Altvater Nil: Reise-Radierungen aus einer Vorfrühlingsfahrt durch Aegypten und den Sudan [Reprint 2021 ed.] 9783111463179, 9783111096148

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Altvater Nil: Reise-Radierungen aus einer Vorfrühlingsfahrt durch Aegypten und den Sudan [Reprint 2021 ed.]
 9783111463179, 9783111096148

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Allvater M I^eise-^adierungen aus einer Vorfrühlingsfahrt

durch Aegypten und den Sudan von

Pros. Dr. Chr. Eckert

-/Mich trieb's hinunter an den alten Nil, Wogelbe Menschen mit geschlitzten Augen Für tote Kön'ge ew'ge Häuser bau'n."

(Gyges und sein Ning.)

Mit 16 Aufnahmen

Sonn 1924

A. Marcus

&

(5. Webers

(Dr. iur. Albert Ahn)

Verlag

Inhaltsverzeichnis Seile

I. Dom Schneeland in Wüstenbrand...................................

3

Deutscher Winter S. 3. Sehnsucht nach Sonne und Süden S. 3. Wert der Auslandsreisen S. 3. Vom Rheintal zur bayerischen Hochebene S. 4. Durch Tirol zum Mittelmeer S.4. Triest, die italienische Hafenstadt S. 4. 'Politische Umgliederung S. 5. Auf der „Heluan" im Mittelmeer S. 5. Brindisi S. 5. Ankunft in Alexandrien S. 6. Das ägyptische Bahnnetz S. 6. Von Kairo über Luksor nachAssuan-SchellalS.7. Expreßdampfer zwischen Schellal und Wadi-Halfa S. 8. Bahnen im Sudan S. 8. Wunder der Wüste S. 9. Ankunft in der Hailptstadt des Sudans S. 11. Unter den Strahlen der Südsonne S. 11.

II. Fahrt auf dem Nil.............................................................12 Länge des Stroms S. 12. Das Quellgebiet des Nils S. 12. Steigen und Fallen der Fluten S. 13. Aufspeicherung und Austeilung des Wassers S. 14. Anbauflächen S. 15. Wasserschöpfanlagen S. 15. An Bord der „Britain" S. 15. Orientalische Diener S. 16. Wiederholung der Eindrücke S. 17. An den Ufern des Nils S. 18. Das regenlose Land S. 18. Farbstimmungen am Fluß S. 19. Sang der Sakijen S. 20. Kasr Ibrim S. 20. Die Wüste als Erhalterin S. 21. Anlage und Eigenart des Felsentempels von Abu Simbel S. 21. Fassade und Innenraum S. 22. Religiöse Stimmung ägyptischer Tempel S. 23. Hathortempel S. 23. Bakschisch S. 23. Talfahrt S. 24. Strandung im Nil S. 24. Ankunft in Schellal S. 25. Der Staudamm von Assuan S. 25. Regelung des Wasser­ abflusses und Krastgewinnung S. 26. Die Insel Philae S. 27. Bootsfahrt nach Assuan S. 28. Altvater Nil als Förderer der Kulturentwicklung S. 29.

III. 3m Reich des Mahdi.......................................................30 Gordon und Kitchener in Chartum S. 30. Die Eroberung des Sudans durch Aegypten im 19. Jahrhundert S. 30. Auflehnung des Derwischs Mohammed Achmed; dessen Ausrufung zum Mahdi S. 31. Vernichtung der Expeditton Hicks S. 31. Fall von Chartum, Gordons Tod S. 32. Preisgabe des Sudans S. 32. Tod des Mahdi S. 32. Entschluß zur Wiedereroberung des Sudans S. 33. Sir Herbert Kitchener als Sirdar S. 34. Einnahme Omdurmans durch englisch - ägypttsche Truppen S. 34. Gemeinsame Regierung des Sudans durch England und

II Seite

Aegypten S. 35. Eigenart der englischen Kolonialpolitit S. 36. Wiederaufbau Chartums S. 36 Typische britische Kolonialsiedlung S. 37. Eindruck Omdurmans S. 38. Marktleben in der Eingeborenenstadt S. 38. Fliegen­ plage S. 39. Am Grabe des Mahdi; Erinnerungen an seine Herrschaft S. 40. Ritt in der Wüste S. 41. Schutz gegen Sonnenbrand S. 41. Schlachtfeld von Kerreri S. 42. Der Sudan nach dem Weltkrieg S. 43 Erziehung der Eingeborenen S. 43. Das Berieselungssystem von Gezira S. 44. Ergebnisse britischer Kolonisationstunst S. 45. Bedeutung des Sudans für England und Aegypten S. 45.

IV. Die Tempel Thebens.............................................................. 46 Die dreißig Dynastien S. 46. Das „alte", „mittlere" und „neue" Reich S. 46. Theben, nach Memphis Haupt­ stadt der Pharaonen S. 47. Blüte Thebens S. 48. Zwei Frauen der XVIII. Dynastie S. 48. Der Ketzer­ könig Ech-en-aton S. 49. Tut-ench-amun S. 51. Die Ramessiden S. 51. Erhaltene Heiligtümer S. 52. Horustempel zu Edfu S 52. Ausbootung im Nil S. 53. Tempel von Luksor S. 53. Lage und Grundriß S. 53. Säulen und Pylonen S. 54. Kolosse und Wandbilder S. 54. Tempel, Kirche, Moschee S. 56. Amons großes Heilig­ tum zu Karnak S. 56. Wetteifer der Pharaonen­ geschlechter S. 57. Sinn der Tempelanlagen S. 57. Die große Säulenhalle S. 58. Farbigkeit S. 59. Decken­ bildung S. 59. Geheimnisvolles Leben in den Bildfolgen S. 59. Die heiligen Worte S. 60. Flächenwirkung der ägyptischen Kunst S. 60. Vollendung der Stetnbehanvlung S. 62. Erfolge der Altertumsverwaltung S. 62. Nach­ einander statt Nebeneinander S. 62. Zerstörung der Götterbilder S. 63. Heiligtum des Ptah S. 63. Die katzenköpfige Göttin des Krieges und der Wollust S. 63. Tiergötter und Sonnenreligion S. 64. Abendstimmung S. 65. Nacht in der arabischen Stadt S. 66.

V. Der lebende Tote........................................................................ 67 Fernwirkung nach dem Tod S. 67. Tut-ench-amuns Wieder­ aufleben S. 68. Zeitberühmtheit S. 68. Gunst der Stunde S. 68. Gerächte Ruhestörung S. 69. Wesensart moderner Schatzsucher S. 69. Unsterblichkeitsglaube der Altägypter S. 70. Erhaltung der Körper S. 70. Der „Ka" S. 70. Allmähliche Klärung religiöser Vorstellungen S. 71. Ver­ doppelung der Möglichkeit des Weiterlebens S. 72. Magie der Worte S. 72. Verlängerung des irdischen Seins im Jenseits S. 73. Verwahrung der Toten in Riesen­ denkmälern S. 75. Verbergen in Felsschächten S. 76. Tal der Könige S. 76. Gräbersuche S. 78. Entdeckung der Ruhestätte Tut-ench-amuns in letzter Stunde S. 79. Aus­ räumung der Vorkammer S. 80. Der goldene Schrein S. 80. Oeffnung des Sarkophags S. 80. Streit um das Grab

III Seite S. 81. Erlaubnis zu seiner Besichtigung S. 82. Auf dem Weg zum Tal der Könige S. 82. Die Zone des Schweigens S. 8 -t. Farbenzauber S. 84. Eintritt in die Kammer S. 85. Aufbahrung des Pharao S. 85. Die Mumie des Königs S. 86. Ausstellung der Grabbeigaben in Kairo S. 87. Stuhl aus Cedernholz, vergoldeter Thronsessel S. 87. Porträtstatue Tut-ench-amuns S. 89. Gesichtszüge und Schicksal des Pharao S. 89. Wunsch nach ungeteilter Aus­ stellung der Funde S. 90.

VI. Schausammlung aus Pharaonenzeit.................................... 92 Adel des Alters S. 92. Enthüllung und Entzifferung des Vergangenen S. 93. Ausdehnung Aegyptens S. 94. Vor­ bereitung und Führung S. 94. Wanderbettler S. 95. Kultur und Landschaft S. 96. Stil und Stilgesetze S 96. Kunstwerke aus vier Jahrtausenden S. 98. Nekropole von Theben S. 98. Tempel der Hatschepsut S. 98. Ramesseum, Memnonkolosse S. 99. Felsengräber der Großwürdenträger S. 100. Leuchtkraft der farotgen Wandbilder S. 101. Gräber der Königinnen S. 101. Nefretere, Gemahlin des großen Ramses S. 102. Eigenart ägyptischer Malerei S. 102. Anschauliche Begriffsbildung statt malerisch-sinn­ licher Anschauung S. 103. Bewußte Ablehnung der Linien­ perspektive S. 104. Ruhestätten im Tal der Könige S. 104. Sinn der Farbenverwendung S. 105. Bei Amenophis II. S. 106. Schändung des Grabesfriedens S. 107. Feil­ bieten von Mumienteilen S. 107. Aufbahrung der Pharaonen S. 107. Mumien der Großkönige S. 108. Lieblosigkeit Iungägyptens S. 109. Bedeutung des ägyptischen Museums in Kairo S. 109. Pyramiden von Gtze S. 110. Der große Sphinx S. 112. Memphis S. 112. Der weite Umkreis ewiger Dreiecke S. 113. Gegenwartswirkung des Künstlerischen S. 114. Totenfelder von Satkara S. 114. Prtvatgräber S. 115. Ruhestätte der Apisstiere S. 115. Europa und Aegypten im Wandel vergangener Jahrtausende S. 116. Geistige Einstellung zu vorantiken Kulturen S. 117.

VII. König Fuads Residenz...................................................... 119 Kairo, die alle Kalifenstadt, die Residenz des jungen König­ reichs S. 119. Aussicht von Kairos Zitadelle S. 119. Im Getriebe der Basare S. 120. Die Stadt der Moscheen S. 121. Arabisches Museum S. 121. Dekorattv-malerisches Formgefühl S. 121. Ibn Tulun im Rahmen der Um­ bauten S. 122. Sultan Hasan, El Muaijad, Kait Bai S. 123. Kalifen- und Mamlukengräber S. 124. Islamische Fried­ höfe S. 125. Die vizekönigliche Friedhofsanlage S. 125. Kopten und kopttsche Kirchen S. 126. Abu Serge, das große christliche Heiligtum Kairos S. 126. Schmutz und Flöhe S. 127. Gami el Azhar S. 127. Die arabische Universität S. 128. Besuch der Vorlesungen S. 129. Hochburg des

IV

ägyptischen Patriotismus S. 130. Studenten am Parla­ mentsgebäude S. 130. Christlicher Occident und islami­ scher Orient S. 131. Innere Umstellung S. 131. Euro­ päisierung des Wirtschaftslebens S. 132. König Fuads Geburtstag S. 132. Flaggenschmuck und Flaggenwechsel S. 133. Ein Abend im Ezbekije-Garten S. 133. Das „foiwcräne4' Reich S. 134. Perioden der Entwicklung im 19. Jahrhundert S. 134. Englands Eingreifen seit 1882 S. 135. Lord Cromer S. 136 Die britische Sendung S. 136. Gegensätze S. 137. Fuads Thronbesteigung S-138. Saad Zaghlul Pascha, sein Auftreten seit dem Waffenstill­ stand, sein Parlamentssieg S. 138. Abstammung und Erfolg S. 139. Saads Versprechungen S. 140. Streben nach vollständiger Unabhängigkeit S. 141. Hauptsächliche Streit­ punkte S. 142. Englands Festhalten am Sudan S. 142. Stellungnahme der englischen Presse S. 144. Die suda­ nesische Frage S. 145. Die Kapitulationen S. 146. Deutsch­ land und Aegypten S. 147. Frankreich und Aegypten S. 147. Die französische Presse S. 147. Farreres Ratschläge S. 148. Abschied S. 149. Die „Lapland" S. 149. In die Heimat S. 150.

Verzeichnis der Bilder vor Seite

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

11. 12. 13. 14. 15. 16.

Iungägypten am Nil.................................................................... 8 Staudamm von Assuan.....................................................................14 Haupteingang zum Felsentempel von Abu Simbel...................... 21 Schleusenkanal am Staudamm von Assuan................................... 25 Pylon des vom Stauwasser umspülten Tempelsvon Philae 28 Landeplatz bei Omdurman.................................................................34 Am Grabe des Mahdi.....................................................................40 Horustempel von Edfu.................................................................... 52 Ausbootung bei Edfu.........................................................................53 Obelisken der Hatfchepsut (rechts) und Thutmofis I. (links) im Amontempel zu Karnak................................................................ 61 Tal der Könige. Eingang zum Grab Ramses II.; darunter halbrechts zum Grab Tut-ench-amuns....................................... 76 Obere Terrasse des Tempels der Hatfchepsut............................... 83 Kopf einer gestürzten Riesenstatue Ramses II. bei Memphis 96 Nordwestecke der Cheopspyramide von Gize.............................110 Der große Sphinx von Gize......................... 112 Sphinx bei Memphis....................................................................... 117

I. Dom Sdmedand in TDüftenbrand. Winterzeit! Harter, klingender Frost herrscht seit Monden, seit Dezember 1923, in deutschen Landen. Das weiße Bahrtuch deckt Wald und Feld. Schneemassen lagern selbst in den Städten der warmen Kölner Bucht» wie in Menschengedenken nicht mehr geschehen. Stärker noch als in sonstigen Jahren regt sich im Herzen die Sehnsucht nach Sonne, nach Licht und Wärme, wie sie Scharen von Deutschen seit Jahrhunderten aus ihrem kalten Nebelheim über die Mpen in die Südländer getrieben. Wir wollen nicht aus deutscher Schicksalsgemeinschaft uns lösen, nicht den besetzten Rheinlanden entfliehen, sondern nur vorüber­ gehend andersgeartete Eindrücke gewinnen. Wir ziehen in die Ferne, um Kraft zu sammeln für die Weiterarbeit inmitten unseres zerschlagenen, zerrissenen Volkes. Nach zehn Jahren ist für Deutsche wieder die Möglichkeit der Auslandsreisen gegeben. Die Kapitalverluste des Krieges, die Minderleistungen unserer ausgehungerten, zermürbten Nation, Arbeitsunlust und soziale Auflösung haben uns all­

mählich dahin geführt, daß Gütergewinnung nur in engem Rahmen und nur zu hohen Preisen möglich erscheint. So ist der Ferienaufenthalt in fremdem Land kaum um die Fahr­

kosten teurer als gleichlanger Besuch deutscher Erholungs­ stätten. Die Auslandsreise bringt Deutschen den Vorteil, daß wieder Volksgenossen sehen, wie die Welt draußen fortschreitet. Nach langer Pause kommen einzelne erneut in Fühlung mit den Bewohnern fremder Länder. Sie sorgen dafür, daß ihre

Sprache dorten nicht ganz verschwindet, sie wecken das Zugehörig­ keitsgefühl in manchem Landsmann, der in der Feme gedrückt

und gedemütigt fast die (Erinnerung an die alte Heimat ver­ loren hat. In Aegypten sind seit dem Krieg nur wenige Deutsche

gewesen im Sudan waren wir wohl die ersten, die seit der

Kampfzeit sich dort wieder zeigten.

Wir verlieben die rheinische Hauptstadt Anfang März 1924, als sie noch immer in Weih gebettet war. Aus unserem Flachland

mit den tiefhängenden Wolken, mit Nebel, Frost und Eis führt der Weg über Höhen und Meere zum Süden. In München strahlte die Sonne vom lichtblauen, mit hellen Wölkchen durch­ zogenen Himmel. Auch dort schmilzt sie nur wenig vom Schnee, der überall glänzt und glitzert. Wer aus unserem meist wolken­ verhangenen, grauen Rheinlandwinter nach der bayerischen

Hauptstadt emporsteigt, wird durch das Farbspiel von blendendem Weih mit Hellblau gefesselt. Der Kölner Winter hatte sich diesmal härter angelassen, als wir gewohnt sind; und doch hat uns richtige, erfrischende Winterluft erst auf dem südlicheren Hochplateau umweht. Stählender Hauch strömt in die Lungen, erquickender als der Atem des weicheren Klimas. Rasch eilt der Zug durch die bayerischen Gaue zu den Doralpen, die mit ihren zackigen Spitzen ganz bepackt und bepudert mit Schnee sind, leuchtend in reinstem Weih bis zum tiefsten Blau in den Schattenlagen. In Tirol führt uns die Bahn entlang der Tauern und Karawanken. Die Mittagssonne der letzten Tage hat den Schnee teilweise angeschmolzen. Wässerchen rieseln, springen, stürzen von den Felshalden zur Tiefe. Abgerundet ist an den Ecken und Kanten der weihe Ueberwurf der Dächer. Wie unter dem Zuckerüberlauf des Herenhäuschens schauen die kleinen Fenster der Bauernwohnungen zu uns herüber. Schlitten­ gespanne fahren durchs Land in leisem Klingen ihrer Glöckchen. Wo der graubraune Boden schon wieder durchbricht, ist des

Borfrühlings erstes Ahnen zu spüren. Durch vier Länder geht die Reise eines Tages von Deutschland über Oesterreich, Jugoslawien nach Italien. Seit 1912, wo ich Triest zuletzt besucht hatte, ist Krieg und Not auch dort nicht spurlos vorübergegangen. Wer der Auf­ schwung der ehemals österreichischen Hafenstadt ist unverkennbar. Deutlich fühlt man die Spannung, das Dorwärtsstreben einer Bevölkerung, die durch die Eingliederung in den Siegerstaat neue Möglichkeiten gefunden hat. Vielleicht ist das Schlimmste

für das seelische Gleichgewicht, die größte Schwierigkeit für das

wirtschaftliche wie politische Fortschreiten einer Nation, wenn sie

weih und sich vorhält, wieviel Schlachten sie gewonnen, sich aber nicht eingesteht» daß sie trotzdem den schwersten aller Kriege end­ gültig verloren hat und darnach das Handeln einstellt. Solcher

Seelenzustand führt zur Verbitterung und wechselseitiger Anklage, unter der wir Deutschen leiden. Ganz anders Italien, das trotz der Niederlagen in den Jsonzoschlachten an der Siegesbeule teilhatte. Hier wie in der Tschecho-Slowakei und in anderen „Nachfolge­ staaten" des Habsburger Reiches zeigt sich, daß deren abgesplitterte, in neue politische Gemeinwesen eingegliederte Teile wirtschaftlich mancherlei gewonnen haben. Der gemütliche Schlendrian in der altösterreichischen, mühsam zusammen­ gehaltenen Monarchie, deren grohe und kleine Lenker es sich genügen liehen, Altes zu bewahren, Katastrophen zu verhindern, ist verschwunden. Der ehemalige österreichische Lloyd, jetzt Lloyd Triestino, vermittelt die beste Verbindung nach der Nordostecke Afrikas. Die „Heluan" ist das größte Schiff, das er zur Fahrt nach Alerandrien bereithält. In Triest war noch wenig Wärme. Nach der Ausreise stürmt es von den Bergen. Scharfe Regenschauer gehen nieder. Das Meer ist mit Schaumwogen bedeckt. In der ersten Nacht auf der Adria haben wir erbärmlich gefroren, wieselten im tiefsten Winter. Die „grande bleue", wie die Franzosen das Mittelmeer treffend nennen, zeigt sich nicht von der besten Seite. Die See ist bewegter, als wir sie im Mittelmeer gewohnt sind. Der Himmel bleibt meist verhangen. Tief schäften die Wogen bis zum dunkelsten Blau, in fast schwarzen Tinten. Gegen das Licht der zeitweise durch die Wolken brechenden Sonne gesehen» sind die Wogenspitzen smaragdgrün mit weihen Rändern. Wenn

die Sonne durchleuchtet, glaubt man die Wasser von Böcklins „Spiel der Wellen" vor sich zu sehen und staunt, wie dieser Roman­

tiker das Farbenspiel der Natur getreu festzuhalten verstand. Nach einer Tagesfahrt wird Brindisi angelaufen, von dem aus die kürzeste Postverbindung aus Europa nach Alerandften

führt. Antike Säulenstümpfe, normannische Ueberbleibsel, italienische Bauten, afrikanische Pflanzen kennzeichnen den letzten Punkt unseres Erdteils, den wir berühren. Das Wasser im Hafen erscheint gegenüber der Bläue des Meeres hellgrün. Entlang des Peloponnes, dann des Südrands von Kretas un­ wirtlicher Küste, um die so lange die Randvölker des Aegäischen Meeres gerungen, geht die Fahrt. Mit vielstündiger Verspätung wird Merandrien am vierten Tag der Reise erreicht. Der graugelb schimmernde Strand weckt im sinkenden Licht der Abenddämmerung leise Enttäuschung. Er hat nichts von der Farbigkeit anderer Häfen Afrikas, vor allem seiner östlichen Küste, etwa wie Mombassa, Tanga und Daressalam sie unvergeßlich einprägen. Erst bei der Rückreise hat Merandrien im Sonnenglanz ein fesselndes Bild geboten und den Abschied von Afrika schwer gemacht. Die Eigenart des Orients ist bei der Landung zu spüren. Mit lautem Geschrei und fieberhafter Unruhe stürzen die Ver­ treter der Hotels, der Reisebüros, die Träger auf das Schiff, um die Ankommenden nach der Paßrevifion in Empfang zu nehmen und zu begaunern. Der Orientale, der sonst dem Europäer an Ruhe und Lässigkeit weit überlegen ist, entwickelt bei einzelnen Anlässen eine Lebendigkeit, eine Geschäftigkeit, ein überflüssiges Getobe bei wenig ernster Leistung, an das sich der aus dem Norden Kommende erst gewöhnen mutz. Die Zollrevision in Merandrien ist peinlich genau und langsam. Fast jedes einzelne Reisestück wird untersucht, betastet, alles geprüft und doch, soweit wir sehen konnten, nirgends etwas gefunden und verzollt. Die Art der Zollbehandlung wollte mir psychologisch als Ausdruck des momentanen Machtgefühls der uniformierten Eingeborenen über die ankommende Horde der Europäer erscheinen. Das ägyptische Eisenbahnsystem ist in nordsüdlicher Richtung gut durchgeführt und ausgestattet. Es fehlt allerdings noch eine Querverbindung nach dem Roten Meer, wie sie der Sudan heute bereits von Atbara-Junction aus nach Port Sudan und

Suakin besitzt. Die einzige größere Westostlinie, über die Aegypten

heute verfügt, führt auf beträchtlichem Umweg nach Suez. Don Mitternacht an brachte uns eine sechsstündige Fahrt nach Kairo. Die Hauptstadt war von Fremden, namentlich von Amerikanern, so überfüllt, daß trotz Vorbestellung Zimmer in Shepheards Hotel nicht zu haben sind. Schnell entschlossen ändern wir unser Reiseprogramm, versuchen sogleich nach dem Süden, über Aegypten hinaus nach dem Sudan zu gelangen, um erst aus dem Rückweg an der Stätte zu bleiben, an der wir bei der Ausreise Halt zu machen gedachten. Eine ausgezeichnete Bahn führt von Kairo nach Luksor. Mit allen Bequemlich­ keiten unserer Zeit sind die Wagen der Internationalen Schlafwagen - Gesellschaft ausgestattet. Wagenwechsel in Luksor ist dadurch bedingt, daß die südliche Weiterführung der eingleisigen Bahn nach Assuan - Schellal schmalspurig wird. Der Staub, der durch Türen und Fenster des Zuges eindringt, die schnell zunehmende Hitze werden leicht ertragen angesichts der ewig wechselnden Szenerien, die draußen vorüber­ ziehen. Trotz der Abblendung der Fenster bleibt genug von der Leuchtkraft der rasch sich ändernden Schaubilder übrig, um jedes Gefühl der Ermüdung, das aufkommen will, immer wieder zu verscheuchen. Die Vorrichtungen gegen Staub und Sonne sind so gut, wie wir sie in den Tropen an englischen Bahnen gewohnt sind. Ueber Assuan hinaus führt der Schienenstrang noch ein kurzes Stück weiter bis Schellal, dem südlichsten Bahn­ punkt der ägyptischen Linien, gegenüber der einst so reizvollen, jetzt durch den großen Staudamm zum Ertrinken verurteilten Insel Philae gelegen. Ein heute ungelöstes Derkehrsproblem von besonderer Bedeutung ist die Verbindung der Schienennetze Aegyptens

und des Sudans, zwischen denen die Strecke Assuan-Schellal in Oberägypten und Wadi Haifa an der Nordgrenze des Sudan offen klafft. Wer weiter südlich nach Nubien und dem Sudan strebt, ist von Assuan-Schellal bis zur Kopfstation der sudane­ sischen Bahnen auf die Nilfahrt angewiesen.

Die Nildampferverbindung, die auch wir benutzten,

kann

künftig nicht ausreichen, wenn der Sudan in größerem Umfang Ziel von Touristen wird und seineAusfuhr an Baumwolle, Gummi, Getreide, Tropenartikeln nach Aegypten zu steigern beginnt. Die durchgehende Linie Alerandrien bis Chartum würde das Niltal zur wirtschaftlichen Einheit verbinden. Zurzeit, d. h. solange die Frage der Unabhängigkeit Aegyptens und des Sudans nicht geklärt sind, hat aber meines Erachtens England kein Interesse am Ausbau dieses Stücks. Vielmehr ist für die im Sudan maß­ gebende Macht Britanniens politisch und strategisch die Trennung des ägyptischen und sudanesischen Bahnnetzes von Bedeutung, da sie ein Glacis zwischen Oberägypten und den Sudan legt. Das meerbeherrschende Britannien hat über Port Sudan und Suakin die Möglichkeit, jederzeit mit Hilfe des sudanesischen Bahnnetzes die Verschiebungen an Truppen und Material oorzunehmen, die ihm zur Verteidigung Chartums und des umliegenden Kulturgeländes wünschenswert erscheint. Zweimal wöchentlich verkehren derzeit die guteingerichteten Erpreßdampfer der Sudanregierung, die die Fahrgäste in zwei­ tägiger Fahrt bis Wadi Halfa bringen. Nach Verlassen des Schiffes ist dort Zollrevision für den Sudan, die tunlichste Ver­ hinderung des Waffenschmuggels und der Einfuhr von Rausch­ giften (Haschisch) erstrebt. In Wadi Haifa beginnt die Bahn, die 1896/97 zur Sicherung des Vormarsches der anglo-ägyptischen Truppen gegen den

Mahdi gebaut wurde. Sie ward nötig, weil die von genanntem Ort südwestlich ausgreifende Schleife des Nils nicht nur zu beträchtlichem Umweg zwingt, sondern auch mit ihren Katarakten der Flußfahrt fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet. Ihnen auszuweichen ist der Zweck des Eisenstranges, der dia­ gonal in fast gerader Linie durch die nubische Wüste geführt ist. Schon der Khedive Ismail hatte eine Bahn zur besseren Er­ schließung des damals ägyptischen Sudans geplant. Nach Fertig­

stellung weniger Meilen ist die Weiterführung aus Mangel an Mitteln eingestellt worden. Während des Nilfeldzuges 1885/86

Iungägypten am Nil

wurde der frühere Versuch erneuert. Das Mißlingen der Ex­ pedition und die ihr bald folgende Zurückstellung aller Wünsche, den Sudan vorn Joch des Mahdi zu befreien, verurteilten das Unternehmen zum zweiten Male zum Stillstand. Zehn Jahre später, beim Dorrücken Kitcheners durch Dongola im Winter 1896 wurden die Vorarbeiten für die Wüstenbahn von Wadi Halfa nach Abu Hamed, dem kleinen, strategisch wichtigen Städtchen am Knie des Nils wieder ausgenommen. Abu Hamed wurde Ende Oktober 1897 erreicht. Von dort wurde der Eisen­ weg nach Atbara—Junction vorgetrieben, das Hauptetappen­ platz für den Feldzug nach Omdurman werden sollte. Sofort noch dessen Fall im September 1898, als kaum der Lärm der Schlacht verstummt war, wurde die Bahn weiter südlich ge­ streckt, der zeitweise stark wasserführende Atbara zunächst mit einer Holzbrücke überquert. Ende Dezember 1899 wurde der Blaue Nil bei Chartum, die jetzige Station Nord-Chartum, er­ reicht. Wenig später gestattete der Bau einer Brücke über diesen Nilarm die Fortführung der Eisenbahn bis mitten in die Stadt, zur heutigen Zentralstation. Ueber gelben Sand und vegetationsloses Gestein rollen die Wagen des Sunshine Erpreß, des „Sonnenscheinzuges" dahin. Von eigenartigem Reiz ist diese Fahrt durch die eintönige, und doch im Lichtwechsel immer wieder fesselnde Steinwüste,

die weiter südlich mehr und mehr von Sanddünen abgelöst wird. Schwerer als die Schönheit des Meeres, das Wechsel­ spiel seiner Wogen, lassen die Wunder der Wüste sich deuten.

Ein zauberhafter Stimmungsgehalt schwebt über der Landschaft. gigantischen Naturerscheinungen lernt jeder verehren, der offenen Auges sie durcheilt. Die gelbliche, abwechslungs­ lose Einöde verursacht eine Art Grauen; wir fühlen uns klein,

Ihre

schwach, hilflos in dem unendlich scheinenden wasserlosen Gebiet. Und doch bannt und fesselt zugleich die Einförmigkeit dieser

gewaltigen Weiten, das große Schweigen dieses unpersönlichen Alls. Auf der Rückfahrt durch die Wüste dünkte es mich in Abend­

stunden als ob die veilchenfarbenen Sandmassen über alle Horizonte

Hinausgriffen. In unwirklicher Höhe, scheinbar ferner als sonst und doch von besonderer Leuchtkraft blinkten und funkelten die Sterne, über denen sich das Firmament in weltumspannendem, ruhigen

Bogen wölbte. Zeitweise jagten über den Osthimmel zerfetzte Wolken, wetterleuchtete es am Rand der Wüste. Flammende Blitze, die schnell einander folgten, erhellten sekundenlang in der Ferne das verdunkelte Gelände. Ueber dem Roten Meer schien ein Gewitter zu stehen, dessen Donner unhörbar blieb, dessen Lichterscheinungen sich aber nach Sonnenuntergang

geisterhaft auswirkten. Auch die Gesteine leben. Sie sind durch den Wind wie Wellen des Wassers in ewiger Bewegung. Jedes Sandkörnchen scheint seinen eigenen Willen zu bekunden. Es bebt und knistert, es regt sich in dem nur anscheinend toten Kies und Geröll. Die Sonne weckt in ihrer täglichen Wanderung alle die Steine und Steinchen aus der Erstarrung, schenkt von Stunde zu Stunde stets andere Schönheit, Farbigkeiten von ungeahnter» fast nie geschauter Pracht. Felsinseln steigen klar aus der Ebene empor, deren wuchtige Steilhöhen in den Luftspiegelungen wider­ strahlen, wie sie ständig um die Steinmassen spielen. In der Ferne fällt der Blick auf kahle Berglehnen, die dunkelviolett schimmern, während aus der Westseite etwas Heller die Berg­ ketten des Nilufers zeitweise sichtbar werden. Die Wüstenstationen sind mit Nummern 1—10 bezeichnet; sie sind nichts anderes als trostlose Häufchen von Lehmhütten und einigen Häusern um Brunnen gruppiert, die aus der Tiefe das Grundwasser für den Bahnbetrieb emporheben. Gelegentlich reitet in ihrer Umgebung auf Kamelen und Eseln eine kleine Gruppe dunkelbrauner oder schwarzer Menschen. In der Nähe des Bahndammes suchen Ziegenherden von benachbarten

Stationen ihr kärgliches Futter. Tiergerippe bleichen im Sand.

Verlassene Grabmäler glühen int Licht. Erst nach mehr als halbtägiger Fahrt wird Abu Hamed erreicht, das Knie des Nils, von dem aus sein Lauf sich schärfer

nach Süden wendet.

Nach Durchkreuzung der Wüste begegnen

uns wieder seine Ufer mit bebauten Landstreifen, den grauen Häusern aus dem Schlamm des Flusses.

Sie wechseln mit

Strecken von Oedland, in denen nur einzelne Findlinge, die Meer und Wasser vor ungezählten Jahren zurückgelassen haben,

als Hochpunkte auftauchen. Ueber einen Tag und eine Nacht geht der „Sunshine Erpreß" in guter durchschnittlicher Schnellig­

keit weiter nach Süden. Die Bahnfahrt gibt ein einprägsames Bild der Art, wie zielbewußte, zähe englische Kolonialpolitik Hemmnisse der Natur zu überwinden versteht. Seit Assuan ist die Temperatur schnell gestiegen. Als wir 926 Kilometer von Wadi Haifa entfernt im ehemaligen Reiche des Mahdi bei seiner Hauptkultstätte Halt machen, umhüllt uns die Glut der Tropen. Sommerhitze, die sich 1924, ähnlich wie in Indien, früher und heftiger als ge­ wohnt eingestellt hatte, ist an Stelle der nördlichen Winterkälte getreten. Die morgens und nachmittags stark wehenden Wüsten­ winde scheinen aus einem Feuerofen zu kommen. Sie ver­ hindern in dieser Jahreszeit oft die ersehnte Abkühlung während der Nächte. Lange nach Sonnenuntergang ist die Temperatur der Zimmer nicht unter 37 Grad Celsius gesunken. Die Ein­ wirkungen der ungeheuren, öden, nur durch die Wasser des Nils mit schmalem, grünenden Band durchzogenen Sandmeere Afrikas werden stündlich deutlicher fühlbar. In zwölf Tagen hat sich für uns ein völliger Klimawechsel vollzogen. Aus dem Schnee der Heimat waren wir in den Brand der Wüste, unter die fast senkrechten Strahlen der Südsonne gekommen.

II. Fahrt auf dem Nil. Der Nil beeinflußt nahezu ein Drittel des afrikanischen Kontinents. Verkehrslinien, Karawanenstraßen wie Schienen­ wege streben zu einem guten Teil nach seinen Uferplätzen. Sie ergänzen und ersetzen die Nilstrecken, auf denen die Schiffahrt durch den wiederholten Fall des Wassers über Steilhänge, die Katarakte, gehemmt ist. Ursprünglich wohl in breiter Fläche aus den Tropen über die Sahara rinnend, hatte der lydische Nil als Riesensluß westlich vom heutigen Lauf durch die Wüste ein breites Bett gebahnt. Erst in jüngeren geologischen Zeiten wurde die jetzige Furche des Nils für sein Wasser gebildet, die in den letzten 6000 Jahren keine wesentliche Umlegung mehr erfahren hat. Jenseits des Aequators, in dem Quellgebiet des Nyavarongo, eines Zuflusses des Kagera, entspringt der eigen­ artigste Strom der Erde, dessen geheimnisvolles „caput“ seit dem Altertum Gegenstand ewigen Suchens gewesen. Mit fast 6500 Kilometer ist der Nil nächst dem Mississippi-Missouri der weitaus längste Wasserlauf der Erde. Von den Riponfällen am Victoria Nyanza, die meist als Quellen des Nils bezeichnet werden, bis zur Mündung im Mittelmeer, durchläuft der Nil noch 5585 Kilometer. Selbst der größte der Ströme Chinas, der Vang-tse-kiang, bleibt dahinter zurück. Der Rhein mit

1320 Kilometer hat nur etwa ein Fünftel der Länge des Nils. 1908 habe ich mit Studenten der damaligen Kölner HandelsHochschule nördlich von Djindja an den „Nilquellen" gestanden, etwas flußabwärts wandernd den Strom überschaut, an dessen Ufern Krokodile sich sonnten, in dessen Wasser Nilpferdherden sich tummelten und mit ihrem Nachwuchs spielten. Damals schon hegte ich den Wunsch, daß es mir bald vergönnt sein möchte,

ein größeres Stück des Stromes kennen zu lernen, an dem eine der ältesten Kulturen der Menschheit in früher, vorantiker Zeit

ihre Vollendung gefunden.

Durch den Krieg und feine Nach­

wirkungen ward dies Erleben weiter hinausgeschoben, als ich

damals ahnen konnte. Jetzt erst habe ich den Strom von der Mündung in das Mittelmeer bis Chartum, am Zusammenfluß des Weihen und Blauen Nils kennen gelernt. Bahr-el-Abjad, „weiher", Heller Nil, wird der Stromarm genannt, dessen durch den Victoria Nyanza gespeiste Flut in den Sümpfen der Tropen sich bereits zu klären beginnt. Bahr-el-Azrak, „blauer" oder besser trüber Nil, heißen dagegen die Gewässer, die dem abessinischen Hochland entquellen. Zwischen Chartum und dem Mittelmeer, einer Strecke von über 3000 Kilometer, erhält der Nil nur noch einen Zufluh, den Atbara, während er bei seinem Lauf durch das Trockenland fortwährend Wasser abzugeben vermag. Ohne dauernde Bewässerung durch den Nil würde Aegypten, in dem es kaum regnet, ein Oedland, eine Wüste wie die Sahara sein. Der Fluh allein tränkt die Fluren und befruchtet sie durch sein merkwürdiges Steigen und Fallen. Rätselvoll erschienen einst schon den Alten diese Fluten, über deren Eigenart Herodot, der erste Historiker und Geograph der Hellenen, Betrachtungen anstellt. „Von des Flusses Art", schreibt er, „konnte ich weder von den Priestern, noch von sonst einem etwas erfahren. Und

ich wollte doch gern von ihnen wissen, warum der „Neilos" anschwillt von der Sommersonnenwende an gegen 100 Tage, und wenn er fast 100 Tage gestiegen, wieder zurückgeht und in seinem Bett dergestalt fällt, dah er den ganzen Winter über klein wird bis wieder zur Sommer-Sonnenwende." Dreierlei Meinungen stellt er auf: über den Einfluh der Strichwinde, über des Nils Ursprung aus dem „Okeanos" und über die Ein­ wirkung der Schneeschmelze in Aethiopien. Diese dritte Meinung habe zwar das meiste für sich, sei aber doch ganz falsch. „Wie

kann er denn," meint Herodot, „von Schnee fliehen, da er aus Sein Wleugnen des Schnees in den wärmsten Gegenden war nur allzu begreiflich. Die klimatischen Verhältnisse der Hochgebirge in der Nähe des Aequators, die Regionen ewigen Eises unter dem Scheitel

den wärmsten in kältere Gegenden flieht?"

14

Ausspeicherung und Austeilung des Wassers

S

der Tropensonne hat erst die Forschung des 19. Jahrhunderts

aufgehellt. Entscheidend für den Wasserstand des Nils sind die langen Sommerregen im abessinischen Hochland, während das Gebiet der Aequatorgegend einen weit geringeren Einfluh aufdasAnschwellen der Flut ausübt. Die heftigen Güsse, die von Juni bis September im Gebirge niedergehen, lassen den „blauen" Nil anschwellen und fruchtbaren Schlamm fortführen. So stark sind die Hochwasser des Blauen Nils in den Sommermonaten, daß sein weißer Bruder oberhalb der Bereinigung beider Flüsse zurückgedämmt wird und erst spät im Jahre, d. h. im Winter, abströmen kann. Dadurch wird das allzu rasche Verlaufen des Nils unterhalb Chartums verhütet. Zur Zeit der Pharaonen zerfiel das Jahr der ägyptischen Bauern in drei Abschnitte: die Ueberschwemmungszeit, die Winterund die Sommerzeit, von denen jede sich etwa über vier Monate unserer Rechnung erstreckte. Seit den Tagen Mohammed Ms, des bedeutendsten neuzeitlichen Herrschers über Aegypten, wurde die Aufspeicherung und Austeilung der Nilgewässer durch

die Errichtung groher Staudämme in die Wege geleitet. Sie halten das überschüssige Wasser des Mnters auf, um es in den folgenden Monaten des Tiefstandes bis zur Ankunst neuer Fluten wieder abzugeben. Der Damm von Assuan, das mäch­ tigste Stauwerk der Erde, und die „Barrage du Nil", die unter­ halb Kairos die Kanäle des Delta versorgt, sind die bekanntesten Anlagen dieser Art. An Bedeutung nicht geringer werden nach ihrer Vollendung die Wsperrungen sein, die derzeit für den Sudan auf Betreiben der Engländer mit britischen Kapitalien gebaut werden. Die Staudämme ergänzen den natürlichen Vorgang der Flutbewegung, der grohen Wasserversorgung während der jährlichen Ueberschwemmungszeit durch eine dauernde Bewässerung mittels zahlreicher Kanäle und Zufuhr­

adern. Den Fluten des Nils, seinem jährlichen Steigen, seinen früheren Ueberschwemmungen und jetzigen Regulierungen ist

Staudamm von Assuan

es zu danken, daß ein bald breiter,

bald schmälerer Streifen

anbaufähiger Erde sich durch die Gefilde des dürstenden Todes zieht. In Aegypten wechselt die Breite des Niltals zwischen 8 und 25 Kilometer, von denen etwa Vierfünftel angebaut sind,

da nur der unmittelbar vom Fluß berührte Teil durch das Schwemmland kulturfähig geworden ist. Der Rest besteht aus Wüstensand in so hoher Lage, daß er von den lleberflutungen

nicht erreicht werden kann. In Nubien, wo die Kulturen sich auf einzelne Strecken beschränken, ist das Tal selten breiter als 3—5 Kilometer, sind oft nur wenige Meter längs des Flusses bestellbar und auch nur in dem Umfang, als Wasserschöpfer dem Durstland die Flut aus dem tiefgelegenen Nil zuführen. Die Wasserschöpfräder der seit Jahrhunderten kaum ver­ änderten „Sakijen" haben bis acht Meter Durchmesser. An Strickgewinden sind hölzerne oder tönerne Schöpfgefähe be­ festigt, die ähnlich unseren Baggermaschinen Wasser in eine Rinne heben, von der es sich weiter über die Felder verteilt. An einzelnen sind die alten, farbigen, wohlgeformten Schöpf­ krüge durch nüchterne Blechbehälter, Petroleumkannen ersetzt. Hie und da bemerkt man Holzstäbe, die als Sonnenuhr dienen, wonach die Ablösung der den Göpel drehenden Ochsen geschieht. Bei den „Schadufs" wird das Wasser in Eimern mit großem, einer langen Segelstange ähnlichem Hebel, von Menschenhand geschöpft. Wo die umliegenden Randfelder, wie es oft der Fall ist, sehr hoch liegen, sind mehrere Schadufs übereinander an­ gebracht. Am Unterlauf des Nils, an den Kanälen in der Nähe Kairos mit ihrem dauernd gleichen Wasserstand sieht man eigen­ tümliche, leichtbewegliche Hohlräder mit fächerartigen Wasser­ hebern oder hölzerne Hohlzylinder, im Sinn der archimedischen

Schrauben geformt, die mit Handbetrieb in Bewegung gesetzt werden.

Don Schellal, dem Endpunkt des ägyptischen Schienen­ stranges, fuhren wir auf dem Nil mit dem Dampfer „Britain" der Sudanverwaltung südlich bis zur Kopfstation der Wüsten-

bahn. Durch merkwürdigen Zufall, infolge der Strandung des Schwesterfchiffes, der „Sudan", haben wir die „Britain" größten­ teils auch auf der Heimreise von Wadi-Halfa stromabwärts benutzt. Beide Dampfer sind breite, dreistöckige Bauten mit großem Schaufelrad am Heck. Britain und Sudan führen bei

ihren Touren neben sich kleine Boote für die Eingeborenen. Das Leben an Bord dieser Dampfer ist nach englischer Sitte geregelt. Die Schiffe sind reinlich gehalten, die Kabinen mit Windfächern, Schiebfenstern, Lichtblenden der Eigenart des Klimas angepaßt. Von den Nachwehen des Krieges, von irgendwelcher Feindseligkeit haben wir weder an Bord noch im Sudan und in Aegypten etwas zu spüren bekommen. Die britischen Dienststellen, mit denen wir in Berührung kamen, zeigten jedes Entgegenkommen, das billigerweise verlangt werden konnte. Nur einmal wurden wir an die rückliegenden Tage des Grauens plötzlich und unvermittelt erinnert. Als wir eines Abends auf der Britain einen Erinnerungstag feierten und zu dessen Ehren eine Flasche Pommery und Greno bestellten, fiel unser Blick auf eine Sonderetikette, die wörtlich lautete: „Guaranteed tohave been prepared and bottled in our Reims cellars during the great war within one mile of the german trenches“. Diese Zusicherung, daß der französische Schaumwein in der kleinen Entfernung von kaum einer Meile vor den deutschen Linien in den Kellern der Firma zu Reims während des großen Krieges hergestellt und abgefüllt worden sei, war wohl für man­ chen Ententezugehörigen ein Lockmittel. Ein angenehmes Prickeln mochte ihm über den Rücken laufen im Gedanken, daß sein Schaumgetränk im nächsten Bereich des Feindesfeuers hergerichtet worden fei.

Wie im ganzen Orient, war die Bedienung ausgezeichnet. Wer unter europäischer Dienstbotennot und Ungebärdigkeit der Hausangestellten gerade in den letzten Jahren gelitten,

empfindet doppelt angenehm die Art, in der die Mohren jeder Schattierung den Europäern behilflich sind. In langem, weißen

Gewand, an den Füßen die roten Schnabelschuhe, auf dem Haupt den Turban, um die Hüfte einen bunten Schal ge­ schlungen, sind diese schlanken Männer mit ihren großen, dunklen Augen die besten Diener, die wir uns wünschen können. Die

bewußt betonte Unterwürfigkeit den Weißen gegenüber, die

Geräuschlosigkeit ihrer Bewegungen, die aufmerksame Art, in der sie uns bei Tisch und in den Kabinen betreuen, sind um so wohltuender, weil die Reisestrapazen im ungewohnt heißen Lande unsere Reizbarkeit merklich erhöht haben. In den von den Sudandampfern befahrenen Strecken ist der Nil viel weniger noch von europäischer Zivilisation berührt, als dies im Unterlauf der Fall ist. Die Nilreise zwischen Assuan und Wadi-Halfa führt durch eine Szenerie so verschiedenartig in ihrem Aufbau, so wirkungsvoll und abwechselnd in der Be­ leuchtung, daß das Interesse keine Stunde erlahmt. Als besonderen Gewinn betrachte ich es, daß das Niltal in seiner gestreckten Form, die nur in der Längsrichtung von Wegen durchzogen ist, den Reisenden anleitet, alles zweimal zu genießen Hermann Grimm, einer der feinsten Aestheten, hat immer wieder betont, erst beim zweiten Schauen eines Kunstwerkes gelange man zu vollem Genuß, weil der erste Eindruck meist zu sehr im ganzen überwältige. Dies gilt auch für das Durch­ streifen der Natur, namentlich bei Reisen in einem Land, das dem Neuling so viel des Fremden, Einzigartigen längs des

Nillaufs bietet, daß er erst bei der Rückfahrt Einzelbilder, die festhasten, zu gewinnen vermag. Nilaufwärts fährt er gegen Süden, gegen die Sonne, während er auf der Talfahrt gegen Norden meist in umgekehrter Beleuchtung die einzelnen Partien

betrachtet. Die Fahrt auf dem mittleren Nil ist gerade während des Frühjahrs eindrucksreich, weil der Strom auf der rund 350 Kilometer messenden Strecke Assuan—Wadi-Halfa fast 300 Kilo­ meter durch den Sperrdamm aufgestaut ist. Der Nil erhält dadurch auf langen Strecken eine erhebliche Tiefe, zum Teil

auch beträchtliche Breite.

Selten freilich übertrifft er in der

Querrichtung den Rhein bei Köln. Die flacheren Uferstrecken waren im März vielfach überflutet, Palmen standen aus weite Strecken im Wasser. Erst südlich von Abu Simbel wird der Fluß allmählich niedriger, treten ausgedehnte Sandbänke zutage, wird in dieser Jahreszeit die Fahrt außerordentlich erschwert. Die beiden Ufer sind auf den meisten Strecken in schmalen Streifen angebaut. Oft ist der Rand des Wassers dicht mit Tropenbäumen besetzt, hinter denen von Zeit zu Zeit eine kleine Dorfsiedelung im Grau ihrer Lehmziegel schimmert. Die Segel­ boote der Eingeborenen gleiten geräuschlos vorüber. Am Ufer­ rand zeigen sich Bauern, die teils zu Fuß, teils auf dem Haupt­ reittier des Niltals, dem Esel, ihren Siedelungen zustreben. In den Feldern sind Fellachenfrauen in hemdartigen, dunklen Gewändern mit der Fruchtpflege beschäftigt. Deutlich ist zu erkennen, daß das organisch-vegetative Leben nur soweit reicht, wie die Wasser des Nils den Boden zu netzen vermögen. In bequemen Korbstühlen sitzen wir auf dem Vorderdeck der Britain, deren große Schaufenster ähnlich einer Veranda den Blick nach allen Seiten freilassen. In grandioser Einförmigkeit ziehen die Linien der Nillandschast dahin, nie ermüdend, nie abspannend wegen der Vielfarbigkeit des Lichtes, das im Wasser, an ihren Ufern spielt und sich spiegelt. Wir leben im rheinischen Tiefland meist unter niedrigen Wolken, die den Ausblick nach dem Horizont grau verhüllen. Die Aegypter kannten vor Jahr­ tausenden, kennen heute in ihrem einzigartigen Land, das nur

von einem Fluß bewässert wird, keine dichte Verhüllung des Himmels. Sie werden weder durch düstere Tage bedrückt, noch durch Nässe und Nebel, die uns immer wieder belasten. Aus der Wüste, die das Niltal umrahmt, steigt kein Wasserdunst, der den Himmel zu trüben vermöchte. Wohl sind auch dort manchmal Wolken sichtbar, aber sie erscheinen weißer und leichter als bei uns. Fast niemals ist der ganze Himmel bedeckt, nie die Aussicht auf die Sonne für Stunden und Tage, selbst Wochen so genommen, wie wir das gewohnt sind. Nur im Delta bis Kairo hin scheint

sich eine Klimaänderung infolge der Wasseraufstauung und künstlichen Bewässerung anzubahnen. Dichte Frühnebel sind -ort nicht selten, Regengüsse gehen ausnahmsweise nieder. Dagegen wölbt sich am Mittellauf des Nils über der glitzernden Furche des Stroms fast stets das tiefe, reine Blau der Luft, ohne schattende Wolken, ohne Brechungen der Farben. Zwischen saftvoll grünen Feldern schillern die Wogen des Stromes in wechselndem Glanz. Mit der Sonne gesehen sind sie blau, gegen sie scheinen sie grün zu schimmern. Okergelb bis orange glüht der Sand, rötlich bis tiefrot das Gestein der Gebirge, deren kühngeformte Felsmassen oft pyramidenförmig sich längs der Ufer türmen. Naheliegend ist der Gedanke, daß bei den großen Pharaonen des alten Reiches, als sie zu diesen fernen Nilsttecken kamen und die Berge in ihren linienbetonten geometrischen Formen sahen, der Wunsch entstand, in dem Flachland, das sie zur Residenz und Ruhestätte sich erkoren hatten, solche Massen über ihren Grabmälern künstlich aufzuschichten. Es war eine überwältigende Idee, Berge, wie der obere Strom sie zeigt, an seinem Südlauf über die Grabkammern zu setzen. Oft treten die Felsen so nahe an das Flußbett heran, wie wir es am Rhein zwischen Bingen und Coblenz gewohnt sind. Beson­ ders reizvoll ist der Panoramawechsel bei den Nilbiegungen, wenn das Wasser in Engen zu verschwinden scheint und plötzlich wieder Weitblicke sich öffnen in niegeschauten Farbbildern des Landes, das vom lichtblauen Himmel übersttahlt ist. Vögel segeln durch die Lust in großen, geschwungenen, kunstvollen Bogen. Zu Hundetten kreuzten zeitweise Geier über unsern Häuptern, so wie Mägypten sie schon gesehen und im Abbild an den Tempel­ decken festgehalten hat. Die Großtiere freilich, die an diesen Wassern lebten, die dickhäutigen Nilpferde, auch Krokodile, wie sie Gustave

Flaubett nach seinen Reisenotizen noch 1850 am Mittellauf des Flusses jagte, sind vor der Zivilisation inzwischen längst weiter nach Süden geflüchtet. Ein ruhiger Gleichklang beherrscht alles Sein im Gebiet des uralten Stromes. Die ägyptischen Bauern scheinen in

Liebe und Leid, im Leben wie Sterben die nämlichen zu sein,

die sie vor Jahrtausenden gewesen. Friedliche Stille liegt meist über den Wassern. Nur ein einziger Sang tönt, bald leiser, bald lauter, immer wieder an den Ufern des Nils. Wie Kinder­

stimmen scheint es zu klingen aus weiter Ferne. Nicht unmelodisch, doch unbestimmbar ist dies Durcheinander klagender und jubi­ lierender, Heller und tiefer Töne, die aus grellbesonnten, nur wenig von Blätterschleiern gegen die Hitze beschatteten Punkten des Ufers hervorkommen. Einprägsamer als alles andere sind diese ewigen, nicht einfangbaren Lieder, die die Sakijen, die Schöpfwerke aus rötlichem Akazienholz, singen. Langsam dreht sich das Rad, das der Büffel Stunde um Stunde, Tag um Tag in steter Einförmigkeit bewegt. Es knarrt und knarzt, es weint und klagt, es jubelt und jauchzt in des Allvaters Gebiet. Hoch und summend klingt erst das Lied, tiefer und voller, je näher wir kommen, immer wiederholt, immer wiederklingend von anderen Stellen des Ufers. Seit den Kindheitstagen der Mensch­ heit singen die Sakijen an den Wassern des Nils. Träge drehen sie sich seit Jahrhunderten, bis die Zeit sich erfüllet, da sie feiern können, weil andere, stärkere Maschinen ihre alte Werkzeug­ arbeit abgelöst haben. Schwebende Gesänge ertönen so an den Usern vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Zweimal ist bei der Bergfahrt unser Dampfer gelandet. Wir konnten am Ostufer des Nils Kasr Ibrim besuchen, eine malerische Feste auf schroffem, vom Fluh steil aufsteigenden Felsen. Die Burg stammt aus der Römer Tagen, wurde als strategisch wichtiger Punkt zur Beherrschung Nubiens angelegt. Nach Durchschreitendes Tores» dessen Eingang mit der geflügelten Sonnenscheibe geschmückt ist, kommen wir zu einem Gewirr von Trümmern aus der Türkenzeit, in der Mitte Reste einer kleinen byzantinischen Kirche, in der noch eine Säule mit dem Weihkreuz steht. Weit und wundervoll ist die Aussicht von der

Höhe. Im Osten recken sich die Berge der arabischen Wüste, fern im Süden die Felsen von Abu Simbel. Im Westen dehnt sich die gelb und golden schimmernde Wüste mit ihren Pyramiden-

.haupteinganq zum Felsentempel von Abu Simbel

gleichen Hügeln. In der Tiefe glitzern die Wasser des Flusses, mit dem schmalen, grünenden Kulturland an seinen Seiten, aus dem sich nur einzelne graue Lehmhäuser abheben. Diel stärter noch wirkt der große Felsentempel von Abu Simbel. Es ist die gewaltigste und schönste von allen in die Berge getriebenen Tempelanlagen, die dem bautenfrohen Grotzkönig Ramses II. zu danken sind. Die erstaunliche Frische, die Unver­ sehrtheit des Innern, die Farbigkeit alter Bemalungen sind der Natur der Umgebung zu danken. Was an den Rändern des Niltals entstand und verlassen wurde, verschlang die Wüste,

in deren Nähe alles aufgebaut war. Ihr gelber, feinkörniger Sand hat eine wunderbar erhaltende Kraft. Kleine, zunächst dünne, dann breiter und dichter werdende Schleier, die nichts verletzen, nichts zerdrücken, deckt der Wind über alles von Menschen Geschaffene. Sind sie auch anfangs noch so fein, sie werden immer erneut übereinandergelegt und gefaltet, bis sie alles rtmhüllen, sichern, fast unversehrt auf unsere Tage bringen

konnten. Besser als die Einbalsamierer hat die Wüste es ver­ standen, das einst Gewordene frisch zu bewahren. Wer nach der Heimkehr wie wir Pompeji besucht und die dortigen ver­ gleichsweise kärglichen Reste der durch Lava iinb vulkanischen Sand begrabenen römischen Provinzstadt nach ihrer Ausgrabung sieht, dem erst wird ganz deutlich, wie sehr viel mehr, wie sehr viel besser das in Aegypten Jahrtausende früher Erbaute

erhalten geblieben ist. Bon den hochragenden Felsmassen Abu Simbels ist die -rauhe Vorderseite weggeschlagen. Dor dem Eingang, zu dem ein Vorplatz mit Terrassen und Rampen führt, sind vier Hoch­ sitze für zwanzig Meter hohe, aus dem gewachsenen Stein

Der Ober­ körper der zweiten Figur ist abgerutscht, liegt jetzt auf dem Boden und zeigt am deutlichsten die kolossalen Verhältnisse, in benen sie hergestellt ist. Die Statuen sind trotz ihrer Riesen­ herausgehauene Rundbilder des Pharao errichtet.

haftigkeit der Tempelfront und den umstehenden Felsformationen Manches Werk des großen

mit sicherem Gefühl angepatzt.

Ramses hat starte Anfechtung gefunden. Angesichts des Tempels von Abu Simbel mutz jede Kritik verstummen. Volltommener vermag lern Baustil die Massen und Matze zu steigern, als es hier geschehen ist. Vollendet gelungen ist die Einfühlung des schöpfe­ rischen Baugedankens in die fast übermächtige Steillandschaft mit ihren grotzwuchtenden Formen, dem ungebrochenen strahlen­ den Licht, das die hochragenden Gestalten des Gott-Königs nicht umschleiert und nicht verwischt. Es ist, als ob die Natur selbst dem Schöpfer die Fähigkeit geschenkt hätte, sein künstlerisches Traumbild in einer ihr entsprechenden Art, in sicherem, aus­ geglichenen Ebenmatz wirklich werden zu lassen. Die Fassade, die die Tortürme, die Pylonen der freistehenden Tempel vertritt, wird oben von einer Reihe betender Affen abgeschlossen, die die aufgehende Sonne begrützen. Das im Felsen angelegte Innere des Tempels birgt zunächst die grotze Pfeilerhalle, deren Decke von acht je zehn Meter hohen Statuen Ramses II. getragen wird, die Geißel und Krummstab, die Symbole der Herrschaft, halten. Die Decke des Mittelganges ist mit fliegenden Geiern, die Decken der Seitengänge sind mit Sternen bemalt. An den Wänden sind Reliefs in einer Schönheit, zum Teil noch Farbig­ keit, wie wir sie ähnlich später im Amontempel zu Theben fanden. Die in ihnen immer wiederkehrenden, knabenhaft reizvollen Umritzlinien des jungen Königs prägen sich unauslösch­ lich ein. Die Längsachse des ungefähr 55 Meter tiefen» in den Felsen getriebenen Bauwerks ist so genau von Osten nach Westen gerichtet, daß frühmorgens um 6 Uhr der über dem Horizont schnell aufspringende Glutball die ersten Strahlen wie blitzende Pfeilbündel durch die bis dahin im Tempel herrschende Dämmerung schleudert. Das Licht des Tages wird für ein paar Minuten bis in den innersten Raum, das Allerheiligste getragen, an dessen Rückwand die Figuren des vergotteten Königs, des Amon-Re von Theben, des Re-Harachte von Heliopolis und des Ptah von Memphis in Vollfiguren sitzen.

Die Erbauer ägyptischer Tempel liehen sich vom Wunsch leiten, die religiöse Stimmung der Besucher des Gottesorter durch die Anordnung der Bauteile, ihre Gruppierung um die Längsachse, durch die immer enger werdende Blickrichtung zu heben. Bon der Durchsichtigkeit und Helligkeit der ägyptischen Auhenwelt werden die Diener der Götter in immer heimlicher werdende. Lichtabstufungen, in das Dämmern des Allerheiligsten geführt. Aus der Weite der Landschaft, deren Himmel wie eine feinabgewogene Saaldecke den Bergtempel überspannt, trat der Gottsucher zu Abu Simbel in ein stets enger werdendem Gehäuse, aus dem pulsierenden Leben des Alltags in das Ge­ heimnisvolle des Felsinnern, das alles Göttliche umhüllt. Nach des Grohkönigs Riesenschöpfung haben wir den benachbarten, in Ausmaß und Anlage bescheideneren, ebenfalls in die harten Felsen hineingetriebenen Hathortempel besucht, der von jener durch ein schmales Tal getrennt ist. Dies Heilig­ tum hat der schreckerregende grohe Ramses seiner von ihm vergötterten oder gefürchteten Gattin Nefretere geweiht. In der Tiefe des Tempels, in der nur durch Kerzenstümpfe wenig aufgehellten Finsternis sind farbige Flachbilder von unüber­ trefflicher Anmut. Die Königin, in seinem, durchsichtigen Hemdkleid, ist zusammen mit Göttinnen dargestellt, deren Gestalten sich in zarten, lieblichen Gebärden zueinander neigen und bewegen. Damit neben dem Bleibenden, Großen, Ewigen das Komische, Zufällige, Augenblickliche nicht fehle, hatten kleine Nubierjungen sich schon in der Frühe vor den Tempeln an unsere Fersen geheftet. Schritt für Schritt begleiteten sie uns mit der Bitte um „Bakschisch". Es ist das meistgehörte Wort des Orients, das schon die jüngsten Kinder, die kaum zu lallen vermögen, uns stammelnd entgegenrufen. „Bakschiiiiisch" klingt es — mit kurzem tiefen a, hellerem langen, betonten i gesprochen — aus dem Mund jedes Eingeborenen. Um uns für milde Gaben zu gewinnen, hatten die Mohrenjungen sich ein ulkiges Spiel ausgesonnen. Sie gruben einander in den

lockeren Wüstensand ein, so dah nur die kleinen Häupter heraus­ schauten, die sie mit Steinen beschwerten und Fratzen schneiden liehen. Ein komisch-grausiges Bild boten die Kinderköpfchen im gelben Wüstensand, die die Augen bewegten und sich Geld­ stücke in den Mund schieben liehen. Die Hoffnung, später nach dem Besuch des Sudans auf der Talfahrt beim Mondschein in blausilbern samtnen Abend­ stunden den Riesentempel nochmals besuchen zu können, hat der Nil zuschanden werden lassen. Obwohl die Dampfer der Sudanverwaltung geringen Tiefgang haben, ist die Fort­ bewegung in dem sandigen, oft wechselnden Strombett nicht

ohne Tücken. Schon bei der Bergfahrt war der Fluh bald hinter Abu Simbel, auherhalb der Wirkungen des Staudamms, sehr flach geworden. In den Märzwochen geht sein Wasserstand täglich zurück, es entstehest grohe, oft sich umformende Trieb­ sandinseln, die bei ihrem wechselnden Stand die Schiffahrt stark behindern. Bei der Fahrt nach Wadi-Halfa war die Britain öfter aufgelaufen. Nach mannigfachsten Dersuchen, bei denen ein gut Teil der schlanken, schmalhüftigen und doch kräf­ tigen, breitschultrigen Bootsleute im Wasser watend, das Schiff zu bewegen, zu ziehen, zu lenken wußte, gelang es immer wieder loszukommen. Bei der Talfahrt ist die stärker beladene „Sudan" gleich am ersten Tag, wenige Stunden nördlich von WadiHalfa, so fest im Sand aufgerannt, dah alle Hoffnung, sie wieder loszubringen, vergeblich blieb. Zunächst sprang auch wieder «in Teil der Schiffsmannschaft über Bord und suchte den Dampfer

mit den Schultern, ähnlich wie Karyatiden eine Decke tragen, zu heben und zu bewegen. Dann wurden Versuche gemacht, vom Ufer aus mit langen Seilen das Schiff in Fahrt zu bringen.

Ein Hilfsdampfer wollte durch Rammen das Boot vom Sand­ bett loslösen. Aber stundenlanges Mühen blieb vergebens. Statt abends in Abu Simbel zu landen, lagen wir einige Kilo­ meter weiter südlich fest, waren wir hilflos gestrandet, ohne dah die „Sudan" die Möglichkeit fand, aus eigener oder mit

anderer Hilfe weiter zu fahren.

Schleusenkanal am Staudamm von Assuan

Nicht sehr gemütlich waren die Stunden auf dem unbeweglichen und daher der Fliegenplage und Hitze wehrlos preisgegebenen Schiff, nicht sehr erquicklich die Aussicht, statt den Tempel zu besuchen, auf zunächst nicht absehbare Zeit im Nilwasser festzuliegen. Die Nacht kam. Die eben noch helle gelbgrüne Umwelt dämmerte in Rot und Braun hinüber. Biolette Schimmer, Veilchensarben, die auf­ glimmen, werden vom Dunkelblau verschlungen. Der Wend­ stern, der uns auf der Reise seit der Heimat begleitete, leuchtet zuerst auf. Scharen von Gestirnen entzünden ihr Licht an der schwarzblauen Himmelswölbung. Aber selbst die hellstrahlenden Sterne, die klar emporsteigende Mondscheibe, die die undurch­ sichtigen Wasser »belichtete, vermochten kaum unsere durch das unbestimmte Warten erregten Nerven zu entspannen. Zu Sonnenaufgang am nächsten Morgen mutzte alles zusammengerasst werden. Ein kleiner Hilfsdampfer fuhr an Bordseite; Menschen und Gepäck wurden hinübergereicht; in engster Be­ ladung bei grotzer Hitze ging es auf dem winzigen Schiff weiter nilabwärts. Nicht allzuspät kam die Erlösung. Die uns schon vertraute Britain, auf der Bergfahrt begriffen, wurde erreicht, die Passagiere mit dieser ausgewechselt, die Nilaufwärtsfahrenden auf das Leichterschiff und wir auf die Britain übernommen, die jenseits der Sandschwellen lag und nun talwärts weiterfahren sollte. In Schellal nahmen wir Abschied von der Britain, um im Ruderboot nach Philae und dem grotzen Staudamm über­ zusetzen. Der Staudamm von Assuan, begonnen zur Zeit des Mahdifeldzuges, wurde 1898—1902 als größte Talsperre der Welt vollendet. Sein Anblick gehörte damals und gehört erst recht jetzt nach der Erhöhung zu den stärksten Eindrücken JungAegyptens. Aus schweren Granitblöcken der Steinbrüche bei Assuan errichtet, die früher den altägyptischen Tempelbauten dienten, durchquert der Damm in gerader Linie mit einer Länge von fast 2 Kilometern den Strom. Seit seiner Erhöhung, die bis 1912 durchgeführt wurde, erreicht er an einzelnen Stellen

45 Meter und ist an den tiefsten Strecken 37 Meter breit. 180 Wassertore regeln den Abfluß, sie werden mit Hilfe elektrischer Winden betrieben. Wenn der Nil Anfang Juli zu steigen beginnt, werden die Tore für die Ueberschwemmungsmonate geöffnet. Ende November, wenn die rotbraunen Schlammfluten verlaufen, das Wasser wieder klarer wird, das Land mit dem ersehnten Naß versorgt ist, werden die Oeffnungen des Dammes nach­ einander geschlossen, um den Stausee allmählich zu füllen. Das Staubecken, das in dem tiefliegenden Flußbett innerhalb der wie Steilränder wirkenden Ufer stromaufwärts gebildet wird, faßt 2*/2 Milliarden Kubikmeter Wasser und erstreckt sich 295 Kilometer in der Nilrinne. Meist erreicht es seinen Höchst­ stand Ende Januar. Unterdessen fließen nur geringere Wasser­ mengen durch die wenigen Dammöffnungen und Schleusen an der Stelle des ehemaligen ersten Kataraktes zu Tal. Don April an genügt diese Wasserzufuhr nicht mehr den Anforde­ rungen des Landes; es beginnt die Wasserabgabe in die Ver­ teilungskanäle mit Hilfe des großen Reservoirs. Trotz der Auf­ speicherung beispielloser Wassermengen bleibt es noch notwendig, an vielen Stellen den Landbesitzern die Entnahme aus den Kanälen zu beschränken, bis im Sommer die Flut von neuem zu steigen beginnt und dem Mangel ein Ende bereitet. Mit Hilfe des Staudammes wird weites Land bis zum Meere hin, das früher auf die Flutmonate allein angewiesen war, regel­ mäßig bewässert. Die Fellachen erhalten ohne zuviel Mühe das ganze Jahr hindurch die für ihre Saaten nötige Feuchtigkeit. Nicht nur zur Wasserregulierung, sondern auch für die Krafterzeugung kann künftig der Staudamm bedeutungsvoll werden. Inmitten der llnabhängigkeitsdebatten im Juni 1924 beschäftigte sich das ägyptische Parlament mit einer bedeutungs­ vollen, wenn auch nicht überall beachteten kleinen Anfrage an den Minister der öffentlichen Arbeiten, wie es mit den Plänen stände, den Staudamm von Assuan für die Gewinnung elek­ trischen Stromes zu benutzen. Der Minister Morkos Hanna Pascha antwortete, es lägen tatsächlich verschiedene Projekte

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Die Insel Phtlae

zur Ausnutzung der Wasserkraft vor und er beabsichtige, die Elektrisierung des Gefälles in die Wege zu leiten. Damit würde der erste großzügige Versuch gemacht, den Kraftbedarf Aegyptens aus eigenen Mitteln zu decken. In der heutigen Kraftversorgung liegt der schwächste Punkt der ägyptischen Volkswirtschaft. Im ersten Nilkatarakt bei Assuan, dessen Abfluß durch den Staudamm geregelt ist, besitzt das an Kohlen, Holz und Erdöl arme Aegypten die einzige bedeutungsvolle Wasserkraft. Schon der zweite Katarakt liegt im Gebiet des Sudans. Dabei betrug die Zahl der Pferdestärken, die Aegypten braucht, 1922 bereits über 700 000. Im Januar 1924 bezog Aegypten 94 140 Tonnen Stein­ kohle im Werte von etwa 160 000 ägyptischen Pfund, aus­ schließlich aus England. Der darnach zu schätzende Jahres­ verbrauch von beträchtlich über 1 Million Tonnen Steinkohlen bedeutet für Aegypten starke wirtschaftliche Abhängigkeit von der Kohlenpreispolitik Englands, namentlich in Konfliktszeiten. Die Beherrschung der Steinkohlenlieferungen durch England engt die ägyptische Unabhängigkeit fast stärker ein als die bri­ tische Besatzung im Lande. Neben der Wasserkraft des Nilstaudammes dürfte die Ver­ wertung der Sonnenstrahlen in diesem heißen, trockenen, fast regenlosen Land künftig von Bedeutung werden. Die Kon­ struktion praktisch verwendbarer Sonnenkraftmaschinen ist nur eine Frage der Zeit. Ihre Lösung könnte für Aegypten von ungeheurer Tragweite werden, seine Kraftversorgung unab­ hängiger gestalten und damit die Industrialisierung einleiten, die angesichts starker Dolksvermehrung notwendig wird. Be­ arbeitung der geernteten Baumwolle im eigenen Land, we­ nigstens soweit der Kleidungsbedarf der Massen in Frage kommt, ist heute ein vielerörtertes Problem der Jungägypter. Bis zur Errichtung und Erhöhung des Sperrdammes war Philae, das kleine, der Isis geweihte Eiland» mit seinen zier­ lichen» schmuckvollen Bauten aus den Tagen der Ptolemäer und römischen Kaiser, die „künstlerische Perle" Aegyptens. Durch die jährliche Auffüllung des Staubeckens ist es zum Untergang 3*

verurteilt. Die Insel, die mit ihren anmutigen Tempelanlagen, ihrem reichen Pflanzenschmuck früher zu den fesselndsten Punkten Aegyptens zählte, ist im Frühjahr jetzt unzugänglich geworden. Die Tempel sind größtenteils von den Wassern des Nil über­ flutet. Ihre Steine zerbröckeln und verschlammen im Laufe der Jahre. Schon aus der Ferne sehen wir, wie wenig noch von Philaes Schönheit geblieben ist. Don den Pylonen des Isis­ heiligtums ragt nur noch der Oberteil aus den Fluten, in großlinigen Reliefs den Pharao zeigend» wie er dem Horus und der Nephtys räuchert und opfert. An Hadrians Tor recken sich noch die Säulenkapitäle mit den steinernen Deckbalken aus den Wassern. Alles andere ist bedeckt und versunken. Wir landen am Tempel der Isis, besteigen das Dach des Hauses, das allein fast noch vom Wasser frei ist. Die kleinen Araberjungen suchen die Fremden zu belustigen, indem sie Tauch- und Springübungen im Tempelgrund veranstalten, in dem einstens ein Halbjahrtausend heilige Zeremonien vor sich gegangen waren. Nicht ohne Wehmut kann der Kunst­ freund an dieser Stätte weilen, und immer kehrt der Gedanke wieder, daß es für jene, die den Staudamm errichteten, die aus seiner Fertigstellung Nutzen ziehen» Ehrenpflicht gewesen wäre, das beziehungsreiche Kunstwerk des ausklingenden ägyptischen Schaffens zu entfernen und an anderer Stelle, fei es auch nur in einer großen Museumsanlage, sorgsam wieder aufzubauen. Don dem versinkenden Eiland, das Jahrtausende über­ dauerte und nun der neuzeitlichen kapitalistischen Wirtschaftswelt zum Opfer fällt» gelangten wir zum Sperrdamm, den wir in kleinen, von Menschen getriebenen Schienenkarren überquerten, um nach Beobachtung der Wasserabflüsse an seiner Westseite im Schleusenkanal mit dem Boot abwärts zu gleiten. In mehrstündiger Fahrt» vorbei am ersten, jetzt wasserarmen Katarakt, ruderten uns die Bootsleute gegen Assuan. Sie be­ gleiteten den Takt der großen grobgezimmerten Riemen, die inden Strickringen ächzten, mit einförmigen Rhythmen derHeimatlaute» die meist in das angelernte englische Hipp-hipp-hurra

Pylon des vom Stauwasser umspülten Tempels von Philae

ausklangen. Reizvoll blieb vom ersten bis zum letzten Augen­ blick auch bei dem damaligen Tiefstand des Flusses, der die großen» glattgeschliffenen, rosigglänzenden, schwarzschimmernden Steine und Blöcke freiläht, die Fahrt auf dem Nil. Wer nur einige Tage auf diesem Riesenstrom reist, versteht,

wie Aegypten mit der zauberhaften, befruchtenden Wasserflut, mit seiner Leichtigkeit des Lebens in ewiger Sonne zur Wiege der Menschheitskultur werden konnte. Unsere Borfahren sind in ihren kalten» ewig feuchten Wäldern, in dem Nebelheim, sehr viel langsamer zum Wachsein emporgestiegen. Freilich haben sie dann» gestählt durch die Unbilden ihres Klimas und die Kargheit des Lebens, zum Teil Leistungen vollbracht, die denen versunkener Völker ehrenbürtig sind, im einzelnen sogar

überlegen erscheinen. In der Zeit frühester Menschwerdung haben die Nilbe­ wohner lebensfroh das Dasein bejaht, versucht, es zu ver­ schönern und über die kurze» jedem gewährte Frist hinaus weiter­ zuführen. Durch die Bewegungen ihres Stromes sind sie zur Beobachtung des Zeitenablaufs gekommen. Die Betrachtung

des gestirnten Himmels lehrte sie die Zeiteinteilung, nach der sich Kommen und Gehen der Ueberschwemmungen bestimmen liehen. Aus diesen Anfängen der Mehkunst haben sie in Verfolg der ersten Erkenntnisse die Linien ihrer Bauten gezogen, die Fundamente aller Mssenschaft und Weisheit gelegt. Der Nil gab seinen Anwohnern durch die Wasserüberflutung und Ablagerung von Schlammflächen nicht nur guten Ackerboden, er

regte auch Bewässerungssysteme an und lehrte die Vermessung des Landes. Er drängte seine Anwohner zum Zusammenschluh, zu geordnetem, einheitlich verwalteten Staatswesen, wie er zugleich die Derkehrsstrahe war, die das langgestreckte Reich immer wieder vor Zerfall bewahrte. So ist der Nil der Vater

eilet Dinge» der Förderer jeder Kulturentwicklung in seiner Reichweite seit alten Tagen gewesen.

III. 3m Reich des Mahdi. Zwei (Erinnerungsmaie stehen in Chartum, der Hauptstadt des Sudans. Gordon auf einem Kamel reitend, Kitchener hoch zu Rotz sind dorten Erzdenkmäler errichtet. Um ihre Namen gruppiert sich die wechselvolle jüngste Geschichte des Landes. Des „Mahdi" Glück und Ende sind mit ihnen unlöslich verknüpft. Der Erdfleck am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nil, auf dem wir uns heute so sicher wie in der deutschen Heimat bewegen, wurde vor wenig mehr als einem Vierteljahrhundert von einem absoluten Despoten unangefochten beherrscht, der sein Gebiet gegen die Außenwelt fest abschloß. Getreu den erfolgreichen Versuchen der Pharaonen, die in den letzten anderthalb Jahrtausenden vor Christi Geburt ihre Hoheitszeichen nilaufwärts über Nubien getragen hatten, waren die Vizekönige Aegyptens seit dem Wiedererstarken ihres Staates im 19. Jahrhundert bestrebt, ihre Autorität entlang des Nils auszudehnen. Zu Beginn der achtziger Jahre unter­ stand, wenigstens dem Namen nach, dem Khedive von Aegypten ein Gebiet, das sich von Wadi-Halfa fast bis zum Aequator erstreckte. Aegypten versuchte über ein Land zu herrschen, das etwa zweimal so groß war wie Frankreich und Deutschland zusammengenommen. Der Vizekönig hatte durch die Ausdehnung seines Reiches bis zur Mitte Afrikas Aufgaben übernommen, die weit über seine Kraft gingen. Weder die militärischen, noch die finanziellen Machtmittel reichten für die gestellten Probleme aus; gleich unmöglich erschien es, den nötigen Verwaltungs­ apparat aufzubauen. Nicht nur von Englands Agenten, sondern auch aus Schilderungen anderer Europäer wissen wir, daß der Sudan, das „Land der Schwarzen", unter der Mißwirtschaft der Paschas schwer litt. In Auflehnung dagegen entstand die Bewegung eines ehrgeizigen, befähigten Dongolaners, des ehemaligen Derwischs

Mohammed Achmed, der sich im August 1881 zum Mahdi aus­ rufen liefe. Er fufete auf der Tradition der islamischen Welt, dafe künftig einmal ein „Mahdi", d. h. einer, „der auf dem richtigen Pfade geführt wird", erscheinen werde, um die ganze Erde zum Islam zu bekehren. Es gelang ihm, den Sudan für seine Sache zu gewinnen, ein Riesenreich zusammenzuraffen, das er immer weiter auszudehnen gedachte» im Innern despotisch regierte. Die traurige Verfassung der im Sudan liegenden ägyptischen Truppen, die schlechte Ausbildung der Soldaten, die Unwissenheit und Unfähigkeit ihrer Offiziere, ihre über­ hebliche Art im Umgang mit den Eingeborenen, verbunden mit persönlicher Feigheit, sind die Voraussetzungen des Aufstieges zur Macht für den Mahdi geworden. Der ägyptischen Regierung war es in der kritischen Zeit unmöglich, berechtigten Forderungen nach Geld und Leuten nachzukommen. Die englischen Minister fürchteten damals, wider Willen zu einer grofeen militärischen Intervention im Sudan getrieben zu werden. So mutzte der Feldzug, den der im ägyptischen Dienst stehende britische General Hicks am 6. September 1883 mit ungenügenden Mitteln begann, unheilvoll enden. Am 5. November bereits war seine Armee fast bis zum letzten Mann bei El Obeid ver­ nichtet. Die ägyptische Regierung entschlafe sich, Chartum zu halten, trotz des Widerratens von Sir Evelyn Baring, des späteren Lord Cromer, des englischen Prokonsuls, der unmittelbar nach Beginn der Expedition Hicks sein Amt in Kairo angetreten hatte. Rach manchen Bedenken wurde General Cordon, der schon in den siebziger Jahren Gouverneur im Sudan gewesen, nach Chartum geschickt. Gordon war ursprüng­ lich nur mit der Aufgabe betraut, als Generalgouverneur die bedrängten Besatzungen der ägyptischen Garnisonen zurück­ zuführen. Er liefe sich aber vom Wunsch fesseln, den Sudan vom Mahdi zu befreien, diesen „zu zerschmettern". Wie oft begabte und erfolgreiche Persönlichkeiten, hat Gordon, eine edle, aber im Grunde doch unpolitische Natur, den Zauber seiner

Persönlichkeit überschätzt, aus früheren Erfolgen die Hoffnung gezogen, auch unter veränderten, unendlich schwierigeren Ver­ hältnissen zu bestehen. Cordon hat durch übertriebene, unbe­ dachte Menschlichkeit gefehlt, hat seine Güte mißbrauchen lassen. Nur wer die Sudanesen fürchten lehrt, ringt ihnen Achtung ab.

Für England erwuchs die Notwendigkeit, eine Ersatzerpedition auszurüsten, Vie aber zu langsam vorrückte, deren vorgeschobene

Nilstaffeln infolge einer Verkettung widriger Umstände Chartum erst wenige Tage nach seinem Fall erreichten. Die Stadt war infolge von Hunger und Erschöpfung genommen worden, als der Nil Tag für Tag mehr zurückebbte und die Wege für den Anlauf der Feinde freigab. Gegen zahllose, von Siegen und von Fana­ tismus entflammte Gegner hatte Gordon sich tapfer und um­ sichtig wie wenige verteidigt. Am 26. Januar 1885 ist er bei der Erstürmung der Stadt getötet worden. Kaum ein anderes Ereignis hat in England in der damaligen Zeit ähnlichen Wider­ hall gefunden wie der Tod des hochherzigen und hochstehenden, wenn auch seinen Aufgaben nicht ganz gewachsenen Mannes. Aus der erlittenen Schlappe hat England, wie so oft in seiner Geschichte, die nötigen Folgerungen gezogen. Um zu­ nächst Aegypten gesunden zu lassen, wurde der Sudan vorläufig geräumt. Gegen die Meinung der Militärs, auch Oberst Kitcheners, die alle den Rückzug mißbilligten und dem Mahdi keine neue Lebens- und Machtfrist geben wollten, wurde WadiHalfa als Erenzplatz bestimmt. Der plötzliche Tod des Mahdi, am 20. Juni 1885, übte die erste niederdrückende Wirkung auf seine Anhänger aus. Auf der Höhe seiner Macht, im Genusse seiner Siege, von

den Sudanesen umjubelt, von den islamitischen Bewohnern

der Umwelt ersehnt, in dem Augenblick, als er nach eigener Verheißung den Zug zur Eroberung der Welt antreten sollte, wurde er hinweggerafft. Sein jähes Sterben lähmte in der Folgezeit auch die Eroberungsversuche seines Nachfolgers, des Ehalifa Abdullahi. Es zeigte sich, wie klug die Politik der englischen Regierung gewesen, die nach den Niederlagen zu-

nächst sich rein defensiv verhielt, in der Voraussicht, zu geeigneter Zeit die Schlappen ausgleichen zu können. Seit 1885 war die Verteidigung Aegyptens gegen die Derwische im wesentlichen durch die umgeformte ägyptische Armee durchgehalten worden, die von einer Anzahl englischer Offiziere geführt wurde. Der

Tod Wad-el-Nejumis, des besten mahdistischen Heerführers, leitete zum Untergang der mahdistischen Hoffmmgen über. Eine barbarische Poesie umgibt Leben und Sterben dieses wilden Kriegers, eines harten, asketischen, strengen Mannes, der der tapferste der tapferen Fanatiker gewesen. Bor dem Kampf bei Toski am 3. August 1889, in dem er fiel, beantwortete Nejumi die Aufforderung zur Uebergabe mit den Worten: „Wir fürchten niemand, wir fürchten nur Gott", ein Satz, der an Bismarcks viel zitierten Ausspruch erinnert. In Alt-England lebte indessen der Gedanke, dast die nationale Ehre verletzt sei, weil in einer Zeit, während britischer Einflust in Aegypten vorherrschend war, Provinzen, die früher dem Handel offenstanden, in die Barbarei zurückgesunken seien.

Man schämte sich, datz unter englischer Vorherrschaft ägyptisches Gebiet zusammenschrumpfte. Diese Stimmung fand ihren Aus­ druck in dem Gefühl, „daß Gordon gerächt werden" müsse.

Schneller» als ursprünglich gedacht, war die ägyptische Regierung

gefestigt, die Zahlungsfähigkeit des Landes gesichert, wurden wirtschaftliche Fortschritte gemacht. Während Lord Cromer um 1886 gedacht hatte, datz etwa ein Vierteljahrhundert not­ wendig sei, ehe zu einem ernsthaften Angriff geschritten werden könne, begann die Wiedereroberung des Sudans schon 1895. Zu dieser Zeit nahm auch der Plan, die Wasser des Nils in einem Riesenreservoir aufzufangen, Gestalt an. Trotz mancher

Bedenken ist der Staudamm bei Assuan gleichzeitig mit dem Vorgehen gegen den Sudan begonnen wordeii. Der im­ perialistische Geist, der nach Cromers Worten damals schnell emporwuchs, die Niederlage des italienischen Generals Baratieri durch König Meneliks Truppen bei Adua am 1. März 1895 haben

den Entschluß zur Wiedereroberung des Sudans beschleunigt.

Den Befehl über die Truppen erhielt der Sirdar, der Ober­

befehlshaber der ägyptischen Armee, Sir Herbert Kitchener, die beste Wahl, die England treffen konnte. Sein starker, herrischer Geist, seine strenge Disziplin, sein überlegenes Organi­ sationstalent haben den Feldzug entschieden. Er war ein ge­ treuer Haushalter, der vor allem dafür sorgte, stets Lebens­ mittel und Kriegsvorräte heranzubringen. So wenig wie möglich hat er dem Zufall überlassen, jeder Einzelheit Auf­ merksamkeit geschenkt. Kitchener, der aus einfachen Verhält­ nissen zum Peer Englands erhoben, mit dem stolzen Titel eines Lord of Chartum ausgezeichnet wurde, hat die Zähigkeit und das Organisationstalent, die Ruhe der Vorbereitung und die sichere Schnelligkeit in der Ausführung, die er siebzehn Jahre ununter­ brochen in Aegypten und dem Sudan bekundete, wenige Jahre später auch gegen die Buren erprobt. Seinen harten Mah­ nahmen zur Einkreisung der Aufständischen ist deren Niederlage zu danken gewesen. Wir Deutschen bekamen seine Art im Weltkrieg zu spüren, als er die Massen des englischen Volkes für die Kriegsaufgaben zu gewinnen wuhte, als er seine Lands­ leute nicht mit schnellem Sieg nach kurzem Feldzug lockte, sondern auf die Möglichkeit eines jahrelangen, selbst Jahrzehnte dauernden Kampfes hinwies. Beim Untergang eines Schlacht­ kreuzers der englischen Flotte hat er einen jähen Tod gefunden. Am 8. April 1898 wurde bei Atbara ein bedeutsamer Sieg erfochten. Es war aber trotzdem notwendig, die Blut- und Eisen­ politik sortzusetzen, um die heroische Standhaftigkeit der wilden Sudankrieger zu erschüttern. Am 2. September 1898 fand fast unter den Mauern Omdurmans, des Hauptquartiers der Mahdisten, auf dem Gelände von Kerreri die langerwartete

Entscheidungsschlacht statt, bei der wenige Briten und Aegypter fielen, aber über 12 000 Derwische das Leben einbühten. Die Nachricht von der Einnahme Omdurmans wurde in England mit der gleichen Begeisterung ausgenommen, wie die Ver­ zweiflung gewesen, triumphierte.

als 18 Jahre

früher

der

Mahdismus

Der nationalen Ehre war Genüge getan und

Landeplatz bei Omdurman

zugleich ein zukunftsreicher wirtschaftlicher wie politischer Erfolg errungen. Mit dem 2. September 1898 war die Macht der Mahdisten gebrochen, des Sudans Befreiung von der Despotie der Derwische gesichert. Um ein deutliches Zeichen zu geben, daß in den Augen der britischen Regierung der neue Zustand des Sudans von demjenigen Aegyptens abwich, wurde Lord Kitchener beauftragt, nach der Einnahme Omdurmans über der eroberten Feste die britische Flagge mit der ägyptischen Seite an Seite zu hissen. Unter dem Klirren der Waffen und dem Jubel über den jüngsten Sieg hatte diese Maßregel zunächst nur geringe Aufmerksamkeit gefunden. Erst Monate später wurde ihre Wichtigkeit erkannt. Am 4. Januar 1899 konnte der britische Ministerresident in Aegypten, Generalkonsul Cromer, in Omdurman betonen, daß in Zukunft die Königin von England und der Khedive von Aegypten, also eine Genossenschaft von zweien den Sudan regieren sollten, von denen nach britischem Wort England das „vorherrschende Mitglied" war. Der zweiundzwanzigste Breiten­ grad wurde nach dem Beitrag vom 19. Januar 1899 als nörd­ liche Grenze des neuen Staates festgesetzt, dessen südlicher Rand unbestimmt gelassen wurde. Die oberste Militär- und Zivil­ verwaltung wurde dem Generalgouverneur des Sudans über­ tragen, der auf Vorschlag der britischen Regierung durch den Khediven ernannt wird. Ernsthafter Mderstand ist gegen solche Neuregelung von keiner Seite geleistet worden. Die feste Haltung ber englischen Regierung, deren Bekundung, daß besondere Vorrechte keiner Macht gewährt werden würden, die Frei­ handelspolitik, die sie für den Sudan verkündete, haben das neue Derwaltungssystem geschützt und gestützt. Das Abkommen zwischen der britischen und der ägyptischen Regierung beugte Eingriffen fremder Nationen vor, gab England die Möglichkeit, allmählich das Land auf eine Stufe höherer Entwicklung emporzuführen. Heute umfaßt der anglo-ägyptische Sudan eine Fläche von 950 000 Quadratmeilen, d. h. ein Gebiet von annähernd dem Umfang Mitteleuropas. Der weitaus

größte Teil besteht noch aus Wüste, Sumpf und Urwald. Die kultivierte Fläche ist langsam, aber stetig gewachsen. Die Be­ völkerung, die vor Errichtung der Herrschaft des Mahdi auf ungefähr 8% Millionen geschätzt wurde, ist durch Hungersnöte, Krankheiten, durch die Kämpfe zwischen den Stämmen und durch die Eroberungskriege des Mahdi mit ihren Rückschlägen

stark zusammengeschmolzen. Die Grausamkeit, mit der die Derwische gegen widerspensüge Stämme vorgegangen sind, hat sie stark dezimiert, so daß vor dem Weltkrieg die Bevölkerung des Sudans kaum mehr als 2 Millionen betragen haben mag. Die Finanzlage hat sich schnell gebessert, da die Engländer das orientalische Steuersystem beibehielten und es elastisch zu hand­ haben verstanden. Immer wieder staunt man, mit welcher Schnelligkeit und Zielsicherheit die englische Kolonialverwaltung die Probleme im Sudan angepackt, gestellte Aufgaben gelöst hat. Das auf englischen Schulen befolgte Erziehungssystem bildet Männer aus, die bei der Ausführung einer imperialistischen Politik Bewundernswertes leisten. „Die Deutschen, Franzosen und

andere mögen besser gebildet sein und sind es manchmal. Aber alle Mängel auf dem Gebiet technischer Kenntnisse werden

reichlich ausgewogen durch die Fähigkeit, zu regieren, die Bereit­ willigkeit, Verantwortung auf sich zu nehmen, und die Gewandt­ heit, sich in fremden Verhältnissen zurechtzufinden, worin die in der freien Atmosphäre, die den Individualismus entwickelt, geschulten Angelsachsen alle anderen Nationen übertreffen." Diese Worte Lord Cromers wird jeder bestätigen, der sich offenen Auges im Sudan umschaut. An Stelle der vernichteten alten Hauptstadt des Sudans ließen die dort führenden Briten unter schwierigen Verhältnissen in kurzer Frist eine neue Wohn- und Regierungszentrale ent­ stehen. Vom alten Chartum war wenig in der Mahdistenzeit

übriggeblieben. Im ersten Jahr nach dem Fall waren nur einzelne Häuser zerstört, die Siedlung noch ziemlich bevölkert. Aber nach des Mahdis Tod gab der Chalifa Abdullahi den Befehl,

die Stadt zu verlassen. Ballone, Fenster, Türen der nieder­ gerissenen Häuser wurden nach seiner Residenz, dem benach­

barten Omdurman geschleppt. Die gebrannten Ziegel wurden abgebrochen und ebenfalls dort verwendet. So blieb an Char­ tums Stätte auf Jahre nur ein Trümmerhaufen, eine trostlose Einöde mit wenigen aufrechtstehenden Mauern. Jetzt hat der Sudan wieder eine neue, saubere, ordentliche, etwas langweilig korrekte Hauptstadt erhalten, die nicht allzu viel sudanesische Eigenart bekundet. Deren bemerkenswerte Bauten, Gouver­ nementspalast, Gordonkolleg, Gerichtshaus, Medizinschule, könnten ganz ähnlich auch an einem anderen afrikanischen oder asiatischen Ort, der Britanniens Einfluß unterworfen ist, stehen. Das heutige Chartum ist charakteristisch in der Darbietung von „modernem Komfort", von „respektablen" Gebäuden, guten Straßen, die geräumig geführt sind, einer reizvollen, gepflegten Uferpromenade mit schattengebenden Baumreihen. Da der Ort 1000 englische Fuß hoch, 383 Meter über dem Meer liegt, ist er moskitofrei und hat im Mnter vorzügliches Klima. Bei unserer Ankunft, Mitte März 1924, waren allerdings die er­ frischenden Nordwinde umgeschlagen, der Wüstenhauch aus dem Süden hatte zu wehen begonnen. Golf, Tennis, Pferde­ rennen am Tage, Tanz und Mondscheinerkursionen in den Abend­ stunden zeigen, wie weit die „Zivilisation" in das Herz von Afrika bereits vorgedrungen ist. Ein Sonntagnachmittagskonzert im Zoologischen Garten von Chartum war fesselnd sowohl durch die Fülle der Tropenpflanzen und sudanesischen Tiere, wie hinsichtlich der Besucher und Besucherinnen» die durch die Wleen wandelten: Europäische, etwas bleiche Kinder, geführt und bewacht von den Schwarzen, die die Rolle der „Kinder­ mädchen" sehr sorgsam durchsührten, verschleierte, feingliedrige Aegypterinnen, Soldaten und Bürger der Stadt in buntem

Gemisch. Zur Unterhaltung spielte die Kapelle des 9. Sudane­ sischen Infanterieregiments in schmucken, kurzhosigen Khaki­ uniformen, die grün und rot paspeliert waren. Die musikalischen Leistungen: Tänze, Märsche und die Stücke der Dudelsack-

pfeifer waren nicht übel. Ms die Mohren sich aber an den Einzugsmarsch aus dem „Tannhäuser" wagten, schien jedes Instrument für sich zu spielen, und wir ergriffen schleunigst die Flucht. Ganz anders ist der Eindruck von Omdurman auf der Gegen­ seite des Stromes, in unmittelbarer Nähe des Zusammenflusses von „weißem" und „blauem" Nil gelegen. Das Innere des Ortes» das nach allen Beschreibungen bei der Einnahme durch Kitchener einen grauenhaften Anblick bot, ist seitdem wesentlich gewandelt. Gewiß besteht die Hauptmasse noch aus einer endlosen Zahl von unregelmäßig nebeneinanderstehenden, durcheinander­ gewürfelten.quadratischen oder rechteckigen Lehmbauten. Größere und kleinere Löcher vertreten die Stelle von Türen und Fenstern. Mles schimmert in den grausatten Tönen des Nilschlammes, die um so matter erscheinen, weil wir den rötlichen Boden Afrikas gewohnt sind. Wohl starren die Winkel noch von Unrat und Schmutz; in den gewundenen, engen Durchgängen brütet eine fast erstickende Schwüle, durchschwängert von unnennbaren Gerüchen, wie sie nur der Orient kennt. Aber trotz des noch unverfälschten Charakters der Eingeborenenstadt zeigt sich auch hier der Einfluß Englands. Bäume sind gepflanzt in einem Land, das keinen Garten, keine Blumen kennt. Breite, gepflegte Straßen durchziehen jetzt schon, wenigstens in den Haupt­ richtungen, die Siedlung. Den Kern des Lebens haben freilich solche (Eingriffe wenig berührt. Noch heute ist Omdurman die typischste der afrikanischen Großsiedlungen, in der die Eingeborenen verschiedenster Stämme zusammen wohnen, landesüblicher Handels- und Gewerbetätigkeit sich hingeben und ihre Erzeug­ nisse gegen Erntefrüchte und Jagdbeute der weiteren Um­ gebung tauschen. Der Markt und die Basare zeigen unver­ fälschtes, buntes Volksleben, wie es kaum sonstwo zu schauen. Gewiß werden manche Artikel schon für reisende Europäer gearbeitet. Mer neben ihnen sind Hunderte von innerafrikanischen Verbrauchswaren ausgestellt und angeboten, Wohlgerüche und

Gewürze, Hölzer und Waffen, Straußfedern und Perlen, Ar­ beiten aus Nilpferdhaut und aus Silber, Felle und Flechtereien. In allen Farben schimmern und schillern die Handeltreibenden. Fast ebenholzschwarz sind einzelne. Bis zum lichten Hellgelb fehlt keine Nuance. Braun findet sich in allen Schattierungen. Viele aus den Stämmen der Umgegend tragen Schmucknarben an der Stirn und auf den Wangen. Meist sind es zwei bis drei Parallelschnitte, die bald senkrecht, bald wagerecht, individuell sehr verschieden geführt sind. Die silbernen Ohr­ ringe werden oft nicht im Ohrläppchen, sondern im oberen. Ohrrand getragen. Stundenlang sind wir in Gluthitze durch Omdurman ge­ wandert und haben beim Handeln und Feilschen gelernt, die nötige Zeit zu opfern. Wir ließen uns von dem Gedanken ein­ fangen, daß das Handeln an sich, in Muße bei Kaffee, Tee und Sodawasser, bei ewigem Bieten und Gegenbieten schon, fast zur Freude wird, auch ohne Rücksicht auf den Gegenstand, den man vielleicht mitnehmen will. Je mehr man sich von den. Läden der Silberschmiede, die auf den europäischen Besuch eingestellt sind, entfernt, die Gänge des Eroßmarktes durch­ streift, desto stärker wird man durch die Art des Verkehrs der Mohren untereinander gefesselt, bei deren Leben die Wirtschafts­ momente in ihrer Entfaltung durch rein menschliche Wechsel­ beziehungen stark überdeckt sind. Eine gewisse Kindlichkeit des Sichgebens, Freude am lässigen, schläfrigen Nichtstun, dem Brüten in der Sonne sind unverkennbar. Bewegungen nach Musik, einzelne Tanzrhythmen hinterlassen unverwischbare Eindrücke. Für Europäer am lästigsten sind die Fliegen, die int Sudan in noch viel tolleren Massen als in Aegypten leben, Fliegen, der Art nach unseren heimischen verwandt, aber sehr viel unbequemer, zudringlicher als alles, was wir gewohnt sind. Ungezählte dieser schwärzlichen Plagegeister finden sich überall. Sie sitzen den Kindern in den Augenwinkeln, an Nase, Ohr und Mund, werden kaum noch verscheucht und übertragen die

böse Augenkrankheit, die oft zur Erblindung führt.

Sie be­

decken sofort jedwedes Etzmaterial, sie umschwirren uns aller­ orten. Abwehr gegen sie scheint vergeblich zu sein. Der Gang durch die Stadt weckt Erinnerungen an die Schilderungen, wie sie Slatin Pascha, Pater Ohrwalder, Karl Neufeld von den Tagen ihrer Gefangenschaft und ihrer Leiden gegeben.

Mit Schaudern denken wir daran, daß ein geistig reger, tatenlustiger Mann wie Slatin hier 10 Jahre als Sklave des schwarzen Herrschers gelebt, zu Fuß durch den heißen Sand hinter dem Pferde des Kalifen laufen mutzte, später, als ihm «in Reittier gestellt wurde, Adjutantendienste zu leisten hatte. Namenlose seelische und körperliche Leiden hat er in seiner Gefangenschaft durchgemacht, mit erstaunlicher Lebenskraft alle Unbill überstanden, getreu dem Worte, das ihm sein ehemaliger Gegner Madibbo bei der erzwungenen Unterwerfung mit auf den Weg gegeben: Allah ma'a es sabirin — Gott ist mit dem Geduldigen. Wie stark müssen seine Gefühle gewesen sein, als er wenige Jahre nach seiner Flucht an Kitcheners Seite, dessen Feldzug er als Leiter des Aufklärungsdienstes wesentlich gefördert hat, in Omdurman wieder einzog. Nun stehen wir am Grabe des Mahdi. Ein Trümmer­ haufen ist geblieben von diesem stolzesten Bauwerk seines Ge­ biets, ein Symbol seines durch Fanatismus zusammengehaltenen, durch Raublust verarmten Staates, der nach kurzer Zeit verfiel, um Neuem Platz zu machen. Die weitze, von vergoldeter Speer­ spitze gekrönte Kuppel des ehemals 26 Meter hohen Baus, die

auf quadratischem, von drei Bogenfenstern auf jeder Seite durchbrochenem Unterbau ruhte, wurde schon bei der Erstürmung zerschossen. Jetzt sind die Gesamtanlage wie auch die Um­ fassungsmauern schwer beschädigt. Wo einst der Sarkophag stand, liegen wüste Haufen von Ziegeln. Des Leichnams Gebeine find zerstreut worden, um die Stätte für religiöse Wallfahrer zu entweihen.

Und doch sind in gläubigen Herzen dem Mahdi

noch Derehrer geblieben, ist er auch heute nicht vergessen. Frauen

Am Grabe des Mahdi

mit Kindern, angeblich von seiner Familie, kamen, während

wir verweilten, zum Grabmal, seiner zu gedenken. Wir besuchten auch das in nächster Nähe gelegene weit­ räumige Haus seines Nachfolgers, des Chalifa Abdullahi. Es ist ein gedehnter Bau mit Hallen, Höfen und zahlreichen Ge­ mächern. Die flachgedeckten, fast durchweg einstöckigen Ziegel­ häuser heben sich hauptsächlich dadurch von anderen heraus,

daß Reste von Cordons Residenz bei ihnen Verwendung gesunden haben. Nicht nur dessen Wagen wurden nach Chartums Fall dem Kalifen gebracht; auch seine Badeeinrichtung lieh er sich einbauen, mit Wasserzufuhr durch Rohrleitungen, wohl die einzige ihrer Art, die im damaligen schwarzen Riesenreich vorhanden. 10 Kilometer nilaufwärts von Omdurman liegt Kerreri, das man am besten im Kamelritt erreicht. Wer einen Muskat­ esel vorzieht und auf arabischem Bocksattel wie ich bügellos fünf Stunden in der Glühsonne Trab reitet, nimmt Be­ schwerden auf sich, denen der Normaleuropäer, an diese Art der Fortbewegung nicht gewöhnt, viel weniger gewachsen ist als dem Sitzen auf den grohausschreitenden „Schiffen

der Wüste". Der Ritt in brennender Glut der Wüste mahnte zugleich uns Europäer, nach Art der Eingeborenen dichte Gewebe zu tragen. Wie der Besuch der Nillandschasten starkes Schuhzeug erfordert, das allein int lockeren Flugsand, im Felsgeröll, auf staubigen Wegen Halt gibt, so ist es auch ohne Korkhelm und ohne feste Kleidung in Oberägypten und dem Sudan unmöglich, stunden­ lang unter dem Scheitel der Sonne sich zu bewegen. Dünne Damenblusen, wie sie für warme Sommertage unseres gemäßigten Klimas beliebt sind, versagen den nötigen Schutz gegen den Brand der senkrechten Strahlen. Nach wenigen Stunden

schon

zeigen sich Rötungen, Blasenbildungen,

Loslösungen

der Haut, die im heiheu Klima für lange Tage den Genuh der Fahrt wesentlich herabdrücken, die Aufnahmefähigkeit für

alles Schöne und Interessante mindern.

Auf der Kampfstätte entrollte sich uns ein Bild der Art, in der Kitchener siegen konnte. Von Gebe! Surgham, einem kegelförmigen, steilabfallenden Hügel, hat man den besten Blick über das flache Gelände am Ml, das nach allen Seiten leicht ansteigend, wie ein großer Teller sich ausbreitet, auf dem es weit und breit kaum Grashalme gibt, keine Bäume den Ausblick behindern, den Stürmern hätten Deckung bieten können. In der Seriba am Nilufer, der Lagerfeste aus Dorngebüsch über Erdwall, standen die anglo-ägyptischen Kanonen und Maschinengewehre, für die die Entfernungen im Vorgelände festgelegt und sichtbar markiert waren. Nur religiöse Fanatiker, deren Wut durch die Beschießung ihres Heiligtums, das Grab­ mal des Mahdi, aufs äußerste gereizt war, konnten im Glauben an die Prophezeiung von der Niederlage der Feinde mit wildem Kriegsgesang den Angriff über solches Gelände wagen, bei dem sie trotz unerhörter Tapferkeit erliegen mußten. Ohne jede taktische Geschicklichkeit sind die Derwische von den Höhen über das Freiseld gestürmt. Die größte, tapferste Armee der Mahdisten ist mit armseligen, ungenügenden Waffen gegen die fürchter­ lichen Zerstörungsmaschinen vorgebrochen. Selbst ein britischer Berichterstatter bekundet, den Todgeweihten, die hoffnungslos gegen das wohlgezielte Feuer anliefen, gebühre die Ehre des Tages. Bei Kerreri hat die Präzisionstechnik moderner Feuer­ waffen sich erprobt, hatten die Maschinengewehre in einer Eroßschlacht sich ausgezeichnet bewährt. Slatin, der ehemalige Gefangene des Mahdi, hatte durch geschickte Falschmeldung den

Kalifen vom geplanten Nachtangriff, bei dem im Handgemenge die flinken, geschmeidigen, todverachtenden Derwische mit ihrer großen Zahl den regulären Truppen überlegen gewesen wären, abzuhalten gewußt. Allerdings hatte der alles kühl überlegende Kitchener, auch solcher Möglichkeit Rechnung tragend, die An­

näherung an die Mahdistenstadt in die Zeit des Vollmondes

verlegt. Adolf von Tiedemann, der in Kitcheners Gefolge dem

Kampf beiwohnte, hat sein Urteil über den Sudan in dem

Satz zusammengefaßt: „Hitze, Gestank, Schmutz und Fliegen, alles dies in höchster Potenz, das ist der Sudan. Es ist kein Land für den weißen Mann." Seine Ansicht ist mir ein Beweis dafür, wie ein sonst gesund urteilender Mann durch körperliches Unwohlsein — Tiedemann litt an Dysenterie während des Feldzugs — in seiner Auffassung beeinflußt wird. England hat sich durch alle Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen, hat die größten Hemmnisse der Entwicklung heute schon überwunden, hat erstaunliche Mrtschastswerte in kurzer Jett dort bereits aus dem scheinbar unfruchtbaren Boden herausgelockt. Auch am Sudan ist der Weltkrieg nicht spurlos vorüber­ gegangen. Manche von Deutschen finanzierte oder geleitete Unternehmung wurde durch ihn getroffen. Der Fremden­ verkehr, der sich schon gut entwickelt hatte, versiegte naturgemäß, so daß das beste Hotel der Stadt, das von einem deutschen Direttor geleitete Grand Hotel, 1914 zusammengebrochen ist und bis jetzt noch nicht die Mittel aufwenden konnte, die Ver­ nachlässigung in den Kampfjahren gutzumachen, nötige Repa­ raturen durchzuführen. Und doch ist der Sudan, dies weitab von den Stätten der Schlachten gelegene Erdstück, vom Schlimm­ sten bewahtt geblieben. Er hat weder Menschen noch beträcht­ liches Kapital im Weltkrieg eingebüßt. Wenn die begonnenen Unternehmungen auch nicht im geplanten Tempo und Umfang durchgeführt werden konnten, so durfte man doch nach Abschluß der Kämpfe da wieder anknüpfen, wo man kurz vorher ab­ gebrochen hatte. Das Land, das früher tatsächlich abgeschlossen war durch die glühende, fast wasserlose Wüste, ist durch die Schienenver­ bindung mit Wadi-Halfa und Pott Sudan nördlich von Suafin an die Weltwittschast herangefühtt. Man erreicht es ohne Gefahr in Schlaf- und Speisewagen, die die Oedlandschaften mit einem Mndestmaß von Beschwerden durchqueren. Der Sudan, noch vor einem Vietteljahrhundett das Beuteland eines religiösen Fanattkers, ist auf dem Weg zu moralischmatettellem Fottschtttt. „Educatton", Erziehung zu nützlicher 4*

Arbeit ist die Losung, die England ausgegeben hat, die dem fremden Besucher als Mahnwort mitgegeben wird, ihn an der Hingabe von Bakschisch und damit Verleitung zu faulem Nichts­ tun zu hindern sucht. Aehnlich wie in Aegypten hat England im Sudan ein großes Berieselungssystem in die Wege geleitet. 170 Meilen s üblich von Chartum, in Makwar, an der Strecke nach El Obeid ist das Hauptquartier für das sogenannte „Gezira Irrigation Scheme". Der Bau des Sennar-Staudamms ist seit 1923 durch das „Sudan Government" mit Hilfe englischer Ingenieure in Angriff genommen. Er soll bis Juli 1925 vollendet werden und führt in einer Länge von l8/* engt. Meilen quer durch den Blauen Nil. Der Damm ist auf harten Felsen fundamentiert. Durch ihn wird ein Wasserbehälter gebildet, der sich 50 Meilen stromaufwärts, vom Damm aus gerechnet, erstreckt und etwa 500 Millionen cbm Wasser aufstaut. Der sogenannte Geziractanal, der rund 35 engl. Meilen parallel mit dem Blauen Nil geführt wird und dann sich in ein System von schmalen Wasser­ rinnen auflöst, soll es ermöglichen, 300 000 Acker Landes zwischen dem Blauen und Weißen Nil zu bewässern. Der Haupt­ kanal wird eine Breite von 26 m haben und 84 cbm Wasser in der Skeunde abführen. Die Zweigkanäle durchziehen das ganze Areal in einer Länge von etwa 600 engl. Meilen. Sie sollen sämtlich in der gleichen Zeit wie der Damm, d. h. im Juli 1925 vollendet sein. Treffliche Baumwollerde in großem Umfang wird damit gewonnen. Die sudanesische Baumwolle, die der besten ägyptischen Baumwolle gleichkommt, wird heute erst auf 20 000 Acker Landes gewonnen, das durch Auspumpen von Wasser aus dem Blauen Nil berieselt wird. Nach Fertig» stellung der neuen Bewässerungsanlage werden die Anbau­ felder beträchtliche Ausdehnung erfahren. Wer ökonomisch denkt, muß sich des Erreichten freuen; wer die Buntheit und Farbigkeit der Welt liebt, empfindet ein leises Bedauern über das Vordringen der europäischen, in ihrem Stern angefaulten, auf die Dauer zum Absterben ver-

urteilten Zivilisation, die nun den Schwarzen im Herzen Afrikas gebracht wird. An Stelle der Vielfältigkeit kleiner Stämme treten uniformierte Menschenmassen, die sich untereinander

angleichen. Europäische Unsitten werden den Eingeborenen nahegebracht» europäische Bedürfnisse werden geweckt, die mit Rohstoffen, vornehmlich der Baumwolle, bezahlt werden. Die Urwüchsigkeit des Eingeborenen geht schnell verloren. Für Englands Weltreich bedeutet der Sudan einen wichtigen Aktivposten. Im Sommer 1924 gibt auf der all­ britischen Reichsausstellung im Wembleypark zu London die sudanesische Abteilung ein Bild, was der Sudan zu bieten vermag, was die neubestellten Landstreifen, vor allem die

Baumwollgebiete, zu leisten vermögen. England hat den Sudan fest in der Hand. Mit dem Sudan und dem Stauwasser des Nils, dessen Aegypten zum Leben benötigt, hält England den Schlüssel zu Aegyptens Beherrschung. Mit Aegypten sichert es, wie der Weltkrieg bewiesen hat, den Suezkanal, mit dem Suezkanal ist ihm der Zugang zu Indien gewährleistet.

IV. Die Tempel Thebens Dreißig Dynastien, Geschlechter von Königen, herrschten während dreier Jahrtausende, von den Urzeiten bis zur maze­ donischen Eroberung, über Aegypten. Hochpunkte äußerer Macht, wachsenden Wohlstandes und innerer Blüte wechselten

mit Zeiten des Stillstandes, des Zerfalls, der Absplitterung von Grenzprovinzen, der Auflösung des Reichs in seine Gaue. Die einzelnen Dynastien umfassen selten mehr als 8—10 ein­ ander folgende Pharaonen. Sie stehen damit weder in der Zahl der Herrscher einer Abkunft, noch in der Länge der Zeit­ spanne, die eine Familie den Thron behauptet» hinter euro­ päischen Königsgeschlechtern zurück. In der deutschen Geschichte haben sieben Karolinger, fünf Sachsen, vier Franken, fünf Staufen meist weniger lang als die ägyptischen Herrscherhäuser regiert.

Drei Perioden werden in der langen, in sich geschlossenen Entwicklung Altägyptens gewöhnlich geschieden. Das „alte Reich" von etwa 3000—2500 v. Chr. ist die erste Blütezeit auf­ steigender Kultur, starker Krastentfaltung, die sich bis zu den Königen der V. Dynastie ausdehnt. Seine sinnfälligsten Ueber« reste sind gekennzeichnet in großen Pyramidenbauten an den Grenzen des Nildeltas, in der Nähe der damaligen Hauptstadt Memphis. Seit der Mitte der V. Dynastie entfaltet sich das Lehenswesen der Aegypter. Unter der Schattenherrschast der Pharaonen der VI. Dynastie werden die landeingesessenen Fürsten immer selbständiger. Das Aufkommen des Erbadels

bedingt den Derfall des Königtums. Was spätere ägyptische Historiker unter einer angeblichen VII. und VIII. Dynastie versteckt haben, sind Jahrhunderte von Kämpfen der ehemaligen Vasallen gegen die Zentralgewalt. Nach einer Pause von etwa einem halben Jahr­ tausend, einer fast völligen Auflösung des Reichs in

einzelne Fürstentümer, vollzieht sich der zweite Aus­ stieg im sogenannten „mittleren Reich", etwa zwischen 2000 und 1788 v. Chr., unter den Herrschern der XII. Dynastie, die die Adelsrebellen glücklich gebändigt haben. Es ist die Periode des ägyptischen Beamtenstaates, mit strenger» gesicherter Thron­ folgeordnung, der Entfaltung der Literatur und reichen künst­ lerischen Schaffens, von dem allerdings vergleichsweise wenig erhalten geblieben. Sicher aber wissen wir, daß, seitdem die Fürsten aus dem oberägyptischen Theben gegen Ende der XI. Dynastie wieder Könige über ganz Aegypten geworden waren, deren alte Stadt, die zwischen dem heutigen Luksor und Karnak am rechten Ufer des Nils lag, immer gröbere Be­ deutung gewann. Bald nach der Thronbesteigung von Männern der XIII. Dynastie, seit 1780 v. Chr-, beginnt von neuem der Verfall. Thronstreitigkeiten erschüttern und zerstückeln das Reich. Glückliche Soldatenführer dunkler Abkunft werden in Aufständen emporgetragen, bis eine kleinasiatische Dölkerwelle fremde Eroberer, die „Hyksos", ins Land bringt, die später für alles Unheil der schmachvollen rückliegenden Jahre verantwort­ lich gemacht wurden. Wieder kommt von Theben die Erneuerung des Reichs. Ein thebanischer Fürst, Amosis, vertreibt die semi­ tischen Hirtenkönige. Mit ihm beginnt das „neue Reich", 1580 bis 1100 v. Chr., die Zeit der groben (Eroberungen, die zu einer vorher nie erlebten Machtstellung führt. Aegyptens Waffen werden bis an den fernen Euphrat, bis tief in den Sudan ge­ tragen. Thutmosis I. hat Nubien bis zum 3. Katarakt, Palästina und Syrien unterworfen. Seinen Kindern und Nachfolgern, den abwechselnd und miteinander regierenden Thutmosis II., Thutmosis III. und deren Schwester Hatschepsut, der einzigen Frau, die für längere Zeit den ägyptischen Königsthron als Pharao behauptete, ging ein Teil des Eroberten verloren. Erst in den Tagen der Meinherrfchast Thutmosis III., nach der Königin Hatschepsut Tod, kam die imperialistische Idee zur vollen Auswirkung. Zwischen 1500 und 1447 v. Chr. strahlt

Aegyptens Glanz wie niemals früher. Thutmosis III. hat den ägyptischen Einfluß durch Syriens erneute Eroberung und Unterwerfung in einer Weise gedehnt, wie bis dahin unbekannt gewesen. Die Nachfolger suchten die gleichen Bahnen zu wandeln. Seit diesen ersten Königen der XVIII. Dynastie ist Theben aufgeblüht, wie keine Stadt vor ihr in Aegypten. Sie wurde für lange Zeit der vornehmste Sih der Pharaonen, die Sammel­ stätte, in der sie die eroberten Schätze, die jährlich zufließenden Abgaben der unterworfenen Völker aufhäuften. Die Kriegs­ sklaven lieferten Menschenmaterial für die neuen Bauten, die zum stärksten gehören, was die Vorantike geschaffen hat. Die Residenz der Pharaonen, die ägyptisch „Weset" hieß, ist von da an auch einfach als „Newt", „die Stadt", d. h. die Haupt­ stadt des Landes, bezeichnet worden, ähnlich, wie die Römer die große Tibersiedlung, den Zentralsitz ihres Imperiums, „urbs", die Stadt schlechthin benannten. Den uns geläufigen Namen Theben hat die Hauptstadt der Pharaonen durch die Hellenen erhalten. Bereits Homer kennt sie als Riesensiedlung: „Thebe, Aegyptos Stadt, wo reich sind die Häuser an Schätzen, hundert hat sie der Tore". Bei den späteren Schriftstellern der Antike wird die für damalige Vorstellungen ungeheuer ausge­ dehnte Menschensiedlung ebenfalls „hunderttorig" genannt. Unter Amenophis III., nach 1411, beginnt der Wandel im Schicksal der Dynastie und auch des Landes. Er hatte ein Mädchen aus unadligen, Stand, Teje, geheiratet und zur Mit­ regentin erhoben; an ihrer Seite zog er vor, statt ein straffes Regiment zu führen und Aufstandsversuche kraftvoll zu unter­ drücken, die Segnungen des Friedens zu genießen. Es ist ein merkwürdiges Geschick dieser großen XVIII. Dynastie, daß zwei Frauen in ihr eine vordringliche, vielleicht verhängnisvolle Rolle gespielt haben. Hatschepsut hat mit ihren beiden Brüdern, die zugleich ihre Männer waren, um die Herrschgewalt gerungen und war ihnen so verhaßt» daß Thutmosis III. nach ihrem Tod, wo immer er nur konnte, den Namen seiner Rivalin in der

Herrschaft und im Leben, ausmeiheln ließ. Eine tragische Familiengeschichte leuchtet düster vor uns auf. Der tiefe Geschlechterhatz, wie er in nicht wenigen Ehen sich entwickelt, zeigt sich in dieser Geschwisterheirat, die Gegensätzliches und Aehnliches grausam verbunden hatte, mit erschreckender Klarheit. Neben Hatschepsut steht Teje, das Kind einfacher Eltern, Amen­ ophis 111. Gattin. Zum erstenmal, soweit wir verfolgen können, trat mit ihr in der ägyptischen Geschichte eine Königsfrau aus der gewohnten Zurückgezogenheit heraus. Sie hat mit alt­ geheiligten Traditionen gebrochen, hat wie keine vor ihr am öffentlichen Leben teilgenommen. Ohne Zweifel war sie eine bedeutende Persönlichkeit, ein Wesen von starker Durchsetzungs­ kraft, dem vornehme Zurückhaltung fernlag, das den Eigen­ willen und das Eigeninteresse wie wenig andere bekundete. Während im „Tal der Könige" fast nur Pharaonen bestattet wurden, die Königsgattinnen abseits hinter einer Gebirgs­ schranke in einem anderen Felseinschnitt ihr ewiges Ruhelager fanden, hat Teje nicht nur für ihr Eigengrab im Königstale gesorgt, sondern auch dort die fürstliche Beisetzung ihrer Eltern, Ju'e und Tu'e, betrieben. Ihr Gatte hatte das Erbe der Väter genossen, aber in langer Regierung nichts Ernstliches getan, um es als dauernden Besitz zu erhalten. Sein Nachfolger, Amenophis IV., der Teje Sohn, hat nicht verstanden, Wankendes zu befestigen. Er ist bekannt unter dem Namen des „Ketzerkönigs", weil in seinen Regierungs­ jahren eine religiöse Umwälzung sich vollzog, an der seine Mutter Teje gewiß ihren Anteil hatte. In ihren Folgen hat sie das ägyptische Reich bis in seine Grundfesten erschüttert. Ech-en-aton, wie sich Amenophis IV. nach dem Glaubenswechsel nannte, erklätte zum alleinigen Herrscher des Himmels die Sonnenscheibe unb entthronte die Lokalgötter, die in den einzelnen Gauen und Städten verehrt wurden. Namentlich den mächtigsten der bis dahin hochgehaltenen Gottheiten, den Amon-Re, den Früh­ lingswiddergott der Residenz von Theben, hat er zu verdrängen gesucht. Steindorff vermutet psychologisch ttchttg, daß sein Hast

gegen Amon und dessen Priester in Theben aus dem Gefühl der Unebenbürtigkeit, dem Mtadel gegenüber, Nahrung ge­ zogen. Dieser Gedanke ist einleuchtend, weil in Aegypten die mütterliche Abstammung für die Anwartschaft auf den Thron der „Herren des großen Hauses", der Pharaonen, wie die Hebräer sie nannten, entscheidend gewesen ist. Die stolzen

Priesterkasten, die Georg Ebers in seiner „Uarda" anschaulich schildert, hatten schon dem großen Thutmosis als Sohn

einer Frau nichtköniglichen Geblüts harte Kämpfe bereitet. Amenophis IV. war der Ehe mit einer Frau entsprossen, deren

Eltern wohl einfache Bauern ohne Rang und Titel gewesen. Sein Fall lag schwieriger noch als der des gewaltigen Ahnen. Vielleicht mußte er fürchten, daß die Amonspriester die Krone -einem anderen Prinzen anbieten würden. Vielleicht war es ihm nur mit Hilfe der Mutter gelungen, einen solchen Plan

zu vereitel». Sicher hat er dem Klerus von Theben unver­ söhnlichen Haß entgegengebracht. Ob Ech-en-aton, einer der meistgenannten der Pharaonen, wirklich ein bewußter Neuerer, ein fanatischer Ketzer gewesen, ob er mehr war als ein unklarer Träumer, der, in seine

religiösen Phantasien eingesponnen, Sinn für Wahrung der Würde und des Wertes der Reichseinheit verkennen ließ, ist heute schwer zu unterscheiden. Er verlegte die Residenz weiter nördlich in die Gegend des heutigen El-Amarna, in einen heiligen, dem „Aton", der Sonnenscheibe, geweihten

Bezirk, den er als „Horizont des Sonneugestirns" von da an bezeichnete. Seiner Religion hat er dort gelebt, eine neue Kunstsprache haben seine Baumeister und Bildhauer geschaffen. An Stelle der stark stilisierten Formgebung tritt der Wunsch, Abbilder in Anlehnung an die Natur zu schaffen. Intime Szenen des häuslichen Lebens, die nie vorher Gegenstand der Wiedergabe gewesen, werden künstlerisch gestaltet und fest­ gehalten. Die Zufälligkeiten des menschlichen Körpers, die

lässige Haltung des Pharao, seine eigentümliche langgezogene Kopfform, das Erbe des Vaters seiner Mutter, die wir an dessen

Mumie in Kairo noch deutlich zu erkennen vermochten, werden in Farben unb Linien übertrieben betont. Ws Ech-en-aton nach achtzehnjähriger Regierung starb, nur Töchter hinterließ, wurde sein ältester Schwiegersohn Sakere, der sich einer gegenreformatorischen Bewegung zu widersetzen suchte, schnell vom Thron gestürzt. Dessen Schwager und Nachfolger, der Mann der zweiten Tochter des Königs, Tut-ench-aton, sah bald ein, daß die Atonreligion nicht zu halten sei. Er vermeinte sich und den Thron dadurch zu retten, daß er Frieden mit dem alten Glauben schloß, den Kult der entthronten Götter wieder freigab und seinen Namen umgekehrt wie der verstorbene Schwiegervater, unter Beziehung auf Amon zurückverwandelte. Tut-ench-amun, wie er nun hieß, wollte die Bauten im großen Amontempel zu Theben fortsetzen, blieb aber den Anhängern der alten Religion innerlich fremd. Beide Parteien haben wohl in gegenseitigem Mißtrauen einander gegenübergestanden. Nach wenigen Jahren hat er trotz aller Versuche der Wiederanknüpfung an die Ver­ gangenheit Thron und Leben verloren. Durch Haremheb, den Ratgeber des Ketzerkönigs, der nie zum neuen Glauben der Atonreligion übergetreten war, trotzdem aber als Staatsmann und Feldherr unentbehrlich gewesen, wurde die neue Dynastie gegründet. Er heiratete eine Prin­ zessin aus dem alten Geschlecht. Erst jetzt wurde mit der Staats­ form Amenophis IV. ganz aufgeräumt. Die XIX. Dynastie, die er gründete, und die ihr folgende XX. Dynastie haben den Glanz des neuen Reichs voll erblühen lassen. Eine hohe äußere Machtstellung wurde wieder erreicht, der drohende Verfall des Gesamtstaates aufs neue hinausgeschoben. Sethos I. eröffnete den Kampf gegen die Hettiter, ein noch heute rätselvolles, mächtiges, kleinasiatisches Volk, das inzwischen die politische Erbschaft Aegyptens über die syrischen Kleinstaaten angetreten hatte. Ramses II. hat in langem, wechselvollen Ringen den Krieg fortgesetzt, bis er im 21. Jahr seiner Regierung im Frieden mit den Hettitern, der ihm Südpalästina sicherte,

diese als gleichberechtigte Großmacht anerkannte. Noch 40 Jahre hat Ramses danach regiert, die kampflose Zeit zu Riesenbauten genutzt, wie kein anderer König der Nilländer. Nachdem der mehr als Neunzigjährige gestorben, war die Kraft des ägypti­ schen Reiches dem Erlöschen nahe. Die zeitweise Verlegung der Residenz durch Ech-en-aton nach El-Amarna hatte Theben nur wenig geschadet. Die Herrscher der XIX. Dynastie haben vernachlässigte und zerstörte Heiligtümer ihrer unmittelbaren Vorgänger wieder aufgerichtet, den Reichtum der Tempel von neuem gehäuft. Erst Jahr­ hunderte später, unter den Ptolemäern, ist Thebens Bedeutung, geschwunden. Strabo, der ein Menschenalter vor Christi Geburt Aegypten bereiste, fand an Stelle der berühmten, einst blühendere Weltstadt nur noch wenige Ortschaften, die in der Folge, be­ sonders auch in den Tagen der römischen Kaiser, das Ziel neu­ gieriger Reisenden blieben. Heute ist von den Palästen der Könige, von den Wohnungen der Priester und Großen im Niltal fast nichts mehr übrig geblieben. Nur den Gottheiten geweihte Tempel und Ruhestätten der Toten sind unseren Tagen erhalten. In ihnen haben wir Stunden verbracht, deren Erinnerung das sehn­ süchtige Herz schneller schlagen läßt, in die wir uns fast allzu­ gern immer wieder zurückträumen. Am besten erhalten von allen Heiligtümern der antiken und vorantiken Zeit, auch von allen Bauschöpfungen auf ägyp­ tischem Boden ist der Horustempel, in dem nicht weit von Theben gelegenen Edfu. Trotz seine.? Alters von fast 2000 Jahren, trotz der Zerstörungen, die in christlicher Zeit auch an seinen Reliefs vorgenommen wurden, ist er im ganzen so vollständig geblieben, wie wohl kein anderes Gebäude versunkener Welten. Sein Gesamtanblick ist überraschend wirksam. Er enthält sehr viele Einzelschönheiten, ist aber doch im ganzen nicht vergleichbar dem, was Theben selbst noch heute bietet. Als Spätwerk der sinkenden Zeit der Ptolemäer, bewußt antikisierend, bleibt er in der Häufung, in der ewigen Wiederholung gleicher Motive,

Horustempel von Edfu

Ausbootung bei Edfu

die alle Wandseiten und Säulenreihen überziehen, weit hinter den Wirkungen des großen Amontempels zurück. Er steht in fühlbarem Abstand zu den älteren Heiligtümern Thebens, ist gemessen an ihnen prahlerisch aufdringlich, wie manches jüngste Architekturwerk, das den Formenschah vergangener Zeiten knechtig kopiert, statt ihn sinnvoll fortzuentwickeln. Amüsant war für uns beim Landen in der Nähe des Tempels die Art der Ausbootung. Am flachen Ufer können die Segel­ boote, die man von der Bahnstation aus zum Uebersetzen zu dem am jenseitigen Nilufer gelegenen Tempel benutzt, nicht unmittelbar landen. Stämmige junge Eingeborene aus der Umgegend waten durch das Wasser an die Boote heran und tragen die wißbegierigen Europäer und lieber noch die Europäe­ rinnen auf den Schultern zum Ufer, in manchen Fällen einen Anblick bietend, der jeden Satyr begeistern könnte. Das große Heiligtum von Luksor hat Amenophis III. aus hellen Sandsteinen errichtet. Es sollte vor den Kapellen der Gottheiten eine Säulenhalle, einen offenen Hof mit Kolonnaden, vor diesem wieder einen mehrschiffigen Säulensaal erhalten. Des Königs früher Tod, die religiöse Umwälzung unter seinem Nach­ folger brachten die Bauführung vor der Vollendung zum Stocken. Tut-ench-amun ließ nach seiner Bekehrung zum Amonsdienst den unvollendeten Saal notdürftig fertigstellen. Aber erst Ramses 11. hat den Bau in großem Stil wieder ausgenommen, hat einen neuen Hof im Riesenausmaß seiner Tage vor das Bauwerk gelegt, die Gesamtlänge des Tempels auf 260 Meter gedehnt und ihn durch gewaltige Pylonen abgeschlossen. Weißglühend strahlte die Sonne vom hellen Himmel, als wir das Haus der Götter in Luksor betraten, das der Dreieinigkeit von Amon, seiner Gemahlin Mut und deren gemeinsamen Sohn Chons geweiht gewesen. Die gelbbraunen Säulenhallen hatten beim ersten Awschauen aus der Ferne nicht ganz die erwartete Wirkung ausgeübt. Sie sind überragt von einer kleinen Moschee mit Minarett, liegen eingebettet in die Umwelt der Araberstadt. Auch der neue Quai mit den bunten Kaufläden, wo Fliegen-

wedel, glitzernde Schals, .Sudanwaren und indische Tücher, nachgeahmte Götterbilder und gefälschte Skarabäen in bunter Folge feilgeboten werden, die Nachbarschaft des riesigen Winter Palace Hotels, einer modernen Karawanserei größten Stils, drücken auf die alten Säle und Säulen. In der Mittagsstille aber, in der sich die meisten Reisenden verlaufen hatten, als ich nur begleitet von einer Gleichgesinnten und Gleichsuchenden die weiten Räume durchwanderte, begannen sie ihre Schönheit voll zu erschließen. Wir durchwandern den wunderbaren Hain von Säulen, die entlang des Nilufers sich strecken, hoch, fast enthusiastisch aus dem Boden emporschießend, ein Gewirr im ersten Augenblick, eine stolze Ordnung, je länger wir zwischen ihnen einhergehen. Hunderte von Säulen sind es, hunderte an Jahren älter als ihre dorischen und ionischen Schwestern, die auf hellenischem Boden entstanden, in ihrer stolzen Größe köstliche Schöpfungen des Hochstrebens der Pharaonen. Nun stehen wir an der Stelle, die einstens der Haupteingang gewesen. Pylonen, riesige, festungsartige Mauertürme, die auf breitem Unterbau trapezförmig nach oben sich verjüngend empor­ steigen, sind bedeckt mit heiligen Wortzeichen und großlinigen Reliefbildern. Vor ihnen wehten einst an hochragenden Masten, deren Rillen an manchen Torbauten heute noch vorhanden, die großen Tempelflaggen. Ein Obelisk aus Rosengranit strebt lilienschlank vor dem linken Pylon zum Himmel. Sein Gegen­ stück wurde nach Paris verschleppt. „Wie muß er," schrieb Flaubert 1850 in seinen Reisenotizen, „auf dem Concordienplatz sich langweilen und sich nach dem Nil zurücksehnen I" An den Pylonen warten Kolossalstatuen Ramses II., Sym­ bole der hohen Gewalt göttlicher und königlicher Macht. Zwei von ihnen sitzen noch heute auf ihrem Thron zu Seiten des Eingangs. Andere stehen im Hof zwischen den Säulen. Einzelne sind verstümmelt, ihre Häupter zerschlagen. Wo sie wenig beschädigt sind, sehen wir die großflächigen Gesichter mit den lächelnden, üppigen Lippen, den weitoffenen, sonnenfrohen Augen. Ein-

prägsam sind diese charakteristischen Köpfe Ramses II., die uns von Abu Simbel bis Theben und Memphis immer wieder­ kehrend begegnen. Die eigenartig gebogene, aber nicht jüdische Nase, die vollen, lächelnden, sinnlichen Lippen, das starke, fast wilde Leben der Gesichtszüge kann keiner vergessen, der es je geschaut. In einer der geballten Fäuste halten die Bildwerke das Kreuz mit dem Henkelring, das den Aegyptern Symbol desewigen Lebens gewesen. Vertrauend auf die magische Zeichen­ form, die ihre Hand umschließt, treten die Riesen siegessicher durch die Pforten des Todes. Unter der fast senkrecht über ihnen leuchtenden Sonnenscheibe scheinen sie gleichgerichtet erhobenen Hauptes durch die Säulenreihen zu treten, gehen sie froh den stillen Weg zur Ewigkeit. Lange saß ich zu Füßen eines der Kolosse. Während der Stille des Tages, dessen Schatten immer kürzer werden, dessen Licht in reinstem Glanz alles überstrahlt, konnte man Jahre und Jahrhunderte vergessen, umgeben von den Gewaltigen, die über der Zeiten Lauf zu lächeln scheinen. Traum und Hoff­ nung, nicht zu vergehen, hat die Pharaonen und ihre Großen beseligt. Den Himmel zu stürmen als neuer Gott, ist der ersicht­ liche Willen des langlebenden Ramses II. gewesen. Ob tiefe Gewißheit über das nach dem Tode Kommende ihn erfüllte, ihn zu den maßlos gesteigerten Bauaufgaben getrieben, ob er ein Heilmittel gegen innere Unsicherheit in der unverkennbaren, in all seinen Schöpfungen betonten Selbstvergottung suchte, wer vermag das heute zu entscheiden. Die Wände des großen Säulengangs ließ Tut-ench-amun durch tief geschnittene Reliefs schmücken. Eine Seite veran­ schaulicht die Feier des Neujahrsfestes, wobei die heiligen Barken der Götter aus dem Riesentempel von Karnak geholt, auf dem Nil nach dem Heiligtum von Luksor gebracht und am Wend zurückgeführt wurden. In einer Länge von etwa 100 Meter bewegt sich die feierliche Prozession zu Ehren der Trinität von Theben, eine Wallfahrt von Tausenden in der gleichen Richtung. Die Einzelheiten des Bittgangs vor 3000 Jahren, Schiffer und-

Verkäufer, Soldaten und Neger, Akrobaten und Tänzerinnen, Spaßmacher und Zuschauer, der Aufzug selbst in seiner lockenden Pracht, geführt von Priestern und Musikanten mit Sistren, den heiligen Rasseln, überragt von Bannern, Flaggen und Symbolen, Amon-Re in der goldenen Barke und hinter ihm die vielen Schifflein der anderen Götter und Göttinnen die ihm nahestanden: dies alles hat der Meißel dem Stein an­ vertraut, der es nach Jahrtausenden uns wiedererzählt. Noch sind Farbreste zu sehen, die eine Ahnung geben, wie wunder voll einprägsam dies einstens gewirkt haben muß. Zeiten und Menschen sind vergangen, die Formen, in der die Umwohnenden Gott suchten und ihm dienten, chaben sich gewandelt. Ueber ein Jahrtausend nach dem Bau des Tempels zerflatterte dieser Siegeszug der Götter, schlug ihre Stunde, als aus Judäa die Lehre von der Liebe und Entsagung die Welt zu erobern begann. Am Ende des Tempels, in einem der Teile, die das Allerheiligste bargen, schauen wir in apsisartiger Nische eine große, verlöschende Freske, Christus in byzanti­ nischer Aureole, umrahmt von roten Granitsäulen korinthischen Stils. Wo der schlechtbemalte Verputz abgefallen ist, schimmern die Reliefs Amenophis III. wieder durch und beginnen zu uns zu sprechen. Wie während der ersten christlichen Jahrhunderte die Ecke der gewaltigen Trümmerstätte zu einer christlichen Kirche sich wandelte, so ward der Tempel in späterer Zeit bestimmt, einer anderen Gottesidee zu dienen. Eine winzige Moschee wurde auf den Mauerresten des großen Hofes errichtet, die jetzt ihr zierliches Minarett zum blauen Himmel reckt. Tausende von Jahren waren seit den Tagen des großen Pharao bereits vergangen, als dieses kleine Bethaus auf den Schutt­ bergen entstand, deren Schätze es bis zur Gegenwart hütet. Gewaltiger noch als die Bauten von Luksor sind Karnaks Anlagen, der Amontempel vor allem, das riesenhafteste der Denkmäler vergangener Zeiten, das uns geblieben. Wer von Luksor die Straße nach Karnak einschlägt, trifft zunächst den guterhaltenen Chonstempel, schreitet an diesem vorbei in der

Richtung nach dem Nil zum ersten Pylon des Heiligtums für den großen Amon, das wie die meisten Tempel die schmale Eingangsseite dem Nil zukehrt. Die Gesamtanlagen, die in den Anfang der XII. Dynastie hinüberreichen, sind nicht nach ein­ heitlichem Plan errichtet. Die Pharaonengeschlechter wett­ eiferten untereinander, das Heiligtum immer großartiger aus­ zubauen, immer prächtiger zu schmücken. Ms Thutmosis I. Theben zur Hauptstadt des neuen Reiches erkoren hatte, begann die Entfaltung der Baulichkeiten, die allein schon durch ihre zehn Pylonen vor allen anderen sich auszeichnen. Hatschepsut, die Pharaonin, ihr Bruder und Nachfolger Thutmosis II I. in den Tagen seiner Alleinherrschaft, Amenophis III., die Großkönige der XIX. Dynastie, Sethos I. und Ramses II. haben einander in der Ausgestaltung der Tempelanlagen übertroffen. Die lydischen und äthiopischen Pharaonen der späteren Zeit haben nochmals weitergegriffen, bis das Ganze unter den Ptolemäern seinen letzten Abschluß gefunden hat. Die ägyptische Seele hat ihr Gefühl für die Welt, ihre Einfügung in den ihr gegebenen Lebensraum durch die Sprache der Steine ausgedrückt. Statt Philosophiesysteme und Glaubens­ sätze auszuklügeln, stellte sie ihre ungeheuren Richtzeichen an die Ufer des Nils. Nicht wie die Tempel der Hellenen, die Dome der Gotiker, die Moscheen des Islams gruppiert sich um ein Heiligtum ein nach allen Seiten sinnvoll gegliederter Raum. Wir sehen überall in Aegypten eine die Längsachse betonende und begleitende Raumfolge, die Einfassung des heiligen Weges, der von den Pylonen, den Torbauten am Nil, durch Höfe und Hallen, durch Gänge und Säulen, sich stets verengend zum Mlerheiligsten hinzieht. Nichts anders sind die Tempel der Pharaonen, als köstliche Straßen zu den Kammern der Götter, denen Opfernde und Betende in Ehrfurcht nahen. Durch breite Anlagen, die oft Sphinre umsäumen, durch Tore und Türen, durch immer niedrigere und dunklere Räume wird der Tempel­ besucher zu den Rundbildern der Gottheiten, zu ihrem ver­ schlossenen Schrein, zu den heiligen Barken für der Ewigen

Nilfahrten geleitet. Die gewollten Wiederholungen, die betonte Einförmigkeit im Aufritz, der in Stein gebannte Rhythmus der Linien dienen dem gleichen Streben. Der Altägypter sah sich wandernd auf einem engen Lebenspsad, wie er vom Lauf des Nils ihm früh genug eingeprägt wurde. Der heilige Weg vom ragenden Torbau zum heimlichen Heiltum ist das Abbild des Stromes, das Symbol des Lebens, das die Schickung nötigt, seinen Gang in ein und derselben Richtung zu vollenden. Seit 1799, wo die mit dem französischen Heere nach Aegypten gekommenen Gelehrten hier weilten, ist der Amon­ tempel stets als ein Wunder der Welt gepriesen worden. Das Riesentor aus der Ptolmäer Zeit, der erste Pylon, ist unvollendet geblieben und doch in der heutigen Form von gewaltigster Wirkung. Hinter dem zweiten Pylon steht der ungeheure Säulensaal, der allein einen Flächenraum von 5000 Quadrat­ meter, d. h. etwa 6/e der Bodenfläche des Kölner Doms bedeckt. Notre Dame von Paris könnte völlig in ihm Platz finden. 134 Rundpfeiler sind in 16 Reihen geordnet. Die mittleren Papyrus­ säulen sind höher als die Bündelsäulen der Seitenschiffe. Die grötzten umfangen mehr als 10 Meter, während die kleinerer» immer noch einen Kreis von etwa 8% Meter umspannen. Nichts wüßte ich auf Erden, das sich dem großen Gang der Säulenhalle, ersonnen in erstaunlichem, wohldurchdachten Eben»natz, zur Seite stellen ließe, nichts Menschliches ist gleich groß­ artig wie dieser Saal. Nirgends hat unser Geschlecht sich solche Säulen errichtet» die erhabener und breiter als Türme zum Himmel ragen, so hoch über unseren Häuptern, daß kaum der Blick sich emporwagt, nur zage an ihnen aufsteigt bis zu den Steinbalken, die sie überlasten. Rechts und links von uns sind sie wie unermeßliche Speerschäfte in den Boden gestoßen. Die bunten Kapitäle, aus geheimnisvollen Blüten gebildet, ragen so weit über die Erde, daß wir uns wie Zwerge zwischen ihnen vorkommen. In edlen Formen löst sich die ungebändigte Wucht der mächtigen Zylinder. Wir stehen in einem steinernen und doch lebenswirklichen Hochwald von Stämmen, der uns zunächst

bedrückt, weil uns ist, als ob es nie mehr ein Entkommen aus ihm gäbe, der uns um so stärker dann aber erhebt, je länger

wir in ihm weilen. Die ganzer« Schäfte, die Kapitale und Architrave

sind

mit Hieroglyphen, mit feinen Flachbildern, überwiegend mit vertieften Reliefs bedeckt, die stellenweise frisch, fast unver­ letzt die farbige Bemalung alter Tage zeigen. Starke, warme Farben, vornehmlich das Blau von Türkisen und Lapislazuli, das die Aegypter an ihrem Horizont und am Spiegel des 9HIs liebten, mit dem sie gern auch ihre heiligen Räume schmückten, sind an einzelnen Säulenhäuptern unberührt erhalten. Die Farbigkeit der Säulenhalle wird heute gehoben vom Blau des Himmels, das durch die von der Zerstörungsarbeit der Jahrtausende gesprengten Quadern der Decken schimmert. Die Decken der dreiMittelschiffe des Riesensaals ruhen auf den hohen mittleren Säulen und je einer niedrigeren Säulenreihe mit Pseileraufsähen. Zwischen letzteren befanden sich steinerne Fenstergitter, von denen eines noch fast vollständig erhalten ist. Die Wölbung der Decken, die uns geläufig, war damals noch nicht gelungen. Um so vollkommener sind die geraden Linien, die Senkrechte««, die Symmetrie im Aufbau, als neue Vor­ stellungen gemeistert. Weil die Aegypter ihre Räitme nicht im Bogen Überspannen konnten, die Größe der Steinbalken nicht unbegrenzt war, sind die Schäfte der Säulen, um die schwere Decke zu tragen, so nahegerückt, daß es uns fast ängstigt.

Und doch gibt gerade auch wieder dieser enge Zusammenschluß, der zur Sammlung zwingt, den Blick in der Längsrichtung festhält, einen eigenartig starken Eindruck. Bewundernswert ist der Sinn für die Gegenwirkung der senkrechten und wage­ rechten Linien, für die feinsten Uebergänge des Aufrisses, die Licht- und Schattenverteilung in den Flachbildern. In

diesen

Bildfolgen

der

großen

Säulen

liegt

ein

geheimnisvolles Leben. Die handelnden und sich begegnenden Personen sind in Beziehungen des Füreinander und Zuein­

ander gesetzt.

Opferung und Verehrung, Bitten und Gewähr, 5*

Annäherung des Menschlichen und Göttlichen wird in ihnen

immer wieder gesucht und gewährleistet. Götter und Göttinnen, die Pharaonen und ihre Königinnen halten sich das Zeichen „Leben" entgegen, auf daß es eingeatmet und ans Herz ge­ nommen werde. Das „Symbol des Glücks" überreicht einer dem anderen. Osiris mit dem seltsam schönen Kopfputz, die

liebliche Isis mit dem Vogelhelm, der Fallenjüngling Horns, der hundsköpfige Anubis, neigen sich huldreich und liebevoll zu den ihnen ehrfürchtig nahenden Königen und ihren Priestern, die sie mit sinnvollen Gebärden begrüßen. Wie überall in den großen Reliefs, erscheinen die Körper, gehüllt in durchsichtige Gewänder, fast unbekleidet, zeigen sie Linien herber, keuscher Anmut. Die heiligen Motte, die Hieroglyphen, die Buchstaben aus Kleinfiguren, aus Bildchen von symbolischer Bedeutung, be­ gleiten die Reliefs, steigen auf und nieder an den Säulen, kriechen über die Sockel, klammern sich an die Kapitäle. Sie sind eingeschabt und eingegraben in den Stein, damit sie nicht ausgewischt oder ausgelöscht werden können. Trotzdem sind an vielen Tempeln namentlich die Kattuschen mit dem

Namenszug der Könige von den Nachfolgern der einst Re­ gierenden überdeckt worden. Sind auch die Farben der Hiero­ glyphen an manchen Stellen geschwunden, so vermochten sie doch die heroischen Taten zu rühmen, ihre Herren zu preisen. Die Aufschttften haben vielfach unklug gelogen und dennoch die Pharaonen verherrlicht und verewigt über Jahttausende, bis zur Morgenröte unserer Tage. Flächenwittung erstrebt die Kunst der Aegypter, wie sie zunächst in den Pyramiden frühesten und stättsten Ausdruck gefunden. Flächenwittung üben auch die enggereihten Säulen der Hallen, der Höfe und Gänge. Schon in der Frühzeit wurden sie nach Durchmesser und Wstand so gegliedett, daß sie den seitlichen Durchblick in einer Weise verhindern, wie sich dies in keiner anderen Baukunst wiederholt. In ihrer dichten Aufstellung sind sie nichts anderes als Streifen, die den Zug

Obelisken der Hatschepsut (rechts) und Thutmosis I. (links) im Amontempel zu Karnak

der Gottdiener mit schwingendem Rhythmus begleiten, die den Schicksalsweg des einzelnen wie aller anderen symbolisch einengen und vorschreiben. Die immer mehr durchgeführte Ab­ flachung der Reliefs, deren völlige Versenkung in den Stein hinein ist die Fortführung dieser Gedanken. In ihrer reihen­ weisen Anordnung zwingen die Reliefbilder den Betrachter, in der gewünschten, einzig möglichbleibenden Richtung die Wände abzuschreiten. Durch steinerne, schluchtengleiche Straßen,

mit fugenlos geglätteten Wänden wandelt der Pharao mit den Seinen den Göttern und dem Heiligtum entgegen. Einst herrschte dämmeriges Licht in den tiefen Hallen, unter den starken Steindecken, und doch haben solche Stempel nie grabartig auf den Dienern der Götter gelastet. Wir träumen uns zurück, wie die Wirkung gewesen sein mag, als die Decke noch nirgends eingestürzt war, alles also noch mehr abgeblendet vom Licht, das nur durch die hohen, schmalen Schlitze und Spalten der Steinfenster einfiel, aber dafür auch Seiten- und Decken­ flächen noch in der Helle leuchtender, ungebrochener Farben prangten. Wer damals aus dem strahlenden Tag, aus den im Licht funkelnden Höfen in die Hallen eintrat, den mußte sofort eine mystische Stimmung gefangennehmen. Gut können wir in uns ein Bild davon wecken, welche Pracht einstens hier herrschte, als durch diesen kösüichen Saal in seiner einzigartigen Gestaltung die Reihen der Priester schritten. Wiederholt durchwandern wir die großen, anschließenden Höfe, vorbei an den Säulen und Obelisken, bis zu den kleinen Zimmern, die das Allerheiligste, das Tabernakel der Götter, t-ie heiligen Barken, bergen. Auch'bei mehrmaligem Besuch bleibt derselbe packende, erschütternde Andruck, den wir gleich beim ersten Betreten empfingen. Jahrhunderte haben am größten Tempel Thebens gebaut, an dieser ewigen Flucht von Toren, Riesenstatuen, Säulen und Wänden. Inmitten der kaum überschaubaren Trümmerschich­ tungen reckt sich rein und leicht, in ungezwungener Schlankhett der Obelisk der Hatschepsut wie eine giganttsche Radel aus

Rosengranit zum blauen Himmel. Monolithe in der Größe von

Felsen sind aufgerichtet, so eng aneinandergerückt, daß sie fast durch die Dichte stärker noch wirken, als durch die Riesenmaße. Granite, so unverletzlich, daß unsere besten Meißel sie kaum bewältigen könnten, zeigen heute noch den wohlerhaltenen feinen Schliff vergangener Jahrtausende, daß unsere Hände

bei der Berührung leise über ihn hinweggleiten. Vollendet wie nie zuvor, und nie übertroffen, auch nicht von den Hellenen, ist die Kunst der Steinbehandlung. Die Wände sind derart geglättet, der Fugenschluß der Quadern ist so gelungen, daß sie wie die großen Säulen aus einem Stück zu bestehen scheinen. Mles, was von antiken Tempeln uns erhalten, die Säulen des Forums wie die Parthenonreste Athens, erscheint zierlich und klein, fast kärglich, gemessen und verglichen mit den Wunderanlagen, die in Karnak uns geblieben. Tausende von Sklaven und Fronarbeitern haben im Brand der glühenden Sonne Geschlecht nach Geschlecht sich gemüht, die rötlichbraunen Riesensteine zu schichten, die selbst unsere Maschinen nicht leicht bewältigen könnten. Mehr und mehr entsteigt Theben durch die Arbeit der Verwaltung der Altertümer den Sandmassen, die der Wüsten­ wind herbeigeweht. Wie einst die fronenden Aegypter die Tempel errichtet, so sehen wir jetzt die Fellachen die Freilegung des lang Verschütteten in gleich emsiger Arbeit vollbringen, wie sie ihre Vorfahren geleistet. Die große Säulenhalle ist schon ganz ausgegraben. Zahlreiche Riesenbilder sind aufgedeckt und aufgerichtet. Wer man beschränkt sich weise auf Erhalten, Zusammenfügen, Aufstellen des Gefundenen, verzichtet darauf, Verlorenes zu ergänzen und nachzuäffen. In Theben kann man trotz der köstlichen Fülle,

die Wüste und Trockenklima uns bewahrt haben, das Bedauern nicht unterdrücken, daß es kein Nebeneinander, sondern nur ein Nacheinander im Werden der Menschheit gegeben. Vergangenes wurde immer wieder durch Neuwerdendes verschüttet. Der Untergang des Seienden wird noch dadurch gefährdet, daß

allzu oft Intoleranz gegenüber dem Ueberkommenen Platz greift. Die Menschen widerstehen selten der Sucht, Dorhandenes,

aus der Vergangenheit Erhaltenes für neue Zwecke zu nützen. Jahr um Jahr war gekommen und vergangen, bis Theben, die wahre Hauptstadt der vorantiken Welt, von der Beutegier

fremder Barbarenvölker gestürmt wurde. Die frühesten Eroberer Aegyptens, die Perser, Griechen und Römer, haben wenig zerstört. Erst den Christen und später den bilderfeindlichen Anhängern Mohammeds, die glaubten, das tiefste Ge­ heimnis des Unerforschlichen, des Mlerbarmers, des Mbarm-

herzigen zu besitzen, die Gott als reinen Geist verehtten, waren die Abbilder der falschen Götter ein Greuel. Man mühte sich, die Kolosse, die man heimlich fürchtete, zu stürzen. Da viele sich von ihrem festen Stand nicht rühtten, zerschlug das Beil der Fanatiker die Köpfe der Statuen. Als die Kräfte erlahmten, versuchte man, den übrigen Bildnissen wenigstens Ohren und Nasen abzuschlagen, die Gesichter zur Unkenntlichkeit zu entstellen. In Erbitterung über Tierdienst unb Fetischkram, in der Selbstsicherheit besserer, religiöser Vorstellungen glaubten

die Neubekehrten, durch die Zertrümmerung dem alten törichten Glauben die Wurzeln zu entziehen. Dann kamen Jahrhunderte der Vergessenheit, in denen die umliegende Wüste mitleidsvoll ihre Bahrtücher über die Geschlagenen und Geschändeten breitete, sie verbarg, bis zu ihrer Auferstehnung in diesen Tagen. Im Bezirk des Amontempels liegt das Heiligtum des Ptah. Noch steht sein magisch beleuchtetes Kultbild. Rechts

von ihm besuchen wir in einem Sonderraum die katzenköpfige, menschenlüsterne Sechmet, die Götttn des Krieges und der Wollust. Mein, aufrecht, schreckerregend steht die gefürchtete Herrin in ihrer engen Kapelle, deutlich sich abhebend von der Hinteren Wand. Ihr dicker Raubtierkopf mit dem furchtbaren Gebiß, überhöht von der Mondscheibe, ruht aus den garten Schultern eines schlanken, jungen Frauenleibes mit jungfräu­ lichem, unberührtem Busen. Im Halbdunkel des Tabernakels scheint die Göttin zu wachsen.

Den Blick der pupillosen, großen

Steinaugen im wilden Gesicht hält sie fest auf uns gerichtet. Mr ahnen und fühlen die Furcht, die sie dem Opfer einflößte, wenn sie es in ihrer bestialischen Lüsternheit an sich zog. Sie war eine große Verschlingerin, ähnlich der Zeit, der mitleidlosen Natur. So haben sie wohl die Eingeweihten, die Priester, ge­ sehen, die nur für das konkretdenkende, am Sinnlichen, Aeußerlichen hastende Volk die religiösen Geheimnisse in Tiergöttern versinnbildlichten. Das älteste Weltbild, die erste stammelnde Antwort auf die Rätselfrage nach Schicksal und Bestimmung des Menschen ist Ausgeburt entsetzlicher Angst. Aus dem Fetischglauben entwickelt sich ein unklarer, unbewußter Pantheismus, der Betätigung des Uebersinnlichen in jedem Lebewesen erblickt und vermutet. In einzelnen Tiergestalten sind die Gottheiten, die göttlichen Kräfte verborgen, im Falken und Geier, Hathor in Kühen, Sechmet in der Löwenkatze. Sie lauern und hoffen auf Menschen, sie helfen und wüten, vermögen nach dem Tod noch zu schaden, können nur durch demütige Opfer versöhnt und besänftigt werden. Den Griechen, die die Gottheiten so völlig vermenschlicht hatten, ist der Tierkultus der Aegypter gänzlich unverständlich geblieben. Uns Späteren, die wir den Werde­ gang religiöser Vorstellungen vergleichen, das Problemfeld übersinnlicher Lebenseinstellung besser überschauen, ist die innige Nahebringung von Göttern, Tieren und Menschen in Aegypten bei weitem nicht so fremd. Während die kleinen Leute, die unwissenden Bauern, ihre Tiergötter weiter verehrten, erscheint schon seit der V. Dy­ nastie die Sonnenreligion im Bild der ewigen Natur. Reforma­ torisch wird die pantheisüsche Vorstellung gewandelt und ge­ läutert. Die alten Götter und Göttinnen, ihre Bildformen, werden zu Verkörperungen oder Dienern des einen allum­ fassenden Re. Geheimnis der Priester bleibt diese reinere Deutung des Uebersinnlichen. Auch in der Vorstellung der Gebildeten wird der neue Religionsbegriff allmählich fest begründet. Weniger über den Wesensgehalt und Inbegriff

letzter Wahrheiten, als über deren Ausdeutung und Aufdeckung vor der stumpfen Masse mag der Gegensatz zwischen Amenophis I V. und den Hütern des Amon zu Theben aufgestanden sein. Im Abenddämmerlicht verlassen wir den Tempel des Gottes.

Still ist es geworden im Reich des Uebergewaltigen, des Un­ beweglichen am Ende des Tages. Zu unsern Füßen liegt zum letztenmal die Doppelreihe der Widdersphinre, die alle in der gleichen strengen, hieratischen Haltung auf ihrem Sockel kauern

in ehrfürchtigem Schweigen. Wir wenden uns zum Datei Nil, der jetzt blaßgelb erscheint mit merkwürdigen blauroten Lichtern, da die Sonne hinter den lydischen Bergen des westlichen Hori­ zonts niedergeht und über dem Strom eine Welt in Flammen entzündet. Nochmals werfen wir den Blick zurück auf die Trümmerstadt des hohen Gottes, von der so viel zerfiel und so unendlich viel Schönes uns doch »loch geblieben. Mit einemmal ist alles wie von Feuer gerötet, als ob die Steine brennen wollten. Ganz in der Ferne auflodern die Bergketten der arabischen Wüste, die wie ihre Schwestern auf der Gegenseite den Nil einrahmen und mit ihren heißen Sandfeldern bewachen. Tiefer sinkt der goldene Ball. Schon zeigen sich Schatten im kräftigen Blau, hüllen ein, was in der Nähe des Bodens sich findet. Nur die aufragendcn Knäufe der Säulen und die Spitzen der Obelisken saugen noch nachglühend das scheidende Licht» schimmern rosarot bis zum Ende der Dämmerung.

Es ist eine Stunde unbeschreiblicher Pracht. Don strahlendem Weiß zu leuchtendem Gelb, zu glühendem Rot und sattem Orange haben sich die Töne allmählich nach Biolett und Tief­ grün hinüber gewandelt. Wogender, allmählich nach Graublau hinspielender Staubdunst umhüllt jede Linie. Leise Traurigkeit will uns befallen angesichts dieses Vergehens des Tages, des Lebens, der Zeit, die dahinrinnt für uns und alle unseres Geschlechts. Der Uebergang zur Nacht hat sich in kurzen Minuten vollzogen.

Schnell gewöhnt sich der Blick an das merkwürdige und alle Farben und

blaue Dämmerlicht, das vorherrscht

Schatten der tagsüber gelbroten

Landschaft verdunkelt, aber

doch nicht auslöscht.

In später Abendstunde wandle ich an dem Tempel der Götter in Luksor vorbei, durchstreife still die Straßen der arabischen Stadt. Einer Tänzerin anmutige Kunst, von den eingeborenen

Führern gepriesen, hat mich gelockt. Aber packender noch als die rhythmischen Bewegungen des hellbronzenen Körpers im

Schimmer der Kerzen wirfte das Leben und Treiben des Volks in diesen vorgerückten Stunden. Die Hitze scheucht die meisten aus den engen und gerade am Abend drückenden Wohnungen. Sie hat tagsüber viele gelähmt, läßt sie jetzt die Kühle der Nacht genießen, im Freien sich vergnügen, außerhalb der engen Zimmer ruhen und schlafen. Gespenstisch flackern Lichtchen in den Straßen, in den Häusern und vor ihnen auf. In der Ferne blendet die Laternenreihe der Strandpromenade, blitzt gelegentlich der huf­ eisenförmige Lichterkranz des Winter Palace Hotels auf. Tausend­ fach glitzern die Gestirne wie große Diamanten am Himmel, als ob sie an einer kristallenen, allumspannenden Glocke aufgehängt seien. Ich bin allein unter den Bewohnern des ftemden Landes; und doch fühle ich mich nicht einsam inmitten von allem, was mich umgibt, was ewig war, seit Urzeiten gewesen, was lang schon geworden.

V. Der lebende Tote. In einer Rede zur Gedächtnisfeier der Berliner Universität

hat Gustav Schmoller am 3. August 1898 nach Bismarcks Ab­ scheiden die Worte tröstlicher Wahrheit gefunden, daß die

breiteste Wirksamkeit der großen Genien der Menschheit gerade nach ihrem Tode beginne. Damals hat keiner geahnt, wie bald schon Bismarcks gigantische Schöpfung gefährdet, wie schnell die

Bedeutung seiner Ideale und Ideen umkämpst, welch herber Äritit seine Gesamtholtung und sein Werk ausgesetzt sein würden. Anderseits, selten freilich nur und unter seltsamen Umständen

kommt es vor, daß längst Heimgegangene Tote, deren Daseins­ aufgaben sich nicht voll entfalten konnten, geraume Zeit nach ihrem Abscheiden lebendige Wirksamkeit zu üben vermögen. Einzelnen wird durch das Schicksal, das über uns waltet, eine Fernwirkung bestimmt, die ihnen in Tagen der Erdenwanderung versagt gewesen. Noch vor wenigen Jahren wußten auch Aegyptologen nicht viel von einem jugendlichen Herrscher Tut-ench-anmn, einem der letzten aus der größten Dynastie der Pharaonen, dem nur etwa sechs Regierungsjahre beschieden gewesen. Wir wissen auch heute wenig von seinem Wesen und Wollen, trotz der Ueberfülle von Begleitgaben, die ihm in sein Grab gefolgt sind, in seiner Ruhestätte gesunden wurden. Er war anscheinend ein liebwerter, aber schwächlicher Mensch, dessen schnell vorübergehende Herr­ schaft nur die Wiederanknüpfung an eine durch den Schwieger­

vater gewaltsam abgebrochene Entwicklung brachte, ein Früh­ verstorbener, dessen Name schon Haremheb, der ihm bald auf den Thron folgte, an Tempeln und Denksteinen ausmeißeln ließ, dessen Andenken wie das seines Thronvorgängers Ech-enaton in den Urkunden getilgt wurde. Wonach er strebte, was er erreichte, ist uns im wesentlichen verborgen, was er liebte und besaß, wird uns in einzigartiger Weise bis auf Kleinigkeiten

vertraut.

Denn das Bleibende seines Daseins bestand in der

Art, wie er begraben wurde. Heute lebt der Jahrtausende Vergessene im Bewußtsein

von Millionen, beschäftigt der in Vorzeiten Gestorbene die Phantasie einer Unzahl von Menschen, wie kaum ein anderer der Größten unserer Tage. Tut-ench-amuns Name ist bekannter

als der von anderen, selbst den größten Pharaonen. Die Vor­ stellungen von den Erbauern der Pyramiden und großen Tempel, der Kriegsherren, die ägyptischen Einfluß nach Asien trugen, der Herrscher, vor denen die Griechen zitterten, sind verblaßt vor dem Wiederaufleben eines Jünglings, der kurze Frist nur auf dem Thron der Großkönige im Niltal gesessen. Der Tote lebt. Der in Vorzeiten Heimgegangene hat weit über sein ehemaliges Reich hinaus ungeahnte Bedeutung gewonnen. Er ist „Mode" geworden, seine Grabschähe haben künst­ lerisch anregend, werkschöpferisch bereits zu wirken begonnen. Die Motive, die er sah und liebte, haben jetzt, wenn auch oft mißverstanden und mißbildet, neue Kraft erlangt. Keine Wohl­ tätigkeitsveranstaltung, kein Trachtenfest gab es im Winter 1924,

bei dem nicht der längstverstorbene Aegypterkönig irgendwie in Erscheinung tritt, wo nicht Erinnerungen an ihn, wie sie frei­ lich mehr der ungezügelten Erfindungsgabe von Dilettanten, als der Schöpferkraft begabter Künstler entspringen, geboten werden. Die Tatsache, daß sein Grab als einziges der Aegypterkönige nahezu unberührt auf unsere Tage gekommen ist, daß es

nach schier ergebnislosem, systematischen Suchen in letzter Stunde vor Abbruch der Nachforschungen entdeckt wurde, daß

seine Todeskammern in einer Zeit gefunden wurden, die nach dem Schrecken der endlosen Kriegsjahre für eine friedliche Sensation vorgesümmt war, die Art endlich, in der englisch­

amerikanischer Geschästsgeist die wirklich große Entdeckung populär-wissenschaftlich ausgebeutet hat: dies zusammen hat bewirft, daß die Auffindung von Tut-ench-amuns Ruhestätte mehr Aufmerksamkeit, größeres Interesse erregte, daß sie stärker

die Neugierde weitester Kreise geweckt hat als irgend eine archäologische Entdeckung rückliegender Jahrzehnte. Romantische Begleitumstände, die sich an die Aufstörung

des Pharao knüpften, der jähe Tod Lord Carnarvons, des Anregers der Grabungen, Erkrankungen beteiligter Personen, die Verärgerung und Vertreibung des Entdeckers Howard Carter von der Stätte seines Triumphes haben ein Gefühl des Unheimlichen belebt, die geheimnisvolle Anziehungskraft der Funde noch mehr gesteigert. Wenn wir auch beschämendem Aberglauben abhold sind und den Deutung-versuchen absonder­ licher Ereignisse, wie sie beispielsweise Hanns Heinz Ewers in der „Woche" gegeben, nicht beistimmen, so scheint es doch nahe­ liegend, daß zwischen dem zeitlichen Zusammentreffen auf­ fälliger Begebenheiten innere Zusammenhänge gesucht werden. Nach der plötzlichen Schädigung der Störer des Todes­ friedens, bei dem augenfälligen Unsegen, den ihnen persönlich ihre Entdeckung gebracht, forscht man nach verborgenen Ein­ flüssen, zumal bei fast allen Völkern die Grabesruhe als heilig gegolten. Die mit großen Kapitalien arbettenden, wissenschaftlich ge­ rüsteten modernen Schatzsucher, die mit methodologischer Gründ­ lichkeit die einst dem Todesfrieden geweihten Stätten absuchen, das Verborgenste aufstöbern, längst vergessene Grüfte erschließen, die Beigaben der Verstorbenen verschleppen, sind im tiefsten Wesen den alten Grabräubern verwandt. Gewiß, ihr Ziel ist nicht rein eigennützig, sie lockt nur nebenbei der mögliche Vermögensgewinn, obwohl die Art der geldlichen Ausbeutung

des Gefundenen einen der Streitpunkte zwischen Carter und der ägyptischen Regierung bildet. Der Wissenschaft wird gedient, die Allgemeinheit erhält Kunde von den Forschungs­ ergebnissen, unsere Erkenntnis der Vergangenheit des Menschen­

geschlechts wird gefördert. Aber es bleibt doch, wie Carter in seiner packenden Schilderung des aufgefundenen ägyptischen Königsgrabes selbst erzählt, ein peinlicher Beigeschmack. Scheu und Verlegenheit hat er empfunden, da er als erster in die

Rammet eindrang, die pietätvoll vor Jahrtausenden verschlossen

und versiegelt wurde. Nur die Gewißheit, daß auch das Heim­ lichste des Rönigstals vor dem Zutritt Unberufener nicht mehr gesichert erscheint, nur das ehrliche Mühen, der Geschichte unseres Rulturwerdens ein neues Blatt einzufügen, kann sein Vorgehen entschuldigen.

Daß Tut-ench-amun nach so langer Vergangenheit auf­ erstehen, solch weitreichende Wirksamkeit Jahrtausende nach dem Ende seines Rönigslebens finden konnte, ist der Eigenart

des Unsterblichkeitsglaubens der Mtägypter, ihren: Versuch, für das Fortleben nach dem Tod Sicherungen zu treffen, in Verbindung mit einer einzigartigen Verkettung glücklicher Unistände zu danken.

Don allen Gräbern der etwa dreißig

Pharaonen, darunter die größten der ägyptischen Regenten,

die im Tal der Röntge gebettet wurden, ist gerade seines und

nur seines fast unangetastet bis auf unsere Tage gekommen. In Altägypten hat der Gedanke an den Tod die Lebenden einstens völlig beherrscht. Um die Fortdauer der menschlichen Persönlichkeit kreiste das religiöse Sinnen und Fühlen der Nil­ anwohner. Aber nicht wie bei den späteren christlichen Reli­

gionen haftet die Unsterblichkeitsidee an der Seele und ihrer Qualität. Die Aegypter kannten zunächst nur ein Sein nach

dem Tode, das bedingt wurde durch die Erhaltung des Rörpers. Sind sie auch in ihrem Glauben an die Bestimmung der Menschen niemals zu einer durchweg und gleichmäßig festgehaltenen Auffassung gelangt, so sind die wechselnden Ansichten doch alle darin einig, daß das Weiterleben nach dem Tod an den Fortbestand des irdischen Leibes geknüpft sei. Nach ihrer llnsterblichkeitslehre, die unserer Vorstellungswelt

fremd bleibt, hat der Mensch eine Seele (Baj), als lebenswirkendes Wesen, die ihn im Tode verläßt, um in der Welt in Dogeigestalt einherzuschweben. Der Seelenvogel kann zeitweise zum Rörper zurückkehren, sofern nur dieser erhalten geblieben und nicht der Verwesung verfallen ist. Daneben aber gehört zum Menschen

noch der „Ra“, sein eigentliches geistiges Ich, der Inbegriff der

Persönlichkeit, sein schützender Genius, sein rätselvolles, imma­ terielles Ebenbild. Der Ka wird mit dem Menschen geboren, begleitet ihn durchs Leben, behütet ihn im Jenseits. Im und durch den Ka ist die persönliche Fortdauer nach dem Tode be­ gründet. Die kunstreiche Einbalsamierung hat die Aufgabe, die Mumie für den überlebenden Teil, den Ka, als dessen Organ zu erhalten. Sie mutz daher geschützt, und da sie sich selbst nicht mehr gegen Angriffe und Anfälle von autzen wehren kann, in unzugänglichen, sorgfältig verschlossenen Orten aufbewahrt werden. Viel Unklares ist in dieser Lehre von den Seelen, von denen die eine zum Weltgeist nach dem Tode eilt, die andere, der Ka» das irdische Leben des Verstorbenen fortsetzt, so lange nur sein Körper erhalten ist. Unklarheiten, wie sie auch in der Götterlehre des Volkes zum Ausdruck kommen. Diese Unsicher­ heit der religiösen Vorstellungen der Aegypter ist nichts Auf­ fälliges. Aehnliches finden wir bei den Griechen und Römern. Der Mythos war bei ihnen so verschwommen, datz er von der Masse meist nicht verstanden wurde, in seinem tiefsten Sinn kaum noch den Priestern zugänglich war, die das Tempelgut zu hüten, den Göttern zu opfern hatten. Oft wurde in der Antike ein Gottesdienst abgehalten, dessen Art selbst denen, die sich ihm widmeten, kaum noch verständlich gewesen. Ver­ gessen wir nicht, datz auch der religiöse Gehalt des Christentums in Jahrhunderte währenden Streitigkeiten ausgebaut wurde, datz die Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche in spitzfindigen Wortgefechten vieler Konzilien herausgearbeitet wurden. Erst die grotzen Kirchenversammlungen mit ihrer all­ mählichen dogmatischen Durchfeilung der christlichen Heilslehre, die Fortführung der jüdischen Religionsgedanken im Talmud, die Begriffsschärfe der islamischen Gelehrten, die die religiösen, im Anschluß an Sunna und Hadith entstandenen Kontroversen entschieden, haben in ewigen begriffsspaltenden Ueberlegungen eine einheitliche, fest umrissene Glaubenslehre ausgebildet, rote sie uns heute selbstverständlich erscheint.

Eine Verdoppelung der Möglichkeit des Weiterlebens wird für die Vorstellung der Aegypter dadurch erreicht, daß sie neben den einbalsamierten Leichnam, neben die Mumie als gleich wirksame Voraussetzung der Unsterblichkeit Nachbildungen des Körpers setzen. Die ursprünglich materialistische An­ schauung wird gleichsam vergeistigt, das Leibliche tritt in seiner Bedeutung für die Fortsetzung des Daseins zurück. Der Nach­ druck liegt nun in der Formgebung, in der der Verstorbene und sein Abbild übereinstimmen. Der Kunst wurde damit die größte Aufgabe gestellt, die ihr jemals werden konnte. Sie ward Vermittlerin der Unsterblichkeit. Nur ein Volk, dem die Kunst so viel bedeutete, wie den Altögyptern, konnte den genialen Gedanken fassen, zum Unterpfand des Fortlebens das Gemeißelte oder Gezeichnete werden zu lassen, das dem Lebenden tunlichst nachgeformt war. Die Idee, daß in der Form eines Dinges und nicht in der Materie sein Wesen sich ausdrückt, ist übrigens keine Vorstellung, die nur den Aegyptern eigen geblieben. Sie begegnet uns auch bei deutschen Mystikern, wie es beispiels­ weise für Eckehardt feststeht, daß die Form der Materie ihr Wesen gibt. Die Aegypter haben schließlich die Grenzen ihres Denkens noch weiter gespannt. „Gottesworte" hatten sie ihre Bild- und Lautschrift, die heiligen Zeichen, die Hieroglyphen, genannt, mit denen sie in frühester Vorzeit schon die geistigen Zusammen­ hänge gesichert hatten. Der einzelne kann mit ihrer Hilfe den Inhalt der äußeren und inneren Wirklichkeiten emfangen und festhalten. Ihr Nachsinnen, ihr grübelndes AusUügeln über Sicherung des Weiterlebens nach dem Tod führte schließlich zu dem Wahn, daß nach dem Zerfall der Mumie und Zerstörung der Statuen selbst der geschriebene Name noch die Fortdauer zu verbürgen vermöchte. Der Glaube an solchen Wortzauber erklärt die Tilgungsversuche von Namen Vergangener durch ihre Widersacher und Nachfolger. Die furchtbarste Rache, die ein König an seinem Gegner nehmen konnte, lag darin, daß er dessen Namen ausmeißelte, wo immer er Gelegenheit fand,

um ihn so im Eigentlichen, im Tiefsten zu treffen.

Diese Vor­

stellung von der Magie der Worte blieb auch lebendig in den

dem Papyrus anvertrauten Geheimlehren über den Weg der Toten im Jenseits. Die „Bücher vom Tod", die „von dem, was in der Unterwelt ist", vom Leben nach dem Tod und seinen Vorbedingungen handeln, sind vom Glauben an den Wort­ zauber völlig beherrscht. So heißt es im Papyrus der königlichen Mutter Netchemet im Britischen Museum: „Dieses Buch enthält

ein großes Geheimnis. Laß es nie irgend einen Fremden er­ fahren. Laß weder Mann noch Frau feine Worte aussprechen. Laß kein Auge es betrachten, laß kein Ohr es hören. Du sollst es nicht in den Mund der Menge bringen, sondern es nur in

Dein und Deiner Freunde Herz versenken. Gestatte niemanden

vom gemeinen Volk, es zu sehen. Es wird mit Speise versorgen den Abgeschiedenen in der Unterwelt und auch seine Seele auf Erden. Es wird ihm ewiges Leben geben und nichts Böses wird Herrschaft über ihn gewinnen." Nicht im Sinne der Lebensüberwindung hat der Todes­

gedanke die Aegypter durchschauert, nicht soll unser irdisches Dasein den Eingang in Nirwana uns verschaffen, wie die indische

Kultur es kennt, nicht wird im Sinne des Christentums Bruder­ liebe und Askese zur Vorbereitung auf eine rein geistige Eristenz nach dem Tode gefordert. In naiver Lebensfreude suchen vielmehr die Aegypter das Leben tunlichst so, wie es am Ufer des Nils sich abspielte, zu verlängern. Sie können es sich nur denken anknüpfend an das, was ihnen hier schon lieb gewesen. Die Aegypter sahen ihre Fruchtgärten am Nil. Sie fürchteten das tote Wüstenland im Westen, wo die Sonne untergeht, das Leben aufhört. Sie wollten vom sinnenfrohen Dasein retten, soviel sie nur immer konnten. Wenn die Aegypter auch ahnen und

zu wissen meinen, daß das Weiterleben des Heimgegangenen nur in gebundener, schattenhafter Form zu ermöglichen ist, beflügelt sie doch die Hoffnung, daß ihr Sein jenseits des großen Stroms in bestimmter Richtung sich noch erhöhen, noch behag­

licher gestalten lasse.

Der ägyptische Bauer, der am Rande des Nils sich geplagt, hofft sieben Ellen hohes Getreide im Jenseits zu ernten. Der Größte des Landes, der Pharao, will alle Schönheit, die Macht und Reichtum verbürgen, um sich und bei sich behalten. Dem Toten vornehmlich das zu bewahren, was ihm hier be­ sonders wert gewesen, ist Ziel und Aufgabe. Der Hochzeits­ kranz, ein Baum des Gartens, die gezähmte Gazelle, ein kleines Hündchen, dessen Name auf dem Halsband eingeschrieben ist, Lammkeulen und Ochsenschenkel, Enten und Pasteten, alles begleitet von den Zauberworten, die der Tote nur auszusprechen hat, um es in Ewigkeiten zu beleben und zu genießen, sind ihm ins Grab gegeben worden. Es fehlen nicht seine Möbel, nicht Koffer mit Kleidern und Schmuck, nicht Wagen, Betten und Tragbahren, die im Leben Bequemlichkeit geboten. In einem Grab aus der Zeit der ältesten Dynastien wurde eine Figuren­ gruppe gefunden, in deren Mitte der Verstorbene in seinem Lehnstuhl sitzt, auf den Knien die Lieblingstänzerin, um ihn herum andere Freundinnen, die einen Reigen ihrer Zeit tanzen, zu dem Musikantinnen die Harfen zupfen, die Tamburine schlagen. Unter allen „Uschebtis", wie diese kleinen Erabfigürchen heißen, die, durch Wortzauber belebt, den Toten besuchen und ihm helfen, ihm dienen, ihn erfreuen sollen, ist dies eines der sinnfälligsten Motive, die zeigen, worauf es dem Aegypter in seinem Jenseits, das er sich bald als Westland hinter den gegen Sonnenuntergang gelegenen Gebirgen, bald als fruchtbares Gefilde, bald als richtige Unterwelt dachte, ankam. Es ist etwas Verwandtes in seinen Vorstellungen mit dem Glauben unserer Vorfahren an Walhalla, an die Fortdauer der Kämpfe, des Trinkens und des Liebeslebens im Kreise der Walküren, mit den Hoffnungen der Jndianerstämme auf die ewigen Jagdgründe, mit dem Paradies in seiner sinnlichen Auswirkung, das Mohammed als Ziel der irdischen Wander­ fahrt den Arabern vor Augen stellte. Nur daß eben die Ideal­ ausschmückung der Fortsetzung und Steigerung des Seins nach deni Tod dem verschieden eingestellten irdischen Ziel-

o

Verwahrung der Toten in Riesendenkmälem

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streben sich anpatzte, datz die Vorstellungsreihen über ewige Glückseligkeit bei den friedliebenden, im Kern unkriegerischen

Bewohnern des Niltals, den Vertretern früher, hoher Kultur­ zustände andere gewesen als solche bei wandernden Nomaden, bei den wilden Kampfgenossen unserer nordischen Wälder und den Jägervölkern amerikanischer Steppen sich herausgebildet hatten. In ihrer Sorge für die Toten haben die Aegypter das

irdische Leben bejaht, wie es nur jemals bejaht werden konnte. Sie haben immer wieder die Versuche erneuert, das Sein des einzelnen über seinen Ablauf hinaus zu retten, soviel wie möglich

von ihm und für es zu erhalten, durch Geheimnisse der Magie ihm Wiederbelebung zu gewährleisten, mit allen Künsten die Ruhe des Verstorbenen zu sichern und Feinde fernzuhalten.

Aus dem Gesagten erhellt, welch grotze Bedeutung es für den Altägypter hatte, datz sein Körper nach dem Tode unent­ weiht und unberührt mit allen Beigaben an dem für ihn be­ stimmten Platze ruhen konnte. Ursprünglich waren selbst für die Könige nur rechteckige Grabgebäude, die sogenannten Masta­ bas, bestimmt worden. Nicht nur die Freude am Riesendenkmal, sondern das Ausklügeln von Sicherheitsmatznahmen führte die Pharaonen dazu, die Wände solcher Grabgewölbe fester und dichter zu gestalten, bis sich ganze Gebirge von Stein über dem toten Herrscher häuften. Don den Stufenbauten in Sakkara bis zur vollendeten Pyramide des Cheops ist dieses Streben un­ verkennbar. Und doch ist es immer ergebnislos gewesen. Das Wohlergehen der Mumie verlangte, datz sie gegen jeden Mangel gefeit wurde. Die Todesstätte der prachtliebenden Könige war also überreich mit Schätzen aller Art ausgestattet. Gerade diese aber brachten das Unheil, führten dahin, datz durch den Wunsch, die mitgegebenen Kostbarkeiten zu stehlen, die Ruhe der Mumie gestört, sie selbst gefährdet wurde. Mle Gegenmittel: Verstopfung der Eingänge, Anlegung von Jrrgängen, von Diebesfallen, gleichmätzige und gleichförmige Ueberziehung der ganzen Bauoberfläche, jedes, was Erfindungsgabe und 6*

Vermögen zur Sicherung anwenden tonnten, war vergeblich.

Auch reiche Stiftungen zur Pflege und Bewachung der Grab­ mäler versagten. Kommende Geschlechter ließen sie eingehen,

fanden für die ausgesetzten Summen und Werte neue, ihnen besser dünkende Verwendung. Wenige Generationen nach dem Tod der einzelnen Pharaonen hat sich niemand mehr um ihre Grabstätten gekümmert, war ihnen dasselbe Schicksal zuteil geworden, das den Gräbern aller Zeiten droht, von denen jeder Friedhofsverwalter erzählt, daß nach 50, höchstens 100 Jahren Angehörige und Freunde eines Verstorbenen, selbst seine Nachkommen, sich selten noch um die Ruhestätten mühen. Der Versuch, „ewige Häuser" zu bauen, war gescheitert. Der geduldigen Findigkeit der grabschänderischen Schatzgräber gelang es doch immer wieder, zum Ziel zu kommen. So war der Gedanke nicht abwegig, statt der Bauten, die schon durch ihre monumentale Größe die Aufmerksamkeit aus sich lenkten, ein anderes zu versuchen. Die Könige der XVIII. Dynastie, die wußten, daß in ganz Aegypten kaum noch ein Grab der vor ihnen residierenden Pharaonen unberührt ge­ blieben, wollten statt äußerlicher Aufstellung und Kennzeichnung des Grabes es durch Verborgenheit und Geheimhaltung sichern. Statt Berge über den Sarkophag zu türmen, grub man ihn in ein Gebirge hinein. In abgelegenem, öden, schwer zugäng­ lichen Felstal, in Spalten und Gängen, tief eingehauen in das naturgewachsene Gestein, in engen Zugängen, die später mit

Felstrümmern verschüttet werden konnten, wurden nunmehr die Mumien der Pharaonen geborgen. Es war ein scharfer Bruch mit der Ueberlieferung und gewiß kein leichter Entschluß für prunkliebende Eroßkönige, den allein der notgeborene Wunsch, sich vor dem Schicksal der Vorgänger zu retten» entstehen ließ.

Aus der am Nil gelegenen thebanischen Totenstadt heraus verlegte man die Königsgräber in eine Gebirgsschlucht, heute von uns „Tal der Könige", von den Arabern „Biban-el-muluk" geheißen, die vom Westufer des Nils durch den hohen Gebel-

Afas getrennt ist. Nur ein guter Weg führt zu dem von steilen

Tal der Könige. Eingang zum Grab Ramses VI.; darunter Halbrechts zum Grab Tut-ench-amuns

Hochwänden umgebenen Gebirgskessel, mit einer so schmalen Mündung in das Gräbertal, daß der Engpah von wenigen

Wächtern mit Leichtigkeit verteidigt werden kann. Direkt vom Westland über den in schroffen Steilwänden abbrechenden Gebirgskamm hinüberzusteigen, ist nur an zwei Stellen möglich,

während ein anderer mühsamer Pfad aus einem rückwärts gelegenen Tal herbeiführt. Wo diese die Berge überschreiten, wurden sie durch Polizeiposten gesichert, deren in Trümmer

liegende Steinhütten noch heute erkennbar sind. Zusammen mit der Bewachung am Eingang des Tales muhte nach jeder menschlichen Voraussicht die Stätte vor dem Eindringen Un­ befugter gesichert sein. Und doch hat auch hier die Gewinn­ sucht der Menschen gesiegt. Verwegene Abenteuerlust, ver­ zweifelte Goldgier proletarischer Arbeiter aus der Totenstadt haben immer wieder, verlockt durch die kostbare Ausstattung der Königsmumien, Mittel und Wege zur Oeffnung der Grab­ kammern gefunden. Unter den schwachen Königen der XX. Dynastie waren die Leiber der bedeutendsten Herrscher des „neuen Reiches" nicht mehr zu sichern. Prozehakten berichten von systematischen Plünderungen; Nachrichten sind erhalten, die zeugen, wie ergebnislos das Mühen war, die einbalsamierten Leichname der Könige zu schützen, wie man sie verzweifelt von Grab zu Grab schleppte. Nicht weniger als 9 Könige wurden im Berggewölbe Amenophis II. auf diese Weise versammelt, während eine Reihe anderer Grohkönige aus dem Tal fort­ gebracht, in einem verborgenen Gemach der Felsen von Der-elbahri versteckt wurden. Tut-ench-amuns Grab blieb damals verschont. Es war allerdings kurz nach seinem Tode von Unbefugten betreten, die Grabräuber waren aber so rasch vertrieben worden, dah nicht viel Wesentliches auher einzelnen Kostbarkeiten fortge­ kommen zu sein scheint. Dann ist die in der Taltiefe gelegene

Ruhestätte des vorletzten Pharao der ausklingenden XVIII. Dynastie zu ihrem Glück schnell in Vergessenheit geraten. Viel­ leicht hatte starker Sturmwind bald die Spur des tiefgelegenen

Eingangs verwischt, vielleicht nützte ihr, daß Hütten für Arbeiter, die an einem späteren Grab beschäftigt waren, unmittelbar über

dem Zugang errichtet wurden, vielleicht wurde sie auch durch

den Schult des etwas höher gelegenen Grabes für Ramses VI. früh überdeckt. Mit der Fortbringung der Mumien endet die aus alten Quellen überlieferte Geschichte der Königsschlucht, fünfhundert Jahre, nachdem als erster der Pharaonen Thutmosis I. dort vergeblich „ewige" Ruhe gesucht hatte. Das heilige Tal der Könige, auf dessen Merkwürdigkeiten schon die Schriftsteller der Antike wie Strabo Hinweisen, wurde in der Folgezeit nur von Neugierigen besucht. Berlassene Grabkammern haben den ersten Christen Oberägyptens, die sich dem Einsiedlerleben zuwandten, Schutz und Abgeschiedenheit in unmittelbarer Nähe der Außenwelt und des Lebensnotwendigen gegeben. Erst im 18. Jahrhundert findet das Tal neue Beachtung. Tief in den Berg führende, viele Kammern umschließende Auf­ bahrungsstätten der großen Pharaonen wurden neu entdeckt und ausgeräumt. 1881 wurden die Pharaonen bei Der-elbahri wiedergefunden, deren Versteck schon den Grabräubern der Umgegend seit sechs Jahren zur Ausbeute anheimgefallen war. 1898 wurden die neun Königsmumien im Grabe Amenophis geborgen. Wenig später drangen nächtliche Räuber in diese Ruhestätte ein und warfen die Mumie Amenophis auf der Suche nach Schätzen aus dem Sarg. Jedes einmal entdeckte Grab wird in der verlassenen Einöde auf die Dauer kaum zu sichern sein.

Seit 1902 hat ein Amerikaner Theodor Davis erfolgreich im Königstal geforscht und gesucht. Dessen Erlaubnis, unter Aufsicht der Regierung Ausgrabungen vorzunehmen, ist seit 1914 auf Lord Carnarvon übergegangen. Obwohl die Stätte als völlig ausgebeutet galt, hat Carnarvon mit seinem wissen­ schaftlichen Freund Howard Carter der Ueberzeugung gelebt,

daß unter dem Schutt früherer Ausgrabungen sich noch Stellen finden müßten, die niemals geprüft seien. Aus kleineren Zufalls-

funden, namentlich des Materials der Totenfeier für Tut-enchamun, glaubten sie, dessen Grab müsse in der Nähe der Talmitte noch unberührt liegen. Das planmäßig vorbereitete Unternehmen seiner Auf­ suchung wurde durch den Kriegsausbruch 1914 gestört. Von 1917 an begann die ungeheuerliche Arbeit, Riesenmassen auf­ geworfenen Schuttes systematisch abzutragen. In einem großen Dreieck zwischen den Gräbern Ramses II., Merenptahs und Ramses VI. wurden die Schuttberge, die frühere Ausgräber­ aufgeworfen hatten, allmählich abgetragen. Mit angelsächsischer Zähigkeit ist die Sohle des Tals bis auf den gewachsenen Felsen freigelegt worden. Rur kleinere Ergebnisse wurden zunächst erzielt. Nach sechs nietenreichen Wintern tauchte die Frage auf, ob auch die letzte Stelle noch untersucht werden solle, an der Arbeiterhütten schon in früher Zeit gestanden hatten. Carter hat in seinem Buch über das von ihm gefundene ägyptische Königsgrab dramatisch geschildett, wie endlich am 4. November 1922 unter der ersten Hütte, deren Bodenfreilegung man in Angriff nahm, eine in den Felsen gehauene Stufe aufgedeckt wurde. Nach mehttägigem Graben stieß er auf eine versiegelte Tür, zeigte sich, daß er recht behalten, obwohl selbst Fachleute die Gegend als erschöpft bezeichnet hatten. In letzter Stunde wurde sein Vettrauen, seine mühevolle Arbeit belohnt, sind ihm schönste Entdeckerfreuden zuteil geworden. Bescheidener als andere Anlagen, etwa die 14 Hallen, die für Sethos I. einhundettvi erzig Meter in die Tiefe getrieben sind, ist das in den Felsen gehauene Grab Tut-ench-amuns. Ueber 16 Stufen führt ein abgeschrägter Gang in einen 8 Meter langen Bor­ raum, an den eine kleine Seitenkammer und die eigentliche Fels­ umhüllung des goldenen Schreins mit benachbarter Schatz­ kammer sich anschließen. Carter erzählt in seinem Buch von der Ueberfülle der Gegenstände, die gleich das erste Zimmer barg. Ihm ist die vorsichtige Behandlung, die genaue photographische Aufnahme vor jeder Berührung, die weise Beschränkung der Arbeiten des ersten Winters auf den zunächst betretenen Raum

unter Verzicht des Vordringens zum eigentlichen Grab zu danken. Galt es doch, einer Unzahl von Dingen Herr zu werden, die sorgfältig behandelt werden mußten, wenn man sie bewahren und ans Licht bringen wollte. Die Ausräumung der Vor-

kamnrer hat die ganze Winterzeit 1923 in Anspruch genommen. Erst gegen deren Ende, am 17. Februar 1923, wurde das Geheimnis der bis dahin versiegelten hinteren Tür gelöst. Staunenerregendes sah das Licht. Eine Mauer von massivem Gold schien hinter der Oeffnung der Tür zu stehen. Was den Weg versperrte, erwies sich als Wand eines riesigen Schreins, erbaut, um die Mumie des Pharao zu decken und sie zu schützen. 5 : 3,30 Meter und 2,70 Meter hoch erfüllte dies Bauwerk fast die ganze Kammer» ließ nur einen schmalen Zwischenraum von 65 Zentimeter nach den vier Seiten des Raumes frei. Inmitten von Wänden mit bunten Darstellungen und Inschriften in leuchtenden Farben stand diese unversehrte Riesenhülle, von oben bis unten mit Gold überzogen, dazwischen eingelassen Füllungen aus glänzender blauer Fayence, immer wieder mit den Zauberzeichen der Stärke und Sicherheit geschützt. Ms die Türen der Ostseite des äußeren Riesensargs aufgeschlagen wurden, fand sich darin ein zweiter Schrein mit ähnlich ver­ riegelten Türen und unversehrtem Siegel. Die Grabstätte war also bis dahin nicht erbrochen, alle Zweifel waren behoben. Zum erstenmal war der Sarg eines Pharao freigelegt, an den seit der Beisetzung und Aufbahrung keine Hand mehr gerührt hatte. In dieser Unberührtheit, in der Vollständigkeit des Bei­ gegebenen liegt die hohe Bedeutung der Carterschen Entdeckung. Wenige Tage später wurde das Grab wieder geschlossen und

noch einmal zugeschüttet, um im nächsten Winter die Arbeiten fortzuführen. Bis dahin galt es» die schwierige Aufgabe des

Auseinandernehmens der vier großen Schreine der Sarg­ kammer vorzubereiten. Am 12. Februar 1924 wurde endlich der eigentliche Sarko­

phag Tut-ench-amuns geöffnet. Nachdem die äußeren Riesen­ umhüllungen abgenommen waren, zeigte sich der rosenrote

Steinsarg, dessen Deckel schon im Mtertum durchbrochen und wieder zusammengekittet war. Ms man ihn hob, enthüllte er im Innern zunächst ein großes Leinentuch in vortrefflicher Erhaltung. Es bedeckte die Mumienumkleidung fast vollständig, so daß nur ein Teil des reichvergoldeten Kopfes zu sehen war. Ws das Tuch zurückgeschlagen wurde, zeigte sich die menschenähnliche Hülle des Körpers aus Holz mit Gips belegt, völlig vergoldet, wie sie in gewaltiger Größe auf einer niedrigen Bahre ruht. Die kühnsten Hoffnungen hatten sich erfüllt. Die Mumie des Königs war unberührt und unversehrt. Bald darnach begann der Streit um das Grad, dessen führender Entdecker, der vornehm denkende Lord Carnarvon, am 5. April 1923 auf der Höhe seines Triumphes gestorben war, dessen eigentlicher Ausgräber Howard Carter verbittert von der Stätte seines Erfolges vertrieben worden ist. Ueber die Fort­ behandlung des Gefundenen schwebt jetzt ein Prozeß vor dem höchsten Gerichtshof Aegyptens. Hervorgerufen wurde der schnell zugespitzte Gegensatz durch die hochmütige Haltung der Ausgräber gegen die von der nationalistischen Bewegung getragene Landesregierung, die ihnen Gastfreundschaft gewährte, durch die Fragen der Auslegung des zwischen Carnarvon und der Regierung geschlossenen Vertrags. Hinsichtlich seiner sind die Aegypter der Ansicht, der ganze Inhalt des Grabes müsse ihnen verbleiben, weil es sich nicht um ein geplündertes Grab handelt, sondern um ein solches, das seit dem Mtertum nicht mehr betreten wurde, während Carter sich darauf stützt, daß wenige Jahre nach dem Tode des Pharao Unbefugte eingedrungen, es also ein „geplündertes Grab" sei, und daß gemäß der erteilten Erlaubnis die Hälfte der Mtertümer an ihn ausgehändigt werden müsse. Hinzu kommt die Art, in der die englischen Ausgräber, die sich als Eigentümer fühlten, ihre Entdeckung geschäftlich verwerteten, die Rechte der Berichterstattung, die Verbreitung der Photographien für hohe Summen verkauften, sowie die Ver­ weigerung des Zugangs zur Grabstätte selbst für solche Personen, denen die ägyptische Verwaltung der Mtertümer die Erlaubnis

•erteilt hatte. Carter wurde Mitte Februar 1924 der schriftliche Befehl erteilt, datz niemand mehr die Fundstätte betreten dürfe. Während der Ausgang dieser Streitigkeiten unentschieden war, hatte das ägyptische Ministenum der öffentlichen Arbeiten einer beschränkten Zahl von Personen zwischen dem 11. und 20. März 1924 den Besuch unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Einem seltenen Zusammentreffen glücklicher Umstände verdanken wir es, datz wir zu den wenigen gehören, denen es vergönnt wurde, den Pharao von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Die Vermittlung des Höchsüommandierenden in Aegyp­ ten, des Generals Wlenby, verschaffte uns die Erlaubnis zum Besuch des Grabes am 12. März. Obwohl wir ursprünglich daran gedacht hatten, erst nach der Rückkehr aus dem Sudan in Luksor zu verweilen, entschlossen wir uns schnell, von der für den 12. März erteilten Erlaubnis Gebrauch zu machen, zumal unsicher war, für wieviel Tage der Zutritt überhaupt gestattet würde. Zu unserm Glück hatte am fraglichen Tag der Anschlutzzug von Luksor nach Assuan, den wir zur Fahrt in den Sudan nehmen mutzten, vielstündige Verspätung. Wir nutzten sie, mieteten das einzige Auto, das in Luksor zu haben war, und lietzen es tunlichst schnell auf einer Fähre über den Nil setzen. Wir selbst überqueren in der Stille des Morgens im Segel­ boot, dessen Leinwand die Frühbrise bläht, den breiten, ruhigen Strom. Luksor, in rosigem Licht gebadet, scheint einer köstlichen Insel gleich mit seinen Steinen und Säulen dem Nil zu entsteigen.

Wir landen am Gegenufer, beginnen die Fahtt ins Gebirge. Einen Blick noch werfen wir nach der Stadt der Lebenden, den Wunderkolonnaden, die gelb-rosa schillern und ihr Bild in den Wassern des heiligen Flusses spiegeln. Wir fahren entlang von

Baumwollpflanzungen, durch Maisfelder, kreuzen einen Nebenarm des Nil, an dem wir die langen Hebebäume der Schadufs erblicken» die schon auf den Reliefbildern vor Jahr­ tausenden abgebildet erscheinen, bedient von halbnackten, mit Wasser überrieselten Männern, in der Art und den gleichen

Obere Terrasse des Tempels der Hatschepsut

Gebärden wie einst in fabelhafter Borzeit. Es ist ein leuchtend froher Morgen, ein strahlender Himmel, und doch spürt unsere Seele auf diesem Ufer, hinter dessen Hügeln die Sonne heute

wieder untergehen wird, etwas von Bangen, von Angst, von Traurigkeit. Wir nahen dem Land der Toten, wo deren un­ gezählte Scharen vor Tausenden von Jahren Ruhe suchten und doch nicht gefunden haben. Zur Linken vor dem Gebirgsrand plötzlich ein phantastischer Anblick, eine ans Wunderbare ge­ mahnende Ueberraschung. Gegen den Horizont steht eine Hobe, schroffe, steile Mauer und davor in einer Art Rundraum eine Säulenstadt mit Terrassen und Treppenanlagen, angelehnt an die Steinformaftonen. Ml das getaucht in die Farben des Him­

mels, in goldenes Licht.

Die Totentempel sind es, die wie vor­

geschobene Posten lange vor den Gräbern die Besucher hier erwarten. Der Tempel des weiblichen Pharao Hatschepsut, der weithin herüberleuchtet, hat in seinen Raumverhältnissen und Abmessungen, in Aufbau und Steigerung der drei Terrassen mit vorgelegten Säulenhallen, in seiner Anlehnung an die Bergwand die Natur künstlerisch gebändigt, als seien die steilen Felsen nur die Fortsetzung der königlichen Schöpfung, nur um ihretwillen

dort aufgebaut. Das riesige Gebirgstheater ist zur Bühne einer Bauanlage geworden, der ihresgleichen wenig nahekommt. Die schaffende Phantasie der Baumeister hat die Natur bezwungen,

hat hier Ausgaben spielend gelöst, an denen sie sonst unzählige Male gescheitert ist. Weiter fahren wir durch die Zone des Schweigens, entlang des steilen Steingestades, auf verstaubtem Weg, den die Fuhren und die Besucher, die nach der Stätte des neuen Fundes zogen, zertreten, verarbeitet haben. Jede Vegetation hat längst auf­ gehört. Nackte, rötliche Felsen umgeben uns, Schutthalden von zerbrochenem Gestein, die an den in Riesenstockwerken über­ einander sich austürmenden Steilhängen abgerutscht sind. Das Reich des Herrn der Unterwelt ist wüst und verlassen, aber nirgends zeigt es Schwarzerde, nirgends die Farbe unserer

Trauersymbole, die wir dem Tod geben. Ein weißlicher Staub­

puder überdeckt den Weg utib dessen Ränder; überall aufgewirbelt dringt er in Nase, Mund und Augen. Er ist gelöst von den trockenen dichten Steinen, die nach allen Seiten hin durchbohrt und durch­ kreuzt sind von tiefen Gängen, um in ihnen die Leiber der Ver­

storbenen zu schützen, sie zu retten vor Zeit und Feuchtigkeit. Tiefer fahren wir in diese Felsgebilde hinein. Gegen

strahlend blauen Himmel sind jetzt die Gesteine des lydischen Bergrandes gestellt, der die Sandwüste vom Nilgestade fern­ hält. Sie schimmern und leuchten in Farben des Feuers, der Flammen, des Lichts. Rötlich scheinen die Felsen, rot strahlen sie in allen Tönen der leuchtenden Skala. Hier lohend wie lodernde Garben, dort verglühend in zartestem Rosa. Lein Abbild vermag wiederzugeben, was wir schauen, als wir im Früh­ morgenlicht dahinfahren, im Rücken die steigende Sonne, die ihre Strahlen wie Speere gegen die Gebirgswände schleudert. Nur einmal schon hatte ich ähnlichen Zauber erlebt, 1910, als ich den Farbensymphonien des Grand Canyon in den Bereinigten Staaten von Amerika mich gefangen gab. Was dorten eingebettet liegt in einem breiten Gebirgsspalt, in den wir schauen und hinab­ steigen konnten, das türmt sich hier hochragend, den Hottzont abschließend in majestätischer, klarer Schöne, vor unfern Augen

auf. Keine Feuchtigkeit konnte sich einnisten in diesem regenlosen Gebirgsstock. Keine Sprengkraft des durch Frost sich dehnenden Wassers vermochte hier zu wirken. Ein Bestattungsott wie kein anderer ist dies wasserlose, seit Jahrtausenden tagtäglich neu durchglühte, nur von der Sonne und dem Südwind beherrschte Tal. Es gibt kaum etwas, was unsere Seele so zur Einsamkeit

stimmt, was von gleich königlicher, erschütternder Majestät ist, was so sehr die Phantasie belebt, wie dieser fülle Taleinschnitt, überragt von dem „Horn", der höchsten Spitze der thebanischen

Hügel. Gleich einer natürlichen Pyramide bewacht es die Grab­ stätten der größten Könige, die Aegypten sah. Immer schmaler wird der Weg, fern sind wir jedem Laut des Lebens, in tiefster

Abgeschiedenheit in dieser Morgenfrühe, obwohl nur zwei Geh­ stunden hinter uns das Leben des Nils sich abspielt. Wir kommen zu der Schranke, an der die Wächter die Karten zum Besuch der Königsgräber prüfen. Ein kleines Zelt, bewohnt von halbverschlafenen Soldaten — und wir stehen vor dem Eingang des umstrittenen Grabes, um sofort aus einem Anschlag zu erkennen, daß wir es entweder an diesem Tag oder, da die Route nach dem Sudan festgelegt war, von dem wir nicht rechtzeitig zurückzukehren vermochten, überhaupt nicht sehen konnten. Wir warten, bis die neunte Stunde schlägt, in der die Führung beginnt, die immer nur für fünf namentlich zugelassene Besucher gestattet war. Fast scheint noch in letzter Minute ein neues Hindernis aufzutauchen. Eines der Eisen­ gitter läht sich nicht öffnen, der Schlüssel versagt, und erst nach bangevollen Minuten, nach Anwendung von Brechgeräten wird der Zugang freigelegt. Wir steigen die 16 Stufen nieder, durch­ messen den schrägen Gang, kommen durch die jetzt ausgeräumte Vorkammer und stehen unmittelbar vor dem Sarkophag. Der Pharao liegt vor uns in all seiner Pracht. Inneres Leben scheint von der Mumie zu uns zu strahlen. Die grotzgeöffneten Augen, die uns entgegenleuchten, wollen den Blick bannen und festhalten, wie es selten einem Lebenden gelungen. Ueber 3.000 Jahre hat der König unberührt und unbesucht in dem Eoldschrein seiner Sargkammer geruht. Umgeben war er von allem, was ihm im Leben lieb gewesen, was ihm bei dessen Fortsetzung im Jenseits dienen sollte. Er war hingebettet, bevor die Griechen Troja stürmten, mehr als 500 Jahre vor den Anfängen der archaischen Kunstwerke der Hellenen, die wir meist als Frühblüte schönheitlichen Schaffens uns vor Augen halten. Er hat schon so lange Zeit vor Christus im Sarkophag gelegen, wie von des Heilandes Geburtsjahr bis zu Karl IV., den Tagen der goldenen Bulle, verstrichen ist. Tut-ench-amun sind wirklich 1000 Jahre gleich einem Tag gewesen. Ms drei dieser tausendjährigen Tage vorüber waren, wurde er in seiner ewigen Ruhe gestört, wurde seine Kammer geöffnet.

An den vier Ecken des unversehrten, rosaschimmernden Sarkophags stehen die Figuren der Schutzgöttinnen in Hoch­ relief, mit ausgebreiteten Armen und Flügeln, die sich wechsel­ seitig berühren. Sie sind von seltsam fesselnder Anmut und Schöne. Ein Fries mit Inschriften und Bildern läuft rings herum. Der Körper des Königs in einer Hülle, die seine Gestalt vollkommen wiedergibt, ruht auf einer niedrigen Bahre, die mit wundervoll gestalteten, vergoldeten Löwenköpfen geschmückt ist. Die Hände sind über der Brust gekreuzt, plastisch gearbeitet, die Rechte hält die Geißel, die Linke den Krummstab, das Zepter der Pharaonen, beide ganz aus Gold und leuchtender Fayence gebildet. Das Gesicht ist ein einziges Stück massiven Goldes, mit Augen von Kristall, auf der Stirn die Uräusschlange und der Geier aus Goldfayence, die die Herrschaft über Unterund Oberägypten bezeugen. Das Gesicht ist lebensprechend modelliert, fabelhaft realistisch, zeigt die ganze jugendliche Schönheit und Anmut des Königs. Man will nicht glauben, daß diese Figur ein Sarg ist, man meint den eigentlichen Körper vor sich zu sehen, so wirk­ lichkeitsähnlich sind die Züge, so köstlich ist die Ausführung. Stille Zwiesprache habe ich mit dem Pharao gehalten, ein wundervolles Verstehen schien es mir zu sein, in dieser kurzen Frist. Minuten durchlebte ich, die mir wie Ewigkeiten dünkten. Was ist die Zeit? Was bedeutet sie, wenn wir in Sekunden stärker leben, mehr empfinden und durchdeiKen, als sonst in Stunden und Tagen uns möglich geblieben? Auf der Rückfahrt lebte ich nur dem einen Gedanken, daß dieser einmalige Besuch im Grabe Tut-ench-amuns, diese kurze Audienz Mühe und Kosten der Reise reichlich aufwog, auch wenn sie nichts anderes mehr geboten hätte. Seit dem 20. März 1924 ist das Grab wieder fest verschlossen^ für keinen Besucher mehr zugänglich. Was weiter wird, ob Carter die Erlaubnis zu der noch ausstehenden Untersuchung der Schatzkammer, der Ausräumung des noch vorhandenen Inhalts erhält, ob der Pharao an seiner Stätte bleibt oder auch,

den Weg zum Museum in Kairo antreten mutz, ist derzeit unent­ schieden. Die Fülle des in der Vorkammer ihm Beigegebenen ist zum Teil schon in das grotze ägyptische Nationalmuseum verbracht. Vieles steht noch unausgepackt in Kisten, eine Reihe köstlicher Gegenstände ist aber heute schon dort ausgestellt, während Kopien die allbritische Reichsausstellung im Wembley­ park zu London im Sommer 1924 zieren. In Kairo hatten wir Gelegenheit, Schätze aus der Vor­ kammer wiederholt in Muhe zu schauen. Die bislang schwer umgrenzbare Uebergangszeit von der Amarnakultur zu den Schöpfungen der Ramessiden, die sich in der kurzen Ueber« gangsepoche Tut-ench-amuns vollzieht, wird zum erstenmal verdeutlicht. In einer ganzen Reihe der gefundenen Werke ist die Kunstweise fühlbar, die Ech-en-aton persönlich angeregt hat. Das Streben nach ungezwungener Wiedergabe des natürlich Gewordenen, der tiefe Gefühlsausdruck, die Betonung der rein menschlichen Beziehungen, deren Festhaltung in Farbe und Linie, wie sie dank den Ausgrabungen der deutschen Orient­ gesellschaft in den letzten Vorkriegsjahren uns vertraut geworden, begegnen hier wieder. Entgegen alter Ueberlieferung werden die Figuren so dargestellt, wie sie gewesen. Alle Funde zeigen die Ruhe des Aufbaus, die Reinheit der Linien, das Geschick der Ausschmückung, die sichere Abstimmung der Farben und Formen, die den Werken der ägyptischen künstlerischen Glanz­ zeit eigen. Von der Ueberladung, die während der XIX. Dynastie im Kunstschaffen Platz gegriffen hat, ist trotz der Kostbarkeit der Materialien, der reichen Verwendung des Goldes und edler Steine noch kaum etwas fühlbar. Von dem unendlich Köstlichen, unbeschreiblich Schönen seien nur drei Gegenstände besonders erwähnt. Ein Sessel aus Zedernholz mit Löwenbeinen zeigt auf dem oberen Teil der Rücklehne die geflügelte Sonne aus getriebenem Goldblech. In der Mitte der Rücklehne kniet der Gott der Ewigkeit, in jeder Hand die Sinnbilder von Millionen Jahren, also unendlich langer Zeit, haltend, auf seinem Kopf die Sonnenscheibe, an

der sich die Königsschlangen herabringeln. Am rechten Arm hängt die Hieroglyphe für Leben, rechts und links findet sich Thron- und Geburtsname des Königs. Papyrus und Lotos deuten auf die Vereinigung von Ober- und Unterägypten. Schönheitlich ebenbürtig, in der Ausstattung noch kostbarer ist ein wundervoller Thronsessel ans Holz, ganz mit Blattgold überzogen, mit vielfarbigen Fayence- und Glaseinlagen, deren Verwendung die Kunst von El-Amarna gelehrt hatte. Die Löwenbeine werden von gutgeformten Löwenköpfen aus ge­ triebenem Gold überragt, die Armlehnen sind aus Schlangen, Schutzgöttinnen geformt, die mit vorgestreckten Flügeln die Namen des Königs umfassen. Zwischen den Streben, die die Lehne halten, sind wieder aus Holz geschnitzte, vergoldete Schlangen mit Kronen und Sonnenscheiben, die Köpfe aus violetter Fayence, die Kronen aus Silber und Gold, die Sonnen aus vergoldetem Holz. Auf der Außenseite der Rücklehne ein Papyrusdickicht mit Wasservögeln. Die innere Vorderseite zeigt das farbig eingelegte Bild des Königspaares. In die Palasthalle sendet Aton, die Sonnenscheibe, von oben die lebenspendenden, in Händen endenden Strahlen, wie sie "bie Kunst des. ketzerischen Schwiegervaters ausgedacht hatte, um deren Schutzwirkung zu veranschaulichen. Der Pharao sitzt im Schmuck seiner Würde, aber ungezwungen auf einem mit Kissen belegten Thron, den Arm lässig über dessen Rückwand gelegt. Vor ihm steht die mädchenschöne Königin. In einer Hand hält sie eine kleine Salbenschale, mit der andern berührt sie zärtlich die Schulter des Gatten, eine intime Familienszene, durchdrungen von anmutigstem Lebensgefühl. Gesicht und unbekleidete Körperteile der beiden Figuren sind aus roter Glaspaste, der Kopfschmuck aus türkisähnlicher, leuchtender Fayence gebildet. Kronen, Schärpen, ■ Einzelheiten der Lehne find mit farbigem Glas, Fayence, mit durchsichtigem Kalkstein, der farbigen Untergrund hat, eingelegt. Das Silber der Ge­ wänder hat die Zeit wunderbar patiniert. Als die Metalle noch frisch waren, muh dieser Königsstuhl einen blendenden Eindruck

gemacht haben, abgestimmt für das Auge des Aegypters, der an ungebrochene Farben unter seinem tiefblauen Himmel gewöhnt war. Für uns Wendländer ist der Sessel vielleicht gerade jetzt nach dem Anlaufen der Metalle, der Wtönung

der Farbenzusammenstimmung von höchstem Reiz, von besonders anziehender Kraft. Die Feinheiten der Farbgebung sind nicht

zu übertreffen. Keine Beschreibung, keine Photographie kann eine zulängliche Vorstellung von der Schönheit dieses Sessels vermitteln. Mit des jugendlichen Königs Aussehen macht uns nicht nur fein Steinbild, das schon länger das Museum ziert, vertraut, sondern jetzt besser noch die unter den Schätzen seines Grabes gefundene Porträtstatue aus bemaltem Sykomorenholz. Sie sollte der Seele, dem Ka des Verstorbenen dienen, wenn der Leichnam trotz der Einbalsamierung dazu nicht mehr imstande sein

würde. So ost ich in der Folge im Museum zu Kairo weilte, stets zog es mich magnetisch zu diesem Figürchen hin. Wer das Gesicht schaut, wird zunächst gefangen durch den melancholischen Ausdruck der übergroßen Augen, die durch die Umrandung mit Antimon noch vergrößert und gleichsam betont sind, wie sie auch das Antlitz der Mumie zeigt. Ein Leidenszug ist unverkennbar. Die Nase ist klein, fast zu sehr abgestumpft, die Wangen rundlich, der Mund sinnlich. Die starken, leichtgeöffneten Lippen scheinen ein leises Lächeln festzuhalten, zum Kusse aufzufordern. Immer wieder wandert der Blick zu dem Köpfchen zurück, zu dieser leidvoll-sinnlichen Physiognomie, die so gut zu dem Eharakter stimmt und zu der Rolle, die der junge Apostat am

Hofe Amenophis IV., des großen Ketzerkönigs, in seiner Haupt­ stadt „Sonnenhorizont", dem heutigen El-Amarna, gespielt haben muß. Weit vom orthodoxen und hieratischen Theben hat er wohl bis zum 12. Lebensjahr feine Jugend dort verbracht,

ein Günstling des Ketzers, der ihm fast noch in Kindesjahren feine zweite Tochter zur Frau gegeben, obwohl er wahrscheinlich

aus nicht-ebenbürtigem Stande entsprossen. Im poesievollen Heim, unter den Gesängen zu Ehren des aufsteigenden und

schwindenden Sonnengestirns, bei den Feiern der flammenden Diskusscheibe, hatte er, der nicht königlichen Blutes gewesen, als

Mann einer der sechs Töchter des Herätikers Thronaussichtcn gewonnen. Nach des Schwiegervaters Tod regierte er wohl noch einige Jahre in der neuen, freieren Sinn bekundenden, reichen

Stadt. Aber als die Priester Thebens wieder zur Macht kamen, hatte er zu wählen zwischen der Sonne und der Krone. Als schwacher Schüler und schwächlicher Schwiegersohn des könig­ lichen Reformators glaubte er sich die Herrschaft nur dadurch zu retten, daß er Frieden mit dem alten Glauben schloß. Er schwor

der Sonnenlehre ab, gab den Kult der entthronten Götter wieder frei, änderte seinen dem Aton geweihten Namen, ergab sich dem Amon, kehrte, durch die triumphierenden Priester wieder auf den alten Thron gesetzt, in die frühere Hauptstadt zurück. Wieviel der sechs Jahre seiner Herrschaft er in Theben verbracht, wissen wir nicht. Ob er dort glücklicher gewesen als zu Beginn seiner Herrschaft im „Sonnenhorizont" des Schwiegervaters, darf jeder bezweifeln, der in sein Abbild sich vertieft. Der melancholische Blick der Augen erzählt uns davon, wie sein Wesen sich änderte an dem kalten und konventionellen Hof von Theben, wo er der Autorität der Priester unterworfen, ihrem Mißtrauen ausgesetzt war, für die der junge Herrscher trotz des Religionswechsels wohl immer der herätifche König

geblieben. Die Untersuchung seiner Mumie wird vielleicht Aufschluß darüber geben, ob er eines natürlichen Todes, an welch er Krankheit er gestorben. Sein Nachfolger, Eje, gleich ihm ein Günstling des Ketzers, der Tut-ench-amun das Grab bereitete, hat ebenfalls nur kurz regiert. Auch er ist der Ketzerei, zu der er sich bekannt hatte, verdächtig geblieben. Wer die Herrlichkeiten aus Tut-ench-amuns Grab im Museum von Kairo schaut, in dem wird der Wunsch lebendig,

daß in dem Streit zwischen der ägyptischen Regierung, deren nationalistische Einstellung gewiß in die Wagschale fällt, und dem Entdecker, dessen Ruhm nie zu bestreiten ist, eine Einigung erzielt werden möge, die es gestattet, diesen einzigartigen Fund un-

geteilt an einem Ort zu bewahren und zur Aufstellung zu bringen. Unserer Zeit ist das Glück zuteil geworden, daß wenigstens eines der Königsgräber mit fast ungemindertem und unberührtem Inhalt erhalten blieb. Möge die Fülle des Geborgenen, die künstlerisch-ästhetisch wie wirtschastlich-kulturell gleich fesselnd und lehrreich ist, so bewahrt werden, daß dem Studium dieser Funde keine Schwierigkeiten künftig bereitet werden, ihre anregende Kraft nicht durch Verzettelung geschmälert wird. Nur Doubletten dürsten von dem gemeinsamen Aufstellungsort» als der doch wohl Kairo in Frage kommt, nach anderen Sammel­ stätten abgegeben werden. Wenn Einzelstücke weggeführt werden, mühten wenigstens deren treue, die Farben wieder­ gebende Kopien in der Sammlung erhalten bleiben. Wir sind in späteren Wochen noch wiederholt zum Tal der Könige gekommen. Wir haben unendlich viel Schönes in ihm gesehen, haben größere, reicher ausgemalte Felsengräber dort besucht. Aber nichts gleicht dem Zauber, den die erste Fahrt an jenem unvergeßlichen Vorfrühlingstag auf uns geübt.

VI. Schausammlung aus Pharaonenzeit. Der Sinn der Aegypter drängte mit Leidenschaft nach dem Unendlichen. Mit der Sorge um das Künftige, wie sie sich in der

Einbalsamierung der Verstorbenen, in der Wahl der härtesten Steine als Baumaterial, im System von Bewässerungsanlagen ausdrückt, verbindet sich die Bewahrung des Vergangenen. Es besteht eine tiefe Beziehung zwischen der Fürsorge für das Fortleben nach dem Tode und dem Verhalten gegen die eigene geschichtliche Vergangenheit. Für den Aegypter adelte, wie für uns, das Wter die Dinge der Umwelt. Er hat nichts bewußt aufgegeben. Während von der frühgriechischen Zeit wenig überliefert ist, keine genaue Jahreszahl, kein nachprüfbarer Name, kein festumrissenes Ereignis, kennen wir schon aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. Regierungszahlen und Namen ägyptischer Könige, von denen im „neuen Reich" wohl ein fast lückenloses Wissen vorhanden gewesen. Gewiß ist heute vieles verloren, zerfallen, verwischt. Wer genug ist geblieben und wiedergefunden. Früher als die nach ihnen kommenden Geschlechter haben die Aegypter selbst die Schätze der Vergangenheit in ihrer Landschaft bewahrt. Schon zu des großen Thutmosis Zeit, des Gatten der Hatschepsut, der den Riesensphinr bei den Pyramiden von Gize aus den Sand­ verwehungen fteilegte, begannen sich die Uferlinien des Nils in ein einzigartiges Museum heimatlicher Schöpfungen, in eine Riesenschau des Mtgeheiligten, aus sagenhafter Vorzeit Ueber«

kommenen zu verwandeln. Seit den Tagen Napoleons, seit der Schlacht bei den Pyramiden hat die Erforschung des mit der Umwandlung Aegyptens in eine Provinz des Kalifenstaates um 640 n. Chr. versinkenden alten Pharaonenlandes wieder begonnen. Das

Heer des eindringenden Eroberers war durch einen Stab von Gelehrten begleitet, der die Aufmerksamkeit der Wissenschaft-

lichen und gebildeten Welt von neuem auf die Nillandschaft und deren Schätze lenkte. Im Anschluß an den Feldzug wurde durch das von Bonaparte gegründete „ägyptische Institut" die „Description de L’Egypte" in einer großen Zahl von Bänden mit prachtvollen Atlanten in Kupferdruck herausgegeben. Sie enthält eine genaue Aufnahme alles damals Bekannten, in jener Zeit Gefundenen, eine erdkundliche Behandlung der Landschaft von Assuan bis zum Mittelmeer, die naturwissenschaftliche Beschreibung ihrer geologischen, bo­ tanischen Eigentümlichkeiten und die Wiedergabe alter Tempel, Bauwerke, Skulpturen. Die zweite, dem „König" gewidmete Auflage wagt nichts zu sagen von dem Mann, der die Heere Frankreichs nach Aegypten geführt, der die damals ungewohnte Verbindung von Waffen und Wissen angeregt hatte. Der Name Napoleons ist unterdrückt. Seinem schwachen Nachfolger auf dem Thron der Bourbonen ist das köstliche Werk gewidmet. Diese Sammlung von Untersuchungen bezeichnet den Anfang aller wissenschaftlichen Erkundung Aegyptens» steht an der Schwelle eines Jahrhunderts, ägyptischer Forschungen. Noch waren damals die Hieroglyphen nicht entziffert, die ChampoMon 1822, ein Jahr nach dem Zweitdruck der großen Publikation, fußend auf einigen glücklichen Voroersuchen mit Hilfe der Tafel von Rosette, eines Steins mit drei Inschriften des gleichen Tertes, einer hieratischen (heiligen), einer demotischen (volkstümlichen), einer griechischen zu enträtseln lehrte. Seitdem ist unter Führung der Franzosen,, die die General­ direktoren der ägyptischen Altertumsverwaltung aus ihren Reihen stellten, unter erfolgreicher Beteiligung von Engländern, Ameri­ kanern, Italienern, in den Dorkriegsjahren auch der Deutschen viel zur Enthüllung und Entzifferung des im Laufe der Zeit Verschütteten, durch den Sand der Wüste vor dem Zerfall und der Vernichtung Bewahrten geschehen. Seit dem Kriegsende hat von den deutschen Gelehrten vornehmlich Borchardt früher begonnene Arbeiten mit Erfolg weitergeführt. Wenn ich die Kupfertafeln des genannten Werkes betrachte und sie mit den

Eindrücken des jüngst Gesehenen vergleiche, staune ich, wieviel auch von den damals schon bekannten Tempeln indessen noch freigelegt und der Betrachtung zugänglich gemacht worden ist. So ist das langgestreckte Niltal, begrenzt von Sandhügeln und Felsplateaus der umgebenden Wüste, in seiner durchsichtigen

Luft, die jeder Linie ihre Schärfe, jeder Fläche ihre Farbigkeit läßt, überwölbt von der tiefblauen Himmelsdecke, die größte Schausammlung vergangener Zeiten, eine wahre Ausstellung der Pharaonen, ihres Wollens und Wirkens, ein einziges Museum in gigantischem Ausmaß geworden. Die Länge des Niltals wird von Europäern meist unter­ schätzt. Don den Fremdländern haben wir um deswillen so falsche Vorstellungen, weil die Geographie in ihren heutigen Darbietungen verhängnisvolle Vorurteile weckt. Sie stellt den Erdteil Europa in größerem Maßstab dar als die anderen Kontinente. Sie vereint in einem Atlas Karten, die nach ganz verschiedenen Größenmaßen bearbeitet sind. Selbst dem Ge­ bildeten fällt es schwer, solche Landkarten untereinander zu vergleichen, immer wieder das Dargestellte bald zu reduzieren, bald aufzuhöhen. In den Vorstellungen hasten nur die Gesamt­ bilder; der kleine Maßstab, der in irgend einer Kartenecke an­ gezeigt ist, tritt zu wenig ins Bewußtsein. Ich glaube, daß viele Benutzer der Atlanten gar nicht zu dieser geistigen Ausgleichung des Kartenmaterials fähig sind, daß wir alle der Gefahr erliegen, das Ausmaß der europäischen Gebiete zu überschätzen, die Land­ schaft des mittleren und westlichen Europa über sich hinaus zu heben, genau wie wir geneigt sind, unsere Kulturzentren denen früherer Kulturstätten mit ihrer Jahttausende um­ spannenden Entwicklung überzuordnen. Die beste Vorbereitung zum Besuch Aegyptens bieten gute Bücher. Noch 1924 ist Baedekers letzte Ausgabe aus dem Jahre 1913 uns recht nützlich gewesen, inhaltsreicher und zu­ verlässiger selbst als das englische, im Auftrag von Cook durch Budge herausgegebene Handbuch. Meine Reife-Radierungen wollen des Lesers Aufmerksamkeit auf das lenken, was in vier,

fünf Wochen im Niltal gesehen werden kann, und ihm dafür die geschichtliche» künstlerische, Einführung geben.

wirtschaftliche und

politische

Führer aus allen Stämmen der Nillandschast, die sich den Reisenden vor der Terrasse von Shepheards Hotel an­

bieten, in den großen Karawansereien immer wieder auf­ tauchen, die Monumente umschwärmen, zeichnen sich mehr durch malerisches Aussehen als durch Sachkunde aus. Sie über­ reichen tadellose Bisitkarten und empfehlen den Fremden von Platz zu Platz an ihre „Freunde", die sie allerorten haben. Sie sind brauchbar für die ersten Tage in Kairo, bis man sich etwas zurechtgefunden, können auch beim Besuch abgelegener

Orte, wie etwa des Tempels in Edfu, dienen. In Theben nnb an anderen großen Plätzen bleibt man meist besser ohne sie. Die Englisch-redenden haben mehr Distanzgefühl, sind erzogener, vorsichtiger, zurückhaltender als solche, die ein paar deutsche Brocken aufgeschnappt haben. Zum Glück vermögen letztere europäische Schristzeichen nicht zu entziffern. So zeigen sie gelegentlich stolz Zuegnisse, in denen deutsche Landsleute die nach ihnen Kommenden vor Uebervorteilung eindringlich warnen. Nicht weniger aufdringlich als die eingeborenen Führer und Straßenverkäufer, viel übler als bakschisch-heischende Aegypterkinder sind europäische Wanderbetiler. Ein fahrender Sänger, der uns von Assuan bis Gize immer wieder begegnete, war nichts mehr, nichts weniger als ein arbeitsscheuer Schnorrer, der mit dem Zeitalter des Verkehrs Schritt hielt und die Mild­ tätigkeit seiner Mitmenschen geschickt auszubeulen wußte.

Seinen Versuch, die neuesten Schlager an den Gräbern der Königinnen uns auf der Gitarre vorzuklimpern, konnten wir

nur durch Grobheit abwehren. Die Hauptgefahr solcher Eristenzen, die angeblich zu Fuß „ohne Geld", in Wirklichkeit mit Benutzung der Bahnlinien als deren zahlende oder blinde Passagiere weite Reisen machen, liegt dann, daß sie den natürlichen Abstand zwischen (Europäern und Eingeborenen in unliebsamer Weise

überspringen. Daß diese Gauner, soweit sie deutschen Ursprungs sind, nicht sehr zum Ansehen unseres Boltes beitragen, bedarf keiner Worte. Bei den Pyramiden begegneten uns ein paar „Landsleute", die sich als Amerikaner ausgaben. Sie wechselten jedoch ihre Nationalität, je nachdem sie nach Aussehen und Ge­ haben der Ankommenden glaubten, auf deren Staatsangehörig­

keit Schlüsse ziehen zu dürfen. Das riesige ägyptische „Naturmuseum" ist um deswillen besonders packend, weil kaum ein anderes schönheitliches Schaffen gleich innig mit der Landschaft verknüpft ist. Werden, Wachsen

und Welken der ägyptischen Kultur bleibt untrennbar verknüpft mit der Art des Flusses, seinem Anschwellen und Absinken, seinem befruchtenden Einfluß entlang der Ufer. Im Bau des Geländes, mit dem schmalen Bande des Nils, das von Gebirgen der Wüste begleitet ist und den Blick in bestimmter Richtung festbannt, überwiegen die einfachen Gesetze von Ebene und Höhe. Das Bedürfnis für klarumrissene Formen hat unter diesen eigenartigen Vorbedingungen sich schon früh entwickelt. Innerhalb der gewaltigen Formationen der ganzen Gegend hatte die Kunst nur die Möglichkeit, sich einzuschmiegen, anzupassen, mit sicherem Blick für deren große Verhältnisse Riesenstatuen, Kolossalbauten zu errichten. Die ägyptische Kunst tritt nicht, wie öfters gelehrt wurde, in Wettbewerb mit der Natur. Ihr kommt es nicht auf Ueber­

windung des Naturgewordenen an, nicht auf den Gegensatz, sondern auf ein Einfühlen und Zusammenstimmen mit der Umwelt, das in seiner Art mindestens so vollendet erscheint wie Burg und Tempel, Kampfplatz und Rundbühne der helle­ nischen Aieister, die dem vielseitigen Reichtum ihrer Gegenden gerecht werden. Dadurch wirkt sich die ägyptische Kunst in

Abmessungen aus, in Verhältnissen, Maßstäben, mit denen verglichen alles sonst und sonstwo Gewordene klein, fast kleinlich erscheint. Ein wahrhaft monumentales Gepräge hat sie erhalten. Sehen wir Stil als Einheitsform der Anschauung, in der die Künstler sich mit der Natur auseinandersetzen, so darf der

Kopf einer gestürzten Riesenstatue Ramses II. bei Memphis

Aegypter Kunst als das lebensvollste Beispiel von Stil gelten. In richtiger Beharrlichleit hat das dortige ästhetische Schaffen mehr als drei Jahrtausende hindurch die einmal geformte Kunst­

sprache abgewandelt, in immer neuen Aeußerungen gemeistert. Die Berührung mit fremdem Wollen Hot Aegyptens Schöpfer bereichert, aber nicht im Innersten berührt oder erschüttert. Dabei sind die Darbietungen dieser langen Epoche viel um»

fassender, als wir zunächst glauben wollen. Innerhalb der eigenen Stilgesetze sind die ägyptischen Maler, Bildhauer, Bau­ meister veränderlicher, von viel stärkerem inneren Reichtum, zeigen sie einen tiefer erfaßten Lebens- und selbständigen Schaffenswillen, als wir es zu anderen Zeiten und bei vielen anderen Völkern festzustellen vermögen. Lange war für Mitteleuropäer der Boden Griechenlands das eigentliche Gebuttsland der Schönheit gewesen. Aber bevor die hellenische Kunst sich entfalten konnte, gab es im Ost­ becken des Mittelmeers zwei Gegenden, in denen selbständige künstlerische Schöpferkraft in Erscheinung getreten war: Baby­ lonien und Aegypten. Beide haben die spätere Entwicklung Gttechenlands beeinflußt. Ganze Perioden von ihr sähen anders aus, hätten nicht die orientalischen Lehrer dem Kunstschüler, der an Wirkung auf die europäische Welt sie schnell überstrahlen

sollte, vorgearbeitet und ihm für die ersten Schritte den Weg geebnet. Eigentümlich ist, daß die Euphratländer schon bei Herodot nicht dasselbe Gefühl einer gewissen Kulturnähe und Kulturverwandtschaft erweckten wie Aegypten, von dem er im 35. Kapitel seines 2. Buches sagt: „Jetzt werde ich noch weitläufiger über Aegypten sprechen, weil es sehr viele Wunder enthält und vor allen Ländern Werke darbietet, die man kaum beschreiben kann". Die babylonische Kunst geht nicht viel weniger

weit in die Urzeit zurück wie die des Nillandes, aber ihren Einzelverlauf kennen wir nicht. Wir sind beispielsweise auch der chinesischen und der indischen Kunstentwicklung gegenüber

ziemlich hilflos, weil alle Werke aus ihrer ersten Entwicklungs­ reihe uns fehlen. Was wir von ihnen heute bettachten, entspricht

mit dem Auf und Nieder von archaisierenden und raffinierten Geschmacksrichtungen der ägyptischen Spät- und Verfallszeit, den Schöpfungen seit der XX. Dynastie. In den Gauen des Nils dagegen können wir von den

allerersten Anfängen bis zu der Höhe, die zu erreichen der künst­ lerischen Kraft des dortigen Volkes beschieden war» die Ent­ wicklung verfolgen. Bis zum langsamen Hinsterben Jahrhunderte nach dem Beginn unserer Zeitrechnung breitet sich dessen künst­ lerisches Wesen und Werk vor uns aus, das rund 4000 Jahre umspannt. Dort finden wir neben Schöpfungen der Blüte und des Ausklangs auch Versuche der Frühzeit, verfolgen wir Ent­ stehung und Ablauf der ganzen Linien. Für die Lösung der Rätselfragen, wie sie Entfaltung, Aufblühen, Vergehen der Kunst der Menschheit geben, ist es von höchster Bedeutung, solche Züge an einem Volk zu erforschen, das aus eigener Kraft sich selbst eine echte, große Kultur geschaffen hat. Innerhalb dieser einzigartigen Kunstausstellung an den Ufern des Nils haben uns nach und neben den Tempeln von Luksor und Karnak die Bauten der Nekropole von Theben besonders gefesselt. Herrlichkeiten fast ohne Zahl und gleichen find auf dem Westufer des thebanischen Gaues, dessen Siedlung als „Leuchte der Welt" einstens gepriesen wurde, -erhalten. Das aus der Ferne schon stark wirkende Heiligtum der Hatschepsut bietet auch in der Nähe fesselnde Einzelheiten in dem blendend weißen, zum Teil rötlich schimmernden Kalkstein der Mauern, behält vor den steil abfallenden Felsen mit ihren lichtbraunen, goldgelben, roten Farben seinen besonderen Reiz.

Der Tempel wird mehr und mehr vom Schutt befreit. Thutmosis Verfolgungswut hat Bilder und Namen der ver­ haßten Schwester, die mit allen Attributen der Königswürde, auch dem Bart der männlichen Pharaonen, dargestellt war, austilgen lassen. In einer der Hallen ist die unter der Regierung der Königin unternommene Handelserpedition nach dem Lande Punt, der heutigen Somaliküste, dargestellt, die den Aegyptern

Weihrauch, Elfenbein, Ebenholz, Pantherfelle lieferte und als fabelhaftes Wunderland gegolten hat. Für die Anfänge inter­ nationaler Handelsgeschichte sind die realistischen Darstellungen,

die im Dorf des Fremdlandes mit bienenkorbförmigen Hütten beginnen, um die Landung und Verfrachtung der ägyptischen Schiffe, deren Rückfahrt, die heimgebrachten Kostbarkeiten zu

zeigen, recht lehrreich. Der Pylon des südwestlich gelegenen Ramesseums gleicht mehr einem Steinbruch als dem Eingangstor des großen Amonheiligtums. Im ersten Hof liegen die Trümmer eines der gewaltigen Kolosse des großen Ramses, der aus einem einzigen Stück Granit bestand. Die erhaltenen Teile zeigen die glänzende Politur, in der die ägyptische Kunst auch die härtesten Steine zu behandeln verstand, und damit die Massen gleichsam zu entkörpern wußte. Von Amenophis II I. Tempel sind nur zwei Riesenstatuen, aus harten! Sandstein gearbeitet, übrig geblieben, die den König auf würfelförmigem Thron darstellen. Da man sie in der römischen Kaiserzeit für Statuen des Memnon hielt, der im trojanischen Krieg von Achill getötet wurde, sind sie als „Memnonkolosse" in der Antike bis auf unsere Zeit bekannt geworden. Einzelheiten sind sehr zerstört, die Gesamt­ wirkung ist noch machtvoll. In stolzer Ruhe sitzen die Groß­ figuren aus rötlichgelbem Stein, den die Sonne vergoldet, mit den Farben des Lebens überhaucht. In gleicher Größe, gleichen Umrissen ragen vor uns diese Riesen, von Sphinrhauben be­ schirmt, aus dem jungen Grün. Sie werden umschwirrt von bakschisch-heischenden braunen Jungen, umflattert von kleinen Vögeln. Die gefiederten Sänger zwitschern, jubilieren in solcher Lebensfreude auf diesem Vorfeld der Totenlager von Theben, als ob sie die umherschwärmenden, geflügelten Seelen seien, die den Grüften entstiegen, um bei den ewigen Statuen

ihre Sonnenlieder immer wieder ertönen zu lassen. Das be­ rühmte Klingen der Säulen, das seit der Wiederherstellung unter Kaiser Septimius Severus verschwunden ist, wurde uns

durch Beduinen, die an den Wehrlosen hinaufklettern, mit Hammerschlägen künstlich vorgezaubert. Stärker noch als die gigantischen Statuen, die Tempel­

trümmer, die Heiligtümer der Totenstadt wirkten auf uns, auch bei wiederholtem Besuch, die Grabstätten, die in das

lydische Gebirge eingebohrt sind.

In den Hügeln hinter dem

Ramesseum liegen die Felsengräber von Schech Abd-el-Kurna, in denen Grohwürdenträger der XVIII. Dynastie, Gaufürsten, Wezire, Minister, Offiziere, Hausvorsteher ruhen. Sie sind in der Regel nicht so tief in die Felsen getrieben wie die größeren

Anlagen der Pharaonen, für den Erforscher alter Kultur- und Mrtschastszustände aber von nicht minderer Bedeutung als die Grabanlagen der Grohkönige. In Rücksicht auf den weichen Kalkfelsen sind die Wände meist geglättet und geweiht, mit Darstellungen des Lebens im „neuen Reich" in bunten Farben

bemalt. Wir besuchten das Grab des Rechmere, dessen Wandbilder zwar zum Teil verblaht sind, aber um deswillen besondere Be­ achtung verdienen, weil sie die Handelsbeziehungen der Aegypter, der „Menschen", wie sie sich selbst nannten, zu den Leuten von der Somaliküste, Kreta, Syrien, mit Nubien, dem Südland darstellen. Sie geben ein Bild davon, wie vielseitig mehr als 1000 Jahre v. Chr. wenigstens der Austausch von Kostbarkeiten, von Prunkgefähen, seltenen Tieren, wie Elefanten, Giraffen, Panther, Bären, Affen, aber auch von Goldarbeiten und Fellen gewesen ist. Besonders gut erhalten sind die unterirdischen Kammern des Sennofer, mit Wandbildern religiösen Inhalts, während das Grab Amenemhebs, eines Offiziers unter dem großen Thutmosis, wieder sehr viel weltlicheren Charakter trägt. Auch das Grab des „Nacht" ist wirtschaftlich sehr interessant.

Der Tote sitzt mit seiner Frau beim Mahl, beobachtet Feld­ arbeiten, die die ganze Eigenart der damaligen Bodenbehandlung erkennen lassen. Am Eingang des Grabes sahen wir die gerahmte

Photographie eines Rundbildes des Verstorbenen, mit der Bezeichnung, dah die Statue 1915 bei der Verfrachtung nach

Amerika auf See verloren gegangen sei.

Der führende Auf­

seher erklärte uns wortreich, wie sehr sie die Deutschen vor

dem Kriege geliebt hätten, jetzt aber sie hassen müßten, weil durch ihre Schuld solches Kunstwerk vernichtet worden sei. Dabei ist es durchaus nicht sicher, ob das in Frage stehende Schiff wirklich durch deutsche Maßnahmen gesunken ist. Schier unfaßlich ist die farbige Leuchtkraft so vieler Bilder in den Gräbern. Ich fragte mich immer wieder, wie

es möglich war, sie bei der Ausschmückung der Gräber so frisch zu erhalten, da in den meist dunklen und tiefgelegenen Räumen jede künstliche Beleuchtung mit Kienspan, Oel, Kerzen irgend­ welcher Art, die Farben verrußen mußte. Nur wenn die Alt­ ägypter Mkohol brannten, könnte ich mir erklären, daß die Farbigkeit ungebrochen auf uns kommen konnte. Von den oberen Gräberreihen hatten wir die Aussicht weithin über das Ramesseum, die Memnonstatuen, zum Nil hinunter bis zu den Bauten von Luksor und Karnak. Eigen­ tümlich berührt das pulsierende Leben inmitten der Gräber. Die ärmeren Fellachen haben sich in manchen der unbemalten Stollen eingenistet. Auch zwischen den ganzen Anlagen sind ihre Nilschlammbauten in Zylinder- oder Pilzform eingeschachtelt. Jenseits des Felshügels liegen Gräber der Königinnen in einem bescheidenen Talkessel, der an Großartigkeit hinter dem Tal der Könige zurücksieht. Es ist gewiß kein Zufall, daß die

Pharaonen ihre stolzen Lebensgefährtinnen in einem Seitental geborgen haben, in ihrer Nähe aber liebliche Dienerinnen bei­ setzen ließen, wie solche noch in der Ruhestätte Amenophis II. gefunden wurden. Die Anlagen gehören meist der XIX. Dynastie an, zeigen mit Stuck beworfene, mit Malereien versehene Kalk­ wände. Uns fesselten die Gräber der Königin Titi und der Neftetere, der Gemahlin des großen Bautenschöpfers, des lang­ lebigen Ramses. Die Bilder der Königinnen in den sicher ge­ zeichneten Umrißlinien der bemalten Stuckreliefs sind seltsam anziehend.

Nefretere hatten wir schon an den Statuen des Felsen­ tempels von Mu Simbel gesehen, wo sie mit feinen, zarten, schlanken Gliedern sich an die Beine ihres Riesenmannes an­ schmiegt, zu dessen Knie sie kaunl emporreicht. Das dortige Hathorheiligtum ist ihr geweiht. In ihrem Grab erscheint Nefretere mi-en-mut in weißem Gewand, das am Hals leicht ausgeschnitten ist. Ihre Hüften umgürtet ein doppeltes gol­ denes Band, dessen Enden fast bis zu den reichen Sandalen niederfallen. Sie verbergen, was der durchscheinende Stoff von dem hübschen, jungen Körper verraten könnte. Schlanke Anne strecken sich aus kurzen Aermeln, die halbrund — man denkt: „nach neuester Mode" — abgeschnitten sind. Die Königin, jugendlich, im transparenten Gewand aufreizend und doch züchtig, keusch in Haltung und Gehaben, wird von Isis zu Osiris geführt. Ihr sündensreies Herz wird leichter als eine Feder gefunden. Sie geht ein in die Selig­ keit der Fortlebenden nach dem Tode. Nicht minder fesselnd sind die Gräber von zwei Söhnen Ramses III., in denen der königliche Vater die mit der Kinder­ locke geschmückten Verstorbenen den Göttern zuführt. Der Pharao begleitet den Sohn auf dem Weg zu den Toten­ richtern. Reizvoll ist das junge Königskind in goldenen Sandalen, im weißgefältelten Leinenkleid, ein ängstliches Kerlchen, das die stolze Straußfeder wie eine Standarte trägt. Der große Pharao spricht zu seinen Gunsten, entschuldigt vor den Ewigen, daß das Kind noch nicht alle Bitten vorbringen kann, die das „Buch vom Tode" vorschreibt, erfleht ihm Millionen Lebens­ jahre, läßt den Kleinen schließlich beruhigt ohne Furcht und Bangen allein an den Pforten der anderen Welt. Dor diesen farbfrischen Darstellungen kann man die Eigenart der ägyptischen Malerei sich am leichtesten verdeutlichen. Der unmittelbare Eesamteindruck ist der, daß die Aegypter ein Künstlervolk waren wie wenig andere, mit reichem und reinem schönheitlichen Instinkt. Gerade die Bilder der Zeit, zu der in der Nekropole von Theben die Ausschmückung der Grab-

statten vor sich ging, namentlich unter der XVIII. Dynastie, enthalten das Vollendetste, was die ägyptischen Zeichner in der Wiedergabe der Räume und Körper gewagt haben. Früher als bei anderen Völkern lebte in ihnen der Sinn für den Adel im Bau der menschlichen Gestalt, dem sie in ihren Kunstformen Ausdruck verliehen. Je weiter die ägyptische Kunst fortschritt, desto mehr gewann sie an Ausdrucksfähigkeit für innere Größe und Anmut, an Gefühl für frohe Liebenswürdigkeit, deren Ent­ faltung auch durch die außergewöhnliche Zähigkeit in Verteidigung des einmal Erkannten und Erworbenen nicht gehindert wurde. Das ägyptische Volk hat die Bildhauer „Beleber" genannt. Darin drückt sich aus, daß die beiden Aufgaben der Nachbildung und der schöpferischen Kraft ihnen vereint erschienen. Die Künstler suchten die Natur zu erfassen und ließen doch wieder ein bewußtes Zurückhallen ihr gegenüber erkennen. Was zunächst dem europäischen Auge fremd entgegentritt, ist das Fehlen der Linienperspektive, wie sie die Griechen ein Halbiahrtausend später ausgebildet haben, d. h. die Nicht­ beachtung der scheinbaren Verschiebung und Verkürzung der Linien. Daher bieten die Rundbilder, die Statuen, dem gegen­ wärtigen Genuß weniger Hemmnisse als Flachbilder, Zeich­ nungen und Malereien. Den Aegyptern kommt es nicht auf die malerisch-sinnliche Anschauung, sondern auf die Genauigkeit der Darstellung, die „anschauliche Begriffsbildung" an. Daher wenden sie, da es für sie keine einheitliche Ansicht gibt, von der allein aus sie die Dinge darzustellen suchen, stets eine Art zeichne­ rischen Aufbauverfahrens an, das innere Mitarbeit vom Be­ schauer verlangt. Sie vermeiden Verkürzungen» tunlichst auch Ueberschneidungen, kennen dafür aber eine Art „Röntgenbild", das gestattet, durch äußere Umhüllungen gleichsam hindurch­ zuschauen, etwa die Umrißlinien der Figur eines zartgestalteten Mädchenkörpers durch die Kleider erkennen zu lassen. Untersucht man im einzelnen die gezeichnete Menschenfigur, so wird deutlich, wie viel leichter der schönheitliche Genuß ist als das Verständnis für die gesuchte Lösung, da die Natur-

Wiedergabe des Menschen eine Schöpfung aus der Vorstellung, nicht aus der Wahrnehmung ist, in der Verbindung des im Profil gesehenen Kopfes, des von vorn gesehenen Auges, der breiten Schultern, schmalen Hüften. Man schaut sich aber so schnell in diese Art der Wiedergabe hinein, daß man bald nur noch verstandesmäßig abstrahieren kann, wie wenig sie unserem

gewohnten Bildsehen entspricht. Die dortige, nach eigenartigen Kompvsitionsgesetzen ent­ standene Kunstvorstellung war so eingelebt, daß das ägyptische Schönheitsschaffen die Schaubildlehre, die Perspektive der Hellenen, als sie 500 Jahre v. Chr. aufkam, mit dem bewußten Hochmut eines uralten Kulturvolkes ablehnte, das von Jahr­ tausenden Ueberkommene festhielt, nur in sich fortentwickelte. Das Bekenntnis zur Perspektive hätte, rein ästhetisch genommen, der ägyptischen Kunst keinen höheren Wert verliehen, als sie besitzt, hätte lediglich für uns, die in der Perspektive erzogenen Späterlebenden, einige anfängliche Hemmungen im Genuß beseitigt. Selbst Plato hat der Mneigung gegen die perspekti­ vische Malerei, als eines trügerischen, verzerrten Abbildes der Wirklichkeit Ausdruck gegeben, wie auch Goethe den hohen Wert desjenigen Stiles erkennt und betont, „den man mit Recht den wesentlichen genannt hat, weil es ihm mehr um das Wesen der Gegenstände als um ihre Erscheinung zu tun ist, weil er

die Dinge in ihrer gegenständlichen Wirkung darstellt, ohne die Zufälligkeiten der Verkürzungen und der Schatten". Am stärksten bleibt der Eindruck vom Tal der Könige» dem wir nach dem Betreten der Ruhestätte Tut-ench-amuns noch manche Stunde gewidmet haben. Auch wer, wie wir, nur einzelne Gräber besucht, gewinnt Vorstellungen, die nicht leicht mehr verloren gehen. Eine geradezu ungeheuerliche Arbeit war nötig, um den gewachsenen Felsen derartig auszuhöhlen, wie es für alle diese Anlagen, mit ihren steilen Treppen, ihren

schrägen Gängen, abschüssigen Stollen, den vielen Kammern und Säulenhallen, den Schächten und Verließen zum Verderb der Grabräuber nötig gewesen. Die weißen Wände sind mit

leuchtenden Farben, in glühendroten, okergelben, tiefblauen, sattgrünen Tönen bemalt. Die Klarheit der Pinselführung,

die oft unversehrte Erhaltung, die Frische dieser be­ törenden Fülle von Wandmalereien sind überraschend. Die unterirdische Fahrt des Sonnengottes, die beschwerliche und gefährliche Reise durch das Totenreich sind in allen Einzelheiten dargestellt. Sie überwindet nur der, dessen Leben frei von schwerem Unrecht geblieben, der zugleich alle Formeln kennt und beherrscht, wie die Zaubernamen aussprechen kann. Unter den blaugestirnten Decken verfolgen wir an den Wänden das ganze Grabritual, das die Seele auf ihrer Jenseitsfahrt be­ gleitet, bis sie mit Osiris, dem Totensonnengott, eins geworden, während der Ka, der Doppelgänger, durch die Mumie, durch die Nachbildungen des Verstorbenen, das halbbewutzte Dämmer­ leben ewig weiterführt. Die gewaltigen Herrscher sind Bittende, Flehende geworden, die vor den ewigen Richtern beweisen müssen, datz sie würdig auf Erden lebten, um mm in ein seliges, tot­ freies Sein voll irdischer Wonnen eingehen zu dürfen. Merenptah liegt im gewölbten Pfeilersaal in Granit ge­ hauen flach auf dem Deckel seines Sarkophages, der rosa unter der dunklen Halle funkelt. Das Grab Ramses III. mit den eigen­ tümlichen Seitenkammern, das mit feinbemalten Flachreliefs überreich ausgestattete Riesengrab Sethos I. geben Bilder der Farbfreudigkeit der Aegypter, die alle ihre Darstellungen ausgetuscht haben. Wo erhöhte Flächen fehlen, umziehen sie meist die Figuren mit roten oder schwarzen Strichen, welche

die Umrihlinien festlegen, als ob sie gemeißelt wären. Sie streben darnach, den Körpern der Natur die ihnen zukommenden Farben ungebrochen zu geben. Zugleich wollen sie den Aufbau der Formgestaltung farbig hervorheben. Daher findet man zusammenhaltende, weit sichtbare, malerische Farbflächen, neben Weitz und Schwarz ein leuchtendes (Selb, glühendes Dunkelrot, saftvolles Türkisgrün, das Blau von Lapislazuli. Während

die hellenische Malerei grotzen Stils sich auf die Farben schwarzweitz und gelb-rot beschränkt hatte, ist in der ägyptischen Malerei

sehr früh schon, aber auch in der Blütezeit, ein sattes Grün, ein tiefes Blau vorherrschend. Die Farbtöne, die der Aegypter am Nil und am Himmel vor sich sah, kehren in den Hieroglyphen wie in allen Darstellungen wieder. Mit Absicht sind die Halbtöne und ihre vielfältigen Schattierungen vermieden. Für jeden dargestellten Gegenstand, insonderheit für jeden Menschen, jede Gottheit, wird ein Farbton bestimmt. Für Männer wird ein Rotbraun, für Frauen Hellgelb, für Pflanzen lebhaftes Grün, für Wasser meist reines Blau gewählt. Es patzt dieses lebhafte Farbenspiel zu den Gräbern, die im heitzdurchglühten Fels die Menschen mit ihren Beigaben aufnahmen, nicht zur Verwesung in feuchten Grüften, unter dunklen Bäumen, sondern aufgebahrt inmitten des unveränderlichen Glanzes der Wüste, der selbst dem Tod seine Schrecken zu nehmen scheint. Ueber Grabkammern der ägyptischen Könige standen die Worte gemeitzelt: „Verflucht sei, wer meine Ruhe stört". Trotzdem ist nur einer der Pharaonen neben Tut-ench-amun heute noch in seiner Ruhestätte geblieben. Amenophis II. liegt als Mumie, ohne Binden, ohne Königsschmuck in seiner Krypta im offenen Sarkophag aus Sandstein, der, wie der Baedeker bemerkt, „effektvoll beleuchtet" ist. Pierre Loti hat gegen diese Entweihung in seinem Buch über Aegypten ge­ wettert. Wer nicht nur der sensible Franzose, auch wir schwerblütigeren Deutschen empfinben mit Widerwillen, datz dieser Grotzkönig in der Ausstellung der Pharaonen längs des Niltals selbst Ausstellungsobjekt geworden ist. In einer Seitenkammer seiner Grabstätte ruhen noch drei Mumien, darunter eine Frau, wohl eine jugendliche Dienerin, eine Freundin des Königs, mit aufgelöstem, dichten Haar, das wie ein Glorienschein um das Haupt sich breitet. Die Anmut der Verstorbenen hat die Zeit nicht verdorben, das Gesicht hat edle Linienführung be­ wahrt» ist noch heute still und schön zu schauen. Hunderte von Menschen hatten sich abgemüht, ein unter­ irdisches Labyrint für Amenophis auszugraben, mit List und Kunst hat er sich tief in den Felsen versteckt, und nun ist der einst

so mächtige Pharao, von einer elektrischen Lampe bestrahlt, verurteilt, Tag für Tag in seinem „ewigen" Hause jeden Be­ liebigen zu empfangen, allein in der leeren Gruft, unbekleidet, all seiner Insignien beraubt, ein armer und armseliger Leichnam. Wir werden uns bewußt, wie grabschänderisch das Vorgehen der Nachfahren ist, wir schämen uns an dem erbrochenen Sarg,

wenn wir das dunkle, schmerzverzerrte Gesicht des einst so gewaltigen Eroßkönigs sehen, der in voller Nichtigkeit in seinem

erbrochenen Sarg nun ausgestellt ist. Dies Gefühl wird verstärkt, wenn man, wie wir und wohl die meisten Besucher, beim Verlassen des Tals von Beduinen

umschwärmt ist, die wie Raubtiere uns und unseren Wagen um­ heulen und immer wieder Sargstücke, Grabbeigaben, Gliedmaßen von Mumien anbieten, die sie aus ihren Verstecken hervorgescharrt

haben. Ich konnte nicht widerstehen, habe erst feingliedrige, ringgeschmückte Hände, dann einen, schließlich zwei der an­ gebotenen Mumienköpfe gekauft. Ich war in Versuchung, noch mehr, am liebsten alle zu nehmen, weniger um sie zu besitzen, als sie aus den Händen der Erabräuber zu erlösen, ihnen irgendwie wieder eine Ruhestätte, die sie einst so heiß ersehnt hatten, zu verschaffen.

Ich fürchtete mich fast vor diesen Jahttausende

alten, mit Binden umwickelten Häuptern, als sie mich später

im Koffer begleiteten. In der Nacht schienen sie sich zu beleben; in Traumbiwern habe ich mich oft mit ihnen unterhalten, haben

sie mir auf der Heimfahtt nach unserm Nordland ihr Elend, das Leid der Welt geklagt. Der Eindruck der Schändung des Grabesfriedens, der sich schon bei dem Besuch Tut-ench-amuns nicht ganz abwehren ließ, obwohl er bei dessen kostbarer, unberührter Aufbahrung, bei der feierlichen, fast zeremoniösen Einführung mehr im Unter­ bewußtsein blieb, kehrt bei Amenophis verstärtt wieder. Er in dessen oberem Saal in offenen Särgen, unter Glas und Rahmen, die fast aller Hülle entkleideten Mumien der Pharaonen ausgestellt sind. Es sind die Eroßkönige Aegyptens, deren schon im Altettum 8* wirkt aber am nachhaltigsten im Museum von Kairo,

verschleppte Leichen im Grabe Amenophis II., zum andern Teil in einem Felsspalt von Der-el-bahri verborgen wurden, da man sie nicht mehr anders vor Räubern zu retten vermochte, wo sie zum Teil 1881 (Der-el-bahri), zum Teil erst 1901 (Amenophis) gefunden und nach Kairo gebracht wurden. 33 Könige, Köni­ ginnen, Prinzen und hohe Priester, 10 Würdenträger und Persönlichkeiten niederen Ranges, wie die Eltern der Königin Teje, der Gemahlin Amenophis I II., sind in der großen Halle

versammelt. Zum vorläufig letzten Male sind sie dort gebettet. Aegyptologen,Anthropologen haben sie seitdem studiert, gemessen, photographiert, in manchen Fällen festgestellt, an welcher Krank­ heit sie gestorben sind, rund dreieinhalb Jahrtausende, nachdem sie einstens heimgegangen. In doppelter Reihe stehen die Königssärge pietätlos ge­ öffnet, während Deckel der Mumiensarkophage in Menschen­ gestalt an den Wänden aufrecht lehnen. Bei grellem Tageslicht sind die erlauchten Toten, die gewähnt hatten, sich für ewige Zeiten sichern und verbergen zu können, unter ihrer Glasplatte aus nächster Nähe für jeden zu schauen. Mit Neugierde und Grauen haben wir sie betrachtet. Unheimlich ist die Reihe dieser ausgewickelten Mumien. Dünne Schultern, Arme und Hände, an denen noch die Nägel haften, kommen aus traurigen Lumpen hervor. Sie gleichen einander wenig. Einzelne scheinen mit geöffneten Augen uns anzublicken, andere haben die Lider geschlossen. Ein leises, ironisches Lächeln will dieses Gesicht

noch festhalten, während ein anderes sich in sich zu verschließen sucht, mit einem Ausdruck von unendlichem Leid. Arme Leich­ name, die im Begriff sind, nach Jahrtausenden in Nichts zu zerfallen. Da liegt Sethos I., der junggestorbene Vater des großen Ramses. Das reine Profil, die feinen Lippen, das gutgeformte Kinn geben ein Bild stillet Ruhe, eines friedlichen Schlummers. Der geschwärzte Kopf ist von hoher, auch unserm europäischen

Ideal entsprechender Schönheit, hat den Ausdruck eines mittel­ alterlichen Schwärmers, eines franziskanischen Asteten. Wenige

Schritte von ihm Ramses 11., der 67 Jahre über Aegypten regierte, der letzte große, weithin gefürchtete Kriegsherr, der sich selbst vergottende Schöpfer so vieler Bauten, der als König der Könige in einem fast nicht auszudenkenden Maß von Triumphen gelebt, dessen Kraft und Schönheit so viele Kolosse von Abu Simbel bis Theben und Memphis verewigt haben. In anmaßlichem Stolz hat er Tempel um Tempel mit seinen Abbildern

geschmückt im Wunsch, in Gottähnlichkeit die Zeit zu überdauern. Jetzt liegt er entkleidet, ein gespenstischer Ereisenkopf, umrahmt von spärlich-wirrem, weißen Haar, mit scharfer Nase, dürrem Hals und ausgedörrtem Körper. Und doch durchleuchtet diese armen Reste mit dem herrischen Gesicht noch etwas von der un­ bändigen Willenskraft, der hemmungslosen Leidenschaft, die den Pharao einst beseelten. Wiederein paar Schritte weiterMerenptah, des Ramses Sohn und Nachfolger, der Pharao des Erodus, des Auszugs der Israeliten, ,,qui dit on aurait peri dans la mer rouge“, wie das Pappschild am Glaskasten besagt. Die eng­ lischen Aufschriften, die gleich den französischen angebracht sind, vermeiden bezeichnenderweise den Ausdruck des Zweifels an den Angaben des Alten Testaments. In der großen Schausammlung, zu der Aegypten geworden, sind die stolzen Pharaonen heute so lieblos aufgebahrt wie Wachsfiguren in einem Panoptikum. Wenn man sie schon nicht in ihren Gräbern lassen konnte» so durste man sie doch nicht so greulich aufstellen. Jungägypten sollte den großen, vorbildlichen Führern des Volkes in ver­ gangenen Zeiten ein hehres Mausoleum, einen füllen Erabtcmpel bauen und ihnen darin die Ruhe gewähren, die sie einstens suchten, die ihnen nach dem, was ihre Leichen 311 erdulden

hatten, heute gewiß zu gönnen ist. Im übrigen ist das ägypüsche Museum eine Kunsthalle größten Stils, gleichsam die bedeutendste Einzelausstellung der Pharaonen. Seine Sammlungen wachsen, obwohl es ent­

behrliche Doppelstücke zum Verkauf stellt, stetig infolge neuer Ausgrabungen an. In seiner mittleren, großen Halle sind

um die herum Saal für Saal Kunstschaffen von vier Jahrtausenden zu erkennen Wir sind längst nicht mehr des Wahns, daß Alt­

Riesenfiguren das ist.

aufgebaut,

ägypten etwas in sich Unveränderliches gegeben. Mr wissen heute, welche Stufen der Entwicklung das Schönheitssuchen

dieses Volkes durchlaufen hat, können im ägyptischen Museum diesen Werdegang von den ersten Anfängen bis zur ausklingenden griechisch-ägyptischen Kunst verfolgen. Jahrtausende vor den Hellenen hatten die Aegypter schon Gemaltes und Nachgeformtes gebildet, das durch die Kunst der Zeit Platons, wie dieser selbst sagt, an Schönheit nicht übertroffen wurde. Es war vermöge desselben Strebens entstanden, dem wir spätere vollendete Schöpfungen verdanken. Auch in Aegypten war es wie überall innerhalb des gewollten Stils möglich, Neuerungen zu treffen und anderes, wie das von den Vätern Ueberkommene auszusinnen. In wechselnder, welliger Linie bewegt sich die Entwicklung. Immer wieder von neuem hat sie aufwärts und vorwärts geführt. Neben der Fülle künstlerischer Anregung im einzelnen zeigt uns das ägyptische Museum in Kairo, mit welch beispielloser Zähigkeit die Kunstentfaltung sich aus Verfall und Niedergang erhoben hat. Abgesehen von dem in der Schausammlung Gebotenen sind in der Hauptstadt selbst die Erinnerungen an die Pharaonen­ zeit gering. Aber in der nächsten Umgebung von Kairo, in den Pyramidenfeldern von Gize und von Sakkara, in den Ruinen­ stätten des alten Memphis ist die Frühzeit ägyptischer Kunst noch heute zu erkennen. Ihre Besichtigung führt um Jahr­ tausende weiter zurück als die Schöpfungen der thebanischen

Fürsten^ die wir am Mttel- und Oberlauf des Stromes be­ wundert hatten. Der große Sphinr, die Riesenpyramiden von Gize sind

einzig in der Welt, durch Abbildungen aller Zeiten auch solchen bekannt, die nie den Boden des Nillandes betreten. Am Rand der Wüste, inmitten eines trostlosen Sandmeeres ragen diese

Steingebilde

gen

Himmel,

drei Riesendreiecke,

regelmäßig

Nordwestecke der Cheopspyramide von Gize

wie geometrische Figuren, so übergewaltig, daß sie schon aus weiter Entfernung Aufmerksamkeit erregen. Menschen aller Zeiten, Wgesandte aller Völker haben sie umschritten, gelockt von ihren Geheimnissen, überwältigt von ihrer Größe. Schon

in den Tagen, da Christus geboren ward, galten sie als Symbole, deren Sinn verloren war, erschienen sie als Ueberbleibsel einer

fabelhaften, weit zurückliegenden Zeit. Bei wechselnder Beleuchtung, an verschiedenen Tagen sind wir um sie herumgegangen, auf Kamelen in ihrer Nähe geritten. Unmittelbar am Fuß der Cheopspyramide, wenn wir an dem gewaltigen Unterbau stehen, wird ihre über alles Matz und doch so matzvoll durchgeführte Aufschichtung zu überwälti­ gender Höhe am deutlichsten. Me der Kölner Dom, dieses Gebirge aufstrebender Hausteine, in seinen hochtürmenden Linien auf den am stärksten wirkt, der vom Wallrafplatz die Ecke umschreitend, plötzlich zu Fützen des Südturmes steht, so über­ wältigen die Riesenblöcke der Cheopspyramide den, der dicht vor die regelmäßigen, gleich großen, sich endlos übereinander schichtenden Steine tritt, die in gerader Flucht zueinander streben, bis sie die schwindelnd hohe Spitze eines Dreiecks bilden. Das Denken der Formen in Steinen, die an den Grenzen des Nil­ tals sich fanden, herbeigeschafst auf der Fahrstraße des Stroms, ist hier so früh und so vollendet durchgeführt, daß Reste des Problematischen nicht mehr geblieben sind. Me grenzenlos

war das Wollen des Königs, der ein Halbjahrhundert lang Tausende von Sklaven dafür eingesetzt hat, dies Grabmal zu

türmen, in der betörenden Hoffnung, sich selbst für ewige Zeiten zu erhalten, im Irrwahn» dem Amenemhet III. on der leuchtend polierten Spitze seiner Pyramide die Worte verlieh: „Amenemhet schaut die Schönheit der Sonne". Schon vor Jahren war ich aus die Plattform der Pyramide geklettert. Weithin sah ich damals über das gelbschimmernde, rotglühende Land beim Schwinden des Lichts. Diesmal folgte ich dem Locken einer wißbegierigen Freundin, ließ mich ver­ leiten, in die inneren Gänge der Pyramide einzudringen. Ein

schwieriger Weg, kein Gehen, sondern ein Kriechen durch luft­

schwere, enge Gänge, ein Klimmen in Höhen, Hinabgleiten in Tiefen, geleitet von schnatternden Beduinen, die immer wieder

ein Calciumlicht anzünden, um Steinwände, schräge Granit­ steige dieser gigantischen Höhlungen, die vier Jahrtausende schon in Dunkel gehüllt sind, zu beleuchten. Beim Hinabsteigen von den Sandbergen hinter den Pyra­ miden erblicken wir den Sphinr halb Mensch, halb Tier, fast Hügel, in der Haltung eines Niesenlöwen mit Männerantlitz. Je näher wir kommen, desto mehr tritt das Profil hervor. Trotz der Zerstörungen berückt und betört der stolze Gesichts­ ausdruck mit dem geheimnisvollen Lächeln schon aus der Ferne.

Steht man endlich als Menschenzwerg vor diesem gelbrosa schimmernden Ungetüm, dem ungeheuren Antlitz mit seinen starren Augen, die über uns hinweg in die Weite schauen, so empfindet man den Zauber all der geheimen Gedanken und Wünsche, die menschliche Vorahnung in weitvergangenen Zeiten in diesen jetzt so verstümmelten und doch noch so wirkungsvollen Zügen einzufangen, zu verewigen wußte. Man versteinert selbst vor der Unbeweglichkeit des Sphinrblickes, wird gebannt, behert durch die festgeschlossenen Lippen, wird bezaubert trotz all dem, was Zeit und Zerstörer verkleinert und verletzt haben. Was sollte das Lächeln des stummen Mundes ausdrücken, als der Sphinr einstens in unangetasteter Schönheit, durch Farben belebt, in voller Größe auf einer mit breiten Fliesen belegten Terrasse ruhte?

Von Kairo fahren wir mit dem Auto nach den Stätten des alten Memphis durch fruchtbare Niederungen, entlang der Kanäle des Nils, durch Dattelhaine, die das Licht der März­ sonne dämpfen. Fellachen arbeiten früh auf den Feldern. Im Wasser der Nilgräben baden Männer, Kinder und Büffel

in friedlicher Eintracht. Trotz der umgebenden, überall fühlbaren,

meist auch sichtbaren Wüste, an deren Rand wir dahineilen, eine glückliche, fast paradiesische Landschaft. Wir kommen zu dem Erdfleck, an dem einst vor Thebens Aufstieg

die Haupt-

Der große Sphinx von Gize

stabt der vereinigten Kronen von Ober- und Unterägypten ge­ standen. Weniger als von ihrer Nachfolgerin ist hier erhalten. Nur einzelne Kolosse des großen Ramses liegen, lange schon zerschlagen, jetzt geschützt am Wege. Ein großer, doch hinter seinem Bruder an den Pyramiden weit zurückstehender Sphinr ist ausgegraben und aufgestellt. Bald nähern wir uns wieder den Schrecken des Sandtodes. Vielleicht wirkt die trockene Oedlandschaft hier noch ergreifender, packender, weil ihr Heranführen an das grünende Fruchtland so vollkommen übergangslos sich vollzieht, weil sie unmittelbar an die bebauten Landstücke sich anschließt, soweit deren künstliche Bewässerung sie nicht schrittweise zurückdrängt. Mit ihren hellgelben Tönen und fahlen Sandflächen überragt sie den Horizont wie eine langgestreckte, fast unstoffliche, leicht bewegliche und doch abschließende, drohende Mauer. Wir fahren im Auto einen Abhang hinan. Das Tal der Lebenden versinkt, flieht gleichsam zurück, wird schnell verdeckt von einer Kette von Dünen. Wohin wir blicken, im weiten Umkreis von Sand und Steinen, die Umrisse der ewigen Dreiecke, der riesigen Steinhaufen, die sich in verschiedenen Richtungen erheben, einzelne fast unzerstört mit scharfer Spitze, andere von der Zeit benagt, halb eingestürzt. Sie gleichen Schemen von übermenschlicher Größe, die sich zum Himmel emporrecken, einige nahe, andere im Hintergrund des öden Landes. Ganz in der Ferne schimmern die drei Pyramiden von Eize am Horizont, so daß sich für unsere Phantasie die Riesenhügel für die Mumien ins Endlose, schier Grenzenlose weiten. Eine der Bauten von Sakkara, die sogenannte Stufenpyramide des Pharao Zoser, der vor nahezu 5000 Jahren starb, besteht aus sechs übereinander geschichteten Riesenterrassen. Wie anderen kennen nur den glatten Aufbau. Sind auch die prächtigen Tempel, die zu ihnen gehörten, heute verschwunden, die Kernstücke stehen in ihren gigantischen Formen geheimnisvoll, einfach und fest, berauschen und blenden auch jetzt noch die Lebenden, obwohl kaum Spuren der alten Bemalung, des bunten Bewurfs übrig

sind, sie längst schon die fahlen Farben der Wüste ange­ nommen haben. Die Zeit, die geometrische Figuren für unge­ eignet hielt, künstlerischen Genuß zu verschaffen oder gar auf das Gefühl zu wirten, ist vorüber. Wir wissen heute, daß gerade sie — man bettle nur an die Schöpfungen von Meister Gropius in Weimar — tiefen Eindruck vermitteln tonnen. Kunst kann völlig nur als ein Gegenwärtiges verstanden werden. Das Kunstwerk als solches spricht im höchsten und letzten Sinne nur zu jenen, die es nicht als Zeugnis historischen Werdens nehmen, als Vorläufer von anderen, als Glied einer Entwicklungsreihe, sondern die es aus sich heraus zu begreifen suchen. Wir dürfen weniger an Stufen des Künstlerischen denken, als wir vielfältige Formen sehen müssen, die an sich notwendig aus ihrer Umwelt herauswachsen. Treten wir unter dieser Voraussetzung an die Betrachtung ägyptischen Kunst­ willens heran, so überwinden wir schnell die Fremdheit, wie sie beispielsweise durch den anschaulichen Aufbau des Darzu­ stellenden, das Fehlen der Perspektive, gegeben ist. Vielleicht hat keine Kunst der Vergangenheit Forderungen und Ideen von Malern und Bildhauern unserer Tage so sehr schon vorweg genommen wie Aegyptens Schöpfungen. Was Cezanne wollte, was maßvolle Kubisten heute fordern, die es als Aufgabe der Zeichnung erklären, Verhältnisse zwischen Kurven und Geraden festzulegen, ist in den Methoden ägyptischer Kunst zum guten Teil schon verwirklicht. Bereits unter Byzantinern und Kalifen war das Gräberfeld von Sakkara aufgewühlt worden; noch heute bietet es reichste Ausbeute. Der Herr dieser riesigen Totenfelder, der Wüstensand, hat Mumien, wie so manche Standbilder, Kolosse und Sphinre bewahrt, versteckt, erhalten, indem er sie verschüttete. Im Dunkel der den Pyramiden benachbarten Gänge ruhen noch immer Menschen und Tiere, die zurzeit ihrer Errichtung lebten, und die nun in auzgehöhlten Grabkammern künstlich erhalten, trotz allen Suchens und Plünderns von zwei Jahrtausenden ungestört schlummern.

Am meisten fesseln die Prioatgräber, die Mastabas, von denen die berühmtesten zugänglich sind. Für uns bot das Grab des Ti besonderes Interesse, weil die reliefartigen Wandbilder vom Wirtschaftsleben früherer Zeiten gute Borstellungen geben.

Pflügen und Zerhacken der Scholle, Mähen und Dreschen des Getreides, Behauen und Sägen von Baumstämmen, Gänsestopfen wie Füttern von Kranichen, Adrechnungs- und Kanzleiarbeiten, Herbeibringung von Gaben, Schlachten der Opfertiere, Bau von Flutzfahrzeugen wie die fertigen Segler, in denen Ti seine Güter besucht, dies alles ist an den Wänden seiner Grabkammern in farbigen Reliefbildern zu schauen. Auch andere der dort gelegenen Gräber sind historisch wie künstlerisch beachtenswert, locken zu Vergleichen mit den Anlagen, wie wir sie in der Nekropole von Theben sahen. Das scheinhaste Leben nach dem Tode liefert uns die Materialien, mit deren Hülfe wir das wirkliche Leben dieser längst vergangenen Zeiten vor uns aufbauen. Neben das für Menschen Ersonnene tritt hier noch eine eigenartige und einzigartige Schöpfung, das sogen. Serapeum, eine unterirdische Ruhestätte der heiligen Stiere des Gottes Ptah. Der in einem besonderen Tempel verehrte Apis wurde jeweils nach seinem Tode einbalsamiert und pomphaft in unterirdischen Kammer,: beigesetzt, zu denen ein schräger Schacht hinabführte. Unter Ramses II. ist die gemeinsame Begräbnisstätte für diese

Stiere hier angelegt worden, an deren Ergänzung dann bis zur Ptolemäerzeit gearbeitet wurde. Man steht nach dem Eintreten vor ungeheuren Sarkophagen aus dunklem Gestein. Sie sind meist aus schwarzem oder rotem, sorgfältig polierten, marmorartig glänzenden Granit, jeder aus einem Block gefertigt. Ms einziger Zierrat schmücken sie Hieroglyphen, die alle Geschichten

erzählen. Die Lust in dieser unterirdischen Grabstätte, in den Kammern für riesige Tiermumien, schien mir besonders heiß und drückend. Wie ein Mb legt es sich auf die Brust, die kleinen Lichter können kaum das tiefe Dunkel durchdringen, der Blick vermag fast

nicht entlangzugleiten an den großen Steinsärgen, die für Urwelt-

tiere errichtet zu sein scheinen. Noch stehen sie an den alten Stellen. Aber mit einer einzigen Ausnahme sind alle schon im Altertum durchwühlt und in Vorzeiten ausgeraubt worden.

Gerade weil

die Mumientiere wie die einbalsamierten Könige mit Goldblech gepanzert waren, sind sie trotz aller Sicherung, trotz der schweren, der Zerstörung scheinbar spottenden Sarkophage Plünderern

nicht entgangen. Auch hier hat es den Räubern an Kraft und Geduld nicht gefehlt, haben sie mit Spitzhacken Löcher durch die harten Wände gebohrt, die gewaltigen Deckel zu ver­ schieben gewußt. Vielleicht ist die Gruft der Apisstiere doch das Fremdeste, was uns in dieser Riesenhalle künstlerischen Erlebens, die sich längs des Nils weit über 1000 km erstreckt,

begegnete. In Memphis und Theben, beim heutigen Kairo und Luksor, war lange vor der Blütezeit von Rom und Athen höchste Kultur­ entwicklung gewesen. Während die mittel- und nordeuroväische Menschheit noch für Jahrtausende in ihren feuchten Wäldern dahindämmerte, wurden am Nil bereits die Riesensteine auf­ geschichtet, begannen die Tempel sich emporzutürmen, die nun fünf Jahrtausende in ihrer gigantischen Größe überdauert haben. Memphis strahlte schon vor Theben in höchstem Glanz, angefüllt mit der Pracht seiner Tempel, in die kommenden Zeiten hinübergreifend durch seine hochragenden Todesstätten. In einer Zeit, da zwischen den Mpenfirnen und den nordischen Meeren Urwälder sich breiteten, da unsere Dorahnen in ihren sumpf- und ödlandreichen Gebieten ein kümmerliches Dasein

führten, prunkte das Leben bereits an den Ufern des Nils. Als unser Abendland noch in tiefem Kindheitsschlummer lag, Griechen­ land und Italien kaum erwacht waren und nur im fernen Orient die gelbe Rasse Aehnliches zu wagen begann, waren die Groß­ siedlungen Aegyptens bereits Stätten eines unerhörten Lurus, sind den Königen von Ober- und Unterägypten Kostbarkeiten

ins Reich der Toten gefolgt, wie sie seitdem nicht übertroffen wurden. Märchenhaft müßte es den Jahrtausende schlummernden Herrschern erscheinen, daß aus den Wildnissen im hohen Norden,

Sphinx bei Memphis

deren Vorhandensein sie kaum ahnten, Gefilde größter Frucht­

barkeit wurden» daß weit vom Nil Weltkulturträger herrschen, die mit staunenswerter Intelligenz über Kräfte der Natur ge­ bieten. Schiffspaläste durchdringen die Meere, führen die Nachkommen der zu ihrer Zeit auf tiefster Stufe lebenden Menschen in das Pharaonenland, um hier zu herrschen oder zu genießen. Heute bewundern wir Nordmenschen in der Aus­ stellung der Pharaonen, was einst in ihren Landen blühte. Zeit und Raum schwinden, wenn wir bedenken, daß von der Hochblüte der XVIII. Dynastie bis zu den Anfängen des perikleischen Schaffens, daß zwischen Ech-en-atons Künstlern und den Schöpfern des Parthenon soviel Zeit liegt, wie zwischen den Architekten des Kölner Domchore^ und den Baumeistern unserer Tage. Dadurch» daß von uns aus gesehen das früher Gewordene und Gewesene verkürzt erscheint, entwickelt sich die ungeheure Augentäuschung, die Jahrtausende ägyptischer, asiatischer, ameri­ kanischer Geschichte zusammenschrumpfen läßt, weil in der Nähe unserer eigenen Lebenspunkte die Ereignisse der letzten Jahr­ hunderte uns erdrücken. Mr bilden uns ein, das Tempo der früheren Geschichte sei viel langsamer gewesen als das unserer Tage, weil wir noch nicht gelernt haben, die innere und äußere

Entfernung, die uns von Frühzeiten trennt, in Rechnung zu setzen. Spengler hat sich mit Fug dagegen gewandt, wie lächerlich

es sei» eine „neue Zeit" vom Umfang einiger Jahrhunderte einem Mtertum gegenüberzustellen, das mehr Jahrtausende umfaßt. Es geht nicht an, die ägyptische, die babylonische, die altindische Geschichte, überhaupt das Werden aller vorgriechischen Kulturen dem „Mertum" als eine Art Vorspiel zuzurechnen. Umspannt doch die Entwicklung der Aegypter allein an Zeit

das Mehrfache der „Weltgeschichte" von Karl dem Großen bis zum Weltkrieg. Ernst Troeltsch hat unsern Sinn für die Be­ trachtung großer Teilgebiete im Menschheitswerden, die durch eine erkennbare Einheit zusammenhalten sind, geschärft, unter den besonders wichtigen geschlossenen Kulturkreisen den

ägyptischen genannt.

Wir müssen endlich uns besser einstellen

auf das Fremde, dürfen nicht immer in unangebrachtem Stolz, auf das Eigene pochen. Dann werden wir deutlich erkennen,

wie klein unser neuzeitliches europäisches Erleben ist, verglichen mit dem, was früher gewesen, was fern von uns geworden.

VII. König Fnaäs Resiäenz. Kairo, die alte Kalifenstadt, König Fuads neuzeitliche Residenz, genießt man in ihrer Gesamtanlage wie in der Fülle reizvoller Einzelheiten, wenn man in den alten Gassen der Geschästsviertel spaziert oder die Straßen durchfährt. Im Gegensatz zu Europa, in dem die Pferdegespanne mehr und mehr verschwinden, ist dort noch eine lleberfülle offener Wagen, die von schnellen Rossen, zum Teil arabischen Blutes, gezogen

werden, für jeden bequem und vergleichsweise billig zu haben. In angenehmem scharfen Trab rollen diese Gefährte durch die Stadt, nehnien mit Leichtigkeit die Unebenheiten des Bodens, auch starke Anstiege, wie den zur Zitadelle. Sie hat uns gleich am ersten Tag um die Mittagsstunde ein wunderbares Bild der Lage dieser größten Stadt Afrikas, der arabischen Welt überhaupt gegeben. Der Königshorst liegt auf einem Borberge des Mokattam, des arabischen Gebirgszugs, der in das Niltal vorstößt. Weithin dehnt sich die Aussicht über die Siedlung mit ihren zahllosen Minaretts, ihren schönlinigen Kuppeln und grünenden Gärten, wie sie fern ins Flachland übergeht, durch das sich der wie Metall glänzende Streifen des Nils zieht. Im Norden begrenzt von den fruchtbaren Fluren des Deltas steigt die Stadt in leisen, langsamen Erhebungen allmählich an gegen die machtvollen Unterbauten der Hochburg. Im Osten stehen die sonnbestrahlten Felsrücken des Mokattam, zu dessen Füßen auf trockenem Boden die islamischen Totenstätten sich ausbreiten.

In weiter

Ferne ragen die Spitzen der Pyramiden aus der lichthellen Wüste empor. Gekrönt ist die Zitadesie von dem überall sicht­ baren Wahrzeichen Kairos, den halbkugelförmigen Flachkuppeln

der Wabastermoschee Mohammed Ms, des Begründers des jetzigen Herrscherhauses. Im ehemaligen Palast, zwischen den

alten Festungswällen, liegen englische Truppen, wie auch die freie Fläche unmittelbar am Fuß des Hügels als Spielplatz der britischen Garnison dient, auf dem an des Königs Geburts­ tag die Salutkanonen aufgestellt waren. Mtes und Neues berührt sich aufs engste in den Basaren. Zu ihnen gelangt man leicht von Shepheards Hotel, der berühm­

ten Gaststätte alles Fremdenverkehrs, zu Fuß über die Haupt­ verkehrsstraße, die Muski, die mit ihren Fortsetzungen die alte Stadt in ganzer Breite durchzieht. Unverändert und unver­ fälscht herrscht hier noch orientalisches Leben vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Ein ganzes Stadtviertel mit Hauptund Nebengassen ist von langen Budenreihen eingerahmt, in dem sich Verkäufer aller Arten von Waren, insbesondere von Schmucksachen, von Seiden, Teppichen und Wohlgerüchen, zusammenfinden. Wenn auch einzelne Läden den spezifisch orientalischen Charakter eingebüßt haben, so ist doch die Art der meisten mit der gegen die Straße gelegenen offenen Front noch ungemein fesselnd. Eng sind die Straßen der Basare, oft für Wagen unzugänglich. Die beiderseits vorspringenden Erkergitter der oberen Stockwerke berühren sich fast. Ein wirres Gedränge von Käufern und Schaulustigen, von Zubringern und an den Geschäften Beteiligten flutet auf und ab. Viele tragen sich noch ganz nach den Sitten des Morgenlandes. Wo europäische Kleider angelegt sind, ist wenigstens der rote Tarbusch, von uns irrtümlich meist Fez genannt, die Kopfbedeckung

-geblieben. Männer in langen Gewändern, im weißen Burnus und weiten, meist braunen oder violetten Mänteln schreiten ernst,

geschäftig an uns vorbei. Die Frauen sind in ein blaues, hemd­ artiges Gewand, öfters einen Seidenmantel, gehüllt; das Gesicht deckt geheimnisvoll ein nur die Augen freilassender Musselin, der an einer aus Holz, oft auch aus Metall, selbst aus echtem Gold gefertigten Nasenrolle befestigt ist. Mr haben,

an die Art des Orients schon gewöhnt, manche Stunde in den Basaren verbracht, ohne Uebereilung bei Kaffee, Tee oder Limonade uns unterhalten und gehandelt. Trotz allen Feilschens

mutzten wir das schlietzlich Gekaufte gewih teuerer bezahlen als jeder Eingesessene. Reich wie Rom an Kirchen ist Kairo an Moscheen. Ueberall ragen ihre spitzen, Hochsirebenden, gelbrötlichen Minaretts mit den kleinen Balkönen unb Säulenumgängen zum Himmel. Oft stehen mehrere der Gebetshäuser eng beieinander, über die umliegenden Wohnstätten empor­ steigend mit ihren strengen Wänden, deren Zinnenschmuck über­

raschend abwechslungsreich durchgestaltet ist. Viele haben im Kampf mit der Zeit gelitten. Es bleibt Verdienst eines Deutschen» des Architekten Franz Pascha, Gegenstände von künstlerischem und antiquarischem Wert aus verfallenden Moscheen wie aus Privatbauten Aegyptens gesammelt und im arabischen Museum zu einer trefflichen Ueberschau islamischen Schönheitswillens zufammengefatzt zu haben. Wie das grohe Nationalmuseum die Kunst der Pharaonen in einer einzigartigen Gruppierung uns nahebringt, so vermag diese Sammlung nach der Aufstellung im Neubau einen Ueberblick über all das zu geben, was musel­ manische Dynastien Aegyptens künstlerisch gewollt und ge­ konnt haben. Namentlich die Skulpturen in Stein und Gips, die Holzschnitzereien und Mosaiken, die Fayencen, Stoffproben und die emaillierten Hängelampen aus den Gotteshäusern, wovon die älteste auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, sind kaum sonstwo in ähnlicher Zusammenstellung zu finden. Im Innern der Moscheen herrlcht Kühle und Stille. Nichts von der Unruhe und dem Lärm der Autzenwelt ist fühlbar,

so nahe sich auch die geräuschvollen, engen Stratzen an sie heran­

drängen. Selten ist der Gebetsraum mit der Mihrab, der heiligen, die Richtung nach Mekka weisenden Nische völlig ge­ schlossen. Dem Klima des Niltals entsprechend ist meist eine

Längsseite nach dem Gartenhof geöffnet. An den Wänden und

den Holzdecken sehen wir reiche Vergoldungen und Mosaik­ arbeiten, Arabesken in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit unb Abwechslungsmüglichkeit. Sie veranschaulichen das eigentümliche dekorativ-malerische Formgefühl des orientalischen Kunst-

e

empfindens. Aber nirgends sehen wir Bilder, die Mohammeds Religion verbietet, weil sie die Fetischanbeter lehren wollte, Allah, den Allerbarmer, nnkörperlich als reinen Geist ohne Antlitz und Gestalt zu verehren. Vielleicht am meisten hat uns Ibn-Tulun gegeben, die Riesenanlage aus der Zeit ältester islamischer Bautätigkeit in Aegypten, aus der Periode der prachtliebenden, schon nach wenigen Jahrzehnten gestürzten Dynastie der Tuluniden, das einzige Monument ihrer Tage, das erhalten geblieben ist. In seinen, den Zeitgenossen der Erbauer fremd erscheinenden Formen spiegelt Ibn-Tulun etwas von dem altorientalischen und zentralasiatischen Glanz bagdadisch-persischer Kulturelemente wieder, die damals nach dem Niltal übertragen wurden. Das noch aus dem 10. Jahrhundert stammende, weitgedehnte Heilig­ tum auf einem im südlichen Stadtviertel gelegenen Felsplatean ist umringt von Häuschen, die an drei Seiten bis zu seinen Umfassungsmauern herantreten. Bei uns in Deutschland hatte vor wenigen Menschenaltern die Idee der Freilegung großer Gebäude, z. B. in Köln der Gedanke der Domfreiheit, sich mit elementarer Wucht durch­ gesetzt. Ihre Verwirklichung ließ im Wunsch, die heilige Stätte

aus der einschnürenden Enge des Alltags zu befreien, auch wenn dies nur unter Preisgabe alter Wesensteile möglich war, das ganze Gewirr bunter Baublöcke um den Dom herum ver­ schwinden. Man glaubte für den Beschauer geeignete Punkte zur ruhigen Betrachtung des Riesenbaus in seiner ganzen Aus­ dehnung schaffen zu müssen und raubte ihm mit dem Rieder­ bruch alter Häuser das wertvollste Stück der Umgebung, den

Maßstab, der allein seine alles überragende Bedeutung zu

unterstreichen vermochte. So mußte die Frage wieder auf­ tauchen, wie es künftig erreicht werden kann, die jetzige bauliche Leere in der Umwelt der Kölner Domes zu beseitigen, behutsam neue Bauten an ihn heranzurücken.

Heute weiß man, daß die

Masse eines gewaltigen Werks, wie es Ibn-Tulun ist, volle Wirksamkeit entfaltet, wenn der unmittelbare Vergleich mit

bescheidenen Bauten seine Maßstäbe enthüllt.

Wer sich Jbn-

Tulun nähert, wird der Größe und Monumentalität der Moschee gerade dadurch bewußt, daß die engen Umbauten Vergleichs­ möglichkeit mit dem Gewohnten gestatten.

Ein neuer Straßenzug, Mohammed M geheißen, den Vizekönig Ismail, in Nachahmung der Sanierung von Paris durch Napoleon III., quer durch die engbebauten, ungesunden Stadtteile brechen ließ, um Licht und Lust zu schaffen, führt in kürzester Strecke vom Frankenviertel zum südlichen Stadtteil direkt auf die Moschee Sultan Hasan. Diese, ein Werk des 14. Jahrhunderts, ist wohl das bedeutendste Denkmal ägyptisch­ arabischer Baukunst. Errichtet am Fuß der Zitadelle aus ge­ böschtem Felsen, vermittelt sie starke Eindrücke. Das 26 Meter hohe Hauptportal mit seiner in reichem Ornamentschmuck prangenden Stalaktitenhäufung hat weithin als Vorbild ge­ dient. Die Gesamtanlage mit ihren großartigen Naumverhältnissen, aber auch Einzelheiten, wie die in Gips geschnittenen, auf Arabeskengrund hervortretenden Lapidarlettern des Frieses oberhalb der Gebetsnische haben zu allen Zeiten, haben bei allen, die sie sahen, Bewunderung erregt. Nicht allzuweit von Sultan Hasan liegt El Muaijad, wieder ein Jahrhundert später entstanden, mit geschmackvoll ausge­ stattetem Sanktuarium, einst das schönste und würdigste Gebets­ haus Kairos. Die Moschee ist später verfallen, während des 19. Jahrhunderts zum Teil stillos wieder aufgebaut, im roten Anstrich aber noch heute von nicht leicht zu vergessender Wirkung. Unter Sultan Kait-Bai, der sich vom Sklaven 1467 zum unumschränkten Herrscher über Syrien und Aegypten aufzu­ schwingen vermochte, hat die arabische Kunst in Aegypten ihren

Höhepunkt erreicht. Die Moschee Kait-Bai, 1475 erbaut, hat kreuzförmigen Grundriß und ein geschmackvolles Minarett. Das Mtern hat sie ihrer Zinnen und Gesimse beraubt, aber in ihrem zierlichen Aufriß mit dem schönen Pottal vermag sie noch statt zu fesseln. Die Marmormysaiken des Fußbodens stimmen mit den reichen Wandornamenten, einer wahren »•

Fundgrube arabischer Linienführung, und den stilvollen Holzschniherein der Kanzel gut zusammen. Die nur wenig ältere Grabmoschee Kait-Bais ist eines der schönsten „Kalifengräber", die meist von den tscherkessischen Mamlukensultanen errichtet wurden. Ihre mit feinem Netzwerk bedeckte Kuppel, das schlanke Minarett mit seinen hervortretenden, von reichen Stalaktiten getragenen Galerien neben der har­ monisch abgerundeten Fassade, die wechselnde Schichtung hell­

gelber und rötlichbrauner Quadern, die die Einförmigkeit der Flächen beleben, sind fesselnd wie inl Innern die matzvolle Verteilung der Ornamente, die Behandlung der bemalten oder vergoldeten Schriftfriese und der bunte Marmorbelag der Futz-

böden. Dies reizvolle Bauwerk liegt inmitten der grotzen islamischen

Nekropolen, der Friedhöfe, die, durch den Bergrücken des Mokattam getrennt, von den Europäern willkürlich in Kalifenund Mamlukengräber geschieden werden, innerlich aber nahe verwandt sind. Nach dem Untergang der Dynastien, die die stolzen Bauten mit ihren uralten, schönen Kuppeln geschaffen haben, und infolge Einziehung der Moscheengüter zu Anfang des 19. Jahrhunderts überlietz man sie der Zeit, die sie allmählich zerbröckelte und zerstörte. Erst seit der Regierung des Khedives Tewfik wurde für ihre Beaufsichtigung und Erhaltung wieder Sorge getragen. Zu ihnen führen weitzverstaubte Wege, in deren losem Sand die Räder unseres Wagens tief einsinken, die trabenden Pferde­ hufe tonlos verklingen. Wir fahren durch eine eigentümlich

fesselnde Stadt, deren Stille fast ängstigt.

Ganze Stratzenzüge

mit niedrigen, oft anscheinend nicht gedeckten Häusern» mit ver­ schlossenen Türen» vergitterten Fenstern, abgeriegelten kleinen Moscheen, menschenleeren Plätzen ziehen an uns vorüber. Zwischen den Häuschen werden des öfteren kleine, schmale, eingefriedete Bezirke sichtbar.

Nicht grüne Gartenanlagen

entsprietzen dem Sand. Nur senkrechte Steine, fast stets zu zweien, zu Häupten und zu Fützen einer wagerecht liegenden

Platte, die menschliches Größenmaß hat, vermögen wir zu er­ kennen. Das Gefilde dieser Fahrt hat schon im Hellen Tag etwas Gespenstisches, fast Unheimliches. Wir eilen zwischen

Häusern der Toten dahin, an Grabkirchen vorbei, durch die Stadt der Berstorbenen mit den Quartieren der Freunde und Ver­ wandten jener, die schon heimgegangen sind. An den bei unserem

Besuch füllen, menschenleeren Stätten entfaltet sich während der Totenfeste ein lebhaftes Treiben, in den zu den Gräbern gehörenden Wohnungen verweilen die Angehörigen tagelang

im Gebet und bei Werken der Barmherzigkeit in Erinnerung an die Dahingeschiedenen. Die breiten, von Fels- und Schutthügeln eingeschlossenen Täler, auf deren vegetaüonslosem, trockenen Sandboden sich die Denksteine der Verstorbenen erheben, dehnen sich weit hin bis zu den Festungsbauten Saladins auf der Zitadelle, sind im Blick durch die Alabastermoschee Mohammed Ms abge­ schlossen. Licht- und Schatteneffekte vermitteln einen ganz eigen­ tümlichen Eindruck. Während im Kulturland des Niltals moderne Bauten die alte Kalifenstadt umgürten, hat sie im Osten den Charakter dieser merkwürdigen Mischung von Fels und Wüste

mit Stätten des Todes behalten. In der Hosch-el-bascha, der vizeköniglichen Friedhossanlage, sahen wir das Familiengrab Mohammed Alis. In ihr befinden sich auch die Grabmonumente Abbas I. und Ibrahim Paschas,

des großen Heerführers. Dessen prunkvolles Denkmal aus weißem Marmor türmt sich in drei Absätzen über niederen Stufen, ist ganz mit Schriftfriesen und türkischen Ornamenten in reicher Bemalung und Vergoldung überdeckt. Unwillkürlich lenken die Gedanken von diesen barbarisch-überladenen Grab­

mälern, zu den Wunderanlagen der Pharaonen zurück, die, Jahrtausende früher errichtet, unserm heuttgen Kunstgefühl viel mehr entsprechen als diese arabischen Schöpfungen des vorletzten Jahrhunderts. Ein anderer Vergleich drängt sich nicht minder auf beim Besuch der Stätten, denen wir uns in den ersten Tagen der An-

Wesenheit in Kairo widmeten. Wenn bei den Grabanlagen, ge­ messen am Mtvergangenen, die Wagschale sich zu Ungunsten des Jüngstgeschaffenen neigt, so sind die islamischen Gebets­ häuser, die Moscheen, mit ihrer Reinlichkeit, ihrer Andachtsstimmung den älteren koptischen Kirchen, auch der würdigsten von Abu Serge, unendlich überlegen. Die Kopten sind Christen, die als die Nachfolger der Altägypter gelten. Ihre Sprache ist zur Entzifferung des Lautwertes der Hieroglyphen heran­ gezogen worden. Die bedeutendsten koptischen Gotteshäuser liegen in Mtkairo in einem von Mauern der einstigen römischen Zitadelle umschlossenen stillen Viertel, fernab vom Gewühl und Getümmel des fränkischen Stadtteils wie der arabischen Siedlung. Vorbei an kleinen Gärten mit Orangebäumen und Jasmin­ büschen, deren Blüten der Trank des Nilwassers im dürren Boden hervorzaubert, vorbei an Häuschen, die umweht von weihen Staubwolken, vor Alter zu zerfallen drohen, durch enge Gäßchen mit schiefstehenden Mauern, mit Winkeln der Armut, die durch mittelalterliche Torbogen verfinstert werden, fahren wir bis in die Nähe eines niedrigen Eingangs. Durch einen ärmlichen Gang kommen wir zu einer Art Vorhof, aus dem die Tür zur alten Sergiuskirche führt. Während uns an den benachbarten koptischen Gotteshäusern ein fettes, voll­ busiges Weib geöffnet hatte, wurden wir in der Kirche des heiligen Sergius von einem Priester mit langem Bart geflissentlich ge­ führt. Die Decke der Basilika wird von antiken Marmorsäulen getragen. Vom Mtar trennt die Beter eine von Türen durch­ brochene, mit altertümlichen Heiligenbildern geschmückte Wand, geziert mit reichen Holzschnitzereien und Elfenbeineinlagen. Die Kirche mit den abgenutzten Steinplatten, dem unebenen Fußboden, den abbröckelnden Wänden, scheint vom Verfall bedroht. Wir stiegen eine finstere, niedrige Treppe hinab zur dunklen Höhle der llnterkirche. Diese Krypta von Abu Serge stammt wohl noch aus der Zeit vor der Eroberung. Sie wurde für uns von dem führenden Priester mit einer Spirituslampe

erleuchtet, die dem kleinen, gedrückten, stickigen Betraum mit seinem von wenigen niedrigen Pfeilern getragenen Gewölbe kaum Licht zu geben vermochte. An der Hauptwand befindet sich eine Einbuchtung in der Form altchristlicher Erabnischen,

nach der Ueberlieferung der Platz, auf dem Maria mit dem Christuskind auf der Flucht nach Aegypten geruht haben soll. Die Steinfliese ist glänzend geschliffen von den unzähligen Be­ rührungen durch die Gläubigen seit den Frühtagen des Christen­ tums bis zu unsern Zeiten. Don diesem ganzen Besuch ist uns eigentlich nur ein starker Eindruck geblieben: der eines furchtbaren Schmutzes und einer Unmasse von Flöhen, die sich überall an unsern Kleidern fest­ nisteten, mit denen wir noch tagelang zu kämpfen hatten. So hoch die Pharaonengräber künstlerisch über den Grabstätten der Vizekönige des 19. Jahrhunderts stehen, so hoch steht für den ästhetisch Empfindenden fast jede arabische Moschee in Kairo über diesen christlichen, in Schmutz und Unsauberkeit versinkenden Heilsstätten. Den stärksten Gegensatz zu Abu Serge vermittelt wohl der Besuch von El Azhar. In der Nähe der Muski, der Haupt­ verkehrsstraße des arabischen Geschästsviertels von Kairo, nicht weit von den großen Basaren biegt ein enges Gäßchen, in dem kleine Buchhändlerläden sich aneinander reihen, südlich ab zu der Moschee „Gami el Azhar". Sie ist das berühmteste und bedeutendste Baudenkmal der großen Fatimidenzeit. In ihrer Anlage erwuchs die Moschee aus einem viereckigen Hof, ganz ähnlich wie am Ausgang des 19. Jahrhunderts der Gebets­

platz des Mahdi in Omdurman. Auch er war zunächst nur von Mauern umgeben, denen entlang man Schattendächer baute. In El Azhar entstand daraus an der Mekkaseite ein großer, von Säulen getragener Saal; an den drei anderen Innen­ fronten blieben Säulengänge, die sich um den Hof mit dem

Brunnen für die vorgeschriebenen Waschungen lagern. Me die Dynastien der Pharaonen einander am Bau des großen Amontempels zu Theben ablösten, so haben die arabischen

Herrschergeschlechter El Azhar stets neue Türme, Galerien, Säle eingefügt. In der Moschee El Azhar wurde 988 die arabische Uni­ versität errichtet, die seit nun fast 1000 Jahren der Hauptsitz islamischer Gelehrsamkeit ist. In einer Zeit, in der die christliche Welt ähnliches noch nicht aufzuweisen hatte, waren die arabischen

Hochschulen bereits Stätten tiefer Gelehrsamkeit. Den Vor­ sprung, den sie vor dem Abendland hatten, konnten sie in der Folgezeit nicht behaupten. Die Universität von El Azhar ist heute noch so organisiert, wie es die mittelalterlichen Universitäten von Deutschland, Frankreich und Italien gewesen sind. El Azhar kennt auch in der Gegenwart nicht die fachliche Differenzierung des Wissens, die für uns selbstverständlich erscheint. Im Mittel­ punkt der Forschung und Lehre steht dort noch allein die Theologie. Der Koran ist das einzige Lehrbuch, wie es die Bibel für uns gewesen. Die Unterweisungen gruppieren sich um die Worte Gottes, in denen die Offenbarungen festgelegt sind. Auch heute ist diese Universität die wichtigste Bildungsstätte des Islam; sie dehnt ihren Einfluß durch die weiten Wüsten bis zum ara­ bischen Meer. Ihre Führer haben ein gewichtiges Wort in allen Fragen des Glaubens und der Verfassung der islamischen Welt mitzusprechen. Die vielen tausend Studierenden stammen aus allen mohammedanischen Gegenden Afrikas und Asiens. Ihre Hautfarbe schillert vom gelben Ton alten Elfenbeins bis zum tiefen Schwarz. Jede Völkerschaft hat ihre besonderen Räume und ihren Zusammenhalt, ähnlich wie es an unseren mittelalterlichen Hochschulen mit ihren Landmannschaften ge­ wesen ist, aus denen sich unsere studentischen Verbindungen

entwickelt haben. Die Anstalt ist in der glücklichen Lage, sich selbst aus den Vermächtnissen zu erhalten, die ihr in langen Jahrhunderten zugeflossen sind, und die durch keine „Inflation" entwertet wurden. Gleich am zweiten Tag unserer Anwesenheit in Kairo,

an einem Morgen, durchglüht von strahlender Sonne, haben wir die Universität besucht.

Am Eingang des skulpturenge-

schmückten,

arabeskenumrankten Tores mit den kunstreichen

Berschnörkelungen seiner Schriftzeichen wurden uns die großen Pantoffel angelegt, die bei jedem Besuch eines orientalischen Gebetshauses zu tragen sind. Geleitet von einem verständigen Führer, ergingen wir uns zunächst unter den Arkaden des Hofes,

in denen Buben und Mädels im Alter von 6—10 Jahren im Lesen und Schreiben unterrichtet werden. Statt der Schiefer' tafeln werden Blechscheiben benutzt, auf denen die Kleinen mit einer Art Tinte ihre ersten Schreibversuche machen.

Dann betraten wir das fast 3000 qm große, neunschiffige Sanktuarium, dessen Decke 140 Marmorsäulen tragen, den Hauptlehrsaal der Universität, deren Zöglinge bis zur Er­ langung der höchsten Grade 17 Jahre benötigen. An Säulen

int weiten Raum zerstreut sehen wir die Professoren. Es sind meist ältere, väterlich ernst aussehende Männer, die mit untergeschlagenen Beinen auf einem niedrigen Stuhl sitzen. Um sie herum hocken im Halbkreis Männer und Jünglinge. Reife Gesichter, von geistiger Arbeit durchleuchtet, findet man neben ganz jungen, von Leben und Lehre wenig berührten Physiognomien. 10—50 Studenten sind um die Dozenten jeweils versammelt. Die Professoren lesen aus einem Buch ein paar Sätze vor und erläutern dann unmittelbar die „Vorlesung", die hier wirklich noch im buchstäblichen Wortsinn gehalten wird, durch Erklärungen,

die einzelne Studenten nachschreiben, zu der sich andere in ihren Büchern Notizen machen. Oft entwickelt sich ein Wechsel­ gespräch zwischen dem Lehrer und seinen Jüngern, wenn er Fragen stellt oder wenn aus dem Kreise seiner Zuhörer Bitten

um weitere Auskunft und Erläuterung an ihn gerichtet werden. Zwischen diesen Kolleggruppen schreiten die Besucher der Moschee einher. Während einzelne der Hörer sich dadurch

nicht zerstreuen lassen, sind andere unaufmerksamer als deutsche Durchschnittsstudenten, in ihrer Gedankenlosigkeit allerdings namentlich dann entschuldigt, wenn für ihr Empfinden lose und

ockend gekleidete weiße Frauen ihnen zuschauen, ihre Sinnes-

einstellung umzulenken verstehen. Ich fürchte, daß beim Be­ treten der Vorlesungsräume unserer Universitäten durch Fremde, durch farbige Frauen, die Achtsamkeit nicht weniger als dort beeinträchtigt würde. Die Universität El Azhar ist in der Vergangenheit stets und ist es auch heute noch, eine Hochburg des ägyptischen Patriotismus gewesen. Schon vor 124 Jahren war General Kleber, den Napoleon als Befehlshaber bei seiner Abreise in Kairo zurück­ gelassen hatte, durch einen Studenten von El Azhar erstochen worden. Der Mörder wurde von den Franzosen barbarisch durch Pfählung hingerichtet, nachdem ihm zuvor die rechte Hand abgebrannt worden war. Gegen die Hochschule wurde von ihnen hart und unerbittlich vorgegangen. Mit Beginn des Jahres 1924, als die Wogen des Nationalismus hoch zu schlagen begannen, wurden die Universität und ihre Studenten oft in Zusammenhang mit Ueberfällen genannt, die auf Be­ satzungstruppen gemacht wurden. Die Engländer haben solche Attentate kühl behandelt, die Schuldigen durch die ein­ heimischen Gerichte verfolgen lassen. Die Franzosen mutzten schon ein Jahr nach Klebers Tod Aegypten räumen. Von den Briten ist Aehnliches nicht zu erwarten. El Azhar, in der Nähe des pulsierenden Geschäftslebens der Gegenwart gelegen, wurzelt mit seinem tiefsten Wesen in Altarabien, greift weit in die Vergangenheit zurück, futzt auf treubewahrten Ueberlieferungen und kann doch dem Neuen sich nicht ganz verschließen. Von Jungägypten war freilich mehr zu spüren, als wir am anderen Tage Studenten in der Nähe des neuen Parlaments­ gebäudes beobachteten. In lebhafter Bewegung ergingen sich diese Schwärmer vor dem bald zu eröffnenden Volkshaus. Ihre roten Tarbuschs über den gelbbraunen, tiefdunklen Ge­ sichtern schwankten wie Mohnköpfe in einem sturmdurchrüttelten Feld. Auf dem Antlitz der meisten lag etwas von der Spannung, wie sie jetzt so oft in den Physiognomien unserer ertrem ge­ richteten deutschen Studenten zu sehen ist, wie sie die nationa-

listisch Gesinnten so gut wie die kommunistisch Eingestellten zeigen, wenn sie in unberührter Glaubenskraft, voll idealistischer Hoffnungen, mit ungebrochenem Mut an der Besserung der Zukunft Mitarbeiten wollen. Beim Parlamentsgebäude stehen

wir an der Schwelle Jungägyptens. Auf dem gleichen kulturellen Mutterboden

entstanden, waren die Berührungen zwischen Islam und Abendland seit alters innig gewesen. Dem kulturphilosophisch denkenden Orientalisten lange bekannt, allgemein neuerdings erst wieder lebendig ist die Tatsache, daß der Islam nicht zu Asien, sondern

zu Europa gehört. Ost und West haben das antike Erbe ver­ schieden verarbeitet. Das Morgenland lebt, wie C. H. Becker in seinen Jslamstudien betont, das alte Erbgut einfach weiter, in ihm ist der geistige Besitz noch vorherrschend, den das Ende der Antike entscheidend bewertet hat, während der Occident

mit seinen alten Bildungsgütern stärker gebrochen, sie aber dann mit dem Humanismus, dem Ideal der Klassiker ent­ sprechend, sich neu einverleibt hat. Die Berührungen zwischen christlichem Occident und islamischem Orient, die über ein Jahrtausend sich erstreckten, die nie aufhörten, sind in der Gegenwart besonders lebendig geworden. In der ägyptischen Nationalversammlung kristallisiert sich der Sinn und die Gestaltung neuer politischer Lebensformen, die nach Bedürfnissen unserer Zeit, aber in Berücksichtigung

morgenländischer Eigenart sich bilden. Aus alten Stämmen erwächst ein neuartiges Denken und Trachten der Massen. Nichts fesselt derzeit in Kairo mehr als die Beobachtung, wie die Kultur des Orients, die Jahrhunderte wenig bewegt zu träumen schien, mit einemmal die Wissenschaft, ruhelose Energie und praktische Betätigung, aber auch die Mechanisierung des Westens

annimmt und sich zu eigen macht.

Die Stellung zum Staats­

gedanken hat sich gewandelt, wie am deutlichsten aus der Um­ bildung der inneren Einstellung zur „Verfassung" erhellt. Spitzfindige Auslegungskunst der Koranvorschriften sucht die altüberkommene mittelalterlich-islamische Weltanschauung

mit der Gegenwart in Einklang zu bringen. Die Europäisierung hält auf dem Gebiet des Wirtschastsbaus ihren Einzug, zum Glück noch verlangsamt durch Stolz und Schläfrigkeit des Morgenländers. Die orientalische Beschaulichkeit, die gewiß einen hohen Lebenswert enthielt, weicht dem modernen Arbeitsgedanken. Schon sind ägyptische Frauen sozial tätig, arbeiten Männer und Frauen zusammen in Fabrikanlagen. Der Islam hat sich in ver­ gangenen Jahrhunderten so oft schon an neue Verhältnisse, völkische Eigenheiten angepaßt, daß er sich auch den Wirtschaftsforderungen unserer Tage anbequemen wird. Wie im Zeitalter des Hellenismus ziehen europäische Ideen und Ideale, abendländische Kulturgüter zum Orient; aber wie in jener Frühzeit geschah, dürfen wir auch für die nächste Zukunft erwarten, daß der Orient sich nicht restlos europäisieren, daß er sich in seiner Geistigkeit beeinflussen läßt, aber sich nicht völlig umgestalten wird. Don diesem Wandel der Gesinnungen war in den Wochen unserer Anwesenheit mancherlei zu erkennen. Am 26. März wurde des Königs Geburtstag mit vielem Prunk gefeiert. Fuad I., Souverän eines „unabhängigen" Reiches, fühlt sich als Nachkomme der großen Pharaonen, hofft deren Letztge­ fundenen, Tut-ench-amun, im nächsten Jahr auch in „seinem" Museum in Kairo gleich den anderen dort Versammelten auf­ nehmen zu können. Die Auffahrt der stern- und bandgeschmückten Würdenträger in ihren Staatskleidern, die Ausstaffierung der Provinzialgrößen, die zu der Feier nach der Residenz gekommen waren, zum guten Teil in Shepheards Hotel sich sammelten, erinnerten uns Deutsche an Tage des wilhelminischen Zeit­ alters. Zum erstenmal seit 1914 waren die ägyptischen Truppen nicht mehr in Kriegsmonturen, sondern, wie die Blätter Kairos ausführlich berichteten, in Galauniformen zur Parade unter Führung des englischen Oberbefehlshabers, des Sirdars, Sir Lee Stack Pascha, ausgerückt. In reichem Flaggenschmuck prangten die Häuser Neukairos, besonders die vornehmen Hotels. Die Farben aller großen, auch recht kleiner Nationen

flatterten lustig im Wind. Nur die deutsche Reichsflagge war nirgends zu schauen. Auf Erkundigungen im Hotel bekamen wir die Antwort, die ich ganz ähnlich schon vorher im Ausland auf die gleiche Frage erhalten hatte: „Die schwarz-weiß-rote Fahne, die wir besitzen, dürfen wir nicht hissen, sie ist abgeschafft, die neue haben wir noch nicht erhalten." Der Schildbürger­ streich des Flaggenwechsels, der Gleichgültigen und Uebelwollenden einen billigen, willkommenen Vorwand gibt, die Farben des geschlagenen Volkes zu übersehen und beiseite zu lassen, wird in der Fremde besonders deutlich. Am Abend von Königs Geburtstag waren wir im EzbekijeGarten. Er ist inmitten der Stadt, zwischen dem alten arabischen Kairo und der im letzten halben Jahrhundert nach europäischem Muster erbauten neuen Stadt, dem Frankenviertel gelegen. In den weiten Grünanlagen waren tausende von Menschen, eng auf den Wegen und Rasenflächen, in Zelten und Buden geschart und gedrängt. Fliegende Händler boten Erfrischungen feil, Märchenerzähler hatten ihr Publikum um sich gruppiert; kleine Schaustellungen wurden gegeben, im teppichgeschmückten Prunkzelt waren die „Honoratioren" versammelt. Ein Hin und Her wogte im farbigen Schimmer unzähliger bunter Lalernen. Bei aller Lustigkeit und Lebhaftigkeit doch nirgends etwas Ueberlautes. Ein Gefühl enger Verbundenheit der ägyptischen Männer untereinander war unverkennbar, zwischen denen ganz wenige Europäer und weihe Frauen in ihrer Be­ gleitung sich unbehelligt und unbelästigt, nur von neugierigen, auch begehrlichen Blicken verfolgt, bewegten. Nirgends habe ich deutlicher die Grazie und die Sicherheit des arabischen Lebens gefühlt, die Bewußtheit, in der jeder für sich sein eigenes Dasein trägt. Etwas Kindliches, etwas Jugendliches lag über allen, etwas Orientalisch-Zauberhaftes zugleich. Die Unmittelbarkeit des Einzellebens ist noch nicht wie bei uns zerstört und auf­ gehoben. Ein Sinn für das natürlich Freie und Schickliche hat die Menschen in ihrer Ueberfülle auf engem Raum gehalten und gebunden, sie bei sehr bescheidenen Mitteln zu hohem Genuß

im Augenblick kommen lassen. Keine konventionelle Erstarrung, keine Erschlaffung, keine Selbstgefälligkeit, kein Unmut» aber

dafür wirkliche Freude am Dasein hat aus den Bielen gesprochen, ein so starkes Lebensgefühl, daß es nicht durch lärmende Lust

etwas Fehlendes überkompensieren mußte. Nie bin ich so sehr eingetaucht in das arabische Leben, ihm so nahegerückt, habe mich doch zugleich den mir artverwandten Europäern so tief verbunden gefühlt wie in diesen Stunden. Der äußere Pomp des Königstages, die fühlbare Gärung bei den Massen, die durch die Straßen wogten, gaben Anlaß zu Betrachtungen über die politische Lage des souveränen Reiches, dessen Truppen unter dem Befehl eines fremden, des englischen Generals und seines Stabes, stehen. Der heutige Gegensatz zwischen König Fuads nationalistischer Regierung und England ist nur zu verstehen aus der Vorgeschichte eines wiedererstehenden Volkes, das nach einer langen Zeit des Stillstandes und der Erschöpfung aus der Erstarrung aufgerüttelt ist. Im letzten Jahr hat zum erstenmal Aegypten Vertretungen an die großen Hauptstädte gesandt. Selbst König Georg in London hat den Gesandten des der Form nach unabhängigen, praktisch von England geleiteten Königsreichs empfangen. Zum erstenmal weht die Nationalflagge, die neben dem wachsenden Halbmond drei Sterne auf grünem Grunde zeigt, um der Welt die Wirklich­ keit der „Unabhängigkeit" des Landes zu bekunden. Aegypten nimmt nach dem Willen seiner nationalen Führer wieder einen Platz im Konzert der Mächte ein. Man kann diese Wiedererstehung bis zur Expedition Bona­ partes zurückdatieren, die dem Niltal manche Freiheiten brachte. Stärker freilich war das Nachwirken des seit Beginn des 19. Jahr­ hunderts bis 1841 das Land beherrschenden Mohammed Ali, des ersten Vizekönigs, der mit kraftvoller Hand mittelalterliche lleberbleibsel zur Seite schob und Aegypten wieder in den Rang eines Kulturstaates zu erheben trachtete. Ihm ist die Wieder­ aufnahme der Bewässerungsanlagen der Pharaonen, die Ziehung

des ersten großen Staudammes zu danken, der

zur Hebung

der Baumwollkultur im Delta beitragen sollte. Die „Barrage du Nil" nördlich von Kairo mit ihren frischblühdnden Blumen, den tiefviolett und rotblättrigen Bougainvillias bot uns in ihren paradiesschönen Gartenanlagen während kunstmüder Stunden köstlichen Abendfrieden. König und Feldherr zugleich, hob Mohammed Mi das Land in wenigen Jahrzehnten» die ägyptische Seemacht wurde die drittgrößte der Welt. Ms Heer­ führer im Interesse der Türkei gelang es ihm, vom Sultan und Kalifen die erbliche Mzekönigswürde seiner Familie zu sichern. Die zweite Periode reicht von seinem Tod bis 1882. Es ist die Zeit, in der Khedive Ismail 1869 den Suezkanal eröffnete, nach der Justizreform von 1870 erklären konnte: „Mein Land liegt nicht mehr in Afrika, wir nehmen teil an Europa." Ismail ist an der Größe der begonnenen Aufgaben, zu der seine Macht nicht ausreichte, gescheitert. Er hat nicht verstanden, die Finanz­ mittel in Einklang mit seinen Zielen, mit seinen Lurusbedürfnissen zu bringen, so daß die europäischen Gläubiger die Re­ gierungen ihrer Staaten zum Eingreifen veranlaßten. Die dritte Periode datiert von 1882. Nach Ismails Absetzung, nach Arabis Aufstand und der Beschießung Alerandriens durch die englische Flotte, nach der Niederlage der nationalisllschen Ausrührer begann Englands Herrschaft in Aegypten. Die Franzosen, gehemmt durch ihre Revanchegedanken, starrten nur auf das Loch in den Bogesen, hatten die Teilnahme am Einschreiten nach dem Blutbad in Merandrien abgelehnt. So stellte sich Großbritannien allein die Aufgabe, den Aegyptern Ordnung und Ruhe zu sichern. Zielbewußt und zähe, mit Schwankungen im einzelnen, unter gelegentlichen Fehlgriffen in Wahl der Mittel wie in ihrer Anwendung, im Endziel aber durchaus folgerichtig, ist Englands Vorgehen seitdem gewesen. Ohne irgendwie klar auszusprechen, daß die britische Besetzung des Landes im Interesse des Friedens und des Wohlstandes auf unbestimmte Zeit ausgedehnt werden müsse, wurde die Aufrechterhaltung des vorwiegenden Einflusses der britischen

Regierung als eine wesentliche Bedingung für die Durchführung jeder Reformpolitik von da an bezeichnet. England hat in Ae­ gypten nicht wie in Südasien die mächtige Hand eines Residenten

alles rasch nach dessen Willen regeln lassen, sondern suchte in bescheidenerer Form, mit elastischeren Methoden ähnliche Ziele

zu erreichen. Die Dehnbarkeit der Rechtstitel jeder politischen Autorität hat es mit Erfolg auf die Probe gestellt. Denn uner­ läßlich war, daß für lange Zeit der Vertreter der britischen Re­ gierung mehr als ein diplomatischer Agent sein durste. In der äußerlich bescheidenen Stellung eines General­ konsuls und bevollmächügten Ministers hat Sir Evelyn Baring, der spätere Lord Cromer, prokonsularische Tätigkeit in einem Umfang und Ausmaß entfaltet, die wenig Vergleichbares in der Geschichte kennt. Unter seinem vom 11. September 1883 bis 6. Mai 1907 maßgeblichen Einfluß ist die Neugestaltung Aegyptens vor sich gegangen. Die vorübergehende Aufgabe bes Sudans nach der verunglückten Erpedition des Generals Hicks, Eordons Rot und Untergang nach vergeblichen Entsatz­ versuchen, der sorgsam vorbereitete, glücklich durchgeführte Kampf gegen den Mahdi und die Wiedereroberung seines Landes, dessen Neugestaltung unter englisch-ägyptischer Gemeinherrschaft sind nur ein Teil der schwierigen Aufgaben» die unter Cromers Führung in Aegypten gelöst wurden. Nur die alten Prokonsuln des römischen Weltreichs mögen in dessen entlegenen Provinzen ähnlich geschaltet und vergleichbare Erfolge davongetragen haben. Die Engländer haben die Probleme in Aegypten in dem

Bewußtsein angegriffen, daß sie eine gottgewollte Mission zu erfüllen hätten, der sie sich mit dem ganzen Selbstverttauen

einer erfolgreichen Herrscherrasse Hingaben. Ihre Vorfahren hatten Erfolge von Weltruf auf anderen Schauplätzen errungen, hatten nach ihrer Ueberzeugung den Sauern von Bengalen und Madras, den Vettern der ägypttschen Fellachen Wohltaten gebracht. So wollten auch sie die neuen Aufgaben lösen» den Aegyptern Wasser für ihre Felder, Gerechttgkeit in den Gerichts-

Höfen, Schutz gegen Tyrannei bringen.

Es ist ein ähnlicher

Glaube, wie er oft die Nordamerikaner beseelt, die vermeinen, armen, unwissenden, allzu leichtgläubigen Fremdrassen, die von ihren Herrschern seit langem bedrückt seien, ein besseres

Leben vermitteln zu müssen. Britannien hat in wenig mehr als einem Menschenalter auherordentliches in Aegypten geleistet. Schwierigkeiten mannig­

facher Art blieben freilich und bleiben nicht aus. Mag der eng­ lische Lehrer und Leiter, dortiger Einrichtungen das materielle Wohlbefinden der Eingeborenen noch so erhöhen, dennoch kann der ägyptische Muselman, obwohl er die Wohltaten an­ nimmt und gewiß auch im Stillen anerkennt, niemals vergessen, daß die Hand, die sie spendet, nicht die eines Glaubensgenossen ist. Dies macht ihm tieferen Eindruck als der Gedanke, daß der Englärrder nicht fein Landsmann ist. Religiöse Welten, die im praktischen Leben des Orients sich stärker noch als bei uns im Abendland auswirken, trennen die Erzogenen und die Er­ zieher. Zwei Rassen stehen im tiefsten Sehnen einander fremd gegenüber. Die eine voll felsenfesten Glaubens an ihre Sendung in eiskalter Selbstliebe, in unantastbarem, ruhigen Stolz, die andere leidenschaftlich und weich zugleich, mit leicht verletzter, kindlicher Eitelkeit, stark bloß im Hatz, der im Herzen brennt, in den Augen lodert.

Und doch war es nur einer unserer törichten Kriegs­ träume, geboren aus Unkenntnis der weltbewegenden Mächte,

England in Aegypten ernstlich gefährden zu können. Gerade im Weltkrieg, am 18. Dezember 1915, errichtete Britannien das Protektorat über Aegypten. Bei den Waffen­ stillstands- und Friedensverhandlungen isf die ägyptische Re­ gierung durch England, nicht durch eigene Delegierte, vertreten gewesen, während viel kleinere, am Weltkrieg weniger beteiligte

Nationen auf dem Kongreh von Paris zu Wort gekommen sind. Seit dem Erohkrieg gärt es in den Nillanden.

Eine starke

nationalistische Bewegung hat eingesetzt und übergeleitet zu

der vierten Periode der Entwicklung, der Erklärung der Unab­ hängigkeit Aegyptens unter König Fuad am 15. März 1922.

Fuad, Sohn des Ismail, Enkel des Ibrahim, Urenkel von Mohammed Ali, ist 1865 geboren, hat seinen Studien in Genf

obgelegen, kennt Europa durch zahlreiche Reisen. Er hat den Thron unter dem Schutz Englands an Stelle des vertriebenen Bizekönigs Abbas Hilmi am 19. Oktober 1917 bestiegen. Die

Macht lag zunächst ganz beim Souverän und seinen Ministern, da die Nationalversammlung nicht tagte. Aber das Problem der Unabhängigkeit des Landes und einer demokratischen Re­ gierung war seit Verfechtung der Selbstbestimmung der Nationen nicht mehr von der Tagesordnung zu verweisen. Fuad errichtete

in Aegypten eine konstitutionelle Verwaltung, die die Wahlen vom 12. Januar 1924 bestätigt haben. Es ist kein Zufall, daß er seinen Schwiegersohn, den ehemaligen Gouverneur von

Kairo und Minister des Auswärtigen, Fakhry Pascha, der im französischen Jesuitenkolleg in Alerandrien erzogen wurde, zum Vertreter der Interessen Aegyptens bei der Pariser und Brüsseler Regierung ernannt hat. Mehr noch als der König ist heute in Aegypten und Kairo Saad Zaghlul Pascha der Inbegriff und Ausdruck aller nationalen Begierden und Bestrebungen geworden. Er ist der rückhaltslose

Verfechter der neuen Zeit. Schon am 18. November 1918, unmittelbar nach dem WaffensMstand verlangte Zaghlul die Niederlegung des englischen Protektorats, die Unabhängigkeit Aegyptens. Als Führer der Nationalisten schickte er Note auf Note nach Paris, begehrte Audienz um Audienz mit stets dem gleichen Mißerfolg. Der Ausschluß des ägyptischen Volkes von der Friedenskonferenz verschärfte die Stimmung, bis der eng­

lische General Watson ihn verhaften ließ und in die Verbannung schickte, während Kairo glaubte, daß er nur in seinem Palast festgehalten werde. General Allenby gestattete Zaghlul, Auf­ enthalt in Frankreich zu nehmen. Er lebte einige Jahre in Pans.

Als ihm erlaubt wurde, nach Aegypten zurückzukehren, brachte

seine Heimkehr solche Unruhe, daß er zum zweitenmal, diesmal

nach den Seychellen verschickt wurde, wo seine Gesundheit litt. Auf Drängen seiner Freunde wurde sein Eril durch Berlegung nach Gibraltar gemildert, bis er zurückkehren durfte. Im Triumph zog er in die Hauptstadt ein, empfangen wie kaum jemals ein Souverän vor ihm. Er hat, seitdem England den Aegyptern ein größeres Maß von Unabhängigkeit zugestand, bei den Wahlen für das neu zu bildende Parlament als Dorkämpfer der nationalen Frei­ heit einen erstaunlichen Sieg erfochten. Fast alle erfahrenen ägyptischen Politiker, namentlich solche, die den Ausgleich und die Verständigung mit England suchten, sind geschlagen worden, obwohl man die Vorsicht übte, die Wahlen indirekt zu gestalten. Praktisch braucht Zaghlul so gut wie keine Oppo­ sition im Parlament zu fürchten; weder die Großgrundbesitzer, noch die Mächte religiöser Art haben gegen die neue nationa­ listische Strömung irgendwie auflommen können. Zaghlul ist seit Januar 1924 der Herr des ersten Parlaments eines unab­ hängigen Landes, das ihm in Dankbarkeit für die erwarteten Leistungen ein Standbild auf öffentlichem Platz in Kairo zu errichten beschloß. Zaghlul ist kein Mitglied der Klasse der türkischen Eroberer, auch kein Araber, sondern ein Fellache, ein Sohn der einge­ borenen ägyptischen Rasse, die sich seit der Pharaonenzeit, koptisch oder mohammedanisch geworden, mit bemerkenswerter Zähigkeit durch alle Jahrhunderte erhalten hat. Als alter Student der El Azhar Universität, der noch heute seine Liebe gilt, ist er der Typus des gebildeten Aegypters. Er besitzt reiche politische Erfahrung, aber doch nur eine beschränkte Sachkunde. Sein Radikalismus, seine Unversöhnlichkeit haben ihm den großen Erfolg bei den Wahlen eingetragen, ihn an die Spitze des neuen Kabinetts gestellt. Damit begann die eigentliche Gefahrenzeit für ihn. Der einstige Märtyrer, der jetzt als Heiland des Volkes Begrüßte und Umjubelte, kann zum Kreuzträger werden. Wer die über­ große Begeisterung für Zaghlul mit eigenen Augen gesehen,

wie wir in den Märztagen 1924, wer schauen konnte, wie allent­ halben sein Bild ausgestellt ist, wie sein Wagen umjubelt wird, sobald er sich nur zeigt, wie, allerdings harmlose, Straßen­

demonstrationen immer wieder an seinem Namen hasten, dem kann bange werden gegenüber dem Wunderglauben an die Fähigkeiten, die das Volk ihm zutraut. Englands geschickte Politik hat das, was es nicht verhindern konnte, nun wieder sich zunutze gemacht. Ms Premierminister, der sich abgewirt­ schaftet, ist Zaghlul für die Occupationsmacht ungefährlicher, als der Verbannte es gewesen. Zaghlul wird, wie so viele vor ihm zur Macht gelangte Oppositionsführer einsehen, daß ver­ sprechen leichter ist als halten, daß zwischen Hosianna und Trucifige nur eine kurze Spanne Zeit gelegen. Er ist selbst verantwortlich für die ungeheuren Erwartungen, die er geweckt hat. Er hat nicht einmal, sondern tausendmal ver­ heißen, daß alle Engländer fortmüßten. Das bedeutet für den Aegypter, daß er selbst an derenStelle treten kann. Gewiß werden nun ein paar tausend englische Beamte „abgebaut", ihre Plätze an Eingeborene vergeben. Mer damit ist das nicht erreicht, was Zaghlul in Aussicht gestellt hat. Der Vater des ägyptischen Vaterlandes hat die Wünsche einer halben Million Anhänger zu befriedigen und hat doch nur einigen wenigen bis jetzt gerecht werden können. Weitere Versprechungen wird er kaum zu halten vermögen. Die ägyptischen Frauen beispielsweise sollen vollkommene politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung erhalten. Demgemäß haben sie, ein unerhörtes Ereignis seit der Einführung des Islams, an den öffentlichen Kundgebungen für Zaghlul teilgenommen. Die illustrierten Blätter Frankreichs

haben im Bilde festgehalten, wie sie mit feinen, durchsichtigen Schleiern, in Heller Begeisterung Saad Zaghlul begrüßen,

in koketten Pariser Kleidchen an den Demonstrationen sich be­ Auf dem Frauenkongreß zu Rom, der Januar 1924

teiligen.

tagte, betonte eine ägyptische Frauenrechtlerin, daß ihre heimat­ lichen Mitschwestern aus dem Weg zur Unabhängigkeit und Gleichstellung mit den Männern außerordentliche Fortschritte

gemacht hätten, wiewohl sie noch nicht ganz ans Ziel gelangt seien. Mel Wasser wird auch in diesen Freudenwein gegossen werden. Schon wird die Kritik laut, die behauptet, Saad habe versprochen, die von den Engländern mit Arglist begründete Unwissenheit des ägyptischen Volkes verschwinden zu lassen. Er sei ein halbes Jahr im Amt und habe noch keine einzige Schule neu eröffnet. Saad Zaghlul hat insbesondere versprochen, die englischen Soldaten müßten abziehen. Aber sie sind heute noch dort, sind geblieben, während, trotz und nach Eröffnung des ersten Parlaments. Es war für uns Kölner ein wohlbekannter, man ist fast in Gefahr zu sagen, heimatlicher Anblick, als wir die eng­ lischen Regimenter durch die Straßen Kairos ziehen sahen. Die sportlich gut durchtrainierten, gepflegten Mannschaften, praktisch ausgerüstet, aus sauberen, wohlgenährten Pferden, mit blinkendem Geschirr sind Kerntruppen, wie die Regimenter, die am Rhein in den ersten Monaten unmittelbar nach der Be­ setzung gewesen. Es ist nicht zu denken, daß England seine Truppen von..Aegypten wegnehmen wird. Es wird Zaghlul nichts anderes übrig bleiben, als im Namen des Ministeriums» das für vollständige Unabhängigkeit Aegyptens und des Sudans eintritt, mit London zu verhandeln. Gleich­ gültig, welche Regierung an der Themse herrscht, ob die Kon­ servativen, die Liberalen, die Arbeiterpartei den Entscheid geben, England wird immer, mag es auch in der Anwendung der Methoden etwas energischer oder sanfter sein, des gleichen Wesens bleiben. Die liberale Presse Englands hat mit Unrecht irrt Februar 1924 darüber gespöttelt, daß die Arbeiterführer auf der Ministerbank anders redeten wie das Jahr vorher, daß Ramsey Macdonald ein weiteres Darlehen von 3% Millionen Pfund Sterling zur Entwicklung des Sudans erbeten, während er ein gleiches Darlehen im Jahr vorher als imperialistische und kapitalistische Ausbeutung, als ungebührlichen Gebrauch poli­ tischen Einflusses denunziert hatte. Auch die Arbeiterpartei hat bisher und wird künftig nicht alle die Hoffnungen, die ihr

Regierungsantritt in Aegypten wie Indien weckte, erfüllen. Sie hat bislang schon gezeigt, daß sie wichtige Reichsinteressen so wenig wie ihre Vorgängerinnen preiszugeben gewillt ist. Aegyptische und englische Delegationen werden sich an gemeinsamen Tisch setzen, um über die zukünftige Gestaltung der wechselseitigen Beziehungen zu verhandeln. Eine Reihe von Punkten sind zu regeln, die bei den Vor­ verhandlungen der Unabhängigkeitserklärung offen blieben. Bei ihnen hatte sich London dermaßen nachgiebig und entgegen­ kommend gezeigt, daß die Jungägypter, wenig vertraut mit der Weltlage und der Weltmachtstellung Britanniens, hochge­ spannte Hoffnungen an die damals erkämpften Ergebnisse knüpfen konnten. Dom Standpunkt Englands aus erscheint notwendig: Sicherung der Verbindungslinien, Schutz Aegyptens gegen Einmischungen einer dritten Macht, Regelung der aus­ ländischen Interessen und Verständigung über die Verwaltung des Sudans. Aegypten dagegen verlangt uneingeschränkte Souveränität. Zaghlul wird, getragen durch seine Popularität ohne gleichen, von der Forderung völliger Unabhängigkeit Aegyptens nicht ablassen. Er hat im Parlament offiziell erklärt, daß alle politischen Abmachungen, die von seiner Kampfpartei verworfen worden seien, auch von seiner jetzigen, der „Volks­ regierung" als illegal und nichtig angesehen würden. Dazu gehört fast alles, was den britischen Einfluß in Aegypten stützt und gewährleistet. Nach dem Willen der Nationalisten mutz auch der Suezkanal ägyptischer Verwaltung unterstellt, der Sudan bedingungslos Aegypten zurückgegeben werden. Die Suezfrage wurde und wird in England überhaupt nicht erörtert, sie steht für die Briten autzerhalb jeder Diskussion. Mer auch hinsichtlich des Sudans hat England den Aegyptern ein deutliches „Hände weg" zugerufen. Es scheint bei seiner alten Methode zu bleiben, in inneren Fragen, hinsichtlich der Selbstverwaltung weitgehendes Entgegenkommen zu zeigen, die Reichspolitik dagegen von keiner Seite gefährden zu lassen. Die afrikanische Stellung des Imperiums wird durch die Sudan-

frage an einem empfindlichen Punkte berührt.

Man darf nicht

vergessen, daß unmittelbar nach der Niederlage des Mahdi die Franzosen von Faschoda aus das Sudanproblem aufrollen

wollten und nur durch die Festigkeit Englands

von ihrem

Begehren abgeschreckt wurden.

Es war daher keine Ueberraschung, daß Lord Parmoor am 25. Juni 1924 im Oberhaus mit aller Bestimmtheit er­

klärte, die britische Regierung werde den Sudan keinesfalls aufgeben. Sie halte an den Verpflichtungen fest, die sie dessen Bewohnern gegenüber eingegangen sei. Diese seien derartig,

daß England nicht ohne sehr ernsten Prestigeverlust sich ihnen entziehen könne. Die Arbeiterregierung nimmt also die gleiche Haltung ein, die seinerzeit Lloyd George bei der Unabhängig­ keitserklärung bekundet hat. Nach solcher eindeutigen Londoner Willenskundgebung hat Zaghlul Pascha eine seiner temperamentvollsten Parlaments­ reden gehalten. Er berichtete, daß die britische Regierung ihrer Politik vom 28. Februar 1922 treu bleibe. An diesem Tage habe sie erklärt, daß die Schutzherrschaft über Aegypten auf­ gehoben, das Land als unabhängiger Staat anerkannt werde. Allerdings habe sich die britische Regierung die Entscheidung über Einzelfragen, namentlich die Zukunft des Sudans vor­ behalten. Demgegenüber betonte Zaghlul, Aegypten werde seine Rechte auf den Sudan nicht ausgeben. Im Anschluß daran teilte er den Entschluß mit, von seinem Amt zurückzutreten. Die Kammer erhob Einspruch gegen den Rücktritt Zaghluls. Auch der König lehnte das Rücktrittsgesuch Zaghluls ab, worauf der ägyptische Ministerpräsident nach Rücksprache mit seinen Kollegen dem Parlament am 30. Juni 1924 mitteilte, er habe beschlossen, im Dienst zu bleiben, um für Aegypten und den Sudan voll­ ständige „Unabhängigkeit" zu erringen. Damit ist der orienta­ lische Theaterzauber für den Augenblick vorüber. Gleichzeitig gab Macdonald im Unterhaus eine eingehende Erklärung über

den Sudan ab, deren Inhalt mit den Ausführungen Lord Parmoors sich völlig deckte. Macdonald nahm Bezug auf die

Aussprache im ägyptischen Parlament und auf die Bemühungen, Unruhen im Sudan hervorzurufen, um ihm die Hände zu binden und Zaghlul der Möglichkeit zu berauben, in Verhandlungen einzutreten. Offenherzigkeit und guter Wille seien aber für Eng­ land wie Aegypten von Wichtigkeit. Beide Regierungen mühten es ablehnen, für unmögliche Forderungen einzutreten, damit eine Verständigung angebahnt würde. Die englische Presse sagte den Aegyptern, nur dank der britischen Truppen und Geschütze könnten sie überhaupt Anteil am Sudan beanspruchen. Ohne Englands Macht bleibe das Land am Oberlauf des Nils gefährdet und damit auch die Sicherheit Aegyptens bedroht. Sie wies darauf hin, dah die umstrittenen Gebietsteile von anderen Rassen bewohnt sind als der Unter- und Mittellauf des Nils, dah dort noch bittere (Erinnerungen an die Zeit ägyptischer Mihwirtschaft wach seien. Es wird nicht geleugnet, dah auch Aegypten Opfer für die Eroberung des Sudans gebracht hat. Man zeigt sich in London geneigt, z. B. für die finanziellen Aufwendungen eine Ent­ schädigung zu gewähren. Lord Grey ging im Oberhaus so weit, vorzuschlagen, ein englisch-ägypttscher Ausschuh solle unter einem amerikanischen Vorsitzenden die beiderseitigen Interessen in freundschaftlicher Weise gegeneinander abwägen. Liberale Blätter haben sogar den Gedanken verfochten, dah die englische Herrschaft schliehlich einzelnen Stämmen des Sudans Selbst­ verwaltung geben könne. Darin liegt aber das äußerste Zu­ geständnis, zu dem ernsthafte englische Politik gegebenenfalls geneigt sein wird. Mit Ausnahme der ganz linksstehenden pazifisttschen Gruppen der Arbeiterpartei, die mit Zaghlul Fühlung zu nehmen suchten, hat Macdonald, hat die jetzige Regierung das ganze Land in dieser Frage gerade wegen der festen Haltung hinter sich. Macdonald hat Zaghlul Anfang Juli nochmals in freund schaftlich gehaltenem Schreiben eingeladen, nach London zu kommen, wo er völlig frei und gleichberechtigt verhandeln könne. Wenige Tage später am 10. Juli erklärte der englische

Premierminister im Unterhaus, daß er sich mit einer Anregung, der Völkerbund solle den englisch-ägyptischen Streit schlichten, nicht einverstanden erklären könne, weil ein unmittelbares Ab­ kommen zwischen Großbritannien und Aegypten zu größerem Wohlwollen führe, als wenn ein solches von einer außenstehenden Körperschaft wie dem Völkerbund auferlegt würde. Bei dieser Ge­ legenheit betonte Macdonald wiederholt, Großbritannien werde seine Verpflichtungen gegenüber den Sudanern erfüllen, werde die Verwaltung des Landes keiner anderen Regierung übergeben. Nur infolge des britischen Einflusses habe der Sudan seine wirt­ schaftlichen Hilfsmittel zu entwickeln begonnen, den Antrieb zur Erziehung erhalten, in der Hoffnung und Verheißung einer schließlichen Selbstverwaltung liegen. Im letzten Ziel werden sich die Hauptstteitpuntte so um den Sudan gruppieren. Jede englische Regierung, gleichgülttg ob sie von Macdonald, Lloyd George oder Baldwin geführt wird, muß die Ansprüche auf ihn verteidigen, wird eher geneigt sein, den ftaglichen Gedanken einer ftaglichen Freigabe Aegyptens zu erörtern, als auf den Sudan zu verzichten, den es durch die Wasserregulierungen des oberen Nils südlich von Chartum jenseits der Vereinigungsstelle des Weißen und Blauen Nils in der Hand hält. Die Engländer behaupten, daß die Sudanesen mit ihrer Verwaltung durchaus einverstanden seien. Die Aegypter verlangen Wiedervereinigung mit dem Sudan, denn sie wissen zu genau, daß jede noch so „garantierte" Unabhängig­ keit ihres Landes ohne diese Gebiete eine phantastische, brüchige Erscheinung bliebe. Das von Zaghlul geführte Land wird auf seine Souveränität über den Sudan unter keinen Umständen verzichten wollen, da ihm nicht mehr verborgen ist, daß hinter den großartigen Schleusen- und Kanalbauplänen am Oberlauf des Nils mehr steckt als der Wille, Landstticke fruchtbar zu machen. Ohne den Sudan ist Aegypten nie sicher, daß ihm schwerste Gefährdung von außen her durch Absperrung der Nilfluten droht, deren Fehlen nach kürzester Zeit das reiche Land in ttockenen Wüstenboden verwandelt. England glaubt den

Sudan in der Hand behalten zu müssen, um mit ihm auf Aegypten und den Suezkanal jederzeit den nötigen Druck ausüben zu können. Bei Anschauungen, die einander so entgegengesetzt

sind wie im vorliegenden Fall, ist schwer zu sagen, wie sie sich vereinigen lassen.

Wenn Zaghlul nach London kommt, wird er voraussichtlich nur in einem Punkt wesentliches erreichen. Es ist zu vermuten, daß England sich im Punkt der sogenannten Kapitulationen, d. h. der den Europäern einst in den türkischen Gebieten zu­ erkannten Vorrechte, nachgiebig zeigen wird. Deren Ziel und Zweck war, die Europäer, die in den ehemals unter türkischer

Oberhoheit stehenden Ländern

wohnten, der einheimischen Gerichtsbarkeit zu entziehen, ihnen eine Vorzugsstellung ein­ zuräumen, die einem souveränen Land schwer erträglich scheint. Nachdem die Türken mit diesen Vorrechten aufgeräumt haben, ist es für Aegypten eine Frage des Ansehens, die Kapi­ tulationen beseitigen zu lassen. Die dortigen Gerichte sind kaum weniger unparteiisch^ als die Justiz in den europäischen Ländem.

England wird wohl so klug sein, durch Verzicht auf die Kapitu­ lationen die aufgeregten Gemüter etwas zu versöhnen, ohne damit freilich hoffen zu dürfen, die Jungägypter für lange zu beruhigen.

Bei dem Kampf zwischen der Selbstbestimmung der Na­ tionen und dem Imperialismus großer Machthaber entscheiden nicht gemeinschaftliche Weltinteressen, sondern die nationalen Belange, die sich bei gesunden Völkern im Denken und Handeln

ausprägen. In England sind wie in Frankreich auch die demo­ kratischsten Staatsmänner heute nur soweit handlungsfähig, wie sie den nationalen Instinkten der Massen Rechnung zu tragen wissen. Nur Pazifisten, die nicht ahnen, in welchem Umfang auch heute der Nationalegoismus entscheidet, nur solche, die diese Streitfragen lediglich unter dem Gesichtswinkel des Nil­ deltas und der Pariser Boulevards beobachten, die dem Wage­ spiel großer weltwirtschaftlicher und weltpolitischer Interessen fernstehen, werden von kommenden Verhandlungen und der

erstrebten Verständigung sehr viel zu Gunsten Aegyptens er­

warten. Wir Deutschen sind dieser Gegensätze unbeteiligte Zuschauer. In der Frage der Kapitulationen hat Deutschland nicht die kluge Nachgiebigkeit gegen ägyptische Forderungen be­ wiesen, die wohl zu empfehlen gewesen wäre. Im Vertrag

von Versailles hatte unser Vaterland sich auch seiner Vorrechte in den ehemals türkischen Gebieten begeben müssen. Die Re­

gierung stellte sich bei den Verhandlungen der jüngsten Zeit auf den Standpunkt, dieser Verzicht gelte nicht hinsichtlich Ae­ gyptens, weil er damals nicht zu Gunsten des in jener Zeit noch nicht bestehenden unabhängigen Aegyptens, sondern zu Gunsten Großbritanniens, das Aegypten als englischen Schutz­ staat betrachtete, erfolgt sei. Wirkliche Vorteile sind Deutschland aus seiner zögernden Haltung nicht erwachsen und nicht zu er­

warten. Gibt England in diesem Punkt nach, so werden die anderen europäischen Regierungen, auch unsere, seinem Beispiel folgen müssen. Deutschland hat es dann versäumt, seiner Stellung im Lande durch Entgegenkommen in einer Frage des politischen Ansehens einen Vorsprung von politisch wirtschaft­ licher Bedeutung zu sichern. Nirgends werden die ägyptischen Probleme aufmerksamer verfolgt als in Frankreich. Man braucht nur Zeitschriften wie L'Jllustration oder Le Monde illustre durchzublättern, um zu sehen, wie sehr die verbündete Nation der großen Schwester jenseits des Kanals in die Karten zu schauen sucht, wie sie immer in Wort und Bild an den Unabhängigkeitsbestrebungen Aegyptens

teilnimmt. Eine große Reihe von Nummern solcher französischen Publikationen bringt Bilder und Artikel über jede Lebensäußerung Aegyptens, die Betätigung seines Königs, des wiedergeborenen Volkes. Dieses Gefühl, dieses Interesse ist wechselseitig. Keinem anderen Land gilt in solchem Umfang

die heimliche Neigung der ägyptischen Nation wie Frankreich mit seiner Hauptstadt Paris. Noch Anfang März kam dies in

den klangvollen, in französischen Herzen wiedertönenden Worten deutlich zum Ausdruck, die Fakhry Pascha bei llebergabe der Erinnerungsplatte am Grab des „Unbekannten Soldaten" int Arc de Triomphe gesprochen. In Gegenwart des Kardinals Dubois wurde General Eouraud, dem Gouverneur von Paris, der Steinportikus mit der Inschrift „Fouad, Roi d'Egypte au

Soldat de France" übergeben, als Ausdruck der Beteiligung des Aegypterkönigs an dem einstimmigen Urteil der Welt über die „unsterblichen Taten", den „unvergänglichen Ruhm" der französischen Kämpfer. Mir ist nicht bekannt, ob dem „unbe­ kannten Soldaten" Englands in der Westminster-Abtei zu London eine ähnliche Gedenkplatte aus den Nillanden gestiftet wurde.

Wenn es geschah, hat sich mindestens nicht in gleicher Weise die Öffentlichkeit damit beschäftigt, sind gewiß nicht solche Worte überschwänglichen Lobes gespendet worden. Frankreichs Stimmen werden auch in Königs Fuads Residenz gehört. Das „Journal de Caire" brachte am 20. März 1924 ein interessantes Interview mit dem bekannten französischen Romanschreiber Claude Farröre. In ihm warnt Farröre ein­ sichtig vor Manifestationen, Aufständen, Unruhen. Sie seien gefährliche Mittel für ein Land, in dem beträchtliche europäische Interessen liegen. Die Aegypter sollten eingedenk bleiben, daß die Besetzungsmacht nicht zögern würde, solche Anlässe für sich

zu nutzen, sie sollten sich des Jahres 1882 erinnern. Für das heutige Aegypten gäbe es nur eine Möglichkeit: zu verhandeln mit einem England, das zu Zugeständnissen geneigt, aber an der Beherrschung des Suezkanals maßgeblich interessiert bleibe. Rach diesen Warnungen und Mahnungen eröffnet Farröre einen Hoffnungsblick, indem er ausführt, die Geschichte habe oft glückliche Ueberraschungen vorbereitet. „Großbritannien ist nicht mehr der Koloß von ehedem, vor dem sich alles demütig

neigte". Seine Macht sei erschüttert, seine Flotte viel weiter von der alten imponierenden Größe entfernt, als man glauben will.

„Ich täusche mich nicht, offensichtlich sind die Symptome des Niedergangs". Wenn diese Entwicklung sich fortsetze, in diesem

Fall und nur in solchem könne Aegypten alle seine Ansprüche verwirklichen. Inzwischen werde der französische Einfluß nicht schwinden von den Ufern des Nils. Wenn man eine Zivilisation wie die französische angenommen habe, freiwlllig, aus Neigung

für solche, dann sei es unmöglich, sie später wieder aufzugeben, an ihre Stelle eine andere zu setzen. Sicher ist der französische zivilisatorische Einfluß noch nicht ge­ ring. Gewiß ist in vielen Herzen der Haß gegen England fühlbar. In manchen Läden Kairos, das hatten wir schnell genug heraus, sprach man besser Französisch als Englisch und wurde im ersten Fall freundlicher bedient. Wer England, nicht Frankreich herrscht an den Ufern des Nils und bleibt gewiß dort für abseh­

bare Zeiten. Wir schieden von einem Land mit frühvollendeter, lang­ gepflegter, uralter Kultur voll reiner Größe, dessen Volk nach wechselvollen Schicksalen müde zu ruhen schien und nun im Bewußtsein wacht, an der Pforte einer neuen Zeit zu stehen. Bei der Wfahrt von Merandrien erinnerte ich mich der Worte aus dem westöstlichen Diwan: „Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleib im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben." Auf der „Lapland" der White Star Line haben wir uns

in Merandrien eingebordet.

Auf diesem englischen Großschiff

von nahezu 20 000 t wurde uns nochmals klar, wie gut und bequem die englisch-amerikanische Welt heute ungeachtet aller Leiden des vieljährigen Kampfes zu leben weiß. Nicht nur die Verpflegung, nicht nur der Maskenball am 2. April 1924 auf hoher See, sondern die ganze Gestaltung der Verhältnisse

zeigte uns, daß trotz des kapitalvernichtenden Kriegs und ohne Er­

die Deutschen die Welt fortschreitet, sich weiter entwickelt.

innerungen an den unseligen U-Bootkrieg hielt uns die drei­ tägige Fahrt nach Neapel vor Augen. Um die Schiffsuhr grup­ piert, auf beiden Podesten der Haupttreppe zum Speisesaal waren mehr als ein Dutzend Messingplaketten angebracht, die kündeten, welch beträchtliche Transporte von Menschen, Pferden,

Waffen die Lapland während der Kriegsjahre zuerst von Canada

nach England, dann zwischen der Union und den Kriegs-Schauplätzen trotz oft rauhen Wetters, trotz aller Gegenwirkungen unserer Tauchboote ohne jeden Verlust über den Ozean ver­

frachtet hatte. Italien, das oftbesuchte und heißgeliebte, hat diesmal auf der Heimreise nicht zu mir gesprochen. Die Schönheit des wolkenverhangenen Golfs von Neapel konnten wir nicht völlig auskosten. Auch Pompeji mit den unter Bittorio Spinazzolas

Leitung vorgenommenen neuen Ausgrabungen vermochte trotz fesselnder Einzelheiten nicht stark zu wirken. Die mächtigeren Eindrücke des Niltals hielten mich so gefangen, daß ich von Neapel aus in SOstündiger Fahrt nach Köln eilte. Erst angesichts der Schweizer Bergriesen, über deren weihen Schneefirnen die Sonne vom blauen Himmel leuchtete, wie sie den gelben

Sand der Wüste bestrahlt hatte, fand ich das innere Gegen­ gewicht zu den Erlebnissen der vergangenen Wochen. jUnendlich viel an Eindrücken hatte diese Reise geboten. Aber am Schlüsse gedachte ich doch der Worte, in die Ludwig Thoma seine Lebenserinnerungen ausklingen läßt: „Wo ich auch war und was mir das Leben auch gab, immer hatte ich Heimweh." Der Wunsch, [im Vaterlande wirken zu dürfen, wurzelt irrt Tiefsten unserer Seele. Das Fremde kann uns bereichern

und fördern. Die höchste, schönste Schaffensmöglichkeit bleibt innerhalb der Volksgemeinschaft, in die wir hineingeboren sind. Nicht mehr zu den Herrenvölkern der Erde gehören heute wir Deutschen, und dennoch lieben wir unser

Land und unsere Leute im festen Glauben an unserer Zukunft Aufgaben. Als ich vom Altvater der afrikanischen Flüsse, von Stätten hoher, vorantiker Kultur, aus dem dort wohnenden Volk voll enthusiastischen jungen Lebensstrebens zurückgekehrt war zum Vater Rhein, zum deutschesten Strom, da lebte in mir trotz des Schweren, das die Gegenwart belastet, trotz des

Drohenden, das die Zukunft verhüllt, ein froher Gedanke, ein

ruhegebendes Gefühl: „Um mich ist Heimat".

A. MARCUS & E. WEBERS VERLAG (DH. JUR, albert ahn) BONN

Schriften von Geh. Reg.-Rat DR. CHR. ECKERT ordentl. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Köln:

Deutsche Gedenktage Preis geb. M. I.2O Wie immer bei den Arbeiten Eckerts, handelt es sich hierbei um formvollendete Darstellung, die den geschulten Wirtschaftspolitiker verrät. Die Verbreitung des Büchleins namentlich in Kreisen der Schulen dürfte angebracht erscheinen. Norddeutsche Allgetn. Zeitung. Die Reden sind eine Lektüre für alle Patrioten, die sich über brennende Fragen unterrichten und die eigenen Anschauungen überprüfen wollen. Kölnische Volkszeitung. ... Es enthält Gedanken eines ernsten Vaterlandsfreundes mit ausgeprägtem Sinne für die lebendigen Forderungen seiner Zeit. Krefelder Zeitung.

*

Wirtschaftliche und finanzielle Folgen des Friedens von Versailles Preis M. I.— Die Frankfurter Zeitung schreibt: „ . . . Eckerts gehaltreiche und formvollendete Darlegung schließt mit dem Hinweis, Deutsch­ land müsse entschlossen und zuversichtlich auf Europas Brandstätte erweisen, daß es trotz allem seine Schöpferkraft gerettet hat.“

* Die Stellung der Handelskammern im Aufbau der wirtschaftlichen Interessen­ vertretungen Preis M. I.—

A. MARCUS & E. WEBERS VERLAG (DR. JUR.

albert ahn)

BONN

Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhehns-Universität von der Gründung bis zum Jahre 1870 Von Friedrich von Bezold Preis: geheftet 15.—, gebunden 17.— Goldmark Aus Besprechungen: Die zur Hundertjahrfeier der rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität (IQI8) sehnsüchtig erwartete Geschichte der Bonner Hoch­ schule von Friedrich von Bezold ist in A. Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Ahn) in Bonn erschienen. Durch die Ungunst der Verhältnisse verspätet und verkürzt, immer aber noch in der statt­ lichen Stärke von über 500 Seiten, obwohl sie nur bis 1870 reicht, also nur etwas über Z0 Jahre umfaßt. In Wahrheit ist das Werk weit mehr, als sein Name besagt, nämlich eine Schilderung des deutschen Geisteslebens in dem wild bewegten neunzehnten Jahr­ hundert, mit besonderer Berücksichtigung des Rheinlandes, ein Denkmal deutschen Gelehrtenfleißes und streng sachlicher Forschung in anmutiger, fesselnder, zum Teil hinreißender Hülle. Die un­ auslöschliche Dankbarkeit, in der sich der Verfasser (nach seinem Bekenntnis im Vorwort) mit Rhenana verbunden fühlt, führt seine Feder, der Rheinstrom rauscht durch die Seiten, und die Sieben Berge grüßen den Leser, unendliche Sehnsucht nach der ehrwürdigen ewig jugendlichen Alma mater im rheinischen Paradiese weckend. In einer klassischen knappen und klaren Einleitung wird die Geschichte des Rheinlandes gezeichnet, äußerst lehrreich für die gott- und geschichtslosen Rheinbündler und ihre provinzielle Selbst­ vergötterung. Dann werden wir sicher und schnell durch das bis­ her für den Laien schier unwegsame Gestrüpp der erbitterten Kämpfe um den Ort für die dem neuen preußischen Rheinland zugedachte Universität geführt. Gneisenau wird für Köln, Stein für Bonn geworben, auch Goethe gibt sein Gutachten- Schon scheint Köln das Wettrennen gewonnen zu haben, da schlägt die Stimmung in Berlin um, und am 18. Oktober I8l8 wird die Bonner Hochschule gegründet. Daß ein Jahrhundert später die Kölner Pläne trotz alledem noch durchdringen würden, ahnte damals niemand. Bezold knüpft daran folgende Schlußsätze: „Die nächste Zukunft schien in der Gründung des Deutschen Reiches diesem Anruf und Gelöbnis die glänzendste Bestätigung zu bringen. Nie­ mand hätte damals ahnen können, welches von Grund aus ver­ wandelte Bild unseres nationalen Daseins das Jahr IQI8 der Welt enthüllen sollte. Die rheinische Universität hat in ihrem zweiten Halbjahrhundert, wenn auch nicht ohne jede Störung, doch Dezennien durchlebt, die in ihrer Aufwärtsbewegung sich von früheren Sturm­ zeiten wohltuend abhoben und einen tröstlichen Blick nach vorwärts für ihre erste Säkularfeier zu verheißen schienen. Statt dessen stehen wir heute mitten in dem Prozeß eines Wieder­ aufbaues von Deutschland, ehe der Boden selbst, auf dem gebaut werden muß, wieder ins Gleichgewicht gekommen ist. Noch sind aber die Sterne nicht untergegangen, die unsere Alma mater einst bei ihrem schwerbeschatteten Eintritt ins Dasein hat leuchten sehen. Ernsthafter als je gilt heute für sie die vor fünfzig Jahren aus­ gegebene Losung: Untrennbar eins zu sein mit dem Vaterlande.” Mit diesen trostvollen Worten schließt das wunderbare Buch, ein der Universität würdiges Denkmal.

A. MARCUS & E. WEBERS VERLAG (DR. JUR. albert ahn) BONN

Studien zur rhein. Geschichte Herausgeber Dr. jur. ALBERT AHN HEFT I:

Niederrheinisches Geistesleben im Spiegel klevischer Zeitschriften des achtzehnten Jahrhunderts Von Dr. Paul Bensel. Preis M. 6.H E F T 2:

Die Rheinlande und die preußische Verfassungsfrage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847) Von Dr. E. Hemmerie. Preis M. 6.—

HEFT 3: Preußens Verfassung und Verwaltung im Urteile rheinischer Achtundvierziger. Von Dr. phil. Helene Nathan Preis M. 3.60 HEFT 4:

Die Rhein- und Moselzeitung Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der katholischen Presse und des politischen Katholizismus in den Rheinlanden. Von Dr. phil. Friedrich Mönckmeier Preis M. 4.— t HEFT 5:

Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreites von 1837 Von Dr. phil. Paul Vogel. Preis M. 3.— JIEFT6:

Das höhere Schulwesen in der Stadt Köln zur französischen Zeit (1794-1814) Von Dr. Wilhelm Leyhausen. Preis M. 2.H E F T 7:

Joseph Görres und die Anfänge der preußischen Volksschule am Rhein 1814-16 Von Dr. phil. Alfons Schagen. Preis M. 3.— HEFT 8:

Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den Rheinlanden während der Jahre 1815-1840. Von Dr. Emil Kä ding Preis M. 3.8O

HEFT 9:

Gottfried Kinkel im Kreise seiner Kölner Jugendfreunde Nach einer beigegebenen unbekannten Gedichtsammlung von Dr. Carl Enders. Preis M. 2.80 HEFT IO:

Gottfried Kinkels Kämpfe um Beruf und Weltanschauung bis zur Revolution Von Dr. Martin Bollert. Press M. 3.60

HEFT 11:

Beiträge zur Charakteristik der öffentlichen Meinung in der Rheinprovinz im Jahre 1859« Von Dr. Grosse-Freese. Preis M. 2.50.

A. MARCUS & E. WEBERS VERLAG (DR. jur, albert ahn) BONN

Cäsaren-Porträts I. Teil VON

DR. MED. ERNST MÜLLER OBERARZT AN DEN THÜRINGER HEILANSTALTEN ZU RODA

Mit 45 Abbildungen im Text und 6 Liditdrucktafeln Preis geh. Mk. Z.-, geb. Mk. 4.50 Nadi Besprechung allgemeiner genealogischer Gesichtspunkte bespricht Ver­ fasser zuerst das Julisch-Claudische Haus, dessen Mitglieder fast alle untereinander verwandt waren und die nicht nur in der Geschichte in ihrem Charakter wesens­ ähnliche Züge zeigen, sondern das auch auf Münzen erkennen lassen, wie dies Ver­ fasser eingehend schildert unter Beifügung zahlreicher, sehr gut wiedergegebener Abbildungen. In gleicher Weise wird uns die slavische, die Mervasche und die Severische Dynastie vorgeführt. Eine Beschreibung der Skulptur- und Münzpor­ träts im einzelnen beschließt das interessante B u ch. Psychiatr. neuroi. Wochenschr.

Die Abhandlung Müllers befaßt sich mit den ersten vier Herrscherhäusern der Cäsaren, deren erstes 100 Jahre, deren drei folgende zusammen l6o Jahre ge­ dauert haben. Er will zeigen, welche geschichtliche und genealogische Bedeutung des Porträts dieser Regenten und Regentinnen beizumessen ist. — Nach allgemeinen genealogischen Erörterungen bespricht er die einzelnen Dynastien und gibt eine Beschreibung der Skulptur- und Münzporträts. — Die Abhandlung bildet einen wertvollen Beitrag zur Familienforschung. Archiv für Psychiatrie

Soeben ist erschienen:

Cäsaren-Porträts II. Teil Mit 164 Abbildungen im Text und 11 Liditdrucktafeln Preis geh. 7.50 Mark, in Ganzleinen geb. 9.- Mark.