An die Galater 3161470028, 3161489720, 9783161470028

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An die Galater
 3161470028, 3161489720, 9783161470028

Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Text des Briefes und seine Rezeption als frühchristliche Literatur
2. Der Galaterbrief im paulinischen Briefcorpus
3. Aufbau
4. Argumentation
5. Abfassungszeit und-ort und die Problematik der Adressaten
Literaturverzeichnis
1. Quellen und Hilfsmittel
2. Kommentare
3. Monographien und Aufsätze
1,1–5 Briefpräskript
1,6–9 Der Anlaß des Briefes
1,10–12 Thetische Begründung
1,13–2,21 Paulus, Apostel des Evangeliums Gottes für die Völker
1,13–14 Das vergangene Leben des Paulus „im Judaismus“
1,15–17 Die Berufung des Paulus
1,18–20 Der erste Besuch in Jerusalem
1,21–24 Die Rezeption der Erfolge der Heidenmission in den Kirchen von Judäa
2,1–10 Der zweite Besuch in Jerusalem
2,11–21 Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes
3,1–5,12 Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus
3,1–5 Erinnerung an die Erfahrung des Geistes
3,6–29 Exegetische und theologische Erläuterungen des Evangeliums
3,6–9 Neudefinition I: Kinder Abrahams und gesegnet durch den Glauben
3,10–14 Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung des Geistes und Gesetz/Fluch
3,15–18 Neudefinition III: Verheißung/Bund/Erbe Abrahams und Gesetz
3,19–22 Neudefinition IV: Funktion und Unterordnung des Gesetzes unter der Verheißung
3,23–29 Neudefinition V: Das Ziel des Gesetzes war die Rechtfertigung aus Glauben
4,1–20 Konsequenz: Warnung der Adressaten vor einem Rückfall in die alte Zeit
4,1–7 Die Adressaten sind nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben
4,8–11 Die Verblüffung des Apostels über die neue Bekehrung der Galater
4,12–20 Erste Aufforderung: Die Adressaten sollen den Apostel nachahmen
4,21–5,1 Hermeneutische Begründung: Die eschatologische Freiheit
5,2–12 Zweite Aufforderung und Ausführung der These des Briefes: Die Adressaten sollen in der Freiheit bleiben
5,13–6,10 Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit
5,13–15 Übergang: Freiheit, Existenz unter dem Fleisch und gegenseitige Liebe
5,16–24 Die Christen sollen im Geiste leben
5,25–6,6 Die Christen, die im Geiste leben, sollen sich gegenseitig lieben
6,7–10 Der eschatologische Horizont der Entscheidung der Adressaten

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Handbuch zum Neuen Testament Begründet von Hans Lietzmann Fortgeführt von Günther Bornkamm Herausgegeben von Andreas Lindemann

10

Frangois Vouga

An die Galater

Mohr Siebeck

Franfois Vouga: Geboren 1948; 1975-82 Pfarrer in Genf; 1982-86 Professor für Neues Testament in

Montpellier; 1984-85 Gastprofessor an der theologischen Fakultät in Neuchatei; seit 1986 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel.

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Handbuch zum Neuen Testament/ begr. von Hans Lietzmann.

Fortgef. von Günther Bomkamm. Hrsg. von Andreas Lindemann. Tübingen: Mohr Siebeck Teilw. hrsg. von Günther Bomkamm

10. Vouga, Fran�ois: An die Galater. -1998 Vouga, Franfois:

An die Galater/ Fran�ois Vouga. -Tübingen: Mohr Siebeck, 1998 (Handbuch zum Neuen Testament; 10) ISBN 3-16-147002-8 brosch. ISBN 3-16-148972-0 Gewebe. eISBN 978-3-16-160484-3 unveränderte eBook-Ausgabe 2022

© 1998

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, auf alterungsbe­ ständiges Papier der Papierfabrik Niefem gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden.

Vorwort

Diesem Kommentar liegt die methodische Entscheidung zugrunde, die kanonische Fassung des Briefes des Paulus an die Galater textimmanent zu lesen. Diese Entscheidung bedeutet einerseits, daß die Probleme der Interpretation mit Hilfe des Kontextes des Briefes gelöst werden. Vorausgesetzt ist dabei, daß der Brief des Apostels an seine Gemeinden in sich verständlich sein soll, und daß die Auslegung dieses Briefes sowohl von der Interpretation der paulinischen Briefsammlung als auch von der systematischen Konstruktion einer paulinischen Theologie, die textfremde Organisationsprinzipien verlangt, unterschieden werden muß. Diese Entscheidung bedeutet andererseits, daß der Kommentar versucht, den Text zu verstehen, als ob er an den heutigen Leser gerichtet wäre. Die Hauptmitteilung des Briefes hat einen apokalyptisch-eschatologischen Charakter: Gott hat sich in seinem Sohn so geoffenbart, daß alle, die glauben, von diesem Äon, v o m Gesetz und von der Herrschaft des „Fleisches" befreit worden sind, daß sie Gottessöhne und neue Schöpfung geworden sind und daß sie den Geist bekommen haben. Diese apokalyptische Struktur stellt aber nicht nur zwei Epochen, sondern auch zwei Menschenverständnisse und zwei existentielle Haltungen einander gegenüber. Die Überzeugung, nach welcher der Mensch nicht durch das Privileg und die Forderungen des Gesetzes, sondern nur durch das Gottesvertrauen gerechtfertigt werden kann, setzt eine Unterscheidung zwischen der Person und ihren Eigenschaften voraus, die die Entdeckung des einzelnen Menschen als anerkanntes und selbstbewußtes Subjekt als unmittelbare Konsequenz hat. Die Aussage, nach welcher es weder Jude noch Grieche, weder Freie noch Sklaven, weder Mann noch Frau gibt, entspricht der Offenbarung, daß der Einzelne als Person und unabhängig von seinen Eigenschaften von Gott anerkannt wird, daß er sich selbst als Person und unabhängig von seinen Eigenschaften lieben darf und daß er den Anderen als Person, unabhängig von seinen Eigenschaften, lieben soll. Die These dieses Kommentars ist es, daß der Brief des Paulus an die Galater nicht nur für die Geschichte des frühen Christentums, sondern auch für die Entstehung des geistigen Lebens des Individuums im Abendland grundlegenden Charakter hat. Auf jeden Fall war die Problematik des Apostels eine andere als das Anliegen der Reformationszeit, und wenn die Vorstellung eines Bundesnomismus (,covenantal nomism') eine Rolle in der galatischen Auseinandersetzung gespielt hat, dann war dies nicht die Idee des Apostels, sondern, wie es J. Louis Martyn mit Recht beobachtet hat, die der Lehrer in Galatien. Diese Interpretation des Galaterbriefes ist nicht nur auf dem Schreibtisch, sondern auch aus vielen Gesprächen entstanden. Zu danken habe ich meinen Studenten in Montpellier und in Bethel/Bielefeld, besonders Alexander Pollhans und Bernhard Grabbe, aber auch Freunden und Kollegen. Christian Amphoux (CNRS, Lunel/Montpellier) hat mir textgeschichtliche Rekonstruktionshypothesen mitgeteilt. Marion Soards hat mich stark ermuV

Vorwort

tigt, mich auf die Einheit des Briefes aufmerksam gemacht und mir fruchtbare Aufenthalte in den Bibliotheken des Louisville Presbyterian Theological Seminary und des Southern Baptist Theological Seminary in Louisville ermöglicht. Klaus-Peter Meyer zu Helligen hat mir geholfen, das Verständnis des Gesetzes im Galaterbrief präzise zu beschreiben. Claude Papin (Nantes) verdanke ich den Hinweis auf die Pensée Br 323 von Blaise Pascal, aber auch die hermeneutischen Anregungen des Philosophen, der heute fragt: Was bedeutet ,lesen'? Mein Assistent Dierk Starnitzke arbeitet parallel an der Theologie des Römerbriefes. Der Galaterbrief und das Verständnis der paulinischen Vorstellung der Gerechtigkeit gehören zu einem langen freundschaftlichen interdisziplinären Dialog mit Bernard Rordorf in Genfund in Fellbach/Stuttgart. Andreas Lindemann danke ich für sein Vertrauen und für seine Begleitung. Bethel (Bielefeld), den 18. Oktober 1997

VI

François Vouga

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Einleitung

1

1. Der Text des Briefes und seine Rezeption als frühchristliche Literatur

1

2. Der Galaterbriefim paulinischen Briefcorpus

3

3. Aufbau

5

4. Argumentation

7

5. Abfassungszeit und -ort und die Problematik der Adressaten

9

Literaturverzeichnis

13

1. Quellen und Hilfsmittel

13

2. Kommentare

13

3. Monographien und Aufsätze

14

1,1-5 Briefpräskript

17

1,6-9 Der Anlaß des Briefes

21

1,10-12

25

Thetische Begründung

1,13-2,21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottes für die Völker

29

1,13-14

Das vergangene Leben des Paulus „imJudaismus"

30

1,15-17

Die Berufung des Paulus

32

1,18-20

Der erste Besuch in Jerusalem

35

1,21-24

Die Rezeption der Erfolge der Heidenmission in den Kirchen von Judäa

37

2,1-10

Der zweite Besuch in Jerusalem

40

2,11-21

Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes . .

50

3,1-5,12

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

65

3,1-5 Erinnerung an die E r f a h r u n g des Geistes

65

3,6-29 Exegetische u n d theologische Erläuterungen des Evangeliums

69 VII

Inhaltsverzeichnis

3.6-9

Neudefinition I: Kinder Abrahams und gesegnet durch den Glauben .

71

3,10-14

Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung des Geistes und Gesetz/Fluch

72

3.15-18

Neudefinition III: Verheißung/Bund/Erbe Abrahams und Gesetz. . .

78

3,19-22

Neudefinition IV: Funktion und Unterordnung des Gesetzes unter der Verheißung

81

3,23-29

Neudefinition V: Das Ziel des Gesetzes war die Rechtfertigung aus Glauben

85

4.1-20 Konsequenz: Warnung der Adressaten vor einem Rückfall in die alte Zeit

96

4,1—7

Die Adressaten sind nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben. .

97

4,8-11

Die Verblüffung des Apostels über die neue Bekehrung der Galater . .

103

4.12-20

Erste Aufforderung: Die Adressaten sollen den Apostel nachahmen .

106

4,21-5,1 Hermeneutische B e g r ü n d u n g : Die eschatologische Freiheit

113

5.2-12 Zweite A u f f o r d e r u n g u n d A u s f ü h r u n g der These des Briefes: Die Adressaten sollen in der Freiheit bleiben

120

5,13-6,10

127

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

5.13-15 5.16-24

Übergang: Freiheit, Existenz unter dem Fleisch und gegenseitige Liebe

128

Die Christen sollen im Geiste leben

131

5,25-6,6

Die Christen, die im Geiste leben, sollen sich gegenseitig lieben . . . .

143

6.7-10

Der eschatologische Horizont der Entscheidung der Adressaten . . . .

149

6,11-18 Autographische Subskription: Dieneue Schöpfung

153

Exkurse Das apostolische Ich und das neue, persönliche Selbstbewußtsein des Individuums .

38

Galater 2,1-21 und Apostelgeschichte 15,1-35

63

Das Gesetz im Galaterbrief

92

Eschatologische Motive der Paränese

142

Das Problem der Konkurrenten und die judenchristlichen'Lehrer in Galatien . . . .

159

VIII

Einleitung 1. Der Text des Briefes und seine Rezeption als frühchristliche Literatur A L A N D , Die Entstehung des Corpus Paulinum, in:NeutestamentlicheEntwürfe,ThB63, 1979,302-350. - Y.-M. B L A N C H A R D , Aux sources du canon. Le témoignage d'Irénée, Cogitatio Fidei 175, 1993. - H . J . FREDE, Die Ordnung der Paulusbriefe und der Platz des Kolosserbriefes im Corpus Paulinum, Vetus Latina 24,1969, 290-303. - E. J. GOODSPEED, The Formation ofthe New Testament, 1926. - DERS. , The Meaning of Ephesians, 1933. - A. v. H A R N A C K , Die Briefsammlung des Apostels Paulus und die anderen vorkonstantinischen Briefsammlungen. Sechs Vorlesungen aus der altkirchlichen Literaturgeschichte, 1926. - A . LINDEMANN, Paulus im ältesten Christentum, BHTh58, 1979. D. TROBISCH, Die Entstehung der Paulusbriefsammlung. Studien zu den Anfingen christlicher Publizistik, N T O A 10, 1989. Literatur:K.

Die ältesten erhaltenen handschriftlichen Zeugen des Gal (zunächst P 46 , ca. 200. n. Chr., s. K. u. B. Aland, Der Text des Neuen Testaments, 1982,109; B. M. Metzger, The Text of the New Testament. Its Transmission, Corruption and Restoration, 19682, 252) überliefern einen Zustand des Textes, der zum einen die Veröffentlichung und die Verbreitung des Briefes als Bestandteil einer paulinischen Briefsammlung und zum anderen seine Verwendung in den ersten christologischen Auseinandersetzungen des 2. Jhdts voraussetzt. Die Entstehungsgeschichte der kanonischen Sammlung der Paulusbriefe läßt sich nur mit Hypothesen rekonstruieren. Man kann feststellen, daß Kol 4,16 einen Umlauf der Briefe in den Ortsgemeinden impliziert, daß 2 Petr 3,16 die Paulusbriefe als überschaubares Corpus kennt (êv Jtâaaiç êiticrtoXaïç) und daß Marcion (Epiphanius, Haer. 42; Tertullian, Contra Marcionem IV, 5), der Kanon Muratori, P 46 und Tertullian vergleichbare Zusammenstellungen in verschiedenen Reihenfolgen bezeugen (s. K. Aland, Entstehung, 324-350; D, Trobisch, Die Entstehung, 12-62). Entweder sind die vorhandenen Briefe allmählich und aus pragmatischen Gründen gesammelt worden (so K. Aland, Entstehung, 347f., der mit einem uneinheitlichen Prozeß bis zur Durchsetzung der kanonischen Reihenfolge rechnet, aber auch H. Lietzmann, HNT 8, 4, der auf die in PolPhil 13,2 bezeugte Sammlung des Corpus Ignatianum verweist), oder sie sind von einem Redaktor (so W. Schmithals, Die Briefe des Paulus in ihrer ursprünglichen Form, ZWKB, Zürich 1984) bzw. in paulinischen Gemeinden (Korinth, so Th. Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons 1/2, 1889, 811-839; A. v. Harnack, Briefsammlung, 8f, oder Ephesus, so E.J. Goodspeed, Formation, 29, oder Antiochien, so H.J. Frede, Die Ordnung, 292f) ediert worden. Wahrscheinlicher sind komplexere Modelle: Die Betrachtung der Anordnung, des Umfangs und der unterschiedlichen Ausgaben von einzelnen Briefen (s. die verschiedenen Textfassungen von Rom 1,7.15; 1 Kor 1,2 u. Eph 1,1) läßt die parallele Existenz mehrerer Sammlungen vermuten, die kombiniert worden sind, und schließt nicht aus, daß der Apostel die kanonischen Briefe an die Römer, an die Korinther und an die Galater bereits selber herausgegeben hatte (so D. Trobisch).

1

Einleitung

Der Text des kanonischen Gal ist aufjeden Fall keine unmittelbare Abschrift des Briefes oder eines aufbewahrten Exemplars des Briefes, der in Galatien in U m l a u f gebracht oder verteilt w u r d e . Er ist vielmehr als Bestandteil einer Briefsammlung bearbeitet u n d ü b e r liefert w o r d e n . Z u m einen ist zu beachten, daß die Briefsammlung eine literarische Gattung an u n d f ü r sich bildet. Z u m anderen ist bei der Interpretation der einzelnen Briefe zu berücksichtigen, daß die Redaktion v o n Briefsammlungen, an der der A u t o r selbst m i t w i r k e n kann oder nicht (s. Cicero, Ad A t t i c u m 16,5,5; Plinius, ep. 1,1,1 als Belege für die Ausgabe eigener Briefe), nicht nur f ü r die Auswahl u n d die O r d n u n g der Briefe verantwortlich ist, sondern auch f ü r Ergänzungen, Streichungen u n d Verbesserungen (s. D. Trobisch, Entstehung, 84—104). Da wir weder wissen, was ein Rundbrief an die Galater materiell bedeutet (ist ein Exemplar in U m l a u f gebracht w o r d e n , oder sind mehrere, verschiedene Kopien hergestellt worden?), noch rekonstruieren können, welche Vorlage der Redaktion der Briefsammlung zugrundelag (hat m a n ein Exemplar aus Galatien zurückgeholt, s. Cicero, Ad Atticum 4,6,4 u. A d fam. 5,12, oder handelte es sich u m eine Durchschrift, die nach Ephesus gesandt w o r d e n wäre, oder u m eine A u t o r e n k o pie?), ist j e d e literarische u n d theologische Ü b e r l e g u n g über die Abwesenheit v o n D a n k sagung u n d v o n persönlichen Grüßen im kanonischen Gal problematisch. N i c h t nur die Publikation, sondern auch die Rezeption des Gal hat Spuren bis hin zur ältesten erreichbaren Textüberlieferung hinterlassen. Im Unterschied zu 1 Kor, Phil u n d Eph, die in 1 C l e m 47 b z w . PolPhil 11,3 bzw. I g n E p h 12 jeweils adressatenbezogen zitiert werden, wird der Gal v o n den sog. .Apostolischen Vätern' nicht explizit verwendet. Anklänge sind allenfalls in IgnPhld 1,1 (Gal 1,1), PolPhil 9,2 (Gal 2,2), PolPhil 3,3 (Gal 4,26), PolPhil 5,1 (Gal 6,7), cf. noch IgnPhld 2,2 (Gal 5,7), IgnEph 18,1 (Gal 5,11), PolPhil 3,3 (Gal 5,14) u n d I g n R m 7,2 (Gal 6,14) zu finden. Viel massiver w i r d der - implizite u n d explizite - Gebrauch des Gal sowohl bei Clemens von Alexandrien (s. z. B. Gal 2 , 1 4 b - 2 1 in Strom. 3,106,4; 4,12,6; Div. 8,1; Gal 3,19.23f in Strom. 1,26,167; Gal 4,9 in Protrept. 5,65; Gal 5 , 1 6 - 2 4 in Strom. 4,8,61; Gal 5,25f; 6,2.7.9 in Paedagog. 3,12,92; Gal 6,2 in Paedagog. 3,95,2; Strom. 3,4,3; Gal 6,8f in Strom. 1,1,4; Gal 6,15 in Protrept. 114,3; Strom. 5,30,4; s. H. Kutter, Clemens Alexandrinus und das N e u e Testament, 1897) als auch in der o r t h o d o x e n Polemik von Tertullian u n d zunächst Irenäus (s. Y . - M . Blanchard, A u x sources du canon, 245—262). Der Text des Gal wird eingesetzt, u m die Auslegung Marcions zu widerlegen (Tertullian, Adv. Marc. 5,2,1-5,4,15, k o m m e n t i e r t gezielt den ganzen Gal), u m die Kontinuität der apostolischen Tradition mit d e m alttestamentlichen Glauben an den Schöpfer und mit der jüdischen Heilsgeschichte zu b e g r ü n den, u n d u m die Wirklichkeit der M e n s c h w e r d u n g u n d des Todes Christi b z w . Gottes antidoketisch zu betonen (öfter zitierte Stellen sind Gal 1 , 6 - 9 ; 3 , 6 - 9 ; 3,13; 3,19; 4,4f; 4,27f u. 5,21). .Verbesserungen' des Textes u n d sekundäre Verdeutlichungen seiner christologischen u n d heilsgeschichtlichen Aussagen lassen sich als Aktualisierungen erklären, die die gleiche Tendenz in der Rezeptions- u n d Überlieferungsgeschichte des Gal bezeugen (s. B. D. E h r m a n , T h e O r t h o d o x C o r r u p t i o n of Scripture. T h e Effect of Early Christological Controversies on the Text of the N T , 1993): Eig XQUJXÖV D F G I usw. verstärkt in Gal 3,17 die Verbindung zwischen Christus u n d der alttestamentlichen Verheißung, die Ä n d e r u n g v o n YEV6(J,EVOV ¿X y w a i x o g bzw. factum ex muliere in YEWCI>|xevov bzw. natum K f usw. in Gal 4,4 unterstreicht die Menschlichkeit des G o t tessohnes, w ä h r e n d deofi x a l XQiaxofi P 4 6 B D * F G u s w . in Gal 2,20, xö axavöaXov TOC axavQov X Q I O X O I ) A C 76 102 218 326 usw. in Gal 5,11, X Q I O X O C P u s w . , xugiou

2

2. Der Galaterbrief im paulinischeti

Briefcorpus

5Ir|aoi) C 3 D 2 usw., xuQiou fi(xcöv 'Irioofi XGICN;ot> D * F G usw. und xugiou 'IR)aoi3 XQIOTOI), K usw. in Gal 6,17 die Paradoxie des Kreuzes noch verschärfen wollen.

2. Der Galaterbrief im paulinischen Briefcorpus Literatur: F. C . BAUR, Paulus, der Apostel Jesu Christi, 1845, 2 4 5 - 4 1 6 . - H . HÜBNER, Das Gesetz bei

Paulus. Ein Beitrag zum Werden der paulinischen Theologie, FRLANT 119, 1978. - B. RIGAUX, Saint Paul et ses lettres. État de la question, Studia Neotestamentica, Subsidia 2, 1962 (dt. Paulus und seine Briefe. Der Stand der Forschung, 1964). - A. SABATIER, L'Apôtre Paul. Esquisse d'une histoire de sa pensée, 1912 4 , 1 2 7 - 2 1 7 .

Die vier großen Paulusbriefe (Rom; 1 Kor; 2 Kor u. Gal) bilden sowohl theologisch als auch literarisch einen engen Zusammenhang. Die Hypothese, nach welcher der Apostel selbst ihre kanonische Fassung bearbeitet hat, um sie in der Form einer Briefsammlung herauszugeben, zu veröffentlichen und in Umlauf zu bringen (so E. Trobisch, Die Entstehung der Paulusbriefsammlung. Studien zu den Anfängen christlicher Publizistik, NTOA 10, 1989; ders., Die Paulusbriefe und die Anfange christlicher Publizistik, K T 135, 1994), ist eine literarisch-historische Erklärung für die gedanklichen Verbindungen und für ihre formale und inhaltliche Einheit. Komplementär dazu ist die Annahme, daß sich der gesamte paulinische Briefwechsel mit Rom, Korinth und Galatien wahrscheinlich kurz vor dem letzten Besuch in Korinth (1 Kor 16, 5-7; 2 Kor l,15f; 10,2; 12,14; 13,1.10, cf. 1,17-2,11; 2,12f; 7,5-7) und der letzten Reise nach Jerusalem ( Rom 15,25-28) konzentriert hat. In der gut rekonstruierbaren Chronologie, die die drei anderen großen Briefe (oder die Briefe, die sie enthalten, wenn Teilungshypothesen für 1 u. 2 Kor angenommen werden) bilden, ist allerdings der Platz des Gal unentscheidbar. Das einzige Indiz für seine zeitliche Einordnung ist die Abwesenheit jeder Empfehlung für die Kollekte, die in 1 Kor 16,1 erwähnt ist (vgl. aber Gal 2,10; 6,2f.6-10 u. Komm.). Der Rom ist in Korinth verfaßt worden (vgl. 1 Kor 16,2f.6; 2 Kor l,15f mit Rom 15,25-28) und die Briefe an die Korinther spätestens einige Monate vorher in Ephesus (1 Kor 16,8) oder/und in Makedonien (2 Kor 7,5; 9,2). Der Gal kann entweder während des ersten korinthischen Besuches geschrieben worden sein (etwa gleichzeitig wie 1 Thess, falls man von der süd-galatischen Hypothese ausgeht, s. Einleitung 5: Abfassungszeit und -ort und die Problematik der Adressaten) oder während des Aufenthaltes in Ephesus (vor oder nach 1 Kor) oder in Makedonien (vor oder nach 2 Kor) oder in Korinth (vor oder nach Rom) oder auf der Reise nach Jerusalem (so W. Foerster, Abfassungszeit und Ziel des Gal, in: Apophoreta [Fs. E. Haenchen], BZNW30, 1964, 135-141) oder während der letzten Gefangenschaft in Rom (cf. Gal 4,20; 6,11.17, soj. Knox, IDB II, 1962, 338-343, bes. 342f, aber auch die Subscriptio in B 1 K L usw., syrische und koptische Übersetzungen, Theodoret, Hieronymos, Euseb von Emesa usw.: Gal sei der erste oder der letzte der ,Gefangenschaftsbriefe', s. F. Sieffert, 23). Als Konsequenz kann er sowohl als erster Entwurf der Theologie der großen Briefe und als erste Auseinandersetzung mit dem Judenchristentum' (so F. C. Baur, Paulus, 251-259), als letzte Vorbereitung des Römerbriefes (so J . B . Lightfoot, 36-56; M.J. Lagrange, LXIII-LXVIII; U. Wilckens, Was heißt bei Paulus: „Aus Werken des Gesetzes wird kein Mensch gerecht"?, EKK 1 [1969] 51-77, bes. 57; C. H. Buck, The 3

Einleitung

Date of Galatians, J B L 70 [1951] 113-123, bes. 121, cf. U. Börse, Standort: Gal ist parallel zu 2 Kor 10-13 konzipiert worden), als auch als thematische Zusammenfassung der drei ersten (so F. Vouga, Der Gal: kein Brief an die Galater? Essay über den literarischen Charakter des letzten großen Paulusbriefes, in: Schrift und Tradition [Fs. J. Ernst], 1996, 243-258) betrachtet werden. Die Beobachtung von einzelnen Diskrepanzen zwischen dem Gal einerseits und Rom und Apg andererseits haben sogar die radikale Literarkritik veranlaßt, die paulinische Echtheit des Gal zu bestreiten und den Brief als eine Komposition des 2. Jhdts zu behandeln (s. B. Bauer, Kritik der paulinischen Briefe I, 1850; die Vertreter der radikalen, holländischen Schule, u. a. A. Pierson, De Bergrede en andere synoptische Fragmenten, 1878; A. D. Loman, Quaestiones Paulinae, ThT 16 [1882] 141-185, 3 0 2 - 3 2 8 , 4 5 2 - 4 8 7 ; 17 [1883] 1 4 - 5 7 ; 20 [1886] 42-113; R. Steck, Der Gal nach seiner Aechtheit untersucht, nebst kritischen Bemerkungen zu den paulinischen Hauptbriefen, 1888; D. Voelter, Paulus und seine Briefe. Kritische Untersuchungen zu einer neuen Grundlegung der paulinischen Briefliteratur und ihrer Theologie, 1905, bes. 229-285; vgl. J. C. O'Neill, The Recovery of Paul's Letter to the Galatians, 1972, der die gesetzeskritischen Aussagen des Briefes einem nach-paulinischen Glossator zuschreibt). Festgestellt werden kann, daß der Gal Themen verbindet, die in 1 Kor und bes. in 2 Kor und in Rom entwickelt werden: Das Problem des „Ich" des Apostels und des paulinischen Apostelamtes (Gal l f / / 2 Kor), die Schwachheit als Befindlichkeit der Verkündigung des Evangeliums (Gal 4 / / 1 Kor 1 - 4 u. 2 Kor), die Definition der Rechtfertigung und der Gerechtigkeit Gottes und ihre Trennung von der Gesetzesfrage (Gal 2 f / / R ö m 1-4), die CJCIQS; und der Geist als Bestimmung der alten Welt und der neuen Schöpfung Gottes (Gal 5 f / / R ö m 8). Der Unterschied zwischen Gal und den drei anderen Hauptbriefen besteht 1. In der Kohärenz der Argumentation und in der systematischen Reihenfolge der Themen: Die programmatische Gegenüberstellung OIJX eaxiv x a t a avögamov . . . a/.Xa öl' ÖOTOxaA.i>ipecoc; (Gal 1, llf) führt das antithetische Paar ¿| eQYoav VO|XOV /öiä bzw. ex Jticrtecos ein (Gal 2,16-21), das als Äquivalent für die Bestimmung der Existenz durch die Oc>cXr]aiat,ç t f j ç ' I o u ô a i a ç schließt wie 1 Thess 2,14 Jerusalem ein. Allenfalls unterstreicht die pauschale Bezeichnung n o c h einmal den Eindruck der Distanz (anders J. Bengel: „extra Jerusalem", so daß die Aussage des Apostels mit A p g 9, 2 6 - 2 9 harmonisiert wird). 23 Ist auch das paulinische Evangelium u n d sein Apostelamt v o n den Kirchen i n j u d ä a jahrzehntelang unabhängig geblieben, so haben sie dennoch die doppelte Tatsache seiner B e r u f u n g u n d seiner Missionstätigkeit registriert. ' O ôiœxœv T||iâç ist im Stil direkter Rede wiedergegeben u n d zitiert möglicherweise eine alte Gemeindetradition (so F. Sieffert, 66; C h r . Dietzfelbinger, B e r u f u n g , 6 - 1 0 ; J. L. M a r t y n , 177, der auf die bei Paulus unübliche W e n d u n g evayyeXi^eaûai tf|v Jtioriv hinweist; E. B a m m e l , Galater 1,23, Z N W 59 [1968] 108-112: Paulus disqualifiziert halbironisch den V e r f o l g u n g s v o r w u r f , indem er das Lob referiert, das die Martyriumserzählung der judäischen G e m e i n d e n abschließt). 'H(j.âç entspricht tr)v êxxXrioiav xofi deoC (V. 13), w o d u r c h sich die G e m e i n d e n i n j u d ä a mit den verfolgten G e m e i n d e n in Syrien identifizieren (s. Gal 1,13 u. K o m m . ) . Z u evayyEXi^ecrliai u n d Jtogdeüv s. ad Gal 1,8 u. 1,13. Absolut gebraucht bezeichnet Jtioriç die christliche Botschaft selbst (vgl. Gal 3,23.25; 6,10; R. B u l t m a n n , T h W N T V I , 2 1 4 ; R. B. Hays, Faith, 148f; anders J. M . Gonzales Ruis, Sentido comunitario - eclesial de algunos substantivos abstractos en S. Pablo, in: J. C o p p e n s / A . D e s c a m p s / E . Massaux [Hg.], Sacra Pagina II, 1959, 3 2 2 - 3 4 1 , bes. 327, der jiîoxiç v o n èxxXrjaia V. 13 her versteht). 24 Als zweite Hauptaussage wird die Konsequenz berichtet. 'Ev ê^ioi verweist auf die Taten Gottes in Paulus u n d bestätigt den göttlichen Charakter des paulinischen Auftrages (Gal 1,10-12.13-17; dadurch wird allerdings nicht behauptet, daß sein Gesetzesverständnis a n g e n o m m e n u n d b e f ü r w o r t e t wird, wie es W. Schmithals, Paulus u n d Jakobus, F R L A N T 85, 1963, 16, schlußfolgert).

Das apostolische Ich und das neue, persönliche Selbstbewußtsein des Individuums Literatur: A. B a d i o u , Saint Paul, 17-68. - B. R. G a v e n t a , Gal 1 and 2: Autobiography as Paradigm, N o v T 28 (1986) 309-326. - K. S t e n d a h l , T h e Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, H T R 56 (1963) 199-215. - É. T r o c m é , Paul-la-colère: Éloge d ' u n schismatique, R H P h R 61 (1981) 341-350. Die zentrale Aussage von Gal 1,6-2,21, nach welcher das von Paulus gepredigte Evangelium weder menschlicher Art noch menschlicher H e r k u n f t ist, sondern sowohl sein Apostelamt als auch sein Gottesverständnis und die Heidenmission aus einer O f f e n b a r u n g Gottes, d. h. aus der Erscheinung des Auferstandenen u n d aus ihrer Interpretation folgen (Gal 1,10-12), wird in Gal 1,13-2,21 autobiographisch begründet. Das Erstaunliche besteht nicht im Verweis der Argumentation auf das „Ich" des Apostels. Sowohl der griechische und hellenistisch-römische Mensch (Isokrates, Demosthenes, Cicero, Seneca) als auch der jüdische (Qoh; TestXII) kann M o m e n t e seines Lebens als exempta fiktional oder nichtfiktional vorlegen. Selbstverständlich sind auch die Gattungen und Topoi der paulinischen Selbstdarstellungen bereits bekannt. Diese Beobachtung setzt aber nicht voraus, daß das individuelle

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Exkurs: Das apostolische Ich und das neue Selbstbewußtsein des Individuums

1,22-24

Selbstbewußtsein des Apostels auf die Denkkategorien u n d auf die anthropologischen Vorstellungen des antiken M e n s c h e n begrenzt ist (anders B. J. Malina/J. H . N e y r e y , Portraits of Paul. A n A r c h a e o logy of Ancient Personality, 1996). D a s doppelte novum, das in den autobiographischen B e t r a c h t u n gen des Paulus erscheint, besteht zunächst im F a k t u m , daß sein Leben kein exemplum allgemeiner Wahrheiten ist, s o n d e r n Geschichte von subjektiven B e g e g n u n g e n u n d E r f a h r u n g e n (u. a. die B e g e g n u n g mit d e m auferstandenen Gekreuzigten, Gal 1,12.16; 1 K o r 9,1; 15,8, die i h m eine neue Identität verleiht, G a l 2 , 1 9 f , s. A. Badiou, 17-31), v o n individuellen Entscheidungen u n d Ü b e r z e u g u n g e n (Gal 1,17-21 ; 2, lf. 11-21) u n d v o n h u m o r v o l l e r Distanzierung zu sich selbst u n d zur eigenen Schwachheit (Gal 4,12-14). Die Zeitlichkeit der Wahrheit, die sich aus der Paradoxie des Kreuzes ergibt, konstituiert das geistige Leben des Individuums z u m T h e m a des menschlichen S e l b s t b e w u ß t seins u n d z u m Adressaten der apostolischen Verkündigung. Diese neue D i m e n s i o n , die die Mehrschichtigkeit der B e z u g n a h m e n des Paulus auf sein Leben b e s t i m m t , ergibt sich aus der B e d e u t u n g der G o t t e s o f f e n b a r u n g in Christus f ü r das Selbstverständnis des Einzelnen. Die E n t d e c k u n g der Subjektivität ist als K o n s e q u e n z des christologisch-soteriologischen Universalismus zu verstehen (J. Blank, Paulus u n d Jesus, 302; B. R. Gaventa, N o v T 2 8 [1986] 318-322), u n d zwar in d e m Sinne, daß die Rechtfertigung des Menschen d u r c h den Glauben die U n t e r s c h e i d u n g zwischen seiner unverwechselbaren Person u n d den Eigenschaften, die er g e w i n nen, haben u n d verlieren kann, bedingungslos voraussetzt (cf. B. Pascal, Pensées Br. 323 = M S L 688, série 5; Text s. unten zu Gal 3 , 2 6 - 2 8 ) . Diese A u f w e r t u n g b z w . E n t d e c k u n g der Person als des Einzelnen u n d als des Subjektes in der 1. Pers. Sg. scheint mit der Tendenz zu konkurrieren, die autobiographischen Aussagen v o n den Bereichen des privaten Lebens u n d v o n den innerlichen Gefühlen fernzuhalten. Auffällig ist dabei, daß der Apostel z u m einen in Gal 1 , 1 3 - 2 , 2 1 Fakten darstellt, die die Selbständigkeit seines A p o s t e l amtes u n d seines Missionsunternehmens zeigen, aber nicht die religiösen E r f a h r u n g e n , die die göttliche H e r k u n f t seines Auftrages belegen (Gal l,13f. 17-24; 2,1-14); z u m anderen referiert er Ä u ß e r u n g e n , in welchen sein individuelles „Ich" als existentielle Darstellung seines Verständnisses des Evangeliums, d . h . als Z e u g e f u r das Selbstverständnis des I n d i v i d u u m s erscheint (Gal 2 , 1 4 b - 2 1 ) . M a n sieht, daß das apostolische „Ich" e n t w e d e r auf die Exteriorität des Feststellbaren u n d auf bloße B e h a u p t u n g e n (die Berufungsgeschichte ist auf die Bearbeitung u n d die K o m b i n a t i o n v o n theologischen Interpretamenten reduziert, Gal l,15f = eine Rezeption v o n j e r 1,5 u. Jes 4 9 , 1 - 6 ) oder als Identifikationsfigur f ü r den christlichen Glauben auf wiederholbare E r f a h r u n g e n beschränkt bleibt. In d e m Augenblick, in d e m die O f f e n b a r u n g des Gekreuzigten als Gottessohn zu der E n t d e c k u n g des Einzelnen f u h r t , bleibt das intime Erlebnis der O f f e n b a r u n g Gottes, das als h e r a u s ragende u n d nachvollziehbare Legitimation der B e h a u p t u n g , sein A u f t r a g sei göttlicher H e r k u n f t , gelten könnte, v o m Bericht ausgeschlossen. Die A r g u m e n t a t i o n verläuft vielmehr so, daß eine autobiographische B e g r ü n d u n g angekündigt w i r d (ïjxoijaaTe yâç, Gal 1,13), daß diese aber p a r a d o xerweise insofern auf j e d e Legitimation verzichtet, als sie aus der b l o ß e n B e h a u p t u n g besteht, der Apostel sei durch eine O f f e n b a r u n g Gottes beauftragt w o r d e n , u n d diese B e h a u p t u n g mit Hilfe der Interpretamente der Berufungsgeschichte der P r o p h e t e n gedeutet w i r d . „Und wie kann nun der Apostel beweisen, daß er die Autorität hat? Könnte er es sinnenhaft beweisen, so wäre er gerade kein Apostel. Er hat keinen anderen Beweis als seine eigene Aussage. Und so muß es auch sein; denn anders käme der Glaubende in ein direktes Verhältnis zu ihm, nicht in ein paradoxes" (S. Kierkegaard, Ü b e r den U n t e r s c h i e d zwischen einem Genie u n d einem Apostel, in: Z w e i kurze ethisch-religiöse A b h a n d l u n g e n , 1849). Die Feststellung, daß das „Ich" des Apostels in Gal 1 , 6 - 2 , 2 1 sich e n t w e d e r auf das O b j e k t i v Äußerliche beschränkt oder das Individuell-Christliche paradigmatisch thematisiert, kann auf die anderen „Ich"-Berichte u n d -Bekenntnisse des Briefes (Gal 4 , 1 2 - 2 0 ; 5 , 2 - 6 . 1 1 ; 6,14f) ausgedehnt werden. Besonders erhellend ist in diesem Z u s a m m e n h a n g der kurze Rückblick auf die erste V e r k ü n d i g u n g des Evangeliums in Galatien (Gal 4,12-14), der an 1 K o r 2 , 1 - 5 erinnert u n d die paulinischen Reflexionen über die apostolische Schwachheit (àaôéveta, cf. 2 K o r 4 , 7 - 5 , 5 ; 11,30-12,10) k u r z z u s a m m e n f a ß t . Die Diskrepanz zwischen der äußerlichen Erscheinung des Apostels u n d der W a h r heit des Evangeliums, die er mitteilt, ist deswegen theologisch relevant, weil die Mitteilung auf das Gottesevangelium verweist u n d nicht auf den Apostel. Insofern sind s o w o h l die Autorität als auch

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2,1-10

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

die K o m m u n i k a t i o n des Apostels paradox u n d indirekt: D e r Apostel teilt nicht sich mit, sondern er verschwindet hinter d e m Evangelium, das er verkündigt, u n d seine Autorität besteht in seiner Aussage, daß er von G o t t gesandt ist, o h n e daß er sie anders legitimieren kann. E r tut dies aber deswegen, weil er gerade v o n G o t t als unverwechselbares I n d i v i d u u m gesetzt u n d zur Verkündig u n g des Evangeliums h e r v o r g e h o b e n w i r d . Definiert m a n die A u t o b i o g r a p h i e durch ihre F o r m (eine Erzählung in Prosa), durch ihr T h e m a (die individuelle Geschichte einer Persönlichkeit), durch die Selbstvorstellung ihres A u t o r s (sein N a m e verweist auf eine reale Person, die mit d e m Erzähler identisch ist) u n d ihres impliziten Erzählers (der Erzähler ist mit der H a u p t f i g u r seiner Erzählung identisch u n d betrachtet sich selbst rückblickend, so Ph. Lejeune, Le pacte autobiographique, collection Poetique, Paris 1975, 14), dann gehören die Ich-Berichte des Briefes zur Geschichte der G a t t u n g . Aus G r ü n d e n , die mit der Sache, d. h. mit d e m paulinischen Verständnis des Kreuzes u n d des christlichen Glaubens v e r b u n d e n sind, bereitet die Autobiographie in Gal 1 , 6 - 2 , 2 1 u n d in 4 , 1 2 - 2 0 die Bekenntnisse als Selbstbetrachtungen des inneren Menschen v o r G o t t (so Augustinus, Confessiones) vor. Sie läßt sich mithin nicht auf die argumentative F u n k t i o n der Verteidigung oder der Erläuterung eines philosophischen oder politischen Ideals d u r c h seine exemplarische Verkörperung in der Darstellung einer paradigmatischen Lebensgeschichte reduzieren (Isokrates, Antidosis; Piaton, ep 7; D e m o s t h e n e s , D e Corona; Cicero, A d Att. 1,19 Commentarium consulatus mei Graece compositum misi adte ... Latinum siperfecero, si est enim apud ad te mittam. tertium poema exspectato, ne quodgenus a me ipso laudis meaepraetermittatur... homines quidquam, quod potius laudetur, nos vituperemur, qui non potius alia laudemus: quamquam non ¿Y>t(ü(WCKraxci sunt haec sed iatOQixa, quae scribimus: „Die griechisch abgefaßte Denkschrift über m e i n Konsulat habe ich D i r z u g e s t e l l t . . . Die lateinische Fassung schicke ich Dir, sobald sie fertig ist. Als drittes darfst D u ein Epos erwarten, denn ich m ö c h t e keine Literaturgattung ungenutzt lassen, mein Lob zu singen . . . Gibt es auf E r d e n etwas, w a s eher Lob verdient, so m a g m a n m i c h tadeln, daß ich nicht lieber f r e m d e s Verdienst r ü h m e . I m übrigen schreibe ich j a gar keine Lobreden, sondern Geschichte" [Übers. H . Kasten]; Josephus, Vita; G. Lyons, Pauline A u t o b i o g r a p h y . T o w a r d a N e w U n d e r s t a n d i n g , S B L D S 73, Atlanta 1985): Gegenstand der paulinischen A u t o b i o g r a p h i e ist, wie in Gal 2,20; 6,142f. p r o g r a m m a t i s c h formuliert, nicht das verallgemeinerungsfähige „Ich" des Paulus, sondern Christus, der in i h m lebt, der ihn z u m einzelnen, selbstbewußten Subjekt u n d zur „neuen S c h ö p f u n g " m a c h t (Gal 6,15).

2,1-10 Der zweite Besuch in Jerusalem 1

Danach, nach Ablauf von vierzehn Jahren, zog ich erneut hinauf nach Jerusalem mit Barnabas und nahm auch Titus mit. 2 Ich zog aber hinauf aufgrund einer Offenbarung. Und ich legte ihnen das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige, in gesonderten Gesprächen aber den Angesehenen, damit ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen sei. 3 Aber auch Titus, der mit mir war, wurde, obwohl Grieche, nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen. 4 Wegen der eingedrungenen Falschbrüder, die sich eingeschlichen hatten, damit sie unsere Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, ausspionieren, um uns zu versklaven 5 denen haben wir uns keinen Augenblick in Gehorsam gefügt, damit die Wahrheit des Evangeliums für euch erhalten bliebe. 6 Von den „Angesehenen" - wer immer sie waren, ist mir gleichgültig: Gott sieht die Person des Menschen nicht an - , mir nämlich haben die Angesehenen nichts auferlegt, 7 sondern i m Gegenteil: Als sie sahen, daß mir das Evangelium an die Unbeschnittenen anvertraut ist wie Petrus das an die Beschnittenen, 8 - denn der, der an Petrus für das Apostelamt unter den Beschnittenen wirksam war, der war es auch an mir für die Heiden - 9 und als sie 40

Der zweite Besuch in Jerusalem

2,1-10

die Gnade erkannten, die mir gegeben war, da gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als „Säulen" angesehen waren, mir und Barnabas die rechte Hand zur Gemeinschaft, damit wir zu den Heiden, sie aber zu den Beschnittenen (gingen). 1 0 Nur der Armen sollten wir gedenken; genau das habe ich m i c h auch bemüht, zu tun. Literatur: E. E. ELLIS, Paul and his Co-Workers, NTS 17 (1970/71) 437-452. - S. GIET, L'assemblée apostolique et le décret de Jérusalem, RSR 39 (1951) 203-220. - J . D. HESTER, The Use and Influence of Rhetoric in Gal 2,1-14, T h Z 42 (1986) 386-408. - T. HOLTZ, Die Bedeutung des Apostelkonzils für Paulus, N o v T 16 (1974) 110-148. - G . D . KILPATRICK, Peter, Jerusalem and Gal 1,13-2,14, N o v T 25 (1983) 318-326. - G. KLEIN, Gal 2 , 6 - 9 und die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, ZThK 57 (1960) 275-295, = Rekonstruktion und Interpretation, BevTh 50, 1969, 99-128. - D. LÜHRMANN, Gal 2,9 und die katholischen Briefe. Bemerkungen zum Kanon und zur régula fidei, Z N W 72 (1981) 65-87. - R. PESCH, Das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts, in: Kontinuität und Einheit (Fs. F. Mussner), 1981, 105-122. - W . SCHMITHALS, Probleme des „Apostelkonzils" (Gal 2,1-10), HTS 53 (1997) 6 - 3 5 . - C. H. TALBERT, Again, Paul's Visit to Jerusalem, N o v T 9 (1967) 26-40. Das zweite Treffen in Jerusalem ist die erste E p i s o d e des a u t o b i o g r a p h i s c h e n R ü c k b l i c k s , die die F o r m eines ausführlicheren Berichtes a n n i m m t . D e r G r u n d läßt sich aus den Voraussetzungen u n d aus den Lücken der D a r s t e l l u n g r e k o n s t r u i e r e n : D i e Adressaten sind insofern bereits i n f o r m i e r t , als der Apostel nicht zu präzisieren b r a u c h t , w e n er besuchen wollte (V. 2a), als er auf dieTYEVÒCIÒEX.cpoials b e k a n n t e P e r s o n e n b z w . P e r s o n e n kreise hinzuweisen (TOTJÇ, V. 4) u n d die Kollekte n u r allusiv zu e r w ä h n e n b r a u c h t (V. 10, vgl. 1 K o r 16,1). G e n a u s o w i e in l,13f geht es hier w e n i g e r u m einen Bericht als v i e l m e h r u m einen Gegenbericht. D i e S t r u k t u r der E r z ä h l u n g entspricht der paulinischen D e u t u n g u n d B e w e r t u n g der Ereignisse (rein f o r m a l v e r w e i s t A . C . M . B l o m m e r d e , Is T h e r e an Ellipsis b e t w e e n Gal 2,3 and 2,4?, Bib 56 [1975] 100-102, auf die Parallelität der b e i d e n Perioden àvedéfitiv . . . àìSk' V. 2-6a//ot)ôÈv JtQoaave-ÖEVto V. 6b—9; anders J. L. M a r t y n , 188: D e r Wechsel der dramatis personae bildet f ü n f Szenen: V. 1, 2a, 2b, 3 - 5 , 6 - 1 0 ) . D r e i oder vier G r u p p e n w e r d e n unterschieden: 1. AiJtoi (V. 2a) bezeichnet einen g r ö ß e r e n Kreis (was x a t ' Eôiav in V. 2 b impliziert), d e m Paulus sein E v a n g e l i u m a u f g r u n d einer O f f e n b a r u n g v o r g e t r a g e n hat (V. l - 2 a ) . Weder die Z u s a m m e n s t e l l u n g dieser a n o n y m e n G r u p p e n o c h ihre R e a k t i o n e n w e r d e n genannt. 2. E i n e n zweiten Kreis bilden oi ÔOXOCVTEÇ (V. 2b) b z w . oi ÔOXOCVTËÇ eivai TI (V. 6), die m i t den ot ÔOXOOVTEÇ OXÌJXOI eivai (V. 9a) e n t w e d e r identisch sind o d e r zu d e n e n die (xröXoi g e h ö r e n , u n d m i t denen Paulus S o n d e r g e s p r ä c h e g e f ü h r t hat (V. 2 b). Auffällig ist, daß die Ergebnisse dieser Gespräche d u r c h den langen Satz V. 6 - 9 als G e s a m t e r g e b n i s der ganzen Reise nach J e r u s a l e m dargestellt w e r d e n . D i e R e c h t f e r t i g u n g d a f ü r ist i m B e g r i f f oi ÔOXOÎJVTEÇ selbst g e g e b e n u n d problematisiert: Z u m einen sind oi ÔOXOÛVTEÇ b z w . J a k o b u s , Petrus u n d J o h a n n e s Figuren, die (von d e n aiixoi in V. 2a, v o n den tivéç in Gal 1,7, u n d d e s w e g e n auch v o n den Galatern?) f ü r repräsentativ gehalten w e r d e n , z u m anderen enthält die B e z e i c h n u n g das M o m e n t der D i s t a n z i e r u n g . D i e Dialektik ist die des g e s a m t e n a u t o b i o g r a p h i s c h e n Berichts (Gal 1,13—2,21): D a s E v a n g e l i u m , das A p o s t e l a m t u n d die H e i d e n m i s s i o n des Paulus w e r d e n v o n Instanzen a n e r k a n n t (V. 7 - 9 ) , v o n d e n e n sie ihre A u t o r i t ä t aber insofern nicht erhalten, als sie nicht v o n b z w . d u r c h Menschen,

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Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiirdie Völker

sondern von Gott sind (1,10-12, vgl. die theologisch-kritische Zwischenbemerkung V. 6). Z u m einen hat also die Wahrheit des Evangeliums mit dem Urteil der „Angesehenen" bzw. der „Säulen" nichts zu tun; zum anderen ist die Verbindung mit Jerusalem für Paulus aber insofern wichtig, als das Evangelium Offenbarung der Treue Gottes zu seiner Verheißung ist (Gal 3 , 6 - 2 9 ; B . Rordorf, L'Évangile de la liberté, B C P E 3 5 / 7 - 8 [1983] 3 6 - 5 9 , bes. 38; J . L. Martyn, 201: „Paul knows the meeting to have been o n e j u n c t u r e along the line o f the apocalyptic march o f God's gospel into the world"). Durch diese Unterscheidung kann sich die Argumentation auf die Unterstützung der Säulen berufen (sie haben die Beschneidung von Titus nicht verlangt [V. 3], dem Heidenapostel nichts auferlegt [V. 6], die Erfolge und die Legitimität der Heidenmission anerkannt [V. 7f] und die Gemeinschaft an derselben Verkündigung besiegelt [V. 9]), ohne von ihnen und von ihrer Weiterentwicklung (2,11-13) abhängig zu sein. Selbst die Kollekte wird in V. 10 als paulinisches Zugeständnis (|x6vov) und insofern als Bestätigung der Freiheit des Apostels vorgestellt. 3. Die schärfste Ironie betrifft den dritten Kreis der vom Apostel disqualifizierten tyEXJÔctÔ£Â.cpoi (V. 4 beginnt mit ô i à ôé einen neuen Satz, der mit einer Ellipse V. 4 oder als Anakoluth V. 5 endet). Ihre Position ist mit der der tivéç von Gal 1,7 verwandt : Sie stellen nicht die Heidenmission in Frage (anders M t 10,5bf), sondern fordern oder empfehlen die Beschneidung der Christen (V. 4, vgl. 5 , 7 - 1 0 ; 6,12f) und lehnen das paulinische Verständnis der christlichen Freiheit ab (anders W. Schmithals, H T S 53 [1997] 6 - 3 5 : In Jerusalem ging es um die Anerkennung der paulinischen Heidenmission, nicht um die Beschneidung). Die Argumentation spricht ihnen jede Autorität ab (sie konnten sich gegen die [in Jerusalem, von den tivéç 1,7 und von den Galatern, von Paulus allerdings nur distanziert] anerkannten of ôoxoùvteç nicht durchsetzen, V. 3f) und bringt die Fronten durcheinander: Sie verbindet die Galater mit Paulus, der für sie die Wahrheit des Evangeliums aufrechterhalten hat, und trennt sie von der Position der ajjevôâôetapoi und der Tivéç, die die Beschneidung der Heiden und ihre Zugehörigkeit zum Bund des Gesetzes verlangen, und sie von der christlichen Freiheit fernhalten (V. 5, vgl. 1,7). 1 Der neue Erzählabschnitt wird durch Zeitangaben und durch die Darstellung der neuen Personen eingeführt. " E j t e i t a u n d jt6X.iv dveßriv verweisen auf ËJteitaV. 18, so daß der Zeitraum von 12 bis 14 Jahren von daher und nicht seit der Berufung gerechnet ist (anders J . L. Martyn, 1 8 0 - 1 8 6 : ëjieita Gal 1,18 // 1,21 // 2,1 und eMéioç Gal 1,16 beziehen sich parallel auf öte V. 15). Aid meint „nach" (vgl. M k 2,1 ; Apg 24,17, aber auch Herodot VI,118; Dtn 9,11; 15,1; B D R § 223 4 ; Liddell/Scott I, 389), und die Zählweise kann sowohl einen Teil oder das Ganze des ersten und des letzten Jahres mitberechnen. Hauptfigur der Darstellung sind weder Barnabas (Apg 11,22.30) noch die beiden Apostel (Apg 1 3 , 1 - 3 . 4 4 - 5 2 ; 1 5 , 1 - 3 5 ) , sondern Paulus allein (àvépr)v . . . |iexâ, vgl. Apg 1 3 , 4 - 4 3 ; 14,1—28). Genauso wie später Timotheus wird Barnabas als Apostel (1 K o r 9,6) und als gleichberechtigter Mitarbeiter durch die Paulusbriefe anerkannt (Gal 2,9.13, vgl. W . - H . Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter, W M A N T 50, 1979, bes. 1 4 - 1 7 u. 2 0 6 - 2 1 5 ) . In der Argumentation steht aber nicht ihre gemeinsame Mission, sondern die Anerkennung des in Galatien von Paulus vertretenen Evangeliums zur Debatte. Anders als Barnabas und Timotheus gehörte Titus nicht zur engeren Mitarbeitergruppe der paulinischen Mission, sondern seine Aufgabe war unmittelbar mit der Kollekte verbunden (2 K o r 2,13; 7,6.13f; 8,6.16.23), so daß er als symbolischer Vertreter der paulinischen, heidenchristlichen Gemeinden erscheint (Gal 2,1.3; einzige Erwähnungen außerhalb von 2 K o r und Gal: 1

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Der zweite Besuch in Jerusalem

2,1-2

Tim 4,10; Tit 1,4; vgl. C. K. Barrett, Titus, in: Essays on Paul, 1982, 118-131; W.-H. Ollrog, 33-37). 2a Erste Präzisierung: Anlaß der zweiten Reise war weder eine Aufforderung von Jerusalem noch eine Sendung durch die Gemeinde in Antiochien (so Apg 15,2f) noch eine persönliche Entscheidung des Paulus, sondern wiederum eine àjioxàX/uapiç (vgl. Gal 1,12.16), d.h. eine von Gott gegebene Einsicht (vgl. Phil 3,15; 2 Kor 14,6.26.30; Lukas konkretisiert mit der Variation literarischer Motive: Visionen Apg 16,9; 18,9; Christophanie Apg 23,11; Angelophanie Apg 27,23; Geisteserweisung Apg 16,6f; 20,22f, vgl. 19,21; Ekstase, Apg 22,17; Propheten, die durch den Geist inspiriert sind, Apg 11,28; 21,4.lOf). Der sachliche Zusammenhang zwischen Gal 1,12.16 und 2,2 besteht darin, daß das paulinische Evangelium, das die gegenseitige Anerkennung der Gemeindemitglieder voraussetzt (Gal 3,28), dadurch auch eine gegenseitige Anerkennung der christlichen Kirchen impliziert. Kara + Akk. (vgl. ôià V. 12) kann sowohl auf die Ursache als auch auf die Konformität verweisen (s. Liddell/Scott I, 883). 2b Bericht über die Gespräche: Zwei Momente werden hervorgehoben und unterschieden: 1. Den „Jerusalemern" (ooitoïç, unbestimmt) hat Paulus das Evangelium, das er immer noch verkündigt (ö xrigtiaaco Präs.), dargestellt. 'Avcrtideotöm xivi ix (Med.) bedeutet einfach „vorlegen", „berichten", „freundschaftlich anvertrauen", Mi 7,5; Apg 25,14; Acta Barnabae 4 (M. Bonnet, Acta Apostolorum Apocrypha 11,2, 293, vgl. Liddell/ Scott 1,123; andere Bedeutungen, wie „zur Entscheidung vorlegen", verlangen andere Konstruktionen). T à ë'ôvri meint die Heiden, s. Gal 1,16 u. Komm. 2. Eine neue Gruppe wird eingeführt, mit welcher Paulus die entscheidenden Gespräche gesondert führt. Kon;' Êôiav (Josephus, BJ 2,199 toùç bvvaxovç xat' lôiav xal tô jtXfjdoç êv xoivrô avXkéycav, Plutarch, Romulus 20,4; Mk 4,34; 6,31f; 7,33; 9,2.28; 13,3; Lk 10,23; Apg 23,19) und ôé unterscheiden zwei Ereignisse (s. M.-J. Lagrange, 26; H. D. Betz, 86; anders R. N. Longenecker, 48: V. 2b enthält zunächst eine allgemeine Formulierung, die dann durch die Betonung des privaten Charakters des Treffens [V. 2c], durch die Benennung der Teilnehmer [V. 2c u. 6 - 9 ] und der Ergebnisse [V. 7 - 1 0 ] präzisiert wird). Ol öoxoüvteg, die mit oi ôoxoûvteç eivai t i (V. 6) wahrscheinlich gleichbedeutend sind und denselben anonymen Personenkreis meinen, ist eine ironisch-kritische Bezeichnung. Zum einen meint sie die „Angesehenen", „Vielgeltenden", nobiles (s. F. Sieffert, 79, mit Verweis auf Euripides, Hecuba 294f; Porphyrios, De abstinentia 2,40, vgl. Heraklit = Diels/Kranz I, 155,8; Herodian 6,1). Zum anderen wird eine Dissoziation zwischen Erscheinung und Wirklichkeit durch die Wiederholungen und durch die Ergänzungen eivai t i (V. 6) und arüXoi eïvai (V. 9) einerseits angedeutet (s. J. B. Lightfoot, 103; E. Heitsch, Glossen zum Galaterbrief, Z N W 86 [1995] 173-188, bes. 175f) und andererseits insofern vorausgesetzt (s. Ch. Perelman, 550-561: La dissociation des notions et le couple „apparence-réalité"), als Personen durch eine Meinung definiert werden, die per definitionem fraglich ist, weil die einzige Autorität, die hinter dem Evangelium steht, Gott ist (V. 6b! ähnliche Problematik in Piaton, Apologie 21b-22c; 29a; 36d; 41e, wo die Paare Erscheinung/Wirklichkeit und Erscheinung/Wahrheit in einer ähnlichen Art und Weise durch eine vergleichbare Gegenüberstellung menschliche Autoritäten/Gott bestimmt werden; s. D. M. Hay, Paul's Indifférence to Authority, J B L 88 [1969] 3 6 - 4 4 , bes. 3 9 - 4 2 ; J . H . Schütz, Anatomy, 136-146). Mr| Jtcoç ist von (àvedé|iT)v) . . . ôè xoîç öoxofioiv abhängig und drückt die zugrundeliegende Absicht des Apostels aus: Nicht „ob nicht etwa" (num forte, s. H. A. W. Meyer, 65f; M.-J. Lagrange, 26f; E. Heitsch, Z N W 86 [1995] 173-175, der die Frage leicht

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Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

aggressiv und ironisch versteht), sondern „damit nicht etwa" (neforte, vgl. Gal 4,11; 1 Kor 8,9; 9,27; 2 Kor 2,7; 9,4; 11,3; 12,20; 1 Thess 3,5; B D R § 370,2; E. Burton, 73-75). Die Aufmerksamkeit ist sowohl auf die bereits geschehene Mission ( E Ö Q ( X [ X 0 V , Ind.) als auch auf die Zukunft, d. h. im Kommunikationszusammenhang des Briefes auch auf die Verkündigung des paulinischen Evangeliums in Galatien, gerichtet (ige/CD, Konj., vgl. B D R § 370; die Agon-Metaphorik kann sich bei Paulus sowohl auf die Aposteltätigkeit, 1 Kor 9,24.26; Phil 3,16, als auch auf die Zeitlichkeit des Glaubens, Gal 5,7, vgl. Rom 9,16, beziehen, s. O. Bauernfeind, T h W N T VIII, 225-234; V. C. Pfitzner, Paul and the Agon Motif, NovTSup 16, 1967). Die implizierte Aussage ist, daß das Missionswerk des Paulus hätte vergeblich (gewesen) sein können (eig XEVOV findet sich in der L X X , bei Josephus, AJ 19,27.96; BJ 1,275, bei späten griechischen Schriftstellern, cf. Diodorus Siculus 19,9,5, und bei Paulus: 2 Kor 6,1; Phil 2,16; 1 Thess 3,5). Zum einen bedarf das Evangelium Gottes weder der Zustimmung der Autoritäten der Kirche (H. Schlier, 69) noch der Übereinstimmung mit der Überlieferung vom irdischen Jesus (W.-G. Kümmel, Die Theologie des NT, G N T 3, 1969, 120), aber die gegenseitige Anerkennung der christlichen Gemeinden gehört zu seinen Implikationen (vgl. Gal 3,28 u. Komm, ad 2,2a; Gal 1,10-12; H. Schlier, 68; F. Mußner, 105). Diese gegenseitige Anerkennung ist für Paulus eine theologische Notwendigkeit, wie die Unternehmung der Kollekte zeigt (Rom 15,25-32; 1 Kor 16,1-3; 2 Kor 9,12-15; vgl. R. N. Longenecker, 49), und nicht eine bloß pragmatische Überlegung (E. Burton, 73; P. Bonnard, 38 u. 142). Zum anderen ist die gegenseitige Anerkennung das Ziel der zweiten Reise nach Jerusalem: Der Heidenapostel, der von Gott berufen worden ist, ist auch dorthin um der Kontinuität der Verheißung und um der Einheit der christlichen Gemeinschaft willen gesandt worden (s. B. Rordorf, B C P E 35/7-8 [1983] 38 A. 4 bzw. A. Oepke, 74; F. Mußner, 105: Paulus war von der Richtigkeit seines Redens und Tuns überzeugt, und die Frage, wie er sich bei negativem Ausgang verhalten hätte, ist gegenstandslos). 3 Das Gesamtergebnis: In der symbolischen Figur des Titus, der die Nicht-Juden vertritt ( "E/.Ä.r|V bezeichnet für das hellenistische Judentum die gesamte zivilisierte, nichtjüdische Welt, 2 Makk 4,36; 11,2, und für Paulus die Heiden im Gegensatz zu den Juden, vgl. Rom 1,16; 2,9f; 3,9; 10,12; 1 Kor 1,22.24; Gal 3,28, vgl. das Paar "EUr)aiv TE xat ßaoßaQOLg, das auf die Totalität der nicht-jüdischen Welt verweist, Rom 1,14; H. Windisch, T h W N T II, 501-514), die durch die Verkündigung des paulinischen Evangeliums (crirv ¿(ioi) Christen geworden sind, ohne sich beschneiden zu lassen, d. h. ohne zum Volk des Bundes zu gehören und das jüdische Gesetz und seine Abgrenzungsgebote zu beachten, ist das paulinische Christentum bedingungslos anerkannt worden. Das reale Subjekt der passivischen Formulierung wird nicht genannt. Der Leser kann entweder „durch die Versammlung" (crikoig, V. 2) oder „von den öoxoüvTEg" (V. 2b, vgl. V. 6 - 9 ) oder ;,als Ergebnis des gesamten Diskussionsprozesses" ergänzen. 'Hvayxäaih) (nicht de conatu, vgl. 6,12, sondern resultativ, vgl. 2,14) meint nicht, daß sich Titus freiwillig nach den in Rom 14,1-15,13 angewandten Prinzipien habe beschneiden lassen (vgl. D . W . B . Robinson, The Circumcision of Titus and Paul's ,Liberty', ABR 12 [1964] 24-42), sondern daß Versuche, ihn dazu zu führen (vgl. V. 4f), erfolglos geblieben sind (wie es oi)öe nahe legt). Die Aktualität dieser Anerkennung liegt darin, daß Titus als Identifikationsfigur für die Galater angeboten wird. Ihr grundsätzlicher Charakter erfolgt aus der Bedeutung, die die Beschneidung sowohl für die Judenchristen' in Jerusalem (Gal 2, 3—5) und in Galatien (Gal 5,2-12; 6,12-15) als auch für Paulus hat (vgl. H. Boers, The Justification of the

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Der zweite Besuch in Jerusalem

2,3-5

Gentiles, 62—64, der auf die theologische Begründung in Gal 3 , 6 f verweist): Nach der pharisäischen und Judenchristlichen' Auslegung des Gesetzes bestimmt die Beschneidung die Grenzen der Erwählung (1 Makk l,15.48.60f; 2,46; 2 Makk 6,10f; Josephus, J A 12,241; Rom 3,1.20; Phil 3 , 4 - 6 , vgl. die Neudefinitionen in Rom 2 , 2 5 - 2 7 ; Phil 3 , 2 - 4 ; s. N . J . McEleney, Conversion, Circumcision and the Law, N T S 20 [1973/74] 3 1 9 - 3 4 1 ) . Diese klare Definition wird allerdings dadurch problematisiert, daß Jub 15,1-34 international-liberale Kreise voraussetzt, die die Beschneidung aufgeben, und daß Essener- und Qumran-Texte ein Bundesverständnis haben, das sich auf die Mitglieder der Gemeinschaft beschränkt (vgl. 1QS 11,11-17). 4 f Zweite Präzisierung. Aia gibt den denkbaren Grund an, weswegen Titus hätte gezwungen werden können. Die Konstruktion ist entweder elliptisch (vorausgesetzt ist die Wiederholung von otix f|va7xäoör| oder ein Äquivalent), oder sie enthält ein Anakoluth wegen 015, das westliche Zeugen deshalb weggelassen haben (s. dazu B . M . Metzger, 591f; zu den möglichen Lösungen des grammatikalischen Problems s. E. Burton, 7 9 - 8 2 ; M.-J. Lagrange, 2 8 - 3 1 ; andere Versuche machen B . Orchard, The Ellipsis between Gal 2,3 and 2,4, Bib 54 [1973] 4 6 9 - 4 8 1 ; ders., Once again the Ellipsis between Gal 2,3 and 2,4, Bib 57 [1976] 254f, für den V. 4 eine Parenthese einführt, die nicht auf den Besuch in Jerusalem, sondern auf den Anfang der gegenwärtigen Auseinandersetzungen verweist; A. C. M . Blommerde, Bib 56 [1975] 100-102: Es gibt keine Ellipse, sondern sowohl öiä Wik. V. 4 als auch djtö [ = iutö] xtX. beziehen sich unmittelbar auf V. 3), aber der Sinn ist klar: Judenchristen', die eine jüdische Bundestheologie bzw. ein Gesetzesevangelium vertreten, haben vergeblich Druck ausgeübt. Sie werden anonym, aber als bekannte Figuren vorgestellt (xoiig). Disqualifiziert werden sie 1. durch ihre Bezeichnung als tyeuöaöeXcpoi,, vgl. 2 Kor 11,26: Sie sind „Brüder" (und sind deswegen Judenchristen und nicht Juden, wie es W. Schmithals, Paulus und Jakobus, F R L A N T 85, 1963, 89f vorschlägt), sollen aber nach der paulinischen Darstellung nicht als solche anerkannt werden (vgl. ^EUöajiöatoXoL 2 Kor 11,13; Ch. Perelman, 169-174: Durch die Auswahl der Begriffe ist die Definition eine Art der Argumentation). 2. Ihre Anwesenheit war illegitim: Sie sind insgeheim eingeführt worden oder eingedrungen (wiederholt wird nageiacbitoug, Pass. oder Med., durch jiaQEiafjWtov). Impliziert ist wahrscheinlich ihre Anwesenheit bei den Diskussionen in Jerusalem, also weder in Antiochien, wie es im Szenario von Apg 15,1-5 der Fall ist, noch in Antiochien und in anderen, heidenchristlichen Gemeinden (so. H. Lietzmann, 11; J. Eckert, Verkündigung, 186; F. Mußner, 109), obwohl Ersteres Letzteres nicht ausschlösse (so H. D. Betz, 90). 3. Ihre Tätigkeit wird mit einer politisch-militärischen Metaphorik interpretiert: Sie bestand darin, die christliche Freiheit des Apostels und seiner Begleiter auszuspionieren. Tf)v ¿XevÖEßiav f|(xcöv xxX. meint programmatisch das Evangelium, wie es Paulus in Gal 3 , 1 - 5 , 1 2 darstellt (der Begriff kommt noch in Gal 5,1 und zweimal in 5,13 vor, vgl. eXexiOeqoIjv Gal 5,1 und E^Eij'&EQog Gal 3,28; 4,22f.26.30f) und nach dem er sich verhält. KaTaoxojteiv (Hapax im NT, sonst aber häufig) hat die doppelte Konnotation der Kontrolle und der Zerstörung. 4. Ihr Ziel ist nicht die Einstellung der Heidenmission (anders Mt 10,5bf), sondern der Verlust der Freiheit (vgl. Gal 3 , 2 3 - 4 , 1 1 ; 4,21-5,12). Der Gegensatz xaiaöouXEiJEiv/ ¿Xev&zgia . . . f|v e/ouev ev Xgiarrö Tr|aoi) zeigt aber, daß für Paulus dieser Verlust gleichzeitig die Preisgabe der soteriologischen und eschatologischen Gemeinschaft mit Christus bedeutet (s. zu ¿ v X q i o t w Gal 2,17; 3,14.26.28; 5,6.10). 5 Formal sind V. 4b u. 5 parallel gebaut (oi'xiveg . . . iva/oig . . . i'va), inhaltlich aber

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Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

symmetrisch. Paulus hat den Weg zur Unterordnung nicht für einen Augenblick eröffnet. Oïç otiôé ist durch westliche Zeugen weggelassen worden, so daß die Aussage der Erzählung an Vorstellungen wie Apg 16,3 angeglichen wird: Aus taktischen Gründen, und um die Anerkennung des paulinischen Christentums zu retten, ist Titus beschnitten worden. Der griechische Text und die nicht-lateinischen Versionen behaupten aber das Gegenteil (oïç = ôià otiç, vgl. E. Burton, 84; e'ixeiv + Dat. bedeutet entweder „anderen Personen den Vortritt lassen" oder „den Weg eröffnen" für Leidenschaften, oder den Umständen oder der Gewalt „freien Raum überlassen", vgl. Liddell/Scott I, 485; zum Fehlen des Augments s. B D R § 67.1). Das Ziel des Apostels war 1. die Wahrheit des Evangeliums aufrechtzuerhalten, und dies 2. gerade für die Adressaten und die Leser (jiqôç û|xâç // f|n&ç V. 4). 'H àXr|-&£ia xoti evayyekiov bezeichnet wie in Gai 2,14 die Echtheit und die göttliche Wirklichkeit des Evangeliums, das Paulus von Gott empfangen hat (vgl. àXr|fteict, Gal 5,7, aber auch 1,6-7 u. 10-12; R. Bultmann, T h W N T I, 242-245). FIqôç i)fiàç („bei und fur euch") schließt die Zuhörer und Leser des Briefes in den Verlauf der Erzählung ein und bezieht die Aussagen des Berichtes auf den Äußerungsprozeß der Argumentation (s. R. Jakobson, Shifters, Verbal Catégories, and the Russian Verb, Russian Language Project, 1957, fr. in: Essais de linguistique générale, 1963, 176-196). 6 Die einzelnen Ergebnisse (V. 6-10). Durch das Anakoluth führt die Darstellung zunächst die ôoxoûvteç elvai ti parallel zu den ipeuôâôeXcpoi ein (dura ôè töjv // ôià ôè toiiç V. 4), um sie (V. 6b) und dann die „Säulen" (iôovteç V. 7, yvôvteç und ëôcoxav V. 9) als Subjekt der ganzen Sequenz (V. 6bf.9, mit Unterbrechung durch die Parenthese V. 8) zu behandeln. Der Bericht schließt sich an die programmatische Zusammenfassung xat' iôiav Kik. V. 2b an und beginnt mit einer ersten Parenthese, die die Autorität der ôoxo13vT8ç in Verbindung mit der göttlichen Autorität, auf welche sich das paulinische Evangelium und das paulinische Apostelamt berufen, setzt: Die Anerkennung der paulinischen, heidenchristlichen Freiheit (Gal 2,1-10) steht insofern in keiner Konkurrenz mit ihrer Autorisierung durch eine Gottesoffenbarung (Gal 1,10-12 u. 15f), als o£ ôoxofivxEç ihre Legitimität - wenn sie welche haben sollten, vgl. V. 2 - nicht von ihrer persönlichen und historischen Bedeutung her haben, sondern von Gott (s. D. M. Hay, Paul's Indifférence to Authority, J B L 88 [1969] 3 6 - 4 4 ; H. Lietzmann, 12). 'Ojioïol jioxe xtX. ist keine positive oder negative Wertung an sich, sondern eine theologisch-kritische Relativierung, denn die Aussage der Parenthese erfolgt aus der Verbindung der beiden Sätze. Das Präsens ôiacpÉQEL ist genauso sprichwortartig wie Xanß&VEi und vom Zeitpunkt der Äußerung unabhängig (so H. D. Betz, 94, der eine Parallelität zwischen otiôév |xoi ôiacpÉQEi und der stoischen Lehre der Adiaphora herstellt und auf das Fragment von Zenon, in: J. von Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta I, 47, § 190, verweist). THoav bezieht sich auf die Zeit der erzählten Geschichte. Präsens und Imperfekt unterscheiden deshalb keine Zeitstufen. Liest man es anders, so müssen historische Anspielungen rekonstruiert werden, etwa, daß das Imperfekt den Tod des Petrus voraussetze (so K. Heussi. Die römische Petrustradition in kritischer Sicht, 1955). Oder es werden andere Veränderungen zwischen der zweiten Reise von Paulus nach Jerusalem und der Abfassungszeit des Gal vermutet. Oder man unterstellt, daß der Apostel an die Ungelehrtheit oder an das Verhalten von Petrus und Jakobus in der Passionsgeschichte und vor Ostern erinnern will (äv&QCüJioi ¿YQä(i[xatol Apg 4,13, die die judenchristlichen' Schriftgelehrten als Autoritäten nicht anerkennen; W. Foerster, Die ôoxoCvteç Gal 2, Z N W 3 6 [1937] 286-292; J. Munck, Paulus und die Heilsgeschichte, 1954, 91), um nahezulegen, daß sie keine guten Vorbilder des

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Der zweite Besuch in Jerusalem

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Gesetzesgehorsames sein können (so J . Eckert, Verkündigung, 188). Oder man entkräftet die kritische Dimension der Parenthese, indem man fjoav auf die Vergangenheit vor Pfingsten bezieht (so H. Schlier, 75; Darstellung und Diskussion der Hypothesen bei G. Klein, Z T h K 57 [1960] 275-295, = Rekonstruktion, 99-128; F. Mußner 112-114). Die Maxime jiqöoootov 6 •deög dvdQdjjtou ov X.a^ßavEi erhält dadurch ihre Aktualität, daß sie oijöev |ioi öiowpeQei begründet (s. E. Burton, 88). Andere Varianten finden sich in Rom 2,11; Eph 6,9; Kol 3,25; Jak 2,1 und in Mt 22,16//Mk 12,14//Lk 20,21 aufJesus bezogen. Sowohl die Metaphorik als auch ihre theologische Anwendung gehören zur Rezeption alttestamentlich-jüdischer Motive (s. Sir 4,22.27; PsSal 2,18; Dtn 10,17; E. Lohse, T h W N T V I , 780-781). Das erste Ergebnis der Reise ist nun, daß die öoxoxwe? die christliche Freiheit des paulinischen Christentums durch keine Auflage eingeschränkt haben. riQoaavaxidecr&ai mit Akkusativobjekt (nur hier im N T ; JtQoaavaxi-freadai noch Gal 1,16) ist wortwörtlich zu verstehen: „jemandem etwas noch dazu auferlegen" (s. Xenophon, Memorabilia 2.1.8, wo die gleiche Bedeutung, aber reflexiv, bezeugt ist, vgl. Liddell/Scott 11,1501, und ohne Akkusativobjekt und in einem anderen Sinne Gal 1,16, s. F. Sieffert, 106). OiiÖEV bezieht sich wahrscheinlich auf den Bericht der Gesamtergebnisse V. 3. Im Zusammenhang des Briefes ist die Beschneidung als Symbol der bundestheologischen Verbindung der Rechtfertigung mit dem (jüdischen) Gesetz gemeint (vgl. Gal 2,3; 5,2—12; 6,12-15). Im Rahmen des neutestamentlichen Kanons wird die Position, die im ,Aposteldekret' vertreten ist (Apg 15,19-21 u. 2 2 - 2 9 ) , durch die paulinische Darstellung ausgeschlossen. 7 Das zweite Ergebnis ist die Feststellung der „Säulen", daß Petrus und Paulus gleichberechtigte und komplementäre Aufträge erhalten hatten. 'Iöövxeg registriert die Missionserfolge (vgl. dxoi)ovxes fjoav Gal 1,23; J . L. Martyn, 201: „The twin of Gods apocalyptic march is the event in which human eyes are opened to see what God is doing"). Die beiden Genitive tfjg dxQoßucrtiag und xfjg jteQiTO(ifjg definieren nicht zwei Inhalte und daher zwei Evangelien (so F. C. Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi, 104-144, bes. 123-128), sondern zwei Adressatenkreise (so E. Burton, 92f: Sie sind genitivus relationis und Äquivalente für xotg £v dxQoßuaxig und xoig jieqito|xevoi5, vgl. eic/eit; V. 8). Die Möglichkeit, daß das Evangelium anders gehört und erfahren werden kann, wenn es Juden oder Heiden verkündet wird, ist im Zusammenhang des paulinischen Berichtes nicht reflektiert. 'AxQoßuaxia ist eine doppelte Metonymie, die die NichtJuden bezeichnet (vgl. Rom 2 , 2 5 - 2 7 ; 3,30; 4 , 9 - 1 2 ; 1 Kor 7,18f; Gal 5,6; 6,15, immer kontradiktorisch verbunden mit jieqixoht|). Der Name Ilexpog erstaunt, weil Paulus sonst immer Kr]cpäg schreibt (1 Kor 1, 12; 3,22; 9,5; 15,5; Gal 1,18; 2,9.11.14). Es sind literarkritische Lösungen versucht worden. Man hat vermutet, daß Paulus ein offizielles Dokument oder sogar einen Satz aus dem Protokoll der Jerusalemer Sitzung in den V. 7 f zitiert (so O. Cullmann, Jünger-Apostel-Märtyrer, i960 2 , 17; E. Dinkler, Der Brief an die Galater, VF 1953/55, 175-183, = Signum Crucis, 1967, 2 7 0 - 2 8 2 , bes. 2 7 9 - 2 8 2 ; G. Klein, Z T h K 57 [1960] 2 7 5 - 2 9 5 , = Rekonstruktion, 99-128, und vorsichtiger H. D. Betz, 97: Paulus erinnert an Formulierungen des agreements). Oder man hält V. 7 f für eine Glosse, die den ideologischen Parallelismus der beiden Apostel voraussetzt (so E. Barnikol, Der nicht-paulinische Ursprung des Parallelismus der Apostel Petrus und Paulus, Gal 2,7f, F E U C 5, 1931; vgl. D. Warner, Gal 2 , 3 - 8 as an Interpolation, E x p T 62 [1950/51] 380). Nach der einfachsten Erklärung ist aber der theologisch-metaphorische

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Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

Beiname des ersten Missionars in seiner ökumenisch-internationalen und für die Galater verständlichen, griechischen Namensform gewählt worden (so J . Becker, 24; vgl. Mt

16,18). 8 Zweite Parenthese. Das im Passivum der Feststellung JiEJtioxev^ai Nicht-Gesagte wird zur theologischen Begründung (vgl. Gal 2,6 u. 1,10-17; ähnliche Bezeichnungen Gottes durch denVerweis auf seine Handlungen: Gal 1,6; 1,15 zweimal; 3,5 zweimal; 5,8): Gott war wirksam in den beiden missionarischen Unternehmen (cf. K. W. Clark, The Meaning o f ivEQyim and xaTCtgYew in the NT, J B L 54 [1935] 93-101). Paulus konstruiert 6V8QY6ÜV mit ev + Dat. (transitiv oder intransitiv, Rom 7,5; 1 Kor 12,6; 2 Kor 1,6; 4,12; Gal 3,5; Phil 2,13; 1 Thess 2,13; zwei Ausnahmen bilden die abgekürzte Formulierung in 1 Kor 12,11 und die passivische Konstruktion in Gal 5,6); ÖETgcp und E(ioi sind als Dativus commodi wie tcp avögi Prov 3 1 , 1 2 L X X zu verstehen. Das Ziel ist das gleiche: Die Aussendung zur Verkündigung des Evangeliums. Die Nicht-Wiederholung von ditooxoXri setzt weder eine Vorlage noch eine Asymmetrie der Aussage voraus, sondern erklärt sich als literarische Figur: Der abgekürzte Vergleich (H. A. W. Meyer, 85: Comparatio compendiaria) formuliert nur Abweichendes, so daß er den Akzent auf die Gleichwertigkeit (6 EV£QYr|aag/xcu ¿vri0Ynaev)> auf die Handlung Gottes, die die Autorität des paulinischen Apostelamtes begründet (ditootoXri bezeichnet nichts anderes als die Berufung durch Gott oder durch den erhöhten Christus und den missionarischen Auftrag, s. Rom 1,5; 1 Kor 9,2; W. Schmithals, Das kirchliche Apostelamt, F R L A N T 79, 1961, 14-20), und auf die Arbeitsverteilung durch die Definition der Adressatenkreise legt. 9a Das dritte Ergebnis ist die Anerkennung der göttlichen Berufung des Paulus, so daß das Nicht-Gesagte der Parenthese (V. 8) zum Thema wird. In Gal 1,3.6; 2,21; 5,4; 6,18 bezeichnet /dgig die Mitteilung des Evangeliums. In Gal 1,15 ist der Begriff auf die Berufung des Paulus bezogen, und hier meint er das paulinische Heidenapostolat (so Rom 1,5; 3,10; 15,10, vgl. Rom 12,3; 15,15; E. Burton, 95; H. Schlier, 78; A. Satake, Apostolat und Gnade bei Paulus, N T S 15 [1968/69] 96-107; J. Becker, 25; anders H. A. W. Meyer, 86; H. D. Betz, 99: Die Aussage ist nicht willkürlich zu beschränken, sondern ganz allgemein zu belassen). Die Steigerung besteht nicht nur in dem Wechsel zwischen löövtEg und YVÖVTE5 (so P. Bonnard, 42; J. B . Lightfoot, 109: 'IöövtEg beschreibt die Wahrnehmung, yvovxeg die Überzeugung), sondern auch im Gegenstand der Erkenntnis: Wahrgenommen wurden nicht eigentlich die Missionserfolge, sondern vielmehr die Taten Gottes im Werk des Heidenapostels. 9b Das vierte Ergebnis ist der symbolische Gemeinschaftshandschlag. Aus argumentativen Gründen wird Jakobus als erster genannt. Zum einen bereitet die Hervorhebung seiner Zustimmung in Jerusalem die Darstellung des Zwischenfalls in Antiochien (Gal 2,11-21) vor, zum anderen dissoziiert sie seine Autorität von den ijJEUÖaöeXcpoi und von der konservativ-nationalistischen Position der Judenchristen' (so M.-J. Lagrange, 37; F. Mußner, 119f). Die Argumentation kann in ihrer Wirksamkeit verstärkt werden, wenn man voraussetzen kann, daß Petrus als Gründungsfigur der christlichen Mission, Jakobus aber als legitime, leitende Gestalt der Gemeinde in Jerusalem von den Lesern anerkannt wird, oder daß ein Machtwechsel zwischen den beiden Reisen des Paulus (Gal 1 , 1 8 - 2 0 u. 2,1-10) oder zwischen den Reisen nach Jerusalem und der Abfassungszeit des Gal stattgefunden hat (zur Diskussion s. G. Klein, Z T h K 57 [1960] 2 7 5 - 2 9 5 , = Rekonstruktion, 99-128; F. Mußner, 118-120). Unabhängig von jeder Weiterentwicklung werden Jakobus, Petrus und Johannes als die drei Persönlichkeiten vorgestellt, die weiterhin als 48

Der zweite Besuch in Jerusalem

2,9-10

historische, gründende Figuren der christlichen Anfänge betrachtet werden. Metaphorisch gebraucht, verbindet das Bild der „Säulen" die beiden Ideen des Grundlegenden und der Individualität (vgl. Aeschylos, Agamemnon 897f wapr^r^ areyri? crtCXov Jioör|Qr), IxovoyEveg xezvov itatgi; Euripides, Iphigenia Taurica 57 crrDXoi jag oi'xcov jtaiÖEg eiaiv agaeveg; 1 Tim 3,15; Apok 3,12; 1 Clem 5,2, wo Petrus und Paulus ot [lEyiotoi xal SixaiÖTatoi atCXoi genannt werden; vorausgesetzt wäre nach C. K. Barrett, Paul and the Pillar Apostles, in: Studia Paulina [Fs. J. de Zwaan], 1953, 1-19; U . Wilckens, T h W N T VII, 732-736, der u. a. auf Ps 74.4LXX; Hiob 9,6; 26,11; Prov 9,1; Sir 24,4 verweist, die Vorstellung der Kirche als eines geistigen Tempels). Im Unterschied zu oi ÖOXOÜTE? V. 2 u. 6 sagt oi öoxot)VT£5 crröX.oi EIVCU nichts über das Ansehen der Personen aus, sondern gibt mit einem kritischen Vorbehalt (oi öoxoüvtEg, cf. V. 2 u. Komm.) ein Urteil über ihre faktische Bedeutung in der frühkirchlichen Geschichte (anders R. D. Aus, Three Pillars and Three Patriarchs: A Proposal Concerning Gal 2,9, Z N W 70 [1979] 252-261: Paulus distanziert sich von einer theologischen Wertung der Judenchristen', die Jakobus, Kephas und Johannes als arüXoi in Anlehnung an die drei Patriarchen bezeichnet haben; R. Annand, Note on the ,Pillars' [Gal 2,9], ExpTim 67 [1955] 178 sieht einen Witz des Paulus: aTÖ/.og ist, wie orr|A.T], die Wendemarke in der Rennbahn; die „Säulen" sind also bloße Markierungspunkte, während der ditöaToXo5 entsprechend der Metaphorik in 2,2; 5,7 der Läufer ist). Die rechte Hand zu geben, ist das symbolische Zeichen einer Freundschaft oder eines friedlichen Vertrages (Homer, Odyssee 1,121; Sophokles, Trachiniae 1181; Xenophon, Anabasis 1,6,6; 2,5,3; 1 Makk 6,58; 11,50.62.66; 13,50; 2 Makk 11,26; 12,11; 13,22; Josephus, JA 18,328; 20,62; E. Burton, 95f), ohne den Nebengedanken einer Unterordnung (anders als 1 Chr 29,25; 2 Chr 30,8). Die Erwähnung des Barnabas als fünfter Mann nimmt auf V. 1 Bezug. Die in diesem Zusammenhang getroffene und erzählte Vereinbarung der Kollekte (V. 10) und die Darstellung von Gal 2,11-21 zeigen, daß es weder um die gegenseitige Anerkennung der paulinischen und petrinischen Mission noch um ein Abkommen zwischen Antiochien (Paulus und Barnabas, s. E. Haenchen, Petrus-Probleme, N T S 7 [1960/61] 187-197, = Gott und Mensch, 1965, 55-67, bes. 62) und Jerusalem ging, sondern um die durch die Handlung Gottes begründete xoivcovia zwischen den von Paulus (und Barnabas) gegründeten, heidenchristlichen Gemeinden und Jerusalem (s. J. Hainz, Gemeinschaft [xoivoovia] zwischen Paulus und Jerusalem [Gal 2,9f], in: Kontinuität und Einheit [Fs. F. Mußner], 1981, 30-42). Das fünfte Ergebnis der Reise ist eine Verteilung der Aufgaben. Die Formulierung ist elliptisch (vgl. Rom 4,16; 1 Kor 1,31; 2 Kor 8,13). 'Iva ist konsekutiv-explikativ. Ein Verb wie £A/ÖÜ)[I,£V oder 8110776^.100)¡J,eöa ist zu ergänzen. Die Adressaten der Predigt (die Heiden, was rmEig, d. h. Paulus allein oder aber Paulus und Barnabas betrifft, und die Juden, was die „Säulen" angeht) sollten mit Dat. oder mit JtQÖg + Akk. konstruiert werden. In der Regel führt E15 + pers. Akk. Bereiche ein: „zu den". Die Konstruktion ist aber unscharf, und E15 xafrövr]/ E15 tt|V JtEQixo|if|V greift auf V. 8 zurück, so daß unklar bleibt, ob die Adressatenkreise geographisch oder ethnisch definiert sind (s. E. Burton, 96-98; J.L. Martyn, 213-216). 10 Sechstes Ergebnis: Die Kollekte (anders V. Bartlet, Only let us be mindful of the Poor. Gal 2,10, Exp 9 [1899] 218-255: Es gibt keinen Grund, die „Armen" mit der Gemeinde in Jerusalem zu identifizieren und die erwähnte Aufforderung auf die Kollekte zu beziehen; es geht nur allgemein darum, daß der Glaube Früchte trage, cf. Gal 5,22f; 6,2-6). Mövov führt keine Einschränkung von otiöev Ttgoaavedevxo V. 6 ein, sondern

49

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

hebt aus dem allgemeinen Bericht eine einzelne Vereinbarung hervor (vgl. Gal 1,23; 5,13; 1 Kor 7,39; E. Burton, 99): der iva-Satz ist von ëôcoxav in V. 9 abhängig (//Iva f|(j,eïç xtL). Zum einen ist die Kollekte das pragmatische Symbol und der Beweis der gegenseitigen Anerkennung. Die Darstellung unterstreicht es durch die Litotes: tüjv jitcü/oiv |ivr)|xovet)ojH.EV ist eine Bezeichnung, die das Wesentliche ergänzen läßt. Die Kollekte der paulinischen Gemeinden für Jerusalem (Rom 15,25-27; 1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8,1-9,15; 12,16-18) hat eine symbolische, heilsgeschichtlich-eschatologische Bedeutung (so K. F. Nickle, The Collection. A Study in Paul's Strategy, 1966, bes. 129-142) und ist als eine gegenseitige Mitteilung der Zusammengehörigkeit und der Dankbarkeit zu verstehen (vgl. Rom 15,25-27 u. 2 Kor 9,12-14; s. Ph.H. Menoud, La Vie de F Église Naissante, Cahiers Théologiques 31, 1952, 2 4 - 3 4 ; L. E. Keck, The poor among the saints in the NT, ZNW 56 [1965] 100-129, bes. 122-126; anders K. Berger, Almosen für Israel. Zum historischen Kontext der paulinischen Kollekte, N T S 23 [1976/77] 180-204: Die Einheit der Kirche wird auf dem symbolischen Hintergrund der Sühnung der Sünden beim Übertritt zum Judentum verankert; D. R. Hall, St. Paul and Famine Relief: A Study in Gal 2,10, ExpTim 82 [1970/71] 309-311: Gal 2,1-10 = Apg 11, 2 7 - 3 0 , und das Präsens |ivt)hoveÎ)gjhev setzt die Fortsetzung der Hilfe in der Hungersnot voraus). Zum anderen wird ihre Bedeutung dadurch verstärkt, daß sie auf eine Vereinbarung in Jerusalem zurückgeführt und nicht nur unter die Autorität des Apostels gestellt wird (L.W. Hurtado, The Jerusalem Collection and the Book on Gal, J S N T 5 [1979] 4 6 - 6 2 , bes. 51-53: Paulus muß den Vorwurf widerlegen, er habe versucht, die Anerkennung in Jerusalem mit Geld zu kaufen). Letztlich werden die Galater, die sich daran beteiligt haben (1 Kor 16,1), durch ihre Erwähnung in den Prozeß der gegenseitigen Anerkennung einbezogen. Der Übergang von der 1. Pers. Plur. zur 1. Pers. Sg. èanovàaaa setzt die Trennung zwischen Paulus und Barnabas voraus (vgl. Gal 2,13) und verweist auf die Bemühungen von Paulus und Titus (2 Kor 7,13-9,15) in Makedonien, Achaien (so U. Börse, Standort, 144f) und in Galatien. An sich impliziert der Aor. nicht, daß die galatische Krise die Sammlung vorläufig unterbrochen hätte (anders D. Georgi, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, 1965, 30-33). Wahrscheinlicher wäre vielmehr, daß die antipaulinischen, judenchristlichen' Tendenzen die Loyalitätsgefühle mit Jerusalem verstärkt und die Solidarität mit den jrtœxoi plausibilisiert haben, so daß sie zu dem paulinischen Werk indirekt und objektiv beigetragen haben (so H. D. Betz, 103).

2,11-21 Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes 11 Als jedoch

Kephas nach Antiochien kam, stellte ich mich ihm persönlich entgegen, weil er sich schuldig gemacht hatte. 1 2 Denn bevor einige Leute von Jakobus eintrafen, hielt er Tischgemeinschaft mit den Heiden. Aber als sie kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab aus Furcht vor denen aus der Beschneidung. 1 3 Und mit ihm heuchelten die übrigen Juden, so daß auch Barnabas von ihrer Heuchelei mit fortgerissen wurde. 14 Als aber ich sah, daß sie nicht geradewegs der Wahrheit des Evangeliums folgten, sagte ich zu Kephas vor allen: „Wenn du, der du ein Jude bist, nach heidnischer und nicht nach jüdischer Weise lebst, wie willst du die Heiden zwingen, judaistisch zu leben? 15 Wir, Juden von Natur und nicht 50

Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes

2,11-21

Sünder aus den Heiden, 16 wissend aber, daß ein Mensch nicht gerecht wird aus Gesetzeswerken, es sei denn durch den Glauben an/von Christus Jesus, auch wir sind z u m Glauben an/von Christus Jesus g e k o m m e n , damit wir gerecht werden aus d e m Glauben an/von Christus und nicht aus Gesetzeswerken, denn aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch gerecht werden. 17 Wenn wir jedoch danach streben, in Christus gerecht zu werden, und dabei trotzdem als Sünder entdeckt werden, ist dann Christus ein Diener der Sünde? Nein! 1 8 Denn w e n n ich wieder aufbaue, was ich zerstört habe, dann stelle ich mich als Übertreter hin. 1 9 Denn ich bin durch das Gesetz d e m Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin m i t Christus gekreuzigt. 2 0 So lebe nicht mehr ich, sondern in mir lebt Christus. U n d was ich jetzt i m Fleisch lebe, lebe ich i m Glauben an den/von d e m Sohn Gottes, der m i c h geliebt und sich für mich dahingegeben hat. 21 Ich setze die Gnade Gottes nicht außer Kraft. D e n n wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit k o m m t , dann ist Christus umsonst gestorben." Literatur: R. BAUCKHAM, Barnabas in Gai, J S N T 2 (1979) 61-70. - P. C. BÖTTGER, Paulus und Petrus in Antiochien. Z u m Verständnis von Gal 2,11-21, N T S 37 (1991) 77-100. - CH. BUSCHARD, Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus - Seit wann?, in: Geschichte - Tradition - Reflexion (Fs. M. Hengel), 1996, 405-415. - N . A. DAHL, The Doctrine of Justification: Its Social Function and Implications, in: Studies in Paul, 1977, 95-120. - J . DUPONT, Pierre et Paul à Antioche et à Jérusalem, RSR 45 (1957) 42 - 6 0 . 225-239, = Études sur les Actes des apôtres, Lectio Divina 45, 1967, 185-215. - E. E. ELLIS, Those of Circumcision and the Early Christian Mission, in: Prophecy and Hermeneutics in Early Christianity. N T Essays, W U N T 18, 1978, 116-128. - F. HAHN, Das Gesetzesverständnis im Römer- und Gal, Z N W 67 (1976) 2 9 - 6 3 . - V. HASLER, Glaube und Existenz. Hermeneutische Erwägungen zu Gal 2,15-21, T h Z 25 (1969) 241-251. - T. HOLTZ, Der antiochenische Zwischenfall (Gal 2, 11-14), N T S 32 (1986) 344-361. - H. HÜBNER, Was heißt bei Paulus „Werke des Gesetzes"?, in: Glaube und Eschatologie (Fs. W. G. Kümmel), 1985, 123-133. - R. KIEFFER, Foi et justification à Antioche. Interprétation d'un conflit (Gal 2,14-21), Lectio Divina 111, 1982. - J . LAMBRECHT, The line o f T h o u g h t in Gal 2,14b-21, N T S 24 (1978) 484-495. - B. LATEGAN, IS Paul Defending His Apostelship in Gal?, N T S 34 (1988) 411-430. - E. LOHMEYER, Probleme paulinischer Theologie I: Gesetzeswerke, Z N W 28 (1929) 177-207, = Probleme paulinischer Theologie, o.J., 31-74. - H. RÄISÄNEN, Gal 2,16andPaul's Break with Judaism, N T S 31 (1985) 543-553. - P. VALLOTTON, Le Christ et la foi, Nouvelle série théologique 10, 1960, 41-62. - G. WAGNER, La foi de Jésus-Christ, EThR 59 (1984) 41-52. - A. WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit: Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11-14), B Z N W 6 2 , 1992. - U . WILCKENS, Was heißt bei Paulus: „Aus Werken des Gesetzes wird kein Mensch gerecht"?, EKK 1 (1969) 51-77.

Die Darstellung der Auseinandersetzung in Antiochien ist die climax des autobiographischen Teils 1,13-2,21. Die Rede des Paulus, die V. 14-21 zitiert wird, gibt als Abschluß die Bedeutung und den theologischen Inhalt der Offenbarung 1,12.16 (bzw. die Bedeutung der Erscheinung des Auferstandenen, vgl. 1 Kor 9,1; 15,8) wieder: Nicht mehr Paulus lebt, sondern Christus in ihm, so daß er dem Gesetz durch das Gesetz gestorben ist (2,19f). Die Zusammenfassung der Fakten, die sie veranlassen (V. 11-13), zeigt ihre direkte Konsequenz: In Christus gibt es weder Juden noch EÎhri/Griechen (V. 14, vgl. 3,28). Die Form des Berichtes ist durch die Sache bestimmt: Zum einen werden nur Ausgangspunkte (der Anstoß der Verhaltensänderung des Petrus) und Stellungnahme des Paulus referiert. Der Grund, weswegen Ergebnisse unerwähnt bleiben (ganz anders Gal 51

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

2,6-10), liegt nicht in einer vermutlichen Niederlage des Paulus (so C . K . Barrett, Freedom, 13: Die Abwesenheit des Jakobus war stärker als die Anwesenheit des Paulus), sondern in ihrer Irrelevanz für die Argumentation, die die Galater und ihre judenchristlichen' Lehrer im Blick hat (soj. L. Martin, 230). Die Darstellung hat auch kein Interesse an der kirchengeschichtlichen Stellung der beiden Apostel oder an der kirchenpolitischen Wirkung ihrer Auseinandersetzung (im Unterschied zu den Kirchenvätern, s. F. Overbeck, Über die Auffassung des Streits des Paulus mit Petrus in Antiochien [Gal 2,llff] bei den Kirchenvätern, Basel 1877). Die Hauptaussage ist weiterhin: Das paulinische Evangelium ist nicht von Menschen, sondern von Gott, und seine Autorität ist von den öoxoCvxeg (2,2-10) und von Petrus und Jakobus (2,11-13, vgl. 2,6) unabhängig. Zum anderen wird eine Diskussion zwischen fünf Positionen inszeniert. Forum der Gespräche sind jtavxEg V. 14 (parallel dazu omxoi V. 2a im Bericht von Gal 2,1-10; sie bestehen explizit aus Heiden- und Judenchristen, s.fr&vr|V. 12 u. ot Xoutoi 'Iouöcxioi V. 13), Gesprächspartner des Paulus ist Petrus (parallel dazu o£ öoxoüvxEg V. 2 u. 6, vgl. oE SoxofivxEg axüXoi elvai V. 9a im Bericht von Gal 2,1-10), und Vertreter der Gegenposition sind oi ex Jt£Qixo|a,fig und die xiveg cotö 'Icixci)ßou (parallel dazu die ijjeuSctÖEXcpoi V. 4f), wobei auffällt, daß die 'ipEuöäöeXcpoi im Bericht von Gal 2,1-10, oE ¿x jtEQixofxfig und die xiveg outö 'laxcoßou in 2,11-13 und die xiveg von Gal 1,7; 5,7-10; 6,12f verwandte Positionen vertreten, nämlich: Die Aufrechterhaltung des Gesetzes (Beschneidung, Gal 2,4f; 5,7-10; 6,13, und Speisegebote 2,11-13). Der wichtige Unterschied liegt darin, daß die i|>ETj6aöeXcpoi und die xiveg von Galatien die Beschneidung als Merkmal des Bundes und des Gottesvolkes für die Heidenchristen und in den heidenchristlichen Gemeinden (Gal 2,4f; 5,7-10; 6,12f) durchsetzen wollen, während die Judenchristen' in Antiochien nur die Beachtung der jüdischen Gebote von den Judenchristen und daher die Trennung der Tische in den gemischten christlichen Gemeinden (2,11-13) verlangen. Die Unterscheidung zwischen der jeweiligen Situation in den heidenchristlichen und in den gemischten Gemeinden ist auch für das Verständnis der paulinischen Argumentation entscheidend. Die paulinische Darstellung des Konflikts setzt voraus, daß nicht nur Heidenchristen vom jüdischen Gesetz frei sind, sondern auch die Judenchristen. Der Grund dafür liegt in der Bedeutung der Gottesoffenbarung in Christus: Die Freiheit bzw. Mündigkeit der Gottessöhne und die Gabe des Geistes haben die Herrschaft des Gesetzes aufgelöst (Gal 3 , 2 3 - 2 9 ; 4,1—7), und mit dem Kommen des Gottessohnes hat das Gesetz seine Funktion verloren (Gal 3,19; aufgrund desselben Verständnisses der christlichen Freiheit fordert Paulus in Rom 14,1-15,13 die Heidenchristen auf, auf die religiösen Skrupel traditionsgebundener Judenchristen Rücksicht zu nehmen). Das Zusammenessen von Juden(christen) und Heidenchristen läßt sich aber von der gegenseitigen Anerkennung von Gal 2,6-10 allein insofern nicht ableiten, als es von denjuden(christen) verlangt, daß sie ihre spezifisch-judenchristliche Selbstdefinition aufgeben. Das in Gal 2,11-13 implizierte Gemeindeverständnis (vgl. Gal 3,28) setzt das paulinische Evangelium, wie es in Gal 2,14-21 die in Gal 1,10.16 erwähnte Offenbarung Gottes interpretiert, voraus, wie der Hinweis auf die Wahrheit des Evangeliums V. 14a es explizit mitteilt: Die Wertungen und Forderungen des Paulus in Gal 2,11-14 haben nicht in Gal 2,6-10, sondern in Gal 1,10-17 und 2,15-21 ihre Begründung. Das Thema ist nicht: Petrus hätte sich nach Gal 2,6-10 richten sollen, sondern: Das Evangelium, das nicht von Menschen, sondern von Gott ist, und nach welchem der Mensch öiä JtiaxEcog und nicht e| eqywv v6|xod gerechtfertigt wird, ist einerseits von den öowövxeg in Jerusalem anerkannt worden (2,1-10), und es 52

Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes

2,11—12

bedeutet andererseits, daß die A b g r e n z u n g e n z w i s c h e n Juden(christen) u n d H e i d e n ( c h r i sten) wegfallen (Gal 2,11-21), weil nicht m e h r die A n t i n o m i e n der alten O r d n u n g e n herrschen, s o n d e r n die n e u e S c h ö p f u n g Gottes (Gal 6,15). 11 D i e D a r s t e l l u n g b e g i n n t w i e d e r u m mit einer p r o g r a m m a t i s c h e n Z u s a m m e n f a s s u n g (so bereits V. 3 in Gal 2,1-10). Es folgen ein ausführlicher Bericht der Ereignisse (V. 1 2 - 1 4 a / / G a l 2 , 4 - 1 0 ) u n d eine S t e l l u n g n a h m e , die z u m einen das Verhalten des Paulus g e g e n ü b e r Petrus b e g r ü n d e t u n d z u m anderen die These, v o n der die E r z ä h l u n g der V. l l - 1 4 a ü b e r z e u g e n soll, erläutert (V. 1 4 b - 2 1 ) : D i e Freiheit des Apostels d o k u m e n t i e r t die Autorität, die in der G o t t e s o f f e n b a r u n g (Gal l,12.15f) u n d ihrer B e d e u t u n g (Gal 2 , 1 5 - 2 1 , bes. V. 18) g r ü n d e t . D i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g in A n t i o c h i e n setzt den B e s u c h in Jerusalem v o r a u s (Gal 2,1-10): "Oxe hat die gleiche B e d e u t u n g w i e eiteita in Gal 1,18.21; 2,1, ersetzt es aber, w e n n das Subjekt wechselt (so in Gal 1,15; 2,12.14, vgl. J. D u p o n t , Études, 209; J. L. M a r t y n , 231: EJteita b e t o n t die K o n t i n u i t ä t , öte die D i s k o n t i n u i t ä t , Gal 1,15; 2,11.12.14); das U r t e i l ö t i v.xk. erfolgt nicht aus der V e r e i n b a r u n g v o n Gal 2,9, s o n d e r n aus d e m paulinischen Verständnis des E v a n g e l i u m s , w i e es die ausführlichere F o r m u l i e r u n g V. 14a ausdrücklich präzisiert, u n d aus der gegenseitigen A n e r k e n n u n g , die es impliziert (s. K o m m , ad Gal 2,2b u. 18): N a c h d e m M a ß s t a b der Wahrheit des E v a n g e l i u m s hat sich Petrus d u r c h sein Verhalten verurteilt (J.B. L i g h t f o o t , 111: D a s Urteil besteht i m H a n d e l n selbst; zu xaTCtYivcocrxeiv s. R o m 14,23; T e s t G a d 5,3; J o s e p h u s , BJ 2,135; R. B u l t m a n n , T h W N T I, 715). Kaxct jtQÖaawtov m e i n t „ins Gesicht", o h n e feindlichen Sinn (s. A p g 25,16; 2 K o r 10,1); u n d a v O i o t a v a i beschreibt einen passiven o d e r aktiven Widerstand ( A p g 13,8; 2 T i m 3,8), der einen A n g r i f f v o n der anderen Seite voraussetzt (vgl. V. 12). Z u der Stadt A n t i o c h i e n a m O r o n t o s s. G. D o w n e y , A H i s t o r y o f A n t i o c h in Syria, 1961; J. Lassus, La ville d ' A n t i o c h e à l ' é p o q u e r o m a i n e d ' a p r è s l'archéologie, A N R W 2 : Prinzipat 8,54-102; W. A . M e e k s / R . L . Wilken, J e w s a n d C h r i stians in A n t i o c h in the First F o u r C e n t u r i e s o f the C o m m o n Era, SBL Sources f o r Biblical S t u d y 13, 1978. 12 D e r Bericht der Ereignisse in Antiochien b e g r ü n d e t die B e u r t e i l u n g des Verhaltens des Petrus (yâç b e g r ü n d e t ö t i xtâ. V. I I b ) : I n d e m er die Wahrheit des E v a n g e l i u m s verlassen u n d die T i s c h g e m e i n s c h a f t a b g e b r o c h e n hat, hat sich Petrus als Ü b e r t r e t e r erwiesen (vgl. V. 18). D i e D a r s t e l l u n g setzt seiner u r s p r ü n g l i c h e n H a l t u n g , als er in Antiochien a n k a m u n d sich nach d e m d o r t allgemein h e r r s c h e n d e n K o n s e n s richtete (jiqö ... yàç mk.), einen Verhaltenswechsel e n t g e g e n (öte ôé xtX..), der m i t d e m A u f t r i t t v o n Leuten des J a k o b u s z u s a m m e n f i e l u n d d u r c h die A n g s t v o r gesetzestreuen J u d e n c h r i s t e n ' verursacht w u r d e . 'Alto bezieht sich e n t w e d e r auf èX-delv o d e r auf xivcxç. G e m e i n t ist, daß die xivéç v o n J a k o b u s (Gal 1,19; 2,9; nach D . R . C a t c h p o l e , Paul, J a m e s and the A p o s t o l i c Decree, N T S 23 [1976/77] 4 2 8 - 4 4 4 , h a b e n sie das v o n J a k o b u s inzwischen h e r a u s g e g e b e ne A p o s t e l d e k r e t v o n A p g 1 5 , 2 3 - 2 9 mitgebracht) gesandt w o r d e n sind, o d e r daß sie i h n vertreten. "E'övri bezeichnet die Heidenchristen als N i c h t - J u d e n (so auch R o m 16,4). U n e n t s c h e i d b a r ist, o b cruvecriKeiv besonders auf das H e r r e n m a h l verweist (so H . Lietzm a n n , 14, der auf die A r g u m e n t a t i o n in 1 K o r 1 1 , 1 7 - 3 4 u n d auf d e n B e g r i f f x o i v a m a 1 K o r 10,16f hinweist; H . Schlier, 83, der an die v o m I m p e r f e k t vorausgesetzte R e g e l m ä ßigkeit der e r w ä h n t e n Mahlzeiten d e n k t ; D . L ü h r m a n n , A b e n d m a h l s g e m e i n s c h a f t ? Gal 2 , l l f f , in: K i r c h e [Fs. G . B o r n k a m m ] , 1980, 2 7 1 - 2 8 6 ) . D e r entscheidende P u n k t ist n a c h d e m Bericht, daß m a n o h n e B e a c h t u n g der V o r s c h r i f t e n des Gesetzes z u s a m m e n g e l e b t hat (J. Becker, 27). D i e V e r ä n d e r u n g erklärt sich d u r c h die S p a n n u n g i n n e r h a l b des

53

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

J u d e n t u m s und innerhalb des Judenchristentums zwischen international-integrativen und sich konfessionell abgrenzenden Tendenzen (s. E . P. Sanders, J e w i s h Association with Gentiles and Gal 2,11—14, in: T h e Conversation Continues, Studies in Paul and J o h n [Fs. J . L . M a r t y n ] , 1990, 1 7 0 - 1 8 8 , der jüdische B e l e g e s o w o h l gegen [Jub 22,16; Asen 7,1] als auch für gemischte Tischgemeinschaften, allerdings unter Berücksichtigung der beiden Sonderfälle des Fleisches und des Weins, angibt: D a n 1 , 3 - 1 7 ; J d t 1 2 , 1 7 - 1 9 ; T o b 1,11; 3 M a k k 3 , 3 - 7 , vgl. 2 M a k k 7 , 1 - 2 ) . D i e Haltung des Petrus ist als taktischer R ü c k z u g ({otooteAAelv ist zunächst ein militärischer Begriff, s. K . H . Rengstorf, T h W N T VII, 598f) und als Absonderung dargestellt (zu dcpogi^eiv s. Gal 1,15; R o m 1,1; 2 K o r 6 , 1 7 ; K . L. Schmidt, T h W N T V, 4 5 4 - 4 5 6 ) . D e r genannte G r u n d dafür ist nicht die eigene Ü b e r z e u gung, sondern eine neu entstandene Drucksituation. D i e M e t o n y m i e ot ¿x JteQiTO[i,fjs bezeichnet generell entweder J u d e n oder Judenchristen, die sich und gegebenenfalls ihre christliche Existenz v o n der durch die Beschneidung markierten Abgrenzung her verstehen (parallele Konstruktionen R o m 4,12; K o l 4,11; A p g 10,45; 11,2; ö ¿x niatemg Gal 2,16; 3,7.9; 6 ex vö^iou R o m 4,14). G e m e i n t sind in Antiochien entweder J u d e n (so C h . B . Cousar 47; W. Schmithals, Paulus und J a k o b u s , F R L A N T 85, 1963, 5 4 - 5 6 , der an die gefährdete Situation der Judenchristen nicht nur in Antiochien, sondern besonders in Judäa denkt, vgl. A p g 12,2; vgl. Gal 6 , 1 2 u. K o m m . ) oder J u d e n c h r i s t e n ' aus Jerusalem (einschließlich der Leute v o n J a k o b u s , so G . Klein, D i e Verleugnung des Petrus. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung, Z T h K 58 [1961] 2 8 5 - 3 2 8 , bes. 321, = R e k o n struktion und Interpretation, B e v T h 50, 1969, 4 9 - 9 8 , bes. 83 A. 205; J . L. M a r t y n , 2 3 6 - 2 4 0 , der a u f R o m 4 , l l b f ; A p g 10,45; 11,2 und Euseb, H E 4 , 5 , 3 verweist) oder Judenchristen, die die xiveg auch außerhalb von Antiochien hätten gegen Petrus mobilisieren können (so M . - J . Lagrange, 43), oder eifrige zum Judaismus bekehrte Heidenchristen (so J . M u n c k , Paulus und die Heilsgeschichte, 1954, 116f, der a u f Gal 6 , 1 3 verweist, 7 9 - 8 1 ) , oder J u d e n c h r i s t e n ' , die bisher eine schweigende Minderheit in Antiochien gebildet hatten. Sie haben Petrus veranlaßt, seine Praxis zu verändern (insgesamt 3 Imperfekte): Eine Trennung der Tische ermöglicht, daß die Judenchristen den jüdischen Geboten treu bleiben, ohne die Freiheit der Heidenchristen zu beschränken. 13 D i e Konsequenz ist der allgemeine A b b r u c h der Tischgemeinschaft zwischen den übrigen Judenchristen (oi 'IouöaToi definiert sich hier nicht durch die bekennende B e r u fung a u f die JtegiTO[ir|, wie Toi)£ xtX.. V. 12, sondern im Gegensatz zu xa. eövt]) und den Heidenchristen, der durch einen Lawineneffekt erfolgt (Aor.). 2uvujtoxQiv£td)g), iouöai'XTÖG meint bloß und ohne Wertung jüdisch' (Josephus B J 6,17; iouöaixo? Adj. 2 Makk 13,21; Tit 1,14; Josephus AJ 20,258); beide erhalten aber durch die konstruierte Opposition die Bedeutung einer Abgrenzung. Was Petrus von den Christen heidnischen Ursprungs (xa E^r), s. V. 12) erwartet, impliziert nach der paulinischen Formulierung einen inneren Widerspruch: 'Iouöat^Eiv (Est 8,17; Josephus, B J 454 u. 463; IgnMagn 10,3; Plutarch, Cicero 7,3) ist zunächst deskriptiv und bezeichnet die Haltung von Nicht-Juden, die - manchmal aus taktischen Gründen nach jüdischer Lebensweise leben, was sowohl Eifer als auch Artifizialität miteinschließt. Das Nicht-Gesagte ist: Wenn schon Petrus, obwohl er Jude ist (vji6.q%vm ist konzessiv), sich mit Recht frei vom Gesetz verhält (s. V. 15f), dann hat es keinen Sinn, daß er die Heidenchristen nötigt, gesetzlich zu leben, und die Heidenchristen sollen sich um so mehr frei und ehrlich als solche verhalten. 'Avayx&^Eiv trifft eher die Absicht der i|)EUÖaÖ£Ä.(poi in Jerusalem (Gal 2,3f) und der xiVEg in Galatien (5,2-12; 6,11-16) als die Situation in Antiochien: Die erste Konsequenz des judenchristlichen Verhaltens ist es immerhin, daß die EÖ-VT] entweder den Abbruch der Tischgemeinschaft hinnehmen oder aber selber Juden werden und die jüdischen Speisegebote beachten müssen (s. M . - J . Lagrange, 45). 15 Die Prämissen der Argumentation: Paulus und Petrus bzw. Paulus und die Lehrer in Galatien sind zum Glauben gekommen, obwohl sie von Geburt her ((PIIOEI, s. R o m 2,27; H. Köster, T h W N T I X , 2 6 5 - 2 6 8 ) , d.h. auch: ohne ,judaisieren' zu müssen, Juden sind und obwohl sie sich als solche auf die Privilegien des erwählten Volkes verlassen konnten (zum Ausdruck eg Efrvojv d|xaQXüjXoi s. M k 14,41; Lk 7,37; 1 Makk 1,34 m l EÖRIXAV EXEI eövo? d|xaQxojÄ.6v, ctvögctg itctgavoiioug; Tob 13,6 ÖEixviiü) tf)v iox'uv xal xf)v ^EYaXtocruvTjv avxov &9-VEI anaQxwXtöv; K . H. Rengstorf, T h W N T 1,320-339, bes. 331f; zur Kehrseite dieser Definition vom jüdischen Gesichtspunkt her R o m 9,4; Gal l,13f; Phil 3 , 4 b - 6 ) . 16ab Die Motive der damaligen Entscheidung als Basis für die Beurteilung der aktuellen Situation: Paulus, Petrus (und die Lehrer in Galatien) sind Christen geworden (Aor.: EJtLOXEijaa|XEv) wegen einer Erkenntnis (EISÖTE; V. 16a) und wegen eines Zieles (iva xxX., V. 16b). Gegenstand der Erkenntnis ist die Unterscheidung zwischen existentiellen Haltungen, die durch zwei verschiedene Erwartungen der Rechtfertigung von Gott bestimmt sind. Die gemeinsame Voraussetzung ist, daß die Rechtfertigung aus Gnade erfolgt (s. 1 Q S X I , 3 . 1 2 - 1 5 ; 1 Q H X I I , 3 6 f ; J . L . Martyn, God's Way o f Making Right What Is Wrong, = Issues, 141-156: Aus dieser Voraussetzung folgt die Aussage von V. 21). Das novum der paulinischen Formulierung ist nicht nur, daß die Problematik der Gerechtigkeit von der Gabe und den Forderungen des Gesetzes dissoziiert wird (eine unmittelbare 57

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesßir die Völker

Verbindung ist bereits in vorpaulinischen Formulierungen wie 1 Kor 11,23-26; 15,3-5 wegen des Bezuges der Soteriologie auf die Christologie nicht mehr vorausgesetzt), sondern vor allem die Aufnahme des Begriffes der ëçya vô|iou, der die Aufgabe der Erfüllung des Gotteswillens als sinngebenden Rahmen der Existenz gibt (vo(i,ou ist weder Gen. poss. noch Gen. obj. noch Gen. subj. noch Gen. qualitatis: Die Werke des Gesetzes = der Dienst des Gesetzes, s. E. Lohmeyer, Probleme paulinischer Theologie, 31-74) und die Problematisierung der Gerechtigkeit durch die Unterscheidung und die Gegenüberstellung von zwei Gottes- und Selbstverständnissen, die durch die Gegenüberstellung von ,,êx"/„ôiâ" bzw. von zwei ,,èx" gekennzeichnet werden. (Wegen der sinngebenden Funktion der Präpositionen ist m m n 'BWO in 4 Q M M T = 4Q398 Frg. 14 Kol. 2 Z. 3 keine sachliche Parallele zu den paulinischen Formulierungen; anders M. Abegg, Paul, „Works of the Law" and MMT, BAR 20.6 [1994] 52-55; J. D. G. Dunn, 4 Q M M T and Gai, N T S 43 [1997] 147-153). Das erste definiert sich dadurch, daß es das adäquate Verhältnis zu Gott (so F. C. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, 1864, 132-135), seinen Ursprung und seine Identität „aus" etwas (è§ EQycov vô|xou; s. Rom 3,20.28; Gai 2,16 dreimal; 3,2.5.10) sucht und sein Vertrauen in seine Privilegien und Eigenschaften setzt (die Beschneidung und die Reinheitsgebote als Zeichen der Erwählung und der Heiligkeit sind Symbole des ganzen Gesetzes und der Zugehörigkeit zum Volk des Bundes), das zweite dadurch, daß es aus der Möglichkeit der Vermittlung der bedingungslosen Rechtfertigung „durch das Vertrauen" in Gott, der sich in Christus offenbart hat (ôià Jticrtecoç TR|aoi3 Xqiotoî), als von Gott geschaffene (Gal 3,21) und anerkannte Person lebt (ôià jucjtecdç Rom 3,22.25.31; 2 Kor 5,7; Gal 3,14.25.26; êx jricrtEœç Rom 1,17; 3,26.30; 4,16 zweimal; 5,1; 9,30.32; 10,6; 14,23 zweimal; Gal 2,16b; 3,7.8.9.11.12.22.24; 5,5; è | àxofjç Jticrtecoç Gal 3,2.5). Die Implikationen, die Bedeutung und die Konsequenzen dieser Gegenüberstellung, die durch eine Beschränkung des vô|ioç auf die Abgrenzungsgebote bzw. Zeremonialgesetze (Theodoret, Pelagius, Erasmus, J. D. G. Dunn; R. Heiligenthal, Werke als Zeichen, W U N T I I / 9 , 1983, 127-134; cf. dazu E. P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 1977, 511-515, der die paulinische Theologie als Ablehnung des ,Covenantal nomism' darstellt), die bei Paulus nie stattfindet (F. Sieffert, 137), nicht verharmlost werden darf, werden in Gal 3,1-5,12 thematisiert. Der Sinn der Gegenüberstellung ist eine Unterscheidung zwischen der Person und ihren Eigenschaften: Der Mensch als Individuum bekommt umsonst seine Identität von Gott und braucht nicht seine Herkunft und den Sinn seines Lebens in seinen Eigenschaften und Qualitäten zu finden (so T. D. Gordon, The Problem at Galatia, Int 41 [1987] 32-43; s. B. Pascal, Pensées Br 323 = MSL 688; zur Interpretation s. J. B. Tyson, „Works of Law" in Gal, JBL 92 [1973] 423-431; R. Bultmann, Theologie des NT, § 28-30; E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, 1969; J . C . Beker, Paul the Apostle, 1980, 235-254). Die Aussage ist asymmetrisch: sie betont nicht, daß sich ê | eqycûv vöfiou und ôià juotecoç ausschließen, sondern daß die Rechtfertigung (J. L. Martyn, 249f: „rectification"; der Mensch ist/ist nicht „rectified") nicht aus dem Gesetz allein, sondern erst durch den Glauben geschieht (zu èàv |i,r| s. BDR § 376 u. Gal 1,7.19; vorausgesetzt ist, daß êl Egycov v6(iou und ôià jtiatECOÇ weder kontradiktorisch noch gleichwertig sind, s. Gal 3,21 und den Exkurs: Das Gesetz im Gal, ad 3,23-29; anders W. O. Walker jr, Translation and Interpretation of èàv (ifj in Gal 2,16, JBL 116 [1997] 515-520: Die Formulierung ist elliptisch für: Denn keiner wird gerechtfertigt Èàv |xf| usw.). Die Relevanz dieser Aussage beschränkt sich nicht auf Judenchristen, sondern sie ist eine anthropologische These: "Avdgconoç steht allgemein für 58

Antiochien: Konsequenzen und Wahrheit des Evangeliums Gottes

2,16-17

xig (s. Rom 3,28; 1 Kor 4,1, vgl. 11,28). Ob man 'Ir}ooü XQKJTO'C als Gen. obj. oder als Gen. subj. (so P. Vallotton, Christ, 1960; G. Howard, Notes and Observations on the „Faith of Christ", H T R 60 [1967] 459-465; R. B. Hays, Faith, 175; G. Wagner, EThR 59 [1984] 46f; M. D. Hooker, ITIZTIZ XPI2TOY, N T S 35 [1989] 321-342; J. L. Martyn, 263—275: Christ „died faithfully for human beings while looking faithfully to God"; s. dazu S. K. Williams, Again Pistis Christou, C B Q 49 [1987] 431-447: Der Glaube der Gläubigen ist nichts anderes als der Glaube Jesu, so daß sich die Alternative erübrigt) liest, ändert nicht den Sinn der Mitteilung, die nicht eqya und mcrug, sondern ¿x und öia als Bestimmungen des Selbstverständnisses der Existenz und vo^iog und 'Ir|(Kyüg XQioxög als Vermittler der Rechtfertigung gegenüberstellt (zu öixaioöv s. Gal 2,16 dreimal; 2,17; 3,8.11.24; 5,4; Rom 2,13; 3,4.20.24.26.28.30; 4,2.5; 5,1.9; 6,7; 8,30.33; 1 Kor 4,4; 6,11; zu jtiaxig s. noch Gal 1,23; 3,23 zweimal: 5,6.22; R. Bultmann, T h W N T VI, 218-224; G. M. Taylor, The Function of III2TIZ XPIZTOY in Gal, JBL 85 [1966] 58-76: itioTig + Gen. kommt in Gal 2,16.20; 3,22 im juristischen Kontext vor und entspricht dem fidei commissum des römischen Gesetzes). Das Ziel (iva öixaiarfhSfiEV xxX., V. 16b) bezieht sich auf die Konsequenzen dieser Erkenntnis: Gilt die Rechtfertigung ¿S, egycov vöfiot) ohne die jxicmg 'Ir)ooü XQIOXOI) nicht, dann sind Paulus und Petrus (und die ,judenchristlichen' Lehrer in Galatien) zum Glauben an Christus gekommen, um in Christus gerechtfertigt zu werden (ähnliche logische S t r u k t u r i n : Qui sine periculo volet in Aristo tele philo sophari, necesse est ut ante bene

stultificetur

in Christo, M. Luther, Heidelberger Disputation, conclusio 29, = WA 1,355). Neu an der Formulierung ist die Symmetrie ägymv vö|iou/ex juareoog XQiaxot), die die Gegenüberstellung verstärkt, sie zwar nicht zur Alternative verhärtet („Gott" und „Mensch" sind kontradiktorisch, ohne daß sich die existentiellen Bestimmungen ¿E, egycov vö|j.ou und ¿x juoxeojg Xgiaxot) ausschließen; der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen besteht darin, daß 8ia ausschließt, daß der Glaube Quelle der Rechtfertigung sei, während ¿x es implizieren könnte, s. J . B . Lightfoot, 115; B. Corsani, 164f), aber zwei existentielle Haltungen als zwei konträre Wege definiert, die sich durch die Bestimmung des Wohers des Gerechtwerdens unterscheiden (G. Wagner, EThR 59 [1984] 46f: Aiä jtiaxEwg V. 16b verweist auf die christologische Vermittlung des Gehorsams Jesu, ¿x itiöxewg auf das Woher der Rechtfertigung). 16c Sachliche Begründung: Die Maxime (mit gnomischem Futur) wiederholt Rom 3,20 und hat ihr Äquivalent in Gal 6,8a u. 1 Kor 1,29. Sie könnte sich auf Ps 142,2LXX b e r u f e n ( / / ä t h H e n 8 1 , 5 . . . zeige allen deinen Kindern,

daß keiner, der des Fleisches ist, vor dem

Herrn gerecht ist, denn er ist der Schöpfer, Übers. S. Uhlig, J S H R Z V/6, 666). Die Argumentation würde dann auf dem Autoritätsargument eines Schriftzitates gründen (s. Ch. Perelman, 410-417). Z u m einen wird der Satz nicht als Zitat eingeführt (so D.-A. Koch, Schrift, 18), zum anderen fehlt in Ps 142,2LXX das Entscheidende: egyow vo(xou (näoa O&Q§, das an der Stelle von jtäg ¡¡üv Ps 142,2LXX steht, ist ein Äquivalent für ävö-gamog, s. Rom 3,20; 1 Kor 1,29, vgl. 15,39), so daß sich die axiomatische Aussage nicht aus der Schrift, sondern aus der Gottesoffenbarung ableiten läßt (s. Gal 2,19f u. Komm.). 17 Paradoxe Schlußfolgerung als Überleitung zur christologischen Begründung (V. 19-21). Zwei Prämissen führen zu einer Hypothese, die verneint wird. Entweder ist der logische Schluß nicht korrekt, oder eine der Prämissen ist falsch. Ersteres ist der Fall, wenn ^T|xoCvTEg betont wird und den Versuch meint, nicht nur durch den Glauben, sondern auch aus den Werken des Gesetzes von Christus gerechtfertigt zu werden (so M.

59

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums

Gottes für die Völker

Soards, Seeking [zêtein] and Sinning [hamartôlos] According to Gal 2,17, in: Apocalyptic and the N T [Fs. J. L. Martyn], J S N T Suppl. 24, 1989, 237-254; zu Çt)teïv s. Rom 2,7; 3,11; 10,3.20; 11,3; 1 Kor 1,22; 4,2; 7,27; 10,24.33; 13,5; 14,12; 2 Kor 12,14; 13,3; Gal 1,10; Phil 2,21; 1 Thess 2,6; anders G. Klein, Individualgeschichte und Weltgeschichte bei Paulus, E v T h 24 [1964] 126-165, = Rekonstruktion, 180-224, bes. 185-192: Christus offenbart, daß die Judenchristen genauso Sünder sind wie die Heidenchristen, und xai oaixoi n i m m t xoct rpeîç V. 16 wieder auf). Sonst hat der Gedankengang die Form eines Syllogismus, und die konsensfähige Ablehnung des Schlusses (|i,r| yévoiTo: Die Entscheidung êmaTexjaapiev setzt voraus, daß Christus kein Diener der Sünde ist) zwingt dazu, der Ablehnung der zweiten Prämisse auch zuzustimmen: Indem sie zum Glauben gekommen sind (Çr|Toi3vTEÇ öiMaiwöfjvai = êjtLOTEijaafxev; èv Xqioxcö ist instrumental zu verstehen, vgl. Gal 3,14; 5,10: Der Akzent liegt eher auf der Vermittlung der Gerechtigkeit als auf der gegenwärtigen Gemeinschaft oder der Herrschaft Christi, vgl. Gal 2,4; 3,26.28; 5,6), sind Paulus und Petrus (und die Lehrer in Galatien) nicht selbst (xal cräxoi) Sünder wie die Heiden geworden (ct|iaQT(jüXoL entspricht â^aQTœXoi in V. 15; H . Feld, Christus Diener der Sünde. Z u m Ausgang des Streites zwischen Petrus und Paulus, T h Q 153 [1973] 119-131; G. Wagner, Le repas du Seigneur et la justification par la foi. Exégèse de Gal 2,17, E T h R 36 [1961] 245-254; J. L. Martyn, 254: Anlaß von ei)QéOr|(xev waren die gemeinsamen Tische V. 12a). Auf jeden Fall wird an der logischen Struktur nichts geändert, wenn man statt der Fragepartikel &Qa die Folgepartikel d p a und den Bedingungssatz als Irrealis liest (so R. Bultmann, Z u r Auslegung von Gal 2,15-18, in: Ecclesia Semper reformanda [Fs. E. Wolf], 1952, 41-45, = Exegetica, 1967, 394-399, der auf den Parallelismus zwischen V. 17undV. 21 verweist). 18 Existentielle Begründung. Die Formulierung ist allgemein. Sie verweist nicht auf die Problematik des Gesetzes (anders als R o m 4,15b, cf. H . D. Betz, 120f), sondern wendet eine abstrakte Regel auf den Vorgang an, an den V. 16 erinnerte: Paulus wäre erst Übertreter (vgl. ä|xagxwXoi V. 17), w e n n er trotz der Tatsache, daß er geglaubt hat (V. 16), seine Rechtfertigung und seine Identität ê§ ëçyœv vo(iou erwarten w ü r d e (s. C . F . D . Moule, N o t e on Gal 2,17.18, ExpTim 56 [1944/45] 223, der auf die parallele Konstruktion in 2 Kor 2,17 verweist). Kriterium der Übertretungen ist nach der gemeinsamen Erkenntnis und nach der daraus folgenden Zielsetzung (s. eiôoxeç und ïva m \ . , V. 16ab) nicht mehr das Gesetz, sondern das öixaLtoöfjvai ex jtiateœç, so daß das louôaîÇeiv eine Rückkehr in die vor-christliche Vergangenheit bedeutet (jtciA.iv). I l a QaßäiT)5 (sonst bei Paulus Jtagaßäxr|g vo^ou R o m 2, 25.27; vgl. Jak 2,9.11) ist hier im übertragenen Sinn gebraucht. Z u m antithetischen Paar xaxaA.i)eiv/oixoôo(xeîv s. M k 14,58; 15,29 und M t 5,17. Gemeint ist nicht nur die Scheidewand zwischen Juden und Heiden (so Ph. Vielhauer, Oikodome, 1939, 8 8 - 9 0 , = Aufsätze zum N T 2, T h B 65, 1979, 83-85), sondern das Leben unter dem Gesetz als Bestimmung der Identität ê | eçycov v6|iou. SuviaxotvEiv meint nicht nur „erweisen", sondern auch „einsetzen" (vgl. Liddell/Scott II, 1718; R o m 3,5; 5,8; 2 Kor 6,4; 7,11; in 2 Kor 3,1; 4,2; 5,12; 10,12.18; 12,11 = „empfehlen"). Der Übergang der 1. Pers. Plur. zur 1. Pers. Sg. drückt insofern einen Gedankenfortschritt aus, als das „Wir" Paulus und Petrus (und die judenchristlichen' Lehrer in Galatien) bezeichnet, während das „Ich" gleichzeitig autobiographisch und auf Juden- und Heidenchristen verallgemeinerungsfähig ist (so G. Theißen,Psy-

60

Antiochien:

Konsequenzen

und Wahrheit des Evangeliums

Gottes

2,18-20

chologische Aspekte paulinischer Theologie, FRLANT 131, 1983, 194-204; s. Exkurs: Das apostolische Ich und das neue, persönliche Selbstbewußtsein des Individuums, ad Gal 1,21-24). 19.20 Die christologisch-soteriologische Begründung (yâç begründet V. 18, der |xf) yévoixo V. 17 mit yâç begründet) ist in vier gleichbedeutenden Thesen gegeben. Zentrale Aussage der Gottesoffenbarung (Gal l , l l f ) ist es, daß die wahre menschliche Existenz in der neuen Schöpfung Gottes und in der Selbsthingabe gegeben wird (s. Gal 6,15; B. Lategan, N T S 34 [1988] 426-430). 19a Die Aussage vöfiü) oOToflvfloxeiv hat Äquivalente in Rom 7,4; 10,4 und wird in Gal 3,23-29 erläutert. Die Metapher findet sich auch Rom 6,2.10, vgl. 6,11; 7,6. Der Sinn ist, daß die glaubende Existenz ihre Identität und ihr Woher nicht mehr eçyojv vô|xou hat. Àià vôfiou ist von Gal 3,13 her zu verstehen, wie es der Parallelismus V. 19b zeigt: In Christus hat sich das Gesetz als Ursprung der menschlichen Existenz disqualifiziert (so R. Bultmann, Zur Auslegung von Gal 2,15-18, 43f, = Exegetica, 397; F. Sieffert, 148f; H. Schlier, 99f;J. Becker, 30f; H. Weder, Kreuz, 175-177). Andere Interpretationen ergänzen die Ellipse mit Hilfe von Gal 3,23-29 (R Bonnard, 55; H. D. Betz, 122), von Rom 7,7-25 (J. Calvin; E. Burton, 133) oder von Rom 8,2 (M. Luther; M.-J. Lagrange, 51). Der Dativ commodi Oew ist symmetrisch zum Dativ incommodi vö(Xü), so daß Gott und Gesetz als alternative Ausrichtungen der Existenz dargestellt werden (J. L. Martyn, 257: „The antinomy to live to the Law / to live to God is a thoroughly apocalyptic antinomy newly created at the cross"). 19b Die gleiche Metapher kommt in Rom 6,6; Gal 5, 24; 6,14f wieder vor. Sie ist mit der Symbolik der Taufe Gal 3,26-28 verwandt, und beide sind Kondensierungen von Rom 6,1-7,6 (s. J. Blank, Paulus und Jesus, 298f; H. D. Betz, 122f). Das Kreuz ist insofern ein kosmisches (s. J. L. Martyn, 277-280) und eschatologisches Ereignis, als es das individuelle Subjekt als neue Schöpfung konstituiert (s. A. Badiou, Saint Paul, 44-57). Verbindungselement zwischen dem Kreuzesereignis und der Gegenwart des Glaubens ist die Gleichzeitigkeit, die in am- impliziert ist (H. Weder, Kreuz, 179f: Das Kreuz Jesu gehört zu meiner Vergangenheit und bestimmt meine Identität), die hier mit der Taufe nicht explizit in Verbindung gebracht wird (anders H. Schlier, 99f; F. Mußner, 180f; systematische Klassifizierung der Interpretationen P. Bonnard, Mourir et vivre avec Jésus-Christ dans le paulinisme, RHPR 36 [1956] 101-112, = Anamnesis, Cahiers de la RTP, 1980, 121—131), und die die Befreiung vom Fluch des Gesetzes durch die Unterscheidung zwischen der Person, die ihre Identität von der Gnade Gottes durch den Glauben geschenkt bekommt, und ihren Werken und Eigenschaften radikal vollzieht (zum Wortfeld axauoôç bei Paulus s. Ch. Dietzfelbinger, Berufung, 30-42). 20a Behauptet wird nicht, daß das „Ich" gestorben ist (so Gal 5,24; H. D. Betz, 123; R. N. Longenecker, 92f), sondern vielmehr, daß der neue Mensch in ihm Subjekt ist (so auch Gal 4,6; vgl. 1,16; G. Wagner, EThR 59 [1948] 47: „II ne s'agit pas de dépersonnalisation, mais d'une résurrection"; J. L Martyn, 258: „The risen Lord extends the space of his power by taking up residence in Paul, the paradigmatic eschatological human being" ). Die Problematik der Identität hat sich verschoben: Christus ist nicht mehr der Vermittler der Rechtfertigung Gottes, sondern die lebendige Rechtfertigung im „Ich" selbst (so M. Bouttier, En Christ, EHPR, 1962, 82; vgl. A. Schweitzer, Mystik, 119-126). 20b Was Paulus und der Glaubende in ihrer Lebenszeit leben, leben sie als neue Schöpfungen. Die gleiche Konstruktion ö mk. findet sich zweimal in Rom 6,10. "O . . . èv 61

2,11-21

Paulus, Apostel des Evangeliums Gottesfiir die Völker

aaqxî meint die vorhandene Person (so auch Phil 1,22 Çfjv èv oaçxi; 2 Kor 10,3 êv oaçxt yàQ neQuiaToCvreç; s. Gai 1,16; 2,16; 4,13f; H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des NT, § 21/IV; R. Bultmann, Theologie des NT, § 22). NCv bezeichnet wie oijxéti V. 20a die Gegenwart in bezug auf den Augenblick der Veränderung V. 16 (so M.-J. Lagrange, 52; E. Burton, 138; A. Oepke, 96; anders H. Schlier, 102, der vCv auf dem Hintergrund von Phil 1,21-26 in bezug auf die Zukunft liest). Parallele Formulierungen zu èv jiioTEi sind crrr|XETE èv tfj jiîotei 1 Kor 16,13; tfi . . . mcrtei êcmixate 2 Kor 1,24; eî èarè èv tfl mcrtei 13,5, und äquivalente Aussagen im Brief sind Gal 5,18a. 25a; 6,14f, vgl. 3,28; 5,5. Der Glaube bezieht sich auf den môç toü freofi, Gen. obj. oder subj. (vgl. Gal 1,16, so E. Burton, 139; die Lesart ftEoü xai XQiaxoij ist gut belegt [P 46 B D * F G it d 8 Marius Victorinus, Pelagius], vertritt aber einen unpaulinischen Text, der Gott als Gegenstand der jûoTiç vorstellt; s. dazu B. M. Metzger, 593; B. D. Ehrman, The Orthodox Corruption of Scripture. The Effect of Early Christological Controversies on the Text of the NT, 1993, 86f). Beide Formulierungen àyajtfioavTÔç |xe und Jtapaôôvxoç êauxôv xtL, die mit Variationen, aber zusammen in Eph 5,2.25 aufgenommen werden, sind einzigartig bei Paulus: Das àycuiâv und die Liebe Gottes als erlösende Kraft ist in Rom 8,37; 1 Thess 1,4 und Rom 8,39 belegt, aber nicht das àyanôv Christi, und Jtagaôiôovai als Interpretament des Kreuzesereignisses ist impers. Passiv (Rom 4,25; 1 Kor 11,23) oder hat Gott als Subjekt (Rom 8,32). Die ähnlichste Formulierung ist xoii ôôvtoç éauxôv in Gal 1,4 (s. Komm.; W. Kramer, Christos Kyrios Gottessohn, 1963, 112-120 und K. Wengst, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, 57-62, vermuten eine vorpaulinische Formel; anders G. Berényi, Gal 2,20: A Pre-Pauline or a Pauline Text? Bib 65 [1984] 490-537; dies., Gal 2,20: A Pre-Pauline or a Pauline Text? in: A. Vanhoye (Hg.), L'Apôtre Paul, 340-344). 'Yjieq + Gen. als Benennung der Personen, für welche das Kreuz Heilsereignis ist, ist dagegen die paulinische, soteriologische Vorstellung (s. Rom 5,6.7.8; 8,32; 14,15; 2 Kor 5,14f; die traditionelle Wendung vjièg töv ànctQTiœv 1 Kor 15,3; Gal 1,4 setzt eine andere Anthropologie voraus, s. E. Käsemann, Zum Verständnis von Rom 3,24-26, Z N W 43 [1950/51] 150-154, = Exegetische Versuche und Besinnungen I, 96-100; Ch. Senft, Jésus de Nazareth et Paul de Tarse, 71-77). 21 Fazit. Die aphoristische Zusammenfassung greift auf V. 16 zurück: Entgegen dem Gesetzesevangelium der judenchristlichen' Lehrer betont sie, daß gerade die existentielle Haltung ê§ EQycov v6|xod die rechtfertigende Gnade Gottes außer Kraft setzt. Vorausgesetzt ist die Erkenntnis von V. 16a: Die Gratuität der X«QiÇ ist nicht „aus dem Gesetz" zu erwarten, sondern wird durch Christus geschenkt (zu àfrexeïv „für ungültig erklären", „zunichte machen" s. Mk 6,26; Lk 10,16; Joh 12,48; 1 Kor 1,19; 1 Thess 4,8; 1 Tim 5,12; Hebr 10,28; Jud 8; Ch. Maurer, T h W N T VIII, 158-160 u. bes. Mk 7,9; Lk 7,30; Gal 3,15; zu xâçiç s. Gal 1,15 u. Komm.; D. Zeller, Charis bei Philon und Paulus, SBS 142, 1990, 156f). Die Begründung (yàQ, V. 21b) ergibt sich aus der Verbindung der axiomatischen Aussage V. 16c mit den christologisch-soteriologischen Thesen V. 19f: Die ôixaiocnjVT) (die im Kontext nichts anderes als das Gerechtfertigtwerden meint, s. sonst Gal 3,6.21; 5,5) kann deshalb nicht durch das Gesetz geschehen, weil uns das Gesetz im Tode Jesu vom Gesetz befreit hat (Gal 2,19a u. 3,13). Die Konsequenz lautet: Wäre die Rechtfertigung immer noch vom Gesetz abhängig (wie es oi èx jtEQiTO(ifjç, Petrus, die anderen Judenchristen und Barnabas in Antiochien und die Tivéç in Galatien de facto voraussetzen), dann wären sowohl das Kreuzesereignis als auch die Entscheidung, Christ zu wer-

62

Exkurs: Galater 2,1-21 und Apostelgeschichte 15,1-35

2,21

den (ljti.i^Eaöai s. Philo, op 34 ovtoi ö'eiölv ianiga te xal jtQcota, wv f| jiev nooEva^/EXi^exai jieXXovxa f|Xiov dvioxEiv; mut 158 f| töv veoxxöv ov% ÖQq.5, 05 . . . xf)v ¿Xjtiöa xofi jtETEcr&ai öuvr|aEodai jtQOEDCXYYsXi^öfXEVog, cf. jiQoejtaYYEXE(j&ai Rom 1, 2 und JtQoyQaqjEiv Rom 15,4), weil sie die Offenbarung der Rechtfertigung ex juotecos (Gal 2,14-21) vorhergesehen hatte (zu ngooQäv s. Apg 2,25.31; 21,29; W. Michaelis, T h W N T V,381; F. Hahn, Genesis 15,6 im NT, in: Probleme biblischer Theologie [Fs. G. von Rad], 1971, 90-107, bes. 97-100: Die im voraus an Abraham ergangene frohe Botschaft ist erfüllt). 9 Aus der doppelten Beweisführung (V.6f: Die Söhne Abrahams sind ot ex JiioTEü)?; V. 8: die Adressaten des Segens schließen die Heiden ein) ergibt sich als Ergebnis, daß die Adressaten des Segens mit oi ex jtiatEtog, d. h. mit den Juden und Heiden, die durch den Glauben von Gott gerechtfertigt werden, identisch sind. Die Qualifizierung Abrahams als n 10x05 (vgl- Sir 44,20; 1 Makk 2,52; 2 Makk 1,2; Philo, post 173 'Aßgaan o Juaxög EJimvunog) verstärkt den Ausdruck der Kontinuität, und das Präsens EiiXoYOivxai, ist iterativ/durativ.

3,10-14 Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung des Geistes und Gesetz/Fluch Denn alle, die aus Gesetzeswerken leben, stehen unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der nicht in allem bleibt, was i m Buch des Gesetzes geschrieben ist, u m es zu tun". n D a ß aber i m Gesetz niemand bei Gott gerecht wird, ist klar, denn: „Der Gerechte wird aus Glauben leben". 1 2 Das Gesetz 10

72

Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung

des Geistes und

Gesetz/Fluch

3,10-14

ist jedoch nicht aus Glauben, sondern „wer die (Gebote) getan hat, wird in ihnen leben". 13 Christus hat uns freigekauft v o m Fluch des Gesetzes, indem er für uns z u m Fluch geworden ist, denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der a m H o l z hängt", 1 4 damit zu den Heiden der Abrahamsegen in Jesus Christus käme, damit wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben. Literatur: N . BONNEAU, T h e Logic of Paul's A r g u m e n t o n the C u r s e of the L a w in Gal 3 , 1 0 - 1 4 , N o v T 3 9 (1997) 6 0 - 8 0 . - CH. BURCHARD, Glaubensgerechtigkeit als Weisung der T o r a bei Paulus, in: CH. LANDMESSER/H.-J. ECKSTEIN/H. LICHTENBERGER (Hg.), Jesus Christus als die M i t t e der Schrift. Studien zur H e r m e n e u t i k des Evangeliums, 1997, 341-362. - M . CRANFORD, T h e Possibility of Perfect Obedience: Paul and an Implied Premise in Gal 3,10 and 5,3, N o v T 3 6 (1994) 2 4 2 - 2 5 8 . T . L. DONALDSON, T h e „ C u r s e of the L a w " and the Inclusion of the Gentiles: Gal 3 , 1 3 - 1 4 , N T S 32 (1986) 94-112. - J . D . G. DUNN, Works of the L a w and the C u r s e of the L a w (Gal 3,10-14), N T S 31 (1985) 5 2 3 - 5 4 2 . - D . GARLINGTON, Role Reversal and Paul's U s e of Scripture in Gal 3,10-13, J S N T 65 (1997) 85-121. - R. G. HAMERTON-KELLY, Sacred Violence and the C u r s e of the L a w (Gal 3,13): T h e Death of Christ as a Sacrificial Travesty, N T S 36 (1990) 98-118. - D . HILL, Salvation Proclaimed IV: Gal 3,10-14: F r e e d o m and Acceptance, E x p T i m 93 (1981/82) 1 9 6 - 2 0 0 . - I . G . HONG, Does Paul Misrepresent the J e w i s h Law? L a w and C o v e n a n t in Gal 3,1-14, N o v T 3 6 (1994) 164-182. - J. L. MARTYN, T h e Textual Contradiction B e t w e e n H a b a k k u k 2,4 and Leviticus 18,5, in: Issues, 183-190. - K. A. MORLAND, T h e Rhetoric of C u r s e in Gal, E m o r y Studies in Early Christianity, 1995. - D . SÄNGER, „Verflucht ist jeder, der a m H o l z h ä n g t " (Gal 3,13b). Z u r Rezeption einer f r ü h e n antichristlichen Polemik, Z N W 85 (1994) 2 7 9 - 2 8 5 . - E. P. SANDERS, Paul, the L a w and the J e w i s h People, 1983, 17-27. - CH. D . STANLEY, „ U n d e r a C u r s e " : A Fresh Reading of Gal 3 , 1 0 - 1 4 , N T S 36 (1990) 481-511. - J . S. Vos, Die hermeneutische A n t i n o m i e bei Paulus (Gal 3,11-12; R o m 10,5-10), N T S 38 (1992) 2 5 4 - 2 7 0 . - M . WILCOX, „ U p o n the Tree" - D e u t 2 1 , 2 2 - 2 3 in the N T , J B L 96 (1977) 8 5 - 9 9 .

Die Neudefinition der Gerechtigkeit Abrahams in Gal 3 , 6 - 9 wirft die Frage des Gesetzes auf: Die alttestamentliche Verheißung fordert den Gehorsam des erwählten Volkes und die Beschneidung (Gen 17,9-14; 22,16; 24,6f), und die Kehrseite des Segens ist der Fluch über die Übertreter des Bundes und des Gesetzes (Dtn 11, 26-29; 27,1-29,1; 29,27f; 30,1-20). Beides setzt eine Selbstdefinition Israels voraus, die sich von den Heiden abgrenzt. Dem stellt Paulus ein Verständnis der jüdischen Verheißung gegenüber, das auf einer - von Gal 2,14-21 her bestimmten - Selbstdefinition des Gesetzes (V. 10b = Dtn 27,26) und auf einer logischen Evidenz basiert: öfjXov ergibt sich sowohl aus der christologischen Offenbarung (Gal l,12.15fu. 2,14-21) als auch aus den Prämissen, die aus der von Gal 2,14-21 her vorgeschlagenen Auslegung von Hab 2,4 und Lev 18,5 in V. I I b u. 12 resultieren. Als Ergebnis dieser zweiten Umstrukturierung des alttestamentlich-jüdischen Überzeugungssystems, die sich wegen der Offenbarung Gottes in Christus als notwendig erweist (cf. Gal 1,10-12 u. 2,14-21), werden zwei Reihen von Verbindungen einander gegenübergestellt: Der Begriff des Gesetzes, der die Antinomie Juden/Heiden impliziert, ist assoziiert mit dem Fluch derer, die eE,'¿Qyoivvö^iou sind, und der Begriff des Glaubens ist assoziiert mit der Gerechtigkeit (seit Gal 2,16) und deswegen mit der Gründungsfigur Abraham, mit dem Segen für alle Völker und mit der Verheißung des Geistes (V. 14). Die Argumentation stellt zunächst eine Selbstdefinition der beiden Systeme des Gesetzes und des Glaubens, wie sie von Gal 2,14-21 her neu definiert werden, als Antithese (öe, V. 11) vor: Einerseits wird berichtet, was das Gesetz über seine eigene Wirkung schreibt (Alle, die egycov vö(xou leben, stehen unter dem Fluch, V. 10), andererseits wird die

73

3,10-14

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

Mitteilung der Christusoffenbarung, daß die Gerechtigkeit ex morerog ist, wiederholt (V. l l f , mit der christologischen Auslegung v o n H a b 2 , 4 und einem Zitat von Lev 18,5). V. 13 interpretiert das Christus- bzw. Kreuzesereignis mit einem Zitat v o n D t n 2 1 , 2 3 als Systemwechsel bzw. als Befreiung v o m System des Gesetzes und des Fluches (V. 13), so daß - v o m Christusereignis bzw. von der Gottesoffenbarung in Christus Gal l , 1 2 . 1 5 f her gesehen - der Segen Abrahams und die Verheißung nicht mit dem Gesetz und der dadurch veranlaßten, existentiellen Haltung, sondern mit dem Glauben verbunden und für die Heiden offen sind (V. 14). 10 Selbstdefinition des Systems des Gesetzes, die in Gal 5 , 3 wieder a u f g e n o m m e n wird: D i e existentielle Haltung ¿ | EQyciJV vö|iou ist Existenz unter dem Fluch. D e r Z u s a m m e n h a n g von Gesetz und Fluch (öooi egycov vö(iou, vgl. oi ex Tfjg JteQixofifjg Gal 2,12, ist symmetrisch zu oi ¿x jiiaxECüg, Gal 3,7.9; imö x a t ä g a v , vgl. Emxaxdpaxog V. 10b u. 13, ist parallel zu vjiö ¿(xagtiav Gal 3 , 2 2 , iinö ejuxQOJiovg x a l oixovö|xot)g, Gal 4 , 2 und iotö xct oroixeia toü xöa(ioii, Gal 4 , 3 , gebaut) erfolgt aus dem Zitat v o n D t n 2 7 , 2 6 L X X e j u x a t ä g a T o g jräg ävdQcojtog, ög ovx i[i|xevei ev Jiäaiv xoüg Xöyoic, to13 vö^cu xoüxou toC j i o i f j a a i aÜTOijg, das mit der Wendung Y£YQa|i|iEva £v x ö ßißXicp xoß vö|xou toiixot), die in den Fluch- und Strafankündigungen v o n D t n 2 8 - 3 0 oft begegnet ( D t n 2 8 , 5 8 . 6 1 ; 2 9 , 1 9 . 2 0 , vgl. 2 9 , 2 6 u. 30,10), kombiniert wird, um den Charakter der Schrift als YQCi|j| , ja , (als Antithese zu Jtveüjxa R o m 2 , 2 7 . 2 9 ; 7,6; 2 K o r 3 , 6 f , vgl. toü nveiiixcrtog V. 14; sonst Gal 6,11, s. D . - A . K o c h , Schrift, 1 6 3 - 1 6 5 ) hervorzuheben. D i e Fluchformel dient als sogenannter „Eventualfluch" dazu, eine Fluchzone bzw. Unglückssphäre, in welche j e d e r eintritt, der die genannte Tat begeht, zu definieren ( C . A . Keller, T H A T I,238f). Das U n g l ü c k der Existenz e | eqyojv vö(xou folgt nach der angegebenen Selbstdefinition entweder daraus, daß das Gesetz den M e n s c h e n überfordert, indem es die B e a c h t u n g sämtlicher G e b o t e verlangt (jtäoiv, s. J . Calvin; H . - J . Schoeps, Paulus, 1959, 184; U . Luz, Das Geschichtsverständnis des Paulus, B E v T h 49, 1968, 149f; H . Hübner, Gal 3 , 1 0 und die Herkunft des Paulus, K u D 19 [1973] 2 1 5 - 2 3 1 ) , oder daraus, daß es ein Jtoifiaai und nicht ein juaTsiiEiv hervorruft (so H . Schlier, 132f; vgl. Gal 3 , 2 1 ; M . - J . Lagrange, 68f; H. D . Betz, 146: D i e E r w a r t u n g , ei; egywv vö|iou gerechtfertigt zu werden, überfordert das Gesetz; so auch C h r . Burchard, M i t t e 3 4 2 - 3 4 9 ; E . P. Sanders, Paul, the L a w and the J e w i s h People, 2 0 - 2 7 : D i e dogmatische These, nach welcher die Gerechtigkeit durch Christus gegeben wird, hat die notwendige Konsequenz, daß die Gerechtigkeit durch das Gesetz ausgeschlossen wird, und die Schrift hat diese Wende vorausgesehen), oder aus dem existentiellen Wechselspiel der beiden U n m ö g l i c h k e i t e n (cf. die unglückliche D i a l e k tik, verzweifelt nicht selbst sein zu wollen oder verzweifelt selbst sein zu wollen, S. Kierkegaard, D i e Krankheit zum Tode, 1849, s. E x k u r s : Das Gesetz im Galaterbrief, ad Gal 3 , 2 3 - 2 9 ) . llf D i e Selbstdefinition des Systems der Gerechtigkeit, die gegenübergestellt wird (öe), hat die F o r m eines Syllogismus: Aus dem Obersatz V. I I b und dem Untersatz V. 12 ergibt sich der Schluß V. I I a (so bereits F. Sieffert, 172). 11 AfjXov verweist a u f die logische Evidenz (s. Liddell/Scott I, 385; 1 K o r 15,27). Das erste, deklarative ö t i ist v o n 6fjÄ.ov abhängig, das zweite ist kausal (zur K o n s t r u k t i o n s. H. Hanse, A H A O N [zu Gal 3,11], Z N W 3 4 [1935] 2 9 9 - 3 0 3 ) . 'Ev vöjiqj definiert eine existentielle Kategorie (genauso wie ev Xßiaxöj, Gal 2 , 4 . 1 7 ; 3 , 2 6 . 2 8 , vgl. 1,22) und ist als Abkürzung von e | egycttv vö|iou V. 10 zu lesen. I l a g a tü> frECp trägt die wesentliche Aussage (so E . B u r t o n , 165) und wiederholt die Paradoxie v o n R o m 4 , 2 : Werke und

74

Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung

des Geistes und

Gesetz/Fluch

3,11-13

Eigenschaften können wohl mit der Person verwechselt werden und identitätsbildend sein, aber nicht vor Gott. Oùôeiç ôixaioÛTai meint das gleiche wie où ôixaioûTCu avÖQCDJtoç in Gal 2,16a. Der Obersatz ist ein Zitat von Hab 2 , 4 L X X ô ôè Ôixaioç êx tuoxecûç jiou Çf|OExai. Anders als der hebräische Text, der von der Treue ("irUlölt) des Gerechten spricht, und als lQpHab VIII,2f, der die Treue zum Anweiser der Gerechtigkeit als Voraussetzung der Errettung Gottes versteht (plSH m i S S DnJÜX, s. G, Jeremias, Der Lehrer der Gerechtigkeit, S t U N T 2, 1963, 142-145), verlagert die L X X den Akzent auf die Bewahrung des Gerechten durch die Treue Gottes. Paulus streicht insofern |xou, als er jtiatiç im Sinne von „Glaube" liest, die Glaubensproblematik als eine existentielle versteht, die den Glauben des Menschen an den durch Gnade rechtfertigenden Gott (Gal 2,21) impliziert, und èx jiîoteîdç durch den Gegensatz zu ê | EQywv vö|-iou definiert (ex jûôtecoç kann sowohl auf ô ôixaioç, so E. P. Sanders, 484, als auch auf £r|OETai, so J. Cambier, Justice de Dieu, salut de tous les hommes et foi, R B 71 [1964] 537—583, bes. 569f, bezogen werden, cf. dazuj. L. Martyn, 312-315). Die hermeneutische Perspektive ist durch die Gottesoffenbarung so bestimmt, daß die Intertextualität die Form einer Wechselwirkung der Textinhalte annimmt (s. D.-A. Koch, Schrift, 127-129; R. B. Hays, Scripture, 109). 12 Der Obersatz (V. IIb) hat den Schluß V. IIa zur notwendigen Folge, denn vo^iog gehört nicht zum Zusammenhang ëx niaxEOjç. Diese Unterscheidung ist in Gal 2,19—21 christologisch begründet worden und wird mit dem Zitat von Lev 18,5LXX theologisch erklärt: Nach eigener Aussage der Schrift wird derjenige, der das Gesetz tut, zwar leben, aber èv airtoîç (d.h. èv vo(Uü, V. 11, s. Komm.) und deshalb nicht éx jucttëojç (vgl. Gal 3,21: Gott, nicht das Gesetz, hat die Macht, lebendig zu machen). Das Neutrum Plur. cräta u. atkoîç kann sowohl vom Kontext her (jtctaiv xotç yEY@an(iévoiç, V. 10) als auch vom zitierten Text her (Kai cpuXâ^ecr&e Jtàvta t à JtQoaxâYUaxâ jiou xai Jtàvxa xà XQÎ|xaxa [xou xai jTOif|OET£ aùxâ, a itoif|oaç avdQCûJtoç Çf|aetai êv aiixoîç) verstanden werden. Wie in V. 10 (= Dtn 27,26LXX) ist ôvdQcojtoç ausgelassen worden, um die drei Zitate V. 10 (jtctç oç), V. 12 (ô Jtoir|oaç) und V. 13 (jtâç ô XQEnâ|XEVoç) formal aneinander anzugleichen (s. D.-A. Koch, Schrift, 120). 13 Das Kreuz ist die Möglichkeit, vom System des Gesetzes und vom Fluch zum System der Gerechtigkeit und zum Segen zu wechseln. Vorausgesetzt ist eine anthropologische und heilsgeschichtliche Vorstellung, nach welcher alle Menschen unter der Herrschaft des Gesetzes oder anderer Mächte bis zum Christusereignis versklavt waren (Gal 2,4; 4,7.24; 5,1, s. J . L . Martyn, 317f). 'Elayoga^Eiv ist ein hellenistisches Wort, das im N T in Gal 3,13; 4,5 im übertragenen Sinne von r|)i.EudéQCoaEV Gal 5,1 verwendet wird, und in Kol 4,5 u. Eph 5,16 med. mit ô xaioôç und mit der Bedeutung von „ausnutzen" (s. F. Büchsei, T h W N T 1,126-128; S. Lyonnet, L'emploi paulinien de ê§ayo@dÇEiv au sens de „redimere" est-il attesté dans la littérature grecque?, Bib 42 [1961] 8 5 - 9 9 ; E. Pax, Der Loskauf. Zur Geschichte eines neutestamentlichen Begriffes, Antonianum 37 [1962] 239-278; F. Mußner, 232f). Der Aor. verweist auf das Kreuzesereignis (s. E. Burton, 169), und fmàç, vgl. îotèq fnxtöv, ist von einem judenchristlichen Gesichtspunkt her gedacht, wird aber nicht den ëfrvri heilsgeschichtlich gegenübergestellt (so M.-J. Lagrange, 71; H. Lietzmann, 19; T. L. Donaldson, NTS 32 [1986] 95-97), sondern gehört zu einer anthropologischen Reflexion (so A. Loisy, 148f; G. Klein, Individualgeschichte und Weltgeschichte bei Paulus, EvTh 24 [1964] 126-165, bes. 140, = Rekonstruktion und Interpretation, B E v T h 5 0 , 1 9 6 9 , 1 8 0 - 2 2 4 , bes. 206f;H. Schlier, 136f, cf. Gal 4 , 3 - 5 . 8 - 1 1 ) . 'Ex Tfjç xaxûoaç xoti vôjiov faßt V. 10 zusammen. 'Yjtèç f)|j,ä>v ist nicht als Stellvertretung 75

3,10-14

Der Ruf der Freiheit:

Sterben und leben mit

Christus

zu verstehen ( s o j . Becker, 38: Jesus, der außerhalb des Fluches stand, wurde an unserer Stelle zum Fluchobjekt, vgl. 2 Kor 5,21), sondern als Bezeichnung der Empfänger einer befreienden Offenbarung: „uns zugute" (so Rom 5,6.7.8; 8,32; 2 Kor 5,14f; Gal 2,20). Das Abstraktum x c a a g a ist (wie tov . . . ä ^ a g t i a v êitoir|oev 2 Kor 5,21; ö êyevridri aocpia f|(i,tv ctjtô freoC, ôntaiocrûvr) Te xat ctYiaa|xôç xal cutoXÛTQOoaiç, 1 Kor 1,30) eine Metonymie (= êjtixaTàeaToç, vgl. Jer 24,9; 33,6LXX; 36,22LXX; 51.8.12LXX; Zech 8,13, vgl. E. Burton, 171; anders J. Calvin; M.-J. Lagrange, 72: Jesus ist personifizierter Fluch geworden). Die doppelte Begründung dafür, daß Jesus Fluch geworden ist und daß sein Kreuz unsere Befreiung ist, wird durch die Schrift gegeben (öxi yéyQanxai, cf. V. 10). Das Zitat kombiniert Dtn 21,23 X8XATT|QA|iévoç VKO ÔEOTJ jtâç X Q 8 | I Â | J , £ V O Ç ÈJTI |iiXoti (in Apg 5,30; 10,39f; 1 Petr 2,24 wieder aufgenommen, s. A. Caneday, „Redeemed f r o m the Curse of the Law". The Use of Deut 21,22-23 in Gal 3,13, TrinJ 10 [1989] 185-209) mit Dtn 27,26 è i t i x a t â Q a T O Ç Jtâç âv&QCorcoç, o ç oùx ê|X|ieveî êv Jtâaiv xxX.. Der Parallelismus, der durch die Wiederholung von ejcixaxdçaTOÇ erzeugt wird, setzt das Kreuzesereignis mit der unglücklichen Befindlichkeit der Existenz e | 8Qy«x>v vöjaou in Verbindung (V. 13 u. 10). Paulus läßt ÎOTÔ deofi programmatisch weg (s. D.-A. Koch, Schrift, 124f. 165f): Das reale Subjekt der Verfluchung ist nicht Gott (so J. Calvin; M.-J. Lagrange, 72; P. Bonnard, 69), sondern das Gesetz. Die Aussage, nach welcher sich das Gesetz disqualifiziert hat, indem es den Gottessohn verflucht hat (so E. Burton, 173-175; L. E. Keck, Justification of the Ungodly and Ethics, in: Rechtfertigung [Fs. E. Käsemann], 1976, 199-209, bes. 200; Ch. H. Cosgrove, The Mosaic Law preaches Faith: A Study in Gal 3, W T S 41 [1978/79] 146-164, bes. 150-153; vgl. J . C h . Beker, Paul the Apostle, 184-192; S. Vollenweider, Freiheit als neue Schöpfung, 301 f; N . Bonneau, N o v T 39 [1997] 76-79; H. Schlier, 139: Der Gottessohn ist durch die Wirksamkeit des die Menschen in der Sünde täuschenden Gesetzes gestorben), konkurriert nicht mit der Vorstellung der Hingabe (cf. Gal 1,4; 2,21), sondern interpretiert die anthropologische Bedeutung des schlechthinnigen Paradoxes des Kreuzes: Die Verkündigung der Gottessohnschaft Jesu (Gal 1,12.16) deutet das Kreuzesereignis als die doppelte Offenbarung der Gnade (oder der Liebe bzw. der Torheit, 1 Kor 1,18-25) Gottes und der Fluchzone, die mit dem Gesetz (oder mit der Weisheit der Welt; R. G. Hamerton-Kelly, N T S 36 [1990] 98-118, der auf R. Girard, La Violence et le sacré, 1972, verweist: Mit der heiligen Gewalt, die zum religiösen ÇrjXoç gehört, s. Gal I,13f; 4,17f) verbunden ist. Diese Interpretation des Todes Jesu setzt die Erkenntnis einer klaren Alternative voraus, die Paulus biographisch gewonnen hat (Gal 1,13-17): Entweder soll zu Gottes Ehre die Aufgabe des Gesetzes erfüllt werden, oder der Gekreuzigte ist der Sohn Gottes, und das Gesetz hat seine tödliche Macht geoffenbart, d. h. es soll Gottes Gnade durch den Glauben an den gekreuzigten Christus im Vertrauen wahrgenommen werden (s. P. Stuhlmacher, „Das Ende des Gesetzes". Über Ursprung und Ansatz der paulinischen Theologie, Z T h K 67 [1970] 14-39, bes. 29, = Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, 1981, 166-191, bes. 181; Ch. Dietzfelbinger, Berufung, 30-42; U . Luck, Die Bekehrung des Paulus und das paulinische Evangelium. Zur Frage der Evidenz in Botschaft und Theologie des Apostels, Z N W 76 [1985] 187-208, bes. 198-203; Ch. Senft, Jésus de Nazareth et Paul de Tarse, 1985, 89-91; H. Weder, Kreuz, 186-193; J. P. Braswell, „The Blessing of Abraham" versus „The Curse of the Law": Another Look at Gal 3,10-13, WTJ 53 [1991] 7 3 - 8 1 : Das Gesetz hat Christus enterbt, zum Heiden gemacht und den Bund für die Heiden dadurch geöffnet; ganz anders E. P. Sanders, Paul, the Law and thejewish People, 1983; 17-27: Die

76

Neudefinition II: Glauben/Segen/Verheißung des Geistes und Gesetz/Fluch

3,13-14

stellvertretende Interpretation des Todes Christi ist ein dogmatisches Postulat heilsgeschichtlicher Ordnung). Impliziert ist auch, daß Dtn 21,23 auf die Kreuzigung anwendbar geworden ist, wie es die Tempelrolle 11Q19 L X I V , 6 - 1 3 Wenn ein Mann ... und er verrät sein Volk an ein fremdes Volk undfügt seinem Volk Böses zu, dann sollt ihr ihn ans Holz hängen, so daß erstirbt. Auf Grund von zwei Zeugen und auf Grund von drei Zeugen soll er getötet werden, und (zwar) hängt man ihn ans Holz (...) Wenn ein Mann ein Kapitalverbrechen begangen hat (Dtn 21,22) und er flieht zu den Völkern und verflucht sein Volk, die Israeliten, dann sollt ihr ihn ebenfalls an das Holz hängen, so daß er stirbt. Aber es bleibe ihr Leichnam nicht am Holz über Nacht hängen, begrabe sie vielmehr bestimmt noch am selben Tag, denn (/ Verfluchten) Gottes und der Menschen ist ein ans Holz Gehängter, und du sollst das Land nicht verunreinigen, das ich dir zum Erbbesitz gebe (Dtn 21,23, Übers. J . Maier) und 4 Q p N a h 8 = 4Q169 Frg. 4 1,8 belegen (s. J . A. Fitzmyer, Crucifixion in Ancient Palestine, Qumran Literature and the N T , C B Q 40 [1978] 4 9 3 - 5 1 3 ) . 14 Ergebnis: Mit Abraham sind sowohl der Segen für die Heiden (cf. V. 8) als auch die Verheißung des Geistes (cf. V. 2 - 5 ) , die beide durch den Glauben empfangen werden (cf. V. 6f), verbunden. Davon muß das Gesetz und sein Fluch für diejenigen, die e| eqyojv vöfiou leben, dissoziiert werden. Die beiden i'va-Sätze, die parallel gebaut sind und von ¿Iriyogaoev abhängen (so E. Burton, 176; H. Lietzmann, 19; anders H. D . Betz, 152: V. 14b setzt V. 14a voraus), verweisen auf eine doppelte Auswirkung des Kreuzes: 1. Die Aufhebung der Abgrenzung zwischen Juden und Heiden, indem xh eövr] Adressaten der Verheißung von Gen 2 8 , 3 - 4 geworden sind (J. L. Martyn, 3 2 4 - 3 2 8 : Die universale Macht des Gesetzes bestand gerade darin, daß es Trennungen zwischen den Menschen, u. a. zwischen Juden und Heiden bewirkte). 2. Die Aussendung des Geistes, in dem die Verheißung besteht (Gen. appos.)zu dem Glauben, s. G a l 3 , l - 5 u . 4,6(zurtveü[i,as. adGal 3,2; zu ena-f-/e)dn s. ad Gal 3,16). Die Argumentation hat zwei neue Elemente gewonnen: Zum einen bilden die Existenz aus dem Glauben und die Existenz e| egycov vöjxou zwei Systeme, die jeweils ihre theologische und existentielle Gesetzmäßigkeit haben, und zwei existentielle Haltungen, die nicht zusammengehören. Zum anderen verwirklicht sich der Abrahamsegen in der Befreiung von der Unglückssphäre des Gesetzes, d. h. im Glauben, der Abraham gerechtfertigt hat (cf. V. 6). 'Ev Trjaoij XQiaxcp kann entweder als Verweis auf die durch die Kreuzesoffenbarung gegebene Möglichkeit oder als Bestimmung der Existenz (so auch die Variante ev Xoiaxqj Tr|aoü P 4 6 A C D usw., die als Äquivalent für ev X@iaxcü, cf. Gal 2,4.17; 3,26.28; 5,6, vgl. 1,22 gemeint ist) gelesen werden. Die 1. Pers. Plur. Xäßto[iev ist mit f|[i&5 und xjjieq f|fx.r)Qovo(xia das Verhältnis Israels zum Land der Verheißung, bei den klassischen Schriftstellern den (geerbten) Besitz, und die doppelte Tendenz zur Spiritualisierung und Eschatologisierung ist sowohl im hellenistischen Judentum als auch im hellenistischen (Juden-)Christentum feststellbar (PsSal 7,2; 9,1; 14,5.9; 15, lOf; 17,23; Mk 10,17; Mt 5,5; 25,34; Lk 10,25, s. W. Foerster/J. Herrmann, ThWNT III, 766-786). XaQi^ecr&ai (cf. Rom 8,32; 1 Kor 2,12; 2 Kor 2,7.10; 12,13; Phil 1,29; 2,9; Phlm 22) wird seit Homer im Sinne von „Erfreuliches erweisen" und dann „gern geben", „sich gnädig erweisen", „verzeihen" bzw. passiv „angenehm sein" verwendet. Die Wortwahl ist eher bestimmt durch die Nähe zu X®6LS (vgl. Gal 2,19) als durch den gelegentlichen Sprachgebrauch in Hinterlegungsurkunden (s. L. Mitteis/U. Wilken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyrusurkunde 11,2, 305; H. Schlier, 149; W. Zimmerli/H. Conzelmann, ThWNTIX, 363-393, bes. 365, 379 u. 386f; H. D. Betz, 160).

3,19-22 Neudefinition IV: Funktion und Unterordnung des Gesetzes unter der Verheißung 19

Was soll nun das Gesetz? Der Übertretungen wegen wurde es hinzugefügt, bis der Same käme, dem die Verheißung gegeben wurde, angeordnet durch Engel, in der Hand eines Vermittlers. 20 Es gibt aber keinen Vermittler für einen Einzigen, Gott ist jedoch ein Einziger. 21 Steht nun das Gesetz gegen die Verheißungen (Gottes)? Nein. Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das Leben schaffen könnte, dann käme aus dem Gesetz tatsächlich die Gerechtigkeit. 22 Aber die Schrift hat alles unter der Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus den Glaubenden gegeben werde. 81

3,19-22

Der Ruf der Freiheit:

Sterben und leben mit Christus

Literatur: CH. BURCHARD, Noch ein Versuch zu Gal 3,19 und 20, in: Spuren eines Weges (Fs. B. Janowski), 1993, 6 3 - 8 1 . - CH.H. GIBLIN, Three Monotheistic Texts in Paul, C B Q 37 (1975) 5 2 7 - 5 4 7 . - F. HAHN, D a s Gesetzesverständnis i m R ö m e r - und i m Gal, Z N W 6 7 ( 1 9 7 6 ) 2 9 - 6 3 .

-

D . J . LULL, „ T h e L a w w a s o u r P e d a g o g u e " : A S t u d y in Gal 3 , 1 9 - 2 5 , J B L 105 ( 1 9 8 6 ) 4 8 1 - 4 9 8 . - D . B .

WALLACE, Gal 3,19-20: A Crux Interpretum for Paul's View ofthe Law, WTJ 52 (1990) 225-245.

D i e Trennung des Gesetzes v o m Z u s a m m e n h a n g Verheißung/Bund/Erbe Abrahams, die sich aus der Schriftauslegung und aus der U m s t r u k t u r i e r u n g der jüdischen Selbstdefinition in Gal 3 , 6 - 1 8 ergibt, wirft die Frage des theologischen Ortes und der Funktion des Gesetzes auf. D i e A r g u m e n t a t i o n gibt zunächst eine vierfache Definition, die das Gesetz gegenüber der Verheißung abgrenzt (V. 19f): 1. die Bedeutung des Gesetzes ist funktionalisiert, es ist hinzugefügt worden (vgl. Gal 3 , 1 5 - 1 8 , V. 17) wegen der Ü b e r t r e t u n g e n ; 2. seine Funktion ist zeitlich begrenzt; 3. anders als die Verheißung ist es nicht von G o t t (vgl. V. 18), sondern durch Engel gegeben w o r d e n ; 4. es ist nicht wie die Verheißung Abraham und allen Völkern direkt v o n G o t t geschenkt w o r d e n (vgl. V. 14 u. 18), sondern der Hand eines Vermittlers anvertraut worden. Bedeutet diese relativierende Definition des Gesetzes, daß das Gesetz als Antithese zur Verheißung steht (vgl. V. 18: ¿x v6|i,ou/e§ inayyeX t a ; ) ? D i e Argumentation lehnt die Vorstellung einer symmetrischen Gegenüberstellung zugunsten einer Unterscheidung zwischen Gesetz und Schrift und einer U n t e r o r d n u n g der Schrift als Gesetz unter die Verheißung (V. 21f) ab. 1. N i c h t das Gesetz, sondern G o t t rechtfertigt, weil G o t t - und nicht das Gesetz - das Leben gibt (V. 21), d. h.: D i e Existenz EQYCUV vö|xoi) steht insofern unter dem Fluch, als sie dem Gesetz eine M a c h t zutraut, die nur G o t t und seiner Verheißung gehört. 2. Ziel und Auswirkung der Schrift w a r es aber, daß alle Glaubenden die Verheißung i x JtiatECog empfangen (V. 22). 19 Definition der Funktion, der zeitlichen Begrenzung, der Herkunft und der V e r m i t t lung des Gesetzes. T i o i v 6 vö|iog ist eine elliptische Konstruktion, die sowohl „Warum das Gesetz?", „Wozu das Gesetz?" als auch „Was ist das Gesetz?" oder „Was bedeutet das Gesetz?" meinen kann; TL kann sowohl als P r o n o m e n als auch adverbial verwendet werden. Z u xi o i v s. R o m 3 , 1 ; 1 K o r 3 , 5 . D i e Variante xi o w 6 vöfiog twv JIQCI|EÜ)V ( P 4 6 usw.) ist ein Versuch, die paulinische Problematik zu entschärfen (so A. O e p k e , 115). D e r Z w e c k , zu w e l c h e m das Gesetz gegeben wurde, ist a u f die Ü b e r t r e t u n g e n bezogen. X&QIV A k k . ist zur Präposition geworden („um . . . willen", „ w e g e n " ) und kann sowohl den Z w e c k als auch den Grund angeben. In Analogie zu R o m 3,20; 5 , 1 3 . 2 0 ; 7,13 wird die Aussage so interpretiert, daß das Gesetz die Funktion b e k o m m e n hat, die Sünde offenbar zu machen (so M . - J . Lagrange, 82; F. M u ß n e r , 245) oder aktiv und aktuell werden zu lassen ( s o J . B . Lightfoot, 144f; F. Seiffert, 1 9 3 - 1 9 5 ; H . Schlier, 1 5 2 - 1 5 4 , cf. E . B u r t o n , 188), um die wahre Gerechtigkeit zu zeigen (J. Calvin). Voraussetzung dieser Auslegung ist, daß jiaQCtßaaig als Äquivalent für ct|iaQxia zu lesen ist (so E . B u r t o n , 188), o b w o h l j t a Q a ß a a t s in R o m 2 , 2 3 ; 4,15; 5 , 1 4 und jtaQaßaxrjg in R o m 2 , 2 5 . 2 7 i m m e r einzelne Übertretungen meinen. Andererseits stellen die Aussagen in R o m 3 , 2 0 ; 5 , 1 3 . 2 0 ; 7,13 die Wirkung des Gesetzes in der menschlichen Existenz fest (so auch R o m 4 , 1 5 o i 5E otw eoriv V6(X0£ OIJÖE jtaQaßaaig), während Gal 3 , 1 9 die der Einsetzung des Gesetzes zugrundeliegende Absicht teleologisch definiert. D i e Ü b e r t r e t u n g e n sind deshalb nicht als das Ziel, sondern als der Anlaß der Gesetzgebung zu verstehen (so auch C h r . Burchard, in: Spuren eines Weges, 6 6 - 6 9 ) . D i e Erklärung schließt sich an die politisch-philosophische Tradition an, die das Gesetz als notwendige Regelung der sozialen O r d n u n g betrachtet (s.

82

Neudeßnition IV: Funktion und Unterordnung des Gesetzes unter der Verheißung

3,19

Piaton, Protagoras 326d; Aristoteles, Nikomachische Ethik 5,1 p. 1129a; Politik 7,12,3 p. 1332a; Epikur, fr. 530 [H. Usener] oi vöjioi %&QIV XW\ oocpwv xeivxai, OTJ/ ÖJICOS |xf| dÖLXüaiv dXk' ÖJIC05 |if) äöixcövTai, cf. die Belege bei H. D. Betz, 164f; vgl. J . D. G. Dunn, 189f; D . J . Lull, J B L 105 [1986] 482-486, aber auchj. Calvin). ngooETetfr] verweist aufGal 3,17 („430 Jahre später"). Im Hintergrund kann aber die doppelte Vorstellung stehen, nach welcher die politischen Gesetze den Naturgesetzen hinzugefügt worden sind (so Philo, Jos 2 8 - 3 1 ) und nach welcher sich die Geschichte Israels mit Hilfe des stoischen Schemas eines guten Ursprungs und eines progressiven Niederganges interpretieren läßt (zum historischen Modell cf. Strabo 16,2,37; vgl. H. D. Betz, 167). An sich bedeutet jtQOOTidevai „ansetzen", „an-" und „hinzufügen", aber auch „Zusätze zu Abmachungen und Dokumenten machen" (s. Ch. Maurer, T h W N T V I I I , 169f). Die zeitliche Begrenzung des Gesetzes zwischen dem Sinai und Christus (ojtEQ|xa ist aus Gal 3,16 übernommen, und ¿jTrjYY6^011 pass. nimmt EJiay/eXia V. 16 u. 18 wieder auf) hat zum einen die Bedeutung einer Abwertung, sie entspricht aber zum anderen dem Geschichtsverständnis des Briefes: 1. Das Gesetz verliert seine Funktion mit der Offenbarung des Glaubens und dem Anbruch der eschatologischen Zeit (Gal 3,22 u. 2 3 - 2 9 ) , und 2. hat es seine Erfüllung in der Aussage von Lev 19,18c (Gal 5,14) und im VOJIOG tot) X Q I O T O Ü (Gal 6,2) gefunden. Seiner Finalität nach bildet das Gesetz eine bloße Parenthese (ein „Interregnum", J. Becker, 43; anders Sap 18,4; Bar 4,1; Philo, Mos 11,14; Mt 5, 17-20). "A/gig o i P 4 6 K A C D F G usw. kommt noch in Rom 11,25; 1 Kor 11,26; 15,25 vor, axe^S av B 0278 33 Clemens usw. nur hier, so daß die Auswahl zwischen dem paulinischen Sprachgebrauch und der lectio difficilior gegeben ist. Der Bund und die Verheißungen kommen von Gott (cf. V. 17 und das Pass. impers. e@eedT]aav V. 16), während das Gesetz von Engeln verordnet worden ist (zu öiat&ooeiv vö[xov s. Hesiod, 276, und zu täaaeiv v6|iov s. Piaton, Leges 9, 863d: „ein Gesetz verordnen"). Die Formulierung ist ausgesprochen unbiblisch: Die L X X verbindet nie öiatdooEiv und vö^o; (s. J . L. Martyn, 356). Vorausgesetzt ist andererseits eine Tradition, die die Anwesenheit der Engel am Sinai (Dtn 3 3 , 2 L X X ) , ihre aktive Funktion bei der Gabe oder bei der mosaischen Redaktion des Gesetzes (Jub l,27-2,l;Josephus, AJ 15,136; Apok Mos 1) erzählt, und die ihre Radikalisierung in Apg 7,38.53, cf. Hebr 2,2 findet: Der Engel und die Engel sind nicht mehr Vermittler, sondern die Gesetzgeber (s. H. Schlier, 156f; T. Callan, Pauline Midrash: The Exegetical Background o f Gal 3,19b, J B L 99 [1980] 549-567; M. Mach, Tora-Verleihung durch Engel, in: Das A T als geistige Heimat [Fs. H.-W. Wolff], 1981, 51-70). Aia meint zwar zunächst die Vermittlung und nicht den Ursprung. Aufjeden Fall wird aber Gott in diesem Zusammenhang nicht erwähnt (anders als in Rom 7,22; 8,7), gegenübergestellt werden nicht gute und böse Engel, sondern die Engel (und das Gesetz) und Gott (der Bund, die Verheißung und Christus), und die Problematik der Vermittlung ist mit Mose und nicht mit den Engeln verbunden, so daß die Aussage nicht abgeschwächt werden darf: Engel haben die geschichtliche Existenz des Gesetzes besorgt (so J . Becker, 43). Der Hinweis auf die mosaische Vermittlung (V. 19 als Tatsachenaussage und V. 20 als Wertung) ist die vierte Herabsetzung und Abkoppelung des Gesetzes von der Verheißung. 'Ev x El Q l Mcoucrfj ist in der L X X eine stereotype Formel (Lev 26,46; Num 4,37.41.45.49; 9,23; 10,13; 15,23; 17,5; 33,1; 36,13; Jos 21,2; 22,9; Ri 3,4; 1 Chr 16,40; 2 Chr 33,8; Ps 7 6 , 2 1 L X X ; Bar 2,28, vgl. Jos 17,4; H. D. Betz, 170), und die Bezeichnung des Mose als (XEOITT); ist ein Topos jüdischer Theologie (Philo, somn I, 143; Mos II, 166;

83

3,19-22

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

AssMos 1,14, vgl. Dtn 5,5; H. Schlier, 158-161; anders A. Vanhoye, U n médiateur des anges en Gai 3,19-20, Bib 59 [1978] 403-411: Der |xecrÎTï|ç kann zwar Mose als Vertreter des Volkes sein, aber auch der Engel von Apg 7,38 als Vertreter der Engel, s. Jes 23,20f; 32,34). 20 Die Mitteilung des Gesetzes durch einen Mittler disqualifiziert dieses deswegen, weil die Idee der Vermittlung eine Pluralität voraussetzt, die dem Bekenntnissatz ô ôè fteôç eïç êcrriv widerspricht: Der Gott der Verheißung ist einer, und die Verheißung hat im Unterschied zum Gesetz einen unbedingten, absoluten und universalen Charakter (so J. B. Lightfoot, 147, vgl. U. Mauser, Gal 3,20: Die Universalität des Heils, N T S 13 [1966/ 67] 258-270). Die Argumentation basiert entweder abstrakt auf der begrifflichen Definition des |xeaitr|ç (so H. D. Betz, 171 f), oder sie verweist auf die Mehrzahl der Engel, die eine Vermittlung verlangt (so A. Loisy, 156f; A. Oepke, 117-119; H. Schlier, 161fmit Verweis auf 1 Q H XIV, 13f [zwischen Gott und den Männern des Rates gibt es keinen Mittlerdolmetscher]; F. Mußner, 249), oder sie impliziert, daß die Anwesenheit eines Vermittlers die Vorstellung eines Vertrages, und daher eines Kompromisses zwischen zwei Parteien, voraussetzt, während die direkte Verheißung an Abraham aus der souveränen Freiheit Gottes erfolgte (so J. B. Lightfoot, 146f; F. Sieffert, 202-218; M.-J. Lagrange, 85f, cf. E. Burton, 190-192; T. Callan, Pauline Midrash: The Exegetical Background of Gal 3,19b, JBL 99 [1980] 549-567, bes. 555-567, der Gal 3,19b als Anspielung auf Ex 34,29 auslegt; F.J. Matera, 129, der die direkte Kommunikation zwischen Gott und Abraham und die notwendige, mosaische Vermittlung zwischen Gott und der Vielheit der Volksmitglieder einander gegenüberstellt). Auf jeden Fall legt sie den unausgesprochenen - und elidierten - Schlußsatz nahe, daß Gott dem Gesetz fremd ist (J. L. Martyn, 358, cf. 364-370: „they have to look at the vision of a godless Law"). Der Untersatz des impliziten Syllogismus (der Vermittler ist nicht Vermittler eines Einzigen, aber Gott ist ein Einziger, so daß der Vermittler Mose nicht Vermittler Gottes ist, cf. F. Mußner, 249) beruft sich auf das Grundbekenntnis Israels (Dtn 6,4, Anfang des Schemah Israel; s. 1 Kor 8,4.6): Das Gottsein Gottes duldet für seine Offenbarung keine Zwischeninstanz (so G. Ebeling, 259, s. Gal 1,10-12). 21a Die Frage ri ovv à vo^oç aus V. 19 wird reformuliert, nachdem die vier Definitionselemente in V. 19f das Gesetz vom Zusammenhang der Verheißung unterschieden und getrennt haben: Sind vojxoç und ai èjta^/eXiai kontradiktorisch, d. h. schließen sie sich aus? Unentscheidbar und ohne weitere Bedeutung ist, ob TOC deoC ursprünglich zum Text gehört oder nicht (P 46 B usw., cf. B . M . Metzger, 594f). Mr) YÉVOLTO wird doppelt begründet: Ihr Verhältnis ist asymmetrisch (V. 21b), und die Schrift als Gesetz ist der Verheißung untergeordnet (V. 22). 21b Das Gesetz bildet insofern keine Alternative zur Verheißung Gottes, als es nicht die Macht hat, lebendig zu machen, und deshalb auch nicht rechtfertigen kann (so J. Calvin). Vorausgesetzt ist zum einen, daß nur der Schöpfer der Existenz ihren Sinn und ihren Ursprung (êx, s. Gal 2,16 u. Komm.) geben kann, zum anderen, daß das Gesetz nicht Kraft Gottes ist (vgl. V. 19f). Gott macht lebendig und rechtfertigt, nicht das Gesetz (J. L. Martyn, 359: Das Gesetz ist stark genug, um die ganze Menschheit unter seinem Fluch zu halten, Gal 3,10, und gleichzeitig - wie die axoixeîa xoü xöanou, Gal 4,3 - schwach und arm, Gal 4,9). Diese Aussage widerspricht nicht der alttestamentlich-jüdischen Tradition, nach welcher das Gesetz zum Leben gegeben worden ist (Dtn 30,15-20; 32,47, s. R. Bultmann, T h W N T II, 846f), sondern sie unterscheidet zwei verschiedene Ebenen:

84

Neudefinition V: Das Ziel des Gesetzes war die Rechtfertigung aus dem Glauben

3,21—22

¡¡œojioieîv ist bei Paulus und in der frühchristlichen Literatur ein soteriologisch-eschatologischer Begriff. Subjekt ist entweder Gott (Rom 4,17; 8,11; 1 Kor 15,22; Joh 5,21; 1 Petr 3,18, vgl. 1 Kor 15,36) oder der Geist (2 Kor 3,6;Joh 6,63) oder Christus (1 Kor 15,45; Joh 5,21, s. R. Bultmann, ThWNTII, 876f; zur Argumentation s. J. S. Vos, Die Hermeneutische Antinomie bei Paulus [Gal 3,11-12; Rom 10,5-10], NT S 38 [1992] 254-270). Mit oder ohne äv ist die Form irrealis (s. M. Winger, Unreal Conditions in the Letters of Paul, J B L 105 [1986] 110-112, der auf die Parallelität mit Gal 2,21 verweist). 22 Subjekt ist nicht vôfioç, sondern f| ygacpri (d. h. der Wille Gottes, so F. J. Matera, 135; s. Gal 3,8; 4,30; Rom 1,2; 4,3; 9,17; 10,11; 11,2; 15,4; 16,26; 1 Kor 15,3f). Einerseits wird im ganzen Brief das Gesetz konsequent als passives Objekt betrachtet (s. V. 19f), während die Schrift als aktive Instanz personifiziert wird (so Gal 3,8; H. D. Betz, 175, vgl. H. Schlier, 164f; anders J. B. Lightfoot, 147f u. E. Burton, 196: In den Paulusbriefen verweist in der Regel YQaQOUQOij|j.eda hervorgegangen zu sein (so J. B. Lightfoot, 149); es enthält drei Ideen, die sich von der Christusoffenbarung her auf die Auswirkung des Gesetzes übertragen lassen: 1. Seine Rolle ist zeitlich begrenzt; 2. sie ist durch ein Ziel außerhalb von sich selbst bestimmt: Das Erwachsen-Werden des Kindes, cf. Gal 4,1-7 (s. Xenophon, Lakedaimonion politeia 3,1 öxav ye fif)v êx Ttaiôcov eiç TÔ [leigcwaoCadai exßaiva>ai, TTjvixaöxa oi |ièv àXkoi Jicaiouai |ièv COTÔ naiôaycoyœv, jtaijouai ôè xai ànô ôiôaaxâXajv, aQ/oucu ôè OTJÔÉVEÇ ËTI atJTûjv, àkX' AT)TOVÔ|xouç àcpiâaiv: „Wenn ein Junge aufhört, ein Kind zu sein und ein junger Mann wird, dann befreien ihn andere vom Zuchtmeister und vom Lehrer, niemand herrscht mehr über ihn, und er darf seinen eigenen Weg gehen"; N. H. Young, PAIDAGOGOS: The Social Setting of a Pauline Metapher, NovT29 [1987] 150-176); 3. Sekundär ist die in V. 23 zum Ausdruck gebrachte Unfreiheit des Kindes (s. Piaton, Lysis, 208c 'All' ap/Ei TÎÇ aou; - "Oôe, jtaiôaycoyôç, ecpr|. - Mcöv ôoûXoç cov; - 'AXkh ti jriyv; 'Hixéxegôçye, ëepr). - TH ÔEIVÔV, ijv ô'éycô, ek£V-&£Qov övxa ijjtô bovXov ägxeadai: „Sondern es regiert dich einer? - Hier der Knabenführer, sagte er. - Ist der auch ein Sklave? - Was sonst? Unserer wenigstens. - Gewiß, sagte ich, ist es arg, daß du, ein Freier, von einem Sklaven regiert wirst"). Die Aufgabe des Jtaiôaycoyôç ist in der antiken Schule vom Unterricht des ôiôdaxaXog („Lehrers") zu unterscheiden: Der Pädagoge begleitet und schützt das Kind auf seinem Wege zur und von der Schule (Piaton, Lysis, 208c: Ti ôè Jtoicöv a ï ovtoç ô Jtaiôaycoyôç aov Ä G / E I ; - "Aycttv ôr|jtou, ëepr), eiç ôiôaaxâXov: „Was tut eigentlich dieser Knabenführer, daß er dich regiert? - Er fuhrt mich eben zum Lehrer"; deshalb trägt er Stab und Lampe) und ist für seine Erziehung vom 6./7. Lebensjahr bis zum Ende der Primarschule (wenn der Knabe oder das Mädchen schreiben und lesen kann) verantwortlich (s. E. Schuppe, in: A.F. Pauly/G. Wissowa 18, 2375-2385; M. P. Nilsson, Die hellenistische Schule, 1955; H.-I. Marrou, L'histoire de l'éducation dans l'Antiquité, 1948, 19657, 220f; M. Rostovtzeff, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt I, 1955, Tafel X X X ; E. Burton, 200f; A. Oepke, 121-123; L. L. Belleville, JSNT 26 [1986] 59-63). 'Ex TUOTEÛJÇ ôixaicoiWjvai ist das existentielle Äquivalent für jticmç in 88

Neudefinition V: Das Ziel des Gesetzes war die Rechtfertigung aus dem Glauben

3,24—25

V. 23ab, und ïva konsekutiv oder final nimmt eiç aus V. 23 teleologisch wieder auf. Die Aussage ist weder, daß das Gesetz die heilsgeschichtliche Funktion hatte, auf die Gnade Christi vorzubereiten (so J . Calvin; G. Bertram, T h W N T V, 5 9 6 - 6 2 4 , bes. 619; D . J . Lull, J B L 105 [1986] 4 8 1 - 4 9 8 ; T. J . Gordon, N T S 35 [1989] 150-154), noch, daß es gegeben wurde, um den Menschen in die volle Wirklichkeit der Sünde hineinzustellen (so F. C. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, 1864, 169f), damit er das Entweder/Oder der Gesetzeswerke und des Glaubens verstehen kann (so R . Bultmann, Theologie des N T § 27, bes. 266f); gemeint ist vielmehr, daß die Christen ihre Vergangenheit unter dem Gesetz nur als zeitbegrenzte und nun überholte Vorbereitung auf die christliche Freiheit, die sich auf die Offenbarung der Rechtfertigung beruft, sehen können. 25 Die doppelte, evidente Konsequenz der Analogie ist zum einen, daß die Christen nicht mehr Kinder, sondern mündig sind, und zum anderen, daß die Schrift ihre Funktion als Gesetz verloren hat (imo naibaywyôv = xoto vô^ov). Zu êWkworiç nxX. s. V. 23 u. K o m m . 2 6 - 2 8 Das V. 2 3 - 2 5 Gesagte gilt insofern für die Adressaten (2. Pers. Plur.), als auch sie alle geglaubt haben. Drei Aussagen sind durch ein System von Implikationen logisch verbunden (yctQ in V. 26, 27 u. 28) und interpretieren ihr Überzeugungssystem und ihre Einstellungen durch die Beschreibung von Tatsachen oder von Ergebnissen von Fakten (alle Verben sind im Indik. gebraucht): 1. Wer getauft worden ist, hat Christus angezogen. 2. Wer Christus angezogen hat, ist durch den Glauben zum Gottessohn geworden. 3. Wer Christus angezogen hat, der ist von der alten Welt und von ihren Antinomien befreit, er ist in die neue Schöpfung verwandelt worden, und er befindet sich in einer Gemeinschaft, in der Person und Eigenschaften unterschieden werden, in der jeder Einzelne als Person anerkannt ist, und in der die Eigenschaften nicht diskriminierend sein dürfen. Cf. B . Pascal, Pensées Br. 323 = M S L 688, série 25: Qu'est-ce que le moi? U n homme qui se met à la fenêtre pour voir les passants; si j e passe par là, puis-je dire qu'il s'est mis là pour me voir? Non; car il ne pense pas à moi en particulier; mais celui qui aime quelqu'un à cause de sa beauté, l'aime-t-il? N o n : car la petite vérole, qui tuera la beauté sans tuer la personne, fera qu'il ne l'aimera plus. Et si on m'aime pour mon jugement, pour ma mémoire, m'aime-t-on? moi? Non, car j e puis perdre ces qualités sans me perdre moi-même. O ù est donc ce moi, s'il n'est ni dans le corps, ni dans l'âme? et comment aimer le corps ou l'âme, sinon pour ces qualités, qui ne sont point ce qui fait le moi, puisqu'elles sont périssables? car aimerait-on la substance de l'âme d'une personne, abstraitement, et quelques qualités qui y fussent? Cela ne se peut, et serait injuste. O n n'aime donc jamais personne, mais seulement des qualités. Qu'on ne se moque donc plus de ceux qui se font honorer pour des charges et des offices, car on n'aime personne que pour des qualités empruntées. „Was ist das Ich? Wenn ein Mensch sich ans Fenster setzt, um die Vorübergehenden zu beobachten, und ich gehe an ihm vorbei, kann ich dann sagen, daß er sich ans Fenster gesetzt hat, um mich zu sehen? Nein; denn er denkt nicht an mich im besonderen; aber der, welcher jemanden um seiner Schönheit willen liebt, liebt der ihn? Nein; denn die Blattern, welche die Schönheit töten, ohne die Person zu töten, werden bewirken, daß er ihn nicht mehr liebt. Und wenn man mich um meines Urteils, meines Gedächtnisses willen liebt, liebt man dann mich? Nein! denn ich kann diese Eigenschaften verlieren; ohne mich selbst zu

89

3,23-29

Der Ruf der Freiheit:

Sterben und leben mit

Christus

verlieren. Wo ist also dieses Ich, wenn es weder im Leibe noch in der Seele ist? U n d wieso liebt man den Leib oder die Seele, wenn nicht u m dieser Eigenschaften willen, die nicht das sind, was das Ich konstituiert, da sie vergänglich sind? Könnte man denn die seelische Substanz einer Person abstrakt lieben und unabhängig von den Eigenschaften, die sich darin befinden? Das ist unmöglich und wäre ungerecht. Man liebt also nie jemanden, sondern immer nur Eigenschaften. Man mache sich also nicht mehr lustig über die, welche sich um ihrer Ämter und Aufgaben willen ehren lassen, denn man liebt die Menschen nur u m ihrer Eigenschaften willen. " 26 nâvxeç ycxQ mX. begründet formal die 1. Pers. Plur. communie, der V. 2 3 - 2 5 und sachlich die Auslegung der Bekehrungsgeschichte der Adressaten mit Hilfe des allgemeinen Interpretationsmodells „vor dem Glauben"/„seitdem". Der Übergang hat die pragmatische Funktion, die Leser und ihre Erfahrung in den Vorgang der Argumentation einzubeziehen (s. R. Jakobson, Shifters, verbal catégories, and the Russian verb, Russian Language Project, 1957, fr. in: Essais de linguistique générale, 1963, 176-196). Die Bezeichnung der Adressaten als uioi OEOTJ stellt zum einen eine gegenwärtige Sohnschaft der vergangenen Unterworfenheit eines Sklaven gegenüber (moi freofi = EX JÛCTCECOÇ, S. Gai 4,5-7; R o m 8,14f, vgl. téxva Qeov R o m 8,16f). Z u m anderen qualifiziert sie die Adressaten als die Erwählten und als das Volk Gottes (s. Gebet Josephs, Fragm. A, 190; PsSal 17,27 ÖTL JTÂVTEÇ mol deoû eiaiv AIIXCOV; G. Fohrer/E. Lohse/E. Schweizer, T h W N T VIII, 340-395, bes. 347-355, 360fu. 394f; B. Byrne, „Sons o f G o d " - „Seed of Abraham". A Study of the Idea of the Sonship of God of All Christians in Paul against the Jewish Background, AnBib 83, 1979, 165-174). Die Vermittlung der Gottessohnschaft geschieht ôià tfjç maTECOÇ (und nicht êï; SQymv vö(xou oder êx vö|xou, cf. Gal 2,16.21; 3,2.5.8f. 10-12), d . h . auch êv XQLOXÖ 'Irjoofi (P 4 6 schreibt hier wie in Gal 2,16; 3,22 ôià Jtiaxeroç XQIOTOÎ) 'Ir)aoi3). 'Ev Xçiaxm 'IT)OOÎ3 ist aber nicht auf Jticruç (Paulus konstruiert moTiç nicht mit êv, vgl. Kol 1,4; Eph 1,15, sondern mit Genitiv, Gal 2,16.20; 3,22; R o m 3,22.26; Phil 1,27; 3,9), sondern auf èoxe bezogen: Christus ist nicht der Inhalt des Bekenntnisses, sondern er gibt die Möglichkeit des Glaubens, und èv XQIOXW verweist sowohl auf die Christusoffenbarung, die die christliche Freiheit begründet (Gal 2,17; 3,14; 5,10), als auch auf die soteriologisch-eschatologische Gemeinschaft und Herrschaft Christi, die ihren Raum bestimmt und strukturiert (Gal 2,4; 3,28; 5,6; M. Bouttier, En Christ, E H P R 5 4 , 1962, 132f). 2 7 "OOOL n i m m t auf JtdvTEÇ in V. 2 6 unmittelbar bezug. Die Argumentation ist parallel zu R o m 6 , 3 (öaoi äßajrtia Xoiotoî sind nicht als symmetrische Antithese bzw. als Alternative zu verstehen: Es gibt nicht zwei Rechtfertigungswege. Die These ist vielmehr: Der Mensch wird nur durch den Glauben gerechtfertigt, weil dem Gesetz nicht die Macht gegeben wurde, lebendig zu machen (vgl. Gal 3,11.21). Die paradoxe Aussage, daß keiner ëgyœv vÓ(ìod gerecht wird, wenn er nicht durch den Glauben an Christus gerechtfertigt wird (éàv nr|, Gal 2,16), erklärt sich dadurch, daß der Mensch, der geglaubt hat, seine Identität als neue Schöpfung nicht aufgeben kann. Die Unterscheidung der Ebenen bzw. die Trennung des Gesetzes von der Problematik der Gerechtigkeit ist zum einen die Voraussetzung fur die zweifache, positive Wiederaufnahme des Begriffes des Gesetzes in Gal 5,13-6,10 (Gal 5,14 ó y5 ¿y(h (V. 12) ist eine erste Variation der Aufforderung, in der von Christus gegebenen Freiheit zu bleiben (V. 12—20).

4,1-7 Die Adressaten sind nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben 'ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich durch nichts v o n einem Sklaven, o b w o h l er der Herr über alles ist, 2 sondern ist unter Vormündern und Verwaltern bis z u m v o m Vater festgesetzten Termin. 3 So waren auch wir, als wir unmündig waren, unter den Weltelementen versklavt. 4 Aber als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, v o n einer Frau geboren, unter das Gesetz getan, 5 u m die unter d e m Gesetz freizukaufen, damit wir die Sohnschaft empfingen. 6 Weil ihr aber Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der ruft: Abba, Vater! 7 So bist du kein Sklave mehr, sondern Sohn. Bist du aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott. Literatur: C . E . ARNOLD, R e t u r n i n g t o the D o m a i n of the P o w e r s : Stoicheia as Evil Spirits in Gal 4,3.9, N o v T 38 (1996) 5 5 - 7 6 . - A . BADIOU, Saint Paul, 4 3 - 5 7 . - L. L. BELLEVILLE, „ U n d e r L a w " : Structural Analysis and the Pauline C o n c e p t of L a w in Gal 3 , 2 1 - 4 , 1 1 , J S N T 26 (1986) 5 3 - 7 8 . A. M . BUSCEMI, Libertà e Huiothesia. S t u d i o esegetico di Gal 4 , 1 - 4 , S B F L A 31 (1981) 5 9 - 7 4 . - A. DUPREZ, N o t e sur le rôle d e l'Esprit-Saint dans la filiation d u chrétien. À p r o p o s d e Gal 4,6, R S R 52 (1964) 421-431. - D . J . LULL, T h e Spirit in Galatia. Paul's I n t e r p r e t a t i o n o f Pneuma as D i v i n e P o w e r , S B L D S 49, 1980, 9 9 - 1 8 5 . - W . MARCHEL, „ A b b a , Père!" La prière d e Jésus et des chrétiens, A n B i b 19, 1971 2 . - J . L . MARTYN, C h r i s t and the E l e m e n t s of the C o s m o s , in: Issues, 1 2 5 - 1 4 0 . - D . R . MOORE-CRISPIN, Gal 4 , 1 - 9 : T h e U s e and A b u s e of Parallels, E v Q 60 (1989) 2 0 3 - 2 2 3 . - B . REICKE, T h e L a w and this W o r l d A c c o r d i n g to Paul. S o m e T h o u g h t s c o n c e r n i n g Gal 4, 1-11, J B L 70 (1951) 2 5 9 - 2 7 6 . - PH. VIELHAUER, Gesetzesdienst u n d Stoicheiadienst i m Gal, in: R e c h t f e r t i g u n g (Fs. E. K ä s e m a n n ) , 1976, 5 4 3 - 5 5 5 . - S. ZEDDA, L ' a d o z i o n e a figli di D i o e lo Spirito S a n t o , A n B i b 1, 1952.

Mit Hilfe einer doppelten Metaphorik (zum einen die Gegenüberstellung vr|jtios als unmündiger Erbe/xÄ.T]QOVÖ[U)S in V. 1-3.7, die zum anderen mit der Antithese bovKocJ uiög in V. 3—7 kombiniert ist) schließt die Argumentation eine Deutung der religiösen Geschichte der Adressaten an, die unter neuen, durch die theologischen Erläuterungen und Neudefinitionen von Gal 3,6-29 gewonnenen Perspektiven die Rekonstruktion und die Interpretation von Gal 1,6-9 u. 3,1-5 wiederholt und weiterentfaltet. Thema ist zunächst der Übergang der Adressaten vom Heidentum (V. 3: iutö t ä crcoixeici toxi xöa[xou, vgl. V. 8f) zum Christentum. V. 1 - 3 sind ein figurativer Vergleich (s. B. Dupriez, Gradus, 122-124), der die menschliche Befindlichkeit vor dem Christ-Werden 97

4,1-7

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

bewertet: 'Hfieig, d. h. die zukünftigen Christen, waren bereits Erben, aber unmündig (vfjmoi, V. 1.3) und deswegen versklavt (öeöoi)X.ü)[jivoi, V. 3, vgl. íoto . . . écrcív V. 2). Die Verbindung der beiden Metaphern (Unmündigkeit/Sklaverei) bereitet die Formulierung der eschatologischen bzw. heilsgeschichtlich-apokalyptischen Wende in Christus vor: Gott hat seinen menschgewordenen Sohn gesandt, um die Menschen vom Gesetz zu befreien und ihnen den Status der Sohnschaft zu geben. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Knechtschaft der Heiden und der Juden unter den axoi/eía tot) xóafi.ot) und unter dem Gesetz Äquivalente waren, so daß die Sendung des Sohnes (die auf dem Hintergrund von Gal 3,13, vgl. Rom 8,3 zu verstehen ist) von der Sklaverei sowohl unter dem Gesetz als auch unter den atoixeia toxi xóa|xoi) befreit hat (V. 4f). Die Argumentation nimmt dann auf die in Gal 3 , 1 - 5 bereits erwähnte Geisteserfahrung der Adressaten Bezug, um sie vom Epochenwechsel und vom neuen Status des Adressaten her zu deuten (V. 6), und zieht die Konsequenzen: Sie (der Wechsel von der 2. Pers. Plur. V. 6 zur 2. Pers. Sg. V. 7 hat die Funktion der Verallgemeinerung) sind nicht mehr Sklaven (des Gesetzes bzw. der otoixela xot> xóo|xou), sondern Söhne und deswegen Erben (V. 7, vgl. Gal 3,29). l f Bildhälfte. Der Performativ Xeyw öe hat illokutorische Funktion: Die darauffolgende Mitteilung wird als Faktum hingestellt, das die Leser zu bestimmten Schlußfolgerungen und zu einer Entscheidung zwingt (s. O. Ducrot, 2 7 9 - 3 0 5 ; Gal 3,17; 5,2.16; Einleitung 3: Aufbau). Der Vergleich kombiniert die Metaphern des Testamentes (Gal 3,15-18) und des Pädagogen (Gal 3 , 2 3 - 2 5 , s. M.-J. Lagrange, 95) und wiederholt die Anwendung des biographischen Interpretationsmusters von Gal 3 , 2 3 - 2 5 auf die Geschichte der Adressaten (2. Pers. Plur. V. 6f//2. Pers. Plur. Gal 3 , 2 6 - 2 9 , so H. D. Betz, 202; G. Ebeling, 283). Die Akzente haben sich insofern verschoben, als die Mündigkeit/ Gottessohnschaft, die aus der Predigt des Evangeliums (Gal 3,25f) bzw. aus der Aussendung des Sohnes folgt (V. 4f), nicht nur als das Ende und das Ziel einer vorläufigen Unterwerfung unter das Gesetz interpretiert ist, sondern auch als Befreiung von einer Diskrepanz: In ihrer Vergangenheit im Judentum oder im Heidentum (iutö t a atoixeia xotj xóo[xod) waren die Glaubenden zum einen noch wie Sklaven, zum anderen aber bereits Söhne und Erben. Darin zeigt sich, daß das Thema weiterhin die religiöse Geschichte der Christen im allgemeinen und der Adressaten im besonderen bleibt (und nicht die Heilsgeschichte, wie e s j . Calvin; M.-J. Lagrange, 95f; P. Bonnard, 83f denken, obwohl sie alle dann eingestehen müssen, daß der Vergleich „cloche" [soj. Calvin] bzw. hinkt: Die zeitgenössischen Gläubigen sind mit den alttestamentlichen Menschen, die unter dem Gesetz gelebt haben, nicht identisch). Die Vergangenheit wird ausgelegt vom Augenblick der Befreiung und der Gottessohnschaft her, der die Gegenwart bestimmt und die Grundlage für die Entscheidung angesichts der Zukunft bildet. 1 Anders als in Gal 3,29; 4,7; Rom 4,13f; 8,17 bzw. Gal 4,3; Rom 2,20; 1 Kor 3,1; 13,11 sind die beiden Begriffe xA.T)Q0VÓ|í05 und vrjjtiog nicht im übertragenen Sinne gebraucht, sondern fuhren als Vergleichselemente einer Analogie (s. J . L. Martyn, 3 8 4 - 3 8 7 ) einen Fall aus der Rechtspraxis ein. 'Ecp' öoov xqóvov verweist auf &xql mk. in V. 2: Die Befindlichkeit des unmündigen Kindes ist zum einen die des Sklaven; ov)6ev SictcpeQEi bovXov ist keine Übertreibung, sondern beschreibt von der Sachhälfte her die Bestimmung der Existenz durch fremde Mächte (vgl. V. 2). Zum anderen und unter einem anderen Aspekt ist das Kind Herr über alles. "Qv ist konzessiv. Innerhalb der Bildhälfte meint wúgiog „Hausherr" (cf. M t 20,8; 21,40), von der Sachhälfte her betrach-

98

Die Adressaten sind nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben

4,1-3

tet verweist der Begriff auf die Freiheit der Gotteskinder (cf. Gal 5,1.13; R o m 8,21; in den paulinischen Briefen ist xijqioc; sonst fast immer christologischer oder theologischer Titel). 2 Grund für die Unfreiheit des unmündigen Kindes (oiiöev . . . dXka) ist seine vertragliche Unterordnung unter Aufsichtspersonen. 'Ejutqojios (lat.: tutor impuberis) ist der terminus technicus fiir den Altersvormund (Herodot IV, 147; I X , 10; Thukydides 11,80; Piaton, Leges VI, 766c; Xenophon, Memorabilia 1,2,40, vgl. 2 Makk 11,1; 13,2; 14,2; Josephus, B J 1,49; anders F. Sieffert, 233: Gemeint ist allgemeiner jeder Aufseher und Obwalter, s. Herodot 1,108; Pindar, Olympien 1,171; Xenophon, Oeconomicus 21,9, usw., der den Tod des Vaters nicht voraussetzt). Überraschend sind 1. die Nebeneinanderstellung mit dem allgemeinen Begriff outovönog (Demosthenes, Contra Nausimachus, 988,2, schreibt: Ijutqojio? xai xr|öefi.ü)V für einen einzigen Mann; oixovöfiog, vgl. R o m 16,23; 1 K o r 4 , l f , = „Hausverwalter", s. O. Michel, T h W N T V , 151-153; L . L . Belleville, J S N T 26 [1986] 5 9 - 6 3 ) , 2. der doppelte Plural und 3. die terminliche Festlegung äx@i xfjg jiQO'ö'EOUxag tot) jtaxgög, die mit den Bestimmungen des römischen Rechtes konkurriert. Nach der Lex duodecim tabularum ist die tutela testamentaria als Form der tutela impuberis vorgesehen: Der paterfamilias bestimmt einen tutor oder mehrere tutores, die nach seinem Tode seine Rechte übernehmen; die tutela besteht für die minderjährigen Kinder, d. h. seit der Kaiserzeit bis zum vollendeten 12. Jahr für die Mädchen und 14. Jahr für die Knaben (s. M . Käser, Das römische Privatrecht I, Rechtsgeschichte des Altertums 3,3,1, = HbdA 10,3,3,1, 1971^; E . Sachers, Art. tutela, in: A . F . Pauly/G. Wissowa 11,7, 1497-1600). Die Festlegung einer Frist (jigodeojiia ist auch ein juristischer Terminus, s. Piaton, Leges X I I , 954d; Josephus, AJ 12,201) setzt entweder voraus, daß die Volljährigkeit im 1. Jhdt noch empirisch festgestellt wurde und das Ende der tutela flexibel vorherbestimmt werden konnte (so M . - J . Lagrange, der einen B r i e f von E. Cuq als Autorität zitiert), oder sie wird von der hellenistischen Rechtspraxis her erklärt (so W. M . Ramsay, 3 9 1 - 3 9 3 ; O . Eger, Rechtswörter und Rechtsbilder in den paulinischen Briefen, Z N W 18 [1917] 8 4 - 1 0 8 , bes. 105-108; W. M . Calder, Adoption and Inheritance in Galatia, J T S 31 [1930] 3 7 2 - 3 7 4 ; H. Schlier, 189, cf. P O x y 487; 491; 495; Fouad 28) oder dadurch, daß Paulus Situationen wie 1 Makk 3,32f; 6,17; 2 Makk 10,11; 11,1; 13,2; 14,2 im Blick hat (so E. Burton, 213f). Wahrscheinlicher ist aber, daß juristische Unstimmigkeiten durch die Sachhälfte, d. h. durch die Spannung zwischen der Kontinuität der Verheißung und der durch das Christusereignis eingeführten, eschatologischen Diskontinuität bedingt sind (so E . Burton, 214; H. D. Betz, 204; J . D . Hester, The „Heir" and Heilsgeschichte: A Study o f Gal 4 , l f f , in: Oikonomia [Fs. O . Cullmann], 1967, 118-125; ders., Paul's Concept o f Inheritance. A Contribution to the Understanding o f Heilsgeschichte, 1968; anders F. Lyall, Roman Law in the Writings o f Paul - Adoption, J B L 88 [1969] 4 5 8 - 4 6 6 , der eine sachliche Entsprechung zwischen der göttlichen adoptio und der Metapher der patria potestas sieht): Die plurale und unscharfe Formulierung imö ¿lUTQÖJiOug ¿oaiv xcd oixov6|iou5 kann sowohl die Doppelung „unter dem Gesetz"/„unter den Weltelementen" als auch die Pluralität der Letzteren widerspiegeln (so J . Becker, 47), und a%Qi xxX. kündigt öte 6b x t L V. 4 an. 3 Sachhälfte. In der Vergangenheit (vr|juoi hier im übertragenen Sinne) waren Paulus und seine Adressaten (f|[ieis) durch die Elemente der Welt versklavt. Der Begriff der otoixeia tov xöanou (Kol 2,8.20; Philo, aet 109; her 134.140; OrSib 2,206f; 3 , 7 9 - 8 2 ; 8,337f, vgl. dcr&evfj x a i jtTooxa otoixeia Gal 4,9) gehört zur antiken Physik. Die atoi-XEia bezeichnen allgemein Elemente, aber OTOi/eia toC xöo|k>v (auch oft toü Jiavxög) sind die

99

4,1-7

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

vier Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde, die die Schöpfung konstituieren (so Philo, op 38.52.84.131.146; eher 127; det 8; gig 22; imm 46; plant 10; her 152.197.209.226f; congr 117; somn 1,21.212; Ahr 162; Mos I,96f.l55f; II, 53.88.121.148.154.267.286; dec 31; spec 1,208.266,294.328; 11,151.255; virt 73; praem 44; contemp 3f; aet 6.29.61.74.78.90.103.107.111 [mit Verweis aufHeraklit, fragm 60 H. Diels/W. Kranz], 116.123.144; Flacc 125; Gai 80). Die Vorstellung erscheint zum ersten Mal in den Fragmenten des Empedokles, die sowohl den Begriff der crcoixeia (fragm. 7, H. Diels/W. Kranz I, 312: áyévr|TA: atoi/Eia) als auch die Auflistung der vier Elemente einführen (fragm. 17, H. Diels/W. Kranz I, 316); sie findet ihre theoretische und geometrische Weiterführung in Piaton, Timaios 53d-57d; und sie wird sowohl von Aristoteles als auch von Chrysipp und den Stoikern sowie vom hellenistischen Judentum, Sap 7,17, 19,18-22, rezipiert (s. E. Burton, 510-518; Ph. Vielhauer, in: Rechtfertigung [Fs. E. Käsemann], 1976, 543-555; G. Delling, ThWNTVII, 666-687; J. Blinzler, Lexikalisches zu dem Terminus t a atoi/Eia TOÜ xóa|iou bei Paulus, AnBib 17/18,11, 1963, 429-443; L.L. Belleville, JSNT 26 [1986] 64-69; E. Schweizer, Slaves of the Elements and Worshippers of Angels: Gal 4,3.9 and Col 2,8.18.20, JBL 107 [1988] 455-468; D. Rusam, Neue Belege zu den OTOixeia TOC xóo|iov [Gal 4,3.9; Kol 2,8.20], ZNW 83 [1992] 119-125; J. L. Martyn, Issues 124-140). Die axoi/eía sind die elementaren Stoffe der Natur, so daß sich das 0EÖOUA.CD[1£VOI eivai der vorchristlichen Zeit des Apostels und seiner Adressaten aus einer Verwechslung des Schöpfers und der Schöpfung ergab (vgl. Rom 1,18-23: Die Erhebung der Geschöpfe zur Gottheit und die Apotheose des Kosmos ist die Lüge, in die die Menschen Gottes Wahrheit verkehrt haben, s. H. Schlier, Über die Erkenntnis Gottes bei den Heiden, EvTh 2 [1935] 9-26; G. Bornkamm, Die Offenbarung des Zornes Gottes [Rom 1-3], in: Das Ende des Gesetzes. Paulusstudien, Gesammelte Aufsätze I, BEvTh 16, 1966, 9—33; das Gesetz und die axoixelct sind dadurch die Mächte geworden, die die alte Welt beherrschten, s. Gal 1,4 u. 6,14f). Sie waren insofern vfjjuoi, als sie ihr Vertrauen in Elemente, die schwach und keine Götter sind (Gal 4,8f) bzw. in ein Gesetz, das nicht lebendig machen kann (Gal 3,21b), gesetzt haben. „Aus/unter dem Gesetz" und „unter den Weltelementen" sind heilsgeschichtliche und anthropologische Äquivalente, die aus demselben theologischen Mißverständnis folgen (s. Ph. Vielhauer, 553-555). 4f Die Wende: Die Aussendung des Sohnes. Die Formulierung besteht aus 1. einer eschatologischen Zeitangabe (V. 4a, der á/QL %TK. V. 2 wiederaufnimmt), 2. drei christologischen Aussagen (der Hauptsatz der göttlichen Entsendung des Sohnes, V. 4b, und zwei parallele Partizipialsätze mit yEVÓnevov, V. 4c) und 3. zwei parallelen, soteriologischen iva-Sätzen (V. 5a u. 5b). Rein formal ist die Konstruktion parallel zu Gal 3,13f: Die Haupthandlung (Aor: élr)7ÓQaaev//é|ajtécrteiXEv) wird durch eine Leistung des Sohnes erklärt (Y£vón.Evog//Yevó|j.Evov + yevonevov), die zu ihrem Ziel führt (iva + iva//íva + i'va; cf. R. B. Hays, Faith, 85-137, der die beiden Formeln so kombiniert, daß sie eine narrative Einheit bilden: Gal 4,3 + 4,4b.5 + 4,4c + 3,13 + 3,14; 4,6). Grammatikalisches und inhaltliches Zentrum von Gal 4,4f ist die Sendungsaussage, die in vergleichbaren Formeln in Rom 8,3f; Joh 3,16f; 1 Joh 4,9.10.14 und in der Erzählung von Mk 12,1-12 wiederkehrt. Es wurde deshalb vermutet, daß Paulus eine traditionelle Formel bearbeitet (so A. Seeberg, Der Katechismus der Urchristenheit, 1903, = ThB 26, 1966, 59-61; W. Kramer, Christos Kyrios Gottessohn, AThANT 44, 1963, § 25, der V. 4b. 5b für vorpaulinisch hält; E. Schweizer, ThWNTVIII, 376f.385f; ders., Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der .Sendungsformel' Gal 4,4f; Rom 8,3f; Joh 3,16f; 1 Joh 4,9, ZNW 57 [1966]

100

Die Adressaten sind nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben

4,4-5

199-210, = Beiträge zur Theologie des NT. Neutestamentliche Aufsätze [1955-1970], 1970, 8 3 - 9 5 , der den Hintergrund der Formel in Sap 9,10—17 und der Verbindungen mit Gal 4,6 in Philo, agr 51 und conf 145-148 sieht; U . Luz, Das Geschichtsverständnis des Paulus, B E v T h 49, 1968, 2 8 2 f ; J . M . Robinson, Kerygma und historischer Jesus, 1960, 69 u. 175, liest aber V. 4c.5 als eine Variation von Rom l,3f). Wahrscheinlicher ist es, daß Paulus traditionelle Motive aufnimmt und einsetzt, um in Gal 3,13 u. 4 , 4 f wie in Rom 8,3f sein Verständnis des Christus- und Heilsereignisses in eine knappe Formel zusammenzufassen (so F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, 1963, 1966 3 , 315-317; K. Wengst, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, S t N T 7 , 1972, 59; J . Blank, Paulus und Jesus, 2 6 0 - 2 6 3 ; A. Badiou, Saint Paul, 4 3 - 5 7 u. 67-78: Die Vorstellung der Aussendung bedeutet, daß Gott, der Vater, Sohn geworden ist: durch diesen Verzicht auf die Transzendenz wird der Mensch als Sohn und als individuelles Subjekt konstituiert, und das Kreuz „est le montage d'une immanentisation de 1'esprit"). 4 Die eschatologische Zeitangabe V. 4a hat die Funktion, den Augenblick der Menschwerdung des Gottessohnes als das Ereignis, das die Menschengeschichte strukturiert, zu qualifizieren. Die Wendung xô JiXr|QCO|xa to13 XQÖvou kommt nur hier bei Paulus vor, aber Äquivalente finden sich in M k 1,15; Joh 7,8; Eph 1,10. Die Metaphorik der „Fülle der Zeit" gehört genauso wie die Vorstellung der zwei Äonen zu einem Geschichtsverständnis, das auf die Vollendung einer vorausgehenden Verheißungs- und Wartezeit verweist (Tob 14,5; ApkBar[syr] 30,1; lQpHab VII,2; Test Jud. 9,2). 'EÇajtoaxéUeiv kommt sehr oft in der L X X mit Gott als Subjekt vor, wird llmal im lukanischen Doppelwerk, u. a. Apg 9,30; 11,22; 17,14; 22,21 in bezug auf die Aussendung von Aposteln, gebraucht, aber ist nur zweimal (parallel hier in V. 4b u. 6) bei Paulus belegt (in Rom 8,3 schreibt er Jié|ii|)aç). Die Implikation des Entsendungsgedanken ist nicht die Präexistenz des Gottessohnes (so vielleicht 1 Kor 8,6; 2 Kor 8,9; Phil 2,6), sondern vielmehr die Interpretation des Lebens und des Todes Jesu als Offenbarung Gottes (s. Gal 1,12.16; anders D. R. Schwartz, T w o Pauline Allusions to the Redemptive Mechanism o f the Crucifixion, J B L 102 [1983] 2 5 9 - 2 6 8 : Hintergrund von f^ajtomxUeiv ist hier Lev 14,7.53; 16,10.21 f.26). Entweder sind die beiden yevönEVov-Partizipialsätze Äquivalente: Betont wird wie in Phil 2,7 die Menschwerdung des Gottessohnes (êx yuvcuxoç und iijto v6|xov definieren die menschliche Befindlichkeit; zu êx yuvaixoç s. Mt 11,11; E. de Roover, La maternité virginale de Marie dans Gal 4,4, AnBib 17-18, II, 1963, 17-38; B . Corsani, 262; iura v6|xov = er ist wie jeder Mensch unter der Macht des Gesetzes gewesen, vgl. V. 1 - 3 , oder „er ist als Jude geboren", so J. L. Martyn, 390), und genannt wird das Ziel seiner Mission (V. 5), ohne daß die Erfüllung seiner Aufgabe erzählt wird (so R. B . Hays, Faith, 105f: Wie Christus uns vom Fluch des Gesetzes befreit, wissen die Leser bereits, vgl. Gal 3,13, so daß die Geschichte abgekürzt wiedererzählt werden kann). Oder sie verweisen auf zwei Ereignisse, auf die Menschwerdung und auf das Kreuz (so E. Schweizer, T h W N T VIII, 385: yevönevov èx ywcnxôç gehörte zu der traditionellen Formel, yevönevov tjjio v6|iov ist ein paulinischer Zusatz), und xotö v6|iov ist als Zusammenfassung von Gal 3,10-14 bzw. 3,13 zu verstehen (soj. Blank, Paulus und Jesus, 271f). 5 Vordergründig bezieht sich der erste ïva-Satz auf Juden (toi)? iiJtô vö(xov, s. M.-J. Lagrange, 103), während der zweite die Heiden einschließt (1 Pers. Plur.). Entweder wird eine Sequenz „zuerst die Juden/dann auch die Griechen" gebildet (cf. Gal 2,15—3,25/ 3 , 2 6 - 2 9 , vgl. Rom 1,16; 2,9f; 3,9; 1 Kor 1,24; 10,32; H. D. Betz, 208), oder die Befreiung

101

4,1-7

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

von der Existenz „aus dem Gesetz" (iuiö vö(iov//Gal 3,13) als Zweck des eschatologischen Ereignisses der Aussendung des Sohnes wird vorangestellt und polemisch hervorgehoben. Grundsätzlich sind aber die Erlösung vom Gesetz als identitätsstiftende Bestimmung der Existenz und die uiodeoia theologische und anthropologische Äquivalente (so H. Schlier, 196f, cf. E. Burton, 219, der auf Rom 2,14f und l,19f verweist; zu l'gayoQaC,eiv s. Gal 3,13 u. Komm.), so daß sich die beiden Aussagen als gleichbedeutend und komplementär ergänzen (V. 5a unter dem Aspekt des Indikativs und V. 5b unter dem Aspekt des Imperativs? so R. N. Longenecker, 172). Ykrö-eoia (lat.: adoptio) ist ein juristischer terminus technicus. Der Begriff erscheint nur bei Paulus und in der paulinischen Tradition, und zwar als Metapher für die Erwählung/Rechtfertigung Israels (Rom 9,4) und der Christen: Die Sohnschaft der Gotteskinder ergibt sich aus einem „cosmic change" (J. L. Martyn, 391). Dieses eschatologische Ereignis ist ein „Rechts"-Akt der Vaterliebe Gottes (uiofteaia Rom 8,15.23; 9,4; Gal 4,5; Eph 1,5; moiOeoü Gal 3,26, vgl. 4,6f; Rom 8,14.19; 9,26 [= Hos 2,1LXX], vgl. lexva fteoö Rom 8,16f.21; Phil 2,15; H.J. Holtzmann, Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie II, 1897, 134-136; P. Wülfing von Martitz/E. Schweizer, ThWNT VIII, 400-402; D. von Allmen, La famille de Dieu. La symbolique familiale dans le paulinisme, O B O 41, 1981; J. Blank, Jesus und Paulus, 271f), der eine neue Familie gründet (J. L. Martyn, 391) und ein neues Volk erwählt, in dem es weder „Juden" noch „Griechen" gibt (so B. Corsani, 264). 6f Die Wende: Die Aussendung des Geistes. Der Empfang des Geistes als Zeugnis der Sohnschaft setzt die Adoption voraus, so daß die Geisterfahrung der Adressaten ihre Teilhabe an der Gottessohnschaft zeigt (s. Gal 3 , 2 - 5 ; J. Calvin: „l'effet est le signe de la cause"; F. Sieffert, 245f; E. Burton, 221; H. D. Betz, 209f; R. B. Hays, Faith, 109f). "Otiist kausal und nicht deklarativ (anders A. Duprez, RSR 52 [1964] 421-431), und man braucht weder eine elliptische Konstruktion (so H. Lietzmann, 27; M.-J. Lagrange, 103f: Der Beweis, daß ihr Söhne seid, vgl. Rom 8, 15f) noch eine Unterscheidung zwischen zwei Liebesakten Gottes (die Adoption und die Geistesgabe, so A. Oepke, 133; H. Schlier, 197, der subjektive Erfahrung des Sohnseins von objektivem Sohnsein unterscheidet) zu postulieren. 6 Die parallele Konstruktion e^curecnxiXev (= cf. V. 4) und die für Paulus einzigartige Formulierung tö JiveC(xaxoi3 uioü avxov (cf. jweüna Xqlotoi) Rom 8,9; tö jtveij(j.a xuQiou 2 Kor 3,17; [tö Jtvei)|ia] 'ir|aoü Xqioto'ö Phil 1,19) bezieht die Geisterfahrung der Adressaten auf den Gott, der seinen Sohn gesandt hat, um von der Existenz „aus dem Gesetz" zu befreien (ö {teog//V. 4; 615 Tag xagöiag f||xcöv = ¿v e|xoi Gal 2,20, s. den Sprachgebrauch von xaQÖia in Rom, 1 u. 2 Kor als Instanz des Verständnisses und des Willens, vgl. R. Jewett, Paul's Anthropological Terms. A Study of Their Use in Conflict Settings, AGJU 10, 1971, 322f; H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des NT, § 21/VII): Die Möglichkeit, Gott als Vater anzurufen, erfolgt aus der Adoption, das heißt aus der Rechtfertigung durch den Glauben. Zu xg&^eiv s. bei Paulus Rom 8,15 u. 9,27; das Verb ist in der LXX oft gebraucht für das Gebet. 'Aßßä (die schlichte Rede des Kindes zum Vater) und JtciTT|Q sind Vokative mit nominativer Form (s. B D R § 147,2). Paulus zitiert in Rom 8,15 u. Gal 4,6 den Wortgebrauch der hellenistischen Liturgie, die den aramäischen Begriff mit dem griechischen Äquivalent kombiniert (s. G. Kittel, ThWNT 1,4-6 bzw. J. B. Lightfoot, 169). Feststellbar ist die Parallelität mit dem Sprachgebrauch Jesu in Mk 14,36 u. Lk 10, 21Q, die in Lk ll,2//Mt 6,9 zum Programm gemacht wird (s. B. Whitherington III, Paul's Narrative Thought World. The Tapestry of Tragedy and Triumph, 1994, 117 u. 102

Die Verblüffung des Apostels über die neue Bekehrung der Galater

4,6—7

153). Auffällig ist der Verweis auf die aramäische Form, die auch in griechisch-sprechenden und in heidenchristlichen Gemeinden offensichtlich bekannt und üblich war (cf. Marana tha, 1 Kor 16,22) und die deshalb zu der Sondersprache und zu der christlichen Selbstdefinition gehören dürfte (s. W. A. Meeks, The First Urban Christians. The Social World of the Apostle Paul, 1983, 94, der wegen Apg 10,44-46 noch 151f vermutet, daß die Akklamation in der Taufliturgie ihren Sitz im Leben haben konnte). 7 "Qoxe otixEXt xxL bestätigt die Schlußfolgerung öxi vxk. aus V. 6, und xXr]Qov6jiog führt auf Gal 3,29 zurück. Hervorgehoben wird der Urheber der Gottessohnschaft (öict OeoC P 46 S* A B C*, das Gott eher als Vermittler denn als Quelle einfuhrt, hat zu Irritationen in der handschriftlichen Überlieferung gesorgt, s. B. M. Metzger, 595; s. V. 4 u. 6), und der Wechsel von der 2. Pers. Plur. zur 2. Pers. Sg. hat perlokutorische Funktion (vgl. Gal 6,1).

4,8-11 Die Verblüffung des Apostels über die neue Bekehrung der Galater s

Damals jedoch, als ihr Gott nicht kanntet, habt ihr den Göttern gedient, die v o n Natur aus keine sind. 9 Jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr v o n Gott erkannt worden seid, w i e bekehrt ihr euch wieder zu den schwachen und armen Elementen, denen ihr v o n n e u e m zu dienen anfangen wollt? 10 Tage haltet ihr ein, wie auch Monate, Festzeiten und Jahre. 11 Ich fürchte, ich habe m i c h umsonst u m euch bemüht. Literatur: B. REICKE, T h e Law and this World According to Paul. Some T h o u g h t s concerning Gal 4 , 1 - 1 1 , J B L 7 0 (1951) 2 5 9 - 2 7 6 . - J. L. MARTYN, C h r i s t a n d t h e E l e m e n t s o f t h e C o s m o s , i n : I s s u e s , 125-140.

Die Neuformulierung des Vorwurfes, mit dem der Apostel seinen Brief begonnen hatte (die Zuwendung der Adressaten zum vermeintlichen Evangelium, das die TiVEg Gal 1,7; 3,1; 5,7-10; 6,12f vertreten, ist eigentlich eine Abwendung von Gott, Gal l,6f), setzt zum einen das durch die Darstellung in Gal 4,1-7 konstituierte Schema TÖTE/VÖV (V. 8f) und zum anderen die in Gal 4 , 3 - 5 implizierte Äquivalenz der Befindlichkeit der Existenz unter dem Gesetz und unter den atoixeia xofi xöo(i,ou voraus. Die logische Konsequenz ist: Jeder vermeintliche Fortschritt des Christentums in die Richtung des Seins e | EQywv vö|i.ou ist ein Rückschritt zum status quo ante. Die Argumentation setzt mit einem antithetischen Parallelismus ein: Als die Adressaten Gott noch nicht kannten, haben sie Göttern gedient, die keine sind (V. 8), und jetzt kennen sie Gott bzw. sie sind von Gott erkannt worden, und sie tun das gleiche (V. 9). Die Symmetrie ist gebrochen zum einen durch die Frageform (jttög, vgl. {kru[idi^ta wck. in Gal 1,6 und xig xxÄ.; in Gal 3,1) und zum anderen durch den Relativsatz, der das jtaXiv durch JtdXiv äva)0EV hervorhebt und die Äquivalenz zwischen den vermeintlichen Göttern V. 8 und den äadEvf) xai jtxcoxa crtoiXEia V. 9 herstellt. V. 10 belegt die Tatsachenaussage (¿juaxgeqjEXE) und das Werturteil von V. 9 (jiaXiv . . . 9EXEXE: Indem sie sich verändern wollen, tun sie nur noch das gleiche wie vorher und kehren in die alte Welt zurück), und V. 11 ist ein Argument der Verschwendung (s. Ch. Perelman, 375-379), das Gal 3,4 variiert und appellative Funktion hat.

103

4,8-11

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit

Christus

8 'AKká bringt eine Wende in der Argumentation: Den Erläuterungen und Erklärungen von Gal 3,6—29 u. 4,1-7 folgt eine Frage adpersonam, die die gegenwärtige Entscheidungssituation der Adressaten mit ihrer Bekehrungsgeschichte (s. Gal 4,6f, woran J. Calvin V. 8-11 unmittelbar anschließt) konfrontiert. Tote verweist auf êoßoii|xai i)|xäg, ¡xf| jtcog (so B D R § 476 4 ; E. Burton, 235). Mf| + Indik. als Ausdruck der Besorgnis ist selten (nur hier im N T ) und richtet sich im klassischen Griechisch auf etwas bereits Geschehenes ( B D R

105

4,12-20

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit

Christus

§ 370). Aussage und Äußerung sind die gleichen wie in Gal 3,4 (eixfj), aber diesmal nicht von der Rezeption des Evangeliums, sondern von der missionarischen Arbeit des Apostels für die Galater her gesehen (eig i>nä?; zu xojticxv s. Rom 16,6.12; 1 Kor 4,12; 15,10; 16,16; Phil 2,16; 1 Thess 5,12, cf. xöjtog 1 Kor 3,8; 15,58; 2 Kor 6,5; 10,15; 11,23.27; 1 Thess 1,3; 2,9; 3,5).

4,12-20 Erste Aufforderung: Die Adressaten sollen den Apostel nachahmen 12

Werdet wie ich, denn ich war wie ihr, Brüder, ich bitte euch. Ihr habt mir kein Unrecht getan. 13 Ihr wißt, daß ich euch zuerst das Evangelium in der Schwachheit des Fleisches verkündigt habe, 14 und ihr habt eure Versuchung durch mein Fleisch nicht verächtlich abgelehnt und nicht ausgespuckt, sondern mich wie einen Engel Gottes aufgenommen, w i e Christus Jesus. 15 Wo bleibt nun eure Seligpreisung? Ich bezeuge euch nämlich, daß ihr, wenn es m ö g l i c h gewesen wäre, eure Augen ausgerissen und mir gegeben hättet. 1 6 Bin ich also euer Gegner geworden, weil ich euch die Wahrheit gesagt habe? 17 Sie eifern nicht in guter Weise u m euch, sondern sie wollen euch ausschließen, damit ihr euch für sie eifrig erweist. 18 Gut ist es schon, wird man in Gutem allezeit u m w o r ben, und nicht nur dann, wenn ich bei euch bin, 1 9 meine Kinder, die ich wieder unter Schmerzen gebäre, bis Christus in euch Gestalt gewinnt. 20 Ich möchte jetzt bei euch sein und meine Stimme verändern, denn ich bin euretwegen ratlos. Die Erinnerung an den Übergang der Adressaten vom Heidentum zum Glauben (sie sind Söhne geworden, Gal 4,1-7) und die Wiederholung des Vorwurfes, sie kehrten durch ihre Überlegungen, unter dem Gesetz zu leben, in ihren vor-conversionalen Status zurück (Gal 4,8-11, vgl. Gal 1,6-9; 3,1-5), bereiten den Imperativ V. 12a vor: Sie sollen den Apostel insofern nachahmen, als er dem Gesetz gestorben ist (Gal 2,19), auf die Sonderstellung des gerechten Juden durch die Gottesoffenbarung in Christus verzichtet hat (Gal 1,13-17) und deswegen wie sie geworden ist (V. 12b, vgl. 1 Kor 9,21), und sie sollen frei bleiben vom Gesetz. Der Appell wird durch eine Argumentation ad personam verstärkt, die auf die Geschichte des Verhältnisses zwischen dem Apostel und den Adressaten verweist und die komplementären Argumente der Richtung und der Verschwendung einsetzt (V. 12c-20): Zum einen hatten sie ihn bei seinem ersten Besuch als Vertreter Gottes und Christi empfangen und seiner Verkündigung geglaubt (V. 12c-14.15b); zum anderen geben sie aber das Heil und die Wahrheit, die der Apostel weiterhin verkündigt, preis (V. 15a. 16). Sie sollen aber der ursprünglich eingeschlagenen Richtung treu bleiben, und das damals bereits Erreichte nicht aufgeben. Anders als in 1 Kor 2,1-5 und 2 Kor 12,1-10 wird hier das Motiv der Schwachheit bzw. der Krankheit des Apostels als Argument a fortiori verwendet (V. 13f.l5b). Der Verweis auf die Wahrheit des paulinischen Evangeliums, die die neue Bekehrung der Adressaten zum Gesetzesevangelium verursacht hat (V. 16), führt zu einer Problematisierung des Verhältnisses der Apostel und Missionare zu den gegründeten Gemeinden (í¡r)X.oOv, V. 17ab.l8). Der Eifer der Konkurrenten ist deswegen disqualifiziert, weil er an sie selbst und nicht an die Wahrheit bindet (V. 17), obwohl der Eifer der anderen christlichen Missionare für die Adressaten gut und prinzi106

Erste Aufforderung: Die Adressaten sollen den Apostel nachahmen

4,12—13

piell wünschenswert ist, wenn sie gerade in der Abwesenheit des Apostels das Evangelium vergegenwärtigen (V. 18). V. 19f reflektieren metalinguistisch und fassen die Mitteilung des Apostels zusammen: Die Funktion des Appells (V. 1 2 - 1 8 ) und des ganzen Briefes ist die Wiederholung der Bekehrung der Adressaten (V. 19); die Verlegenheit, in der sich der Apostel befindet, ist eine Aufforderung zur richtigen Entscheidung (V. 20). 12a.b Die Bitte des Apostels (ôéo|xai i)|xœv, s. 2 K o r 10,2). Der Sinn der paradoxalen Aufforderung (V. 12a) folgt aus ihrer elliptischen Begründung (öti Yxk., V. 12b). Ergänzt werden kann entweder yéyova (bzw. éyevônriv) parallel zu yivecrde, oder ei(xi parallel zu écrié, das nach cbç i>|ieïç (besser als F|TE) ergänzt werden muß. Formal wird das M o m e n t der Gegenseitigkeit betont, die zu den Voraussetzungen der Freundschaft gehört: Die Bitte des Apostels ist eine Aufforderung zur Loyalität (s. J . Calvin; M . - J . Lagrange, IlOf; H. D . Betz, 222f). Das Argument wird verstärkt, wenn man cbç i)[ieïç auf dem Hintergrund von 1 K o r 9,21 interpretiert: Paulus ist den ctvo|ioi ein âvojioç geworden, réyova verweist dann auf die missionarische Strategie des Heidenapostels und auf seinen Auftritt in Galatien (cf. V 13; F. Mußner, 305f; R. N . Longenecker, 189). Die Freiheit des Apostels ist aber die Konsequenz der Offenbarung, daß Gott die Juden selbst durch den Glauben und nicht „aus dem Gesetz" rechtfertigt (Gal 2,15f), so daß yéyova auf die Berufung des Apostels (Gal 1 , 1 0 - 1 7 ; 1 K o r 9,1) oder ei|xi auf die daraus folgende christliche Freiheit zu beziehen ist (so E. Burton, 236f; J . Becker, 51f; D . M . Stanley, „ B e c o m e Imitators o f m e " : T h e Pauline Conception o f Apostolic Tradition, B i b 40 [1959] 8 5 9 - 8 7 7 ; W. D . de B o e r , T h e Imitation o f Paul. An exegetical Study, 1962, vgl. H. Schlier, 208f; P. Bonnard, 91f; B . Corsani, 2 7 9 - 2 8 1 ) . Der Nachahmungsgedanke macht den Apostel nicht zum Vorbild, oder zur Bezugsperson des Glaubens oder zum Vollkommenheitsideal (cf. B . Rordorf, Tu ne te feras pas d'image. Prolégomènes à une théologie de l'amour de Dieu, Cogitatio Fidei 167, 1992), sondern zur exemplarischen Vergegenwärtigung des Evangeliums (vgl. E. Best, Paul and his Converts, 1988, 5 9 - 7 2 ; B . R . Gaventa, Gal 1 and 2: Autobiography as Paradigm, N o v T 2 8 [1986] 3 0 9 - 3 2 6 , bes. 3 1 8 - 3 2 6 ; O . Merk, Nachahmung Christi. Z u ethischen Perspektiven in der paulinischen Theologie, in: N T und Ethik [Fs. R. Schnakkenburg], 1989, 1 7 2 - 2 0 6 ; 1 K o r 4,16; 11,1; Phil 3,17; 1 Thess 1,6). 12c Die syntaktische Nebeneinanderstellung läßt mehrere Rekonstruktionen der Verbindungen mit dem Kontext, aber auch verschiedene Deutungen des Satzes zu. Entweder soll das (XE hervorgehoben werden: Grund für die Bitte des Apostels ist nicht, daß die Adressaten ihn ungerecht behandelt hätten, sondern vielmehr, daß sie das Evangelium verderben. Die Aussage besteht dann in der Unterscheidung zwischen der Person und der Sache (so J . Calvin; H. Schlier, 209). Oder sie unterscheidet die Gegenwart (V. 15f) von der Vergangenheit (f|ôixf|aaxe, Aor.) und leitet den Bericht in V. 13f ein (so F. Mußner, 306; vgl. J . B . Lightfoot, 174, nach welchem das Unrecht sowohl die apostolische Autorität als auch die Person des Apostels betreffen kann; M . - J . Lagrange, 111, der einen Zwischenfall zwischen dem ersten Besuch und dem B r i e f postuliert; W. Schmithals, Paulus und die Gnostiker, 35f: Die gnostischen Konkurrenten haben ihn inzwischen als Sarkiker disqualifiziert; J . L. Martyn, 420: Die Feindschaft der Galater ist erst von den „Lehrern" angeregt worden). Die Vermutung, nach welcher Paulus eine Äußerung der Adressaten korrigieren würde (er sei beleidigt gewesen, daß sie andere Missionare gehört hätten, so E. Burton, 237), kann weder vorausgesetzt noch ausgeschlossen werden. 1 3 f Erinnerungen an die erste Rezeption des Evangeliums. Zwei Sätze sind als Anakoluthe gebaut: 1. Oi'öaxe xtX. führt eine knappe Zusammenfassung der paulinischen Mission

107

4,12-20

Der Ruf der Freiheit: Sterben und leben mit Christus

in Galatien in der Form von Tatsachenaussagen ein (parallele rhetorische Konstruktionen mit oïôaxe ynk. finden sich in 1 Kor 12,2; 16,15; Phil 4,15; 1 Thess 1,5; 4,2; vgl. in der negativ-interrogativen Form Rom 6,16; 1 Kor 3,16; 5,6; 6,2.3.9.15f.l9 usw.; oïôa ôé bringt bei Paulus Erläuterungen durch einen neuen Gesichtspunkt, s. R o m 2,2; 3,19; 15,29; Phil 4,15, F. Sieffert, 261). 2. Kai xov jieiQaa(i,ôv xijiöv gehört wahrscheinlich nicht mehr zum ersten Satz (der dann bis xfj actQxi (iou reichen würde), sondern ist metonymisch für ê|iè jreigâÇovxa i)|xàç ôià tr|v àadéveiav xfjç aagxôç |iou zu lesen (s. E. Burton, 241). Zwei Ideen sind dabei kombiniert, die die ehemaligen Werturteile der Adressaten referieren und bewerten: Sie haben den schwachen Apostel nicht verachtet, und sie sind der Versuchung, ihn wegen seiner Schwachheit abzuweisen, nicht erlegen (so Bauer-Aland, Wb 562). 13 Unentscheidbar ist, ob ein erster oder der einzige Besuch des Apostels in Galatien gemeint ist: To jtqöteqov ist komparativ und verweist auf den Abstand zwischen zwei Zeitpunkten (zum Sprachgebrauch s. E. Burton, 2 3 9 - 2 4 1 ) , so daß der implizite Bezugspunkt sowohl mit einer zweiten galatischen Reise (so Apg 16,6 u. 18,23 oder Apg 13,14 u. 16,1-5) als auch mit späteren Kontakten (die in Gal 1,6; 3,1; 4,15; 5,2.7 vorausgesetzt sind) oder mit dem Brief selbst gegeben sein kann (s. Gal 4,20 u. Komm.). Unklar sind auch die Umstände dieses Besuches. Meistens wird angenommen, daß ôid + Akk. kausal verstanden werden muß, und daß ctcrôéveia (wegen der Bestimmung xfjç aaçxôç) eine physische Krankheit bezeichnet. Man interpretiert: Paulus hatte eine Mission bei den Adressaten nicht geplant, und wurde dazu aus Gesundheitsgründen gezwungen. Zum einen gibt aber biâ + Akk. nicht nur den Grund und den Zweck an, sondern auch die Mittel (s. A. Bailly, 461f, vgl. die in Liddell/Scott I, 389 angegebenen Beispiele) oder begleitende Umstände: Paulus war krank, als er in Galatien ankam (Akk. statt des korrekten Genitivs, s. R o m 3,25; 8,20; ôià itâaav àcpOQ|xr|v = bei jedem Anlaß, B G U II 632, = A. Deißmann, Licht vom Osten, 1923 4 , 150, Text 13, Zeile 11; H. Lietzmann, 27; A. Oepke, 142;J. Becker, 52; E. Güttgemanns, Der leidende Apostel und sein Herr. Studien zur paulinischen Christologie, F R L A N T 90, 1966, 175 und bereits die Vulgata: per infirmitatem). Zum anderen hat àffôéveia Sg. bei Paulus immer die Bedeutung der menschlichen Schwachheit (Rom 6,19 ôià TT)V àcrôévEiav xfjç oagxoç i)[I begründet die Werturteile und Aufforderungen von Gal 5,7-12 durch den christologisch definierten Begriff der Freiheit (V. 13a/Gal 5,1a); diese bildet die Voraussetzung der Paränese. Formal stellen V. 13b-15 ((iôvov |if| xxk.) eine Warnung vor einem Mißverständnis des Indikativs V. 13a dar: Die Freiheit, die sich aus der Gottesoffenbarung in Christus ergibt, soll nicht Anlaß werden, in das alte System unter der Macht der odgi; zurückzukehren. Der Grund dafür ist, daß „Leben im Geiste", christliche Freiheit und Gerechtfertigtwerden durch den Glauben Äquivalente sind. Inhaltlich formulieren deshalb die V. 13-15 die Grundsätze für die Aktualisierung der christlichen Freiheit. Die antithetische Formulierung des Imperativs V. 13b ( [ I R I . . . tfi CKXQXÎ / àkXà ... àovXevexe à}J.r\koiç) führt die Prinzipien ein, die die Empfehlungen in Gal 5,16-6,10 strukturieren: das kontradiktorische Paar oâg'E, / iwefina und die gegenseitige Liebe. Die Hervorhebung des Liebesgebotes wird heilsgeschichtlich-

128

Übergang:

Freiheit,

Existenz

unter dem Fleisch und gegenseitige

Liebe

5,13-14

eschatologisch begründet (Die gegenseitige Liebe löst das Gesetz ab, V. 14: yâç), und die Warnung vor einem Mißbrauch der Freiheit durch eine Rückkehr unter das Fleisch wird empirisch bzw. durch den Verweis auf einen allgemeinen Topos in V. 15 plausibilisiert. 13 'Ejt' èXev&EQÎa èxX.r||xeïç nimmt betont auf i)|xâç V. 12 bezug). Auetor der Befreiung ist nicht Christus, sondern die Berufung Gottes (s. Gal 1,6; 5,8), die die Gegenwart der Adressaten unmittelbar definiert (anders H . Schlier, 241f, der die Befreiung durch Christus alspotentia von der Berufung als actualitas unterscheidet). Ziel des Rufes (zu êjii + Dat. s. 1 Thess 4,7; Phil 4,10; Eph 2,10, B D R § 235,4) ist êXeuftegia. Das Thema der Freiheit hat aber in Gal 5,1 u. 13a.b nur eine überleitende Funktion, indem es von der Problematik der Gerechtigkeit (und der Freiheit v o m Gesetz, s. Gal 2,4) zur Definition der christlichen Existenz als Leben im Geiste (s. êXeiidegoç Gal 4,22f.26.30f; J. Becker, 67) hinführt. Mövov verweist nicht auf eine Ausnahme, sondern wie Gal 1,23; 2,10; Phil 1,27 auf eine wesentliche Ergänzung (s. E. Burton, 291): Diese Freiheit, zu welcher die Galater gerufen wurden (rr|V ist demonstrativ), ist ein oxoixeïv êv ITV8ÎI|xaxi (Gal 5,25) und darf nicht als Basis eines Angriffes der aöiqS; mißbraucht werden (der militärische B e g r i f f àcpoQ|i,r|, cf. Thykidides 1,90; Polybius 1,41,6, ist bereits bei Xenophon, Memorabilia 3,12,4 im übertragenen Sinne von „Möglichkeit", „Gelegenheit", „Anlaß" gebraucht, so im N T R o m 7,8.11; 2 K o r 5,12; 11,12; 1 T i m 5,14; Lk 11, 54; J. L. Martyn: A military base o f opérations). Mi] XTX. ergibt sich aus den Vorstellungen der Argumentation (die Gerechtigkeit durch den Glauben ist Äquivalent für die Existenz jrvex>|xaTi, und die Bestimmung durch die aag% ist Äquivalent für die Bestimmung durch den Dienst des Gesetzes) und setzt weder eine gnostische Tendenz der ,judenchristlichen' Lehrer (so W. Schmithals, Paulus und die Gnostiker, 36-39) noch die Existenz einer zweiten, libertinistischen Front voraus (so aber W. M . L. de Wette, 276f; W. Lütgert, Gesetz und Geist. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des Gal, B F C h T h 22, 1919; J. H. Ropes, The Singular Problem o f the Epistle to the Galatians, H T S 14, 1929; R. Jewett, The Agitators and the Galatian Congrégation, N T S 17 [1970/71] 198-212; zur Forschungsgeschichte s. J. Eckert, Verkündigung, 1-18). Ausdruck der Freiheit bzw. Gabe des Geistes ist es, ôià Tfjç àyânriç ÔOUXEIJËIV àXÀf|À.oiç (cf. Gal 5,6; s. J. Calvin: comment il faut user de notre liberté parmi les hommes; B. Rordorf, L'Évangile de la liberté, Bulletin C P E 35 [1983] N o 7-8, 36-59, bes. 52-59). Singular ist der positive Gebrauch von ÔOIAETJELV (vgl. sonst Gal 4,8f.25; s. àovXeia Gal 4,24; 5,1; ôoôX.oç Gal 4,1.7, cf. 1,10; 3,28; ôouXoîiv Gal 4,3), der von bià Tfjç àyâjtriç als v o n seiner Ursache her definiert ist (s. Gal 1,15; E. Burton, 293) und auf die Gemeinschaft, die zum neuen Ä o n bzw. zur neuen Schöpfung gehört, gerichtet ist (àXXr|XoLÇ, cf. Gal 3,26-28; 6,15; 1,4; H . Montefiore, Thou shalt love the Neighbour as thyself, N o v T 5 [1962] 157-169). 14 Begründung für die Aufforderung zum gegenseitigen Dienst: ' O jtâç vojxoç („das Gesetz als Ganzheit", s. Gal 3,10.12; 5,3) hat seine Erfüllung in dem Wort von L e v 19,18 gefunden. nX.T]Q0T>v (s. ccvajtXr|QOT)v TOV vö|iov TOC XgiatoO Gal 6,2) meint im eigentlichen Sinne die Füllung eines leeren Raumes (s. M t 13,48; Lk 3,5; Joh 12,3). Im übertragenen Sinne wird entweder an das Bild eines Gefäßes gedacht, das voll ist ( R o m 1,29; A p g 13,52)

129

5,13-15

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

oder auf seinen Inhalt bzw. auf die Vervollständigung seines Inhalts wartet (die Verheißung bzw. einzelne Aussagen der Schrift werden erfüllt, die Gebote des Gesetzes werden beachtet), oder an einen Gegenstand, der über sein Maß hinaus - hier: von Christus (so J.L. Martyn, 489f) - zur Vollkommenheit gebracht wird (s. Mk 1,15; Joh 7,8; 15,11; 16,24). Die Perspektive der Argumentation ist eine andere als in Rom 8,4; 13,8 (àvaxecpaXaioCxai verweist auf die hermeneutische Frage der Gesetzesauslegung). Gal setzt eine Unterscheidung von als YQacpri als Gesetz und als Verheißung voraus (s. Gal 4,21 bzw. Gal 3,22 u. K o m m ; J.L. Martyn, 502-514) und denkt von der christologischen Perspektive des heilsgeschichtlich-eschatologischen Endes des Gesetzes im neuen Äon her (s. Gal 3,19.23-25 und der Exkurs: Das Gesetz im Galaterbrief, ad Gal 3,23-29): Die Liebe ist Frucht des Geistes (Gal 5,22, cf. S. W. Williams, 147) und Auswirkung des Glaubens (Gal 5,6), so daß das Gesetz seine Vervollkommnung und gleichzeitig seine Aufhebung im Liebesgebot findet (so O. Wischmeyer, BZ N F 30 [1968] 182-187: Das Liebesgebot ersetzt das Gesetz, genauso wie die Geistesgaben an die Stelle des Gesetzes gesetzt werden, vgl. Gal 5,22; S. Vollenweider, Freiheit, 313f; D. Patte, Paul's Faith, 334-338: Die Liebe ist kein Gesetz, sondern eine Frucht des Geistes; anders G. Delling, T h W N T VI, 285-296, bes. 291; H. Schlier, 245; P. Bonnard, 109;J. M. G. Barclay, Obeying theTruth, 125-145, die Gal 5,14 als Äquivalent von Rom 13,8 verstehen; J. Calvin; J.L. Martyn, Issues, 233-249, die JiXr|Qoi3crôai als Äquivalent von àvaxecpaÂ.aio'Dcr&ai Rom 13,9 bzw. als reductio in unum lesen; H. D. Betz, 275f; S. Westerholm, O n Fulfilling the Whole Law [Gal 5,14], SEÂ 51-52 [1986/87] 229-237, die das christliche jiXr)Qoflv dem jüdischen Jtoieîv entgegensetzen; H. Hübner, Das Gesetz bei Paulus, 37-43, der zwischen der quantitativen Erfüllung von okoç à vo|xoç V. 3 und der qualitativen Erfüllung von ô Jiâç vô(ioç V. 14 unterscheidet; Th. R. Schreiner, The Law and Its Fulfillment. A Pauline Theology of Law, 1993, 145-178, der die Erfüllung als die Auswirkung des Geistes versteht, der das Tun des Gesetzes ermöglicht; vgl. die Diskussion bei E. Burton, 294-296; F. Mußner, 370). Die Ablösung des Gesetzes des alten Äons (Gal 3,19.23-25; 4,1-11) durch das Liebesgebot, d. h. durch das Gesetz Christi, erfolgt aus der Unterscheidung zwischen Person und Eigenschaften, die die neue Schöpfung kennzeichnet (s. Gal 2,16 u. Komm.; Gal 3,26-28 u. Komm.) Z u m einen begründet und setzt das Gesetz Antinomien voraus, die die Personen durch ihre Eigenschaften definieren (Jude/Nicht-Jude, Mann/Frau, usw.). Z u m anderen hat die Rechtfertigung durch den Glauben zur Folge, daß die Person als solche ohne Rücksicht auf ihre Eigenschaften zur neuen Schöpfung gemacht wird. Das Bewußtsein des Einzelnen, gestorben und in Christus neu geboren zu sein (Gal 2,19f), begründet und ermöglicht sowohl die Liebe zu sich selbst als Individuum wie auch die bedingungslose Liebe des Nächsten als Person (s. Gal 3,28; A. Badiou, Saint Paul, 95: „Ce qui donne puissance à une vérité, et détermine la fidélité subjective, est l'adresse à tous du rapport à soi induit par l'événement, et non ce rapport lui-même"). Das Motiv der gegenseitigen Liebe als Grundsatz der christlichen Ethik kommt auch in Joh 13,34f; 15,1-9; 1 Thess 3,12; 4,9; 1 u. 2Joh vor, der Begriff «pilctôeXqpta in Rom 12,10; 1 Thess 4,9; Hebr 13,1; 1 Petr 1,22, cf. 3,8; 2 Petr l , 7 u n d das Zitat von Lev 19,18 als „Erfüllung" des Gesetzes in Rom 13,9; M k 12,31.33//Mt 22,39//Lkl0,27; Mt 5,43; 19,19; Jak 2,8 (zur Traditionsgeschichte s. A. Nissen, Gott und der Nächste im antiken Judentum, W U N T 15, 1974, 304-329; K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu I, W M A N T 4 0 , 1972, 80-136; O. Wischmeyer, BZ N F 30 [1986] 161-187). Der Begriff ji)a)oiov von Lev 19,18 (= Gal 5,14) wird durch àXXr|Xoiç, dXA.r|À.ovç und àAAfi^œv im V. 13 u. 15 entweder interpretiert

130

Die Christen sollen im Geiste leben

5,14-15

oder aktualisiert, und die Bedeutung des Gebotes wird via negationis in V. 15 und positiv in Gal 5,25-6,5 erläutert. Vorausgesetzt ist, daß die Bedeutung des Liebesgebotes in Lev 19,18a und im Zitat von Lev 19,18a in Gal 5,14 nicht deckungsgleich ist. Thema des Zitates ist zum einen weder die Solidarität der Familien- und Glaubensgemeinschaft (s. E. S. Gerstenberger, ATD 6, 1993, 248f) noch das Ideal der Philanthropie, sondern die gegenseitige Anerkennung und Verantwortung von Personen, die jede Diskriminierung ablehnen. Die Funktion des Zitates besteht zum anderen darin, das „Gesetz Christi" als Erfüllung der Verheißungen zu deuten. 15 Zweite, negative Begründung (6E): Die Alternative zum ÖO'UA.EIJEIV (d. h. zum J t V £ i > n a T i c r c o i X E i v ) wird mit allgemeinverständlichen, zeitübergreifenden und in der Antike bereits geläufigen Bildern (s. H. Schlier, 246) metaphorisch geschildert. Unmetaphorisch werden die Werke der OÜQ'% in Gal 5,16-24 beschrieben. Unentscheidbar ist, ob der Apostel an tatsächliche Konflikte in den galatischen Gemeinden denkt (vgl. Auseinandersetzungen, die 0 1 T I V E 5 Gal 5,4 implizieren könnte; J. B. Lightfoot, 33; W. Schmithals, Paulus und die Gnostiker, 36—39), oder ob eine rhetorische Fiktion die Brücke zwischen der Aufforderung von V. 13 und der Oppositionsstruktur der Paränese von Gal 5,16—24 u. 5,25-6,6 baut (s. A. Oepke, 170f; H . D . Betz, 276f): Eindeutige Argumente bieten weder die Konstruktion E£ + Ind. Präs. (cf. Gal 2,21; 3,21; 5,11) noch die konventionellfantastische Übertreibung der Bilder.

5,16-24 Die Christen sollen i m Geiste leben 16

Ich sage aber: Wandelt i m Geiste, und ihr werdet das Begehren des Fleisches nicht vollbringen. 1 7 Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist auf, der Geist g e g e n das Fleisch. D e n n diese liegen miteinander i m Streit, so daß ihr nicht das tut, was ihr tun wollt. 1 8 Wenn ihr euch aber v o m Geiste leiten laßt, seid ihr nicht unter d e m Gesetz. "Offenkundig sind die Werke des Fleisches, die sind Unzucht, unsaubere D i n ge, Frechheit, 2 0 Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifer, Wut, Intrigen, Zwietracht, Spaltungen, 2 1 Neid, Saufereien, Fressereien und dergleichen, w o v o n ich euch i m voraus sage, wie ich es euch schon gesagt habe: D i e solches tun, werden das Gottesreich nicht ererben. 22 Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, 2 3 Sanftmut, Enthaltsamkeit. Gegen solches ist kein Gesetz. 2 4 Die aber, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch gekreuzigt samt seinen Leidenschaften und Begehren. Literatur: E. BUONAIUTI, II Messagio di Paolo, 1988, 101-108. - E. DAL COVOLO, II k e r y g m a c o m e critica alla prassi nella parenesi di Gal 5 , 1 6 - 2 4 , R i v B i b 2 9 (1981) 3 7 9 - 3 9 1 . - M . MARTINEZ PEQUE, U n i d a d de Forma Y C o n t e n i d o en Gal 5 , 1 6 - 2 6 , EstBib 45 (1987) 1 0 5 - 1 2 5 . - J.L. MARTYN, T h e Daily Life o f the Church in the War B e t w e e n the Spirit and the Flesh, in: Issues, 2 5 1 - 2 6 6 . - W. RÜSSEL, T h e Apostle Paul redemptive-historical A r g u m e n t a t i o n in Gal 5 , 1 3 - 2 6 , WTJ 57 (1995) 3 3 3 - 3 5 7 . - W. SCHRÄGE, D i e konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese. Ein Beitrag zur neutestamentlichen Ethik, 1961. - E . SCHWEIZER, Gottesgerechtigkeit und Lasterkataloge bei Paulus

131

5,16-24

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

(inkl. Kol und Eph), in: Rechtfertigung (Fs. E. Käsemann), 1976, 4 6 1 - 4 7 7 . - A. Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im N T exegetisch, religions- und formgeschichtlich untersucht. NTA 1 6 / 4 - 5 , 1936. - S. Vollenweider, Freiheit als neue Schöpfung, 3 1 6 - 3 2 1 . Aeyco öe (cf. Gal 4,1; 5,2) führt eine erste Empfehlung ein, die die leitende Antithese aäq%) jtve€|xa von Gal 3,1-5; 4,6.23.29 u. 5,13 aufgreift und die beiden Begriffe als Verhaltensprinzipien einander gegenüberstellt und als Mächte der alten Welt (oag 1) und der neuen Zeit (jtveti(j,a) definiert. Die Verbindung zwischen der programmatischen Aussage (die Adressaten sollen im Geiste leben, V. 16a) und ihrer Begründung, die o&q§ und ¿m{hj|ua als negative Größen untereinander verknüpft (V. 16b), wird doppelt begründet. Z u m einen wird die anthropologische Notwendigkeit der Alternative oaQ|/jiveü[ia festgestellt (V. 17): Fleisch und Geist streiten so gegeneinander, daß Wille und Tun auseinandergerissen werden, solange die Existenz unter der caQ§ bzw. unter dem Gesetz bleibt (vgl. R o m 7,7-25; J. L. Martyn, 379-540: „Daily Life in Wartime"). Z u m anderen sind die Adressaten bzw. die Christen (oi toij Xqiotoi)) v o m Gesetz (V. 18) bzw. von der oagE, und ihrer kosmischen und existenziellen Macht durch das Kreuz befreit worden (V. 24, iaxavgu)oav vgl. Gal 2,19; 6,14). Der Indikativ nennt die erfüllte Bedingung für die D u r c h f ü h r u n g des Imperativs. Die Strukturierung des semantischen Feldes liefert den Rahmen für eine doppelte Definition des Wandels im Geiste: Die erste, negative, verweist auf ein evidentes Werturteil über die Werke der ckxq|, die als Lasterkatalog aufgelistet werden (V. 19-21), und die zweite nennt Aspekte der Frucht des Geistes (V. 22-23a). Die binarische Struktur wird aber durch einen doppelten Verweis auf die Gesetzesproblematik ergänzt (V. 18 u. 23b): Die Adressaten sollen insofern im Geiste leben, als die Existenz im Geiste, d. h. der Glaube, v o m Gesetz befreit ist (V. 18, cf. Gal 3,23-25; 4,1-7: Die Macht des Gesetzes ist seit der Gottesoffenbarung in Christus durch die Gabe des Geistes abgelöst worden) und es kein Gesetz gibt, das gegen die in V. 22f aufgelisteten Tugenden spricht (V. 23b). Existenz im Geiste und Existenz unter dem Gesetz werden insofern dissoziiert, als das Gesetz (Gal 4,21-31) und die Beschneidung (Gal 6,12f) durch die Allegorese und metonymisch mit der cragl gleichgestellt werden und der Gegensatz itveCua/actgi sein Äquivalent in der Gegenüberstellung e | axorjg 3tiaxea)g/e| egyiov vöfiou erhält (Gal 3,1-5). 16 Das ethische P r o g r a m m und seine Begründung: Die Adressaten sollen im Geiste wandeln, u m von der oöqI frei zu sein. IlEQtftaTeiTE ist Imperativ, dient aber gleichzeitig als Protasis für die Apodosis ov (if| teXeotite (zu OV (xr| + Ind. Fut. oder Konj. Aor. als verneinende Aussage über Zukünftiges s. B D R § 365). nEQiJtaxEiv interpretiert die Zeitlichkeit der Existenz mit der Metaphorik des Weges (s. R o m 6,4; 8,4; 13,13; 14,15; 1 Kor 3,3; 7,17; 2 Kor 4,2; 5,7; 10,2f; 12,18; Phil 3,17f; cf. das Äquivalent oroixetv Gal 5,25; 6,16; R o m 4,12; Phil 3,16; H. Seesemann/G. Bertram, T h W N T V, 940-946, bes. 944f; G. Wingren, „Weg", „Wanderung" und verwandte Begriffe, StTh 3 [1951] 111-123; H . D . Betz, Nachfolge und N a c h a h m u n g Jesu Christi im N T , B H T h 37, 1967, 176-178; G. Sauer, T H A T I, 486-493, bes. 492f mit Hinweisen auf den Sprachgebrauch von 1*771 in der Qumran-Literatur). Wie in Gal 3,3; 5,5.18.25 verweist der Dativ sowohl auf den Ursprung als auch auf die qualitative Bestimmung des neuen Lebens (so. H . Schlier, 248; cf. B D R § 198). „Im Geiste wandeln", „vom Geiste geführt werden" (V. 18) und „im Geiste leben" (Gal 5,25) meinen das gleiche wie Gal 2,20 („Christus lebt in mir") und Gal 5,5f („Wir erwarten im Geiste/aus Glauben die H o f f n u n g der Gerechtigkeit", s. E. Burton, 298). Die Konsequenz der Bestimmung durch den Geist, die als Begründung von 132

Die Christen sollen im Geiste leben

5,17-18

jtEQinctTEiTE eingeführt ist, besteht in der Verheißung, daß die Adressaten die Wünsche der ct&q! nicht erfüllen werden (zur Begründung durch die Verbindung zwischen einer Handlung und ihrer Konsequenz s. Ch. Perelman, 364-368). TeXeiv bedeutet „zum Ziel bzw. zum Ende führen", „vervollständigen", „zur Vollkommenheit bringen" und eine Auf- oder Vorgabe „erfüllen". 'Ejufh>|iia ist ein ambivalenter Begriff, der seinen positiven oder negativen Wert vom Kontext her bekommt (cf. den positiven Gebrauch in Phil 1,23; 1 Thess 2,17, den negativen in Rom 1,24; 6,12; 7,7f; 13,14; Gal 5,24; vgl. emfhiiieiv Gal 5,17; Rom 7,7; 13,9; 1 Kor 10,6; E. Burton, 299f; E. Käsemann, H N T 8a, 184). Die Formulierung ist insofern paradox, als das grammatikalische Subjekt der Mensch ist, das reale aber die o a g | , so daß das jtVEÜixa, das die Existenz der Glaubenden führt, die Macht der a ä g l hindert, zu ihrem Ziel zu kommen (s. H. D. Betz, 278). 17 Anthropologische Begründung: Die Existenz unter dem Gesetz als Kampffeld zwischen Geist und Fleisch. Vorgegeben sind die Vorstellungen der Antithese der beiden Mächte und ihres Streits (s. Gal 4,29; E. Schweizer/F. Baumgärtel/E. Meyer, T h W N T VII, 98-151; W. D. Davies, Paul and the Dead Sea Scrolls: Flesh and Spirit, in: The Scrolls and the NT, 1957, 157-182; E. Schweizer, Die hellenistische Komponente im neutestamentlichen odgl-Begriff, Z N W 48 [1957] 237-253, = Neotestamentica, 1963, 29-48; E. Brandenburger, Fleisch und Geist, Paulus und die dualistische Weisheit, W M A N T 29, 1968). 'Ejidh>nei nimmt ¿ju{hj|iia wieder auf; ¿vtixEiadai ist u. a. ein Begriff der Geometrie und der Logik, der die neue Macht des Geistes und die alte des Fleisches als Gegensätze einander gegenüberstellt (so J.L. Martyn, 494). Die Formulierung tomta (d.h. Jtvei3(i,a und occqI) . . . dviixeixai, iva (xr| führt eine anthropologische Perspektive ein (so E. Burton, 300f; J.B. Lightfoot, 210: V. 17bf ist ein Verweis auf die Erfahrung, der am Rande der Argumentation bleibt; J. L. Martyn, A Formula for Communal Discord!, in: Issues, 267-278: Verwiesen wird auf die Erfahrung der Galater, wenn sie sich durch das Gesetz führen lassen): Sag!; und Jtveüna sind Bestimmungen, die den Menschen ({tiXr]TE u. jioifjTE 2. Pers. Plur.) als Ursprung und Verhaltensnormen so gegeneinander ausspielen, daß er nicht mehr tut, was er will. 'Iva ist final und benennt das konträre Ziel der beiden personifizierten Mächte. Gemeint ist nicht, daß sich die christliche Existenz in einem Spannungsfeld befindet (so P. Bonnard, 113; H . D . Betz, 279-281; der Geist ist den Christen gegeben worden, s. Gal 4,6), sondern daß jede Macht ihre eigene Logik hat, und daß der Wandel im Geiste von der Spaltung der Existenz, die den Geist empfangen hat und unter die Macht des Fleisches und des Gesetes zurückkehrt (vgl. den Anschluß mit V. 18), befreit (so auch, aber mit anderen Begriffen, Rom 7,7-8,4; s. R. Jewett, Paul's Anthropological Terms, AGJU 10, 1971, 101-116, bes. 106f; E. Schweizer, T h W N T VI, 425-428, bes. 425; anders J. M. G. Barclay, Obeying the Truth, 112-117: Die Adressaten werden gerade dann vom Libertinismus befreit, wenn sie sich auf den Geist verlassen, denn der Geist - und nicht das Gesetz - kämpft gegen die aagi;). 18 Lösung: Wenn sich die Adressaten durch den Geist führen lassen (ei aYEafte//jiEQUiatelte als Protasis V. 16a, wobei äyecrÖE sowohl Med. als auch Pass. sein kann: „Sich führen lassen" bzw. „geführt werden"), werden sie gerade dadurch von der Verzweiflung der Existenz, die im Geiste lebt und sich zugleich unter das Gesetz stellen will, befreit werden (oiix böte ytxk.lloi) nr| teXectt|te V. 16b). Die Begründung durch die Verbindung zwischen Handlung und Konsequenz ist die gleiche wie in V. 16, so daß öe die Lösung des Problems von V. 17b einleitet. Die Verheißung gründet auf der Aussage von Gal 4,4f, vgl. 3,23-25: Die Gottesoffenbarung in seinem Sohn bzw. im „Glauben" bedeutet die 133

5,16-24

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

Aufhebung des Gesetzes, die Vermittlung der Sohnschaft und die Sendung des Geistes (zur Formulierung i)Jiö vöfxov s. Gal 3,23; 4,4f.21). 19—23 Doppelte Definition mit Kommentar: Der Unterscheidung zwischen der Auswirkung des Geistes und den Taten der o6lq% folgt ihre parallele Auflistung (Einführung und Lasterkatalog, V. 19a und 19b-21a; Einführung und Katalog der Frucht des Geistes, V. 22a und V. 22b-23a). Der Lasterkatalog wird mit der Wiederholung einer eschatologischen Warnung abgeschlossen (V. 21b: oi Ta TOicröxa jtgaaaovTEg xtX.), während der symmetrische Kommentar des Tugendkataloges eine unpersönliche Betrachtung über das Verhältnis zwischen Gesetz und Frucht des Geistes enthält (V. 23b). In ihrer Form und in ihrem Inhalt sind die beiden Aufzählungen von Lastern und Tugenden zum großen Teil konventionell. Ähnliche Kataloge von abstrakten Begriffen, von Adjektiven, von substantivierten Adjektiven oder von Handlungsverben findet man nicht nur in den Paulusbriefen (Rom 1,29-31; 13,13; 1 Kor 5, lOf; 6,9f; 2 Kor 12,20f, cf. Eph 4,31; 5,3f; Kol 3,5.8) und in der frühchristlichen Literatur (Mk 7,22//Mt 15,19; 1 Tim l,9f; 2 Tim 3,2-5; Tit 3,3; 1 Petr2,l;4,3.15; Apok 21,8; 22,15; 1 Clem 35,5; PolPhil 2,2; Hermas MandVI,2; VIII,3-5, cf.Jak3,13-18;Did2,l-5,2usw.), sondern auch seit Piaton, Gorgias 525a; Res Publica 4,427e; 7,536a; Aristoteles, Rhetorik I, 1362b; 1366b und mit einer psychologisch begründeten Systematik seit Zenon, s. Diogenes Laertius, 7,110-116, in der griechischen und in der hellenistischen Philosophie (cf. Seneca, De vita beata 10,2-4; 22,1; Epiktet, Diss. 2,8,23; 16,45; 18,28; 19,19; 19,26; 22,20; 3,2,3; 21,9; 22,13; 24,89f; 4,3,7; 6,16; Cicero, Tusc. 4,7.16-18.22; Corp. Herrn. 13,7-9; l,22f.25;J. von Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta III, 377-490, usw.) und im von ihr geprägten Judentum (Philo; 1QS 111,13 -IV,26, bes. IV,2-6 u. 9-11). Auffällig ist in Gal 5,19-23, daß die genannten Laster nichts spezifisch Christliches enthalten (während die symmetrische Liste eine gewisse Ordnung aufweist, s. E. Schweizer, in: Rechtfertigung, 466f). Gute und schlechte Handlungen werden nicht als „Tugenden" und „Laster" verstanden, wie es in der pädagogischen Tradition des griechischen Bildungsideals der Fall ist (B. S. Easton, NTEthical Lists, JBL 51 [1932] 1-12: Aufgelistet werden Taten, und nicht Dispositionen wie in der stoischen Psychologie), sondern als Auswirkung von Mächten, die die Existenz bestimmen. Der Herrschaftsbereich dieser Mächte und ihres Krieges ist nicht nur die christliche Gemeinde (cf. J. L. Martyn, 496: „Marks of a Community under the influence of the Flesh / marks of a Community led by the Spirit"), sondern auch der Alltag. Die Gegenüberstellung a a g | / Jtveij|xa ist insofern nicht zeitlos gemeint, als der Geist die eschatologische Gabe Gottes und die schöpferische Macht der neuen Schöpfung ist (s. F. J. Matera, 208f, der auf den ebenfalls eschatologischen Charakter von 1QS III,13-IV,26 verweist). Schließlich fällt auf, daß Subjekt Wechsel sowohl auf die Gefangenschaft der ra Toiaifta JiQ&ooovxeg unter der Herrschaft der adߧ (V. 19-21) als auch auf den Geschenkcharakter der Handlungen des Geistes verweisen (V. 22f; zur Form s. A. Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im N T ; S. Wibbing, Die Tugend- und Lasterkataloge im N T und ihre Traditionsgeschichte, B Z N W 25, 1959; E. Kamiah, Die Form der katalogischen Paränese im NT, W U N T 7, 1964; K. Berger, Formgeschichte des NT, 1984, 148-154). 19a Einleitung. AE ist nicht adversativ, sondern nimmt die Argumentation von V. 16f wieder auf. 3>avega verweist auf die allgemeine Evidenz (so Rom 1,29; Phil 1,13; M.-J. Lagrange, 149; E. Burton, 304; H. D. Betz, 283), und weder auf eine eschatologische Offenbarung (so 1 Kor 3,13; 11,19; 14,25; P. Bonnard, 113) noch auf offensichtliche Konflikte in Galatien (cf. Gal 5,13, so E. Schweizer, in: Rechtfertigung, 467).

134

Die Christen sollen im Geiste leben

5,19

19b-21a Die Aufzählung der Laster (ätiva = &, s. Gal 4,24 u. E. Burton, 257 u. 304f) ist kein Argument ad personam, das jeweils durch die Situation maßgeblich bestimmt wäre; ihr gleichermaßen Evidenz- und normativer Charakter hängt vielmehr mit ihrer Allgemeinheit zusammen. Variationen zwischen den paulinischen Listen zeigen allerdings, daß die Auswahl der Begriffe Anstriche des Lokalkolorits haben kann und jedenfalls durch die kommunikative Funktion des Abschnittes beeinflußt wird (s. A. Vögtle, Die Tugend- und die Lasterkataloge im NT, 30-38, bes. 30f.; C. Breytenbach, Paulus und Barnabas in der Provinz Galatien, AGJU 38, 138-140). Ilogveia oder Äquivalente finden sich in jedem Katalog der Paulusbriefe, die zwei Ketten jiogveia - axadagoia äoeXyEia einerseits und egig - £i)A.og - ih)|xoi - egifreiai (in der gleichen Reihenfolge) andererseits sind in 2 Kor 12,20f parallel, sowohl 1 Kor 5,10f als auch 6,9f enthalten Äquivalente zu eibüAoXaxQia und fiedai, cpftovoi befindet sich in Rom l,29f; mithin sind allein cpaQiiaxeia, E/Ogai, öixoaxaaiai (vgl. a x a i a a i a a i a i 2 Kor 12, 20f) und aigeoEig für Gal 5,19-21 spezifisch (zum allgemeinen Ruf der Galater s. Einleitung 5: Abfassungszeit und -ort und die Problematik der Adressaten). Die Liste läßt sich thematisch in vier Gruppen unterteilen, die drei Problemkreise definieren und drei Hauptaussagen der apostolischen Verkündigung via negativa wiederholen: Die bekennende Entscheidung für den wahren, lebendigen Gott und gegen die Götzen (vgl. 1 Thess l,9f; 1 Kor 8,1-6), die den Alltag bestimmt (vgl. 1 Thess 4,3-8: Äyiaanög; 1 Kor 3,16f; 6-11) und zur gegenseitigen Liebe auffordert (1 Thess 4,8-12; 1 Kor 12-14). Die Schlußformel xai xä ö(ioia ToiiToig hebt den paradigmatischen Charakter der einzelnen Glieder und die offene Struktur der Kette hervor, die spätere Ergänzungen in der Textüberlieferung veranlaßt haben (|xoi/eia, V. 19b; qpövoi, V. 21a). 19b Eine erste Gruppe schließt Jiogveia, dxaöaQoia und äaekyeia ein. IIoQVEia (wahrscheinlich von ji£QVT|Vca „als Sklave verkaufen" abgeleitet) ist selten in der griechischen und hellenistischen Literatur, obwohl bei Hippokrates und Demosthenes bereits belegt (s. Liddell/Scott II, 1450), aber kommt häufig in der LXX, in der hellenistisch-jüdischen und in der frühchristlichen Literatur vor. Die erste Bedeutung ist die „Prostitution". Im erweiterten Sinne werden mit dem Begriff alle Formen des illegitimen Geschlechtsverkehrs gemeint und, im übertragenen Sinne, der Götzendienst (Hos 5,4; Jes 57,9; Ez 16,15; Apok 2,21; 9,21 usw.; s. F. Hauck/S. Schulz, ThWNT VI, 579-595). Die Synode von Ankyra (= Ankara, Hauptstadt von Galatien) beschloß 314 n. Chr., die Frauen, die jtOQVEia begangen hatten (itegi tcöv ... exitOQveDOuaöv) und das dabei empfangene Kind getötet hatten oder versucht hatten, es abzutreiben, nur noch zehn Jahre - und nicht mehr endgültig, wie in der Synode von Elvira, 306 n. Chr. — zu exkommunizieren (Canon 21, C.J. von Hefele, Conciliengeschichte I, 18732, 240). 'Axadagaia wird bei Hippokrates und Piaton im physiologisch-medizinischen Sinne gebraucht, in der LXX und in Mt 23,27 im symbolischen und zeremoniellen Sinne, und bei Demosthenes, in der LXX, im hellenistischen Judentum und im N T (Rom 1,24; 6,19; 2 Kor 12,21; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5; 1 Thess 2,3; 4,7) mit einer moralischen, übertragenen Bedeutung, die in Rom 1,24; 6,19; 1 Thess 4,7 mit dem Problem der Nicht-Anerkennung Gottes verbunden ist, und in 2 Kor 12,21; Gal 5,19 nur wegen der Nachbarschaft der Jtogveia eine sexuelle Konnotation erhalten könnte (s. E. Burton, 305; anders F. Hauck, ThWNT III, 430-432, bes. 432). 'AoEXyEia bildet den Übergang zwischen der ersten (V. 19b) und der zweiten Gruppe (V. 20a); es ist kein jüdischer Begriff (er kommt in der frühen LXX nicht vor, sondern erst in Sap 14,26; 3 Makk 2,26; Testjud 23,1, mit yor)TEia und eiöcüXo^aTQeia unmittelbar 135

5,16-24

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

verbunden, vgl. Gal 5,20a;Jub 4,15;Josephus, B J 1,439; 2,121; 4,562; AJ 4,151; 8,252.318; 15,98; 16,185; 17,110; 20,112) und ist zunächst mit der doppelten Vorstellung der üßgi? und der Gewalt verbunden: „Frechheit" (s. Liddell/Scott I, 255, wo auf Piaton, Isokrates, Demosthenes verwiesen wird). Im N T gehört der Begriff zu Lasterkatalogen (Mk 7,22; R o m 13,13; 2 Kor 12,21; 1 Petr 4,3), Eph 4,19 verbindet ihn mit ccxadagoia, um beide auf die Unkenntnis Gottes zurückzuführen, und er disqualifiziert die vermeintlichen Ketzer in 2 Petr 2,2.7.18 und Jud 4. Die Verbindung mit dem Bereich der Sinnlichkeit ist erst bei Polybios 37,2 jtoXXr] öe xig aaeXyeia x a i jieqI tag aco^iaTiHäg EJuih>|!Lag cruxüj cruvE|r|xoXxnidei und in der Definition des Etymologicum magnum ¿xoinöxr|5 jigog näaav f|öovf|V (gegen 1100 n. Chr.) eindeutig vorausgesetzt (s. J . B . Lightfoot, 210f; E. Burton, 305f; R. N. Longenecker, 255). 20 Die zweite Gruppe enthält zwei theologisch orientierte Begriffe. EiöwXoXcxTQia ist ein hellenistisch-jüdischer (Testjud. 23,1; TestBen 10,10; ApkBar [gr] 8,5) und christlicher Begriff (1 Kor 10,14; Kol 3,5; 1 Petr 4,3, vgl. eiöcotaXotgns 1 Kor 5,10f; 6,9; 10,7; Eph 5,5; Apok 21,8; 22,15), der auf die doppelte Bedeutung von EiStoXov verweist: Die Darstellung eines fremden Gottes, und der durch das Bild dargestellte Gott. ^«Q^iaxEia ist zunächst ein ambivalenter Begriff: Das cpag^axov ist sowohl Arzneimittel als auch Gift, und die Verwendung von Drogen und Wundermitteln gehört sowohl zur Medizin als auch zur Zauberei (sie wird deshalb durch die L X X und die jüdische Literatur als Aberglaube verurteilt) und im übertragenen Sinne zur Verführung der Redekunst (Piaton, Symposion 203d; Leges 9,932e-933e; Philo, det 38; migr 8 2 - 8 5 , die die beiden Begriffe (pao(xaxei)5 und aoHÖg ist die Seele, zunächst als Sitz der Gefühle und der Leidenschaften, dann aber auch der Neigungen, des Mutes und der Wut (Homer, Sappho, Xenophon, Piaton, s. Liddell/ Scott I, 810). Der Begriff kommt mehr als 300mal in der L X X , 17mal beijosephus vor mit 136

Die Christen sollen im Geiste leben

5,20-21

den Bedeutungen der Stimmungen der Tiere (Sap 7,20), des Mutes (2 Makk 7,21) und der Empörung (in der großen Mehrheit der Texte). In Rom 2,8 und Apok 14,10.19; 15,1.7; 16,1.19; 19,15 bezeichnet er die Empörung des Zornes Gottes, in Apok 12,12 Satans Wut, in Lk 4,28; Apg 19,28; 2 Kor 12,20; Eph 4,31; Kol 3,8; Hebr 11,27 menschliche Erregungen und in Apok 14,8; 18,3 den leidenschaftlichen Charakter der JtOQveia. E. Burton, 307f unterscheidet den {hjfiog als Ausbruch des Ärgers vom ruhigen Unwillen der ÖQYT|. Etymologisch ist ¿Qideia nicht von 8Q15 abzuleiten, sondern von ¿gideiieiv „um Lohn arbeiten" und Egidog „der Lohnarbeiter" (von Homer an oft belegt). Von daher scheint sich der seltene Begriff in zwei Richtungen zu entwickeln: Z u m einen meint er den Parteigeist und die Intrigen, die zu Stellungen und Ämtern führen (so der älteste bekannte Beleg des Substantivs in Aristoteles, Politica 1302b; 1303a), zum anderen die Selbstsucht und die selbstsüchtigen Interessen (cf. ävegi-freuTOg in Philo, Gai 68). Beide Bedeutungen passen mehr oder weniger zu dem verhältnismäßig zahlreichen Gebrauch im N T (Rom 2,8; 2 Kor 12,20; Phil 1,17; 2,3; Jak 3,14.16). Spätere Übersetzer und Erklärer scheinen das Wort nicht mehr verstanden zu haben (Gregor von Nyssa, M P G 44, 1324c; Chrysostomos, MPG 60,425; Vulgata: ex contentione), so daß es denkbar ist, daß schon Paulus es irrtümlich von egig (und dann mit dem Sinne von „Hader", „Streitsucht") abgeleitet hat (so J. G. Reiche, Versuch einer ausführlichen Erklärung des Briefes Pauli an die Römer, 1833, 34; H. Lietzmann, H N T 8, 19334, 39; zur Rekonstruktion der Begriffsgeschichte s. E. Burton, 308f; F. Büchsei, T h W N T II, 657f). Aixocrtaoia ist ein klassischer Begriff, der bei Herodot in der Bedeutung „Spaltung" und bei Theognis und Solon im Sinne von „Aufstand", in der L X X nur in 1 Makk 3,29, ansonsten in OrSib 4,68; PsPhoc 151; Rom 16,17 vorkommt (s. Liddell/Scott I, 439). Die aigeaeig (von aigelv „nehmen" bzw. atpeiaftai „wählen", „vorziehen") sind im Hellenismus philosophische Tendenzen, Schulen oder Parteien (Dionysos Halicarnasseus; Sextus Empiricus; Josephus, BJ 2,137; so auch ohne Wertung in Apg 5,17; 15,5; 24,5; 26,5, vgl. 28,22). Bei Epiktet, Diss., werden aigeaig und itgocugecrig erkenntnistheoretisch gebraucht, u m die Entscheidungsfähigkeit des Menschen zu bezeichnen (vgl. Hermas, Sim. 9,23,5). In Josephus, AJ15,6; Apg24,14; 1 Kor 11,19; 2 Petr 2,1; IgnTrall 6,1 wird das Faktum der Gruppenbildungen negativ beurteilt, ohne daß die Problematik der Wahrheit damit verbunden wird. Die Gleichstellung Einheit = Wahrheit bzw. Schulbildung = Ketzerei scheint erst in IgnEph 6,2, vgl. 2 Petr 2,1 mitzuschwingen (s. E. Burton, 309f; H. Schlier, T h W N T I, 179-184; anders M . J. Lagrange, 151). 21a 3>fr6vo5 ist im Unterschied zu ^fjXog ein unzweideutiger Begriff, der „Neid" meint und Böswilligkeit impliziert (s. die Definition von Aristoteles, Rhetorik II, 1386b. 1387b-1388a, bes. 1388a: Aiö xai ¿3tieixr|g eariv 6 £rjX.og xai EJIIEIWÖV, TÖ ÖE cpfroveiv (pcrüXov xai qpauXcov), in der L X X nur Sap 2,24; 6,23; 1 Makk 8,16; 3 Makk 6,7; ApkBar [gr] 13,4; Arist 224,2; OrSib 3,377.662; Jub 10,1; 17mal inTestXII; etwa 40mal bei Philo und 50mal bei Josephus; Mk 15,10; Mt 27,18; Rom 1,29; Phil 1,15; 1 Tim 6,4; Tit 3,3; Jak 4,5; 1 Petr 2,1, s. J. B. Lightfoot, 212; E. Burton, 310). Meöai und >cäj[ioi bilden eine Einheit für sich (s. Rom 13,13; Philo, eher 92; Dio Cassius 65,3; H. Schlier, 254; H. Preisker, T h W N T I V , 550-554). MeAt| (Lk 21,34; Rom 13,13) ist seit Herodot mit den beiden Bedeutungen des Trinkgelages und der Trunkenheit bekannt (s. Liddell/Scott II, 1090), in der LXX und im hellenistischen Judentum aber nur mit der zweiten Bedeutung; und xcö|a05 bezeichnet seit Homer das fröhliche Essen, das mit Festzügen zu Ehren der Götter, u. a. des Bacchus, verbunden ist (s. Sap 14,23; 2 Makk 6,4; 137

5,16-24

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

OrSib 5,317.394; Philo, Gai 12; Josephus, BJ 1,570; 2,29; AJ 11,66; 17,65; 1 Petr 4,3). Nach Piaton gehört das (begrenzte und beherrschte) Weintrinken zu einer Pädagogik, die Kultur und Politik in Verbindung zu bringen versucht (Leges I, 641a-II,674c; cf. Horaz, Carmina 1,18; Epodi 13; Saturae 2,1: Die Weinkultur entspricht einer philosophischen Lebenshaltung). 21b Kommentar: Eschatologische Warnung (nicht vor den einzelnen, aufgezählten Sünden, sondern vor dem Wandel „im Fleische", der sich in dieser Klasse von Haltungen äußert, s. ra Totoüra, E. Burton, 312; A. Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im NT, 41f). nQoXeyeiv hat eher den Sinn von „voraussagen" (so auch 2 Kor 13,2; 1 Thess 3,4) als von „öffentlich verkündigen". Kai ist sekundär und betont die Wiederholung von jtgoeüJtov: Anders als in Gal 1,9, aber wie in Gal 4,13.16, verweist die Argumentation auf die missionarische Predigt (zu jtgoEtjieiv s. 2 Kor 7,3; 12,2; Gal 1,9; 1 Thess 4,6; Jud 17, vgl. Mk 13,23; Mt 24,25; Apg 1,16; Rom 9,29; Hebr 4,7; 2 Petr 3,2; J.L. Martyn, 497: Diese Zwischenbemerkung widerlegt den Vorwurf der „Lehrer", das paulinische Evangelium sei unangemessen, um die Verhaltensprobleme der Galater zu lösen). Sprachlich bildet ÖXL oí vxk. einen Fremdkörper innerhalb des Gal: Ilgáoaeiv gehört zwar zum paulinischen Wortschatz, kommt aber nur hier im Brief vor, der sonst immer Jioieiv verwendet (Gal 3,10.12; 5,3.17; 6,9, vgl. 2,10). BaoiAeia fteoO ohne Artikel kommt 4mal bei Paulus vor (mit doppeltem Artikel: Rom 14,17; 1 Kor 4,20; ßaadeia allein: 1 Kor 15,24; 1 Thess 2,12), immer als Objekt von xXr|QOVO|i£LV, 3mal im Zusammenhang von Lasterkatalogen (1 Kor 6,9f; Gal 5,21) und einmal in der verwandten Formulierung von 1 Kor 15,50 a á g | xat al|IA ßaoiXeiav dsofi xXr)Qovo|xeiv ov öiivarai. Die Verbindung von XX.T|QOVO[IEIV mit ßaai^eia •deoC ist einzigartig im Brief, der die ganze Begriffsfamilie XXT]QOVO[ÍEÍV, xX.R)govo(iia und XXT]Q0VÓ(Í05 in bezug auf die Verheißung an Abraham einsetzt; sie hat ihre engste Parallele in Mt 25,34 (cf. £IOR]v aícímov XXT|OOVO|XEÍV Mt 19,29; Mt 10,17; Lk 10,25; 18,18; eimMeiv eigrriv ßaadeiav Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,23f; Mk 9,47; 10,15.23-25; Lk 18,17.25; Joh 3,3f; s. J. Schneider, ThWNT II, 673-676; H. Windisch, Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes, ZNW 27 [1928] 163-192: Hintergrund der Metaphern und der Verbindung zwischen eiaeX/fteiv und XXT)QOVO|IEIV sind der Einzug in Kanaan, Dtn 4 , 1 ; 6,18; 16,20, und die Zulassung zur Tempelliturgie, Ps 14; 23; 117LXX). Naheliegend ist es, daß Paulus eine traditionelle Wendung zitiert und eine Form aufgreift, die eine Variante des in den Evangelien rezipierten Logions mit katalogartigen Anweisungen verbindet (so A. von Harnack, Die Apostellehre und die jüdischen beiden Wege, 1886, 6: Eine Zusammenstellung von Logia, cf. Mk 7,21; A. Seeberg, Der Katechismus der Urchristenheit, 1903, 11 u. 36-44: Eine mündliche Tradition der Wege als Lehrstoff des Katechumenenunterrichtes; anders A. Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im NT, 38-45, der auf die Vielfalt der Schemata hinweist; zur theologischen Interpretation s. Exkurs: Eschatologische Motive der Paränese). 22a Einleitung. Die parallele Beschreibung der Auswirkungen der aág§ und des Geistes ist asymmetrisch (8é ist adversativ): Die Metapher der Frucht (s. Rom 1,13; 6,21f; 15,28; 1 Kor 9,7; Phil 1,11.22; 4,17; F. Hauck, ThWNT III, 617f) tritt an die Stelle des abstrakten Begriffes der Egya, was die drei Vorstellungen des eschatologischen, aber dann des „natürlichen" Prozesses, der mit der Aussendung des Geistes angelegt ist (s. Gal 4,6f; H. D. Betz, 2861), der Wachstums- und lebensstiftenden Fruchtbarkeit und des Wunder- und Geschenkcharakters der neuen Schöpfung hervorruft (s. P. Bonnard, 114; F. Ponge, Comment une figue de paroles et pourquoi, 1977). Andererseits steht der 138

Die Christen sollen im Geiste leben

5,22-23

Pluralität der EQya die Einheitlichkeit des wagjiög gegenüber. Die Bezeichnung mit £Qya wäre hier unsachgemäß, zum einen weil die neun folgenden Begriffe eine Lebenshaltung definieren und keine einzelnen Handlungen (so W. Schräge, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, 55f; E. Burton, 313f. u. 489, unterscheidet den xaQJtog des Geistes als Gabe der neuen Schöpfung von den xotQio(j,aTa und der cpavegcuoig des Geistes, die die individuellen Eigenschaften als Gaben deuten), zum anderen weil der Ausdruck epya "tot) jtvev>|i,atos wegen des Parallelismus mit egya vö^iou mißverstanden werden könnte (s. C. K. Barrett, Freedom 77; R. N. Longenecker, 259). 22b-23a Die Frucht des Geistes. Die genannten Aspekte der Existenz im Geiste lassen sich in drei Triaden einordnen (J. B. Lightfoot, 212; H. Schlier, 256, cf. 1 Kor 13,13; anders E. Burton, 314: 'Aycurri bildet eine Klasse für sich, cf. 1 Kor 13,4-8, x a Q« und eiQT|vr| verweisen auf die eigene Erfahrung, während die folgenden Begriffe sich auf die Haltung gegenüber dem Anderen beziehen und ¿yngateia die Antithese zu niftcu und xw(xog V. 21 bietet; A. Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im NT, 47f: Die fünf Aspekte von (iaxQo{h)|xia bis TU cm 5 wirken sich gegenüber dem Nächsten aus, während die zwei letzten das Verhältnis zu sich selbst betreffen). Einige Zeugen fügen ayveia = „Reinheit", „Keuschheit" (vgl. 1 Tim 4,12; 1 Clem 64,1) hinzu, andere wio(xovr| (S. B.M. Metzger, 598: Hätten diese Begriffe zur ursprünglichen Liste gehört, dann hätte sie auch kein Kopist gestrichen), und die Vulgata übersetzt (xaxQO-ÖDixia und hqoOtt); zweimal (patientia + longanimitas; mansuetudo + modestia) und bekommt dadurch eine zwölffältige Frucht. Die erste Gruppe ayouir) - %ag& - EIQT)VT| besteht aus zentralen Begriffen des Paulus und hat programmatischen Charakter. Die Voranstellung der Liebe entspricht dem Bekenntnis von Gal 5,6 (JUOTIC; 8 1 ' d.yäizr\q EV£QYOU|JIVTI) und der prinzipiellen Aussage von Gal 5,13f (cf. Rom 13,8-10; 1 Kor 13,4-8). 'Ayajtri mit dem Menschen als Subjekt meint bei Paulus immer die Liebe zum Mitmenschen: Nächstenliebe oder gegenseitige Liebe (Rom 12,9; 13,10; 14,15; 1 Kor 8,1; 13,1-4.8.13; 14,1; 16,14; 2 Kor 2,8; 6,6; Gal 5,6.13.21; Phil 1,9.16; 2, lf), Liebe des Apostels für die Gemeinden, Liebe der Gemeinden für den Apostel oder für andere Gemeinden (1 Kor 4,21; 16,24; 2 Kor 2,4; 8,7f.24, s. E. Burton, 314 u. 519-521; E. Stauffer, T h W N T I, 49-52). Xa@d kann seit Sappho eine Vielfalt von Gefühlen und Haltungen beschreiben, die auch mit Stolz und Spott gemischt werden können (cf. Euripides, Alcestis 1125; 3 Makk 4,16; 5,21; 6,34; Jak 4,9) und oft einen theologischen oder philosophischen Hintergrund haben (s. Liddell/Scott II, 1976; E. Burton 314). Für Paulus gründet die Freude im Gottesvertrauen; sie freut sich über die Freude des Anderen und hält inmitten der Leiden und der äußeren Schwachheit durch (Rom 14,15; 15,13.32; 2 Kor 1,15.24; 2,3; 7,4.13; 8,2; Gal 5,22; Phil 1,4.25; 2,2.29; 4,1; 1 Thess 1,6; 2,19f; 3,9; Phlm 7; H. Conzelmann, T h W N T IX, 359f). EIQTIVTI ist entweder das geistige Wohlbefinden, das durch die Gnade Gottes geschenkt wird (Rom 1,7; 15,33; 16,20; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; 13,11; Gal 1,3; 6,16; Phil 1,2; 4,9; 1 Thess 1,1; 5,23; Phlm 3), oder das gute Gewissen, das aus der Versöhnung mit Gott erfolgt (Rom 2,10; 5,1; 15,13 Phil 4,7), oder die zwischenmenschliche Harmonie (Rom 8,6; 14,17.19; 1 Kor 7,15; 14,33; 16,11, cf. 1 Thess 5,3). In Gal 5,22 könnte das gleiche wie in Rom 5,1 u. 15,13 gemeint sein (in Rom 15,13 stehen auch XO.Q& und EIQR|VT] nebeneinander). Zwischen dydjtr| und %(XQ6. einerseits und (xaxgo'&ajjiia andererseits ist aber der Sinn des Friedens mit dem Nächsten und mit dem Bruder wahrscheinlich mitgedacht (s. E. Burton, 314f u. 424-426). MaxQodu|xia ist selten, aber seit Menander belegt. Die Bedeutung ist durch die Etymologie gegeben: Die Beständigkeit der Seele trotz des äußeren Druckes. Gemeint ist 139

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Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

entweder die Geduld und die Ausdauer, die durch die Umstände herausgefordert wird, oder die Langmut, die eigene Ansprüche zurückstellt und ihren Ärger zurückhält (Prov 25,15; Sir 5,11; Jes 57,15; 1 Makk 8,4; TestDan 2,1; 6,8; Testjos 2,7; 17,2; 18,3; Testjob 27,7; Arist 188,3; Josephus, B J 6,37; 2 Kor 6,6; Gal 5,22; Eph 4,2; Kol 1,11; 3,12; 2 T i m 3,10; 4,2; Hebr 6,12; Jak 5,10; mit Gott oder Christus als Subjekt: Jer 15,15; R o m 2,4; 9,22; 1 Tim 1,16; 1 Petr 3,20; 2 Petr 3,15, s. E. Burton, 315; J . Horst, T h W N T I V , 3 7 7 - 3 9 0 ) . XQT](TTÔTT|Ç betont die Vorzüglichkeit einer Person oder ihres Charakters, ihre Güte und ihre Freundlichkeit (Euripides, Supplices 872; Aristoteles, De virtutibus et vitiis, 1251b, Piaton, Philo, oft bei Plutarch, in der L X X , bei Josephus, PsSal 5,15-17.21; 8,34; 9,15; 18,2; R o m 3,12; 2 Kor 6,6; Gal 5,22; Kol 3,12; mit Gott als Subjekt: R o m 2,4; 11,22; Eph 2,7; Tit 3,4, s. E. Burton, 315; K. Weiß, T h W N T I X , 4 7 8 - 4 8 1 ; F. Mußner, 387 A. 85). 'Aycr&cüoijVTi ist zunächst in der L X X belegt und scheint eine hellenistisch-jüdische Erfindung zu sein, deren Sinn sich mit XQT)(JTÔTT]Ç überschneidet: „Güte", „Freundlichkeit", „Gerechtigkeit" (s. H. Schlier, 259f;J. B . Lightfoot, 212f, versucht eine Wiederholung zu vermeiden, indem er vorschlägt, zwischen benignitas und bonitas, wie Hieronymos, oder zwischen benevolentia und beneficentia zu unterscheiden, während E. Burton, 316, den ersten Sinn jeweils vorzieht: „kindness" und „goodness"). Im N T kommt der Begriff nur im paulinischen Corpus vor (Rom 15,14; Gal 5,22; Eph 5,9; 1 Thess 1,11). IIÎCTTiç bezeichnet entweder das Vertrauen (und subjektiv die Glaubwürdigkeit) oder das, was Vertrauen gibt (einschließlich der Argumente und Beweismittel, s. Liddell/Scott II, 1408). Gemeint ist in Gal 5,22 entweder das Zutrauen (so 1 Kor 13,7: [f| àyâitr]] jtóvxa juarevei) oder die Treue (so Rom 3,3) oder eine elegante Kombination beider (so M . - L . Lagrange, 153: „une disposition à la confiance envers les autres, née de l'estime qu'on a soimême pour la fidélité"; s. E. Burton, 316 u. 4 7 5 - 4 8 5 ; R. Bultmann, T h W N T VI, 2 0 3 - 2 0 8 ) . riQaôtr|ç und später jiQa{jTT)ç bedeutet in der klassischen Sprache „Sanftmütigkeit", „Milde" und kennzeichnet einen freundlichen und friedlichen Umgang mit den Anderen (Piaton, Symposion 197d; Res Publica 558a; Definition in Aristoteles, Rhetorik II, 1380a-1380b: Der Begriff wird als kontradiktorisch zu ÒQyf| eingeführt). Jak 1,21 (vgl. M t 5,5) ist durch den Sprachgebrauch der L X X (jtQaijTTiç „Demut", „Gehorsam", „Furcht") geprägt. Sonst hat J I Q O Û T T I ; seine allgemeine, griechische Bedeutung (1 Kor 4,21; 2 Kor 10,1; Gal 5,23; 6,1; Eph 4,2; Kol 3,12; 2 Tim 2,25; Tit 3,2; Jak 3,13; 1 Petr 3,15, s. E. Burton, 317; H. Schlier, 260f; F. Hauck/S. Schulz, T h W N T VI, 6 4 5 - 6 5 1 ) . 'Eyxçàteia ist eine griechische Vorstellung der Selbstbeherrschung, der Selbstkontrolle und daher der Enthaltsamkeit als Vollkommenheitsideal, die bei Piaton, Res Publica 390b und 430e F| ötocpQocrüvr) ècrtìv x a ì F|ôovcûv TLVOJV xal êjtiihjixiûjv èyxQciTeia erscheint, und erst mit Sir 18,15.30; 4 Makk 5,34, Testlss 2,1; TestNapht 8,8; Arist 278,2; Apg 24,25; Gal 5,23; 2 Petr 1,6; cf. èyxgcmiç Tob 6,3; Sap 8,20; Sir 6,27; 15,1; 26,15; 27,30; Suz 39Theod; 2 Makk 8,30; 10,15.17; 18,13; Arist 22; PsPhoc 145; Tit 1,8, aber massenweise bei Philo, den Apostolischen Vätern und den Kirchenvätern ihren Einzug in das hellenistische Judentum und in das Christentum hält (s. E. Burton, 317f; W. Grundmann, T h W N T II, 3 3 8 - 3 4 0 ; A. Rousselle, Porneia. De la maîtrise du corps à la privation sensorielle. I I e - I V e siècles de l'ère chrétienne, Les chemins de l'histoire, 1983; M . Vegetti, L'etica degli antichi, Manueli Laterza 4, 1994 3 ). 23b Kommentar: leicht ironische Bemerkung in der Form einer Feststellung. Selbst falls das Gesetz noch gelten würde (s. Gal 3 , 2 3 - 2 5 ; 4,1-7), könnte es kein Gesetz gegen die Lebenshaltung geben, in der sich die Existenz im Geiste (jtvet)|j,aTi) äußert. Obwohl die

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Die Christen sollen im Geiste leben

5,23-24

Aussage im Blick auf jedes Gesetz stimmen kann, denkt der Apostel wahrscheinlich zunächst an das Gesetz von Gal 3,19 (so E. Burton, 318f). O b tö»v toioutcov Neutrum (cf. xä Toiaüta V. 21) oder Maskulinum ist (cf. ot jtQaaaovreg, V. 21), ändert nicht den Sinn. Das Nicht-Gesagte und zugleich die Spitze der Formulierung ist die Paradoxie, die dem ganzen Brief zugrundeliegt: Tadellos vor dem Gesetz ist nicht die Existenz „aus" bzw. „unter dem Gesetz" (oagxi, cf. Gal 3,3), sondern der Glaube, d . h . die neue Schöpfung jivei>|icn;i (s. B. Corsani, 365f). 24 Das ethische Programm und seine dritte Begründung: Die Adressaten sollen im Geiste leben (V. 16a), weil alle, die Christus gehören (xoti Xgicrtoij 'IriaoO ist Gen. possessivus), ihre adߧ, d. h. die Kraft im Menschen, die ihn beherrscht (V. 16f.l9), gekreuzigt haben. Der Sinn liegt in der logischen Verbindung der Implikation: Es gibt keinen, der sich noch unter der Macht der o d g | befindet und gleichzeitig tatsächlich unter der Herrschaft Christi steht. Die Argumentation greift auf die christologisch-soteriologischen Thesen von Gal 2,19f und auf das Fazit von Gal 2,21 zurück: 1. Tod und Auferstehungjesu bzw. die Berufung Gottes unter seine Herrschaft (cf. Gal 1,6; 5,8) haben keinen Sinn, wenn das Gesetz und die a a p ! noch herrschen (Gal 2,21). 2. Die Identität des Christen gründet darauf, daß er mit Christus gekreuzigt wurde (Gal 2,19b) bzw. daß er die oäg%, d. h. sich selbst, als die Macht die ihn gefangen hält, gekreuzigt hat (Gal 5,24; im Unterschied zum Perf. von Gal 2,19b verweist der Aor. auf den Moment der Entscheidung, s. P. Bonnard, 115f; J . D . G . Dunn, 315; anders H. Weder, Kreuz, 198-201: Die aktivische Formulierung meint das Verhalten, das das Gekreuzigt-Sein des Ich begleitet) bzw. daß die Welt für ihn und er für die Welt gekreuzigt worden ist (Gal 6,14). Die Bedeutung der Metapher ergibt sich aus der Interpretation des Todes und der Auferstehung Jesu durch die Synekdoche des Kreuzes als Offenbarung des rechtfertigenden Gottes: Der Mensch findet den Ursprung und den Sinn seiner Existenz „durch den" bzw. „aus dem Glauben", d. h. indem er sein Vertrauen in Gott setzt, und nicht „aus den Werken des Gesetzes", d. h. durch das Vertrauen auf Eigenschaften und Handlungen lebt, die ein Gesetz, das nicht lebendig machen kann (Gal 3,21), von ihm fordert (s. Gal 3,13 bzw. 2,16 u. Komm.) 3. Der Herrschaftswechsel impliziert einen Subjektwechsel: Nicht mehr die o&q§, sondern Christus bzw. der Geist lebt im Christen (Gal 2,20a; 4,6). Kennzeichen der o&q! als Subjekt sind ihre (toig bzw. xaig haben possessive Bedeutung, s. E. Burton, 320) ¿Jtidt)(xiai (cf. V. 16 u. Komm.) und ihre jiaöir|n.aTa. ndörjjia (üblicherweise Plur.: Jtaör|(iata) bezeichnet in der klassischen Literatur 1. (passive) Erfahrungen (Piaton, Herodot), 2. unangenehme Erfahrungen, Leiden und Unglück (Sophokles, Thykidides, Piaton) und 3. Dispositionen und Tendenzen (Aristoteles, Poetik 1449b; Rhetorik 2,1396b; Metaphysik 4,1020b; Xenophon; vgl. Liddell/Scott II, 1285). Das Wort ist in der L X X nicht belegt. Im N T hat es fast immer den Sinn „Leiden" (Leiden Christi, 2 Kor 1,5-7; Phil 3,10; Hebr 2,9f; 1 Petr 1,11; 4,13; 5,11; Leiden des Apostels, Kol 1,24; 2 Tim 3,11; Leiden der Christen, Rom 8,18; Hebr 10,32; 1 Petr 5,9). Ausnahmen sind Rom 7,5 und Gal 5,24: Der Begriff ist an und für sich neutral, und die Tendenzen und Neigungen sind deshalb moralisch negativ bewertet, weil sie zur d ^ a g t i a bzw. zur od(>| gehören (s. E. Burton, 319-321).

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Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

D i e Existenz i m Geiste in der neuen Zeit Literatur: R. B. HAYS, The Moral Vision of the NT. A Contemporary Introduction to the N T Ethics, 1996,16-59. - M . KLINGHARDT, Sünde und Gericht von Christen bei Paulus, Z N W 8 8 (1997) 56-80. - C. ROETZEL, The Judgement Form in Paul's Letters JBL 88 (1969) 305-312. - B. RORDORF, Comment parier du Jugement dernier?, EThR 70 (1995) 367-375. - E. P. SANDERS, Paul and Palestinian Judaism, 1977, 515-518. - P. STUHLMACHER, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, FRLANT 87, 1965, 228-236.

Metaphern und Begriffe eschatologisch-endzeitlicher Vorstellungen fuhrt die Argumentation des Gal erst im Kontext der allgemeinen Paränese ein, und zwar im logischen Verhältnis einer unmittelbaren Kontinuität zwischen Handlungen und ihrer Wirkung. Die Aussagen sind: Wer die epya xfjg oapxög tut, wird die ßaaiXeia deoti nicht ererben (Gal 5,21), und wer eig xr)v aägxa ¿ctuxoö sät, wird aus dem Fleisch Verderben ernten (Gal 6,8, wobei cp'ftoQct und £cor) aiwvioc; entgegengesetzt werden). Darüber hinaus impliziert die Ankündigung, daß jeder sein i'öiov cpoQxiov tragen wird, den Gedanken eines Endgerichtes Gottes, der aber nicht thematisiert wird und auch in den anderen paulinischen Briefen mit der Vorstellung der Auferstehung der Toten (1 Thess 4,13-18; 1 Kor 15,1-58) bzw. des Lebens nach dem Tode (Rom 14,7-9; 2 Kor 5,1-5; Phil 1,21-26) nicht verbunden ist. Folglich scheinen vier theologische Thesen nebeneinandergestellt zu sein: 1. Das Gerechtwerden durch den Glauben, 2. die kausale Verbindung zwischen aktuellen Entscheidungen bzw. Handlungen und ihren eschatologischen, unmittelbaren oder späteren, Folgen, 3. das Endgericht nach den Werken (nur in Rom 2,12f scheinen die beiden Themen der Gerechtigkeit und des Gerichtes in Verbindung gebracht zu werden) und 4. die Auferstehung der Toten bzw. der Übergang der Toten zu Christus ohne Gericht. Eine erste Paradoxie besteht im Sprachgebrauch der eschatologischen Begriffe. BaaiXeia deoü ist sowohl in Rom 14,17 als auch in 1 Kor 4,20 eine eschatologisch-präsentische Größe, 1 Kor 6,9f ist eng parallel zu Gal 5,21; und 1 Kor 15,50 radikalisiert insofern die Aussage, als der Mensch das Gottesreich gar nicht ererben, sondern nur von Gott verwandelt werden kann. Anders verhält es sich auch mit ?|j.EV (V. 25) wird zunächst negativ (|xr| yiviünefra in V. 26 nimmt inhaltlich den Topos von V. 15 wieder auf), dann positiv (6,1-6) konkretisiert. Dem allgemeinen Grundsatz, der in der 1. Pers. Plur. communic. formuliert ist (V. 25), folgen Empfehlungen, die wiederum explizit an die Adressaten gerichtet sind (s. döeXcpoi, 6,1//5,13; 2. Pers. Plur., s. 5,13-24): Konkrete Maximen erläutern die Liste der „Frucht des Geistes" (Sanftmütigkeit, Geduld, Enthaltsamkeit und Güte) in bezug auf das Leben in den christlichen Gemeinden (so J . L. Martyn, 541-545). Vier Anweisungen betreffen 1. die Verantwortung der tcvev|xcitixoí für die Ermahnung des Sünders (die Aufgabe ist mit einer Warnung vor der Selbstüberschätzung verbunden, V. la bzw. lb), 2. die gegenseitig-brüderliche Fürsorge (V. 2a), die als Erfüllung des Gesetzes Christi (V. 2b, vgl. Gal 5,14) und zugleich utilitaristisch begründet wird (yág V. 3), anschließend daran 3. die richtige Einschätzung des eigenen Werkes (V. 4, der durch die eschatologische Perspektive des Gerichtes begründet wird, yág V. 5, vgl. 1 Kor 3,13-15; Rom 14,4.10-12), und 4. die geistige und vielleicht auch finanzielle Unterstützung der Missionare und Lehrer der Gemeinde (V. 6, vgl. 1 Kor 9,7-14; 2 Kor 11,7f; 1 Tim 5,17f). Die Argumentation besteht aus einer Aneinanderreihung von Einzelsprüchen, die nebeneinandergestellt (V. 1 u. 2), voneinander abgegrenzt (8é, V. 4 u. 6) bzw. durch Kausalverbindungen verknüpft (yág, V. 3 u. 5) und dadurch logisch einander zugeordnet sind. 25 Wiederholung des ethischen Programms: Die Antithese jtveí)|ia/aáQ§ (Gal 5 , 1 6 - 2 4 ) wird ersetzt durch eine Differenzierung der Aufforderung Jtveii>|iaxi jteQuxaxeixe in die Form einer Dialektik Indikativ/Imperativ (£V. 5). 147

5,25-6,6

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

4 Aé verbindet nicht mit V. 3, sondern mit V. 1 und 2. Der Personenwechsel unterstreicht die dialektische Perspektive: Jeder ist für die Anderen da (V. 2f), aber für das eigene Tun allein verantwortlich. eO ëxeqoç (= ô 3iXr)oiov) verstärkt eîç éautôv |xôvov und muß nicht ironisch gegenüber „Pneumatikern" sein. Aoxi|xàÇeiv ist der paulinische Begriff der kritischen Beurteilung (oder der Entscheidung bzw. Annahme nach kritischer Überprüfung: Rom 1,28; 2,18; 12,2; 14,22; 1 Kor 3,13; 11,28; 16,3; 2 Kor 8,8.22; 13,5; Gal 6,4; Phil 1,10; 1 Thess 2,4; 5,21; s. G. Therrien, le discernement dans les écrits pauliniens, 1973, 118-125). Das Objekt der Überprüfung ist nicht die Person, die durch den Glauben von Gott gerechtfertigt wird, sondern deren Handlungen (zur Bedeutung dieser anthropologischen Unterscheidung s. Gal 2,16 u. Komm.). Koai/r^ia ist in den Paulusbriefen der Gegenstand des Ruhmes (Rom 4,2; 1 Kor 5,6; 9,15f; 2 Kor 1,14; 5,12; 9,3; Gal 6,4; Phil 1,26; 2,16), während navy^aic, der Akt des Sich-Rühmens ist. Die Begriffe •na.vyâo'&o.i und xouxriaiç sind insofern zweideutig, als sie zum Ausdruck bringen, wessen und vor wem sich der Mensch rühmt, d. h. auf wen er sein Vertrauen setzt (s. R. Bultmann, ThWNT III, 646-654). Eiç ist Äquivalent für ev, und die Satzstellung hebt eîç éatixôv hervor. Das Hai)XT||xa ist positiv bewertet, solange der Schatz der guten Werke, die der Mensch für den Tag des Gerichtes zu bringen hat (2 Kor 1,14; Gal 6,4f; Phil 2,16), nicht zur Rechtfertigung seiner Person mißbraucht wird (Rom 4,2; F. Sieffert, 339: Das xai)XT)|xa bezeichnet nicht den Ruhm, sondern die betreffende Ursache zum xavxâodai; J. L. Martyn, 550: Die „Lehrer" rühmen sich des Eifers galatischer Christen für das Gesetz). Das Futurum ë|ei ist sowohl logisch (cf. xal töte) als auch eschatologisch (s. ßaorctaei V. 5). 5 Begründung durch den Verweis auf das Gericht (so D. W. Kuck, NTS 40 [1994] 289-297; anders F. Sieffert, 340f: Jeder wird seine eigene Bürde in dem durch die Selbstprüfung hergestellten sittlichen Selbstbewußtsein tragen; J. B. Lightfoot, 217: Die Metapher interpretiert die christliche Existenz als militia Christi, die ihre Verantwortungen trägt; H. D. Betz, 303f, nach welchem (pOQxiov ßaaxot^eiv das oÜTCtQxeia-Ideal der hellenistischen Philosophie rezipiert; zu (poQTÎov s. K. Weiß, ThWNT IX, 87f). Die Vorstellung ist nicht, daß jeder nach seinen Werken gerichtet werden wird (so. H. Schlier, 274), sondern daß jeder sein egyov (und nicht seine ßagr)) zum Gericht tragen wird (zu ßaoTci^Eiv s. Gal 5,10; 6,2.5.17; zum Gericht der Werke als Vollzug der Rechtfertigung s. Exkurs: Eschatologische Motive der Paränese, ad Gal 5,16-24). 6 Vierte Empfehlung (wiederum mit Ôé angeschlossen). Wegen der sehr allgemeinen Formulierungen versteht man sie am liebsten als einen Sonderfall der Aufforderung, die Lasten gegenseitig zu tragen (V. 2f, s. J. B. Lightfoot, 217f), und nicht als Anfang von Gal 6,6-10 (so A. Loisy, 193f; E. Burton, 335; U. Börse, Standort, 37, und L.W. Hurtado, The Jerusalem Collection and the Book on Gal, JSNT 5 [1979] 46-62, bes. 53—57, lesen Gal 6,6-10 als einen eindeutigen Appell zur Beteiligung an der Kollekte für Jerusalem) oder als selbständige Einheit (so P. Bonnard, 125; F. Mußner, 402f): Die Brüder, die in den Gemeinden die Verantwortung für die Verkündigung haben (zu ô Kôyoç, s. Phil 1,14; 4,15; 1 Thess 1,6; Mk 2,2), sollen entlastet bzw. unterstützt werden (zum gemeindeorganisatorischen Hintergrund s. 1 Kor 9,7-14; 2 Kor 11,7f; 1 Tim 5,17f, cf. J. Becker, 76; H.W. Beyer, ThWNT III, 638-640, bes. 639: Der Anspruch des Lehrers auf Lebensunterhalt setzt einen berufsmäßigen Lehrerstand in der Gemeinde voraus; J. Eckert, Verkündigung, 146f, u. J. L. Martyn, 552: Paulus verteitigt die Katecheten, die er in Galatien eingesetzt hatte, die dem Evangelium treu geblieben sind, und die die „Lehrer" absetzen wollen; A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhun148

Der eschatologische Horizont der Entscheidung der Adressaten

6,6

derten I, 19244, 332-357). KaTr)xeiv ist zum ersten Mal bei Philo, Gai 198 belegt, und das N T verwendet es in den beiden Bedeutungen von „informieren" (Apg 21,21.24) und „unterrichten" (Lk 1,4; Apg 18,25; Rom 2,18; 1 Kor 14,19; Gal 6,6). Da aber das Substantiv xatrixiiaiS bereits im Corpus Hippocraticum, in einem Zitat von Chrysippus (Diogenes Laertius 7,1,53) und in einem Brief von Cicero (Ad Atticum 15,15 [12] sed quid aetati credendum

sit, quid nomini,

quid hereditati,

quid xaTrjxrjoEi,

magni consili est) i m Sinne

einer mündlichen Beratung, einer philosophischen Lehre und der besonderen Erziehung eines jungen Mannes bekannt ist, kann man vermuten, daß das Verbum bereits früher als unsere Belege existierte (s. E. Burton, 337). Als terminus technicus für den Katechumenenunterricht ist x\ X£>r|i£ovTi (XEtaöoaiv jioir|aacr9m).

6,7-10 Der eschatologische Horizont der Entscheidung der Adressaten 7 Irret

euch nicht, Gott läßt sich nicht verspotten. Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten. 8 Denn wer auf sein Fleisch sät, wird aus d e m Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, wird aus dem Geist ewiges Leben ernten. 9 Das Gute zu tun laßt uns nicht müde werden. Denn zur rechten Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten. 1 0 Darum laßt uns, solange wir Zeit haben, allen Gutes tun, a m meisten jedoch den Angehörigen des Glaubens. Die Aufforderung, zeitgemäß (cf. Gal 3,23-25; 4,1-7) im Geiste zu leben (Gal 5,13—6,6), wird durch einen letzten Appell, der die zentrale Mitteilung des Briefes wiederholt, zusammengefaßt. Die Adressaten (2. Pers. Plur.) sollen sich nicht täuschen lassen (V. 7a, cf. Gal l,6f; 3,1; 5,7). Die Warnung ist zunächst theologisch formuliert: Der Gott, der sie berufen hat (Gal 1,6; 5,8), läßt sich nicht verspotten (V. 7b). "Oti in V. 8 nimmt yag (V. 7b) wieder auf und erläutert die theologische Aussage durch die Evidenz einer Metapher, die eine kausale Verbindung zwischen der Entscheidung der Adressaten und eschatologischen Folgen herstellt: Die Existenz unter der Macht der odg§, d. h. „aus den Werken des Gesetzes", führt zum Verderben, während die eschatologische Existenz „im Geiste", d.h. „durch den Glauben gerechtfertigt", das ewige Leben ernten wird (V. 7 b - 8 ) . In der Form einer positiven Empfehlung (in der 1. Pers. Plur.) wird dann der Appell und seine Begründung kurz und mit allgemeinen Begriffen variiert: Wir sollen das Richtige tun, damit die richtigen eschatologischen Konsequenzen eintreten (V. 9). Die Adressaten, die den Geist bekommen haben (Gal 4,6; 5,25) und die deshalb „im Geiste", d.h. aus dem Glauben, leben sollen (Gal 3,1-5; 4,28f; cf. 5,5), sollen auch im Geiste wandeln und die Frucht des Geistes tragen (Gal 5,25 u. 22). Die ethischen Schlußfolgerungen in V. 10 (aga ovv) erinnern an die beiden Prinzipien von Gal 5,16.25 und 149

6,7-10

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

Gal 5,13f. 'Egya^CDNEFTA TO àycïdôv meint nichts anderes als die Empfehlung, die Werke der nicht zu tun und sich durch den Geist führen zu lassen (Gal 5,16-24; 5,25-6,6). Die Aufwertung des christlichen Hauses als Sonderbereich der Ethik hat ihre Entsprechung in der Auslegung von Lev 19,18 als neuem Gebot der gegenseitigen Liebe, Gal 5,13-15, und als Ausdruck der bedingungslosen Anerkennung der Personen und der individuellen Subjekte im Rahmen der Gemeinschaft der Getauften (Gal 3,28). Der Verweis auf die eschatologische Bedeutung der Entscheidung der Adressaten zwischen der Beschneidung (= der odç^) und dem Glauben (= dem jiVEÛna), die Gerichtsvorstellungen (die Ernte, V. 8) und die Verheißung des ewigen Lebens (V. 8) sind insofern notwendiger Bestandteil der Argumentation, als sie den Wirklichkeitsanspruch der Gabe des Geistes und der Rechtfertigung durch den Glauben ausdrücken. Sie begründen die Aufforderungen, aufgrund der Gottesoffenbarung in Christus (Gal 3,13; 4,4f) nicht mehr êv aagxi bzw. êx v6|xou, sondern ôià JUOTECDÇ ZU leben, aber nicht die ethischen Anweisungen. Die Begründung der Ethik erfolgt aus einer Logik, die Indikativ und Imperativ (sie sind „im Geiste" und sollen sich „im Geiste verhalten", Gal 5,16), Innerlichkeit und Äußerlichkeit (sie leben „im Geiste" und sollen „im Geiste" wandeln, Gal 5,25) und Identität und Handlung verbindet (sie sind frei, sie sind neue Schöpfung, und sie sollen die Frucht des Geistes tragen, Gal 5,13f.22f; 6,15). 7a Mr) jtX.avöa#e ruft die Aufmerksamkeit hervor und hat appellative Funktion (s. 1 Kor 6,9; 15,33; Jak 1,16; Epiktet, Diss. 4,6,23 (xf| jtXavâode, avôgeç, s. H. Braun, T h W N T VI, 230-254, bes. 246). Vorausgesetzt ist, daß die Adressaten durch die .judenchristlichen' Lehrer verführt werden (Gal l,6f; 3,1; 5,7-12; anders S. Wibbing, Die Tugend- und Lasterkataloge im N T und ihre Traditionsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Qumran-Texte, B Z N W 25, 1959, 116f; F. Mußner, 404: Das Irren ist durch die Macht der Finsternis bestimmt, und die Selbsttäuschung wird am Tag des Gerichtes enthüllt), ©eôç où [iVXTTiQÎÇETai hat die Form eines Sprichwortes (so H. Lietzmann, 42). MuxTr|giÇetv bedeutet „die Nase rümpfen", „verspotten", ist bereits in einem Fragment von Lysias belegt, kommt in der LXX häufig, aber im N T nur hier vor (s. aber êx|XDXTT)Qi^eiv Lk 16,14; 23,35), und beschreibt nicht den gemütlichen Spaß (eiJTQCwieXia), sondern den Spott und die ironische Haltung (so die Beschreibung von Sokrates in Timon, Sillen, = Diogenes Laertius 2,19 . . . |IVXTT)E ¿TITOQÖHVXTOC;, imaruxôç £ÎQCûVEurr|ç; Pollux, Onomastikon 2,78 xai xôv eïçcovd tiveç |xuxxfjça xataniai; Lukian, Prometheus 1, cf. J. B. Lightfoot 218f; T. Baconsky, Le rire des Pères. Essai sur le rire dans la patristique grecque, Théophanie, 1996, 61 f). Das Thema ist nicht die Diskordanz zwischen Bekenntnis und Lebenshaltung (so M.-J. Lagrange, 159), sondern entweder die Unterschätzung der eschatologischen Logik von V. 7bf (so E. Burton, 341; J. Becker, 77) oder die Verachtung der Gnade Gottes und des Geistes durch den Versuch, durch die oaQÎ; bzw. „aus den Werken des Gesetzes" gerechtfertigt zu werden (so H. Preisker, T h W N T IV, 803f; anders J. Calvin, der V. 7a auf V. 6 bezieht: Man verspottet Gott, wenn man seine „ministres" verachtet). 7b.8 Ein zweiter Spruch begründet den ersten (ö yàg è&v). Die bekannte Metapher der Saat und der Ernte wird als Topos eingeführt, der die Kontinuität zwischen der Handlung des Menschen und den dadurch verursachten Folgen darstellt (s. Piaton, Phaedros 260c; Aristoteles, Rhetorik 3,1406b, der das Bild als bekannt voraussetzt; Cicero, De oratore 2,65; Hos 8,7; Hiob 4,8; Prov 22,8; Sir 7,3; TestLev 13,6; Philo, conf 21; Lk 19,21; 1 Kor 9,11; 2 Kor 9,6 in bezug auf die Kollekte, s. U. Börse, Standort, 37f, der Gal 6,6-10 auf 1 150

Der eschatologische Horizont der Entscheidung der Adressaten

6,7—10

Kor 16,1 bezieht; zur Metapher, s. F. Hauck, ThWNT III, 312f; S. Schulz/G. Quell, ThWNT VII, 537-547; V. Pöschel [Hg.], Bibliographie zur antiken Bildersprache, 1964; J . B . Lightfoot, 219). 8 Aktualisierung und Transformation der Metapher. Der Bezugspunkt ist nicht mehr, was der Mensch sät und erntet, sondern wohin er sät und woraus er erntet (so Mk 4,3-8.14-20//Mt 13,3-9.18-23//Lk 8,4-8.11-15). Die Aussage der beiden parallelen Formulierungen ist eine Variation von Gal 3,21: Genauso wie der Mensch, der aus den Werken des Gesetzes gerechtfertigt werden will, das Gesetz überschätzt (nicht das Gesetz kann ^coojtoieüv), so überschätzt der Mensch, der sein Vertrauen in sein Fleisch setzt (o&q| ¿autoO wird symbolisiert durch die Beschneidung, vgl. Gal 6,16; ähnlich J. Becker, 77: Die Antithese odQ|/jivei)(ia wiederholt die Gegenüberstellung Gott/Mensch; J . B. Lightfoot, 219; E. Burton, 341-342: Die oagf ist die Ich-Bezogenheit des Menschen, die ihn hindert, großzügig zu sein, cf. V. 6), die aag§: Die o&q£ ist durch die Vergänglichkeit gekennzeichnet (zu (pfroga s. Rom 8,21; 1 Kor 15,42.50, cf. cpfreiQEiv 1 Kor 3,17; 15,33; 2 Kor 7,2; 11,3; cpdaQXÖg Rom 1,23; 1 Kor 9,25; 15,53f), und der Geist gibt die £cor| aiamog (genauso wie Gott ^toojioiei). Ztof) aiamog ist bei Paulus ein eschatologischer, aber nicht unbedingt endzeitlicher Begriff (Rom 2,7; 5,21; 6,22f; 7,10; Gal 6,8; R. Bultmann, ThWNT II, 868-871, bes. 871; E. Burton, 343-344). Der eschatologische Charakter der tcof) ai(i>vios setzt nicht voraus, daß cpöogä auch eschatologisch gemeint ist: Wer eis t'H'v oägxa sät, bleibt unerlöst (so J. Becker, 77; anders H. Schlier, 277, der auf 2 Petr 2,12 verweist; s. Exkurs: Eschatologische Motive der Paränese, ad Gal 5,16-24). 9 Der Appell setzt V. 7f voraus (öe) und wird durch eine Verheißung begründet (yä.Q). Begriffe wie „das Gute" (xö dyaftöv, Rom 2,10; 12,9.21; 13,3; 14,16; 16,19; Gal 6,10; 1 Thess 5,15, vgl. Gal 6,6, oder xö xcdov, Rom 7,18.21; 2 Kor 13,7; Gal 6,9; 1 Thess 5,21) sind Wertungen, die auf eine Definition ihres Inhaltes angewiesen sind bzw. eine Beschreibung dessen, was sie qualifizieren, voraussetzen (s. R. M. Hare, The Language of Morals, 1952, Teil 2, = dt.: Die Sprache der Moral, 1972, § 5 - 9 ) . Tö xaköv ist hier dadurch definiert, daß sein Tun zur richtigen Ernte führt, so daß tö xcdöv Jtoieüv identisch ist mit eig tö Jtvefifia ajtEiQEiv, d. h. aus Glauben leben und sich durch den Geist führen lassen. Vorausgesetzt ist dabei, daß sich xö xaX.öv jroieiv auf die von den Adressaten in Gal 4,12-20; 5,2-12 geforderte Entscheidung bezieht, und daß xö xaX,öv (V. 9) und xö dyadov (V. 10), die Synonyme sind, nicht dasselbe meinen (anders H. Schlier, 277f; F. Mußner, 406; H. D. Betz, 309). 'Ev- bzw. iyxaneiv ist erst bei Polybios 4,19,10 und dann im N T belegt (Lk 18,1; 2 Kor 4,1.16; Gal 6,9; Eph 3,13; 2 Thess 3,13, wo der Begriff überall durch ¿xxaxEiv sekundär korrigiert wird) und bedeutet „lässig", „müde werden" (s. E. Burton, 344f). Kcagcp löicp entspricht sprachlich dem ¿v xqj xaiQcö xoü d£Qio|xo"0 in Mt 13,30 und ist wie £cor| aicimog eschatologisch, aber nicht unbedingt endzeitlich gemeint, cf. V. 8. Zu iöiog im Sinne von „angemessen" bzw „gegeben" s. 1 Kor 3,8; 15,23. Das Partizip ¿xXuöhevoi ist konditional. 'ExXijsiv im Aktiv ist seit Homer in der Bedeutung von „befreien", „entspannen" bekannt. In der L X X und im N T kommt das Verb nur Pass. vor: „erschöpft sein" (Mt 15,32; Mk 8,3), „mutlos" oder „kraftlos werden" (Gal 6,9; Hebr 12,3.5;J. Bengel, cf. J. B. Lightfoot, 220: ¿YxaxEiv betrifft das velle, £xXi)£cröcu das posse). 10 Die letzte Empfehlung ist keine Wiederholung des Appells, auf den Geist zu säen (V. 9), sondern ihre Konsequenz (dpa oiv). In der Logik der Metapher ist der gegebene xaiQÖg durch den xaigög von V. 9 qualifiziert: Die Zeit der Ernte bestimmt die Zeit der Aussaat (J. B. Lightfoot, 220). Hingewiesen wird nicht auf die Parusie, die im Gal keine 151

6,7-10

Die Existenz im Geiste in der neuen Zeit

Rolle spielt, sondern auf die eschatologische Zeit des Geistes (V. 9), die gleichzeitig die Zeit für die „Frucht des Geistes" und für die gegenseitige Liebe ist. cQg + Indik. ist temporal (so P 4 6 usw.), während der Konj. das Moment der Erwartung mitschwingen läßt (so K usw.: „solange, als"; vgl. H. Schlier, 278, BDR § 383,2 u. 455,3). Kaipöv exeiv bedeutet „die Gelegenheit haben", s. W. Bauer, 801. To dycrö-öv ¿gya^eofrai meint nicht die Entscheidung für den Geist und gegen die oaQ| (cf. xö xaXöv V. 9 und die Antithese jiveO|j,a/aäQ| V. 8), sondern wiederholt die Imperative von Gal 5,13f.l6.25: TÖ dyaftöv ist durch ö xaQjtög toxi jtveij|a,axog (Gal 5,22) definiert: Wenn wir im Geiste leben (= xö xaXöv jioiEiv V. 9), dann sollen wir auch nach dem Geiste wandeln (= xö dyadöv ¿gya^ecrfrai; zu EQyd^eo-öai mit xö ayaftöv/xö xaxöv s. Rom 2,10; 13,10; zu egya^ecröm s. Rom 4,4f; 2 Kor 7,10 und 1 Kor 4,12; 9,6.13:16,10; 1 Thess 2,9; 4,11). Ilgög Jtdvxag, naA-iaxa öe entspricht der Struktur der ethischen Anweisungen: Z u m einen hat die Frucht des Geistes oekumenischen Charakter (vgl. Rom 12, 17f; J. Becker, 78), zum anderen sind das Verhältnis zu den christlichen Geschwistern und der symbolische Raum des Hauses (ofocia, 1 Kor 16,15; Phil 4,22; 01x05 Rom 16,5; 1 Kor 16,19) der Ort der christlichen Freiheit (Gal 3,28), der gegenseitigen Liebe (Gal 5,13f) und der gegenseitigen Unterstützung. O1XE105 (im N T noch Eph 2,19; 1 Tim 5,8) ist seit Hesiod belegt und ist nicht auf die Hausgenossenschaft begrenzt. Der Gen. gibt die Art der Verwandtschaft an (s. Strabo 1,1,11: oixeioi qpiAoaocpiag). Olxeiol xfjg jtiaxeojg meint die Christen: niaxig bezeichnet wie in Gal 1,23; 3,23.25 das historische Phänomen des Christentums.

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6,11-18 Autographische Subskription: Die neue Schöpfung 11

Seht, m i t wie großen Buchstaben ich euch geschrieben habe m i t meiner eigenen Hand. 1 2 Alle, die ein gutes Ansehen durch das Fleisch erlangen wollen, die nötigen euch zur Beschneidung, nur damit sie nicht w e g e n des Kreuzes Christi verfolgt werden. 1 3 Denn selbst diejenigen, die sich beschneiden lassen, halten das Gesetz nicht, sondern wollen, daß ihr euch beschneiden laßt, damit sie sich m i t eurem Fleisch rühmen können. 14 Für mich soll es jedoch keinen anderen Grund geben, mich zu rühmen, als das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. 1 5 Denn es gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit, sondern neue Schöpfung. 1 6 Und alle, die sich nach diesem Maßstab richten werden, Friede und Erbarmen über sie, d.h. über das Israel Gottes. 17 In Zukunft bereite mir keiner mehr Schwierigkeiten, denn ich trage die Stigmata Jesu an m e i n e m Leibe. 18 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ist m i t eurem Geist, Brüder, A m e n . Literatur: K.-A. BAUER, Leiblichkeit - Das Ende aller Werke Gottes. Die Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen bei Paulus, S t N T 4, 1971, 69f. - U . BÖRSE, Die Wundmale und der Todesbescheid, B Z 14/15 (1970/71) 88-111. - A. M. BUSCEMI, L O sviluppo strutturale e contenutistico in Gal 6,11-18, SBFLA 33 (1983) 153-192. - J . L. MARTYN, Apocalyptic Antinomies in Paul's Letter to the Galatians, N T S 31 (1985) 410-424, = Issues, 111-123. - P. S. MINEAR, The Crucified World: The Enigma of Gal 6,14, in: Theologia crucis - Signum crucis (Fs. E. Dinkler), 1979, 395-407. - A. B. DU TOIT, Gal 6,13: A Possible Solution to an Old Exegetical Problem, Neotest 28 (1994) 157-161. H. WEDER, Kreuz, 201-209.

Eine parallele eigenhändige Subskription findet sich in 1 Kor 16,21-24. Nach der Einleitungsformel (V. 21//Gal 6,11) enthält sie aber nur Verfluchungs- (dvä&£|xa) und Anrufungsformel ((lagdva V. 22) und Schlußgrüße (V. 23f//Gal 6,18). Gal 6,12-17 wiederholt dagegen zusammenfassend die zentralen Thesen des Briefes: 1. Das Anliegen der Judenchristen' besteht darin, die jüdische Verfolgung, die mit dem Kreuz verbunden ist (vgl. Gal 5,11), zu vermeiden (V. 12). Dazu die Erläuterung (jag V. 13): Sie und ihre Sympathisanten in den Gemeinden von Galatien sind nicht an der Erfüllung des Gesetzes interessiert, sondern wollen sich der Beschneidung der Heidenchristen rühmen (vgl. Gal 6,4) 2. Demgegenüber beruft sich der Apostel auf das Kreuz, das ihn von der alten Welt befreit hat (parallele Umkehrung der Kreuzigungsmetaphorik V. 14 und Gal 5,24). Dazu die Erläuterung: Es gelten nicht mehr die Antinomien der alten Welt (vgl. Gal 3,28), sondern die xaivf| xtioic; (V. 15//Gal 5,6). Denen, die sich an diesen Maßstab halten, d. h. dem Israel Gottes (vgl. Gal 3,6-9; 4,21-31), gilt bzw. wird der göttliche Segen vermittelt (V. 16). Die zwei Aussagen, nach welchen das Leben „im Geiste" und das GerechtfertigtWerden durch den Glauben, ohne die Beschneidung und die Privilegien des Gesetzes, die neue, endzeitlich-eschatologische Schöpfung und das Israel Gottes konstituieren, fassen 153

6,11-18

Autographische Subskription: Die neue Schöpfung

die wesentliche Mitteilung des Briefes zusammen. 3. Mit dem Verweis auf die Leiden des Apostels (vgl. 2 K o r 4 , 8 - 1 0 ; 11,23-29), d. h. auf die Verifikation seiner Zugehörigkeit zu Jesus, wird der Abschluß der Diskussion mit einer Variation des ersten Themas (das paulinische Evangelium ist Evangelium Gottes, Gal 1,10-12) begründet (yä.Q, V. 17). Entweder erfüllt die Subskription die Funktion einer peroratio, die den glänzenden Abschluß der Argumentation darstellt, um die Galater für das paulinische bzw. das Gottesevangelium zurückzugewinnen, oder sie hat editorischen Charakter (so D . Trobisch, Die Paulusbriefe und die Anfänge der christlichen Publizistik, K T 135, 1994, 125f: Gal 6 , 1 2 - 1 4 ist eine Wiederholung von Gal 5,11.24. Ursprünglich war sie die Beglaubigung der Kopie, die nach Ephesus geschickt wurde, und die als Muster für die Abschrift der Autorenrezension, die veröffentlicht wurde und kanonisch geworden ist, verwendet wurde). In diesem Falle beschränkt sich der Kreis der Adressaten nicht auf die Kirchen in Galatien, und die Erklärung des Apostels in Gal 6 , 1 2 - 1 7 erweitert den Horizont der Argumentation des Briefes auf die grundsätzliche Auseinandersetzung der paulinischen Theologie und der paulinischen Mission mit dem Judenchristentum' überhaupt, d. h. mit dem konservativ-nationalistischen Flügel in Jerusalem (vgl. Gal 2,4f; R o m 1 5 , 3 0 - 3 2 ) , in Antiochien (vgl. Gal 2,12f) und in den neuen Verbreitungsgebieten des Christentums (vgl. Phil 3,2f). Die Segensformel (V. 18) ist eine Variation des in den paulinischen und daher in den apostolischen Briefen üblichen Schlußgrußes (vgl. Phil 4,23, allerdings ohne die Anrede aösXcpoi, 1 Kor 16,23f in zwei Sätzen mit %&QIC, und ctydjtr), 2 Kor 13,13 trinitarisch und R o m 15,33 rein theologisch). Anders als in anderen Paulusbriefen ist sie nicht mit persönlichen bzw. indirekten Grüßen verbunden (vgl. R o m 1 6 , 3 - 1 6 . 2 1 - 2 3 ; 1 K o r 16,19f; 2 Kor 13,12; Phil 4,21f). In der kanonischen Ausgabe schließt sie nicht an das Briefkorpus an; sie ist vielmehr Bestandteil der Subscriptio (so auch in 1 Kor 16,23f). 11 Ankündigung des autographischen Teils. Der Ausrufesatz f|Xi>C0L5 (P 4 6 , usw.) Iiu\kiX015 (K, usw.) YOÖWaaiv verweist auf die autographischen Buchstaben (xfj e|ifl xelqi, 1 Kor 16,21; Gal 6,11; Kol 4,18; 2 T h e s s 3,17; Phlm 19) und nicht auf die Länge des Briefes: Für Briefe verwendet Paulus immer ¿juotoXt| (Rom 16,22; 1 K o r 5,9; 16,3; 2 K o r 3 , 1 - 3 ; 7,8; 10,9-11; 1 Thess 5,27) und nie yQämxaxa. "Eypaipa ist ein brieflicher Aor., der nicht vom Gesichtspunkt des Absenders her, sondern vom Zeitpunkt des Empfanges des Briefes gedacht ist (s. B D R § 334). Vorausgesetzt und gemeint ist, daß ein Sekretär den Anfang des Briefes diktiert bekommen und kalligraphiert oder sogar formuliert hat (so Tertius, R o m 16,22; cf. Silvanus, 1 Petr 5,12; bereits in der Antike konnten die Aufgaben und die Freiheit eines Sekretärs stark variieren, s. E. R. Richards, The Secretary in the Letters o f Paul, W U N T 1 1 / 4 2 , 1991), und daß Paulus das Ende, also Gal 6,11-16 oder Gal 6,11-18 eigenhändig schreibt (s. das gleiche Verfahren bei Cicero, Ad Atticum 8,1,1 sed in ea Pompei epistula erat in extremo ipsius manu: ,tu censeo Luceriam venias; nusquam eris tutius'; 11,24,2 Sed ad meam manum redeo; erunt enim haec occultius agenda; s. H. Lietzmann, 43f; anders G. J . Bahr, The Subscriptions in the Pauline Letters, J B L 97 [1968] 2 7 - 4 1 , bes . 34f, der auf die Parallelismen Gal 5,2—10//1,6—9; Gal 5 , 1 1 / / 1 , 1 2 - 2 , 2 1 verweist: Der autographeTeil beginnt mit Gal 5,2, vgl. bereits A. Deissmann, Licht vom Osten, 1923 4 , 132 A. 6: „vielleicht"). IlT]Xixog kann entweder im eigentlichen Sinne verstanden werden: Paulus verweist ironisch auf die Größe der Schrift feines Handwerkers, die von der feinen Handschrift des Sekretärs abweicht und die Authentizität seiner Zeilen beweist (so A. Deissmann, Die „großen Buchstaben" und die „Malzeichen Jesu" Gal 6, in: Bibelstudien, 154

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1895, 2 6 2 - 2 7 6 , bes. 263; zur Schriftbildung s. F. D e s b o r d e s , Idées r o m a i n e s sur l'écriture, 1990, bes. 161-163). O d e r die g r o ß e n B u c h s t a b e n h a b e n eine s y m b o l i s c h e B e d e u t u n g : Sie r u f e n die A u f m e r k s a m k e i t des Lesers h e r v o r u n d unterstreichen d e n Inhalt (so J. B . L i g h t f o o t , 221; E . B u r t o n , 347f). 1 2 - 1 6 D i e letzte W a r n u n g v o r den j u d e n c h r i s t l i c h e n ' L e h r e r n (V. 12f), o d e r w a h r scheinlicher: v o r den j u d e n c h r i s t l i c h e n ' Lehrern (V. 12) u n d ihren S y m p a t h i s a n t e n in d e n G e m e i n d e n v o n Galatien (V. 13), u n d das B e k e n n t n i s des Apostels (V. 14-16) sind parallel g e b a u t : 1. B e z e i c h n u n g der Personen (ovtoi V. 12//ê|xoi V. 14), 2. B e s c h r e i b u n g ihrer G r u n d e i n s t e l l u n g (déXovoiv eùrtgooœrtfjoai èv a a ç x i V. Ylll\x\\ yévoiTO x a v x ä c r ö a i V. 14), 3. B e g r ü n d u n g dieser Einstellung d u r c h ihren B e z u g auf das K r e u z (ïva xw a x a u g œ -cou Xqiotoü xxX. V. 12//êv tô> axaupà) xoû xvpiou f][X(DV xxL u n d êaxaijQtoxai V. 14), 4. jeweilige Stellung zur B e s c h n e i d u n g u n d z u m Gesetz (oiiôè ycxQ V. 13//oi)xe yâg V. 15) u n d 5. Zielsetzung (ïva V. 1 3 / / x a l öooi, x x L V. 16). Werturteile u n d D a r s t e l l u n g der Absichten der j u d e n c h r i s t l i c h e n ' Lehrer ergeben sich aus d e m W e r t - u n d Ü b e r z e u g u n g s system des Apostels (das in Gal 1,10-12 seinen G r u n d u n d seine R e c h t f e r t i g u n g hat). 12 D i e K o n s t r u k t i o n ö a o i . . . oüxoi f ü h r t nicht eine E r l ä u t e r u n g i m Relativsatz ein, s o n d e r n k e h r t die ImplikationsVerhältnisse u m : Wer die B e s c h n e i d u n g f o r d e r t , der setzt sein Vertrauen in die o ö q | . D a s Verb eÙJTQOOûmeîv scheint v o r Gal 6,12 n u r in P a p y r i b e k a n n t zu sein (PTebt 1,19,12, s. A. D e i s s m a n n , Licht v o m O s t e n , 1923 4 , 76f). Seit Aristophanes sind aber s o w o h l EtmQocramoç (s. auch G e n 12,11) als auch ae|xvojiQoacoJtelv b e k a n n t , EtiJtQoaawtia seit D i o n y s o s Halicarnasseus, so daß die n e u e W o r t b i l d u n g u n d die ihr z u g r u n d e l i e g e n d e Ironie o h n e weiteres verständlich sind: êv o a o x i k a n n m e i n e n , daß sich die j u d e n c h r i s t l i c h e n ' Lehrer nicht nach d e m Geiste richten (so P. B o n n a r d , 129: „Leurs intentions ne relèvent q u e de mobiles h u m a i n s , d ' o ù D i e u est absent aussi bien q u e l'Esprit"), o d e r einfach auf die B e s c h n e i d u n g der Galater V. 13b h i n w e i s e n . 'Avayxä^ODaiv ist Präs. de c o n a t u (s. Gal 2,14), u n d das Präs. JtEQiTÉnvecrihxi (cf. Gal 5,2f) entspricht d e m ôÉÂexe v o n Gal 4 , 9 (s. dazu E . B u r t o n , 351). Vorausgesetzt ist, daß die J u d e n c h r i s t e n ' D r u c k ausüben (vgl. analoge Situationsbeschreibungen in Gal 2,3.14). D e r G r u n d , d e n der Apostel d a f ü r angibt, ist in Gal 5,11 bereits g e n a n n t w o r d e n : D i e V e r k ü n d i g u n g des Kreuzes (zu axavQÔç s. Gal 5,11 u. K o m m . ) , nach w e l c h e r sich G o t t i m a u f e r s t a n d e n e n G e k r e u z i g t e n g e o f f e n b a r t hat, u n d das Selbstverständnis des j ü d i s c h e n b z w . j u d e n c h r i s t l i chen B u n d e s n o m i s m u s , der die Verheißung G o t t e s m i t der identitätsstiftenden A b g r e n z u n g der B e s c h n e i d u n g u n m i t t e l b a r verbindet, sind nicht k o m p a t i b e l . D i e A u s s a g e ist zunächst grundsätzlich-theologischer O r d n u n g (so H . Weder, K r e u z , 201-205). D i e Darstellung des Konfliktes setzt aber eine Vierecks-Situation voraus, die m i t der Inszenier u n g v o n Gal 2,11-13 vergleichbar ist: Paulus, der in S y n a g o g e n v e r f o l g t w i r d (Gal 5,11, cf. 2 K o r l l , 2 4 f ) , setzt sich m i t j u d e n c h r i s t l i c h e n ' L e h r e r n auseinander (die tiveç cotô 'Iaxü)ßou in Gal 2,11-13; die outoi in Gal 6,12f), die sich selbst u n t e r d e m E i n f l u ß o d e r d e m D r u c k ähnlicher k o n s e r v a t i v - s y n a g o g a l e r Milieus b e f i n d e n (s. Ol èx JtEçixojifjç, die in Gal 2,11-13 g e f ü r c h t e t w e r d e n ; andere R e k o n s t r u k t i o n in G . W a g n e r , Les m o t i f s de la rédaction de l ' É p î t r e a u x Galates, E T h R 65 [1990] 3 2 1 - 3 3 2 : D i e B e s c h n e i d u n g soll die C h r i s t e n v o r d e n r ö m i s c h e n B e h ö r d e n schützen, i n d e m sie sie als J u d e n identifiziert). ' I v a . . . HT) xxÀ. gibt nicht die Ü b e r z e u g u n g der J u d e n c h r i s t e n ' w i e d e r , f ü r w e l c h e die Z u g e h ö rigkeit zu Israel Bestandteil des christlichen G l a u b e n s ist (s. E . B u r t o n , 349f; J. L. M a r t y n , SJT 38 [1985] 3 0 7 - 3 2 4 , = Issues, 111-123; s. d e n E x k u r s : D a s P r o b l e m der K o n k u r r e n t e n u n d die j u d e n c h r i s t l i c h e n ' Lehrer in Galatien), s o n d e r n ergibt sich als N o t w e n d i g k e i t aus 155

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dem paulinischen Überzeugungssystem (vgl. Gal 4,8-11): Die Kreuzestheologie als Ausformulierung des Gottesevangeliums ist mit jeder anderen kontradiktorisch und schließt sie aus (daher läßt sich die Formulierung tcü orougcp [Dat. causae] öicoxEcröm verstehen). 13 Begründung: Die Interpretation, nach welcher das Interesse der judenchristlichen' Lehrer in der Konfliktvermeidung mit anderen judenchristlichen' oder jüdischen Kreisen besteht und nicht in der Beachtung des Gesetzes selbst, ergibt sich aus dem Verhalten der Sympathisanten, die sie in den Gemeinden von Galatien gewinnen. OE jtEQix£[rvo[i£voi sind nicht mehr die Lehrer, sondern Heidenchristen, die sich beschneiden lassen: IIeqitejj,veadai Präs. verweist im ganzen Brief auf den Entscheidungsprozeß der Galater (Gal 5 , 2 - 4 ; 6,12), das Part. Präs. ist kaum geeignet, Judenchristen zu bezeichnen (die Alternative wäre: Ji£Qix£|iv6|i£VOi ist Medium, so J. B. Lightfoot, 222f, oder das Part, ist zeitlos, so F. Mußner, 412f; J. L. Martyn, 563, so daß oi JtEQiTEjxvöjiEVOi „die die Beschneidung Übenden" oder „die im Zustand der Beschneidung Befindlichen" bedeutet, vgl. H . Schlier, 281; J. Eckert, Verkündigung, 34f, u. die sekundäre Lesart jt£QLTEX(j,r||i£VOi, P 4 6 usw.), die Einführung eines neuen Subjektes, das die „Lehrer" vertritt, ist nach V. 12 überflüssig, und die Feststellung ov5e . . . (puXdaaouoiv ist verständlicher, wenn sie sich auf die neuen Proselyten (s. Gal 5,3) und nicht auf die traditionellen Judenchristen bezieht (so E. Burton, 353; H. Lietzmann, 44). Subjekt von deXouoi/v sind entweder wiederum die Lehrer von V. 12, so daß d&ouaLV xxL V. 13 dvayxa^ouaiv V. 12 wiederholt (so E. Burton, 353), oder weiterhin der Kreis ihrer Sympathisanten in den galatischen Gemeinden (cf. Gal 5,2f), der den Druck der judenchristlichen' Lehrer auf die noch unentschiedenen Gemeindeglieder von innen her verdoppelt. 'Ev t f j ti^exEQa aagwi ist doppelt ironisch: Gegenstand ihres Ruhmes und ihrer Zuversicht (xatr/äaöai ¿v, s. R o m 2,17.23; 5,3.11; 1 Kor 1,31; 3,21; 2 Kor 5,12; 10,15.17; 11,12; 12,9; Gal 6,13f; Phil 3,3; R. Bultmann, T h W N T III, 648-653) ist zum einen weder Gott noch das Gesetz, sondern die oa@|, d. h. der Gegenpol des Geistes (s. Gal 3,3; 6,8), und zum anderen die a a p ! der anderen (ii(j.8TEQa): Der Gewinn von neuen Brüdern für die Beschneidung verstärkt ihre eigene Identität, die auf dem Erwerb neuer Eigenschaften gründet. 14 Das Bekenntnis des Apostels. Die Formulierung hebt den Kontrast hervor: 'Ejioi V. 14//otn:oi V. 13; xouxäcrfrai V. 14//xau/r|CKj:>vxai V. 13; ev tö» oxauow xx/.. V. 14//ev Tfj iifXETEQa aaßxi V. 13 (s. B. Corsani, 406). Z u yevoixo + Dat. s. Lk 1,38, cf. M t 8,13; 9,29; ^f) yevoito + Dat. + Inf. s. Gen 44,7; Jos 24,16; 3 Reg 20,3; 1 Makk 13,5. Gegenstand seines Vertrauens ist das Paradox der Gottesoffenbarung am Kreuz (zum paulinischen Interpretament axavgöc, s. Gal 5,11 u. K o m m . ) . Ai' o*u bezieht sich auf axauQÖg, und nicht auf wÖQiog (s. J. B. Lightfoot, 223: In bezug auf Xqkjtö; hätte Paulus eher ev oder cruv q> geschrieben; vgl. aber öid 'Ir|ao'ü Xpicrtoü, Gal 1,1). K6a|iog EaxaiiQmxcu ist eine Variation der Metapher Xgiaxw awEaxauQcojiai (Gal 2,19b) und oi mX. ... xf)v o ä p x a EaxcnjQOjaav (Gal 5,24). Die Synekdoche des Kreuzes steht für den Tod und die Auferstehung Jesu als Ende der Zeit des Gesetzes (Gal 3,13; 4,1—5) und als Voraussetzung für die Aussendung des Geistes (Gal 4,6f). „Mit Jesus gekreuzigt zu sein" meint daher die Teilnahme an diesem Machtwechsel (cf. Gal. 3,23-29; 4,1-7): Die Existenz bestimmt ihre Identität und ihren Ursprung nicht mehr „aus dem Gesetz", das nicht lebendig machen kann (Gal 3,21), oder durch die o a g f , die vergeht (Gal 6,8), sondern sie b e k o m m t sie durch den Glauben an den rechtfertigenden Gott. „Die aotQ§" oder „die Welt kreuzigen" ist eine U m k e h r u n g der Metapher: Aufgrund der paradoxen Offenbarung des Kreuzes wird dem Fleisch und der Welt die Funktion einer Bezugs-Instanz abgesprochen. 'E(xoi betont das subjektive M o -

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ment der Wahrnehmung der Offenbarung/Befreiung. Koajxoç ist wie in Gal 4,3 die Schöpfung, d.h. der natürliche Bereich des Menschen (cf. Gal 1,10-12) und des „Fleisches". Die zentrale Aussage besteht im Nicht-Gesagten (s. O . Ducrot, 1-24): Parallel zu den Oppositionen Mensch/Gott (s. Gal l . l l f ) und aaQ§/jtVEÜ[i,a (Gal 3,3; 5,16f) wird xôajioç der xaivr) xxiaig gegenübergestellt (s. J . L. Martyn, N T S 31 [1985] 410-424). Das Thema des Briefes ist, daß die alte Welt und ihre antinomischen Strukturen, s. Gal 3,28 u. 6,15a, tot sind. Daher die zweite Umkehrung der Metapher: Durch die Offenbarung des Kreuzes hat die Welt jede Macht über den Apostel verloren (s. Gal 1,10—2,21; s. H. Weder, Kreuz, 2 0 5 - 2 0 9 : Das Kreuz befreit das Ich von seiner Verschränkung mit der Macht der Welt zugunsten der Welt). 15 Begründung (yctg): Die Unterscheidung zwischen jtsqitoht| und dxQoßucrua gehört zur Ordnung des xôapioç bzw. zur alten Zeit des Gesetzes (cf. Gal 3,28; 5,6; J . Becker, 83: Der Satz stammt wie Gal 2,16a; 3,18; 5,6 u. 1 Kor 7,19 aus dem ,antiochenischen Milieu'). Die Vorstellung der neuen Schöpfung ist in der jüdischen Apokalyptik verwurzelt (Jes 43,19; 65,17; 66,22; äthHen 4 5 , 4 - 6 ; Jub 5,12; 1QS IV,25; 2 Petr 3,13; Apok 21,1-22,5), der Begriff erscheint in äthHen 72,1; Jub 1,29; 4,26 usw. und griech. als xaivr| xxiaiç in 2 Kor 5,17; Gal 6,15. Ktioiç meint zunächst die Schöpfungshandlung, kann aber auch als Äquivalent von HTÎO|xa die Welt oder einzelne als Geschöpfe bezeichnen. Die Parallelität mit 2 Kor 5,17 legt den passiven Sinn nahe, der Kontext der Aussage aber den aktiven (s. Gal 5,6: jûcnxç; 1 Kor 7,19: tt|qt]