe man der hçheren Gewalt hingegen aufschiebende Wirkung, wrde die Kettenreaktion vermieden und in den meisten Fllen htten die Inhaber keinen grçßeren Schaden als einen verzçgerten Zahlungseingang zu tragen. Als Kompromiß schlug die deutsche Delegation vor, daß hçhere Gewalt die Prsentations- und Protestfristen zunchst verlngern sollte, die Wechselinhaber nach Ablauf von 3 Monaten aber zum Regreß schreiten konnten. Diese Frist wurde dann aber noch auf 30 Tage verkrzt. Immerhin ließ sich hier sowohl fr die Interessengegenstze zwischen verschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren als auch fr die Gegenstze zwischen den nationalen Rechtssystemen eine Lçsung finden.66

65 Zitat: Meyer, Handelstag. 66 Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1910, Bd. 1, S. 54 ff., 230 ff. (Zitat 55), 339 ff.; Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1912, Bd. 2, S. 70 – 86; Wieland, Wechselmoratorien, S. 202 ff.

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Was nicht gelang, war eine Regelung der Frage, ob ein staatlicherseits verhngtes Moratorium als eine Form hçherer Gewalt anzusehen sei.67 Dies lag einmal daran, daß es ohnehin zunehmend schwierig war, eine allgemeine Regel in dieser Frage zu finden, da in der durch die Balkankrisen bereits angespannten außenpolitischen Atmosphre die Mçglichkeit von kriegfhrenden Staaten verhngter Wechselmoratorien deutlich vor Augen stand. Wichtiger aber war, daß das Auswrtige Amt trotz der stndigen und nachdrcklichen Forderungen von Handel und Banken daran festhielt, „daß es aus politischen Grnden bei dem Beschlusse der Konferenz, die Moratorien nicht zu erwhnen, bewenden msse.“ Diese politischen Grnde lagen einmal darin, die souverne Handlungsfreiheit der deutschen Regierung zu bewahren, auswrtige Moratorien anzuerkennen oder auch nicht: Eine internationale Anerkennung der in einem Vertragslande erlassenen Moratorien, also der Gesetze, die einen allgemeinen Zahlungsaufschub anordnen, … wre nur denkbar, wenn auch ber die Voraussetzungen fr den Erlass eines Moratoriums … internationale Einheitlichkeit geschaffen wre. Keiner der Vertragsstaaten wrde aber wohl geneigt sein, in diesem Punkte Souvernitt aufzugeben.68

Man sah vor allem die Gefahr, daß ein Staat die Kosten fr seine – mçglicherweise kurz vor einer internationalen Krise fieberhaft gesteigerten – Einfuhren durch ein Moratorium schlicht auf das Ausland, nmlich auf auslndische Wechselinhaber, abwlzte. Hinzu kam, daß nach erregten Debatten zwischen der deutschen und der franzçsischen Delegation ber die in den Pariser Beratungen offengebliebene Frage der Verstempelung eine Erwhnung der franzçsischen Kriegsmoratorien von 1870/71 allen Beteiligten untunlich schien, zumal bereits 1910 der Streit ber die politischen Moratorien fast zum Scheitern der Konferenz gefhrt hatte.69 Sowohl Deutschland als auch sterreich bereiteten deshalb eigene Gesetze vor, die keine allgemeinen Prinzipien festlegten, sondern der Regierung die Mçglichkeit gaben, den Umgang mit auswrtigen Moratorien im Einzelfall auf dem Verordnungswege zu regeln.70 In hnlicher Weise wurden die whrungspolitischen Aspekte des Wechselrechts behandelt. Sowohl Deutschland als auch Frankreich widersetzten sich zwar der Forderung einiger Staaten wie z. B. Mexikos, explizite nationale Vorbehalte gegen die Effektivklausel zuzulassen. Hauptschlich ging es ihnen 67 Der ursprngliche Haager Kompromiß sollte Moratorien bercksichtigen, soweit sie auf natrliche Vorkommnisse zurckgingen, was aber bei der Endredaktion vergessen und 1912 nicht wieder aufgenommen wurde. Dadurch entstand erhebliche Unsicherheit, wenn ein Staat etwa wegen einer Naturkatastrophe ein Moratorium verhngte: Protokoll der çsterreichischen Sachverstndigenberatungen vom 10.–13. 1. 1911, o.D., BAL R 3001/3299. 68 Aufz. RJA, 25. 2. 1911, BAL R 3001/3299 (erstes Zit.); Vortrag Dr. Ernst v. Simson (RJA) vor der Berliner Juristischen Gesellschaft, 4. 4. 1914, BAL R 3001/3302 (zweites Zit.). Zu 69 Simons; Wieland, Wechselmoratorien, S. 196. 70 Vortrag Dr. Ernst v. Simson (RJA) vor der Berliner Juristischen Gesellschaft, 4. 4. 1914, BAL R 3001/3302.

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jedoch darum, die vollstndige Freiheit aller Staaten im Umgang mit von dritten Staaten eingefhrten Banknoten mit Zwangskurs zu erhalten. Daher einigte man sich: „[L]a Confrence ne touchera pas aux questions intressant la lgislation financi re de chaque pays“.71

Ergebnisse Die Londoner Times urteilte nach der der Verçffentlichung des britischen Blaubuchs ber die erste Haager Konferenz: „The unification of the Law of Bills of Exchange is for some time to come a practical impossibility. That is the most striking result of the recent Conference at The Hague.“72 In der Tat wurde selbst im Kreise derjenigen Staaten, die im folgenden Jahre das Haager Wechselrechtsbereinkommen unterzeichneten, nur eine partielle Rechtsvereinheitlichung erzielt. Im Haag verhandelten nicht die am Wechselverkehr beteiligten Kreise miteinander, sondern Vertreter von Nationalstaaten, denen die Aufgabe nationaler Rechtstraditionen schwerfiel, welche jeweils als Ausdruck gemeinwohlorientierter Wirtschaftspolitik verstanden wurden. Das System der nationalen Vorbehalte stellte in dieser Situation eine Alternative zum Scheitern der Konferenz dar, das sich insbesondere die Gastgeber und die deutsche Delegation mit Rcksicht auf ihre innenpolitische wie internationale Stellung nicht leisten zu kçnnen glaubten. Auch wenn insbesondere von kaufmnnischen Kreisen immer wieder argumentiert wurde, daß es sich beim Wechselrecht um eine technische Materie handele, bei der letztlich die Einheitlichkeit der Regelungen wichtiger sei als ihr Inhalt, konnte das Wechselrecht nicht losgelçst von allgemeinen politischen und rechtlichen Fragen behandelt werden. Es berhrte Aspekte der allgemeinen Wirtschaftspolitik, des Schutzes Unwissender (Formenstrenge), der Whrungspolitik (Goldklausel, Inhaberwechsel) und der Außenpolitik (Moratorien). Auch war das Wechselrecht nicht nur weitaus politischer als es auf den ersten Blick den Anschein hatte, sondern stellte auch nicht, wie so oft behauptet, ein in sich abgeschlossenes Rechtsgebiet dar. An vielen Stellen berhrte es Gebiete des allgemeinen Zivil- und Prozeßrechts (Personenstatut, Geschftsfhigkeit, Volljhrigkeit, Protestfristen, gerichtliche Zustndigkeit u. a.m.), das ebenfalls in den beteiligten Staaten unterschiedlich geordnet war und nicht aus Anlaß der internationalen Vereinheitlichung eines Spezialgesetzes umgestoßen werden konnte. Das Haager bereinkommen stellte somit keine vollstndige Kodifikation des Wechselrechts dar. Die Haager Wechselordnung regelte nur das Wech71 Aufz. RJA, o.D., „Vorbesprechung der deutschen und franzçsischen Delegationen in Paris, 31.5.–3.6.1912“, BAL R 3001/3300; Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1910, Bd. 1, S. 316 f., 324; Ministre des Affaires Etrangres, Unification 1912, Bd. 1.1, S. 32, 128 ff. 72 The Times, Bills of Exchange Conference, 19.10.1910.

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selprivatrecht und schloß das çffentliche Recht aus. Aber auch auf diesem Gebiet erreichte sie weder inhaltlich noch was den Geltungsbereich anging eine vollstndige Vereinheitlichung. Somit blieben neben der Wechselordnung auch weiterhin kollisionsrechtliche Normen nçtig. Die Bewertung der Haager Abmachungen fiel denn auch durchgngig eher zurckhaltend aus. Die Stellungnahmen der deutschen Interessengruppen verraten Uneinigkeit; insgesamt waren die Verbnde mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden und sahen allein die Anerkennung nicht ordnungsgemß verstempelter Wechsel als uneingeschrnkten Erfolg an.73 Die Motive zum deutschen Einfhrungsgesetz machen um zugunsten des deutschen Handels durchgesetzte Neuerungen mehr Aufhebens. Im Reichstag wurde das Abkommen von allen Seiten begrßt, aber vor allem im Hinblick auf allgemeine Prinzipien der Vçlkerverstndigung und internationalen Rechtsangleichung.74 Einige Juristen sprachen von einer „unification de faÅade“ und erblickten die eigentliche Leistung des Abkommens darin, kollisionsrechtliche Prinzipien festzulegen, d. h. daß alle Staaten nun bereinkamen, daß sich die Wechselfhigkeit einer Person nach dem Recht ihres Heimatlandes bestimmte, die Form des Wechsels nach dem Recht am Ort des Vertragsschlusses und die Protestfristen nach dem Recht am Ort des Protests.75 Andere hoben hervor, daß dennoch in der Mehrzahl der wichtigen Fragen eine echte Vereinheitlichung erreicht worden sei.76 Wieder andere sahen mit der Schaffung einheitlichen Rechts allerhçchstens einen ersten Schritt getan: Felix Meyer forderte einen Weltwechselgerichtshof, damit das einheitliche Wechselrecht auch eine einheitliche Fortbildung durch eine einheitliche Rechtsprechung erfahre.77 Aus den Arbeiten der Haager Wechselrechtskonferenzen werden also nicht zuletzt Grenzen internationaler Rechtsvereinheitlichung deutlich. Bereits im Rckblick auf die Konferenz von 1910 verwies der schweizerische Jurist Wieland darauf, daß die grçßten Schwierigkeiten mçglicherweise nicht bei der Aufstellung allgemein zustimmungsfhiger wechselrechtlicher Grundstze lgen, sondern bei der „Vereinheitlichung als solcher“, weshalb diese auch von allgemeiner, ber einzelne konkrete Rechtsgebiete hinausweisender Bedeutung seien: Wie vermçgen internationale Vereinbarungen Rechtsnormen zu schaffen, die dazu bestimmt sind, das rein interne, von jeglicher Unterscheidung zwischen In- und Auslndern, in- und auslndischen Verhltnissen absehende Recht der einzelnen 73 Aufz. RJA, o.D., „Protokoll der deutschen Sachverstndigenberatungen vom 7.–9.2.1911“, BAL R 3001/3299. 74 Aufz. RJA, o.D. (Ende Dezember 1912), BAL R 3001/3301; RT 13/1/8 (Bd. 290), S. 5777 ff. (25. 6. 1913). 75 So die Bewertung bei Freund, Das neue Wechselrecht. Zu den internationalprivatrechtlichen Aspekten des Haager bereinkommens umfassend Wieland, Wechselrechtsbereinkommen. 76 Hupka, S. 208. 77 Meyer, Weltwechselgerichtshof.

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Lnder zu ersetzen? Sind derartige Abkommen zulssig oder unterstehen sie, wenigstens was ihre Einfhrung und Aufhebung anbetrifft, abweichenden Grundstzen? Wie ist die Abgrenzung von den der Landesgesetzgebung zu belassenden Gebieten derart zu treffen, daß die Vereinheitlichung tatschlich als gesichert erscheint?78

Damit stand Wieland nicht allein. Bereits im Haag hatten einzelne Delegierte die Rechtsvereinheitlichung per Staatsvertrag berhaupt als „unvereinbar mit dem Fundamentalsatz, daß der souverne Staat seine inneren Beziehungen frei von jeder fremden Einmischung zu regeln berechtigt sei“, bezeichnet. Auch kçnne die gesetzgebende Gewalt nicht durch internationale Abkommen verpflichtet werden, in bestimmten Bereichen fr alle Zeiten auf eigene gesetzgeberische Ttigkeit zu verzichten und das internationale Einheitsrecht unverndert zu lassen.79 Zwar ließ sich die zwischenzeitlich entstandene Verwirrung ber den Zusammenhang von Ratifikation, binnenstaatlicher Gesetzgebung und Unterzeichnung auf der Grundlage des bekannten Vçlkerrechts leicht auflçsen: Wie schon Heinrich Triepel ausfhrt, verpflichtete sich der Staat, der einen internationalen Vertrag unterzeichnete, die fr die Einfhrung nçtige Gesetzgebung durch die gesetzgebenden Kçrperschaften ergehen zu lassen; verweigerten diese die Mitwirkung, so war die Ratifikation des Abkommens als gescheitert anzusehen und es damit fr den Unterzeichnerstaat nicht bindend.80 Wirksam werden konnte das Abkommen also erst durch seine Umsetzung in Landesrecht durch den Gesetzgeber. Doch mißbilligten sowohl die franzçsische Assemble Nationale als auch der Reichstag, daß durch eine internationale Abmachung dem Parlament lediglich noch die Mçglichkeit der Zustimmung oder Ablehnung offenblieb. Weder hatten die Abgeordneten an der Ausgestaltung des Gesetzes und seiner Einpassung in die jeweilige nationale Rechtsordnung mitwirken kçnnen, noch konnten die Parlamente in Zukunft anders als durch Aufkndigung eines multilateralen Vertragswerks nderungen am nationalen Wechselrecht vornehmen.81 Internationale Rechtsvereinheitlichung strkte also, wie es spter auch im Rahmen der europischen Integration immer wieder zu beobachten war, die Rolle der Exekutive und informeller Interessengruppen auf Kosten des Einflusses der demokratisch legitimierten nationalen Parlamente.82 In Frankreich war der Widerstand der Assemble nationale gegen diese Tendenz so groß, daß die Regierung berhaupt darauf verzichtete, das ein-

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Wieland, Wechselkonferenz, S. 348 f. Wieland, Wechselkonferenz, S. 349 f.; Jitta u. a. Triepel, S. 316 – 319; Lyons, S. 25 – 29. RT 13/1/8 (Bd. 290), S. 5777 ff. (25. 6. 1913); Jitta u. a.; Wieland, Aussichten, S. 166 f. Zu den Beispielen aus der Geschichte der europischen Integration v. a. Thiemeyer, Supranationalitt; Gillingham.

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heitliche Wechselgesetz zur Ratifikation vorzulegen.83 In Deutschland dagegen brachte die Regierung das Haager bereinkommen mit großer Eile vor Bundesrat und Reichstag, noch bevor die neue, die Haager einheitliche Wechselordnung einschließlich der nationalen Vorbehalte und Sonderbestimmungen umfassende deutsche Wechselordnung fertiggestellt war, „damit das Deutsche Reich bei dem hervorragenden Anteil, den es an der Vereinheitlichung des Wechselrechts genommen hat, als erster unter den beteiligten Staaten die Genehmigung des Konferenzwerks durch seine gesetzgebenden Kçrperschaften herbeifhrt.“ Der Reichstag nahm das Werk am 25. 6. 1913 an.84 Die neue Wechselordnung, die auf hoch symbolische Weise ein „Weltrecht“ an die Stelle des ersten gesamtdeutschen Gesetzes, der Wechselordnung von 1847, gesetzt htte, wurde wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr ausgearbeitet.

(d) Die Wiederaufnahme des Vereinheitlichungsprojekts nach dem Ersten Weltkrieg und das Genfer Abkommen von 1930 Neue politische Rahmenbedingungen Im Jahre 1920 forderte die Brsseler Finanzkonferenz, die Maßnahmen zur Rekonstruktion der Weltwirtschaft untersuchen sollte, den Vçlkerbund auf, sich auch der Wiederaufnahme des Projekts einer Vereinheitlichung des Wechselrechts anzunehmen. Nach einer informellen Umfrage unter den Mitgliedstaaten des Vçlkerbundes beauftragte dieser im Jahre 1922 vier renommierte Experten mit der Ausarbeitung eines Gutachtens, das 1923 vorgelegt wurde. Gleichzeitig stellte auch die 1920 gegrndete Internationale Handelskammer eigene Untersuchungen ber Wege zu einem einheitlichen Wechselrecht an.85 Mit dem Vçlkerbund und der Internationalen Handelskammer traten also neue Akteure auf. Zugleich waren die deutsche Reichsregierung und deutsche Vertreter, die vor dem Krieg auf den Handelskammerkongressen, Wirtschaftskonferenzen und Tagungen der ILA das Projekt der Wechselrechtsvereinheitlichung an fhrender Stelle vorangetrieben hatten, vorerst von einer aktiven Mitwirkung mehr oder weniger ausgeschlossen. So stellten sich alle Fragen unter gnzlich vernderten politischen Vorzeichen neu. Fr die deutsche Seite war zu klren, wie weit man sich berhaupt an Projekten beteiligen wollte, die von internationalen privaten oder çffentlichen 83 Jitta u. a. 84 Auswrtige Amt an Wilhelm II., 23. 3. 1913; RT 13/1/8 (Bd. 290), S. 5777 ff. (25. 6. 1913). 85 Das Gutachten von J. Jitta (Niederlande), M.D. Chalmers (Großbritannien), Ch. Lyon-Caen (Frankreich) und F. Klein (sterreich): Jitta u. a. Zur Chronologie der Ereignisse Wieland, Aussichten; Hupka.

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Organisationen vorangetrieben wurden, in denen Deutschland nicht vertreten war. Erstmals stellte sich diese Frage, als die Internationale Handelskammer 1922 den Centralverband des deutschen Bank- und Bankiersgewerbes bat, einen Experten zu Beratungen ber das Wechselrecht nach Paris zu entsenden, und der CBB die Abstimmung mit dem Justizministerium suchte. Als klar wurde, daß die IHK einen deutschen Vertreter lediglich als Sachverstndigen hçren, aber nicht an den Beratungen beteiligen wollte, entschied man sich fr eine ausweichende Antwort: Die IHK wurde an den Deutschen Industrie- und Handelstag verwiesen. Dieser wiederum lehnte es ab, Beratungen zu untersttzen, an denen er nicht aktiv teilnehmen durfte, und stand der IHK, die in der Reparationsfrage eine den deutschen Interessen ungnstige Haltung einnahm, ohnehin ablehnend gegenber.86 Regierungsstellen verstndigten sich fast gleichzeitig ber die Haltung, die sie den Bemhungen des Vçlkerbundes gegenber einnehmen wollten. Der Staatssekretr im Justizministerium, v. Simson, sah eine deutsche Beteiligung als erwnscht an, allerdings hauptschlich wegen ihrer „allgemeinpolitische[n] Bedeutung“. Die Reichsregierung wollte jede sich bietende Chance nutzen, vor irgendeinem Forum „als gleichberechtigter Teilnehmer“ auftreten zu kçnnen. Das Justizministerium war dabei allein am politischen Gewinn interessiert, den eine offene und gleichberechtigte Konferenzteilnahme bedeuten wrde; „vom wirtschaftlichen Standpunkt kçnne ein besonderes Interesse an der Schaffung eines einheitlichen Wechselrechts deutscherseits kaum als bestehend erachtet werden“. Wirtschaftlich stelle ein Abkommen anderer Staaten untereinander unter Ausschluß Deutschlands keine Gefahr dar. Dementsprechend lehnte das Justizministerium eine verdeckte Mitvertretung deutscher Anliegen etwa durch çsterreichische Delegierte ab.87 Das Auswrtige Amt zeigte ein deutlich strkeres Interesse an der Arbeit der Wechselrechtssachverstndigen als das Justizministerium und ging auf das Angebot des çsterreichischen Gutachters Klein ein, „die deutschen Wnsche fr die Ausgestaltung des internationalen Wechselrechts, ohne daß dies nach außen erkennbar wird“, mitzuvertreten. Dafr beteiligte sich das Auswrtige Amt auch an den Reisekosten Kleins und lud ihn auf deutsche Kosten zu Konsultationen nach Berlin ein.88 Die fhrende Rolle des Vçlkerbundes erschien dem Auswrtigen Amt fr sich genommen nicht als Grund, sich von der weiteren Mitarbeit auszuschließen. Hier faßte man bereits sich verbessernde Beziehungen zum Vçlkerbund ins Auge und sah ebenfalls ein deutsches In-

86 Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes an RJM (Anlagen: Korrespondenz zwischen IHK und CBB), 21. 12. 1922; Aufz. RJM, 11. 1. 1923, CBB an RJM, 23. 1. 1923, BAL R 3001/3308; Aufz. AA, 1. 5. 1923, BAL R 901/26912. 87 Aufz. RJM, 18. 4. 1923, BAL R 3001/3308. 88 AA an Gesandtschaft Wien, 15. 3. 1923, 4. 4. 1923, BAL R 901/26912.

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teresse, „durch Mitarbeit an der Regelung unpolitischer zwischenstaatlicher Fragen mit anderen Staaten Fhlung zu bekommen.“89 Nach der Vorlage des Sachverstndigenberichts von 1923 wurden zunchst keine Fortschritte erzielt, und die deutschen Stellen verhielten sich abwartend. Auswrtiges Amt und Justizministerium waren sich einig, daß an sich kein deutsches Interesse an der Vereinheitlichung des Wechselrechts bestand, man sich aber einer Mitarbeit nicht gnzlich wrde verweigern kçnnen. Fr diesen Fall hoffte man, daß die Initiative erneut von den Niederlanden ausging, sich also an das Vorkriegsprojekt anschloß und außerhalb der Vçlkerbundsstrukturen blieb.90 Das Projekt einer Vereinheitlichung des Wechselrechts lag also nach dem Krieg bis zur Normalisierung der internationalen Lage durch den Dawes-Plan, den Locarno-Vertrag und den Beitritt Deutschlands zum Vçlkerbund auf Eis. Da die Sachverstndigen, die 1922 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden waren, die politischen Rahmenbedingungen fr neue Verhandlungen eher negativ einschtzten, kam es auch zu keiner Konferenz, die das Deutsche Reich zur Verbesserung seiner diplomatischen Position htte nutzen kçnnen. An der grundstzlichen Zurckhaltung Deutschlands nderte sich auch durch den Beitritt zum Vçlkerbund und die Grndung einer deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer wenig – im Gegenteil war dadurch der wesentliche Grund fr die 1923 diskutierte deutsche Mitarbeit, die Suche nach Reintegration in das internationale Leben, weggefallen.91

Inhaltliche Fragen bei der Wiederaufnahme des Projekts der Vereinheitlichung des Wechselrechts Inhaltlich stellte sich fr die Beteiligten die Frage, ob das Haager bereinkommen allein am Kriegsausbruch oder auch an inneren Mngeln gescheitert war. Daraus mußte sich ergeben, ob eine Vereinheitlichung des Wechselrechts, so die politische Lage dafr berhaupt Raum ließ, durch die Wiederaufnahme des Haager Projekts oder auf eine andere Weise erreicht werden sollte. Die inhaltlichen Fragen ließen sich allerdings nicht losgelçst von Macht- und Einflußfragen behandeln. Durch das Scheitern der Ratifizierung des Haager bereinkommens hatten diejenigen Auftrieb erhalten, die eine vollstndige international einheitliche Kodifizierung des Wechselprivatrechts fr zu ambitioniert hielten und eine Vereinheitlichung einiger weniger zentraler Aspekte des Wechselrechts befrworteten. Auch wurde erneut hervorgehoben, 89 Aufz. AA ber die Besprechungen mit dem çsterreichischen Delegierten Prof. Klein am 23. 4. 1923, BAL R 901/26912. 90 AA an RJM, 29. 4. 1925, RJM an AA, 24. 6. 1925, BAL R 3001/3308. 91 RJM an AA, 18. 5. 1926; Aufz. RJM, 19. 2. 1927, BAL R 3001/3308; Aufz. AA, 17. 3. 1926, BAL R 901/26904.

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daß in der Praxis die Abweichungen der nationalen Wechselrechte nur zu geringen Problemen fhre. Das Comit Economique des Vçlkerbundes machte sich diese Auffassung zu eigen. Grnde dafr waren Rcksicht auf Frankreich, wo die parlamentarischen Bedenken gegen ein internationales Einheitsgesetz ungemindert fortbestanden, die Kritik an der bloß oberflchlichen Einheitlichkeit der Haager Wechselordnung, Vorbehalte gegen eine den angelschsischen Rechtskreis ausschließende Einigung sowie sicherlich auch die Befrchtung, daß eine bloße Fortfhrung des Haager Projekts einen Przedenzfall fr internationalistische Bestrebungen am Vçlkerbund vorbei dargestellt htte.92 Die vom Vçlkerbund in Auftrag gegebenen Gutachten von 1923 empfahlen, eine dritte Konferenz solle im Haag zusammentreten und ein Abkommen auf der Grundlage der Konferenzergebnisse von 1912 beschließen, sobald die politische Lage dies zulasse. Auf diese Weise wrden immerhin zwei große Wechselrechtsblçcke, ein kontinentaler und lateinamerikanischer sowie ein anglo-amerikanischer, an die Stelle der bisherigen Vielzahl nationaler Rechtssysteme treten. Erneute Sachverstndigenberatungen seien unnçtig. Allerdings sprach sich der franzçsische Gutachter, Lyon-Caen, mit Rcksicht auf die Rechte der nationalen Parlamente dafr aus, lediglich ein unverbindliches Mustergesetz zu vereinbaren. Der çsterreichische Sachverstndige Prof. Franz Klein sah deswegen praktisch keine Aussicht mehr auf eine Vereinheitlichung zusammen mit Frankreich.93 Auch die Internationale Handelskammer stellte sich hinter das Haager Abkommen, verlangte allerdings die Beseitigung smtlicher nationaler Vorbehalte. Ein Vertreter der Handelskammer Leipzig arbeitete in Fhlung mit dem Auswrtigen Amt an einem 1926 vorgelegten eigenen Entwurf der IHK mit, der sich stark an der Haager Wechselordnung orientierte. Auch die Industrie- und Handelskammer Berlin verlangte 1926 die Wiederaufnahme der Vereinheitlichung des Wechselrechts im Anschluß an die Haager Konferenzen.94 Das Comit Economique, das den politischen Hindernissen auf dem Weg zu einem Einheitsgesetz großes Gewicht beimaß, gab seine Zurckhaltung gegenber dem Haager bereinkommen jedoch nicht auf. Es beauftragte entgegen den Empfehlungen der Gutachter erst einmal ein hauptschlich aus Bankiers zusammengesetztes Gremium mit Untersuchungen darber, welche Probleme die Unterschiede zwischen den nationalen Wechselrechten tatschlich hervorriefen, auf welchem Wege sie zu lçsen seien und wie eine Annherung mit dem angelschsischem Wechselrecht erreicht werden kçnne. An den Sachverstndigenberatungen beteiligte sich nun auch ein offizieller 92 V. Flotow, S. 68 ff.; Hupka (mit polemischer Tendenz gegen den Vçlkerbund); Wieland, Aussichten. 93 Jitta u. a. (Klein an RJM, 26. 7. 1923, BAL R 3001/3308). 94 Deutsche Gruppe der IHK an AA, 22. 1. 1926, BAL R 901/26904; Deutsche Gruppe der IHK an RJM, 9. 12. 1926, BAL R 3001/3308; Frentzel; Industrie- und Handelszeitung, 15.1.1926.

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deutscher Delegierter (der einzige Regierungsbeamte in dem Gremium), der allerdings die geleistete Arbeit fr kaum berichtenswert befand.95 Whrend die Arbeitsergebnisse von einigen als Pldoyer fr die Wiederherstellung der Haager Wechselordnung von 1912 gelesen wurden, waren die unmittelbar Beteiligten zurckhaltender. Sie sahen nur wenige Schwierigkeiten, die durch Abweichungen der Wechselgesetze voneinander verursacht waren und wiesen auf einzelne Punkte hin, bei denen die Vereinheitlichung dennoch wnschbar sei. Insbesondere der deutsche Vertreter v. Flotow sah die Wechselrechtsvereinheitlichung als den wenig aussichtsreichen Versuch der „Schaffung eines Weltrechts mehr aus idealen Gesichtspunkten heraus“; Erfolg sei erst dann zu erwarten, wenn „die Bedrfnisse des internationalen Verkehrs … auf eine Zusammenfassung selbst hindrng[t]en.“ Dennoch empfahlen die Sachverstndigen die baldige Einberufung einer neuen internationalen Wechselrechtskonferenz.96 Das Comit Economique mochte sich damit allerdings weiterhin nicht anfreunden und setzte nunmehr ein Juristenkomitee ein mit dem Auftrag, einen Vorschlag fr Grundzge des Wechselrechts auszuarbeiten, die entweder durch eine internationale Konvention oder auch nur als Empfehlungen angenommen werden sollten. Auch diese Sachverstndigen kamen berein, eine minimal vernderte Fassung der Haager Wechselordnung als beste Lçsung zu empfehlen. Mit Rcksicht auf die Bedenken Frankreichs bezglich der Einschrnkung der Parlamentsrechte durch eine Konvention schlugen sie allerdings vor, diese nicht durch eine bindende Konvention, sondern lediglich als ein Mustergesetz zu beschließen.97 Auf dieser Grundlage wurde ein Fragebogen erstellt und versandt, und schließlich erging fr 1929 die Einladung zu einer internationalen Konferenz nach Genf (die dann wegen des schleppenden Eingangs der Antworten auf den vorbereitenden Fragebogen zwei Mal, zuletzt auf Mai 1930, verschoben werden mußte). Auch hierbei ging das Comit Economique weiter davon aus, daß ein vollstndiges Einheitsgesetz an nationale Traditionen und Formen der Gesetzgebung rhren und die Parlamentsrechte beeintrchtigen wrde und daher nicht den rechten Weg darstelle. Aus all dem ist unschwer erkennbar, „daß die Genfer Atmosphre dem Haager Werk nicht gnstig ist.“98 Erst nachdem die juristischen Sachverstndigen des Vçlkerbundes ihren Abschlußbericht vorgelegt hatten und eine Konferenzeinladung bevorstand, 95 Flotow an RJM, 31. 1. 1927 u. Anlage: Comit d’experts en mati re de lettres de change et de ch ques, 17. 12. 1926, BAL R 3001/3308; Aufz. AA, 27. 2. 1928, BAL R 901/26904. Auffllig ist, daß an den vom Comit Economique des Vçlkerbunds veranstalteten Beratungen fast ausschließlich Bankiers als Sachverstndige teilnahmen, die einzige Ausnahme war der deutsche Delegierte v. Flotow, der Regierungsbeamter war. 96 Hupka; archivalisch Aufz. RJM, 13. 12. 1927, 8. 2. 1928, RWM an RJM, 2. 3. 1928, v. Flotow an RJM, 15. 3. 1928, 18. 5. 1928, AA an RJM, 14. 8. 1928, BAL R 3001/3308; Zitate: v. Flotow, S. 73. 97 Flotow an RJM, 18. 5. 1928, Aufz. RJM, 13. 12. 1927, 8. 2. 1928, BAL R 3001/3308. 98 Hupka, S. 237.

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setzten sich Regierung und Verbnde in Deutschland wieder inhaltlich mit der Frage der Wechselrechtsvereinheitlichung auseinander. Erschwert wurden die deutschen Vorbereitungen dadurch, daß der Verkehr mit dem Comit Economique dem Wirtschaftsministerium oblag, in der Frage des Wechselrechts das Justizministerium die Federfhrung hatte und das Außenministerium generell die Außenpolitik und das Verhltnis zum Vçlkerbund in der Hand hatte.99 Wie schon 1909 wurden wieder Sachverstndigenberatungen unter Hinzuziehung der großen Verbnde und der betroffenen Ministerien veranstaltet. Der DIHT sprach sich nunmehr nach gemeinsamen Beratungen aller Spitzenverbnde der Wirtschaft dafr aus, nur die wesentlichen Fragen des Wechselrechts international zu regeln, d. h. solche, die die Gltigkeit des Wechsels betrafen (vor allem Stempel und Formerfordernisse), die hçhere Gewalt, und Fragen des Kollisionsrechts.100 Die Prferenz fr diese vorsichtigere Form der Vereinheitlichung wurde vor allem damit begrndet, daß sich die Rechtszersplitterung in Europa durch die Schaffung zahlreicher neuer Staaten nach den Friedensvertrgen immer weiter vergrçßert hatte und die Aussicht auf eine vollstndige Vereinheitlichung dementsprechend geringer schien. Auch befrchtete man, daß eine nur scheinbare Einheitlichkeit dem Verkehr mehr schaden als nutzen wrde. Daher sei „eine durch Regeln ber die Statutenkollision gemilderte Verschiedenheit der internationalen Wechsel- und Scheckrechte einer scheinbaren, durch zahlreiche Vorbehalte durchbrochenen Vereinheitlichung vorzuziehen“.101 Strittig war der angesichts der strengen Devisenvorschriften aus der Kriegs- und Nachkriegszeit entstandene Wunsch des DIHT, daß „die Gltigkeit des Wechsels nicht von der Befolgung irgendwelcher Devisenvorschriften abhngig sein“ sollte.102 Hiergegen sprach sich nicht nur die Reichsbank aus, nach deren Ansicht Gold- und Effektivklauseln und dergleichen im Wechselrecht gar nicht auftauchen sollten und die sich wnschte, daß grundstzlich „der einzelne Staat … vçllig frei in der nderung der Wechselordnung je nach den wirtschaftlichen und rechtlichen Bedrfnissen des eigenen Landes whre.“ Auch der Vertreter des CBB argumentierte, es mssen den Regierungen erlaubt sein, „gewisse im çffentlichen Interesse erlassene Maßnahmen dadurch zu garantieren, daß die Nichtigkeit privater Rechtsgeschfte, die gegen die Maßnahmen verstoßen, angeordnet wrde.“ Damit waren die whrungspolitischen Grenzen der Wechselrechtsvereinheitlichung benannt.103 99 Zum Gang der Ereignisse bis dahin Aufz. RJM, 13. 12. 1927, 8. 2. 1928, RWM an RJM, 2. 3. 1928, Flotow an RJM, 15. 3. 1928, 18. 5. 1928, AA an RJM, 14. 8. 1928, BAL R 3001/3308; Aufz. AA, 25. 6. 1926, 10. 8. 1927, BAL R 901/26908. 100 AA an RJM, 14. 8. 1928, BAL R 3001/3308; DIHT an RJM, 26. 11. 1928, BAL R 3001/3309. 101 Aufz. RJM, 19. 12. 1928: Beratungen ber das Wechselrecht am 13. 12. 1928, BAL R 3001/3309. 102 Landwirtschaftsministerium an RJM, 18. 3. 1930, DIHT an RJM, 8. 4. 1930, BAL R 3001/3309. 103 Reichsbank an RJM, 29. 4. 1930, BAL R 3001/3310; Aufz. RJM, 19. 12. 1928, „Beratungen ber das Wechselrecht am 13. 12. 1928“, BAL R 3001/3309.

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Insgesamt sollte nach der Auffassung des Justizministeriums der Wille der Vertragsparteien mehr Entfaltungsspielrume erhalten als 1910/12 – Grnde fr die Aufrechterhaltung der Wechselklausel sah man nicht mehr, Vorbehalte gegen Inhaberwechsel wurden nicht mehr geltend gemacht, und generell sollten die Parteien die Mçglichkeit haben, durch die Angabe des (auch fiktiven) Ausstellungsortes auf dem Wechsel die Rechtsordnung zu whlen, der sie ihre Wechselverpflichtung unterstellen wollten (Landwirtschaftsministerium und DIHT wollten hingegen an der Wechselklausel festhalten). Justizund Wirtschaftsministerium gleichermaßen legten auch auf eine mçglichst weitgehende Annherung an das angelschsische Wechselrecht Wert, angesichts der seit dem Kriege noch gestiegenen Bedeutung Großbritanniens als Quelle kurzfristigen Wechselkredits fr den deutschen Außenhandel. Whrend die Konferenzeinladung des Vçlkerbundes lediglich die Einigung auf ein den nationalen Parlamenten vorzuschlagendes Mustergesetz vorschlug, hielt das Deutsche Reich in seiner Antwort am Gedanken eines vçlkerrechtlich verbindlichen Kollektivabkommens nach Haager Vorbild fest. Dabei spielte nun wieder die lange verschttete Erwgung eine Rolle, daß die vorliegenden Entwrfe sich weitgehend am Haager Vorbild und damit am bestehenden deutschen Recht bzw. den nderungswnschen des deutschen Handels orientierten.104 Whrend vor der Konferenz von 1910 das Projekt der Wechselrechtsvereinheitlichung von deutschen Interessengruppen aktiv mit dem Ziel der Beeinflussung der deutschen Gesetzgebung betrieben worden war, zeigte sich nunmehr eine grçßere Zurckhaltung. Die Genfer Konferenz war nicht mehr das Projekt der Interessenverbnde, sondern ging von internationalen Organisationen aus, in erster Linie vom Vçlkerbund, in zweiter auch von der Internationalen Handelskammer. Inhaltliche Anliegen wurden erst unmittelbar vor der Erçffnung der Konferenz wieder geltend gemacht, als es sich nicht mehr vermeiden ließ, berhaupt eine Stellungnahme zu formulieren. Dabei orientierte man sich dann weitgehend am Haager Vorbild.

Die Genfer Wechselrechtskonferenz (13.5.–7.6.1930) und ihre Ergebnisse An der Genfer Konferenz nahmen 32 Staaten teil sowie mit beratender Stimme das Comit Economique des Vçlkerbundes, die IHK und das Institut zur Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom. Obwohl in der Konferenzeinladung nur von einem Mustergesetz die Rede gewesen war, einigten sich die Delegationen rasch darauf, ein am Haager Vorbild orientiertes bindendes Kollektivabkommen anzustreben. Sogar die Franzosen stimmten zu, nachdem 104 Aufz. RJM, 5. 1. 1929, RJM an Reichsministerien, 6. 2. 1930, RWM an RJM, 25. 3. 1930, Landwirtschaftsministerium an RJM, 18. 3. 1930, DIHT an RJM, 8. 4. 1930, BAL R 3001/3309; Aufz. AA, o.D. (Dezember 1929 / Januar 1930), BAL R 901/26904.

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als Kompromiß die Kndigungs- und Abnderungsmçglichkeiten ausgeweitet worden waren – die Abkommen sollten bereits nach zwei Jahren und im Notfall jederzeit kndbar sein. Am 7. 6. 1930 wurden in Genf drei wechselrechtliche Konventionen abgeschlossen: 22 Staaten unterzeichneten Konventionen ber eine einheitliche Wechselordnung, die weitgehend dem Haager Vorbild folgte, und ber Kollisionsnormen. Dieselben 22 Staaten sowie Großbritannien unterzeichneten berdies eine Konvention ber die Verstempelung von Wechseln, nach der eine nicht ordnungsgemße Verstempelung die Gltigkeit von Wechseln nicht beeintrchtigte. Beim Genfer Wechselrechtsabkommen handelte es sich um „das erste grundstzliche berstaatliche Gesetzgebungswerk der Nachkriegszeit“.105 Unter den inhaltlichen Fragen waren einige der Streitpunkte aus der Vorkriegszeit inzwischen bedeutungslos geworden. In allen Staaten fiel nun die Wechselfhigkeit mit der allgemeinen zivilrechtlichen Handlungsfhigkeit zusammen.106 Frankreich gab seinen Widerstand gegen die Wechselklausel auf. Die Zahl der einzelstaatlichen Vorbehalte fiel daher geringer aus als 1910/ 12. Dennoch ließen sich Vorbehalte nicht vermeiden, wo unberbrckbare Unterschiede in der Rechtsauffassung bestanden oder „die Bestimmungen in andere Rechtsgebiete bergreifen“. Die Anlage II zur Genfer Wechselordnung, die die einzelstaatlichen Rechte zur abweichenden Gesetzgebung aufzhlt, umfaßte immerhin 22 Artikel. Allgemein akzeptiert war nunmehr das Grundprinzip, die Zahl der Nichtigkeitsgrnde zu verringern und die Gltigkeit des Wechsels nach Mçglichkeit zu erhalten.107 Neu geregelt und kontrovers diskutiert wurden vor allem Fragen mit whrungspolitischen Implikationen, konkret die Effektiv- und Goldklauseln sowie Moratorien. Zahlreiche Staaten, vor allem Deutschland und Polen, begehrten weitestgehende whrungspolitische Handlungsfreiheit, was fr den Bereich des Wechselrechts vor allem bedeutete, die nach Art. 41 der Genfer Wechselordnung zulssige Ausstellung oder Bezahlung von Wechseln in fremder Whrung oder Gold (Effektiv- oder Goldklausel) aus whrungspolitischen Grnden verbieten zu kçnnen. Polen schlug deswegen einen allgemeinem Vorbehalt gegen den Art. 41 vor, wogegen sich italienischer Widerstand geltend machte: „[O]n accordera ainsi aux Etats une telle libert qu’au moyen de cette rserve ils pourront faire ce qu’ils voudront.“108 Genau dies war jedoch, wie die deutschen Motive zum Einfhrungsgesetz fr die Genfer Wechselordnung darlegen, das Ziel dieser schließlich als Art. 7 der Anlage II angenommenen Bestimmung, die 105 Konsulat Genf an AA, 12. 6. 1930, BAL R 901/26909. Die 22 Unterzeichnerstaaten waren Deutschland, sterreich, Belgien, Brasilien, Kolumbien, Dnemark, Danzig, Ecuador, Spanien, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Norwegen, die Niederlande, Peru, Polen, Portugal, Schweden, die Schweiz, die Tschechoslowakei und die Trkei. 106 Schnitzer, S. 375 f. 107 Quassowski an RJM, 2. 6. 1930, Konsulat Genf an AA, 12. 6. 1930, BAL R 3001/3310; Quassowski. 108 Genfer Protokolle, BAL R 3001/3321 (s.a. Socit des Nations).

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der Devisengesetzgebung der Vertragsstaaten auch fr das Gebiet des Wechselrechts Geltung verschaffen und den zum Schutze der Whrung etwa erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen den Vorrang vor den Bestimmungen des Artikels 41 sichern [sollte.] Die damit verbundene Lockerung der vçlkerrechtlichen Bindung ist zur Wahrung der Finanzhoheit der vertragschließenden Staaten notwendig.109

Im Zuge der Diskussion ber die Goldklausel war zwischenzeitlich sogar gefordert worden, eine „Generalreserve“ in das Abkommen aufzunehmen, die die einzelstaatliche Umformulierung aller Bestimmungen der Genfer Wechselordnung erlaubt htte. Heftige Diskussionen gab es erneut in der Frage der hçheren Gewalt. Kein Zweifel bestand mehr, daß Moratorien und alle anderen gesetzgeberischen Maßnahmen, die Prsentation oder Protest verhinderten, als hçhere Gewalt gelten sollten. Die juristischen Sachverstndigen des Vçlkerbundes hatten empfohlen, abweichend von der Haager Regelung das englisch-franzçsische Prinzip anzunehmen, nach dem hçhere Gewalt die Prsentations- und Protestfristen fr die Dauer der hçheren Gewalt hinausschob. In der Praxis hatten sich whrend des Krieges alle Staaten an diesem Prinzip orientiert und Moratorien und Zahlungsverbote erlassen. Der Versailler Vertrag legte fest, daß die Wechselfristen zwischen Angehçrigen verfeindeter Staaten mit dem Ausbruch des Krieges als angehalten zu betrachten waren und frhestens drei Monate nach Inkrafttreten des Friedensvertrages wieder zu laufen begannen.110 Doch auch in diesem Punkte orientierte sich die Genfer Konferenz nicht an den Vorarbeiten der Sachverstndigen, sondern kehrte rasch wieder zum Haager Vorbild zurck: Hçhere Gewalt (nunmehr einschließlich von Moratorien) wrde die Prsentations- und Protestfristen zunchst um 30 Tage hinausschieben, und nach Ablauf dieser Frist kçnnten die Wechselinhaber gegen ihre Vormnner und den Aussteller Regreß nehmen. Die deutsche Delegation vertrat in dieser Frage keine eindeutige Position, entschied sich aber nach Konsultation mit DIHTund CBB dafr, dieser Lçsung zuzustimmen und damit die wirtschaftlichen Folgen von Moratorien auf mçglichst viele Schultern zu verteilen statt die Wechselinhaber, d. h. vor allem die Banken, damit zu belasten. Zumindest nachtrglich wurde dies damit gerechtfertigt, daß auf diese Weise das Bankensystem geschtzt werde, whrend Großbritannien die britisch-franzçsische Lçsung mit dem Argument verteidigte, daß der Haager Kompromiß eine Welle von Regreßansprchen auslçsen und in einer Kettenreaktion den Zusammenbruch zahlreicher im Grunde gesunder Handelshuser und Industrieunternehmungen auslçsen mußte. Ob bei der deutschen Entscheidung tatschlich die Sorge um das Bankensystem eine Rolle spielte oder schlicht der Unwillen zum Tragen kam, im Haag bereits 109 RJM an Reichsministerien und Verbnde, 28. 7. 1930, BAL R 3001/3310; Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911. 110 Erluterungen bei Goldschmidt u. Zander, S. 92 – 95.

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gelçste Fragen neu aufzurollen, ist unklar.111 Ohnehin wurde die Moratoriumsregelung in Art. 54 dadurch z. T. hinfllig, daß auch hier in Art. 22 der Anlage II jedem Staat das Recht gegeben wurde, nicht nur Moratorien zu erlassen, sondern auch gegen auswrtige Moratorien „Gegenmaßregeln zu ergreifen, die erforderlich sind, um zu verhindern, daß das heimische Interesse durch die genaue Anwendung der Vorschriften des Einheitlichen Wechselgesetzes beeintrchtigt werde.“112 Das ursprngliche Anliegen der Juristen und Kaufleute, die sich in den 1870er Jahren fr die Vereinheitlichung des Wechselrechts einsetzten, ein international einheitlicher Umgang mit Moratorien, hatte sich damit erneut nicht durchsetzen lassen. Dieselbe Ausweitung nationaler Handlungsfreiheit zeigt sich auch beim Stempelabkommen: Zwar durfte mangelnde Verstempelung Wechsel nicht mehr ungltig machen, doch blieb es erlaubt, die Geltendmachung wechselrechtlicher Ansprche etwa beim Protest nicht nur von der Nachzahlung der Stempelsteuer, sondern auch von der Bezahlung eventueller Strafen fr ungengende Verstempelung abhngig zu machen. Die deutschen „Motive“ stellten dazu fest: „Die Konferenz hielt diese Einschrnkung im çffentlichen Interesse und aus Grnden der Staatsautoritt fr geboten.“113 Bei seiner „Gesamtwrdigung“ kam das Justizministerium zu der Einschtzung, daß das Genfer Abkommen den deutschen Interessen entsprach. In Beratungen mit den Interessenverbnden und Ministerien wurde nunmehr geklrt, an welchen Stellen Deutschland von seiner Befugnis zu abweichender Regelung Gebrauch machen sollte. Am 30. 7. 1931 wurde die Regierungsvorlage in Druck gegeben, die dem Reichstag das neue, dem Genfer Abkommen entsprechende Wechselgesetz zur Annahme empfahl.114 Die Ratifikation scheiterte allerdings an der wiederholten Aussetzung und Auflçsung des Reichstages; auch andere Staaten hatten es nicht eiliger, so daß bis Ende 1931 allein Griechenland das Genfer Abkommen ratifiziert hatte.115 Die deutsche Ratifikation wurde erst nach der Ausschaltung des Parlaments durch die Nationalsozialisten am 1. 6. 1933 von der Reichsregierung vorgenommen. Darin erschçpfte sich allerdings der Beitrag des nationalsozialistischen Deutschlands zur Vereinheitlichung des Wechselrechts. An den im Genfer 111 Quassowski an RJM, 18. 5. 1930, BAL R 3001/3310; Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911; Quassowski, S. 773; kritisch Wieland, Wechselmoratorien, S. 193 f., 198, 203 ff. Zur britischen Position auch Flotow an RJM, 31. 1. 1927 u. Anlage: Comit d’experts en mati re de lettres de change et de ch ques, 17. 12. 1926, BAL R 3001/3308. 112 Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911. 113 Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911. 114 RJM an Reichsministerien und Verbnde, 28. 7. 1930, BAL R 3001/3310, Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911; RJM an Reichsministerien und Verbnde, 21. 10. 1930, DIHT an RJM, 24. 12. 1930, RWM an RJM, 20. 1. 1931, BAL R 3001/3312. 115 RJM an Reichsministerien und Verbnde, 8. 7. 1931, BAL R 3001/3313,; Vçlkerbund an RJM, 6. 10. 1913, Kabinettsvorlage RJM, o.D. (Juni 1932), BAL R 3001/3314; Aufz. RJM: Ministerbesprechung, 29.6.1932. Zur Ratifizierung des Wechselrechtsabkommen durch die einzelnen Staaten o.A., Inkrafttreten.

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Abkommen vorgesehenen Konsultationen und Informationen ber Entwicklungen des Wechselrechts beteiligte sich Deutschland nicht, da nach Ansicht der Reichsregierung nunmehr „ein Schriftwechsel mit dem Vçlkerbund grundstzlich vermieden werden“ sollte.116 Das Ergebnis der Genfer Wechselrechtskonferenz stellte in der Tat einen Fortschritt auf dem Gebiet der Rechtsvereinheitlichung dar.117 Die Vereinheitlichung ging ber das 1912 im Haag erreichte Maß hinaus. Nach der Ratifikation der Genfer Abkommen sollte es im wesentlichen zwei große Wechselrechtsblçcke geben, einen kontinentaleuropisch-lateinamerikanischen und einen angelschsischen. Von einem „bemerkenswerten Fortschritt im Sinne der Rechtsvereinheitlichung und der Sicherung des internationalen Zahlungsverkehrs“118 kann dennoch nur eingeschrnkt die Rede sein. Der Grund waren erneut die nationalen Vorbehaltsrechte, deren Charakter sich allerdings gegenber dem Haager bereinkommen deutlich gewandelt hatte.119 1912 hatten die Vorbehaltsrechte es den Vertragsstaaten ermçglichen sollen, bei einzelnen Bestimmungen von der gemeinsamen Wechselordnung abzuweichen, weshalb damals eine bloß oberflchliche „unification de faÅade“ kritisiert worden war. Die Vorbehaltsrechte des Genfer Abkommens hingegen verfolgten ein anderes Ziel. Die meisten von ihnen wurden „aus Grnden der Staatsautoritt“ vereinbart und zielten vor allem darauf ab, den einzelnen Staaten whrungspolitische Maßnahmen bis hin zur vçlligen Verstaatlichung des Zahlungsverkehrs zwischen Privatleuten durch das Clearingverfahren zu gestatten. Durch den Art. 7 der Anl. II wurde „die zum Schutze der Whrung erforderliche Freiheit auch auf dem Gebiete des Wechselrechts anerkannt.“120 Diese Genfer Vorbehaltsrechte, so schrieb der deutsche Delegierte Quassowski in einem Beitrag fr die Zeitschrift fr auslndisches und internationales Privatrecht, seien unter dem Gesichtspunkt der çffentlichen Interessen der Staaten unerlßlich und bedeuten weniger eine Beeintrchtigung der Rechtsgemeinschaft mit den anderen Staaten als einen Einbruch des çffentlichen Rechts in das private Recht.121

Dieser „Einbruch des çffentlichen Rechts“ entsprach der seit dem Krieg sprbaren Tendenz zur zwangsgemeinschaftlichen Krisenbewltigung und war zugleich Ausdruck der Auffassung, daß der der Staat alle Aspekte grenzberschreitenden Handelns im Interesse der Gemeinschaft zu kontrollieren und zu gestalten habe. 116 Reichskanzlei an AA und RJM, 1. 6. 1933, BAL R 3001/3315; AA an RJA, 11. 6. 1934, BAL R 3001/ 3316. 117 Zur Bewertung vgl. auch David, S. 128 f. 118 Konsulat Genf an AA, 12. 6. 1930, BAL R 901/26909. 119 Allein Monaco und Portugal unterzeichneten ohne Vorbehalte: David, S. 128. 120 Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911. 121 Quassowski, S. 786.

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Die Einigung ber ein einheitliches Wechselrecht erfolgte kurz bevor die Devisenbewirtschaftung in Deutschland dem freien grenzberschreitenden Wechselverkehr praktisch ein Ende setzte. Gegenber dieser staatlichen Kontrolle des Zahlungsverkehrs erscheinen die durch das Genfer Abkommen gemilderten uneinheitlichen Rechtsverhltnisse als ein eher harmloses Hindernis fr den weltwirtschaftlichen Verkehr – zumal die Beteiligten Spezialisten waren, bei denen eine gewisse Kenntnis des Geschfts vorausgesetzt werden konnte und die die Mçglichkeit und die Ressourcen besaßen, eigene Wege des individuellen oder kollektiven Umgangs mit Risiken zu entwickeln. Die Interessenverbnde der Wirtschaft standen deshalb nach dem Ersten Weltkrieg den Vereinigungsbemhungen auch skeptisch gegenber, wenn diese ber das Streben nach verbindlicher einheitlicher Regelung einiger Kernpunkte hinausgingen. Als im Anschluß an das Genfer Abkommen eine hnliche Abmachung ber das Scheckrecht geschlossen werden sollte, widersetzte sich etwa der CBB auf das Heftigste, da ein wirklich fhlbares und dringendes Bedrfnis nach Vereinheitlichung der Scheckrechte auch im internationalen Verkehr nicht zutage getreten ist und die ganze Vereinheitlichungsbewegung weniger auf einem praktischen Interesse des Handelsstandes, als auf einem Bettigungsbedrfnis internationaler Organisation, wie Internationale Handelskammer und Vçlkerbund, beruht, zu dessen Gunsten sogar mit so fragwrdigen Argumenten operiert wird, wie dem, dass die Einheitlichkeit der Scheckrechte der Vçlkerverstndigung und dem Weltfrieden zu dienen geeignet sei.122

(e) Das „Weltwechselrecht“ als Beispiel fr international einheitliche Rechtssetzung Das Genfer „Weltwechselrecht“ stellte den bis dahin ambitioniertesten Versuch international einheitlicher Gesetzgebung dar. Die ersten Initiativen hierzu gingen vom Deutschen Reich aus, das sich nach einer Phase der Inaktivitt 1906/07 erneut an die Spitze der Bewegung zur Vereinheitlichung des Wechselrechts setzte und Form und Inhalt des Haager Wechselrechtsbereinkommens von 1912 maßgeblich mitbestimmte. Dabei spielte das Bemhen des Deutschen Reiches um eine diplomatische Fhrungsrolle ebenso mit wie die Versuche von deutschen Interessen- und Lobbygruppen, Reformen des deutschen Wechselrechts sowie des internationalen Handelsrechts zu erreichen. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkten Deutsche nicht mehr an fhrender Stelle an der Vereinheitlichung mit. Es handelte sich nunmehr primr um ein Projekt internationaler privater und çffentlicher Organisationen, an dem sich 122 Aufz. RJM ber den Standpunkt des CBB zur Vereinheitlichung des Scheckrechts, 12. 12. 1931, BAL R 3001/3312.

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Deutschland ohne Interesse an der Sache selbst beteiligte, um ein Mindestmaß konstruktiver Mitwirkung am internationalen Leben zu demonstrieren. Obwohl die organisatorisch federfhrenden Akteure, das Comit Economique des Vçlkerbundes, die von diesem eingesetzten Sachverstndigengremien und die IHK abweichend vom Haager Vorbild nur eine Verstndigung ber wenige Kernpunkte des Wechselrechts anstrebten, deren detaillierte Regelung dann dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber berlassen werden kçnnte, einigte sich die Genfer Konferenz 1930 erneut auf ein internationales Einheitsgesetz, das sich eng an das Haager bereinkommen und damit an die deutsche Wechselordnung anlehnte. Die sich ber 60 Jahre – vom Erlaß der franzçsischen Wechselmoratorien 1870 bis zum Genfer Abkommen 1930 – erstreckende Geschichte dieser Gesetzgebung zeigt einige der allgemeinen Schwierigkeiten und Probleme internationaler Rechtsvereinheitlichung. Wenig bemerkenswert ist wohl, daß sich bei den Gesprchen und Verhandlungen der Juristen, Kaufleute und Beamten aus verschiedenen Staaten in verschiedenen Foren zahlreich einander berkreuzende Gegenstze nationaler und sektoraler Interessen und Denkweisen bemerkbar machten. Das Verfahren einer Regierungskonferenz mit zum Abschluß vçlkerrechtlicher Vertrge ermchtigten diplomatischen Vertretern bedingte, daß Interessenaggregation in allen beteiligten Staaten zunchst auf nationaler Ebene stattfand und nationale Verhandlungspositionen gegeneinander standen. Sektorale Interessengegenstze (etwa zwischen Handel, Industrie und Banken, zwischen Wirtschaft, Regierungsvertretern und Rechtswissenschaft) wurden auf den Regierungskonferenzen nur behandelt, insofern sie in gegenstzlichen nationalen Verhandlungspositionen Niederschlag gefunden hatten. Gleiches gilt fr Unterschiede im Rechtsdenken. Das alles wurde besonders deutlich im offenbar unberwindbaren Gegensatz zwischen dem britischen und dem kontinentalen Recht. Hier prallten zunchst verschiedene Rechtstraditionen, -systeme und -sprachen aufeinander : Im angelschsischen Recht kamen viele Einrichtungen des kontinentalen Rechts gar nicht vor, so z. B. der Kaufmannsstatus, Handelsgerichte, Formvorschriften. Einfacher auflçsen ließen sich die Gegenstze zwischen deutschem und franzçsischem Wechselrechtssystem, da die franzçsischen Delegierten in der Annherung an das deutsche System die Mçglichkeit zur Modernisierung ihres eigenen Rechts erblickten. Diese war ihnen offenbar sogar wichtiger als die Vereinheitlichung, was sich an ihrer Neigung zur Ausklammerung strittiger Fragen durch die Schaffung nationaler Vorbehaltsrechte zeigte. Schwerer als der Unterschied der Rechtssysteme wog, daß angelschsisches und kontinentales Recht von unterschiedlichen Auffassungen ber das Ziel des Wirtschaftsrechts ausgingen und unterschiedliche Interessen begnstigten. Das britische Wechselrecht verlieh letztlich den im Handel herausgebildeten Verfahrensweisen Rechtskraft und ließ der Privatautonomie breiten Raum; allgemein- oder whrungspolitische Erwgungen finden sich darin 205 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

kaum; die von Privatleuten ausgestellten Wechsel wurden sogar „very much as part of the currency of the country“ behandelt.123 Das kontinentale Wechselrecht zielte hingegen darauf ab, dem Wechselverkehr bestimmte Formen und Verfahrensweisen vorzuschreiben, sei es aus wirtschaftspolitischen Grnden, aus Gemeinwohlerwgungen oder zum Schutz der Whrung vor privatautonomer Geldschçpfung. Dieser Gegensatz zwischen dem britischen und dem kontinentalen Wechselrecht entkrftet das hufig vorgebrachte Argument, das Wechselrecht sei eine rein technische Materie und eine Beseitigung der rein zuflligen, inhaltlich bedeutungslosen Rechtsunterschiede daher ohne Beeintrchtigung staatlicher Souvernitt und politischer Interessen mçglich. Rein technische Materien in diesem Sinne existieren mçglicherweise berhaupt nicht oder lassen sich als solche definieren, bei denen alle Beteiligten davon ausgehen, daß es sich um eine rein technische Frage handelt.124 In einem internationalen Abkommen htte der Verzicht auf staatliche Gestaltungsmçglichkeiten, also die Strategie internationaler „negativer Integration“, ebenso eine politische Entscheidung bedeutet wie eine Einigung auf bestimmte inhaltliche Vorgaben. Politische Entscheidungen auf internationaler Ebene warfen die Frage nach dem Verhltnis international einheitlicher Gesetzgebung zu einzelstaatlicher Demokratie und Souvernitt auf. Daß nationale Souvernitt die vertragliche Selbstverpflichtung eines Staates nicht ausschließt, war in der Vçlkerrechtslehre im Prinzip auch vor 1914 unumstritten. Die trotzdem geußerte zeitgençssische Kritik an der Beeintrchtigung staatlicher Souvernitt durch die Rechtsvereinheitlichung zielte aber im Grunde nicht auf das Vçlkerrecht, sondern artikulierte Unbehagen angesichts des bergreifens internationaler Regulierungsmechanismen auf Gebiete der innerstaatlichen Gesetzgebung, die traditionell der freien Gestaltung durch die gesetzgebenden Kçrperschaften berlassen gewesen waren. Wo bisher mehr oder minder demokratisch legitimierte Regierungen und Parlamente, Interessengruppen und Enquetekommissionen ber Regulierungsbedarf, Art, Umfang und eventuelle Abnderung von Regulierungen entscheiden konnten, erfolgte nun die Ausarbeitung von Gesetzentwrfen in diplomatischen Verhandlungen und die Gesetzgebung in Form der dauerhaften vçlkerrechtlichen Bindung an einen zwischenstaatlich festgestellten Text, der im Prozeß der Ratifikation nur in toto angenommen oder verworfen werden konnte. Stellt also die durch Ratifikation zustande gekommene Selbstbindung eines Staates an ein internationales Abkommen vom Standpunkt des Vçlkerrechts kein Problem und keine Beeintrchtigung staatlicher Souvernitt dar, bedeutet internationale einheitliche Gesetzgebung in der Tat eine Beschrnkung parlamentarischer Mitwirkungs- und Gestaltungsmçglichkeiten und die Strkung der Rolle demokratisch nicht kontrollierbarer Akteure und Foren. 123 Zitat: The Times, Bills of Exchange Conference, 19.10.1910. 124 Vgl. dazu auch Vec, S. 126.

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Derartigen Bedenken sehen sich international einheitliche Regelungen bis heute mit einer gewissen Berechtigung ausgesetzt, auch dort, wo die einzelnen Staaten sich nicht verpflichten, gleichartige Gesetze zu erlassen, sondern lediglich eine bestimmten gemeinsam vereinbarten Grundprinzipien entsprechende Gesetzgebung zu erlassen versprechen. Sie sind in herkçmmlichen internationalen Organisationen wie z. B. der WTO unumgnglich. In supranationalen Organisationen wie der Europischen Union ließen sie sich dadurch lçsen, daß auf Gemeinschaftsebene hinreichend legitimierte Entscheidungsverfahren geschaffen wrden.125 Inwieweit international einheitliche Gesetzgebung als Beeintrchtigung von Staats- und Volkssouvernitt empfunden wurde, hing eng mit der Regulierungsdichte sowie mit dem Staats- und Politikverstndnis der Beteiligten zusammen. Insgesamt beruhte das Wechselrecht in allen Staaten auf den Prinzipien eines liberalen Verkehrsrechts. Es bot Individuen und Firmen126 eine (mehr oder weniger streng umschriebene) Form der Weitergabe von Ansprchen an und legte den am wirtschaftlichen Austausch Beteiligten wenige Hindernisse und Anforderungen in den Weg. Bei geringer Regulierungsdichte aber mußte auch die Motivation zur internationalen Vereinheitlichung des Wechselrechts gering bleiben, weil die Abweichungen zwischen verschiedenen Rechtssystemen eben um so weniger ins Gewicht fallen, je weniger zwingende Rechtsvorschriften es gibt. So ließ sich mit den meisten durch Rechtsunterschiede verursachten Schwierigkeiten leben, oder der internationale Verkehr fand Mittel und Wege, auch abseits von Gesetzen und Gerichten seine eigene bung zu etablieren. Die Tatsache, daß der Wechsel das wichtigste Zahlungs- und Kreditinstrument im Weltverkehr darstellte, um das sich eine Reihe etablierter Verfahren und Geschftsformen gruppierten,127 belegt eben nicht die Notwendigkeit internationaler Rechtsvereinheitlichung, sondern zeigt das relativ reibungslose und wunschgemße Funktionieren des Wechselverkehrs. Die am Wechselverkehr Beteiligten bekundeten, anders als Juristen und internationale Organisationen, nur selten ein Interesse an einer umfassenden Vereinheitlichung des Wechselrechts, und eine aktive Suche nach Alternativen zur Zahlung und Kreditbeschaffung mittels Wechseln lßt sich nicht feststellen.128 Die Schaffung eines international einheitlichen Wechselrechts nderte nichts daran, daß Kaufleute in der Regel rechtliche 125 Vgl. z. B. Jochum u. Petersson. 126 So war unter Juristen hoch umstritten, ob sich Gesellschaften wechselrechtlich verpflichten konnten, auch wenn seit dem 19. Jh. wohl mehr Wechsel von Gesellschaften als von Personen umliefen und so „die Frage durch die Praxis entschieden [war], auch wenn irgendein Theoretiker etwas sich juristisch nicht vorstellen kann, was tglich Rechtswirklichkeit ist“ (Schnitzer, S. 379). 127 Vgl. hierzu unten II.4. 128 Vgl. Wolf, der die Ineffizienz des internationalen Zahlungswesens beklagte, aber zugleich einrumen mußte, daß sein Vorschlag eines „internationalen Einheitsgeldes“ und einer zentralen, globalen Wertausgleichstelle fr den Verkehr zwischen Banken keinen großen Zuspruch fand.

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Feinheiten ignorierten. Die Zeit, Kleingedrucktes zu lesen oder zu verfassen, nahmen und nehmen sich Kaufleute offenbar ungern, und noch in den 1970er Jahren konstatierte ein Handbuch fr Praktiker des Außenhandelsrechts: Die Bedeutung des Wechsels im internationalen Handels- und Warenverkehr kann schwerlich berschtzt werden. Dennoch ergeben sich immer wieder … in diesem Zusammenhang schwierige Rechtsfragen, die sicherlich dann sachgerechter gelçst werden kçnnten, wenn die Parteien vor Abschluß eines Exportvertrages in Zweifelsfllen sich ber etwaige Besonderheiten des anwendbaren Wechselrechts Klarheit verschaffen wrden.129

Das Ziel der Vereinheitlichungsbemhungen, die ihren Ausgangspunkt bei den franzçsischen Kriegsmoratorien hatten, war im Grunde auch gar nicht eine Vereinheitlichung der zivilrechtlichen Aspekte des Wechselrechts (also derjenigen, welche das Verhltnis der Wechselverpflichteten untereinander betrafen), sondern die Begrenzung und Vereinheitlichung des çffentlichen Rechts des Wechsels (also der staatlichen Eingriffsmçglichkeiten in die Rechte der Wechselverpflichteten). In dieser Hinsicht bedeutete das Projekt der Herstellung einer internationalen Verkehrswirtschaft durch den Abbau von Schranken und die Reduktion von Transaktionskosten wesentlich mehr, als daß man die „Grundlagen des Austauschs von Waren, Dienstleistungen und Informationen standardisierte“,130 sondern lief auf das politische Projekt einer „negativen Integration“ durch die Ausschaltung staatlicher Gestaltungsmçglichkeiten und die rein private Ausgestaltung internationaler Beziehungen hinaus – auf einen „kaufmnnischen Internationalismus“, der auch in den anderen in dieser Arbeit unersuchten Vorhaben eine wichtige Rolle spielte.131 Deutlich wird der Charakter dieser Bemhungen, wenn man sich die Fragen der Moratorien und der Goldklausel anschaut: Das Wechselrecht sollte hier die Staaten binden, sich strukturpolitischer Gestaltung und politischer Einflußnahme ad hoc zu enthalten. Den am internationalen Wirtschaftsverkehr Beteiligten sollte es ermçglichen, Zahlungsweise und Zahlungsmittel untereinander frei zu vereinbaren und sich gegen Kursschwankungen und die Wirrnisse staatlicher Whrungspolitik zu sichern. Sie sollten die Sicherheit haben, daß geographische Zuflligkeiten wie der Aufenthaltsort und die Nationalitt der Wechselverpflichteten und ihres Eigentums, der Ort, an dem sie die Wechselverpflichtung eingingen und derjenige, an dem die Zahlung geleistet wurde, keinen Einfluß auf den Inhalt ihrer frei untereinander vereinbarten Vertragsbeziehung hatten. Es handelt sich also um ein Projekt der Privatisierung und Entterritorialisierung der Beziehungen zwischen Individuen, das letztlich mit dem Wechselrecht nur insoweit zu tun hatte, als der Wechsel das 129 V. Westphalen, S. 95. 130 Vec, S. 127. 131 So das Projekt eines internationalen Schiedsgerichtshofs fr die Ansprche Privater gegen Staaten, den Schutz des Privateigentums und der Versicherungsvertrge im Kriege usw.

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bevorzugte Mittel der Abwicklung finanzieller grenzberschreitender Beziehungen darstellte. Der Erste Weltkrieg entlarvte diese Zielsetzungen als unrealistisch und zerstçrte zugleich mit den stabilen Whrungen und dem „schlanken Staat“ die Grundlagen, auf denen sie erst hatten entstehen kçnnen. Die Zahl der zulssigen Transaktionen, fr die Wechsel als Zahlungs- und Kreditinstrument in Frage kamen, nahm immer weiter ab, je dichter das Netz der Regelungen des çffentlichen Rechts wurde, das die Zulssigkeit grenzberschreitender Transaktionen regelte, und je mehr whrungspolitisch motivierte Beschrnkungen des Zahlungsverkehrs errichtet wurden. Angesichts der Notmaßnahmen der Depressionszeit war Rechtsvereinheitlichung kaum noch ein relevantes wirtschaftliches Anliegen, weil die wirklichen Hindernisse fr den internationalen wirtschaftlichen Verkehr nunmehr die bewußt geschaffenen Steuerungsinstrumente waren und nicht mehr zufllig vorhandene, inhaltlich bedeutungslose Rechtsunterschiede. Auch das Genfer Wechselrechtsabkommen von 1930 trgt die Zge der extremen Souvernittskonzeption jener Zeit, denn es erlaubte den Vertragsstaaten nicht lediglich (wie die Vorbehalte von 1912 es taten) die Beibehaltung im Detail abweichender Regelungen, sondern ermchtigte sie unter Verweis auf souverne Handlungsfreiheit und Notstandsmaßnahmen zum jederzeitigen Eingriff in Inhalt und Umfang bestehender Wechselverpflichtungen.

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3.) Private Rechtssetzung und staatliche Macht: Verbandsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit Erst in den 1920er Jahren begannen Juristen mit der vergleichenden Analyse der verschiedenen Systeme des Handelsrechts und der empirischen Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Rechtsvergleichung sollte den Weg zu einer Annherung der Rechtssysteme und damit zur Beseitigung dem internationalen wirtschaftlichen Austausch im Wege stehender Rechtsunterschiede weisen.1 Studien wie diejenige Großmann-Doerths zum Recht des berseekaufs oder Ishizakis zum Recht des internationalen Seidenhandels ergaben jedoch, daß sich diese Vereinheitlichung lngst auf dem Wege privater Selbstorganisation, abseits staatlicher Rechtssetzung und staatlicher Regulierungsansprche, vollzogen hatte.2 Großmann-Doerth etwa bilanzierte: „Das staatliche Recht ist diejenige Rechtsquelle, welche fr den Ueberseehandel die geringste Bedeutung hat.“ Die wesentlichen Fragen wrden lngst „unter Ausschaltung der vielen nationalen Gesetzgeber vom Ueberseehandel selbst geregelt“.3 Drei grundlegende Mechanismen waren nach Ansicht der zitierten Autoren fr die Verselbstndigung des privat gesetzten Rechts des internationalen Handels maßgeblich: Standardisierte Vertragsformulare, die von Verbnden vorgenommene Kodifizierung von Handelsbruchen und die verbandsrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit. Zusammengenommen ergab sich daraus eine von Verbnden der Privatwirtschaft geschaffene transnationale Ordnung fr den berseehandel, die sich erfolgreich gegen Regulierungsansprche des staatlichen Rechts behauptete: [Le] droit commercial corporatif … se dresse en lutte, et en lutte gnralement victorieuse … contre le droit commercial fait par les lgislateurs, les juges et les juristes, [et il] se prsente, en effet, sous la forme d’un droit dj internationalis dans ses grandes lignes.4

1 Das Bedrfnis nach solchen Untersuchungen machte sich im Handelsrecht bereits frher bemerkbar, fhrte zunchst jedoch lediglich zu Werken kompilatorischen Charakters wie z. B. Borchardt, Handelsgesetze. Ansonsten vernachlssigte die Wissenschaft die Beschftigung mit auslndischem Recht, Nçrr spricht von einer erst in den spten 1920er Jahren berwundenen „Krise der Rechtsvergleichung“ (S. 102). 2 Ishizaki; Großmann-Doerth, Recht. 3 Großmann-Doerth, Recht, S. 40, 43. 4 Ishizaki, S. 13 f.

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(a) Standardvertrge und Schiedsgerichtsbarkeit Im klassischen liberalen Konzept der Vertragsfreiheit als Mittel gesellschaftlicher Selbststeuerung ist ein Vertrag als im Einzelfall zwischen zwei gleichberechtigten Vertragspartnern ausgehandelte Abmachung gedacht. Diesem Modell entsprachen die Vertrge des Handels im Untersuchungszeitraum immer weniger. Bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gingen die großen Handelshuser dazu ber, vorgedruckte Vertragsformulare zu verwenden. Auf diesen fanden sich vor allem die sogenannte „Basisklauseln“, welche die Kosten- und Stçrungslast auf Verkufer und Kufer verteilen, d. h. regeln, wer z. B. fr den Transport und die Versicherung zu zahlen hat und wer welche Risiken trgt.5 Das „Firmenformular“ war in vielen Bereichen des Handels, in denen sich einander hnliche Transaktionen immer wieder aufs neue wiederholten, nur ein bergangsphnomen. Denn alle an solchen Geschften als Verkufer, Kufer, Vermittler und Zwischenhndler Beteiligten versuchten, mçglichst die Verwendung der eigenen Formulare durchzusetzen, in denen mçglichst viele Risiken auf den Handelspartner abgewlzt wurden.6 Wo das einzelnen Hndlern nicht gelang, versuchten sie, durch Verbandsbildung ihre Bedingungen durchzusetzen. Gelegentlich fhrten derartige Machtkmpfe zu Verhandlungen zwischen den Verbnden der interessierten Kreise, in denen dann allgemein akzeptable Vertragsformulare vereinbart wurden.7 Diese waren unter den beteiligten Interessen abgestimmt, juristisch durchgeprft und in dem Sinne vollstndig, daß sie fr eine Vielzahl mçglicher Stçrungen des Handelsgeschfts bestimmten, wie zu verfahren war, wer die Last zu tragen hatte und wie Streitigkeiten ber Qualitt oder einzelne Teile des Vertrags zu entscheiden waren. Einzig Art, Menge und Preis der zu liefernden Ware und der Liefertermin brauchten noch eingetragen zu werden. Auf diese Weise entstand ein Verbandsrecht, das zwar branchenmßig zersplittert war, zugleich aber „fr den einzelnen Handelszweig ein geschriebenes Weltrecht“ darstellte.8 Es regelte vor allem die fr die Kaufleute praktisch wichtig erscheinenden Fragen, also Schiedsgerichtsbarkeit, Qualittsprfung, rechtzeitige Abladung, die an die im Handel benutzten Dokumente (Konnossemente, Wechsel, Versicherungsschein) zu stellenden Bedingungen. Angesichts sich wandelnder Geschftspraktiken und sich ausweitender Handelskontakte war es fr alle Beteiligten sinnvoll, explizite Bestimmungen 5 Hierzu und zum folgenden vgl. v. a. Hellauer; Sonndorfer ; Schck; Großmann-Doerth, Recht; Ottel. 6 Besonders weit gingen dabei die Reedereien, die nicht einmal fr die Seetchtigkeit des eingesetzten Schiffes oder schwere nautische Fehlleistungen haften mochten (die USA erklrten solche Klauseln 1893 fr alle Schiffe fr unwirksam, die amerikanische Hfen berhrten): Wstendçrfer, Seehandelsrecht. 7 Hellauer, S. 417. 8 Großmann-Doerth, Recht, S. 78.

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zu treffen, wo frher lokaler Handelsbrauch oder stillschweigendes Einverstndnis ausgereicht hatten, so daß die Vertrge immer lnger wurden und daher als gedruckte Formulare vorgehalten wurden. Weiter sprachen Effizienzgrnde dafr, die Formularbedingungen und Qualittsklassen branchenweise zu vereinheitlichen, so daß schwimmende Ware oder Vertrge einfach weiterverkauft werden konnten, ohne daß seitenweise Kleingedrucktes geprft werden mußte. Besonders weit ging dies im Getreidehandel, wo standardisierte Ware in der Form von Zeitgeschften gehandelt wurde. Abweichungen in Menge und Qualitt bewirkten (innerhalb gewisser Grenzen) keinen Anspruch auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung, sondern wurden durch Preisanpassung verrechnet. Erst durch eine derartige Standardisierung entstand eine „vertretbare“ bzw. „fungible“ Ware, die schwimmend, auf Termin oder durch das Von-Hand-zu-Hand-Gehen von Kontrakten gehandelt werden konnte, was einen rascheren Umschlag des eingesetzten Kapitals erlaubte. Standardisierung und Formalisierung hatten allerdings noch einen anderen Grund als die reine Effizienz. Die Notwendigkeit, mçglichst vollstndige Vertrge abzuschließen, ergab sich auch aus der Tatsache, daß Zeitgeschfte immer auch ein spekulatives Element einschließen: Wer heute Ware zur Lieferung in einigen Monaten einkauft und diese bereits vor Eingang weiterverkauft, muß damit rechnen, daß sich die Preise whrend dieser Zeit verndern. Fr den Verkufer der Ware entsteht bei steigenden Preisen ein Anreiz, das Geschft zu lçsen und die Ware teurer weiterzuverkaufen, bei fallenden Preisen wird der Kufer bestrebt sein, aus dem Vertrag herauszukommen und sich die Ware, die er seinem Kunden zu liefern hat, anderswo billiger zu besorgen. Viele Streitigkeiten ber die Auslegung von Vertrgen beruhten daher auf dem Bemhen einer der Parteien, einen Vorwand fr die Auflçsung eines wirtschaftlich nicht mehr optimalen Geschfts zu finden. Dies ging bisweilen so weit, daß rein formale Mngel wie die Bezeichnung der Ware als „Bohnen“ im Kaufvertrag und als „haricots verts“ in den Verschiffungsdokumenten als Grund fr die Vertragsauflçsung angefhrt wurden.9 Formalisierte und vollstndige Vertrge schtzten beide Parteien partiell vor derartigen Mançvern, da sie wenige Unklarheiten enthielten, die sich in dieser Weise ausnutzen ließen. Trger der Vertragsvereinheitlichung waren zumeist starke Branchenorganisationen. Die London Corn Trade Association, die Vereinigungen der Baumwollhndler in Bremen und in Liverpool oder der Seidenhndler in Lyon und die von ihnen aufgestellten Standardkontrakte konnten eine internationale Bedeutung erlangen, weil diese Organisationen in globale Zentren des Handels mit bestimmten Produkten alle wichtigen Hndler zusammenschlossen. Ihnen gelang es daher, Vertrge mit den Hndlern in den Ausfuhrgebieten auszuhandeln, die zuvor auf der Verwendung ihrer eigenen 9 Handelskammer Hamburg, Sitzung vom 31.12.[1925], BAL R 11/1164; allgemein GroßmannDoerth, Recht, S. 61 – 65.

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Formulare bestanden hatten. London mußte dabei als Handelszentrum, an dem sich nicht nur die Handelshuser, sondern auch die Versicherungen, die Handelsbanken, die Schiffs- und Produktenmakler konzentrierten, einen Vorteil haben. Die Mustervertrge der London Corn Trade Association umfaßten um 1900 bereits ein ganzes Buch. Neben der Aufstellung von Mustervertrgen befaßte sich die Corn Trade Association auch mit der Zusammenstellung von Qualittsmustern und der Schiedsgerichtsbarkeit. In Deutschland fehlte es an derartigen starken Organisationen, und einzelne Verbnde suchten im Rahmen des Deutschen Handelstages zu einem Ausgleich zu kommen. Allerdings bemhten sich deutsche Hndler seit den 1890er Jahren, die Verwendung eigener Vertragsformulare und Vertragsbedingungen im Getreidehandel durchzusetzen.10

Die Deutsch-niederlndischen Getreidevertrge Als Beispiel fr Ergebnisse, Mçglichkeiten und Grenzen solcher Verhandlungen kçnnen hier die Bemhungen deutscher Getreidehndler um die Aufstellung eigener Vertragsformulare fr die Getreideeinfuhr aus Rußland, den USA und Argentinien dienen. Solche Einfuhren wurden bis 1904 entweder auf den Formularen der Exporteure abgeschlossen oder ber London vermittelt, wobei dann die Formulare der London Corn Trade Association benutzt wurden.11 Auf die Dauer entstand allerdings bei den deutschen Getreidehndlern und Endabnehmern erhebliche Unzufriedenheit mit der Vertragsgestaltung, die ihren Bedrfnissen in wesentlichen Punkten nicht entsprach. Insbesondere wurde die Zustndigkeit eines Londoner Schiedsgerichts als unpraktisch angesehen, u. a., weil bei Qualittsstreitigkeiten erst Warenproben nach London geschickt werden mußten. Auch die Entscheidungen der Londoner Schiedsrichter stießen nicht immer auf Zustimmung. Und schließlich boten die Londoner Standardformulare fr Getreideeinfuhren keine Mçglichkeit, besondere Abmachungen ber die Qualitt der zu liefernden Ware zu treffen, an denen den deutschen Mllern gelegen war. Unzufriedenheit mit der „Unreellitt einer großen Anzahl russischer Ablader“ und der „Unzulnglichkeit der englischen Kontrakte“ kam zusammen mit gestiegenem Selbstbewußtsein, dem „Bewußtsein, daß Deutschland als nicht zu unterschtzender Kufer auf dem Weltmarkte die Bedingungen vorzuschreiben in der Lage ist, die sich fr ein reelles Geschft als unbedingt notwendig erwiesen haben.“12 10 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 104 f. Zum Getreidehandel weiter Steinkhler ; Deutschlnder u. Kunis; Friedrichowicz. 11 Ebd. 12 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 105.

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Aus diesen Grnden regten westdeutsche Getreidehndler schon in den 1890er Jahren die Aufstellung eines eigenen Mustervertragsformulars an, das insbesondere gesunde Auslieferung und ausreichende Versicherung der Ware verlangte und genaue Vorkehrungen fr Arbitrage, Havarie und Liefertermine enthielt. Aus der Initiative wurde jedoch nichts, da das Verbot des Getreideterminhandels im Bçrsengesetz von 1896 den gesamten deutschen Getreidehandel in Unordnung brachte. Erst 1902 wurde beim Deutschen Handelstag eine „Sonderkommission betr. Verkehr mit Getreide“ eingerichtet und der Verband der Berliner Getreide- und Produktenhndler mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beauftragt. Whrend dieser Entwurf den einzelnen Handelskammern in Deutschland zur Prfung vorlag, schlossen sich westdeutsche Hndler zusammen, um gegen Mißstnde bei der Entnahme und Bewertung von Proben in Rotterdam, dem wichtigsten Hafen fr Getreideeinfuhren nach Westdeutschland, vorzugehen. Deshalb wurden niederlndische Hndler in die Beratungen einbezogen. Es wurde vereinbart, daß ab dem 1. 4. 1904 Getreide nur noch mittels des neuen „deutsch-niederlndischen Vertrages“ gekauft werden sollte.13 Dieser Zusammenschluß der deutschen und niederlndischen Abnehmer fhrte zunchst zu einem Machtkampf mit den russischen Exporteuren, die ihrerseits alle russischen Hndler verpflichten wollten, nur auf einem Formular ihres Verbandes zu verkaufen. Sie hatten jedoch keinen Erfolg, da bei Inkrafttreten des Vertrages genug Getreide aus anderen Liefergebieten auf dem Markt war (das dann natrlich auf Londoner Vertrgen gekauft wurde). Der deutsch-niederlndische Vertrag kam daher zunchst einmal gar nicht zur Anwendung, da keine entsprechenden Geschfte gettigt wurden. Vertreter der russischen Exporteure und des Handelstages vereinbarten schließlich eine provisorische Wiederaufnahme des Handels und gemeinsame Beratungen ber einen fr beide Seiten akzeptablen Vertrag. Das Ergebnis war der „Deutsch-niederlndische Vertrag Nr. 1“ fr Getreide-Teilladungen aus dem Schwarzmeerraum.14 In den Verhandlungen mit den russischen Exporteuren wollten die deutschen Hndler insbesondere die Lieferung schlechter Qualitten ausschließen. Die Londoner Kontrakte lauteten auf „fair average quality of the season“; die deutschen Importeure wollten „gute, gesunde und trockene Durchschnittsqualitt der Verschiffung zur Zeit und am Orte der Verladung“ als Standardbedingung durchsetzen, mußten sich aber mit „guter Durchschnittsqualitt“ begngen – denn bei einer Ernte unter widrigen Bedingungen war es immerhin mçglich, daß nur ungesunde Ware zu haben war und gar keine 13 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 105 – 112; Steinkhler, S. 278 – 282, 301 – 320. 14 Ebd.; Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide aus dem Schwarzen Meer, dem Asow und der Donau, 13. 12. 1906, BAL R 901/2376; Deutscher Handelstag, Tagesordnung fr die Sitzung der Kommission betr. Getreide am 7. 12. 1912, BAL R 901/2378; Bericht ber die internationale Getreideversammlung, Berlin, Reichstagsgebude, 18.–19. Juni 1913, BAL R 901/2379.

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„gesunde Durchschnittsqualitt“ existierte. Aus diesem Grunde hatten die russischen Ablader verlangt, berhaupt nur „Durchschnittsqualitt“ zu setzen, sich aber auch nicht durchsetzen kçnnen, so daß es letztlich bei einer bersetzung der eingebrgerten englischen Bezeichnung blieb, die offenbar den Verhltnissen des Handels am angemessensten war. Zustzlich wurde festgelegt, daß Durchschnittsqualitt sich anhand monatlich zusammengestellter Durchschnittsmuster ermittelte.15 Nach der ersten Verhandlungsrunde 1904 trafen sich die deutschen, niederlndischen, russischen und rumnischen Hndler regelmßig, um Detailnderungen – z. B. bei der Probenentnahme – zu vereinbaren oder neue Standardvertrge aufzustellen (Nr. 2 fr Getreide von der Ostsee, der Nordsee und dem Weißen Meer und Nr. 3 fr Getreide aus denselben Gebieten, mit der Zusatzklausel „gesund ausgeliefert“). Jede Produktionsregion verlangte nach besonderen Vertragsformularen, weil, trotz standardisierter Ware, im Detail stets lokale Bedingungen zu bercksichtigen waren. So kamen beim Import aus dem Ostseeraum noch zahlreiche Segelschiffe zum Einsatz, so daß die Bestimmung des Schwarzmeervertrags, es drften nur von den Versicherungsgesellschaften als „erstklassig“ eingestufte Dampfer zum Transport verwendet werden, sinnlos wurde. Statt dessen waren im Ostseehandel zustzliche Bestimmungen darber zu treffen, was zu geschehen hatte, wenn die Verschiffung wegen Vereisung der Seewege nicht mçglich war.16 Im Handel mit den Schwarzmeerregionen wollten die deutschen Hndler den „Besatz“ mit Schmutz und minderwertigem Getreide auf hçchstens 3 % begrenzt wissen. Verunreinigungen stellten bei russischem Getreide immer ein Problem dar, da die Anbau- und Transportmethoden oft die Lieferung reinen Getreides gar nicht erlaubten, die Mller in Deutschland aber auf reiner Ware bestanden. Hier konnten die deutschen Hndler sich 1908 teilweise durchsetzen, doch die Qualittsprobleme blieben bestehen, und ein Vertrag, auf dem man erstklassige Braugerste ohne Besatz einkaufen konnte, ließ sich berhaupt nicht aufstellen.17 Gegenber den argentinischen und US-amerikanischen Exporteuren konnten die deutschen Einfuhrhndler weder allein noch im Verein mit anderen europischen Verbnden Erfolge erringen. Der Versuch, den allgemein als ehrlich und zuverlssig bekannten argentinischen Ausfuhrhusern ein neues Vertragsformular aufzuzwingen, erklrte sich vor allem aus dem Bestreben, das System deutscher Einheitskontrakte auszubauen und auch hier von der Londoner Arbitrage loszukommen. Darber hinaus ging es darum, 15 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 114. 16 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 129 – 137; Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide aus dem Schwarzen Meer, dem Asow und der Donau, 13. 12. 1906, BAL R 901/2376. 17 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 141 ff.; Deutscher Handelstag, Tagesordnung fr die Sitzung der Kommission betr. Getreide am 7. 12. 1912, BAL R 901/2378; Bericht ber die internationale Getreideversammlung, Berlin, Reichstagsgebude, 18.–19. Juni 1913, BAL R 901/2379.

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die Spekulationsmçglichkeiten der Exporteure durch die Verladung von Mehr- oder Mindermengen einzuschrnken. Im Handel mit natrlichen Rohstoffen mußte immer eine gewisse Gewichtstoleranz zugelassen werden, da die Ware auf der Reise z. B. durch Austrocknung oder die Aufnahme von Feuchtigkeit ihr Gewicht verndern konnte.18 Alle Vertragsformulare bestimmten, daß Mehr- oder Minderlieferung in gewissen Grenzen zulssig und in diesem Falle die tatschlich gelieferte Menge und nicht die im Vertrag bezeichnete zu bezahlen war. Diese Bestimmung erlaubte allerdings den Lieferanten eine erhebliche Spekulation zu Lasten der Kufer. War, wie im Londoner Vertrag fr Getreide aus den USA, eine Abweichung von bis zu 10 % gestattet, so wrde der Verkufer, wenn die Preise zwischen Geschftsabschluß und Verladung der Ware gestiegen waren, allen seinen Kunden nur 90 % der bestellten Ware liefern und so z. B. aus neun Partien 100 t Getreide zehn 90 t machen, von denen er eine zum inzwischen gestiegenen Preis auf den Markt bringen konnte. Der einzelne europische Getreidehndler, der seinen Kunden Partien von insgesamt 100 t weiterverkauft und nach den im Binnenhandel gltigen Bedingungen auch zu liefern hatte, mußte sich dann zum inzwischen gestiegenen Preis mit zustzlicher Ware eindecken. Fielen die Preise hingegen, so wrde der Exporteur statt der bedungenen 100 t Partien von 110 t liefern und sich auf diese Weise fr 90 t noch nicht verkauften Getreides den alten, hçheren Preis sichern, whrend der Abnehmer die zustzliche Menge gar nicht bençtigte oder sie inzwischen zu einem geringeren Preis htte kaufen kçnnen. Um derartige Spekulation zu unterbinden, wollten die deutschen Hndler durchsetzen, daß Mehr- oder Mindergewicht bei der Lieferung zum Tagespreis vergtet wurde. Die Argentinier hielten jedoch ein neues Vertragsformular nicht fr nçtig. Sie waren bestrebt, das Geschft so einfach wie mçglich zu gestalten, und wollten deshalb mçglichst alle ihre Geschfte ber London, auf Londoner Formular und unter Londoner Arbitrage abwickeln.19 Trotz der zeitweise den europischen Kufern gnstigen Marktlage kam der vom Handelstag ausgearbeitete Vertragsentwurf nie zum Einsatz und argentinisches Getreide wurde weiterhin auf Londoner Vertrag gekauft. Auch, als gegen Ende des Jahrzehnts vermehrt Klagen ber die mangelnde Qualitt des La Plata-Getreides gefhrt wurden, nderte sich nichts. Verantwortlich fr das Scheitern der von einigen deutschen Hndlern gesuchten „Kraftprobe“ mit den Argentiniern waren nicht zuletzt Interessengegenstze auf europischer Seite. Whrend den Getreidehndlern an Standardisierung und an der reibungslosen Abwicklung mçglichst vieler Geschfte gelegen war, versuchten Mller und Brauereien eine feinere Einteilung der Qualittsklassen und er18 Davon zu unterscheiden sind Transportschden oder berbordfallen, wobei einzelne Stcke der Ware gnzlich verloren gehen und die Versicherung einzutreten hat. 19 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 154 ff.; Deutscher Handelstag, Tagesordnung fr die Sitzung der Kommission betr. Getreide am 7. 12. 1912, BAL R 901/2378.

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hebliche Vergtungen fr die Lieferung minderer Qualitt durchzusetzen. Die Mller waren sich nicht sicher, ob sie ihre Interessen gemeinsam mit anderen europischen Mllerverbnden oder im Verein mit den deutschen Hndlern im Handelstag verfolgen sollten. Die beiden Strategien erforderten unterschiedliche Kompromisse mit unterschiedlichen Partnern und konnten deshalb nicht gleichzeitig verfolgt werden. Wegen dieser Interessengegenstze fand der Vorschlag, alle deutschen Hndler und Mller bei Konventionalstrafe auf die Verwendung des 1906 aufgestellten Vertragsentwurfs zu verpflichten, keine Mehrheit. Die Kommission betr. Getreide konnte sich auf die Unhaltbarkeit der bestehenden Verhltnisse verstndigen, zerstritt sich aber ber das weitere Vorgehen.20 Die Hndler waren nicht bereit, die Mller und Brauer bei der Durchsetzung strikter Qualittskriterien gegen die Exporteure zu untersttzen, weil dies der Standardisierung und leichten Geschftsabwicklung im Wege gestanden htte. Schwerwiegender waren die Mißstnde im Getreideimport aus den USA. Dort wurde nicht nach Muster, sondern nach Qualittsklasse gehandelt. Die amerikanischen Getreidespeicher, die einander Konkurrenz machten, vergaben diese Qualittszertifikate allerdings oft mit dem Hintergedanken, den Farmer durch eine besonders gnstige Bewertung an sich zu binden, so daß die gelieferte Qualitt hufig nicht der zertifizierten entsprach. Die gebruchlichen Vertragsformulare bezeichneten aber die zertifizierte Qualitt als maßgeblich fr den Preis (Klausel „certificate final“) und sahen keine Mçglichkeit der Vergtung fr minderwertige Ware vor. Der Handelstag setzte sich dafr ein, daß die unanfechtbaren Zertifikate abgeschafft werden und alle europischen Abnehmer Getreide nur noch unter der Bedingung „gesunder Auslieferung“ kaufen sollten. Die Londoner und Liverpooler Verbnde der Getreidehndler hingegen sprachen sich dafr aus, daß die europischen Abnehmer Einfluß auf die Ernennung der mit der Ausstellung der Zertifikate beauftragen amerikanischen Inspektoren bekommen sollten. Ein gemeinsames Vorgehen scheiterte zunchst daran, daß die Briten sich nicht vor Verhandlungen mit den Amerikanern bereits auf ein neues Vertragsformular festlegen lassen wollten, der Handelstag – gemeinsam mit den niederlndischen, belgischen und skandinavischen Hndlern – aber die Verhandlungen fr wenig aussichtsreich hielt.21 Auch fr Getreidelieferungen aus den USA wurde ein deutsch-niederlndischer Vertrag aufgestellt, der allerdings wegen der Weigerung der amerikanischen Exporteure, anders als auf den Londoner Formularen zu verkaufen, nie zum Einsatz kam.22

20 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 7. 12. 1912, BAL R 901/2378; Bericht ber die internationale Getreideversammlung, Berlin, Reichstagsgebude, 18.–19. Juni 1913, BAL R 901/2379. 21 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide in Nordamerika, 12.–13. 12. 1906, BAL R 901/2376. 22 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 144 – 152.

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Insgesamt gelang den deutsch-niederlndischen Abnehmern die Durchsetzung eigener Vertragsformulare nur dort, wo sie einen erheblichen Teil der Ware aus einem Absatzgebiet aufnahmen und deshalb auch die Exporteure ein Interesse hatten, sich entgegenkommend zu zeigen. Darber hinaus erwies es sich als schwierig, einen Interessenausgleich zwischen Exporteuren, Importeuren und Mllern herbeizufhren und die Einhaltung einmal getroffener Abmachungen auch durchzusetzen. Steinkhlers Einschtzung, „durch die Einrichtung solcher Kontrakte fr Deutschland als weltweit einem der Hauptgetreideabnehmer [wurde] eine wesentliche Vereinfachung und Verringerung der Geschftsrisiken erreicht“, ist daher nur bedingt zuzustimmen.23 Beim grçßten Teil der Getreideeinfuhren blieben die deutschen Hndler nicht nur auf britische Schiffsmakler, Handelsbanken, Versicherungen und Zwischenhndler, sondern auch auf die Londoner Vertrge angewiesen. Dies war unter anderem deswegen bedeutsam, weil auch die Standardvertrge nicht fr sich standen, sondern auf Bruche, rechtliche Bestimmungen und Institutionen Bezug nahmen, die im Falle der Londoner Vertrge stets britische waren. Sogar der deutsch-niederlndische Vertrag war in dieser Hinsicht eine sehr punktuelle Emanzipation von den britischen Einrichtungen, verlangte er doch beispielsweise die Verwendung der Konnossementsformulare der britischen Chamber of Shipping und unterwarf damit auch die Benutzer des deutsch-niederlndischen Vertrages allen nderungen, die an diesen Formularen vorgenommen wurden.24

Die Schiedsgerichtsbarkeit Die Institutionen, die aus den Standardvertrgen Elemente einer privat geschaffenen transnationalen Ordnung machten, waren die kodifizierten Handelsbruche und die Schiedsgerichtsbarkeit. Alle Standardvertrge enthielten die Schiedsklausel. Sie stellte gewissermaßen den Schlußstein im Gebude des sich verselbstndigenden Verbandsrechts dar. Die Schiedsklausel bestimmt in unterschiedlicher Ausfhrlichkeit,25 daß alle Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten aus dem Vertrag vor einem Schiedsgericht auszutragen 23 Steinkhler, S. 282. 24 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 7. 12. 1912, BAL R 901/2378. 25 Ein Beispiel fr eine einfache Schiedsklausel: „Alle Streitigkeiten aus diesem Vertrage werden unter Ausschluß der ordentlichen Gerichte endgltig durch das Schiedsgericht des Vereins Berliner Getreide- und Produktenhndler E.V. entschieden. Soweit nicht in den nachfolgenden Bedingungen anderes bestimmt ist, sind die Berliner Ortsgebruche maßgebend“: Jçhlinger u. Hirschstein, S. 75. Wesentlich ausfhrlicher ist die bei Sonndorfer, Bd. 2, S. 28 f. abgedruckte Londoner Fassung. Vgl. zur Schiedsgerichtsbarkeit auch David, S. 61 – 67; Großmann-Doerth, Recht, S. 50 – 59; Hellauer, S. 59, 424; Jçhlinger u. Hirschstein, S. 313 – 330; Mathies, Entwicklung; Mittelstein; Nelken; Nußbaum, Stand; Nußbaum, Probleme.

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sind, dessen Entscheidungen bindend sind. Der Weg vor die ordentlichen Gerichte wird durch die Schiedsklausel ausgeschlossen. Die meisten Schiedsgerichte entstanden – wie auch die Standardvertrge – gegen Ende des 19. und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts.26 Die Modalitten der Schiedsgerichtsbarkeit waren vielfltig. Im einfachsten Falle wie etwa bei der „Hamburger freundschaftlichen Arbitrage“ ernannte jede der Streitparteien einen Schiedsrichter ; falls die beiden sich nicht auf eine Lçsung einigen konnten, whlten sie gemeinsam einen dritten aus und fllten mit einfacher Mehrheit ihr Urteil. Typischer war die Londoner Arbitrage, bei der die beiden Vertreter der Parteien obligatorisch einen Obmann hinzuzuwhlen hatten. Die London Corn Trade Association stellte den Schiedsrichtern Rumlichkeiten und Einrichtungen zur Analyse von Warenproben zur Verfgung und fungierte berdies als Berufungsinstanz, wenn eine der Parteien den Schiedsspruch nicht anerkennen mochte. Im Gegensatz zu solchen erst im Streitfall konstituierten „Gelegenheitsschiedsgerichten“ waren die deutschen Verbandsschiedsgerichte oftmals „stndige Schiedsgerichte“, die Listen von Persçnlichkeiten fhrten, welche als Schiedsrichter in Frage kamen, und die ihre Entscheidungen von eigenen oder bei der Handelskammer angestellten Wirtschaftsjuristen vorbereiten ließen. Die London Corn Trade Association hingegen bestimmte lediglich, daß es sich bei den Schiedsrichtern um berufsmßig mit dem Getreidehandel befaßte Personen handeln mußte.27 In jedem Falle waren die Beteiligten smtlich Kaufleute und daher mit den Qualittsstandards und Gebruchen der Branche vertraut. Verfahren wurden binnen weniger Tage erledigt, und eine schriftliche Begrndung war nicht erforderlich. Typische Flle waren etwa auf der Grundlage einer Warenprobe zugesprochener Schadensersatz fr qualitativ minderwertige Ware oder die Entscheidung, ob ein Kaufmann eine zu spt eingegangene Getreidelieferung bezahlen mußte, obwohl der Verkufer die Ware nicht rechtzeitig abgeschickt, dafr aber ein falsches Datum in die Verschiffungspapiere hatte eintragen lassen. Die in smtlichen Standardvertrgen der großen Verbnde enthaltene Schiedsklausel entzog einen wesentlichen Teil der handelsrechtlichen Streitigkeiten der Zustndigkeit nationaler Gerichte und Rechtsordnungen und bertrug sie den Schiedsgerichten und den internen Regelsystemen der Branchenverbnde. Im berseehandel bewirkte sie zudem, daß alle Probleme des Internationalen Privatrechts ausgeschaltet wurden, da den Sprchen allein die internen Regeln des jeweiligen Verbandes und die Prinzipien von Billigkeit und gerechtem Ausgleich zugrunde lagen. Die Schiedsrichter waren daher auch nicht verpflichtet, die auf den Vertrag anzuwendende Rechtsordnung zu bestimmen oder berhaupt auf die Gesetzgebung irgendeines Staates Rcksicht zu nehmen. Die Tatsache, daß die Schiedsgerichtsbarkeit einen Weg um 26 Zum berblick am hanseatischen Beispiel Mathies, Schiedsgerichte, S. 15 – 34. 27 Vgl. dazu Sonndorfer, S. 28 f.; Haffner; Mathies, Schiedsgerichte, S. 34 – 41.

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die langwierige und unvorhersehbare handelsrechtliche Rechtsprechung und die Fragen des Internationalen Privatrechts herum erçffnete, wurde als hoch willkommen empfunden: Der zwischenstaatliche Handel ist so vielseitig, daß die Gesetzgebungen der Lnder gar nicht mitkommen kçnnen – und da muß eben gesunder kaufmnnischer Verstand den Formelkram der znftigen Juristerei beiseite schieben, und der Kaufmann spricht dann Kaufleuten Recht.28

Darber hinaus stellte die schiedsrichterliche Entscheidung offenbar eine Mçglichkeit dar, Streitigkeiten auf einer niedrigen Eskalationsstufe erledigen zu lassen, ohne daß die Geschftsbeziehungen zwischen den Parteien dadurch dauerhaft beeintrchtigt wurden. Der nichtçffentliche Charakter der Verhandlung verhinderte die Preisgabe von Geschftsgeheimnissen und rufschdigenden Informationen. Auch atmosphrische Vorteile gab es, weil sich die Parteien an das kaufmnnische Schiedsgericht vielfach nicht erst im Zustande des hçchsten Streites, mit Haß und Verbissenheit wenden und, nachdem das erste Urteil erflossen ist, im Instanzenwege noch weiter streiten, wie es so hufig gegenber den staatlichen Gerichten der Fall ist, sondern an die angesehenen Berufsgenossen, die das Schiedsgericht bilden, ruhig und vertrauensvoll herantreten, damit diese mit ihrer Sachkundigkeit den Fall untersuchen und entscheiden.29

Allerdings waren deutsche Kaufleute nicht immer zufrieden damit, auf auslndische Schiedsgerichte angewiesen zu sein. Das Streben nach Emanzipation von der Londoner und Rotterdamer Schiedsgerichtsbarkeit war ein wesentlicher Grund fr die Aufstellung der deutsch-niederlndischen Getreidevertrge, die ein Schiedsgericht in Berlin, Bremen, Duisburg, Hamburg, Mannheim oder Rotterdam zuließen. In der Diskussion ber die Aufstellung eines deutsch-niederlndischen Vertrages fr La Plata-Getreide etwa argumentierte der Vertreter der Berliner Handelskammer, es sei notwendig, dass sich Deutschland von dem Londoner Schiedsgericht unabhngig mache; denn einmal sei es vom nationalen Standpunkt aus unwrdig, dass die Deutschen in London ihr Recht suchen mssten, dann aber liege bekanntlich das Schiedsgerichtswesen in London sehr im argen.30

Vor allem wurde beklagt, daß das Schiedsrichteramt in London und Rotterdam wegen der damit verbundenen eintrglichen Vergtungen fr eine Reihe von Angestellten und Agenten zu einer Hauptbeschftigung geworden war 28 Auf der Nçllenburg, S. 40. Gleiche Argumente wurden allerdings mit Verweis auf die „Weltfremdheit“ der Juristen auch fr die Schiedsgerichtsbarkeit in der Binnenwirtschaft vorgebracht: Haffner. 29 Hellauer, S. 59 (Zitat); aus aktueller Perspektive hnlich Mattli. 30 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 7. 12. 1912, BAL R 901/2378.

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und diese fr ihre Arbeitgeber bzw. ihnen nahestehende Huser gewissermaßen als „Parteischiedsrichter“ auftraten. Zwar war in der Schiedsgerichtsbarkeit „bewußte Parteilichkeit … nur selten anzutreffen“,31 doch war nicht klar, ob Schiedsrichter sich in erster Linie als Vertreter der Partei, die sie benannt hatte, oder als unparteiische Gutachter zu verstehen hatten. So kam es vor, daß bereits die Auswahl der Schiedsrichter ber den Ausgang des Verfahrens entschied, und daß Schiedsrichter, die als Agenten zwielichtige russische Exporteure vertraten, bei Qualittsbeanstandungen die Warenproben manipulierten oder vertauschten. Der deutsch-niederlndische Vertrag strebte an, „mçglichst objektive Schiedsgerichte zu haben; die Schiedsrichter sollten mçglichst mit den Parteien in gar keiner Verbindung stehen, sie sollten nicht Vertreter der Parteien, sondern von diesen unabhngig sein“.32 Durch den deutsch-niederlndischen Vertrag gelang den deutschen und niederlndischen Kaufleuten die Emanzipation von der Londoner Schiedsgerichtsbarkeit; gleichzeitig einigte man sich auf eine Reorganisation des Rotterdamer Schiedsgerichts, durch die ausgeschlossen werden sollte, daß an einem Fall finanziell interessierte Personen als Schiedsrichter fungierten, und genauere Verfahren der Probenbewertung eingefhrt wurden.33 Die neuen Vertrge zeigten allerdings auch rasch die Nachteile verbandlicher Zersplitterung. Die Vertrge und Schiedsgerichtsbarkeit der London Corn Trade Association waren auf die Bedrfnisse eines globalen Handelszentrums zugeschnitten. Es handelte sich um Instrumente, ohne die kein grçßeres Getreidehandelshaus auskommen konnte, auch wenn es einen Teil seiner Geschfte anderswo und auf anderen Vertrgen abwickeln mochte. Unter diesen Bedingungen bedurfte es keiner scharfen Sanktionsmechanismen zur Durchsetzung von Schiedssprchen; wer sich weigerte, einem Spruch nachzukommen, mußte nicht nur einen Schaden fr seine Reputation und seine bestehenden Geschftsverbindungen befrchten, sondern wurde auch durch die Drohung mit dem Ausschluß vom weiteren Gebrauch der Londoner Schiedsgerichtsbarkeit wirtschaftlich geradezu vogelfrei. Was unter den in London regelmßig aktiven Großhndlern funktionierte, erwies sich im Verkehr zwischen deutschen und niederlndischen Importeuren, Großhndlern und Mllern und russischen Exporteuren als wesentlich schwieriger. Immer wieder wurde bei den Getreideverhandlungen beim Deutschen Handelstag diskutiert, wie mit Hndlern zu verfahren sei, welche die Erfllung von Schiedssprchen verweigerten. Auf die Aufstellung einer „schwarzen Liste“ solcher Hndler oder deren Ausschluß von der weiteren Inanspruchnahme der Schiedsgerichte vermochte man sich zunchst nicht zu

31 Hellauer, S. 59. 32 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide in Nordamerika, 12.–13. 12. 1906, BAL R 901/2376. 33 Jçhlinger u. Hirschstein, S. 314 – 325.

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einigen.34 Auf der internationalen Getreidekonferenz in Petersburg im Februar 1911 wurde dann doch beschlossen, alle Firmen und Kaufleute, die sich weigerten, einem Schiedsspruch nachzukommen, so lange von der Schiedsgerichtsbarkeit auszuschließen, bis sie sich gefgt hatten. Die bereits mehrfach vorgeschlagene „schwarze Liste“ wurde im Auftrag aller beteiligten Verbnde vom Verein Berliner Getreide- und Produktenhndler eingerichtet, doch auch dies konnte nicht verhindern, daß deutsche Hndler und Mller weiter bei bekanntermaßen wiederholt kontraktbrchigen russischen und rumnischen Hndlern kauften. Ein Boykott zur Durchsetzung der Vertragstreue ließ sich also offensichtlich nur unter Schwierigkeiten organisieren. Lediglich die besonders straff organisierten Bremer Hndler verpflichteten sich untereinander bei Androhung von Konventionalstrafen, nicht von kontraktbrchigen Exporteuren zu kaufen.35 Der Handelstag sah es als Aufgabe der Verbnde an, fr die Durchsetzung der Schiedssprche zu sorgen. Die Kommission betr. Getreide schlug deshalb auf Antrag der westdeutschen Hndler vor, auch deutsche Firmen, die bei kontraktbrchigen Hndlern kauften, von der Schiedsgerichtsbarkeit auszuschließen: Das in den Getreidevertrgen festgesetzte Schiedsgericht bilde die Sttze der Vertrge und wer an den von diesen Schiedsgerichten gefllten Schiedssprchen rttele, untergrabe damit den Bestand und die Wirksamkeit der Vertrge selbst. Die Schiedssprche mssten fr jeden etwas Heiliges sein und unbedingt von jedem geachtet und befolgt werden.36

Die Vertrge seien schließlich „aus gemeinsamen Verhandlungen der Kaufleute hervorgegangen, und ihre Grundlage bilde das gegenseitige Vertrauen“. Daher sei es nicht hinnehmbar, wenn etwa rumnische Hndler sich systematisch durch „juristische Spitzfindigkeiten“ wie die Anfechtung der Zusammensetzung der Schiedsgerichte vor ordentlichen Gerichten der Schiedsgerichtsbarkeit entzçgen. Es seien „Massregeln erforderlich, die jeden Vertrauensbruch ausschlçssen oder denjenigen, der dies gleichwohl tue oder mit einem solchen Geschfte abschliesse, fr ,vogelfrei‘ erklrten.“ Diese Argumentation fand letztlich auch die Zustimmung der russischen und rumnischen Verbandsvertreter, die sich in dieser Frage gegen die heimischen Handelskammern stellten. Ab 1913 drohte daher allen Hndlern, die mit Firmen auf der schwarzen Liste Geschfte machten, der Ausschluß von der 34 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide in Nordamerika, 12.–13. 12. 1906, BAL R 901/2376. 35 Deutscher Handelstag, Tagesordnung fr die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 7. 12. 1912; Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 7. 12. 1912, BAL R 901/2378; Mathies, Schiedsgerichte, S. 105 ff. 36 Deutscher Handelstag, Bericht ber die internationale Getreideversammlung, Berlin, Reichstagsgebude, 18.–19. Juni 1913, BAL R 901/2379.

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Schiedsgerichtsbarkeit des deutsch-niederlndischen Vertrages.37 Vor dem Krieg konnte die Wirksamkeit dieser Maßnahme allerdings nicht mehr geprft werden, und danach fielen die meisten vom deutsch-niederlndischen Vertrag erfaßten Exportgebiete als Lieferanten fast vçllig aus. Jedenfalls ließen sich Schiedssprche im großen und heterogenen Anwendungsbereich des deutsch-niederlndischen Vertrages weniger leicht durchsetzen als im Handelszentrum London, wo wegen des Interesses aller Getreidehndler an der Weiterfhrung ihrer Geschftsbeziehungen Vertrge fast schon „self-enforcing“38 waren. Jeder Versuch, Regeln mit Zwangsmitteln gegen die Interessen einzelner Hndler oder Gruppen durchzusetzen, lief Gefahr, diese Gruppen ganz aus dem System der deutsch-niederlndischen Vertrge herauszudrngen und so die erreichte Einheitlichkeit zu gefhrden, wenn er nicht einfach mangels Druckmitteln gnzlich ignoriert wurde. Aus diesem Grunde konnte die verbandsrechtlich organisierte Schiedsgerichtsbarkeit nur in wenigen Fllen, nmlich in den dicht integrierten Zirkeln der großen Firmen in globalen Handelszentren, vçllig ohne den Rckgriff auf staatlicherseits angebotene Mechanismen der Durchsetzung von Vertrgen auskommen. Auf das Mittel des „psychologischen Zwanges“, so war auch den Verfechtern der Schiedsgerichtsbarkeit klar, war nur Verlaß, wo „wirklich ein beschrnkter Kreis von Teilnehmern an einem feststehenden Geschftsverkehr besteht“.39 Anderswo war die Mçglichkeit der durch staatliche Gerichte verhngten Zwangsvollstreckung ein wichtiges Druckmittel, um die Durchsetzung der Schiedssprche zu erlangen. Daher war die Frage nach der Stellung von Rechtsprechung und Gesetzgebung zur privat organisierten Schiedsgerichtsbarkeit von Bedeutung, und hier zeigen sich wieder große Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Rechtssystemen. Der Deutsche Handelstag beklagte die großen Schwierigkeiten bei der Durchfhrung der Schiedsverfahren, da „einige Staaten Vereinbarungen schiedsgerichtlicher Entscheidungen berhaupt nicht anerkennten und andere Staaten ihre Anerkennung von bestimmten Bedingungen abhngig machten.“40 Das Schiedsverfahren war der Gerichtsbarkeit in den verschiedenen Rechtssystemen in unterschiedlicher Weise „einverleibt“: In Frankreich war der Ausschluß der ordentlichen Gerichte durch die Schiedsabrede bis 1925 berhaupt nicht mçglich; danach verwies das Gericht beim Vorliegen der Schiedsklausel den Fall an ein Schiedsgericht, blieb aber fr Berufungen zustndig. In Großbritannien ließ der Richter das Verfahren ruhen, bis ein eventuell vereinbartes Schiedsgericht sein Urteil gesprochen hatte, behielt 37 Deutscher Handelstag, Bericht ber die internationale Getreideversammlung, Berlin, Reichstagsgebude, 18.–19. Juni 1913, BAL R 901/2379; Mathies, Schiedsgerichte, S. 105 ff. 38 Foreman-Peck, S. 77 f.; Cranston; theoretisch Dixit; de Jasay ; Mattli. 39 Berliner Tageblatt, Fçrderung, 14.5.1914. 40 Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstages vom 14. und 15. November 1913, BAL R 901/2380.

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aber das Recht, den Spruch auf Rechtsfehler zu prfen.41 In Deutschland war die Schiedsklausel zulssig und band die Parteien. Ein ordnungsgemß zustande gekommener Schiedsspruch hatte „unter den Parteien die Wirkung eines rechtskrftigen gerichtlichen Urteils“.42 Die ordentlichen Gerichte verwiesen Klger, die sich der Schiedsabrede nachtrglich entziehen wollten, auf das Schiedsgericht zurck. Auf der Grundlage eines Schiedsspruches erließen die ordentlichen Gerichte ohne weiteres ein Vollstreckungsurteil. Die Gerichte sahen sich nicht als zustndig an, wenn eine der Parteien einen Schiedsrichter wegen Befangenheit ablehnte, fr solche Fragen im Vertrag aber die Handelskammer als zustndig bezeichnet war.43 Das Schiedsgericht stand daher in Deutschland ganz außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit; erhob eine Partei trotz des Vorliegens eines Schiedsvertrags Klage, wies der Richter diese ab. Probleme ergaben sich aber immer wieder aus der Frage, ob die Arbitrage allein zur Festsetzung von Vergtungen im Falle von Qualittsmngeln dienen sollte, oder ob damit die Unterstellung des gesamten einen bestimmten Vertrag betreffenden Verhltnisses zwischen den Parteien unter das private Schiedsgericht gemeint war. Auf einer schiedsgerichtsfreundlichen Linie bewegten sich beispielsweise die hanseatischen Gerichte, als ein hamburgisches Haus, das von der in London von Deutschen betriebenen Chinahandelsfirma Arnhold, Karberg & Co. chinesischen Tabak gekauft hatte (Qualitt: fair average of the season or allowance if inferior ; Londoner Arbitrage; Zahlung bei Ankunft des Schiffes auf der Elbe gegen Dokumente), die Zahlung verweigerte mit der Begrndung, daß man kurz zuvor bereits zwei Lieferungen mit betrgerisch gepackter Ware bekommen habe und dies erneut erwarte. Arnhold Karberg klagte daraufhin auf Zahlung des Kaufpreises in Hçhe von 10.000 M. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht gaben der Klgerin Recht: Der Vertrag besage ausdrcklich, daß gegen Vorlage der Dokumente zu zahlen sei und Qualittsmngel erst im Nachhinein per Londoner Arbitrage zur Geltung gebracht werden kçnnten. Deutlich wurde in der Begrndung betont, daß sich die Parteien selbst Londoner Arbitrage unterworfen htten und die Justiz den Versuch der beklagten Firma, die Gerichte mit der Beurteilung der Ware zu befassen, zurckweisen msse. Das Reichsgericht jedoch hob die Entscheidung wieder auf. Es interpretierte den Vertrag dahingehend, daß die Parteien nur die Entscheidung, ob die Qualitt der Ware „fair average of the season“ entsprach und welcher Abzug andernfalls zu gewhren war, der Arbitrage unterwerfen wollten. Bei offensichtlich betrgerisch gepackter Ware aber sei die ganze Ware eingehend zu untersuchen, 41 Pappenheim u. Rheinstein, S. 87 f. 42 ZPO § 1040. Die Bestimmungen der ZPO ber die Durchfhrung der Schiedsgerichtsbarkeit waren im wesentlichen unpraktikabel, es handelte sich aber um dispositive Vorschriften, die in der Praxis stets durch Parteivereinbarung abgendert wurden: Mathies, Entwicklung, S. 5 – 8. 43 Beispiel: Hanseatische Gerichtszeitung 24 (1903), Nr. 48. Allgemein Haffner, S. 56 – 61; Mittelstein.

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was u. U. auch zu ihrer Zerstçrung fhren kçnne, so „daß somit ein Streit hierber nicht nach der Absicht der Parteien im Wege der Arbitrage durch Festsetzung blos einer Vergtung hat erledigt werden sollen.“44 Vielfach waren die Schiedsabreden auf den Firmenformularen oder den Vertrgen kleinerer Verbnde unklar oder gar widersprchlich formuliert. In diesen Fllen standen die Gerichte auf dem Standpunkt, daß „Schiedsgerichtsbarkeit“ oder „Arbitrage“, „da es sich um eine Ausschließung des ordentlichen Rechtsweges handelt, nur in der engeren Bedeutung verstanden werden“ kçnnten.45 Die Befreiung von juristischen Formalien, welche die Schiedsgerichtsbarkeit dem Kaufmann bot, ließ sich also nur erlangen, indem eine formgerechte Schiedsabrede getroffen wurde. Im Jahre 1911 legte die Handelskammer Hamburg daher verbindlich fest, daß unter dem Begriff „Hamburger freundschaftliche Arbitrage“ in Vertrgen unter ihren Mitgliedern immer eine umfassende Schiedsabrede ber den ganzen Vertrag zu verstehen sei.46 Rumnische Hndler stellten sich zeitweise auf den Standpunkt, daß die Schiedsklausel die Inanspruchnahme staatlicher Gerichte auch fr die Vollstreckung der Schiedssprche ausschloß.47 Der Deutsche Handelstag setzte sich auch auf internationalen Handelskammerkongressen fr die Ausbreitung der Schiedsgerichtsbarkeit unter Kaufleuten ein. Das wurde vor allem auf dem Handelskammerkongreß in Boston 1912 diskutiert. Damals beklagten die deutschen Delegierten allerdings, daß die praktisch wichtige Frage der Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Privatleuten auf den Kongressen stets von pazifistisch motivierter Begeisterung fr die Schiedsgerichtsbarkeit zur Konfliktlçsung zwischen Staaten in den Hintergrund gedrngt wrde.48 Ohnehin ging die Diskussion auf den Kongressen in London (1910) und Boston in eine Richtung, die dem Handelstag, aber auch den deutschen Juristen mißfiel: Es wurde nmlich vorgeschlagen, beim stndigen Gerichtshof in Den Haag auch ein Schiedsgericht fr Streitigkeiten zwischen Privatleuten einzurichten; die Staaten sollten untereinander Vertrge schließen, die dessen Sprche ohne weiteres berall vollstreckbar machten. Hier hatte der Handelstag „schwere Bedenken“, und auch der angesehene Privatrechtsexperte v. Bar sprach sich dagegen aus. Der Handelstag empfahl, eher an einer erleichterten und international mçglichst

44 Hanseatische Gerichtszeitung 21 (1900), Nr. 83; Hanseatische Gerichtszeitung 22 (1901), Nr. 31. Ein weiteres Beispiel: Hanseatische Gerichtszeitung 26 (1905), Nr. 45. 45 Hanseatische Gerichtszeitung 26 (1905), Nr. 136; 29 (1908), Nr. 56 (Zitat); 31 (1910), Nr. 78; 35 (1914), Nr. 112. 46 Hanseatische Gerichtszeitung 33 (1912), Nr. 58, Nr. 143; Mathies, Entwicklung, S. 51 f. 47 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Verhandlungen betreffend Einkauf von Getreide von dem Schwarzen Meer, dem Asow und der Donau, 13. 12. 1906, BAL R 901/2376. 48 Vermutlich wre Kriegsvermeidung durch vçlkerrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit eine realistischere Strategie zur Sicherung kaufmnnischer Interessen gewesen als die deutscherseits betriebenen Bemhungen um die Sicherung des Privateigentums im Kriege (dazu s.u. II.4b).

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einheitlichen Regelung der Vollstreckung von Schiedssprchen zu arbeiten, wie es nach dem Krieg tatschlich geschah.49 Das Problem der Vollstreckung hing damit zusammen, daß Schiedsgerichte eben keine Organe der Pflege staatlichen Rechts waren. Schiedsrichter waren berhaupt nicht an staatliches Recht gebunden und mußten ihre Sprche auch nicht begrnden. Gerade deshalb konnte die Schiedsgerichtsbarkeit rascher und kostengnstiger arbeiten und war hier das Problem des anzuwendenden Rechts nicht so schwerwiegend. Ordentliche Gerichte konnten deswegen allerdings auch nicht beurteilen, ob Schiedssprche, aufgrund derer sie mçglicherweise die Zwangsvollstreckung verfgten, deutsches Recht verletzten (es sei denn, das Schiedsgericht verurteilte eine Partei zu einer verbotenen Handlung). Das deutsche Recht und deutsche Gerichte gingen also davon aus, daß die Parteien das Recht hatten, sich weitgehend der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen.50 Ein wesentlicher historischer Grund fr diese Toleranz gerade des deutschen Rechts gegenber der schiedsgerichtlichen Durchsetzung einer selbstgesetzten Ordnung des Handelsstandes liegt in der Rechtszersplitterung in Deutschland: Auch nach der Einfhrung des ADHGB waren noch unzhlige im Detail abweichende einzelstaatliche Vorschriften zu beachten, so daß die Situation innerhalb des Deutschen Bundes und des Deutschen Reiches vor dem Abschluß der großen Kodifikationen stark derjenigen im internationalen Handel hnelte, wo die Schiedsgerichtsbarkeit nicht zuletzt den Vorteil bot, den Streit ber das anzuwendende Recht zu verhindern.51 Kritik daran, daß Schiedsrichter nicht an das materielle Recht gebunden waren, wurde erst nach Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 laut. Allerdings zeigte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg, daß die Verdrngung dispositiven Privatrechts durch interventionsstaatlich begrndetes zwingendes Recht auch den Spielraum fr private Schiedsabreden einengte. Das Reichsgericht legte fest, daß in einem vom Gesetzgeber als nichtig eingestuften Vertrag auch die Schiedsabrede nichtig sei. Daher durften Schiedsrichter in einem Vertrag nicht angewiesen werden, „den Streitfall so zu entscheiden, wie entschieden werden mßte, wenn Ansprche aus Bçrsentermingeschften unbeschrnkt klagbar wren“, denn das Bçrsengesetz bestimmte daß Bçrsentermingeschfte grundstzlich nichtig waren. Eine solche Klausel erschien dem Gericht als „unzulssige Umgehung einer der Ausschließung durch Parteiwillkr entzogenen Gesetzesvorschrift“.52 Trotz der Bemhungen deutscher Hndler, sich von britischer Schiedsgerichtsbarkeit und britischen Versicherungen zu lçsen, und trotz der Schwierigkeiten, Schiedssprche auch durchzusetzen, funktionierte die transnatio49 Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstages vom 14. und 15. November 1913, BAL R 901/2380. 50 Zum berblick Mittelstein; Krause, S. 114. 51 Leo, Hauptgrundstze, S. 214. 52 Leo, Hauptgrundstze, S. 210 – 219. Zur Rechtsprechung des RG Nußbaum, Stand, S. 284; zum hier angefhrten Beispiel Hanseatische Gerichtszeitung 35 (1914), Nr. 59, Nr. 128.

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nale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vor dem Ersten Weltkrieg relativ reibungslos. Die Standardvertrge und das Verbandsrecht fllten dabei in der gngigen Sichtweise lediglich die Freirume aus, welche die dispositiven Bestimmungen des nationalen Handels- und Privatrechts ließen. Doch das war nicht alles. Zunchst ist zu bercksichtigen, daß die ganze Konstruktion der meisten Standardvertrge auf britische Verhltnisse und Handelsbruche und britisches Recht ausgerichtet war, auch wenn weder Kufer noch Verkufer noch Ware aus Großbritannien stammten. Zahlungsmodalitten, Haftung, Verfahrensfragen und andere wichtige Details waren in einer Weise geregelt, die britischem Recht entsprach, im Kontext kontinentaler Rechtssysteme aber oftmals gar keinen Sinn ergab. So war in vielen berseevertrgen die Bezahlung durch einen Wechsel mit Zinsklausel vorgesehen, was nach deutschem Recht nichtig war und nach çsterreichischem den Wechsel sogar ungltig machte. Schiedsgerichte gingen selbstverstndlich davon aus, daß der Kufer wie im Vertrag bedungen zahlen wollte und mußte.53 Zweitens bedeutete die Ausnutzung der Vertragsfreiheit und der Spielrume des dispositiven Rechts durch Verbnde oder in zwischen Verbnden ausgehandelten Abmachungen etwas ganz anderes als wenn das in einzelnen Vertrgen zwischen Individuen geschah, nmlich die Entstehung einer privat gesetzten, durch eine Organisation angewandten und fortgeschriebenen Ordnung. Und drittens vollzog sich diese Herausbildung privater Ordnungen zunehmend in einem Spannungsverhltnis zu den Regulierungsansprchen des Staates. Die letzteren beiden Trends zeigen sich insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg. Aber schon vor dem Krieg wurden diesbezgliche Ziele der kaufmnnischen Schiedsgerichtsbarkeit im theoretischen Schrifttum der Verbnde klar benannt. Die New Yorker Handelskammer setzte die Organisation der kaufmnnischen Schiedsgerichtsbarkeit auf die Tagesordnung des fr 1914 in Paris geplanten Handelskammerkongresses. Simon L. Bernheimer, Direktor der deutsch-amerikanischen Handelskammer in New York, argumentierte in einem Beitrag fr die deutsche Wirtschaftspresse, daß sich auf der Grundlage einer „neuen Organisationsmoral“ die Schiedsgerichtsbarkeit international ganz ohne Rcksicht auf staatliche Untersttzung bei der Vollstreckung von Schiedssprchen durchsetzen wrde. Je wichtiger die großen Verbnde, desto mehr sei der einzelne Kaufmann „von der bestimmten Ideologie seiner Korporation erfllt“ und daher auch bereit, sich „freiwillig dem Schiedsgericht seiner Branchen-Genossen“ zu unterwerfen. Nur auf diese Weise, durch die Ausschaltung der Staaten mit ihren unterschiedlichen Rechtssystemen und Verfahrensweisen, kçnne ein Regelsystem fr die Weltwirtschaft entstehen: „Die Souvernitt des Staates soll durch den Willen der Parteien ausgeschaltet werden. Die Souvernitt des freien Kaufmannswillens und der Organisationsmoral soll den Weg weisen.“54 53 Hellauer, S. 352; Ottel, S. 201. 54 Bernheimer.

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Der Gedanke einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit, die sich auf „kaufmnnische Ehre und Redlichkeit“ sttzte, welche aber „durch den Organisationsgedanken … einen neuen Inhalt erhalten“, wurde in Deutschland als Ausweg aus juristischen Detailstreitigkeiten begrßt und zugleich umgedeutet: Durch Angliederung an die Handelskammern ließen sich die Schiedsgerichte in den „Bereich der staatlichen Einflußsphre mit amtlicher Gewhr“ eingliedern. Der Staat sollte also die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit absichern, obgleich „der souverne gesetzliche Staatswille von der Souvernitt des Kaufmannswillens besiegt“ und allein noch die „kaufmnnische Moral zum Oberrichter kaufmnnischer Streitigkeiten“ berufen war.55

(b) Normsetzungskonkurrenz nach dem Krieg Der Erste Weltkrieg bewirkte eine bedeutende Strkung der Verbandsmacht, brachte aber auch eine Vermehrung des staatlich gesetzten Rechts mit sich. Es lßt sich also von einer allgemeinen Verdichtung der Regulierungs- und Normsetzungsaktivitten sprechen, in deren Verlauf sich auch eine erhebliche Normsetzungskonkurrenz zwischen Verbnden und Staaten entwickelte. Nach Kriegsende wurden die so entstandenen Normbestnde und Regulierungen nur teilweise wieder abgebaut, teilweise im Rahmen der bergangswirtschaft modifiziert, teilweise durch Regulierungen und Normen mit anderen, beispielsweise sozialpolitischen Zielen ersetzt.56 Zugleich wurde aber aus der Kriegs- und Nachkriegserfahrung auch die Lehre gezogen, daß die Bewltigung der Gegenwartsprobleme und die Vermeidung zuknftiger Konflikte eine strkere Zusammenarbeit in neu zu schaffenden, privaten wie staatlichen, internationalen Organisationen erforderte. Hinzu kam daher eine erhebliche Normsetzungsttigkeit durch verschiedene Akteure auf internationaler Ebene, im Rahmen des Vçlkerbundes, in bilateralen Abmachungen oder in privaten Organisation wie der Internationalen Handelskammer. Juristen- und Handelskammerkongresse befaßten sich Mitte der 1920er Jahre eingehend mit der privaten Schiedsgerichtsbarkeit und ihrer Rolle im Rechtssystem. Die Normverdichtung in den 1920er Jahren entstand also im Mit- und Gegeneinander privater und çffentlicher, binnenstaatlicher und inter- bzw. transnationaler Ordnungsstiftung. Die Schiedsgerichtsbarkeit war dabei auf mehreren Ebenen von Bedeutung. Seit dem Krieg wurden Schiedsgerichte in Deutschland auch von staatlicher Seite als unabdingbar zur Entlastung der ordentlichen Gerichte angesehen, insbesondere wegen der Vielzahl von Streitigkeiten, die sich aus den kriegswirtschaftlichen Regelungen ergeben hatten. Fr die Privatwirtschaft war Schiedsgerichtsbarkeit zunehmend attraktiv, weil Kaufleute sich vor den Ge55 Engel. 56 Nußbaum, Wirtschaftsrecht; Nçrr ; Stolleis, ffentliches Recht Bd. 3, S. 65 – 73.

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richten ehemaliger Feindstaaten keine faire Behandlung erwarteten. Die 1920 gegrndete Internationale Handelskammer bemhte sich um die Ausweitung der Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Wirtschaftsverkehr. Grenzberschreitende Abmachungen zwischen Wirtschaftsverbnden fhrten zur Einrichtung internationaler zwischenverbandlicher Schiedsgerichte wie z. B. der „Handelseinigungsstellen“, deren Einrichtung der DIHT mit Partnerorganisationen in nord- und osteuropischen Staaten aushandelte. Ausgangspunkt waren hier oftmals die zahlreichen durch Whrungszerrttung und Handelskontrollen herbeigefhrten Streitigkeiten zwischen Geschftspartnern auf verschiedenen Seiten der Grenze, fr die zuerst lokale Schiedsstellen geschaffen wurden, bevor es spter zu Vereinbarungen zwischen den nationalen Dachverbnden kam. Derartige binationale Schiedsgerichte spielten fr die deutsche Außenwirtschaft eine besondere Rolle, da Deutschland bis zum Beitritt zum Vçlkerbund von zahlreichen multilateralen Organisationen und Vereinbarungen ausgeschlossen war.57

Handelsbruche und Schiedsgerichtsbarkeit in Konkurrenz zum staatlichen Recht Schon vor dem Krieg war Kritik an der Ausbreitung der von den Handelskammern fr einzelne Branchen organisierten stndigen Schiedsgerichtsbarkeit laut geworden, die sich zunehmend Befugnisse und Organisationsformen staatlicher Rechtsprechung anmaße. Diese Kritik richtete sich gegen das planmßige Bestreben vieler Verbnde, ihre stndige Schiedsgerichtsbarkeit zu einem System privat gesetzter, durch Organisationen angewandter und fortgeschriebener Teilordnungen fortzuentwickeln. Sie wurde erstmals auf dem Juristentag 1926 çffentlich diskutiert.58 In ihrem Zentrum stand das sogenannte „Berliner Verfahren“, in dem die Aufstellung „Allgemeiner Geschftsbedingungen“, die Feststellung und schriftliche Fixierung (Kodifikation) von Handelsbruchen und schließlich deren Anwendung durch stndige Verbandsschiedsgerichte miteinander einhergingen.59 Kurz gesagt bestand dieses Verfahren darin, daß die Handelskammer oder Branchenverbnde Allgemeine Geschftsbedingungen aufstellten, die – nach dem bekannten Muster der Firmen- oder Verbandsformulare – den einzelnen Geschftsabschlssen zugrunde gelegt wurden. Nachdem diese Geschftsbedingungen ca. ein Jahr im Gebrauch waren, schritt die Handelskammer dann zur verbindlichen Feststellung der in dem betreffenden Handelszweig bestehenden Handelsbruche, die dann im wesentlichen die eben erst aufgestellten Ge57 Allgemein: Nußbaum, sterreichisch-deutsche Schiedsgerichte; Nußbaum, Probleme. Einzelne Beispiele: Krause, S. 118 ff.; Industrie- und Handels-Zeitung, 10.5.1924. 58 Nçrr, S. 231 – 234. 59 Hierzu v. a. Schreiber.

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schftsbedingungen widerspiegelten und bei denen „jedes Wort – buchstblich – auf der Goldwage [sic] gelegen hat.“ Der Handelsbrauch unterlag damit der bewußten Fortbildung durch die Verbandsjuristen, was den Ansatzpunkt fr Kritik bildete: „Ist das noch ,Feststellung eines Handelsbrauchs‘? Niemals! Es ist ein Programm fr privatwirtschaftliche Maßnahmen.“ Die Bestimmungen des Handelsrechts ber die Bedeutung der Handelsbruche wollten „Rcksicht nehmen auf Verhltnisse, wie sie sich aus der Praxis des Handels ergeben“, aber die Handelskammern mißbrauchten die dafr gelassene Freiheit, um sich „als Gesetzgeber verkleinerten Maßstabes [zu] gebrden“.60 Die Bedeutung der Handelsbruche lag darin, daß sie nach geltendem Recht fr ordentliche Gerichte wie fr Schiedsgerichte den Maßstab der Auslegung von Vertrgen bildeten. Handelsbruche ergnzen Vertrge in Punkten, ber die sie nichts bestimmen, und erlutern die im Vertrag verwendeten handelsblichen Ausdrcke und Bezeichnungen. Dabei haben Handelsbruche, wenn sie keine Gesetze verletzen, Vorrang vor den Bestimmungen des dispositiven Rechts; zwingendes Recht und der erklrte Wille der Parteien gehen hingegen den Handelsbruchen vor. Der Wille der Parteien, auf der Grundlage der bestehenden Handelsbruche zu kontrahieren, muß erkennbar sein, wird aber in der Rechtsprechung regelmßig vorausgesetzt, wenn nichts Gegenteiliges bestimmt ist.61 Die verbandsrechtliche Fixierung und Fortbildung der Handelsbruche erfllte insbesondere im internationalen Handel, wo es gar keine von allen Beteiligten akzeptierten Bruche gab, eine wichtige Funktion. Erst auf diese Weise entstanden berhaupt Regelsysteme, die zur Vertragsauslegung herangezogen werden konnten. Kodifizierte Handelsbruche konnten also an die Stelle der Regellosigkeit in neu geknpften internationalen Handelsnetzen treten oder nicht mehr zeitgemße Bruche ersetzen. Gelang es einem Verband, seinen Geschftsbedingungen so weit Beachtung zu verschaffen, daß sie als Handelsbrauch wirkten, wurden diese „zu autonomen Rechtssatzungen“. Die Usancen des Hamburger „Vereins fr den Handel mit Kolonialwaren, getrockneten Frchten und Drogen“ von 1905 bzw. 1909 beispielsweise galten jedenfalls im Jahre 1914 bereits als soweit bekannt und blich, daß Gerichte sie auch bei Vertrgen zwischen Handelspartnern, die diesem Verein nicht angehçrten, fr „als gewollt anzusehen“ hielten, wenn nicht explizit anderes vereinbart war.62 Dabei besteht die Gefahr der Verbreitung einseitig den Interessen mchtiger Gruppen entsprechender Klauseln, was bereits vor dem Krieg gesehen, aber erst in den 1920er Jahren breiter diskutiert wurde. Schreiber stellt diesbezglich fest, die Handelsbruche seien zum „Feld scharfer Interessenkmpfe“ geworden, „welche nicht mehr von einzelnen Firmen, sondern von zum großen Teil mchtigen Verbnden ausgefochten werden. Ihr Inhalt wird mehr 60 Schreiber, S. 23, 27 f., 43 f. 61 Hellauer, S. 262 f. 62 Hellauer, S. 262 f.; Hanseatische Gerichtszeitung 35 (1914), Nr. 109.

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und mehr das Ergebnis bewußt verfolgter Bestrebungen.“63 Tritt nun noch die stndige Schiedsgerichtsbarkeit der Verbnde hinzu, hat man es mit einer privat geschaffenen, angewandten und fortgeschriebenen Ordnung zu tun, die zum Teil ber eine eigenstndige parallele Rechtspflege gebot, mit mehrstufigen Instanzenzgen bis hin zum „berhmten ,privaten Reichsgericht des deutschen Kartoffelhandels‘.“ Diese Ordnung entbehrte allerdings, wie Kritiker hervorhoben, sowohl des Gedankens eines billigen Interessenausgleiches, wie er den Bestimmungen des dispositiven Rechts zugrunde lag, als auch der Allgemeingltigkeit.64 Kodifizierte Handelsbruche stellten demnach partikulare Ordnungen dar, die auf den Interessen wirtschaftlich mchtiger Kreise fußten. Sie konnten etwa nur noch ußerst kurze Fristen fr die Mngelrge zulassen oder es Spediteuren ermçglichen, sich von der Haftung fr verschiedene Nachlssigkeiten „freizuzeichnen“. Aus fachjuristischer Perspektive handelte es sich dabei um das etwa von Großmann-Doerth angegriffene „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft“. Das Unbehagen heutiger wie damaliger Juristen knpfte sich daran, daß dabei mit dem Begriff der Vertragsfreiheit, der auf voraussetzungslos im Einzelfall auszuhandelnde Geschfte bezogen sei, standardisierte Geschftsbedingungen und private Organisationsmacht gerechtfertigt wurden. So entstehe ein von „Geschftsjuristen“ erdachtes „Willkrrecht“, dem allerdings nicht zuletzt durch Mngel in der staatlichen Rechtspflege und den vielfach unpraktischen, allerlei Betrgereien und Winkelzgen Vorschub leistenden Charakter des staatlichen Rechts Raum gegeben wrde.65 Eine Mçglichkeit, sich derartigem unter Ausnutzung der Privatautonomie geschaffenem Verbandsrecht zu entziehen, bestand in Deutschland kaum. Die Verbnde genossen hier nicht erst, aber vor allem seit dem Krieg eine besonders starke Stellung, und das „Ob“ des Sch[ieds-]V[ertrags] steht dem einzelnen nicht mehr frei: Zugehçrigkeit zu gewissen wirtschaftlichen Organisationen ist çkonomische Notwendigkeit fr ihn, und diese zwingen bei Strafe der Nichtaufnahme oder des Ausschlusses die Sch[ieds-]Kl[ausel] auf.66

Das Schiedsgericht wurde damit faktisch zu einer „Zwangsinstanz“, zumal Schiedsgerichte zunehmend versuchten, auch ber Schiedsgerichtsfremde Jurisdiktion zu ben. So verpflichteten die Kartelle ihre Mitglieder, auch in Geschften mit Nichtmitgliedern die Zustndigkeit des Kartellschiedsgerichts zu vereinbaren. Dabei gingen die deutschen Industriellen und ihre Verbnde oftmals weit ber das von Handel und Kunden fr akzeptabel gehaltene Maß hinaus. Der 63 64 65 66

Hellauer, S. 263 ff.; Schreiber, S. 14. Nçrr, S. 233; Hamburger, S. 179 (Zitat); Krause, S. 120. Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht. Hamburger, S. 179; Krause, S. 120 ff.

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Verband Deutscher Exporteure etwa kritisierte eine „Exportbehinderung durch Verbandspolitik“, die darin zum Ausdruck komme, daß die Verbnde der Industrie in ihren Vertragsbedingungen dem Kunden smtliche Rechte zu nehmen trachteten. So wrden beispielsweise Wandelung, Minderung und Schadensersatz bei der Lieferung defekter Maschinen ganz ausgeschlossen; Betriebs- oder Verkehrsstçrungen sollten den Verkufer berechtigen, ohne Schadensersatz spter oder gar nicht zu liefern. Bei berseegeschften wurde der Verschiffungsort zum Ablieferungsort erklrt, so daß die seefest verpackte Ware faktisch nicht geprft werden konnte, und nach Ankunft der Ware am Bestimmungsort war die Frist zur Mngelrge dann abgelaufen. Ein anderer Verband bestimmte, daß die anstandslose bernahme der Ware durch Eisenbahn, Spediteur oder Schiffer deren ordnungsgemßen Zustand belege, und: „Bei Ueberschreiten der deutschen Zollgrenze gelten die Waren als vorbehaltlos angenommen.“ Das alles treffe nicht nur den Kufer, sondern auch die deutschen Exporthndler, die, um berhaupt Geschfte machen zu kçnnen, die gleichen Bedingungen wie die auslndische Konkurrenz bieten und damit die Risiken selbst bernehmen mßten, die die deutsche Industrie nicht tragen mochte.67 Welche Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten, war aber nicht leicht zu erkennen. berdies war die Stimmung den Schiedsgerichten und Verbnden gegenber insgesamt nicht ungnstig. Die Selbststeuerung der Verbnde erschien als durch die Privatautonomie gedeckt und als Ausdruck einer insgesamt begrßenswerten Tendenz zu einer durchorganisierten Wirtschaft.68 In diesem Sinne sprach sich der bekannteste Schiedsgerichtsexperte unter den deutschen Juristen, Nußbaum, in einer fr die Berliner Handelskammer angefertigten Denkschrift sogar dafr aus, den stndigen Schiedsgerichten der Handelskammern und anderer Kçrperschaften çffentlichen Rechts einen amtlichen Charakter zu geben. Diese „amtlichen Schiedsgerichte“ sollten unter dem Vorsitz eines ausgebildeten Juristen tagen und mit Vertretern der Branchen besetzt sein, denen die streitenden Parteien entstammten. Ihre Urteile sollten ohne weitere Einschaltung der staatlichen Gerichtsbarkeit vollstreckbar sein.69 Die Strkung der Verbandsmacht, die damit einhergegangen wre, ist leicht zu erkennen: Die Leitung der Schiedsgerichte wre den juristisch gebildeten Sekretren der Verbnde und Kammern zugefallen, die dann im Interesse ihres Verbandes htten urteilen und dabei womçglich gar Geschftsbedingungen anwenden kçnnen, die sie selbst entworfen hatten. Daneben wurde auch auf praktische Nachteile hingewiesen: Ganz abgesehen von der praktischen Schwierigkeit, bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts die Interessenlage der Streitenden genau abzubilden, drohte auf diese Weise auch eine Brokratisierung des Schiedsverfahrens, die 67 Verband Deutscher Exporteure an AA, 27. 2. 1925, AA-PA R 117600; Simonson. 68 Nçrr, S. 17 ff., 38 f., 53 f., 172 f., 232. 69 Nußbaum, Neuordnung; Nußbaum, Stand. hnlich bereits Haffner, S. 62 f.

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ihm seine praktischen Vorteile genommen und nur noch seinen Charakter als Werkzeug einer von den Interessenten kontrollierten halbçffentlichen Selbstverwaltung briggelassen htten.70 Die Forderungen der Handelskammern konnten sich letztlich nicht durchsetzen. In der reformierten Zivilprozeßordnung von 1924 findet sich lediglich die erleichterte Vollstreckbarkeit von Schiedssprchen, fr die nunmehr das Beschlußverfahren ausreichte, die Vollstreckungsklage also entfiel.71 So hoffte man, die Entlastung der Gerichte durch die Schiedsgerichtsbarkeit weiter voranzutreiben, was allerdings nur eingeschrnkt gelang. Die von den Kritikern verlangte ausdrckliche Bindung der Schiedsrichter an die zwingenden Vorschriften des Gesetzes wurde nicht eingefhrt. Aber es konnte nun die gerichtliche Nachprfung verlangt werden, ob der Schiedsspruch gegen zwingendes Recht verstieß. Auch blieb die „schiedsrichterliche Verwirklichung von Ansprchen aus ungltigen Vertrgen“ ausgeschlossen, da von den Gerichten „bei Ungltigkeit des Hauptvertrages zugleich die Schiedsabrede fr unwirksam erklrt“ wurde. Auch Schiedsvertrge, die darauf abzielten, zwingende Vorschriften des Gesetzes zu umgehen, wurden vor Gericht als unwirksam angesehen.72

Schiedsgerichtsbarkeit zwischen privater und çffentlicher Ordnungsstiftung Die Verselbstndigung der Schiedsgerichtsbarkeit ist als ein Beispiel fr die „endogene“ Gefhrdung des Privatrechts angesehen worden, d. h. fr die Unterminierung von Vertragsfreiheit und Privatautonomie durch Abmachungen, die selbst durch Vertragsfreiheit und Privatautonomie ermçglicht und legitimiert werden.73 Im Bereich der Kartelle und der Allgemeinen Geschftsbedingungen ist das gut belegt.74 Im internationalen Handel ist sie selbst von Kritikern des „selbstgeschaffenen Rechts der Wirtschaft“ weniger streng beurteilt und sogar als „ein Stck notwendiger Rationalisierung“ gewrdigt worden.75 Hier entsprach die Schiedsgerichtsbarkeit einem Bedrfnis nach unbrokratischer und pragmatischer Konfliktlçsung abseits der zunehmend politisierten staatlichen Justiz. Staatliches Recht trat hier stark (in Gestalt konkurrierender und voneinander abweichender Rechtsordnungen) als Hindernis in Erscheinung und konnte zugleich wegen seiner territorial begrenzten Geltung keine der Schiedsgerichtsbarkeit quivalenten Ordnungsleistungen erbringen. Im berseegeschft ging es darum, „aus einem 70 71 72 73 74

So das Gutachten fr den Juristentag 1926: Leo, Hauptgrundstze, S. 244 – 253. Nußbaum, Probleme, S. 28 f. Nußbaum, Stand; Leo, Hauptgrundstze; Krause, S. 118. So die zentrale These bei Nçrr. Dies zeigt sich schon bei der werbenden Selbstdarstellung der Schiedsgerichtsbarkeit des internationalen Glhlampenkartells: Meinhardt. 75 Zum folgenden Großmann-Doerth, Recht, S. 46 – 51.

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Nichts und, teilweise noch schlimmer, an Stelle des bunten Vielerlei der nationalen Gesetze sein Recht zu schaffen“, gesttzt allein auf die transnationalen Interessen und Interessengegenstze der Ablader, Reeder und Einfuhrhndler. Das Recht der Klauseln und Bruche setzte sich dann auch keineswegs deshalb durch, weil es eine besonders vollstndige und leicht zu handhabende Rechtsordnung war. „[D]ie Welthandelsbruche sind die trgerische Moordecke, unter welcher die Anarchie herrscht.“76 Vielmehr gab es schlicht kein alternatives Ordnungsangebot. Die Unzulnglichkeiten dieses Rechtssystems waren allerdings fr die Kaufleute leichter zu ertragen als fr die Juristen, denn dort, wo Rechtsmngel tatschlich regelmßig Geld kosteten, waren sie allmhlich durch entsprechende Klauseln geregelt worden, und in allen anderen Fllen verließ man sich auf die rasche Klrung durch Arbitrage. Wegen dieser Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Handel gab es in der Zwischenkriegszeit auch staatliche Bemhungen, die Entwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu fçrdern, dabei aber zugleich die wesentlichen Anliegen der Staaten und ihrer Rechtssysteme zu wahren. Eine wichtige Rolle spielte die 1920 in Paris gegrndete Internationale Handelskammer. Die vor allem von franzçsischen und amerikanischen Interessen getragene Organisation, die sich als „a business men’s League of Nations“ verstand, setzte sich von Anfang an fr einen Ausbau des internationalen Schiedsgerichtswesens ein.77 Es war ein wesentliches Anliegen der IHK, Schiedsgerichtsbarkeit auch denjenigen international ttigen Wirtschaftskreisen zugnglich zu machen, die nicht in Verbnden mit internationaler Reichweite organisiert oder an internationalen Handelszentren ansssig waren.78 Hier konnte aber nur sehr begrenzt auf die Durchsetzung von Schiedssprchen mittels moralischen Drucks gerechnet werden, da es sich nicht um dauerhafte, regelmßig in Anspruch genommene Geschftsverbindungen handelte. Daher arbeitete die Handelskammer nicht nur am Aufbau ihres eigenen Schiedsgerichtssystems, sondern gleichzeitig an der Vernderung der politischen Rahmenbedingungen und der Einpassung ihrer Schiedsgerichtsbarkeit in die letzteren. Das war, wie rasch erkannt wurde, die Voraussetzung dafr, daß sich die angestrebte allgemein zugngliche private Schiedsgerichtsbarkeit berhaupt organisieren ließ. In der Arbeit der Internationalen Handelskammer zeigte sich dabei von Anfang an eine Spannung zwischen der Kooperation mit den und Einflußnahme auf die Staaten einerseits und eigenstndiger Normsetzung und -durchsetzung andererseits: „[W]hile some nations believe in the necessity of legal enactment to carry out the terms of an arbitral decision, others prefer to rely upon the moral sanction 76 Großmann-Doerth, Recht, S. 48. 77 Zur Grndung der Internationalen Handelskammer Keppel; Rosengarten, S. 16. Zitat: Ridgeway, S. 15 (nach Rosengarten, S. 17). 78 Chambre de Commerce Internationale, Bulletin no. 4.

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which can be exerted by business organizations upon a recalcitrant member“.79 Die Handelskammer bemhte sich durch politische Lobbyarbeit darum, die Zulssigkeit der Schiedsklausel auch dort durchzusetzen, wo sie bisher nicht anerkannt war, vor allem in Frankreich. Dabei untersttzte die IHK nachdrcklich die Arbeit des Wirtschaftsausschusses (Comit Economique) des Vçlkerbundes, der eine internationale Vereinbarung ber die Anerkennung auslndischer Schiedssprche vorbereitete, um mehr Raum fr die freiwillig vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Handelsverkehr zu schaffen.80 Das Ergebnis dieser Bemhungen war das „Genfer Protokoll ber Schiedsklauseln im Handelsverkehr“ vom 24.9.1923. Darin verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, „die Gltigkeit von Schiedsabreden und Schiedsklauseln im Handelsverkehr allgemein anzuerkennen“ sowie „nach Maßgabe ihrer nationalen Gesetze fr die Vollstreckung der Schiedssprche, die auf ihrem Territorium erlassen werden, Sorge zu tragen.“ Durch das Abkommen wurden Schiedsabreden unter Angehçrigen zweier Vertragsstaaten (aber nicht ein und desselben Staates oder eines Vertrags- und eines Drittstaates) als gltig anerkannt. Es verpflichtete den Unterzeichnerstaat nur zur Vollstreckung im Inland ergangener Schiedssprche und unterstellte diese berdies einem Gesetzesvorbehalt.81 Das Auswrtige Amt zog, obwohl Deutschland nicht Mitglied des Vçlkerbundes war, von Anfang an den Beitritt zu der „Arbitrage-Konvention“ in Erwgung. Die Entscheidung wollte es vor allem von der Haltung der „beteiligten Wirtschaftskreise“ abhngig machen, legte aber gleichzeitig Wert darauf, gegebenenfalls mçglichst bald den deutschen Beitritt erklren zu kçnnen, was dann auch am 21. 1. 1924 geschah.82 Die interne Arbeit der Internationalen Handelskammer fhrte zunchst zur Ausarbeitung einer Schiedsordnung. Darin war in allen wichtigen Sprachen eine Standardformel fr die Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit der IHK enthalten. Auf deutsch lautete sie: Alle aus dem gegenwrtigen Vertrag sich ergebenden Streitigkeiten werden durch Schiedsspruch der Internationalen Handelskammer nach der Schiedsgerichtsordnung des Schiedshofes der Internationalen Handelskammer entschieden werden.

Organisiert wurde die Schiedsgerichtsbarkeit der IHK durch die Mitgliedsverbnde, d. h. die nationalen Dachorganisationen der Geschftswelt. Diese hatten an das Pariser Bro der IHK Listen mit als Schiedsrichter zur Verfgung 79 Keppel, S. 194 f. (Zitat); theoretische Perspektiven bei Mattli. 80 Chambre de Commerce Internationale, Bulletin no. 4. 81 Hier nach AA an Botschaft Paris, 24. 3. 1925, BAL R 901/27270; Aufz. Vçlkerbund, o.D., BAL R 901/27291. Zur Bewertung Nußbaum, Probleme, S. 35 ff. 82 AA an RWM und RJM, 28. 9. 1923; Aufz. AA, 26. 8. 1926, BAL R 901/27291. Neben Deutschland traten auch bei: Großbritannien, Italien, Belgien, Spanien, Dnemark, Norwegen, Griechenland, Rumnien, sterreich.

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stehenden Personen zu melden. Die Erçffnung des Schiedsverfahrens mußten die Parteien bzw. eine derselben bei einer der Landesgruppen der IHK beantragen. Die Zentrale der IHK legte daraufhin fest, in welchem Lande das Verfahren stattzufinden habe – in der Regel, der leichteren Vollstreckbarkeit wegen, das Land des Beklagten. Der Schiedshof der IHK fllte die Sprche nicht selbst, sondern whlte nur die Schiedsrichter aus und prfte die Sprche, die „im Namen des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer“ ergingen. Die Schiedsrichter waren ehrenamtlich ttig, so daß die Auslagen gering blieben – zwischen 0,5 % und 5 % des Streitwertes.83 Die IHK warb damit, daß mehr als 600 Wirtschaftsverbnde in ber 40 Lndern hinter der Schiedsgerichtsbarkeit der IHK standen und fr „Gegenmaßnahmen“ gegen jeden sorgen wrden, der sich der Ausfhrung von Schiedssprchen verweigere. „Wenn er bei seiner Weigerung bestehen wrde, wrde er Gefahr laufen, seinen kaufmnnischen Ruf zu gefhrden und seinen Kredit zu verlieren.“ Daneben wurde aber auch auf die „gesetzmßige Gltigkeit der Schiedsklausel … in allen großen Lndern der Welt“ verwiesen. So trete eine „gesetzliche Gewhr“ fr die Ausfhrung der Sprche neben die „moralische Gewhr“, die aber, wie die IHK stolz bemerkte, bisher stets ausreichend gewesen sei.84 In der Praxis konnte sich die Schiedsgerichtsbarkeit der IHK nicht wie erhofft durchsetzen. Das Schiedsgericht wurde vor allem bei Streitigkeiten angerufen, die sich auf Vertrge bezogen, in denen die Schiedsklausel gar nicht enthalten war. Hier konnte es nur ttig werden, wenn beide Parteien nachtrglich ihr Einverstndnis gaben. Das Schiedsgericht der IHK spielte hauptschlich fr Franzosen eine wichtige Rolle, die deutlich mehr als die Hlfte der bis Ende Mai 1929 gezhlten 337 Klger stellten.85 Mit der Grndung einer deutschen Landesgruppe, die als Vertretung eines im internationalen Handel wichtigen Landes genau wie Frankreich, Großbritannien und die USA drei Vertreter im Rat der IHK bekam, war auch Deutschland an der Schiedsgerichtsbarkeit der IHK beteiligt. Deutsche Verbnde setzten sich nun dafr ein, durch die Unterstellung von Vertrgen unter die Schiedsgerichtsbarkeit der IHK einer als politisiert empfundenen auslndischen Gerichtsbarkeit aus dem Wege zu gehen. Insgesamt interessierte man sich in Deutschland allerdings mehr fr die reparationspolitischen Stellungnahmen der IHK als fr die von ihr angebotenen Dienstleistungen.86

83 Internationale Handelskammer, Schiedsgerichtsbarkeit; Arnaud. 84 Internationale Handelskammer, Schiedsgerichtsbarkeit; International Chamber of Commerce, The Record no. 6. 85 Internationale Handelskammer, Schiedsgerichtschronik Nr. 7; Deutsche Gruppe der Internationalen Handelskammer an AA, 25. 2. 1930, BAL R 901/27271. 86 IHK an Riedberg (DIHT), 2. 9. 1925; Aufz. IHK, 24. 10. 1925, BAL R 11/1359; Bericht ber die zweite Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der IHK in Berlin, 20. 1. 1928, BAL R 901/ 27271; zur Reparationspolitik vgl. v. a. die Akten des Reichswirtschaftsministeriums BAL R 3101/1985 – 1987.

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Die Schiedsordnung der IHK erwies sich in der Praxis berdies als zu formalistisch. Bei einer Revision im Jahre 1927 wurde den Parteien gestattet, selbst die Schiedsrichter und den Ort des Verfahrens auszuwhlen. Die Schiedsrichter wurden angehalten, sich strikt an den Formvorschriften des Landes zu orientieren, in dem der Spruch erging, weil z. B. in den Niederlanden ein Spruch ohne Begrndung nichtig war. Eine Entscheidung „nach billigem Ermessen“ statt nach Gesetz sollten die Schiedsrichter nur noch dann treffen drfen, wenn das nach dem Recht des Landes, in dem das Verfahren stattfand, zulssig war, und wenn die Parteien ausdrcklich ihre Zustimmung erteilt hatten. Darber hinaus wurden auch zustzliche Maßnahmen „gegen widerspenstige Parteien“ fr nçtig erachtet; hier wollte man eine Einflußnahme ber die Verbnde auf ihre Mitglieder erreichen und die Namen der sumigen Firmen oder Kaufleute verçffentlichen. Auf letztere Maßregel wurde dann allerdings verzichtet, da sich die IHK auf diese Weise htte Schadensersatzansprchen aussetzen kçnnen.87 Die zentrale Rolle, die der gerichtlichen Vollstreckbarkeit eingerumt wurde, zeigt, daß die Wirtschaftsverbnde, gerade auch die deutschen, in der Schiedsgerichtsbarkeit kein alternatives, jenseits des Staates funktionierendes Rechtssystem sahen, sondern ein abgekrztes Verfahren zur Erlangung eines mit Hilfe staatlicher Gerichte vollstreckbaren Rechtstitels. Der Berichterstatter fr die Schiedsgerichtsbarkeit auf der Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der IHK im Jahre 1928, der Wuppertaler Seidenfabrikant Frowein, erklrte es daher fr wichtig, daß die Schiedsgerichtsbarkeit „in noch hçherem Maße als bisher in all ihren Bestimmungen den gesetzlichen Voraussetzungen Rechnung zu tragen sucht, die in den verschiedenen Lndern fr eine Vollstreckbarkeit von Schiedssprchen gefordert werden.“88 Sowohl fr die Internationale Handelskammer als auch fr den Wirtschaftsausschuß des Vçlkerbundes stellte das Genfer Protokoll von 1923 nur einen Teilerfolg dar, da es zwar die Anerkennung, aber nicht auch die Vollstreckung auslndischer Schiedssprche regelte. Eine Reihe von Unterzeichnerstaaten des Genfer Protokolls verweigerten weiterhin die Vollstreckung auslndischer Schiedssprche, was in der Praxis die Parteien, denen in einem Schiedsverfahren Ansprche zuerkannt worden waren, in eine wesentlich schlechtere Situation brachte als vor 1923. Vor Abschluß des Protokolls htten diese immerhin auf der Grundlage des Schiedsspruches im Land des Unterlegenen vor Gericht Klage erheben kçnnen. Das Genfer Protokoll verschloß diesen Weg, weil Klagen aus Fllen, die der Schiedsgerichtsbarkeit unterstanden, nun von den Gerichten wieder an das Schiedsgericht zurckver87 Internationale Handelskammer, Neufassung; Bericht ber die zweite Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer in Berlin, 20. 1. 1928, BAL R 901/ 27271. 88 Bericht ber die zweite Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der ICC in Berlin, 20. 1. 1928, BAL R 901/27271.

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wiesen werden mußten.89 In diesen Verhltnissen erblickten Wirtschaftsausschuß und IHK einen wesentlichen Grund fr die relativ geringe Verbreitung der Schiedsklausel im Handelsverkehr und die geringe Zahl der Staaten, die das Genfer Protokoll ratifizierten.90 Zuerst hatte man gehofft, daß die 5. Haager Privatrechtskonferenz von 1925 eine Einigung ber die Vollstreckung auslndischer zivilrechtlicher Urteile und auslndischer Schiedssprche bringen wrde, doch die Haager Arbeiten an der Vereinheitlichung des Privatrechts gerieten in „a period of drowsiness and decline“. Daher machte sich der Wirtschaftsausschuß 1926 daran, die Vollstreckung auslndischer Schiedssprche separat international zu regeln.91 Diese Initiative wurde nachdrcklich von der IHK untersttzt: Erst damit wird das Schiedsverfahren vollstndig, und auch Geschftsleute, die heute noch Bedenken tragen, das Schiedsgericht anzurufen, weil ihnen der Vollzug des Schiedsspruches nicht gesichert erscheint, werden dann von der Einrichtung Gebrauch machen.92

Aus deutscher Sicht wurde die Frage zustzlich verkompliziert durch die Reform der Zivilprozeßordnung von 1924, die eigentlich die Vollstreckung von Schiedssprchen erleichtern sollte. Bis 1923 waren auslndische Schiedssprche in Deutschland im wesentlichen genauso wie inlndische vollstreckbar. Die erneuerte ZPO jedoch fhrte die vereinfachte Vollstreckung im Beschlußverfahren an Stelle der bisherigen Vollstreckungsklage ein. In diesem Verfahren war kein Raum fr die Prfung von Aufhebungsgrnden, so daß eine Partei, die die Aufhebung eines Schiedsspruches anstrebte, nunmehr Aufhebungsklage erheben mußte. Eine solche war jedoch gegen auslndische Schiedssprche nicht mçglich, da hierfr nach Ansicht des Reichsgerichts die Gerichte desjenigen Staates zustndig waren, unter dessen Recht der Schiedsspruch zustande gekommen war.93 Deutsche Gerichte hatten bei auslndischen Schiedssprchen gar keine Mçglichkeit mehr, das Vorhandensein von Aufhebungsgrnden nachzuprfen. Daher wurde berlegt, auslndische Schiedssprche vom Beschlußverfahren auszunehmen und nur noch auf dem Wege einer Erfllungsklage vollstrecken zu lassen, was dem Gericht wieder die Mçglichkeit zur Prfung von Aufhebungsgrnden gegeben htte (dabei ging es stets nur um im Verfahren liegende Grnde; daß eine sachliche Nachprfung nicht in Frage kam, war unstrittig). Allerdings bestand die Gefahr, daß Staaten wie die Schweiz, die bei der Vollstreckung auslndischer Schieds89 Volkmar, Genfer Abkommen, S. 127. 90 Aufz. Wirtschaftsausschuß, 1. 6. 1926, BAL R 901/27291. 91 Socit des Nations, Comit Economique, Rapport soumis la septi me session de l’Assemble, 13. 9. 1226, BAL R 901/27270; Zitat: David, S. 145. 92 Bericht ber die zweite Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer in Berlin, 20. 1. 1928, BAL R 901/27271. 93 Grundstzliche Kritik an dieser Auffassung des Reichsgerichts bt Neuner (v. a. S. 57 – 62): das RG habe hier die Natur des Privatrechts und der Schiedssprche verkannt.

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sprche nach dem Gegenseitigkeitsprinzip vorgingen, dies als Abkehr von der Gegenseitigkeit auslegen wrden.94 Deshalb war das Justizministerium an einem internationalen Abkommen interessiert, da es Staaten wie die Schweiz auch dann zur Vollstreckung deutscher Schiedssprche verpflichten wrde, wenn Deutschland fr die Vollstreckung auslndischer und inlndischer Schiedssprche getrennte Verfahrenswege schuf. Im Auswrtigen Amt dagegen htte man an Stelle einer multilateralen Konvention lieber bilaterale Abmachungen gesehen, die auch Deutschland die Mçglichkeit geboten htten, auf der Gegenseitigkeit zu bestehen.95 Die Arbeiten am Genfer Abkommen ber die Vollstreckung auslndischer Schiedssprche folgten dem bereits vom Wechselrechtsabkommen bekannten Muster : Ein Ausschuß von Sachverstndigen aus Deutschland, sterreich, den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei arbeitete im Auftrag des Wirtschaftsausschusses an einem Entwurf; ihre jeweilige Position wurde von der Regierung nach Konsultationen mit den Fachministerien und Vertretern einflußreicher Verbnde (in Deutschland der RDI, der DIHT und die deutsche Gruppe der IHK) festgelegt. Der Entwurf der Sachverstndigen wurde dann erneut von Fachministerien und Verbandsvertretern beraten, bevor das Abkommen abgefaßt wurde. Die Sachverstndigenberatungen erwiesen sich als schwierig, und schon bald gab man das ursprngliche Ansinnen auf, grundstzlich alle privatrechtlichen Schiedsabreden in das neue Abkommen einzubeziehen.96 Ein multilaterales Abkommen war offenbar nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner mçglich: Dans un accord collectif on est amen multiplier les prcautions. En entrant dans cette voie on risquerait d’aboutir un accord qui consacrerait un recul par rapport nombre de lgislations et de jurisprudences nationales: au lieu de faciliter l’excution des sentences arbitrales trang res, on l’entraverait dans une large mesure.97

Je grçßer die Zahl der beteiligten Staaten, desto schwerer wogen die Rechtsunterschiede, insbesondere bezglich des Verhltnisses von Schiedsgerichten und ordentlichen Gerichten und der Natur des Schiedsspruchs. Viele Staaten sahen den Schiedsspruch als ein Urteil, das auf dem Gesetz fußte, welches die Ttigkeit des Schiedsgerichts zuließ und seinem Spruch zugrunde lag. Auslndische Schiedssprche mußten dann als Akte auslndischer Staatsgewalt erscheinen. In Deutschland galt der Schiedsspruch als Anspruch, der aus einem privatrechtlichen Vertrag hervorging und lediglich gerichtlich geltend gemacht wurde, was die prinzipielle Gleichstellung inlndischer und ausln94 Volkmar, Genfer Abkommen, S. 125 ff. 95 Aufz. AA, 26. 8. 1926, BAL R 901/27291. 96 Zum berblick ber die Geschichte der Beratungen Volkmar, Genfer Abkommen; Volkmar, Genfer Uebereinkommen. 97 Rapport du comit d’experts juristes sur le projet de protocole relatif l’excution des sentences arbitrales trang res tabli par eux, Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292.

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discher Schiedssprche implizierte.98 Auf der Grundlage der Urteilstheorie, die z. B. bei den Haager Privatrechtskonferenzen bevorzugt wurde, war eine Einigung ber die erleichterte Vollstreckung auslndischer Schiedssprche schwer zu erreichen, weil dies fr die Vertragsstaaten praktisch bedeutet htte, Entscheidungen auslndischer Staatsorgane mit unmittelbarer Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet auszustatten. Nußbaum etwa hielt die „Weiterentwicklung des internationalen Schiedsgerichtswesens“ berhaupt nur auf der Grundlage der Vertragstheorie fr mçglich, denn diese allein erlaube es, „das Problem aus dem Gebiet der politischen Betrachtungsweise herauszuziehen“, indem sie den „vertragsrechtlichen und unpolitischen Charakter des Schiedsgerichtswesens“ in den Mittelpunkt stelle. Bei den Beratungen des Wirtschaftsausschusses setzte sich die Vertragstheorie durch: ein Schiedsspruch kçnne „als Folge eines privaten Vertrages“, also der freiwilligen Vereinbarung der Parteien, „regelmßig ohne Rcksicht auf eine Gebietshoheit Wirksamkeit beanspruchen“ und im Ausland vollstreckt werden, ohne daß er zuvor durch ein inlndisches Gericht fr vollstreckbar erklrt wrde.99 Deutlich sprbar war das Mißtrauen gegenber der Rechtschaffenheit auslndischer Schiedsgerichte und Rechtssysteme. Insbesondere Frankreich wollte sich nicht einer „unbekannten Mehrheit von Staaten gegenber“ auf die Vollstreckung auslndischer Schiedssprche verpflichten, sondern nur bestimmten Staaten, deren Rechtsordnung bekannt und deren Rechtspflege zuverlssig sei. Whrend der Beratungen einigte man sich frhzeitig darauf, daß kein Staat gezwungen werden durfte, auf seinem Territorium auslndische Schiedssprche in Angelegenheiten zu vollstrecken, die dort von der schiedsgerichtlichen Erledigung ausgeschlossen waren. Die Vollstreckung eines Spruchs, der Rechtsgrundstze von çffentlicher Bedeutung wie z. B. Wuchervorschriften ignorierte, konnte aus Grnden der çffentlichen Ordnung verweigert werden (nicht allerdings die Vollstreckung eines bloß „ungerechten“ Spruches).100 Ebenso schwierig waren die Fragen des Internationalen Privatrechts, die in den Beratungen aufgeworfen wurden. Einer der Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit war, daß sie sich nicht darum kmmern mußte, welches Recht auf einen Fall anzuwenden war. Doch der mit der Vollstreckung befaßte Richter konnte an der Frage, was denn ein „deutscher“ und was ein „auslndischer“ Schiedsspruch sei, nicht vorbeigehen. Daher hatte auch die Internationale Handelskammer eine diplomatische Konferenz ber das Internationale Privatrecht der Schiedssprche fr wnschenswert erklrt, als sie festlegte, daß ihre Schiedssprche sich an dem fr einen Fall jeweils maß98 Nußbaum, Probleme, S. 12 – 15; Pappenheim u. Rheinstein, S. 8 – 12. 99 Nußbaum, Probleme, S. 15, 18; Pappenheim u. Rheinstein, S. 13; Volkmar, Genfer Uebereinkommen. 100 RJM, Bericht ber die Genfer Sachverstndigenberatungen, o.D.; Konsulat Genf an AA, 9. 4. 1927, BAL R 901/27292.

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geblichen Recht statt allein am billigen Ermessen der Schiedsrichter zu orientieren hatten.101 In den Genfer Sachverstndigenberatungen war es zentrales Anliegen der deutschen Seite gewesen, eine Regel darber zu vereinbaren, welches Recht auf einen Schiedsspruch anzuwenden sei. Den Sachverstndigen gelang hier jedoch keine Einigung: „la validit du compromis ou de la clause compromissoire sera apprcie d’apr s la lgislation qui leur est applicable sans qu’on ait spcifi quelle est cette lgislation“. Die wie oben geschildert nicht sehr zuverlssigen Regeln des Internationalen Privatrechts blieben also maßgeblich.102 Zu der bereits dornigen Frage, nach welchem Recht der Vertrag zu beurteilen war, auf den die schiedsgerichtlich ausgetragene Streitigkeit zurckging, trat nun also die weitere hinzu, unter welchem Recht das Schiedsgericht tagte. Auch hier gab es nicht nur die bliche Vielfalt divergierender Auffassungen, sondern auch ußerst komplexe Problemlagen – in welchem Land hat ein Schiedsverfahren stattgefunden, das ein Deutscher, ein Schweizer und ein Italiener schriftlich vor- und nachbereiten und hauptschlich bei einem Treffen whrend ihrer Ferien in einem franzçsischen Badeort erledigen?103 Die deutsche Position, die das Recht des Ortes fr maßgeblich ansah, an dem das Schiedsverfahren stattfand, war auf die stark durchorganisierte stndige Schiedsgerichtsbarkeit der großen deutschen Verbnde zugeschnitten, die sich auf diese Weise zugleich die Vollstreckbarkeit ihrer Sprche im Ausland und die Unterstellung unter das verbands- und schiedsgerichtsfreundliche deutsche Recht htten sichern kçnnen. Ein weiterer Punkt, an dem sich die deutsche Seite nicht wirklich durchsetzen konnte, war die Frage der Vollstreckung von Teilentscheidungen. Diese erschien den deutschen Sachverstndigen und insbesondere den Wirtschaftsverbnden als ein probates Mittel, um zu verhindern, daß bçswillige Schuldner durch Erhebung verwickelter Einwendungen gegen einen Teil des geltend gemachten Anspruchs die Vollstreckung hinsichtlich der ganzen Schuldsumme, auch soweit sie unbestreitbar ist, aufschieben kçnnten.104

Diese Sorge um die mçgliche Absicherung des Schiedsverfahrens gegen als schikançs empfundene Einwendungen und gegen Versuche, durch Anfechtung des Hauptvertrages (einschließlich der Schiedsklausel) doch noch vor die ordentlichen Gerichte zu kommen, zeigte sich immer wieder als ein zentrales Anliegen der deutschen Verbnde. Die Mehrheit der Sachverstndigen befrchtete aber, daß auf diese Weise auch nicht endgltige Zwischenentschei101 Chambre de Commerce Internationale, xxe session du conseil, 5. 3. 1926, BAL R 11/1164. 102 Rapport du comit d’experts juristes sur le projet de protocole relatif l’excution des sentences arbitrales trang res tabli par eux, Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292. 103 So das Beispiel bei Volkmar, Genfer Uebereinkommen. 104 RJM an RWM, DIHT, RDI, Deutsche Gruppe der IHK und Lnderregierungen, 20. 12. 1927, BAL R 901/27291.

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dungen vollstreckt werden kçnnten. Man einigte sich schließlich, daß Teilentscheidungen, die vom weiteren Prozeßverlauf vçllig unabhngig waren, vollstreckt werden konnten. Solange einer der Parteien im Ausland ein Recht auf Aufhebungsklage zustand, konnte der Richter die Vollstreckung aussetzen oder ablehnen. Die Sachverstndigen des Wirtschaftsausschusses waren mit dem Ergebnis ihrer Arbeit nur sehr eingeschrnkt zufrieden: „On a d arriver une liste assez longue des conditions auxquelles sera subordonn l’effet international des sentences arbitrales. C’est la consquence de la forme collectif [sic] adopte pour le protocole.“105 In vielen Fragen konnten sie sich berhaupt nicht einigen. Viele Entscheidungen fielen in Abstimmungen mit knappen Mehrheiten. Bilaterale Abmachungen zwischen einzelnen Vertragsstaaten wurden ausdrcklich zugelassen, da das ausgehandelte Abkommen nur eine Minimallçsung darstelle. Die Sachverstndigen sahen den Grund dafr, daß man berhaupt zu einem Ergebnis kam, in den durch das Protokoll von 1923 versehentlich geschaffenen unhaltbaren Zustnden.106 Die in entscheidenden Teilen unzulngliche erste internationale Regelung der Schiedsvertrge schuf also neue Probleme, die zuvor gar nicht existiert hatten, und zwang zu einer neuen, weitergehenden internationalen Abmachung. Die Konzentration auf die Beseitigung der 1923 neu geschaffenen Probleme fhrte allerdings ebenfalls dazu, daß das ursprngliche Bestreben, die Vollstreckung von Schiedssprchen im internationalen Handelsverkehr zu erleichtern, in den Hintergrund trat und das Abkommen lediglich fr diejenigen Flle geschlossen wurde, die auch schon unter das Protokoll von 1923 fielen, also nur Schiedsvertrge erfaßte, die zwischen Angehçrigen zweier Unterzeichnerstaaten des Protokolls von 1923 geschlossen waren.107 Da zahlreiche Staaten das Gegenseitigkeitsprinzip gewahrt wissen wollten, wurden Schiedsvertrge, die zwischen Angehçrigen der Vertragsstaaten außerhalb des Vertragsgebiets geschlossen wurden, von dem Abkommen ausgenommen. Ebenfalls ausgenommen wurden Vergleiche vor dem Schiedsgericht, deren rechtlicher Status in den einzelnen Staaten zu sehr voneinander abwich.108 Die Wirtschaftsinteressen in Deutschland bedauerten die erschwerte Vollstreckung von Teilentscheidungen und die Beschrnkung auf eine be105 Rapport du comit d’experts juristes sur le projet de protocole relatif l’excution des sentences arbitrales trang res tabli par eux, Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292. 106 Bericht der deutschen Teilnehmer an den Sachverstndigenberatungen, o.D., Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292; Volkmar, Genfer Abkommen, S. 127. 107 Bericht der deutschen Teilnehmer an den Sachverstndigenberatungen, o.D., Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292. 108 Rapport du comit d’experts juristes sur le projet de protocole relatif l’excution des sentences arbitrales trang res tabli par eux, Anl. zu RJM an Reichsministerien und Verbnde, 29. 4. 1927, BAL R 901/27292.

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stimmte Klasse von Schiedssprchen. Alle Beteiligten beklagten, daß keine Einigung ber das anzuwendende Recht erreicht wurde. Nach Beratungen der Ministerien und Verbnde wurde festgestellt, ob Deutschland dem Genfer Protokoll „beitreten kçnne, sei keine Frage von rechtspolitischer oder außenpolitischer Bedeutung, sondern werde lediglich nach dem Bedrfnis der Wirtschaft zu entscheiden sein.“109 Die Ministerien und Interessenverbnde sahen den Genfer Entwurf an diesem Maßstab gemessen fr „durchaus zweckentsprechend“ an. Der DIHT zeigte sich bereit, im Interesse des weiteren Ausbaus der internationalen Rechtsbeziehungen und im Hinblick auf die mit der Vollstreckbarkeit von Schiedssprchen im Auslande verbundenen Erleichterungen … auch manche Mngel in Kauf zu nehmen.110

Die deutsche Delegation setzte nochmalige Beratungen im Wirtschaftsausschuß durch, konnte aber keine wesentlichen nderungen mehr erreichen.111 Deutschland unterzeichnete das Abkommen am 6.6.1928. Vor der Ratifizierung wollte das Auswrtige Amt allerdings abwarten, ob auch Frankreich, Großbritannien und Italien ratifizieren wrden, whrend das Wirtschaftsministerium fr eine rasche Ratifizierung eintrat, „insbesondere im Hinblick darauf, dass Deutschland bei den Verhandlungen zu dem Abkommen besonders aktiv mitgewirkt habe“. Da das Wirtschaftsministerium keine sachlichen Grnde fr seine Position anfhrte, setzte sich das Auswrtige Amt durch.112 Als im Jahre 1930 das Ratifikationsgesetz vorbereitet wurde, fiel die Begrndung dafr eher defensiv aus: Die Schwierigkeit der den Gegenstand des Abkommens bildenden Materie und die außerordentliche Mannigfaltigkeit der auf diesem Gebiete bestehenden innerstaatlichen Regelungen bringen es mit sich, daß die Bestimmungen des Abkommens verwickelt und wenig durchsichtig sind.113

Auch die Tatsache, daß „einige wesentliche Fragen keine ausdrckliche Regelung gefunden haben“ wurde bedauernd vermerkt, aber insgesamt stelle das Abkommen doch einen „Fortschritt auf dem Gebiete des zwischenstaatlichen Schiedsgerichtswesens“ dar. Der Hauptvorteil fr die deutsche Wirtschaft wurde darin gesehen, daß damit den in Deutschland ergangenen Schiedssprchen, bei denen auslndische Parteien beteiligt sind, in weitem Umfange die Anerkennung und Vollstreckung im 109 Protokoll der Beratungen mit Vertretern der Reichsministerien und Verbnde am 11. 5. 1927, RJM an Reichsministerien, 12. 5. 1927, BAL R 901/27292. 110 DIHT an RJM, Anlage zu RJM an AA, 25. 8. 1927, BAL R 901/39873. 111 Aufz. RJM, 1. 7. 1927; RDI an RJM, 2. 6. 1927, RJM an AA, 2. 6. 1927, AA an RJM, 30. 6. 1927, BAL R 901/27292; AA an RJM, 31. 7. 1927; DIHTan RJM, Anlage zu RJM an AA, 25. 8. 1927; RJM an AA, 25. 8. 1927, BAL R 901/39873; RJM an Reichsministerien und Verbnde, 20. 12. 1927, BAL R 901/ 27293. 112 Vermerk AA, 18. 10. 1928; Aufz. AA, 22. 1. 1930, BAL R 901/27294. 113 RJM an AA, 18. 2. 1930, BAL R 901/27294.

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Ausland gesichert wird. Die Ratifikation des Abkommens wird daher auch von den Vertretern des Handels und der Industrie einhellig gewnscht.114

Das Gesetz wurde am 18. 3. 1930 verabschiedet und machte auch noch eine Anpassung der Zivilprozeßordnung nçtig, in die nun erstmals der Begriff des „auslndischen Schiedsspruchs“ eingefhrt wurde (fr den das beschleunigte Vollstreckungsverfahren nicht in Frage kam).115 Bei den Genfer Abkommen ber die Anerkennung und Vollstreckung auslndischer Schiedssprche kamen private und çffentliche, nationale und inter- bzw. transnationale Initiativen zusammen: Staaten schlossen vçlkerrechtliche Vertrge darber, wie das nationale Recht die im Bereich der Privatautonomie zunchst national, dann auch transnational entstehenden privaten Ordnungen anerkennen konnte. Damit verbunden war dann die Aufstellung klarer Kriterien dafr, was ein ordnungsgemßer Schiedsspruch war. Diese bezogen sich sowohl auf das Verfahren als auch auf den Inhalt – von keinem Staat wurde erwartet, daß er Sprche vollstreckte, die gegen die nationale Gesetzgebung oder die çffentliche Ordnung verstießen. Die Schiedsgerichtsbarkeit war somit zumindest potentiell zu einem privaten Konfliktlçsungsverfahren unter partieller staatlicher Aufsicht geworden. Insgesamt zeigten deutsche Verbnde und die deutsche Diplomatie ein großes Interesse an der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Die deutschen Konsulate im Ausland erteilten deutschen Firmen Rat darber, mit welchen Formulierungen sie eine im jeweiligen Land wirksame Schiedsabrede treffen konnten.116 Auf Bitte der deutschen Gruppe der IHK wies das Auswrtige Amt die diplomatischen Vertretungen auf die Schiedsgerichtsbarkeit der IHK hin und bermittelte Ihnen das Informationsmaterial der Handelskammer.117 An den Genfer Verhandlungen beteiligte sich Deutschland an vorderer Stelle. Allerdings gab es auch bezglich der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit kritische Stimmen. Auf der Mitgliederversammlung der deutschen Gruppe der International Law Association 1925 ußerten Juristen „Bedenken gegen den Versuch der Wirtschaftskreise wichtige Fragen des internationalen Handelsrechts den ordentlichen Gerichten zu entziehen“. Reichsgerichtsprsident Simons ersuchte die anwesenden Vertreter verschiedener Regierungsstellen, „sich auch amtlich mit der Frage zu befassen, ob nicht der grundstzlichen Verkmmerung der staatlichen Rechtsfragen auf internationalem Gebiet zu widerstreben sei.“118

114 115 116 117

RJM an AA, 18. 2. 1930, BAL R 901/27294. Zur neuen Rechtslage Rheinstein. Generalkonsulat Barcelona an AA, 23. 3. 1929, BAL R 901/27271. Deutsche Gruppe der IHK an AA, 25. 2. 1930; AA an Auslandsvertretungen, 7. 3. 1930, BAL R 901/27271. 118 Mitgliederversammlung der deutschen Landesgruppe der International Law Association, 18. 4. 1925, BAL R 901/27030.

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In Frankreich gab es sogar Bestrebungen, die Schiedsgerichtsbarkeit auch auf internationaler Ebene durch staatlich organisierte gemischte Handelsgerichte zu ersetzen. Hier wurde das Schiedsverfahren weithin als subjektiv, willkrlich und zufllig angesehen, wie sich bei den Parlamentsberatungen ber die Ratifizierung des Genfer Abkommens zeigte. Eine Gruppe um Briand und das Pariser Justizministerium verlangte ein stndiges, mit berufsmßigen Richtern besetztes internationales Handelsgericht.119 Deutsche Wirtschaftskreise und die deutsche Regierung zeigten an dem Vorhaben jedoch keinerlei Interesse und zogen einen Ausbau der privaten Schiedsgerichtsbarkeit vor, zumal auf dem Wege zu internationalen Handelsgerichten sich zunchst einmal die Frage nach einem international einheitlichen Handelsrecht stellen msse. Auch in Frankreich lehnten das Handelsministerium und die franzçsische Gruppe der Internationalen Handelskammer unter dem mehrmaligen Minister Clmentel internationale Handelsgerichte strikt ab.120

Die Vereinheitlichung der Handelsklauseln Vertragsklauseln stellen die Grundlage der Vertragsinterpretation durch Schiedsgerichte wie durch die ordentlichen Gerichte dar. Die Mustervertrge hatten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert fr eine Klrung der Rechte und Pflichten von Kufern und Verkufern und zugleich fr eine gewisse internationale Vereinheitlichung innerhalb der einzelnen Branchen gesorgt, so daß sich bestimmte Vertragstypen (z. B. „fob“ – free on board, „cif“ – cash, insurance, freight) herausgebildet hatten. Seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es Bemhungen, die Klauseln branchenbergreifend und international zu vereinheitlichen. Auf diesem Gebiet war dieselbe Vielfalt von Akteuren und Vorgehensweisen wie auf anderen Gebieten des Wirtschaftsinternationalismus zu beobachten: Auch hier hat man es mit den Branchenverbnden und der International Law Association zu tun, mit Initiativen der Handelskammern, Handelskammerkongressen und der Internationalen Handelskammer. Entscheidende Fortschritte wurden hier vor dem Ersten Weltkrieg nicht erzielt, zumal sich das Bedrfnis nach einer solchen Vereinheitlichung angesichts der innerhalb der Branchen und Verbnde bereits entstehenden Einheitlichkeit in Grenzen hielt. Whrend fr die Versicherungswirtschaft das kalifornische Erdbeben von 1906 ein katalytisches Krisenereignis darstellte, das zu einer Einigung ber grundlegende Regeln fr die

119 Chambre des Dputs, Projet de Rsolution, 27. 6. 1929; RJM an AA, 19. 3. 1930, BAL R 901/ 27271. 120 RJM an Landesjustizverwaltung Hamburg, 10. 4. 1930, BAL R 901/27271; Deutsche Vertretung am Franzçsisch-deutschen Gemischten Schiedsgerichtshof an AA, 3.7.31, BAL R 901/20272.

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gesamte Branche zwang, zeigte sich ein solcher Bedarf im Handel noch nicht.121 Auch hier zeigt sich nach dem Ersten Weltkrieg eine mit neuer Energie und angesichts der immer weiter zunehmenden Anzahl und Bedeutung rechtlicher Bestimmungen und Unterschiede zwischen den Rechtssystemen neuer Dringlichkeit betriebene Aktivitt. Probleme traten nun schrfer hervor, und eine unsystematische Vereinheitlichung durch die Aktivitt der Branchenverbnde schien nicht mehr zu gengen. Das Problem war ein doppeltes. Einerseits gab es nationale Unterschiede in der Bedeutung und Auslegung der Vertragsformulierungen: „Im internationalen Verkehr haben sich … einheitliche Ausdrcke eingebrgert, deren Bedeutung in den einzelnen Lndern nicht vollstndig bereinstimmt.“122 An diesem Punkt setzte die Internationale Handelskammer an, die seit ihrer Grndung 1920 an einer Vereinheitlichung der Handelsklauseln arbeitete. Entsprechend einem mittlerweile etablierten Prozedere begannen diese Bemhungen mit dem Versand detaillierter Fragebçgen an die Mitgliedsorganisationen und an Verbnde in Staaten, in denen die IHK noch keine Mitglieder hatte. So wurde auch der Deutsche Industrie- und Handelstag um die Beantwortung eines Fragebogens zu den gebruchlichen Handelsklausen gebeten, lehnte aber hier wie auch schon beim Wechselrecht den Kontakt mit der IHK zunchst ab. Das Auswrtige Amt legte die Beantwortung des Fragebogens nahe, da es die „offiziçsen Beziehungen“ zur IHK fr „den deutschen Interessen dienlich“ hielt, der DIHT lehnte dies jedoch ab und empfahl seinen Mitgliedsverbnden, mit der IHK nicht zusammenzuarbeiten, solange Deutschland von einer Mitgliedschaft in dieser Organisation ausgeschlossen war.123 Die erste bersicht der IHK ber die „termes commerciaux internationaux“ erschien daher ohne einen deutschen Beitrag. Neben die zwischenstaatlichen Unterschiede traten die weltweit gleichen Interessengegenstze zwischen einzelnen Branchen als zweites Problem. Die „termes commerciaux“ erschienen dem bereits zitierten Experten fr das Recht des berseekaufs, Großmann-Doerth, als „das interessanteste und zugleich langweiligste aller rechtsvergleichenden Dokumente“ – interessant, weil sie Kenntnis von einem „abseits der nationalen Rechtsordnungen entfalteten Leben“ gaben, langweilig, weil sich kaum Unterschiede zwischen den Antworten aus den einzelnen Lndern zeigten. Großmann-Doerth hielt es jedoch fr grundfalsch, daraus auf eine tatschlich geringe Bedeutung von Rechtsunterschieden und Unklarheiten zu schließen. Die Antworten der nationalen Dachverbnde auf die Fragebçgen der IHK htten lediglich eine scheinbare

121 Zur Vereinheitlichung der Vertragsbedingungen im Versicherungsgewerbe Rçder. 122 Ottel, S. 33. 123 AA an Handelskammer Berlin, 16. 12. 1922; DIHT an AA, 9. 1. 1923; Aufz. DIHT, „Die Internationale Handelskammer“, 18. 1. 1923, BAL R 11/1358.

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Einheitlichkeit in die bereits innerhalb der einzelnen Staaten branchenmßig zersplitterten Auffassungen gebracht: Zweifelsfragen und Rechtslcken sind ebenso internationales Gemeingut, wie die wenigen existierenden Grundstze des Weltrechts es sind: nationale Gegenstze der Auffassung sind hier sehr selten … Ganz berwiegend sind diese Zweifelsfragen Plagegeister von durchaus internationalem Wirkungsbereiche.124

Aus diesem Grunde konnten die „termes commerciaux“ den ihnen zugedachten Zweck nicht erfllen, den am Außenhandel Beteiligten Klarheit zu verschaffen und den Gerichten in den verschiedenen Staaten die Grundlage fr eine mçglichst einheitliche Auslegung an die Hand zu geben.125 Dennoch setzten die IHK und die ILA weiter auf den Weg der Befragungen, die sich in einer zweiten Runde Mitte der zwanziger Jahre auch an die deutschen Verbnde richteten. Das Ergebnis war nicht ermutigend. Schon der Rcklauf der Fragebçgen ließ zu wnschen brig. berdies zeigten sich in den Beratungen der deutschen Gruppe der ILA, an der sich Vertreter der Handelskammern, großer Firmen wie Siemens, AEG, Disconto-Gesellschaft, IG Farben und von Verbnden des Maschinenbaus, des Großhandels und der Reeder beteiligten, Meinungsverschiedenheiten in grundlegenden Fragen. Strittig war, ob eine internationale Vereinheitlichung „angesichts der Verschiedenheit der Geschftsusancen und der Vertragsverhltnisse … berhaupt erwnscht“ war, ob eine Regelung auf bestimmte Geschftsformen oder Vertragsbestandteile begrenzt werden sollte, ob sie „subsidire Bedeutung haben, das heisst hinter Privatabreden und Usancen zurckstehen“ oder ihnen vorgehen sollte und schließlich, ob nicht eine Klarstellung der Bedeutung einzelner Klauseln ausreiche.126 Das deutsche Justizministerium mochte sich an der Beantwortung des Fragebogens der IHK nicht beteiligen, da man die Sache als eine innere Angelegenheit der Geschftswelt betrachtete.127 Diese verhielt sich grçßtenteils abwartend. Der Reichsverband der Deutschen Industrie hielt eine verbindliche internationale Regelung fr „berhaupt nicht erwnscht“; ihr stehe „die Verschiedenheit der Landesrechte sowie das Interesse der einzelnen Zweige der Industrie entgegen, die von ihren gewohnten Bedingungen (z. B. ,ab Werk‘) sich keinesfalls abdrngen lassen wollen.“128 Allerhçchstens sei eine dispositive Regelung akzeptabel, die durch vertragliche Abmachung außer Kraft gesetzt werden kçnne. Dagegen erschien die Feststellung der Bedeutung 124 Großmann-Doerth, Recht, S. 46 ff. 125 Eisemann, Incoterms; v. Westphalen, S. 73. 126 ILA an DIHT, 20. 1. 1926: Bericht ber die Besprechung ber den Gefahrbergang beim berseekauf am 12. 1. 1926, BAL R 11/1164. 127 Aktenvermerk DIHT ber die Rcksprache mit dem Justizministerium, 2. 3. 1926, BAL R 11/ 1164. 128 Geschftliche Mitteilungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 9, 31. 3. 1926, BAL R 11/1164.

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der im berseekauf gebruchlichen Klauseln wie in den „Termes Commerciaux“ dem RDI sehr wnschenswert.129 Den Wirtschaftsverbnden war also daran gelegen, ihre Autonomie bei der Ausgestaltung von Geschftsbedingungen und Mustervertrgen nicht durch zwingende Vorgaben einschrnken zu lassen. Whrend die Abstimmung unter den verschiedenen Verbnden in Deutschland lief, legte der Jurist Rudolf Frnkel, Mitglied der Rechtsabteilung des AEG-Konzerns, einen eigenen Entwurf vor. Frnkel hielt das bestehende Internationale Privatrecht fr einen „Irrgarten“, aus dem sich ein Ausweg nur finden lasse, indem man alle Theorien und die bisherige Rechtsprechung beiseite wische.130 Nationale und sektorale Auffassungsunterschiede sollten durch eine Neuordnung beseitigt werden, die sich am pragmatischen Vorgehen der Schiedsgerichte orientierte. Dazu sei es nçtig, daß auch die Kaufleute darauf achteten, in ihren Vertrgen eine explizite Bestimmung des anzuwendenden Rechts vorzunehmen und auch sonst eine klare und umfassende Festlegung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten zu treffen. Diesem Zweck diente Frnkels Entwurf von Mustervertragsbedingungen fr den Außenhandel, der nicht von der gewachsenen, aber je nach Branche unterschiedlichen Bedeutung der Handelsklauseln ausging, sondern auf der Grundlage theoretischer Prinzipien konstruiert war. Der von den „American Foreign Trade Definitions“ von 1919 bernommene Grundgedanke bestand darin, eine Reihe von mçglichen Vertragsverhltnissen zu definieren und mit international einheitlichen Begriffen zu bezeichnen, die das gesamte Spektrum von „alle Kosten und Gefahren zu Lasten des Kufers“ bis „alle Kosten und Gefahren zu Lasten des Verkufers“ abdeckten. Der DIHT lehnte es allerdings ab, auf diese Weise „den seit Jahrzehnten eingefhrten, in den meisten Lndern in den Grundzgen gleichen Klauseln neue hinzuzufgen“. Vielmehr solle man die Detailabweichungen zwischen den gngigsten Formularen beseitigen.131 Whrend die ILA an einem Entwurf fr einen einheitlichen cif-Vertrag arbeitete, der auf ihrem Kongreß in Warschau 1928 verabschiedet wurde, legte die IHK ihre Zusammenstellung der gebruchlichen Handelsausdrcke vor und Frnkel verfocht seinen von Grund auf neu konzipierten Entwurf. Die deutsche Gruppe der IHK konstatierte eine „verwirrte Situation“; die Arbeiten der verschiedenen Organisationen liefen „anscheinend nebeneinander ohne Fhlungnahme der Bearbeiter und mit der Feststellung, dass in den beteiligten Kreisen selbst abweichende Auffassungen bestnden.“132 Einige Experten wie Großmann-Doerth waren der Auffassung, daß der durch die Vielzahl der vom 129 Geschftliche Mitteilungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 9, 31. 3. 1926, BAL R 11/1164. 130 Frnkel. 131 ILA an DIHT, 10. 5. 1927, DIHT an ILA, 14. 6. 1927, BAL R 11/1164. 132 Vermerk, BAL R 11/1164; Deutsche Gruppe der IHK, Aktennotiz zu den deutschen handelsblichen Vertragsformeln, o.D. (Ende 1927), BAL R 11/1164.

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Handel geschaffenen Mustervertrge und Formulare bedingten Verwirrung allein durch den Handel selbst abgeholfen werden kçnne. Die Fortentwicklung des Handelsrechts, des Internationalen Privatrechts oder auch die Rechtsvereinheitlichung kçnnten nicht viel bewirken, denn der Handel habe sich nun einmal durch Verbandsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit seine eigene Rechtssphre geschaffen, und in der „Schiedsgerichtsbarkeit kmmert man sich erfahrungsgemß nicht einmal um das eigene nationale Recht.“ Die Arbeit der Internationalen Handelskammer und der International Law Association zeige vor allem eines: „[W]elche immense Vorarbeit wrde der internationale Gesetzgeber aufwenden mssen, bis er – hoffentlich – erkannt haben wrde, daß er die Finger lieber von der Sache lßt!“ Großmann-Doerth wollte es dem Handel berlassen, seine Geschftsbedingungen an die praktischen Erfordernisse anzupassen: „Die Klauseln sind vom Handel geschaffen, und vom Handel auch muß alle verbessernde Arbeit an ihnen ausgehen.“133 Der deutsche Jurist Ernst Rabel schließlich sprach sich in seinem Gutachten fr das Internationale Institut fr die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom ebenfalls dafr aus, ein neues internationales „Einheitsgesetz“ zu schaffen. Dieses sollte dem „autonomen Recht des Handels“ die bislang fehlende Grundlage geben. Damit war gemeint, daß so, wie das nationale Handelsrecht berall dort zur Ergnzung und Interpretation der Vertrge herangezogen werden konnte, wo diese offen oder unklar blieben, es auch ein – international einheitliches – Kaufrecht fr den internationalen Handel geben sollte. Auch dieses sollte rein dispositiv bleiben und Vertrge lediglich ergnzen, soweit diese keine eigenen Bestimmungen enthielten: „Formulare und Klauseln mssen im stndigen Fluß der Entwicklung bleiben und drfen nicht in Gesetzesbestimmungen aufgefangen, zur Erstarrung gebracht werden“.134 Rabels Plan wurde vom Rçmischen Institut 1930 – 34 in insgesamt elf Arbeitstagungen ausgearbeitet. Am Abschluß der Arbeiten konnte Rabel sich allerdings nicht mehr beteiligen, da er sich mit dem Austritt Deutschlands aus dem Vçlkerbund aus dem Rçmischen Institut zurckgezogen hatte.135 An der Verarbeitung der Stellungnahmen der Regierungen durch das Rçmische Institut und der Formulierung eines zweiten Entwurfs 1937 – 39 nahm er dann wieder teil. Die Beratung dieses Entwurfs konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgen.136 Der Internationalismus auf der Grundlage nationaler Interessenaggregation, den ILA und IHK praktizierten, ging nur zçgerlich voran, denn er erforderte die Sammlung der Antworten auf die Fragebçgen bei den einzelnen Handelskammern und Branchenverbnden auf nationaler Ebene und ihre Zusammenfhrung bei der IHK. Erst 1931 lagen der IHK gengend Stel133 134 135 136

Großmann-Doerth, Recht, S. 67 ff. Rabel, Entwurf, S. 2; ausfhrlicher Rabel, Warenkauf, S. 44 – 48. Rabel, Entwurf. Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 359. Vgl. zum berblick auch David, S. 133 ff.

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lungnahmen zum Projekt eines einheitlichen cif-Vertrages vor. Gnzlich ablehnend ußerte sich dabei lediglich die britische Gruppe; sie war „contre toute tentative d’interfrer dans les mthodes suivies par les hommes d’affaires britanniques dans leurs transactions CAF“. Die Briten warnten davor, daß eine Neuregelung die gesamte bestehende Rechtsprechung in Handelssachen wertlos machen wrde.137 In Deutschland hielten die Verbnde des Groß- und berseehandels eine einheitliche Regelung fr schlicht berflssig, whrend der Großteil der Industrie es fr zumindest ntzlich hielt, die gebruchlichsten Handelsausdrcke an leicht zugnglicher Stelle zusammenzufassen.138 Alle Initiativen wurden von ihren Verfechtern damit gerechtfertigt, daß es ihnen keineswegs um eine gesetzliche Regelung ging und auch nicht um eine internationale Konvention, sondern lediglich um die Aufstellung eines mçglichst vollstndigen und klaren Mustervertrags, dessen Gebrauch und Abnderung den Parteien freistand: „Der Sinn sei nicht Ausbung eines Zwanges, sondern Schaffung von Klarheit“.139 Dementsprechend stießen die Vorhaben der ILA, der IHK und Frnkels vor allem dort auf Interesse, wo die Mustervertragsformulare der Verbnde und Handelskammern nicht weit verbreitet waren. Daher erblickte die IHK in der ablehnenden Stellungnahme der Briten auch vor allem das Bestreben, die Vorrangstellung der Vertrge der London Corn Trade Association zu verteidigen.140 Doch die Diskussionen zwischen den großen deutschen Verbnden zeigen, daß Unsicherheit ber die rechtliche Wirkung solcher Mustervertrge durchaus gerechtfertigt war. Ob von der ILA und der IHK empfohlene Musterklauseln zu ihrer Geltung der ausdrcklichen Reproduktion oder Bezugnahme im Vertrag bedurften, oder ob sie als Handelsbruche anzusehen waren und deshalb auch galten, wenn sie nicht ausdrcklich vereinbart wurden, war sogar den an den Diskussionen beteiligten Verbandsvertretern unklar.141 Gleichzeitig zeigen die zahlreichen Anfragen von Handelskammern an DIHTund IHK betreffend die Auslegung bestimmter Handelsklauseln, daß ein wirklicher Bedarf nach Klarstellung bestand. Der DIHT erkannte an: „Die vielen Auslegungen bei den sogenannten handelsblichen Vertragsformeln sind tatschlich lstig und liegen wirklich nicht im Interesse der beteiligten Kreise sowie der Gesamtheit.“ Dennoch waren die Interessengegenstze schon unter den deutschen Verbnden so groß, daß sie sich nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme fr die IHK einigen konnten – schließlich waren zumindest DIHT, RDI und Reichsverband des deutschen Groß- und bersee137 IHK an DIHT, 23. 2. 1931, BAL R 11/1165. 138 Bericht ber die Sitzung der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer, in Norddeutsche Bank in Hamburg an CBB, 12. 5. 1931, BAL R 8119F/P10955. 139 Protokoll der Sitzung der deutschen Gruppe der IHK zu den Begriffsbestimmungen im Außenhandel, 12. 5. 1931, BAL R 11/1165. 140 IHK an DIHT, 23. 2. 1931, BAL R 11/1165. 141 Protokoll der Versammlung der deutschen Gruppe der IHK, 29. 6. 1931, BAL R 11/1165.

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handels, daneben auch Banken und Versicherungen zu konsultieren. Daran nderte auch die nationalsozialistische Machtbernahme nichts, „wiewohl die Zeit heute besonders gnstig ist fr die Zusammenfassung auseinanderstrebender Ansichten.“142 Das ursprnglich in Deutschland durch den AEG-Firmenjuristen Frnkel ausgearbeitete Projekt unter Absehung von bestehender bung systematisch neu ausgearbeiteter Mustervertragsbedingungen fand nicht durch die Initiative des DIHT und der deutschen Gruppe der IHK seinen Weg auf die internationale Agenda – in Deutschland sprach sich allein die Handelskammer Hamburg fr diesen Weg aus.143 Vielmehr ließ die Zentrale der IHK den Schweden Carlander einen Entwurf auf der Basis des Frnkelschen Konzepts erstellen und in einem Ausschuß weiterbearbeiten, der unter der Leitung eines Mitglieds der Hamburger Handelsfirma Carlowitz stand. Das Ergebnis dieser Arbeit sollte jedem Kaufmann einen raschen berblick darber bieten, „welche Verpflichtungen er, sei es als Kufer oder als Verkufer, im Hinblick auf Versand und Lieferung, Verpackung und Verpackungskosten, auszustellende Urkunden, Lieferungsanzeige usw. eingeht“. Das Ziel der IHK sei „nicht eine Vereinheitlichung der in den einzelnen Lndern gebruchlichen Formeln, sondern die freiwillige Vereinbarung bestimmter Regeln fr ihre Auslegung, die bei der Schlichtung von Streitigkeiten zugrundegelegt werden kçnnen.“144 Das Ergebnis waren die sogenannten „Incoterms“ (International Commercial Terms / Internationale Handelsausdrcke) von 1936. Hier handelt es sich um Musterbedingungen, die durch einen entsprechenden Verweis zur Vertragsgrundlage gemacht werden konnten und auf diese Weise Sicherheit in Zweifelsfllen schufen.145 Sie fanden in der Tat Verbreitung im internationalen Handel und boten die Grundlage fr eine Neuformulierung, die Incoterms von 1953, die als „der erste wirksame Schritt, Streitigkeiten aufgrund verschiedenartiger Auslegung von Handelsbruchen zu verhindern“, gelten und in ihrer zuletzt im Jahr 2000 erneuerten Fassung bis heute eine Grundlage fr internationale Vertragsabschlsse bilden.146 Whrend zahlreiche Bestrebungen zur internationalen Rechtsvereinheitlichung scheiterten, stellen die „Incoterms“ einen großen Erfolg bei der Institutionalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen dar. Dies ist zu einem großen Teil auf ihre Orientierung am Grundgedanken des klassischen dispositiven Vertragsrechts des 19. Jahrhunderts zurckzufhren: Die Incoterms enthalten berhaupt keine Vorschriften, sondern stellen lediglich – durch Parteivereinbarung jederzeit vernderliche – Formen fr zahlreiche hufig vorkommende Klauseln und Vertrge bereit, derer sich die Parteien 142 Aufz. DIHT, 2. 11. 1933, BAL R 11/1166. 143 HK Hamburg an DIHT, 13. 5. 1931, Aufz. DIHT, 25. 6. 1931, BAL R 11/1165. 144 ICC, Avant-Projet: Dfinitions internationales des termes commerciaux. Runion du comit des termes commerciaux, 2. 7. 1934; ICC, Pressecommuniqu, 5. 7. 1934, BAL R 11/1166. 145 Zur Aufnahme der Incoterms in Deutschland Schwartz. 146 V. Westphalen, S. 73.

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bedienen kçnnen. Diese Formen waren an die seit dem spten 19. Jahrhundert stark vernderten Bedingungen des Welthandels angepaßt. Da niemand gezwungen wurde, sich ihrer zu bedienen und keinerlei Festlegung auf materielle Bestimmungen stattfand, fiel die Einigung auf die „Incoterms“ vergleichsweise leicht. Sie gingen, wie das staatliche Vertragsrecht, aber anders als die von Einzelinteressen geprgten Allgemeinen Geschftsbedingungen der Firmen, Kartelle und Branchenverbnde, vom Grundgedanken eines Interessenausgleichs zwischen den Vertragspartnern aus, was ihnen Akzeptanz im internationalen Handel sicherte und eine Gewhr dagegen bot, daß Gerichte sie als sittenwidrig und nichtig ansahen.147 Zu ihrer Durchsetzung bedurfte es allein des mçglichst zahlreichen Gebrauchs; eine fçrmliche Inkraftsetzung durch einen Gesetzgeber war nicht erforderlich. Hier zeigen sich auch die Grenzen einer derartigen Institutionalisierung: Regulierungsziele lassen sich auf diese Weise nicht verfolgen, weshalb Staaten und private Verbnde auch nur geringes Interesse an einem Regelwerk hatten, das sich wegen seiner Offenheit zur Durchsetzung von Interessen und Festschreibung von Machtpositionen nicht eignete. Wesentlicher noch fr die Bedeutung der Incoterms war, daß die durch Berufung auf die Incoterms zu erlangende Sicherheit ber den Inhalt eines Vertrages nur so lange bestand, wie man davon ausgehen konnte, daß den Parteien auch tatschlich die Handlungsfreiheit zur Ausfhrung ihrer Pflichten gelassen war. Je mehr aber sich die Sphre des einzelstaatlichen zwingenden Handelsrechts ausweitete und je strker alle Staaten seit dem Beginn der Wirtschaftskrise mittels der Devisenpolitik im wirtschaftspolitischen Interesse in einzelne Vertrge eingriffen, desto weniger konnte davon ausgegangen werden, daß dem Vertragspartner die Erfllung der bernommenen Verpflichtungen auch tatschlich gestattet sein wrde. Ein internationales System rein dispositiven Rechts kann also nur solange ordnende Funktionen erfllen, wie es entweder in einer von Verbnden und Schiedsgerichten beherrschten autonomen Sphre des internationalen Handels zur Anwendung kommt, oder die zwingenden Bestimmungen der einzelstaatlichen Handelsrechte nicht zu zahlreich sind und nicht zu stark voneinander abweichen.

(c) Anarchie, private Ordnung und çffentliches Recht Arthur Nußbaum, einer der Verfechter internationaler privat gesetzter Ordnungen und Schiedsgerichtsbarkeit, stellte 1926 fest, „daß kaum ein Rechtsproblem in den letzten Jahren die Fachkreise der ganzen Welt so allgemein beschftigt hat, wie das der kommerziellen Schiedsgerichte.“148 Tendenzen zu einer durch Verbnde und Kartelle organisierten Wirtschaft schienen sich 147 V. Westphalen, S. 57 f. 148 Nußbaum, Vorwort 1928, S. vi.

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auch auf internationaler Ebene auszubreiten. Ende der 1920er Jahre war die Schiedsgerichtsbarkeit nach Ansicht von Experten Teil eines von einem schwachen, berforderten Staat nicht mehr zu kontrollierenden „selbstgeschaffenen Rechts der Wirtschaft“ geworden.149 Ishizaki kommt daher zu dem Schluß: Des corps d’usages professionnels … ne naissent pas et ne se dveloppent pas par l’effet d’une dlgation de pouvoirs que leur consentirait la lgislation de droit commun, et dont cette lgislation pourrait son gr tracer les limites et diriger l’exercice … ils sont, au contraire, les manifestations de l’entre en lutte – et en lutte fructueuse – avec ces formes tatistes du droit de corps de droits rivaux, de droits corporatifs, dont chacun borne ses aspirations rglementer au mieux des intrÞts communs des membres d’une corporation commerciale les transactions et marchs de cette corporation, mais entend sur ce terrain limit garder son enti re libert d’action et est en tat de la faire respecter.150

Wie lßt sich diese Einschtzung mit dem Bild sich in der Zwischenkriegszeit verdichtender Staatlichkeit vereinbaren? Schiedsgerichtsbarkeit funktionierte nicht berall in dieser Weise, sondern nur in Enklaven, die aus strukturellen Grnden zur weitgehenden Selbstorganisation in der Lage waren. Anderswo war Schiedsgerichtsbarkeit eher Bestreben als Realitt. Im Baumwollhandel etwa entwickelte sich die Schiedsgerichtsbarkeit der International Federation of Master Cotton Spinners’ and Manufacturers’ Associations nur schleppend. Das 1910 geschaffene Verbandsschiedsgericht wurde zunchst durch den Krieg in seiner Ttigkeit beschrnkt, und nach dem Krieg gewannen im zuvor von den Fabrikanten selbst abgewickelten Baumwollhandel spezialisierte Handelshuser an Bedeutung, die sich nicht einer allein von Spinnern und Webern geschaffenen und betriebenen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen mochten.151 Die Hoffnungen oder Befrchtungen, die sich je nach Standpunkt an die Entwicklung des internationalen Schiedsgerichtswesens geknpft hatten, erfllten sich nicht. 1931 konstatierte Nußbaum: „Die ra des strmischen Aufstiegs der Schiedsgerichtsbarkeit scheint vorber zu sein.“ Zwar mochte er noch nicht von einem Niedergang sprechen, sondern lediglich von einer „Periode der Konsolidierung“, zumal ja mit dem Genfer Abkommen von 1931 erstmals die angestrebte internationale Regelung geglckt war.152 Doch das Projekt einer verbandsrechtlichen Durchdringung der internationalen Wirtschaft war nicht erfolgreich. Im Rohproduktenhandel wurde zwar wegen eines auf Standardisierung und raschen Warenumsatz ausgerichteten Geschfts in der Regel nach Verbandsrecht und mit Schiedsklausel gehandelt. Im euro149 150 151 152

Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht. Ishizaki, S. 4 f. Henggeler, S. 165. Nußbaum, Vorwort 1931.

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pischen Export insbesondere von Industriegtern hingegen blieb die Schiedsklausel selten, da Schiedssprche genausowenig wie Gerichtsurteile einen gangbaren Weg der Vertragsdurchsetzung darstellten. Hier gab es „praktisch berhaupt keine Gerichtsbarkeit, ja berhaupt kein Recht, es herrscht die nackte Macht. Und zwar die Macht des Kufers, der als solcher heute nun einmal die gnstigere Stellung innehat.“ Klagen vor auslndischen Gerichten gegen schikançse Kunden waren mehr oder minder aussichtslos, und war die Ware erst einmal nach bersee unterwegs, befand sich der Exporteur bei Streitigkeiten mit seinen Kunden strukturell in einer schwachen Position. Mochte eine Mngelrge auch noch so unbegrndet sein, es war einfacher und billiger, einen Preisnachlaß zu gewhren, als es auf einen Prozeß ankommen zu lassen oder die Kosten fr die Einlagerung oder den Rcktransport der Ware auf sich zu nehmen. Whrend im Rohstoffhandel fast ein Annahmezwang bestand und Streitigkeiten durch einen Wertausgleich erledigt wurden, waren im Fertigwarenexport Annahmeverweigerung und Mngelrge nahezu die Regel. Die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland stellte keinen Ausweg dar, denn die Mngelrge konnte nur dort geprft werden, wo sich die Ware befand, also in bersee. Rechtsbildung fand allerhçchstens in der Form statt, daß Resignation in die Forderungen der Kufer auf die Dauer selbst rechtsbildend wirkte, indem sich die Standardbedingungen und Praktiken zugunsten der Kufer verndern. „Wenn die Macht lange genug vor Recht gegangen ist, fgt sich am Ende das Recht.“153 Bisweilen zersplitterten im Außenhandel sogar die verbandsrechtlichen Regeln wieder. Der 1908 aus dem Verband Hamburger Exporteure entstandene Verband Deutscher Exporteure hatte allgemeine „Auftragsbedingungen“ ausgearbeitet, mit einem Schwerpunkt auf Lieferfristen, Ort der Ablieferung, Ort der Untersuchung der Ware. Diese wurden 1926 neu ausgehandelt, wobei der Exporthandel in Gebieten Zugestndnisse machen mußte, wo die Industrie zum Selbstexport bergegangen war. Insbesondere mußte zugestanden werden, daß die Mngelrge vor der Verschiffung der Ware gemacht werden mußte, was den Handelshusern, denen die Ware seefest verpackt vom Fabrikanten bersandt wurde, nicht gelegen kam. Der Handel hielt deshalb an seinen eigenen Exportbedingungen fest, mit dem Ergebnis, daß wie vor Beginn der Verbandsbildung jeder Vertrag einzeln im Detail ausgehandelt werden mußte. berhaupt paßten sich die zunchst vom stark standardisierten Rohstoffhandel beeinflußten Geschftsverfahren mehr dem zunehmend wichtigen Detailhandel an.154 Die Schiedsgerichtsbarkeit entwickelte sich offenbar nicht primr als Ergebnis der institutionençkonomischen Besonderheiten des internationalen Handels, sondern als Ergebnis der Verbandsbildung und der Duldung und Untersttzung „privater Macht“ durch Politik und Gesetz. Doch selbst hier 153 Zitate in diesem Absatz aus Großmann-Doerth, Recht, S. 59 ff. S.a. Schck, S. 42 – 56. 154 Schck, S. 295 ff., nach Leo, Geschftsbedingungen; vgl. auch schon Hellauer, S. 399 f.

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war die Stellung von Kartellen und Verbnden weniger abgesichert als es oft scheint. Gegen entschlossene Außenseiter konnten sie wenig tun, und zentrifugale Tendenzen ließen sich nie wirksam eindmmen.155 Daher war die staatliche Durchsetzung der verbandlichen Ordnungen und Schiedssprche ein wichtiges Ziel der Verbnde in Deutschland. Das wurde zeitgençssisch als die „Entwicklung des Verfahrens von der Standessitte zur Rechtsverbindlichkeit“ beschrieben.156 So kam es, daß in Deutschland mit seinen starken Verbnden die Schiedsgerichtsbarkeit gerade in der Binnenwirtschaft stark vertreten war und eine von den staatlichen Gerichten besonders unabhngige Position genoß.157 Im internationalen Handel, wo das Bedrfnis nach einer privaten Ordnungsstiftung angesichts des Fehlens staatlicher Mechanismen eigentlich grçßer war, konnte sich eine solche dennoch nur in Enklaven entwickeln: „Im Auslandsgeschft gibt es ausschließlich Outsider ; alle Versuche, durch Vereinbarungen den Preis einer Ware oder auch nur die Lieferungsbedingungen auf einem bestimmten Niveau zu halten, sind nach 1914 gescheitert.“158 Die Etablierung bernationaler privater Teilordnungen ist also strker auf staatliche Untersttzung und Tolerierung angewiesen als vielfach angenommen wird. Daraus ergibt sich die Mçglichkeit fr die Staaten, zumindest gemeinsam Einfluß auf den Inhalt dieser Ordnungen auszuben und durch die Verquickung staatlicher und nichtstaatlicher Ordnungsstiftung auch ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen. Nur am Rande gestreift wurde in den Diskussionen der Zwischenkriegszeit die Debatte ber die rechtliche Natur des Gewohnheitsrechts der Kaufleute, der lex mercatoria. Das jngst wieder erwachte Interesse an der lex mercatoria hat mit dem Abbau staatlich gesetzter Regulierungen im Zeichen der Handelsliberalisierung seit den 1980er Jahren zu tun.159 Dadurch wurde der Selbstregulierung der am internationalen Handel Beteiligten wieder Raum gegeben. Den Autoren der Zwischenkriegszeit stand jedoch die entgegengesetzte Entwicklung vor Augen. Sie beobachteten gerade die Ablçsung hergebrachten Gewohnheitsrechts durch Rechtssetzung und Rechtsentwicklung seitens nichtstaatlicher Verbnde, die genau wie die Staaten ein immer detaillierteres geschriebenes Recht an die Stelle berlieferter Handelsbruche setzen wollten, d. h. also: Normsetzungskonkurrenz zwischen privaten und staatlichen Organisationen im Prozeß der Modernisierung und Regulierung der Weltwirtschaft.

155 156 157 158 159

Feldman, Kapitalismus, S. 157. Pappenheim u. Rheinstein, S. 89. Hamburger, S. 179. Schck, S. 277. Zur Debatte um die lex mercatoria Teubner, Global Law; Teubner, Bukowina; Berman, Lex Mercatoria; Lurger; Hiebaum; Benson; Calliess, Reflexive Transnational Law; Cutler ; Medwig; Stein. Das Phnomen verbandlicher Selbstregulierung findet hingegen momentan fast ausschließlich auf dem Gebiet des Sportrechts Interesse.

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Verbandsrecht ist ein gutes Beispiel fr die von G. Teubner beobachtete Rechtsschçpfung im Handeln funktionaler Netzwerke mit einer globalen, aber strikt sektoralen Identitt und Reichweite. „Das neue Weltrecht speist sich … aus der kontinuierlichen Selbstreproduktion spezialisierter, oft formell organisierter und relativ eng definierter globaler Netzwerke çkonomischer, wissenschaftlicher, oder technischer Art.“160 Teubner vermutete aber auch: „Die Verrechtlichung çkonomischer Beziehungen fordert die Einmischung der Politik geradezu heraus.“161 Es stellt sich also die von S. Strange aufgeworfene Frage danach, wessen Interessen in den bestehenden internationalen Regimes aufgehoben sind, ob wirklich jede Ordnung besser ist als keine, und welche „hidden agenda“ hinter Vorhaben steht „that are of little interest to governments, where there is no international agreement, no organization, no secretariat to publicise the question and not necessarily any norms or principles around which actor perceptions converge.“162 Es zeigt sich aber auch, daß der Spielraum fr die Selbstorganisation gnzlich abseits der sichtbaren Strukturen nicht sehr groß ist.

160 Teubner, Bukowina, S. 263. 161 Teubner, Bukowina, S. 282. 162 Strange, S. 21 f.

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4.) Zahlungs- und Kreditsicherung im Außenhandel Internationale Rechtsvereinheitlichung, Verbandsrecht und nationales Recht ließen zahlreiche Lcken und hinkten der Entwicklung immer neuer Geschftsformen ohnehin hinterher. Man konnte sich daher bei der Absicherung internationaler Transaktionen nicht auf rechtliche Regeln verlassen. In diesem Abschnitt geht es darum, was Privatleute und Staaten tun konnten, um die Ausfhrung von Vertrgen auch angesichts rechtlicher oder politischer Unwgbarkeiten abzusichern. Dazu gehçrt die Einschaltung Dritter wie einer Bank, die Einholung von Informationen oder auch die zwischenstaatliche Verstndigung auf die Ausschaltung politischer Risiken aus dem Handel. Die Bedeutung dieser Sicherungsmittel erklrt zu einem Teil, warum im Handel kein Bedrfnis nach einer strkeren Institutionalisierung gesehen wurde. Sie konnten allerdings nur greifen, solange die politische Kontrolle und Organisation des Handels kein wesentliches Ziel der Staaten darstellte.

(a) Vertragliche und organisatorische Mittel der Zahlungssicherung Viele Formen der Geschftsabwicklung, die vom Handel im Bemhen um Sicherheit und Effizienz entwickelt wurden, entstanden langsam aus der Praxis, ihre Logik wurde anfangs weder von den Beteiligten noch von den Gerichten wirklich verstanden und sie wurden erst allmhlich zu etablierten und alltglich benutzten Formen. Das soll im folgenden am Beispiel der sog. Dokumentenwechsel und des „cif“-Geschfts erlutert werden.

Eine Brcke des Vertrauens: Banken und Dokumentenwechsel Im Fern- und berseehandel ergibt sich aus der rumlichen Distanz zwischen Kufer und Verkufer ein doppeltes Problem: Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit ist zu bedenken, daß Kufer und Verkufer hufig kaum etwas voneinander wissen, auch langjhrige Geschftspartner einander nur aus der Geschftskorrespondenz kennen und ber eine plçtzliche Verschlechterung der Vermçgenslage ihres Handelspartners erst verzçgert unterrichtet werden. Hinzu kommt, daß der Versand der Ware oft mehrere Wochen in Anspruch nimmt. Whrend dieser Zeit hat der Verkufer die Ware bereits hergegeben, kann aber noch keine Zahlung beanspruchen; der Kufer hat sich zur Annahme verpflichtet, kennt aber Zustand und Ankunftszeit der Ware nicht. Gerade dort, wo es an Informationen fehlt, die dem geschftlichen Vertrauen eine Grundlage bieten kçnnten, wird dieses Vertrauen also besonders beansprucht. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz stellt diese Vertrauenslcke eine Phase dar, whrend derer Kapital gebunden ist, das bis zum Eintreffen der 259 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

Ware und zu ihrer Bezahlung brachliegt und weder dem Kufer noch dem Verkufer zur Verfgung steht. Zur berbrckung dieser Periode unproduktiver Ungewißheit diente die Hinzuziehung vertrauenswrdiger und kapitalkrftiger Dritter, der Banken, bei den verschiedenen Formen des Dokumenteninkasso und Dokumentarkredits.1 Die Hinzuziehung der Banken schuf einen Raum der Neutralitt, in dem Ware und Geld gewissermaßen unerreichbar fr Kufer und Verkufer eingelagert wurden, bis schließlich die bergabe vollzogen werden konnte. Durch die Bevorschussung von Warenpapieren stellten die Banken darber hinaus sicher, daß der Verkufer ber seine Einnahmen bereits vor der bergabe der Waren verfgen konnte und der Kufer sie erst mit eigenen Mitteln bezahlen mußte, wenn er sie bereits weiterverkauft bzw. in Verwendung genommen hatte. Wichtig ist auch, daß die genannten Konstruktionen beiden Geschftspartnern ein Rechtsverhltnis innerhalb ihrer eigenen Rechtsordnung verschafften. Sowohl Verkufer als auch Kufer hatten es ab der Versendung der Ware nur noch mit einer Bank in ihrem Heimatlande zu tun, nicht mehr mit einem unbekannten Hndler in einem berseeland. „In diesen beiden Ttigkeiten der Banken, der kreditvermittelnden und der kreditsichernden, wurzelt ihre Stellung als nahezu unentbehrliches Zwischenglied beim Wertausgleich im berseegeschfte“.2 Die Banken, die miteinander in regelmßigem Verkehr standen, bildeten also eine Brcke des Vertrauens zwischen den Rechtssystemen. Diese Brcke konnte in der Praxis verschiedene Formen annehmen, je nach dem, ob ein oder zwei Banken beteiligt waren, ob sie im Auftrag des Kufers oder des Verkufers ttig waren und ob sie allein der Sicherung von Geschften wegen oder auch zu deren Finanzierung beteiligt wurden. Drei Typen von Dokumenten, fr deren Rechtsstatus smtlich mit unterschiedlichem Erfolg nach international einheitlichen Regelungen gesucht wurde, verbanden sich typischerweise: ein Wechsel als Zahlungsmittel, das Akkreditiv (ein Kreditversprechen einer Bank) und die Verschiffungsdokumente, von denen das wichtigste das bei bernahme der Ware durch die Reederei ausgestellte Konnossement war. Es handelte sich dabei um ein weltweit eingebrgertes, handelbares Papier, das dem Inhaber oder dem als Empfnger Bezeichneten ein Anrecht auf die im Schiff verladene Ware gab. Nur wer das Konnossement in der Hand hatte, konnte ber die Ware verfgen. Neben dem Konnossement waren den Dokumenten noch die Rechnung ber die Ware beigefgt, eine Versicherungspolice, mçglicherweise eine Qualittsbescheinigung und schließlich alle Dokumente, deren Beibringung der Kufer zur Erfllung von 1 Zur Rolle der Banken bei der Finanzierung und Absicherung von Handelsgeschften durch Dokumentarkredite Eisemann, Kreditverkehr, S. 11 – 44; Hellauer, S. 368 – 381; auf der Nçllenburg, S. 111 – 130; Ottel, S. 50 f., 192 ff.; Riesser, S. 344 – 354; Schck, S. 140 – 145, 162 – 200; Schwarzer, S. 196, 215 ff.; Simon; Sonndorfer, S. 298 – 312; Wolf, S. 4 – 13. Rein juristisch ist Voigt. Modernere Darstellungen: Eisemann, Dokumentakkreditiv ; Schtze. 2 Ottel, S. 190.

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Einfuhrformalitten vom Verkufer ausbedungen hatte (z. B. Herkunftsbescheinigungen, Gesundheitszeugnisse). Zwei Grundformen des Geschfts lassen sich unterscheiden. In beiden Fllen wurde eine Bank hinzugezogen, um dem Verkufer gegen die Vorlage von Warenpapieren den Kaufpreis auszuzahlen. Beim einfachen Dokumenteninkasso beauftragte der Verkufer (zumeist durch Vermittlung seiner eigenen Hausbank im Inland) eine Bank im Land des Kufers, den Kaufpreis einzuziehen. Schon bei Abschluß des Kaufvertrags wurde dazu vereinbart, daß der Kufer von der Bank gegen Zahlung des Kaufpreises oder Akzeptierung eines Wechsels (D/P – documents against payment bzw. D/A – documents against acceptance) die Dokumente ausgehndigt bekommen wrde, mit denen er dann vom Schiffer die Herausgabe der Ware verlangen konnte, sobald diese eingetroffen war. Auf diese Weise konnte der Kufer erst nach Zahlung bzw. Akzept die Ware in Empfang nehmen, bekam aber seinerseits die Mçglichkeit, anhand der Dokumente vor der Zahlung zu prfen, ob die Ware ordnungsgemß verpackt, verladen und gegen Transportschden versichert war. Die Bank legte im Auftrag des Verkufers die Papiere vor und kassierte den Kaufpreis ein; gegenber dem Kufer hatte sie keinerlei besonderen Verpflichtungen. Beim Dokumentakkreditivgeschft hingegen beauftragte der Kufer seine inlndische Bank, dem Verkufer ein Akkreditiv zu stellen, d. h. gegen Vorlage bestimmter Dokumente die Auszahlung des Kaufpreises zu garantieren bzw. einen Wechsel des Verkufers zu akzeptieren. Die Bank zog eine Bank im Lande des Verkufers hinzu, die diesem das Akkreditiv entweder notifizierte oder besttigte, d. h. selbst die Verantwortung fr die Zahlung bernahm. Diese Konstruktion bot allen Beteiligten eine Reihe von Vorteilen bezglich der Sicherheit und Effizienz der Transaktion. Der Verkufer bekam eine inlndische Bank anstelle eines weit entfernten, unbekannten Kufers als Zahlungspartner und damit ein „gutes“ Akzept, das er bei seiner eigenen Bank diskontieren lassen oder seinerseits als Zahlungsmittel verwenden und damit das fr das Geschft eingesetzte Kapital wieder flssig machen konnte. Wenn er mit dem Kufer entsprechendes vereinbart hatte, konnte er das Akkreditiv auch seinen eigenen Lieferanten zur Verfgung stellen und auf diese Weise die Anschaffung bzw. Herstellung der Ware finanzieren. Statt die Dokumente erst an eine Bank in bersee zu schicken, konnte er sie sofort nach dem Versand der Ware bei einer Bank im Inland einreichen, wodurch der Geldeingang weiter beschleunigt wurde. Darber hinaus war der Verkufer durch das Akkreditiv gegen Einreden des Verkufers aus dem Kaufvertrag geschtzt: Er erfllte seine Verpflichtungen durch das Einreichen der Dokumente, und die Bank war verpflichtet, gegen diese zu zahlen – auch, wenn der Kufer nicht mehr gewillt war, die Ware abzunehmen, Zweifel an ihrem vertragsgemßen Zustand geltend machte, in Zahlungsschwierigkeiten geraten war oder wegen Streitigkeiten aus anderen Geschften eine Aufrechnungsforderung gegen den Verkufer geltend machte. Der Verkufer war also in der Lage, sein Kapital 261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

schnell wieder flssig zu bekommen und vor Willkr und Unwgbarkeiten auf der Seite des Kufers geschtzt. Aus der Sicht des Kufers ergaben sich vor allem drei Vorteile: Die Bank prfte in seinem Auftrag und, soweit sie ihren Kredit fr das Geschft zur Verfgung stellte, auch im eigenen Interesse die Dokumente, der Kufer mußte kein eigenes Kapital einsetzen, da die Bank den Verkufer auf sich ziehen ließ, und er gewann einen gnstigeren Kredit, wenn er das der Bank bekannte Warengeschft zur Grundlage der Kreditgewhrung machte. Die Bank nahm bei dieser Variante die eigenen Interessen als Kreditgeber sowie die des Kufers wahr. Dokumentenwechsel stellten zwischen dem spten 19. und der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts die wichtigsten Mittel der Zahlungssicherung im berseehandel dar. Voraussetzungen waren regelmßige Postdampferlinien, ein dichtes Netzwerk internationaler Banken, Telegrafen, die den Ausgleich der gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Banken binnen Minuten ermçglichten, und der Versand von Massengtern per Dampfschiff, ohne die es weder das Bedrfnis noch die Mçglichkeit gegeben htte, auf diese Weise Effizienz und Sicherheit kommerzieller Transaktionen zu erhçhen.3 Die Klausel Zahlung bzw. Akzept gegen Dokumente war Standard im berseegeschft, und da die Konkurrenz zwischen europischen Exporteuren diese oftmals zwang, ihren berseeischen Abnehmern gnstige Kredite zu gewhren, wurde der Dokumentarkredit hufig genutzt, um Geschfte fr die Zeit bis zum Zahlungseingang zu finanzieren. Insbesondere in Zeiten von Kapitalknappheit und geschftlicher oder politischer Unsicherheit verbreitete sich die Bevorschussung und Sicherung von Geschften durch Dokumentakkreditive außerordentlich. Unter den extrem unsicheren Bedingungen nach dem Waffenstillstand 1918 wurden sogar im deutschen Binnenhandel die fr den berseehandel entwickelten Sicherungsmechanismen regelmßig genutzt – fr die Deutsche Metallindustrie-Zeitung „eine Folge des allgemeinen Mißtrauens und der Tatsache, daß die Kriegs- und Zwangswirtschaft alle bestehenden Verbindungen und damit auch das Vertrauensverhltnis zerstçrt hat, das frher [die] im Großhandel Beteiligten untereinander verband.“ Diese Verbreitung fand das Akkreditiv trotz der Tatsache, „daß seine Bedeutung durch die Rechtsprechung noch keineswegs nach allen Richtungen hin geklrt ist.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden wiederum ber 80 % der internationalen Transaktionen mit Dokumentakkreditiven abgewickelt.4 In ruhigeren Zeiten und im Verkehr mit bekannten Geschftspartnern hingegen waren die besondere Sicherheit und der durch die Verknpfung mit einem bestimmten, der Bank bekannten Warengeschft erleichterte Zugang zu Kredit hingegen oft entbehrlich. Das Geschft mit Dokumentenwechseln und -akkreditiven entstand aus der Praxis und blieb lange Zeit ohne festgefgte Regeln. Seine drei Bestandteile 3 Zu diesem Voraussetzungen der Lieferungsgeschfte nach bersee vgl. Simon, S. 19 – 24. 4 Metallindustrie-Zeitung 1920 (Zitate); Ottel, S. 185; Schtze, S. 42 f.

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(Wechsel, Akkreditiv, Verschiffungsdokumente) waren Gegenstand von Bemhungen um internationale Vereinheitlichung, die jedoch nur teilweise zum Erfolg kamen. Bei diesen Vereinheitlichungsbemhungen lassen sich die gleichen Akteure und Mechanismen beobachten wie bei der Vereinheitlichung des Wechselrechts. Das Recht der Konnossemente war zunchst berall dispositives Recht, und die großen, international organisierten Reedereien nutzten diesen Umstand, um durch Klauseln in den Konnossementsformularen die Haftung fr alle auch nur erdenklichen Risiken auszuschließen. Eine Haftung fr die Risiken, die durch die Beschleunigung und Intensivierung des Seeverkehrs und die Unwgbarkeiten noch nicht vçllig gemeisterter neuer Technik entstanden waren, htte auch eine große Reederei zum Zusammenbruch bringen kçnnen, und daher war schließlich „die Vorstellung eine gelufige, daß zu einer tchtigen Linienreederei ein mçglichst kugelsicherer Schuppenpanzer von Freizeichnungsklauseln gehçre.“ Eine Gegenbewegung zu einer internationalen Regelung der Haftungsbestimmungen in Konnossementen ging von den Versicherern, von den Verbnden des Handels und von der International Law Association aus. Auf diesem Wege wurde eine Vereinheitlichung fr einzelne Branchen und Seegebiete erreicht. Die Frage beschftigte auch die handelsrechtlichen Kongresse der belgischen Regierung, aber hnlich wie beim Wechselrecht kamen die Vereinheitlichungsbemhungen zum Stillstand.5 Das Recht der Konnossemente wurde 1921/22 in den Haager Regeln, einem Vorschlag der ILA, zusammengefaßt. Diese Regeln griffen die amerikanische Gesetzgebung von 1893 auf, welche die Mçglichkeiten des Reeders einschrnkte, sich von der Haftung fr bestimmte Risiken „freizuzeichnen“, und auch schon in einigen britischen Dominions bernommen worden war. Die freiwillige Einfhrung der Haager Regeln scheiterte am Widerstand der Reeder, und die Staaten entschlossen sich „zu bereinstimmender internationaler Zwangsgesetzgebung“, die im Brsseler Abkommen von 1924 vereinbart wurde. Aber nur Großbritannien setzte mit dem Carriage of Goods by Sea Act von 1924 das Abkommen rasch um, in Deutschland wurden die Haager Regeln erst 1937 partiell Gesetz. Eine weitergehende Vereinheitlichung des Seefrachtrechts gab es vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und auch hier war das Ergebnis der Bemhungen um Rechtsvereinheitlichung nicht zuletzt, daß die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens strker ins Bewußtsein rckten. Unterschiedliche Auffassungen von Ziel und Mitteln des Rechts, unterschiedliche Rechtssprachen, Zugestndnisse an nationale und sektorale Interessen und die unterschiedliche Auslegung international einheitlichen 5 Jahres-Bericht des Deutschen Zweigvereins der Gesellschaft fr Reform und Codification des internationalen Rechts fr 1878, BAL R 3001/3295; Belgische Note, 17. 11. 1896, Aufz. AA, o.D. (Ende 1896), AA an RAI und RJA, 20. 12. 1896; RAI und RJA an AA, 15. 2. 1897; Dt. Note fr die belgische Gesandtschaft, 26. 7. 1897, BAL R 901/27030; Wstendçrfer, Hague Rules (Zitat S. 3); David, S. 150 – 156.

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Rechts vor dem Hintergrund nationalspezifischer Rechtsstze fhrten dazu, „daß solche Vertrge in Wahrheit nur ein inhaltshnliches, kein vçllig inhaltsgleiches Recht zu schaffen vermochten. Das Hçchstziel der Rechtseinheit und damit der internationalen Rechtssicherheit ward nicht immer erreicht“.6 Eine hnliche Entwicklung gab es auf dem Gebiet der Dokumentenakkreditive, wo sich die Berliner Großbanken 1923 auf einheitliche Richtlinien einigten.7 1924 folgte eine hnliche Einigung im nationalen Rahmen in Frankreich. Auch hier war die Internationale Handelskammer eine treibende Kraft der Bemhungen um internationale Vereinheitlichung. Auf amerikanische Anregung arbeitete sie ab 1927 an einem Entwurf einheitlicher Bankbedingungen fr Dokumentakkreditive.8 Die IHK legte 1929 einen ersten Entwurf einheitlicher Regeln vor, den zunchst nur die franzçsischen und belgischen Banken bernahmen; 1933 wurde eine revidierte Fassung auch von den Bankenverbnden in den meisten kontinentaleuropischen Staaten (und ab 1938 auch in den USA) zur Grundlage ihrer Geschfte gemacht. Diese sogenannten „Einheitlichen Richtlinien fr Dokumentakkreditive“ hatten lediglich den Charakter unverbindlicher Empfehlungen. Erst 1962 unterwarfen sich auch die britischen Banken den Einheitlichen Richtlinien, nachdem die starren Vorschriften fr die Haftung der Banken durch die Verpflichtung von Auftraggeber und Bank ersetzt worden waren, ber eine Reihe von Fragen konkrete Abmachungen zu treffen.9 Der Rechtsstatus der „Einheitlichen Richtlinien“ ist bis heute ungeklrt: Es handelt sich nicht um staatliches Recht, nicht um eine aus der Praxis entstandene internationale Rechtsordnung wie die lex mercatoria, auch nicht um Allgemeine Geschftsbedingungen, nicht um Gewohnheitsrecht und auch nicht um Handelsbruche, sondern, so die etwas hilflose Klassifizierung, um eine Ordnung sui generis. Letztlich handelt es sich um unverbindliche Empfehlungen, die nicht ohne weiteres fr jedes Akkreditivgeschft gelten und auch nur einen Teilbereich des Rechts des Akkreditivs berhaupt zu regeln beanspruchen. Sie werden durch nationale Gerichte und unter Hinzuziehung nationalen Rechts angewendet und ausgelegt.10

Dokumentenakkreditive und Dokumentenwechsel in der Praxis Die Ausgestaltung des Geschfts mit Dokumentenwechseln und Dokumentenakkreditiven blieb also Reedern, Kaufleuten, Bankiers und der Rechtsprechung berlassen. Die Verantwortlichkeiten der Beteiligten im Falle unvorhergesehener Probleme klrten sich daher erst langsam. In den meisten 6 Wstendçrfer, Hague Rules; Wstendçrfer, Seehandelsrecht, S. 31 – 34. 7 Jacoby. 8 Drucksache: Vierter Kongreß der Internationalen Handelskammer 27.6.–2.7.1927, BAL R 3001/3308. 9 Schtze, S. 29 ff.; Wiele, S. 22 f. 10 Schtze, S. 33 – 41.

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in Stockholm,

Fllen funktionierte das Geschft, ohne daß die Beteiligten darin eine Innovation oder ein besonders kompliziertes Verfahren erblickten, denn seine einzelnen Elemente (Wechsel, Konnossement und die Verpfndung und Bevorschussung von Warenpapieren durch Banken) waren lange bekannt. Solange Vertrge einigermaßen den Erwartungen entsprechend erfllt wurden, machte sich auch niemand die Mhe, sich mit Details zu beschftigen. New Yorker Banken stellten 1919 fest, daß ein großer Teil der von ihnen routinemßig bevorschußten Ladepapiere im Grunde gar keine waren.11 Der Deutsche Handelstag konstatierte, daß der Großteil der „Konnossementswechsel, die im Handelsverkehr eine bedeutende, sich stndig erweiternde Rolle spielen, … einen einfachen glatten Verlauf“ nhmen.12 Die Rechtsprechung allerdings war unsicher in der Bewertung der neuen, aus der Kombination bekannter Elemente entstandenen Geschftsformen, und 1915 konstatierte ein Praktiker, „daß die Judikatur gerade im letzten Dezennium eine durchaus schwankende gewesen ist“.13 Schwierigkeiten entstanden vor allem in der Bewertung des Zusammenhangs zwischen dem Warengeschft und den zu seiner Abwicklung verwendeten Dokumenten. Es kam hufig vor, daß der Kufer sich weigerte, die Dokumente anzunehmen und den ihm vorgelegten Wechsel zu akzeptieren bzw. zu bezahlen, weil er am vertragsgemßen Zustand oder rechtzeitigen Versand der Ware zweifelte, oder daß die vom Kufer mit der Stellung eines Akkreditivs beauftragte Bank die Dokumente fr nicht vertragsgemß hielt und ihre Aufnahme ablehnte. Zwei widerstreitende Sichtweisen des Geschfts und seiner zuknftigen Ausgestaltung lassen sich herausarbeiten: Einerseits wurde vorgeschlagen, die Funktion von Dokumentenwechsel und Akkreditiv als Sicherungsmittel fr Kufer und Verkufer zu strken. Dazu sei es erforderlich, die Prfung der Dokumente durch die Banken zu verbessern und durch eine Haftung der Banken fr die Echtheit und Richtigkeit der Dokumente zu ergnzen. Außerdem msse der Dokumentenwechsel zu einem Zahlungsmittel eigener Art werden, bei dem die Wechselstrenge durch die Mçglichkeit eingeschrnkt wrde, Einwnde aus dem Handelsgeschft geltend zu machen. Andererseits konnte man Dokumentenwechsel und Akkreditiv primr als Instrumente einer beschleunigten, effizienteren Geschftsabwicklung durch Bevorschussung seitens der Banken verstehen. Nach dieser Logik wrde sich ein Geschft entwickeln, in dem „Dokumentenstrenge“ nicht nur fr den Wechsel, sondern auch fr die Warenpapiere galt und letztlich berhaupt nur noch mit die Ware reprsentierenden Dokumenten statt mit Waren gehandelt 11 Ward u. Rosenthal. Die Unsicherheit ber den Status von Ladepapieren bildete einen wesentlichen Anstoß zur ersten Zusammenstellung der amerikanischen „Foreign Trade Definitions“. 12 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 16. 2. 1912, 22. 3. 1912, BAL R 901/2378. 13 Cohen, Folgen.

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wurde. Es lag im Interesse der Kufer, im Falle einer nicht wunschgemß ausfallenden Lieferung die Zahlung verweigern zu kçnnen, whrend die Banken vor allem Wert darauf legten, vom Verkufer Dokumente in die Hand zu bekommen, die formal in Ordnung waren, aber kein Interesse daran hatten, daß der Kufer – mçglicherweise gar, nachdem die Bank fr ihn einen Wechsel akzeptiert oder den Verkufer bezahlt hatte – noch Einwnde aus dem Warengeschft geltend machen konnte. Nach Ansicht der Sachverstndigen des Handelstags, die sich 1912 mit dem Thema befaßten, hatten sich die Banken angwçhnt, bei Dokumentenwechseln von der Wechselstrenge abzusehen, „Milde und Nachsicht zu ben“ und „solange die Verschiffungspapiere sich am Wechsel befinden, eine Vermittlerttigkeit zwischen dem Aussteller und Bezogenen des Wechsels auszuben.“ Erleichtert wurde diese Vermittlung dadurch, daß der Dokumentenwechsel meistens nicht in den freien Verkehr gelangte, sondern „nur durch wenig Hnde zu gehen pflegt, die sich in einem nheren Vertrauensverhltnis zueinander befinden.“ Auch htten sich die Banken in Berlin und in London angewçhnt, dem Kufer die Dokumente zur Prfung zu berlassen, bevor sie ihm den Wechsel zum Akzept vorlegten.14 Die Kufer verlangten jedoch, auch nach dem Akzept noch Einwnde erheben zu kçnnen, wenn die Prfung der Ware ergeben sollte, daß Menge oder Zustand nicht den Angaben in den Dokumenten entsprachen oder sich die Dokumente gar als geflscht herausstellten. Nach geltendem Recht waren sie in solchen Fllen gezwungen, den von ihnen akzeptierten Wechsel zu bezahlen und mußten versuchen, das Geld vom Verkufer wiederzubekommen.15 Auf diese Kuferinteressen gehen die Bestrebungen zurck, im Rahmen der internationalen Vereinheitlichung des Wechselrechts auch gleich einen speziellen „Dokumentenwechsel“ zu schaffen, gegen den auch Einwnde aus dem zugrundeliegenden Geschft vorgebracht werden konnten. In den Sachverstndigenberatungen vor den Haager Wechselrechtskonferenzen waren die Vertreter des deutschen Exporthandels fr ein solches Konstrukt eingetreten. Die Wechselstrenge hatte jedoch gerade das Ziel, alle komplizierten zivilrechtlichen Fragen auszuschalten, die sich sonst an Eigentumsbertragungen knpften; ein internationales Recht des Dokumentenwechsels htte gleichzeitig Bestimmungen ber Pfand-, Konkursrecht usw. enthalten mssen. Deshalb trat Deutschland nicht mit eigenen Vorschlgen hervor.16 Auch die Sachverstndigen des Handelstages zeigten sich skeptisch gegenber der Mçglichkeit einer gesetzlichen Regelung fr den Dokumentenwechsel, zumal es eine solche auch auf einzelstaatlicher Ebene noch nirgendwo gab.17 Statt 14 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 16. 2. 1912, 22. 3. 1912, BAL R 901/2378. 15 Ein Beispiel: Hanseatische Gerichtszeitung 29 (1908), Nr. 27. 16 Protokoll der Sachverstndigenberatungen betreffend die Vereinheitlichung des Wechselrechts in Berlin, 17.–21. 1. 1910, BAL R 3001/3297 (Besprechungen am 17. und 18. 1.). 17 Bis heute ist eine solche nur in wenigen Staaten erfolgt: Schtze, S. 224.

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dessen sollten die Banken darauf achten, Dokumentenwechsel nicht im freien Verkehr umlaufen zu lassen. Am Ende entschied sich der Handelstag, erst einmal eine Umfrage ber die Bedeutung des Dokumentenwechsels und eventuelle damit verbundene Mißstnde zu veranstalten.18 Die Umfrage ergab, daß sich von zwçlf Handelskammern, die auf den Fragebogen antworteten, vier fr eine gesetzliche Regelung aussprachen und fnf dagegen. Aus den Antworten wurde vor allem „das Streben nach einem Schutz gegen Flschungen der Dokumente und gegen Unredlichkeiten bei der Verladung der Waren“ erkennbar. Am ausfhrlichsten gingen die Antworten auf die Haftung der Banken fr die Richtigkeit und Echtheit der Verschiffungsdokumente ein, wobei nach Ansicht des Berichterstatters Schmidt von der Handelskammer Leipzig mitunter „eigenartige Vorschlge“ gemacht wurden, so etwa eine generelle Haftung der Banken fr Echtheit und Richtigkeit der Dokumente oder eine Prfung von Dokumenten und Waren durch die deutschen Konsulate im Ausland. Das war nach Ansicht Schmidts nicht mit den Prinzipien des Geschfts vereinbar : Jedenfalls wird der Hauptwunsch des Warenhandels nicht diskutierbar sein, die wechselrechtliche Verpflichtung zu beseitigen, wenn die dem Wechsel zu Grunde liegende Ware schlecht oder minderwertig geliefert wurde. Ein solcher Gedanke wrde dem Wesen des Wechsels direkt zuwiderlaufen. Gegen betrgerische Manipulationen lassen sich meiner Meinung nach keine wechselrechtlichen Bestimmungen treffen. Schutz in dieser Beziehung drfte nur durch Vorsicht in der Auswahl der Warenlieferanten zu finden sein.19

Auffllig ist, daß nur wenige Handelskammern berhaupt auf die Umfrage antworteten, diejenigen an den bedeutenden See- oder Binnenhandelspltzen gar nicht, ebensowenig Berlin, das die Umfrage angeregt hatte. Die vorliegenden ußerungen spiegelten ausschließlich das Interesse des Importhandels, die Kosten des Schutzes vor Unwgbarkeiten mçglichst anderen Geschftszweigen aufzubrden. Der Handelstag schloß sich nach der Diskussion der Umfrageergebnisse der Auffassung Schmidts an, daß das „Interesse der beteiligten Kreise“ es nicht rechtfertige, „neue Mhen und Kosten auf die Sache zu verwenden.“20 Aus Bankenkreisen war ohnehin gefordert worden, gegen Dokumentenwechsel keine zustzlichen Einwnde zuzulassen, da diese Wechsel ja gerade dem Verkufer einen sicheren Anspruch auf Zahlung verschaffen und damit

18 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 16. 2. 1912, 22. 3. 1912, BAL R 901/2378. 19 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 21. 5. 1913, 18. 7. 1913, BAL R 901/2379. 20 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 21. 5. 1913, 18. 7. 1913, BAL R 901/2379.

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eine sichere Unterlage fr die Kreditgewhrung bieten sollten.21 Das Streben der Kufer, das Grundprinzip des Austauschs von Zahlung bzw. Akzept gegen Dokumente aufzuweichen, entwertete nach Ansicht der Banken Dokumenteninkasso und Dokumentarkredit als Mittel der Steigerung von Sicherheit und Effizienz. Von Bankenseite wurde im Gegenteil stets betont, daß sich ihr Geschft allein mit dem Austausch von Dokumenten – des Wechsels gegen die Verschiffungs-, Versicherungspapiere usw. – befasse und vom Warenhandel gnzlich unabhngig sei. Beteiligten sie sich an der Finanzierung, suchten sie sich durch Bestimmungen der Art zu sichern, daß die Erçffnung eines Dokumentarkredits „vçllig unabhngig von dem Kaufvertrage erfolgt, dessen Grundlage sie bilden mag, und dem die Banken vçllig fernstehen werden.“22 Die Trennung von Dokumenten- und Warengeschft war die Voraussetzung der Sicherung des Verkufers und der raschen Freigabe des eingesetzten Kapitals. Sie diente auch dazu, den Banken die Haftung fr Risiken abzunehmen, die sie nicht einschtzen konnten. Die Rechtschaffenheit von Kufern, Verkufern, Reedern, Kapitnen und Eisenbahngesellschaften konnten sie nicht beurteilen, von den Bruchen in einzelnen Handelszweigen konnten sie nichts wissen. Daher war das Dokumentenakkreditiv theoretisch unabhngig von einer eventuellen Kreditgewhrung an den Kufer. In der Praxis aber achtete die Bank, die Warenpapiere als Sicherheit fr einen Kredit nahm, darauf, daß sie whrend des ganzen Geschftsablaufs den Zugriff auf die Ware behielt und insbesondere die Versicherungs- und Verladepapiere in Ordnung waren. Kredit und Akkreditiv sind also rechtlich getrennt, wirtschaftlich aber eng verbunden.23 Daher erwarben sich die Banken den Ruf der „Formaljuristen des Ueberseekaufs“, die „auf starre, formale, schematische, brokratische Handhabung der Geschftsabwicklung“ achteten und den Verkufern das Leben schwer machten. Da den Kaufleuten die Zeit und juristische Fachkenntnis zur Prfung der Policen, Konnossemente und sonstigen Dokumente fehlten, waren sie letztlich hilflos, und ein juristischer Sachkenner meinte, man msse „den Ueberseekauf [ob] seiner Hilflosigkeit diesen seinen Kreaturen gegenber bemitleiden“.24 Streitigkeiten ber die Dokumente machten sich oftmals am Konnossement fest. Hier standen sich die Interessen von Verfrachtern und Kaufleuten ge21 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Geld, Bank, Bçrse vom 16. 2. 1912, 22. 3. 1912, BAL R 901/2378. 22 So der Entwurf der IHK fr einheitliche Richtlinien, der 1927 in Stockholm diskutiert wurde: Drucksache Vierter Kongreß der Internationalen Handelskammer in Stockholm, 27.6.–2.7.1927, BAL R 3001/3308. 23 Zahn, S. 47 f.; ausfhrlich zur Prfung der Dokumente durch die Banken ebd. 77 – 110. 24 Großmann-Doerth, Recht, S. 35 ff. Auch der deutsche Konsul in Rotterdam wunderte sich, daß die angesichts unklarer Rechtslage bezglich der Haftung der Reeder fr die von ihnen bernommenen Waren eigentlich zu erwartenden Streitigkeiten selten vorkamen. „Notorisch ist es, daß die Konnossemente von den Betheiligten oft gar nicht genau gelesen werden; treten dann Meinungsverschiedenheiten ein, so ist die Enttuschung auf Seiten des Empfngers recht groß.“ (Konsulat Rotterdam an RK, 30. 12. 1896, BAL R 901/27030.)

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genber. Bei der Aushandlung von Einheitskonnossementen zwischen den Verbnden des Handels und der Schiffahrt konnte in der Regel die Schiffahrt ihre Interessen durchsetzen, wenn nicht die staatliche Gesetzgebung wie in den USA dem Reeder die Haftung fr bestimmte Risiken auferlegte.25 Die Banken verlangten ein „reines“ Konnossement, das die tatschliche Verladung nicht beschdigter Ware in der bedungenen Menge bescheinigte. Doch viele Reedereien bescheinigten lediglich, die Ware zur Befçrderung bernommen („received to be shipped“) zu haben, was nichts darber aussagte, ob der Dampfer tatschlich bereits eingetroffen war oder die Ware an Bord genommen hatte. Solche Konnossemente wiesen die Banken oft zurck, da sie nicht sicherstellten, daß der Verkufer den Liefertermin einhalten konnte und der Kufer eventuell zurcktreten konnte. Die Gerichte schwankten in ihrer Beurteilung der Frage, ob bernahmekonnossemente zurckgewiesen werden durften, wenn der Vertrag eindeutig auf „Verschiffung“ und nicht bloß „Abladung“ (bergabe an den Reeder) innerhalb eines bestimmten Zeitraumes lautete. Bis um 1900 war die rechtzeitige Verschiffung bei dieser Klausel im Handel und vor Gericht als wesentliche Eigenschaft des Vertrages gesehen worden, so daß der Kufer bei spterer Abladung die Annahme verweigern konnte. Nach Einfhrung des regelmßigen Dampfer-Linienverkehrs, durch den eine etwas sptere Verschiffung nicht mehr unbedingt eine lngere Lieferverzçgerung nach sich zog, gab es eine Reihe von Urteilen, die den Kufer zwangen, eine Nachfrist zu gewhren. Das Reichsgericht schloß sich dann 1915 wieder der Auffassung an, daß versptete Verschiffung nicht Verzug, sondern Nichterfllung des Vertrages bedeutete.26 Auch das Erfordernis, vollstndige Dokumente einzureichen, wurde vor Gericht unterschiedlich bewertet. Eine hamburgische Firma, die kalifornische Pflaumen mit der Klausel „Zahlung gegen Dokumente“ gekauft hatte, verweigerte die Annahme, da sie statt zweier Konnossemente nur eines und ein als Duplikat markierters Exemplar ausgehndigt bekam und die Versicherung nicht gedeckt war. Das Landgericht in Hamburg verurteilte die Firma zur Zahlung des Kaufpreises, da sie auch durch diese Dokumente ausreichend gesichert gewesen sei. Das OLG revidierte das Urteil jedoch unter Verweis auf die eingebrgerte besondere Bedeutung der bergabe vollstndiger Dokumente: Sinn und Zweck des gekennzeichneten Handelsbrauchs ist der unbedingte Schutz des Kufers, der, ohne die gekaufte Ware zu sehen, gegen die ihm angedienten Papiere den Kaufpreis zu zahlen hat. Dieser Schutz erstrebt nicht nur die Sicherheit der Auslieferung der Ware, welche bereits durch die Abstempelung des Konnossements 25 Vgl. z. B. die Debatten im Handelstag ber die Seefrachtvertrge: Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Verkehr vom 7./8. 4. 1913, 18. 8. 1913, BAL R 901/2379. 26 Cohen, Folgen.

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gewhrleistet wird, sondern auch die Verschonung mit Ansprchen anderer Konnossementsinhaber.27

Solange der Kufer nicht erkennen kçnne, daß keine weiteren Exemplare des Konnossements im Umlauf und mçglicherweise an andere Kaufleute verkauft worden seien, msse er nicht zahlen. In manchen Geschftszweigen wurden trotzdem wesentlich geringere Anforderungen an die Konnossemente gestellt.28 Die Einfuhrhndler bestanden auch deshalb besonders auf der Dokumentenstrenge, weil ihnen daran gelegen war, bei Bedarf einen Vorwand fr die Zurckweisung der Ware zu haben, sei es, weil sie vor Aufnahme der Dokumente Kenntnis von Qualittsmngeln erhielten und nur auf diese Weise aus der eigentlich vereinbarten „Zahlung gegen Dokumente“ herauskommen konnten, oder weil eine vernderte Marktlage das Geschft uninteressant erscheinen ließ. Exporthndler sahen die weitgehenden Mçglichkeiten der Kufer und insbesondere ihrer Banken, aufgrund formaler Mngel die Dokumente zurckzuweisen, dementsprechend kritischer.29 Mißtrauen war durchaus angebracht. In der Praxis ließ sich hufig eine betrgerische Kooperation von Verkufern und Reedern gegen den Kufer (und die Versicherung) beobachten, etwa wenn die Reederei gegen eine Geldzahlung trotz unvollstndiger oder verspteter Lieferung die vertragsgemße Verladung besttigte oder gar trotz offenkundiger Schden an Ware oder Verpackung ein „reines“ Konnossement ausstellte.30 Im Jahre 1910 brachten Reedereien in Indien und Australien eine ganze Reihe unrichtiger Baumwollkonnossemente in Umlauf. Die am meisten betroffenen Verbnde, die Liverpool Cotton Association und die Vereinigung der Bremer Baumwollhndler, einigten sich daraufhin auf eine Liste der vertrauenswrdigen Reeder, deren Konnossemente im Handel genommen wurden; die Befçrderung mit Schiffen anderer Reeder wurde ausgeschlossen.31 Zur gleichen Zeit versuchte sich eine in Schwierigkeiten geratene amerikanische Baumwollhandelsfirma dadurch zu retten, daß sie sich von einer Bahngesellschaft ber noch gar nicht verladene Baumwolle Konnossemente ausstellen ließ, diese dann verkaufte und die weiterhin in ihrem Besitz befindliche Baumwolle dann ein weiteres Mal zu verußern suchte. Da die Ware, selbst wenn sie Bremen erreichte, der Beschlagnahme zugunsten anderer Glubiger der einfallsreichen Firma ausgesetzt war und die Eisenbahngesellschaften in den USA jeg-

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Hanseatische Gerichtszeitung 35 (1914), Nr. 87. Hanseatische Gerichtszeitung 35 (1914), Nr. 109, 36 (1915) Nr. 44. Großmann-Doerth, Recht, S. 36. Großmann-Doerth, Recht, S. 33 f. Handels-Zeitung 15.5.1910.

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liche Haftung fr die Ausstellung unrichtiger Konnossemente durch ihre Mitarbeiter ablehnten, erlitten einige Bremer Firmen erhebliche Verluste.32 Die Deutsche Bank, deren Bremer Filiale das Inkasso fr amerikanische Baumwollexporteure bernommen hatte, konnte den geschdigten Bremer Hndlern, die nach Bekanntwerden der Flschungen die von ihnen bereits akzeptierten Wechsel anfechten wollten, nicht behilflich sein. Solche Anfechtungen seien rechtlich nicht gedeckt und darber hinaus drften die Banken nicht durch derartiges Vorgehen bei ihren amerikanischen Kunden „das Vertrauen auf ihr Wort … erschttern.“ Die anderen Banken in Deutschland und Großbritannien verhielten sich genauso.33 Andererseits konnten die Banken auch die Mißstnde nicht einfach ignorieren, um nicht das Vertrauen ihrer europischen Kunden zu verlieren. In der Folgezeit wurden Verhandlungen zwischen amerikanischen und europischen Bankiers, den europischen Baumwollhndlern und der Baumwollbçrse in Galveston angestrengt. Die Deutsche Bank versuchte durchzusetzen, daß im Verkehr berhaupt keine von den Eisenbahngesellschaften ausgestellten Durchfrachtkonnossemente („through bills of lading“), sondern nur noch Konnossemente der Schiffahrtsgesellschaften anzunehmen seien, solange die Verantwortlichkeit der Bahngesellschaften nicht klar geregelt war. Ohnehin hielt man die Konnossemente der Bahngesellschaften fr zweitklassig, da der Kufer bei Schwierigkeiten sein Recht in den USA suchen mußte, whrend das See-Konnossement nçtigenfalls durch Beschlagnahme des Schiffes im Ankunftshafen gesichert werden konnte.34 Die Ausschaltung der Durchfrachtkonnossemente war die bevorzugte Lçsung der Banken auf dem europischen Kontinent, die Liverpooler Baumwollhndler wiesen aber darauf hin, daß die Bevorschussung von Durchfrachtkonnossementen den amerikanischen Farmern berhaupt erst die Mittel verschaffte, fr das nchste Jahr wieder Baumwolle anzupflanzen und daher unverzichtbar waren. Die britischen Bankiers favorisierten deshalb eine Kontrolle der Konnossemente durch die amerikanischen Banken, die diese Vorschsse gaben.35 Die amerikanischen Banken bten ihrerseits Druck auf die Bahngesellschaften aus, Haftung fr die tatschliche Verladung der auf Konnossement bernommenen Baumwolle zu bernehmen, nachdem ein Bundesgericht die Banken verurteilt hatte, gegenber europischen Akzeptanten von Wechseln auf geflschte Baumwollkonnossemente zu haften. Die 32 Bremer Baumwoll-Bericht XIII/44 (21.–27. 5. 1910), BAL R 88119F/P-9322; Handels-Zeitung 15.5.1910. 33 DB Filiale Bremen an DB Berlin, 26. 5. 1910, DB Berlin an DB Filiale Bremen, 27. 5. 1910, DB London an DB Berlin, 31. 5. 1910, BAL R 88119F/P-9322. 34 DB Berlin an DB London, 23. 6. 1910, BAL R 88119F/P-9322; Frankfurter Zeitung, Konnossement. 35 James H. Simpson, Secretary of the European Bankers’ Conference on Cotton Bills of Lading an Walter E. Frew, Chairman of the Cotton Bill of Lading Committee, American Bankers’ Association, 17. 9. 1910; DB Filiale Bremen an DB Berlin, 23. 9. 1910, BAL R 88119F/P-9322.

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Deutsche Bank verfolgte diese Entwicklungen aufmerksam und bekam von der National City Bank of New York stets genaue Nachrichten und Rechtsgutachten ber die in den USA gefhrten Prozesse.36 Die Ausschaltung als unsicher empfundener Spielarten des Konnossements war also eine Mçglichkeit, das Geschft sicherer zu gestalten, und in der Tat wurde hufig debattiert, ob das, was ohnehin blich war, auch akzeptiert werden sollte, oder ob die Banken sich bemhen sollten, Einrichtungen wie das Durchfracht- oder das bernahmekonnossement aus dem Verkehr zu drngen.37 Allerdings entstanden diese Papiere aus wirtschaftlichen Bedrfnissen, zumeist aus dem Bestreben, Kapital flssig zu halten. Der Handel suchte und fand ohnehin immer neue Mçglichkeiten, zuknftig erwartete Ware in Papieren zu reprsentieren, die dann anstelle der Ware gehandelt oder beliehen werden konnten, ohne sich dabei um den rechtlichen Status solcher Papiere zu kmmern. Umstritten war beispielsweise die Verwendung von Lieferscheinen („Delivery Orders“) zur Bevorschussung und zum Weiterverkauf von Ware. Großhndler, die Ware erwarteten, stellten diese Delivery Orders ber Partien aus der erwarteten Sendung aus, verkauften sie weiter oder gaben sie einer Bank als Sicherheit fr einen Kredit. Bald schon wurden die Delivery Orders fr den Weiterverkauf der Ware wie Wechsel indossiert und von Hand zu Hand gegeben. Dabei bestand die Gefahr, daß skrupellose Hndler mehr Delivery Orders ausstellten und verkauften, als sie Ware hatten. Hinzu kam, daß die Delivery Orders dem Inhaber keinerlei Anspruch an den Schiffer auf Herausgabe der Ware gaben. Doch das Bedrfnis, einzelne Partien der erwarteten Ware auf diese Weise weiterzuverkaufen, war grçßer als die Angst vor dem ungesicherten Status solcher Papiere. Die Deutsche Bank stellte sogar selbst auf von ihr gehaltene Verladepapiere Delivery Orders aus, um die Geschfte zu beschleunigen, und bevorschußte die Delivery Orders ihr als seriçs bekannter Firmen. Sie glaubte nicht, daß sich diese Papiere aus dem Verkehr drngen ließen, und auch nicht, daß es „unsere Aufgabe sein kann, die vielgestaltigen Flle der Praxis mechanisch auf eine Formel zu bringen.“ Eine generelle Einfhrung von Papieren, die einzelne Partien aus einem Konnossement reprsentierten, lehnte die Deutsche Bank jedoch ab.38 Die „Einheitlichen Richtlinien“ der Internationalen Handelskammer von 1933 liefen darauf hinaus, den Handlungsspielraum der Banken einzuschrnken, indem sie genau definierten, was als ein „reines“ Konnossement zu gelten hatte und welche Zustze harmlos waren.39 Hier war der Unterschied zwischen den kleinen, auf die Finanzierung von Handelsgeschften und oftmals auf ein Absatzgebiet oder eine Branche spezialisierten Londoner Mer36 Vgl. die Akten in BAL R 88119F/P-9322. 37 Debattiert im Jahresbericht der Handelskammer Hamburg fr 1896, BAL R 901/27030. 38 DB Filiale Hamburg an DB Berlin, 31. 8. 1908, DB Filiale Bremen an DB Berlin, 22. 9. 1908, DB an DB Filiale Bremen (Zitat), Otto Brandis an DB, 3. 8. 1913, BAL R 88119F/P-9322; Hamburger Fremdenblatt, 20. 8. 1908, 10.9.1908. 39 Eisemann, Dokumentakkreditiv, S. 38 ff.

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chant Banks einerseits und den großen, in allen Geschftsfeldern ttigen, brokratisierten deutschen Universalbanken deutlich. Die Merchant Banks arbeiteten eng mit ihren Kunden zusammen und erkundigten sich in der Regel beim Kufer, ob er eine Ware trotz mangelhafter Dokumente annehmen und bezahlen wollte oder nicht. Sie erwarten von ihren Kunden eine Exklusivbeziehung, um stets den berblick ber deren Vermçgenslage zu haben, waren aber im Gegenzug bereit, in Schwierigkeiten geratenen Hndlern auch einmal ber eine Krise hinwegzuhelfen. Die Banken der Londoner City lehnten jegliche bindenden Regeln ber die vorzulegenden Dokumente und deren Beschaffenheit ab und bestanden auf ihrer Freiheit, dies von Fall zu Fall mit ihren Kunden zu vereinbaren. Die Großbanken hingegen kannten ihre Kunden nicht so genau und mußten daher auf formal korrekten Sicherheiten bestehen.40 Auch die Banken hatten jedoch keine wirkliche Mçglichkeit, anhand der Dokumente die Redlichkeit der Kaufleute und Reeder zu beurteilen, und mußten letztlich darauf vertrauen, daß kriminelle Handlungen oder vorstzliche Unredlichkeiten unterbleiben und daß die finanzierten Kunden weder selbst noch ber die Spediteure usw. in irgendeiner Weise die Bank hintergehen, was technisch bei derartigen Geschften fast immer im Bereich der Mçglichkeiten liegt.41

Die Entwicklung ging also hin zum Geschft mit Dokumenten statt Waren. Erst in einer der jngsten Fassungen der „Einheitlichen Richtlinien“ der IHK wurde jedoch deutlich zum Ausdruck gebracht, daß „alle Beteiligten mit Dokumenten [handelten] und nicht mit Waren, Dienstleistungen und/oder anderen Leistungen, auf die sich die Dokumente mçglicherweise beziehen“.42 Der Kufer konnte sich vor allem dadurch sichern, daß er mçglichst vollstndige Dokumente einschließlich einer ausreichenden Versicherung verlangte. Gegen bçswillige Verflschung der Dokumente jedoch war er nicht geschtzt, da die Banken die Haftung hierfr ablehnten.

Cif-Geschft: Schwierigkeiten der Umstellung vom Handel mit Waren auf den Handel mit abstrakten Papieren Die Schwierigkeiten der Entwicklung vom Handel mit Waren zum Handel mit Warenpapieren lassen sich besonders deutlich am Beispiel der Entstehung des sogenannten „cif“-Geschfts herausarbeiten. Auch hier handelt es sich um 40 Schck, S. 169 – 173. 41 Zahn, S. 118. Nach Baecker, S. 108 f. ist Betrug bis heute das „hufigste und prinzipiell unbeherrschbarste Risiko des Bankgeschfts … [das] wegen der hnlichkeit einer betrgerischen Handlung mit den normalen Geschftspraktiken kaum rechtzeitig zu entdecken ist.“ 42 Einheitliche Richtlinien und Gebruche fr Dokument-Akkreditive, Revision 1993, Art. 4, abgedruckt bei Schtze, S. 275. Diese Klarstellung findet sich allerdings in den frhen Fassungen der Einheitlichen Richtlinien noch nicht.

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eine in allmhlich aus der Praxis heraus entstandene Kombination bekannter Vertragsklauseln, durch die ein Geschft neuen Typs mit fr alle Beteiligten lange unklaren Rechtsfolgen entstanden war. Diese wurden erst dann klar faßbar und verbindlich entschieden, als mit Kriegsausbruch massenhaft die Frage auftrat, wie mit Warenpapiergeschften zu verfahren sei, wenn die durch die Papiere reprsentierte Ware verloren gegangen oder durch Beschlagnahme der Verfgung des Verkufers entzogen war. Die wichtigsten Vertragstypen im internationalen Handel waren „fob“ (free on board) und „cif“ (cash, insurance, freight). Beim „fob“-Vertrag trug der Verkufer den Transport bis zur Verladung auf das Schiff, der Kufer die Seefracht und -versicherung sowie den Transport im Bestimmungsland. Beim „cif“-Vertrag waren die Versicherung und die Frachtkosten bis zum Bestimmungsort Teil des Kaufpreises, wurden vom Verkufer bezahlt und auf die Rechnung aufgeschlagen. Daher wurden dann zahlreiche Nebenabreden in den Vertrag aufgenommen, die etwa spezifizierten, bei welchen Versicherungsgesellschaften und bis zu welchem Wert der Verkufer die Ware zu versichern hatte, welche Schiffe fr den Transport gewhlt werden durften, innerhalb welchen Zeitraums die Verladung der Ware zu erfolgen hatte und was die Folge einer verzçgerten Abladung war. Bei der blichen Zahlung gegen Vorlage der Dokumente dienten diese dazu, dem Kufer den ordnungsgemßen Versand der Ware zu dokumentieren.43 Ausschlaggebend fr die Auswahl eines Vertragstyps waren Zweckmßigkeitserwgungen: Bei der Einfuhr von Rohstoffen und Massengtern whlte man in der Regel den „cif“-Vertrag, da der Importeur auf diese Weise Zwischenhndlern und den bei Einkauf noch gar nicht bekannten Endabnehmern mit einem einzigen Satz Dokumente bereits schwimmende Ware anbieten konnte. Auch konnten die großen Importeure hufig gnstigere Bedingungen bei Reedern und Versicherungen aushandeln, als dies nur gelegentlich im berseegeschft ttigen Firmen mçglich gewesen wre. Der „fob“-Vertrag hingegen kam zum Einsatz, wenn der Kufer selbst Kontrolle ber die Verschiffung und Versicherung ausben wollte. Entscheidend fr den bergang vom Handel mit Waren zum Handel mit Warenpapieren war die Frage, ob die Klausel „cif“ eine reine „Spesenklausel“ darstellte, die nur etwas ber die Verteilung von Kosten aussagte, oder ob sie auch angab, wann die Last bestimmter Risiken vom Verkufer auf den Kufer berging. Faßte man „cif“ als eine reine Spesenklausel auf, war das Geschft erst mit der bergabe der Ware an den Kufer abgeschlossen, und der Verkufer hatte sich an die Versicherung oder die Reederei zu halten, wenn die Ware auf dem Weg verloren ging oder beschdigt wurde. Das „cif“-Geschft konnte aber auch als eines aufgefaßt werden, bei dem der Verkufer mit der rechtzeitigen bergabe ordnungsgemß verpackter und versicherter Ware an den Reeder und der entsprechenden Dokumente an den Kufer (bzw. die fr 43 Vgl. zum „cif“-Geschft Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 336 – 345.

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diesen ttige Bank) seine Verpflichtungen abschließend erfllte und der Kufer gegen die Dokumente zu zahlen hatte. Das Transportrisiko trug dann der Kufer, der sich im Schadensfall an die Versicherung zu wenden hatte. Weil der Kufer beim Verlust der Ware neben deren Wert auch den Profit aus dem Weiterverkauf verlor, wurde in der Regel ein „imaginrer Gewinn“ von einigen Prozent mitversichert. Die Rechtsprechung ber die Bedeutung der „cif“-Klausel schwankte lange. In der kaufrechtlichen Literatur ist von einer einheitlichen Auffassung „des“ Handels dahingehend die Rede, daß beim „cif“-Geschft der jeweilige Inhaber der von Hand zu Hand gehenden Dokumente die Gefahr fr die ganze Reise trage.44 Doch von einer einheitlichen Interpretation konnte keine Rede sein, „zumal Handelsbrauch und Schiedsgericht sich gerade in diesem Punkt um die juristische Theorie wenig kmmern.“ Von Branche zu Branche, von Vertragsformular zu Vertragsformular begegnete man unterschiedlichen Ansichten.45 Erschwert wurde die Entscheidung, welche Interpretation der „cif“Klausel die richtige war, nicht zuletzt dadurch, daß die Mustervertrge in manchen Geschftszweigen eine bestimmte Qualitt der Ware „bei Ankunft“ garantierten oder als Zahlungstermin „zahlbar bei Ankunft des Dampfers auf der Elbe“ festgelegt war. In solchen Fllen konnte es fraglich sein, ob der Verkufer nicht doch das Risiko trug, daß die Ware nicht am Bestimmungsort ankam.46 Die hamburgische Praxis, nach der die Banken dem Kufer gestatteten, die Ware vor der bernahme der Dokumente zu prfen, wenn diese schon eingetroffen war, erleichterte es diesem, sich gegebenenfalls Grnde gegen die Aufnahme der Ware zu berlegen und untergrub den „Sinn und Zweck des Inkassogeschfts“, bei dem Kasse gegen Dokumente verkauft wurde.47 Die hanseatischen Gerichte sahen ein berechtigtes Interesse der Verkufer am Schutz gegen solche Schikanen und bestanden darauf, daß Qualittsmngel im „cif“-Geschft nur im Nachhinein zur Geltung gebracht werden konnten.48 In manchen Branchen wurde die „cif“-Klausel dennoch als Verpflichtung des Verkufers interpretiert, die Ware unversehrt an den Bestimmungsort zu bringen, und auch vor Gericht fiel die Beurteilung lange schwankend aus. Ohne Kenntnis der Handelsbruche und Musterformulare einzelner Branchen war es nicht mçglich, im Einzelfall die Bedeutung der „cif“-Klausel zu bestimmen.49 Erst der Kriegsausbruch, durch den gleichzeitig eine ganze Reihe von Fllen vor Gericht kam, in denen Verkufer die Bezahlung fr bereits 44 45 46 47 48

Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 343. Schck, S. 273 f. Hierzu v. a. Hellauer, S. 428. Zahn, S. 132 f. Hanseatische Gerichtszeitung 21 (1900), Nr. 83; Hanseatische Gerichtszeitung 22 (1901), Nr. 31. (Das Reichsgericht hob diese Urteile jedoch wieder auf, weil es mit der berweisung des Streits ber die Qualitt der Ware an ein Londoner Schiedsgericht nicht einverstanden war.) 49 Hanseatische Gerichtszeitung 35 (1914), Nr. 109, 36 (1915) Nr. 44.

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verlorengegangene Ware forderten, brachte eine grundstzliche Klrung der Frage nach der Natur des „cif“-Geschfts. Den Stand der Diskussion faßt ein Urteil des Landgerichts Bremen vom 26. 3. 1915 zusammen, das dabei auch die historische Entwicklung des „cif“Geschfts beleuchtet.50 Anlaß war die Klage einer hamburgischen Firma, die einer Firma aus Bremen Waren mit der Klausel „cif Bombay, Kasse gegen Dokumente“ verkauft hatte. Wegen des Kriegsausbruchs hatte sie die Ware aber nicht abgesandt, sondern in Hamburg eingelagert und forderte nun die Zahlung des Kaufpreises. Die Beklagte verweigerte die Zahlung unter Verweis auf das Fehlen der verlangten Verschiffungsdokumente. Das Landgericht stellte zunchst fest, daß die „cif“-Klausel in der lteren Rechtsprechung in der Tat als reine Spesenklausel behandelt worden sei, sich diese Interpretation aber angesichts der Erfordernisse der modernen Geschftspraxis nicht mehr aufrechterhalten ließe. Die Kombination aus Versicherung und Zahlung gegen Dokumente habe sich als Mittel eingebrgert, die Risiken des internationalen Handels zu begrenzen und den Kapitalumlauf zu beschleunigen. „Bei dieser weittragenden wirtschaftlichen Bedeutung der Klausel nderte sich allmhlich auch rechtsgeschichtlich die Auffassung ihrer rechtlichen Bedeutung.“ Daraus folgerte das Gericht, daß es sich hier nicht lediglich um die Verpflichtung der [sic] Verkufers zu liefern und die des Kufers zu zahlen, sondern um die Verpflichtung des Verkufers, in ganz bestimmter Weise zu liefern, von der die Verpflichtung des Kufers, zu zahlen, abhngig ist, handelt, sowie daß diese gegenseitigen Verpflichtungen … das Wesen des Vertrages ausmachen.51

Die Klage auf Zahlung wurde dementsprechend abgewiesen, da der Verkufer seine Verpflichtungen nicht erfllt hatte. Allerdings durfte der Kufer vom Verkufer nicht verlangen, die Ware auf einem anderen als dem vereinbarten Wege an den Bestimmungsort zu bringen, wenn er sich dadurch doch noch Zugang zu derselben verschaffen zu kçnnen hoffte. Fr die Gerichte waren „cif“-Geschfte „zu besonders gearteten Leistungen geworden“, auf die sich einzelne Handelshuser spezialisiert und durch langfristige Vertrge mit Reedern etc. besonders eingerichtet hatten. Das „cif“-Geschft schreibe daher Art und Weg der Befçrderung genau vor und binde auch den Kufer, die Ware nur auf einem bestimmten Wege und zu einem bestimmten Termin zu beanspruchen; sei dieser Weg durch den Krieg versperrt, sei die Erfllung unmçglich, der Verkufer von der Lieferung und der Verkufer von der Zahlung befreit.52 Wie sah es dagegen aus, wenn der Verkufer durch Abladung der Ware seine Verpflichtungen erfllte, der Kufer aber Nachricht vom Verlust der Ware 50 Hanseatische Gerichtszeitung 36 (1915), Nr. 44; vgl. auch Leo, Einwirkungen. 51 Hanseatische Gerichtszeitung 36 (1915), Nr. 44. 52 Hanseatische Gerichtszeitung 37 (1916), Nr. 48.

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enthielt? Am Grundsatz, daß es sich beim „cif“-Geschft um ein reines Ablade-Geschft handele, hielten sowohl die Schiedsgerichte der Handelskammer als auch die Rechtsprechung fest: Der Verkufer erfllt durch Abladung und Versicherung der Ware, der Kufer trgt die Gefahr der Reise und hat, wenn Zahlung „Kassa gegen Dokumente“ vereinbart ist, gegen die Dokumente auch dann zu zahlen, wenn das Schiff nie oder nur sehr viel spter ankommen wird.53 Ein Kaufmann wurde gar zur Zahlung gegen Dokumente verurteilt, obwohl der Reeder die Ware nach der Verladung in Buenos Aires gleich wieder hatte ausladen lassen – zu diesem Zeitpunkt war das Risiko bereits auf den Kufer bergegangen.54 Das Schiedsgericht der Handelskammer Hamburg sah allerdings bei „Zahlung bei Eintreffen des Dampfers auf der Elbe“ keine Zahlungsverpflichtung, wenn der Dampfer nicht auch tatschlich ankam.55 Insgesamt zeigten die Verbnde des Handels eine grçßere Milde im Umgang mit der Zahlungsverpflichtung von „cif“-Kufern als die Gerichte. Die Vollversammlung der Hamburger Getreidehndler beschloß am 5. August 1914, die Annahme von Dokumenten ber untergegangene oder beschlagnahmte Ware abzulehnen.56 Die Handelskammern in Hamburg und Berlin setzten entsprechende Schiedsverfahren aus. Die Getreidehndler im Rheinland, in Westfalen und im Sdwesten allerdings konnten nach dem mhsam ausgehandelten deutsch-niederlndischen Getreidevertrag von ihren hollndischen Lieferanten vor das Rotterdamer Schiedsgericht gezogen werden, das weiterhin eine strenge Auffassung von den Verpflichtungen des „cif“-Kufers vertrat. Die Rotterdamer Verbnde beriefen sich dabei auf die klaren Bestimmungen des deutsch-niederlndischen Vertrages, die nicht einfach einseitig von den deutschen Importeuren außer Kraft gesetzt werden kçnnten, was auch der Handelstag anerkennen mußte.57 In Deutschland versuchten zahlreiche Verkufer, deren Dokumente zurckgewiesen worden waren, diese zu Niedrigstpreisen zu versteigern oder an der Bçrse abzugeben, was die Hamburger Handelskammer allerdings wegen der ungeklrten Ansprche, die sich an Papiere ber ein Objekt knpften, „das nicht mehr vorhanden oder nicht mehr in der Verfgungsgewalt des Schiffers ist“, rasch unterband.58 Auch in der Rechtsprechung unterschied man die – einhellig angenommene – Verpflichtung des ab Verschiffung die 53 54 55 56

Hanseatische Gerichtszeitung 36 (1915), Nr. 12, Nr. 35. Hanseatische Gerichtszeitung 37 (1916), Nr. 61. Hanseatische Gerichtszeitung 36 (1915), Nr. 24. Hanseatische Gerichtszeitung 37 (1916), Nr. 97. Leitlinien fr den Umgang mit schwebenden berseeischen Vertrgen finden sich auch in o.A., Einwirkungen (in den Akten der Deutschen Bank, BAL R 88119F/P-9322). 57 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 2. 10. 1914, 7. 12. 1914, BAL R 901/2381. 58 Deutscher Handelstag, Bericht ber die Sitzung der Kommission betr. Getreide vom 2. 10. 1914, 7. 12. 1914, BAL R 901/2381.

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Gefahr tragenden Kufers, gegen die Dokumente zu zahlen, von der – kontrovers beurteilten – Mçglichkeit, diese Dokumente nach dem Bekanntwerden des Verlustes der Ware weiterzuverkaufen.59 Die Gerichte in Deutschland hatten sich inzwischen den strengen Standpunkt zu eigen gemacht: Auch wenn „cif zahlbar bei Eintreffen des Dampfers auf der Elbe gegen Dokumente“ vereinbart war und der Dampfer unterwegs beschlagnahmt wurde, mußte der Kufer gegen Dokumente zahlen. Es entwickelte sich zur stndigen Rechtsprechung der Hamburger Gerichte, daß im „cif“-Geschft gegen Dokumente gezahlt werden mußte, sobald entweder der bedungene Zeitpunkt eingetreten war oder feststand, daß die Ware nicht ankommen wrde. Die Klausel „bei Ankunft auf der Elbe“ kçnne am Charakter des „cif“-Geschfts nichts ndern.60 Konnte der Verkufer allerdings auch die Dokumente nicht liefern, weil diese zwischenzeitlich ebenfalls beschlagnahmt worden waren, durfte er auch keine Zahlung verlangen. Die bergabe der Dokumente galt als wesentlicher Teil der Verpflichtungen des Verkufers.61 Die Strenge der deutschen Rechtsprechung war vor allem auf den Massengterhandel zugeschnitten, wo die Dokumente mehrfach den Besitzer wechselten, whrend sich die Ware noch auf der Reise befand, wo sich minderwertige Ware gegen Wertausgleich noch verkaufen ließ und sich beim Ausfall eines Kufers rasch ein anderer fand, der die Ware zu einem etwas geringeren Preis zu bernehmen bereit war. Streitigkeiten wurden fast immer ber Wertausgleich geregelt; lehnte ein Kufer die bernahme einer Ware ab, schritt der Verkufer zum „Selbsthilfeverkauf“ und machte seinem ursprnglichen Geschftspartner gegenber lediglich die Differenz zum vereinbarten Kaufpreis als Schadensersatz gerichtlich oder schiedsgerichtlich geltend. Ging die Ware verloren, war dem Kufer genausogut mit der Versicherungssumme einschließlich eines „imaginren Gewinns“ gedient, weil er sich fr dieses Geld am freien Markt eindecken und etwaige bereits eingegangene Lieferverpflichtungen auf diese Weise erfllen konnte. Im europischen Industriegterexport war die Interessenlage der Beteiligten schon immer eine andere gewesen. Der Einfuhrhndler in bersee, der seinem Endabnehmer die Lieferung einer ganz bestimmten, nicht auf die Schnelle anderweitig zu beschaffenden Ware zugesagt hatte, konnte mit der Versicherungssumme nichts anfangen. Er bevorzugte deswegen an Stelle des „cif“Geschfts den „Ankunftsvertrag“, d. h. ein Lieferungsgeschft mit dem Vorbehalt der Ankunft der Ware. Hierbei trug dann der Verkufer das Risiko der Reise und wrde bei Verlust der Ware von der Versicherung entschdigt,

59 Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 342 f. 60 Hanseatische Gerichtszeitung 37 (1916) Nr. 64; Hanseatische Gerichtszeitung 38 (1917) Nr. 14; vgl. auch Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 336 –340. 61 Hanseatische Gerichtszeitung 38 (1917) Nr. 16.

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whrend der Einfuhrhndler seinem Kunden gegenber vom Vertrag befreit war.62 Auch im „cif“-Geschft wurde die deutsche Rechtsprechung mit Ausnahme der besonderen Verhltnisse des Krieges nur mit einem kleineren Teil der Streitigkeiten ber die Rechte und Pflichten der Vertragspartner im „cif“Geschft befaßt. Einzelne Branchen und ihre Schiedsinstanzen hielten auch nach dem Krieg weiter an ihrer je eigenen Interpretation fest.63 Im Exporthandel bewirkten die angesichts der Konkurrenz unter den europischen Exporteuren fr den berseeischen Kufer gnstigen Machtverhltnisse, daß sich der Gefahrenbergang immer mehr in Richtung auf den Bestimmungsort verschob. Insbesondere sdamerikanische Gerichte interpretierten die „cif“Klausel in diesem Sinne. Aber auch, wenn es nicht zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kam, erschien es den Exporteuren im Zweifel gnstiger, auf die Versicherung zu vertrauen, als sich auf das Rechtsinstitut des „cif“Vertrages zu sttzen, denn: Versuche, einen noch dazu strittigen Rechtsstandpunkt einem auslndischen Kunden gegenber zur Geltung zu bringen, sind nicht nur von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt, sondern verrgern diesen Kunden und seine Freunde auch so stark, daß selbst neue Geschfte gefhrdet sind.64

Die Frage, ob das „cif“-Geschft, wie die deutsche Rechtsprechung sich letztlich entschieden hatte, aus einem reinen Austausch von Dokumenten bestand, oder ob es noch einen irgendwie gearteten Zusammenhang mit Waren umfaßte, wurde in den einzelnen Branchen und Verbnden weiterhin unterschiedlich behandelt. Erst die „Incoterms“ der Internationalen Handelskammer schufen hier 1936 eine einheitliche Regelung, die sich im Verkehr immer mehr durchsetzte.

Innovationen der Vertragsgestaltung in der Weltwirtschaft Kaufleute, Reeder und Bankiers entwickelten laufend neue Formen der Geschftsabwicklung, die teils eine grçßere Sicherheit, zumeist aber einen rascheren Umschlag des eingesetzten Kapitals ermçglichen sollten. Welche Rechte, Pflichten und Risiken sich aus den auf diese Weise geschaffenen Vertragstypen und Warenpapieren fr die Beteiligten ergaben, blieb aber lange unklar. Die Folgewirkungen und Bedeutung einzelner vertraglicher Abmachungen ergab sich immer erst vor dem Hintergrund eines bergeordneten Regelsystems. Auch die gerade fr den Fall des Handels mit Lndern mit fremdem und oft unzuverlssigem Rechtssystem geschaffenen Siche62 Großmann-Doerth, Recht, S. 30 ff. 63 Deutsche Gruppe der IHK Paris an DIHT, 13. 2. 1926, BAL R 11/1164. 64 Schck, S. 276.

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rungsmittel wie das Dokumentakkreditiv waren daher zu ihrer Wirksamkeit auf ihre Anerkennung in einer staatlichen oder verbandlichen Ordnung angewiesen. Ob das Bild, das sich die Beteiligten von diesen Fragen machte, auch Bestand hatte, zeigte sich erst im Streitfall, wenn im Lichte der Handelsbruche in einzelnen Branchen, der internen Regelung der Verbnde, der Gesetze und der die Gesetze fortschreibenden Rechtsprechung durchaus unterschiedliche Interpretationen mçglich waren und auch simultan verfochten wurden. Die Durchsetzung der Ansprche, die sich aus neuen, im staatlichen oder Verbandsrecht noch nicht eingefhrten Papieren ergaben, war daher regelmßig ein Glcksspiel – oder, positiv ausgedrckt, bedeutete die Mitwirkung an einem Prozeß der Rechtsentwicklung. Ein Grund zum Verzicht auf diese Innovationen ergab sich daraus jedoch nicht, solange diese im Regelfall ihren Zweck erfllten. Es handelt sich hier nicht um einen Defekt staatlich oder privatautonom gesetzter Ordnung, sondern um eine direkte Folge des Strebens nach Innovation, deren Bedeutung im allgemeinen Verkehr nicht voraussehbar ist und erst in einem Prozeß der Einbrgerung entwickelt und ausgehandelt werden muß. Die am berseehandel Beteiligten gaben sich mit der genauen Ausgestaltung ihrer Vertrge offenbar vor allem dann Mhe, wenn es um den Ausschluß der Haftung fr existenzbedrohende Risiken ging. Banken und große Reedereien hatten eine genaue Vorstellung von diesen Risiken und versuchten, sich davon „freizuzeichnen“. Im Handel hingegen war bis in die 1920er Jahre die Vorstellung maßgeblich, daß eine zu eingehende Befassung mit den Vertragsklauseln eine Zeitverschwendung darstelle. Man orientierte sich am branchenblichen Vorgehen, einigte sich mçglicherweise in einer Handelskammer oder einem Verband auf einige Grundstze und ging ansonsten davon aus, daß die berall gleichen Interessen, Interessenkonstellationen und wirtschaftlichen Bedrfnisse des internationalen Handels auch vor Gericht in allen Lndern anerkannt wrden. Die verwendeten Vertragsformulare waren dabei fast immer unvollstndig, oft unklar, bisweilen widersprchlich formuliert. Welche Rechte, Pflichten und Risiken sich aus einem Vertrag ergaben, war unter diesen Umstnden nur schwer zu durchschauen. Noch 1936 stellte der Jurist Ernst Rabel mißbilligend fest: „Viele Kaufleute werden erst jetzt allmhlich durch die krftigen Bemhungen der Verbnde zu genauer Verwendung der Klauseln erzogen.“65 Die Bedeutung in der Weltwirtschaft umlaufender Warenpapiere und Vertrge konnte nicht in einzelstaatlicher Betrachtung erfaßt werden. Die Durchfrachtkonnossemente etwa, die kontinentale Banken aus dem Verkehr herausdrngen wollten, waren fr die amerikanischen Farmer die Voraussetzung dafr, daß sie berhaupt produzieren konnten. Das wirtschaftliche Bedrfnis hinter solchen Papieren wurde erst in globaler Perspektive erkennbar. Nur vor diesem Hintergrund konnten die Beteiligten versuchen, 65 Rabel, Warenkauf, Bd. 2, S. 330.

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Risiken zu identifizieren und Vorkehrungen zu ihrer Vermeidung zu treffen. Einzelstaatliche Regulierung, sei sie privat-verbandlich oder çffentlichrechtlich, konnte unter diesen Bedingungen zwar unerwnschte Innovationen aus einem Rechtsgebiet heraushalten. Eine gestaltende Einwirkung war jedoch auf einzelstaatlicher Ebene kaum mçglich. Warenpapiere und Vertrge zirkulierten schließlich ber die Grenzen hinweg, und Transaktionen konnten jederzeit auch im Ausland abgewickelt werden. Vor allem aber bedeutete die einzelstaatliche Regulierung weltwirtschaftlicher Zusammenhnge Unsicherheit, weil so Deutsche aus einem bestimmten Papier plçtzlich andere Rechte und Pflichten bekamen als Briten oder Franzosen, ohne daß dies auf Anhieb erkennbar gewesen wre. Vor 1914 galt die nationalspezifische Regulierung weltwirtschaftlicher Zusammenhnge noch als großes Problem. Der Gedanke, daß es international umlauffhige Papiere mit einheitlicher Geltung in jedem Rechtssystem geben msse, ist auch Ausdruck einer spezifischen Form der internationalistischen Grundhaltung, des „kaufmnnischen Internationalismus“, der Vorkriegszeit.

(b) Souvernittsbeschrnkung als nationales Interesse im „kaufmnnischen Internationalismus“ vor 1914: Der Schutz des Privateigentums im Krieg Schon bei der Diskussion ber die Vereinheitlichung des Wechselrechts hatte sich gezeigt, daß die Stçrung der wirtschaftlichen Interdependenz und sich als Kettenreaktion verbreitende Zahlungskrisen insbesondere im Falle internationaler Verwicklungen und Kriege befrchtet wurden. In den angelschsischen Lndern entstand aus solchen Erkenntnissen heraus ein merkantiler Pazifismus, der die Bedeutung des Friedens zwischen den Vçlkern fr den Wohlstand der Nationen betonte.66 Diplomatie und Wirtschaft in Deutschland verfolgten hingegen grçßtenteils andere Vorstellungen bei der Absicherung wirtschaftlichen Wohlergehens gegen zwischenstaatliche Konflikte, die man mit dem Begriff eines „kaufmnnischen Internationalismus“ umschreiben kçnnte. Dabei ging es nicht um die Einhegung geschftsschdigender zwischenstaatlicher Konflikte, sondern um die Isolation der Sphre der internationalen Wirtschaft gegen diejenige der internationalen Politik. Das zeigt sich besonders deutlich an der deutschen Position auf der Haager Friedenskonferenz von 1907 und in den durch diese Konferenz angestoßenen Debatten. Bei der Vorbereitung der Haager Friedenskonferenz beschftigen die deutsche Seite vor allem drei Themen, von denen zwei mit Fragen der Behandlung des Privateigentums im Krieg zu tun hatten: der Ausbau der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit, wo das Deutsche Reich eine rein ablehnende Haltung einnahm, die Behandlung des Privateigentums im 66 Vgl. z. B. Angell; weitere Beispiele bei Gollwitzer.

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Landkrieg und das Seebeuterecht. Bei letzteren beiden Themen wollte die deutsche Diplomatie mit eigenen Initiativen hervortreten. Einig waren sich die mit der Konferenzvorbereitung67 befaßten Vertreter des Auswrtigen Amtes, des Reichsamts des Innern, des Reichsmarineamtes, der Admiralitt, des Reichspostamtes und der preußischen Ministerien fr Handel, Inneres und Krieg, daß ein internationales Abkommen ber die „Erfllung privater Verbindlichkeiten gegenber den Angehçrigen des Feindes“ angestrebt werden sollte. Was das „Privateigentum der Kriegfhrenden auf See“ anging, konnte man sich hingegen nicht auf eine eindeutige Verhandlungsposition einigen, da Unklarheit ber die deutschen Interessen auf diesem Gebiet bestand.68 Das Grundmuster in den Beratungen war der Versuch, die zu den eigenen Interessen passenden Prinzipien zu finden, um auf diesem Wege die deutschen wirtschaftlichen und politischen Interessen zur Grundlage verbindlicher Vçlkerrechtsstze machen zu kçnnen. Schwierigkeiten entstanden nicht aus dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher prinzipieller Vorstellungen, sondern immer dann, wenn Unklarheit darber bestand, was denn als deutsches Interesse angesehen werden konnte. Eine von der Sichtweise der Mehrheit abweichende Sicht deutscher Interessen verfochten dabei regelmßig die Vertreter der Marine. Private Vertrge mit Angehçrigen verfeindeter Staaten galten nach britischem und amerikanischem Recht in Kriegszeiten als suspendiert.69 Es war ein wesentliches Ziel der deutschen Delegation auf der Zweiten Haager Konferenz, ein vçlkerrechtliches „Verbot“ dieses Grundsatzes des anglo-amerikanischen Rechts zu erreichen, der „auf eine zeitweise Wegnahme feindlichen Privateigentums“ hinauslief und „nicht mehr den modernen Anschauungen“ entsprach.70 Der Schutz privater Forderungsrechte im Landkrieg Die Behandlung privater Vertrge zwischen Angehçrigen verfeindeter Staaten war fr das Deutsche Reich vor allem in zwei Bereichen von Bedeutung. Zum einen sorgte sich die Reichsbank um den Wert der Wechsel auf London, von denen sie zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs und zur Deckung der Notenausgabe stets große Bestnde hielt. Zwar beabsichtigte die Reichsbank, „bei Beginn politischer Komplikationen“ sich dieser Bestnde durch Verkauf an 67 Vgl. hierzu allgemein Dlffer, Regeln, S. 282 ff., der aber die kriegsrechtlichen Fragen aus seiner Darstellung ausklammert. 68 Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334. 69 Vgl. hierzu fr Großbritannien MacNair, Kap. 4 – 6, 9; allgemeiner Rousseau, S. 29 ff., 49 ff. 70 Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334; Aufz. AA ber die kommissarischen Beratungen der Stellung Deutschlands zu dem russischen Entwurfe fr das Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 17. 7. 1906, AA-PA R 164.

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neutrale Banken oder an die Auslandsfilialen privater deutscher Bankhuser zu entledigen, doch stellte sie sich die Frage, „ob diese Forderungen im Falle kriegerischer Verwicklungen mit England ihre Klagbarkeit einbßen wrden, eventuell wie sich ihre Klagbarkeit erhalten ließe.“ Als Vorsichtsmaßnahme verzichtete man bereits darauf, die bei der Reichsbank eingereichten auslndischen Wechsel zu indossieren, um sie weitergeben zu kçnnen, ohne daß erkennbar wurde, daß sie sich einmal im Bestand der Reichsbank befunden hatten.71 Auch private Bankiers hielten einen großen Bestand an auslndischen Forderungen und Wertpapieren fr einen entscheidenden Aspekt der wirtschaftlichen Strke im Kriegsfall.72 Das Reichsjustizamt beurteilte die Aussichten, Wechselforderungen an Großbritannien whrend eines Kriegs mobilisieren zu kçnnen, jedoch als gering. Nach britischem Recht konnte niemand, der sein Domizil im feindlichen Ausland hatte, in Großbritannien vor Gericht auftreten. Auch die bertragung feindlicher Forderungen an Neutrale whrend eines Krieges sei nach britischem Recht nichtig, so daß die Reichsbank keine Abnehmer fr die Wechsel aus ihrem Bestand finden werde.73 Die zweite Gruppe privater Vertrge, die gegen die Folgen eines Kriegsausbruchs gesichert werden sollten, waren Versicherungsvertrge. Der grçßte Teil der von Deutschland ein- und ausgefhrten Waren wurde bei britischen Versicherungsgesellschaften versichert. Diese – an ihrer Spitze Lloyd’s – waren in der Branche fhrend, verfgten ber die grçßte Kapitalkraft, boten die niedrigsten Prmien und konnten es sich leisten, bei der Schadensregulierung kulanter zu sein als ihre deutschen Konkurrenten. Deutsche Transportversicherer spielten international, aber auch auf dem heimischen Markt nur eine Nebenrolle.74 In Großbritannien wurde im Zuge der Neuordnung des Seeversicherungsrechts diskutiert, ob ein ausdrckliches Verbot der Befriedigung von Ansprchen der Angehçrigen von Feindstaaten in das neue Gesetz aufgenommen werden sollte. Diese Diskussion sorgte zusammen mit den 1905/06 wieder auflebenden diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und Großbritannien fr Unruhe in der deutschen Presse. Auch im Reichstag ersuchte im Jahre 1906 der nationalliberale Abgeordnete Bassermann die Regierung um Auskunft, wie die Rechtslage auf diesem Gebiet aussehe. Bassermann betonte, er „halte das fr ganz unmçglich, daß eine Kulturnation sich auf einen derartigen Standpunkt stellen“ kçnne und gehe davon aus, daß die englischen Versicherungen zahlen wrden. Fr die Regierung antwortete der Staatssekretr im Reichsamt des Innern, Graf v. Posadowsky-Wehner, die Rechtslage sei „nicht ganz klar“, wahrscheinlich drften die Versicherungen zahlen, aber die Forderungen der Versiche71 72 73 74

RB an RJA, 2. 5. 1907, BAL R 3001/7676. Barth, Hochfinanz, S. 435 f. RJA an RB, 18. 5. 1907, BAL R 3001/7676. Umbach.

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rungsnehmer seien nicht klagbar. Insgesamt sei aber „die ganze Sache … eine rein akademische Frage“, denn das Reich achte bei der Zulassung britischer Versicherungen zum Geschftsbetrieb in Deutschland darauf, daß diese eine ausreichende Kaution im Inlande hinterlegten.75 Das war allerdings nur fr die Lebens- und Feuerversicherungen relevant, die in Deutschland Geschfte machten, whrend Transportversicherungsvertrge in der Regel in London und nicht in Deutschland abgeschlossen wurden. Der anstçßige Passus wurde zwar schließlich nach Intervention der britischen Versicherer nicht in den Marine Insurance Act aufgenommen, doch konnte am generellen Verbot der Befriedigung feindlicher Ansprche durch das britische Recht kaum gezweifelt werden.76 Offenbar wurde die Aufmerksamkeit der Reichsregierung erst durch die Anfrage Bassermanns und die zeitgleich von der Reichsbank aufgeworfenen Bedenken auf die Frage der Behandlung privatrechtlicher Forderungen im Krieg gelenkt. In den ersten Aufzeichnungen zur Vorbereitung der Haager Konferenz war davon noch nicht die Rede.77 Die deutsche Delegation auf der Haager Konferenz bekam den Auftrag, das Verbot der Annullierung privater Forderungen feindlicher Staatsangehçriger als neuen Artikel 23 h der bereits existierenden Haager Landkriegsordnung von 1899 vorzuschlagen, unmittelbar anschließend an den Artikel 23 g, der es bereits untersagte „de dtruire ou de saisir des proprits ennemies, sauf les cas o ces destructions ou ces saisies seraient imprieusement commandes par les ncessits de la guerre“. Auf der Konferenz konnte der deutsche Vorschlag ohne grçßere Umstnde durchgesetzt werden, wobei sich die britischen Delegierten berhaupt nicht an der Diskussion beteiligten. Die ergnzte Landkriegsordnung verbot nun unter Art. 23 h der Anhnge „de dclarer teints, suspendus, ou non recevables en justice, les droits et actions des nationaux de la Partie adverse.“ Darber hinaus wurde festgelegt, daß die Vertragsmchte fr Verstçße ihrer Armeen gegen die Landkriegsordnung gegebenenfalls Schadensersatz zu leisten hatten.78 Auf diese Weise hatte die deutsche Regierung nach eigener Ansicht einen erheblichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Vçlkerrechts geleistet. Durch den Artikel 23 h, heißt es im Deutschen Weißbuch ber die Friedenskonferenz, werde der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privateigentums auch auf dem Gebiete der Forderungsrechte anerkannt. Nach der Gesetzgebung einzelner Staaten soll nmlich der Krieg die Folge haben, daß die Schuldverbindlichkeiten des Staates oder seiner Angehçrigen gegen Angehçrige des Feindes aufgehoben oder zeitweilig außer Kraft 75 RT 11/2/2 (Bd. 215), S. 1423 – 1425 (19. 2. 1906). 76 Generalkonsulat London an RK, 1. 7. 1907, BAL R 3001/7676; Freund, Wunder Punkt. 77 Denkschrift ber die Beteiligung Deutschlands an der vom Prsidenten Roosevelt vorgeschlagenen Friedenskonferenz, 13. 10. 1905, AA-PA R 164. 78 Ministre des Affaires Etrangres, Paix, Bd. 3, S. 14, 25; Bd. 1, S. 633.

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gesetzt oder wenigstens von der Klagbarkeit ausgeschlossen werden. Solche Vorschriften werden nunmehr … fr unzulssig erklrt.79

Diese Interpretation der Haager Abkommen fand jedoch nur auf dem Kontinent Zustimmung. Briten und Amerikaner standen dagegen auf dem Standpunkt, daß die Tragweite dieser Bestimmung durch ihre Einreihung in die Konvention ber die Gesetze und Gebruche des Landkrieges erheblich eingeschrnkt sei. Whrend die deutsche Seite glaubte, die Haager Konferenz habe jede Beeintrchtigung privater Forderungen von Angehçrigen feindlicher Staaten fr vçlkerrechtswidrig erklrt, erblickten Briten und Amerikaner darin lediglich eine Regelung, die das Verhalten von Besatzungstruppen in feindlichem Gebiet betraf.80 Ihre Lesart fand Untersttzung in Artikel 1 der Landkriegsordnung: „Les Puissances contractantes donneront leurs forces armes de terre des instructions qui seront conformes au R glement concernant les lois et coutumes de la guerre sur terre, annex la prsente Convention“. Auch im Artikel 1 der Anhnge wurde klargestellt, die folgenden Artikel (also einschließlich des Art. 23 h) glten nicht nur fr die regulre Armee, sondern auch fr Milizen und Freiwilligenverbnde. Von einer Unterwerfung staatlicher Politik und Gesetzgebung unter das Verbot der Wegnahme oder Suspendierung feindlicher Privatforderungen war nirgends die Rede. Auch die Schadensersatzpflicht eines Staates erstreckte sich allein auf „actes commis par des personnes faisant partie de sa force arme“. Die Friedenskonferenz hatte lediglich einen allgemeinen, aber rechtlich unverbindlichen „vœu“ verabschiedet, daß die Staaten die kommerziellen und industriellen Beziehungen zwischen den Angehçrigen kriegfhrender Staaten schtzen sollten.81 Fr deutsche Juristen der „privatrechtlichen“ Schule wie etwa G.S. Freund82 gingen die „Bestrebungen unserer Zeit“ dahin, „die Folgen etwaiger kriegerischer Verwicklungen mçglichst auf die bewaffneten Streitkrfte einzuschrnken“. Demgegenber mute der britische Standpunkt „fast mittelalterlich“ an und sei darber hinaus direkt vçlkerrechtswidrig: „Denn der Krieg ndert nichts an den friedlichen Beziehungen der beiderseitigen Untertanen.“ Allerdings wurde dieser Leitsatz hier als ein keiner weiteren Begrndung bedrftiges Dogma eingefhrt. Daß er eine Auswirkung auf die britische Politik und Rechtsprechung haben wrde, nahm auch Freund nicht an, weshalb er eine „internationale Vereinbarung aller Kulturvçlker mit Großbritannien“ in dieser Frage anregte.83 Wehberg meinte angesichts der Agitation, die sich in deutschen Handels- und Versicherungskreisen entwickelte, daß die 79 80 81 82

Auswrtiges Amt, Friedenskonferenz, S. 7. Wehberg, bereinstimmung; Wehberg, Vertrge. Ministre des Affaires Etrangres, Paix, Bd. 1, S. 627, 633, 700. Vgl. oben zum Staatsbankrott und zur Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Staaten und Privatleuten. Hier wie dort beteiligten sich Freund und Wehberg an fhrender Stelle an den Debatten. 83 Freund, Wunder Punkt.

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Frage „immer mehr der Ausgangspunkt einer Bewegung zu sein scheint, die darnach strebt, die gesamten Wirkungen des Krieges auf Privatvertrge in einem internationalen Vertrag festzulegen.“ Auch er sprach sich fr eine derartige Regelung aus, die am besten auf der dritten Haager Friedenskonferenz vereinbart werden sollte.84 Die deutschen Getreideimporteure erwogen derweil, ganz auf britische Versicherungen zu verzichten, mußten jedoch erkennen, daß die deutschen Versicherer teurer waren und hufig ungnstige Bedingungen anboten. Diese erblickten in der Aufregung eine Geschftschance und forderten, daß britische Transportversicherungen verpflichtet werden sollten, in Deutschland eine Kaution zu hinterlegen.85 Das Auswrtige Amt ließ sich vom Verein der Berliner Getreide- und Produktenhndler berzeugen, daß die deutscherseits auf der Haager Konferenz verfolgten Absichten als gescheitert anzusehen waren. Den Beteuerungen der britischen Versicherer, in jedem Falle zahlen zu wollen, mochten die Kaufleute ebensowenig vertrauen wie dem Verweis auf eine rein private Lçsung durch die Schiedsgerichtsbarkeit, da beides angesichts eines staatlicherseits verhngten Zahlungsverbots wertlos sei. Den Verkufern die Hinzuziehung deutscher Versicherungen vorzuschreiben, lehnten die Hndler ab, da sie dafr kein Druckmittel an der Hand hatten, die Kapazitt der deutschen Versicherungswirtschaft nicht ausreichte und auch die im Handel weit verbreiteten deutsch-niederlndischen Getreidevertragsformulare ausdrcklich die Zulssigkeit der Versicherung in Großbritannien bestimmten.86 Auch bei Besprechungen mit dem Auswrtigen Amt, dem Reichsamt des Innern und dem Aufsichtsamt fr das Privatversicherungswesen konnte keine Lçsung gefunden werden. Wie sich herausstellte, wurden die meisten Transportversicherungsvertrge direkt in Großbritannien abgeschlossen, und zwar oftmals von Verkufern, welche die Versicherung als Bestandteil eines „cif“Geschfts mit einem europischen Großhndler nahmen und gar nicht wissen konnten, ob die von ihnen verkaufte und versicherte Ware jemals an Kunden in Deutschland gelangen wrde. Eine Sonderregelung fr die Versicherung des Handelsverkehrs mit Deutschland war unter diesen Umstnden kaum denkbar. Auch die von der Versicherungswirtschaft geforderte Kautionspflicht (die fr von auslndischen Gesellschaften angebotene Lebens- und Feuerversicherungen schon bestand) ließ sich fr im Ausland geschlossene Vertrge nicht einfhren, ganz abgesehen davon, daß die Beamten es ablehnten, durch Maßnahmen gegen die britischen Versicherer die Kartellierung der deutschen Versicherungswirtschaft zu erleichtern. Im Grunde wurde keine Alternative zu einer nderung des britischen Rechts erkennbar. Um eine solche zu er84 Wehberg, Vertrge. 85 Zeitschrift fr Handel und Industrie, 11.3.1912. 86 Aufz. AA o.D. ber eine Besprechung mit dem Verein Berliner Getreide- und Produktenhndler am 5. 11. 1912, Anl. zu AA an RAI, 31. 12. 1912, BAL R 3001/7676.

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reichen, wrde der Verein Berliner Getreide- und Produktenhndler „eine Beeinflussung der englischen çffentlichen Meinung … durch Lancierung entsprechender Aufstze in die englische Presse“ versuchen, whrend das AA sich dafr einsetzen wollte, auf der dritten Haager Konferenz 1915 zu einem internationalen Abkommen ber „die Unverletzlichkeit von Forderungen …, die aus Privatvertrgen zwischen Angehçriger [sic] verschiedener im Kriege miteinander befindlichen [sic] Staaten herrhren“, zu kommen.87 Zu dieser Zeit beschftigte die Frage bereits den Deutschen Handelstag, die ILA, die Deutsche Vereinigung fr Internationales Recht und das Comit Maritime International. Die fhrende Versicherungsgesellschaft, Lloyds, erklrte, daß die britischen Versicherer in jedem Falle zahlen wollten und daß das britische Recht dies auch nicht verbiete.88 Vor dem Deutschen Handelstag traten sogar Vertreter des Auswrtigen Amtes, des Reichsamts des Innern und des Reichsjustizamts auf, um an der Diskussion mitzuwirken. Der Generalsekretr des Handelstags, Soetbeer, widmete dem „Einfluß des Krieges auf Vertrge zwischen Angehçrigen der kriegfhrenden Staaten“ ein ausfhrliches Referat, in dem er die Rechtslage und die Standpunkte noch einmal darlegte. Die englische Auffassung beruhte nach Soetbeer auf der Ansicht, „dass man nicht den Staat von den Menschen, die ihn bildeten, trennen und die Wirkung des Krieges auf den Staat beschrnken kçnne und dass, je empfindlicher die Folgen des Krieges seien, um so mehr seine Beendigung beschleunigt werde.“ Dies sei aber berholt in einer Zeit, in der man sich mehr und mehr um die „Milderung der Folgen des Krieges“ bemhe und generell der Auffassung zuneige, „dass der Krieg nur zwischen Staaten gefhrt werde“. In den anschließenden Diskussionen wurde von verschiedenen Seiten auf die Gefahren hingewiesen, die von einem allgemeinen britischen Zahlungsverbot im Krieg ausgingen. Der Vertreter des Auswrtigen Amtes erklrte, daß man nicht absehen kçnne, wie Großbritannien sich im Falle eines großen Krieges verhalten werde, weil Przedenzflle seit hundert Jahren nicht mehr vorgekommen seien. Insgesamt war man sich einig, daß das englische Recht durch einen internationalen Vertrag gendert werden msse, es wurden aber weiterhin keine anderen Handlungsmçglichkeiten als die Beeinflussung der çffentlichen Meinung in Großbritannien entdeckt. Die Kaufleute beklagten sich ber die nur zçgerliche Untersttzung, die ihnen hierbei seitens des Auswrtigen Amtes zuteil wurde. Der Handelstag entschied, die deutschen

87 Aufz. AA (Simons), „Besprechung im RAI ber Maßnahmen zum Schutze deutscher Versicherter bei englischen Gesellschaften“, 30. 4. 1913, AA an RAI, 31. 12. 1912, BAL R 3001/7676. Anders als die meisten Versicherungszweige, fr die das Aufsichtsamt fr Privatversicherungen derartige Auflagen verhngen konnte, unterstand das Transportversicherungsgewerbe in Deutschland damals keinerlei Aufsicht: Umbach, S. 415. 88 Deutscher Handelstag, Bericht ber die internationale Getreideversammlung in Berlin, 18.–19. 6. 1913, BAL R 901/2379; Berliner Tageblatt, Madrider Kongreß, 11. 10. 1913; Vossische Zeitung, Rechtsverhltnisse, 13.11.1913.

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Kaufleute ber die Gefahren des Versicherungsabschlusses in Großbritannien zu informieren.89

Der Schutz des Privateigentums im Seekrieg In der Frage des Schutzes des Privateigentums auf See hatten Preußen und das Deutsche Reich seit langem die Auffassung vertreten, daß angesichts der Abhngigkeit Deutschlands von auslndischen Rohstoffen und der beherrschenden Position der Royal Navy eine mçglichst weitgehende Einschrnkung des Rechts auf Wegnahme feindlicher Handelsschiffe anzustreben sei. Seit der Pariser Konvention von 1856 galt zumindest die unter neutraler Flagge transportierte oder in neutralem Besitz befindliche Ware als geschtzt, es sei denn, es handele sich um fr die Kriegfhrung geeignete sogenannte „Konterbande“. Allerdings gelang nie eine Einigung darber, welche Waren Konterbande darstellten. Beschrnkte sich dies auf Kriegsmaterial, oder fielen darunter sogar Getreidelieferungen, welche die Widerstandskraft des Feindes strken konnten? Ein preußischer Erlaß von 1866 verbot preußischen Kriegsschiffen das Aufbringen feindlicher Handelsschiffe, solange der Kriegsgegner hier Gegenseitigkeit bte. Unter dem Einfluß der Flottenpolitik nderte sich die deutsche Position jedoch. Dieser Entscheidung gingen lange und kontroverse Diskussionen zwischen allen betroffenen Dienststellen voraus, die erst durch ein – wie blich zugunsten der Position von Militr und Marine ausfallendes – Machtwort des Kaisers entschieden wurden.90 Einig waren sich die an diesen Diskussionen Beteiligten, daß die deutsche Position auf der Haager Konferenz „lediglich aus Grnden der Zweckmßigkeit bestimmt werden“ sollte, „wobei stets die Frage aufzuwerfen ist: Schadet oder ntzt uns die Beibehaltung oder die Abschaffung?“91 Auf die Frage, ob der Schutz des Privateigentums zur See im deutschen Interesse lag, gab es allerdings ganz unterschiedliche Antworten. Im Grunde handelte es sich um eine Frage der Seekriegsstrategie: Konnte sich das Deutsche Reich im Falle eines Krieges auf rechtliche Regeln oder auf den Druck neutraler, an der Sicherheit des eigenen Handels auch mit Deutschland 89 Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstages vom 14. und 15. November 1913, 29. 4. 1914, BAL R 901/2380; Einfluss des Krieges auf Vertrge zwischen Angehçrigen der kriegfhrenden Staaten, Vortrag gehalten am 18. Mrz 1914 in der Vollversammlung des Deutschen Handelstages von Dr. Soetbeer, Generalsekretr des Deutschen Handelstages, BAL R 3001/7676. 90 Dlffer, Naval Warfare; Hattendorf; Hobson, S. 70 ff.; Offer, S. 271 f. Der Hinweis auf den preußischen Erlaß von 1866 findet sich in der Stellungnahme des RAI zum Seebeuterecht, Anl. zu Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334; vgl. auch v. Liszt, 6. Aufl., S. 323. 91 So der Botschafter in London, Metternich, an Blow, 12. 5. 1907, BAL R 901/36316 (auch in GP 23/2, Nr. 8008).

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interessierter Mchte verlassen, um die Sicherheit seiner Lebensmittel- und Rohstoffversorgung ber See zu garantieren? Bedurfte es als aufstrebende Seemacht des Seebeuterechts als Instrument einer wirtschaftlichen Kriegfhrung? Die deutsche militrische Planung war bis etwa 1905 auf einen kontinentalen Krieg abgestellt, in dem Großbritannien neutral sein wrde. Erst danach begann man mit einem deutsch-britischen Krieg und der Mçglichkeit einer Blockade durch die britische Flotte zu rechnen, was eine nicht unerhebliche Umorientierung mit sich bringen mußte, betrug doch der Anteil des Seehandels am gesamten deutschen Außenhandel zu diesem Zeitpunkt etwa 70 %; der Anteil des Seehandels an der Einfuhr lag sogar bei 75 %. Konsequenzen wurden aber nur teilweise gezogen.92 Die zivilen Ministerien – insbesondere das Auswrtige Amt, das fr Wirtschaftsfragen zustndige Reichsamt des Innern und das preußische Handelsministerium – befrworteten weiterhin die Abschaffung des Seebeuterechts, wie es schon bei der ersten Haager Konferenz von 1899 die damals auch von der Marine mitgetragene deutsche Position gewesen war.93 Es sei Deutschland unmçglich, den Schutz seiner Handelsschiffe auf den Weltmeeren militrisch zu garantieren, und ein weitgehender Schutz des Privateigentums auf See wrde im Kriegsfall die Versorgung Deutschlands mit Waren ber neutrale Hfen sichern. Das Reichsamt des Innern argumentierte zudem, daß die Schdigung des deutschen Handels und der deutschen Schiffahrt in einem deutsch-englischen Kriege das wesentliche Kriegsziel Großbritanniens sein und daher die „Aufhebung des Seebeuterechts eine der wirksamsten Garantien fr die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen zwischen Deutschland und England geben“ wrde.94 Die Marine hingegen hielt das Seebeuterecht fr ein entscheidendes Instrument der Abschreckung und nçtigenfalls auch der Kriegfhrung gegen Großbritannien. Zwar war die deutsche Flotte zum Zeitpunkt der Vorbereitung auf die Haager Konferenz noch nicht in der Lage, den britischen Handel ernsthaft zu bedrohen, doch rechnete man damit, daß sich das in absehbarer Zeit ndern wrde: „Wir hoffen durch die Anwendung des Seebeuterechts in nicht zu ferner Zukunft England schdigen und in seinen Lebensbedingungen bedrohen zu kçnnen.“ Im Kriegsfall wrde das Seebeuterecht der deutschen Marine eine wirtschaftliche Kriegfhrung gegen Großbritannien gestatten; sollte die Flotte eine große Seeschlacht verlieren, wre der Kleinkrieg gegen den britischen Handel das einzige Mittel, mit dem sie noch gegen Großbri92 Burchardt, S. 72; Strachan, S. 1016 ff. berdies wurden nach Informationen des Handelstages 70 % des nach Deutschland gelangenden Getreides auf britischen Schiffen transportiert: Bericht ber die Sitzung der Unterkommission des Deutschen Handelstages betr. Unabhngigkeit von England vom 2. 6. 1915, 3. 9. 1914, Abschnitt „Getreideeinfuhr“, BAL R 901/2381. 93 Dlffer, Naval Warfare, S. 27. 94 Stellungnahme des RAI zum Seebeuterecht, Anl. zu Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334.

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tannien vorgehen kçnnte. Insgesamt rechnete Tirpitz aber eher mit dem Abschreckungseffekt des Seebeuterechts: Er glaubte, daß die Londoner City aus Handelsneid auf einen Krieg gegen Deutschland drngte und sich durch die Drohung mit Maßnahmen gegen den britischen Handel von diesen Plnen abbringen lassen wrde. Schließlich argumentierte Tirpitz, die Briten wrden sich ohnehin nicht an ein Verbot des Seebeuterechts halten, und wenn sie es doch tten, kçnnten sie den gleichen Zweck, nmlich die Zerstçrung des deutschen Seehandels, auch durch eine Blockade erreichen.95 Darber hinaus war es aus der Sicht der Marine grundstzlich falsch, auf das einzige Mittel der wirtschaftlichen Kriegfhrung zur See zu verzichten, denn der Seekrieg beeintrchtige, anders als die Schlachten, Belagerungen und Besatzungen des Landkriegs, die gegnerische Bevçlkerung kaum: Der Marine fehlten diese Mittel, das feindliche Volk den Krieg fhlen zu lassen, sie kann es nur gefgig machen, indem sie sich an die Zugnge zur See setzt und ihm hier Schaden zufgt. Hierzu muß sie aber weitgehende Bewegungsfreiheit haben.96

Privates Eigentum von der Kriegfhrung auszunehmen, erschien Tirpitz widersinnig, da die Profite des Außenhandels und die importierten Waren zur militrischen Strkung des Gegners beitrgen und ein „Krieg gegen Sachen“ immer noch humaner sei als einer gegen Personen. „Unterbindet man dem Feinde den Seehandel, so unterbindet man damit eine Lebensader, schwcht seine Kampfkraft und bringt eine Maßregel zur Anwendung, die ebenso militrisch ist, wie die Vernichtung seiner Streitkrfte.“ Eine Schonung des Privateigentums wrde darauf hinauslaufen, „gewissen geschftlichen Interessen im Kriegsfall weitgehend Rechnung zu tragen, und dadurch das eigentliche Ziel, die Außerkraftsetzung des Gegners, zu erschweren.“ Wenn aber das Privateigentum auf See geschtzt werden solle, dann msse man auch das vor allem den Briten zugute kommende Kriegsmittel der Blockade abschaffen. Die Abschaffung des Seebeuterechts sei als eine englische List zur Schwchung der deutschen Position zu betrachten.97 Fr das Auswrtige Amt schließlich argumentierte der Botschafter in London, Metternich, daß die Erfolge des deutschen Handels – anders als die Marine und die anderen Ministerien glaubten – keineswegs den Grund fr die Spannungen im deutsch-britischen Verhltnis darstellten. Nicht der kommerzielle Erfolg, sondern die Flottenpolitik beunruhige die Briten, und die City sei am ruhigen Gang der Geschfte und damit am Frieden interessiert. Als 95 Stellungnahme der Marine zum Seebeuterecht, Anl. zu Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334. 96 Ebd. 97 Ebd.; Entgegnung der Marine, Anl. zu Aufz. AA ber das von der russischen Regierung vorgeschlagene Programm der zweiten Haager Friedenskonferenz, 31. 12. 1906, BAL R 901/36334. Zur Position Tirpitz’ vgl. auch GP 23/2, Nr. 8003, 8006, 8007; Burchardt, S. 184 – 188; Offer, Kap. 22, 23.

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Abschreckungsmittel gegen die City sei das Seebeuterecht daher berflssig. Seine Abschaffung wrde Großbritannien das gefhrlichste Mittel der Kriegfhrung gegen Deutschland aus der Hand nehmen. Die Marine argumentiere politisch und çkonomisch, vernachlssige aber die militrischen Realitten: Anders als die Royal Navy sei die deutsche Flotte berhaupt nicht in der Lage, den gegnerischen Handel entscheidend zu treffen. Ein ein militrisches Vorgehen gegen den Handel wrde fr die Briten hçchstens eine „Belstigung“ darstellen, fr Deutschland dagegen eine empfindliche Schwchung.98 Das Auswrtige Amt schloß sich den Ausfhrungen Metternichs an. Es unterschied eine wirtschaftliche und eine militrische Argumentationslinie. Wirtschaftlich betrachtet wrde ein deutsch-englischer Krieg unter den gegenwrtigen Rechtsverhltnissen den sofortigen Verlust der gesamten deutschen Handelsflotte bedeuten. Militrisch sei strittig, ob Deutschland das Seebeuterecht zu seinen Gunsten wrde nutzen kçnnen, und ob Großbritannien auch nach Abschaffung des Seebeuterechts Handel und Versorgung durch eine Blockade Deutschlands wrde zerstçren kçnnen. Wichtig war fr das AA, daß das Deutsche Reich durch die Stellungnahme zugunsten der Abschaffung des Seebeuterechts „wenigstens in einer besonders wichtigen und in der ffentlichkeit hervortretenden Frage die Grundstze der Humanitt und der friedlichen Entwicklung“ vertreten wrde, wenn es schon sonst stets maximale Handlungsfreiheit beanspruche und rechtliche Bindungen ablehne. Man solle daher, unter der Bedingung, daß alle Mchte zustimmten, die Abschaffung des Seebeuterechts verlangen.99 Gegenber Tirpitz sprach sich Wilhelm II. dafr aus, dem Verlangen der Marine nach Erhalt des Seebeuterechts stattzugegeben. In den Instruktionen fr die deutsche Delegation wurde die Frage offengelassen. Sollte sie auf der Konferenz erçrtert werden, hatten die deutschen Delegierten zu erklren, daß Deutschland seit jeher fr die Abschaffung des Seebeuterechts eingetreten sei, diese Frage aber nur einen Teil des Problems des Schutzes des Privateigentums zur See bilde und nur mit anderen Aspekten zusammen – gemeint war die Blockadefrage – geregelt werden kçnne. Je nach Konferenzverlauf sollte dann entschieden werden, „ob und nach welchen Richtungen es noch weiterer Instruktionen an die Delegation bedarf.“100 Diese Notwendigkeit ergab sich nicht. Mit Erleichterung nahm man auf deutscher Seite zur Kenntnis, daß auch Großbritannien fr die Beibehaltung des Seebeuterechts eintrat. Auf englischer Seite hatten hnliche Debatten wie 98 Metternich an AA, 21. 3. 1907, BAL R 901/36314; Metternich an RK, 12. 5. 1907, BAL R 901/36316 (bzw. GP 23/2, Nr. 8008). 99 Zweites Votum des AA in der Frage des Seebeuterechts, 15. 5. 1907, BAL R 901/36315. Das Reichsjustizamt war nur am Rande beteiligt. Es verwies vor allem darauf, daß Garantien fr die Einhaltung eines Verbots der Prisennahme nicht mçglich seien: RJM, Votum zur Frage des Seebeuterechts, 23. 5. 1907, BAL R 901/36316. 100 GP 23/2, Nr. 8009; Blow an Marschall, 14. 7. 1907, BAL R 901/36318.

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in Deutschland stattgefunden, auch innerhalb der Liberalen Partei, wo die Gruppe um Campbell-Bannerman „fr ausgedehnten Schutz des Privateigentums zur See und fr die Milderung der Hrten des Krieges“ eintrat, whrend Außenminister Grey und die Admiralitt die Ansicht vertraten, daß, „wenn berhaupt Krieg gefhrt werden muss, er auch mit den schrfsten Waffen zu fhren sei, sowohl um den Feind rascher und sicherer niederzuwerfen, als auch um das Furchtbare des Krieges den Vçlkern einzuprgen“. Diese letztere Auffassung setzte sich dann durch.101 Auf der Konferenz traten die Briten fr die Beibehaltung des Seebeuterechts ein, whrend das Deutsche Reich einen amerikanischen Antrag auf Abschaffung des Seebeuterechts untersttzte, dies allerdings unter dem Vorbehalt, daß auch die Fragen von Blockade und Konterbande geregelt wurden, womit niemand rechnete – fr den franzçsischen Delegierten Bourgeois „une mani re tr s lgante de dire ,non‘ en disant ,oui‘.“ Der deutsche Delegierte Marschall war mit dieser Reaktion zufrieden und nahm sie als „ein Zeugnis dafr, dass unsere Taktik richtig war.“102 Hinter den Kulissen waren sich die maßgeblichen Krfte in Großbritannien und Deutschland einig, daß kriegfhrende Mchte ein Recht auf die Wegnahme in feindlichem Privatbesitz befindlicher Handelsschiffe und Waren haben sollten. Um auf dieser Grundlage eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen, wurde fr 1908/09 eine internationale Konferenz in London einberufen, auf der Regelungen fr Blockade, Konterbande, den Flaggenwechsel von Handelsschiffen und die Einrichtung eines internationalen Prisengerichtshofs beschlossen wurden.103 Die „Londoner Erklrung“ wurde jedoch von keinem maßgeblichen Staat ratifiziert. Die entscheidenden seestrategischen Entwicklungen der Zeit zwischen der Haager Konferenz und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fanden anderswo statt: 1911/12 entschied sich Großbritannien fr eine mit den bisherigen seerechtlichen Regeln nicht zu vereinbarende Strategie der Absperrung der gesamten deutschen Einfuhr durch eine Fernblockade, und das Aufkommen der Unterseeboote weitete die Mçglichkeiten der Handelskriegsfhrung aus und bedeutete zugleich eine neue Eskalationsstufe in der Kriegfhrung gegen Privatpersonen und ihr Eigentum, da Unterseeboote die Mannschaften und Passagiere der angegriffenen Schiffe weder warnen noch retten konnten.104

101 Metternich an AA, 21. 3. 1907, BAL R 901/36314; vgl. auch The Times, Capture, 18. 7. 1907, und umfassend Offer, Kap. 17 – 21. 102 Marschall an Blow, 28. 7. 1907, BAL R 901/36351. 103 Kriege an Blow, 29. 4. 1909; Erluterungen zu den Ergebnissen der in London vom 4. Dezember 1908 bis zum 26. Februar 1909 abgehaltenen Seekriegsrechtskonferenz, o.D., BAL R 901/36359; Niemeyer, Seekriegsrecht. 104 Offer, S. 283 f., 297.

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Krieg und kaufmnnischer Internationalismus In den hier betrachteten militrstrategischen berlegungen kamen bestimmte Auffassungen von der Rolle privaten Eigentums im zwischenstaatlichen Krieg zum Ausdruck. Die Londoner Times faßte die diesbezglichen Positionen auf der Haager Konferenz wie folgt zusammen: Die britischen Vorschlge liefen darauf hinaus, die Rechte und Interessen der Neutralen zu schtzen und eine Ausweitung von Kriegen zu verhindern, „while the principal aim of the American and German schemes is to relieve the belligerents from the economic consequences of the war.“105 Wie geschildert, entsprach die deutsche Stellungnahme zugunsten einer Abschaffung des Seebeuterechts nicht den politischen Machtverhltnissen im Deutschen Reich, da Heer und Marine sich in der Sache mit ihrem Votum fr eine Beibehaltung des Seebeuterechts durchgesetzt hatten. Die Marine sttzte ihre Stellungnahme dabei auf prinzipielle Argumente, deren Plausibilitt nicht leicht von der Hand gewiesen werden kann: Die Rcksichtnahme auf privates Eigentum im Krieg sei, so ließe sich in Anlehnung an die entsprechenden Regeln im Landkrieg sagen, nicht grundstzlich erreichbar oder wnschbar, sondern hçchstens dann, wenn die Zerstçrung privaten Eigentums keinen militrischen Zwecken diente. Wie von Tirpitz wiederholt hervorgehoben, war auch die britische Admiralitt nicht geneigt, sich durch vçlkerrechtliche Bindungen an einer wirtschaftlichen Kriegfhrung hindern zu lassen. Ganz wie von der Marine vorausgesehen, wurde der Erste Weltkrieg zum Wirtschaftskrieg, in dem es um die Zermrbung der gegnerischen Volkswirtschaft und der Widerstandsfhigkeit der Bevçlkerung ging. Im Rckblick problematisch an der Argumentation Tirpitz’ war nicht seine Skepsis gegenber der Mçglichkeit, den Einfluß des Krieges auf privates Eigentum und private Handelsbeziehungen zu begrenzen, sondern seine Analyse der deutschen Interessen, die auf einer berschtzung der deutschen Schlagkraft im Seekrieg und einer Unterschtzung der Bedeutung des berseehandels fr die Versorgung Deutschlands im Kriege beruhte. Da sich Tirpitz in den innerdeutschen Debatten durchsetzte, war die deutsche Politik auf der Haager Konferenz von den Interessen eines dereinst maritim hochgersteten Deutschlands bestimmt, nicht aber von den Interessen des Deutschen Reiches angesichts des bestehenden und fr die nchsten Jahre finanzierbaren Standes seiner Seerstung.106 Außerordentlich weit verbreitet in diplomatischen und wirtschaftlichen Kreisen war die Gegenposition, nach der eine strkere Abschottung der Sphre privaten Eigentums und privater Handelsbeziehungen gegenber den zwischen Staaten gefhrten militrischen Auseinandersetzungen nicht nur im 105 The Times, Capture, 18.7.1907. 106 So auch Hobson, S. 270 – 282, 330 und Offer, S. 340 f., 404 f.

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deutschen Interesse lag, sondern auch dem „Zug der Zeit“ entsprach. Die meisten in Kreisen der Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften angestrengten berlegungen ber die wirtschaftlichen Verhltnisse im Falle eines Krieges gingen vom Fortbestand normaler weltwirtschaftlicher Verhltnisse auch whrend der Feindseligkeiten aus; ein Wirtschaftskrieg lag außerhalb ihres Horizonts.107 Das Auswrtige Amt, das Reichsamt des Innern und das preußische Handelsministerium bemhten sich aktiv um die Weiterentwicklung des Vçlkerrechts in diese Richtung. Sie sahen sich dabei im Einklang mit dem sich fortentwickelnden Rechtsempfinden – dem, „was zu einer gegebenen Kulturstufe in das moralische Bewußtsein der Menschen eingedrungen ist, wo der Zuwiderhandelnde als mit Schmach und Schimpf bedeckt dasteht“. Die Entwicklungsrichtung galt als unstrittig, und die Mçglichkeiten der Staatsleitungen, sie umzukehren, angesichts der notwendigen Rcksichtnahme auf die çffentliche Meinung als begrenzt. Die Frage schien lediglich zu sein, ob man den Trend „durch feierliche internationale Abmachungen … beschleunigen“ wollte.108 Das Auswrtige Amt und andere Behçrden strebten also wie große Teile der Geschftswelt an, den Einfluß knftiger Kriege auf die privatrechtlichen Beziehungen unter den am internationalen Handel Beteiligten durch neu zu schaffendes Vçlkerrecht zu beschrnken. Das Projekt eines internationalen Abkommens ber den Schutz privatrechtlicher Forderungen im Krieg stellt ebenso einen – an der dilettantischen Ausfhrung gescheiterten – Versuch der Beschleunigung der erwarteten Rechtsentwicklung dar wie die Pressekampagne, mit der der Handelstag das britische Recht bezglich der Zahlungspflichten britischer Versicherer gegenber ihren deutschen Kunden in Kriegszeiten zu beeinflussen hoffte. Zwar war klar, daß es keine effektive Sanktionsinstanz zur Durchsetzung solcher rechtlicher Regeln gab. Immerhin aber wrden sie den Schutz der internationalen Wirtschaftsbeziehungen im Krieg deutlich verbessern, da ein rechtsbrchiger Staat sich vor der çffentlichen Meinung rechtfertigen, Repressalien in Kauf nehmen und auch selbst auf den Schutz seines Handels durch das Vçlkerrecht verzichten mußte.109 Nur Heer und Marine, die von vornherein planten, das Vçlkerrecht zu brechen, wo es militrischen Zielen im Wege stand, waren solchen vçlkerrechtlichen Innovationen gegenber begreiflicherweise skeptisch. Der Handelstag wollte an dem Grundsatz, daß „der Krieg nur zwischen den Staaten und nicht zwischen den Staatsangehçrigen ausgefochten wird“, auch noch nach Kriegsausbruch festhalten und nur gegenber Großbritannien, das deutsche Forderungsrechte nicht anerkannte, Vergeltung gebt wissen. In der Tat erließ das Deutsche Reich anders als etwa Großbritannien kein generelles Verbot des Handels mit 107 Barth, Hochfinanz, S. 342 – 438. 108 Ganz besonders deutlich wird dies bei Metternich, von dem auch die Zitate stammen (Metternich an RK, 12. 5. 1907, BAL R 901/36316, bzw. GP 23/2, Nr. 8008). 109 Dlffer, Naval Warfare, S. 26.

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dem Feind. Vor diesem Hintergrund wird verstndlich, warum sich eine derart heftige Enttuschung ber den britischen Wirtschaftskrieg als angeblich scheinheilige Abkehr von zivilisatorischen Prinzipien verbreiten konnte.110 Der „kaufmnnische Internationalismus“ als Ordnungsmuster der internationalen Beziehungen gewinnt deutlichere Konturen, wenn man sich auf das dritte fr das Deutsche Reich wichtige Thema der Haager Friedenskonferenz zurckbesinnt: die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel zur Vermeidung von Kriegen. Kaufmnnische Interessenvertreter aus Deutschland nahmen hier eine sehr spezifische Haltung ein. Auf dem internationalen Handelskammerkongreß 1912 in Boston beispielsweise kam es zu heftigen Auseinandersetzungen ber die Schiedsgerichtsbarkeit, weil die deutsche Delegation unbedingt das Projekt der Schiedsgerichtsbarkeit fr Streitigkeiten zwischen Staaten und Privatleuten auf die Tagesordnung bringen wollte, die von den Angelsachsen gewnschte Befassung des Kongresses mit der Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel zwischenstaatlicher Konfliktlçsung aber vehement ablehnte. Mit ihrer Opposition gegen eine derartige „Kundgebung fr den Frieden unter den Vçlkern“ blieb sie allerdings isoliert.111 Konflikte zwischen eher privatwirtschaftlich und eher machtstaatlich orientierten Auffassungen vom Status des Privateigentums im Krieg fanden sich auch in anderen Staaten. Charakteristisch fr den Ton der Debatten in Deutschland ist aber die Kombination unbeschrnkter machtstaatlicher Interessenpolitik mit einem weitgehenden Schutz des Privateigentums. Von der Bedeutung des Friedens unter den Vçlkern fr den Wohlstand der Nationen, die angelschsische Denker wie Norman Angell so sehr betonten, hielt man beim Handelstag offenbar wenig. Weltpolitik und wirtschaftliches Wohlergehen suchte man statt dessen durch die Abschottung der Sphre der Weltwirtschaft gegen diejenige der Weltpolitik miteinander zu vereinbaren. In diesem kaufmnnischen Internationalismus war das Ziel eine strikte Trennung wirtschaftlicher und politischer Sachverhalte, damit beide nach ihrer jeweils eigenen Logik funktionieren kçnnten. Kam der Staat mit wirtschaftlichen Dingen in Berhrung, so hatte er sich der privatwirtschaftlichen Logik zu unterwerfen; vertrat er hingegen das „nationale Interesse“, sollten seiner Souvernitt keine Schranken auferlegt werden. Dieser weit verbreiteten Auffassung zufolge war den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands eher durch die vçlkerrechtliche Einhegung des Krieges als durch eine konsequente Friedenspolitik gedient.

110 Bericht ber die Sitzung des Ausschusses des Deutschen Handelstages vom 15. 9. 1914, 13. 11. 1914, BAL R 901/2381. Zur Behandlung feindlichen Privateigentums im Krieg vgl. Nußbaum, Wirtschaftsrecht, § 29; zur deutschen Perzeption der britischen Kriegfhrung Koskenniemi, S. 215; Jçhlinger, Wirtschaftskrieg. 111 Vgl. oben Kap. I.4.b. Zitat: 8. Vollversammlung des Deutschen Handelstages in Berlin am 19. und 20. Februar 1913. Stenographischer Bericht, Berlin 1913, BAL R 901/2379.

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(c) Schwindelfirmen, Informationen, informeller Einfluß „In noch weit strkerem Maße als im Inlandgeschft [sic] kommt es beim Export darauf an, nicht nur berhaupt zu verkaufen, sondern nur an zahlungsfhige und zahlungswillige Kunden zu verkaufen.“112 Informationen ber die Seriositt potentieller Geschftspartner sind um so wichtiger, je weniger Aussicht auf ein erfolgreiches juristisches oder schiedsgerichtliches Vorgehen gegen Vertragsbrchige besteht und je lnger die eingerumten Zahlungsfristen sind. Viele der immer wieder empfohlenen Sicherungsmittel wie die Lieferung nur gegen Vorkasse oder die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts erwiesen sich in der Praxis als gutgemeinte, aber wertlose Ratschlge: Es kam hufig genug vor, daß der Kunde eben nur auf Kredit oder gar nicht kaufen konnte, daß die Konkurrenz lngere Zahlungsfristen anbot, daß die Forderung nach Barzahlung oder einem Bankakkreditiv als Ausdruck des Mißtrauens gewertet wurde und das Zustandekommen einer Geschftsbeziehung von vornherein verhinderte.113 Auch vertragsrechtliche Absicherungen griffen nicht immer ; das Konzept des Eigentumsvorbehalts etwa war in vielen Rechtssystemen nicht bekannt und dieser daher nicht wirksam.114 Fr eine Geschftsbeziehung und erst recht fr Lieferungen auf Kredit war also ein gewisses Vertrauen unabdingbar ; im Geschftsverkehr mit Unbekannten konnte es durch die Abschwchung der „Informationsasymmetrie“ zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer erhçht werden.115 Informationsbeschaffung verursacht Kosten, was nicht erst die Institutionençkonomik entdeckte, sondern bereits den handelspraktischen Lehrwerken vergangener Zeiten bekannt war. Die in der Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst in den USA entstandenen privaten Kreditauskunfteien konnten die bençtigten Informationen zu einem vertretbaren Preis anbieten, waren aber dennoch darauf angewiesen, mit ihrer Ttigkeit einen Profit zu erzielen. Die Forderung nach einer Entlastung von solchen Kosten durch eine strkere Rolle der Konsulate bei der Sammlung und Verbreitung von Handelsausknften gehçrte zum Standardrepertoire der deutschen Exportwirtschaft.116 In der Tat bemhten sich das Auswrtige Amt und seine Auslandsvertretungen um die Sammlung und Verbreitung von Informationen ber allgemeine wirtschaftliche Verhltnisse in den verschiedensten Gebieten der Erde, aber auch ber konkrete auslndische „Schwindelfirmen“. Außerdem suchten sie auch das Auftreten deutscher Firmen und Geschftsleute im Ausland im Interesse des Rufes der deutschen Wirtschaft zu kontrollieren. 112 113 114 115 116

Schck, S. 207. Schck, S. 144 f.; DIHT an Reichsnachrichtenstellen, 24. 4. 1929, BAL R 11/1292. Schck, S. 62 ff.; Stulz. Berghoff, S. 142. Ullmann.

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Wirtschaftsausknfte der Konsulate bis 1918 Es gehçrte zu den Aufgaben der Konsulate, Berichte ber Firmen zweifelhaften Geschftsgebarens in ihrem Amtsbezirk zu sammeln. Das Auswrtige Amt legte besonderen Wert auf Berichterstattung ber Firmen, die sich in betrgerischer Absicht an das Publikum in Deutschland oder an breitere Wirtschaftskreise wandten. Gngig war etwa die Werbung fr hochspekulative bçrsennotierte Papiere in Broschren (den Vorlufern heutiger Spam-Mails mit heißen Bçrsentips) oder das Angebot von Krediten oder Waren, wobei der Anbieter nach Einstreichen einer Provision oder Anzahlung nichts mehr von sich hçren ließ.117 Zugleich warnten die Konsulate und das Auswrtige Amt regelmßig deutsche Hndler vor einer „leichtsinnigen Kreditgewhrung“ an Kufer im Ausland, insbesondere an Kleinabnehmer in Rußland. Die Konsulate besaßen bei der Entscheidung, ob sie geschdigten Exporteuren ihre Untersttzung bei der Eintreibung ausstehender Forderungen leihen wollten, einen gewissen Spielraum, den sie stets zugunsten der Inaktivitt auslegten: Zum einen hielten sie ihre Intervention gegen zahlungsunwillige kleine Schuldner fr aussichtslos, zum anderen glaubten sie, durch die Befassung mit Bagatellsachen, „deren Einziehung jeder bessere Agent, jede Bank, jedes Speditionshaus, jeder Anwalt ohne Besinnen als unter seiner Wrde ablehnen wrde“, ihr „Ansehen“ zu gefhrden und sich „lcherlich“ zu machen. Das Auswrtige Amt hielt die Konsuln zunchst an, allen geschdigten Deutschen bei der Eintreibung von Forderungen zu helfen, entschied aber spter, daß die Aussicht auf konsularische Untersttzung offenbar zu leichtfertigem Geschftsgebaren verleitete, insbesondere Versandhandelsfirmen die Dienste der Konsulate zu stark ausnutzten und diese sich nicht lnger „allgemein als bequeme und billige Inkassobureaus“ benutzen lassen sollten.118 Die „Kreditverhltnisse der Geschftswelt in ihrem Amtsbezirke“ waren also stets Gegenstand konsularischer Berichterstattung gewesen, aber im Jahre 1907 verfgte das Auswrtige Amt, daß diese Berichterstattung ausgeweitet und systematisiert werden sollte, um „unsere Handelskreise vor Schdigungen zu bewahren, welche aus der Verbindung mit kreditunwrdigen Firmen fr sie erwachsen kçnnten.“ Dabei sollten die Meldungen der Konsuln streng vertraulich behandelt und „in einer Form, welche den konsularischen Ursprung nicht erkennen lßt, den deutschen Handelskammern mitgeteilt“ werden. Lediglich ausdrcklich als zur Verçffentlichung bestimmt gekennzeichnete Nachrichten sollten frei zugnglich gemacht werden. Grund fr diese Vorsichtsmaßnahmen war die Furcht, daß Konsuln im Ausland vor 117 So verschiedene Flle im Band R 901/2704: Schwindelfirmen in England. 118 Buchhndler Block an AA, 24. 8. 1908, AA an Konsulat Moskau, 15. 9. 1908, 15. 11. 1908, 31. 1. 1909, Konsulat Moskau an AA, 12. 10. 1908, Aufz. AA, 9. 12. 1908, AA an Block, 31. 1. 1909, BAL R 901/3128.

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Gericht fr ihre Ausknfte in Handelssachen zur Verantwortung gezogen wrden, da solche Auskunftserteilung in vielen Staaten nicht als amtliche Ttigkeit anerkannt war.119 Den Forderungen der Handelskammern, solche Informationen çffentlich zugnglich zu machen, wollte das Auswrtige Amt daher keinesfalls entsprechen.120 Die Informationen ber „Schwindelfirmen“ im Ausland wurden vor dem Krieg in einer gelegentlich durch Nachtrge ergnzten gedruckten Liste gesammelt. Die Liste I („beliebig verwertbar unter Geheimhaltung der Quelle“) enthielt in ihrer ersten Fassung von 1908 nur wenige Eintrge: eine Firma in Belgien, fnf in Frankreich, drei in ganz Asien, keine aus Großbritannien und den USA, immerhin 32 aus den Niederlanden, wo zahlreiche Kreditbetrger und betrgerische Versandhndler im Geschft mit Deutschland ttig waren. Die Liste II („vertraulich“) verzeichnete eine grçßere Anzahl von Eintrgen, im wesentlichen allerdings Kleinhndler und kleine Abenteurer. Typische Beschreibungen der aufgefhrten Firmen lauten: „wird von Glubigern belagert, die fast immer leer ausgehen“; „Schikaneure, welche alle Mittel anwenden, um Zahlungen hinauszuschieben und von diesen unberechtigte Abzge zu machen“; „fauler Zahler“; „war schon einmal im Irrenhause“; „bestellt Waren, die er verschleudert und nicht bezahlt“; „Inhaber ist Analphabet und ein zweifelhaftes Subjekt (war frher Zuhlter). Er versucht, … mit heimischen Firmen in Geschftsverbindung zu treten“. Als Kriterien fr die Aufnahme in die Liste II lassen sich herausarbeiten: schlechte Zahlungsmoral; Bestellung ohne die Absicht zu zahlen; unredliche Agenten; Kleinhndler ohne Kapital; Finanzschwindler ; Kleinkriminelle. Firmen, die sich systematisch und in grçßerem Stil betrgerischen Aktivitten widmeten, waren nur wenige aufgefhrt. Einen Wert drfte die Liste wohl vor allem fr kleinere Firmen ohne Landeskenntnis gehabt haben, die sich nicht stndig im Export bettigten (Buch- und Uhrenhndler und allerlei Spezialindustrien z. B.).121 Whrend die Handelskammern die amtlichen Listen von Schwindelfirmen als durchaus ntzlich ansahen, wehrten sich die kommerziellen Wirtschaftsauskunfteien heftig gegen diesen Einbruch des Staates in ihren Geschftsbereich. In mehreren Eingaben bemngelte etwa die wichtigste deutsche Auskunftei, W. Schimmelpfeng, daß das Auswrtige Amt nicht nur vor offenkundig betrgerischen Firmen warnte, sondern sich auch auf das „subjektive Gebiet der Beurteilung kaufmnnischer Kreditverhltnisse“ vorwage, dabei aber notwendigerweise nur rasch veraltende, unvollstndige und unprzise Angaben machen kçnne. Auch beruhten die Angaben oft auf den schlechten 119 Runderlaß AA, 10. 1. 1907, BAL R 901/2688. 120 Handelstag an AA, 16. 7. 1907, BAL R 901/2688; Reichskanzler an AA, 27. 6. 1908; Merkblatt „Behandlung der Mitteilungen ber zweifelhafte auslndische Firmen“, o.D., BAL R 901/2689. 121 Zweifelhafte auslndische Firmen. Liste I (beliebig verwertbar unter Geheimhaltung der Quelle); Liste II (vertraulich), BAL R 901/2689.

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Erfahrungen einzelner deutscher Firmen, was als Unterlage fr eine allgemeine Warnung nicht ausreiche, zumal auch die deutschen Exportfirmen „allzu leicht geneigt sind, den Mißerfolg im Exportgeschft nicht in dem Mangel ihrer eigenen Leistungsfhigkeit und Umsicht, sondern in dem schikançsen Verhalten auslndischer Abnehmer zu suchen“. Dem Anspruch, „daß von amtlichen Publikationen vorausgesetzt wird, daß sie sich auf feststehende Tatsachen sttzen“, kçnnten die Listen des Auswrtigen Amtes daher nicht gerecht werden. Das Auswrtige Amt solle sich auf amtlich feststellbare Angaben wie Konkurse, Pfndungen, Wechselproteste, rechtskrftige Verurteilungen und dergleichen beschrnken und von der Weitergabe privater Informationen, subjektiver Einschtzungen und Pressenachrichten absehen. Eine konkrete geschftliche Beeintrchtigung erblickte Schimmelpfeng darin, daß das Auswrtige Amt auch von Schimmelpfeng vertraulich nur fr den Geschftsgebrauch einzelner Firmen eingeholte Ausknfte çffentlich zugnglich machte. Und grundstzlich sahen alle Auskunfteien in der Bettigung des Auswrtigen Amts „eine schdigende Durchkreuzung des berufsmßigen Auskunftsdienstes“, die durchaus unnçtig sei in einer Zeit, „wo die Krediterkundigung die Sache grçßerer und vertrauenswrdiger Privatunternehmungen geworden ist.“122 Die abschließend geußerte Warnung, durch die vom Auswrtigen Amt bereitgestellten oberflchlichen Ausknfte wrde deutschen Firmen ein falsches Gefhl der Sicherheit vermittelt, so daß sie es unterließen, sich zuverlssige Ausknfte zu besorgen, verweist deutlich auf das geschftliche Interesse, das die Kritik Schimmelpfengs motivierte; die Analyse der Listen, auf der diese Kritik aufbaut, erscheint aber dennoch gerechtfertigt. Verglichen mit der Sorgfalt, der sich bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts kommerzielle Kreditauskunfteien bedienten, erscheinen die Informationen des Auswrtigen Amtes unsystematisch, subjektiv und lckenhaft: Die kommerziellen Agenturen beschftigten besoldete und geschulte Vertrauensmnner, die – in der Regel – darauf achteten, mçglichst mehrere Quellen auszuwerten und die Informationen systematisch zusammenzustellen, erhielten von Kaufleuten freiwillig Einsicht in die Bcher, betrieben ein aufwendiges Informationsmanagement und verkauften ihre Ausknfte an Kunden in aller Welt.123 Schimmelpfeng konnte seine Kritik durch eine detaillierte, 20-seitige Analyse der einzelnen Eintrge der Liste II untermauern, die man dem Reichsamt des Innern vorlegte und deren Fazit lautete, daß die Liste „nur ungeprft das Ungnstige ber die betreffenden Firmen“ angebe, ohne die nheren Umstnde zu betrachten. Das RAI schloß sich den Vorschlgen der Auskunftei an: Viele der Angaben in den Listen seien tendenziçs, falsch oder veraltet; man

122 W. Schimmelpfeng an AA, 12. 9. 1908, BAL R 901/2690. 123 Berghoff, S. 148 – 153; vgl. auch Olegario.

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solle sich auf Tatsachenmitteilungen beschrnken und auf subjektive Stellungnahmen verzichten.124 Daraufhin legte das Auswrtige Amt Schimmelpfengs Angaben den Konsulaten zur Prfung vor, die zumeist auch einrumten, daß die Angaben auf Einzelfllen beruhten oder veraltet waren. Viele Konsuln erhielten ihre Urteile aufrecht, merkten aber zugleich an, daß man ihre Informationen nicht mit vollwertigen Kreditausknften vergleichen drfe, sondern man es eben mit „Winken“ zu tun habe und die Listen lediglich „zur erhçhten Vorsichte [sic] mahnende Wegmarken“ seien. berdies seien auch die Gewhrsleute Schimmelpfengs durch eigene geschftliche Interessen an der Erteilung objektiver Ausknfte gehindert und durch ihre gesellschaftliche Stellung oft nicht in der Lage, wie ein Konsul Ausknfte direkt von großen Bankiers und bedeutenden Großhndlern zu erhalten. Das Moskauer Konsulat rumte hingegen ein, daß es zu einer regelmßigen Beobachtung von Schwindelfirmen nicht in der Lage und daher auf zufllige Mitteilungen angewiesen sei. Schimmelpfeng habe allein in Moskau 40 Gewhrsleute, das Personal der Konsulate hingegen reiche „gerade fr die notwendigsten Arbeiten“ aus. Andererseits komme Schimmelpfeng oft zu ungerechtfertigt gnstigen Ausknften, da man dort vor allem auf die Kapitalkraft der zu beurteilenden Firmen schaue, nicht auf ihr Geschftsgebaren – und viele Firmen eben nur im Auslandsverkehr, „auf die teilweise berechtigte Scheu der auslndischen Firmen vor einer Prozessfhrung in Russland bauend, in einer oft unglaublichen Weise chikaniren“. Solche Firmen fielen dem Konsulat auf, aber nicht der Moskauer Auskunftei, die aus dem Inlandsverkehr nur gnstige Nachrichten ber die betreffenden Firmen erhalte.125 Das Auswrtige Amt zog aus den Angaben der Konsulate den Schluß, daß diese sehr unterschiedliche Kriterien fr die Aufnahme in die Schwindelfirmenliste anwandten. Es verfgte, ein Eintrag drfe nur erfolgen, „wenn das Verhalten und die Verhltnisse der betreffenden Firma auf lngere Zeit und unbedingt jede Kreditgewhrung verbieten.“ Die Entscheidung drfe „nicht von einer einzelnen Thatsache abhngig gemacht werden“, auch nicht von einer einzelnen Beschwerde eines deutschen „Geschftstreibenden“, von Vermçgenslosigkeit oder einem bereits viele Jahre zurckliegenden Konkurs. Nur wirklich kreditunwrdige Firmen seien zu melden, nicht solche, bei denen lediglich Vorsicht anzuraten sei. Gerchte drften nicht bercksichtigt werden. Dennoch mußten einige Konsulate ermahnt werden, daß ihre Mel-

124 RAI an AA mit Anlagen, 9. 3. 1909, AA BAL R 901/2690. Das RAI war vor der Schaffung des Reichswirtschaftsamts im Jahre 1917 fr Wirtschaftsfragen zustndig. 125 Runderlaß AA, 31. 5. 1909, Konsulat Varna an RK, 12. 6. 1909 (Zitat), Konsulat Galatz an RK, 17. 6. 1909, Konsulat Smyrna an RK, 19. 6. 1909, BAL R 901/2690; Konsulat Kiew an RK, 26. 9. 1909, Konsulat Moskau an RK, 1. 7. 1909, Konsulat Jassy an RK, 22. 6. 1909, Konsulat Rutschuk an RK, 26. 7. 1909, Generalkonsulat Sofia an RK, 4. 8. 1909, Konsulat Tunis an RK, 29. 7. 1909, BAL R 901/2691; Generalkonsulat Athen an AA, 11. 10. 1909, BAL R 901/2692.

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dungen weiterhin nicht den Standards gengten.126 Die verlangte Komplexittsreduktion ging manchen Konsuln allerdings zu weit, so daß das Konsulat Bukarest einreichte: eine Liste von Firmen, deren Aufnahme in die Liste nach den neuen Kriterien nicht gerechtfertigt wre, die aber kreditunwrdig waren; eine Liste erloschener oder verschollener Firmen; eine Liste inzwischen wieder kreditwrdiger Firmen; eine Liste zahlungsfhiger, aber als Schikaneure bekannter Firmen; eine Liste von Schimmelpfeng als nicht zu ermittelnd bezeichneter, aber tatschlich noch bestehender und weiterhin kreditunwrdiger Firmen; einen neuen Nachtrag zur Liste II. Detailgenauigkeit, so der Konsul, kçnne ohnehin an dem grundstzlichen Gegensatz zwischen der kommerziellen Auskunftei und dem Konsulat nichts ndern. Schimmelpfeng sei zu vorsichtig, weil die Firma etwaige Prozesse wegen Kreditschdigung frchte, und trage der allgemein bekannten Tatsache keine Rechnung, dass eine grosse Anzahl hiesiger Kommissionre und Agenten stets einige der von ihnen vertretenen Firmen aufs beste bedienen, um dadurch jederzeit einige gute Referenzen zur Hand zu haben, sie dafr aber bei passender Gelegenheit andere Huser desto grndlicher hereinlegen.127

Fhlten sich Firmen zu Unrecht auf die Liste der Schwindelfirmen gesetzt, konnten die amtlichen Stellen in Deutschland in Schwierigkeiten kommen. Das geschah beispielsweise, als der Dresdner Vertreter der (in der Tat mit zweifelhaften Geschften befaßten) „Hollndischen Bodenkreditbank“ sich gegen die Fhrung dieser Bank als Schwindelfirma in der bei der Dresdner Handelskammer vorliegenden Liste wehrte. Die Handelskammer frchtete deshalb einen Prozeß wegen Kreditschdigung (und das Reichsgericht sah den persçnlichen Kredit als ein zu schtzendes Rechtsgut an) und wandte sich an die Landesregierung, die wiederum die Beschwerde an das RAI weiterreichen wollte. Das RAI jedoch sah die Handelskammern in der Pflicht, selbst zu entscheiden, wie mit solchen Informationen umzugehen sei, denn das Prinzip der Berichterstattung ber Schwindelfirmen sei nun einmal, den amtlichen Charakter der Informationen zu verdecken. Das Problem bei der Bodenkreditbank war, daß sie Los- und Prmienanleihen vertrieb, die zwar fr den Kufer hçchst nachteilig, aber nach dem Buchstaben des Gesetzes mçglicherweise nicht verboten waren, weshalb ihr ein strafbares Verhalten nicht nachzuweisen war. Die Angelegenheit verlief nach Kriegsausbruch im Sande. Bei zahlreichen anderen Firmen, die obskure Losanleihen von den Niederlanden aus in Deutschland abzusetzen suchten, handelte es sich offenkundig um Betrger, zumeist um bereits einschlgig vorbestrafte Deutsche. Mit

126 Runderlaß AA, 12. 7. 1909, BAL R 901/2691; Schreiben des AA an einzelne Konsulate vom Sept. 1909 im selben Bande. 127 Konsulat Bukarest an AA, 5. 3. 1910, BAL R 901/2692.

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Kriegsausbruch nahm die Ttigkeit dieser Art von Schwindelfirmen offenbar ein Ende.128 Im Krieg betrieben dann zahlreiche aus Deutschland geflohene Abenteurer in den Niederlanden ihre Geschfte, und deutsche Hndler, die sich niederlndischer Verbindungen bedienten, um die zahlreichen Ein- und Ausfuhrkontingentierungen zu umgehen, waren wegen der Illegalitt ihres eigenen Vorgehens kaum in der Lage sich zu schtzen, wenn sie bei diesen Geschften selbst bervorteilt wurden.129 Besonders hufig waren Versuche, das hollndische Verbot der Ausfuhr von Fetten dadurch zu umgehen, daß man in Holland zu diesem Zweck mit Fett versetzte Schokolade einkaufte. Immer wieder kam es vor, daß die hollndischen Verkufer Vorkasse verlangten und, nachdem sie das Geld erhalten hatten, selbst die Behçrden von der geplanten verbotswidrigen Ausfuhr in Kenntnis setzten, so daß die deutschen Importeure Geld und Ware verloren. Den deutschen Konsuln war bewußt, daß es sich bei diesen zumeist kleinen hollndischen Hndlern um Personen handelte, „mit denen angesehene Firmen Geschfte nicht abschließen sollten“, und daß sich die deutschen Hndler aus eben diesem Grunde an sie wandten.130 Pikant wurde die Situation, wenn zweifelhafte Geschftsleute zugleich als „Vertrauensmann des Konsulats in Angelegenheiten der Spionageabwehr“ ttig waren und der Konsul die deutschen Außenhandelsstellen vor Geschftsverbindungen warnen mußten, ohne dabei aber seine eigenen Informationsquellen zu zerstçren.131 Auch nach dem Krieg fielen deutsche Hndler und selbst Stadtverwaltungen immer wieder auf die Angebote hollndischer Schwindler herein, die Lebensmittel anboten, die sie aufgrund von Ausfuhrverboten gar nicht liefern durften, und es lediglich darauf abgesehen hatten, Vorschsse einzustreichen.132 Insgesamt lßt sich feststellen, daß die Auskunfterteilung ber Schwindelfirmen durch das Auswrtige Amt nicht problemlos vonstatten ging. Die Konsulate waren in der Regel geneigt, die Geschftsmoral der Firmen in ihrem Amtsbezirk kritisch zu beurteilen. In ihrer offiziellen Position sahen die Konsuln die Mçglichkeit, ungeschçnte Ausknfte zu erteilen, ohne wie private Auskunfteien Rcksichten auf eventuelle Haftungsfragen und eigene Geschftsinteressen nehmen zu mssen.

128 RAI an AA, 28. 5. 1911, Staatsanwaltschaft Kassel an RJA, 20. 12. 1912, Generalkonsulat Amsterdam an RK, 22. 2. 1913, 9. 4. 1913, RJA an AA, 22. 3. 1913, BAL R 901/2725, Generalkonsulat Amsterdam an RK, 26. 5. 1913, BAL R 901/2726. 129 Vgl. zahlreiche Schriftstcke in BAL R 901/2726 und im folgenden Band. 130 Konsulat Rotterdam an RK, 16. 8. 1918, BAL R 901/2727. 131 Konsulat Maastricht an RK, 5. 2. 1918, BAL R 901/2727. 132 Generalkonsulat Amsterdam an RK, 24. 12. 1918, Konsulat Rotterdam an RK, 20. 2. 1919, BAL R 901/2727.

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Das Auswrtige Amt und die Aktivitt „unreeller“ deutscher Firmen im Ausland Das Auswrtige Amt sah es als seine Aufgabe an, das „Ansehen des deutschen Kaufmannsstandes“ zu schtzen, das die Konkurrenten durch bestndige Propaganda in Zweifel zu ziehen suchten. Dazu gehçrte auch, daß man in Fllen, wo deutsche Firmen sich tatschlich nicht entsprechend der Geschftsmoral verhielten, auf diese Firmen einwirkte, um der auslndischen Konkurrenz jede Mçglichkeit zu nehmen, solche Vorflle „fr ihre Zwecke auszuschlachten“. Bei aller Parteilichkeit zugunsten vermeintlich oder wirklich geschdigter deutscher Firmen im Ausland betrachteten die deutschen Beamten auch Beschwerden aus dem Ausland ber deutsche Firmen grçßtenteils als berechtigt. Besonders wachsam war man, wenn es um Lieferungen an auswrtige Behçrden ging, so etwa, als Mannesmann im Jahre 1919 der schweizerischen Obertelegrafendirektion immerhin 64 km Rçhren anbot, den daraufhin erteilten Auftrag aber ablehnte, weil inzwischen ein lukrativeres Geschft aus Indonesien winkte. Diese Aufmerksamkeit schenkte das Auswrtige Amt nicht nur Großauftrgen; auch ein eher alltgliches Geschft wie die Lieferung unbrauchbarer Putzwolle an die anatolische Eisenbahngesellschaft im Jahre 1907 bewog das Amt, „mndlich und vertraulich in geeignet erscheinender Weise“ mit der Berliner Lieferfirma in Kontakt zu treten.133 Gerade bei noch relativ unerprobten neuen Technologien wie dem Lastkraftwagen achtete das Auswrtige Amt darauf, daß auch Einzelgeschfte zur Zufriedenheit der auslndischen Kunden abgewickelt wurden, da man darauf hoffte, daß die deutsche Automobilindustrie bei grçßeren Regierungsbestellungen bercksichtigt wrde. Deshalb trat das Auswrtige Amt ber das preußische Handelsministerium auch an die Berliner „Neue Automobil-Gesellschaft“ heran, die 1907 an eine bulgarische Transportfirma an Stelle des bestellten Neufahrzeugs ein schwcheres und bereits veraltetes gebrauchtes geliefert hatte. Unter offiziellem Druck willigte die Neue Automobil-Gesellschaft schließlich ein, das Fahrzeug zurckzunehmen und Schadensersatz zu zahlen; die bulgarische Firma verzichtete darauf, ihre Anschuldigungen çffentlich zu machen.134 Ganz offensichtlich war es nicht unblich, daß deutsche Firmen der unterschiedlichsten Branchen versuchten, bei Kunden im Ausland durch den Versand minderwertiger Ware einen schnellen Extraprofit herauszuholen. Flle, die zur Kenntnis des Auswrtigen Amts gebracht wurden, betrafen z. B. medizinische Gerte (die pikanterweise fr die Kriegstauglichkeit des Lehr133 AA an preuß. Ministerium fr Handel und Gewerbe, 30. 9. 1919, Generalkonsulat Konstantinopel an RK, 5. 8. 1907, BAL R 901/2695/3. 134 Generalkonsul Sofia an RK, 7. 9. 1907, 2. 11. 1907, BAL R 901/2965/4 und weitere Schriftstcke im selben Band.

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krankenhauses in Konstantinopel nçtig waren, so daß erneut der Ruf der deutschen Wirtschaft an entscheidender Stelle auf dem Spiele stand),135 Zementlieferungen nach Rußland (ein wichtiger Markt, den man nicht durch die Aktivitten einzelner unredlicher oder nachlssiger Firmen verderben wollte),136 die „notorisch“ schlechten Waggons, die die Firma Wegmann in Kassel an verschiedene Bahnlinien in China lieferte (wieder ein wichtiger Markt, auf dem man auch im Geschft mit Anleihen, Schienen und Lokomotiven zum Zuge zu kommen hoffte, so daß wesentlich mehr auf dem Spiele stand als nur der „Ruf unseres deutschen Eisenbahnwagenbaues“)137 oder auch nur die zçgerliche Lieferung von Grubenlampen durch die mit dem USA-Geschft offenbar organisatorisch berforderte Bochumer Firma Seippel. Die Konsuln im Ausland verstanden sich dabei als die Hter des guten Rufes der deutschen Exportindustrie und drngten das Auswrtige Amt mitunter energisch zur Aktivitt: „Die Ansicht des Auswrtigen Amtes, dass es sich nur um privatrechtliche Streitigkeiten in dieser Angelegenheit handle, ist daher irrig. Die Firma Seippel hat dem Rufe der deutschen Industrie einen sehr schlechten Dienst geleistet.“138 Immer wieder kamen auch Streitigkeiten ber unterschiedliche Auffassungen von den Pflichten und Aufgaben von Vertretern deutscher Produzenten im Ausland vor die Konsulate. Hier handelte es sich oftmals um Mißverstndnisse, die durch eine genaue vertragliche Beschreibung der Geschftsbeziehung htten vermieden werden kçnnen, doch immer wieder wollten deutsche Exporteure solche Mißverstndnisse nicht gtlich beilegen, sondern erbittert und rechthaberisch als Betrugsversuche behandeln. Es fllt auf, daß deutsche Exporteure von ihren Vertretern im Ausland ein erhebliches Engagement fr die Markterschließung erwarteten, auch unter Einsatz eigenen Kapitals, aber dennoch nichts dabei fanden, ihren „Alleinvertretern“ durch sptere Abmachungen mit anderen Handelsfirmen zustzliche Konkurrenz zu bereiten. Zumindest fr den Handelssachverstndigen am Generalkonsulat in Sydney war ein derartiges Vorgehen so hufig, daß den Zusicherungen deutscher Firmen von australischen Hndlern kaum noch Glauben geschenkt wrde und es schwer sei, „fr deutsche Industrielle gute Vertreter zu finden, eben weil sie es mit ihren Verpflichtungen gegenber diesen Vertretern nur zu hufig nicht genau nehmen.“139 Auch aus Johannesburg verlautete, „dass englische und amerikanische Exporteure im Allgemeinen ihre Agenten koulanter behandeln, als die deutschen“.140 Die Klagen beschrnkten sich nicht auf zweitklassige, im Export unerfahrene Firmen, sondern wurden auch ber die Großindustrie gefhrt, sogar von 135 136 137 138 139 140

Generalkonsulat Konstantinopel an RK, 5. 2. 1912, BAL R 901/2965/4. Generalkonsulat Petersburg, 9. 11. 1912, BAL R 901/2965/4. RAI an AA, 9. 7. 1913, Konsulat Hankau an RK, BAL R 901/2967. Konsulat Philadelphia an RK, 1. 12. 1909, 9. 11. 1910, 25. 5. 1911, BAL R 901/2966. Generalkonsulat Sydney an RK, 15. 11. 1907, BAL R 901/296. Konsulat Johannesburg an RK, 3. 10. 1910, BAL R 901/2966.

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deutschen Handelshusern, von denen sich einige deswegen entschieden, lieber auslndische als deutsche Produzenten zu vertreten. Die Konsuln, die deutsche Handelshuser in bersee gewissermaßen als Generalvertretungen fr die deutsche Volkswirtschaft ansahen, erblickten auch darin eine Schdigung der deutschen handelspolitischen Interessen durch deutsche Industrielle.141 Da die Bearbeitung der Anfragen deutscher Firmen auf der Suche nach Geschftsverbindungen im Ausland „einen erheblichen Teil der Arbeitszeit der Konsulate in Anspruch“ nahm, mochten es die Konsuln nicht akzeptieren, daß ihre Anstrengungen erfolglos blieben und es nur „am Verhalten der deutschen Firmen liegt, wenn die angebahnte Geschftsverbindung nicht zum Ziele fhrt.“ Insbesondere beklagten sie die nachlssige Marktbearbeitung deutscher Exporteure, die sich auf die Qualitt ihrer Produkte verließen, aber im Eingehen auf lokale Bedrfnisse, in Geschftsabwicklung, Verpackung, Etikettierung, Werbung, Preisstellung, Katalogversand usw. offenbar nur lstiges Beiwerk erblickten.142 Hier beginnt allerdings eine Grauzone zwischen dem Kampf gegen fr den Ruf der deutschen Wirtschaft schdliches „unreelles“ Geschftsgebaren und Meinungsverschiedenheiten ber die angemessene Vermarktungsstrategie. Ein besonders ergiebiges Ttigkeitsfeld fanden deutsche Zementfirmen, als nach dem Erdbeben von 1906 der Wiederaufbau San Franciscos fr eine erhebliche Nachfrage sorgte. Einige von ihnen nutzten die Notlage der Abnehmer aus, indem sie systematisch die zum Transport benutzten Fsser nur teilweise befllten. Die Firma Elsa, die einen Auftrag ber 100.000 Faß erhalten hatte, ging so weit, gleich kleinere Fsser zu verwenden und diese auch noch mit minderwertiger Ware zu fllen. Unter amtlichem Druck erklrte sich Elsa bereit, Schadensersatz zu leisten und bot dem Abnehmer an, den Vertrag ber die noch nicht gelieferten 62.000 Faß zu lçsen, was man im AA als „bndiges Schuldanerkenntnis“ wertete. Auch hier stand wieder die allgemeine Bedeutung des Falles fr den Ruf der deutschen Exportwirtschaft im Vordergrund, da die Bestellung nicht direkt bei der Firma Elsa, sondern durch Vermittlung des Rheinisch-Westflischen Zement-Syndikats, eines Kartells, erfolgt war : Wenn die Elsa-Werke durch mangelhafte Lieferungen sich ihren Ruf verscherzen wollen, so ist das ihre Sache. Aber der Vorfall ist geeignet, die deutsche ZementIndustrie allgemein zu diskreditieren, da die Bestellung durch das Syndikat gegangen ist. Es muss … stutzig machen, wenn nicht einmal der Bezug durch ein Unternehmen von der Bedeutung des Rheinisch-Westflischen Zement-Syndikats reelle Bedienung sichert.143

141 Generalkonsulat Yokohama an RK, 11. 5. 1910, BAL R 901/2966. 142 Konsulat New Orleans an RK, 18. 10. 1910, BAL R 901/2966; Generalkonsulat Singapore an RK, 24. 4. 1913, BAL R 901/2967. 143 Konsulat San Francisco an RK, 5. 11. 1907, BAL R 901/2966.

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berdies handele es sich bei den beanstandeten Lieferungen der Elsa keineswegs um einen Einzelfall, sondern fast schon um die Regel bei den deutschen Zementexporten nach San Francisco: „Fast regelmßig htten die Lieferungen zu Beanstandungen wegen mangelhafter Qualitt, ungengenden Gewichts oder schlechter Fastage Anlass gegeben, çfter seien bei einer Lieferung mehrere oder alle von diesen Mngeln vorhanden gewesen.“ Dies sei, so der Konsul, um so schdlicher, als inzwischen eine amerikanische Zementindustrie entstehe, durch die sich die Abnehmer von den unzuverlssigen deutschen Lieferanten unabhngig machen kçnnten, und „darber hinaus die Beteiligung anderer deutschen [sic] Industrien an dem Wiederaufbau von San Francisco in Mitleidenschaft gezogen“ werden kçnnte.144 Eine hnliche Bewertung der nationalen Bedeutung der unredlichen Ttigkeit einzelner Firmen nahmen auch die deutschen konsularischen Vertreter in Australien vor. Obwohl bereits in der Vergangenheit „der deutschen Industrie die Auftrge auf Draht zur Fabrikation von Ngeln und Stacheldraht in Folge mangelhafter Lieferungen entzogen worden seien“, habe jetzt eine angesehene deutsche Firma erneut bewußt mangelhaften Draht geliefert, was „wieder auf viele Jahre hinaus jedes Geschft mit den Stacheldraht- und Drahtngelfabrikanten unmçglich“ mache. Auch aus dem Markt fr Gas- und Wasserrohre habe sich die deutsche Industrie aus demselben Grund selbst ausgeschlossen (die „gelieferte Ware war so schlecht, dass sie vçllig unverkuflich war“). Derartige Vorflle kçnnten „die in Australien soviel verbreitete Ansicht von der Unzuverlssigkeit der deutschen Industrie“ nur besttigen. Dadurch wrde letztlich die deutsche Industrie insgesamt geschdigt, und berdies seien zollpolitische Folgen zu befrchten: Ich frchte sehr, dass derartige Vorkommnisse nicht nur unseren Handel in den betreffenden Waren sondern im Allgemeinen ausserordentlich schdigen werden … Werden die erlangten Auftrge nicht gut und einwandfrei zur Ausfhrung gebracht, dann ntzt alle Propaganda nichts. Auch wird die Meinung, dass Vorzugszçlle ein gutes Mittel seien, um deutschen Schund aus dem Markt zu halten, sosehr an Boden gewinnen, dass es gnzlich ausgeschlossen sein wird, eine Ermszigung derselben zu verlangen.145

ber das RAI wandte sich das AA wegen der australischen Beschwerden an den Stahlwerksverband und den Verein deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, ohne eine eindeutige Klrung des Sachverhaltes zu erreichen.146 Auch in anderen Fllen wurde aber deutlich, daß die deutsche Eisen- und Stahlindustrie bei den deutschen Konsuln in dem Ruf stand, selbst wichtigen und zunehmend qualittsbewußten Kunden wie etwa der japanischen Staatsbahn 144 Ebd. ber die Lieferung zu leicht gepackter Zementfsser klagte auch die indonesische Kolonialregierung: Generalkonsulat Batavia an RK, 24. 3. 1909, BAL R 901/2966. 145 Generalkonsulat Sydney an RK, 17. 3. 1908, BAL R 901/2966. 146 RAI an AA, 9. 2. 1909, Generalkonsulat Sydney an RK, 3. 4. 1909, BAL R 901/2966.

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schlechte Qualitt zu liefern. Dies wurde zum Teil auf eine Mentalitt zurckgefhrt, die aus einer Zeit stammte, als man in bersee noch besonders billig produzierte „Exportware“ anbieten konnte. Deshalb wandte sich das RAI an die deutsche Eisen- und Stahlindustrie mit dem Hinweis auf die hohen Qualittsanforderungen japanischer Kunden. Es bestand auch der Verdacht, daß Fabrikanten oder Exporthndler in Europa Maschinen, die aufgrund von Konstruktions- oder Fabrikationsfehlern nicht verkuflich waren, oder durch zu lange Lagerung unbrauchbar gewordene Ware bewußt in bersee loszuwerden suchten und dazu neigten, Auftrge anzunehmen und dann mangelhaft auszufhren, von denen sie von vornherein wußten, daß sie außerhalb ihrer Kompetenz lagen. Wurden solche Flle nach Berlin gemeldet, wandte sich das Auswrtige Amt regelmßig an die Dachverbnde der jeweiligen Branche oder direkt an die betroffenen Firmen. In der Regel sahen die offiziellen Stellen dabei die Beschwerden der auslndischen Abnehmer als berechtigt an.147

Die Konsulate und die Auskunftserteilung in Wirtschaftssachen nach dem Ersten Weltkrieg Ein 1914 geplanter revidierter Neudruck der Schwindelfirmen-Listen unterblieb wegen des Kriegsausbruchs. Nach dem Krieg entschied man sich, an Stelle der Liste eine „Kartothek“ aufzubauen. Ihr Inhalt sollte grundstzlich vertraulich behandelt und von den Handelskammern nur vertrauenswrdigen Firmen zugnglich gemacht werden, um den ohnehin „exponierten“ deutschen Auslandsbehçrden nicht noch zustzlich „Unannehmlichkeiten“ zu bereiten. Auch die Kriterien der Berichterstattung wurden verfeinert: Nunmehr wurde unterschieden zwischen „zweifelhaften Firmen, mit denen Geschftsverbindungen nur mit Vorsicht aufzunehmen sind und direkten Schwindelfirmen, bei denen unbedingt von irgendwelchen Anknpfungen abzuraten ist.“ Fr die bislang kostenlos abgegebenen Informationen wurde nun ein Kostenbeitrag von 100 Mark im Halbjahr erhoben.148 In der unmittelbaren Nachkriegszeit erschwerten die Außenhandelskontrollen und die dadurch geschaffene unsichere Rechtslage die Berichterstattung ber Schwindelfirmen. Was eine Schwindelfirma war, ließ sich nun noch schwieriger bestimmen, und berdies wurde die Sammlung von Informationen ber Schwindelfirmen jetzt in das System der Kontrolle des Außenhandels und der Verfolgung von Verstçßen gegen die Außenhandelsregelungen ein147 Generalkonsulat Yokohama an RK, 25. 8. 1912 (Eisenbahnrder), Ministerresident Montevideo an RK, 3. 10. 1912 (Maschinen), BAL R 901/2966 und weitere Schriftstcke im selben Band; Generalkonsulat Singapore an RK, 24. 4. 1913 (Zigaretten), 4. 9. 1913 (Continental-Autoreifen), RAI an AA, 9. 7. 1913, 22. 12. 1913 (Eisenbahnwaggons), BAL R 901/2967. 148 AA an Handelskammern, 15. 8. 1920, BAL R 901/2688; Runderlaß AA, 11. 2. 1921, BAL R 901/ 2691.

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gebunden. Deutsche Firmen bezogen z. B. optische und fotografische Gerte aus Deutschland zum durch den Verfall der deutschen Whrung international sehr gnstigen Inlandspreis und setzten sie in den Niederlanden unter Marktpreis ab, was nach der deutschen Ausfuhrgesetzgebung verboten war. Das Auswrtige Amt wirkte an der Außenhandelskontrolle mit, indem die Konsulate solche Flle zur Kenntnis der zustndigen Außenhandelsstellen brachten. Das strkte insgesamt die Stellung der verbandsmßig organisierten Industrie, denn die Außenhandelsstellen waren mit Hilfe der Verbnde errichtete Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft.149 Diese dienten zugleich dem whrungspolitischen Interesse des Reiches, durch Verkauf zu Weltmarktpreisen hohe Deviseneinknfte zu erzielen, und dem wirtschaftlichen Interesse der deutschen Industrie, die an die offiziellen Ausfuhrpreise gebunden war und die Konkurrenz von Grauexporteuren ausschalten wollte.150 Leicht verfing man sich nun im Netz der allgegenwrtigen Kontroll- und berwachungsinstanzen. Es war gngig, auslndischen Kaufleuten, die im Verdacht standen, gegen die Außenhandelsbestimmungen zu verstoßen, das Einreisevisum zu verweigern, ohne die Grnde fr einen derartigen Verdacht nher nachzuprfen. Bei der Entscheidung ber die Erteilung von Visa verließ sich das Auswrtige Amt ohne weiteres auf die Stellungnahmen der Außenhandelsstellen. Diese entschieden sie im Zweifelsfall zuungunsten der unter Verdacht geratenen Hndler, obwohl oder gerade weil sie sich gar nicht in der Lage sahen, Verstçße tatschlich auch nachzuweisen: Es muss angenommen werden, dass Herschdçrfer [ein des zu billigen Verkaufs deutscher Keramik in den Niederlanden verdchtigter Kaufmann] offiziell die von der Aussenhandelsnebenstelle Feinkeramik vorgeschriebenen Bedingungen einhlt, dann aber auf Grund mndlicher Vereinbarungen Rabatte erhlt, die bei geschickter Buchfhrung schwer oder berhaupt nicht nachzuweisen sind. Aus diesem Grund halten wir es fr angezeigt, dass dem Herschdçrfer die Mçglichkeit der persçnlichen Fhlungnahme mit seinen Lieferfirmen entzogen wird. Wir bitten daher, dem Herschdçrfer auch weiterhin keine Einreiseerlaubnis zu erteilen.151

Das Auswrtige Amt wies das Generalkonsulat Amsterdam an, diesem Wunsch „tunlichst zu entsprechen.“ Die Außenhandelsstelle beharrte auch weiter auf ihrem Standpunkt, daß „die Firma Herschdçrfer durch fortgesetzte Preisunterbietungen den hollndischen Markt fr den reellen deutschen Hndler und Exporteur ruiniert hat“, was „eine hinlnglich erwiesene Tatsache“ sei – die sich allerdings auch weiterhin nicht konkret belegen ließ. Erst als Herschdçrfer seine Firma schloß und als Vertreter einiger deutscher Exportfirmen ttig wurde, gab die Außenhandelsstelle Feinkeramik bekannt, daß 149 Zu den Aufgaben der Außenhandelsstellen Stern, S. 36 – 85; vgl. auch d’Oleire. 150 Generalkonsulat Amsterdam an AA, 11. 2. 1922, 12. 4. 1922, BAL R 901/41537. 151 Generalkonsulat Amsterdam an AA, 25. 8. 1922, Außenhandelsstelle Feinkeramik an AA, 18. 9. 1922, BAL R 901/41537.

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sie gegen eine Einreise des Kaufmanns keine Bedenken mehr hege.152 Zerschlug sich durch die Ermittlungen der Zollbehçrden ein gegen einen auslndischen Kaufmann bestehender Verdacht, fhlte sich niemand dafr zustndig, die Visasperre aufzuheben, und wenn sich der Betroffene beschwerte, wurde eine langwierige Korrespondenz zwischen den beteiligten Behçrden nçtig, um zu klren, auf wessen Initiative und aus welchem Grund die Sperre berhaupt verhngt worden war.153 So bekamen die Außenhandelsstellen – und damit die Verbnde der Industrie – ber den Kampf gegen wirkliche oder vermeintliche „Schwindelfirmen“ eine Handhabe, ihnen mißliebige Geschftsleute mit Hilfe des Auswrtigen Amtes und der Konsulate an der Einreise nach Deutschland zu hindern. Auch nach dem Krieg berschritt die Einflußnahme des Auswrtigen Amtes gelegentlich die Grenze zwischen Bekmpfung unreeller Geschfte und Einwirkung auf die Unternehmensfhrung. So beklagte sich der Generalkonsul in Amsterdam ber die Praxis deutscher Fabrikanten, unter Umgehung des niederlndischen Großhandels niederlndische Kleinhndler und Einzelabnehmer direkt zu beliefern, oftmals zu Großhandelspreisen. Auch hier bat das Auswrtige Amt die anderen Ministerien und wichtige Verbnde – DIHT, Außenhandelsverband, RDI, Zentralverband des deutschen Großhandels, Reichsverband des deutschen Aus- und Einfuhrhandels – um die Einwirkung auf ihre Mitgliedsfirmen. Zumindest der RDI war auch bereit, in diesem Sinne aktiv zu werden, doch das Generalkonsulat war dann nicht in der Lage, Details zu nennen, da ihm Informationen immer nur mndlich und ohne Angabe der beteiligten Firmen gegeben wrden.154 Die Außenhandelskontrolle çffnete der willkrlichen Behandlung unbescholtener Kaufleute einen breiten Raum, doch der Verdacht auf illegale Geschfte, fr die sich breite Bettigungsfelder boten, war oft nicht unberechtigt. Die Dsseldorfer Pianofabrik Steinbach bekam erst dadurch Kenntnis davon, daß im Ausland minderwertige Instrumente unter ihrem – geflschten – Markenzeichen verkauft wurden, daß sie beschuldigt wurde, die vorgeschriebenen Mindestpreise zu unterschreiten. Spter kam heraus, daß Kaufleute in Großbritannien und den Niederlanden sich den Namen Steinbach hatten schtzen lassen und nun allein unter diesem Namen Pianos verkaufen durften.155 Auch deutsche Exporteure versuchten auf kreative Weise, unter

152 AA an Generalkonsulat Amsterdam, 30. 9. 1922, Generalkonsul Amsterdam an AA, 23. 2. 1923, Außenhandelsstelle Feinkeramik an Generalkonsulat Amsterdam, 15. 3. 1923, 21. 3. 1923, BAL R 901/41537. 153 Reichskommissar fr Ein- und Ausfuhrbewilligung an AA, 20. 10. 1922, 19. 2. 1913, Generalkonsulat Amsterdam an AA, 17. 11. 1922, BAL R 901/41537. 154 Generalkonsulat Amsterdam an AA, 5. 8. 1924, 4. 10. 1924, RDI an AA, 15. 9. 1924, BAL R 901/ 41537. 155 Steinbach Pianofabrik Dsseldorf an AA, 12. 1. 1925, AA an Generalkonsulat Amsterdam, 6. 2. 1925, 5. 3. 1925, BAL R 901/41538.

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widrigen Umstnden das Geschft am Leben zu halten. Die Pianofabrik Strçdel etwa schrieb ihrem Vertreter in den Niederlanden: Infolge der hohen Preise in der Piano-Industrie geht das Exportgeschft z. Zt. schlecht. Um aber trotzdem ins Geschft zu kommen und beiderseits zu erleichtern, bin ich gern bereit, irgend eine in Ihrem Lande sehr gesuchte und mit hohem Zoll belegte Deutsche Ware im Innern des Pianos vçllig unauffllig und unsichtbar und ohne das Piano zu beschdigen, beizupacken. Es steht ein Raum von 7,5 cm tief, 92 cm breit und 100 cm hoch zur Verfgung. Ich bin fest davon berzeugt, dass wir auf diese Weise ein grosses Geschft machen kçnnen.156

Der hollndische Kaufmann gab allerdings einer anderen Pianofabrik, die er ebenfalls vertrat, Kenntnis von diesem Angebot; diese leitete es an das Auswrtige Amt weiter, das die Staatsanwalt einschaltete – letztlich ohne Erfolg, da die Staatsanwlte „hçchstens straflose Vorbereitungshandlungen“ erkennen konnten. Zwar sollten die Exporte der Firma Strçdel von nun an vom Zoll „einer besonders scharfen Ueberwachung“ unterzogen werden, was aber lediglich bedeutete, „von Zeit zu Zeit die Kisten durch Oeffnen auf ihren Inhalt zu kontrollieren.“157 berwachung und Schikane konnten Anfang der 1920er Jahre zwar unkontrolliert und willkrlich, aber nicht flchendeckend zum Einsatz gebracht werden. Nach dem Ende der Inflationszeit und dem langsamen Auslaufen der Außenhandelskontrollen nahm auch die Zahl der im Auswrtigen Amt unter „Schwindelfirmen“ gefhrten Flle rapide ab. Erneut fllt das aus der Vorkriegszeit bekannte Personal kleiner Schwindler, unseriçser Kreditvermittler, sumiger Kunden deutscher Versandhndler usw. die Kartei der Schwindelfirmen. Und auch weiterhin gewinnt man den Eindruck, daß deutsche Exporteure im Falle von Mißverstndnissen, geschftlichem Mißerfolg oder Zahlungsverzug schnell mit Anklagen gegen angebliche Schwindler oder die mit ihren Warnungen und Hilfeleistungen nicht hinreichend aktiven Konsulate bei der Hand waren, auf die ihnen von den Handelskammern und offiziellen Stellen schon gebetsmhlenartig nahegebrachten Vorsichtsmaßnahmen bei der Anbahnung und beim Abschluß von Geschften jedoch in der Regel verzichteten.158 Gerchte ber zeitraubende und willkrliche berwachungsmaßnahmen tauchten auch weiterhin gelegentlich auf. So berichtete die niederlndische Presse 1927, daß berweisungen in die Niederlande extrem lange dauerten, weil die deutsche Post wegen der hohen Zahl von Kredit- und Versandbetrgern diese berweisungen erst mit einer schwarzen Liste abgleiche. Das Generalkonsulat Amsterdam, das die Meldung offenbar fr zutreffend hielt, sorgte sich in diesem Zusammenhang um die Vertraulichkeit der von ihm 156 Waldemar Pianofabrik Berlin an AA, 4. 3. 1925 und weitere Schriftstcke, BAL R 901/41538. 157 Ebd. 158 Zum berblick BAL R 901/41539.

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nach Deutschland gemachten Mitteilungen ber Schwindelfirmen und ußerte den Wunsch, solche Informationen der Post nicht zugnglich zu machen – schließlich bestehe immer noch die Gefahr, daß „die betr. auslndische Firma den Spiess umkehren und das Reich wegen Geschftsschdigung verklagen kann.“ Daß einem Amtsvorgnger des Generalkonsuls ebendies widerfahren war zeigt, daß diese Befrchtung nicht aus der Luft gegriffen war und die Berichterstattung ber Schwindelfirmen weiterhin in einer Grauzone stattfand.159 Kam es zu Gerichtsverhandlungen gegen Schwindelfirmen, so mußte darauf geachtet werden, die deutschen Auslandsvertretungen und die von ihnen beschafften Informationen im Prozeß nicht zu erwhnen, damit nicht çffentlich „ber diese Kartei und das System der Meldungen dazu durch die Auslandsbehçrden gesprochen“ wurde.160 Die im Bereich der Information ber Schwindelfirmen bereits vor dem Krieg erkennbaren Probleme bestanden fort und verschrften sich sogar. Kennzeichnend fr die Nachkriegszeit ist die Ausweitung der staatlichen Aktivitten der Handelsfçrderung und die Schaffung neuer Organisationen. Die Außenhandelsstelle des Auswrtigen Amtes war fr Aus- und Einfuhrbewilligungen zustndig. „Eildienst“ (1920) und „Wirtschaftsdienst“ (1922) verbreiteten die Wirtschaftsnachrichten, ebenso wie die „Industrie- und Handels-Zeitung“, die 1925 aus privater Hand in das Auswrtige Amt bernommen wurde, wobei man nachdrcklich Konkurrenzunternehmen aus dem Feld wies, um den wirtschaftlichen Nachrichtendienst zu einer staatlichen Angelegenheit zu machen. Aus dem selben Motiv heraus entstand 1927 die Zentralstelle fr den wirtschaftlichen Auslandsnachrichtendienst (ZWA) als gemeinsames Referat von AA und Wirtschaftsministerium. Die ZWA verwertete die von den deutschen Auslandsvertretungen eingehenden wirtschaftlichen Nachrichten und sorgte dafr, daß die Auslandsvertretungen den Interessen der Wirtschaft entsprechend berichteten. Wegen der weiterhin bestehenden Gefahr von Schadensersatzklagen gegen die amtlichen Stellen, die Ausknfte ber nicht zuverlssige auslndische Firmen erteilten, wurde die Sammlung und Weiterverbreitung solcher Informationen 1929 bei der Deutschen Wirtschaftsdienst G.m.b.H. zentralisiert, die die Nachrichten ohne Quellenangabe und vermischt mit Mitteilungen aus privater Quelle auf nicht weiter gekennzeichneten Karteikarten anbot.161 Der Wirtschaftsdienst fungierte seitdem als inoffizielle Zentralstelle fr Handelsausknfte ber einzelne Firmen und die wirtschaftlichen und konjunkturellen Verhltnisse im Ausland. Das Zollbro im Wirtschaftsministerium schließlich erteilte Ausknfte ber Zoll- und Steuerfragen des Auslandes. Aus dem ZWA, dem Zollbro und

159 Generalkonsulat Amsterdam an AA, 10. 3. 1927, BAL R 901/41538. 160 Generalkonsulat Amsterdam an AA, 22. 3. 1930, BAL R 901/41539. 161 Zentralstelle fr den wirtschaftlichen Auslandsnachrichtendienst an Generalkonsulat Amsterdam, 24. 9. 1929, BAL R 901/41539.

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dem Deutschen Wirtschaftsdienst entstand 1929 die Zentralstelle fr den Außenhandel (ZFA).162 Es kann nicht erstaunen, daß sich mit der Vielzahl der auf dem Gebiet der Handelsausknfte ttigen Organisationen und der Ausweitung ihres Ttigkeitsbereichs Kompetenzstreitigkeiten ergaben, sowohl unter den genannten Organisationen als auch mit privatwirtschaftlichen Unternehmungen, die kommerzielle Lçsungen anboten. Insbesondere der Exporthandel sah die ZFA als „eine Einrichtung …, die der Wirtschaft keinen Nutzen bringt“. Die Propaganda der ZFA und der Außenhandelsstellen verleite zahlreiche kleine Produzenten zum direkten Export, wo sie dann, unerfahren und von den staatlichen Stellen oftmals mit veraltetem und unvollstndigem Material ausgestattet, nur allzu hufig scheiterten. Der entstandene Schaden wirke sich auch volkswirtschaftlich aus, weil der Auslandsmarkt von den „Kleinfabrikanten unsachgemss bearbeitet und das Preisniveau heruntergewirtschaftet wird, ohne dass der deutschen Wirtschaft mengenmssig mehr Auftrge zufliessen.“ Die Exporteure sahen in den staatlicherseits zur Verfgung gestellten Handelsausknften eine „unberufene Konkurrenz“; nachdem schon die Großindustrie vielerorts zum Direktexport bergegangen war, wollten sie zumindest noch die Ausfuhr kleinerer Fabrikanten vermitteln und forderten deswegen den „Abbau“ der Außenhandelsstellen.163 Der Interessengegensatz zwischen den Exporteuren, die ihre Dienste als Spezialisten fr die Bearbeitung auslndischer Mrkte und die Kenntnis lokaler Rechtsverhltnisse und Zahlungssitten anboten, und den Industriellen, die die Kosten fr diese Dienstleistungen – zumindest bis zu den ersten negativen Erfahrungen – als berzogen ansahen, ist ein grundlegendes Charakteristikum des Außenhandels. Je nach der Grçße eines Unternehmens, der Bedeutung des jeweiligen Auslandsmarktes fr den Gesamtabsatz und der geographischen Streuung seiner Mrkte mochte es gnstiger sein, eine eigene Exportabteilung zu unterhalten, sich lokale Vertreter zu suchen oder die Dienste des deutschen Exporthandels zu beanspruchen. Die Neigung zum Direktexport ohne Bercksichtigung der mit diesen Geschften verbundenen Risiken, Kosten und Mhen wuchs gerade in der Stabilisierungsphase der zweiten Hlfte der 1920er Jahre, als die deutsche Industrie nicht mehr allein durch den Whrungsverfall gnstige Preise bieten konnte und zunehmend unter hohen Lohn- und Kapitalkosten litt. Daraus ergaben sich Konflikte zwischen den Verbnden der Industrie und der Exporteure, die bis zum Boykott direkt exportierender Firmen durch die Exporthndler gingen, bevor dann 1929 ausgehend vom „Verein Hamburger Exporteure“ eine Annherung

162 BAL, Findbuch zum Bestand R 9 I (Reichsstelle fr den Außenhandel); DIHT, Aufz. ber den Stand des wirtschaftlichen Nachrichtenwesens, o.D. (1929), BAL R 11/1292. 163 Reichsverband des deutschen Groß- und berseehandels e.V. an DIHT, 13. 10. 1930, BAL R 11/ 1296.

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einsetzte und regelmßige Treffen der Industrie- und Handelsverbnde vereinbart wurden.164 Auch innerhalb des RDI wurden solche Konflikte ausgetragen, wobei nicht nur der spezialisierte Exporthandel, sondern auch die bereits im Export erfahrene Großindustrie gegen die Fçrderung des Direktexports kleinerer Konkurrenten eintrat. Der RDI selbst verfocht eine weitgehend privatwirtschaftlich orientierte Auffassung des Exportgeschfts. Er wehrte sich gegen eine interventionistische Exportfçrderungspolitik, die zugunsten einzelner Geschfte intervenierte oder direkt in unternehmerische Entscheidungen ber das Ob und Wie des Exports eingriff. Auch benannte er klar die Gefahr, daß bei solchen Maßnahmen „dem Staat oder seinen Exportfçrderungseinrichtungen das Risiko, dem Privatunternehmer die Chance eines Auslandsgeschfts berlassen werden sollte.“ Der wirtschaftliche Nachrichtendienst sollte daher nach Ansicht des RDI das wichtigste Gebiet der staatlichen Exportfçrderung bleiben. Zu diesem Zweck sollten die Konsulate besser ber die wirtschaftlichen Verhltnisse in Deutschland orientiert werden und bei der Berichterstattung eine grçßere Selbstndigkeit genießen. Auch sollte in Zukunft besser zwischen Nachrichten ber die allgemeine wirtschaftliche Lage einerseits und Firmenausknften andererseits getrennt werden, wobei letztere nur auf konkrete Anfragen und fr den vertraulichen Gebrauch erteilt werden sollten.165 Das von staatlichen Stellen bereitgestellte Informationsmaterial galt in der Tat als Grundlage fr den Warenexport als nicht ausreichend: Die Informationen ber Rechtsverhltnisse und Geschftsleben erreichten nicht das Niveau der entsprechenden amerikanischen Publikationen, und die Ausknfte der Konsulate ber die Kreditwrdigkeit einzelner Firmen seien lckenhaft und kçnnten die Arbeit der kommerziellen Auskunfteien und Erkundigungen bei den im Ausland ttigen deutschen Banken nicht ersetzen.166 Konkurrenz bestand aber nicht nur zwischen der Privatwirtschaft und den staatlichen Informationsdiensten, sondern auch zwischen den verschiedenen Stellen, die die staatlichen Informationen sammelten und weiterleiteten. Die Handelskammern drngten wie schon vor dem Krieg darauf, eine weite Verbreitung der von den Konsulaten gelieferten Ausknfte ber unsichere oder betrgerische auslndische Firmen sicherzustellen. Der DIHT und die Reichsnachrichtenstelle fr den Außenhandel hingegen erhielten diese Informationen von staatlicher Seite nur unter der Bedingung, daß diese vertraulich verwendet und nur auf konkrete Einzelanfrage hin weitergegeben 164 Schck erlutert eingehend die einzelnen Aspekte des Exportgeschfts, die das Ttigkeitsfeld des spezialisierten Exporteurs bilden und die ein direkt exportierendes Industrieunternehmen in eigener Regie durchfhren muß. Speziell zum Verhltnis von Industrie und Exporthandel ebd., S. 289 – 293. 165 RDI an AA, 28. 11. 1927, AA-PA R 117601. 166 Schck, S. 209 ff., 325. Auch die Reichsnachrichtenstellen fr den Außenhandel betrachteten das von ihnen verteilte Material kritisch: Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses der Reichsnachrichtenstellen am 16. 1. 1929, BAL R 11/1292.

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wrden. Das Ergebnis war allerdings, so die Reichsnachrichtenstelle, daß die Informationen „in erster Linie nur noch zur Bereicherung unseres Archivs dienen, ohne ihrem eigentlichen Zweck zugefhrt zu werden.“ Die bisher praktizierte vertrauliche Weiterleitung der Informationen ber die Handelskammern an interessierte Firmen und Banken (auf neutralem Briefpapier und ohne Hinweis auf den offiziellen Ursprung der Informationen) wurde eingestellt, ebenso wie die Ankndigungen in der Tagespresse, daß ber bestimmte Firmen Nachrichten vorlgen. Diese Durchsetzung des Prinzips der Einzelfallauskunft mochte die Konsulate und ihre Informanten vor Schadensersatzklagen schtzen, die Reichsnachrichtenstelle sah darin aber zugleich „eine bedauerliche Beeintrchtigung des mit diesen Nachrichten erstrebten Zwekkes – mçglichst alle am Aussenhandel beteiligten deutschen Firmen vor dem Geschftsverkehr mit zweifelhaften auslndischen Firmen zu bewahren“. Die Handelskammern ihrerseits erblickten hierin ein Komplott der großen wirtschaftlichen Verbnde, die die Kammern und die bei ihnen bestehenden Nachrichtenstellen aus dem wirtschaftlichen Nachrichtendienst verdrngen wollten.167 Verhandlungen des DIHT mit den beteiligten Regierungsstellen ber die Behandlung der Auslandsnachrichten fhrten schließlich dazu, daß der Reichsnachrichtenstelle und den Handelskammern gestattet wurde, aus den ihnen zugehenden Karteikarten selbstndig diejenigen herauszuziehen, „die nach den beigegebenen kurzen Hinweisen den Charakter von Schwindelfirmen tragen.“ Die ZFA akzeptierte es auch, wenn die Namen dieser Firmen „durch neutrales Rundschreiben … an geeignete Interessenten“ weitergegeben wurden.168 Fazit Ein wichtiges Charakteristikum staatlicher Außenhandelsfçrderung nach dem Ersten Weltkrieg war die Ausweitung ihres Ttigkeitsbereichs. Neben die Bereitstellung von Informationen trat nun die direkte Untersttzung des Exports durch staatliche Warenkredite (etwa das Warenkreditprogramm fr Rußlandgeschfte)169, die Hermes-Exportkreditversicherung und, nach Einfhrung der Devisenbewirtschaftung, die Anbahnung von Kompensationsgeschften durch die Handelskammern und staatliche Stellen. Darin zeigt sich die Diagnose, daß man es in der internationalen Wirtschaft nicht mehr mit freien Mrkten zu tun hatte, auf denen man deutsche Unternehmen durch die bernahme von Transaktions- und Informationskosten untersttzen konnte, sondern um instabile und von Betrug und Willkr geprgte Interaktionszusammenhnge. Fr den einzelnen Hndler oder Exporteur waren Mçglich167 Rundschreiben DIHT, 21. 3. 1929, Industrie- und Handelskammer Kçln an DIHT, 27. 3. 1929, Reichsnachrichtenstelle fr den Außenhandel an DIHT, 3. 7. 1929, BAL R 11/1292. 168 Rundschreiben DIHT, 9. 10. 1929, BAL R 11/1292. 169 Beitel u. Nçtzold.

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keiten der Rechtsverfolgung zunehmend beschrnkt, wenn der Schuldner ein Staat war wie im Rußlandgeschft, eine extrem schuldnerfreundliche Gesetzgebung einfhrte wie die sd- und sdosteuropischen Staaten oder, wie in der Wirtschaftskrise, die wirtschaftlichen Verhltnisse sich so verschlechterten, daß in erheblichem Maße mit Zahlungsausfllen zu rechnen war. Eine „Steigerung der Ausfuhr lßt sich, wie die Erfahrungen tglich zeigen, nicht ohne staatliche Hilfe erreichen“, heißt es in einer Kabinettsvorlage des Reichswirtschaftsministeriums von 1926.170 Unter diesen Umstnden bernahm der Staat zunehmend Ausfallbrgschaften, stellte Kapital fr die Finanzierung des Außenhandels bereit und bahnte schließlich sogar fr den Kleinexport einen Kompensationshandel an, also Tauschgeschfte, die nçtig wurden, weil Devisen fr die Bezahlung der Ein- und Ausfuhr nicht mehr zugeteilt wurden.171 Im Auskunftswesen begab sich das Auswrtige Amt auf ein Gebiet, wo sich bereits die „von der Privatwirtschaft selbst entwickelten Strategien der Sicherung von Eigentum und Vertrauen“ entwickelt hatten.172 Whrend vor der Wirtschaftskrise noch ein Konkurrenzverhltnis staatlicher Außenhandelsfçrderung zu privat erbrachten Dienstleistungen im Bereich der Auskunftserteilung, Marktbeobachtung, Marktbearbeitung und Exportfinanzierung bestanden hatte, bernahm die staatliche Außenhandelsfçrderung in den 1920er Jahren und erst recht in der Wirtschaftskrise Aufgaben, in denen ein Profit nicht zu erzielen und eine privatwirtschaftliche Bettigung daher unmçglich war – allerdings nicht zuletzt deshalb, weil die Staaten durch Beschrnkungen des Devisenverkehrs, den Schutz inlndischer Schuldner gegen auslndische Glubiger und wirtschaftspolitisch motivierte Maßnahmen die Transaktions- und Informationskosten so hoch geschraubt hatten, daß der Außenhandel sie nur noch mit staatlicher Hilfe tragen bzw. ihnen nur durch staatlicherseits gewhrte Privilegien entkommen konnte. Auch in der Außenhandelsfçrderung dominierten jetzt unilaterale, staatlich kontrollierte Mechanismen. (d) Devisen- und Außenhandelskontrolle: Das Eindringen çffentlichen Rechts in private Zahlungsverpflichtungen als Beispiel fr den Wandel im Wirtschaftsrecht Die Risiken, die der internationale Handel zu gewrtigen hatte, waren bis 1914 zwar keineswegs zu vernachlssigen, schienen aber berschaubar und tragbar. Gegen Gefahren wie den Konkurs des Geschftspartners, Marktbewegungen, 170 RWM, Kabinettsvorlage betr. die Bereitstellung von Garantiemitteln zur Fçrderung des deutschen Exports, 18. 11. 1926, AA-PA R 117600. 171 Arbeitsgemeinschaft der Außenhandelsstellen an Außenhandelsstelle Mannheim, 24. 9. 1934, BAL R 11/1287. 172 Zitat: Berghoff, S. 162.

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Betrug und sogar Naturkatastrophen konnte man sich in gewissem Maße durch Vorsicht, Information, institutionelle Sicherungsmaßnahmen und Versicherungen schtzen. Auch vor 1914 mußte der im Export ttige Kaufmann selbstverstndlich die Gesetze der Lnder, unter deren Recht er Geschfte abschloß, beachten.173 Die Regulierungsdichte war jedoch in der Regel gering und das gesetzliche Eingreifen des Interventionsstaates in die Abwicklung von Handel und Kapitalverkehr begrenzt. Staatliche Wirtschaftssteuerung beschrnkte sich in der Regel auf die Vernderung von Preisen durch die Zollpolitik. Einfuhrverbote kamen selten vor, es herrschte ein freier Kapitalverkehr, und eine Mikrosteuerung der Außenwirtschaft wurde nicht versucht. Dieser Zustand nderte sich mit Kriegsausbruch schlagartig und dauerhaft.174 Seit 1914 nahmen nicht nur die rein betriebswirtschaftlichen Risiken des Handels zu, weil allgemein die Wahrscheinlichkeit wuchs, daß der Geschftspartner in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Die grçßten Risiken des Handels erwuchsen jetzt aus Whrungsschwankungen und aus direkten staatlichen Eingriffen in den Handel und den Zahlungsverkehr. In den fr kriegswichtig erachteten Wirtschaftszweigen (und das waren nach und nach fast alle) wurden Ressourcen und Mrkte durch die unter staatlicher Aufsicht von Industrie und Handel gebildeten „Kriegsgesellschaften“ zugewiesen.175 Der Gebrauch von Devisen, Gold und Wertpapieren unterlag ebenfalls starker Regulierung: Die „Goldklausel“, mit der sich der Verkufer Zahlung in Goldmnzen oder zum Gegenwert derselben sichern konnte, wurde verboten bzw. fr nichtig erklrt; Devisen unterlagen einer Ablieferungspflicht; die Rechnungsstellung in auslndischen Whrungen wurde verboten; es gab umfassende Bestimmungen zur Festsetzung „gerechter“ Preise.176 Auch nach dem Krieg blieben Devisen- und Außenhandelskontrollen fr die internationale Wirtschaft wichtige Rahmenbedingungen. Zwischen 1914 und 1945 gab es in Deutschland nur vom 22. 2. 1927 bis zum 15. 7. 1931 eine kurze Periode des vçllig freien Zahlungsverkehrs.177 Handels- und Devisenkontrollen sind – wie auch der Staatsbankrott – Risiken, die auf vom Staat als Schçpfer der Rechtsordnung getroffene und mit der Macht des Gesetzes umgesetzte Maßnahmen zurckgehen. Sie verfolgten in der Regel den Zweck, alle Inlnder zwangsweise als Solidargemeinschaft zu 173 Eine Zusammenstellung der Rechtsmaterien findet sich bei Hellauer, S. 57. 174 Stolleis, ffentliches Recht Bd. 3, Kap. I. 175 Einen Eindruck von deren Ttigkeitsbereich vermittelt bereits die Aufzhlung der vom Bundesarchiv Lichterfelde gehaltenen Bestnde dieser Kriegsgesellschaften – verzeichnet sind selbst „nderung der Vorschriften ber die Faßbewirtschaftung, 1917 – 18“, „Außenhandelsnebenstelle fr Bleistifte“, „Reichsstelle fr Schuhversorgung“, „Riemen-Freigabestelle in Berlin“, „Reichsholzverteilungsstelle fr Fußbekleidung G.m.b.H., Sitz Mnchen, in Berlin“, „KriegsfellAG“ u.v.a.m.: BAL, Findbuch Wirtschaftsministerium (R 3101). Vgl. auch Strachan, S. 1021 ff. 176 Erler, S. 83 – 95; Nußbaum, Wirtschaftsrecht; Nußbaum, Geld. 177 Vgl. die bersicht bei Eisemann, Kreditverkehr, S. 46 – 49.

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organisieren und Versuche, sich dieser zu entziehen, mit den Mitteln der Exekutivgewalt abzuwehren. Sich gegen politische Maßnahmen wie Whrungsverschlechterung, Konfiskation, Aus- und Einfuhrverbote zu sichern, war daher nicht legitime kaufmnnische Vorsicht, sondern ein Verbrechen. Sartorius v. Waltershausen stellte rckblickend fest, daß, seit die großen Staaten Europas in finanziellen Schwierigkeiten steckten, die „Sicherung des Glubigers gegen Kriegs-, Revolutions-, Whrungsverlust … als plçtzliches in neuerer Zeit ,Kapitalflucht‘ genannt“ werde.178 Einer der ausgewiesensten Sachkenner des Wirtschaftsrechts, Arthur Nußbaum, sah sich gençtigt, „zum Zwecke der Selbstbelehrung“ eine 100seitige Studie anzufertigen, um einen berblick ber den „unbersehbaren, ungefgen und wirren Stoff“ zu gewinnen. Am Ende dieser Bemhung stand nichts weniger als die Feststellung, daß „mit dem Weltkriege fr die ganze Kulturwelt ein neuer Abschnitt der Rechtsentwicklung begonnen“ habe. Trotz des „zunchst noch chaotisch[en]“ Zustandes seien bereits zwei dauerhaft wirksame Trends der zuknftigen Rechtsentwicklung erkennbar : Erstens die „energisch einsetzende Sozialisierung des Rechtsstoffs“, d. h. das Eindringen des çffentlichen Rechts in bisher dem Privatrecht und der Vertragsfreiheit berlassene Bereiche mit der Folge, daß „Rechtsverhltnisse unter Privaten, insbesondere auch solche schuldrechtlicher Art, in großem Umfange nicht mehr durch den Willen der Beteiligten, sondern durch Staatsakt begrndet und verndert werden.“ Die Kriegsgesetzgebung griff in die Preisgestaltung ein, beschlagnahmte bestimmte Waren (Getreide z. B. galt durch seine pure Existenz als beschlagnahmt), schtzte Betriebe vor dem Konkurs und nderte durch den Krieg beeintrchtigte Lieferverpflichtungen ab. Als zweiten, vorerst aber durch den ungerechten Charakter der Versailler Ordnung gebremsten Trend erwartete Nußbaum eine „starke Internationalisierung des Rechtsstoffs“.179 In den ersten Friedensjahren stand zunchst der Trend zur „Sozialisierung“ im Vordergrund. Zwar gewannen mit der Friedensresolution des Reichstages vom 19. 7. 1917 zeitweilig Krfte die Oberhand, die an der Freiheit des weltwirtschaftlichen Austausches interessiert waren und die Integration Deutschlands in eine internationale Rechtsgemeinschaft anstrebten. Auch in den Vorbereitungen fr die Friedensverhandlungen Anfang 1919 war diese Richtung bestimmend. Die gemeinwirtschaftlich und autarkistisch orientierte Gegentendenz konnte sich nicht durchsetzen.180 Dennoch blieb es aber bei einem staatlich kontrollierten, teils auch gelenkten Außenhandel, Devisenkontrollen und starken steuernden Eingriffen in die Wirtschaft. Zu den oben bereits behandelten politischen, volks- und weltwirtschaftlichen Grnden dafr, daß auf Handels- und Devisenkontrolle nicht verzichtet werden konnte, 178 Sartorius von Waltershausen, Umgestaltung, S. 155 f. 179 Nußbaum, Wirtschaftsrecht, S. iii, 1 f. 180 Feldman, Disorder ; Krger, Banken; Krger, Außenpolitik.

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kamen handelspolitische Beschrnkungen: Nach dem Versailler Vertrag mußte das Reich allen Siegermchten die unbedingte einseitige Meistbegnstigung gewhren und damit auf eine eigenstndige Zollpolitik weitgehend verzichten. Und schließlich verlangten auch die Alliierten eine çffentliche Kontrolle des Handels- und Devisenverkehrs, weil der Whrungsverfall in Deutschland ihren reparations- und exportpolitischen Interessen zuwiderlief.181 Trotz der praktischen Alternativlosigkeit von Whrungs- und Handelskontrollen in der Kriegs- und Nachkriegszeit ist deren konkrete Umsetzung deshalb von Interesse, weil solche Maßregeln damals wie auch heute immer wieder als punktuelle Ergnzungen oder systematische Alternativen zu einer freien internationalen Wirtschaft propagiert wurden und werden. Erneut lßt sich am Beispiel der Außen- und Außenwirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit zeigen, daß die Mittel der Haushalts-, Handels-, Whrungs- und Reparationspolitik oft wichtiger und wirkungsmchtiger sind als die mehr oder minder offen und ernsthaft damit verfolgten Ziele. Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Umsetzung und Folgen der Whrungs- und Handelskontrollen untersucht.

Handels- und Devisenkontrollen nach dem Ersten Weltkrieg Die Entwicklung der Whrungsverhltnisse und die staatlichen Devisen- und Handelskontrollen stellten die entscheidenden Rahmenbedingungen fr den deutschen Import und Export in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Inflation dar. Die Inflation erlaubte es zwar einerseits, Kredit mehr oder weniger umsonst zu erhalten und auf dem Weltmarkt zu gnstigen Preisen zu verkaufen, weil der Außenwert der Mark lange Zeit schneller verfiel als ihre Kaufkraft im Innern.182 Andererseits erschwerten die Abkehr von den ineinander konvertierbaren Goldwhrungen und der rasche Whrungsverfall in zahlreichen Staaten nicht nur die kaufmnnische Kalkulation, sondern schufen auch das neuartige Problem von Devisenmangel und Devisenpolitik. Die zur Abwehr der Geldentwertung ergriffenen Maßnahmen der Handelsund Devisenpolitik erwiesen sich als erhebliche Belastungen fr das Geschft.183 Whrend sich handelstechnische Lehrbcher aus der Vorkriegszeit und wieder am Ende der 20er Jahre hauptschlich mit betriebswirtschaftlichen Materien befaßten, schildert z. B. Sterns Exporttechnik von 1923 fast ausschließlich die Gebote, Verbote, Genehmigungsprozeduren und derglei181 Abelshauser, S. 124; zur Entwicklung der deutschen Handelspolitik v. a. Krger, Außenpolitik; vgl. auch oben Kap. I.5. 182 Holtfrerich, S. 199. 183 Zur Einschtzung der Lage ist auch noch zu bedenken, daß zahlreiche Firmen aus der Kriegsoder Vorkriegszeit Schulden in stabiler Whrung hatten, die sie mit entwerteter Mark nicht zurckzahlen konnten.

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chen, denen der Handel unter den Bedingungen der Handels- und Devisenkontrolle unterlag.184 Die Einfuhr und Ausfuhr von Waren ohne besondere Genehmigung war grundstzlich verboten. Ein- und Ausfuhrkontrolle hatten sowohl handels- als auch devisenpolitische Ziele. Man befrchtete, daß in Deutschland bençtigte Rohstoffe, Lebensmittel und Fertigwaren wegen des niedrigen Markkurses im Ausland verschleudert wrden. Die Ausfuhrkontrolle sollte sicherstellen, das „lebenswichtige“ Gter gar nicht und alle anderen nicht unter Wert exportiert wurden sowie genug Devisen hereinkamen, um fr Rohstoffeinfuhren bezahlen zu kçnnen. Der Industrie sollten sie ermçglichen, den Inlandsmarkt zu gnstigeren Preisen zu versorgen als den Exportmarkt, was voraussetzte, daß fr den heimischen Markt verkaufte Ware nicht doch noch ihren Weg ins Ausland fand. Bei der „Preisprfung“ wurde nach verschiedenen Methoden aus Grçßen wie dem Vorkriegsinlandspreis, dem Vorkriegsauslandspreis, der seitherigen Kursentwicklung der Mark gegenber der Whrung des Einfuhrlandes, dem Dollarkurs und einer fr jedes Einfuhrland verschiedenen Konstante ein angemessener Weltmarktpreis errechnet. Einfuhrkontrollen sollten verhindern, daß der Verfall der Mark durch die Hergabe von Devisen fr unnçtige Einfuhren beschleunigt wurde und die Absatzmçglichkeiten deutscher Firmen im Inland schtzen. Diese Zwecke wurden mittels detaillierter, von zahlreichen staatlichen und halbstaatlichen Sstellen administrierter Vorschriften verfolgt: Zahlreiche Außenhandelsstellen mit Unterorganisationen, wie Preisprfungsstellen, Unter- sowie Fachausschssen, regeln zurzeit den deutschen Export und haben eine so große Zahl von Vorschriften geschaffen, daß es heute wohl nur sehr wenige am Export interessierte Leute gibt, die eine volle bersicht ber die Gesamtheit der Vorschriften fr den Export deutscher Fabrikate und Handelsobjekte besitzen.185

Dabei fallen drei Dinge ins Auge: (1) „Bei Betrachtung der bisherigen Entwicklung der Außenhandelsregelung findet man, wie eng die Institution der Kontrolle mit der Verbandsbildung verknpft ist.“186 Die Außenhandelsstellen waren „Selbstverwaltungskçrper“, die einem „Außenhandelskommissar“ beim Reichswirtschaftsministerium unterstanden und von einem Ausschuß beraten wurden, in dem Produzenten und Verbraucher vertreten waren. Die Verbnde bildeten das tragende Element der Außenhandelskontrolle, und die Außenhandelsstellen regten bisweilen auch die Bildung von Branchenverbnden an, wo diese noch nicht bestanden. In der Praxis bestimmten die Verbnde ber die Preise, Zahlungs- und Lieferbedingungen und die Außenhandelskontrolle erlaubte es ihnen, allen Fabrikanten (auch den nicht 184 Vgl. Stern. Die folgenden Ausfhrungen sttzen sich, so nicht anders vermerkt, pauschal auf dieses Werk. 185 Stern, S. 121. 186 Stern, S. 87.

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verbandlich gebundenen) ihre Preise und Vertragsbedingungen aufzuzwingen. Die von den Außenhandelsstellen bestellten „Preisprfer“ entstammten ebenfalls den Verbnden. Darber hinaus griff die Außenhandelskontrolle auch im Sinne der Verbnde in das Verhltnis zwischen Fabrikant und Exporteur ein, indem sie vom Exporteur eine „Lieferwerksbescheinigung“ verlangte, durch die nachgewiesen wurde, daß der Fabrikant mit dem Export der Ware einverstanden war und einen Anteil am durch den niedrigen Markkurs bedingten „Valutagewinn“ erhielt.187 Die Lieferwerksbescheinigung wurde damit aus einem Instrument der internen Verbandspolitik, das es in der Vorkriegszeit gewesen war, zu einer çffentlich-rechtlichen Einrichtung, diente aber natrlich weiterhin ihrem ursprnglichen Zweck der Ausschaltung von Konkurrenz. Darber hinaus gebrauchten die Verbnde die Außenhandelskontrolle auch zur Marktbeeinflussung. Die Margarinefabrikanten etwa verlangten zunchst vehement die Aufhebung der ihre Fabrikation beeintrchtigenden Einfuhrbeschrnkungen fr le und Fette, traten aber nach weniger als drei Monaten erneut an das Ernhrungsministerium mit der Forderung heran, die Einfuhr wieder zu verbieten. Mittlerweile war nmlich eine bersttigung des Marktes mit Margarine eingetreten.188 (2) In Zielsetzungen, Regeln und Verwaltungspraxis der Außenhandelskontrolle zeigt sich eine extreme branchenmßige Fragmentierung, selbst wieder eine Folge der starken Rolle der (Branchen-)Verbnde. Stern bençtigt 30 Seiten zur Aufzhlung der wichtigsten Stellen und der jeweiligen Antragsbedingungen189 – u. a., ob beim Verband besondere Formulare fr die Stellung von Exportantrgen gekauft werden mußten, nur ein bestimmter Bruchteil eingefhrter Rohwaren fr Exporte verwendet werden durfte, ob die Beibringung der geforderten Unterlagen eine gewisse Aussicht auf Erteilung der Exportgenehmigung bot oder die Genehmigungspraxis besonders restriktiv gehandhabt wurde, ob eine Kontingentierung bestand oder eventuell nur Waren des oberen Preissegments ausgefhrt werden durften. (3) Die Handelskontrolle wurde unter weitgehender Abkehr von rechtsstaatlichen Grundstzen durchgefhrt. Die Außenhandelsstellen bten sowohl legislative als auch exekutive Befugnisse aus. Gegen ihre Verwaltungsentscheidungen gab es keinerlei Rechtsmittel, auch eine Haftung fr Fehlentscheidungen und Schden bestand nicht. Feste Grundstze fr die Arbeit der Außenhandelskontrolle gab es nicht und konnte es angesichts der branchenmßigen Zersplitterung nicht geben, weshalb immer wieder Kritik an willkrlichen Entscheidungen gebt wurde.190 Verstçße gegen die Außenhandelskontrollbestimmungen seitens der Kaufleute und Fabrikanten hinge-

187 188 189 190

D’Oleire, S. 16 f. Aufz. ber die Sitzung des Devisenbeirats, 15. 1. 1921, AA-PA R 117189. Stern, S. 57 – 85. D’Oleire, S. 34 ff.

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gen wurden mit der Verweigerung weiterer Ausfuhrgenehmigungen sowie mit Gefngnisstrafen geahndet. Ergnzt wurde die Außenhandelskontrolle durch eine Kontrolle des Devisenverkehrs. Diese sollte den Kurs der Mark sttzen, Kapitalflucht verhindern, durch Einkassierung aller Exporterlçse der Einfuhrwirtschaft Devisen zur Verfgung stellen, die Exporteure an der „Flucht aus der Mark“ hindern sowie schließlich die Spekulation unterbinden. Die Reichsbank lehnte die Devisenbewirtschaftung aus praktischen Erwgungen zunchst ab, denn schon whrend des Krieges habe die Devisenanmelde- und Ablieferungspflicht die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfllt. Die Begrndung der Reichsbank zeigt, welche grundstzlichen Voraussetzungen und Konsequenzen die staatliche Regulierung von Zahlungen hat: Eine Devisenordnung ohne schrfste berwachung der Grenzen, ohne schrfste und geschlossenste berwachung des Post-, Paket-, Telegraphen- und Telephonverkehrs mit dem Ausland ist … berhaupt nicht denkbar. Und die geforderte berwachung ist heute eine glatte Unmçglichkeit. Geldkapital jeder Art ist von der denkbar grçßten Beweglichkeit.191

Eine berwachung des Kapitalverkehrs wrde die Bewegungsfreiheit des Handels einschrnken und „lediglich den ehrlichen Leuten Schwierigkeiten machen, und den anderen gute Geschfte ermçglichen.“192 Das Bekenntnis zur wirtschaftlichen Freiheit lief fr die Beamten der Reichsbank allerdings nur darauf hinaus, einen anderen Ansatzpunkt fr die Devisenpolitik zu empfehlen, nmlich die Erfassung der durch den Export hereinkommenden Devisen im Zuge der Außenhandelskontrolle und die Vorschrift, Ausfuhren nur gegen Devisen vorzunehmen (davon kam man zwischenzeitlich wieder ab, als die Reichsbank beim kurzzeitigen Ansteigen des Markkurses Millionen verloren hatte). Eine Kontrolle der Devisenzu- und -abflsse sei unentbehrlich, solange nicht die Reparationsfrage geklrt und eine Goldwhrung eingefhrt sei. Lockerungen der Bestimmungen sollten vermieden werden, da „es fr die Wirtschaft leichter ist, dauernd Zwangsverhltnisse zu ertragen als einen Wechsel von Freiheit und Zwang.“193 So wurde nach und nach der gesamte Zahlungsverkehr mit dem Ausland der Kontrolle und einem Genehmigungszwang unterworfen. Die Zahlung mit 191 Abhandlung Reichsbankdirektor Dr. Friedrich, „Fakturierung in Auslandswhrung bei Ausfuhr. Die Notwendigkeit vermehrter Schaffung und Ablieferung von Exportdevisen“, o.D. (1921), BAL R 2501/6432/21a.19. Vgl. auch Aufz. Geheimrat Kaufmann, „Grnde gegen die Wiedereinfhrung einer Devisenverordnung“, 17. 6. 1922, BAL R 2501/6435/21b.16. 192 Aufz. Geheimrat Kaufmann, „Grnde gegen die Wiedereinfhrung einer Devisenverordnung“, 17. 6. 1922, BAL R 2501/6435/21b.16. 193 Aufz. Statist. Abt. „Zur Frage der Aufhebung der bestehenden, den wirtschaftlichen Verkehr beschrnkenden gesetzlichen Vorschriften“, 18.9.23, BAL R 2501/6435/21b.34. RB-Verluste durch den Kursanstieg der Mark: Aufz. Geheimrat Kaufmann, „Niederschrift ber die Ttigkeit der Reichsbank im Devisenhandel“, o.D. (1920), BAL R 2501/6435/21.b1.

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auslndischer Whrung im Inland, der Transfer von Vermçgenswerten ins Ausland, der Erwerb auslndischer Wertpapiere oder Zahlungsmittel gegen Mark waren verboten. Zu den ergriffenen Maßnahmen zhlen darber hinaus der Bankzwang fr Devisentransaktionen, Ablieferungs- und Meldepflichten und dergleichen mehr. Auch die Postberwachung wurde folgerichtig wieder eingefhrt. Der Devisenerwerb durfte nur zu „im Interesse der deutschen Wirtschaft notwendigen Zwecken“ erfolgen, wozu die „Vermçgensanlage“ – also die Sicherung gegen den Kursverfall der Mark – ausdrcklich nicht zhlte.194 Die Maßnahmen fanden einen Hçhepunkt in der Verordnung vom 7. 9. 1923, die das Amt des Kommissars fr Devisenerfassung schuf. Er hatte das Recht, Zahlungsmittel und Forderungen in auslndischer Whrung sowie auslndische Wertpapiere und Edelmetalle „in Anspruch zu nehmen.“ Eingezogene Zahlungsmittel oder Forderungen wurden gegen eine Goldanleihe des Reiches ausgetauscht. Die Befugnisse des Devisenkommissars waren nahezu unbegrenzt: Er konnte von jedermann jede Auskunft fordern und bei jedermann Einsicht nehmen und Durchsuchungen vornehmen lassen, jedermann zur Erklrung vorladen und von jedermann die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollstndigkeit seiner Angaben verlangen. Unrechtmßig erworbene oder entgegen seiner Anordnung zurckgehaltene auslndische Zahlungsmittel konnte er ohne Entschdigung zugunsten des Reiches fr verfallen erklren. Er konnte Banken das Recht entziehen, Geschfte mit Zahlungsmitteln oder Forderungen in auslndischer Whrung abzuschließen oder zu vermitteln, Firmen die Handelskammerbescheinigung, Personen und Personenvereinigungen die Zulassung zur Bçrse entziehen.195

Aber auch schon vor der Einsetzung des Devisenkommissars fllt ein extrem willkrliches und mißtrauisches Vorgehen der Finanzbehçrden auf. Die Bestimmungen der Devisenkontrolle wurden, nicht anders als die der Handelskontrolle, laufend verschrft.196 Die mit der Durchfhrung dieser Bestimmungen betrauten Stellen erfuhren von diesen nderungen hufig zuerst aus der Tagespresse. Die Deutsche Bank etwa klagte, die von ihr zwecks Einholung einer neu eingefhrten Genehmigung an die Finanzmter verwiesenen Kunden seien zunchst unverrichteter Dinge zurckgekehrt, da die Finanzmter von der Neuerung noch gar nichts gehçrt hatten und sie fr „unverstndlich und unberechtigt“ erklrten. Als die Finanzmter dann „unter dem Druck des Publikums“ begannen, Genehmigungen auszustellen, gingen sie 194 Vgl. z. B. VO v. 8. 5. 1923, RGBl. v. 14.5.1923. 195 Aufz. Blessing, „Die Wirkung der deutschen Devisengesetzgebung auf die Gestaltung der fremden Wechselkurse“, BAL R 2501/6435/21b.49. 196 Eine Zusammenstellung der Reichsbank listet bereits fr die noch relativ ruhigen Jahre 1914 – 1921 insgesamt 83 Verordnungen ber Devisenverkehr, Kapitalflucht und auslndische Wertpapiere auf: BAL R 2501/6431/21.22. Fr eine vollstndige Zusammenstellung der Maßnahmen seit Kriegsbeginn vgl. Aufz. Blessing, „Die Wirkung der deutschen Devisengesetzgebung auf die Gestaltung der fremden Wechselkurse“, BAL R 2501/6435/21b.49.

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dabei von sehr verschiedenen Grundstzen aus. „Aus der nur allmhlichen Annahme unseres Standpunktes seitens der Finanzmter ging leider klar hervor, dass bei denselben teils absolute Unkenntnis, teils Verwirrung herrschte.“ Auch die Finanzmter mußten spter einrumen, von den verschrften Kapitalfluchtbestimmungen berrascht worden zu sein, weshalb die Antragsflut mit Hilfe von „gnzlich ungeschulten“ Beamten bearbeitet werden mußte.197 Dennoch wandten die Behçrden die Bestimmungen mit aller Strenge an, sobald sie Kenntnis von ihnen erlangten. Auf bloßen Verdacht hin erhoben sie Klagen. Teils griffen sie auch zu unorthodoxen Methoden – so wurde etwa erwogen, einer Firma „das Postscheckkonto und gegebenenfalls den Telephon-Anschluß zu entziehen“. Selbst kleine Flle, bei denen es um einen ursprnglich rechtmßig zur Importfinanzierung erworbenen, dann aber doch nicht verwendeten Betrag von $ 100,– ging, fhrten zu einer umfassenden Korrespondenz zwischen Reichsbank, Wirtschaftministerium und lokalen Verwaltungsstellen.198 Die Mçglichkeit, sich den Bestimmungen der Devisen- und Handelskontrollen zu entziehen, war durchaus gegeben, allerdings stand sie nicht jedem im gleichen Maße offen. Banken, insbesondere solche mit Filialen im Ausland, besaßen in dieser Hinsicht naturgemß besonders weitgehende Mçglichkeiten. Außerdem setzten sich die Banken in grenznahen Gebieten im Verkehr mit auslndischen Kontoinhabern routinemßig ber die Bestimmungen hinweg.199 Etablierte Handelsfirmen und Fabrikanten erhielten von den Handelskammern eine Bescheinigung, daß sie fr ihren Geschftsbetrieb regelmßig Devisen bençtigten, und konnten auf diese Weise dem Zwang zur Einzelgenehmigung von Einfuhrgeschften und Devisenerwerb entgehen. Wer aus dem Ausfuhrgeschft Deviseneinnahmen erzielte, mußte diese zwar bei der Reichsbank abliefern, hatte aber die Mçglichkeit, durch entsprechende Gestaltung der Rechnungen einen Teil der Einnahmen zu verschleiern und im Ausland stehen zu lassen. Selbst wer seine Devisen letztlich ablieferte, konnte das durch die Berufung auf einen angeblichen Zahlungsverzug seitens des Kunden verzçgern und in der Zwischenzeit sich entweder durch das Halten der Devisen gegen den Kursverlust der Mark sichern, sie selbst fr weitere Geschfte nutzen oder an andere devisenhungrige deutsche Hndler gegen Zinsen ausleihen – die Devisenzuteilungen fr Einfuhren gingen nmlich immer weiter zurck, so daß Ende 1923 nur noch 1 % der beantragten Devisen zugeteilt werden konnten. Filialen im Ausland boten die Mçglichkeit, Profite im Ausland anfallen zu lassen, Devisen fr die kostspielige Broausstattung 197 Aufz. der Rechtsabteilung der DB, „Finanzmter-Praxis in der ersten Zeit der Anwendung des Gesetzes gegen die Kapitalflucht in seiner jetzigen Fassung“, 6. 3. 1923; CBB an RFM, 16. 2. 1923, Aufz. DB, 23.7.1923. BAL R 88119F/P-10326, und zahlreiche weitere Schriftstcke im selben Band. 198 RB an RWM, 9. 5. 1923, BAL R 3101/7689. Im selben Band zahlreiche andere Beispiele fr zur Kenntnis der Behçrden gelangte Verstçße und Verdachtsflle. 199 DB Kçnigsberg an DB Berlin, 22. 3. 1923, 3. 5. 1923, Aufz. DB, 8. 5. 1923, BAL R 88119F/P-10326.

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(die dann mçglicherweise doch in Mark bezahlt wurde) zu beanspruchen und hnliche Buchhaltungstricks anzuwenden. Allerdings waren die Finanzbehçrden z. T. der Auffassung, daß etwa der Kauf von Ziegelsteinen fr Baumaßnahmen von Auslandsfilialen einen Devisenerwerb nicht rechtfertige. Trotz der umfassenden Verbote rechnete und zahlte schon 1922 der grçßte Teil der Wirtschaft in Gold oder Devisen oder auf der Basis z. B. des Getreidepreises; Mark wurden nur noch fr den laufenden Zahlungsverkehr genommen und sofort zum Tageskurs in wertbestndige Zahlungsmittel bzw. Anlagen umgetauscht. Die Industrie hatte schon in den ersten Nachkriegsjahren erfahren mssen, daß die Whrungsschwankungen ihr die Kalkulation fast unmçglich machten. Zahlreiche Vertrge platzten, als sich deutsche Firmen nach Whrungsvernderungen nicht mehr in der Lage sahen zu liefern, und deswegen ging man vielfach dazu ber, nur noch „freibleibende“ Angebote, d. h. solche ohne Preisangabe, abzugeben. Mit dem Abebben der Nachkriegskonjunktur waren die Abnehmer jedoch nicht mehr bereit, das hinzunehmen. Von da an wurde nur noch in auslndischer Whrung kalkuliert und fakturiert. Da das Ausland von deutschen Importeuren keine Mark mehr annahm, wurden auch im Binnenverkehr zuerst Rohstoffe, dann die daraus erzeugten Halbwaren und schließlich auch Fertigwaren nur noch gegen Devisen bzw. auf Devisenbasis gehandelt.200 Allein der Staat und der Kleinverkehr, dem sich kein Weg um die Devisenbestimmungen herum bot, hielten notgedrungen an der Mark fest – allerdings begannen 1923 sogar staatliche Stellen wie etwa das Land Hessen und einige Kurverwaltungen, ihre Mittel in Devisen anzulegen.201 Auch die Reichsbank stellte fest, gegen die Devisenbestimmungen sei „in letzter Zeit sogar von ersten Bankfirmen in hohem Grade verstoßen worden“. Auch mit schrfsten Bestimmungen kçnne man „den Kapitalbesitz besonders der wirtschaftlich mchtigsten Kreise nicht hermetisch innerhalb der Grenzen der heimischen Volkswirtschaft“ einschließen.202 Erst mit der Stabilisierung der Whrung nach dem Dawes-Plan und dem Auslaufen der einseitigen Meistbegnstigung 1924/25 wurden die Beschrnkungen des Devisenverkehrs, Aus- und Einfuhrverbote weitgehend abgebaut. Schon in der Bankenkrise 1931 aber fhrte die Reichsregierung erneut eine nun deutlich schrfere Devisenbewirtschaftung ein. Letztlich mußten Handels- und Devisenkontrollen, soweit sie dem Schutz der Whrung dienen sollten, dieses Ziel schon deswegen verfehlen, weil alle Maßnahmen zum Whrungsschutz angesichts der Geld- und Haushaltspolitik des Reiches zum Scheitern verurteilt waren und kaum ins Gewicht fielen. Auch 200 Vgl. Zentralverband des Deutschen Großhandels an RWM, 12.12.22, Abschrift in BAL R 2501/ 6542/24.12. 201 Holtfrerich, S. 301 – 311; Aktennotiz RWM, 6. 8. 1923, BAL R 3101/7689. 202 Vorschlag eines Gesetzes zum Schutze der Whrung, 7. 3. 1924, BAL R 2501/6431/21.29; Aufz. „Zur Einfhrung einer Mark Banco“, o.D. (1922), BAL R 2501/6542/24.9; Aufz. Piper : „Die Kapitalflucht und Massnahmen zu ihrer Bekmpfung in Deutschland, Frankreich, England, Russland und Italien“, 1. 5. 1926, BAL R 2501/6558/35.14.

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die Reichsbank notierte im Rckblick auf die Arbeit des Devisenkommissars: „Auch diese diktatorischen Maßnahmen konnten den Verfall der Whrung nicht nennenswert aufhalten.“203 Dennoch fiel das Urteil der Reichsbankbeamten im Rckblick auf die Jahre der Devisenkontrollen bemerkenswert positiv aus. Theoretisch wurde eine Devisenbewirtschaftung zwar weiterhin mißbilligt, aber praktisch untersttzte die Reichsbank die Maßnahmen und hielt sie fr zweckmßig und angemessen. Die vier Grundprinzipien der deutschen Devisengesetzgebung seien richtig und wirksam: Zentralisierung des Devisenhandels bei den Banken; Abgabe von Devisen nur nach Prfung des Verwendungszwecks; Verbot des Handels zu anderen als den amtlich festgesetzten Kursen; Kontrolle der Zahlungen an das Ausland. Die damit dem Archiv anvertraute Erfahrung wurde schon bald wieder als Grundlage neuer Notmaßnahmen bençtigt.204

Vom Whrungsschutz zum gelenkten Außenhandel: Devisenbewirtschaftung in der Weltwirtschaftskrise Nach den Erfahrungen der Inflationszeit herrschte ein grundlegendes Mißtrauen gegenber der langfristigen Sicherheit von Markguthaben. Verstrkt wurde dieses durch die politische Unsicherheit nach dem Wahlerfolg der NSDAP im September 1930, die bereits einen erheblichen Abzug deutschen wie auslndischen Kapitals auslçste. Einige Banken versuchten, die Reichsbank fr den Fall weiterer Kapitalabzge zu Beschrnkungen des Devisenverkehrs zu veranlassen, weil sie frchteten, nicht ber ausreichende Mittel zur Rckzahlung der Einlagen zu verfgen. Schon im Februar 1931 wurden wieder Bestimmungen gegen die „Kapitalflucht“ erlassen, die aber wohl vor allem die Wirkung hatten, noch breiteren Kreisen den Ernst der wirtschaftlichen Lage vor Augen zu fhren und ihnen den Abzug ihrer Einlagen bei deutschen Banken nahezulegen.205 Als im Juli 1931 whrend der Bankenkrise der Abzug der kurzfristigen auslndischen Kredite und der Zusammenbruch des deutschen Bankensystems drohten, wurde mit der Verordnung vom 15. 7. 1931 erneut eine Devisenbewirtschaftung eingefhrt.206 Aus der kurzfristigen Notmaßnahme zum Schutz der Whrung wurde rasch das zentrale Instrument einer politischen Lenkung außenwirtschaftlicher Beziehungen. 1938 kommentierte ein nationalsozialistischer Autor : 203 Aufz. Blessing, „Die Wirkung der deutschen Devisengesetzgebung auf die Gestaltung der fremden Wechselkurse“, BAL R 2501/6435/21b.49. 204 Aufz. Blessing, „Die Wirkung der deutschen Devisengesetzgebung auf die Gestaltung der fremden Wechselkurse“, BAL R 2501/6435/21b.49. 205 Feldman, Deutsche Bank, S. 280, 290 f. 206 Vgl. dazu bereits oben I.5b und die dort zitierte Literatur (v. a. James, Slump; James, End; Feldman, Deutsche Bank).

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So wurde die Devisenbewirtschaftung zu einem Vorgang von einzigartiger Dynamik, in dem alle grundlegenden Fragen, von langem her sich anbahnenden Entwicklungen und Notwendigkeiten der deutschen Wirtschaftspolitik zum Ausdruck kamen und nach Lenkung und Lçsung drngten.207

Die Devisenbewirtschaftung in der Weltwirtschaftskrise illustriert den Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlicher, einzelwirtschaftlicher und staatlicher Verschuldung,208 der auch in der Krisenbekmpfung zum Ausdruck kam, aber auch die typische Dynamik von Maßnahmen zur Kontrolle weltwirtschaftlicher Verflechtungen. Die Einrichtung der Devisenbewirtschaftung fand, wie zu erwarten war, unter panikartigen Umstnden und im Wege der Improvisation statt. Der Andrang des Publikums bei der Devisenstelle war trotz verlngerter ffnungszeiten nicht zu bewltigen. Die große Arbeitslosigkeit erlaubte es immerhin, kurzfristig eine große Zahl stellenloser „Bankbeamter“ einzustellen und auf das „ungeeignete“, von den Finanzmtern berwiesene Personal zu verzichten. In den ersten Tagen und Wochen der Devisenbewirtschaftung wurden die Richtlinien und Verordnungen in rascher Folge ergnzt und verndert, so daß die Devisenstelle die Neuerungen teils „aus der Tagespresse zu entnehmen hatte. Fast jeder Antrag stellte die Stelle fr Devisenbewirtschaftung vor ungeklrte, vielfach usserst komplizierte Fragen von grundstzlicher Bedeutung“. Fehlentscheidungen und Widersprchlichkeiten waren daher nach der Einschtzung der zustndigen Beamten an der Tagesordnung. Ob die Devisenstelle fr Fehlentscheidungen schadensersatzpflichtig war, blieb unklar.209 Die Devisenbewirtschaftung diente mehreren wechselnden und teils einander widersprechenden Zielen. Ihr Auslçser war das Bemhen, einen panikartigen Abzug der kurzfristigen Auslandskredite zu verhindern, die deutsche Banken aufgenommen und als langfristige Anleihen an ihre Kunden weitergegeben hatten. Ihr Abzug htte nicht nur das deutsche Bankensystem zum Einsturz gebracht, sondern auch den Konkurs zahlreicher privater Schuldner ausgelçst. Außerdem konnte die Reichsbank, die seit langem nur noch ber knappe Devisenreserven verfgte, abgezogene Mittel nicht in Devisen umtauschen, so daß ein Zusammenbruch der Mark drohte. Auch die auslndischen Banken, die mit deutschen Banken ber ein „Stillhalteabkommen“ zur Sicherung und Festlegung der kurzfristigen Kredite in Deutschland verhandelten, verlangten staatliche Maßnahmen gegen einen weiteren Kapitalabzug whrend der Stillhalteverhandlungen. Selbstver207 Mller, S. 10. 208 Vgl. dazu auch oben Abschnitt I.5. 209 Zur Einfhrung der Devisenbewirtschaftung vgl. Aufz. Reichsbankrat Jost, „Bericht ber die Einrichtung der Stelle fr Devisenbewirtschaftung beim Landesfinanzamt Berlin“, 25. 8. 1931, BAL R 2501/6436/21.65. Zur Abfolge der einzelnen Verordnungen und ihrem Inhalt vgl. Eisemann, Kreditverkehr; Ebi, Devisenrecht; Mller; Hartenstein.

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stndlich wollten die Banken, die sich verpflichteten, unsicheren Schuldnern langfristig erhebliche Kapitalien zur Verfgung zu stellen, sicherstellen, daß diese Situation nicht von anderen Glubigern genutzt wurde, ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Auch befrchtete man angesichts der Gefahren fr den Kurs der Mark und der leicht wiederzubelebenden Inflationsngste eine neue Welle der Kapitalflucht. Bereits geflohene Kapitalien sollten durch die Pflicht zur Anzeige und Ablieferung von Devisenbesitz zurckgeholt werden. Schließlich gaben die Stillhalteabkommen zumindest ein Anrecht auf Devisenzuteilung fr die Zinszahlungen.210 Zu Beginn der Devisenbewirtschaftung standen also der Whrungsschutz, der Schutz des Bankensystems und die Untersttzung der Stillhalteverhandlungen im Mittelpunkt. Zugleich sollte die Devisenbewirtschaftung aber auch handelspolitischen Zielen dienen: Der Devisenerwerb wurde anfangs nmlich nur fr den Kauf auf einer geheimgehaltenen Liste verzeichneter besonders notwendiger Einfuhrwaren bewilligt. Schacht hatte damals bereits vorgeschlagen, Deutschland solle sich vom Ausland abkoppeln und ber Devisenzuteilungen steuern, welche Produkte aus welchen Lndern eingefhrt und welche Auslandsschulden noch bedient werden konnten. Das „protektionistische“ System der Devisenbewirtschaftung wurde jedoch bald wieder abgeschafft, da eine große Zahl von Firmen, die berhaupt nicht mit Artikeln auf der Einfuhrliste handelten, so in ihrer Existenz bedroht wurden, vor allem aber, weil andere Staaten darin einen Bruch ihrer mit Deutschland abgeschlossenen Handelsvertrge erblickten. An die Stelle des Listensystems trat daraufhin ein Kontingentsystem, das allen Importeuren, die durch eine Bescheinigung der Handelskammern eine regelmßige Einfuhrttigkeit nachweisen konnten, je nach Verfgbarkeit von Devisen einen gewissen Prozentsatz ihres Devisenbedarfs zuteilte. Damit wurde eine handelsvertragswidrige Diskriminierung zu Lasten einzelner Warenarten vermieden. Fr den Importhandel blieb der Zugang zu Devisen aber erschwert, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß die Wirtschaftskrise ohnehin ein Absinken der Importund damit der Devisennachfrage zur Folge haben mußte. Der normale Devisenbedarf eines jeden Betriebes wurde auf 50 % seines Importvolumens im Oktober 1931 festgesetzt, so daß Firmen, die in dieser Zeit berhaupt nicht importiert hatten, keine Devisen bekamen; fr Firmen, die mit Saisonartikeln handelten, wurde der Normalbedarf auf der Grundlage einer „toten“ Jahreszeit errechnet. Ohnehin wurden erst nur 75 %, bald nur noch 50 % des so festgestellten Devisenbedarfs auch tatschlich zugeteilt.211 Es zeigte sich rasch, daß mit dem Festhalten der nach Deutschland als kurzfristige Kredite verliehenen Kapitalien mçglicherweise die Banken-, aber nicht die Whrungskrise bewltigt werden konnte. Der Devisenbestand bei der Reichsbank blieb gefhrlich niedrig. Die vorhersehbare Reaktion auf diese 210 Vgl. hierzu oben I.5b und zu den Stillhalteabkommen Wegerhoff. 211 Eisemann, Kreditverkehr, S. 63 – 67.

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Erkenntnis war die Verschrfung der Devisenbestimmungen. Die ab Oktober 1931 nach und nach getroffenen Maßnahmen liefen darauf hinaus, berhaupt jeden vermeidbaren Devisenabfluß aus Deutschland zu verhindern und den Transfer von Vermçgenswerten in auslndische Whrungen zu unterbinden.212 Schließlich konnten weder Zins- und Tilgungszahlungen auf lngerfristige auslndische Kredite noch der Erlçs aus dem Verkauf von Wertpapieren, Grundstcken und anderen Kapitalanlagen mehr transferiert werden. Zahlreiche Einzelbestimmungen sollten alle auch nur erdenklichen Schlupflçcher fr die „Kapitalflucht“ schließen. Die Freigrenze fr Devisenbesitz wurde von anfangs 20.000 auf 200 Mark gesenkt. Im Frhjahr 1932 war das System der Devisenkontrollen aus der Sicht der Reichsbank „fast lckenlos“, in der Praxis fanden sich aber offensichtlich noch zahlreiche Lcken. Die Reichsbank wies die Devisenstellen an, bei der Bearbeitung von Devisenantrgen die grçßtmçgliche Strenge walten zu lassen, Dokumente genauestens zu prfen und bei kleinsten Zweifeln an der „Notwendigkeit und volkswirtschaftlichen Berechtigung der Anforderung“ den „Antrag auf Devisenbeschaffung trotz Freigrenze, spezieller oder genereller Genehmigung abzulehnen.“ Diese wiederholten Mahnungen ergingen allerdings nicht zuletzt aus dem Grunde, daß die „Reichsbankbeamten aus einer an sich nicht tadelnswerten kaufmnnischen Einstellung heraus leicht geneigt sind, fr Zuwiderhandlungen gegen die Devisenvorschriften diese oder jene Entschuldigung zu finden.“ Diese Praxis sei jedoch „angesichts der zahlreichen Zuwiderhandlungen und der ungnstigen Entwicklung der Devisenlage der Reichsbank wie angesichts des ganzen Ernstes der allgemeinen Lage in keiner Weise am Platze.“ Ein Schnellgerichtsverfahren fr Devisenverstçße wurde eingerichtet.213 Der Abfluß von Devisen wurde durch die Kontrollmaßnahmen allmhlich gestoppt, doch gingen auch die Devisenzuflsse immer weiter zurck. Da bereits alle in privatem Besitz befindlichen Devisenbestnde ber 200 Mark abgeschçpft waren und Kredite nicht mehr nach Deutschland vergeben wurden, blieben zur Deckung der Ausgaben des Reiches und der wichtigsten Importe allein die Deviseneingnge aus dem Exporthandel. Auch hier trat an die Stelle einer bloßen Anbietungspflicht bald ein umfassendes Kontrollsystem. Dieses brachte allerdings die Exportfirmen dazu, alle Mçglichkeiten zu nutzen, ihre Einnahmen im Ausland stehen zu lassen, so daß die Devisenbewirtschaftung vermutlich sogar das Devisenaufkommen verringerte.214 Darber hinaus wurden die Mechanismen der Devisenkontrolle zur gezielten Subventionierung deutscher Exporte eingesetzt, die auf dem Weltmarkt nach der Abwertung des Pfundes und dem Aufbau immer neuer Zollmauern kaum

212 Mller, S. 208. 213 RB-Direktorium an RB-Anstalten, 24. 9. 1931, 15. 11. 1931, BAL R 2501/6438/21.94. 214 Eisemann, Kreditverkehr, S. 61 f.

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noch konkurrenzfhig waren.215 Doch Deutschland war hier kein Opfer des Protektionismus anderer Staaten, sondern Vorreiter und Schrittmacher der Bewegung zur gegenseitigen Abschottung, wobei wieder der Devisenpolitik eine entscheidende Rolle zukam.216

Wirkungen der Devisenbewirtschaftung Schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung entstand in Deutschland faktisch ein neues Wirtschaftssystem, das auf der Devisenbewirtschaftung, der Rationierung der Einfuhren nach dem Devisenbestand und der Umlenkung der Handelsstrçme nach Devisenerwgungen beruhte. Bereits bevor mit Hjalmar Schachts „Neuem Plan“ 1934 endgltig die planmßige Lenkung des gesamten Außenhandels mit dem Mittel der Devisenpolitik institutionalisiert wurde, konnte festgestellt werden, die Devisenregulierung trage „die Tendenz zur Planbewirtschaftung des Außenhandels in sich“.217 Diese Tendenz wurde zunchst schlicht als Folgewirkung der Whrungsschutzmaßnahmen wirksam, von manchen aber von vornherein auch als systemische Alternative begriffen. Die strukturellen Wirkungen der Devisenbewirtschaftung zeigten sich auf der volkswirtschaftlichen, der betriebswirtschaftlichen und der rechtlichen Ebene. Ein wichtiger Grund fr die immer geringeren Deviseneingnge und das stndig sinkende Handelsvolumen lag darin, daß neben dem Deutschen Reich auch zahlreiche andere Staaten, insbesondere in Lateinamerika und Sdosteuropa, zur Devisenbewirtschaftung Zuflucht genommen hatten. Der erste Schritt auf diesem Weg war zumeist, daß ausstehende auslndische (darunter natrlich auch deutsche) Forderungen auf Sperrkonten eingefroren wurden. Devisen fr weitere Einfuhren wurden nur noch in geringem Maße bereitgestellt. Diese Situation fhrte zu einer großen Anzahl zwischenstaatlicher und privater Abmachungen mit dem Ziel, den Handelsverkehr auf irgendeine Weise auch ohne Devisen in Gang zu halten und die eingefrorenen Forderungen wieder „aufzutauen“. Die wichtigste Rolle spielten bilaterale ClearingAbkommen, die auf dem Prinzip basierten, die Zahlungsverpflichtung des 215 Schon 1932 wurde das sog. „Auslandsbondsverfahren“ geschaffen, mit dem deutsche Firmen Verluste aus Exportgeschften dadurch kompensieren konnten, daß sie mit ihren Deviseneinnahmen im Ausland deutsche Wertpapiere aufkaufen durften. Diese konnten sie auf dem inlndischen Kapitalmarkt mit Gewinn verkaufen (im Ausland waren diese Papiere nicht viel wert, weil ja die Ertrge nur zum Teil transferiert werden konnten, auf dem Binnenmarkt hingegen fehlte es an attraktiven Anlagemçglichkeiten). Auf diese Weise wurden nicht nur Exporte subventioniert, sondern zugleich die deutschen Transferverpflichtungen abgebaut. Vgl. zur Exportfçrderung Ebi, Export, S. 32 – 61. 216 Tooze, S. 73; Clavin, Depression, S. 138, 164 f. 217 Eisemann, Kreditverkehr, S. 132 (Zitat); zum „Neuen Plan“ Tooze, S. 90 – 93 und zur deutschen Handelspolitik in dieser Zeit Spaulding.

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Importeurs an den Exporteur durch eine Verpflichtung zur Zahlung auf ein Sperrkonto bei seiner heimischen Notenbank zu ersetzen, die dann mit der Notenbank im Lande des Exporteurs die jeweils aufgelaufenen Forderungen verrechnete. Eine andere Mçglichkeit war das „Privat-Clearing“, bei dem deutsche Exporteure, die ber gesperrte Forderungen im Ausland verfgten, diese (mit erheblichem Abschlag) deutschen Importeuren anboten. Der Reemtsma-Konzern schloß mit Griechenland, der Trkei und Bulgarien Abkommen, nach denen Tabaklieferungen zum Teil gegen deutsche Wareneinfuhr und zum Teil gegen Altguthaben verrechnet wurden. Bisweilen nahm man auch zum direkten Tauschhandel Zuflucht. So wurde etwa brasilianischer Kaffee gegen deutsche Kohle fr die brasilianische Staatsbahn getauscht, und die gyptische Regierung kaufte vom Deutschen Stickstoff-Syndikat Dngemittel, whrend ein Konsortium Bremer Hndler den Gegenwert in Baumwolle abnahm.218 Das Deutsche Reich spielte die zentrale Rolle bei der Rckkehr zum Tauschhandel durch Clearing- und Kompensationsabkommen.219 Ein gemeinsames Merkmal dieser teilweise hochkomplexen Konstruktionen war, daß sie relativ schnell sowohl eine wirtschaftliche Abwrtsspirale als auch langfristig wirksame außenwirtschaftliche Strukturvernderungen in Gang setzten. Die bilateralen Clearingvertrge wirkten nach Ansicht der Reichsbank allerhçchstens als „Notbehelf in einer verfahrenen Situation“. In der Praxis fhrten sie entweder dazu, daß nicht transferierbare Forderungen aus Ausfuhrberschssen nun bei einer auslndischen Notenbank statt auf privaten Sperrkonten lagen oder daß bisher vorhandene Ausfuhrberschsse verschwanden, weil Exporte nur noch bis zum Wert der von einem Handelspartner empfangenen Importe im Wege des Clearing bezahlt werden konnten. Die Mçglichkeit zum großangelegten Tauschhandel erçffnete sich nur selten, und die Geschfte waren stets mit hohen Unkosten verbunden, die nur große Konzerne oder Verbnde mit staatlicher Untersttzung auf sich nehmen konnten.220 Die ber die Stillhalteabkommen eigentlich dem deutschen Handel zur Verfgung stehenden Kredite konnten wegen mangelnder Sicherheit nicht fr den Export in devisenbewirtschaftete Staaten verwendet werden. Das Clearing lief also auf einen bilateralen Ausgleich der Handelsbilanzen auf niedrigem Niveau hinaus. Weder eine Belebung des Handels noch ein Auftauen der eingefrorenen deutschen Forderungen wurde mit dem Clearing und vergleichbaren Methoden erreicht, was auch deswegen nicht verwundert, weil

218 Zum berblick vgl. Eisemann, Kreditverkehr, S. 91 – 102, 116 – 125; Aufz. RB, „Stand der Auslandsmoratorien“, 11. 8. 1932, BAL R 2501/6438/21b.92; Aufz. RB, „Deutschlands Erfahrungen mit Clearingvertrgen“, 28. 9. 1932, BAL R 2501/6438/21b.96. 219 Berend, History, S. 64. 220 Aufz. RB, „Deutschlands Erfahrungen mit Clearingvertrgen“, 28. 9. 1932, BAL R 2501/6438/ 21b.96.

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„der Sinn der Devisenzwangswirtschaft in allen Lndern gerade darin besteht, Kapitalrckzahlungen zu vermeiden.“221 Die Reichsbank erarbeitete zwischenzeitlich immer wieder Plne, die Devisenbewirtschaftung wieder abzubauen. Beispielswiese sollten die Stillhaltekredite durch eine „Flligkeit in Staffeln“ allmhlich abgeschmolzen und der Kapitalverkehr dann wieder freigegeben werden.222 Doch unter anderem wegen der raschen Umstellung auf Tauschhandel und Clearingabkommen war der Devisenbestand der Reichsbank zu gering, um an Kapitalrckzahlungen denken zu kçnnen. Die Reichsbank sah die Wiederherstellung eines freien internationalen Warenhandels als die Voraussetzung einer Freigabe des Devisenverkehrs an und sprach sich, da diese Voraussetzung nicht gegeben war, fr eine immer weitere Einschrnkung von Auslandszahlungen aus. Außerdem verschoben sich allmhlich die Prioritten; die wenigen verfgbaren Devisen sollten zunchst einmal fr Rohstoffeinfuhren ausgegeben werden.223 Im I. Teil dieser Arbeit ist bereits geschildert worden, wie durch Devisenbewirtschaftung und Stillhaltung der Weg in den außenwirtschaftlichen Regimewechsel eingeschlagen wurde. Die Institutionalisierung weltwirtschaftlicher Zusammenhnge, die whrend der ra Stresemann ein wichtiges Ziel deutscher Außenwirtschaftspolitik gewesen war, wurde nicht nur bei den Zahlungsverpflichtungen des Staates aufgegeben; aus den Notmaßnahmen der ra Brning wurden bereits vor der Machtbernahme der Nationalsozialisten Instrumente umfassender Wirtschaftskontrolle und politisch gelenkter Großraumwirtschaft. Der Gebrauch dieser Mittel der Wirtschaftspolitik konnte letztlich nur bestimmten Zielen dienen; den Weg zurck in eine freie Weltwirtschaft versperrte er jedenfalls immer mehr. Initiativen zum Abbau der Handels- und Devisenschranken gingen von Deutschland nicht aus; man richtete sich vielmehr zunehmend in den neuen Verhltnissen ein. Die in der Krise in allen Staaten zu beobachtenden „Elemente einer selbstzerstçrerischen Politik“, d. h. die Abkehr von weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und die Hinwendung zu wirtschaftlichen Großrumen,224 waren in Deutschland durch ihre spezifische Form, nmlich die Devisenbewirtschaftung, besonders rigide strukturbildend. Zu den strukturellen Konsequenzen von Clearingvertrgen und Devisenbewirtschaftung zhlte vor allem, daß nun nicht mehr Angebot und Nachfrage, sondern Devisenkontingente, die Verfgbarkeit von Tauschpartnern und die Sorge um eingefrorene Guthaben darber bestimmten, ob ein Geschft gettigt werden konnte. Auf betriebswirtschaftlicher wie auf volkswirtschaftlicher Ebene wurden lange bestehende, profitable Austauschbeziehungen gekappt. Fr die Unternehmen wurden mhsam aufgebaute Ge221 222 223 224

Eisemann, Kreditverkehr, S. 144 f. RB an RFM, 14. 9. 1932, BAL R 2501/6438/21b.93. RB an RK, 11. 4. 1933, BAL R 2501/6440. Pierenkemper, S. 103.

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schftsverbindungen, Vertreternetze, Vertriebsorganisationen, Sammlungen von Handelsinformationen schlagartig genauso wertlos wie ber Jahre hinweg erworbene Sprachkenntnisse. Statt dessen mußten weniger profitable, aber devisenpolitisch praktikable Beziehungen aufgebaut werden – das alles unter Bedingungen, die „fr den noch funktionierenden Teil des Handels eine unertrgliche Drangsalierung und Risikohufung“ bedeuteten: Unsicherheit ber die Zuteilung der zur Bezahlung der Importe nçtigen Devisen und ber den Eingang von Zahlungen, insbesondere angesichts von Moratorien und periodisch auftretenden Transfersperren, mit denen die in Clearingabkommen verbundenen Staaten ihre Vertragspartner unter Druck zu setzen suchten.225 Es ist davon auszugehen, daß Handel und Industrie in der Weimarer Republik angesichts hoher Zinsen, hoher Kosten, Kartellierung, berkapazitten und ineffizienter Unternehmensorganisation ohnehin wenig profitabel arbeiteten. Die Devisenbewirtschaftung, welche die betriebswirtschaftliche Profitabilitt „gesamtwirtschaftlichen Erwgungen“ unterordnete, verschrfte diese Probleme noch. Ein nationalsozialistischer Autor bezeichnete das Notverordnungs-Devisenrecht von 1931 lobend als „ein klassisches Beispiel fr das Aufhçren der liberalistischen Trennung zwischen Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung.“226 In der Tat fhrte die Devisenbewirtschaftung schon whrend der Inflationszeit, vor allem aber nach 1931 dazu, daß an die Stelle rechtlicher Rahmensetzung administrative Maßnahmen traten. Die mit der Umsetzung, Auslegung und Fortentwicklung dieser Maßnahmen betrauten Instanzen besaßen keinen klaren Status mehr (so bten whrend der Inflationszeit Handelskammern und Branchenverbnde mehr oder minder exekutive Befugnisse aus) und waren fr ihr Handeln nicht zur Verantwortung zu ziehen. Die von ihnen ausgearbeiteten Regeln erschçpften sich zumeist in der Angabe eines vagen Zweckes, dem „Gemeinwohl“ oder der „volkswirtschaftlichen Berechtigung“. Die Auslegung derartiger Bestimmungen unterlag keinerlei Kontrolle. Damit war in der Regel nicht das vçllige Verbot außenwirtschaftlicher Transaktionen bezweckt, sondern sie sollten mittels des Genehmigungszwanges einer „staatlichen berwachung und Lenkung unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten unterworfen werden“. Es wurde also die Freiheit zu administrativen Ad-hoc-Entscheidungen erçffnet, die bisweilen im Sinne der von der Reichsbankleitung beklagten „kaufmnnischen Einstellung“ milde ausfallen mochten, sich aber zunehmend am Streben nach außenwirtschaftlicher Autonomie orientierten und Deutschland „wirtschaftlich wehrfhig“ machen sollten.227 Der rechtliche Status der wirtschaftlichen Notstandsmaßnahmen seit der Kriegszeit stellte ebenfalls eine Neuerung dar. Es handelte sich um hoch 225 Eisemann, Kreditverkehr, S. 167 – 201. 226 Mller, S. 57. 227 Zitate aus Mller, S. 80 f.

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komplexe, auch fr Eingeweihte kaum zu durchschauende, von ad hoc ermchtigten Instanzen auf unvorhersehbare Weise ausgelegte und bestndig an neue Zielsetzungen oder neu entdeckte Umgehungsmçglichkeiten angepaßte Regeln. Sie waren mit hohen Strafen bewehrt – in der Weimarer Republik bis zu zehn Jahren Zuchthaus, im NS-System dann bis hin zur Todesstrafe. Aus dieser Spannung zwischen Undurchschaubarkeit einerseits, hohen Strafen andererseits zog schon im Krieg die „Irrtumsverordnung“ des Bundesrats vom 18. 1. 1917 die Konsequenz, den nicht fahrlssigen Irrtum ber die kriegswirtschaftlichen Gesetze und Verordnungen als strafbefreiend anzuerkennen. Das gleiche Prinzip fand auch in der deutschen Devisengesetzgebung bis in die NS-Zeit wieder Anwendung.228 Aus der Unvorhersehbarkeit von Inhalt und Folgen staatlicher Verbote und der Vielzahl von Vorschriften, die eigentlich legitime Vorgnge einem Genehmigungsvorbehalt unterstellten, ergab sich notgedrungen eine Vernderung des Rechtsempfindens, und das Vertrauen in Institutionen schwand. Darber hinaus warfen die derart ausgestalteten Whrungsschutzbestimmungen zahlreiche Probleme des Internationalen Privatrechts auf, da ihnen oftmals im Ausland wegen ihrer offenkundigen Willkr als der çffentlichen Ordnung widersprechend keine Rechtswirkung zuerkannt wurde.229 Die Devisengesetzgebung zeigt deutlich, daß gerade im Bereich der wirtschaftlichen Notstandsmaßnahmen der bergang vom Rechtsstaat zur Diktatur fließend verlief, und zwar durch eine weitgehende Vorwegnahme diktatorischer Handlungsmuster und Steuerungstechniken bereits in der Weimarer Republik.230 Da kaum ein Vorgang des menschlichen Lebens in der modernen Welt ohne die Vornahme von Zahlungen zu denken ist, griffen die Wirkungen der Devisenkontrolle weit ber das gemeinhin als „wirtschaftlich“ bezeichnete Gebiet hinaus in die Gesellschaft ein. Um nur Beispiele aus der Wissenschaft zu bringen, wurden z. B. die Beschaffung auslndischer Literatur, der Besuch von Tagungen und Archiven im Ausland oder das Auslandsstudium nunmehr von der Erteilung einer Devisengenehmigung abhngig und damit der Entscheidung der Devisenstelle ber den volkswirtschaftlichen Nutzen derartiger Auslandskontakte unterstellt. Das Devisenrecht war darber hinaus „ein bedeutsames geldwirtschaftliches Experiment. Es zeigt, in welchem Maße das Zahlungsmittel auf dem Recht beruht, durch die Rechtsvorschriften beeinflußt und in seinen Funktionen gelenkt werden kann.“231 Nichts illustriert besser die Grundannahme der Institutionençkonomik, daß man es in der Wirtschaft mit dem Transfer politisch definierter Eigentumsrechte zu tun hat, als die Devisenbewirtschaftung, die an Stelle nach den Grundstzen der Vertragsfreiheit verwendbarer Devisen 228 229 230 231

Mller, S. 92. Nußbaum, Geld, S. 57; Mller, S. 324 ff. Zu den Charakteristika wirtschaftsrechtlicher Steuerung im Nationalsozialismus Seibel. Mller, S. 188 (Zitat), 323 f.

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eine große Menge nur in ganz bestimmter Weise unter ganz bestimmten Umstnden in ganz bestimmten Lndern verwertbarer Eigentumsrechte schuf. Diese kçnnen allerdings nur noch begrenzt als Rechte bezeichnet werden, da sie bestndiger und willkrlicher Neudefinition unterlagen. Eine derart umfassende Neudefinition von Eigentumsrechten erforderte zumindest die „schrfste und geschlossenste berwachung“ von Grenzen, Verkehr und Kommunikation.232 Der Weimarer Staat war dazu weder bereit noch in der Lage, erst unter dem Nationalsozialismus wurde dies dann, zusammen mit der Androhung der Todesstrafe, mçglich.

Implikationen der Devisenzwangswirtschaft Der Krieg und die wirtschaftlichen und politischen Krisen der Nachkriegszeit schufen fr die Politik aller Staaten einen unabweisbaren Regulierungs- bzw. Problemlçsungsbedarf. Zunchst um die Kriegsanstrengung zu organisieren, dann zur Erleichterung der Umstellung auf die Friedenswirtschaft, schließlich angesichts der Inflation bis 1923 und des drohenden Staatsbankrotts nach 1930 sah der Staat sich aufgefordert, in private Rechtsverhltnisse gestaltend einzugreifen. Dazu wurden, in der Regel mittels Notverordnungen und Ausfhrungsbestimmungen, neue Vollmachten und neue Organisationen geschaffen. Das Ergebnis ist die Ausweitung staatlicher Souvernitt unter dem Zeichen wirtschaftlicher Krisenerscheinungen.233 Mehr und mehr stellte sich die Frage, ob diese Krisenerscheinungen den bergang in eine neue Epoche staatlich organisierter Wirtschaft einleiteten oder ob es einen Weg zurck zur Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit gab. Die Verfechter von Gemein- und Großraumwirtschaft oder internationaler Kartellbildung begriffen die fr Kriegs- und Krisenzeiten geschaffenen Kontrollinstrumente und Organisationen als Bestandteile einer neuen internationalen Ordnung, in der staatliche Kontrolle ber die Wirtschaft die çkonomische Grundlage fr die Autonomie und den machtpolitischen Wiederaufstieg Deutschlands bilden sollte. Aber selbst dort, wo in ritualisierter Form immer wieder die Rckkehr zur freien Weltwirtschaft beschworen wurde, finden sich regelmßig Vorbehalte, die zusammengenommen auf eine Zurckweisung von Liberalismus und Internationalismus hinausliefen: In der Rhetorik der Reichsbank etwa galt zwar die freie Wirtschaft als ein im Prinzip anzustrebendes Ziel, aber erst fr einen Zeitpunkt, wenn die Welt auch sonst wieder in Ordnung gekommen sein wrde – also nach der Revision des Versailler Vertrages, bei entsprechenden Vorleistungen der anderen Mchte, und 232 Reichsbankdirektor Dr. Friedrich, „Fakturierung in Auslandswhrung bei Ausfuhr. Die Notwendigkeit vermehrter Schaffung und Ablieferung von Exportdevisen“, o.D. (1921), BAL R 2501/6432/21a.19. 233 Vgl. dazu auch Petersson u. Schrçder.

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nur bei Zugestndnissen an die auf Abschottung bestehenden „schutzwrdigen“ Interessen in Deutschland. Eine solche Haltung trug dazu bei, die Existenz von Handelsbeschrnkungen und Devisenbewirtschaftung argumentativ zu rechtfertigen und politisch abzusichern. Das war unter anderem deshalb von Bedeutung, weil sich whrend dieser Zeit Staat, Verbnde, Unternehmen und die politische ffentlichkeit in dem „Krisensystem“ einrichteten und ein Strukturwandel in Gang kam. Je lnger Sondervollmachten und Notverordnungen sowie zu deren Durchfhrung ad hoc geschaffene Dienststellen und halbçffentliche Organisationen existierten, desto mehr gewannen diese an Eigengewicht, desto mehr Nebenfolgen entstanden, die wiederum kompensatorisches politisches Handeln erforderten. So wurden immer neue Erwartungen an den Staat als Schiedsrichter ber den verbandsmßig organisierten Interessen formuliert, so daß letztlich nicht mehr die politische Intervention, sondern die Nichtintervention ein rechtfertigungsbedrftiges Wagnis darstellte. Nach innen, so etwa Walter Eucken, bedeutete die sich auf diese Weise vollziehende „Expansion der Staatsttigkeiten … nicht etwa eine Strkung, sondern im Gegenteil eine Schwchung des Staates … Seine Handlungen werden abhngig vom Willen der wirtschaftlichen Gruppen, denen er mehr und mehr als Werkzeug dient.“234 Nach außen jedoch, genauer : bezglich der Kontrolle ber die Staatsgrenze, hat man es in der Tat mit einer Strkung staatlichen Einflusses zu tun. Die Handelsbeziehungen zwischen Volkswirtschaften ebenso wie zwischen einzelnen Unternehmen wurden mehr und mehr an Devisenerwgungen ausgerichtet, sprich: politisch ausgehandelten Regeln des Zahlungsausgleichs unterworfen. Am Ende war aus den Strategien und Instrumenten kurzfristiger Krisenbewltigung ein Werkzeugkasten fr eine langfristige Neuordnung geworden, durch die staatlich gelenkter Außenhandel die Grundlage autonomen machtstaatlichen Handelns schaffen sollte. Das bedeutete dann zugleich, daß jegliches vermeintlich private Rechtsgeschft nur unter dem Vorbehalt nachtrglicher Abnderung durch oft willkrlich, insgeheim und rckwirkend getroffene staatliche Maßnahmen Bestand hatte. Damit ist das Gegenteil der Institutionalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen erreicht.

(e) Fazit In diesem Kapitel ging es um die Vorkehrungen, mittels derer die Ausfhrung von Vertrgen auch angesichts rechtlicher oder politischer Unwgbarkeiten gesichert werden konnte. Vor dem Ersten Weltkrieg erwuchsen die Risiken des Geschftsverkehrs im wesentlichen aus der einzelnen Geschftsbeziehung selbst. Durch sorgfltige Informationsbeschaffung, Mustervertrge oder Instrumente wie das Dokumentenakkreditiv konnte man sich gegen diese Ri234 Eucken, Strukturwandlungen, S. 307.

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siken zu vertretbaren Kosten sichern. Gegen Schden an der Ware schtzte eine Versicherung, und durch die Fakturierung in Pfund, Mark oder Franc oder durch die Goldklausel ließ sich auch das Whrungsrisiko ausschalten. Vor 1914 wurde daher im Handel kein Bedrfnis nach einer strkeren Institutionalisierung gesehen. Die meisten Handelsgeschfte wurden sogar in vçlliger Unkenntnis der rechtlichen Bedeutung und Wirkung der dabei verwendeten Papiere und Geschftsformen abgewickelt. Das nderte sich mit Kriegsausbruch. Der deutsche „kaufmnnische Internationalismus“ der Vorkriegszeit war noch davon ausgegangen, daß eine von staatlichen Eingriffen weitgehend freie Verkehrswirtschaft selbst in Kriegszeiten durch entsprechende, durchaus im Trend der Vçlkerrechtsentwicklung liegende Regelungen aufrechterhalten werden kçnne. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges fielen dann aber ganz anders aus: der Krieg wurde als Wirtschaftskrieg gefhrt und zeigte, daß die freie Verkehrswirtschaft eine durchaus prekre Errungenschaft darstellte. Erstaunlich rasch kamen die Entscheidungstrger im Deutschen Reich dazu, den Regulierungsanspruch des Staates umfassend durchzusetzen, was dadurch erleichtert wurde, daß Freirume nach der „Legaltheorie“ ohnehin nur als staatlich gewhrte Privilegien galten. Diese Ausweitung staatlicher Zustndigkeiten und Gestaltungsansprche wurde nach dem Krieg keineswegs zurckgenommen. Dadurch waren die wesentlichen Risiken im internationalen Handel nun die Ergebnisse staatlicher Politik: Whrungskrisen, Devisenkontrollen, Handelsbeschrnkungen. Sich dagegen zu schtzen, war ein Gesetzesverstoß, und die meisten verfgbaren Sicherungsmittel wurden in dem Fall, wo sie wirklich gebraucht wurden, alsbald gesetzlich außer Kraft gesetzt. Dieses Vordringen des çffentlichen Rechts, der Vorrang staatlich gesetzter Schranken der Vertragsfreiheit, begrenzte auch die Wirksamkeit privat geschaffener Infrastrukturen der Weltwirtschaft wie des Verbandsrechts, der Schiedsgerichtsbarkeit und der von den Banken gebildete „Brcke des Vertrauens“ zwischen den Volkswirtschaften. Erst vor dem Hintergrund allgemein anerkannter Auslegungsregeln und durch das Eingreifen von den Vertragsparteien akzeptierter Entscheidungsinstanzen konnte geklrt werden, was unter unvorhergesehenen Umstnden die tatschliche Bedeutung von notwendigerweise unvollstndigen Vertrgen war. Einrichtungen wie Mustervertrge, Verbandsrecht, Vertragsfreiheit und Schiedsgerichte oder ordentliche Gerichte waren also eine Voraussetzung dafr, daß private Vertragspartner sich durch vertragliche Abmachungen gegen die Risiken des weltwirtschaftlichen Verkehrs schtzen konnten. Diese Mçglichkeit wurde jedoch eingeschrnkt, je eindeutiger der Staat aus Grnden des çffentlichen Interesses oder zwecks eines gerechten Ausgleichs der Parteiinteressen mittels zwingenden Rechts vorgab, wie private Vertragsbeziehungen ausgestaltet sein sollten, und je mehr die politische Kontrolle und Organisation des Handels und die Mitgestaltung des Handels- und Zahlungsverkehrs wesentliche Ziele staatlicher Politik und staatlichen Rechts wurden. 336 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

Dementsprechend vernderten sich sowohl die Gegenstnde als auch die Mittel und die Akteure der Informationsbeschaffung im Außenhandel. Unverndert blieb allein das Grundproblem, daß geschftlich verwertbare Informationen nicht ohne Aufwand, der dann entsprechend honoriert werden mußte, zu bekommen waren. Vor 1914 waren die konjunkturellen Verhltnisse im Lande des potentiellen Geschftspartners sowie dessen Kreditwrdigkeit die wesentlichen Informationen, die als „Handelsausknfte“ von Konsulaten und vor allem von privaten Auskunfteien erbeten wurden. Staatlicherseits bereitgestellte Handelsausknfte waren unter diesen Bedingungen von begrenztem Wert. Sie brachten den Informationen sammelnden Beamten in rechtliche Schwierigkeiten und konnten niemals so genau und spezifisch sein wie die Informationen von Auskunfteien. Nach dem Krieg bildeten die Zollbestimmungen, verschiedenen „Zollschikanen“, Aus- und Einfuhrbeschrnkungen, Devisenkontrollen, Preisbestimmungen und Genehmigungspflichten, die das Warengeschft nun begleiteten, einen ganz neuen Schwerpunkt der Handelsberichterstattung und Marktbeobachtung. Die Kreditwrdigkeit einzelner Schuldner war selbstverstndlich weiterhin ein wichtiger Gegenstand von Wirtschaftsausknften. Doch nahm die Zahl der nach Vorkriegskriterien kapitalkrftigen und kreditwrdigen Geschftspartner angesichts der wirtschaftlichen Erschtterungen deutlich ab, so daß es sich kaum ein Hndler oder Exporteur leisten konnte, nur mit den erstklassigen Kunden Geschfte zu machen. Hinzu kam, daß nun neben Zahlungswillen und Zahlungsfhigkeit des Kunden auch dessen Berechtigung zu zahlen geprft werden mußte – wurde der Kunde durch seinen Heimatstaat gezwungen, den Kaufpreis auf einem Sperrkonto in nicht konvertibler Whrung zu hinterlegen statt ihn dem Verkufer zukommen zu lassen, so kam dies aus der Sicht des Exporteurs dem Verschenken der Ware gleich. Schon die Information ber sich rasch wandelnde gesetzliche Rahmenbedingungen des Außenhandels im eigenen sowie im Exportland bot dem staatlichen Wirtschaftsinformationsdienst nun ein breites Bettigungsfeld. Auf die staatlicherseits geschaffenen Risiken des Außenhandels reagierten die Staaten außerdem mit einer staatlichen Absicherung von Exportkrediten. Probleme wie Problemlçsungen waren mehr und mehr von einzelstaatlichem Handeln geprgt.

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Fazit und Ausblick „In a globalizing economy, what are the rules? Who makes them? How are they made?“1 Dieser Frage haben sich die vorangegangen Kapitel gewidmet. Im ersten Teil sind als Beispiel fr die Behandlung weltwirtschaftlicher Beziehungen zwischen Staaten und Privatleuten Bemhungen behandelt worden, Staatsbankrotten vorzubeugen oder zumindest ihre geordnete Abwicklung sicherzustellen. Im zweiten ging es um die Bemhungen verschiedener Akteure auf verschiedenen Ebenen, vertragliche Beziehungen zwischen den am internationalen Handel beteiligten privaten Individuen und Firmen abzusichern. In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse zusammengefaßt und in den Kontext einer Geschichte der internationalen und transnationalen Beziehungen eingeordnet werden, die versucht, die Globalisierungs- und Entgrenzungsprozesse genauer zu beschreiben, deren Bedeutung auch fr das vermeintliche „Zeitalter der Nationalstaaten“ inzwischen entdeckt worden ist.2

1.) Territorialittsregime Auch die entgrenzte Welt der transnationalen Beziehungen und Globalisierungsprozesse ist politisch als Staatenwelt organisiert, doch Staatlichkeit und Souvernitt sind bestndigem Wandel unterworfen. Gerade an der Integration der Weltwirtschaft lßt sich zeigen, wie Inhalt und Ausgestaltung staatlicher Souvernitt immer wieder neu zwischen den Staaten, ihren Brgern und der „Staatengesellschaft“ bzw. Vçlkerrechtsgemeinschaft ausgehandelt wurden. Der Vçlkerrechtler Friedrich Meili schrieb schon 1895: „Der Umfang der nationalen Souvernitt bezeichnet nur den jeweiligen, d. h. den der Vernderung unterworfenen Barometerstand des Vçlkerrechts.“3 Charles Maier hat das Bild einer seit etwa den 1860er Jahren kontinuierlich fortschreitenden „Territorialisierung“ aller Lebensbereiche gezeichnet, die erst im letzten Drittel des 20. Jahrhundert durch Transnationalisierungsprozesse aufgeweicht worden sei.4 Bei genauerer Betrachtung kçnnen in der zeitlichen Abfolge verschiedene „Territorialittsregime“ unterschieden werden. Charakterisiert werden solche Territorialittsregime durch die Verortung und 1 2 3 4

Drezner, S. 6. Conze, S. 35 ff. Meili, Staatsbankerott, S. 60. Maier, Twentieth Century ; Maier, Transformations.

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Reichweite staatlicher Kompetenzen zwischen (privater) Gesellschaft einerseits und internationalen Organisationen und vçlkerrechtlichen Vertrgen andererseits, durch die Spannung zwischen einem potentiell globalen Wirtschaftsraum und der nationalstaatlich begrenzten staatlichen Politik und durch die Rolle, welche der Kontrolle ber die Außenbeziehungen einer Gesellschaft als Instrument politischer Gestaltung zukommt. Im hier untersuchten Zeitraum ist die entscheidende Entwicklung die Verdichtung von Staatlichkeit als Folge der allmhlich voranschreitenden Demokratisierung, der plçtzlichen Mobilisierung fr den Ersten Weltkrieg und schließlich der Weltwirtschaftskrise. Die Rckkehr zum Protektionismus5 und die allmhliche Herausbildung des Interventionsstaats6 vernderten die innere Organisation und weltwirtschaftliche Bedeutung des Staates schon seit den 1880er Jahren, auch wenn strittig ist, ob das bereits einen qualitativen Wandel zu einem neuen Territorialittsregime bedeutete oder ob Einschrnkungen von Freihandel und Vertragsfreiheit zunchst einmal halfen, ein insgesamt liberales System zu stabilisieren und der entscheidende Einschnitt erst 1914/19 oder 1929/33 auszumachen ist.7 Vor dem Ersten Weltkrieg war – bei allem Streben nach nationalstaatlicher souverner Macht – die Dichte staatlichen regulatorischen Eingreifens in die Wirtschaft noch verhltnismßig gering. Souvernittsansprche konzentrierten sich auf ein verhltnismßig enges Gebiet. Eine ganze Reihe von Materien galt als „technisch“, als politischer Gestaltung nicht bedrftig oder nicht zugnglich, oder schien keinen offenkundigen Bezug zum Gemeinwohl zu haben. Fr die Staaten war es einfach, auf nicht zum Kernbereich nationaler Souvernitt gerechneten Aufgabenfeldern zu kooperieren, ihre Gesetzgebungsbefugnis gemeinsam auszuben oder sie sogar internationalen Organisationen zu bertragen.8 Institutionen wie stabile Goldwhrungen, Telegrafennetze und Postdampferlinien wurden zwar mit dem Ziel der Steigerung nationalstaatlicher Macht geschaffen, bewirkten aber gleichzeitig eine erhebliche Absenkung von Transaktionskosten im weltwirtschaftlichen Austausch.9 Fr die private nationale oder transnationale Selbstorganisation „interessierter Kreise“ blieb ein verhltnismßig breiter Raum. Spannungen zwischen Staatenkonkurrenz und integriertem Weltmarkt wurden auch in dieser Phase gesehen. Die allenthalben zu beobachtende Mobilisierung der Wirtschaftskraft als Ressource staatlicher Macht veranlaßte Sartorius v. Waltershausen zu der Einschtzung: „Soziale Gegenstze und Streitigkeiten durchziehen die Volkswirtschaft, nationale die Weltwirt-

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James, End; O’Rourke u. Williamson, Globalization and History. Stolleis, Interventionsstaat. Borchardt, Globalisierung; Harms, Weltwirtschaft; Torp. Beispiele neben der in dieser Arbeit untersuchten Vereinheitlichung des Wechselrechts bei Geyer u. Paulmann, Mechanics; Herren; Lyons; Vec. 9 Thiemeyer, Internationalisierung; Hugill; Headrick, Weapon.

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schaft“.10 Auf deutscher Seite verfochten Wirtschaftskreise und weite Teile der politischen Fhrung einen „kaufmnnischen Internationalismus“, der auf der strikten Trennung der Sphre internationaler privatwirtschaftlicher Interaktion von den zwischenstaatlichen Beziehungen beruhte. Dabei vermischten sich kaufmnnisches Eigeninteresse an globaler Verflechtung, sozialdarwinistisch motivierte ngste vor einem wirtschaftlichen Daseinskampf und Bejahung einer machtstaatlichen „Weltpolitik“. Weite Kreise traten fr den Schutz des Privateigentums im Krieg ein, legten aber zugleich allergrçßten Wert auf nationale Souvernitt, unbeschrnkte Machtpolitik und das Recht zum Krieg. Dabei wurde der Krieg in aus der Friedenszeit entlehnten Begriffen aufgefaßt, so daß eine Beschrnkung wirtschaftlicher Kriegfhrung durch Regeln des Vçlkerrechts mçglich schien. Zugleich jedoch ging der „kaufmnnische Internationalismus“ von tiefen handelspolitischen Gegenstzen zwischen den Vçlkern aus und stellte sich den Frieden in Begriffen des Krieges vor – nicht als ein Feld scharfer, aber durch Regeln und Interdependenz begrenzter Konkurrenz, sondern als einen Krieg aller gegen alle um das nackte berleben, in dem rechtliche Regeln lediglich unverbindliche Ausschmckungen von Interessenlagen darstellten.11 Vor dem Hintergrund der Illusion einer suberlichen Trennung zwischen staatlichem Krieg und privatem Profit mochten sich offenbar gerade die an Integration in die Weltwirtschaft interessierten Kreise in Deutschland nicht nher mit den çkonomischen Auswirkungen internationaler Konflikte befassen. Sie erkannten zwar die internationale Einbindung des Reiches, taten aber nichts dagegen, daß Deutschland, obschon es wie kaum ein anderer Staat von der internationalen wirtschaftlichen Ordnung der Vorkriegszeit profitierte und bei deren Zusammenbruch am meisten zu verlieren hatte, zugleich politisch und militrisch maßgeblich dazu beitrug, diese internationale Ordnung zu destabilisieren.12 Auch wenn die Organisationsformen der Staatlichkeit und die Ordnung der globalen çkonomischen Integration sich vor 1914 nicht konfliktfrei ineinanderfgten, blieben sie miteinander kompatibel. Das nderte sich durch Krieg und Wirtschaftskrise. Die umfassende Mobilisierung und Zerstçrung wirtschaftlicher Ressourcen im Krieg, die Abkehr vom Goldstandard und die politische Verschuldung verknpften das Schicksal von Staat und Einzelnem, 10 Sartorius von Waltershausen, Entstehung, S. 11. 11 Ein krasses Beispiel ist Arndt (S. 114), wo auf ein an liberale Vorstellungen anschließendes Pldoyer fr eine Integration Deutschlands in eine offene Weltwirtschaft am Ende unvermittelt die Prophezeiung folgt: „Sicher gehen wir, wenn wir ein großes Volk, eine Weltmacht sein und bleiben wollen, ernsten Kmpfen entgegen. Aber das darf uns nicht schrecken. Es liegt eine tiefe Wahrheit in dem Worte, daß der Mensch im Frieden verkmmert. Hufig bedarf es des Kampfrufs, um die trge Welt wieder einmal aus Stumpfheit und Weichlichkeit aufzurtteln. Der Vçlkerkampf hat sich dem, der weit und tief zu blicken vermag, oft als ein Segen fr die Menschheit erwiesen“. 12 Feldman, Mobilizing, S. 174.

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Einzelwirtschaft und Volkswirtschaft, privatem Anleger und staatlichem Schuldner viel enger als bisher. Das Ziel staatlicher Eingriffe war oft nicht mehr die Erleichterung des internationalen Verkehrs, des Abschlusses und der Durchsetzung von Vertrgen, sondern ihre Umgestaltung orientiert am „nationalen Interesse“. Auf internationaler Ebene traten neue Akteure auf den Plan, vor allem der Vçlkerbund und bernationale Interessenverbnde wie die Internationale Handelskammer. Neben neuen Risiken entstanden so auch neue Ebenen der Problemlçsung. Mit der Zunahme weltwirtschaftlicher Probleme ging in der Zwischenkriegszeit also eine Erhçhung der organisatorischen Durchdringung und der Regulierungsdichte von privater wie çffentlicher Seite, auf nationaler wie internationaler Ebene einher. Der kaufmnnische Internationalismus blieb eine wichtige Grundorientierung in Handelskreisen, eine politische Leitlinie wie vor dem Krieg konnte er aber nicht mehr sein, denn er beruhte auf einem Konzept eng begrenzter staatlicher Zustndigkeiten, das mit den tatschlichen Verhltnissen nicht lnger bereinstimmte. In Deutschland war zunchst umstritten, ob die organisatorischen Neuerungen aus Kriegswirtschaft, Inflation und Wirtschaftskrise vielversprechende Ausgangspunkte fr den Aufbau einer politisch gelenkten Wirtschaftsordnung darstellten oder ob die Rekonstruktion der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhltnisse der Vorkriegszeit angestrebt werden sollte. Zwar fielen Grundsatzentscheidungen – Privatwirtschaft, Goldwhrung, Handelsvertrge – immer wieder zugunsten einer brgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und der Integration in die Weltwirtschaft aus. Doch die in den nur allzu hufigen Krisenzeiten gebrauchten Mittel der Politik wiesen oft in eine andere Richtung. Liberalismus, Individualismus, Vertragsfreiheit, freier Waren- und Kapitalverkehr galten zunehmend als den Verhltnissen der Zeit nicht lnger angemessen. Korporatismus und die „Tendenz zu kollektiver Ordnung des Wettbewerbs“ traten an ihre Stelle.13 Diesen Vernderungen entsprach kein offener ideologischer Bruch mit den Vorstellungen der Vorkriegszeit – privatwirtschaftliche ideologische Grundorientierung und zunehmend staatsorientierte Pragmatik prgten den Alltag unternehmerischen Handelns und der Verbandsttigkeit.14 Strukturvernderungen und die bestndig prekre Wirtschaftslage sorgten jedoch dafr, daß sich eine Kluft zwischen ideologischen Grundpositionen einerseits und aus pragmatischen Grnden fr unabdingbar gehaltenen Notmaßnahmen andererseits çffnete. Der andauernde Notstand schien ber lange Jahre hinweg den Einsatz außerordentlicher Mittel zu verlangen, die eigentlich mit der angestrebten Rckkehr zur freien Weltwirtschaft und brgerlichen Gesellschafts13 Vgl. Feldman, Kapitalismus, S. 150 f. (Zitat) und die Diskussion um den „Organisierten Kapitalismus“ (hierzu Winkler, Kapitalismus; Boch, S. 77 – 108). Vgl. auch Maier, Europe und Wehler, S. 268 – 271. 14 Maier, Strukturen, S. 196; Feldman, Kapitalismus, v. a. S. 162 f.

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ordnung der Vorkriegszeit nicht zu vereinbaren waren. Viele Lageanalysen erwecken den Eindruck eines permanenten Ausnahmezustandes. Die Vorkriegsverhltnisse stellten zwar weiterhin einen theoretischen Bezugspunkt dar, gaben jedoch keine praktische Orientierung mehr. Juristen, konomen und Beamte sorgten sich, daß die Prinzipien der Vertragsfreiheit von Verbnden und Kartellen zur Schaffung privater Machtstrukturen genutzt wurden, denen das Individuum und das einzelne Unternehmen machtlos gegenberstanden. Theoretische Instrumente zur Analyse dieser Situation wurden erst allmhlich entwickelt.15 Immer mehr knpften sich die Hoffnungen an autoritr durchgesetzte, konkreten Zielen statt abstrakten Prinzipien dienende Ad-hoc-Maßnahmen.16 Eine marktkonforme Regulierung ließ sich mit dieser Konzeption des konomischen nicht vereinbaren. Die Rckkehr zu einer freieren Wirtschaft wurde zwar oft beschworen, war aber solange unerreichbar, wie sie dem Gedanken des notstandsbedingten Maßnahmestaates untergeordnet blieb. Die Frage nach der Rolle des Staates in der Weltwirtschaft war nur eine der vielen ungeklrten Fragen, die sich bei der letztlich gescheiterten Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg stellten. In Deutschland waren diese Fragen dadurch besonders kompliziert, daß sie immer unter dem Aspekt der Revision des Versailler Systems und der Reparationsregelungen betrachtet wurden. Die deutsche Gruppe der Internationalen Handelskammer stimmte ihre Stellungnahmen in wirtschaftspolitischen Fragen stets mit dem Wirtschaftsministerium ab. Die IHK wurde primr als Vehikel geschtzt, die deutschen reparations- und handelspolitischen Argumente verpackt als die Meinung der internationalen Wirtschaft und unabhngiger Experten an die ffentlichkeit zu tragen.17 Solange die Grundlagen der Integration Deutschlands in die Weltwirtschaft allein unter Revisionsgesichtspunkten betrachtet wurden, hatten alle Arbeiten an praktischen Detailfragen nur untergeordnete Bedeutung. Als Lebensfrage galt außer in den Jahren Stresemanns im Zweifel die 15 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die „Freiburger Schule“ der Sozialen Marktwirtschaft um Franz Bçhm, Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth, die einen starken Staat als Garanten einer Wettbewerbsordnung fr erforderlich hielten und deshalb zeitweise Hoffnungen in den NS-Staat setzten. Großmann-Doerth, dessen Arbeiten zur Entstehung privater Ordnungen im internationalen Handel und zum „selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft“ als Instrument privater Macht in das Freiburger Konzept einflossen, war das dritte Grndungsmitglied der Freiburger Schule, kam allerdings 1944 im Krieg um und spielte daher fr die Wirkungsgeschichte dieser Richtung immer eine untergeordnete Rolle. Theoretisch innovativ waren vor allem Bçhm und Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht; vgl. zusammenfassend die Programmschrift Bçhm u. a. Zur Einordnung Harth; Vanberg. 16 Vgl. hierzu Seibel. 17 Aufz. RWM, 15. 11. 1925, 30.11.1925, BAL R 3101/1985 und weitere Schriftstcke im selben Band und in BAL R 3101/1986. Beispielsweise nahm fr die deutsche Gruppe der Handelskammer nicht etwa ein Wirtschaftsvertreter, sondern der als Kenner der Reparationsfrage ausgewiesene ehemalige Staatssekretr Bergmann an den Beratungen des Transferkomitees der Internationalen Handelskammer teil.

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Revision und nicht die Integration in die Weltwirtschaft. Nicht nur in Deutschland, aber dort in besonderem Maße fehlte es an der Bereitschaft zu internationaler Kooperation und zur Gestaltung çkonomischer Interdependenz, die zur Bewltigung der Kriegsfolgen und erst recht der Wirtschaftskrise erforderlich gewesen wren. Nach 1918 waren tendenziell alle Lebensbereiche als politischer Gestaltung zugnglich definiert und dem Territorialittsprinzip unterworfen.18 Das wurde im Bereich der internationalen Wirtschaft besonders deutlich, denn zahlreiche politische oder sozioçkonomische Projekte ließen sich nur durchfhren, wenn die Inlnder zu einer Art Zwangsgemeinschaft zusammengefaßt und ihnen und insbesondere ihrem Eigentum die „Exit“-Option verschlossen wurde.19 Eine hinreichend schwere Notlage oder ein hinreichend bedeutendes Projekt gesellschaftlicher Umgestaltung vorausgesetzt, schienen auch radikale Maßnahmen gerechtfertigt, aus denen sich Instrumente totalitrer Wirtschaftskontrolle entwickeln konnten. Weltwirtschaftlicher Austausch war von Rahmenbedingungen abhngig, die in einzelstaatlichen politischen Prozessen und anschließend international durch die Kooperation interdependenter Interventionsstaaten gesetzt werden mußten. Das mißlang jedoch angesichts der Vielzahl der miteinander verknpften Probleme: Reparationen und Kriegsschulden, Inflation und Whrungskrisen, wirtschaftlicher Strukturwandel und Arbeitslosigkeit, Protektionismus, Nationalismus und Revisionismus. Nationale Handlungsfreiheit, definiert als Vertretung von Interessen des Staatsvolkes gegen Auslnder, gewann die Oberhand gegenber internationaler Kooperation. Es bestand keine Kompatibilitt mehr zwischen der Organisation der Staatsgewalt und der Ordnung der Weltwirtschaft. Die Ausweitung von Souvernitt und Staatlichkeit war aus dem Bemhen entstanden, Lçsungen fr die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme zu finden, die Modernisierung, weltwirtschaftliche Vernetzung, Krieg und Wirtschaftskrise mit sich gebracht hatten, erwies sich aber als letztlich unvereinbar sowohl mit internationaler Ordnung als auch mit brgerlicher Freiheit. Die Zwischenkriegszeit war zwar keine Periode der reinen De-Globalisierung. Schon die weitverbreiteten Effekte der Wirtschaftskrise zeigen, daß weitreichende Wirkungsketten fortbestanden. Auch gab es nach 1918 eine ganze Reihe neuer Globalisierungsanlufe und neue Anstze zur Schaffung globaler Institutionen in Foren und auf Wegen, die vor 1914 unbekannt gewesen waren. Das kann letztlich am Bild einer zuerst krisenbedingten, dann gezielt politisch vorangetriebenen wirtschaftlichen Entflechtung nichts ndern. Institutionalisierungsbemhungen und Fortschritte im Kleinen wurden durch die Entwicklungen im Großen zunichte gemacht. Dennoch sind die Erfahrungen mit weltwirtschaftlicher Ordnungsstiftung unter den sich wan18 Reinhard, S. 467. 19 Exit: Hirschman.

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delnden Bedingungen der Jahre um den Ersten Weltkrieg auch weiterhin von Bedeutung. Die Ordnungsstiftung auf berstaatlichen Mrkten ist eines der wichtigsten Themen gegenwrtiger Globalisierungsdebatten.20 Aus den Erfahrungen aus der Zeit 1880 – 1930 lassen sich Aussagen ber Formen, Mçglichkeiten und Grenzen berstaatlicher Ordnungsstiftung in einer Welt souverner Nationalstaaten ableiten.

2.) Muster der Ordnungsstiftung auf berstaatlichen Mrkten (a) Staatsbankrotte Beim Staatsbankrott handelt es sich um das Auseinanderbrechen einer Abmachung zwischen Akteuren unterschiedlichen Status, nmlich einerseits souvernen Staaten und andererseits Privatpersonen. Vor 1914 galt das Privateigentum des Auslandsanlegers zumindest theoretisch als unantastbar, auch wenn es sich in der Praxis nicht immer effektiv schtzen ließ. Anleger vertrauten darauf, daß auswrtige Staaten ihre Schulden ber Jahrzehnte hinweg in stabiler Whrung bedienten. Beispiele wie Frankreich nach 1871, aber auch China nach 1894 oder Japan und Rußland im Russisch-Japanischen Krieg schienen zu zeigen, daß großen Staaten auch außerhalb Europas ihr Kredit so wichtig war, daß sie schon zur Erhaltung ihrer politischen Handlungsfhigkeit und knftiger Anleihemçglichkeiten ihre Verbindlichkeiten peinlich genau erfllen und notfalls die Bevçlkerung mit den entsprechenden Steuern belasten wrden. Dabei ging man implizit allerdings davon aus, daß selbst Kriege und Wirtschaftskrisen letztlich Oberflchenphnomene darstellten, die die Produktionskraft der Bevçlkerung und die Whrung eines Landes nicht ernstlich und dauerhaft gefhrden wrden. Das nderte sich durch den Ersten Weltkrieg. Angesichts der Notwendigkeit eines innerstaatlichen und internationalen Lastenausgleichs und der Schden an Leib, Leben und Vermçgen, die so viele Menschen im Krieg erlitten hatten, schienen die Rechte privater Staatsglubiger keinen herausgehobenen Schutz zu verdienen. Ihre Einschrnkung erschien sowohl zwangslufig (wegen der schieren Hçhe der Staatsschulden) als auch aus Gerechtigkeitsgrnden geboten.21 Diplomatische oder militrische Interventionen gegen Schuldnerstaaten gingen in der Regel auf ad hoc getroffene Einzelentscheidungen zurck, bei denen das Bemhen um weltwirtschaftliche Ordnungsstiftung eine untergeordnete Rolle spielte und vor allem diplomatische Konstellationen im internationalen System den Ausschlag gaben. Ein (prinzipiell denkbares) Ge20 Vgl. dazu Stiglitz; James, Capital Ideas. 21 Vgl. auch Obstfeld u. Taylor, Capital Mobility, S. 367 – 371; Obstfeld u. Taylor, Sovereign Risk; Schwarzenberger, Investments, S. 24.

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wohnheitsrecht zur Intervention gegen sumige Schuldnerstaaten entstand nicht, weil gegen eine wirkliche Zahlungsunfhigkeit damit nicht geholfen war und weil die Glubigerstaaten selbst kein Interesse daran hatten, auch dann konsequent gegen Rechtsbrche vorgehen zu mssen, wenn dies politische oder wirtschaftliche Nachteile mit sich gebracht htte.22 Glubiger- wie Schuldnerstaaten setzten primr auf die Erhaltung ihrer souvernen Handlungsfreiheit – sei es die Freiheit, nicht zu zahlen, oder die Freiheit, gegen sumige Zahler mit den geeignet erscheinenden Mitteln vorzugehen. Das war ein Grund, einzelstaatliche oder privatwirtschaftliche Institutionalisierungsstrategien zu bevorzugen. Regulierung wurde hier aber – wie etwa das deutsche Bçrsengesetz von 1896 zeigt – leicht zum Vehikel fr „symbolische Politik“ und fr die von mchtigen Interessengruppen verfolgten Zwecke, oder sie fand ihre Grenzen an den Informationsasymmetrien zwischen Emissionsbanken, die eine Anleihe aushandelten, und den Privatanlegern, welche die Papiere bernahmen. Regulierungsvorhaben wurden auch regelmßig zum Anlaß, anstelle der Ermçglichung und Absicherung internationaler Transaktionen die grundstzliche Legitimation der Weltwirtschaft oder der Finanzmrkte zu diskutieren und Mechanismen einzufhren, mit denen sich weltwirtschaftlicher Austausch unterbinden, beschrnken oder lenken ließ. Vor 1914 existierte ein Kranz mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzter Institutionen, die das langfristige Verleihen von Geld an auslndische Staaten als vergleichsweise unproblematisch und detaillierte Regelungen in Anleihevertrgen als berflssig erscheinen ließen: der Goldstandard, die Unverletzlichkeit des Privateigentums, die vçlkerrechtliche Verpflichtung von Staaten, fremden Privatleuten durch Enteignung oder Brgerkrieg zugefgte Schden zu ersetzen, die Unmçglichkeit nachtrglicher einseitiger Vertragsnderung. Zwar kam abweichendes Verhalten durchaus vor, aber es wurde als rechtswidrig und außerordentlich empfunden. Eine auswrtige Kontrolle ber die Whrungs- und Haushaltspolitik mußten sich nur Staaten gefallen lassen, die bereits zahlungsunfhig geworden und trotzdem weiterhin auf auslndische Kredite angewiesen waren. Nach 1918 waren diese scheinbar sicheren Voraussetzungen weggefallen. Nach den Erfahrungen von Krieg und Inflation erwarteten die Anleger nun auch einen Schutz davor, daß staatliche Schuldner in ihrer Wirtschaftspolitik Hilfsmittel wie Devisensperren, nachtrgliche Zinsbesteuerung, Außerkraftsetzung der Goldklausel, Haushaltsdefizite oder inflationre Geldschçpfung in Anspruch nahmen. Der Dawes-Plan buchstabierte aus, welche Voraussetzungen Deutschland aus Anlegersicht erfllen mußte, um als kreditwrdig zu gelten. Durch den Wegfall in der Vorkriegszeit bestehender Institutionen schwand das Regelvertrauen der Anleger, Trans-

22 Auch statistisch lßt sich zeigen, daß die Drohung mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen kein Druckmittel gegen Schuldnerstaaten war : Taylor u. Wilson, S. 6 f., 17.

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aktionskosten stiegen an und neue Mechanismen zur Kontrolle und Durchsetzung der Ansprche der Anleger schienen nçtig zu sein. Trotz vçlkerrechtlicher Bindung, parlamentarischer Ratifizierung und wirtschaftlicher Sanktionsmechanismen ließen sich die mit der Verpflichtung etwa auf die Dawes-Anleihebedingungen verbundenen Eingriffe in die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik einzelner Staaten praktisch kaum durchsetzen. Ein Staatsbankrott zeigt letztlich den Unwillen oder die Unfhigkeit des Staates an, aus der Gesellschaft Ressourcen zu mobilisieren und an die Glubiger abzufhren. Das ist nicht nur ein Problem der praktischen Durchsetzung von Ansprchen, sondern auch eines der vçlkerrechtlichen Ordnung. Internationale Regeln zur Abwicklung von Staatsbankrotten kçnnen, da ein unmittelbarer Durchgriff auf die Volkswirtschaft des Schuldnerstaates praktisch nicht mçglich ist, nur wirken, solange sie sich auf die Kooperation einer im Schuldnerstaat handlungsfhigen Regierung sttzen kçnnen. Solange Staaten die einzige Organisationsform legitimer Herrschaft und Erzwingungsmacht sind, bleiben der vçlkerrechtlichen Regulierung von Staatsbankrotten damit enge Grenzen gezogen. Vçlkerrechtliche Institutionalisierung scheiterte letzlich an dem ungelçsten Widerspruch zwischen den Souvernittsrechten der Staaten und den Eigentumsrechten Einzelner. Aus liberaler und individualistischer Sicht war es zwar einerseits geboten, private Eigentumsrechte auch gegen Staaten durchzusetzen, andererseits erschien jedoch das einzige dafr auf internationaler Ebene verfgbare Mittel, die einzelstaatliche, mçglicherweise gewaltsame Erzwingung von Zahlungen, mehr als nur problematisch. Reformen wie die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit fr Staatsschulden htten den Statusunterschied zwischen Staaten und Privatleuten aufgehoben; sptestens die Mçglichkeit, daß Einheimische Ansprche gegen den eigenen Staat vor internationalen Gerichten htten vorbringen kçnnen, zeigt, daß damit die Grundlagen der Staatenwelt in Frage gestellt worden wren.23 Der Schutz staatlicher Souvernitt gegen die Begehrlichkeiten auswrtiger privater Glubiger andererseits ließ sich nur vor dem Hintergrund der Existenz einer zwischenstaatlichen Rechtsordnung begrnden. Eine solche aber ist schwerlich denkbar, ohne zugleich das Prinzip pacta sunt servanda als Grenze staatlicher Souvernittsrechte zu akzeptieren und damit die grundstzliche Berechtigung von Glubigeransprchen anzuerkennen. In der anarchisch organisierten „Staatengesellschaft“ stießen und stoßen sowohl die vom Staat wie die vom Individuum ausgehenden Betrachtungsweise an ihre Grenzen.24 So entstanden wenn berhaupt nur scheinbar stabile Institutionen, die letztlich sowohl denjenigen schadeten, die sich auf ihre Wirksamkeit verlie23 Praktisch gingen die Verfechter solcher Institutionen (vgl. z. B. Wehberg, Privatklagen) natrlich davon aus, daß ihre Heimatstaaten aufgrund ihrer geordneten finanziellen Verhltnisse in solche Verlegenheiten nicht kommen wrden. 24 Vgl. jetzt auch Helleiner.

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ßen, als auch dem Gedanken weltwirtschaftlicher Institutionalisierung an sich. Beispiele sind das Whrungssystem des Golddevisenstandards und das Regime des Dawes-Plans, die lediglich die Illusion von Sicherheit schufen und damit Preissignale, die bestehende Risiken htten ankndigen kçnnen, außer Kraft setzten. Institutionalisierung kann sich daher nur darauf erstrecken, daß Mechanismen und Verfahren zur Abwicklung von Staatsbankrotten geschaffen werden, welche die Koordination zwischen privaten Glubigern verbessern und Anreize zur Vertragstreue setzen, ohne dadurch eine in Wirklichkeit nicht gegebene Sicherheit oder gar Erzwingbarkeit von Forderungen gegen Staaten vorzuspiegeln. Dabei geht es darum, vorhandene Risiken sichtbar zu machen, damit sie sich in Preisen niederschlagen, also einem fallenden Wechselkurs oder in hohen Zinsen fr die Staatsschuld. Das sollte auch als Anreiz wirken, die çkonomischen Ungleichgewichte zu beseitigen, die fr diese Risiken verantwortlich sind. Allerdings gibt es zahlreiche Beispiele dafr, daß auf den Finanzmrkten auch bekannte Lnderrisiken ber lngere Zeit hinweg ignoriert werden.

(b) Private Vertrge Fr die Setzung von Rahmenbedingungen fr grenzberschreitende Transaktionen zwischen privaten Vertragspartnern sind zahlreiche Modalitten erprobt worden, vom gnzlich unverbindlichen Brauch ber private und staatliche Ordnungsstiftung mit unterschiedlicher geographischer Reichweite bis hin zum „Weltrecht“, das in zwischenstaatlichen Konventionen festgeschrieben ist. Die Nachfrage nach Institutionalisierung war lange Zeit erstaunlich gering. Dies erklrt sich dadurch, daß im Zuge der Marktbeobachtung gewonnene Informationen, die von den Banken gebildete „Brcke des Vertrauens“ im Akkreditivgeschft, Verbandsrecht und Schiedsgerichte das Fehlen eines „Welthandelsrechts“ kompensierten. Auch waren die außerhalb des einzelnen Handelsgeschfts liegenden Risiken des internationalen Handels vor 1914 berschaubar. Sicherheit suchte man vor allem durch die Klarstellung der Verantwortlichkeiten der Geschftspartner zu erreichen, wie es etwa in Mustervertrgen oder durch die Berufung auf Verbandsbedingungen geschah. Ansonsten mochten sich Kaufleute zum Leidwesen der Juristen mit der Lektre von Vertragsklauseln nicht lange aufhalten. Da das Handelsrecht im wesentlichen das Verhltnis von Kaufleuten untereinander regelte, ohne ihnen bestimmte Pflichten gegenber der Gesellschaft aufzuerlegen, war es Kaufleuten und Unternehmen mçglich, ihrer Abneigung gegen visionre Ziele und juristische Formalismen freien Lauf zu lassen und wesentliche Teile der Rechtsordnung genauso zu ignorieren wie die Bestrebungen von Expertengruppen zur Schaffung verbindlicher internationaler Institutionen. Transaktionskosten ließen sich oftmals auch ohne komplizierte Regeln, Kontroll- und Durchset348 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

zungsmechanismen oder neue Organisationen wirksam begrenzen, und den Kaufleuten stand deutlich vor Augen, daß mehr Sicherheit oft nur um den Preis hçherer Kosten, eingeschrnkter Flexibilitt und grçßeren Aufwands erreicht werden konnte. konomische Effizienz durch „Rechtsvermeidung“ (Milosˇ Vec) entsprach nicht nur der Tendenz der Praxis, sondern auch den Empfehlungen der Nationalçkonomie. Ebensowenig wie die technologische Entwicklung sollte die der Geschftsformen von starren gesetzlichen Regelungen eingeengt werden. Dabei spielte auch die Erkenntnis eine Rolle, daß einzelstaatliche Regulierung international umlaufender Papiere und Vertrge zustzliche Unsicherheit schaffen mußte, wenn sich Inhalt und Bedeutung der Verpflichtungen der Beteiligten nderten, sobald eine nationale Grenze berschritten wurde. Solange nicht die volkswirtschaftliche Steuerung, sondern die Verringerung von Transaktionskosten im internationalen Handel das Ziel staatlicher Initiativen war, wurde hier eher den Forderungen der Kaufleute und ihrer Interessenvertretungen nach grçßerer Bewegungsfreiheit stattgegeben. Privater Vertragsgestaltung blieb ein relativ weiter Raum, selbst dort, wo sie Beziehungen hervorbrachte, die mit dem Gesetz eigentlich nicht vereinbar waren. Seit dem Krieg jedoch nahm die Regulierungsdichte zu, çffentliches Recht breitete sich auf Kosten des privaten aus, zwingendes Recht auf Kosten des dispositiven. Das Ausmaß der sozial-, wirtschafts- oder außenpolitisch motivierten Einschrnkungen der Vertragsfreiheit wuchs, und der Staat wurde „an invisible party to most legal proceedings between individuals or corporate entities“.25 Damit war die Verlßlichkeit des privaten Geschftspartners im Ausland von der Bereitschaft der Staaten abhngig, die Abwicklung eines Geschfts als politisch zutrglich zu akzeptieren. Zwei Reaktionen auf diese Situation lassen sich feststellen: Die Schiedsgerichtsbarkeit der großen Verbnde und der Internationalen Handelskammer lassen sich als Versuche interpretieren, staatlicher Regulierung durch – sei es mit oder ohne staatliche Untersttzung bestehende –Selbstorganisation und Selbstregulierung auszuweichen. Die zweite Reaktion besteht im charakteristischen Internationalismus der Zwischenkriegszeit, in dem sich nationale und internationale, private und çffentliche Regulierungsmechanismen miteinander verschrnkten, wie etwa das Beispiel der Regelung der internationalen Vollstreckbarkeit von Schiedssprchen zeigt. Staaten wurden hier gewissermaßen als „Herrschaftsmanager“ ttig, indem sie im Rahmen des Vçlkerbundes und gemeinsam mit Verbnden und Unternehmen Rahmenbedingungen fr private Streitschlichtungsmechanismen zu schaffen versuchten. Darin kann man einen Schritt hin zu einer „Konstitutionalisierung“ privater Ordnungen26 unter staatlicher Aufsicht erblicken. Das Beispiel illustriert, daß die hçhere Regulierungsdichte nach dem Ersten Weltkrieg ganz offensichtlich auch einen 25 Berman, Revolution, S. 37. 26 Calliess, Zivilrechtsgesellschaft; Calliess, Handelsvertragsrecht.

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Formenwandel des Internationalismus erforderte. Die marktkonforme Regulierung der internationalen Wirtschaft und der Abbau von Transaktionskosten waren nun mit einer aufwendigen Koordination und Harmonisierung einzelstaatlicher Normsetzung verbunden. Der sich als apolitisch verstehende Internationalismus des 19. Jahrhunderts hatte auf die neuen Verhltnisse keine Antworten, und auch eine private transnationale Selbstorganisation mußte nun einzelstaatlich oder durch zwischenstaatliche Abkommen punktuell gestattet und ermçglicht werden. Die anspruchsvollste Institutionalisierungsstrategie war die internationale Rechtsvereinheitlichung. Da es an einer normsetzenden Instanz auf berstaatlicher Ebene fehlte, war Rechtsvereinheitlichung nur durch Konferenzen und vçlkerrechtliche Vertrge mçglich.27 Rechtsvereinheitlichung stellte vor 1914 eine Reaktion auf die Nationalisierung des Wirtschaftsrechts und auf die Auseinanderentwicklung der Rechtssysteme dar,28 auf ein Problem also, dessen Lçsung sich angesichts einer vergleichsweise geringen Regulierungsdichte noch als nicht besonders dringlich erwies. In der Zwischenkriegszeit wurde Rechtsvereinheitlichung gegen die Tendenz zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Außenbeziehungen und mit dem Ziel der Wiederherstellung des freieren Wirtschaftsverkehrs der Vorkriegszeit betrieben. Sie stellte aber in Deutschland (unter anderem deswegen) kein vordringliches Ziel staatlichen Handelns dar und war auch, angesichts der hohen Dichte an auf Wirtschaftslenkung im rein „nationalen“ Interesse zielenden Regulierungen, von abnehmender Bedeutung. Auch waren die fr grenzberschreitende çkonomische Transaktionen geltenden Regeln nicht suberlich vom restlichen Handelsrecht zu trennen, und sie warfen an allen Ecken und Enden grundlegende, nur politisch zu entscheidende Fragen zum Verhltnis von Staat und Einzelnem, Wirtschaft und Politik, Einzelinteresse und Gemeinwohl auf. Aus diesem Grunde war auch dem Vorhaben des „kaufmnnischen Internationalismus“ kein großer Erfolg beschieden, das von der Mçglichkeit ausging, weltwirtschaftlichen Austausch ganz gegen die Politik, die zwischenstaatlichen Beziehungen und sogar den Krieg abschirmen zu kçnnen. Der Erfolg von Vorhaben wie dem international einheitlichen Wechselrecht, den „Haager Regeln“ fr das Seefrachtrecht oder dem bereinkommen ber die Anerkennung auslndischer Schiedssprche war begrenzt. Diese Abmachungen betrafen nur einen kleinen Teil der sich stetig verdichtenden einzelstaatlichen Regulierungen, die hufig eben nicht auf die Absenkung von Transaktionskosten zielten, sondern auf die Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft nach politischen Vorgaben. In allen Fllen international einheitlicher Rechtssetzung wurde denn auch in den fr den grenzberschreitenden Austausch zentralen Punkten die „Lockerung der vçlkerrechtlichen

27 Vec, S. 106 – 121. 28 Cutler, S. 179.

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Bindung … im çffentlichen Interesse und aus Grnden der Staatsautoritt“ festgeschrieben.29

(c) Zur Politik weltwirtschaftlicher Ordnungsstiftung Weltwirtschaftliche Institutionen stellten nur einen – wenn auch wichtigen – Teil des jeweiligen Territorialittsregimes dar. Abschließend soll daher der Zusammenhang von Territorialittsregime und weltwirtschaftlicher Institutionalisierung unter dem Gesichtspunkt der bertragbarkeit auf andere Kontexte weltwirtschaftlicher Ordnungsstiftung betrachtet werden. Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Rolle des Staates zwar erheblichem Wandel unterworfen war, der Staat jedoch selbst in Zeiten großer regulatorischer Zurckhaltung stets die Mçglichkeit besaß, die Kontrolle ber alle außenwirtschaftlichen Beziehungen zu bernehmen. Trotz aller Wandlungen im internationalen System whrend des 20. Jahrhunderts sind Staaten immer noch die zentralen Akteure der internationalen Institutionalisierung und Rechtssetzung (selbst wenn diese sich in internationalen Organisationen abspielt) und kommt der staatlichen Gesetzgebung eine berragende Bedeutung bei der Ermçglichung und Kanalisierung der Außenbeziehungen zu.30 Auch sind auf der nationalen Ebene aggregierte Interessen und die von ihnen beeinflußten staatlichen Entscheidungen weiterhin der entscheidende Input in globalen Normsetzungsprozessen.31 Der wichtigste Modus weltwirtschaftlicher Ordnungsstiftung bleibt daher die Koordination offener Wohlfahrtsstaaten in verschiedenen, unterschiedlich dicht integrierten Institutionen – also eine im in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum entstandene Konstellation. Die Globalisierungsschbe der letzten Jahrzehnte haben mçglicherweise den Problemlçsungsbedarf erhçht, es sind aber mit der Ausnahme der Europischen Union keine maßgeblichen Strukturen berstaatlicher politischer Gewalt entstanden. Daher sind die Form des Staatensystems und das jeweilige Ausmaß und Ziel staatlicher Gestaltungsansprche entscheidende Ausgangspunkte fr alle Fragestellungen, die mit internationaler oder transnationaler Ordnungsstiftung zu tun haben. Wirtschaftlich bedeutende Staaten oder Herrschaftsverbnde haben durchaus die Mçglichkeit, ihr eigenes Wirtschaftsrecht auch 29 Entwurf eines Wechselgesetzes samt Motiven, 30. 7. 1931, BAL R 901/26911. 30 Vgl. dazu die Einschtzungen von Hurrell. 31 Das sichert den eigentlich an Globalisierung und globaler Wirtschaft gar nicht interessierten Gruppen einen erheblichen Einfluß – fr das Deutsche Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie fr die meisten Staaten der Gegenwart lßt sich sogar die These vertreten, daß diejenigen Gruppen, die durch wirtschaftliche Globalisierung dem grçßten Anpassungsdruck ausgesetzt sind, einen besonders großen Einfluß auf die Außenwirtschaftspolitik ihres Landes ausbten. Zu Kaiserreich und Weimarer Republik vgl. die in der Einleitung zitierte Literatur; zur Gegenwart Drezner.

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ber ihre Grenzen hinaus durchzusetzen und es zum Vorbild fr berstaatliche Regelungen zu machen. Dies gelang dem britischen Empire im 19. Jahrhundert und den USA in der zweiten Hlfte des 20.; auch die Europische Union hat inzwischen als Regulator einen weit ber den europischen Binnenmarkt hinausreichenden Einfluß erlangt.32 Nicht von ungefhr stehen alle drei Beispiele fr Regulierungssysteme, die bereits fr heterogene, verschiedene Rechtsgebiete bergreifende (auch im „interstate commerce“ in den USA) çkonomische Verbnde entwickelt worden waren und generell vom Grundsatz der Nichtdiskriminierung und des Freihandels ausgehen. Regulierungen, die anderen Prinzipien folgen, lassen sich verstndlicherweise weniger leicht exportieren und international verbindlich machen. Staatliche Ordnungsstiftung ist fr die Institutionençkonomik oft die naheliegende Lçsung zur Verringerung lstiger Transaktionskosten. Auf internationaler Ebene verbinden sich damit jedoch, wie die hier untersuchten Beispiele zeigen, wesentlich grçßere Schwierigkeiten als auf nationaler und kommen auch ganz andere Einflußfaktoren ins Spiel. Im einzelstaatlichen politischen System kçnnen fr das Staatsgebiet gemeinwohlorientierte Entscheidungen mit dem Anspruch auf kollektive Verbindlichkeit getroffen und Minderheiten gezwungen werden, sich der Mehrheit zu unterwerfen. In der Regel lßt sich Untersttzung fr Regulierungsvorhaben leichter mobilisieren als fr Deregulierung oder Nichtstun. Auf internationaler Ebene ist das anders. Auf vielen Feldern mußten sich die Staaten erst darauf einigen, berhaupt eine gemeinsame Regelung anzustreben. Selbst wo es zustndige internationale Organisationen gab, funktionierten diese nach dem die Souvernitt der Mitgliedstaaten bewahrenden Einstimmigkeitsprinzip. Die Aushandlung international einheitlichen Rechts auf internationalen Konferenzen oder in internationalen Organisationen setzte eine Einigkeit ber Grundlagen und Ziele der angestrebten Regeln voraus, die angesichts zwischenstaatlicher Auffassungsunterschiede in der Regel nicht gegeben war. Internationale Rechtsvereinheitlichung erzeugte zudem rasch Legitimittsprobleme, die nicht nur zu Kritik von Seiten der Parlamente fhrten, sondern auch dazu, daß einzelne Staaten wie Frankreich bereits unterzeichnete Abkommen ber international einheitliches Recht nicht ratifizierten. Demokratische Institutionen beanspruchten selbstverstndlich, an der Setzung und Fortentwicklung von Recht mitzuwirken, das in ihrem Zustndigkeitsbereich gelten sollte. International einheitliches Recht wurde jedoch von der Diplomatie (also der Exekutive) auf internationaler Ebene ausgehandelt und beschlossen. In internationale Vertrge gegossenes Recht ließ sich auch nicht wie einzelstaatliches Recht bei Wunsch oder Bedarf mittels einfacher Mehrheit im Parlament abndern, ohne daß dadurch gleich der Rckzug des 32 The Economist, Brussels Rules OK, 20. 9. 2007 (im Anschluß an Schapiro, der den Vorteil der europischen Standards darin erblickt, daß sie zwar strenger, aber auch stabiler sind als die etwa der USA).

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Staates aus einem wichtigen internationalen Rechtsraum vollzogen wurde. International einheitliche Rechtssetzung erfolgte also auf anderen Wegen, unter Bercksichtigung anderer Akteure und anderer Interessen als die einzelstaatliche Gesetzgebung. Die Legislative wurde mit einer nur im ganzen anzunehmenden oder abzulehnenden Kodifikation konfrontiert, an deren Aushandlung von Seiten vieler Staaten Vertreter ohne jegliche demokratische Legitimation beteiligt waren. Problematisch erschien Rechtsvereinheitlichung nicht dadurch, daß sie die Souvernitt des Staates antastete, sondern, weil sie die Mitwirkungsansprche der Parlamente und Parteien beschrnkte. Außerdem wurden Probleme bei der einheitlichen Anwendung und Fortentwicklung international einheitlichen Rechts gesehen.33 Auch auf diesem Gebiet zeigt sich Kontinuitt zu den Verhltnissen des frhen 20. Jahrhunderts. Das von Juristen um 1900 herbeigesehnte „Weltverkehrsrecht“ hat sich als illusionr, aber auch als berflssig erwiesen. Fr die von Regulierung Betroffenen, also hier Kaufleute, Banken, Dienstleister und Anleger, war Handlungsfreiheit oft wichtiger als Schutz, und eine gewisse Unsicherheit im Geschftsverkehr leichter hinzunehmen als die umfassenden staatlichen Gestaltungs- und Ordnungsansprche, die in der Regel mit Gesetzen und Verordnungen verknpft waren. Die angelschsische Staats- und Rechtstradition gibt dieser Auffassung mehr Raum als die kontinentale, was die Position Großbritanniens und der USA zu vielen Projekten der internationalen Ordnungsstiftung prgte und prgt und beispielsweise dafr sorgte, daß Briten und Amerikaner dem „Weltwechselrecht“ fernblieben. Erhalten geblieben sind so auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen, die Probleme des Internationalen Privatrechts, und die daraus zu erklrende berragende Bedeutung der privaten Schiedsgerichtsbarkeit fr den internationalen Handel. Die einzige wirklich grundlegende Neuerung stellt die Europische Union dar. Hier gibt es seit der Einrichtung des einheitlichen Binnenmarkts eine berstaatlich vergemeinschaftete Zustndigkeit fr çkonomische Regulierung, fr zentrale Aspekte des Wirtschaftsrechts und fr die Außenhandelspolitik sowie auch gemeinsame kollisionsrechtliche Regeln (die weiterhin nçtig bleiben, da die Mitgliedstaaten der Union auf vielen auch wirtschaftsrechtlich bedeutenden Gebieten eine eigene Rechtssetzungsbefugnis behalten). Die Rechtseinheit im Innern der Union konnte brigens nur auf der Grundlage des Prinzips der „negativen Integration“ erreicht werden, also der Nichtdiskriminierung und des freien Binnenmarktes. Der rechtliche Spielraum fr eine private Ordnungsstiftung abseits staatlicher Aktivitt hat sich seit dem Anbruch des Zeitalters des Interventionsstaates zunchst stetig verringert. Trotzdem ist zumindest die private Schiedsgerichtsbarkeit immer von entscheidender Bedeutung fr den internationalen Handel gewesen. In jngster Zeit beobachtet man wieder eine 33 David.

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Ausbreitung privat gesetzter Ordnungen.34 Solche Ordnungen sind immer schon heftig kritisiert worden – private Selbstregulierung, dispositives Recht, ja, die Vertragsfreiheit an sich liefen darauf hinaus, wichtige Bereiche gesellschaftlicher Realitt demokratischer und çffentlicher Kontrolle zu entziehen und die Herrschaft einer globalen „Merkatokratie“ zu strken.35 Zugleich wurde sie aber auch als eine ntzliche und angesichts des Fehlens einer zur Gesetzgebung auf internationaler Ebene legitimierten Instanz auch dringend bençtigte Form der zivilgesellschaftlichen Selbstregulierung begrßt.36 Prinzipiell sind auch private Akteure in der Lage, eine funktionierende Marktordnung zu entwickeln, durchzusetzen, zu interpretieren und fortzuentwickeln.37 Private Ordnungen spiegeln genau wie die von çffentlichen Gewalten produzierten die Interessen der an ihrer Schçpfung Beteiligten wider. Es ist daher durchaus nicht selbstverstndlich, daß aus ordnenden Eingriffen in den Markt auch eine Marktordnung entsteht. Die Beispiele aus dem Verbandsrecht zeigen – wie auch Kartelle und Znfte –, daß private Selbstregulierung oftmals gerade die Reservierung des Marktzugangs fr einzelne Marktteilnehmer und die Verdrngung von Marktbeziehungen durch exklusive Abmachungen bedeutete. Wo sich ein „Markt fr Ordnung“ entwickelte, wurden dort nicht in erster Linie marktwirtschaftliche Ordnungen angeboten. Fragen der Marktordnung ließen und lassen sich nicht von allgemein gesellschaftspolitischen Grundentscheidungen trennen. Internationale Ordnungsstifung impliziert in der Regel die Aufgabe demokratischer Kontrollund Regelungsansprche, sei es durch international einheitliche Rechtssetzung, vertragliche Bindungen oder durch die Zulassung privater Schiedsgerichtsbarkeit und verbandlicher Selbstorganisation. Angesichts der Tatsache, daß Regulierung und Kooperation auf internationaler Ebene in vielen Fllen sinnvoll, in manchen gar unentbehrlich sind, kçnnen das keine grundstzlichen Argumente gegen den Internationalismus sein. Allerdings wird deutlich, daß im international verflochtenen Staat der von Stephan Hobe so genannten „bertragungsfunktion“,38 d. h. der Fhigkeit des Staates, begrndete und demokratisch legitimierte Entscheidungen zur bertragung bestimmter Befugnisse an berstaatliche oder nichtstaatliche Akteure zu treffen, eine zen34 35 36 37

Sassen. Hall u. Biersteker ; Cutler z. B. S. 180 ff. Vgl. z. B. Calliess, Zivilrechtsgesellschaft; Calliess, Handelsvertragsrecht; Teubner, Global Law. Private Ordnungen sind sogar der „Konstitutionalisierung“ zugnglich, wenn verschiedene Ebenen von Regeln unterschieden werden – Verhaltensregeln, Auslegungsregeln und Regeln, nach denen Regeln produziert werden. In der Praxis steht die private Vertragsdurchsetzung zwar unter dem Zwang der Wahrung von Geschftsgeheimnissen und der Kostenersparnis, was die Entwicklung einer an Przedenzfllen und Prinzipien orientierten stndigen Rechtsprechung erschwert hat. Aber auch hier sind inzwischen Fortschritte gemacht worden und es existieren beispielsweise Datenbanken mit anonymisierten Schiedsgerichtsentscheidungen. Vgl. dazu wiederum Calliess, Zivilrechtsgesellschaft; Calliess, Handelsvertragsrecht. 38 Hobe, Der offene Verfassungsstaat.

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trale Bedeutung fr die Bestimmung dessen zukommt, was „Staatlichkeit“ in einer globalisierten Welt sein kann. Dabei hat man es mit Problemen des Ausbalancierens und der „trade-offs“ zu tun, wie sie in dieser Arbeit beschrieben worden sind und die charakteristisch sind fr die Handlungsspielrume und Optionen bei der Kooperation offener demokratischer Interventionsstaaten. Die Bewahrung demokratischer Entscheidungsfreiheit ber Fragen weltwirtschaftlicher Verflechtung ist dabei abzuwgen gegen die Freiheitsrechte und Wohlstandschancen, die durch die politische Steuerung außenwirtschaftlicher Beziehungen notwendig eingeschrnkt werden, zugleich aber ihrerseits in faktischer, rechtlicher und philosophischer Hinsicht notwendige Bestandteile einer demokratischen Ordnung darstellen. Einzelne Staaten sind dabei zwar nur eingeschrnkt in der Lage, das jeweilige Territorialittsregime entscheidend zu verndern, doch Hegemonialmchte wie zeitweise Großbritannien und die USA, und starke Herausforderer – eine Rolle, in der sich das Deutsche Reich hufig sah – hatten durchaus immer wieder die Mçglichkeit, Trends in Gang zu setzen und an wichtigen Wendepunkten Strukturentscheidungen zu beeinflussen. Mehrfach ist in dieser Arbeit die These vertreten worden, daß die deutsche Außenwirtschaftspolitik besser durch die verwendeten Mittel als durch die damit jeweils verfolgten Ziele charakterisiert werden kann. Diese These kann auf die Politik internationaler Ordnungsstiftung insgesamt ausgeweitet werden. Der grçßte Teil der hoch ambitionierten Ordnungsvorstellungen, die sich als Alternativen zur oder Verbesserungen der marktwirtschaftlichen Ordnung der Weltwirtschaft verstehen, fllt in eine der beiden folgenden Kategorien: Entweder soll nationalstaatliche Handlungskompetenz durch selektive Abschottung gegenber den Weltmrkten gestrkt oder zumindest bewahrt werden, oder es wird eine handlungsfhige und zum Handeln legitimierte berstaatliche Autoritt vorausgesetzt, die mit umfassenden Kontrollbefugnissen, Zwangsmitteln und Verwaltungskompetenzen ausgestattet ist. Gegenber beiden Strategien legen die Ergebnisse der Untersuchung eine gewisse Skepsis nahe. Die meisten Probleme stellen sich heute im globalen Rahmen und erfordern neben der Anpassung individuellen und einzelstaatlichen Verhaltens ein kooperatives Handeln auf berstaatlicher Ebene; der sich abschottende Nationalstaat ist hier nicht Problemlçser, sondern Problem. Instanzen wiederum, die faktisch in der Lage oder politisch legitimiert wren, auf globaler Ebene Rechtssetzungs-, Regulierungs- und Exekutivbefugnisse wahrzunehmen, sind im Moment nicht zu erkennen. Nur innerhalb von Staatenverbnden wie der EU ist berstaatliche demokratisch legitimierte Politik berhaupt denkbar, wenn auch momentan nur unvollkommen ausgebildet. Der Ruf nach Instrumenten staatshnlicher „Global governance“ macht daher die Problemlçsung nicht einfacher, sondern wirft sogar noch zustzliche neue Probleme der Legitimation und Umsetzung von Politik auf. Die fr die Ordnung von Weltmrkten und Weltpolitik entscheidende Frage bleibt diejenige, wie sich interdependente Interventionsstaaten in den inter355 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

nationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zueinander verhalten. Auf berstaatlicher Ebene getroffene Entscheidungen werden in absehbarer Zeit nicht die gleiche demokratische Legitimationsgrundlage, einfache Revidierbarkeit und Einbindung in bestehende Regelsysteme aufweisen kçnnen wie die Entscheidungen nationalstaatlicher Legislativen.39 Je mehr globale Regulierung die plausible oder gar einzig erfolgversprechende Antwort auf globale Herausforderungen wie Umweltschutz, Wohlstand und Gerechtigkeit darstellt, je mehr Handlungskompetenzen mçglicherweise auf berstaatlicher Ebene verfgbar gemacht werden, desto wichtiger ist auch deshalb die Frage nach den dabei einzusetzenden Mitteln. Dabei sind die negativen Erfahrungen zu bercksichtigen, die im 20. Jahrhundert bereits mit von Staaten ausgehenden Bemhungen um grçßere Handlungsspielrume in der Wirtschaftspolitik und mit vermeintlichen Abkrzungen auf dem Weg zur Verbesserung menschlicher Lebensverhltnisse gemacht worden sind.40

39 Zu den Mechanismen globaler Regulierungsnetzwerke vgl. Slaughter. 40 Scott; Berend, History.

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Abkrzungen und Konventionen Abkrzungen AA / -PA ADHGB AdR BAL BGB BIZ DIHT FRUS GP HGB ICC IHK ILA IPR RAI RB RDI RG RGBl. RJA RJM RK RSA RT RWM ZHR ZPO

Auswrtiges Amt / Politisches Archiv (Berlin) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Akten der Reichskanzlei Bundesarchiv Lichterfelde Brgerliches Gesetzbuch Bank fr internationalen Zahlungsausgleich Deutscher Industrie- und Handelstag Foreign Relations of the United States Die Große Politik der europischen Kabinette Deutsches Handelsgesetzbuch International Chamber of Commerce Internationale Handelskammer (Paris) International Law Association (Association for the Reform and Codification of International Law) Internationales Privatrecht Reichsamt des Innern Reichsbank Reichsverband der deutschen Industrie Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsjustizamt (bis 1919) Reichsjustizministerium (ab 1919) Reichskanzler Reichsschatzamt Reichstag, Stenographische Berichte Reichswirtschaftsministerium Zeitschrift fr das gesamte Handelsrecht und Nachfolgepublikationen Zivilprozeßordnung Konventionen

Die Rechtschreibung in Zitaten folgt durchgngig strikt dem Original (d. h. auch bei ungewçhnlicher Rechtschreibung und Zeichensetzung oder dort, wo sie lediglich durch den begrenzten Zeichensatz der verwendeten Schreibmaschinen bedingt ist). Hervorhebungen in Zitaten sind, soweit nicht anders vermerkt, dem Original entnommen. 357

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Quellen und Literatur 1.) Unverçffentlichte Quellen (a) Bundesarchiv Lichterfelde R 11

Deutscher Industrie- und Handelstag

R 901

Auswrtiges Amt (handelspolitische Abteilung, Rechtsabteilung, Lnderabteilungen II und III)

R 1501

Reichsamt des Innern (Abteilung fr wirtschaftliche Angelegenheiten)

R 2501

Reichsbank

R 3001

Reichsjustizamt / Reichsjustizministerium

R 3101

Reichswirtschaftsministerium

R 8119 F Deutsche Bank

(b) Politisches Archiv des Auswrtigen Amtes Bestnde England, Griechenland, Haager Friedenskonferenz, Sonderreferat Wirtschaft, USA, Venezuela.

2.) Literatur und verçffentlichte Quellen (a) Aktenpublikationen (Reihen) Akten der Reichskanzlei, hg. v. Karl-Dietrich Erdmann u. a., Boppardt a.Rh. 1970 ff. Die Große Politik der Europischen Kabinette 1871 – 1914, hg. von Johannes Lepsius, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Friedrich Thimme, Berlin 1922 ff. Foreign Relations of the United States, hg. v. Department of State, Washington, D.C., fortlaufend. Stenographische Berichte ber die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Berlin 1871 ff.

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(b) Literatur und als Einzelschriften verçffentlichte Quellen Zeitungsartikel ohne Autor sind im Text unter dem Namen der Zeitung zitiert. Abelshauser, W., Markt und Staat. Deutsche Wirtschaftspolitik im „langen 20. Jahrhundert“, in: Spree, R. (Hg.), Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, Mnchen 2001, S. 117 – 140. Adshead, S.A.M., The Modernization of the Chinese Salt Administration, 1900 – 1920, Cambridge, Mass. 1970. Ambrosius, G., Institutioneller Wettbewerb im europischen Integrationsprozeß seit dem 19. Jahrhundert, in: GG Bd. 27, 2001, S. 545 – 575. –, Globalisierung und multilaterale Konvergenz nationaler Regulierungen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Jahrbuch fr Wirtschaftsgeschichte, 2003, S. 83 – 98. Angell, N., The Great Illusion: A Study of the Relation of Military Power in Nations to Their Economic and Social Advantage, London 19123. Arnaud, R., L’Arbitrage de la Chambre de Commerce Internationale, in: Internationales Jahrbuch fr Schiedsgerichtswesen Bd. 2, 1928, S. 144 – 158. Arndt, P., Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft, Leipzig 1913. Association for the Reform and Codification of the Law of Nations, Report of the Fourth Annual Conference Held at Bremen, 25.–28. 9. 1876, London 1877. Atiyah, P.S., The Rise and Fall of Freedom of Contract, Oxford 1979. Auswrtiges Amt, Ergebnisse der im Jahre 1907 im Haag abgehaltenen Zweiten Internationalen Friedenskonferenz, Berlin 1907. –, Die Sachverstndigen-Gutachten. Die Berichte der von der Reparationskommission eingesetzten beiden Sachverstndigenkomitees vom 9. April 1924 nebst allen Beilagen, Berlin 1924. Baecker, D., Womit handeln Banken? Eine Untersuchung zur Risikoverarbeitung in der Wirtschaft, Frankfurt am Main 1991. Balderston, T., The Origins and Causes of the German Economic Crisis: November 1923 to May 1932, Berlin 1993. –, Economics and Politics in the Weimar Republic, Cambridge 2002. v. Bar, L., Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Hannover 18892. Barth, B., Banken und Kapitalexport vor 1914. Anmerkungen zum Forschungsstand der politischen konomie des Kaiserreichs, in: Kçhler, M. u. K. Ulrich (Hg.), Banken, Konjunktur und Politik. Beitrge zur Geschichte deutscher Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Essen 1995, S. 44 – 54. –, Die deutsche Hochfinanz und die Imperialismen. Banken und Außenpolitik vor 1914, Stuttgart 1995. –, Die deutschen Auslandsengagements vor 1933. Ein Beitrag zur Debatte um die „Globalisierung“, in: Institut fr bankhistorische Forschung (Hg.), Internationalisierungsstrategien von Kreditinstituten, Stuttgart 2003, S. 13 – 32. –, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914 – 1933, Dsseldorf 2003.

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Register Materien, denen ein gesondertes Kapitel gewidmet ist, sind in das Register nur aufgenommen, wenn sie zustzlich auch in anderen Abschnitten des Buches behandelt werden. Auswrtiges Amt 37-47, 53, 55, 57, 63, 96, 105, 121f., 125-130, 137, 142, 148, 171-175, 180, 182f., 189, 194-196, 236, 240, 244f., 247, 282, 286-291, 294, 296-310 Banken 10, 30, 32f., 35-45, 49-53, 67-70, 73-89, 116-120, 123, 138, 141-144, 146, 154-156, 168, 170, 174, 177, 179183, 186, 188f., 196f., 201, 205, 207, 252, 259-272, 275, 279f., 282f., 313f., 322-327, 336, 353 Bçrsen 26, 29, 31f., 44, 52, 67-80, 101, 134, 156, 215, 227, 271, 277, 297, 322, 346 China 81-88, 304, 345 Deutsche Bank 271f., 322 Devisenbewirtschaftung 135, 140-150, 204, 314-337 Disconto-Gesellschaft 51-55, 57, 61, 63, 248 Drago, Luis 60, 91f., 94f., 97 Finanzkontrolle, auslndische 39, 47-50, 54, 56, 82, 100f., 112, 115, 126, 139 Frankreich 30, 36, 40-42, 46f., 49f., 84, 93, 112-116, 118-121, 127, 129, 131, 138, 141, 142, 144, 146, 148f., 163-165, 171, 183, 186-190, 192, 196f., 199f., 205, 224, 236f., 240f., 246, 264, 345, 352

Gerichte 10, 15, 42f., 68, 98f., 102f., 105, 161, 163-165, 169, 171, 185, 187, 220227, 229, 231, 233f., 237-242, 245f., 248, 253-256, 259, 264, 269, 271, 275280, 283, 298, 301, 311, 336 Globalisierung 9-15, 19, 21f. 160, 162, 165, 213, 222, 224, 257, 280, 339-341, 344f., 354-356 Goldstandard 15, 34-36, 39, 50, 109, 111, 116f., 122, 126, 133-146, 149f., 167, 181, 208, 318, 321, 340-342, 346, 348 Griechenland 30, 33-50, 65, 81, 99, 115, 202, 330 Großbritannien 13, 29f., 32, 40f., 46-51, 54-56, 59-64, 83-86, 93, 111f., 141, 145f., 170, 173, 184-186, 200-202., 205f., 224, 228, 240, 244, 251, 263f., 271, 282-295, 352f., 355 Großmann-Doerth, Hans 211, 232, 247, 249, 343 Haager Friedenskonferenzen 91-96, 101103, 281-295 Handelsbrauch 16, 170, 211, 219, 226, 230-232, 235, 251, 256, 269, 275, 280 Handelskammern 68f., 101, 103-105, 174, 176, 196, 215, 220-228, 230-234, 246, 250, 267, 277, 295, 297f., 301, 307, 310, 313f., 322f., 327, 332 Incoterms 252f., 279 Institutionençkonomik 16-19, 21, 157, 296, 333, 352 Internationale Handelskammer (IHK) 193-196, 199, 204f., 229f., 235-241, 245-252, 264, 268, 272, 279, 342f., 349

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Internationalismus 19, 23, 176, 208, 246, 250, 281, 293, 295, 334, 336, 341f., 349f., 354 Italien 60, 173-175, 177, 183, 188, 200, 240, 244 Kapitalexport 11, 29-31, 52, 67-71, 89, 97, 104, 120-140 Kredit 41, 116, 122-125, 129f., 132f., 139-145, 150, 152, 154, 156, 167f., 179f., 199, 207, 209, 260-262, 268, 272, 296-301, 314, 325-328, 330f., 347 Krieg 47-50, 59f., 65f., 98, 109-11, 113, 135-137, 147, 152-155, 171, 181f., 188f., 201f., 229, 276, 281-295, 314f., 334-336, 340-342, 345, 350

Reichsamt des Innern / Wirtschaftsministerium1 125f., 198f., 244, 311, 316, 319 Reichsbank 37, 68, 72, 116, 119f., 122124, 135-149, 177, 180f., 183, 198, 282-284, 321-334 Reichsjustizamt / Justizministerium 105, 172, 175, 177, 180, 183, 194f., 198f., 202, 240, 248, 283, 287, 291 Reichstag s. Parlamente Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) 125, 127, 240, 248f., 309, 313 Reparationen 11, 31, 87, 109-148, 194, 237, 318, 321, 343f. Risiken 29, 32, 54, 73, 89, 104, 129, 134, 139, 150, 156f., 275, 277-279, 313, 332, 336

lex mercatoria 158f., 256 Niederlande 143, 175, 195, 215f., 218, 222, 238, 277, 298, 301f., 308-310 Nußbaum, Arthur 68, 75f., 160, 241, 254, 317 Parlamente 10, 15, 29, 32, 45f., 59, 68-79, 117, 131, 141, 175, 191-193, 196f., 199, 202, 206, 246, 283, 347, 352f. Pfnder 34, 37-40, 42, 47, 80f., 87, 112 Privatrecht 16, 97, 99f., 105, 151, 158, 162, 172, 175, 191, 195, 207, 227f., 234, 240, 284 f, 294, 317 Privatrecht, internationales (Kollisionsrecht) 103, 151, 161-166, 191, 220f., 241f., 249f., 333, 353 Recht s. internationales Privatrecht, çffentliches Recht, Privatrecht, Verbandsrecht, Vçlkerrecht Recht, çffentliches 182, 191, 203, 208f., 233, 281, 315-335, 349 Rechtsprechung s. Gerichte 1 Wirtschaftsangelegenheiten wurden im Kaiserreich vom RAI wahrgenommen.

Sartorius v. Waltershausen, August 14, 67, 71, 104, 317, 340 Schacht, Hjalmar 123-127, 130-132, 144f., 147, 149, 327, 329 Schiedsgerichtsbarkeit, private 159, 211258, 275, 277f., 296, 336, 348f., 353f. Schiedsgerichtsbarkeit, vçlkerrechtliche 49, 61, 91-107, 113, 295, 347 Souvernitt 20, 28, 41, 55, 91-107, 141, 181-183, 186, 189, 192, 206-209, 228f., 281-295, 334, 339-341, 344-347, 352f. Staat 9f., 20f., 23, 28, 41, 55, 91-107, 141, 181-183, 186, 189, 192, 205-209, 228f., 281-295, 334, 339-341, 344-347, 352f. Stresemann, Gustav 12, 116, 119, 126, 130, 137, 141f., 147-149, 331, 343 USA 11, 13, 51, 55-65, 91-95, 112-147, 154, 172f., 212, 216-218, 263-265, 269-272, 279f., 285, 292, 296, 304, 352f. Venezuela 51-66, 81f., 91-96 Verbandsrecht 16, 159, 211-257 (v.a. 211f., 219, 224, 228, 231f., 250, 254f., 257), 259, 280f., 336, 348f., 353f.

386 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

Versailler Vertrag 11, 30, 87, 105, 113, 115, 118, 121, 127, 148f., 201, 327f., 334, 343 Versicherung 9, 15, 19, 152, 156f., 208, 212-219, 252, 268-270, 273-279, 283288, 314, 316, 336 Vçlkerbund 105f., 113, 147, 193-205, 229 f, 236, 238, 250, 342, 349 Vçlkerrecht 14, 16, 20, 23, 25, 28, 31, 41, 45, 49, 55, 59, 61, 64, 80f., 89, 91-107, 113, 141, 148, 160, 176, 181-183, 186, 189, 192, 199-209, 226, 228f., 245,

281-295, 334, 336, 339-341, 344-347, 350, 352f. Whrung, Whrungssystem 11, 15, 3436, 39, 50, 109-154, 168, 178, 181, 183, 189f., 198, 200-209, 308, 314-337, 340-342, 346, 348 Wechsel 154, 167-210, 228, 259-273, 281283, 350 Weltwirtschaftskrise (Great Depression) 9, 11f., 131-133, 140-147, 152, 253, 315, 324-327, 331, 334-336, 340-345

387 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-37006-4

Das Deutsche Kaiserreich eine zentrale Epoche

Sven Oliver Müller / Cornelius Torp (Hg.) Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse 2009. 461 Seiten mit 6 Grafiken, kartoniert ISBN 978-3-525-36752-0

Ausgewiesene Experten geben einen Überblick über den aktuellen internationalen Forschungsstand zum Deutschen Kaiserreich und werfen neue, richtungweisende Fragen auf. Der Band liefert einen Beitrag zu den anhaltenden Debatten über das Deutsche Kaiserreich (1871–1918). Das Buch ist an vier Achsen ausgerichtet, auf die sich die Diskussionen über das Kaiserreich konzentrieren: seine Verortung in der deutschen Geschichte; das Verhältnis von Gesellschaft, Politik und Kultur; Formen militärischer Gewalt und seine transnationale Verflechtung in der »ersten Globalisierung«. Aus Sicht der Autoren war das Kaiserreich weit vielfältiger, weniger autoritär und weniger preußisch als angenommen – Ergebnis einer Pluralisierung von Zugängen wie neuen Erkenntnisinteressen.

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