Alter(n) anders denken: Kulturelle und biologische Perspektiven 9783412215286, 9783412208950

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Alter(n) anders denken: Kulturelle und biologische Perspektiven
 9783412215286, 9783412208950

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Kulturgeschichte der Medizin Band 2

Herausgegeben von Florian Steger Herausgebergremium Wolfgang U. Eckart, Karl-Heinz Leven, Ortrun Riha und Iris Ritzmann

Alter(n) anders denken Kulturelle und biologische Perspektiven

Herausgegeben von Brigitte Röder, Willemijn de Jong, Kurt W. Alt

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Familien-Vontobel-Stiftung (Zürich) und dem Zürcher Universitätsverein (ZUNIV)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553): Der Jungbrunnen, Gemälde, 1546. Öl auf Lindenholz, 121 x 148 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie. © akg-images © 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20895-0

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................... 9

1.  Zur Einführung Brigitte Röder Von der Urgeschichte bis nach Sulawesi: die kulturelle Vielfalt des Alter(n)s ............................................................................................ 15 Willemijn de Jong Wie Fakten übers Alter(n) altern: eine ethnologische Annäherung ........... 51

2.  Alter(n) in der Vergangenheit Anna Kjellström and Stig Welinder Old Age in Prehistory .............................................................................. 71 Martin Bommas Im Angesicht des Todes: Altern und Zweifel am Fortleben im Jenseits im Alten Ägypten .................................................................................... 93 Winfried Schmitz „In Sparta allein lohnt es sich, alt zu werden“. Alter und Altersbilder im klassischen Griechenland ................................. 109 Eva Stauch Alt werden im Frühmittelalter ................................................................. 133 Gabriela Signori Die ‚Erfindung‘ des Alters (13. bis beginnendes 16. Jahrhundert) ............ 163 Sabine Meister Alter: siehe Jugend. Zum Leitbildwechsel bei der Darstellung des Alters in der Bildenden Kunst der Moderne ...................................... 185

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Inhaltsverzeichnis

3.  Alter(n) in der Gegenwart Anton Amann Konstruktionen des Alters. Soziale, politische und ökonomische Strategien ................................................................................................ 209 Sjaak van der Geest Graceful and Successful Ageing: Observations from Ghana and the Netherlands ....................................................................................... 227 Sharon R. Kaufman Aging and Dying, Nature and Culture: The Clinic and the Age of Reflexive Longevity ............................................................................. 239 Peter van Eeuwijk Pains, Pills, and Physicians. Self-medication as Social Agency among Elderly People in Urban Sulawesi, Indonesia ................................ 257 Claudia Roth ,The Nivaquine Children‘ – the Intergenerational Transfer of Knowledge about Old Age and Gender in Urban Burkina Faso ............... 281 Carla Risseeuw Urban Middle-Class Elderly in Sri Lanka and the Netherlands: Everyday Sociality and Ways of Keeping Company ................................. 299 Pasqualina Perrig-Chiello Gesundheit und Wohlbefinden im Alter – auch eine Frage des Geschlechts ....................................................................................... 319

4.  Alter(n) aus biologischer und demographischer Sicht Kurt W. Alt Altern und Tod – ein Fehler der Natur oder genetisches Programm? ........ 339 Heinz D. Osiewacz and Christian Q. Scheckhuber The Basis of Biological Aging: Theories, Models and Mechanisms .......... 359

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Jesper L. Boldsen 10000 Years of Human Demographic Evolution ..................................... 371 Heike Kahlert Die hundertjährige Frau – neue Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen in der alternden Gesellschaft? ...................... 379 Josef Ehmer Altersstrukturen im historischen Wandel. Demographische Trends und gesellschaftliche Bewertung .............................................................. 403

Vorwort Das vorliegende Buch ist entstanden aus dem 2.  Internationalen Mainzer Symposium Anthropologie im 21. Jahrhundert zum Thema Reflexionen zu Alter und Altern in Vergangenheit und Gegenwart. Biologische und kulturelle Perspektiven. Das Symposium fand vom 3. bis 5. April 2008 mit namhaften Forschern und Forscherinnen aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden, England, der Schweiz, den Niederlanden und den USA statt. Es schloss eng an das erste Symposium im Jahr 2001 über die Kindheit des Menschen an, das in die Publikation Kinderwelten. Anthropologie – Geschichte – Kulturvergleich (Alt/Kemkes-Grottenthaler 2002) mündete. Nach der Kindheit das Alter zu thematisieren, ist deshalb wissenschaftlich nahe liegend, weil es einer gegenwärtigen Tendenz in den Bio-, Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften entspricht, den Beginn und das Ende des Lebens unter einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten. Kindern und alten Menschen bzw. Kindheit und Alter werden strukturelle Ähnlichkeiten zugeschrieben, so z. B. die Abhängigkeit dieser Altersgruppen von der Fürsorge der Gemeinschaft. Weiterhin ist es wichtig, gleichwohl ob man sich mit Phänomenen der Kindheit oder des Alters befasst, dabei den Gesamtzusammenhang des Lebenslaufs zu berücksichtigen. Dies wird mit dem Begriff Älterwerden oder Altern angedeutet. Mit dem durchgeführten Symposium und diesem Buch reagieren wir zugleich auf aktuelle gesellschaftliche Debatten über das Alter. Dem Traum von der ewigen Jugend und einem Leben ohne Falten und Gebrechen fühlen wir uns heute so nahe wie nie zuvor. Dieser Traum wird wahrscheinlich eine Illusion bleiben, doch er verändert die Sicht auf das Alter ebenso wie die demographische Entwicklung in den Industrienationen. Diese führt zu einer Neuorientierung im Hinblick auf die Gestaltung, Wahrnehmung und Bedeutung des Alters und trägt dazu bei, dass neue Normen und Praktiken ausgehandelt und erprobt werden: Die Diskurse über das Alter formieren sich neu. Mit diesem Umgestaltungsprozess einher gehen Verunsicherungen und Ängste, die in einer emotionalisierten öffentlichen Debatte durch Medienberichte und Bestseller weiter angeheizt werden. So malen Letztere die potentiellen Folgen des steigenden Anteils alter Menschen für die sozialen Sicherungssysteme und den Generationenvertrag häufig zu apokalyptischen Szenarien aus. Die meisten der aktuellen Altersdiskurse fokussieren auf die demographische Entwicklung, konkret auf den steigenden Anteil alter Menschen an der Bevölkerung. Dieses vielschichtige Phänomen resultiert aus einem Geburtenrückgang bei einer gleichzeitig zunehmenden Langlebigkeit und ist im Weiteren mit einer Reihe positiver Aspekte verbunden – so z. B.

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Vorwort

mit dem Umstand, dass 60-Jährige aus biologischer Sicht heute fünf Jahre jünger sind als früher, was neue Chancen und Handlungsspielräume birgt. Die öffentliche Debatte fokussiert jedoch auf den Aspekt der Langlebigkeit, der mit dem Schlagwort von der ‚überalterten Gesellschaft‘ skandalisiert wird. Die Demographiedebatte und ein in vielen gesellschaftlichen Bereichen fassbarer ‚Jugendlichkeitskult‘ tragen wesentlich dazu bei, dass die letzten Dekaden des Lebens zunehmend abgewertet und negativ konnotiert werden. Ageismus, die Diskriminierung alter Menschen, wird dadurch zunehmend zu einem Problem. Da Wissenschaft stets vom zeitgeschichtlichen Kontext geprägt ist, ist vor diesem Hintergrund zu fragen, ob und wie sich die aktuellen demographischen Veränderungen und die sich neu formierenden Altersdiskurse auf die Wissenskonstruktion auswirken: Generieren sie neue Forschungsfragen? Werden Alltagskonzepte wie das von der ‚überalterten Gesellschaft‘ in der Forschung unreflektiert übernommen oder im Gegenteil einer kritischen Überprüfung unterzogen? Spiegeln die verwendeten Kategorien, Begriffe und Vorannahmen alltagsweltliche Vorstellungen wider? Und schließlich: Welche Konzepte und Theorien sind angesichts der aktuellen Entwicklungen ‚veraltet‘? Welche Ansätze sind hingegen innovativ und fördern eine Erforschung des Alter(n)s, die verschiedensten historischen, lokalen, schichten- und geschlechtsspezifischen Lebenswirklichkeiten gerecht werden will, um ein vertieftes Verständnis für Prozesse, Erfahrungen und Potenziale des Alter(n)s zu ermöglichen? Diese Fragen stellt der vorliegende Sammelband zur Diskussion. Er gibt Einblicke in die aktuelle Forschung über Alter und Altern, im weiteren Altersforschung genannt, in einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen, namentlich in der Biologischen Anthropologie, Biologie, Medizin, Psychologie, (Paläo-)Demographie, Ägyptologie, Ur- und Frühgeschichte, Geschichte, Kunstwissenschaft, Soziologie und Ethnologie. Der Band soll eine Reflexion über disziplinäre Konzepte und Wissenspraktiken und deren Beeinflussung durch die aktuellen Altersdiskurse unterstützen und innovative Ansätze der Altersforschung für andere Disziplinen fruchtbar machen. Mit dem Buch möchten wir Perspektiven aufs Alter(n) präsentieren, die wir im Kontext einer kritischen, selbstreflexiven Altersforschung verorten. Eine reflexive Vorgehensweise ermöglicht es, die Lebenswirklichkeiten der Erforschten (und der Forschenden) präziser zu erfassen und ist dadurch eher in der Lage, kontextuell gültiges Wissen und eine relative Faktizität herzustellen. Auf diese Weise kann Ageismus hinterfragt und vermieden werden. Insbesondere ermöglicht eine kritische Altersforschung, Fallen der Apokalyptisierung des Alters und des Denkens zu umgehen, die durch eine unhinterfragte Verwendung von alltagsweltlichen Kategorien wie ‚Überalterung‘ entstehen können. Stattdessen ver-

Vorwort 

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sucht sie, Begriffe wie ‚Alter‘, ‚Altern‘, ‚Generation‘, ‚Geschlecht‘, ‚Körper‘ und ‚soziale Sicherheit‘ in einer anderen Art und Weise weiter zu denken und neue Begriffe und Konzepte zu entwickeln. Der Buchtitel Alter(n) anders denken. Kulturelle und biologische Perspektiven zielt jedoch nicht nur auf die Altersforschung, sondern auch auf die öffentlichen Debatten über Alter(n) ab, die stark auf das Gesundheits- und Rentenwesen und auf die Zelebrierung der ‚Jugend‘ verengt sind. Diese Fokussierung reduziert die Komplexität des Phänomens beträchtlich und führt dazu, dass neu entstandene Handlungsspielräume und Veränderungspotentiale nicht gleichrangig diskutiert, und die Debatten stattdessen von alarmierenden Katastrophenszenarien dominiert werden. Angst ist jedoch seit jeher ein schlechter Ratgeber. Um sich von diesen Angstszenarien lösen und Alter(n) anders und zukunftsweisend denken zu können, ist der Blick in außereuropäische und Gesellschaften der Vergangenheit nützlich. Mit seiner Thematisierung von Diskursen über das Alter in anderen Zeiten und an anderen Orten sollte das Symposium und möchte das Buch dazu beitragen, die kulturelle und zeitgeschichtliche Situierung der aktuellen Debatten und Altersdiskurse transparenter zu machen und zu relativieren.1 Die kulturvergleichende Perspektive führt nicht nur die Komplexität und Vielfalt des Phänomens des Alter(n)s vor Augen, sondern eröffnet die Chance, sich von anderen Alterskonstruktionen in anderen Gesellschaften inspirieren zu lassen und bestehende Gestaltungsspielräume gezielter zu nutzen. Inhaltlich standen beim Symposium phylogenetische und ontogenetische Dimensionen des Alters und Älterwerdens zur Diskussion, ebenso biologische und kulturelle Perspektiven wie auch individuelle und gesellschaftliche Aspekte. Die Dreiteilung des Symposiums mit archäologisch-geschichtlichen, sozio-kulturellen und biologisch-demographischen Beiträgen wurde für das Buch beibehalten. Nicht alle Forscherinnen und Forscher, die am Symposium vorgetragen haben, sind in diesem Band vertreten. Zum Teil wurden die Vorträge anderswo publiziert. Dies gilt insbesondere für einige Vorträge zur Biologie, Demographie und Psychologie und betrifft vornehmlich den vierten Teil des Buches. Der einleitende Beitrag von Kurt Werner Alt zu diesem Teilbereich versucht dies auszugleichen, indem auch die Symposiumsbeiträge, die hier nicht in Form von Aufsätzen vertreten sind, aus biologisch-anthropologischer Sicht dargestellt 1 Gemäß diesem Anliegen wurden die Inhalte des Symposiums durch eine öffentliche, im Fernsehen übertragene Podiumsdiskussion einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Podiumsdiskussion wurde unter dem Titel „Länger leben – besser leben? Reflexionen über die Zukunft“ im Rahmen der ARD-Themenwoche zum demografischen Wandel 20.–26. April 2008 „Mehr Zeit zum Leben“ am 22. April 2008 von PHOENIX ausgestrahlt.

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Vorwort

werden. Des Weiteren wurden die Symposiumsbeiträge um zwei einführende Aufsätze im ersten Teil des Buches ergänzt: Der Beitrag von Brigitte Röder gibt eine Gesamtschau über die historischen und sozio-kulturellen Beiträge aus prähistorischer Sicht. Und der Beitrag von Willemijn de Jong geht aus einer sozialund kulturanthropologischen Perspektive auf Fragen der Wissensproduktion in der Altersforschung ein. Den von uns erwünschten wissenschaftlichen Dialog zwischen den Disziplinen und eine Reflexion der verwendeten Annahmen und Konzepte, haben wir in den Diskussionen beim Symposium ansatzweise initiieren können. Dass dies nicht einfach ist, mag einerseits die bis heute sehr unterschiedlichen ‚Kulturen‘ der Wissensproduktion und die unterschiedlich stark ausgeprägte Selbstreflexivität in den einzelnen Disziplinen widerspiegeln. Andererseits zeigt sich darin vielleicht auch, dass es im heutigen Wissenschaftsbetrieb mit der Devise des publish or perish im Kontext der Eigendynamik von Forschungsprojekten und deren (Re-) Präsentationen nicht einfach ist, sich auf interessante, aber irritierende Ideen aus anderen Disziplinen einzulassen. Wir hoffen, mit unserem (Hinter-)Fragen nach der Art und Weise, wie Alter(n) in verschiedenen Disziplinen erforscht wird, einen weiteren Schritt in Richtung einer stärker theoriegeleiteten und reflexiven Altersforschung zu machen und möchten dazu anregen, dies als Leitlinie für die Lektüre der hier zusammengestellten Beiträge zu benutzen. Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Landesregierung Rheinland-Pfalz, insbesondere Frau Ministerin Malu Dreyer, der Universität Mainz und der Stadt Mainz für die finanzielle Unterstützung des Symposiums. Unser Dank gilt auch der Familien-Vontobel-Stiftung (Zürich) und dem Zürcher Universitätsverein (ZUNIV), die mit ihren großzügigen Druckkostenzuschüssen die Publikation dieses Bandes ermöglichten. Januar 2012

Die HerausgeberInnen Brigitte Röder Willemijn de Jong Kurt Werner Alt

Bibliographie Alt KW, Kemkes-Grottenthaler A (Hrsg.) (2002) Kinderwelten. Anthropologie – Geschichte – Kulturvergleich. Böhlau Verlag, Köln/Weimar.

Von der Urgeschichte bis nach Sulawesi: die kulturelle Vielfalt des Alter(n)s Brigitte Röder Chronologically as well as geographically, the present volume covers a wide range of subjects from a diversity of disciplines. This chapter aims to create references between the contributions by focusing on selected cross-cutting issues, such as definitions of ‘old’, ‘age’ and ‘ageing’, the variety of images of and discourses on old age, as well as ageing research itself. Finally, the question is addressed whether the cultural variety of old age and ageing is relevant for current debates on ageing and ageing societies. Die Themen des vorliegenden Bandes eröffnen eine enorme zeitliche, geographische und auch disziplinäre Spannweite. Um Bezüge zwischen den einzelnen Kapiteln herzustellen, fokussiert dieser Beitrag auf ausgewählte Querschnittthemen. Dazu gehören Begriffsklärungen von ,alt‘, ,Alter‘ und ,Altern‘, die Vielfalt und Komplexität von Altersbildern und Altersdiskursen sowie die Altersforschung selbst. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Relevanz die kulturelle Vielfalt des Alter(n)s für die aktuelle Alters- und Demographiedebatte hat.

1. Alter(n) aus kulturvergleichender Perspektive: warum dieser Ansatz? Monströs, apokalyptisch und bedrohlich wirken die meisten Szenarien, die in den Medien, in Bestsellern und nicht zuletzt in der Politik von der letzten Lebensphase in unserer ,überalterten‘ und ,schrumpfenden‘ Gesellschaft gezeichnet werden. In den unterschiedlichsten Lebensbereichen allgegenwärtig, kann man sich ihnen kaum entziehen. Differenziertere Betrachtungsweisen haben es dagegen ungleich schwerer, Aufmerksamkeit zu finden. Dazu trägt die drastische Zuspitzung der verkündeten Hiobsbotschaften bei: Das Alter, so heißt es beispielsweise, sei eine „Naturkatastrophe“ und werde sich in naher Zukunft zu einer „globalen Massenerscheinung“ auswachsen (Schirrmacher 2004: 12f.; 15; s. dazu Beitrag Kahlert). Solche krassen Bilder lassen unweigerlich aufhorchen und versetzen in Alarmbereitschaft, die durch Verschwörungstheorien und Kriegsmetaphorik weiter erhöht wird. So ruft das Schlagwort „Methusalem-Komplott“1 Assoziationen von 1

Titel eines Bestsellers von Frank Schirrmacher (Schirrmacher 2004).

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einer Verschwörung ,der Alten‘ gegen ,die Jungen‘ hervor. Auch von einem ,clash‘ oder ,Krieg‘ der Generationen ist die Rede. Die so geschürten Befürchtungen werden wiederum durch die angeblich bevorstehende ,Aufkündigung des Generationenvertrags‘ verstärkt. Meldungen aus dem Gesundheitswesen zum ,Pflegenotstand‘ und zur ,stetig wachsenden Zahl Pflegebedürftiger und Demenzkranker‘ lassen schließlich die Hoffnung sinken, dass die Katastrophe nur die anderen treffen und an einem selbst vorübergehen könnte. Stattdessen verursacht die vielfach vollzogene Gleichsetzung von ,Alter‘ mit ,Demenz‘ und ,Pflegebedürftigkeit‘ Beklemmung und bohrende Fragen: Werde auch ich meine letzten Jahre in geistiger Umnachtung und völliger Abhängigkeit von hoffnungslos überlastetem Personal ohne familiären Rückhalt in einem Pflegeheim elend und würdelos beschließen müssen? Werbeanzeigen für Versicherungen zur Altersvorsorge mit Photos von vitalen, glücklichen Großeltern, die mit ihren Enkeln in gepflegten Gärten herumtollen, wirken vor diesem Hintergrund eher zynisch, als dass sie eine glaubwürdige Alternative zu den gängigen Altersdiskursen darstellen könnten. So bleiben zur Bewältigung des Horrors die vielfältigen Angebote der Anti-AgeingIndustrie, die die Generation 50+ mit dem Versprechen umwirbt, den alternden Körper zu verjüngen, um somit die persönliche Konfrontation mit dem Alter aufzuheben oder zumindest aufzuschieben. Soweit eine knappe Skizze der vorherrschenden Stimmungslage, die einen wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Kontextes ausmacht, in dem auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Alter steht. Die Einsicht, dass Alltagswissen und wissenschaftliche Theorien sich wechselseitig beeinflussen und Wissenschaft immer durch ihren zeitgeschichtlichen Kontext geprägt ist, gehört heute zunehmend zum gängigen Wissenschaftsverständnis (s. auch Beitrag de Jong). Die sich daraus ableitende Forderung, den zeitgeschichtlichen wie auch den persönlichen Hintergrund in der eigenen Forschungstätigkeit zu reflektieren, ist in der Praxis jedoch kein leichtes Unterfangen. Insbesondere bei Themen, die scheinbar ,natürliche‘, rein ,biologisch vorgegebene‘ Abläufe wie das Altern behandeln, ist es schwierig, sich die Situierung der eigenen Forschungstätigkeit bewusst zu machen – zumal dann, wenn, wie beim Thema Altern, alle Forschenden persönlich betroffen sind. Die Voraussetzung für diesen Reflexionsprozess ist, die eigene kulturelle Sozialisation sowie die aktuellen Diskurse, welche die Ordnungsstrukturen des Denkens bilden, aus einer gewissen Distanz heraus in den Blick zu nehmen, um sie so ihrer Selbstverständlichkeit zu entkleiden und dadurch Raum zu schaffen, Alter(n) anders zu denken. An diesem Punkt setzten die Hauptziele der Tagung Reflexionen zu Alter und Altern in Vergangenheit und Gegenwart. Biologische und kulturelle Perspektiven an (vgl. Vorwort der HerausgeberInnen). Diese liegen auch dem vorliegenden

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Tagungsband zugrunde, dessen Konzeption vor allem auf interkulturelle Vergleiche zwischen Gesellschaften aus Gegenwart und Vergangenheit ausgelegt ist. Auf diese Weise kann die enorme Vielfalt – sowohl der konkreten Lebensbedingungen alter Menschen als auch von Altersbildern und -diskursen – aufgezeigt werden. Diese Vielfalt soll wiederum als Kontrastfolie dienen, um die soziokulturelle und zeitgeschichtliche Situierung der oben skizzierten Alters- und Demographiedebatte transparenter zu machen und zu deren Versachlichung beizutragen. Auf der Ebene der Wissenskonstruktion soll die Kontrastierung von Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen eine Reflexion über spezifisch disziplinäre Konzepte und Wissenspraktiken und deren Beeinflussung durch die aktuellen Altersdiskurse anregen. Schließlich ist es ein zentrales Anliegen, innovative Forschungsansätze aus dem Themenfeld Alter und Altern vorzustellen, um sie auch für andere Disziplinen fruchtbar zu machen. Die hier versammelten Beiträge tragen zu diesen Zielen in vielfältiger Weise bei. Sie beinhalten eine Fülle von Informationen zum jeweils behandelten Gegenstand, worüber die den Kapiteln vorangestellten Zusammenfassungen sowie dieser Beitrag einen Überblick geben. Die vertretenen Themen reichen von den Grundlagen des biologischen Alterns über Alter und Altersbilder im antiken Griechenland bis zur Frage nach der Bedeutung von würdevollem und erfolgreichem Altern in Ghana und den Niederlanden und nach der Rolle rezeptfreier Medikamente für alte Menschen in Indonesien. Angesichts der enormen zeitlichen, geographischen und auch disziplinären Spannweite der Themen werde ich mich im Folgenden auf ausgewählte Querschnittthemen konzentrieren. Letztere umfassen u. a. Begriffsklärungen von ,alt‘, ,Alter‘ und ,Altern‘, die den Facettenreichtum dieser nur scheinbar banalen Begriffe (s. auch Staudinger/Häfner 2008) illustrieren. Ein weiteres Thema werden Altersbilder und Altersdiskurse sein, die in den einzelnen Beiträgen zur Sprache kommen. So ist beispielsweise zu fragen, ob bestimmte Altersdiskurse und Altersbilder mit bestimmten gesellschaftlichen, demographischen oder weltanschaulichen Gegebenheiten korrelieren, und ob sich diachrone Entwicklungslinien ausmachen lassen. Ziel ist es, auf diese Weise Bezüge zwischen den Einzelbeiträgen herzustellen, um die Variabilität und Komplexität des Phänomens Alter(n) besser zu erfassen. Auch die Altersforschung selbst wird thematisiert: Gibt es veraltete theoretische Konzepte? Was sind vielversprechende innovative Ansätze? Wo liegen die Herausforderungen? Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Relevanz die hier angestellten Reflexionen zu Alter und Altern in Vergangenheit und Gegenwart für die aktuelle Alters- und Demographiedebatte haben. Der inhaltliche Fokus dieses Beitrags ist wesentlich von meinem fachlichen Hintergrund geprägt: Als Prähistorikerin arbeite ich mit materiellen

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Spuren und Überresten, die sich von Menschen und ihren Handlungen aus schriftlosen Zeiten mehr oder weniger zufällig erhalten haben und die dank weiterer Zufälle gefunden und ausgegraben wurden. Im Vergleich zu den damaligen Lebenswirklichkeiten ist dieser Quellenbestand extrem reduziert. Er birgt die Gefahr, die mannigfaltigen Fehlstellen auszublenden und aus dem überschaubaren Quellenbestand ebenso überschaubare historische Szenarien zu rekonstruieren, die der Komplexität menschlichen Lebens nicht annähernd gerecht werden. Bei der Interpretation archäologischer Quellen, die grundsätzlich vieldeutig und allein aus sich heraus nicht verständlich sind, schöpfen wir bei der Suche nach plausiblen Analogien zwangsläufig aus dem eigenen Erfahrungshintergrund (vgl. Beitrag Kjellström/Welinder:  71). Deshalb heißt es über ArchäologInnen auch süffisant, dass ,sie fanden, was sie kannten‘. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Je mehr ArchäologInnen kennen und je breiter ihre Erfahrungen und ihr Wissen sind, desto weiter fällt das Spektrum plausibler Interpretationen aus, und desto größer ist auch das Bewusstsein für kulturelle Komplexität und Variabilität. Deshalb interessiere ich mich im Rahmen dieses Beitrags besonders für die Komplexität und Variabilität des Phänomens Alter(n) im Kulturvergleich und lote vor allem diese Aspekte aus. Zum einen verspreche ich mir davon epistemologische Impulse für die archäologische Altersforschung, zum andern erwarte ich Anregungen, Alter(n) anders zu denken und dadurch auch die aktuelle Demographiedebatte in einem neuen Licht zu sehen. Denn wie Anna Kjellström und Stig Welinder zu Beginn ihres Beitrags zum Alter in der Urgeschichte ausführen, fordert die Prähistorische Archäologie dazu heraus, die eigenen Fragen, Konzepte und Vorstellungen zu überdenken und damit den eigenen kulturellen und zeitgeschichtlichen Hintergrund zu reflektieren (ebd.: 72). Diese Herausforderung stellt sich jedoch nicht allein ArchäologInnen: Zusammen mit der Ausweitung des eigenen Erfahrungs- und Wissenshorizontes auf andere Gesellschaften ist eine solche Reflexion elementare Voraussetzung, Alter(n) anders zu denken.

2. ,Alter‘, ,alt‘ und ,Altern‘ – vielfältige Bedeutungen scheinbar banaler Begriffe 2.1 Grenzziehungen: Wann ist man ,alt‘? Auf die Frage, wann man alt ist und in die Lebensphase des Alters eintritt, finden sich je nach Kontext und Blickwinkel sehr unterschiedliche Antworten. Wie die Ethnologin Willemijn de Jong in ihrem Beitrag mit Verweis auf

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Ergebnisse des European Social Survey2 und auf eigene Untersuchungen in Südindien darlegt, können die Einschätzungen im Ländervergleich, aber auch innerhalb desselben Landes beträchtlich auseinander liegen – in Südindien beispielsweise bis zu mehr als 30 Jahren. Für die Frage ,Ab welchem Alter würden Sie jemanden als alt bezeichnen?‘ spielt es jedoch nicht nur eine Rolle, wo man lebt. Vielmehr kann die Antwort auch vom eigenen Alter abhängen, wie eine in Deutschland durchgeführte Befragung zeigt: Mit zunehmendem Alter steigt die angegebene Altersgrenze. Zwischen der Gruppe der 40- bis 44-Jährigen und derjenigen der 80- bis 85-Jährigen macht die Differenz fünf Jahre aus. Bei den jüngeren Befragten liegt sie bei etwa 70, bei den älteren Befragten bei etwa 75 Jahren (Kohli/Künemund 2000: 52 mit Abb. 3.6). Vergleichbare Ergebnisse liegen auch aus der Schweiz vor: Gefragt, ab welchem Alter ein Mann alt sei, gaben Männer im Alter zwischen 20 und 24 Jahren im Schnitt 62 Jahre an. Männer zwischen 65 und 74  Jahren nannten hingegen durchschnittlich 67 Jahre als Beginn des Alters (Roux et al. 1996: 15). Bei den befragten Frauen zeigt sich derselbe Trend, den Beginn des Alters mit zunehmendem Lebensalter später anzusetzen. Allerdings nannten Frauen für diese Grenze für beide Geschlechter ein etwas höheres Alter als die Männer (ebd.). Aus dieser und vergleichbaren Untersuchungen ist zu schließen, dass Alterseinschätzungen stark vom Alter und Geschlecht der Befragten abhängig sind. Neben den genannten Grenzziehungen, die eher kollektive Vorstellungen reflektieren, ist auch die subjektive Einschätzung, wie alt man sich fühlt, von Bedeutung. So ist es auffallend, dass ältere Menschen sich oft jünger als ihr chronologisches Alter einschätzen (Goldsmith/Heiens 1992: 313). Ob sich darin die „Beibehaltung ‚jugendhafter‘ Einstellungen“ oder eine „Ablehnung des Alters“ widerspiegelt (Roux et al. 1996: 16), kann hier nicht entschieden werden. Möglicherweise wirkt sich in dieser subjektiven Einschätzung aber auch der Anstieg der Lebensqualität und der bessere Gesundheitszustand aus, der für Ältere in den Industrienationen zu verzeichnen ist: „Die heute 70-Jährigen sind körperlich so fit wie die 65-Jährigen vor 30 Jahren“ (Baltes 2004: 12). Dass die 60-Jährigen aus biologischer Sicht heute fünf Jahre jünger sind als früher, kommt auf dem Arbeitsmarkt jedoch nicht zum Tragen. Im Gegenteil: Seit den 1970er Jahren gelten ArbeitnehmerInnen schon mit 45 bis 50 Jahren als alt und laufen Gefahr, vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden (Beitrag Amann: 212f.). Davor war diese Zuschreibung an das gesetzliche Pensionsalter gekoppelt, das wiederum in weiteren Bereichen – u. a. in der Sozialpolitik und der Demographie – eine bedeutsame Altersgrenze war und bis heute geblieben ist (Beiträge Amann: 211f. und Ehmer: 404). In der Arbeitswelt, die eigenen 2 www.europeansocialsurvey.org; letzter Zugriff: 14.2.2010.

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Regeln folgt, hat sich der ,Beginn des Alters‘ dagegen in einen Lebensabschnitt verschoben, in dem sich viele noch ,jung‘ oder ,in der Mitte des Lebens‘ fühlen. Die Frage, wann das Alter beginnt, ist ohne weitere Präzisierung also nicht zu beantworten. Zu klären wäre beispielsweise, ob es sich um ein Selbstbild oder um eine Fremdeinschätzung handelt, die wiederum alters- und geschlechtsabhängig sein kann. Wesentlich ist auch der Kontext: Wer mit 50 Jahren auf dem Arbeitsmarkt zum ,alten Eisen‘ zählt, gehört in der Politik und in den Vorstandsetagen noch zu den ,Jungen‘. Altersgrenzen können nicht nur im Kulturvergleich, sondern auch innerhalb derselben Gesellschaft sehr variabel sein – und sie können sich im Laufe der Zeit verschieben. Letzteres gilt auch für das biologische Alter, das keineswegs, wie oft angenommen, eine unveränderliche und universale Größe darstellt. Grenzziehungen zwischen ,alt‘ und ,jung‘ haben also einen spezifischen Kontext, den es zu historisieren gilt (Beitrag Ehmer): Wie kam es zur jeweiligen Grenzziehung? In welchem Bereich ist sie gültig? Warum ist sie bedeutsam – und wie kann man sich gegebenenfalls von ihr emanzipieren?

2.2 ,Altern‘ aus verschiedenen kulturellen und disziplinären Blickwinkeln Auch die Prozesse, die dazu führen, dass Individuen ,alt werden‘, kann man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Aus biologischer Sicht (s.  dazu auch Beitrag Alt) ist Altern ein „time-dependent progressive decline in physiological functions and an increase in morbidity and mortality. It is governed by genetic, environmental and stochastic processes“ (Beitrag Osiewacz/ Scheckhuber: 359). Ein Vorgang, der so vielen Einflüssen unterliegt, ist komplex – so komplex, dass bislang keine der über 300 existierenden Theorien das biologische Altern hinreichend erklären kann (ebd.). Während das Altern aus biologischer Sicht als unweigerlich fortschreitender Zerfall mit tödlichem Ausgang charakterisiert wird, stellte die Entwicklungspsychologin Ursula Staudinger das Altern in ihrem Vortrag in einen engen Zusammenhang zu Entwicklung. Altern und Entwicklung seien lebenslange Prozesse, die nicht aufeinander folgten, sondern bis ins hohe Alter parallel verliefen. Deshalb gebe es in jedem Lebensalter sowohl Gewinne als auch Verluste. Entwicklung und Altern seien plastisch, d. h. beeinflussbar und abhängig von biologischen, kulturellen und psychischen Ressourcen. Deshalb sei es wichtig, möglichst vielfältige Ressourcen zu haben, die es wiederum ermöglichten, altersbedingte Herausforderungen zu meistern. Aus dieser Perspektive ist Altern ein Vorgang, der sich in enger Wechselwirkung mit Entwicklungsprozessen vollzieht – ein

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Konzept also, das die Plastizität des Alterns sowie Resilienz betont. Altern wird hier weniger als ein ,biologisches Programm‘ gesehen, das abläuft und dem Individuum nur begrenzte Einflussnahme eröffnet. Vielmehr betont diese Sichtweise die Möglichkeiten des Individuums, diesen Prozess aktiv zu gestalten und in gewissem Masse auch zu steuern. Je nach Disziplin wird das Phänomen des Alterns sehr unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Über die Fächergrenzen hinweg scheint zwar Einigkeit darüber zu bestehen, dass am Vorgang des Alterns eine ganze Reihe von Faktoren beteiligt ist, doch werden diese sehr unterschiedlich gewichtet. Dabei wird derjenigen Komponente, die von der eigenen Disziplin behandelt wird, – folgerichtig – die Hauptrolle zugeschrieben: So wird in der Biologie dem biologischen Vorgang der Vorrang eingeräumt und anderen, beispielsweise soziokulturellen Faktoren eine nachrangige Bedeutung zugewiesen. Im kultur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Umfeld ist es genau umgekehrt: „Das körperliche Geschehen des Alterns ist durch und durch sozial und kulturell geformt und abhängig von seiner soziokulturellen Organisation“, so die Soziologin Heike Kahlert in ihrem Beitrag (Kahlert: 384). Und weiter – mit Bezug auf die Soziologin Cornelia Helfferich: „Altern ist zutiefst historisch und kulturell geprägt, denn jede Generation hat ein anderes Alter, weil sich die Rahmenbedingungen im Alter(n) unterscheiden, und weil sie unter anderen Bedingungen mit jeweiligen Chancen und Hindernissen aber auch biographischen Weichenstellungen gelebt hat“ (ebd.: 383). Und so resümiert Heike Kahlert mit Verweis auf die Kulturwissenschaftlerin Heike Hartung: „Zeitgenössische Einschätzungen zum Alterungsprozess schwanken zwischen einer biologistischen Verfalls- und einer konstruktivistischen Erfolgsgeschichte oder suchen zwischen diesen Polen zu vermitteln“ (ebd.). Zu ergänzen ist hier noch, dass die Beurteilung als Verfalls- oder Erfolgsgeschichte stark mit der Einschätzung der individuellen Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Alterungsprozesses korreliert. Wie in der Wissenschaft, so gibt es auch in der Alltagswelt vielfältige Einschätzungen, was ,Altern‘ sei – ein Aspekt, der in vielen Beiträgen dieses Bandes zur Sprache kommt. Allgemein ist für westliche Länder gegenwärtig eine starke Somatisierung des Alterns festzustellen: In westlichen Alltagstheorien wird ,Altern‘ vor allem am ,alternden Körper‘ festgemacht (s. insb. Beiträge Kaufman und van der Geest) und in der Folge mit ,körperlichem Verfall‘ und ,steigendem Krankheitsrisiko‘ gleichgesetzt. Die ,biologistische Verfallsgeschichte‘, die Heike Kahlert als einen Pol der wissenschaftlichen Zugänge zu Altern herausgestellt hat, steht hier eindeutig im Vordergrund. Ganz anders beispielsweise in Ghana. Wie der Ethnologe Sjaak van der Geest für die Akan ausführt, bedeutet ,altern‘ (nyin) in ihrer Sprache ,wachsen‘. Entsprechend sei Altern ein grundsätzlich positives Konzept: „It implies accumulation, getting

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more of what the person/animal/tree is supposed to acquire because of its nature“ (van der Geest: 232). ,Wachsen‘ versus ,Zerfall‘ – es ist nahe liegend, dass das jeweilige Verständnis des Alterungsprozesses unmittelbar dessen Bewertung beeinflusst, zum Teil sogar unabhängig von den realen Lebensbedingungen. So berichtet Sjaak van der Geest, dass in Ghana viele der von ihm befragten älteren Menschen Zufriedenheit darüber ausdrückten, alt zu sein – und zwar trotz potentieller Einschränkungen, Armut und schlechter Gesundheit (ebd.). Umgekehrt hat sich in der westlichen Welt die Lebensqualität älterer Menschen in den letzten Jahrzehnten zwar erheblich verbessert, doch im Alltag überwiegen negative Altersbilder und Altersdiskurse. Es ist also anzunehmen, dass das jeweilige Verständnis des Alterungsprozesses – z. B. als Wachstums- oder als Zerfallsprozess – sowohl die individuelle Befindlichkeit im Alter als auch kollektive Altersbilder und Altersdiskurse prägt. Das spiegelt sich auch in verbreiteten Vorstellungen wider, wie das Altern idealerweise sein bzw. wie es möglichst nicht sein sollte. Aktuelle Idealvorstellungen, die in verschiedenen Beiträgen dieses Bandes genannt werden, sind ,würdevolles‘, ,gesundes‘, ,erfolgreiches‘, ,vitales‘, ,produktives‘, ,schöneres‘, ,natürliches‘ und ,normales‘ Altern. In den westlichen Gesellschaften wird das Erreichen dieser Idealvorstellungen zunehmend als individuelle Aufgabe und Verantwortung deklariert: Jeder sei zu lebenslanger Gesundheitsvorsorge verpflichtet und könne bzw. müsse bereits in jungen Jahren die Weichen für ein ,erfolgreiches Altern‘ stellen (s. Beiträge Kaufman: 243f.; Perrig-Chiello: 334). Bisher war nur vom Altern von Individuen die Rede. Nach aktuellen Vorstellungen können jedoch auch gesamte Gesellschaften ,altern‘, ja sogar ,überaltern‘ und ,vergreisen‘. Was uns heute selbstverständlich erscheint, ist jedoch eine sehr junge Idee. Wie der Historiker Josef Ehmer ausführt, kam sie erstmals in den 1890er Jahren im Kontext nationalistischer, biologistischer, sozialdarwinistischer und rassistischer Denkweisen auf. Die Vorstellung von einer ,Alterung der Gesellschaft‘ war politisch-ideologisch aufgeladen und hatte von Beginn an eine apokalyptische Konnotation (Beitrag Ehmer: 428f.). Auf diesen Aspekt wird im Kontext von Altersbildern und Altersdiskursen nochmals zurückzukommen sein.

2.3 Was ist das Alter? Wenn auf diese unspezifische Frage die Gegenfrage ,Welches Alter?‘ folgt, ist das nicht verwunderlich. Allein in diesem Band werden so unterschiedliche Formen des Alters angesprochen wie das kalendarische, soziale, psychische,

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funktionale (Beitrag Kahlert), biologische, genetische (Beitrag Osiewacz/ Scheckhuber), das osteologische und das kulturelle Alter (Beiträge Kjellström/ Welinder; Stauch). Im Alltagsleben wird mit ,Alter‘ meist das in Kalenderjahren gemessene Lebensalter assoziiert. Darin spiegelt sich die große Bedeutung wider, die das kalendarische Alter in vielen heutigen Gesellschaften hat, was jeweils auf eine im Kulturvergleich ungewöhnlich stark ausgeprägte Verzeitlichung und Chronologisierung des Lebens zurückzuführen ist. Obwohl für uns heute selbstverständlich, ist die exakte Zählung der Lebensjahre ein vergleichsweise junges Phänomen und – wie Josef Ehmer in seinem Beitrag ausführt – erstmals für die Renaissance zu fassen. Damals entwickelte sich durch staatlichen, zum Teil auch kirchlichen Druck „sehr allmählich ein Interesse an der Kenntnis des exakten kalendarischen Alters eines Menschen“ (Beitrag Ehmer: 407). Zuvor war es offenbar unwichtig, das Lebensalter exakt zu kennen, worauf zum Beispiel die überproportionale Häufigkeit runder Altersangaben in frühen demographischen Daten (ebd.: 407f.) oder auch auf römischen Grabinschriften hindeutet. In den Gesellschaften der Gegenwart stellt das Alter in zweifacher Hinsicht ein zentrales Strukturprinzip dar: Zum einen untergliedert es das Leben von Individuen im Sinne einer Abfolge von Lebensabschnitten, die gemeinsam den Lebenslauf bilden (für Details s. Beitrag Kahlert: 385f.). Die Vorstellungen von der Periodisierung des Lebensalters sind kulturspezifisch und folglich variabel. Indem sie im Sinne von ,Normallebensläufen‘ für bestimmte Lebensabschnitte bzw. Altersstufen spezifische Tätigkeiten oder Funktionen vorsehen (in Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften z. B. Ausbildung, Berufstätigkeit, Pensionierung), bestimmen und strukturieren sie in hohem Maße die Lebensweise von Individuen. Zum andern kommt dem Alter auch die Rolle einer elementaren sozialen Struktur- und Ungleichheitskategorie zu. In enger Verschränkung mit weiteren Struktur- und Ungleichheitskategorien, insbesondere mit dem Geschlecht, weist das Alter den Individuen bestimmte Rollen, Funktionen, Lebenschancen und ihren Status – d.  h. ihren Platz in der Gesellschaft an. Die enge Verschränkung der Ungleichheitskategorien Alter und Geschlecht führt dazu, dass ,Altern‘ und ,alt sein‘ für Männer und Frauen Unterschiedliches bedeutet. So werden „dieselben äußeren Erscheinungsformen des Älterwerdens (Falten, graue Haare etc.) je nach Geschlecht des Beobachteten mit verschiedenen Maßstäben bewertet. Graue Schläfen bei den Männern signalisieren einen gewissen Status und Attraktivität, bei Frauen das Gegenteil“ (Beitrag Perrig-Chiello: 326; ausführlich zu diesem Thema auch Kahlert: 384). Dass das Alter auch in Gesellschaften der Vergangenheit eine zentrale Struktur- und Ungleichheitskategorie war, wurde in zahlreichen Einzelstudien hinreichend gezeigt. Im vorliegenden Band stellt die Schilderung der

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Verhältnisse in Sparta ein Beispiel für eine ausgeprägte Gerontokratie dar, in der die alten Männer Politik und Gesellschaft dominierten, und das Alter in jedem Lebensalter rangbestimmende Ungleichheitskategorie war (s.  Beitrag Schmitz: 118). Auch die Strukturierung des Lebens in Abschnitte wie Kindheit, Jugend und Alter, die im griechischen Denken mit der Konzeption der ,Weltalter‘, einer mythischen Geschichtsdeutung, eng verzahnt war (WagnerHasel 2006: 22), ist ein gängiges Phänomen. Im europäischen Mittelalter und der Neuzeit waren Vorstellungen von verschiedenen, deutlich voneinander abgrenzbaren Lebensabschnitten verbreitet, die überwiegend auf antike Konzeptionen zurückgingen. Zur Funktion dieser Alterseinteilungen führte die Historikerin Anne-Charlott Trepp in ihrem Vortrag aus, dass sie das menschliche Leben in eine sinnhafte Beziehung zur Natur, zum Kosmos und zur christlichen Heilsgeschichte setzten: „So erlaubten Vierer-, Sechser- oder SiebenerAltersschemata Parallelisierungen mit den vier Jahreszeiten, den vier Elementen und Temperamenten bzw. mit den sechs Weltaltern oder den sieben Planeten und Wochentagen. Anstelle der Unwägbarkeiten des Lebens suggerierten die Altersmodelle Ordnung und Berechenbarkeit“ (Trepp 2008: 302). Auch aus dem Alten Ägypten ist die Periodisierung des Lebenslaufs belegt – so beispielsweise in Form eines Altersmodells, das den Lebenszyklus in Zehnerschritte unterteilt (s. Beitrag Bommas: 101). Vor diesem Hintergrund ist man versucht anzunehmen, dass das Alter generell in allen menschlichen Gesellschaften ein zentrales Strukturprinzip darstellt. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Annahme für schriftlose Kulturen schwer zu überprüfen ist, da für deren Erforschung ausschließlich materielle Hinterlassenschaften, bei einer günstigen Quellenlage auch sterbliche Überreste der damaligen Menschen zur Verfügung stehen. So lässt sich die These, dass das Alter auch in urgeschichtlichen Gesellschaften eine wichtige Struktur- und Ungleichheitskategorie gewesen sei, nur dann überprüfen, wenn eine größere Anzahl von Bestattungen vorliegt, die regelhaft altersspezifische Bestattungssitten und Grabbeigaben erkennen lassen (Beiträge Kjellström/Welinder und Stauch). Die ältesten Hinweise auf einen altersstrukturierten Bestattungskult stammen aus dem Mesolithikum (ca. 9700–5500 v. Chr.) (Grünberg 2000: 122–137) – was jedoch nicht heißt, dass das Alter im Paläolithikum nicht als soziales Strukturprinzip fungierte. Vielmehr lassen die vergleichsweise wenigen Bestattungen aus diesen Epochen keine entsprechenden Schlussfolgerungen zu. Dieser Befund ist in erster Linie quantitativ bedingt. Zusätzlich ist aber auch zu bedenken, dass der Bestattungskult nicht zwangsläufig Strukturen des Alltagslebens widerspiegeln muss, so dass aus dem Fehlen altersspezifischer Muster nicht geschlossen werden kann, dass das Alter in den betreffenden Gesellschaften kein soziales Strukturprinzip war. Möglich wäre auch, dass

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Altersunterschiede im Bestattungskult entweder nicht von Belang waren oder im archäologischen Befund nicht abgebildet sind. Halten wir also fest, dass das Alter spätestens seit dem europäischen Mesolithikum in den meisten Gesellschaften eine zentrale Strukturkategorie darstellte. Eine andere Frage ist, in welchen Gesellschaften alte Menschen als eigene soziale Gruppe galten. Die Historikerin Gabriela Signori plädiert in ihrem Beitrag dafür, die „Erfindung des Alters“ dem Spätmittelalter zuzuschreiben (Beitrag Signori: 166). Sie konstatiert für diese Zeit einen höheren Anteil alter Menschen, auf den die Allgemeinheit mit der Schaffung spezieller Einrichtungen (u.  a. Spitäler, Pfründeanstalten) und der Ausbildung einer medizinischen Spezialliteratur reagierte. Die veränderten demographischen Verhältnisse schlugen sich auch auf der rechtlichen und der diskursiven Ebene nieder, da geregelt werden musste, wer für den Unterhalt und die Pflege der Alten aufkommen sollte. Es entstanden vertragliche Absicherungen z.  B. mittels Not- oder Spitalpfründen, und die spätmittelalterlichen religiösen Moralisten propagierten einen auf Reziprozität gestützten Generationenvertrag (ebd.: 166). Darüber hinaus wurden auch spezielle ,Finanzprodukte‘ wie Leib- und Ewigrenten generiert (ebd.: 173) Zwischen dem Spätmittelalter und der heutigen Zeit gibt es also erstaunliche Parallelen: Damals wie heute stellte ein höherer Anteil alter Menschen eine Herausforderung dar, auf die mit einer Institutionalisierung der Altenpflege, medizinischer Spezialisierung, der Generierung von Pfründen und Renten zur finanziellen Absicherung und der Erinnerung an den Generationenvertrag reagiert wurde. Die verbreitete Ansicht, dass die heutige Situation ,historisch einzigartig‘ sei, ist also zu überdenken bzw. zu präzisieren. In diese Richtung weist auch der Beitrag Josef Ehmers über den Wandel der Alterstrukturen in Europa im Zeitraum der letzten 600 Jahre. Er zeigt auf, dass im vormodernen Europa „ein relativ hoher Anteil von älteren Menschen – von zehn oder mehr Prozent – die Regel war. Anteile von über 60-Jährigen von nur sechs Prozent, wie sie im 19. Jahrhundert zu finden sind, stellen dagegen historische Ausnahmen dar“ (Beitrag Ehmer: 432). Vergleichen wir den Anteil älterer Menschen in heutigen westlichen Gesellschaften mit der demographischen Situation im Europa des 19. Jahrhunderts, beziehen wir uns also auf eine historische Ausnahmesituation, die die aktuelle Situation weitaus dramatischer und singulärer erscheinen lässt, als sie es tatsächlich ist.

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3. Altersbilder und Altersdiskurse in Vergangenheit und Gegenwart 3.1 Alter als soziale Konstruktion und Ordnungsvorstellung: ein facettenreiches Phänomen ,Alter‘, ,alt‘ und ,Altern‘ sind keine rein biologischen Phänomene, sondern immer in bestimmte Vorstellungen und Diskurse eingebettet. Aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht wird das Alter deshalb auch als Ergebnis kommunikativer Interaktionen und Effekt einer komplexen soziokulturellen Praxis betrachtet (Kahlert: 384 mit Bezug auf weitere AutorInnen), durch die soziale Wirklichkeit hergestellt wird. Das Alter ist also eine soziale Konstruktion. Wie der Soziologe Anton Amann in seinem Beitrag ausführt, sind soziale Konstruktionen „Ideen, die in bestimmte Semantiken gefasst, als Ordnungsvorstellungen sich verbreiten, und durch Anerkennung sich zu sozialen Tatsachen verdichten, die dann von den Menschen als faktisch vorhanden angesehen werden“ (Beitrag Amann: 222f.). Und weiter: „Diese einverleibten geistigen Schemata erzeugen jene relativ verfestigten Vorstellungen oder Figurationen, mit deren Hilfe die Gegenwart Sinn annimmt, andere verstehbar werden, und der soziale Raum erschlossen werden kann“ (ebd.: 210). Aus dieser Perspektive kann man ,Alter‘ als eine sinnstiftende und handlungsleitende Ordnungsvorstellung betrachten, die auch normativen Charakter hat. Mit ihr verbunden sind bestimmte Altersdiskurse, -bilder, -stereotype und -symbole. Das Alter steht in Wechselwirkung mit anderen sozialen Konstruktionen wie ,Geschlecht‘, ,Familie‘, ,Verwandtschaft‘ und ,Generationenverhältnis‘. Darüber hinaus sind die Wahrnehmung und Bewertung von Alter auch maßgeblich von Identitäts- und Körperkonzepten, vom Menschen- und Selbstbild, von der Konzeption des Lebenszyklus, vom Zeitkonzept, von gesellschaftlichen Leitbildern und Werten, religiösen und philosophischen Vorstellungen, dem politischen System und der praktizierten Sozialpolitik, rechtlichen Rahmenbedingungen, vom medizinischen und biotechnologischen Wissen und vielem anderem mehr geprägt. In den Beiträgen dieses Buches finden sich dafür zahlreiche Beispiele. Sie illustrieren eindrücklich, dass Vorstellungen rund um ,Alter‘, ,alt‘ und ,Altern‘ einer enormen Variabilität unterliegen, die sich nicht in starre zeitliche, kulturelle oder demographische Schemata einpassen lässt: Weder wurden in urgeschichtlichen Gesellschaften alte Menschen grundsätzlich gering geschätzt und von der Gemeinschaft aufgegeben, noch werden sie in nicht industrialisierten Gesellschaften generell als Wissensträger geehrt. Und auch für die Idee, dass apokalyptische Altersdiskurse dann entstehen, wenn der Anteil der alten Menschen an der

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Bevölkerung vergleichsweise hoch ist, gibt es Gegenbeispiele (Beitrag Ehmer: 428f.; 432). Bestimmte Altersdiskurse und Altersbilder lassen sich also nicht regelhaft mit bestimmten gesellschaftlichen, demographischen oder weltanschaulichen Gegebenheiten verbinden. Ein solches Unterfangen ist allein schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil bei einer genaueren Betrachtung von Einzelfällen zahlreiche Brüche und Ambivalenzen zutage treten. So postuliert Josef Ehmer: „Das Alter als Lebensphase wurde zu allen Zeiten ambivalent bewertet, als Fluch oder Segen, als Erfüllung oder Niedergang“ (ebd.: 427). Die entscheidende Frage ist, ob sich die potentielle Vielfalt von Altersdiskursen auch im historischen Quellenmaterial bzw. den empirischen Daten widerspiegelt. Liegen nur archäologische oder schriftliche Quellen bzw. empirische Daten von bestimmten Bevölkerungsgruppen vor, stellen die erfassten Altersdiskurse möglicherweise nur einen Ausschnitt des gesamten Spektrums dar. Als krasses Beispiel ist hier das Alte Ägypten zu nennen, aus dem zwar ein außerordentlich reichhaltiges, aber fast ausschließlich die Oberschicht betreffendes Quellenmaterial überliefert ist (Beitrag Bommas: 96). Die Frage der Repräsentativität von Altersbildern und Altersdiskursen ist auch für die Auswertung bestimmter literarischer Genres relevant. Insbesondere bei Gattungen wie Altersklagen oder Spottversen stellt sich das Problem, inwieweit die darin fassbaren Altersstereotype überhaupt einen Einblick in Lebenswirklichkeiten geben (Wagner-Hasel 2006: 15–17). So wirft Gabriela Signori im Hinblick auf die spätmittelalterliche Schwankliteratur die Frage auf: „Was aber verbindet Schwank und Realität? Das Lachen der Ohnmächtigen? Führt uns der Schwank wirklich, wie die Forschung längere Zeit behauptete, in das Herz kollektiver Vorstellungen, zu den Mentalitäten?“ (Beitrag Signori: 166). Neben der Repräsentativität von Altersdiskursen und Altersbildern ist auch die Konsistenz ihrer Inhalte keineswegs vorauszusetzen. Vielmehr können gleichzeitig vorhandene Altersdiskurse sowohl untereinander als auch im Hinblick auf die jeweiligen Lebenswirklichkeiten durchaus widersprüchlich sein. Das zeigen die sozialanthropologischen Untersuchungen von Claudia Roth und Sjaak van der Geest in diesem Band. In seiner Feldstudie in Ghana konstatierte Letzterer eine deutliche Diskrepanz zwischen diskursiver Norm und gängiger Praxis. Obwohl in Ghana in Ehrentiteln und Sprichwörtern eine große Wertschätzung für alte Menschen zum Ausdruck kommt, manifestiert sich diese nicht zwangsläufig auch im täglichen Umgang (Beitrag van der Geest: 232f.). In Burkina Faso stieß Claudia Roth auf öffentliche und private Altersdiskurse, die sich stark unterscheiden: „Those destined for the public emphasize the clash between the generations and the challenge to social security in old age. In contrast, the private accounts on intergenerational relations appear

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differentiated: the efforts of the persons involved to ensure social security in old age under the most difficult conditions become apparent“ (Beitrag Roth: 281). Die beobachtete Diskrepanz zwischen den privaten und öffentlichen Altersdiskursen wertet Claudia Roth als Ausdruck einer Neuverhandlung des Generationenvertrags (ebd.: 296). Dieses Fallbeispiel macht deutlich, dass Altersbilder und -diskurse auch als Verhandlungspositionen in Aushandelungsprozessen fungieren können. Dies wiederum bringt noch einmal auf den Punkt, dass Altersbilder und -diskurse äußerst komplexe und facettenreiche Phänomene sind, deren Inhalte mit den konkreten Lebensbedingungen nicht übereinstimmen müssen.

3.2 Negative Altersbilder – eine anthropologische Konstante? Negative Altersbilder sind in europäischen Gesellschaften heute so fest verankert und scheinbar selbstverständlich, dass sie fast als anthropologische Konstante erscheinen. Als Prähistorikerin gewohnt, in langen Zeiträumen zu denken, finde ich dieses Phänomen beachtlich, denn es ist erst gut 100 Jahre her, dass die ,Jungen‘ die ,Alten‘ als neues Leitbild ablösten und sich damit auch ein negatives Altersbild etablierte. In der Kunst um die Wende des 19. zum 20.  Jahrhundert wird dieser Leitbildwechsel besonders plastisch. Die Kunsthistorikerin Sabine Meister zeichnet diese massive Veränderung von einem Alters- zu einem Jugend- und Körperkult in ihrem Beitrag an ausgewählten Beispielen nach. Sie zeigt, wie im Kontext der Aufbruchstimmung, die in der Kunst um 1900 herrschte, ,alt‘ und ,jung‘ zu Qualitätsbegriffen wurden: „In unzähligen Schriften wurden die Begriffe die Jungen/die Jugend synonym mit einer neuen, modernen Kunst und die Alten/das Alte synonym mit überlieferter, historisierender Kunst verwandt“; alles, „was nach Erfahrung, Weisheit, Erprobtem und Überlieferung“ aussah, wurde von der künstlerischen Moderne abgelehnt (Beitrag Meister: 190). ,Jugend‘ wurde zu einem Kampfbegriff, der sowohl im „Kampf um die Moderne“ als auch in der konservativen Kulturkritik eingesetzt wurde (ebd.: 189; 201). Damit wird ein Prozess der zunehmenden Ideologisierung des Alters fassbar, der sich auch in der in den 1890er Jahren aufkommenden Vorstellung von einer ,Alterung der Gesellschaft‘ manifestiert. Josef Ehmer verortet diese neue Denkfigur im Kontext nationalistischer, biologistischer, sozialdarwinistischer und rassistischer Denkweisen (Beitrag Ehmer: 429). Den Leitbildwechsel in der Kunst und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehenden Jugend- und Körperkult sieht Sabine Meister hingegen im Ideal einer dynamischen, fortschrittsorientierten Gesellschaft verwurzelt (Beitrag Meister: 202). Das ist kein

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Widerspruch. Zum einen ließen sich inhaltliche Bezüge zwischen beiden Kontexten herstellen, zum andern zeigt sich einmal mehr, dass Ordnungsvorstellungen wie das Alter alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehen und Kristallisationspunkte bilden, an denen sich Neuerungen und Verschiebungen vollziehen, die mit der Zeit hegemonial werden können. Eine solche Neuerung in den europäischen Altersdiskursen war auch die Idee, „die Altersstruktur nach ihrem ökonomischen ,Wert‘ für die Gesellschaft zu klassifizieren“ (Beitrag Ehmer: 428) – ein Denken, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts völlig neu war, uns heute jedoch allzu vertraut ist. Aus heutiger Sicht äußerst überraschend ist jedoch, dass, wie Josef Ehmer darlegt, damals nicht die Alten als ,unnütz‘ und ,unproduktiv‘ galten, sondern vielmehr die Kinder und Jugendlichen als „Last für die Gesellschaft“ und Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung empfunden wurden (ebd.). Ausgerechnet die Altersgruppen, die in der aktuellen Demographiedebatte Hoffnungsträger wären, lösten damals Ängste und düstere Zukunftsprognosen aus. Ende des 19.  Jahrhunderts kehrte sich dieses Verhältnis um. Geblieben ist der Grundgedanke, aus Altersstrukturen „Belastungsquoten“ abzuleiten (ebd.). Heute sind die meisten Altersdiskurse in den westlichen Ländern Belastungsdiskurse. Wie es dazu kam, zeichnet Anton Amann bis zu ihren Ursprüngen in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg nach. Damals wurde das Alter als „soziales Problem“ und als „ökonomische Last“ stigmatisiert (Beitrag Amann: 211–213). In seinem Überblick über die einzelnen Phasen dieser Entwicklung macht Anton Amann deutlich, dass die neuen Alterskonstruktionen nicht allein auf demographische Veränderungen zurückzuführen sind. Vielmehr sind sie auch das Ergebnis sozialer, politischer und ökonomischer Strategien. Diese schufen Strukturen, „unter denen älter werdende Menschen vermehrt in ökonomische und finanzielle Abhängigkeiten gerieten und sozial exkludiert wurden. […] Diese Strukturveränderungen gingen Hand in Hand mit spezifischen und ebenfalls sich verändernden Konstruktionen oder Interpretationen des Alters“ (ebd.: 211). Heute, im Zeitalter von Globalisierung und Neoliberalismus, erscheinen Altern und Alter schließlich als ,globale Belastung‘ und als ,Risiko‘. Ältere Menschen gelten als ,unproduktiv‘ und müssen ,aktiviert‘ werden, d. h. sie sollen durch eine längere Lebensarbeitszeit, ehrenamtliches Engagement, Familienarbeit, Konsum von ihnen zugedachten Gütern und Leistungen etc. zur wirtschaftlichen Produktion beitragen, „damit sie den Jüngeren nicht so schwer auf der Tasche liegen“ (ebd.: 217). Diesem Verständnis liegt das Bild von einer „aktiven und aktivierten Gesellschaft“ zugrunde, in der soziale Risiken und Widersprüche rigoros individualisiert werden (ebd.: 214). Neben dem dynamischen und fortschrittsorientierten Gesellschaftsbild vom Beginn des 20. Jahrhunderts haben wir hier ein weiteres Beispiel dafür, dass so-

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ziale Konstruktionen des Alters auch durch das jeweilige Gesellschaftsbild geprägt werden – von anthropologischen Konstanten kann im Kontext von Alter(n) also nicht die Rede sein.

3.3 Eine Geschichte mit Brüchen: Altersbilder und -diskurse in der Vergangenheit Die im vorherigen Abschnitt angesprochenen Beiträge von Anton Amann, Josef Ehmer und Sabine Meister geben einen Einblick in die Abfolge von Altersdiskursen vom ausgehenden 19.  Jahrhundert bis heute. Einzelne Denkfiguren und Argumentationsstränge lassen sich über eine gewisse Zeit verfolgen, doch daneben gibt es auch markante Brüche, Neuentwicklungen sowie zahlreiche Wechselwirkungen mit weiteren Aspekten. Die ,Geschichte der Altersdiskurse‘ ist also komplex und kann nicht als lineare Erzählung rekonstruiert werden, zumal, wie oben bereits ausgeführt, jede Generation ihr eigenes Alterskonzept hat. Deshalb soll im Folgenden nicht der Versuch unternommen werden, einen Erzählstrang vom 19. Jahrhundert zurück in die Antike oder gar die Urgeschichte zu entwickeln – auch wenn es, wie Josef Ehmer vermutet, durchaus einzelne, in der Antike entstandene Denkfiguren geben mag, die seither immer wieder reproduziert wurden und noch heute unseren Umgang mit dem Alter prägen (Ehmer 2006: 128). Die nachfolgende Präsentation ausgewählter Aspekte aus den historischen Beiträgen dieses Bandes erfolgt deshalb vor allem aus einer kulturvergleichenden und nicht aus einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive. Sie erfolgt relativ ausführlich und differenziert, damit die Vielfalt der Altersbilder und -diskurse in ihrem jeweils spezifischen historischen Kontext deutlich wird, um auf diese Weise einer vorschnellen Skizzierung linearer Entwicklungslinien entgegen zu wirken. Zu „Altersbildern und Alterserfahrungen in der Frühen Neuzeit“ sprach Anne-Charlott Trepp, die in der schriftlichen, bereits an einem anderen Ort publizierten Fassung ihres Vortrags (Trepp 2008) auch das Spätmittelalter berücksichtigt. Am Beispiel der Lebensalterdarstellungen untersucht sie darin den Wandel von Altersbildern vom späten Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit. In der spätmittelalterlichen Kunst wurden die Lebensalter entweder als Rad oder als lineare Reihung dargestellt. Insbesondere das Lebensrad spiegelt das damals bestimmende Altersbild der Kirche wieder: „Die Darstellung, die weder Stand noch Beruf erkennen lässt, entsprach der Lehre der Kirche an und über die Alten, die keine sozialen Unterschiede machte, sondern davon ausging, dass die Alten unterschiedslos vor ihrem Tod stünden“ (Trepp 2008: 306f.). Das Alter zeichnete sich aus Sicht der Kirche durch eine besondere Nähe zum Tod aus

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und sollte folglich der Vorbereitung auf den Tod, konkret auf das göttliche Gericht, dienen – ähnliche Vorstellungen werden uns weiter unten im Zusammenhang mit dem Alten Ägypten wieder begegnen. Im frühen 16.  Jahrhundert wurde das Lebensrad mehr und mehr von linearen Lebensalterdarstellungen abgelöst, und die heilsgeschichtliche Botschaft trat in den Hintergrund. Stattdessen dienten die Lebensalterdarstellungen dem prosperierenden städtischen Bürgertum zur Selbstdarstellung. Für Landesherren und Kirche waren sie zudem ein Medium mit erzieherischen und sozialdisziplinierenden Aufgaben: „Die Darstellung der Lebensalter sollte den Untertanen die alters-, geschlechts- und standesspezifisch wünschenswerten Eigenschaften und Verhaltensmerkmale eindringlich vor Augen führen“ (ebd.: 310). Diese Tendenz zur Säkularisierung des Altersbildes zeigt sich auch darin, dass die Lebensalterdarstellungen im 16. Jahrhundert Einzug in die Wohnstuben wohlhabender Bürger hielten. Damit wurde ein Altersbild verbreitet, „dessen Sinn nicht primär in der asketischen Vorbereitung auf den Tod lag, sondern – auf soziales Ansehen, Besitz und Bildung bauend – die ars moriendi mit Diesseits orientierten Lebensperspektiven zu verbinden wusste“ (ebd.: 312). Das neue Altersbild war eine Synthese von bürgerlichen Wertvorstellungen, christlichen Normen und humanistischer Antikenrezeption und legte „wesentliche Grundlagen für eine differenzierte Bewertung des Alters als Lebensphase mit eigenen lebensweltlichen Aspekten“ (ebd.: 313). Anne-Charlotte Trepp kommt zum Schluss, dass „in den Schichten, in denen die entsprechenden Bildungsmöglichkeiten und d. h. auch die materiellen Grundlagen gegeben waren, an der Schwelle zur Neuzeit Altersentwürfe projektiert und gelebt wurden, wie sie dann im späten 18. Jahrhundert als aufklärerisches Gedankengut populär wurden“ (ebd.: 313). Dieser Befund ist auch im Hinblick auf einen bisher noch nicht thematisierten Aspekt aufschlussreich, nämlich für die Frage, wie lange es dauert, bis ein Altersentwurf, der von einer spezifischen sozialen Gruppe konzipiert und gelebt wird, hegemonial wird. In diesem Fall dauerte dieser Prozess annähernd 300 Jahre. Im Vergleich dazu erscheint der Wandel der Altersbilder in den letzten 120  Jahren geradezu atemberaubend schnell. Insofern gibt der Wandel von Altersbildern auch einen guten Anhaltspunkt für die Geschwindigkeiten, mit denen sich zentrale Ordnungskategorien von Gesellschaften verändern und bestimmte soziale Gruppen mit ihrem Wertesystem gesamtgesellschaftlich bestimmend werden. Interessant ist auch, dass in das im 16.  Jahrhundert neu entstandene Altersbild Vorstellungen eingingen, die aus antiken Schriften stammten, die rund 1500 Jahre davor entstanden waren. Diese Rezeption antiker Schriften durch ein humanistisch gebildetes Bürgertum warnt davor, allzu schnell direkte Kontinuitätslinien in

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die Antike zu ziehen und damit Jahrhunderte an Kultur- und Rezeptionsgeschichte auszublenden. Auch Gabriela Signori geht in ihrem Beitrag über „Die ,Erfindung‘ des Alters“ in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (13. bis Anfang 16. Jh.) auf die Rezeption antiker Schriften ein. Sie prägten zum einen die medizinische Traktatliteratur, zum andern gaben die Spottverse spätrömischer Dichter und Komödienschreiber Vorlagen für die negativen Altersstereotype in der spätmittelalterlichen Schwankliteratur ab (Beitrag Signori: 167). Dass es problematisch ist, aus literarischen Altersstereotypen unmittelbar auf die Lebenswirklichkeit alter Menschen zu schließen, wurde bereits thematisiert. Eine besser geeignete Quelle für die tatsächlichen Lebensverhältnisse sieht Gabriela Signori denn auch in Geschichten, die vom Generationenverhältnis, speziell von der gegenseitigen Unterhaltspflicht und der „regulierende[n] Kraft der Erbgüter“ handeln (ebd.: 175). Darin werden die alten Eltern als körperlich schwach und vergreist, also als hilfsbedürftig dargestellt. Die klare Botschaft dieser Geschichten ist, dass es sich nicht empfiehlt, das Erbe schon zu Lebzeiten den Söhnen zu übereignen. Offenbar war das Zurückhalten des Erbes das einzige Druckmittel, um Kinder zur Einhaltung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Eltern zu zwingen. Das Erbe als Pfand im Generationenverhältnis? Dass die Erbregelung einen großen Einfluss auf die Lebensbedingungen alter Menschen hat und möglicherweise für die Lebensbedingungen alter Menschen wesentlich entscheidender ist als Altersbilder, wird auch im Beitrag Winfried Schmitz’ über die völlig kontrastierenden Verhältnisse in Sparta und Athen deutlich (s. u.). Für das schriftarme Frühmittelalter (ca. 500–1000 n. Chr.) ist es mangels aussagekräftiger Quellentexte kaum möglich, Aussagen über damalige Altersdiskurse und -bilder zu machen. Die Frühgeschichts-Archäologin Eva Stauch, die über diesen Zeitraum arbeitet, hat in ihrem Beitrag althochdeutsche Begriffe zusammengestellt, die sich auf alte Menschen beziehen und ein Schlaglicht auf ihre Lebensbedingungen werfen (Beitrag Stauch, Abb. 2). Doch wer galt damals als ,alt‘? Dieser Frage geht Eva Stauch auf der Basis von Grabfunden aus der Zeit des 6. bis 8. Jahrhunderts nach. Im Unterschied zu Schriftquellen geben sie über die sterblichen Überreste einen sehr direkten und individuellen Zugang zu den damaligen Menschen. Gestützt auf die anthropologische Bestimmung von osteologischem Alter und Geschlecht der Skelette sowie auf eine Analyse der Grabbeigaben identifiziert Eva Stauch altersspezifische Beigabenmuster. Die Regelhaftigkeit, mit der spezifische Beigabenensembles mit bestimmten Altersspannen verbunden sind, lässt vermuten, dass sich in ihnen die damalige Konzeptualisierung des Lebenszyklus grob abzeichnet. Interessanterweise verlaufen die im archäologischen Befund fassbaren Alters-

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stufen bei Männern und Frauen nicht synchron (ebd.: 158). Das Geschlecht gab also unterschiedliche Lebenszyklen vor. Damit lässt sich auch für das Frühmittelalter die Verschränkung der Strukturkategorien Alter und Geschlecht belegen. Nachdem sich die Frühmittelalterarchäologie lange vor allem auf die Rekonstruktion sozialer Hierarchien im Sinne gesellschaftlicher Schichten konzentriert hatte, ist die Rekonstruktion geschlechtsspezifischer Lebenszyklen ein wichtiger und innovativer Schritt zu einem besseren Verständnis frühmittelalterlicher Gemeinschaften, das auf dem Zusammenspiel diverser Struktur- und Ungleichheitskategorien beruht. Doch wie kommt man von der Rekonstruktion geschlechtsspezifischer Lebenszyklen auf der Basis von Grabbefunden zu Altersbildern? Bestattungssitten sind hochgradig ritualisiert, mit religiösen Vorstellungen verbunden und haben möglicherweise mehr mit der Selbstdarstellung der Hinterbliebenen zu tun, als dass sie direkte Einblicke ins Alltagsleben erlauben. Beigaben, z. B. Spinnwirtel oder Waffen, können symbolischen Charakter haben und müssen nicht die Tätigkeiten widerspiegeln, die im Alltag hauptsächlich ausgeübt wurden. Ohne Schriftquellen die Vieldeutigkeit materieller Kultur – insbesondere aus Bestattungskontexten – auf wenige plausible Deutungen einzuschränken, ist außerordentlich schwierig. Folglich ist die Rekonstruktion von Altersbildern auf der Grundlage archäologischer Quellen nicht möglich. Dennoch können Grabfunde interessante Hinweise geben. So kann die Rekonstruktion geschlechtsspezifischer Lebenszyklen – sofern die Interpretation von Beigabenmustern in diesem Sinne korrekt ist – einen Anhaltspunkt liefern, ab wann Menschen als ,alt‘ galten: Aufgrund einer deutlichen Veränderung der Beigabenensembles sieht Eva Stauch den Beginn des Alters bei Frauen im Alter zwischen Mitte 40 und Anfang 50 (ebd.: 158). Veränderungen, insbesondere eine ‚Verarmung‘, der Beigabenensembles in der Altersklasse der 40- bis 50-jährigen Frauen werden in der archäologischen Forschung in der Regel mit der Menopause erklärt. Dahinter steht die Idee, dass die Lebenszyklen von Frauen mit der Erlangung bzw. dem Verlust ihrer biologischen Reproduktionsfähigkeit korrelieren. Doch möglicherweise handelt es sich dabei um ein Konzept, das wir, wie die Sozialanthropologie das bereits getan hat (Beitrag de Jong: 61f.), kritisch prüfen sollten. Das ist gerade deshalb wichtig, weil es wie – auch in diesem Fallbeispiel – so gut zu unserem Weiblichkeitsbild passt, dass Frauen nach der Menopause ,ihre körperliche Attraktivität verlieren‘ (Beitrag Kahlert: 393). Nach Ausweis der beigegebenen Schmuck- und Kleidungs-accessoires veränderte sich nämlich die äußere Erscheinung älterer frühmittelalterlicher Frauen: Die Röcke waren nun knöchellang, während sie in jüngeren Jahren Knie und Waden umspielten (Beitrag Stauch: 145). Interessant ist auch, dass ältere Frauen vorzugsweise

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Silberschmuck trugen. Jüngere Frauen hatten hingegen zahlreiche goldfarbene Accessoires, die glitzerten und klimperten und die Aufmerksamkeit insbesondere auf Dekolleté, Unterarme, Hände und Beine lenkten (ebd.: 144; 155). Eva Stauch interpretiert diesen Befund so, dass Schmuck und Kleidung bis ins 4. Lebensjahrzehnt die physische Attraktivität der Frauen betonen sollten (ebd.: 155) – ein Aspekt, der in der Selbstdarstellung von Frauen ab ca. 40 Jahren nach Ausweis der erhaltenen Grabfunde in den Hintergrund trat. Bei den Männern stellt Eva Stauch einen markanten Einschnitt bei den Beigaben deutlich später, nämlich mit ca. 60 Jahren, fest. Galten Männer folglich erst ab 60 als ,alt‘? Der markante Wechsel manifestiert sich vor allem in einem drastischen Rückgang von Beigaben, die in der Forschung als Status- und Machtsymbole interpretiert werden: „Um die 40 treten in den Gräbern der Männer dann Ausrüstungsgegenstände in den Vordergrund […], die wie keine anderen in der Lage waren, Status und Macht zu demonstrieren. Anfang 40 standen Männer offenbar auf dem Gipfel ihres gesellschaftlichen Ansehens […] Spätestens Ende 50 aber endeten ‚die besten Jahre‘ eines Mannes. Um das 60. Lebensjahr [...] ist bei sämtlichen prestigeträchtigen Ausstattungselementen ein merklicher Rückgang zu konstatieren“ (ebd.: 158). Eva Stauch deutet den drastischen Rückgang von Status- und Machtanzeigern als einen „merklichen Bedeutungsverlust der Männer“, der „gleichzeitig mit einem Achtungsverlust einherging“ (ebd.: 158). Ähnlich wie bei den Frauen korreliert der archäologische Befund mit modernen Vorstellungen, wonach Männer ab der Pensionierung als ,alt‘ gelten und sie mit dem Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit ihre gesellschaftliche Teilhabe verlieren (Beitrag Kahlert: 390; 396). Vielleicht gab es im Frühmittelalter tatsächlich eine vergleichbare Vorstellung. Vielleicht steht hinter diesem Wechsel in der Beigabenausstattung aber auch ein anderes Phänomen – beispielsweise ein Rollenwechsel, der keineswegs mit dem Verlust gesellschaftlicher Teilhabe und sozialem Abstieg im Alter gleichbedeutend war. Zu denken wäre etwa an eine Befreiung vom Kriegsdienst. So erwähnt Anne-Charlott Trepp für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, dass Männern zwischen 60 und 70 Jahren Privilegien zuteil wurden, die ihnen bestimmte Aufgaben und Pflichten erließen, beispielsweise die Befreiung von Militärdienst, Stadtwache und Kriegseinsätzen (Trepp 2008: 306). Ob frühmittelalterliche Männer mit etwa 60 Jahren einen markanten Bedeutungsverlust oder einen – möglicherweise sogar mit Privilegien verbundenen – Rollenwechsel erlebten, bleibt vorerst eine offene Frage. In jedem Fall scheint sich in diesem Alter eine bedeutsame Änderung vollzogen zu haben. Durch Gräberfeldanalysen können also auch für schriftarme und schriftlose Gesellschaften Anhaltspunkte für die Konzeption weiblicher und männlicher Lebenszyklen, möglicherweise auch für Altersbilder gewonnen werden.

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Voraussetzungen dafür sind 1. ein Grabkult, der altersspezifische Beigaben oder Bestattungsweisen vorsieht, 2. eine gute Skeletterhaltung, die anthropologische Alters- und Geschlechtsbestimmungen erlaubt, sowie 3. eine möglichst große Anzahl an Gräbern, die statistisch abgesicherte Aussagen zulässt. Doch auch unter günstigen Voraussetzungen gibt es methodische, theoretische und weitere quellenbedingte Herausforderungen, die es zu reflektieren gilt. Das ist eines der Hauptanliegen des Beitrags der Anthropologin Anna Kjellström und des Prähistorikers Stig Welinder über „Old age in Prehistory“. Sie bringen prägnant auf den Punkt, wie Altersforschung in der Archäologie bislang erfolgt: „The study of old age in prehistory is the analysis of the processes of growing old from burial assemblages with individuals seriated according to estimated osteological age“ (Beitrag Kjellström/Welinder: 71) – bzw. noch konkreter: „The individuals can be lined up from the youngest to the oldest, and their associated objects or other features of the burial-ritual of their society can be seriated along the line. That is the archaeological presentation of the process of growing old“ (ebd.: 85). Da archäologische Analysen sich auf osteologische bzw. anthropologische Altersbestimmungen der Skelette stützen, beruhen sie letztlich also auf biologischen Alterungs- und Abnutzungserscheinungen des Skelettapparats (ebd.: 75f.). Das ist aus zwei Gründen wichtig: Zum einen gibt es Anhaltspunkte, dass anthropologische Altersbestimmungen infolge bislang ungelöster methodischer Probleme für alte Individuen zu jung ausfallen und der Anteil alter Menschen in archäologischen Skelettserien folglich wahrscheinlich unterrepräsentiert ist (ebd.: 76). Zum andern ist zu bedenken, dass das anthropologische Alter eines Skeletts nicht exakt dem kalendarischen Alter des Individuums bei dessen Tod entspricht und das kalendarische Sterbealter für sich genommen wiederum nichts über das soziale Alter aussagt. Trotzdem erhält man über das geschilderte Vorgehen eine relative Altersabfolge der Individuen, die Grundlage für die Rekonstruktion von Lebenszyklen und auch von altersspezifischer Kleidung sein kann (ebd.: 72; 77). Erwähnenswert ist auch der Fall einer alten Frau im jungsteinzeitlichen Gräberfeld von Ajvide in Schweden. Ihr wurde ein Werkzeug-Set beigegeben, das sich sonst nur in Männergräbern findet. Anna Kjellström und Stig Welinder deuten dieses Phänomen als Hinweis auf einen Wechsel der Gender-Rolle, den diese Frau nach der Menopause vollzog. Als Begründung für diese Interpretation führen sie eine ethnographische Analogie an (ebd.: 84). Darüber hinaus ist die Deutung konsistent mit der Verortung des Beitrags in der Geschlechterforschung, welche die AutorInnen vornehmen. In der Geschlechterforschung wird der Lebenslauf nämlich als ein Prozess konzeptualisiert, in dem Alter und Geschlecht sich ineinander verschränken und permanent neu ausgehandelt

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werden. In manchen Gesellschaften ist im Rahmen dieses Prozesses ein Wechsel der Gender-Rolle möglich – ein Aspekt, der in der (archäologischen) Forschung oft vergessen wird. Im Hinblick auf die Rolle von Grabbeigaben halten Anna Kjellström und Stig Welinder Folgendes fest: „From an archaeological point of view it is of importance that material culture is part of the life-long identitymoulding process as concerns both gender and age, and certainly a number of other aspects of an individual’s feeling of belonging to one or several groups like class, ethnicity, and occupation“ (ebd.: 72). Die beiden archäologischen Beiträge haben das Thema Altersbilder und -diskurse, das in den anderen Beiträgen fast ausschließlich auf der Basis sprachlicher Äußerungen behandelt wurde, auf eine materielle Ebene geführt. Damit wurde sowohl die Materialität von menschlichen Körpern als auch von Artefakten in die Diskussion eingebracht. Wie stark Materialität und ideelle Konzepte ineinander spielen können, wird insbesondere am Beispiel des Alten Ägypten deutlich, das der Ägyptologe Martin Bommas in seinem Beitrag behandelt: Nur derjenige ,überlebte‘ den Tod, dessen Körper durch Mumifizierung erhalten, durch die Rezitationen von Götterreden ,behandelt‘ und in einem Grab aufbewahrt wurde. Die Ägypter verstanden den Tod nämlich als eine heilbare Krankheit, von der man durch die beschriebenen Maßnahmen gesunden konnte (Beitrag Bommas: 95). Dieses Todeskonzept erinnert an Vorstellungen in heutigen westlichen Gesellschaften, in denen Altern zunehmend als Krankheit gilt, durch deren Behandlung man den Tod schier beliebig hinausschieben kann (s. Beitrag Kaufman: 242; 247). Doch zurück zum Alten Ägypten: Durch die Aussicht auf erfolgreiche Heilung war der Tod „ein willkommenes Ereignis“, da er „nur eine Vorstufe auf dem Weg hin zu einer jenseitigen Existenz“ darstellte und als „voll von Leben“ galt (Beitrag Bommas: 100). Diese Konzeption des Todes hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Altersbild: Das Alter, das sich durch eine spezielle Todesnähe auszeichnete, galt als „der Lebensabschnitt, der sich am besten dazu eignet, Vorkehrungen für ein Leben nach dem Tode zu treffen“ (ebd.: 101). Das Todeskonzept fand aber auch reichen materiellen Niederschlag in Form von monumentalen Grab- und Tempelbauten. Noch im heutigen Ägypten sind diese Zeichen des enormen Aufwandes, den die alten Ägypter betrieben, um den Tod zu heilen, zahlreich und unübersehbar (ebd.: 93). Zu bedenken ist allerdings, dass die erfolgreiche Umsetzung dieser Todes- und Alterskonzeption der Oberschicht vorbehalten war, denn „Schließlich konnten sich die Heilung von der Krankheit Tod nur diejenigen leisten, die über die entsprechenden finanziellen Mittel und Bildung, bzw. Wissenszugang verfügten“ (ebd.: 96). Welche Todes- und Altersbilder andere Gesellschaftsschichten gehabt haben mögen, ist mangels entsprechender Schriftquellen nicht mehr zu eruieren. Die

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einzigen Quellen, die es zu alten Menschen aus anderen sozialen Milieus gibt, sind Abbildungen alter Arbeiter. Dabei handelt es sich zwar um Genredarstellungen, doch dürften sie dennoch ein Schlaglicht auf die Lebenswirklichkeit alter Menschen aus armen Bevölkerungsgruppen werfen, die bis ins fortgeschrittene Alter arbeiten mussten (ebd.: 98). Dazu passt folgende Äußerung eines ägyptischen Autors: „Besser kurz leben, wenn man alt ist, als lange betteln müssen“ (ebd.: 102). Interessant an diesen Abbildungen ist auch die akribische Darstellung der physischen Alterserscheinungen, die Martin Bommas zusammengestellt hat (ebd.: Tab. 1). Die Beschäftigung mit dem körperlichen Abbau im Alter und den damit einhergehenden Beschwerden kommt auch in literarischen Zeugnissen zum Ausdruck (ebd.: 100). Neben dem positiven und zukunftsweisenden Altersbild der Oberschicht gab es möglicherweise eine Vorstellung, die Alter als körperlichen Zerfall und die Altersbeschwerden als „Vorboten des Todes“ (ebd.) konzeptualisierte. Das sich für Ägypten möglicherweise abzeichnende Nebeneinander völlig gegensätzlicher Altersbilder und -diskurse ist für die griechische Antike dank einer reichen Quellenlage besonders gut fassbar. Am Beispiel von Sparta und Athen zeichnet der Althistoriker Winfried Schmitz die jeweiligen Altersbilder nach und konfrontiert sie mit den konkreten Lebensbedingungen alter Menschen, die aus den Schriftquellen zu erschließen sind. Dabei verfolgt er die Frage, wovon die Bewertung des Alters und die gesellschaftliche Stellung der alten Menschen jeweils abhingen. Aussagekräftig ist für ihn hierbei, „ob alte Menschen in der Politik Vorrechte genießen, ob sie wichtige gesellschaftliche Funktionen wahrnehmen, inwieweit ihr Wissen gefragt ist, über welche wirtschaftlichen Ressourcen sie verfügen und ob sie im Haus die Stellung des Hausvaters innehaben“ (Beitrag Schmitz: 111). Für Athen konstatiert Winfried Schmitz für die alten Menschen insgesamt eine sehr schwache Stellung. Als eine Ursache benennt er das politische System, das angesichts der demographischen Verhältnisse den Jüngeren die Mehrheit sicherte (ebd.: 112). Im Gegensatz zu Rom, wo vergangenheitsbezogene Argumente wie die ,Sitte der Vorfahren‘ (mos maiorum) und historische Exempla zur politischen Willensbildung beitrugen, war Politik in Athen gegenwartsbezogen und wurde als Ergebnis von Abstimmungen wahrgenommen (ebd.: 115). Ein entscheidender Punkt war auch die etwa im Alter von 60 Jahren erfolgende Übergabe des Hofs an den Sohn. Mit dem Verlust der Hausgewalt verloren die Väter gleichzeitig wichtige familiale und gesellschaftliche Funktionen; sie mussten sich von nun an den Söhnen unterordnen und waren auf die Zuteilung von Essensrationen angewiesen (ebd.: 112). Dass die Lebensumstände von Eltern nach der Hofübergabe teilweise prekär waren, reflektieren Gesetze, die zum Schutz von Eltern erlassen wurden (ebd.: 113). Die athenische Gesellschaft, in der die Jugend besondere

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Hochschätzung genoss (ebd.) und in der weder Ahnenverehrung noch die Erinnerung an die Taten berühmter Vorfahren von Bedeutung waren (ebd.), sah für alte Menschen offenbar wenig positive Rollen vor.3 Ergänzend verweist Winfried Schmitz auf die griechische Literatur, die ein negatives Bild des Alters und der Alten zeichnet (ebd.: 114). Möglicherweise handelt es sich hier also um eine Koinzidenz von negativen Altersbildern und -diskursen einerseits mit einer schwachen bis prekären Situation alter Menschen andererseits. Wie weiter oben bereits angesprochen, wäre auch hier in Betracht zu ziehen, dass in der Literatur der Gegensatz von Alt und Jung benutzt worden sein könnte, um gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen zu vermitteln (Wagner-Hasel 2006: 17f.) oder neu auszuhandeln. In Sparta hingegen war die soziale, politische und kommunikative Ordnung darauf ausgerichtet, die Position der Alten zu stärken und abzusichern (Beitrag Schmitz: 126). „Alter war ein wesentliches Strukturprinzip der spartanischen Gesellschaft, so dass die politische und gesellschaftliche Ordnung Spartas als Gerontokratie bezeichnet werden kann“ (ebd.: 116). Alte erlangten nicht durch Leistung, sondern allein qua Alter eine Position, die mit Ehre und Anerkennung ausgestattet war (ebd.: 126). Das Alter strukturierte wesentliche Bereiche der Gesellschaft und schlug sich auch in der Sozialisation der Kinder nieder, die in Altersgruppen gemeinschaftlich erzogen wurden (ebd.: 117f.). Mit speziellen Kommunikationsregeln und der öffentlichen und rituellen Inszenierung der Zugehörigkeit zu einem Altersgrad wurde die Autorität der Älteren abgesichert (ebd.: 119). In diesem streng nach Altersgraden unterteilten Erziehungssystem sieht Winfried Schmitz denn auch einen wesentlichen Grund dafür, „warum die Macht der Alten in Sparta so unangreifbar war“ (ebd.: 118). Als weitere wichtige Ursache für die starke Position der Älteren benennt er eine spezielle soziale Organisationsform, in der die in antiken Gesellschaften ansonsten zentralen Einheiten des Hauses und der Familie aufgehoben worden waren (ebd.: 124). Damit war „die Familie als strukturierende Einheit, als vermittelnde Instanz zwischen Einzelnem und Gesellschaft, als Ort der Besitzübertragung und der Vermittlung von sozialem Status, der biologischen und kulturellen Reproduktion entfallen [...]. Weil Sparta den Häusern ihre familialen und gesellschaftlichen Funktionen genommen hatte, forderten sie von den Alten besondere, für die griechischen Städte ganz außergewöhnliche Integrationsleistungen“ (ebd.: 125). Winfried Schmitz’ Vergleich der spartanischen und der athenischen Gesellschaft macht deutlich, wie vielfältig und komplex die Faktoren waren, 3 Dazu kontrastiert die Sicht Beate Wagner-Hasels, die auf die Rolle von alten Menschen, insbesondere auch von Frauen, bei der Wissenstradierung verweist (Wagner-Hasel 2006).

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die Stellung und Lebensbedingungen alter Menschen auch in antiken Gesellschaften prägten – und dass selbst bei vergleichsweise guter Quellenlage manche Fragen dennoch offen bleiben. Umgekehrt heißt das aber auch: Je rudimentärer und einseitiger die Quellenlage ist, desto einfacher und klarer scheinen die Dinge zu liegen. Es ist verführerisch – und als Prähistorikerin kenne ich dieses Phänomen gut –, diesem Trugschluss nachzugeben und sich über die ,schönen Ergebnisse‘ zu freuen. Wie nahe die vermeintlich klaren und eindeutigen Schlussfolgerungen an vergangene Lebenswirklichkeiten herankommen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Insofern kann es ein heilsamer Schock sein, dem überschaubaren Quellenbestand zu Gesellschaften der Vergangenheit die Komplexität ,lebender Gesellschaften‘ (s. u.) gegenüberzustellen und sich so einmal mehr die Begrenztheit archäologischer und historischer Quellen vor Augen zu führen. Auf der anderen Seite können sich durch eine solche Gegenüberstellung auch neue Blickwinkel und Forschungsfragen ergeben. Das gilt nicht nur für Studien über Gesellschaften der Vergangenheit, sondern auch für Untersuchungen in zeitgenössischen Gesellschaften. So könnte der Aspekt der materiellen Kultur auch vermehrt für ethnologische bzw. sozialanthropologische Analysen einen produktiven Forschungsansatz darstellen. Wie aus den archäologischen Beiträgen in diesem Band deutlich wird, sind die Dinge, mit denen Menschen im Laufe ihres Lebens hantieren, mit denen sie sich umgeben und die sie zur eigenen Selbstdarstellung benutzen, für die Identitätsbildung von Individuen und von sozialen Gruppen von zentraler Bedeutung. Eine Analyse der ,materiellen Kultur des Alters‘ würde helfen besser zu verstehen und plastischer zu machen, was ,alt‘ sein in der betreffenden Gesellschaft bedeutet. Ein weiterer Aspekt, der in sozialanthropologischen und sozialwissenschaftlichen Studien bisher wenig bearbeitet wird, ist die Materialität des menschlichen Körpers, der in aktuellen Theorieansätzen aus der Biologischen Anthropologie auch als ,materielle Kultur‘ konzipiert werden kann (Sofaer 2006) – dies umso mehr, als es ja gerade die Materialität des menschlichen Körpers ist, an der in vielen zeitgenössischen Gesellschaften ,Alter‘ und ,Altern‘ festgemacht werden.

3.4 Von den USA bis Indonesien: ein Blick in Gesellschaften der Gegenwart Kommen wir nun zu Altersbildern und -diskursen in Gesellschaften der Gegenwart. Sjaak van der Geest beginnt seinen Beitrag „Graceful and successful ageing: Observations from Ghana and the Netherlands“ mit der

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Feststellung, dass in den europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften überwiegend negative Altersbilder vorherrschen. Dieses Phänomen wurde bereits angesprochen (vgl. Kap. 3.2.1). Angesichts der Tatsache, dass die Menschen über 65 hier vermutlich nie zuvor so gut und angenehm lebten wie heute, ist das zunächst überraschend. Doch weniger entscheidend als die Lebensbedingungen ist für die Einschätzung des Alters der Umstand, dass „being-old itself is not valued in their lives. Their enjoyment of life is rather in spite of their old age. Their style of living is in fact a denial of their age“ (Beitrag van der Geest: 228). Sjaak van der Geest führt diese negative Einschätzung des Alters u. a. darauf zurück, dass in Europa seit langem eine Vorstellung verbreitet ist, die Altern als eine Abfolge von ,Aufstieg‘, ,Blüte‘ und ,Niedergang‘ begreift. Diese Sichtweise des Lebenslaufs fand auch in zahlreichen bildlichen Darstellungen wie den Lebenstreppen ihren Niederschlag (Abb. 1, Tafelteil). Die Abhängigkeit und Hilflosigkeit der Neugeborenen und Kleinkinder holt viele alte Menschen wieder ein (ebd.: 228), was im Bedeutungskontext des zyklischen Lebenslaufkonzeptes zu einer Infantilisierung des Alters führt: „In that belittling view of old age the older person is reduced to the status of a small child. He is fully dependent on others, his movements are restricted and watched, he has no access to ,dangerous‘ objects such as sharp knives, matches, and the gas tap, he has to be spoon-fed, he needs help going to the toilet and may lose control over his bowels, he is not supposed to take an interest in sex and he is talked to as a child“ (ebd.: 231). Eine weitere Ursache für die negativen Altersbilder sieht Sjaak van der Geest in einer zutiefst negativen Konnotation des ,alten Körpers‘: „The old body full of wrinkles, scars and defects becomes the almost proverbial symbol of the negatively perceived old age. The scars and wrinkles admired in old trees and ancient furniture and buildings, frighten the members of a society, which has sanctified youthfulness in human beings“ (ebd.: 230). Dies erinnert an die Feststellung Sabine Meisters, dass ein frühes Portrait Max Liebermanns aus dem Jahr 1891 deshalb einen Skandal verursachte, weil Liebermann den Portraitierten als alten, gebrechlichen Mann darstellte: „Liebermann hatte damit am Vorabend des Jugendkultes einen Tabubruch begangen. [...] Er hat das Alter abgebildet, wie er selbst es sah, anstelle zu zeigen, wie das gründerzeitlich geprägte Bürgertum es sehen wollte“ (Beitrag Meister: 195). Für das damalige Bürgertum, in dem ,Alter‘ für ,Erfahrung‘ und ,Repräsentation‘ stand, kam diese realistische Darstellung einer Beleidigung gleich (ebd.: 194). Bilder alter Körper – insbesondere wenn sie nackt sind – schockieren auch heute (Beitrag van der Geest: 228). Auch heute scheinen ,Würde‘ und ,Alter‘ bzw. ,alte Körper‘ nicht ohne Weiteres vereinbar zu sein: „Ageing gracefully seems to be foremost a matter of bodily health and beauty“ (ebd.: 227). Vor diesem Hintergrund

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scheinen Würde und Lebensfreude im Alter nur dann möglich zu sein, wenn es gelingt, das Alter(n) so lange wie möglich zu leugnen und „outside the door“ zu halten (ebd.: 235). Dass Gesundheit und körperliche Schönheit in westlichen Gesellschaften heute als unabdingbare Voraussetzungen für ein ,würdevolles Alter(n)‘ gelten, erklärt möglicherweise die zutiefst negative Bewertung und Abwehr, die ,normale‘ Alterungserscheinungen wie altersgemäße Veränderungen von Haut und Gewebe, zurückgehende körperliche Leistungsfähigkeit, körperliche und geistige Fragilisierung, Krankheiten und zunehmende Hilfs- und Pflegebedürftigkeit auslösen. ,Alter‘ erscheint gleichbedeutend mit dem Verlust der körperlichen Attraktivität, mit ,Abhängigkeit‘, ,Autonomie- und Kontrollverlust‘ und ,inaktiven Jahren‘; ,Demenz‘ scheint zum Alterssymbol schlechthin zu werden. Ist die Fixierung auf Gesundheit und körperliche Schönheit ein wesentlicher Grund dafür, dass – wie Pasqualina Perrig-Chiello feststellt – „in westlichen, industrialisierten Ländern keine Kultur [besteht], die sich positiv auf alte Menschen bezieht“ (Beitrag Perrig-Chiello: 325)? Und ist die Fokussierung auf den negativ konnotierten ,alternden Körper‘ auch eine Erklärung dafür, weshalb die genannten Begleiterscheinungen des Alters in westlichen Gesellschaften geradezu apokalyptisch anmutende Altersbilder auslösen? Wie der Beitrag der Sozialanthropologin Sharon Kaufman für die USA eindrücklich zeigt, ist die in westlichen Gesellschaften stark ausgeprägte Somatisierung der Konzeption des ,Selbst‘ und des eigenen Selbstverhältnisses in der Tat ein Schlüssel zum hier herrschenden Verständnis von Altern(n). Sharon Kaufman stellt ihrem Beitrag ein Zitat des englischen Soziologen Nikolas Rose voran, das diesen Sachverhalt auf den Punkt bringt: „And, I suggest, we are increasingly coming to relate to ourselves as ,somatic‘ individuals [...] as beings whose individuality is, in part at least, grounded within our fleshly, corporeal existence, and who experience, articulate, judge, and act upon ourselves in part in the language of biomedicine“ (Rose zitiert im Beitrag Kaufman: 239). Jüngste Entwicklungen in den Biowissenschaften, die Sharon Kaufman in ihrem Beitrag schildert, wirken sich jedoch nicht nur auf die Konzeption des Selbst aus. Darüber hinaus verändern sie auch das Verständnis elementarer Kategorien wie ,Altern‘ und ,Tod‘. Beide scheinen nicht mehr unausweichlich, sondern manipulier- und aufschiebbar zu sein. Das Altern wird zunehmend zu einer ,behandelbaren Krankheit‘, der Tod folglich zu einer Option (ebd.: 243). In gewisser Weise erinnert diese Vorstellung an das alte Ägypten, wo man den Tod durch die strenge Beachtung von Ritualvorschriften und eine spezielle Behandlung des Körpers ,heilen‘ konnte (Beitrag Bommas). Doch zurück in die USA: Damit die Vision, älter zu werden, ohne zu altern, Realität wird, braucht es in dieser Entgrenzungslogik ein großes Engagement

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des Einzelnen. Dieser ist als „risk manager“ und „proactive health care consumer“ gefordert, durch Gesundheitsvorsorge, stetige Optimierung der Lebensführung und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen alles für die Förderung von Gesundheit und Langlebigkeit zu tun (ebd.: 241; 244). Wie Sharon Kaufman ausführt, bringen diese Anforderungen sowohl für die Einzelnen als auch für deren Familien und das medizinische Personal neue Belastungen und Verantwortlichkeiten mit sich (ebd.: 240). Gleichzeitig stellen sich auch eine Reihe ethischer Fragen, so z. B. was ,natürliches‘ Alter(n) ist, und was einen ,natürlichen‘ Körper ausmacht (ebd.: 241f.). Durch Spenderorgane oder eingesetzte Artefakte (z. B. Herzschrittmacher, künstliche Gelenke) wird der menschliche Körper substantiell verändert, im Extremfall fast schon zum Cyborg. Der alternde Körper wird so zu einem Ort, an dem die alte Frage nach der Grenze zwischen ,Natur‘ und ,Kultur‘ (ebd.: 241f.), zwischen ,Mensch‘ und ,Maschine‘ neu gestellt und verhandelt wird. Diese Debatten sind wiederum im Kontext der derzeit im Rahmen von Globalisierung und Neoliberalismus erfolgenden Neudefinitionen des Gesellschafts- und Menschenbildes zu sehen (vgl. Beitrag Amann). Die aktuellen Altersbilder und -diskurse sind folglich ein Knotenpunkt, an dem sich laufende Neukonzeptionen verschiedener Ordnungsvorstellungen überkreuzen. Dieser Aspekt sollte auch in der aktuellen Demographiedebatte berücksichtigt werden, die sich vordergründig ausschließlich auf die demographische Struktur der Gesellschaft zu beziehen scheint und damit den Gesamtkontext, in dem sie stattfindet, nicht angemessen einbezieht. Dass dem alternden Körper in Wissenspraktiken rund ums Alter(n) eine zentrale Bedeutung zukommt, hinter der andere Aspekte zurücktreten, ist jedoch kein rein US-amerikanisches Phänomen. Wie der Ethnologe Peter van Eeuwijk darlegt, gibt es vergleichbare Konzepte auch in Indonesien. Im Rahmen einer medizinethnologischen Feldstudie in Nordsulawesi stellte er fest, dass sich Vorstellungen von Alter(n) an zwei zentralen Punkten festmachen, nämlich am Ausmaß der Kontrolle über Körper und Geist und am materiellen und immateriellen Beitrag zum Haushalt. Beide Bereiche stehen für den Grad an Autonomie und Unabhängigkeit, den eine alternde Person aufrechterhalten kann. Vor diesem Hintergrund kommt Peter van Eeuwijk zu folgendem Schluss: „Arguing from a medical anthropology perspective, the health condition of an elderly individual thus strongly shapes the notion, meaning and understanding of ,old‘ and ,aged‘ in ageing discourses in North Sulawesi“ (Beitrag van Eeuwijk: 261). Ähnlich wie in westlichen Gesellschaften stellt sich durch diese Sichtweise eine Medikalisierung des Alters ein, die Peter van Eeuwijk versteht als „disciplinary action and hegemonic project of the state as well as of society, both health professional and social reference group exert coercive pressure during health-seeking

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processes“ (ebd.: 268f.). Aus dieser Perspektive präsentiert sich die Selbstmedikation mit verschreibungsfreien Arzneimitteln, die in Nordsulawesi bei älteren chronisch kranken Menschen verbreitet ist, als ein Akt des Widerstandes gegen biomedizinische Überwachung und soziale Kontrolle (ebd.: 269). Aus Perspektive der älteren Menschen ist Selbstmedikation also ein Weg, Handlungsmacht (,agency‘) zurück zu gewinnen und so die Unabhängigkeit gegenüber Biomedizin und sozialer Referenzgruppe zu vergrößern (ebd.: 271). Die in manchen Gesellschaften der Gegenwart zu beobachtende Medikalisierung des Alters kann also sehr unterschiedliche Bewertungen und Reaktionen hervorrufen. Sie kann als Chance auf ein gesundes Alter und Langlebigkeit begriffen werden (Beiträge Perrig-Chiello und Osiewacz/Scheckhuber), sie kann die reinsten Heilserwartungen bis hin zur Aufhebung biologischer Grenzen evozieren (Beitrag Kaufman) und sie kann als Verlust von Handlungsmacht erlebt werden (Beitrag van Eeuwijk). Im Kulturvergleich sehr variabel ist auch die Bewertung der Hilfsbedürftigkeit bzw. Abhängigkeit älterer Menschen von ihrem sozialen Umfeld und Pflegeinstitutionen. Für Ghana berichtet Sjaak van der Geest, dass die Vorstellung, im Alter zu Hause zu bleiben und von den Kindern und Enkeln umsorgt zu werden, Bestandteil des Idealbildes ist, in dessen Licht das Alter als der schönste Lebensabschnitt erscheint, auf den man sich schon in jungen Jahren freut (Beitrag van der Geest: 235). In Burkina Faso wird in Altersdiskursen die Reziprozität zwischen den Generationen hervorgehoben. Mit Sprichwörtern wie „Wer Mais pflanzt, wird Mais ernten“ wird einerseits auf die Eigenverantwortung für die persönliche Zukunft, andererseits auf die Vorstellung von einer allgemeinen Reziprozität verwiesen (Beitrag Roth: 286). Die Idee der Reziprozität zwischen den Generationen ist in Burkina Faso tief verankert: „for youths it is the time to give back to parents what they formerly received – a giving and receiving over time. An adage is illustrative: parents support children until their teeth are there; children support parents when they are loosing their teeth“ (ebd.: 284). Soweit die Idealvorstellung vom Generationenverhältnis, in der negativ konnotierte ,Abhängigkeit‘ nicht vorkommt, wenngleich dies in privaten Gesprächen durchaus der Fall sein kann. Auf eine völlig andere Konzeption der intergenerationellen Beziehungen stieß die Sozial- und Kulturanthropologin Carla Risseeuw in städtischen Milieus in den Niederlanden. Im niederländischen „family script“ werden der freiwillige und altruistische Charakter der elterlichen Liebe und Fürsorge betont: Eltern ziehen ihre Kinder groß, damit diese ihr eigenes Leben führen. Sie selbst legen Wert darauf, unabhängig und keine Last für andere, insbesondere nicht für ihre Kinder zu sein (Beitrag Risseeuw: 306). Im Unterschied zu den oben genannten afrikanischen Beispielen ist diese Vorstellung von den Generationenbeziehungen nicht reziprok angelegt. Sie ist außerdem mit einem

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Persönlichkeitskonzept verknüpft, wonach jede/r einerseits frei ist, sein/ihr eigenes Leben zu leben, andererseits aber auch dafür verantwortlich ist, ein ,erfolgreiches‘ und ,unabhängiges‘ Leben zu führen. An Letzteres ist ein guter Teil der Selbstachtung geknüpft. Dies wiederum hält ältere Menschen davon ab, im Alltagsleben um Hilfe zu bitten, während die Jüngeren sich scheuen, Hilfe anzubieten (ebd.: 306). ,Würde im Alter‘ bedeutet denn auch in erster Linie Autonomie (ebd.: 314). Unterstützt durch das niederländische Konzept von ,Privatheit‘, das eine eigene Wohnung vorsieht, leben alte Menschen in den Städten folglich vorwiegend allein oder mit ihren PartnerInnen, was für den Lebensabschnitt des Alters als ,normal‘ betrachtet wird. Wenig Alltagskontakte, Einsamkeit und soziale Isolation sind verbreitete Phänomene (ebd.: 300; 314). In Sri Lanka hingegen, wo Carla Risseeuw eine Vergleichsstudie durchgeführt hat, findet Altern in einem völlig anderen sozialen Setting statt. Hier leben 95 Prozent der alten Menschen in Haushalten mit mehreren Mitgliedern (ebd.: 299), denn: „With all its potential problems, living with company and support from others is conceived as part of life“ (ebd.: 315). Um besser zu verstehen, was genau die Unterschiede zwischen den sozialen Settings ausmacht, in denen sich Altern in beiden Ländern vollzieht, analysiert Carla Risseeuw drei Ebenen von sozialen Kontakten: Verwandtschaft, Freundschaft und Bekanntschaft sowie das alltagtägliche soziale Leben mit seinen Beziehungsnetzwerken (ebd.: 314). Dieser Ansatz macht zum einen verständlich, weshalb die Lebensbedingungen alter Menschen in Sri Lanka und den Niederlanden so verschieden sind. Zum andern regt er dazu an, die Rolle, die soziale Institutionen wie ,Familie‘ und ,Verwandtschaft‘ für die Ausgestaltung der Lebensbedingungen spielen, zu reflektieren und – mit Blick auf die Kontaktarmut und soziale Isolation vieler alter Menschen in europäischen Gesellschaften – über eine Erweiterung der Beziehungsformen im Alter nachzudenken. Wie die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello in ihrem Beitrag zeigt, betrifft das Phänomen der Vereinsamung in europäischen Gesellschaften vor allem die älteren Frauen und wird sich künftig vermutlich noch stärker auf diese Bevölkerungsgruppe konzentrieren (Beitrag Perrig-Chiello: 332). Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine zentrale Rolle spielt, dass Frauen biologisch und soziokulturell bedingt eine höhere Lebenserwartung haben und dass sie im Schnitt zwei bis drei Jahre jünger sind als ihre Ehe-Partner; Verwitwung ist folglich in erster Linie ein Frauenschicksal (ebd.: 319; 330; 333). Weitere Faktoren sind die ansteigende Scheidungsrate und die Zunahme der Zahl alleinerziehender und kinderloser Frauen. Pasqualina Perrig-Chiello kommt deshalb zum Schluss, dass gerade für alleinstehende und kinderlose Frauen der Aufbau außerfamilialer Netzwerke eine wichtige Massnahme ist, um einer Vereinsamung im Alter vorzubeugen (ebd.: 332). ,Alt sein‘ heißt für Frauen und Männer also

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Verschiedenes, wie Studien der Frauengesundheitsforschung und der Sozialgerontologie belegen. Dabei sind es weniger biologische als vielmehr soziokulturelle Faktoren, die die eklatanten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Altersschicksalen ausmachen (ebd.: 333). Dazu gehören die geschlechtsspezifische Sozialisation, die sich auf das Gesundheitsverständnis, die medizinische Behandlung und damit auch auf die Gesundheitsbiographien von Männern und Frauen auswirkt (ebd.: 327). Pasqualina Perrig-Chiello resümiert deshalb: „Geschlechtsbedingte Ungleichheiten, die sich im Lebenslauf entwickelt haben, kumulieren im Alter und prägen Unterschiede des Gesundheitsstatus und des Wohlbefindens im Alter“ (ebd.: 333). Alter – so die Autorin – sei eben nicht in erster Linie ein biologischer Prozess, sondern vor allem ein soziales Schicksal, in dem sich die „vorherrschenden gesellschaftlichen Werthaltungen und Rollenzuschreibungen“ alten Menschen gegenüber widerspiegeln (ebd.: 325). Besonders zu Buche schlägt hier die Strukturkategorie Geschlecht, die Individuen bis ins hohe Alter ihren Platz in der Gesellschaft anweist. Und so erinnert Pasqualina Perrig-Chiello daran, dass gemäß einer feministischen Hypothese der niedrige Status der Alten in unserer Gesellschaft auf die Tatsache zurückgeführt werden kann, dass es sich mehrheitlich um Frauen handelt. In diesem Sinne sei Ageismus ein Nebenprodukt von Sexismus (ebd.: 326). Mit der Kategorie Geschlecht in Bezug zu Alter(n) setzt sich auch die Soziologin Heike Kahlert auseinander. Sie geht in ihrem Beitrag einem bislang auch in wissenschaftlichen Analysen vernachlässigten Aspekt nach, nämlich der Verknüpfung der aktuellen Demographiedebatte mit dem GenderDiskurs. Am Beispiel von vier deutschen Sachbüchern untersucht sie, wie das Alter(n) und die Geschlechterdifferenz jeweils dargestellt werden, und wie sich in den Texten Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen verschränken. Sich auf die Soziologin Julia Reuter beziehend, fordert sie, dass „Gender, also die soziokulturellen Geschlechterverhältnisse, -beziehungen, -identitäten und -interaktionen, als strukturiertes und strukturierendes Moment des demographischen Wandels mitzudenken seien“ (Beitrag Kahlert: 380). Aus diesem Blickwinkel erfolgt ihre Analyse, die Antworten auf die Frage geben soll, „welche Bedeutung dem Geschlecht – oder genauer: der geschlechtlichen Ungleichheit – in den für diesen Beitrag ausgewählten journalistischen Darstellungen des gesellschaftlichen Alterungsprozesses beigemessen wird“ (ebd.: 380). Auch wenn die drei SachbuchautorInnen jeweils andere Blickwinkel haben und zu verschiedenen Einschätzungen und Bewertungen kommen, tritt doch als Gemeinsamkeit deutlich hervor, dass die Verschränkung von Alter(n) und Geschlecht in allen Texten – sei es implizit oder explizit – eine zentrale Rolle spielt. Den Autorinnen Susanne Gaschke und Antje Schrupp ist diese Ver-

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schränkung von Alter und Geschlecht bewusst, und sie versuchen, durch den Entwurf neuer Weiblichkeitskonstruktionen, die an die sich verändernden Lebensentwürfe und -läufe angepasst sind, eine Grundlage für neue Alter(n) skonstruktionen zu schaffen (ebd.: 398). Positive Altersbilder für Männer fehlen bei den beiden Autorinnen jedoch ebenso wie in den analysierten Texten Frank Schirrmachers. Darüber hinaus stellt Heike Kahlert abschließend fest: „Festzuhalten ist zudem, dass in keinem hier analysierten Text die geschlechtliche Arbeitsteilung in ihrer Bedeutung für Alter(n)skonstruktionen und -realitäten der Geschlechter grundlegend in Frage gestellt und eine Vision eines geschlechteregalitären Alter(n)s jenseits der unterschiedlichen Lebenserwartung von Frauen und Männern gezeichnet wird“ (ebd.: 399). So ist es an Heike Kahlert, zum Abschluss ihres Beitrags selbst den Wunsch nach einem positiven und geschlechtergerechten Altersbild in die Demographiedebatte einzubringen.

4. Das Alter(n) im Kulturvergleich: Vielfalt, strukturelle Gemeinsamkeiten und Handlungsspielräume „Dass die Menschen zunehmend länger leben, ist ein wichtiger Befund, aber entscheidend ist, was die Gesellschaft daraus macht“ – so der Soziologe und Altersforscher Martin Kohli (2004: 19). Die enorme Vielfalt der Altersbilder und der konkreten Lebensbedingungen alter Menschen, die sich in den Beiträgen dieses Bandes abbildet, gibt dieser Feststellung Recht. Sie zeigt, dass individuelles Altern und demographische Entwicklungen nicht biologisch determiniert sind, sondern in hohem Maße von einer Vielzahl soziokultureller Faktoren abhängen, die in komplexen Wechselbeziehungen zueinander stehen. Insofern lassen sich im Kulturvergleich auch keine regelhaften Korrelationen von bestimmten Altersdiskursen und Altersbildern mit bestimmten gesellschaftlichen, demographischen oder weltanschaulichen Gegebenheiten ausmachen. Stattdessen springen bei der Betrachtung von Einzelfällen Variabilität und Handlungsspielräume ins Auge, die schon in ein und derselben Gesellschaft zu zahlreichen Brüchen, Ambivalenzen und Verschiebungen der Altersbilder führen. Ebenso wie beim synchronen Kulturvergleich starre Muster fehlen, lassen sich auch im diachronen Vergleich keine unilinearen Entwicklungslinien ausmachen. Die ,Geschichte der Altersdiskurse‘ gestaltet sich vielmehr komplex. So können sich scheinbar über lange Zeit durchlaufende Kontinuitäten als Rezeptionserscheinungen erweisen, in deren Rahmen frühere Denkfiguren wieder aufgenommen und durch die Einpassung in den eigenen kulturellen Kontext verändert wurden. Des Weiteren lässt der Blick in die Geschichte Zweifel an der

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,historischen Einmaligkeit‘ der aktuellen Situation in den westlichen und einigen asiatischen Gesellschaften aufkommen. Zwar ist die Langlebigkeit in der heutigen Ausprägung tatsächlich ein historisch neues Phänomen, doch hohe Anteile älterer Menschen stellten schon in früheren Zeiten Gesellschaften vor große Herausforderungen und riefen – wie beispielsweise im Spätmittelalter – ähnliche Reaktionen und Maßnahmen wie heute auf den Plan. Die so oft beschworene ,historische Einmaligkeit‘ der heutigen Situation wäre also zu präzisieren und zu relativieren, denn sie scheint eher gradueller als prinzipieller Art zu sein. Alter(n) ist keine anthropologische Konstante. Das illustrieren die Beiträge dieses Bandes in aller Deutlichkeit. Dennoch gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten, die aus der hier eingenommenen kulturvergleichenden Perspektive fassbar werden. Dazu gehört beispielsweise die enge Verflechtung der Alter(n)skonzepte mit grundlegenden gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen wie dem Gesellschaftsund Menschenbild oder auch der Konzeption von ,Privatheit‘ und des Generationenverhältnisses. Diese Ordnungsvorstellungen sind es denn auch, die die gesellschaftlichen Bewertungen rund ums Alter(n) leiten – so z.  B., was ,Würde im Alter‘ ausmacht, oder ob Altern als ,Wachstum‘ oder als ,Verfall‘ wahrgenommen wird. Alter(n)skonstruktionen sind folglich umso besser nachvollziehbar und verständlich, je besser es gelingt, sie im Kontext der mit ihnen verknüpften Ordnungsvorstellungen zu situieren. Aus kulturvergleichender Perspektive geben die hier versammelten Beiträge vielfältige Einblicke, wie Alter(n) in der jeweiligen Gesellschaft konstruiert ist bzw. war. Sie bilden so eine Kontrastfolie, die hilft, Alters- und Demographiediskurse in der eigenen Gesellschaft zu kontextualisieren und dadurch zu relativieren, sie besser zu verstehen und damit auch zu ihrer Versachlichung beizutragen. Darüber hinaus geben sie konkrete Anregungen für die Frage, wie wir für unsere Gesellschaft Alter(n) anders denken können, wo wir ansetzen können, um Veränderungen in Gang zu bringen. Als Ansatzpunkte kristallisieren sich in verschiedenen Beiträgen dieses Bandes soziale Institutionen und Ordnungsvorstellungen wie ,Familie‘, ,Verwandtschaft‘, das ,Generationen-‘ oder auch das ,Geschlechterverhältnis‘ heraus. Neben den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen sind sie für die Lebensbedingungen alter Menschen von zentraler Bedeutung. Weit davon entfernt, ,natürlich vorgegeben‘ zu sein, können sie gestaltet werden – zum Beispiel in eine Richtung, die ein Höchstmaß an Sicherheit und Lebensqualität oder auch eine Erweiterung der traditionellen Beziehungsformen im Alter zum Ziel hat. Hier liegen Spielräume und Handlungsmöglichkeiten, die in der öffentlichen Demographiedebatte mit ihrer starken Fokussierung auf das Renten- und Gesundheitswesen ein Gegengewicht zu den angstbesetzten und ausweglos erscheinenden Horrorszenarien bilden könnten. Insofern hoffen wir

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HerausgeberInnen, dass die Beiträge dieses Buches eine Inspirationsquelle für diejenigen darstellen, die auf der Suche nach neuen Altersbildern und Lebensentwürfen für unsere entstehende „Gesellschaft der Langlebigkeit“ sind – eine Bezeichnung, die Josef Ehmer in die Diskussion einbrachte. Alter(n) anders zu denken – dazu möchten wir mit diesem Band auch auf der Ebene der Wissenskonstruktion anregen: Mit dem Einblick in unterschiedliche Kulturen ist zugleich der Einblick in verschiedene wissenschaftliche FachKulturen verbunden. Die Konfrontation mit Ansätzen der Alters-forschung in anderen Disziplinen ist anregend und macht – wie Martin Bommas in der Diskussion während der Tagung bemerkte – nicht nur die Lücken und Blindstellen im eigenen Fach bewusst, sondern generiert auch neue Fragen. Zugleich bietet sich durch die Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen die Chance, die Wissenskonstruktion im eigenen Fach zu reflektieren und – wie Willemijn de Jong in ihrem Beitrag ausführt –, Fakten, Konzepte und Theorien auf ihren „Alterungsprozess“ bzw. ihr „Verfallsdatum“ zu überprüfen (Beitrag de Jong: 57). Durch die Überprüfung der epistemologischen Grundlagen lässt sich zum einen der Anschluss an innovative Theorien und Methoden sichern. Daneben regt sie an darüber nachzudenken, ob die verwendeten Konzepte und Theorien sowie die Interpretation der erhobenen Daten von Alltagstheorien beeinflusst sind. Gerade bei Themen wie dem Alter(n), die laut Alltagswissen scheinbar ,rein biologisch bedingt‘ sind, ist die Gefahr einer wechselseitigen Beeinflussung von wissenschaftlichen Theorien und Alltagstheorien besonders groß. Die Emotionalität und die alarmierenden und skandalisierenden Untertöne, mit denen die aktuelle Demographiedebatte in der Öffentlichkeit geführt wird, lassen vermuten, dass sie ein Feld ist, in dem Alltagstheorien ein großes Gewicht haben und möglicherweise zur Brille werden, durch die auch wissenschaftliche Daten wahrgenommen und interpretiert werden. Dem möchten wir mit diesem Tagungsband entgegenwirken.

Dank Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Neue Grundlagen für sozialgeschichtliche Forschungen in der Prähistorischen Archäologie“, das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird.

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Wie Fakten übers Alter(n) altern: eine ethnologische Annäherung Willemijn de Jong Facts about old age and ageing are never neutral. They are „ageing“ alongside notions, concepts and theoretical assumptions in this field. Looking at medical anthropological studies of the ageing body, the author argues that it goes unnoticed that concepts about age in the social sciences are often influenced by „natural“ folk notions; and that they are flexible and ageing as well. She proposes to consciously make use of facts and concepts regarding age, and to reflect on relationships of power. Fakten übers Alter sind nie unproblematisch. Sie altern, wenn die mit ihnen verbundenen Begriffe, Konzepte und theoretische Annahmen sich ändern. An Beispielen zum alternden Körper aus medizinanthropologischen Studien wird gezeigt, dass wissenschaftliche Alterskonzepte oft ungemerkt durch „natürliche“ Alltagskonzepte beeinflusst werden und dass sie flexibel sind und altern. Wichtig ist deshalb ein behutsamer Umgang mit Fakten und Konzepten, wobei auch Macht zu reflektieren ist.

Wissenschaftliche Fakten generell, und Fakten über das Alter(n) insbesondere, sprechen nicht für sich. Sie sind keine unbestreitbaren Tatsachen. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, werden sie durch theoretische Annahmen und Kategorisierungen erst zu Fakten gemacht. Bei der wissenschaftlichen Vermittlung von Fakten spielen analytische Begriffe und Konzepte eine wichtige Rolle. Außerdem beeinflussen wissenschaftliche Theorien und Alltagstheorien sich gegenseitig. Ein ethnologisches Forschungsgebiet, das sich in den letzten dreißig Jahren ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat, ist die Verwandtschaftsforschung. Abgesehen von einigen Ausnahmen, die ich vorstellen möchte, ist dies in der Altersforschung bisher weniger der Fall. Sich mit Fakten zu beschäftigen, heißt immer auch, sich implizit oder explizit mit ,Wissenspraktiken‘ zu beschäftigen. Dieses Konzept verwendet die bekannte britische Ethnologin Marilyn Strathern. Sie versteht darunter in einem weiten Sinn den Umgang mit Wissen über die Welt und mit dem Wissen über die Praktiken und Methoden, die das Wissen über die Welt produzieren (Strathern 2005: 85; 184). Im Zusammenhang mit so genannten biologischen Fakten der Verwandtschaft hat sie sich eingehend mit Wissenspraktiken zu ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ auseinandergesetzt (Strathern 1992).

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Öfters wird der Altersforschung ein Theoriedefizit angelastet (Saake 2006, Spindler 2007). Aus soziologischer Sicht beklagt zum Beispiel Irmhild Saake in ihrem Buch Die Konstruktion des Alters. Eine gesellschaftstheoretische Einführung in die Alternsforschung: „Die Kategorie Alter scheint die kultursoziologische Landschaft mit einem timelag zu betreten und erst nach und nach fällt der Alternsforschung auf, wie weit entfernt sie von allen Diskursen ist, die über andere klassische soziologische askriptive Kategorien sich entwickelt haben“ (Saake 2006: 7). Auffallend dabei ist, dass sie nicht den Begriff Altersforschung, sondern Alternsforschung verwendet, um damit das Prozesshafte und Aushandelbare des Phänomens Alter zu betonen. Ich schließe mich daran an, auch wenn ich im Weiteren einfachheitshalber von Altersforschung spreche. Ich möchte nun, basierend auf meiner empirischen Arbeit über Alter und soziale Sicherheit in Südindien (de Jong 2005a, 2000b), erstens einen reflexiven Blick auf die Altersforschung meines eigenen disziplinären Bereichs der Sozialwissenschaften werfen, insbesondere auf alternde Bevölkerungen. Zweitens werde ich mir, ausgehend von meiner Kerndisziplin, der Ethnologie oder Sozial- und Kulturanthropologie, einige (selbst-)kritische Gedanken über Wissenspraktiken zum alternden Körper machen. Ich werde zeigen, dass es wichtig ist, behutsam mit alltäglichen und wissenschaftlichen Begriffen und Konzepten im Zusammenhang mit Alter umzugehen, da sie entscheidend an der Konstitution von Fakten beteiligt sind. Insbesondere ist ihre räumliche und zeitliche Bedingtheit zu berücksichtigen. Dadurch soll eine stärkere Annäherung an die Lebensrealitäten alternder Menschen ermöglicht werden. Als Einstieg zur Problematisierung von Fakten und Konzepten betrachte ich meine eigene Altersstudie.

Altern in Unsicherheit: ein ethnographisches Beispiel aus Südindien Altern in Indien ist mit großen Unsicherheiten verbunden, vor allem für Menschen, die mit durchschnittlich einem Dollar pro Tag leben – meist Angehörige niedriger Kasten (de Jong 2005a). Dies ist sogar in Kerala der Fall; das ist der Teilstaat in Südindien, der für sein Entwicklungsmodell und seine sozialen Sicherungsleistungen für eine Anzahl organisierter Berufsgruppen im Niedriglohnsektor bekannt ist. Zur Zeit der Feldforschung, insgesamt fast ein Jahr zwischen 1999 und 2005, war das Pro-Kopf-Einkommen dort jedoch sehr niedrig, verglichen mit anderen indischen Teilstaaten. Die Menschen, von denen ich hier spreche, gehören zu einer der niedrigsten Kasten in Kerala, zu den Pulaya. Sie leben in einem als Slum bezeichneten Quartier in einer urbanen Industrieregion in der Nähe der Stadt Kochi. Meist arbeiten sie als Tagelöhner

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im Bau- und Reinigungsbereich. Anders als die wenigen Festangestellten haben sie kein Anrecht auf eine Alterspension. Sie erhalten jedoch staatliche Unterstützung beim Bauen eines Hauses und können für einen geringen Betrag Medikamente bei einer christlichen Wohlfahrtsorganisation beziehen. Das Ziel der Forschung war es, ausgehend vom öffentlichen Diskurs der Angst über die Zunahme alter Menschen in Indien neue Erkenntnisse über die lokalen Verhältnisse der sozialen Sicherheit im Alter zu gewinnen. Die Forschungsfrage lautete, inwiefern bei weitgehendem Fehlen staatlicher Unterstützung die Familie den alten Menschen in Kerala Schutz bietet. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf die Grenzen familiärer Unterstützung gelegt. Erforscht wurden die Verhältnisse in drei Stadtquartieren, die sich im Wohlstandsniveau deutlich unterscheiden. Die Pulaya, die hier im Fokus stehen, leben im ärmsten Stadtquartier. Die Studie war Teil eines vergleichenden Projektes (de Jong et al 2005).1 Als theoretische Basis verwendeten wir den ,inklusiven‘ sozialanthropologischen Ansatz zu sozialer Sicherheit von Franz und Keebet von Benda-Beckmann (F. und K. von Benda-Beckmann 1994). Inklusiv meint, nicht nur staatliche Leistungen zu untersuchen, sondern die zu Sicherheit führenden Hilfeleistungen im ganzen Spektrum der sozialen Beziehungen (Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freundschaft, zivile Organisationen, staatliche Organisationen). Die Forschung zeigte, dass je nach Zugang zu ökonomischen Ressourcen und je nach sozialem Umfeld die Arrangements der sozialen Sicherheit im Alter unterschiedlich sind. Bei den Pulaya bietet die Familie den alten Menschen nicht genügend alltäglichen Schutz, was der Staat aufgrund eines idealisierten Normverständnisses von Familie jedoch voraussetzt. Die Altersversorgung durch die Großfamilie erweist sich hier deshalb als Mythos. Die Alten können sich nicht wirklich auf den (jüngsten) Sohn und seine Frau abstützen, wie die alten hinduistischen Schriften es festlegen. Diese investieren lieber in ihre Kinder, in der Hoffnung die eigene Altersversorgung sichern zu können. Deshalb springen auch andere Kinder mit finanzieller Hilfe ein, Töchter auch mit praktischer Hilfe. Ehefrauen werden so lange wie möglich von Ehemännern 1 Das Projekt fand im Rahmen einer internationalen Forschungspartnerschaft statt, die unter meiner Leitung durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und von der schweizerischen Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) finanziert wurde. Die Forschung war als Vergleich zwischen Kerala, Indien, und Burkina Faso angelegt, wobei auch die städtischen mit den ländlichen Verhältnissen verglichen wurden. Claudia Roth hat zum urbanen Burkina Faso gearbeitet, Fatoumata Badini-Kinda zum ruralen Burkina Faso und Seema Bhagyanath zum ruralen Kerala (de Jong et al. 2005). Claudia Roth ist in diesem Band mit einem Beitrag vertreten, der aus einem Nachfolgeprojekt in Burkina Faso entstand.

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unterstützt. Außerdem wird erwartet, dass die Alten möglichst lange einen Beitrag im Haushalt leisten, zum Beispiel bei der Betreuung der Enkelkinder. Beziehungen in der Nachbarschaft haben sich als außerordentlich wichtig herausgestellt, um die täglichen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Deshalb habe ich den Begriff der ,erweiterten Nachbarschaft‘ (extended neighbourhood) eingeführt. Dies beinhaltet ein Netzwerk von Verwandten, Nachbarn, Arbeitgebern und Repräsentanten von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, die sich in der unmittelbaren Nähe des Wohnortes befinden. Doch Unterstützung wie Nahrung oder kleine Geldbeträge von NachbarInnen müssen innerhalb einer gewissen Zeit zurückerstattet werden. Da alte Frauen weniger zu geben haben und somit weniger an den nachbarschaftlichen Reziprozitätsbeziehungen partizipieren können, leben sie in größerer Unsicherheit. Manche von ihnen sind gezwungen zu betteln. Altern ist in Kerala generell stark klassen- und geschlechtsspezifisch strukturiert, und es ist ein Prozess, der durch die Handlungen der AkteurInnen in der Gegenwart und in früheren Jahren geformt ist. Wohlhabendere Menschen in den zwei anderen erforschten Stadtquartieren haben mehr Besitz in Form eines Hauses und/oder Ersparnisse, aber sie bleiben auf die Mithilfe von Kindern angewiesen (de Jong 2005b). Die Anwesenheit der Kinder ist jedoch nicht unbedingt garantiert, da sie aus beruflichen Gründen oft migrieren, an andere Orte in Indien oder ins Ausland. Man kann sagen, dass die Zunahme der Lebenserwartung und die gestiegenen monetären Bedürfnisse die Beziehungen zwischen den Generationen tendenziell geschwächt und nicht gestärkt haben, wie das für Europa behauptet wird (Arber/ Attias-Donfut 2000). Das hat mit der weitgehend fehlenden staatlichen Unterstützung zu tun, aber nicht nur, wie skizzenhaft gezeigt wurde. In unserem Projekt standen Nahrungs- und Wohnungssicherheit auf der Basis von ökonomischen und sozialen Ressourcen im Vordergrund. Wir betrachteten sie in erster Linie als faktische Phänomene. Für eine vergleichende Studie, die sich an Wohlfahrts- und Entwicklungsvorstellungen orientiert, die sich im Westen entwickelt haben, macht das durchaus Sinn. Aber die faktischen Phänomene Nahrungssicherheit und Wohnungssicherheit bilden auch Kategorien oder Begriffe, die eine spezifische Bedeutung durch ihre Verwendung im Rahmen des spezifischen Ansatzes der sozialen Sicherheit, mit dem wir gearbeitet haben, erhalten. Daraus ergeben sich folgende Fragen: Ist soziale Sicherheit ein sinnvolles analytisches Konzept, wenn man Alter(n) in diesem lokalen Forschungssetting in vertiefter Weise verstehen möchte? Wie sehen die Geschichte bzw. die Genealogie, und wie sieht die Verbreitung dieses Konzeptes aus? Wie wichtig sind Sicherheit und Unsicherheit als Alltagskategorien für die Menschen in Südindien, oder tragen wir diese Begriffe nur von außen an sie heran? Verwenden sie eventuell andere wichtige Kategorien, mit denen wir in ers-

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ter Linie arbeiten sollten? Welche Rolle spielt der Körper in diesem Zusammenhang? In welcher Weise ist Wissen über Demographie, Gesundheit und Krankheit für sie von Bedeutung? Die Menschen aus dem Slum definieren Alter nicht chronologisch, sondern nebst der sozialen Position als Großeltern in erster Linie als die fehlende Kapazität, arbeiten zu können, da sie „zu schwach“ sind und vermehrt krank werden. Das Schlimmste ist für sie, bettlägerig zu sein. Da wäre es für eine vertiefende Studie eine sinnvolle Option, zunächst vom alten – oder besser: vom alternden und schwächer werdenden – Körper auszugehen und anschließend zu überprüfen, inwiefern die Daten sich mit einem spezifischen analytischen Konzept von sozialer Sicherheit in Einklang bringen lassen. Zu diesen Fragen werde ich nun einige Überlegungen auf einer theoretisch-konzeptuellen Ebene machen.

Alternde Bevölkerungen Etwas vom Ersten, was beim Phänomen Alter in unserer heutigen, in extremer Weise auf Zahlen und Quantitäten ausgerichteten Öffentlichkeit auffällt, ist die Repräsentation der Alten in den Bevölkerungsstatistiken, allen voran diejenige der alten Frauen. Genauer gesagt, nicht die Zahlen oder die Fakten an sich fallen auf, sondern der besondere Gebrauch dieser Statistiken in den Diskursen der Medien, der Wissenschaft und des Staates. Es würde sich lohnen, dies im Zusammenhang mit dem Alter genauer zu erforschen. Zahlen werden oft zur gesellschaftlichen Normalisierung benutzt, so zum Beispiel häufig im medizinischen Kontext. Des Weiteren dienen sie zur öffentlichen Skandalisierung oder zumindest zur Alarmierung – und hier passiert leicht eine Vermischung von wissenschaftlichen Theorien und Alltagstheorien. In den europäischen Gesellschaften sowie in außereuropäischen Gesellschaften wie Indien, China und speziell Japan ist das Thema Alter durch die alarmierenden Interpretationen der nationalen Bevölkerungsstatistiken in den letzten Jahren zu einem hochpolitischen Thema avanciert. Rufe nach Bevölkerungs- und sozialpolitischen Maßnahmen erklingen, um der Zunahme der Alten zu begegnen. Dies beeinflusst auch die Forschung: Der bekannte Reproduktionsforscher und Chemiker Carl Djerassi hat zum Beispiel ausgehend von unterschiedlichen Bevölkerungspyramiden, also von demographischen Kriterien, die Begriffe geriatric society und paediatric society geprägt.2 Er halte dies für zutreffender, als von developed und developing societies zu sprechen. 2 Gastreferat „Zukunft der menschlichen Reproduktion: Wünsche und Realitäten“ an der Universität Zürich am 14. März 2008.

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Eine Gefahr solcher großer Begriffe ist jedoch, dass sie die Verhältnisse, die mit ihnen erfasst werden sollen, zu sehr homogenisieren und feinere Nuancierungen ausgeblendet werden. Genauer zu erforschen wäre nicht nur der Gebrauch der Zahlen oder Fakten, sondern ebenfalls, wie die Zahlen bzw. die ‚harten Fakten‘ und die Kategorien, welche die Zahlen erhärten, zustande kommen. Was ist ein alter Mann, was ist eine alte Frau, aber auch: Was ist eine alte Person, die sich als transgender oder als intersexuell identifiziert? Die Artikel in diesem Band geben zum Teil Beispiele dazu. Hier möchte ich eine kurze Zeitungsinformation zum Ergebnis des European Social Survey zur Wahrnehmung des Alters in rund 20 Ländern zum Anlass nehmen, um diese Problematik aus ethnologischer Perspektive aufzuwerfen.3 Die Polen, so wurde informiert, schätzen 62-Jährige bereits als alt ein, Schweizer betrachten 69-Jährige als alt und Dänen setzen die Alterskategorie erst bei über 70 fest. In Südindien variiert die Vorstellung des Altseins gemäß meiner Studie noch viel stärker: von rund 50 bis über 80 Jahre, also rund 30 anstatt zehn Jahre (de Jong 2005a). Unter Umständen lässt sich sogar ein ageless self eruieren. Dies hat Sharon Kaufman, eine der Autorinnen in diesem Band, für den USamerikanischen Kontext gezeigt (Kaufman 1986). Gemeint sind alte Personen, die das Altsein nicht als zentralen Teil ihres Selbst wahrnehmen und deren Selbstwahrnehmung damit deutlich von der Fremdwahrnehmung abweicht, die auf den alternden Körper fokussiert. Als sozialwissenschaftlich gebildete Leserin fragt man sich bei der genannten Zeitungsinformation: Ist diese ,Messung‘ in Europa abhängig von so genannten ,Altersgruppen‘ durchgeführt worden, und welche Altersgruppen wurden allenfalls als Maßstab genommen? Inwiefern sind die Antworten geschlechts- und schichtspezifisch, und welche Geschlechter- und Klassenkategorien wurden benutzt? Nicht zuletzt interessiert, worauf diese große Differenz in der Alterswahrnehmung von fast zehn Jahren innerhalb von Europa beruht, und was es auch qualitativ bedeutet. Außerdem wäre es interessant zu wissen, ob und wie das Befragungsergebnis dieser Altersdifferenz sich auf die wissenschaftliche Konzept- und Theoriebildung im Zusammenhang mit Alter auswirkt – und somit auf die zukünftige statistische Erhebung des Alters und auf nationale sozialpolitische (Kontroll-)Maßnahmen. In den deutschsprachigen Medien wird Alter seit einiger Zeit gerne mit Schlagwörtern wie ‚Generationenkrieg‘, ‚Pflegechaos‘ und ‚Fortschrittsbremse‘ assoziiert, und auch die Sozialwissenschaften tappen wacker in manche Altersfalle. Eindrücklich zeigt dies der österreichische Soziologe Anton Amann, 3

Quelle: Neue Zürich Zeitung 6.11.2007.

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der hier ebenfalls mit einem Beitrag vertreten ist, in seinem Buch Die großen Alterslügen (Amann 2004). Der deutsche Soziologe Franz-Xaver Kaufmann fokussiert in seinem Buch Schrumpfende Gesellschaft (Kaufmann 2005) jedoch weniger auf die anteilsmäßige Zunahme der Alten als auf den fehlenden Anteil der Jungen. Beides ist sinnvollerweise gemeinsam zu betrachten. Sowohl Amann wie Kaufmann beziehen sich in ihren Erörterungen auf ein häufig verwendetes, marktwirtschaftlich orientiertes Konzept, nämlich auf den ,Generationenvertrag‘. Kaufmann fragt sogar provokativ: „Gibt es einen Generationenvertrag?“ Und er antwortet scharf: „Was unter einem Generationenvertrag zwischen heutigen und künftigen Generationen zu verstehen ist, bleibt nebulös wie die Zukunft selbst. Jeder sinnvolle Begriff von Vertrag setzt ein Verhältnis der Reziprozität voraus. Solche Reziprozität kann es nur unter Lebenden geben“ (Kaufmann 2005: 205). Als zentrales Problem ortet er außerdem nicht die Generationen, sondern die Individuen, die sich in Deutschland seit etwa 1950 weniger häufig als vorher für eine Familiengründung entscheiden. Das ,Generationenproblem‘ sei erst mit der Entwicklung des Sozialstaates nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem öffentlichen Thema geworden. Soweit einige Schlaglichter auf den Umgang mit Fakten und zentralen wissenschaftlichen Konzepten zu Alter in Europa, die bekannt sein mögen. Weniger bekannt ist wahrscheinlich, dass in Indien die dominante Familiensoziologie sich schon seit Mitte der 1970er Jahre nachhaltig von den „ubiquitous proclamations of demographic apocalypse of international gerontology“, gemeint ist vor allem die amerikanische, beeinflusst wurde. Diese provokativ formulierte These vertritt der amerikanische Medizinanthropologe Lawrence Cohen (Cohen 2003: 963). Die Auswirkungen auf Forschung und Praxis sind beachtlich: Die indische Altersforschung hat sich durch den Glauben an bestimmte demographische Fakten über Jahre ideologisch und somit theoretisch und methodologisch eingeengt, veraltete Konzepte von Familie, Verwandtschaft und Geschlecht verwendet, die soziale Schichtung kaum berücksichtigt und sich unrealistischen Wohlfahrtsvisionen hingegeben (Cohen 1998). Zum Teil ist dies weiterhin der Fall (de Jong et al. 2005). Und vermutlich ist Indien keineswegs das einzige Beispiel in dieser Hinsicht, sondern es lassen sich ähnliche Tendenzen auch in der Sozialforschung in europäischen Ländern finden. Die Lehre, die aus den vorher erwähnten Beispielen gezogen werden kann: Wenn Fakten nicht immer wieder kritisch im Zusammenhang mit den dahinter liegenden Denkkonzepten überprüft werden, werden sie leicht zu Fiktionen oder Mythen und können sich dann hemmend auf die Entwicklung einer Disziplin oder eines Forschungsfeldes auswirken. Mir scheint es deshalb wichtig, Fakten über das Alter und über Generationen auf ihren Alterungsprozess – salopp gesagt: auf ihr Verfallsdatum – hin zu untersuchen. Dies beinhaltet

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gleichzeitig einen reflexiven Umgang mit der Bildung von Konzepten und Theorien (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996).

Alternde Körper Wenn wir nach dem Beitrag der Sozial- und Kulturanthropologie zur interdisziplinären Altersforschung suchen, stoßen wir unweigerlich auf das NaturKultur-Dilemma, das unsere euro-amerikanischen Alltagstheorien in den letzten Jahrhunderten durchdringt und das sich bis heute auf die westliche wissenschaftliche Theoriebildung auswirkt. In ausgeprägter Weise wurde dies, wie bereits angedeutet, in der Verwandtschaftsforschung problematisiert, aber auch in der Genderforschung. Es wurde postuliert, dass Verwandtschaft und Gender gemeinsam untersucht werden sollten, denn beide Kategorien sind in ähnlicher Weise sozial und kulturell konstruiert. Sie werden nämlich zunächst als ähnliche biologische Fakten wahrgenommen, zumindest im euro-amerikanischen Raum (Collier/Yanagisako 1987). Der Ethnologe Robert L. Rubinstein geht einen Schritt weiter und sieht hinsichtlich der Kategorie Alter den gleichen Vorgang am Werk. Er bringt das im folgendem Zitat prägnant auf den Punkt: „For us, kinship and gender are about ,the facts of biological reproduction‘. For others, these may be based on some distinctive principle or principles (...) For us, ,aging‘ is rooted in biology because it is about ,generations‘ (...) and it is about the representation of chronological time, certainly one of the most significant and pervasive of Western cognitive structures. Thus, assumptions about the natural entailments of biology and linear time lie at the basis of our own cultural and scientific views of ‚aging‘ and ‚old age‘. An attempt to study aging and old age cross-culturally without accounting for the effects of our notions of these things and without a serious look at other people’s notions, will be troubled. The dilemma of our own folk model is that it reduces anything without a social or a cultural explanation to a natural or biological explanation“ (Hervorhebung WdJ, Rubinstein 1990: 124). In zahlreichen ethnologischen Studien wurde in den letzten drei Jahrzehnten dargelegt, dass Verwandtschaft und Gender ihre vermeintliche ,Natürlichkeit‘ im kulturellen Kontext eines Weltbildes entfalten, das spätestens mit der Aufklärung entstanden ist, dessen Wurzeln möglicherweise aber bis in die Entstehungszeit der monotheistischen Religionen mit ihrem besonderen Ursprungsmythen zurückreichen. Verflochten mit diesen kulturellen Vorstellungen sind immer auch Machtverhältnisse, die häufig als natürlich dargestellt werden (Yanagisako/Delaney 1995). Entsprechend wurde in den letzten Jahren zunehmend versucht, ein dichotomes Denken in ‚Natur‘ versus ‚Kultur‘

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zu überwinden, indem man in detaillierter Weise die Vorstellungen der Erforschten und der Forschenden mit berücksichtigt hat (z. B. Strathern 1992, Carsten 2004, Bloch et al. 2005). Für eine Altersforschung, die in einen Dialog mit anderen Disziplinen treten möchte, schlage ich einen Ansatz vor, der nicht in erster Linie beim großen Begriffspaar Natur/Kultur ansetzt, sondern beim „begrenzten Konzept“4 Körper, insbesondere bei alternden Körpern. Inspiriert dazu wurde ich durch die nordamerikanische Körper- und Medizinanthropologie, die sich in den letzten Dezennien unter Einfluss der boomenden medizinischen Biotechnologien, stark entwickelt hat (z. B. Lock 1993a, Lock/Young/Cambrosio 2000, Kaufman/ Morgan 2005). Von besonderer Bedeutung für die Altersforschung sind Sharon Kaufman, Margaret Lock und Lawrence Cohen, den ich bereits erwähnt habe. Da Sharon Kaufman in diesem Band mit einem eigenen Beitrag vertreten ist, konzentriere ich mich hier vor allem auf die Altersstudien von Margaret Lock und Lawrence Cohen, die vorwiegend in den 1990er Jahren erschienen sind. Beide haben preisgekrönte Monographien verfasst (Lock 1993b, Cohen 1998). Auf ihre neueren Arbeiten zu Tod und Organtransplantationen gehe ich nicht ein, da das Alter in diesen Werken nicht im Vordergrund steht.

Mindful body und ‚lokale Biologie‘ Häufig wird der Körper entweder als materielle, ahistorische, biologische Einheit, welche kulturelle Praktiken überformt, betrachtet oder als nichtmaterielle, sozio-kulturell konstruierte bzw. diskursive Einheit. Margaret Lock praktiziert einen dritten epistemologischen Ansatz. Dieser Ansatz scheint mir viel versprechend, denn er versucht, materielle mit kulturellen Dimensionen des Körpers zu vereinen (Lock/Farquhar 2007). Ansätze wie diese werden auch als „materiell-dekonstruktivistisch“ oder „materiell-semiotisch“ bezeichnet (Spindler 2006, Rabinow 2000), und sie werden nicht selten mit anderen praxistheoretischen und phänomenologischen Ansätzen unter dem Begriff embodiment, Verkörperung, subsumiert (Reischer/Koo 2004). In einem Forschungsüberblick mit programmatischem Charakter, den Lock gemeinsam mit Nancy Scheper-Hughes verfasst hat, präsentieren sie das 4 Ich lehne mich dabei u. a. an Paul Rabinow an, der vorschlägt, limited concepts anstatt umfassenden Konzepten wie Kultur oder Gesellschaft als Analysekategorien zu verwenden. Letztere nennt er unanalysierbare Pseudo-Einheiten (Rabinow 2000: 45). Er spricht damit auf ihre Geschichte an und auf die Debatten, die in den letzten Dezennien um Begriffe wie diese stattgefunden haben.

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Konzept des mindful body. Darunter verstehen die Autorinnen einen Körper, der sowohl ein physisches als auch ein symbolisches ,Artefakt‘ darstellt, der sowohl natürlich als auch kulturell produziert wird und der klar an einem bestimmten historischen Zeitpunkt verankert ist (Scheper-Hughes/Lock 1987: 7). Der mindful body lasse sich auf der Ebenen des individuellen Körpers (individual body), des durch Symbole vermittelten gesellschaftlichen oder sozialen Körpers (social body) und des politischen Körpers (body politic) im Sinne des durch Macht und Kontrolle geprägten Gemeinwesens analysieren. Das impliziert auch eine enge Verknüpfung von individuellem Körper, Gesellschafts- und Regierungsformation. Emotionen vermitteln zwischen diesen drei Körperebenen und zwischen Geist und Körper: „It is sometimes during the experience of sickness, as in moments of deep trance or sexual transport, that mind and body, self and other become one. Analyses of these events offer a key to understanding the mindful body, as well as the self, social body, and body politic“ (ScheperHughes/Lock 1987: 29). Weil die Emotionen so zentral sind, ist es unerlässlich, eine Theorie der Emotionen mit dem mindful body zu verbinden, meinen die Autorinnen. Emotionen konzeptualisieren sie in diesem Rahmen als Gefühle, kognitive Orientierungen, öffentliche Moralvorstellungen und weiter gefasste kulturelle Vorstellungen. Die Autorinnen gehen nicht darauf ein, ob Alter ebenfalls eine Art von emotionalem ,Ereignis‘ darstellt, dessen Analyse einen besonderen Zugang zum mindful body verleiht. Aber da Lock zu dieser Zeit bereits zum alternden Körper forscht, könnte es sein, dass das im obigen Zitat ebenfalls impliziert ist.

Das ‚mittlere Alter‘: kõnenki und ‚Menopause‘ In einem weiteren wichtigen Forschungsüberblick über „Epistemologien körperlicher Praktiken und körperlichen Wissens“5 formuliert Lock expliziter als vorher die individuelle Wirkmächtigkeit des Körpers hinsichtlich sozialer Zugehörigkeit und Verlust von Zugehörigkeit – im Austausch mit dem jeweiligen sozialen Kontext: „The body, imbued with social meaning, is now historically situated, and becomes not only a signifier of belonging and order, but also an active forum for the expression of dissent and loss, thus ascribing it individual agency. These dual modes of bodily expression – belonging and dissent – 5 Hier wird augenfällig, dass gewisse AutorInnen eine Trennung zwischen Handlungsweisen und Denkweisen machen, äquivalent mit sozialen bzw. kulturellen Praktiken. Strathern, die bereits erwähnt wurde, vermeidet mit ihrem Begriff ,Wissenspraktiken‘ diese Trennung in zwei Kategorien. Sie klassifiziert die Denkweisen als Teil der Handlungsweisen.

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are conceptualized as culturally produced and in dialectical exchange with the externalized ongoing performance of social life“ (Lock 1993). Diese neue theoretische Sicht auf den Körper sei dadurch entstanden, dass man in den 1980er Jahren angefangen hat, vermehrt den Alltag von Frauen, Kindern und anderen ,peripheren‘ Menschen zu erforschen. Zu gleicher Zeit erscheinen Locks Ethnographie Encounters with Aging: Mythologies of Menopause in Japan and North America (Lock 1993b) und ein Artikel zum gleichen Thema (Lock 1993c); die Ergebnisse der beiden Publikationen wurden auch im deutschen Sprachraum rezipiert (Lock 2002, Wolf 2007). Diese Arbeiten verfasst sie auf Basis quantitativer und qualitativer Daten, vor allem Interviews mit Frauen verschiedener Schichten aus Kyoto sowie Interviews mit medizinischen Experten. Die feministisch orientierte Medizinanthropologin zeigt, dass physische Veränderungen am Ende der Menstruation – ihre subjektive Interpretation und Repräsentation sowie die professionellen und populären Diskurse darüber – in Japan und den USA sehr unterschiedlich sind. Diese Diskurse und Meinungen ziehen weit reichende soziale und politische Folgen nach sich. Lock kreiert in diesem Zusammenhang den Begriff ,lokale Biologien‘. Diese zeigen sich zum Beispiel darin, dass in Japan das Ende der Menstruation, kõnenki genannt, nicht mit deutlichen Symptomen wie Hitzewallungen einhergeht, sondern mit vageren Symptomen im Zusammenhang mit dem vegetativen Nervensystem, oder mit überhaupt keinen. Frauen werden deshalb im medizinischen Diskurs über das Alter kaum von Männern unterschieden. In Japan ist das idealisierte Selbst eine Einheit von Körper und Geist, und der Frauenkörper im mittleren Alter interessiert in der Öffentlichkeit insofern, als er zur Pflege der Alten eingesetzt werden soll. In meinem Forschungskontext in Indien war das ähnlich. Ganz anders ist es aber in Nordamerika, wo Frauen in erster Linie als Körper gesehen werden, wo die Menopause biomedizinisch meist als Östrogendefizitkrankheit konstruiert wird, und wo der Zerfall des physischen Körpers im Vordergrund steht. Dieses Konzept der Menopause wurde aber erst Mitte der 1970er Jahre so vereinheitlicht und normalisiert, nachdem in den 1940er Jahren synthetische Östrogene entwickelt worden waren. Der Begriff Menopause wurde jedoch schon früher erfunden, nämlich im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Damals bezeichnete er die biologischen Veränderungen am Ende der Menstruation, in Abgrenzung zum damaligen Alltagswissen. Lock geht es darum, zu zeigen, dass die unterschiedlichen medizinischen Perspektiven Produkte spezifischer historischer und kultureller Verhältnisse sind. Aber sie möchte mehr als nur die umstrittenen Repräsentationen der Menopause erforschen. Sie untersucht auch, wie die Produktion dieses

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Diskurses motiviert und legitimiert ist, und wie er sich reproduziert. Kurz gesagt geht es ihr um die Beziehung zwischen den subjektiven Erfahrungen während der Lebensmitte und den verschiedenen Formen von Wissen darüber sowie dessen Anwendung. Dabei beeinflussen wissenschaftliches Wissen und Alltagswissen über Gender, Natur und Zeit sich gegenseitig – mit problematischen Folgen für das faktische Wissen in Japan und in Nordamerika. Mit speziellem Blick auf die verschiedenen Diskurse über post-menstruelle Frauen in den USA bemerkt Lock: „The feedback loop between popular and scientific knowledge creates a self-perpetuating rhetoric, a myth that posits a bleak time of individual suffering and distress leading to an inevitable decline in health, a myth that persists largely in ignorance of and abstraction from the lives of middle-aged women“ (Lock 1993: xlii). Eine vergleichende Analyse und die Berücksichtigung der Sichtweisen der Subjekte könne differenzierte Ergebnisse schaffen, meint Lock. Meines Erachtens, und Lock exemplifiziert das auch, braucht es zudem einen Reflexionsprozess über die verwendeten Konzepte, so über das biomedizinische Konzept ,Menopause‘, das Konzept kõnenki und auch über das analytisches Konzept ,lokale Biologien‘, um diese Mythen zu durchbrechen und eine relative Faktizität (wieder) herzustellen.

Das ‚späte Alter‘: kamzōri – ‚Senilität‘ Cohens Ansatz ist grundsätzlich ähnlich wie der von Lock: Wie Lock hat Cohen mehrere Überblicksartikel über das Alter verfasst, in dem sein ebenfalls materiell-konstruktivistischer Ansatz deutlich wird (Cohen 1994, 2003); auch er geht grundsätzlich von einem mindful body aus, berücksichtigt dabei Emotionen und situiert den alternden Körper in verschiedenen heutigen und historischen Kontexten (Cohen 1992, 1995, 1998). Dem biomedizinischen Konzept ,Menopause‘ bei Lock entspricht bei Cohen – etwas weiter gefasst – ,Senilität‘, und wie sie das einheimische Konzept kõnenki behandelt, arbeitet er analog mit dem einheimischen Konzept kamzōri, was auf Deutsch Schwäche heißt. Schließlich pflegt Cohen in seiner Monographie ebenfalls einen literarischen Stil. Aber er setzt auch andere Akzente. So untersucht er die spezifischen Verwobenheiten des indischen Medizinsystems mit demjenigen der USA und geht über eine rein vergleichende Gegenüberstellung, wie Lock sie vornimmt, hinaus. Zudem ist seine Altersforschung darauf angelegt, eine umfassendere Anthropologie der Senilität zu begründen (Cohen 1995, 1998, 2003, 2006). In seiner Ethnographie No Aging in India: Alzheimer’s, the Bad Family, and Other Modern Things – meines Erachtens eine der erhellendsten ethnologischen

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Studien zum Alter überhaupt – schildert Cohen die Praktiken, durch welche körperlicher Verfall in Nordindien erfahren, bezeichnet, gemessen und behandelt wird, und wie diese Eingang finden in die Gesetzgebung, in die Geschichte und in die Wissenschaft (Cohen 1998: xvii).6 Er situiert seinen Forschungsgegenstand in einem globalen Kontext, d. h. er räumt weltweiten kolonialen und postkolonialen Einflüssen viel Platz ein. Später charakterisiert er seine Ethnographie prägnant als eine Erkundung der „old voice in the context of bodily and social weakness and their gendered and class specificity, with a focus on senility and dementia“ (Cohen 2003: 967). Mit old voice meint Cohen die vielfältigen Stimmen oder Meinungen alter Frauen und Männer aller sozialen Schichten, nicht nur derjenigen der in der indischen Gerontologie vorwiegend beachteten Männer der Mittelschicht. Gleichzeitig drückt er damit den speziellen, auf Körper und Emotionen fokussierten Schwerpunkt seiner Ethnographie aus. Cohen, der selber auch Medizin studiert hat und in den USA in vielfältiger Art und Weise den Kontakt mit alten Menschen – auch in Kliniken und Heimen – gesucht hat, geht von den populären und medizinischen Diskursen über Alzheimer aus. Er dekonstruiert sie als lokale und kontingente (Wissens-) Praktiken über Prozesse des körperlichen Verfalls im Alter, welche in den kulturellen Denkweisen und in der politischen Ökonomie verankert sind. Hier wird empirisch klar ersichtlich, dass ,Senilität‘, ,senile Demenz‘ und ,Alzheimer‘ Begriffe sind, die je nach lokalem Kontext und je nach Zeit eine andere Bedeutung erhalten. Mit Blick auf die USA entdeckt er hinter der meist unreflektierten Verwendung von Alzheimer eine tief sitzende Angst vor dem Alter (Cohen 1998). Einleitend führt er aus, dass er den Begriff Senilität nicht als medizinischätiologischen Begriff verwendet, sondern als eine Form von verkörpertem Verhalten im Alter, die eine stigmatisierte Differenz zu jüngeren Menschen schafft: „I use senility precisely because of the contested and shifting meanings of the term. I refer by it to the attribution of difference or discontinuity to an old person or to old people as a group, when this difference is embodied as behavior – as actions or utterances – and when it is to some degree stigmatized“ (Hervorhebung im Text, Cohen 1998: 33). ,Alt‘ definiert er als umfassende Bezeichnung für 6 Der Titel „No aging in India“ ist mehrdeutig. Cohen wehrt sich erstens gegen die generell durch Alarmismus geprägte indische Altersforschung; zweitens bemängelt er eine Forschung, die sich mit dem Schnittpunkt von Alter, Gender und Nation befasst; und drittens meint er, dass die indische Gerontologie ihren Forschungsgegenstand praktisch zum Verschwinden gebracht hat, indem sie sich vorwiegend auf eine kleine Minderheit pensionierter männlicher Individuen der Mittelschicht konzentriert hat, sowohl in der Forschung als auch in der Praxis.

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eine Person, deren Körper, Verhalten, soziale Position oder Geschichte die späteren Dekaden des Lebenslaufes andeuten. Im späteren Überblicksartikel zeigt er den historischen Ursprung des Phänomens und des Konzeptes ,Senilität‘ auf (Cohen 2003). Das Konzept entstand in der europäischen Biologie und Medizin des 19. Jahrhunderts, zusammen mit der Denkfigur des ,normalen Körpers‘. Damals wurde das Alter erstmals wissenschaftlich problematisiert, vor allem im Zusammenhang mit mentalen Erkrankungen. Diese Alterserkrankungen wurden als Probleme charakterlicher und moralischer Stärke diskutiert. In der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts wurde Senilität zunehmend mit eugenischen Ideen zu Gesundheit und Rasse verknüpft. Um die menschliche Spezies zu verbessern, sollte die Last von zu vielen Alten mit ihrem inferioren Keimplasma vermieden werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden verschiedene gerontologische Theorien entwickelt. Eine der einflussreichsten, dichotom argumentierenden Theorien besagt, dass die Modernisierung der Grund für eine schlechtere Behandlung der Alten sei, nur in ,traditionellen Gesellschaften‘ gäbe es ,filiale Pietät‘. Weiter entwickelten sich politische Diskurse zu sozialer Wohlfahrt, die u. a. mit sozialer Regulierung von Senilität verbunden wurden. Die Sozialwissenschaften unterstützten diese Entwicklung. In seiner Monographie lässt Cohen neben einer Reihe Experten insbesondere die Stimmen von Menschen in vier Quartieren von Varanasi (Benares, Banaras) zu Wort kommen, die heilige Stadt in Indien, wohin viele alte Menschen gehen, um zu sterben. Ich skizziere hier, wie er die Situation der Ärmsten darstellt – als vergleichende Skizze zu meiner Beschreibung der Pulaya in Südindien. Bei den SlumbewohnerInnen der Chamar, einer Leder verarbeitenden Kaste, wird das Alter durch Schwäche, kamzōri, bezeichnet. Aufgrund der spezifischen Kastenzugehörigkeit beinhaltet das Alter trotz staatlicher Maßnahmen positiver Diskriminierung Schwäche – und zwar sowohl in physischer, ökonomischer, sozialer als auch politischer Hinsicht. In den Aussagen der Menschen über ihre Familie wird die mangelnde Nahrung für die Kinder und für die alten Eltern hervorgehoben, gemessen an der täglichen Anzahl Brote (chapatis). Um das auf den Punkt zu bringen, spricht er von chapati bodies. Altersschwäche entsteht aus lokaler Sicht durch zu wenig Essen, zu wenig Medikamente und zu viel Arbeit bis ins hohe Alter. Dies kontrastiert mit der Vorstellung in der Mittelschicht, dass die schlechte familäre Versorgung (bad family) für Altersschwäche, insbesondere für ,Alzheimer‘, verantwortlich ist. Ausgehend von diesen Befunden arbeitet Cohen ,Schwäche‘ als strukturelles Prinzip heraus, welches in der Sicht dieser Menschen die Kastenordnung hervorbringt und welches gleichzeitig die Basis für ihre Kritik an dieser Ordnung

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darstellt. Cohen schlussfolgert: Anders als „Unreinheit“ sei „Schwäche“ eine Form der „verkörperten Differenz“ (embodied difference), welche die moralische Integrität des Geschwächten gegenüber dem Schwächenden bewahrt. Von Schwäche zu reden, sei vor allem eine rhetorische Strategie, Abhängigkeit, Wut und Leiden auszudrücken. Es falle jedoch auf, dass die „Ideologie der Schwäche“ die Unterschiede von Klasse und Gender verwischt. Sowohl Frauen als Männer würden Geschlechterunterschiede hinsichtlich Altersschwäche ausblenden. Das Ende der Menstruation würde von den Frauen als Erleichterung empfunden, und die Menopause als eine spezifische Erfahrungskategorie gäbe es im Gegensatz zur Mittelschicht nicht. Es gibt viele Hinweise, dass in Kerala, wo ich meine Untersuchung durchgeführt habe, Ähnliches gilt. Doch ein genauerer Vergleich mit Blick auf Konzeptionen und Erfahrungen hinsichtlich alternder Körper in Nord- und Südindien steht noch aus. Man könnte kritisieren, dass die Art und Weise, wie Cohen seine Feldforschungs- und Lektüreerfahrungen repräsentiert, zu komplex ist und zu viel von der Leserin oder vom Leser verlangt. Dem kann entgegnet werden, dass er es meisterhaft versteht, ein hohes Maß an Differenziertheit und Reflexion zu erreichen, was zum Denken anregt, und was für eine kreative, theoriegeleitete Altersforschung, die mit dem Altern von Fakten zu kämpfen hat, unabdinglich ist. Es ist deshalb zu wünschen, dass Cohens Werk übers Alter, das nach wie vor einen hohen Aktualitätsgrad aufweist, auch in der Altersforschung im deutschen Sprachraum rezipiert wird.

Travelling concepts – travelling facts Die Wege der Wissensproduktion von Lock und Cohen zeigen, wie Fakten übers Alter(n) altern und wie Fakten ihre Bedeutung je nach lokalem Kontext verändern. Das Alter(n) der Fakten ist abhängig von den Denkkonzepten, welche die Fakten hervorbringen. Diese Denkkonzepte sind geprägt durch ihren lokalen und zeitlichen Kontext. Das gilt sowohl für wissenschaftliche Konzepte als auch für Alltagskonzepte. Lock und Cohen zeigen, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Konzepte auf ihrem lokalen und geschichtlichen Gehalt hin zu überprüfen und diese in reflektierter Weise mit Alltagskonzepten in Beziehung zu setzen. Ihre Arbeiten zeigen außerdem, wie wichtig es für die wissenschaftliche Forschung ist, sich vertieft mit Alltagskonzepten auseinanderzusetzen. Solche epistemologische Vorgehensweisen ermöglichen es, die Lebenswirklichkeiten der Erforschten und Forschenden in vertiefter Weise zu erfassen und auf einer präziseren Art kontextuell gültiges Wissen und somit eine relative Faktizität herzustellen.

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Konzepte wie Alter oder Altern sowie Körper, Verwandtschaft, Geschlecht, Generation und Genealogie haben grundsätzlich einen mobilen und flexiblen Charakter: Als travelling concepts bewegen sie sich durch Natur- und Humanwissenschaften, durch verschiedene Räume und Zeiten und verändern auf der Wanderung ihren Inhalt – und sie setzen die Fakten in Bewegung. Die sich verändernden – oder wenn man will „alternden“ – Inhalte der Konzepte und die durch die Konzepte vermittelten Fakten und deren Alterungsprozess zu entschlüsseln und zu reformulieren, ist eine faszinierende Aufgabe; dieser Herausforderung hat sich die Altersforschung in einem interdisziplinären Rahmen zu stellen. Da liegt es nahe, sich von Nachbardisziplinen oder von benachbarten Forschungsfeldern positiv irritieren und inspirieren zu lassen. Wünschenswert ist es, bei einem solchen interdisziplinären Projekt zur Wissenskonstruktion konzeptuelle Kontinuitäten oder Gemeinsamkeiten zwischen den beteiligten Disziplinen (wieder) zu entdecken oder neue Konzepte zu kreieren, die zu bisher unbekannten und überraschenden Fakten führen.

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Old age in prehistory Anna Kjellström and Stig Welinder1 In prehistoric societies 5–15 % of the adults lived more than 50–60 years. These demographic data, based on skeletal analysis, are problematic. They are in agreement with medieval data, but the latter deviate notably from early modern census data. Differences between hunter-gatherers’ and agriculturalists’ societies and between women and men along the time axis are hinted at.

Old age is a cultural concept like gender. The study of old age in prehistory is the

analysis of the aging processes from burial assemblages with individuals seriated according to estimated osteological age, which is not the same as chronological age, especially as concerns individuals older than c. 35 years. Analysed in this way, it is obvious, and selfevident, that the experience of growing old and surviving into old age and eldership varied between societies.

The first verses of the twelfth chapter of Ecclesiastes, compiled around 200 BC, describe in poetic metaphors the deterioration of man’s body, senses, and lust. It is a matter of vanity and wisdom, of losing the joy of life, of accepting old age and death, according to the guidance of the Shepherd (Norberg 1997). The same process of change affects the skeletons of women and men and makes it possible to study old age within prehistoric archaeology. It is not self-evident, however, that all, or any, prehistoric societies had the same view of the aging process as that of the mythical preacher in the Old Testament. Somatic changes may be looked upon as decline caused by age, as sickness, or in countless other ways in various societies.

The challenge of prehistory Prehistory is the silent time before history, prior to the invention of writing. There are no documents. All words used in analyses and in discussion have to derive from ourselves. They are words of our time. Thus, not only all questions about old age in prehistory, but all answers, that is, all concepts and ideas, are concepts and ideas of ourselves. They are reflections of ourselves. Of course, we may scan early history, history, ethnography and cultural anthropology for words, but still they are not the words of the prehistoric societies. 1 This article is a modified version of Welinder 2001.

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This makes prehistoric archaeology a field where you have to question every choice of conceptions and ideas, as well as every rejection of other conceptions and ideas. You have to ask again and again, ‘Why do we prefer this interpretation, why not that interpretation?’ Prehistoric archaeology forces you to rethink your questions, concepts and ideas.

Age and gender The present article presents some ideas concerning old age and how to explore them archaeologically. The starting point is gender theory. Old age is an important part of an individual’s lifespan, or rather, as will soon become evident regarding prehistoric times, of the lifespans of only a few individuals. The latter, however, is not an unambiguous statement. Age, like gender, is a concept that is culturally constructed within each society. No doubt time and the number of solar cycles are universal, physical concepts, but the construction and the experience of ‘age’ are not. Old age is certainly a cultural construct. At least that is the starting point from the perspective of gender theory. Modern gender theory stresses the study of life cycles of individuals. Children mature into a gender, and adults perform as women or men, or as a number of other gender groups. Gender theory also stresses that the nature of belonging to a gender group changes in the course of an individual’s life as concerns work tasks, social roles, status and prestige (Sofaer Derevenski 1997). Thus gender and age are an interlinked process of being inside a gender system, the characteristics of which are age-dependent. Throughout a person’s life cycle the gender of the individual will be positioned within the gender system of the society in continuous negotiation with other individuals, with constantly changing outcomes. From an archaeological point of view it is of importance that material culture is part of the life-long identity-moulding process as concerns both gender and age, and certainly a number of other aspects of an individual’s feeling of belonging to one or several groups like class, ethnicity, and occupation. Within prehistoric archaeology this has so far been noted most effectively in the studies of burial rituals. Regarding gender, the Scandinavian classic is Dommasnes (1982); as concerns old age, a pioneering work is Welinder (2001). Children have been much more and much more thoroughly discussed than old people within Scandinavian prehistoric archaeology (e.g. Lillehammer 1989; Welinder 1998). We will discuss the two self-evident questions within the study of old age in prehistory: How long, that is, how many years did people live in early times? How did people experience old age in early societies? The latter question is

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phrased from an inside view. We will, however, discuss it from the outside view: How did old people perform in early societies? The most basic question is, nevertheless: Who was considered old? How to measure old age? Is perhaps ‘measure’ the wrong word?

The concept of old age The young men of the tribes in Germania libera received their weapons, according to Gaius Cornelius Tacitus in his book “Germania” from AD 98, at the public assembly, the thing, (Tacitus, Germania, 13): They transact no public or private business without being armed. It is not, however, usual for anyone to wear arms till the state has recognized his power to use them. Then in the presence of the council one of the chiefs, or the young man’s father, or some kinsman, equips him with a shield and a spear. These arms are what the “toga” is with us, the first honour with which youth is invested. Up to this time he is regarded as a member of a household, afterwards as a member of the commonwealth.

Tacitus may have been well informed, or perhaps not. He did not state at what age the young men got their weapons: that was of no importance. What mattered was the step from one stage to the next in the life cycle: from being a boy in the family to being a warrior in the society. This is what is meant by the cultural age of the individuals. The age at which the young men got their weapons may be inferred from warrior burials. On the Swedish mainland there are 27 burials from the PreRoman and Roman Iron Age with weapons and an analysis of the remains of the skeleton or the bones of a cremated body (tab. 1). Some of the analyses are from the early era of osteological sex and gender determinations. More recent techniques might result in a somewhat different demographic pattern, an issue we will discuss later. For the moment we will presume that all warriors were men and that they died at the ages established by the osteological analyses. The youngest men to have been buried as warriors were about 18 years old when they crossed the Styx or whatever they did at death. A number of chronological years are suggested. Actually what is determined by the osteological analyses is a biological age, or rather, an osteological age: that is, an age suggested from the presumed standard biological changes of a human body along the time axis, in this case the standard changes of the human skeleton during a lifespan. The chronological age is inferred from the osteological age. The methods and problems inherent to this process will also be discussed later. Thus, the suggestion is that the young men became warriors at about 18 years of age, although the actual chronological age was of little importance.

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The essential issue was the step in the life cycle, the change in cultural age. At what age did the men stop being warriors? At what age did they leave their position in the tribe’s correspondence to a phalanx? The crucial question of course is whether they ceased to be warriors only when they died, or whether it took place already prior to death on the loss of the degree of swiftness and strength required to maintain their place in the warrior cadre. In some of the warriors’ burials (tab. 1), men rest that died at an age around 50 years – and actually one osteological woman. That may be the maximum age of active warriors, or the maximum age at which men were allowed to carry weapons in public, or the age of the step in men’s life cycle at which they left the ranks of warriors. Or it may be the overall maximum lifespan of men, i.e., no men grew older than that during the Early Iron Age. Again we touch upon cultural age. To be a warrior or not when old was a question of cultural tradition, not of chronological age. And what is recorded in table 1 is neither the chronological age nor the cultural age of the old men but the osteological age at death. It is a problematic measurement of maximal lifespan. It is an overview of men, and perhaps some women, who happened to die during the stage of their lives when they were regarded as warriors. Other men and women, younger and older, were not warriors, but the warriors’ burials have demonstrated the complexity of the concept of age, including old age, in prehistoric societies and prehistoric archaeology.

The length of prehistoric lives The osteological adult age distribution of twelve archaeological populations from the Mesolithic to the Late Middle Ages and two historical ones from the 18th century is presented (tab. 2, see also fig. 1). In eight of the archaeological assemblages more than half of the adult individuals died during the youngest age span (20–40 yrs.) and in all of them the least percentage of people is noted in the oldest age group (>60 yrs.). This distribution may mirror the natural successive selection of the human life cycle. Nevertheless, comparing the age distribution at the more ancient sites (Pre-Roman Iron Age and older) with that of the younger ones (Iron Age and younger), some notable divergences are highlighted. Except for Visby, the percentage of individuals older than 60 years is above 10 percent in the early populations, while it is below 10 percent at the later ones, except for Helgeandsholmen where it is 31 percent. The explanation for the somewhat different allocation of the oldest individuals in the early and later populations could simply be that more people reached old age in early societies than in more recent ones, before the 18th century. However, a thor-

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ough exposition of the skeletal assemblages and methods resulting in table 2 is of interest. The data set of the twelve osteological populations includes skeletal remains from 2252  individuals from the Mesolithic to the Middle Ages, which display changes in longevity for about 7000  years. Four of the assemblages (South Halland and the Iron Age assemblages) are from funeral pyres and the rest from inhumation burials. The problems of small sample size, varying time spans, poor preservation and representation is inherent in archaeology. Helgeandsholmen is a good example of the archaeological context affecting age distribution. The Helgeandsholmen site was a House of the Holy Ghost, i.e., a monastery home for the ill, disabled and aged (Dahlbäck 1982). The number of old individuals distinguishes itself even in comparison with other medieval sites, including the Danish contemporary monastery Æbelholt (MØller-Christensen 1982). Sigtuna is another but reverse example. It has been stated that older landowners, although owing Fig. 1:  Sweden with the sites of or renting plots in the town, were buried at tables 2 and 3. 1 = Skateholm; their farms in the countryside (Kjellström et al. 2 = Visby; 3 = Ajvide; 4 = Rössberga; 5 = South Halland; 6 = Ekehögen; 2005). In earlier societies similar selections of 7 = the Vårby area; 8 = the Spånga specific age groups may have occurred at some area; 9 = Löddeköpinge; 10 = burial grounds. Since the cultural and religious Västerhus; 11 = Sigtuna; 12 = Helgeandsholmen. rules controlling the funeral tradition in prehistory are scantily known, the risk of selective mortuary practises cannot be ruled out. Furthermore, even if all individuals in a population were buried at the same site it is seldom completely excavated and as a result, spatial concentration of different age groups could affect the results. Furthermore, the archaeological samples are subdivided into age groups based on deficient ageing techniques where, as mentioned above, an osteological, not chronological, age is attained. The methods used in physical anthropology to estimate age in young individuals are based on the development and maturation of the skeleton up to the age of about 25–30 years. It is believed that the process of skeletal development in juveniles has not undergone any major changes during human evolution (Larsen 1997; Saunders 1992) and this

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process is well documented for both teeth and the bones. Even though sex, ethnicity or health affects the accuracy of the methods, for example tooth development and eruption, ossification and fusing of epiphyses, and long bone length, the age estimates for children are close to the chronological age. After the epiphyseal union of the clavicle, at about 30 years of age, the age estimation in adults gets problematic. In skeletons of old individuals, degenerative morphological features are observed and graded. Most of the techniques are based on the reality that bones and teeth gradually change due to wear and tear through time. The problem is that this process is not necessarily linear. The most commonly used methods are recordings of structures of the pubic symphysis (Todd 1920; Suchey/Brooks 1990), the auricular surface of the hipbone (Lovejoy et al. 1985; Meindl et al. 1985), sternal rib ends (İşcan et al. 1984) and cranial sutures (Meindl/Lovejoy 1985). These skeletal regions represent different types of joints with limited or no movement. Except for normal degenerative forces, the changes are prone to be affected by pathological conditions or, in case of the auricular surface, childbirth. Throughout life the bone mass is constantly remodelled, resulting in different numbers of osteons, i.e., bone lamella surrounding a blood vessel, making morphometric histology for osteon counting in bones useful (Stout 1986). However, the method is destructive and affected by pathology, and random variation aggravates the estimations (Cool et al. 1995). Dental wear (Miles 1963; Brothwell 1981), another method commonly used, may be affected by diet or cultural behaviour since teeth sometimes are used as tools. For teeth, a variety of other studies have been published, for example root dentin transparency (Bang/Ramm 1970), analysis of the root canal from an X-ray (Kvaal/Solheim 1994) or multivariate methods (Gustafson 1950). These techniques are also affected by pathology but may get fairly close to the chronological age of the analysed individuals. The methods with the highest accuracy have an average error of ± 3–5 years (Rösing/Kvaal 1998). It must be mentioned that new methods or revised improved versions of old techniques (e.g. Nagaoka/Hirata 2008) are constantly presented. A general problem, however, is that the age distributions attained by a specific method tend to resemble the age distribution of the assemblage used to develop the technique (Bocquet-Appel/Masset 1982; 1985). The techniques also have an inclination to underestimate the age of individuals over 40–50 years of age (Whittaker 2000; Scheuer 2002). The predicament has been clearly demonstrated in a comparison between a medieval skeletal assemblage and a 17– 18th century historical sample from the same region (Arcini 1999). A clear difference of the youngest and the oldest age groups was shown. During peaceful periods without major epidemics age distributions do not change in such a way.

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It is therefore likely that the archaeological sample was biased due to some of the above-mentioned problems. As discussed above and as stated by other researchers (Arcini 1999; Jackes 2000), there is the risk of old individuals not being identified. In addition, it has been suggested that the nature of old peoples’ skeletons make them more fragile so that they are more easily destroyed and affected by poor preservational conditions (Saunders et al. 2002). As shown, more or less all techniques have flaws: some may come near the chronological age whereas others are merely a suggestion. With this harsh criticism of the representation of the archaeological assemblages and the age estimating techniques in mind, the accuracy of the age structures from the archaeological samples in table 2 may be questioned. However, the different grading of the skeletal traits should be acknowledged as indicators of change over time. Furthermore, in a sense, and excluding obviously biased materials such as Helgeandsholmen, the samples should be equally problematic. It is suggested that as long as the age interval specified in numbers in each column is not taken to mean the chronological age, the relative distribution could be a good, possibly the only, starting point for further discussions. This would also explain and reduce the leap in age distribution between the archaeological samples and that of the18th-century historical records.

Old women and men Are there any differences in longevity between women and men in prehistory? In five of the twelve archaeological populations there are more old men than old women, while in four of the populations there are more women (tab. 3). There is a slight tendency among the skeletal collections to contain more old men in the Stone Age assemblages than in the late ones. However, the numbers of individuals in the early populations are small. The same sources of error affecting the skeletal assemblages and thereby the interpretation of the age distribution may also affect the discussion concerning the distribution of women and men. However, sex assessments and the methods used are not as difficult and deficient as those for age estimations. Using different skeletal traits, correct assessment of sex may be reached in 80–97 percent of examined cases (for a review, see Mays/Cox 2000). The physical process of getting older not only affects the morphological traits used for age assessments: sex diamorphic traits also change to a certain degree. Studies of the cranial features demonstrate that women become more masculine with age

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(Meindl et al. 1985; Walker 1995). This could cause false discrepancies in the sex distribution of a site (Kjellström 2005). Generally women have a higher life expectancy than men, most likely due to pre-menopausal hormonal protection. In life tables based on prehistoric samples, however, women display higher mortality rates during their fertile years than men do at the same age, but this most often changes in old-age groups, where women may show greater longevity than men (Armelagos 2005). This pattern seems to have persisted to the beginning of the industrial era. The increased risk of infections and poor maternity care connected to childbirth clearly affected young women. Sedentary life is believed to have triggered an increased birth rate with more children and lesser time between births. It is possible that hunter-gatherers display another age distribution pattern for women than agricultural societies do (Armelagos 2005).

To deteriorate or to become an ancestor Cultural anthropology may direct attention to unlimited variations in the view of old age, one of which is that being old is a world of its own (Hazan 1994: 8): […] the split between the world of the elderly and conceptions about old age remains fundamentally unbridgeable.

If this is true, there is not much future in trying to understand the minds of old people in prehistoric societies on the basis of archaeological data (fig. 2). One possible way, however, is to start with the simple fact that growing old begins at birth. To be old is to be both old and young. Old people retain the life and memories of themselves as young (Hazan 1994: 8): Old age doesn’t necessarily mean that one is entirely old – all old, if you follow me. It doesn’t mean that for many people, which is why it is so very difficult. It is complicated by the retention of a lot of one’s youth in an old body.

These are the words of “The Schoolmaster”, at the age of 84. Following his line of thought, to study old people is to study the accumulation of a life. To study old people in prehistoric societies is partly to study young people. Thus, the question is whether there is a unique position of being old to focus on. Fortunately there are other ideas to borrow from cultural anthropology, and there are other ways to tackle old age than to probe the minds of old people. There is the view from outside: How was old age conceptualised? Who was old? What did old people do? What was the status and prestige of old people? What was the relation between old and young people?

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Fig. 2:  Old women – Nilsorsa Märet, Pejons Ann, Vik Märet and Båtjonke Lisbet – in Borgvattnet, Jämtland in Mid Sweden (photo: Petri Persson, Jamtli, early 20th century).

In Buraland in north-east Nigeria (Cohen 1984) people in the early 1970s still maintained close links between the living and the dead. The advice, blessings, and wishes of especially recently deceased generations were sought in shrines tended by the oldest and most senior male members of the society. By interpreting, and manipulating the will of the dead, the male elders became influential in the politics of everyday life. The elders, females as well as males, are the keepers of the knowledge of kinship. Thus, the sanction of the elders is, or at least was in the 1970s, a prerequisite for a young couple to be married due to the elaborate restrictions on marriage within lineages and clans. This is one of many examples around the world of the power of elders within lineage-based societies. The elders may be honoured and respected as a means of expressing self-identification with the society and its age-policy. ‘Eldership’, that is, increased leadership, respect, wisdom, experience, and supernatural power due to the proximity to the deceased is, however, not a universal phenomenon (Cowgill 1972). In Buraland matters were changing during

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the 1970s (Cohen 1984). The process of modernisation, migration, and urbanisation, which cause among other things housing shortage and high divorce rates, was leaving old people behind in abandonment and destitution. This applies in particular to women. The Old Diviner Woman keeps the jisku, a magical divination metate stone that used to pass from mother to daughter. It was used for diagnosis and divination concerning family matters like sickness and fertility, and especially in the naming of children. The stone tells the Old Diviner Woman the correct name of a newborn. The wrong name will cause poor growth and sickness. Today the villagers are Christians. They baptize their children in church, and when they are ill the children are brought to the well-run mission hospital. The daughter of the Old Diviner Woman, who has waited almost a life time, has seen the basis of her future power crumple into nothing. Her vision of a decent and dignified old age has turned into frustration, anger, and resignation. The Lonely Old Farmer speaks for himself (Cohen 1984: 342). He has been poisoned by an evil, but unknown, neighbour: At first I could not bend down to urinate and defecate. After some treatment in the mission hospital it got better. But it is still there and I cannot farm anymore. My wives farm and so we get some food. And my children, all of whom have moved away from the village, send me some money regularly. But I am very sad. My children are either working elsewhere or in school away from here. It never seems to end: they go from one school on to another one, and when they finally finish they get jobs and work in other places. I am lonely and old. I want my children and grandchildren around me. This always makes me sad. But I do a lot of weaving and rope making.

We are not told the thoughts of the wives. They are their children, too, and the younger of the wives have widowhood awaiting them.

Age constructions and time concepts The above modern examples are from the 1970s in rural Nigeria. They illustrate that old age is related to time and change. The view of age and aging is dependent on the concept of time in the individual societies (Östör 1984). To simplify, a society with a linear time concept, like our own, stresses mobility, change and progress. In such a society old people are at a basic disadvantage. They are left behind. They are inevitably the losers, although the lose may be a matter of losing well or badly. The former may be the case in societies that stress the cumulative aspects of the linear process of life. In societies with a cyclical time concept, age may be of little importance.

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Among the Buddhists in Bali, growth and decay proceed at different rates for all plants, rocks, animals, and all other things, including humans. All things have their own life cycles. Age is of no importance. Most Balinese do not know their own age. It is simply irrelevant. Death is not an end but a movement to another world, from the Middle World to the Balinese Heaven. The infants and the elders are those closest to the unseen world. Every individual moves through many life cycles, from newborn to elder, from elder to ancestor spirit, and back to newborn (Meyerhoff 1984). In prehistoric archaeology the life cycle may be described by ordering individuals according to their age at death from newborns to old persons. For cremated individuals this is normally done as a limited number of age steps. For the cremation burials in South Halland from the Bronze Age, mainly the latter half of it, we have applied five steps (tab. 4). The ‘infans’ step may be subdivided into several stages, but that is of little interest here. We have chosen to give osteological designations, not numbers of chronological years, for the age steps. Disregarding the problem of representation of the archaeological assemblages, as shown above, the various and different degrees of accuracy of age-estimating techniques bias the age distribution. In anthropological settings, however, the specific age of an individual is seldom of importance: instead, trends and transitions are looked for. This means that instead of trying to assess an exact chronological age, which is out of reach, ranking orders of age should be used (e.g. Kjellström 2005). The stages of age-related indicators ought to be understood as “categories of change during adult life” (Jackes 2000). Preferably, to avoid discrepancies between researchers, the ranking should be produced by the same observer (Lynnerup et al. 2008). This ranking system circumvents the necessity of forcing an analysed skeleton into the numerical age intervals most commonly used for adults (e.g. Buikstra/Ubelaker 1994). Additionally, the recommended age intervals are misleading, indicating a false perception of accuracy and creating artificial stages. It is the physical changes of the body, not the chronological age, that make people weaker and slower at the end of the human life cycle. Hence, it is possible that the ranking system in a way more closely resembles the view of the cultural age of the members of a society. For example, in the Bronze Age society, it is possible that people weakened by physical strains for whatever reason were considered old whereas strong and healthy individuals were treated as respected members of the community regardless of their chronological age. The Bronze Age lifespan is outlined as the mean number of bronze objects per person along the age steps of the lifespan (tab. 4). Thus, individual variation within the stages and the meaning of various kinds of objects are not taken into

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account. Nevertheless, there is an obvious interpretable pattern of variation between the age steps and the sexes. Cremated skeletal remains of children before the age of puberty cannot be sexed. Possibly only boys were buried, because young women were not buried, while young men were. Children were given the overall lowest number of objects at burial. Women of reproductive age were buried together with the highest number of objects. After menopause, the number of objects decreased and were at their lowest among the oldest women. For men the number of objects increased after the age of about 40 years. For the very oldest men the number of objects decreased in the same way as for the women. Thus, the lifespan described a cycle in the Bronze Age society in Halland from a small number of objects to a high one and then back to a small one again. This was valid for both women and men, but the respective cycles had different courses. The female peak was at reproductive age, at approximately 20–40 years. The male peak was at the same age, but it was still more pronounced during another one or two decades of the lifespan of the men. If the number of objects in the urn with the cremated bones is an adequate measure of status and prestige, then women were valued at their highest when of reproductive age, gradually tapering off as they grew old. For men it was partly the opposite, although the very oldest men were least valued among the men. The above view of the Bronze Age society certainly for many reasons is a problematic one. Taken at face value the cyclical number of objects, however, may be looked upon as describing a life cycle from birth to death, wherein the newborn and the oldest ones were closest to one another, because they were both closest to the other side. In addition, possibly both women and men with full bodily abilities and strength were ranked higher than very old persons.

Changing gender at old age The Ajvide burial ground on the island of Gotland in the Baltic from 2700 to 2200 BC contains 24 individually buried skeletons with reasonably accurate sex and age classifications (Burenhult 1997a; 1997b). Most of the skeletons are associated with objects. These belong to one or several of 23  types (Vedin 1997). Thus, a presentation of the dataset as a PCA plot2 derived from a 24 x 23 matrix is called for (Blankholm/Price 1991). The axes of the plot (fig. 3) 2 PCA = Principal Components Analysis, a multivariate method of statistical analysis (Blankholm/Price 1991).

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may be given more or less tentative interpretations, from which a complex interpretation of the scatter of units, that is, the buried individuals, may be suggested. The first axis stresses at the positive and negative ends the presence and absence, respectively, of swine tusks, seal teeth, and adzes and axes. These presumably prestigious objects are in opposition to the presence at the negative end of the axis, and the absence at the positive end, of small bone objects and beads. Thus, the tentative interpretation of the first axis is that it emphasises the material display of Fig. 3:  Principal Components Analysis plot of the in the Middle Neolithic Ajvide burial-ground: prestige. The second axis individuals women, men and children (circles). Individuals older stresses at the positive end than 50 years at death are denoted in black. The plot the presence of pottery, fish- presents the inherent structure of the relations bebones and seal-bones, and at tween all 24 individuals in the data set as concerns the presence and absence of 23 various types of objects. The the negative end chisels, re- closer to one another in the plot, the more similar the touched flint flakes, ham- burials are to one another as concerns the associated merstones and arrow-heads. objects. The complex structure (for details, see the text) is obtained at the cost of information in the occurrence This axis seems to put food of the single types of objects in the various burials. in opposition to handicraft. In the present case about half the information in the Neither of the two first original data set is retained in the two new axes (from axes distinguishes unequivo- Welinder 2001). cally between women and men, or between young and old individuals (fig. 3). Both axes together classify most women and men into two groups, although both some women and some men are associated with prestigious objects. The food–handicraft opposition generally is a woman–man opposition. Four out of five children are grouped together with the men. The oldest child, 10 years old, is grouped together with the women. Perhaps predominantly small boys were buried, but most newborns and small children were not

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Fig. 4:  The skeleton (grave 13) of an old woman from Ajvide, Gotland (from Burenhult 2002).

buried at all in a way to be possible to find in the common burial-ground. Half of the men buried when old, that is, more than 50 years of age at death, are characterised by prestige objects. The same is valid for one young woman. The prestige objects are, however, generally more common among young women than among young men. So the two age groups associated with prestige objects are some old men and most young women. There is only one old woman among the analysed individuals (fig. 4). She was buried together with a tool-kit, which is otherwise mostly found in men’s graves. This is an indication of change in position within the gender system of the society by a woman after her menopause. An ethnographically wellknown 92-year-old female hunter in Kamtjakta is a parallel that comes to mind (Willemark 1997). Within the Ajvide burial-ground population, which is not necessarily the same as the living society, the elders were predominantly men, some of whom were honourably buried with prestige objects. Few women grew old enough to go through menopause. If they did, they could change their gender position. In some way these women turned into men. Perhaps that was a prerequisite to be buried in the common burial ground: only old men were, old women were not.

Prehistoric longevity and the cultural construction of old age In prehistory about half or two thirds of the newborns survived to adulthood. Most of these died at the age of about 30–40 years. A few became 50–60 years old. This pattern changed towards the end of the Medieval Period or the beginning of Early Modern Time, at least according to our skeletal data. In the mid18th century, 35 percent of the adults passed 60 years, and 5 percent grew older than 80 years. The demographic pattern of longevity and old age was remarkably consistent during the seven millennia of prehistory and early historical time overviewed by our database on Swedish osteologically analysed burials.

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The anthropological experience suggests that old age may be studied as the process of growing old. That is exactly what is possible from archaeological prehistoric burial-ground data. It is not known who, if anyone, among the individuals in the burial-grounds was considered old concerning cultural age, and why, by the members of the living society. Someone, however, is always the osteologically, that is, approximately the chronologically, oldest person. The individuals can be lined up from the youngest to the oldest, and their associated objects or other features of the burial ritual of their society can be seriated along the line. That is the archaeological presentation of the process of growing old. To be old is not necessarily the same as having approached the end of a long lifespan. To be old is to be considered old by others, and possibly to experience eldership in one’s own eyes: in other words, cultural age, which the anthropological experience suggests to be a concept of complexity and variation. In the same way as gender is much more difficult to grasp than sex, cultural age is much harder to grasp than chronological age, which is in prehistoric reality represented as osteological age in skeletal populations. The three sets of burial-ground data discussed here are not meant to form an evolutionary view of being elders from the Stone Age to the Iron Age. On the contrary, they show that prehistory, like the anthropological experience, contains complexity and variation that has to be disentangled from contextual studies, with full consideration for source criticism and methodological criticism. However, one conclusion seems to be indicated. All prehistoric individuals had a childhood; all, or at least most individuals, had a gender, one or possibly several different ones, one after the other; but all prehistoric individuals did not grow old. People did not anticipate growing old, although it is hard to guess whether they desired it. In prehistoric societies there were few elders. In modern Western societies almost everybody grows old, and the proportion of old people is high and still increasing. Thus, prehistoric life was different from modern life, and prehistoric societies were different from modern societies. The transmission of tradition and knowledge from one short generation to the next short generation was the task of a small number of elders. Analysing and discussing the archaeology of old age adds a dimension to the study of humankind. Finally, did the Early Iron Age warriors abandon their weapons and the tribe’s phalanx upon reaching old age? Our database contains very few men who died old, i.e., more than 50–60 years old. Most of these were buried without weapons, but so were most men younger than that, too. Accordingly, we do not know. An old person may retain his childhood, youth and mature age in his mind and body; his skeleton does so only to a very limited extent. The skeleton

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of an old person does not tell whether the person used weapons in his younger days, although sometimes that other people used weapons against him. The English has been edited by Carole Gillis.

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90 

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Anna Kjellström and Stig Welinder

Table 1: The osteological sex and age at death of warriors (n = 28) buried on the Swedish mainland 300 BC–AD 400 (from Nicklasson 1997 with additions by Carola Liebe-Harkort).

Age at death (yrs.)

Women (nos.)

Men (nos.)

c. 50

Indet. (nos.)

1

40–60

1

5

1

30–40

2

1

20-40

2

4

c. 18–20

3

Indet.

1

6

1

Total

2

19

7

Table 2: Age at death of adult persons (n = 2252) from the Mesolithic through the 18th century in Sweden. A haphazard selection of osteologically analysed populations and 18th-century census data (from Welinder 2001 with additions). Site

Date

Skateholm

Mesolithic

Visby

Middle Neolithic Middle Neolithic Middle Neolithic Bronze Age

Ajvide Rössberga South Halland Ekehögen The Vårby area

Pre-Roman Iron Age Iron Age

20–40 yrs. 40–60 yrs. (%) (%) 45 45

> 60 yrs. (%) 10

Total Reference no. 20 Persson/Persson 1984 21 Janzon 1974

62

33

5

32

52

16

19

80

9

11

89

51

36

13

65

46

40

14

93

55

41

4

133

Persson/Persson 1997 Ahlström 2001 Jonsson 1972; Lundborg 2007 Ekman 1973 Iregren 1972

The Spånga area Iron Age

51

46

3

222

Sigvallius 1994

Löddeköpinge

50

41

9

646

49

47

4

139

Persson/Persson 1983 Gejvall 1960

68

30

2

377

31

38

31

Sigtuna

Early Middle Ages Early Middle Ages Middle Ages

Helgeandsholmen

Late Middle Ages

Västerhus

Kjellström 2005; Kjellström/ Wikström 2008 Jacobzon/ 428 Sjögren 1982

Old Age in Prehistory 

Site

20–40 yrs. 40–60 yrs. (%) (%)

Date

Sweden

18th century

Sweden

18th century

30

> 60 yrs. (%)

Total no.

35



35 > 80 yrs. = 5 %

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91

Reference JohnsenWelinder/ Welinder 1973 Sigvallius 1994

Table 3: The distribution of women and men (nos. of individuals or percentages among those buried at an age of death > 20 yrs.) among those buried at an old age of death in the same populations as those of table 2 (from Welinder 2001 with additions). Site

Age at death (yrs.)

Women

Men

Skateholm

> 50

1

6

Visby

> 50

0

4

Ajvide

> 50

2

8

South Halland

> 60

3

1

Ekehögen

> 60

10

1

The Vårby area

> 40

11

11

The Spånga area

> 50

1

1

The Spånga area

> 35

36

34

Löddeköpinge

> 60

25

26

Västerhus

> 60

3

2

Sigtuna

> 40

36

74

Sigtuna

> 60

2

3

Helgeandsholmen

> 50

28 %

30 %

Sweden, 18th century

> 60

27 %

33 %

Table 4: The average number of bronze objects per individual in Bronze Age burials in South Halland per age group. The total number of individuals is 96 (from Welinder 2001 with additions from Lundborg 2007). Age at death Infans

Women

Juvenilis

Men 1.0

Adultus

1.2

1.3

Maturus

0.7

1.8

Senilis

0.5

1.0

Indet. 0.2

Im Angesicht des Todes: Altern und Zweifel am Fortleben im Jenseits im Alten Ägypten Martin Bommas Overshadowed by high hopes to live an eternal life in the beyond, ageing and old age in ancient Egypt do not play major roles in written and archaeological sources that survived until today. Although ageing must have been an important issue for everyone at some point, we know next to nothing about fears and worries of those who did not belong to the group of the well-off who prepared for the other world through knowledge and financial means. While a highly developed funerary industry supplied a variety of goods for the elderly who prepared for life after death, less rich members of society had little to no access to the funerary culture of ancient Egypt. Now and then displayed on tomb walls, depictions of elderly people were often portrayed as outsiders in the genre paintings of their superiors. When thinking about coming death, however, even educated members of society often showed a surprising distrust in the heavenly paradise promised by religious texts and funerary priests. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Altern und der Todesbefallenheit im Alten Ägypten. Vor dem Hintergrund schriftlicher und archäologischer Quellen wird aufzuzeigen versucht, wie Bevölkerungsschichten mit entsprechendem Wissenzugang und finanziellen Mitteln sich im Alter ihren Platz im Jenseits durch aufwändige Grabbauten und Totenrituale zu sichern suchten. An der auf industriellem Niveau betriebenen Jenseitskultur hatten sozial tieferstehende Bevölkerungsschichten nur wenig Anteil; alte Menschen fungierten in den Grabdekorationen ihrer Vorgesetzten als Vorbilder für Genredarstellungen.

Wer heute Ägypten bereist, sieht sich auf Schritt und Tritt den Tempeln und Gräbern seiner mehr als 3000-jährigen pharaonischen Geschichte gegenüber. Das war schon in der Antike so und hat Ägypten den Ruf eingebracht, „Tempel der ganzen Welt“ zu sein. Insbesondere der Totenglaube und die unübersehbaren Zeichen des Aufwandes, den die alten Ägypter betrieben, um das Jenseits zu bewältigen, sind allgegenwärtige Zeugen einer Kultur, die sich auf ganz besondere Weise mit dem Tod, dessen Heilung1 und einem unvergänglichen Leben 1 Im Alten Ägypten war der physische Tod bei weitem nicht das Ende des Lebens, sondern wurde als ein Neuanfang eines weitgehend von Bedrängnissen freien Lebens nach dem Tod aufgefasst. Maßgeblich waren hierbei jedoch die Bewältigung der im Bestattungsritual eingeforderten Bewährungsproben und die Sicherung des Status des Toten als Osiris.

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Martin Bommas

im Jenseits beschäftigte.2 Doch die Betrachtung der Fülle an Denkmälern des Todes, also ein quantitativer Zugang, greift zu kurz, um die Faszination gerade gegenüber den ägyptischen Bestattungen, monumentalen Gräbern, Mumien und dem offenbar unerschütterlichen Glauben der Alten Ägypter an die Existenz des Jenseits zu erklären. Genauso ist ganz offensichtlich, dass altägyptische Bestattungsriten mehr beinhalten als eine Antwort auf die biologische Unausweichlichkeit des menschlichen Daseins. Und es ist eine Tatsache, dass, wer sich vorbereitet, vom Tod nicht unerwartet getroffen wird. An den Tod zu denken, heißt in Ägypten sich an ihn zu erinnern. Eine Passage aus dem Grab des Gaufürsten Djefahapi I.3, des größten Privatgrabes des Mittleren Reiches aus Assiut um 1980 v. Chr. zeigt, wie wichtig es war, sich am ‚Tage des Landens‘ (d. i. am Tag der Bestattung), des Gottes des Totenreiches zu erinnern: Ich stellte meinen Gott mit dem zufrieden, was er liebt. |w=| sX#=| spr=| r nTr hrw pf n mn.y Ich erinnerte mich, zu Gott zu gelangen an jenem Tage des ‚Landens‘.4

sHtp.n=| nTr=| m mrr.t=f

In Wirklichkeit ist diese „Erinnerung“ jedoch eine Vergegenwärtigung mythischer Ereignisse um den Gott des Jenseits Osiris und daher eher als eine Vorausschau in eine Zukunft im Totenreich zu werten, die vor allem durch Gottesfurcht gewährleistet wird. Es wird deutlich, dass nur derjenige den Tod erfolgreich behandeln kann, der ihm bereits zu Lebzeiten entgegentritt. Die hierzu notwendigen Vorkehrungen sind in ihrer Ausführlichkeit allerdings einem jeden selbst überlassen. Wichtig ist der reibungslose Übergang ins Jenseits. Daher wird den Gräbern als dem Diesseits zugehörige Orte weniger Bedeutung zugemessen als den darin verorteten Totenriten. Auf diese musste man sich bereits zu Lebzeiten und im Alter vorbereiten, etwa durch die Beauftragung von Vorlesepriestern oder durch die Einrichtung eines mehrere Generationen überdauernden Totenkults. Dort, wo der Tod im Alter seine Schatten vorauswirft und Vorsichtsmaßnahmen dringlich erscheinen lässt, greift ein relativ wenig untersuchtes Themenfeld ein,5 das sich mit dem Alter

2 3 4 5

Dieser rite de passage kam einer Heilung gleich, die den als Krankheit verstandenen ersten Tod bekämpfen konnte. Im Alter sahen sich die Ägypter demzufolge nicht so sehr von physischen Krankheiten bedrängt, als von der zukünftigen Krankheit des Todes, zu deren Heilung Rituale, Mumifizierung, ein Grab usf. benötigt wurden. Das aktuellste Werk ist derzeit Dodson/Ikram 2008. Zu diesem Grab zuletzt Kahl 2006: 71f. Griffith 1889: Taf. 6 und Z. 267; Sethe 1935: 63.15–16; Luiselli 2006: Textzeuge MA8. Grundlegend ist Assmann 2002: 230–251.

Altern und Zweifel am Fortleben im Jenseits im Alten Ägypten 

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und der Todesbefallenheit6 im alten Ägypten auseinandersetzt. Auf den ersten Blick scheint dieses Thema nur wenig Außergewöhnliches zu bieten, zu stark war der Zugang zum Tod bereits im Alten Reich kanonisiert, als dass sich in der Fülle an Texten nicht normierte Individualaussagen erkennen ließen. Im Folgenden wird untersucht werden, welche persönlichen Aussagen zum Tod aus persönlichen, nicht kanonisierten Textquellen gewonnen werden können und inwiefern sich das Alter als letzter Lebensabschnitt auf die Todeserwartungen der alten Ägypter ausgewirkt hat.

Zweifel an der Behandelbarkeit des Todes Die alten Ägypter verstanden den Tod als eine Krankheit, die es im Ritual zu heilen galt. Allein der Grad ihrer Heilung gab Ausschlag über den Erfolg eines Lebens nach dem Tode. Eine vollständige Gesundung war nur mit Hilfe einiger Maßnahmen möglich wie der Wiederherstellung des im Tod in seine Bestandteile zerfallenen Körpers durch eine Mumifizierung (manuelle Behandlung) sowie Rezitationen von Götterreden über der Mumie (sprachliche Behandlung). Je genauer diese Rezitationen und Manuale durchgeführt wurden, desto eher konnte man auf einen erfolgreichen rite de passage hoffen und auf ein ewiges Leben nach dem Tode. Die Beschreibungen der traditionellen Vorbereitungen und Behandlung des Todes, wie sie uns in Totenritualen, aber auch in der altägyptischen Literatur überliefert sind7, soll daher zunächst um einen Aspekt ergänzt werden, der bislang nur wenig behandelt wurde, es aber verdient ausführlicher erforscht zu werden: den Zweifeln an der Wirksamkeit der Todesvorbereitungen und am ewigen Leben im Jenseits. Was, wenn der Tod wirklich zuletzt kommt und das Totenreich überhaupt nicht existiert? In den offiziellen, vom exakten Ritualverlauf bestimmten Quellen kommen diese Zweifel zugegebenermaßen überhaupt nicht vor, weshalb sie von der Ägyptologie bis heute auch weitestgehend unbehandelt blieben. Man geht davon aus, dass die Ägypter ihre Totentexte aus voller Überzeugung von ihrer Richtigkeit heraus schrieben und rezitierten und aus den gängigen Quellen 6 Der Begriff der Todesnähe setzt in diesem Zusammenhang nicht etwa Grenzerfahrun-

gen im esoterischen Sinne voraus, sondern bezeichnet den Moment der Gründung, Errichtung bzw. Ausgestaltung eines Grabes durch seinen Besitzer bereits zu Lebzeiten bis zu dessen tatsächlichen Tod.

7 Hier sind insbesondere die Totenliturgien zu nennen, die wohl produktivste Gattung von Totentexten, die sich der Transformation des Toten zu einem Osiris, d.  h. der rituellen Bewältigung des Todes, widmen, aber auch Totenwünsche beinhalten, s. das dreibändige Werk Assmann 2001–2008.

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Martin Bommas

lässt sich nicht einmal der Unterton eines Zweifels herauslesen. Die Fülle an Totentexten täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass selbst ein religiöser Mensch wie der bereits erwähnte Gaufürst Djefa-Hapi I. über den Tod nachgedacht hat und diese Gedanken in seiner autobiographischen Grabinschrift für erwähnenswert hält. Es ist als selbstverständlich anzunehmen, dass die offiziellen Antworten auf die Frage nach dem Tod und der Endlichkeit des Lebens nach dem Tod, wie sie in den Totentexten und -ritualen zu finden sind, auch von individuellen Lösungsansätzen begleitet wurden. Es muss allerdings vorausgeschickt werden, dass das Nachdenken über den Tod offenbar eine Sache des Ranges und des Status war. Zeugnisse von einfacheren Bestattungen lassen eine individuelle Beschäftigung mit dem Tod nur sehr viel schwerer erkennen. Möglicherweise ist im Alter die Dokumentation von Zweifeln an der Behandelbarkeit des Todes als unangemessen verstanden worden. Am Ende dieses Beitrages wird dieser Sachverhalt anhand von Textbeispielen erhellt werden und es wird gezeigt werden, wie eine individuelle, vom decorum befreite Zugangsform gegenüber der Unsterblichkeit im Alter zunehmend Raum gewann.

Alter und Lebenserwartung im Alten Ägypten Die Fülle an funerären Texten und exzellent erhaltenen Mumien ist für Ägyptologen gleichermassen eine Chance wie eine Herausforderung. Schliesslich konnten sich die Heilung von der Krankheit Tod nur diejenigen leisten, die über die entsprechenden finanziellen Mittel und Bildung, bzw. Wissenszugang verfügten. Wenngleich also an qualitätvollen Zeugnissen kein Mangel herrscht, so stammen doch diese Quellen zum größten Teil aus dem Umfeld der Oberschicht. In der Vergangenheit hat dies bisweilen dazu geführt, den Begriff der Hochkultur für Ägypten über zu bewerten, aber die so genannte low culture aus Mangel an ähnlich zugänglichen Quellen kaum in Betracht zu ziehen. Informationen über bereite Bevölkerungsschichten liegen somit nicht vor. Um Aussagen über sie machen zu können, müssten neben Bestattungen in Grabmonumenten auch solche in Siedlungen (z. B. in verfallenen Häusern) berücksichtigt werden. Altern ist ein biologischer und psychosozialer Prozess in Raum und Zeit definierten Personengruppen in Lebenserwartungstabellen statistisch berechnen und beschreiben lässt. Über die menschliche Lebenserwartung nachzudenken, scheint allerdings nicht erst eine moderne Zeiterscheinung zu sein, auch den alten Ägyptern waren solche Gedanken nicht fremd. In einer Lebenslehre heißt es warnend:

Altern und Zweifel am Fortleben im Jenseits im Alten Ägypten 

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Vertraue nicht auf die Länge der Jahre, sie [die Totenrichter] sehen die Lebenszeit als eine Stunde an.8 In der Tat ist es heute nur noch schwer möglich, auf Basis von Schriftquellen Daten zu erheben, die darüber Aufschluss geben könnten, wie alt die Ägypter wurden.9 Naturgemäß differieren die Ergebnisse je nach Ort der Datenerhebung und Epoche. Neben Mumienetiketten aus griechisch-römischer Zeit stehen allerdings nur wenige archäologische Zeugnisse zur Verfügung, für ältere Epochen fehlen verlässliche Daten fast völlig. Anthropologische Untersuchungen an Mumien eignen sich nur bedingt, da erstens der Besitz einer Mumie auf die Zugehörigkeit wenigstens zur Mittelschicht schließen lässt und zweitens folglich von vorneherein von einem höheren Alter dank besserer Gesundheitsversorgung auszugehen ist. Das größte Problem für eine allgemeingültige Aussage stellt somit die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht dar: Aus der Stadtgrabung auf Elephantine, einer Nilinsel gegenüber der heutigen Stadt Assuan, wissen wir, dass die Menschen im Mittleren Reich (ca. 1800 v. Chr.) mehrheitlich an so genannten Armeleutekrankheiten wie Skorbut, Mittelohrentzündung etc. starben, und das mittlere Sterbealter von hart arbeitendem weiblichem Dienstpersonal ca. 20 bis 24 Jahre betrug.10 Aus der Siedlung Deir el-Medineh, einem abgeschiedenen Dorf der privilegierten Arbeiter, die die Königsgräber des Neuen Reiches im Tal der Könige schufen (ca.  1500– 1100 v. Chr.), sind sechs Leichen von Frauen bekannt, die im Alter zwischen 30 und 75 Jahren starben11. Anhand der anthropologischen Untersuchung der Mumie Pharao Ramses’ II. (gestorben um 1213 v. Chr.) wurde deutlich, dass er erst im Alter von ca. 85 starb, nicht ohne zuvor an den verschiedensten Gebrechen gelitten zu haben.12 Man kann diesen Zahlen entnehmen, dass Altern zu allen Zeiten von der Lebensqualität abhängig war. Das ideale Alter von 110 Jahren, das in der ägyptischen Weisheitsliteratur so häufig genannt wird,13 wird kaum jemand erreicht haben oder erreicht haben wollen, denn Altern war ein beschwerlicher Prozess.

8 Lehre für Merikare, E 55–56 (eigene Übersetzung). 9 Sweeney 2006: 136 diskutiert die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion des Durchschnittsalters im Alten Ägypten auf Basis von Schriftquellen. 10 Schultz/Schmidt-Schultz 1993. Zu den Skelettfunden der Elephantine gegenüberliegenden Nekropole Qubbet el-Hawa s. Rösing 1990. 11 Sweeneny 2006: 139. 12 Tyldesley 1999: 113. 13 Burkard 1988; Janssen/Janssen 2007: 197.

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Martin Bommas

Ältere Menschen als Gegenstand von Genredarstellungen in Ägypten Betrachtet man die Darstellungen alter Menschen in Ägypten, so ergibt sich auch hier ein unvollständiges Bild.14 Grabherren lassen sich nur äußerst selten als alte Menschen abbilden (Abb. 1, Tafelteil). In offiziellen Zeugnissen, die alternde Menschen abbilden, ist die Darstellung des Alters von den Ägyptern offenbar selbst als Zeichen von Würde und Erfahrenheit gedeutet worden.15 Daneben stehen Abbildungen von alten, arbeitenden Menschen, die über die gesamte pharaonische Geschichte Ägyptens hinweg immer wieder anzutreffen sind. Doch hier handelt es sich um eine sozial tief stehende Bevölkerungsschicht, die sich keine Gräber oder ausführliche Totenrituale leisten konnte. Im Alter gewinnen jedoch nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch das soziale Kapital an Bedeutung, also das Eingebundensein in Familie und Freundschaften. Das Fehlen dieser Komponenten lässt sich aus den Bildquellen insbesondere für Arbeiter ohne Ausbildung erschließen,16 die bis ins hohe Alter arbeiten müssen, da ihnen jegliche Absicherung für einen angenehmen Lebensabend fehlt (Abb. 2, Tafelteil). In den Textquellen finden sich hierüber keinerlei Aussagen, was allerdings nicht heißt, dass es Darstellungen von in Not alternden Menschen nicht gegeben hat. In Ägypten bedeutet das Wort für Schrift gleichzeitig auch „Zeichnung“. Die ägyptische Kunst hat in der Tat aussagekräftige Wege gefunden, diesen wenig erfreulichen Zustand des physischen Alterns darzustellen, so dass sich seine Aspekte anschaulich kategorisieren lassen (Tab.  1). Dabei lässt sich der Einfluss harter Arbeit auf das von körperlichem Zerfall geprägte Erscheinungsbild erkennen. Man wird hierbei zwar von Realitätsnähe auszugehen haben, doch ist einschränkend in Rechnung zu stellen, dass es sich bei diesen Abbildungen generell um Genredarstellungen handelt, die von einer gut situierten Schicht in Auftrag gegeben wurden und keine identifizierbaren Individuen bezeichnen. Anders verhält es sich bei dem von der Hand eines Nekropolenarbeiters skizzierten Steinmetz des Ostrakons Turin mit karikaturistischen Zügen.17 Allgemein ist festzustellen, dass sich die ägyptologische Forschung bislang weitestgehend älteren Männern zugewandt

14 Dazu grundlegend Bothmer 2004: 25–38. 15 Z. B. die Statue des Hemiunu im Roemer-Pelizaeus Museum Hildesheim, Inv.Nr. 1962, s. Schmitz 1993: 18. 16 Zu den Tätigkeiten von Frauen s. allgemein Sweeney 2006. 17 S. Tabelle, unten rechts.

Altern und Zweifel am Fortleben im Jenseits im Alten Ägypten 

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Tabelle 1: Auswirkungen der Altersarbeit auf das körperliche Erscheinungsbild im alten Ägypten (Martin Bommas).

hat,18 während sich das Interesse an alternden Frauen erst langsam Raum verschafft.19 Im Folgenden sollen Textzeugen in den Vordergrund gerückt werden, um zu überprüfen, ob ein kulturelles Kapital, also das Spezialwissen um Rituale und den Fortbestand im Jenseits, dazu beitrug, Todesnähe zu bewältigen.

Schriftliche Aussagen zum Altern im Alten Ägypten Aus der Menge an Daten, insbesondere Textzeugen, die darüber Aufschluss geben, was nach Ansicht der alten Ägypter zum Verfall des Körpers führt, welche Reaktionen dies hervorruft und welchen Einfluss kulturelle und soziale Faktoren auf den Alterungsprozess haben, sind nur wenige herauszufiltern, die einen individuellen Zugang zur Problematik erkennen lassen. Was uns entge18 Janssen/Janssen 2007: 137–273 (die Erstausgabe geht auf 1996 zurück); McDowell 1998: 199–221. 19 Als bahnbrechend ist der Aufsatz von Sweeney 2006 zu bezeichnen.

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gentritt, ist zumeist kulturell codiert und kanonisiert, so dass zumeist wenig mehr als verallgemeinernde Aussagen zur Verfügung stehen, wenngleich auch geprägt von scharfem Beobachtungssinn. In der Lehre eines fiktiven Autors namens Ptahhotep aus dem Mittleren Reich (ca. 2055–1650 v. Chr.) heißt es geradezu programmatisch: Gebrechlichkeit ist über mich gekommen, das Greisenalter ist eingetreten, der Körper ist kraftlos, Hilflosigkeit ist erneut da. Die Kraft ist geschwunden, da das Herz matt ist. Der Mund schweigt, er kann nicht mehr reden, die Augen sind schwach, die Ohren taub. Das Herz schläft und tränt den ganzen Tag. Das Herz ist auch vergesslich und kann sich nicht mehr an gestern erinnern. Die Knochen schmerzen vor Alter. Die Nase ist verstopft und kann nicht mehr atmen, Aufstehen und Hinsetzen sind gleichermassen beschwerlich. Gutes ist zu Schlechtem geworden Und jeder Geschmack ist verschwunden. Was das Alter dem Menschen antut – Übel ist es in jeder Hinsicht.20

Treffender als es dies der bildenden Kunst möglich ist, werden in dieser Passage die Vorboten des Todes beschrieben, die sich als Altersbeschwerden erkennen lassen. Es ist dies ein lebensbedrohlicher Zustand, den ich im Folgenden mit dem Begriff der Todesnähe umschreiben will. Nun ist der Tod jedoch wie bereits gezeigt wurde, in Ägypten eine heilbare Krankheit und ein willkommenes Ereignis, das auf ein friedvolles Dasein im Jenseits hoffen lässt. Der Tod ist nur eine Vorstufe auf dem Weg hin zu einer jenseitigen Existenz und voll von Leben. So heißt es bereits in den Pyramidentexten, so benannt nach ihrem Anbringungsort an den Innenwänden der Pyramiden des Alten Reiches: O N, du bist nicht tot weggegangen, lebendig ist es, dass du weggegangen bist.21

Für uns heute hört sich so eine Aussage geradezu paradox an. Selbst nach christlicher Vorstellung haftet dem Abschied nichts Lebendiges an. Für Apostel Paulus ist das neue Leben nach dem Tod nicht irdisch, sondern von Gott gegeben. Daher muss nach christlichem Glauben alles Irdische zuvor sterben, und

20 Übers. Brunner 1988: 110. 21 PT [213] = Pyr. §134a, ed. Sethe 1908–10.

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das neue Leben kann das alte nicht fortsetzen. Im Korintherbrief 15, 42–44 heißt es dazu: So könnt ihr euch auch ein Bild von der Auferstehung der Toten machen. Was in die Erde gelegt wird, ist vergänglich; aber was zum neuen Leben erweckt wird, ist unvergänglich.

Für einen alten Ägypter wäre solch eine Vorstellung unhaltbar gewesen, zielen doch die Vorkehrungen für das Jenseits, beispielsweise die Mumifizierung gerade auf die Unvergänglichkeit des Lebens nach dem Tode ab. Hier setzt mein Ansatz an: Einem Christen ist es im Alter nicht mehr gegeben, sich auf ein angenehmes Leben nach dem Tode vorzubereiten, Versäumnisse sind kaum mehr gutzumachen. Für die alten Ägypter jedoch ist das Alter der Lebensabschnitt, der sich am besten dazu eignet, Vorkehrungen für ein Leben nach dem Tode zu treffen, denn dem Altern folgt ein lebendiger Abschied. Welch wichtige Rolle hierbei das Erinnern spielt, wurde bereits betont. Zum lebendigen Abschied gehört aber auch, sich zu Lebzeiten des Todes zu erinnern. Dies wird insbesondere in einer Textpassage des Papyrus Insinger deutlich, der ca. 100 n. Chr. entstanden ist und der den Lebenszyklus beschreibt: Zehn Jahre verbringt man als Kind, indem man Leben und Tod nicht kennt. Weitere zehn [Jahre] müht man sich ab, die Lehre zu erhalten, durch die man sein Leben meistern kann. Weitere zehn Jahre verbringt man, indem man Besitz verdient und erwirbt, durch den man leben kann. Weitere zehn Jahre verbringt man bis zu dem Alter, in dem man Ratschläge annimmt. Dann bleiben noch 60 Jahre übrig von dem gesamten Leben, das Thot einem Gottesfürchtigen zugeteilt hat. […] Weder der Gottlose noch der Gottesfürchtige kann die Lebenszeit, die ihm zugeteilt ist, ändern. Wer glücklich ist an seinen Lebenstagen, denkt in dieser Zeit an den Tod.22

Vorkehrungen für das Jenseits Auf Basis dieses Textes sehen wir bestätigt, dass erstens die alten Ägypter ein Konzept vom Prozess des Alterns hatten,23 und dass die letzte Lebensphase idealerweise von Vorkehrungen für die jenseitige Existenz bestimmt wird. Zweitens wird in diesem Konzept die Mehrzahl der Lebensjahre vom Zustand des fortschreitenden Alterns bestimmt. Ein ideales Sterbealter von 100 Jahren ist aus 22 Brunner 1988: 324f. 23 Dies wird von Sweeney 2006: 135 Anm. 8 noch negativ beurteilt.

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damaliger Sicht ein unrealistischer Wert. Doch was die Weisheitstexte als ‚ideal‘ überhöhen, war in der Realität mitunter von lang andauernden Leiden geprägt. Die hier wichtigste und dritte Feststellung beschreibt das glückliche Alter als rechten Moment, um über den Tod nachzudenken. Wenige Zeilen zuvor resümiert der Autor dieses Textes daher in der prägnanten Phrase, in der das Altern in Würde angesprochen wird: Besser kurz leben, wenn man alt ist, als lange betteln müssen.24

In Würde altern heißt jedoch in Ägypten auch, Vorkehrungen zu treffen, die, wie es in der Lehre des Merikare heißt, einen geordneten Abschied ermöglichen, denn: Der Ba25 geht nur zu dem Ort, den er kennt, und weicht nicht ab von dem Weg des Gestern. [...] Richte (daher) deinen Platz im Westen [i.e. die Nekropole] trefflich her, richte deinen Platz in der Nekropole gut her und zwar durch Rechtschaffenheit und Rechttun.26

Rechtschaffenheit und ein Grab nebst der dazugehörigen Ausstattung sind also Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Leben im Westen, der Ort der Friedhöfe, wenigstens für die, die es sich leisten konnten. Doch damit nicht genug: Ein weiterer Aspekt sind regelmäßig im Opferritual vorgetragene Rezitationen, die einen Stab an Totenpriestern27 voraussetzten, wie dies in einer Inschrift aus dem Mittleren Reich zum Ausdruck kommt (st BM EA 1164), die eine entsprechende Verfügung enthält: Weiter habe ich noch den Vorlesepriester Jnj-jtj=f […] vertraglich dazu verpflichtet, die Liturgie in der Balsamierungsstätte auszuführen und meiner Majestät die Litanei am Monatsfest und Mittmonatsfest zu lesen, damit mein Name schön sei und die Erinnerung an mich bis zum heutigen Tag bleibe.28

Das Vertrauen der Alten Ägypter auf diese Vorkehrungen darf für die ägyptische Gesellschaft als prägend und sinnstiftend bezeichnet werden. Der Tod in Ägypten ist nicht etwa eine unvermeidliche Tatsache, der man sich zu stellen hat, sondern ein Kulturgenerator, der die reiche ägyptische Vergangenheit nicht nur erst ermöglicht, sondern in seiner Fülle an Zeugnissen sichtbar gemacht 24 25 26 27 28

Brunner 1988: 325. Ba ist die einer der Seele vergleichbare Personenkomponente. Merikare E 53–54 und E127–129, eigene Übersetzung. Wiederum für die Qubbet el-Hawa s. Seyfried 2003: 41ff. Zu dieser Inschrift zuletzt Russo 2007: 201.

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hat. Der Tod in Ägypten wurde von der Gesellschaft behandelt, mitunter wurde er bei einflussreichen Beamten sogar zur Staatssache erklärt, wenn der König über Bestattungsort und Grabausstattung mitzubestimmen hatte.29 Es ist ein Kennzeichen dieser sozialen Konnektivität, dass auf vielfache Weise die Hinterbliebenen durch die Toten leben30 und ihrer Hilfe bedürfen, weshalb der Tod nicht etwa versteckt wurde, sondern überdeutlich in bescheidenen oder auch mondänen Nekropolen zur Schau gestellt wurde. Dieser kulturellen Übereinkunft und dem Vertrauen auf die Behandelbarkeit des Todes verdanken wir die reichen Nekropolen des alten Ägypten.

Der Weg ins Jenseits Suchen wir hingegen nach alternativen Meinungen über das Altern und den Tod, so fällt es nicht gerade leicht, Ansichten namhaft zu machen, die sich von der vorherrschenden Meinung – gespeist von einer aktiven funerären Industrie – abheben würden. Der am weitesten verbreitete Totenspruch, der in über 50 Varianten von 1700 v. Chr. bis in römische Zeit bezeugt ist, eine Zeitspanne von immerhin 2000 Jahren,31 kann wenigstens Klarheit darüber verschaffen, wo wir suchen müssen. Seine refrainartige Formel, die einem Osirislied des Mittleren Reiches entstammt32 und in späterer Zeit sogar zu einer Liturgie ausgearbeitet wurde (NR. 7), lautet: Mögest du verklärt sein im Himmel, mächtig auf Erden und gerechtfertigt in der Nekropole.

Es ist dies eine Beschreibung der dreigeteilten Welt, in der sich der Tote aufhält, wenn er sich nach Abschluss der Totenriten im Jenseits sieht. Weiteren Quellen, die etwas expliziter und ausführlicher sind, können wir entnehmen, dass der Himmel mit der Existenz des Göttlichen gleichgesetzt wird, die Erde, in der sich das Grab befindet, mit der Versorgung durch die Hinterbliebenen und die Nekropole mit der Gemeinschaft der Toten. An allen drei Orten wird der Tote sozialisiert und begegnet er dem Jenseits, aber nur an einem Ort kann er sich der Gemeinschaft mit den Lebenden sicher sein: im Grab. Während das Grab

29 30 31 32

Guksch 1994. Bommas 2011. Bommas 2005: 147–177 und 205–224. Bommas 2008.

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Ort der Begegnung aber auch des Abschieds 33 ist, muss der Tote das zu Lebzeiten errichtete Grab verlassen, um sich bei den Göttern zu sozialisieren. Nicht alle Götter jedoch sind dem Toten hilfreich bei seinem Aufstieg zum Himmel. Hier ist es insbesondere die Himmelsgöttin Nut, die sich des Toten annimmt und ihn am Eingang zum Himmel, den wir uns als Pforte vorstellen müssen, Willkommen heißt. In einem Pyramidentext heißt es hierzu: Mögest du heraustreten zu deiner Mutter Nut, auf dass sie deine Hand ergreife und dir den Weg zum Lichtland weise, zu dem Ort, wo Re ist. Möge sie dir die Türflügel des Himmels öffnen und dir die Türflügel des ,Kühlen‘ auftun.34

Um zu Nut zu gelangen, bedarf der Tote jedoch eines ausgefeilten Instrumentariums und gut geschulter Helfer: Neben dem Grab sind entsprechende Riten in der Balsamierungshalle notwendig, während der der Tote mit Ölen und Binden behandelt und mit Rezitationen besprochen wird. Eine Prozession zum Grabe schließt sich an die abschließenden Stundenwachen in der Balsamierungshalle an, bevor die Mumie als unbeseelter Gegenstand im Grabhof aufgestellt werden kann. Dort wird das Mundöffnungsritual vollzogen,35 ein Vorgang, der darauf abzielt, Körper und Personenkonstituenten zu vereinigen, die im Tode getrennt worden waren. Erst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Tote, ausgestattet mit Jenseitswissen in Form von Büchern, die ihm mitgegeben werden, auf den Weg zu Nut machen. Ein gewisser User-Amun, Besitzer des Grabes TT 131 in Theben, fasst die Vorbereitungen wie folgt zusammen: Ich errichtete mir ein vortreffliches Grab in meiner Stadt der Ewigkeit. Ich stattete vorzüglich aus den Ort meiner Felsgrabanlage in der Wüste der Ewigkeit. Möge mein Name dauern auf ihm im Munde der Lebenden, indem die Erinnerung an mich gut ist bei den Menschen nach den Jahren, die kommen werden. Ein Weniges nur an Leben ist das Diesseits, die Ewigkeit (aber) ist im Totenreich.

33 Assmann 2001: 186 und 299. 34 PT 721 = Pyr. § 756a-c, ed. Sethe 1908-10:. 35 Otto 1960 ist noch immer die massgebliche Edition der Texte dieses Rituals.

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Ein Gelobter Gottes ist der Edle, der für sich handelt im Hinblick auf die Zukunft und mit seinem Herzen sucht, um sich das Heil zu finden, das Bestatten seines Leichnams und das Beleben seines Namens, und der an die Ewigkeit denkt.36

Bezeichnend und wichtig im Hinblick auf unsere Fragestellung ist der letzte Abschnitt, in dem es heißt, ein Toter handle im Hinblick auf seine Zukunft und denke an die Ewigkeit. Denken heißt hier vorausdenken und überdenken, was kaum treffender ausgedrückt werden kann als in der bereits besprochenen Maxime des Papyrus Insinger, derzufolge man während glücklicher Lebenstage an den Tod denken solle.37 Dabei dachte man offenbar über die eigene Überlebensfähigkeit im Jenseits nach, und diese Überlegungen konnten durchaus – wie bei User-Amun – philosophische Züge annehmen: Es ist wichtig festzuhalten, dass User-Amun in der gezeigten Textpassage in der ersten Person Singular (der Ich-Form) spricht, also seine eigene Meinung wiedergibt.

Individuelle Lösungen ausserhalb der Welt der Rituale Entscheidend ist nun aber auch, dass dieser Text kein Zufallsprodukt war. Er gehört zu einer Gruppe von Texten, die sich in Gräbern auf einzeiligen Inschriftenbändern (Bandzeilen) erhalten haben und damit weder situativ, noch szenisch konnotiert sind: Sie bilden gerade nicht einen Bestandteil eines Totenrituals ab, sondern definieren sich durch ihre Losgelöstheit. Den meisten dieser Texte ist jedoch der Bezug zur Himmelsgöttin Nut gemeinsam, was auf die Gleichsetzung von Himmel und Grabdecke zurückzuführen ist, wo diese Texte hauptsächlich angebracht wurden. Im Grab des Kornzählers Amenemhat (TT 82) findet sich ein Beispiel für den umgekehrten Fall, nämlich, dass ein Verstorbener gebeten wird zurückzukehren, um seinen Hinterbliebenen Schutz zu gewähren: Mögest du die Hügel des Totenreichs öffnen, damit du dein Haus der Lebenden wiedersiehst. Mögest du das Geräusch von Gesang und Musik hören in deinem (Privat?-)Haus in diesem Lande. Mögest du ein Schutz für deine Kinder sein

für immer und ewig.38

36 Südflügel, östlicher Textstreifen, ed. Dziobek 1998: Taf. 98. 37 Brunner 1988: 324f. 38 Kapelle, nördliche Bandzeile, Davies/Gardiner 1915: 102, Taf. XXVII; Sethe 1909: 1064.

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Auch dieser Text hat keinen festen Platz im decorum der zeitgenössischen Grabarchitektur oder Totenriten. Es handelt sich vielmehr um einen persönlichen Zusatz, um einen Wunsch der Hinterbliebenen selbst, die die Nähe zum Schutz des Verstorbenen suchen und einmal mehr Zeugnis von der Möglichkeit ablegen, dass individuelle Möglichkeiten bestehen, die „Macht auf Erden“ (wie in unserem Textbeispiel gesehen) einzuwerben. Doch für persönliche Wünsche dieser Art (seien es Wünsche der Verstorbenen oder der Hinterbliebenen) ist in der ägyptischen Grabdekoration nur wenig Platz vorgesehen, sie können nur dort angebracht werden, wo Räume nicht bereits von Ritualen eingenommen werden. Dass diese Räume zumeist Decken sind und damit dem Himmel nahe, ist ein glücklicher Zufall, von dem diese noch wenig untersuchte Textgattung sicher profitiert hat. Die gesamte Gruppe von Texten besteht derzeit aus 40  Textzeugen,39 die erstens ohne Parallele sind und damit als individuelle Einzelschöpfungen anzusehen sind und zweitens dekontextuell sind, also ihren Sitz im Leben nicht in der Ritualsphäre des Toten haben. Ihnen ist gemeinsam, dass im Angesicht des Todes der Blick gen Himmel gerichtet war, wo sich mit den Göttern vereinen konnte, wer im Alter vorgesorgt hatte.

Gegenseitiges Erinnern Es ist gut möglich, dass diese Texte eine tiefgründige Skepsis gegenüber dem etablierten Totenglauben ausdrücken, die im ägyptischen Totenglauben nur hier und situationsspezifisch zu fassen ist. In einer fast ausschließlich von standardisierten Texten geprägten Ritualwelt drückt sich insbesondere in den Bandzeilen an den Grabdecken ein individueller Zugang zum Jenseitsglauben aus, der überrascht. Während ein Grabherr stets bei der Auswahl einzelner Texte seinem persönlichen Geschmack Ausdruck verleihen konnte, treten im Neuen Reich in diesen eher skeptischen Überlegungen neue Ausdrucksformen und Schöpfungen zutage. Eine Skepsis an den etablierten Vorstellungen des Totenglaubens lässt sich jedoch an anderen, zeitgleichen Textquellen ablesen, die außerhalb der funerären Literatur stehen. Eines dieser Beispiele findet sich im Papyrus Chester Beatty IV verso 2,5–3,11.40 Dort wird die Unvergänglichkeit des Lebens, wie sie der Totenglauben formuliert, dem Ruhm aufgrund persönlicher Leistungen von Schriftstellern gegenüber gestellt: Die Türen ihrer Kapellen sind ungepflegt, ihre Totenpriester sind gegangen. 39 Erstmals Assmann (2005): NR.5. 40 Gardiner 1935: 39f. und 43f.

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Ihre Grabsteine sind (bereits) mit Schmutz beschmiert und ihre Gräber sind vergessen. Ihre Namen jedoch werden vorgelesen von ihren Schriftrollen, die geschrieben wurden, als sie (noch) schön waren. Sich zu erinnern erschafft sie, bis hin zu den Grenzen der Ewigkeit.

Diese Passage führt uns abermals vor Augen, dass der Tod nur mit Hilfe der Erinnerung überwunden werden kann. Allerdings handelt es sich bei dieser Form der Erinnerung nicht um eine einseitige Angelegenheit, sondern um ein reziprokes Modell der Versicherung gegenseitiger Existenz. Wer von den Lebenden vergessen wird, stirbt – und wer sich nicht im Alter der Toten erinnert, erreicht nicht das Jenseits. Die Toten bedürfen der Lebenden, und die Lebenden leben durch die Toten.41 Im Lebenszyklus der Alten Ägypter war das Alter der richtige Zeitpunkt, sich dieser Abhängigkeit bewusst zu werden und sie konstruktiv zum Gegenstand der eigenen Lebensführung zu machen.

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„In Sparta allein lohnt es sich, alt zu werden“ Alter und Altersbilder im klassischen Griechenland Winfried Schmitz Athens and Sparta differ fundamentally in relation to the social status and significance of the elderly. Defined by the inter vivos handing over of the oikos, the position of the elderly parents was weak already in archaic times, since they performed no vital tasks for the oikos or the community any more. In classical Athens their position was not improved. The importance of athletic contests (agones), the constant warfare and the establishment of majority rule in politics led to the marginalization of the elderly. Sparta followed radically different ways. In order to secure control over the territory of Messenia, social organization into households (oikoi) was abolished in favour of one into groups of age and gender. The elderly were thus attributed important functions in social integration. Athen und Sparta unterscheiden sich grundlegend in Hinsicht auf die soziale Stellung und die Wertung alter Menschen. Bedingt durch die Hausübergabe inter vivos war die Position der alten Eltern bereits in archaischer Zeit schwach; sie erfüllten keine wesentliche Funktion mehr für das Haus oder die Gesellschaft. In Athen wurde ihre Stellung nicht gestärkt. Die Hochschätzung des sportlichen Agons, die dauernde Kriegführung, die Einführung der Mehrheitsregel im politischen Raum führten zu einer Marginalisierung der alten Menschen. Sparta ging einen grundsätzlich anderen Weg. Zur Sicherung der Herrschaft über die Landschaft Messenien wurde die Hausgemeinschaft weitgehend aufgelöst, das Zusammenleben in Form von Alters- und Geschlechtsgruppen organisiert. Den Alten wurden dabei wichtige Funktionen für eine Integration der Gesellschaft übertragen.

Einleitung Im Alter von 62 Jahren verfasste Marcus Tullius Cicero die Schrift Cato maior de senectute, eine der wenigen antiken Schriften über das Alter, die bis heute erhalten geblieben sind.1 Das Gespräch hat Cicero dem greisen Marcus Cato in den Mund gelegt, um den Worten mehr Autorität zu verleihen. In einem fikti1 Von Plutarch, einem Autor der Zeit um 100 n. Chr., stammt eine Schrift unter dem Titel „Ob es dem alten Menschen zukomme, Politik zu treiben“ (An seni res publica gerenda sit). Zu weiteren, nur in Auszügen erhaltenen speziellen Schriften über das Alter siehe Sigismund 2003: bes. 67–74, 330–346.

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ven Dialog widerlegt der von Cicero ausgewählte Protagonist vier verbreitete Klagen gegen das Alter. Cato wendet sich gegen den Vorwurf, hohes Alter verwehre den Menschen sinnvolle Tätigkeiten; auch alte Menschen sollten der Politik, geistigen Beschäftigungen, der Landwirtschaft oder der Erziehung nachgehen. In solch einem Engagement liege eine Art Berufung für den Greis. Die Kraft der Jugend zu vermissen, sei zweitens leicht zu verschmerzen, denn das Greisenalter habe körperliche Kräfte nicht mehr nötig und könne sich ganz auf die Kräfte des Geistes besinnen, die weit mehr vorzuziehen seien. Nachlassende Sinneslust – so die dritte Klage – treffe für das hohe Alter nicht zu: Auch die Beschäftigung mit dem Landbau und ein Zurückblicken auf ein ausgefülltes und anständig geführtes Leben bereite Freude. Das den Alten nachgesagte verdrießliche und zänkische Wesen sei Ausdruck schlechter Charaktereigenschaften, aber kein typisches Kennzeichen alter Menschen. Schließlich treffe viertens eine besondere Nähe des Alters zum Tod nicht zu: Der Tod bedrohe alle Altersstufen in gleicher Weise; und wenn man sich Überblicke über die Sterbealter ansieht, wie sie auf Tausenden von Grabinschriften überliefert sind, kann man Cicero nur zustimmen. Der Tod war in der Antike ein ständiger Begleiter. Es waren vor allem ansteckende Krankheiten, in ihrer Wirkung verstärkt durch mangelnde Hygiene, die einen hohen Tribut forderten, manchmal ganze Familien dahinrafften.2 Wer also ein hohes Alter erreicht habe, so wieder Cicero, habe etwas erreicht, was Jugendliche lediglich hoffen konnten. Die von Cicero dem älteren Cato in den Mund gelegte Wertung des Alters ist also eine durch und durch positive.3 Die moderne Altersforschung hat gezeigt, dass die Wertung des Alters und die in einer Gesellschaft vorherrschenden Altersbilder von vielfältigen Bedingungen abhängen, so dass sich eine einheitliche Formel nicht ergeben kann. Vielfach stehen positive und negative Wertungen nebeneinander. Immer wieder werden Weisheit und Erfahrung, Besonnenheit im Urteil und Abgeklärtheit als positive Eigenschaften gewürdigt, nachlassende körperliche Kräfte, weißes Haar, Zahnlosigkeit oder ein mürrisches Wesen als negative Begleiterscheinungen des

2 Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt wird in antiken Gesellschaften zwischen 20 und 30 Jahren gelegen haben. Zur antiken Demographie siehe Hopkins 1987; Parkin 1992; Wierschowski 1999; Corvisier/Suder 2000; Frier 2000; Scheidel 2001a: 118– 180; ders. 2001b: 1–81; ders. 2006; ders. 2007: 7–11. Zu den in der Antike verbreiteten Infektionskrankheiten Scheidel 1996; ders. 2001a: 51–117; Sallares 2002. 3 Zu Ciceros Cato maior de senectute: Hübener 1957; Powell 1988; de Luce et al. 1993; Fuà 1995; Brandt 2003: 149–154; Parkin 2003: 61–67. Zur Rezeption in der Spätantike Dönni 1996.

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Alters angesehen oder in Komödien verspottet.4 Ob die Sicht des Alters vorwiegend eine positive oder negative ist und die Stellung der Alten in der Gesellschaft eher stärker oder schwächer ist, hängt vielfach davon ab, ob alte Menschen in der Politik Vorrechte genießen, ob sie wichtige gesellschaftliche Funktionen wahrnehmen, inwieweit ihr Wissen gefragt ist, über welche wirtschaftliche Ressourcen sie verfügen und ob sie im Haus die Stellung des Hausvaters innehaben. In Rom sicherte die lebenslange hausväterliche Gewalt (patria potestas) dem pater familias bis zu seinem Tod nicht nur im Haus, sondern auch in der Gesellschaft eine geachtete Stellung.5 Doch dies gilt nicht für alle antiken Gesellschaften. Es trifft durchaus nicht zu, dass in frühen Gesellschaften die Position der Alten stark war, weil in weitgehend auf Mündlichkeit gegründeten Gesellschaften die Erfahrungen der Alten stets höher eingeschätzt worden wären oder weil sie über zahlreiche Vorrechte oder die Kenntnis religiöser Riten verfügt hätten.

Die Stellung der Alten im klassischen Athen Ein Gegenbeispiel und Beleg für eine eher prekäre Stellung der Alten haben wir in Athen vor uns. Im Athen der klassischen Zeit konnte jeder männliche Bürger bereits mit 18 oder 20 Jahren an der Volksversammlung teilnehmen, und dies bedeutete in Athen viel, denn in der Volksversammlung wurde über alle Angelegenheiten der Stadt offen debattiert. Entscheidend war in den Abstimmungen die Mehrheit; jede Stimme zählte gleich viel, die des 20-jährigen jungen Mannes ebensoviel wie die eines 60- oder 70-Jährigen. Geschworener in den Volksgerichten und Ratsmitglied konnte man mit 30 Jahren werden, eine Altersgrenze, die auch für die Inhaber der höchsten Ämter, die Archonten und die Strategen, galt.6 Allein die Epheten, die als Geschworene über bestimmte Tötungsdelikte zu urteilen hatten, mussten über 50 Jahre alt sein. Schiedsrichter in den attischen Dörfern waren jeweils die 60-Jährigen, allerdings für nur jeweils ein Jahr. 4 Eine Zusammenstellung körperlicher Charakteristika, die mit dem Alter in Verbindung gebracht werden, findet sich bei Byl 1977; 1996. 5 Zur patria potestas siehe Thomas 1984; Saller 1988; Martin 2008b; ders. 2008c: 333–340. Zur Stellung und Wertung der Alten in Rom Brandt 2002: 117–208; Harlow/Laurence 2002: 117–131; Cokayne 2003; Parkin 2003; Gutsfeld 2003; Herrmann-Otto 2008: 76– 82. 6 Develin 1985. Hübner 2005: 45–51 billigt den alten Menschen im politischen System einen größeren Stellenwert zu. Für die Geschworenengerichte trifft dies zu, doch in den Abstimmungen in den Volksversammlungen und bei den Amtsstellen sind der Einfluss und das politische Gewicht der Alten geringer als in Rom oder Sparta. Dazu jetzt umfassend Timmer 2008.

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In früherer Zeit hatten in der athenischen Volksversammlung die über 50-Jährigen das Vorrecht genossen, zuerst zu reden, also eine Meinung vorzugeben, der sich die Jüngeren anschließen sollten – doch dies war im Laufe des 5. Jahrhunderts v. Chr. abgeschafft worden. In der darauf folgenden Zeit fragte der Herold einfach in die Runde: „Wer will zuerst sprechen?“7 Die Athener setzten also fortan bei den Abstimmungen in der Politik und in der Rechtsprechung auf die hohe Zahl der Abstimmenden, auf das Mehrheitsprinzip, und dabei war jede Stimme gleich viel wert, unabhängig von der sozialen Stellung, vom Reichtum, vom Ansehen und vom Alter. Allein dies brachte den Jüngeren aufgrund der demographischen Struktur eine numerische Überlegenheit gegenüber den Älteren.8 Die wenig herausgehobene Stellung der Alten im politischen Bereich Athens korrespondiert mit einer prekären Stellung der Alten im Haus. Im antiken Griechenland gab es keine lebenslang währende Hausgewalt wie die patria potestas in Rom. Der Hausvater gab im Alter von etwa 60 Jahren die Führung des Hofes an seinen Sohn ab und trat auf das Altenteil. Der Sohn konnte nun heiraten und Kinder zeugen. Hofübergabe und Heirat fielen also zusammen und bedeuteten einen wichtigen Einschnitt im Leben eines jungen Mannes, weil er von diesem Zeitpunkt an die volle Hausgewalt innehatte.9 Auch für den alten Vater war es ein wichtiger Moment, aber eher im negativen Sinne. Der alte Vater verlor nicht nur im Haus, sondern auch in der Nachbarschaft und im Dorf weitgehend seine Autorität. Er musste sich fortan den Anweisungen seines Sohns unterordnen, der ihm auch die Essensrationen zuwies. Und die waren 7 Aischines III 2–4. 8 Zum geschätzten Anteil alter Menschen in antiken Gesellschaften Hübner 2005: 45–47, deren Schätzung mit 12 Prozent (männlicher Bürger ab 60 Jahren) zu hoch liegt. Im Allgemeinen wird der Anteil auf 5–10 oder 6–8 Prozent geschätzt. 9 Dazu im Einzelnen Schmitz 2004: 94–98. Diese Form der Hausübergabe gilt auch noch für das klassische Athen, auch wenn aufgrund einer stärkeren Ausdifferenzierung der Berufe die Verhältnisse variabler wurden. Hübner 2005: 43 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Überschreibung des Besitzes an den Sohn zu Lebzeiten“, was die Sache nicht ganz trifft. Es geht weniger um eine Übertragung von Besitz (der als Hausbesitz angesehen wurde), sondern um die Übernahme der hausväterlichen Gewalt. Hübner (2005: 44) weist zwar zu Recht darauf hin, dass es keine rechtlich einklagbare Altersgrenze gab, von der ab der Vater gezwungen werden konnte, die Hausgewalt an den Sohn zu übergeben, doch ist den Zeitgenossen bewusst gewesen, dass sich Rom und Athen in der Form der Hausübergabe grundsätzlich unterscheiden und in Athen in der Regel die Hausübergabe inter vivos erfolgte (Dionysios von Halikarnass, Antiquitates II 26,2–4 [= Solon F 142 Ruschenbusch; T 450 Martina]; vgl. Schmitz 2004: 205–209). Nicht überzeugend scheint mir die These von Hartmann 2007b zu sein, die die Hausgewalt des Hausvaters innerhalb der griechischen Familie sehr stark relativiert.

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nun knapper bemessen, denn die Rationen richteten sich nach dem Pensum an Arbeit, das eine Person zu leisten vermochte. Lud der Sohn seinen Nachbarn, ja auch seinen Knecht oder Sklaven zum Mahl – der alte Vater speiste allein, bekam nur einen Anteil gebracht, eine Szene, wie sie uns in der Komödie Der Friede von Aristophanes geschildert wird.10 Da der Vater diesen Verlust seiner sozialen Stellung fürchtete, versuchte er, den Zeitpunkt der Hofübergabe hinauszuzögern, zumal wenn er körperlich noch rüstig war. Der Sohn, der immerhin schon 30 Jahre alt war, drängte dagegen, den Hof übernehmen und heiraten zu können. Die Hofübergabe war also eine konfliktträchtige Situation, die Solon als Gesetzgeber mit rechtlichen Bestimmungen einzuhegen trachtete: Wer seinen Vater oder seine Mutter schlug, also die Eltern mit Gewalt auf das Altenteil zwang oder sie als Altenteiler zur Arbeit prügelte, und wer seine Eltern im Alter nicht versorgte, dem drohte das Gesetz mit Atimía, mit ‚Ehrlosigkeit‘.11 Kandidaten für ein politisches Amt wurden einer Prüfung (Dokimasía) unterzogen, bei der sie unter anderem gefragt wurden, ob sie ihre (alten) Eltern gut behandelten.12 Dies zeigt, wie stark die alten Eltern in Athen auf den Schutz der Gemeinschaft angewiesen waren, damit ihnen der notwendige Unterhalt und eine angemessene Behandlung sicher waren. Ähnliche Bestimmungen kennen wir für die römische Gesellschaft erst aus der Kaiserzeit.13 Die besondere Hochschätzung des sportlichen Wettkampfs und körperlicher Kraft, und damit von Jugend und körperlicher Schönheit, wie sie zahllose Darstellungen auf griechischen Vasen zum Ausdruck bringen, begünstigte ebenfalls die Jugend gegenüber dem Alter. Auf die Frage des Krösus an Solon, wer der glücklichste Mensch auf Erden sei, antwortete Solon: Nach Tellos seien dies Kleobis und Biton, zwei körperlich kräftige Brüder, die gleichzeitig Sieger in Wettkämpfen geworden waren. Als die Mutter zu einem Herafest in das Heiligtum fahren musste, die Stiere aber nicht rechtzeitig vom Feld zurückge10 Aristophanes, pax 1127–1158; Schmitz 2004: 422f. 11 Entschärft wurde die Situation allerdings aufgrund der demographischen Bedingungen vormoderner Gesellschaften. In vielen Fällen werden die Väter bereits vor diesem von Hesiod (erga kai hemerai 695–698) angeratenen Zeitpunkt der Heirat des Sohnes verstorben gewesen sein. Zu Solons Gesetzen gegen den Vaterschläger und den Mutterschläger sowie zur Verpflichtung, die alten Eltern zu ernähren, siehe Schmitz 2004: 205–208, 230–232. 12 Aischines I 28; Aristoteles, Athenaion politeia 55,3. Hübner 2005: 37 sieht darin einen Beleg dafür, dass der athenischen Gesellschaft daran gelegen war, dass den alten Eltern eine angemessene Behandlung zukam, die auf Hochachtung und materieller Versorgung basierte. Ich halte es demgegenüber für bezeichnend, dass es einer solchen öffentlichen Kontrolle bedurfte, einer Kontrolle, die in Rom lange Zeit als nicht notwendig erachtet wurde. 13 Gutsfeld 2003: 174f.

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kehrt waren, hätten sie sich selbst unter das Joch gespannt und den Wagen gezogen, etwa 9 km weit. Die Mutter erbat für die Kinder das Schönste, was ein Mensch erlangen könnte, und ihre Söhne bekamen den Tod gewährt, auf dem Höhepunkt ihres Ruhms.14 Die griechische Literatur ist reich an Belegstellen, die die Freuden der Jugend besingen, das Alter aber verdammen. So klagt der frühgriechische Dichter Mimnermos im 7. Jahrhundert v. Chr.: „… doch kurze Zeit nur dauert an – genauso wie ein Traum – die Jugend hochgeachtet: schwer und unansehnlich ist überm Haupt gleich darauf das Alter aufgehängt, verabscheut, achtungslos – es macht den Mann unkenntlich und schwächt ihm Augen und Verstand, eng darumherumgepresst …“15

Vor einem solchen Hintergrund wird der Spott verständlich, den die Alten über sich auf der Bühne des attischen Theaters ergehen lassen mussten. In der Komödie Die Wespen zeichnet Aristophanes davon ein farbiges Bild: „Ach, ein schlimmes Ding, das Alter, voller Leid und Ungemach.“ Obwohl der alte Herr seinen Sklaven gegen die Kälte einen Lederwams, einen Leibrock und eine Hundsfellkappe gekauft, ihnen sogar bei Frost die Füße gewärmt hat, zeigen selbst sie keinerlei Dankbarkeit und Achtung vor „diesem alten, abgetragenen Schuh“. Als „Grauköpfe“ werden sie beschimpft, „zahnlos und altersgebeugt“, „gar nichts wert“, „brauchbar zu nichts, nicht im geringsten“, und auf den Straßen verspottet man sie als Thallophóroi, die keine andere Aufgabe mehr haben, als in Prozessionen Ölbaumzweige zu tragen. Sie seien unbrauchbare, kernlose Hülsen, wertloser Kehricht.16 Wie wenig die Alten geachtet waren, wie wenig ihre Erfahrung und ihr Wissen zählten, geht auch aus einer sprichwörtlichen Redensart hervor, die in den attischen Komödien mehrfach zitiert wird: „Zweimal Kinder sind die Alten.“17 Wie Kinder ohne Vernunft also wollte man die Alten von wichtigen Entscheidungsprozessen ausgrenzen. In Athen war die

14 Herodot 1,31. 15 Mimnermos fr. 1 Gentili-Prato (5,4–8 West). Vgl. Mimnernos fr. 7 Gentili-Prato (1 West): „Doch bald mit Schmerzen anrückt / das Alter, das da hässlich macht den Mann und ungeehrt, / da drücken böse Sorgen stets ihm rings die Sinne nieder, / und auf die Sonnenstrahlen schaut er nicht mehr mit Genuss; / den Knaben ist er widerlich, verachtenswert den Frauen: / so quälend-hart hat Alterszeit einstmals gemacht der Gott!“ (Übersetzung Joachim Latacz). 16 Aristophanes, Acharner 703; 715; Vespae 441–447, 539–543. Allerdings sollten Äußerungen in der attischen Komödie nicht überbewertet werden, da es sich um karikierende Verzerrungen handelt. Für eine positive Lesart spricht sich Hübner 2005: 42f. aus. 17 Aristophanes, Nubes 1417; Kratinos F 28 PCG; Theopompos F 70 PCG.

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in Familie und Gesellschaft tonangebende Altersgruppe die der 30- bis 50-Jährigen, nicht die der Alten.18 Es erscheint plausibel, dass die vergleichsweise schwache Stellung der alten Menschen in Athen wesentlich aus der Form der Hausübergabe resultiert. Als Altenteiler hatten sie wichtige familiale und gesellschaftliche Funktionen verloren, waren nutzlose Esser geworden. Das gesellschaftliche und politische System konnte auf solche funktionslos gewordenen alten Menschen nicht bauen. Ein mos maiorum, ein an die Vergangenheit gebundenes Ethos, bildete sich in Athen nicht heraus. Entscheidungen in der Politik wurden von Fall zu Fall getroffen, nach Argumenten der jeweiligen politischen Lage, nicht mit Rückgriff auf historische Exempla. Politische und rechtliche Ordnungen wurden als durch Abstimmung eingesetzt wahrgenommen und galten daher auch als durch einfachen Beschluss veränderbar, nicht als historisch verankert. Forderungen nach Herstellung einer pátrios politeía, einer „Verfassung der Väter“, waren Parolen einer oligarchischen Opposition, die im Geruch eines Verfassungsumsturzes standen. Geschichte und Tradition waren in der Politik also keine guten Argumente. In der Familie war dies nicht anders. Eine Verehrung der Ahnen gab es nicht, eine Erinnerung an die Taten berühmter Vorfahren ebenso wenig. Damit hatten die Alten keine Chance, Vermittler zwischen den Vorfahren und den nachgeborenen Generationen zu sein. Aristoteles bringt es in der Schrift Rhetorik auf den Punkt: „Weiters leben die Alten mehr in der Erinnerung als in der Erwartung, denn kurz ist, was ihnen vom Leben übrig ist, lang, was sie schon hinter sich gelassen haben; die Hoffnung (der Jugend) richtet sich allerdings auf die Zukunft, die Erinnerung (der Alten) auf die Vergangenheit, was auch der Grund ihrer Geschwätzigkeit ist. Unablässig reden sie [die Alten] ja davon, was war, an der Erinnerung haben sie ihre Freude.“19 Was in anderen Gesellschaften als Erfahrung und Altersweisheit geschätzt wird, galt Aristoteles wie vielen anderen Griechen als lästiges Geschwafel, als belanglose Geschwätzigkeit.

18 Zur Stellung der Alten in Athen Brandt 2002: 41–85; Baltrusch 2003; ders. 2007. Grundsätzliche Kritik an der Wertung von Baltrusch äußert Hübner 2005. Sie fordert eine differenziertere Sicht ein und wertet die Position der alten Menschen in Politik und Gesellschaft deutlich positiver. Auch wenn Differenzierungen angebracht sind, erscheint mir dieser Versuch einer Umwertung nicht überzeugend, insbesondere bei der Einbeziehung eines Vergleichs mit Rom und Sparta. 19 Aristoteles, Rhetorik II 13,12, 1390a 6–11.

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Die Stellung der Alten in Sparta In Sparta war das alles anders. Plutarch schildert in einer Anekdote, wie ein alter Mann zum Fest der Panathenäen nach Athen kam, doch von den Zuschauern nur mit Spott behandelt wurde. Erst riefen sie ihn herbei, als ob sie ihm einen Platz anbieten würden: Aber wenn er sich näherte, wandten sie sich von ihm ab. Nachdem er an fast allen vorbeigegangen war, kam er zu den spartanischen Festgesandten, die allesamt von ihren Sitzen aufstanden und ihm Platz machten. Erfreut über diesen Vorgang klatschte das Volk Beifall. Einer der Spartaner aber sprach: „Bei den Göttern, die Athener wissen zwar, was richtig ist, aber sie tun es nicht.“20 Das Alter zu achten, war also eine soziale Norm, die in ganz Griechenland galt – doch die Wirklichkeit sah oft anders aus. Cicero lässt seinen Cato ausführen, dass man an scheinbar alltäglichen Kleinigkeiten wie dieser erkennen könne, welche Ehre einem alten Mann entgegengebracht werde, nämlich dass man Höflichkeitsbesuche mache, seine Hand zum Kuss ergreife, ihm Platz mache, vor ihm aufstehe, ihn nach Hause begleite, bei ihm Rat suche. Je besser die Sitten unter den Bürgern seien, desto sorgfältiger würden solche Respektsbezeugungen beachtet. Und dann beruft sich Cicero auf Sparta: „In Lakedaimon hätten die Menschen das ehrenvollste Zuhause; es wird ja auch nirgendwo dem Alter so viel Anerkennung zuteil, und nirgends ist es mehr geehrt [als in Sparta].“21 Plutarch schloss sich später diesem Lob Ciceros an. Er schreibt: „Als ein Fremder nach Lakedaimon kam und dort die Ehrenbezeugungen sah, die die Jüngeren den Älteren erwiesen, rief er aus: ,In Sparta allein lohnt es sich, alt zu werden.‘“22 Diese Sicht, dass die Spartaner die Alten in besonderer Weise ehrten, geht bereits auf klassische Zeit zurück. Xenophon, ein Autor des 4. Jahrhunderts v. Chr. und Bewunderer spartanischer Lebensweise, betont explizit, dass allein in Sparta den Alten anders als im übrigen Griechenland Achtung und Respekt entgegengebracht würden.23 Aber es ist nicht nur das: Alter war ein wesentliches Strukturprinzip der spartanischen Gesellschaft, so dass die politische und gesellschaftliche Ordnung Spartas als Gerontokratie bezeichnet werden kann.24 20 Plutarch, Apophthegmata Laconica var. 55 (Moralia 235d–e). Dieselbe Anekdote in leicht abweichenden Versionen ebd. (Moralia 235c–d); Cicero, De senectute 18 (63f.); Valerius Maximus 4,5, ext. 2. Schmitz 2003: 57 mit weiteren Belegen. 21 Cicero, Cato maior de senectute 18 (63): Lacedaemonem esse honestissimum domicilium senectutis – „in Lakedaimonien hätten die Alten das ehrenvollste Zuhause“. 22 Plutarch, Apophthegmata Laconica var. 60 (Moralia 235f ). 23 Xenophon, Memorabilia 3,5,15. 24 Zur Stellung der alten Menschen in Sparta allgemein und umfassend David 1991; vgl. Schmitz 2003.

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Von Kindheit an gelernt: Der Respekt gegenüber den Alten In Sparta trainierten die Kinder von klein an, Älteren und vor allem den Alten Respekt zu erweisen. Respekt vor dem jeweils Älteren zu zeigen, war eines der grundsätzlichen Ziele der Erziehung. In Sparta wurden die Kinder mit sieben Jahren vom Haus getrennt und in altersgleiche Gruppen zusammengefasst.25 In ‚Herden‘ (Agélai) eingeteilt, verbrachten sie Tag und Nacht außerhalb des Hauses. Während in anderen griechischen Städten die Ausbildung im allgemeinen mit dem Elementarunterricht endete, wurden in Sparta auch die älteren Knaben, wiederum in altersgleichen Gruppen, in einer öffentlichen Erziehung gehalten und auf eine Kriegführung hin trainiert. Dabei waren körperliche Kondition und Schnelligkeit, List und Ausdauer, das Ertragen von Hitze und Kälte, von Hunger und Durst, von Dunkelheit und Angst sowie strenger Gehorsam Erziehungsziele.26 Geführt und angeleitet wurden die Knaben von jugendlichen Ausbildern im Alter von etwa 20 Jahren, den Eirénes, und einem Mentor. Alle erwachsenen älteren Männer sollten die Erziehung der Knaben überwachen und konnten die Ausbilder strafen, wenn sie unangemessen reagiert hatten. Zusätzlich gab es einen besonderen Magistraten, den Paidonómos, der die Erziehung der Knaben überwachen sollte. Nach der Ausbildung lebten die jungen Männer in Zelt- und Tischgemeinschaften zusammen, und auch in dieser Phase wirkte Alter als rangbestimmendes Merkmal. Die Gemeinschaften bestanden aus je 15 Personen, die nicht der gleichen Altersgruppe angehörten, sondern die altersgemischt waren, denn – so sagt Xenophon – unter Gleichaltrigen bestehe die geringste Scheu.27 Weil es, anders als in den Gruppen der Knaben und Heranwachsenden, keine eindeutige, institutionalisierte Führung in den Speisegemeinschaften gab, sollte die Autorität des jeweils Älteren zum Tragen kommen. Das Leben in Sparta war also ein lebenslanges Angeleitetwerden von Älteren. Plutarch schreibt dazu: „War den erwachsenen Spartiaten nicht anderes zu tun 25 Auch für Mädchen gab es eine außerhäusliche Erziehung, über deren Form und Inhalte allerdings nur wenig bekannt ist. Jedenfalls gehörten sportliche Übungen und Wettkämpfe sowie Tanz und Gesang dazu (Xenophon, Lakedaimonion politeia 1,4; Plutarch, Lykurgos 14,3–6; 15,1). Da Plutarch in seiner Schrift Denksprüche von Spartanerinnen kurze, schlagkräftige Antworten auch von spartanischen Frauen zusammengestellt hat, ist davon auszugehen, dass auch Mädchen in der spezifischen Art der spartanischen Kommunikation (siehe dazu unten) unterwiesen wurden. Zur Erziehung der Mädchen Rebenich 1998: 90; Hartmann 2007a: 42–47. 26 Zur Erziehung in Sparta Cartledge 2001; Kennell 1995; Lévy 1997; Ducat 1999; Link 1999; Schmitz 2007: 46–48, 122–127. 27 Xenophon, Lakedaimonion politeia 5,5. Link 1998.

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befohlen, so beaufsichtigten sie die Knaben und lehrten sie etwas Nützliches oder: sie ließen sich selbst von den Älteren unterweisen.“ Und: „Jüngere sollten einem jeden Alten gehorchen, als sei er ein Gesetzgeber.“28 Die strenge Ausrichtung nach Alter, die die gesamte Erziehung und auch das Leben als Erwachsener durchzieht, wurde noch dadurch gefestigt, dass die Kinder von ihrer Geburt an bis zum Ende der gemeinschaftlichen Erziehung in Altersgruppen eingeteilt waren, die mit speziellen Namen belegt waren. Eine Namensbezeichnung umfasste etwa drei Jahrgänge, so dass es Namen für die Altersgruppen gab, die noch nicht in die öffentliche Erziehung aufgenommen waren (die „Vorkleinen“ oder „ganz Kleinen“), Namen für die Kinder, die in der ersten Phase der Erziehung waren (die „Kleinen“ und „Vorkinder“), für die Kinder, die in einer zweiten härteren Phase der Erziehung sich befanden („Kinder“ und „werdende Eirenen“), auf die schließlich die Phase folgte, in der die inzwischen Jugendlichen selbst Gruppenführer von Kindern wurden. Da diese Einteilung die gesamte Zeit der Kindheit und Jugend umfasste, wusste jeder genau, wer der gleichen und wer einer höheren Altersklasse angehörte. Und auch noch nach dieser Zeit waren die Spartaner nach Alter unterschieden: Die Spartiaten im Alter von etwa 20–30 Jahren gehörten zu den néoi, den „jungen Männern“, die älteren zu den ándres und schließlich zu den Alten, den gérontes. Regelmäßig wurde die Zugehörigkeit zu einem Altersgrad auch öffentlich markiert, rituell inszeniert. Den Kindern in der zweiten Phase der Erziehung wurden die Haare bis auf den Kopf geschoren. Damit war auch äußerlich unmittelbar kenntlich gemacht, wer dieser Altersgruppe angehörte. Erst nach Beendigung der Erziehung durften sie ihre Haare wieder lang wachsen lassen. Bei den öffentlich ausgetragenen Wettkämpfen, den Gymnopaidien, ordnete der Chorführer die Chöre nach dem Alter, wobei der Chor der Alten sang: „Wir waren einstmals wehrhaft junges Volk“, der Chor deren, die in der Mitte des Lebens stehen: „Wir sind es jetzt; versuch es, wenn du willst!“ und der Chor der Knaben: „Wir aber werden noch viel stärker sein“. Ein solches, streng nach Altersgraden unterteiltes und wohl durch Initiationsriten begleitetes Erziehungssystem musste erhebliche Auswirkungen auf die Stellung der Alten gehabt haben. Die Einteilung in feste Altersgrade sorgte dafür, dass jeder genau wusste, wem Respekt entgegengebracht werden musste. Dies hilft zu verstehen, warum die Macht der Alten in Sparta so unangreifbar war.29

28 Plutarch, Lykurgos 24,1; vgl. 25,1–2; An seni res publica gerenda sit (Moralia 795f ). 29 Zu den spartanischen Altersklassen und ihren Bezeichnungen Schmitz 2005.

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Die Macht der Alten sichern: Formen der Kommunikation in Sparta Die Macht der Alten wirkte sich bis in die Sprache und die Formen der Kommunikation aus. Strenge Kommunikationsregeln dienten dazu, die höhere Autorität der Älteren abzusichern und die Jungen auf die gesellschaftlichen Normen einzuschwören. In der Biographie des sagenhaften Spartaners Lykurgos, in der Plutarch die politische und soziale Ordnung Spartas nach der radikalen Umgestaltung im 6. Jahrhundert beschreibt, schildert er, wie bereits die Kinder auf eine knappe, streng disziplinierte und auf Emotionen verzichtende Sprache trainiert werden.30 Als ein Knabe beim Kämpfen einen unwürdigen Schrei ausstieß – also Emotionen zu erkennen gab –, sei sein Mentor von den Archonten deswegen bestraft worden.31 Beim Reden sollten die Knaben Schärfe mit Witz verbinden und lernen, einen Gedanken in kürzeste Form zu kleiden. Das viele Schweigenmüssen sollte die Knaben dazu erziehen, sich in knappen Antworten gedankenreich zu zeigen. Die lakonische Redeweise, die brachylogía, sei zwar kurz, treffe aber die Sache und den Sinn der Hörer aufs beste. Plutarch gibt viele Beispiele für diese besondere Form spartanischer Kommunikation. In der Erziehung der Knaben fragte der Ausbilder z. B. „Wer ist der beste unter den Männern?“ Die Antwort hatte wohlüberlegt, aber kurz, prägnant und schlagkräftig auszufallen. Als man Charilaos, einen Neffen Lykurgs fragte, warum die Zahl der Gesetze in Sparta so gering sei, soll er gesagt haben: „Wer nicht viele Worte macht, braucht auch nicht viele Gesetze.“ Plutarch listet eine Fülle dieser knappen und witzig-schlagkräftigen Antworten auf, ja, er hat eine eigene Schrift unter dem Titel „Lakonische Denksprüche“ und eine weitere unter dem Titel „Denksprüche von Spartanerinnen“ verfasst. In der spartanischen Erziehung ging es also weniger um eine Ausbildung im Sinne einer Vermittlung von Wissen, sondern in erster Linie um eine Sozialisation der nachfolgenden Generation, um eine problemlose Integration in das spartanische Normensystem. Wie im Sprichwort wurden „nachsprechbare“ Wahrheiten und Lebensweisheiten durch ständiges Zitieren wachgehalten und so deren normative Aussagen transportiert. Der zitierte Spruch verlangt Bestätigung und Zustimmung, duldet keine Diskussion über den Sinn der Norm. Die Knappheit des Spruchs verweist von vornherein darauf, dass ein längerer Disput nicht gewollt ist. Ein Hinterfragen der sozialen Normen war so ausgeschlossen, die höhere Autorität der Älteren ge-

30 Plutarch, Lykurgos 19. 31 ebd. 18,8.

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stärkt. Geschult wurde durch diese Anleitung zur ‚lakonischen Kürze‘ absolute Konformität.32 So trainierten die Spartaner von klein an, Älteren und vor allem den Alten Respekt zu erweisen. Respekt vor dem jeweils Älteren zu zeigen war eines der grundsätzlichen Ziele der spartanischen Erziehung und wirkte bis in die Welt der Erwachsenen hinein. Dazu gehörte auch, dass die Kinder zwar eine Elementarausbildung im Lesen und Schreiben erhielten, doch kein besonderer Wert auf eine weitere Bildung gelegt wurde. Auch in der Zeit nach der gemeinschaftlichen Erziehung wurden die Spartiaten nicht aus der Aufsicht der Alten entlassen, und es wurde alles unterdrückt, was das Wertesystem der spartanischen Gesellschaft untergraben konnte. Tragödien und Komödien wurden in Sparta nicht aufgeführt.33 Wer die attischen Dramen wie die Antigone des Sophokles oder die Alkestis des Euripides kennt, die nur allzu oft gerade den Normenkonflikt zum Thema machten, weiß warum.34 Durch den bewussten Verzicht auf Tragödien und Komödien sollte gesichert werden, dass die Spartaner „weder im Ernst noch im Spaß etwas hörten, was gegen die Normen (die nómoi) verstoße“.35 In Athen hingegen kamen in den Dramen Handlungen auf die Bühne, bei denen in scharfer Konfrontation sich widersprechende Normen aufeinander prallten. Nicht selten ging es dabei um Generationskonflikte und Angriffe auf die Autorität von Älteren, so wie in den Wolken oder in den Wespen des Aristophanes. Sparta hat einen solch offenen Umgang, eine freie Diskussion von Normen und Werten nicht gewagt. Auch Philosophie, Sophistik und Rhetorik waren in Sparta verpönt. Die jungen Männer hatten also keine Handhabe, um die Macht der Älteren anzugreifen, keine neue, höhere Bildung, keine rhetorischen Strategien, kein Forum, auf dem diese hätten zum Einsatz kommen können. Bis zum Alter von 30 Jahren sollte man den Hauptplatz, die Agorá, meiden. Keinem der jungen Menschen war es erlaubt, die bestehenden Gesetze zu kritisieren; alle sollten vielmehr „mit einer Stimme und aus einem Munde einhellig 32 Schmitz 2006. 33 Plutarch, Instituta Laconica 33 (Mor. 239b). 34 Zum Altersdiskurs in der Alkestis des Euripides Baltrusch 2003: 62–72; zur Orestie unter dem Aspekt des Generationenkonflikts Baltrusch 2007: 159–161. Kritisch zur Interpretation der Alkestis durch Baltrusch äußert sich Hübner 2005: 38–41. Zwar geht es in der Tragödie auch um das Motiv der Unwiderrufbarkeit des Todes und der Sinnlosigkeit stellvertretenden Sterbens, doch ist unverkennbar, dass in der Argumentation, deren sich Admetos und Pheres bedienen, die unterschiedliche Einstellung zur Position alter Menschen und ihrer gesellschaftlichen Funktionen thematisiert wird. Die Tragödie ist damit auch eine Kontroverse um die Wertigkeit der Generationen. 35 Plutarch, Instituta Laconica 33 (Mor. 239b).

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erklären“, dass alles gut angeordnet sei. Auch hier gilt erneut: Die politischen Akteure sind als Chor begriffen, der Eingeübtes rezitiert. Nur ein Greis dürfe sich vor einem Amtsträger oder einem Altersgenossen, aber nicht in Gegenwart eines jungen Menschen kritisch zu einem Gesetz äußern. Wie nachhaltig die Macht der Alten bis in die Sprache hinein wirkte, zeigt sehr anschaulich eine Episode während des Peloponnesischen Krieges. Im Sommer 418 v. Chr. zog der spartanische König Agis II. an der Spitze eines großen Heeres aus Spartanern, abhängigen Heloten und Verbündeten gegen die Nachbarstadt Argos. Schon standen sich die beiden Heere kampfbereit gegenüber – da vermittelten zwei Argiver und erklärten die Bereitschaft, eine Buße zu zahlen, wenn Sparta Argos etwas vorzuwerfen hätte. Ohne Rücksprache und Beratung ging der spartanische König Agis auf das Gesuch ein und schloss einen Frieden auf vier Monate. Die Spartaner zogen ab. Der griechische Historiker Thukydides berichtet, wie nach der Rückkehr in Sparta schwere Vorwürfe gegen Agis erhoben wurden, weil er eine so günstige Gelegenheit habe verstreichen lassen. Ebenso reagierten die Verbündeten auf Seiten der Argiver, die sich zu einem Frieden nicht bereit fanden. Ja, dort setzten sich die Verbündeten mit der Ansicht durch, der Friede sei nicht rechtmäßig, und griffen unverzüglich eine im Machtbereich Spartas liegende Stadt in Arkadien an und eroberten sie.36 Angesichts dieser Entwicklung stieg in Sparta die Erbitterung gegen König Agis und man gedachte „in raschem Zorn – ganz gegen ihre Art“ sein Haus zu wüsten und ihm eine hohe Geldstrafe aufzuerlegen. Daraufhin versprach Agis große Taten und Erfolge bei künftigen Kriegszügen. Es wurde festgelegt, dass ihn bei weiteren Kriegszügen zehn Spartaner als Berater begleiten müssten. Auf alarmierende Nachrichten hin, die Feinde griffen die arkadische Stadt Tegea an, marschierte Agis mit dem gesamten spartanischen Aufgebot und den Heloten dem Feind entgegen. Diese hatten einen steilen, schwer zugänglichen Hügel besetzt und ordneten sich dort zur Schlacht. Agis führte das spartanische Heer rasch heran, bis auf einen Steinwurf entfernt, „als“ – so Thukydides – „einer der Älteren, da er sie gegen eine so feste Stellung angehen sah, den Agis anschrie, er lege auf böse Wunde ein böses Pflaster“ (wörtlich: „er gedenke, ein Übel durch ein anderes Übel zu heilen“). Thukydides meint, seinem Leserpublikum diese prägnante Metapher erklären zu müssen: „er meinte damit, der König dächte wohl seinen vielgescholtenen Abzug von Argos jetzt mit diesem Vorstürmen zur Unzeit wieder gutzumachen“.37 Agis besann sich eines Besseren und zog das Heer zurück. 36 Thukydides 5,61f. 37 Thukydides 5,65,2. Schmitz 2006.

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Die Situation ist bemerkenswert. Die Stellung der beiden spartanischen Könige war in Hinsicht auf die innere politische Ordnung zwar eher schwach, doch sie führten die Heere an und hatten im Krieg uneingeschränkte Macht. Erst nach der Rückkehr konnte der König für sein militärisches Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Aristoteles charakterisiert in der Politik daher treffend das spartanische Königtum als „ein selbstmächtiges und lebenslanges Feldherrnamt“.38 Gewiss, die militärisch unbegrenzte Kompetenz von König Agis war durch die ihm beigegebenen zehn Berater eingeschränkt worden – trotzdem ist erstaunlich, dass hier ein prägnanter Satz eines Älteren, eines presbýteros, ausreicht, den spartanischen König zur Änderung seiner Taktik zu bewegen. Was ich damit deutlich machen will, ist: In Sparta war das Politische kein Aushandlungsprozess, der über offene Kommunikation vermittelt wurde. Da wird nicht im Kreis der Strategen über die bestmögliche Taktik debattiert, wie in Athen, und wird nicht der Ratschlag vieler gehört, sondern ein Satz genügt, um das Ruder herumzureißen. Das funktioniert nur, wenn das Veto des Älteren und die metaphorische Form der Sprache intensiv eingeübt wurden, wenn diese Sprechweise mit Autorität ausgestattet war. Für Sparta gilt: ‚ein Bild ersetzt 1000 Worte‘, und diese ritualisierte Form der Kommunikation herrschte auch im Feld der Politik vor. Herodot berichtet in einer bekannten Episode, wie Flüchtlinge von der Insel Samos, die von dem dortigen Tyrannen vertrieben worden waren, in Sparta in einer lang und breit ausgeführten, elaborierten Rede vor dem Rat ihre Not bekundeten, in der Hoffnung, mit ausgefeilter Rhetorik die Spartaner überzeugen zu können. Die Spartaner wiesen sie ab – mit der Begründung: Was sie zuerst gesagt hatten, hätten sie vergessen, das letzte deswegen nicht verstanden. Aber die Samier stellten sich schnell auf die spartanische Sprechweise ein: Am nächsten Tag wurden die Flüchtlinge erneut vor dem Rat vorstellig, zeigten einen leeren Brotsack und sagten nur den einen Satz, dem Sack fehle das Brot. Daraufhin konterten die Spartaner schlagfertig, das Wort „Sack“ hätte man sich auch noch sparen können, aber sie waren nun zur Hilfe bereit.39 Die im 5. und 4. Jahrhundert in Athen und andernorts blühende professionelle Rhetorik, bei der es darum ging, in kunstvoller, dialektisch aufgebauter Rede einen scheinbaren Gegensatz zwischen dem Nützlichen und dem Rechtmäßigen zur Übereinstimmung zu bringen, um so Überzeugungskraft zu entfalten, galt in Sparta nichts.40 Ausgefeilte Rhetorik war für die Spartaner ein 38 Aristoteles, Politika III 14, 1285a 7f. 39 Herodot 3,46. 40 Zur politischen Bedeutung dieser im 5.  Jahrhundert aufgekommenen neuen Form der Rhetorik und Philosophie Martin 1976; ders. 2003.

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gegen den Zuhörer gerichtetes Täuschungsmanöver. Stattdessen drang man auf eine streng disziplinierte Rede, die alles Überflüssige beiseite schob, sich auf äußerste Knappheit beschränkte und die Quintessenz möglichst in einen Satz drängte. Diese Form der Rede wurde privilegiert und mit einer besonderen Autorität versehen, insbesondere dann, wenn ein Älterer sich dieser Sprachform bediente.

Der spartanische Sonderweg. Eine Analyse der Hintergründe Unter welchen sozialen und politischen Bedingungen nun konnten sich solche Formen einer sozialen, politischen und kommunikativen Ordnung in Sparta ausbilden, die darauf ausgerichtet war, die Position der Alten zu stärken und abzusichern? Wir haben einen Blick zurück zu werfen auf das 7.  Jahrhundert v. Chr.; Sparta hatte einen erbitterten Krieg gegen die Nachbarlandschaft Messenien geführt, einen Krieg, der lange Zeit auf des Messers Schneide gestanden und die Kräfte Spartas bis zum Äußersten beansprucht hatte. Um die Herrschaft über Messenien zu sichern, wurde die spartanische Gesellschaft radikal umgestaltet. Der Schlüssel zum Verständnis dieses radikalen Wandels liegt meines Erachtens in der Form der ‚Eheschließung‘, über die Plutarch folgendes berichtet: „Man heiratete [in Sparta] durch Raub, nicht kleine und noch nicht mannbare, sondern voll erwachsene und reife Mädchen. Die Geraubte nahm die so genannte Brautbedienerin in Empfang, schor ihr den Kopf bis auf die Haut, zog ihr ein Männergewand und Schuhe an und legte sie allein ohne Licht auf eine Streu. Dann kam der Bräutigam herein, nicht betrunken und ausgelassen, sondern nüchtern, nachdem er wie immer bei dem Gemeinschaftsmahl gespeist hatte, löste ihren Gürtel, hob sie auf und legte sie aufs Bett. Doch blieb er nicht lange bei ihr, sondern ging sittsam davon, um wie früher am gewohnten Ort mit den anderen jungen Leuten zu schlafen. Und auch in der Folgezeit machte er es so, verbrachte den Tag mit den Altersgenossen und schlief mit ihnen bei Nacht, und nur heimlich und mit aller Vorsicht ging er zu seiner jungen Frau, mit Scheu und in der Besorgnis, dass jemand im Haus es bemerkte…“41.

Dieser sehr merkwürdige Hochzeitsbrauch erschließt sich erst dann, wenn man die einzelnen Bestandteile dieses Rituals in seiner Bedeutung versteht.42 In Athen wie in vielen anderen griechischen Städten galt eine Ehe nur dann als rechtmäßig, wenn der Brautvater gegenüber dem Brautwerber in die Ehe einge41 Plutarch, Lykurgos 15,4-8. 42 Zu dieser Interpretation siehe im Einzelnen Schmitz 2002; ders. 2007: 48–52; 128–32; vgl. Hartmann 2007a: 38–52.

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willigt hatte, wenn die Tochter am Tag der Eheschließung dem Ehemann formell übergeben worden war und mit dem Geschlechtsverkehr in der Hochzeitsnacht das eheliche Zusammenleben, das synoikeín, begonnen hatte.43 All dies, das Heiratsversprechen, die Übergabe der Braut und die Aufnahme des Geschlechtsverkehrs in der Hochzeitsnacht, wurde in Sparta durch den merkwürdigen „Hochzeitsbrauch“ bewusst umgangen. Mit dem Brautraub wurde dem Vater der Frau konsequent das Recht entzogen, über den Ehepartner der Tochter zu entscheiden. Das Abscheren der Haare, das Anlegen eines Männergewands und die Bettung der Frau auf eine Streu imitiert eine päderastische, eine gleichgeschlechtliche Beziehung, wie sie in Sparta in der zweiten Phase der Erziehung üblich war. In Sparta gab es also weder ein formelles Einverständnis und Eheversprechen des Brautvaters, noch eine förmliche Übergabe der Frau in die Hausgewalt des Ehemannes. Der Geschlechtsverkehr begründete auch keine eheliche Lebensgemeinschaft, denn nach dem Geschlechtsverkehr kehrte der junge Mann zu seinen Altersgenossen zurück. So paradox es klingt: der „Hochzeitsbrauch“ hatte zum Ziel, das rechtmäßige Zustandekommen einer Ehe ausdrücklich zu verneinen! In Sparta gab es also keine rechtliche Form der Ehe, und damit letztlich keinen Familienverband. Diese Abkehr in Sparta war radikal, denn eine solche tiefgreifende Veränderung der Familienstruktur begegnet in dieser Radikalität nirgendwo sonst in der Geschichte Europas. Die zentrale Einheit, Haus und Familie, war damit in Sparta aufgehoben worden. Der Grund für diesen tiefgreifenden Einschnitt in die Struktur der spartanischen Gesellschaft ist in der Eroberung der Nachbarlandschaft Messenien zu sehen. In den Messenischen Kriegen hatten die Spartaner die gesamte benachbarte Landschaft unter ihre Herrschaft gebracht, das Land in Parzellen aufgeteilt und die einheimische Bevölkerung in eine der Sklaverei vergleichbare Abhängigkeit gezwungen. Die Landgüter, die von diesen Heloten bewirtschaftet werden mussten, wurden einzelnen Spartanern zugesprochen. Jeder Helot musste einen Anteil seiner Ernte an den spartanischen Herrn abtreten. Doch nach dem Tod eines Spartaners sollte dieses Landgut nicht an den Sohn und damit in den Besitz der Familie übergehen, sondern an die Gemeinschaft zurückfallen, um es einem anderen Spartaner erneut zusprechen zu können. Um dies zu sichern, wurde die rechtliche Beziehung zwischen Vater und Sohn durchtrennt. Es ging bei dem Hochzeitsritual nicht darum, die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau aufzuheben, sondern darum, die legitime Nachfolge vom

43 Zu den Elementen, die einer Ehe Rechtmäßigkeit verleihen, Hartmann 2000; dies. 2002: 76–97.

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Vater auf den Sohn zu unterbinden. Denn wenn es keine rechtmäßige Ehe gab, war der Sohn rechtlich nicht der Nachfolger und Erbe seines Vaters.44 Die Eroberung Messeniens war also die Ursache für die radikale Umgestaltung der spartanischen Gesellschaft. Das Zusammenleben in einer Familie war weit zurückgedrängt worden. Die Bürgerschaft lebte in Gruppen zusammen, die nach Alter und Geschlecht getrennt waren. Mit sieben Jahren traten die Kinder in eine gemeinschaftliche Erziehung ein, blieben dort bis zum 18. Lebensjahr, wurden dann selbst Leiter von Kindergruppen und wechselten schließlich in die Tischgemeinschaften. Es ist durchaus denkbar, dass in einem späteren Alter, vielleicht mit 30 Jahren, die Spartaner mit den Müttern ihrer Kinder zusammenlebten. Nur waren sie nicht die rechtmäßigen Väter ihrer Kinder. Mit dieser für antike Gesellschaften ungewöhnlichen Lebensweise war in Sparta die Familie als strukturierende Einheit, als vermittelnde Instanz zwischen Einzelnem und Gesellschaft, als Ort der Besitzübertragung und der hauswirtschaftlichen Produktion sowie der Vermittlung von sozialem Status, der biologischen und kulturellen Reproduktion entfallen. Aus diesem Grund musste Sparta auf ein anderes Strukturprinzip übergehen, und dies waren die Altersgruppen. Um die Herrschaft über Messenien aufrecht zu erhalten, waren also die Spartaner bereit gewesen, einen hohen Preis zu zahlen, um eine strikte Integration der spartanischen Gesellschaft zu gewährleisten. Die Familie und die Einheit des Hauses wurden aufgelöst, die Alten mit der Pflicht betraut, über die Sozialisation der Kinder und Heranwachsenden zu wachen. Weil Sparta den Häusern ihre familialen und gesellschaftlichen Funktionen genommen hatte, forderten sie von den Alten besondere, für die griechischen Städte ganz außergewöhnliche Integrationsleistungen. Cicero mahnte in seiner Schrift De senectute, man solle sich frühzeitig, also bereits in der Jugend um seine Grundlagen im Alter kümmern. Nicht die grauen Haare allein oder das zerfurchte Gesicht würden einem Menschen ohne weiteres Ansehen verschaffen. Nur ein ehrenwert verbrachtes Leben gewähre im Alter als Frucht des Lebens Anerkennung und Respekt. Für Sparta trifft das nicht zu: Durch die Auflösung der Familie waren die alten Männer nicht individuelle Väter ihrer Kinder, sondern gemeinsame Väter aller Kinder.45 44 Die Durchtrennung der rechtlichen Beziehung zwischen Vater und Sohn hatte zur Folge, dass auch der ursprüngliche, in Lakonien gelegene Besitz nicht mehr patrilinear vererbt werden konnte. Das Heiratsverbot unter Halbgeschwistern, die von zwei unterschiedlichen Müttern abstammen, deutet darauf hin, dass dieser Besitz fortan avuncolinear vererbt wurde (Schmitz 2002: 578–585). 45 Martin 1984. Ob auch alte Frauen von der tiefgreifenden Umstrukturierung der Gesellschaft profitierten, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht sagen. Insgesamt hatte aber

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Von allen alten Männern wurde eine hohe Integrationsleitung gefordert. Allein qua Alter, nicht aufgrund ihrer im Leben erbrachten Leistungen gelangten sie in eine Position, die mit Ehre und Anerkennung ausgestattet war. Dies bedeutet eine grundsätzliche Neubewertung des Alters, die gänzlich losgelöst war von der Position im Haus, der Form der Besitzübertragung, religiöser Funktionen etc. Also: Statt nach Familien und Häusern war die spartanische Gesellschaft nach Alter (und Geschlecht) strukturiert, und zwar in allen Bereichen: in der Erziehung, im Sport, im Kult, in den Tisch- und Zeltgemeinschaften, im politischen Bereich. Jeder war verpflichtet, einem jeweils Älteren Achtung und Respekt auch in symbolischer Form entgegenzubringen. Und dies war nicht nur eine Sache der Höflichkeit. Jeder Spartaner musste vor einem Älteren aufstehen, ihm bei einer Begegnung Platz machen. Vor Königen mussten alle aufstehen, und für die Ephoren wird berichtet, sie seien vor niemandem aufgestanden, außer vor dem König oder vor einem anderen Ephoren. Könige und Ephoren wurden also – auch wenn sie in recht jungen Jahren in diese Position gekommen waren – gleichsam qua Amt zu ‚Alten‘.46 Dem auf nur 28 bzw. 30 Mitgliedern beschränkten Ältestenrat, der gerusía, gehörten nur Personen an, die mindestens 60 Jahre alt waren; sie blieben lebenslang im Rat, so dass viele der Ratsmitglieder deutlich älter sein konnten. Nicht genehme Entscheidungen der Volksversammlung konnten in Sparta vom Ältestenrat kassiert werden.

Fazit Die so radikal verschiedene Position der Alten und die Wertung des Alters in Athen, Sparta und Rom zeigen deutlich, dass Alter keineswegs nur biologisch determiniert ist. Es sind vielmehr historische Bedingtheiten, die den alten Menschen mal wichtige Funktionen abverlangen und dies mit Respekt honorieren, sie mal zu nutzlosen Alten werden lassen. Nur wenn wir die historischen Bedingtheiten, die Familienstrukturen, die Form der Erziehung und die weitgehende Zurückdrängung der Häuser zur Folge, dass die Stellung der Frau stärker war als in Athen (Schmitz 2002: 593; Hartmann 2007a: 38–52). 46 Xenophon, Lakedaimonion politeia 15,6; Plutarch, Apophthegmata Laconica. Anaxilas (Moralia 217c); Nikolaos von Damaskos FgrHist 90 F 103z 17. Nach Herakleides Lembos 373,10 Dilts standen die Ephoren vor niemandem auf außer vor einem König und vor einem anderen Ephoren. Wenn in Sparta junge Leute älteren begegneten, machten sie ihnen Platz und ließen sie vorbei (Herodot 2,80,1; Xenophon, Lakedaimonion politeia 9,5; Plutarch, Instituta Laconica 10 [Moralia 237d]). Zur Anerkennung höheren Alters, die sich auch in symbolischen Formen ausdrückt, David 1991: 64–69.

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Sozialisation, die gesellschaftlichen Aufgaben alter Menschen, die hauswirtschaftliche Ökonomie der Antike, die politische Ordnung, die Kommunikationsformen und die daraus resultierenden, aber auch eine Eigendynamik ausbildenden kulturellen Prägungen einbeziehen, können wir die konkreten und oft sehr unterschiedlichen Altersbilder historischer Gesellschaften verstehen. Der radikale Unterschied, der zwischen der spartanischen und der athenischen Gesellschaft hinsichtlich alter Menschen bestand, hat seine Ursache sicherlich auch in grundlegenden sozialen Dispositionen. Die archaische Zeit des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. war geprägt von einer Adelskultur, die sich durch ein starkes kompetitives Verhalten auszeichnet. Der sportliche Agon, das ‚Bessersein‘ gegenüber den anderen Adeligen, das Ehrverhalten und die Rache als Möglichkeit, Ehre wieder herzustellen, spielten in dieser Gesellschaft eine sehr große Rolle. Weil ein äußerer Druck in Form kriegerischer Bedrohungen und ein innerer Druck, unter dem das frühe Rom durch die Ständekämpfe stand, fehlten, sahen sich die Adeligen nie gezwungen, sich gemeinschaftlichem Handeln und gemeinschaftsfördernden Zielen unterzuordnen, sich in Verhaltensnormen einbinden zu lassen. Vielfach agierten sie gegen die Interessen der eigenen Stadt, erstritten sich die Position eines Tyrannen, ließen Rivalitäten in Bürgerkriege (stáseis) ausarten. Dies zwang die griechischen Stadtstaaten dazu, nach alternativen Wegen zu suchen, wollten sie stabile politische Institutionen und objektivierte Verfahren etablieren. Die Athener wählten den Weg, den Adel politisch zu entmachten, stattdessen eine sehr große Zahl von Bürgern in die politischen Verfahren einzubinden. Als Bürger, nicht durch ihren Reichtum, ihre adelige Herkunft oder Bildung hatten sie das Recht, an der Polis teilzuhaben; sie betonten die rechtliche und politische, nicht die soziale und wirtschaftliche Gleichheit. So schaffte es Athen, unabhängig vom Adel Staatlichkeit auszubilden. Die Spartaner verfolgten das gleiche Ziel, aber auf einem anderen Weg. Durch die Auflösung der Familien und die Etablierung von Alters- und Geschlechtsgruppen schlossen sie aus, dass Adelige neben der und gegen die bestehende Ordnung agierten. Indem jeder Spartiate als Bürger ein Landgut in Messenien erhielt, das in der Größe dem der anderen Landgüter entsprach, und zusätzlich durch die Speisegemeinschaften ein Ausgleich in der Sicherstellung der Grundversorgung geschaffen wurde, wurden Rivalitäten zwischen verschiedenen Adelsgeschlechtern um eine führende politische und soziale Stellung ausgeschaltet.47 Der unterschiedliche Weg, den Athen und Sparta einschlugen, wirkte sich unmittelbar auf die Stellung der alten Menschen

47 Vgl. dazu Martin 1979.

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aus. In Sparta wurde ihre Position wesentlich gestärkt, in Athen blieb es bei einer eher prekären Position.

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Alt werden im Frühmittelalter Eva Stauch Anhand der Ausstattungsmerkmale frühmittelalterlicher Gräber wird untersucht, ab welchem Lebensalter man im Frühmittelalter zu den ‚Alten‘ zählte und welche Verhaltensnormen und Rollenerwartungen damit vermutlich verbunden waren. Die Studie offenbart das in der gemeinsamen Analyse archäologischer und anthropologischer Daten liegende Potential für sozialgeschichtliche und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen und eröffnet den Weg für eine archäologische Lebenslaufforschung. Based on the features found in early-medieval graves, the age at which a person was considered ‘old’ in the early Middle Ages was investigated, together with the behaviour patterns and role expectations that were probably connected with this status. The study reveals a potential for considering questions of social history and the history of mental attitudes by combining the analysis of archaeological and anthropological data. It thus opens the way for archaeological life course analysis. Key words: archaeology, early Middle Ages, social history, history of mental attitudes, life course analysis.

1. Aussagemöglichkeiten der Archäologie zum Sozialgefüge vergangener Gesellschaften Um unsere heutigen Verhaltensnormen und Rollenerwartungen besser zu verstehen, könnte es hilfreich sein, etwas über das alltägliche Miteinander und die Wertvorstellungen vergangener menschlicher Gemeinschaften zu wissen. Allerdings haben im Lauf der Jahrtausende nur wenige Gesellschaften Schriftzeugnisse hinterlassen, aus denen die Geschichts- und Altertumswissenschaften solche sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte erschließen können. Für die vielen Gesellschaften, die uns keine oder nur äußerst spärliche Schriftzeugnisse hinterließen, bleibt uns zur Lösung dieser Frage nur ein Weg: die Archäologie. Die ur- und frühgeschichtliche Archäologie hat zwei besonders aussagekräftige Möglichkeiten, das soziale Gefüge einer ur- oder frühgeschichtlichen Gesellschaft zu erforschen. Das sind zum einen die Siedlungsgrabungen, die uns Einblick in den Raum gewähren, in dem sich das alltägliche Zusammenleben abspielte. Die wissenschaftliche Auswertung dieser Grabungen unterrichtet uns beispielsweise über die Größe und Struktur der Ansiedlungen sowie über die Bauweise der Gehöfte und die Raumaufteilung der Häuser; auch können die dort gefundenen

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Gegenstände soziale Unterschiede widerspiegeln. Aber schon bei den Schätzwerten zur Einwohnerzahl eines Hofes oder Dorfes gehen die Ansichten der Forscher auseinander. Und etwas für die Erforschung der Sozialstruktur ganz Wichtiges fehlt uns in den Siedlungen völlig: die Menschen selbst, denn sie liegen längst in ihren Gräbern. Die Gräber sind denn auch die zweite der oben angesprochenen Möglichkeiten der Ur- und Frühgeschichte, das soziale Gefüge vergangener Gesellschaften zu rekonstruieren. Gräber scheinen uns einen unmittelbareren Zugang zur Sozialstruktur zu gewähren, denn in vielen Epochen gab es ein differenziertes Beigabenbrauchtum, das deutliche Unterschiede in der Reichhaltigkeit und der Kostbarkeit der Grabbeigaben aufweist. Auch lässt sich aus der Beigabe bestimmter Gegenstände möglicherweise auf bestimmte Tätigkeiten der Bestatteten schließen. Immer wieder haben daher Archäologen versucht, mittels einer Analyse der Bestattungsplätze auf die Sozialstruktur vergangener Gesellschaften rückzuschließen. In der hier interessierenden Frühgeschichtsforschung liegt der Schwerpunkt sozialgeschichtlicher Fragestellungen trotz einiger neuerer Ansätze (vgl. Müller 2005) oft noch immer auf der vertikalen Schichtung einer Gesellschaft. Eine eventuell durch b i o l o g i s c h e Faktoren, also Geschlecht, Lebensalter und Gesundheitszustand bedingte Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Sozialgruppe wurde daneben nur in sehr unterschiedlichem Grad von der Forschung aufgegriffen: Dabei war die geschlechtsdifferenzierte Betrachtungsweise der Gräber in der frühgeschichtlichen Archäologie von Anfang an nicht wegzudenken – zu offensichtlich waren die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Beigabenausstattung. Untersuchungen, die nach dem Lebensalter der Verstorbenen differenzieren, sind hingegen vergleichsweise rar (Brather 2005). Entsprechende Arbeiten gingen bislang fast ausschließlich auf die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern ein (Crawford 1991; Lohrke 2004; Bergmann 1993). Eine altersspezifische Differenzierung der Erwachsenengräber wurde nur anhand einzelner Bestattungsplätze unternommen (Donié 1999; Stoodley 1998; Wotzka 1989; Sasse 1989: 113–120; Kokkotidis 1995), wobei alte Menschen jedoch nicht eigens thematisiert wurden. Die Frage nach der sozialen Definition des Alters einmal mit archäologischen Mitteln anzugehen, war daher das Ziel einer breit angelegten, Fallstudie.

Alt werden im Frühmittelalter 

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2. Aufgabenstellung der Fallstudie: Soziale Definition durch Alter und Geschlecht im Frühmittelalter Wer aber ist eigentlich alt? In der Prähistorischen Anthropologie gründet sich die Definition der Altersstufe ‚senilis‘ (ab 60 Jahren) auf bestimmte morphologische und degenerative Skelettmerkmale. Da diese anthropologischen Anzeichen für die Mitmenschen jedoch nicht unmittelbar sichtbar sind, müssen ihrer Einstufung als ‚alt‘ andere Kriterien zugrunde liegen. In unserer heutigen westlichen Gesellschaft gilt in der Regel das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bald nach dem 60.  Lebensjahr als Auftakt zum Alter. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit bestimmte oft die Übergabe des Hofes an die jüngere Generation diesen Einschnitt. Eines der wichtigsten Kriterien war in vielen Fällen aber wohl die verbliebene körperliche Leistungsfähigkeit: Nach dem Sachsenspiegel, einem um 1230 aufgezeichneten Rechtsbuch, endet die Verfügungsbefugnis eines Mannes dann, wenn er nicht mehr umgürtet „mit eime swerte unde mit eime schilde uf ein ros komen mag von eime steine adir stocke einir dumellen ho, sunder mannes hulfe, daz man im daz ros unde den stegereif halde“1. „Alter“ ist also einerseits ein biologischer Zustand, andererseits eine gesellschaftliche Einstufung, wobei keineswegs davon ausgegangen werden darf, dass sich die Grenzziehung beider Definitionsansätze deckt. Will man sich mit dieser spannenden Frage auseinandersetzen, so bleibt man für Zeiten fehlender Schriftüberlieferung auf die Untersuchung archäologischer Hinterlassenschaften angewiesen. Für eine solche Untersuchung wären mithin ein Zeitabschnitt und eine Region besonders geeignet, in denen die Körperbestattung üblich war, da beim Brandbestattungsritus die Beigaben durch die Verbrennung dezimiert werden und der Leichenbrand nur in Ausnahmefällen eine anthropologische Altersbestimmung erlaubt. Verlässliche Alters- und Geschlechtsbestimmungen am Skelett, die für eine Untersuchung zur Interdependenz zwischen Lebensalter und sozialem Status ja essentiell sind, wären damit stark eingeschränkt. Zweites wichtiges Auswahlkriterium ist ein uneingeschränktes und geschlechtsdifferenziertes Beigabenbrauchtum sowie ein möglichst differenzierter Grabbau, der weitere Indizien für die soziale Position der Bestatteten geben kann. Unter den genannten Bedingungen sind die Bestattungsplätze des frühen Mittelalters besonders geeignet, stellen sie doch ein Quellenmaterial bereit, das hinsichtlich Qualität und Quantität in anderen ur- und frühgeschichtlichen Epochen ohne Vergleich bleibt.

1 Sachsenspiegel; Landrecht, 1. Buch, 52, 2.

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Das frühe Mittelalter umfasst in Mitteleuropa die Jahrhunderte zwischen der Zeit um 500 AD und dem 11. Jahrhundert. Innerhalb dieses Zeitraums verändert sich die Quellenlage einschneidend: Die schriftlichen, in der Regel lateinisch verfassten Quellen sind bis zum 8. Jahrhundert sehr selten und bleiben auch im übrigen Zeitraum auf bestimmte Kommunikationsbereiche beschränkt, wie z. B. Gesetze oder Urkunden. Keine Schriftquelle setzt sich dezidiert mit den Lebensbedingungen alter Menschen auseinander. Archäologische Quellen hingegen gibt es aus dem gesamten Zeitraum des Frühmittelalters in großer Zahl: Diese Überreste von Gräbern und Siedlungen geben Auskunft über damalige Lebensumstände. Aber auch hier ist im 8. Jahrhundert ein Wandel zu konstatieren: Bis ins 8. Jahrhundert wurden die Gräber in Mitteleuropa mit Grabbeigaben ausgestattet, die uns eine Fülle von Informationen über den Zeitpunkt der Grablege und den sozialen Status des Verstorbenen liefern. Ab dem frühen 8. Jahrhundert wird die Beigabensitte unter dem Einfluss des Christentums dann nach und nach aufgegeben. Danach erlauben auch die archäologischen Quellen kaum noch Aussagen zur Situation alter Menschen im Frühmittelalter. Es sind also in erster Linie die mit Beigaben ausgestatteten Gräber des 6. bis 8. Jahrhunderts, die uns den Schlüssel zur sozialen Stellung alter Menschen im Frühmittelalter liefern.

Abb. 1:  Heutige Assoziationen zum Thema „alte Menschen“ (Eva Stauch).

Alt werden im Frühmittelalter 

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Abb. 2:  Althochdeutsche Begriffe zur Lebenswelt alter Menschen (Eva Stauch).

Anhand dieses Quellenmaterials habe ich mich im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes mit der Frage nach der sozialen Definition des Alters im Frühmittelalter auseinandergesetzt (Stauch in Vorb.) und möchte im Folgenden einige Aspekte daraus vorstellen. Zunächst stand ich vor der Frage: Nach welchen Merkmalen wird ein Mensch von seinen Mitmenschen für alt befunden? Welche Merkmale bestimmen heute unsere Vorstellung von einem alten Menschen? Verschiedene eigene Assoziationen (Abb. 1) weisen darauf hin, dass es zumeist Merkmale sind aus den Bereichen Gesundheit und Ernährung, Kleidung und Äußeres, Verhaltensweisen und Tätigkeiten sowie Verwandtschaftsverhältnisse. Aber diese Vorstellungen entstammen unserer persönlichen – gegenwartsgebundenen – Prägung, der Zugang zu frühmittelalterlichen Vorstellungen und Denkweisen bleibt uns hingegen großenteils verschlossen: Nur die Begriffswelt der frühmittelalterlichen Sprache gibt uns einen zumindest kleinen Einblick in die Denkweise des frühen Mittelalters. In dem von mir gewählten Untersuchungsgebiet wurde damals althochdeutsch gesprochen und gedacht. In Abbildung 2 sind daher – basierend auf einer Recherche im Althochdeutschen Wörterbuch (Köbler 1994) – einige althochdeutsche Begriffe zusammengestellt, die einen Einblick in die Lebensumstände

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Eva Stauch

alter Menschen gewähren. Dabei lässt sich jedoch nur ein Teil jener Begriffe erfassen, die man im Frühmittelalter mit ‚alt‘ in Verbindung brachte; frei assoziierte Begriffe lassen sich selbstverständlich nicht erschließen. Kriterien für die Einstufung eines Menschen als ‚alt‘ könnten im Frühmittelalter also das Aussehen und der Gesundheitszustand gewesen sein, ebenso die Kleidung, Kenntnisse, Verhaltensweisen und Tätigkeiten, sowie Familienkonstellationen. Diese Themenbereiche dienten mir als Leitfaden, nach welchen Phänomenen ich im archäologischen Datenmaterial suchen musste. Während Wissen oder Verhalten für uns heute nicht mehr fassbar sind, können sich Aussehen, Tätigkeiten und körperliche Verfassung durchaus im archäologischen Befund der Gräber manifestieren. Doch wie sahen diese Gräber aus? In Mitteleuropa bestattete man die Toten damals auf dem Rücken liegend, häufig in einem Sarg oder einem Bett (Abb. 3). In einigen Landstrichen legte man zusätzlich große Holzkammern an. Ins Grab mitgegeben wurden Waffen, Utensilien und Textilien sowie Speisen und Getränke. Die Reste der eigentlichen Kleidung sind meist zerfallen, fast immer aber blieben die metallenen Trachtbestandteile erhalten, die die einzelnen Kleidungsstücke befestigten und drapierten (Abb. 4): Frauen trugen eine Art Broschen – die so genannten Fibeln –, deren Größe, Form und Trageweise sich Abb. 3:  Männergrab 374 des frühmittelaltermit der Zeit veränderten. Am lichen Reihengräberfeldes von Straubing. Der Gürtel befestigten sie lange Umriss des vergangenen Holzsarges ist als VerfärRiemen eines Gürtelgehänges mit bung erkennbar (Geisler 1998, CD-ROM BB374A). nützlichen Utensilien wie Messer, Schere und Kamm sowie anderen Anhängern. Ihre Strümpfe hielten sie mit langen gewickelten Bändern in Position. Männer trugen einen aufwändig gestalteten und mit Metallbesätzen beschlagenen Gürtel sowie evtl. einen zweiten Gurt für das Langschwert.

Alt werden im Frühmittelalter 

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Abb. 4: Idealtypische Darstellung wohlhabender Personen des 6. Jahrhunderts n. Chr. auf Basis von Grabfunden (von Welck/Wieczorek/Ament 1996: 912, Abb. 14 und 675, Abb. 541).

3. Datengrundlage, anthropologische Terminologie sowie anthropologische und demographische Ergebnisse Ich wollte nun überprüfen, ob die Art der Grabanlage und die Ausstattung mit Beigaben in irgendeiner Weise mit dem Lebensalter der Verstorbenen korrelieren. Hierfür wurden fast 1700  Erwachsenenbestattungen von vier Bestattungsplätzen in Süddeutschland (Abb. 5) in einer Datenbank erfasst, mit allen nur denkbaren archäologischen und anthropologischen Details (Stauch in Vorb. mit Nachweis). Unabdingbar für meine Fragestellung war außerdem eine möglichst genaue Bestimmung des Sterbealters durch die Prähistorische Anthropologie.2 Diese anthropologische Bestimmung des Sterbealters von Erwachsenen beruht auf charakteristischen altersabhängigen Veränderungen 2 Herzlicher Dank gebührt Prof. Dr. Gisela Grupe, Department Biologie I, Ludwig-Maximilians-Universität München, sowie Dr. Peter Schröter, Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München.

140 

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Eva Stauch

Abb. 5:  Die der Fallstudie zugrunde liegenden frühmittelalterlichen Reihengräberfelder (Eva Stauch).

sowie Abbauerscheinungen der Knochen (Szilvássy 1988) und bestimmt das osteologische Alter des Verstorbenen, welches mit dem kalendarischen Alter nicht notwendig übereinstimmen muss. Im Falle der Serie von Wenigumstadt konnten zur Absicherung und Präzisierung zusätzlich histologische Altersbestimmungen anhand der Zuwachsringe im Zahnzement herangezogen werden, eine Methode, die nach Angabe der Autoren (Grupe/Beilner 2002: 147) bei einer geeigneten Probe eine Bestimmungs-genauigkeit von plus/minus zwei bis drei Jahren erlaubt. Gerade die bei älteren Individuen etwas unsicherere morphologische Altersbestimmung konnte hierdurch verbessert werden. Die in der Anthropologie gebräuchliche Klassifikation der Lebensalter (Szilvássy 1988) verwendet für das Erwachsenenalter folgende Untergliederung (Abb.  6): Jüngere Erwachsene von Anfang 20 bis Ende 30 sind ‚adult‘. Zwischen dem 40.

Alt werden im Frühmittelalter 

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141

Abb. 6:  Anthropologische Unterteilungen des Erwachsenenalters nach Szilvássy 1988. Die rechts aufgeführten Kürzel werden in den folgenden Abbildungen verwendet: a = adult, m = matur, s = senil. Die Ziffern 1–3 bezeichnen dabei den frühen, mittleren oder späten Abschnitt innerhalb einer Altersstufe (Eva Stauch).

Abb. 7:  Bevölkerungspyramide des frühen Mittelalters im westlichen Süddeutschland (Kokkotidis 1999: 196, Abb. 78).

und dem 60. Lebensjahr ist man ‚matur‘, und Menschen ab 60 werden als ‚senil‘ bezeichnet. Bei guter Erhaltung des Skeletts kann oft sogar noch eine feinere Alterseinstufung vorgenommen werden. Selbstverständlich setzte sich die frühmittelalterliche Bevölkerung in Bezug auf das Alter anders zusammen als die heutige – sie war deutlich jünger (Abb. 7).

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Eva Stauch

Abb. 8:  Sterbealtersverteilung Erwachsener auf den vier untersuchten frühmittelalterlichen Gräberfeldern (n = 1685) (Eva Stauch).

Abb. 9:  Sterbealtersverteilung weiblicher Erwachsener (oben; n = 781) und männlicher Erwachsener (unten; n = 775) auf den vier untersuchten frühmittelalterlichen Gräberfeldern (Eva Stauch).

Alt werden im Frühmittelalter 

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143

Trotz gegenteiliger landläufiger Annahme gab es aber durchaus einen nennenswerten Anteil alter Menschen. In der von mir analysierten Serie (Abb. 8) erreichte immerhin ein Sechstel (16 Prozent) der Erwachsenen das senile Alter, wurde also älter als 60 Jahre. Dabei zeigen die unterschiedlichen Sterbekurven von Männern und Frauen (Abb. 9) deutlich das für präindustrielle Gesellschaften charakteristische geschlechtsdifferenzierte Sterberisiko: nämlich ein erhöhtes Sterberisiko für Frauen im gebärfähigen Alter (Abb. 9 oben) sowie eine höhere Chance für Männer, erst im maturen Alter zu sterben (Abb. 9 unten). Über die körperliche Verfassung und das körperliche Erscheinungsbild alter Menschen im frühen Mittelalter geben uns die archäologischen Quellen keine Auskunft, hier sind wir auf anthropologische Befunde und die zeitgenössische schriftliche Überlieferung angewiesen: Ein beträchtlicher Teil der Männer und Frauen litt ab der maturen Altersstufe an Knochenabbauerscheinungen und an Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule und der Gelenke. Überschritten diese degenerativen Veränderungen ein bestimmtes Maß oder trat ein entzündlicher Prozess hinzu, so konnten die Schmerzen und Versteifungser-scheinungen zu einer Gehbehinderung führen. Eine etwa 60-jährige Frau aus dem frühmittelalterlichen Schleitheim in der Schweiz beispielsweise (Abb.  10) litt unter starken arthrotischen Veränderungen und war gehbehindert. Eine ihrer Grabbeigaben war ein Stock aus Eschenholz, der ihr vermutlich als Gehhilfe gedient hatte. Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit als Charakteristikum hohen Alters sind zeitlos. In welchem Maße man sich auch im Frühmittelalter mit körperlicher Hinfälligkeit auseinandersetzen musste, bezeugen die zahlreichen Begriffe des Althochdeutschen zu diesem Themenfeld (vgl. Abb. 2). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass man pflegebedürftigen Menschen die nötige Hilfe vorenthielt. Vielmehr verrät der Sprachschatz, wie häufig man auch im Frühmittelalter bettlägerige Menschen versorgte: Mit bettiriso – also Abb. 10:  Grab 30 von Schleitwörtlich ‚Bettgreis‘ – besitzt das Althochdeutsche heim-Kirche: eine etwa 60-jährige gehbehinderte nämlich eine Bezeichnung, die deutlicher als un- Frau, die mit ihrem Stock sere neuhochdeutschen Worte auf die enge bestattet wurde (Burzler et al. Verknüpfung von ‚alt‘ und ‚bettlägerig‘ verweist. 2002: 219, Abb. o. Nr.).

144 

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Eva Stauch

4. Der Aspekt altersabhängiger Beigaben: Frauen In welchen Bereichen sich die alltägliche Lebenswelt alter Menschen von jener der übrigen Bevölkerungsgruppen unterschied, zeigt in erster Linie die Auswahl der den Toten beigegebenen Gegenstände: Trachtbestandteile und ihre Fundlage im Grab geben Hinweise auf das Aussehen und damit vielleicht auch auf das Selbstwertgefühl alter Leute: Trugen ältere Frauen beispielsweise eine bescheidenere, reduzierte Tracht? Welche Waffenausstattung verblieb einem alten Mann? Und worin bestand die tägliche Arbeit alter Leute im Frühmittelalter? Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich anhand einiger ausgewählter Beispiele die Altersabhängigkeit bestimmter Grabbeigabentypen herausarbeiten. Für jeden Altersabschnitt habe ich hierzu den Prozentsatz der mit diesem Beigabentyp ausgestatteten Gräber ermittelt und in Form eines Diagramms aufgetragen (vgl. Abb. 11). Prinzipiell scheint es im Frühmittelalter für eine Frau jeden Alters möglich gewesen zu sein, Schmuck zu tragen; denn Ohrringschmuck (Abb. 11 oben) oder Halsschmuck (Abb. 11 unten) wurden bei Frauen jeden Alters gefunden. Dabei gibt es jedoch bemerkenswerte Unterschiede: Ganz eindeutig trugen nämlich alte Frauen seltener Ohrringe und Halsschmuck als jüngere Frauen, was sich am deutlichen Absinken der beiden Häufigkeitskurven (Abb. 11) nach rechts hin zeigt. Andere Schmucktypen wurden sogar ausschließlich von jungen Frauen getragen, wie z. B. Fingerringe (Abb. 12 oben) und besonders aufwändige Ohrringvarianten (Abb.  12 unten). Hinsichtlich des Tragens von Schmuck – und darunter verstehe ich Ohrringe, Armringe, Fingerringe und Halsschmuck – zeichnet sich also deutlich ab, dass Frauen mit zunehmendem Lebensalter auf das Tragen bestimmter Schmucktypen verzichteten. Dieser Befund koinzidiert mit den Ergebnissen der Untersuchung der Herstellungsmaterialien dieser Schmuckstücke (Abb. 13): Auch hier bleiben beispielsweise die kostbarsten goldenen Ohrringe auf die adulten Altersabschnitte, also junge Frauen beschränkt. Selbst die goldglänzenden Bronzeohrringe fanden sich in der adulten Altersstufe in weit mehr als der Hälfte der Gräber, während sie in den Gräbern alter Frauen unter 30 Prozent bleiben. Das dezentere Fertigungsmaterial Silber nimmt dagegen mit zunehmendem Alter der Frauen einen immer größeren Anteil ein. Ähnliches zeichnet sich bei den Armringen ab. Tendenziell scheinen jüngere Frauen demnach goldenen oder zumindest goldglänzenden Ringschmuck getragen zu haben, ältere Frauen hingegen eher silbernen Ringschmuck (ausführlich Stauch 2008). Wadenbinden gewährleisteten einen straffen Sitz der Strümpfe oder Wadenwickel (vgl. Abb. 4); von ihnen finden wir erhaltungsbedingt nur die metallenen Verschlussgarnituren. In Bezug auf das Lebensalter der Trägerinnen

Alt werden im Frühmittelalter 

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145

Abb. 11:  Verteilung der Frauengräber mit Ohrringen (oben) und Halsschmuck (unten) auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

zeigt sich wieder das bekannte Bild: Der Anteil der Frauen mit metallverzierter Wadenbindengarnitur sinkt mit steigendem Lebensalter. Sehr markant zeichnet sich darüber hinaus auch eine altersdifferenzierte Trageweise ab (Abb.  14): Lagen die metallenen Besatzstücke in den Gräbern adulter Frauen überwiegend in Knie- und Wadenhöhe, so blieben sie bei Frauen über 40 auf Knöchelhöhe beschränkt. Wahrscheinlich trugen ältere Frauen lange Röcke und verzichteten daher auf die schmückenden Beschläge in Wadenhöhe. Alle bisher behandelten Schmuck- und Trachtbestandteile wurden von älteren und alten Frauen also deutlich seltener getragen als von jungen. Es gibt nur eine einzige, dafür aber umso interessantere Ausnahme: die Fibeln, mit denen die Frauen ihre Kleidung verschlossen bzw. drapierten. Bügelfibeln, Vogelfibeln und so genannte S-Fibeln nämlich fanden sich – abweichend

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Eva Stauch

Abb. 12:  Verteilung der Frauengräber mit Fingerringen (oben) und aufwändigen Ohrringvarianten (unten) auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

vom bisher gewohnten Bild – vermehrt in den Gräbern von Frauen ab 60 Jahren (Abb. 15); bei allen drei Fibeltypen liegt das Maximum der Kurve jeweils im mittel- und spätsenilen Altersabschnitt! Eine solche Altersverteilung mit einem eindeutigen Schwerpunkt im hohen Alter hat kein einziger weiterer Bestandteil der weiblichen Schmuck- und Trachtausstattung. Bemerkenswert ist, dass bei den drei Fibeltypen auch nahezu keine Abhängigkeit der Fertigungsmaterialien vom Alter der Trägerin besteht. Dies spricht meines Erachtens dafür, dass Fibeln stärker einem verbindlichen Materialkodex unterworfen waren als sonstige Schmuck- und Trachtaccessoires. Ein solcher Materialkodex wäre vor allem dann sinnvoll, wenn mit seiner Hilfe soziale Informationen wie beispielsweise der gesellschaftliche Status optisch dargestellt werden sollten.

Alt werden im Frühmittelalter 

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147

Anteil von Materialien je Altersabschnitt: Ohrringe (n=115)

100% 90% 80%

Gold

79%

Silber

60%

Bronze

50% 40% 30% 20% 10% 0% a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Abb. 13:  Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien in Frauengräbern je Altersabschnitt: Ohrringe (n = 115) (Eva Stauch).

Abb. 14:  Lage von Wadenbindengarnituren in ungestörten Frauenbestattungen (n = 34), links adultes Alter und rechts matures Alter. Das Maximum eines Vorkommens wird als Schwarz dargestellt, das Minimum eines Vorkommens als Weiß; dazwischen liegende Werte werden ihrer Höhe entsprechend durch unterschiedliche Grauwerte wiedergegeben (Eva Stauch).

148 

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Eva Stauch

Prozent eines Altersabschnitts

Anteil von Frauen mit Bügelfibeln (n=50) an Beigaben führenden Frauenbestattungen (n=644)

15

10

5

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Prozent eines Altersabschnitts

Anteil von Frauen mit Vogelfibel (n=29) an Beigaben führenden Frauenbestattungen (n=644) nach Altersabschnitten

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Prozent eines Altersabschnitts

Anteil von Frauen mit S-Fibel (n=31) an Beigaben führenden Frauenbestattungen (n=644) nach Altersabschnitten

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0

a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Abb. 15:  Verteilung der Frauengräber mit Bügelfibeln (oben), Vogelfibeln (Mitte) und S-Fibeln (unten) auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

Alt werden im Frühmittelalter 

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149

Anteil von Frauen mit Flachsbreche (n=5) oder Webschwert (n=2) an Beigaben führenden Frauenbestattungen (n=644) je Altersabschnitt

Prozent eines Altersabschnitts

5

4

3

2

1

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Anteil von Frauen mit Spinngerät (n=43) an Beigaben führenden Frauenbestattungen (n=644) je Altersabschnitt

Prozent eines Altersabschnitts

15

10

5

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Abb. 16:  Verteilung der Frauengräber mit Flachsbrechen oder Webschwertern (oben) und Spinnwirteln (unten) auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

Als letztes Beispiel für Beigaben aus Frauengräbern möchte ich die Gerätschaften zur Textilverarbeitung (Abb.  16) herausgreifen, da sich hier altersspezifische Arbeiten abzeichnen: Webschwerter und Flachsbrechen (Abb. 16 oben) blieben in den von mir untersuchten Gräbern auf die adulten und maturen Altersabschnitte beschränkt. Die Altersverteilung der mit einem

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Eva Stauch

Spinnwirtel ausgestatteten Frauen (Abb. 16 unten) unterscheidet sich hiervon deutlich: Hier steigt der Anteil im spätmaturen und frühsenilen Altersabschnitt markant an und fällt dann erst im spätsenilen Alter wieder auf einen leicht unterdurchschnittlichen Wert. Interpretiert man die Beigabe eines Wirtels als Hinweis auf eine noch bis kurz vor dem Tod ausgeführte Tätigkeit, so widmeten sich Frauen zwischen 50 und 70 häufiger dem Spinnen als in jüngeren Jahren.

5. Der Aspekt altersabhängiger Beigaben: Männer In den Männergräbern sind die Waffen das wohl kennzeichnendste Merkmal der Beigabenausstattung. Immer wieder war es daher gerade die Bewaffnung, anhand derer man eine vertikale Schichtung der frühmittelalterlichen Gesellschaft herauszuarbeiten versuchte. Die Beigabe eines zweischneidigen Langschwerts (Spatha) – so nahm man an – indiziere die Zugehörigkeit eines Mannes zu einer gehobenen Schicht; die Vertreter einer niedrigeren gesellschaftlichen Schicht hätten sich mit dem einschneidigen Kurzschwert (Sax) begnügen müssen. Doch wir wollen sehen, wie sich die Altersverteilung der Schwerttypen zu diesen Annahmen verhält. Bei beiden Waffengattungen springt eine deutliche Abhängigkeit vom Lebensalter ins Auge (Abb. 17): Der Anteil von Männern mit Spatha (Abb.  17 oben) erreicht in den senilen Altersabschnitten kaum die Hälfte des vorherigen Wertes. Der wesentliche Einschnitt liegt am Übergang vom spätmaturen zum frühsenilen Alter, also um das 60.  Lebensjahr. Der Kurvenverlauf zur Altersverteilung der Saxe (Abb. 17 unten) ähnelt überraschend klar dem der Spathen, auch wenn sich die Werte im Einzelnen unterscheiden: Die Zäsur um das 60. Lebensjahr fällt sogar noch krasser aus: Der Anteil der Saxträger reduziert sich hier sogar um zwei Drittel! Bei einer ganzen Reihe anderer Waffengattungen ergibt sich nahezu dasselbe Bild: ein maximales Vorkommen im adulten oder maturen Lebensabschnitt und ein mehr oder weniger schnelles Absinken zur senilen Altersstufe hin. Einen kleinen Einblick in männliches Renommierverhalten gewährt uns die Analyse der Gürteltracht: Hauptbestandteil der frühmittelalterlichen Männertracht war der Gürtel, der wohl eine oberschenkellange Tunika in der Taille gürtete (vgl. Abb. 4). 77 Prozent aller Männer trugen einen solchen Leibgurt, und zwar völlig unabhängig vom Lebensalter. Ein Schwertgurt hingegen wurde nur von Spathaträgern benutzt, sodass auch die Altersverteilung der Schwertgurte jener der Spathen weitgehend entspricht. Beide Gürteltypen entwickelten sich im Lauf der Zeit zum Kristallisationspunkt des männlichen Prunkbedürfnisses – immer breitere und aufwändigere Schnallenbeschläge

Alt werden im Frühmittelalter 

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151

Anteil von ungestörten Männergräbern mit Spatha (n=93) an ungestörten Beigaben führenden Männerbestattungen (n=522) nach Altersabschnitten

Prozent eines Altersabschnitts

25

20

15

10

5

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Anteil von ungestörten Männergräbern mit Sax (n=199) an ungestörten Beigaben führenden Männerbestattungen (n=522) nach Altersabschnitten

Prozent eines Altersabschnitts

50

40

30

20

10

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Abb. 17:  Verteilung der ungestörten Männergräber mit zweischneidigem Langschwert (Spatha) (oben) und einschneidigem Kurzschwert (Sax) (unten) auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3. (Eva Stauch)

schmückten die Lederriemen. Dabei zeigt sich bei der Gestaltung der Garnituren eine deutliche Abhängigkeit vom Alter der Verstorbenen. Bei den Leibgurten (Abb. 18 oben) geht mit steigendem Sterbealter der Anteil von Bronzebeschlägen zu Gunsten eiserner Exemplare zurück. Bronzene Schwertgurte gar (Abb. 18 unten) wurden ausschließlich von Männern adulten oder

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Eva Stauch

Anteil von Fertigungsmaterialien bei Leibgurtbeschlägen aus Männerbestattungen (n=531 Garnituren) nach Altersabschnitten 100%

Prozent

90% 80%



70%





60%

Bergkristall Silber vergoldet Bronze vergoldet





50% 40% 30%





20% 10%

Bronze Weißmetall Bronze versilbert Silber Eisen

0% a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Altersabschnitte

Anteil von Fertigungsmaterialien bei Schwertgurtbeschlägen (n=67 Garnituren) nach Altersabschnitten

100%

Silber

Prozent

vergoldet

80%



60%







Bronze





40%

20%

Eisen

0% a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Altersabschnitte

Abb. 18:  Leibgurtbeschläge (oben) und Schwertgurtbeschläge (unten) in Männergräbern: Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien in den anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

maturen Alters getragen, wobei ihr Anteil bei 30- bis 60-jährigen Männern besonders hoch ist. Männer, die erst im senilen Alter verstarben, besaßen – wenn überhaupt – nur eiserne Schwertgurtbeschläge. Im Lauf des Lebens war aber offenbar auch das Verhältnis zwischen verzierten und unverzierten Gürtelbe-

Alt werden im Frühmittelalter 

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153

Verhältnis von verzierten zu unverzierten Leibgurtbeschlägen nach Altersabschnitten unverziert



verziert

100%

80%

60%

40%

20%

0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Verhältnis von verzierten zu unverzierten Schwertgurtbeschlägen nach Altersabschnitten unverziert



verziert

100% 80% 60% 40% 20% 0 a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Abb. 19:  Leibgurtbeschläge (oben; n = 531 Garnituren) und Schwertgurtbeschläge (unten; n = 67 Garnituren) in Männergräbern: Verhältnis von verzierten zu unverzierten Gürtelbeschlägen in den anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 (Eva Stauch).

standteilen einem Wandel unterworfen (Abb. 19). Die Vorliebe für verzierte Beschläge scheint nämlich in der maturen Altersstufe besonders ausgeprägt: Hier tragen 70 bis 100 Prozent aller Beschläge Verzierungen. Entweder war man gerade zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf einen möglichst reprä-

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Eva Stauch

sentativen Gürtel bedacht oder man hatte in diesem Lebensabschnitt die besten Chancen auf den sozialen Status, diesen tragen zu dürfen.

6. Interpretation der Ergebnisse Um es zusammenzufassen: Nicht nur für das Schmuck- und Trachtensemble der Frau, sondern auch für die Tracht- und Waffenausstattung der Männer und die Verwendung von Edelmetallen zeigte sich in der Analyse eine signifikante Abhängigkeit vom Sterbealter der Bestatteten. Damit steht fest, dass die Beigabenausstattung eines frühmittelalterlichen Grabes ganz eindeutig vom Alter des Verstorbenen abhängig ist. Gerade die Schmuck- und Waffenausstattung und das Vorhandensein von Gold wurden aber in der bisherigen Forschung als Kriterium für die Stellung des bzw. der Verstorbenen innerhalb der vertikalen gesellschaftlichen Schichtung gewertet. Wenn jedoch eine so enge Abhängigkeit der Beigabenausstattung vom Sterbealter besteht, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit diesem Denkmodell. Es wird deutlich, dass die Sozialstruktur einer Gesellschaft ein mehrdimensionales System ist, in dem die horizontale Gliederung nach Alter, nach Geschlecht, aber auch nach anderen Faktoren die vertikale Hierarchie überlagert. Andererseits ist aber auch zu fragen: Wenn wir eine so klare Altersabhängigkeit der beigegebenen Gegenstände und Trachtbestandteile haben, sollte es dann nicht möglich sein, etwas über Phasen im Leben eines frühmittelalterlichen Menschen zu erfahren? Hierzu habe ich nach Beigabentypen gesucht, die hinsichtlich ihrer Altersverteilung einen ähnlichen Kurvenverlauf aufweisen, also beispielsweise nach Beigabentypen mit einem Maximum im adulten Lebensabschnitt. Die Art dieser von einer Altersklasse bevorzugten Beigaben verrät uns nämlich etwas über die frühmittelalterliche Einschätzung. Die Einzelergebnisse zur Beigabenausstattung von Frauen und Männern werden zur Visualisierung in jeweils drei Sammeldiagrammen zusammengefasst (Abb. 20; 22), wobei die Altersverteilung der untersuchten Ausstattungselemente nach dem jeweiligen Kurvenmaximum sortiert wurde. Zum Verständnis dieser Diagrammdarstellungen sind folgende Vorbemerkungen nötig: Für eine gemeinsame Projektion verschiedener Kurven in einem Sammeldiagramm musste ein Weg gefunden werden, die unterschiedliche Skalierung der y-Achse vergleichbar zu machen. Das Minimum jeder Kurve setzte ich daher gleich Null, das Maximum der Kurve gleich Eins. So blieb auch bei veränderter Skalierung der Verlauf der Kurve erhalten. Als Darstellungsform wählte ich den Typ des Banddiagramms (Schröder 1985, 94f.): Hier hat nur die unterste Kurve die

Alt werden im Frühmittelalter 

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Nulllinie als Basis, weitere Kurven sind darüber gestapelt, ohne dadurch jedoch den Charakter ihres eigenen Kurvenverlaufs zu verlieren.

6.1 Analyse des Lebenszyklus der Frauen Im oberen Sammeldiagramm auf Abbildung 20 sind nun all jene Beigabentypen aus Frauengräbern zusammengefasst, deren Kurvenverlauf ein Maximum im adulten Lebensabschnitt hat. Weibliche Beigaben mit einem maximalen Vorkommen in den maturen Lebensabschnitten sind im mittleren Sammeldiagramm auf Abbildung  20 zusammengefasst. Zuletzt wurden dann Trachtelemente und Gerätschaften mit einem maximalen Vorkommen in den senilen Lebensabschnitten im unteren Sammeldiagramm auf Abbildung 20 vereinigt. So zeichnet sich z. B. deutlich ab, dass junge Frauen bis Anfang 30 nicht nur die reichhaltigste, sondern auch die auffälligste Schmuckausstattung besaßen (Abb. 20 oben). Ganz bewusst bevorzugten sie dabei solche Schmucktypen, die das Dekolleté, die Unterarme und Hände sowie die bestrumpften Beine betonten, nämlich Halsketten, Armringe, Fingerringe und Strumpfbänder. Auch die besonders auffälligen Varianten der Gürtelgehänge wurden ganz überwiegend von jungen Frauen getragen. Offenbar schätzten gerade sie diese metallglänzenden, klimpernden und mit Anhängern reich geschmückten Gehängevarianten besonders. Die Auswahl der Schmuck- und Trachtbestandteile junger Frauen bis zum vierten Lebensjahrzehnt verrät also den Wunsch, Aufmerksamkeit zu erregen und körperliche Reize zur Geltung zu bringen. Der steile Einbruch der meisten Kurven zwischen dem mittel- und spätadulten Altersabschnitt lässt dabei vermuten, dass dieser Lebensabschnitt ab Anfang 30 langsam, aber unwiderruflich zu Ende ging. Mit dem frühmaturen Altersabschnitt (Abb. 20 Mitte), also etwa ab Ende 30, treten dann Trachtelemente mit verhüllender Funktion in der Vordergrund: Die Nadel nämlich, die als Schleierbefestigung diente, und bestimmte Kleinfibeln, die am Hals einen leichten Umhang verschlossen. Schleier und Umhang waren also etwas, was zur Vorstellung von einer Frau zwischen 40 und 60 Jahren besonders gut passte. Als Gürtelgehänge bevorzugten Frauen zwischen 40 und 60 den einfachen, schmucklosen Typ, dessen vornehmliche Aufgabe in der Befestigung nützlicher Gerätschaften bestand: Gerade Messer und Schere fanden sich überproportional häufig, ebenso verschiedene Gegenstände, die eine Funktion in Zusammenhang mit repräsentativen Aufgaben bei Tisch hatten. Diese Betonung häuslicher Tätigkeiten repräsentativen Charakters zusammen mit der eher verhüllenden Funktion der bevorzugten Trachtelemente deuten darauf hin, dass für eine Frau im Alter zwischen 40

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Eva Stauch

Von adulten Frauen bevorzugte Schmuck- und Trachtelemente sowie Gerätschaften

„Flachsbreche“

Ring-Gürtelgehänge Ziergehänge Armringe Münzanhänger Halsschmuck Körbchenohrringe Goldscheibenfibel Kettengehänge Fingerringe

Altersabschnitte Von maturen Frauen bevorzugte Schmuck- und Trachtelemente sowie Gerätschaften



Schere

Messer Schleiernadel

einfache Gehänge

Ohrringe Plättchenbesatz Almandin scheibenfibel

Altersabschnitte Von senilen Frauen bevorzugte Schmuck- und Trachtelemente sowie Gerätschaften

Spinn wirtel Bügel fibel S-Fibel Vogel fibel

Altersabschnitte

Abb. 20:  Sammeldiagramme zur Verteilung von Beigabentypen auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 in Frauengräbern: Schmuck- und Trachtelemente sowie Gerätschaften, die von adulten (oben), maturen (Mitte) und senilen (unten) Frauen bevorzugt wurden (Eva Stauch).

Alt werden im Frühmittelalter 

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und 60  Jahren die führende Rolle im häuslichen Bereich eine wichtige Bedeutung hatte und entsprechend hervorgehoben wurde. Die Veränderung im weiblichen Beigabeninventar um das 60. Lebensjahr (Abb. 20 unten) ist zum einen gekennzeichnet durch das Abbrechen fast aller Schmucktypen mit Ausnahme der Ohrringe und des – nun allerdings reduzierten – Halsschmucks. Zum anderen treten zwei Elemente in den Vordergrund, die ein Licht auf den Aufgabenbereich sowie das Ansehen und Selbstverständnis alter Frauen werfen: Von allen weiblichen Gerätschaften weisen allein die Spinnwirtel ein maximales Vorkommen in der frühsenilen Altersstufe auf. Ab dem sechsten, vor allem aber im siebten Lebensjahrzehnt war das Spinnen offenbar die Tätigkeit, mit der auch eine alte Frau noch Entscheidendes zum Hauswesen beitragen konnte. Als einzige weibliche Trachtbestandteile besitzen die Fibeln einen maximalen Anteil in den senilen Altersabschnitten. Vereinigt man die Kurven sämtlicher Beigabentypen zu einem gemeinsamen Diagramm (Abb.  21, Tafelteil), so werden die soeben beschriebenen Trendwenden im weiblichen Lebenslauf durch zwei markante Einschnitte markiert: der erste Einschnitt im spätadulten Altersabschnitt (a3), also zwischen dem 33. und dem 39. Lebensjahr (Abb. 21, schwarzer Pfeil), der zweite – noch markantere – Einschnitt dann im frühsenilen Altersabschnitt, also bei etwa 60 Jahren (Abb. 21, grauer Pfeil). Ganz klar zeichnet sich also ab, dass Frauen in den späten 30ern einen Rollenwechsel zu gewärtigen hatten, nach dem sie vor den Mitmenschen und vielleicht auch vor sich selbst als ‚nicht mehr jung‘ galten. Die zweite Trendwende darf ganz sicher als jene Grenze interpretiert werden, jenseits derer man eindeutig ‚alt‘ war.

6.2 Analyse des Lebenszyklus der Männer In gleicher Weise wie bei den Frauengräbern habe ich auch die Ausstattungselemente der Männergräber analysiert und zu drei Sammeldiagrammen gruppiert (Abb. 22). Auch hier ließen sich Beigabentypen und Ausstattungsmuster herausarbeiten, die sich überproportional häufig in den Gräbern von adulten Männern fanden (Abb. 22 oben), solche die von maturen Männern bevorzugt wurden (Abb.  22 Mitte), und solche, die überproportional häufig in den Gräbern seniler Männer lagen (Abb. 22 unten). Unter den jungen Männern bis Anfang 30 (Abb. 22 oben) fand sich der höchste Anteil waffentragender Männer. Ihre Waffenausstattung ist geprägt durch die Fernwaffen Lanze, Pfeil und Bogen sowie die im Frühmittelalter als Wurfwaffe verwendete Axt. Beliebteste Nahwaffe war in diesem Alter der Sax, ein einschneidiges Kurzschwert, das jederzeit griffbereit war und somit auch bei

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Eva Stauch

privaten Auseinandersetzungen benutzt werden konnte. Dass nicht nur junge Frauen, sondern auch junge Männer einen Hang zu auffälligen Trachtelementen hatten, zeigt ein bei jungen Männern besonders beliebter Gürteltyp: Von diesen so genannten vielteiligen Gürteln baumelten zahlreiche glitzernde und klimpernde Nebenriemchen herab. Um die 40 treten in den Gräbern der Männer dann Ausrüstungsgegenstände in den Vordergrund (Abb. 22 Mitte), die wie keine anderen in der Lage waren, Status und Macht zu demonstrieren. Anfang 40 standen Männer offenbar auf dem Gipfel ihres gesellschaftlichen Ansehens: Zaumzeug, Sattel und Sporn zeigen, dass sich unter den Männern dieses Alters der höchste Anteil von Reitern befand. Mit drei bis vier Waffen erreicht die Waffenausstattung nun den höchsten Grad der Vollständigkeit. Auch der hohe Anteil verzierter Gürtel veranschaulicht das Prestige und Standesbewusstsein der Männer Anfang 40. Viele dieser Ausstattungsmerkmale bleiben bis in den spätmaturen Altersabschnitt dominant. Spätestens Ende 50 aber endeten ‚die besten Jahre‘ eines Mannes. Um das 60. Lebensjahr (Abb. 22 unten) ist bei sämtlichen prestigeträchtigen Ausstattungselementen ein merklicher Rückgang zu konstatieren: Die von alten Männern bevorzugten Gürteltypen sind dann auffallend schlicht. Vereinigt man die Kurven aller männlichen Beigabenmerkmale in einem gemeinsamen Diagramm (Abb. 23, Tafelteil), so wird die zuletzt beschriebene Trendwende im männlichen Lebenslauf durch einen drastischen Einbruch an der Wende vom spätmaturen zum frühsenilen Altersabschnitt, also um das 60. Lebensjahr markiert (Abb. 23, schwarzer Pfeil). Ein Vergleich der beiden Sammeldiagramme (Abb. 21; 23) macht die frappierenden Unterschiede zwischen Mann und Frau augenfällig. In gewissem Sinne, so glaube ich, fasst man hier männliche und weibliche Lebensläufe aus dem Frühmittelalter. Der weibliche Lebensverlauf scheint dabei gekennzeichnet durch zwei Einbrüche und Rollenwechsel im Laufe des vierten bis sechsten Lebensjahrzehnts. Nach dem 60.  Lebensjahr ist jedoch so etwas wie eine Konsolidierung zu beobachten. Männer hingegen stehen zwischen dem 40. und 46. Lebensjahr auf dem Gipfel ihres sozialen Ansehens; auch danach ist bis zum sechsten Lebensjahrzehnt kein merklicher Rollenwechsel erkennbar. Der männliche Lebenslauf kennt nur einen einzigen, dafür umso dramatischeren Einbruch um das 60. Lebensjahr. Dieser einschneidende Wandel ist gekennzeichnet durch den Abbruch fast aller positiv konnotierten Beigaben und kann nur durch einen merklichen Bedeutungsverlust der Männer bedingt sein. Dass dieser Bedeutungsverlust gleichzeitig mit einem Achtungsverlust einherging, steht zu vermuten.

Alt werden im Frühmittelalter

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159

Von adulten Männern bevorzugte Waffen und Trachtelemente

5 Waffen 2 Waffen

1 Waffe Pfeil Lanze Axt Sax Waffen vorhand Gürtel vielteilig

0

a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Altersabschnitte

Von maturen Männern bevorzugte Waffen und Trachtelemente

Schwertgurt verziert

Leibgurt verziert 4 Waffen 3 Waffen Schild Spatha Schwertgurt Gürtel mehrteilig Sporn 0

a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

Sattel/Zaumzeug

s3

Altersabschnitte

Von senilen Männern bevorzugte Waffen und Trachtelemente

Gürtel dreiteilig Gürtel einfach

0

a1

a2

a3

m1

m2

m3

s1

s2

s3

Altersabschnitte

Abb. 22: Sammeldiagramme zur Verteilung von Beigabentypen auf die anthropologischen Altersstufen a1 bis s3 in Männergräbern: Waffen und Trachtelemente die von adulten (oben), maturen (Mitte) und senilen (unten) Männern bevorzugt wurden (Eva Stauch).

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Eva Stauch

7. Schlussbemerkung Obgleich ich am Anfang meines Forschungsprojektes nur im Sinn hatte, die Situation alter Menschen zu erforschen, ist dabei so etwas wie eine archäologische Lebenslaufforschung entstanden. Die dabei entwickelten Analysemethoden gewähren uns einen Zugang zu Verhaltensweisen, zu sozialen Wertvorstellungen und zum Selbstverständnis der Menschen für jene Epochen, in denen der Mangel an schriftlichen Hinterlassenschaften solche Aussagen bislang nicht zuließ. Wenn die Archäologie bei der gemeinsamen Analyse archäologischer und anthropologischer Daten zu solchen Erkenntnissen gelangen kann, so stehen ihr neue Möglichkeiten offen, die sich in ihrer Tragweite noch nicht abschätzen lassen.

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Alt werden im Frühmittelalter 

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Die ‚Erfindung‘ des Alters (13. bis beginnendes 16. Jahrhundert) Gabriela Signori Usually the emergence of the aged people as a distinctive social group has been set within the beginning of the 18th century, an assumption that doesn’t really count for the rather complex development of the history of aging.  This history doesn’t display as a straight line developing directly to modernity, but it is rather a curved one partially breaking up with incisive demographic change correlating. One of those incisions is the 15th century since by a shift of nutritional habits a significant increase of aged people occurred. Die Geburtsstunde des alten Menschen wird in der Geschichtsforschung gerne mit dem 18. Jahrhundert eingeläutet. Diese Einschätzung wird der komplexen Vorgeschichte des Alters nicht gerecht. Sie nämlich verläuft nicht in linearen Bahnen in Richtung Moderne, sondern bewegt sich in Wellen durch die Jahrhunderte, unter anderem in Korrelation mit einschneidenden demographischen Veränderungen. Einen solchen Einschnitt stellt das 15. Jahrhundert dar, in dem es unter anderem auf Grund veränderter Nahrungsgewohnheiten so viele alte Menschen gab wie selten zuvor.

Am 2.  Mai 1435 erschienen 23 Männer, die zwischen 36 und 90  Jahre alt waren, vor dem Offizial des bischöflichen Hofes zu Basel. Als Augenzeugen sollten sie helfen, die Grenzen zwischen Basel und dem an die Stadt angrenzenden Dorf Münchenstein zu bestimmen. Solche Zeugenverhöre – Kundschaften in zeitgenössischer Begrifflichkeit – waren das Fundament der spätmittelalterlichen Rechtsfindung (Madero 1999). Ihrer bediente sich seit dem 13. Jahrhundert auch immer häufiger die Obrigkeit, Städte wie Fürsten, um für sie zentrale Herrschaftsfragen zu klären. Und dazu zählte auch die Festlegung von Grenzen zwischen den verschiedenen Herrschaftsbereichen (Grava 1983; Teuscher 2009). Seiner Autorität als Schultheiß entsprechend wurde als erster der 66-jährige Engelfried Scherer vernommen (Tremp-Utz 1986). Auf ihn folgten der Rebmann Hugli Schlatter, 36 Jahre alt, und die Bauleute Cůni Bamnach, 50, Peter Christen, 40, und Konrad von Oberwil, 70 Jahre alt (Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 6, Nr. 364: 377–383).

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Gabriela Signori

Tabelle 1: Altersstruktur der Basler Kundschaft vom 2. Mai 1435 (Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 6, Nr. 364: 377–383). 30–40

40–50

50–60

60–70

70–80

80–90

1

4

9

5

3

1

Jahre alt Anzahl der Personen

Wie Bamnach waren die meisten Zeugen zwischen 50 und 60 Jahren alt, neun von ihnen waren älter, fünf jünger (Tab. 1). Von den neun über 50-Jährigen gaben drei zu Protokoll, um die 70 Jahre alt zu sein. Der Karrer Růdi Scholle meinte sogar, er sei um die 90. Auch von einem 100-Jährigen namens Lúti Graf aus Münchenstein ist die Rede. Seinen Namen brachte der 60-jährige Müller Henni Leimer ins Spiel: Item Henny Leymer, ein muller ze Basel, hat gesworn in dirr sach, ist by sechczig jaren alt und me, ist gefragt und hat geseit, wie das er dick [oft] und vil gehoert habe und hortte von einem von Munchenstein, hiesse Lúti Graff, was by hundert jaren alt oder daby, und ouch sussz von sinen vordern und den eltern, die sprechent, die herschafft von Múnchenstein hant nit verrer [weiter] ze schaffend, denn bisz uff den sarbom [Pappel] in dem Boden als die stein stand [...].1

Das Resultat der Kundschaft braucht uns hier nicht weiter zu kümmern. Uns interessiert allein die auf den ersten Blick befremdliche Häufung alter Menschen. 50, 60, 70, 90 oder 100 – das sind selbstverständlich Schätzwerte, keine präzisen Altersangaben. Wie alt sie genau waren, das wussten im Spätmittelalter die wenigsten Menschen (Esch 1973; Roger 1974; Tremp-Utz 1986; Poulle 1992; Bedell 1997). Um Altersfragen ging es in diesem Fall ohnedies nicht. Interessiert war das bischöfliche Gericht ausschließlich am Erinnerungsvermögen der Zeugen. Und dieses Erinnerungsvermögen, glaubte man, reiche je weiter zurück, je älter die Zeugen seien. Kurz, man war der Auffassung, alte Menschen seien so etwas wie „lebendige Archive“ (Algazi 1998). Sieben Zeugen gaben an, sich an Begebenheiten zu erinnern, die sich vor 20 Jahren ereignet hatten, 13 an solche, die bis zu 40 Jahre zurücklagen. Genau dies hatte das Gericht von ihnen ja auch erwartet!

Zahlen Alte Menschen wurden vornehmlich dann als Zeitzeugen befragt, wenn es darum ging, die ‚geschichtlichen‘ Dimensionen eines Problems zu begreifen. Und solche weit in die Vergangenheit zurückweisenden Fragen gab es reichlich 1 Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 6, Nr. 364: 380.

Die ,Erfindung‘ des Alters 

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in einer Zeit, in der man selbst Herrschaftsrelevantes noch nicht automatisch schriftlich fixierte. Demographische Fragen allerdings, konkret die Frage, wie viele über 60-Jährige es im späten Mittelalter tatsächlich gab, erlauben die Kundschaften selbstverständlich nicht zu beantworten. Wollen wir wissen, wie viele alte Menschen es im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen waren, müssen wir auf anderes Quellenmaterial ausweichen. Dem ob seiner Genauigkeit oft zitierten catasto (Steuerregister) zufolge war im Jahr 1427 rund ein Viertel der Florentiner Bevölkerung (Stadt und Contado) über 60 Jahre alt (Herlihy/ Klapisch-Zuber 1978: 371 u. 374f.).2 Tabelle 2: Spätmittelalterliche Zensus-Daten (nach Russel 1990: 123). Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung Ort/Region

Jahr

Männer

Frauen

beides

FrankreichReims

1422

6.3

5.2

5.8

Pozzuoli

1489

8.5

12.1

10.3

Florenz

1427

Pistoia

Stadt

18.9

23.9

Land

23.2

26.0

25.1

23.9

Zu ähnlichen Zahlen gelangt Herlihy für die norditalienischen Städte Verona und Pistoia (Herlihy 1969: 85–93). Die Prozentzahlen unterschieden sich nur geringfügig von den ‚modernen‘, beobachten Herlihy und Klapisch-Zuber (1978: 371). Unklar ist allerdings, ob bzw. inwiefern sich ihre Befunde verallgemeinern lassen. Vergleichbar präzises Datenmaterial fehlt nämlich für die Städte nördlich der Alpen. 3 Sicher ist mit teilweise erheblichen regionalen Schwankungen zu rechnen. Die markanten Unterschiede zwischen Florenz, Reims (Desportes 1966) und dem süditalienischen Pozzuoli (Beloch 1937: 29–32) dürften jedoch primär in der anders gearteten Datenaufnahme begründet liegen (Tab. 2). Im Vergleich zum frühen und hohen Mittelalter wurden die Menschen im späten Mittelalter auf jeden Fall älter und es scheint ganz so, als sei ihre Zahl gestiegen, wenngleich nicht überall, so doch an vielen Orten. Und

2 Zur Zäsur von 60 Jahren vgl. Shahar 2005: 75f. 3 Das heißt, Steuerlisten verzeichnen nördlich der Alpen nicht, wie alt genau die Steuerpflichtigen waren.

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Gabriela Signori

mit der Zahl stieg gleichsam die Aufmerksamkeit, die ihnen ihre Umwelt erneut schenkte.4 Gewöhnlich wird die ‚Geburtsstunde‘ des alten Menschen nicht dem Spätmittelalter, sondern der Aufklärung gutgeschrieben. Seit dem 18. Jahrhundert – lesen wir etwa in Jean-Pierre Guttons Naissance du vieillard (1988: 133) – sei das Alter in der Literatur nicht mehr bloß als Vorbereitung auf den Tod beschrieben. Das „Leitmotiv“ sei nunmehr der „Kampf gegen das Nachlassen der körperlichen Kräfte“. Andere Autoren meinen, jetzt erst – an der Schwelle zur Neuzeit – steige die allgemeine Lebenserwartung (Troyansky 2005: 175). Die Studien von Herlihy und Klapisch-Zuber scheinen sie nicht zu kennen. Wie dem auch sei, es gibt einige sehr gute Gründe, die dafür sprechen, diese ‚Geburtsstunde‘ ins späte Mittelalter vorzudatieren. Dazu zählen die mannigfachen institutionellen und diskursiven Neuerungen, die im Spätmittelalter entwickelt wurden, um alten Menschen das Leben zu erleichtern: die Entstehung der ‚Altenheime‘ oder der Vertrieb von Leibrenten, die Ausbildung einer speziell auf Altersfragen zugeschnittenen medizinischen Spezialliteratur und die Vielzahl von Bildern und Texten, die das Ideal eines auf Reziprozität gestützten Generationenvertrags verfechten und damit auf diskursiver Ebene versuchen, die Position der alten Menschen gegenüber den Jungen zu stärken. Ich beginne mit der Spezialliteratur, dem – in moderner Begrifflichkeit – geriatrischen Schrifttum, wende mich daraufhin verschiedenen Institutionen zu und beende meine Ausführungen mit einem Ausblick auf die Welt der Diskurse.

Fach- und Sachliteratur Dass die spätmittelalterliche Schwankliteratur den alten Menschen wenig geneigt ist, darauf hat die Forschung schon sattsam hingewiesen.5 Negative Altersstereotype herrschten vor, liest man allenthalben. Dies tun sie in der Welt des Schwanks ja noch heute. Was aber verbindet Schwank und Realität? Das Lachen der Ohnmächtigen? Führt uns der Schwank wirklich, wie die Forschung längere Zeit behauptete, in das Herz kollektiver Vorstellungen, zu den Mentalitäten? Breite Wirkung erzielte der De contemptu mundi Innozenz’ III.

4 Das „erneut“ bezieht sich auf die antike Welt und ihre Vorstellungen und Praktiken im Umgang mit alten Menschen, vgl. Brandt 2002; Gutsfeld/Schmitz 2003; Parkin 2003. 5 Gutton 1988: 11–31; Sprandel 1981; ders. 1993; Sears 1986; Welti 1987; Borscheid 1989: 17–51; Goodich 1989: 143–162; Shahar 1997; Hergemöller 2006.

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(1198–1216).6 Seine Vorlagen fand er in den Spottversen spätrömischer Dichter und Komödienschreiber, aber auch in Maximians Elegien aus der Mitte des 6. Jahrhunderts (Falkner/de Luce 1989). Der Einfluss der Antike ist auch in der medizinischen Traktatliteratur unverkennbar (Lüth 1965: 116–125). Hier aber werden ganz andere, im Sinne von Gutton (1988) sogar sehr moderne Bilder des Alterns entworfen. Seit dem 13.  Jahrhundert nämlich befassten sich in kritischer Auseinandersetzung mit Aristoteles immer mehr Autoren mit den therapeutischen und diätetischen Möglichkeiten, im Alter jung zu bleiben. Eine geriatrische Spezialliteratur nahm Gestalt an (Tab. 3). Tabelle 3: Medizinische Spezialliteratur (13.–15. Jahrhundert) Roger Bacon

De retardatione accidentium senectutis

Roger Bacon

De conservatione juventutis

Ps-Arnoldus

De conservanda juventute et retardanda senectute

Guido da Vigevano

Liber conservationis sanitatis senis

Marsilio Ficino

De vita longa

Gabriele Zerbi

Gerontocomia

Burkard von Horneck

De senectute conservanda

Als einer der ersten hatte sich der englische Franziskaner Roger Bacon (um 1220–1292) in seinen Schriften mit den Möglichkeiten befasst, den Alterungsprozess zu verzögern (vgl. Förster 1924).7 Bacon lieferte die Vorlage für die fälschlicherweise dem Katalanen Arnoldus von Villanova (um 1240– 1311) zugeschriebene Schrift De conservanda juventute et retardanda senectute, die früh in verschiedene Landessprachen übersetzt wurde und ebenso früh in den Druck gelangte (Paris 1500, Leipzig 1511). Gewidmet ist sie Robert von Anjou (1278–1343), dem König von Sizilien (Ziegler 1998: 32), während Guido da Vigevano (um 1280–1349) seine Diätetik für den französischen König Philipp  VI. (1328–1350) schrieb (Hall 1982: 33–44). Burkard von Horneck (1433–1522), der selber fast neunzig Jahre alt werden sollte, übereignete sein Werk dem Erzbischof von Würzburg, Lorenz von Bibra (1495–1519), dessen langjähriger Leibarzt er war (Endres 1957). 6 Innozenz III., De contemptu mundi sive de miseria humanae conditionis, aus dem Latein. übers. und eingel. v. Carl-Friedrich Geyer (Philosophische Texte und Studien 24), Hildesheim 1990. 7 Fratris Rogeri Bacon, De retardatione accidentium senectutis cum aliis opusculis de rebus medicinalibus, 1–89; 120–143.

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Gabriela Signori

Mit Blick auf die fürstlichen Adressaten ließe sich schließen, dass ‚Gerontologie‘ ursprünglich als eine Art Herrschaftswissen verstanden wurde. Mit dem Buchdruck veränderte sich dies aber rapide. Allein Marsilio Ficinos (1433–1499) De vita longa wurde in der Folgezeit dreißig Mal neu aufgelegt (Clark 1986: 230). Auch dem Florentiner Ficino war Bacons Schrift bekannt, aber er berief sich lieber auf Arnoldus von Villlanova (ebd.: 230–33). Der Veroneser Gabriele Zerbi (1445–1505) hingegen bevorzugte Aristoteles. Seine Gerontocomia hatte er dem 57-jährigen Innozenz VIII. (1484–1492) gewidmet (Pastor 1924). Viel genützt hatten die Ratschläge dem Papst allerdings nicht. Er verstarb drei Jahre nach Erscheinen des Werkes. Beide Schriften, sowohl Ficinos De vita longa, als auch Zerbis Gerontocomia, gelangten 1489 kurz nach ihrer Fertigstellung in den Druck.8 Anders als Ficino war Zerbi Praktiker. Er hatte lange Jahre an den Universitäten Padua und Bologna gelehrt, bevor er 1483 nach Rom übersiedelte. Zerbi behandelt in seiner Gerontocomia ein breites Themenspektrum, selbst mit der Frage des richtigen Pflegepersonals für alte Menschen setzt er sich eingehend auseinander (Gerontocomia: Kap. 14, 87–90). Zwei Drittel seines Traktats kreisen jedoch um Ernährungsfragen (ebd.: Kap. 17–38, 120–246). Der Schlüssel zum Altwerden ist, das hatten schon Zerbis Vorgänger entdeckt, die richtige Ernährung. Und genau diese hatte sich im Verlauf des späten Mittelalters radikal verändert. Mit dem Wandel von der Getreide- zur Fleischwirtschaft war die Nahrung eiweißhaltiger und kalorienreicher geworden. Vielerorts ergänzten proteinreiche Hülsenfrüchte sowie Obst und Gemüse den täglichen Speiseplan. Von den neuen Ernährungsgewohnheiten profitierten nicht nur Adlige und Kleriker, sondern zunehmend auch Städter und Bauern (Hirschleder 2001: 128–146; Dyer 2005: 126–72; ders. 1988). Etwas pessimistischer schätzen einzelne Anthropologen die Sachlage ein (u. a. Waldron 2006), aber längst nicht alle (Pipponier 1976). Ob Optimismus oder Pessimismus dominiert, liegt, wie es scheint, eher im Mittelalterbild der Autoren begründet als in ihrem Untersuchungsmaterial. Das Spätmittelalter wird zwar von verschiedenen ‚Krisen‘ heimgesucht; Mangelwirtschaft aber herrschte nicht vor, zumindest war sie kein Strukturproblem. Der Hunger kam erst später, und mit dem Hunger sank die Lebenserwartung (Camporesi 1981).

8 Gabriele Zerbi, Gerontocomia: On the Care of the Aged and Maximianus. Elegies on Old Age and Love, trans. from the Latin by L. R. Lind, Philadelphia 1988. Zum medizinischen Schrifttum allgemein vgl. Demaitre 1990, zu Zerbi Lorcin 1987; Labarge 1995.

Die ,Erfindung‘ des Alters 

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Institutionen Eine unmittelbare Folge des eingangs beschriebenen zaghaften demographischen Wandels war die Entstehung von Einrichtungen, die speziell für alte Menschen konzipiert oder auf ihre Bedürfnisse umfunktioniert bzw. im Nachhinein zugeschnitten wurden. Zu letzteren zählen die Spitäler, die vielerorts von einem Krankenhaus in eine ‚Pfründenanstalt‘ für alte Menschen mutierten – für reiche gleichermaßen wie für arme alte Menschen.9 Der Unterschied zwischen Arm und Reich machte sich in der Form der Unterbringung sowie beim Speiseplan bemerkbar.10 Die Nahrung aber war für alle reichlich: täglich Wein, mehrmals wöchentlich Fleisch, freitags Fisch, dazu viel Brot sowie Suppe, Haferbrei, Reisbrei, Hülsenfrüchte, Eier und Käse. Obst und Gemüse hingegen habe man, beobachtet Michaela von Tscharner-Aue in ihrer Monographie zum Heiliggeistspital von Basel, speziell für die Kranken und die Kindbetterinnen gekauft (Tscharner-Aue 1983: 214–217). Der Nachteil einer Spitalpfründe war allerdings, egal ob man eine Herren- oder eine Armenpfründe erwarb, dass post mortem Hab und Gut des Pfründennehmers an das Spital fielen. Die entsprechenden Pfründenverträge aus Biberach, Hall, Isny, München, Schwäbisch Gmünd, etc. sind in diesem Punkt unmissverständlich.11 Vielerorts entstanden gegen Ende des 14. und im Verlauf des 15. Jahrhunderts auch speziell für alte Menschen konzipierte Armenhäuser wie beispielsweise das Mendelsche Zwölfbrüderhaus, dessen Stiftungsbrief aus dem Jahr 1397 datiert. Die Stiftung selbst war rund zehn Jahre älter. Seinen Namen ‚Zwölfbrüderhaus‘ trug die Einrichtung wegen der apostolischen zwölf armen alten Handwerker, die darin Aufnahme finden sollten. In der Präambel wird festgehalten:

9 Mancherorts errichtete man für die Pfründner innerhalb des Spitalkomplexes auch eigene Gebäude, so etwa in München, vgl. Die Urkunden des Heiliggeistspitals in München (1250– 1500), Nr. 424–431, 443–445, 448, 450, 465, 472–475. Auch ein eigener Bau für die Inhaberinnen einer „Schwesternpfründe“ ist hier belegt. 10 Zechlin 1907: 43ff.; Morgenthaler 1945: 12f.; 25f.; Kleiminger 1962: 24–97; Berweck 1963: 48–60; Haug 1965: 64–85; Ulrich 1965: 36–46; Schürle 1970: 43–100; Moritz 1981: 44–59; Nevreux 1984; Boldt 1988: 96–143; Boldt-Stülzebach 1993; Lambacher 1991: 97–133; Sonderegger 1994 : 74–95; Reddig 1998: 188–266. 11 Das Spitalarchiv Biberach an der Riß. 1. Teil: Urkunden 1258–1534, Nr. 839; Die Urkunden des Heiliggeistspitals in München, Nr. 424; Regesten der Urkunden des Spitalarchivs Isny, Nr. 356; Das Spitalarchiv zum Heiligen Geist in Schwäbisch Gmünd, Nr. 340; Regesten der Urkunden des Hospitals zum Heiligen Geist in der Reichsstadt Hall bis 1480, Nr. 450. Vgl. dazu auch Reicke 1932.

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Gabriela Signori

Also das dorjnnen sollen sein zwelff man jn der ere der heiligen zwelfpoten, die sullen sein alt, kranck vnd arm, die sich mit eygner arbeyt vnd eygner habe furpas nit generen mügen vnd eyns das jr wartet vnd phliget [...].12

Das Nürnberger Modell fand in der Region großen Anklang: 1409/1410 gründete der Augsburger Patrizier Lorenz Egen ein Spital für zwölf arme alte Männer, 1419 der Regensburger Stefan Notangst. Es folgten in den Jahren 1449–1513 weitere Stiftungen für die Städte Neumarkt, Wunsiedel, Eger und Eichstätt (Goldmann 1965: 22–28; Fouquet 2007). Der Mainzer Patrizier Jeckel zum Jungen hingegen wählte im Jahr 1442 eine etwas persönlichere Stiftungsvariante. Aufnahme finden sollten in der von ihm gestifteten Einrichtung zunächst seine beiden alten Mägde Grethe und Lyse: Auch will der vorgenandt Jeckel zu der Eiche, dass das hus uf dem graben, da Pyffensnabels seligen husfraw vor ziten inne gesessen hatt, dass dasselbe hus fürbasser zu ewigen tagen ein gotthus syn soll und sollendt die vorgenandte Grethe, syne alte maidt, und Lyse, syn maid, in dem vorgenandten huse wohnen, ihrer beyder lebtag und betugte die vorgenandte Grethe, dass sie mee personen dainnen mogen gehallten, dass mag sie thun und soll mann 1 phundt heller ewiges gelltes zu dem vorgeschriebenen huse keuffen und bestellen, dass sie sich desto baß dainnen begenen mögen. (Schrohe 1933: 146f.).

Später sollten die Treuhänder darüber entscheiden, wer fortan in das Haus aufgenommen werde. Seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert häufen sich in ganz Europa spezielle Orte – Häuser, Buden, Kammern und Winkel –, in denen alte Menschen anstaltsmäßig zusammenlebten (Signori 2009). Dieser institutionelle Weg war aber nicht der einzige. Wie heute zogen es weit mehr alte Menschen vor, bei ihrer Familie zu bleiben (Tab. 4).13 Wir würden heute von ‚häuslicher Altenpflege‘ sprechen. Das gilt in der spätmittelalterlichen Stadt vornehmlich für ältere Frauen bzw. Witwen.14

12 Das Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung in Nürnberg, Bd. 1, 33. 13 Zur überkulturellen Bedeutung solcher „Arrangements“ vgl. u. a. Duflo 2000; Cameron/ Cobb-Clark 2001. 14 Barron/Sutton 1994; Walker 1993; Parisse 1993; Mirrer 1992; Chabot 1988; Johner 1987; Trexler 1982.

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Tabelle 4: Väter und Mütter im Haushalt ihrer Kinder nach den Basler Kopfsteuerlisten des 15. Jahrhunderts (nach Signori 2004) Frauenhaushalte Steuerjahr

Männerhaushalte

1454

1470/75

1497

1454

1470/75

1497

Mutter

3

8

2

31

32

28

Vater

1





4

3

2

Stiefvater











2

Schwiegermutter



1

1

22

37

30

Schwiegervater







1

6

3

Schwiegereltern







1



1

Großmutter







1

3

1

Total

4

9

3

60

81

67

Fehlten eigene Kinder, versuchte man bei anderen Verwandten oder Bekannten unterzukommen, dies jedoch nicht ohne zuvor einen Vertrag über die gegenseitigen Rechte und Pflichten abgeschlossen zu haben (Signori 2004). Im spätmittelalterlichen Basel bezeichnete man diese Verträge als ‚Notpfründen‘, im Gegensatz zu den wesentlich älteren Klosterpfründen, ihrem formalen Vorbild (Groebner 1993: 258f.). Auch Klosterpfründen wurden mehrheitlich von alten Menschen abgeschlossen (Jordan 2007; Berlière 1931: 42–52; Lentze 1956: 163–170). Die Beweggründe aber sind nicht dieselben. Die Notpfründe hatte verschiedene Vorteile und Vorzüge, auch für das Selbstwertgefühl: Anders als bei einer Spitalpfründe blieben die Pfründenkäufer meist da wohnen, wo sie schon immer gelebt hatten und sie konnten die jeweiligen Rahmenbedingungen individueller, ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten. Eine Notpfründe war meist gleich teuer wie eine Armenpfründe; sie war also auch in finanzieller Hinsicht eine Alternative zur Spitalpfründe. Im spätmittelalterlichen Basel nutzen mehrheitlich Witwen und alleinstehende Frauen ohne Kinder die Einrichtung der Notpfründe (61 Prozent Frauen gegenüber 23 Prozent Männern).15 Waren die Pfründenkäufer in der Stadt also vornehmlich Frauen, nutzten auf dem Land vorwiegend Ehepaare die Einrichtung, in der Zeit nach der Großen Pest (1347–1350) anscheinend häufiger als zuvor.16 Aus Ostengland sind entsprechende Verträge schon aus dem 15 ‚Notpfründen‘ – insgesamt 90 – nach Geschlecht und Familienstand nach den Basler Fertigungsbüchern (zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts): Witwen 37 (41 Prozent), Frauen 18 (20 Prozent), Ehepaare 14 (16 Prozent), Männer 21 (23 Prozent). 16 Smith 1991; ders. 1984; Angers 1989; Clark 1982; dies. 1994; Thane 2000: 75–95; Gies/ Gies 1990.

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ausgehenden 13.  Jahrhundert bekannt (Clark 1990: 194; Tab.  5). In ihren Grundzügen gleichen sie den später in ganz Europa verbreiteten Altenteilverträgen (Bungenstock 1971: Sp. 133–134). Tabelle 5: Pfründennehmer aus Ostengland im ausgehenden 13. Jahrhundert (nach Clark 1990: 194). Pfründennehmer Status

Vertragspartner

vor 1350

nach 1350

vor 1350

Ehepaare

33.7

54.6

37.6

nach 1350 62.8

Männer

33.7

24.7

58.8

34.7

Frauen

32.5

21.1

3.5

2.4

Total

83.0

194.0

85.0

207.0

Die Basler Kopfsteuerlisten legen nahe, dass es Väter gewöhnlich vermieden, im Haushalt ihrer erwachsenen Kinder zu leben. Der kranke und altersschwache Weber Hans Topler hatte keine andere Wahl, als er sich im Januar 1473 bei seiner Tochter Enneli und seinem Schwiegersohn Heinrich Eglin, seinerseits ein Weber, zu „verdingen“ (Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 9: 334). Seine zweite Tochter Verena und ihr Mann wohnten zwar im Haus nebenan, als Vertragspartner für eine Notpfründe aber kamen die beiden nicht in Frage. Sie mussten sich schon um seine Mutter bzw. ihre Schwiegermutter kümmern. Toplers Mittellosigkeit zwang ihn zum Eingeständnis, dass er das, was er künftig mit seiner Weberei verdiene, zu einem Drittel an Schwiegersohn Eglin und Tochter Enneli abtreten werde. Mangels Erspartem blieb ihm als einzige ‚Trumpfkarte‘ sein Haus samt dahinter liegendem Garten im Basler Steinenquartier. Nur eine Kammer und ein bletzlin im Garten beim Pfirsichbaum behielt er sich vor, darzú einen winkel in der stuben, darin er sin bettstatt , webstúl und das dazugehörige geschir deponiert hatte. Dafür mussten ihn Enneli und ihr Mann biß ze end siner wylen mit můß, brot, fleisch, kalt, warm vnd allen andern notdurfftigen dingen in maß, sy das selb bruchent, versorgen vnd bewaren (ebd.). Für Wein und Kleidung hatte er selbst aufzukommen. Falls Eglin sich nicht an die Bestimmungen halte, sei der Vertrag hinfällig. Die Verwandtschaft vor Ort spielte im spätmittelalterlichen ‚Pflegesystem‘ auf verschiedenen Ebenen eine zentrale Rolle. Mit der eigenen Mutter regelte man, wie nicht nur die Basler Kopfsteuerlisten zeigen (Johner 1987), die Dinge gerne auf informelle Art und Weise. Die verbindlichere, schriftliche Vertragsform benutzte man, wenn die Vertragspartner nicht dem Familienkern angehörten. Die Männer verschwinden tendenziell ganz aus unserem Blickfeld (Herlihy 1990). Das heißt nicht, dass es sie nicht gab. Nur organisierten sie sich offenbar

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anders. Manch einer, egal ob arm oder reich, suchte speziell aus Pflegegründen eine rüstige Frau. Dies war in den Augen der spätmittelalterlichen Juristen einer der Hauptgründe für einen zweiten oder dritten Eheschluss (Weigand 1981: 51). Zu den öffentlichen und privaten Pflegeeinrichtungen für alte Menschen gesellten sich im späteren Mittelalter je nach Geldbeutel noch diverse Varianten der finanziellen ‚Altersvorsorge‘, Geschäfte mit der Lebenserwartung, wie sie uns heute noch vertraut sind. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts hatte sich die Leibrente immer deutlicher zu einer Anlageform entwickelt, die speziell auf die Bedürfnisse alter Menschen zugeschnitten war. Verzinst wurde der Kauf einer solchen Leibrente mit stattlichen zehn Prozent. Sie waren aber unauflösbar mit der Person des Rentenkäufers verbunden. Alle Rechte erloschen mit seinem Tod. Wegen des hohen Risikos, bei einem Zins von zehn Prozent Verluste einzufahren, verkauften Städte wie Nürnberg Leibrenten nur an über 60-jährige Interessenten (Isenmann 1988: 175). In Bern verzichtete man aus denselben Gründen ganz auf das risikoreiche Leibrentengeschäft (Gilomen 2003). Die Höhe der Beträge zeigt, dass sich Leibrenten speziell zur Altervorsorge für kleine Leute entwickelt hatten (Signori 2008; Tab. 6). Tabelle 6: Leibrenten (Höhe des Betrags in Gulden [B] und Anzahl der Käufer [n]) nach den Einnahmen- und Ausgabenbüchern der Stadt Basel im 15. Jahrhundert (nach Signori 2008). B

 500 (–2100)

n

23

99

108

46

40

25

46

Die wirklich Reichen legten ihr Geld lieber in Form von Ewigrenten an. Diese waren durchschnittlich zwar mit nur 5 Prozent verzinst, das Kapital aber blieb „wiederkäufig“, das heißt der Käufer erhielt sein Kapital bei Bedarf zurück. Überdies ließen sich Ewigrenten von einer Generation an die nächste vererben. Die Ewigrenten waren im 15. Jahrhundert ein Grundpfeiler der städtischen Vermögensbildung (Gilomen 1996: Sp. 735–738).

Diskurse Im Märchenbuch der Gebrüder Grimm findet sich die Geschichte eines „steinalten“ Mannes, dessen „Augen trüb geworden, die Ohren taub“ und die Knie zitterig waren (Kinder und Hausmärchen, Nr. 78, 389). Bei Tisch konnte er den Löffel kaum mehr halten, die Suppe floss ihm aus dem Mund übers Kinn.

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Sohn und Schwiegertochter „ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und dazu nicht einmal satt“. Aber seine zittrigen Hände vermochten das Schüsselchen nicht zu halten, es fiel zu Boden und zerbrach. Die Schwiegertochter „schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur“. Für ein paar Heller kaufte sie ihm ein neues, unzerbrechliches Schüsselchen aus Holz. All dies nun hatte sein vierjähriger Enkel aufmerksam beobachtet und bastelte eines Tages mit kleinen Brettern ein „Tröglein“. Neugierig erkundigte sich sein Vater nach dessen Verwendungszweck. „Daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin“, erwiderte der Knabe. Fortan durfte der Großvater wieder am gemeinsamen Tisch essen, und niemand beklagte sich mehr, wenn er seine Suppe verschüttete.17 Aufgestöbert hatten die Gebrüder Grimm die Geschichte in „Heinrich Stillings Jünglingsjahren“ (Stillings Lebensgeschichte, 81–186).18 tilling (1740– 1817) wiederum gibt vor, sie von einem Knaben aus dem Kreis derer vernommen zu haben, mit denen er in jungen Jahren am frühen Nachmittag gewöhnlich „allerhand schöne empfindsame Historien“ austauschte: „Hört, Kinder!“, beginnt dieser, „Ich will euch was erzählen: Neben uns wohnt der alte Frühling, ihr wisst, wie er dahergeht und so an seinem Stock zittert; er hat keine Zähne mehr, auch hört und sieht er nicht viel.“ Allfälligen Zweifeln an der Authentizität des Geschilderten begegnet der Knabe (ebd.: 84–86): „Ich bin dabei gestanden, wie’s geschah.“ Was der Autor vorgibt, in jungen Jahren gehört zu haben, hat seinen Ursprung im 13. Jahrhundert. Die mittelhochdeutsche Variante, die Friedrich Heinrich von der Hagen 1850 in seine „Hundert altdeutschen Erzählungen“ aufnahm, trägt den Titel „des kozzen mære“ – „die halbe Decke“ oder das „Exempel vom undankbaren Sohn“ (Gesamtabenteur, Bd. 2, Nr. 48: 391– 399).19 Der Schauplatz wechselt von der ländlichen Idylle des fiktiven Florenburg in die Stadt, in das Haus eines reichen, frommen und biderb Bürgers, der in hohem Alter – auf Krücken gestützt, das Attribut alter Männer – den Fehler beging, beides, sîn hûs êre und sîn habe, seinem 20-jährigen Sohn zu übereignen. Dieser vergalt dem Vater die großzügige Geste schlecht. Was die Alten mit ihrer Hände Arbeit erschaffen hatten, das wüssten die im Wohlstand aufgewachsenen Jungen nicht zu schätzen, kommentiert der Erzähler. Nû hoeret, wie ez ende nam (ebd.: Z. 46). Der Alte musste sich smie17 Vgl. Jakob Grimms († 1863) „Rede über das Alter gehalten in der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 26. Januar 1860“, in: Schoof 1966: 152–175. 18 Vgl. u. a. Schwinge 1994; Krüsselberg/Lück 1992. 19 Vgl. Röhrich 1962: 93–112; 262–267; Rölleke 1987.

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gen, bî der erde under ein stiegen wart im ein bettelîn geströut (ebd.: Z. 47ff.). Jahrelang fristete er sein Dasein in Gesellschaft von Schweinen. Seine einzige Lebensfreude war sein Enkel, der im spât unde vrů, swâz ez kunde, daz beste zů trug, daz ez ze tische, ze keller vant, etwen stalcz ein alt gewant (ebd.: Z. 61). Ein sehr harter Winter kam über die Stadt, das Wasser gefror, der Alte litt große Not (ebd.: Z. 95ff.). „Geh zu meinem Herren, Deinem Vater“, bat der Großvater verzweifelt seinen Enkel, „der hat eine alte Decke, die benötige ich dringend“. Nur mürrisch willigte der Vater dem kindlichen Begehren ein. Der Alte war seinem Sohn schon lange lästig. Er schnitt die Decke entzwei, behielt für sich aber den besseren Teil zurück. Der Großvater war überglücklich, weinte vor Freude, ja die Tränen flossen ze tal über den grâwen bart (ebd.: Z. 147). Der Knabe aber lief eilends zum Vater zurück, warf sich ihm um den Hals und bat ihn seinerseits unter Tränen und mit Küssen um den besseren Deckenteil. Auf die Frage, für was, erhielt er die für den Ausgang der Geschichte entscheidende Antwort: sô nû dîn trit kumt an den stap, daz dich daz alder binden wirt, und dir aller gemach verbirt, sam mînen enen, der dâ lît, (ebd.: Z. 170–177).

dem niemen trôst, noch helfe gît, sô lihe ich dir des kozzen ort der wirt dir denne, als im ein hort vür den vrost unt vür den wint

Unverzüglich stieg der Sohn zu seinem greisen Vater hinunter und fiel vor ihm reumütig auf die Knie. Der Alte, der seinen Sohn seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen hatte, fragte sich skeptisch, ob dieser wohl die Decke zurück haben wolle. Doch die starke riuwe überzeugte ihn dann doch. Der bekehrte Sohn trug den Vater in sein stübelîn hoch, badete und wusch ihn eigenhändig, legte ihn ins Bett und kleidete ihn nach dem wohlverdienten Schlaf in gůt lînen unde vêch gewant (ebd.: Z. 224). Dann führte er ihn in den sal, setzte ihn neben die „schöne Hausfrau“, und ließ ihn sich an Wein, Speise und Honig ergötzen. Seinen Sohn aber bat der Vater, die Decke aus dem Haus zu schaffen, sie grause ihn, sei ihm unangenehm, ja zuwider. Es folgt die Aufforderung, als Exempel für die eigenen Kinder, Vater und Mutter stets zu ehren. Ein memento mori in der Bildersprache des Schachspiels rundet die Erzählung ab. Einleitend habe ich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die es bereitet, die negativen Altersstereotypen aus der Schwankliteratur in der spätmittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt zu verankern. Weit weniger Interpretationsprobleme bereiten Geschichten wie die der halben Decke, in der es um den Bezug zwischen Jung und Alt geht sowie um die regulierende Kraft der Erbgüter, wenn sie mit Bedacht eingesetzt werden. Die Warnung ist unmiss-

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verständlich. Und sie findet in der spätmittelalterlichen Lebenswelt ein breites Echo. Kein Vater gab das Szepter vorzeitig ab und übereignete seinen Söhnen ihr Erbe noch zu Lebzeiten. Reziprozität zwischen Jung und Alt ist auch das Schlüsselwort der Dekalogerklärungen und der Erziehungstraktate – z. B. in Mapheus Vegius’ Erziehungslehre. So wie die Eltern dereinst für ihre Kinder, sollten die Kinder später für ihre betagten Eltern aufkommen. In diesem Sinn verstand man die im vierten Gebot enthaltene Pflicht, seine Eltern zu ehren, als Pflicht, sie bei Bedarf zu ernähren. Die gegenseitige Unterhaltspflicht sah man im Naturrecht begründet. Im positiven Recht hingegen fand die Diskussion keinen Niederschlag, allenfalls in Gestalt möglicher erbrechtlicher Sanktionen (Krause 1982). Und genau davon handelt ex contrario ja unsere Geschichte. Die ‚Geburt‘ des alten Menschen im Spätmittelalter anzusiedeln, mag auf Anhieb kühn erscheinen. Aber es gibt, wie wir gesehen haben, einige sehr gute Gründe, die dafür sprechen. Außerhalb von Florenz mögen verlässliche demographische Daten zwar fehlen, aber die vielen neuen Institutionen, die im ausgehenden 14. und im 15. Jahrhundert Gestalt annahmen, können durchaus als Reaktion auf eine wachsende Nachfrage und damit auf einen demographischen Wandel verstanden werden. Zu den Institutionen (Altenheime, Armenhäuser, Leibrenten und Ähnliches) gesellt sich schließlich der schwer fassbare Bereich der ‚häuslichen Altenpflege‘. Gemäß zeitgenössischer Moralvorstellung waren die Jungen dazu verpflichtet, ihre betagten Eltern zu ‚ernähren‘. Sich auf das Pflichtgefühl der Jungen zu verlassen, war nicht unproblematisch, vor allem wenn keine eigenen Kinder (mehr) da waren. Sicherheit garantierte den alten Menschen letztlich allein der Vertrag. Und davon machten sie auch reichlich Gebrauch, ob sie sich nun Leibrenten erstanden oder Pfründenverträge aufsetzten.

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Alter: siehe Jugend. Zum Leitbildwechsel bei der Darstellung des Alters in der Bildenden Kunst der Moderne Sabine Meister The marginalisation of old age seen in today’s society began with the youth and body cult around 1900. This was especially influential in the German reform movement and fine arts. Using the example of a programmatic portrait by the Berliner painter Max Liebermann, the resistance towards a realistic portrayal of old age in the late Wilhelminian period will be demonstrated. It will also be shown, how at the same time a sea change in general orientation from old to young, as manifested by Art Nouveau and in the Munich magazine “Jugend” (Youth), took place. Die Marginalisierung von Alter in der heutigen Gesellschaft nahm ihren Anfang im Jugend- und Körperkult um 1900, der in den deutschen Reformbewegungen und der bildenden Kunst eine besondere Ausprägung erfuhr. Anhand eines programmatischen Porträts des Berliner Malers Max Liebermann wird dargelegt, welche Widerstände in der späten Gründerzeit bei der realistischen Darstellung von Alter hervorgerufen wurden und wie sich zur gleichen Zeit ein grundlegender Leitbildwechsel vom Alter zur Jugend vollzog, der sich in der Münchner Zeitschrift „Jugend“ und im Jugendstil manifestierte.

Patriarchen in der späten Gründerzeit In Meyers Konversationslexikon von 1895 findet sich unter dem Stichwort Jugend nur folgender Verweis: „Jugend: siehe Alter“.1 Der Begriff Jugend war dem Konversationslexikon noch keinen eigenständigen Beitrag wert. Er bezog sich in seiner Definition auf das Alter und leitete seine Bedeutung von den Werten des Alters ab. Die Alten (insbesondere die Männer des Bürgertums) waren Vorbild hinsichtlich Tugend, Sittlichkeit und gesellschaftlicher Stellung und galten somit als Maßstab für die Jugend. Während heute das Ideal vorherrscht, als Fünfzigjährige mit der eigenen Tochter verwechselt zu werden (s. aktuelle Kosmetikwerbung mit der amerika1 Meyers großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Leipzig: Meyer, 51894ff., Bd. 1, S. 440ff. (‚Alter‘); Bd. 9: 660 (‚Jugend‘). Gleichbleibender Eintrag noch in der sechsten, neu bearbeiteten Auflage von 1906f.; Bd. 10, 1908.

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nischen Filmschauspielerin Andy McDowell), und sechzigjährige Menschen alles tun, um so auszusehen wie Vierzigjährige, besaß das Alter im ausgehenden 19. Jahrhundert einen derartig hohen Stellenwert, dass für den – noch den Männern vorbehaltenen – beruflichen Erfolg eine „Maskerade des Älteraussehens“ zum Kleidungs- und Verhaltenskodex gehörte (Tölle 1996: 227). Er sah den Bart, den Zwickel, einen steifen Gehrock und einen dementsprechenden Gang vor, um jungen Berufsanfängern den Nimbus der Erfahrung, der Würde und des Erfolges zu verleihen. ‚Arbeit bis zum Lebensende‘ und ‚Geld regiert die Welt‘ waren Prinzipien des Bürgertums, die das Leitbild der erfolgreichen, mächtigen Altersgestalten in der Gründerzeit geprägt hatten und sich damit deutlich von der biedermeierlichen Geruhsamkeit des alten kakteenzüchtenden Mannes im Ruhestand à la Spitzweg absetzten. Von Robert Bosch ist die abwertende Bezeichnung „Knackwurstprivatier“ für ‚Untätige‘ im Ruhestand überliefert (Heuss 1986: 20). Stefan Zweig erinnerte sich, dass Jugend negativ mit Übermut assoziiert wurde und „zur Hemmung in jeder Karriere“ führte (Zweig 1982: 41) – heute eine vollkommen abwegige Vorstellung. Der gesellschaftliche Leitbildwechsel vom ‚Alter‘ zur ‚Jugend‘, der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert vollzog, zeichnete sich stark konturiert in der Bildenden Kunst ab. Unter besonderer Berücksichtigung eines programmatischen Porträts von Max Liebermann wird im Folgenden dargelegt, wie sich die Darstellung des Alters im Kontext dieses Leitbildwechsels verändert hat.

Forschungsstand Obgleich es viele Darstellungen des alten Menschen in der Bildenden Kunst gibt, hat das Thema Alter/Altern/Altersbilder bislang in der kunstwissenschaftlichen Literatur keine große Aufmerksamkeit erfahren. Die Untersuchungen über Altersdarstellungen sind rar. Zumeist fügt sich die Auseinandersetzung mit diesem Thema in andere Zusammenhänge ein, was auch bei Untersuchungen über Porträts festzustellen ist (z. B. Katalog Bilder vom Menschen 1980; Muysers 2001). Eine epochenübergreifende europäische Kunstgeschichte mit dem Fokus auf Altersdarstellungen liegt bislang nicht vor, doch sind für die jüngste Zeit einige Arbeiten zu nennen, die sich mit spezifischen Aspekten dieses Gegenstandes beschäftigen. Die neueste kunstwissenschaftliche Untersuchung „Das Antlitz der Alten. Das Phänomen des Alterns in der Kunst“ von Maren Welsch (2007) ist im Sammelband „Ethik des Alters“ erschienen. Welsch geht mit dem Ziel, die Vielfalt des Themas darzustellen, ausgewählten Motiven der vergangenen sechs Jahrhunderte nach. Zeitlich weiter zurück reicht Peter Cornelius Claussens

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Vortrag „Altersbilder in alten Bildern“ (2004/05). Darin bietet er einen ausgewählten Überblick über Altersbilder in der europäischen Kunst seit der Antike und entlarvt Mythen über Alterswerke von Künstlern. Eine gute Zusammenfassung über das Altersbild der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs gibt Kristin Brinker (2005) im zweiten Teil ihrer Untersuchung „Das Bild vom Alter und dessen Einfluss auf die Wohnformen für ältere Menschen im 20. Jahrhundert in Deutschland“. Domenica Tölles Dissertation „Altern in Deutschland 1815– 1933“ (1996) bietet grundlegende Informationen zum 19. Jahrhundert und fokussiert die Kaiserzeit. Zwei jüngere Publikationen sind noch zu nennen, die beide im ausgehenden 20.  Jahrhundert erschienen sind und ihr eigenes Jahrhundert behandeln: Bettina Ullrichs Untersuchung „Alter in der Kunst“ (1999) ist trotz kunstwissenschaftlichen Augenscheins gesellschafts- und bildungspolitisch orientiert. Sie legt wenig überzeugend dar, dass sie sich auf mimetische Darstellungen konzentriere, da gegenstandslose Kunst für ihre Untersuchungen zur Darstellung alter Menschen bedeutungslos sei: Der Ausstellungskatalog „Die Macht des Alters – Strategien einer Meisterschaft“ (Brock 1998) beweist das Gegenteil. Er zeigt eine spannende Bandbreite zeitgenössischer Positionen zum Themenumfeld Alter, das die Fotografie und eben auch nichtmimetische Kunst einbezieht. Ein weiteres Forschungsgebiet, das das Thema Alter streift, aber nicht näher behandelt, sind Untersuchungen zu Lebensalterdarstellungen. Welsch (2007) verweist in diesem Zusammenhang auf die Bilderfolge, die Martin Warnke (2003) zusammengestellt hat. Da gerontologische Themen in der Kunstgeschichte bislang nicht im Fokus standen, fehlt die Grundlagenforschung zum Thema Alter in der Bildenden Kunst. Angesichts der lückenhaften Forschungslage ist es ertragreich, kulturhistorische Arbeiten mit reichhaltigem Abbildungsmaterial hinzuzuziehen, um sich einen Einblick in die Bandbreite des künstlerischen Schaffens als Arbeitsgrundlage zu diesem Thema zu verschaffen. Zu nennen ist insbesondere der von Pat Thane herausgegebene Band „The long history of old age“ (2005), der im selben Jahr unter dem Titel „Das Alter. Eine Kulturgeschichte“ in deutscher Sprache erschien. Es gibt folglich noch keine systematische Untersuchung, von der weiterführende Überlegungen ausgehen könnten. Der vorliegende Essay fokussiert die Jahrhundertwende um 1900 im deutschsprachigen Raum. Dieser kurze Zeitabschnitt der jüngeren (Kunst-)Geschichte ist hinsichtlich Alter und Altersdarstellungen prägnant. Anhand eines frühen Porträts des Berliner Malers Max Liebermann (1847–1935) und dessen kritischer Rezeption wird dargelegt, welche Widerstände bei der realistischen Darstellung von Alter hervorgerufen wurden und wie sich zur gleichen Zeit ein grundlegender Paradigmenwechsel vom Alter zur Jugend vollzog.

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Die Ausgangsituation: Salongemälde und Armeleutemalerei In der Bildenden Kunst herrschte im ausgehenden 19. Jahrhundert eine viel verzweigte, stilpluralistische Gesamtsituation. Die Suche nach verbindlichen Werten kennzeichnet den kulturkritischen Diskurs. Der überlieferte Formenkanon, der im Historismus zu einem neuen synthetischen Stil fand, trug dem Repräsentationsbedürfnis des Bürgertums – noch – Rechnung. In der Salonmalerei wurde die gesellschaftliche Rolle der eingangs erwähnten, neuen Patriarchen gewürdigt. Tölle sieht darin „machtvolle Zeugnisse einer Zeit, die das Alter mit Reichtum und gesellschaftlichem Einfluss gleichsetzte. Wer zur gründerzeitlichen Alterselite gehörte, war sich seiner herausragenden Stellung innerhalb der Gesellschaft bewusst“ (Tölle 1996: 110). Die wichtigsten Käufer der Gemälde, die im 19. Jahrhundert auf den akademischen Kunstausstellungen zu sehen waren, waren das Bürgertum und Vertreter des Staates. Das Bürgertum erwartete eine repräsentative, eine belehrende oder unterhaltende und der Staat eine nationale Kunst. Das hatte zur Folge, dass jene Maler, die andere, eigenständige Wege gingen, die Bedürfnisse dieser maßgeblichen Käuferschicht nicht befriedigten. So wurden die Naturalisten mit ihrer neuen malerischen Auffassung häufig als ‚Armeleutemaler‘ verspottet. Ihre Darstellungen von alten, arbeitenden Bauern und Tagelöhnern war sachlich, ernst und konzentrierte sich auf die Wirklichkeit, ohne soziale Probleme auszusparen. Man kann auf den Gemälden einen „neuen sozialen Umgang mit dem Thema Alter“ erkennen, nicht zuletzt dadurch, dass das Thema in dieser Form bildwürdig wurde (vgl. Brinker 2005: 45). Alte Menschen aus den ärmeren Schichten, die bis dahin zumeist in idealisierter Form in familiärer Einbindung zu sehen waren, werden nun in Altersheimen – zum Beispiel die Darstellung „Altmännerhaus in Lübeck“, 1886, von Gotthard Kuehl (Abb. in Tölle 1996: 121) – oder als arbeitende Alte gezeigt. Auf einer zeitgenössischen Fotografie ist Max Liebermann zu sehen, wie er plein air und damit so wirklichkeitsnah wie möglich, einen alten, eine Kiepe tragenden Bauern in den Dünen bei Katwijk malt (Abb. 1). Naturalistische Gemälde mit den Sujets arme oder arbeitende Alte beinhalteten zwar keine systematische Gesellschaftskritik, sie verzichteten jedoch auf anekdotische, beschönigende Schilderung und somit auf Verharmlosung des Elends und der Altersarmut. Dadurch wurden sie von den bürgerlichen Schichten mit einem seismographischen Gespür für Kritik am Staat und in der Angst vor subversivem Sozialismus abgelehnt. Einen großen Absatzmarkt hatten diese Gemälde nicht. Marktführend waren Künstler, die einen breiten Massengeschmack befriedigten, indem sie ihre Produktion an der Nachfrage nach problemfreien, narrativen Themen ausrichteten und in fein durchgearbeiteter Manier, die die

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Abb. 1: Max Liebermann, Alter Mann in den Dünen, eine Kiepe tragend, um 1896, Ölgemälde, verschollen. Fotografie aus dem Katalog der Großen Berliner Kunstausstellung von 1897 (Große Berliner Kunstausstellung 1897: 51).

akademische Laufbahn erkennen ließ, ausführten. Ihre Namen sind heute überwiegend nicht mehr bekannt.

Vom Leitbildwechsel und den ‚alten Jungen‘ Band 9 von Meyers Konversationslexikon war gerade auf dem Markt erschienen, da war der Eintrag „Jugend: siehe Alter“ bereits überholt. Ein neues Wertesystem etablierte sich im letzten Jahrzehnt vor 1900, das alle Lebensbereiche berührte: Die Jungen lösten die Alten als neues Leitbild ab. In den 1890er Jahren entwickelte sich in raschem Tempo ein idealisiertes Jugendbild, das um 1900 seinen Höhepunkt erfuhr. Die Jugend, das Neue, das Junge, Dynamik, Fortschritt – diese Begriffe wurden insbesondere in der Literatur- und Kunstkritik zu Schlagworten im damals heftig ausgetragenen Kampf um die Moderne, um eine neue Kunst und – idealiter – um eine neue Gesellschaft. Im künstlerischen Diskurs spiegelte sich dieser Leitbildwechsel in

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einer hohen Intensität. In unzähligen Schriften wurden die Begriffe die Jungen/ die Jugend synonym mit einer neuen, modernen Kunst und die Alten/das Alte synonym mit überlieferter, historisierender Kunst verwandt. Die Kontinuität der geistigen Erinnerung wurde infrage gestellt. „Erinnerung“, von dem Gelehrten Jacob Burckhardt (1929: 206) als „verehrende Kraft“ bezeichnet, die so wichtig sei wie das zu Verehrende selbst, verlor angesichts des schwindenden Referenzpunktes in der abendländischen Vergangenheit zusehends an Bedeutung. Erinnerung und Überlieferung sind genuine Merkmale des Alters. Verlieren diese nicht nur vereinzelt innerhalb der familiären Bindung ihre Bedeutung, sondern werden grundsätzlich als Denk- und Erkenntnisprozesse abgelehnt, hat dies einen tief greifenden Wertewandel zur Folge. Bereits in der antiken Naturphilosophie gab es Überlegungen zum Sinn des Alter(n)s. Maria Nühlen-Graab hat in ihrer Untersuchung zu den philosophischen Grundlagen der Gerontologie festgestellt, dass der Sinn des Lebens im (hohen) Alter seit der Antike „in der Verpflichtung der Alten gegenüber den Jungen gesehen [wurde], in der Bewahrung von Tradition und Recht, in der Vorsorge für die Zukunft und der Hilfestellung zur Lebensbewältigung im weitesten Sinne“ (Nühlen-Graab 1990: 193). Dieser Generationenvertrag der gegenseitigen Wertschätzung und Unterstützung, der über Jahrhunderte in unterschiedlicher Ausprägung existierte (ebd.), wurde um 1900 im Modernediskurs aufgekündigt. Man wollte von den Alten, von ihrer Erfahrung, den Traditionen und deren Überlieferung nichts mehr wissen. Wie ein kollektiver Vatermord wird das, was nach Erfahrung, Weisheit, Erprobtem und Überlieferung aussieht, cum grano salis von der künstlerischen Moderne abgelehnt. „Umsturz ohne Unterlaß: denn jedes Neue ist besser, schon weil es jünger ist als das Alte“, schrieb der Kunst- und Literaturkritiker Hermann Bahr 1887 ironischerweise an seinen Vater (Schmidt 1971: 154). Einige Jahre später beschwor er in seinem meinungsbildenden, 1891 publizierten Essay „Die Moderne“ eine vollkommene Erneuerung der Kunst und Gesellschaft durch jegliche Abkehr von der Überlieferung: „Draußen, in dem Gewordenen von heute ist die Erlösung. Drin, in dem Überlieferten von gestern, ist der Fluch“ (Bahr 1891, zit. nach Ruprecht/Bänsch 1981: 167). Diese Hinwendung zum Leitbild ‚Jugend‘ bedeutete eine radikale Gegenposition zum Historismus. Alles, was alt war und sich auf Tradition und einen alten Formenkanon bezog, wurde nicht nur moralisch fragwürdig, sondern entbehrte – so der Tenor – jeder künstlerischen Qualität. So lässt sich erklären, dass jene Künstler, die neue künstlerische Wege suchten, die kosmopolitisch dachten und modern malten, ungeachtet ihres tatsächlichen Alters zu den Jungen gezählt wurden. Der Kunsthistoriker Alfred Lichtwark sinnierte 1898, wie schlecht es um die Berliner Malerei und um den Nachwuchs bestellt sein müsse angesichts

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der Tatsache, dass man den 1847 geborenen Liebermann und gleichaltrige Kollegen noch als die ‚Jungen‘ bezeichne: „Merkwürdig: Liebermann, Uhde, Olde gelten überall noch als die ‚Jungen‘ und sind dabei vierzig oder darüber. Das spricht Bände über unsere künstlerischen Zustände“ (Lichtwark am 19.1.1897, zit. nach Achenbach/Eberle 1979: 131). Die Begriffe Junge und Alte entwickelten sich weg von einem Lebensalter- und Generationenbegriff hin zu einem Qualitätsbegriff. Die Jungen: Das waren die Künstler aus den Sezessionsbewegungen. Der Schriftsteller und Kunstkritiker Julias Elias, der in einer Rezension über die gestandeneren Künstler der modernen Richtungen schrieb, bediente sich des Oxymorons, indem er von den „alten Jungen“ sprach und somit Lebensalter und Qualitätsmerkmal im Widerspruch stilistisch vereinte (Julius Elias, zit. nach Wesenberg 1997: 307 Anm. 17). Die Alten: Das waren die Künstler des konservativen Lagers. In Anlehnung an die unzähligen Katalognummern der unüberschaubaren Jahreskunstausstellungen wurden sie abwertend auch „Nummern“ genannt.2 Diese Bezeichnung wurde zum Synonym für Massenware ohne Qualität. Der Berliner Maler und Kunstkritiker Walter Leistikow (1865–1908) persiflierte in einem Essay anlässlich der Skandalausstellung des Norwegers Edvard Munch im Jahr 1892, die von dem konservativen Flügel des Vereins Berliner Künstler vorzeitig geschlossen wurde, programmatisch das Kräftemessen der konservativen und modernen Maler. Die Einleitung und der Schluss des Essays behandelten die aktuelle kunstpolitische Situation in Berlin. Im Mittelteil dieser bekannten Kritik gab Leistikow in schwülstig-ironischer Sprache die „alten Alten“ der Lächerlichkeit preis. Als Kuriosum bis heute bagatellisiert, findet das Herzstück dieses Essays in der Forschung für gewöhnlich keine weitere Beachtung: Kam da mal ein Mann daher mit langwallendem weißen Barte, ein Vergessener war er oder ein Toter. […] Und hinter ihm her in gleichem Schritt mit wichtigen Mienen lauter Nummern, alle aufgeblasen […] Und nachdem sie sich lange beraten hatten und traurig einer den andern ansah, ob ihm nichts einfiele, siehe da trat der Aeltesten einer vor und sprach also: „Blickt Euch um, meine Brüder, die Kunst liegt im Sterben. Wir aber sind ihre letzten Priester. Ein Jeglicher streue Asche auf sein Haupt u[n]d wehklage mit mir. Die Welt ist schlecht und die dort drüben sind es, die haben die Kunst vergiftet. Mir aber hat man ein Bild, das ich meinem 2 Die Jahreskunstausstellungen, das Pendant zum französischen Salon, wurden von der Königlichen Akademie der Künste in den Sommermonaten ausgerichtet und bildeten bis ca. 1900 den Hauptabsatzmarkt für die bildenden Künste. Bei den internationalen Ausstellungen verzeichneten die Kataloge bis zu 4000 Exponatnummern. Spätestens seit Mitte der 1880er Jahre standen die Ausstellungen der beiden wichtigsten Kunstzentren Deutschlands, Berlin und München, regelmäßig wegen ihrer Größe und Niveaulosigkeit in der Kritik.

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Hausgotte, dem Mammon, geweiht, refüsiert.“ „Mir auch“, sagte ein Anderer, „und mir auch“, „und auch mir“ . . . . Und sie weineten alle. Wie sie so traurig dasaßen im Kreise, siehe da trat plötzlich die Sonne hinter einer Wolke hervor, ihr Glanz traf die Versammlung. Alle aber waren durch und durch erleuchtet. Sie erkannten plötzlich einander und sahen, daß sie Nummern waren, von inwendig hohl. Sie fielen einander in die Arme, herzten und küßten sich und sprachen also: „Sind wir nicht allzumal Nummern, daß man uns zähle? Viele Nummern machen eine große Nummer, der größten Nummer aber widersteht Niemand. Lasset uns zählen.“ Und es geschahe, wie sie sagten. Da nun ihre Zahl war wie Sand am Meere, besiegten sie ihre Feinde, trieben den Belzebub aus dem Tempel und errichteten ihren alten Göttern wieder Altäre. (Leistikow 1892: 1296f.) Die Alten verloren innerhalb weniger Jahre ihren Respekt und somit ihre Vorbildfunktion, was Leistikow in dieser Glosse, die 1892 viel beachtet wurde, deutlich vor Augen führt. Im folgenden Jahr wurde ein Büchlein über die aktuellen, jüngeren Künstler veröffentlicht, das den bezeichnenden Untertitel „Glossen zum Streit der Alten und Jungen“ führte. Der Kritiker E. von Franquet3 bezog darin deutlich Position: „Die Alten sagen uns nichts mehr. Wie so steif und leblos erscheinen sie mir seitdem ich die Modernen kennen gelernt!“ (Franquet 1893: 29).

Max Liebermanns Tabubruch am Vorabend des Jugendkultes In dieser Zeit des Umbruchs und der Suche nach einem neuen Stil in der Malerei, nach einer neuen Gesellschaft und nach neuen Leitbildern schuf Max Liebermann sein erstes offizielles Porträt. Er provozierte damit einen Skandal, der als die Petersen-Affäre bekannt wurde (Howoldt 1994: 209). Liebermann erhielt von Alfred Lichtwark den Auftrag, den Hamburger Bürgermeister Carl Friedrich Petersen (1809–1892) für die dortige Kunsthalle zu porträtieren (Abb. 2, Tafelteil).4 Er fertigte das Bildnis 1891 nach Fotografien an, die der Bürgermeister selbst in Auftrag gegeben hatte, da er in seinem fortgeschrittenen Alter keine Porträtsitzungen mehr abhalten konnte.5 3 Vorname nicht gesichert. 4 Zur Genese des Gemäldes und zur Literatur siehe Eberle 1995: 384–386 (Kat. 1891/3). 5 Es handelt sich um Fotomontagen des Fotoateliers Bieber, zur Entstehung und Rezeption s. Wesenberg 1997: 240; Hohl 1981: 58 (Abb.  21); Achenbach/Eberle 1979: 264. Die Fotografie „Petersen sitzend“ ist bei Muysers (2001: 115) irrtümlicherweise als Grafik bezeichnet. Eine weitere Fotomontage zeigt Petersen stehend in einem Raum, dessen Fenster einen Ausblick auf Venedig gewährt (abgebildet in: Wesenberg 1997: 240 Abb. 2).

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Dargestellt ist der über achtzigjährige Bürgermeister im spanisch-holländischen Ornat des Hamburger Senats, die linke Hand ruht auf dem Degenknauf. Oben rechts vor einem angedeuteten braunen Vorhang befindet sich das Hamburger Wappen. Ansonsten ist der Raum leer. Abgesehen von der historischen Tracht, die Liebermann von der Vorlage übernommen hatte, und über die er bemerkte, das Kostüm sehe „etwas nach Theater“ aus, fehlt jeder weitere Hinweis auf Amt und Würden (Eberle 1995: 385). Der Dargestellte thront weder in einem repräsentativen Lehnstuhl, noch wird durch die Definition des Raumes auf dessen erfolgreiche Biografie verwiesen. Im Gegenteil: Das Gemälde zeigt schlicht einen Greis. Er hält in der Bewegung inne, sie „löst ihn aus den überlieferten, statischen Repräsentationsformen des Stehens und Sitzens“ (Eberle 1995: 385). Petersen steht leicht nach vorne geneigt, gewiss ahnt man die starke Persönlichkeit, aber vor dem Betrachter steht in erster Linie ein alter Mann. Liebermann war fasziniert von dieser Erscheinung – „ein famoser Kerl, der müßte stark u einfach groß […] herunter gestrichen werden“6 – und nannte ihn gegenüber Dritten „alten Herrn“ oder „alter Mann“ (Eberle 1995: 385). Die Töne der Farbpalette sind erdfarben und schwarz, der Farbauftrag ist pastos, der Raum gleichmäßig ausgeleuchtet und nüchtern aufgefasst. Das Ergebnis stieß bei Petersen auf größte Ablehnung. Sie ging so weit, dass er sich auf dem Sterbebett das Versprechen geben ließ, dieses Bildnis niemals repräsentativ in der Kunsthalle auszustellen.7 Es rief auch die Kritiker auf den Plan. Adolf Rosenberg, Liebermanns schärfster Widersacher, warf diesem eine „rücksichtslose Behandlung der menschlichen Gestalt“ vor, „noch dazu für Porträtmalerei des großen Stils“ (Eberle 1995: 386). Der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit, der auf die grobe malerische Behandlung abzielte, ist symptomatisch für diese Zeit. Deutlich seltener hingegen wurde die Nüchternheit von Liebermanns Darstellung des Alters diskutiert. M. G. Zimmermann8, ein Kenner der neueren Malerei, empörte sich, Liebermann habe „in der Stellung einen haltlosen Greis markiert, während der Dargestellte bis über sein 80. Lebensjahr hinaus sich eine bewundernswürdige Jugendfrische, Elastizität und schöne Haltung bewahrt hat“ (Eberle 1995: 386). Petersens ältester Sohn 6 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 27.1.1891; zit. nach Pflugmacher 2003: 33 (zeichengetreue Wiedergabe). 7 Lichtwarks Trost an Liebermann lautet: „Gefiele es ihm so dürften Sie eher mißtrauisch gegen sich und Ihre Kunst werden, das ist doch ganz natürlich.“ Alfred Lichtwark, Brief an Max Liebermann, 19.6.1892, zit. nach Pflugmacher 2003: 24. Das Gemälde wurde 13  Jahre lang hinter einem Vorhang verborgen in einem Saal des Kupferstichkabinetts aufgehängt, bevor es endlich in der Gemäldegalerie gezeigt werden konnte. 8 Von Zimmermanns Vornamen sind nur die Initialen bekannt.

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Gustav bestätigte allerdings zwei Jahre später, dass die Darstellung seinem Vater „erschreckend ähnlich“ sei.9 Es ist anzunehmen, dass in Zimmermanns Sätzen der Kern der eigentlichen Kritik steckte: Das Alter als Erfahrung und Repräsentation wird aufgegeben zugunsten der realistischen, schonungslosen Beobachtung und Wiedergabe der Natur. Im gründerzeitlichen Bewusstsein kam dies einer Beleidigung des Dargestellten gleich. Bis heute wird die realistische Darstellung des Alters dieses Greises sekundär behandelt – an erster Stelle stehen Liebermanns Aussparung der klassischen Requisiten und die zeitgenössische Kritik an der empfundenen Differenz von Thema und malerischer Behandlung. Da die bereits erwähnten fotografischen Vorlagen überliefert sind, ist ein Vergleich zwischen Vorlage und Ausführung, also Liebermanns künstlerischer Interpretation, möglich. Die unmittelbare Gegenüberstellung verdeutlicht den Grund der vehementen Ablehnung. Auf der ersten Fotografie ist Petersen auf einem mächtigen, geschnitzten, historisierenden Scherenstuhl sitzend zu sehen, in fester, gerader Haltung mit elegant übereinander geschlagenen Beinen (Abb.  3). Auf der zweiten Fotografie posiert er, wie dann auch auf dem Ölgemälde, stehend (Abb. 4). Aber welch ein Unterschied: Auf der Fotografie sieht man ihn aufrecht stehend, die Arme sind angewinkelt, und durch das Kontrapost erfährt seine Haltung zusätzlich innere Spannkraft. Auf dem Ölgemälde hingegen ist die Spielbein-Standbeinposition zugunsten einer gleichmäßigen Verteilung des Körpergewichts auf beide Beine aufgegeben. Die Arme hängen leicht herunter und Kopf und Nacken sind nach vorne gebeugt. Man könnte meinen, Petersen würde gleich am Betrachter vorbeischlurfen. Sehr subtil wird von Liebermann die Gebrechlichkeit des hohen Alters festgehalten. Liebermann hatte damit am Vorabend des Jugendkultes einen Tabubruch begangen. Er stand mit diesem Bildnis in den Jahren 1891/92 (Fertigstellung und Präsentation) gewissermaßen zwischen zwei Welten. Die gründerzeitliche Auffassung eines Bürgermeisterporträts hatte er in zweifacher Hinsicht nicht befriedigt: zum einen weil er den Menschen Petersen ohne die obligatorischen Requisiten des Erfolges dargestellt hatte, zum andern weil er ohne Rücksicht auf Konventionen dessen tatsächliches Alter würdevoll in einer ernsten und sachlichen Behandlung des Themas ausgelegt hat.10 Er hat das Alter abgebildet, 9 Alfred Lichtwark, Brief an Max Liebermann vom 25.3.1894, zit. nach Pflugmacher 2003: 43. 10 Vgl. Muther 1893/94, insbes. Bd. 1: 153f. Die viel beachtete und umstrittene dreibändige Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert des Kunstkritikers und -historikers Richard Muther verfehlte ihre Wirkung nicht. Muther konstatierte eine aktuelle Krise der Historienmalerei im ausgehenden Jahrhundert. Sie müsse auf die veränderten Gesellschaftsstruk-

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Abb. 3:  Fotostudio Bieber, Carl Friedrich Petersen, sitzend, Fotografie (Illustrierte Zeitung Nr. 2578, 28.10.1892: 605).

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Abb. 4:  Fotostudio Bieber, Carl Friedrich Petersen, stehend, Fotografie (Hohl 1981: 58).

wie er selbst es sah, anstelle zu zeigen, wie das gründerzeitlich geprägte Bürgertum es sehen wollte, nämlich im großen Stil. Die Opposition begriff die Unabhängigkeit, die hinter Liebermanns Auffassung stand. Heute gilt es als programmatisches Bild einer neuen Porträtmalerei (vgl. Achenbach/Eberle 1979: 265; Eberle 1995: 386; Muysers 2001: 112ff.). Nach der Fertigstellung korrespondierte Liebermann mit Lichtwark, um zu beratschlagen, wie das Bild am besten beim Publikum einzuführen sei, da er die Krise, die es auslösen würde, voraussah. Er bevorzugte eine Vorabpräsentation im Rahmen der ersten Ausstellungen der Künstlergruppe Vereinigung der XI (s.w.u.) in der Berliner Galerie Schulte, bevor das Gemälde offiziell nach

turen antworten und als charakteristische Zeitbilder vor allem durch die Malweise und eine ernste, sachliche Behandlung des Themas bieten. Liebermann schätzte diese Schrift.

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Hamburg verschickt und dort öffentlich präsentiert werden sollte. Mit folgenden Worten konnte er Lichtwark von seiner Strategie überzeugen: Bei der Gegenströmung, die in Hamburg gegen das Portrait existirt, scheint es mir nebenbei auch höchst günstig, wenn dasselbe nicht zuerst dort ausgestellt wird, zumal ich hoffen darf, daß das Bild hier besser aufgenommen wird was dann natürlich nicht verfehlen wird, auf Hamburg günstig zurückzuwirken. [...] wie gesagt, bei Schulte könnte ich für möglichst günstige Aufstellung sorgen u da meinen Collegen das Portrait besonders zu imponiren scheint, so scheint mir das auch eine Gewähr für die Aufnahme seitens des Publicums zu bieten.11 In Berlin wurde dieses Gemälde in der Tat nicht nur abwertend, sondern auch positiv besprochen. Otto Brahm beispielsweise hob es in seiner Ausstellungsbesprechung besonders hervor; er attestierte Liebermann „Persönlichkeit“ und „Mut“ (Brahm 1892: 519). Wie erwartet erhielt Liebermann von seinen Kollegen ebenfalls Zustimmung. Obwohl die ‚Generation Jugendstil‘ mit anderen Sujets und einer anderen malerischen Auffassung befasst war, gab es von dieser Seite aus Respekt, wie der oben zitierte Brief Liebermanns bereits andeutet: Ludwig von Hofmann (1861–1945), ein junger Maler und ebenfalls Mitglied der Vereinigung der XI, begann zu diesem Zeitpunkt die ersten arkadischen Landschaften zu malen, die von nackten Jünglingen und leicht bekleideten Mädchen bevölkert waren (Abb. 5, Tafelteil). Beide, Liebermann und von Hofmann, stellten kollegial und in gegenseitiger Wertschätzung trotz ihrer grundverschiedenen Sujets gemeinsam aus. Sie teilten sowohl die Mitgliedschaft in dieser umstrittenen Künstlergruppe als auch das starke Presseecho nicht nur der ersten Ausstellung der XI im Jahr 1892, das vom Verriss bis zur Euphorie reichte (Meister 2007: 133ff.; zu Hofmann s. Wagner/Wolbert 2005). Ludwig von Hofmann stand anlässlich seiner Debüt-Ausstellung besonders im Kreuzfeuer der Kunstkritik. Ihm wurde eine „bizarre Fantasie“ vorgeworfen. Die Bezeichnung „bizarr“ fiel in den Ausstellungskritiken auffallend häufig und besaß eine ausschließlich negative Konnotation. Das Adjektiv bedeutete um 1900 das Abweichen der allgemeingültigen Normen und die Ablehnung der „aus der Überlieferung entsprungenen Regeln“.12 Die konservative Kritik beklagte also den Bruch 11 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, undatiert (vor dem 18.2.1892), zit. nach Pflugmacher 2003: 40 (zeichengetreue Wiedergabe). Die Galerie Eduard Schulte befand sich Unter den Linden 1, am Pariser Platz, und stellte seit 1892 die Künstlergruppe Vereinigung der XI aus. Das Porträt wurde in eben diesem Jahr dort gezeigt (Meister 2007: 151). Mit „Collegen“ sind Mitglieder der Vereinigung der XI gemeint, darunter Walter Leistikow, Franz Skarbina und Ludwig von Hofmann. 12 Stichwort Bizarr in Meyers Konversationslexikon. Leipzig/Wien 51895, Bd. 3: „Bizarr – wunderlich, ungereimt, seltsam. Die Bizarrerie sucht mit Absichtlichkeit das Seltsame und

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mit der Tradition. Liebermanns Petersen-Porträt und Hofmanns ‚lyrische Reisen‘ standen im Fokus der Aufmerksamkeit und des Unverständnisses: Beide Künstler befanden sich in einem transitorischen Zustand, in dem der klare Blick auf das Alter und die ideale Verklärung der Jugend gleichermaßen eine Reise ins Ungewisse der Rezeption bedeutete.

Jugend und Jugendstil: eine Hymne Doch die individuelle Sicht auf die Welt gewann in diesem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beim überwiegend bürgerlich geprägten Publikum zunehmend an Bedeutung: Der allgemeine Konsens über Gattung, Sujets und Malweise war im Verschwinden begriffen. Künstler wie Franz von Stuck hatten gerade ihre ersten Erfolge zu verzeichnen, als Deutschland eine neue malerische Richtung aus Frankreich und Belgien erreichte: Um 1893/94 wurde in der Berliner Galerie Fritz Gurlitt erstmals zusammenhängend symbolistische Kunst gezeigt, die als Neuidealismus und für kurze Zeit (aufgrund der Gurlittschen Galeriewerbung) als „Kunst der Symboliker“ bezeichnet wurde, bevor sich der Name Symbolismus etablierte. Von Berlin aus trat er seinen Siegeszug in Deutschland an. Zu dieser internationalen Ausstellung zählten Künstler wie Ludwig von Hofmann, Fidus, Fernand Khnopff, Jan Toroop und weitere, zumeist heute nicht mehr geläufige Namen. Wenngleich nicht mehr nachvollzogen werden kann, welche Gemälde bei Gurlitt gezeigt worden sind, kann man davon ausgehen, dass es sich bei den Themen um Frühlings- und Paradieses-darstellungen, um schöne junge Frauen und Männer, um allegorische Sujets wie ‚Hoffnung‘ und ‚Sehnsucht‘, um antike Themen wie Dionysos oder Bacchantenfeste und um Darstellungen der femme fatale zum Beispiel in Gestalt der Salome gehandelt haben wird. Ästhetisierung und Stilisierung, Formvereinfachung und harmonische Farbgebung standen im Vordergrund der Ausdrucksmittel. Nach anfänglicher Skepsis fand das Publikum Gefallen an dieser neuen Malerei.

Auffallende, strebt, sich den Schein des Aussergewöhnlichen zu geben, weicht, Originalität affektierend, von allgemeingültigen Sitten und Normen ab und wirkt dadurch bisweilen wider Willen komisch. Der bizarre Geschmack in der Kunst verschmäht die von der Natur abgeleiteten oder aus der Überlieferung entsprungenen Regeln und artet aus falscher Originalitätssucht ins Sonderbare, Verzerrte und Ungeheuerliche aus: er bekundet sich zuerst in der Vernachlässigung der formalen Seite der Kunsttechnik oder in der Übertreibung der ungesunden Anwendung der technischen Verfahren und deutet, wenn er grössere Kreise ausübender Künstler beherrscht, auf einen Rückgang des künstlerischen Schaffens.“

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Wenig später wurde 1896 in München eine Wochenzeitschrift aus der Taufe gehoben, die den Namen „Jugend“ erhielt – er war „Titel und Programm in Einem“, erinnerte sich der Verleger Georg Hirth (Jugend 1896ff., Hirth zit. nach Weisser 1981: 14). Zu den Besonderheiten der Zeitschrift gehörte das Experiment, den Schriftzug ‚Jugend‘ für das Titelblatt jeder Ausgabe neu zu gestalten und so dem Grundgedanken von Dynamik, Freiheit und Flexibilität optisch auf dem Cover Ausdruck zu verleihen. Die künstlerisch gestalteten Titelblätter spiegelten die BeAbb. 7:  Anton von Werner, Selbstbild- findlichkeit der Gesellschaft der Jahrnis im Atelier, 1885, Öl/Leinwand, hundertwende. Zwei Cover-Gestaltungen 119 x 87 cm, Museum Viadrina, Ludwig von Zumbuschs mögen das ProFrankfurt (Oder); Foto-Design: gramm beispielhaft unter dem Aspekt Alter Winfried Mausolf, Frankfurt (Oder). beleuchten. Das 28. Heft des ersten Jahrgangs thematisiert den Freiheitsdrang der Jugend gegenüber den Bestrebungen der Alten, ihnen die Flügel zu stutzen (Abb. 6, Tafelteil). Der Pfeil der Jugend trifft den älteren Mann bei dem Versuch, einen jungen Baumstamm durchzusägen. Das Konterfei erinnert an den Berliner Direktor der Hochschule für bildende Künste, Anton von Werner (Abb. 7, Tafelteil). Weisser (1981: 28) kommentiert: „… was sägst du an jungen Bäumen[,] bebrillter Greis – der Pfeil der Jugend wird dich treffen und mahnen: Laß das Leben sich erst entfalten!“ Das 23. Heft des dritten Jahrgangs 1898 zeigt zwei Bettlaken ausschüttelnde junge Frauen in Tanzpose und wallenden roten Kleidern (Abb. 8, Tafelteil). Aus dem Laken fliegt ein kleiner befrackter Mann mit Halbglatze und Brille, der an den Maler Adolph Menzel erinnert (Abb. 9). Noch einmal Weisser (1981: 36): „… die Jugend schüttelt die Laken – und heraus fällt, wie ein lästiges Insekt, ein greiser Philister.“13 Die Mehrzahl der Titelblätter zeigten jedoch keine Szenen, die das Alter unmittelbar entwürdigten, sondern 13 Die Wahl der Maler Menzel und von Werner verweist auf einen Subtext, der hier nur angedeutet werden kann: Die Städte Berlin und München standen um 1900 in erbitterter Konkurrenz um den Rang als Kunsthauptstadt. Indem ein Münchner Kunstmagazin die beiden bekanntesten Berliner Größen der älteren Generation verspottete, wollte es die Führung durch die junge Moderne für sich beanspruchen. Tatsächlich wurde allerdings wenig später der Wettstreit für Berlin entschieden.

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Hymnen auf die Jugend in Form von Tanz und Spieldarstellungen, männliche Kraft sowie sinnliche Szenen in der Natur. Ungestüme Lebenslust, Unschuld, Kühnheit, Kraft, Anmut und Schönheit sind die darstellerischen Mittel, um die Programmatik einer dynamischen, innovativen Jugend, die sich selbst feiert, wöchentlich aufs Neue einem breiten Publikum darzubieten. In einem Preisausschreiben, das in der ersten Doppelnummer dazu aufforderte, Entwürfe für die Titelblätter einzureichen, betonte das Blatt, „jede Anlehnung an einen bestimmten alten Stil“ werde abgewiesen Abb. 9:  Adolph Menzel, um 1900, (Weisser 1981: 18, Reprint der Seite des Fotograf unbekannt, Bundesarchiv, Bild 183-R30367 / o. Ang. / Preisausschreibens). Nach den ersten Lizenz CC-BY-SA 3.0 Ausgaben jubelte die Presse. Jedes Heft sei ein „schrankenloser Tummelplatz für künstlerische Unge-bundenheit“, ließ „Bohemia“ am 10. Mai 1896 verlauten und lobte anerkennend den „Uebermut“ der Autoren und künstlerischen Gestalter (zit. nach Weisser 1981: 13). Die „Tägliche Rundschau“ meinte: „‚Jugend‘ ist Gesundheit, Freiheit, Glück, Fröhlichkeit […] Wer den schnellen Pulsschlag des Lebens fühlen, wer sie miterleben will unsere Zeit des Werdens […], dem rathe ich zur ‚Jugend‘“ (31.3.1896, zit. nach Weisser 1981: 13). Wie kein anderes Lebensalter symbolisierte die Jugend als neue Generation den Aufbruch in eine neue Zeit. Jugend wurde als symbolische Kraft verstanden. Beworben wurde das Lifestyle-Magazin, wie man es heute nennen würde, mit dem doppeldeutigen Wortspiel: „Jugend. Hier zu haben“ (Abb. 10). Mit ihren mehrfarbigen, künstlerisch gestalteten Illustrationen auf den Titelblättern als wirkungsvoller Blickfang beeinflusste die Zeitschrift nachhaltig die Presselandschaft. Darüber hinaus prägte sie als Massenmedium eine neue Geisteshaltung und Schönheitskultur in allen Lebensbereichen. 1901 schließlich etabliert sich der Begriff „Jugendstil“ (vgl. Weisser 1981: 16).

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Zeitgenössische Diskussion des Leitbildwechsels Der Leitbildwechsel Alter/Jugend wurde im zeitgenössischen Schrifttum intensiv diskutiert. Die Modernen, bei denen Jugend als Qualitätsbegriff fungierte, bezogen die Alten explizit in ihren Qualitätsbegriff ein. So stellte Hirth im ersten Heft seiner Zeitschrift „Jugend“ klar: „Denn die Jugend ist kein Vorrecht der Leute bis zu dreissig oder fünfunddreissig Jahren! Dem Jüngsten kann sie fehlen, der Aelteste kann sie haben!“ (Zit. nach Weisser 1981: 15). Ähnlich liberal kommentierte Hermann Bahr die Wiener Secession: Sie „ist kein Streit neuerer Künstler gegen die alten, sondern sie ist die Erhebung der Künstler gegen die Hausierer, die sich für Künstler ausgeben und ein geschätztes Interesse haben, keine Kunst aufkommen zu lassen. Die ‚Vereinigung‘ wirft der ‚Genossenschaft‘ nicht vor: Du bist das ‚Alte‘, und sie fordert sie nicht auf: Werde ‚modern‘! Nein, sie sagt ihr bloß: Ihr seid Fabrikanten, wir wollen Maler sein!“ (Zit. nach Galland 1897/98: 147, Hervorhebung im Original). Diese Klarstellung findet sich im Modernediskurs sehr häufig. Sie wurde von den Kritikern jedoch ebenso häufig ignoriert, vermutlich, um die Union von Alt und Jung und damit die Sezessionsbewegung zu entkräften. 1899 sah sich Leistikow als Schriftführer der Berliner Secession gezwungen, im „Berliner Tageblatt“ mit der „landläufigen Auffassung aufzuräumen, daß die ‚Sezession‘ eins wäre mit ‚Kampf der Jugend gegen die Alten‘. Das trifft die Sache absolut nicht. Wir fragen Niemand nach seinem Geburtsschein“ (Leistikow 1899). Den Gegnern war der Jugendbegriff suspekt. Sie bemängelten, er sei modisch und inhaltsleer. Dazu gehörten Skeptiker wie der Kunsthistoriker Wolfgang von Oettingen, der im Aufsatz „Die Grenzen der Jugend“ (1896/97: 99) Kritik übte, die für diese Haltung typisch ist. Vermeintlich wird die Zeitschrift „Jugend“ besprochen, doch sowohl der Titel als auch der Subtext der Abhandlung implizierte Jugend als Lebensalter. Er sprach „von fataler Verwandtschaft zwischen den Worten ‚Moderne‘ und ‚Mode‘! Fatalere Herrschaft von Schlagworten und Einseitigkeiten, mit denen die Mode die Modernen umgarnt, indem sie jene für die endlich gefundene, endgültig festgestellte Wahrheit ausgiebt!“ In der Tat verlor der Begriff Jugend als Kampfbegriff im Rahmen der Moderne-Diskussion aufgrund der inflationären Verwendung an Profil. Doch trugen Kritiken wie diese, die selbst nur pauschal mit damals beliebten Schlagworten wie „Wahrheit“ operierten, weder zur Schärfung des Begriffs noch zur Versachlichung der Debatte bei. In einer dritten, komplexen Position, die hier nur angedeutet werden kann, wurde der Begriff Jugend übersteigert und im Kontext einer konservativen Kulturkritik instrumentalisiert (dazu Sieferle 1995; Kerbs/Reulecke 1998). Zu ihnen gehörten die völkischen Vordenker wie Julius Langbehn und Arthur

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Moeller van den Bruck. Sie begriffen Jugend emphatisch als einen Willensakt. Moeller van den Bruck (1904: 142) propagierte 1904 radikal die Ersetzung des Alters durch die Jugend. Im visionären Zukunftsstaat findet man dementsprechend keine alten Menschen mehr. Friedrich Bilz hat dies bildlich auf der Illustration seines Zukunftsentwurfs der Staatseinrichtung im Jahr 2000 verdeutlicht (Bilz 1904, ganzseitige Farbillustration o. Pag.) (Abb. 11, Tafelteil). Durch eine gemalte, zeitgemäß floral verschnörkelte Jugendstil-Rahmung teilt sich die Illustration in zwei Hälften. Die linke Seite ist überschrieben mit „Das Volk im heutigen Staat“. Einzelne Bildfelder mit Unterschriften schildern den Kampf des Alltags. Man sieht „Arbeitslose und Bummler“, ein „mit Rauch gefülltes Gastzimmer“, ein Krankenzimmer und das Wartezimmer eines Rechtsanwalts. Überall haben die Alten teil an dem vorwiegend anstrengenden Leben. Auf der rechten Seite der Illustration mit dem Titel „Das Volk im Zukunftsstaat“ gibt es keine Kranken und keine Kriegsschauplätze mehr, nur Tanz und Frohsinn. Das „irdische Paradies“ ist ebenso dargestellt wie die „Auszahlung des Gehalts, das jeder Mensch zeitlebens bekommt“ (Abb. 11). Anders als bei Gemälden Ludwig von Hofmanns (Abb. 12, Tafelteil), an dessen künstlerisch gestaltete idyllische Landschaften Bilz’ Illustration formal anknüpft, ist Bilz’ propagandistische „Darstellung des Volkes“ süßlich und überzogen. Die Komposition ist mit Figuren überfüllt. Bilz appelliert an sentimentale Gefühle des Betrachters, indem er Stereotype wirkungsvoll ins Bild setzt, so z. B. auf dem Bildfeld „Reigenaufführung in freier Natur“ die Rehe in der unmittelbaren Nähe der Mädchen als Zeichen ihrer Unschuld. Bemerkenswerterweise wird der Zukunftsstaat nur von jungen Menschen bevölkert. Man fragt sich, wo die Alten geblieben sind. Sie scheinen aus dem öffentlichen Leben verbannt. In der Bildmitte, zwischen Istzustand und Utopie, ist der Visionär selbst dargestellt – paradoxerweise als alter, weißhaariger Mann mit Brille und Bart. Das Gedankengut dieses propagierten Jugendkultes wurde von verschiedenen deutschen Reformbewegungen rezipiert, die sich als bürgerliche Fluchtbewegung gegen Ende des 19.  Jahrhunderts etabliert hatten (Kerbs/ Reulecke 1998; Buchholz et al. 2001). Dazu gehörten die Jugendbewegung, die Wandervogelbewegung, die Kleiderreform, die Jugendmusikbewegung und die Freikörperkulturbewegung – um nur einige zu nennen. Eine Altersbewegung gab es jedoch nicht. Symptomatisch für dieses Fehlen ist Fidus’ Gemälde mit dem Titel „Gnadennacht“, der das Wort „Gnadenbrot“ assoziiert (zu Fidus, d. i. Hugo Höppener, siehe Frecot/Geist/Kerbs 2000) (Abb. 13). Das Gemälde bildet als eines der wenigen Darstellungen, die alte Menschen überhaupt noch zum Thema haben, die Geisteshaltung jener Jahre ab. Das Szenario des Alters: Abschied, sexuelle Enthaltsamkeit und Verfall.

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Abschließende Bemerkung: Vom Alterskult zum Jugendwahn Die Art und Weise, wie heute in der Gesellschaft Alter und Älterwerden thematisiert und problematisiert wird, nahm ihren Anfang in dem oben skizzierten Jugend- und Körperkult des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Phänomen, das in seiner Konsequenz oftmals als Jugendwahn bezeichnet wird, wurzelt im Ideal einer dynamischen Gesellschaft. Es löste das hierarchische Modell des erfolgreichen Patriarchen der bürgerlichen Gesellschaft im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen vor über einem Jahrhundert ab. Pointiert könnte man sagen: Der Altersbewegung folgte eine Jugendbewegung, dem Alterskult folgte ein Jugendkult. So, wie bis um 1900 die Jugend mit den Maßstäben des Alters gemessen wurde, so wird heute das Alter mit den Maßstäben der Jugend gemessen. Alter wird primär als Verminderung der Leistungsfähigkeit aufgefasst und dessen Qualitäten wie Erfahrung, Weisheit und Souveränität als quantité négligeable behandelt. Diese Akzentverschiebung, die im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzte und bis heute Gültigkeit hat, wurde von Heiko Stoff schonungslos formuliert: Das Alter fand – und findet – „seinen Platz am äußersten Ende der Ermüdungskurven der Ergonomie“ (Stoff 2004: 192). Während sich der Jugendstil in verschiedene Richtungen zergliederte (Hermand 1971) und spätestens in der Weimarer Republik von der Neuen Sachlichkeit abgelöst wurde, wurden die Inhalte der Reformbewegungen auf unterschiedliche Weise in das Gedankengut des „Dritten Reichs“ überführt und transformiert (Hermand 1988). Festzuhalten ist, dass es im Prozess der Ablösung von den mächtigen Altersgestalten des ausgehenden 19. Jahrhunderts weder in der Bildenden Kunst noch in den künstlerischen Bereichen der Reformbewegungen gelungen ist, nachhaltig ein neues Altersbild zu schaffen. Zwar besteht heute Einigkeit in der programmatischen Bedeutung des Petersen-Porträts von Max Liebermann, der in den nachfolgenden Jahrzehnten zu den gefragtesten deutschen Porträtisten gehörte, aber eine breite künstlerische Rezeption und eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Themas Altersbild ist nicht erfolgt.

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Konstruktionen des Alters. Soziale, politische und ökonomische Strategien Anton Amann We need and we use cognitive social constructions: ideas, terms, images and value decisions, to bring a systematic order into the endless flow of impressions and observations of the social world. Theses constructions appear in contradictory forms in different times and under different social regimes. The role of politics in the processes of social construction has been analysed in this paper by the example of social policy. As a result, we can say, that social policy has invented aging as a social problem, it has proposed retirement strategies as a means to manage social and economic crises, and it has, finally, started to individualize collective risks. In the actual discourse of aging new constructions are arising which define demographic aging as a global burden for economies and societies. That discourse is continually directed by the big International Organizations. Criticism and opposing constructions outside the economic hegemony are only to be found in cultural and social approaches. Wir benützen Ideen und Konstruktionen, um Ordnung ins Chaos bzw. den unendlichen Fluss des Geschehens und der Erscheinungen zu bringen. Zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Gesellschaftsordnungen stellen sich diese Konstruktionen als Gegensätze heraus. Die Rolle der Politik in den gesellschaftlichen Konstruktionen des Alters ist auf die Sozialpolitik zu konzentrieren, eine Perspektive, die sich mit einigen bekannten Thesen der Politischen Ökonomie des Alters verbinden lässt. Die Sozialpolitik hat das Alter als soziales Problem erfunden, Pensionierungsstrategien als Lösung für soziale und wirtschaftliche Probleme eingesetzt und kollektive Risiken individualisiert. Im gegenwärtigen Altersdiskurs werden neue Konstruktionen entwickelt, die vor allem das Ziel verfolgen, das demografische Altern als Belastung für die Ökonomie und die Gesellschaft zu charakterisieren. Dieser Diskurs ist global geworden und wird auch von den großen Internationalen Organisationen betrieben. Als gegenläufige Konstruktionen finden sich nur außerhalb der Wirtschaftsstrategien kulturelle und soziale Ansätze, die ihrerseits wissenschaftlich getragen sind.

Wie wir konstruieren Wir benützen Ideen und Konstruktionen, um Ordnung ins Chaos, oder, wie Max Weber das nannte, in den unendlichen Fluss des Geschehens und der Erscheinungen zu bringen. Zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen

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Gesellschaftsordnungen stellen sich diese Konstruktionen als Gegensätze heraus. Es geht immer um Klassifizierungen, Einteilungen und Abtrennungen, die der Erkenntnis der Welt als kategoriale Anschauungen und Beurteilungen der Realität zugrunde liegen. Sie basieren auf festen Dispositionen, die den verschiedenen Gruppierungen eigen sind, und sie variieren nach sozialen Klassen und historischen Lagerungen. Diese einverleibten geistigen Schemata erzeugen jene relativ verfestigten Vorstellungen oder Figurationen, mit deren Hilfe die Gegenwart Sinn annimmt, andere verstehbar werden, und der soziale Raum erschlossen werden kann. Die ständige Konstruktion, Verbreitung und Wiederholung solcher Ordnungsvorstellungen senken sich tief in unsere Vorstellungen von der Welt, sie nehmen den Charakter sozialer Tatsachen an, an denen wir unser Handeln orientieren. Wenn jemand überzeugt ist, dass ältere Menschen keinen produktiven Beitrag für die Gesellschaft mehr leisten, werden ihn auch noch so gute Argumente nicht vom Gegenteil überzeugen (Amann 2008: 92f.). Die auf solche Art gebildeten Vorstellungen der sozialen Welt entsprechen immer den Interessen jener Gruppen, die sie konstruiert haben, auch wenn sie im Gewand von vernünftigen Urteilen und allgemein verbindlich auftreten. Diese Vorstellungen über die soziale Welt sind keine neutralen Reden. Sie erzeugen Strategien und Praktiken, die Autorität beanspruchen, und zwar auf Kosten anderer, deren Vorstellungen zurück gewiesen werden, und sie sollen Reformen und Veränderungen rechtfertigen. An ihnen wird die grundsätzliche Polarisierung der Vorstellungen sichtbar. Sich mit ihnen auseinander zu setzen, sie zu bekämpfen, oder sie zu umgehen, setzt voraus, dass sie als wirkliche gesellschaftliche Institutionen aufgefasst werden, die in der Gestalt mentaler Kategorien und kollektiver Vorstellungen die gesellschaftliche Organisation verkörpern (Chartier 1992: 13). Aus theoretischer Sicht dreht es sich hier, wohlgemerkt, um einen moderaten Konstruktivismus, dessen Wurzeln bei G. Simmel und W. Jerusalem zu suchen sind, und weniger bei jenen wissenschaftshistorischen Hintergründen, die zum so genannten Radikalen Konstruktivismus führten. Die hier vertretene Auffassung lässt Konstruktionen zwar als relativ beständig, manchmal sogar als starr erscheinen, trotzdem ist ihnen eigen, dass sie veränderbar sind.

Alterskonstruktionen, Politik und Wirtschaft Die Rolle der Politik in den gesellschaftlichen Konstruktionen des Alters ist hier auf die Sozialpolitik zu konzentrieren, eine Perspektive, die sich mit einigen bekannten Thesen der Politischen Ökonomie des Alters verbinden lässt. Globalisierung und mit ihr auftretende neue Risikoformen lassen es geraten

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erscheinen, einen Blick zurück zu werfen und die Ursprünge des heutigen Belastungsdiskurses des Alters zu suchen. Zu diesem Zweck lässt sich der Beitrag der Sozialpolitik zu den Konstruktionen des Alters in ein Modell bringen, dem implizit eine Phaseneinteilung der Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg zugrunde liegt. Dabei ist der Kern der Thesen der Politischen Ökonomie des Alters heranzuziehen, denen zufolge die Politik, vor allem also die Sozialpolitik in Europa, in diesem Zeitraum Strukturen schuf, unter denen älter werdende Menschen vermehrt in ökonomische und finanzielle Abhängigkeiten gerieten und sozial exkludiert wurden. Ökonomische Abhängigkeit und Exklusion wurden sozial konstruiert, und zwar vor allem durch Institutionen wie den Arbeitsmarkt und den Wohlfahrtsstaat. Diese Strukturveränderungen gingen Hand in Hand mit spezifischen und ebenfalls sich verändernden Konstruktionen oder Interpretationen des Alters.

Die Erfindung des Alters als soziales Problem Heute gilt als Faktum, dass ältere Menschen die größte Gruppe sind, die wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen bezieht, dass Pensionen der größte Ausgabenposten in den Sozialbudgets darstellen, und dass die Älteren am häufigsten Konsumenten von Sozial- und Gesundheitsleistungen sind (Walker 2006: 61). Hinter der Entwicklung, die zu dieser Situation geführt hat, standen, neben der demografischen Alterung, gesellschaftliche Strategien. In den ersten dreißig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Alter als soziales Problem identifiziert. Die ersten „Warnungen“, in denen die Älteren als „Last“ für die Gesellschaft interpretiert wurden, stammen aus den frühen 1950er Jahren. Die Vereinten Nationen sprachen von „the burden of population aging“ (Walker 2006: 63) und Konrad Adenauer drohte in der großen Regierungserklärung von 1953, dass die Älteren es sein würden, die von der Abnahme der Zahl Erwerbstätiger, bedingt durch den Geburtenrückgang, in der Bevölkerung betroffen würden (Amann 2004: 21). Diese Interpretationen, die das neue Phänomen des Alterns der Bevölkerung mit ersten Einordnungsmarken versahen, erfolgten parallel zur Konsolidierung und Expansion der nationalen Pensionssysteme im so genannten Goldenen Zeitalter des Wohlfahrtstaats. Die wesentlichen sozialpolitischen Ziele waren die effiziente Ausgliederung älterer Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt und die Schaffung einer relativen Einkommenssicherheit im Alter. Diese Strategie hatte zwei Effekte: Einerseits sank die Erwerbsbeteiligung in den höheren Altersgruppen (60–65) sukzessive ab, die Zahl der Pensionen stieg

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also an, andererseits wurde zunehmend akzeptiert, dass die Einkommensbedürfnisse älterer Menschen niedriger seien als jene der „ökonomisch Aktiven“. Hinweise aus der Altersforschung in den 1970er Jahren, dass diese Annahme aufgrund verschiedenster Bedingungen im Alter nicht zutreffe, wurden von der Politik ignoriert, die Ausgestaltung der Pensionsberechungen richtete sich ausschließlich nach demografischen und versicherungsmathematischen Kalkülen. So liegt denn auch die so genannte Einkommensersatzrate heute in Deutschland unter 70 Prozent und in Großbritannien knapp über 60 Prozent. In politischer Sprache wurde Alter, oder der Beginn des Alters, mit dem gesetzlichen Pensionsalter gleichgesetzt. Alter war zu einem sozialen Problem geworden, das unter der Regie der Sozialpolitik reguliert werden musste.

Pensionierung als Lösung für ökonomische Probleme Beginnend mit den Arbeitsmarktproblemen, der internationalen Wirtschaftskrise („Ölschock“) und den fiskalischen Spannungen in der ersten Hälfte der 1970er Jahre begann eine geänderte Rekonstruktion der sozialen Bedeutung des Alters in zweierlei Weise: Einerseits wurde das Alter von der Pensionseintrittsdefinition, die am gesetzlichen Pensionsalter gehangen hatte, in eine wesentlich weitere Kategorie umdefiniert, die von 45/50 bis zum Tod reichte, andererseits hat die durch sozialpolitische Frühpensionierungsoptionen extrem angestiegene Zahl vorzeitig aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedener die Abwertung älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt massiv verschärft. Es war Anfang der 1980er Jahre, als sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Frühausscheidenden in den Medien gebrandmarkt wurden, gleichzeitig aber in den Betrieben vermehrt die Versetzung älterer Arbeitskräfte auf so genannte Schonarbeitsplätze oder gar deren Kündigung zu den beliebtesten Verdrängungsstrategien avancierten. In den 1970er Jahren hatte dieser Prozess mit einem massiven Abfall vor allem der männlichen Erwerbsbeteiligung in den höheren Altersgruppen begonnen (mit Ausnahmen in Schweden und Japan: Kohli et al. 1991). Dieser Vorgang war wesentlich nachfragebedingt durch den Beschäftigungskollaps von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre. Der sozialpolitisch initiierte Massivtrend zur Frühpensionierung führte dazu, dass es auf der einen Seite die gab, die eine Frühpensionierung als wünschenswerte Alternative zur Arbeitslosigkeit ansahen, und auf der anderen Seite jene, die durch einen feindseligen und altersdiskriminierenden Arbeitsmarkt effektiv in die Frühpension getrieben wurden. In dieser Zeit breitete sich, gleichermaßen als Legitimierungsmodell, die Konstruktion von der mangelnden wirtschaftlichen Produktivität der älteren Arbeitskräfte aus.

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Die sozialpolitische Strategie bestand in vielen europäischen Ländern darin, die angespannten Arbeitsmärkte, generell also das Beschäftigungssystem, durch massenhafte Pensionierungen zu entlasten. In Österreichs eisenverarbeitender Industrie wurden ab März 1983 durch einen Erlass des damaligen Sozialministeriums ältere Beschäftigte (52+  Jahre bei Frauen und 57+  Jahre bei Männern) frühzeitig in die Pension gezwungen, um den entsprechenden Sektor des Arbeitsmarkts zu entlasten. Für die Alterskonstruktionen war bedeutsam, dass ab dem Zeitpunkt, da dieses „Hilf-der-Wirtschaft-durch-das-Pensionssystem“ als nicht mehr finanzierbar erkannt wurde, die frühzeitig aus dem Erwerbsleben Ausscheidenden zu Sündenböcken für die steigende Belastung des Pensionssystems umdefiniert wurden (Amann 2004: 26). Heute stehen wir vor der paradoxen Situation, dass in der EU generell versucht wird, die Erwerbsquoten unter den Älteren von einem Tiefpunkt aus anzuheben, den die Politik selbst herbeigeführt hat, und dass gleichzeitig die 40- bis 55-Jährigen in Hinsicht auf Beschäftigungschancen, Karrieremöglichkeiten und Weiterbildung auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Die Älteren waren von einem sozialen Problem zu einer ökonomischen Last geworden.

Die Individualisierung von Risiken und Wohlfahrt Diese dritte Phase des Modells steht am Beginn ihrer Entwicklung und ihre Binnenstruktur kann nur teilweise auf empirische Befunde gegründet werden, sodass ihre Beschreibung auch hypothetischen Charakter annehmen muss. Die bisher am stärksten durchgesetzten Argumente für eine Reform wohlfahrtsstaatlicher Strukturen stammen aus dem Fundus des Globalisierungsdiskurses, sie haben sich also seit den späten 1980er Jahren formiert. Speziell unter dem Transatlantischen Konsensus, demzufolge wachsende Ungleichheit eine unvermeidliche Folge der Globalisierung sei, wurde die Fundamentalforderung nach einer Minimierung sozialer Kosten etabliert. Die politisch bereits erreichten Effekte finden sich in den budgetären Vorgaben der Währungsunion (MaastrichtKriterien), die eine strikte Begrenzung öffentlicher Ausgaben im Rahmen nationaler Budgets zur Pflicht gemacht haben – die unsägliche Diskussion des so genannten Nulldefizits. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit einer rigorosen Begrenzung der Frühpensionierungsmöglichkeiten. Frankreich war das erste Land, das 1986 die einschlägigen Regulierungen aufhob (Walker 2006: 65). Parallel dazu entstand die Konstruktion einer unbedingt notwendigen Eigenvorsorge für das Alter, forciert von Banken und Versicherungen und unterstützt von der Politik durch finanzielle Anreize mit der Begründung, dass die Pensionslast künftig wegen

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der zunehmenden Zahl der Älteren nicht mehr zu finanzieren sei. Spätestens seit Anfang der 1990er Jahre dehnte sich der rigorosere Kurs der Sozialpolitik auch auf die Arbeitsmarkt-Service-Systeme aus: Zumutbarkeitsbedingungen für Arbeitslose wurden verschärft, Arbeitslosengeldleistungen gekürzt. Ungefähr zur selben Zeit entstand eine breite gesellschaftliche Entwicklung, die sich die Aktivierung und Individualisierung zum Ziel setzte. Es setzte sich die Vorstellung durch, dass die Beziehungen zwischen dem Wohlfahrtsstaat, der wirtschaftlichen Produktion und den Lebensinteressen der Individuen an einem toten Ende angelangt seien. Ein aktivierender Neuaufbau all dieser Beziehungen wurde vorgeschlagen, neue Schlagworte wie „der aktivierende Staat“, „Flexibilisierung“ oder „Fördern durch Fordern“ kamen in Umlauf. Im Hintergrund stand das Programm einer „Aktiven Gesellschaft“, das von der Organisation für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung (OECD) propagiert worden war, und eine aktivierende Sozialpolitik ins Zentrum gerückt hatte. Ob es nun beabsichtigt war oder nicht: Diese „neue“ Tendenz hatte einiges mit dem gemeinsam, was Ende der Sechzigerjahre in den USA als „active society“ und Ende der Achtzigerjahre wiederum dort als Kommunitarismus diskutiert worden war (Etzioni 1968; Etzioni 1993). Es tauchten Begriffe wie „employability“ und „entrepreneurship“ auf, die im Rahmen des Beschäftigungsprogramms der Europäischen Union (EU) eingesetzt wurden. Heute sehen wir, dass damals eine ultra-liberale Ideologie die Patenschaft für die gesellschaftliche Konstruktion neuer Vorstellungen über Arbeit und Produktion übernahm. Doch dieses Programm einer aktiven Gesellschaft blieb nicht auf die Arbeitswelt beschränkt. Es hat in seiner Funktion als gut etablierte Metapher eine bemerkenswerte Karriere absolviert und wurde in die Alterns-, die Sicherungs- und die Gesundheitspolitik integriert. OECD, EU und Weltgesundheitsorganisation (WHO) sorgten, innerhalb ihrer je spezifischen Verantwortlichkeiten, für eine flächendeckende Verbreitung der Idee, dass es nur genügender Aktivität und Selbstverantwortung, natürlich der einzelnen Menschen, bedürfe, damit sich alles zum Besseren wende. In diesem Kontext ist die Tatsache zu sehen, dass die gegenwärtige Programmatik der Gesundheitsförderung, wie sie von der WHO initiiert worden ist, den Aktivitätsgedanken ins Zentrum rückt – selbstverständlich primär als Aktivitätsauftrag an die Individuen, eine Vorstellung, die von den verschiedensten Lobbygruppen sofort mit allen möglichen Parallelstrategien verbunden wurde wie Weiterbildung, Eigenvorsorge, Sozialengagement etc. Zu der Vorstellung einer aktiven und aktivierten Gesellschaft, die zunehmend immer mehr Bereiche durchdringt, hat sich überdies eine zweite Tendenz gesellt: die rigorose Individualisierung sozialer Risiken und Widersprüche. Das

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mit der Ökonomisierung des Arbeitsbegriffs im 18. Jahrhundert parallel entstandene Leistungsprinzip hat sich völlig verwandelt und ist zum Exkulpationsinstrument für alles sozial bedingte Versagen geworden, mit dem sich Arbeitgeber, Arbeitsmarktservice, Politik, Gesundheitseinrichtungen und Bildungssysteme inzwischen gefahrlos aus jeder Schlinge ziehen können. Ob jemand aufgrund produktivitätsfeindlicher Arbeitsbedingungen ein Arbeitssoll nicht erfüllen kann, trotz mühevollen Suchens keine Arbeitsstelle findet, zuwenig verdient, um Gesundheitsleistungen finanzieren zu können, oder eine pädagogisch-didaktisch fragliche Schulungsmaßnahme erfolglos über sich ergehen lassen muss – immer ist der Grund die mangelnde Leistung oder der fehlende Leistungswille des Individuums (Amann 2008: 189). Das Fazit aus diesen Beobachtungen lautet, dass ehemals als kollektiv definierte Risiken individualisiert werden und unter dem neoliberalistischen Diktat, dem die Regierungen Folge leisten, das Pooling der allgemeinen Risiken aufgelöst und die Absicherungsverpflichtung in die Einzelverantwortung verlagert wird. Selbstredend wird dabei eine in Zukunft wachsende Ungleichheit zwischen den finanziell Schwachen und den Wohlhabenden in Kauf genommen.

Alterskonstruktionen, Kultur und Wissenschaft Seit der Mitte der 1990er Jahre wurde in Europa das Konzept der „social quality“ entworfen, das eine Gegenstrategie zu den neoliberalistischen Tendenzen einer Ökonomisierung der Welt im Gewande des Globalismus darstellen soll. Auch dieses Konzept ist selbstverständlich eine Konstruktion, an ihr sind soziale Bewegungen und Wissenschaften beteiligt, allerdings die Sozial- und Geisteswissenschaften und nicht die traditionellen Wirtschaftswissenschaften (Beck et al. 1997; Beck et al. 2001). Sie soll zu einem Gleichgewicht in den Weltinterpretationen zwischen ökonomischer und sozialer Entwicklung beitragen. Soziale Qualität ist definiert als das Ausmaß, in dem Menschen in der Lage sind, am sozialen und wirtschaftlichen Leben ihrer Gemeinschaften unter Bedingungen teilzunehmen, die zur Verbesserung des Wohlbefindens und der individuellen Potenziale beitragen (Walker 2006: 72). Diese Kernvorstellung sozialer Qualität wird durch Dimensionen ergänzt, die als gegenläufige Strategien zur gegenwärtigen Entwicklung zu verstehen sind: a) Zugang zu sozio-ökonomischer Sicherheit, b) Möglichkeiten erfolgreicher sozialer Inklusion, c) sozialer Zusammenhalt der Gemeinschaften und der Gesellschaft und d) soziales Empowerment für alle Menschen, die dies nötig haben, um mit den

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Folgen des rapiden Wandels erfolgreich umgehen zu können. Der konzeptuelle Rahmen, in den diese Dimensionen eingespannt sind, erfasst auf der einen Seite das Spannungsverhältnis zwischen sozialen Prozessen und individueller Biografie, und auf der anderen Seite jenes zwischen System/Organisationen und kleinen Gemeinschaften. Der Kerngedanke zielt daher auf Integrationsprozesse zwischen System- und Sozialorganisation, zwischen institutionellen Gegebenheiten und individuellen Entwicklungen, generell zwischen Optionen und Ligaturen, wie das Ralf Dahrendorf einmal formuliert hat. In einem großen europäischen Projekt wird gegenwärtig versucht, Indikatoren für die genannten vier konstitutiven Dimensionen sozialer Qualität zu definieren und empirisch abzubilden (Walker 2006: 73). Im Rahmen der Europäischen Wirtschaftskommission (UNECE) hat seit dem Jahr 2002 eine weitere, wissenschaftlich, kulturell, sozial und wirtschaftspolitisch inspirierte Konstruktion an Bedeutung gewonnen, die ihre Wurzeln in der Zweiten Weltversammlung der Vereinten Nationen über das Alter vom Mai 2002 in Madrid hat. Sie hat den Charakter einer wirtschaftlichen und politischen Strategie, die unter Beachtung von exakt 100 Teilzielen die regionale Umsetzung des Weltaltenplans von Madrid betreiben helfen soll. Die UNECE ist eine regionale Untergliederung der Vereinten Nationen (UN) und umfasst europäische Staaten, Nordamerika und Kanada, Israel und Staaten in Westund Zentralasien und zählt 56 Mitgliedstaaten. Von diesen haben sich 50 zu einer politischen Willenserklärung zusammengefunden, welche die Absicht einer Implementierung des Programms enthält. Nun hängt allerdings der Erfolg solch einer regionalen Initiative erheblich davon ab, wieweit Regierungen auf nationaler Ebene entsprechende Aktionspläne ins Werk setzen, und wieweit Interessenvertretungen, Medien und Wissenschaft diese unterstützen. Die Besonderheit dieser Konstruktion über das Alter besteht darin, dass sie gezielt und systematisch entwickelt wurde, indem in interdisziplinär und international besetzten Expertenseminaren fachliche Inputs für Schwerpunktsetzungen in der ECE-Region entwickelt und diese dann international kommuniziert wurden. Die relative Schwäche der Konstruktion besteht in der Tatsache, dass sie, ganz anders, als der Belastungsdiskurs, von den Medien, reichend vom Boulevard bis zu qualifizierten Sendungen im TV, nicht von einem breiten Kommunikationsprozess getragen wird.

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Bewertungsprobleme und Interpretationsfragen Produktivität und das Alter Dem Belastungsdiskurs hat sich in den letzten Jahren die Vorstellung immer deutlicher angehängt, dass das Alter zu wenig produktiv oder gar unproduktiv sei und es deshalb wirksamer Aktivierungsstrategien bedürfe. Die EU, die OECD, die WHO etc. haben an diesen Strategien und Programmen seit Jahren kräftig gearbeitet. Ältere sollen sich heute in ehrenamtlicher Arbeit engagieren, sie sollen Familienpflege leisten und sie sollen Kinder und Enkel betreuen. Außerdem sollen sie länger arbeiten, aktive Gesundheitsförderung betreiben und die Remedien der Gesundheits- und Schönheits- sowie Freizeit- und Wellness-Industrie konsumieren. Schließlich sollen sie der Bildung obliegen, sie sollen Vor- und Nachteile langer Auslandsaufenthalte oder gar Übersiedlungen dorthin, im Gegensatz zu aktivem Altern zuhause, und zur Weitergabe von Vermögen anstelle dessen egoistischen Verbrauchs wohl abwägen. Alle diese Forderungen lassen sich ohne große Schwierigkeiten als Beiträge zur wirtschaftlichen Produktion begreifen, die auf diesen Umwegen auch den Älteren angesonnen werden, damit sie den Jüngeren nicht so schwer auf der Tasche liegen. Nachdem die Forderungen an immer mehr Ältere und an sie immer dringlicher gerichtet werden, ist wohl auch der Gedanke zulässig, dass es hier um immer mehr Produktion geht. Woher kommt aber dieser Gedanke einer sich endlos ausweitenden Produktion, einer Produktion um jeden Preis, der sich der Tendenz nach alle zu unterwerfen haben? Es kann davon ausgegangen werden, dass die Vorstellung der endlosen Produktion auf frühe Quellen der abendländischen Philosophie zurückgeht, am Beginn der Neuzeit eine Umformung erfuhr und seit der Industriellen Revolution zu einer Äußerungsform der Vernunft schlechthin, nämlich der zweckrationalen wurde. In seiner „Politik“ führt Aristoteles im I.  Buch die Besonderheiten der Kaufmannskunst und der Hausverwaltungskunst aus. Sie bergen bereits den Gegensatz zwischen dem, was heute im Widerstreit zwischen Haben und Sein, zwischen endloser Ausbeutung von Ressourcen und Nachhaltigkeit zugunsten kommender Generationen angelegt ist. Nur die Kaufmannskunst „scheint sich um das Geld zu drehen. (…) Darum ist der Reichtum, der von dieser Erwerbskunst kommt, allerdings unbegrenzt.“ Für diese Erwerbskunst „findet das Ziel keine Grenze.“ (…) Da jenes Verlangen unbegrenzt ist, so verlangen sie auch nach unbegrenzten Mitteln dazu“ (Aristoteles 1973: I, 10–21, 1258a). In schroffer Opposition dazu findet sich die Hausverwaltungskunst. Sie ist auf Bewahrung und gute Ordnung gerichtet. Sie ist nicht gleich der Kaufmannskunst und hat eine Grenze. „Denn dieser

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Reichtum ist ja nicht ihre Aufgabe.“ Während die Kaufmannskunst sich einfach um das Leben bemüht, ringt die Hausverwaltungskunst um das „vollkommene Leben“ (Aristoteles 1973: I, 40, 1258a). Die eine nennt er die „überflüssige Erwerbskunst“, die andere die „notwendige“, denn allein diese dient der Erfüllung der naturgemäßen Autarkie. Vollkommenheit hat ein Maß und eine Mitte, weshalb der Wunsch nach dem Schrankenlosen „gegen die Natur“ ist. Aus soziologischer Sicht ist bedeutsam, dass die „Verfassung“, die hinter der Kaufmannskunst steht, nicht eine allgemeine Verfassung des Willens oder des Strebens ist, sondern eben jene des Kaufmannsstandes, während hinter der Hausverwaltungskunst Bauern und Handwerker stehen. Somit ist diese scharfe Entgegensetzung bei Aristoteles einerseits eine Nachwirkung der Ressentiments der adeligen Grundbesitzer gegen die durch Handel reich gewordenen Bürger aus einer Zeit zweihundert Jahre davor, andererseits schon eine Vorbereitung der epikureischen Lehre vom „naturgemäßen Reichtum“, die für den Weisen gelten sollte. Mit Bezug auf Thomas von Aquino zeigt nun Karl-Heinz Brodbeck, dass diese Gedanken in der christlichen Lehre eine Umdeutung erfuhren, mit der wir schon näher an das aktuelle Problem heranrücken. Der Startheologe des 13. Jahrhunderts knüpft an dem Gedanken der Begierde an und postuliert für sie zwei Formen: die naturhafte und die nicht-naturhafte. Die erste ist endlich und richtet sich auf konkrete Bedürfnisse, die im Sinne äußerer Güter eine Grenze hat. Die zweite ist unendlich, unbegrenzbar, und kennzeichnet die Vernunft. „Wer darum Reichtümer begehrt, kann danach verlangen, und zwar nicht etwa nur bis zu einer bestimmten Grenze, sondern er will schlechthin so reich sein, als er nur immer kann“ (Brodbeck 1998: 209). Thomas von Aquino sieht in der Bestimmung der Vernunft eine „unendliche Kraft“, wie sie beim Zuzählen von Zahlen und Linien zutage tritt. Deshalb ist das Unendliche in gewisser Weise der Vernunft angemessen. Hier zieht Karl Heinz Brodbeck den Schluss, dass bei Thomas die Kaufmannsseele ganz selbstverständlich als eine Bestimmung der Vernunft erscheint. Nun lässt sich der Bogen weiterführen: Bei Thomas von Aquino ist ganz klar bereits der Kern jener Rationalität formuliert, die für die gesamte Neuzeit bestimmend wird. Sie ist die Verkörperung eines bestimmten Sozialcharakters, dessen Maxime lautet: „Mehr ist besser“ (Brodbeck 1998: 210), wobei sich diese Rationalität des Mehr völlig im Quantitativen erschöpft. Doch, wie kann solches Streben gewollt werden? René Descartes und Baruch de Spinoza legen dafür die Spur. Nicht mehr nur die Vernunft, der Wille selbst ist unendlich, weil das hinter dem Willen stehende Ego das Handeln bestimmt, und das Denken darauf gerichtet ist, diesem Willen Weg und Form zu geben. Noch einmal weiterführend, wie es Georg Simmel dann getan hat (vgl. Amann 2006:

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29ff.), kann diese Form in der Wirtschaft und in der Natur (Geld und Mechanik) nur eine mathematische sein. Über Adam Smith und die Schottischen Moralphilosophen, die Englischen Aufklärer und die Begründer einer Mathematischen Ökonomie führt der Weg in die modernen Begriffe der Handlungsrationalität wie z.  B. bei Max Weber und in die Theorie des Maximierungsverhaltens z. B. bei Ernst Mach. Um noch einmal mit Karl Heinz Brodbeck (und auch mit Georg Simmel) zu sprechen: „Die maximierende Kaufmannsseele wird in der Mechanik und in der Gewinnmaximierung wiedergeboren“ (Brodbeck 1998: 213). Für die Frage, die sich heute auftut: Produktion um jeden Preis?, ergibt sich aus diesen Überlegungen ein klares Fazit. Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen haben in der abendländischen Geschichte immer wieder zu Verhältnissen geführt, die von Philosophen und Wissenschaftlern von Zeit zu Zeit in Denkmodelle umgemünzt wurden, die ihrerseits als „Ideen“ politisch durchzusetzen versucht wurden (wie z. B. der „freie Markt“, die „Menschenrechte“, die „parlamentarische Demokratie“, die „öffentliche Wohlfahrt“). Seit der beginnenden Neuzeit begann allerdings ein Denkmodell immer stärker in den Vordergrund zu treten, das heute umfassende Gültigkeit beansprucht: Die mit rationalen Mitteln, und das heißt Rechenhaftigkeit im Sinne von zählbar und berechenbar, betriebene Erreichung von selbst gesetzten Zielen, ohne prinzipielle Begrenzung durch politische oder sittliche Regeln. Da den Zielen keine Grenzen gesetzt sind, werden alle konkreten Ziele durch ein allgemeines überlagert: jenes der Nutzenmaximierung. Damit ist diese selbst zu einem obersten Wert, zu einer „sittlichen Idee“ geworden. Da Nutzen im Sinne des genannten ökonomischen Denkmodells durch ständige und ständig sich erweiternde Produktion gestiftet wird, ist die logische Konsequenz, dass auch alle gesellschaftlichen Mittel immer umfassender dieser Produktionsabsicht unterworfen werden müssen. Dass die Politik Regeln und Programme schafft, die diese ständig expandierende Produktion ermöglichen und erleichtern, ist ein starker Hinweis darauf, dass eben auch die Politik selbst sich diesem Denkmodell unterworfen hat. Die Älteren, die über Aktivierungsprogramme in die Pflicht genommen werden sollen, sind daher nur ein konkreter gesellschaftlicher Sektor, auf den das Prinzip der grenzenlosen Produktion ausgeweitet werden soll.

Internationaler Aktionsplan der UN und das Alter Der 14. Dezember 1978 war ein bedeutsames Datum; an diesem Tag begann eine Periode internationalen Nachdenkens über das Phänomen des Alterns und der damit weltweit verbundenen Probleme. Den Auftakt gab die Generalversammlung

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der UN, indem sie eine Resolution annahm, im Jahr 1982 die erste Weltversammlung über das Altern zu organisieren. Diese „World Assembly on Ageing“ wurde vom 26. Juli bis zum 6. August 1982 in Wien ausgerichtet. Am Schluss der Verhandlungen nahmen die vertretenen Staaten einen Internationalen Aktionsplan („International Plan of Action“) an: den ersten wichtigen, weltweiten Rahmenplan zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen pensionierter und alter Menschen. Dieser Plan enthielt bereits eine Perspektive, die heute nicht selten als neue Idee vermarktet wird: dass die Älteren selbst einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung einer alternden Gesellschaft leisten können. Rückblickend ist heute festzuhalten, dass diese Erste Weltversammlung einen entscheidenden Anstoß zur dauernden und sich ausweitenden Beschäftigung mit Themen des Alterns gab, der sich auf der Ebene nationalstaatlicher und internationaler politischer Organisationen, aber auch im Bereich der Non-GovernmentalOrganisations (NGOs), und schließlich in der Wissenschaft fortsetzte. Während heute die Einschätzungen über den praktisch-politischen Erfolg des International Plan of Action von 1982 sehr unterschiedlich sind, hin bis zum Urteil relativer Folgenlosigkeit, steht die informationspolitische Wirkung außer Diskussion. Dies lässt sich beispielhaft an wenigen bedeutsamen, die Kräfte für jeweils eine bestimmte Zeit bündelnden Aktivitäten ablesen, die sich vor allem gegen Ende der Neunzigerjahre häuften. 1999 wurde die bereits vierte globale Alternskonferenz der International Federation on Ageing (IFA) in Montréal abgehalten, an der über 60 Länder teilnahmen, und in deren Deklaration („Montréal Declaration“) die Delegierten die Vereinten Nationen aufforderten, ein Jahrzehnt der älteren Menschen auszurufen. Auch das am 1. Oktober 1998 von den UN ausgerufene „Internationale Jahr der älteren Menschen“ hatte seine Wurzeln in der 1982 abgehaltenen Weltkonferenz. 1992 musste festgestellt werden, dass dieser Aktionsplan in den Ländern, die damals teilnahmen, sehr unterschiedlich weit realisiert worden war. Es wurde daher beschlossen, ein Internationales Jahr der älteren Menschen für 1999 zu veranstalten, das im Grunde die Umsetzung dieses nach wie vor als gültig betrachteten Aktionsplanes vorantreiben sollte. Dabei legten die UN großen Wert darauf, dass die vorgesehenen Aktionen nicht „von oben aufgesetzt“ sind, sondern von möglichst vielen Personen und Einrichtungen getragen werden. Ziel dieses Jahres war nicht nur, sich mit dem Thema „ältere Menschen“ zu befassen, sondern auch neue Dimensionen des Zusammenlebens aller Menschen aller Generationen zu eröffnen, in denen die Älteren einen ihnen gemäßen Anteil erfüllen können: „Towards a society for all ages!“ Die Zweite Weltversammlung in Madrid wurde aufwändig vorbereitet und in einen Rahmen begleitender Veranstaltungen gesetzt, der vor allem dazu

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diente, weltweiten Organisationen wie z. B. den NGOs, der WHO, oder der International Association of Gerontology (IAG) ein Parallelforum zu bieten. Mit 159 vertretenen Ländern und geschätzten 4500 Teilnehmern/innen war es tatsächlich eine Großveranstaltung, von der einiges an Ergebnissen erhofft werden konnte. Fünf Monate nach der Weltversammlung in Madrid wurde bereits die erste regionale Folgeveranstaltung vom 11. bis 13. September 2002 in Berlin organisiert: die „Ministerial Conference on Ageing (MiCA) of the United Nations Economic Commission for Europe“. Die Begründung lautete: „The MiCA will offer an opportunity to better understand the implications of demographic change, share experiences with programmes and policies on ageing, and identify sustainable policies to cope with present und future challenges arising from demographic change” (Economic Commission 2002). Im Rahmen der Zweiten UN-Weltversammlung zum Altern ließen sich die mit Hilfe von Printmedien und neuen technologischen Medien vervielfältigten und in immer neuen Versionen ausgearbeiteten und publikatorisch verbreiteten Grundlagen, Stellungnahmen etc. als ein Diskurs betrachten, der zumindest durch zwei Eigenheiten charakterisiert werden konnte: Er war einerseits ein politischer Diskurs, in dem die beteiligten Akteure im Wege demonstrativen Handelns diesen Diskurs produzierten und in ihm bestimmte Themen öffentlich hervorhoben, sodass dieses demonstrative Handeln symbolische Funktionen übernahm; er war andererseits ein performativer Diskurs im Sinne von Pierre Bourdieu insoweit, als in ihm in einem öffentlichen Akt neue Vorstellungen und neue Gliederungen von Aspekten der sozialen Welt durchgesetzt wurden, die nicht nur Einsicht, sondern auch allgemeine Anerkennung erlangen sollten, wobei in diesem Diskurs eigene Subjekte und Objekte der sozialen Welt „geschaffen“ und bestimmte „Wahrheiten“ akzeptiert oder ausgegrenzt wurden. Der politische Charakter des Diskurses war formal und intentional bestimmbar. Die Form war erstens an die hochgradig ritualisierten und reglementierten Verfahrensformen jedes einzelnen Veranstaltungstyps im Rahmen der gesamten Aktion gebunden und fand ihre „Krönung“ in einem Beschluss durch die gesamte Versammlung über zwei grundsätzliche Texte, deren Erstellung und Verabschiedung das Ziel des gesamten Unternehmens war: den „International Plan of Action“ und eine „Political Declaration“; zweitens wurde sie konstituiert durch die in allen Einzelaktivitäten vorgesehene Verfahrensweise des Aushandelns von Formulierungen zwischen unterschiedlichen Interessenten/ innen, die so gut wie immer im Namen einer Organisation, meist in Vertretung einer nationalen Regierung, also mit einem Mandat sprachen; drittens ergab sie sich aus dem Repräsentationskontext der beteiligten Organisationen.

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Selbstverständlich bleibt die gegenwärtige UNECE-Strategie zur regionalen Implementierung des International Plan of Action dieser Logik weiterhin unterworfen. Der formale Charakter der Zielbeschreibungen ist ebenso bedeutsam wie die oft recht allgemein gehaltenen Formulierungen über Aktivitäten und wünschenswerte Maßnahmen, die so gewählt werden mussten, dass alle Beteiligten auch hinter ihnen stehen können. Der formale Charakter kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, dass die Vertreter der Mitgliedstaaten der UNECE ihre Regierungen zur Umsetzung dieser umfassenden Strategie „verpflichten“. Die spezifische Wirkung dieses organisierten und formalisierten Diskurses liegt vor allem in zwei Entwicklungen: Einerseits führt der Charakter politischer Selbstverpflichtung, der hinter den Deklarationen steht, auf nationaler Ebene dazu, dass politische Entscheidungen, die mit der alternden Bevölkerung befasst sind, diese Deklarationen nicht einfach kommentar- und folgenlos ignorieren können. Andererseits wird die Zahl jener Menschen zunehmend größer, die in ihrer wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Arbeit die Bedachtnahme auf die UNECE-Strategie einfordern. Mit diesen beiden Wirkungen wird der politische Diskurs über das Alter einerseits stärker zielorientiert und damit aus einer gewissen Beliebigkeit herausgeführt, die bisher vorherrschte, andererseits „reguliert“ er spezifische Formen der Wissensproduktion und Wissensorganisation (z.B. heute schon nationale Altenpläne, Monitoringprozesse, Wirkungsanalysen und Evaluationslogiken). Es geht hier ganz präzise im Foucaultschen Sinn auch um Macht als Wirkung von Verhältnissen und Beziehungen, um etwas, das zirkuliert, das nie hier oder dort lokalisiert ist, das nie wie ein Gut oder wie Reichtum angeeignet wird, sondern über eine netzwerkförmige Organisation ausgeübt und von den Individuen zugleich erfahren und getan wird.

Schlussgedanken Die Frage nach den Konstruktionen des Alters wurde bewusst auf die ausgewählten und damit auch eingeschränkten Bereiche konzentriert, die bisher zur Sprache kamen. Eine Schlussüberlegung hat nun auch noch die globale Perspektive aufzunehmen. Der Gedanke, dass Globalisierung, wie sie heute beschrieben wird, gleichzeitig ein Begründungs- und Rechtfertigungssystem für diese Beschreibung darstellt, ist geläufig (Amann 2008). Nun kommt es drauf an zu überlegen, wie sich dieses ideologische System auf die Vorstellung auswirkt, was Altern global sei. Es geht dabei um die Konstruktion der Vorstellung von Altern und Alter als globaler Belastung. Konstruktionen sind Ideen, die in bestimmte Semantiken gefasst, als Ordnungsvorstellungen sich verbreiten, und durch Anerkennung sich zu sozi-

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alen Tatsachen verdichten, die dann von den Menschen als faktisch vorhanden angesehen werden. Die wichtigste soziale Konstruktion, international bereits durchgesetzt und akzeptiert, sodass sie den meisten bereits als unabänderliche soziale Tatsache erscheint, ist die Belastung der nationalen Budgets durch die Alten. Drei Gesichtspunkte lassen sich hier unterscheiden: der Einfluss der Globalisierungsvorstellungen auf die Ideen, die beschreiben sollen, wie und was das Alter ist; die neue Konstruktion des Alters als eine besondere Form des „Risikos“; der Einfluss der Globalisierungstendenzen und -vorstellungen auf globale Ungleichheiten im Alter (Amann/Kolland 2008: 18). Dieser komplexe, von mächtigen Einrichtungen gespeiste, von der Wirtschaft, Teilen der Wissenschaft und von der Politik immer wieder mitgestaltete und vom Neoliberalismus pointierte Diskurs hat zu einer definitiven neuen Weltsicht geführt, welche die Rahmenbedingungen für die weiteren Politiken des Alters abgeben. Ein Beispiel aus der EU dokumentiert diese Entwicklung eindrucksvoll. „Überalterung bedroht EU-Wirtschaftswachstum“, lautete ein Aufmerksamkeit heischender Titel in „Der Standard“ (digital) vom 14. Februar 2006, der einen Kommentar zu einer Studie der EU-Kommission über die Entwicklung der Alterspyramide in Europa und deren Folgen überschrieb. In der Druckausgabe vom 15. Februar 2006 bekam dieser Kommissionsbericht dann zwar eine ins Positive gewendete Überschrift über ein Lob der EU-Kommission für Österreich wegen seiner, übrigens nicht unbedenklichen, Pensionsreform, doch die schwere Diskriminierung der älteren und alten Menschen in Europa durch diese vordergründige, in ihrer Verkürzung unhaltbare Meldung blieb. Das „alarmierende Fazit“ der Überalterung der EUBevölkerung als Bremse für das Wirtschaftswachstum wurde weiterhin unkommentiert betont. Laut dem Bericht der EU-Kommission soll die Quote der über 65-Jährigen sich bis 2050 verdoppeln und durch die steigenden Kosten für Pensionen, Gesundheit und Pflege das EU-Wirtschaftswachstum, und so auch das österreichische, im Durchschnitt von 2,4  Prozent pro Jahr auf 1,2 Prozent zurückdrehen. Im Klartext („Der Standard“): Die Alten sind eine Belastung für die europäischen Volkswirtschaften und ein höchst bedenklicher Kostenfaktor für die öffentlichen Haushalte (Amann/Kolland 2008: 18). Nahezu nahtlos fügt sich dieser Kommentar in den internationalen Diskurs, in dem neue Vorstellungen vom Alter konstruiert werden. Als grobes Muster kann mit Bezug auf viele Darstellungen gelten: - Wegen des Alterns der Bevölkerungen werden die Nationalstaaten die Bürde der Kosten nicht mehr tragen können. - Wegen des Alterns der Bevölkerungen gehen die Produktivität der Arbeit, die Innovationsfähigkeit in der Entwicklung und damit das Wirtschaftswachstum zurück.

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- Sowohl im Pensions- wie im Gesundheits- und Pflegewesen müssen Eigenvorsorge und individuelle Verantwortung forciert werden. - Die Pensionssysteme müssen auf Pensionsfonds umgebaut werden, weil nur dort die Renditen so hoch sind, dass die sinkenden Beitragsleistungen kompensiert werden können (Amann/Kolland 2008: 18). Drei wichtige Prozesse sind hier unter dem Gesichtspunkt der „Politisierung“ des Alters durch die Intensivierung der globalen Vernetzung zu unterscheiden: Das Erstarken des Neoliberalismus mit seiner feindseligen Attacke gegen staatliche Versorgung; eine wachsende Aufmerksamkeit für die relativierte ökonomische Position des Nationalstaats; die zunehmende Einmischung in die weltweite Debatte und zunehmende Bestimmung der wichtigsten Agenden über Arbeit, Altersversorgung, Gesundheit und Pflege durch die OECD, die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltbank (WB), den Internationalen Währungsfonds (IMF) und die EU. Bereits 1994 hatte die Weltbank ein Dokument herausgegeben, „Averting the Old Age Crisis“, das die Politisierungsdiskussion zentral initiierte. 2001 folgte die Central Intelligence Agency (CIA) mit einem Bericht, der auf eine Neuformung der geopolitischen Landschaft unter demografischer Perspektive angelegt war, und schließlich trug auch die Publikation, „The Global Retirement Crisis“ des Zentrums für Strategische und Internationale Studien noch ihren Teil zur Debatte bei (Amann/Kolland 2008: 15/16). Der Kern aller Berichte ist die Vorstellung, dass das Altern der Bevölkerungen ein weltweites Problem darstellt, das eine wachsende Bürde für die nationalen Volkswirtschaften bedeutet.

Bibliographie Amann A (2008) Nach der Teilung der Welt. Logiken globaler Kämpfe. Braumüller, Wien. Amann A (2006) Gesellschaftlicher Wandel, erfolgreiches Handeln und der Wert des Helfens. In: Sprengseis G, Lang G (Hrsg.) Vom Wissen zum Können. Forschung für NPOs im Gesundheits- und Sozialbereich. Facultas, Wien, 26–37. Amann A (2004) Die großen Alterslügen. Generationenkrieg, Pflegechaos, Fortschrittsbremse? Böhlau Verlag, Wien. Amann A, Kolland F (2008) Kritische Sozialgerontologie – Konzeptionen und Aufgaben. In: Amann A, Kolland F (Hrsg.) Das erzwungene Paradies des Alters? Fragen an eine Kritische Gerontologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 13–43. Aristoteles (1973) Politik. Übersetzt und eingeleitet von Olof Gigon. Deutscher Taschenbuch Verlag, München.

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Beck W, van der Maesen L, Walker A (eds.) (1997) The Social Quality of Europe. Kluwer International, The Hague. Beck W, van der Maesen L, Thomése F, Walker A (eds.) (2001) Social Quality. A Vision for Europe. Kluwer International, The Hague. Brodbeck KH (1998) Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie. Eine philosophische Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaften. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. Chartier R (1992) Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung. Fischer, Frankfurt a. M. Economic Commission for Europe (2002) From Madrid to Berlin. UNECE and the Ministerial Conference on Ageing. United Nations, Geneva. Etzioni A (1968) The Active Society. Societal and Political Processes. The Free Press, New York. Etzioni A (1993) The Spirit of Community. Rights, Responsibilities, and the Communitarian Agenda. Crown Publishers, New York. Kohli M, Rein M, Guillemard AM, van Gunsteren H (eds.) (1991) Time for Retirement: Comparative Studies of Early Exit from the Labour Force. Cambridge University Press, Cambridge. Walker A (2006) Reexamining the Political Economy of Aging: Understanding the Structure/Agency Tension. In: Baars J, Dannefer D, Phillipson Ch, Walker A (eds.) Aging, Globalization and Inequality. The New Critical Gerontology. Baywood Publishing Company, Amityville NY, 59–80.

Graceful and Successful Ageing: Observations from Ghana and the Netherlands Sjaak van der Geest1 What it is that makes old age a beautiful experience? Sjaak van der Geest compares older people in Ghana, among whom he did extensive anthropological research and older people in The Netherlands, his own culture. There are huge differences: for many in Ghana old age is something to look forward to while the opposite appears to be the case in The Netherlands. More striking, however, is the discovery that at a deeper level of understanding older people in these two societies appear to be going through very similar experiences.

Ageing gracefully seems to be foremost a matter of bodily health and beauty. In their article on growing old, Bytheway and Johnson (1998: 243) reflect upon the role of mirrors in the lives of British people. The mirror is a life-long companion that shows us who we are and how we appear in the eyes of others, and mercilessly tracks the gradual decomposition of our bodies (see also Fairhurst 1998; Biggs 1997). While trees become more graceful as they age and deepen in their wrinkles and disfigurations, human beings seem to lose their beauty although their bodies experience the same changes. It is not this type of graceful aging, however, that I want to address in this essay. Beauty will be treated as a metaphor. The question I want to discuss is rather what it is that makes old age a ‘beautiful’ experience. I will be mostly referring to older people in Ghana, among whom I did anthropological research over a period of more that fifteen years, and to old age in The Netherlands that I know as my own culture. I am struck by the huge differences: for many people in Ghana old age is something to look forward to while the opposite appears to be the case in The Netherlands. I am even more impressed, however, by the discovery at the end of this essay, that at a deeper level of understanding these two societies reappear to be very similar. But let us first look at the appearances that mirrors and other forms of media show us about age.

1 This article was first presented at the conference “Reflections on old age and ageing in past and present” at the University of Mainz, 2008. I am grateful to the participants for their comments. The text draws heavily upon an earlier article on graceful ageing (van der Geest 2001).

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Age’s disgrace The overwhelmingly negative associations with old age in my own Dutch – and more generally in the Euro-American – societies are well known. I am not ignoring the fact that people above the age of 65 have never lived so well and comfortably as today. The point, however, is that being-old itself is not valued in their lives. Their enjoyment of life is rather in spite of their old age. Their style of living is in fact a denial of their age. Countless quips express the idea that old age is concealed and denied and that people try to regard themselves as being relatively young for as long as possible. ‘Relatively’, in the sense that they regard only those older than them as ‘old’. For them the dividing line between ‘young’ and ‘old’ moves every year with the climbing of their own years. The prolific production of euphemisms for ‘old’ is another indication that being old is not viewed as possessing an intrinsic positive value. This largely disparaging attitude towards old age is not a new phenomenon. Reading through literary works from the Greek-Roman time and the past five centuries in Europe and North America, one generally finds that descriptions of old age are filled with feelings of loss and loneliness and anxiety about physical and mental decay. The following lines are from the Roman satirist Juvenal: But old men are all alike; all share the same old bald pate, Their noses all drip like an infant’s, their voices tremble As much as their limbs, they mumble their bread with toothless Gums. It’s a wretched life for them, they become a burden To their wives, their children, themselves, so loathsome a sight That it turns the stomach of even the toughest legacy-hunter. Their taste-buds are just about useless, they get little pleasure From food or wine, it’s years since they had any sex – Or if they try, it’s hopeless: though they labour all night long At that limp and shrivelled object, limp it remains.2

The dominant ‘philosophy’ of growing old in our past and present culture is indeed a cyclical one: the dependence and helplessness of newborn babies and small children returns to many people at the end of their life. Illustrations depicting the rise and decline of the human being have been popular to represent the condition humaine of older people in the European imagery. The contribution of Brigitte Röder to this volume contains two beautiful examples of the life stages of women and men.

2 From Juvenal, Satire 10, lines 196–2005. Thanks to Tim Parkin who collected this quote for the Mainz conference.

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Cole (1992: 30), who included several such illustrations in his study of the cultural history of ageing, quotes the English epigrammatist Thomas Bancroft, to elucidate the sobering symbolism of this type of illustrations: We climbe the slippery stairs of Infancy, Of Childhood, Youth, of middle age, and then Decline, grow old, decrepit, bed-rid lye, Bending to infant-weakness once again, And to our Cophines (as to Cradles) goe, That are the staire-foot stand, and stint our woe.

The imagery of life as a cycle is not a merely 17th century phenomenon, however. Present-day cartoonists still find inspiration in the idea that we eventually arrive at the place where we started. The most common metaphors applied to the ageing process are the various cycles: the cycle of human life, of the seasons and of the day. In all of these, growing old is portrayed as decline. In art and literature (McLerran and McKee 1991) the ‘four ages’ of the human person are described as a transition from life to death, from growth to standstill, from warmth to coldness, from gold to iron (Ovid), from spring to winter, from morning to night. Shakespeare wrote in his reputed 74th Sonnet: In me thou see’st the twilight of such day As after sunset fadeth in the West, Which by and by black night doth take away.

In his poem “Hälfte des Lebens” Hölderlin (1988: 308) describes the bitterness of old age by contrasting the coldness of winter with the fullness and abundance of summer: Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blume, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen.

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The comparison between the sadness of growing old and the passing of spring and summer is also made in the following four lines: Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen, Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen, April und Mai und Julius sind ferne, Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne. (p. 376)

The resentment about the loss of physical strength and beauty have rarely been put into words as forcefully as by the aestheticist Oscar Wilde in The picture of Dorian Gray. Wilde holds the change of seasons against the condition of man; for him there is no new spring. The common hill-flowers wither, but they blossom again. The laburnum will be as yellow next June as it is now. In a month there will be purple stars on the clematis, and year after year the green night of its leaves will hold its purple stars. But we never get back our youth. The pulse of joy that beats in us at twenty, becomes sluggish. Our limbs fail, our senses rot. We degenerate into hideous puppets, haunted by the memory of the passion of which we were too much afraid, and the exquisite temptations that we had not the courage to yield to. Youth! Youth! There is absolutely nothing in the world but youth! (Wilde 1948: 45–46).

Wilde wrote a new version of the Faust legend. Dorian Gray sells his soul to the devil, not to acquire knowledge and science, but to keep his youthful beauty. Anthropologists and other social scientists have added their voice to art and literature to bring into focus the Western deception with old age. If life is seen as movement, then the fear of declining mobility among elderly people is understandable. Thornton (1993), who did participatory research in ‘Mobility and Movements Groups’ in Britain, describes the members’ obsession with health and staying mobile. ‘Healthism’ becomes an escape route away from old age (and a new prison, according to the author). The old body full of wrinkles, scars and defects becomes the almost proverbial symbol of the negatively perceived old age. The scars and wrinkles admired in old trees and ancient furniture and buildings, frighten the members of a society, which has sanctified youthfulness in human beings. Pictures of naked old bodies evoke shock and repulsion. Woodward (1991) describes such reactions during a display of a photo of a naked old man in the USA. Leder (1990) has come up with a new term, the old body not only disappears (to prevent it from hurting aesthetic and moral taste), it also ‘dys-appears’; “its presence is felt as pain, disease and dysfunction” (Hepworth 2000: 46). The decrepitude of old age is most vividly experienced in the growing number of people suffering from dementia. Dementia, Cohen-Mansfield et al. (2000: 381) write, “… destroys the brain and confuses the mind; it disintegrates the self and degrades one’s dignity and soul. Sufferers of dementia de-

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scribe the disease as a frightening shadow which sneaks upon them and steals potions of their memories, dreams and selves.” They then picture the impact of dementia on a person in the following fragment of a diary by a sufferer of the disease: No theory of medicine can explain what is happening to me. Every few months I sense that another piece of me is missing. My life … my self … are falling apart. I can only think half thoughts now. Someday I may wake up and not think at all, not know who I am. Most people expect to die someday, but whoever expected to lose their self first? (CohenMansfield et al. 2000: 382).

All symptoms of old age’s disgrace described so far can be captured in the cyclical perspective on ageing. Growing old is seen as a return to the point of departure, babyhood, with infantilisation as its result. In that belittling view of old age the older person is reduced to the status of a small child. He is fully dependent on others, his movements are restricted and watched, he has no access to ‘dangerous’ objects such as sharp knives, matches, and the gas tap, he has to be spoon-fed, he needs help going to the toilet and may lose control over his bowels, he is not supposed to take an interest in sex and he is talked to as a child. Hockey and James (1995: 30–31) cite several authors who discuss infantilisation of elderly people. One of them, Gresham (1976: 205), who did research in a nursing home, noted the following ‘children’s talk’ by nurses: An elderly woman (age 82), who has just finished her breakfast, which was fed to her by a practical nurse, gets a patronising pat on the arm from the nurse, who says: “Good girl, you ate all your breakfast.”

Infantilisation, Hockey and James (1995: 32) remark, is “more disabling than the biological fact of growing old.” Biggs et al. (1995: 84) rate infantilisation as one of the most debilitating forms of age discrimination and so does KayserJones (1981) in her study of aged care in Scotland and the USA. All the tarnishing texts in my own culture drove me to look for a more cheerful view of growing old. Where could I find more positive valuations of old age?

Graceful ageing My fieldwork among older people in Kwahu-Tafo, a rural town of Southern Ghana, brought me into contact with an entirely different view of old age. To understand that difference, I first need to explain some local conditions and terminologies. People in Kwahu-Tafo call themselves Kwahu, which is a sub-

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group of the about ten million Akan living in Ghana. The language of the Akan, which has several dialects or sub-languages, is Twi. The most common – and probably only adequate – Twi term for ‘old’ when we refer to human beings is the verb nyin, which means ‘to grow’. The correct Twi translation of the English ‘I am old’ is manyin (‘I have grown’). Where in English, and most (all?) other European languages, we use an adjective to indicate the status of being old, the Akan prefer a verb. This is not just a linguistic particularity; it expresses the quality of the experience of being old. Nyin indicates a process and suggests a linear type of development: growing, increasing in size (whatever type of ‘size’ is relevant for that process of development). A child can say manyin, if it has ‘grown’ in comparison to a previous period or to another child. It can also be said of an adolescent, a middle-aged person and finally of an elder: wanyin (he/she has grown). When my Kwahu friends spoke English to me, they did not refer to anyone as ‘being old’. Their standard English term was indeed: ‘He has grown.’ One of my friends used the term ‘grown-up’ referring to an old person in a transcription. Reluctantly I ‘corrected’ that beautiful idiom into mainstream English to prevent misunderstanding by non-Akan readers. The verb nyin can be used for any being that ‘lives’ and therefore has the potential of ‘growing’: It is applied to humans, animals, trees, plants and fruits. Because ‘growing’ is conceived as a linear process, nyin basically is a positive concept. It implies accumulation, getting more of what the person/animal/ tree is supposed to acquire because of its nature. As such the English term ‘to grow’ is a perfect equivalent; it also implies a positive development. Only when the adjective ‘old’ is appended to it does the term ‘growing’ lose some of its positive quality in English. One day I took part in a discussion with three older men about ageing. I asked them what they regarded as the happiest time of their life. The ‘leader’ of the three pointed at his present situation because, as he said, his joy at old age was the most complete. His reaction was not unique. Many elderly people expressed satisfaction about being old, in spite of possible limitations, poverty and poor health. The most common term for an older person, åpanyin, is at the same time an honorific title expressing admiration and affection. The åpanyin is honourable, civilised, kind, composed, and wise. Countless proverbs and local sayings confirm this high appreciation of advanced age. The åpanyin represents the beautiful image of old age. He, or she, receives what is most highly regarded in Akan culture: respect. An åpanyin can be a man or a woman, though most will think of a man when the word is used. An åpanyin is an ‘ancestor-to-be’; people will

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remember him after his death because of his good deeds and wisdom (van der Geest 1998). One elder said: The åpanyin has lived in the house much longer than you. You came to meet him. ‘åpanyin’ is a big word. He is a person who knows what is going on. He must receive respect and obedience. I asked him what shows that a person is an åpanyin. He answered: “It is mostly the wisdom he gives to the young and also how he respects himself. When you respect yourself, the young will also respect you and fulfil your needs.”

Such statements expressed more the norm than the actual practice in young-old interaction. As a matter of fact, most of my conversations with older people resulted in wishful thinking about respect and the beauty of old age. There are mainly three virtues of the åpanyin, they said, which deserve him respect: wisdom, self-restraint and his dedication to the family. The virtue of wisdom, knowledge, life experience and the ability to foresee what is going to happen and to give people advice are the special qualities of old men and women. The fact that one has lived for a long time means that one has seen a lot of things and has begun to see how they are connected. Life experience, in other words, teaches how the events follow one another. The åpanyin is, on the basis of that understanding, able to predict the future and advise people on how to act in order to prevent trouble. One of the elders said: “If you are old, you can always predict, because you have experience.” When I (S) asked him to define an åpanyin, he (F) said: F. An åpanyin is someone who through his experience in life, has gained a lot of wisdom and knows what is good and what is not good. S. What are some of the qualities of an åpanyin which may not be present in a young person? F. It is wisdom, especially the ability to think carefully about things before doing them. The young don’t have those qualities they just get up and do things.

The wisdom of the elder is referred to in a large number of proverbs, one of them being: åpanyin nni biribi a, åwå abatwe (If the elder has nothing, he has elbow). It means that even if an åpanyin is very poor, he has at least wisdom.3 Wisdom, the ability to foresee, implies power. An elderly person can bless (nhyira) and curse (nnome). That is why they say: åpanyin ano sen åbåsom (The mouth of the åpanyin is stronger than a god). In a discussion with some young men, one of them said: We think that the old have a certain blessing because of their mere age, so when you respect and honour them they will bless you. It will be forever on your life. In much the 3 Elsewhere (van der Geest 1995) I have discussed how the elbow became a metonym of old age and wisdom.

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same way, when they curse you, it will also be forever. We all like blessings, so if you respect and honour them and get closer to them, they develop a love for you and they will reveal to you some of their hidden treasures.

The second virtue refers to the good manners of the åpanyin, which all boil down to self-restraint. He controls his emotions, he does not get angry (åpanyin bo mfu) and does not shout at people. The ability to hold himself in check is manifested primarily in the way he deals with information that is given to him and in his ascetic attitude. His careful dealing with rumours is expressed in many proverbs. Nothing will betray that you are still a child so quickly as when you cannot hold your tongue. Indeed, the åpanyin is the antithesis of a child. The åpanyin’s self-restraint also reveals itself in his attitude towards food and other material pleasures. Greediness does not befit him. One proverb says: åpanyin mene nsono (The elder eats his own intestines), which means that he can go without food. If there is not enough food in the house, the åpanyin will give his part to the children. He has eaten enough in his life. The åpanyin’s third virtue is his love for the family (abusua). His gentleness and wisdom are directed first of all to the abusua. It is the abusua, which benefits from the åpanyin’s life experience and civilised manners. He may have travelled a lot, but at his old age, when he reaches the stage of åpanyin, he will come home and spend his days with the members of the family. He will give them good advice on all kinds of problems and promote peace and unity among them. He will mediate in conflicts. “There is nothing left for him to do than guarding the people in the house”, according to one elder. Another elder put it in a proverbial way: A proverb is given on this: Akwakora ntena efie mma asadua mfå (‘An old man stays at home to prevent the coffee or cocoa beans from becoming wet’). You are old in the house and beans have been spread out in the sun to dry. If it starts raining, you the old man in the house have to go and collect the beans to prevent them from getting wet. If you don’t do anything and the beans get wet, it means that you are not a good person. An old person in the house must gather the grandchildren around him and teach them the tradition. If you don’t do that and you die, it means you have thrown away the children. It means that you have allowed property belonging to the family to get lost.

To depend on others at that stage of your life is not a disgrace or a sign of failure, but rather a proof of your importance and success in life. It is not something you consider a loss of control over your own life; it shows that you have built up social capital. As Stucki (1995) has pointed out in her study of older people in Asante, neighbours of the Kwahu, an åpanyin is someone who has accumulated both wealth and followers. The two are not unconnected: rich people attract relatives and friends. Such successful people enjoy their ‘dependence’; their followers lavishly pour care on them when they grow old.

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Elsewhere (van der Geest 1998) I have argued that this positive image of old age is more an ideal cherished by the elderly than daily reality. The point, however, is that it is their ideal to grow old in this way. Being old, carrying the signs of old age, having the experience and wisdom of an elder person, being respected and admired because of one’s age, staying home and being cared for by children and grandchildren, and receiving visitors who come to pay their respect; all these constitute the attractiveness and gracefulness of old age. Old age is a time to look forward to. If older people in Dutch society are able to live ‘gracefully’ and enjoy their old age, it usually is thanks to their denial and defiance of old age. Their happiness lies in the ‘fact’ that they can stop the ageing process. They do not feel the number of years they actually number and they have people around them who keep assuring that they do not look as old as they are. Their joie de vivre is possible thanks to their success in keeping old age outside the door, in not receiving it as a welcome guest. Thus, going on pension can be a pleasure; people may even accelerate that moment and go on ‘early retirement’. They are going to enjoy life “before they are old.”

‘Gracefulness’ reconsidered Most of what I wrote up to this point took ‘gracefulness’ in its popular, somewhat superficial meaning. I was drawn to a very different meaning, however, by a study among 21 older Dutch people about ‘successful ageing’ by Margaret von Faber (2001). The older people she talked to protested against the popular images of ‘success’ as being healthy and able-bodied, mobile, independent, and capable of taking care of themselves. Success, they said, was rather the art of accepting the limitations and declines of old age without turning spiteful or sour. Graceful and successful ageing, they continued, was the ability to retain social connections in spite of receding health and mobility. The secret of that ability does not lie in remaining youthful, strong or handsome, but in ‘remaining interesting’ to others I found that both in Ghana and The Netherlands success depends on three strategies, two of which can be described as rewards of reciprocity. First, both in Ghana and The Netherlands, a successful life is a matter of investment in others: one’s partner, children, other relatives and friends. Old age is the time of harvesting what one has put into life the years before. In Ghana, this is mostly material support and care that is paid back in social and material security at old age. Of course, in that material care lie also emotion and affection. Young and old reassured me that no one who had devoted his life to the

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well being of others needed to worry about old age. Those he had cared for would take care of him. Such a person could truthfully say that old age was the best time of his life; it is harvest time: he could now enjoy. The Dutch situation differs, but only on the surface. Material reciprocity may be less crucial since state pensions and bank accounts have taken over from family security, but the emotional reciprocity is not any less crucial. If loneliness is the main worry for older people in Dutch society, it is – as the older people realise – because they have invested insufficient concern in others during their productive years (cf. van der Veen 1995). Next to this long-term reciprocity, is the short-term exchange of information, conversation and emotion. Older people, however good they may have been to others in the past, may turn into boring beings who are no longer entertaining. Meeting them and having no interesting information to exchange, kills the pleasure of the encounter and discourages visitors from returning. The secret of remaining interesting, as a partner in conversation, is not to tell stories about the past, but to keep an interest in the present. For older people, the short-term reciprocity during conversation and interaction is achieved more in asking and listening than in speaking. For older people in Ghana, this proved particularly difficult. The popular cliché of successful ageing is the wise elder who gives advice to younger people and treats them on old legends. Ironically however, both in Ghana and The Netherlands young people avoid older people who want to impress them with their stories and fail to listen to them. In contrast, those elders who continue to take an interest in the younger generation are most likely to attract company. Finally, there is the art of what I called ‘not turning sour’ in spite of the physical, mental and social constraints that old age brings. Von Faber (2001) speaks of accepting these limitations, adjusting to the new situation (see also Baltes & Baltes 1990). There is a Dutch saying that expresses this well: moving the beacons (de bakens verzetten). It is the opposite of complaining: not complaining as a strategy, as impression management (cf. van der Geest 2007). It is more than a strategy, however, it is the integration of new experiences into one’s life, a continuous production of meaning (cf. Apostel 1993). Vitality at old age does not refer to bodily strength but to the moral and emotional resilience in that permanent renewal of meaning. This is what I call ‘gracefulness.’ After all, life experience, wisdom, patience, caution, gentleness and reflexivity are the true signs of ‘success.’ They shine through most physical and cognitive handicaps. Significantly, Hölderlin, who wrote so melancholically and bitterly about old age (“Ich lebe nicht mehr gerne”), also captured its beauty:

Observations from Ghana and the Netherlands 

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In jüngern Tagen war ich des Morgens froh, Des Abends weint ich; jetzt, da ich älter bin, Beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch Heilig und heiter ist mir sein Ende. (Hölderlin 1988: 78)

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Aging and Dying, Nature and Culture: The Clinic and the Age of Reflexive Longevity Sharon R. Kaufman This essay explores developments in technological life extension for the elderly that have become ordinary for citizens of the U.S. and available for some older people in European and developing countries. Within a sociocultural context that emphasizes the good of intervention at all ages, the re-making of ‘natural’ old age and the promises of biomedical technology, medical interventions are shaping an imaginative and technological enterprise in which the limits to the body and the limits to life are always being pushed, and the boundary between prevention and life extension becomes less clear in an aging society.

“Biomedicine, throughout the twentieth century and into our own, has thus not simply changed our relation to health and illness but has modified the things we think we might hope for and the objectives we aspire to. That is to say, it has helped make us the kinds of people we have become … And, I suggest, we are increasingly coming to relate to ourselves as ‘somatic’ individuals … as beings whose individuality is, in part at least, grounded within our fleshly, corporeal existence, and who experience, articulate, judge, and act upon ourselves in part in the language of biomedicine.” Nikolas Rose The Politics of Life Itself

How do we know and ‘live’ old age today? This question is important because the world population of those age 65 and older is growing faster than the total population, and the numbers of the oldest old – those over age 85 – is rising as well. Centenarians are no longer unusual. While life expectancy is increasing in most countries of the world today, so is the burden of chronic illness and later life disability. The U.S. is unusual in that medical practice and intervention play a dominant role in the extension of progressively older lives, and, importantly, in how we come to think about ‘old age’ and life prolongation. For example, while surgery, drugs and devices have changed the actual life expectancy for many older people around the globe, an explosion in the varieties of preventive, life-saving and life-extending interventions for the elderly in the U.S. is changing American expectations about longevity and mortality and changing the actual practices of many medical specialties. In only the last decade or so, many older persons in the U.S. (and their families) have come to understand their bodies, lives, possibilities and futures – including what constitutes the ‘normal’ life span – in terms of their options for medical interventions that may extend life and contribute to its quality. From

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the medical management of cholesterol, blood pressure and heart disease to surgeries of all kinds; from the multitude of palliative or aggressive cancer interventions to drugs for depression, memory enhancement and sexual dysfunction; from heroic life-extending procedures in hospital intensive care units to hospice care at home, older persons and their families have more options than ever before among standard, alternative, and experimental treatments that potentially postpone or alter both the frailties that accompany late life and endstage conditions. Those options create new ways of thinking about meaning, identity and value in later life and they give rise to new burdens and responsibilities for older persons themselves, their families and the health care professions. Life-extending medical treatments for those in late life open up both a world of hope (for renewal, rejuvenation and health maintenance) and a socioethical problem space in which consideration of the worth of late life and our relationship to loved ones is, more and more, organized around the somatic, which I illustrate below. This essay explores the brave new world of technological life extension for the elderly that has become ordinary for citizens of the U.S. and available for some older people in European and developing countries. (In addition, the globalization of medical tourism in 5-star hospitals in Asia and the Middle East illustrates the growing, worldwide market for high-tech, advanced medical care to extend life and stave off death.) But before beginning discussion of longevity-making, I want to situate my ethnographic research within the anthropology of birth, aging, and death. Anthropological investigations of beginnings, ends and life stages have undergone a major shift from the early days of ethnography, from descriptions of normative practices within discrete nonWestern societies to recent studies of the cultural emergence of forms of life and death, including the ambiguous boundaries between them. For example, social science fascination with new life forms created through bureaucratic, commercial, and technical means – stem cells, embryos, fetuses, the comatose, the demented, and the brain-dead, for example – has directed much ethnographic effort toward the industrialized and affluent sectors of world societies where what it means to be human and to be alive or dead are being reformulated. Anthropologists are interested most recently in scientific practices and knowledge production, and we pay particular attention to the increasing biologization of political and private life. Late 20th and early 21st century studies have responded to the impacts of the genetic sciences and clinical medicine on individual experience – especially reproductive technologies and technologies surrounding dying and life prolongation. Many scholars have turned their attention to the influence of expert and lay knowledge on changing notions of

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self, the family, the future, and expectations about dying, death and longevity. My work is situated here.

Nature and old age The British sociologist Nikolas Rose notes that individuals in “advanced liberal democracies” (Rose 2007: 26) think of themselves as authors of their own life stories, active participants in the shaping of the life course through decisionmaking of all kinds. This approach to life is accompanied by the knowledge that biology is no longer destiny; we know that we can maximize health through our own behaviors and that medicine has the tools to intervene to stop the course of serious disease. Illness prevention, health promotion and risk reduction are ordinary features of middle-class life. The World Health Organization is attempting to impart those practices, and the values on which they depend, worldwide. In the U.S. particularly, developments in the clinic reveal how we are making ourselves into risk managers, experimental objects and, overall, beings who must consider deeply how much value the body has in relation to the meaning of life. Thus, many today want to think of themselves not only as authors of their own life stories, but also, as authors of their own life trajectories. Choosing the timing of death has become important. Yet amidst the positive medical advances of recent years lies significant cultural confusion about ‘natural’ aging and ‘natural’ old age. Our understandings of what is natural about human life, including the ways we respond to illness, grow older and die, are always being remade, and medical treatment at older and older ages is one striking example of how science and the clinic in American society manufacture ‘the natural’ today. Nature is “a human idea with a long and complicated cultural history” (Cronon 1996) and it has always been entangled with cultural values about fate and human agency, the uses of the body in life and death, and the essential, innate quality of things, including the human being. Nature has been considered to be both part of us and separate from us, and our descriptions and understanding of it are linked to concepts of God, fate and human agency, culture, science and the body (Coates 1998; Merchant 1990). Nature is perhaps most starkly revealed as a cultural construct at sites where routine medical practice and technology converge. Technologically assisted human reproduction, transplant and implant recipients, persons maintained by life-extending chronic-care therapies, brain-dead bodies that are warm and breathing all exemplify how malleable ‘nature’ and the ‘natural’ body can be in

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the hands of clinical practice. These hybrid forms embody the most current incarnation of the indeterminacy of both culture and nature; they subvert and redefine older understandings of ‘natural’ to include emerging inventions of culture, especially biomedical technologies and the socioeconomic structures that support their development and use. Our notions of a ‘natural’ old age are formed and supported by biomedicine’s successes. We live in an era in which routine life prolongation through medical technique is coupled with many widely desired life-enhancement and modification interventions (e.g., designer drugs, hormone replacement therapy, hip and knee replacement, cataract surgery, cosmetic surgery). Any vision of ‘natural’ aging becomes increasingly difficult to sustain in a society with insatiable demands for medical intervention – in more areas of life, in more of the body’s vital processes, and in ever-older age – in order to achieve greater health, longevity, and “optimal well-being.” The confusion about ‘natural aging’ is expressed in a century old debate about the relationship of aging to disease. Whether aging is disease, whether ‘normal’ aging is ‘pathological,’ and whether aging per se leads inevitably to death are all issues that have been and continue to be questioned in the medical literature and public life. Historians and anthropologists have noted that conceptions of ‘normal’ and ‘natural,’ in relation to aging are, like all scientific knowledge, not objective or given, but rather are constituted in particular social and political contexts and are elaborated over time as scientific ideologies change. The terms of the debate have shifted with the growing sophistication of biological knowledge and with changes in the politics of medical science and the delivery of health care, but the debate itself is ongoing (Holstein 1997; Kaufman 2005). That debate, which manifests itself in the clinic, exists also as an ongoing undercurrent in medicine and biology. For example, biogerontologist Leonard Hayflick has noted a failure among scientists, clinicians, and the broader public to distinguish between research on the fundamental mechanisms of aging and research on age-associated diseases (Hayflick 2000). The debate about the relationship between ‘natural,’ ‘normal’ aging and disease opens new ways of thinking about the older body/self because that self is now understood in relation to actual life extending treatments and to the explosion in biotechnological promise. The lack of clarity about what constitutes normal aging and ‘natural’ decline toward the end of life and distinguishes those processes from disease (which often can be treated to stave off decline) fuels cultural desire for medical interventions into very late life. At the same time clinical understandings about which treatments are ‘standard’ and appropriate at ever-older ages changes in a context of biotechnological promise.

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Finally, confusion about ‘natural’ aging also has been expressed in the last several decades, and mostly in the U.S., in debates about whether decline and death should be avoided, that is, postponed for as along as possible with clinical technique. Beginning in the 1980s philosophers, social scientists and some clinicians noted that aging and death had come to be regarded as scientific ‘problems,’ amenable to technical solutions (Callahan 1987; Estes & Binney 1989). Bioethicist Daniel Callahan, particularly, reflected on how American society, including the profession of medicine, has lost a sense of the ‘natural,’ finite life span (Callahan 1987; 1993). He and others observed that death has come to be considered an option (Muller & Koenig 1988). Most recently developments in the biosciences have encouraged the view that aging is a treatable disease. Rapidly expanding knowledge of the human genome, together with advances in tissue engineering, the bioengineering of drugs, and the ability to manipulate cellular aging genetically, create societal expectations about applications of genetic technologies to cure the diseases of later life, stave off death, and alter the ‘natural’ process of aging (Hall 2003; Wade 2001). These goals have become intertwined and largely inseparable. Research emerging from the biotechnology revolution, especially research on the cloning of tissues and organs and the arrest of cellular aging through the manipulation of telomerase, deepens rather than ends the debates because it equates normal aging with disease and allows both clinicians and the public to consider new possibilities for standard of care medicine in which ‘normal’ aging is treatable. Genetic knowledge, ever-more sophisticated transplant techniques, smaller, safer and more effective implantable cardiac devices, and specifically targeted drugs for cancers and other diseases are some of the recent innovations that drive hope for individual longevity, make the promises of the biotechnology revolution appear to be real and, importantly, create expectations about existing treatments for the extension of late life. There is a growing literature on the justification and benefits of performing many kinds of procedures on persons older than age 80 (Kaufman, Shim & Russ 2006). Together with the promise of more technologies, the present availability of interventions for the elderly and the normalization of life-extending, life-enhancing treatments at ever-older ages promote the notion that aging and death are not inevitable and that one can “grow older without aging” (Katz & Marshall 2003). These promises and options also foster the assumption that one can, and should, choose to intervene. In contrast with the European countries, where limitations to health care resources are widely acknowledged, medicine in the U.S. holds no steadfast assumptions about technological or biological (or financial) limits to what one can do for older persons. As a result intervention frequently leads to more intervention because ‘natural’ age limita-

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tions for procedures are no longer thought to be inevitable. Many patients, for their part, have become proactive health care consumers responsible for questing after their own health and longevity. Yet that responsibility is also a burden. Some philosophers, physicians and social theorists have expressed a deep concern about manipulating mortality and ‘the natural’ at all ages – as though ‘the natural’ were a stable, unchanging object and category of knowledge. In the U.S. their fears stimulated the thoughtful report issued by The President’s Council on Bioethics in 2003, titled, “Beyond Therapy: Biotechnology and the Pursuit of Happiness” (President’s Council on Bioethics 2003). The authors of that report noted the strong societal preoccupations with longevity, optimal health in advanced age, the expectation that ‘old age’ can be treated, and the taken-for-granted malleability of the body and self at all ages, including into late life. That report also noted that the boundaries between medicine’s focus on cure and its concern with life enhancement are becoming increasingly blurred. As the practices of the biomedical sciences continue to move beyond the confines of disease entities and whole individuals to investigate the biological mechanisms of life itself rather than disease, they are ushering in a new genre of medicine, now known as regenerative medicine, which is part cure, part prevention, and part experimental science. The altered gaze which accompanies this new kind of medicine permits the old body to be viewed as simultaneously a diseased entity, a site for restoration, and a space for improvement. This new way of thinking about the old body has direct implications for clinical intervention and for the experience of growing older and being old which are only beginning to be explored. In his book, The Future of Human Nature (Habermas 2003), Jürgen Habermas ponders, along with others, the fate of ‘dignity,’ intergenerational relations and the traditional meanings of the life cycle in the face of the array of technologies for enhancing life, postponing senescence and staving off death that are now so normalized and standard. He states: “The advance of the biological sciences and development of biotechnologies at the threshold of the new century do not just expand familiar possibilities of action, they enable a new type of intervention. What hitherto was ‘given’ as organic nature … now shifts to the realm of artifacts and their production … the boundary between the nature that we ‘are’ and the organic endowment we ‘give’ to ourselves disappears. As a result, a new kind of self-transformation … emerges …” (2003: 11–12). From selecting the sex of babies to manipulating the growth of children, from altering mood and behavior with drugs at every age to creating superior athletes and clearer thinkers, and finally, from prolonging life at ever-older ages to authorizing the timing of our own deaths, the techniques of contemporary

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medicine have enabled us to consider all these interventions – at all ages and life stages – as normal and as standard medical practice. We are led to think that we can influence the kind of aging and end of life that we have come to hope for and idealize. The quest for health in late life and control over our bodies “has become central to the telos of living” (Rose 2007: 28) for so many. Within this sociocultural context that emphasizes the good of intervention at all ages, the re-making of ‘natural’ old age and the promises of biomedical technology, I turn to my ethnographic research on old age, life extension and the clinic.1 I draw from three kinds of medical intervention which, along with other procedures and technologies, are shaping an imaginative and technological enterprise in which first, the limits to the body and the limits to life are always being pushed, and second, the boundary between prevention and life extension becomes ever more murky in an aging society. I ask: How do we consider and act on late life when an older truth of the predictable arc of human life (Cole 1992) is replaced with a vision of the life course in which the body and self can be re-made through clinical technique and death can be deliberately pushed out into the future?

Freedom and the problem of options Enacting one’s own freedom – through one’s obligation and commitment to health and long life – is a complex and demanding enterprise in the U.S. That commitment takes at least two forms today. First, our self-regulating, prevention and promotion strategies are based on risk-awareness. Ulrich Beck (1992; 2006), Anthony Giddens (1990) and others have described the ways in which risk as a way of knowing and risk assessment as a technique for living constitute the structural conditions of life in post-industrial society. There is no doubt that risk awareness drives much health care delivery in the U.S. today, and both health and health care are largely understood as risk reduction through individual risk assessment. Indeed, Kathleen Woodward (1999), in her essay titled, “Statistical Panic”, provides a cogent analysis of the ways in which our “society of statistics” 1 The findings on cardiac procedures, transplant, and dialysis described here are drawn from anthropological research conducted by Sharon Kaufman, Principal Investigator, in collaboration with Ann Russ and Janet Shim. Sharon Kaufman led the investigation, collected most of the data on kidney transplantation and was responsible for interpretation of all findings. Ann Russ gathered the ethnographic data on kidney dialysis. I draw from work in which she was the primary author (Russ, Shim & Kaufman 2005). Janet Shim collected the data on cardiac procedures and some of the data on kidney transplant. I draw from work in which she was the primary author (Shim, Russ & Kaufman 2006).

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provokes panic by engaging the experience of always being at risk, mostly through knowing the numerical scores of our corporeal conditions. Clinicians in some fields work to treat risk itself, and some individuals with family histories of cancer or genetic disease want pre-symptomatic, sub-clinical identification of risks in order to pre-empt the manifestation of disease (Rose 2007). Health risks are conceptualized as individuals’ problems whose solutions reside, therefore, in individual strategies for behavior change or clinical intervention. Second, we are responsible consumers. A flood of health and wellness newsletters and internet websites give advice about the pros and cons of treatments and behaviors. Above all, Americans have become responsible for knowing, and then for deciding. Yet more information and increased surveillance of the body leads not to satisfaction with health care services or a perception of better health, but rather to enhanced risk acuity in a seemingly endless feedback loop, in the demand for more intervention. This mode of engaging medical treatment contrasts sharply with what Gordon and Paci found in their study of cancer and the disclosure of bad prognosis in Italy (Gordon & Paci 1997). There, patient responsibility for decision-making is not emphasized or considered valuable either by patients, families, or physicians. Not only are the practices of bioscience and clinical medicine shaping the way we understand the self, the old body, aging and our interpersonal commitments, but also, the multiple and contradictory ways we understand aging and old age are changing clinical practices and the sense of responsibility toward the self and others that underlies those practices (Kaufman, Shim & Russ 2004). One result of this reciprocal socio-medical process is that societal expectations about longevity and medical care come together today in the U.S. in a shifting ethics of normalcy, in which life extension often receives priority, sometimes regardless of the state of ‘life,’ and in which caregiving and love are explicitly tied both to the bodies of older persons and to clinical acts that either extend life in advanced age or allow “letting go.” The ramifications of this shift – for expressions of the meaning and value of late life and for interpersonal relationships – have hardly been explored.

Reflexive longevity – three clinical interventions In its work over the past several decades of re-calibrating the boundaries and signs of what is considered treatable and worthwhile to treat at ever-older ages, medicine both nurtures and extends into ever-later life the already widespread existential and societal condition of hyper-reflexivity so well documented among medical ethnographers and theorists, such that risk is an individual,

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embodied condition, selfhood is increasingly considered in somatic terms and health promotion strategies are intensified throughout the life course. Older individuals (and their families), primed to be responsible consumers of health services, often can choose whether to attempt to prolong life with aggressive clinical options, and for how long to do so. Today all of medicine is characterized by risk calculations, which are colored (or displaced) by hope, and by decisions within decisions about interventions. Diagnostic procedures lead to treatment options. In late life, those options force consideration of the worth and amount of time left to live. Clinical choices, as I illustrate below, create a stark imperative to imagine and then choose among possible future scenarios in which procedural risks, roads to death, biomedical progress and ideas about the naturalness of control over the extension of life, the timing of death and the ‘natural’ adaptability of the body all are invoked. Longevity becomes a reflexive endeavor when one takes these cultural features of contemporary knowledge into account. Reflexive longevity takes the form of clinical choice – first, about the potential length of life left in light of clinical offerings and second, about whether one wants to attempt to extend life, to manage the timing of death, and to take responsibility for such essential matters. Three examples of the uses of medicine illustrate the commitment to longevity-making in an aging society. These examples, drawn from cardiac procedures, kidney transplant and kidney dialysis, are emblematic of the rising age in the U.S. for interventions of all kinds. They point to the ways in which medicine is shaping the character of life in old age and they illustrate how the goal and expectation of open-ended longevity influences medical treatment. It is difficult to say ‘no’ to medical technique, perhaps especially in old age, when life itself is at stake.

Treating risk: cardiac procedures With increasing frequency, the oldest members of U.S. society are undergoing cardiac interventions aimed at prolonging life. Coronary artery bypass surgery is now commonplace for persons in their 80s and is not unusual for persons in their 90s. There has been tremendous growth in the use of stents to open clogged arteries in the past decade as well. Physicians implant automatic cardiac defibrillators or AICDs (to stop and correct a potentially lethal hearth rhythm) into more than 100,000 patients annually, many of them in their eighties and some in their nineties. The growing normalization of cardiac treatments to the very old is made possible by the decreasing risks of the procedures themselves. As devices such as

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stents and implantable defibrillators become smaller, as techniques for implanting them become safer, and as less invasive procedures are being used with greater frequency and success, physicians and the public have learned to view them as standard interventions that are justified and that one does not, easily, refuse. Reduced risks associated with these cardiac procedures produce a sense that life extension is open-ended as long as one treats risk (Shim, Russ & Kaufman 2006). Physicians interviewed in my study of the uses and effects of life extending technologies discussed the fact that noninvasive treatments almost always pave the way for additional, often more aggressive, procedures and that aggressive procedures pave the way for less aggressive ones. They described both types of intervention as a “technology parade,” in which cardiologists, then cardiac surgeons, and finally electrophysiologists (who implant automatic defibrillators) each provide a life-extending procedure that is, in part, facilitated by the one that came before and that is designed both to manage existing disease and to ameliorate future risk. As growing numbers of elders receive more kinds of interventions, the “extravaganza of cardiology,” as one doctor put it, becomes an increasingly accepted and ‘natural’ part of old age. For practitioners and patients alike, that trend influences the absence of deliberation about whether to treat. While debates in clinical medicine are emerging about whether the use of the automatic implantable cardiac defibrillator in very old individuals is appropriate therapy (de Lissovoy 2007), physicians agree that use of this device is on the rise, and it is considered more and more ‘standard’ among physicians and patients in their 80s and beyond. Recently expanded medical criteria developed during clinical trials allows thousands of older Medicare recipients to qualify for the implantable cardiac defibrillator, a device which, in regulating a potentially lethal heart rhythm, prevents sudden death from a heart attack, the kind of death many, perhaps most of us actually want in late life. Although some physicians ponder the ethics and practical appropriateness of implanting this device in patients in their 90s, several cardiologists echoed the statement of one who reported, “I don’t even blink when I have a patient that comes up that’s 80-something, because the 75–78 year old is sort of the standard. I’d say the number I think twice about is 90 or above. But we have many patients over the age of 90 now.”

Clinicians who implant these devices speak about “actually treating for risk, not just looking for risk.” Some frame accountability to themselves and their patients in terms of proactively treating risk. For example, one cardiologist spoke for others when he said,

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“Now we’ve come all the way to the point where we realize, scientifically, that you can put an ICD in someone who’s never had an event at all, without doing any other testing, but just bring them in from the office and put it in. Because at some point, they may face this arrhythmia risk, and, scientifically, they’ll be better if they have this than someone who doesn’t have it. We’ve all grown to accept that. So I think I’ve changed in terms of my thinking about what’s treatable or when it should be treated.”

The logic and growing ease of risk reduction support the imperative to intervene later and later in life with this device and other procedures, and support a re-conceptualization of ever-older age as a stage of life when risks can and should be managed and averted. In the cardiac fields overall, physicians, as specialists and technicians, provide a preventive or risk-averting safety net to patients via the techniques available. The notion of risk powerfully dictates clinical responsibility and thus, deciding to treat risk is a doctor’s responsibility. Because mortality and morbidity are often low risks with the implantable defibrillator, even in advanced age, physicians and patients both have come to see them as ‘natural’ choices when faced with symptoms that may be, or are, life threatening (Shim, Russ & Kaufman 2006). Implantable cardiac devices are big business – one of the fastest growing and highest-profit margin medical devices. Companies that manufacture these devices are looking at defibrillators as a new area of growth, and already, sales are growing 20 percent annually (Meier & Sorkin 2005). Even more sophisticated heart regulating devices are available and coming onto the market. Together these devices form part of the landscape, the moral socio-scape, in which aggressive medical options are increasingly made available to very old people. These devices contribute to reflexive longevity because older persons and their families, when offered this treatment, are forced to ponder an individual ethic of life extension and to imagine both the goal of the device (Does it extend ‘natural’ life?) and the kind of care that would accompany the longer life it potentially enables (By averting sudden death does it allow other diseases to emerge later on?). The work of the device must be considered in relation to age, suffering and one’s overall condition. For example, one 84-year old man, who recalled that his doctor told him he needed the device or he would die, explained: “Well, I’m not going to have it. Heart failure is bad enough. Why would I want to keep from dying from that? If the heart failure is going to get worse and worse, wouldn’t it be merciful if I would have a sudden death, instead of a long suffering?”

Clinical evidence pointed to the usefulness of the implantable device for staving off this patient’s death. And that evidence organized his reflexive deliberation, both about the ways in which his future could unfold, with and without the

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device, and about managing that future. The ‘need’ for the device challenged the patient to consider its purpose in relation to his age and overall condition, and to ponder the relative quality of his life with the device in relation to the length of his life without it. Medical options and clinical indications promote this kind of reflexivity about the value and meaning of longevity.

Bodily obligation: kidney transplant There is growing demand for kidney transplantation among older persons with kidney disease. The number of kidneys transplanted to people over 65, from both living and cadaver donors, has increased steadily in the past two decades in the U.S. In 2008 15 percent of total kidney transplants went to persons age 65 and over. Five years ago a new category of older cadaveric kidneys was created in order to ease the organ shortage, making kidneys more readily available to older persons. That category is comprised of kidneys from older (age 55+) deceased persons that are not-quite-perfect and may carry some diseases. There is talk now in the transplant world of restricting older potential recipients to older kidneys. At the moment, patients over age 65 have the option of remaining on the national UNOS (United Network for Organ Sharing) waiting list up to seven years for a “younger” cadaveric kidney, waiting two to four years for an “older” cadaveric kidney, or taking a kidney from a living person – with virtually no waiting time. Older patients and their families quickly learn and reflect on the fact that their ‘choice’ must take into consideration time and age because the older you are, the more precarious your health may become in a few years, and thus, the greater the urgency for a transplant. The longer the waiting time for a cadaver kidney, the greater the ethical pressure on all of us to become living donors. Among living donors, the numbers of adult children donating kidneys to their parents is increasing. Younger adults are donating to their relatively young parents; middle-aged children are donating to their parents over age 70; and grandchildren are donating to their grandparents. These practices open the sites of bodily debt, the tyranny of the gift (Fox & Swazey 1992), and the sociomedical commitment to longevity to new dimensions of somatic responsibility and obligation (Kaufman, Russ & Shim 2006). For example, the responsibility to pursue greater health and longer life merges into the obligation people have for one another. Living donor kidney recipients narrated variations of the following theme: My family needs and wants me to live because it is possible for me to do so, and I want to live. Therefore, because I need to live, they (or some of them) will offer to donate a kidney for me, and, although it may not seem right, I must accept it.

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Everyone who engages the world of transplant medicine makes moves to include and exclude, to name and rank those who will be considered worthy of giving and receiving. For example, from a daughter who donated to her father: “We all have different roles in the family. My brother is married and has two young children. And I think if the chips had really come down, he might have steeped forward. My sister is married. I’m single. I had nobody else to consider. I didn’t have to consult anyone. So that’s just the way it was.”

A husband who donated to his wife remarked: “Naturally the kids said, ‘Take me.’ That was a given. They automatically offered. But we didn’t want the kids. They’re young; they have their own lives, and they may need their kidney later on. We both felt that if I was compatible, I would do it. I was really worried, during the testing, that they would find something, or that I would be too old, and I wouldn’t be able to give. And it didn’t happen and we were very pleased. And I’m sure the kids were relieved.”

An obligation from generation to generation is forged. Donors we spoke with assumed that the transfer of one’s own kidney to another could instigate the ‘natural’ obligation of younger generations to donate to older kin and like-kin in the future. That always potential obligation of the body of others does not appear troublesome. I found it expressed most clearly by a 54-year old woman who donated a kidney to her boss. Though she thought about the impact her donation would have on her own daughter and her daughter’s children, she did not think about it for very long: “… He said that he was gonna look for a donor because he didn’t want to be on dialysis … We’re like family – it wasn’t a question. It was an easy decision … My daughter has one kidney. So, I know a little bit about it. Knowing that no harm was going to come to me and knowing that, if down the line my daughter needed a kidney, she had some sort of back-up, I think that’s what made it easy … My daughter was the one who said, ‘Well, I have two sons, you know, if I need a kidney …’ And that made me even more comfortable.”

This donor’s view is not unique. Kidney transplantation is a standard medical treatment for end-stage renal disease. Love, obligation and the ability to save the life of another become compelling reasons to offer and give while one is alive. Love and obligation become, also, the reason to accept a kidney from a living donor and the reason to stay alive. This treatment provides the starkest example of the way in which interpersonal commitment is deeply connected to longevity-making and thus comes to be expressed through a clinical intervention that is, simultaneously, an endstage disease management strategy, a restorative, regenerative technique and a therapy to enhance both physical function and quality of life.

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Death brought into life: kidney dialysis Perhaps nowhere is the relationship between living and quality of life on the one hand, and dying and the awareness of death, on the other, made more troublesome than in the example of chronic kidney dialysis in old age. The normalization of long-term renal dialysis has its origin in the 1972 law extending Medicare benefits for dialysis to all individuals with end-stage renal disease. Since then, advances in dialysis care mean that physicians are successful at dialyzing patients with complicated diseases, including the very old. The criteria for dialysis selection, once very stringent, has fallen away completely. And now it is unethical not to offer dialysis to anyone with end stage disease. In an aging society the dialysis population is getting older. But the goals of treatment from a half century ago have not changed to reflect the demographic shift. The idea of ‘end-stage’ is routinely ignored in day-to-day treatment routines, both in critical care and in the outpatient setting (Russ, Shim and Kaufman 2005). For example, a social worker described how dialysis culture has changed: “Everyone has the right to dialyze. Nothing disqualifies patients today. When dialysis first started in the 1960s it was selective medicine. Now there is a drive to keep people alive longer. Period. They are just placed on dialysis and told that this is what we need to do. It is automatically assumed that a patient wants dialysis. ‘No’ is never presented as an option.”

In terms of patients’ experience, kidney dialysis is a non-teleological endeavor. Death is avoided by intensive, ongoing treatment, but no cure is available. People over age 80 on maintenance dialysis interviewed in my study have a strong sense of being between life and death – death comes to occupy considerable experiential space. Some patients feel themselves to be in a desperate situation (“Why am I still here?” “I’m stranded.”) Others feel they have already departed – in the sense that they are already promised to death and their time on dialysis is simply awaiting fulfillment of that promise. (“Dialysis is a shadow life, that takes you away from real life.”) Yet very few talk about proactive discontinuation – though many ask when, under what conditions, can they stop? For many long-term dialysis patients who are over 80, life is purchased with ‘quality of life’ because the chronic conditions that accompany the need for dialysis often worsen with time, causing loss of function, existential suffering, or both (Russ, Shim and Kaufman 2005). Thus the life support that dialysis provides does not reduce the apprehension of death so much as enliven and expand it as an experiential domain. For many older patients, passive acceptance of dialysis, rather than proactive choice of it, later generates profound questions about the meaning and worth of the therapy, and importantly, about the worth of their lives on the therapy.

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Questions can persist through years of treatment, for example, Do I really need this, Can I ever get off? When will this end? Yet few individuals proactively choose to stop the treatment. Reflexive longevity, in this example, does not indicate specific choice for or against a potentially life-extending intervention. Rather, that reflexivity is felt and sometimes expressed in the simple desire to stay alive, and in the ongoing and seemingly timeless and endless relationship between treatment and the life outside of treatment that the therapy sustains. For example one man noted, “Having to be here three days a week is what I call a ‘command performance’ No sooner do I start feeling better than I’m anticipating coming back again the next day. But there’s no choice, no modifying the experience.” Overall, older patients report that dialysis takes time away from life, draining their energies and capacity for life beyond the clinic. On the one hand, it extends life and allows one to persist; on the other hand, it is a “slow death,” some patients note. Importantly, in a situation in which patients perceive few if any choices, dialysis offers ultimate control over the timing of death. “They give you a choice,” one 82 year old patient said, “you can die now or you can die later. I chose later.” For many, the experience of “choosing later is central to treatment. Another said, “I don’t want to be here, but nobody’s pushing me, and I still like to think everything is my decision.” For some patients, their reflexive awareness that they can decide to stop enables the experience of dialysis to remain tolerable and keeps them returning to the clinic for treatments. “I’m not here by choice,” one woman said. “There are times I think I’d like not to come here, but then I just keep coming back. I don’t know if I will quit voluntarily, but I like to know that I can.” Thus the experience for many older patients on chronic dialysis therapy is that they choose to be choosers, to envision a limit, which lies in the future, beyond which they will not go. Longevity-making is, for them, a condition of simply not choosing to stop now (Russ, Shim and Kaufman 2007). *** These three kinds of medical intervention reveal different features of reflexive longevity. They include: the ever-present risk calculations and heightened perception of bodily risk that accompany cardiac procedures; the practices surrounding the biologization of moral commitment through living donor kidney transplant; and the feelings of the nearness or even presence of death for those on dialysis, even while one pushes death away. These features of reflexive longevity have already become common components of late-life subjectivity, so that reflexive longevity is an ordinary sensibility, the way we live today.

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Conclusion Taken together, four powerful socio-cultural engines drive a great deal of medical treatment to the elderly in the U.S. and influence our expectations about late life. Clinicians are aware that treatments for the very old can be a doubleedged endeavor, yet they want and feel obligated to provide life-extending options, sometimes regardless of a patient’s extreme frailty. Older persons, some of whom are ambivalent about living on and on with deteriorating health and functional abilities, do not usually want to proactively stop living or reject a life-saving therapy. For that would, in fact, be a way of authorizing one’s own death. Families also do not want the responsibility of saying ‘no’ to life-extending therapies for their loved ones. They are hopeful that treatments can extend meaningful life. Finally, the procedure-driven health care finance arrangements in the U.S. guide Americans toward life extending interventions – because they frame all clinical choice and thus have become standard, ‘normal,’ and expected. The tension between our desire to make the old body ever-more malleable and to extend life because we can, and the desire for a death without technological interference will not disappear. In fact, that tension will become more pronounced, in part because of the open-ended promises of bioscience to increase longevity, and in part because of the recent emphasis in academic medical centers on translational research that links the promises of the laboratory with clinical practice more directly than ever before, thus highlighting the somatic way of ‘knowing’ old age and focusing attention on the somatic as the crux of meaning. Together, biomedical research and clinical intervention shape ways of living in which the limits to corporeal malleability are always being pushed; the future of the life course is idealistically mapped as open-ended; and obligation, indeed love, are understood through the demands we place on the clinic and the demands the clinic makes on us. These three brief examples begin to illustrate the modes of knowing that are made possible, indeed, are emphasized, for older persons and health professionals by the techniques of contemporary medicine. They are emblematic of the kinds of future-thinking that become ‘present’ in the form of decision-making imperatives. They show, also, that the risks and timing of death must be considered though they cannot be pinned down. Those risks must be weighed against the potentiality, but not certainty, of longer life. The varied embodiments – of worsening health or better health or death – must be imagined because there are options. All of these considerations shape the new era of reflexive longevity. As a result, the question, ‘How to live?’ – which includes our reliance on and desire for medical intervention – is very much at stake in questions about the ‘nature’ of old age.

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Acknowledgments The research on which this chapter is based was funded by the National Institute on Aging under Grant AG20962 and Grant AG28426 to Sharon R. Kaufman, Principal Investigator. I am indebted to the health professionals and patients who made these studies possible.

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Pains, Pills, and Physicians. Self-medication as Social Agency among Elderly People in Urban Sulawesi, Indonesia Peter van Eeuwijk Chronically ill elderly persons in urban North Sulawesi, Indonesia, prefer first treatment by a biomedical professional. Kiosk drugs are a second therapy step. For elderly people in need of long-term care, self-medication (i.e. taking free-over-the counter drugs) becomes a vital option. Besides positive curative effects, kiosk drugs enhance social agency of elderly individuals in three ways: (1) sustain independence and self-determination; (2) avoid social control of care by establishing close relations to lay drug vendors; (3) legitimate the sick role.

Indonesia – an ageing society As in many other countries, the population aged 60+ is increasing rapidly in Indonesia. Between 1990 and 2025, the number of elderly Indonesians will grow by no less than 414 percent (Hugo 2000; World Bank 2008). The population 60+ constituted 8.2 percent in 2004, and is projected to reach 11.3 percent in 2020 (Department of Social Affairs 2003; WHO 2006). Life expectancy at birth (for both sexes) was 69 years in 2007 (World Bank 2009). This demographic transition identifies Indonesia as a rapidly ageing society with an aged population boom in the first decades of the 21st century (Arifianto 2008; World Bank 2009).1 Indonesia’s urban population is projected to increase from 30 percent in 1994 to 60 percent in 2025 due to rapid urbanization and a persistently high migration rate (WHO 1998a; Department of Social Affairs 2003; Husson 2007). By the year 2020 more than 50 percent of the elderly Indonesians will be urban residents (Arifianto 2008). The leading causes of death in Indonesia (in 2005) were cardiovascular diseases, malignant neoplasms (e.g. cancer), respiratory infections, perinatal disorders, diabetes mellitus and tuberculosis (Ministry of Health 2007; World Bank 2009). Several Indonesian sources report that three quarters of all elderly Indonesians (60+) suffer from chronic illnesses such as hypertension, rheuma1 For earlier sources see e.g. WHO (1998a), Abikusno (2002), Department of Social Affairs (2003), Suryadinata et al. (2003) and World Bank (2008).

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tism, backache, asthma, heart-trouble and/or diabetes (Ministry of Health 2007).2 Furthermore, many aged people are afflicted with age-related diseases (e.g. eye and ear impairment, dental and joint problems), but only a minority can afford adequate therapy and has access to appropriate health care (BoedhiDarmojo 2002; Department of Social Affairs 2003). Significant demographic and epidemiological transformation as well as accelerated urbanization and change of lifestyle have resulted in a new national health profile. As a consequence, Indonesia’s rapidly ageing society becomes increasingly susceptible to chronic progressive and mainly degenerative diseases (World Bank 2009). Particularly aged Indonesians in urban areas are at risk and thus increasingly need long-term care and continuous therapy. This article sheds light on the topic of therapy choice and therein focuses on pharmaceuticals and their wide and frequent use by elderly in urban North Sulawesi (Indonesia). Self-medication with free-over-the-counter drugs has become a very popular curative option for chronically ill older persons due to the perceived beneficial effects of pills and tablets. However, biomedical health professionals judge this kind of medication as dangerous lay practice and are concerned about loss of therapeutic control. By adopting the conceptual framework of (social) agency and (health) practice, this article argues that free-over-the-counter drugs have a favourable impact on the social condition of chronically ill, urban elderly individuals.

Treatment-seeking of elderly people Treatment-seeking as part of a general health-seeking behaviour approach identifies the use of formal and informal sources of care and medical services and comprises the patient’s preference for and adherence to a particular therapy and its subsequent curative steps (Mechanic 1992; van Eeuwijk 1999). Only very recently studies on treatment-seeking of elderly people in developing countries have begun to appear. Furthermore, therapy choice of older persons suffering from chronic illnesses – who are more often than not also in need of long-time care and continuing medication – has not yet become a major scientific focus of ageing studies. Thus, this research wishes to make a contribution to fill this research gap from a medical anthropology perspective. The report entitled “State of the World’s Older People 2002” reveals that ill elderly persons in most Asian, African and Latin American countries have little 2 Other sources are for instance Department of Social Affairs (2003) and Koesoebjono & Sarwono (2003).

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or no access to adequate biomedical health services (HelpAge International 2002). They make regular use of traditional medicine, but often through pure necessity. Yet, different studies on treatment-seeking and therapy choice of ill elderly show that they opt for biomedical health care if it is available, affordable and acceptable (see Tab. 1). Moreover, this brief literature review discloses that we still lack quantitative and qualitative research on the manifold uses of pharmaceuticals by elderly persons. Table 1: Selected studies with findings on biomedical treatment-seeking of ill elderly persons and their use of pharmaceuticals Cited study and its research location

Ill elderly receiving any kind of cure

43.5 %

Ill elderly (if Elderly treated) being making use provided with of pharmaceubiomedical ticals treatment Only in – emergencies 92.2 % –

100 %

Vast majority

54.5 %



Egypt: 43.9 % Tunisia: 48.7 % Rural: 81.5 % Urban: 61.8 %

Egypt: 58 % Tunisia: 53.2 % –

44.6 % family care A few cases with traditional healers 37 %

22.9 % health care workers 4.8 % medical doctors

18.4 % from patent drug sellers

About 50 %





71.9 % medical doctors (as first curative resort)

86.3 % from local shops 25 % from local pharmacies (as first curative resort)

Patel & Prince 2001: urban Goa (India) (elderly in bad mental state) Joshi et al. 2003: rural and urban Northern India (elderly with disability and/or psychological distress) Teo et al. 2003: urban Singapore (elderly with mainly chronic diseases) Yount et al. 2004: Tunisia and Egypt (ill elderly)

No treatment

Zimmer & Kwong 2004: rural and urban China (elderly with chronic health conditions) Abdulraheem 2007: urban Ilorin (Nigeria) (chronically ill elderly)



Gureje et al. 2007: rural and urban Ibadan (Nigeria) (elderly with major depressive disorders) Tôrres Faggiani et al. 2007: urban Porto Alegre (Brazil) (ill elderly)

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The studies cited in Table 1 lead to three conclusions: (1) ill urban elderly people make more frequent use of biomedical treatment than their rural counterparts; (2) self-medication with pharmaceuticals means an essential curative resort for them; (3) frequent drug utilisation applies particularly to elderly with progressive chronic illnesses. However, none of these studies highlight the specific sequence of treatment-seeking, i.e. how they seek treatment by relying on more than one therapeutic action or step, and none draws attention to the reasons why ill elderly people make such frequent use of pharmaceuticals. Hence, this paper illustrates how elderly urban Indonesians with chronic illnesses adopt a pluralistic curative approach. Moreover, our study indicates why they show a marked preference for over-the-counter drugs and how their utilisation affects social agency of ill elderly in a very direct sense.

Method and study design This contribution is based upon an inter-disciplinary research project that focused on vulnerability, health, therapy-choice, care and support of elderly Indonesians in three urban centres in North Sulawesi Province. It was carried out over three years (2000–2003) and involved an international team of medical anthropologists and public health specialists. The study design involved five successive steps on different societal levels.3 The selection of households and individuals was based on stratified random and purposive sampling. A combination of quantitative research methods (such as biomedical screening and structured questionnaires), qualitative techniques (e.g. semi-structured interview, focus group discussion, direct observation, diary keeping) and documentary instruments were applied (van Eeuwijk 2002, 2005, 2006). The lower age limit for inclusion in the study was 60 years. This corresponds with the definition of ‘[people of ] advanced age’ (lansia: acronym for [orang] lanjut usia) by the Indonesian Ministry of Health. This purely numeric and demographic definition is of course not coincident with the conceptions of ‘age’, ‘ageing’ and ‘elderly person’ held by Minahasa and Sangihe people, the two 3 The five methodological steps are as follows: (1) literature review on elderly people and ageing in Indonesia; (2) community study in 7 political communities in 3 towns in North Sulawesi Province; (3) household study based on 50 households per town (N = 150), each including at least one elderly person; (4) age-cohort study of 25 chronically ill elderly in each town (N = 75) selected from the above household sample; (5) ‘tracer illness study’ with 14 case studies per town of older people with specific chronic illnesses and requiring care support (N = 42), selected from the age-cohort sample.

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predominant local ethnic groups in our research in North Sulawesi. Their representations and images on ageing centre on two nodal points: (1) age and ageing in reference to the degree of one’s control over body and mind, and (2) age and ageing with regard to the extent of one’s material and immaterial contribution to the household (van Eeuwijk 2004). Both fields are socially represented by the level of autonomy and independence that an ageing person can sustain (van Eeuwijk 2003). Arguing from a medical anthropology perspective, the health condition of an elderly individual thus strongly shapes the notion, meaning and understanding of ‘old’ and ‘aged’ in ageing discourses in North Sulawesi.

Study site and population The three selected cities in North Sulawesi Province comprise the municipality of Manado, the busy, booming provincial capital; Tomohon, a semi-urban, still countrified district capital; Tahuna, the remote, structurally weak capital of the Sangihe-Talaud Archipelago regency. These urban locations reflect different degrees of ethnic and religious heterogeneity and varying stages of urbanism (van Eeuwijk 2003). The average age of respondents in the age-cohort sample (N = 75) was 67; the oldest participant was aged 89 years of age. Sex distribution and marital status show a roughly equal woman-to-man ratio (52 percent) but three times as many widows as widowers. Religious and ethnic affiliation reflects roughly those of the towns under study: 66 percent Christian, 28 percent Moslem, 5 percent (Chinese) Buddhist and 1 percent (Balinese) Hindu, with 76 percent being Minahasa and Sangihe. In terms of economic standing, 40 percent of the age-cohort members had less than 50000 Rupiah (1 US$ = 9500 Rupiah in 2000) to spend per week, a few (18 percent) had no monetary means of their own while others (17  percent) spent more than 100000 Rupiah per week. 43 percent of the respondents suffered from more than one health disorder (comorbidity). A majority of elderly residents (53 percent) needed intensive longterm care, 49 percent were under medical treatment.

Burden of disease The following research findings are derived mainly from the age-cohort study of 75 chronically ill elderly in three towns in North Sulawesi Province. Visual and dental impairments were the most frequent health disorders (each 92 percent) when biomedical diagnosis was made at home. Furthermore, more

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than 50 percent of the elderly suffered from gastric problems, locomotor disturbances, hypertension and heart complaints. Rheumatism, hearing impairment and obesity were diagnosed less frequently (van Eeuwijk 2002, 2003, 2005). Selfassessed burden of (chronic) illness ascribed rheumatism and eye complaints the highest degree of perceived severity (i.e. persistent, uncertain, degenerative, painful, disturbing, and/or embarrassing), followed by diabetes, hypertension and stomach troubles (van Eeuwijk 2003). Annual statistics from four health district centres revealed that a majority of elderly with chronic illnesses also suffered regularly from acute infectious diseases such as upper respiratory infections, skin diseases, malaria and dengue, thus leading to a double burden of disease (van Eeuwijk 2004, 2006).

First treatment action Therapy choice of ill urban elderly reflects a distinct preference for physicians as first treatment action (see Tab. 2). A large majority of respondents (82.7 percent) consulted a medical practitioner working either in a public health district centre, a polyclinic of a public or private hospital or in a private practice. Only six elderly (8 percent) applied self-medication with ‘kiosk drugs’ sold free over the counter at kiosks, small shops, stalls and hawker’s trays as their first curative action. Nurses with an own practice were sought by 2.7 percent. Just one elderly applied selftreatment using local herbal plants as a first therapeutic action. Four elderly patients (5.3 percent) were not treated at all, primarily due to a combination of lack of sufficient funds, social support and information (van Eeuwijk 2002, 2003, 2006). No single ill elderly consulted a traditional healer as first curative resort. Studies on traditional medicine in North Sulawesi have even shown that some traditional healers actually reject elder hypertonic, diabetic and cardiac patients (van Eeuwijk 1999). Table 2: Type of first treatment action sought by ill elderly people in North Sulawesi (Indonesia) First curative resort Physician (in health district centre, hospital polyclinic, private practice) Self-medication using ‘kiosk drugs’

Number of elderly people (N = 75) 62

Percent 82.7

6

8.0

Nurse

2

2.7

Herbal plants

1

1.3

No treatment-seeking

4

5.3

Source: author’s research data 2000–2003

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As Table 2 shows, biomedical professionals (i.e. physicians and nurses standing for 85.4 percent) are by far the most frequented and thus preferred health providers as first therapy action. Only a small number of elderly with chronic illnesses (9.3  percent) considered self-treatment using either drugs or herbal plants as an adequate, i.e. safe and effective first healing. The following chapter will show that ill elderly turn to pharmaceuticals extensively only as a second step. It is in this and the following curative stages that the appeal of drugs plays the most significant role for elderly people and shapes most their social agency.

Patterns of consecutive therapy steps A majority of urban elderly with chronic illnesses (53.3 percent) was treated using only one single therapy step, i.e. physician (46.6 percent), nurse (2.7 percent), kiosk drugs (2.7 percent) or herbal plants (1.3 percent) (see Tab. 3). Two thirds of the respondents (67 percent) judged the quality of care provided by health professionals as satisfactory and acceptable. On the other hand, as a result of unclear diagnostic findings, persisting symptoms or uncertain medical prognosis, 41.4 percent consulted more than one therapeutic action or health provider. More than a third of the physicians’ elderly patients (36 percent) continued treatment-seeking if illnesses persisted, reverting to pharmaceuticals (incl. medication from drugstores or herbal medicine) in the course of the process. 10.7 percent of the suffering elderly relied on a third type of curative action, while 3.9 percent sought cure from a fourth resort. Table 3: Treatment-seeking patterns of ill urban elderly persons in North Sulawesi (Indonesia) Patterns of consecutive therapy steps in three towns

Manado (N = 25)

Tomohon (N = 25)

Tahuna (N = 25)

Physician

Number of elderly people (N = 75) 35 (46.6 %)

20

4

11

Physicianherbal plants

8 (10.7 %)



4

4

Physiciankiosk drugsherbal plants Kiosk drugsherbal plants

4 (5.4 %)

1

2

1

4 (5.4 %)

1

3



Physicianherbal plantsnurse

3 (4.0 %)



2

1

Physiciantraditional healer

3 (4.0 %)



1

2

Physiciandrugs from drugstore

3 (4.0 %)



3



Physiciankiosk drugs

2 (2.7 %)

1



1

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Patterns of consecutive therapy steps in three towns

Number of elderly people (N = 75) 2 (2.7 %)

Manado (N = 25)

Tomohon (N = 25)

Tahuna (N = 25)



1

1

Kiosk drugs

2 (2.7 %)



1

1

Physiciankiosk drugsherbal plantstraditional healer Physiciankiosk drugsherbal plantsnurse Physicianherbal plantstraditional healer Physicianherbal plantstraditional healernurse Herbal plants

1 (1.3 %)





1

1 (1.3 %)





1

1 (1.3 %)



1



1 (1.3 %)



1



1 (1.3 %)

1





No treatment-seeking

4 (5.3 %)

1

2

1

Nurse

Source: author’s research data 2000–2003

Table 3 shows that the most frequently applied patterns of consecutive therapy steps follow the sequence ‘physician herbal plants’ (13  patients) and ‘physiciankiosk drugs’ (11  persons) (see Tab.  3). Only three individuals moved from a biomedical professional directly to a traditional healer. Elderly looking for a third curative action preferred the sequence ‘physiciankiosk drugs herbal plants’ (6  persons) or in two cases ‘physician herbal plantstraditional healer’. In summary, as a first therapy step, biomedical professionals are by far the most frequented health providers. Drugs sold freely at local kiosks are widely used but mainly only as second resort and supplemental therapy. Herbal medicine is still very popular as important complementary treatment (as second or third therapeutic step); the application of herbal plants reflects the unremitting belief of North Sulawesi people in the efficacy of natural substances to treat all kinds of diseases which lives on in the rich healing traditions of this area (van Eeuwijk 1999, 2006). Traditional healers are consulted as last curative resort; they provide culture-specific healing if an older person’s health continues to deteriorate, preceding treatments proved inefficacious and therefore magic is suspected as the cause of the disorder. Urban Manado shows the highest degree of reliance on health professionals (80 percent) by ill elderly (see Tab. 3); they particularly consider satisfactory physicians and the quality of care they receive there. Semi-urban Tomohon displays the lowest level of visits to general practitioners (16 percent) but the highest resort to herbal plants and traditional healers; ill elderly prefer self-treatment

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at home, emphasizing their familiarity with local healers. 44 percent of elderly persons in remote Tahuna favour physicians as first and single therapy, while the majority pursue a multi-step curative pattern, preferring kiosk drugs and herbal medicine after consulting a physician.

The appeal of medicines to older people Self-medication, a particular practice of self-treatment, represents “the selection and use of medicines by individuals to treat self-recognised illnesses or symptoms” (WHO 1998b: 3). In a broader sense, it includes over-the-counter drug purchase on their own initiative, prescription reuse and self-administered utilisation of non-prescriptive and prescriptive pharmaceuticals (including medicine share) by laymen for curative and/or preventive reasons (Nichter 1996; Kamat & Nichter 1998; Buclin 2001; Helman 2007). The intrinsically popular characteristic of self-medication is “based on lay beliefs about the structure and function of the body, and the origin and nature of ill health” (Helman 2007: 82). The above-mentioned studies from North Sulawesi reveal that self-treatment – i.e. the application of over-the-counter kiosk drugs and herbal plants – represents an important stage in therapy-seeking of elderly in distress.4 It is important to emphasise that self-treatment among ill elderly occurs in most cases only after previous professional health treatment: it is still the ‘safest first curative option’ for them. To cut a long story short, self-medication has become a widely applied method of treatment among chronically ill elderly in urban North Sulawesi – but usually only after a visit to the doctor. Many of them consider kiosk drugs as a recurrent form of self-care. For the most part due to pure necessity, they accept pills and tablets as their true ‘life companion’. Respondents of the household study group give the following explanations for the widespread and continued application of ‘kiosk drugs’: – cheap and therefore affordable – available everywhere 4 In fact, the very frequent use of synthetic medicines applies to all age groups in Indonesia (Lyon 2005; van Eeuwijk 2007; Ministry of Health 2007; World Bank 2009): “Modern drugs are now widely available in Indonesia, particularly in urban areas. Self-medication is a frequent occurrence. It varies from one community to another, depending on access to drugs, pressure of advertisements and the relative cost of consulting health workers” (Sclafer et al. 1997: 261). Pharmaceuticals account for over ⅓ of all health spending in Indonesia (in 2007); per capita drug consumption by value is comparatively low – at around US$ 12 per capita and per year –, which makes up a ⅓ to ½ of the levels in Malaysia, Thailand and the Philippines (World Bank 2009: 40).

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available at any time available in small units easy to apply no prescription required each household member can get it effective against most common illnesses

Two examples show the evident advantage of these free-over-the-counter drugs: Ibu F., 71 years, widow, Buddhist, Manado, gastrointestinal bleeding, rheumatic, ‘bone-ache’: “I cannot walk properly due to rheumatism, thus I do not leave my house anymore. When I feel pains in my legs, I ask my children and grandchildren to go and fetch the pills at the next kiosk. They simply say to the girl vendor at the kiosk: please give me the ‘pills for Oma F.’ – she always knows what I need. When I sometimes have heavy pains during the night, I send my daughter to look for some strong drugs in the neighbourhood against my aches – she will always find two or three tablets from one of the kiosks, even in the dark night!” Bapak J., 61  years, married, Pentecostal, Tomohon, hypertension, arm paralysis after a slight stroke: “I visit the hospital policlinic every month to have my blood pressure checked. Each time, the doctor gives me a prescription for very expensive drugs which I simply cannot afford. On the way home from the physician, I show the prescription to some kiosk vendors on the main road, and they sell me several tablets which are much cheaper and for which I do not have to wait so long as at the hospital pharmacy.” Apart from these largely structural factors such as availability, accessibility, affordability and acceptability, elderly with chronic illnesses give three main reasons for their frequent use of kiosk drugs, based on their particular illness experiences: (1) rapid and direct effect in pain relief (86 percent of 75 respondents) (2) long-lasting and health-promotive effect for days and weeks (67 percent) (3) stabilizing effect on health status and prevention of much-feared relapses over a certain time (52 percent) The following illness experience reveals the effective overlap of rapid pain relief, long-lasting effect and preventing risk of relapse, which people attribute to over-the-counter drugs: Ibu D., 68 years, widow, Moslem, Tahuna, chronic lung tuberculosis and cough: “I went to the doctor, to the health district centre, and I used traditional herbal medicine – but over the years the kiosk drugs have helped me the most. I feel much better during the night after I have popped one of these small red pills. I am so afraid of dying from one of these painful night-time coughing fits

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when nobody is around to help. These pills from the kiosk are really helpful, I can sleep and the cough is far less painful and no longer so frequent.” The three above-mentioned drug attributions show that a majority of chronically ill elderly judge self-medication with kiosk drugs as having beneficial effects on the illness course and thus being an appropriate and adequate curative action. Nichter (2009) concludes that self-treatment with pharmaceuticals (in low-income countries) occurs so often because sick people simply take what is available and immediately accessible, and because some forms of medication are considered to have powerful properties. These stated positive qualities of drugs also provide a first reference to the pharmacological classes that are consumed most often by ill elderly persons: analgesic (pain killers); cardiovascular system; anti-inflammatory; stimulants, vitamins, mineral supplements and energy drinks (van Eeuwijk 2007). Actually, we should not close our eyes to negative effects arising from frequent use of kiosk drugs. In some cases in our study, in particular elderly with persisting aches and pains such as severe rheumatism, an increased pharmaceutical addiction (i.e. to analgesics) was observed, but never mentioned by the patient himself. Despite the below-stated very high rate of self-reported drug concordance (or compliance), conscious or unconscious misapplication and abuse of drugs by elderly patients certainly occurs. But its dimension should not be overrated in our North Sulawesi sample for the simple reason that most investigated elderly are very afraid of unwanted repercussions. Nichter (2008: 91) justifies this caution or reserve that “fear of a medication’s power and side effects influences the dosage and duration of treatment”. Almost two thirds of the chronically ill elderly were not able to fetch the kiosk drugs themselves due to physical (e.g. locomotor, or visual or auditory impairment) and/or mental disorders (e.g. dementia). Usually their spouse, child and/or grandchild purchases them at a nearby kiosk and enquires about the mode of application. Our observation at kiosks revealed that, in general, these instructions were given by word of mouth and only very rarely written down. Nevertheless, the rate of drug concordance stands at a high 87 percent: self-reporting revealed that 65 of 75 elderly adhere rigidly to the given instructions usually with the argument that not less than their life is at risk if they do not take the drugs correctly, as the statements of two severely ill elderly below show: Ibu D., 77 years, widow, Protestant, Tahuna, diabetic: “I am suffering from severe diabetes, general ‘bone weakness’, cramps in my legs and feet, and I cannot feel the soles of my feet at night. My right ear does not work well, I am losing my memory and I have often vertigo. Without my housemaid who gives me the many different pills from the kiosk beside our house three times a day, I would be dead the next day – that’s for sure!”

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Bapak Z., 66 years, married, Protestant, Tomohon, diabetic and ‘too much uric acid’: “The doctor told me frankly: ‘Observe a very strict diet and take the pills even though you buy them at kiosks or small shops! Otherwise your heart will stop beating’ – do you think I have any other option than to follow the doctor’s orders?” Finally, the social environment of elderly people has a considerable impact on the use of kiosk drugs. We identified family members and near relatives as exerting significant influence on the curative decision-making process: (1) they give personal advice on treatment-seeking options; (2) they provide money or a contribution to the therapy. In both functions we found that particularly younger people (child, grandchild, niece/nephew, daughter-/son-in-law) acted directly as advisors (57 percent) and as money providers (58 percent). These younger persons are better informed about current health matters and biomedical curative options and, last but not least, they tend to make frequent use of kiosk drugs themselves and are thus in a better position to exert gentle pressure on their elder relatives to purchase kiosk drugs. Bapak B., 69 years, married, Moslem, Tahuna, stomach-ache, liver trouble, ‘too much uric acid’, malaria, breathing difficulties: “I am only a simple fisherman – you know, no school, no money … and now I am old and very ill. Fortunately, my four children and the grandchildren live in our house compound and they give me money when I am feeling very weak and frail. Sometimes my son tells me that he is going to fetch the right medicine for me, that I should not worry – and he takes the money and orders his oldest son to buy some particular pills at the nearby kiosk. That’s quite okay with me, they have the money and know all these modern medicines – I cannot even read what is written on the package.” This example reflects the relevance of having the money and the right information and how both aspects have a strong impact on the curative decisionmaking process.

Pills and pains: self-medication as social agency The appeal of medicines, however, bears also on a less evident process initiated by the chronically ill old person: the transition from social control to individual responsibility. In the true Foucauldian sense of medicalization as disciplinary action and hegemonic project of the state as well as of society, both health professional and social reference group exert coercive pressure during health-seeking processes, either through control of the patient’s adherence or because lay therapy management regimes are in charge of every curative step (Foucault

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1976; Janzen 1994; Nichter 1998, 2008). Furthermore, Foucault’s understanding of the body as the central point of the nexus of knowledge and power encounters the frail, demented, decaying and thus uncontrollable, indocile, undisciplinable ageing body. Pharmaceuticals provide a meaningful vehicle to survey and realign this ageing body through a medicalized form of elder care, through social impact of care givers and by creating cultural images of an acceptable public aging body (Brijnath & Manderson 2008). More precisely, the human body is affected and shaped by pharmaceuticals as a site of both control and creative experience (Scheper-Hughes & Lock 1991). Hence, the self-initiated use of medicines induces intrinsic resistance against being ruled over and increasingly defies any form of biomedical observation and social control (Whyte et al. 2002). However, experience of pragmatism also shapes agency and motivates particular health practices among chronically ill elderly. Referring to various forms of pragmatism, next to compliance and resistance, Lock and Kaufert (1998: 23) argue “that globally circulating knowledge and practices” exert influence on bodies and body politics. In fact, most chronically ill elderly people in Indonesia have access to this ‘knowledge of pharmaceutical technology’ – or even become a target of it – which shapes also their notion about the propagated beneficial effects of drugs. These “technologies of self and being” (Lyon 2005: 14) not only change the degree of accessibility and availability of, for instance, pills and tablets and their modes of consumption, they have also a direct impact on relations of authority (e.g. control over one’s therapy or prescribed degree of compliance). By this, the process of negotiating curative agency is strongly shaped by the ‘pragmatic use’ of medicines of elderly persons. Applied to the elderly people of this case study, Lock and Kaufert’s approach (of pragmatism) reveals and depicts how ill (elderly) persons respond to chronic diseases, continuous medication, need of care, and still maintain their independence: if self-medication fits their concerns, afflictions and values, they will make ample use of “what is available to them … and … what is offered” (Lock & Kaufert 1998: 2). Agency actually should not be conceived as synonym for resisting power, opposition or free will, instead it “refers to the socioculturally mediated capacity to act” (Ahearn 2001: 112). In this sense, the concepts of ‘agency’ and ‘practice’ aim at “integrating a view of people as individual subjects and social actors with an analysis of cultural phenomena, social conditions and structural constraints” (Obrist et al. 2003: 270). Referring to the contributions of Giddens (1984; agency, practice and structuration), Bourdieu (1990; power, practice and capital) and Hannerz (1992; globalisation, social structure and cultural complexity) with regard to their analysis of structure, agency, social actor and practice in current society, this interpretive scientific approach focuses on indi-

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vidual persons as social actors who interpret and evaluate facts and own experiences, reflect on them by interacting with different individuals and thus give meaning to what they do; at the same time, their practices are enabled or constrained by wider forces and structures. Agency, thus, facilitates human beings to reflect on perception and knowledge, to make self-reliant decisions and to act upon them; yet, given social structures tend to influence – both in a limiting or enhancing way – an existing health practice through, for example, social conditions (e.g. cultural norms), power relations (e.g. doctor-patient relation) or political forces (e.g. national drug policy) (Rapport & Overing 2000; Obrist 2006). Rapport and Overing (2000: 7) state: “It is the fate of individual agency ever to find itself threatened … by structure which is inappropriate to its creative needs”. Social agency and health practice with regard to self-medication of chronically ill elderly in urban North Sulawesi draw attention to their notions of individual and societal action – such as the self-initiated purchase and individual use of drugs for curative reasons – and to the structural context that is made up of directive biomedical disease command and therapeutic supervision by health professionals and prescriptions as well as of tight social and economic control exerted by the elderly person’s care-giving group. Hence, kiosk drugs enable ill elderly to maintain independence through own experience and social interaction (e.g. by discursive exchange or by mediation of children and/or grandchildren), to regain self-determination and to forgo particular responsibilities at household and community level. Nevertheless, we do not succumb to the cosy assumption that chronically ill elderly in need of care lead an entirely independent and autonomous daily life on the basis of their frequent use of kiosk drugs. Everyday real dependency becomes apparent when an older man or woman has to ask his or her daughter to fetch the tetracycline tablets or to request some money from his or her son to buy a pain-killer. Thus, a certain degree of mainly physical and economic ‘non-agency’ remains realistic, particularly in care relations.5 Our empirical data from urban North Sulawesi allows the conclusion that over-the-counter drugs provide the frail elderly with increased agency in terms of self-empowerment and active citizenship, which is induced not least by prag5 Das and Das (2006) in their studies on poor urban households and their use of pharmaceuticals in Delhi emphasize three critical issues regarding self-medication and agency: (1) self-medication and increasing agency tend to impose blame and guilt on the lay drug users due to the so-called (biomedical) irrationality of this curative practice; (2) the allocation of time and money to get drugs is mainly underestimated and difficulties to do so lead to constrained agency; (3) in order to better understand self-medication and social agency, the authors suggest to focus more on the complex networks between practitioners, sick persons, households and community.

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matic action and situational scope: he/she alone – this means without interference of other persons – may decide on place, time, frequency, quantity, quality and mode of drug application. The elderly person perceives this process towards therapeutic individualization as a step to increased autonomy from biomedical primacy and to greater independence from his social reference group (van der Geest & Whyte 1989; van der Geest & Hardon 2006). “The sense of self-sustenance and autonomy [is] embedded in the idea of self-medication” (Petryna & Kleinman 2006: 26). Ibu L., 66 years, married, Catholic, Manado, suffering from vertigo: “I have financial problems and because of this I cannot afford a medical examination. Maybe it is cancer in my head, maybe not. Anyway, it is good to have a kiosk near at hand where I can get various drugs – I do not have to call for one of my children to go to an expensive pharmacy, or to call a doctor. You know my husband abandoned me and therefore I have to work every day at the market. In the early morning, I take my kiosk drugs and I feel well for a while. The main thing is that I am able to work and earn a little bit of money.” Bapak H., 71 years, married, Protestant, Tomohon, persisting pains, convulsions in the legs: “For a long time, my daughter and her two children have been pressing me to go to the hospital and stay there for treatment. She even wants to pay for it. But I know exactly that she wants to move into my house when I am in hospital – because she has big troubles in her own household. Fortunately, my wife buys kiosk pills against fever and the ‘cold feeling’ in my legs twice a week so that I can stay in my own house.” Bapak H., 76 years, widower, Moslem, Tahuna, haemorrhoids, gastritis, general ‘body weakness’, heart disorder: “My daughters wanted me to visit some traditional healers on Sangihe Besar Island as well as a transient Moslem healer from Aceh. They told me that only the healers know the real causes of my illnesses – but I do not think so. It is simply my old age that brings on the suffering. And as long as I take the pills and tablets from the kiosk, my daughters do not press me to go to a traditional healer.” The above three examples of ill elderly in North Sulawesi render and represent kiosk drugs as enhancing individual capacities (e.g. a strong body guarantees a certain social and economic independence), as reinforcing resilient resources (e.g. when confronting strong social pressure) and as avoiding tight social control over the treatment process. These processes – whether induced by kiosk drugs in a direct or in a indirect way – strengthen resilience of elderly people who become vulnerable with growing age to manifold socio-cultural, economic, psychological and, of course, physiological afflictions. Moreover, the experience of resilience definitely supports the empowering forces related to social agency of chronically ill elderly.

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Synthetic medicaments as well as treatment methods do not only affect the body, but are also “potentially reshaping interpersonal, family, and community domains” (Petryna & Kleinman 2006: 8). In effect, the transaction of pharmaceuticals and its associated ideas and meanings change social relations and institutions (Whyte 2002; Whyte et al. 2002). Treatment-seeking of ill elderly in North Sulawesi reveals that their increasing use of kiosk drugs results in closer social relationships with younger and educated family members who hold both substantial cultural capital (i.e. knowledge, information, experience) and financial capital (i.e. money) with regard to pharmaceuticals. They become important health decision-makers for frail elderly persons even though their symbolic capital (i.e. age, status, authority) does not legitimate them to act in this way.6 Whyte (2002: 40) refers to diminishing social and political power of elderly people when traditional sources of healing authority level off and are gradually replaced by modern knowledge of highly effective pharmaceuticals represented by younger educated people. This transformation of authoritative knowledge may result in social subordination of the elderly. But notwithstanding, we may also think about new interpersonal bridging and bonding capacities that yield increased social capital to elderly. Thereby, the lay vendor of kiosk drugs – mostly female or male adolescents with lower education – gains in importance not only as a nearby and cheap provider of medicaments, but also as personal health advisor and influential health decision-maker for many chronically ill elderly. The direct relationship ‘elderly-lay vendor’ bypasses family members, relatives, friends and neighbours and thus increases their control and influence over the healing process.7 As the glue of social life, trust is the key constituent shaping this social relation which is comparable to a ‘care giver-care receiver’ relationship. The following example evidences this particular relationship: 6 I refer hereby to Bourdieu’s four types of capital, namely economic, social, cultural and symbolic capital, which are basically linked to his two concepts of social fields and habitus. The term ‘capital’ denotes primarily what someone owns as wealth through accumulation and generation of profit and which can be exchanged for other goods or used for investments. Bourdieu understands “[c]apital [as] accumulated labor (in its materialized form or its ‹incorporated›, embodied form) which, when appropriated on a private, i.e., exclusive, basis by agents or groups of agents, enables them to appropriate social energy in the form of reified or living labor” (Bourdieu 1986: 241). Capital includes the value of social, economic and political power, which Bourdieu (1986) shows could be used to produce or reproduce inequality and inequity. Nevertheless, the extent of a person’s ability to facilitate practice strongly depends on the individual provision with the foresaid capitals. 7 Looking at AIDS treatment with ARVs in Uganda, Whyte and colleagues (2006) address the divergent finding that in the case of (physically handicapped and stigmatized) AIDS patients the family’s willingness to care for a sick person is demonstrated by finding, buying and thus providing drugs.

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Ibu I., 68 years, widow, Moslem, Manado, post-stroke ailments, tonsillitis: “Every month my daughter accompanies me to the doctor – and I go every second week on my own to see the girl at the drug kiosk. She also reads the prescription for me and then gives me advice. Usually she also provides me with different pills and tablets, which gives me new energy and hope. I trust her because she always asks me about my health condition, how I feel and how I cope with my sufferings. She is such a helpful and good person. I am glad that my daughter does not know anything about this.” The application of Western pharmaceuticals and particularly of kiosk drugs as manifest and therefore objectified health practice strengthens the authenticity and credibility of the elderly patient’s state of distress, and particularly of his role as a sick person. “Health-care seeking may be undertaken to legitimize and validate a sick role already assumed and enacted” (Nichter 1998: 327). The sick role as a transitional stage from separation to reintegration of an ill individual implies a shift in rights (e.g. to appropriate treatment) and obligations (e.g. to drug compliance) as well as an exemption and dispensation from certain responsibilities and duties (e.g. from having to go to work or to attend social events) (van Eeuwijk 1999; Janzen 2002). Furthermore, Mechanic (1992: 1349) refers to its deliberate relevance: “The sick role may become a strategic way of coping with a wide range of adversities.” Both specific disease symptoms and visible treatment actions are strong signs of distress and are accepted as legitimating one’s sick role. In this sense, the apparent use of kiosk drugs by elderly in North Sulawesi calls attention to their intended and desired sick role, thus aiming at a discharge from certain daily activities, socio-economic duties and current hardships.8 Most elderly in the three urban study sites experience city life as harsh, strenuous, demanding, adverse and rapidly changing: “This requires also from old people a certain physical strength and robustness and, especially when chronic illnesses affect them, an ability to respond to and to actively reduce vulnerability in order to preserve as much autonomy as they need to master daily life” (van Eeuwijk 2003: 337). Thus, the purchase and consumption of kiosk drugs should indicate explicitly to the older person’s social environment that he or she does not feel comfortable and that he/she will be taking leave of certain obligations and responsibilities within and outside the household. The following example substantiates this ‘strategic way’ of how to

8 We may refer here to Lock and Kaufert’s pragmatism as initial origin: the experience that the use of pharmaceuticals results in the admission of the desired sick role and a discharge from certain activities, matches the strategy of elderly people to take leave from particular daily responsibilities.

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disengage oneself from certain tasks, but also how to get rid of particular afflictions through the use of kiosk drugs. Bapak A., 72 years, married, Catholic, Tomohon, stomach-ache, frequent nausea: “I am a retired government school teacher; now I produce wooden handicraft to get an income. I sell the products on the market in Tomohon; however, the economic condition of my household does not improve. Sometimes I feel very desperate, weak and exhausted. Then I go to my neighbour who has a kiosk and buy some pills. In my household they know that I am feeling very ill when I take these drugs. Afterwards I go to bed and stay in the bedroom for several days; I ask my grandchild to buy new kiosk drugs. During this time I do not work and I do not leave my house – everybody knows now that Opa needs pills as well as rest!”

Treatment-seeking of ill elderly people – or pains, physicians and plenty more pills The predominant segment of ill elderly in our study in urban Indonesia received medical treatment. This corresponds to findings from other urban areas in Asia, but not to urban locations in Africa and to rural settings in both Asia and Africa where the rate of undertreatment among ill elderly is yet considerably high. ‘No treatment-seeking’ in our study was found in cases of multiple destitution and social exclusion, which follow from a low degree of care attentiveness and responsiveness from both care givers and elderly care receivers (Niehof 2002). Biomedical cure was by far the most preferred first treatment step for elderly people in urban North Sulawesi. Recent studies from urban Asia and, partly, from urban Africa show similar findings. Mental illnesses are generally exempt from this first choice order; here the informal care system (i.e. the family) remains their prevalent curative resort in Africa, Asia and Latin America (Desjarlais et al. 1995; HelpAge International 2002; WHO 2003). Even though specialized geriatric health services are not existent in North Sulawesi Province, chronically ill urban elderly do not have many effective curative options other than biomedical provision. On the basis of elderly individuals’ curative experience, herbal plants and traditional healers do not play an important role as first treatment intervention. The results at hand revise the stereotype and uniform image held by not a few biomedical specialists that most elderly revert by free will to local traditional medicine as first option. A slight majority of elderly under treatment adhere to only one single curative action (i.e. biomedical professionals) and do not proceed to further thera-

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peutic resorts. Satisfactory quality of care, by and large effective curative interventions and trust in the healing power of biomedicine were their main reasons for the ongoing use of biomedical professional health care. On the other hand, dissatisfaction with therapeutic outcome and medical prognosis, decreasing affordability and accessibility, sudden distrust in health professionals, influence through the social environment and changes in etiological belief result in more than one single curative step. The most frequently applied sequences ‘physicianherbal plants’ and ‘physiciankiosk drugs’ reflect a distinct step towards more affordable, accessible and acceptable as well as more natural and gentle therapeutic options in case of persisting health disorders. Moreover, the application of medicinal plants and herbal remedies still represents an established health practice for many ill elderly. Local healers as last curative resort in urban areas close the gap between biomedical and cultural-religious understandings of ongoing suffering: they identify the reasons of affliction within a culture-specific illness concept and provide a coherent etiological explanation, including appropriate therapy. Thus, it appears that treatment-seeking patterns of older patients reflect a growing demand for a genuine commitment of biomedicine and for its medicalizing efforts to the effective management of chronic illness and their need for long-term care. Main reasons for the frequent use of medicaments by ill urban elderly are (1) favourable system factors; (2) beneficial curative experiences; and (3) a trusted social environment promoting Western pharmaceuticals. This shows that self-medication by older urban dwellers in North Sulawesi Province using both prescription and non-prescription medicines from local street kiosks is not due to a mere lack of access to professional health care or non-availability of doctors and nurses (van der Geest 1988; van der Geest et al. 1996; Helman 2007). Rather, over-the-counter medicines overlap the biomedical professions: from an elderly person’s perspective the two curative resorts complement each other through their respective nature of cure: professional biomedical health care as a powerful curative intervention provided with good quality of care – and drugs as a concomitant ‘mild’ form of healing with different beneficial effects on one’s persisting illness course (van Eeuwijk 2007). But one should keep in mind that the large majority of ill elderly start utilizing drugs only after consulting a biomedical health professional. In ageing research it is usually overlooked that free-over-the-counter drugs may strengthen social agency of an elderly individual, provide new social capital and reconfirm or even redefine the sick role. All three processes increase the degree of resilience of vulnerable elderly with regard to health and socio-economic conditions. Along with a markedly favourable effect of drugs on their health condition and an active sense of medical pragmatism, these social dimensions

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which cut across ethnic, religious and socio-economic boundaries in all our three urban study sites, are a major reason why many ill elderly urban Indonesians are attracted to the intake of a broad variety of drugs. From their perspective, it definitely makes sense to foster medicalization in the sense of safe and rational self-medication for the benefit of their health concerns. Biomedicine is expected to make an important contribution by conceptualizing, implementing and institutionalizing an elderly-friendly health care – but without curtailing an elderly person’s autonomy and responsibility for self-medication.

Acknowledgements I wish to thank to the Swiss National Science Foundation (Berne) which has funded this study. My thanks also go to Dr. Nigel Stephenson for proof-reading and commenting this article and to Prof. Willemijn de Jong for her valuable and encouraging assistance.

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‘The Nivaquine Children’ – the Intergenerational Transfer of Knowledge about Old Age and Gender in Urban Burkina Faso Claudia Roth Based on recent fieldwork on intergenerational relations, the differences between public and private accounts of young and old women and men are developed and interpreted. Those destined for public consumption emphasize the clash between the generations and the challenge to social security in old age. In contrast, the private accounts of intergenerational relations appear differentiated: the efforts of those persons involved in assuring social security in old age under the most difficult conditions become apparent.

An old woman said of today’s youth: “They are the children of independence, the children of Nivaquine. In their mothers’ bellies they already drank it and then on during their childhoods. Today they don’t give a damn about anybody or anything.” In West Africa Nivaquine is a well known drug used to combat malaria. Everybody knows what it is; everybody takes it. The street-hawkers sell the pills singly. People take them to treat all kind of troubles like headaches, body-aches, fever, diminished appetite, nausea, dizziness or stomach-ache, all problems that can indicate malaria. Today Nivaquine is largely ineffective though as the mosquitoes have become resistant. Nivaquine is a symbol of the influence of Western culture which has even made its way into people’s bloodstreams. It is irrepressibly circulating, penetrating everything and – as the elderly fear – destroying all social conventions. The old woman complains about the alienation of her own children as a consequence of Western intrusion. The children are seeking independence and the sign of their alienation is their disobedience: they have lost their respect for the elderly and everything remembering old social values. In the West African country of Burkina Faso, ideas about ageing and old age are first and foremost intergenerationally transmitted: in the neighbourhood, at ceremonies and through the extended family – not by means of laws or the media. In the summer of 2007 I explored public opinion and private opinions about ageing, old age and gender in Bobo-Dioulasso, the second city of Burkina Faso. I arranged four group sessions consisting of six young men, six old men, six young women and six old women. The group-session accounts reflect the

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discourse on ageing: the men and women, both young and old, were living in two old neighbourhoods of Bobo-Dioulasso, meeting each other frequently for a tea or for a chat to discuss the current state of affairs and happenings in the world.1 The contrasting of these group-session interviews with the one-on-one-interviews I made at the same time in the context of the research on ‘Intergenerational relations under stress: a comparison between Europe and Africa’2 shows the following: accounts on intergenerational relations destined for a public and those made in private differ dramatically. Those destined for the public emphasize the clash between the generations and the challenge to social security in old age. In contrast, the private accounts on intergenerational relations appear differentiated: the efforts of the persons involved to ensure social security in old age under the most difficult conditions become apparent. To begin with I briefly present the two concepts I am working with: intergenerational relations and the intergenerational contract. After this I will elaborate on the ideas and practices that youths and the elderly are communicating to one another in their public accounts, contrasting these with the accounts of the one-on-one-interviews. In the conclusion I interpret this data.

Conceptual background Intergenerational relations Intergenerational relations taken as an analytical concept allow us to understand old age – as well as childhood and youth – as a product of the relations between young and old, and not as an isolated, bounded period of time. In this dynamic perspective, old age as a period is moulded by the socio-economic situation of young people. Social transformation on the macro level is expressed at the micro level of the private, i.e. family and household. Social change is leaving its mark 1 Koko and Dioulassoba (Sya) are two old neighbourhoods that still have many long-established extended families. 2 My research results are based on a study on old age and social security in India and Burkina Faso (2000–2003, see de Jong et al. 2005) as well as on the results of our last research project (2007–2010, financed by the Swiss National Science Foundation SNSF, Roth 2010). Project research: Dr. Claudia Roth, social anthropologist, University of Lucerne, case study Burkina Faso; Dr. Dieter Karrer, sociologist, University of Lucerne, case study Switzerland. Statistics and macro analysis of Switzerland and Burkina Faso: Prof. François Höpflinger, sociologist, University of Zurich. Project submission: Prof. Jürg Helbling, social anthropologist, University of Lucerne.

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on this intimate micro-domain, and this mark is retroacting on the macro level (Cole & Durham 2007; Kaufmann 1993). On the one hand, social reproduction is moulded by the intergenerational relations while, on the other hand, social change is taking shape in the intergenerational relations. From the institutional angle, familial intergenerational relations are positioned in the field of tension existing between reproduction and innovation (i.e. change) in the realm of social conditions. From the subjective, interpersonal angle, intergenerational relations comprise at the same time a coming together (the product of intimacy between the generations) and alienation (the product of the basic difference between the generations, cf. Lüscher 2000: 150–151). Historical generations are defined as age cohorts linked to the same historical epoch (cf. Reynolds Whyte 2008). Familial intergenerational relationships and gender relationships are, in theory and practice, tightly intertwined (Höpflinger 1999). Age and gender mould the conceptions and practices of the individuals simultaneously. Therefore the four relations of father-son, father-daughter, mother-son and mother-daughter differ.

The intergenerational contract The intergenerational contract is an expression of the social agreement between the generations to regulate social security in old age. In the North the intergenerational contract is mostly institutionalized in an explicit form, in the South it is regulated implicitly through familial relations. A repeated critique concerns the notion of a contract as the two generations do not close a contract in the literal sense of the word which relates to free decision. In fact the intergenerational contract is not negotiable in the way that a legal contract is (cf. Höpflinger 1999; Richter 1997). The intergenerational contract is about institutionalized relations between familial generations. According to Cattell (1997) the perspective of exchange allows us to see family relations as implicit contracts. Shared ideas and norms concerning relations and the exchange conditions of kin dyads such as parent-child, mother-in-law and daughter-in-law, siblings, grandparent-grandchild etc. may have such a strong meaning that they attain the validity of a contract (implicit contract). The Dioula notion worobagahèkè3 is an example of the shared idea of the intergenerational contract: it refers to the debt of adult children towards their parents.

3 All italics connote Dioula, the widespread commercial language and lingua franca in BoboDioulasso.

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In the socio-political situation of Burkina Faso there is no alternative to the intergenerational contract: kin and familial relations represent the only existing social security.4

Categories of the intergenerational contract In Bobo-Dioulasso the idea of reciprocal relations between familial generations is well anchored. Old and young women as well as men all say the same: for youths it is the time to give back to parents what they formerly received – a giving and receiving over time. An adage is illustrative: parents support children until their teeth are there; children support parents when they are loosing their teeth.5 A good old age requires adult children who care for the old person. Part of a good old age is having enough to eat, a dry place to sleep, the possibility to participate in ceremonies and essential care in case of illness. The research on social security and old age in Burkina Faso showed that only a few of the middle-income class (and rarely a youngster from the poorer social class) are able to honour the intergenerational contract due to the economic situation with the related enormous unemployment and lack of resources.6 In most cases the intergenerational contract is met only partly, i.e. the adult child may finance meals for the old parents not every day, or only once a day, with the money for ceremonies and medicines not being guaranteed. Furthermore, the study showed that half of the elderly of the middle-income class and of the poor were supporting their grown-up children and grandchildren. I call this the ‘inverted intergenerational contract’ (see Roth 2007, 2008). The agreement that adult children support their old parents is postponed and the generalized reciprocity is suspended. This interim solution often becomes a permanent solution and a new agreement becomes effective: old parents support their adult children – an inversion of the common (ideal) conventions (see 4 Concerning old age security in Burkina Faso cf. Badini-Kinda 2005, Roth 2005a. 5 I bi dé’n balo k’a gni bô, a bé elé balo ka i gni bon – “You feed the child until his teeth are there; he feeds you while you’re losing your teeth.” 6 Definition of the middle-income class: pensioned functionaries, who have earned well and who now have a small old-age pension and savings as well as an income from acquisitions made in old age through trade, plantations, cattle-raising etc., and self-employed high earners. Definition of the lower-income class: small traders, artisans, farmers, washerwomen, women producing soap, all those without savings and with just a small daily income of between zero and 500 FCFA (about 0.8 €). The poor can be differentiated further into those ‘living poor’, those ‘living precariously’ and those ‘living socially marginalised’ (for these definitions, see Roth 2007).

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Tab. 1). Indeed, the intergenerational contract may well be anchored as an idea but it is dissolving in practice. Table 1: Categories of the implicit intergenerational contract Fulfilled intergenerational contract

Agreement: generalized reciprocity between familial generations Practice: rare (high rate of jobless youths)

Partly fulfilled intergenerational contract (without life-assuring guarantee) Agreement: generalized reciprocity between familial generations Practice: frequent for poor people

Inverted intergenerational contract

Absent intergenerational contract

Agreement: suspended reciprocity  de facto inversion of the original agreement Practice: common (middle income, low income about 50 % of the households)

Result: missing generalized reciprocity

Result: absent children Effect: social marginalisation of the parents (‘witch’, beggar)

I will refer to interviews with women and men from the social class of the poor: destitute youths who are living with their old parents (inverted intergenerational contract) and youths who are caring for their old or sick parents without being able to guarantee their full existence (partly fulfilled intergenerational contract).

Public accounts: the elderly Old and young women and old and young men talk in public differently to how they do in one-on-one-interviews (see also Cornwell 1984). The elderly pursue other ideas and visions to youths, and men’s views differ from women’s. Accordingly the transmitted knowledge may be typified and analyzed. The contrast of the public discourse and the individual accounts allows us to question common stereotypes which are often expressed as follows: the elderly embody (with their ideas) tradition and youths the modern spirit. Or, intergenerational relations turned into contentious relations. In public the elderly thematize those aspects of old age and social security which they consider as essential for social reproduction – in its positive form as imperative, in its negative form as complaint.

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The discourse of the imperative Old women and men likewise stress the importance of respect vis-à-vis the elderly; women also talk about the respect they owe to their husbands. Both are expressions of the age and gender hierarchies which structured the old precolonial society. Furthermore, generalized reciprocity is a pivotal subject, on the one hand in the form of the already mentioned implicit intergenerational contract, and on the other hand in its general form of lifestyle and fostering relations. “Who plants corn, harvests corn”, goes the saying. The adage comprises the idea of personal responsibility for one’s own future as well as the idea of generalized reciprocity: if you give today, you will get tomorrow. And the notions adamadenya and mogoya refer to humaneness and to the abundance of relations of a person and are highly valued; both are based on generalized reciprocity. Those who were generous in former times and helped people in distress will later be looked after – others will give the person what he/she needs. Another point: everybody says that a successful life without the parents and other old people’s blessings is impossible. Therefore youths have to seek the blessings of their parents and other elderly people – ka baaraka nyini. They may get them by doing good deeds of any kind: assistance, support in everyday life, help in distress, gift-giving and money-giving. Elderly women and men are convinced that those who live well in old age have received many blessings during their younger days. The elderly are also emphatic on the importance of marriage which turns an individual into an adult person. This is valid both for women and men. Indeed, young unmarried men are not admitted to join the family council. Concerning men, marriage also implies having a job, an income and being able to support the small new family in addition to fulfilling other familial duties like the intergenerational contract and the support of the family chief in raising the younger generation. Ideas about old age security are gendered. Mothers take more pity on their children than fathers, everybody says, since they carried them inside them for nine months, gave birth to them with pain, wiped their shit off them, suffered with them and cried with them. This idea mirrors the fact that children support their old mothers better than their old fathers if the latter did not care well for them formerly (see also Roth 2005a). And the idea that daughters take more pity on their aged parents than sons is mirrored in the fact that daughters often do more for their parents than sons if their means are sufficient. People explain this by pointing out the duties of the sons who have to support their small new family.

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Furthermore, women have other types of old age security compared with old men. On the one hand, as mentioned above, their children often support them better. On the other hand, elderly women are still capable of being engaged in exchange relations by helping in the household, watching their grandchildren and so on (cf. also Cattell 1997; Foner 1984, 1993; Roth 2005a). Old men have the possibility of guaranteeing their old age security by a new marriage – an impossible act for aged women. Thus elderly women and men transmit to youths those continuities which are indispensable for the reproduction of their power position, their sphere of influence and, in consequence, their secured old age. The age and gender hierarchies stand for their influence on reminding youths to fulfil their duties. The generalized reciprocity stands for their secured old age and marriage turns youths into social adults who may take over responsibility for their elderly parents, daughters and sons in their own way.

The discourse of lacking respect The elderly complain in public about issues threatening their old age security, for instance about the lack of respect of youths. In many West African societies respect and love are revealed and demonstrated by gifts, often by financial gifts. For example, those who visit an old person bring along some cola nuts or cola money. Those who visit the sick hand over some coins or paper money, depending on how close the relation is. A husband shows his love for his wife with cloths, not with words. A young woman may count on gifts and money from her lover. Old age as such is not a social value. Respect in old age is intrinsically tied to generalized reciprocity (cf. also van der Geest 1997). The related conceptions are: what a person gave and did for others during their lifetime will be returned in old age. Who cared well for others, including their own children, will have a secure old age. He/she will have people supporting him/her. Who is rich is a respected person since a person has money today, because he/she was generous formerly. The community makes the poor responsible for their situation: it is believed that those who are poor and without anybody caring for them did not care for others before (Roth 2005b). Now aged women and men are complaining about the disrespect of youths. They say: “Youths don’t greet you when passing by. Or when greeting you, they are puffing the smoke of their cigarette in your face. They don’t interrupt their soccer match when you want to cross the street. They refuse to run errands.” An old woman commented: “If a child refuses to run errands, it’s like an insult.”

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Today’s children are not ashamed to neglect their duty to support their old parents, the elderly think. An old man said: “If a child does not give you what you need and is tergiversating, it’s as if it would beat you.” And an old woman said: “It’s wrong to say: ‘A young man is jobless.’ A young man who is conscious of his duty to feed his parents may work as help on a building site. If a man wants something and is formulating his intentions and begging God for support, He will facilitate it. The young [jobless] man is a loser. He who really wants it may find some kind of work in town. On the way downtown you see someone carrying luggage, you help him transporting it. For sure, he will give you some money. And if you pool the money [all these small earnings] you can support your parents with it!” The old men and women agreed with one another: “Money corrupted today’s children, although they pretend to be civilized.” An old woman said: “While we prayed God to give us money in order to be able to support our parents, today’s children pray to God to make them live with rich parents to be able to live an easy life!” Another old woman from the group said: “Some youths even say to their mother: You gave birth to me to let me suffer. Why did you do it knowing that you have nothing?” And she continued: “We as youths were not interested in money. If you saw passing by a person carrying timber on his head, you relieved him and carried it home for him. You got blessings for it. Today’s children don’t do this anymore. Even your own child disrespects you if you have no money.” The discourse of lacking respect for the elderly points to the lack of gifts.7 The discourse is, in accordance with Cattell (1997), a strategy of the elderly to remind the youngsters of their duties. And the reminiscences about good old times represents the period when old persons had more control over resources and more influence on the education and lifestyle of young people than today. The historical generation of old women and men in Bobo-Dioulasso complain about the disobedience of the ‘Nivaquine children’ but are really referring to their lost control over the labour and income of youths which they had in former times.8 Concurrently, their jobless and destitute sons and daughters do not give them what they are entitled to: provisioning while their teeth are falling out.

7 Rosenberg (1990) established the notion of ‘discourse of complaint’. 8 Until the 1960s it was common in rural areas, but also in Bobo-Dioulasso, for kids earning money, including migrants, to deliver their income to the eldest in the family.

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Public accounts: the youths When I asked them about the generation gap, the young men and women were unanimous: the elderly are relation-oriented while young people are moneyoriented and consumption-oriented. They presented themselves in exactly the same way as the elderly saw them. To foster relations (ka adamadenyasira ta), to keep kin together (ka lamogoya tugun) is the domain of elderly men and women. They frequent all ceremonies: funerals, baptisms, marriages. Ceremonies are the embodiment of the social cohesion of kin, neighbours, acquaintances from the neighbourhood, of friends and colleagues. All support each other in these sad and happy moments and help to meet the costs.9 “If necessary the elderly cross town by foot to go there”, said a young woman. “But we, we would say: ‘We have no moped to reach the place.’ And if we do, fuel is required. If we cannot find money for it, we won’t go. An old woman doesn’t pose all these questions!” Another young woman said: “And if the ceremony is taking place in the village, an old person may even stay one month. But we, we couldn’t even stay one week, we return to town the same day! We don’t have time for such things!” The young men explained to me clearly what they mean by saying youths are first and foremost money-oriented. A young man said: “Our fathers are superior to us in fostering kin relations (ka lamogoya mina ka nye), they take them seriously while we, the youths, take money more seriously. We think: If you have money you may do everything, everything is permitted.” Another one said: “What we are good at is earning our life by crooked words (namarakumaw). We go out and lie. We know that it’s no good. We do it anyhow.” CR:10 “You all do it?” “Yes”, he said, “but we have no choice. Present-day life necessitates it.” CR: “So you procure everything you want by fraud (namaraw)?” “No”, the young man said, “but the fraud (namaraw) makes the difference between us and our parents. We are also capable of earning some money honestly and by the sweat of our brow. But with fraud you can earn more. For instance I can take from Moussa, a colleague, an object for 10000 francs11 and go to an acquaintance and say that the seller wants 25000 francs for the object. If 9 Concerning the role of cohesion and mutual aid (nyogondeme) in the context of ceremonies cf. Vuarin (1993). 10 CR stands for questions of the author. 11 1 € = 655.95 FCFA (francs CFA).

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the buyer takes it for 20000 francs, I go back to Moussa and tell him, I could sell the object for 7500 francs. And Moussa won’t let me go away emptyhanded. Our wrinklies would never have done such a thing”, he said, “fraud is a matter of today, you can earn a lot of money with it. Some also call it ‘deal’ but in fact it’s just a fraud. In this town everybody does it.” In the one-on-one interviews, aged parents expressed repeatedly their anxiety that their sons should become thieves because they know about the consumerist wishes of their children.

The ‘Nivaquine children’ Unlike their parents, the ‘Nivaquine children’ grew up with the influence of Western culture – with Nivaquine –, at least in town. School is important in mediating modernity (Marie 1997). While the generation of the elderly visited school only exceptionally, most of the young women and men of today went to primary school. Their parents invested every spare franc on the child’s school attendance; it was part of their preparation for their secured old age. Most of the children were unsuccessful and had to leave school after one or a few years, to the disappointment of their parents. Sometimes lack of money was the reason. Moreover, school diplomas do not guarantee advancement anymore and since the 1990s graduate youths often end up as unemployed. Many of today’s aged women and men came as young adults from their villages to Bobo-Dioulasso. They have known deprivation, the hard times of supply bottlenecks (‘soudure’) – when the new crop is not ready yet and last year’s crop is already running short. They are used to hunger or days with just one meal. For all their lives today’s elderly have worked harder and endured more than today’s young urbanites. Therefore they have more staying power and frustration tolerance than youths. A young woman said: “We could never bear the stresses and strains our mothers could handle before. They were able to carry heavy loads for hours through the scrubland (‘brousse’). It was like forced labour. Today, it doesn’t exist anymore. You cannot take your child to the scrubland to collect dry timber and carry it back to town. That is the big difference between us and the elderly. Because of the change of lifestyle, we cannot endure the stresses and strains anymore like they did.” Another young woman said: “When my mother goes to the market and makes a profit of ten francs she won’t lose courage to go again the next day and continue. But when I go to the market and don’t make enough profit I lose courage. Our mothers, even if they make just five francs profit, they say: It’s not little!”

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CR: “How do you explain this difference?” Another young women from the group replied: “In her time there was not much to possess – fentigiya tun te y. With fifty francs you could live quite a long time and make a lot of things. But today, even if someone gives you fifty francs, you know already how to spend them – and they are gone! And if you gain 500 francs in the market you want to buy shoes, a dress, go to a hairdresser. The old women don’t have all this in their programme! What they want is to have enough to eat. But we, we say often, we don’t like what our mothers are cooking at home. We want to eat outside goodies, even if we don’t have money!” The two historical generations confront one another with their diverging ideas: the illiterate elderly face the young urbanites who have been trained for some years. The aged women and men frequent their peers. The imagining of the community showing solidarity is still alive even if not lived in the same way as in former times, and the practices of greeting, of visits and counter-visits, of gifts and counter-gifts, also implicating a considerable investment of time, are still quite vivid. This world of imagination and practices is based on generalized reciprocity where one gives and the expectation of the counter-gift is undetermined except for the diffuse duty to give back if the donor is in need. In contrast the ‘deals’ and fraud mentioned by the young men are evocative of the ‘negative reciprocity’ of Sahlins (2003 [1972]: 193–195): the unsocial extreme on the other side of the spectrum of solidarity of generalized reciprocity. He calls it the most impersonal form of exchange: the goal is to get something without giving. With their public accounts, youths communicate to the elderly that the time of generalized reciprocity is over, the time when you first give and then sit and wait to see what will come back later. They have no time for it. And they need money. Youths have become part of the global world and the consumption society and want to participate (Hansen 2005). Today, hard work and enduring stresses are not honourable any more. What counts is being able to participate in the new world – its symbols are the cell phone, the watch, the moped.

Private accounts: elderly and youths Now I will contrast these public accounts with the one-on-one interviews. I asked aged women and men how their children are supporting them financially. They asserted: “The children give when they have. They do what they can. Times are hard, there is no work.” It were their children who depicted to me the resentment of the elderly caused by the lack of money when I was asking about disputes or conflicts between them and their parents. I see the reason for this in the ambivalent atti-

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tude of aged parents: on the one hand, they are entitled to the fulfilled intergenerational contract; on the other hand, they share the common idea that the elderly are responsible for their poverty. Therefore they have to ask what they did wrong with their children. But they also see the parched labour market, the bad prospects for their children and they sympathize with them, mothers with more pity than fathers. Nevertheless, when they feel tired of work and their endeavours to find money, exhausted from the long marches through town, hungry because food is not sufficient every day, they start to be in doubt about the efforts of their children: Do the children really do enough to find work, to find money? Or are they already so spoiled and corrupted by urban life that they wait and just let their parents look after them? Every now and then the mistrust of the parents, often the fathers, raises the question of whether the children are giving their parents some of the money they get from time to time, or whether they keep it all for their own needs. And if yes, the disputes turn around the question of whether these expenditures are necessary. Ami is a 25-year-old woman. Together with her younger sister she supports a family of six persons, including her sick father. The two sisters earn their money through small trade. They are the bread-winners, but their earnings do not suffice for each day. They belong to the category of the ‘partly fulfilled intergenerational contract’ (see Tab. 1). Ami said: “Sometimes father asks me for some money. When I tell him I have none he makes a big problem out of it. He thinks we have money and refuse to give him any. Particularly with father we have this kind of problem.” CR: “What do you do in such a case?” Ami: “You can’t do anything. If I have no money, I just tell him: I have no money. Then he complains. And if he is tired of it he becomes silent.” CR: “And what about your mother?” Ami: “She doesn’t say anything. She knows that we give when we have. We understand each other. (…) Look, you take care of everything, the breakfast, the food. And then he comes and claims money, and you say that you don’t have any and he gets angry and starts talking and talking and complaining. That is really nerve-wracking.” CR: “At what moments do you and your mother not get along with one another?” Ami: “When we chat together it may happen. I can say something and she says she can’t agree with it. So we have a dispute. I say for instance that I would like to eat a specific food or I would like to buy specific clothes. To her mind all this is dispensable, not necessary to buy. Thus a quarrel (mankan) arises. (…) For instance when I want to buy jeans if she had her way we would have to buy

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‘pagnes’12; to buy trousers is just a waste of money for her.” Later Ami said: “Even against the will of my mother I buy trousers. I’m the one who is earning the money! She can’t stop me buying what I like. I buy what I want!” The disputes about expenditure of money turn around the question of whether the grown-up children engage enough in relations of caring for their parents. The point is whether the money for food should always have priority or whether under economically difficult conditions consumer goods like fashionable clothes and cell phones may form part of a livelihood. In the households of the poor every now and then in the morning the news is given out: Today there is no money! Everybody has to scratch along and look for meals by themselves. Ami’s mother told me: “There are days where we go to sleep without eating. (…) At the moment, that’s the case. In fact we cannot eat our fill every day: if we eat today, then not tomorrow. If that’s the case we make some millet gruel and everyone drinks a bit before going to sleep. There are also days I make some coffee and buy sugar for 50 F and we drink it. If the children give us 50 F, I buy bread for ‘le vieux’ [husband], while I just drink coffee. I often go hungry to bed.” CR: “Don’t your daughters have earnings every day?” Ami’s mother: “Not every day is like that. Sometimes they earn 2000 F a day, sometimes less or nothing. They are members of an earning group [ROSCA]13 and have to give each day 500 F; at the end of the month they get 15000 F. They give me half of it for the food. With the rest they buy their clothes. They cannot give me all the money since they have to give a good impression outdoors. In any case, they help me.” What happens here can best be understood by the concept of ambivalence.14 Lüscher (2000) has established the hypothesis that intergenerational relations generate ambivalences. He draws on Smelser (1998: 8) who established the argument that situations of dependence create ambivalences. Smelser, for his part, was inspired by Freud’s work on ambivalences. Ambivalence is constituted by the simultaneous existence of attraction and repulsion, of love and hate, of two contradicting feelings. The origin of ambivalence is situated in the intimate relationship between the child and his parents and siblings, these are relations, which give the child no chance to escape – that is the crucial point. The law of 12 African clothes which may be used as cloths slung around the hip or sewn together as a ‘Trois-Pièces’ (skirt, blouse and baby-sling which may also be used as protection against the cold). 13 ROSCA: Rotating Savings and Credit Association. 14 Concerning the production of ambivalence within kin relations, see also Peletz 2001.

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ambivalent feelings says that ambivalence is strongest with those we love most. The ambivalence is established during childhood in the psyche and is generalized later on regarding other situations, people, objects and symbols (ibid: 5–6). The concept of ambivalence helps to understand the conflicting behaviour of the generations in situations of stress. Ami and her sister support the family, but not every day. Ami withdraws from her demanding father and says: “We don’t understand each other” while in the next breath she talks affectionately about him. The father is glad for the medicine money and at the same time mistrustful. The mother is grateful for the daughters support but nevertheless rails against their expenditure on jeans. “Analytically spoken, solidarity implies a pragmatic-constructive handling of the manifest and latent ambivalences in social relations and the structures determining them”, notes Lüscher (1997: 74, translation CR).

Discussion The intergenerational field of tension between reproduction and innovation (Lüscher 2000) is well expressed in the group interviews. While the public accounts of the elderly point to the continuities in favour of social reproduction or to its endangerment, the public accounts of youths point to the new world, to changes. The voices of women and men destined for the public mirror the well-known stereotype of the elderly representing tradition and youths representing modernity. The concisely formulated accounts appear to be one-dimensional: the aged women and men and the ‘Nivaquine children’ seem to rupture and to pursue diametrically opposed ideas and imaginings – as with classical intergenerational conflict. An intergenerational conflict may arise when a situation of contest, a competition for scarce resources in material and social terms, takes place (Höpflinger 1999). This is happening in many countries of today’s Africa. An effect of social transformation is the possibility for young women and men to dissolve their dependency on the elderly and to question their authority by having their own income. But under the actual urban conditions in Burkina Faso, as in Sub-saharan Africa in general, it is not the elderly but rather the ‘blocked economic development’ (Antoine et al. 1998; Marie 1997) that impedes youths from becoming respected members of society. The conflict between the generations in the social and political domain is a consequence of blocked social mobility and is, thus, a structural phenomenon. Nearly 50 percent of the population is under 14 years old. Employment, political power or a representative position are only utopian dreams for all but a few youths because of huge demographic strain. This

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blocked social mobility pushes young men the opposite way to criminality, mafia-like networks and war (cf. Abbink 2005; Dacher 2003) and young women into prostitution (cf. Cole 2004; Haram 2004). According to Abbink (2005) this generates an element of revenge: youths get by violence what the elderly seem to withhold from them by occupying all positions and spaces. Young destitute men try to participate in the consumer society through ‘negative reciprocity’ (Sahlins 2000 [1972]) in all its varieties from ‘deals’ or ‘buzinessy’15 to the crime economy. Young destitute women pursue the same goal in all sorts of ways from having a lover, to having several partners, to entering the sex economy.16 Money is not only necessary to live but also to be someone, to be socially integrated, adult, a respected member of society, and thus to be a person who is able to maintain their social and symbolic capital and to participate in relations of care and support (Bourdieu 1983). This applies to everybody, both old and young women and men. Aged women and men fall out of the social network and live in degrading conditions if they are too poor to continue to foster social relations through generalized reciprocity. If they are incapable of participating in reciprocal exchange then they are excluded from the redistributive system of social security. They live socially marginalized by asking for things and begging; they live through unilateral and anonymous relations (Vuarin 2000). Young women and men live at the edge of their social network if they lack the means necessary to become socially adult, i.e. to marry and to participate in relations of care and in social security relations. And youths are marginalized by their peer group if they are not able to acquire the symbols of consumer society. The rivalry between the generations concerning material and social resources is real and is growing more acute under the actual economic conditions as the group session interviews show. But the contrast with the one-on-one interviews reveals how young women and men take pains to fulfil their duties under the most difficult conditions and how the elderly take pains to be appreciative of today’s situation. The concept of ambivalence allows one to ask: Under which conditions and for what reasons does the pragmatic, conservative handling of the intergenerational ambivalences become impossible? What is necessary to avoid the clash of generations? 15 Youths in Madagascar call such deals ‘buzinessy’ (Cole 2004). 16 Cole (2004) and Haram (2004) analyze the new practices of the young women as a possible way of questioning the gender hierarchy and of reformulating gender and kin relations. A condition for this is the capacity to keep the balance between marriage and prostitution, between ‘long term’ and ‘short term’ relations. I cannot elaborate on this here due to shortage of space.

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Conclusions In public the univalent17 attitude of the elderly is manifest. They defend continuities, and therewith social reproduction. The so-called Nivaquine children demonstrate, with their univalent attitude changes, social transformation. In public, the intention is to proclaim one’s opinion clearly – that’s why the resulting message is univalent (Smelser 1998). With their voices destined for a public, both the elderly and youths talk about their wishes and anxieties. I understand these discourses, in accordance with Cattell (1997), as a strategy to negotiate a new version of the implicit intergenerational contract. In contrast, the private accounts show very well the intergenerational ambivalences, the complexity of the relationships and the contradictions. They show the efforts made to provide mutual intergenerational support under difficult conditions. And they also show the will to participate in the special advantages and resources of the ‘other’ generation under changing and uncertain conditions. On the basis of the public discourse one would think that ideas about consumption and happiness had changed totally. Yes, the young urbanites see themselves as directly connected with modern society and they dream about having a lot of money and living the luxury life they see daily in the Brazilian TV series flickering on the television screen. But they wish just as much to be able to participate in care relations and to support well their aged parents and thus to do what is appropriate for an adult child to do. Like their parents they hold the view that a life without the blessings of the parents is condemned to fail. In this regard they see themselves also today as directly dependant of their parents and the generation of the elderly. And the elderly are not only continuity-oriented, they are also open to social change. They accept the new world perfectly well if their child – be it daughter or son – is able to care for them. They appreciate being driven on the backseat of a moped to the next ceremony! Acknowledgments: I would like to thank Professor Willemijn de Jong, University of Zurich, Dr.  Eva Keller, University of Zurich, and Dr.  Esther Leemann, University of Lucerne, as well as my ever-loyal detractor Daniela Renner, Cotonou/Zurich, for their helpful criticisms and their stimulating comments on the text.

17 The notion univalent is the opposite of the notion ambivalent.

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Urban Middle-Class Elderly in Sri Lanka and the Netherlands: Everyday Sociality and Ways of Keeping Company Carla Risseeuw This article discusses some of the challenges in acquiring appropriate concepts to express nuance, similarity and difference when attempting to compare the every day social lives of middle-class elders in urban Netherlands and urban Sri Lanka. While sharing differing but comparable levels of security and purchasing-power, elders in both societies tend to be positioned in differing social worlds.

My article focuses on the challenges of acquiring appropriate concepts to express the mutuality and difference when comparing the everyday social life of middle-class elders: urban-based (Buddhist) elders in Sri Lanka and in Holland.1 For this text I limit myself to middle-class urban populations, whom I broadly define as those who are relatively secure financially, can offer their children a quality education, maintain their lifestyle as they grow older and have access to medical facilities at home and, if need be abroad. In other words, they share differing but broadly comparable levels of security and purchasing-power. The aging experience occurs in quite differing social settings in the two urban contexts. The first conspicuous feature is the divergent living arrangements. In urban Holland, the majority of the elderly (including the physically and mentally vulnerable) live alone or as a couple, whereas the overwhelming majority (95 percent) in Sri Lanka both urban and rural live in households with more members (Perera 2008 quoted in Rajan et al. 2008: 164–202). Furthermore, many of those residing in one of the variety of senior-homes will periodically visit and/or stay with others, including family at home and abroad. However, because of the rise in migration, even if elders do not live alone as in Holland, they now have to miss important members from their homes for long

1 Life expectancy at the age of 60 for males: India: 17; Sri Lanka: 18; Netherlands: 20. For females the corresponding figures are: 19, 21, 24 (Rajan 2008: 3). Sri Lankan is one of the fastest ageing countries in the world, with a life expectancy rate of males nearly 71 and females 74.5; a literacy rate of 88.5 percent for males and 68 percent for females. These rates, especially the literacy rate for women, are by far the highest in South Asia. See also Gunatilleke 2008.

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time periods. Such a change is signaled by the fact that over the last decade commercial nursing services for elders at their own homes have developed. In the Netherlands urban elders of all income levels have “traditionally” tended to live on their own, unlike those in regional rural areas where more varied, larger households were found (Haks 1985; Shama 1987; Stokvis 2007). Many, especially women in the towns, lived in poverty (Bulder 1993; Bijsterveld et al. 2000; Bruijnzeel & Sadiraj 2003). As a consequence of increased longevity, they now do so for longer periods of time than in the past – including the stages of frailty and vulnerability. Currently, of the seven million Dutch households, 2.5 million are run by people over 65, 40 percent of those over 65 live alone; of those over 75 years the percentage is 55 and this drops to 50 percent of those over 85 (SCP 2006; RMO 1997). Policy research has responded with concern (for example van Tilburg and de Jong Gierveld 1999, 2007; Brouse van Grounou et al. 1999; SCP 2004: Chapter 9). Within the given parameters, the question has arisen of how best to facilitate these specific living conditions of the most senior elders. Much research has recently been undertaken on issues of social isolation and “loneliness”, said to be prevalent among elders. Many elders are found to have relatively few social contacts in the direct neighborhood. Indicators, including a manual, have been developed to assess degrees of loneliness and distinguish between categories of elders in this respect (de Jong Gierveld and Dykstra 1998). South Asian friends and colleagues in Holland have periodically commented on these living arrangements. An Indian friend joined me in a visit to an older, educated, well-traveled Dutch lady, who had lived on her own for more than 25 years, since she had been widowed. She was impressed by how this lady had managed this style of life so capably and with so much dignity, but she was quite stunned and saddened that this had been necessary in the first place. South Asian visitors, especially those not previously exposed to Euro-American lifestyles, were more immediately horrified by them living (or being left) alone in a house, especially overnight. In Sinhalese this is termed harrime palui loosely translated as “very lonely” (literally meaning: “very empty”). Over the 30 years I have traveled between these different everyday social worlds I, as many anthropologists, have realized how crucial these everyday ways of shaping intimacy, distance and continuity are. They are embedded in divergent ideas of making a family, of shaping intergenerational relations, of having friends and acquaintances, of hospitality, the shaping of space at home, with conversational styles, duties, obligations, experiencing privacy, intimacy, ideas of self and much more. The Dutch custom of eating together every day at relatively fixed times, primarily because food should be eaten while it is still “warm”, seems to South Asians to make the few shared activities very uncomfortable. Naturally, they

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could also eat together at home, but the need was less exigent than in Holland. Importantly, the Dutch sense of joint meal-times is absent. There is always food for whoever arrives home earlier or later or those coming unexpectedly. Food can be eaten (luke-)warm or even cold. The Dutch consider the daily sharing of the meal the time to be together and talk. It is an intimate and valued “familytime”. It also has an element of exclusiveness. It is – very often – considered rude for visitors to arrive unexpectedly at mealtimes.

Anthropology and “the everyday” Anthropologists often treat the kind of experiences I describe above as afterthoughts or amusing anecdotes. In their study of everyday sociality among the Amazonian Indians, Overing and Passes (2000) chose to delve into local everyday meanings given to what they chose to call “conviviality” – in its French meaning “convivialité” signifies an extension of bonhomie and joviality. In the Latin root meaning of the Spanish verb “convivir”, to live together or to share the same life coupled to “convivencia”, a joint or shared life come closer to the field for which they strive than “the particular English sense of simply having a good (and it is implicit, slightly inebriated) time in the company of others” (Overing & Passes 2000: xiii). They indicate the bias in anthropology which prioritizes the societal relations of “domain of the public” and consequent neglect of what is seen as “the domain of the domestic”, meaning the affective space of personal family relationships. The specific part of domestic life centered on the caring and raising of children has long been interpreted as “asocial” or “natural” (2000: 3) They and others attribute such biases in anthropology to its historical location in Western philosophy and science. Such major dualisms of Enlightment thought as “the contrast between civil society and the domestic, sociality and the individual, reason and emotions, mind and body, subject and object, art and work” were also embedded in anthropological thinking as universal distinctions (2000: 8). Therefore, historically anthropologists have focused on the social order as the controlling, collective force of society and developed the (public) theories on kinship. Consequently they have neglected the everyday expression of kin relations in the “private” sphere of daily life. The upshot is a substantial lack in idiom, which leads Overing and Passes, referring to de Certeau, to introduce the need for “an ethnography of the ordinary” or “everyday”: “We must dislodge the rigid boundaries of the scientific endeavour that turn mere leftover and footnotes the lifeways of living, experiencing people” (2000: 8–9).

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These anthropologists are not alone. Their plea underlines Marilyn Strathern’s claim that anthropology has a “shortage of relational idioms” in anthropology (2005: 31–30), to which I shall return later. Janet Carsten (2000) also focussed on what she coined “every-day kinship” or “relatedness” as an arena overlooked by kinship studies2. She named the term to allow an analysis of how forms of proximity and distance are shaped symbolically within existing kin systems and their meanings. Her fieldwork experiences in a small Malaysian community, in which the long-term sharing of intimate living space and such activities as cooking and eating from the same pot of rice, washing, cooking, sleeping, symbolically involved a gradual process of becoming “family”. The blood of the inmates was conceived to gradually become more similar through the daily, long-term sharing of “substance”.3 It made her aware of the symbolic underpinnings and meanings of her own cultural roots (Jewish, Scottish, English). It is possible to become a close friend, but on a symbolic level this could never turn into a family relationship, however closely this bond was experienced.4 To a large extent, ideas of personhood, family and relations between persons proved to operate in the realm of the “natural”. They were not generally questioned or articulated. Likewise, as I shall argue, becoming elderly also leads to being confronted with culturally specific but often unarticulated boundaries of distance and proximity, which deeply influence the scope of daily living arrangements and positions in circles of family and friends. This realization that existing terms cannot convey, but can even hinder, chances to develop a deeper understanding has led to seeking new concepts to create the thinking space to tease out the subtle, often unarticulated consequences of the specific shaping of the “everyday socialities” in which elders participate and live. Besides an analysis of (changing) ways of making kinship and family, which benefits greatly by taking existing kinship studies on board, these new approaches and their aim to name everyday sociality, however trivial it may initially seem, break new ground. In the scope of this article I shall focus mainly on three issues: 2 In order to understand how “small, seemingly trivial or taken for granted acts like sharing a meal, giving a dish of cooked food to a neighbour, dropping into a nearby house for a quiet chat, a coffee, or a betel quid – has provoked a careful examination of the symbolic and social significance of the house” (Carsten 2000: 18). 3 “Bodily substance” is used as a term in anthropology to analyze cultural perceptions of the properties of blood, milk, saliva and sexual fluids – particularly their mutability and transformative potential (Carsten 2004: 28). 4 This resembles the concept of “habitus” developed by Pierre Bourdieu (1977). In kinship theory, for a long time, until David Schneider (1984) articulated this bias, the Euro-American way of making family through birth or legal marriage was taken to be universal.

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– Firstly, local perceptions of creating family and family relations are investigated. Existing kinship terminology contributes to outlining the ways of making family. Both Dutch and Sinhalese families are bilateral. Both the relatives on the wife’s and the husband’s side are recognized as family. However, this bilateral principle operates along different lines in the two settings, which influences the shaping of intergenerational relations. – Secondly, besides family I look at other social relations which can influence the life of elders. I try to understand local perceptions of ways to make, maintain and terminate friendships as well as relations with acquaintances. – Thirdly, I look at how the taken-for-granted, unarticulated everyday ways -“everyday sociality” - in which boundaries and spaces are shaped and acquire meaning both in family relationships and in (new) relationships between friends or acquaintances are created and maintained. I shall only be able to investigate briefly the substantially different ideas of self in the two settings, however important they may be. Ideas of self, person and lifespan are spun through the making of these social relationships. The majority of the Dutch recognize only one life and one death. After death, individuals leave but a memory of themselves behind. In Theravada Buddhist and Hindu perceptions life and death are part of a cycle of rebirth.5

Research Materials I base my findings mainly on data from two research projects, in which I have – over the last decade - had the opportunity to participate. Both consisted of researchers from various disciplines in India, the Netherlands and Sri Lanka. The first research (1997–2002), focussing on public and private care arrangements in the Dutch welfare state, dealt with the policy decision making in the contracting Dutch welfare state and if and how citizens (re)shape their personal care/support relationships. It concentrated on the support networks of elders, single parents and ways of shaping family and friendship, besides the “cultural logic” which has infiltrated specific policy formulations (Risseeuw et al. 2005). The second research (2003–2007) compared the aging experience and (institutional) care arrangements in India, Netherlands and Sri Lanka and was undertaken with team-members from the three countries. Several additional re5 See also, for example, the books by Helen Small “The Long Life” (2007) on Western thought on aging and death through time and Gananath Obeyesekere “Imagining Karma, Ethical transformation in Amerindian, Buddhist and Greek Rebirth” (2002).

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searchers examined a wide array of connected topics ranging from health and employment figures to issues of property, pensions and social security (Rajan et al. 2008). Besides these two team-based researches, I refer briefly to historical data on the colonizer’s legislative attempts to reshape, family, marriage and lines of family responsibility during the British colonial period in Ceylon (Risseeuw 1988: Chapter 1, and 2005b).

The making of family Both Sinhalese and Dutch make bilateral families: Parents and family on “both sides” are recognized by both spouses. The Dutch start from the nuclear family (gezin) and Buddhist Sri Lankans start from a more extensive unit termed paule, which refers to a married couple, grandparents, parents, children, all living in close proximity in one house or one set of houses. For example, an aunt who lives in the same house for years can be conceived as paule.

Dutch urban family Alongside the nuclear family unit gezin, the Dutch family system recognizes the familie, also bilateral and including siblings and their offspring and possibly more distant relatives if proximity or other interests are shared. In practice, among the younger generations linkages are maintained with cousins only if they are congenial. Time will tell whether such family relations will be revived throughout a life-time. An exception was found among Jewish informants, where family relationships were more consciously maintained (Risseeuw 2005a). The social historians, anthropologists and sociologists agreeing on this formation of the nuclear family in Northern Europe are many. Particularly Jack Goody (2000), Allan Macfarlane (1978, 1994), Marilyn Strathern (2005), Patrick Heady et al. (2008) and further Philip Aries (1979, and in the beautiful series on “The history of private life” published in the 1980s) published on the withdrawal of the nuclear family from public life. Vehement debate continues to emerge on issues of cause and effect. The anthropologist Jack Goody, who published extensively on family in Europe, Asia and Africa, argues historically the North-Western European family morality involved a couple who brought up children, who would – as adults – leave the parental home before marriage in search of work. Once these mature

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children married, they created their own home from which ideally they maintained effective, but non-contractual relations with (grand) parents. Parents could decide – once they were older – to live nearer to one of the children if they maintained a close personal relationship. This perspective is shared by most authors on this subject, although regional differences and the distinction between urban and rural remain relevant. Perhaps related to the “freedom” to find a mate, there are relatively higher figures on celibacy in the West than in other societies worldwide. Unless they were scions of propertied, wealthy classes, children found their own partners. This way of creating and of conceiving family is clearly present in urban Holland. Such historians as Ishwaran (1959), Haks (1985), Shama (1987), Stokvis (2007) and others claim this nuclear family form has been distinguishable for several centuries.6 This concept of family is also woven into much of the current policy making and the media. In the urban part of Holland the gezin is characterized by a longstanding tradition of a private, homely nuclear family life with companiable, complementary spousal relations. The husband heads the marriage (sanctified by God) and the gezin. The wife’s tasks are focused on creating the home and being a strong, exclusive mother figure present daily in the home. She should be younger; (slightly) less educated than her husband and have less or no income. This dependence is fused with femininity. Up to the late 1950s she had no right to her own property and required her husband’s consent to work outside the home.7 Wealthier families sometimes had one or two servants. In understanding the contours of aging in Holland, the sharp distinction between familie and gezin was crucial to shaping a morality in which elders are seen as part of familie, but not of the gezin of their children.8 In practice this means that ideally the daughter (and the daughter-in-law) is expected to prioritize the care of her nuclear family members above those of the needs of the parents (in-law). She and her husband will provide degrees of support, but this should not encroach too much on their “own” nuclear family life. If she gives 6 It should be remembered that formerly there was a less rigid divide between gezin and familie in the southern and eastern parts of rural Holland. 7 Until the second half of the 1950s, the husband decided whether his wife could take paid work outside the home. A wife could also not hold property separate from her husband during this period. 8 Note the current research of Patrick Heady et al. (2008/2009) on kinship and social security in Europe, including analysis on the extent of kinship terms recognized in various parts of Europe. Several Northern European languages tend to differentiate fewer family terms than Southern and Eastern European regions. For example, recognizing one term for “cousins” and another for “nephews and nieces” (Huisman 2007).

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most of the daily support plus organizing public and commercial care-services, she will also think of her husband’s regular mealtimes and other comforts. Support has to be given to parents, but there is also a voluntary element. Parents are expected to live their own lives but also have a responsibility to maintain good relations with their offspring. Underlying this family script is the (relatively) voluntary and altruistic notion of parental love and care: Parents bring up their children to lead their own lives and make their own marriage-choices. In such a family script, the older generation tends to value remaining “independent” and “not being a burden on others, especially not their children” (de Regt 1993). Like the distinction between nuclear family and family, this morality of intergenerational family relations has enjoyed a substantial tradition over time. While divorce, single parenthood and gay marriage all indicate “change” in gezin and familie, the altruistic or “distanced” intergenerational code and the secluded borders of the (urban) home seem to have retained a marked continuity.9 Connected to this morality of intergenerational relations is the notion of personhood in which a person is considered “free” to live his/her own life, but nevertheless also becomes the main person responsible for achieving a successful and independent life. A great deal of self-respect is woven into achieving this responsibility for one’s self. In everyday life, it prevents elders from asking for help and can induce others to refrain from offering support. Our research in urban Holland (1997–2002) reflected these ideas on “self-dependence” at different life-stages. During initial interviews single parents often aimed to appear more “independent” as sole carer of their home and children than they proved to be in later interviews. In practice elderly parents and siblings often assisted substantially in child-care, home-repairs and financial support (Palriwala 2005). Researching urban-based Dutch elders, Kamala Ganesh, from South India, was struck by the degree to which her elderly informants prioritized their autonomy and their emphasis on not bothering the children, who should – after all – be able to live their “own life” (Ganesh 2005). Once frailty and aging sets in, at times this ideal of autonomy complicates overtures to ask or offer support (see also von Faber 2002). Whereas the parent can prefer to avoid asking for help; the daughter refrains from offering it, because this might upset the elder’s self-perception and sense of dignity.

9 A continuity which seems so matter-of-fact that several, valuable historical studies of Dutch family life even tend to leave the relationships of family members with their elders relatively unsaid.

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Sinhalese family Compared to the Dutch nuclear family, the Sinhalese bilateral family consists of a much broader web of intergenerational duties and obligations.10 The smallest recognized family-unit, paule, encompasses bilateral family members and both sets of parents, grandparents and (grand)children as well as those long term in-living family members who are held in deep affection (bendeema). A sense of locality is part of the meaning of this word: Grandparents not living in the house are not conceived of as paule, but belong to a wider set of relations termed nedeyo, neyo, nee or gnaati. Blood relatives in one (blood)line are termed paramparaawa, while a wider circle of relations, living or dead, is referred to as sanuharaja. The idea of interdependence between generations is also expressed after death. It is usual to invite several monks to hold an annual ceremony (danee) to provide ‘merit’ for the departed, and contribute to a fortunate rebirth. In the context of bilateralness, a son-in-law should actively share in caring for both sets of parents and understand that his wife’s parental duties can interfere in the running of their own home. He should seriously try to bond with his wife’s brothers and sisters11 and accept that her periodic absence from the home is part of family life. In sum, in relation to the older generation, the Sinhalese family has a lifelong and more pronounced code of intergenerational reciprocity with more terms to describe specific family relations than Dutch kinship has. Dutch kinship allows individuals more room to be independent and contains fewer (intergenerational) family relations than the Sinhalese. The Sinhalese can also disinherit their children, unlike their Dutch counterparts. The Sinhalese family-making traditions have shown more variation in the past than the comparative uniformity of family in (urban) Holland. During the British colonial period (1795–1947) the colonial authorities for example made a substantial effort to “streamline” the varied forms of marriage and inheritance, with the aim of creating a more male-headed (primogeniture), nuclear form, where wives and widows became dependents. Couched in terms of “civilisation”, the perceived economic advantages of smaller family units in the newly introduced economy were nonetheless clear. (Risseeuw 1988: Chapter 2 10 Obeyesekere (1967: 37–38) described pre-colonial Sinhalese families as guided by two conflicting principles: Axiom A meaning the rights of the individual diminish the rights of the line and that of the family; and axiom B meaning the rights of the family diminish the rights of the individual and that of the line. 11 Only in Anglicized homes did I occasionally come across the shift to the husband and his family becoming the first and major concern.

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and 2005b). They were only partly successful. Current changes are dealt with in a study by Goonesekere (1996).

Hospitality and styles of relating An urban Sri Lankan middle-class home is expected to be able to absorb family members and guests coming for dinner or to stay without their sense of privacy being curbed.12 Appointments tend to be less time-bound and, above all, are not made long in advance as in urban Holland. If deciding to stay overnight, a guest can quickly be offered a bed or a bedroom.13 In upper-class homes, guestrooms with attached bathrooms are always available. In middle class homes, keeping a guest might quite easily involve a quick reshuffling of sleeping arrangements for several members of the home. There is more than one bathing-place in the house, so that males and females can bathe separately. If possible an elder inmate will be given a separate bathroom. Rooms are often separated by only a curtain. Although unseen, people hear and join in conversations going on in the house. In such home-space arrangements, a North European middle-class sense of privacy is hard to maintain. A guest will regularly be confronted with family-members and servants appearing soundlessly from behind the curtain (provided they are of the same sex) and quickly has to learn how to change clothes without ever being undressed. A woman’s body especially should always remain covered. A man, bare-chested with a sarong, can walk through most parts of the house, except for female quarters. In the public spaces of the home: veranda, sitting room, hall, guests are paid every attention and are made to feel comfortable and relaxed (pilli gannewah). Children will regularly be asked to sit with the guests or run small errands for them. Private family life still continues, but out of the guest’s sight or hearing. Conversational styles underline these hospitality codes. Direct or personal questions which could make the other uncomfortable are eschewed (so also in friendship relations). The guest must be pleased, flattered, made to feel happy, comfortable and welcome. If one is more familiar, or also as “a way of becoming more familiar”, the art of teasing and provoking the other has a large place;

12 I have witnessed this liberty also being extended to servants, but this is not a regular practice. 13 If people come from far and have to stay overnight to deal with a bureaucratic issue for example, there is often a range of people whom one can ask to stay for one or two nights.

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while other family members listen in or comment from other spaces in the house (vihilu kerannewah). Importantly, good guests should know how to reciprocate but also keep their distance, however welcome they are made to feel. The guest will insistently request the host not to put so much effort into receiving him (karadara wenne epah). In a question or answer form, if repeated often enough, provides the host an opportunity to give a subtle indication (often with the eyes only), from which the guest can re-assess an appropriate response. Being a guest involves codes which govern movements within another family’s home. If verbal tension builds up between some family members, a guest should ideally sense its imminence and manage to disappear before an argument erupts. He/she should know what not to hear or even occasionally be able to use his/her presence to contribute to a temporary “truce”. Accepting hospitality, care and a “relationship” in general unquestionably implies reciprocity, which among others potentially includes requests for support of many kinds. This can be an introduction to another (influential) person, application for a job, a promotion, getting a child into the right school, a grant or simply a loan. The quality of the relationship lies in the degree to which the relationship includes these options. It is also “not nice” to place any pressure on a friend, family member of both. Asking for “help” and dealing with a request are intrinsically part of relationships and is an art in itself. It can also lead to distancing of various kinds. Elderly widows can periodically lodge in the different households of their children. They share in those home-gatherings they want to and sometimes also become acquainted with their children’s friends. The grandmother can shift to another family home for a variety of (unspoken) reasons. This presents the first problem in terminology. My vocabulary falls short of summarizing these distinctions between the family homes. I can claim that the Dutch gezin would rarely exhibit a comparable degree of “fluidity” in homeboundaries, but my meaning remains diffuse and it is only possible to try to describe the different ways of “keeping company”.14 It is predominantly the domain of the taken-for-granted, performed sociality, and enacted culture or, as Tim Ingold says, “to culture” (1996). It can also be approached to a certain ex14 Interviewing already teaches one the vast difference in everyday sociality. In Holland an interview takes place on time with others out of the way. The answer phone is switched on and children are told to go and play elsewhere. Time should not be wasted. The longstanding practices of government and commercial questionnaire-based research have created an interview culture of their own, from which it is a challenge for the anthropologist to escape. In Sri Lanka, a long time can elapse after arriving at the house (or the senior home), before one can speak to one’s informant alone.

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tent through what Bourdieu termed “habitus” (1977, see for a further discussion: Bottero 2009). Dutch urban social life tends to be characterized by making appointments well in advance and keeping them punctually. Visits tend to have relatively predetermined time-limits and require regular reciprocity to be maintained. Kamala Ganesh found elderly, retired Dutch informants tended to stick to such rules and their – often – slightly hurried interactions, even when they had more time on their hands (Ganesh 2005). It is both part of courtesy and self-esteem not to waste another’s time. Except for special occasions and parties, entertaining at home usually involves relatively small gatherings, with a distinct tendency for couples to mix more with other couples than with a single person.

Friends and acquaintances Entering the arena of friends and acquaintances, the challenge is to find concepts expressing the underlying meanings one wants to name. Anthropology as a discipline is less helpful in this and my findings are tentative. Nevertheless, some major findings are (Risseeuw 2005a): a) Informants sometimes complained about the lack of idiom to nuance the differing types of friendship they experienced. There are friends who are more than acquaintances, with whom one regularly shares (sports) activities, or meets in the work-place. Other friends also offer a “pure”, disinterested, friendship, involving a high level of mutual understanding and trust. It is possible to discuss feelings and share life-stories. Their company was regularly described as a “refuge” from society and occasionally also from family (see also Jamieson 1998). Trust is central here, but asking for financial loans, as in Sri Lanka, would be considered unusual and possibly bad taste. It implies crossing a boundary that could destroy a “close” friendship. Ideally this kind of friendship implies a voluntary relationship – sincere without “ulterior motives”. Friends were quite clearly distinguished from acquaintances. (See also Paine 1974; Silver 1990). b) There was a pronounced tendency to compartmentalize the social circle. Friends often did not know their friend’s other friends, or parents or family – at most the partner. Older parents often did not know their children’s friends and said they would not want to, as their mature children should be free to live their own lives. One might meet a friend’s friends, but one could just as easily not. The script is “open”. c) Thirdly there was a tendency to mix mainly within one’s own generation. There was also a preference for mixing with other couples, rather than

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including a single friend. Bringing along another friend to a prior appointment with others is best intimated beforehand.15 d) Finally, after a period of absence, illness, unemployment, divorce, or change of residence, one could imperceptibly lose touch with a friend. Regular contact of some kind seems required to maintain many of the types of friendship. Probably only those containing a ”high” level of trust and understanding or with a background of a shared youth-friendship can be retained. During discussions with elderly informants, complaints could be made about these unmentioned contours or borders of mixing with friends. Shared meeting places where one can “run into each other” casually (without prior appointments) were welcome as a way of keeping contact. In urban Holland there are few of the large cafés or lunchrooms which are found in Brussels of Paris, where one can read the newspaper or wait for a friend. This is probably connected to the marked domestic roots of home and family in Holland. A simple coffeeshop in or near the supermarket is an example of the facilities which could be provided. Overall this form of everyday sociality leads to a cultural script which can be quite challenging for an older couple or single living elder. Besides mature children and their families, siblings or other close family members, they tend to depend substantially on their own ability to maintain a network. Furthermore in (urban) Holland, maintaining a circle of friends, (distant) relations and sometimes neighbours involves a high level of voluntariness underlying the cultural script. Regular contact of some kind: telephone, e-mail as well as planning by making appointments well in advance are imperative. Otherwise, except for closest friends, a person tends to “loose touch” with many, including more distant family members. Edwards and Strathern (2000), basing themselves on English kinship, described similar ways of “losing touch” with distant relatives. The maintaining of relationships seem to require a fairly regular prompting through contact of some kind. This compartmentalization of relationships has several un-anticipated results. Below is one example: A woman in her forties was confronted with the terminal illness of an elderly parent and a sibling, both rural based, and several hours’ travel from her current urban home and work. During the interview she expressed the feeling that, once the death of these family members occurred, she would know who her real friends were. Only they would be able to share 15 This age-bound nature of networking in (urban) Holland was noted by several local demographers, who termed it “age homophily” and found it strongly limited possible social contacts for the aged (Uhlenberg & Gierveld 2004: 9).

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her grief. However, during our discussion it became clear that her friends had never joined her “back home” and were personally unacquainted with her relations. Without a personal memory of the relatives she loved, they would only be able to mourn her loss. She had never really realized this earlier.

Several of my respondents had similarly been taken by surprise by the loopholes in their own unarticulated cultural script (for more examples see Risseeuw 2005a). For older people, especially for those living alone, these ways of having friends and “keeping company” can provide quite a challenging cultural script within which to live their everyday life. The relatively high degree of compartmentalization of personal relations, the voluntary nature of keeping contact, the age-bound networks, the preference for cross-visiting of couples, especially if several of these points occur simultaneously, are all potential challenges. I came across elders creating their own “care-contracts”, all signed on paper, spelling out exactly what kind of assistance can be asked how many times a week.16 So forms of bricolage in creating new forms of assisting each other are practised, but such examples are exceptional. A chance to do voluntary work was also prized. With good relations with family members living nearby or grandchildren to look after, the threat of “loneliness” which so many Dutch social researchers and demographers have noted quickly vanishes. However, if an elder lacks these kinds of family linkages, potentially the social picture can change quickly. It is also not always a matter of having people to meet and talk to; it is even more the sense of being asked for advice or being welcomed into a gathering, rather than someone who happens to be there.17

Ways of keeping friends in urban middle class Sri Lanka In everyday Sinhalese, friendship is described as “having a good relationship” – literally a good “tie” (sambande thawa hondai) or “having understood each other well” (appee ekinekah hondete terum gannewah).18 16 In line with Kamala Ganesh’s findings about the meticulously drawn up “family-schedules” for taking turns to care of an elderly parent, at home or in an institution. 17 In this sense the frequently used survey methods in Holland of asking whether one has “contacts” and how frequently they occur, per day, per week, seem not only vague, but also missing the issue that one not only wants a chat, but also to “count” as someone who contributes in advice, knowledge, affection or conviviality. 18 Or “believing in each other” (wishwaase wante bawa) or “there is a good understanding between us” (Ekemutugamme tiennewah)

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For urban middle-class Sinhalese ways of keeping friends tend to merge to a degree with the contours of hospitality offered by a family home. Friends and acquaintances can come to stay by invitation, but also if they happen to need to go to town for an errand and have nowhere else to stay for one or two nights. Close friends provide exclusive trust and can ask for and offer a variety of substantial support. A sense of continuity is inscribed into relationships of friendship (and family) in several ways. For instance, if there is a debt, the relationship is actually expressed in the trust that the debt will be repaid. One of my informants said: “Friends can be asked for money and if they can’t pay back, that is understood. Otherwise, because of the friendship, the other will want to settle the debt. But, if a friend starts asking too frequently or too much, the other will somehow create some distance […] and that will also be understood as an erosion or end of the relationship.”

It is clear that in a world where favours can be asked and where one is endowed with the elaborate skill to refuse them “nicely” (without the other “losing face”), this form of friendship must involve trust. A misunderstanding or a breach of trust can lead to deep disappointments, which are often not repaired. Nevertheless, friendships survive lengthy absences (migration), illness and old age. An underlying debt of some kind seems central to the shaping of these relationships. Life cannot be conceived without debts of several kinds: to one’s parents, to one’s teachers, to someone who helped one at a certain moment and to the support received from friends. It has overtones of morality and continuity and cannot be expressed well through a verbal “thank-you” (Appadurai 1985).19 This maybe one of the major reasons the comparatively frequent prompting of relationships through regular contact of some kind, is far less prominent than in Holland and maybe other North European countries. Friendship is often couched in relations between families. Young people tend – as in Holland – to mix within their age-mates, but are also found in the friends’ family. Both informants and my own experience reveal the option of good relationships (having respect for or a “good understanding” with) which can be maintained between people of different generations. They can emerge and be maintained more matter-of-factly than in Holland, because of the sense of sociality, in which generations shared time and space, until recently. 19 “Thus one common way of expressing appreciation for an act of generosity is to say that the receiver will not forget this act. Although this phrase, at first glance, looks like a simple token of appreciation, its semantics can also be construed as a statement that the receiver will not forget, at the appropriate time, to make the appropriate return” (Appudarai 1985: 241).

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Some final remarks This exercise has begun to tease out my understanding of the (social) lives of middle-class elders in these two settings. It has provided me with some answers and some new questions. In the space allowed, I have to leave much unsaid. What does emerge is that looking at these three levels simultaneously: of kinship, friendship plus acquaintances and everyday sociality, does contribute to an overall understanding of specific social surroundings in which one ages, while simultaneously pointing to the conceptual urgency to further understand how “relationships” are conceived and acted out in every-day sociality in the first place. Rather than inventorizing how many friends an elder person has, the question then becomes more one of understanding how friends are made and kept in a specific social setting, or what sense of conviviality is given shape in everyday life. Overall, the Dutch middle-class elders, who benefit from countrywide welfare provisions and comparatively protected pension systems have advantages vis-à-vis their Sinhalese counterparts.20 However, in relation to shaping their everyday-life, they seem confronted with a comparatively more challenging social script than their age-mates in urban Sri Lanka. The compartmentalizing quality of social life, the voluntary nature underlying the intergenerational family script and the required regular prompting to ensure continuity within relationships as friendship and acquaintances, culminate to forming a markedly different setting in which to age, compared to middle-class, urban Sri Lanka. Moreover, the specific meaning of personhood with its sense of dignity attached to autonomy is challenging to maintain as frailty sets in. The specific expression of “privacy” and the subsequent need for a separate living space, locates the elder couple or remaining spouse alone in their home for most of the day or week, which creates the comparative high level of everyday all-round self-dependency in which Dutch elders live. This includes shaping their own social life, which is more challenging if no children with families live nearby. This forms a large part of the explanation of the relative frequency with which in societies like (urban) Holland elders are found in their homes, dead or in pain after having to wait long before being discovered. This degree of all-round self-dependence including the major responsibility to maintain one’s social life does not resonate with and would not be recognizable to many Sri Lankans. They can feel lonely within the family, live with family conflicts or opt for a senior home, but middle-class elders will hardly ever be 20 But also in relation to elders in other European countries.

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confronted with the degree of single-handed self-dependence of their age-mates in Holland. Pointing to the impossibility of this way of life, especially when frailty sets in, the simple answer of many would be “Pissude, taniemme inne kohomede?”, roughly translated as “Are you crazy that you think you can live alone when you are in such a (frail) condition?” With all its potential problems, living with company and support from others is conceived as part of life. It is facilitated by an everyday sociality that leaves (elder) family members the space either to participate or remain more aloof from others within the home. To urban, middle class Dutch people, living independently is often experienced as the best route. This life-trajectory is regarded as “natural: that’s how life is”. Often both the elder and family members, leave the potential vulnerability unmentioned, as there is no clear (relational) space for it and is not easy to discuss. This vulnerability does create (un)said tensions on both sides. A forceful example of this was given by Balazs (1993). What has conceptually remained a challenge, is to name these specific qualities of the specific webs of relationships in which elders age. One can often only describe them. The anthropologist Marilyn Strathern, one of the current wellknown kinship-theorists, characterized “Western” kinship regimes as ”taking the idea to extremes of bringing up a child to be independent, not only as an independent ‘member of society’ but also as independent from family and relatives” (2005: 27). She postulates that attachment to kin next to detachment from kin is central to kinship in Euro-American societies. Within social sciences this conceptually led to a “huge investment . . . in the language and imagery of individuals and groups”, whereas it is the “fresh ways” of speaking “about the complexities and ambiguities of relationships” that is needed (2005: 27). As far as I know, Strathern’s ideas have not yet been applied to the theme of aging and frailty. Although the term “Western kinship” seems premature in and requires nuancing in relation to kinship in South and Eastern Europe, Strathern’s point on the lack of idiom on “the relational” seems central to my analysis. In this context the social lives of elders forms a fruitful field for analysis, as their potential frailty and isolation creates increased scrutiny on the quality of their relationships with others. I want to thank the following colleagues and friends for their research data, insights and comments on earlier drafts, from which I greatly benefitted: Irundaya Rajan, Myrtle Perera, Kamala Peiris, Marlein van Raalte and also Willemijn de Jong.

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Gesundheit und Wohlbefinden im Alter – auch eine Frage des Geschlechts Pasqualina Perrig-Chiello Health and well-being in old age – a gender issue Sex differences in health and well-being in old age are still a controversially discussed issue. In this contribution we try to give answers to questions such as:  Do older women really have more physical and mental health problems than older men, or are these findings influenced by a gender bias, due to a different understanding of health? As it will be shown, it is impossible to find satisfactory answers without considering the cultural and social living context of the individuals. The inclusion of gender as a social reality is an absolute prerequisite for gaining valid information. Die sozialwissenschaftliche und medizinische Forschung zum menschlichen Altern orientierte sich bis vor kurzem an männlichen Standards. Dies hatte zur Folge, dass viele Annahmen zur differentiellen Auswirkung des körperlichen, psychischen und sozialen Alternsprozesses eher auf Vorurteilen basierten als auf empirisch gesichertem Wissen. Dieser Beitrag will aufgrund neuer empirischer Befunde Antworten auf viele offene Fragen liefern und die Hintergründe allfälliger Differenzen ausleuchten.

Die revolutionären Fortschritte der Medizin des letzten Jahrhunderts haben völlig neue Ausgangsbedingungen für die Erhaltung der menschlichen Gesundheit geschaffen. Akute Infektionskrankheiten, welche noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts die wichtigste Mortalitätsursache darstellten, wurden weitgehend besiegt. Damit war die Grundlage für eine beispiellose demographische Veränderung gegeben: nämlich eine bedeutsam verlängerte Lebenserwartung. Während in der Schweiz beispielsweise noch vor 100 Jahren Männer durchschnittlich rund 46 Jahre lebten, sind es heute schon rund 80 Jahre. Noch stärker stieg in dieser Zeit die Lebenserwartung der Frauen an: Heute leben Frauen im Durchschnitt 5,2  Jahre länger als Männer (Frauen 84  Jahre; Männer 80  Jahre), was auch dazu führt, dass vor allem im hohen Lebensalter der Frauenanteil an der Bevölkerung denjenigen der Männer bei weitem übertrifft. Schon bei den 65- bis 69-Jährigen bilden die Frauen eine Mehrheit von 54  Prozent, und mit steigendem Lebensalter nimmt die so genannte ‚Feminisierung des Alters‘ weiter zu. Auch wenn sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Lebenserwartung aufgrund der sich angleichenden männlichen und weiblichen Lebensstile in Zukunft vermutlich etwas verringern wer-

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den, bleibt die Tatsache, dass die ältere Bevölkerung weiterhin mehrheitlich weiblich sein wird (Perrig-Chiello & Höpflinger 2003; Perrig-Chiello 2005). Sowohl die Gründe als auch die Konsequenzen der unterschiedlichen Lebenserwartung von Frauen und Männern sind Gegenstand dieses Beitrages. Die in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Analysen zur gesunden bzw. behinderungsfreien Lebenserwartung lassen immer deutlicher erkennen, dass Männer und Frauen in hoch entwickelten Ländern nicht nur lange leben, sondern im Durchschnitt auch lange Zeit gesund und ohne massive Behinderungen verbleiben. Im Vergleich zu Deutschland oder den USA leben Männer und Frauen in der Schweiz nicht nur relativ lange, sondern sie bleiben auch vergleichsweise lange gesund (wie dies Tab. 1 illustriert). Tabelle 1: Gesunde Lebenserwartung im internationalen Vergleich Männer

Frauen

Schweiz

71

75

Österreich

69

74

Deutschland

70

74

USA

67

71

Quelle: WHO, The World Health Report 2008 (WHO-Gesundheitsrapport 2008), [Stand: 15. Oktober 2008].

Zentrale Erklärungsfaktoren für diese Befunde sind die besseren Ausbildungsund Arbeitsbedingungen, u. a. die Verlagerung von landwirtschaftlichen und industriellen Berufen zu besser bezahlten und körperlich weniger anstrengenden Dienstleistungsberufen. Entscheidend für ein gesundes Alter ist aber auch eine gute Alters- und Gesundheitsvorsorge, eine Tatsache, welche für die USA weit weniger zutrifft als für die Schweiz. Den hohen Stellenwert der Bildung bei der Erklärung der großen Unterschiede zeigt sich beispielsweise aber auch im innerschweizerischen Vergleich. So leben Schweizerinnen und Schweizer mit guter Bildung deutlich länger als jene, welche nur über einen obligatorischen Schulabschluss verfügen. Vor allem Männer profitieren von einer höheren Bildung. So ergibt sich im Alter von 30 Jahren bei der Lebenserwartung von Männern der höchsten und der tiefsten Bildungsstufe eine Differenz von 7,1  Jahren. Diese großen Unterschiede in der Lebenserwartung werden als Ausdruck sozialer Ungleichheit interpretiert: Wer bessere Voraussetzungen und Chancen hat, eine höhere Ausbildung zu besuchen, wird in vielen Bereichen des täglichen Lebens bevorteilt – und lebt schließlich länger. Bei den Frauen sind grundsätzlich die gleichen Tendenzen beobachtbar: Wer eine bessere Bildung genießen konnte, hat eine höhere Lebenserwartung. Der Unterschied zwischen

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den Frauen mit einer universitären Ausbildung und denjenigen mit nur obligatorischer Schulbildung bezüglich Lebenserwartung ist aber geringer als bei den Männern: Im Alter von 30 Jahren beträgt dieser bei den Frauen 3,6 Jahre. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen bleibt damit bedeutender als zwischen verschiedenen Bildungsabschlüssen: Im Alter von 30 Jahren ist die verbleibende Lebenserwartung von Männern mit universitärer Bildung immer noch etwas kleiner als diejenige von Frauen mit nur obligatorischer Schulbildung (Spoerri et al. 2006). Dieselbe Entwicklung ist auch in den meisten westlichen Ländern beobachtbar (Singh & Siahpush 2006). Im folgenden Kapitel soll die Frage nach der unterschiedlichen Lebenserwartung und vor allem der unterschiedlichen Gesundheitsbiographien von Frauen und Männern näher ausgeleuchtet und mögliche Antworten darauf gesucht werden.

Ein Paradoxon: Frauen leben länger und gesundheitsbewusster – und dennoch sind sie kranker als Männer Weibliche und männliche Gesundheitsbiographien unterscheiden sich nach wie vor ganz wesentlich. Zum einen aufgrund der genannten unterschiedlichen Lebenserwartung, zum anderen aber auch durch die unterschiedlichen Befindlichkeitswerte und Morbiditätsraten, welche über die gesamte Lebensspanne bei beiden Geschlechtern beobachtbar sind. Weshalb Frauen länger als Männer leben und weshalb sie im Gegenzug eine höhere Morbiditäts- und Beschwerdelast haben, ist nach wie vor eine kontroverse und ungenügend beantwortete Frage. Dies erstaunt nicht weiter, orientierte sich die Mehrheit geriatrischer und gerontologischer Studien bis vor wenigen Dekaden noch an männlichen Standards. Auch wenn in der Folge die Geschlechtsvariable zunehmend in die Untersuchungen einbezogen wurde, dann war es zumeist nur das biologische Geschlecht. In der Regel blieb es bei Phänomenbeschreibungen. Grundlegende theoretische Perspektiven, die das Geschlecht als gesellschaftliches Ordnungsprinzip und in seinen sozialen Herstellungsprozessen verstehen, fehlen weitgehend. Hieraus resultiert, dass zwar einiges über die unterschiedlichen Gesundheitsbiographien von Frauen und Männern bekannt ist, dass aber hinsichtlich deren Ursachen erhebliche Wissenslücken bestehen (Perrig-Chiello 2007). Für die Erklärung der unterschiedlichen Lebenserwartung von Frauen und Männern werden biologische, verhaltensbezogene und sozio-ökonomische Faktoren verantwortlich gemacht, wobei sich zunehmend die Einsicht durchsetzt, dass die verhaltensbezogenen Faktoren von ausschlaggebender Bedeutung sind:

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a) Bei den biologischen Faktoren wurde der hormonelle Status der Frauen für die besseren Blutfettprofile verantwortlich gemacht, welche das Risiko für Herzkrankheiten und Arteriosklerose senken. Zudem scheinen Frauen durch das doppelte X-Chromosom besser gegen rezessive Erbkrankheiten gefeit zu sein als Männer und eine erhöhte Resistenz gegenüber Infektionskrankheiten zu haben (erhöhte Immunautoproduktion) (Rahman et al. 1994; Lang et al. 1994). b) Bei den verhaltensbezogenen Faktoren spielt das geschlechtsspezifische Risikovermeidungsverhalten („weiblicher Lebensstil“) eine große Rolle. Dieses spiegelt die in unserer Gesellschaft vorherrschenden getrennten Lebenswelten von Frauen und Männern wider. So entspricht es der traditionellen Rollenerwartung, dass risikoreiches Verhalten (z.  B. bei Spiel und Sport, im Straßenverkehr) von Frauen eher gemieden wird. Männer sind aggressiveren Umwelten vermehrt ausgesetzt als Frauen (z. B. Arbeitsplatz), zudem greifen sie eher zu offen-aggressiven Problemlösungen mit tödlichem Ausgang (Streit, Krieg, Suizid) als Frauen. Dieses Phänomen ist bereits im Kindesalter beobachtbar und zieht sich weiter bis ins hohe Alter. Analog dazu konstatieren wir bei Frauen ein ausgeprägteres Krankheitsvermeidungsverhalten. Frauen meiden vermehrt – nicht zuletzt aufgrund ihrer Sozialisation – harte Drogen, starkes Trinken und Rauchen sowie risikoreiches Sexualverhalten. Mehr Männer als Frauen schlafen weniger als 6 Stunden/Tag, essen kein Frühstück, sind übergewichtig, essen eintöniger und sind weniger informiert über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit. Zudem unterscheiden sich Frauen von Männern durch signifikant höhere Einnahmen von Vitaminen und Mineralsupplementen (Reddy et al. 1992). Von Frauen (insbesondere von Müttern) wird – und wie empirisch bestätigt mit Erfolg – erwartet, dass sie über Hygiene, gesunde Ernährung und Gesundheitsverhalten (Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, etc.) bestens Bescheid wissen und Modellfunktion übernehmen. Einzig bei der sportlichen Betätigung, dessen präventive Bedeutung unbestritten ist, werden die Frauen von den Männern übertrumpft. Addiert man jedoch auf, was Frauen tagtäglich in Haus und Garten körperlich arbeiten (Einkaufen, Putzen etc.), ist der Unterschied ausgeglichen. In der gerontologischen Forschung gilt die Lebenslänge als ein wichtiger Indikator für erfolgreiches Altern. Da Frauen ja länger und zudem noch gesünder leben als Männer, wären sie theoretisch das stärkere Geschlecht. De facto ist dies aber eben nicht so: Frauen „bezahlen“ für die längere Lebenserwartung mit einer erhöhten Morbiditätsrate/Erkrankungsrate, sowie mit vermehrten chronischen Behinderungen und Pflegebedürftigkeit: Männer erkranken seltener, sterben aber früher – Frauen sind häufiger krank, leben aber länger. Es ist paradoxerweise in der Tat so, dass die Frauen – trotz des erhöhten Engagements in ihre Gesundheit – bereits ab dem mittleren Erwachsenenalter eine erhöhte Morbiditätsrate sowie

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Abb. 1:  Frauen haben eine höhere Beschwerdenlast als Männer (Quelle: BAG, Bundesamt für Gesundheit: Fokusbericht Gender und Gesundheit 2008. Eidg. Departement des Innern, Bern).

vermehrte chronische Behinderungen und Pflegebedürftigkeit aufweisen. So sind ältere Frauen häufiger krank als Männer (Abb. 1), klagen öfter über körperliche Beschwerden, über Ängste und Depressionen und reagieren auf Belastungssituationen eher mit physischer und psychischer Dekompensation als Männer (Abb. 2). Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens eine Depression zu erleiden, liegt bei etwa 12 Prozent für Männer und 26 Prozent für Frauen. Die höheren weiblichen Depressionsraten entstehen bereits im frühen Erwachsenenalter.

Abb. 2:  Frauen haben eine höhere Morbiditätslast als Männer (Quelle: BAG, Bundesamt für Gesundheit: Fokusbericht Gender und Gesundheit 2008. Eidg. Departement des Innern, Bern)

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Sie erreichen einen Gipfel im mittleren Lebensalter und sinken in der postmenopausalen Phase wieder ab. Es gibt empirische Evidenz, dass Frauen im Vergleich zu Männern ein fast zweimal größeres Risiko haben, in der Gruppe mit der größten Dysfunktionalität zu sein (Höpflinger/Hugentobler 2003). Frauen haben vor allem Krankheiten, die nicht terminal sind, aber funktionale Auswirkungen auf das Alltagsleben haben. Im Vergleich zu alten Männern haben alte Frauen neben einem höheren Unfall- und Sturzrisiko und signifikanteren Einschränkungen der funktionellen Autonomie auch eine höhere Psychopharmakaabhängigkeit. Lediglich in puncto Alkoholkonsum haben Männer häufiger Probleme als Frauen. In Bezug auf die Prävalenz der Alzheimer Demenz schließlich zeigt sich, dass Frauen häufiger betroffen sind. Frauen machen somit einen Großteil der pflegebedürftigen alten Menschen aus und sind mehr als Männer auf institutionelle Betreuung angewiesen: Sie wohnen häufiger als Männer in Alters- und Pflegeheimen (rund 8 von 10 Bewohnern sind Frauen) und haben eine längere Dauer von Spitalaufenthalten. Männer hingegen können in der Regel auf informelle Hilfe und Pflegeleistung zurückgreifen. Wie lassen sich diese Geschlechtsunterschiede erklären? Sind sie geschlechtsspezifisch, also abhängig vom biologischen Geschlecht („sex“) oder sind sie geschlechtstypisch und somit abhängig vom sozialen Geschlecht („gender“)? Diese Frage ist weit mehr als nur von rein wissenschaftlicher Relevanz, sie hat folgenschwere praktische Implikationen. Denn im Falle, dass sich allfällige Unterschiedlichkeiten als reine „Gender“-Unterschiede herausstellen sollten, wäre die Identifikation von prophylaktischen Maßnahmen eine nahe liegende praktische Konsequenz.

Erklärungsansätze für die unterschiedlichen Gesundheitsbiographien Biologische Faktoren – altern Frauen schneller? Eine vornehmlich biologische Erklärung geht zunächst davon aus, dass die unterschiedliche Lebenserwartung der Geschlechter nicht bloß biologische Alterungsmuster widerspiegelt, sondern durch andere Faktoren wie etwa den geschlechtstypischen Lebensstil (erhöhte Risikobereitschaft der Männer, Risikovermeidungsverhalten der Frauen) bestimmt wird. Die andere zentrale Annahme ist, dass Männer trotz ihrer geringeren Lebenserwartung nicht schneller altern als Frauen, sondern langsamer. Argumentiert wird mit der Tatsache, dass bei Frauen die meisten altersbedingten Veränderungen und Krankheiten früher auftreten als bei Männern, so zum Beispiel Augenkrankheiten,

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Verlust der funktionellen Autonomie, geringere Reaktionsfähigkeit. Ganz allgemein seien die körperliche Leistungsfähigkeit und der Gesundheitszustand alter Männer häufig besser als jene gleichaltriger Frauen. Ob es sich bei den Ergebnissen dieser Metaanalyse um bloße korrelative Zusammenhänge handelt, ob daraus Kausalitäten geschlossen werden können und ob es überhaupt valide Ergebnisse sind, wird sich zeigen. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Hypothese bloß um ein weiteres Beispiel eines sexistischen Ageismus.

Älterwerden in einer Anti-Ageing-Gesellschaft – für Frauen und Männer unterschiedlich Ist Altern tatsächlich ein soziales Schicksal oder vollzieht sich Altern nicht vielmehr nach inhärenten biologischen Prozessen und gemäß individuellen Dispositionen? Die Sichtweise, dass Altern in erster Linie ein biologischer Prozess ist, ist eine Grundthese der Anti-Ageing-Welle und war jahrzehntelang auch die Auffassung der Geriatrie, aber auch z. T. der Gerontologie. Diese im Alltag omnipräsente Sichtweise wurde von der modernen Sozialgerontologie radikal in Frage gestellt. Altern sei primär ein soziales Schicksal und erst in zweiter Linie ein individuelles (Thomae 1983). Diese Auffassung hat ihre Berechtigung. In der Tat widerspiegelt die gesellschaftliche Stellung alter Menschen die vorherrschenden gesellschaftlichen Werthaltungen und Rollenzuschreibungen ihnen gegenüber. So definiert die Gesellschaft, von wann bis wann wir schulfähig sind, ab wann heiratsfähig, von wann bis wann arbeitsfähig und schließlich ab wann wir alt sein sollen. Historische wie kulturvergleichende Arbeiten zeigen, dass Position, Rollenzuweisung und Lebensumstände älterer Menschen einem steten Wandel unterliegen. Sie variieren zudem je nach sozialem Status, Geschlecht und körperlicher Verfassung – das war früher so und ist es weitgehend noch heute. Gesellschaftliche Randbedingungen definieren stark die Qualität des Alterns – und diese Randbedingungen sind für Frauen und Männer nach wie vor sehr unterschiedlich. Obwohl die ‚Feminisierung des Alters‘ eine demographische und gesellschaftliche Tatsache ist, sind alte Frauen nach wie vor kaum ein Thema, weder in massenmedialer, noch in kultureller oder wissenschaftlicher Hinsicht – und wenn doch, dann schwingt meistens ein negativer Grundtenor mit. Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung weisen deutlich darauf hin, dass die heutige Gesellschaft in vielerlei Hinsicht die Langlebigkeit moderner Menschen ganz generell – nicht nur diejenige der Frauen – noch nicht bewältigt hat. So besteht in westlichen, industrialisierten Ländern keine Kultur, die sich positiv auf alte Menschen bezieht. Dies zeigt sich in den auffallend wider-

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sprüchlichen Kombinationen von negativen und zuweilen auch positiven Vorstellungen vom Alter, welche sowohl von Jungen wie von Alten geteilt werden. Aber trotz der Bestrebungen der modernen Altersforschung, diese doch vorwiegend defizitären Vorstellungen vom Alter in Frage zu stellen und durch Modelle ‚erfolgreichen Alterns‘ zu ersetzen, herrschen im Alltagsverständnis nach wie vor vorwiegend negative Verallgemeinerungen vor, allenfalls gepaart mit hochstilisierten positiven Einzelfällen. Was aus der einschlägigen Forschung jedoch klar hervorgeht, ist, dass diese stereotypen, negativen Vorurteile, so genannte ‚Ageismen‘, Frauen weit mehr treffen als Männer. Gut illustrieren lässt sich dies am Phänomen des „Double Standard of Ageing“. Demnach werden dieselben äußeren Erscheinungsformen des Älterwerdens (Falten, graue Haare, etc.) je nach Geschlecht des Beobachteten mit verschiedenen Maßstäben bewertet. Graue Schläfen bei den Männern signalisieren einen gewissen Status und Attraktivität, bei Frauen das Gegenteil. Gemäß einer feministischen Hypothese kann der niedrige Status der Alten in unserer Gesellschaft auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass die Mehrheit der Alten Frauen sind (Ageism as byproduct of Sexism). Der marginale Status der Frauen sei Resultat einer Sozialisation, welche ihnen das Gefallen als Lebensaufgabe mitgegeben hat. Wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, spielen diese Sexismen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Erklärung der recht unterschiedlichen Gesundheitsbiographien von Frauen und Männern (Perrig-Chiello/Stähelin 1996; Backes et al. 2006).

Das unterschiedliche Verständnis von Gesundheit und die unterschiedliche Sozialisation Die Frauengesundheitsforschung hat in den letzten Jahren aufzeigen können, dass das oben dargelegte geschlechtstypische Krankheits- und Beschwerdespektrum nicht faktisch als „wahre“ Prävalenzen aufgefasst werden kann und viele dieser „Fakten“ sich bei näherem Besehen als Artefakte entpuppen (Perrig-Chiello 2005). Ein verzerrender Effekt ist beispielsweise der Reporting-Bias, wonach Frauen aufgrund ihres ganzheitlicheren Verhältnisses zu Gesundheit anders darüber berichten als Männer. Männer definieren Gesundheit eher über ihre Leistungsfähigkeit und tendieren dazu, negative Befindlichkeiten zu verleugnen. Das unterschiedliche Verständnis von Gesundheit wirkt sich auch auf die medizinische Behandlung (und indirekt auf das Gesundheitswesen) aus. Bei Männern werden häufiger somatische Diagnosen gestellt, bei Frauen eher psychosomatische. Dies hat wiederum Einfluss auf die Verschreibung von Medikamenten im Sinne einer Übermedikation der Frauen (insbesondere der älteren Frauen) mit

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Abb. 3:  Beruhigungsmittelkonsum nach Geschlecht (Quelle: BFS, Bundesamt für Statistik, Schweizerische Gesundheitsbefragung 2007: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/ infothek/lexikon/bienvenue___login/blank/zugang_lexikon.Document.118180.xls [Zugriff 11. März 2009].)

psychotropen Substanzen, insbesondere mit Tranquilizern: 70  Prozent der Psychopharmaka werden an Frauen verschrieben (Abb. 3). Eine weitere Erklärung für die genannten Geschlechtsunterschiede liefert die Sozialisationshypothese. Gesundheitsbiographien widerspiegeln die nach wie vor getrennten Lebenswelten von Frauen und Männern. Männer werden immer noch so sozialisiert, dass sie zielstrebig, durchsetzungsfähig, aktiv und dominant sind – genau das sind übrigens die Kriterien in der Psychiatrie und Psychologie, die psychische Gesundheit definieren. Frauen hingegen haben eine Sozialisation, die Expressivität unterstützt, heißt: empathisch, gefühlsbetont, hilfsbereit und sensibel – und genau das sind die Eigenschaften, die in der Psychologie als krank machend gelten. Es spricht vieles dafür, dass diese sozialisationsbedingten Geschlechtsunterschiede im wesentlichen Kohorteneffekte widerspiegeln und dass sich hier eine Wende abzeichnet. Ergebnisse der IDA-Studie liefern hierzu einige erstaunliche Einsichten (Interdisziplinäre Alters-Studie, vgl. Perrig-Chiello et al. 1999). Bisherige Forschungsergebnisse, wonach Frauen in unserer Gesellschaft zwar eine höhere Lebenserwartung, dafür aber eine signifikant größere Morbiditätsrate aufweisen als Männer, basieren weitgehend auf homogenen nicht-berufsorientierten Frauenstichproben. Ausgehend von empirischen Befunden, nach denen Berufsorientierung und multiple Rollen bei Frauen mit besseren Befindlichkeitsmaßen einhergehen, wurde in der Basler Inter-disziplinären Altersstudie (IDA) der Frage nachgegangen, inwiefern sich diese Effekte auch bei pensionierten, ehemals berufsorientierten Frauen nachweisen lassen.

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Im Rahmen dieser Studie wurde eine Gruppe pensionierter Frauen (n = 133, Durchschnittsalter: 72,61  J.) zu diesem Zwecke einer vergleichbaren Männergruppe gegenübergestellt (n = 309, Durchschnittsalter: 75,97 J.) (Es handelte sich bei Männern und Frauen um ehemalige Chemieangestellte und -arbeiter.) Es sei hier vorausgeschickt, dass 63 Prozent der Frauen unserer Stichprobe unverheiratet und kinderlos waren. Dieser Sachverhalt ist vermutlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass für diese Frauengeneration die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ungleich schwieriger war als heute und dass deshalb ein Selektionseffekt resultierte. Den Ergebnissen zufolge unterscheidet sich unsere Seniorinnengruppe nicht signifikant von ihren ehemaligen männlichen Arbeitskollegen bezüglich objektiver und subjektiver Gesundheit, psychischer Befindlichkeit und funktioneller Autonomie. Dasselbe lässt sich auch vom Gesundheitsverhalten sagen: Unsere Frauen haben weder einen erhöhten Medikamentenkonsum, noch betätigen sie sich weniger körperlich, noch weisen sie mehr Arztkonsultationen auf. Ein Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass die IDA-Frauen allesamt vor der Pensionierung berufstätig waren. Es ist denkbar, dass die Frauen unserer Stichprobe durch die jahrzehntelange Berufstätigkeit in einer dominant männlichen Umgebung (Chemieindustrie) instrumentelle Eigenschaften (d. h. aufgabenbezogenes Denken, Selbstsicherheit und die Fähigkeit, das eigene Leben aktiv zu gestalten, sich durchzusetzen und eigene Ziele zu verfolgen – Fähigkeiten also, die besonders in der Berufswelt, aber auch im zwischenmenschlichen Bereich entscheidend sind) entwickeln mussten, um sich in dieser Arbeitswelt behaupten zu können. Wir wissen aus der Forschung, dass Instrumentalität (die Fähigkeit also, sein eigenes Leben aktiv zu gestalten, sich durchzusetzen und eigene Ziele zu verfolgen) positiv mit dem Wohlbefinden korreliert ist. Demgegenüber ist Expressivität mit Einfühlsamkeit und Aufopferungsbereitschaft assoziiert. Expressive Eigenschaften werden zwar informell geschätzt, führen aber nicht zu sozialer, formeller Anerkennung und Belohnung, was sich wiederum vermindernd auf das Wohlbefinden auswirkt (z. B. Gefühle der Hilflosigkeit). In diesem Zusammenhang drängt sich folgende Frage auf: Ist es denkbar, dass sich diese Frauen schließlich nicht nur bei der Morbiditätsrate, sondern auch bei der Mortalitätsrate nicht von den Männern unterscheiden? Antwort auf diese Frage erhalten wir durch Extrapolationen aus der Mortalitätsstatistik der Basler Studie. Da es sich bei unserer IDA-Frauenstichprobe (133 Frauen) um eine repräsentative Substichprobe der Population der Basler Studie handelt (936 Frauen), lässt sich dieser Schritt rechtfertigen. Aus der Sterbestatistik der Basler Studie (4224 Männer, 936 Frauen; alle Sterbefälle seit 1965 wurden lückenlos erfasst) geht hervor, dass die Mortalitätsrate der Männer deutlich höher ist (22 Prozent) als die der Frauen (9,2 Prozent).

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Unsere Ergebnisse legen somit einmal mehr nahe, dass die Geschlechtsvariable im Sinne des biologischen Geschlechts als alleinige differentielle Variable nicht ausreicht. Die Notwendigkeit des Einbezugs sozio-biographischer Variablen bei der empirischen Untersuchung des Phänomens „Gesundheit und Wohlbefinden“ erscheint somit unausweichlich.

Die unterschiedlichen Risikofaktoren generell und im hohen Alter insbesondere Eine weitere Erklärung fokussiert die Tatsache, dass die zusätzlichen Lebensjahre der Frau mit erhöhten gesundheitlichen Risikofaktoren verbunden sind. Bekanntlich ist die Überschreitung der 80-Jahresgrenze mit einem erhöhten Risiko der körperlichen und geistigen Fragilisierung (Demenz) und Verlust der funktionellen Autonomie verbunden. Aber auch die Wahrscheinlichkeit vermehrter kritischer Lebensereignisse ist für alte Frauen größer als für Männer. Die Tatsache, dass Frauen deutlich länger leben als Männer, und die Tatsache, dass Frauen im Schnitt zwei bis drei Jahre jünger sind als ihre Ehe-Partner, macht aus, dass Verwitwung ein Frauenschicksal ist (um dem zu entgehen, müssten Frauen Männer heiraten, die acht bis neun Jahre jünger sind als sie!). Frauenschicksal ist es somit zunehmend auch, den kranken, alten Partner bis ans Lebensende zu begleiten und zu pflegen. Frauen pflegen (ihre Männer, Väter und Schwiegerväter) – Männer werden gepflegt (von ihren Frauen, von ihren Töchtern und Schwiegertöchtern) (Tab. 2). In der Schweiz wie in Österreich wird ein Großteil der Pflegebedürftigen zu Hause betreut. 77 bis 80 Prozent aller Pflegebedürftigen haben eine Hauptpflegeperson, in der Regel eine Familienangehörige. Hauptpflegepersonen sind vor allem Frauen, in der Regel die Ehefrauen. Die Pflegesituation ist zumeist mit hohen Belastungen verbunden, eine Tatsache, die in der Öffentlichkeit nicht sonderlich zur Kenntnis genommen wird. Hauptpflegepersonen leiden am häufigsten unter dem ständigen Angebundensein, unter Einschränkungen des persönlichen Engagements in anderen Lebensbereichen, unter negativen Auswirkungen auf das übrige Familienleben, unter der unausweichlichen Konfrontation mit dem Alter und vielfach auch unter finanziellen Belastungen. Die mit der Pflegesituation verbundenen Anstrengungen beeinflussen zudem in hohem Maß ihre Gesundheit. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung haben pflegende Angehörige auffällig mehr körperliche Beschwerden und Krankheiten. Dabei handelt es sich häufig um Rückenschmerzen, Schilddrüsenerkrankungen und Herz-/Kreislaufprobleme. Besonders ausgeprägt sind Symptome allgemeiner Erschöpfung, Magenbeschwerden, Gliederschmerzen und Herzbeschwerden.

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Tabelle 2: Hilfeleistende Personen bei zuhause lebenden Menschen, 2002 Aus gesundheitlichen Gründen in den letzten 7 Tagen Hilfe erhalten von (%)

Alter der Pflegebedürftigen

80 Jahre

Partner/Partnerin

37

43

28

Tochter

37

35

41

Sohn

18

22

24

Schwester

5

14

1

Bruder

5

2

10

15

10

20

andere Familienmitgl.

Quelle: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2002 (gewichtete Stichprobe)

Die Erschöpfung äußert sich in psychosomatischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Nervosität, Kopfschmerzen und depressiven Verstimmungen. Der Medikamentenkonsum pflegender Angehöriger erhöht sich schlagartig mit Beginn der Pflegesituation. Dazu zählen vorwiegend Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Schmerzmittel, welche von 28 bis 40  Prozent der Betroffenen regelmäßig konsumiert werden. Pflegende werden daher zu recht auch als „hidden patients“ bezeichnet! Im Gegensatz zu Frauen wahren Männer – falls sie überhaupt in diese Situation gelangen – in der Regel einen größeren inneren Abstand, sie sind weniger durch soziale Werte zur Pflege verpflichtet, setzen ihre Belastungsgrenzen früher, leisten deswegen seltener Schwerstpflege und fällen im allgemeinen schneller die Entscheidung für eine Heimunterbringung. Generell gehen Männer mit altersassoziierten Stressoren (wie Verwitwung oder schweren gesundheitlichen Probleme) anders um als Frauen. Sie somatisieren die Probleme weniger, neigen dafür zu externalisierenden Handlungsweisen (Aggressivität, Alkoholexzesse). So nehmen die Suizidraten, welche generell über alle Altersgruppen bei Männern signifikant höher sind als bei Frauen, im hohen Alter nur bei den Männern dramatisch zu, bei den Frauen bleiben sie konstant (Abb. 4). Neben der Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit der Männer, mit Verlusterfahrungen umzugehen (schwere Erkrankungen, Verwitwung), besteht in der Regel eine starke emotionale und soziale Abhängigkeit von ihrer Partnerinnen, welche mit einem erhöhten Risiko der Depression oder des Suizids einhergeht. Die Tatsache, dass Frauen deutlich länger leben als Männer kombiniert mit der Tatsache, dass Frauen im Schnitt zwei bis drei Jahre jünger sind als ihre (Ehe-)Partner, macht aus, dass nicht nur die Partnerpflege sondern auch die Verwitwung ein häufiges Frauenschicksal ist.

Gesundheit und Wohlbefinden im Alter 

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Abb. 4:  Suizid im Alter: Erhöhtes Risiko für Männer (Quelle: BFS, Bundesamt für Statistik, Todesstatistiken 2000)

Was bedeutet Verwitwung für die Frauen im Alter? Für eine Mehrheit in erster Linie gesundheitliche Probleme, in zweiter Linie Einsamkeit. In verschiedenen Untersuchungen beklagen ca. die Hälfte bis zwei Drittel der befragten Witwen gesundheitliche Veränderungen. Von diesen Veränderungen sind vor allem die Frauen der älteren Jahrgänge betroffen (71–80 Jahre). Beschrieben werden psychosomatische Symptome, die rund ein Jahr nach Partnerverlust einsetzen und vielfach den Beginn einer Pflegebedürftigkeit darstellen. Als die typischen Symptome werden Depressionen, Erschöpfung, schnelle Ermüdung, Herzbeschwerden, Magenprobleme und generelle Nervosität geschildert. Wie Untersuchungen weiter aufzeigen, führt der Verlust eines Partners/einer Partnerin, zumindest für einige Zeit, zur Erhöhung der Mortalität – dem so genannten „Nachsterben“. Besonders hoch ist das Sterblichkeitsrisiko bei Hinterbliebenen im ersten halben Jahr nach dem Verlust des Partners. Dieses „Nachsterben“ ist aber ein klar geschlechtsspezifisches Phänomen – es lässt sich insbesondere bei Männern nachweisen. Und die Zeit danach? Da Wiederverheiratung von Witwen im höheren Alter selten ist (es gibt ohnehin zu wenig Männer …), leben sie in der Folge allein – dies im Gegensatz zu den Männern (Abb. 5). Frauen versuchen ihre Einsamkeit mit einem soliden sozialen Netzwerk zu kompensieren (Geschwister, Freunde, Bekannte). Obwohl sich Frauen und Männer in der Häufigkeit der sozialen Kontakte und in der Breite des Netzwerkes nicht wesentlich unterscheiden, sind Frauen weit weniger zufrieden damit als Männer. Frauen investieren zwar mehr in familiale Beziehungen (sei es als pflegende Partnerin oder Kinder hütende Oma),

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Abb. 5:  Haushaltszusammensetzungen bei über 49-Jährigen (Quelle: BFS, Bundesamt für Statistik, 2000)

und doch sind es sie, die letztlich von der Familie am wenigsten Hilfe erwarten dürfen. Die Wahrscheinlichkeit, in einem Alters- und Pflegeheim ihr Leben zu beenden, ist bei Frauen bedeutsam höher als bei Männern: 75  Prozent der Bewohner von sozialmedizinischen Institutionen sind Frauen (Abb. 6). Die Gefahr der Vereinsamung wird sich in Zukunft vermutlich noch stärker auf die älteren Frauen konzentrieren. Die Zahl der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften steigt, die Scheidungshäufigkeit – insbesondere nach langjährigen Ehen – nimmt zu, die Zahl allein erziehender und kinderloser Frauen steigt dauernd an. Gerade für allein stehende aber auch für kinderlose Frauen sind somit außerfamiliale Netzwerke besonders wichtig, um einer Vereinsamung im Alter vorzubeugen.

Gesundheit und Wohlbefinden im Alter 

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Abb. 6:  Absolute Zahlen und prozentualer Anteil der Personen, die in Kollektivhaushalten leben, nach Alter und Geschlecht (Quelle: BFS, Bundesamt für Statistik, 2000)

Abschließende Folgerungen für Forschung und Praxis Weibliches und männliches Altersschicksal ist zwar in unterschiedlichem Maß biologisch verankert, zu einem großen Teil ist es jedoch soziokulturell begründbar. Auch wenn die biologischen Unterschiedlichkeiten relevant sind, wurden sie doch lange zu stark gewichtet. So wird beispielsweise der Beitrag biologischer Faktoren zur signifikant höheren Lebenserwartung der Frauen lediglich auf etwa ein bis zwei Jahre eingeschätzt. In weit stärkerem Ausmaß wirkt sich jedoch der soziokulturelle Kontext auf Lebenslänge und Gesundheitsbiographien von Frauen und Männern aus. Geschlechtsbedingte Ungleichheiten, die sich im Lebenslauf entwickelt haben, kumulieren im Alter und prägen Unterschiede des Gesundheitsstatus und des Wohlbefindens im Alter. Da die meisten der im Alter häufigen Krankheitsbilder chronisch sind und wesentlich durch soziale Faktoren, Lebensstile und Gesundheitsverhalten beeinflusst werden, besteht ein erhebliches Präventionspotential. In der bisherigen geriatrischen und gerontologischen Forschung und Praxis spielte das Geschlecht, insbesondere das soziale Geschlecht, eine untergeordnete Rolle. Indiziert wäre indes eine geschlechtersensible Zugangsweise, die sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten von Frauen und Männern berücksichtigt und Bezug nimmt auf ihre unterschiedlichen Lebenslagen und spezifischen sozialen Probleme (Gendermainstreaming). Dies bedingt sowohl eine horizontale Gerechtigkeit, d. h. gleiche Behandlung bzw. Leistungen bei glei-

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chen Bedürfnissen von Männern und Frauen, als auch eine vertikale Gerechtigkeit, d. h. unterschiedliche Behandlung bzw. Leistungen bei unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen. Die unterschiedliche Behandlung könnte heißen: a) Bei Frauen: Investment in eine Sozialisation zur vermehrten Selbstwirksamkeit (d. h. Glaube an die eigene Kompetenz, bzw. Überzeugung, dass man in einer bestimmten Situation die angemessene Leistung erbringen kann) und Instrumentalität, kritisches Hinterfragen von äußeren Normen. Netzwerke gegen Einsamkeit, Entlastung bei der Pflege, Demenzprävention sowie Sturzund Frakturprävention. b) Bei Männern: Prävention des ungesunden Lebensstils bereits in früheren Lebensphasen (Artikulierung von Beschwerden, frühzeitige Inanspruchnahme von [ärztlicher] Hilfe, Depressionserfassung bei Männern). Um die komplexen Wechselwirkungen und Verläufe von Gesundheitsbiographien von Frauen und Männer besser zu verstehen, sind zum einen vermehrt inter- und transdisziplinäre, zum andern longitudinale, lebensspannenbezogene Forschungsarbeiten nötig. Ein glückliches, zufriedenes Alter ist primär das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses: Zufriedenheit, Gesundheit und Wohlbefinden im Alter sind biographisch verankert. Es gilt also die Ausgangsbedingungen so zu legen, dass möglichst alle in unserer Gesellschaft eine Chance haben, „erfolgreich“ zu altern. Die gesundheitliche Prophylaxe sollte für alle, unabhängig von Sozialstatus, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit, eine Selbstverständlichkeit werden. Multimorbidität (Mehrfacherkrankung) im Alter lässt sich zwar nicht ausschließen, aber durch ein lebenslanges prophylaktisches Verhalten klar eindämmen.

Bibliographie Backes GM et al. (eds.) (2006) Gender, health and ageing. European perspectives on life course, health issues and social challenges. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Höpflinger F, Hugentobler V (2003) Pflegebedürftigkeit in der Schweiz. Prognosen und Szenarien für das 21. Jahrhundert. Huber Verlag, Bern. Perrig-Chiello P (2005) Frauen im Alter: Vorurteile und Fakten. Freiburger Frauen Studien. Zeitschrift für Interdisziplinäre Frauenforschung 16: 199–219. Perrig-Chiello P (2007) Alter, Gesundheit und Geschlecht. Leading Opinions in Neurologie und Psychiatrie 3: 24–26. Perrig-Chiello P (2008, 3. Aufl.) In der Lebensmitte. Die Entdeckung der mittleren Jahre. NZZ-Verlag libro, Zürich.

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Perrig-Chiello P et al. (1999) Health control beliefs in old age – relationship with subjective and objective health and health behavior. Psychology, Health & Medicine 4.1: 84–94. Perrig-Chiello P, Höpflinger F (Hrsg.) (2003) Gesundheitsbiographien – Variationen und Hintergründe. Huber Verlag, Bern. Perrig-Chiello P, Stähelin HB (1996) Frauen und Gesundheit im Alter. Objektive und subjektive Gesundheit und Gesundheitsverhalten pensionierter Arbeiterinnen und Angestellten. Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie 9.3: 195–205. Rahman O, Strauss J, Gertler P, Ashley D, Fox K (1994) Gender differences in adult health. The Gerontologist 34.4: 463–469. Reddy DM, Fleming R, Adesso VJ (1992) Gender and health. In: Maes S, Leventhal H, Johnston M (eds.) Health psychology, Vol. 1. Wiley, Chichester. Singh GK, Siahpush M (2006) Widening socioeconomic inequalities in US life expectancy, 1980–2000. International Journal of Epidemiology 35: 969–979. Spoerri A et al. (2006) Educational inequalities in life expectancy in the German speaking part of Switzerland between 1990 and 1997. Swiss Medical Weekly 136: 145–148. Thomae H (1983) Alternsstile und Alternsformen. Ein Beitrag zur differentiellen Gerontologie. Huber, Bern.

Bildnachweis Abb. 1; 2: BAG, Bundesamt für Gesundheit (2008) Fokusbericht Gender und Gesundheit. Eidg. Departement des Innern, Bern. BFS, Bundesamt für Statistik. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/ Abb. 3: index/infothek/lexikon/bienvenue___login/blank/zugang_lexikon. Document.118180.xls [Zugriff 11. März 2009]. BFS, Bundesamt für Statistik, Todesstatistiken 2000. Abb. 4: Abb. 5; 6: BFS, Bundesamt für Statistik, 2000.]

Altern und Tod – ein Fehler der Natur oder genetisches Programm? Kurt W. Alt Humans have long been pondering the question of why and how we grow old and how this process is to be prevented or at least slowed. There are numerous theories on the biology of ageing. Increasingly, these focus on genetic models for explanations. Biomedical studies become more and more important in the search for the genetic code that controls the aging process. In spite of the immense research efforts exerted on discovering ways and means of slowing down the advent of old age, the dream of perpetual youth will probably forever remain an illusion. Dealing with the question of the sense and nonsense of man‘s pursuit of immortality leads directly to issues of biological demography. Life and death, reproduction and mortality are determining factors of human existence. Today, we have acquired an unprecedented degree of control over these processes. Massive interventions in the process of ageing would aggravate existing problems and fundamentally change the structures and dynamics of populations and societies on a global scale. From the point of view of evolutionary biology, the wish for a prolonged life-span does not make any sense, even if the aspiration of the individual is quite easily understood. The effects of present-day demographic changes, however, not only require new concepts for future societies but also demand novel reflections on current ascriptions to the third life-age. The paper summarizes the themes of the section „Biology and demography of ageing and old age.“ Der vorliegende Beitrag fasst die Themen der Sektion „Alter(n) aus biologischer und demographischer Sicht“ zusammen und macht deutlich, dass Altern zum Leben gehört, weshalb ewige Jugend und Unsterblichkeit kein erfolgreiches evolutionäres Konzept darstellen. Viel eher scheinen Altern und Sterben durch genetische Programme gesteuert. Altern ist jedoch viel mehr als ein körperlicher Prozess: Es ist auch ein psychologisches, soziales und geistiges Phänomen.

Warum Alternsforschung? Leben und Sterben sind untrennbar miteinander verbunden. Viele Menschen beschäftigen daher neben der Frage nach unserer Herkunft Wer sind wir und wo kommen wir her? auch die Fragen Warum müssen wir sterben? und Was können wir tun, um möglichst lange zu leben? In diesem Artikel, der den schriftlichen Ausführungen der medizinischen, biologischen und demographischen Rede-

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beiträge des Symposiums zu Alter und Altern vorausgeht, werden die Inhalte aller Vorträge kurz thematisiert, da nicht alle in schriftlicher Form für diesen Band zur Verfügung standen. Im ersten Themenblock wird auf das Altern aus biologischer Sicht eingegangen, wobei evolutionsbiologische Erklärungen über das Alter und medizinische Grundlagen der Alterungsprozesse im Vordergrund stehen. Der zweite Themenblock zielt auf die demographische Perspektive, wobei primär Ursachen und Folgen des demographischen Wandels problematisiert werden. Die Frage, warum und wie wir altern und wie dieser Prozess eventuell verhindert oder zumindest verlangsamt werden kann, beschäftigt die Menschheit seit langem. Die Theorien über die Biologie des Alterns sind äußerst vielfältig und fokussieren zunehmend auf Modelle aus der Genetik. Bei der Suche nach dem genetischen Programmcode für das Altern gewinnt die biomedizinische Alternsforschung immer stärker an Bedeutung. Dem Ziel, tiefgreifend in die Alternsprozesse einzuwirken, sie gegebenenfalls zu stoppen oder zu verlangsamen, folgt die Wissenschaft unter gewaltigen Forschungsanstrengungen. Über die demographischen Folgen einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft – wie sie sich erst seit wenigen Jahrzehnten abzeichnet – wird dagegen eher emotional diskutiert. Leben und Sterben, Reproduktion und Mortalität bestimmen das Dasein des Menschen. Die Einflussmöglichkeiten auf diese natürlichen Prozesse haben heute ein nie gekanntes Ausmaß angenommen: Ein massives Eingreifen des Menschen in den natürlichen Alterungsprozess würde die Vielzahl von bereits heute global existierenden Problemen wie Überbevölkerung, Wasserknappheit, Hunger und anderen mehr deutlich verschärfen und die Struktur und Dynamik von Bevölkerungen und Gesellschaften global grundlegend verändern. Evolutionsbiologisch gesehen macht der Wunsch nach Verlängerung des Lebens keinen Sinn: Somit bleibt er eine individuell verständliche Illusion. Die Folgen des demographischen Wandels dagegen erfordern nicht nur neue Konzepte für die Zukunft, sondern in diesem Kontext auch eine Reflexion über die aktuellen gesellschaftlichen Zuschreibungen an das dritte Lebensalter. Zweifellos ist die Frage, was Altern überhaupt bedeutet, die grundsätzlichste, die man sich stellen kann. Und sie ist beileibe nicht einfach zu beantworten, und zwar von keiner Disziplin, die sich eingehender damit beschäftigt. Alter und Altern sind sowohl ein biologisches Faktum als auch ein kulturelles Konstrukt. Über die kulturellen und sozialen Aspekte von Alter und Altern wurde in den ersten Kapiteln dieses Buches bereits ausführlich berichtet. Einerseits wurden dabei auf die Situation der Alten in der Gesellschaft sowie die Ursachen und Folgen für sie selbst eingegangen, andererseits eine Reihe von Fragen aufgegriffen, die sich vor allem mit den Konsequenzen beschäftigen, welche die gestie-

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gene Lebenserwartung auf die Gesellschaft, die Politik, die Renten- und Gesundheitssysteme, die Wirtschaft und viele weitere Bereiche des Lebens hat. Die seit dem frühen 19. Jahrhundert kontinuierlich steigende Lebenserwartung lässt für die Zukunft demographische, medizinische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen erwarten, welche in der Regel sachlich prognostiziert (Vaupel & von Kistowski 2005; Vaupel & Loichinger 2006), im Gesundheitssektor (vgl. Foerch et al. 2008) und im Feuilleton (vgl. Schirrmacher 2004) jedoch dramatisch ausgemalt werden. Der aktuelle Forschungstand zu Alter und Altern ist in dem von Ursula M. Staudinger und Heinz Häfner 2008 herausgegebenen Buch mit dem Titel: „Was ist Alter(n)? – Neue Antworten auf eine scheinbar einfache Frage“ (Staudinger & Häfner 2008) dargestellt. Das Problemfeld Alter und Altern wird hier mit all seinen vielfältigen Aspekten dargelegt. Dabei nehmen Themen wie die kontinuierliche Zunahme der mittleren Lebenserwartung (um etwa drei Monate pro Jahr) seit Beginn des 19. Jahrhunderts und die konträr dazu sinkende Fortpflanzungshäufigkeit bis zur Gefährdung des Generationenvertrags und der Altersversorgung jüngerer Jahrgänge einen wichtigen Platz ein. Von biologischer und medizinischer Seite gibt es heute weltweit unzählige Vorhaben, die alle dem gleichen Zweck dienen, die Mechanismen des Alterns aufzuspüren. In Deutschland greift die öffentliche Hand (Bund, Länder) dafür tief in die Tasche. Die Zielsetzung eines 2009 neu gegründeten Max-PlanckInstituts für Biologie des Alterns besteht darin, sich mit grundlegenden Fragen des natürlichen Alterungsprozesses und seinen Ursachen zu beschäftigen. Dies soll Menschen einmal ein gesundes, längeres Leben ermöglichen. Ob Forschungen dieser Art nun in Köln, Frankfurt oder Mainz stattfinden, und ob dabei Fadenwürmer, Taufliegen, Zellkulturen oder Mäuse untersucht werden, ist letztlich marginal. Entscheidender sind die Fragen, die dabei im Vordergrund stehen: Kann man das Altern beeinflussen? Oder ist wirklich kein Kraut dagegen gewachsen? Und darüber hinaus: Warum altern wir überhaupt? Weshalb haben sich Altern und Tod in der belebten Natur als Prinzipien entwickelt und erhalten? Zweifellos hat das Altern eine genetische Basis. Aber warum altern nicht alle Organismen? Noch sind sich die Wissenschaftler uneinig darüber, was passiert, wenn Organismen altern. Und bis heute fehlt eine universelle Alternstheorie, aber es lassen sich prinzipiell zwei Konzepte in der Alternsforschung unterscheiden (Prinzinger 1996). Bei den stochastischen Alternstheorien, die weitaus die Mehrzahl der ca. 300 heute bekannten Alternstheorien ausmachen, geht man davon aus, dass der Alterungsprozess einen natürlichen Verschleiß darstellt und durch Funktionsverlust gekennzeichnet ist. Überspitzt könnte man formulieren, dass Altern hier als ein Fehler der Evolution aufgefasst wird. Bei den deterministischen Theorien dagegen macht

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man die Gene für das vorzeitige Altern verantwortlich. Altern soll hier über ein aktiv gesteuertes genetisches Programm (Entwicklungsgene) erfolgen (Bork et al. 2010). Aus evolutionsbiologischer Sicht nämlich ist Unsterblichkeit ineffektiv und damit nicht erstrebenswert. Nachdenkenswert ist die Tatsache, dass nicht alle Organismen altern. So sterben einige jung, sobald sie sich fortgepflanzt haben, wozu die Eintagsfliege zählt, und Organismen wie die Krebszellen können sich fortwährend selbst erneuern und ewig leben. Dies gilt auch für die Mittelmeer-Meduse Turritopsos Nutricula, eine Quallenart, deren Zellen im Alter dedifferenzieren, statt zu sterben, sich damit verjüngen und so ewig leben (Carla et al. 2003). Muscheln und Schwämme erreichen immerhin Alter von mehreren hundert Jahren. Schon lange bekannt ist die Tatsache, dass eine kalorienarme Kost das Leben verlängert, allerdings auf Kosten der Fruchtbarkeit, was nicht im Sinne der Evolution sein kann (Grandison et al. 2009). Welche Rolle spielen die Gene bei Alterungsprozessen? Obwohl intensiv darüber geforscht wird, weiß man zumindest beim Menschen noch sehr wenig darüber. Bei der Suche nach genetischen Zusammenhängen bei Hundertjährigen fand sich z. B. ein Zusammenhang zwischen der mtDNA Haplogruppe J und Langlebigkeit (Rose et al. 2001). Nirgendwo weltweit gibt es prozentual gesehen so viele alte Menschen wie auf Okinawa, Japan (Rahn-Huber 2009). Was sind es für Faktoren, die hierfür sorgen? Die Gene erklären nur einen Teil der Altersvariation beim Menschen. Bürger von Okinawa, die auswanderten und einen anderen Lebensstil annahmen, verkürzten damit auch ihre Lebenserwartung. Auf einen kurzen Nenner gebracht, werden die Alten dahingehend charakterisiert, dass sie insgesamt etwas zu wenig essen, aber viele verschiedene Gemüse, Fisch und gesunde Fette, ein Leben lang hart arbeiten und Sport treiben, auf ein Gesundheitssystem zurückgreifen können, das die Vorteile von West und Ost verbindet, und als Alte „verehrt“ werden. Die Alternsforschung führt heute zahlreiche Wissenschaftler aus verschiedensten Disziplinen fächerübergreifend zusammen. Dies bilden die im folgenden kommentierten Redebeiträge ab, die im dritten und letzten Themenbereich des Mainzer Symposiums zu Alter und Altern aus biologisch-medizinischen, entwicklungspsychologischen und demographischen Aspekten der Alter- und Alternsforschung Stellung nahmen.

Biologische und entwicklungspsychologische Alternsforschung Der Molekularbiologe Heinz D. Osiewacz gab in seinem Einführungsreferat zu Alternstheorien zunächst einen Überblick über die wichtigsten biologischen

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Alternstheorien und über die experimentelle Alternsforschung. Grundlegende genetische Mechanismen der Alterung versucht sein Team primär an einfachen, gut charakterisierten Modellorganismen wie dem Pilz Podospora anserina zu untersuchen. Von ihm ist eine Reihe von Mutanten bekannt, die deutlich länger leben als der natürlich vorkommende Wildstamm. Seine Forschungen fokussiert Osiewacz derzeit auf die Rolle der Mitochondrien, jene Kraftwerke der Zelle, deren Dynamik im Alterungsprozess wohl eine entscheidende Rolle zukommt. Ziel ist es, nicht nur Langlebigkeitsgene zu finden, sondern auch die molekularen Pfade aufzuklären, die durch diese Gene gesteuert werden (Hamann et al. 2008; Soerensen et al. 2009). Dass sich die Untersuchungsergebnisse vollständig auf andere biologische Systeme übertragen lassen, wird dabei nicht unbedingt erwartet. Dennoch kann auf die Untersuchung von Modellorganismen nicht verzichtet werden, da die Hoffnung besteht, „dass Ergebnisse von genetisch manipulierbaren Systemen letztendlich auch beim Menschen relevante Mechanismen enthüllen und so gesicherte Grundlagen für gezielte Eingriffe in Alterungsvorgänge liefern“ (Osiewacz 2007). In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Biologie des Alterns (vgl. Arking 2006; Finch 1994) steht die Evolution des Alterns weniger im Mittelpunkt als andere Bereiche (Rose 1991). Die am Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock tätige Annette Baudisch beschäftigt sich mit der These der Unvermeidbarkeit des Alterns, wie dies William D. Hamilton (1966) formuliert hat. Im zweiten Vortrag der Sektion ging sie zunächst darauf ein, wie Evolution in einer Population von Lebewesen Merkmale bzw. Eigenschaften verändert, welche das Überleben und/oder die Fortpflanzung beeinflussen, durch Gene kodiert, bei Fortpflanzung kopiert und an Nachkommen weitergegeben werden. Ebenso können spontane Veränderungen in Genen (Mutationen) Merkmale verändern. Dabei bevorzugt die Selektion diejenigen Genvarianten, die sich positiv auf Überleben und Fortpflanzen auswirken. Altern aber wirkt sich negativ auf Überleben und Fortpflanzung aus. Doch warum altern wir eigentlich? Nach Hamilton (1966) ist Altern universell und unvermeidbar, gleichsam eine unvermeidbare Konsequenz aus dem Sinken des Selektionsdrucks. Nach Baudisch (2008) bestimmt die Balance zwischen Abnutzung und Regeneration bzw. Reparatur den Prozess der Alterung. Dabei gibt es Meister der Regeneration in der Natur (z.  B. Plattwürmer). Doch wie kann das Größenwachstum das Sterberisiko verringern und das Reproduktionspotential erhöhen, wie dies etwa beim Spitzwegerich der Fall ist? Von Annette Baudisch entwickelte Modelle zeigen: Je größer der Organismus wächst, desto geringer ist seine Mortalität, je größer seine Fertilität, desto mehr Ressourcen müssen investiert werden und desto teurer sind die Instandhaltungskosten. Ihre Modellberechungen und Beobachtungen legen nahe, dass einzelne Spezies

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Reproduktions- und Überlebensstrategien entwickelt haben, um dem Alter zu entgehen (Baudisch 2007). Beim Menschen sind es wahrscheinlich kulturelle Leistungen, die dazu geführt haben, dass die Lebenserwartung in den letzten 170 Jahren jährlich um drei Monate zugenommen hat. Es wird vermutet, dass dies mit der industriellen Revolution, dem allgemeinen Anstieg des Lebensstandards, besseren sanitären Einrichtungen, sauberem Trinkwasser, besseren Nahrungsmitteln, mehr Bildung und dem Aufbau der öffentlichen Gesundheitsfürsorge einhergeht. Und derzeit gibt es keine Indizien dafür, dass dieser Anstieg abflacht (Oeppen & Vaupel 2002). Altersbedingte Veränderungen betreffen den gesamten Organismus, wobei einige Organe mehr, andere weniger betroffen scheinen. Deutlichere Auswirkungen zeigen z. B. die Atmungsorgane (die Elastizität der Lunge nimmt ab), der Bewegungsapparat (degenerative Erscheinungen an Knochen, Muskeln und Gelenke (z. B. durch Proteinalterung), das Herz-Kreislaufsystem (Abnahme der Leistungsfähigkeit durch den Umbau des Herzmuskelgewebes und der Arterienwände), das Gehirn, das mit starken individuellen Unterschieden vielfältige organische Veränderungen erfährt, die u. a. von der Bildung, Gehirntraining und der intellektuellen Forderung abhängig sind und das Hormonsystem der Frau (Menopause). Die Folgen des Alterns des menschlichen Gehirns sind vor allem Gedächtnisstörungen, Schwindelgefühle, Verwirrtheit, Schlaganfallneigung, Hirnblutungen und erhöhte neuronale Vulnerabilität. Der Abfall der kognitiven Leistung während der Alterung betrifft den Gedächtnisverlust und die veränderte Aktivierung des präfrontalen Cortex (PFC) und den Hippocampus. Gut erhalten während des normalen Altersprozesses bleibt das Langzeit-Gedächtnis (Lebensgeschichte), welches unbewusste Antworten auf frühere und bekannte Informationen bereithält. Der Neurobiologe Christian Behl ging in seinem Referat über Alternde Nervenzellen und die Alzheimerkrankheit auf die molekularen Mechanismen der Zellalterung ein, erläuterte, wie eine menschliche Nervenzelle 100 Jahre oder älter werden kann und dabei funktionell intakt bleibt und wie sich die grundlegende Biochemie in der alternden Zelle verändert. Im Weiteren beschrieb er den Übergang vom normalen Altern des Gehirns zur Neurodegeneration (Behl 2001). Am Ende seines Vortrags gab er am Beispiel der neurodegenerativen Alzheimer-Demenz Einblick in seine diesbezügliche Forschung. Seine Arbeitsgruppe konnte am Tiermodell zeigen, dass eine experimentelle Erhöhung des Neurohormonspiegels durch CRH (CorticotrophinReleasing Hormone) zur Verbesserung der Lern- und Merkfähigkeit beiträgt, was die Vermutung bestätigt, dass dieses Hormon neuroprotektiv wirken kann. Im vierten Vortrag dieses Themenblocks sprach die Entwicklungspsychologin Ursula M. Staudinger über die Psychologie des Alter(n)s. Als Leiterin des Bremer

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Jacobs Centers on Lifelong Learning and Institutional Development zielen ihre Forschungsinteressen auf die Untersuchung von Reserven und Potentialen lebenslanger Entwicklung (Resilienz, Plastizität), Altern und Produktivität, intergenerationelle Beziehungen, die Entwicklung von Lebenseinsicht, Lebensgestaltung und Weisheit über die Lebensspanne. Ihre Thesen einer Lifespan-Psychologie des Alter(n)s umfassen folgende Inhalte: Das Alter(n) ist jung, Entwicklung und Altern sind lebenslange Prozesse, Alter(n) ist nicht gleich Alter(n), Alter(n) ist beeinflussbar und Altern lässt sich nur systemisch verstehen und beeinflussen (Freund & Staudinger 2008). Mit der Aussage Das Alter ist jung wird der Vorgang beschrieben, dass es erst im letzten Jahrhundert gelungen ist, dass die Menschen in den Industrienationen im Durchschnitt 70 Jahre alt werden. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wurden so viele Menschen alt bzw. sehr alt (Staudinger & Häffner 2008). Daher plädiert U. Staudinger für eine Differenzierung des Alters bei Menschen über 60. Die gestiegene Lebenserwartung hat die Alten zu einer großen Gruppe der Bevölkerung gemacht und zu einer neuen Einteilung des Alters geführt. Unterschieden wird nun zwischen den „jungen Alten“ und „alten Alten“, „Betagten“ und „Hochbetagten“ (Imhof 1992). Entwicklung und Altern sieht Staudinger als Synonyme und begreift sie als lebenslangen Prozess, bei dem es in jedem Alter Gewinne und Verluste gibt und in jeder Phase des Lebens kontinuierliche und diskontinuierliche Prozesse auftreten. Da individuelles Alter nicht gleich Alter ist, zeigen sich große Unterschiede zwischen Personen (interindividuelle Variabilität) einerseits, körperliche wie intellektuelle, und zwischen Funktionsbereichen (intraindividuelle Variabilität) andererseits. Aber Altern ist beeinflussbar, d.  h. die Entwicklung und das Altern sind plastisch, ihre Betrachtung jeweils eine Momentaufnahme. Diese Plastizität braucht Ressourcen, und das Ausmaß und die Grenzen der Plastizität müssen zukünftig stärker erforscht werden (Staudinger & Heidemeier 2009).

Life histories Zu den Schlüsselfaktoren der demographischen Entwicklung gehören Fertilität und Mortalität. Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit könnten deutlicher kaum sein. Über die gesamte Menschheitsentwicklung gesehen erreichten bis zum 19. Jahrhundert jeweils nur wenige Menschen ein vergleichsweise hohes Lebensalter über 60 Jahre. In manchen Gesellschaften der Vergangenheit galt bereits jemand als alt, der ein Alter von 40 Jahren erreicht hatte (von Hees 2009). Der Anteil älterer Menschen ist im Verlauf des 20. Jahrhunderts ständig gestiegen. Dieser Trend setzt sich

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auch im 21. Jahrhundert weiter fort. Nach Karsch (2009) lag der Anteil älteren Menschen weltweit 1950 bei 8 Prozent, 2007 bereits bei 11 Prozent. Für das Jahr 2050 wird er auf 21 Prozent hochgerechnet. So hoch liegt er derzeit bereits in Japan und in vielen EU-Nationen. Es war die längste Zeit der Geschichte ein Privileg, die Kindheit zu überleben, gelang dies, starb man durchschnittlich zwischen 30 und 50 Jahren. Heutzutage sterben die meisten Menschen zwischen 60 und 90  Jahren, in Zukunft vielleicht sogar erst zwischen 80 und 100 Jahren. Bei vergleichender Betrachtung finden wir signifikante Differenzen in den individuellen Entwicklungsverläufen verschiedener Spezies. Geradezu gravierend zeigt sich dies zwischen nicht menschlichen Primaten, etwa Schimpansen, und dem Menschen. Schimpansen bleiben, wie anderen Säugetieren, nach dem Ende der weiblichen Reproduktionsphase nur noch wenige Jahre Lebenszeit. Dagegen lebt der heutige Mensch nahezu doppelt so lange wie Schimpansen. Einschränkend ist hierzu allerdings anzumerken, dass sich dieser Vorteil erst im 20. Jahrhundert im vollen Umfang ausgebildet hat. Entscheidenden Einfluss auf das biologische Alter zu einem beliebigen Zeitpunkt des Lebens und das erreichte Lebensalter eines Menschen nehmen neben der Genetik, die individuelle Lebensführung und das soziale Netzwerk. Dafür gibt es aus der jüngeren Vergangenheit kein besseres Beispiel als die deutsche Wiedervereinigung (RKI 2009). Sie bescherte den Menschen im Osten ein deutlich höheres Lebensalter. Im Vergleich zum Westen dominierten dort vor der Wende hohe Mortalitätsraten bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Infektionen. Ursachen waren Armut, schlechte Ernährung und die medizinische Versorgung in der DDR, die stark auf Kinder und Erwerbstätige ausgerichtet war. Mit der Wende kamen bessere Medikamente, Krankenhäuser und Altenheime, und damit verbesserte sich die Lebensqualität. Altern – wer denkt schon daran, wenn er noch jung ist? Und wer denkt schon gerne daran, wenn er nicht mehr ganz so jung ist? Im Alltag und vor allem in den Medien begegnen uns die Phänomene des Alterns andauernd, und wir nehmen es als selbstverständlich hin. Wir registrieren, dass Menschen um uns älter werden – aber wir selbst? Nein – die meisten von uns wollen möglichst lange jung bleiben und verdrängen häufig ihre Angst vor dem Älterwerden mit Berichten über vitale Hundertjährige oder über Medikamente und Verfahren, die ewige Jugend verheißen. Der Verwirklichung von der ewigen Jugend und einem Leben ohne Falten und Gebrechen, fühlen wir uns heute so nahe wie noch nie. Dieser Traum wird wahrscheinlich eine Illusion bleiben, doch er verändert unsere Sicht auf das Alter ebenso wie die demographische Entwicklung in den Industrienationen. Dies muss zu einer Neuorientierung im Hinblick auf die Gestaltung, Wahrnehmung und Bedeutung des Alters führen

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und bedingt zwingend, dass neue Normen und Praktiken ausgehandelt und erprobt werden. In allen Industrienationen wird eine dramatische Veränderung der Bevölkerungsstruktur beobachtet. Durch die stetige Erhöhung der Lebenserwartung und die gleichzeitige Abnahme der Geburtenrate verschiebt sich das Verhältnis von jungen zu alten Individuen immer mehr hin zu den Älteren (Bertram 2009). Die Erhöhung des Rentenalters hält damit nicht Schritt, im Gegenteil, viele Menschen treten bereits vor dem gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand (Berkel & Börsch-Supan 2003). Ob daraus schwerwiegende Probleme für die bestehenden Sozial- und Gesundheitssysteme erwachsen, wird sehr kontrovers diskutiert (Kühn 2004; Kerschbaumer & Schroeder 2005). Eine Entlastung scheint allein dadurch erreicht werden zu können, wenn es gelingt, das Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Erkrankungen nachhaltig zu verhindern, zumindest zu verzögern und damit eine Verbesserung der Lebensqualität in fortgeschrittenen Lebensabschnitten zu gewährleisten. Entscheidende Voraussetzung zum Erreichen dieser Ziele ist einerseits ein grundlegendes Verständnis der Mechanismen biologischen Alters, zum anderen gilt es, sich aktiv in den Diskurs um das soziale Altern einzumischen. Alter(n) erfährt in hohem Maße eine individuelle Prägung und niemand von uns kann das eigene Schicksal vorhersehen. Notwendig scheint ein lebenslanges Gegensteuern durch eine entsprechende Lebensführung, aber das ist leichter gesagt als getan (Doblhammer et al. 2008). Individuelle Strategien, dem Alter zu begegnen, versagen, wenn der gesellschaftliche, kulturelle oder auch körperlich-geistige Spielraum hierfür nicht gegeben ist.

Demographie in Gegenwart und Vergangenheit Das Grundsatzreferat zum Thema Der demographische Wandel übernahm der Demograph Jürgen Dorbritz, der aus der Perspektive des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung den demographischen Wandel betrachtete. Derzeitige Trends in der Familienbildung sowie der Wandel von Lebens- und Familienformen mit den Schwerpunkten Kinderlosigkeit, Lebenserwartung, Zu- und Abwanderungen und das Altern der Bevölkerung standen dabei im Fokus. Der demographische Wandel hat viele Ursachen (Dobritz et al. 2005). Eine davon ist zweifellos, dass Ehen früher Wirtschaftsgemeinschaften, heute dagegen meist nur noch Lebensabschnittspartnerschaften darstellen. Das Altern der Bevölkerung ist ein essentieller Motor des demographischen Wandels. Der deutliche Rückgang der Bevölkerung in den Industrieländern hat seine Ursachen vor allem in einer niedrigen Geburtenrate und einer hohen und steigenden Lebenserwartung. Nach

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Ansicht der Meinungsmacher aus den Bevölkerungswissenschaften wird dies teilweise dramatische Auswirkungen auf Pflege- und Krankenversicherungen, das Rentensystem und die Wirtschaftsentwicklung haben. Soziale, politische und ökonomische Konsequenzen auf den Wandel von Familien, Lebensformen und privater Lebensführung sind seit langem bekannt. Die Geburtenziffern haben sich auf einem niedrigen Niveau eingependelt, die freiwillige Kinderlosigkeit nimmt zu (Dobritz 2005), die Heiratswilligkeit Lediger hat in den letzten drei Jahrzehnten, je nach Geschlecht, um 20 und mehr Prozentpunkte abgenommen. Die unsichere Lage am Arbeitsmarkt betrifft inzwischen auch unter den Akademikern nicht mehr nur Frauen, sondern auch Männer, die freiwillig auf Kinder verzichten. Der Jugendquotient, d. h. die Anzahl der unter 20-Jährigen je 100 im Alter zwischen 20–64 Jahren, ist von 1950 (50,8 Prozent) bis ins Jahr 2000 (30,0 Prozent) deutlich gesunken, der Altersquotient hat in der gleichen Zeit um über zehn Prozent zugenommen. Ohne Zweifel wird sich die Gesellschaft grundlegend auf eine alternde Bevölkerung einstellen müssen. Von den Fachleuten wird bezweifelt, dass eine verstärkte Zuwanderung und eine flankierende Geburtenpolitik dabei ausgleichend wirken können. Ob die Prognosen tatsächlich eintreffen, wie vermutet, kann nur die Zukunft zeigen. Da sich die gesellschaftlichen Lebensformen und sozialen Strukturen ebenfalls ständig wandeln, werden die Voraussagen eher kürzere Verfallszeiten haben. Vor dem oben geschilderten Hintergrund versucht der zweite Vortrag im Themenblock Demographie über „Gesundheit und Pflegebedarf im Alter: eine europäische Perspektive“ eine Standortbestimmung. Nach Gabriele DoblhammerReiter vom Rostocker Zentrum für Empirische Sozialforschung und Demographie leben die Menschen länger und sie leben länger bei Gesundheit. Im Umkehrschluss wird man nicht wirklich alt, wenn man krank ist, sondern stirbt bereits vorher. Die gesunde Lebenserwartung (gesund im Alter) weist nach oben, aber sie verlangt körperliche und geistige Beweglichkeit. So gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten, dass vieles, was Menschen als körperlichen Alterungsprozess begreifen, lediglich Ausdruck einer passiveren Lebensweise im Alter ist. Mit der Zunahme der Inaktivität schwindet jedoch nach und nach die Bewegungsfähigkeit. Diese Zusammenhänge sind gut bekannt, und hier besteht dringender Handlungsbedarf, möglichst früh auf die Bevölkerung einzuwirken, durch aktiv gestaltetes Leben und lebenslange Prävention möglichst lange gesund zu bleiben (Doblhammer-Reiter et al. 2008). Dennoch wird mit der absoluten Zunahme der Lebenserwartung auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigen. Hier stehen drei Erklärungsansätze „of population health changes“ im Fokus: (1) die Hypothese von der Expansion von Morbidität, die auf einem Sinken der Sterblichkeit bei den Ältesten, einer Verminderung der Fatalitätsrate chronischer Krankheiten und einem Anstieg der Prävalenzen

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von Behinderung und Morbidität basiert (Olshansky et al. 1991), (2) die Hypothese von der Kompression von Morbidität, die besagt, dass die Lebenserwartung eine natürliche Grenze hat und eine Verschiebung der Morbidität in höhere Alter stattfindet (Fries 1980) und (3) die Dynamische Gleichgewichts-Hypothese, nach der Verschiebungen von schwerer zu leichter Behinderung und eine Reduktion schwerer Behinderung bei gleichzeitigem Anstieg chronischer Erkrankungen stattfinden wird (Manton 1982). Nach kritischer Durchsicht der nationalen und internationalen Daten prognostiziert die Vortragende den Pflegebedarf der Zukunft dahingehend, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen auch bei einer Verbesserung des Gesundheitszustandes ansteigen wird, sich die Familienstruktur der zukünftigen Alten jedoch positiv auf mögliche familiären Ressourcen der Pflege bis zum Jahre 2030 auswirken kann (Doblhammer et al. 2006). Sicher wird man hier auch neue Beziehungs- und Wohnformen (WG) bzw. nicht verwandtschaftsbasierte Lebensformen mit berücksichtigen müssen. Mit dem Blick in die Vergangenheit eröffnet sich die Möglichkeit eines Vergleichs mit der Gegenwart. Unter dem Titel „Demographisches Altern in der Geschichte: Daten, Konzepte, Ideologien“ referierte der Historiker Josef Ehmer im nächsten Vortrag über die Historische Demographie und die Bevölkerungsgeschichte Europas. Ausgehend von Altersbildern, Altersstereotypen und Altersdiskursen in der Geschichte zeigte er auf, dass Altersstrukturen in der Geschichte einerseits großen Schwankungen unterlagen, andererseits aber erstaunliche Kontinuitäten aufweisen (Ehmer 2004). Verschiebungen in der Altersstruktur, die Zu- oder Abnahme des Anteils der Älteren sowie die Erweiterung der menschlichen Lebensspanne zu unterschiedlichen Zeiten der Geschichte erschweren allerdings den Umgang mit dem Begriff des „demographischen Alterns“. Der demographische Aufbau von Bevölkerungen stützt sich primär auf drei Faktoren: Mortalität, Fertilität sowie Zu- und Abgänge. Sterblichkeit und Mobilität wirken sich nun häufig dahingehend aus, dass davon bestimmte Altersgruppen betroffen sind, wodurch die demographischen Daten eine Schieflage bekommen. Im Bereich der Mobilität respektive Migration (Auswanderung) sind häufig ausschließlich Jugendliche und junge Erwachsene (Steidl et al. 2008) betroffen, bei den Todesfällen aufgrund von Seuchen wie z. B. der Pest einmal eher die jüngeren, ein anderes Mal eher die älteren Bewohner einer betroffenen Region (Herlihy & Klapisch-Zuber 1985). Geradezu erstaunlich mutet es an, dass das Altern erst Ende des 19.  Jahrhunderts über die Bedeutung für den Einzelnen hinaus auf ganze Bevölkerungen angewandt wird. Erklärt wird dies im Zusammenhang mit politischen, rassistischen und wirtschaftlichen Erwägungen in jener Zeit (Ehmer & Höffe 2008). Hohes Alter ist nach Luh (2004, 303) ein soziokulturelles Konstrukt, das in der jeweiligen

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Gesellschaft geprägt wird, historisch entsteht und sich historisch verändert. Dieser Sachverhalt betrifft den zahlenmäßigen Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung, ihre Lebensbedingungen und schließlich die Antwort auf die Frage, wer überhaupt als „alt“ gilt. In vergleichender Perspektive scheinen die Altersstrukturen in der Geschichte von Variation und Wandel geprägt, wobei allein die Gegenwart ausschert. Natürlich hat es auch in der Antike und im Mittelalter Menschen gegeben, die ein hohes Individualalter erreichten. Dies war von vielen Faktoren abhängig, eine entscheidende Rolle spielte hierbei sicher auch die persönliche Lebensführung. Auf die durchschnittliche Lebenserwartung hatten diese „Ausnahmen“ keine Auswirkung, der Anteil der Alten über 60 Jahre in der Bevölkerung lag mit wenigen Prozentpunkten (Borscheid 1989) erheblich unter den Werten von etwa 25 Prozent für das Jahr 2001 (Sommer 2003). Für die momentane Altersentwicklung gibt es jedenfalls keine Parallelen in der Geschichte, folglich kann niemand vorhersagen, wohin die Entwicklung führen wird (Vaupel 2004). Um ein vielfaches schwieriger als in der Historischen Demographie stellt sich die Situation in der Paläodemographie dar. Im letzten Vortrag des Themenblocks Demographie unternimmt Jesper Boldsen, Odense (Dänemark), den Versuch einer Rekonstruktion prähistorischer demographischer Evolution in Europa. Quellen seiner Studien zum Thema „Reaching old age among subsistence farmers – reflections on 10000 years of demografic evolution in Europe“ waren Datenbanken von Skelettserien aus Nord- und Mitteleuropa vom Mesolithikum bis ins Mittelalter (ca.  10000  Jahre). Berechnungsgrundlage seiner Sterblichkeitsverhältnisse ist ein Risikomodell, das auf drei Sterblichkeitskomponenten basiert: Kindersterblichkeit, altersunabhängige Sterblichkeit und Alterssterblichkeit (Siler 1983). In modernen westlichen Gemeinschaften wird die Mortalität allein von der Alterssterblichkeit bestimmt, in ärmeren Ländern der Gegenwart sowohl durch die Alterssterblichkeit als auch die Kindersterblichkeit. Demgegenüber soll in allein paläodemographisch zu erschließenden Gesellschaften eine altersunabhängige Sterblichkeit vorherrschen. Endemische, d. h. andauernd auftretende Krankheiten (z. B. Infektionen) stellen für Jesper Boldsen für die längste Zeit der Geschichte die wichtigste Todesursache dar (Paine & Boldsen 2002, 2006). Sie beeinflussen vor allem die Kindersterblichkeit, während die opportunistischen Infektionen (Bakterien, Viren, Pilze nutzen ein schwächer werdendes Immunsystem) meist die Alterssterblichkeit betreffen. Eine altersunabhängige Sterblichkeit schließlich sei nur bei sporadisch auftretenden Epidemien zu beobachten. Nach Auswertung der oben genannten paläodemographischen Daten kommt Boldsen zu dem Schluss, dass das Mortalitätsprofil und damit das Sterberisiko in prähistorischen Gemeinschaften fast über die gesamte

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Lebensspanne von altersunabhängigen Komponenten dominiert wird (Paine & Boldsen 2006). Nur etwa zehn Prozent der Menschen sollen überhaupt ein hohes Alter (>  60  Jahre) erreicht haben. Danach unterlagen sie der Alterssterblichkeit. Aus demographischer Sicht mussten daher nur wenige alte Menschen gepflegt werden. Die Lebenserwartung (e0) und die Gesamtmortalitätsrate (TMR  =  1/e0) bemessen den Effekt, den Infektionskrankheiten auf die Sterblichkeit (stationärer Bevölkerungen) in der Vergangenheit hatten. Es ist (relativ) einfach, die erste und die dritte Sterblichkeitskomponente direkt aus den verzeichneten Altersstrukturen einer paläodemographischen Stichprobe zu berechnen. Der Quotient der Sterberate (die Mortalitätsrate für das Alter von 5–18, dividiert durch die Mortalitätsrate des Alters von 2–4 Jahren) korreliert stark mit der zweiten, altersunabhängigen Sterblichkeitskomponente. Die Entwicklung der altersunabhängigen Sterblichkeit soll ihren höchsten Anstieg in der Bronze- und Eisenzeit haben. Boldsen führt dies auf die bäuerliche Lebensweise zurück und betrachtet die Rate der „neu“ auftretenden infektiösen Erkrankungen (d) als Funktion der Größe der Population (p), der Abhängigkeit des Menschen von der umgebenden Natur (i) und der Komplexität der Umwelt (c). Die bäuerliche Lebensweise etabliert sich allerdings mehr als 3000  Jahre vor Beginn der Frühbronzezeit in Mitteleuropa, sodass der Zeitfaktor kaum eine Rolle gespielt haben dürfte. Boldsen und Paine (1995) gehen davon aus, das sich die demographische Struktur prähistorischer Bevölkerungen beim Übergang zur bäuerlichen Lebensweise im Neolithikum entscheidend geändert hat. Dass die Etablierung von Sesshaftigkeit und der produzierenden Wirtschaftsweise mit einem raschen Populationswachstum einherging, steht außer Frage (Bocquet-Appel & BarYosef 2008). Was aber waren die evolutionären Konsequenzen aus der Neolithisierung? Die Autoren vermuten als Ursache für das Auftreten hoher, altersunabhängiger Mortalitätskomponenten sporadisch auftretende Epidemien durch virale Infektionen. Individuen mit einer guten genetischen „Ausstattung“ konnten diesen Infektionen standhalten und hatten eine höhere Überlebenschance. Frauen, die sich bereits im jungen Alter fortpflanzen, hätten mit größerer Wahrscheinlichkeit mehr (überlebende) Kinder. Vor der Neolithisierung lag das mittlere Sterbealter der Frauen höher als bei den Männern, nach der Neolithisierung ist es genau umgekehrt. Der Umschwung wird durch die gestiegene Fertilität der Frauen bzw. durch die dadurch erhöhte Sterblichkeit im Kindbett erklärt (vgl. Eshed et al. 2003). Zuletzt wird die Frage gestellt, welche Gene diesen Prozess gesteuert haben könnten. Die Autoren sehen dafür zwei Arten von Genen verantwortlich: einerseits Immunitätsgene, welche in der Interaktion von (viralen) Infektionen beim

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Menschen in der Abwehr eine Rolle spielen und andererseits sog. „life history genes“, welche eine frühe Reproduktion unterstützen (Ellison 2001). Betrachten wir die Kehrseite der Medaille, so sehen wir, dass die Immunabwehr beim Einsatz von Antikörpern gegen Eindringlinge zwar sehr erfolgreich ist, allerdings aber auch stärkste Allergien bis zu Autoimmunerkrankungen hervorrufen kann. „Life history genes“ wiederum stehen für unterschiedliche Reproduktionsstrategien in der Populationsdynamik. Hierbei wird entweder nach Quantität (r-Strategien) oder nach Qualität (k-Strategien) unterschieden (Wittig & Streit 2004). R-Strategien orientieren sich an der Wachstumsrate einer Population und ergeben sich aus der Differenz von Geburten- und Sterberate. Sie sind charakterisiert durch eine rasche Individualentwicklung (verkürzte Kindheit), ein jüngeres Alter bei der Menarche und eine höhere Vermehrungsrate, was insgesamt eine kürzere Lebenszeit und ein geringeres Potential für Langlebigkeit beinhaltet. Ethnographische Studien zu rezenten Jäger- und Sammler-Populationen verweisen auf differenzierte Sterblichkeitsverhältnisse im Vergleich zu modernen Gesellschaften, hervorgerufen durch ihre mobile Lebensweise sowie intensive Interaktionen mit der Umwelt (Hill & Hurtado 1996). Daraus resultiert ein spezifisches, durch die Lebensart bestimmtes Immunprofil (Hurtado et al. 2003). Erhebliche Abweichungen zeigen sich auch in der Ernährungsweise, wo proteinund fettreiche Nahrungsmittel dominieren und nur wenig Kohlenhydrate und Salz konsumiert werden, dafür eine sehr faserreiche Kost (Eaton & Konner 1985; Cordain et al. 2000). Positiven Einfluss auf die Gesundheit nimmt auch lebenslanges Arbeiten, ein geringe Exposition gegenüber toxischen Stoffen, Hormonen und Chemikalien. Frauen in traditionellen Jäger-Sammler-Populationen besitzen daher ein deutlich anderes Hormonprofil über ihre gesamte Lebensspanne, wobei eine höhere Anzahl an Schwangerschaften und lange Laktationsperioden die Entstehung von Tumoren der Reproduktionsorgane positiv beeinflussen soll (Eaton et al. 1988, 1994). Zusammen genommen führen diese Faktoren zu einem anderen Sterblichkeitsprofil als es in modernen Gesellschaften, aber auch in früheren bäuerlichen Gemeinschaften beobachtet wird. „Because of this, it is critical that we document mortality rates in as many hunter-gatherer societies as possible before these groups cease to exist. This will allow us to seek out patterns common to foraging societies and assess the range of variation in mortality among these groups in order to determine the impact of factors specific to certain world regions, ecozones, or cultural practices“ (Hill et al. 2007: 444).

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Ausblick Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass wir – wie fast alle Lebewesen – altern, aber dass die Menschen in den letzten zweihundert Jahren ihre absolute Lebenszeit durchschnittlich nahezu verdoppelt haben. Altern ist damit eine Errungenschaft der modernen Zivilisation und für diejenigen Menschen, die es – nun immer häufiger gesund – erleben dürfen, ist es auch ein enormes Geschenk. Es liegt nahe, zwischen der wachsender menschlichen Kulturleistung und der zunehmenden Langlebigkeit einen Zusammenhang zu vermuten (Schmidt et al. 1994). Dabei sei allerdings nicht vergessen, dass der biologische Quantensprung durch den demographischen Wandel natürlich seinen Preis hat. Mit dem Anstieg der Lebenserwartung ist zumindest in den Industriestaaten gleichzeitig die Fertilität stark zurückgegangen, mit der Folge, dass unsere Gesellschaft zu überaltern scheint. Folgen für die Sozial- und Rentensysteme werden befürchtet, sind jedoch noch nicht voll abzusehen. Mit dem steigenden Alter vergrößert sich weiterhin das Risiko von Alterserkrankungen. Die insgesamt bessere Gesundheitslage hat lediglich den Zeitpunkt des Auftretens typischer Alterskrankheiten nach hinten verschoben. Oder es gelingt den Menschen, ein gewisses Maß an Steuerbarkeit zu finden, das uns einerseits ein längeres, gesundes Leben ermöglicht und gleichzeitig das Risiko minimiert, am Ende des Lebens umso häufiger und umfassender krank und pflegebedürftig zu werden. Bewertet man Aussagen über das Altern aus der Gesellschaft, so überwiegen bei weitem negative Sichtweisen. So sehr für den einzelnen – vor allem bei guter Gesundheit – die Vorteile überwiegen, so negativ werden die gesellschaftlichen Folgen (Belastung des Rentensystems, Pflegeversicherung u. a.) eingeschätzt. Damit mutieren Alter und Altern zu einer buchhalterischen Größe, werden die älteren Menschen in unserer Gesellschaft auf Effekte von Kosten und Nutzen reduziert. Hier scheint ein grundsätzliches Umdenken angebracht, das alle Bereiche des Lebens umfasst und einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterliegt: Alter(n) anders zu denken, ist eine Herausforderung, der wir uns stellen sollten. Kommen wir auf den Titel meines Beitrags zurück. Altern und Tod – ein Fehler der Natur oder genetisches Programm? Zwar fehlt bis heute eine universelle Theorie des Alterns, aber es erscheint wenig sinnvoll, Altern und Tod als Fehlsteuerungen der Natur zu begreifen (Prinzinger 2005). Altern gehört zum Leben, weshalb ewige Jugend und Unsterblichkeit kein erfolgreiches Konzept der Evolution darstellen. Viel eher scheint es so zu sein, dass Altern und Sterben evolutiv „gewollt“ und durch genetische Programme gesteuert werden (Prinzinger 2007; Behl und Hartl 2007). Doch wie funktioniert dann die Uhr, die den Ablauf des Alterns steuert? Für eine Energieabhängigkeit der

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Lebensdauer spricht, dass eine Reduzierung des Stoffwechsels die Lebenszeit bei vielen Arten verlängert; eine Beziehung, die schon lange bekannt ist. Verantwortlich dafür soll ein regulatives Netzwerk von Genen sein, das hier steuernd eingreift. Doch Altern ist mehr als ein körperlicher Prozess: Es ist auch ein psychologisches, soziales und geistiges Phänomen (Baltes 2007).

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The Basis of Biological Aging: Theories, Models and Mechanisms Heinz D. Osiewacz and Christian Q. Scheckhuber Biological aging is characterized by the time-dependent progressive decline in physiological functions and an increase in morbidity and mortality. It is governed by genetic, environmental and stochastic processes. More than 300 theories deal with this complex process. Yet not a single one is able to explain aging in any system sufficiently, regardless of whether looking to simple unicellular systems like yeast or to highly complex multicellular systems like humans. In the past about 30 years of extensive research it became clear that a large number of individual components constitute a large interconnected network of molecular pathways involved in the control of aging processes and lifespan. Future research will be devoted to unravel this network to obtain a holistic view via systems biology approaches. Understanding this complex network will certainly be very important for the development of efficient strategies to intervene into the aging process and offer the opportunity to reduce the frequency of the various age-related diseases which today significantly impair the quality of life in the elderly. Owing to the foreseen changes in demography in the industrialized countries interventions leading to ‘healthy ageing’ will become more and more important.

Introduction Aging of biological systems is characterized by the time-dependent progressive decline of physiological functions (e.g., organ systems) and an increase in morbidity and mortality. Already today social security and health insurance systems face severe problems. With the ongoing increase of the elderly in the industrialized countries these problems are growing. To overcome the problems requires integrated approaches: clear and efficient political decisions (e.g., restructuring social and health insurance systems) combined with substantial scientific advances to understand the basis of biological aging and to use this knowledge to intervene into the process of aging. In the early days of aging research it was thought that few basic pathways control aging and lifespan of organisms. Today it is clear that aging is controlled by a complex network of molecular pathways and interactions. To unravel this network and to obtain a holistic view of biological aging requires collaborative research from different disciplines (e.g., biology, chemistry, medicine, bioinfor-

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matics). This chapter deals with some general description of strategies and approaches and examples from detailed investigations in our laboratory aimed at understanding the basis of aging towards the elucidation of what has been noted an ‘unsolved problem’.

Aging theories More than 300 theories have been put forward to explain the basis of biological aging (Medvedev 1990: 375). These theories approach the problem from different angles (Tab. 1). Evolutionary theories deal with the question how biological systems age. They understand that aging is the result of a long evolution of life on our planet and deal with basic questions like the restricted availability of resources. One of these theories, the ‘disposable soma theory’ (Kirkwood 1977: 301), stresses that organisms are prone to various types of damage but are able to cope with these problems via a number of mechanisms involved in keeping the systems functional. Among others, pathways scavenging toxic components, repairing or degrading damaged molecules and replacing them by functional ones, or even leading to death of severely damaged cells for the sake of the remaining less severely damaged and functional cells in a multicellular organism. However, a central point of the disposable soma theory is that these systems are efficient only during the period of time in which the organism is in the reproductive phase. After this period, maintenance functions decline and the organism, at this time basically existing of ‘somatic’, non-reproducing cells are ‘disposable’. The second group of theories deals with the question ‘how do biological systems age’. These theories try to unravel the molecular mechanisms that govern aging and lifespan control. The various theories in this group can be divided into two subgroups. The ‘stochastic theories’ understand aging as a random accumulation of damaging effects. As first put forward by Denham Harman more than 50  years ago and subsequently refined (Harman 1956: 298; Harman 1992: 1; Harman 1998: 1) aggressive molecules, mainly derived as by-products from energy metabolism, originally termed ‘free radicals’ and now, in order to include active molecules that do not fall into this group of chemical molecules but still are effective, ‘reactive oxygen species’ (ROS), accumulate during aging leading to damage of biomolecules like nucleic acids, proteins and lipids. This damage results in a so-called ‘vicious cycle’ leading to the increased production of ROS followed by molecular damage. The ‘mutation’ theory (Szilard 1959: 30) stresses the importance of damaging the genetic material which then results in the production of gene products with impaired functions. Another theory

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explains aging as result of damage of some specific cellular components (e.g., components involved in protein biosynthesis) leading to the accumulation of damage and a ‘cellular catastrophy’ (Orgel 1963: 517). The ‘deterministic theories’ explain aging as a build-in program. For example, the ‘metabolic theory’ (Rubner 1908) states that different organisms are provided with a certain amount of energy they can use during their lifetime. Those using it fast (high metabolic rate) live shorter, those using it at a lower rate (low metabolic rate) live longer (Rubner 1908). The ‘cell division theory’ put forward by Leonard Hayflick (Hayflick 1965: 614) is based on the limited times isolated cells can divide in cell cultures. Cells from young donors are able to perform more divisions than those from old donors. It is clear that these different theories bear all some important considerations and are in many cases linked to each other (e.g., ‘free radicals’ as cause of mutations) but it is also undisputed that today not a single theory can explain the aging process sufficiently. Much more work is required to elaborate such a holistic view.

Model systems In order to unravel the basis of biological aging, in particular the involved mechanisms, aging research follows different strategies. On the one hand, if specific focus is put on human aging, approaches are very often dealing with the identification of differences found in specific cohorts of humans. For examples, different research programs are dealing with the comparative analysis of humans which have reached very old age (e.g., centenarians, a group of 100+ years old) to those of ‘normal’, lower age. One current very important issue is to identify robust markers of senescence (e.g., in blood samples) and to discriminate between the calendar and the biological age of a given individual. Such knowledge will clearly provide important clues for future health care and social systems. Being interested in basic mechanisms of aging, in addition to extract clues from correlative data from work on humans, different types of model systems are investigated. These systems are either whole organisms or cell cultures derived from humans and other species. An important criterion to investigate these systems is that they are tractable to experimentation in a way that, also for ethical reasons, is not possible in humans. In many of these systems experimental manipulation can be evaluated in respect to their significance for aging and lifespan, because naturally these organisms are short-lived, with a typical lifespan of a few days to a few months. Currently the most intensively studied

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model systems are different types of mammalian cell cultures, the single cellular fungus Saccharomyces cerevisiae (baker’s yeast), the filamentous fungus Podospora anserina, the nematode Caenorhabditis elegans, the fruit-fly Drosophila melanogaster, rodents (e.g., mice, rats), and monkeys. One rationale behind this kind of work is that comparing pathways and mechanisms valid in one system most likely will lead to the identification of very basic pathways involved in aging, pathways which have been conserved during the evolution of life on our planet. Such mechanisms, in addition to other non-conserved pathways, may then also play a fundamental role in human aging.

Genetics of aging From intuitive considerations it is clear that there exists a genetic basis of aging and lifespan control. One argument is that, although there are individual differences in age, these differences are restricted to a particular range. For instance, the offspring derived from mice (Mus musculus) breeding will typically become not older than about four years, that is the maximum lifespan of this species. This holds true for other species too. Maximum lifespan of humans is thought to be 120–130 years, while those of certain trees (e.g., Sequoia gigantea) reach about 4000 years. On the other hand, from the various model organisms we know that single mutations may lead to tremendous lifespan extensions but also decreases. In humans one well studied type of premature aging resulting in a reduction of lifespan to about 45–50 years is termed Progeria adultorum or ‘Werner’s syndrome’ (Yu et al. 1996: 258). It is the result of a single point mutation in a gene involved in DNA metabolism. Investigations of the changes in molecular pathways resulting from lifespan mutations were very fruitful in the last two decades of research. However, it is also clear that, given a specific genetic constitution, the environment, lifestyle but also random (stochastic) factors influence the aging process.

Role of mitochondria in conserved mechanisms of aging One of the most fundamental issues any biological system has to deal with is the transduction and use of energy. As heterotrophic organisms, all animals are dependent on energy rich compounds (e.g., carbohydrates) which are metabolized to form adenosine triphosphate (ATP), the commonly used cellular currency unit. While some ATP originates from pathways in the cytoplasm, in aerobic organisms most is generated in mitochondria (Fig. 1, Tafelteil). These

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organelles house an electron transport chain at their inner membrane at which electrons are transported and finally transferred to oxygen (Fig. 1). In addition protons are transported across the inner membrane resulting in the generation of an electrochemical gradient. This gradient is used at complex V to generate ATP. If four electrons are transferred at once at complex IV water is generated. However, occasionally transfer of a single electron at complexes I and III leads to the generation of the superoxide anion radical (Fig. 1). This reactive oxygen species can be metabolized to hydrogen peroxide and, in the presence of copper(I) or iron(II) the highly reactive and damaging hydroxyl radical is formed which efficiently reacts with molecules in the neighborhood leading to molecular damage (Fig. 1).

Impact of mitochondrial functions on lifespan control and aging in the fungal aging model Podospora anserina The following part of this chapter reports some research on the fungal aging model Podospora anserina to illustrate how aging research in model organisms is performed to elucidate parts of the network governing aging of organisms and lifespan. The filamentous ascomycete P. anserina has been thoroughly studied as a model system to unravel the network of pathways controlling aging at the organism level (Osiewacz 2002a: 755; Osiewacz 2002b: 425; Osiewacz 2002c: 65; Osiewacz/Scheckhuber 2006: 1350; Scheckhuber/Osiewacz 2008: 365). While most other filamentous fungi are immortal if continuously supplied by nutrients, all P. anserina wild type isolates investigated so far display a strictly limited lifespan (Rizet 1953: 838). Senescent isolates show several obvious phenotypic changes, collectively referred to as the ’senescence syndrome’. Among these are macroscopic alterations which can be conveniently examined like decreasing growth rate, loss of fertility and increasing pigmentation of the senescing mycelium (Esser 1974: 531). Microscopically, peripheral hyphae of senescent strains branch abnormally, appear swollen and frequently burst which results in the release of cellular contents (Delay 1963: 4721; Esser/Tudzynski 1977: 454). Eventually, growth of the culture ceases completely and the mycelium dies. Since the beginning of aging research on P. anserina a clear mitochondrial etiology of aging has been uncovered in this aging model. In the beginning of the 1960s, it was shown that P. anserina aging is influenced by cytoplasmic factors which latter were identified to be mitochondria. If juvenile mycelia were fertilized by male gametes (spermatia) from a senescent isolate, fruiting bodies (perithecia), contained exclusively meiotic offspring (as-

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cospores) which had a normal strain-specific lifespan (Marcou 1961: 653). However, if old cultures were fertilized by spermatia from a juvenile isolate, many of the mycelia germinated from ascospores displayed a reduced lifespan. This study showed that aging of P. anserina can be maternally inherited and pointed to mitochondria as being relevant factors in this process (Marcou 1961: 653). Early works utilizing transmission electron microscopy (TEM) showed remarkable changes of mitochondrial ultrastructure (Delay 1963: 4721). Inner membrane invaginations, termed cristae, were much smaller and less numerous in old P. anserina mycelia than in juvenile ones. Latter studies conducted on mitochondria from other species unravelled a crucial importance of these cristae membranes for mitochondrial function, because they contain most of the respiratory chain complexes needed for cellular respiration. In the 1970s, physiological investigations employing media supplemented with various inhibitors of metabolic function further acknowledged the hypothesis that mitochondrial functions affect the lifespan of cultures (Tudzynski/ Esser 1977: 111). Among these inhibitors kanamycin, neomycin, puromycin, streptomycin and tiamulin which impair the translation of mitochondrial mRNAs were reported to be effective in increasing the mean lifespan (Esser/ Tudzynski 1977: 454). Moreover, inhibitors of the respiratory chain like mucidin and KCN and mutagenic substances that target mtDNA like acridine, acriflavine and ethidium bromide exhibit similar effects (Tudzynski/Esser 1979: 71). In the past decades, several P. anserina mutants have been identified which bear mutations compromising the molecular composition of the mitochondrial respiratory chain (Tab. 2). In contrast to most obligate aerobic organisms, impairment of cytochrome-c oxidase (COX)-dependent electron transport is not lethal to P. anserina because this fungus contains in addition to COX a cyanideresistant alternative oxidase (AOX). AOX is not only found in many fungal species but also in plants and several unicellular organisms. Among the mutants utilizing AOX-dependant respiration are grisea (Prillinger/Esser 1977: 333), PaCox17::ble (Stumpferl et al. 2004: 200), PaCox5::ble (Dufour et al. 2000: 4138) and ex1 (Kück et al. 1985: 373). Mutants grisea and PaCox17::ble are impaired in metallation of COX due to overall decreased cellular copper levels (grisea) (Prillinger/Esser 1977: 333) and deletion the gene encoding the chaperone PaCOX17 delivering copper to COX (PaCox17::ble) (Stumpferl et al. 2004: 200), respectively. By contrast, structural genes for building complete COX complexes are missing in mutants PaCox5::ble and ex1. Many long-lived P. anserina mutants have been described which rely on a terminal oxidation via AOX (Tab. 2). Respiration via the alternative pathway was shown to result in lowered formation of reactive oxygen species (ROS) compared to the standard

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COX dependent respiration (Maxwell et al. 1999: 8271; Dufour et al. 2000: 4138). The disadvantage of AOX-dependant respiration is that two of three proton translocation sites in the respiratory chain are by-passed leading to lowered energy transduction and thus less ATP is generated. This is manifested by various physiological defects like reduced growth rates and fertility in longlived AOX-respiring P. anserina mutants (Prillinger/Esser 1977: 333; Schulte et al. 1988: 342; Dufour et al. 2000: 4138; Stumpferl et al. 2004: 200). Most of the long-lived P. anserina mutants created and investigated in the early phase of research are characterized by impairments in vital functions. However, recent studies revealed that manipulation of molecular pathways like mitochondrial dynamics regulation can lead to the generation of healthy longevity strains (Scheckhuber et al. 2007: 99). One example is the PaDnm1::ble mutant in which a gene encoding a mitochondrial division protein has been deleted. The delayed fragmentation of mitochondria in this mutant which systematically occurs in senescent isolates of the wild-type is suggested to lead to a pronounced increase of the mean lifespan occurs in addition to other factors like decreased production of ROS (Scheckhuber et al. 2007: 99). After ascospore germination, meiotic offspring of PaDnm1::ble display no physiological defects and appear healthy. Mitochondrial dynamics regulation might also link aging in P. anserina to apoptotic processes. A basic apoptosis machinery has recently been identified in this fungus (Hamann et al. 2007: 948; Hamann et al. 2008: 276). In senescent isolates an induction of so-called metacaspases occurs (Hamann et al. 2007: 948). Deletion of the corresponding genes, PaMca1 and PaMca2, respectively, leads to lifespan increase and lowered sensitivity against hydrogen peroxide supplementation in the growth medium (Hamann et al. 2007: 948). The elucidation of further regulatory pathways regarding mitochondrial dynamics and apoptosis will certainly reveal many new aspects of aging-relevant mechanisms.

Role of mitochondria in other systems – conclusions and outlook Several pathways affecting mitochondrial function like stability of mitochondrial DNA, production and scavenging of ROS and signalling function in apoptosis induction and progression are conserved among different species. However, the role of mechanisms involved in the control of the physiology of these organelles and their integration into the highly complex molecular network of pathways affecting lifespan and aging is currently more and more developing. Research on rather simple model systems like the filamentous fungus P. anserina can be expected to provide important novel results which are

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most likely significant for understanding conserved mechanisms of aging in higher model systems. Many of these regulatory networks remain to be carefully elucidated. The results of this work promise to be the fundamental basis to develop efficient interventions into the aging process with the final goal towards reducing the age-related disabilities and diseases which currently are a heavy burden for the elderly.

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Evolutionary theories: Why do biological systems age?  

Evolutionary theory Antagonistic pleiotropy theory Disposable soma theory

Ageing is a by-product of natural selection. Pleiotropic genes lead to favorable effects on fitness at young ages and deleterious effects at old age. Compromise in allocating energy to repair functions causes the organism to gradually deteriorate with age.

Medawar, 1952

 

Mechanistic theories: How do biological systems age?

 

Mutation theory Error catastrophe theory

Stochastic theories Ageing is due to deleterious effects of free radicals produced as metabolic by-products. Age-related accumulation of mutations randomly inactivates genes. Accumulation of error-containing enzymes due to inaccuracies of the protein synthesizing machinery

Metabolic theory

Deterministic theories Duration of life and rate of metabolism are inversely related.

Free radical theory

Williams, 1957 Kirkwood, 1977

Harman, 1956 Szilard, 1959 Orgel, 1963

Rubner, 1908

Rate-of-living theory Life span is a function of metabolic rate.

Pearl, 1928

Hayflick limit theory Cells are not capable to divide infinitively.

Hayflick, 1965

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Tab. 2: P. anserina mutants affected in respiratory chain activity. BMM (cornmeal agar) is a complex medium while M2 is a synthetic medium. The mean life span of wildtype isolates on the corresponding type of medium was set to 100 %. Mutant

Description

grisea

Insertion of pAL2-1 into mtDNA Complete PaCox1 deletion Complete PaCox1 deletion Loss of Cu-modulated transcription factor

mex1

Deletion in PaCox1

mex5

Deletion in PaCox1

mex7

Deletion in PaCox1

AL2-1 ex1 ex2

med16

Deletion in PaCox1 Deletion in pl-intron mid26 in PaCox1 Deletion of gene encoding PaCOX5 PaCox5::ble subunit Deletion of gene encoding PaCOX17 PaCox17::ble chaperone Deletion of gene encoding cytochrome PaCyc1::ble c1 subunit Impairment of PaNd2 Wa32-LL and PaNd3 expression

Pathway

Mean lifespan

Respiratory chain complex IV immortal WT-like respiratory chain + 100 %

Medium Reference Osiewacz & Hermanns BMM 1992 Kück et al. M2 1985 Schulte et al. M2 1988 Prillinger & BMM Esser 1977 Belcour & M2 Vierny 1986 Belcour & M2 Vierny 1986 Belcour & M2 Vierny 1986 SainsardChanet & M2 Begel 1990 Begel et al. M2 1999

PaCOX assembly > + 3000 %

M2

Dufour et al. 2000

PaCOX metallation

BMM

Stumpferl et al. 2004

Respiratory chain Respiratory chain complex IV Respiratory chain complex IV Cellular copper homeostasis Respiratory chain complex IV Respiratory chain complex IV Respiratory chain complex IV

+ 1360 % immortal immortal + 60 % immortal immortal immortal

> + 1180 %

Respiratory chain complex III > + 2200 % Respiratory chain complex I > + 750 %

M2 M2

Sellem et al. 2007 Maas et al. 2007

10000 Years of Human Demographic Evolution Jesper L. Boldsen Since the onset of food production some 10000 years ago in the Near East, dramatic change in human patterns of mortality has taken place. By modern standards all premodern societies would demographically be characterized as high mortality regimes in the sense that life expectancy at birth (eo) was low. However, the age distribution of the risk of dying has fluctuated a lot. The central tendency of this fluctuation can be described by the second, age independent mortality component of the Siler Model. It started out low in foraging, pre-agricultural societies, increased through the mostly horticultural Early Neolithic Period, reached a high plateau in the subsistence agricultural period from the Late Neolithic Period to the Iron Age. With the gradual integration of agricultural production in a regional and continental scale marked network this mortality component gradually diminished. Age independent mortality plays virtually no role in any modern community, be it the developed or the developing world. Probably, the age independent mortality component had been low for most of the preHolocene evolutionary history of our species. This means that evolutionary pressure introduced by an increase of this component could alter the genetic makeup of humankind. During the episodes when the age independent mortality component was high, selection would favor genes pushing reproduction into younger ages. In some regions of the Old World, this episode lasted up to 8000 years, in other parts of the World it never got started before industrialization and modernity took over. This chapter uses regional differences in the length of the episode with high levels of age independent mortality to formulate an evolutionary and mathematical model giving origin to empirically testable hypotheses about the genetic consequences. It is hypothesized that natural selection during the subsistence agriculture episode in the Holocene would favor early maturation at the cost of longevity.

Introduction The oscillations between phases of colder and warmer climate in the northern hemisphere have been a powerful force shaping human evolution through all of the Pleistocene and much of the Pliocene period. The Holocene period might in the long run be classified as just another interglacial geological episode. It is the invention of food production (agriculture) during the last millennia of the last Ice Age and the consequences of this invention that have made the Holocene period so special in the history of our species.

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Jesper L. Boldsen

The introduction of agriculture facilitated a massive increase in the number of human beings that could be sustained on the face of the Earth. It altered the environment in which people lived, irreversibly. And, most important, it changed the relationship between human populations and the environment they lived in and created through their activities. At all stages of the development of agriculture, the main strategy was to decrease variability of the part of the environment providing the basic needs of the community. Think of a modern wheat field, one plant species makes up more than 99 percent of the biomass of the field, a few species of weeds and pests can survive in the environment of a wheat field. The advantage of the wheat field is that it produces an exceedingly high yield of one type of particularly highly nutritious seeds. Before large stretches of Europe were laid out as mono-culture fields, natural variability in the environment were orders of magnitudes larger both locally, and on a continental scale. Part of what was lost of environmental richness during the Holocene period was gained in complexity of human relations. As populations grew in numbers, inter-human relations became increasingly complex. The mental universe of gatherers and hunters living in widely spread bands was basically inhabited by only two types of people, family and foe. Higher population density required other categories of people to make interaction work. The intermediate category of strangers (viz. people not yet classified as family or foe) quickly – and violently – became insufficient to regulate the relations between people. The extremely high frequency of violent death found in communities that can be characterized as ‘early Neolithic’ in the sense that this term is used in a Northern European archaeological context (both in the past and in the ethnographic present) is a sign of the discrepancy between the cultural means of interacting with unknown people and the frequency with which such interactions took place (Chagnon 1968; Milner 2000, 2004). The development of mechanisms to reduce inter-personal violence in communities with high population density has been an important aspect of socio-cultural evolution. The disarmament of the general population and the monopolization of the use of force in society were together with increased productivity the forces that lead to the formation of state level societies (Service 1975). However, the level of productivity and the means of distributing goods cannot directly be read out of the archaeological record. Patterns of mortality in preindustrial societies tell much more about the interaction between people than stone axes or burial mounds do. This chapter sets out to analyze the development of mortality over the last 10000 years in Europe, and it seeks to draw conclusions about possible evolutionary consequences of this development on potential human longevity.

10000 Years of Human Demographic Evolution 

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Subsistence during the Holocene period in Europe Due to massive changes in the environment and not least in subsistence of human beings in Europe, the Holocene period must have formed an evolutionary hotspot, in which our species underwent more rapid adaptive genetic changes than ever before. The high prevalence of adult lactose tolerance in cool areas with a long tradition for dairy production is a clear illustration of this point. Originally and primitively among mammals, adult individuals were lactose intolerant. With the spread of dairy agriculture in cool temperate regions people consumed unfermented milk and thus became exposed to lactose. Productivity has in many aspects developed along similar lines throughout Europe during the last 10000  years. Table  1 describes this development in Northern Europe. In general south-eastern parts of Europe have been socio-culturally more advanced than northern parts of the continent. The similarity of the general pattern combined with basic asynchrony of the process in Europe, facilitates the analyses of the effect of food production on the human gene distributions. It is assumed that infectious diseases on top of the nutrition effect on gene frequencies have been strong forces in altering the human genome. The spread of infectious diseases is and was mainly determined by the structure and frequency of human face to face interaction. Table 1 The (Pre)Historic periods in Europe. The dating given under “Time” is valid for Northern Europe (Jensen 2001, 2002, 2003, 2004). Period

Time

Way of living

Early Mesolithic

9700–6800 BC

Dispersed gathering and hunting

Late Mesolithic

6800–3900 BC

Intense gathering and hunting

Early Neolithic

3900–3200 BC

Horticulture and hunting

Late Neolithic

3200–1800 BC

Subsistence agriculture

Bronze Age

1800–500 BC

Subsistence agriculture

Iron Age

500 BC–800 AD

Subsistence agriculture

Middle Ages

800–1500 AD

Subsistence agriculture with peripheral market

Early Modern/ Modern

1500 AD –

Market integrated agriculture and industrialism

In terms of way of living the ‘subsistence agriculture’ period was the longest nearly all over Europe. In the Near East it lasted some 8000 years, in Central Europe 5000  years, in Northern Europe 4000  years, but in Northern Scandinavia only some 1500 years. It is obvious that the duration of the exposure to this production mode must have had an influence on gene frequencies in the living populations with different prehistory.

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Jesper L. Boldsen

Patterns of mortality Different causes of death play out their roles in different age groups. Some diseases will primarily affect infants and young children, others mostly elderly people; but in modern societies very few diseases kill people independently of their age. It is on a quantitative scale impossible to determine the medical cause of death in prehistoric communities. However, using the pattern of mortality it is possible to determine classes of causes of death in the past. Due to the general imprecision of osteological age estimates (see e.g. BocquetAppel/Masset 1982) it is only possible to extract unbiased information about the patterns of mortality in the past by using the so-called ‘Rostock Manifesto’ (Hoppa/Vaupel 2002) and a parametric survival distribution like the Siler model (Gage 1988). The Siler model is a three component competing hazards model. In some aspects it provides a biological plausible model for human mortality, but it is best viewed as a very flexible class of curves designed to fit empirical mortality data with a limited number of parameters. The three components of the Siler model are the immaturity component (described by an age decreasing hazard – h1[age] – called a negative Gompertz function), the age independent component (described by a constant, age independent hazard– h2[age]), and finally the senescent mortality component (described by an age increasing hazard – h3[age] – called a Gompertz function). The total age specific hazard (risk of dying) can be described by the sum of the hazards for the three components (h[age] = h1[age] + h2[age] + h3[age]). In the most developed parts of the modern world the third mortality component (h3[age]) dominates very much. In less developed parts of the contemporary world the first mortality component (h1[age]) also plays a significant role of the total mortality in society. The second mortality component (h2[age]) does not play an important role in total mortality in any parts of the modern world. Infectious diseases are and have probably for most of human history been the leading (proximal) cause of death. Today we mostly think of infectious diseases as either endemic in less developed countries or special segments of society or as recurrent epidemics like the common cold. Diseases like those primarily contribute to first component of mortality (h1[age]). Opportunistic infections like the kind of pneumonia that commonly strikes immobilized people is an important cause of death among the elderly and thus they contribute to the third component of mortality (h3[age]). Non-recurrent epidemics and newly introduced infections (like the measles in the New World following the discovery of the Americas by Columbus) are the only major contributor to the second,

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Fig. 1:  The age dependent hazard and survival from the three mortality components of the Siler model as estimated from the Tirup medieval skeletal sample. Component 1 – immaturity mortality component – top left. Component 2 – age independent mortality component – top right. Component 3 – senescent mortality component – bottom left. In these three plots the hazard function is given as a solid curve and the survival function as a dashed curve. The combined effect of the three mortality components can be seen as the heavy solid curve in the graph bottom right.

age independent mortality component (h2[age]). Figure 1 illustrates the three mortality components as estimated from the medieval Tirup skeletal sample (Boldsen 2000). In stationary populations life expectancy at birth (e0) is the inverse of the total mortality rate (TMR = 1 / e0). This statistic, e0, is a measure of the total load of infectious diseases in the past. It is from well preserved and well analyzed skeletal samples of skeletons from ordinary population cemeteries relatively easy to estimate the first and the third mortality component of the Siler model. However, it is usually difficult to get good estimates for the second mortality component. This component describes the relative importance of sporadic and new infectious diseases for the total mortality rate (TMR). It appears from the

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Jesper L. Boldsen

purple curve in the graph to the bottom right in Figure 1 that the second mortality component really dominated the total mortality regime in Tirup.

The evolution of the Pattern of mortality All prehistoric periods have been characterized by high TMR and thus by a low e0. This means that the total load of infectious diseases has been high throughout all but the last century of the Holocene period. However, it does not necessarily mean that the pattern of mortality has remained constant through these 10000 years. In order to capture information about the evolution of the pattern of mortality, the mortality rate ratio (MRR) has been developed as an easily measurable statistic. MRR is estimated from the number of dead people in three age categories (2–5 years, 5–18 years and over 18 years). Simulation studies have shown that MRR is closely and positively correlated with the magnitude of the second mortality component of the Siler model. Figure 2 illustrates the development of the MRR throughout the Holocene period in Central Europe. It is clear from this figure that mortality during the subsistence agriculture periods in European prehistory was heavily dominated by the second, age independent mortality component. Interestingly, the earliest and latest periods had much more similar mortality patterns than the periods between them. The 17th and 18th centuries AD have been called the ages of the infectious diseases. This has some truth to it. Those centuries were characterized by a high load from recurrent epidemics like small pox and cholera. Mortality in the millennia before these centuries was also shaped by infectious diseases; but by other sets of infectious diseases like leprosy and numerous infections that have gone extinct long ago. Fig. 2:  The development of the mortality rate ratio (MRR) throughout the Holocene period in Central Europe. The vertical bars indicate the 95 % confidence intervals for the individual estimates (from Paine and Boldsen 2002). It appears that the subsistence agriculture period (Bronze Age through Roman period) has much higher mortality rate rations than the other periods of European history.)

The effect of changing Pattern of mortality Human post-glacial history carries a unique potential for evolutionary studies. The amount of material (skeletons) available for analysis is sufficiently large to

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allow simultaneous studies of evolutionary history and evolutionary mechanisms. Figure 3 illustrates the patterns of mortality in high mortality communities before and after the long subsistence agriculture phase of the Holocene period. In this discussion we shall concentrate on mortality at high ages and thus on the third mortality component of the Siler model. There are important differences in early life mortality; but it is assumed that this is primarily due to preservation and recovery problems for infant skeletons. It is quite clear from Figure  3 that the five hazard curves fall in two clusters, the solid and long dashed curves show an earlier onset and more rapid increase of the old age mortality rate than the short dashed and dotted-dashed curves do. The solid and long dashed curves come from medieval skeletal samples, and the short dashed and dotted-dashed curves from Mesolithic and early Neolithic samples. This indicates that the period between the early Neolithic and the medieval period characterized by high levels of the second, age independent mortality component of the Siler model in a significant way altered the genetic background for the human mortality pattern. It appears that old people died younger after than before the subsistence agriculture phase of the Holocene period. It appears from Figure 3 that the subsistence agriculture period was characterized by a high level of age independent mortality. This pattern of mortality indicates a high level of demographic unpredictability (could be called entropy) and it favours women who started to reproduce in early ages. It is likely that this mortality regime had two kinds of evolutionary consequences. First, genes for early maturation and perhaps also early senescence would increase in frequency; and second, genes providing protection against (viral) infections would increase in frequency. The curves in Figure 3 provide a kind of proof for the

Fig. 3:  Hazard functions based on skeletons from five different communities. The two most steep curves (dashed and dotted lines) describe mortality in the Middle Ages and three less steep curves (solid lines) describe mortality in the Mesolithic and early Neolithic periods (plotted by Milner in 2007 for a paleodemography conference and based on unpublished data collected by Milner and Boldsen).

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first of these effects, the second predicted evolutionary consequence might be considerably more difficult to test. However, the difference between the duration of the subsistence agriculture phase in different populations might facilitate such tests. It might even be possible to perform such tests based on published summary population data. There can be no doubt that contemporary human beings are much better adapted to withstand infections. The distribution of genes like hemoglobin S protecting against malaria is a good indicator for this. It is likely that there is a downside to this as well. The epidemic of allergic and autoimmune diseases we have seen in recent decades might be part of that story.

References Bocquet-Appel JP, Masset C (1982) Farewell to paleodemography. Journal of Human Evolution 11: 321–333. Boldsen JL (2000) Demografisk struktur I landsbyen Tirup. Hikuin 27: 233–244. Chagnon NA (1968) Yanomamo: The Fierce People. Case Studies in Cultural Anthropology. Rinehart and Winston, New York. Gage TB (1988) Mathematical hazard models of mortality: An alternative to model life tables. American Journal of Physical Anthropology 76: 429–441. Hoppa RD, Vaupel JW (2002) The Rostock Manifesto for paleodemography: The way from stage to age. In: Hoppa RD, Vaupel JW (eds.) Paleodemography – age distributions from skeletal samples. Cambridge University Press, Cambridge, 1–8. Jensen J (2001) Danmarks Oldtid – Stenalder 13.000–2000 f. Kr. Gyldendal, København. Jensen J (2002) Danmarks Oldtid – Bronzealder 2000–500 f. Kr. Gyldendal, København. Jensen J (2003) Danmarks Oldtid – Ældre Jernalder 500 f. Kr.–400 e. Kr. Gyldendal, København. Jensen J (2004) Danmarks Oldtid – Yngre Jernalder og Vikingetid 400–1050 e. Kr. Gyldendal, København. Milner GR (2000) Troubled times: Violence and warfare in the past. American Journal of Physical Anthropology 112: 285–286. Milner GR (2004) The Moundbuilders – Ancient Peoples of Eastern North America. Thames & Hudson, London. Paine RR, Boldsen JL (2002) Linking age-at-death distributions and ancient population dynamics: A case study. In: Hoppa RD, Vaupel JW (eds.) Paleodemography – age distributions from skeletal samples. Cambridge University Press, Cambridge, 169– 180. Service ER (1975) Origins of the State and Civilization: The Process of Cultural Evolution. W.W. Norton & Company, New York.

Die hundertjährige Frau – neue Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen in der alternden Gesellschaft? Heike Kahlert The author analyses the intercategorial entanglement of the inequality categories age and gender in selected non-fiction books about the ageing and shrinking (German) society. She discusses the search for positive images of ageing. Thereby she reconsiders positive images of the ageing of women. She also identifies two gaps in the scientific and publicistic presentations of age(ing): the lack of positive images of the ageing of men and of images of ageing that reflect the (aspired) gender equality. Der Beitrag fragt nach der interkategorialen Verschränkung der Ungleichheitskategorien Alter und Geschlecht in ausgewählten Sachbuchpublikationen zur alternden und schrumpfenden (deutschen) Gesellschaft. Diskutiert wird die Suche nach positiven Altersbildern. Dabei werden positive Altersbilder von Frauen erörtert und zwei Leerstellen in den analysierten wissenschaftlichen und publizistischen Alter(n)sdarstellungen identifiziert: das Fehlen positiver Altersbilder von Männern und von Altersbildern, die die (angestrebte) Gleichheit der Geschlechter widerspiegeln.

Demographisches Wissen in der alternden Gesellschaft Im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs besteht Einigkeit darüber, dass Deutschland eine alternde und schrumpfende Gesellschaft ist. Alternde Gesellschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen die Lebenserwartung hoch ist und langsam weiter steigt, dass Frauen durchschnittlich länger leben als Männer, dass die Fertilität relativ gering ist und zumeist unter dem für die Bestandserhaltung notwendigen Niveau von 2,1 Kindern pro Frau liegt, wodurch wiederum das gesellschaftliche Schrumpfen befördert wird, und dass es nur geringe Immigration aus ärmeren Ländern gibt (Sørensen 1991: 46). Gesellschaftliche Alterung und Schrumpfung scheinen aber so gar nicht mit dem modernen Fortschrittsideal des immer Mehr, Höher und Weiter und der damit verbundenen Verknüpfung von Zukunftsfähigkeit mit Jugendlichkeit zusammenzupassen. Entsprechend aufgeregt, ja zum Teil emotional aufgeladen und „alarmistisch“ (Holland-Cunz 2007: 64), sind die gesellschaftlichen Redeweisen und Bilder, mit denen der demographische Wandel beschrieben wird.

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Heike Kahlert

Demographisches Wissen trifft gegenwärtig auf ein hohes wissenschaftliches, ökonomisches und öffentliches – politisches wie mediales – Interesse. Der Aufstieg der Demographie zu einer „neuen Leitwissenschaft“ (Engelmann 2006: 6) scheint unaufhaltsam. Demographische Diagnosen und Prognosen zum gesellschaftlichen Alterungs- und Schrumpfungsprozess, aber auch zu lokalen und globalen Wanderungsprozessen wurden in (West-)Deutschland über längere Zeit hinweg nur von einer vergleichsweise kleinen Gruppe von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten nachgefragt. Wissenselemente aus der Demographie tauchen seit einigen Jahren vermehrt in alltäglichen Kontexten auf und entfalten dort, größtenteils von ihren wissenschaftlichen Entstehungsbedingungen und Argumentationskontexten losgelöst, unkontrollierte und unkontrollierbare Wirkmächtigkeit. Sie bilden eine Gemengelage aus entkontextualisierten demographischen Begrifflichkeiten, katastrophischen Bildern und verkürzend-verkürzten Argumentationen. Darin lassen sich Diagnosen, Prognosen und Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung nicht immer trennscharf voneinander unterscheiden. Die folgende Analyse richtet den Blick auf einen wissenschaftlich bisher eher vernachlässigten Bestandteil des demographischen Diskurses, nämlich seine Verknüpfung mit dem Gender-Diskurs. Wissenschaftliche Diagnosen zum demographischen Wandel und zum Wandel in den Geschlechterverhältnissen in fortgeschritten modernen Gesellschaften werden bisher in erster Linie getrennt voneinander gestellt (vgl. z. B. Kahlert 2006: 299f.; 302; ähnlich Rohling 2005: 4). Dabei handelt es sich beim Zusammenhang zwischen dem Wandel in den Geschlechterverhältnissen und dem demographischen Wandel „um eine hochkomplexe Wechselbeziehung mit neuen Ungleichzeitigkeiten: Ungleichzeitigkeiten dahingehend, als es im demografischen Wandel ebenso zu einer Unterwanderung wie Bestätigung traditioneller Geschlechterverhältnisse und -identitäten kommt“ (Reuter 2005: 23). Julia Reuter fordert, dass Gender, also die soziokulturellen Geschlechterverhältnisse, -beziehungen, -identitäten und -interaktionen, als strukturiertes und strukturierendes Moment des demographischen Wandels mitzudenken seien. Im Folgenden wird am Beispiel ausgewählter publizistischer Texte zum demographischen Wandel untersucht, ob und wie sich Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen in der sich herausbildenden alternden Gesellschaft verschränken. Der analytische Blick auf die diskursive Verschränkung der beiden Ungleichheitskategorien Alter und Geschlecht soll Antworten auf die Frage geben, welche Bedeutung dem Geschlecht – oder genauer: der geschlechtlichen Ungleichheit – in den für diesen Beitrag ausgewählten journalistischen Darstellungen des gesellschaftlichen Alterungsprozesses beigemessen wird. Diese Frage mag in ihrer Akzentuierung erstaunen, doch findet sich in der

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Alter(n)sforschung beispielsweise die Position, dass das Alter(n) als Teil des Lebens so universell sei, dass es sich kaum als soziokulturelle Differenzkategorie, wie das Geschlecht oder die soziale und ethnische Zugehörigkeit, eigne (vgl. kritisch Hartung 2005: 8). Alter und Geschlecht sind demnach also als Ungleichheitskategorien auf unterschiedlichen Analyseebenen angesiedelt, und eine Auseinandersetzung mit der Geschlechterdifferenz im Alter kann allenfalls intrakategorial erfolgen. Einer anderen Position zufolge ist die alternde Gesellschaft eine androgynere Gesellschaft (vgl. z. B. Rossi 1986: 164). Männer und Frauen entwickelten Qualitäten und Fähigkeiten, die im früheren Lebenslauf unterdrückt worden seien, und glichen sich in ihren Verhaltensweisen einander an. Geschlecht als Differenzkategorie verliert demnach angesichts der (quantitativen) weiblichen Dominanz im Alter an analytischer Bedeutung, was allerdings nicht heißt, dass die Ungleichheit zwischen ihnen verschwindet. Eine dritte, hier eingenommene, Position fragt nach der interkategorialen Verschränkung der Ungleichheitskategorien Alter und Geschlecht (vgl. z. B. Backes 2008: 447). Dabei betritt insbesondere die zuletzt genannte Analyseperspektive der Verschränkung von Alter(n) und Geschlecht Neuland, denn: „Most research on aging has paid little attention either to gender or to other hierarchies of privilege and oppression such as race, class, and sexual orientation. These interconnect to create differing aging experiences, but few scholars of aging have focused on age and gender as social relations – as interdependent dimensions of a complex set of historical relations between women and men, relations that are also shaped by other social inequalities. On the other hand, most feminists, while sensitive to gender and intersecting power relations, have virtually ignored old age in their theories and research“ (Calasanti/Slevin 2001: 27). Für die deutschsprachige Alter(n)s- sowie Frauen- und Geschlechterforschung kommt Gertrud Backes (2008: 446f.) in ihrem Forschungsüberblick zu einem vergleichbaren Ergebnis: Eine tiefer gehende Analyse des Geschlechterverhältnisses im Lebens(ver)lauf und seiner Auswirkungen auf die Lebenslagen beider Geschlechter bis ins Alter bleibe vernachlässigt (Backes 2008: 447). Dies ist umso erstaunlicher, als die These von der „Feminisierung des Alters“ (Backes 2008: 448f.) angesichts der längeren Lebenserwartung von Frauen in der wissenschaftlichen Literatur, auch der Frauen- und Geschlechterforschung, umfänglich bemüht wird. Für den vorliegenden Beitrag habe ich vier Sachbuchpublikationen analysiert, die von einem Journalisten und zwei Journalistinnen verfasst sind: „Das Methusalem-Komplott“ (2004) und das Nachfolgebuch „Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ (2006) von Frank Schirrmacher, Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“);

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„Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos“ (2005)1 von Susanne Gaschke, Redakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“; und „Methusalems Mütter. Chancen des demografischen Wandels“ (2007) von Antje Schrupp, Redakteurin der Mitglieder-Zeitung „Evangelisches Frankfurt“ und freiberufliche Publizistin. Den ausgewählten Sachbüchern gemeinsam ist nicht nur ihre thematische Fokussierung auf die alternde und schrumpfende Gesellschaft, sondern auch ihre Adressierung an die Generation der zwischen 1965 und 1975 Geborenen, an die Generation also, die in der Demographie als Trägerin des Mitte der 1960er Jahre in Deutschland einsetzenden Geburtenrückgangs ausgemacht wird. Mit der Auswahl der analysierten Texte wird ein möglichst breites Spektrum unterschiedlicher Positionen in der medialen Öffentlichkeit abgedeckt, das über eine eher konservative Position wie die eines „FAZ“Journalisten bis zur eher liberalen Position einer „Zeit“-Journalistin und bis zum kirchlich-feministischen Spektrum reicht. Die Analyse fokussiert auf die Darstellungen des Alter(n)s und der Geschlechterdifferenz im Alter(n) und fragt nach der Verschränkung von Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen in den genannten Sachbüchern. Dabei scheint als zentrale Figur die mit steigender Lebenserwartung immer selbstverständlicher werdende hundertjährige Frau auf. Eingerahmt wird die Analyse durch ein abschließendes Fazit zur Suche nach positiven Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen und durch einleitende Ausführungen zu zeitgenössischen sozial- und kulturwissenschaftlichen Sichtweisen auf Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen im demographischen Wandel.

Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen in zeitgenössischen sozial- und kulturwissenschaftlichen Sichtweisen auf die alternde Gesellschaft Im Vorwort zu seiner 2005 veröffentlichten Abhandlung über die „Schrumpfende Gesellschaft“ weist der Soziologe und Sozialpolitikforscher Franz-Xaver Kaufmann (2005: 10f.) auf die wissenssoziologische Beobachtung hin, dass die demographische Problematik in der Bundesrepublik in Wissenschaft und Politik bisher gleichermaßen vernachlässigt, wenn nicht gar verdrängt worden sei. Das Thema hatte zu dem Zeitpunkt längst die öffentliche Tagesordnung erreicht – zu erinnern ist etwa an den bereits 2002 vorgelegten Schlussbericht der EnquêteKommission „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter wer1 Die 2006 im Goldmann Verlag erschienene Taschenbuchausgabe trägt den Untertitel „Karriere oder Kinder? Warum wir neue Rollenbilder brauchen“.

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denden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“ des Deutschen Bundestags (2002). Dennoch zeigte sich Kaufmann skeptisch, „dass nun ein vernünftiger Umgang mit der Problematik zu erwarten sei“ (Kaufmann 2005: 11). Und in der Tat dominieren in der Demographie-Debatte bisher politische Stellungnahmen und massenmediale Katastrophenszenarien, während seriöse sozialwissenschaftliche Analysen zum demographischen Wandel in fortgeschritten modernen Gesellschaften nach wie vor rar sind. Demographische Prozesse entwickeln sich langsam und entfalten ihre Wirkung auf Sozialstruktur, Wirtschaft und Politik erst mit beträchtlicher Zeitverzögerung: Das demographisch einflussreiche Ereignis des Geburtenrückgangs zwischen 1965 und 1975, dessen Konsequenzen nach Kaufmann (2005: 10) nunmehr diskutiert würden und politisches Handeln erforderten, lag bei Erscheinen von Kaufmanns Buch bereits drei Jahrzehnte zurück. Und auch beim kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung handelt es sich nicht um eine plötzliche Erscheinung, sondern um einen langfristigen Trend, der „die gesamte Lebensordnung und die Generationenverhältnisse grundsätzlich und tiefgreifend gewandelt“ (Höpflinger 1997: 178) hat. Die Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung, bestimmt durch die Fertilität der Vergangenheit und die Mortalitätsverhältnisse der Gegenwart, bewirken das demographische Altern der (deutschen) Bevölkerung und perspektivisch einen Bevölkerungsrückgang, dessen Tempo und Ausmaß abhängig von der gegenwärtigen und künftigen Geburtenentwicklung und der Zuwanderung sind. Erst in der Zusammenschau erschließen sich die wechselseitigen Zusammenhänge von Fertilität, Mortalität und Migration.2 Das Altern erscheint in derartigen sozialwissenschaftlichen Darstellungen in der Tat, wie die Kulturwissenschaftlerin Heike Hartung schreibt, „als ein Prozess, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet“ (Hartung 2005: 7), als ein Prozess also, der den Körper betrifft und den ganzen Lebenslauf umfasst. Altern ist zutiefst historisch und kulturell geprägt, denn jede Generation hat ein anderes Alter, weil sich die Rahmenbedingungen im Alter(n) unterscheiden und weil sie unter anderen Bedingungen mit jeweiligen Chancen und Hindernissen aber auch biographischen Weichenstellungen gelebt hat (Helfferich 2008: 33). Zeitgenössische Einschätzungen zum Alterungsprozess schwanken zwischen einer biologistischen Verfalls- und einer konstruktivistischen Erfolgsgeschichte oder suchen zwischen diesen Polen zu vermitteln, so

2 Reuter (2005: 26) weist zu Recht darauf hin, dass sich die drei demographischen Grundprozesse im Zeitalter der Globalisierung immer weniger getrennt voneinander betrachten lassen.

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Hartung (2005: 8). Sie konstatiert einen Mangel an positiven Altersbildern (Hartung 2005: 17). Wissenschaftliche Analysen des Alterns sind aufgefordert, sich im Grenzbereich zwischen Sozial- und Kulturwissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits zu bewegen. Denn Altern sei nicht allein ein unentrinnbarer physiologischer Prozess, so das Argument Rüdiger Kunows (2005: 23). Was Menschen erlebten und erführen, die als alt identifiziert würden (oder sich selbst so identifizierten), sei nicht allein, wohl nicht einmal primär, von biologischen Prozessen determiniert, sondern von dem Arsenal an soziokulturellen Bedeutungen, mit denen die biologische Ordnung in eine kulturelle – hinzuzufügen ist: und soziale – Ordnung übersetzt werde. Das körperliche Geschehen des Alterns ist durch und durch sozial und kulturell geformt und abhängig von seiner soziokulturellen Organisation. „Alter ist wie Geschlecht nicht zuletzt auch ein Ergebnis kommunikativer Interaktionen, in denen wir entsprechend – eben als ‚alt‘ – handeln und behandelt werden und so die Kategorie im Sinne eines ‚doing old‘ sozial erst herstellen und wirksam werden lassen“ (Gildemeister 2008: 200). Die Etikettierung von Körpern als ‚alt‘ ist folglich der Effekt einer komplexen soziokulturellen Praxis, die über die Semantisierung und Semiotisierung physiologischer Prozesse zumeist an der Oberfläche des Körpers – das Grau der Haare, Pigmentierung und Faltenbildung der Haut – Menschen in einem ganz unmittelbaren Wortsinn alt macht. Diese Semantisierung und Semiotisierung erfolgt nicht gleichmäßig: „Sie verläuft anders und pointierter für Frauen“ (Kunow 2005: 23). Regine Gildemeister (2008: 200) zeigt, dass die uns überlieferten Vorstellungen vom Alter nahezu durchgängig geschlechterdifferenziert seien: Auch wenn es im Einzelfall durchaus weise Frauen gegeben habe und gebe, so werde in der Tendenz Weisheit, gepaart mit Erfahrung und Macht, eher Männern zugesprochen. Im Fall von Frauen rücke hingegen der körperliche Verfall des Altwerdens (und die dadurch indizierte Unfruchtbarkeit) in den Vordergrund. Auch werde das Alter bei Frauen bis heute sehr viel früher angesetzt: Frauen hätten noch in vergleichsweise junger Vergangenheit im Alter von Mitte Vierzig als ‚alt‘ gegolten, eben dann, wenn ihre Reproduktionsfähigkeit endete. Für Männer habe dies erst ca. zwanzig Jahre später zugetroffen, nämlich ab Mitte Sechzig. Die Betrachtung und Bewertung des Alter(n)s scheint einem Geschlechter differenzierenden und differenzierten „Doppelstandard“ (Sontag 1979) zu folgen. Doch kulturell tradierte Vorstellungen und Bilder vom Alter unterliegen ebenso wie andere sozial konstruierte Semantisierungen und Semiotisierungen sozialen Wandlungsprozessen (vgl. Helfferich 2008). Antje Schrupp macht in diesem Zusammenhang eine wichtige Leerstelle der wissenschaftlichen Analysen von Altersbildern aus: „Die Alterskonzepte der Vergangenheit hatten

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– bei aller Unterschiedlichkeit – eine Gemeinsamkeit: Sie spielten in patriarchalen Gesellschaften. Dieser Umstand wird in soziologischen Analysen über Altersbilder praktisch nie thematisiert“ (Schrupp 2007: 118). Heute lebten wir in einer Zeit, in der vieles dafür spreche, dass das Patriarchat zu Ende ginge: Die Frauenbewegung hätte die Vorherrschaft des Mannes in Frage gestellt, Frauen glaubten heute nicht mehr, dass sie schwächer und weniger wert seien als Männer.3 Ein alter Mann zu sein, sei heute in den westlichen Gesellschaften keine Garantie mehr für eine einflussreiche Position. In der Regel sei unsere Vorstellung vom Alter geprägt von den Erfahrungen, die wir mit alten Menschen machten, also mit denjenigen, die heute bereits ein bestimmtes Alter erreicht hätten. Die heute Alten seien aber lebensgeschichtlich in den Zeiten vor der (zweiten) Frauenbewegung verwurzelt, als das Patriarchat auf der symbolischen Ebene noch fest im Sattel gesessen habe. Postpatriarchale Modelle des Alters seien noch nicht erfunden, doch bestehe Grund zu der Hoffnung, dass es positive Umgestaltungen sein würden, denn gerade die Generation der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen habe in noch nie da gewesenem Ausmaß traditionelle Lebensläufe in Frage gestellt und verändert (Schrupp 2007: 119-121). Doch, so ist aus soziologischer Sicht zu fragen, haben diese im Zuge von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen individuell möglich gewordenen Veränderungen auch strukturelle Relevanz erreicht, mit Auswirkungen auf die Institutionen des Lebenslaufs und dessen Geschlechter differenzierendes und differenziertes Regime? Hier sind Zweifel angebracht, denn noch kommen dem Alter im Lebenslauf die (Rationalisierungs-)Funktionen der „Verzeitlichung“ und „Chronologisierung“ des Lebens zu (vgl. Kohli 1985), die beide erst im Gefolge erhöhter Lebenserwartung entstehen konnten: Durch Verzeitlichung ist das Alter zu einem zentralen Strukturprinzip der Lebensweise geworden, und die Chronologisierung des Lebens hat einen geordneten Normallebenslauf entstehen lassen, mit lebenszyklischen Übergängen wie Schulbeginn, Volljährigkeit, Aufnahme der Erwerbstätigkeit, Familiengründung und Pensionierung bzw. Verrentung. Die soziale Institution des Normallebenslaufs, wenngleich durch Individualisierungsprozesse und die steigende Lebenserwartung unter Wandlungsdruck, ist nach wie vor in hohem Maß geschlechtlich codiert – Helga Krüger und René Levy (2000) sprechen in diesem Zusammenhang sogar vom Masterstatus des Geschlechts. Demnach ist die Geschlechterfrage in der Leistungs- und Funktionslogik der lebenslaufrelevanten Institutionen verankert. Institutionen 3 Vgl. zur These vom Ende des Patriarchats bzw. des Patriarchalismus als gesellschaftlicher Herrschaftsform in feministischen und modernisierungstheoretischen Zeitdiagnosen auch Kahlert (2000) und mit etwas anderer Akzentuierung Kaufmann (2005: 146-151).

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wie Bildung, Familie und Arbeitsmarkt strukturieren demnach weibliche und männliche Lebensläufe als differente und setzen die Geschlechter zugleich über Zuständigkeitsmodalitäten untereinander in Beziehung zueinander (Krüger 2008). Der traditionellen geschlechterasymmetrischen Arbeitsteilung in ihrer Verankerung im wohlfahrtsgesellschaftlichen Gefüge von Staat, Markt und Familie kommt in diesem Zusammenhang hohe Bedeutung zu. Mit Blick auf die Institutionen des Lebenslaufs scheint sie den Kristallisationspunkt für Prozesse des doing gender, aber auch des doing age, und auch für die strukturkategoriale Wirkung von Geschlecht und Alter(n) darzustellen. Dass die Verwirklichung von mehr Gleichheit zwischen Frauen und Männern einen Wandel in den Institutionen des Lebenslaufs nötig mache und an der geschlechtlichen Arbeitsteilung ansetzen müsse, hat Annemette Sørensen schon 1991 herausgearbeitet: „The central condition is that the link between gender and responsibility for the care and upbringing of children be broken“ (Sørensen 1991: 47). Dies erfordere, dass Männer und Frauen eine Verpflichtung eingingen, gleich viel Zeit und Energie für Kinder und Familie aufzuwenden. Zwei Wege, wie es dazu kommen könnte, seien denkbar: eine Reduzierung ihrer Einbindung in den Erwerbsarbeitsmarkt, z.  B. durch Reduzierung der Arbeitszeit, und eine damit einhergehende Angleichung der Lebensläufe von Frauen und Männern, oder die Aufrechterhaltung der Arbeitsteilung zwischen Eltern, indem ein Elternteil verantwortlich sei für die ökonomische Unterstützung der Familie und der andere Elternteil für die familienzentrierten Aufgaben, jenseits der bestehenden geschlechtlichen Rollenzuschreibungen. Beide Wege erforderten, dass Männer ein verstärktes Interesse entwickelten, sich mehr in der Sorge für Kinder und Familie zu engagieren (Sørensen 1991: 51). Den Schlüssel zur Gleichheit zwischen den Geschlechtern, auch hinsichtlich der hartnäckigen geschlechtsasymmetrischen Arbeitsteilung im Privaten, sieht Sørensen in Verbesserungen in den Einkommens- und Karrierechancen von Frauen. Sie nimmt also an, dass verwirklichte Gleichheit zwischen den Geschlechtern hinsichtlich von Entgelt und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern auch zum Aufbrechen von traditionellen Rollenzuschreibungen in Bezug auf unbezahlte Haus- und Sorgearbeit beiträgt. Mit Nancy Fraser ist jedoch Skepsis bezüglich dieser Annahme angebracht. Fraser sieht zwar ebenfalls die Integration von Männern in die elementare Betreuungsarbeit als Lösung des Problems an. Sie hat aber Zweifel, dass dies allein über verbesserte Einkommens- und Karrierechancen von Frauen, also eine Angleichung von Erwerbsmöglichkeiten und gleicher Bezahlung von Frauen an die von Männern, erreicht werden könnte. Damit sei die Problematik gesellschaftlich ungleicher Anerkennungsverhältnisse bezüglich der Erwerbs- und Sorgearbeit nämlich noch nicht aufgehoben. Fraser schlussfolgert, dass die

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Männer den Frauen, wie sie heute seien, ähnlicher werden müssten, soll heißen: die gegenwärtigen Lebensmuster von Frauen müssten zum Standard und zur Norm für alle gemacht werden (Fraser 2001: insbes. 98–103). Der beispielsweise von Sørensen und Fraser geforderte und durch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen bereits partiell initiierte Wandel in der geschlechtlichen Arbeitsteilung hin zu mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern müsste selbstredend nicht nur Auswirkungen auf Geschlechterkonstruktionen, sondern auch auf die mit diesen verknüpften Alter(n)skonstruktionen haben. Reuter weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der demographische Wandel zur Auflösung der bisherigen Geschlechterkonstruktionen beitragen könnte: „Angesichts der demografischen Alterung im Allgemeinen und dem besonderen Umstand, dass Frauen im Schnitt auch noch sieben Jahre länger leben als Männer, wirkt das Bild des allein verdienenden Familienvaters und die Hausfrau, die unbezahlte Familienarbeit leistet, mehr als bedenklich“ (Reuter 2005: 24). Spiegeln sich derartige Überlegungen auch in publizistischen Darstellungen zur alternden Gesellschaft wider?

Verlust der generativen Möglichkeiten und der materiellen Sicherheit – Die hundertjährige Frau aus Sicht von Frank Schirrmacher Frank Schirrmacher, promovierter Literaturwissenschaftler, Journalist und „FAZ“-Herausgeber, fokussiert in seinen beiden hier analysierten Büchern auf verschiedene Aspekte der aktuellen Demographiedebatte: In „Das MethusalemKomplott“ (2004) stellt er vor allem die Folgen des Anstiegs der Lebenserwartung und der damit verbundenen Alterung der Gesellschaft in den Mittelpunkt und streift Geschlechterfragen nur am Rande; in „Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ (2006) behandelt er die Generativität im Zusammenhang mit der Geschlechterdifferenz und den Geschlechterverhältnissen. Beide Bücher können und müssen hinsichtlich der hier interessierenden Fragen nach der Verschränkung von Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen im Bezug aufeinander analysiert werden. Schirrmacher untersucht hellsichtig, aber auch stereotypisierend die Ideologien des Jugendwahns und die Stigmatisierung des Alters, ja, den „Rassismus des Alters“ (Schirrmacher 2004: 28), in fortgeschritten modernen Gesellschaften: „[...] die Gesellschaft, die wir geschaffen haben, nimmt dem Alternden alles: das Selbstbewusstsein, den Arbeitsplatz, die Biographie“ (Schirrmacher 2004: 9), die „Lust am Leben“ (Schirrmacher 2004: 11). Alter(n) stellt der Journalist dar als „ein Leiden, das uns der älter werdende Körper verursacht“

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(Schirrmacher 2004: 13). Dieses Leiden beginnt nach Schirrmacher im Alter von Mitte Dreißig. Es umfasse ein Leiden am Aussehen, am Arbeitsmarkt, an ersten Leistungseinbußen und Krankheiten, an der Sterblichkeit schlechthin. Angesichts der demographischen Entwicklung erlebten die Bewohner des alten Europas „den Angriff von zwei Fronten“ (Schirrmacher 2004: 14): Die Europäer und also auch die Deutschen lebten länger, und sie bekämen weniger Kinder. Die Bevölkerungsdynamik werde vom Sterben geprägt sein, nicht mehr von der Geburt. Als das Zukunftsproblem macht der „FAZ“-Herausgeber die gestiegene Lebenserwartung aus: „Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wird die Zahl der Älteren größer sein als die der Kinder“ (Schirrmacher 2004: 10f.). Altern werde bis zur Mitte des 21.  Jahrhunderts zu einer globalen Massenerscheinung werden (Schirrmacher 2004: 12f.) und heute schon als eine „Naturkatastrophe“ (Schirrmacher 2004: 15) behandelt. Eindringlich fordert Schirrmacher eine Schärfung des Bewusstseins für diese zukünftige Lage, ja ein individuelles und gesellschaftliches Neu-Lernen des Alterns und strukturelle Veränderungen der Lebensläufe, weg von Linearitäten hin zu Gleichzeitigkeiten, beispielsweise bezüglich Arbeitsphasen und -zeiten. Schirrmachers Lebenslaufmodell orientiert sich implizit am männlichen Normallebenslauf. Beispielweise beschreibt er das Leben als „in drei Teile – Jugend, Beruf, Alter – getrennt“ (Schirrmacher 2004: 132) oder bezieht sich des Öfteren auf den Arbeitsplatz bzw. -markt, auf Arbeitsphasen und -zeiten und auf erste Leistungseinbußen. Eine Geschlechterdifferenzierung der Lebensläufe nimmt Schirrmacher in seinen Darstellungen explizit nur im Zusammenhang mit der (potenziellen) Familiengründung vor und macht sie an körperlichen Möglichkeiten fest: So führt er aus, dass sich das Ende der fruchtbaren Phase bei Frauen trotz ihrer höheren Lebenserwartung nicht nach hinten verschoben hätte und dass die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nach dem vierzigsten Lebensjahr drastisch abnehme. Die Abschwächung der Zeugungsfähigkeit bei Männern sei wesentlich geringer, die Praxis durch Medikamente wie Viagra sogar zusätzlich erleichtert. Schirrmacher schlussfolgert: „Dieses Auseinanderdriften von Lebensläufen kann unser Leben auf Dauer verändern: Männer, die zwei-, drei- oder fünfmal heiraten und sich entsprechend reproduzieren, werden aufgrund der Genveränderung im Alter ein Risiko für den Genpool; eine nachwachsende Generation könnte zu einem wachsenden Teil ältere, mehrfach verheiratete Väter haben, die gleichzeitig Urgroßväter anderer Abstammungslinien sind“ (Schirrmacher 2004: 87). Im Zusammenhang mit statistischen Erörterungen zum „Sieg der Langlebigkeit“ (Schirrmacher 2004: 21) geht der Journalist explizit auf die Frauen ein: Die weibliche Lebenserwartung hätte sich in den letzten 160 Jahren um jährlich drei Monate erhöht. In dieser Entwicklung sei kein Ende in Sicht: Jedes zweite kleine

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Mädchen, das wir heute auf der Straße sähen, hätte eine Lebenserwartung von 100 Jahren, jeder zweite Junge werde aller Voraussicht nach 95. Angesichts ihrer höheren Lebenserwartung sieht Schirrmacher für die Frauen „eine weitere Feminisierung des Alters und womöglich der Armut“ (Schirrmacher 2004: 43) heraufziehen. Er stellt jedoch keinen Zusammenhang zur geschlechtlichen Arbeitsteilung her. Dass Lebensläufe von Männern und Frauen nicht nur wegen vermeintlicher Unterschiede in der Dauer der Fruchtbarkeit bzw. Zeugungsfähigkeit auseinander driften können, sondern vor allem auch wegen ihrer (geschlechtlich ungleichen) institutionellen Strukturierung durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung und dass hierin eine zentrale Ursache der Altersarmut von Frauen liegt, gerät nicht in Schirrmachers Blickfeld. Überhaupt scheint die Geschlechterdifferenz in seinen Ausführungen vor allem hinsichtlich der Generativität bedeutsam zu sein. Schirrmacher betont beispielsweise, dass eine Gesellschaft in der Frage ihres Bevölkerungserhalts oder -zuwachses kaum von der Zahl der Männer, sondern fast ausschließlich von der Zahl der Frauen abhängig sei (Schirrmacher 2006: 145). Zwar werde es „bei uns [...] nicht weniger junge Frauen geben, aber jeweils weniger Frauen in der nächsten Generation“ (Schirrmacher 2006: 94), denn: „Von Generation zu Generation werden weniger Frauen geboren – die Generation der heute geborenen Mädchen ist zahlenmäßig geringer als die Generation ihrer Mütter“ (Schirrmacher 2004: 40f.). Die Zukunft der schrumpfenden und alternden Gesellschaft liegt, so betont der „FAZ“-Herausgeber, in den Händen der Frauen. Immer dann, wenn die Ressourcen schwänden und existenzielle Gerechtigkeit gefragt sei, wie in der Nachkriegszeit oder auch angesichts des gegenwärtigen demographischen Wandels, schlage die „Stunde der Frauen“: „Die Rolle der Frauen als ‚Verteiler‘ von Nahrung, Geld oder Informationen wird immer dann besonders bedeutsam, wenn eine neue Verteilung von Ressourcen bevorsteht“ (Schirrmacher 2006: 112). Schirrmacher (2006: 141) sieht die Stunde der Frauen nicht nur in sozialen Netzwerken, in den Medien, sondern auch im Zentrum von Institutionen schlagen: Frauen würden händeringend als qualifizierte Arbeitskräfte gesucht werden, sie würden existenziell als Mütter und in den Familien als Großmütter gebraucht werden, und sie würden dank ihrer sozialen Kompetenz eine wirkliche Marktlücke in einer Welt, in der es an Familie mangelte, füllen. Dieser Prozess der Umorganisation sei bereits seit langem in Gang und würde jetzt durch die Verknappung von Nachwuchs beschleunigt. Die Zukunft der alternden und schrumpfenden Gesellschaft liegt dem Frankfurter Journalisten zufolge in den Händen von Frauen: Ihnen, genauer noch: den jungen, fruchtbaren Frauen, kommt in seinen Ausführungen nicht nur die Hauptverantwortung für die Bestandserhaltung der Gattung zu, sondern angesichts ihrer „evolutionär-

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biologische[n] Programmierung“ (Schirrmacher 2006: 138) und ihrer „starke[n] emotionale[n] Kompetenz“ (Schirrmacher 2006: 135) ebenfalls die Förderung des sozialen Zusammenhalts auch über die Generationen hinweg. Dies umfasst ebenfalls die verstärkte Übernahme von zentralen Führungspositionen in Politik und Medien (Schirrmacher 2006: 156f.).4 Schirrmacher (re)konstruiert in seinen Darstellungen durchgängig und unhinterfragt traditionelle Alter(n)s- und Geschlechterbilder: Weibliches Alter(n) stellt er vor allem als Verlust der Fruchtbarkeit dar, während Männer laut seiner Darstellung bis ins hohe Alter zeugungsfähig sind; männliches Alter(n) beschreibt er als mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und der Verrentung einhergehend, für Frauen erhöhe sich durch ihre steigende Lebenserwartung das Risiko der Altersarmut. Dass die vom Ehemann und seiner Lebenserwartung partiell abhängige ökonomische Absicherung der Frauen im Alter ein asymmetrisches, gesellschaftlich konstituiertes Geschlechterverhältnis mit einer spezifischen Arbeitsteilung widerspiegelt, findet in seinen Ausführungen keine Aufmerksamkeit. Für beide Geschlechter wird das Alter(n) demnach als Verlust konstruiert – als Verlust der generativen Möglichkeiten und der materiellen Sicherheit auf Seiten der Frauen und als Verlust von gesellschaftlicher Teilhabe durch Erwerbsarbeit auf Seiten der Männer. Die zum Schicksal stilisierte Biologie hat demnach für das weibliche Alter(n) eine weit höhere Bedeutung als für das männliche. In seinen Darstellungen nimmt Schirrmacher keine systematische interkategoriale Verschränkung von Alter(n) und Geschlecht vor, sondern stellt vermeintliche Verknüpfungen der beiden Ungleichheitskategorien eher zufällig dar. Veränderungen in den Alter(n)skonstruktionen von Frauen und Männern kommen in seinen Ausführungen nicht vor, obwohl er diese herbeizuführen trachtet und den Frauen im demographischen Wandel wachsende Bedeutung zuschreibt.

Selbstbestimmt, frei und erfüllt im Lebens- und Alter(n)sentwurf – Die hundertjährige Frau aus Sicht von Susanne Gaschke Susanne Gaschke, promovierte Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und „Zeit“-Redakteurin, misst in ihrem Buch „Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos“ (2005) den Frauen „in der demographischen Frage“ eine „Schlüsselrolle“ bei (Gaschke 2005: 209). Ins Zentrum ihrer Erörterungen stellt sie die Effekte der (zweiten) Frauenbewegung, vor allem den 4 Schirrmacher bezieht sich hier auf Francis Fukuyamas umstrittenen Essay „Women and the Evolution of World Politics“ (1998).

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Zusammenbruch aller traditionellen Rollenbilder und die Aneignung der „‚Kontrolle über die Reproduktionsmittel‘“ in erster Linie durch die besser ausgebildeten Frauen (Gaschke 2005: 9f.). Ihr geht es also vor allem um die Analyse der möglichen Verbindung zwischen der Frauenemanzipation, insbesondere ihrer eigenen Generation der zwischen der Mitte der 1960er und der 1970er Jahre Geborenen, und dem Geburtenrückgang in der „kinderlose[n] Altenrepublik“ (Gaschke 2005: 42). Zugleich antwortet Gaschke mit ihrem Buch auch auf die von Frank Schirrmacher aufgeworfene Problematisierung des Alterungsprozesses. Sie attestiert dem „FAZ“-Herausgeber, dass er „in aufrüttelnder Absicht, aber mit einer gewissen Fahrlässigkeit“ die Angst vor der Altenfeindlichkeit schüre, um sich dann mit Verve auf die Seite der Alten zu schlagen. Seine „aufrüttelnde Prosa“ werde womöglich die Furcht vor der vergreisenden Republik oder dem eigenen Älterwerden schüren, ohne eine Trendwende zum Besseren einzuläuten. Es fehle weiterhin das Gefühl dafür, dass das eine unmittelbar mit dem anderen zu tun habe (Gaschke 2005: 47f.). Gaschkes Buch kann gelesen werden als Versuch, die bei Schirrmacher vermisste Trendwende zum Besseren in der demographischen Debatte einzuläuten und die von ihr angemahnte Verknüpfung mit der Frauenfrage herauszuarbeiten. Diese Verknüpfung ist verdienstvoll und mit Kritik am demographischen wie auch am feministischen Diskurs verbunden. Nach Gaschke gehört es zu den Versäumnissen der Frauenbewegung, dass Frauen heute zwar sorgfältig und vorausschauend jeden einzelnen Schritt ihres Ausbildungs- und beruflichen Werdegangs planten, dabei aber die große und länger werdende Phase des – überwiegend weiblichen – Alters komplett ausblendeten (Gaschke 2005: 49). Zum Altern von Frauen hätte der Feminismus nicht viel zu sagen gehabt (Gaschke 2005: 198). Auch Gaschke setzt sich in ihren Ausführungen nur vergleichsweise knapp mit dem Alter(n) auseinander. Genau diese vergleichsweise knappen Erörterungen stehen im Mittelpunkt der folgenden Analysen: Welches Bild oder welche Bilder des Alter(n)s entwirft die „Zeit“-Redakteurin, gerade auch vor dem Hintergrund ihrer Frage nach dem Zusammenbruch aller traditionellen Rollenbilder im Zuge der (zweiten) Frauenbewegung? Wie verschränkt sie Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen? In ihren Analysen setzt Gaschke am herrschenden Weiblichkeitsbild an, das attraktive Weiblichkeit mit Körperlichkeit, genauer: jugendlicher, fruchtbarer Körperlichkeit, gleichsetzt: „Für uns – noch – Jüngere verschwinden alte Menschen, besonders aber alte Frauen, aus dem Blickfeld, spätestens, sobald sie die Arbeitswelt verlassen. Wir wollen sie auch nicht sehen. Solange diese Gesellschaft Frauen trotz aller Bildungserrungenschaften vor allem nach der Qualität ihres Körpers beurteilt, sind Alte nur Vorboten des Jammers. So werden wir aussehen in zwanzig, dreißig Jahren, keine Schönheitschirurgie wird

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daran etwas ändern, kein Botox, kein Sport, keine noch so gesunde Ernährung“ (Gaschke 2005: 200). Das an den jugendlichen Körper gebundene Attraktivitätsideal von Frauen sieht Gaschke nach wie vor auch im weiblichen Selbstbild verankert: Anders als bei Männern sei bei Frauen der sexuelle Erfolg, über den sie sich immer noch ähnlich stark definierten wie über den beruflichen, an den Zustand des Körpers, an das Aussehen geknüpft. Bei einem Mann seien Falten und Bauch durch Macht, Geld und zum Teil sogar Selbstbewusstsein zu kompensieren, bei einer Frau in aller Regel nicht (Gaschke 2005: 204). Die Wahrnehmung des weiblichen Alter(n)s verknüpft die Journalistin demnach mit einem Verfall des Körpers und einem Attraktivitätsverlust, ähnlich wie die Wahrnehmung des männlichen Alter(n)s. Die Geschlechterdifferenz bezüglich des Alter(n)s liegt für Gaschke darin, dass Männer den körperlichen Attraktivitätsverlust durch Macht, Geld und Selbstbewusstsein kompensieren könnten, während sich für Frauen keine adäquaten Kompensationsmöglichkeiten zu bieten scheinen. Die Journalistin schlussfolgert: „Wenn wir die Gleichsetzung von Weiblichkeit und Körper nicht irgendwie überwinden können, werden wir Frauen einen großen Teil unseres Lebens im missachteten Jenseits hinter dem gültigen weiblichen Rollenbild verbringen“ (Gaschke 2005: 200). Das an den jugendlichen Körper gebundene Weiblichkeitsbild korrespondiert ihrer Ansicht nach nicht mit der gestiegenen Lebenserwartung von Frauen, mit dem „Niveau der hundertjährigen Frau“ (Gaschke 2005: 200). Die „dramatische Verlängerung der Lebenserwartung“ müsse Bedeutung für die Frauen haben (Gaschke 2005: 210), so der appellative Tenor der Ausführungen. Gaschke fordert an erster Stelle eine andere Kultur, also eine andere Literatur, andere Leitbilder, „eine adäquate ‚kulturelle Repräsentanz‘ des Alters“ (Gaschke 2005: 201), veränderte mentale Modelle im Hinblick auf das Alter(n) und eine Solidarisierung der Frauen: „Müssen wir heute nicht alles daransetzen, anders zu altern? So wie die Kinderfrage sich den Frauen anböte, um ein kollektives Bewusstsein zu entwickeln und Forderungen zu stellen, so wäre das Erlebnis des Alterns für die Frauen ein Grund, sich zu solidarisieren“ (Gaschke 2005: 202). Die Legitimation für die Forderung nach der Solidarisierung von Frauen leitet die „Zeit“-Redakteurin aus der Tatsache her, dass insbesondere die Frauen im Alter „etliche Jahre unter sich sein [würden, H. K.], die Kinderlosen mehr noch als die mit Familie“ (Gaschke 2005: 202). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen entwirft Gaschke in Anerkennung der Frauenemanzipation „ein neues Konzept von tragfähiger ‚Weiblichkeit ohne Verfallsdatum‘“ (Gaschke 2005: 206f.), ja, „einen gewandelten Attraktivitätsbegriff: den der vollständigen, erwachsenen Frau“ (Gaschke 2005: 207): „Eine Sechzigjährige, die attraktiv sein will, muss ein kompletter Mensch sein, mit einem Beruf, mit Kindern, mit Interessen, mit einer Geschichte“ (Gaschke 2005:

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207). Dafür müssten Frauen sich zuallererst von der Wahrnehmung befreien, es sei allein die von ihnen verlangte jugendliche Weiblichkeit, die ihr Wesen ausmache. Diese Selbstbefreiung sei das große, uneingelöste Versprechen der Frauenbewegung, das Ziel, das noch ganz und gar nicht erreicht worden sei, das Ziel, das für das Jahrhundert der hundertjährigen Frauen errungen werden müsse (Gaschke 2005: 210). Angesichts der gestiegenen Lebenserwartung insbesondere von Frauen macht die Journalistin spezifische „Entwicklungsaufgaben für die hundertjährige Frau“ aus: „[u]ns bei Laune zu halten, einen Mann zu finden, der bei uns bleibt (oder immer wieder einen neuen), ein Leben allein zu entwerfen, das nicht schrecklich, sondern erfüllt ist“ (Gaschke 2005: 209). Kluge Frauen müssten die fünfundfünfzig Jahre nach der Fortpflanzungsgrenze ebenso bedenken wie die beruflich und freizeitmäßig wichtigen Jahre davor. Im Einklang mit Schirrmacher sieht auch Gaschke die jungen, fruchtbaren Frauen als ‚Retterinnen‘ aus der demographischen Not und die Zukunft der alternden und schrumpfenden Gesellschaft in den Händen von Frauen: „[...] allein die jungen Frauen [...] und niemand sonst“ könnten „den Trend zur Entvölkerung noch verlangsamen“ (Gaschke 2005: 44; ähnlich 51). Dabei unterstellt Gaschke den Frauen allerdings keine evolutionäre Programmierung zur Rettung der alternden und schrumpfenden Gesellschaft, bezeichnet die Mutterschaft jedoch in gefährlicher Nähe mit essentialistischen Geschlechterstereotypen als das „letzte relevante Element von Weiblichkeit“ (Gaschke 2005: 102; ähnlich 34). In der Analyse der bestehenden Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen kommt Gaschke zu anders akzentuierten Ergebnissen als Schirrmacher. Auch sie macht eine Geschlechterdifferenzierung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewertung des Alter(n)s aus, verknüpft diese aber stärker mit körperlicher Attraktivität als mit der generativen Macht des Gebärens und Zeugens. Ihr Frauenbild beinhaltet neben der Möglichkeit zur Mutterschaft selbstverständlich die (Möglichkeit zur) Erwerbstätigkeit und damit die Möglichkeit zur eigenständigen, vom männlichen Ernährer unabhängigen Existenzsicherung. Folglich bedeutet Alter(n) auch für Frauen zu einem bestimmten biographischen Zeitpunkt gemäß institutioneller Festlegungen den Verlust des Arbeitsplatzes und den Eintritt in eine Lebensphase jenseits der Erwerbstätigkeit. Ähnlich wie Schirrmacher beschreibt Gaschke demnach das Alter(n) als Verlust – als Verlust von gesellschaftlicher Teilhabe durch Erwerbsarbeit, und als Verlust von körperlicher Attraktivität, der gemäß dem herrschenden Altersbild nur bei Männern kompensiert werden kann. Die Biologie hat demnach auch den Analysen der „Zeit“-Redakteurin zufolge für das weibliche Alter(n) bisher eine weit höhere Bedeutung als für das männliche. Gaschke bleibt in dieser Analyse nicht stehen: Sie entwirft einen neuen, den gesamten Lebenslauf umfassenden Begriff von weiblicher Attraktivität, der sich

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an der Realität weiblicher Lebensläufe mit ihrer Doppelorientierung auf Beruf und Familie und an der Selbstbestimmung von Frauen orientiert. In diesem Entwurf haben Frauen die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegenden Probleme gelöst und können beide Bereiche zufrieden stellend miteinander verbinden. Auf die dafür notwendigen gesellschaftlich-strukturellen Veränderungen geht Gaschke jedoch nicht ein, sieht deren Einlösung aber durch ein ihrer Ansicht nach notwendiges Wiedererstarken der Frauenbewegung Realität annehmen. In ihrer Analyse der Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen wie auch im Entwurf eines neuen Alter(n)sbilds von Frauen nimmt sie eine systematische interkategoriale Verschränkung von Alter(n) und Geschlecht vor. Ein neues Alter(n)sbild für Männer findet sich in ihren Überlegungen aber nicht.

Frei, handlungsfähig und flexibel auch im Alter(n) – Die hundertjährige Frau aus Sicht von Antje Schrupp Antje Schrupp, promovierte Gesellschaftswissenschaftlerin, Journalistin und Redakteurin der Mitglieder-Zeitung „Evangelisches Frankfurt“, stellt in ihrem Buch „Methusalems Mütter. Chancen des demografischen Wandels“ (2007) die Differenz der Geschlechter, genauer noch: „das Handeln von Frauen“ (Schrupp 2007: 8), in der schrumpfenden und alternden Gesellschaft in den Mittelpunkt. So oder so stünden Frauen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung im Zentrum der Aufmerksamkeit, so Schrupp (2007: 11f.): Sie seien es schließlich, die länger lebten und in den ältesten Bevölkerungsgruppen rund 80 Prozent ausmachten. Sie seien es auch, die immer noch – trotz Berufstätigkeit und Emanzipation – dafür sorgten, dass die allermeisten alten Menschen zu Hause leben könnten. Und sie seien es natürlich, die Kinder bekämen und großzögen – oder eben auch nicht – und damit einen entscheidenden Einfluss auf die zukünftige Bevölkerungsstruktur hätten. Schrupp betont, dass Feministinnen anders als die Feuilletons die demographische Frage nicht erst gestern entdeckt hätten, sondern vor Jahrzehnten. Es komme nun darauf an, diese Pionierarbeit auch zu Gehör zu bringen und deutlich zu machen, warum die durch die Frauenbewegung gewonnene weibliche Freiheit eine Lösung für die mit der demographischen Frage verbundenen Herausforderungen sein könne (Schrupp 2007: 10). Als Beispiele führt die Journalistin Initiativen von aktiven älteren Frauen an, die mit neuen Beziehungs-, Wohn- und Lebensformen experimentierten (Schrupp 2007: 15). Schrupp spielt nicht nur mit ihrem Buchtitel auf die in Deutschland von Schirrmacher maßgeblich angestoßene Debatte über einen notwendig gewor-

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denen Bewusstseinswandel und die Entwicklung neuer kultureller Vorstellungen vom Alter(n) an, sondern setzt sich auch dezidiert mit den beiden in diesem Beitrag ebenfalls ausgewerteten Büchern Schirrmachers auseinander (vgl. Schrupp 2007: 23–25). Seinem Appell, sich von traditionellen Altersbildern zu verabschieden, stimmt sie zu, weist aber zugleich darauf hin, dass bereits die Feministin Betty Friedan 1993 mit ihrem Buch „Mythos Alter“ dieses Thema weitaus fundierter als er untersucht habe. Schrupp pflichtet Schirrmacher bei, dass die Initiativen für den als notwendig erkannten mentalen Wandel von den Frauen ausgehen sollten. Seine Analysen identifiziert sie als an die Männer gerichtet. Diesen empfehle er, sich mit den Frauen gut zu stellen, weil sie in Zukunft auf deren soziale Kompetenzen angewiesen sein würden. Schrupp schlussfolgert: „Schirrmachers Bücher sind Dokumente des gescheiterten Patriarchats“ (Schrupp 2007: 25). Möglicherweise entdeckten nun auch Männer, dass Gesellschaften nicht von einsamen Helden zusammen gehalten würden, sondern von Beziehungen, denn Menschen müssten geboren und großgezogen werden, und menschliche Gesellschaften beruhten auf der Abfolge von Generationen. Vielleicht, so bilanziert die Journalistin, sei es ja ein erster Schritt zur Anerkennung weiblicher Autorität, wenn endlich klar würde, wie wichtig die Bedeutung von Beziehungen sei und also das Wissen darum, wie sie erhalten und gepflegt würden. In ihrer Kritik an der aktuellen medialen Demographie-Debatte bleibt Schrupp aber nicht bei der Auseinandersetzung mit der anti-feministischen Position Schirrmachers stehen, sondern nimmt auch Stellung zu den um sich greifenden Einwänden gegen den an Gleichheit orientierten (Frauen-) Emanzipationismus, die von Publizistinnen vorgetragen werden. Aus feministischer Sicht seien die von Susanne Gaschke, Eva Herman und anderen vorgetragenen Kritiken an der auf die Integration in die Erwerbsarbeit bezogenen Logik der Emanzipation „alte Hüte“ (Schrupp 2007: 72): Das feministische Denken sei längst viel weiter, und die Emanzipation sei ohnehin nicht rückgängig zu machen, denn sie sei im Grunde genommen unvermeidlich gewesen. Nicht bestritten werden könne, dass die Frauenbewegung insgesamt äußerst positive Folgen in vielerlei Hinsicht für Frauen, wenn nicht auch für Männer gehabt hätte. Der Emanzipationismus möge problematisch sein, das Patriarchat sei aber ohne Zweifel noch um ein vielfaches problematischer gewesen. Angesichts inzwischen weitgehend durchgesetzter Emanzipation sieht Schrupp die patriarchale Herrschaft gegenwärtig zu Ende gehen. Mit Blick auf die alternde Gesellschaft plädiert die Publizistin für ein „Bewusstwerden des Alters“ (Schrupp 2007: 110) und arbeitet verschiedene Alterskategorien heraus, die miteinander verknüpft und voneinander abhängig seien. Sie unterscheidet das kalendarische Alter (Anzahl der Lebensjahre), das

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biologische Alter (konkrete körperliche Verfassung), das soziale Alter (Rolle eines Menschen in sozialen Bezügen), das psychische Alter (Selbsteinschätzung und subjektive Bewertung äußerer Faktoren) und das funktionale Alter (faktisches Verhalten in der Außenbeobachtung) (vgl. Schrupp 2007: 124-127). Ihre Ausführungen verdeutlichen, dass sich die Bedeutung des Altseins mit dem Anstieg der Lebenserwartung sehr gewandelt hat und folglich auch Alter(n)sbilder in Veränderung begriffen sind, zumal durch die längere Lebenserwartung neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung und -planung entstanden seien. Dies habe auch dazu geführt, dass die Grenzen und Übergänge zwischen den Generationen fließend geworden seien. In ihren Interessen und Lebensstilen glichen sich die Generationen – trotz schneller historischer Veränderungen – immer mehr an. Schrupp verwirft die quasi automatische Assoziation von Alter mit Krankheit, Verfall und Abhängigkeit. „Altwerden hat zwar auch negative Begleitumstände, aber nicht linear und nicht ausschließlich, nicht einmal überwiegend. Vielmehr handelt es sich um komplexe Veränderungsprozesse mit Höhen und Tiefen, die einander abwechseln und die gerade in ihrer Ambivalenz in den Blick genommen werden müssen“ (Schrupp 2007: 123). Die nach Ansicht der Journalistin erforderliche gesellschaftliche Integration des Alters werde auch Auswirkungen auf die anderen Lebensphasen haben (Schrupp 2007: 138f.). Auf die Agenda gesetzt ist damit die Entwicklung neuer Vorstellungen über die Institution des Lebenslaufs, wobei Schrupp sich im Klaren darüber ist, dass die traditionellen Lebensläufe, die sich nun ändern müssten, für Frauen und Männer nicht gleich gewesen seien. So wundert es sie auch nicht, dass die anstehende „Neusortierung der Lebensphasen“ (Schrupp 2007: 139) angesichts der verlängerten Lebenserwartung vor allem für Männer eine Herausforderung darstellt. Denn im traditionellen Lebenslaufmuster sei nur die männliche Biographie so deutlich dreigeteilt gewesen und hätte so klare Markierungen des Übergangs von der Jugend ins Erwachsenendasein (Aufnahme der Erwerbsarbeit) und von dort in das Alter (Renteneintritt). Die weibliche Biographie hingegen sei immer vielfältiger gewesen. Erwerbsarbeit hätte für die meisten Frauen bis heute nicht die identitätsstiftende Bedeutung, die sie für Männer hätte. Zwar könnte etwa die Geburt des ersten Kindes als Übergang von der Jugend in das Erwachsenwerden definiert werden, aber das Aus-dem-Haus-Gehen der Kinder oder die Geburt der ersten Enkel sei für Frauen noch nie einem Übergang in den Ruhestand gleichgekommen, sondern nur einem Wechsel in andere Tätigkeitsfelder. Ausbildungsund Erwerbsbiographien von Frauen seien immer schon vielfältiger als die von Männern gewesen, und die Hausarbeit, bis heute eine Domäne der Frauen, entlasse sowieso niemand in den Ruhestand. Frauen, so bilanziert Schrupp (2007: 143), hätten schon immer ‚Lebensläufe jenseits der Erwerbsarbeit‘ gestaltet, und

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die Männer könnten nun von ihnen lernen. Die Flexibilität der Lebensläufe bedeute auch einen Abschied vom patriarchalen Verständnis der Generationen (Schrupp 2007: 142). Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen, so ist festzuhalten, sind in den Ausführungen Schrupps eng miteinander verschränkt. Ihr Alter(n)s- wie auch ihr Geschlechterbegriff sind konstruktivistisch von Simone de Beauvoir inspiriert: Beauvoirs Fazit, dass man nicht als Frau geboren werde, sondern dazu gemacht, lässt sich nach Ansicht Schrupps mit wenigen Einschränkungen5 auf das Altsein übertragen, denn: „Weder die Biologie noch die natürliche Lebensumgebung bedingen zwangsläufig eine bestimmte kulturelle Altersdefinition. [...] Das Altsein und seine Bedeutung sind ebenso kulturell geprägt wie das Frausein und seine Bedeutung“ (Schrupp 2007: 106). Zwar seien bestimmte Fakten unhintergehbar wie beispielsweise die, dass Frauen in der Regel Kinder gebären könnten und dass alte Menschen Falten bekämen und ihr Körper schwächer würde, aber der Umgang mit diesen Fakten könne doch ein je eigener, freier sein (Schrupp 2007: 108), er ist nicht bis ins letzte Detail soziokulturell determiniert. Geschlecht und Alter(n) sind in diesem konstruktivistischen Verständnis kein hinderliches Schicksal, sondern eine Ressource, von der ausgehend sich Frauen wie Männer, Alte wie Junge, handelnd in die Welt einschalten könnten (vgl. Schrupp 2007: 109).

Die Suche nach positiven Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen Die Politikwissenschaftlerin Barbara Holland-Cunz (2007: 64) zeigt in ihrer Analyse der öffentlichen Debatte über den demographischen Wandel in Deutschland, dass die Rhetorik des Wandels, deren zentrale Konnotationen die eines sanften, gleichwohl unvermeidlichen Übergangs, auch die der Verharmlosung und Beruhigung seien, fast immer einen sprachlichen Begleiter hätte, dessen Bilderfolgen das genaue Gegenteil, also drastische Veränderungen, gefährliche Entwicklungen, dringend notwendiges Handeln evozierten. Der sanfte Begriff des (demographischen) Wandels werde angeschlossen an dramatische Bilder5 Dazu zählt sie, dass das Frausein lediglich die Hälfte der Menschheit betreffe, während alle Menschen alt würden. Das Frausein gehöre auch lebenslang zur ganzen Person, vom Augenblick der ersten Ultraschalluntersuchung an, während das Alter nur einen späten Lebensabschnitt beschreibe. Zudem gebe es beim Alter, anders als beim Geschlecht, eine gemeinsame Grundkonstante, nämlich die Involution des Organismus (Schrupp 2007: 107).

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folgen. Vor allem den populärwissenschaftlich argumentierenden Protagonistinnen und Protagonisten der Demographie-Debatte gelte der zeitgenössische Feminismus als Auslöser der demographischen Frage, genauer noch: des Geburtenrückgangs, mit zum Teil offen sexistischen Argumenten. Dabei sei der Ton zudem stark kulturkritisch: der Untergang des Abendlandes scheine unmittelbar vor der Tür zu stehen (Holland-Cunz 2007: 68). Meine hier und andernorts vorgelegten Analysen der öffentlichen Debatte (vgl. z. B. Kahlert 2009) weisen darauf hin, dass Holland-Cunz’ Darstellung etwas verkürzend und vor allem zu generalisierend ist. In der wissenschaftlichen wie auch in der öffentlichen Ursachensuche gibt es durchaus die Bereitschaft, sich diagnostisch der Komplexität des demographischen Wandels zu stellen und dessen Dynamik nicht verengend dem zeitgenössischen Feminismus zuzuschreiben. Gleichwohl wird dem Feminismus und seinen verschiedenen, gleichheits- und differenzorientierten, Strömungen in den verschiedenen Textsorten zu Recht Bedeutung beigemessen – schließlich sind die durch ihn ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse wie die steigende Erwerbsbeteiligung und ein erstarkendes Gleichheitsbewusstsein von Frauen schwerlich zu übersehen. Diese differenzierende Betrachtung zeigt sich in den hier analysierten journalistischen Texten von Frank Schirrmacher, Susanne Gaschke und Antje Schrupp. Für Gaschke ist ein Rückfall hinter Errungenschaften der Frauenbewegung nicht denkbar, wohl aber fordert sie eine Kurskorrektur hinsichtlich der feministischen Problematisierung der Kinderfrage ein und sieht die Chance für das Aufkommen einer dritten Frauenbewegung steigen, die diese Frage aufzugreifen hätte. Auch Schrupp ist vom Verschwinden des Patriarchats überzeugt, das der Feminismus befördert habe, und sieht Frauen als Vorreiterinnen für ein neues Lebenslaufmodell. Beide Journalistinnen entwerfen Weiblichkeitskonstruktionen, die den im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess sich verändernden Realitäten von Frauen mit einer Doppelorientierung auf Familie und Beruf in den Lebensentwürfen und -läufen entsprechen und sehen diese Realitäten als Grundlage für die Neubestimmung von Alter(n)skonstruktionen an, die den Veränderungen in den Lebensläufen von Frauen gerecht werden und ihr Alter(n) als selbstbestimmt, frei und durch plurale biographische Entwürfe charakterisiert zeichnen. Auch Schirrmacher kann sich in seinem Traditionalismus einen Rückfall hinter frauenemanzipatorische Entwicklungen nicht vorstellen, denn diese sind die Grundlage für seine Diagnose von der derzeit schlagenden Stunde der Frauen als erfahrene Krisenmanagerinnen in gesellschaftlichen Umbrüchen. Zugleich bleibt er in seinen Alter(n)s- und Geschlechterkonstruktionen aber so stark dem Glauben an evolutionäre Programmierungen der Geschlechter verhaftet, dass sein Blick auf sich verändernde Realitäten in den Lebensläufen von Frauen, beispielsweise durch

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ein gestiegenes Bildungsniveau und die steigende Erwerbsbeteiligung, getrübt wird. Die weibliche Biologie ist für ihn nach wie vor den Lebenslauf und das Alter(n) von Frauen determinierendes Schicksal. Auffällig in den analysierten Texten ist das Fehlen von Entwürfen positiver Alter(n)sbilder für Männer. Gaschke und Schrupp zeigen zwar die vergleichsweise starre Dreiteilung des männlichen Lebenslaufs und dessen Fokussierung auf die Erwerbsphase gemäß des in Abschied begriffenen Normalverdienermodells auf, lassen aber offen, wie alternative Lebenslaufkonstruktionen für Männer aussehen könnten. Am weitesten geht hier Schrupp, die darauf hinweist, dass Männer in weiblichen Lebensläufen Vorbilder für ein Altern jenseits der Erwerbsarbeit finden könnten. Schirrmacher hingegen scheint die implizite Orientierung seines Lebenslaufmodells am männlichen Muster nicht einmal aufzufallen, sodass man in seinen Schriften entsprechende Reflexionen vergeblich sucht. Die fehlenden positiven Alter(n)sbilder von Männern in den untersuchten Publikationen können gedeutet werden als ein Spiegel der historischen Verspätung von Männern gegenüber Frauen in Bezug auf den Wandel in den Geschlechterverhältnissen, der sich seit den 1960er Jahren in fortgeschritten modernen Gesellschaften abzuzeichnen beginnt. Veränderungen in geschlechtlichen Identitäten und die Erweiterung von sozialen Praxen und symbolischen Repräsentationen sind bisher vor allem auf Seiten von Frauen empirisch zu beobachten. Männer sind diesbezüglich Nachzügler im Modernisierungsprozess. Festzuhalten ist zudem, dass in keinem hier analysierten Text die geschlechtliche Arbeitsteilung in ihrer Bedeutung für Alter(n)skonstruktionen und realitäten der Geschlechter grundlegend in Frage gestellt und eine Vision eines geschlechteregalitären Alter(n)s jenseits der unterschiedlichen Lebenserwartung von Frauen und Männern gezeichnet wird. Der analytische Weitblick der Frauen- und Geschlechterforschung mit ihrem „Vorgriff auf Gleichheit“ (Müller 1990: 191) in den Geschlechterverhältnissen hat im journalistischen Diskurs also noch keinen Niederschlag gefunden. Die Feststellung Hartungs (2005: 17), dass es einen Mangel an positiven Altersbildern und noch wenige kulturell verankerte Vorstellungen vom Alter als Erfolgsgeschichte gebe, kann auf der Basis meiner Analysen nicht generell bestätigt werden, denn Gaschke und insbesondere Schrupp entwerfen positive Altersbilder von Frauen. Der Mangel an positiven Altersbildern von Männern und solchen, die die (angestrebte) Gleichheit der Geschlechter widerspiegeln, bleibt jedoch bestehen. Vielleicht ist ja die Verschränkung zweier soziokultureller Wandlungen mit hoher symbolischer und sozialer Wirkungsmächtigkeit – positiv konnotiertes Alter(n) und Gleichheit in den Geschlechterverhältnissen – noch zu utopisch, als dass diese Vorstellungen gegenwärtig diskursiv miteinander verknüpft werden könnten? Schließlich wäre die Gesellschaft, die diese Vorstellungen ermög-

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licht, eine gänzlich andere als die bestehende. Dass diese Vorstellungen aber bereits denkbar sind, zeigt zugleich, dass sie nicht gänzlich außerhalb des Möglichen liegen.

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Altersstrukturen im historischen Wandel. Demographische Trends und gesellschaftliche Bewertung Josef Ehmer The concept of the ‘aging society’ plays a key role in the current political discourse. This essay is an effort to elaborate on this concept, to put it in its historical context, and thus to approach it less emotionally. One way to go about this is to scrutinize the development of the age structures of European societies over the last 600 years; another is to critically assess the hopes and fears that have been associated with the changes these structures have undergone throughout the various historical epochs. Das Konzept der ,alternden Gesellschaft› spielt im gegenwärtigen politischen Diskurs eine zentrale Rolle. Der Aufsatz versucht, dieses Konzept zu reflektieren, zu historisieren und damit auch zu entdramatisieren. Dazu dient zum einen ein Blick auf die Entwicklung der Altersstrukturen europäischer Gesellschaften in den letzten 600 Jahren, zum anderen eine kritische Bewertung der Befürchtungen und Hoffnungen, die in den verschiedenen Epochen am kontinuierlichen Wandel dieser Strukturen anknüpften.

1. Zur Einleitung: ‚alternde Gesellschaft‘ und ‚demographische Alterung‘ Der Begriff der ‚alternden Gesellschaft‘ ist gegenwärtig als Zustands- und Zukunftsbeschreibung postindustrieller Gesellschaften weit verbreitet. Der Begriff ist problematischer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dass menschliche Individuen – wie alle anderen Lebewesen auch – einem Prozess des Alterns unterliegen, von der Geburt bis zum Tod, ist Teil ihrer Biologie (vgl. dazu Staudinger/Häfner 2008). Kann man aber auch vom Altern sozialer Gruppen oder ganzer Gesellschaften sprechen? Wenn überhaupt, dann wohl nur in einem abgeleiteten, metaphorischen Sinn. In der Tat wird nur selten versucht, den Begriff der ‚alternden Gesellschaft‘ zu definieren. In der Regel wird nicht mehr darunter verstanden, als dass die Anzahl und/oder der Anteil älterer Menschen im Steigen begriffen ist, und/oder dass sich das durchschnittliche Alter einer Bevölkerung erhöht. Derartige Verschiebungen im Altersaufbau werden allerdings häufig mit negativen Bewertungen und mit Befürchtungen der verschiedensten Art verknüpft. Ein ‚Altern‘ der Gesellschaft wird nicht mit Freude begrüßt, sondern als Problem wahrgenommen oder gar als Bedrohung

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gesehen. Diesem pessimistischen Szenario steht im öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs aber auch eine positive Interpretation der demographischen Entwicklung gegenüber. Ihre Vertreter weisen darauf hin, dass die gegenwärtigen Verschiebungen im Altersaufbau zum einen dem Geburtenrückgang, zum anderen aber auch einem Anstieg der Lebenserwartung geschuldet sind. In dieser Perspektive erscheint die ‚Alterung‘ als Ausdruck von ‚gewonnenen Lebensjahren‘, als gestiegenes Potential für die einzelnen Menschen wie für die gesamte Gesellschaft.1 Um den gesellschaftlichen Wandel präziser erfassen zu können und um ihn nicht automatisch mit Bewertungen zu verknüpfen, ziehen die meisten Sozialwissenschaftler den Begriff der ‚demographischen Alterung‘ vor. Es handelt sich um eine engere und genauere Begrifflichkeit, die sich ausschließlich auf die chronologische bzw. kalendarische Altersstruktur von Bevölkerungen und ihren Wandel bezieht. Auch dieses engere Konzept wirft allerdings beträchtliche Probleme der Definition und der wissenschaftlichen Operationalisierung auf (Dinkel 2008). Die am häufigsten angewandte Definition und quantitative Bestimmung einer ‚demographischen Alterung‘ geht von der Zunahme der Zahl und/oder des Anteils von Menschen aus, denen vorher – also a priori – auf Grund ihres kalendarischen Alters das Attribut ‚alt‘ zugeschrieben wurde. ‚Demographische Alterung‘ findet demnach statt, wenn die Zahl und/oder der Anteil von über 60-jährigen oder über 65-jährigen Menschen in der Gesellschaft steigt. Die Grenze zum Alter mit dem oder um das 60. Lebensjahr zu ziehen, weist in vielen Kulturen dieser Welt lange historische Traditionen auf. In Europa reichen sie weit in die griechisch-römische Antike zurück (vgl. Ehmer 2008a: 157ff.; Ehmer/Höffe 2009). Die in der Neuzeit entstehende Statistik schloss an diese kulturelle Überlieferung an, und in den Sozialstaaten des 20. Jahrhunderts erhielt die chronologische Altersgrenze von 60 oder 65 Jahren als ,Rentenalter‘ oder ,Ruhestandsalter‘ eine stärkere praktische Bedeutung als jemals zuvor in der Geschichte. Als „gesellschaftliches Regulativ individueller Lebensgestaltung“ erfüllt diese fixe Altersgrenze eine Reihe von Funktionen und ist von hoher Verbindlichkeit (Kohli 2000). Mit biologischen oder psychischen Prozessen des Alterns hat sie allerdings nichts zu tun. Insofern ist auch der Begriff des ,demographischen Alterns‘ problematisch, beruht er doch auf einer willkürlich gezogenen und statisch-ahistorischen Altersgrenze (zur Kritik vgl. insbes. Bourdelais 1999). In besonderem Maß stehen historische Untersuchungen des Wandels von Altersstrukturen vor einem Dilemma. Zum einen brauchen sie fixe Altersgrenzen, sei es mit 60, 65 oder anderen Jahren, um historisch vergleichen 1 Als ausführliche Darstellung dieser Position vgl. Kocka/Staudinger 2009.

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und das Ausmaß des Wandels bestimmen zu können. Zum anderen sind Prozesse des körperlichen und geistigen Alterns historisch variabel. Wenn es auch eindeutige Evidenz nur für die jüngste Geschichte gibt, so kann man doch annehmen, dass ein 60-Jähriger oder eine 60-Jährige des 15., 18. oder beginnenden 21. Jahrhunderts über eine unterschiedliche geistige und körperliche Konstitution verfügten und sich auch subjektiv in ganz unterschiedlichem Maß als ,alt‘ verstanden bzw. verstehen (zur Variabilität subjektiv empfundener Altersgrenzen vgl. Bourdelais 1997: 21.). Auch der folgende Beitrag benützt statische, über die Epochen hinweg gleich bleibende Altersgrenzen, um den historischen Wandel zu analysieren, wohl wissend, dass diese Grenzen angesichts der historischen Variabilität und der individuellen Vielfalt des Alterns zugleich auch irreführend sind. Trotzdem ist ein Blick in die Geschichte nützlich, um die Besonderheit der gegenwärtigen und in der näheren Zukunft erwartbaren Altersstrukturen moderner Gesellschaften einschätzen zu können. Der folgende Beitrag versucht zu zeigen, dass Altersstrukturen in der Geschichte große Schwankungen aufgewiesen haben, dass es zugleich aber auch vom 15. bis ins 20. Jahrhundert erstaunliche Kontinuitäten gibt. Daran schließt die Frage an, ob die Begriffe der ,alternden Gesellschaft‘ und der ,demographischen Alterung‘ den historischen Wandel adäquat beschreiben, und was in der Gegenwart tatsächlich als neu betrachtet werden kann. Es soll auch sichtbar gemacht werden, dass die verschiedenen Aspekte, die der Begriff des ,demographischen Alterns‘ enthält – Verschiebungen in der Altersstruktur, Zunahme des Anteils der Älteren, Ausdehnung der menschlichen Lebensspanne – nicht identisch sind und unterschiedlichen historischen Entwicklungswegen folgten. Ich richte dabei den Blick auf die gesamte Periode vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart, also auf die letzten 500 bis 600 Jahre. Für diese Periode verfügen wir – in Europa – über eine zunehmende Fülle demographischer Daten, die es ermöglichen, langfristige Trends zu beschreiben. Der folgende Artikel tritt aber auch hinter die Demographie und ihre Zahlen zurück und stellt die Frage zur Diskussion, welche Bedeutungen demographischen Prozessen in der Geschichte zugeschrieben wurden, welche Ideologien an sie anknüpften. Die Demographie war in ihrer Geschichte stets eng mit Staat und Politik verknüpft und hat immer wieder ideologische Funktionen erfüllt. Sie ist auch heute nicht nur eine exakte Sozialwissenschaft mit hoch entwickelten formalen Methoden. Die metaphorische Sprache, die manche Demographen im Lauf des 20. Jahrhunderts benützten und benützen, wie ,Volkstod‘, ,Bevölkerungsbombe‘ oder ,Überfremdung‘, bis hin zur neutraler klingenden ,Überalterung‘ unserer Tage, wurde immer wieder für politische und ideologische Ziele eingesetzt (vgl. dazu Greenhalgh 1996). Demographische

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Prognosen sind für die (Selbst-)Aufklärung der Gesellschaft unverzichtbar, aber sie können auch benützt werden, um Katastrophen an die Wand zu malen, Panik zu erzeugen und Ressentiments zu schüren. Die Beschäftigung mit dem historischen Wandel von Altersstrukturen und ihrer jeweiligen zeitspezifischen Interpretation soll demgegenüber zur Vorsicht mahnen und zu einer Versachlichung der aktuellen Diskussion beitragen.

2. Zur historischen Entwicklung von Altersstrukturen Die Zusammensetzung einer Bevölkerung nach dem Alter ist das Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer demographischer Faktoren. Hier ist zunächst die altersspezifische Mortalität zu nennen, die den unterschiedlichen Einfluss von Krankheiten und Sterberisiken in den einzelnen Altersgruppen widerspiegelt und auch die Lebenserwartung bestimmt. Dazu kommen kurz- und langfristige Schwankungen der Fertilität, zum Teil ausgelöst durch Mortalitätskrisen, die sich unmittelbar auf den Anteil von Säuglingen und Kleinkindern und mit entsprechender zeitlicher Verzögerung auch auf die Stärke höherer Altersgruppen auswirken. Zudem spielen Zu- und Abwanderung eine große Rolle, da nicht alle Altersgruppen gleichmäßig an allen Migrationsbewegungen teilnahmen. Insbesondere die frühneuzeitliche Arbeitsmigration war in großem Maß von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geprägt, so dass die entsprechenden Altersgruppen in Zuwanderungsgebieten über-, in Abwanderungsgebieten unterrepräsentiert sind. Die Schwierigkeiten der historischen Interpretation der altersmäßigen Zusammensetzung einer Bevölkerung liegen schließlich auch darin, dass die Altersstrukturen eines einzelnen Stichjahres die demographische Geschichte der jeweiligen Bevölkerung widerspiegelt und die genaue Kenntnis ihrer Mortalitäts-, Fertilitäts- und Migrationsgeschichte des vorhergegangenen Jahrhunderts voraussetzen würde. Historische Untersuchungen von Altersstrukturen setzen natürlich die Existenz einschlägiger Daten voraus. In Europa sind Quellen zur Alterverteilung der Bevölkerung von einzelnen Städten oder größeren Territorien vom 14. Jahrhundert an überliefert. Zum Teil handelt es sich um Verzeichnisse aller Einwohner eines Gemeinwesens, die zum Zweck der Steuereinhebung, der Ernährungssicherung oder zur Kenntnis des militärischen Potentials angefertigt wurden, und für jedes einzelne Individuum neben den verschiedensten anderen Merkmalen auch Altersangaben enthalten. Aus derartigen Quellen haben Historiker seit mehr als 100 Jahren Altersstrukturen rekonstruiert. Zum anderen handelt es sich um Tabellen, die von den Zeitgenossen selbst – aus heute verschollenen Materialien – angefertigt wurden. Vom 19. Jahrhundert an ste-

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hen dann in zunehmendem Maß und in zunehmender Verlässlichkeit die Angaben der amtlichen Statistik zur Verfügung, die eine Rekonstruktion des historischen Wandels von Altersstrukturen ermöglichen.

2.1 Altersstrukturen in Renaissance und früher Neuzeit Für Renaissance und frühe Neuzeit ist vor allem für italienische Städte und Staaten ein reichhaltiges Material überliefert. 2 An die Genauigkeit der Altersangaben dürfen allerdings aus verschiedenen Gründen keine zu großen Ansprüche und Erwartungen gestellt werden. Zunächst ist zu bedenken, dass sich im Lauf der Renaissance nur sehr allmählich ein Interesse an der Kenntnis des exakten kalendarischen Alters eines Menschen entwickelte. Dass es gut oder notwendig sein solle, genau zu wissen, wie viele Jahre man selbst oder ein Mitmensch nach seiner Geburt zurückgelegt habe, wurde noch im 16. Jahrhundert auch in den gebildeten Schichten Italiens keineswegs als Selbstverständlichkeit empfunden (vgl. dazu Gilbert 1967). Auf der anderen Seite knüpften vor allem staatliche Bürokratien bestimmte Rechte und Pflichten in zunehmendem Maß an kalendarische Altersgrenzen, sei es der Zugang zu Ämtern, sei es Steuer- oder Militärpflicht. Auch wenn die Genauigkeit von derart geforderten Altersangaben nach wie vor nicht zu hoch bewertet werden kann, so förderte der staatliche – zum Teil auch kirchliche – Druck doch die Ausbreitung einer Kultur der Chronologisierung des Lebenslaufs. Der Staat Florenz kann dafür als Beispiel dienen. Seit 1371 verlangte er von seinen Bürgern, im Catasto – der alle paar Jahre durchgeführten Erhebung der Bewohner und ihres steuerpflichtigen Vermögens – ihr eigenes Alter und das ihrer Familien- und Hausangehörigen zu deklarieren.3 Zunächst wurde diese Verordnung nur sehr lückenhaft durchgeführt, in den folgenden Jahren aber doch mit zunehmender Intensität. Im Catasto von 1427, dem mit Abstand ausführlichsten und dank der Forschungen von Herlihy und Klapisch-Zuber auch am besten dokumentierten toskanischen Einwohner- und Steuerverzeichnis, war die Angabe eines kalendarischen Alters bereits zur Normalität geworden: Mehr als 98 Prozent der Bevölkerung führten nun ihr Alter an. Das Bedürfnis nach Genauigkeit dagegen war auch 1427 noch wenig ausgeprägt. Bei Kindern und Jugendlichen scheint das Bemühen um exakte Altersangaben schon durch2 Die umfangreichste Sammlung von Altersangaben bietet Beloch 1937, über Italien hinausgehend auch Mols 1974. 3 Herlihy/Klapisch-Zuber 1985: 164. Hier auch die beste Diskussion der Verlässlichkeit der Angaben.

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aus verbreitet gewesen zu sein, aber je älter die Florentiner wurden oder sich einschätzten, desto häufiger gaben sie sich mit einer ungefähren Kenntnis ihres Alters zufrieden. Statistisch kommt dies in einem gravierenden Übergewicht von ,runden‘ Altersangaben, vor allem von Zehner-Jahren, zum Ausdruck (vgl. die Alterspyramide ebd.: 174). 1427 erklärten sich, zum Beispiel, 11200 Personen als 40 Jahre alt, dagegen nur 259 als 39- und 253 als 41-jährig (ebd.: 161). Ein weiterer Hinweis auf ein mit steigendem Alter immer geringeres Interesse an einer exakten Kenntnis der zurückgelegten Lebensjahre ist die unwahrscheinlich hohe Zahl von Centenarians. 1427 bezeichneten sich 89 von rund 260000 Toskanern als älter als 100 Jahre (ebd.: 163; vgl. dazu Jeune/Vaupel 1995: 13). Umgerechnet wären dies rund 340 Centenarians auf 1 Million Einwohner, ein Wert, der den Stand von Italien im Jahr 1990 (35.5) fast um das Zehnfache übersteigt. In der Vorstellungswelt des Mittelalters und der Renaissance galt ein Lebensalter von 100 und mehr Jahren als keineswegs ungewöhnlich (vgl. Esch 1992: 19f.; 34). In der Toskana tauchten allerdings in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer weniger über 100-Jährige in den Katastern auf, was Herlihy und Klapisch-Zuber wohl zu Recht als Ausdruck zunehmender kalendarischer Genauigkeit – und nicht als Rückgang der Lebenserwartung im Alter interpretieren. In der Forderung der Behörden nach genauen Altersangaben und ihrer allmählichen Durchsetzung sehen sie deshalb eine „Schule der Präzision“ (Herlihy/Klapisch-Zuber 1985: 161). Die Ausbreitung eines präzisen Wissens um das eigene kalendarische Alter verlief in der Toskana des 15. Jahrhunderts allerdings sozial differenziert: in der Hauptstadt Florenz früher als in den kleineren Städten und deutlich früher als auf dem Land; bei Männern früher als bei Frauen, bei Reichen früher als bei Armen. Das Streben des toskanischen Staates nach einer genauen altersmäßigen Erfassung seiner Einwohner war auch im Italien der Renaissance eher die Ausnahme als die Regel. An vielen Orten begnügte man sich mit groben Einteilungen in ,Kinder‘, ,Erwachsene‘ und ,Alte‘. Manchmal wurden Kinder in den Zählungen überhaupt vernachlässigt, manchmal Frauen, manchmal alte Menschen. Oft ist nicht klar, ob Geistliche und Klosterinsassen einbezogen wurden, oder ob neben den dauerhaft ansässigen Bürgern auch zeitweilig Zugewanderte in die Statistik Aufnahme fanden. Wo nicht die ursprünglichen Erhebungsbögen überliefert sind, sondern nur die tabellarischen Aufstellungen der Zeitgenossen, hat man es mit ganz unterschiedlichen Altersgruppen zu tun: ,Kinder‘ (putte e putti) erfassen mitunter alle Einwohner bis zum 12. oder 14., mitunter bis zum 15. oder 16., dann wieder bis zum 18. Lebensjahr. Als ,Alte‘ (vecchi) gelten mitunter alle ab 45, dann wieder ab 50, 60 oder 70 Jahren, oder sie wurden überhaupt nicht von der Gesamtheit der Erwachsenen (uomini e

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donne) getrennt.4 All dies macht es nur schwer möglich, aus der Fülle der in Italien überlieferten Quellen überregionale und zeitübergreifende Altersstatistiken zusammenzustellen. Man ist vielmehr auf einzelne lokale oder regionale Beispiele angewiesen, und auch diese dürfen nur mit Vorsicht interpretiert und verglichen werden. Die Bevorzugung von Zehner-Zahlen in den Altersdeklarationen der Zeitgenossen erfordert auch bei der Konstruktion und beim Vergleich von ,Altenanteilen‘ besondere Sorgfalt. Die häufig zitierte Zählung von Pozzuoli (bei Neapel) aus dem Jahr 1489 kann das illustrieren. Sie listet alle Einwohner nach Einzeljahren auf. Als 51- bis 59-jährig deklarierten sich dort 23 Personen, als 60-jährig 58, als 61- bis 69-jährig 13 Personen (berechnet nach Beloch 1937: 30). Wenn man nun zum ,Altenanteil‘ alle über 60-jährigen Personen (61+) zusammenfasst, kommt man auf 2,7 Prozent der Gesamtbevölkerung und einen sehr niedrigen Wert, und hätte damit einen guten Teil der tatsächlich über 60-Jährigen ausgeschlossen. Würde man den Altenanteil bei 60 beginnen lassen (60+), käme man auf 5 Prozent der Bevölkerung, also fast doppelt soviel, hätte aber einen Teil der knapp unter 60-Jährigen eingeschlossen. Julius Beloch (1937) hat sich in seiner verallgemeinernden Zusammenstellung des Altersaufbaus der italienischen Bevölkerung für „über 60“ (61+) entschieden. Danach lag der Altenanteil der italienischen Territorien des 16. und 17. Jahrhunderts zwischen 2,7 und 4 Prozent, in den Städten des 17. Jahrhunderts bei 8 bis 10 Prozent (ebd.: 55). Beloch kam dementsprechend zu dem Schluss, dass die italienischen Bevölkerungsverzeichnisse der frühen Neuzeit – trotz aller ihrer Fehler – keinen Zweifel daran ließen, „dass die Zahl derer, die das Alter von 60 Jahren erreichten und überschritten, damals sehr viel niedriger gewesen sein muss als heute“.5 Herlihy und Klapisch-Zuber haben für die Auswertung des toskanischen Catasto von 1427 die Grenze des Altenanteils mit „über 59“ (60+) gezogen und kommen auf den wesentlich höheren Anteil von 14,6 Prozent, was ungefähr dem Wert von Deutschland im Jahr 1950 entspricht (Herlihy/ Klapisch-Zuber 1985: 184). Dieser relativ hohe Altenanteil geht sicherlich zum Teil auf die Grenzziehung zurück, die das 60. Lebensjahr einschließt, zum Teil aber auch darauf, dass es sich um ein großes Territorium mit rund 260000 Einwohnern und einer schon relativ verlässlichen Statistik handelte. Relativ hohe Anteile älterer Menschen sind allerdings für zahlreiche italienische Städte des 14. bis 17. Jahrhunderts nachgewiesen (vgl. dazu Tab. 1). Ein Altenanteil 4 Zahlreiche Beispiele für diese Vielfalt der Alterskategorien bei Beloch 1937 und Mols 1974, insbes. 46–53. 5 Ebd.: 58. Beloch schrieb dies in den 1920er Jahren, als in Deutschland der Anteil der über 60-Jährigen bei 10 Prozent lag.

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von rund 15 Prozent mag für vorindustrielle Gesellschaften als überraschend hoch erscheinen. Man würde ihn eher von modernen Gesellschaften mit einer niedrigen Geburtenrate erwarten, und in der Tat lag der Anteil der über 60-Jährigen in vielen Industriestaaten zur Mitte des 20. Jahrhunderts etwa auf diesem Niveau (Herlihy 1997: 43). Tabelle 1: Altenanteile in größeren italienischen Städten, 14.–17. Jahrhundert (in Prozent der Gesamtbevölkerung). Prato (61+) Florenz (61+) Venedig (60+) 1371 8,5 1427 11,7 1601–1610 10,7 1427 15,2 1458 9,2 1621–1630 13,7 1480 7,4 1641–1650 12,9 1470 9,8 1681–1690 10,5 Pesaro (61+) Verona (60+) 1425 15,2 1689 8,8 Quellen: Herlihy/Klapisch-Zuber 1985, 185; 187; Mols 1974, 49–51.

Vom 17. Jahrhundert an sind lokale Bevölkerungsverzeichnisse mit Altersangaben in vielen europäischen Regionen in immer größerer Anzahl vorhanden. Einen wesentlichen Anstoß bildeten 1563 die Beschlüsse des Konzils von Trient, die in katholischen Ländern das Führen von Kirchenbüchern verpflichtend machten. Dies bezog sich nicht nur auf Tauf-, Heirats- und später auch Sterbematrikeln, sondern auch auf sogenannte ,Seelenbeschreibungen‘ (libri status animarum), in denen – in der Regel vor Ostern zur Vorbereitung von Beichte und Kommunion – die Angehörigen einer Pfarrgemeinde auch mit Altersangaben erfasst wurden. Diese Bevölkerungsverzeichnisse bilden – von Italien und Spanien ausgehend und immer weitere Territorien erfassend – eine erste Massenquelle zur Untersuchung der Altersstruktur. Protestantische Kirchen, vor allem Landeskirchen, griffen diese Praxis ebenfalls auf (Dupâquier 1997: 224). Die Qualität der Altersangaben in den Seelenbeschreibungen ist allerdings sehr unterschiedlich. Zum Teil dominieren auch hier pauschale, an ,runden‘ Zehnergruppen orientierte Angaben. Zum Teil nutzen aber Pfarrer die Tauf- und Heiratsmatrikeln, um die Altersangaben ihrer Gläubigen zu überprüfen und eventuell zu korrigieren. Johann Peter Süßmilch, der Begründer der Demographie in Deutschland, war im Hauptberuf Pastor und mit der Praxis der Pfarrer vertraut. Er hat sich noch zur Mitte des 18. Jahrhunderts skeptisch gegenüber der Annahme eines hohen Alters und der Genauigkeit der Kirchenbücher gezeigt: „Ob man gleich überhaupt die Möglichkeit eingestehen muß, daß unter Millionen Sterbender ein und anderer ein solches außerordentliches Alter erreichen könne, und obgleich nicht alle von hundert und darüber jährigen Leuten vorhandene Beyspiele als

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unzuverläßig verworfen werden können, so ist doch auch gewiß genug, daß viele solcher Beyspiele desto verdächtiger werden müßen, je mehr die Erfahrung lehret, daß alle alten Leute, wenn sie erst über 70 oder 80 Jahre sind, oft auch noch eher, ihr eigenes Alter selten recht wissen, und bei ihrem Absterben gemeiniglich älter angegeben werden, als sie sind. Hierin fehlet es auf dem Lande und in kleinen Städten noch zu sehr an derjenigen Genauigkeit der Aufzeichnung in den Kirchenbüchern, welche man in größeren Städten mit mehrerem Rechte voraussetzen kann.“ Aber auch in den Städten würde das Sterbealter kaum jemals in den Geburtsregistern überprüft (Süßmilch 1776: 417ff.). Einige ländliche und städtische Beispiele von ,Alterspyramiden‘, die aus Seelenbeschreibungen des Erzbistums Salzburg im 17. und 18. Jahrhundert stammen, sollen diesen Quellentypus illustrieren.6 Für die Stadt Salzburg sind Zählungen von 1647 und 1794 erhalten, die jeweils den Großteil, aber nicht die Gesamtheit des Stadtgebiets enthalten (1647: 3549 Personen, 1794: 5861 Personen). 1647 (Abb. 1) wird der hohe Anteil von jungen Erwachsenen sichtbar, vor allem von jungen Frauen, die aus dem ländlichen Umfeld zugewandert waren und für einige Zeit in der Stadt als Dienstboten arbeiteten. In geringerem Maß trifft das auch für junge Männer, vor allem als Lehrlinge und Gesellen im Handwerk, zu. Der Einfluss der Arbeitsmigration auf die Altersstruktur wird hier deutlich sichtbar. Interessant ist auch, dass die Dominanz von ZehnerAltersgruppen bei Frauen mittleren und höheren Alters wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei den Männern. Die 40-, 50-, und 60-jährigen Frauen stechen hervor. Entweder sie selbst oder die Pfarren waren an exakten Altersangaben wesentlich weniger interessiert, als dies beim männlichen Teil der Bevölkerung der Fall war. 1794 (Abb. 2) waren in Salzburg die runden Zehner-Angaben – mit Ausnahme der 60-Jährigen – deutlich schwächer geworden, ein Hinweis auf zunehmende Genauigkeit. Die Altersstruktur war nun in stärkerem Maß von jungen männlichen Arbeitsmigranten, vor allem wandernden Handwerksgesellen, geprägt als im frühen 17.  Jahrhundert. Zwei ländliche Pfarren runden die Beispiele ab. Die Gebirgspfarre Abtenau 1632 (Abb. 3) zeigt eine sehr regelmäßige Altersstruktur, die an die ,Bevölkerungspyramiden‘ des späten 19. Jahrhunderts erinnert. Interessant ist der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Säuglingen und Kleinkindern, der auf eine Unterregistrierung der neugeborenen Mädchen verweist. Thalgau im Jahr 1750 (Abb. 4) ist das Beispiel einer am Alpenrand liegenden, vor allem auf Viehzucht konzentrierten Pfarre. Diese 6 Die zugrunde liegenden Daten entstammen der „Vienna Database on European Family History“, einer umfangreichen digitalisierten Sammlung von Seelenbeschreibungen. Die Alterspyramiden wurden von Moritz Radner im Rahmen seiner Diplomarbeit in Geschichte berechnet. Vgl. dazu Radner 2008: 33–82.

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Wirtschaftsform war mit einem hohen Bedarf an jüngeren Gesindepersonen verbunden, die – ähnlich wie in der Stadt – für begrenzte Zeit aus umliegenden Gemeinden zuwanderten, und zum Gewicht der Altersgruppen von 15 bis 24 Jahren beitrugen. Das Beispiel Thalgau zeigt weiter, dass auch zur Mitte des 18. Jahrhunderts Zehner-Altersangaben bevorzugt wurden und das Interesse am exakten kalendarischen Alter gering war. Dies lässt die Annahme eines linearen Trends hin zu zunehmender Genauigkeit als fragwürdig erscheinen. Vor allem in den ländlichen Gebieten scheint bis in das 19.  Jahrhundert die stärker oder schwächer ausgeprägte Akribie des aufzeichnenden Pfarrers den Ausschlag gegeben zu haben. Trotz ihrer in manchen europäischen Regionen großen Zahl stellen frühneuzeitliche Kirchenbücher lokale Beispiele dar, von denen man nicht unmittelbar auf größere Populationen schließen kann. Für England wurde allerdings mit Hilfe einer elaborierten Bevölkerungsrekonstruktion von Wrigley und Schofield die Entwicklung einer gesamtstaatlichen Altersstruktur von 1541 bis 1871 berechnet (Wrigley/Schofield 1981). Sie zeigt zyklische Schwankungen des Altenanteils zwischen sieben und zehn Prozent (siehe dazu weiter unten). Einen Vorläufer fanden sie in dem englischen Vertreter der Politischen Arithmetik, Gregory King, der 1696 eine Schätzung der englischen Bevölkerungsstruktur, auch nach ihrem Alter, für das Jahr 1695 vornahm und einen Altenanteil von 11 Prozent berechnete (Barnett 1936: 23). Wrigley/Schofield (1989: 218; 528) kamen für 1696 auf knapp über 9 Prozent. Interessanterweise unterscheiden sich die Ergebnisse von Gregory King und Wrigley/Schofield nicht so sehr in Bezug auf den Altenanteil, sondern auf den Anteil der unter 15-Jährigen, den King bei 38  Prozent ansetzte, Wrigley/Schofield bei 31 Prozent. Der Unterschied verstärkt sich in Bezug auf die 15- bis 59-Jährigen, die im England des späten 17.  Jahrhunderts nach King 51  Prozent der Bevölkerung ausmachten, nach Wrigley/Schofield aber 60 Prozent. Wrigley/ Schofield vertrauen naturgemäß ihrer Rekonstruktion und kommen zu dem Schluss, „King’s age structure is therefore much too young for the later seventeenth centrury“. Und, verallgemeinernd, vermuten sie sogar, dass „King’s age structure is a poor guide to most of the pre-industrial period, with the possible exception of the mid sixteenth century“ (ebd.: 218). Dagegen könnte man aber einwenden, dass Kings Altersstruktur sehr gut zu dem Muster einer ganzen Reihe von europäischen Ländern im 18.  Jahrhundert passt. (s.  u. und vgl. Tab. 2.) Derartige Diskrepanzen verweisen aber neuerlich darauf, dass man gut daran tut, frühneuzeitliche Altersangaben als Annäherungswerte und nicht als exakte numerische Daten zu verstehen. Umfassende Daten zum Alter der Bevölkerung und ihre Veröffentlichung in standardisierten Tabellen liefern – mit langsam zunehmender Verlässlichkeit –

Alterstrukturen im historischen Wandel 

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Tabelle 2: Bevölkerung nach Altersgruppen in europäischen Flächenstaaten, 15. bis 18. Jahrhundert (in Prozent der Gesamtbevölkerung). Land

Stichjahr

0–14

15–59

60+

Toskana

1427

37

48

15

Venedig

1509

0–19

20–60

61+

Quellen/ Anm.

41

1

48

2

England

1695

38

51

11

3

England

1696

31

60

9

3

Holland

1738

40

49

11

4

Frankreich

1740

42

50

8

4

Schweden

1763

44

48

8

4

Frankreich

1800

9

5

Quellen/Anmerkungen: 1: Herlihy/Klapisch-Zuber 1985. 2: Mols 1974: 22. Mols zitiert hier die Schätzung des Zeitgenossen Marco, der von 671654 Bewohnern der Republik Venedig 1509 160000 als Männer von 20 bis 60 Jahren bezeichnet. Verdoppelt man diese Zahl – unter der Voraussetzung eines ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses – erhält man den Anteil von 48 Prozent, zweifellos nur als eine grobe Annäherung. 3: 1695: King 1696 in Barnett 1936: 23. Die Umrechung von Kings Altersgruppen (under/ above 16, above 21, above 60) folgt hier Glass 1965: 212. 1696: Wrigley/Schofield 1989: 215– 219; 528–529. Die Daten von Wrigley und Schofield für 1696 sind die einzigen in der Tabelle, die nicht auf zeitgenössischen Zählungen beruhen, sondern auf einer modernen Rückberechnung (back-projection). Sie sind deshalb fett hervorgehoben. 4: Bois/Lequin/Troyanski 1998: 165. 5: Bordelais 1997: 44.

erst die von der Mitte des 18. Jahrhunderts an in immer mehr europäischen Ländern durchgeführten staatlichen Volkszählungen. Sie zeigen ein relativ stabiles Muster, das durchaus an die Daten von Italien in der Renaissance anschließt: Rund 40 Prozent der Bevölkerung waren unter 20 Jahre alt, rund 10 Prozent 60 und älter, und rund die Hälfte stand im Alter zwischen 20 und 60 Jahren und bildete damit die Kerngruppe der erwachsenen und voll arbeitsfähigen Bevölkerung (vgl. Bois/Lequin/Troyanski 1998, zur Altersstruktur insbes. 163–165).

2.2 Variabilität und Wandel frühneuzeitlicher Altersstrukturen Schon die in Tabelle 1 zusammengestellten Angaben zu Altenanteilen in italienischen Städten der Renaissance und der frühen Neuzeit wie auch die

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Alterspyramiden zu Salzburger Pfarren des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen allerdings große Unterschiede zwischen den einzelnen Stichjahren. In Prato lag der Altenanteil 1427 fast doppelt so hoch wie 1371. Auf ein bestimmtes Stichjahr bezogene Daten können deshalb nur mit Vorsicht und Zurückhaltung interpretiert werden, da sie starken Schwankungen unterlagen. Wie schon erwähnt, ist die Altersstruktur – und damit auch ihre Variabilität – vom Zusammenwirken von Mortalität, Fertilität und Migration bestimmt. Bis in das 19. Jahrhundert stellte die Mortalität den entscheidenden Faktor dar. Über Jahrhunderte hinweg führte eine hohe Sterblichkeit in der Folge von Seuchen dazu, dass die durchschnittlichen Sterberaten von etwa 20 bis 30 Toten pro Jahr und 1000 Einwohnern kurzfristig alle paar Jahre oder Jahrzehnte auf das zwei- bis dreifache hochschnellten (vgl. Imhof 1988: 70ff.). Vor allem die großen Sterblichkeitskrisen von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 18.  Jahrhunderts, die von den Zeitgenossen und den späteren Historischen Demographen der ‚Pest‘ zugeschrieben wurden, wirkten sich alters- und geschlechtspezifisch sehr unterschiedlich aus. Die erste große Pestwelle, die Europa 1348/49 heimsuchte, scheint besonders viele Todesopfer unter älteren Männern gefordert zu haben. Die zweite große Pestwelle von 1363/64 wütete dagegen in vielen europäischen Regionen vor allem unter Kindern, was ihr in England auch die Bezeichnung „children’s plague“ einbrachte (Herlihy/Klapisch-Zuber 1985: 188). In Mittelitalien dezimierte die Pest von 1363 vor allem die Altersgruppe von 5 bis 15 Jahren, was dann rund 10 Jahre später, z. B. im florentinischen Kataster von 1372, darin zum Ausdruck kam, dass die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen rund zwei Drittel unter ihrem erwartbaren Anteil lag. Die Erklärung dieser Unterschiede ist schwierig, weil bei allen diesen Pestzügen – trotz ihrer einheitlichen Wahrnehmung und Bezeichnung durch die Zeitgenossen – der Krankheitserreger nicht eindeutig identifiziert werden kann. Zu vermuten ist, dass es sich häufig um einen Mix an Krankheitserregern handelte, also Beulen- und Lungenpest, die von Typhus, Masern, Grippe und dergleichen begleitet wurden (ebd.; Imhof 1988: 74; Herlihy 1997: 30). Sterblichkeitskrisen wirkten sich auch auf die Fertilität aus. Der übliche Verlauf einer ‚demographischen Krise des type ancien‘, wie er für das frühneuzeitliche Europa typisch war, sah so aus, dass parallel zum Anstieg der Sterblichkeit aus mehreren Gründen ein Rückgang der Geburten erfolgte: Die Empfängnisbereitschaft von erkrankten Frauen war reduziert, und oft wurde der Geschlechtsverkehr vermieden, weil man befürchtete, dass dies die Ansteckung mit den Seuchenerregern fördern könne. Viele Menschen verloren ihren Ehepartner durch den Tod, und Heiraten wurden in der Krise aufgescho-

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ben.7 Dies führte in vielen Fällen zu einem Rückgang der Geburtenziffern um die Hälfte oder mehr. Sterblichkeitskrisen führten als nicht nur zum Anstieg altersspezifischer Mortalität, sondern auch zur Reduktion von Geburtskohorten und hinterließen damit ihre Spuren in der Altersstruktur der nächsten 70 bis 80 Jahre. Neben kurzfristigen Krisen übten in der frühen Neuzeit auch zyklische, mehrere Jahrzehnte umfassende Veränderungen des Heiratsverhaltens einen Einfluss auf die Geburtenziffern und damit auf die Stärke einzelner Geburtskohorten aus. Dies ist am besten für England in der Bevölkerungsrekonstruktion von E. A. Wrigley und R. S. Schofield für die Jahre 1541 bis 1871 dokumentiert. Das späte 16. Jahrhundert war durch ein relativ niedriges Heiratsalter gekennzeichnet, was eine Zunahme der Geburten und dementsprechend ein stärkeres Gewicht von Kindern und Jugendlichen in der Altersstruktur bewirkte. Im Lauf des 17. Jahrhunderts führten ein Anstieg des Heiratsalters und die Zunahme der Land-Stadt-Wanderung zu einem Rückgang der Geburten und einem deutlichen Anstieg des Altenanteils: 1716 erreichte der Anteil der über 60-Jährigen mit knapp über 10 Prozent seinen Höhepunkt in der frühneuzeitlichen englischen Geschichte. Das Bevölkerungswachstum des 18. und 19. Jahrhunderts dagegen ließ wiederum den Anteil der älteren Menschen sinken und den Anteil der Kinder und Jugendlichen steigen (Wrigley/Schofield 1989).

2.3 Wandel der Altersstrukturen im ,demographischen Übergang‘ Während die Altersstrukturen der frühen Neuzeit von kurzfristigen Fluktuationen und – zumindest in England – von mittelfristigen Zyklen geprägt waren, setzte im 19. und 20. Jahrhundert ein langfristiger struktureller Wandel ein, der mit dem so genannten ,demographischen Übergang‘ in Zusammenhang steht, der im Folgenden am Beispiel Deutschlands dargestellt wird.8 Dieser Übergang vollzog sich bekanntlich in mehreren Phasen: In vielen europäischen Regionen lässt sich schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Stabilisierung der Mortalität beobachten. Das kurzfristige Emporschnellen der Krisensterblichkeit in der Folge 7 Als ,klassische‘ Darstellung einer „crise démographique de type ancien“ vgl. Goubert 1960: 54; Ehmer 2005. 8 Das Konzept der ,demographischen Transition‘ oder des ,demographischen Übergangs‘ wurde in den letzten Jahren zunehmend kritisch diskutiert (vgl. dazu Ehmer 2004: 118– 127). Da hier nicht der Ort für die Weiterführung dieser Debatte ist, wird im Folgenden die eingeführte Terminologie beibehalten. Quantitative Angaben, die nicht weiter belegt werden, stammen aus den entsprechenden Kapiteln in Ehmer 2004.

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von Seuchen, Kriegen oder Hungersnöten wurde seltener und schwächer. Wenn auch die ,gewöhnliche Sterblichkeit‘ hoch blieb, leitete diese Stabilisierung doch einen ersten Rückgang der Sterbeziffern und eine Zunahme der Lebenserwartung ein. Die Altersstrukturen wurden damit gleichmäßiger und weniger stark von kurzfristigen Mortalitätskrisen geprägt (vgl. dazu Imhof 1988: 92ff.) In einer zweiten Phase setzte ein Rückgang auch der ,Normalsterblichkeit‘ ein, bei gleichbleibend hoher Fertilität. Der Mortalitätsrückgang in dieser Phase verlief in den verschiedenen europäischen Regionen mit einem unterschiedlichen Timing, wie auch ungleichmäßig und nicht linear. Gerade in den rasch wachsenden Industriestädten kam es zu einer zeitweiligen Unterbrechung des Trends, mitunter sogar zu einem zeitweiligen Wiederanstieg der Säuglings- und Kinder-sterblichkeit. In Deutschland war die Periode von etwa 1820 bis 1870 von dieser ungleichmäßigen Entwicklung geprägt, erst zwischen 1870 und 1930 erfolgte ein schneller und nachhaltiger Rückgang der Mortalität. Die Sterbeziffer sank in diesem Zeitraum von etwa 30 (1870) auf knapp über 10 (1930) Verstorbene pro 1000 Einwohner, also um zwei Drittel. Im Verein mit der unverändert hohen Fertilität schlug sich der Mortalitätsrückgang in einer überaus schnellen und starken Bevölkerungszunahme nieder. Auf dem Gebiet des späteren deutschen Reichs (von 1871) lebten 1830 etwa 30 Millionen Menschen, 1870 41 Millionen, 1910 65 Millionen. Dieses Bevölkerungswachstum war historisch außergewöhnlich und einmalig. Weder vorher noch nachher hat sich die deutsche Bevölkerung jemals in nur 80 Jahren mehr als verdoppelt. Die Auswirkungen des Mortalitätsrückgangs auf die Altersstruktur sind dagegen von komplexerer Natur. Während sich viele kurzfristige Mortalitätskrisen der frühen Neuzeit unmittelbar auf einzelne Altersgruppen auswirkten, beeinflusste der gleichmäßige Rückgang der Mortalität im 19. und 20. Jahrhundert alle Altersgruppen und führte nur zu relativ geringen Verschiebungen des gesamten Altersaufbaus. (vgl. dazu Tab. 3). Tabelle 3: Bevölkerung nach Altersgruppen in Deutschland, 19. bis 21. Jahrhundert (in Prozent der Gesamtbevölkerung). Stichjahr

0–14

15–59

60+

35

59

6

34

58

8

1939

23

65

12

1950

23

62

15

1960

22

61

17

1816–1861 1871 1910 1911

0–19

20–60

61+

43

49

8

44

48

8

30

55

15

Alterstrukturen im historischen Wandel 

Stichjahr

0–14

15–59

60+

1970

23

57

20

1980

18

63

19

1990

16

64

20

2000

15

61

24

2010

13

61

26

2050

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0–19

20–60

61+

21

55

24

15

46

39

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Quellen und Anmerkungen: Eigene Berechnung nach: Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Wirtschaft, 1972; Ehmer 2004: 54; UN-World Population Prospects: The 2006 Revision Population Database. 1816–1861: Preußen; 1871–1939: Deutsches Reich; 1950–1980 BRD und DDR; 1990– 2000: Deutschland; 2010–2050: Prognose (Statistisches Bundesamt).

Wenn man vom Altenanteil ausgeht, dann zeigen die Daten für 1816 bis 1861 – die über diese Periode mit ausreichender Verlässlichkeit nur für Preußen vorliegen – eine ,Verjüngung‘. Ein Anteil von 6 Prozent an Menschen mit 60 und mehr Jahren liegt deutlich unter den Beispielen der frühen Neuzeit (Tab. 2) wie auch unter den Werten des 20. Jahrhunderts. Auch in England lag der Altenanteil in den 1820er Jahren mit 6,5 Prozent niedriger als in den Jahrhunderten davor und danach (Wrigley/Schofield 1989: 528). Ein derart niedriger Altenanteil war demnach, aus der Perspektive der europäischen Geschichte des letzten halben Jahrtausends, kein Charakteristikum der Vormoderne, sondern ein Phänomen des Übergangs. Der Anteil der Kinder hat sich allerdings gegenüber den vorindustriellen Beispielen kaum erhöht, wozu auch die ungleichmäßige Entwicklung der Säuglings- und Kindersterblichkeit beitrug. Der stärkste Zuwachs zeigt sich bei Jugendlichen, jungen und mittleren Erwachsenen. Mehr Kinder erreichten das Jugendalter und mehr Jugendliche das Erwachsenenalter. Der Rückgang der Mortalität im Erwachsenenalter wirkte sich unmittelbar in einem steigenden Anteil der entsprechenden Altersgruppen aus, und der Rückgang der Säuglingsund Kindersterblichkeit verstärkte diesen Trend mit einigem zeitlichen Abstand. Erst mit entsprechender Verzögerung kamen auch mehr Erwachsene in das hohe Alter. Wie die Daten für Deutschland zeigen, kam dies erst ganz am Ende des Mortalitätsrückgangs, erst nach dem Ersten Weltkrieg, in der Zunahme des Altenanteils zum Ausdruck. Zu dieser Zeit wurde die Altersverteilung allerdings auch schon vom beginnenden Geburtenrückgang geprägt, der das Gewicht der Kinder verringerte und damit automatisch den Anteil der höheren Altersgruppen vermehrte (vgl. dazu weiter unten). Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb der Anteil der über 60-Jährigen allerdings auf einem Niveau, das auch in

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vorindustriellen Gesellschaften nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Die Alterstrukturen des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts zeigen durchaus Unterschiede zur frühen Neuzeit, zugleich aber auch – angesichts des tiefgreifenden demographischen Wandels erstaunliche – Kontinuitäten. Einschränkend muss allerdings festgehalten werden, dass es sich dabei nur um einen groben Befund handelt. Detaillierte Analysen des Wandels der Altersstrukturen im ,demographischen Übergang‘, die einzelne Geburtskohorten auf ihrem Weg durch die Altersklassen der Bevölkerung verfolgen, stehen bisher aus. In der dritten Phase des ,demographischen Übergangs‘ setzte dann auch der Geburtenrückgang ein, in Deutschland vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Zwischenkriegszeit. In wenigen Jahren sank die Zahl der Kinder, die eine Frau im Durchschnitt im Lauf ihres Lebens zur Welt brachte (completed fertility rate) von rund fünf auf rund zwei. Die ,Zwei-Kinder-Familie‘ wurde zum vorherrschenden gesellschaftlichen Ideal. Dies hatte unmittelbare Auswirkungen auf den jüngeren Sektor der Alterstruktur. Der Anteil der unter 15-Jährigen war im 19. und auch noch am Beginn des 20. Jahrhunderts relativ konstant bei knapp über einem Drittel gelegen (Deutsches Reich 1871 und 1911: 34  Prozent) (Hubert 1998: 345). 1925 war er auf 26 Prozent gesunken, und von den 1930er bis in die 1960er Jahre lag er wieder relativ konstant knapp unter einem Viertel, bei 23 Prozent. Mit zeitlicher Verzögerung, aber doch komplementär dazu, stieg der Anteil der über 60-Jährigen an und erreichte 1950 15 Prozent – also ungefähr das Niveau, das der toskanische Catasto für 1427 ausgewiesen hatte. Im Vergleich zum unteren und oberen Segment der Altersstruktur blieben die mittleren Bereiche, das Jugend- und Erwachsenenalter, relativ konstant, wiesen aber doch auch eine spürbare Zunahme auf. Von der Zwischenkriegszeit bis in das beginnende 21. Jahrhundert lag der Anteil der 15- bis 59-Jährigen, die in der Regel als potentiell Erwerbstätige angesehen werden, bei mehr als 60 Prozent. In einer langen historischen Perspektive betrachtet, handelt es dabei um einen ungewöhnlich hohen Wert, der deutlich über jenen der Vormoderne, der Industriegesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, und der Postmoderne des 21. Jahrhunderts liegt.

2.4 Die Herausbildung einer ,rechteckigen Überlebenskurve‘ und die Abnahme der Ungleichheit vor dem Tod Die Stabilisierung und im weiteren der Rückgang der Mortalität haben eine Konsequenz, die in den aktuellen Debatten über die ,Alterung der Gesellschaft‘ zu wenig Beachtung findet: Sie haben zu einer Angleichung des Sterbealters und

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damit zum Abbau der Ungleichheit vor dem Tod geführt. Zum Verständnis dieser Prozesse ist die von Arthur E. Imhof eingeführte Unterscheidung von „physiologischer“ und „ökologischer Lebenserwartung“ nützlich. Unter physiologischer Lebenserwartung kann man die „mittlere maximale Lebensdauer“ verstehen, die in der biologischen Beschaffenheit des Menschen ihre Grenzen findet (Imhof 1988: 97). In der europäischen Kulturgeschichte wird seit der Antike immer wieder ein Alter von 70 oder 80 Jahren als maximale Lebensspanne angenommen, trotz aller Beispiele einer darüber hinaus gehenden Langlebigkeit. Schon in einem der Psalmen der Bibel heißt es: „Unser Leben währet 70 Jahr, und wenn’s hoch kommt, so sind’s 80 Jahr“ (Psalm 90,10). Eine Lebensdauer von 70 oder 80 Jahren wurde auch von vielen Autoren der griechisch-römischen Antike als maximale Spanne angesehen, und sehr viel später nahm auch der Leuchtturm der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die von Denis Diderot und Jean Le Rond d’Alembert herausgegebenen Encyclopédie (1751–1766) diesen Gedanken auf. Zwar hätten, so der (anonyme) Verfasser des Artikels „Vie, durée de la vie“, die ersten Menschen unmittelbar nach der Schöpfung 900 und mehr Jahre gelebt. Diese ursprüngliche Langlebigkeit sei aber mit der Zunahme der Zahl der Menschen und der Dichte der Bevölkerung gesunken: „In dem Maße, in dem die Völker an Zahl zunahmen, ging die Lebensdauer allmählich zurück, bis sie nur noch siebzig oder achtzig Jahre betrug, und auf dieser Stufe blieb sie seit Moses.“9 Historischdemographische Analysen für die frühe Neuzeit zeigen, dass diese kulturelle Tradition den praktischen Erfahrungen der Zeitgenossen nicht widersprach. Die weitere Lebenserwartung mit 80 Jahren blieb über lange Zeiträume relativ konstant bei rund fünf Jahren, mit 85 bei zwei bis drei weiteren Jahren. Die Annahme, dass es eine physiologische Obergrenze des menschlichen Lebens bei etwa 85 Jahren gäbe, wurde von der neueren Historischen Demographie bis in die 1990er Jahre geteilt (Imhof 1988: 99) – bis sie von den neuesten Entwicklungen in Frage gestellt wurde (vgl. dazu weiter unten). Im größten Teil der bisherigen Menschheitsgeschichte stand allerdings der physiologischen Lebenserwartung eine sehr viel kürzere ,ökologische Lebenserwartung‘ gegenüber. Mit diesem Begriff bezeichnet man das durchschnittliche Sterbealter unter den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Menschen der jeweiligen Generationen lebten. Die reale durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt lag vor dem 20. Jahrhundert be9 Denis Diderot/Jean Le Rond d’Alembert (Hrsg.) Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné (etc.), Tome XVII, Neufchastel (sic!) 1765: 249. Dt. Übersetzung zit. nach Anette Selg/ Rainer Wieland (Hrsg.) Die Welt der Encyclopédie. Eichborn, Frankfurt 2001: 227. Derselbe Artikel behandelt auch die aktuellen Methoden zur Berechnung der Lebenserwartung, ist also auch der Rationalität der ,Politischen Arithmetik‘ verpflichtet.

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trächtlich niedriger, zwischen 30 und 40 Jahren, in Krisenzeiten auch noch darunter (ebd.: 97f.). Nur eine Minderheit erreichte das höhere Alter. Arthur E. Imhofs Untersuchungen machen dies deutlich (Imhof 1981: 80ff.). Zwischen 1740 und 1850 erreichten – nach Daten aus mehreren deutschen Regionen – rund 350 von 1000 Geborenen das 60. Lebensjahr, rund 200 das 70. und rund 50 das 80. Im 16. Jahrhundert erlebten rund 300 von 1000 Neugeborenen ihren 50. Geburtstag, also weniger als ein Drittel, im 17. und 18. Jahrhundert etwa 400 von 1000, also etwas mehr als ein Drittel (Kamke/Scholz 1992: 43). Ähnliche Daten liegen auch aus anderen Regionen Europas vor. Diesen Befund kann man aus zwei verschiedenen Perspektiven interpretieren: Wenn ein Drittel der Bevölkerung das höhere Alter erreicht, dann hatte jeder einzelne eine realistische Chance dazu und ein hohes Alter war nicht völlig außergewöhnlich. Andererseits konnte diese Chancen nur von einer Minderheit genützt werden. Erst in den 1970er Jahren wurden rund 90 Prozent einer Geburtskohorte 50 und mehr Jahre alt, also fast alle. Wie waren diese Chancen aber verteilt? Angesichts der hohen Sterblichkeit vor allem im Säuglings- und Kindheitsalter war es in großem Ausmaß das Wirken des Zufalls, der einen Menschen sterben und den anderen leben ließ. Zugleich spielte aber auch die soziale Ungleichheit vor dem Tod in vormodernen Gesellschaften eine große Rolle. Auch dabei handelt es sich allerdings um ein komplexes und nicht ganz einfach zu interpretierendes Phänomen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Überlebenschancen der oberen sozialen Schichten besser waren als die der unteren. In der demographisch gut untersuchten Stadt Genf erreichten im 17. Jahrhundert von 1000 Angehörigen der Oberschicht 305 das 60.  Lebensjahr, von den Handwerkern 171, von den Handlangern 106. Angehörige geistlicher Berufe kamen im frühneuzeitlichen England und Deutschland zu mehr als einem Drittel auf ein Alter von über 70 Jahren. Die 57 Dogen, die zwischen 1413 und 1797 Venedig regierten, traten ihr Amt im Durchschnitt mit 70 Jahren an und übten es in der Regel bis zum Lebensende, durchschnittlich sieben Jahre lang, aus. Nur wenig jünger waren die Päpste, die von der Mitte des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mit durchschnittlich 63 Jahren in ihr Amt gewählt wurden und es ebenfalls bis zum Tod, im Durchschnitt mit 71, ausübten. Und dazu waren natürlich die Lebensdaten berühmter Künstler bekannt, wie z. B. Tizian und Michelangelo, die 86 bzw. 90 Jahre alt wurden und bis zum Lebensende ihr künstlerisches Schaffen ausübten (vgl. dazu Ehmer 1990: 204ff.; ders. 2007). Allerdings gab es in der Vormoderne keinen linearen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Mortalität, wie vor allem Untersuchungen zum frühneuzeitlichen England zeigen. Einige der ansteckendsten Infektionskrankheiten, wie z. B. die Pocken, scheinen alle sozialen Schichten gleichermaßen betroffen zu

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haben, und Wohlstand war auch nicht automatisch gesundheitsfördernd. Englische Ärzte beklagten im 18. Jahrhundert, dass die Reichen mehr essen und trinken würden, als ihrer Gesundheit förderlich wäre (Johnson 1991: 143f.). Das demographische Verhalten des englischen Hochadels ist besonders gut untersucht und weist deutliche Besonderheiten auf (vgl. dazu Hollingsworth 1965; Peller 1965). Im Unterschied zur britischen Gesamtbevölkerung herrschten hier große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. In den Familien der Peers erreichten im 14. und 15. Jahrhundert nur acht von 100 neugeborenen Männern das 60. Lebensjahr, also weniger als bei den Handlangern der Stadt Genf. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden schon 15 von 100 Peers 60 Jahre alt, lagen damit aber immer noch unter den Handwerkern von Genf und weit unterhalb der kaufmännischen Genfer Oberschicht. Die Lebenserwartung der hochadligen Frauen lag beträchtlich höher, aber ebenfalls unter der Gesamtbevölkerung. Zur Erklärung der hohen Mortalität im englischen Hochadel wird auf zwei Faktoren verwiesen: Solange der Adel eine Kriegerkaste war, wurden die Männer häufig von einem gewaltsamen Tod ereilt. Dazu kam ein übermäßig hoher Fleischkonsum. Erst die Monopolisierung der militärischen Gewalt beim entstehenden Staat und die Herausbildung der Höfischen Gesellschaft im Lauf der Neuzeit veränderte den Lebensstil des Adels. Im späten 17. Jahrhundert hatte sich in England die Lebenserwartung bei der Geburt bei Peers und Gesamtbevölkerung angenähert, im 19. Jahrhundert hatte der Hochadel die übrige Bevölkerung weit hinter sich gelassen. Vom beginnenden Mortalitätsrückgang profitierten die obersten sozialen Schichten wesentlich früher und stärker als die mittleren und unteren Schichten. Dazu trug bei, dass nun die ländlichen Lebensformen der Aristokratie wesentlich weniger Mortalitätsrisiken enthielten, als die rasch wachsenden und am dichtesten bevölkerten Industriestädte mit ihrem hohen Infektionspotential. Erst im Lauf des 20. Jahrhunderts kam es zum allmählichen Abbau der sozialen Unterschiede im Mortalitätsrisiko (Jackson 1994: 517ff.). Die soziale Ungleichheit vor dem Tod war ein charakteristisches Merkmal der Vormoderne, auch wenn die Verteilung der Chancen und Risiken nicht stets dieselbe war und auch zwischen den Epochen variierte. Erst der Mortalitätsrückgang des 19. und 20. Jahrhunderts führte in den entwickelten Gesellschaften dazu, dass immer mehr und schließlich nahezu alle Menschen die physiologische Lebensspanne ausschöpfen können. Am Ende des 20.  Jahrhunderts lag die Streuung des Sterbealters in den entwickelten Gesellschaften relativ nahe am Durchschnittswert. Das Ergebnis dieser Prozesse ist eine sogenannte ,rechteckige Überlebenskurve‘.10 Sie besagt, dass ein sehr 10 Der Begriff der „rectangularization of the survival curve“ stammt von James F. Fries und Lawrence M. Crapo (1981). James Fries hat auch den Begriff der „compression of morbi-

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großer Teil einer Geburtskohorte gemeinsam ein hohes Alter erreicht und in einem nahe beisammen liegenden Alter stirbt. Die rechteckige Überlebenskurve ist ein wesentlicher Aspekt des demographischen Alterns im 20. Jahrhundert. Sie impliziert eine historisch neuartige Planbarkeit des Lebens und eine Demokratisierung der Lebenschancen. Soziale Ungleichheit vor dem Tod gibt es in den entwickelten westlichen Gesellschaften weiterhin, aber – in langer historischer Perspektive betrachtet – nur mehr schwach.

2.5 Der Wandel der Altersstruktur seit den 1970er-Jahren: Zweiter Geburtenrückgang und ,broken limits‘ des Alterns Von den 1960er-Jahren an gerieten die Altersstrukturen neuerlich in Bewegung. Der sogenannte ,Zweite Geburtenrückgang‘ führte nahezu überall in der westlichen Welt zu einer weiteren beträchtlichen Reduktion der Fertilität. In der Bundesrepublik Deutschland sank die Fruchtbarkeitsrate (total fertility rate) in nur einem Jahrzehnt, zwischen 1968 und 1978, von 2,4 auf etwa 1,4, wo sie sich seitdem im Großen und Ganzen stabilisierte. In der DDR verlief der Trend parallel, wenn auch kurzfristig verzögert durch die pronatalistische Familienund Sozialpolitik am Beginn der Ära Honecker, und auf einem etwas höheren Niveau. Der Zusammenbruch des kommunistischen Regimes und die Wiedervereinigung führten dann allerdings zu einem dramatischen Absturz der Fruchtbarkeitsrate zwischen 1989 und 1994 auf fast die Hälfte des westdeutschen Niveaus, das erst in einem sehr langsamen Anpassungsprozess, nämlich 2008, wieder erreicht wurde.11 In der Altersstruktur schlug sich der Zweite Geburtenrückgang in einem raschen Rückgang der unter 15-Jährigen nieder, von 23 Prozent (1970) auf 16 Prozent (1990). Dies erhöhte umgekehrt das Gewicht vor allem der mittleren Altersgruppen, und – in beträchtlich kleinerem Ausmaß – auch den Altenanteil. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstand allerdings auch im hohen Alter eine neue Dynamik. Bis dahin ließ die demographische Evidenz vermuten, dass die biologisch gesetzte Lebensspanne des Menschen mit etwa 85 Jahren begrenzt sei, wie weiter oben schon dargestellt wurde. Erst vor kurzem hat die Demographie begonnen, die Zunahme der Lebenserwartung im höheren dity“ geprägt, der die optimistische Erwartung formuliert, dass ein längeres Leben nicht zu einer längeren Phase altersbedingter Krankheiten führen würde, sondern nur zu einer kurzen Phase körperlicher/geistiger Behinderungen unmittelbar vor dem Tod (vgl. Fries 1983). 11 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts Deutschland vom 4.9.2009.

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Alter zu thematisieren. Nun wurde sichtbar, dass im Lauf des 20. Jahrhunderts auch die weitere Lebenserwartung älterer und hochbetagter Menschen angestiegen war. Im 18. und 19. Jahrhundert konnten 60-Jährige in Deutschland im Durchschnitt mit etwa 11 bis 12 weiteren Lebensjahren rechnen, um 1900 etwa mit 13 bis 14 Jahren (Kamke/Scholz 1992: 41). Heute stehen ihnen dagegen noch rund 23 weitere Jahre zur Verfügung, und zwar 25 den Frauen und 21 den Männern. 80-Jährige konnten vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Durchschnitt mit vier weiteren Jahren rechnen, am Ende des Jahrhunderts mit sieben (Männer) bzw. acht (Frauen) – eine Verdoppelung der verbliebenen Lebenszeit von Hochbetagten in nur einem Jahrhundert! Die weitere durchschnittliche Lebenserwartung in den höheren Altersgruppen scheint sich vom 17. Jahrhundert bis zum beginnenden 20. Jahrhundert erstaunlich wenig verändert zu haben (vgl. ebd. sowie Imhof 1988: 98). Erst im 20. Jahrhundert begann sie kontinuierlich anzusteigen, zunächst noch sehr langsam, in den letzten Jahrzehnten immer schneller. Infolge dieser Entwicklung hat die Vorstellung einer maximalen menschlichen Lebensspanne von etwa 85 Jahren in den verschiedenen damit befassten wissenschaftlichen Disziplinen nur mehr wenige Anhänger. Ein Teil der Humanbiologen, Verhaltenswissenschaftler und Demographen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, geht weiterhin von der Existenz einer maximalen Lebensspanne aus, setzt sie nun aber sehr viel höher an, zwischen 120 und 130 Jahren. Als Begründung dafür wird auf die Tatsache verwiesen, dass der bisher weltweit älteste Mensch, dessen Geburtsdaten völlig gesichert sind, nämlich eine französische Frau, 1997 im Alter von 122 Jahren starb. Der bisher älteste Mensch Deutschlands, ein Mann, starb 2007 mit 109  Jahren (Behl/ Moosmann 2008: 10). Da angenommen wird, dass innerhalb einer Spezies die Lebensspannen sehr ähnlich sind, müsste ein Alter von knapp über 120 Jahren auch für andere Menschen möglich sein. Andere Wissenschaftler stellen die Idee einer maximalen Lebensspanne überhaupt in Frage. „Broken limits to life expectancy“ lautet der Titel eines einflussreichen und weltweit diskutierten Artikels, den Jim Oeppen und James Vaupel vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Rostock 2002 in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten (Oeppen/Vaupel 2002). Sie untersuchten die weltweite Entwicklung der Lebenserwartung seit 1840 in der Weise, dass sie die Länder mit dem jeweils höchsten Wert erfassten. Das Ergebnis zeigt in den letzten 160 Jahren einen erstaunlich linearen Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung bei der Geburt um 2,3 Jahre pro Dekade, wenn man die jeweils optimalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen zum Ausgangspunkt nimmt. Gegenwärtig liegt die weibliche Bevölkerung Japans mit rund 85 Jahren an der Spitze. An Oeppens und Vaupels

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Studie beeindruckt aber vor allem die langfristige Entwicklung. Wenn man sie in die Zukunft extrapoliert, dann würde die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt am Ende des 21. Jahrhunderts in den dann am höchsten entwickelten Ländern der Welt bei rund 110 Jahren liegen. Erstaunlich ist diese kontinuierliche Entwicklung auch deshalb, weil sie auf der Kombination zweier unterschiedlicher Prozesse beruht: Im 19. und im größten Teil des 20. Jahrhunderts stand die Herausbildung einer ,rechteckigen Überlebenskurve‘ im Vordergrund, also der Trend, dass immer mehr Menschen immer näher an eine maximale Lebensspanne von angenommenen 85 Jahren herankamen. Vom späten 20.  Jahrhundert an liegt der Zugewinn an Lebenserwartung dagegen immer mehr darin, dass sich die Grenze des menschlichen Lebens nach oben verschiebt. Diese beiden Prozesse haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Altersstruktur. Der Trend zur rechteckigen Überlebenskurve hat das Sterberisiko in allen Altersgruppen vermindert, mit Ausnahme der hohen. Der Tod hat sich vom Kinder-, Jugend- und jungen bis mittleren Erwachsenenalter zurückgezogen und hat sich immer mehr auf die höchsten Altersgruppen konzentriert. Der Altenanteil stieg mit dieser Entwicklung an, aber in relativ bescheidenen Maßen. Die ,broken limits‘ der Lebenserwartung dagegen haben dem Anteil an älteren Menschen eine neue Dynamik verliehen.12 Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war bzw. ist in Deutschland rund ein Viertel der Bevölkerung über 60 Jahre alt, für 2050 sagen die Prognosen rund 40 Prozent voraus. Dies sind nun in der Tat Werte, die historisch absolut neuartig und in der bisherigen Geschichte, soweit sie zahlenmäßig dokumentiert ist, ohne Beispiel sind. Gerade die Neuartigkeit dieses Phänomens sollte uns aber veranlassen, die Jahrtausende alte kulturelle Konvention, ,das Alter‘ mit 60 beginnen zu lassen, zu überdenken. Auch im beginnenden 21. Jahrhundert ist die deutsche Altersstruktur, wie im Jahrhundert zuvor, von einem historisch außergewöhnlich hohen Anteil der potentiell erwerbstätigen Altersgruppen geprägt. Dies ist auch für die nächste Zukunft relevant. Während viele demographische Prognosen auf den steigenden Anteil der Älteren und den sinkenden der Jüngeren fokussieren, hat sich Eckart Bomsdorf (2008) in einer Modellrechnungen für die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2050 auf die Bevölkerung im Erwerbsalter konzent12 Die Annahme einer fixen Lebensspanne des Menschen mit etwa 85 Jahren war auch mit der Erwartung verbunden, dass die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung bei der Geburt und das Ansteigen des Altenanteils späte Folgen des ‚demographischen Übergangs‘ seien und irgendwann im frühen 21. Jahrhundert zu ihrem Ende gelangen würden. Dann würde bei einer Lebenserwartung von etwa 85 Jahren und einem Altenanteil von etwa 25  Prozent eine Stabilisierung eintreten. So etwa bei Laslett 1984: 381; vgl. auch Ehmer 1990: 213ff.

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riert und dabei versucht, auch verschiedene Szenarien der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Diese Schwerpunktsetzung führt zu Ergebnissen, die den demographischen Wandel weniger dramatisch erscheinen lassen als andere Perspektiven. Der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung lässt bis 2050 – im Vergleich mit anderen demographischen Maßzahlen – nur einen relativ geringen Rückgang erwarten. Bei einer Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit und bei einem (tatsächlichen) Rentenalter von 67 Jahren könnte er sogar relativ stabil bleiben. Der große Anteil des jüngeren Erwachsenen- und des mittleren Alters, und die nur moderate Zunahme des hohen Alters, hängen auch mit einem Faktor zusammen, der für die Alterszusammensetzung einer Gesellschaft wichtig ist, hier aber nicht systematisch entwickelt werden kann: der internationalen Migration. Deutschland – wie Westeuropa insgesamt – ist seit den 1960er Jahren ein Zuwanderungsland. Die meisten Zuwanderer sind Arbeitsmigranten und/oder deren Familienangehörige, also Gruppen mit einem relativ niedrigen Altersprofil. Sie haben dazu beigetragen, dass der Wandel der Altersstruktur gemäßigt und relativ langsam verlief.

Abb. 5:  Altersstruktur in Japan und Deutschland, 1920–2010 (nach Ehmer 2008b).

Den langsamen Verlauf der ,demographischen Alterung‘ Deutschlands macht der Vergleich mit Japan sichtbar (Abb.  5). Japan hatte bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts wesentlich niedrigere Altenanteile als Deutschland. Im letzten Jahrzehnt ist dagegen der Anteil der über 65-Jährigen sprunghaft angestiegen und liegt heute höher als in Deutschland. Drei Faktoren bewirkten diesen Unterschied:

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Die Mortalitätsrate ging in Japan in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts später und langsamer zurück als in Deutschland. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sank sie dann aber sehr schnell auf ein deutlich niedrigeres Niveau. Auch der Fertilitätsrückgang setzte in Japan erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein, so dass der erste und der zweite ,fertility decline‘ in sehr geringem Abstand aufeinander folgten. Beide Prozesse zusammen hatten zur Konsequenz, dass der Altenanteil in Japan sehr spät, dafür aber sehr schnell und auf ein vergleichsweise hohes Niveau anstieg. Verschärft wurde dies durch eine außerordentlich restriktive Einwanderungspolitik, die dazu führte, dass es in Japan nur einen sehr geringen Ausländeranteil von unter zwei Prozent gibt. In Deutschland schätzt man den Anteil der Menschen mit ,Migrationshintergrund‘ gegenwärtig auf etwa 20 Prozent, also auf mehr als das zehnfache als in Japan.13 Die Altersstruktur der entwickelten Staaten ist allerdings auch im 20. Jahrhundert nicht nur vom langfristigen Wandel geprägt, sondern auch von kurzfristigen Verwerfungen. In der deutschen Altersstruktur des beginnenden 21. Jahrhunderts ist noch der Geburteneinbruch des Ersten Weltkriegs sichtbar, in geringerem Maß auch der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Vor allem aber hat der ,Baby Boom‘ der 1950er und 1960er Jahre, der 1965 seinen Höhepunkt erreichte, die Altersstruktur geprägt. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben die geburtenstarken Jahrgänge des ,Booms‘ den Anteil der erwerbsfähigen Altersgruppen erhöht, in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts werden sie wesentlich zur Zunahme des ,Altenanteils‘ beitragen (vgl. dazu die dynamische Darstellung der Entwicklung des Altersaufbaus in Deutschland 1950–2060 durch das Statistische Bundesamt Deutschland auf www.destatis.de/bevoelkerungspyramide/). Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ist durch die Kombination eines starken Geburtenanstiegs (,Baby Boom‘) mit dem anschließenden steilen Rückgang (‚second fertility decline‘, ,Pillenknick‘) mit einer besonders starken Zunahme der höheren Altersgruppen zu rechnen, der sich aber in der zweiten Jahrhunderthälfte wieder verlangsamen dürfte.

3. Gesellschaftliche Bewertung von Altersstrukturen 3.1 Der alte Wunsch nach einem langen Leben Der aktuelle Diskurs ist von einem Paradoxon geprägt: Fast alle Menschen streben ein möglichst langes Leben an, und die Gesellschaft unterstützt sie darin 13 Vgl. Migration und Bevölkerung, Ausgabe 4 (2003) und 5 (2006). Die Daten für Altersstrukturen in Japan und Deutschland beruhen auf eigenen Berechnungen für die erweiterte japanische Ausgabe von Ehmer 2004 (Kyoto 2008).

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nach Kräften mit den verschiedensten Institutionen. Auf der anderen Seite wird ein hoher Anteil an älteren Menschen überwiegend negativ bewertet und als Problem oder gar als Bedrohung gesehen – sei es des Sozialstaats, sei es der globalen wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit. Ein Blick in die Kulturgeschichte kann aktuelle Klagen über die ,alternde Gesellschaft‘ relativieren. Das Alter als Lebensphase wurde zu allen Zeiten ambivalent bewertet, als Fluch oder Segen, als Erfüllung oder Niedergang (vgl. dazu Ehmer/Höffe 2009). Der Wunsch nach einem langen Leben ist dagegen seit vielen Jahrtausenden in den verschiedensten menschlichen Kulturen verbreitet, fast scheint er eine anthropologische Konstante zu sein.14 Schon in einem der frühesten erhalten gebliebenen literarischen Werke des Nahen Ostens und des Mittelmeerraum, dem Gilgamesch-Epos, das seit dem 18. Jahrhundert v. Chr. in Mesopotamien schriftlich überliefert ist, ging es um das Geheimnis der Unsterblichkeit und um die Möglichkeit, das menschliche Leben zu verlängern.15 Die Götter der antiken Welt galten als unsterblich und genossen darüber hinaus das Privileg, nicht zu altern. In den bis zum Beginn des ersten Jahrtausends vor Christus zurück reichenden jüdischen Mythen, die später im Alten Testament zusammengefasst wurden, finden sich erstaunliche Altersangaben. Die meisten Männer der ersten Menschengenerationen zwischen Schöpfung und Sintflut wurden, folgt man der Genesis, mehr als 900 Jahre alt, beginnend mit Adam (930 Jahre) bis hin zum sprichwörtlich gewordenen Methusalem (969 Jahre). Für spätere Generationen scheint Gott dann eine Grenze bei 120 Jahren vorgesehen zu haben, was auch dem für Moses angegebenen Sterbealter entspricht, und für noch später geborene Menschen hieß es, wie schon erwähnt: „Unser Leben währet 70 Jahr, und wenn’s hoch kommt, so sind’s 80 Jahr.“16 Die medizinische Literatur der Antike gab Ratschläge für den Schutz vor Tod und körperlichem Verfall und für die Verlängerung des Lebens. Mäßigkeit in allen Lebensphasen, vor allem aber im Alter, galt als besonders wirksames Mittel, um den Tod hinauszuschieben und Gesundheit und Aktivität zu erhalten. In der frühen Neuzeit lässt sich eine besonders starke Faszination an Langlebigkeit beobachten. Der Philosoph John Locke berichtet in einer ausführlichen Tagebucheintragung, wie er am 1.  März 1681 in Oxford die Arbeiterfrau Alice George besuchte, die angab, 108 Jahre alt zu sein. Wie Locke beobachtete, konnte sie mit Hilfe eines Stocks noch aufrecht gehen. Sie hörte gut, beklagte aber einen zunehmenden Verlust ihrer Sehkraft. Zu den 14 Für einen breiten Überblick, der europäische und asiatische Kulturen einschließt, vgl. Gruman 1966. 15 Ebd.: 10ff.; vgl. Renger 1996: 1072; Minois 1987: 53ff. 16 Bibel, Genesis Kap. 5; Genesis Kap. 6; Deuteronomium Kap. 34,7; Psalm 90,10.

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Mahlzeiten bevorzugte sie Brot, Käse und Bier, Fleisch dagegen machte ihr Schwierigkeiten. Gerne hielt sie sich in dem kleinen Garten hinter ihrem Haus auf, und bei Bedarf wurde sie von ihrem in der Nähe wohnenden Sohn, der – nach ihren Angaben – 77 Jahre alt war, unterstützt (zit. nach Laslett 1989: 107–110). Im England des 18. Jahrhunderts veröffentlichte das angesehene „The Gentleman’s Magazine“ regelmäßig Berichte über Super-Centenarians, die in der wissenschaftlichen Literatur übernommen wurden und als Grundlage für die Diskussion über Lebensverlängerung dienten (s. Ottoway 2004: 23f.). Die neuen Massenmedien des Druck-Zeitalters trugen zur Verbreitung des Glaubens an Langlebigkeit bei. Manche Historiker sehen auch im Denken der Aufklärung, vor allem in der Idee der Perfektionierbarkeit des Menschen, eine Voraussetzung dafür, ein außerordentlich langes Leben für möglich zu halten: „In the spirit of Enlightenment Utopianism death need no longer be obligatory but merely an optional extra“ (Roberts 1993: 152).

3.2 Das Altern von Gesellschaften als Bedrohung Im frühneuzeitlichen Diskurs über Langlebigkeit spielten deren Konsequenzen für die Altersstruktur keine Rolle. Erst im beginnenden 19. Jahrhundert versuchten westeuropäische Sozialwissenschaftler erstmals, die Altersstruktur nach ihrem ökonomischen ,Wert‘ für die Gesellschaft zu klassifizieren. Sie nahmen dabei aber nicht die Alten, sondern die Kinder ins Visier. Der belgische Naturund Sozialwissenschaftler Adolphe Quetelet war der erste, der – in seinem „Versuch einer Physik der Gesellschaft“ (1835) – die seines Erachtens unnützen und unproduktiven Altersgruppen als „Last für die Gesellschaft“ bezeichnete (Quetelet, 1938: 321). Vor allem den zu seiner Zeit großen Anteil von Kindern und Jugendlichen sah er als mächtiges Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung an. Den USA prophezeite er wegen ihres großen Kinderreichtums eine düstere wirtschaftliche Zukunft. Aus Altersstrukturen wurden nun „Belastungsquoten“ abgeleitet (ebd.: 320–325). Während zunächst die Zahl der Kinder und Jugendlichen Ängste auslöste, setzte im späten 19. Jahrhundert die Verlagerung negativer Bewertungen von jungen zu alten Menschen ein (zur „Alterslast“ vgl. Schulz-Nieswandt 2008). Erst damit im Zusammenhang entstand die Idee, dass nicht nur einzelne menschliche Individuen, sondern die gesamte Gesellschaft altern könne. In Frankreich tauchte erstmals in den 1890er Jahren die Formulierung auf, dass die französische Bevölkerung im Begriff sei, ,älter‘ zu werden. Der historische Kontext dieser Begriffsbildung ging weit über die Sphäre der Ökonomie hinaus. Im späten 19. Jahrhundert erreichte der Nationalismus in den europäi-

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schen Gesellschaften eine neue Radikalität, biologistische, sozialdarwinistische und rassistische Denkweisen wurden zunehmend populär. In dieser Vorstellungswelt standen sich die europäischen Nationen, Völker oder ,Rassen‘ in einem ,Kampf ums Dasein‘ gegenüber. Der beginnende Geburtenrückgang wurde in diesem Wahrnehmungsschema interpretiert und erschien als Schwächung des eigenen Kollektivs im Kampf mit den anderen. Im Frankreich der 1890er Jahre waren es nicht zufällig die Publikationen von Vereinigungen zur Förderung der Geburten und des französischen Bevölkerungswachstums, insbesondere die „Alliance nationale pour l’accroissement de la population française“, in denen der Wandel der Altersstruktur thematisiert und politischideologisch aufgeladen wurde (Bourdelais 1999: 36ff.). In den 1920er Jahren gewann der Diskurs über die ,alternde Bevölkerung‘ an gesellschaftlicher Breite und an Radikalität. In Frankreich sprach Alfred Sauvy 1928 in einem Aufsatz vom ,fortschreitenden Altern der Bevölkerung‘. Über die wissenschaftlichen und politischen Zirkel hinaus wurden vor allem das Schulwesen und die Armee zu Trägern einer pronatalistischen Propaganda, und etwa zur Mitte der 1930er Jahre wurde die Altersverteilung zum zentralen Thema des französischen Bevölkerungsdiskurses (de Luca 2005). Die Gewichtsverschiebung von den jüngeren zu den höheren Altersgruppen erschien nun als Bedrohung des Arbeitsmarkts, des Sozialsystems, der militärischen Schlagkraft, und – auf allgemeinster Ebene – der Vitalität der französischen Nation (ebd.: 25ff.). Fernand Boverat, einer der Wortführer des ,apokalyptischen‘ Bevölkerungsdiskurses in Frankreich, der schon 1933 über die „tödliche Gefahr für die weiße Rasse“ (La race blanche en danger de mort) geschrieben hatte, veröffentliche 1946 ein Buch, in dem das Altern der Bevölkerung erstmals im Titel genannt wurde: „Le Vieillissement de la Population“ (zit. nach Bourdelais 1999: 43). Aber auch im gemäßigteren englischen politischen Diskurs der Zwischen- und Nachkriegszeit erschien das Altern der Bevölkerung als Bedrohung und Gefahr (Thane 1990). Auch im deutschen Bevölkerungsdiskurs der Zwischenkriegszeit war das Thema der Alterung von zentraler Bedeutung. Die wesentliche Rolle dabei spielte Friedrich Burgdörfer, der 1932 sein über 500 Seiten starkes Hauptwerk „Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des deutschen Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft – der Sozialpolitik – der nationalen Zukunft“ veröffentlichte (Burgdörfer 1932, weitere Auflagen 1934, 1935 und 1938). Burgdörfer (1890–1967), einer der führenden staatlichen Statistiker der Weimarer Republik und des Dritten Reichs, ist ein Musterbeispiel für das in der neueren zeitgeschichtlichen Forschung intensiv diskutierte Verhältnis von Wissenschaft und nationalsozialistischer Politik als „Ressource füreinander“ (Mitchell Ash). Mit seinem Buch versuchte er schon vor der Machtergreifung 1933, eine nationalsozialistische Bevölkerungspolitik zu konzipieren bzw. in seinem Sinn zu be-

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einflussen. Nach 1933 diente er den neuen Machthabern in vielen Bereichen ihrer Bevölkerungspolitik, u.  a. bei der Planung und Durchführung der Volkszählung 1939, die für die Identifizierung und Erfassung der deutschen Juden von großer Bedeutung war (vgl. dazu Vienne 2004: 153ff ). Mit seinem Buch argumentierte er explizit gegen den bis dahin das NS-Bevölkerungsdenken beherrschenden Slogan „Volk ohne Raum“ (nach dem Roman von Hans Grimm von 1924), der eine expansionistische Außenpolitik legitimieren sollte, und entwarf stattdessen ein differenziertes Konzept einer – im rassistisch-biologistischen Sinne – qualitativen und quantitativen Bevölkerungspolitik (vgl. dazu das Vorwort der ersten Auflage 1932, XVI). Im Buch finden sich alle demagogischen Phrasen der Zeit: Von der „Selbstausmerzung der Höherwertigen“ und dem übermächtigen Anteil der „Minderwertigen“ (ebd.: 69–70), über die „Gefahren der ,Umvolkung‘“ durch den „slawischen Expansionsdrang nach Westen“ (ebd.: 402–403), über die „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und die „Förderung der Fortpflanzung der Erbgesunden“ (ebd.: 457), bis zum unvermeidlichen „biopolitischen Kampf um den Volksboden“ in Osteuropa (ebd.: 429). Derartige Schlagworte sind aber eingebettet in eine immer wieder betont sachliche, um empirische Legitimation bemühte Argumentation. Diese Ambivalenz beherrscht auch das Thema der Alterung, das – wie schon der Titel ausdrückt – einen zentralen Platz in Burgdörfers Denken einnimmt. Er entfaltet das ganze Spektrum von Argumenten, das die von ihm konstatierte „Vergreisung des deutschen Volks“ und „Überalterung des Volkskörpers“ zum schlimmsten „Verhängnis“ machen würde. (ebd., z. B. 11; 142 etc..) Zwei seiner Themen möchte ich hier herausgreifen, den Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik. Dem Arbeitsmarkt (ebd.: 187ff.) drohe ein Rückgang und eine Überalterung der erwerbsfähige Bevölkerung der 15- bis 65-Jährigen, die Reserven des Arbeitsmarkts würden nur mehr aus Kindern, Greisen und Frauen bestehen, was keineswegs wünschenswert sei. Noch bedrohlicher sei aber ein „Ausgleich durch volksfremde Arbeitskräfte“ (ebd.: 218ff.) wegen seiner „volkspolitischen Gefahren“ (ebd.: 220f.): „In die Lücken, welche das eigene Volk durch seine Kinderarmut in seiner Wirtschaft gelassen hat, rücken volksfremde Elemente mit primitiveren Lebensverhältnissen und bescheideneren Lebensansprüchen ein … Der genügsame, willige und billige polnische Wanderarbeiter ist der Wegbereiter für das Vordringen des geburtenstarken und expansiven polnischen Volkstums. […] Unterwanderung durch volksfremde Elemente […] führt auf Dauer zur ‚Umvolkung‘“ (ebd.: 220–221). Die bevorstehende „Vergreisung“ werde aber auch darüber hinaus eine „folgenschwere Bedeutung“ haben: „[…] wenn der jugendliche Wagemut und Tatendrang, die jugendliche Spannkraft und der jugendliche Schwung in einem Volke schwindet oder gelähmt und überschattet wird von der allzu zahlreich vertretenen ängstlichen Bedächtigkeit der Alten, so kann

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einem Volke leicht der gesunde Auftrieb abhanden kommen, ohne den es keinen Fortschritt gibt“ (ebd.: 223f.). Im Kapitel „Die Überalterung und die Soziallasten der Zukunft“ (ebd.: 225ff.) stellt Burgdörfer ausführliche Überlegungen und Berechnungen zur Zukunft der Invalidenversicherung (wie damals die deutsche Altersrentenversicherung noch genannt wurde) an. Er prognostiziert ein chronisches Defizit der Invalidenversicherung: Während 1933 auf 100 Erwerbsfähige zehn über 60-Jährige entfielen, würden das im Jahr 2000 18 bis 26 (je nach Geburtenszenario) sein (ebd.: 234f.). Dies führe zum „drohenden Zusammenbruch der versicherungsmäßigen Altersund Invalidenversorgung der breiten Masse des Volkes, auf die wir einst – mit Recht – so stolz waren. […] Wer wird für die Masse der alten Leute sorgen, die, als sie noch jung waren, es unterlassen haben, für Nachkommenschaft zu sorgen?“ (ebd.: 242). Der Niedergang der deutschen Rentenversicherung werde sich in den 1950er Jahren verschärfen, spätestens ab den 1970er Jahren komme es zum völligen Zusammenbruch (ebd.: 239). Es ist interessant, dass Burgdörfer diese Prognose auf empirischer Grundlage mittels aller damals verfügbaren Daten vornimmt – und damit den Zusammenbruch der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gerade für die Periode prognostiziert, in der dann tatsächlich ihr stärkster Ausbau erfolgen sollte! Ausgeblendet wird bei Burgdörfer die Möglichkeit steigender Produktivität und wirtschaftlichen Wachstums. Die Wirtschaftsleistung erschien ihm als stationär, Wachstum konnte – und wollte – er nicht in seine Modelle und Prognosen aufnehmen. Burgdörfers Buch kann in seiner Bedeutung und seinem Einfluss gar nicht überschätzt werden. Zum einen bündelte es völkisch-rassistische Prämissen und verlieh ihnen wissenschaftliche Legitimation, zum anderen entwickelte es eine Fülle weiterer Argumente und Denkfiguren, die im gelehrten wie im volkstümlichen völkischen Diskurs der 1930er Jahre immer wieder auftauchen. Sein internationaler Einfluss ist bisher kaum untersucht, aber vielleicht ist es kein Zufall, dass sich die französische Alterungsdebatte kurz nach dem Erscheinen von „Volk ohne Jugend“ intensivierte. Im deutschen Sprachraum war Burgdörfer der wesentliche Vordenker des Diskurses über die ,Alterung der Gesellschaft‘. Viele seiner Argumente sind auch in gegenwärtigen Debatten präsent, und nicht zuletzt kann er den Ruhm beanspruchen, mit dem Begriff der ,Überalterung‘ einer besonders pejorativen und ahistorisch-normativen Formulierung zur Popularität verholfen zu haben, die – wie es scheint – aus dem deutschen Wortschatz nicht mehr verschwinden will, auch wenn es sie in anderen europäischen Sprachen gar nicht gibt.

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4. Schlussfolgerungen Aus dem historischen Überblick über den Zeitraum der letzten 600 Jahre, in dem wir über Quellen zu Altersstrukturen und zu ihrer gesellschaftlichen Bewertung verfügen, lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, die ich zum Abschluss thesenförmig zuspitzen möchte: – Es gibt keine ‚normale‘ oder ‚ideale‘ Altersstruktur, die als Maßstab dienen könnte. In der Geschichte herrscht Variabilität und Wandel. Auch die pyramidenförmige Altersverteilung des späten 19.  Jahrhunderts war nur eine Variante unter vielen anderen. – Trotz dieser Vielfalt der Altersverteilung war im vormodernen Europa ein relativ hoher Anteil von älteren Menschen – von zehn oder mehr Prozent – die Regel. Anteile von über 60-Jährigen von nur 6 Prozent, wie sie im 19. Jahrhundert zu finden sind, stellen dagegen historische Ausnahmen dar. – Die Wahrnehmung einer bedrohlichen ,Alterung der Gesellschaft‘ hatte zu ihrer Entstehungszeit – vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – nichts mit der demographischen Realität zu tun. Apokalyptische Prognosen verbreiteten sich gerade in der Periode, in der die europäischen Bevölkerungen vergleichsweise jung war, und in der vor allem die erwerbsfähigen Altersgruppen eine historisch ganz ungewöhnliche Stärke aufwiesen. – Der Ursprung der Diskurse über das ,Altern der Gesellschaft‘ lag dementsprechend nicht im realen demographischen Wandel, sondern im sozialdarwinistischen und rassistischen Zeitgeist begründet. Der Altersdiskurs war ein Stellvertreter-Diskurs. Worum es ging, war der Übergang zu Geburtenkontrolle und Familienplanung, der vielen Zeitgenossen als Gefährdung der Überlegenheit ihres Volks oder ihrer ,Rasse‘ erschien. – Soweit die Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Gegenwart und Zukunft auf der Steigerung der Lebenserwartung beruht, handelt es sich zum einen um demographische Prozesse, die auf einer Verringerung der sozialen Ungleichheit vor dem Tod und der Angleichung der Überlebenschancen beruhen und damit zur Demokratisierung beitragen. Zum anderen handelt es sich um eine Verlängerung der Lebensspanne, von der vermutlich alle bisherigen Generationen der Menschheitsgeschichte träumten, ohne sie realisieren zu können. Beide Aspekte des demographischen Wandels gehören zu den begrüßenswerten Implikationen der Modernisierung. – Wenn die Annahme der ,broken limits‘ des menschlichen Lebens stimmt, dann befinden wir uns am Beginn einer Phase der demographischen Entwicklung, die tatsächlich neu und ohne historische Vorbilder ist. Die Zunahme des ,Altenanteils‘ wäre dann kein Übergangsphänomen, das im Lauf des 21. Jahrhunderts in eine neue Stabilität münden wird, sondern ein dynami-

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scher Prozess mit offenem Ende. Gerade dies zwingt uns dazu, die kulturell tradierten und institutionell verfestigten Altersgrenzen unserer Gesellschaft zu revidieren. Die Altersgrenze mit 60 oder 65 Jahren ist schon heute ein Anachronismus, und immer mehr wird schon die Vorstellung einer fixen und für alle Zeiten gültigen kalendarischen Grenze des Alters zu einem mächtigen Hindernis für das Verständnis des demographischen Wandels, das die Anpassung der gesellschaftlichen Institutionen und Mentalitäten an die Dynamik der Entwicklung erschwert.

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Josef Ehmer

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Brigitte Röder  

1 Das Alter als eine Abfolge von ‚Aufstieg‘, ‚Blüte‘ und ‚Niedergang‘ – eine Vorstellung, die in bildlichen Darstellungen wie den Lebenstreppen zum Ausdruck kommt. Die Differenzierung z­ wischen dem „Stufenalter der Frau“ (oben) und dem „Stufenalter des Mannes“ (s. Rückseite) macht deutlich, dass die Lebensläufe von Männern und Frauen unterschiedlich konzeptualisiert werden und die Geschlechterrollen mit bestimmten altersspezifischen Rollen verschränkt sind. Bilderbogen um 1900. Entwurf: F. Leibher Verlag: Gustav May Söhne Frankfurt a.M. Chromlithographie, 41 x 50,5 cm mit Originalrahmen (Bildarchiv des Deutschen Historischen Museums Berlin).

Brigitte Röder  

Martin Bommas

1 Detail der Grabfassade des Harchuf auf der Qubbet el-Hawa bei Assuan (Grab 34n), um 2300 v. Chr. Der Grab­ besitzer nimmt als alter Mann und auf einen Stock gestützt ein Opfer entgegen (Foto: Martin Bommas).

2 Alter Mann geht Schiffsbauern zur Hand. Grab des Uchhotep, Meir B2, ca. 1900 v. Chr. (Foto: Martin Bommas).

Eva Stauch

21 Trendwenden im weiblichen Lebenslauf nach Aussage der Beigaben (Eva Stauch).

Eva Stauch

23 Trendwenden im männlichen Lebenslauf nach Aussage der Beigaben (Eva Stauch).

Sabine Meister

2 Max Liebermann, Bildnis Carl Friedrich Petersen, 1891, Öl/Leinwand, 206 x 119 cm, Hamburger Kunsthalle.

Sabine Meister

5 Ludwig von Hofmann, Das verlorene Paradies, um 1893, Öl auf Leinwand, 130 x 195 cm, ­Hessisches Landesmuseum Darmstadt.

Sabine Meister

6 Ludwig von Zumbusch, Titelblatt der Zeitschrift „Jugend“, 1896, Heft 28, Grafik.

Sabine Meister   

8 Ludwig von Zumbusch, Titelblatt der Zeitschrift „Jugend“, 1898, Heft 23.

Sabine Meister 

10 Josef Rudolf Witzel, „Jugend. Münchner illustrierte Wochenschrift. Hier zu haben“, 1896, Werbeplakat, Farblithographie, 70,5 x 114,7 cm, Stadtmuseum München.

Sabine Meister   

11 Friedrich Eduard Bilz, Das Volk im heutigen und im Zukunftsstaat, 1904, Illustration mit Selbstporträt (Bilz 1904: o. Pag.).

Sabine Meister

12 Ludwig von Hofmann, Idyllische Landschaft mit Badenden, um 1900, Öl/Leinwand, 65 x 96 cm, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt am Main.

Sabine Meister

13 Fidus (Hugo Höppener), Gnadennacht, 1912, Öl/Karton, 90 x 120 cm, Archiv der Deutschen ­Jugendbewegung, Burg Ludwigstein, Witzenhausen.

Heinz D. Osiewacz / Christian Q. Scheckhuber

intermembrane space H

. O2-

+

H

+

H+

.

Cytc

Cu Cu UQ

a a3 Cu

III

V

I II

IV

fumarate

. O2-

+

NAD

NADH+ H+

succinate

H+

½ O2 + 2H+ H2O

matrix

ADP +Pi ATP

. O2-

Molecular damage

2 H+

MnSOD

O2 OH -

. OH

H2O2 Cu+

Cu2+

1 Electron-flow in the respiratory chain, ROS generation and molecular damage in mitochondria. The protein complexes of the mitochondrial respiratory chain are mainly located in the cristae membranes. Complexes I (NADH:ubiquinone oxidoreductase) and III (cytochrome-c reducta. se) are the main sites of superoxide (O2- ) production. Mitochondrial manganese superoxide dismutase (MnSOD) catalyzes the conversion of superoxide anions to hydrogen peroxide. H2O2 can react in a Fenton reaction with metal ions like Cu+ to form the extremely reactive hydroxyl radi. . . cal ( OH). The high reactivity of H2O2, O2- , and OH leads to severe damage to biomolecules like proteins, nucleic acids and lipids.

Josef Ehmer

1 Altersaufbau der Stadt Salzburg, 1647 (nach Radner 2008).

2 Altersaufbau der Stadt Salzburg, 1794 (nach Radner 2008).

Josef Ehmer   

3 Altersaufbau der Pfarre Abtenau, 1632 (nach Radner 2008).

4 Altersaufbau der Pfarre Thalgau, 1750 (nach Radner 2008).

Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Kurt W. Alt studierte Zahnmedizin (Berlin) sowie Ur- und Frühgeschichte, Ethnologie, Anthropologie (Freiburg), 1992 folgte die Habilitation in Anthropologie, von 1992–1997 war er Assistent in Düsseldorf und Freiburg. Seit 1999 ist er Universitätsprofessor für Anthropologie an der Universität Mainz. Schwerpunkte: Physische Anthropologie, Dentale und Forensische Anthropologie, Archäometrie (aDNA, Isotope), Struktur und Dynamik in prähistorischen und historischen Bevölkerungen, Besiedlungsgeschichte Europas, Verwandtschaftsanalyse, Demographie und Mobilität. Univ. Prof. i. R., Mag. Dr. Anton Amann übernahm die Professur für Soziologie und Sozialgerontologie am Institut für Soziologie der Universität Wien 1982. Die hauptsächlichen Forschungsschwerpunkte waren im Laufe der Zeit: Sozialgerontologie, Sozialpolitik, Altenpolitik, Pflegevorsorge, Genossenschaftswesen, Siedlungs- und Stadtsoziologie, Bildung und Beruf, Wissenschaftssoziologie und Geschichte sozialer Ideen. In diesen Themenzusammenhängen entstanden zahlreiche Bücher und über 200 wissenschaftliche Artikel. Prof. Amann war wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Alternswissenschaften, Gesundheits- und Sozialpolitikforschung (ZENTAS) an der Niederösterreichischen Landesakademie und ist Geschäftsführer des Paul F. LazarsfeldArchivs an der Universität Wien. Jesper L. Boldsen: Ph.D. in Biology, 1983 and Dr.med.sci in 2008. Professor of Anthropology and head of ADBOU (SDU). Research: human biology and evolution. Publications on population dynamics and diseases in the past e.g.: Leprosy in the early medieval Lauchheim community; Early childhood stress and adult age mortality – a study of dental enamel hypoplasia in the medieval Danish village of Tirup; Outside St. Jørgen: Leprosy in the medieval Danish city of Odense, AJPA 2006–2008. Dr. Martin Bommas ist Senior Lecturer in Egyptology an der Universität Birmingham, Großbritannien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. religiöse Literatur und funeräre Rituale des Alten Ägypten. Peter van Eeuwijk, Dr. phil. I, Dipl. NADEL ETH, social anthropologist, historian, international health specialist. Senior researcher and lecturer at the Institute of Social Anthropology, University of Basel; senior lecturer at the Universities of Zürich and Freiburg i.Br. Major fields of interest: medical anthropology, anthropology of ageing, urban anthropology, medical history.

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Autorinnen und Autoren

Current research focus: vulnerability and resilience of urban elderly persons as to care support. Current regional focus: Southeast Asia (Indonesia, Laos), East Africa (Tanzania). Josef Ehmer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er war Professor für Allgemeine Neuere Geschichte an der Universität Salzburg (1993–2005) und Gastprofessor an der FU Berlin, dem European University Institute (Florenz) und der University of Cambridge. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der neueren Sozialgeschichte im internationalen Vergleich. Letzte Buchpublikationen: Bilder des Alterns im Wandel (Mithrsg., 2009); The Idea of Work in Europe from Antiquity to Modern Times (Mithrsg., 2009). Sjaak van der Geest is Professor Emeritus of Medical Anthropology at the University of Amsterdam. He has done fieldwork in Ghana and Cameroon on a variety of subjects including sexual relationships and birth control, the use and distribution of medicines, popular song texts, meanings of growing old, and concepts of dirt and hygiene. He is founder and editor-in-chief of the journal Medische Antropologie and assistant editor of several other journals in the field of medical anthropology. Willmijn de Jong ist Titularprofessorin für Ethnologie an der Universität Zürich. Ihre Publikationen betreffen die folgenden Themen: interkulturelle Kommunikation sowie Reproduktionsmedizin und Verwandtschaft in der Schweiz; Textilarbeit, Heirat und Gender sowie rituelle Erneuerungen in Flores, Indonesien; und soziale Sicherheit und Alter in Kerala, Indien. Als Koautorin verfasste sie das Buch Ageing in Insecurity. Case Studies on Social Security and Gender in India and Burkina Faso (2005). Heike Kahlert, Dr. rer. soc. habil., Diplom-Soziologin; zurzeit Lehrstuhlvertretung für Soziologie mit dem Schwerpunkt „Soziale Entwicklungen und Strukturen“ am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Web: http://www.heike-kahlert.de Sharon R. Kaufman is Professor of Medical Anthropology in the Department of Anthropology, History and Social Medicine and the Institute for Health and Aging at University of California, San Francisco. She has conducted research on identity in late life, the changing culture of American medicine and the history and practice of informed consent in medical research. Her current research addresses the ways in which life-extending medical procedures are changing our

Autorinnen und Autoren 

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ideas about ‘normal’ aging and the expected life span, family obligation, and medical responsibility. She is the author of three books: The Ageless Self: Sources of Meaning in Late Life (1986), The Healer’s Tale: Transforming Medicine and Culture (1993), and … And a Time to Die: How American Hospitals Shape the End of Life (2005). Anna Kjellström (* 1970) works as an assistant professor at Stockholm University. Her doctoral thesis, The Urban Farmer (2005), examined the transformation characteristics of the early medieval town of Sigtuna interpreted in a socioeconomic perspective. She is involved in The Global History of Health Project, initiated by Ohio State University, dealing with changes of human health in Europe from the Late Palaeolithic to the early 20th century. Sabine Meister Kunsthistorikerin, Promotion 2006, Kuratorin öffentlicher und privater Kunstsammlungen sowie Projektarbeit zu Forschungsthemen des 19. und 20. Jahrhunderts; Projektleitung „Kunstsammlung Charlottenburg“, Kulturamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin; Mitarbeit am Werkverzeichnis Philipp Franck; Ausstellungskonzeption und Sammlungsbetreuung Museum Jan-BrauersStiftung, Baden-Baden/Gernsbach, Kuratorin der Dauerausstellung „SammlerStücke“ und Mitarbeit an der Eröffnung des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim, Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Kunst der Moderne. Prof. Dr. Heinz D. Osiewacz leads the group on Molecular Developmental Biology and is a member of the Cluster of Excellence Macromolecular Complexes at the J. W. Goethe University in Frankfurt. He has a long-standing experience in the field of experimental gerontology. For his work on molecular mechanisms of ageing he received the Sandoz Prize of Gerontology and the Rene-Schubert Prize for Gerontology. The scientific work of his research group is devoted to unravel the molecular network of pathways controlling ageing in the fungal ageing model Podospora anserina. Pasqualina Perrig-Chiello studierte Psychologie an der Universität Fribourg/ Schweiz und habilitierte 1996. Seit 2003 ist sie Honorarprofessorin am Institut für Psychologie der Universität Bern. Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungspsychologie der Lebensspanne und familiale Generationenbeziehungen. Sie erhielt Lehraufträge an den Universitäten Frankfurt, Saarbrücken und Basel, war in der Leitung und Koordination verschiedener Forschungsprojekte tätig und ist Mitglied des Nationalen Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds.

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Autorinnen und Autoren

Professor Carla Risseeuw is an anthropologist, filmmaker and Research Fellow “Ageing in East and West” at the International Institute for Asian Studies, University of Leiden. In relation to ageing she has worked on health; care and welfare issues in East Africa; South Asia and the Netherlands and is Board Member of REIACTIS, an international network on ageing and public policy next to citizenship and participation of seniors in social movements and public and private decision-making. Brigitte Röder ist Archäologin (Ur- und Frühgeschichte) und arbeitet als Förderungsprofessorin des Schweizerischen Nationalfonds am Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel. Zusätzlich vertritt sie den Lehrstuhl des Fachbereichs Ur- und Frühgeschichtliche und Provinzialrömische Archäologie in Basel. Ihre Forschungsinteressen sind u. a. sozial-, geschlechter- und kindheitsgeschichtliche Fragestellungen, Theoriebildung und Methodenentwicklung sowie Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Urgeschichtsforschung und deren Einfluss auf die archäologische Wissenskonstruktion. Dr. Claudia Roth, social anthropologist, University of Bern, Switzerland. Since 1989 she has been conducting fieldwork in Bobo-Dioulasso, Burkina Faso, West Africa. She has published books and articles on gender relations, intergenerational relations, old age, social security, the informal sector and anthropological field research. Her last research project “Intergenerational relations under stress: a comparison between Europe and Africa” (2007–2010) was financed by the Swiss National Science Foundation and hosted by the University of Lucerne. Dr. Christian Q. Scheckhuber’s work is centred in the field of ageing research, mitochondrial quality control and dynamics. He received his PhD title with distinction and was subsequently awarded the prize for the best PhD thesis in the field of natural sciences of the Goethe University in Frankfurt. He has continued to work at the Goethe University as a postdoc researcher to further elucidate the role of mitochondrial dynamics and mitophagy in ageing. His current professional goal is the “Habilitation”. Winfried Schmitz studierte Geschichte und Klassische Archäologie an den Universitäten Köln und Freiburg, wo er 1985 promoviert wurde. Von 1985 bis 1989 war er wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin und von 1989 bis 1991 wissenschaftlicher Volontär am Rheinischen Landesmuseum Bonn. 1995 folgte die Habilitation in Freiburg. Anschließend war er als Professor für Alte Geschichte in Bochum (1996–1998) und Bielefeld (1998–2003), seit 2003 ist

Autorinnen und Autoren 

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er in Bonn. Publikationen: Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland (2004); Haus und Familie im antiken Griechenland (2007); als Mitherausgeber: Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike (2003). Prof. Dr. Gabriela Signori (*  1960) war von 2001 bis 2006 Professorin für Geschichte des Spätmittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Münster, seit 2006 ist sie Professorin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz und Teilprojektleiterin „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung“ im Rahmen des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Sie hat zahlreiche Arbeiten zur Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte des späten Mittelalters verfasst, darunter jüngst Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt (Campus Verlag: Frankfurt am Main 2011). Eva Stauch ist Professorin für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind die frühgeschichtliche Archäologie und Archäologie des Mittelalters. Weitere Interessensgebiete sind Sozialgeschichte, Migrations- und Akkulturationsforschung, Kulturanthropologie sowie Chronologie. Sie ist ordentliches Mitglied der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts und Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Hochschullehrer für Archäologische Wissenschaften. Stig Welinder (* 1945) was appointed professor in Nordic Archaeology at the University of Oslo in 1985. Since 1995 he was attached to Mid Sweden University in Härnösand until his retirement in 2009. His latest research concerns historical archaeology, gender archaeology, and the history of archaeology. The latest decade he has directed field projects on summer farms (Sw. fäbodar) and farms of Finnish migrants to the Scandinavian Peninsula in the 17th century.

Anton Amann, David Felder, Günther Ehgartner

Sozialproduk t des Alters Über Produktivitätswahn, Alter und ­Lebensqualität

Die Älteren werden, wieder einmal, zu Sündenböcken für die Belastung öffentlicher Haushalte gestempelt, nicht ohne altersfeindliche Tiraden in den Medien. Älteren Arbeitskräften wird mangelnde Produktivität zugeschrieben, und den wohlhabenderen, gesunden und aktiven Alten wird vorgeworfen, sie verprassten das Erbe der Jungen. Es ist höchst an der Zeit, eine Neubestimmung der Begriffe „Lebensqualität“ und „Produktivität“ vorzunehmen und die Leistungen der älteren Bevölkerung für das Wohlergehen aller systematisch darzustellen. Soziale und kulturelle, geistig-psychische und emotionale Produktivität und Konstruktivität müssen neu bewertet und als Gegenformel zu einem rein materiell gesehenen Lebensstandard bewertet werden. 2010. 235 S. br. 155 x 235 mm. isbn 978-3-205-78511-8

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Sonja Kinzler

Das Joch des Schl afs Der Schl afdiskurs im bürgerlichen Zeitalter (Kulturgeschichte der Medizin, Band 1)

Nie war der Schlaf nur „süßer Schlummer“. Seit jeher leidet der Mensch auch unter dem „Joch des Schlafs“, das er nicht abschütteln kann. Das liegt nicht nur an individuellen Schlafproblemen. Der Schlaf gilt auch deshalb als be­ lastend und bedrohlich, weil es bis heute nicht gelungen ist, das Phänomen restlos zu ergründen und zu kontrollieren. Der Schlaf ist eine anthropologische Konstante. Doch er hat auch eine Geschichte. Dieser Band bietet einen Überblick über die Geschichte des ­ Schlafs von der Aufklärung über die Industrialisierung mit ihrer neuen Zeit­ ökonomie bis ins „nervöse“ frühe 20. Jahrhundert. Er untersucht vor allem Ge­ sundheitsratgeber und Fachpublikationen, um Einsichten in das Menschenbild zu gewinnen, das das Bürgertum im „langen 19. Jahrhundert“ im Zeichen der Modernisierung von Wissenschaft und Gesellschaft entworfen hat. 2011. 262 S. Mit 26 s/w-Abb. Gb. 155 x 230 mm. ISBN 978-3-412-20716-8

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BEATE WAGNER-HASEL

ALTER IN DER ANTIKE EINE KULTURGESCHICHTE

Noch heute haben die antiken Altersbilder, die sich zwischen Geringschätzung und Hochachtung bewegen, nicht an Wirkkraft verloren. In ihrer Kulturgeschichte, die einen zeitlichen Bogen vom archaischen Griechenland bis zum christlichen Imperium spannt und an so verschiedene Orte wie Athen, Sparta oder Rom führt, geht Beate Wagner-Hasel diesen Bildern nun auf den Grund. Sie befragt die antiken Quellen nach den konkreten Lebensbedingungen alter Menschen ebenso wie nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Alter. Die reichhaltigen Funde geben Auskunft über den Einfluss der Alten in Politik und Wissenschaft, über den Umgang mit dem körperlichen Abbau und den materiellen Bedingtheiten, aber auch über das Zusammenleben der Generationen und die Sorge um Alter und Tod. Es zeigt sich, dass auch in der Antike das Alter keine rein biologische Tatsache war, sondern durch soziale und kulturelle Faktoren geprägt wurde. 2012. 244 S. 22 S/W-ABB. GB. MIT SU. 135 X 210 MM | ISBN 978-3-412-20890-5

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